Evolution der Medien - Das Ringen um Kontinuität. Festschrift zu Ehren von Professor Wolfgang Thaenert [1. ed.] 9783848710461, 9783845251707


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German Pages 358 [357] Year 2013

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Evolution der Medien - Das Ringen um Kontinuität. Festschrift zu Ehren von Professor Wolfgang Thaenert [1. ed.]
 9783848710461, 9783845251707

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Schriftenreihe des Instituts für Europäisches Medienrecht (EMR), Saarbrücken Band 43 Schriftleitung: Rechtsanwalt Dr. Norbert Holzer, Direktor Rechtsanwalt Prof. Dr. Stephan Ory, Wissenschaftlicher Direktor Mag. Peter Matzneller, LL.M. Eur., Stellvertretender Geschäftsführer

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Norbert Holzer/Stephan Ory/Winfried Engel (Hrsg.)

Evolution der Medien – Das Ringen um Kontinuität

Festschrift zu Ehren von Professor Wolfgang Thaenert

Nomos

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN: 978-3-8487-1046-1

1. Auflage 2013 © Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2013. Printed in Germany. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Zu Ehren von Prof. Wolfgang Thaenert

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Vorwort Mit dieser Festschrift überbringt das Institut für Europäisches Medienrecht, EMR, gemeinsam mit einer Vielzahl von Freunden, Kollegen und Weggefährten von Prof. Wolfgang Thaenert die besten Wünsche anlässlich dessen Verabschiedung als Direktor der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien. Als Verantwortlicher der Landesanstalt und zugleich Lehrender an der Universität Kassel hat er über all die Jahre Wert auf eine gedeihliche Kooperation mit unserem Institut gelegt und seine Verbundenheit in zahlreichen gemeinsamen Aktivitäten dokumentiert. Die Gratulation in Form dieses dreiundvierzigsten Bandes unserer Schriftenreihe soll nicht nur sichtbares Zeichen der persönlichen Wertschätzung, sondern zugleich Ausdruck der Anerkennung für die Verdienste einer Persönlichkeit sein, die sich seit vielen Jahren für die Fortentwicklung der Medienlandschaft engagiert. Dabei ist Prof. Wolfgang Thaenert nie dem Irrtum erlegen, Fortschritt sei ein Wert an sich. Gerade die komplexe und kulturorientierte deutsche Medienlandschaft stand schon früh in einem Spannungsverhältnis zum Dienstleistungsgedanken des europäischen Rechts. Als Europabeauftragter der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten war Prof. Wolfgang Thaenert daher Bewahrer und Hüter einer Medienordnung, die er auch in ihrer Digitalisierung und Europäisierung stets wertebasiert verstand und gestaltete und dennoch für Neues öffnete. Er war und ist ein beeindruckender Gestalter des medialen Rechtsrahmens, vor allem aber auch von dialogischen Prozessen der Meinungsbildung. Hier gesellt sich zum Bild des Gestalters das des „ehrlichen Maklers“, auf dessen Wirken so manche Problemlösung zurückgeht. In diesem Sinne bietet die Festschrift einen weiten Rundblick über das berufliche Wirken von Prof. Thaenert. Sie beginnt mit einer Würdigung der LPR Hessen und deren Einfluss auf den Standort Kassel. Dazu erzählen Weggefährten von ganz persönlichen Begegnungen und Erfahrungen mit Prof. Thaenert. Der zweite Teil der Festschrift widmet sich dem modernen Rundfunk und den Herausforderungen an die Aufsicht. Zunächst betrachten zwei Beiträge den europäischen Aspekt der Medienregulierung, bevor neben einer grundsätzlichen Bestandsaufnahme des Fernsehens in Deutschland ein Vergleich der Rundfunkregulierung mit der Regulierung des Luftraums gezogen wird. Dem Jugendschutz nähern sich eine Einordnung der Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags sowie eine Analyse der Arbeit der Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle. Die Konvergenz der Medien ist ebenso Thema wie grundsätzliche Fragestellungen an die Regulierung im digitalen Wandel. Im dritten Teil erfährt der Hörfunk besondere Berücksichtigung. Aus mehreren Blickwinkeln wird die Zukunft von DAB+ beobachtet. Analysiert werden zudem die wettbewerbsrechtlichen Aspekte bei der Einführung von Untertiteln im Rahmen von DAB+. Der vierte Teil zeigt schließlich die Vielfalt der Medienordnung und damit auch die beträchtliche Weite des Tätigkeitsbereichs einer Landesmedienanstalt auf. Das Spektrum geht dabei von Fragen zu Medien und Werten, hin zu einer rechtlichen Bewertung 9 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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der Verbreitung von Hörfunkschnipseln in sozialen Netzwerken. Einer Analyse der Aufsicht über Glücksspielwerbung folgen journalistisch-rechtliche Fragestellungen bei der Verdachtsberichterstattung und beim Einsatz von Journalisten als verdeckte Ermittler. Daneben werden Fragen zur Zukunft des gedruckten Wortes, zur Medienkompetenz und zum Vertrauen in die Medien sowie zum Datenschutz behandelt, der sowohl aus rechtlicher als auch aus moralischer Sicht kritisch begutachtet wird. Den Abschluss bilden eine Analyse der Verhandlungen zu Freihandelsabkommen sowie ein Überblick über die Arbeit der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestags. Wir freuen uns, wenn es gelungen ist, in diesem Kaleidoskop medialer Themen die Thaenert’sche Vielfalt und Weitsicht widerzuspiegeln. Abweichend von der üblichen Herausgeberschaft der EMR-Schriftenreihe freut sich das Direktorium des EMR, bei der vorliegenden Festschrift Herrn Winfried Engel, Vorsitzender der Versammlung der LPR Hessen, als Mitherausgeber ausweisen zu dürfen. Herr Engel hat nicht zuletzt durch seine Initiative einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass wir nun mit dieser Festschrift gegenüber Prof. Thaenert unsere Anerkennung zum Ausdruck bringen können. Das EMR bedankt sich herzlich bei allen Autorinnen und Autoren, die mit ihrem Beitrag die vorliegende Festschrift ermöglicht haben. Unser Dank geht auch an die Förderer und Partner, die mit großzügiger finanzieller Unterstützung nicht zuletzt dazu beigetragen haben, dass die Festschrift in einer so beachtlichen Auflage erscheinen kann: Radio / Tele FFH GmbH & Co. Betriebs KG, TV IIIa GmbH & Co. KG, RTL2 Fernsehen GmbH & Co. KG, Radio BOB GmbH & Co. KG und Media Broadcast GmbH. Dem scheidenden Direktor der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und langjährigen Wegbegleiter und Förderer des EMR, Prof. Wolfgang Thaenert, rufen wir zum Abschied ein freundschaftliches „Auf Wiedersehen!“ zu.

Saarbrücken, im Dezember 2013

EMR-Direktorium und Schriftleitung RA Dr. Norbert Holzer, Direktor

RA Prof. Dr. Stephan Ory, Wissenschaftlicher Direktor Mag. Peter Matzneller, LL.M. Eur., Stv. Geschäftsführer

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Inhaltsverzeichnis Vorwort ....................................................................................................................................................... 9 Inhaltsverzeichnis ..................................................................................................................................... 11 Grußwort................................................................................................................................................... 13 Volker Bouffier, Hessischer Ministerpräsident Grußwort: „Eine Ära geht zu Ende …“ ................................................................................................. 15 Winfried Engel, Vorsitzender der Versammlung der LPR Hessen I.

Prof. Wolfgang Thaenert und die LPR Hessen Ab nach Kassel ..................................................................................................................................... 17 Hans-Dieter Hillmoth Zwischen Konsens und Container ...................................................................................................... 21 Annette Kümmel / Heiko Zysk Der Internationale aus der Mitte von Deutschland .......................................................................... 25 Alfred Grinschgl

II.

Der moderne Rundfunk und die Herausforderungen an die Aufsicht Die Rolle unabhängiger Regulierungsbehörden in der europäischen Medienpolitik .................... 31 Katrin Stoffregen Die EU und die ARD – oder Europäische Medienpolitik im Spannungsfeld von Kultur und Ökonomie ............................................................................................................................................. 39 Thomas Kleist Fernsehen in Deutschland ................................................................................................................... 49 Helmut Thoma Radiowellen und Reisewellen .............................................................................................................. 55 Jürgen Harrer Die Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) ............................................ 61 Siegfried Schneider Die Vorlage von Rundfunksendungen bei Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle ......... 69 Klaus Beucher Starre Regeln für flexible Medien ...................................................................................................... 83 Joachim von Gottberg Förderung der Rundfunkverbreitung im Wandel der Zeiten ......................................................... 95 Hans Hege Medienpolitik als Ordnungspolitik .................................................................................................. 103 Claus Detjen Regulierung in Zeiten der Medienkonvergenz ................................................................................ 117 Jürgen Brautmeier Die Konvergenzentwicklung als Dauerbrenner der europäischen Medienpolitik ....................... 121 Bernd Holznagel/David Kampert Konvergenz als Herausforderung für Medien- und Netzpolitik .................................................... 133 Wolfgang Kopf/Alexander Scheuer Gold-Plating reicht nicht ................................................................................................................... 143 Ingrid Scheithauer

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III.

Das moderne Radio

Die Einführung von DAB+ in Deutschland ..................................................................................... 149 Helmut G. Bauer Die Entwicklung des Rundfunks der Zukunft: DAB+ ................................................................... 159 Willi Steul Digitalradio in Hessen ....................................................................................................................... 167 Helmut Reitze Bedingt gattungsbereit ...................................................................................................................... 173 Boris Lochthofen IV.

Die Vielfalt der Medienordnung

Das Eigentliche und das Vermittelte ................................................................................................ 183 Karl Waldeck Kleine Theologie des Radios: Der Glaube kommt aus dem Hören ............................................... 191 Martin Hein I like Radio ......................................................................................................................................... 199 Stephan Ory Audiovisuelle Glücksspielwerbung und Regulierungsverflechtungen .......................................... 213 Jörg Ukrow Unter falscher Flagge? ...................................................................................................................... 233 Christopher Wolf Qualitätsjournalismus in der digitalen Welt ................................................................................... 247 Werner D‘Inka Ansehensschutz in Zeiten der zunehmenden Verdachtsberichterstattung – Richtigstellung eines Verdachts? .......................................................................................................................................... 253 Gernot Lehr Das gedruckte Wort hat Zukunft ..................................................................................................... 261 Wolfgang Maaß Politische Kommunikation in der Bürgergesellschaft .................................................................... 265 Jochen Fasco Medienkompetenz als Schlüsselqualifikation .................................................................................. 273 Paul Leo Giani Datenschutz in Social Networks ....................................................................................................... 283 Alexander Roßnagel Die geplante europäische Datenschutz-Verordnung – Fortschritt oder Rückschritt? ............... 297 Norbert Holzer Von „Big Brother“ zu „Big Data“ .................................................................................................... 321 Norbert Schneider Nach dem Mandat ist vor den Verhandlungen. .............................................................................. 327 Verena Metze-Mangold Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages ..... 337 Wolf-Dieter Ring Wolfgang Thaenert: Eckpunkte einer beruflichen Laufbahn ....................................................... 343 Autoren ............................................................................................................................................... 347

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Grußwort Volker Bouffier, Hessischer Ministerpräsident Die nahezu 25-jährige Geschichte des privaten Rundfunks in Hessen ist eng mit der Person von Herrn Professor Wolfgang Thaenert verknüpft. Mein Grußwort möchte ich mit einigen Vorbemerkungen zu dieser „Historie“ beginnen. Mitte der Achtziger Jahre fand in Deutschland das statt, was später – vielleicht ein wenig überpointiert – als „medienpolitischer Urknall“ apostrophiert wurde: Die duale Rundfunkordnung wurde aus der Taufe gehoben. Die Zulassung privater Hörfunk- und Fernsehsender trat neben das bis dahin bestehende Monopol der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Im Jahr 1987 wurde als Magna Charta für eine gedeihliche Koexistenz privaten und öffentlich-rechtlichen Rundfunks zudem der erste ländergemeinsame Rundfunkstaatsvertrag verabschiedet; in der gleichen Zeit gingen die Länder daran, je eigene Landesmediengesetze zu verabschieden. Auch Hessen hat im Dezember 1988, also vor fast 25 Jahren, sein Privatrundfunkgesetz auf den Weg gebracht. Ich war zuvor medienpolitischer Sprecher der CDULandtagsfraktion und sehr froh, dass nun auch Hessen den Bürgerinnen und Bürgern mehr Medien- und Informationsvielfalt bieten konnte. Das Gesetz ebnete nicht nur den Weg für die Zulassung privater Hörfunk- und Fernsehsender in Hessen; es schuf zugleich die gesetzliche Grundlage für die Institution, die die Einführung des privaten Rundfunks in Hessen fortan begleiten und fördern sollte, die „Hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk“, die im Jahr 1989 in Kassel errichtet wurde. Die Aufgabe der Landesmedienanstalten ist gesellschaftlich wichtig und überaus anspruchsvoll: Sie sollen einerseits klassische Programmaufsicht ausüben, daneben aber auch – und dies kann bisweilen durchaus zu Friktionen führen – gestalterische Funktion beim Ausbau der landesbezogenen privaten Rundfunklandschaft wahrnehmen. Da der elektronische Mediensektor überaus dynamisch ist, sind die Landesmedienanstalten zudem permanent gefordert, sich auf geänderte technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen einzustellen und in ihrer Aufsichtspraxis konstruktive Lösungen für Probleme zu finden, die staatsvertraglich noch gar nicht geregelt werden konnten. Dass die vormalige „Hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk“ inzwischen als „Hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien“ firmiert, beleuchtet zum Beispiel, welch nachhaltige Wandlungen sich im Bereich der Rundfunkübertragungstechnologien und Mediennutzungsgewohnheiten vollzogen haben. Ich will nicht behaupten, dass der hessische Gesetzgeber bei Schaffung des Privatrundfunkgesetzes im Jahr 1988 im Detail ermessen konnte, welch medientechnisch und medienwirtschaftlich stürmische Entwicklung der Rundfunksektor nehmen und wie komplex und fordernd die Aufgabe des Direktors der hessischen Landesmedienanstalt sein würde. Immerhin war er aber schon im Jahr 1988 richtigerweise der Auffassung, dass die Direktorin oder der Direktor Erfahrungen im Medienbereich mitbringen sollte und 13 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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dass – dies unterscheidet das Hessische Privatrundfunkgesetz von der großen Mehrzahl aller anderen Landesmediengesetze – im Interesse der Effektivität und Kontinuität der Anstaltsarbeit die Amtszeit des Direktors nicht befristet sein sollte. Professor Wolfgang Thaenert, der aus früherer Tätigkeit über Erfahrungen im Medienbereich verfügte, wurde im Frühjahr 1989 zum Direktor der LPR Hessen gewählt und übt sein Amt seit nunmehr 24 Jahren kontinuierlich und sehr erfolgreich aus. Als Doyen der hessischen Privatrundfunklandschaft hat er erheblichen Anteil daran, dass sich der Medienstandort Hessen gut entwickelt hat und dass private Medienanbieter in der LPR Hessen einen gleichermaßen kompetenten wie hilfreichen Ansprechpartner finden. Mit der Wahl Professor Thaenerts zum Direktor der LPR Hessen ist der Versammlung der Landesanstalt, daran besteht für mich kein Zweifel, ein Glücksgriff gelungen. Professor Thaenert hat die LPR Hessen nicht nur 24 Jahre lang durch alle Fährnisse und Widrigkeiten des normalen Zulassungs- und Aufsichtsalltags einer Landesmedienanstalt gesteuert. Er hat sich auch im Kreis der Gemeinschaft der Landesmedienanstalten hohes Ansehen erworben. Seine Funktionen als DLM-Vorsitzender, als langjähriger EuropaBeauftragter, als Vorsitzender der Gemeinsamen Stelle Werbung bzw. der Gemeinsamen Stelle Vielfaltssicherung und seine aktuelle Position als Beauftragter für Zulassungsangelegenheiten legen hierüber ein beredtes Zeugnis ab. Dass er seit 2003 zudem an der Universität Kassel eine Honorarprofessur für Medienrecht innehat, sei in diesem Zusammenhang nur der Abrundung halber erwähnt. Es ist mir ein besonderes Anliegen, Herrn Professor Thaenert meinen persönlichen Dank für seine Verdienste um den Medienstandort Hessen insgesamt auszusprechen. Man braucht sich nur die Geschäftsberichte der LPR Hessen der letzten 20 Jahre anzusehen, um zu ermessen, welch vielfältige Impulse die Landesanstalt unter Leitung ihres Direktors Thaenert in unterschiedlichsten Tätigkeitsfeldern gesetzt hat. Ohne Anspruch auf auch nur annähernde Vollständigkeit möchte ich pars pro toto die Bereiche Medienkompetenzförderung, die gut frequentierten Medienprojektzentren Offener Kanal, die vielfältigen Praxisprojekte in Kindergärten, Schulen und Hochschulen, die Bürgermedien in Gestalt nicht-kommerziellen Hörfunks, die Medientechnologie und Medienwirtschaft, hier insbesondere die Mediathek Hessen und das Projekt nordig, oder die spezifischen Medienveranstaltungen wie den FRA-Medientreff oder das Hessische Gesprächsforum Medien ansprechen. Um ein Bild aus dem Sport zu verwenden: Professor Thaenert hat die Latte für seine Nachfolge sehr hoch gelegt. Er hinterlässt große Spuren. Professor Thaenert hat sich nicht nur um den privaten Rundfunk und die Medienlandschaft in Hessen verdient gemacht, sondern auch wichtige Impulse zur Ausgestaltung der dualen Rundfunkordnung in Deutschland gesetzt und diese maßgeblich mitgestaltet. Nicht von ungefähr zeigt die große Zahl der namhaften Autoren, die an dieser Festschrift mitwirken, dass Professor Thaenert auch als Rundfunkrechtler hohes Ansehen genießt. Hierüber freue ich mich und verbinde dies mit der Bitte an ihn, auch im Ruhebzw. „Unruhe“-stand die Entwicklung der hessischen Medienlandschaft mit wachem Interesse und aktiv zu begleiten. 14 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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Grußwort: „Eine Ära geht zu Ende …“ Winfried Engel, Vorsitzender der Versammlung der LPR Hessen Mit einem solchen Satz beschreibt man in der Regel das Ende eines Zeitalters oder einer Epoche. Im Duden heißt es: „Ära – (bildungssprachlich) in bestimmter Weise durch eine Person oder Sache geprägtes Zeitalter, gekennzeichnete Epoche; …“. Etwas genauer wird hier das Online-Nachschlagewerk Wikipedia. Es sei mir erlaubt, trotz eines so wichtigen Anlasses daraus zu zitieren: „Vom Ende einer Ära ist oft die Rede beim Ausscheiden einer Persönlichkeit aus einem Amt …, die … die Politik, die Wirtschaft, die Musik usw. maßgeblich mitgeprägt hat.“ Nahtlos ließe sich anschließen: „… die Medienwelt, die Medienpolitik“. Nach dieser Einleitung möchte ich feststellen: Mit dem Ausscheiden von Professor Wolfgang Thaenert aus dem Amt des Direktors der LPR Hessen geht eine Ära zu Ende. Ich bin überzeugt, dass diese Feststellung nicht überzogen, sondern zutiefst berechtigt ist. Dafür spricht zum einen die lange Zeit, in der Wolfgang Thaenert sein Amt wahrgenommen hat. Im April 1989 wurde er in der zweiten Sitzung der Versammlung der LPR Hessen zu deren Direktor gewählt. Ich selbst durfte dieser Versammlung angehören, die sich damals im großen Sitzungssaal des Regierungspräsidiums in Kassel traf. Für uns alle war die Tätigkeit in einer derartigen Institution Neuland, hatte es doch in Hessen bis dahin eine solche nicht gegeben. Das im Jahr 1988 erstmals verabschiedete HPRG hatte die Einführung privaten Rundfunks in Hessen ermöglicht und die Grundlage zur Errichtung einer Landesmedienanstalt geschaffen. Sie sollte ihren Sitz in Kassel haben. Der Versammlung fiel unter anderem die Aufgabe zu, den ersten Direktor dieser Anstalt zu wählen, der dann den Aufbau dieser Institution vorzunehmen hatte. Es war ein Glücksfall, als Kirchenvertreter möchte ich sagen, eine gute Fügung, dass sich ein Mann wie Wolfgang Thaenert zur Wahl stellte. Er war einer der wenigen, die bis dahin schon Erfahrungen mit dem dualen Rundfunksystem gesammelt hatten – als Geschäftsführer des niedersächsischen Landesrundfunkausschusses. Vermutlich dachte die Mehrheit der Versammlungsmitglieder damals so wie ich: Mit diesem Mann wird das gut gelingen, der muss wissen, wo es hingeht. Und dass diese Annahme richtig war, hat sich in den Jahren darauf gezeigt. Die Landesanstalt nahm zügig ihre Arbeit auf und traf schon im Herbst 1989 die erste wichtige und weitreichende Entscheidung: Die Vergabe der landesweiten Hörfunkkette an das Anbieterkonsortium FFH. Es folgten viele weitere Entscheidungen wie die damals noch bedeutende Vergabe analoger Frequenzen, die bundesweite Zulassung von RTL2, die Errichtung von vier Offenen Kanälen in Kassel, Offenbach/Frankfurt, Gießen und Fulda, die Zulassung von sieben nichtkommerziellen Radioveranstaltern in verschiedenen Regionen Hessens und der nachhaltige Auf- und Ausbau der Förderung der Vermittlung von Medienkompetenz – um nur einige Beispiele zu nennen. Sie zeigen allerdings, dass die Medienlandschaft in Hessen durch die Arbeit der Landesmedienanstalt nachhaltig gestaltet und bereichert wurde. Seit Anfang 1995 bis heute darf ich mit Wolfgang Thaenert besonders eng zusammenarbeiten. Die Versammlung übertrug mir das Amt ihres Vorsitzenden. Dies bedeutete, die Entwicklungen im Medienbereich, insbesondere die in Hessen, aber auch die bun-

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desweiten in besonderer Weise zu beobachten und zusammen mit der Verwaltung angemessene Reaktionen vorzubereiten bzw. Gestaltungsmöglichkeiten auszunutzen. Konkret schlug sich das in der Vorbereitung der Sitzungen der Versammlung nieder, denen immer intensive Gespräche in der Sache vorausgingen. Wolfgang Thaenert hat in seiner Amtszeit die Gremien in seinem Hause, die Versammlung und die von ihr gebildeten Ausschüsse als wichtige Organe der Arbeit einer Landesmedienanstalt geschätzt und eingebunden. Hier gab es keine „Geheimnisse“, keine verdeckten Strategien der Verwaltung, die das Entscheidungsgremium vor vollendete Tatsachen stellte. Wolfgang Thaenert war es wichtig, die Entscheidungen des Hauses LPR Hessen immer dort, wo es notwendig und auch nur angezeigt schien, vom Gremium mitgetragen zu wissen. Das beschreibt ein Stück weit seine Persönlichkeit, die nicht die eigene Person, sondern die Sache, die er zu vertreten hatte, in den Vordergrund stellte. Die LPR Hessen ist von Anfang an eine „kleine“ Anstalt gewesen. Daraus jedoch Rückschlüsse auf ihre Bedeutung im Miteinander der Landesmedienanstalten auf Bundesebene zu ziehen, wäre vorschnell. Wolfgang Thaenert war es, der mit seiner großen Sachkenntnis, seinem fachlichen Urteilsvermögen und seiner Kreativität der LPR Hessen einen wichtigen Part im Konzert der bundesdeutschen Landesmedienanstalten erarbeitet hat. Dies zeigte sich in der Übernahme verschiedener Aufgaben in der Gemeinschaft, die er erfolgreich ausgestaltet und zu Fortschritten in verschiedenen Bereichen genutzt hat. Auch hier waren für ihn die Gremien unverzichtbare Partner, die es frühzeitig einzubinden galt und deren Unterstützung er zu gewinnen wusste. Es würde den Rahmen sprengen, dies hier im Einzelnen auszuführen. Aus aktuellem Anlass sei jedoch darauf verwiesen, dass den deutschen Landesmedienanstalten unter dem Vorsitz der LPR Hessen wichtige und wegweisende Beschlüsse auf dem Weg zu einer Konzentration bundesweiter Aktivitäten gelangen. Wenn in diesem Jahr die Gemeinsame Geschäftsstelle der Medienanstalten in Berlin ihre Arbeit aufnehmen konnte, dann hat die LPR Hessen, hat Wolfgang Thaenert an der diesen wegbestimmenden Weichenstellung erheblichen Anteil! Nun geht die Ära Thaenert zu Ende. Wer sich auch nur ansatzweise vor Augen führt, was Wolfgang Thaenert in den gut 24 Jahren seiner Tätigkeit als Direktor der LPR Hessen und in seinem Engagement auf Bundesebene geleistet und bewegt hat, der wird dieser Formulierung vorbehaltlos zustimmen. Auf seine beruflichen Leistungen kann Wolfgang Thaenert mit Stolz zurückblicken. Wir, die wir mit ihm seinen beruflichen Weg ganz oder teilweise mitgehen durften, teilen diesen Stolz, weil seine Leistungen die LPR Hessen in ihrer Bedeutung geprägt und gestärkt haben. Wir sind aber auch dankbar, einen solchen Direktor gehabt zu haben, der fachlich und menschlich auf eine gelungene Lebensleistung zurückschauen kann. Ich freue mich ganz besonders, dass in dieser Festschrift der Wolfgang Thaenert zustehende Dank in zweifacher Weise zum Ausdruck kommt: einmal in der Darstellung der Breite seines Wirkungsfeldes und zum anderen in der Wertschätzung, die die Autoren durch ihre Beteiligung an der Festschrift gegenüber Wolfgang Thaenert zum Ausdruck bringen. Für die Versammlung der LPR Hessen und ganz persönlich schließe ich mich diesem Dank an. Wir sind stolz auf einen solchen Direktor, wir sind dankbar für alles, was er für die LPR Hessen getan hat, und wir werden uns sicher in vielfacher Hinsicht an ihn und sein Wirken erinnern! 16

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I.

Prof. Wolfgang Thaenert und die LPR Hessen

Ab nach Kassel Medienpolitik zwischen „Mäh sin Mäh“ und Südhessen Hans-Dieter Hillmoth 221,4 Kilometer trennen den Kochbrunnenplatz an der August-Zinn-Straße in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden und die Wilhelmshöher Allee 262 in Kassel. Fahrzeit mit dem Auto: Zwei Stunden und 28 Minuten – wenn ausnahmsweise kein Stau ist. Fahrzeit mit der Bahn: Drei Stunden und eine Minute, wenn ausnahmsweise keine „Störung im Betriebsablauf“ anliegt. Das eine ist die Adresse der Hessischen Staatskanzlei (nicht etwa benannt nach einem früheren Ministerpräsidenten, sondern nach dem „Kochen“ der dortigen Thermalquelle); die nordhessische Adresse ist der Sitz der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk (LPR Hessen). Letztere residiert dort seit 11. Juli 1994 mit Blick auf das Schloss Wilhelmshöhe und den keulenschwingenden „Herkules“ weiter oben. Wenn Professor Wolfgang Thaenert, von Baunatal kommend, allmorgendlich in die Tiefgarage der Wilhelmshöher Allee braust, dann hat er die Folterwerkzeuge also schon gesehen – die er den „Seinen“ (sprich uns lizenzierten Sendeunternehmen) jederzeit vorzeigen kann, und die seine vorgesetzte Behörde im fernen Wiesbaden jederzeit zücken könnte (was aber in beiden Fällen nie zur Anwendung kam, vermute ich). Wie oft der LPR-Chef während seiner Amtszeit die Strecke Nordhessen/Rhein-MainGebiet gereist ist, kann allenfalls die LPR-Spesenstelle eindeutig klären. Eigentlich müsste Bahn-Chef Grube ihm, Thaenert, aus Anlass seiner Pensionierung die Goldene Bahn-Card am Bande verleihen. Auch das für Geschwindigkeitsüberschreitungen auf Autobahnen zuständige Regierungspräsidium Kassel verliert einen potentiellen Kunden. Denn abends noch schnell „Ab nach Kassel“, im Anschluss an Symposien am Frankfurter Flughafen oder dem traditionellen „Presse meets Landesregierung“-Treffen in Schlangenbad/Rheingau, war für den Medienmann und seine Mitarbeiter nicht immer leicht. Professor Thaenert hat nie geklagt. Während wir, im Stillen, die weit gereisten Kasseler „Aufseher“ oft bedauert haben. Als Walter Wallmann (CDU) und Wolfgang Gerhard (FDP) 1988 in Hessen endlich den Weg freimachten für privaten Rundfunk, war die Frage: Wohin mit der Landesanstalt für privaten Rundfunk? Die aktuelle Landesregierung investiert heutzutage kostspielig in einen Flughafenneubau und den Ausbau der Kasseler Museumslandschaft, um die tendenziell eher der SPD zugeneigten Bürgerschaft in Nordhessen bei Laune zu halten. Damals, 1988/89, war die Pro-Nordhessen-Initiative der Landesregierung preiswerter: „Ab nach Kassel“ hieß es für die neu geschaffene LPR Hessen. Und der stets südwärts orientierte Niedersachse Thaenert (geboren in Hildesheim, studiert in Göttingen, dann kleiner geografischer 17 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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Rückschritt nach Hannover, dann endlich Kassel) erhörte den Ruf der Hessen in die Stadt des Herkules. Ist es nun ein Vorteil oder eher ein Nachteil, wenn eine Landesmedienanstalt so weit vom Schuss sitzt? Den Aufschrei der Kasseler Leser dieser Zeilen, höre ich förmlich. Weit vom Schuss... Aber gemach. Der Schreiber ist vom Fach, war selbst mal vier Jahre in Kassel ansässig und kennt die nordhessische Seele. Ein wenig. „Mäh sin Mäh“ heißt ein gern genutzter Spruch im Kasseläner Dialekt. Und das heißt, übersetzt in etwa „Wir sind wer!“. Wie das Trommeln auf der Orang-Utan-Brust ... Der Spruch wird gerne genutzt, wenn sich die Nordhessen von „denen da unten“ in Frankfurt und Wiesbaden abgrenzen wollen. Der Hessische Rundfunk wurde in Kassel stets als „Südhessischer Rundfunk“ geschmäht. Und arg oft schimpfen die Nordhessen auf die Landsleute im Süden, wo nach Ansicht vieler Nordlichter nur Milch und Honig fließen. „Mäh sin Mäh“ wird im Norden zwar oft gesagt – aber nicht immer beherzigt. Oft schwingen Neid und leichte Komplexe mit, wenn´s um Hessens Süden geht. Etwas mehr Selbstvertrauen wäre angeraten. Der Süden schlägt dann reflexartig zurück und schmäht Nordhessen als „Hessisch Sibirien“. Teure hr-Übertragungswagen durften (ganz ganz früher) im Winter nie nördlicher als Marburg ausrücken. Weil zu gefährlich. Und da, in der nordhessischen Metropole Kassel, ist die Hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk zu Hause. „Staatsferne“ schreibt ja schon der Gesetzgeber für den Rundfunk vor. Wie könnte man diese Absicht mit dieser Adresse besser unterstreichen? Auch der Verwaltungsgerichtshof des Landes arbeitet in den deutschen Bundesländern sehr oft weitab der Landeshauptstadt. In Hessen ist er ja auch in Kassel angesiedelt. Um es auf den Punkt zu bringen: Für die notwendigen politischen Kontakte, Abstimmungen und informellen Gespräche sind die 221,4 Kilometer zwischen Kassel und Wiesbaden nicht immer förderlich. Ahnt der Autor. „Nähe“ ist nicht nur die Zauberformel für eine sichere Radiozukunft – sie ist auch der Schlüssel zum reibungslosen Miteinander zwischen Politik und Landesbehörden. Nicht zufällig finden sich deshalb die meisten Landesmedienanstalten in den jeweiligen Landeshauptstädten wieder. Die Thüringer Medienanstalt ist sogar vor einiger Zeit vom „Land“ nach Erfurt umgezogen. Auch die Gewinnung von prominenten politischen Persönlichkeiten für Gremien der Landesmedienanstalt fällt leichter, wenn gleich um die Ecke getagt wird. 18 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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Professor Thaenert würde diese Sicht der Dinge vermutlich ganz weit von sich weisen. Er hat bei aller berufsgebotenen Neutralität zwar stets auch die nordhessische Fahne geschwenkt, aber ansonsten geschafft, die aufgezeigten räumlichen „Distanzen“ durch intensiven persönlichen Einsatz zu überwinden. Das ist ihm mehr als gelungen. Thaenerts Wirken hat der nordhessischen Location nie geschadet. Das bezeugen zahlreiche Beiträge in diesem Buch. Heutzutage wird das Internet nicht nur von der NSA zur Informationsbeschaffung genutzt. Das Wirken einer Person lässt sich für jedermann, auch ohne das Anzapfen von Meereskabeln und Horchposten auf bayerischen Wiesen, ganz einfach für jedermann eruieren. Wenn auch ohne Anspruch auf Repräsentanz. Bei Google landet Professor Thaenert nach Eingabe seines Namens bei 49.800 spontanen Suchergebnissen (Stand August 2013). Natürlich weit hinter seinem Landesherrn, Ministerpräsident Volker Bouffier (387.000 Einträge), aber immerhin vor StaatskanzleiChef Axel Wintermeyer (34.100). „Mäh sin Mäh“ kann der scheidende LPR-Chef nicht nur mit Stolz von sich als WahlNordhesse sagen – sondern auch über „seine“ Hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk.

PS: Wir danken Professor Thaenert für intensives, gutes und erfolgreiches Miteinander in Hessen. Schade, dass er geht. Tiefgehende medienpolitische Betrachtungen haben wir uns hier verkniffen – aus Compliance-Gründen und weil der Autor kein Jurist sondern „nur“ Ingenieur, Kasseler (nach Kasseläner und Kasselaner die unterste Stufe der Kasselzugehörigkeit) und Radio-Journalist ist.

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Zwischen Konsens und Container Medienpolitik – made in Nordhessen Annette Kümmel / Heiko Zysk Professor Wolfgang Thaenert, der einzige Direktor einer Medienanstalt mit angeschlossenem Fernbahnhof, verabschiedet sich in den Ruhestand. Und hinterlässt die sprichwörtliche Lücke. Eine Lücke, die nicht nur in Kassel, dem medienpolitischen Epizentrum von Hessen, spürbar sein wird. Es ist Thaenerts Verdienst, dass die dezentrale Verortung der Medienaufsicht zu den zwei Hauptstädten Hessens, der politischen und der kommerziellen, sich nicht als Standortnachteil erwiesen hat. Im Gegenteil: Die geografische Distanz zum Wiesbadener Politikbetrieb garantierte sozusagen faktische Staatsferne. Und die Distanz zur Wirtschaftsmetropole Frankfurt ging einher mit der Einschätzung, dass kommerzielles Wachstum zwar notwendig und richtig ist, aber dennoch Aufsicht vonnöten ist, damit die Statik nicht ins Wanken gerät – nicht bei den Frankfurter Bürotürmen wie auch nicht im dualen Rundfunksystem. Gesellschaftspolitische Verantwortung und wirtschaftliches Wachstum: Keine leichte Aufgabe, dies unter einen Hut zu bringen – wenn nicht gar eine Herkulesaufgabe. Aber ähnlich dem antiken Vorbild, das vom höchsten Punkt des Bergparks Wilhelmshöhe auf die hessische Landesmedienanstalt herabblickt, hat sich auch Professor Thaenert nicht nur den Herausforderungen gestellt sondern jedes Mal, wenn er in die Diskussion eingegriffen hat, den Diskurs maßgeblich mitgestaltet. Für einen Programmveranstalter ist es, ehrlich gesagt, nicht immer erfreulich, wenn neue Formate von der Medienaufsicht kritisch unter die Lupe genommen wurden. Zwar schicken wir heute vorrangig mental gestählte Promis und keine „Normalbürger“ mehr in die Container und Bootcamps, aber jedem Medienschaffenden sind immer noch die hitzigen Debatten der späten 1990er und ersten 2000er in lebhafter Erinnerung. Auch wenn wir und der LPR-Direktor hier fast durchgängig auf unterschiedlichen Seiten der Diskussion standen, mussten wir anerkennen, dass Thaenert in der Sache immer authentisch und hart argumentierte, aber nicht taktierte. Was dieser Mann sagte, meinte er auch wirklich so. Das Jahrzehnt der „heißen Stühle“, der unzähligen Talkshows mit ihren wahrlich nicht an Fantasie armen Themen und die spätere Dekade mit ihren Diskussionen über Big Brother und seine ebenfalls kaum zählbaren medialen Verwandten erscheint im Rückblick heute aber schon fast als die gute alte Medienzeit. Man konnte sich trefflich darüber streiten, wie Menschenwürde und Rundfunkfreiheit zueinander zu stehen haben – und man hätte es in der Tat auch noch vollumfänglich regulieren können, welche Medieninhalte über die tatsächlich noch vorhandenen Mattscheiben flimmerten. Heute sind die Röhrenfernseher Elektroschrott und unseren „connected devices“ ist es relativ egal, ob die bewegten Bilder mit Brief und Siegel einer lizenzgebenden deutschen Landesmedienanstalt über den Kabelanschluss aus München, Köln oder Frankfurt kommen, oder über das Internet aus Los Angeles, Moskau oder Sydney. 21 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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Und wie sieht es mit der Menschenwürde und mit dem Recht auf selbstbestimmten Umgang mit den eigenen Daten aus? Wo würden wir heute auf einer Skala der Betroffenheit die von den einzelnen Akteuren selbstgewählte Dauerbeobachtung durch viele Zuschauer verorten, und wo die Dauerbeobachtung aller Nutzer des Internets durch einzelne Akteure im Aus- und sogar im Inland? War und ist es schädlicher, jemanden beim Würmer essen zu beobachten oder seine E-Mails zu lesen? Die Frage der Privatheit stellt sich uns heute bereits auf einem viel elementareren Niveau als in der Frage, wie viel Privatheit ein Mensch eigenbestimmt aufgeben darf, um ins Fernsehen zu kommen. Wie kann Regulierung abbilden, dass die Frage nach persönlichen Lebensumständen im Rahmen der Volkszählung noch 1987 eine erhebliche bundesweite Protestbewegung auslösen konnte, während – bildlich gesprochen – die Kinder der zensusunwilligen Bürger – und oftmals auch diese Generation selbst – ohne Scheu und Zögern heute jedes Ereignis ihres Tagesablaufs über die sozialen Medien der interessierten Weltöffentlichkeit zum Nachlesen anbietet? Für Thaenert war dies – die Suche nach dem gesellschaftlichen Konsens über ethische Prinzipien – die eigentliche Herausforderung, die die Medienpolitik zu bewältigen hat. Oder um es in seinen Worten zu sagen: „Ohne einen ethischen Grundkonsens gibt es keine juristischen Handlungsmöglichkeiten – gleichzeitig werden sie mit diesem weitgehend entbehrlich.“1 Sein Blick ging bei der Suche nach diesem Konsens stets weit über den Tellerrand – den hessischen wie auch den deutschen – hinaus. Nicht nur, was das Verhältnis des traditionellen Rundfunks zu den Neuen Medien betrifft, sondern auch – und dies nicht zuletzt in seiner langjährigen Funktion als Europabeauftragter der Landesmedienanstalten – wie sich deutsche Medienregulierung im internationalen Kontext aufstellen muss. Und im europäischen Vergleich stehen wir in Deutschland – und wir sind uns sicher, damit auch für Professor Thaenert sprechen zu können – gar nicht schlecht da. Trotz des schwierigen Miteinanders (und vereinzelten Gegeneinanders) in der föderalen Struktur unseres Landes hat sich das Prinzip des oftmals langwierigen und mühsamen Suchens nach einem Konsens letztendlich als eine richtige Strategie erwiesen, die zuerst auf verantwortungsbewusste Zusammenarbeit und erst zuletzt auf rigides Regulieren setzt. Verantwortung in den Medien war und ist allerdings keine Einbahnstraße, die nur diejenigen trifft, die Programminhalte konzipieren und verbreiten. Ein kompetenter Umgang mit den Medien, den traditionellen und vielleicht noch mehr mit den „Neuen“, ist mehr denn je eine Herausforderung, der sich auch die stellen müssen, die Medien nutzen oder die über die Mediennutzung ihrer Schutzbefohlenen entscheiden. Dies betrifft zwar nicht nur, aber doch in großem Maße den Jugendschutz in den Medien und damit auch die Förderung der Medienkompetenz – noch ein Feld, auf dem sich die LPR Hessen unter Professor Thaenert deutschlandweit einen guten Namen gemacht hat.

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www.medienheft.ch/dossier/bibliothek/d15_ThaenertWolfgang.html, abgerufen am 27. August 2013.

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Die Herausforderungen dieses und der kommenden Jahrzehnte gehen jedoch weit über das hinaus, was noch vor zehn Jahren meist in der Frage endete, welche Sendungen zu welcher Uhrzeit ausgestrahlt werden sollen, damit Kinder und Jugendliche keine für sie ungeeigneten Inhalte zu sehen bekommen. Heute stellen wir uns die Frage, was passieren muss, damit Kinder und Jugendliche nicht selbst zu medialen Tätern werden, bzw. wie wir es verhindern können, dass Kinder und Jugendliche zu medialen Opfern werden. Cybermobbing oder Cyberbullying sind Phänomene die sich mit klassischen ordnungspolitischen Instrumenten nur schwer in den Griff bekommen lassen, schwerer jedenfalls als sicherzustellen, dass der Mörder mit der Kettensäge erst nach 23 Uhr sein Werk im TV verrichten darf. Wie wir mit dieser Entwicklung, die ja die eigentliche digitale Revolution darstellt, da zum ersten Mal in der Mediengeschichte, die Verbreitung, Nutzung und Kontrolle der Medien nicht mehr durch rein technische Parameter wie der Reichweite von Rundfunkwellen bestimmt wird, umgehen sollen, wurde von Thaenert bereits 2009 – also vor einer halben digitalen Ewigkeit – in seiner Rede auf dem LPR Forum Medienzukunft anlässlich des 20-jährigen Bestehens der LPR thematisiert: „Wir haben angesichts des Wandels, der Umgestaltung der Medienlandschaft, in der wir stecken, viele Fragen, aber wenige Antworten. Wohin die Reise geht, wir wissen es jedenfalls nicht genau. Wir wissen nur: es ist eine Reise, für die in besonderem Maß gilt, was Goethe schon am Ende des 18. Jahrhunderts über Reisen sagte: ‚Die Reise gleicht einem 2 Spiel. Es ist immer Gewinn und Verlust dabei und meist von der unerwarteten Seite.‘“

Auf den bisherigen Reisen haben wir Professor Thaenert als wertvollen Begleiter und Unterstützer kennen und schätzen gelernt. Insbesondere sein unermüdliches Eintreten für die Gleichbehandlung von privatem und öffentlich-rechtlichem Rundfunk und für das stetige Hinterfragen, wie viel Regulierung noch notwendig oder gar förderlich ist, haben maßgeblich dazu beigetragen, dass wir heute mit dem privaten Rundfunk in Deutschland eine Branche haben, die sich durch Wachstum, Dynamik und Innovationskraft auszeichnet. Genauso wie wir durch ihn gewonnen haben, egal ob wir auf der gleichen oder verschiedenen Seiten der Diskussion standen, wünschen wir Professor Wolfgang Thaenert, dass sich auf seinen noch kommenden Reisen Gewinne und Verluste nicht nur die Waage halten sollen, sondern dass möglichst nur Gewinne dabei sein mögen!

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www.lpr-forum-medienzukunft.de/files/thanert_rede.pdf (Stand: 27. August 2013).

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Der Internationale aus der Mitte von Deutschland Alfred Grinschgl

I.

Einleitung

Ich kenne Herrn Professor Wolfgang Thaenert erst seit dem Jahr 2007 etwas näher, als ich einmal auf seine Einladung in die von ihm geleitete Landesmedienanstalt nach Kassel kam. Damals sprachen wir über die Tätigkeiten und Aufgaben, die seine Medienanstalt kraft Gesetzes zu leisten hatte, sowie auch über die Aufgaben der Österreichischen Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH, einerseits als Geschäftsstelle der „regulierenden“ Kommunikationsbehörde Austria sowie andererseits über die Förderungsnotwendigkeiten, die wir für österreichische Fernsehproduzenten und im Rahmen der Digitalisierung zu erfüllen haben. Bei einem Abendessen lernte ich ihn näher kennen – und lernte ihn vor allem auch zu schätzen. Zu meinen ersten Eindrücken gehörte auch das Faktum, dass er schon sehr lange in dieser medialen Führungsposition tätig war. Thaenert wurde bereits 1989 Direktor der „Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien“, dies also zu einem Zeitpunkt als in den Bundesländern Deutschlands der duale Rundfunk losbrach. Ich war zu diesem Zeitpunkt, nämlich in den 80er und 90er Jahren, noch im Verlagshaus der Styria Medien AG (in Graz) tätig (heißt heute übrigens: Styria Media Group AG), einem der größten Medienhäuser Österreichs, und bereitete für unser Verlagshaus den Einstieg in den privaten Hörfunk vor. Mir war bereits damals klar, dass sehr viele Medienentwicklungen in vielen Ländern parallel verlaufen, manchmal zwar etwas später aufschlagen, aber im Sinne einer deutlichen Globalisierung überall auf der Welt zu Tage treten. In Deutschland wurde der duale Rundfunk bereits im Jahr 1984 begründet, wobei das Bundesverfassungsgericht schon im Jahr 1981 mit dem Dritten Rundfunkurteil die Vorboten aussandte. Das Bundesverfassungsgericht erklärte in diesem Rundfunkurteil den privaten Rundfunk grundsätzlich für zulässig.

II. Entwicklung des dualen Rundfunkmarktes ziemlich vergleichbar in Deutschland wie in Österreich Natürlich gab es in diesem Zusammenhang auch eine politische Debatte, wobei die bürgerlichen Parteien damals den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ARD und ZDF) als „Rotfunk“ titulierten. Die weiteren Folgen im Rundfunkmarkt waren nicht unähnlich jenen Folgen, die Österreich Jahre später zu verzeichnen hatte: Da private Fernsehveranstalter sich fast ausschließlich über den Werbemarkt finanzieren, bieten sie natürlich im Wesentlichen ein breites Boulevard-Programm an Spielfilmen und Dokumentationen an, mit doch deutlich weniger Information als die öffentlich-rechtlichen Sender, um damit ihre Reichweiten und Marktanteile möglichst hoch zu halten. Damit sind natürlich Reichweiteneinbußen der öffentlich-rechtlichen Sender verbunden. In den letzten Jahren lagen ja die Marktanteile des reichweitenstärksten Privatsenders (RTL) sowie 25 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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jene von ZDF und ARD ziemlich gleichauf. Zuletzt haben allerdings ARD und ZDF doch etwas höhere Marktanteile als RTL, dies allerdings nur gesamthaft in allen Altersgruppen, während bei den jüngeren Sehern die Privatsender (hier insbesondere RTL, SAT.1 und ProSieben) deutlich höhere Marktanteile für sich verbuchen können. Als erster privater Fernsehsender wurde RTL plus in Luxemburg gegründet, wobei sein erster (langjähriger) Geschäftsführer ein Österreicher war: Prof. Helmut Thoma „schaffte“ bei RTL plus an, ursprünglich ein „Ableger“ von RTL Television, das dann einige Jahre später auf den Namen RTL hörte und 1988 von Luxemburg nach Köln übersiedelte. Bald danach startete auch der zweite Privatsender unter dem Namen SAT.1. Ich war damals bereits in Luxemburg und habe Herrn Prof. Thoma kennengelernt. Die Radiolandschaft war dann einige Monate später dran: Als erstes deutsches Privatradio startete Radio R.SH in Kiel am 1. Juli 1986. Nach mehr als 25 Jahren sorgt der Sender auch heute noch mit Nachrichten „immer fünf Minuten früher“ und „Noch mehr aktuelle Hits und ihre Lieblingssongs“ für Information und Unterhaltung im Bundesland Schleswig-Holstein. Ich war bereits im Jahr 1987 in Kiel beim Sender R.SH und war damals jedenfalls erstaunt über die Öffentlichkeits- bzw. Marketingarbeit des Senders R.SH, der damals in seiner Region Plakate mit folgender Aufschrift affichieren ließ: „Lieber NDR, du musst jetzt ganz schön tapfer sein!“ Ich war in diesen Jahren vielfach in Deutschland bei unterschiedlichen Radiostationen, bei der Antenne Bayern, bei der Antenne Niedersachsen, bei Radio NRW in NordrheinWestfalen, bei Radio Salü in Saarbrücken, bei Radio Broken in der Nähe von Halle, beim Berliner Radio sowie Energy Berlin.

III. Wolfgang Thaenert: ein expertenhafter Zeuge des Umbruchs der Medienlandschaft Diese Zeit, die 80er und die beginnenden 90er Jahre, war der Zeitpunkt, an dem der duale Rundfunk in Deutschland startete, und das war auch der Zeitpunkt, als in den deutschen Bundesländern überall die Landesmedienanstalten für den privaten Rundfunk entstanden. Und das war auch die Zeit, in der Prof. Wolfgang Thaenert Direktor der Landesmedienanstalt in Hessen wurde. Damit ist er ein expertenhafter Zeuge des Umbruchs in der deutschen Medienlandschaft. Ich bin sicher, dass die Problemchen und Probleme in Deutschland mehr oder minder gleich waren, wie wir sie später in Österreich kennengelernt haben: Da war die Notwendigkeit, dass eine Landesmedienanstalt Zulassungen für privates Radio und Fernsehen vergeben musste, es ging um die Übertragung von Frequenzen, es ging um die Schlichtung von Auseinandersetzungen zwischen den Privaten und den ÖffentlichRechtlichen und viele andere Dinge mehr. Ich selbst habe diese Zeit sowie auch die kompletten 90er Jahre als Rundfunkspezialist für Radio- bzw. Fernsehproduktionen im Verlagshaus Styria zugebracht, viel beobachtet und natürlich auch entschieden.

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IV. Aus rechtlichen Gründen kam es zum dualen Rundfunk in Österreich So wie dies auch in Deutschland war, wurden die privaten wie auch die freien Rundfunkveranstalter in Österreich auch aufgrund rechtlicher Prozesse zu dem, was sie heute sind: Es gab in den 90er Jahren mehrere Klagen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sowie auch beim Österreichischen Verfassungsgerichtshof. Aus verfassungsrechtlichen und nicht aus politischen Gründen wurde der private Rundfunk bei uns in Österreich ursprünglich eingeführt. Ich hatte damals das Glück, der Geschäftsführer des ersten in Österreich zugelassenen Privatradios, der „Antenne Steiermark“, sein zu können. Das muss ich etwas näher erklären: Zehn Privatradios haben in Österreich von der dafür zuständigen Rundfunkbehörde Ende 1994 ihre Zulassungen erhalten. All jene Radios, die keine Zulassung bekommen hatten, wandten sich mit einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Alle diese zehn Zulassungen wurden mehrfach beim VfGH beklagt. Daraufhin erklärte der VfGH Anfang Mai 1995 diese Zulassungen für „sistiert“, kein Radio konnte also zu senden beginnen. Wir von der „Antenne Steiermark“ begannen aber mit unseren „Kontrahenten“ zu verhandeln (was kein anderer auch tat) und haben sie teilweise in unsere Gesellschaft mit kleinen Prozentpunkten eingebunden bzw. überließen ihnen gewisse Teile unserer Sendeflächen. Dann erhielt ich Anfang Juli 1995 ein lapidares Schreiben, bestehend aus zwei oder drei Zeilen, vom VfGH, in dem geschrieben stand: Gegen Ihren Sender liegt beim Verfassungsgerichtshof keine Beschwerde vor! Ergo dessen konnten wir als einzige der ursprünglich zehn zugelassenen Sender als erste auf Sendung gehen und haben diesen Vorteil auch bestens genutzt: In den ersten eineinhalb Jahren waren wir in unserem Bundesland auch der bei weitem stärkste Sender, auch stärker als die Programme des öffentlich-rechtlichen ORF – sowohl an Marktanteilen als auch an Reichweiten. Diese Reminiszenzen habe ich jetzt eingebracht, weil Wolfgang Thaenert eben von Anfang an auch ein Repräsentant des dualen Rundfunks in Deutschland war, hier auch die vielen „Auf und Abs“ der privaten wie auch der öffentlich-rechtlichen Sender erlebt hat, an so mancher Kontroverse teilgenommen hat, ebenso die bei manchen Privatsendern eher fragwürdige Befassung mit Kommunikation und relevanter Information beobachtet hat. Auf einen Punkt will ich und kann ich nicht näher eingehen: Natürlich sehen auch wir in Österreich, dass es nicht immer ein Vorteil ist, wenn die Medienagenden in Deutschland föderal organisiert sind, soll heißen, dass die Bundesländer für Medienentscheidungen (aus historischen Gründen, die in der Nachkriegszeit wurzeln) zuständig sind und dass der Bund eben nicht zuständig ist. Gerade der angestrebte Wechsel der Fernsehzulassung von SAT.1 von Baden-Württemberg in Richtung Hamburg hat hier schmerzvoll zu Tage gebracht, dass die Zuständigkeit der Bundesländer hier auch zu Konflikten führen kann, die auch vor den Gerichten ausgetragen werden müssen.

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V.

Medien haben eine zentrale Bedeutung in der Kontrolle der Demokratien

Auf einen weiteren wesentlichen Punkt möchte ich in diesem Beitrag für die Festschrift für Wolfgang Thaenert aber noch etwas ausführlicher eingehen. Wolfgang Thaenert hat in einem Beitrag für die Frankfurter Rundschau am 3. November 2008 gemeint: „Rundfunk hat damit für die Information, Kommunikation und politische Willensbildung in Demokratien hohe Bedeutung.“ Mit dieser Aussage trifft er den Kernbereich für das extrem notwendige Vorhandensein von freien Medien in funktionierenden Demokratien. Wir, die wir in freien Staaten leben, in denen es gemäß Verfassung alle paar Jahre freie Wahlen gibt, in denen das staatliche Gebilde von der Exekutive, von den Verwaltungsorganen und von der Gerichtsbarkeit gebildet wird, können oft gar nicht während unseres Alltagskrams ausreichend beurteilen, wie wichtig das Vorhandensein unabhängiger Medien ist: Das Vorhandensein der gewissermaßen vierten Gewalt in unseren Ländern! Auch ich habe schon bei verschiedenen Referaten auf die Notwendigkeit von unabhängigen Medien aufmerksam gemacht: Wer dies nicht glauben will, möge einmal für ein paar Monate nach Nordkorea, nach Kuba, vielleicht in irgendein arabisches Land oder allenfalls auch nach Ungarn, in ein Mitgliedsland der Europäischen Union, übersiedeln. Ich erinnere mich sehr genau, dass vor ca. einem Jahr in Ungarn eine Musikradiostation fürchten musste, keine weitere Zulassung zu bekommen, aber nicht, weil das Radio nicht gesetzeskonform seine Zulassung ausgeübt hätte, sondern weil es der Regierung, die eine satte Mehrheit im Ungarischen Nationalrat hatte, eben nicht gefallen hat. Weil es „unbotmäßig“ war. Jedenfalls können es die Kolleginnen und Kollegen in Deutschland wie auch in Österreich besonders schätzen, auch wenn es von vielen nicht gedankt wird, dass es in funktionierenden Demokratien, so auch in unseren Ländern, freie und unabhängige Medien gibt.

VI. Wolfgang Thaenert als Europabeauftrager der Medienanstalten Professor Wolfgang Thaenert war auch mehrere Jahre der Europabeauftragte der Direktorenkonferenz der deutschen Medienanstalten. Damit war er in einer Zeit der Europäisierung und Globalisierung der Medienentwicklungen für einen zentralen Punkt unseres Medienumbruchs verantwortlich. Spätestens seit der „Digitalisierung“ im Fernsehbereich mussten wir dies zur Kenntnis nehmen. Mit der Umwandlung der analogen in eine digitale Fernsehverbreitung, mit der Vervielfachung der internationalen Angebote, mit dem Beginn von HD-Fernsehen und in den letzten Jahren mit dem zeitversetzten Fernsehen, mit dreidimensionaler Verbreitung, mit Smart-TV, ja und mit user generated TV, das mit dem herkömmlichen, klassischen Fernsehen kaum mehr vergleichbar ist – wie etwa YouTube von Google – hat diese Entwicklung gewaltige Ausmaße angenommen. Sie schreitet immer rascher voran. Und ich sehe es als eine unserer wichtigsten Aufgaben zu trachten, dass wir in dieser Entwicklung unsere europäischen Marken, in technischer und vor allem in inhaltlicher Hinsicht, bewahren können. 28 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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So hat Wolfgang Thaenert mit Unterstützung von Dieter Brockmeyer bereits im Jahr 2010 in Berlin erstmals zur Medienfachtagung „EuroReg“ eingeladen. Dabei waren Regulatoren, internationale Consultants, TV-Veranstalter und Wissenschafter eingeladen, ihre fachliche Meinung zu den aktuellen Medien- und TV-Entwicklungen kund zu tun. Danach fand eine solche Veranstaltung in Frankfurt statt. Schließlich hatten wir gemeinsam die Überlegung die EuroReg im Drei-Länder-Paket in den Ländern Schweiz, Österreich und Deutschland stattfinden zu lassen. So fand die „EuroReg 2013“ erstmals in Wien statt, für mich ein klarer Hinweis dafür, dass der besonders große deutschsprachige Fernsehmarkt zu den größten Fernsehmärkten der Welt gehört und wir auch ein wenig den Ton angeben. Wolfgang Thaenert hat viele Jahrzehnte die deutschen Medienentwicklungen beeinflusst. Er war zuerst einige Jahre im Landesverwaltungsdienst tätig, kam in die „Hessische Anstalt für privaten Rundfunk und neue Medien“, bereits im Jahr 1989, war für die deutschen Medienanstalten in vielen Funktionen zuständig, arbeitete am Institut für Wirtschaftsrecht der Universität Kassel, wurde 2003 Honorarprofessor für Medienrecht an der Universität Kassel und wurde Mitglied in der deutschen KEK, in der es um Medienkonzentrationen geht. Nach all diesen verantwortungsvollen „Taten“ wünsche ich meinem Freund Wolfgang Thaenert, dass er jetzt einmal etwas mehr Zeit für sich, für seine Familie, für seine Freunde und sonst alles, was ihm lieb ist, hat. Ad multos annos!

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II.

Der moderne Rundfunk und die Herausforderungen an die Aufsicht

Die Rolle unabhängiger Regulierungsbehörden in der europäischen Medienpolitik Katrin Stoffregen

I.

Einleitung

Vor genau zehn Jahren wurde die Europäische Arbeitsgruppe der unabhängigen Regulierungsbehörden im Rundfunkbereich in Brüssel ins Leben gerufen. Seitdem treffen sich die Vertreter der Regulierungsbehörden der Mitgliedstaaten, der Beitrittsländer und der Länder des europäischen Wirtschaftsraums zweimal im Jahr auf Einladung der EUKommission in Brüssel. Ziel der Gruppe ist es, gemeinsam im Dialog mit der Europäischen Kommission praktische Fragen hinsichtlich der Anwendung der europäischen Inhalteregulierung zu diskutieren und zu lösen sowie sich über die Weiterentwicklung der europäischen Medienregulierung auszutauschen. Über viele Jahre hat Prof. Wolfgang Thaenert, zunächst in seiner Funktion als Vorsitzender der DLM, später als langjähriger Europabeauftragter der Landesmedienanstalten, diesen Austausch als Vertreter der deutschen unabhängigen Regulierungsbehörden aktiv und mitgestaltend begleitet.

II.

Die informelle EU-Arbeitsgruppe der für Rundfunk zuständigen unabhängigen Regulierungsbehörden

Die Schaffung einer solchen eigenständigen – informellen – Arbeitsgruppe auf europäischer Ebene war durchaus nicht selbstverständlich. Die damals geltende Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“1 sah lediglich einen formalisierten Informations- und Meinungsaustausch zwischen EU-Kommission und den Mitgliedstaaten im so genannten Kontaktausschuss vor. Die Initiative der EU-Kommission, einen direkten Austausch mit den für die praktische Anwendung der Bestimmungen der Fernsehrichtlinie zuständigen unabhängigen Regulierungsstellen zu führen, kann unter anderem wohl auf die folgende Situation im Jahre 2003 zurückgeführt werden: Die Novellierung der Fernsehrichtlinie zur Anpassung der europäischen Medienregulierung an das digitale Zeitalter kam nur schleppend voran, obwohl die damalige Kommissarin für Kultur und Bildung, Viviane Reding, die Revision bereits zu Beginn ihrer Amtszeit im Jahre 2000 als Priorität auf die politische Tagesordnung gesetzt hatte. Die technische Entwicklung hingegen war rasant und führte zu neuen Marktentwicklungen. Es entstanden neue Werbeformen wie

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Richtlinie 97/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 1997 zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit.

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Split-Screen-Werbung, interaktive und virtuelle Werbung, die von der EU-Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ nicht ausdrücklich geregelt waren und deren Zulässigkeit von den Regulatoren in den Mitgliedstaaten unterschiedlich beurteilt wurde. Hierdurch kam es zu gegensätzlichen Auslegungen der mindestharmonisierten europäischen Werberegelungen. Sie führten in der Praxis dazu, dass innovative Werbeformen teilweise, etwa in Deutschland oder dem Vereinigten Königreich, zur Anwendung kamen, während sie in anderen Mitgliedstaaten wie Frankreich wegen Verstoßes gegen die EUrechtlichen Vorgaben zur Einfügung von Werbung verboten wurden. In dieser Situation suchte die EU-Kommission nach Lösungen, um für die Industrie Rechtssicherheit in Bezug auf die europarechtliche Zulässigkeit dieser neuen Werbeformen zu schaffen und widersprüchliche Regulierungspraktiken bei der Umsetzung der harmonisierten Werberegelungen zu verhindern. Im Rahmen ihres breit angelegten Konsultationsprozesses mit Industrie, Mitgliedstaaten und sonstigen interessierten Kreisen bot sich aus Sicht der federführenden Generaldirektion (GD) Kultur und Bildung – später wurde der Medienbereich in die GD Informationsgesellschaft, heute GD CONNECT integriert – an, einen direkten Meinungsaustausch mit den für die Regulierungspraxis verantwortlichen Behörden der Mitgliedstaaten zu führen. Aber auch aus Sicht der Rundfunkregulatoren bestand ein erhebliches Interesse, in einem kooperativen informellen Verfahren zu klären, ob ihre jeweilige Auslegung mit dem europäischen Recht in Einklang stand, um Rechtssicherheit im Markt zu schaffen und um sich nicht des Vorwurfs einer fehlerhaften Umsetzungspraxis mit der Folge drohender Vertragsverletzungsverfahren auszusetzen. Die Ergebnisse der ab 2003 im Rahmen der informellen Arbeitsgruppe regelmäßig durchgeführten Beratungen flossen in die im Jahre 2004 verabschiedete, so genannte interpretative „Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf bestimmte Aspekte der Bestimmungen der Richtlinie ‚Fernsehen ohne Grenzen‘ über die Fernsehwerbung“2 ein. In ihr legte die europäische Kommission die Werberegelungen der Richtlinie aus und legte damit gleichzeitig ihre Verwaltungspraxis zu neuen Werbeformen und zu verschiedenen unbestimmten Rechtsbegriffen verbindlich fest. In der Mitteilung erläuterte die Kommission unter anderem, unter welchen Voraussetzungen sie neue Werbetechniken als mit den Vorgaben der Fernsehrichtlinie vereinbar anerkenne. Diese entsprachen im Wesentlichen der deutschen Regulierungspraxis. Gleichfalls wurde in der Mitteilung auch die für die Praxis der Landesmedienanstalten besonders relevante Frage der Zugrundelegung von „clock hour“ oder „sliding hour“ bei der Berechnung der Werbedauer gemäß Art. 18 der Fernsehrichtlinie aufgegriffen. Die Kommission bestätigte in der Mitteilung die der deutschen Regulierungspraxis entsprechende Auslegung, nach der für die Berechnung der zulässigen Werbezeit pro Stunde sowohl die natürliche volle Stunde als auch eine verschobene volle Stunde zugrunde gelegt werden kann. Ein weiterer Grund für die Intensivierung der Zusammenarbeit der Regulatoren in der europäischen Arbeitsgruppe war die im Jahre 2005 gemeinsam mit der Kommission

2

Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf bestimmte Aspekte der Bestimmungen der Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ über die Fernsehwerbung, Amtsblatt der Europäischen Kommission vom 28. April 2004, C 102/2 ff.

32 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

33 vereinbarte „Europäische Initiative zur Bekämpfung von Hass-Sendungen“.3 Hintergrund war, dass über europäische Satelliten Programme mit rassistischem Inhalt der Sender Al-Manar und Sahar 1 in Europa verbreitet wurden. Dies warf die Fragen hinsichtlich der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zum Eingreifen sowie der materiellrechtlichen Beurteilung dieser Programme gemäß Art. 22a der Fernsehrichtlinie (Verbot der Anstachelung zu Hass aus Gründen der Rasse, des Geschlechts, des Glaubens oder der Nationalität) auf. Im Rahmen der Arbeitsgruppe vereinbarten die Rundfunkregulatoren unter Vorsitz der EU-Kommission Koordinierungsmaßnahmen, um ein einheitliches und effizientes Eingreifen bei Hass-Sendungen zu ermöglichen. Die Problematik wurde bei der anschließenden Überarbeitung der Fernsehrichtlinie berücksichtigt mit dem Ergebnis, dass in der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste4 in Art. 2 Abs. 4 und 5 die Fragen der Rechtshoheit – insbesondere für Satellitenprogramme aus Nicht-EUStaaten – nun klarer geregelt werden.

III. Die europäische Regelung zur Unabhängigkeit der Rundfunkregulierungsbehörden Im Rahmen der Revision der Fernsehrichtlinie schlug die EU-Kommission im Jahr 2005 vor, die bisherige Zusammenarbeit zwischen nationalen Regulierungsstellen und Kommission in der neuen Richtlinie festzuschreiben und gleichzeitig die Mitgliedstaaten zu verpflichten, die Unabhängigkeit der für audiovisuelle Mediendienste zuständigen Regulierungsstellen sicherzustellen. Der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission5 lautete: 1. Mitgliedstaaten gewährleisten die Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden und sorgen dafür, dass diese ihre Befugnisse unparteiisch und transparent ausüben. 2. Die nationalen Regulierungsbehörden übermitteln sich gegenseitig und der Kommission alle Informationen, die für die Anwendung der Bestimmungen dieser Richtlinie notwendig sind.

Der Vorschlag der Kommission dürfte dabei auch von den Erfahrungen ihrer Beitrittsverhandlungen mit Kandidatenländern geprägt worden sein. Im Rahmen der großen EUErweiterung traten 2004 zehn neue Mitgliedstaaten der Union bei,6 in denen es überwiegend weder eine Tradition staatsferner Medien noch unabhängige Strukturen zur 3

Schlussfolgerungen der Gruppe hochrangiger Vertreter der Regulierungsbehörden im Rundfunkbereich – Aufstachelung zum Hass bei der Ausstrahlung von Programmen aus Drittstaaten – 17. März 2005, http://ec.europa.eu/avpolicy/docs/library/legal/conclusions_regulateurs/concl_reg_fin_de.pdf.

4

Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste. Amtsblatt der Europäischen Union vom 15. April 2010, L95/1 ff.).

5

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit {SEK(2005) 1625}{SEK(2005) 1626}, Art. 25b, http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/com/2005/com2005_0646de01.pdf.

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Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Zypern.

33 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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Sicherung von Medienvielfalt und Medienpluralismus gab. Die Aufnahme einer verbindlichen Verpflichtung zur Gewährleistung unabhängiger Regulierungsstellen in die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste und damit in den „acquis communautaire“ hätte die EU-Kommission bei den folgenden Beitrittsverhandlungen berechtigt, die Schaffung staatsferner Verwaltungsstrukturen im Rundfunk zur Sicherung der Meinungs- und Medienvielfalt einzufordern. Der Vorschlag einer verbindlichen Festschreibung der Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden fand im Rahmen der Revision der Fernsehrichtlinie jedoch keine ausreichende Mehrheit unter den Mitgliedstaaten. Dies wohl vor allem, weil eine zu starke Einflussnahme Europas auf die mitgliedstaatliche Zuständigkeit der eigenen Ausgestaltung der Kultur- und Medienpolitik befürchtet wurde. Stattdessen regelt nun der neue Art. 30 i.V.m. den Erwägungsgründen 94 und 95 der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, dass die Mitgliedstaaten zwar nicht zur Einrichtung unabhängiger Regulierungsbehörden verpflichtet werden, sie jedoch dann, wenn Regulierungsstellen bestehen, deren Unabhängigkeit gewährleisten sollen.

IV.

Unabhängigkeit und Medienpluralismus

Die Unabhängigkeit von Regulierungsbehörden spielt auch im Zusammenhang mit der Sicherung von Medienvielfalt und Medienfreiheit eine große Rolle. Dieses Thema hat auf der europäischen Ebene in den vergangenen Jahren verstärkt an Aktualität gewonnen, ausgelöst durch unterschiedliche Entwicklungen in den Mitgliedstaaten wie gesetzliche Einschränkungen der Medienfreiheit (Ungarn), die Verquickung von Medienwirtschaft und -politik in verschiedenen Mitgliedstaaten (Rumänien, Italien), die Verletzungen journalistischer Grundsätze und strafrechtlicher Bestimmungen in Medienkonglomeraten (Murdoch) sowie einer zunehmenden Medienkonzentration. Insbesondere das Europäische Parlament fordert – mangels eines eigenen Initiativrechts zur Vorlage von Gesetzesvorschlägen – in unterschiedlichen Resolutionen ein stärkeres Handeln der EU-Kommission zur Sicherung der Medienvielfalt in Europa und über Europa hinaus.7 Dabei wird auch gefordert, den Status der einzelstaatlichen Aufsichtsbehörden gemäß Art. 29 und 30 der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste zu harmonisieren und deren Unabhängigkeit sicherzustellen.8

7

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 21. Mai 2013 über die EU-Charta: Normensetzung für die Freiheit der Medien in der EU (2011/2246(INI)) (2011/2246(INI)), http://www. europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=TA&reference=P7-TA-2013-0203&language=DE&ring =A7-2013-0117. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13. Juni 2013 über die Presse- und Medienfreiheit in der Welt (2011/2081(INI)), http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=TA&reference= P7-TA-2013-0203&language=DE&ring=A7-2013-0117#def_1_8; Entschließung des Europäischen Parlaments vom 25. September 2008 zu Medienkonzentration und -pluralismus in der Europäischen Union (2007/2253(INI)) (2010/C 8 E/16) mit weiteren Hinweisen, http://eur-lex.europa.eu/ LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2010:008E:0085:0094:DE:PDF.

8

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 21. Mai 2013 über die EU-Charta: Normensetzung für die Freiheit der Medien in der EU (2011/2246(INI)) (2011/2246(INI)), Ziffer 2 a.E, Ziffer 37,

34 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die unter Druck des Europäischen Parlaments von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Studie zu den „Zuständigkeiten der Europäischen Union für Medienvielfalt und Medienfreiheit“9 des Zentrums für Medienfreiheit und Medienvielfalt (CMPF) vom Januar 2013. Die Verfasser sprechen unter anderem als mögliche Handlungsoption eine Änderung der EU-Verträge zur Einführung einer neuen Kompetenz der Union zur Sicherung des Medienpluralismus an. Sie betonen auch, dass unabhängige Regulierungsstellen im Medienbereich zur Stärkung der Medienvielfalt beitragen können. Noch weiter gehen die Empfehlungen der von Vizepräsidentin Neelie Kroes Ende 2011 ins Leben gerufenen High Level Group on Media Freedom and Pluralism.10 Hierbei handelt es sich um ein Gremium von Sachverständigen, die, wie die EU-Kommission betont, aufgrund ihrer Kenntnisse, Erfahrung, Unabhängigkeit und ausgewiesenen Fähigkeit als Vordenker in den Bereichen der Medienvielfalt und der Medienfreiheit ausgewählt worden waren. Die Gruppe hatte den Auftrag, sich umfassend mit unterschiedlichen Aspekten der Sicherung von Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt in der Europäischen Union zu befassen, darunter auch mit der Rolle und Unabhängigkeit von Regulierungsbehörden.11 In ihrem Abschlussbericht vom Januar 201312 empfiehlt die High Level Group unter anderem ein rechtliches Eingreifen der EU-Kommission auf der Ebene der Mitgliedstaaten, um Meinungsfreiheit und Vielfalt zu schützen. Die Erweiterung der Rechtskompetenz der Union wird dabei aus der Europäischen Grundrechtscharta hergeleitet (Empfehlung 1). Weiterhin empfiehlt die Expertengruppe, nach dem Vorbild des Rechtsrahmens für die elektronische Kommunikation ein Netz der nationalen Regulierungsbehörden für audiovisuelle Medien zu schaffen und sicherzustellen, dass alle Regulierungsstellen Unabhängigkeit genießen und ihre Mitglieder in transparenten Verfahren mit angemessenen Kontrollen und Verfahrensgarantien ernannt werden (Empfehlung 6).

http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=TA&reference=P7-TA-2013-0203&language =DE&ring=A7-2013-0117; Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 2011 zum Mediengesetz in Ungarn (2012/C 199 E/17), Ziffer 1, http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/ LexUriServ.do?uri=OJ:C:2012:199E:0154:0157:DE:PDF. 9

Center for Media Pluralism and Media Freedom, “European Union Competencies in respect of media pluralism and media freedom, Policy Report January 2013, https://ec.europa.eu/digitalagenda/sites/digital-agenda/files/CMPFPolicyReport2013.pdf.

10

Bericht der Hochrangigen Gruppe für Medienfreiheit und Medienvielfalt unter dem Vorsitz von Professor Vaira Vīķe-Freiberga, mit Beteiligung von Professor Herta Däubler-Gmelin, Professor Luís Miguel Poiares Pessoa Maduro und Ben Hammersley: Freie und pluralistische Medien als Rückhalt der europäischen Demokratie, Januar 2013, https://ec.europa.eu/digital-agenda/ sites/digital-agenda/files/HLG%20Final%20Report.pdf.

11

Presseerklärung der Europäischen Kommission vom 11. Oktober 2001; http://europa.eu/rapid/pressrelease_IP-11-1173_de.htm.

12

Hochrangige Gruppe für Medienfreiheit und Medienvielfalt, Freie und pluralistische Medien als Rückhalt der europäischen Demokratie, Zusammenfassung der Hauptergebnisse und Empfehlungen.https://ec.europa.eu/digital-agenda/sites/digital-agenda/files/HLG%20Exec_sum_de.pdf.

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V. 1.

Optionen der Stärkung der Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden im Medienbereich Rechtskompetenzen der EU

Die Empfehlungen der High Level Group, die Initiativen des Europäischen Parlaments und die Schlussfolgerungen der Studie setzen die EU-Kommission unter Handlungsdruck. Dabei ist ihr rechtlicher Spielraum jedoch begrenzt. Die Sicherung von Medienfreiheit und Medienpluralismus liegt in der Kompetenz der Mitgliedstaaten. Aus Art. 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) lässt sich keine eigene rechtliche Zuständigkeit der Kommission zum Erlass verbindlicher Gesetzgebung zur Sicherung der Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit in der EU ableiten. Zwar sind nach Art. 11 Abs. 2 GRCh die Freiheit der Medien und ihre Pluralität zu achten. Art. 6 Abs. 1 Unterabsatz 2 EUV sowie Art. 51 GRCh regeln jedoch ausdrücklich, dass durch die EU-Charta der Grundrechte weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben der Union begründet werden. Damit gelten die Grundrechte unmittelbar für die Europäischen Institutionen, für die Mitgliedstaaten hingegen nur im Bereich der Anwendung des Primär- und Sekundärrechts der Union, etwa im Rahmen der Umsetzung Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, nicht aber darüber hinaus. Eine Erweiterung der Rechtskompetenzen der EU kann aus ihnen nicht hergeleitet werden. 2.

Revision des Artikels 30 der AVMD-RL?

Da eine Änderung der EU-Verträge in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist, erscheint es unter den beschriebenen Umständen nicht erstaunlich, dass die EU-Kommission bei der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste ansetzt und unter Hinweis auf Art. 11 Abs. 2 der GRCh nun eine Überprüfung und gegebenenfalls Neuregelung des Art. 30 mit dem Ziel einer Stärkung der Unabhängigkeit der für audiovisuelle Mediendienste zuständigen Regulierungsstellen erwägt. Sie hat zu diesem Zweck vor der Sommerpause eine öffentliche Konsultation durchgeführt, in der sie unter Bezug auf die oben beschriebenen Empfehlungen der High Level Group und des Europäischen Parlamentes unterschiedliche Handlungsoptionen zur Diskussion stellt.13 (1) verstärkte Beobachtung der Entwicklung in den Mitgliedstaaten; (2) Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Gewährleistung der Unabhängigkeit der Regulierungsstellen entsprechend des Vorschlags aus 2005; (3) Festschreibung der Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden und zusätzlicher Kriterien, die die Unabhängigkeit gewährleisten und damit einhergehend eine Formalisierung der Zusammenarbeit der Arbeitsgruppe der Medienregulierer nach dem

13

Generaldirektion für Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien (DG CONNECT): Öffentliche Anhörung zur Unabhängigkeit der für audiovisuelle Mediendienste zuständigen Regulierungsstellen, https://ec.europa.eu/digital-agenda/sites/digital-agenda/files/Art%2030_DE_MASTER.pdf.

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Vorbild der Gruppe Europäischer Regulierungsstellen für europäische Kommunikationsnetze und -dienste bzw. des daraus hervorgegangenen Gremiums (GEREK). Für die eigentliche Konsultation ist dem erläuternden Text ein Fragebogen beigefügt, in dem die Kommission in einer Art Multiple-Choice-Verfahren zu ermitteln sucht, welche Bedeutung die Unabhängigkeit von Regulierungsbehörden für die Sicherung von Meinungsfreiheit und -vielfalt hat und ob bestimmte strukturelle Bedingungen (eigene Finanzausstattung, eigene Entscheidungskompetenz etc.) besonders wichtig (oder nicht) sind, um diese Unabhängigkeit zu gewährleisten. Sie nimmt dabei Bezug auf eine von ihr selbst in Auftrag gegebene, umfassende Studie aus dem Jahr 2011 zu „Indicators for independence and efficient functioning of audiovisual media services regulatory bodies for the purpose of enforcing the rules in the AVMS Directive“14, die unter anderem als Arbeitshypothese eine Definition von Unabhängigkeit anbietet und auf dieser Grundlage eine eingehende Untersuchung vielfältiger Kriterien zur Identifizierung der Unabhängigkeit von Regulierungsbehörden im Medienbereich enthält. Im Gegensatz zu dieser Studie liegt dem Fragebogen kein Vorschlag für eine Definition der Unabhängigkeit zugrunde. Von den Ergebnissen der Konsultation soll abhängen, ob und welche weiteren Schritte die Kommission unternimmt. Dabei soll eine eventuelle Überarbeitung des Art. 30 unabhängig von einer möglichen grundlegenden Revision der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste und damit vermutlich in einem wesentlich kürzeren Zeitrahmen erfolgen. Die EU-Kommission betont auch, dass die Systeme in den verschiedenen Mitgliedstaaten sich deutlich unterscheiden und bei der Entscheidung über weitere Maßnahmen die unterschiedlichen Regulierungstraditionen der Mitgliedstaaten im Auge behalten werden sollen.15 Dies dürfte Option (3) auf überschaubare Zeit bereits ausschließen.

VI.

Ausblick

Die Kommission hat ihre Auswertung der Umfrage noch nicht vorgelegt.16 Aus den bereits veröffentlichten Stellungnahmen geht jedoch hervor, dass die ganz überwältigende Mehrheit der Befragten die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden für den Erhalt freier und vielfältiger Medien als äußerst relevant oder relevant einstuft. Bei rein numerischer Betrachtung halten sich die Befürworter einer freiwilligen Zusammenarbeit auf EU-Ebene, einer freiwilligen Kooperation auf paneuropäischer Ebene und eines auf rechtlicher Grundlage basierenden Zusammenschlusses der zuständigen Regulierungsstellen auf EU-Ebene annähernd die Waage. Aber auch ein nicht unerheblicher Teil der Stellungnahmen unterstützt die Einrichtung einer Agentur auf EU-Ebene.

14

INDIREG, Indicators for independence and efficient functioning of audiovisual media services regulatory bodies for the purpose of enforcing the rules in the AVMS Directive (SMART 2009/0001), Final Report, http://ec.europa.eu/avpolicy/info_centre/library/studies/index_en.htm#regulators.

15

Siehe Fn. 13.

16

Die Ergebnisse der Auswertung lagen bei Fertigstellung dieses Artikels noch nicht vor.

37 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

38

Nun zeigt die Erfahrung, dass die Auswertung öffentlicher Konsultationen stets einem gewissen Bewertungsspielraum unterliegt. Daher darf man gespannt sein, welche Schlussfolgerungen die Kommission aus der Konsultation ziehen wird. Sicher ist, dass uns die europäische Debatte um die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden auch in Zukunft weiter begleiten wird.

VI.

Schlussbemerkung

Über lange Jahre habe ich die Gelegenheit und die große Freude gehabt, mit Professor Thaenert in europarechtlichen Angelegenheiten eng zusammenzuarbeiten. Seine Fachkompetenz und sein großes Engagement für europäische Themen sowie den sich daraus ergebenden strategischen Möglichkeiten zur konkreten Mitgestaltung der europäischen Diskussion und Gesetzgebung, seine Zuverlässigkeit und stets verbindliche Art haben ihm nicht nur eine besondere Wertschätzung bei den unterschiedlichen Akteuren in Brüssel eingebracht, sondern auch zu konkreten Ergebnissen in der europäischen Medienpolitik geführt. Ich werde diese Jahre in ganz besonderer Erinnerung behalten.

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Die EU und die ARD – oder Europäische Medienpolitik im Spannungsfeld von Kultur und Ökonomie Thomas Kleist∗

I. Ein „sanftes Monster“ sei die Europäische Union und „im doppelten Sinn des Wortes eine Chimäre: ein utopisches Projekt und zugleich ein Mischwesen, das seine menschenfreundlichen Absichten, die es mit List und Geduld verfolgt, mit unbedingter Autorität und erzieherischem Druck durchsetzen möchte. (…) Die Union sieht ihre Aufgabe nicht darin, ihre Bürger zu unterdrücken, sondern darin, alle Lebensverhältnisse auf dem Kontinent möglichst lautlos zu homogenisieren“,1 schreibt Hans-Magnus Enzensberger in seinem 2011 erschienen Essay über Europa. Im Hinblick auf die Meinungs- und Pressefreiheit würde man sich so ein sanftes Monster durchaus wünschen: um sicherzustellen, dass in den Mitgliedsländern diese für Demokratie und Rechtsstaat unverzichtbaren Grundrechte geehrt und gelebt werden. Wenn wir aber nach Ungarn blicken, stellen wir fest, dass die erzieherischen Maßnahmen offenbar nicht fruchten: zwar hat Ungarn auf Druck der EU sein umstrittenes Mediengesetz in Teilen geändert. Ob und wie diese Änderungen, etwa die Sicherung der Unabhängigkeit der mächtigen Medienkontrollbehörde, umgesetzt werden und dem Buchstaben des Gesetzes im Sinne der EU Genüge getan wird, das kann und will die EUKommission offenbar nicht kontrollieren. Das sanfte Monster ein zahnloser Tiger? Und es stellt sich die Frage: Hat Enzensberger Recht? Gibt es dieses Monster überhaupt? Dessen Zugriff offiziell entzogen ist jedenfalls der Bereich der Kultur – und damit der der Medien; er ist bewusst ausgeklammert aus dem Wirkungsbereich der EU. Nach Maßgabe des Art. 167 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) kann und darf die EU nicht unmittelbar regulatorisch in die Kultur- und Medienpolitik ihrer Mitglieder eingreifen. Andererseits zählt die Achtung der Vielfalt der Kulturen zu den Grundwerten in Europa, wie es in Art. 22 der EU-Grundrechte-Charta festgehalten ist. Diese Aufgabe obliegt den Mitgliedstaaten; im Fall von Deutschland sind es die Bundesländer, die dieses Hoheitsrecht innehaben und ausüben. Eigentlich dürfte das sanfte Monster hier also gar keine Macht haben, da sich die EU in medienpolitische Belange der Mitgliedstaaten nicht bzw. nur insoweit sie dazu unmittelbar ermächtigt ist, einmischen darf. Eigentlich. Auf Umwegen tut sie es dennoch.



Ich danke der stellvertretenden Justitiarin des SR, Stephanie Weber, und meiner Referentin, Armgard Müller-Adams, für die wertvolle Vorarbeit zu diesem Beitrag.

1

Enzensberger: Sanftes Monster Brüssel oder die Entmündigung Europas, Essay, Suhrkamp Verlag, Berlin 2011.

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Die Umwege sind im Besonderen die Binnenmarktregulierung und die Sicherung des freien Wettbewerbs innerhalb der Gemeinschaft. Es gibt im Wesentlichen zwei Vehikel, derer sich die EU bedient hat, um die Umwege auch zu beschreiten. Allerdings konnten diese Vehikel mit der technischen wie inhaltlichen Fortentwicklung der letzten 30 Jahre in den Medien nur schwer mithalten. Dazu bedarf es eines Exkurses in die gemeinsame Geschichte von EU und Medienpolitik, bezogen auf das duale Rundfunksystem.

II. 1984, Wolfgang Thaenert war gerade Geschäftsführer des Niedersächsischen Landesrundfunkausschusses geworden, legte die Kommission ihr Grünbuch über die Errichtung eines gemeinsamen Fernsehmarktes vor.2 Die technische Entwicklung des Satellitenfernsehens verschaffte dem bis dahin nationalen Rundfunk supranationale Bedeutung. Fernsehbilder machten nicht länger an den Ländergrenzen halt. Anknüpfend an das Grünbuch „Fernsehen ohne Grenzen“ hat die Kommission 1986 einen Richtlinienvorschlag vorgelegt, mit dem sie die Verwirklichung eines EG-weiten Binnenmarktes für den Rundfunk vorantreiben wollte. Am 3. Oktober 1989 kam das erste Vehikel zum Einsatz: Der Rat verabschiedete die Richtlinie zur Koordinierung bestimmter Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, kurz Fernsehrichtlinie.3 Diese Richtlinie über das Fernsehen ohne Grenzen trägt eines ihrer wichtigsten Ziele bereits im Titel: die Gewährleistung des freien Verkehrs von Fernsehsendungen innerhalb des Binnenmarktes. Um diesen zu ermöglichen, harmonisiert die Richtlinie die in den Mitgliedstaaten vorhandenen Regeln. Es sind Mindestanforderungen, die alle in der Gemeinschaft ansässigen Medienveranstalter erfüllen müssen. Zu nennen sind hier vor allem Bestimmungen zum Einsatz von Werbung wie zum Schutz von Minderjährigen. Diese haben sich in Deutschland vor allem im Rundfunkstaatsvertrag, im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag und im Telemediengesetz niedergeschlagen. „Hier scheint sich ein neuer Zweig des Medienrechts zu entwickeln“, so schrieb damals Martin Stock in seinem Aufsatz „Europäisches Medienrecht im Werden – Probleme und Chancen“4 – und er sollte Recht behalten. Ein weiteres Ziel der Richtlinie bestand darin, die Verbreitung und Herstellung europäischer audiovisueller Werke zu fördern, indem ihnen vor allem ein vorrangiger Platz in der Programmplanung der Fernsehsender eingeräumt wird. Ob dieses Anliegen Erfolg hatte, ist an anderer Stelle zu diskutieren.

2

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Fernsehen ohne Grenzen. Grünbuch über die Errichtung des Gemeinsamen Marktes für den Rundfunk, insbesondere über Satellit und Kabel.

3

Richtlinie (89/552/EWG) des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit vom 3. Oktober 1989.

4

Stock, Europäisches Medienrecht im Werden – Probleme und Chancen, Rundfunk und Fernsehen (RuF), 37. Jahrgang 1989/2-3, S. 180 ff.

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Wolfgang Thaenert, der just im Jahr 1989 Direktor der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk wurde, begleitete die Fernsehrichtlinie von Beginn an. Er spürte ihre Auswirkungen unmittelbar in seiner beruflichen Praxis. Werbeverbote, Dauer der Werbung, jugendschutzrechtliche Regelungen, das Recht auf Gegendarstellung sind nur einige der Themen, mit denen er sich beschäftigen durfte. Spannungsfrei gingen diese Aktivitäten der Europäischen Union freilich nicht vonstatten. Am Tätigwerden der EU und an der Richtlinie als dessen Ausfluss wurde von vielen Seiten Kritik geübt. Insbesondere die für die Rundfunkgesetzgebung zuständigen Bundesländer hinterfragten die Regelungskompetenz der Europäischen Union. Der deutsche Kulturrat forderte damals wie heute, dass auf nationaler Ebene Gestaltungsspielräume erhalten bleiben müssten, um „den kulturellen Eigenheiten und Bedürfnissen der Menschen in den Mitgliedstaaten vor Ort gerecht werden“5 zu können. Dies kann nicht verwundern, gilt Rundfunk in Deutschland als originär kulturelle Veranstaltung, die verfassungsrechtlich abgesichert ist und verfassungsgerichtlich in einer umfangreichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ihre konkrete Ausgestaltung erfahren hat. Die EU hingegen betrachtet Rundfunk als Dienstleistung, deren europaweiter weitestgehend uneingeschränkter Austausch zu den primären von der Union zu schützenden Freiheitsrechten gehört. Diese Sichtweise eröffnet ihr zugleich einen zweiten Regulierungsspielraum, ebnet ihr auf diese Weise den Umweg, um medienpolitisch aktiv werden zu können. Zu den primären Aufgaben der EU gehört es also, den europäischen Binnenmarkt durch einen ungehinderten Verkehr von Personen, Kapital, Waren und Dienstleistungen zu harmonisieren. Den Weg dazu hatte der EuGH bereits 1971 geebnet, als er den Rundfunk als Dienstleistung charakterisierte. Diese Sichtweise schafft, aber begrenzt auch gleichzeitig die Regelungskompetenz der EU. Rundfunk ist eben nicht nur ein reines Wirtschaftsgut, eine Ware wie Kartoffeln und Bananen, sondern zumindest eben auch, wenn nicht sogar in erster Linie, ein demokratieprägendes Kulturgut. Europäisches Medienrecht bewegt sich also stets im Spannungsfeld von Kultur und Ökonomie. Sämtliche Regelungstätigkeit der EU ist hieran zu messen. Und diese Tätigkeit ist intensiv: Nach mehreren Überarbeitungen heißt die Fernsehrichtlinie seit 2007 „Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste“ (AVMD-Richtlinie). Gemeint sind lineare Angebote, sprich Fernsehsendungen und fernsehähnliche Produkte, genauso wie nicht-lineare Dienste, also Angebote, die Nutzern auf Abruf zur Verfügung stehen wie zum Beispiel Video-on-Demand. Allerdings gelten dabei für die Fernsehangebote deutlich strengere Regeln im Hinblick auf den Jugendschutz und Zeiten, in denen Werbung ausgestrahlt werden darf. Dabei bediente sich die EU des Prinzips der abgestuften Regulierungsdichte, vom linearen bis hin zum non-linearen Angebot, das per Einzelabruf seinen Empfänger erreicht.

5

Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zum „Grünbuch über die Vorbereitung auf die vollständige Konvergenz der audiovisuellen Welt: Wachstum, Schöpfung und Werte“ vom 26. Juni 2013, online veröffentlicht am 27. Juni 2013 auf www.kulturrat.de.

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Die Richtlinien waren aber nicht die einzigen Vehikel, mit denen die EU sich auf ihren Umwegen beholfen hat. Auch mittels der Qualifizierung der Rundfunkgebühr als staatliche Beihilfe, hat sie Einfluss genommen auf die Aktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland, denn unbestritten gehört das sogenannte Beihilferegime in den Primärverträgen zu den bedeutendsten und effektivsten Regulierungsmechanismen zur Sicherung des ungehinderten Binnenmarktes in Europa.

III. Die Vorgeschichte ist schnell erzählt: Der Verband privater Rundfunk und Telemedien in Deutschland war im Jahr 2003 mit einer Beschwerde bei der EU-Kommission vorstellig geworden. Darin rügte er die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als wettbewerbsverzerrend und ordnete die deutsche Rundfunkgebühr als unzulässige staatliche Beihilfe im Sinne des EG-Vertrages ein. Als Begründung führte der VPRT an, dass dem Tätigkeitsfeld der Rundfunkanstalten keine wirkliche Grenze, etwa in Form eines konkreten Funktionsauftrags gesetzt sei und berief sich auf die Art. 102 ff. AEUV. Insbesondere im Online-Bereich sah der VPRT gefährliche Ausuferungen zu Lasten der privaten Anbieter, deren durchaus begründete Sorge darin bestand, in diesem neuen Spielfeld dem gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk den Platzvorteil zu überlassen. Die Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission schloss sich dieser Meinung an. Es bestand also akuter Handlungsbedarf, um das Anliegen der europäischen Wettbewerbsbehörde mit deutschen medienpolitischen Grundsätzen in Einklang zu bringen: Der vornehmlich wirtschaftlichen Interessen von Marktteilnehmern Rechnung tragenden EU-Medienpolitik stand eine über Jahrzehnte gewachsene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundrecht der Rundfunkfreiheit gegenüber, die in der sogenannten zweiten Gebührenentscheidung aus dem Jahr 2007 noch einmal bestätigt wurde. Danach erstreckt sich der Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks grundsätzlich auch auf neue digitale Angebote. Angebote in diesem Bereich sind demnach eindeutig von der verfassungsrechtlichen Entwicklungsgarantie des öffentlichrechtlichen Rundfunks gedeckt. Nach dieser Entscheidung kommt dem öffentlichrechtlichen Rundfunk im Bereich des Internets sogar eine ganz besondere Bedeutung zu. So ist er nämlich dort besonders zur Sicherstellung von Vielfalt und verlässlichen Informationen aufgefordert. Denn das Bundesverfassungsgericht geht nach wie vor davon aus, „dass bei einer Steuerung des Verhaltens der Rundfunkveranstalter allein über den Markt das für die Funktionsweise einer Demokratie besonders wichtige Ziel der inhaltlichen Vielfalt gefährdet ist“. Rundfunkprogramme haben, so das Gericht, im Vergleich zu anderen Gütern besondere ökonomische Eigenschaften. Insbesondere die Finanzierung der privaten Anbieter via Werbung und die Abhängigkeit der Einnahmen von Quoten bzw. Visits und Zielgruppenaffinität würden den dort ohnehin bereits vorherrschenden Trend zur Massenattraktivität stärken und daraus erwachsend zur Einseitigkeit des Angebots führen. Der wirtschaftliche Wettbewerbsdruck und das publizistische Bemühen um die schwerer zu 42 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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winnende Aufmerksamkeit führten beispielsweise häufig zu wirklichkeitsverzerrenden Darstellungsweisen, etwa zu der Bevorzugung des Sensationellen. Auch dies bewirkt nach Auffassung der Bundesverfassungsrichter Vielfaltsdefizite.6 Das Erreichen des verfassungsrechtlich vorgegebenen Vielfaltsziels wird nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zudem infolge der Entwicklung der Medienmärkte und insbesondere des erheblichen Konzentrationsdrucks im Bereich des privatwirtschaftlichen Rundfunks gefährdet.7 Eine Vielzahl von Angeboten im Netz bedeutet nicht automatisch, dass damit auch inhaltliche Vielfalt gewährleistet wird. Durch die Tendenz zur Medienkonzentration besteht die Gefahr, dass wenige große „Player“ die publizistischen Inhalte im Internet dominieren. In Zeiten einer Wirtschaftskrise wird diese Tendenz sogar noch verstärkt, wie wir aktuell unter anderem an einem durch den Aufschwung des Internets begründeten Zeitungs- und Verlagssterben beobachten können. Um es anschaulich zu machen: Denken Sie an tagesschau.de oder daserste.de; diese Seiten sind beliebt, aber längst umfassen sie nicht alle Angebote der ARD im Internet. Neben diesen gibt es die Sites der einzelnen Landesrundfunkanstalten. Schon auf Grund der föderalen Struktur der ARD werden also mehrere Angebote nebeneinander und unabhängig voneinander erstellt. Diese Binnenpluralität stellt ebenso sicher, dass unterschiedliche Perspektiven auf dieselben Inhalte transportiert werden, wie dass Themen, die außerhalb des vorherrschenden Mainstreams oder Terminjournalismus liegen oder nur für eine bestimmte Zielgruppe Relevanz haben, bei uns ihren Raum finden. Ein anderer Faktor, der garantiert, dass unsere Angebote im Netz Vielfalt abbilden und herstellen, ist aber auch die Form der Finanzierung via bundesweit erhobenem Rundfunkbeitrag. Denn diese Finanzierung macht unsere journalistische Arbeit weitgehend unabhängig von der Anzahl der Werbekunden, die ein Angebot für sich gewinnen kann. Dies ermöglicht unabhängige, intensive und weiterreichende Recherche, welche ein wesentlicher Motor für die Generierung neuer Inhalte – und damit auch von Vielfalt – ist. Zudem werden die Anstalten in die Lage versetzt, gemäß ihrem Auftrag, etwa auch kulturelle Nischen auszuleuchten, die von privatwirtschaftlich organisierten Anbietern nur selten in den Fokus genommen werden. Insofern ist der Erhalt der Form der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Grundlage für dessen Befähigung, Vielfalt zu zeigen und dadurch letztlich auch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse unserer Gesellschaft zu erfüllen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 RStV). Nach einer Jahre andauernden Auseinandersetzung einigten sich die Bundesländer schließlich 2007 im sogenannten „Beihilfekompromiss“ mit der EU-Kommission. Beide Seiten scheuten offenbar den Gang zum Europäischen Gerichtshof. Die EUKommission knüpfte ihr Einverständnis jedoch an einige Auflagen. So musste vom

6

BVerfGE 119, 181 (216); BVerfGE 103, 44 (67).

7

BVerfGE 119, 181, (216).

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deutschen Gesetzgeber ein Weg gefunden werden, den Funktionsauftrag der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten hinreichend zu konkretisieren. Zur Umsetzung erhielten die deutschen Bundesländer Zeit bis zum 1. Juni 2009. Die vorgeschlagene Lösung im 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag: der Dreistufentest. Das Ziel war, das Spannungsverhältnis zwischen kommerziellen und öffentlich-rechtlich organisierten Playern im Internet in einen Ausgleich zu bringen. Dabei soll der Rundfunkauftrag nicht durch den Gesetzgeber selbst näher präzisiert, sondern staatsfern durch die pluralistisch besetzten unabhängigen Aufsichtsgremien des öffentlichrechtlichen Rundfunks überprüft werden. Planen die Anstalten neue Angebote, müssen sie de lege lata darlegen, dass das Telemedienangebot den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht (1. Stufe) und es in qualitativer Hinsicht zum publizistischen Wettbewerb beiträgt (2. Stufe) sowie den Aufwand, der für die Erbringung des Angebotes vorgesehen ist, nachweisen (3. Stufe). Dabei sind Quantität und Qualität der vorhandenen frei zugänglichen Angebote, die marktlichen Auswirkungen des geplanten Angebotes – gestützt durch unabhängige Gutachter – sowie dessen meinungsbildende Funktion angesichts bereits vorhandener vergleichbarer Angebote zu berücksichtigen. Die Landesmedienanstalten sahen anfangs übrigens Mängel beim Dreistufentest und kritisierten die praktische Umsetzung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Insofern belebte die europäische Medienpolitik durchaus auch das Verhältnis des öffentlichrechtlichen Rundfunks zur privaten Aufsicht in Deutschland. Eines jedenfalls ist sicher: Der Dreistufentest hat den Landesrundfunkanstalten wie der ARD enormen zusätzlichen Verwaltungsaufwand aufgebürdet. Ob im Ergebnis die kommerziellen Anbieter hiervon tatsächlich profitieren, sei dahingestellt. Ganz klar aber haben Privatsender wie Zeitungsverleger und Plattformbetreiber von den indirekten Auswirkungen des Tests Vorteile: Zu beobachten ist, dass bisher textbasierte Angebote wie die Seiten von Zeitungen und Zeitschriften, immer häufiger so genannte Bewegtbilder, was nichts anderes als Filme sind, einsetzen und sich damit den Mitteln der originär audiovisuellen Anbieter bedienen, um für die Internetnutzer attraktiver zu werden. Damit treten sie in direkte Konkurrenz mit der ARD, die durch den Dreistufentest gezwungen ist, ihr Angebot an im Internet veröffentlichten Texten klein zu halten. So ist ein Ungleichgewicht entstanden, da nun Verlegern mehr Veröffentlichungsinstrumente zur Verfügung stehen als ARD und ZDF. Das mag ein Ausgleich für den bereits beschriebenen Platzvorteil des gebühren- bzw. beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein; ob es darüber hinaus die erhoffte ordnungspolitisch motivierte Befriedung im dualen Rundfunksystem Deutschlands bewirkt, sei dahingestellt. Hinzu kommt, dass die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Inhalte nur für begrenzte Zeit – von sieben Tagen bis zu einem Jahr – online stellen dürfen. Nach – je nach Genre – unterschiedlich langen Fristen müssen Filme, Radiobeiträge und Texte von den Seiten gelöscht werden. Diese verkürzte Verweildauer konterkariert die von den Sendern eben erst hergestellte journalistische Vielfalt im Netz – zugunsten der „Mainstream-Ware“ der kommerziell orientierten Sender; denn diese sind nicht vertraglich dazu gezwungen, ihre Internetangebote nach einer bestimmten Zeit zu „de-publizieren“.

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In der Tat stellt die Vorschrift, dass ARD und ZDF ihre Produkte nur begrenzte Zeit online zur Verfügung stellen dürfen, eine Benachteiligung gegenüber Privatsendern dar. Da die künstlich verkürzte Verweildauer Ausfluss des Dreistufentests und dieser wiederum das Ergebnis der von der EU angemahnten Konkretisierung des Funktionsauftrages ist, ist letztlich auch die EU für die so erreichte Einschränkung und Beschneidung der kulturellen Vielfalt verantwortlich zu machen. Das sanfte Monster scheint also doch Zähne zu zeigen. Für die Zukunft zeichnet sich ab, dass die Konsequenzen für die öffentlich-rechtlichen Sender noch viel weitreichender sind. Das liegt daran, dass sich durch technische Weiterentwicklungen bei den Endgeräten auch das Nutzungsverhalten ändert. Schon jetzt konsumieren immer mehr Zuschauerinnen und Zuschauer, während sie fernsehen, auf einem zweiten Bildschirm andere Inhalte. In diesem Zusammenhang macht der Begriff der Multitaskingfähigkeit die Runde. In den Wohnzimmern wird die Aufmerksamkeit mittlerweile also geteilt. Der nächste Schritt ist, dass Internet und Fernsehen auf einem Gerät verfügbar sind; die Händler verzeichnen eine stetig steigende Nachfrage an hybriden Apparaten und tatsächlich findet sich auf fast allen neu verkauften Fernbedienungen bereits der „red button“, so dass man per Knopfdruck das Internet zum Fernsehbild dazu schalten oder es ersetzen kann. Connected TV wird dies häufig genannt, weil so zwei bislang parallel laufende Medien konvergent miteinander verwoben werden. Durch die Verfügbarkeit des Internets auf dem großen Fernsehbildschirm verschwimmen die Grenzen zwischen herkömmlichem Fernsehen und filmischen Angeboten im Internet. Die Nachfolgegeneration der Digital Natives wird gar nicht mehr verstehen können, warum wir zwischen diesen beiden Medien überhaupt je unterschieden haben. Für die Privaten (er)öffnet sich mit dem roten Knopf eine neue Nische, um Werbung zu platzieren und Kaufanreize zu schaffen: In Sendungen gezeigte oder erwähnte Produkte wären etwa gleichzeitig per Knopfdruck zu erwerben. Das dürfte ihnen steigende Werbeeinnahmen bescheren – birgt aber auch die Gefahr, das Programm endgültig zu kommerzialisieren. Hier wiederum dürfte das sanfte Monster gerne aktiv werden, um Wildwuchs zu verhindern und auch den Verbraucherschutz zu stärken. Da die kommerziellen Kanäle zudem Sendungen beliebig lang im Internet vorhalten dürfen, sind ihre Zuschauer nicht mehr gezwungen, zu einem bestimmten Zeitpunkt „einzuschalten“, um die Lieblingsserie oder einen Spielfilm zu sehen. Sie können frei entscheiden, wann, wo und wie sie diese „abrufen“, sprich konsumieren. Aber für die Sendungen der Öffentlich-Rechtlichen gilt das nur bedingt – auf Grund der oben beschriebenen Verweildauer verschwinden ihre Angebote aus den Mediatheken, auch die begleitenden Texte werden gelöscht. Dies ist ein klarer Wettbewerbsnachteil für ARD und ZDF, insbesondere wenn man sich vor Augen führt, dass das Internet das neue Fernsehen sein wird und bei den Jüngeren schon ist. Zwar stellt eine kurze Verfügbarkeit auch eine gewisse Exklusivität dar, aber durch die veränderten, zunehmend zeitunabhängigen Nutzungsgewohnheiten wird sich dadurch notwendigerweise der Kreis der Zuschauer, die innerhalb dieser Fristen erreicht werden können, verringern. An dieser Stelle müsste das sanfte Monster eigentlich wach werden

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– und den Wettbewerbsnachteil, der diesmal den Öffentlich-Rechtlichen droht, ausgleichen. Vor allem aber muss hinterfragt werden, warum gerade die journalistisch wertvollen und kulturell bedeutsamen Inhalte, die noch dazu von ihren Zuschauern finanziert werden, diesen nach einer bestimmten Frist nicht mehr zur Verfügung stehen sollen. Zumal es zum Wesen des Internets gehört, nichts zu vergessen – aber die EU will, dass das Internet ausgerechnet die programmlichen Leistungen von ARD und ZDF vergisst und zwar immer wieder bzw. für immer. Das Netz ist heute schon eine Art globales Archiv; es kommt daher einem kulturellen Kahlschlag gleich, wenn man bei der beschränkten Verweildauer der Inhalte der öffentlich-rechtlichen Sender bleibt, und sie weiterhin zwingt, ihre Sendungen aus den Mediatheken und damit aus dem virtuellen Gedächtnis zu löschen. Gleichzeitig bedeutet dies eine ökonomisch unsinnige Verschwendung von Ressourcen; auch das dürfte die Politik eigentlich nicht wollen.

IV. Doch die kurze Zeit, die den öffentlich-rechtlichen Sendungen bleibt, um ihre Zuschauer zu finden, ist nicht die einzige Gefahr, auf die das öffentlich-rechtliche System sich einstellen muss. Über die Informationsflut im Netz und die Willkür von Suchmaschinen ist schon viel geschrieben worden. Beides trägt dazu bei, dass der Nutzer nicht mehr wirklich souverän entscheiden kann, welche Inhalte er konsumiert – einerseits weil ihn die Menge des Angebots schier überwältigt, andererseits weil er nicht weiß, nach welchen Kriterien Plattformen ihre Suchergebnisse ranken und ihm präsentieren. Es ist also gut möglich, dass die qualitativ hochwertigen journalistischen Arbeiten von ARD und ZDF untergehen in den Weiten des World Wide Web. Sie mögen zwar inhaltlich nach wie vor relevant sein, sind aber schlichtweg nicht mehr auffindbar. Genau hier wäre die Regulierungskraft der EU gefragt. Denn es muss sichergestellt werden, dass die gesellschaftlich und kulturell bedeutsamen Angebote erstens transportiert (Prinzip des diskriminierungsfreien Zugangs) und zweitens prominent platziert (Prinzip der Auffindbarkeit journalistischer Produkte) werden. Die Medienpolitik hat hierfür auch die Schlagworte Netzneutralität und Auffindbarkeit geprägt. Das eine meint, dass die Betreiber der Netze alle Datenpakete gleich behandeln sollen und keine bestimmten Anbieter bevorzugen oder diskriminieren dürfen, um echte Chancengleichheit zu gewährleisten. Das andere bedeutet, dass die Plattformbetreiber gehalten sind, qualitativ hochwertigen journalistischen Inhalten eine Sonderstellung einzuräumen, eine Art Platzhaltergarantie, ohne dass dies mit Zusatzkosten für deren Produzenten verbunden ist. Diese Grundsätze, Netzneutralität und Auffindbarkeit, müssen grenzüberschreitend geklärt werden, da das Internet selbst grenzenlos ist. Insoweit sollte die EU ermächtigt werden, diese Kardinalaufgabe europaweit zu erledigen. Soeben ist ein neues Grünbuch „über die Vorbereitung auf die vollständige Konvergenz der audiovisuellen Welt: Wachstum, Schöpfung und Werte“ der EU fertig gestellt worden. Es beschreibt richtig, dass durch technische Vorgänge derzeit das Recht des 46 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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gers auf Informationsfreiheit geschwächt wird – ohne dass dies der Bürger überhaupt bemerken kann. Denn die Macht der Plattformanbieter und Netzbetreiber ist den Wenigsten bewusst. Die ARD fordert daher neben der bereits bekannten und für andere Verbreitungswege existierenden „must carry“-Regelung eine Auffindbarkeitsgarantie im Sinne von „must be found“. Hierzu müssen die technischen Betreiber – die sogenannten Gatekeeper – verpflichtet werden und es müssen Sanktionsmittel entwickelt werden für den Fall, dass der Zugang zu Plattformen nicht diskriminierungsfrei gestaltet wird. Zudem müssen auf Grund der Verschmelzung von Fernsehen und Internet durch die Neuerungen bei den Endgeräten die Bereiche der linearen und nicht-linearen Diensteanbieter trennschärfer geregelt, langfristig vielleicht deren Trennung aufgehoben werden, um Ungleichbehandlungen zu vermeiden. Eingangs habe ich auf die aktuelle Situation in Ungarn hingewiesen und die offensichtliche Machtlosigkeit des sanften Monsters in Bezug auf die Sicherung der Meinungs-, Rundfunk- und Pressefreiheit beschrieben. Insoweit gehören selbstverständlich die medienpolitischen Ziele der AVMD-Richtlinie nach wie vor auf die Agenda. Die Kunst wird darin bestehen, die territorial beschränkte Regelungsmacht der Mitgliedstaaten in einer globalisierten Medienwelt mit den Mitteln der Europäischen Union derart zu synchronisieren, dass Meinungs-, Rundfunk- und Pressefreiheit als stabile Säulen auf festen Fundamenten unsere demokratische und rechtsstaatliche Architektur weiterhin stützen und zusammenhalten werden.

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Fernsehen in Deutschland Helmut Thoma

I. Eine gerade veröffentlichte Untersuchung des „Freizeit-Monitor“ 2013 der Stiftung für Zukunftsfragen, die Ende August 2013 vorgestellt wurde, bestätigt den Deutschen, dass Fernsehen die beliebteste Freizeitbeschäftigung hierzulande darstellt. 96 Prozent nutzen Fernsehen, zwei Drittel davon sogar täglich. Betrachtet man die Nutzungszeiten, stellt man fest, dass der Deutsche durchschnittlich 228 Minuten täglich vor dem Fernseher verbringt und zwar je höher das Lebensalter desto länger, aber auch die jüngeren Bundesbürger, die immer einen geringeren Fernsehkonsum aufweisen, sehen täglich fast zwei Stunden fern. Vor der Öffnung des Fernsehens für private Betreiber erklärte der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt, dass „Fernsehen so gefährlich wie die Atomkraft sei“. Er schlug sogar vor, offenbar angeregt durch das damals kommunistische Ungarn, einen fernsehfreien Tag in der Woche einzuführen. Bekannt ist auch der spätere Satz des Bundeskanzlers Gerhard Schröder: „Wenn man ‚Bild‘, ‚BamS‘ und die Glotze (TV) für sich hätte, würde man jede Wahl gewinnen.“ Auch heute wird das Fernsehduell vor der Bundestagswahl zwischen Bundeskanzler(in) und Herausforderer als die entscheidende Auseinandersetzung betrachtet. Die besondere Wirksamkeit des Fernsehens als Medium, das mit dem bewegten Bild und Ton den Menschen besonders anspricht, anerkennt auch die Werbewirtschaft, für die das Fernsehen für fast alle Güter und Marken das entscheidende Grundwerbemedium darstellt. Diese besondere Bedeutung des Fernsehens wird auch in einigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere in der vierten Rundfunkentscheidung festgehalten, deren Leitsätze wie folgt lauten: In der dualen Ordnung des Rundfunks, wie sie sich gegenwärtig in der Mehrzahl der deutschen Länder auf der Grundlage der neuen Mediengesetze herausbildet, ist die unerlässliche ‚Grundversorgung‘ Sache der öffentlich-rechtlichen Anstalten, deren terrestrischen Programme nahezu die gesamte Bevölkerung erreichen und die zu einem inhaltlich umfassenden Programmangebot in der Lage sind. Die damit gestellte Aufgabe umfasst die essentiellen Funktionen des Rundfunks für die demokratische Ordnung ebenso wie für das kulturelle Leben in der Bundesrepublik. Darin finden der öffentlich-rechtliche Rundfunk und seine besondere Eigenart ihre Rechtfertigung. Die Aufgaben, welche ihm insoweit gestellt sind, machen es notwendig, die technischen, organisatorischen, personellen und finanziellen Vorbedingungen ihrer Erfüllung sicherzustellen. Solange und soweit die Wahrnehmung der genannten Aufgaben durch den öffentlichrechtlichen Rundfunk wirksam gesichert ist, erscheint es gerechtfertigt, an die Breite des

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Programmangebots und die Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt im privaten Rundfunk nicht gleich hohe Anforderungen zu stellen wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Vorkehrungen, welche der Gesetzgeber zu treffen hat, müssen aber bestimmt und geeignet sein, ein möglichst hohes Maß gleichgewichtiger Vielfalt im privaten Rundfunk zu erreichen und zu sichern. Für die Kontrolle durch die zur Sicherung der Vielfalt geschaffenen (externen) Gremien und die Gerichte maßgebend ist ein Grundstandard, der die wesentlichen Voraussetzungen von Meinungsvielfalt umfasst: die Möglichkeit für alle Meinungsrichtungen – auch diejenige von Minderheiten –, im privaten Rundfunk zum Ausdruck zu gelangen, und den Ausschluss einseitigen, in hohem Maße ungleichgewichtigen Einflusses einzelner Veranstalter oder Programme auf die Bildung der öffentlichen Meinung, namentlich die Verhinderung des Entstehens vorherrschender Meinungsmacht. Aufgabe des Gesetzgebers ist es, die strikte Durchsetzung dieses Grundstandards durch materielle, organisatorische und Verfahrensregelungen sicherzustellen.

II. Betrachtet man nun die Situation des Fernsehens heute, so stellt man fest, dass das duale System in der Form, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil annimmt, nicht mehr besteht. Tatsächlich hat sich in den letzten 20 Jahren das öffentlich-rechtliche Fernsehen zu einem Medium entwickelt, das zum größten Teil von Zuschauern über 60 konsumiert wird und bei dem die Jüngeren fast ausschließlich private Programme sehen. Diese Entwicklung verstärkt sich von Jahr zu Jahr, wie nachfolgende Aufstellung (Übersicht TV Reichweiten) der Marktanteile in den verschiedenen Altersgruppen zeigt. Übersicht TV Reichweite: Sender

Z ab 3 J

E 14-49

1. HJ 2012

1. HJ 2013

MA (%)

MA (%)

Öff.rechtl. (Total)

41,9

43,0

Private Spartenkanäle (Total)

13,5

ProSieben7Sat.1 Gruppe RTL Gruppe

E 14-29

1. HJ 2012

1. HJ 2013

MA (%)

MA (%)

1,1

23,0

22,7

14,6

1,1

16,2

20,3

18,3

-1,9

24,4

24,1

-0,3

Differenz

1. HJ 2012

1. HJ 2013

MA (%)

MA (%)

-0,3

14,0

12,8

-1,2

17,8

1,6

15,4

16,5

1,1

28,1

26,9

-1,2

34,8

34,9

0,1

32,7

32,6

-0,1

35,8

35,8

0,0

Differenz

Quelle: AGF/GFK-Fernsehforschung

50

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Differenz

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Die Informationsübermittlung für jüngere Zuschauer kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit seinem 22 Programme umfassenden Angebot, das nur einen Marktanteil von 12,8 Prozent im ersten Halbjahr erbracht hat, nicht nachkommen. Dabei sind in den 12,8 Prozent auch die sehr reichweitenstarke Sportangebote, z. B. UEFA Champions League, bis zum Finale beim ZDF inkludiert. Um dies zu verdeutlichen, wurde für September 2012 eine Berechnung der Reichweiten der Hauptnachrichtensendungen für Erstwähler durchgeführt. Als Erstwähler wurden die 17- bis 21-Jährigen definiert. Die hier beiliegende Tabelle „Hauptnachrichtensendungen bei Erstwählern im September 2012“ gibt das Resultat dieser Berechnung wieder. Reichweite (in Millionen und Prozent) und Marktanteile verschiedener Hauptnachrichtensendungen bei Erstwählern im September 2012: Sendung

E 17–21 Erstwähler Sehb. (Mio.)

Sehb. (%)

MA (%)

tagesschau

0,03

0,9

6,0

heute

0,01

0,2

2,1

RTL aktuell

0,05

1,4

12,2

SAT.1 Nachrichten

0,03

0,7

4,8

Pro7 Newstime

0,07

1,8

19,0

Quelle: AGF/GFK-Fernsehforschung

III. Durch den Rückgang der Reichweiten im ersten Halbjahr 2013 kann man den Schluss ziehen, dass sich diese Zahlen noch verschlechtert haben. Es erhebt sich jetzt die Frage, wie die Situation sich bei den privaten Fernsehsendern derzeit darstellt. Hier hat sich seit der oben zitierten Bundesverfassungsgerichtsentscheidung eine wesentliche Veränderung ergeben. Bei Erlass dieses Urteils bestand die Regelung, dass kein privater Veranstalter mehr als 49,9 Prozent Eigentumsrechte an einem Vollprogramm haben durfte und bei einem zweiten Sender maximal 24,9 Prozent Anteile halten konnte. Durch einen Staatsvertrag der Länder wurde diese Regelung abgelöst. Danach darf ein privater Veranstalter beliebig viele Programme zu 100 Prozent beherrschen, solange die Gesamtreichweite keinen höheren Marktanteil als 30 Prozent am Gesamtkonsum des Fernsehens in der Bundesrepublik ergibt.

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Diese Regelung, die meines Wissens weltweit einmalig ist, geht offenbar von der Möglichkeit aus, die Marktanteile exakt zu messen. Tatsächlich sind die von der GfK erhobenen Reichweiten, die für die Werbeindustrie erhoben werden, nur Annäherungswerte. Sie werden aufgrund von repräsentativ ausgewählten Haushalten in der Bundesrepublik erhoben. Diese Haushalte werden mit einem speziellen Gerät ausgestattet, das die Haushalte bedienen müssen. Die Reichweitenerhebung wird von der werbetreibenden Industrie für ihre Zwecke als Währung anerkannt. Als Maßstab mit juristischen Folgen ist sie allerdings ungeeignet. Es würde ja auch niemanden einfallen, die Bundestagswahl ausfallen zu lassen und durch repräsentativ erhobene Umfragen zu ersetzen. Jede mit einer anderen anerkannten Methode durchgeführte Untersuchung würde unterschiedliche Werte ergeben. Vor allem bei den kleineren Fernsehsendern treten erhebliche Schwankungsbreiten selbst in der GfK-Untersuchung auf. Jedenfalls hat die Umstellung auf die 30-ProzentKlausel dazu geführt, dass im Bereich des Privatfernsehens ein Duopol von zwei Sendergruppen, nämlich der RTL-Gruppe und der ProSiebenSat.1 Media entstanden ist, das fast 90 Prozent des Marktes der Privatfernsehsender beherrscht. Um dies in den europäischen Kontext zu setzen, sei auf Italien verwiesen. Italien gilt durch die dominante Stellung der von Berlusconi betriebenen Fernsehsendern als geradezu abschreckendes Beispiel für Medienkonzentration im Fernsehen. Tatsächlich verfügen die von Berlusconi betriebenen Fernsehsender nur über einen Marktanteil von 24,5 Prozent, andere private Fernsehveranstalter verfügen zusammen über einen Marktanteil von 46,5 Prozent. Durch das Duopol der beiden deutschen Fernsehgruppen RTL und ProSiebenSat.1, ist ein Konkurrenzkampf um Reichweiten zwischen ihnen nicht mehr notwendig. Sie haben sich daher folgerichtig in den letzten Jahren viel weniger um Investitionen im Programmbereich bemüht, als um eine Verbesserung der Rentabilität. Diese ist am ehesten durch Einsparungen im Programm zu erreichen. Es wurden daher teure eigenproduzierte Serien und Filme durch Billigproduktionen, z. B. Reality Shows, ersetzt. Dies hat zu einem Rückgang der Zahl der deutschen Produzenten geführt und damit zu einer Verarmung der Produktionsszene insgesamt. Den Renditen der Sender hat es allerdings, wie man bewundernd feststellen muss, sehr gut getan. Die Einnahmen steigen und jeder der beiden Sendergruppen meldet immer neue Rekorderlöse und dies obwohl durch die Einsparungen im Programmbereich die Reichweiten der Hauptsender wie RTL oder SAT.1 signifikant zurückgehen. SAT.1 hat beispielsweise im ersten Halbjahr 2013 nur mehr einen Marktanteil von 8,2 Prozent erreicht, trotzdem stiegen die Einnahmen. Ähnlich ist es mit RTL, das auch signifikante Reichweitenrückgänge aufweist, dabei jedoch noch immer mit Abstand der erfolgreichste Privatfernsehsender bleibt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang das Verhalten der deutschen Zeitungsund Zeitschriftenverleger, die durch das Duopol wirtschaftlich betroffen sind. Es besteht dort im Fernsehbereich kaum eine Preiselastizität und die Zahl der Einschaltungen im

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Fernsehen muss zum Ausgleich der Reichweitenverluste steigen, wobei das Geld von den Kunden hauptsächlich aus ihren Printaufwendungen entnommen wird. Tatsächlich führen die Zeitungsverleger seit Jahren einen Prozess gegen die ARD wegen der Tagesschau-App. Man kann durchaus feststellen, dass selbst, wenn sie diese zu 100 Prozent gewinnen würden, sich kaum ein Euro mehr auf ihren Konten wiederfinden würde.

IV. Die grundsätzliche Verfassung des Rundfunks in Deutschland beruht auf einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 12, 205 vom 28. Februar 1961). Mit diesem Urteil wurde festgelegt, dass Rundfunk unter die Kulturhoheit der Länder fällt und daher in Gesetzgebung und Vollziehung Ländersache ist. Interessanterweise haben andere Länder, insbesondere auch die deutschsprachigen Nachbarländer Österreich und die Schweiz, die ebenfalls als Bundesländer konstruiert sind, die Zuständigkeit dem Bund und nicht den Ländern übertragen. Eigentlich hätte es aufgrund dieser Zuständigkeitsentscheidung in der Bundesrepublik nahe gelegen, auch das Privatfernsehen auf der Basis von Landesveranstaltern zu errichten. Tatsächlich hat man einen ganz anderen Weg gewählt, nämlich die Zulassung von nationalen Fernsehsendern durch einzelne Landesmedienbehörden. Die Folge dieser Vorgehensweise ist, dass regionale und lokale Fernsehstationen im Privatbereich ein sehr dürftiges Dasein führen. Wenn sie nicht, wie z. B. in Berlin, schon mehrfach Pleite gegangen sind, so stehen sie unter einem enormen wirtschaftlichen Druck. Dies kommt z. B. auch daher, dass die regionalen und lokalen Fernsehsender bei den Kabelgebühren diskriminiert werden. Die großen nationalen Gruppen erhalten nämlich von den Kabelbetreibergesellschaften ihre bezahlten Kabelgebühren über Refundierungen für Namensnutzungsrechte zurück. Dies wird den regionalen und lokalen Stationen verwehrt. Blickt man auch in die deutschsprachigen Nachbarländer, so stellt man fest, dass die Regionalstationen trotz der Tatsache, dass sie mit rund einem Zehntel der Teilnehmerzahlen auskommen müssen, die in der Bundesrepublik zur Verfügung stehen, trotzdem wirtschaftlich im Wesentlichen florieren. Wenn man nach dieser Diagnose des deutschen Fernsehens nach einer Lösungsmöglichkeit fragt, so ergibt sich eigentlich nur eine Möglichkeit. Es bedarf wieder einer grundsätzlichen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das eine Neuordnung herbeiführen kann. Dass die Bundesländer im Wege eines Staatsvertrages selbst eine Neuordnung vornehmen werden, ist aufgrund der unterschiedlichsten Interessenslagen ausgeschlossen.

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Eine mögliche Lösung wäre dabei, bereits in dem eingangs zitierten „Niedersachsen“Urteil, aber auch im Staatsvertrag der Länder, in denen die 30-Prozent-Klausel vereinbart wurde, vorgezeichnet. Diese Lösung bestünde in der Einrichtung eines ZweiSäulen-Modells, wie es seit Jahren in Nordrhein-Westfalen für den Hörfunk gilt. Die Veranstalterebene und die Programmverantwortung müssten getrennt werden. Wenn im Programmbereich die gesellschaftlich relevanten Kräfte eine dominante Position erhielten, so wäre den Vorgaben des Grundgesetzes, wie sie das Bundesverfassungsgericht formuliert hat, Genüge getan.

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Radiowellen und Reisewellen Wie sich Freiheit „On Air“ auf Regulierung reimt Jürgen Harrer

I. Schneller, weiter, besser – unsere heutige Arbeits- und Lebenswelt wird durch sich rasant entwickelnde Technologietrends geprägt. Es gibt kaum noch etwas, das heutzutage nicht durch modernste Technik realisiert werden kann. Technische Fortschritte werden in Bereichen wie Medizin, Umwelt und Industrie unsere Existenz maßgeblich bestimmen. Ist also Technologie das Zauberwort, das unseren Wunsch nach einer immer schnelleren, weiteren und besseren Erreichbarkeit erfüllt? Ausgangsbasis für die Deckung dieses Bedarfs ist tatsächlich ein gewisser technischer Stand, der es uns ermöglicht, unser Verlangen nach Mobilität und unseren Wissensdurst zufriedenstellend zu stillen. Hiermit sei allerdings nicht nur der technische Fortschritt einer einzigen Variablen gemeint; vielmehr ist es das reibungslose Ineinandergreifen vieler unterschiedlicher Faktoren, das die Menschen heutzutage global verbindet. Schaut man sich beispielsweise den Einfluss von Technologie auf die Medien- und Kommunikationsbranche an, ist eine radikale Veränderung zu beobachten. Johannes Gutenberg hat Mitte des 15. Jahrhunderts mit der Erfindung des Buchdrucks den Weg für eine allgemeine Nutzung und flächendeckende Verbreitung von Wissen bereitet. Was mit Gutenbergs Werk begann, hat sich bis heute in eine sekundenschnelle digitale Informationstauschbörse verwandelt. Nicht zuletzt aufgrund des Web 2.0 war es nie einfacher, Auskünfte aller Art einer breiten Bevölkerungsmasse zugänglich zu machen. Nie war es einfacher, sich in das gesellschaftliche und wirtschaftliche Geschehen einzubringen und umgehend auf Geschehnisse zu reagieren. Media-Guru Marshall McLuhan prägte in diesem Zusammenhang den Begriff „global village“, der eine Überwindung von Entfernungen und Grenzen und damit ein enges globales Beziehungsnetz suggeriert. Durch modernste Technik wächst die Welt zu einem kleinen Dorf zusammen und kann unmittelbar miteinander kommunizieren, egal an welchem Ort man sich gerade befindet.

II. Auch an Deutschland sind zunehmend technikbasierte Trends nicht vorübergezogen. Betrachtet man erneut das Beispiel der Medien- und Informationsbranche, hat Prof. Wolfgang Thaenert zu dieser rasanten Entwicklung einen maßgeblichen Beitrag geleistet. Als Mitte der 80er Jahre der Privatrundfunk auf der Bildfläche der deutschen Medienanstalten auftauchte, vollzog sich ein bedeutungsschwerer Wandel. Seit Anbeginn der Stunde war Prof. Thaenert dabei, als die Aufgabe der informativen Grundversorgung hauptsächlich den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zugeschrieben wurde und der Privatrundfunk in Abhängigkeit davon überwiegend für die Programmausrichtung https://doi.org/10.5771/9783845251707-55 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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nach Beliebtheitskriterien zuständig war. Prof. Thaenert hat die Einführung des dualen Rundfunksystems durch seine Position als Direktor der Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien (LPR) im Bundesland Hessen aktiv mitgestaltet. Die LPR Hessen hat es sich seit jeher zur Aufgabe gemacht, das gesetzeskonforme Agieren privater Medien in Hessen zu prüfen und zu überwachen und allen Bürgerinnen und Bürgern ein breites Medienspektrum zugänglich zu machen. Die Vergabe von Lizenzen und die damit verbundene Bereitstellung von Frequenzen für Radio- und Fernsehsender gleichen der Verteilung eines sehr knappen Guts. Die Medienlandschaft beabsichtigt, die Informiertheit der Bevölkerung sicherzustellen und eine Meinungsvielfalt zu garantieren. Neuigkeiten sollen also auf dem schnellstmöglichen Weg über einen beliebigen Kanal zum Empfänger kommen. Dass die ausgesendeten Funksignale ungestört an die Abnehmer gelangen, bedarf einer gewissen Regulierung. Auch diese Aufgabe übernimmt die LPR. Die Frequenzregelung durch die LPR Hessen schränkt eine freie Meinungsäußerung und eine politische Willensbildung keineswegs ein. Im Gegenteil: Sie wirkt einer sonst entstehenden Gefahr der Senderüberflutung entgegen und bringt Ordnung in ein unsichtbares Netz aus Informationsübertragungssträngen. Inhaltlich wird keinerlei Zensur vorgenommen, so dass eine freie Kommunikation möglich gemacht und eine Vielfalt an Nachrichten durch den Rundfunk sichergestellt wird. Die LPR stellt eine Plattform dar, von der aus Funkfrequenzen – oder bildlich gesprochen – Radiowellen koordiniert werden. Hierdurch wird ein nicht abreißender Informationsstrom in alle geografischen Richtungen verbreitet. Es wird über Grenzen hinweg Kontakt hergestellt, der einen kommunikativen Austausch erlebbar macht. Sobald beispielsweise in einem Radiosender das Zeichen „On Air“ leuchtet, beginnt eine weitreichende Übertragung der Radiowellen und somit der Botschaften, die den Empfänger informieren sollen.

III. So wie die LPR Dirigent der Radiowellen ist, ist der Frankfurter Flughafen als eines der wichtigsten weltweiten Drehkreuze Manager der Reisewellen. Ebenso wie der freie Zugang zu Informationen, hat die Möglichkeit zu fliegen unser Leben grundlegend verändert. Vieles, was unseren Alltag heute lebenswert macht, wäre ohne den Luftverkehr schlicht undenkbar. Ohne den Luftverkehr gäbe es grenzüberschreitenden Handel in einer weitaus geringeren Dimension – mit negativen Folgen für den gesamten Globus. Zweifelsohne noch höher zu bewerten sind die grundlegenden Möglichkeiten, sich frei und unbeschwert überall auf unserem Globus zu bewegen. Ohne Luftverkehr wäre dieser Austausch zwischen den Kulturen nur mit sehr großen Mühen möglich. Damit schafft der Luftverkehr auch eine wesentliche Voraussetzung für dauerhaften Frieden in unserer Gesellschaft. Die Geschichte verdeutlicht, dass immer dann die Chancen steigen, Konflikte gewaltfrei zu lösen, wenn man sich persönlich begegnen und kennenlernen kann. Kurzum: Luftverkehr verbindet weltweit Menschen und Güter und schafft so Wohlstand, Frieden und Freiheit und erhöht die individuellen Entfaltungsmöglichkeiten. Aber Voraussetzung für einen globalen Austausch von Ideen, Meinungen und Gütern 56

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war die Offenheit von Grenzen. Radiowellen können nicht durch politische und ideologische Grenzen aufgehalten werden. Insbesondere im Kalten Krieg trugen sie die Gedanken einer freien und offenen Gesellschaftsform in die Welt und ebneten den Weg für eine Öffnung von Grenzen. Damit war der Startschuss für Prozesse gegeben, die wir heute mit dem Begriff der Globalisierung beschreiben und die anhaltend dazu führen, dass die Welt immer näher zusammenrückt und geografische Entfernungen kaum noch ein relevantes Hindernis für Kommunikation und Handel darstellen. Egal ob Entdeckerlust oder Geschäftstermin – es gibt vielfältige Gründe, weshalb Menschen heute reisen. Besonders in den Sommermonaten eines jeden Jahres steigen die Passagierzahlen am Frankfurter Flughafen extrem an, was die annähernd 600.000 Fluggäste am ersten Wochenende der Sommerferien von Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland in diesem Jahr bestätigen. Auch innerhalb eines Monats, einer Woche und eines Tages sind zu- und abnehmende Reisewellen am Flughafen zu spüren. Die Stadt Frankfurt als Messestadt trägt ebenfalls zu der an- und abfallenden Zahl der Reisenden bei. Die regelmäßig anstehende Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) bringt immer wieder automobilaffine Menschen aus der ganzen Welt in Frankfurt zusammen. Ähnlich wie die Rundfunkanstalten einer Koordinierung der Funkfrequenzen bedürfen, benötigt der Flugverkehr eine Steuerung und Regulierung des Luftraums über Deutschland: Es gibt dabei reservierte Frequenzen, die von der Deutschen Flugsicherung vergeben werden. Weltweit dürfen Flugzeuge nicht unkontrolliert den Himmel durchqueren, sondern müssen horizontale und vertikale Zonen beachten, gesperrte Bereiche meiden und den Angaben der zuständigen Flugsicherung folgen. Ohne Regulierung und Kontrolle wäre die Luftfahrt in ihrer heutigen Ausprägung undenkbar und eine internationale Vernetzung wäre nicht umsetzbar – insbesondere vor dem Hintergrund einer sehr dynamischen Entwicklung der kommerziellen Luftfahrt. Wurden 1951 weltweit nur 42 Millionen Passagiere befördert, so waren es 2012 rund 2,9 Milliarden Fluggäste, die auf den Airports dieser Welt begrüßt werden konnten. Dies entspricht einem durchschnittlichen Wachstum von über sieben Prozent pro Jahr – und das kontinuierlich über die vergangenen 60 Jahre. Von diesem weltweiten Trend hat auch der Frankfurter Flughafen profitieren können. Im Jahr 1927 begrüßte die damalige Südwestdeutsche Luftverkehrs AG in Frankfurt während des gesamten Jahres insgesamt 10.935 Passagiere. Zum Vergleich: Diese Zahl an Passagieren nutzt heute in Frankfurt unseren Flughafen an einem normalen Tag in einer verkehrsarmen Stunde! Insgesamt benutzten im Jahr 2012 über 57 Millionen Passagiere den Flughafen Frankfurt für ihren Flug. Das entspricht in etwa der Einwohnerzahl Italiens. Zusätzlich wurden über den Flughafen Frankfurt mehr als zwei Millionen Tonnen Luftfracht transportiert. Mit diesem Verkehrsvolumen ist der Flughafen der mit Abstand größte Airport in Deutschland und unter den Top 10 weltweit. Das Angebot an Flugzielen, die vom Flughafen Frankfurt zu erreichen sind, ist in Europa einzigartig. Annähernd 300 Ziele in über einhundert Ländern dieser Welt werden von Frankfurt aus direkt angeflogen. Trotz der notwendigen unsichtbaren strikten Richtlinien im Himmel, ist der Flughafen doch ein Symbol für Freiheit und Weite. Er steht für die Verwirklichung von Grenzenlosigkeit, da er für die Passagiere das Tor zu Welt öffnet. Durch den Flughafen und seine Reisewellen werden genau wie durch die Radiowellen Kontakte hergestellt und gepflegt, Netzwerke werden gebildet und ausgebaut, Verbindungen werden geschaffen

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und intensiviert. Wo durch den Flughafen der Austausch von Waren und Gütern gefördert wird, wird durch den Rundfunk der Transfer von Wissen vorangetrieben. Einer wirtschaftlichen Bereicherung durch den Airport steht eine informationsbasierte Bereicherung durch Radio- und Telemedien gegenüber. Betrachtet man das rapide Voranschreiten der Globalisierung auf dieser Welt, ist sofort erkennbar, dass der Frankfurter Flughafen eine essentielle Infrastrukturbasis darstellt. Insbesondere Deutschland als weltweit wichtiges Exportland benötigt ein sehr gut ausgebautes Infrastrukturnetz, um seine produzierten Güter global zu distribuieren. Als Umschlagepunkt für Fracht aus aller Welt ist der hiesige Flughafen von enormer wirtschaftlicher Bedeutung. Die Auslieferung deutscher Produkte und das Auslagern von Produktionsprozessen gehen außerdem mit einem erhöhten Bedarf an Geschäftsreisen einher. So folgt einem Transfer von Gütern ein Transfer von Passagieren, was die Passagierströme vom Frankfurter Flughafen ausgehend konstant hält und bestenfalls ansteigen lässt. Parallel dazu findet ein konsequenter Informationsaustausch statt, der wiederum auch von den bereits angesprochenen Radiowellen getragen wird. Begründet durch die Globalisierung und unterstützt durch den technischen Fortschritt, der uns zu diesem Zeitpunkt erreicht hat, spielt Mobilität und Konnektivität eine immer entscheidendere Rolle in unserer alltäglichen Routine. Folgendes Bild prägt die morgendliche Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmittel: Fast jeder Passagier arbeitet konzentriert an seinem Laptop, telefoniert, spielt mit seinem Smartphone oder liest Nachrichten oder Romane auf seinem Tablet. Ein Leben ohne diese „elektronischen Helfer“ ist für einen Großteil unserer Gesellschaft kaum mehr vorstellbar. Als „Digital Natives“, „Generation Y“ oder „Millennial“ werden die Menschen bezeichnet, die mit dem Internet und der modernsten Technik aufwachsen. Die zunehmende Digitalisierung aller Lebensbereiche macht es möglich, dass Menschen von unterwegs arbeiten, zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort erreichbar sind, Nachrichten empfangen und private und geschäftliche Kontakte in die ganze Welt pflegen, ohne den Standort wechseln zu müssen. Laut der international angesehenen Markt- und Markenforschungsagentur Millward Brown, die im vergangenen Jahr zehn digitale Trends für das Jahr 2013 formuliert hat, können die von uns so häufig verwendeten elektrischen Geräte zu „‚remote controls‘ for our lives“1 werden. Der intelligente Helfer Smartphone ist das Gehirn, das für uns einen Schritt voraus denkt und die Welt um uns herum problemlos in unser Leben integriert. Damit diese Lösung realisiert werden kann, bedarf es der Regulierung von Funkfrequenzen. Nur so kann ein freier und mobiler Transfer von Wissen ungehindert und geordnet stattfinden. Mobilität und Konnektivität werden auch am Flughafen erlebbar gemacht. Menschen reisen mehr, wollen die Welt entdecken und neue Kulturen kennenlernen. Junge Erwachsene haben Freunde über den kompletten Globus verteilt, halten über das Internet Kontakt und organisieren per Flugzeug auf rasche und sichere Weise den persönlichen Besuch. Immer häufiger werden physische und informationsbasierte Mobilität miteinander verknüpft. Reisen werden über Smartphones geplant und gebucht, ebenso erfolgt

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Southgate, „Digital and Media Trends 2013“. Contagious Magazine, 11. Dezember 2012, www. contagiousmagazine.com/2012/12/digital_and_media_trends_2013.php (Stand: 23. August 2013).

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der Online-Check-In. Auch der Wunsch nach ausgefalleneren In-Flight-EntertainmentSystemen, die mit den eigenen mobilen Geräten bedient werden können, wird immer größer. So ist Flugverkehr ein Instrument zur Herstellung eines Gefühls der Freiheit, Weite und Weltumspannung. Der Flughafen an sich stellt die nötige Infrastruktur zur Verfügung.

IV. Radiowellen und Reisewellen – die beiden zunächst so grundverschieden klingenden Begriffe sind also alles andere als ein Gegensatz. Ausgelöst durch die rapide technische Entwicklung, die sich in den letzten Jahrzehnten vollzogen hat und die auch zukünftig mehr und mehr Einfluss auf unser Leben haben wird, ergeben sich für Rundfunk und Luftverkehr ähnliche Trends. Mobilität des Menschen und der Information sind in zunehmendem Maße miteinander verknüpft und führen ein Freiheitsgefühl „On Air“ herbei. Dieses Gefühl wird durch die Parallelität der langjährigen Arbeit von Prof. Thaenert und dem Flughafengeschehen in Frankfurt ermöglicht.

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Die Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) Siegfried Schneider Fortschritte im Jugendschutz – auch ohne Novelle. Nach dieser Maxime hat die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM)1 nach dem Scheitern der Novelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) im Jahr 2010 gehandelt. So haben alle am Jugendschutzsystem Beteiligten an einem Strang gezogen, um auf Basis eines konstruktiven Dialogs den Jugendmedienschutz voranzubringen. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit den vorgesehenen Änderungen der gescheiterten Novelle, der Umsetzung verschiedener Bedarfe auch ohne Novelle sowie den künftigen Herausforderungen des Jugendmedienschutzes.

I.

Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag von 2003

Auf der Ministerpräsidentenkonferenz im März 2002 hatten sich die Länder mit dem Bund auf zu vereinbarende Eckwerte einer Neuregelung geeinigt. Danach schaffen die Länder eine einheitliche Rechtsgrundlage für den materiellen Jugendschutz in den Online-Medien und vereinheitlichen die Aufsichtsstruktur. Der Bund regelt den Jugendschutz bei den Offline-Medien, den so genannten Trägermedien (§ 1 Abs. 2 Jugendschutzgesetz, JuSchG), und außerhalb des Medienbereichs.2 Mit dem In-Kraft-Treten des JMStV am 1. April 2003 vereinheitlichten die Länder die Aufsichtsstrukturen, indem der private Rundfunk und die Telemedien (unter anderem das Internet) unter dem Aufsichtsdach der KJM zusammengefasst wurden. Außerdem wurde das System der „regulierten Selbstregulierung“ eingeführt. Einer der Eckpfeiler des Systems ist die Anerkennung von Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle gemäß § 19 Abs. 3 JMStV durch die KJM.3 Als erste Einrichtung dieser Art wurde 2003 die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF) von der KJM anerkannt.4 Weitere Institutionen, die der FSF in den nächsten Jahren folgten, waren die Freiwillige Selbst-

1

Die KJM ist für die Aufsicht über den privaten Rundfunk und Telemedien zuständig. Sie überprüft als Organ der Landesmedienanstalten die Einhaltung der Bestimmungen des Staatsvertrages über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (JMStV), weitere Informationen sind abrufbar unter: www.kjm-online.de (Stand: August 2013).

2

Vgl. amtliche Begründung zum Jugendschutzgesetz (JuSchG), abrufbar unter: http://www.kjmonline.de (Stand: August 2013), S. 2.

3

Weitere Informationen zu von der KJM anerkannten Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle sind abrufbar unter: http://www.kjm-online.de (Stand: August 2013).

4

Vgl. zur Arbeit der FSF unter: http://www.fsf.de (Stand: August 2013).

https://doi.org/10.5771/9783845251707-61 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

61

62 kontrolle Multimedia-Anbieter e.V. (FSM),5 die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK Online)6 und die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK Online).7 Neben dem JMStV bildete das Jugendschutzgesetz (JuSchG)8 des Bundes, das zeitgleich in Kraft trat, eine weitere Rechtsgrundlage für den deutschen Jugendschutz. Mit dem JuSchG wurden das Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit und das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte zu einem einheitlichen Gesetz zusammengeführt. Das Gesetz regelt insbesondere den Verkauf und die Abgabe von Tabak, Alkohol, Filmen, den Aufenthalt in Diskotheken und Gaststätten, vor allem aber auch die Verbreitung von Trägermedien.

II.

Änderungsbedarf 2011

Entsprechend der Vereinbarung zwischen Bund und Ländern9 wurde im Jahre 2007 das System erstmals wissenschaftlich evaluiert. Diese Evaluierung hatte zum Ziel, den Jugendmedienschutz zu verbessern und eine wirksame und praxisgerechte Aufsicht im Rahmen der „regulierten Selbstregulierung“ zu gewährleisten. In seinem Gutachten zur „Analyse des Jugendmedienschutzsystems“ bestätigte das Hans-Bredow-Institut für Medienforschung (HBI) im Oktober 2007 das neue System und bezeichnete die Aufsichtstätigkeit der KJM als erfolgreich, so dass kein grundsätzlicher Änderungsbedarf des JMStV bestand. Allerdings verwies das Institut auf die fortschreitende Medienkonvergenz, auf die der JMStV in seiner aktuellen Fassung noch nicht genügend zugeschnitten sei.10 Auf Basis des Gutachtens erarbeiteten die Rundfunkreferenten der Länder bis 2009 eine Staatsvertragsnovelle, die die Regelungen des JMStV ein Stück weit liberalisiert, aber die Grundsystematik des Jugendschutzes in Deutschland nicht in Frage gestellt hätte. Sie hätte weiter auf das bewährte Prinzip der „regulierten Selbstregulierung“ gesetzt, dabei aber der fortschreitenden Medienkonvergenz und Digitalisierung Rechnung getragen und im Wesentlichen die folgenden Neuerungen11 enthalten:

5

Vgl. zur Arbeit der FSM unter: http://www.fsm.de (Stand: August 2013).

6

Vgl. zur Arbeit der USK unter: http://www.usk.de (Stand: August 2013).

7

Vgl. zur Arbeit der FSK unter: http://www.fsk.de (Stand: August 2013).

8

Vgl. Jugendschutzgesetz (JuSchG) vom 23. Juli 2002, abrufbar unter: http://www.kjm-online.de (Stand: August 2013).

9

Vgl. amtl. Begründung zum JuSchG, S. 2.

10

Vgl. Hans-Bredow-Institut (Hrsg.): Analyse des Jugendmedienschutzsystems – Jugendschutzgesetz und Jugendmedienschutz-Staatsvertrag. Endbericht, Hamburg 2007, Kap. 6.3.

11

Eine ausführliche Übersicht und Bewertung der Änderungen sind enthalten in Braml/ Hopf, Der neue Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – Fort- oder Rückschritt für den Jugendmedienschutz?, ZUM 2010, 645 f.

62

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Beispielsweise wäre ein freiwilliges Kennzeichnungssystem etabliert worden, um die Jugendschutzprogramme zu befördern.12 Die Altersstufen (ab null Jahren, ab sechs Jahren, ab zwölf Jahren, ab 16 Jahren und ab 18 Jahren) hätten den im JuSchG normierten Altersstufen entsprochen. Anbieter hätten ihre Inhalte entsprechend dieser Altersstufen bewerten und kennzeichnen können. Als Grundvoraussetzung sah die gescheiterte Novelle unter anderem die Auslesbarkeit der freiwilligen Alterskennzeichnung mittels einer einheitlichen technischen Schnittstelle vor. Dadurch sollte gewährleistet werden, dass die Klassifizierung eines Angebotes auch von einem anerkannten Jugendschutzprogramm ausgelesen werden kann.

III. Das Scheitern der Novellierung Die Novelle sollte am 1. Januar 2011 in Kraft treten. Trotz der Betonung der Freiwilligkeit der Jugendschutzvorkehrungen im Internet wurden in der Öffentlichkeit, insbesondere aber auch durch die Netzgemeinde, Zensurvorwürfe laut, die nach der Anhörung eine sachliche Diskussion erschwerten. Beispielsweise äußerte der „Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur“ Zensurvorwürfe,13 die sich nach einer sachlichen Analyse des Entwurfs als haltlos erwiesen. Parallel dazu wurde der Entwurf in allen Parteien sehr kontrovers diskutiert. Die Novelle des JMStV, die im 14. Rundfunkänderungsstaatsvertrag ihre Umsetzung gefunden hätte, scheiterte schließlich im Dezember 2010 durch die Ablehnung im nordrhein-westfälischen Landtag. Somit gilt der JMStV aus dem Jahr 2003 uneingeschränkt weiter. Anbieter von Rundfunk- und Telemedieninhalten sind weiterhin verpflichtet, Verantwortung für ihre jugendschutzrelevanten Angebote zu übernehmen und entsprechende Schutzvorkehrungen zu treffen.

IV.

Konstruktive Herangehensweise auch ohne Novelle

Trotz des Scheiterns der Novellierung hat die KJM in den letzten beiden Jahren eine Reihe von Schritten unternommen, um den Jugendschutz zu befördern. 1.

Fachgespräche und Diskussionsveranstaltungen

Um sachliche Debatten und konstruktive Lösungsansätze anzustoßen, setzte die KJM ihren Austausch mit allen am Jugendschutzsystem Beteiligten unter der Prämisse fort, einen gemeinsamen Handlungsbedarf zu eruieren und in den Novellierungsprozess einzuspeisen. Auch im Rahmen von Veranstaltungen, insbesondere der Veranstaltungsreihe „kjm transparent“, wurden die Standpunkte referiert und über mögliche Hand-

12

Vgl. Begründung zum Vierzehnten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (14. RÄStV), abrufbar unter: http://www.rlp.de (Stand: August 2013), S. 2.

13

Vgl. bspw. die Stellungnahme zum JMStV des AK Zensur vom 10. Juni 2010, abrufbar unter: http://www.ak-zensur.de (Stand: August 2013).

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lungsoptionen diskutiert. Aber auch untergesetzliche Lösungen, wie beispielsweise das in der Novelle vorgesehene Übernahmeverfahren etwaiger Alterseinstufungen nach dem JMStV in das JuSchG, wurden erörtert. Zwischen den Beteiligten bestand Einigkeit, dass sich das System der „regulierten Selbstregulierung“ in Deutschland etabliert hat und gut funktioniert. 2.

Anerkennung von Jugendschutzprogrammen

Auch im Bereich der Umsetzung von technischen Schutzmaßnahmen sind die Akteure ohne eine Novellierung des JMStV bereits ein gutes Stück vorangekommen.14 So konnte die KJM im Februar 2012 auf Basis ihrer aktualisierten Kriterien für die Anerkennung eines Jugendschutzprogramms15 in einem ersten Schritt zwei Jugendschutzprogramme16 unter Auflagen anerkennen. Im Mai 2013 hat die KJM aufgrund des Gesetzeswortlauts des JMStV den Beschluss gefasst, die Anerkennung für die Altersstufe ab 18 Jahren eintreten zu lassen, obwohl eine Verbreitung der Jugendschutzprogramme noch nicht in einem zufriedenstellenden Maße gegeben ist. Im Rahmen der anstehenden Novellierung müssen daher die gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden, die für den Schutz der Kinder und Jugendlichen notwendig sind. 3.

Austausch mit Anbietern

Da die Thematik Social Media bedingt durch die zunehmende Bedeutung im Lebensalltag von Kindern und Jugendlichen17 auch für den Jugendschutz immer relevanter wird, hat die KJM Gespräche mit den „Global Playern“, wie den Unternehmen Google und Facebook, geführt. Facebook ist als ausländisches Unternehmen grundsätzlich nicht den Regelungen des JMStV unterworfen. Daher formulierte die KJM im Rahmen des Austausches einige praxisnahe Anregungen zur Verbesserung des Jugendschutzes, wie beispielsweise die Implementierung einer Schnittstelle zu den anerkannten Jugendschutzprogrammen mittels der Kennzeichnung von Angeboten nach dem Labeling-Standard age-de.xml, mit dem die Anbieter Altersstufen für ihre Internetangebote festlegen können. Mit Google wurden Jugendschutzmaßnahmen erörtert, die die ungefährdete Nutzung der Suchmaschine für Kinder und Jugendliche möglich machen. Beide Unterneh14

Jugendschutzprogramme wurden als spezielles Jugendschutzinstrument bei entwicklungsbeeinträchtigenden Angeboten in Telemedien im JMStV eingeführt. Sie können vom Anbieter entweder programmiert oder vorgeschaltet werden und müssen einen nach Altersstufen differenzierten Zugang zum Internet ermöglichen. Jugendschutzprogramme sind neben technischen Mitteln und Zeitgrenzen eine von drei Varianten, die Inhalteanbieter als Jugendschutzmaßnahme bei der Verbreitung von entwicklungsbeeinträchtigenden Angeboten im Internet einsetzen können. Die Aufgabe der Anerkennung von Jugendschutzprogrammen liegt bei der KJM. Nähere Informationen dazu sind abrufbar unter: http://www.kjm-online.de (Stand: August 2013).

15

Das aktuelle Kriterienraster der KJM ist abrufbar unter: http://www.kjm-online.de (Stand: August 2013).

16

Es handelt sich um die Jugendschutzprogramme von JusProg e.V. und der Deutschen Telekom AG.

17

Vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.): JIM Jugend, Information, (Multi-) Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland (JIM-Studie), Stuttgart 2012, Kap. 11.

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men zeigten sich den Argumenten der KJM gegenüber sehr aufgeschlossen und es bestand Einigkeit dahingehend, im Sinne des Wohles von Kindern und Jugendlichen den Dialog auch in Zukunft fortzusetzen. 4.

Kooperationen mit Partnern

Die KJM hat den durch die Debatten über die Novellierung des JMStV angestoßenen Prozess zum Anlass genommen, sich im Dialog mit allen Beteiligten an einigen Punkten für Verbesserungen einzusetzen. So unterstützt die KJM beispielsweise die Initiative „Sicher online gehen“ von Bund, Ländern und der Wirtschaft.18 Außerdem beteiligt sie sich am „Zentrum für Kinderschutz im Internet“ (I-KiZ), einer Initiative des Bundes, die die Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder ins Leben gerufen hatte.19 Ein weiterer wichtiger Baustein war die Beteiligung am Projektbeirat der Studie des Fraunhofer-Instituts für Intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS) zum technischen Jugendmedienschutz.20 Hier hat die KJM ihre Expertise als für die Anerkennung von Jugendschutzprogrammen zuständige Stelle eingebracht. Die Studie wurde aus Mitteln des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien finanziert.

V.

Herausforderungen des Jugendschutzes

Im Zeitalter der Medienkonvergenz, in dem Fernsehen und Internet immer stärker zusammenwachsen, kommen viele neue Herausforderungen auf den Jugendschutz zu. Die rasante Entwicklung im Online-Bereich ist durch neue Plattformen (Stichwort: soziale Netzwerke), die Dominanz des Marktes durch global agierende Branchenriesen wie Google und Facebook, sowie durch ein verändertes Nutzungsverhalten der Kinder und Jugendlichen geprägt. Mobile Mediennutzung ermöglicht den zeit- und ortsunabhängigen Zugriff auf das Internet, wobei das Alter der Nutzer kontinuierlich sinkt. Ein zeitgemäßer Jugendschutz muss darauf reagieren. Deshalb sind folgende Überlegungen aus der Sicht der KJM wichtig für die im Herbst anstehende Novellierung des JMStV:

18

Mit der Initiative „sicher online gehen“ setzen sich Bund, Länder und Wirtschaft für einen besseren Schutz von Kindern im Internet ein. Eltern sollen für Risiken im Netz sensibilisiert und bei der Medienerziehung ihrer Kinder unterstützt werden. Alle Partner leisten ihren Beitrag, um einen sicheren Surfraum zu entwickeln und die Wirksamkeit anerkannter Jugendschutzprogramme zu fördern. Nähere Informationen sind abrufbar unter: http://www.sicher-online-gehen.de/ (Stand: August 2013).

19

Mit dem I-KiZ – Zentrum für Kinderschutz im Internet – wird ein kinder- und jugendpolitisches Forum auf Bundesebene geschaffen, das den Jugendschutz im Internet angesichts der Herausforderungen des Web 2.0 in den Mittelpunkt rückt und hierzu ein dauerhaftes und starkes Bündnis staatlicher Stellen mit zivilgesellschaftlichen Partnern, Unternehmen und Verbänden schafft. Nähere Informationen sind abrufbar unter: http://dialog-internet.de/web/initiativen_internet-kinderschutzzentrum (Stand: August 2013).

20

Vgl. Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS (Hrsg.): Studie zum technischen Jugendmedienschutz. Möglichkeiten und Grenzen von Verfahren zur Detektion jugendschutzrelevanter Inhalte, St. Augustin 2013, abrufbar unter: http://www.iais.fraunhofer.de (Stand: August 2013).

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66

1.

Jugendschutzprogramme befördern

In Abkehr von einer anbieterseitigen Zugangshürde, die den Zugang zu dem speziellen Angebot des Anbieters erschweren soll, berücksichtigt das Jugendschutzprogramm das gesamte Internet, also auch ausländische Seiten. Jugendschutzprogramme basieren in der Regel auf Filtersystemen, die über Listen, wie beispielsweise das BPjM-Modul oder die Positivliste von fragFINN.de sowie über Klassifizierungsverfahren problematische Inhalte abhängig von der jeweiligen Altersstufe blockieren oder zulassen. Die in der gescheiterten Novelle geplante freiwillige Alterskennzeichnung von Telemedieninhalten mit den Stufen ab null, sechs, zwölf, 16 und 18 Jahren scheint unter Anbietern nur wenig Akzeptanz zu finden. Eine Unterscheidung in Kinder, Heranwachsende und Erwachsene mit den Altersstufen ab 14 und ab 18 Jahren wäre für die Bewertung von Telemedien sicherlich einfacher umzusetzen. Um den Jugendschutz durch Jugendschutzprogramme jedoch tatsächlich voranzutreiben, muss zum einen die Kompetenz und der Wille der Eltern vorhanden sein – hier ist noch viel Aufklärungsarbeit gefragt – und zum anderen darf die Weiterentwicklung der Jugendschutzprogramme auch nach Anerkennung der KJM nicht stillstehen. Nur durch das Zusammenwirken aller Akteure kann die Schutzoption auch in der Praxis die volle Wirksamkeit entfalten. Außerdem sollte eine dauerhafte Finanzierung der Jugendschutzprogramme in der anstehenden Novelle Berücksichtigung finden. Ohne eine kontinuierliche Anpassung an den Stand der Technik, eine Verbesserung der Filterquoten in allen Bereichen sowie die stetige Weiterentwicklung der Benutzerfreundlichkeit wird die Verbreitung der Schutzoption bei den Eltern nicht befördert werden. 2.

Medienkonvergenz

Im Zeitalter eines kontinuierlichen Technologiewandels (als Beispiel sei hier Smart-TV bzw. Connected-TV, also Fernsehen und Internet auf einem Bildschirm genannt) sind die teilweise unterschiedlichen Vorgaben für die Jugendschutzregulierung als problematisch zu bewerten. So sind die Anforderungen an den Jugendschutz im digitalen Fernsehen höher als im Internet.21 Eine Angleichung der Regelungen wäre sinnvoll unter der Maßgabe, dass die Jugendschutzanforderungen an den digitalen Rundfunk nicht abgesenkt werden. Vermehrt werden Portale in TV-Endgeräte integriert, über die Hersteller den Gerätenutzern mittels sog. TV-Applikationen den Zugriff auf vielfältige TV-Inhalte gewähren.22 Die Inhalte können über den Internetzugang des Verbrauchers oder auch unmittelbar über den TV-Kabelanschluss im Haushalt übertragen werden. Dies hat zur Folge, dass auf einem Bildschirm unterschiedliche oder auch gleiche Inhalte abgerufen

21

Ein entwicklungsbeeinträchtigendes Angebot für unter 18-Jährige kann gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 JMStV sowie § 5 Abs. 2 der Satzung zur Gewährleistung des Jugendschutzes in digital verbreiteten privaten Fernsehangeboten (JSS) im digitalen Fernsehen nur mit Vorsperre zwischen 20 Uhr und 6 Uhr ausgestrahlt werden. Im Internet hingegen können rund um die Uhr entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte abgerufen werden, wenn der Anbieter ein technisches Mittel vorschaltet (§ 5 Abs. 3 Satz 1 JMStV).

22

Darunter fallen beispielsweise Video-on-Demand-Inhalte wie die Mediatheken von Rundfunkveranstaltern, aber auch lineare TV-Angebote wie Live-Streaming, Web-Casting oder zeitversetzte Videoabrufe von Sendungen (Near-Video-on-Demand).

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werden können, die – je nach Ausgestaltung des Angebotes als Rundfunk oder Telemedium – ungleich reguliert werden. Auf diese neue technische Entwicklung sind die Regelungen des JMStV bislang nur zum Teil zugeschnitten. Mit Blick auf die Zunahme der mobilen Mediennutzung gibt es noch eine weitere Herausforderung für den Jugendschutz. Immer mehr Heranwachsende nutzen auf ihren Smartphones oder Tablets Applikationen, kurz Apps, die jugendschutzrelevante Inhalte enthalten können. Die Frage, wie die Aufsicht mit der Flut von neuen Technologien umzugehen hat, muss noch beantwortet werden. Auch dafür sollten Standards entwickelt werden, auf die man sich mit den Anbietern verständigt. 3.

Gleiche Jugendschutzmaßstäbe im dualen Rundfunksystem

Die zunehmende Medienkonvergenz war bereits vor zehn Jahren der Grund für die Etablierung eines gemeinsamen Aufsichtsdaches für den Jugendschutz im privaten Rundfunk und im Internet. Dass die Medienpolitik zwar diese gemeinsame Aufsicht realisiert hat, der öffentlich-rechtliche Rundfunk aber nicht einbezogen ist, wirkt vor diesem Hintergrund nicht mehr zeitgemäß. Obwohl der JMStV gleichermaßen für beide Säulen des dualen Rundfunkystems gilt, herrscht bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Sachen Jugendschutz zuweilen eine andere Rechtsauffassung. Verschiedene Beispiele aus der Prüfpraxis der KJM belegen diese unterschiedliche Bewertung und Behandlung von Sendungen.23 4.

Medienkompetenz

Angesichts der Omnipräsenz der Medien haben es Eltern heute deutlich schwerer, ihre Kinder vor ungeeigneten Inhalten zu schützen. Die Eigenverantwortung auch der Eltern zu stärken, ist ein richtiger Schritt, der jedoch eher im Sinne von Hilfen für die Medienerziehung verstanden werden sollte. Die Anbieter sollten die Verantwortung dafür nicht allein den Eltern übertragen. In diesem Sinne tragen gesetzliche Vorgaben dazu bei, eine Wertediskussion zu führen und an alle Beteiligten zu appellieren, Verantwortung zu übernehmen. Der Jugendschutz kann das Verantwortungsbewusstsein der Medienmacher schärfen, indem er gegen Rechtsverstöße vorgeht. Immer wichtiger wird deshalb das Zusammenspiel von Jugendschutz und Medienkompetenz mit dem Ziel, Grenzen zu setzen und Verantwortung wahrzunehmen. Erst wenn die Bausteine Jugendschutz, Anbieterverantwortung und Erziehungsverantwortung als Ensemble funktionieren, wird die notwendige Medienmündigkeit im Nutzungsverhalten von Kindern und Jugendlichen erreicht.

23

Vgl. hierzu Kommission für Jugendmedienschutz (Hrsg.): Fünfter Bericht der Kommission für Jugendmedienschutz über die Durchführung der Bestimmungen des Staatsvertrages über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (JMStV) gem. § 17 Abs. 3 JMStV (Berichtszeitraum: März 2011 bis Februar 2013), München 2013, S. 29–30.

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5.

Internationale Jugendschutzstandards

Ein zeitgemäßer Jugendschutz für das Internet muss mit der Entwicklung des Mediums Schritt halten. Diese Entwicklung ist in den letzten Jahren durch folgende Faktoren geprägt worden: den Bedeutungsverlust klassischer und deutscher Internetangebote, die rasante Entwicklung neuer Plattformen und Angebote sowie die veränderte Nutzung durch Kinder und Jugendliche. Die Zahl und Nutzung klassischer Websites stagnieren, während das Web 2.0 (Stichwort: soziale Netzwerke) und mobile Plattformen hohe Wachstumsraten verzeichnen.24 Derzeit findet ein Konzentrationsprozess auf wenige global agierende Unternehmen wie Google, Facebook und Amazon statt, wobei die Internetanbieter zunehmend aus dem Ausland kommen. Auch bei der Zahl der festgestellten Jugendschutzverstöße ist eine Zunahme im Web 2.0 und bei ausländischen Angeboten festzustellen.25 Hinsichtlich der Nutzungszeit hat Facebook mit einem Zuwachs von knapp 70 Prozent in den letzten Jahren allen anderen Webanbietern den Rang abgelaufen.26 Noch dazu verstärkt das Wachstum internetfähiger mobiler Geräte wie Smartphones, Tablets oder Spielekonsolen die Distribution jugendschutzrelevanter Inhalte über das Internet. Diese Entwicklungen verdeutlichen, dass internationale Jugendschutzstandards wichtiger denn je sind, um das Internet gerade für die immer jünger werdenden Nutzer sicher zu gestalten. Der bereits initiierte kontinuierliche Austausch mit den „Global Playern“ ist der erste Schritt. Selbstverpflichtungen großer internationaler Medienunternehmen könnten der zweite Schritt sein. Als wegweisend sind hier beispielsweise Selbstregulierungsinitiativen wie die von der EU-Kommission angestoßene „Coalition to Make Internet a Better Place for Children“ zu nennen, die aufbauend auf bereits durchgeführte Initiativen unter Einbindung von führenden Vertretern aus Wirtschaft, Politik, Nichtregierungsorganisationen und vielen weiteren Partnern eine europaweite Übereinkunft aller Beteiligten erzielen möchte, das Internet zu einem besseren, geschützteren Raum für Kinder zu machen.27

VI.

Fazit

Die KJM hat den Novellierungsprozess in den zurückliegenden zwei Jahren intensiv begleitet und das Scheitern der Novelle als Chance genutzt, das erfolgreiche System der „regulierten Selbstregulierung“ weiter zu stärken. Es bleibt nun abzuwarten, wie die Novelle des JMStV mit den neuen Herausforderungen umgeht. Schließlich stammt der JMStV aus Zeiten, in denen es Facebook noch nicht gab, als das englische Wort „Twitter“ noch Vogelgezwitscher bezeichnete und man unter einer „Cloud“ noch eine Wolke am Himmel verstand. Wie auch immer die Gesetzesnovelle ausgestaltet sein wird, soll mit ihr nach den ersten zehn erfolgreichen Jahren mit dem JMStV im Herbst das nächste Zeitalter des Jugendmedienschutzes in Deutschland eingeläutet werden.

24

Vgl. JIM-Studie, Kap. 10.

25

Vgl. Fünfter Bericht der KJM, S. 43-44.

26

Vgl. JIM-Studie, Kap. 11.1, S. 41.

27

Weitere Informationen sind abrufbar unter: http://www.klicksafe.de (Stand: August 2013).

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Die Vorlage von Rundfunksendungen bei Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle Klaus Beucher

I.

Einleitung

Prof. Wolfgang Thaenert hat als langjähriges (stellvertretendes) Mitglied der Kommission für Jugendmedienschutz, als Direktor der Landesmedienanstalt, die eine der wenigen Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle anerkannt hat und als aufsichtsführender Direktor über Rundfunksender, die wegen ihrer programmlichen Ausrichtung immer wieder zu interessanten jugendschutzrechtlichen Diskussionen Anlass geben, wahrlich genügend Berührungspunkte mit dem Jugendmedienschutz, die einen Beitrag zu seiner Festschrift mit einem jugendschutzrechtlichen Thema rechtfertigen. Einer der Meilensteine in der Entwicklung des deutschen Jugendmedienschutzes war ohne Zweifel die Abkehr von einem rein staatlichen Aufsichtsregime hin zu einem System der Regulierten Selbstregulierung oder Co-Regulierung.1 Die Kontrolle durch nichtstaatliche Einrichtungen setzt die Vorlage von Programmen bei diesen Einrichtungen voraus. Fragen der Vorlagepflicht und Vorlagefähigkeit von Sendungen und die Wirkung von Entscheidungen der Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle im Bereich des Rundfunks sind Gegenstand dieses Beitrags.

II. 1.

Grundlagen Bedeutung der Regulierten Selbstregulierung im Jugendmedienschutz2

Bei der Regulierten Selbstregulierung handelt es sich um ein Aufsichtsregime, bei dem der Staat seine Aufsichtsverantwortung teilweise in private Hände legt, ohne sich seiner

1

Zu den Grundlagen der Co-Regulierung Hans-Bredow-Institut/Institut für Europäisches Medienrecht, Endbericht Studie über Co-Regulierungsmaßnahmen im Medienbereich, Juni 2006, abrufbar unter http://ec.europa.eu/avpolicy/docs/library/studies/coregul/final_rep_de.pdf, S. 13 ff.; Schulz/ Held, Together they are strong? – Co-Regulatory Approaches for the Protection of Minors within the European Union. In: von Feilitzen/Carlsson (eds.), In the Service of Young People? Yearbook 2005/2006 of the UNESCO International Clearinghouse on Children, Youth and Media, Göteborg 2006; Groß, Selbstregulierung im medienrechtlichen Jugendschutz am Beispiel der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen, NVwZ 2004, 1393 (1395); Palzer, Co-Regulierung als Steuerungsform für den Jugendschutz in den audiovisuellen Medien – eine europäische Perspektive, ZUM 2002, 875.

2

Der vorliegende Beitrag behandelt allein die Regulierte Selbstregulierung im (Fernseh-)Rundfunk. Regulierte Selbstregulierung in anderen Medien, insb. Telemedien nach § 19 Abs. 1 Alt. 2, § 20 Abs. 5 JMStV bleiben außer Betracht.

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70 Letztverantwortung zu begeben.3 Das Nebeneinander von staatlicher Aufsicht durch die Landesmedienanstalten bzw. der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) und den Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle (EFS) ist aus mehreren Gründen besonders geeignet, den Jugendschutz im Rundfunk zu gewährleisten. Zum einen ermöglicht sie einen Ausgleich zwischen der Verfassungsaufgabe Jugendschutz4 und den verfassungsrechtlich geschützten Interessen der Rundfunkveranstalter, insbesondere der Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Die Rundfunkveranstalter werden im Rahmen der Regulierten Selbstkontrolle unmittelbar in die Regulierung ihrer Inhalte einbezogen, was einerseits dazu dient, ihre Programmfreiheit5 zu verwirklichen und andererseits eine staatsferne Aufsicht zu gewährleisten.6 Außerdem eröffnet die Einschaltung von EFS eine Kontrolle von Sendungen bereits vor deren Ausstrahlung, was besonders geeignet ist, den Jugendschutz zu fördern. Wegen des Verbots der Zensur in Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG, das als Verbot der Vorzensur zu verstehen ist,7 kann eine staatliche Stelle wie die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) stets nur bereits ausgestrahlte Sendungen beanstanden und gegebenenfalls mit aufsichtsrechtlichen Sanktionen ahnden. Die Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle (EFS) ermöglichen hingegen eine (grundsätzlich) verbindliche Bewertung und Beanstandung der Sendungen bereits vor deren Ausstrahlung. Mit der Einschaltung einer nichtstaatlichen Prüfungsinstanz geht schließlich eine Entlastung staatlicher Aufsichtsstellen einher.8 2.

Organisation der Regulierten Selbstregulierung

Im Grundsatz erfolgt die Aufsicht über die privaten Rundfunkveranstalter durch die Landesmedienanstalten.9 Diese bedienen sich zur Erfüllung ihrer Aufgabe im Bereich des Jugendmedienschutzes der KJM, die im jeweiligen Einzelfall als Organ der zuständigen Landesmedienanstalt fungiert (§ 14 Abs. 2 S. 1 und 2 JMStV). Die Landesmedienanstalten wiederum haben die Entscheidungen der KJM umzusetzen (§ 35 Abs. 9 S. 6 i.V.m. Abs. 2 Nr. 4 RStV).

3

Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, 53. Aktualisierung, April 2012, § 19 Rn. 1; Schulz/Held, a.a.O., S. 51 f.; Groß, NVwZ 2004, 1393.

4

Der Jugendschutz ist grundrechtlich in den Art. 6 Abs. 2 S. 1 und 2; Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie in der ausdrücklichen Schranke zum Schutz der Jugend in Art. 5 Abs. 2 GG verankert, vgl. Cole, Der Dualismus von Selbstkontrolle und Aufsicht im Jugendmedienschutz, ZUM 2005, 462 (463); ders., Zum Beurteilungsspielraum der KJM bei der Bewertung von Jugendschutzfragen, ZUM 2010, 929; Groß, NVwZ 2004, 1393 (1397); Stettner, Der neue JugendmedienschutzStaatsvertrag – eine Problemsicht, ZUM 2003, 425 (427).

5

Die Programmfreiheit ist wesentlicher Bestandteil der Rundfunkfreiheit (BVerfGE 59, 231 (259); 87, 181 201); 90, 60 (87).

6

Vgl. BVerfGE 83, 130 (150); Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, 53. Aktualisierung, April 2012, § 19 Rn. 1, 17. Aktualisierung September 2003, § 20 Rn. 5.

7

BVerfGE 33, 52 (71); 47, 198 (236); 73, 118 (166); 83, 130 (155); 87, 209 (230).

8

Cole, ZUM 2005, 462 (464) m.w.N.

9

Siehe für die Aufsicht im allgemeinen § 36 Abs. 1 RStV und für Jugendmedienschutz im speziellen § 14 Abs. 1 JMStV.

70

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71

Gleichwohl steht für den Rundfunkanbieter, der einer EFS angeschlossen ist, die jeweilige Selbstkontrolleinrichtung im Mittelpunkt. Ihr überträgt der Gesetzgeber in § 19 Abs. 2 JMStV die Aufgabe, die Einhaltung der Bestimmungen des JMStV bei den ihr angeschlossenen Anbietern zu überprüfen. Ihr können die Veranstalter Programme, bei denen Unsicherheiten hinsichtlich der zulässigen Sendezeit bestehen, vorlegen. Die Einschaltung der EFS begrenzt die Möglichkeiten der KJM, eigene Maßnahmen zu ergreifen.10 Zudem muss die KJM unter bestimmten Umständen zunächst die EFS mit einem möglichen Verstoß befassen, bevor sie eigene Maßnahmen ergreifen kann (§ 20 Abs. 3 S. 2 JMStV). Von dem Anschluss an eine EFS profitieren die Rundfunkanbieter jedoch nur, wenn es sich um eine auf Beschluss der KJM und mit Verwaltungsakt der zuständigen Landesmedienanstalt anerkannte Einrichtung handelt (§ 19 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 JMStV).11 Die erste und bislang einzige anerkannte EFS im (Fernseh-)Rundfunk ist die „Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V.“ (FSF). Die Programmprüfungen der FSF werden in der Regel von Prüfausschüssen durchgeführt (§ 5 Prüfordnung FSF),12 die mit sachkundigen Prüfern unter Berücksichtigung gesellschaftlicher Gruppen besetzt sind (§ 6 Abs. 1 S. 2 Prüfordnung FSF).13 Gegen diese Prüfentscheidungen kann der Berufungsausschuss (§ 19 Prüfordnung FSF) angerufen werden.14 Entscheidungen des Berufungsausschusses können wiederum durch das Kuratorium, das ebenfalls pluralistisch besetzt sein soll (§ 25 Abs. 2 Satzung FSF), geprüft werden, wenn dies der Weiterbildung der Prüfkriterien dient oder zur Sicherung einer einheitlichen Spruchpraxis der FSF erforderlich ist und das Kuratorium die Nachprüfung zulässt (§ 25 Abs. 1 S. 1 und 2 Prüfordnung FSF). Das Nebeneinander von Landesmedienanstalten/KJM und EFS wirft die Frage nach dem Verhältnis der beiden Aufsichtseinrichtungen auf. Nach § 14 Abs. 1 JMStV „überprüft [die zuständige Landesmedienanstalt] die Einhaltung der […] Bestimmungen nach diesem Staatsvertrag“. Die EFS „überprüfen im Rahmen ihres satzungsgemäßen Auftrages die Einhaltung der Bestimmungen dieses Staatsvertrags […]“ (§19 Abs. 2 JMStV). Die Zuständigkeitsregelungen sind damit fast wortgleich und es hat den Anschein, als ob beide Einrichtungen in gleicher Weise für die Überwachung der Veranstalter zuständig sein sollen.

10

Hierzu sowie zur Präklusionswirkung von Entscheidungen der EFS siehe unter D.1.

11

Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, 17. Aktualisierung, September 2003, § 19 Rn. 11 ff.; Kreile/Diesbach, Der neue Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – was ändert sich für den Rundfunk?, ZUM 2002, 849 (854).

12

Ausnahmsweise kann die Prüfung auch einem Einzelprüfer oder einem juristischen Sachverständigen als Einzelprüfer zugewiesen sein (§§ 14, 15 Prüfordnung FSF).

13

Vgl. § 19 Abs. 3 Nr. 1 JMStV.

14

Gegen Entscheidungen juristischer Sachverständiger kann der Juristenausschuss angerufen werden (§ 24 Abs. 1 Prüfordnung FSF).

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71

72

Nach den Detailregelungen des JMStV stellt sich das Verhältnis der beiden Einrichtungen indes differenzierter dar. •

Die Vorlage einer Sendung bei der EFS führt zu der bereits beschriebenen Teilpräklusion einer Entscheidung durch die KJM.15



Nur wenn der Veranstalter eine vorlagefähige Sendung nicht vor der Ausstrahlung der EFS vorlegt, erfolgt die jugendschutzrechtliche Bewertung des Programms durch die KJM.16



Bei nichtvorlagefähigen Sendungen muss die KJM, bevor sie eigene Maßnahmen ergreifen kann, die EFS mit dem potenziellen Verstoß befassen. Es muss der EFS auch bei der nachträglichen Prüfung nichtvorlagefähiger Sendungen zunächst die Möglichkeit gegeben werden, selbst eine Entscheidung zu treffen.17 Entscheidet die EFS hier innerhalb der gesetzlichen Grenzen ihres Beurteilungsspielraums, besteht auch insoweit ein Verfahrenshindernis für weitergehende Maßnahmen der KJM.

Hieraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber die EFS bei der Aufsicht über die Einhaltung der Regelungen des JMStV in der Vorhand sieht. Die staatliche Kontrolle ist gegenüber der Selbstkontrolle subsidiär.18 Das Verwaltungsgericht Berlin hat dieses Verhältnis zutreffend dahingehend charakterisiert, „dass nach § 20 JMStV die KJM durch die zuständige Landesmedienanstalt zwar die originäre Kompetenz besitzt, aber wegen § 20 Abs. 3 JMStV nicht die primäre Prüfungskompetenz.“19 Dies gilt freilich nur, sofern die Veranstalter die EFS mit den jeweiligen Programmen vorab befassen oder sie nur deswegen nicht damit befassen kann, weil die Sendung nicht vorlagefähig ist. Nur wenn der Veranstalter nicht vorlegt, obwohl er hätte vorlegen können oder sich die ESF bei ihrer Entscheidung außerhalb der rechtlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums bewegt, darf die KJM aufsichtsrechtlich einschreiten. Damit wird deutlich, dass eine im Regelungskontext ganz entscheidende Frage diejenige nach der Vorlage und der Vorlagefähigkeit von Programmen ist. Dieser Aspekt soll daher im Folgenden vertieft werden.

15

Siehe im Einzelnen unter D.

16

Amtl. Begründung zu § 20 Abs. 3, abgedruckt in Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag,30. Aktualisierung, Mai 2007, § 20 S. 3.

17

Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, 17. Aktualisierung, September 2003, § 20 Rn. 23.

18

Hans-Bredow-Institut, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, 2007, S. 130, abrufbar unter: http://www.hans-bredow-institut.de/webfm_send/104.

19

VG Berlin, Urteil vom 9. November 2011 – 27 A 64.07 – ZUM 2012, 417, 428.

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III. Vorlage von Programmen 1.

Vorlagepflicht der Veranstalter

a)

Keine Vorlagepflicht nach dem JMStV

Eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung der Veranstalter zur Vorlage von Programmen bei einer EFS besteht nicht. Zwar setzt die Anerkennung einer EFS voraus, dass sie sich eine Verfahrensordnung gibt, die eine Vorlagepflicht vorsieht, wenn die EFS von Rundfunkveranstaltern getragen wird (§ 19 Abs. 3 Nr. 4 JMStV). Die Vorlagepflicht selbst wird jedoch nicht gesetzlich statuiert. Die Verpflichtung der von Veranstaltern getragenen EFS auf eine Vorlagepflicht ist rechtspolitisch nicht schlüssig. Die Einschaltung der EFS soll dem Veranstalter nach häufig zu findender Auffassung das „Privileg“20 verschaffen, von weiteren Maßnahmen der KJM verschont zu bleiben, so lange sich die EFS mit ihrer Entscheidung in den rechtlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums bewegt. Von einer „Schutzschildwirkung“ ist bisweilen die Rede.21 Vor diesem Hintergrund ist es nicht recht einsichtig, warum der Veranstalter zur Nutzung dieses Privilegs gezwungen werden müsste. Die Regelung wirft zudem verfassungsrechtliche Bedenken auf: Zwar ist allgemein anerkannt, dass es sich bei den Maßnahmen der Selbstkontrolle nicht um hoheitliche Maßnahmen, sondern um vereinsrechtliche22 Entscheidungen handelt und die Vorabkontrolle durch EFS damit nicht per se unter das Zensurverbot des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG fällt.23 Wird die Verpflichtung zu einer Vorabkontrolle durch eine privatrechtlich organisierte Einrichtung jedoch gesetzlich angeordnet, rückt eine solche Regelung gefährlich in die Nähe der Zensur. Die Reichweite des Zensurverbots ist umstritten.24 Nach zutreffender Ansicht erfasst das Zensurverbot jedoch nicht nur die unmittelbare staatliche Vorzensur (formeller Zensurbegriff), sondern auch die mittelbare Zensur, bei der sich der Staat Privater als Zensurinstrument bedient und dabei „zensurgleiches Handeln privater Akteure staatlich fördert oder gar entsprechende Rechtspflichten vorsieht.“25 Die Regelung in § 19 Abs. 3 Nr. 4 JMStV ist daher verfassungskonform dahin auszulegen, dass jedenfalls eine Pflicht zur Vorlage von Sendungen vor Ausstrahlung nicht Voraussetzung für eine Anerkennung einer Einrichtung als EFS sein darf. Aller20

Schulz/Held, in: Hahn/Vesting, Rundfunkrecht, 3. Aufl., 2012, § 20 JMStV Rn. 9. Hierzu näher unter D. 2.

21

Schulz/Held, in: Hahn/Vesting, Rundfunkrecht, 3. Aufl., 2012, § 20 JMStV Rn. 19, 30.

22

Ulrich, Die Bewertung von Rundfunkprogrammen durch Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle und ihre Folgen, ZUM 2005, 452 (456 f.).

23

Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, 17. Aktualisierung, September 2003, § 19 Rn. 2; Stettner, ZUM 2003, 425 (435).

24

Siehe zum Meinungsstand Hoffmann-Riem, in: AK-Grundgesetz, 3. Aufl. 2001, § 5 Abs. 1, 2 Rn. 90 ff.

25

Hoffmann-Riem, in: AK-Grundgesetz, 3. Aufl. 2001, § 5 Abs. 1, 2 Rn. 94.

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dings ist die Vorabvorlage ein wichtiger Baustein, an dem sich die Wirksamkeit des Systems der Regulierten Selbstkontrolle fest macht. Unterbliebe die Vorabkontrolle in einem Ausmaß, das die mit der Einführung des Systems verfolgte Intention konterkarierte, würde sich dies vermutlich bei der Evaluierung der gesetzlichen Regelungen negativ auswirken. b)

Vereinsrechtliche Regelung der FSF

Die Prüfordnung der FSF sieht in § 1 vor, dass ihre Mitglieder „alle Programme, die im Hinblick auf die geplante Sendezeit oder in sonstiger Weise unter den Gesichtspunkten des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages […] nicht offensichtlich unbedenklich sind, der FSF vor der Verbreitung vorzulegen haben […].“26 Zudem müssen alle von den FSF-Mitgliedern oder in ihrem Auftrag produzierten Spielfilme und TV-Movies vor Verbreitung vorgelegt werden (vgl. § 1 Abs. 1 der Vorlagesatzung der FSF). c)

Weitere Vorlagesachverhalte

Der JMStV sieht vor, dass die KJM im Anschluss an die Ausstrahlung einer nicht vorlagefähigen Sendung27 die EFS mit der Sendung zu „befassen“ hat, bevor sie selbst aufsichtsrechtlich tätig werden kann (§ 20 Abs. 3 S. 2 JMStV). Die Rechtsfolge dieses nachträglichen Befassens entspricht der Vorlage von vorlagefähigen Sendungen durch den Veranstalter vor Ausstrahlung. Zudem sind nach § 2 der FSF-Prüfordnung auch die stimmberechtigten Mitglieder des Kuratoriums der FSF antragsberechtigt.28 Außerdem müssen die Verfahrensordnungen der Einrichtung vorsehen, dass die landesrechtlich bestimmten Träger der Jugendhilfe eine Überprüfung von Entscheidungen der FSF verlangen können müssen (§ 19 Abs. 3 Nr. 4 JMStV).29 2.

Vorlagefähigkeit von Sendungen

Die Vorlage von Sendungen setzt ihre Vorlagefähigkeit voraus. Der Begriff der Vorlagefähigkeit findet sich in § 20 Abs. 3 Satz 2 JMStV, ohne dort näher definiert zu sein. Es stellt sich einerseits die Frage, ob alle Angebote, die rechtzeitig für eine Prüfung zur Verfügung stehen, als vorlagefähig zu gelten haben. Andererseits wird diskutiert, ob unter bestimmten Umständen auch Programme, die nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen, unter bestimmten Umständen als vorlagefähig gelten mit der Folge, dass sie, wenn sie nicht vorgelegt werden, der nachträglichen Prüfung durch die EFS nicht mehr zugänglich sind.

26

§ 1 Abs. 2 der Vorlagesatzung der FSF präzisiert, welche Sendungen offensichtlich unbedenklich sind.

27

Hierzu sogleich unter C. 2.

28

Das Kuratorium ist Organ der FSF. Es berät zum einen den Vorstand und entwickelt die Kriterien für die Programmprüfung (§ 12 der FSF-Satzung). Zum anderen ist es eine Art Revisionsinstanz, die unter bestimmten Umständen gegen Entscheidungen der Berufungsinstanz angerufen werden kann (§ 25 FSF-Prüfordnung); s. hierzu auch oben unter B. 2.

29

Dies ist umgesetzt in § 19 der FSF-Prüfordnung.

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a)

Fiktionale und nicht-fiktionale Serien

Obwohl nach dem Wortsinn eindeutig vorlagefähig, müssen bei Serien und auch bei nicht-fiktionalen Produktionen nicht sämtliche Folgen vorgelegt werden, sofern die Inhalte sich unter dem Gesichtspunkt des Jugendschutzes auf einem gleichen Niveau bewegen.30 Nach Sinn und Zweck der Regelung ist es ausreichend, wenn bei solchen Programmformaten lediglich einige für das Format typische Folgen eingereicht werden und die hierauf basierende Einschätzung der FSF Maßstab für die Bewertung weiterer Folgen durch den Jugendschutzbeauftragten ist. Nach §§ 4, 6 der Vorlagesatzung der FSF reicht insoweit die Vorlage von drei typischen Folgen aus. Ändern sich die Inhalte der Serie in einer Weise, dass die bisher vorgelegten Folgen nicht mehr repräsentativ für das Format sind, sind die neueren Folgen wieder als vorlagefähig anzusehen. Nach der Rechtsprechung ebenfalls nicht ausreichend soll die Vorlage einzelner Folgen sein, ohne dass die Serie insgesamt der FSF mit dem Ziel einer Gesamteinschätzung unter Jugendschutzaspekten vorgelegt wird.31 Diese Einschränkung erscheint indes als nicht besonders lebensnah, denn natürlich geht jedenfalls die FSF bei der Vorlage mehrerer Folgen einer Serie stets davon aus, dass der Veranstalter eine Bewertung der gesamten Serie beabsichtigt. b)

Live- und Nachrichtensendungen

Nach unbestrittener Auffassung nicht vorlagefähig sind Live- und Nachrichtensendungen.32 Sie können bereits per definitionem nicht vor Ausstrahlung vorgelegt werden, weil sie der Natur der Sache nach zum einen gar nicht oder jedenfalls nicht mit hinreichendem Vorlauf vor der Ausstrahlung produziert werden können und ebenfalls der Natur der Sache nach aktuell ausgestrahlt werden müssen, weil sie – im Fall von Nachrichtensendungen – ansonsten ihren Nachrichtencharakter verlieren. c)

Andere Programme mit kurzem Produktionsvorlauf

Weniger einheitlich ist das Meinungsbild bei Programmen, die zwar kurze Produktionsvorläufe haben, aber bei denen eben nicht wegen ihres Live- oder Nachrichtencharakters aus der Natur der Sache heraus die Vorabvorlage ausscheidet. Bei diesen Programmen teilt sich das Spektrum ebenfalls wieder in zwei Bereiche: zum einen diejenigen Programme, denen jegliche Tagesaktualität fehlt und die ohne Weiteres mit größerem Vorlauf hätten produziert werden können, aber von dem Sender aus produktionstechnischen oder auch aus finanziellen Gründen erst just-in-time produziert werden; zum anderen diejenigen Programme, bei denen der Veranstalter eine Tagesaktualität erzeugt, die sich aber, anders als bei einer Nachrichtensendung, nicht aus der Natur der Sache ergibt, sondern daraus, dass der Programminhalt tatsächlich tagesaktuell stattfindet und dem Programm entweder eine Live-Ausstrahlung zugrunde liegt und/oder der Veranstalter das betreffende Ereignis in seinem Programm selbst und häufig zudem durch eine be30

Schulz/Held, in: Hahn/Vesting, Rundfunkrecht, 3. Aufl., 2012, § 20 JMStV, Rn. 22.

31

VG Berlin, Urteil vom 9. November 2011 – 27 A 64.07, ZUM 2012, 417, 422.

32

Amtl. Begründung zu § 20 Abs. 3 JMStV, abgedruckt in Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, 30. Aktualisierung, Mai 2007, § 20 S. 3.

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gleitende Berichterstattung als tagesaktuell inszeniert. Ein Beispiel für die letztgenannte Kategorie sind die Tageszusammenfassungen von „Big Brother“, die ihre Tagesaktualität zum einen daher beziehen, dass ein Big Brother-Livestream (im Pay TV) ausgestrahlt wird und zum anderen durch den Live-Charakter der Sendungen und eine begleitende Presse- und anderweitige Berichterstattung über die Ereignisse eines Tages im Big-Brother-Haus. aa)

De facto fehlende Vorlagefähigkeit bei Programmen ohne Tagesaktualität

Bei den Kommentatoren, die sich mit der Thematik beschäftigen, scheint in Bezug auf Programme ohne (inszenierte) Tagesaktualität Einigkeit darüber zu bestehen, dass jedenfalls dann, wenn der Veranstalter die Produktion so hätte organisieren können, dass sie rechtzeitig für eine Vorprüfung durch die EFS vorgelegen hätte, von einer Vorlagefähigkeit der Sendung auszugehen ist.33 Dabei scheint es nicht darauf anzukommen, ob die verspätete Vorlage „unbeabsichtigt“, beispielsweise wegen verschuldeter oder unverschuldeter Probleme bei der Produktion, oder ob sie „beabsichtigt“ passiert34, etwa weil der Sender durch die just-in-time-Produktion Geld sparen möchte. Dahinter steht offenbar das Verständnis, dass es grundsätzlich die Pflicht des Veranstalters sei, das betreffende Programm vorab der EFS vorzulegen, wenn dies mangels Tagesaktualität möglich wäre. Erfolge dies nicht, so müsse dies mit dem Verlust der Privilegierung nach § 20 Abs. 3 S. 1 JMStV sanktioniert werden. Der Terminus „vorlagefähig“ wird damit um ein wertendes Element angereichert, das sich jedoch weder aus dem Wortsinn, noch aus der Gesetzessystematik oder Sinn und Zweck der Regelung ergibt. Dabei bedeutet „vorlagefähig“ nach dem Wortsinn zunächst einmal, dass der betreffende Veranstalter tatsächlich in der Lage sein muss, das betreffende Programm vorzulegen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Veranstalter schuldhaft nicht zur Vorlage in der Lage ist. Wenn die betreffende Sendung nicht rechtzeitig für eine Vorabprüfung durch die EFS vorliegt, ist sie damit de facto nicht vorlagefähig. Dem entspricht auch die Amtliche Begründung, die als vorlagefähig „alle Angebote, die mit dem für eine Vorlage erforderlichen Vorlauf vor Ausstrahlung […] auf einem Trägermedium zur Verfügung stehen und insoweit vorlagefähig sind“ bezeichnet.35 Es kommt demnach also ausschließlich auf die rechtzeitige Verfügbarkeit des betreffenden Programms an und nicht auf die Gründe, warum dies gegebenenfalls nicht der Fall ist. Die Nennungen von „Live-Sendungen und aktuellen Einspielungen z. B. in Nachrich33

Am deutlichsten Schulz/Held, in: Hahn/Vesting, Rundfunkrecht, 3. Aufl., 2012, § 20 JMStV, Rn. 22 a.E.; Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, 17. Aktualisierung, September 2003, § 20 Rn. 10; wohl auch Erdemir, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 2. Aufl. 2011, § 20 JMStV Rn. 9 f.

34

Einzig Erdemir scheint eine subjektive Wertung zu befürworten und die Vorlagefähigkeit davon abhängig zu machen, ob die verspätete Fertigstellung der Produktion nur als Mittel zum Zweck dient, um die Vorabvorlage „als Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Privilegierung zu unterlaufen“, vgl. Erdemir, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 2. Aufl. 2011, § 20 JMStV Rn. 10.

35

Amtl. Begründung zu § 20 Abs. 3 JMStV, abgedruckt in Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, 30. Aktualisierung, Mai 2007, § 20 S. 2.

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tensendungen“ in der amtlichen Begründung sind als Beispiele für nicht vorlagefähige Sendungen und nicht als abschließende Aufzählung zu verstehen. Hieraus kann nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber nur Programme mit einer gewissen Tagesaktualität als nicht vorlagefähig ansieht.36 Auch nach der Gesetzessystematik spricht nichts dafür, von dem wörtlichen Verständnis des Begriffs abzuweichen. Die Vorabkontrolle durch die EFS wird in § 20 Abs. 3 JMStV genauso behandelt wie die nachträgliche Kontrolle. Das Verfahren vor der EFS wird nachgeholt, wenn die KJM meint, die betreffende Sendung verstoße gegen Jugendschutzbestimmungen. Die „Schutzschildwirkung“ tritt in gleicher Weise ohne jegliche Abstriche ein.37 Sinn und Zweck der Regelung in § 20 Abs. 3 JMStV war es, das System der Regulierten Selbstregulierung zu implementieren. Die Selbstregulierung setzt voraus, dass eine funktionierende Selbstkontrolleinrichtung besteht. Sie setzt nicht voraus, dass die Veranstalter ihre Produktionsabläufe darauf ausrichten, dass Vorabprüfungen möglich sind. Die Verantwortung für die gesetzeskonforme Ausstrahlung liegt nach wie vor zunächst bei dem Veranstalter selbst. Hierzu bedient dieser sich eines in seiner jugendschützerischen Tätigkeit weisungsfreien Jugendschutzbeauftragten (§ 7 JMStV). Liegt die Produktion nicht rechtzeitig vor, muss der Veranstalter das Risiko eingehen, sich auf die Einschätzung des Jugendschutzbeauftragten zu verlassen. Er verzichtet dann zwar auf sein Privileg einer weitestgehend rechtssicheren Vorabprüfung. Die Primärzuständigkeit der EFS wird damit aber nicht außer Kraft gesetzt. bb)

Inszenierte Tagesaktualität

Programme, die zwar nicht der Natur der Sache nach, aber wegen der vom Sender inszenierten Tagesaktualität erst kurz vor Ausstrahlung produziert werden, sind vor diesem Hintergrund erst recht als nicht vorlagefähig anzusehen.38 Bei solchen Formaten ist die Tagesaktualität Teil des Formats. Sie leben davon, dass dem Zuschauer das Gefühl vermittelt wird, aktuell bei dem Geschehen dabei zu sein. Sie sind auch dann nicht vorlagefähig, wenn sie keinen „Nachrichtenwert“ im Sinne einer Nachrichtenqualität im herkömmlichen Sinn besitzen, sondern der Aktualitätsbezug nach der Konzeption der betreffenden Sendung objektiv vorliegt. Der Veranstalter kann insbesondere nicht darauf verwiesen werden, dass es nach vermeintlich objektiven Maßstäben nicht erforderlich ist, über die entsprechenden Geschehnisse tagesaktuell zu berichten und es ihm vielmehr zumutbar sei, die Ausstrahlung so lange zu verschieben, bis eine Prüfung

36

Anders Erdemir, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 2. Aufl. 2011, § 20 JMStV Rn. 10 f.

37

Für den Fall, dass die Sendung so rechtzeitig vorliegt, dass eine Vorabprüfung hätte durchgeführt werden können, hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, dem Sender die Wahl zu geben, entweder den Weg einer Vorabprüfung durch die EFS zu gehen oder den einer nachträglichen Prüfung durch die KJM. Dies scheint zwar nicht zwingend, ist aber aus Gründen der Effizienz und der Vermeidung von Prüfungen durch zwei Einrichtungen nachvollziehbar.

38

So ausdrücklich für die Big Brother-Tageszusammenfassung auch Erdemir, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 2. Aufl. 2011, § 20 JMStV Rn. 10 f.

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durch die EFS erfolgt ist. Eine solche Sichtweise würde in unzulässiger Weise in die Programmfreiheit des Veranstalters eingreifen.

IV. 1.

Rechtsfolgen der Vorlage bzw. Nichtvorlage von Programmen Präklusionswirkung der Entscheidungen der EFS

Die KJM kann entgegen einer Entscheidung der EFS eigene aufsichtsrechtliche Maßnahmen nur dann ergreifen, wenn die Entscheidung der EFS die rechtlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums überschreitet (§ 20 Abs. 3 S. 1 JMStV). Andernfalls liegt ein Verfahrenshindernis vor, das einer Entscheidung, sei es in Form einer Beanstandung, sei es in Form der Verfolgung als Ordnungswidrigkeit, durch die KJM entgegensteht.39 Die Entscheidung der EFS hat also präkludierende Wirkung für die staatliche Aufsicht, und zwar unabhängig davon, ob die Entscheidung aufgrund einer Vorlage vor Ausstrahlung oder bei einer nichtvorlagefähigen Sendung nach Ausstrahlung erfolgt. Während der KJM selbst ein Beurteilungsspielraum nicht zusteht, sondern ihre Bewertung eines Programms lediglich als sachverständige Einschätzung relevant ist,40 erkennt der Gesetzesgeber der EFS einen solchen Beurteilungsspielraum ausdrücklich zu.41 Damit ist es der KJM verwehrt, ihre eigene Bewertung an die Stelle der Bewertung durch die EFS zu setzen. Die Präklusionswirkung kann damit auch solche Fälle erfassen, in denen die Entscheidung bei zutreffender Beurteilung als Verstoß gegen Jugendschutzbestimmungen zu bewerten gewesen wäre. Die Präklusionswirkung tritt allerdings nur dann ein, wenn vorlagefähige Programme der EFS vor Ausstrahlung vorgelegt wurden, Auflagen der EFS, beispielsweise hinsichtlich der Sendezeit oder Schnittauflagen, von dem Veranstalter beachtet wurden42 und das von der EFS geprüfte Programm auch mit dem letztlich ausgestrahlten Programm identisch ist. Inhaltliche Abweichungen des geprüften Programms von dem ausgestrahlten führen dazu, dass die inhaltliche Bewertung des Programms in vollem Um-

39

Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, 17. Aktualisierung, September 2003,, § 20 Rn. 12; Erdemir, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 2. Aufl. 2011, § 20 JMStV Rn. 13; Brandenburg/Lammeyer, Steht der Kommission für Jugendmedienschutz ein Beurteilungsspielraum zu?, ZUM 2010, 655 (665); Hopf/Braml, Eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit des Beurteilungsspielraums der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), MMR 2009, 153 (157).

40

BayVGH, Urteil vom 23. März 2011, 7 BV 09.2512, Rn. 24 ff. (32); VG Berlin, Urteil vom 9. November 2011 – 27 A 64.07, ZUM 2012, 417, 422; für die Bundesprüfstelle BVerfG, Beschluß vom 27. November 1990 – 1 BvR 402/87, NJW 1991, 1471, 1474; Brandenburg/Lammeyer, ZUM 2010, 655 (669); a.A. Hopf/Braml, MMR 2009, 153 (157), die einen eigenen Beurteilungsspielraum der KJM bejahen, in den Grenzen des Beurteilungsspielraums der EFS jedoch ein Verfahrenshindernis für Maßnahmen der KJM sehen.

41

Hierzu Ullrich, ZUM 2005, 452, 457 f.

42

Amtl. Begründung zu § 20 Abs. 3 JMStV, abgedruckt in Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, 30. Aktualisierung, Mai 2007, § 20 S. 3.

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79 fang der KJM obliegt.43 Vollkommen nachrangige Änderungen, die für die jugendschutzrechtliche Bewertung offensichtlich nicht maßgeblich sein können, sind hierbei jedoch außer Acht zu lassen, wobei die Maßgeblichkeitsschwelle allerdings niedrig anzusetzen ist. Die Präklusionswirkung erstreckt sich nicht auf diejenigen Fälle, in denen die EFS Rechtsbegriffe falsch auslegt oder die ihrer Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachen falsch ermittelt hat.44 Falsche Auslegung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Auslegung „methodisch unhaltbar“ ist.45 Außerdem ist der Beurteilungsspielraum überschritten, wenn die EFS allgemein gültige Bewertungsmaßstäbe verletzt oder sich von sachfremden Erwägungen hat tragen lassen.46 Strittig ist die Frage, ob die Präklusionswirkung auch dann ausgeschlossen ist, wenn ein Programm gegen ein absolutes Ausstrahlungsverbot gemäß § 4 Abs. 1 JMStV verstößt (§ 20 Abs. 3 S. 2 JMStV). Ein Teil der Literatur47 verweist auf den eindeutigen Wortlaut und die amtliche Begründung,48 wonach der Ausnahmetatbestand nur im Zusammenhang mit der nachträglichen Kontrolle nicht vorlagefähiger Sendungen Anwendung findet. Von einem gesetzgeberischen Versehen kann in der Tat nicht ausgegangen werden, da die Regelung nicht nur zwischen einer Kontrolle durch die KJM vor und nach Ausstrahlung unterscheidet, sondern auch zwischen den in § 4 Abs. 1 und Abs. 2 JMStV geregelten Arten von Programmen, die einem absoluten Ausstrahlungsverbot unterliegen. Zu einer verfassungskonformen Auslegung in dem Sinn, dass die Regelung in § 20 Abs. 3 S. 2 JMStV auch auf die Prüfung von Programmen vor Ausstrahlung anzuwenden sei,49 besteht kein Anlass. Art. 6 Abs. 2 GG, auf den diese Auffassung offenbar rekurriert, gebietet es nicht, die primäre jugendschutzrechtliche Bewertung bestimmter Programme zwingend in die Hände der staatlichen Aufsicht zu legen. Keine formale Präklusionswirkung entfaltet eine Vorabprüfung durch die EFS in Bezug auf die strafrechtliche Bewertung insbesondere der in § 4 JMStV geregelten Sachverhalte. Beurteilt allerdings die EFS ein Programm als rechtlich unbedenklich, so dürfte dies

43

BayVGH, Urteil vom 23. März 2011. Az. 7 BV 09.2512, Rn. 28 ff; Liesching, in: BeschOK JMStV, Stand: 10. Mai 2013, § 20 JMStV, Rn. 9 ff.

44

Amtl. Begründung zu § 20 Abs. 3 JMStV, abgedruckt in Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, 30. Aktualisierung, Mai 2007, § 20 S. 3; vgl auch Kreile/Diesbach, ZUM 2002, 849 (852); VG Köln, Beschluss vom 9. November 1988, 17 L 907/88, NJW 1989, 3171 ff.

45

Hierzu Ullrich, ZUM 2005, 452, 458.

46

Schulz/Held, in: Hahn/Vesting, Rundfunkrecht, 3. Aufl., 2012, § 20 JMStV, Rn. 32 ff. m.w.N.; BayVGH, Urteil vom 23. März 2011, Az. 7 BV 09.2512, Rn. 35 f.

47

Ullrich, ZUM 2005, 452, 457 f.; Schulz/Held, in: Hahn/Vesting, Rundfunkrecht, 3. Aufl., 2012, § 20 JMStV, Rn. 32 ff., wohl auch Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, JugendmedienschutzStaatsvertrag, 17. Aktualisierung, September 2003, § 20 JMStV, Rn. 24.

48

Amtl. Begründung zu § 20 Abs. 3 JMStV, abgedruckt in Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, 30. Aktualisierung, Mai 2007, § 20 S. 3.

49

Erdemir, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 2. Aufl. 2011, § 20 JMStV Rn. 17.

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79

80 auch nach den Kriterien der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs50 – jedenfalls dann, wenn die Grenzen des Beurteilungsspielraums eingehalten werden – regelmäßig einen unvermeidbaren Verbotsirrtum – und damit auch in dieser Hinsicht51 eine Privilegierung – des Veranstalters begründen.52 2.

Vereinsrechtliche Konsequenzen

Halten sich die Veranstalter nicht an die vereinsrechtliche Verpflichtung zur Vorlage von Programmen, drohen ihnen gemäß § 7 Abs. 4 der Satzung der FSF Sanktionen, die von einem Hinweis über eine Vereinsstrafe bis hin zum Ausschluss aus dem Verein reichen. Setzt die FSF diese Sanktionen nicht um, führt dies freilich nicht dazu, dass die Anerkennung der FSF als EFS gemäß § 19 Abs. 5 JMStV widerrufen werden könnte. Der Widerruf ist nur zulässig, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung entfallen oder sich die Spruchpraxis der Einrichtung nicht im Einklang mit dem geltenden Jugendschutzrecht befindet. Das Ausbleiben von vereinsrechtlichen Sanktionen im Falle der Nichtvorlage kann nicht zu einem Widerruf führen, weil die Voraussetzung für die Anerkennung die Regelung einer Vorlagepflicht in der Verfahrensordnung, nicht aber deren zwingende Umsetzung ist. Eine Widerrufsmöglichkeit, die daran anknüpft, dass die vereinsrechtlichen Sanktionen nicht angewendet werden, würde die geäußerten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Verpflichtung zur Regelung einer Vorlagepflicht53 verstärken.

VI.

Fazit

Das System der Regulierten Selbstregulierung hat sich in den zehn Jahren seit Inkrafttreten des JMStV im Wesentlichen bewährt.54 Wenn in der Evaluierungsstudie in 2007 bemängelt wird, dass der Grundsatz der Subsidiarität staatlicher Aufsicht nicht konsequent umgesetzt wird,55 so kann als ein Beispiel hierfür die gelegentliche Bestrebung der KJM angeführt werden, den Begriff der Nichtvorlagefähigkeit von Programmen

50

BGH, Urteil vom 4. April 2013 – 3 StR 521/12, NStZ 2013, 461 ff., zur Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums bei Vertrauen auf ein eingeholtes Rechtsgutachten, welches die strafrechtliche Unbedenklichkeit von Liedtexten bescheinigt.

51

Vgl. im Übrigen unter C.1.a).

52

So auch Cole, ZUM 2005, 462 (468); vgl. auch Erdemir, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 2. Aufl. 2011, § 20 JMStV Rn. 13, § 23 Rn. 7.

53

Siehe oben C. 1. a).

54

Vgl. KJM-Pressemitteilung 8/13, abrufbar unter http://www.die-medienanstalten.de/presse/ pressemitteilungen/kommission-fuer-jugendmedienschutz/detailansicht/article/kjm-presse mitteilung-082013-jugendschutz-steht-niemals-zur-disposition.html.

55

Hans-Bredow-Institut, Analyse des Jugendmedienschutzsystems, 2007, S. 369, abrufbar unter: http://www.hans-bredow-institut.de/webfm_send/104.

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unnötig einzuschränken, um so Spielräume für eine eigene Überprüfung zu schaffen. Fälle, in denen die KJM eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch eine EFS angenommen hat, waren bislang die Ausnahme; letztinstanzliche Entscheidungen, wonach es auf diese Frage angekommen wäre, liegen – soweit ersichtlich – überhaupt noch nicht vor. Die in den Anfängen des JMStV vielfach geäußerte Erwartung, dass das gefundene System der Regulierten Selbstkontrolle in der Umsetzung, die es durch den JMStV erfahren hat, lediglich Versuchscharakter habe, dürfte inzwischen der Erkenntnis Platz gemacht haben, dass dieses System in der Praxis im Interesse aller Beteiligten und auch des Jugendschutzes funktioniert.

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Starre Regeln für flexible Medien Für den zukünftigen Jugendschutz fehlt es an Mut und Ideen Joachim von Gottberg Die Grundidee des gegenwärtigen Jugendmedienschutzes hat sich seit dem Reichslichtspielgesetz von 1920 kaum geändert: Medieninhalte, die im Widerspruch zu gesellschaftlichen Moralvorstellungen standen, wurden nach entsprechender Bewertung mit gesetzlichen Vertriebsbeschränkungen belegt, die verhindern oder erschweren sollten, dass diese Inhalte Kindern oder Jugendlichen unterhalb eines bestimmten Alters zugänglich gemacht wurden. Zwar wurde 1918 die Zensur offiziell abgeschafft. Als sich aber 1919 der Spielfilm von Richard Oswald „Anders als die Anderen“ für die Abschaffung des Verbots gleichgeschlechtlicher Beziehungen aussprach, wurde in konservativen Kreisen darin der Beginn eines vollständigen Sittenverfalls gesehen und die Wiedereinführung der Zensur gefordert. Am 12. Mai 1920 wurde das Reichslichtspielgesetz verabschiedet, kurze Zeit später wurden alle Kopien des Films eingezogen und vernichtet. Auch wenn sich die Institutionen und auch die Kriterien des Jugendschutzes seit 1920 sicherlich grundlegend geändert haben, so geht der Jugendschutz auch heute immer noch von der Vorstellung aus, man könnte als beeinträchtigt eingestufte Inhalte vor Heranwachsenden eines bestimmten Alters fernhalten. Inhaltlich geht es dabei nach dem Gesetz um mediale Inhalte, „die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen“ (§ 14 Abs. 1 Jugendschutzgesetz (JuSchG) und wortgleich § 5 Abs. 1 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV)). Da in pluralistischen Gesellschaften nie sicher definiert werden kann, was genau unter einer „eigenverantwortlichen“ oder „gemeinschaftsfähigen“ Persönlichkeit zu verstehen ist, werden Jugendschutzentscheidungen normalerweise in Ausschüssen getroffen. So soll vermieden werden, dass sich extreme Ansichten durchsetzen. Dieses Verfahren berücksichtigt, dass Jugendschutzentscheidungen niemals objektiv sind und bei einer anderen Zusammensetzung des Ausschusses anders ausfallen könnten. Die Tatsache, dass ausgerechnet ein Film über Homosexualität ein wichtiger Grund für die Verabschiedung des ersten Reichslichtspielgesetzes war, zeigt, wie abhängig Jugendschutzentscheidungen vom zeitlichen und kulturellen Kontext sind. In einer Gesellschaft, in der Außenminister oder Bürgermeister bekennende Homosexuelle sind und sich die Mehrheit für die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften mit der Ehe ausspricht, ist die damalige moralische Empörung über den Film nicht mehr nachzuvollziehen. Neben der Spruchpraxis der Jugendschutzinstitutionen hat sich auch das mediale Umfeld völlig verändert. Die Idee, als jugendbeeinträchtigend identifizierte Filme sozusagen für Jugendliche unter Quarantäne zu stellen und nur Erwachsenen zugänglich zu machen, war in einer Zeit, in der Filme ausschließlich im Kino gezeigt wurden, zumindest theoretisch umsetzbar. Vorausgesetzt, dies wurde kontrolliert. Auch heute ist die öffentliche Filmvorführung der einzige mediale Zugang, der noch kontrollierbar ist, obwohl Jugendschutzkontrollen rechtlich problematisch und praktisch selten sind. Bei der Rezeption von DVDs, Fernsehprogrammen oder Internetinhalten ist es dagegen nur eingeschränkt möglich, den Jugendschutzgedanken umzusetzen. https://doi.org/10.5771/9783845251707-83 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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I.

Komplizierte Gesetze

Die aktuellen Jugendschutzgesetze, die Aufsicht darüber sowie die verschiedenen Selbstkontrolleinrichtungen sind entsprechend der historischen Entwicklung der Mediensysteme entstanden: am Anfang war das Kino, das in den 1950er- und 1960er-Jahren beginnende Fernsehen war öffentlich-rechtlich organisiert, so dass eine rechtliche Regelung nicht nötig erschien. 1985 wurden die Bestimmungen auf Video, DVD und später auf Computerspiele ausgeweitet, also auf Medieninhalte, die auf einem Träger veröffentlicht wurden und aufgrund der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung in die Zuständigkeit des Bundes fielen. Da es für Computerspiele aber bereits auf freiwilligem Wege die Unterhaltungssoftware-Selbstkontrolle (USK, seit 1994) gab, hat man neben der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) diese als weitere Selbstkontrolle installiert, die im Rahmen des Jugendschutzgesetzes tätig wurde. Bis zum Jahr 2003 war die Situation der Jugendschutzgesetze unübersichtlich. Neben dem Gesetz zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit (JÖSchG/Vorgänger des Jugendschutzgesetzes) gab es noch das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte (GjSM); für das Fernsehen gab es Jugendschutzbestimmungen im Rundfunkstaatsvertrag (RStV), für das Internet entsprechende Bestimmungen im Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz (IuKDG, Bund) und im Mediendienste-Staatsvertrag (MdStV, Länder). Da die Vertriebswege zunächst andere waren als heute und jede Vertriebsform in der Regel ihre eigenen Inhalte vermittelte, war dies zwar kompliziert, führte aber ansonsten nur zu geringen Abgrenzungsproblemen. Die beginnende Medienkonvergenz, also die Verfügbarkeit fast aller Inhalte über alle Vertriebsformen, änderte dies jedoch bald. Eine wichtige Rolle bei der Reform der Jugendschutzgesetze spielte die Bereitschaft von Bund und Ländern, dabei zusammenzuarbeiten. Ein wesentlicher Baustein war ein im Jahr 2002 zwischen Bund und Ländern verhandeltes Eckpunktepapier, in dem der Bund auf seine Zuständigkeit für den Jugendschutz im Internet verzichtete.1 Ziel der Reform war es, die gesetzlichen Bestimmungen für unterschiedliche Vertriebsformen so weit wie möglich zusammenzufassen. Gleichzeitig wurde vereinbart, die Rolle der Selbstkontrollen zu stärken. Am 1. April 2003 traten zeitgleich das Jugendschutzgesetz (JuSchG) als Bundesgesetz und der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) der Länder in Kraft. Das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte (GjSM) wurde in das JuSchG integriert, die Jugendschutzbestimmungen des Rundfunkstaatsvertrags, des Mediendienste-Staatsvertrags und des Informations- und Kommunikationsdienstegesetzes wurden im JMStV zusammengefasst. Gleichzeitig sollte der JMStV die Bestimmungen für das Fernsehen und das Internet so weit wie möglich vereinheitlichen. Immerhin ist es durch die Reform gelungen, die Jugendschutzbestimmungen aus fünf Gesetzen in zwei Gesetzen zusammenzufassen. Ein einheitliches Gesetz zur Regelung des

1

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Vgl. Schuster 2003, S. 3–6.

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Jugendschutzes in den Medien war jedoch aufgrund der Kompetenzaufteilung von Bund und Ländern nicht möglich. 1.

Das Jugendschutzgesetz (JuSchG)

Nach dem JuSchG dürfen Kinofilme, DVDs und Computerspiele grundsätzlich nur Personen über 18 Jahren zugänglich gemacht werden (§ 11 Abs. 1 bzw. § 12 Abs. 1 JuSchG). Wenn Kinder oder Jugendliche sie nutzen sollen, benötigen sie eine Altersfreigabe durch die Obersten Landesjugendbehörden (OLJB), die aufgrund einer Ländervereinbarung mit der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) und im Bereich der Computerspiele mit der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) zusammenarbeiten (Co-Regulierung). Die OLJB entsenden einen ständigen Vertreter als Vorsitzenden in die Prüfausschüsse von FSK und USK, durch dessen Unterschrift die Prüfergebnisse zum Verwaltungsakt werden. Das Gesetz verpflichtet Kinobetreiber und Händler, die Altersfreigaben einzuhalten. 2.

Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV)

Aufgrund der Kompetenzaufteilung des Grundgesetzes fällt der Jugendschutz im Fernsehen in den Zuständigkeitsbereich der Länder. Damit in allen Bundesländern im Bereich des Jugendschutzes vergleichbare Maßstäbe gelten, wurden diese im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) vereinheitlicht. Zuständig für die Einhaltung der Jugendschutzbestimmungen nach dem JMStV ist die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), ein Organ der Landesmedienanstalten (§ 14 JMStV). Das Gesetz bietet den Anbietern die Möglichkeit der Gründung von Selbstkontrolleinrichtungen, die, vorausgesetzt, sie erfüllen bestimmte Kriterien (§ 19 Abs. 3 JMStV), von der KJM anerkannt werden und für ihre Mitglieder Jugendschutzbestimmungen weitgehend eigenständig durchsetzen können. Für das private Fernsehen wurde die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) am 1. August 2003, für das Internet die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) am 25. Oktober 2005 anerkannt. Wird ein Fernsehprogramm der FSF vor der Ausstrahlung zur Prüfung vorgelegt, so kann die KJM im Nachhinein nur anders entscheiden, wenn ein fachlich begründbarer Beurteilungsspielraum überschritten ist (§ 20 Abs. 3 JMStV). Da eine Vorprüfung im Internet nicht durchsetzbar ist, gilt der Beurteilungsspielraum der FSM auch dann, wenn sich ein Inhalt bereits im Netz befindet (§ 20 Abs. 5 JMStV).

II.

Ähnliche Kriterien – unterschiedliche formale Bedeutung

Faktisch sind die Beurteilungskriterien der Selbstkontrollen und der Aufsicht sehr ähnlich, auch wenn es in Einzelfällen aufgrund des subjektiven Bewertungscharakters zu Abweichungen kommt.2 Einen wesentlichen formalen Unterschied macht allerdings die Tatsache, dass es sich bei Entscheidungen nach dem Jugendschutzgesetz durch die Be-

2

So auch Gottberg, Gespräch m. Liesching 2011, S.70–75.

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teiligung der OLJB um Verwaltungsakte handelt, während Entscheidungen der Selbstkontrollen nach dem JMStV als privilegierte Gutachten dem Vorbehalt einer Nachprüfung durch die KJM unterliegen (regulierte Selbstregulierung). Dadurch wird die Übernahme von Prüfergebnissen der FSF für die Kino- oder DVD-Auswertung rechtlich schwierig. Dies war weder vom Bund noch von den Ländern beabsichtigt, sondern erklärt sich daraus, dass bei der Verabschiedung des gegenwärtig gültigen JuSchG im Jahr 2003 die Vertriebskette anders verlief: die erste Veröffentlichung erfolgte im Kino, dann auf DVD, erst danach im Fernsehen. Deshalb war es damals nachvollziehbar, Entscheidungen nach dem JuSchG mit Sendezeitbeschränkungen für die Ausstrahlung im Fernsehen zu verknüpfen, denn sonst hätte man den gleichen Inhalt zweimal prüfen müssen. Diese Vertriebskette hat sich allerdings inzwischen völlig verschoben. Ein großer Teil der Fernsehproduktionen, vor allem der Serien, erscheinen fast gleichzeitig im Fernsehen und auf DVD. Die Tatsache, dass nach § 5 Abs. 2 JMStV eine Freigabe ab 16 Jahren bzw. für Erwachsene nach dem JuSchG für die Ausstrahlung im Fernsehen eine Sendezeitbeschränkung zwischen 22 Uhr und 6 Uhr bzw. 23 Uhr und 6 Uhr mit sich bringt, bedeutet für die Sender und die FSF zweierlei: zum einen muss ein Inhalt manchmal innerhalb weniger Tage sowohl der FSK als auch der FSF vorgelegt werden. Das ist kostspielig und zeitraubend, aber das Hauptproblem liegt darin, dass rechtlich bei unterschiedlichen Entscheidungen die FSK-Entscheidung die der FSF außer Kraft setzt. Nach § 5 Abs. 2 JMStV sind die FSK-Freigaben für das Fernsehen bindend, Ausnahmetatbestände, etwa eine vorhandene Prüfung durch die FSF, werden nicht genannt. Angesichts der bestehenden medialen Konvergenz wäre es sinnvoll, auch Entscheidungen der FSF für identische Inhalte auf die Auswertung im Kino oder auf DVD zu übertragen. Dann müsste der Inhalt nur einmal geprüft werden; das Problem der differierenden Freigaben würde nicht mehr auftreten. Weder in der Politik noch bei Behörden wird bezweifelt, dass eine gegenseitige Anerkennung der Prüfergebnisse sinnvoll wäre. Denn wenn man davon ausgeht, dass die Beeinträchtigung oder Gefährdung Jugendlicher durch die Bilder, die Story und die Botschaft eines bestimmten Inhalts entsteht, ist es zweitrangig, über welchen Vertriebsweg ein Jugendlicher Zugang dazu erhält. Obwohl dieses Problem seit ungefähr acht Jahren bekannt ist, waren bisher weder der Gesetzgeber, noch die nach dem Gesetz zuständige Aufsicht oder die Ministerialbürokratie in der Lage, dieses Problem zu lösen. Ohne den Verwaltungsakt fehlt den Prüfentscheidungen der FSF ein anknüpfungsfähiger Tatbestand, der die Voraussetzung dafür bietet, diese in einen Verwaltungsakt nach dem JuSchG umzuwandeln. Es wäre aber letztlich unproblematisch, nach dem Vorbild der FSK mit den Obersten Landesjugendbehörden eine eigene Ländervereinbarung zu treffen, in der Bedingungen festgelegt sind, nach denen FSF-Entscheidungen als Verwaltungsakt akzeptiert werden. Es ist schwer einzusehen, warum die Länder für den Fernsehbereich gesetzliche Grundlagen schaffen, die durch ein anderes Gesetz wieder außer Kraft gesetzt werden können, obwohl die OLJB – also ebenfalls eine Institution der Länder – dies durch eine Vereinbarung mit der FSF verhindern könnten.

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III. Die Illusion, Inhalte fernhalten zu können Die Vorstellung, man könnte als jugendgefährdend identifizierte Inhalte vor Kindern oder Jugendlichen fernhalten, wird immer mehr zur Illusion. Selbst im Kino ist die Kontrolle schwierig. Natürlich wäre es dort einfach, nach Beendigung einer Filmvorführung am Ausgang eine Alterskontrolle durchzuführen und dann gegebenenfalls ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen den Theaterbesitzer einzuleiten. Allerdings hätten dann die Vertreter der Ordnungsbehörden zugelassen, dass die im Nachhinein als zu jung identifizierten Kinder oder Jugendlichen den Film hätten sehen können. Eine Kontrolle vor Beginn des Filmes wäre wenig sinnvoll. Da sie schnell auffällt, würde wahrscheinlich niemand ein Ticket an Jüngere verkaufen. Bleibt nur die Kontrolle während der Filmvorführung, am besten vor Beginn des Hauptfilms. Dies ist aber organisatorisch sehr schwierig, außerdem würde man sich beim gesamten Kinopublikum unbeliebt machen, das in Ruhe den Film sehen will. Abgesehen davon, dass in den wenigsten Kommunen Personal für solche Kontrollen bereitgestellt wird, sind sie schon aus den oben erwähnten pragmatischen Gründen kaum durchführbar. Hier wird ein Phänomen des Jugendschutzes deutlich: es geht eher um einen symbolischen als einen tatsächlichen Schutz. Während die Freigaben der FSK regelmäßig kritisiert und diskutiert werden,3 scheint es niemanden zu interessieren, ob diese tatsächlich beim Kinobesuch von Minderjährigen beachtet werden. In den Niederlanden wurde im Auftrag des NICAMs (= Netherlands Institute for the Classification of Audiovisual Media) eine entsprechende Untersuchung durchgeführt, die zu dem Ergebnis kam, dass die Altersfreigaben nur in 14 Prozent der Kinos überprüft wurden.4 Die Vermutung liegt nahe, dass dies in Deutschland kaum besser sein wird. Während die Einhaltung von Jugendschutzbestimmungen im Kino wenigstens theoretisch noch überprüfbar ist, ist bei DVDs zwar die Abgabe an bestimmte Altersgruppen durch den Händler kontrollierbar, nicht aber, ob derjenige, der sie mietet oder kauft, diese an jüngere Kinder oder Jugendliche weitergibt. Gerade angesichts digitaler Kopiermöglichkeiten ist es kaum zu überprüfen, bei welcher Altersgruppe ein erst für Ältere freigegebener Film landet. Im Bereich des Fernsehens ist eine Kontrolle von Altersfreigaben nicht möglich. Deshalb knüpft der JMStV an die Lebensgewohnheiten junger Menschen an und erlaubt die Ausstrahlung von entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten erst im Spätabend- bzw. im Nachtprogramm. Hierbei wird die Vorstellung, man könne beeinträchtigende und gefährdende Inhalte von Jugendlichen fernhalten, relativiert: ein sicherer Schutz ist nicht einmal theoretisch möglich, deshalb geht es im Bereich des Fernsehens nur noch darum, die Wahrscheinlichkeit, dass jüngere Kinder mit einem für erst ab 16- oder 18-Jährige freigegebenen Programm in Kontakt kommen, zu reduzieren. Ob und in welchem Umfang dieses Instrument den beabsichtigten Effekt hat, wurde niemals untersucht.

3

4

So Fritzen, „Der F.A.S.-Filmtest „FSK 12“ – Nichts für Kinder“, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 10/2010. Vgl. Gottberg, Gespräch m. Bekkers 2011, S. 50–53.

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Im Fernsehen kommt aufgrund der Sendezeitregelung ein weiteres Problem hinzu, das weder im Bereich des Kinos, der DVD oder bei Computerspielen relevant ist: durch die Sendezeitbeschränkungen wird nicht nur der Zugang für Kinder und Jugendliche unterhalb eines entsprechenden Alters beschränkt, sondern auch der Zugang für Erwachsene. Ein ab 16 Jahren freigegebener Kinofilm kann von jemandem, der das Freigabealter erreicht hat, jederzeit angesehen werden. Im Fernsehen hingegen dürfte dieser Film erst ab 22 Uhr beginnen. Für jemanden, der am nächsten Morgen früh arbeiten muss, bedeutet das oft, dass er den Film nicht zu Ende anschauen kann. Filme, die mangels Jugendfreigabe erst nach 23 Uhr ausgestrahlt werden dürfen, sind somit nur noch etwas für Nachtschwärmer. Der Gesetzgeber war sich dieses Problems bewusst und hat Filme bis zu einer Freigabe ab zwölf Jahren nicht mehr an Sendezeitbeschränkungen gebunden. Allerdings hat der Anbieter bei Filmen ab zwölf Jahren darauf zu achten, dass eine Beeinträchtigung des Wohls jüngerer Kinder nicht in Betracht kommt. Gemeint ist damit wohl, dass Filme, die auf der Schwelle zwischen einer Freigabe ab zwölf Jahren und einer Freigabe ab 16 Jahren liegen, zumindest nicht im Tagesprogramm vor 20 Uhr ausgestrahlt werden sollen. Aber diese Absicht des Gesetzgebers kann man nur ahnen, in der Praxis bietet diese Bestimmung immer wieder Stoff für kontroverse Diskussionen.

IV.

Jugendschutz im Internet: letzte Hoffnung Technik

Grundsätzlich gelten die Bestimmungen des JMStV sowohl für das Fernsehen als auch für das Internet. Inhalte, die im Bereich des Fernsehens Sendezeitbeschränkungen unterliegen, dürfen im Internet ebenfalls nur zu den für das Fernsehen erlaubten Zeiten zugänglich gemacht werden. Allerdings setzt der Gesetzgeber im Internet in zwei Bereichen neue Maßstäbe: zum einen können die Anbieter dann, wenn keine Freigabe der FSK oder einer anerkannten Selbstkontrolle nach dem JMStV vorliegt, ihre Inhalte selbst einschätzen. Zum anderen bietet das Gesetz den Anbietern die Möglichkeit, eingeschränkt zugängliche Inhalte für ein Jugendschutzprogramm technisch zu kennzeichnen (taggen), so dass der Inhalt durch ein Jugendschutzprogramm je nach Einstellung durch die Eltern erkannt und gesperrt werden kann. Die Eltern können gegenwärtig zwei anerkannte Jugendschutzprogramme kostenlos herunterladen und für ihre Kinder nach verschiedenen Optionen einstellen. Anschließend bekommen die Kinder nur noch Zugang zu solchen Inhalten, die entweder getaggt sind oder nach bestimmten Kriterien vom System freigegeben werden. Jugendschutzprogramme verbinden die technische Kennzeichnung mit Listen, auf denen empfehlenswerte oder von anderen Stellen bereits geprüfte Inhalte aufgeführt sind, und solchen, die Inhalte aufführen, die zum Beispiel auf der Liste der jugendgefährdenden Medien oder anderer Institutionen zu finden sind, woraus sich ergibt, dass diese für Kinder und Jugendliche gesperrt werden.5 Das Problem ergibt sich nun vor allem mit solchen Inhalten, die für Jugendliche völlig unproblematisch, wenn nicht sogar empfehlenswert sind, deren Anbieter aber entweder nichts von den Jugendschutzsystemen wissen oder nicht über die Kapazitäten verfügen, ihre Inhalte entsprechend zu sichten und zu taggen.

5

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Vgl. Gottberg/Gespräch m. Schindler 2012, S. 70–75.

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Bund und Länder setzen daher darauf, diese technische Erkennung in Jugendschutzprogramme zu integrieren. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gab dazu zusammen mit der KJM bei der Fraunhofer-Gesellschaft eine Studie6 in Auftrag, um die technischen Möglichkeiten zu eruieren. Intelligente Technik bietet nicht nur die Möglichkeit rudimentärer Sprachanalyse, sie kann auch Bilder erkennen. Es können beispielsweise zuverlässig Bilder gefunden werden, die Kinder und Jugendliche darstellen, die sich in selbstverletzender Art ritzen. Allerdings kann das System keine Kontexte interpretieren. Es weiß also nicht, ob der gefundene und als jugendschutzrelevant eingeschätzte Inhalt eine Befürwortung der Selbstverletzungen oder eine Prävention dagegen ist. Angebote zur AIDS-Prävention oder Sexualaufklärung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) könnten so angesichts ihres möglicherweise verwendeten Vokabulars leicht mit Pornografie verwechselt werden. Solche Maschinen, so verlockend ihr Einsatz auch ist, stellen den in Jahren entwickelten differenzierten Jugendschutz infrage. Sie können allerdings helfen, möglicherweise riskante Inhalte aufzuspüren, aber ohne Bewertung durch geschultes Personal sollte man sich nicht allein auf solche technischen Erkennungssysteme verlassen.

V.

Das Problem der geringen Nutzung

Ein weiteres Problem ist die geringe Bekanntheit der Jugendschutzprogramme bei den Eltern. Zu dieser Frage hat das zuständige Bundesministerium eine Studie beim HansBredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg in Auftrag gegeben. Sie kommt zu folgendem Ergebnis: „25% derjenigen, die von Jugendschutzsoftware schon gehört haben, d. h. rund 20 Prozent aller Eltern, setzen Jugendschutzsoftware zu Hause ein (forsa 2011). Die Nutzung steigt zunächst mit zunehmendem Alter an (3–5 Jahre: 14%; 6–8 Jahre: 23%; 9–11 Jahre: 33%), hat seinen Höhepunkt bei Kindern zwischen 12 und 14 Jahren (36%) und geht bei Jugendlichen dann wieder zurück (15–17 Jahre: 32%) (forsa 2011, Anm.: Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtheit der Eltern, die schon mal von Jugendschutzsoftware gehört haben). Diese Zahlen decken sich ungefähr mit den Ergebnissen aus anderen Untersuchungen (ZDF, KIM). Höher gebildete Elternteile setzen eher Filterprogramme ein als niedrig gebildete. Beachtenswert ist, dass Eltern in der Regel Auskunft darüber erteilen können, ob auf dem Internet-PC entsprechende Software installiert ist (nur ca. 5% können dazu keine Angabe machen). Die meisten wissen allerdings nicht, welches Programm sie konkret ein7 setzen.“

Darüber, ob es sich bei diesen 20 Prozent um Nutzer der anerkannten Jugendschutzprogramme handelt, gibt die Studie also keine verlässliche Auskunft. Von Fachleuten wird

6

7

Fraunhofer-Institut für intelligente Analyse-und Informationssysteme IAIS: Studie zum technischen Jugendmedienschutz: Möglichkeiten und Grenzen von Verfahren zur Detektion jugendschutzrelevanter Web-Inhalte, 2013, herunterzuladen unter http://www.iais.fraunhofer.de/uploads/media/ Fraunhofer_Jugendmedienschutz_2013-02-25_01.pdf. Dreyer/Hajok/Hasebrink/Lampert, Jugendschutzsoftware im Elternhaus – Kenntnisse, Erwartungen und Nutzung. Stand der Forschung, 2013, S. 2, herunterzuladen unter: http://www.hans-bredowinstitut.de/webfm_send/640.

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dies bezweifelt. Unter der Hand werden Nutzungszahlen vermutet, die unter zwei Prozent liegen. Auch wenn der Gesetzgeber bewusst das Jugendschutzsystem als Option und nicht als Zwang sieht, so ist doch die quantitative Nutzung nicht irrelevant. Denn im Endeffekt wäre bei einer angenommenen Nutzung von zwei Prozent die Konsequenz, dass 98 Prozent der Kinder und Jugendlichen das Netz ohne Einschränkung nutzen könnten, denn die Anbieter können ihre Inhalte zeitlich uneingeschränkt bereitstellen, wenn sie getaggt sind. Um die Nutzung von Jugendschutzsystemen zu erhöhen, ist neben ihrer Optimierung eine Erhöhung ihrer Bekanntheit in der Öffentlichkeit wichtig. Bund und Länder haben hier, unterstützt durch einige Inhalteanbieter, bereits einiges geleistet. Bedauerlich ist, dass sich die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender an dieser Kampagne nicht beteiligt haben und die Inhalte in den Mediatheken ihrer Sender nicht taggen, sondern zeitbeschränkt anbieten. Dies erschwert die erfolgreiche Einführung des Systems ganz erheblich, abgesehen davon, dass es die Nutzer verärgert, die den verpassten Tatort immer erst ab 20 Uhr in der Mediathek ansehen können. Dabei wird kein Unterschied gemacht, ob der entsprechende Tatort tatsächlich jugendschutzrelevant ist oder nicht. Die 20-UhrGrenze gilt immer. Dies kann nicht im Sinne des Jugendschutzes sein. Zuschauer achten sehr darauf, ob Jugendschutzbeschränkungen für sie nachvollziehbar sind. Ist eine Sendung nur eingeschränkt verfügbar, die offensichtlich nicht jugendschutzrelevant ist, so kann dies leicht dazu führen, dass der gesamte Jugendschutz nicht mehr ernst genommen wird.

VI.

Das Trauma der Länder nach der gescheiterten Reform des JMStV

Die Länder begannen 2009 mit der Diskussion einer Novelle des JMStV. Ziel war zum einen, die Durchlässigkeit von Prüfergebnissen der FSK und der FSF zu ermöglichen.8 Ein weiteres Bestreben bestand darin, die Einsatzmöglichkeiten von Filterprogrammen im Internet zu verbessern. Es herrschte Einigkeit darüber, dass dieselben Inhalte, die im Kino, auf DVD und im Fernsehen erheblichen Jugendschutzbeschränkungen unterworfen waren, im Internet, das vor allem von Jugendlichen immer mehr genutzt wird, nicht frei verfügbar sein dürfen.9 Dies ist vor allem auch wichtig, weil im „Hybridfernsehen“ die Vertriebswege in einem Gerät zusammenwachsen und dadurch der Jugendschutz davon abhängt, welchen Zugangsknopf man betätigt.10 Anbieter sollten die Möglichkeit zur Selbstkennzeichnung erhalten, die für das Internet zuständige FSM sollte dies durch die Bereitstellung von Selbstklassifizierungsprogrammen qualitativ unterstützen. Internetportale und im Netz verfügbare Videos sollten technisch gekennzeichnet, von einem Filterprogramm ausgelesen und so für jüngere Kinder je nach Einstellung durch die Eltern gesperrt werden können. So hätten Privatanbieter und kleinere kommerzielle An-

8

Ausführlicher: Gottberg, in: Wandtke 2011, Rn. 284.

9

Vgl. Liesching 2011, S. 82–85.

10

So Gottberg, Gespräch m. Grewenig 2011, S. 43–47.

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bieter eine einfache und kostengünstige Möglichkeit gehabt, ihre Angebote zu kennzeichnen und für jüngere Altersgruppen zu sperren.11 Gegen diesen Plan richtete sich bald der Zorn zahlreicher Internetaktivisten und Blogger, die darin das Ende der Freiheit des Netzes sahen.12 Zwar wurde der geplante Staatsvertrag von den Ministerpräsidenten der Länder im Juli 2010 unterzeichnet, er musste jedoch durch alle Landesparlamente verabschiedet werden. Kurz vor seinem geplanten Inkrafttreten am 1. Januar 2011 scheiterte er an der Ablehnung durch den Landtag von Nordrhein-Westfalen. Die FDP und die Linken kündigten an, gegen den Staatsvertrag zu stimmen, aber auch Abgeordnete der CDU hatten sich der Kritik der Netzaktivisten angeschlossen.13

VII. Ankündigungen ohne Folgen Die Länder beeilten sich, eine rasche Bearbeitung der gescheiterten Novelle in Aussicht zu stellen, die die Einwände der Netzaktivisten berücksichtigen sollte.14 Allerdings ist die Sorge groß, dass auch eine weitere Reform des JMStV scheitern könnte. Im April 2012 kündigte der Bund überraschend an, er wolle das Jugendschutzgesetz novellieren.15 Ziel sei es, Altersfreigaben von FSK und USK auf das Internet zu erweitern. Inzwischen wurde diese Absicht jedoch zurückgenommen, da die Erweiterung der Zuständigkeit des JuSchG die in dem Eckpunktepapier aus dem Jahr 2002 vereinbarte Zuständigkeit der Länder für den Jugendschutz im Internet verletzt hätte. Die Länder ihrerseits kündigten zwar mehrere Male eine Reform des JMStV an, alle Ansätze dazu führten bisher aber zu keinem Ergebnis. Vieles spricht dafür, dass in den Staatskanzleien das Interesse am Jugendschutz gesunken ist. Der Grund dafür mag darin liegen, dass der Staatsvertrag 2010 daran gescheitert ist, dass die Netzaktivisten und mit ihnen viele Politiker aller Parteien den Freiheitsgedanken über den Schutzaspekt stellten. Das bedeutete einen Paradigmenwechsel: in jeder Reform vorher wurden die Regeln verschärft. Allerdings ging es damals ausschließlich um das Fernsehen. Das Internet scheint in Politik und Bevölkerung eine höhere Sympathie zu genießen.

11

Vgl. Pressemitteilung der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) vom 6. Dezember 2010.

12

So Gottberg, Gespräch m. Scholz 2011, S. 34–37; Ertelt/Freude 2011, S. 38–39.

13

Vgl. Gottberg, Gespräch m. Jarzombek 2011, S. 44–49.

14

Dazu Gottberg, Gespräch m. Stadelmaier 2011, S. 26–29.

15

So Pressemitteilung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend v. 13. April 2012.

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VIII. Regelungen in klassischen Medien und im Internet zu unterschiedlich Der Stillstand in den Reformbemühungen der Länder birgt die Gefahr, dass die derzeit nötigen Weichenstellungen für den Jugendschutz der Zukunft nicht erfolgen können. Der Jugendschutz scheint vielmehr als Auslaufmodell zu gelten, das man noch so lange aufrechterhält, bis dessen Sinnlosigkeit nicht mehr zu übersehen ist. Der Grund für diese pessimistische Prognose liegt in der medialen Konvergenz, die sich in den Jugendschutzgesetzen nicht wiederfindet. Dies führt faktisch dazu, dass die Vertriebswege der klassischen Medien (Kino, DVD, Fernsehen) aus der Tradition der Gesetze heraus mit sehr hohem personellen und materiellen Aufwand reguliert und kontrolliert werden, obwohl ihre tatsächliche Nutzung durch Kinder und Jugendliche immer mehr zurückgeht. Die Vorführung eines noch so harmlosen Spielfilms für Personen unter 18 Jahren ist ohne eine Freigabe durch die FSK verboten. Im Internet dagegen kann derselbe Spielfilm durch den Anbieter selbst bewertet und für das Jugendschutzprogramm getaggt werden. Dabei ist es gegenwärtig sehr unwahrscheinlich, dass im Internet ein Verstoß gegen Jugendschutzvorschriften (§ 5 JMStV – Entwicklungsbeeinträchtigende Angebote) überhaupt auffällt und zu einer Beanstandung führt. Die Aufsicht ist mit den völlig unzulässigen Angeboten (§ 4 JMStV) gut beschäftigt und setzt hier ganz deutlich die Prioritäten. Diese hohe Regulierung bei den klassischen Vertriebswegen und die fast nicht vorhandene Kontrollmöglichkeit im Internet bei absolut identischen Inhalten ist für jemanden, der einen transparenten Jugendschutz für wichtig hält, nicht nachzuvollziehen. Die Situation wird dadurch zunehmend absurder, dass in den modernen Hybridfernsehern die Vertriebswege Fernsehen und Internet verschmelzen. Für den Zuschauer wird es kaum noch möglich sein, zu erkennen, auf welchem Wege der von ihm bevorzugte Inhalt in das Fernsehgerät transportiert wird. Zudem wird es Inhalte geben, die über die Austastlücke des Fernsehprogramms angesteuert, aber über das Internet transportiert werden. Wer einen Fernsehsender sieht, kann über einen Knopf der Fernbedienung Informationen der Austastlücke aktivieren, die auf die Mediathek des Senders oder eigene Angebote verlinken, die beispielsweise nur Krimis oder Serien hintereinander abspielen. Juristen werden darüber diskutieren, was an diesen Angeboten rechtlich als Fernsehen und was als Telemedien gilt. Für den Zuschauer spielt diese Frage hingegen vermutlich bald keine Rolle mehr.

IX.

Wie soll es weitergehen

Angesichts dieses gefühlten Desinteresses der Medienpolitik wäre es wichtig, eine breite Diskussion darüber anzustellen, welchen Jugendschutz wir wollen und wie dieser angesichts der realen Medienentwicklungen umsetzbar ist. Wir sollten fragen, ob wir weiterhin im Bereich der klassischen Medien diesen verhältnismäßig hohen Aufwand betreiben wollen, um Inhalte zu klassifizieren, obwohl wir wissen, dass diese gleichzeitig im Internet frei verfügbar sind. Grundsätzlich kann man hier zwei Standpunkte einnehmen: die einen werden sagen, dass der Staat gegenüber Inhalten, die er aus Jugend92

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schutzgründen vor Heranwachsenden fernhalten will, nicht untätig bleiben darf, deshalb muss er das unternehmen, was in seiner Macht steht. Diesem Ansatz steht die pragmatische Überlegung gegenüber, dass man den Jugendschutz besser etwas niederschwelliger, dafür aber möglichst in allen Vertriebswegen auf vergleichbarer Art und Weise regelt. Wahrscheinlich ist es wichtiger, dass Eltern und junge Konsumenten durch Informationen erkennen, wie die jeweils verbreiteten Inhalte im kulturellen Kontext eingeschätzt werden. Letztlich geht es mehr um den Diskurs von Grenzen und ethischen Maßstäben, als um Verbote und Vertriebsbeschränkungen, die faktisch nicht mehr durchgesetzt werden können. Die Gesetze hingegen verharren in der Regelung von Vertriebswegen, die so nicht mehr existieren. Selbst Gesetzesänderungen würden angesichts der gegenwärtigen Geschwindigkeit von medialen Entwicklungen bis zu ihrer Verabschiedung schon wieder veränderte Bedingungen vorfinden und veraltet sein. Die Frage ist, ob es richtig ist, möglichst alles detailliert in Gesetzen zu regeln. Wahrscheinlich wäre es besser, wenn die Gesetze einen Rahmen vorgeben, während die inhaltlichen Fragen dem Diskurs zwischen Anbietern, Aufsicht und der Selbstkontrolle überlassen werden. Die Ergebnisse könnten in Satzungen der Aufsichtsbehörden festgelegt werden. Der Vorteil wäre, dass sich diese leichter an veränderte Realitäten anpassen lassen als ein JugendmedienschutzStaatsvertrag, der zwischen 16 Ländern abgestimmt und von deren Parlamenten einstimmig verabschiedet werden muss.

Literatur Ertelt, Jürgen/Freude, Alvar, „Oberstes Gebot – Medienkompetenz fördern“, in: tv diskurs Heft 4/2011 (Ausgabe 58), S. 38–39; Gottberg, Joachim von, Unterschiedliche Regulierung für Inhalte aus demselben Gerät. (Ein Gespräch mit Gespräch mit Claus Grewenig), in: tv diskurs Heft 2/2011 (Ausgabe 56), S. 43–47; ders., Geteilter Jugendschutz, Die Prüfinstitutionen und ihre Kriterien. (Ein Gespräch mit Marc Liesching), in: tv diskurs Heft 3/2011 (Ausgabe 57), S. 70–75; ders., Unwirksam und überflüssig. Filtersysteme im Internet können Erziehung nicht ersetzen. (Ein Gespräch mit Christian Scholz), In: tv diskurs Heft 4/2011 (Ausgabe 58), S. 34–37; ders., Realitäten anerkennen, Technische Lösungen allein können Jugendschutz im Netz nicht gewährleisten, (Ein Gespräch mit Thomas Jarzombek), in: tv diskurs Heft 4/2011 (Ausgabe 58), S. 44– 49; ders., Diskussion um einen modernen Jugendmedienschutz. Bedenken werden ernst genommen (Ein Gespräch mit Martin Stadelmaier), in: tv diskurs Heft 4/2011 (Ausgabe 58), S. 26–29; ders., Der öffentliche Druck fehlt. Das NICAM ist rechtlich nicht für das Internet zuständig (Ein Gespräch mit Wim Bekkers), in: tv diskurs Heft 4/2011 (Ausgabe 58), S. 50–53; ders., Noch nicht perfekt, aber für Eltern schon jetzt eine große Hilfe Jugendschutzprogramme sollen im Internet für besseren Jugendschutz sorgen (Ein Gespräch mit Friedemann Schindler), in: tv diskurs Heft 2/2012 (Ausgabe 60), S. 70–75; ders., in: Wandtke, Artur-Axel, Medienrecht Praxishandbuch, Band 4, Kapitel 4, (2011), S. 393–476; Liesching, Marc: Freigaben mit begrenzter Wirkung. Möglichkeiten und Grenzen gesetzlicher Regelungen im Jugendschutz. In: tv diskurs Heft 4/2011 (Ausgabe 58), S. 82–85, Schuster, Susanne, Anmerkungen zum Jugendschutzgesetz

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(Vortrag anlässlich des Jugendmedienschutzkongresses am 15./16. September 2003 in Potsdam), in: BPjM Aktuell – Amtliches Mitteilungsblatt der BPjM, 4/2003, S. 3–6. Pressemitteilungen: Kommission für Jugendmedienschutz (KJM); Pressemitteilung vom 6. Dezember 2010 (27/2010) KJM-Diskussion zum neuen JMStV: „Vertrauenswürdigkeit und Verlässlichkeit der Kennzeichen essenziell“, http://www.kjm-online.de/de/pub/aktuelles/presse mitteilungen/pressemitteilungen_2010/pm_272010.cfm; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Pressemitteilung vom 13. April 2012, Kristina Schröder: „Eltern brauchen bessere Rahmenbedingungen zum Schutz ihrer Kinder bei Online-Filmen und Online-Spielen“; http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Presse/pressemit teilungen,did=185714.html.

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Förderung der Rundfunkverbreitung im Wandel der Zeiten Hans Hege Wolfgang Thaenerts Wirken reicht weit zurück. Und am Ende seiner Amtszeit steht auch die Frage, wie es wohl weitergeht. Dies ist eine außergewöhnliche Herausforderung zur Reflexion. Mein Beitrag befasst sich thematisch mit der Infrastruktur, die Voraussetzung für den Rundfunk ist, und mit ihrer Finanzierung – und zwar in genau diesem Spannungsfeld: was war und was wird?

I.

Die Förderung der Kabelverbreitung und ihre fortwirkenden Strukturen

Am Anfang des privaten Rundfunks in Deutschland stand etwas, was es nach der Verfassungsordnung mit ihrer Zuständigkeit der Länder für den Rundfunk eigentlich gar nicht hätte geben dürfen, und was heute aus anderen Gründen, nämlich dem Beihilferecht der Europäischen Union, verboten wäre: die massive Subvention der Verkabelung und ihres bundesweiten Ausbaus (in den damaligen Ländern) durch die staatliche Bundespost. Wesentliche Strukturen, die bis heute fortwirken, sind dadurch geprägt worden, weit über die mit der Verkabelung erreichte Einführung des privaten Rundfunks hinaus. Die bundesweite Verkabelung brachte einen ersten Reichweitenschub für das neue private Fernsehen, in der Kombination von Kabel und Satelliten zur Heranführung an die Kabelnetze. Die Länder arbeiteten damals noch mit Versuchszulassungen auf regionaler Ebene, weil sie sich nicht wie beim ZDF auf bundesweite Lösungen verständigen konnten. Weil man für das Kabel Programme brauchte, begann mit Unterstützung der Bundespost eine weltweit bis heute einmalige Expansion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit der Ausweitung der regionalen dritten Programme zu bundesweiten Vollprogrammen und zusätzlichen Spartenkanälen. Die Post musste zwei Konzessionen machen, die noch auf absehbare Zeit die deutsche Telekommunikations- und Medienlandschaft bestimmen werden. Weil sich das staatliche Monopol nicht zulasten des Antennenhandwerks ausweiten durfte, gab es anders als beim Telefonnetz die Trennung in die Netzebenen und die Abtrennung des Betriebs der Hausanlagen, den insbesondere die Wohnungswirtschaft auch weiter kontrollieren will. Diese Trennung bestimmt noch heute kartellrechtliche Verfahren bei der Konsolidierung der Kabelindustrie. Noch wichtiger war die für das staatliche Monopol zwingende Absage an die Zusammenstellung und Vermarktung von Programmen und damit das für Telekommunikationsleitungen naheliegende Transportmodell. Programmanbieter mussten für den Transport zahlen, neben den Kabelentgelten der Haushalte, die aufgrund der mietrechtlichen Umlage niedriggehalten werden konnten. Die Kanalbelegung wurde zur Sache der Medienanstalten.

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Weil man Programme nicht wie in der angelsächsischen Welt aus einem Teil der Kabelentgelte der Haushalte finanzieren konnte, blieb dem privaten Fernsehen neben der Nische des Pay-TV nur die Finanzierung aus der Reichweite und damit aus der Werbung. Das Kabel bot mehr Möglichkeiten als die ursprünglich geplanten zwei bundesweiten Programme. Die Findigen unter den Programmveranstaltern gründeten Senderfamilien zur Nutzung ihrer Programmressourcen, zunächst am Medienkonzentrationsrecht vorbei, später amnestiert. Es blieb aber bei zwei privaten Senderfamilien.

II. Satellitenfernsehen nach dem Kabelmodell – frei und unverschlüsselt Freies Fernsehen, mit öffentlich-rechtlichen und privaten Senderfamilien, prägt bis heute unsere Fernsehlandschaft. Als dann ab 1988 die Satellitenverbreitung zum Direktempfang hinzukam, war sie anders als bei den ursprünglichen Plänen der Bundespost nicht staatlich subventioniert, dafür aber leistungsfähiger und europaweit ausgerichtet durch ASTRA. Aber auch sie hat – anders als in allen anderen europäischen Ländern – das Kabelmodell der freien unverschlüsselten Verbreitung aufgegriffen: Weil es nach den Finanzierungsmodellen auf Reichweite ankam und Deutschland als größter europäischer Fernsehmarkt hinreichend Chancen auf Reichweite bot, entwickelte sich auch hier ein Transportmodell. Das Bundeskartellamt hat es jetzt noch für weitere zehn Jahre durch Auflagen an die großen Programmveranstalter garantiert.

III. Frequenzen für den privaten Rundfunk – zunächst nur für das Radio Das klassische Modell der Infrastrukturförderung für den Rundfunk, die Bereitstellung knapper und damit wertvoller Frequenzen gegen die Auflage von Programmleistungen, kam in Deutschland beim Fernsehen erst einmal nicht zum Einsatz, weil man irrtümlich glaubte, es gäbe keine freien Frequenzen. Das Know-how in Frequenzfragen lag ausschließlich beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der natürlich kein Interesse an einer privaten Konkurrenz hatte. Privater Hörfunk über Frequenzen begann mit Verfügbarkeit des UKWFrequenzspektrums oberhalb 100 MHz durch die Genfer Konferenz 1985. Über UKW konnten fast alle Haushalte erreicht werden, der öffentlich-rechtliche Rundfunk ließ genügend Felder für die private Konkurrenz offen. Auch viele seiner innovativsten Mitarbeiter wechselten zum Privatradio. Damit begann die Erfolgsgeschichte des privaten Radios, nur ab und zu gehemmt dadurch, dass die Verleger – in den meisten Ländern aus Abwehrgründen beteiligt – die Chancen des Radios nicht hinreichend nutzten und das Medienrecht komplizierte Anbietergemeinschaften erzwang. Dem Modell des öffentlich-rechtlichen Radios entsprechend waren flächendeckende Sender das Ziel. Nur ist privatwirtschaftlich die Versorgung dünn besiedelter Regionen weniger attraktiv als die von Ballungsräumen. Daher entstand ein erster Schwerpunkt der Förderung durch die Landesmedienanstalten aus dem inzwischen durchgesetzten Anteil am

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aufkommen, in der Zweckbestimmung des Rundfunkstaatsvertrages mit der „Versorgung des gesamten Landes“ ausgewiesen. Wer spät, aber dann immer noch ohne private Konkurrenz in den Markt kam und von den Erfahrungen und Fehlern anderer lernen konnte, hatte natürlich besondere Chancen auf ein ertragreiches Wirken, neben einem relativ schwachen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Hessen war jedenfalls das Paradies für den, der sich eine Beteiligung an FFH sichern konnte. Neben finanzieller Förderung gewann die personelle Unterstützung der Frequenzsuche durch die Medienanstalten zunehmende Bedeutung. Damit konnten neue Frequenzen für den privaten Rundfunk erschlossen werden, immer mit dem Nachteil, dass die Staatskanzleien dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk näher standen und in den meisten Ländern die Schiedsrichterrolle spielten.

IV. Standortpolitik statt Programmauflagen Fernsehfrequenzen wurden mit diesem Know-how schließlich doch gefunden und gegen Ende der Achtzigerjahre auch für private Veranstalter vergeben. Sie brachten den Durchbruch des privaten Fernsehens, das mit mehr Reichweite auch attraktivere Programme finanzieren konnte, auch die Bundesliga und Wimbledon anbot und damit zur echten Konkurrenz für das etablierte öffentlich-rechtliche System wurde. Fernsehfrequenzen wurden regional vergeben und zu einem Hauptinstrument der Standortpolitik mit einer Dominanz der reichweitenstärksten Länder Nordrhein-Westfalen und Bayern. Programmliche Leistungen nach dem Vorbild der Pflichtenhefte in anderen europäischen Ländern spielten in Deutschland kaum eine Rolle, auch bei Drittsendezeiten und regionalen Fenstern dominieren bis heute die Standortinteressen. Der Durchbruch der direkt empfangbaren Satelliten zum zweitwichtigsten Übertragungsweg wurde durch die deutsche Einheit gefördert, da der Satellitenempfang viel schneller realisiert werden konnte als der Bau von Kabelnetzen oder terrestrischen Sendern. Auch in den westlichen Bundesländern ging die terrestrische Verbreitung kontinuierlich zurück; zu Gunsten des Kabel- und Satellitenempfangs.

V.

Digitalisierung und Privatisierung der Telekommunikation

Ab 1995 kam die Digitalisierung. Auf Kabel und Satellit wurde sie zunächst vor allem vom Pay-TV vorangetrieben, das die notwendigen Geräte subventionieren konnte und attraktive Sport- und Filmrechte erwarb. Medienrechtlich wurde gesichert, dass auch andere und unverschlüsselte Programme auf den Geräten dargestellt wurden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk expandierte auch ins Digitale. Es begann ein langer Weg, bis die frei empfangbaren digitalen Programme attraktiver und die Geräte billiger wurden. Die Kirchgruppe kosteten ihre Milliardeninvestitionen die Existenz, viele Ansätze neuer Spartenprogramme scheiterten.

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Parallel zur Digitalisierung gab es eine zweite grundlegende Änderung: die Privatisierung der Kabelnetze zunächst bei der Deutschen Telekom, dann ihr Verkauf an private Investoren. Damit verloren Medienpolitik und Medienanstalten ihren Einfluss auf die Entwicklung der Kabelstrukturen. Zum wichtigsten Regulierer wurden die Kartellbehörden.

VI. Das teuerste Förderungsprojekt der Medienanstalten: DAB Ein besonderes Kapitel war und ist die terrestrische Verbreitung. Die erste und größte Aufmerksamkeit galt dem digitalen Radio DAB. Nach Pilotprojekten ging es mit großen Hoffnungen in den Regelbetrieb, zu einer Zeit, als es noch keine Mobiltelefone und keine Verbreitung von Medieninhalten über das Internet gab. Keine Verbreitungsart ist von den Medienanstalten finanziell so stark gefördert worden wie DAB, keine allerdings auch mit so wenig Erfolg. Beihilfegrundsätze fanden damals keine Anwendung, jedes Land agierte für sich, eine Erfolgskontrolle gab es nur in Anfängen. Man sollte das den Medienanstalten nicht vorwerfen, der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat noch viel mehr Geld ausgegeben, auch in Relation zu seinem Gebührenaufkommen. Auch seine Ingenieure hatten nicht verständlich vermittelt, dass die Sendeleistungen so schwach waren, dass man DAB anders als UKW im Badezimmer nicht hören konnte. Mit DAB+ begann 2011 ein zweiter Anlauf. DAB ist ein Lehrstück dafür, dass Technologieförderung allein nicht reicht, sondern dass es auf Programme und auf deren Finanzierung ankommt – die Inhalte entscheiden also über Wohl und Wehe einer Technologie. Wenn es schon über 60 öffentlichrechtliche Programme gibt, mit einer Reichweite in ihrem jeweiligen Gebiet von praktisch der gesamten Bevölkerung, ist es natürlich – im Vergleich zur BBC mit wenigen analogen Programmen – schwerer, neue Programme für ein Bruchteil möglicher Zuhörer zu finanzieren, insbesondere, wenn man nicht bereit ist, stärker zusammenzuarbeiten als bisher. Im privaten Bereich bekennen sich zwar alle zur Digitalisierung, die reale Interessenlage weicht aber bei vielen davon ab, weil Digitalisierung mehr Konkurrenz bedeutet.

VII. Aus Fehlern lernen: der Umstieg auf die digitale terrestrische Fernsehversorgung In Berlin und Brandenburg haben wir auch Millionen Deutsche Mark für DAB ausgegeben, aber daraus gelernt und ein Konzept für den Umstieg der terrestrischen Fernsehübertragung entwickelt. Ohne Umstieg war die Terrestrik insgesamt bedroht, damit auch der Einfluss auf die Frequenzen und ihre Perspektiven. Ein Umstieg musste hart sein, also ohne langen Simulcast, weil nur so eine hinreichende Programmvielfalt geboten werden konnte. Es war ein Markttest in einem begrenzten Ballungsraum unter Nutzung des Vorteils des Föderalismus, dass in schwierigen Situationen einer vorangehen kann, von dessen Erfahrungen dann andere profitieren.

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Weil die privaten Fernsehveranstalter auch die Option des Ausstiegs aus der Terrestrik hatten und dies die für sie betriebswirtschaftlich günstigste Lösung gewesen wäre, hat die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) den Umstieg finanziell gefördert, gegen die Zusage, DVB-T für mindestens fünf Jahre zu nutzen, um den Verbrauchern eine hinreichende Perspektive für den Erwerb der damals noch ziemlich teuren Set-TopBoxen zu geben. Die Europäische Kommission hat das nicht akzeptiert und ist darin von den europäischen Gerichten bestätigt worden. Für mehrere Medienanstalten lag darin auch ein Vorteil. Sie konnten den für den DVB-T-Umstieg vorgesehenen Betrag anderweitig verwenden. Die Anwendung des Beihilferechts setzt nun künftigen Förderungen der Medienanstalten enge Grenzen. Ein wesentlicher Grundsatz ist die Technologieneutralität. In der digitalen Welt gibt es keine Alleinstellung eines Übertragungsweges mehr. Es ist also praktisch ausgeschlossen, bestimmte Technologien wie DVB-T oder DAB zu fördern.

VIII. Förderung der Verbreitung regionaler und lokaler Veranstalter Die Förderung muss sich künftig auf diejenigen konzentrieren, die durch die Tendenz der Zentralisierung der Netze im Rahmen der Digitalisierung besonderer Aufmerksamkeit bedürfen und die von der Medienpolitik lange Jahre zulasten der für die Standorte attraktiveren bundesweiten Veranstalter vernachlässigt worden sind: die regionalen und lokalen Veranstalter. In den alten Bundesländern werden einige regionale Fenster durch Verpflichtungen der beiden großen Fernsehsender noch finanziell gefördert. Außerdem profitieren sie im Rahmen der Fenster von den Reichweiten der überregionalen Programme. Wo es wie in den neuen Ländern solche Möglichkeiten nicht gibt, haben die Medienanstalten eine besondere Aufgabe bei der Förderung der Reichweiten als Grundlage der programmlichen Leistungsfähigkeit. Bei der Kabelverbreitung haben die Medienanstalten gemeinsam dafür gesorgt, dass die Netzstrukturen so entwickelt worden sind, dass auch lokale und regionale Programme digital verbreitet werden können. Da ein Großteil der Haushalte nur über Satellit erreicht werden kann, ist auch die Förderung der Satellitenverbreitung eine Option. Längerfristig ist das Internet die beste Form, lokale Inhalte zu der jeweils vom Nutzer gewünschten Zeit zu übertragen, nur wird es noch eine Weile dauern, bis die Nutzung von über das Internet übertragenen Programmen auf dem großen Bildschirm so bequem ist und deshalb genauso genutzt wird wie bei einem über einen Rundfunkweg übertragenen Programm.

IX. Die Verwaltung der Knappheit fällt weg Betrachtet man Status und Perspektiven der Förderung der Rundfunkverbreitung, ist zunächst festzustellen: Mit der zunehmenden Digitalisierung, die in absehbarer Zeit auch im Kabel abgeschlossen sein wird, verlieren die Medienanstalten das wichtigste Instrument ihrer Reichweitenförderung. Knappe Kabelkanäle zu verwalten, schuf Einflussmöglichkeiten für die Standortpolitik, auch eine Beschäftigung für die Gremien. 99 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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Die Digitalisierung überwindet diese Knappheit, der Ausbau der Kabelnetze folgt allein wirtschaftlichen Kriterien, so dass den Medienanstalten nur noch bleibt, Chancengleichheit regionaler und lokaler Anbieter und für kleinere, nicht den Senderfamilien angehörige Veranstalter zu gewährleisten. Frequenzen für die Fernsehübertragung sind zwar an sich knapp, die eigentliche Barriere aber sind die hohen Kosten im Verhältnis zu den anderen Übertragungswegen, so dass auch hier der Zugang letztlich nicht mehr von den Medienanstalten abhängt. Die Medienanstalten sind zwar noch formell Bedarfsträger, die Entscheidung über die Nutzung aber treffen die Veranstalter nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Allein der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat noch Gewicht. Wenn RTL die bisher genutzten Frequenzen Ende 2014 aufgeben will, zeigt das, dass diese Frequenzen auch von einem so großen Veranstalter nicht mehr als wertvoll betrachtet werden, und die Position des Rundfunks gegenüber dem Mobilfunk gesschwächt ist, der immerhin bereit ist, in einer Versteigerung dafür zu bezahlen. Mit dem Wegfall der Knappheit durch die Digitalisierung steigt auch der Nutzereinfluss. Mit der analogen Kanalbelegung gab es früher Vorgaben, die die Nutzungsmöglichkeiten der Haushalte bestimmten. Was nicht übertragen wurde, gab es nicht. Jetzt gibt es keine Knappheit mehr. Der Nutzer kann sich seine Favoriten selbst einrichten, auch ohne Must-Carry-Programme, so dass „must-be-found“-Ansätze allenfalls eine begrenzte Wirksamkeit entfalten könnten. Weil Medienpolitik und Medienanstalten keine geldwerten Vorteile mehr zu vergeben haben, und sich auch die Möglichkeiten ihrer finanziellen Förderung auf Nischen beschränken, können sich Netzbetreiber wie Veranstalter allein an wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausrichten. Der Einfluss von Finanzinvestoren ist entsprechend gewachsen. Den Medienanstalten bleibt die Regulierung, aber anders als das Bundeskartellamt und die Bundesnetzagentur sind sie nicht Schiedsrichter in den „großen“ Fragen. In den Staatskanzleien gibt es eine Zurückhaltung, den Medienanstalten neue Kompetenzen zuzuweisen. Damit verlieren die Länder auch selbst an Einfluss.

X.

Hat die Anreizregulierung eine Chance? Neutralität oder Priorisierung?

Und doch bleibt die große Herausforderung das Internet. Mit dem Best-effort-Prinzip hat es einen offeneren Zugang ermöglicht, als er durch die Rundfunkregulierung möglich war; mit der Breitbandigkeit auch für audiovisuelle Medien. Doch nun droht nach den Geschäftsmodellen der Netzbetreiber als neues Verbreitungsprinzip, dass derjenige am schnellsten und in bester Qualität verbreitet wird, der dafür besonders bezahlt, also ein Zweiklasseninternet. Medienregulierung hat einen ganz anderen Ansatz: denjenigen Inhalten eine Verbreitung zu ermöglichen, die für die Meinungsvielfalt und die öffentliche Willensbildung von besonderer Bedeutung sind.

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In der klassischen Rundfunkwelt gab und gibt es dafür besondere Übertragungswege mit besondereren Regelungen, wie der, dass für Frequenzen nicht bezahlt werden muss. Wenn die Rundfunkwege durch das Internet mehr und mehr abgelöst werden, stellt sich die Frage: Reicht die Sicherung der Netzneutralität, also das Verbot der Bevorzugung bestimmter Inhalte, nur weil ihre Anbieter besonders zahlungskräftig sind, oder brauchen wir darüber hinausgehend eine inhaltlich bestimmte Priorisierung? Der Rundfunkbegriff ist für die notwendige Abgrenzung nicht mehr geeignet, wohl aber könnten es journalistische Leistungen sein, die eine besondere Förderung verdienen. Der Vorrang der Verbreitungsförderung vor der Förderung bestimmter Inhalte hat sich im Rundfunkbereich bewährt und könnte auch ein Vorbild werden, wenn der Journalismus auf regionaler und lokaler Ebene zunehmend der Unterstützung bedarf, seine Unabhängigkeit aber gewährleistet bleiben muss.

XI. Ein praktisches Beispiel: Digitales Radio (über das Internet)? Um ein Beispiel für ein künftiges Szenario der Priorisierung und damit Verbreitungsförderung zu bilden: Die Nutzung von Radioprogrammen über das Internet wächst schneller als die über DAB. Über Festnetze und angeschlossene WLANs ist es schon heute für die allermeisten Haushalte kein Problem, eine unbegrenzte Zahl von Radioprogrammen zu hören. Schwachstelle ist noch der mobile Empfang, der im Auto über WLANs nicht realisiert werden kann. DAB wird mit Sicherheit nicht die Rolle von UKW übernehmen und fast die gesamte Bevölkerung über Geräte in jeden Haushalt versorgen, sondern allenfalls einer von verschiedenen digitalen Übertragungswegen sein. Nun haben die Netzbetreiber in ihren Geschäftsmodellen nur begrenztes Interesse an gestreamten Radioprogrammen: Sie erfordern hohe Datenraten und Datenmengen, und bringen nur begrenzte Umsatzaussichten. Wenn Internet zum wichtigsten Übertragungsweg für Radio werden sollte, wäre es dann nicht konsequent, für jene Programme, die besondere Leistungen jenseits der Musik erbringen, einen bevorzugten Zugang zum Frequenzspektrum vorzusehen und dies auch als Auflage für eine künftige Vergabe von Rundfunkfrequenzen einzurichten? Die Besonderheit der Medien bleibt auch in der digitalen Welt erhalten, nur die Instrumente der Förderung müssen sich ändern. Also eine Herausforderung an die Medienanstalten, nicht alten Modellen hinterherzutrauern, sondern neue Lösungen zu entwickeln.

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Medienpolitik als Ordnungspolitik Claus Detjen Wenn im Internet Meinungsmacht und Datenmanipulation unkontrolliert wachsen: Wie viel Schutz organisiert die Gesellschaft, wie viel Eigenverantwortung müssen die Bürger aufbringen? Wir sind perfekt organisiert, wenn es um die Kontrolle der Filstalwelle und des Alsterradios geht, aber hilflos gegen Big Data und bei der Sicherung der Privatsphäre im Internet. Wenn die Kommunikationstechnik alle Grenzen einreißt: Schützen uns dann noch die alten Regelungen aus der Zeit der Pilotprojekte? Ein Beitrag zur Suche nach dem Leitbild, in dem Freiheit nicht Chaos oder Anarchie, gesellschaftliche Ordnung nicht Bevormundung des einzelnen bedeutet.

I.

Eine schöne Erbschaft

Die Pfälzer, Auserwählte für das erste Kabelpilotprojekt, wissen, was die drei schönsten Dinge des Lebens sind: Zu dritt Karten spielen, zu zweit schlafen und allein erben. Die Länder haben aus den Pilotprojekten, 1978 von den Ministerpräsidenten beschlossen, ein wunderbares Alleinerbe erhalten: die Kabelgroschen. Kein Bundesland ist angesichts der üppigen Geldquelle in Versuchung geraten, das Erbe auszuschlagen. Das ist immer so, wenn eine fette Erbschaft winkt. Wie der Erblasser das Geld zusammenbrachte, wofür es angesammelt wurde – das kümmert niemand mehr, wenn die Erbschaft fällig wird. Wer erinnert sich noch daran, dass einst Die Grünen die Abschaffung des Kabelgroschens forderten? Die Kabelgroschen haben Institutionen entstehen lassen, die zum festen Bestandteil der parteipolitisch nutzbaren Infrastruktur der Länder geworden sind. Niemand stellt sie mehr in Frage. Aus unscheinbaren 20 Pfennig Kabelgroschen pro Monat sind fast 150 Millionen Euro pro Jahr geworden. Sie sind die finanzielle Basis der 14 Landesmedienanstalten, die aus einem jahrelangen Grundsatzstreit zwischen den Polen staatlicher Kontrolle und liberaler Wettbewerbsstruktur hervorgingen. Dreißig Jahre nach dem Beginn der privaten Radio- und Fernsehprogramme in Deutschland – der 1. Januar 1984 war Sendestart in Ludwigshafen am Rhein – stellt sich im Licht einer digitalen Evolution, die alle damals vorstellbaren Medienentwicklungen übertrifft, wiederum die Frage: Wie viel staatliche Intervention ist geboten, wie viel Freiraum wird zugelassen? Sprengt die Kommunikationstechnik die Fesseln, die ihr politisch angelegt werden? Können den Medienanstalten Funktionen übertragen werden, die sie in die Lage versetzen, heute erkennbaren Gefährdungen durch Meinungsmacht und Datenmanipulation entgegenzuwirken? An Geldmangel kann es nicht liegen, wenn sie diese Chance bisher verpassten. Sie sind mit Geld so gut ausgestattet, dass sie 2013 sogar 14 Millionen Euro für Medienforschung und Medienkompetenz ausgeben können. Hier liegen ihre zu wenig genutzten Potentiale, die öffentliche Debatte über die sich im Internet zusammenbal-

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lende Macht und das Eindringen der Geheimdienste in die privaten Daten jedes Internetnutzers zu befruchten. Die wünschenswerte medienpolitische Auseinandersetzung zwischen liberalen Kräften und Verfechtern der am vormundschaftlichen Staat orientierten Konzepte steht aus. Sie müsste einen Streit um die Machbarkeit des Erwünschten und die unersetzbare Eigendynamik der Technik fruchtbar machen. Wer gibt Wegweisungen für die Auseinandersetzung mit der Dynamik der weltweit agierenden Großunternehmen, die Technik skrupellos einsetzen und die gewohnten Medien verdrängen? Orientieren wir uns an der im Artikel 5 des Grundgesetzes postulierten Freiheit oder an der überholten Mangelsituation, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk legitimiert und die Medienanstalten entstehen ließ? Noch immer gilt, was Bundeskanzler Willy Brandt am 18. Januar 1973 zur Einsetzung der „Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems (KtK)“ im Bundestag erklärte, nämlich „dass Neuerungen auf dem Gebiet der Informationsverarbeitung und Kommunikation mehr und mehr die technisch-wirtschaftliche Entwicklung beeinflussen, aber auch das Zusammenleben der Menschen“.1 Die Dimensionen, die mit dieser Feststellung erfasst werden, weil sie so allgemein und damit schon fast trivial ist, waren vor 40 Jahren nicht vorstellbar. Wer hätte an die Wirklichkeit gewordene Manipulation unserer Daten durch ihre undurchschaubare Anhäufung und Kreuzung in global wandernden Digitalwolken gedacht, deren Anfälligkeit für Zugriffe von Geheimdiensten und Kriminellen unsere Privatsphären aufhebt? Die Kommission schlug im Dezember 1975 vor, „in Modellversuchen zu klären, wie die Bevölkerung auf ein breites Angebot an Diensten und Programmen reagiert. Kleinster gemeinsamer Nenner war dabei der Vorschlag, ab 1980 Pilotprojekte mit Breitbandkabelsystemen durchzuführen“.2 Niemand hatte die Phantasie, vorherzusagen, wie Kommunikationssatelliten die Welt verändern, wie ein weltumspannendes und alle Grenzen überwindendes System wie das Internet entstehen könnte. In der KtK saßen kein Jules Vernes und kein Arthur C. Clarke. Die Pilotprojekte haben uns auch gelehrt, wie begrenzt unsere Prognosefähigkeiten sind und wie verführerisch der Glaube an die Machbarkeit des Erwünschten. Das Bemühen, vor nahezu 40 Jahren in Kabelpilotprojekten die Medienzukunft zu testen, erscheint angesichts der heutigen Kommunikationstechnik wie der Versuch, 1835 mit der Adler-Dampflok zwischen Nürnberg und Fürth auf der ersten deutschen Eisenbahnstrecke die Luftfahrt des 20. Jahrhunderts zu erproben und daraus Regulierungen zu entwickeln, um sie dem Schienenverkehr zuzuordnen.

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Ory/Sura, Der Urknall im Medienlabor – Das Kabelpilotprojekt Ludwigshafen. Berlin 1987, S. 9.

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Ory/Sura, ebd.

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II.

Vom Kabelgroschen zum Rundfunkbeitrag

Man muss der Spur des Geldes folgen, um zu ergründen, wie das Geld der Kabelgroschen die Politik träge gemacht hat. Der Blick zurück legt offen, wie das föderalistische System in Bestandspflege der Rundfunkpolitik erstarrte, statt sich im Wettbewerb – auch mit der Brüsseler Administrationsmacht – weiter zu entwickeln, alte Zöpfe abzuschneiden und die Erbschaft mit Aufgaben neu zu erwerben, die sich aus den Erkenntnissen des 21. Jahrhunderts ergeben. Wer kurz nach Beginn des privaten Rundfunks 1984 öffentlich für die Abschaffung des Kabelgroschens plädierte, wurde schnell zurückgepfiffen. Die Warnung, dass daraus eine aufgeblähte Medienbürokratie entstehen könnte, störte die Freude am Heranwachsen eines neuen, gleichsam autonomen Handlungsraumes der Länder. Schon von Aristoteles war zu lernen, dass Herrschen und Dienen nicht nur zu den notwendigen, sondern auch zu den zuträglichen Dingen gehören. Die Landesmedienanstalten dienten als politisch und rechtlich notwendige Instrumente zur Überwindung des öffentlich-rechtlichen Rundfunkmonopols. Den Zweck haben sie erfüllt. Geblieben sind Organe, die der politischen Herrschaft in den Bundesländern als Geld- und Positionsressource aufs angenehmste zuträglich sind. Eine Episode illustriert den Befund. Sie ereignete sich in einem Land, das keinen erinnerungswürdigen Beitrag zur publizistischen Vielfalt von privatem Radio und privatem Fernsehen hervorgebracht hat, aber eine gesättigte Landesmedienanstalt unterhält. Vor ein paar Jahren antwortete der Ministerpräsident in einer kleinen Tafelrunde auf die Frage, wofür in seinem Land die Medienanstalt noch wichtig ist: Wenn ein verdienter Parteifreund einen Posten braucht und in der Landesrundfunkanstalt oder im Rundfunkrat ist keiner frei, finde ich wenigstens einen Sitz in einem Gremium der Landesmedienanstalt für ihn. Und Auftritte auf Medienkongressen der Landesmedienanstalt sind für den Regierungschef auch immer nützlich. Es war nach der Entdeckung der sprudelnden Einnahmequelle Kabelgroschen schnell klar, dass niemand sie mehr versiegeln wird. Sie folgten – nicht rechtlich, aber wirkungsfaktisch – dem Modell der Sektsteuer, die, für den Kriegsflottenehrgeiz Kaiser Wilhelms II eingeführt, wie viel später der Solidaritätszuschlag ein selbstverständlicher Zufluss zur Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben wurde. Die Kabelgroschen gingen in die Rundfunkgebühr ein und wurden Teil des Rundfunkbeitrags, der Mediensteuer genannt werden müsste, wenn die Länder den Mut zu mehr Transparenz in der Finanzierung ihrer Bürokratien hätten. Man kann auch sagen: Zu jener Steuerehrlichkeit, die unser Staat – zu Recht – von seinen Bürgern verlangt. Was jetzt geschieht, verstößt gegen das Vermummungsverbot, auch wenn es das für den staatlichen Umgang mit Geldern gar nicht gibt. Der Rundfunkbeitrag, der die Rundfunkgebühr abgelöst hat, ist eine verbale Tarnung. Beiträge werden in dem bei uns gängigen Sprachverständnis freiwillig gezahlt und entstehen z. B. durch Beitritt zu einer Organisation. Gerade wenn es um Kommunikation und Medien geht, sollte sich der Staat an den allgemeinen Sprachgebrauch halten und sich nicht auf die juristische Aus-

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rede zurückziehen, dass die Anliegerabgaben für den Straßenerhalt rechtlich als Beiträge deklariert sind. Diese Abgabe zahlt, wer die Straße nutzt. Eine Zwangsabgabe, die auch der zahlen muss, der Rundfunk nicht in Anspruch nimmt, weder privaten noch öffentlich-rechtlichen, ist kein Beitrag; sie ist eine getarnte Steuer. Die Länder greifen mit dem Rundfunkbeitrag den Bürgern tief in die Tasche. Als die 20 Pfennig Kabelgroschen als Teil der Rundfunkgebühr eingeführt wurden, betrug die an Geräte und Nutzung gebundene monatliche Rundfunkgebühr 16,25 DM. Der Betrag hat sich bis heute mehr als verdoppelt. Aus zwei Kabelgroschen, umgerechnet zehn Eurocent, sind 34 Eurocent pro Monat für die Landesmedienanstalten geworden – eine Steigerung um 240 Prozent. Die Medienanstalten erhalten aber nur gut zwei Drittel des für sie erhobenen Geldes. Im Rundfunkstaatsvertrag der Länder wurde den Medienanstalten ein Anteil von rund zwei Prozent am Rundfunkbeitrag von 17,98 Euro pro Monat zugesprochen. Daraus errechnen sich für das Jahr 2012 fast 142 Millionen Euro. In den Budgets der Medienanstalten werden nur 100 Millionen Euro als Einnahmen aus dem Rundfunkbeitrag ausgewiesen. Wer den verbleibenden 40 Millionen nachspürt, stößt auf unbestimmte Begriffe wie „Einbehalt“ oder „Vorabzug“ und auf nicht bezifferte Kosten des Einzugs, der von einer wenig auskunftsbereiten Nachfolgeorganisation der GEZ (Gebühreneinzugszentrale) vorgenommen wird. Die ARD weist die Kosten des Gebühreneinzugs mit über 159 Millionen Euro aus – das sind 2,13 Prozent des Gesamtaufkommens. Die Landesmedienanstalten müssen 3,6 Prozent ihres Gebührenanteils an die GEZ-Nachfolgeinstitution abführen. Niemand erklärt den Unterschied, der Millionen ausmacht und wofür diese verwendet werden. Mindestens 40 Millionen Euro genehmigen sich die Länder 2013 aus dem Anteil der Landesmedienanstalten am Rundfunkbeitrag nach eigenem Ermessen. Der so genannte „Einbehalt“ oder „Vorabzug“ wird nach einer Mitteilung der gemeinsamen Geschäftsstelle der Medienanstalten an die Funkkorrespondenz „je nach Landesrecht etwa für Film- und Kulturförderung“ verwendet.3 Wie ungeniert Landespolitik mit dem Erbe aus den Pilotprojekten umgehen kann, zeigen die Begehrlichkeiten, mit denen in Nordrhein-Westfalen und in Bayern SPDPolitiker auf den Rundfunkbeitrag zugreifen wollen, um Pressepolitik zu betreiben. Die Grenzüberschreitungen der Medientätigkeiten beflügeln die Versuchung, die einstigen Kabelgroschen für Eingriffe in den Pressemarkt gefügig zu machen. Die Ziele dafür sind von Medienpolitikern der SPD wie dem nordrhein-westfälischen Staatssekretär und Vorsitzenden der SPD-Medienkommission Marc Jan Eumann gesteckt worden: eine Stiftung, über die Landesmedienanstalt finanziert aus Mitteln des Rundfunkbeitrags, die Presse und Journalisten fördern soll. Der Landtagsabgeordnete Achim Werner schloss sich dieser Initiative für die bayerische SPD an.4

3

„Wirtschaftszahlen der Landesmedienanstalten für das Jahr 2013“, www.die-medienanstalten.de.

4

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. September 2013, S. 31.

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Darf der Zwangsbeitrag für den Rundfunk tatsächlich so ungeniert parteipolitischer Manipulation ausgeliefert werden? Schleicht sich auf diesem Umweg ein Stück parteipolitisch dominierter staatlicher Einfluss in den vom Artikel 5 des Grundgesetzes als staatsfrei geschützten und vom Bundesverfassungsgericht wiederholt bestätigten Freiheitsraum der Presse ein? Ein Freiheitsraum, dessen privatwirtschaftliche Struktur vom Bundesverfassungsgericht als eine der Grundlagen der Demokratie definiert wurde? Die Begehrlichkeiten geben Anlass, über die Rechtsgrundlagen des Rundfunkbeitrags generell nachzudenken, worauf an anderer Stelle dieser Abhandlung eingegangen wird. Vielleicht werden die Klagen gegen den Rundfunkbeitrag, die unter anderem von dem Autoverleiher Sixt und der Drogeriemarktkette Rossmann verfochten werden, den Anstoß für eine über den Status quo hinaus führende politische und rechtliche Debatte geben. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung meldete am 26. August 2013: „Medienpolitiker denken über Rundfunkabgabe nach“; das Blatt zitierte politische Erwägungen, statt der Zwangsabgabe des Rundfunkbeitrags eine Medienabgabe von jeder einkommenssteuerpflichtigen Person zu erheben. Der Einzug könne wie die Kirchensteuer treuhänderisch durch die Finanzämter erfolgen und die hohen Kosten des bisherigen Einzugs durch die frühere GEZ könnten eingespart werden.5

III. Bestandspflege statt Wettbewerb Als die Kabelgroschen eingeführt und Landesmedienanstalten gegründet wurden, lagen zwei unterschiedliche medienpolitische Konzepte miteinander im parteipolitischen Wettbewerb: Das eine folgte einem ordnungspolitischen Freiheitsideal, das andere einem etatistischen Regulierungsmodell. Das eine stellte die Technik in den Dienst der Erweiterung freier Kommunikationssysteme und wollte für dieses Ziel auch das die Technik beherrschende Postmonopol auflösen, das andere sah den Vorrang in der Unterordnung der Technik unter die medienpolitisch motivierten Regulierungswünsche. Das eine orientierte sich mehr an den Grundsätzen der Pressefreiheit nach Artikel 5 des Grundgesetzes, das andere an der Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Konkret standen gegeneinander: Einerseits das Unionsvorhaben, das öffentlichrechtliche Rundfunkmonopol zu brechen, privatwirtschaftliche Veranstalter von Radio und Fernsehen zuzulassen und ein duales Rundfunksystem zu etablieren. Dahinter lag der Wunsch nach Entautorisierung der aus Unionssicht linkslastigen öffentlichrechtlichen Anstalten und nach mehr publizistischem Wettbewerb. Andererseits die SPD: sie musste einsehen, dass sie das öffentlich-rechtliche Monopol gegen die Union nicht retten kann. Ihr Misstrauen gegen die Ausweitung des privatwirtschaftlichen Pressesektors in den Bereich des Rundfunks blieb dabei ungebrochen, unbeschadet ihrer lukrativen eigenen Beteiligung an zahlreichen Zeitungen. Sie strebte ein bis in die lokalen Märkte hinein reguliertes und gesellschaftlicher Kontrolle unterworfenes drittes Rechtsfeld zwischen privatwirtschaftlicher Presse und öffentlich-rechtlichen Anstalten an.

5

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. August 2013, Seite 19.

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Die Kabelgroschen wurden, zumindest von der Unionsseite, den Gebührenzahlern zugemutet, um mehr Freiheit zu wagen. Die Pilotprojekte waren die einzigen Instrumente, die von der SPD und den Gewerkschaften seinerzeit betriebene Blockade technischer Innovation zu überwinden – mit dem Versprechen, die Technik zu bändigen und ihren Einsatz gesellschaftlich zu regulieren. Vom ordnungspolitischen Wettbewerb unter den Ländern ist nichts geblieben. Die leidenschaftliche Debatte um die Gestaltung der Medienzukunft, die in den Siebziger- und Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts geführt wurde, ist verebbt. Die Medienpolitik der Parteien wurde zum Mittel der situativen Beliebigkeit und nützlichen Opportunität. Alle Seiten haben sich miteinander in Selbstzufriedenheit arrangiert. Auch dazu hat die Erbschaft namens Kabelgroschen beigetragen. Schließlich profitieren alle davon – sogar viele private Veranstalter in Form offener oder verdeckter Subventionen, z. B. bei der Schaffung und Erhaltung der technischen Infrastruktur. Herausgekommen ist auch eine von den Gegnern des privaten Rundfunks – an deren Spitze die Gewerkschaften standen – zuvor nie erahnte Vervielfachung von Arbeitsplätzen in der Medien- und Werbewirtschaft. Auch damit wurde ein Ziel der 1973 von Bund und Ländern eingesetzten „Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems“ (KtK) erreicht. Sie sah in den neuen Techniken in erster Linie Chancen für mehr wirtschaftliches Wachstum. Die Erwartung wurde erfüllt. Das Mittel dafür war die Überwindung zuvor in technischen Engpässen liegender Restriktionen und Regulierungen. Wer erinnert sich noch der Verteufelung, der Bundespostminister Christian SchwarzSchilling ausgesetzt war, als er die Liberalisierung des Postmonopols betrieb? Erst das ermöglichte den Modernisierungsschub, der unserem Land die kommunikationstechnische Infrastruktur brachte, die eine der Grundlagen unserer wirtschaftlichen Erfolge ist. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Bernhard Vogel öffnete allen Widerständen gegen die Einführung des privaten Rundfunks zum Trotz die Tür zum dualen Rundfunksystem, an seiner Seite Waldemar Schreckenberger und Hanns-Eberhard Schleyer als Staatskanzleichefs, die rechtliche Beschlagenheit und Geschick in den Verhandlungen mit den SPD-geführten Ländern vereinten. Die Erbschaft aus den Pilotprojekten verdanken die Länder der rheinland-pfälzischen Rundfunkpolitik Bernhard Vogels, die in einem marktwirtschaftlichen Ordnungsdenken wurzelte. Bei weitem nicht alle Erwartungen, die sich damit verbanden, wurden seitens der privaten Veranstalter erfüllt. Vielleicht waren die öffentlich-rechtlichen Anstalten die Hauptgewinner der Öffnung des Rundfunksystems. Zwar haben auch sie mit ihren Programmen die Vorhersage des klugen Intendanten des Süddeutschen Rundfunks, Hans Bausch, bestätigt, dass aus mehr Programmen nur „more of the same“ entsteht – er meinte damit eine Vermehrung des Trivialen. Aber niemand stellt den öffentlichrechtlichen Rundfunk mehr grundsätzlich in Frage wie in den Siebziger- und Achtzigerjahren, als starke Parteizirkel in der CDU der Privatisierung des ZDF das Wort redeten.

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In den Pilotprojekten wurde die Grundlage für die Expansion der öffentlich-rechtlichen Programme gelegt, unter anderem für 3sat und die Überschreitung der Landesgrenzen durch die dritten Programme der Landesrundfunkanstalten. Das dritte bayerische Fernsehprogramm war das erste öffentlich-rechtliche, das auf Satellit ging – um in Ludwigshafen historischen bayerischen Boden zu erreichen, mit Hilfe der eigentlich der privatwirtschaftlichen Öffnung gewidmeten rheinland-pfälzischen Landesmedienanstalt, die damals Anstalt für Kabelkommunikation hieß.

IV.

Leistung und finanzielle Ausstattung entkoppelt

Das System der Landesmedienanstalten hat sich vom Zusammenhang zwischen Leistung und finanzieller Ausstattung entkoppelt. Selbst dann, wenn sie weder ein als Rundfunk definiertes Programm zu lizenzieren oder eine einzige Sendung zu überwachen hätte, bräuchte sich keine Landesmedienanstalt um ihre Einnahmen Sorgen zu machen. Denn unabhängig davon, was sie tut oder nicht tut, bleibt ihr Anteil am Rundfunkbeitrag ungeschmälert. Die Erbschaft Kabelgroschen hat nicht nur die Politik bequem, sondern auch die Medienanstalten übergewichtig und träge gemacht. Das Jahrbuch der Landesmedienanstalten6 gibt Aufschluss, welchen Umfang ihre Organe und Apparate angenommen haben. Die Transparenz, die von den Unternehmen und Organisationen verlangt wird, die den Landesmedienanstalten auskunftspflichtig sind, wird von diesen selbst allerdings verweigert. Ein Zusammenhang zwischen Personalkosten, Personalstärke und zu leistender Aufsicht wird nicht nachgewiesen. Gleiches gilt für die Zahl der Gremien und ihrer Mitglieder. Nur fünf der 14 Landesmedienanstalten weisen ihre Personalkosten aus. Ihr Anteil an den Gesamtbudgets schwankt auffällig: Baden-Württemberg 19,2 Prozent, Bayern 27,3 Prozent, Niedersachsen 18,9 Prozent, Nordrhein-Westfalen 29,3 Prozent, Saarland 55,3 Prozent. Von den etwa 470 Stellen, die im Jahrbuch 2012/2013 aufgeführt werden, zählt Bayern die meisten (77), gefolgt von Nordrhein-Westfalen (57) und Rheinland-Pfalz (46), Mecklenburg-Vorpommern die wenigsten (18). Wer will den Landesmedienanstalten einen Vorwurf daraus machen, dass sie sich nicht selbst abschaffen? Von wem dürfte schon erwartet werden, seine Existenzgrundlagen freiwillig in Frage zu stellen – doch wohl nicht von den Mitarbeitern, die in den Anstalten öffentlich-rechtlichen Status genießen. Auch nicht von den mehr als tausend Mitgliedern der Gremien, die Bedeutung und Wertschätzung aufgeben müssten. Interessant bleibt unbeschadet davon ein Vergleich: Das Bundeskartellamt, das in seiner Bedeutung für unseren Staat sicher den Medienanstalten nicht nachsteht, weist 320 Planstellen und etwas mehr als ein Fünftel (unter 22 Millionen Euro) der Budgets der Länderanstalten aus. Die Beiträge des Jahrbuchs zeigen, welcher Anstrengungen es bedarf, einzufangen, was dem Zugriff entgleitet. Linear verbreitete Sendungen, Angebote auf Abruf, Telemedien,

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Jahrbuch – Landesmedienanstalten und privater Rundfunk in Deutschland 2012/2013, Berlin 2013.

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Connected TV, Smart TV, Hybrid TV – bedarf alles der Regulierung? Kann alles reguliert werden? Wie bizarr hier die Mühle der Paragrafen gefüllt wird, erhellt eine Klausel des Rundfunkstaatsvertrags: Ausdrücklich von der rundfunkrechtlichen Aufsicht ausgenommen werden Routenplaner im Internet. Niemand erklärt dem verdutzten Bürger, weshalb er schutzlos der Gefahr ausgesetzt wird, dass ihn der Routenplaner des Guide Michelin immer zuerst in ein Dreisternerestaurant leitet, bevor Omas Domizil in Hoppenböken erreicht wird. Die Versuchung, sich zum Vormund der Nutzer zu erheben, ist nicht aufgegeben. Zutreffend wird erkannt: „Die Aufmerksamkeit der Zuschauer ist ein knappes Gut“.7 Muss aber daraus wirklich der Anspruch abgeleitet werden, Anbieter von technischen Dienstleistungen – z. B. Kabelnetzbetreiber – oder von Inhalten – z. B. Programmübersichten – unter die Aufsicht der Landesmedienanstalten zu stellen, damit für „Diskriminierungsfreiheit“ (sic!) und „Chancengleichheit“ gesorgt wird?8 Geht das nicht auch nach dem Modell Pressegrosso? Wenn die Medienaufsicht im Supermarkt der Informationen wacht, brauchen wir da nicht auch eine staatlich angeordnete Institution, die bei Edeka und Aldi für „Diskriminierungsfreiheit“ und „Chancengleichheit“ in den Regalen sorgt? Schließlich sind Lebensmittel doch nicht weniger wichtig als TV-Comedys und die Filstalwelle, von denen man zwar Kopfweh, aber nicht eine lebensgefährliche Salmonellenvergiftung bekommen kann. Für viele der Aufgaben, die heute von Landesmedienanstalten fern von ihrem ursprünglichen Auftrag – Lizenzierung von privaten Radio- und Fernsehprogrammen im Kabelund Satellitenrundfunk sowie deren Beaufsichtigung – wahrgenommen werden, lassen sich gute Gründe anführen. Wer würde es ablehnen, Medienkunde zu fördern, Jugendschutz zu betreiben, Medienforschung anzuregen oder Minderheitsbeteiligungen zu ermöglichen. Es läge an den Ländern, mehrfach wahrgenommene und sich überschneidende Aufgabenfelder neu zu ordnen, zum Beispiel im Jugendschutz, wo Medienanstalten, Prüfstellen der Filmwirtschaft und der Printmedien plus Jugendämter in kaum zu durchschauender Kompetenzüberschneidung und unproduktivem Nebeneinander tätig sind. Nicht besser steht es um die wettbewerbsrechtlichen Regeln. Bundeskartellamt, Bundesetzagentur, Landesämter und Medienanstalten überschneiden einander in ihren Tätigkeitsfeldern. Die Regeln, die für die Bemessung von Angebotsvielfalt und Marktstellung der Anbieter gelten, werden von vielen Seiten unterspült. Informationen werden von den Interessenten immer mehr selektiv bei Google gesucht als bei den Medien, die Nachrichten sammeln, ordnen, bewerten und dann in Inhaltspaketen gesendet oder gedruckt verkaufen. Eine Untersuchung der Bayerischen Landeszentrale für Medien (BLM) hat nachgewiesen, dass Facebook die wichtigste Informationsquelle ist, wenn sich junge Leute

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Jahrbuch, S. 30.

8

ebd., S. 30.

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in Deutschland im Internet über das aktuelle Zeitgeschehen in Politik, Wirtschaft und Kultur informieren.9 Wer ordnungspolitisch denkt, wird die Hierarchie der Aufgaben an der Priorität der Eigenverantwortung des Nutzers von Kommunikationstechniken und Medien ausrichten. Er wird nicht auf den Weg des vormundschaftlichen Staates einschwenken und daraus den Medienanstalten in erster Linie Aufgaben von ohnehin fragwürdiger Durchsetzungskraft bei der Kontrolle und bürokratischen Verwaltung von Medien zuweisen. Er wird ihnen die Mittel geben, um Bürgern, vor allem Kindern und Jugendlichen, Medienkenntnis und Medienkompetenz zu vermitteln. Denn das wirksamste Mittel gegen den Missbrauch von Daten und die daraus entstehende Manipulation ist die Selbstkontrolle beim Umgang mit dem Internet. Hier könnte für die Zukunft ein zentrales Aufgabenfeld der Medienanstalten entstehen, vergleichbar mit den Tätigkeiten, die den Landeszentralen und der Bundeszentrale für politische Bildung übertragen wurden. Bernhard Vogel unterlegte sein ordnungspolitisches Konzept mit einer pädagogischen Komponente: „Es geht darum, Medien beurteilen zu lernen, kritisches Medienbewusstsein zu vermitteln und zu einem kritischen Umgang mit den Medien zu erziehen. Medien auswählen, die Auswahl [...] nicht zufällig, sondern bewusst zu treffen [...]. [D]ies entspricht einem fortschrittlichen Menschenbild von einer Persönlichkeit, die ihre Lebensgestaltung selbst be10 stimmt und die sich nicht ‚fremdbestimmen’ lässt.“

Wenn die Gesellschaft das als eine staatliche Aufgabe definiert, müssen die Mittel dafür aus den Staatseinnahmen, also aus Steuern, aufgebracht werden, nicht aus einem immer schwerer zu rechtfertigenden Rundfunkbeitrag. Im Rahmen der Budgethoheit der Länder müssten die Parlamente darüber in ihren Haushaltsentscheidungen beschließen. Jedes Jahr von neuem. Das würde es erschweren, dass sich ein sich selbst die Existenzbegründungen schaffendes System perpetuiert. Bei der Gründung der Anstalten war die Finanzierung aus Staatsmitteln noch unzugänglich, weil andernfalls – besonders in Bayern – die verfassungsrechtlich gebotene Staatsferne des Rundfunks nicht praktizierbar gewesen wäre. In dem Maße, wie die technisch bedingte Mangelverwaltung der für Rundfunk verfügbaren Infrastruktur hinfällig wird, entfällt auch der Zwang, den Medienanstalten eine staatsferne Finanzierung zu gewährleisten.

V.

Die Trennung von Rundfunk und Presse zerfällt

Das Jahrbuch der Landesmedienanstalten 2012/2013 stellt fest, dass sich in der Medienkonvergenz auch die Kriterien auflösen, die bisher für Radio- und Fernsehprogramme

9

Pressemitteilung der BLM vom 6. September 2013.

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Bauer/Ory, Inhalt gestalten – Technik nutzen, Beiträge zur Medienentwicklung im vereinten Deutschland, Berlin 1996, S. 22.

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112 bei der Zulassung und Aufsicht angewandt wurden.11 „Gerade im internationalen Kontext zeigt sich die Bedeutung des weiteren Zusammenwachsens der klassischen Mediengattungen“, schreibt der Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten, Dr. Jürgen Brautmeier, im Editorial des Jahrbuchs. Heute tritt ein, was 1978 noch nicht einmal als Zukunftsfantasie aufscheinen konnte: Der Zusammenbruch der Trennungslinien zwischen den Medien und die Entstehung eines alle geografischen, politischen und rechtlichen Grenzen überwindenden technischen Systems. Wenn Rundfunk im Internet zum Medium des geschriebenen Wortes und Presse zum Verbreiter von bewegten Bildern an unbestimmte Nutzerkreise wird, dann zerfallen die Kriterien der Trennung von Rundfunk und Presse. Die tektonischen Verschiebungen in der Medienlandschaft durch neue Techniken, die Grundlage des Internets sind, gehen weiter als alles, was wir uns vorstellten, als wir um die Zulassung von privaten Veranstaltern im Kabel- und Satellitenrundfunk stritten. Als Breitbandkabel und Satellitenkanäle zur Nutzung bereitgestellt wurden, standen in der Gesellschaft Angstbilder und Fortschrittsvisionen gegeneinander. Mit der Verkabelung verbanden deren Gegner Orwell’sche Szenarien des Eindringens von Big Brother ins deutsche Privatleben. Auch dagegen brachten die Länder die Medienanstalten in Stellung. Wie die Landmassen der Erde in den Zeiten ihrer Ausformung verschieben sich heute die in unseren tradierten Medienordnungen noch erkennbar getrennten Gattungen Rundfunk und Presse unter- und übereinander. Nach dem Urknall12 im Ludwigshafener Medienlabor folgt nun mit den technischen, organisatorischen und inhaltlichen Kapazitäten des Internets die Ausbildung von medialen Kontinenten, Meeren und Gebirgen, deren Ausmaße unsichtbar und unvorstellbar sind. Der Frequenzmangel, der den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und folgerichtig auch die Landesmedienanstalten technisch legitimierte, löst sich in der heutigen Kommunikationstechnik auf. Die öffentliche Aufgabe, Frequenzengpässe für private Unternehmen staatlich zu reglementieren, entfällt zumindest dort, wo es keine Verknappungen mehr für die technischen Mittel der Verbreitung von Inhalten gibt. Fast 80 Prozent der deutschen Haushalte13 empfangen heute ihre TV-Programme digital, das heißt in einer Technik, in der Verknappung von Verbreitungsmöglichkeiten allenfalls willentlich hergestellt werden kann. Es ist also auch zu prüfen, ob und gegebenenfalls wo Engpässe – zum Beispiel in Kabelsystemen – aus welchen Gründen bestehen und wie sie beseitigt werden könnten. Die Rundfunkgebühr, die zur Finanzierung der Grundversorgung mit Radio- und Fernsehprogrammen vom Bundesverfassungsgericht abgesegnet wurde, entstammt einer technischen Infrastruktur, in der leicht zwischen den einzelnen Mediengattungen zu

11 12 13

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Jahrbuch, Kapitel „Digitalisierung des Rundfunks“, S. 22 ff. S. hierzu Ory/Sura, aaO, S. 5. Jahrbuch, S. 45.

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unterscheiden war. Die Kommunikationstechnik, derer wir uns heute bedienen, hält sich nicht daran. In der alten Medienwelt wusste jeder, was eine Zeitung ist, was Radio oder Fernsehen sind. Zeitung war das, was geschrieben und gedruckt wurde, was man danach in die Hand nehmen konnte. Radio und Fernsehen das, was nur mit Radio- und TV-Geräten hörbar und sichtbar gemacht werden konnte. Jedes Medium hatte seinen Ort der Entstehung und der Nutzung. Das Internet unterscheidet technisch nicht zwischen Lesen, Hören, Sehen, zwischen geschriebenen Wörtern und bewegten Bildern; es hat auch keinen Ort – es ist überall. Es vermischt, was in unseren für die Medien geltenden Gesetzen noch getrennt gesehen wird: Im Kartellrecht, im Rundfunkrecht, im Presserecht. Zwar sind unsere rechtlichen Rahmen eine Realität unserer Staatlichkeit, aber das Internet erkennt einfach nicht an, was wir uns an Regelungen für die alten Medien ausgedacht haben. Für dieses verstörende Phänomen trifft die Feststellung des Bloggers Peter Glaser in der Neuen Zürcher Zeitung zu: „Realität ist etwas für Menschen, die nicht mit dem Internet klarkommen“.14

VI.

Ein neuer Freiheitsraum

Dreißig Jahre nach dem Beginn der Kabelpilotprojekte sollten wir von der Technik gelernt haben: Technik hält sich nicht an das, was wir uns vorstellen können. Sie kann mehr als unsere Vorstellungskraft. Und sie ist schneller als wir denken. Die als Professorin in St. Gallen lehrende ehemalige Regierungssprecherin NordrheinWestfalens, Miriam Meckel, hat schon 2008 ein Szenario beschrieben, wie das Internet die Kommunikation in der Gesellschaft und damit die Gesellschaft verändert. Es ermöglicht „[…] die selbst organisierte Interaktion und Kommunikation der Nutzerinnen und Nutzer. [...] Über kommunikative und soziale Vernetzung verändern die Nutzer die gesellschaftliche Kommunikation – weg von den Wenigen, die für Viele produzieren, hin zu den Vielen, aus denen Eins entsteht: das virtuelle Netzwerk der sozial und global Verbundenen. [...] Diese Veränderung [...] bringt langfristig ein gewandeltes Gesellschaftsmodell hervor, das sich als eine Netzwerkgesellschaft beschreiben lässt. Diese steht für einen veränderten Zugriff auf Informationen, veränderte Wissensstrukturen und neue Kommunikationsstrategien: Lineare werden durch reflexive Strukturen ersetzt, Hierarchien weichen Netzwerken 15 – und dies zum Nutzen aller.“

14

NZZ online, 14. August 2013.

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Meckel, Aus Vielen wird das Eins gefunden – wie Web 2.0 unsere Kommunikation verändert, APuZ – Aus Politik und Zeitgeschichte, 39/2008, S. 17.

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Meckel kommt zu dem Schluss: „Diese Unsteuerbarkeit [...] erschwert es, Informations- und Kommunikationsströme zu beherrschen und zu monopolisieren.“16

In dieser Sichtweise öffnet sich der Blick in einen neuen Freiheitsraum, der den Bürgern einer freien Gesellschaft barrierefrei offen bleiben muss. Der so zuversichtlichen Zukunftsvision stellen sich allerdings Erfahrungen entgegen, die jeder Internetnutzer selbst mit dem Missbrauch seiner Daten machen kann, wenn sie ohne sein Wissen aggregiert und verkauft oder von Geheimdiensten ausgespäht werden. Die Pole, zwischen denen die Politik ihre Entscheidungen treffen muss, hat einer der besten Kenner der Kommunikationsentwicklung in den USA, Thomas E. Wheeler, von Präsident Obama als Chairman der Federal Communications Commission in Washington nominiert, schon vor mehr als zehn Jahren aufgezeigt: „Information technology has created the era of the unfetted message. In a world where everyone is afloat in an ocean of information, no one is King and we have information anarchy. Society deplores anarchy and naturally moves toward order. Will that be the result of our own ability to filter and process information? Or will it be the result of the imposition of controls on the information from a central authority?“17

Als „central authority“ kann sich staatliche und wirtschaftliche Macht etablieren – durch die auf Beherrschung der Information angelegten Begehrlichkeiten, gegen die sich die Freiheit der Kommunikation immer durchsetzen musste. Gegen die Mächte, die im Internet entstanden und weiter wachsen, sind die Rechtsmittel, die den Landesmedienanstalten für ihre Schutz- und Überwachungsfunktion aus der Zeit zur Hand gegeben wurden, als Kabel- und Satellitenrundfunk samt seinen privaten Nutzern als die größtmögliche Bedrohung empfunden wurden, wie Werkzeuge aus der Welt der Liliputaner. Die Länder haben es versäumt, das ihnen in vielerlei Hinsicht so leicht verfügbare System für die Auseinandersetzung mit der Ansammlung von Meinungsmacht und Manipulationspotential in den Datenspeichern von Google, Yahoo, von Facebook, von Geheimdiensten, Behörden, Versicherungen, Finanzjongleuren und Parteien tauglich zu machen. Wie weit hier ganz neue Mittel der politischen Beeinflussung von Wählern durch die Kreuzung von Daten aus sozialer Herkunft, Kaufverhalten und politischen Haltungen entstehen, erhellte ein Beitrag in der FAZ mit der Warnung vor den Fähigkeiten des „predictive analytics“ von Wählerverhalten.18 Nicht aus der oft beschworenen Anarchie des Internets erwächst die größte Gefahr für die individuellen Bürgerrechte auf Unversehrtheit der Privatsphäre. Auch kann kaum überraschen, dass die Geheimdienste aus aller Welt sich das Wissen erschließen, das sie aus der Internet-Kommunikation schöpfen können. 16

Meckel, aaO, S. 17.

17

Bauer/Ory, aaO, S. 178.

18

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31. August 2013, S. 31, „Wir wissen, wen du wählen wirst“.

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Bedurfte es wirklich der Selbstinszenierung eines kleinen Geheimdienstlers namens Edward Snowden, um die Erkenntnis entstehen zu lassen, dass alles, was wir im Internet tun, der Sphäre entgleitet, für die sich der schwammige Begriff informationelle Selbstbestimmung herausgebildet hat? Waren die institutionalisierten Medienwächter – so etwas sind doch die Medienanstalten? – mit der Gefahrenabwehr aus dem Lokalfunk in Herne, von Jazztime Nürnberg, von Jena TV, Bibel TV oder Juwelo TV so beschäftigt, dass sie die Chance verpassten, mit Lärm so viel öffentliche Aufmerksamkeit auf die Meinungsmacht der Googles & und Co., den Missbrauch der sogenannten sozialen Netzwerke, die unheimlichen Maschinerien von Big Data zu lenken, wie es dem Whistleblower im Hinblick auf die Geheimdienste gelang? Der Schrecken, den die Aufdeckung der Geheimdienstaktivitäten im Internet hervorrief, lenkt zu sehr von dem Treiben der anderen großen Datensammler ab. Zwischen den Aktivitäten der Geheimdienste einerseits und der Datenmacht der Suchmaschinen, der sogenannten sozialen Netzwerke und der Lenker von Finanzströmen andererseits besteht ein nicht zu unterschätzender Unterschied: Zumindest in den demokratischen Staaten des Westens unterliegen die Geheimdienste rechtsstaatlicher Kontrolle, auch wenn das keine Garantie gegen Missbrauch ist, wie die jüngsten Enthüllungen zeigen. Hier funktionierten aber bisher die Mechanismen der Kontrolle durch die Öffentlichkeit, die freie Medien herstellen. Im Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit breiten sich die Institutionen aus, die mit der Aggregation von Daten ihre Manipulationsmacht aufbauen. Social Media, Data Mining, Data Matching, Micro Targeting bilden die Mittel dafür. Wie Mikroben setzen sich in den privaten Computern ihre Cookies fest, die beim Gros der Nutzer unerkannt bleiben, sie aber kontrollieren können. Wenn sich staatliche Macht darauf Zugriff verschafft, beginnt die Herrschaft von Big Brother. Sollen die Medienanstalten für die Auseinandersetzung mit den abschreckenden wie den zuversichtlichen Zukunftsszenarien fit gemacht werden, muss die Politik dafür die Ideen entwickeln und die Rechtsgrundlagen schaffen. Nur im ordnungspolitischen Wettbewerb der Ideen kann der Weg gefunden werden, im Spannungsfeld zwischen Freiheit der Kommunikationssysteme, Regulierungsansprüchen, eigenmächtigen Kräften von Technik und Finanzkraft mit den Mitteln des Rechts unerwünschter Machtentfaltung entgegenzutreten. Medienpolitik und Kommunikationsentwicklung sind ordnungspolitische Felder. Ohne ordnungspolitische Leitlinien mutieren sie zu Dschungeln opportunistischer Machtpolitik. Darin unterscheiden sich liberale Staatsauffassung und ein Staatsverständnis, das den Bürger in erster Linie als ein schutzbedürftiges Objekt sieht: Liberalität mutet den Bürgern Eigenverantwortung zu. Der Gegenpol verlangt das Vertrauen auf die Fähigkeiten des Staates zu einer immer weiter gehenden Verantwortung für das, was er als das Wohl seiner Bürger definiert.

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Regulierung in Zeiten der Medienkonvergenz Jürgen Brautmeier

I. Veränderungen bestimmen unser Leben. Ohne sie gäbe es keine Entwicklung. Alle Lebens- und Wirkungsbereiche sind davon betroffen. Und: Die wirklich aufregenden Veränderungen spielen sich bei den Medien ab. Rasend schnell, praktisch ohne erkennbare Vorwarnung entwickeln Techniker und Ingenieure neue Geräte, dem potentiellen Käufer und Nutzer bleibt keine Zeit zum Überlegen, wofür er zahlen soll und wichtiger: ob das neue Gerät tatsächlich nützlich für ihn ist. Ein Beispiel: Das neue GoogleSmartphone Moto X hält sein Mikrofon ständig eingeschaltet, damit es Befehle aufnehmen und verarbeiten kann, etwa Aufforderungen, eine bestimmte Telefonnummer anzuwählen oder eine Mail zu schreiben. Nebeneffekt: Es belauscht seine Umgebung, zeichnet unaufhörlich auf: ja, natürlich vorrangig eben jene Befehle des Eigentümers, aber auch anderes – Gesprächsfetzen der Tischnachbarn, Geräusche etc. Braucht der Mensch so etwas? Ist dies ein tatsächlicher sinnvoller Entwicklungsschritt hin zu einem „schöneren“ Leben oder doch nur eine Spinnerei von Entwicklern in einem Markt, der die neuesten Spielereien „hypet“, ohne sich um wirkliche Bedarfe von Mediennutzern zu scheren? Das Beispiel selbst hat mit Medienwandel viel zu tun, mit der Arbeit der Medienanstalten auf den ersten Blick eher wenig. Aber es zeigt eines sehr deutlich: Das Medienrecht stand und steht angesichts des technischen Wandels vor der Schwierigkeit, adäquate Lösungen für die Regulierung eines sich rasend verändernden Marktes zu finden. Das zentrale Ziel von Regulierung muss ja zunächst sein, Unternehmen, die am Markt operieren, einen funktionierenden Regulierungsrahmen zu garantieren, der die Balance zwischen wirtschaftlich sinnvoller Entwicklungschance und einem ausreichenden Schutz der Mediennutzer – vor zu viel Gewalt im Fernsehen, vor Pornografie, die unverschlüsselt aus dem Netz kommt, vor Datenmissbrauch etc. – bietet. Dass die Medienaufsicht dazu da ist, diese Balance aufrechtzuerhalten, versteht sich von selbst.

II. Mit Blick auf neue Angebote besteht aber nicht erst seit heute das Problem, diesen per se notwendigen und für das Funktionieren einer aufgeklärten Gesellschaft ebenfalls nötigen Rahmen mit den Mitteln des Medienrechts zu erfassen und rechtlich zu beschreiben. An dieser Stelle aber stagniert die Entwicklung seit langem. Ein Blick auf den Rundfunkstaatsvertrag und seine Reaktionsfähigkeiten bestätigt dies. Zentrale Forderung der Medienanstalten ist seit langem, weg vom Rundfunk- hin zu einem zeitgemäßen Medienstaatsvertrag zu kommen, der eine Weiterentwicklung des bisherigen Rundfunkstaatsvertrages sein muss und der die Regularien für die verschiedenen audiovisuellen und netzbasierten Medien umschreibt; der sicherstellt, dass Inhalte vergleichbar reguliert werden und nicht auf der einen Seite Internetangebote deutlich mehr Vorteile 117 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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genießen als herkömmliche Rundfunkmedien auf der anderen Seite, weil sie gezwungen sind, Volumenbeschränkungen etwa bei der Werbung zu akzeptieren. Der „traditionelle“ Rundfunk, für den solche Beschränkungen gelten und der bei Missachtung medienaufsichtsrechtliche Eingriffe provoziert, fordert seit längerem die Gleichbehandlung im Wettbewerb mit neuen internetbasierten Mediendiensten. Ob dies auf eine Deregulierung – etwa mit Blick auf Werbelockerungen bei Privatsendern – hinausläuft, ist noch nicht absehbar. Um im Bild und bei dem Beispiel zu bleiben: Die von Werbung abhängigen Privatsender in Deutschland wissen sehr genau, dass für sich allein genommen eine Lockerung bei der Obergrenze nicht unbedingt die Lösung für mehr Umsatz sein kann, weil – eine Binsenweisheit – Zuschauer nur ein bestimmtes Maß an Werbung ertragen werden. Aber es gilt der Anspruch: Für die Werbung müssen wir Instrumente finden, damit internetbasierte Angebote nur deshalb nicht gegenüber denjenigen traditioneller Rundfunkveranstalter im Vorteil sind, weil sie für die Distribution ihrer Inhalte eine andere Plattform nutzen. Eine weitere Frage ist damit automatisch gestellt: Wie weit sind wir in der deutschen bzw. europäischen Regulierungspolitik, um mit den Angeboten von Google oder Youtube angemessen umgehen zu können? Was passiert zum Beispiel mit den von Youtube initiierten Hybrid-Fernsehangeboten im Internet? Sie sind zurzeit vielleicht noch kein Rundfunk im herkömmlichen Sinne. Aber was passiert, wenn sich diese Angebote zu einem ernst zu nehmenden Medienangebot entwickeln sollten? Doch zurück zu Defiziten, die gleichsam hausgemacht sind und deshalb auch ohne Aufforderungen an Brüsseler oder kalifornische Adressen behoben werden könnten. Die Debatten um die Neulizenzierung von SAT.1 ist so ein Thema, das mit einer Änderung im Rundfunkstaatsvertrag hinfällig wäre. Dem Lizenzwechsel liegt ja die Frage zugrunde, wie man mit gesetzlich geforderten so genannten Drittsendezeiten umgeht. Das Problem ist, dass diese Drittsendezeiten nach dem bisherigen Rundfunkstaatsvertrag nicht von der Gemeinschaft der Landesmedienanstalten entschieden werden, obwohl es ja um bundesweite Programme geht. Die nationale Politik muss hier für Abhilfe sorgen. Klar ist aber auch: Spätestens mit der Einrichtung der Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) ist die Standortpolitik der Anfangsjahre des privaten Rundfunks, vor allem des Fernsehens, Geschichte.

III. Ein weiteres großes Thema für die Medienaufsicht ist die Netzneutralität. Die jüngsten Pläne der Deutschen Telekom, Ausnahmen von der Volumenbegrenzung für diejenigen Angebote und Dienste vorzusehen, mit denen sie gesonderte Vereinbarungen schließt, stellen aus Sicht der Medienanstalten einen Verstoß gegen die angestrebte und notwendige Netzneutralität und den angestrebten diskriminierungsfreien Zugang von Inhalteanbietern dar. Problematisch ist nämlich das geplante Geschäftsmodell der Telekom aus Sicht der Medienaufsicht aus verschiedenen Gründen: Die Ausnahmen verfolgen das Ziel, dass Endnutzer den einmal als prioritär gekennzeichneten und dann priorisierten Dienst eher nutzen als einen, bei dem sie tarifliche Volumengrenzen überschreiten könnten (und deshalb mehr zahlen müssten). Damit werden für den Nutzer Anreize 118 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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schaffen, bestimmte Dienste und Inhalte zu nutzen und andere nicht. Diese Vorzugsbehandlung einzelner Anbieter soll ja schließlich Anbieter von Inhalten motivieren, für die Ausnahme aus der Volumenbegrenzung zusätzlich zu bezahlen. Dadurch forciert die Telekom aber einen Verhandlungszwang für die Inhalteanbieter, dessen Konsequenz und Auswirkung (höhere Kosten) nicht im Interesse der Nutzer sein kann. Mit den Ausnahmen von der Volumenbegrenzung und den damit gesetzten Anreizen für die Nutzung greifen Netzbetreiber wie die Telekom gezielt in den Wettbewerb der Inhalteanbieter im Internet ein. Es ist Auftrag der Medienanstalten, für eine chancengleiche Medienverbreitung zu sorgen, die weitgehend diskriminierungsfrei sein soll. Das Vorgehen der Telekom ist angesichts dieses Zieles inakzeptabel. Da keine ausreichende Transparenz für die Nutzer herzustellen ist und die Kontrolle der diskriminierungsfreien Behandlung durch die Regulierung an Grenzen stößt, haben wir im Rahmen der Debatte über den Entwurf für eine neue Neutralitätsverordnung der Bundesregierung eine klare Vorgabe gefordert, die Handlungssicherheit für alle Beteiligten, Anbieter und Nutzer, schaffen soll. Netzbetreiber sollten also keine Vereinbarungen mit Inhalteanbietern abschließen dürfen, nach denen deren Angebote aus einer Volumenbegrenzung ausgenommen werden.

IV. Es ist wichtig, dass Medienaufsicht schnell und zuverlässig Entscheidungen umsetzt. Aus dem ehemals föderal bedingten „Gestrüpp“ an Zuständigkeiten ist mittlerweile eine effiziente, klare Aufteilung geworden: Medienregulatorische Entscheidungen von bundesweitem Belang werden von der Gemeinsamen Geschäftsstelle in Berlin koordiniert; die Integration und die Einbeziehung der bislang separat fungierenden Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) und der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) sind mittlerweile geschaffen worden. Damit haben die Landesmedienanstalten zu einer zeitgemäßen Arbeitsstruktur gefunden. Die Geschäftsstelle in Berlin soll hauptsächlich organisierende oder koordinierende Tätigkeiten verrichten. Die inhaltliche Arbeit verbleibt – wie bislang – in den regional fest verankerten Landesmedienanstalten. Diese Mischung aus Zuständigkeiten, diese spezielle Form einer hybriden Aufsicht, ist die dem Föderalismus angemessene Lösung. Die Vorteile dieser spezifisch deutschen, gesellschaftlich verfassten und öffentlich organisierten Medienaufsicht müssen wir aber deutlicher machen. Wenn man sich Länder ansieht, in denen die Medienaufsicht zentralistisch funktioniert, dann bedeutet dies nicht unbedingt, dass wir in diesen Ländern auch ein qualitativ besseres Mediensystem haben; oftmals ganz im Gegenteil. Das deutsche Mediensystem wird zu Recht weltweit gelobt, und ich bilde mir ein, dass die föderale Medienaufsicht einen entscheidenden Anteil an diesem Befund hat. Anders gesagt: Unsere Vielfalt im Medienbereich, international kaum erreicht, verdanken wir dem Föderalismus. Blickt man nach Großbritannien, Italien oder Frankreich und schaut sich dort die Strukturen der Aufsicht an, dann sieht man: Ofcom, AGCOM und CSA sind große Apparate, aber sind sie effizienter und vor allen Dingen: ist das Ergebnis vielfältiger als bei uns in Deutschland? Für mich

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heißt die Quintessenz: Föderalismus kann Mühe machen, aber er lohnt sich, gerade im Kulturbereich. Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: „Sie haben sich gar nicht verändert“. „Oh!“ sagte Herr K. und erbleichte. In diesem Brechtschen Sinne gilt: Auch Medienpolitik und die Medienanstalten selbst müssen sich ständig verändern und ihre Vorgaben und Regulierungspraxis an veränderte technische und programminhaltliche Entwicklungen anpassen.

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Die Konvergenzentwicklung als Dauerbrenner der europäischen Medienpolitik Neue Herausforderungen im Konvergenzgrünbuch 2013 Bernd Holznagel/David Kampert Das Thema Medienkonvergenz beschäftigt die europäische und nationale Politik seit über 15 Jahren und hat sich damit zu einem echten Dauerbrenner entwickelt. Der vorliegende Beitrag skizziert die bisherige Entwicklung der Debatte und Rechtsetzung in diesem Bereich. Es folgt eine Kommentierung der Problemfelder, welche die Kommission im aktuellen Konvergenzgrünbuch für die weitere Entwicklung als maßgeblich einschätzt.

I.

Die bisherige Entwicklung

Das Stichwort Medienkonvergenz beschreibt den Trend, dass immer mehr elektronische Dienste und Angebote mithilfe derselben Übertragungsnetze und Endgeräte verbreitet werden.1 In der analogen Zeit war es noch so, dass jeder Mediengattung ein eigener Übertragungsweg zukam. Die Presse wurde körperlich durch gedrucktes Papier, der Rundfunk „unkörperlich“, auf elektronischem Wege übermittelt. Diese Unterscheidung ist im digitalen Umfeld hinfällig geworden.2 Beispiele hierfür sind die Auseinandersetzungen um die Tagesschau-App3 oder der parallele Empfang von klassischem Rundfunk und sogenannten „Over the Top“-Angeboten, die über das offene Internet verbreitet werden.4 Die Debatte um die Konvergenz der Medien begleitet uns nun seit über 15 Jahren. Wolfgang Thaenert hat hier an vielen Stellen wichtige Akzente gesetzt.5 Im Jahr 1997 legte die Europäische Kommission das begriffsprägende „Grünbuch zur Konvergenz der Branchen Telekommunikation, Medien und Informationstechnologie und ihren ordnungspolitischen Auswirkungen“6 vor. Ziel des Grünbuches war es, einen europäischen Binnenmarkt für elektronische Kommunikation zu schaffen. Dieser sollte durch eine hinreichende Größe und durch eine strikte Orientierung am Wettbewerbsprinzip gekennzeichnet sein. Ohne die Verwirklichung dieser beiden Ziele drohte Europa aus Sicht der Kommission als Wirtschaftsraum hinter andere Regionen dieser Welt zurückzufallen.7

1

Zum Begriff der Medienkonvergenz u.a. Holznagel, NJW 2002, 2351 f.

2

So bereits Gounalakis, Gutachten C für den 64. Deutschen Juristentag, Konvergenz der Medien – Sollte das Recht der Medien harmonisiert werden?, 2002, S. C 9 f.

3

Vgl. dazu Peifer, GRUR-Prax 2012, 521 f.

4

Zu „Over the Top“ siehe Deutsche TV-Plattform, Whitebook Hybrid-TV/Smart-TV, 2012, S. 20 ff.

5

Vgl. nur Thaenert, in: FS Schneider, 2010, S. 79–87; ders., in: Kleinsteuber/Nehls (Hrsg.), Media Governance in Europa, 2011, S. 145–157; ders., MMR 2005, 279; ders., Tendenz 1/2005, S. 4–8.

6

KOM (97) 623.

7

Ebd. S. vii f.

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Um die Zersplitterung des europäischen Wirtschaftsraums durch die nationalen Rechtsordnungen zu überwinden, schlug sie eine Vereinheitlichung des Rechts vor. Diese sei die notwendige Folge der Konvergenz der Technik und der Märkte. Im Gespräch war eine Reihe von ordnungspolitischen Modellen. Der weitgehendste Ansatz schlug die Abschaffung des sektorspezifischen Medienrechts vor. Das allgemeine Kartell- und Wettbewerbsrecht sollte ausreichen, um für Vielfalt zu sorgen.8 Dieser horizontale Lösungsansatz konnte sich aber im Bereich der Medieninhalte nicht durchsetzen. Zu stark waren die Bataillone der privaten und öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter. In der Folge erfasst die Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste9 zwar technologieneutral alle Formen audiovisueller Mediendienste, differenziert aber nach Rundfunk (lineare Dienste) und Video-on-Demand/Abrufdiensten (nicht-lineare Diensten). Dieser Regulierungsansatz war aber nur deshalb möglich, weil im Gegenzug der Onlinebereich weitgehend von Regulierung freigestellt wurde.10 Von diesen Märkten gingen die größten Wachstums- und Innovationsimpulse aus.11 Die Kommission hielt es deshalb für unabdingbar, diesen Sektor von den hohen Standards des Rundfunkrechts auszunehmen.12 Für die „Dienste der Informationsgesellschaft“ wurde in der Folge eine europaweite Zulassungsfreiheit festgeschrieben.13 Die neuen Kommunikationsmittler, wie Access- und Host-Provider, wurden weitgehend von einer Haftung freigestellt.14

II. 1.

Das Konvergenzgrünbuch 2013 Gegenstand des Grünbuchs

Im Jahr 2013 sind einige Umstände, die im Grünbuch 1997 noch als Entwicklungsperspektiven aufgezeigt wurden, Realität geworden. Die Internetnutzung ist inzwischen alltäglich geworden.15 Auch wenn der Ausbau der Breitbandinfrastruktur aktuell hinter den gesteckten Zielen zurückbleibt,16 lassen sich Videos in hoher Qualität jedenfalls in den städtischen Regionen über das Netz abrufen. Studien gehen davon aus, dass bis 2017 der Großteil des Datenverkehrs auf Videodateien entfallen wird.17 Des Weiteren

8

Zu den damals diskutierten Regulierungsmodellen Holznagel, MMR-Beil. 1998, 12 f.

9

Richtlinie 2010/13/EU (kodifizierte Fassung), ABl. L 95/1 (AVMD-Richtlinie).

10

Schulz, EuZW 2008, 107 (111), der von einem „Sieg der Lobbyisten“ spricht.

11

Vgl. Richtlinie 2000/31/EG, ABl. L 178/1 (E-Commerce-Richtlinie), zweiter Erwägungsgrund.

12

KOM (97) 623, S. 40.

13

Art. 4 Richtlinie 2000/31/EG.

14

Art. 12–15 Richtlinie 2000/31/EG.

15

Van Eimeren/Frees, Media Perspektiven 7-8/2012, 362.

16

Vgl. dazu Holznagel/Roeske/Schomm, in: Eumann/Gerlach/Rößner/Stadelmaier (Hrsg.), Medien, Netz und Öffentlichkeit, 2013, S. 381–390 (S. 389).

17

CISCO, Cisco Visual Networking Index: Forecast and Methodology, 2012–2017, S. 2, abrufbar unter http://www.cisco.com/en/US/solutions/collateral/ns341/ns525/ns537/ns705/ns827/white_paper _c11-481360.pdf (Stand: 28. August 2013).

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hat die Konvergenzentwicklung auch die Endgeräte erreicht. Mobile Endgeräte wie Smartphones oder Tablet-PCs sind weit verbreitet.18 Immer mehr TV-Endgeräte werden „smart“ und verfügen über eine Verbindung mit dem Internet.19 Durch interaktive Anwendungen bieten sich dem Zuschauer ganz neue Nutzungsmöglichkeiten. Die herkömmlichen Trennlinien zwischen klassischem Rundfunk und „neuen Diensten“ verwischen. Lineare und nicht-lineare Dienste stehen somit auf einem Endgerät im Wettstreit um die Aufmerksamkeit des Zuschauers.20 Im Mittelpunkt der Analyse des Grünbuchs von 2013 steht daher das fortschreitende „Zusammenwachsen herkömmlicher Rundfunkdienste mit dem Internet“.21 Es erhebt den Anspruch, auf die „vollständige Konvergenz der audiovisuellen Welt“ vorzubereiten.22 Das Grünbuch ist in zwei Teile untergliedert. Der erste ist mit „Wachstum und Innovation“ überschrieben und untersucht die ökonomischen Rahmenbedingungen, denen sich audiovisuelle Mediendienste heute ausgesetzt sehen. Hier wird im Wesentlichen die alte Binnenmarktkonzeption wieder vorgetragen, die jetzt auf die neuen Handlungsfelder ausgedehnt werden soll. Der zweite ist mit „Werte“ überschrieben und befasst sich mit Regulierungsfragen. Die im zweiten Teil diskutierten Problemkreise sollen in diesem Beitrag näher beleuchtet werden. 2.

Konzept der abgestuften Regulierungsdichte auf dem Prüfstand

Das europäische Medienrecht geht davon aus, dass der Rundfunk eine höhere Meinungsrelevanz besitzt, als dies bei Abrufdiensten oder Diensten der Informationsgesellschaft der Fall ist.23 Deshalb ist es gerechtfertigt, unterschiedliche Standards für diese Dienstekategorien aufzustellen. Diese Grundannahme stellt das neue Grünbuch zur Diskussion und fragt, ob der jetzige Ansatz einer abgestuften Regulierung Marktverzerrungen verursacht habe.24 Als Beispiel werden immer wieder quantitative Werbebeschränkungen angeführt.25 Art. 20 Abs. 2 AVMD-Richtlinie legt fest, dass eine Werbeunterbrechung im laufenden Programm nur alle 30 Minuten zulässig ist, sofern die Gesamtdauer der Sendung nach

18

Für Smartphones vgl. BITKOM, Presseinformation v. 13. Februar 2013, abrufbar unter http://www.bitkom.org/files/documents/BITKOM_Presseinfo_Smartphone-Markt_13_02_2013.pdf (Stand: 28. August 2013); für Tablets vgl. Woldt, Media Perspektiven, 2/2013, 115 (120).

19

Zur Marktentwicklung bei „Smart TV“-Endgeräten Deutsche TV Plattform, White Book Hybrid TV/Smart TV, 2012, S. 34 ff.

20

Broemel, ZUM 2012, 866 (867).

21

KOM (2013) 231 final, S. 3.

22

Der vollständige Titel lautet: Grünbuch über die Vorbereitung auf die vollständige Konvergenz der audiovisuellen Welt: Wachstum, Schöpfung und Werte.

23

Holznagel/Nolden, in: Hoeren/Sieber/Holznagel (Hrsg.), Handbuch Multimedia-Recht, 34. EL 2013, Teil 5 B. I. 2., Rn. 30.

24

KOM (2013) 231 final, S. 14 f.

25

Ebd., S. 17; Des Weiteren: DLM, Positionspapier „Connected TV“ v. 19. Februar 2013, S. 2; Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates zum Konvergenzgrünbuch, BR-Drucks. 321/1/13.

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124

dem Sendeplan 30 Minuten übersteigt. Nach Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie dürfen Werbespots innerhalb einer vollen Stunde maximal einen Anteil von 20 Prozent ausmachen. Diese Regeln greifen nur für lineare Angebote. Die Werbeformen der neuen Dienste, wie Pop-Up- oder Bannerwerbung, unterliegen keinen vergleichbaren quantitativen Vorgaben. Wenn jedoch beide Werbeformen auf demselben Endgerät konkurrieren, erscheint hier eine Angleichung und damit eine Annäherung an ein „Level Playing Field“ tatsächlich sinnvoll. Zuzugeben ist, dass das Merkmal der Linearität allein als Anknüpfungsmerkmal für eine strenge Regulierung immer weniger geeignet ist.26 Aus Verbrauchersicht spielt es kaum mehr eine Rolle, ob ihn audiovisuelle Inhalte linear oder auf Abruf erreichen.27 Beide Dienstekategorien lassen sich über moderne Endgeräte vergleichbar leicht ansteuern. Zumeist sind auch die verbreiteten Inhalte identisch. Man denke nur an die Mediatheken der Rundfunkanstalten, wo ein Großteil des linear ausgestrahlten Programmes später auf Abruf bereitsteht. Dennoch sollte das Konzept der abgestuften Regulierungsdichte nicht aufgegeben werden. Medienvielfalt ist für die Demokratie konstituierend.28 Ihre Förderung erkennt auch der EuGH als legitimes Ziel an.29 Gerade wegen dieser kulturellen und gesellschaftlichen Bedeutung der Medien sollte an den etablierten Standards festgehalten werden. Andererseits macht es aber auch keinen Sinn, diese hohen Standards auf alle elektronischen Dienste auszudehnen. Die eigentliche Herausforderung besteht heute darin, ein geeignetes Anknüpfungsmerkmal für eine strengere Regulierung zu entwickeln. Meinungsrelevanz lässt sich bekanntlich schwer messen. Es liegt im Gestaltungsermessen des Gesetzgebers, ein geeignetes Kriterium zu finden und festzuschreiben.30 Dabei sollte er zukünftig auch Dienste erfassen, die zwar auf Abruf verbreitet werden, gleichwohl aber eine hohe Meinungsrelevanz aufweisen.31 Interessant ist hier der Vorschlag des australischen Gesetzgebers, an Reichweite und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit anzuknüpfen.32 In Europa muss zudem noch darauf geachtet werden, dass das Ziel der Sicherung demokratischer Öffentlichkeit und Vielfalt mit dem Binnenmarktziel in Einklang gebracht wird. Dies kann dadurch gelingen, dass die europäische Regelung die Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten aufgreift und das bereits entstandene europäische Gemeinrecht der Medien33 angemessen berücksichtigt. Bei der Umsetzung dieser Konzeption kann auch mit Anreizen gearbeitet werden. So könnten Anbieter, die sich frei-

26

Hierzu Hain, AfP 2012, 313 (321); Kogler, K&R 2011, 621 (625); Wagner, ZUM 2011, 462 (464).

27

Kogler, K&R 2011, 621.

28

BVerfGE 5, 85 (205); 7, 198 (208).

29

EuGH, Urteil v. 26. Juni 1997, C-368/95 – Familiapress; weitere Nachweise finden sich bei Schwarze, ZUM 2000, 779.

30

Zum Gestaltungsermessen BVerfGE 57, 295 (321 f., 325 f.); 83, 238 (315 f.).

31

Zu dieser Problematik im Zusammenhang mit der Netzneutralität Holznagel, in: Eumann/ Gerlach/Rößner/Stadelmaier (Hrsg.), Medien, Netz und Öffentlichkeit, 2013, S. 227–235 (S. 234 f.).

32

Australian Government, Convergence Review Final Report, 2012, S. viii f., 1 f.

33

Hierzu Holznagel, Rundfunkrecht in Europa, 1996, S. 355.

124

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willig der strengen Regulierung unterwerfen, im Gegenzug an anderer Stelle, etwa bei der Auffindbarkeit oder mit Blick auf die Bildintegrität, privilegiert werden.34 3.

Internationaler Geltungsanspruch des EU-Rechts

Der Markt für audiovisuelle Inhalte ist zunehmend global geprägt.35 Bislang wurde jedoch nur unzureichend dafür gesorgt, dass auf dem europäischen Binnenmarkt agierende internationale Unternehmen auch das hiesige Medienrecht zu beachten haben.36 Aktuell bestimmt sich der internationale Anwendungsbereich der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste nach dem sogenannten Herkunftsland- oder auch Sendestaatsprinzip. Audiovisuelle Mediendienste unterliegen nach Art. 2 Abs. 2 der AVMD-Richtlinie der Rechtshoheit desjenigen Mitgliedstaates, in dem sich ihre Niederlassung befindet. Als Hilfskriterien nennt Art. 2 Abs. 4 lit. a) die Nutzung einer in einem Mitgliedstaat belegenen Satellitenbodenstation für die Aufwärtsstrecke oder einer dem Mitgliedstaat zugewiesenen Übertragungskapazität eines Satelliten (Art. 2 Abs. 4 lit. b)). Die letztgenannten Kriterien sind erkennbar auf Rundfunkdienste ausgelegt und spielen im Onlinebereich keine Rolle. Über das Internet ist es jedoch möglich, Inhalte auf dem europäischen Markt anzubieten, ohne dort Niederlassungen oder Betriebsstätten zu unterhalten. In solchen Konstellationen findet der europäische Rechtsrahmen keine Anwendung, so dass das Herkunftslandprinzip nicht geeignet ist, die Geltung des europäischen Medienrechts insbesondere gegenüber erfolgreichen amerikanischen Unternehmen sicherzustellen. Um diesem Problem zu begegnen, diskutiert das Grünbuch die Einführung des so genannten Marktortprinzips.37 Danach unterfällt ein Diensteanbieter europäischem Recht, wenn seine Tätigkeiten auf den europäischen bzw. einen mitgliedstaatlichen Markt zielen, unabhängig vom Ort der Niederlassung des Anbieters. Dieses Prinzip ist bereits in anderen EU-Rechtsakten38 erprobt und überzeugt auch für den Bereich der audiovisuellen Medien. Der Verzicht auf ein technisches oder rein räumliches Kriterium stellt die Entwicklungsoffenheit sicher. In tatsächlicher Hinsicht ist es vergleichsweise leicht nachzuweisen, dass ein Unternehmen sich auf einen bestimmten Markt ausrichtet, da Medienmärkte regional geprägt sind und neue Dienste zudem häufig eine Registrierung des Nutzers erfordern. Daneben ist zu berücksichtigen, dass das Herkunftslandprinzip sicherstellt, dass Diensteanbieter mit europäischer Niederlassung für eine grenzüberschreitende Verbreitung ihrer Angebote allein das Medienrecht ihres Sitzstaates zu berücksichtigen haben.

34

Für einen solchen Ansatz mit Blick auf die Auffindbarkeit siehe Entschließung des Europäischen Parlaments v. 4. Juli 2013 über „Connected TV“.

35

Woldt, Media Perspektiven 2/2013, 115 (123 f.).

36

KOM (2013) 231 final, S. 13.

37

Ebd., S. 13.

38

Vgl. für Verbraucherverträge im internationalen Privatrecht Art. 6 Abs. 1 Verordnung 593/2008/EG („Rom I“), ABl. L 177/6.

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126 Eine Mehrfachregulierung wird hierdurch vermieden.39 In diesem Kontext sollte das Herkunftslandprinzip als wirkungsvolles Instrument beibehalten werden. 4.

Auffindbarkeit von Inhalten (Zugangs- und Transportebene)

a)

Steuerung der Auffindbarkeit durch Suchmaschinen

Die Auffindbarkeit von Inhalten ist in der heute unübersichtlichen Medienwelt ein wichtiges Erfolgskriterium. Suchmaschinen sind bei der Navigation im Internet unerlässliche Hilfsmittel, die dem Nutzer Orientierung verleihen.40 Gleichzeitig üben sie eine aufmerksamkeitssteuernde Funktion aus. Inhalte, die an prominenter Stelle in den Suchergebnissen erscheinen, werden wahrgenommen. Inhalte, die nicht oder weit hinten gelistet werden, existieren de facto für den Nutzer nicht oder nur eingeschränkt.41 Diese Gatekeeper-Problematik42 bei der Suche im Internet wird in Europa gerade deshalb zum Thema, weil Google auf dem europäischen Markt faktisch eine Monopolstellung einnimmt.43 Die Binnenmarktstrategie der Kommission hat nicht dazu geführt, dass es ein auch nur annähernd vergleichbar erfolgreiches europäisches Unternehmen gibt. Trotz ihrer für die Meinungsbildung wichtigen Funktionen unterliegen Suchmaschinen keiner spezifischen medienrechtlichen Regulierung. Über die Zusammensetzung der Trefferliste entscheidet allein der Suchmaschinenbetreiber nach vorwiegend technischen und unternehmerischen Kriterien.44 Einerseits müssen möglichst genaue und personalisierte Treffer ermittelt werden, damit der Dienst für den Nutzer attraktiv bleibt. Andererseits muss ein attraktives Umfeld für kontextbezogene Werbung geschaffen werden.45 Denn hierauf beruht das Geschäftsmodell der Suchmaschinenbetreiber. Zudem ist es für die Betreiber vorteilhaft, den Nutzer auf dem eigenen Onlineportal zu halten. Google verweist bei der Suche nach Videos z. B. regelmäßig auf Inhalte der Tochter YouTube.46 Beide genannten Gesichtspunkte können sich nachteilig auf die Meinungsvielfalt auswirken. Personalisierung der Suche bedeutet nämlich auch eine Einengung des Meinungsspektrums auf bestimmte Positionen.47 Durch die Bevorzugung eigener

39

Fechner, Medienrecht, 14. Aufl. 2013, S. 206.

40

Machill/Beiler/Zenker, in: Machill/Beiler (Hrsg.), Die Macht der Suchmaschinen, 2007, S. 7–43 (S. 7).

41

Vgl. dazu Introna/Nissenbaum, The Information Society, Vol. 16 (3) 2000, S. 169–186 (S. 171): „[…] to exist is to be indexed by a search engine“.

42

Dazu ausführlich: Schulz/Held/Laudien, Suchmaschinen als Gatekeeper in der öffentlichen Kommunikation, 2005.

43

Zur Marktposition Googles siehe Haucap/Kehder, Suchmaschinen zwischen Wettbewerb und Monopol: Der Fall Google, DICE Ordnungspolitische Perspektiven, No. 44, 2013, S. 18 ff.

44

Vgl. Meckel, Vielfalt im digitalen Medienensemble, 2012, S. 13.

45

Hege, in: DLM (Hrsg.), Digitalisierungsbericht 2012, S. 13-18 (S. 14).

46

Haucap/Kehder, Suchmaschinen zwischen Wettbewerb und Monopol: Der Fall Google, DICE Ordnungspolitische Perspektiven, No. 44, 2013, S. 10 f. m.w.N.

47

KOM (2013) 231 final, S. 15.

126

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oder von Tochterunternehmen bereitgestellter Inhalte wird die Bandbreite möglicher Inhalte weiter eingeschränkt. Die behauptete Praxis Googles, eigene Angebote bevorzugt zu behandeln, ist noch immer Gegenstand einer wettbewerbsrechtlichen Untersuchung durch die EU-Kommission.48 Je nach Ausgang des Verfahrens lassen sich aus dem Wettbewerbsrecht möglicherweise Leitlinien entwickeln, die gleichzeitig zur Vielfaltssicherung beitragen. So ähnlich ist die Kommission bei der Einführung von Set-Top-Boxen und Verschlüsselungsprogrammen für das digitale Fernsehen vorgegangen.49 Bevor die abschließende Kommissionsentscheidung nicht vorliegt, sollte auch kein medienspezifisches Instrument zur Sicherstellung publizistischer Vielfalt bei Suchmaschinen50 geschaffen werden. Dies ist nämlich grundsätzlich eine schwierig zu bewältigende Aufgabe. Eine Suchmaschine muss immer eine Auswahl treffen. Sie kann daher per se keine rein neutralen Ergebnisse liefern. Würde der Gesetzgeber spezifische Vorgaben für Suchmaschinen erlassen, träten damit letztlich seine Wertungen an die Stelle der Suchmaschinenbetreiber. Dies ist unter dem Gesichtspunkt der Staatsfreiheit der Medien nicht unbedenklich.51 Das grundsätzliche Problem der Asymmetrie von massenhaft verfügbaren Inhalten und begrenzten Möglichkeiten, diese in einer Trefferliste zu präsentieren, bleibt unabhängig von rechtlichen Vorgaben bestehen.52 Will man das Wettbewerbsrecht einmal um ein sektorspezifisches Instrument erweitern, bietet es sich an, an die bestehenden Ansätze der Selbstregulierung53 anzuknüpfen und genaue Transparenzanforderungen zu formulieren.54 b)

Zugangsprobleme bei Endgeräten

Durch die Verbreitung von internetfähigem „Smart TV“ und das Aufkommen neuer multimedialer Anwendungen („Apps“) für den Fernsehschirm hat sich die Debatte um die Auffindbarkeit von Inhalten auf die Endgeräte ausgedehnt.55 Die Hersteller bieten teilweise proprietäre Portale mit vorinstallierten Apps an. Endgerätehersteller entscheiden damit durch die technische Ausgestaltung der Portale und „App-Stores“, welche

48

Mitteilung der Kommission nach Art. 27 Abs. 4 Verordnung 1/2003/EG (Google), ABl. C 120/22 v. 26. April 2013.

49

Dazu Frey, ZUM 1998, 985; Fink, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 2. Aufl. 2011, Erster Teil B. III. 1. c), Rn. 34d.

50

Entsprechender Vorschlag bei Paal, Suchmaschinen, Marktmacht und Meinungsbildung, 2012, S. 74 f.

51

Zum Grundsatz der Staatsfreiheit der Medien Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks in der dualen Rundfunkordnung der Bundesrepublik Deutschland, 1991.

52

Kühling/Gauß, ZUM 2007, 881 (888).

53

Etwa FSM, Verhaltenssubkodex Suchmaschinen, abrufbar unter: http://www.fsm.de/selbstverpflich tungen/suchmaschinen/Verhaltenssubkodex_SuMa_VKS_final_20040221_de.pdf/view (Stand: 28. August 2013).

54

Dazu Paal, AfP 2011, 521 (530 f.).

55

Vgl. dazu KOM (2013) 231 final, S. 11.

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127

128 Inhalteanbieter leicht oder überhaupt über das Gerät anzusteuern sind oder nicht.56 Endgerätehersteller treten damit faktisch nicht mehr nur als reine Produzenten, sondern auch als Programmvermarkter auf. Sie erschließen sich so neue Geschäftsfelder. Unter dem Blickwinkel der Vielfaltssicherung ist diese Entwicklung nicht unproblematisch. Materiell-rechtlich lässt sich dieses neue Gatekeeper-Phänomen jedoch vergleichsweise leicht in den Griff bekommen. Die Vorschriften, die einen chancengleichen und diskriminierungsfreien Zugang zu Plattformen garantieren, könnten auf Endgerätehersteller ausgedehnt werden.57 Auch die Reihung der verfügbaren „Apps“ und damit ihre Auffindbarkeit könnte regulatorisch erfasst werden. Erwägenswert wäre zum Beispiel eine Regelung, die sich an § 52c RStV anlehnt. Da die große Mehrheit der „Consumer Electronic“-Geräte in Asien produziert wird, dürfte die Rechtsdurchsetzung gegenüber den Herstellern schwierig sein. Konsequenterweise müssten Verstöße gegen medienrechtliche Vorgaben mit einem Import- oder Verkaufsverbot geahndet werden. Der europäische Binnenmarkt ist hier an sich hinreichend attraktiv und nachfragestark, um die Befolgung europäischer Vorschriften faktisch zu erzwingen. Es gilt jedoch darauf zu achten, dass solche Möglichkeiten auch im Rahmen internationaler Handelsverträge erhalten bleiben. c)

Die Transportebene: Stichwort Netzneutralität

Während sich die soeben behandelten Aspekte der Zugangssicherung im Konvergenzgrünbuch ausgiebig kommentiert finden,58 bleibt die Transportebene bei der Betrachtung außen vor. Dies erstaunt angesichts der aktuellen Debatte um die Netzneutralität, die auf europäischer Ebene zuletzt durch den jüngsten (internen) Kommissionsentwurf für eine Verordnung über den europäischen Binnenmarkt für elektronische Kommunikation59 angeheizt wurde. Heutzutage sind Netzbetreiber in der Lage, bestimmte Inhalte prioritär durchzuleiten, andere hingegen zu verlangsamen oder ganz zu blockieren.60 Diese Möglichkeiten bilden ein erhebliches Risikopotential für die Meinungsvielfalt und die kommunikative Chancengleichheit.61 Der Einsatz der Netzwerkmanagementtechniken ist insbesondere dann problematisch, wenn er von vertikal integrierten Netzbetreibern vorgenommen wird, die zum Beispiel im Rahmen ihrer IP-TV Pakete selbst Inhalte vermarkten. 56

Schütz/Schreiber, MMR 2012, 659 f.

57

Hain, AfP 2012, 313 (327); Schütz/Schreiber, MMR 2012, 659 (660–662); DLM, Positionspapier „Connected TV“ v. 19. Februar 2013.

58

KOM (2013) 231 final, S. 15 f.

59

Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council laying down measures to complete the European single market for electronic communications and to achieve a Connected Continent, abrufbar unter: https://netzpolitik.org/wp-upload/CONSOLIDATED-DRAFT-for-ISC070713.pdf (Stand: 28. August 2013), dort insbesondere Art. 20 f.

60

Zu Eingriffen in den paketvermittelten Datenverkehr vgl. BEREC, BoR (12) 132, S. 27 ff.; Für Mobilfunknetze Elixmann/Gries, Netzneutralität im Mobilfunk, WIK Diskussionsbeitrag Nr. 366, 2012, S. 15 ff.

61

Holznagel/Schumacher, in: Kloepfer (Hrsg.), Netzneutralität in der Informationsgesellschaft, 2011, S. 47–66.

128

https://doi.org/10.5771/9783845251707-121 Generiert durch Universität Leipzig, am 02.03.2023, 21:30:32. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

129

Aus medienrechtlicher Sicht ist zudem relevant, dass die Netzbetreiber die Einführung von unterschiedlichen Transportklassen planen. Klassen, die eine höhere Dienstequalität garantieren und zum Beispiel besser für HD-Videos geeignet sein sollen, sollen nur gegen Erhebung eines zusätzlichen „Einspeiseentgelts“ zugänglich sein.62 Es ist gut vorstellbar, dass sich finanzstarke Medienunternehmen wie Google oder die großen Fernsehveranstalter hier schnell mit den Netzbetreibern einigen können. Schwierig wird es für kleinere Anbieter von Medieninhalten. Für sie war das Internet bisher ein Garant dafür, ihre Inhalte ohne zusätzliche Kosten an den Mann und an die Frau zu bringen.63 Dies ist nicht nur für die Meinungsvielfalt wichtig, sondern auch eine grundlegende Voraussetzung für wirtschaftliche und kulturelle Innovationen.64 Die Einführung von Qualitätsklassen birgt aber für sie die Gefahr, dass das bisherige Best-Effort-Internet zu einer „holprigen Straße“, einer „dirt road“, wie es in der US-amerikanischen Debatte heißt,65 verkommt. Der Gesetzgeber hat hier sicherzustellen, dass eine ausreichende Grundversorgung an Transportleistungen im Netz gewährleistet ist und diese auch dynamisch weiterentwickelt wird.66 5.

Bildintegrität/Zulässigkeit von Overlays

Auf smarten Endgeräten ist es möglich, das aktuelle Bild mit Overlays zu überblenden. Diese könnten vor allem dazu genutzt werden, zusätzliche, gegebenenfalls personalisierte, Werbung einzuspielen.67 Die Endgerätehersteller könnten die neuen Werbeflächen selbständig vermarkten. So können sie zusätzliche Erlöse generieren. Eine solche Praxis könnte jedoch mittelfristig das Geschäftsmodell privater Rundfunkunternehmen in Frage stellen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die lineare Spotwerbung überblendet würde. Werbeslots der kommerziellen Rundfunkveranstalter könnten so in ihrer Wirkkraft beim Verbraucher entwertet werden. De lege lata können die Rundfunkveranstalter kaum gegen eine solche Overlay-Praxis vorgehen. Das Leistungsschutzrecht der Sendeunternehmen nach § 87 UrhG umfasst zwar die Integrität des Sendesignals. Überblendungen durch Drittanbieter stellen jedoch keinen technischen Eingriff in das Signal dar, so dass dessen Integrität gewahrt bleibt.68

62

Zur möglichen Einführung von Transportklassen Fetzer/Peitz/Schweitzer, Wettbewerbs- und medienrechtliche Aspekte von Netzneutralität – Impulsstudie im Auftrag des BMWi, S. 18 ff.

63

Dazu Libertus/Wiesner, Media Perspektiven 2/2011, 81.

64

Zu den innovationsfördernden Effekten der Netzneutralität SEO economic research, The innovationenhancing effects of network neutrality, 2013, abrufbar unter: http://www.seo.nl/uploads/ media/2013-33_The_innovation-enhancing_effects_of_network_neutrality_01.pdf (Stand: 28. August 2013).

65

Vgl. etwa Sidak/Teece, Journal of Competition Law & Economics, 6 (3), S. 521–594. Zum regulatorischen Kontext in den USA und Europa van Eijk, in: Price/Verhulst/Morgan (Hrsg.), Routledge Handbook of Media Law, 2013, Net neutrality and audiovisual services, S. 523–537.

66

Holznagel, AfP 2011, 532 (539).

67

Sewczyk/Wenk, Media Perspektiven 4/2012, 178 (181).

68

Weber, ZUM 2011, 452 (454).

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130 Eine ähnliche Schutzrichtung verfolgt das Veränderungsverbot aus § 52a Abs. 3 RStV.69 Auch diese Norm läuft bei Programmüberblendungen ins Leere, zumal deren Anwendbarkeit auf Endgeräte zumindest fraglich ist. Ein gewisser Schutz gegen ein übermäßiges Ausmaß an Einblendungen lässt sich gegebenenfalls aus dem Wettbewerbsrecht ableiten. Gegen Einblendungen, die vortäuschen, vom eigentlichen Inhalteanbieter zu stammen, könnte möglicherweise § 4 Nr. 9 UWG in Stellung gebracht werden.70 Andere Missbrauchskonstellationen ließen sich gegebenenfalls unter die Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG subsumieren.71 Einen zeitgemäßen und auf die neuen Möglichkeiten der Technik abgestimmten Schutz gegen Überblendungen bietet aber auch das Wettbewerbsrecht nicht. Angesichts der vielfältigen Möglichkeiten von Overlays und dahinter stehenden Geschäftsmodellen muss der Gesetzgeber eine Grundsatzentscheidung über deren zulässiges Ausmaß treffen. Zwar ist es nicht Aufgabe des Medienrechts, bestehende Geschäftsmodelle zu zementieren. Sollte jedoch das auf Werbung basierende Geschäftsmodell der privaten Rundfunkveranstalter ernsthaft gefährdet sein, ginge dies vermutlich mit einem verminderten Außenpluralismus einher.72 Mittelbar könnte sich OverlayWerbung zudem auch negativ auf öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstalter auswirken. Nach § 16 RStV ist Werbung im öffentlich-rechtlichen Programm nur eingeschränkt zulässig. Durch Überblendungen würden die Beschränkungen faktisch unterlaufen. Schlimmstenfalls würde die Werbung sogar dem laufenden Programm zugerechnet und könnte für einen Akzeptanzverlust des Programms beim Zuschauer sorgen. In der Debatte um die Zulässigkeit von Overlays scheint sich derzeit als Konsens durchzusetzen, dass Overlays zumindest nur nach expliziter Zustimmung der Nutzer zulässig sein sollten.73 6.

Jugendmedienschutz

Im Bereich des Jugendschutzes kritisieren die Autoren des Grünbuchs, dass eine effektive Alterskontrolle in der Praxis immer noch nicht verfügbar sei.74 In der Tat läuft der Schutz vor entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten weitgehend leer, wenn entsprechende Inhalte im Fernsehprogramm erst zu später Stunde gesendet werden, über Abrufdienste aber rund um die Uhr bezogen werden können. Im Hinblick auf die „Smart TV“-Geräte kann es zudem sinnvoll sein, jugendschutzfreundliche Voreinstellungen, wie etwa einen Passwortschutz für Abrufdienste, im Markt anzuregen oder gar festzuschreiben. Zudem kritisiert das Grünbuch zu Recht, dass aufgrund einer oft zersplitter-

69

Wagner, in: Hahn/Vesting (Hrsg.), Rundfunkrecht, 3. Aufl. 2012, § 52a RStV, Rn. 17.

70

Weber, ZUM 2011, 452 (454).

71

Schmid, ZUM 2011, 457 (460).

72

Zu den ökonomischen Effekten von Overlay-Werbung Schmid, ZUM 2011, 457 (459 f.).

73

In diese Richtung etwa EBU, On the road to a hybrid world of TV and web, 2012, S. 18; DLM, Positionspapier zu „Connected TV“ v. 19. Februar 2013, S. 6; Entschließung des Europäischen Parlaments v. 4. Juli 2013 über „Connected TV“.

74

KOM (2013) 231 final, S. 18.

130

https://doi.org/10.5771/9783845251707-121 Generiert durch Universität Leipzig, am 02.03.2023, 21:30:32. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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ten Aufsichtsstruktur für unterschiedliche Dienste in den Mitgliedstaaten die Rechtsdurchsetzung nicht hinreichend effizient sei.75 Bei Fragen des Jugendmedienschutzes muss allerdings jedem klar sein, dass das Recht oft an seine Grenzen stößt. In globalen Computernetzen lassen sich illegale Inhalte, wenn überhaupt, nur durch strikte Kontrollen bekämpfen. Solche Maßnahmen gehen aber schnell zulasten der Meinungsvielfalt. Es ist daher schwierig, eine angemessene Balance zwischen den unterschiedlichen Belangen zu finden. Es bleibt abzuwarten, welche Wirkung hier striktere Instrumente, wie zum Beispiel die Löschung illegaler, jugendgefährdender Inhalte, zukünftig entwickeln können. Die Förderung von Medienkompetenz bei Jugendlichen und Eltern gewinnt vor diesem Hintergrund an Bedeutung. 7.

Datenschutz

Bereits die Tatsache, dass das Thema Datenschutz im Zusammenhang mit der Regulierung audiovisueller Inhalte auftaucht, deutet einen grundlegenden Wandel bei der Mediennutzung an. Die anonyme Mediennutzung beim Empfang von Rundfunkprogrammen galt als Standard.76 Programmveranstalter oder Werbetreibende hatten grundsätzlich keine Möglichkeit, das Nutzerverhalten zu dokumentieren und auszuwerten. Durch rückkanalfähige Endgeräte hat sich diese Situation nun grundlegend geändert. Es ist nun möglich, den Medienkonsum detailliert zu protokollieren. Sofern das Nutzungsverhalten einer natürlichen Person, zum Beispiel wegen einer vorherigen Registrierung, zuzuordnen ist, handelt es sich um ein personenbezogenes Datum. Der Verarbeitung solcher Daten setzt das europäische Datenschutzrecht bereits heute Grenzen. Da es technologieneutral wirkt, erfasst es grundsätzlich auch die Datenverarbeitungstätigkeit neuer Diensteanbieter.77 Maßgeblich ist, dass für die Datenverarbeitung eine Einwilligung (Art. 7 lit. a) Richtlinie 95/46/EG) des Betroffenen oder besondere Erlaubnistatbestände vorliegen. Bedeutung erlangt hier unter anderem Art. 7 lit. b), welcher eine Datenverarbeitung zu Zwecken der Vertragsdurchführung erlaubt. Denkbar wäre etwa ein Vertrag, der dem Nutzer Zugang zu bestimmten Zusatzdiensten gewährt, wenn dieser sich im Gegenzug mit der Protokollierung seiner Nutzungsgewohnheiten einverstanden erklärt. In beiden Fällen ist eine umfassende und verständliche Information des Betroffenen erforderlich. Die derzeitigen Reformpläne für das europäische Datenschutzrecht sehen ebenfalls die Einführung des Marktortprinzips vor.78 Hierdurch sollen amerikanische Dienste, wie Facebook oder Google, besser als bisher dem europäischen Recht unterstellt und damit Schutzlücken geschlossen werden. Das Konzept „Privacy by design“ bzw. „Privacy by

75

Ebd., S. 18.

76

Entschließung des Europäischen Parlaments v. 4. Juli 2013 über „Connected TV“.

77

Vgl. Art. 1 i.V.m. Art. 2 lit. b) Richtlinie 95/46/EG, ABl. L 281/31.

78

KOM (2012) 11 endg., Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung), Art. 3 Nr. 2.

https://doi.org/10.5771/9783845251707-121 Generiert durch Universität Leipzig, am 02.03.2023, 21:30:32. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

131

132 default“79 findet in dem Entwurf zwar Erwähnung, bleibt jedoch recht unbestimmt.80 Hier würde sich die Möglichkeit bieten, den Anbietern und Geräteherstellern verbindliche Voreinstellungen und Technikstandards bei der Nutzung audiovisueller Mediendienste, insbesondere mit Blick auf eine anonyme Mediennutzung, aufzuerlegen. Überwiegend kritisch wird der neue Erlaubnistatbestand des „berechtigten Interesses“ (Art. 6 Abs. 1 lit. f) Datenschutz-Grundverordnung) betrachtet. Es wird befürchtet, dass die Regelung zu konturlos ist und daher weitreichende Datenverarbeitungen legitimieren könnte, die den Interessen des Betroffenen nicht hinreichend Rechnung tragen.81 Gerade im Bereich der Mediennutzung sollte der derzeitige Standard jedoch keinesfalls abgesenkt werden.

III. Fazit Das Konvergenzgrünbuch 2013 verzichtet darauf, eigene Visionen über die Zukunft der Medienregulierung zu entwickeln. Wünschenswert wäre es gewesen, wenn sich die Autoren intensiver mit dem durch das Grünbuch 1997 Erreichten auseinandergesetzt hätten. Im Ergebnis ist es ja nicht gelungen, europäische Unternehmen in einer Weise zu befähigen, dass sie auf den globalen Internetmärkten mitspielen könnten. Vielmehr haben sie auch den europäischen Markt weitgehend an die amerikanische Konkurrenz verloren.82 Zynische Stimmen würden darauf hinweisen, dass hinter den Grenzen zudem noch die NSA lauert, um die durch die Internetgiganten gesammelten Daten für die ökonomischen und politischen Interessen des Heimatlandes auszuwerten. Anstatt Grundsatzfragen aufzuwerfen, konzentriert sich das Grünbuch auf konkrete Problemstellungen, die sich durch die fortgeschrittene Konvergenzentwicklung herauskristallisiert haben. Es scheint sich darauf beschränken zu wollen, dort wo es hakt, nachzusteuern. Dieser Ansatz ist legitim, wenn er auch droht, das große Ganze aus dem Blick zu verlieren. So tauchen etwa Fragen der Netzneutralität gar nicht im Grünbuch auf. Auch die Diskussion über datenschutzrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Mediennutzung kommt angesichts des bereits fortgeschrittenen Gesetzgebungsprozesses für die Datenschutz-Grundverordnung reichlich spät. Folgefragen, etwa im Bereich der Durchsetzung europäischen Rechts auch gegenüber ausländischen Marktakteuren, werden im Grünbuch eher am Rande behandelt. Es läuft damit Gefahr, die Debatte um das künftige Medienrecht zu sehr einzuengen. Glücklicherweise sind die Landesmedienanstalten in der Bundesrepublik hinreichend gut aufgestellt, um solche Debatten anzustoßen und zu führen. Wir hoffen, dass Wolfgang Thaenert sich in diesen Diskussionen weiterhin aktiv beteiligen wird. Gerade sein Erfahrungsschatz in der europäischen Medienpolitik wird hier wichtig sein, um auch praktikable Lösungsansätze zu finden und umzusetzen.

79

Spindler, Gutachten F zum 69. Deutschen Juristentag, Persönlichkeitsschutz im Internet – Anforderungen und Grenzen einer Regulierung, 2012, S. F 122–125; Richter, DuD 2012, 576.

80

Art. 23 Datenschutz-Grundverordnung; zur Kritik Roßnagel/Richter/Nebel, ZD 2013, 103 (105); Hornung, ZD 2012, 99 (103).

81

Roßnagel/Richter/Nebel, ZD 2013, 103 (104).

82

KOM (2013) 231 final, S. 9.

132

https://doi.org/10.5771/9783845251707-121 Generiert durch Universität Leipzig, am 02.03.2023, 21:30:32. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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Konvergenz als Herausforderung für Medien- und Netzpolitik Wolfgang Kopf/Alexander Scheuer Digitalisierung, Globalisierung, Konvergenz – diese Stichworte beschreiben den Rahmen der immer deutlicher werdenden, weit reichenden Veränderungen in den Medien-, Informations- und Telekommunikationsbranchen. Die Umwälzungen betreffen gleichermaßen die Angebots- und Verbreitungsstruktur, das Nutzungsverhalten und die zugrunde liegenden Geschäftsmodelle. Wolfgang Thaenert, dessen Verdienste um Medienpolitik und Medienregulierung diese Festschrift würdigt und dem dieser Beitrag gewidmet ist, hat sich gerade in seiner Zeit als Beauftragter für Europaangelegenheiten der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten intensiv mit der vorliegenden Thematik befasst. Die auf seine maßgebliche Initiative hin etablierte und von ihm geförderte Veranstaltungsreihe „EuroReg“ widmete sich unter anderem den aktuellen und perspektivischen Herausforderungen der Konvergenzentwicklung. Er hat damit nicht allein die notwendige Diskussion insgesamt frühzeitig und nachhaltig vorangetrieben. Dank seiner Vernetzung zu wichtigen Repräsentanten der Regulierungsbehörden in anderen europäischen Ländern sowie der europäischen Institutionen hat er vielmehr dazu beigetragen, eine umfassendere, nicht allein an den Gegebenheiten und Interessenlagen in Deutschland orientierte Sichtweise in die hiesigen Überlegungen einzubringen. Anhand von Connected TV, Thema der EuroReg-Konferenz im Jahre 2011,1 lassen sich die Dimensionen nachvollziehbar beschreiben, in denen sich eine konvergierende und globalisierte Medien- und IKT-Welt verändert. •

Endgeräte der neuen Generation beziehen zum Einen mittels der klassischen Übertragungswege Satellit, Kabel oder Terrestrik das Fernsehsignal und begleitende Dienste wie Videotext oder elektronischer Programmführer. Zum Anderen verfügen sie über eine Anschlussmöglichkeit an das Internet und können die über diesen Verbreitungsweg zugänglichen Dienste, Anwendungen und Inhalte darstellen. Beispiele für Connected TV sind so genannte Smart-TV-Geräte, aber auch die Kombination eines Fernsehers mit einem Peripheriegerät wie Set-Top-Box oder Spielekonsole.



Insbesondere der First Screen, ein groß dimensionierter Bildschirm im Wohnzimmer, wird damit zum Zentrum der Entwicklung, die hergebrachte Grenzen zwischen verschiedenen Diensten und zu deren Nutzung eingesetzter Technik mittelfristig aufheben dürfte: einerseits Fernsehen als passives Verfolgen (lean-backSituation) des von einem Anbieter entlang eines Sendeplans zusammen gestellten Programms, andererseits Surfen im Internet mit dem Computer oder Spielen an einer Konsole als aktive Nutzung (lean-forward-Situation). Neben dem Fernsehange-

1

Siehe „EuroReg 2011: From Connected TV to Coherent Media“, Band 48 der Schriftenreihe der Landesmedienanstalten, Berlin 2012; nähere Informationen unter: http://www.vistas.de/vistas/schrif tenreihen_detail/EuroReg_2011:_From_connected_TV_to_Coherent_Media/514/detail.html.

133 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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bot sind Video-on-Demand-Dienste als weitere audiovisuelle Medien zugänglich, aber auch elektronische Angebote des Printsektors, Spiele, soziale Medien, Suchmaschinen. Durch Vernetzung mit anderen Geräten oder die Einbindung von (netzseitigen) Speichermedien stehen auch von den Nutzern selbst erstellte Medien wie Videos oder Bilder zur Verfügung. Anbieter von Inhalten und Diensten finden einen Weg in eine Nutzungsumgebung, die bislang überwiegend dem Fernsehkonsum oder dem Betrachten von Bildträgern wie DVDs vorbehalten war. Perspektivisch ist hiermit die noch vorherrschende Inanspruchnahme des Fernsehens als lineares Medium zugunsten einer vor allem Zeit- und Auswahl-souveränen Nutzung von Abrufmedien in Frage gestellt. •

Über den Second Screen, portable Endgeräte wie Smartphones oder Tablets, wird mit Programmen interagiert oder über diese mit anderen Nutzern kommuniziert. Zudem kann ein auf dem Hauptbildschirm betrachteter Inhalt auf ein mobiles Gerät transferiert und dort weiter genutzt werden.



Gerätehersteller bieten den Verbrauchern durch ein neues Design der Bildschirmoberfläche des „Fernsehers“ Grundorientierung und Navigation über die unterschiedlichen Medienkategorien hinweg an. Solche Einstiegs- oder in der Folge aufrufbaren Portale können vom Produzenten eines Smart-TV ebenso verantwortet sein wie vom Hersteller eines Peripheriegeräts oder mobilen Endgeräts; sie können aber auch dienstbasiert mittels einer ausgewählten Anwendung eingesetzt werden.

Zwar steigt die Marktdurchdringung vor allem mit SmartTVs immer weiter an. Allerdings ist das vorstehend beschriebene Szenario trotzdem erst in wenigen Haushalten Realität. Gründe hierfür sind zunächst der mangelnde Anschluss des Geräts an das Internet, darüber hinaus die sehr überschaubare tatsächliche Nutzung der Funktionalitäten, die Connected TV bietet.2 Daraus aber ableiten zu wollen, die zu erwartenden Änderungen seien von untergeordneter Bedeutung, hieße deren Potenzial zu unterschätzen. Die Konvergenz bewirkt wichtige Modifikationen der Wertschöpfungskette im Medienund IT-Sektor: •

Die Position der Endgeräteanbieter erfährt eine bedeutende Akzentuierung, da die von ihnen eingebrachten Portale zur Vermarktung eigener und fremder Anwendungen und Inhalte herangezogen werden können.



Geschäftsmodelle, die auf einer Entgeltzahlung durch den Nutzer basieren, lassen sich auch von anderen als PayTV-Anbietern einsetzen, etwa durch Betreiber von Online-Videotheken oder von so genannten Application Stores.



Die werbetreibende Industrie ist nicht mehr ausschließlich auf die Zusammenarbeit mit Fernsehveranstaltern angewiesen; sie kann auch direkt mit Portalbetreibern und Anbietern von On-Demand-Diensten kooperieren, um die Zuschauer zu erreichen.

2

Vgl. Kunow, Aktueller Stand der Digitalisierung in den deutschen Haushalten (Stand: Juni 2013), in: die medienanstalten (Hrsg.), Digitalisierungsbericht 2013, S. 34 ff., 41 ff.; abrufbar unter: http://www.die-medienanstalten.de/fileadmin/Download/Publikationen/Digitalisierungsbericht/2013 /Digitalisierungsbericht_2013.pdf.

134 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

135

Veränderungsdruck besteht auch auf die Geschäftsmodelle der Infrastrukturanbieter, die Medieninhalte verbreiten. Und zwar nicht nur bei Connected TV, sondern überall dort, wo es um den erhöhten Datenverkehr durch die Auslieferung von (Video-)Inhalten auf individuellen Abruf der Nutzer geht. •

Reine Rundfunkverteilnetze (mit Technologien für unidirektionales, one-to-many broadcasting) gehören ganz überwiegend der Vergangenheit an. Hierbei bestand die Vereinbarung dahingehend, dass der Inhalteanbieter für den Transport zum Zuschauer (im Falle der Verbreitung von Rundfunksignalen) zahlt. Netze, die auch bidirektionale Kommunikation (vor allem in Form von unicasting oder multicasting) realisieren können, übernehmen heute die Übertragung von Live-TVAngeboten und zudem das Verfügbarmachen von audiovisuellen Abrufinhalten. Hierbei ist noch ungeklärt, wer die Kosten für Transport- und andere technische Dienstleistungen trägt – sollte dafür etwa gelten: „Gebühr bezahlt Empfänger“ und, falls das nicht ausreicht, zusätzlich: „Die Daten kommen aus der Steckdose“?



Auf die Möglichkeiten der neuen IP-Netztechnologien setzen vor allem sog. Overthe-Top-(OTT-)Anbieter. Sie basieren ihre Geschäftsmodelle darauf, dass Übertragungsinfrastruktur vorhanden ist, insbesondere leistungsstarke Backbone- und Anschlussnetze. Die unverändert stark ansteigende Nachfrage nach bandbreitenintensiven, im Sinne der Qualität besondere Ansprüche stellenden Videoinhalten verlangt von den Netzbetreibern deshalb den kontinuierlichen Ausbau der IP-basierten, leitungsgebundenen und drahtlosen Übertragungswege. Sich auf Modelle zu einigen, mit denen die eingesetzten Investitionen refinanziert werden können, ist für die Infrastrukturinvestoren überlebenswichtig. Für Verhandlungen kann hierbei nicht gelten: „Kein Anschluss unter dieser Nummer.“

I.

Konvergenzdiskussion auf EU-Ebene und in Deutschland

Die Folgen eines konvergierenden und globalisierten Medien- und IKT-Sektors werden aktuell sowohl auf Ebene der Europäischen Union als auch in deren Mitgliedstaaten einschließlich Deutschlands erörtert. Die Diskussion vermittelt zurzeit allerdings noch einen eher heterogenen, wenig konsistenten Eindruck. •

Ende April 2013 verabschiedete die Europäische Kommission das Grünbuch „über die Vorbereitung auf die vollständige Konvergenz der audiovisuellen Welt: Wachstum, Schöpfung und Werte“.3 Hiermit leitete sie eine breit angelegte Konsultation der interessierten Kreise ein. Diese hatten Gelegenheit, auf eine von der Kommission vorgenommene Auswahl an relevanten Fragen einzugehen und Vorstellungen zur Überarbeitung des zugehörigen Regulierungsrahmens der EU zu unterbreiten.



Im Juni 2013 verabschiedete das Europäische Parlament die Entschließung „über Connected TV“ (Berichterstatterin des federführenden Kulturausschusses: Petra

3

KOM(2013) 231 endg., vom 24. April 2013, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/ LexUriServ.do?uri=COM:2013:0231:FIN:DE:PDF.

135 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

136 Kammerevert).4 Diese behandelte zum Teil ähnliche Themen wie das Kommissions-Grünbuch, erstreckte die Perspektive aber auch auf zusätzliche Gesichtspunkte. •

Erwartet wird für 2014 zudem ein weiterer Bericht (von Sabine Verheyen als Berichterstatterin des erneut maßgeblich zuständigen Kulturausschusses), der die unmittelbare Reaktion des EP auf das Grünbuch der Kommission darstellt, sich aber nicht auf die darin angesprochenen Konsultationselemente beschränken muss.5

Ob aber eine übergreifende bzw. ganzheitliche Betrachtung aller relevanten Gesichtspunkte der Medien- und Netzpolitik gelingen wird, bleibt abzuwarten. Ein Augenmerk sollte jedenfalls auf die Digitale Agenda gerichtet werden, für die die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Neelie Kroes, verantwortlich zeichnet. Zu den Initiativen auf der Basis dieses Programms zählt der jüngst im September 2013 veröffentlichte Kommissions-Entwurf einer Verordnung „über Maßnahmen zum europäischen Binnenmarkt der elektronischen Kommunikation und zur Verwirklichung des vernetzten Kontinents“.6 Dieser vom Europäischen Parlament und Rat zu erlassende Rechtsakt zielt auf tiefgreifende Veränderungen des geltenden Rechtsrahmens für die elektronische Kommunikation und damit der Wettbewerbsbedingungen der Betreiber und Diensteanbieter in der EU.7 In Deutschland wurden und werden ebenfalls Reformüberlegungen auf politischer Ebene, überwiegend unter Einschluss der betroffenen Kreise, angestellt. •

Die in der vergangenen Bundestags-Legislatur durchgeführte Enquête-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ erbrachte eine Bestandsaufnahme wichtiger Diskussionspunkte für Gesetzgebung und Regulierung.8



In der Folge erörterte, basierend auf einer Initiative des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer auf den Medientagen München 2012, der so genannte „Runde Tisch Medienpolitik“ im Verlauf des Jahres 2013 ein beachtliches Spektrum an Themen, auf die die Konvergenzentwicklung spürbar einwirkt.9



Zu Beginn des Jahres 2013 starteten Bund und Länder einen fachöffentlichen Austausch zu den „rechtlichen, technischen und ökonomischen Rahmenbedingungen der Massenkommunikation“.10 Zum jetzigen Zeitpunkt zeichnet sich noch nicht mit

4

P7-TA(2013)329 vom 4. Juli 2013, Verfahrensnr.: 2012/2300(INI); http://www.europarl.europa.eu/ sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2013-0329+0+DOC+XML+V0//DE.

5

http://www.europarl.europa.eu/oeil/popups/ficheprocedure.do?lang=en&reference=2013/2180(INI).

6

KOM (2013)627 endg., vom 11. September 2013, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/ LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2013:0627:FIN:DE:PDF.

7

Wesentliche Elemente des Vorschlags präsentiert die EU-Kommission hier: https://ec.europa.eu/ digital-agenda/en/connected-continent-legislative-package.

8

Vgl. http://www.bundestag.de/internetenquete/.

9

Ergebnisse wurden auf den Medientagen München 2013 präsentiert: http://www.medientage.de/pro grammdetail.php?year=2013&panel=2.1.

10

Siehe http://www.rlp.de/ministerpraesidentin/staatskanzlei/medien/.

136 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

137

hinreichender Klarheit ab, ob in diesem Forum Empfehlungen zur Modifikation des Rechtsrahmens formuliert werden. •

Ferner ist der von der Hamburger Senatskanzlei ausgehende Vorstoß zu nennen, einen Medienstaatsvertrag zu erarbeiten.11



Schließlich soll die von der Bundesnetzagentur eingeleitete Konsultation zur künftigen Frequenzregulierung erwähnt werden.12 Deren Bezugspunkte werden sowohl der internationalen Telekommunikationspolitik (WRC-12), als auch der aktuellen, nationalen Regulierung verschiedener Frequenzspektren und ihrer entsprechenden Nutzungsbedingungen zugeschrieben. Nicht zuletzt aufgrund der in 2013 bekannt gewordenen Pläne, die zu deutlichen Veränderungen vor allem im Mobilfunkmarkt führen würden, ist eine Abschätzung zur Fortführung und zu etwaigen Ergebnissen dieses Prozesses derzeit schwierig.

II.

Überprüfung und Anpassung des Rechtsrahmens

Die Überprüfung des bestehenden Rechtsrahmens zeigt – sowohl bei allgemeiner als auch bei einer auf bestimmte Themen ausgerichteten Betrachtung – eine Fülle von Handlungsoptionen. In Reaktion auf die mit der Konvergenz einher gehenden Herausforderungen sollten Gesetzgebung und Regulierung allerdings zwei wesentliche Zielsetzungen verfolgen: Soweit hergebrachte Politikziele weiterhin ihre Berechtigung haben, ist zunächst zu hinterfragen, ob für deren Erreichen das aktuelle Regulierungsniveau beibehalten werden muss und ob die dabei eingesetzten Instrumente angemessen sind. Des Weiteren ist die Ausrichtung des Rechtsrahmens daraufhin zu untersuchen, ob er die richtigen Impulse für Innovation und wirtschaftliches Wachstum innerhalb der europäischen bzw. nationalen Medien- und IKT-Branchen setzt. Insbesondere, ob alle in vergleichbarer Situation befindlichen Wettbewerber auf den verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette gleiche Rahmenbedingungen vorfinden. 1.

Reduktion der Vorgaben auf das Notwendige

Teil des EU-Rechtsrahmens für elektronische Kommunikation ist beispielsweise die Bestimmung über so genannte Must-Carry-Regelungen.13 Sie fungiert als sektorspezifische Grundlage für Belegungsvorgaben, die Betreibern von medienrelevanten Infrastrukturen zugunsten bestimmter Rundfunkinhalte nach nationalem Recht auferlegt

11

Vgl. Olaf Scholz, Was soll öffentliche Kommunikation künftig leisten?, in: promedia Juli 2013, S. 6 f.

12

BNetzA, Mobiles Breitband – Projekt 2016, abrufbar unter: http://www.bundesnetzagentur.de/ cln_1932/DE/Sachgebiete/Telekommunikation/Unternehmen_Institutionen/Frequenzen/Oeffentliche Netze/Mobilfunknetze/Projekt2016/Projekt2016.html.

13

Artikel 31 der Richtlinie 2002/22/EG vom 7. März 2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten (Universaldienstrichtlinie), ABl. EG Nr. L 108/51 vom 24. April 2002, i. d. F. der Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009, ABl. EG Nr. L 337/11 vom 18. Dezember 2009.

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werden, und unterwirft solche Vorgaben einigen Voraussetzungen. Die Bestimmung hat in zweifacher Hinsicht den Charakter einer Schnittstelle: Zum Einen verbindet sie die Kompetenz der EU zur Regelung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste mit der zu wesentlichen Teilen aufgrund mitgliedstaatlicher Kompetenz festgelegten rechtlichen Ordnung der Medien. Zum Anderen verknüpft sie das europäische Politikziel der Stärkung von Innovation und Wachstum durch Wettbewerb in einem der wichtigsten Sektoren der Wirtschaft mit der in den Ländern verfolgten Zielsetzung, die Vielfalt an für die individuelle und gesellschaftliche Meinungsbildung besonders bedeutsamen Fernsehangeboten zu fördern. Allerdings ist die Erforderlichkeit des aktuellen Zuschnitts derartiger Belegungsvorgaben spätestens in Zeiten von Connected TV durchaus fragwürdig: Erstens stehen Inhalteanbietern und Zuschauern eine Vielzahl von Übertragungswegen und Plattformen zur Verfügung. Hierüber wird der Zugang zu den im Sinne der Meinungsbildungsrelevanz wichtigsten Fernsehprogrammen gewährleistet. Infrastruktur- und Plattformbetreiber haben zweitens ein starkes Interesse daran, gerade solche Angebote ihren Nutzern zur Verfügung stellen zu können. Denn diese sehen die entsprechenden Sender als entscheidendes Element für den von ihnen genutzten Mix an Informationsmedien an. Drittens entspricht die Betrachtungsweise, ob über einen bestimmten Verbreitungsweg die relevanten Programme in linearer Form genutzt werden können, gerade nicht den Möglichkeiten, die Connected TV bietet: Mittels der Verschmelzung von Rundfunk- und Internetinfrastruktur einerseits und durch das Zusammenführen von linear verbreiteten und non-linear abrufbaren Medienangeboten andererseits erhöhen sich die von Inhalteanbietern und Nutzern einsetzbaren Zugangsoptionen erheblich. Schließlich ist zu überprüfen, ob die Regelung in ihrer aktuellen Ausgestaltung für eine ausreichende Balance der Rechte und Pflichten der Beteiligten sorgt. Zugunsten von Inhalteanbietern wird ein Anspruch gegenüber den Betreibern der Infrastruktur auf Verbreitung normiert. Der Gedanke hingegen, Netzbetreiber sollten im Gegenzug für die Einschränkung ihrer wirtschaftlichen Handlungsfreiheiten sowie der Verfügungsfreiheit über ihr Eigentum einen angemessenen Ausgleich erhalten, entbehrt der erforderlichen, verbindlichen Festlegung. Eine solche gesetzliche Ausbalancierung sollte zumindest die Einführung einer Must-Offer-Verpflichtung für Inhalteanbieter/Rechteinhaber und die Klarstellung beinhalten, dass die Erbringung technischer Dienstleistungen zugunsten der Medienanbieter, die hiermit ihre Zuschauer/Nutzer erreichen wollen bzw. müssen, auch angemessen abzugelten ist. Ein weiteres Beispiel für Deregulierungspotenziale bieten die Bestimmungen, mit denen die Interoperabilität von Fernsehsignalen, Übertragungswegen und Empfangsgeräten abgesichert werden soll. Die verbindliche Vorgabe einer bestimmten technischen Norm gegenüber Netzbetreibern und Endgeräteherstellern kann gerade bei den IP-Standards einsetzenden Netzen zu erheblichen Hemmnissen für die Innovation führen. Es gilt hier, die sich aus einer Industrie-getriebenen Entwicklung von Standards ergebenden Chancen für neue Anwendungen stärker als bislang zu nutzen. Die derzeit auf nationaler und EU-Ebene diskutierten Anforderungen an die Ausgestaltung des Internet könnten sich als ein neuerlicher Anwendungsfall überbordender Regulierung erweisen. Bis heute fehlt es an einem nachvollziehbar geführten Beleg, dass die 138 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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Anbieter von Internetzugangs- und -transportdienstleistungen Praktiken zur ungerechtfertigten Einschränkung der Netzneutralität einsetzen. Im Gegenteil unterlegen die enormen finanziellen Aufwendungen, mit denen etwa die Deutsche Telekom den Ausbau der breitbandigen Übertragungswege auch in den kommenden Jahren verfolgen wird, die Identifikation mit der gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Zielsetzung leistungsfähiger IKT-Infrastrukturen. Dies korrespondiert im Übrigen mit dem eigenen wirtschaftlichen Interesse, den Kunden auch in Zukunft ein positives Nutzungserlebnis in Bezug auf die Vielfalt der mittels Internet verfügbaren Dienste zu sichern. Eindeutig verfrüht ist vor diesem Hintergrund erst recht die Debatte über ausgestaltende Maßgaben für künftige Geschäftsmodelle, die qualitätsorientierte Transportleistungen angesichts spezifischer Anforderungen unterschiedlicher Dienste, Anwendungen und Inhalte sowie differenzierter Bedarfe von Anbietern und Nutzern beschreiben. 2.

Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich

Die Konvergenzentwicklung stellt auch in anderer Hinsicht eine konzeptionelle Herausforderung für die Regulierung dar. Im Wesentlichen ist der Ansatz der EU in den hier relevanten Bereichen sehr stark auf den Binnenmarkt zentriert. Ähnliches gilt etwa für das Daten-, Verbraucher- und Urheberschutzrecht. Hauptansatzpunkt ist die Effektuierung der wirtschaftlichen Grundfreiheiten, insbesondere der Dienstleistungsfreiheit. Hierfür ist das Herkunftslandprinzip das entscheidende Instrument. Entspricht ein Produkt den Regelungen14 des Mitgliedstaats, in dem der Anbieter ansässig ist, soll es grundsätzlich frei zirkulieren können, d. h. ohne weitere Einschränkung bzw. Kontrolle in anderen (Empfangs-)Mitgliedstaaten vermarktbar sein. Wie reagiert eine derart konzipierte Rechtsordnung auf die Globalisierung der Medien? Die vornehmlich mittels Internetverbindung den Connected TV-Geräten zugeführten audiovisuellen und weiteren Medieninhalte können verbreitet werden, ohne dass deren Anbieter auf die Einhaltung des europäischen bzw. nationalen Rechts verpflichtet wären. Eine Vielzahl von OTT-Angeboten ruft zudem neue Problemlagen im Sinne der Regulierungsziele sowohl des Medienrechts als auch des Verbraucherschutzes hervor. Es geht hier nicht allein darum, die Perspektiven der geltenden regulatorischen Abstufung einer Überprüfung zu unterziehen. Aktuell ist das Fernsehen unionsrechtlich strenger und ausführlicher reguliert als Video-on-Demand-Angebote, während sonstige audiovisuelle Dienste wie etwa Plattformen für nutzergenerierte Inhalte (User Generated Content, UGC) und andere Medien keine nennenswerten Vorgaben zu beachten haben. Es bedarf vielmehr auch einer Vorstellung davon, ob und, wenn ja, wie Anwendungsdefizite behoben werden können. Solche resultieren aus den Schwierigkeiten, gegenüber nicht in einem EU-Mitgliedstaat ansässigen Anbietern die Einhaltung der Vorgaben durchzusetzen. Datenverkehr, der von Anbietern veranlasst wird, die die Konformität mit europäischen Normen oder einem vergleichbaren Schutzniveau nicht sicher-

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Hierzu zählen die Bestimmungen, mit denen die (Mindest-)Harmonisierung des EU-Rechts in nationales Recht umgesetzt wurde. Gegebenenfalls kommen detailliertere oder strengere Regelungen in den von EU-Bestimmungen erfassten Bereichen hinzu sowie weitere, nicht durch das supranationale Recht vorgeprägte Maßgaben des Mitgliedstaats.

139 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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stellen, könnte beispielsweise anders behandelt werden als ein die Binnenmarktregeln respektierendes Angebot.15 Das Vielfaltssicherungs- und Medienkonzentrationsrecht in den EU-Mitgliedstaaten fokussiert bis auf wenige Ausnahmen16 auf die klassischen Medien und deren Anbieter: Fernsehen, Hörfunk, Zeitungen. Dies erscheint angesichts der wachsenden Bedeutung anderer Formen zur Vermittlung von oder des Zugangs zu Informationen und in Anbetracht der Konvergenz wenig sachgerecht. Die Fortentwicklung des einschlägigen Regelungsgeflechts unter Einbezug aller Aktivitäten, die spürbaren Einfluss auf die individuelle und öffentliche Meinungsbildung haben, ist daher bedenkenswert. Außerdem könnte die europäische und nationale Regulierung von Plattformen für Medieninhalte, hierin eingeschlossen Maßgaben zur Sicherung von Interoperabilität, ihre Zielsetzungen verfehlen. Sie ist weder technologieneutral ausgestaltet, noch auf die Veränderungen im Zusammenspiel von Hard- und Software vorbereitet, die durch die eingangs beschriebene technische Konvergenz beschleunigt werden. Der Ansatz verschiedener OTT-Anbieter birgt dabei neue Gefahren für die Meinungsvielfalt: Das Risikopotenzial der Dienste resultiert häufig aus dem Zusammenspiel von technisch-proprietärer Implementierung mit der Übernahme von journalistischredaktionellen Funktionen. Im Sinne des unverfälschten Informationsflusses ist Neutralität von Suchergebnissen und Empfehlungen erwünscht. Gemeint ist dabei nicht völlige Gleichheit, sondern Abwesenheit von steuernden Elementen, die weder transparent sind, noch frei von kommerziellen Interessen. Insbesondere bei Hinzutreten mangelnder Interoperabilität – nicht nur von Diensten und Geräten, sondern vor allem auch bei Anwendungen –, zeigt sich, dass das Medien- und Telekommunikationsrecht die Probleme nicht vollständig erfassen kann. Gerade in Kombination mit vertikal integrierten Strukturen verstärkt der (gezielte) Verzicht auf interoperable Lösungen die Probleme; zusätzlich werden sowohl verbraucherschutz- als auch wettbewerbsrechtliche Fragen aufgeworfen. Beispielhaft ist darauf zu verweisen, dass die Portabilität von Applikationen zur Plattform-übergreifenden Nutzung bislang nicht ausreichend sichergestellt ist. Eine Apple-App ist auf einem Android-SamsungMobilfunkgerät nicht nutzbar, während z. B. die Telefonnummer zwischen Mobilfunkanbietern jederzeit übertragbar ist.

15

Für die Weiterverbreitung von audiovisuellen Angeboten sind bereits seit 1989 aufgrund der Fernsehrichtlinie, der Vorgängerin der AVMD-Richtlinie, entsprechende Mechanismen in Kraft. Deren Anpassung an die Bedingungen des Internets als Transportweg muss bedacht werden. Beispielsweise kann nach bisheriger Regelung die Verschlüsselung des Datenstroms technisches Mittel zum Schutz Minderjähriger vor deren Entwicklung beeinträchtigenden Inhalten sein. Somit ist zwar das Signal selbst zugänglich, allerdings in einer Qualität, die eine sinnvolle Nutzung des Angebots praktisch ausschließt.

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Eine Ausnahme stellt etwa der im italienischen Recht geltende Ansatz dar, die wirtschaftliche Position von Anbietern auf den „integrierten Kommunikationsmärkten“ insgesamt zu betrachten. Zwar sind Motivation und konkrete Ausgestaltung dieses Konzepts als problematisch einzustufen. Jedoch erscheint eine auf die Bedarfe des Politikziels Vielfaltssicherung zugeschnittene Konstruktion eines vergleichbaren Ansatzes durchaus bedenkenswert.

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Sofern die entsprechenden Normen im Grunde weiterhin benötigt werden, da eine nachträgliche Missbrauchsaufsicht als nicht ausreichend erachtet wird, wäre folgendes sicher zu stellen: Vergleichbare Rollen in der Distribution und Darstellung von Medieninhalten sowie ähnliche Funktionalitäten der eingesetzten Technologie sind regulatorisch gleich zu behandeln. Dies kann bedeuten, Marktbeteiligte wie Endgerätehersteller sowie Anbieter technischer Dienste, die der Rechtsrahmen aktuell nicht (in allen relevanten Aspekten) adressiert, künftig in die Regulierung einzubeziehen. Dies gilt etwa für AppStores, die nichts anderes als Plattformen für Inhalte sind. Gerade hier gilt aber auch, dass bestehende Deregulierungspotenziale genutzt werden müssen, um nicht Innovation zu verzögern oder sogar zu verhindern. Unabhängig von solchen konkreten Novellierungsvorhaben ist generell zu gewährleisten, dass Friktionen mit den Vorgaben und Instrumentarien des Kartellrechts vermieden werden. Eine Forderung, deren Berechtigung für das Verhältnis der wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen (einschließlich des Beihilferegimes) zu denjenigen des Telekommunikationsrechts ebenfalls nicht von der Hand zu weisen ist. Insgesamt hat eine konvergente Medien- und Netzpolitik in Europa und in Deutschland größte Sorgfalt darauf zu verwenden, dass Anreize und positive Impulse für wirtschaftliches Wachstum und Innovation wieder verstärkt gesetzt werden. Die Infrastruktur für leistungsfähige, zukunftsfeste und sichere Informations- und Kommunikationssysteme zu schaffen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie sind nicht nur Voraussetzung für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, sondern auch Grundlage moderner Verwaltungsstrukturen, demokratischer Partizipation und eines attraktiven Angebots an Medieninhalten. Wird etwa, wie bislang, die Hauptverantwortung hierfür überwiegend den hiesigen Betreibern zugewiesen, so muss deren Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich gewährleistet sein. Dazu zählen einerseits die allgemeinen Rahmenbedingungen, etwa zu vermeiden, dass steuer- oder datenschutzrechtliche Zielsetzungen wegen „unorthodoxer“ Gestaltungen verfehlt werden. Hierdurch drohen nicht allein budgetäre Schäden, sondern auch ein Vertrauensverlust, der neuen Geschäftsmodellen die Grundlage entziehen kann. Andererseits muss es durch eine interessengerechte Ausdifferenzierung der Tarife für Transportdienstleistungen möglich sein, dem zunehmenden Ungleichgewicht in der Verteilung der Datenverkehre Rechnung zu tragen.

III. Herausforderung: konvergenter Politikansatz für Medien und Netze Entscheidende Aufgabe der künftigen politischen Gestaltung ist es, einen Ansatz zur Fortentwicklung des Rechtsrahmens zu finden, der vergleichbar konvergent ist wie die zu regelnden Sektoren. Ebenso ist präziser als in der Vergangenheit auf eine konsistente Umsetzung des anwendbaren Rechts zu achten. Dies stellt eine entscheidende Anforderung an die Vernetzung von Aufsichts- und Durchsetzungsstrukturen dar. Insofern ist es zu begrüßen, dass die Diskussion über notwendige und zielführende Veränderungen der Regulierung an Intensität zugenommen hat und ersichtlich die Komplexität der Fragestellungen und der mit ihrer Beantwortung verbundene Zeitbedarf nicht verkannt 141 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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den. Es ist aber darauf zu achten, dass tatsächlich eine umfassende Verständigung über die in den einzelnen Regelungsgebieten anstehenden Reformen vorgenommen wird und vor allem eine sachgerechte Interaktion zwischen Wettbewerbs-, Telekommunikationsund Medienrecht stattfindet. Die Beschreibung des Anforderungsprofils hierfür lautet: •

Die Regulierungsziele sind daraufhin zu überprüfen, ob sie unter den Vorzeichen der Konvergenz nicht oder doch zumindest in Teilen an Berechtigung eingebüßt haben.



Bestehen danach Regulierungserfordernisse fort, ist Mittel der Wahl, das richtige Maß des Regulierungsniveaus zu bestimmen; zugleich sollten Instrumente der Cound Selbstregulierung dort zum Zuge kommen, wo staatliche Regulierung nicht erforderlich oder weniger effizient ist.



Hierbei ist insbesondere darauf zu achten, dass die Regulierung in allen relevanten Bereichen angemessene und gleichmäßige Effekte erzielt und mit ihr keine unbeabsichtigten negativen Wirkungen für die Innovations- und Wirtschaftskraft der deutschen und europäischen Unternehmen einher geht. Vergleichbare regulatorische Rahmenbedingungen für einen fairen Wettbewerb zu schaffen, ist eine Aufgabe, die über die genannten Rechtsgebiete hinausreicht und beispielsweise auch das Steuerund Datenschutzrecht umfasst.



Insgesamt muss das Augenmerk auf Konsistenz gelegt werden: Anreize für Investitionen, die die Politik etwa für den Breitbandausbau setzen möchte, dürfen nicht durch wettbewerbs- oder telekommunikationsrechtliche Vorgaben konterkariert werden. Medienrechtliche Anforderungen an Endgeräte, Dienste, Plattformen und Übertragungswege sind jedenfalls dort zu relativieren, wo der Wettbewerb ohnehin zu einem vielfältigen und gut zugänglichen Angebot führt.



Struktur und Funktionsweise „des Internet“ müssen umfänglich verstanden sein, um sicherzustellen, dass Regulierung passgenau wirkt und nicht die falschen Impulse vermittelt. Die Chancen neuer Geschäftsmodelle für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung dürfen nicht verkannt werden. Vor allen Dingen ist es notwendig, das Potenzial der auf eine faire Verteilung von Nutzen und Lasten ausgerichteten Strukturierung von Diensten zu realisieren. Nutzer, Inhalteanbieter und Infrastrukturbetreiber profitieren hiervon gleichermaßen.



Technologie- oder dienstspezifische Regulierungsansätze bedürfen der intensiven Überprüfung, die mit der Zielsetzung verbunden sein sollte, die Konvergenz auch als ein Verschmelzen von Geschäftsmodellen und Einflussfaktoren zu begreifen. Ein tradiertes, eindimensionales Rollenverständnis ist hier deplatziert.

In Anbetracht dieses Anforderungsprofils kann die Ausweitung und Intensivierung der Diskussion nur begrüßt werden. Gleichzeitig ist vor einer vorschnellen Konzentration auf vermeintlich nahe liegende „Lösungswege“ zu warnen. Recht und dessen Anwendung mit der Zielsetzung zu modellieren, mehr Konsistenz und Konvergenz zu erreichen, ist eine komplexe und gemeinsame Aufgabe.

142 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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Gold-Plating reicht nicht Über den Vertrauensverlust der Medien Ingrid Scheithauer

I. Medien sind das Zentralnervensystem moderner Gesellschaften. Über sie funktioniert die Selbstverständigung der Gesellschaft, die Information der Bürger, damit sie eine bewusste und begründete Wahlentscheidung treffen können. Medien sorgen damit für die Rückbindung der Macht an den Souverän, den Wähler. Sie sorgen für Transparenz in Legislative, Exekutive und Judikative und haben so – mittelbar – eine Wächterfunktion, eine Kontrollfunktion. Medien machen das Staats- und Gesellschaftsgefüge erkennbar und erlebbar, damit gestaltbar. Sie ermöglichen die informierte Partizipation. Und Teilhabe ist die Voraussetzung, Einfluss zu nehmen. Dies gilt nicht nur für den politischen Bereich, sondern auch für Wirtschaft und Kultur, Wissenschaft und Technik. Demokratische Staaten garantieren Informations- und Pressefreiheit, das ist die Voraussetzung der Meinungsfreiheit. Diese Freiheiten gehören zum Kern der Demokratie. Demokratie setzt voraus, „dass sich eine große Zahl von Menschen sehr ernsthaft an lebhaften politischen Debatten und an der Gestaltung der politischen Agenda beteiligt und nicht allein passiv auf Meinungsumfragen antwortet; dass diese Menschen ein gewisses Maß an politischem Sachverstand mitbringen und sich mit politischen Ereignissen und Problemen beschäftigen“.1 Soweit Idee und Ideal. Die Realität: Zunehmend verlieren Bürger das Vertrauen in Politik, politische Parteien, gesellschaftliche Institutionen wie Kirchen und Gewerkschaften und – in die Medien.

II. Transparency International legte mit dem Global Corruption Barometer 20132 besorgniserregende Umfrageergebnisse vor. Die Befragung von mehr als 110.000 Menschen in 107 Ländern zeigt: Mehr als die Hälfte der Menschen glaubt, dass die Korruption zugenommen habe. Das gilt – in der Tendenz – auch für die EU-Mitglieder, also mithin demokratisch regierter Länder. Insgesamt lässt sich sagen: Politische Parteien schneiden besonders schlecht ab – und zunehmend auch die Medien. Mehr als die Hälfte der Befragten in Deutschland (54 Prozent) halten 2013 die Medien für korrupt oder sehr korrupt. Das ist angesichts eines immer noch gut ausgestatteten

1

Crouch, Postdemokratie, Frankfurt am Main 2008, S. 9.

2

http://www.transparency.org/gcb2013.

https://doi.org/10.5771/9783845251707-143 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der von der Gesellschaft großzügig alimentiert und dem Gemeinwohl verpflichtet ist, eine besonders schlechte Nachricht. Da tröstet es wenig, wenn in anderen EU-Ländern die Werte noch schlechter sind – wie in Griechenland mit 86 Prozent oder in Großbritannien mit 69 Prozent, die den Medien ein derartig schlechtes Zeugnis ausstellen. Der von Transparency International konstatierte Vertrauensverlust wird vielfach bestätigt. Auch das Institut für Demoskopie Allensbach konstatiert eine sinkende Wertschätzung von Journalisten und sieht sie in der Berufsprestige-Skala weit unten – weit abgeschlagen von Ärzten, Lehrern, Handwerkern.3 Das renommierte Pew Research Center for the People and the Press untersucht regelmäßig die Glaubwürdigkeit der Medien in den USA und stellt einen dramatischen Einbruch innerhalb einer Dekade fest: 2012 attestieren nur noch 56 Prozent der Befragten den 13 untersuchten Medien Glaubwürdigkeit, 2002 waren es noch mehr als 70 Prozent.4 Zugleich sinkt auch der Glaube an Sorgfalt, Fairness und Ausgewogenheit der Berichterstattung. 80 Prozent der Amerikaner glauben, Journalisten ließen sich häufig von „mächtigen Personen oder Institutionen“ beeinflussen und fast ebenso viele (75 Prozent) sagen, die Medienleute seien „nicht in der Lage, die Fakten richtig zu berichten“.5 Woran liegt das? Bei der Suche nach Antworten fällt der Blick naturgemäß auf das Offensichtliche. Auf die Veränderungen, die die Digitalisierung und das Internet in der Medienwelt ausgelöst haben, auf die scheinbar kostenlosen Angebote im Netz, die die Nutzer jedoch mit ihren Daten bezahlen und die Google & Facebook für die zielgenaue Adressierung von Werbebotschaften nutzen, auf die daraus folgenden Erosion des Geschäftsmodells der traditionellen Medien, die Sparzwänge in den Redaktionen, den Verlust von Recherchekapazitäten und damit von Qualität, auf die Aufmerksamkeitsökonomie des Netzes und virale Beschleunigung, auf das geänderte Mediennutzungsverhalten der Generation der Digital Natives, auf den Wandel vom Mediennutzer zum Prosumer … . Soweit das Offensichtliche und die immer wieder angeführten Begründungen der tektonischen Verschiebungen.

III. Der mediale Strukturwandel ist gleichermaßen Katalysator der gesellschaftlichen Veränderung wie er selbst eingebettet ist in einen allgemeinen Transformationsprozess – getrieben von Globalisierung und Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Dabei haben

3

Gehörten 2010 noch für 17 Prozent der Befragten Journalisten zu einer Berufsgruppe, die sie schätzen, sank die Zahl 2013 auf 13 Prozent. Schlusslichter auf der Berufsprestige-Skala sind Politiker (6 Prozent), Fernsehmoderatoren und Banker (jeweils 3 Prozent, vgl. http://www.ifd-allens bach.de/uploads/tx_reportsndocs/prd_1102.pdf und http://www.ifd-allensbach.de/uploads/tx_re portsndocs/PD_2013_05.pdf.

4

http://www.people-press.org/2012/08/16/further-decline-in-credibility-ratings-for-most-news-organi zations/.

5

http://www.people-press.org/2011/09/22/press-widely-criticized-but-trusted-more-than-other-institu tions/.

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sich auch die Voraussetzungen für politisches Handeln, das Medien transportieren und transparent machen sollen, verändert. Der Bürger sei längst zu betrachten als „a consumer for politics – faced with pressures to buy“6 schreibt der Soziologe Richard Sennett. Das bleibt nicht folgenlos für das Verständnis von Öffentlichkeit als Kommunikationsraum von Politik und Gesellschaft für den Prozess des Informations- und Meinungsaustauschs, der schließlich zur Meinungsbildung führt. Es gilt, um den Vertrauensverlust des Mediensystems zu verstehen, den Bildausschnitt etwas größer zu ziehen mit einem Rückblick auf den Prozess der Ökonomisierung: Bereits in den 70er Jahren erfahren „marktangepasste und marktgetriebene Lebensformen“ eine breite kulturelle Akzeptanz, die in einer „über alle Erwartungen sich entfaltenden Konsumgesellschaft zum Ausdruck kommen“7, stellt Wolfgang Streeck fest. Das internationale Währungsregime, das Gerüst der Nachkriegsordnung zerbricht,8 die Industrialisierung der Banken beginnt – angetrieben von immer schneller arbeitenden ITInfrastrukturen. Dem Markt wird mehr und mehr Raum gegeben und politische Verantwortung an ihn abgegeben – als Folge der Staatsverschuldung in den 80er Jahren,9 so der Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung. Die Kommerzialisierung erfasst immer weitere Bereiche des sozialen Lebens. Der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch fasst die Entwicklung in einem Satz zusammen: „Der Konsument hat den Wahlbürger besiegt.“10 Wie die Ökonomisierung der Politik und des Verhältnisses von Politikern zu ihren Wählern funktioniert, beschreibt Richard Sennett eindrücklich am Beispiel von WalMart. Die US-amerikanische Einzelhandelskette11 steigt in den 80er Jahren zu einem Global Player auf, als das Unternehmen sein Zuliefersystem radikal erneuert, auf die sich schnell entwickelnden und billig produzierenden Hersteller in China setzt und auf fortschrittliche Logistik und Technik. WalMart, so Sennett, wird zum Vorreiter – der Konzentration von Macht, bei der Entmachtung der Gewerkschaften und der Einführung befristeter Arbeitsverhältnisse. Den Kunden dagegen bietet sich die gesamte Warenwelt – Lebensmittel, Kleidung, Autozubehör, Computer – dicht beieinander in den Regalen zu niedrigen Preisen.12 Zudem, darauf hebt Sennett besonders ab, habe WalMart das Verkaufspersonal weitgehend eingespart und für die Kundenkommunikation auf Werbung gesetzt.13 Das Konzept geht auf und bestimmt längst unsere Einkaufs-

6

Sennett, The Culture of the New Capitalism, New Haven, London 2008, S. 133.

7

Streeck, Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus, Berlin 2013, S. 28.

8

Streeck, aaO, S. 23.

9

Streeck, aaO, S. 58.

10

Crouch, Postdemokratie, aaO.

11

Auch wenn sie in Deutschland nicht reüssierte und sich 2006 zurückgezogen hat. WalWart ist der größte Einzelhandelskonzern und der weltweit größte Arbeitgeber, er beschäftigt mehr als zwei Millionen Menschen und setzte 2010 fast 450 Milliarden US-$ um; s. http://de.wikipedia.org/wiki/ Walmart.

12

Sennett, The Culture of the New Capitalism, aaO, S. 133 ff.

13

Sennett, aaO, S. 134.

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realität – und eben nicht nur die. Die politische Version eines Megastore unterdrückt Demokratie, aber schafft der individuellen Fantasie Raum, wie Werbung es tut, sie höhlt Inhalt und Substanz von Politik aus, belebt aber die Vorstellung von Wechsel,14 so Sennetts Analyse. Marketing und Branding werden zu den entscheidenden Faktoren. Längst hat die moderne Technologie die Massenproduktion von Verbrauchsgütern geändert; an ihre Stelle ist die „platform construction“15 getreten – in der Automobilindustrie ebenso wie bei der Herstellung von Computern oder Kleidung: Ein Gegenstand wird hergestellt, der mit wenigen Änderungen an der Oberfläche in ein Produkt am unteren oder oberen Ende der Preisskala umgewandelt werden kann. Und diese einfach zu realisierende Unterschiedlichkeit, die „Vergoldung“, ist es, die die Produktion profitabel macht, während die Verbraucher auf die Befriedigung ihrer individuellen Bedürfnisse durch Produkte setzen, die jedoch immer einheitlicher werden.16 Und so viel anders ist es auch nicht, wenn man auf die „politischen Plattformen“ blickt. Die Profile der politischen Parteien haben sich angenähert, sind an vielen Punkten deckungsgleich. Es waren die Unionsparteien, die den Atomausstieg umgesetzt haben – mit Unterstützung von FDP., SPD, Grünen – und die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft haben. Die SPD hat die Sozialsysteme reformiert, den Arbeitsmarkt flexibilisiert und Arbeitnehmerrechte geschwächt – mit der Unterstützung von Union, FDP., Grünen. Die Grünen sind längst für Wirtschaftswachstum und Friedenseinsätze der Bundeswehr.17 Die Konsenspolitik hat die Bandbreite der Unterschiede zwischen den Parteien schrumpfen lassen, mit dem „gold-plating“ kommt es zu einer Inflation der Symbole und zu ihrer überdimensionierten politischen Aufladung. Hierzulande sind es das „Betreuungsgeld“ oder die Forderung nach einer Autobahnmaut für Ausländer, in Großbritannien streitet man sich im Parlament inbrünstig über die Zulässigkeit der Fuchsjagd mit Hunden.18 Symbolpolitik aller Orten. Die medialen Entsprechungen des „gold-plating“ sind Personalisierung und Skandalisierung, Voyeurismus und Exklusivität, wobei letzteres weniger eine qualitative Bedeutung hat. Politik wird damit, so Thomas Krueger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, „den Regeln des Entertainment unterworfen, wird zum banalisiert konsumierbaren Politainment“. Die schwarz-rot-goldene Halskette, die die Bundeskanzlerin beim TV-Duell des Bundestagswahlkampfs 2013 trug, oder das eine Foto des Herausforderers mit einer bestimmten Fingerhaltung haben Schlagzeilen gemacht, politische Aussagen – jenseits der Symbolpolitik – dagegen nicht. Sie wurden auch nicht erfragt.

14

Sennett, aaO, S. 136.

15

Sennett, aaO, S. 143.

16

Sennett, aaO, S. 148.

17

S. dazu Uchatius, „Soll ich wählen oder shoppen?“, in: Die Zeit, Nr. 39 vom 19. September 2013, S. 19 ff. (Dossier).

18

Das britische Unterhaus widmete dem Thema Fuchsjagd 700 Debattenstunden, während die Einführung eines Verfassungsgerichts in 18 Stunden abgehandelt war, s. dazu Sennett, aaO, S. 165.

146

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Zum „gold-plating“ gehört auch die immer größer werdende Grauzone, in der Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit ineinander fließen – weil freie Mitarbeiter in beiden Bereichen tätig sind und, nicht minder gravierend, weil immer mehr PR-Strategen und Öffentlichkeitsarbeiter ihre Botschaften in ausgedünnten Redaktionen unterbringen können. Veröffentlicht werden Pressetexte statt Rechercheergebnisse, interessenbestimmte Inhalte statt überprüfte Fakten.

IV. Was also ist zu tun? „Während Medienmanager und Journalisten mit Nachdruck Rechenschaft und Transparenz von anderen einfordern, tun sie wenig, wenn es um ihr eigenes Geschäftsgebaren geht“, heißt es – ein wenig bissig – in der Zusammenfassung eines EU-Forschungsprojekts, das in 14 Ländern Medienverantwortung und Transparenz untersucht hat.19 Medien brauchen klare Regelungen, wie sie ihre Fehler korrigieren, sie brauchen Verfahren, wie sie mit Beschwerden umgehen, und schließlich müssen Journalismus und Medienentwicklung auch Gegenstand der Berichterstattung sein, lauten die zentralen Forderungen an die Medien, ihre Verantwortung wahrzunehmen.20 Dies braucht einen Kulturwandel innerhalb der Medien, die eigene Arbeit zu hinterfragen und Strukturen dafür. „Wenn es der Journalismus versäumt, eine kritische Debatte über seine Schwächen und Probleme anzustoßen, verpasst er auch die Chance, seine Bedeutung für das Funktionieren der Demokratie im Zeitalter von Google & Co deutlich zu machen“, warnt die Studie. Vertrauen braucht Glaubwürdigkeit und Glaubwürdigkeit setzt Ehrlichkeit voraus. Da hilft es wenig, wenn Journalisten – wie die MediaAct-Studie zeigt, sich zu ihrer Verantwortung bekennen, aber wenig Sympathie haben für konkrete Schritte der Selbstregulierung und der Öffnung hin zu ihrem Publikum. Die Online-Welt hat viele Möglichkeiten der Rückmeldung geschaffen, die Gatekeeper von einst müssen lernen, sie in ihre Arbeit zu integrieren. Dazu braucht es einen Kulturwandel in den Medien, eine Reflexion über die eigene Rolle. Es braucht eine Debatte über journalistische Werte und den Wert des Journalismus. Die traditionellen Massenmedien müssen dies leisten, um zu überleben. Die Gesellschaft muss dies leisten, weil das Web 2.0 keineswegs die Öffentlichkeit 1.0 durch Millionen Öffentlichkeiten, in denen Bürger aktiv und gleichberechtigt diskutieren, ersetzt. Stattdessen „eine unglaubliche Medienkonzentration“, so Viktor Mayer-Schönberger,21 geschuldet dem knappen Gut der Aufmerksamkeit. Zwar glaubten wir, so der in Oxford lehrende Internet-Experte, „in einer Online-Welt der vollkommenen Informations- und

19

Media Accountability and Transparency in Europe. MediaAct, Final Research Report, 2013, http://www.yumpu.com/en/document/view/15922335/mediaact/1.

20

Ebd.

21

Mayer-Schönberger, “Habermas 2.0. Öffentlichkeit im digitalen Zeitalter”, abrufbar unter www.fernsehen.com. Die Aufgaben des Rundfunks im Wandel der Öffentlichkeit, Berlin 2010, S. 26.

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148 Meinungspluralität zu leben“,22 de facto vertrauen die meisten nur auf eine überschaubare Anzahl von Informationsquellen. Die Folge: Wir befinden uns „in einer Welt ohne Einheitlichkeit und ohne echte Vielfalt“.23

22

Ebd.

23

Ebd.

148

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III. Das moderne Radio Die Einführung von DAB+ in Deutschland Helmut G. Bauer Mit der Einführung von DAB+ haben wir in Deutschland einen wichtigen Schritt zur Digitalisierung des Hörfunks unternommen. Dieser Schritt ist in seiner Bedeutung mit der Einführung von UKW vergleichbar. Dabei mussten viele Schwierigkeiten bewältigt werden. Große Herausforderungen stehen aber noch bevor.

I.

Bedeutung des Hörfunks im Alltag

Die Einführung von DAB+ setzt eine genaue Kenntnis der Hörfunkstruktur und der Radionutzung voraus, um zu erkennen, welche Hindernisse zu überwinden sind und wo im System die Chancen liegen. Insgesamt gibt es in Deutschland 387 Radioprogramme1 von öffentlich-rechtlichen und privaten Veranstaltern. Sie werden alle lokal oder regional ausgestrahlt. Kein Programm kann bundesweit überall über UKW empfangen werden. Dies gilt auch für das Deutschlandradio, das zwar nationale Programme anbietet, aber für die Programme „Deutschlandfunk“ und „D-Radio Kultur“ nicht flächendeckend über UKW-Frequenzen verfügt. Täglich schalten rund 80 Prozent der Menschen in Deutschland ihr Radio ein. Sie hören dann vier Stunden und neun Minuten lang Radio. Werktags hören sie dabei rund 80 Minuten im Auto. Die Hörer verteilen sich je zur Hälfte auf die Programme der öffentlich-rechtlichen und der privaten Veranstalter. Von den täglichen Hörern nutzen 6,7 Prozent das Internet zum Empfang. Dabei entscheiden sie sich in der Mehrzahl für die Programme, die sie auch über UKW hören.

II.

Aus Erfahrungen gelernt

Um die Jahrtausendwende gab es bereits einen Versuch, DAB in Deutschland einzuführen. Die Einführung scheiterte. Aus den damals gemachten Erfahrungen haben die Beteiligten gelernt.

1

Media Analyse Radio 2013 II.

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150

Die wichtigste Erkenntnis war, dass private und öffentlich-rechtliche Radioveranstalter, Geräte- und Chiphersteller und der Netzbetreiber Media Broadcast zusammenarbeiten müssen, um das Radio in eine digitale Zukunft zu führen. Ein Marktteilnehmer allein schafft es nicht, ein neues Übertragungssystem einzuführen.

III.

Kooperation und Wettbewerb

Die Kooperation zwischen privaten Veranstaltern und den öffentlich-rechtlichen Sendern ist eine wichtige Voraussetzung für die Einführung von DAB. Alle Veranstalter stehen zwar untereinander mit ihren Programmen im Wettbewerb, beim Aufbau der Infrastruktur und im Marketing arbeiten sie aber eng zusammen. Die privaten Veranstalter profitieren dabei von den langjährigen Erfahrungen und dem großen Wissen ihrer öffentlich-rechtlichen Kollegen. Das Bundeswirtschaftsministerium, die Bundesländer sowie die Landesmedienanstalten haben eine offene Plattform zur Verfügung gestellt, um alle Marktbeteiligten zusammen zu bringen. Damit wird zum einen erreicht, dass jeder der an Digitalradio interessiert ist, daran teilnehmen kann. Zum anderen wird durch das Engagement der Regierungen und Landesmedienanstalten deutlich, dass sie das Vorhaben aktiv unterstützen. In einer Lenkungsgruppe mit Unterarbeitsgruppen für Geräte, Netzausbau und Verkehr koordinieren die Partner die DAB+ Entwicklung. Die meisten Treffen finden virtuell als Web-Konferenz statt. Dort werden auch die Probleme besprochen, die sich aus der täglichen Arbeit ergeben, wie z. B. auf welches Programm ein Autoradio umschaltet, wenn ein Fahrer das DAB+ Verbreitungsgebiet des von ihm ausgewählten Programms verlässt (service following).

IV.

Sendernetz

Die DAB+ Sendernetze sind entsprechend der Medienordnung auf drei Ebenen aufgebaut: lokal, regional und national. Die Sender und Multiplexe wurden schrittweise seit dem Start am 1. August 2011 auf den verschiedenen Ebenen aufgebaut. Inzwischen werden 81,9 Prozent der Fläche Deutschlands mit DAB versorgt. Bis im Jahr 2015 soll eine nahezu flächendeckende Versorgung erreicht sein. Obwohl die regionale DAB+ Versorgung durch die ARD-Anstalten bereits weit fortgeschritten ist, steht der Ausbau des bundesweiten Sendernetzes im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Dies verengt den Blick auf den Ausbaustand von DAB+ und führt insbesondere bei den Automobilherstellern zu der Forderung nach einer flächendeckenden Versorgung als Voraussetzung für eine standardmäßige Ausrüstung ihrer Fahrzeuge mit DAB+. Bei genauer Betrachtung ist feststellbar, dass nahezu alle wichtigen Verkehrswege bereits mit DAB+ versorgt sind.

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Abbildung 1 Versorgung von DAB+ (Stand April 2013) © Media Broadcast GmbH, 2013

Gegenüber der gescheiterten DAB-Einführung arbeiten die Veranstalter jetzt mit einem high-tower-high-power-Konzept, um überall eine gute Versorgung sicherzustellen. In ausführlichen Planungskonferenzen zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Experten versuchen die Partner der lokalen, regionalen und der bundesweiten Sendernetze, sich auf dieselben Senderstandorte und die gleichen Sendeleistungen zu verständigen. Damit soll eine gleichmäßige Versorgung mit allen DAB+ Programmen erreicht werden. Dies ist nicht immer einfach, weil die ARD ihr eigenes Sendernetz und ihre eigenen Senderstandorte betreibt. Die privaten Veranstalter und das Deutschlandradio nutzen das Netz der Media Broadcast. Ziel ist es, immer den besten Standort zu nutzen.

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In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, warum die Radioveranstalter in den Aufbau eines eigenen Sendernetzes investieren und nicht einfach in Zukunft die Mobilfunknetze und das Internet nutzen. Die Antworten dazu sind einfach. Die Hörer erwarten, dass sie überall und jederzeit ihre Radiogeräte einschalten und ohne zusätzliche technische Installationen ihre Programme unterbrechungsfrei und in einer gleichbleibenden technischen Qualität hören können. Damit dies möglich ist, sind insbesondere die beitragsfinanzierten Radioveranstalter rechtlich verpflichtet, ihre Radiosendernetze flächendeckend auszubauen. Solche Verpflichtungen kennen die Mobilfunkunternehmen und Internetinfrastrukturanbieter nicht. Sie entscheiden ausschließlich nach wirtschaftlichen Kriterien, wo sie ihre Netze aufbauen und welche Übertragungskapazitäten sie jeweils zur Verfügung stellen. Der Rundfunk hat aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine öffentliche Aufgabe. Diese beinhaltet die Verpflichtung zur flächendeckenden Versorgung und zum diskriminierungsfreien Zugang. Deshalb ist der Broadcast-Weg wichtig, bei dem – anders als beim Streaming in Mobilfunkzellen – auch der zehntausendste gleichzeitige Nutzer noch ein Signal erhält. Damit kein Missverständnis entsteht: Die DAB-Radioveranstalter nutzen alle auch das Internet für die Verbreitung ihrer Programme. Die Hörer können entscheiden, wann und auf welchem Weg sie ihr Hörfunkprogramm empfangen wollen. Darauf muss sich jeder Radioveranstalter einstellen, um im digitalen Wettbewerb zu bestehen. Die Radioveranstalter und die Gerätehersteller haben sich vor diesem Hintergrund entschieden, nicht für DAB+ als Übertragungsstandard zu werben, sondern verwenden den umfassenden Begriff „Digitalradio“, der auch Internetradiogeräte mit umfasst. Die deutschen Radioveranstalter beobachten aufmerksam die Entwicklung in den Ländern Großbritannien, Schweiz und Australien. Die dort gemachten Erfahrungen zeigen einen Rückgang bei der Webradionutzung, wenn ein DAB Empfang möglich ist. Erste Untersuchungen in Deutschland scheinen diese Entwicklung zu bestätigen.

V.

Programme und Zusatzdienste

Programmvielfalt hatte bei der Einführung von DAB+ Vorrang vor allen anderen Überlegungen. Zurzeit werden 143 Programme in DAB verbreitet. Die meisten dieser Programme werden auch lokal und regional ausgestrahlt. Ergänzt wird das jeweilige Programmangebot vor Ort mit den 13 Programmen, die bundesweit ausgestrahlt werden. In München können zurzeit 47 DAB-Programme empfangen werden. Das sind mehr Programme als bei UKW. In Hamburg gibt es bereits 21 DAB-Programme, ungefähr so viele wie über UKW.

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Abbildung 2 Anzahl der empfangbaren DAB+ Programme © Institut für Rundfunktechnik GmbH, 2013

Bei einem Teil der DAB-Programme handelt es sich um neue Programme, die extra für die digitale Verbreitung entwickelt wurden (absolut radio, absolut radio relax). Der andere Teil sind bestehende UKW-Programme, die jetzt terrestrisch digital ausgestrahlt werden (radio sunshine). Für viele Hörer sind diese Programme neu, weil sie diese Angebote mangels genügender UKW-Frequenzen bisher terrestrisch noch nicht empfangen konnten. Alle öffentlich-rechtlichen Veranstalter verbreiten die meisten ihrer UKW-Programme sowie die bisher nur im Internet oder per Satellit und Kabel verfügbaren Programme jetzt auch über DAB+. Sie müssen sich dabei im Wesentlichen auf die Ausstrahlung in ihren gesetzlich bestimmten Verbreitungsgebieten beschränken. Um den Hörern neben

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einem besseren Klang bei DAB+ einen Mehrwert zu bieten, strahlen die öffentlichrechtlichen Programme von Anfang an Zusatzdienste aus, die man über die Displays der Radiogeräte nutzen kann. Dazu zählen z. B. Informationen über den aktuell laufenden Musiktitel und Interpreten. Die Ausstrahlung dieser Zusatzdienste war ein wichtiger Anreiz für die Gerätehersteller, Geräte mit größeren Displays zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Dieser Ansatz macht deutlich, dass die Veranstalter nicht von einem Gegensatz von DAB+ und Internet ausgehen. Sie nutzen das Beste aus zwei Welten. Die Programme werden auf verschiedenen Wegen übertragen und die Hörer entscheiden, wie sie ihre Programme empfangen wollen. Je nach Endgerät und Nutzungssituation stehen dem Publikum vertiefende und begleitende Zusatzdienste zum Programm auf unterschiedlichen Wegen zur Verfügung. Die Media Broadcast ist nicht nur der Netzbetreiber für den bundesweiten Multiplex. Sie bietet auch die Übertragung von Datendiensten an. Ihre zurzeit zwei Dienste enthalten Verkehrsinformationen. DAB ist in Deutschland bei den privaten Radioveranstaltern nicht unumstritten. Insbesondere die Veranstalter, die mit ihren UKW-Programmen ein Verbreitungsgebiet dominieren, wie z. B. RTL in Berlin und Sachsen-Anhalt, lehnen DAB ab. Sie verweisen auf das Internet. Dies sei in der Zukunft der digitale Verbreitungsweg für Radio. Sie verlassen sich darauf, dass ihnen die UKW-Frequenzen auf Dauer zur Verfügung stehen und ihnen terrestrisch kein Wettbewerb entsteht. Sie glauben, den Wettbewerb im Internet bestehen zu können, weil sie wissen, dass dort noch überwiegend ihre auch in UKW ausgestrahlten Programme angeklickt werden. Warum sollten sie mit dazu beitragen, den Wettbewerb in ihren Verbreitungsgebieten zu fördern? Da es bei DAB+ aber keinen Frequenzmangel wie bei UKW gibt, gehen sie davon aus, dass sie bei einem Erfolg von DAB+ immer noch umsteigen können, ohne die Entwicklung mitfinanzieren zu müssen. Auf der anderen Seite stehen Veranstalter, die sich mit ihren bestehenden oder mit neuen Programmen dem Wettbewerb stellen und den Frequenzmangel bei UKW überwinden wollen. Sie wissen, dass sie Pionierarbeit leisten und ihr Erfolg davon abhängen wird, ob die Hörer bereit sind, neue Geräte zu kaufen. Sie sind davon überzeugt, dass Hörfunk auf Dauer nicht als einziges Medium analog verbreitet werden wird. Diese Veranstalter wollen von den Verweigerern nicht bevormundet werden. Sie wollen selbst entscheiden, ob und wie sie in die Entwicklung des Hörfunks investieren. Sollten sie scheitern, können sich die Kritiker freuen, weil ihre Wettbewerber dann weniger Geld für weitere Expansionen haben.

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VI.

Marketing

DAB wird nur dann ein Erfolg, wenn die Hörer bereit sind, sich DAB-Radiogeräte zu kaufen. Voraussetzung dafür ist einerseits ein Handelsmarketing, damit die Elektrofachmärkte bereit sind, DAB-Radiogeräte in ihr Sortiment aufzunehmen und sie den Kunden aktiv zu verkaufen. Die Kunden müssen andererseits durch Werbung auf das Thema Digitalradio aufmerksam gemacht werden. Auch auf diesem Feld arbeiten die Marktteilnehmer zusammen. Einige Gerätehersteller haben sich außerdem verpflichtet, einige der privaten, bundesweiten Veranstalter mit Werbebuchungen zu unterstützen. Damit können diese in der Startphase einen Teil ihrer Verbreitungskosten finanzieren. Die Hörerwerbung und das Handelsmarketing organisiert die „Initiative Digitalradio“. Das ist ein Zusammenschluss aller öffentlich-rechtlichen Sender mit privaten Veranstaltern. Trotz der unterschiedlichen Philosophien über die Ansprache der Hörer arbeiten alle Beteiligten gut zusammen. Die Webseite „digitalradio.de“ zeigt einen Teil der Aktivitäten.

VII. Empfangsgeräte Die Zahl der verkauften DAB-Radiogeräte wächst kontinuierlich. Zurzeit sind bereits rund sechs Prozent der neu verkauften Radiogeräte mit DAB ausgerüstet. Die Hörer können dabei inzwischen aus mehr als 200 Geräten wählen. Die preiswertesten Geräte sind schon ab 29 Euro zu kaufen. Geräte mit großen Displays beginnen ab ca. 100 Euro. Durch den Wegfall von Lizenzgebühren ist zukünftig zu erwarten, dass nur noch Radiogeräte auf den Markt kommen, die gleichzeitig UKW und DAB+ empfangen können.

VIII. Automobilindustrie Die Automobilhersteller in Deutschland haben sich entschieden, für nahezu alle ihre Fahrzeuge DAB+-Geräte anzubieten. In immer mehr Fahrzeugen ist DAB inzwischen Standard. Die Autoindustrie will DAB für Entertainment und zur Übertragung von Verkehrsdaten einsetzen. Mobiles Internet (4G/LTE) ist keine Alternative zu terrestrischem Hörfunk mittels DAB+, weil die verfügbare Datenkapazität nicht ausreicht, um z. B. gleichzeitig mehrere tausend Fahrer in einem Stau oder die Bevölkerung in einem Katastrophenfall zu informieren. Außerdem beschränken die Mobilfunkunternehmen die Übertragungsgeschwindigkeiten, wenn ein Nutzer zu viele Daten heruntergeladen hat. Die Grenze ist dabei mitunter schon bei etwas mehr als 4 Stunden Radiohören erreicht.

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IX.

Europa und DAB

Die Digitalisierung des Rundfunks ist eine der großen Aufgaben der EU-Kommission. Mit der Vorgabe, die analoge terrestrische Fernsehverbreitung zu beenden und Fernsehen nur noch digital auszustrahlen, hat sie das 800 MHz-Spektrum zugunsten des Mobilfunks geräumt. Vorrangiges langfristiges Ziel ist es, das terrestrische Fernsehen über das mobile Internet zu verbreiten. Viele vergessen in diesem Zusammenhang, dass dies nur möglich war, weil es in Deutschland seit dem Jahr 2004 die gesetzliche Verpflichtung gibt, neue TV-Geräte mit einer digitalen Schnittstelle oder einem digitalen Tuner auszustatten.2 Damit waren die Zuschauer auf den Umstieg vorbereitet. Im Hinblick auf die Digitalisierungsstrategie der EU-Kommission wäre eine vergleichbare Regelung für Radiogeräte nur konsequent. Beispielhaft ist eine entsprechende Bestimmung in Frankreich.3 Ziel sollte eine europäische Regelung sein. Anders als Fernsehgeräte werden insbesondere Autoradios oft nicht ausschließlich nur in einem Land genutzt, sondern bei Reisen grenzüberschreitend auch in anderen europäischen Ländern. Berücksichtigt man noch den Aktionsplan der EU-Kommission4 und die „Richtlinie für ein grenzüberschreitendes intelligentes Verkehrssystem“5 ist es unabdingbar, dass europaweit digitale Radiogeräte in Fahrzeuge eingebaut werden. Nur dann können die vorgegebenen Verkehrstelematik-Anwendungen überhaupt realisiert werden. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach dem Abschalten der UKWFrequenzen. Obwohl eine entsprechende Regelung im Telekommunikationsgesetz gestrichen wurde, ist das Thema damit nicht beendet. In Norwegen und Schweden gibt es dazu bereits konkrete Pläne. In Großbritannien und in der Schweiz sind dazu in Kürze Entscheidungen zu erwarten. Ein besonders starkes Signal hat eine Arbeitsgruppe der

2

§ 5 Fernsehsignalübertragungsgesetz (FÜ) basierend auf der Richtlinie 95/47/EG; jetzt § 48 TKG basierend auf der Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 zur Änderung der Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten, der Richtlinie 2002/58/EG über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation und der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz.

3

Loi n° 2007-309 du 5 mars 2007 relative à la modernisation de la diffusion audiovisuelle et à la télévision du futur, abrufbar unter http://legifrance.gouv.fr/affichTexte.do;jsessionid=E0380BF8E 119B2530451E7B3A9D9CC5F.tpdjo13v_2?cidTexte=JORFTEXT000000248397&idArticle=&date Texte=20130529.

4

Aktionsplan zur Einführung intelligenter Verkehrssysteme in Europa (KOM/2008/0886 endg).

5

Richtlinie 2010/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juli 2010 zum Rahmen für die Einführung intelligenter Verkehrssysteme im Straßenverkehr und für deren Schnittstellen zu anderen Verkehrsträgern, Amtsblatt Nr. L 207 vom 6. August 2010, S. 1–13.

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EBU formuliert und für die öffentlich-rechtlichen Radioveranstalter ein Ende von UKW empfohlen.6

X.

Resümee

DAB+ … schafft die Voraussetzung, dass der Hörfunk in einer digitalen Medienwelt bestehen kann, … sichert, dass der Hörfunk auch in Zukunft jederzeit, überall und unterbrechungsfrei genutzt werden kann, … hat sich in den meisten Ländern als Standard durchgesetzt, … wird von der Geräteindustrie und der Automobilwirtschaft unterstützt, … bietet den Hörern mehr Programmvielfalt und zahlreiche Zusatzdienste, … ist die Voraussetzung für die Umsetzung der IVS-Richtlinie, … sollte in einer konzertierten Aktion in allen europäischen Ländern eingeführt werden, … zwingt zur Diskussion über die Zukunft der UKW-Verbreitung.

6

European Broadcasting Union, Digital Radio Distribution in Europe, R 138, Genf 2013.

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Die Entwicklung des Rundfunks der Zukunft: DAB+ Technische Rahmenbedingungen und rundfunkrechtliche Voraussetzungen Willi Steul Rund 60 Millionen Deutsche hören täglich Radio. Der Hörfunk ist auch im Zeitalter des Internets ein Massenmedium geblieben. Die große Mehrheit der Hörer nutzt dazu bewährte UKW-Empfangsgeräte. Ein Zehntel der Nutzer hört Radio am Computer oder über Smartphone. Auch wenn die Nutzung des Radios per Audio-on-Demand zunehmen wird, bleibt es sehr wahrscheinlich, dass das Radio im Kern als lineares Programm bestehen bleiben wird. Die Verbreitung des Programms per UKW, eine Technik aus den 1950er Jahren, wird den Erfordernissen der digitalisierten Medienwelt aber nicht mehr gerecht. Deshalb ist Digitalradio die Zukunft des Hörfunks. Die digitale terrestrische Verbreitung von Hörfunkprogrammen über Antenne, im modernen Standard „DAB+“, wird die Existenz des Hörfunks nachhaltig sichern.

I.

Die Idee Digitalradio

Seit August 2011 wird das Sendernetz aufgebaut. Es beendet die Frequenzknappheit bei UKW und ermöglicht ein viel größeres und vielfältigeres Programmangebot in CDQualität. Selbst Surround-Sound ist möglich. Digitalradio bietet Radio in absolut störungsfreier Empfangsqualität, es ist im Sendegebiet auch im Auto absolut knister- und rauschfrei. Jedes Programm kann in seinem jeweiligen gesamten Verbreitungsgebiet auf derselben Frequenz empfangen werden. Die Programme von Deutschlandradio zum Beispiel sind ohne Frequenzwechsel von der dänischen Grenze bis nach Österreich über dieselbe Frequenz zu hören, wenn das Sendernetz komplett ausgebaut ist. Unterwegs verfolgen die Empfangsgeräte automatisch das einmal gewählte Programm und wechseln gegenwärtig noch auf UKW, wenn DAB+ nicht empfangbar ist. Der flächendeckende Empfang soll in Deutschland nach den Vorstellungen des Deutschlandradios bis Ende 2015 realisiert sein. Neben der hohen Tonqualität kommt ein weiterer entscheidender Vorteil hinzu: Digitalradio transportiert außer dem Programm zusätzliche Informationen in Schrift, Bild und Ton. Die digitalen Zusatzdienste bieten programmbezogene Informationen, individualisierbare Verkehrs- oder Wetterinformationen oder auch Nachrichten. Im Auto-Radio kann man sich zum Beispiel zusätzliche Verkehrsinformationen oder auch Nachrichten zur individuell selbst gewählten Zeit „vorlesen“ lassen. Die über Digitalradio möglichen Zusatzdienste öffnen weit über die Vorteile der Verbreitung von Radioprogrammen hinausgehende wirtschaftliche und industrielle Perspektiven. Zudem ist DAB+ erheblich wirtschaftlicher als analoger Rundfunk. Digitalradio ist ökologisch, denn der Energieaufwand für die Ausstrahlung ist erheblich niedriger als für den analogen Betrieb. Digitalradio kann als terrestrischer Standard – ergänzt durch die

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digitale Verbreitung via Internet – mittelfristig die kostenintensive Verbreitung per Ultrakurzwelle oder Mittelwelle ablösen. Das Internet ist für die Verbreitung von Massenprogrammen und vor allem für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit seinem spezifischen Auftrag der Grundversorgung in der Fläche nicht geeignet. Anders als viele glauben liegt die Zukunft des Radios nicht im Internet. Rundfunk ist „broadcast“: Ein Absender richtet sein Angebot an viele Empfänger. Dagegen werden mit dem Internet „one-to-one“-Verbindungen hergestellt. Um viele Empfänger zu erreichen, werden genauso viele einzelne Verbindungen bzw. einzelne Funkkapazitäten benötigt. Für eine stabile Flächenversorgung für Hörfunk als Massenmedium durch das Internet wären ganz erhebliche Investitionen notwendig – nämlich für den Aufbau und Unterhalt von dichten Sendernetzen und entsprechend aufwändigen Serverstrukturen. Damit geht auch ein steigender Energiebedarf einher. Zudem entstehen bei der Verbreitung per Internet in der Summe auch höhere Kosten für den Nutzer. Dies ist nur dort sinnvoll, wo ein individueller Bedarf an Kommunikation besteht. Das Radio aber muss für alle Hörer ohne zusätzliche Beschränkungen einfach empfangbar sein. Diese Qualität bietet nur die Terrestrik.

II.

Die Verbreitung von Digitalradio-Geräten

In Deutschland, das zeigen jüngste Erhebungen, sind etwa 160 Millionen Radiogeräte in Gebrauch. Jährlich werden davon etwa sieben Millionen ausgetauscht. Der Empfang von Digitalradio ist nur über Geräte möglich, die den Standard DAB+ abbilden. Im Markt sind derzeit bereits mehr als 300 unterschiedliche Empfänger erhältlich, die neben UKW auch DAB+-Empfang ermöglichen. Der Anteil der Digitalgeräte an der Gesamtzahl der verkauften Radiogeräte ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen – von 0,5 Prozent Anfang 2011 auf 4,9 Prozent im Dezember 2012. Die günstigsten Geräte kosten 40 Euro. Schon zum Preis von 60 Euro sind Adapter zur Umrüstung von Autoradios erhältlich. Setzt sich die wahrnehmbar positive Tendenz fort, werden im Jahr 2013 fast eine Million Geräte verkauft werden. Digitalradio hat auch in diesem Sektor erhebliche wirtschafts- und industriepolitische Implikationen. Alle deutschen Automobil-Hersteller haben Digitalradios im Angebot, propagieren dies in Deutschland jedoch angesichts des erst im August 2011 begonnenen Netzaufbaus noch nicht aktiv. In Großbritannien und Skandinavien ist Digitalradio als kostengünstiger Standard selbst in allen Kleinwagen erhältlich und gehört mehr und mehr zur Standardausstattung. Es gilt, in Deutschland die Kenntnis der neuen HörfunkTechnologie und ihrer Vorteile in der Öffentlichkeit und gegenüber politischen Entscheidern deutlich zu verbessern. Was dem Fernsehen gelungen ist, nämlich der Umstieg von der alten analogen Technik zur digitalen Verbreitung, muss auch der Gattung Radio gelingen, um zukunftsfähig zu sein. Seit dem Start von DAB+ im August 2011 konnte das ursprünglich 27 Sender umfassende Startnetz auf mittlerweile 53 Sender kontinuierlich ausgebaut werden. Nach Informationen der Initiative „Digitalradio Deutschland“ sollen bis Ende 2013 46,9 Millionen Menschen in Deutschland in ihren Haushalten Digitalradio empfangen können. Bis zu diesem Zeitpunkt sollen die per Digitalradio verbreiteten Programme auf 73 Prozent 160

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der Autobahnstrecken in Deutschland zu hören sein. In fast allen großen Städten Deutschlands ist Digitalradio heute zu empfangen.

III. Der Ausbau des Sendernetzes als Herausforderung Der Verkauf von Digitalradio-Endgeräten zieht an, jedoch nicht so schnell wie geplant. In Folge dieser verlangsamten Entwicklung zögern die privaten Hörfunkanbieter, in den schnellen Ausbau des Sendernetzes zu investieren, weil die Refinanzierung noch nicht gesichert ist. Dies führt zu einem Interessenkonflikt zwischen denjenigen, die den Netzausbau von Digitalradio beschleunigen wollen – wie zum Beispiel die ARD und Deutschlandradio – und den privaten Veranstaltern, die sich einen weiteren Netzausbau wegen des noch geringen Werbemarktes (noch) nicht leisten möchten oder können. Der weitere zügige Netzausbau ist jedoch Voraussetzung für den Erfolg von Digitalradio und damit für das Radio der Zukunft an sich. Die Automobilhersteller wie auch die großen Handelsketten in Deutschland bestehen auf einem schnellen Netzausbau und einer flächendeckenden Verfügbarkeit von Digitalradio, bevor die Geräte serienmäßig im Auto und im großen Stil in Discountmärkten verkauft werden können. Mit der mangelnden Refinanzierungsmöglichkeit der Privaten wird zumindest der Ausbau der bundesweiten Ausstrahlung zu einer Herausforderung. Das Ziel, den flächendeckenden bundesweiten Empfang bis Ende 2015 zu gewährleisten, steht auf dem Spiel. Denn die bundesweite Ausstrahlung geschieht über einen „Multiplex“, also über eine Frequenz, mit der zwölf Programme – öffentlich-rechtliche und private – zugleich ausgestrahlt werden. Die Rundfunklandschaft in Deutschland besteht aus bundesweiten, regionalen und lokalen Hörfunkangeboten. Diese wiederum gliedern sich auf in öffentlich-rechtliche und in kommerzielle Hörfunkprogramme. Während die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten den Anspruch und Auftrag haben, ihre Programme in der Fläche allen Rundfunkbeitragszahlern gleichermaßen zur Verfügung zu stellen, lässt sich für einen kommerziellen Anbieter schwerlich Geld mit einer Flächenversorgung verdienen. Durch die im Verhältnis etwa fünfmal gewinnträchtigere Ballungsraumversorgung in Deutschland gibt es für kommerzielle Anbieter daher keinen betriebswirtschaftlichen Anreiz, in die Fläche zu gehen. Ganz allgemein lässt sich der Versorgungsbedarf für die verschiedenen denkbaren Hörfunkangebote folgendermaßen differenzieren: • Bundesweiter Hörfunk mit Versorgung nur in Ballungsgebieten • Bundesweiter Hörfunk mit Versorgung in Ballungsgebieten und auf Hauptverkehrsachsen zwischen den Ballungsgebieten • Bundesweiter Hörfunk mit flächendeckender Versorgung (zum Beispiel Deutschlandradio) • Landesweiter, regionaler Hörfunk mit Versorgung nur in Ballungsgebieten

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• Landesweiter, regionaler Hörfunk mit Versorgung in Ballungsgebieten, einschließlich der Hauptverkehrsachsen • Landesweiter Hörfunk mit flächendeckender Versorgung (zum Beispiel die Landesrundfunkanstalten der ARD) • Subregionaler und lokaler Hörfunk Diese allgemeine Darstellung von sieben verschiedenen denkbaren Versorgungsbedarfen ist mit Blick auf das Sendernetz gerade deshalb sinnvoll, weil mit jedem dieser unterschiedlichen Bedarfe spezifische, sehr unterschiedliche Ausstrahlungskosten verbunden sind. So können kleinere Hörfunkanbieter sicherlich einen lokalen Hörfunkdienst oder einen in allen Ballungsgebieten eines Landes refinanzieren, während bundesweite Hörfunkanbieter zumindest in der Einführungsphase deutlich mehr finanzielle Kraft aufbringen müssen. Die zeitnahe und komplette Umsetzung des Bedarfskonzepts mit sieben unterschiedlichen Frequenz-Multiplexen entsprechend den sieben unterschiedenen Versorgungszielsetzungen schafft die Möglichkeit, dass Programmanbieter sich dasjenige Digitalradionetz aussuchen können, das sie sich leisten können oder möchten und das ihren Geschäftsmodellen entspricht. Damit lassen sich in der Summe mehr Digitalradioprogramme anbieten und eine schnellere Marktdurchdringung erreichen. Tatsächlich werden parallel zum bundesweiten Netz regionale Netze für Radioprogramme der Landesrundfunkanstalten der ARD und regionale private Anbieter aufgebaut. Insgesamt sind bereits mehr als 130 verschiedene Programme im Digitalradio vertreten.

IV.

Die Aufgabe der Rundfunkregulierung

Beim Aufbau des bundesweiten Sendernetzes stößt die bisherige Planung des Sendernetzausbaus für Digitalradio gegenwärtig an Grenzen. Sie sind in den Bedingungen des dualen Rundfunksystems aus öffentlich-rechtlichen und privaten Anbietern begründet: Während die Öffentlich-Rechtlichen flächendeckend ihrem Programmauftrag nachkommen wollen, folgen die Privaten legitimerweise ihren kommerziellen Interessen. Welche Rolle kann die Rundfunkregulierung bei der Vermittlung zwischen diesen unterschiedlichen Interessen spielen – und wie kann sie die Verbreitung von DAB+ fördern? Professor Wolfgang Thaenert verlässt die Rundfunkregulierung zu einer Zeit, in der mancher sie als überflüssig bezeichnet und angesichts der Vielzahl und großen Bandbreite von Übertragungskapazitäten die Reform der Rundfunkaufsicht fordert. Diese Forderung ist im Kern zu begrüßen: Die digitale Technik sorgt für eine nie da gewesene Vielfalt an Möglichkeiten zur Übertragung und zum Empfang von journalistischen und meinungsbildenden Angeboten, sowohl drahtgebunden als auch drahtlos. Die Verwaltung der Knappheit von Frequenzen und Kabelplätzen, einst Hauptaufgabe der Medien-

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regulierung, ist nur mehr Randaufgabe; das technische Nadelöhr des Zugangs zu Übertragungswegen hat sich geweitet.

V.

Neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Programmanbietern

Die Nutzung von Übertragungswegen ist dennoch nicht frei von Herausforderungen, und es ist an der Politik zu entscheiden, welche Form der Regulierung die Sicherung und Förderung von Meinungsvielfalt verlangt. Von dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Programm- und Infrastrukturanbietern ist häufig zu lesen, und wenn sowohl Programmveranstalter als auch Kabelnetzbetreiber bei der Medienaufsicht vorstellig werden, scheint letztere dann doch nicht ganz entbehrlich. Weniger als der Streit um die Zulässigkeit der Forderung nach Kabeleinspeiseentgelten allerdings scheint die Entwicklung neuer Formen der Zusammenarbeit der Programmveranstalter untereinander ein Kennzeichen der künftigen Erfordernisse an eine Medienregulierung zu sein. An die Stelle einer möglichst vielfaltsstiftenden Zuordnung knapper Kapazität an verschiedene Veranstalter rückt dabei die Koordination der zwangsläufig unterschiedlichen Interessen auftragsgebundener öffentlich-rechtlicher und wirtschaftlich handelnder privater Programmanbieter bei der Fortentwicklung der Medienübertragung. In der Terrestrik, für den Hörfunk unverändert die bedeutendste Form der Ausstrahlung, war dies in der Zeit der analogen Nutzung von Frequenzen kein Thema: Eine Frequenz pro Programm, so lautete die schlichte Formel. Einer der Vorteile der digitalen Terrestrik nun liegt in der Nutzbarmachung einer einzigen Frequenz für eine Vielzahl von Programmen und Diensten. Die Verklammerung über einen Multiplex schont die knappe Ressource Frequenz, und sie spart den Veranstaltern Kosten für die Verbreitung ihrer Inhalte. Solange der Übertragungsweg aber erst zu errichten und auszubauen ist, begegnen die Programmveranstalter einer bis dahin unbekannten Anforderung: Sie müssen ihre Interessen an die Gestaltung und Finanzierung des Ausbaus des Sendernetzes untereinander abstimmen. Dies ist keine Kleinigkeit, zumal hohe Beträge für den Aufbau eines neuen Verbreitungswegs vonnöten sind. Anders als zu Zeiten des staatlichen Postmonopols, das die Schaffung eines leistungsfähigen Breitbandkabelnetzes und damit die Einführung des Privatfernsehens und die Errichtung der Branche der Kabelnetzbetreiber hierzulande sehr befördert hat, hat heute der Markt die Schaffung neuer Übertragungswege zu finanzieren. Auch der Rundfunkbeitrag kann diese Entwicklung nur in einem begrenzten Umfang stützen. Ohne die Beteiligung der öffentlich-rechtlichen Programmveranstalter kann eine neue Infrastruktur zur Verbreitung von Rundfunk kaum entstehen. Sie allein genügt für ihren Erfolg allerdings in keinem Fall.

VI.

Koordinierung und Ausgleich unterschiedlicher Interessen

Für die Medienregulierung und -aufsicht stellt sich außer der Aufgabe einer Zuordnung und Zuweisung von Übertragungskapazität auch die einer Begleitung des Auf- und

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Ausbaus derselben. Für den Erfolg einer neuen Übertragungstechnik ist die Koordinierung der unterschiedlichen Interessen der Programmveranstalter bei deren Errichtung unabdingbar. Die Divergenz ist in einem dualen System der Veranstaltung von Rundfunk zwangsläufig und niemandem vorzuwerfen. Während der private Rundfunk auf Werbeeinnahmen angewiesen ist und die Errichtung eines Sendemasts vor allem dort finanzieren kann, wo selbiger viele Hörerinnen und Hörer erreicht, hat der öffentlichrechtliche Rundfunk nach der Erfüllung seines gesetzlichen Auftrags zu streben und lässt Sendeeinrichtungen auch zur Versorgung entlegener Landstriche errichten. Wenn aber der öffentlich-rechtliche und der private Hörfunk gemeinsam ein und dieselbe terrestrische Frequenz nutzen, führt an einem Ausgleich dieser unterschiedlichen Interessen kein Weg vorbei. Unterbliebe ein für alle Seiten annehmbarer Ausgleich, so drohte die Geschwindigkeit der Errichtung eines neuen Sendernetzes durch den zögerlichsten unter den Programmveranstaltern bestimmt zu werden. Ohne ihn und seine Zustimmung ginge es eben nicht voran. Der Rundfunkgesetzgeber stellt der Regulierung hier kaum Möglichkeiten der Steuerung des Interessenausgleichs zur Verfügung. Die Schaffung eines Rechtsrahmens für die einheitliche Zuordnung von terrestrischen Übertragungskapazitäten für bundesweiten Rundfunk in den §§ 51 f. des Rundfunkstaatsvertrags (RStV) zum Jahr 2008 war zwar ein wichtiger Schritt hierzu. Jedoch findet das Modell der Zuordnung einer gemeinsamen Frequenz an verschiedene Zuordnungsnehmer in Gesetz oder Staatsvertrag keine Berücksichtigung. Die Anpassung des Rundfunkrechts durch den Zehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag blieb der Mechanik des bisherigen Landesrechts verhaftet. Nach der Zuordnung und der Zuweisung bleiben der jeweils zuständigen Stelle kaum Handlungsmöglichkeiten, sieht man einmal vom Widerruf ab. Das notwendige Zusammenwirken verschiedener Programmveranstalter und Anbieter von Telemedien bei der Finanzierung des Auf- und Ausbaus einer neuen terrestrischen Infrastruktur verlangt deshalb nach neuen Formen der Aufsicht. Das Ziel liegt darin, die unterschiedlichen Vorstellungen und Möglichkeiten der verschiedenen mit einer Frequenzzuordnung und -zuweisung ausgestatteten Programmveranstalter auf eine Weise in Ausgleich zubringen, dass der Ausbau der Infrastruktur befördert wird.

VII. Flexible Nutzung der Bandbreite Denkbar ist etwa eine höhere Flexibilität in der Nutzung von Bandbreite. Dort, wo die Regulierung bislang eine feste Zahl an Capacity Units zuordnet und zuweist, sollte ein Verschieben zwischen den Veranstaltern kurzfristig möglich werden, und sei es vorübergehend. Dies ermöglichte eine Anpassung der Beteiligung der jeweiligen Programmveranstalter an den Ausbau- und Betriebskosten an ihre jeweilige aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und -willigkeit. Auch der kurzfristige Wechsel von Programmveranstaltern auf andere als die ursprünglich verfügten Kanäle und damit ggf. in ein Netz mit anderer Versorgung kann eine Option sein, wenn die Regulierung wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Rechnung tragen will. Die Endgeräte erlauben den Hörerinnen und Hörern den einfachen Zugriff auf das gesuchte Programm über den Programmnamen, ohne dass der Kanal bekannt sein muss. Die Sorge vor einem Verlust an Reichweite allein durch den Wechsel der Frequenz ist bei Nutzung digitaltauglicher 164

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Empfangsmöglichkeiten nicht begründet. Schließlich müssen auch Überlegungen angestellt werden dürfen, die einen Wechsel des Veranstalters vereinfachen, ohne dabei indessen die verfassungsrechtlichen Vielfaltsvorgaben zu vernachlässigen. Kurz gesagt: Die Regulierung muss Alternativen für jene Programmveranstalter schaffen, denen in Ermangelung solcher nur der Ausstieg aus ihrem Vertrag mit dem Betreiber des gemeinsamen Sendernetzes bliebe. Der Weg zum Erfolg der digitalen Terrestrik verlangt nach sehr viel mehr Flexibilität der Frequenzverwaltung als in der überkommenen Praxis der Zuordnung und Zuweisung analoger Frequenzen an einzelne Veranstalter. Eine Regulierung mit Kreativität und Augenmaß kann hier wertvolle Dienste leisten. Professor Wolfgang Thaenert, unter dessen Ägide die Hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien wesentlich zur Förderung der digitalen Technik beitragen konnte, hat ein Umfeld geschaffen, das einer auf Infrastrukturförderung gerichteten Medienregulierung höchst aufgeschlossen gegenüber steht. Für Deutschlandradio, den nationalen Hörfunk, ist Digitalradio die einzige realistische Möglichkeit, seinen gesetzlichen Auftrag der bundesweiten Verbreitung auch zu erfüllen. UKW-Frequenzen sind knapp und vollständig verteilt, und eine komplette Neuordnung der Frequenzen wäre aufwändig. Wir brauchen vielmehr ein Umstiegsszenario von der UKW-Verbreitung zum Digitalradio. Wenn UKW-Frequenzen frei werden, sollten diese künftig nicht mehr für die analoge Verbreitung von Programmen vergeben werden, sondern ausschließlich für DAB+ genutzt werden. Damit würde die Voraussetzung für das Abschalten einzelner UKW-Sender geschaffen. So kann der Umstieg zum digitalen Verbreitungssystem eingeleitet werden. Die Landesmedienanstalten werden künftig auf der Suche nach flexiblen Lösungen bei der Verwaltung der Frequenzinfrastruktur eine Schlüsselrolle spielen. Die im Aufbau befindliche Infrastruktur für das Digitalradio benötigt einen solchen kreativen Beitrag der regulierenden Instanzen, insbesondere der Landesmedienanstalten. Mit dieser Hilfe erscheint ein Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen privater und öffentlich-rechtlicher Sender möglich.

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Digitalradio in Hessen Helmut Reitze Wer sich heute ein Digitalradio zulegt und in Hessen wohnt oder durch Hessen fährt, hat es gut: Bis zu 50 verschiedene Hörfunkprogramme im Rhein-Main-Gebiet finden sich nach dem automatischen Suchlauf übersichtlich sortiert in der Anzeige und bieten rausch- und knackfreien Hörgenuss vieler privater und öffentlich rechtlicher Stationen. In der Mitte und im Norden Hessens ist die Auswahl etwas kleiner, dennoch bietet die Verbreitung von Digitalradio über DAB+ heute einer Vielzahl hessischer und bundesweiter Radiomacher eine respektable technische Reichweite in einer besseren Empfangsstabilität, und dies mit einer gegenüber UKW noch weiter gesteigerten Qualität. Die Entwicklung bis dahin war mehr als spannend und kaum vorhersehbar – oder vielleicht doch?

I.

Die Entwicklung

Die Grundlagen für eine Fortentwicklung des etablierten UKW-Radios wurden von 1987 bis 2000 durch die Entwicklung des neuen Standards DAB (Digital Audio Broadcasting) im Eureka-147-Projekt der EU (ETSI-Standard EN 300 401) gelegt. Seinerzeit beschritt auch das Fernsehen neue digitale Wege, denn gerade starteten die Ausstrahlungen auf dem digitalen Satelliten mittels DVB-S. Bundesweit waren damit plötzlich wesentlich mehr Fernseh- und Radioprogramme verfügbar, die Qualität dabei exzellent und – pro Fernsehprogramm gerechnet – um vieles günstiger für die Programmveranstalter. Es lag auf der Hand, dass auch für das analoge terrestrische Radio ein digitales Äquivalent gefunden werden musste. 1.

Gründung der LPR in 1989

Mit der Zulassung des Privatfunks in Hessen wurde 1989 die LPR gegründet, zu der Prof. Wolfgang Thaenert – von der Landesmedienanstalt Niedersachsen kommend – als Direktor bestellt wurde. Auch in Hessen bestand die Hoffnung der nun zuständigen Landesmedienanstalt insbesondere darin, endlich auf den neu in Aussicht stehenden und ausreichend vorhandenen Frequenzen noch gerechtere Aufteilungen der Übertragungsmöglichkeiten zwischen Privat- und ARD-Programmen etablieren zu können. Schon mit der Gründung der LPR war dieser Ansatz in der Zielstellung fest verankert und die Verhandlungen um die Frequenzanteile für UKW zur Nutzung seitens des Privatfunks wurden immer mit respektvoller Härte geführt. Auch für das terrestrische Fernsehen wurde einiges getan; nicht immer zum Wohlgefallen des Hessischen Rundfunks. Die LPR konnte zwei leistungsstarke Fernsehfrequenzen am Senderstandort Söhrewald für RTL und SAT.1 aushandeln und damit die Voraussetzungen für die Regionalfenster der beiden kommerziell tätigen Sender schaffen. Für die Zukunft des Radios schien das gerade neu definierte digitale System „DAB“ als Per-

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spektive zur Stärkung der Vielfalt im Radiobereich (neben dem hr und FFH) ideal geeignet zu sein. 2.

Pilotversuche DAB/DMB ab 1997

Ermöglicht wurde der hessische Pilotversuch ab 1998 durch eine wichtige Voraussetzung: nach der europäischen Planungskonferenz WI95 in Wiesbaden standen in Europa Frequenzressourcen im bisherigen analogen Fernsehkanal K12 (1 kW Leistungsbeschränkung in D wegen militärischer Nutzung im benachbarten Frequenzbereich) sowie im L-Band (regionalisiert) zur Verfügung. Nicht unerwähnt soll an dieser Stelle die für einen solchen Piloten erforderliche Schaffung der hierfür notwendigen gesetzlichen Grundlagen (Erprobungsklausel § 67a HPRG) auf Initiative der LPR bleiben. Mehrfach wurden in den folgenden Monaten die Termine zur Erprobung des neuen Verfahrens für Digitalradio angepasst bzw. verlängert. Der Versuch ermöglichte die Aufschaltung von bis zu zwölf Programmäquivalenten in MPEG1 Layer 2, jeweils sechs im VHF-Block 12C und weitere sechs im L-Band. Der hr beteiligte sich im VHF-Bereich mit hr XXL und hr-skyline, wobei in diesem Frequenzbereich drei private und drei öffentlich-rechtliche Programmplätze zur Verfügung standen. Die so genannten „Plusprogramme des hr“ starteten am 5. Januar 1998 zunächst digital über ADR und hießen hr1 plus, hr2 plus, hr XXL und hr-skyline. So konnte 1999, dem Jahr der Aufnahme des DAB-Regelbetriebs in Bayern, dem Hessischen Landtag der Abschlussbericht des hessischen Pilotversuchs vorgelegt werden, wobei auch hier stets das Ziel im Blick blieb, auch in Hessen den Regelbetrieb zu beginnen. Zu dieser Zeit musste jedoch festgestellt werden, dass das System, die Endgerätesituation und die daraus resultierende schwache Akzeptanz weit hinter den Erwartungen zurück blieb. Auch aus diesem Grund blieb das Engagement des Hessischen Rundfunks seinerzeit verhalten. Ein Sender auf dem Funkhausgelände musste genügen. Unterstützend wurde 2001 in Deutschland die Marketinginitiative Digital Radio ins Leben gerufen und damit auch der eingängigere Begriff „Digital Radio“ für DAB eingeführt. Auch ein DMB-Pilotversuch etablierte sich in dieser Zeit in Hessen. Im Zug, auf der Bahnlinie Frankfurt-Saarbrücken wurde ein Bildschirminformationssystem getestet, welches durch ein im L-Band auf einer eigens geschaffenen durchgehenden Frequenz über drei Bundesländer hinweg verbreitetes DMB-Signal gespeist wurde. Leider hatten die so ausgestatteten, auf dieser Strecke neu eingesetzten Züge mit Neigetechnik bald technische Probleme und standen daher nur unregelmäßig zur Verfügung, so dass der DMB-Versuch eingestellt werden musste.

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3.

Gründung der Hessen Digital Radio GmbH (HDR) im Jahr 2000

Dennoch wurde am 18. Dezember 2000 der Sendebetrieb des hessischen Pilotversuchs in den Regelbetrieb überführt. Den medienrechtlichen Rahmen bildete eine neue Gesellschaft, die Hessen Digital Radio GmbH (HDR), die den Netzbetrieb gemäß Telekommunikationsgesetz beantragte und auch zugeteilt bekam. Zugeteilt wurden die hessischen Kapazitäten wiederum gemäß europäischem Frequenzplan WI95 nach der Wiesbadener Planungskonferenz des Jahres 1995 für einen landesweiten Multiplex der 12C sowie einen hessenweit regionalisierbaren Multiplex im L-Band. Nach Änderung der relevanten Gesetze konnte die LPR eine Beteiligung von zehn Prozent eingehen. Daneben hielten die Telekom 75 Prozent und 15 Prozent das Deutschlandradio. Aufgrund der umfangreichen Erkenntnisse aus dem Pilotprojekt hatte sich der hr entschieden, sich am Regelbetrieb nicht zu beteiligen und die Verbreitung seiner Programme über DAB eingestellt. Unter den zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden Rahmenbedingungen für DAB sah die Geschäftsleitung des hr nicht genügend Erfolgsaussichten. 4.

Medienrechtliche Entwicklung (2000–2006)

Zu diesem Zeitpunkt herrschte immer noch Frequenzknappheit für DAB vor. Für den Fall, dass die Digitalradioentwicklung an Schwung gewinnen würde, reservierte sich der hr durch medienrechtliche Zuordnung seine Anteile an den Kapazitäten im VHFFrequenzblock 12C und auch im regionalisierten L-Band. Da der hr diese zunächst aber nicht nutzte, betrieb die HDR von Anfang an beide Multiplexe mit der somit reduzierten Belegung von Programmen privater Anbieter und Deutschlandradio. In den auf den Start des DAB-Regelbetriebs folgenden Jahren nahm stattdessen ein anderes Thema der terrestrischen Rundfunkversorgung zunehmend Fahrt auf und überholte die DAB-Entwicklung entscheidend. Nachdem in Berlin die vollständige Umstellung der Fernsehterrestrik auf DVB-T erfolgreich verlaufen war, wurde auch bald in der Region Rhein-Main über die Grenzen Hessens hinaus die Ablösung der analogen Sender durch die moderne Technik DVB-T mit weitaus größerer Programmvielfalt angestrebt. Hierzu wurde ein gemeinsames Projekt der Länder Hessen, Rheinland-Pfalz und BadenWürttemberg ins Leben gerufen, das von einem Lenkungsausschuss unter Vorsitz von Prof. Thaenert erfolgreich geführt wurde. Der DVB-T Regelbetrieb für die Region Rhein-Main konnte innerhalb kürzester Zeit nach Start des Projektes in zwei kurz aufeinander folgenden Stufen Ende 2004 aufgenommen und die analogen Fernsehsender abgeschaltet werden. Am folgenden hessenweiten DVB-T-Flächenausbau im Jahre 2006 beteiligten sich dann die privaten Fernsehveranstalter nicht mehr, so dass die LPR lediglich Gaststatus in den vom hr geführten Arbeitsgruppen wie Lenkungsausschuss, Technik, Kommunikation genoss.

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Indirekt kam damit auch wieder das etwas ins Hintertreffen geratene Thema DAB auf die Tagesordnung. Um die Frequenzen der analogen Fernsehsender für DVB-T nutzen zu können, brauchten die am Ausbau beteiligten öffentlich-rechtlichen Anstalten die medienrechtliche Zustimmung der LPR. Prof. Thaenert bestand für eine medienrechtliche Zustimmung zur Zuordnung der DVB-T-Kanäle an ZDF und hr durch die hessische Staatskanzlei im Namen der LPR auf einer Gegenleistung des hr. So wurde eine Einigung erst durch Schlichtung in der Staatskanzlei Hessen möglich, nachdem der hr sich bereit erklärt hatte, die für ihn reservierten DAB-Kapazitäten freizugeben. Unter der Bedingung, dass nach der anstehenden internationalen VHF/UHF Planungskonferenz RRC06 die zu erwartenden neuen hessischen VHF-DAB-Kapazitäten wiederum 50/50 zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Veranstaltern aufgeteilt werden sollten. Der damalige Chef der hessischen Staatskanzlei Stefan Grüttner konnte dieses für alle Beteiligten positive Ergebnis der Schlichtung verkünden. Zuvor hatte die LPR von Zeit zu Zeit mit dem Ziel der Freigabe der für den hr reservierten DAB-Kapazitäten immer mal wieder einen „Sack voll privater Interessenten für den DAB-Multiplex in Hessen“ ins Feld geführt, die dann aber nach der Freigabe doch nicht auftauchten, um den Multiplex zu füllen. Schon bis zum Jahre 2005 verließen in anderen Bundesländern viele private Hörfunkprogrammveranstalter aus wirtschaftlichen Gründen die DAB-Verbreitung. So folgten spätere Versuche der HDR, den hr doch wieder für eine kostenfreie Teilnahme bei DAB+ auf dem 12C zu bewegen. Dieses Angebot nahm der hr nach einer durchaus wohlwollenden Prüfung jedoch aufgrund zu diesem Zeitpunkt mangelnder Erfolgsaussichten nicht in Anspruch.

II. Das neue Digital Radio DAB+ Das Bemühen, in Deutschland DAB durch einen Neustart in die Erfolgsspur zu bringen, wurde dann zunächst gebremst, da die KEF die Mittel für Digital Radio einfror. Die vorgesehenen Projektmittel wurden jedoch nicht gestrichen, sondern standen für neue Initiativen für die digitale Zukunft des Hörfunks weiter zur Verfügung. 1.

Die Zeit ist reif: Neustart Regelbetrieb DAB+ 2011

Im Jahre 2010 nahm der DAB-Zug dann langsam Fahrt auf, denn neben dem Deutschlandradio interessierten sich auch eine ausreichende Anzahl privater Hörfunkprogrammveranstalter für eine bundesweite Verbreitung über Digital Radio. Aus dieser Feststellung heraus beschlossen die Ministerpräsidenten der Länder auf Antrag der Landesmedienanstalten die Beantragung einer bundesweiten DAB-Bedarfsanmeldung zum Ausbau eines bundesweiten Sendernetzes für DAB bei der Bundesnetzagentur (BNetzA). Nach dem sich Media Broadcast als einziger Bewerber noch im gleichen Jahr auf die anschließende Ausschreibung des Sendernetzbetriebs für den gemeldeten Bedarf be170

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worben hatte, schloss das Medienunternehmen Ende 2010 in einem wesentlichen Schritt mit dem Deutschlandradio und weiteren sechs privaten Veranstaltern einen Vertrag über den Netzausbau mit bundesweit 27 Sendern in der ersten Ausbaustufe. Möglich wurde dies, nachdem der Haupt-DAB-Chiphersteller Frontier Silicon einen vierjährigen Werbevertrag mit den privaten Programmanbietern abgeschlossen hatte und sich damit zu finanzieller Unterstützung verpflichtete. Somit konnte der Sendebetrieb des bundesweiten Multiplexes am 1. August 2011 mit dem Regelbetrieb DAB/DAB+ mit mehr als zehn Hörfunkprogrammen starten. Der Neustart von DAB erfolgte nun mit dem Begriff „Digitalradio“ in einem Wort (vgl. 2001) und Mittelfreigabe durch die KEF, da der bundesweite Multiplex zu 85 Prozent ausgelastet war. Auch in der „AG Netzausbau DAB plus bundesweit“ des Bundeswirtschaftministeriums engagierte sich die LPR für die privaten bundesweiten DAB-Veranstalter für einen kostengünstigen Netzausbau und -betrieb. 2.

Heutige Situation in Hessen

Nachdem der bundesweite Multiplex auf den Weg gebracht war, stimmten auch die LPR und der hr ihre Bedarfe für einen Start der hessischen Programme über DAB+ ab. Das Land Hessen stellte daraufhin einen Antrag auf Änderung der bestehenden Bedarfsanmeldung zur Leistungserhöhung bei den Sendern der HDR und zeitgleich eine neue zusätzliche Bedarfsanmeldung für eine landesweite Verbreitung der Programme des hr in einem eigenen Multiplex. Die Weichen waren so auch in Hessen für den heutigen Regelbetrieb mit insgesamt drei DAB-Multiplexen gestellt. Aufgrund unterschiedlicher Bedürfnisse beim Ausbau gab es auf Landesebene keine gemeinsamen Lenkungs- und Arbeitsgruppen vergleichbar zum Vorgehen bei der Einführung von DVB-T, in denen Prof. Thaenert seinerzeit den Vorsitz hatte. Dennoch wurde bei Verhandlungen des hr mit der LPR, HDR und Media Broadcast die Nutzung eines gemeinsamen Multiplexes geprüft. Aus Kostengründen entschloss sich der hr aber, einen eigenständigen DAB-Sendebetrieb zu beantragen und aufzubauen. Im Gegenzug bot der hr an, stattdessen die interessierten privaten Programme in den eigenen DAB-Multiplex aufzunehmen. Trotz gegenseitiger Verhandlungsbereitschaft konnte leider kein Kompromiss gefunden werden. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern fanden sich in Hessen genügend private Veranstalter, um einen eigenständigen privaten Multiplex und Sendebetreib durch die HDR zeitgleich mit dem hr am 1. Dezember 2011 aufzunehmen zu können. Auch hier bewies die LPR in Zusammenarbeit mit der HDR wiederum Pragmatismus zugunsten von DAB indem sie vorübergehend bis zur Aufschaltung weiterer privater Programme die Verwendung eines höheren Protektionslevels etablierte. Bei der Ausschreibung der privaten hessischen Kapazitäten hat die LPR zudem viel Kreativität be-

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wiesen, indem sie nach ersten befristeten Ausschreibungen zur unbefristeten Ausschreibung übergegangen ist und damit jederzeit weitere Programme für den privaten DABMUX in Hessen lizenzieren kann. Seither sendet der hr seine sechs Radiowellen hr1, hr2-kultur, hr3, hr4, YOU FM und hr-iNFO im Sendestandard DAB+. In dem zweiten Bouquet für private Veranstalter in Hessen werden nun im Rhein-Main-Gebiet die Programme Absolut relax, Radio FFH, harmony.fm, Radio TEDDY, planet radio, Radio Impala und SCHLAGERHÖLLE gesendet. Auch ohne offizielle Arbeitsgruppen oder einen Lenkungsausschuss ergaben sich durch das Engagement aller dann doch aktuelle Abstimmungen unter Beteiligung der LPR über den weiteren Ausbau der DAB-Netze in Hessen, insbesondere hinsichtlich der gemeinsamen Nutzung künftiger Senderstandorte.

III. Ausblick für Digitalradio und Schlusswort Noch sind die mit Digitalradio versorgten Gebiete nicht zusammengewachsen, noch sind die Netze in den einzelnen Bundesländern nicht „dicht“ genug und noch die empfangbaren Hörfunkprogramme – trotz bundesweit einheitlichem Multiplex – in den Regionen zu unvollständig, um einen Selbstläufereffekt wie seinerzeit beim digitalen Fernsehen auszulösen. Wenn sich die Frage nicht mehr stellt, ob DAB+ überall verfügbar sein wird und jedes Autoradio den Empfang beherrscht, könnte diese Hürde überwunden sein. Am Markt zeigen sich erste Anzeichen für Akzeptanz. Erhebliche Anstrengungen beim Netzausbau und im Marketing liegen jedoch noch vor uns. Für Hessen kann festgehalten werden, dass die bisherigen Investitionen in DAB+ mit den verfügbaren Mittel zu recht passablen Netzen geführt haben. Die Bedarfsanmeldungen für einen flächigen Ausbau wurden auf Wunsch der öffentlich-rechtlichen und privaten Bedarfsträger vom Land Hessen bedarfsgerecht bei der BNetzA gestellt und beschieden. Pläne für weitere Ausbauphasen liegen auf dem Tisch. Media Broadcast, die Hessen Digitalradio GmbH und der Hessische Rundfunk haben einen wirtschaftlichen Ansatz entwickelt und abgestimmt, wie es künftig stufenweise in Hessen mit dem Ausbau weitergehen kann. Alles entscheidend wird aber sein, ob die KEF den Erfolg von DAB+ als gegeben ansieht und den Finanzbedarf dafür beitragssteigernd anerkennt. Und natürlich ob alle Programmanbieter „DABei“ bleiben… Über das Ende der UKW-Ausstrahlung bereits jetzt zu orakeln, ist deutlich zu früh. Auch der Satellit benötigte die Simulcastphase zwischen 1996 und 2012, um sich von den analogen Transpondern zu trennen. Aber dass DAB+ zu dem geworden ist, was es heute ist, daran hat Prof. Wolfgang Thaenert einen großen Anteil und dafür gebührt ihm Dank und Anerkennung.

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Bedingt gattungsbereit Überlegungen zum Wettbewerb zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Veranstaltern bei der Einführung von DAB+ Boris Lochthofen „Vergessen Sie nicht das Potenzial des Radios!“ Diesen Rat gab die ehemalige WDRIntendantin Monika Piel ihrem Nachfolger Tom Buhrow jüngst bei der Amtsübergabe mit auf den Weg. Das Zitat wurde im Rahmen der Berichterstattung zum Stabwechsel in der Führungsetage der größten ARD-Anstalt vielfach hervorgehoben, obwohl es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, dass der neue Intendant die immerhin zehn Hörfunkprogramme des WDR mit ihren einigen hundert Mitarbeitern in seinem Beritt nicht aus den Augen verliert. Das hat Frau Piel natürlich so auch nicht gemeint, geschweige denn Herrn Buhrow unterstellt, dass er die bloße Existenz der WDR-Radiowellen oder deren Mitarbeiter nicht präsent hat. Monika Piel hat das ganz sauber betont und keinen Zweifel daran gelassen, dass es ihr ausdrücklich um das Potenzial des Radios geht, das nicht vergessen werden dürfe. Für Piel als frühere Radiojournalistin scheint das offenbar am Ende ihrer Zeit als Intendantin im ARD-Binnenbetrieb nötig, auch wenn das Radiohören noch immer ein unverzichtbarer Bestandteil im Tagesablauf der meisten Menschen ist. Trotz der Tatsache, dass das Radio – im Gegensatz etwa zur Zeitung – konstant hohe und vor allem stabile Reichweiten aufweist, die am Werbemarkt für zunehmende Relevanz sorgen. Ungeachtet dessen scheint das Medium, Pardon, das Potenzial des Mediums, aber offenbar gefährdet zu sein, dem Vergessen anheim zu fallen. Man kann leider nur mutmaßen, aus welchem Quell sich die Motivation dieser Sorge speist. Und das Pielsche Zitat soll hier in seiner Bedeutung auch nicht überstrapaziert werden. Aber vermutlich hatte Frau Piel bei ihrem Radiovermächtnis den digitalen Wandel im Sinn. Das wäre zumindest nicht überraschend. Denn es gibt nicht wenige, die immer wieder einmal das Ende des Radios beschwören. Vor einigen Jahren war der iPod der ausgemachte Totengräber, heute sind es Musikdienste wie Spotify, die immer mehr Hörzeit beanspruchten oder Internetradios aus aller Welt, die immer öfter genutzt würden. Nicht zu reden von den Apps auf den Smartphones, die immer mehr Aufmerksamkeit auf sich zögen. Oder, zweite Möglichkeit, das Zitat adressiert die offenbar weiterhin notwendige Gattungsarbeit für das Medium. Also die Anstrengungen, die etwa im Rahmen der gemeinsam von öffentlich-rechtlichen und privaten Häusern im Rahmen der sehr erfolgreichen Gattungsorganisation RADIOZENTRALE unternommen werden, um das von den Hörern zwar intensiv genutzte, bei Werbewirtschaft, Politik und offenbar auch bei angehenden Intendanten aber keineswegs vergleichbar prominent im Fokus stehenden Medium weiter und intensiver in Erinnerung zu bringen.

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I.

Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus beidem

Denn richtig ist, dass sich das Radio ebenso wie TV und Print den Herausforderungen der Digitalisierung gegenüber sieht und Tatsache ist ebenso, dass das Herausstellen der gewaltigen Informations- und Mobilisierungskraft des Radios bei gewichtigen Zielgruppen stetiger Anstrengungen und Optimierungen bedarf, bis es die Aufmerksamkeit erhält, die die Macher sich wünschen. Denn das Medium wird längst noch nicht überall als das wahrgenommen, was es bereits heute ist bzw. was es in ganz naher Zukunft sein wird: Das letzte Massenmedium, das in seinen maßgeblichen Rezeptionssituationen – Auto, Küche, Bad – konkurrenzlos und verlässlich wirklich noch Masse erreicht. Um zu ergründen, wo die offenbar weiterhin wirkenden strukturellen Hemmnisse für eine schlagkräftige und wahrnehmbare Gattungsarbeit über die Grenzen des dualen Systems hinweg liegen, bietet sich ein Thema an, das aufs schönste die maßgeblichen Zwänge aktueller Radioarbeit im deutschen Rundfunksystem vereint: Das Projekt DAB+. Bei DAB+ ist einerseits die Gattungszusammenarbeit von privaten Veranstaltern mit öffentlich-rechtlichen Anstalten schon als Schöpfungsprämisse via KEF-Beschluss angelegt. Zudem haben beide Lager ein hohes gemeinsames Interesse am Gelingen. Zum anderen ist die Einführung von DAB+ als neuem Radiostandard in Zeiten digitaler Verfügbarkeit medialer Inhalte alles andere als ein Selbstläufer. Und es treffen beim Projekt DAB+ in aller Klarheit und Deutlichkeit die unterschiedlichen strukturellen Möglichkeiten – hier die umfassend beitragsfinanzierten Akteure der öffentlich-rechtlichen Anstalten und dort die wesentlich stärker unter wirtschaftlichem Erfolgsdruck stehenden privaten Veranstalter – in einer Projektgemeinschaft aufeinander. Kurz: Bei diesem Thema zeigen sich neben allerlei verbindenden Gattungsgemeinsamkeiten gravierende Unterschiede, die über das engere Bild bei DAB+ hinaus exemplarisch für den Wettbewerb und das Miteinander im dualen Radiosystem stehen. Es soll hier ausdrücklich nicht um die Diskussion der Sinnigkeit des Projekts DAB+ oder dessen Erfolgsaussichten gehen, sondern um die am Beispiel DAB+ exemplarisch deklinierbaren Wettbewerbsfragen zwischen den Akteuren des dualen Hörfunksystems. Die Prämissen für Motivation zu DAB+ sind schnell zusammengefasst: Die beteiligten privaten Veranstalter sehen in DAB+ die Chance, den Frequenzmangel bei UKW zu überwinden, um ihre bestehenden Programme mehr Hörern anbieten und zusätzlich neue Programme ausstrahlen zu können. Stichwort nationales Privatradio. Motivierend hinzu kommt die vergleichsweise kostengünstige und stabile terrestrische Distribution. Die wesentliche Problemstellung für die privaten Veranstalter ist die bisher noch nicht voll entwickelte Refinanzierbarkeit der Investitionen in neue Programme und deren laufende Kosten durch Werbung. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten haben nach einem zunächst gemischten Meinungsbild innerhalb der ARD aufgrund des Scheiterns der Vorläufertechnologie DAB-alt inzwischen klar Position für DAB+ bezogen und nahezu flächendeckend die Ausstrahlung von Programmen und Zusatzdiensten gestartet.

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Dennoch ist dieser gemeinsame Versuch, einen neuen Übertragungsstandard einzuführen – ungeachtet einiger Erfolge beim Geräteverkauf und anderem – noch weit von einer Balance der Akteure entfernt. So stehen bisher noch deutlich weniger private Programme bei DAB+ zur Auswahl als öffentlich-rechtliche Angebote. Das liegt, neben unterschiedlichen Einschätzungen im Lager des Privatfunks über das Erfolgspotenzial von DAB+, vor allem auch daran, dass neben relevanten finanziellen Anstrengungen der privatwirtschaftlich aufgestellten Unternehmen bei diesem Projekt immer wieder die Sorge mitschwingt, hier würde die strukturelle Ungleichheit in Mittelausstattung und Ressourcen, die den privaten Veranstaltern aus der UKW-Welt leidvoll vertraut ist, im Digitalen fortgeschrieben. Noch bietet DAB+ die Chance für eine geordnete Entwicklung von Beginn an. Dazu brauchen die privaten Akteure aber verlässliche Rahmenbedingungen für einen fairen Wettbewerb und eine Balance zwischen den öffentlich-rechtlichen und den werbefinanzierten Radios. Erste Fehlentwicklungen, die nachstehend skizziert werden, können jetzt noch in die richtigen Bahnen gelenkt werden.

II. UKW-Frequenzen Das Ungleichgewicht des dualen Hörfunksystems, das sich bis in neue Themen, wie DAB+ fortschreibt, resultiert aus der unterschiedlichen Ausstattung mit UKWFrequenzen. Historisch bedingt verfügen die öffentlich-rechtlichen ARD-Anstalten über ein großes Reservoir an attraktiven UKW-Frequenzen, die es ihnen erlauben, in ihren Bundesländern nahezu flächendeckend bis zu acht Programme auszustrahlen. Teilweise werden diese nochmals zur regionalen Berichterstattung auseinandergeschaltet. Um sich im Wettbewerb mit der privaten Konkurrenz einen Vorteil zu verschaffen, hat zuletzt der Hessische Rundfunk einen Teil seiner Frequenzen zugunsten massenattraktiverer Programme umgewidmet. Soweit es privaten Veranstaltern in der Vergangenheit überhaupt möglich war, programmliche Kleinfamilien zu gründen, um im Wettbewerb mit den öffentlichrechtlichen Großfamilien bestehen zu können, mussten sie komplexe Ausschreibungsund Zuweisungsverfahren durchlaufen. Frequenzumwidmungen sind dabei ausgeschlossen. Da eine Beseitigung dieses Ungleichgewichts durch eine bundesweite Frequenzneuordnung aufgrund der unterschiedlichen Interessenlagen als nahezu ausgeschlossen gelten kann, bleibt dieser strukturelle Webfehler des dualen Hörfunksystems wohl erhalten, so lange UKW als Distributionstechnologie gebraucht wird.

III. Was ist ein Programm? Die üppige Frequenzausstattung der öffentlich-rechtlichen Anstalten erlaubt ein umfangreiches Angebot an massenattraktiven Programmen einerseits und Zielgruppenprogrammen anderseits. Der Programmvermehrung scheinen dabei keine Grenzen gesetzt. 175 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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Beim Blick in § 11c RStV und in die Begründung zu seiner Einführung reibt man sich jedoch verwundert die Augen. Dort scheint klar und eindeutig geregelt, wie viele analoge und digitale Programme jede einzelne ARD-Anstalt und das Deutschlandradio veranstalten dürfen.1 Kein Nichtjurist würde auf die Idee kommen, hier einen Spielraum für zusätzliche Programme zu vermuten.

Formale Zahl

analog

digital

BR

5

5

HR

7

0

MDR

7

1

NDR

8

0

RB

3

0

RBB

7

0

SR

4

1

SWR

8

0

WDR

6

2

Gesamt

55

9

Tabelle 1: Anzahl der ARD-Hörfunkprogramme zum 1. April 2004

Stutzig wird man, wenn man die Erläuterungen zu dieser Übersicht liest: 1. Einzelne Sonderausstrahlungen insbesondere über analoge MW bleiben unberücksichtigt. 2. Auf ein Bundesland bezogene Programme werden als ein Programm gezählt, darüber hinausgehende Auseinanderschaltungen bleiben unberücksichtigt. 3. Eine Vielzahl von Programmen wird simulcast analog/digital ausgestrahlt. Bei Identität von analoger und digitaler Ausstrahlung von Programmen wird nur einmal gezählt. 4. In allen Programmen finden Kooperationen statt.

1

Begründung zum Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrag.

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Vergleicht man dann diese Regelungen mit den jährlich von den ARD-Anstalten und dem Deutschlandradio veröffentlichten Bericht über die von ihnen veranstalteten Hörfunkprogramme (§ 11c Abs. 4 RStV) stellt man verwundert fest, dass aus den 64 genehmigten analogen und digitalen Programmen der ARD inzwischen 89 Programme geworden sind.2 Das Deutschlandradio gibt drei Programme an. Diese Programmexplosion erklärt sich aus den nur im Internet verbreiteten Angeboten. Sie werden nicht bei der Zahl der nach § 11c RStV zulässigen Programme mitgerechnet. Dabei handelt es sich um Telemedienangebote nach § 11f RStV, die zuvor einen sogenannten Dreistufentest durchlaufen und von den Gremien der jeweiligen Rundfunkanstalten und der staatlichen Rechtsaufsicht genehmigt werden mussten. Wenn man nach den Gründen für diese Differenzierung fragt, muss man als Nichtjurist schnell lernen, dass „digital“ für Juristen nicht gleich „digital“ ist und ein „Programm“ nicht immer ein „Programm“ ist. Digital im Sinne von § 11c Abs. 2 ist ein Programm, das digital und terrestrisch ausgestrahlt wird. Digital im Sinne von 11f ist ein Radioprogramm, das digital und im Internet verbreitet wird, auch wenn es terrestrisch über W-LAN oder mobiles Internet z. B. auf dem Smartphone empfangen wird. Gar nicht mitgezählt werden Programme, die als „Event-Radio“ bezeichnet werden. WDR Event beschreibt dieses Konzept so: „WDR Event berichtet über ausgewählte Sportereignisse, Debatten aus dem Bundestag und kulturelle Höhepunkte. Allerdings nicht rund um die Uhr, sondern nur für die Dauer der Veranstaltungen. So können Sie Fußball-Höhepunkte erleben oder in den Parlamentswochen spezielle Debatten aus dem Bundestag verfolgen. Zwischen zwei Veranstaltungen hören Sie auf ‚WDR Event‘ Stille.“ Wie umfassend der WDR ein Event definiert, hat er im Jahr 2012 in einem Konzept für ein „Sportradio“ beschrieben, bei dem mehrere Sportereignisse, die hintereinander stattfanden, zu einem Radioprogramm zusammengefasst werden sollten. Nach heftigen Protesten hat der WDR darauf verzichtet, dies zu realisieren. Wegen den zeitlichen Abständen zwischen den Übertragungen der einzelnen Ereignisse, sei ein Event-Radio demnach aber kein Programm im Sinne des RStV. Es handele sich allenfalls um Sendungen, wenn Reporter Fußballspiele oder andere Sportereignisse übertragen. Ob die Hörer den Unterschied merken?

2

Die Länder Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern haben inzwischen von der Möglichkeit in § 11c Abs. 2 RStV und in einem Staatsvertrag über die Veranstaltung von digitalen terrestrischen Hörfunkprogrammen durch den NDR (NDR-DigitalradioStaatsvertrag) drei DAB+ Programme genehmigt. Der Vertrag ist am 1. Juli 2012 in Kraft getreten.

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IV. Was ist ein Verbreitungsgebiet Unklarheit herrscht auch hinsichtlich der Frage, in welchen Gebieten die Rundfunkanstalten ihre Programme verbreiten dürfen. Nach § 11c RStV sollen die Hörfunkprogramme der Landesrundfunkanstalten das Gebiet ihres jeweiligen Bundeslandes bzw. Bundesländer versorgen, wenn sie wie MDR, NDR, rbb und SWR für die mehrere Länder errichtet wurden. Diese Grenzen interpretieren einige öffentlich-rechtliche Radioveranstalter so, dass sie ihre Sendemasten an den Grenzen ihres Bundeslandes so nah aufbauen, dass sie noch möglichst viele Hörer aus dem benachbarten Land erreichen. Die Versorgung der Kölner Bucht durch den SWR ist dafür ein Beispiel. An diese Form des Wettbewerbs hat man sich inzwischen gewöhnt. Dies gilt auch für die europaweite Verbreitung aller öffentlich-rechtlichen Radioprogramme über Satellit. Ein Grund könnte die Versorgung der Beitragszahler im Urlaub sein, weil sie auch in dieser Zeit ihren Beitrag entrichten, also eine Art Nachsendeauftrag. Vielleicht sollen die Beitragszahler aber nur überall in ihrem jeweiligen Bundesland die Programme über alle denkbaren Wege empfangen können und die europaweite Ausstrahlung soll als ein unvermeidbarer Nebeneffekt akzeptiert werden. Gleiches gilt auch für die Verbreitung über das Internet, die der Dynamik von Online folgend inzwischen ein relevant genutzter Empfangsweg ist. Damit lässt sich aber keineswegs erklären, warum Programme des BR, MDR, SWR und WDR in Berlin über DAB+ verbreitet werden. Es ist offensichtlich, dass Berlin nicht zu den gesetzlichen Versorgungsgebieten dieser Sender gehört. Ausweislich der zuletzt veröffentlichten Programmliste hat der rbb nur das Programm „Funkhaus Europa“ in Rahmen einer Kooperation mit dem WDR als eigenes Angebot übernommen. Für die Programme Bayern2, BR-Klassik, Bayern plus, MDR JUMP, SWRinfo und SWR3 gilt das nicht. Sie würden auch die Zahl der terrestrischen Programme übersteigen, die der rbb ausstrahlen darf. Hinter vorgehaltener Hand erfährt man auf Nachfrage in Berlin, dass es sich zunächst um eine Art Schaufensterdekoration für eine länger zurückliegende IFA gehandelt habe, die dann in eine Art Entwicklungshilfe umgewidmet wurde, da der rbb wirtschaftlich nicht in der Lage sei, einen eigenen Multiplex vollständig selbst zu füllen.

V.

Welche Hörfunklandschaft wollen wir?

Angesichts der aufgezeigten Themen muss die Frage erlaubt sein, wie die Hörfunklandschaft in Deutschland bezogen auf die öffentlich-rechtlichen und die privaten Programme gestaltet sein soll; zumindest dort, wo das – anders als bei der kaum noch zu ändernden Verteilung der UKW-Ressourcen – heute und künftig noch möglich ist. Immer wieder gewinnt man den Eindruck, dass es dazu allenfalls verschwommene Vorstellungen in der Rundfunkpolitik der Länder gibt, die Radio angesichts der drängenden 178 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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TV- und Online-Themen, wenn überhaupt, nur situativ bearbeitet und sich zudem noch auf das jeweilige Bundesland fokussiert. Anlass für eine Konkretisierung der ordnungspolitischen Rahmenbedingungen könnte die Forderung des Intendanten des Deutschlandradios nach zwei neuen bundesweiten Programmen sein: Zum einen soll ein Musikprogramm entstehen, das aus den Archivbeständen der öffentlich-rechtlichen Anstalten zusammengestellt werden soll. Zum anderen sollen die Angebote für Kinder in den verschiedenen ARD-Radioprogrammen gebündelt und unter Federführung des Deutschlandradios bundesweit über DAB+ als „Kinderradio“, vergleichbar dem Fernsehprogramm KIKA, verbreitet werden. Aus Sicht der Gattung „Radio“ könnte man solche Programmentwicklungen grundsätzlich begrüßen. Sie zeigen, dass sich der öffentlich-rechtliche Hörfunk bemüht, jederzeit und überall seine Programme anzubieten, den Trends in der Radioentwicklung folgt oder sie sogar selbst setzt. Positiv ist auch das Engagement des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bei der Einführung des digitalen Übertragungsstandards DAB+ zu bewerten. Die einzelnen ARDAnstalten nutzen diese Chance, um bisher ausschließlich im Internet oder nur über wenige UKW-Sender verbreitete Programme terrestrisch auszustrahlen. Da die ARD in der Regel DAB+-Netze bereits in Gebieten aufgebaut hat, in denen noch keine Programme privater Veranstalter verbreitet werden, leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Einführung von DAB+. Nur mit neuen Programmen, die bisher noch nicht aus der Luft zu empfangen sind, kann das Interesse der Hörer an DAB+ geweckt werden. Unter diesem Gesichtspunkt könnte auch die Programminitiative des Deutschlandradios positiv beurteilt werden. Die Vorreiterrolle haben die öffentlich-rechtlichen Sender auch bei der Ausstrahlung von programmbegleitenden und programmunabhängigen Zusatzdiensten übernommen. Ihre Ausstrahlung hat die Gerätehersteller veranlasst, bereits kurz nach der Einführung von DAB+ im August 2011 Radioempfänger mit größeren Displays auf den Markt zu bringen. Vergleichbares gilt für den neuen Verkehrsinformationsdienst TPEG, der in Zukunft TMC ablösen wird. Basierend auf den langjährigen Erfahrungen mit Verkehrsinformationen haben die Rundfunkanstalten wichtige Entwicklungsarbeit geleistet, ohne die dieser Dienst nicht verfügbar wäre. Sie werden die ersten sein, die diesen Service als Standard anbieten und damit der Automobilindustrie einen wichtigen Grund liefern, DAB+ als Standard in neue Fahrzeuge einzubauen.

VI. Wo bleibt der Wettbewerb? Auch wenn man die genannten Leistungen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten für die Weiterentwicklung der Gattung Radio grundsätzlich begrüßen kann, müssen die Aktivitäten auch unter den Gesichtspunkten des öffentlich-rechtlichen Auftrags und im Lichte des Wettbewerbs mit den Privaten beurteilt werden. Ein duales Rundfunksystem kann schließlich nur funktionieren, wenn ein fairer Wettbewerb existiert. Dazu bedarf es klarer Regeln. 179 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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Und hier stehen den aufgeführten unbestreitbaren Leistungen der ARD und des Deutschlandradios, die auf der Grundlage einer krisenfesten Beitragsfinanzierung und einer im Vergleich üppigen Ressourcenausstattung erbracht werden, deutlich weniger opulente Möglichkeiten der privaten Veranstalter gegenüber, die jede Investition und jeden Betriebseuro am Werbemarkt zu refinanzieren haben. Wie beim Fernsehen ist eine Diskussion erforderlich, wie viele öffentlich-rechtliche Hörfunkangebote zur Erfüllung des Programmauftrags notwendig sind, um an der Medienentwicklung teilhaben zu können. Nicht alles was dabei technisch möglich und aus Sicht der Programmmacher wünschenswert ist, ist auch vom öffentlich-rechtlichen Auftrag gedeckt. Das Internet darf nicht als Vorwand dienen, die Zahl der Programme unter dem Stichwort Telemedien auszuweiten. Es bedarf insgesamt einer Programmzahlbegrenzung, unabhängig von der Art der Übertragung oder bezogen auf den Verbreitungsweg. Gleichzeitig ist eine Präzisierung erforderlich, in welchen Gebieten die jeweiligen Programme verbreitet werden dürfen. Eine Programmzahlbegrenzung läuft leer, wenn eine Anstalt sich an ihre vorgegebene Zahl von Programmen hält, aber eine andere Landesrundfunkanstalt ihre Programme in deren Verbreitungsgebiet zusätzlich ausstrahlt. Die Programme der Veranstalter stehen selbstverständlich untereinander im Wettbewerb. Die Grenzen sind aber dort erreicht, wo ein öffentlich-rechtliches Programm ausschließlich entwickelt wird, um private Veranstalter vom Markt zu drängen, wie dies bei dem WDR-Sportradio der Fall war, das nach eigenem Bekunden gegen das Fußballradio 90elf positioniert werden sollte. Das kann auch nicht mit dem gemeinsamen Gattungsinteresse an einer Attraktivitätssteigerung von DAB+ begründet werden. Vergleichbares gilt für das Kinderradio und ein neues nationales Musikprogramm. Selbst wenn auch hier die Motive lauter sind und einmal mehr DAB+ die Begründung liefert: Solche Angebote zum jetzigen Zeitpunkt verhindern Entwicklungsmöglichkeiten privater Veranstalter, die die damit angesprochenen Zielgruppen ebenfalls im Blick haben. Die aber anders als ihre Kollegen in den öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht die materiellen Möglichkeiten haben, alle kreativen Ansätze auf einen Schlag umzusetzen. Eine Programmerweiterung, wie vom Deutschlandradio gefordert, kann auch nicht dadurch gerechtfertigt sein, dass dazu keine zusätzlichen Rundfunkbeiträge erforderlich seien und die Vorhaben über Einsparungen in anderen Bereichen finanziert werden. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten sind von Rechts wegen zur Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit verpflichtet. Benötigen sie nicht alle von ihnen beantragten und genehmigten Mittel zur Erfüllung ihres Programmauftrags, erwächst daraus keine Legitimation zur Erweiterung ihres Programmangebotes. Aber selbst wenn dies so wäre, ist abzusehen, dass mittelfristig ein höherer Finanzbedarf entsteht, weil schon aufgrund der allgemeinen Preissteigerungen die Einsparungen nicht ausreichen werden, um auf Dauer ein neues Angebot aufwandsneutral zu finanzieren.

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VII. Öffentlich-rechtliche und private Veranstalter als Schicksalsgemeinschaft Die Einführung von DAB+ bleibt absehbar eine medien- und gattungspolitische Gratwanderung. Die KEF hat die weitere Freigabe von Mitteln für DAB+ davon abhängig gemacht, dass auch die privaten Veranstalter sich mit ihren Programmen engagieren. Durch dieses Junktim haben es die Privaten in der Hand, darüber zu bestimmen, ob die Landesrundfunkanstalten in Zukunft DAB+ einsetzen können oder nicht. Private und öffentlich-rechtliche Hörfunker bilden also bei diesem Zukunftsthema eine politisch gewollte Schicksalsgemeinschaft, deren Erfolg und Bestand von einem gedeihlichen Zusammenwirken abhängt. Um dies nicht zu gefährden, sollten die öffentlich-rechtlichen Veranstalter die Sensibilität ihrer privaten Wettbewerber verstehen, die alle Investitionen für DAB+ selbst verdienen müssen. Sie verfügen über keine Sendernetze, die sie mit DAB+ ergänzen können. Sie haben keine großen Programmfamilien in Hörfunk und TV, die sie für das Marketing für DAB+ einsetzen können. Sie erhalten auch keine Rundfunkbeiträge, mit denen sie alles bezahlen können. Und am Ende – siehe Frau Piels Diktum eingangs – haben beide Lager über den engeren Sinn des Projektes DAB+ hinaus wesentlich wichtigere gemeinsame Interessen. Das sind Interessen, die sich zum einen aus dem spezifischen Status der Gattung Radio herleiten: Hier wollen alle – öffentlich-rechtliche wie private Macher – mehr Respekt und Aufmerksamkeit für ein Medium, das trotz seines vermeintlichen Alters seinen Job auch im digitalen Zeitalter wesentlich erfolgreicher und für die Zukunft vielversprechender erledigt, als etwa die Zeitung oder das absehbar vor der umfassenden Fragmentierung stehende TV. Und gerade weil das Radio im Begriff ist, mit seiner ungebrochenen Relevanz via UKW und zusätzlich über DAB+ und online den entscheidenden Schritt in die Zukunft erfolgreicher zu gehen als die konkurrierenden Gattungen, sind Regeln für eine gedeihliche Zusammenarbeit, gegenseitige Achtung und Fairness im offensichtlich funktionierenden, aber stets unterdurchschnittlich beachteten dualen Hörfunksystem unerlässlich. Die privaten Veranstalter brauchen Entwicklungsmöglichkeiten und die öffentlichrechtlichen Kollegen brauchen die Legitimation des Gegenübers. Denn ohne Partner kein Dualismus und kein duales System. DAB+ ist sicher ein Thema, bei dem diese Prämissen – abgesehen von den genannten Unwuchten im weiteren Verlauf – schon recht gut zusammengebracht werden konnten. Gerade mit dem Deutschlandradio haben die Privatsender in der initialen Phase vor dem Sendestart außerordentlich konstruktiv zusammengearbeitet und tun das noch. Hier wurde viel tradiertes Misstrauen abgebaut und im besten Sinne der Gattung ein Thema gestiftet, dass neben den weiteren Aktivitäten im Bereich der Radiodigitalisierung, hohe Aufmerksamkeit für das Medium generiert hat und weiter generieren wird.

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Ein Ergebnis dieser neuen und für die Beteiligten ungewohnten Kollegialität waren die unterschiedlichen Plattformen und Zusammenschlüsse wie etwa die Arbeitsgruppen der von den Ländern und dem Bundeswirtschaftsministerium bereitgestellten Plattform „Forum Digitalradio“. Dies gilt auch für die Initiative Digitalradio. Auf diesen Plattformen arbeiten alle relevanten Marktteilnehmer mit einem hohen Maß an Konstruktivität und Vertrauen zusammen, um gemeinsam den Grundstein für die Fortentwicklung der Gattung Radio zu legen und eine für alle Beteiligten stabile Grundlage zu schaffen, auf der künftig ein handfester Wettbewerb um die Hörer stattfinden kann.

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IV. Die Vielfalt der Medienordnung Das Eigentliche und das Vermittelte Gedankensplitter zu Religion, Medien und Humor Karl Waldeck

I.

Der Anlass – Wege, die sich kreuzen

Zum Schreiben eines Festschriftbeitrags wird gewöhnlich der angefragt, den mit dem durch die Publikation Geehrten etwas verbindet. Die Verbundenheit der Autoren mag dabei, was Quantität wie Qualität betrifft, recht verschieden sein. Im Folgenden skizziert und deutet der Verfasser deshalb Orte und Anlässe, wo Wolfgang Thaenerts Wege sich mit den seinen gekreuzt haben – in der erklärten Hoffnung, sie mögen noch lange und oft zusammenführen. Einige Gedanken zu Religion und Medium schließen deshalb mit dem für einen Abschied kontrafaktisch heiteren Thema Humor.

II.

Am Anfang – das Wort

„Am Anfang“ – mit dieser Wendung beginnen zwei biblische Bücher folgenreichen Inhalts und höchster theologischer Relevanz: das 1. Buch Mose (Genesis) und das Johannesevangelium. Im ersten ist von der Erschaffung der Welt die Rede, im zweiten, beginnend mit dem berühmten Prolog, von Gott: vom Gottessohn und seinem Weg zur Erlösung der Welt. Es geht in beiden biblischen Büchern also um „Pioniertaten“. In beiden kommt jeweils einem Wort, genauer gesagt dem göttlichen Wort, die Schlüsselrolle zu. Die (hoheitliche) Formel „Und Gott sprach“ (1. Mose 1,3 und öfter) leitet je einen neuen Schöpfungsakt ein und endet schließlich mit der göttlichen Gesamtbetrachtung des Geschaffenen: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“ (1. Mose 1, 31). Das Johannesevangelium beginnt mit einer meditativen Verhältnisbestimmung von Wort und Gott, um schließlich auf der Erde ad hominem seine Bestimmung zu finden: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.“ (Johannes 1,14). Am Anfang – Pioniertaten. Die Brücke von der biblischen Schöpfung und der Menschwerdung Gottes zum Wirken Wolfgang Thaenerts zu schlagen, mag zumindest überraschen, mithin verwegen erscheinen. Und doch gibt es mehr als assoziative Verbindungen zwischen beiden. Wolfgang Thaenert ist erstens in vielerlei Weise wenn nicht Schöpfer, so doch Pionier auf dem Gebiet des (privaten) Rundfunks und der Neuen Medien zu nennen: einem Terrain also, in dem zweitens das (menschliche) Wort und die Sprache höchste Bedeutung haben – in den Medien selbst, sodann drittens in der Medienaufsicht, dort nicht zuletzt in den Gremien, in denen sich der Verfasser dieser Zeilen und Wolfgang Thaenert begegnet sind. Wolfgang Thaenert hat schließlich viertens Verhttps://doi.org/10.5771/9783845251707-183 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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antwortung in der Institution übernommen (und tut dies weiterhin), die sich nach eigenem Verständnis dem Wort (Gottes) verdankt und auf es ausgerichtet ist: der Kirche. Wolfgang Thaenert hat der Synode der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck von 1997 bis 2010 angehört und ist seit dem Jahr 2000 Mitglied des Kuratoriums der Evangelischen Akademie Hofgeismar. In den Fragen der Umsetzung, der praktischen Umsetzung der Bestimmung des § 30 Abs. 1 des Hessischen Privatrundfunkgesetzes (HPRG) zur Sendezeit für Dritte1 ist er den Kirchen ein hilfreicher Gesprächspartner und Ratgeber gewesen – die eigenen Kompetenzen wie die des kirchlichen Gegenübers stets bedenkend und beachtend.

III. Das Eigentliche und das Vermittelte – Verkündigung und Medium Als eine der frühesten Begegnungen mit Wolfgang Thaenert hat der Verfasser die Einweihung der Räume in Erinnerung, in denen die evangelischen Kirchen in Hessen zunächst ihre Beiträge für den soeben an den Start gegangenen Sender FFH produzierten. Zeitpunkt: die aufregenden, auch anderweitig historisch bedeutsamen Tage im Herbst 1989; der Ort war eine ehemalige Tipp-Ex-Fabrik in Frankfurt-Rödelheim. Wie sollte sich die Zusammenarbeit zwischen den evangelischen Kirchen und dem neuen privatrechtlich organisierten Sender gestalten? Als Brücke wurde ein Wort aus der Berufungsgeschichte des Propheten Jesaja herangezogen: „Hier bin ich, sende mich!“ (Jesaja 6,8) So kamen (kirchliche) Sendung und Sender zusammen: eine Zusammenarbeit, die sich zur Erfolgsgeschichte entwickeln sollte – bis heute. Das etwas (selbst)ironische humorvolle Zitat eines Prophetenwortes, das als Brücke zwischen Kirche und Medium im Wort „sende“ besteht, berührt zugleich einen sensiblen Punkt zwischen dem Selbstverständnis von Kirche und ihrem Verhältnis zu der Welt der Medien. An dieser Stelle kann die Diskussion über kirchliche Verkündigung in den Medien nicht entfaltet werden. Man muss jedoch kein unkritischer Betrachter der Medienlandschaft (mitsamt deren Entwicklung von Technik und Inhalten) sein, um zumindest bei manchen Kirchenverantwortlichen auf allen Ebenen eine gewisse Reserve gegenüber den Medien festzustellen. Gründe für diese Zurückhaltung sind mit Blick auf manche Programme gewiss gegeben; doch sind kirchliche Reserven gegenüber der Welt der Medien so selbsterklärend nicht. Überraschen mag dies zumal für eine Kirche, die sich explizit auf die Reformation bezieht: Die Verbreitung und der Erfolg der reformatorischen Ideen beruhte nicht zuletzt auf deren Verbreitung durch die modernsten Medien ihrer Zeit, des Drucks. Eine kirchliche Reserve scheint sich nicht allein an bestimmten Inhalten oder Formaten von Radio, Fernsehen und Internet zu entzünden. Es ist die Form, das Mittel, das Medium selbst, das in Verdacht steht, das „Eigentliche“ zu deformieren, zu verfälschen oder gar zum Verschwinden zu bringen („Wie kann in 90 Sekunden oder mit 1200 Zeichen Verkündigung geschehen?“). Unter dem Eigentlichen wird in diesem Zusammenhang 1

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„Den evangelischen Kirchen, der Katholischen Kirche und den jüdischen Gemeinden sind auf Wunsch angemessene Sendezeiten zur Übertragung religiöser Sendungen einzuräumen.“

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erfahrungsgemäß das kirchliche Handeln, die Verkündigung, zumal im Gottesdienst gesehen. Hier ereigne sich, so gängige kirchliche Argumentation, in der Gemeinschaft der Gottesdienstbesucher unmittelbare Begegnung mit dem Wort Gottes. Das Medium hingegen habe es mit einer (vermittelten) Kommunikation, zugleich mit einer disparaten, trotz einschlägiger Erhebungen und Feedbackmöglichkeiten meist anonymen Rezipientengruppe zu tun. Demnach ist das unmittelbare personale Geschehen im Gottesdienst (darin Seelsorge und Diakonie vergleichbar), die sich versammelnde Gemeinschaft die im Vergleich mit den Medien dem Evangelium angemessenere, qualitativ bessere, auf jeden Fall vorzuziehende Form kirchlicher Kommunikation. Dem ist freilich entgegenzuhalten, dass auch die Form des Gottesdienstes, mithin die Predigt, ja selbst das Abendmahl2 Medium sind und nur schwerlich als „unmittelbar“ und „eigentlich“ bezeichnet werden können. Gewiss wäre es übertrieben, in dieser Charakteristik ein generelles kirchliches Verdikt oder eine Verweigerungshaltung gegenüber (neueren) Medien sehen zu wollen. Die verlässliche (ob ausreichende, sei dahin gestellt) Ausstattung der Medienarbeit in den Haushalten der Kirchen mag hierfür nur ein Indiz zu sein. Verwiesen sei auch auf die Professionalisierung kirchlicher Medienarbeit nicht zuletzt im Bereich des privatrechtlich organisierten Rundfunks, zu der gleichermaßen Kirchen wie Sender beigetragen haben. Auch der intensive Kontakt der Kirchen zur Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und Medien – in verantwortlicher Weise in Gremien wie der Versammlung der LPR Hessen – sowie bei vielen anderen Gelegenheiten deuten einen vorsichtigen Bewusstseinswandel an. In Zeiten finanzieller Verteilungskämpfe ist aber noch nicht entschieden, ob die Kirchen ihre Medienarbeit als Kerngeschäft ansehen oder nach wie vor an einem Ranking zwischen dem als Eigentlichen Identifizierten und dem Vermittelten festhalten.

IV.

Das Eigentliche und das Vermittelte – und seine Bedeutung für den Humor (nicht nur in der Kirche)

Nach so viel Ernst ist ein Schwenk in heitere Gefilde angezeigt: An Humor, zumindest Komik (neudeutsch Comedy) herrscht in den elektronischen Medien (öffentlichrechtlich wie privat) seit geraumer Zeit kein Mangel – über Qualitätsmaßstäbe und persönlichen Geschmack mag an anderer Stelle diskutiert werden. Bisweilen kann hier auch Religion im Allgemeinen und deren Institutionen im Besonderen (etwa die Kirche) Gegenstand humorvoller und satirischer Betrachtung werden. Wo hier juristische Grenzen erreicht oder gar überschritten werden, ist immer wieder Gegenstand öffentlicher Debatten und/oder rechtlicher Prüfung.3 Weniger die Frage nach dem Erlaubten als vielmehr nach Wesen und Eigenart des Humors und des Lachens scheint dem Verfasser für eine Beschreibung des Verhältnisses 2

Hierzu etwa Hörisch,Der Sinn und die Sinne. Eine Geschichte der Medien, Frankfurt am Main 2001, S. 207–212.

3

Als jüngstes Beispiel mag erwähnt werden: „Skandal um Kirchensatire – Video-Verfahren gegen Carolin Kebekus eingestellt“, Focus online vom 10. Juli 2013.

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von Komik und Kirche sinnvoll. Die für ihn grundlegende Schrift zu einer anthropologischen Deutung des Lachens ist der vor siebzig Jahren verfasste umfangreiche Aufsatz Helmuth Plessners „Lachen und Weinen. Eine Untersuchung der Grenzen menschlichen Verhaltens“.4 Für unseren Zweck mag vorab folgende Beobachtung Plessners von Relevanz sein: „Der Lachende ist zur Welt geöffnet“ (S. 368): Das gilt nicht allein für den Adressaten des Humors. Diese Beobachtung wird zugleich erweitert, vertieft: „Überall da, wo die Schwere vom Menschen genommen ist, die Perspektive sich weitet, gewinnt er die Leichtigkeit des Abstands zu seinesgleichen und den Dingen: In solchem abständigen Sich-Lösen werden die eigentlichen Quellen des Lachens: Scherz, Komik, Witz freigelegt“ (S. 280). Es geht mithin um die Fähigkeit zur Selbstdistanz, die der Kirche ebenso wie Medienmachern und Juristen zu wünschen ist. Die „Fähigkeit zur Selbstdistanz ist geradezu der Prüfstein des Humors und seine eigentliche Quelle“ (S. 333). Freilich verweist Plessner auch auf den Faktor der Mehrdeutigkeit, der dem Humor wie dem Lachen innewohnt: „Situationen wie Kitzel, Spielen, Komik, Witz, Verlegenheit zeugen in ihrer Ambivalenz, Mehrdeutigkeit, Mehrsinnigkeit den Antagonismus zwischen Bindung und Abstoßung, Beantwortung und Unbeantwortbarkeit“ (S. 363). Humor ist somit ein sensibles, eben nicht eindeutiges Instrument, also ein Medium, das höchst reflektiert einzusetzen und mit Vorsicht zu behandeln ist. Diese Beobachtung betrifft die Kirchen in zweierlei Hinsicht: 1. mit Blick auf Religion und Kirche als Objekt von Humor, 2. mit Blick auf die Verwendung von Humor in der und durch die Kirche. Als Quelle und Triebkraft des Humors wird nicht selten das Unbewusste, das Verborgene angesehen, das mit Vorsatz oder auch unbewusst verborgen gehalten wird. Humor hat die Gabe, dies ans Licht zu bringen und bewusst zu machen. Damit thematisiert Humor regelhaft Tabus, Existentiale wie Sexualität und Tod – und überschreitet Grenzen. Religiöse Tabus sind deshalb gerne Thema des Humors.5 Sie mögen sich in theologischen Inhalten, moralischen Maßstäben, Verboten für Gläubige und/oder religiöse Funktionsträger zeigen. Im ökumenischen Vergleich ist der Protestantismus hier vordergründig im Nachteil. Die römisch-katholische Kirche hat mit strengen sexuellen Maßstäben (unter anderem dem Zölibat) oder Fastengeboten grundsätzlich ein höheres Humorpotential. Zudem kommt hier die unterschiedliche Gewichtung von Wort und Ritus in evangelischer und römisch-katholischer Kirche zum Tragen: Nicht, dass das Komische vorwiegend im Ritus wurzelte; es entzündet weitaus häufiger am Wort. Doch in einer Zeit der Bilder, des Fernsehens und seiner Derivate, eröffnet sich durch Körpersprache, Gestik größere Möglichkeiten für das Komische. Tatsächlich scheint es kein Zufall zu sein, dass die prominentesten deutschen Showmaster ehedem Messdiener waren und auch aus dem Kreis der Comedians nicht wenige

4

Plessner, Lachen und Weinen, Eine Untersuchung der Grenzen menschlichen Verhaltens, in: ders. Ausdruck und menschliche Natur, Gesammelte Schriften VII, Frankfurt am Main 1982, S. 201–387.

5

Grundlegend zur Thematik Berger, Erlösendes Lachen, Das Komische in der menschlichen Erfahrung, Berlin/New York 1998.

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diesen Hintergrund haben. Der Reiz des Katholizismus, auch ihrer Mandatsträger erschöpft sich dabei nicht im Komischen. Auch die Differenz eines Priesters zum bürgerlichen Mainstream macht ihn als TV-Star denkbar attraktiver: Ob bei Pater oder Pfarrer Braun: hier verbinden sich milde Kriminalistik mit ebenso mildem Humor. Das protestantische TV-Pendant „O, Gott, Herr Pfarrer“, hingegen war eher ein – manchmal auch komisches – Sozialdrama.

V.

Humor und Protestantismus

Der Protestantismus hat es in Sachen Komik somit eher schwer. Er kennt keine eigentliche (noch dazu zölibatäre) Priesterklasse; ihm fehlen – vordergründig zumindest – Tabus. Auch bestimmte theologische Topoi, die als Angriffsfläche für Komik dienen, lassen sich – sofern nicht der Insiderwitz gefragt ist – kaum finden. Eine seltene, dem Verfasser liebe Trouvaille soll nicht verschwiegen werden, nämlich das einem schwäbischen Pietisten zugeschriebene Bekenntnis: „Meine Demut ist mein einziger Stolz.“ Im Protestantismus herrscht somit über weite Strecken der Ernst vor – selbst wenn es kleine Oasen des Komischen im Protestantismus und eine wachsende theologische Beschäftigung mit Komischem und Humor gibt: etwa diverse Formen des Kirchenkabaretts oder vor geraumer Zeit (quasi als Entwicklungshilfe) an der Evangelischen Akademie Hofgeismar die Langzeitfortbildung „Clownerie in Kirche und Gemeinde“. All das lässt hoffen. Freilich sind in protestantisch geprägten Regionen ritualisierte Zeiten der Komik wie Karneval (Fasnacht) ein eher randständiges Phänomen. Jahr für Jahr gibt es in einschlägigen kirchlichen (protestantischen) Publikationen zudem eine heftige, für den Betrachter eher trübsinnige Diskussion, ob Karneval für Christen zuträglich sei. Man muss kein eingefleischter Jeck sein, um dahinter ein tiefersitzendes Problem evangelischer Provenienz zu erahnen. Nicht Riten zählen, sondern das Wort. Wiederum wird das Wesentliche, das Eigentliche eingefordert, gar das Authentische – also just das, worum es bei der Komik, beim Humor, beim Lachen eben nicht geht: Spiel, Mehrdeutigkeit. Wenn, dann wird hier das Wesentliche auf Umwegen angesteuert. So gesehen könnte zu seinem Gedeihen der Humor im Protestantismus nur mit einem dürren Boden rechnen.

VI.

Eleutherius – zum Humor befreit

Diese Zwischenbilanz ist auf den ersten Blick dazu angetan, alle Hoffnung auf evangelischen Humor zu dämpfen. Das Beharren auf dem Eigentlichen, Unmittelbaren, Authentischen – und dies aus explizit theologischen Gründen – könnte das zarte Pflänzchen Humor im protestantischen Milieu ersticken. Und doch gibt es ihn, den protestantischen Humor. Im Folgenden werden (passend zur Reformationsdekade) einige Beispiele aus der Feder Martin Luthers dargelegt. Andere

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188 Namen – wie Hanns Dieter Hüsch6 oder der des anglikanischen Pfarrers und großen Dichters Laurence Sterne7 – könnten ebenso fallen. Hierbei fällt auf, dass sich Form und Inhalt dieser Komik Individuen und ihrer Sprachgewalt verdankt und nicht einem Milieu, einem größeren sozialen Gefüge. Auch ist sie nicht (und wenn, dann eher selten) auf religiöse Themen oder die Kirche bezogen. Die Komik, welche solche Protagonisten entfalten, erwächst evangelischer Freiheit, der Freiheit, die das Evangelium ermöglicht. Insofern hat es diese Form des Humors stets mit dem „Humanum“, dem „Menschlichen“ zu tun, wobei das „Menschliche“ sowohl in seiner deskriptiven Bedeutung („menschlich, allzu menschlich“) wie in seiner ethischen Dimension (Humanität) zu verstehen ist. „Evangelisch“ mag hier gewiss nicht unbedingt konfessionell begrenzt sein; im Folgenden wird der als evangelisch identifizierte Humor freilich an drei Beispielen Martin Luthers demonstriert. Als Frucht seiner Reformatorischen Erkenntnis nannte sich der Augustinermönch Martinus Luder fortan Luther, angelehnt an das Wort „Eleutherius“ (der Befreite).8 Dem solchermaßen sola fide und sola gratia Befreiten eröffnet sich ein freies Feld des Humors – in Form und Inhalt. Es sei noch einmal an Plessners Beschreibung des Humors erinnert: „Überall da, wo die Schwere vom Menschen genommen ist, die Perspektive sich weitet, gewinnt er die Leichtigkeit des Abstands zu seinesgleichen und den Dingen: In solchem abständigen Sich-Lösen werden die eigentlichen Quellen des Lachens: Scherz, Komik, Witz freigelegt“.9 Dieser Humor, der aus Feder freier, befreiter Subjekte erwächst, sei abschließend an drei Beispielen Martin Luthers, dargelegt.10 1.

Die Gabe der Selbstdistanz:

Brief Luthers an Katharina von Bora, die sich Sorge um die Gesundheit ihres Mannes macht (Eisenach, 16. Juli 1540). Meiner Gnädigen Jungfer Katharin Lutherin von Bora und Zülsdorf zu Wittenberg, meinem Liebchen. G. und F. Meine liebe Jungfer und Frau Käthe! Euer Gnaden sollen wissen, dass wir hier (Gott lob) frisch und gesund sind, fressen wie die Böhmen (doch nicht sehr), saufen wie 11 die Deutschen (doch nicht viel), sind aber fröhlich ...“.

6

Etwa Hüschs Buch mit dem programmatischen Titel: Das Schwere leicht gesagt, Freiburg 2008.

7

Zu Sterne etwa Nietzsches luzide Charakteristik: „Der freieste Schriftsteller“, in: Menschliches, Allzumenschliches, Band 2, Vermischte Meinungen und Sprüche, Aphorismus 113 (1879), in: Nietzsche Source DIGITAL CRITICAL EDITION (eKGWB), VM 113.

8

Hierzu Schilling, Martin Luther, Rebell in einer Zeit des Umbruchs, München 2013, hier das Kapitel „Eleutherius – die Geburt des freien Luthers“ S. 144–177.

9

Plessner, Weinen und Lachen, S. 280 (s. Anm. 4).

10

Anschauliche Belege bei Sparn (Hrsg), Martin Luther, Aus rechter Muttersprache, Frankfurt am Main, 1983.

11

Sparn, aaO, S. 155.

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2.

Die Gabe der Parodie (amtlicher, auch juristischer Sprache) „Eine Schrift oder Klage der Vögel an D. Martinus Luther über Wolfgang Sieberger, seinem Diener: „Wir Drosseln, Amseln, Finken, Hänflinge, Stieglitze ... lassen Eure Liebe wissen, dass … Euer Diener sich eines frevelhaften Übermuts unterstanden und einige alte … Netze … gekauft habe, um damit einen Finkenherd einzurichten; und dass er uns allen die Freiheit, in der Luft zu fliegen und auf Erden Körnlein zu lesen, von Gott uns gegeben, zu wehren vor hat. Dass er zudem unserm Leib und Leben nachstellt, obwohl wir doch gegen ihn gar nichts verschuldet noch solch ... tückischen Übermut ... verdienet haben.“

Ende: „Gegeben in unserem himmlischen Sitz unter den Bäumen unter unserm gewöhnlichen 12 Siegel und Federn“

3.

Bei aller Freiheit – jenseits von Eigentlichem und Vermitteltem: Bleibende Warnung an die Spezies „Autor“ gleich welcher Profession

Aus der Vorrede zur Wittenberger Ausgabe seiner deutschen Schriften (1539): „Fühlst du dich aber und lässt dich dünken, du habest es gewiss und kitzelst dich mit deinen eigenen Büchlein, deinem Lehren und Schreiben, als habest du es sehr köstlich gemacht und trefflich gepredigt, und gefällt es dir auch sehr, dass man dich vor anderen lobe, willst vielleicht auch gelobt sein und würdest sonst traurig sein oder es bleiben lassen: Bist du der Art, Lieber, so greif dir selber an deine Ohren, und greifst du recht, so wirst du ein schönes Paar großer, langer haariger Eselsohren finden. So wage vollends die Kosten und schmücke sie mit goldenen Schellen, damit man dich hören könnte, wo du gehst, mit Fingern auf dich weisen und sagen: ‚Seht, seht, da geht das feine Tier, das so köstliche Bücher schreiben und trefflich wohl predigen kann!‘“13

Wolfgang Thaenert directori optimo et modesto – ad multos annos!

12

Sparn, aaO, S. 55 ff.

13

Sparn, aaO, S. 24.

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Kleine Theologie des Radios: Der Glaube kommt aus dem Hören Martin Hein

I.

Der Glaube hört und spricht

Das ist die Grunderfahrung des Glaubens: Der unsichtbare Gott lässt sich hören. Das Ohr ist das Organ der Begegnung. Der Evangelist Johannes fasst die gesamte biblische Geschichte in einem Prolog zusammen, der mit den berühmten Worten beginnt: „Am Anfang war das Wort“. Und er endet mit der bemerkenswert klaren Aussage: „Kein Mensch hat Gott jemals gesehen. Nur der Eine, der selbst Gott und Stellvertreter des Vaters ist – der hat uns über ihn Auskunft gegeben“ (Johannes 1,18). Der Glaube ist ein medial vermitteltes Geschehen zwischen Ohr und Stimme. Der Glaube spricht, weil er hört. Das Evangelium ist narrativ, denn es erzählt eine Geschichte, und darum ist es sprachlich und worthaft. Das Wort Gottes, das im Evangelium zur Sprache kommt, ist nicht einfach eine Information über Sachverhalte, sondern ein wirkmächtiges Wort, das unser Leben verändert, indem es uns Gottes Liebe und Gnade, Versöhnung und Heil zusagt und uns sprechend und erzählend „hineinwebt“ in das Geschehen. Es begegnet uns daher als „Gewebe“, als „Text“, und ist auf Erzählen, also auf Sprechen hin angelegt. Und für diese Geschichte gilt, was Hans-Dieter Hüsch als Überschrift seiner Autobiografie gewählt hatte: „Du kommst auch drin vor!“ Genau das ist gemeint, wenn die Kirche von „Verkündigung“ spricht. Verkündigung ist – modern formuliert – ein performativer Sprechakt, der im Vollzug des Sprechens ins Werk setzt, was er sagt. Er wirkt ein auf die Hörenden und die Sprechenden, die immer zuerst Hörende sein müssen, indem er sie einbezieht in das Geschehen zwischen Gott und Mensch. „Der Glaube“, so resümiert Paulus, „kommt aus dem Hören“ (Römer 10.17), und Luther übersetzt, um den performativen Aspekt stark zu machen, ganz konkret: „Der Glaube kommt aus der Predigt.“ Glaube ist medial vermittelt, Verkündigung ist Glauben stiftende Rede von Gott. Reden und Hören sind zwei Seiten einer Medaille. Man kann es auch andersherum sagen: Das Ohr ist das Organ des Glaubens. Der Glaube kommt nicht aus dem Schauen. Er ist keine „Theorie“ im strengen Sinne des griechischen Wortes und wird nicht aus einem tieferen „Einblick“ in die Wirklichkeit gewonnen, sondern umgekehrt eröffnet der Glaube einen tieferen Einblick durch das Gehörte. Er ist keine visuelle Inszenierung, sondern dem Bild gegenüber eher misstrauisch: Allzu leicht verführt das Bild dazu, unkritisch zu glauben, was man sieht – ein Grundproblem der visuellen Medien bis heute. Groß ist die Gefahr, das Bild mit dem Abgebildeten zu verwechseln und am Ende das Falsche anzubeten und für wahr zu halten. Das Bild zeigt

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immer die Oberfläche, zeigt immer Materielles. Am Anfang der biblischen Glaubenserfahrung außerhalb des Paradieses stehen keine Visionen, sondern Hörerlebnisse. Schon das lenkt das Interesse auf das Radio: Es scheint das Medium zu sein, das besonders für das Anliegen des Glaubens geeignet ist – und zwar nicht allein aus pragmatischen, sondern auch aus theologischen Gründen.

II.

Die Bedeutung des Radios für die Verkündigung

Die Radioarbeit ist zu einem wesentlichen Bestandteil des öffentlichen kirchlichen Verkündigungsauftrages geworden und die Gesetzgeber in Bund und Land haben dafür gesorgt, dass dies auch geschehen kann. Das so genannte Drittsenderecht räumt den Kirchen und öffentlich-rechtlichen Glaubensgemeinschaften garantierte Sendezeiten ein. Wie stark die Hochschätzung des Gesetzgebers gegenüber dieser Tätigkeit der Kirchen ist, zeigt sich daran, dass auch bei der Entwicklung des dualen Systems, also bei der Einführung des Privatfunks, das Drittsenderecht eingeräumt wurde. Nicht nur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, auch im privaten Rundfunk sind kirchliche Sendungen ein wichtiges Element des Programms. Dabei legen alle Kirchen großen Wert darauf, dass die Verkündigung – gegenüber Magazinen oder anderen Sendeformaten – den Kern der kirchlichen Aktivitäten im Rundfunk bildet. Die Arbeit der Kirchen in den Medien und insbesondere im Radio ist also alles andere als eine bloße Pflichtübung oder eine nolens volens mit zu bedenkende Form der Öffentlichkeitsarbeit, sondern vielmehr ein genuines Anliegen, das sich theologisch reformulieren lassen muss. Rezeptionsästhetische, soziologische und neurobiologische Untersuchungen zum Medienkonsum und zur Medienwirkung gibt es hinreichend. Die Rundfunkanstalten und – für den Privatfunk – die jeweiligen Betreiber sorgen dafür, dass ihre Arbeit regelmäßig auch unter diesen Gesichtspunkten evaluiert wird. Die Kulturphilosophie begleitet die Medien spätestens seit Walter Benjamins wegweisenden Ausführungen über „Das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit“ entweder kritisch oder affirmativ und selbst die Pädagogik hat, wenn auch spät, die elektronischen Medien als ihr Untersuchungsfeld entdeckt. Demgegenüber ist die Theologie bei diesen Fragen über medienethische oder homiletisch-praktische Fragestellungen nicht hinausgekommen. Man wird sagen können: Das Radio lebt. Es lebt sogar mehr denn je. Fernsehen und Internet haben das Radio keineswegs verdrängt, wie es in einem Popsong aus den 80er Jahren hieß: „Video Killed the Radio Star“. Im Gegenteil! Das Radio hat sich ausdifferenziert, ist klein- und kleinstteilig geworden bis hin zum Bürger- und Veranstaltungsradio; Spartensender bedienen jede noch so kleine Nische von Hörgewohnheiten und Musikgeschmack. Radio im Internet hat eigene Formen von interaktiver Programmgestaltung entwickelt, die den Tonträgermarkt in Nöte bringen und sich mit den sozialen Netzwerken zu verbinden beginnen. Es hat den Tagesbeginn und den Tagesverlauf besetzt, dient als „Kompagnon“, als primäre, immer noch besonders schnelle Informationsquelle und vor allem als Unterhaltungsmedium – bis hin zur „Klangtapete“, die das 192

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Radio zum Teil des Interieurs macht. Nicht übersehen darf man zudem das Auto als Ort des Radiohörens. Und jedes Smartphone, jedes Mobiltelefon, jeder MP3-Player ist ein Radio und wird auch als solches genutzt. Durch Internet, Telefon, SMS und Twitter ist das Radio interaktiv geworden, wie es das Fernsehen so nie wird sein können. Und gerade im Radiosektor haben die privaten Anbieter ein eigenes Profil und treiben die multimediale Verankerung des Radios voran. Nicht immer wird das mit Begeisterung betrachtet, weil der Sog der Kommerzialisierung zu einem Qualitätsverlust führen kann, vor allem was die Balance zwischen Wort und Musik betrifft. Aber zumindest in Hessen sind die Kirchen auch im Privatfunk gut und – man muss immer wieder einmal daran erinnern – sogar erwiesenermaßen preiswürdig präsent. Es hat also Gründe, sich auch theologisch mit dem Radio zu befassen und es als Medium der Verkündigung in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken. Denn mit keinem Medium erreichen wir mehr Menschen gleichzeitig; und über die verschiedenen Radioformate erreichen wir so unterschiedliche Menschen wie mit keinem anderen Medium. Was also ist aus theologischer Sicht zum Radio zu sagen?

III. Das Radio: Anthropologie und Theologie 1.

Die Stimme des Menschen

Der oben schon zitierte Vers des Apostels Paulus ist ein Spitzensatz vor allem der evangelischen Theologie: „Der Glaube aber kommt aus dem Hören, das Hören aber aus Jesus Christus“ (Römer 10,17). Hören ist ein physiologischer Vorgang, Hören hat ein materielles Substrat: den Schall. Dem korrespondieren ein Sinnesorgan, das Ohr, und ein schallerzeugendes Organ, die Stimme. Wir sind mit dem Satz des Paulus also im Kern des Humanen. Das hat seinen Grund in der Menschwerdung Gottes: Nach christlicher Überzeugung ist er in Jesus Christus auch Stimme und Ohr geworden. Stimme und Ohr, Sprache und Verstehen machen uns zu Menschen. Der Mensch ist ein „Vernehmender“, und so nennt er den Kern der Persönlichkeit die „Vernunft“. Der Mensch ist ein „verstehender“, und so nennt er das Sammelorgan des Geistes den „Verstand“. Und selbst der Begriff der „Person“ beschreibt ebenfalls eine akustische Grunderfahrung: Es ist die durch die Theatermaske hindurch tönende Stimme (personare), die den Menschen individuiert und ihn als Mensch unter Menschen situiert. Wie elementar die Funktion der Stimme für die Wahrnehmung der Welt ist, zeigt sich auch daran, dass wir sofort merken, wenn etwas „nicht stimmt“; und wir sind „verstimmt“, wenn unsere Ordnung so oder so gestört wird. Man kann sogar sagen: Wenn etwas nicht „stimmig“ ist, klaffen Anspruch und Wirklichkeit oder Eindruck und Sachverhalt auseinander, dann kommt es nicht zum Ereignis der Wahrheit. Die nämlich ist eine Erfahrung der Übereinstimmung von Erlebtem und Gesagtem. Das Radio ist das Medium der Stimme. Und darum ist dem Radio eine ganz eigene Authentizität zu Eigen. Denn die Stimme eines Menschen ist so individuell wie der Fingerabdruck. Wir können über die Stimme feinste Nuancen ausdrücken, wir hören aber auch feinste Nuancen der Stimme. Die Stimme ist – weit mehr als Gesicht, Körperhaltung oder Gesten – Ausdruck des Inneren. Im Theater wird mit dem Körper inszeniert und, wenn man so will, der Schein erzeugt. Aber die Stimme bleibt stets authentisch. Große

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Schauspieler sind immer zuerst große Sprecher. Als der Stummfilm durch den Tonfilm abgelöst wurde, endeten viele Schauspielerkarrieren, weil die Stimme nicht passte. Wir hören, zum Beispiel beim Telefonieren, sehr genau, ob jemand beim Reden lächelt; wir hören, ob die Stimme fest ist oder bebt. Darüber teilen sich Emotionen sehr unmittelbar mit. Wenn Menschen lügen, ändert sich die Stimme, und je besser wir einen Menschen kennen, umso weniger wird es ihm gelingen, uns zu täuschen (vorausgesetzt, wir täuschen uns nicht in dem, was wir von ihm zu kennen meinen). Verstellte Stimmen erkennen wir als verstellte Stimmen. Wiederum können gut trainierte Sprecher als Vorleser ganze Theaterstücke allein mit der Stimme so inszenieren, dass die einzelnen Rollen klar zugeordnet sind. Wir reagieren irritiert, wenn wir an der Stimme hören, dass der Sprechende nicht sagt, was er denkt. Eine von Trauer gebrochene Stimme kann in uns selbst tiefe Trauer auslösen. Das ist inzwischen auch neurophysiologisch erhärtet und geklärt. Es gibt im Gehirn einen Bereich, der genau darauf abgestimmt ist, aus Klang und Geste des Gegenübers die Gefühle zu extrahieren und als eigene Gefühle zu vermitteln: die so genannten Spiegelneuronen. Das macht das Radio, wie das 20. Jahrhundert gezeigt hat, aber auch gefährlich: Adolf Hitler und vor allem Josef Goebbels waren vornehmlich als Stimmen präsent und erzeugten mit deren ungezügeltem, suggestivem Einsatz fatale Wirkungen. Die Stimme ist das zutiefst menschliche Organ insofern, als dass Tieren eine Sprechstimme nicht zukommt. Raben, Papageien und andere Vögel, die Stimmen imitieren, tun es, wie sie auch andere Geräusche imitieren. Ihre Stimme und ihr Sprechen sind nicht semantisch. Andere Tiere, denen wir ein Bewusstsein und sogar den Gebrauch von Zeichen zugestehen, vor allem also Primaten, können gleichwohl keine Wörter artikulieren, weil ihnen dazu die physiologischen Voraussetzungen fehlen. Mit anderen Worten: Tiere können – vermenschlicht – Videostars werden, aber keine Radiostars. Das Radio entpuppt sich als das „menschlichste“ elektronische Medium, weil es von der Stimme lebt. 2.

Die Stimme Gottes

Biblisch zeigt sich die hohe Bedeutung der Stimme darin, dass auch Gott eine Stimme und damit Individualität zugeschrieben wird. Die Bibel ist – aus gutem Grund – mit Anthropologisierungen sehr zurückhaltend. Zwar wird vom Arm, der Hand, dem Auge und Antlitz Gottes gesprochen, aber es bleibt deutlich eine metaphorische Rede. Anders ist es dort, wo von der Stimme die Rede ist. Wenn Gott spricht, ereignet sich inhaltlich gefüllte Offenbarung. Es wird etwas schöpferisch ins Werk gesetzt. Der jüngere Schöpfungsbericht (1. Mose 1,1–2,4a) erzählt das in geradezu poetischer Verdichtung: Gott schafft die geordnete Welt aus dem Chaos, indem er spricht. Und die ungeordnete Welt hört und gehorcht und ordnet sich. Die Stimme Gottes ist der erste Klang der Schöpfung, noch bevor das Licht scheint: Es wird von der Stimme zuallererst ins Sein gerufen. Die Welt ist ganz Ohr. Bemerkenswert für eine Theologie der Stimme und des Ohres, mithin des Radios, ist auch die bekannte Erzählung vom brennenden Dornbusch (2. Mose 3): Mose lebt im Exil auf der Halbinsel Sinai, weil er einen ägyptischen Aufseher erschlagen hat. Seine Situation ist prekär, aber er hat sich arrangiert. Als Schwiegersohn eines Priesters und 194

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wohlhabenden Kleintierzüchters hütet er im gebirgigen, wüstenhaften Süd-Sinai die Schafe. Als sich ein Schaf verläuft, sucht Mose es und steht plötzlich und unvermittelt vor dem, was als „brennender Dornbusch“ eines der bekanntesten biblischen Motive geworden ist. Dieses Phänomen ist als solches noch nicht göttlich. Mose erschrickt nicht und wird auch von keinem heiligen Schauer ergriffen: Vielmehr packt ihn die Neugier. Das so genannte Elmsfeuer, ein elektrostatisches Phänomen, ist Wüstenbewohnern durchaus vertraut, wenn auch vielleicht unheimlich gewesen. Doch dann ertönt aus dem Busch eine Stimme. Nicht der brennende Busch, sondern die Stimme begegnet Mose als Offenbarung. Sie spricht ihn bei seinem Namen an und Mose fragt gar nicht zurück, sondern antwortet sofort mit der Gehorsamsformel: „Hier bin ich.“ Er hat verstanden, was geschieht, als er seinen Namen hört. Die Anrede an ihn gipfelt in der Selbstvorstellung Gottes: „Ich bin, der ich sein werde.“ Gottes Offenbarung findet nach biblischem Verständnis exklusiv im Medium der Sprache statt, die sich als Stimme manifestiert. Hier ist eine Urszene des Glaubens geschildert, und sie erinnert doch zugleich an die Situation des Radios: Die pure Stimme ist Träger und Ausweis der Botschaft, das Visuelle ist bloß Aufmerksamkeitsreiz, der zur Erfassung dessen, was Gott ist und will, keinerlei Beitrag leistet. Die Stimme ist – als körperliches Phänomen – zugleich unkörperlich. Sie ist unsichtbar, aber nicht immateriell, und das macht sie tauglich zum Organ der Offenbarung. 3.

Die Inkarnation als Geschehen der „Stimmwerdung“

Auch die Offenbarung Gottes in Jesus Christus wird als Annahme einer Stimme verstanden. Die Evangelien verschleiern dies scheinbar ein wenig, weil sie als Erzählungen sozusagen auf bildhafte Narrativität setzen. Gleichwohl ist ihnen die Erzählung nur Rahmen des Wortes. Jesus wird als Sprechender in Szene gesetzt. Details, die zur Visualisierung taugen, gibt es kaum – sie sind zum Verständnis des Geschehens nicht nötig, es sei denn, sie sind, wie in den Gleichnissen, Metaphern oder Symbole. Schon das Johannesevangelium kämpft mit seiner Polemik gegen den oberflächlichen Wunderglauben mit seiner Eigendynamik des Visuellen und Spektakulären. Die Evangelien zu verfilmen zeigt sich immer wieder als schwierige Aufgabe, wenn es kein visueller Kitsch werden soll. Als Hörbücher hingegen entfalten die Evangelien große Intensität. Sie sind Partituren, keine Drehbücher. Bei Paulus, der zeitlich den Evangelien vorausgeht und eine frühere, unmittelbarere Form der Christuserfahrung berichtet, ist das Visuelle völlig sekundär. Die entscheidende Erfahrung des Paulus war eine Stimme, die zu ihm sprach. Lukas überliefert die Szene der lebenswendenden Berufung gleich dreifach, und zwar in durchaus widersprüchlicher Inszenierung (Apostelgeschichte 9, 21 und 26). Immer aber ist es die Stimme, die den Zusammenbruch und später die Neuorientierung des Paulus bewirkt. Und er hat sie als fremde, als äußere Stimme erlebt. Bezeichnenderweise erblindet Paulus aufgrund der Begegnung mit Christus für drei Tage, bis er durch die Taufe wieder sehend wird: Er gewinnt durch das Wort eine neue Perspektive auf die Welt.

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Das spiegelt sich dann theologisch in seinem Spitzensatz wieder, dass der Glaube aus dem Hören kommt, und das Hören von Christus. Was so theoretisch klingt, ist – wie alle gute Theologie! – verarbeitete Erfahrung. Dieser Gedanke durchzieht auch das Johannesevangelium. Indem die Stimme das Organ der Offenbarung ist, in der sich das Geheimnis der Inkarnation Jesu fokussiert, behält die Offenbarung ihre Körperlichkeit, wird also nicht durch irgendwelche Geisterfahrungen spiritualisiert, zugleich aber wird die Immaterialität dessen, worum es im Glauben geht, durchgehalten. So antwortet Jesus dem Statthalter Pilatus: „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme“ (Joh 18,37). Jesus ist der „erste Sprecher“, und der Geist, der heute an seiner Stelle spricht, spricht mittels der Stimmen von Menschen, die das Zeugnis der Heiligen Schrift weitergeben und auslegen. Wenn man so will: Hinter dem Mikrofon sitzt immer ein hörender Mensch – und am Ende der Kette der menschgewordene Gott selbst. Wie gesagt: Stimme und Ohr sind die Medien des Glaubens, nicht das Auge. Das Wort interpretiert das Gesehene, das Visuelle spricht nicht für sich und bleibt mehrdeutig und kann sogar das Gesagte überlagern. Das kulminiert im Kreuz Jesu Christi, an dem sich visuelle Botschaft und Deutung kreuzen. Dass das Kreuz nach christlicher Auffassung der Ort des Heils ist, erschließt sich einzig über das Ohr. Zu sehen ist nur ein Mensch, der am Kreuz stirbt. Der Glaube lebt nicht aus dem Sehen, sondern aus dem Hören. Gott spricht, wir hören, und indem wir sprechen, bezeugen wir, was wir gehört haben. Das ist der tiefe theologische Kern der Aussage, dass Verkündigung ein performatives Geschehen ist und das Radio das besonders dafür affine Medium. 4.

Die Radiogemeinde

Luther übersetzte den Spitzensatz des Paulus interpretierend: „Der Glaube kommt aus der Predigt.“ Er tat dies, um den gottesdienstlichen Charakter der Verkündigung zu betonen: dass der Glaube immer in eine Gemeinschaft ruft und dass Jesus seine „stimmliche“ Gegenwart genau dann verheißt, wenn zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind. Was für eine Gemeinde ist dann aber die durch das Radio versammelte Gemeinde, bei der – im Regelfall jedenfalls – eher Einzelne zuhören? Sie ist jedenfalls nicht Gemeinde im umfassenden Sinn. Denn die meint die tatsächlich (also körperlich) anwesende Versammlung. Die Radiogemeinde ist demgegenüber eine „Ad-hoc-Gemeinde“, die im Hören auf Gottes Wort und im Gebet versammelt ist. Dieser Gedanke ist wichtig, damit deutlich wird, dass die Verkündigung im Radio vollgültige und „wirksame“ Verkündigung ist und nicht nur ein Surrogat für Zeiten der Abwesenheit, Krankheit oder Verhinderung des Gottesdienstbesuchs darstellt. Allerdings muss aus Sicht evangelischer Theologie deutlich gesagt werden, dass das Ziel auch der Radioverkündigung immer die Stärkung der Gemeinde vor Ort sein sollte und, wenn sie recht geschieht, sein wird. Kann das Wort Gottes im Radio missionarisch ausgerichtet sein? Das ist die Folgefrage, die sich aus dem eben Überlegten stellt. Nicht alle, die Radio hören, sind getaufte Christen. Die Radioandacht aber erreicht – wahrscheinlich von allen Medien am stärks196

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ten – gerade auch die, die der Kirche fernstehen. Es wäre sicher verfehlt, die missionarische Absicht zur Grundlage der Radioandacht zu machen, doch ebenso falsch wäre es, diese Gelegenheit von vornherein auszublenden. Die Verkündigung ist dann missionarisch, wenn sie im Kontext von Unterhaltung und Information überzeugt, nicht wenn sie überredet. Und schließlich mag man sich fragen, was mit gehörlosen Menschen ist. Sie sind in aller Regel keine Radiohörer. Aber wenn sich das Ohr so deutlich als privilegiertes Organ der Glaubenskommunikation zeigt, sollte diese Frage wenigstens bedacht werden. Man muss sich gerade an diesem Fall klar machen, dass das Wort nicht nur als gesprochene Sprache auftreten kann, sondern auch über andere Medien in Erscheinung tritt. So sind ja die Sakramente als Nachinszenierung der biblischen Urszenen Taufe und Abendmahl „verbum visibile“, sichtbares Wort. Und sehr interessant ist unter dieser Perspektive die Möglichkeit des Fernsehens, die Gebärdensprache zu verwenden und damit dem Wort in seiner eigentlichen Gestalt Raum zu geben. Aus der Beschäftigung mit der Gehörlosensprache kann man gerade für die Rundfunkarbeit lernen: Als körperliche Ausdruckshandlung ist die Stimme gestisch. Sinneswahrnehmungen sind keine rein passiven Widerfahrnisse. Hören ist eine aktive Tätigkeit. Die Rezeptionsforschung zeigt, dass die Signale, die aus der Fülle dessen, was das immer offene Ohr erreicht, ausgefiltert werden, vom Gehirn bereits in Analogie zu bekannten Erfahrungen nach einer Hierarchie von Wichtigkeit und Bedeutung „aufbereitet“ werden. Man hört nur, was man weiß, sagt eine alte Weisheit, und neurophysiologische Untersuchungen belegen, dass wir zur Aufnahme von wirklich Neuem eine immense Leistung vollbringen müssen. Nur ständige Wiederholung eines Reizes in standardisierten Kontexten macht ihn für uns auf Dauer wiedererkennbar und wird als „Wissen“ abgespeichert. Hörende konstruieren aktiv auf Grund ihrer Erfahrungen die Welt, die sie hören. Deutlich ist also, dass Verkündigung kein einseitiges, rein absenderorientiertes Geschehen ist. Ganz wesentlich ist die Hörerorientierung. Aus theologischer Sicht ist diese Ausrichtung geradezu notwendig. Sie ergibt sich aus der Menschwerdung des „ewigen Wortes“, dass sich im Akt der Inkarnation in die Bedingungen des menschlichen Lebens begibt, um hier gehört und geglaubt werden zu können. Es wird „menschenförmig“, ist also von seinem Ursprung her hörerorientiert. Dahinter steht das Zutrauen, dass sich das Wort Gottes seine Hörer schafft, weil es sich durch alle Hörgewohnheiten hindurch Gehör verschafft. Verkündigung ist also kein einliniges, sondern ein bilaterales, dynamisches Geschehen. Die einfache Unterscheidung zwischen „Sender“ und „Empfänger“, die manchen schlichten Kommunikationsmodellen immer noch unausrottbar zu Grunde liegt, ist passé. Das gilt auch für das Radio: Die Hörenden bestimmen das Programm mit – und zwar als imaginierte Zuhörer im Kopf der Sprechenden. Aus theologischer Sicht kommt es nun darauf an, die Hörenden als die von Gott Angesprochenen (Eberhard Jüngel) zu imaginieren. Somit schließt sich der Kreis: Die Stimme teilt, gerade in ihrer radiohaften Unmittelbarkeit, untäuschbar mit, welche Haltung die Sprechenden haben. Nur aus einer Haltung

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der Zuwendung und der Solidarität heraus kann Verkündigung wirksam sprechen und sich auf eine Kommunikation der Überzeugung einschwingen.

IV.

Das Wort Gottes im Radio

Religion, so sagt man bisweilen im Gefolge von Niklas Luhmann recht verkürzend, diene der „Reduktion von Komplexität“. Das wird dann – auch in der Kirche – dahin gehend missverstanden, als sei es Aufgabe des Glaubens, zu elementarisieren und nötige Orientierung in einer Weise zu bieten, dass er das Leben erleichtere und einfache, schnelle Lösungen oder Lösungsstrategien anbiete. Das aber ist nicht die Perspektive des Glaubens auf sich selbst! Er verkompliziert vielmehr die Sicht auf die Wirklichkeit, indem er sie um die Perspektive Gottes erweitert und damit ein Angebot macht, das Leben komplett neu und anders zu verstehen und auf Fülle und Tiefe hin zu begreifen. Gerade im Kontext des privatisierten Rundfunks, der sehr stark auf Unterhaltung setzt und von der Werbung lebt, kommt daher der Verkündigung eine besonders wichtige Aufgabe zu: Im Rahmen der vorgegebenen kurzen Wortformate das Wort Gottes zu Wort kommen zu lassen, ist eine Kunst, die theologische Einsicht, fundierte Kenntnis der Welt und eine geklärte innere Gewissheit voraussetzt. Denn all das transportiert die Stimme im Radio so ungeschützt, aber darum eben auch authentisch wie in keinem anderen Medium (die Telefonseelsorge ausgenommen). Nicht jede kirchliche Sendung wird alle ansprechen, selbst wenn sie für alle Hörenden konzipiert ist. Und ob sie überzeugt und Glauben findet, ist letztendlich der eigenen Verfügung entzogen. Aber das ist ja nicht nur bei Verkündigungssendungen der Fall, sondern betrifft wohl alle mediale Vermittlung. Die Kirchen sind dankbar für die Möglichkeit, im Kontext von Unterhaltung, Infotainment und schnellem Wechsel, der das Radio heute prägt, die Stimme Gottes zu Gehör bringen zu können: als heilsame Unterbrechung des Alltags. Aber sie wissen zugleich, welche Herausforderung diese Möglichkeit bedeutet – und stellen sich ihr bewusst unter den Bedingungen, die das Radio setzt. Denn es ist das am meisten „theologische“ Medium.

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I like Radio Viraler Radio-Content in sozialen Netzwerken Stephan Ory Rundfunkregulierung wird vielfach als Fernsehregulierung missverstanden. Nicht so bei Wolfgang Thaenert, der in Hessen und bei seinen vielfältigen bundesweiten Aktivitäten immer daran dachte, dass die Welt aus dem Blickwinkel der Radiomacher ein wenig anders aussieht als aus der Perspektiven der TV-Anbieter. Der Aussage in der Überschrift „I like Radio“ wird Thaenert also nicht widersprechen. Das Radio „mögen“ viele Menschen. Im Internet wird „geliked“. Wer aber beispielsweise beim Autofahren eine interessante Lokalnachricht oder eine witzige Moderation findet, tut sich ausgesprochen schwer mit dem Like-Button. Demselben Inhalt im Internet würde man vielleicht spontan per Mausklick die neuzeitliche Form des öffentlichen Applaus spenden. Auch ist der Hinweis an andere nach dem Muster „Hast du das vorhin im Radio gehört, das war doch interessant?“ nach der Ankunft im Büro allenfalls an die zufällig im selben Raum Anwesenden möglich. Bei Online-Inhalten hingegen geht der Hinweis an die gesamte Community im sozialen Netzwerk und kann dort von den eigenen „Freunden“ auch später noch einmal „geteilt“ werden – die Information wird „viral“, sie verbreitet sich wie von selbst im Netz weiter. Im Kern reden wir über den Übergang vom linearen zum nicht-linearen Inhalt des Mediums Radio. Der Jurist assoziiert bei der Unterscheidung zwischen linearen und nicht-linearen Inhalten trennende Abgründe – etwa jenen zwischen Rundfunk und Telemedium (instruktiv, wenngleich nicht selbsterklärend: § 2 Abs. 1 RStV) oder zwischen Sendung (§ 20 UrhG) und öffentlicher Zugänglichmachung (§ 19a UrhG). Die Anregung, sich – jedenfalls zunächst einmal – in anderer Weise als juristisch dem Thema zu nähern, kam auf dem „Radio Hack Day“ im Sommer 2012 in Berlin. Es traf sich eine recht überschaubare Zahl von jungen Menschen, die die Überschrift dieses Beitrages „I like Radio“ sofort teilen und zwar nicht nur in ihrem Facebook-Account oder über Twitter. Knapp drei Tage wollten gegeneinander antretende Gruppen von Programmierern etwas coden, was irgendwie mit dem Radio zu tun hat. Eine fünfköpfige Jury brauchte am Ende nicht allzu lang, um das Projekt Snippets als Sieger zu küren – völlig zu Recht.

I.

Snippets, wie geht das?

Zwei junge Programmierer haben in ihrem Projekt eine App für das iPhone gebaut, mit der man in seinem Radioprogramm sozusagen zurückspulen kann bis zu der Stelle, die einem so gut gefallen hat. Wie bei der Aufnahmefunktion mit dem eingebauten Mikrofon des Smartphones bekannt, markiert man diese Stelle und kopiert dieses Snippet in den Speicher des Smartphone. Der Rest ist für den geübten Programmierer schnell ge-

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200 macht. Beispielsweise Facebook oder Twitter stellen APIs1 zur Verfügung, um dieses Snippet als Audio-Content im eigenen Account mitzuteilen. Der Sprung vom linearen zum nicht-linearen Content ist geschafft. Die technische Lösung der prämierten Lösung ist durchdacht. Der App-Anbieter zeichnet den Audio-Stream des Radioprogramms selbst auf. Wer die interessante Stelle aus dem gelikten Radioprogramm mitteilen möchte, kann also in aller Ruhe in der Handtasche kramen, um das Handy zu suchen, und die App starten. Vom Server des AppAnbieters wird ein Ausschnitt des Streams – jeweils die letzten x Minuten je nach Voreinstellung des Servers – in den Speicher der App geladen, wo man dann zurückspulen und die Stelle suchen kann, die man als Snippet herauskopiert und in die sozialen Netzwerke schicken möchte. Den beiden jungen Programmierern war durchaus bewusst, dass hier eine Menge juristischer Fallstricke versteckt sind. Sie spekulierten bei ihrem Auftritt auf dem Radio Hack Day damit, dass Radiostationen auf ihre Idee aufmerksam werden und diese abkaufen. In eigene Apps der Radiostation integriert, wird der „Mitschnitt“ des laufenden linearen Programms auf dem eigenen Server des Radioanbieters möglich. So könnte er auch Steuersignale beifügen, die ein Snippet an der jeweiligen Stelle erlauben oder nicht, etwa wenn Tonträgermusik gesendet wird – ob der dafür notwendige Aufwand die Idee kaputt macht, soll hier nicht erörtert werden. So gesehen war das nicht nur eine prima Idee für einen Hack, sondern die Idee war auch mit einem Anwendungsmodell und sozusagen einem kleinen Rechtemanagement hinterlegt. Der Hack ist aber ein erstklassiges Beispiel um zu zeigen, wie urhebergesetzliche Verbotsrechte einer schönen Idee im Wege stehen können, die man in sozialen Netzwerken als völlig normal, sozusagen als Kulturgut empfindet.

II.

Betroffene Rechteinhaber an dem Snippet

Nehmen wir als Beispiel eine Morningshow in der Lieblingsstation unseres Nutzers „Absolut HitRadioFM“. Der Moderator kommentiert mit flotter Zunge irgendein aktuelles Thema, das auch im Internet und vor allem in sozialen Netzwerken behandelt wird. Dabei moderiert der Moderator, wie bei dem Formatradio üblich, über die „Ramp“, spricht also schon, während der vorangehende Musiktitel noch läuft. Und auch der nächste Titel läuft schon an, während der Moderator noch spricht. Unser User nimmt für seinen Ausschnitt also vom ersten Musikstück noch zwei Sekunden und auch von dem neuen Musikstück noch zwei Sekunden mit. Dieses ganze Snippet mit ein paar Sekunden Musik, dem Text des Moderators und der dabei unterlegten Musik wird ins Internet bei verschiedenen sozialen Netzwerken eingestellt, beispielsweise bei Facebook. Die beiden Musiktitel sind Werke der Musik (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 UrhG). Schöpfer und damit Urheber (§ 7 UrhG) ist der Komponist. In vielen Fällen sind mehrere Urheber am

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Application Programming Interface, Programmierschnittstelle.

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Werk, die mehrere Schöpfungen verbinden (§ 9 UrhG) oder eine gemeinsame Schöpfung hervorbringen (§ 8 UrhG). Die nächsten betroffenen Rechteinhaber sind die Interpreten der beiden betroffenen Musikstücke. Es handelt sich um ausübende Künstler im Sinne des § 73 UrhG, die das Musikwerk darbieten. Da die Musikstücke im Radio üblicherweise von CDs stammen, ist auch das jeweilige Label in seinen Rechten betroffen. Es geht um die Rechte der Hersteller von Tonträgern (§ 85 UrhG). Dann gibt es ja noch den Moderator. Seine flotte Formulierung kann als Sprachwerk des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG durchgehen, dessen Urheber er durch den Schöpfungsakt wird (§ 7 UrhG) – so wollen wir mit den Begriffen des hehren Urheberrechts das fröhliche Moderieren einmal nennen. Es handelt sich um eine persönlich geistige Schöpfung (§ 2 Abs. 2 UrhG), wenn so eine flotte Moderation erfolgt. Nach der Rechtsprechung führt eine durch die individuelle Gedankenführung geprägte sprachliche Gestaltung zum Urheberrechtsschutz. Nachrichtentexte werden in der Regel unter den Urheberrechtsschutz subsumiert. Bei Interviews bezieht sich der Schutz auch auf Fragen und Antworten. Die Länge des Textes ist nicht wirklich entscheidend. So ist das Zitat „mögen hätte ich schon wollen, aber dürfen habe ich mich nicht getraut“ von Karl Valentin bereits ein urheberrechtlich geschütztes Sprachwerk, sagt das Landgericht München I.2 Zwar handelte es sich „um kein umfangreiches Sprachwerk“, gerade mal zwölf Wörter zählten die Richter. Auch „kurze Wortfolgen sind indes einem Urheberrechtsschutz zugänglich, wenn sie sich durch eine fantasievolle Wortwahl oder Gedankenführung von üblichen Formulierungen abheben“, heißt es in der Urteilsbegründung. Und welcher Moderator will das nicht von sich behaupten, zumal bei einem Text, den ein Hörer so gut findet, dass das Snippet ins soziale Netzwerk gehört. Ohnehin sind die Anforderungen an den Urheberrechtsschutz nicht wirklich hoch. Im Zweifel hilft „die kleine Münze“. Eine schöne Beschreibung findet sich in der Kommentierung bei Schulze.3 „Sie ist […] überall dort zu finden, wo den Erzeugnissen die urheberrechtliche Schutzfähigkeit nicht sofort sichtbar auf die Stirn geschrieben steht und zweifelhaft ist, ob sie zu den gerade noch oder zu den schon nicht mehr geschützten Werken zu zählen sind“. Wenn die Datenbankrecherche nicht trügt, hat der Bundesgerichtshof den Begriff zuletzt in einer Entscheidung vom September 20124 im Zusammenhang mit der Schutzfähigkeit von Computerprogrammen benutzt. Das Gesetz kenne keine besondere schöpferische Gestaltungshöhe, „damit unterstellt es auch die kleine Münze des Programmschaffens dem urheberrechtlichen Schutz und lässt lediglich die einfache, routinemäßige Programmierleistung, die jeder Programmierer auf dieselbe oder ähnliche Weise erbringen würde, schutzlos“. Insofern beschreibt „die kleine Münze“ keine eigene Kategorie der persönlich geistigen Schöpfung, sondern lediglich die Untergrenze dessen, was als Individualität gerade noch vorliegen muss, um Urheber-

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LG München I, Urteil vom 8. September 2011 – 7 O 8226/11.

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Dreier/Schulze, UrhG, Komm., 4. Aufl., München 2013, § 2, Rn. 4.

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BGH, Urteil vom 20. September 2012 – I ZR 90/09 – UniBasic-IDOS, Rn. 24.

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rechtsschutz zu gewähren. Viel ist das nicht und der betroffene Moderator wird, wenn auch allenfalls hilfsweise hierauf verweisen. Und schon wird er geschützt wie Max Frisch, um mal ein Beispiel zu nennen. Schließlich ist das Sendeunternehmen, aus dessen Signal ein Snippet genommen wird, als Inhaber eines eigenständigen Leistungsschutzrechts nach § 87 UrhG zu nennen. Das über UKW abgestrahlte Programm ist sicherlich eine „Funksendung“, die als Sendung im Sinne des § 20 UrhG an die Öffentlichkeit gerichtet ist. Auch hier bezieht sich der Schutz nicht nur auf die gesamte Sendung, also das endlose Programm, sondern auch auf einzelne Teile.5 Wir haben es inzwischen also mit einem regelrechten Verein von Rechteinhabern zu tun, die von dem Snippet zumindest tangiert sind. Was geschieht also tatsächlich und welche Rechte sind jeweils betroffen?

III. Eingriffe in die bestehenden Rechte Die erste relevante Handlung ist die Aufzeichnung des Streams auf dem Server des App-Anbieters. Der Stream wird auf der Festplatte fixiert – auch Hard Disk genannt, die man nicht nur als „externe Platte“ abstöpseln und herumtragen kann wie eine CD-ROM oder einen USB-Stick. Es handelt sich also (jedenfalls für den Juristen) um eine körperliche Verwertung, die das Vervielfältigungsrecht betrifft (§ 15 Abs. 1 Nr. 1, § 16 UrhG). Das Vervielfältigungsrecht steht als ausschließliches Verwertungsrecht jedem Urheber zu, im vorliegenden Fall also den Musikkomponisten und dem Moderator. Aber auch die Leistungsschutzberechtigten haben das ausschließliche Vervielfältigungsrecht, so die ausübenden Künstler (§ 77 Abs. 2 S. 1 UrhG), der Tonträgerhersteller (§ 85 Abs. 1 S. 1 UrhG) sowie das Sendeunternehmen (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 UrhG). Der App-Anbieter speichert bei sich eine „Masterkopie“, auf die der Nutzer der App im Bedarfsfall zugreift.6 Insoweit unterscheidet sich der Sachverhalt von einer jeweils individuellen Vervielfältigung in einem eigenen Speicherbereich des jeweiligen Nutzers durch diesen selbst.7 Im nächsten Schritt stellt der App-Anbieter den aufgezeichneten Inhalt dem User über das Internet auf dessen iPhone zur Verfügung. In Bezug auf das Recht des Sendeunternehmens wäre an einen Eingriff in das ausschließliche Recht der Weitersendung zu denken (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 UrhG). Dies ist in den Fällen des Online-Videorekorders geprüft worden. Allerdings war dort der Sachverhalt ein anderer. Der Betreiber des Online-Videorekorders hat eine zentrale Empfangseinheit vorgesehen und das dort empfangene TV-Signal auf die unterschiedlichen Online-Videorekorder der registrierten Nutzer zeitgleich weitergeleitet. Diese Nutzer bilden eine Öffentlichkeit (§ 15 Abs. 3 UrhG),

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Dreier/Schulze, aaO (Fn. 3), § 87, Rn. 12.

6

Technisch beschreibend und rechtlich wertend: BGH, Urteil vom 11. April 2013 – I ZR 151/11 Internet-Videorecorder II, Rn. 18.

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BGH, aaO (Fn. 6), Rn. 21.

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deren Mitglieder das empfangene und weitergeleitete Sendesignal gleichzeitig in ihren Accounts empfangen konnten.8 In dem uns interessierenden Fall der Snippet-App wird ein jeweils zeitlich zurückreichender Teil des Programmsignals mit seinen Inhalten auf individuellen Abruf des Nutzers der App zur Verfügung gestellt. Das ist kein zeitgleiches Verteilen und damit kein Weitersenden. Das Verteilen der letzten x Minuten der Radiosendung auf Abruf an die User sieht nach der öffentlichen Zugänglichmachung des § 19a UrhG aus. Diese Verwertung steht dem Urheber als ausschließliches Recht zu (§ 15 Abs. 2 Nr. 2, § 19a UrhG), ebenso auch dem ausübenden Künstler (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 UrhG), dem Tonträgerhersteller (§ 85 Abs. 1 S. 1 UrhG) sowie dem Sendeunternehmen (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 UrhG). Das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung ist jenes, das Werk drahtgebunden oder drahtlos der Öffentlichkeit in einer Weise zugänglich machen, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist. Etwas verkürzt: Unabhängig von Zeit und Ort können sich verschiedene Personen ein und denselben Content von einem Server abrufen.9 Das Problem bei unserer App liegt darin, dass bei jedem Abruf, das Programmsignal ausschnittsweise zu übertragen, ein ganz leicht unterschiedliches Ergebnis abgeliefert wird. Es werden jeweils die letzten x Minuten des Streams übertragen. Selbst wenn 100 Leute im Empfangsgebiet des Programmveranstalters gerade diesen flotten Spruch des Moderators posten wollen, werden die Nutzer ganz unterschiedlich lange brauchen, bis sie ihr Smartphone gefunden und die Funktion ausgelöst haben. Es kommen also ganz leicht versetzte Auszüge aus dem Stream zurück. Das ist jetzt Interpretationssache: Legt man Wert darauf, dass jedenfalls die flotte Moderation, die ja bei den unterschiedlichen Nutzern Anlass für die Aktion war, übertragen wurde, handelt es sich um den identischen Content, der zeit- und ortsunabhängig an eine Öffentlichkeit verteilt wurde. Stellt man auf die leichten Unterschiede am Anfang und am Ende des Ausschnitts ab, würde man argumentieren, dass einzelnen, individuellen Empfängern jeweils individueller Content zur Verfügung gestellt wurde. Bei aller Unsicherheit erscheint mir die Auslegung, dass es sich im Kern um ein und denselben Inhalt handelt, für diejenige Interpretation, die der Lebenswirklichkeit am nächsten kommt. Ansonsten wäre man dort, wo sich die Juristen vor der Einführung des § 19a UrhG aufgehalten haben – bei unterschiedlichen Vervielfältigungen in unterschiedlichen Arbeitsspeichern und den entsprechenden Rechtsverletzungen beim Vervielfältigungsrecht10 beziehungsweise bei einem unbenannten Recht der öffentlichen Wiedergabe.11

8

BGH, aaO (Fn. 6), Rn. 56; BGH, Urteil vom 22. April 2009 – I ZR 175/07 - Internet-Videorecorder I, Rn. 27 ff.

9

Detailliert vgl. Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 6. Aufl., Tübingen 2013, Rn. 460.

10

Für den insoweit vergleichbaren Fall des personalisierten Internetradios Schack, aaO (Fn. 9), Rn. 464.

11

Dreier/Schulze, aaO (Fn. 3), § 19a, Rn. 3.

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Nur der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass es Stimmen gibt, die Übertragung des Contents vom Anbieter zum Endnutzer nicht unter die öffentliche Zugänglichmachung des § 19a UrhG zu fassen. Nach der Auffassung, die von Ungern-Sternberg vertritt, ist nur das Bereithalten durch die Vorschrift gedeckt. Die Übertragung selbst sei ein unbenanntes Recht („Abrufübertragungsrecht“)12, da § 15 Abs. 2 UrhG auch bei der unkörperlichen Werkwiedergabe an die Öffentlichkeit ein „insbesondere“ vorgesehen hat, so dass die Aufzählung, in der sich § 19a UrhG befindet, nicht enumerativ ist. Eine Konsequenz einer solchen Auffassung wäre, dass nur die in unserem Fall betroffenen Urheber, also der Komponist und der Moderator, sich auf ein solches unbenanntes Recht berufen können. Die Leistungsschutzberechtigten – ausübender Künstler, Tonträgerhersteller und Sendeunternehmen – werden aus dem jeweiligen Leistungsschutzkonzept zu einzelnen Verwertungsrechten verwiesen und nicht global auf § 15 Abs. 2 UrhG, können also aus dem dort geschriebenen „insbesondere“ keine Rechtsposition herleiten. Im nächsten Schritt findet auf dem Smartphone des Nutzers eine Vervielfältigung statt, wenn der empfangene Ausschnitt im Speicher festgehalten wird. Eine weitere Vervielfältigung findet statt, wenn aus dem längeren Ausschnitt das Snippet herauskopiert wird. Beides sind Vervielfältigungen im Sinne des § 16 UrhG und nicht anders zu beurteilen, als die bereits beim Anbieter der App auf seinem Server beschriebene Handlung. Es bestehen Verbotsrechte aller beteiligten Rechteinhaber. Schließlich wird das Snippet in ein soziales Netzwerk „hochgeladen“. Das ist wiederum eine Vervielfältigung durch den Benutzer der App, nun auf dem Server von beispielsweise Facebook mit genau denselben Erwägungen wie zuvor. Schließlich sollen alle Freunde und deren Freunde, also ein ziemlich weiter Kreis und somit eine Öffentlichkeit (§ 15 Abs. 3 UrhG) das Snippet sehen und weiterreichen. Damit ist das Bereithalten im eigenen Account ebenfalls eine öffentliche Zugänglichmachung nach § 19a UrhG. Auf die vorstehenden Erwägungen wird verwiesen, wobei im hier diskutierten Zusammenhang die Frage, ob es sich um einen identischen Content handelt, nicht zu stellen ist – das Snippet, wie es der Nutzer der App festlegt und hochlädt, ist für alle Nutzer des sozialen Netzwerks, die hierauf zugreifen können, ein und dieselbe Datei. Nicht weiter untersucht werden soll hier die Frage, wie der „virale“ Content bei seiner Wanderung durch das Internet urheberrechtlich behandelt wird.

IV.

Urheberrechtliche Grenzen für Snippets

Das Urheberrecht unterliegt Grenzen. Auch die durch das Urheberrechtsgesetz gewährten Rechtspositionen unterliegen der Sozialbindung wie das Sacheigentum auch. Die Möglichkeiten der Technik wie etwa die Vervielfältigungsmöglichkeiten „der Reprografie“ waren Anlass, sich immer wieder mit den Schranken urhebergesetzlicher Aus-

12

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Von Ungern-Sternberg, in: Schricker/Loewenheim, UrhR-Komm, 4. Aufl., München 2010, § 19a, Rn. 33.

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205 schließlichkeitsrechte zu beschäftigen.13 Der gesamte sechste Abschnitt zum Urheberrecht als Teil 1 des Urheberrechtsgesetzes befasst sich mit vielfältigen Schranken. Die Leistungsschutzrechte kennen eigene Schranken beziehungsweise verweisen unmittelbar in die für das Urheberrecht formulierten Schrankenregelungen. Das Urheberrechtsgesetz kennt keine generalklauselartigen Schranken. Es gibt also nicht etwa einen Rechtssatz, dass Nutzungshandlungen erlaubt sind, die den Rechteinhaber nicht tangieren. So gibt es keine Ausnahme, die Hintergrundmusik als nicht geschützt bezeichnet. Etwas überspitzt: Eine Art § 242 BGB (Treu und Glaube) befindet sich bei den Schranken des Urheberrechts nicht. Vielmehr sind die Schranken14 enumerativ aufgeführt. Es gilt außerdem der Grundsatz, dass die Reichweite der Schranke eng auszulegen ist, da sie in ein bestehendes Schutzrecht eingreift, der Eingriff also möglichst gering ausfallen soll. Und schließlich sind die möglichen Schranken durch das europäische Sekundärrecht vorgegeben. Für die im vorstehenden Gliederungspunkt beschriebenen Vervielfältigungshandlungen mag man § 44a UrhG ansprechen, wonach vorübergehende Vervielfältigungshandlungen zulässig sind, die flüchtig oder begleitend sind und einen integralen und wesentlichen Bestandteil eines technischen Verfahrens darstellen und deren alleiniger Zweck es ist, eine Übertragung in einem Netz oder eine rechtmäßige Nutzung zu ermöglichen, ohne eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zu haben. Standardbeispiel sind durch das Netz verschickte Datenpakete, die auf irgendwelchen Servern im Cache zwischengespeichert werden, bevor sie zum nächsten Server transportiert und auf dem ersten Server gelöscht werden. Solche Vervielfältigungen sind in der technischen Beschreibung des Sachverhalts nicht extra angesprochen, obwohl sie mehrfach erfolgen. Das wären Zwischenspeicherungen bei der Übertragung des Ausschnitts aus der aufgezeichneten Sendung vom Server des App-Anbieters zum Nutzer oder später Zwischenspeicherungen bei der Übertragung vom Smartphone des Nutzers zum sozialen Netzwerk. Die Speicherungen beim App-Anbieter auf seinem Server beziehungsweise im Smartphone des Endnutzers sind aber nicht bloß rein technischer Natur, sondern sie dienen einem anderen Zweck – der Archivierung und der Zugriffsmöglichkeit Dritter beim App-Anbieter beziehungsweise als Grundlage für die Auswahl des Snippets und seine Fixierung beim Nutzer. § 44a UrhG hilft als Schranke für die eigentlich interessanten Vervielfältigungen nicht weiter. Man muss sich also der „digitalen Privatkopie“ zuwenden, der Vervielfältigung zum privaten oder sonstigen eigenen Gebrauch nach § 53 UrhG. Die erste Vervielfältigung beim App-Anbieter scheitert schon daran, dass er die Vervielfältigung zu unmittelbaren oder jedenfalls mittelbaren Erwerbszwecken vornimmt. Das ist nach § 53 Abs. 1 S. 1 UrhG aber ein K.O.-Kriterium für den Anwendungsbereich der Privatkopie. Außerdem stellt § 53 Abs. 6 UrhG klar, dass die Vervielfältigungen weder verbreitet noch zur öffentlichen Wiedergabe benutzt werden dürfen. Das korrespondiert mit § 53 Abs. 1 S. 1 UrhG, wonach die Vervielfältigungen nur „zum privaten Gebrauch“ zulässig sind. Die Zugriffsmöglichkeit von Mitgliedern der Öffentlichkeit auf diese Aufzeichnung geht

13

Melichar, in: Schricker/Loewenheim, aaO (Fn. 12), vor §§ 44a ff, Rn. 15.

14

Übersicht zu Schranken des Urheberrechts bei Schack, aaO (Fn. 9), Rn. 533–537.

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über diesen privaten Gebrauch hinaus. Der App-Anbieter kann sich also nicht auf die Möglichkeit der Privatkopie als Schranke des Urheberrechts berufen. Nicht besser sieht es beim Nutzer der App aus. Er kopiert zunächst einmal die letzten x Minuten als Ausschnitt vom Server des App-Anbieters ins eigene Smartphone. Die Privatkopie scheitert an den gesetzlichen Kriterien. Zunächst darf man sich nur einer Vorlage bedienen, die nicht offensichtlich rechtswidrig hergestellt oder in dieser Weise öffentlich zugänglich gemacht wurde. Die Kopie auf dem Server des App-Anbieters ist aber rechtswidrig hergestellt worden, ihre Bereithaltung zum Download (§ 19a UrhG) ist rechtswidrig, wie gerade zuvor herausgearbeitet ist. Man kann allenfalls darüber streiten, ob unser User das auch hätte erkennen müssen, ob die Rechtswidrigkeit also offensichtlich war. Das Kriterium ist umstritten15 und es soll an dieser Stelle zugunsten des Users davon ausgegangen werden, dass es an der Offensichtlichkeit fehlt. Das hilft ihm im Ergebnis aber nicht. Schwerer wiegt nämlich, dass auch diese Kopie nicht zu dem Zweck hergestellt wird, sie privat zu gebrauchen. Der Nutzer will das Snippet ja nicht abends beim Chillen genießen, er will es vielmehr der Welt mitteilen, jedenfalls der Öffentlichkeit seines sozialen Netzwerkes. Also ist der Zweck – nun zwar ohne Erwerbsabsicht – nicht auf das Private begrenzt, sondern die Kopie soll bearbeitet und als weitere Kopie dann auf einen Server hochgeladen werden (entgegen § 53 Abs. 6 UrhG). Damit dienen beide vom Nutzer auf seinem Smartphone vorgenommenen Kopien – die Übernahme dessen, was vom App-Anbieter geliefert wird, und das Snippet des gewählten Ausschnitts daraus – nicht dem privaten Gebrauch, sondern es steht eine Veröffentlichungsabsicht dahinter. Auf die Schranke der Privatkopie kann sich der Nutzer nicht berufen. Erst recht gilt das für die dann noch erfolgende weitere Vervielfältigung auf dem Server des sozialen Netzwerks. Erst recht ist die weitere öffentliche Zugänglichmachung im sozialen Netzwerk nicht von der Schranke der Privatkopie gedeckt. Eine vergleichbare Schranke zu § 19a UrhG – sozusagen das private öffentliche Zugänglichmachen – fehlt.16 Erkennbar handelt es sich um einen Widerspruch in sich, wenn eine „private öffentliche“ Schranke angesprochen wird. Das ist aber eine rechtspolitische Folgefrage, die am Ende dieses Beitrags zu diskutieren sein wird.

V.

Lizenzierung als programmbegleitende Onlinenutzung?

Damit greifen sowohl der App-Anbieter als auch der Nutzer in mehrfacher Art und Weise in ausschließlich Rechteinhabern zugeordnete Rechtspositionen ein. Das Ergebnis ist misslich, jedenfalls aus Sicht derjenigen, die soziale Netzwerke intensiv nutzen. Notwendig sind also Rechteeinräumungen. In einem bestimmten Umfang ist das auch möglich.

15

Vgl. Darstellung bei Dreier/Schulze, aaO (Fn. 3), § 53, Rn. 11 ff.

16

Von Ungern-Sternberg, in: Schricker/Loewenheim, aaO (Fn. 12), § 19a, Rn. 4.

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Der Radioveranstalter kann entweder die Snippet-Funktion in die eigene App integrieren oder mit dem App-Anbieter kooperieren, ihm also die Aufzeichnung des Streams erlauben und wiederum Nutzungsbedingungen für den Endnutzer formulieren. Am einfachsten ist damit die Situation beim Signalrecht des Sendeunternehmens aus § 87 Abs. 1 UrhG zu regeln. Der Programmveranstalter kann über die ihm selbst durch das Gesetz zugeordneten Ausschließlichkeitsrechte in der Weise verfügen, dass sowohl der App-Anbieter als auch der Endnutzer problemlos damit umgehen können. Das betrifft allerdings nur die Nutzung des Signals selbst, nicht der darin enthaltenen Inhalte, denn diese Schutzrechte sind Dritten zugeordnet. Ebenfalls recht einfach zu regeln ist die Situation in Bezug auf den Moderator, ohne dass es dabei darauf ankommt, ob er Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Person ist.17 Nach § 43 UrhG sind zwar für den Moderator die urheberrechtlichen Vorschriften anwendbar, gegenüber dem Programmveranstalter allerdings „soweit sich aus dem Inhalt oder dem Wesen des Arbeits- oder Dienstverhältnisses nichts anderes ergibt“. Die Regelung ist, was ihren konkreten Aussagegehalt betrifft, wohl eher eine kleine Münze besonderer Art. Jedenfalls ist es möglich, die Verwertungsrechte an den flotten Moderationssprüchen nicht nur für die Sendung, sondern auch für die öffentliche Zugänglichmachung einschließlich der Weitergabe zu diesem Zweck an Hörer vom Moderator an den Programmveranstalter zu übertragen, der seinerseits entsprechende nicht-exklusive Unterlizenzen erteilt (§ 31 UrhG). Die Rechte der Musikurheber werden üblicherweise von der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) verwaltet. In den 2013 abgeschlossenen neuen Gesamtverträgen18 der Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk (APR) und des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien e. V. (VPRT) mit der GEMA werden in den branchenüblichen Einzelverträgen den Programmveranstaltern auch die Rechte für eine programmbegleitende Onlinenutzung (PBO) übertragen. In § 2 der Anlage A1 zum Gesamtvertrag Hörfunk heißt es: „Der Lizenznehmer ist berechtigt, Musikwerke aus dem GEMA-Repertoire innerhalb seiner Programm begleitenden Onlineaktivitäten zu nutzen.“

Dazu wird ausdrücklich die Verwertung nach § 19a UrhG eingeräumt. Was aber umfasst die zulässige programmbegleitende Onlinenutzung? Im Vertrag heißt es: „Für die Zwecke dieses Vertrages haben nachfolgende Kriterien kumulativ vorzuliegen, wobei die typischen Merkmale im Rahmen einer Gesamtschau unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. a) Typische Merkmale: aa. Inhaltlicher Bezug des Beitrags zum Hörfunkprogramm: Jedes Online-Angebot unter Kontrolle und Verantwortung des Lizenznehmers, welches Beiträge mit deutlichem Bezug zum linear gesendeten Hörfunkprogramm enthält. Ein solcher Bezug ist gegeben, wenn der Beitrag gesendet wurde oder künftig gesendet werden soll oder aus Teilen zusammenge-

17

Dreier/Schulze, aaO (Fn. 3), § 43, Rn. 8.

18

http://www.privatfunk.de/urh/TextUrhR16.html.

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stellt ist, die gesendet wurden oder künftig gesendet werden, oder wenn er einen klaren und untergeordneten Bezug zu den Programmangeboten der Sendeunternehmen hat, indem er sie ergänzt, bewertet, abrundet oder ankündigt. bb. Inhaltlicher Bezug des Gesamtangebots zum Hörfunkprogramm: Das dem Endkunden bereitgestellte Online-Angebot als Ganzes stellt sich als "Verlängerung" des linearen Hörfunkprogramms dar. cc. Begrenzter zeitlicher Zusammenhang des Online-Angebots zum Hörfunkprogramm: Der begrenzte zeitliche Zusammenhang ist jedenfalls gegeben, wenn der Beitrag innerhalb von sieben Tagen vor oder nach der Sendung online angeboten wird. dd. Gleicher Empfängerkreis von Online-Angebot und Hörfunkprogramm: Das OnlineAngebot richtet sich an denselben Empfängerkreis wie das Hörfunkprogramm zum Beispiel nach der Sprachfassung, dem Verbreitungsgebiet und den Zugangsvoraussetzungen. b) Abstrakte Merkmale: aa. Eine Programm begleitende Onlinenutzung liegt nur bei Nutzung des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung gemäß § 19a UrhG vor. bb. Unabhängig von den unter a. genannten Kriterien liegt eine Programm begleitende Onlinenutzung jedenfalls nicht vor bei einem Angebot zum Abruf einzelner Musikwerke/Musikvideos, von Zusammenstellungen einzelner Musikwerke/Musikvideos (unter anderem Alben, Playlists), von Klingeltönen, Realtones, Ringbacktones, jeder neuen Darbietungsform, bei der das Musikwerk individualisiert dargeboten wird. Für diese Angebote sind die Rechte gesondert zu erwerben.“

Diese Formulierung hat zwar eine beachtliche Schöpfungshöhe. Den Gesamtvertragsparteien ist gleichwohl keine klare PBO-Definition gelungen, sondern eher eine typologische Umschreibung. Musikfetzen und bei der Moderation unterlegte Musikstücke sind den eingeräumten PBO-Rechten zuzuordnen. Bei aller Unklarheit der Regelung in den Verträgen im Detail sind jedenfalls derartige Snippets eine programmbegleitende Onlinenutzung. Allerdings hat diese Nutzung auf der eigenen Website des Programmveranstalters stattzufinden, ihm ist es untersagt, Rechte an Dritte zu lizenzieren (§ 3 Abs. 1 Einzelvertrag). Damit kann der Programmveranstalter keine Rechte an seine Hörer weitergeben, Snippets mit Musik aus dem Programm herauszuschneiden und in sozialen Netzwerken öffentlich zugänglich zu machen. Für die Leistungsschutzrechte der ausübenden Künstler und der Tonträgerhersteller gibt es gegenwärtig im Gesamtvertrag mit der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten mbH (GVL) keine PBO-Regelung mit dem Ziel, neue technologische Sachverhalte einzubeziehen. Der Gesamtvertrag ist 2009 von den Privatfunkverbänden gekündigt worden. Die Verhandlungen laufen schleppend. Eine der GEMA vergleichbare PBO-Regelung erscheint – mit Hoffnung formuliert – jedenfalls nicht ausgeschlossen. Eine Lizenzierungsmöglichkeit, derartige Snippets durch Hörer in soziale Netzwerke einstellen zu lassen, hat der Radioveranstalter also nicht. Es müsste also jeder Radiohörer für das Snippet, das er aus dem Programm herstellt und in soziale Netzwerke einstellt, mit der GEMA beziehungsweise mit den Labels Rechte klären. Diese Position ist zugegebenermaßen dogmatisch bestechend und für die Praxis irrelevant.

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Eine besondere, nur am Rande angesprochene Pointe findet sich in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Facebook. Danach soll der Nutzer an dem hochgeladenen Content Facebook alle Rechte verschaffen:19 „Für Inhalte wie Fotos und Videos, die unter die Rechte an geistigem Eigentum (sog. „IPInhalte“) fallen, erteilst du uns durch deine Privatsphäre- und Anwendungseinstellungen die folgende Erlaubnis: Du gibst uns eine nicht-exklusive, übertragbare, unterlizenzierbare, gebührenfreie, weltweite Lizenz zur Nutzung jeglicher IP-Inhalte, die du auf oder im Zusammenhang mit Facebook postest („IP-Lizenz“). Diese IP-Lizenz endet, wenn du deine IP-Inhalte oder dein Konto löschst, außer deine Inhalte wurden mit anderen Nutzern geteilt und diese haben die Inhalte nicht gelöscht.“

Genau das kann der User auf gar keinen Fall beim gelikten Content. Dass diese Art von Uploads ganz und gar offensichtlich rechtswidrig eingestellt sind, sollte auch Facebook aufgefallen sein. Nebenbei wird der App-Anbieter als Störer in der Haftung sein, wenn ein Rechteinhaber Snippets im Netz findet, die seine Rechte verletzen. Die Hoffnung, dass jeder Rechteinhaber diese Art von viralem Content in sozialen Netzwerken als Werbung versteht und Verbotsrechte sowie Schadenersatz nach der Lizenzanalogie nicht geltend macht, erscheint trügerisch. Viele Abmahnungen in urheberrechtlichen Randbereichen belegen eher das Gegenteil. Am Ende bleibt als trauriges Ergebnis: Die Idee mit dem viralen Radio in sozialen Netzwerken ist gut gemeint. Viele Radiomacher wünschen sich dringend, im nichtlinearen Bereich die Hörer zu erreichen – und neue Hörer zu gewinnen. In wesentlichen Bereichen bremst eine dogmatische Betrachtung dann doch sehr.

VI.

Rechtspolitische Schlussfolgerungen

Der Jurist hat sich also wieder als Bedenkenträger und Spaßbremse erwiesen. Unterschiedliche Rechteinhaber können Verbotsrechte geltend machen. Vor allem § 19a UrhG, der die öffentliche Zugänglichmachung im Internet schützt, gerät in den Blick, weil diese Verwertungshandlung noch nicht einmal ansatzweise im hier interessierenden Zusammenhang eine Schranke kennt. Die Norm wurde verhältnismäßig spät aufgrund internationaler Verträge20 und europäischen Sekundärrechts21 in das Urheberrechtsgesetz eingefügt. Sie geht davon aus, dass der Online-Vertrieb von beispielsweise Musik die körperliche Vervielfältigung (§ 16 UrhG) und den Vertrieb (§ 17 UrhG) von Tonträgern substituiert. Insoweit versteht sich § 19a UrhG als Erstverwertung. Allerdings steht die Norm systematisch direkt neben der Sendung (§ 20 UrhG), was jedenfalls bei der Musik ein Vorgang der Zweitverwertung jenseits des Verkaufs, sei es durch

19

https://www.facebook.com/legal/terms (Stand: 15. August 2013).

20

Gerlach, „Making available right“ – Böhmische Dörfer?, ZUM 1999, 278.

21

Reinbothe, Der EU-Richtlinienentwurf zum Urheberrecht und zu den Leistungsschutzrechten in der Informationsgesellschaft, ZUM 1998, 429 (434).

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Tonträger, sei es durch Downloads, ist. Bei der Sendung haben die ausübenden Künstler (im regelmäßig vorliegenden Fall der Sendung vom erschienenen Tonträger) kein Verbotsrecht, sondern einen Vergütungsanspruch, der darüber hinaus in der Praxis nicht individuell, sondern von der GVL wahrgenommen wird (§ 78 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 2 UrhG). Der Tonträgerhersteller selbst hat bei der Sendung gegen das Sendeunternehmen gar keinen Anspruch, sondern ist vom Gesetz auf einen Beteiligungsanspruch an „seinen“ Künstler verwiesen (§ 86 UrhG). Der Schritt vom linearen Radio (Sendung, § 20 UrhG – Zweitverwertung) zum nicht-linearen Snippet (öffentliche Zugänglichmachung, § 19a UrhG – Erstverwertung) führt zu einer juristischen Metamorphose des Contents, selbst wenn nur ein Ausschnitt des ursprünglichen Schutzgutes betroffen ist, der den Genuss weder des zu Grunde liegenden Werkes noch sonstiger Darbietungen der betroffenen ausübenden Künstler noch der zu Grunde liegenden Sendung substituiert und auch den Tonträgerabsatz erkennbar nicht einschränkt. Persönlichkeitsrechtliche Belange wären ohnehin nur bei den Musikurhebern und den darbietenden Künstlern tangiert, nicht beim Sendeunternehmen oder dem Tonträgerhersteller. Man könnte auch formulieren, dass mit gesetzlichen Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Einen gesellschaftlichen, kulturellen und kommunikativen Vorgang, der massenweise stattfindet und letztendlich auch erwünscht ist, wird vom Urheberrecht nicht abgebildet – wie ja auch in anderen Bereichen „die Durchsetzung von Urheberrechten mit der Digitalkultur nicht Schritt halten kann“.22 Wenn es eine als notwendig empfundene Schranke absoluter Rechte nicht gibt, dann konstruiert man sich eine. Soweit das Urheberrecht als Behinderung der Teilhabe an der öffentlichen Kommunikation angesehen wird, verstoße das gegen die Informationsfreiheit23 oder Art. 10 EMRK, der als Vorbild für Art. 11 GrCH in der EU dient. Das Vorgehen ist umstritten, denn dadurch werden die Schranken des Urheberrechts nicht mehr enumerativ verstanden,24 jedenfalls im Teilbereich der öffentlichen Kommunikation nähert sich das einer fair-use-Regelung. Den Bedenken wird man entgegnen, dass die Schranken ein vom Gesetzgeber selbst vorgenommener Ausgleich von grundrechtlich geschützten Positionen der Rechteinhaber und der Nutzern sind, dies im Rahmen der sozialen Bindung des Eigentums. Dort aber, wo der Gesetzgeber erforderliche Schranken nicht gesehen hat, gibt es keine enumerative Regelung, so dass die beim Aufeinandertreffen verschiedener Grundrechte stets notwendige Abwägung nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erforderlich ist.25 Ein Verstoß gegen europäisches Sekundärrecht der Urheberrechtsrichtlinien wäre darin nicht zu erblicken, da sich das Abwägungserfordernis aus dem Primärrecht (Art. 51, 52 GrCh) selbst ergibt. Letztendlich zeigt das einfache Beispiel kleiner Snippets, dass die Digitalisierung mit ihren vielfältigen Interaktionsmöglichkeiten dazu zwingt darüber nachzudenken, was

22

Gelke, Mashups im Urheberrecht, Diss., Baden-Baden 2013, S. 197 ff.

23

Kröger, Informationsfreiheit und Urheberrecht, Diss., München 2002, S. 161 ff.

24

Schack, aaO (Fn. 9), Rn. 537.

25

So auch der Österreichische Oberste Gerichtshof, Beschluss vom 12. Februar 2013, 4 Ob 236/12b, ZUM 8/9/2013, S. 705 f.

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211 wirklich mit Verbotsrechten geschützt werden soll.26 Wenn an kleinsten Einheiten von Inhalten mehrere Rechteinhaber individuell Verbotsrechte geltend machen können, steigt im Zweifel die Tendenz, sich darüber hinweg zu setzen. Der Nutzer hat in der Praxis mit vernünftigem Aufwand kaum die Möglichkeit, alle Nutzungsrechte zu erwerben. Der Rechteinhaber hat kaum die Möglichkeit, alle Nutzungshandlungen zu kontrollieren. Es entsteht eine muntere Grauzone, die mit Rechtssicherheit wenig zu tun hat. Ein Schritt könnte sein, die kleine Münze aus dem Schutzbereich des Urheberrechts heraus zu nehmen.27 Sicherlich macht die juristische Abschätzung der dann erforderlichen Schöpfungshöhe die Bewertung der Qualität einer Arbeit in gewisser Weise erforderlich. Das ist aber nicht neu, wenn man etwa an die Abgrenzung zwischen Urheberrecht und Geschmacksmusterrecht denkt.28 Es ist einfach zu viel an Schutz, wenn man in unserem Beispiel einem zwanzigjährigen Moderator über die kleine Münze Urheberrechtsschutz zuspricht, der 70 Jahre (§ 64 UrhG) nach seinem Ableben endet. Lassen wir ihn 80 Jahre alt werden, wäre sein flotter Spruch 130 Jahre geschützt, während der Schutz des Sendeunternehmens am Signal selbst 50 Jahre ab Sendung beträgt (§ 87 Abs. 3 S. 1 UrhG). Man sollte das Kind aber nicht mit dem Bade ausschütten. Wenn man eine Differenzierung im Urheberrechtsgesetz (etwa neue Schrankenbestimmungen und neue Abgeltungen wie die „Leermedienabgabe“ nach §§54 ff. UrhG) nicht für realisierbar hält, könnte ein wettbewerbsrechtlicher Schutz konstruiert werden (§ 4 Nr. 9 UWG). Je nach Sachverhalt wäre der Schutz von unterschiedlicher Intensität und unterschiedlicher Dauer. Die Anwendung des Urheberrechts selbst kennt diesen Grundgedanken in den Filesharing-Fällen: Wenn dort in den Abmahnungen von der „relevanten Auswertungsphase“29 die Rede ist als Voraussetzung für eine intensive Rechtsdurchsetzung, findet das im UrhG im Grunde genommen keinen Ansatz. Vielmehr wird hier ein wettbewerbsrechtlicher Gedanke in die Anwendung des UrhG hinein interpretiert, ohne dass das offen ausgewiesen wird. Im vorliegenden Zusammenhang unserer Snippets wäre das Tun des Users, der auf einen bereits veröffentlichten Inhalt hinweisen will, mangels Wettbewerbsverhältnis nicht relevant. Der App-Anbieter beziehungsweise die Anbieter der sozialen Netzwerke kämen hingegen ins Visier der Überlegungen. Die Diskussion der Rechtmäßigkeit neuartiger Angebote, die auf vorbestehenden Leistungen anderer Marktteilnehmer aufbauen, ist an dieser Stelle für das Wettbewerbsrecht kein Fremdkörper, man bewegt sich auf bekanntem Grund.30

26

Vgl. Peukert, Der Schutzbereich des Urheberrechts und das Werk als öffentliches Gut, in: Peukert/Hilty, Interessenausgleich im Urheberrecht, Baden-Baden 2004, S. 11 ff.

27

Schack, aaO (Fn. 9), Rn. 1379.

28

Zum Stand der Diskussion um die kleine Münze bei Werken angewandter Kunst vgl. Loewenheim, in: Schricker/Loewenheim, aaO. (Fn. 12), § 2, Rn. 160.

29

Bejahend OLG Köln, Beschluss vom 26. Juli 2010 – 6 W 77/10, Rn. 4 ff. nach juris; verneinend OLG München, Beschluss vom 12. Dezember 2011 – 29 W 1708/11, Rn. 21 nach juris.

30

Vgl. Köhler/Bornkamm, UWG-Komm., 31. Aufl., München 2013, § 4, Rn. 9.17 ff.

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211

212

Der Unterschied zwischen dem Schutz durch das UrhG als Sondergesetz und dem allgemeinen Wettbewerbsrecht ist erheblich, denn § 4 Nr. 9 UWG schützt nur das Wie der Wettbewerbshandlung, nicht aber eine bestimmte Leistung in absoluter Weise. Deshalb wird etwa für (vom UrhG als solche regelmäßig nicht geschützte) TV-Formate eingewandt, der Wettbewerbsschutz sei unzureichend, ein Sonderschutz müsse geschaffen werden.31 Zugegeben, die festgefahrene Diskussion um das Urheberrecht ist auch der Position aller Beteiligten geschuldet, weshalb es in der zurückliegenden Legislaturperiode auch keinen „dritten Korb“ gab. Jeder, der ein Verbotsrecht hat, will es behalten und eine Lockerung nur bei allen anderen akzeptieren, um sein eigenes Geschäft leichter durchzuführen. Wer in diesem Konzert noch kein Verbotsrecht hat, erstreitet sich eines. Die Diskussion, die breit zu führen ist, wird nicht im Kreis der „Interessierten Kreise“ mit dem Bundesjustizministerium in Berlin zu erledigen sein. Brüssel und Straßburg sind die Orte, an denen Maßstäbe gesetzt werden, denn das europäische Richtlinienrecht lässt nur einen engen Rahmen für den nationalen Gesetzgeber.

31

212

Krämer, Schutzmöglichkeiten für TV-Formate – Eine rechtsvergleichende Untersuchung nach deutschem und US-amerikanischem Recht, Baden-Baden 2006, S. 168 ff.

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Audiovisuelle Glücksspielwerbung und Regulierungsverflechtungen Aufsicht über audiovisuelle Kommunikation zwischen Glücksspiel- und Medienrecht im regulatorischen Mehrebenensystem Jörg Ukrow

I.

Einleitung

Der Glücksspielmarkt hat sich auch in Deutschland1 zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor entwickelt. Die Brutto-Spielerträge im hiesigen Glücksspielmarkt beliefen sich in 2012 auf 10,7 Mrd. €.2 Vor diesem Hintergrund kann es nicht überraschen, dass auch der Werbung für Glücksspiel innerhalb der Gesamtheit werblicher Aktivitäten in Deutschland eine bedeutende Rolle zukommt.3 Audiovisuelle Glücksspielwerbung ist ein Rechtsphänomen, das nicht nur mit Blick auf die sozialen Folgen von Glücksspielsucht4 besondere regulatorische Aufmerksamkeit verdient. Gerade audiovisuelle Glücksspielwerbung hat sich zu einem Phänomen entwickelt, in dem sich sowohl der Zugriff unterschiedlicher Regelungsmaterien auf ein einheitliches Verhalten ebenso zeigt wie der zunehmende Prozess der Europäisierung von Staatszielen. Zugleich ist insbesondere auch das Glücksspiel ein Sektor, in dem sich Grenzen einer Deregulierung und Marktdominanz von Regulierungssystemen zeigen: Denn die Vorteile der Marktgesetze kommen im Bereich des Glücksspiels nicht zum Tragen. Der Wettbewerb der Dienstleistenden in diesem Bereich, der sie zwangsläufig veranlassen würde, die Attraktivität der Spiele für die Verbraucher zu erhöhen, um möglichst hohe Gewinne zu erzielen, ist, wie Generalanwalt Bot festgestellt hat, „keine Quelle für Fortschritt und Entwicklung“: Denn die Glücksspiele „können nur dann

1

Die Entwicklung innerhalb der EU ist noch bedeutsamer: Allein der Umsatz bei Lotterien und Sportwetten belief sich in den EU-Mitgliedstaaten in 2012 auf 76,7 Mrd. €; vgl. The European Lotteries, Key Data – EU Members 2012, 2013.

2

Vgl. Goldmedia GmbH Strategy Consulting, Glücksspielmarkt Deutschland 2017, Marktliche Effekte der Regulierung von Sportwetten in Deutschland, 2013, S. 4. Dabei kommt Spielautomaten mit einem Anteil von 41 Prozent an diesen Erträgen und den Lotterieprodukten des Deutschen Lottound Totoblocks mit einem Anteil von 30 Prozent an diesen Erträgen das größte Gewicht zu; vgl. ibidem, S. 5.

3

Vgl. zur Problemlage aus unternehmerischer Sicht Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) (Hrsg.), Werbung in Deutschland 2013, 2013, S. 257 ff.

4

Zur Einordnung pathologischen Glücksspiels als psychische Störung z. B. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland, 2012; Meyer, Glücksspiel – Zahlen und Fakten, in: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (Hrsg.), Jahrbuch Sucht 2013. Die sozialen Kosten der Glücksspielsucht sind zwar nicht genau ermittelbar, scheinen aber beträchtlich zu sein: Sie werden für Deutschland regelmäßig auf nicht unter 1 Milliarde Euro jährlich geschätzt; vgl. hierzu Fiedler, Institut für Recht der Wirtschaft der Universität Hamburg, „Die sozialen Kosten von Glücksspielen“ im Rahmen des ersten Deutschen Suchtkongresses am 13. Juni 2008 in Mannheim.

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funktionieren und bestehen, wenn die allermeisten Spieler mehr verlieren als gewinnen. Eine Öffnung des Marktes in diesem Bereich, die eine Zunahme des für die Spiele bestimmten Teils der privaten Haushalte bedeuten würde, hätte unausweichlich nur eine Schmälerung der Mittel der meisten Haushalte zur Folge“.5 Rechtssicherheit für den Bereich der audiovisuellen Glücksspielwerbung wird potentiell nicht zuletzt durch unterschiedliche regulatorische Zugriffe des Rundfunk- und des Glücksspielrechts auf dieses Phänomen beeinträchtigt. Eine Konzentrationswirkung, wie sie z. B. § 13 BImSchG kennt, ist in Bezug auf audiovisuelle Glücksspielwerbung weder dem Rundfunk- noch dem Glücksspielrecht vertraut.6 Dies könnte die Kohärenz der Glücksspielregulierung in einer verfassungs- wie unionsrechtlich bedeutsamen Weise beeinträchtigen. Allerdings gibt es inzwischen in materiell- wie verfahrensrechtlicher Hinsicht eine bemerkenswerte Annäherung der beiden Rechtskreise, die dieses Risiko minimiert. Als kritischer für den Bestand der aktuellen Regulierung der audiovisuellen Glücksspielwerbung könnten sich indessen sowohl die Nachwirkungen des (zeitweiligen) schleswig-holsteinischen Sonderwegs als auch eine fortdauernd als zu offensiv wahrgenommene Werberichtung der (bisherigen) Monopolisten erweisen.

II. Audiovisuelle Glücksspielwerbung im regulatorischen Mehrebenensystem Audiovisuelle kommerzielle Kommunikation7 für Glücksspiel, im Folgenden als Glücksspielwerbung i.w.S. bezeichnet, ist Gegenstand von Regulierung auf den unter-

5

Schlussanträge des GA Bot v. 14. August 2008 in der Rs. C-42/07, Liga Portuguesa, Slg. 2009, I7633, Rn. 245 f., 248.

6

Allerdings ist glücksspielrechtlich verbotene Werbung nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 und 4 RStV i.V.m. Ziffer 2 Abs. 1 der Werberichtlinien Fernsehen der Landesmedienanstalten (vom 18. Dezember 2012, abrufbar z. B. unter http://www.die-medienanstalten.de/fileadmin/Download/Rechtsgrund lagen/Richtlinien/2012-09-18_Werberichtlinien_Fernsehen_Flie%C3%9Ftext.pdf) und Ziffer 2 Abs. 1 der Werberichtlinien Hörfunk der Landesmedienanstalten (vom 23. Februar 2010, abrufbar unter http://www.die-medienanstalten.de/fileadmin/Download/Rechtsgrundlagen/Richtlinien/10-05-12_R S_Werberichtlinien_H%C3%96RFUNK-23_2_10-Flie%C3%9Ftext_final.pdf) auch rundfunkrechtlich verboten; vgl. hierzu auch Bornemann, Werbung für Glücksspiel im Fernsehen nach dem Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrag, K&R 2012, 653 (656).

7

Art. 1 Abs. 1 Buchst. h) der AVMD-RL, d. h. der Richtlinie 2010/13/EU vom 10. März 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste), ABl. EU 2010 Nr. L 95/1, definiert „audiovisuelle kommerzielle Kommunikation“ – entsprechend dem Ansatz der AVMD-RL ohne Berücksichtigung von Hörfunkaspekten – als „Bilder mit oder ohne Ton, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen der des Erscheinungsbilds natürlicher oder juristischer Personen, die einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen, dienen. Diese Bilder sind einer Sendung gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder als Eigenwerbung beigefügt oder darin enthalten. Zur audiovisuellen kommerziellen Kommunikation zählen unter anderem Fernsehwerbung, Sponsoring, Teleshopping und Produktplatzierung.“ Diese Definition knüpft an die Begriffsbestimmung in Art. 2 Buchst. f) der sog. ECommerce-Richtlinie der EU, der Richtlinie 2000/31/EG vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“ – „E-Commerce

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215

schiedlichsten Regulierungsebenen: Die betreffenden Regulierungssysteme lassen sich nach ihrem Regelungsschwerpunkt (A.) wie nach der hoheitlichen Ebene der Regulierung (B.) unterscheiden. A. Nach dem Regelungsschwerpunkt wird audiovisuelle Glücksspielwerbung sowohl von rundfunkrechtlichen als auch von glücksspielrechtlichen Regelungen erfasst. Während die rundfunkrechtlichen Regelungen dabei den Transporteur der Werbebotschaft, namentlich Rundfunkveranstalter und Telemedienanbieter, im Blick haben, wenden sich die glücksspielrechtlichen Regelungen an den Werbebotschafter, namentlich den Anbieter von Glücksspielen. Die Werbebotschaft selbst muss allerdings den Anforderungen beider Regulierungssysteme genügen. Die Einhaltung der entsprechenden Verpflichtungen wurde nicht dadurch erleichtert, dass zwar der RStV eine Definition von Werbung8 kennt, der GlüStV9 demgegenüber diesen Begriff verwendet, ohne ihn zu definieren.10 Inzwischen findet sich allerdings in § 2 Abs. 1 der Werberichtlinie gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 GlüStV11 eine Definition des Werbungbegriffs,12 die diese definitorische Lücke schließt und zugleich im Wesentlichen mit dem rundfunkrechtlichen Werbungverständnis parallel läuft, ohne dass dies allerdings zu einer vollständigen Synchronität von rundfunk- und glücksspielrechtlichem Begriff führen würde.13 Richtlinie“) (ABl. EU Nr. L 178/1) an. Die Begriffsbestimmung der E-Commerce-Richtlinie wiederum wurde in § 2 Satz 1 Nr. 5 TMG textidentisch aufgegriffen. Vgl. zu den begrifflichen Zusammenhängen weiterführend auch Bornemann, K&R 2012, 653 (654). Vgl. im Übrigen auch die Verhaltensregeln des Deutschen Werberats über die kommerzielle Kommunikation für Glücksspiele aus 2012 (abrufbar unter http://www.werberat.de/glueckspiele), wonach „kommerzielle Kommunikation […] den Einsatz aller Kommunikationsinstrumente durch die Wirtschaft [umfasst], wenn damit primär die Förderung des Absatzes von Waren oder Dienstleistungen verfolgt wird; nicht erfasst sind redaktionelle Medieninhalte“. 8

Nach § 2 Abs. 2 Nr. 7 Satz 1 des Staatsvertrages für Rundfunk und Telemedien (Rundfunkstaatsvertrag – RStV) vom 31. August 1991 ([z. B.] Amtsblatt des Saarlandes 1991, S. 1290), zuletzt geändert durch den Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom 15.12. bis 21.12. 2010 ([z. B.] Amtsblatt des Saarlandes 2011 Teil I, S. 1618) ist „Werbung […] jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs, die im Rundfunk von einem öffentlichrechtlichen oder privaten Veranstalter oder einer natürlichen Person entweder gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder als Eigenwerbung gesendet wird, mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, gegen Entgelt zu fördern“.

9

Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland (Glücksspielstaatsvertrag – GlüStV) vom 15. Dezember 2011, (z. B.) Amtsblatt des Saarlandes 2012 Teil I S. 156.

10

Vgl. hierzu auch Bornemann, K&R 2012, 653 (654).

11

Werberichtlinie gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 GlüStV vom 7. Dezember 2012, (z. B.) Amtsblatt des Saarlandes 2013 Teil II S. 79.

12

„Werbung“ im Sinne dieser Richtlinie ist „jede Äußerung bei der Ausübung eines Handelsgewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zu fördern“.

13

Zu den unterschiedlichen rundfunk- und glückspielrechtlichen Werbebegriffe vgl. auch Bornemann, K&R 2012, 653 (655 f.). Zu sich ggf. aus unterschiedlichen Begriffselementen ergebenden Problemen vgl. Liesching, Abschreibfehler in der neuen Glücksspiel-Werberichtlinie? – „Handelsgewerbe“, „Handels“, „Gewerbe“, http://blog.beck.de/2013/05/03/abschreibfehler-in-der-neuen-glcksspiel-werberichtlinie-handelsgewerbe-handels-gewerbe.

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216

B. Während sich rundfunkrechtliche Regulierungen gesetzgeberischer Art nicht nur auf innerstaatlicher Ebene, namentlich in Gestalt der Werbe-, Sponsoring-, Teleshopping und Gewinnspielregeln des RStV,14 sondern auch auf Ebene der EU, namentlich in Gestalt der Werberegeln der AVMD-Richtlinie,15 finden, ist eine gesetzgeberische Ausformung der Glücksspielregulierung auf EU-Ebene bislang nicht erfolgt. Dies mag mit Blick auf die unterschiedlichen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen für die Veranstaltung von Glücksspiel in den EU-Mitgliedstaaten16 sowie das grenzüberschreitende Angebot von Glücksspielprodukten und -dienstleistungen im Hinblick auf die erkennbare Binnenmarktrelevanz des Gegenstandes überraschen. Zwar hat die Europäische Kommission wiederholt Vorstöße in Richtung einer Rechtsangleichung im Bereich namentlich des Online-Glücksspiels unternommen.17 Nicht zuletzt auch Deutschland hat sich indessen, ausgehend von der Haltung der hier für die Rundfunk- wie die Glücksspielregulierung primär zuständigen Länder, stets – bislang mit Erfolg – gegen solche Harmonisierungsbestrebungen gewandt: Ein Bedürfnis für eine Harmonisierung im Bereich des (Online-)Glücksspiels bestehe nicht und es sei im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip Sache der Mitgliedstaaten, gemäß ihren eigenen kulturellen, sozialen und gesellschaftspolitischen Vorstellungen und Traditionen zu beurteilen, was erforderlich sei, um den Schutz der auf dem Spiel stehenden Interessen sicherzustellen.18 C. Allerdings gelten auch für den Glücksspielbereich unabhängig vom Regelungsansatz die Vorgaben des primären Unionsrechts; namentlich sind die Grundfreiheiten des Binnenmarktes bei sämtlichen Regulierungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten zu beachten. Aufbauend hierauf hat sich zwischenzeitlich eine umfangreiche Judikatur des EuGH entwickelt, die auch für die Frage der Unionsrechtskonformität der Beschränkung werblicher Aktivitäten im Glücksspielbereich bedeutsam ist. Der EuGH bekräftigt in ständiger Rechtsprechung, dass die Mitgliedstaaten im Glücksspielbereich frei sind, selbst über Regelungsmodelle (z. B. Monopol oder Konzessions14

Vgl. §§ 7–8a, 15–16a, 17, 18, 43–46a RStV.

15

Vgl. Art. 9–12, 19–26 AVMD-RL.

16

In einigen EU-Mitgliedstaaten bestehen monopolartige Regelungen, wobei wiederum zwischen dem (Quasi-)Monopolbetrieb eines staatlich kontrollierten öffentlichen Anbieters oder eines privaten Veranstalters auf der Grundlage eines ausschließlichen Rechts unterschieden werden kann. Andere Mitgliedstaaten haben Lizenzsysteme eingeführt, so dass mehr als ein Veranstalter GlücksspielProdukte und -Dienstleistungen am Markt platzieren kann. Vgl. zum Ganzen z. B. Europäische Kommission, Ein umfassender europäischer Rahmen für das Online-Glücksspiel, COM(2012) 596 final, S. 5.

17

Vgl. z. B. zuletzt Europäische Kommission, Grünbuch „Online-Glücksspiele im Binnenmarkt“, KOM (2011) 128; dies., Ein umfassender europäischer Rahmen für das Online-Glücksspiel, COM(2012) 596 final.

18

Vgl. die Beschlüsse des Bundesrates vom 8. Juli 2011 (BR-Drs. 176/11, Ziff. 3) und vom 14. Dezember 2012 (BR-Drs. 651/12, Ziff. 2). Diese unterschiedliche rundfunk- und glückspielbezogene Reaktion des europäischen Gesetzgebers auf ein vergleichbares Phänomen – die Prägung beider Bereiche durch unterschiedliche kulturelle Traditionen der EU-Mitgliedstaten – stellt eine unionsrechtlich nicht zu beanstandende divergierende Form der Beachtung der kulturpolitischen Querschnittsklausel nach Art. 167 Abs. 4 AEUV dar; vgl. hierzu Ress/Ukrow, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 167 AEUV, Rn. 148 ff.

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system) und deren Ausgestaltung zu entscheiden. Nicht zuletzt bei einer Regulierung, die auf ein Monopol als Instrument der bestmöglichen Sicherung der Schutzzwecke setzt, betont der EuGH zugleich, dass in diesen Fällen eine kohärente (d. h. widerspruchsfreie) und systematische Politik verfolgt werden müsse. Ein Mitgliedstaat muss deshalb das Ziel der Suchtvorbeugung und des Spielerschutzes in allen Glücksspielbereichen gleichermaßen, also widerspruchsfrei verfolgen. Um mit den Zielen des Spielerschutzes und der Verminderung der Gelegenheiten zum Spiel im Einklang zu stehen, darf eine nationale Regelung, mit der ein Monopol im Bereich der Glücksspiele geschaffen wird, nur eine Werbung erlauben, die maßvoll und strikt auf das begrenzt ist, was erforderlich ist, um die Verbraucher entsprechend dem Kanalisierungsziel des § 1 Satz 1 Nr. 2 GlüStV zu den zulässigen Glücksspielen zu lenken. Eine entsprechend § 1 Satz 1 Nr. 1 GlüStV konsequent am Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und der Bekämpfung der Spielsucht ausgerichtete Werbung darf nicht zum Wetten auffordern, anreizen oder ermuntern. Die Werbung muss sich auf die Information und Aufklärung über Art und Weise legaler Wettmöglichkeiten beschränken. Dem widersprechen alle Werbemaßnahmen, die von einem noch nicht zum Wetten entschlossenen durchschnittlichen Empfänger der Botschaft als Motivierung zum Wetten zu verstehen sind. Unzulässig ist ferner jede Form der Image- oder Sympathiewerbung, die über den Hinweis auf die Legalität der Monopolangebote hinaus Sympathien für das Wetten selbst weckt. Der Monopolträger darf die Teilnahme an Wetten nicht als sozialadäquate Unterhaltung darstellen und dem Glücksspiel auch kein positives Image verleihen, indem er – über eine sachliche Information im Sinne einer Rechenschaftslegung ohne Bezug zu konkreten Spielmöglichkeiten hinausgehend – auf eine gemeinnützige Verwendung der erzielten Einnahmen hinweist.19 Es ist Sache der nationalen Gerichtsbarkeit zu prüfen, ob die illegalen Spieltätigkeiten im betreffenden Mitgliedstaat ein Problem darstellen können, dem eine Expansion der zugelassenen und regulierten Tätigkeiten abhelfen kann, und ob diese Expansion nicht einen Umfang hat, die sie mit dem Ziel der Eindämmung der Spielsucht unvereinbar macht.20

III. Zielkonflikte und ihre Auflösung Werbung für Glücksspiel bewegt sich mit Blick auf die Zielrichtungen des GlüStV in einem Dilemma: Das in § 1 Satz 1 Nr. 1 GlüStV vorgesehene Ziel, das Entstehen von Glücksspielsucht und Wettsucht zu verhindern und die Voraussetzungen für eine wirksame Suchtbekämpfung zu schaffen, das in § 1 Satz 1 Nr. 2 vorgesehene Ziel, durch ein begrenztes, eine geeignete Alternative zum nicht erlaubten Glücksspiel darstellendes Glücksspielangebot den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken sowie der Entwicklung und Ausbreitung von unerlaubten Glücksspielen in Schwarzmärkten entgegenzuwirken, und das in § 1 Satz 1 Nr. 3 vorgesehene Ziel, den Jugend- und den Spielerschutz zu gewährleisten, sind nach § 1 Satz 1

19

Vgl. OVG NRW, 29. September 2011, 4 A 17/08, Ziff. 50 (abrufbar unter http://www.justiz.nrw.de/ nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2011/4_A_17_08_Urteil_20110929.html) unter Bezugnahme auf EuGH, Rs. C 316/07 u.a., Stoß u.a., Slg. 2010, I-8069, Rn. 103 ff.; Rs. C-212/08, Zeturf Ltd./Premier ministre, Slg. 2011, I-5633, Rn. 71; Rs. C-347/09, Dickinger, I-8185, Rn. 68 f.

20

Vgl. EuGH, Rs. C-258/08, Ladbrokes, Slg. 2010, I-4757, Rn. 37 f.

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zwar „gleichrangig“. Allerdings ist die Bedeutung sämtlicher dieser Ziele im Hinblick auf etwaige Glücksspielwerbemaßnahmen, wie sie auch in § 5 Abs. 121 und § 5 Abs. 3 Satz 2 GlüStV22 angesprochen wird, ebenso evident wie der Umstand, dass eine gleichzeitige Erreichung dieser Ziele kaum möglich ist.23 Diese Ziele müssen im Einzelfall im Sinne der Herstellung praktischer Konkordanz untereinander ausgeglichen werden.24 Bei der danach erforderlichen Abwägung kommt den zuständigen Glücksspielaufsichtsbehörden ein erheblicher Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu, der die Befugnis zum zumindest temporären Vor- und Zurückstellen von Zielsetzungen im Vollzug des GlüStV umfasst.25 Diese verwaltungsverfahrensrechtlichen Ansätze zur Auflösung von Zielkonflikten sind im Übrigen auch im Unionsrecht vertraut: In Anbetracht der Vielzahl von Vertragszielen, die EUV wie AEUV aufstellen, können Zielkonflikte nicht ausbleiben. Die Unionsorgane sind gehalten, solche Konflikte durch eine Konkordanz zu beheben, mit anderen Worten, „sie müssen bei der Verfolgung der Ziele ständig jenen Ausgleich sicherstellen, den etwaige Widersprüche zwischen diesen Zielen, wenn sie isoliert betrachtet werden, erforderlich machen können, und gegebenenfalls dem einen oder anderen unter ihnen zeitweiligen Vorrang einräumen, sofern die [...] Gegebenheiten und Umstände, die den Gegenstand ihrer Beschlussfassung bilden, dies gebieten“.26 Ist es offensichtlich unmöglich, alle Ziele gleichzeitig zu verfolgen, muss es in Kauf genommen werden, dass das eine oder andere Ziel zurücktritt. Keines der Vertragsziele darf allerdings für alle Fälle absolut gesetzt werden. Dem Unionsorgan, das die Zielkonflikte lösen muss, kommt ein weit gespanntes Ermessen zu.27 Es käme deshalb einem interunionalen Wertungswiderspruchgleich, wenn die Europäische Kommission oder der EuGH im Rahmen der Prüfung, ob das deutsche Glücksspielrecht unionsrechtskonform ist, unter Zugrundelegung der – nicht bestreitbaren28 – Rechtskonformität sämtlicher genannter Zielrichtungen des § 1 GlüStV den deutschen Glücksspielaufsichtsbehörden den genannten Beurteilungs- und Ermessensspielraum verweigern würden.

21

Danach ist „Art und Umfang der Werbung für öffentliches Glücksspiel [...] an den Zielen des § 1 (GlüStV) auszurichten“.

22

Danach können die Länder abweichend von dem in § 5 Abs. 3 Satz 1 GlüStV verankerten grundsätzlichen Werbeverbot für öffentliches Glücksspiel im Fernsehen, im Internet sowie über Telekommunikationsanlagen „zur besseren Erreichung der Ziele des § 1“ Werbung für Lotterien und Sport- und Pferdewetten im Internet und im Fernsehen unter Beachtung der Grundsätze nach § 5 Abs. 1 und 2 GlüStV erlauben.

23

Vgl. zu der Problemlage z. B. auch Bornemann, K&R 2012, 653 (654 f.).

24

Vgl. auch Dietlein/Hüsken, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, 2. Aufl. 2013, § 1 GlüStV, Rn. 4.

25

Vgl. grundlegend zu diesen Abwägungsaspekten Scheuner, Staatszielbestimmungen, in: FS für Ernst Forsthoff, 1972, S. 325 ff. (340).

26

EuGH, Rs. 5/73, Balkan-Import-Export/Hauptzollamt Berlin-Packhof, Slg. 1973, 1091 Rn. 24; Rs. 29/77, Roquette, Slg. 1977, 1835 Rn. 29/31; Rs. C-44/94, Fishermen’s Organisations u.a., Slg. 1995, I-3115, Rn. 37 (ständige Rechtsprechung).

27

EuGH, Rs. 139/79, Maizena/Rat, Slg. 1980, 3393 Rn. 23.

28

Vgl. hierzu z. B. Dietlein/Hüsken, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, 2. Aufl. 2013, § 1 GlüStV Rn. 6 ff.

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219 Der RStV29 kennt demgegenüber keine § 1 GlüStV vergleichbare ausdrückliche Zielbestimmung. Ungeachtet dessen dienen die auf die audiovisuelle kommerzielle Kommunikation gerichteten rundfunkrechtlichen Bestimmungen erkennbar nicht nur – parallel zu § 1 Satz 1 Nr. 3 GlüStV – dem Jugendschutz und dem Schutz der Nutzer von Rundfunkprogrammen und Telemedienangeboten,30 sondern auch der Absicherung einer hinreichenden Finanzierungsmöglichkeit im dualen Rundfunksystem und damit dessen Entwicklungsmöglichkeit. Auch wenn diese Finanzierungsdimension, die in der Präambel des RStV31 aufleuchtet, im GlüStV keine ausdrückliche Erwähnung findet, ist sie dennoch zumindest mit Blick auf den gemäß § 1 Satz 1 Nr. 2 GlüStV gewünschten Kanalisierungseffekt auch von glücksspielrechtlicher Relevanz.

IV. Die Ziele des Jugend- und Verbraucherschutzes als Kern einer einheitlichen glücksspiel- und rundfunkrechtlichen Betrachtung audiovisueller Glücksspielwerbung Ein erfreuliches Maß an Parallelität besteht mit Blick auf die jugend- und verbraucherschützerische Dimension der Werberegulierung in Rundfunk- und Glücksspielrecht:32 •

Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 GlüStV darf sich Werbung für öffentliches Glücksspiel nicht an Minderjährige oder vergleichbar gefährdete Zielgruppen richten.33 In die

29

Vergleichbar zur Zieleregelung des § 1 GlüStV ist die Zweckregelung des § 1 des Staatsvertrages über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – JMStV) vom 19. August 2002 ([z. B.] Amtsblatt des Saarlandes 2003, S. 534), zuletzt geändert durch Art. 2 des Dreizehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrages vom 30. Oktober 2009 ([z. B.] Amtsblatt des Saarlandes 2010, S. 10): Zweck des Staatsvertrages ist danach „der einheitliche Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Angeboten in elektronischen Informations- und Kommunikationsmedien, die deren Entwicklung oder Erziehung beeinträchtigen oder gefährden, sowie der Schutz vor solchen Angeboten in elektronischen Informations- und Kommunikationsmedien, die die Menschenwürde oder sonstige durch das Strafgesetzbuch geschützte Rechtsgüter verletzen“.

30

Die verbraucherschützerische Zielrichtung der Regelungen audiovisueller Kommunikation wird in Bezug auf Gewinnspiele von Seiten des BayVGH (Urteil vom 28. Oktober 2009, 7 N 09.1377, DÖV 2010, S. 326 ff.) unzutreffend verneint; vgl. zur Kritik an der Entscheidung auch Stettner, Die Rechtsprechung der Verfassungs- und Verwaltungsgerichte zum bayerischen Medienrecht 2000 bis 2010, 2012, S. 66 ff.

31

Nach Abs. 2 Satz 2, der Präambel des RStV müssen öffentlich-rechtlicher und privater Rundfunk in der Lage sein, den Anforderungen des nationalen und des internationalen Wettbewerbs zu entsprechen. Abs. 3 Satz 3, der Präambel sieht vor, dass die finanziellen Grundlagen einschließlich des dazugehörigen Finanzausgleichs des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu erhalten und zu sichern sind. Abs. 4 Satz 1 und 2, der Präambel regelt zudem, dass den privaten Veranstaltern Ausbau und Fortentwicklung eines privaten Rundfunksystems ermöglicht und dazu auch angemessene Einnahmequellen erschlossen werden sollen.

32

Zu § 6 Abs. 1 JuSchG und den §§ 33c ff. GewO als weiteren, dem Jugendschutz dienenden Bestimmungen in Bezug auf Glücksspiel vgl. Liesching, Glücks- und Gewinnspielrecht. Grundlagen und Besonderheiten des Jugendschutzes, JMS-Report 3/2013, 3 (3).

33

Konkretisiert wird diese Regelung in § 4 Abs. 1 Nr. 1 der Werberichtlinie nach § 5 Abs. 4 Satz 1 GlüStV: Danach entspricht Werbung für öffentliches Glücksspiel, die sich an Minderjährige oder

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gleiche jugendschützerische Richtung weist der werbungsbezogene Jugendmedienschutz: So darf Werbung nach § 6 Abs. 2 JMStV Kindern und Jugendlichen weder körperlichen noch seelischen Schaden zufügen, darüber hinaus darf sie nach Nr. 1 dieser Bestimmung keine direkten Kaufappelle an Kinder oder Jugendliche enthalten, die deren Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit ausnutzen. Werbung, die sich auch an Kinder oder Jugendliche richtet oder bei der Kinder oder Jugendliche als Darsteller eingesetzt werden, darf im Übrigen nach § 6 Abs. 4 JMStV nicht den Interessen von Kindern oder Jugendlichen schaden oder deren Unerfahrenheit ausnutzen. •

V.

Irreführende Werbung für öffentliches Glücksspiel, insbesondere solche, die unzutreffende Aussagen über die Gewinnchancen oder Art und Höhe der Gewinne enthält, ist gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 GlüStV verboten. Ein rundfunkrechtliches Verbot irreführender Werbung ergibt sich aus § 7 Abs. 1 Nr. 3 RStV34 ebenso wie (allerdings nur in Bezug auf private Rundfunkveranstalter) aus dem Gebot der Einhaltung der allgemeinen Gesetze nach § 41 Abs. 1 Satz 4 RStV i.V.m. § 5 UWG. Für Gewinnspiele im privaten Rundfunk35 ist das Irreführungsverbot zudem in § 6 der Gewinnspielsatzung der Landesmedienanstalten36 vorgesehen.

Unterschiede im Anwendungsbereich der Regulierungsregime

Unterschiede zwischen rundfunk- und glücksspielrechtlicher Regulierung audiovisueller Kommunikation bestehen allerdings bereits in Bezug auf den Anwendungsbereich der jeweiligen Regulierungsregime: •

Die Werbebestimmungen des RStV treffen Hörfunk- und Fernsehwerbung grundsätzlich in gleicher Weise. Es besteht ein gleiches Regulierungsniveau für alle Arten der Rundfunkwerbung namentlich in Bezug auf - die in § 7 Abs. 1 RStV enthaltenen Werbegrundsätze, insbesondere auch das Vebot der Irreführung oder Schädigung der Verbraucher (Nr. 3) sowie das Ver-

vergleichbar gefährdete Zielgruppen richtet, insbesondere Darstellungen und Aussagen enthält, die Minderjährige besonders ansprechen oder Minderjährige oder vergleichbar gefährdete Zielgruppen darstellt, die an öffentlichen Glücksspielen teilnehmen, nicht den Anforderungen des § 5 Absätze 1 und 2 GlüStV und ist nicht erlaubt. 34

Danach dürfen „Werbung und Teleshopping [...] nicht [...] irreführen oder den Interessen der Verbraucher schaden“.

35

Die auf der Grundlage von § 8a in Verbindung mit § 46 Abs. 1 Satz 1 und § 58 Abs. 4 RStV erlassene Satzung der Landesmedienanstalten über Gewinnspielsendungen und Gewinnspiele (Gewinnspielsatzung) v. 13. Januar 2009 (z. B. Amtsblatt des Saarlandes 2009, S. 313) findet inzwischen nur noch auf Rundfunkangebote Anwendung. Denn die Erstreckung des Geltungsbereiches der Gewinnspielsatzung auf Telemedien wurde in einem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Oktober 2009 (DÖV 2010, 326 ff.) für unwirksam erklärt.

36

Vgl. hierzu auch die erläuternden Ausführungen zu § 6 in den Anwendungs- und Auslegungsregeln der Landesmedienanstalten zur Gewinnspielsatzung (GWS); abrufbar z. B. unter http://www.blm.de/ apps/documentbase/data/pdf1/Anwendungs-_und_Auslegungsregeln_zur_GWS_090811.pdf.

220 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

221

bot der Förderung von Verhaltensweisen, die die Gesundheit gefährden (Nr. 4 Alt. 1) – beides Verbote, die nicht zuletzt auch mit Blick auf die mögliche Suchtdimension von Glücksspiel auch von besonderer glücksspielbezogener Bedeutung sind; - das in § 7 Abs. 2 RStV verankerte Verbot der inhaltlichen oder redaktionellen Beeinflussung des übrigen Programms durch Werbung oder Werbetreibende; - die in § 7 Abs. 3 RStV verorteten Kennzeichnungspflichten, namentlich das Gebot der Trennung von Werbung und Programm; - die Zulässigkeit von Dauerwerbesendungen nach Maßgabe des § 7 Abs. 5 RStV; - die Unzulässigkeit der Werbeunterbrechung bei Sendungen für Kinder gemäß § 7a Abs. 1 RStV. Demgegenüber gibt es Unterschiede in der rundfunkrechtlichen Regulierung von Hörfunk und Fernsehen namentlich in Bezug auf die Einfügung von Werbung, bei der die Anforderungen des § 7a Abs. 2 RStV ausschließlich Fernsehangebote betreffen. •

Ein umfassendes Werbeverbot gilt nach § 5 Abs. 5 GlüStV in Bezug auf unerlaubte Glücksspiele.37 Im Unterschied zu der im Grundsatz gleichgerichteten rundfunkrechtlichen Hörfunk- und Fernsehwerberegulierung gilt das in § 5 Abs. 3 Satz 1 GlüStV verankerte (lediglich grundsätzliche) Verbot der Werbung für öffentliches Glücksspiel rundfunkbezogen nur für das Fernsehen,38 nicht auch für den Hörfunk.39 Diese rundfunkbezogene Differenzierung, die auch schon im GlüStV aus

37

Zu möglichen Problemen aus einer Bußgeldbewehrung des § 5 Abs. 5 GlüStV mit Blick auf das Verbot der Werbung für unerlaubte Glücksspiele nach § 284 Abs. 4 StGB vgl. Bornemann, K&R 2012, 653 (655).

38

Das Verbot gilt nach § 8 Abs. 1 Satz 2 und 3 der Glücksspiel-Werberichtlinie unabhängig vom Verbreitungsweg und auch für eine Teilbelegung des ausgestrahlten Bildes. Vom Verbot umfasst werden auch der Fernsehtext und audiovisuelle Mediendienste auf Abruf (Video-on-Demand). Damit werden die Technologieneutralität des Rundfunkrechts (vgl. hierzu z. B. die von der LPR Hessen beauftragte Studie von Gersdorf, Der Rundfunkbegriff, Vom technologieorientierten zum technologieneutralen Begriffsverständnis, 2007, sowie Ukrow, Das Medienrecht auf dem Weg von technischer zu regulatorischer Konvergenz bei Wahrung kultureller Vielfalt, in: Bröhmer u.a. (Hrsg.), Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte, Festschrift für Georg Ress, 2005, S. 1305 [1306 ff.]) ebenso aufgegriffen wie jüngere, zunächst im Rundfunkrecht regulierte werbetechnische Möglichkeiten, wie split-screen-Werbung (hierzu § 7 Abs. 4 RStV). Dauerwerbesendungen für öffentliches Glücksspiel sind im Fernsehen nach § 8 Abs. 3 der Glücksspiel-Werberichtlinie grundsätzlich unzulässig. Zulässig sind unbeschadet des § 5 Abs. 3 GlüStV Dauerwerbesendungen sowie Ziehungssendungen für Lotterien, die nicht häufiger als zweimal pro Woche veranstaltet werden, und Lotterien im Sinne des Dritten Abschnitts des Glücksspielstaatsvertrages. Teleshopping für öffentliches Glücksspiel ist nach § 8 Abs. 5 der Richtlinie nicht erlaubt.

39

Für Fernsehen wie Hörfunk ist in § 8 Abs. 4 und 6 bzw. § 10 der Glücksspiel-Werberichtlinie allerdings einheitlich geregelt, (1.) dass Eigenwerbekanäle von Anbietern öffentlicher Glücksspiele verboten sind, es sei denn, es handelt sich um die Angebote der Rennvereine, die ihre Rennen, die in Ausführung von § 1 Rennwett- und Lotteriegesetz durchgeführt werden, in die ihnen angebundenen

221 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

222

2007 vorgesehen war, könnte grundsätzlich unions- wie verfassungsrechtliche Fragen im Hinblick auf die Kohärenz der Glücksspielwerbungsregulierung aufwerfen. •

Allerdings ist insoweit schon regulatorisch bedeutsam, dass Hörfunk – im Unterschied zum Fernsehen – nicht von der AVMD-Richtlinie40 erfasst ist. Diese unionsrechtliche Differenzierung spiegelt zwar im Wesentlichen eine unterschiedliche Wahrnehmung der Binnenmarktrelevanz von Fernsehen und Hörfunk wider. Ihr entsprechen allerdings nicht zuletzt auch Unterschiede in der werblichen Wirkung und Wirkungsmöglichkeit dieser beiden audiovisuellen Mediengattungen: Namentlich erlaubt Fernsehwerbung mit seiner multisensorischen Wirkung einen vergleichsweise einfacheren Transport von Emotionen als Hörfunk. Umgekehrt sind die Produktionskosten für Fernsehwerbung tendenziell deutlich höher als diejenigen für Hörfunkwerbung.41 Vor diesem Hintergrund erscheinen etwaige Bedenken gegen die Differenzierung zwischen Fernseh- und Hörfunkwerbung nicht durchgreifend. Vielmehr erscheint, auch unter dem Gesichtspunkt der unterschiedlichen Wirkungsweisen der beiden Mediengattungen, eine stärkere Ausdifferenzierung zwischen den hörfunk- und fernsehbezogenen Regelungen audiovisueller Kommunikation erwägenswert.42



Sponsoring43 hat sich neben klassischer Werbung zu einem weiteren Mittel audiovisueller Kommunikation entwickelt. In Bezug auf dieses Mittel lassen sich in der Rundfunk- und der Glücksspielregulierung unterschiedliche Regulierungstendenzen beobachten: Schon seit Beginn der rundfunkrechtlichen Regulierung des Sponsoring galten für dieses, wie nunmehr in § 8 Abs. 8 RStV vorgesehen, unter anderem die Werbegrundsätze des § 7 Abs. 1 RStV sowie das Trennungs- und Kennzeichnungsgebot des § 7 Abs. 3 RStV entsprechend. Inzwischen gibt es einen weiteren Trend zur Parallelisierung werbe- und sponsoringrechtlicher Verbote: Seit dem am 1. Januar 2013 in Kraft getretenen 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrag ist im öffentlichrechtlichen Fernsehen – wie bisher bereits Werbung44 – auch Sponsoring nach § 16

Vertriebsnetze übertragen (vgl. § 8 Abs. 4 und § 10 Abs. 2 der Richtlinie) und (2.) dass die Werbung keine prägenden Elemente enthalten darf, die auch Bestandteil von Kindersendungen sind (vgl. § 8 Abs. 6 und § 10 Abs. 1 der Richtlinie). 40

Vgl. den 23. Erwägungsgrund der AVMD-Richtlinie.

41

Zu diesen Unterschieden vgl. z. B. http://www.crossvertise.com/informieren/mediengattungen/tv/.

42

Vor diesem Hintergrund ist es in besonderer Weise nachvollziehbar, dass die DLM auf den bisherigen Gleichlauf in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht bei der Abfassung bzw. Änderung der Werberichtlinien für Fernsehen und Hörfunk jüngst verzichtet hat.

43

Sponsoring wird in § 2 Abs. 2 Nr. 9 RStV definiert als „jeder Beitrag einer natürlichen oder juristischen Person oder einer Personenvereinigung, die an Rundfunktätigkeiten oder an der Produktion audiovisueller Werke nicht beteiligt ist, zur direkten oder indirekten Finanzierung einer Sendung, um den Namen, die Marke, das Erscheinungsbild der Person oder Personenvereinigung, ihre Tätigkeit oder ihre Leistungen zu fördern“. Die Werberichtlinie nach § 5 Abs. 4 GlüStV knüpft in ihrem § 1 Abs. 3 Satz 1 an diese Begriffsbestimmung an.

44

Vgl. hierzu § 16 Abs. 1 Satz 3 RStV.

222 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

223 Abs. 6 1. Halbs. RStV grundsätzlich45 nach 20.00 Uhr sowie an Sonntagen und im ganzen Bundesgebiet anerkannten Feiertagen unzulässig. Bei der der Regulierung audiovisueller Kommunikation im Glücksspielbereich lässt sich demgegenüber eine gegenläufige, stärker zwischen Werbung und Sponsoring differenzierende Entwicklung beobachten: Während nach der Klammerdefinition des § 5 Abs. 3 GlüStV aus 2007 das damalige Werbeverbot durch die Inbezugnahme des § 8 RStV auch das Sponsoring umfasste, hat der GlüStV aus 2011 diese Klammerdefinition bewusst gestrichen. Das (nunmehr ohnedies nur noch als Grundsatz mit Abweichungsmöglichkeiten verankerte) Fernsehwerbeverbot des § 5 Abs. 3 Satz 1 GlüStV gilt danach nicht mehr für Sponsoring. Sponsoring im Sinne des § 8 Rundfunkstaatsvertrag ist entsprechend diesem neuen staatsvertraglichen Regulierungsansatz nach § 1 Abs. 3 Satz 1 der Werberichtlinie gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 GlüStV46 von den Erlaubnispflichten für Werbung im Sinne des § 5 Absatz 3 GlüStV nicht erfasst. Diese Entwicklung könnte zukünftig, nicht zuletzt wegen der zumindest aus Sicht des Zuschauers nicht ohne Weiteres nachvollziehbaren Abgrenzbarkeit von Werbung und Sponsoring im Hinblick auf ihren werblichkommunikativen Effekt, Fragen im Hinblick auf die Kohärenz der Glücksspielregulierung aufwerfen. Allerdings hat die Judikatur diese Entwicklung inzwischen teilweise relativiert: Nach einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichts München47 kann Glücksspielsponsoring nämlich als unerlaubte Werbung einzuordnen sein, wenn die Sponsoringhinweise so ausgestaltet sind, dass sie zum Glücksspiel motivieren und Anreize dafür setzen.48

VI. Eine Zensur findet (nicht) statt? Unterschiede zwischen der Rundfunk- und der Glücksspielregulierung bestehen auch in Bezug auf den Zeitpunkt der Kontrolle der Einhaltung der Bestimmungen zur glücksspielbezogenen audiovisuellen Kommunikation:

45

Eine Ausnahme besteht nach § 16 Abs. 6 2. Halbsatz RStV für das Sponsoring der Übertragung von Großereignissen nach § 4 Abs. 2 RStV.

46

Vom 7. Dezember 2012, (z. B.) Amtsblatt des Saarlandes 2013 II, Seite 79.

47

Beschluss des Bayerischen VGH München vom 29. November 2012, Az. 7 CS 12.1642, ZfGW 2013, 39 (42), unter Hinweis auf Beschluss des Bayerischen VG München vom 13. Juli 2012 (Az. M 17 S 12.2498).

48

Für die Zeit bis zur Konzessionierung von Glücksspielanbietern durch die Glücksspielaufsichtsbehörden und bis zum Inkrafttreten der Werberichtlinie nach § 5 Abs. 4 GlüStV hat die ZAK im September 2012 beschlossen, dass Sponsoring durch Glücksspielanbieter, die ihren Bewerbungsantrag in dem Konzessionsverfahren gestellt haben, in TV-Programmen zulässig ist, soweit bei der Gestaltung der Sponsorhinweise die Schwelle zur verbotenen Werbung nach § 5 Abs. 3 Satz 1 GlüStV entsprechend dem Beschluss des Bayerischen VG München vom 13. Juli 2012 (Az. M 17 S 12.2498) nicht überschritten wird.

223 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

224



Im Hinblick auf das in Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG enthaltene Verbot der (Vor-)Zensur, d. h. der Vorschaltung eines präventiven Verfahrens, vor dessen Abschluss ein Medienerzeugnis nicht veröffentlicht werden darf,49 sieht der RStV für den Bereich der Aufsicht über bundesweiten privaten Rundfunk – ebenso wie die jeweiligen Landesmediengesetze für landesweite, regionale oder lokale Angebote – lediglich eine ex-post-Kontrolle von Angeboten auf einen etwaigen Verstoß gegen rundfunkrechtliche Vorgaben vor:50 Die Programmkontrolle bezieht sich daher ausschließlich auf bereits ausgestrahlte Sendungen. Diese ex-post-Kontrolle ist nicht nur zulässig, sondern auch erforderlich, um den Schrankengesetzen des Art. 5 Abs. 2 GG zu einer praktischen Wirksamkeit zu verhelfen und ist mithin verfassungsrechtlich vorausgesetzt. Die Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Werbemaßnahmen öffentlichrechtlicher Rundfunkanstalten51 erfolgt im Rahmen der binnenplural organisierten Struktur dieser Anstalten intern durch die jeweiligen Rundfunk- bzw. Fernsehräte. Demgegenüber erfolgt die Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Werbemaßnahmen privater Rundfunkveranstalter extern: Bei bundesweiten Veranstaltern ist insoweit die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK)52 zuständig, die jeweils als Organ der zuständigen Landesmedienanstalt53 tätig wird. Bei landesweiten, regionalen oder lokalen Rundfunkveranstaltern erfolgt die externe ex-post-Kontrolle demgegenüber durch den jeweiligen Medienrat oder das vergleichbare Gremium der zuständigen Landesmedienanstalt. Bei privaten Telemedienanbietern richtet sich die Kontrollzuständigkeit im Hinblick auf Angebote kommerzieller Kommunikation gemäß § 59 Abs. 2 RStV nach Landesrecht; hier besteht inzwischen mehrheitlich ebenfalls eine Zuständigkeit der Landesmedienanstalten.54



Im Gegensatz dazu gehen der GlüStV und auf ihm aufbauend die Werberichtlinie nach § 5 Abs. 4 Satz 1 GlüStV von einer ex-ante-Kontrolle von Werbemaßnahmen aus: Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 GlüStV können die Länder zur besseren Erreichung der Ziele des § 1 GlüStV Werbung für Lotterien und Sport- und Pferdewetten im Internet und im Fernsehen erlauben. Um (auch) über Internet und Fernsehen verbreitet werden zu können, muss die Werbung vorab von der nach § 9a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1

49

Vgl. BVerfGE 33, 52 (71 ff.); 73, 118 (166); 83, 130 (155); 87, 209 (230).

50

Im Übrigen sind entsprechend dem Grundsatz der „Polizeifestigkeit“ im Bereich der Presse- und Rundfunkfreiheit im durch Art. 5 GG verfassungsrechtlich geschützten Bereich der Rundfunkfreiheit generell jedwede Maßnahmen allgemeiner Polizei- und Ordnungsbehörden ausgeschlossen; vgl. VG Köln, Beschluss v. 3. Juni 2009, 6 L 798/09, abrufbar unter http://dejure.org/dienste/vernetzung/ rechtsprechung?Text=6%20L%20798/09.

51

Die Programme des Deutschlandradios sind nach § 2 Abs. 2 des Deutschlandradio-Staatsvertrages werbefrei und nach § 2 Abs. 3 dieses Vertrages grundsätzlich frei von Sponsoring.

52

Vgl. zum Verfahren der ZAK die Geschäfts- und Verfahrensordnung der Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) (GVO-ZAK) vom 1. September 2008, abrufbar unter http://www.diemedienanstalten.de/fileadmin/Download/Rechtsgrundlagen/Satzungen/GVO-ZAK_01.09.2008.pdf.

53

Herr Prof. Thaenert hat sich zutreffend dagegen gewehrt, in dem Fehlen einer ausdrücklichen Regelung zur Frage, welche Landesmedienanstalt für eine Lizenzierung bundesweiter privater Rundfunkveranstalter zuständig ist, einen Freibrief für ein Lizenz-Hopping zu sehen.

54

Vgl. zu den Zuständigkeiten für die Telemedienaufsicht ALM GbR (Hrsg.), Jahrbuch 2012/2013 – Landesmedienanstalten und privater Rundfunk in Deutschland, 2013, S. 40 f.

224 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

225

GlüStV zuständigen Glücksspielaufsichtsbehörde des Landes Nordrhein-Westfalen erlaubt worden sein. Zur Erfüllung (auch) dieser Aufgabe besteht das Glücksspielkollegium der Länder, das – dem Strukturvorbild55 der ZAK und der KJM im Kreis der Landesmedienanstalten folgend – nach § 9a Abs. 5 Satz 2 GlüStV der nach § 9a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GlüStV zuständigen Glücksspielaufsichtsbehörde des Landes Nordrhein-Westfalen als Organ bei der Erfüllung ihrer Aufgaben dient. Einzelheiten des Erlaubnisverfahrens regelt die Werberichtlinie nach § 5 Abs. 4 Satz 1 GlüStV: Der Antrag, der von werbenden Veranstaltern und Vermittlern als Antragsteller eingereicht werden kann, muss nach § 14 Abs. 2 der Richtlinie ein Werbekonzept mit einer Beschreibung der zu bewerbenden Glücksspielprodukte und der beabsichtigten Werbemaßnahmen, mit der Häufigkeit und Dauer von Werbesendungen und -maßnahmen und der Zielgruppe sowie mit dem geplanten Werbezeitraum beinhalten. Bei Fernsehwerbung soll das Werbekonzept zusätzlich das geplante Werbeumfeld beinhalten. Der Antragsteller hat im Werbekonzept schlüssig darzulegen, wie der Einhaltung der Werberichtlinie Genüge getan werden soll. Die Glücksspielaufsichtsbehörde des Landes Nordrhein-Westfalen prüft über das Glücksspielkollegium sodann nach § 14 Abs. 1 der Richtlinie die Befreiung vom Fernseh- und Internetwerbeverbot entsprechend der in dieser Werberichtlinie dargelegten Anforderungen. Die Glücksspielaufsichtsbehörde kann über das Glücksspielkollegium von Einzelerlaubnissen absehen und eine Rahmenerlaubnis für Werbung im Fernsehen und Internet erteilen. Die Erlaubnis muss vor der Übertragung der Werbung vorliegen. Wesentliche Änderungen des Werbekonzepts sind der Glücksspielaufsichtsbehörde zur Genehmigung vorzulegen. Bei der Frage, ob Werbemaßnahmen erlaubt werden, ist nach § 3 Abs. 1 Satz 2 der Glücksspiel-Werberichtlinie zu berücksichtigen 1. welche Werbeinhalte vermittelt werden, 2. ob gegen Werbeverbote verstoßen wird, 3. welche Werbemedien eingesetzt werden,56 4. ob die erforderlichen Pflichthinweise enthalten sind und 5. wie hoch das Gefährdungspotential des beworbenen Glücksspielprodukts ist.57

55

Zur Vorbildfunktion vgl. die amtliche Begründung zu § 9a GlüStV, (z. B.) Landtag des Saarlandes, Drs. 15/15, S. 132) sowie z. B. auch Bornemann, K&R 2012, 653 (655).

56

Werbung für öffentliches Glücksspiel in Medien, deren redaktioneller Teil sich überwiegend an Minderjährige richtet, sowie Werbegestaltungen, die primär Minderjährige ansprechen, sind entsprechend der Differenzierung nach der Art des eingesetzten Werbemediums nach § 6 der Glücksspiel-Werberichtlinie unzulässig.

57

Zur Differenzierung nach Art des Glücksspiels vgl. § 5 der Glücksspiel-Werberichtlinie.

225 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

226

Die Werbung kann nach § 3 Abs. 3 der Werberichtlinie Informationen über das Unternehmen, Spielangebote und Spielregeln sowie Suchtprävention und Jugendschutz zum Inhalt haben. Daneben sind Informationen über Veränderungen des beworbenen Glücksspiels oder seines Vertriebswegs zulässig. Imagewerbung für das Unternehmen und Dachmarkenwerbung sind zulässig, sofern nicht unter derselben Dachmarke auch illegale Glücksspiele angeboten werden. Informationen des Unternehmens über die Förderung gemeinnütziger Zwecke sind erlaubt. Darüber hinausgehende Werbung zur Attraktivitätssteigerung des Spielangebots ist gemäß § 3 Abs. 4 der Werberichtlinie nur nach Maßgabe der Vorschriften des Dritten Teils dieser Richtlinie zulässig. Im Vorfeld des Inkrafttretens der Werberichtlinie wurde das Erlaubnisverfahren nach § 14 und insbesondere § 14 Abs. 2 dieser Richtlinie nicht nur ökonomisch und unter Praktikabilitätsaspekten,58 sondern auch im Blick auf das grundgesetzliche Zensurverbot kritisiert.59 Diese Kritik liegt zwar nicht zuletzt mit Blick auf die bisherige Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zum Zensurverbot60 nahe. Allerdings erscheint denklogisch auch ein anderes Ergebnis vertretbar: Denn wenn ein vollständiges Werbeverbot für öffentliches Glücksspiel im Fernsehen und im Internet, wie es der alte § 5 Abs. 3 GlüStV aus 2007 vorsah, verfassungs- und europarechtlich keinen durchgreifenden Bedenken begegnete,61 könnte im Sinne einer Argumentation a maiore ad minus einiges auch für die Zulässigkeit eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt sprechen, wie es nunmehr § 5 Abs. 3 GlüStV verankert. Dies umso mehr, als Adressat des Erlaubnisverfahrens nicht die Medienunternehmen sind, in deren Angeboten die Werbung platziert werden soll, sondern die Glücksspielveranstalter und -vermittler, die sich ihrerseits nicht auf den Grundrechtsschutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, sondern (nur) auf die Berufsfreiheit des Art. 12 GG stützen können. Dass das Erlaubnisverfahren nach § 5 Abs. 4 Satz 1 GlüStV i.V.m. § 14 Abs. 2 der Werberichtlinie eine grundrechtlich zulässige Berufsausübungsschranke darstellt, die durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gerechtfertigt ist,62 ist evident: Denn zu solchen vernünftigen Erwägungen zählt nicht zuletzt auch die Suchtbekämpfung.63 Dass das Erlaubnisverfahren die Berufsausübungsfreiheit unverhältnismäßig einschränken würde, ist zudem nicht ersichtlich. Namentlich ist die Zumutbarkeit

58

Das Verfahren wurde als zu aufwendig und für die Praxis ungeeignet bemängelt, nicht zuletzt, weil die Unternehmen die für die Genehmigung eines Werbekonzepts erforderlichen Informationen praktisch nicht beibringen könnten, da Inhalte, Dauer und Häufigkeit von Werbemaßnahmen gerade bei Werbeschaltungen in Internet und TV auf lange Sicht vorab nicht bekannt bzw. vorauszusehen seien; vgl. BVDW, Whitepaper „Werbung für Glücksspiel nach der Werberichtlinie zum Glücksspielstaatsvertrag“, 2013, S. 3.

59

Vgl. hierzu Viniol/Hofmann, Liberalisierte Glücksspielwerbung in Deutschland 2013?, MMR 2013, 434 (436 f.).

60

Vgl. BVerfGE 33, 52 (71 ff.); 73, 118 (166); 83, 130 (155); 87, 209 (230 f.).

61

Vgl. hierzu z. B. BVerfG, ZfGW 2008, 351 ff. sowie Hecker/Ruttig, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, 2. Aufl. 2013, § 5 GlüStV Rn. 8 ff., 54 ff.

62

Vgl. hierzu z. B. BVerfG, NJW 1986, 1533 (1536); NJW 1992, 2341 (2343); ZfGW 2006, 16 ff.; ZfGW 2008, 351 ff.

63

Vgl. hierzu z. B. BVerfGE 115, 276 (303, 309 f.).

226 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

227 dieses Verfahrens nicht ernsthaft zu bestreiten.64 Ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Werbeerlaubnis für werbewillige konzessionierte Glücksspielanbieter besteht im Übrigen weder nach dem Wortlaut der Werberichtlinie noch ist er mit Blick auf die aufgezeigte Verhältnismäßigkeit des Erlaubnisverfahrens verfassungsrechtlich geboten.65 Auch eine Rechtswidrigkeit des Rechtsaktstypus „Richtlinie“ zur konkretisierenden Steuerung des Verhaltens von Glücksspielveranstaltern und -vermittlern ist – entgegen Auffassungen in der Literatur66 – nicht ersichtlich: Wie für die Werberichtlinien der Landesmedienanstalten in § 46 Satz 1 RStV besteht für die Werberichtlinie der Glücksspielaufsichtsbehörden in § 5 Abs. 4 Satz 1 GlüStV eine hinreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage: Denn zu „Art und Umfang“ der nach § 5 Abs. 3 Satz 2 GlüStV erlaubten Werbung, auf die § 5 Abs. 4 Satz 1 GlüStV abstellt, zählt nicht zuletzt auch die Art und Weise, wie diese Werbung erlaubt werden kann. Es handelt sich insoweit bei § 14 Abs. 2 der Werberichtlinie nach § 5 Abs. 4 Satz 1 GlüStV – entsprechend der amtlichen Begründung zu dieser Norm des GlüStV,67 die zumindest mit Blick auf eine historische und teleologische Auslegung der Regelung hinsichtlich der Frage nach der Qualität der Richtlinie bedeutsam ist68 – nicht nur um eine norminterpretierende,69 sondern um eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift.70 Auch die Zusammensetzung des Glücksspielkollegiums als erlassender Einrichtung steht einem Verständnis des § 5 Abs. 4 Satz 1 GlüStV als Ermächtigungsnorm für eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift nicht entgegen:71 Weder fehlt es an einer Rückbindung des Glücksspielkollegiums an den Wähler noch an dessen Kontrolle durch ein demokratisch gewähltes Parlament. Denn zum einen unterliegen die Mitglieder des Kollegiums selbstverständlich, vermittelt durch die jeweilige Einbindung in einen Behördenapparat, einer zumindest mittelbaren Kontrolle durch die jeweiligen Landesparlamente; eine Weisungsfreiheit der Mitglieder des Kollegiums besteht bewusst nicht. Zum anderen existiert eine parlamentarische Kontrollmöglichkeit nicht zuletzt mit Blick auf die Finanzierung dieses Kollegiums aus Haushaltsmitteln.

64

Bislang (Stand: Juni 2013) sind mit Beispielen unterlegte Werbekonzepte erfolgreich zur Erlaubnis vorgelegt worden, ohne dass der Nachweis bzw. die lückenlose Auflistung aller darin enthaltenen Werbemaßnahmen erforderlich war. Zudem hat die zuständige Erlaubnisbehörde bei geplanter Fernsehwerbung lediglich die Visualisierung der geplanten Werbespots mittels eines Storyboards verlangt. Die einzelnen Werbespots wiederum mussten bislang nicht vorab zur Erlaubnis vorgelegt werden; vgl. BVDW, Whitepaper „Werbung für Glücksspiel nach der Werberichtlinie zum Glücksspielstaatsvertrag“, 2013, S. 3 f. Zu den bislang erteilten Werbeerlaubnissen vgl. die Übersicht abrufbar unter http://www.brd.nrw.de/ordnung_gefahrenabwehr/gluecksspielrecht/Erteilte_Erlaubnisse _zur_Werbung_f__r_Gl__cksspiel.html.

65

So aber offenbar Bornemann, K&R 2012, 653 (656 f.), sowie Viniol/Hofmann, MMR 2013, 434 (437).

66

Vgl. Bornemann, K&R 2012, 653 (657); Fried, Die neue Werberichtlinie zum Glücksspielstaatsvertrag, MMR 2013, 483 (484 f.).

67

Vgl. (z. B.) Landtag des Saarlandes, Drs. 15/15, S. 129.

68

Dies verkennt Fried, MMR 2013, 483 (484).

69

So aber Bornemann, K&R 2012, 653 (658).

70

So auch Hecker/Ruttig, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, 2. Aufl. 2013, § 5 GlüStV, Rn. 77.

71

So aber Fried, MMR 2013, 483 (484 f.).

227 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

228

Problematisch ist demgegenüber, dass die Werberichtlinie durch die Mitglieder des Glücksspielkollegiums gemäß § 9a Abs. 8 GlüStV auch mit bloßer Stimmenmehrheit beschlossen bzw. geändert werden kann und in einem solchen Fall dennoch für alle Länder Bindungswirkung entfaltet. Hier weicht die glücksspielrechtliche Regulierung des Zustandekommens einer normkonkretisierenden Richtlinie in einer mit Blick auf demokratische Legitimationsketten bemerkenswerten Weise72 von der Herangehensweise des Rundfunkrechts ab: Dort ist nicht nur der Erlass „gemeinsamer“ Satzungen und Richtlinien unter anderem für den Werbebereich in § 46 Satz 1 RStV geregelt; vielmehr bestimmt § 9 Abs. 2 Satz 1 des ALM-Statuts,73 dass im Falle der Abstimmung über den Erlass gemeinsamer Richtlinien nach § 46 RStV die Beschlüsse der ALM der Einstimmigkeit bedürfen.

VII. Schritte zu einer verfahrensmäßigen Effektuierung einer kohärenten Aufsicht über audiovisuelle Kommunikation im Glücksspielbereich Zur Umsetzung des Glücksspielstaatsvertrages und insbesondere zur Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Glücksspiel- und Medienaufsicht, haben sich Vertreter der Landesmedienanstalten und der Glücksspielaufsichtsbehörden auf ein abgestimmtes Vorgehen verständigt, dass durch folgende Eckpunkte geprägt ist: 1. Die Landesmedienanstalten sind für alle Prüfungen und Maßnahmen gegenüber privaten Rundfunkveranstaltern sowie – im Rahmen ihrer landesrechtlichen Zuständigkeit – für alle Prüfungen und Maßnahmen gegenüber den privaten Anbietern von Telemedien zuständig. 2. Die Glücksspielaufsichtsbehörden sind für alle Prüfungen und Maßnahmen gegenüber den Glücksspielveranstaltern und -vermittlern zuständig. 3. Veranstaltet ein privater Rundfunkveranstalter oder Anbieter von Telemedien selbst ein Glücksspiel, ist vorrangig die Glücksspielaufsicht zuständig. 4. Für die Aufsicht über die Einhaltung der Anforderungen nach § 5 GlüStV i.V.m. der glücksspielrechtlichen Werberichtlinie in Bezug auf Art und Umfang der Glücksspielwerbung ist gegenüber den Glücksspielveranstaltern die Glücksspielaufsicht zuständig. 5. Für die Aufsicht über die Einhaltung der Glücksspielwerbeverbote des § 5 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 5 GlüStV sind unbeschadet Ziffer 3 die Medienanstalten a) gegenüber privaten Fernsehveranstaltern

72

Zur Kritik vgl. auch Viniol/Hofmann, MMR 2013, 434 (434).

73

Vertrag über die Zusammenarbeit der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten in der Bundesrepublik Deutschland (ALM) – ALM-Statut – v. 17. Juni 2011, (z. B.) Amtsblatt des Saarlandes 2011 Teil II, S. 948.

228 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

229

b) gegenüber privaten Anbietern von Telemedien nach Maßgabe ihrer landesrechtlich geregelten Zuständigkeit zuständig. 6. Bei Verstößen von konzessionierten Glücksspielveranstaltern gegen die Anforderungen an Art und Umfang der Werbung i.S.d. § 5 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 GlüStV werden die Glücksspielaufsichtsbehörden gegenüber den Glücksspielveranstaltern tätig. Wenn in diesem Verhältnis eine vollziehbare Aufsichtsmaßnahme (Werbebeanstandung, Verbot etc.) vorliegt, werden a) die Medienanstalten gegenüber den privaten Fernsehveranstaltern tätig, wenn trotzdem die entsprechend beanstandete Werbung gesendet wird; b) nach Maßgabe ihrer landesrechtlich geregelten Zuständigkeit für die Aufsicht über Telemedien die Medienanstalten gegenüber den privaten Anbietern von Telemedien tätig, wenn trotzdem die entsprechend beanstandete Werbung gesendet wird. Die Glücksspielaufsicht informiert die Medienanstalten ggf. über die Verletzungen der glücksspielrechtlichen Anforderungen an Art und Umfang der TV-Werbung und der Werbung im Internet.

VIII. Ausblick Während bis in die jüngere Vergangenheit die Kohärenz der deutschen Glücksspielregulierung einschließlich ihrer werberechtlichen Aspekte von Seiten der obersten Bundesgerichte nicht bestritten wurde, scheint – nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund des temporären schleswig-holsteinischen Sonderwegs, einschließlich seiner Nachwirkungen über erteilte Lizenzen – diese Voraussetzung einer nachhaltigen Absicherung des deutschen Regulierungsmodells inzwischen auch seitens des Bundesgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts in Zweifel gezogen zu werden. Der schleswig-holsteinische Sonderweg zielte auf einen liberalisierten Glücksspielmarkt. So wurden Online-Casinospiele wie Poker zugelassen und die Zahl der Glücksspiellizenzen nicht limitiert.74 Damit wies er deutliche Unterschiede zur Lage nach dem GlüStV aus 2012 auf, der dem Glücksspielwesen deutlich engere Grenzen als das damalige schleswig-holsteinische Gesetz setzt: Online-Poker ist nicht erlaubt, die Zahl der Sportwettenanbieter auf maximal 20 begrenzt. Mit Wirkung vom 8. Februar 2013 fand dieser gesetzliche Sonderweg, verbunden mit dem Beitritt Schleswig-Holsteins zum GlüStV,75 zwar ein Ende.76 Allerdings genießen die bereits in Schleswig-Holstein erteil-

74

Vgl. §§ 18 ff., 21 ff. des Gesetzes zur Neuordnung des Glücksspiels (Glücksspielgesetz) v. 20. Oktober 2011, Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein 2011, S. 280.

75

Vgl. Gesetz zum Ersten Staatsvertrag zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland (Erster Glücksspieländerungsstaatsvertrag – Erster GlüÄndStV) v. 1. Februar 2013, Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein 2013, S. 51.

229 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

230 ten Lizenzen Bestandsschutz.77 Vor diesem Hintergrund besteht in Schleswig-Holstein auch weiterhin über einige Jahre hinweg de facto in Teilbereichen ein anderes Glücksspielsystem. Denn auf der Grundlage des alten Rechts wurden Genehmigungen für eine Vielzahl von Sportwetten- und Online-Casino-Anbietern erteilt.78 Dass sich diese Anbieter an die behauptete Begrenzung des räumlichen Anwendungsbereichs erlaubter (Werbe-)Aktivitäten im Glücksspielbereich auf Schleswig-Holstein halten, ist zumindest nicht durchgehend erkennbar.79 Vor diesem Hintergrund scheint der Bundesgerichtshof Zweifel an der Kohärenz aufgrund der parallelen, sich widersprechenden Regulierungskonzepte in Deutschland nicht auszuschließen und hat dem EuGH mit Vorlagebeschluss vom 24. Januar 2013 entsprechende Fragen vorgelegt.80 Dabei führt er aus, dass „nicht ausgeschlossen werden [könne], dass die Liberalisierung von Internetvertrieb und -werbung für Glücksspiele in Schleswig-Holstein die Eignung der entsprechenden Verbote in den anderen Bundesländern zur Erreichung der mit dem Glücksspielstaatsvertrag 2012 verfolgten legitimen Allgemeininteressen mehr als nur unerheblich beeinträchtigt“. Zudem könne „die nunmehr in Schleswig-Holstein unbeschränkt mögliche Werbung für Glücksspiele in Fernsehen, Rundfunk und Internet […] aufgrund der Natur dieser Medien nicht wirksam auf dieses Bundesland begrenzt werden.“ Auch im Kreis der obersten Verwaltungsgerichte wird die Kohärenz der glücksspielrechtlichen Regelungen mit Blick auf die Fortwirkung des schleswig-holsteinischen Sonderweges in den Erlaubnisbescheiden dieses Landes in Zweifel gezogen. So hat der Verwaltungsgerichtshof Mannheim am 10. Dezember 2012 in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren die aufschiebende Wirkung einiger Klagen angeordnet, da er es für möglich hält, dass die strikten Internet- und Werbeverbote des neuen GlüStV einerseits und die parallelen, weniger restriktiven Regelungen des GlSpielG SH anderseits zur Inkohärenz führen.81

76

Das Glücksspielgesetz wurde mit Wirkung vom 8. Februar 2013 durch Art. 4 des Gesetzes zur Änderung glücksspielrechtlicher Gesetze v. 1. Februar 2013 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein 2013, S. 64, 69) aufgehoben.

77

Gemäß Art. 4 Satz 2 und 3 des Gesetzes zur Änderung glücksspielrechtlicher Gesetze vom 1. Februar 2013 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein 2013, S. 64, 69) gilt Folgendes zu beachten: „Das Glücksspielgesetz findet mit Ausnahme der § 20 Abs. 7 und § 23 Abs. 7 Satz 4 und 5 weiter Anwendung, soweit auf seiner Grundlage bereits Genehmigungen erteilt worden sind. Ansonsten wird das Glücksspielgesetz aufgehoben“.

78

Eine Auflistung der nach dem alten Glücksspielgesetz erteilten Genehmigungen ist abrufbar unter http://www.schleswig-holstein.de/IM/DE/Service/Gluecksspiel/Gluecksspiel_node.html.

79

Vgl. zum werblichen Auftritt von „Online-Casino – Deutschland“: Burkert, Glücksspielmarkt Deutschland: Augenmaß und Verantwortung, abrufbar unter http://www.forschung-gluecksspiel .de/pdf/Burkert-2013-05-08.pdf, S. 3.

80

BGH, Beschluss v. 24. Januar 2013 – I ZR 171/10, K&R 2013, 344, Rn. 16 f.; vgl. hierzu Soldner/Jahn, Koexistenz versus Kohärenz – Onlineverbote für Glücksspiel (erneut) auf dem Prüfstand des EuGH, K&R 2013, 301 (302 ff.).

81

Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 10. Dezember 2012, 6 S 3335/11, ZfGW 2013, 42 (43 f.).

230 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

231

In seinen Entscheidungen in drei Revisionsverfahren vom 20. Juni 2013 hat zudem das Bundesverwaltungsgericht betont, dass das nordrhein-westfälische Sportwettenmonopol im Zeitraum von 2006 bis 2012 mit Blick auf die europarechtliche Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit rechtswidrig sei: Diese folge aus der Unverhältnismäßigkeit dieses Monopols, die sich jedenfalls aus einer systematisch zum Glücksspiel anreizenden Werbung der Monopolträger – der staatlichen Lotto- und Totogesellschaften – ergebe. Die Werbepraxis deute darauf hin, dass das Monopol tatsächlich nicht der Suchtbekämpfung, sondern anderen, insbesondere fiskalischen Zwecken diente. Dabei sei nicht nur die nordrhein-westfälische Werbung für Sportwetten, sondern auch die Werbung für das Lotto-Angebot zu berücksichtigen. Wegen der im Deutschen Lotto- und Totoblock abgestimmten Dachmarkenstrategie und der gemeinsamen Werberichtlinien sei darüber hinaus die Werbung in anderen Bundesländern in die Beurteilung einzubeziehen.82 Mit Blick auf die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgericht ist gegebenenfalls83 die Glücksspiel-Werberichtlinie geringfügig abzuändern. Die in ihr auf der Grundlage des § 1 Satz 2 GlüStV vorgenommene Differenzierung in der Regulierungsstrenge84 ist unter Umständen in Richtung auf eine Verschärfung der Anforderungen an Werbung im Bereich der Lotterien zu überarbeiten. Auch vor diesem Hintergrund bedarf es einer zurückhaltenden Politik sowohl bisherigen Glücksspielmonopolisten als auch der Glücksspielaufsichtsbehörden beim Einsatz bzw. der Erlaubnis werblicher Mittel für Glücksspiel, soll nicht im Ergebnis einer zu weiten Öffnung audiovisueller kommerzieller Kommunikation im Interesse einer optimierten Kanalisierung des Glücksspiels der Jugend- und Verbraucherschutz sowie die Bekämpfung der Spielsucht in einer aus justizieller Sicht nicht mehr tragbaren Weise beeinträchtigt werden. Dem glücksspielrechtlichen Spagat (auch) in Bezug auf kommerzielle Kommunikation zwischen Freiräumen und Verpflichtungen gerecht zu werden, trifft Glücksspiel- und Medienaufsicht dabei in gleicher Weise.

82

Unzulässig waren danach insbesondere die „Lotto-hilft“-Kampagne, die das Glücksspiel zum sozial verantwortlichen Handeln aufwertete, und die massive Jackpot-Werbung, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellte. Sie wurde fortgesetzt, obwohl sie nach der eigenen Einschätzung eines Monopolträgers sonst nicht Spielwillige zur Teilnahme am Glücksspiel bewegte. Vgl. PM Nr. 38/2013 des BVerwG zu den Urteilen 8 C 10.12 8 C 12.12 und 8 C 17/12 Nr. 38/2013.

83

Bis zur Fertigstellung des Beitrags lagen die Entscheidungen einschließlich Begründung noch nicht vor.

84

Nach § 1 Satz 2 GlüStV sind zur Erreichung der fünf in Satz 1 der Regelung vorgesehenen Ziele des Staatsvertrags differenzierte Maßnahmen für die einzelnen Glücksspielformen vorgesehen sind, um deren spezifischen Sucht-, Betrugs-, Manipulations- und Kriminalitätsgefährdungspotenzialen Rechnung zu tragen. Dieses Differenzierungsgebot sollte auch für den werblichen Bereich gelten.

231 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

232

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233

Unter falscher Flagge? Überlegungen aus Anlass des „NSU-Prozesses“ zur Verwertbarkeit der Erkenntnisse von als Journalisten getarnten verdeckten Ermittlern Christopher Wolf

I.

Rechtsradikaler Terror erschüttert Deutschland

Als Ende 2011 die erschreckende Serie von Morden und Anschlägen der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“ bekannt wurde, war das bundesweite Erschrecken über diesen brutalen und menschenverachtenden rechtsradikalen Terror mit Händen zu greifen. Der Tod von zehn Menschen wird dieser terroristischen Vereinigung vorgeworfen: •

Theodoros Boulgarides, Betreiber eines Schlüsseldienstes, wurde am 15. Juni 2005 in seinem Geschäft in München-Westend erschossen. Er hinterließ eine Frau und zwei Töchter.



Michèle Kiesewetter, Polizistin, wurde am 25. April 2007 in Heilbronn mit einem gezielten Kopfschuss getötet und ein weiterer Polizeibeamter mit einem Kopfschuss lebensgefährlich verletzt.



Habil Kılıç, Obst- und Gemüsehändler, wurde am 29. August 2001 in München in seinem Geschäft erschossen.



Mehmet Kubaşık, Besitzer eines Kiosks, wurde am 4. April 2006 in seinem Kiosk in Dortmund erschossen; Vater dreier Kinder.



Abdurrahim Özüdoğru wurde am 13. Juni 2001 in einer Änderungsschneiderei in der Nürnberger Südstadt mit zwei Kopfschüssen getötet.



Enver Şimşek, Blumenhändler in Schlüchtern, wurde am 9. September 2000 in Nürnberg mit acht Schüssen aus zwei Pistolen niedergeschossen und erlag zwei Tage später seinen Verletzungen.



Süleyman Taşköprü, Obst- und Gemüsehändler, wurde am 27. Juni 2001 in Hamburg mit drei Schüssen ermordet. Er hinterließ eine dreijährige Tochter.



Mehmet Turgut wurde am 25. Februar 2004 an einem Imbiss in Rostock mit drei Kopfschüssen ermordet.



İsmail Yaşar, Inhaber eines Imbisses, wurde am 9. Juni 2005 in seinem Geschäft in Nürnberg mit fünf Schüssen in Kopf und Herz getötet.



Halit Yozgat, Betreiber eines Internetcafés, wurde am 6. April 2006 in Kassel durch zwei Kopfschüsse getötet. 233 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

234

Zehn Menschen wurden in Deutschland Opfer bundesweit agierender rechtsradikaler Rassisten. Eine in der Geschichte unseres Landes einmalige Terrorserie, die – neben der Erschütterung über diese mörderische Gewalt und das damit verbundene Leid von Familien, Freunden und Verwandten – grundlegende gesellschaftliche Fragen aufwirft.

II. Rechtspolitische Fragen im Nachgang der „NSU-Morde“ Diese Mordserie, die Ermittlungspannen sowie die fehlerhaften Akten- bzw. Datenvernichtungen deutscher Ermittlungsbehörden haben einen nachwirkenden Vertrauensverlust in die Arbeit und Fähigkeiten der deutschen Sicherheitsbehörden zur Folge. Doch darauf beschränkt sich der gesellschaftliche Diskussions- und Handlungsbedarf nicht: Je intensiver die Hintergründe und Begleitumstände dieser Mordserie diskutiert und aufgearbeitet werden, umso deutlicher wird auch, dass nicht nur staatliche (Sicherheits)Einrichtungen bei der Aufarbeitung und Darstellung dieser Mordserie versagt haben.1 So sind in diesem Zusammenhang auch die Berichterstattung bzw. die publizistische Leistungsfähigkeit der Medien näher zu beleuchten. Wenn man sich die Medienberichterstattung über diese Gewaltserie wieder vor Augen führt, wird deutlich, dass Teile der deutschen Medien einräumen müssen, diese Taten vorschnell als „Döner-Morde“ oder „Mordserie Bosporus“ etikettiert zu haben.2 Ausgangspunkt dieser unsensiblen Berichterstattung war die Überschrift „Döner-Mord – Nun wird bei Banken gefahndet“ der Nürnberger Zeitung vom 31. August 2005. Im Anschluss wurde dieses Schlagwort von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bis zur Neuen Züricher Zeitung über Jahre hinweg immer wieder aufgegriffen.3 Wichtige Teile der deutschsprachigen Medien haben einer klischeehaften und rassistisch-vorverurteilenden Berichterstattung Vorschub geleistet. Wie konnte diese geschehen? Was lernen wir aus dieser fehlenden Sensibilität? Das sind Fragen, die sich die betroffenen Medien stellen und beantworten müssen. Dass der zynisch-beleidigende und bagatellisierende Begriff „Döner-Morde“ 2011 zum „Unwort des Jahres“ gewählt wurde, da „mit der sachlich unangemessenen, folkloristischstereotypen Etikettierung einer rechtsterroristischen Mordserie ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt und die Opfer selbst in höchstem Maße diskriminiert [werden], indem sie aufgrund ihrer Herkunft auf ein Imbissgericht reduziert werden“,4 kann vor diesem Hintergrund nur ein zusätzlicher Anstoß für diese notwendige medienkritische Diskussion sein.

1

Vgl. den Bericht des 2. Untersuchungsausschusses nach Art. 44 GG in der 17. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages vom 22. August 2013 (BT-Drs. 17/14600) sowie die Arbeit entsprechender Kommissionen in Thüringen (sog. „Schäfer-Kommission“) und der Bund-LänderExpertenkommission.

2

Vgl. BT-Drs. 17/14600, S. 1 f.; 638, 833 f.

3

BT-Drs. 17/14600, S. 833 f.

4

BT-Drs. 17/14600, S. 833.

234 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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Daneben dokumentieren die Diskussionen über das mangelhafte Akkreditierungsverfahren in dem Verfahren gegen Beate Zschäpe sowie das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht5 fehlendes Fingerspitzengefühl bei der Zulassung von ausländischen Journalisten und berühren ebenfalls wichtige medienrechtliche Fragen zur Reichweite der Pressefreiheit. Doch wer den Bericht des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages vom 22. August 2013 in die Hand nimmt und diesen Bericht mit den Augen eines engagierten Demokraten mit Leidenschaft für die „Vierte Gewalt“ liest – so habe ich in zehn Jahren gemeinsamen Engagements im Bereich der Rundfunk- und Medienregulierung Wolfgang Thaenert stets erlebt –, der wird auf ein weiteres rechtspolitisches Problem aufmerksam, das auch die Grundlagen freier und unabhängiger Medien betrifft: Die Frage, inwieweit es zulässig ist, verdeckte Ermittler im Rahmen ihrer Ermittlungsmaßnahmen als Journalisten auftreten zu lassen und unter dem „Deckmantel“ des Journalisten zu ermitteln.

III. Verdeckte Ermittler tarnen sich als Journalisten In dem Bericht des Bundestagsuntersuchungsausschusses wird im Zusammenhang mit der Frage, wie in Ermittlungsverfahren mit Angehörigen der Opfer umgegangen wurde – unter Hinweis auf das Protokoll der 21. Sitzung des Untersuchungsausschusses des Bayerischen Landtags „Rechtsterrorismus in Bayern / NSU“ am 10. April 2013, S. 19 – folgendes berichtet: „Der Zeuge Dr. Kimmel, Oberstaatsanwalt bei der StA Nürnberg, hat im Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags zudem berichtet, Verdeckte Ermittler seien mit der Legende, als Journalisten und Detektive zu arbeiten, an die Angehörigen der Opfer herangetreten. Man habe sich auf diese Art und Weise einen anderen Zugang zu Informationen erhofft, die die Angehörigen möglicherweise nicht der Polizei übermitteln wollten.“6

Die Zulässigkeit dieser Ermittlungspraxis wurde auch im Rahmen des Berichts des Untersuchungsausschusses kritisch hinterfragt. Unter Bezugnahme auf den oben genannten Bericht problematisiert die FDP-Fraktion den „Einsatz falscher Journalisten“: „Wie der Presse entnommen werden konnte, haben die ermittelnden Behörden nicht vor dem Einsatz von ‚falschen‘ Journalisten zurückgeschreckt (ZEIT Online vom 01. Dezember 2012, ‚Das zweite Trauma‘). Nach Informationen der ZEIT war es das Ziel, dass diese Personen mit falscher Identität das Vertrauen der Opferfamilien erlangen sollten. Man hoffte auf Seiten der Ermittler, so an Informationen zu kommen, die die Opferfamilien der Polizei nicht preisgeben wollten. Journalisten gehören aus gutem Grund zu einer besonders geschützten Berufsgruppe. Wenn Ermittlungsbehörden verdeckte Ermittler als Journalisten getarnt einsetzen, schlussendlich also gezielt unter dem Deckmantel eines angeblichen Zeugnisverweigerungsrechts operieren, erschwert dies die Arbeit ‚echter‘ Journalisten, denen sich mögliche Quellen

5

Vgl. BVerfG, 1 BvR 990/13 vom 12. April 2013, www.bverfg.de/entscheidungen/rk20130412_1bvr 099013.html.

6

BT-Drs. 17/14600, S. 731.

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noch eingeschränkter offenbaren werden, da diese befürchten müssen, an einen ‚falschen‘ Journalisten zu geraten. Wir halten einen starken Journalismus mit investigativen Elementen allerdings für ein besonders hohes Gut in unserer Demokratie. Es ist daher zu prüfen, ob das Auftreten als Angehöriger eines besonders geschützten Berufes Mitarbeitern von Sicherheitsbehörden gesetzlich verboten werden sollte.“7

Da diese Frage – anders als die beiden zuvor angesprochen Themenbereiche – in der Öffentlichkeit bislang nicht erörtert wurde, soll hier im Rahmen einer ersten Bewertung versucht werden, die Zulässigkeit solcher Ermittlungsmaßnahmen näher zu beleuchten. Ganz im Sinne der Veranstaltungsreihe „Brennpunkt Medien und Recht“, die unter anderem von der LPR Hessen und dem Institut für Europäisches Medienrecht (EMR) dieses Jahr veranstaltet wurde und aktuelle medienrechtliche Fragen aufgerufen hat, wird hier im Hinblick auf die zitierten Bedenken untersucht, inwieweit der Einsatz von verdeckten Ermittlern mit einer „Journalisten-Legende“ zulässig ist bzw. inwieweit die durch den Einsatz von solchen verdeckten Ermittlern gewonnenen Informationen gerichtlich verwertbar sind.

IV. Medienspezifisches zur Beweisgewinnung und -verwertung Zwar gibt es im deutschen Strafprozessrecht kein gesondert geregeltes „Medienstrafverfahrensrecht“, so dass grundsätzlich die allgemeinen strafverfahrensrechtlichen Grundsätze gelten. Dennoch ergeben sich eine Reihe von besonderen „Mediaspezifika“; vor allen bei den gesetzlichen Beschränkungen der strafverfahrensrechtlichen Beweisgewinnung im Bereich der Medien, die auf den Gewährleistungen der Presse- und Rundfunkfreiheit – insbesondere dem Schutz des Redaktionsgeheimnisses – beruhen.8 Zu nennen sind hier das Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53 StPO), das Beschlagnahmeverbot (§ 97 Abs. 5 StPO) sowie die presserechtlichen Beschlagnahmebeschränkungen bei Medienmitarbeitern (§§ 111m, 111n StPO). Dieser gesetzliche Rahmen für die „Polizeifestigkeit“ der journalistischen Recherche, der insbesondere dem Schutz des Redaktionsgeheimnisses dient und im Nachgang zur „Cicero-Entscheidung“9 des Bundesverfassungsgerichts nochmals gestärkt wurde,10 trifft jedoch keine Vorgaben zur Zulässigkeit der Tarnung von verdeckten Ermittlern als Journalisten.

7

BT-Drs. 17/14600, S. 938.

8

Liesching, Hamburger Kommentar zum Medienrecht, 2. Aufl. 2012, 92. Abschnitt, Rn. 1.

9

BVerfGE 117, 224.

10

Vgl. das Gesetz zur Stärkung der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht, das am 1. August 2012 in Kraft trat.

236 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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V.

Heimliche Ermittlungshelfer: Zur Zulässigkeit verdeckter Ermittler

Um ihren Informationszugang zu verbessern, arbeitet die Polizei seit jeher mit Personen, die im „Milieu“ leben und heimlich mit der Polizei kooperieren („Vertrauensleute“/„V-Leute“ und Informanten), zusammen.11 Darüber hinaus setzt die Polizei auch eigene Kräfte – verdeckte Ermittler – ein. Verdeckte Ermittler sind nach der Legaldefinition des § 110a Abs. 2 StPO Beamte des Polizeidienstes, die unter einer ihnen verliehenen, auf Dauer angelegten, veränderten Identität (Legende) ermitteln. Von diesen verdeckten Ermittlern zu unterscheiden sind zum einen Beamte, die nur einmalig oder gelegentlich unter einem Decknamen auftreten. Für derartige Ermittlungen gelten nicht die §§ 110a ff. StPO, auch nicht analog.12 Für solche (einmalige oder gelegentliche) Einsätze gelten nur die allgemeinen Vorschriften der Strafprozessordnung für Ermittlungsbeamte.13 Weiter abzugrenzen sind diese strafprozessualen verdeckten Ermittler von den präventiv-polizeilichen verdeckten Ermittlern, deren Einsatz in den landesrechtlichen Polizeigesetzen wie z. B. § 16 Abs. 3 S. 3 HSOG geregelt ist. Ebenfalls von den verdeckten Ermittlern zu unterschieden sind „Vertrauenspersonen“ („V-Leute“), die in der Regel keine Beamten der Polizei sind, aber als Privatpersonen bereit sind, die Polizei bei der Aufklärung von Straftaten vertraulich zu unterstützen.14 Voraussetzung für den Einsatz verdeckter Ermittler ist gemäß § 110a Abs. 2 StPO, dass der Einsatz der Aufklärung bestimmter, schwerwiegender Straftaten dient. Der Einsatz ist dabei nach § 110a Abs. 1 S. 3 StPO nur zulässig, soweit die Aufklärung auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. § 110b StPO regelt dabei die Kompetenz für den Einsatz verdeckter Ermittler, sofern die dargestellten Einsatzvoraussetzungen vorliegen: Die Kompetenz für den Einsatz liegt grundsätzlich nicht in der Hand nur eines Strafverfolgungsorgans, d. h. der Polizei oder der Staatsanwaltschaft, sondern setzt vielmehr ein Zusammenwirken der Polizei und der Staatsanwaltschaft oder der Polizei und des Ermittlungsrichters voraus.15 Verdeckte Ermittler dürfen nach § 110c StPO unter ihrer Legende am Rechtsverkehr teilnehmen sowie unter Umständen sogar Wohnungen betreten. Daneben stehen verdeckten Ermittlern als Polizeibeamten die allgemeinen strafprozessualen Befugnisse zu, wobei diese de facto sehr eingeschränkt sind, da die Wahrnehmung strafprozessualer Befugnisse in der Regel voraussetzt, dass der jeweilige verdeckte Ermittler sich als Strafverfolgungsorgan zu erkennen gibt.16 Straftaten oder „milieutypische Straftaten“

11

Kühne, Strafprozessrecht, 8. Aufl. 2010, S. 328.

12

BGH, StV 1995, 398; NJW 1996, 2108.

13

BGH, NStZ 1997, 448; kritisch dazu Wollweber StV 1997, 507.

14

Kühne, Strafprozessrecht, 8. Aufl. 2010, S. 329.

15

Wolter, in: SK-StPO, 4. Aufl. 2010, § 110b Rn. 1.

16

Wolter, in: SK-StPO, 4. Aufl. 2010, § 110c Rn. 7.

237 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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dürfen sie – anders als beispielsweise die in den Vereinigten Staaten zulässigen „undercover agents“ – nicht begehen.17 Es liegt in der Natur der verdeckten Ermittlung, dass der verdeckte Ermittler den Beschuldigten und auch den Zeugen nicht belehren kann; er ist deshalb von der Belehrungspflicht befreit.18 Im Übrigen bleiben verdeckte Ermittler dem Legalitätsprinzip verpflichtet, so trifft den verdeckt ermittelnden Polizeibeamten wie jeden anderen die grundsätzliche Pflicht, Straftaten zu erforschen.19 Im Hinblick auf § 110c StPO und die Zulässigkeit von Legenden ist festzuhalten, dass die Strafprozessordnung keine Legenden ausschließt: Die verschiedensten Legenden sind möglich: Als Arbeiter oder Angestellter, aber auch der Einsatz als Arzt, Priester oder Anwalt – Berufe, bei denen man ein besonderes Vertrauensverhältnis erwartet – ist zulässig. Auch der Einsatz als Journalist ist grundsätzlich möglich, wenn die oben beschriebenen Einsatzvoraussetzungen vorliegen.

VI. Wahrheitsfindung um jeden Preis: Zu den Grenzen der Beweisverwertung bei „falschen Journalisten“ Abzugrenzen von der Frage, ob der Einsatz von verdeckten Ermittlern mit einer „journalistischen Legende“ zulässig ist, ist die Frage, inwieweit die durch solch einen „heimlichen Ermittlungshelfer“ gewonnenen Erkenntnisse gerichtlich verwertbar sind. 1.

§ 136a StPO – Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips

Der Beschuldigte, gegen den ermittelt wird, bleibt Beteiligter des Verfahrens – er wird nie zu dessen bloßem „Gegenstand“.20 Seinen verfassungsmäßig gewährleisteten Anspruch auf Wahrung der Menschenwürde verliert er nicht, selbst wenn er einer Straftat verdächtig ist.21 Diese zentrale rechtsstaatliche Vorgabe wurde vor allem in § 136a StPO verankert, nach dem bei der Befragung eines Beschuldigten jede Beeinträchtigung seiner Willensentschließung und Willensbetätigung durch Zwang, Täuschung, Drohung und ähnliche Mittel verboten ist.22 Von seinem Zweck her ist § 136a StPO auf die Gewährleistung der Prozesssubjektsqualität und der Selbstbelastungsfreiheit des Beschuldigten gerichtet.23 Aussagen, die unter Verletzung dieses Verbots zustande gekommen sind, dürfen nach § 136a Abs. 3 S. 2 StPO gerichtlich nicht verwertet werden – selbst dann nicht, wenn der Beschuldigte der Verwertung nachträglich zustimmt. Verstöße gegen § 136 und gegen § 136 a StPO führen – § 136 auf Widerspruch – zu einem Be-

17

Wolter, in: SK-StPO, § 110c Rn. 9; Ranft, Jura 1993, 449, 450; kritisch Lesch, StV 1993, 94.

18

Vgl. Nack, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl. 2008, § 110a, Rn. 16 mit Hinweis auf BGH, NJW 2007, 3138.

19

Wolter, in: SK-StPO, 4. Aufl. 2010, § 110c Rn. 12 m.w.N.

20

Vgl. BGHSt 5, 332.

21

BGHSt 14, 358, 364.

22

Monka, in: Graf, StPO, 2. Aufl. 2012, § 136a Rn. 1.

23

Rogall, in: SK-StPO, 4. Aufl. 2010, § 136a, Rn. 4.

238 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

239 weisverwertungsverbot.24 Diese Beweisverbote bringen deutlich zum Ausdruck, dass die Wahrheitsermittlung nicht der höchste Wert staatlicher Ermittlungstätigkeit ist: „Es gibt keinen Grundsatz der StPO, dass die Wahrheit um jeden Preis erforscht werden müsste“.25 § 136a StPO verdeutlicht, dass die Wahrheit in deutschen Strafverfahren nicht um jeden Preis, sondern nur auf „justizförmliche“ Weise, in einem rechtsstaatlich geordneten Verfahren, erforscht und erlangt werden darf.26 Daher sind die in § 136a StPO beispielhaft aufgeführten verbotenen Vernehmungsmethoden (Misshandlung, Ermüdung, körperliche Eingriffe, Verabreichung von Mitteln, Quälerei, Täuschung, Hypnose, Zwang etc.) auch nicht abschließend. Auch ähnlich belastende Methoden, die denselben Zweck verfolgen, sind verboten.27 2.

Zur Anwendbarkeit von § 136a StPO

Soweit es um den Einsatz von verdeckten Ermittlern (als Journalisten) geht, kommt insbesondere ein Verstoß gegen das Täuschungsverbot in § 136a StPO in Verbindung mit § 163a StPO in Betracht. Voraussetzung dafür wäre jedoch, dass § 136a StPO, der die Täuschung von Beschuldigten im Rahmen einer Vernehmung verbietet, anwendbar ist. § 136a StPO bezieht sich seinem Wortlaut nach nur auf Vernehmungen. Eine solche liegt vor, wenn der Vernehmende dem Beschuldigten in amtlicher Form gegenübertritt und in dieser amtlichen Funktion von ihm Auskunft verlangt („formeller Vernehmungsbegriff“).28 Ein erweiterter Vernehmungsbegriff in dem Sinne, dass hierzu sämtliche Äußerungen gehören, welche ein Strafverfolgungsorgan direkt oder indirekt herbeigeführt hat (sog. „funktioneller Vernehmungsbegriff“) wird der Strafprozessordnung nicht entnommen.29 Hieraus folgt, dass Äußerungen, die nur indirekt von Strafverfolgungsorganen herbeigeführt worden sind, grundsätzlich nicht von § 136a StPO erfasst sind. Aus diesem Grund ist § 136a StPO z. B. auf den Einsatz von Vertrauensleuten oder sonstige (private) Informanten generell nicht anwendbar. Und auch bei der Informationsbeschaffung durch verdeckte (staatliche) Ermittler wird es in der Regel an den beschriebenen, den formellen Vernehmungsbegriff konstituierenden Elementen fehlen.30 3.

Zur Zulässigkeit einer analogen Anwendung

Fraglich ist daher, ob bei der Befragung durch verdeckte Ermittler eine analoge Anwendung des § 136a StPO in Betracht kommt. Hierzu wird in der Literatur zum einen angemerkt, dass der Wortlaut der Norm und die Beschränkung des § 136a StPO auf den Schutz des Beschuldigten bei Vernehmungen einer analogen Anwendung Grenzen

24

Vgl. Nack, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl. 2008, § 110a, Rn. 15 m.w.N.

25

BGHSt 14, 358, 365.

26

BVerfG, NJW 1984, 428; BGHSt 14, 358, 365; 31, 304, 309.

27

Monka, in: Graf, StPO, 2. Aufl. 2012, § 136a Rn. 9 mit Hinweis auf BGHSt 5, 332, 334.

28

Monka, in: Strafprozessordnung, § 136a Rn. 4 mit Hinweis auf BGHSt GrS 42, 139; OLG Oldenburg, StV 1996, 416.

29

BGHSt GrS 42, 139 ff.

30

Rogall, in: SK-StPO, 4. Aufl. 2010, § 136a, Rn. 23.

239 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

240 setzt.31 Auch der Bundesgerichtshof hat bei Ermittlungen durch verdeckte Ermittler eine pauschale analoge Anwendung des § 136a StPO abgelehnt.32 Allerdings hat der Bundesgerichtshof in dem so genannten Lockspitzelfall33 – bei dem eine Vertrauensperson dem Beschuldigten zum Zwecke des Aushorchens in die U-Haftzelle einquartiert wurde – grundsätzlich anerkannt, dass § 136a StPO ein über seinen Wortlaut hinausgehendes allgemeines Prinzip enthält.34 Zwar wird nicht für jede gezielte oder ungezielte Verleitung zur Selbstbelastung eine analoge Anwendung des § 136a StPO und des damit einhergehenden Beweisverwertungsverbotes als zulässig erachtet – sie kann jedoch gerechtfertigt sein, wenn es sich in dem jeweiligen Einzelfall um eine vernehmungsähnliche Situation handelt.35 Eine Verständigung darüber, was solch eine vernehmungsähnliche Situation ausmacht, ist allerdings gegenwärtig nicht in Sicht.36 Solch eine vernehmungsähnliche Situation wird beispielsweise bejaht, wenn sich der Beschuldigte der Befragung nicht ohne weiteres entziehen kann und die jeweilige Vorgehensweise der Polizei eine „ordentliche“ Vernehmung rechtsmissbräuchlich ersetzen soll.37 Solch eine Situation hat der Bundesgerichtshof in dem dargestellten „Lockspitzel-Fall“ bejaht, bei dem der in Untersuchungshaft sitzende Beschuldigte, der sich bislang ausdrücklich weigerte, sich vernehmen zu lassen, durch einen Mitgefangenen auf Veranlassung der Strafverfolgungsbehörden ausgehorcht wurde.38 Entsprechendes gilt, wenn der Vernehmende nach Abschluss der Vernehmung den Beschuldigten zu einem „Privatgespräch“ veranlasst, dass von einem anderen Beamten abgehört wird.39 Im Ergebnis führt jedoch in der Regel der (bloße) Einsatz von verdeckten Ermittlern nicht zu einer Vernehmung bzw. einer vernehmungsähnlichen Situation im Sinne von § 136a StPO, wenn diese (einfache) verdeckte Ermittlung keine Stellungnahme zum Tatvorwurf abverlangt – dann fehlt es an den faktischen Zwängen der Vernehmungssituation – und eine strafprozessgemäße Vernehmung nicht ersetzt werden soll.40 Bei solch einem „geringeren Einwirkungsgrad“ ist keine vernehmungsähnliche Situation anzunehmen.41 Dann scheidet § 136a StPO als Prüfungsmaßstab aus. Das gilt auch, wenn der verdeckte Ermittler vorgibt, Journalist zu sein.

31

Rogall, in: SK-StPO, 4. Aufl. 2010, § 136a, Rn. 24.

32

BGH, GA 1981, 89, 89 f.; BGHSt 39, 335, 346; 42, 149 ff.; 52, 16. Anders etwa Lüderssen, FS Peters, 1974, S. 349, 361 ff.; ders. Jura 1985, 113, 118; Lagodny StV 1996, 170 ff.; Schünemann, StV 1985, 430 f.; Weiler, GA 1996, 101, 107.

33

BGHSt 34, 362.

34

Kühne, Strafprozessrecht, 8. Aufl. 2010, S. 543.

35

Rogall, in: SK-StPO, 4. Aufl. 2010, § 136a, Rn. 25 m.w.N.

36

Rogall, in: SK-StPO, 4. Aufl. 2010, § 136a Rn. 25 m.w.N.

37

Rogall, in: SK-StPO, 4. Aufl. 2010, § 136a, Rn. 25 m.w.N.

38

BGHSt 34, 362.

39

Rogall, in: SK-StPO, Loseblattausgabe, 44. EL 2005, § 58 Rn. 42 ff.

40

Rogall, in: SK-StPO, § 136a, Rn. 28.

41

Rogall, in: SK-StPO, § 136a, Rn. 28.

240 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

241

Wenn ein als Journalist getarnter verdeckter Ermittler jedoch dem Beschuldigten gegenüber vorgibt, er würde ihn mit unangenehmen Presseveröffentlichungen in erhebliche Schwierigkeiten bringen, wenn er nicht Hintergründe zu der in Rede stehenden Tat erfährt und dies in bewusster Umgehung einer förmlichen Vernehmung geschieht, zieht diese Vorgehensweise m.E. die analoge Anwendbarkeit von § 136a StPO nach sich, da das „Erpressen“ mit „negativer Berichterstattung“ mit einer vernehmungsähnlichen Situation im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vergleichbar ist. 4.

„Vertrauen Sie mir – ich bin Journalist!“ – Täuschung i.S.v. § 136a StPO?

Für ein Beweisverwertungsverbot gemäß § 136a StPO wäre über das Vorliegen solch einer vernehmungsähnlichen Situation darüber hinaus erforderlich, dass als weitere Tatbestandsvoraussetzung eine verbotene Vernehmungsmethode im Sinne von § 136a StPO vorliegt. Nach § 136a StPO ist es nicht zulässig, den Beschuldigten bei Vernehmungen zu täuschen. Die Täuschung des Beschuldigten bei der Vernehmung berührt zwar weder dessen Menschenwürde, noch die Freiheit seiner Willensentscheidung, ist aber eines Rechtsstaats unwürdig und daher verboten.42 Täuschung ist in diesem Zusammenhang als bewusstes Einwirken auf die Vorstellungswelt des Beschuldigten, das einen Irrtum über erhebliche Tatsachen oder Rechtsfragen mit dem Ziel des Ausnutzens für die Vernehmungszwecke herbeiführen soll, verstanden.43 Maßgeblich ist somit nicht das bloße Vorliegen eines täuschungsbedingten Irrtums, sondern ob die Täuschung zu einer Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit beim Beschuldigten führt.44 Der bloße Einsatz einer Legende stellt in der Regel noch keine unzulässige Täuschung des Beschuldigten dar: Denn § 110a StPO erlaubt verdeckten Ermittlern ausdrücklich die Benutzung solch einer Legende und die damit einhergehenden Täuschungsmanöver. Solche Verhaltensweisen, die sich im gesetzlichen Rahmen von § 110a StPO halten, sollen grundsätzlich keine Täuschung im Sinne von § 136a StPO darstellen.45 In Abgrenzung zu dieser durch §§ 110a ff. StPO legalisierten „einfachen“ Täuschung über die Ausforschungsintention verdeckter Ermittler wird die Schwelle des § 136a StPO wohl erst bei einer „qualifizierten“ Täuschung überschritten: Diese wird insbesondere dann bejaht, wenn die verdeckt ermittelnde Kontaktperson ein besonderes Vertrauensverhältnis oder ein Abhängigkeitsverhältnis durch Lügen aufgebaut und dann dazu genutzt hat, vom Beschuldigten Aussagen zum Tatgeschehen zu erhalten.46 Diese Anforderungen erfüllen beispielsweise die gezielte Anbahnung von Liebesbeziehungen, die Drohung mit dem Abbruch einer Beziehung, die für den Inhaftierten die einzige externe Kontaktperson und eine konkrete Lebensperspektive nach der Entlassung bot

42

Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl. 2013, § 136a, Rn 12.

43

Monka, in: Graf, StPO, 2. Aufl. 2010, § 136a Rn. 15.

44

Rogall, in: SK-StPO, 4. Aufl. 2010, § 136a, Rn. 64.

45

Rogall, in: SK-StPO, 4. Aufl. 2010, § 136a, Rn. 68 m.w.N.

46

Verrel, Selbstbelastungsfreiheit und Täuschungsverbot bei verdeckten Ermittlungen, FS Puppe, 2011, S. 1641 m.w.N.

241 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

242 oder der oben dargestellte „Lockspitzel“.47 Hier ging das Verhalten der heimlichen Ermittler deutlich über die Verheimlichung ihrer Identität und polizeilichen Absichten hinaus. Im Lichte dieser Rechtsprechung kann zumindest die Entwicklung eines intensiven Vertrauens- oder Abhängigkeitsverhältnisses zwischen dem „Journalisten“ und dem Beschuldigten als Beispiel für eine erhebliche, die Entschließungsfreiheit des Beschuldigten beeinflussende, unzulässige Täuschung genannt werden. Die „bloße“ Präsenz eines „ermittelnden Journalisten“ im Umfeld des Beschuldigten ohne Aufbau solch eines intensiven Vertrauensverhältnisses wird hingegen wohl noch als zulässige Ermittlungsmaßnahme zu beurteilen sein. 5.

Tarnen und Täuschen – unter dem Deckmantel des Redaktionsgeheimnisses?

Allerdings beinhaltet solch eine vor allem zeitlich bzw. quantitativ geprägte Beurteilung des Vertrauensverhältnis zwischen „Journalisten“ und Beschuldigten das Risiko, die Bedeutung des Redaktionsgeheimnisses48 und der besonderen strafprozessualen Stellung von Journalisten49 zu verkennen, wie sie unter anderem durch das Zeugnisverweigerungsrecht oder beim Schutz von Redaktionsräumen vor staatlicher Durchsuchung (Stichwort: „Cicero-Entscheidung“) Ausdruck gefunden hat. Diese Beschränkungen der Beschlagnahme und der Durchsuchung von Redaktionsräumen sowie der Schutz des Redaktionsgeheimnisses sind durch den Schutz der Pressefreiheit verfassungsrechtlich geboten.50 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unterliegt der gesamte Bereich publizistischer Tätigkeit – von der Beschaffung von Informationen bis zur Verbreitung von Nachrichten – diesem verfassungsrechtlichen Schutz. Geschützt sind dabei vor allem die Geheimhaltung der Informationsquellen und das Vertrauensverhältnis zwischen den Journalisten und ihren Informanten. Dieser Schutz ist für freie Medien konstitutiv, weil sie auf solche Hinweise angewiesen sind, diese aber nur erhalten, wenn sich die Informanten auf das Redaktionsgeheimnis verlassen können.51 Ganz ähnlich betont auch der Bundestagsabgeordnete Wolff, Obmann der FDP-Fraktion im NSU-Untersuchungsausschuss, diese besondere Vertrauensstellung von Journalisten: „Rechtsanwälte und Geistliche sind von der Strafprozessordnung (vgl. § 53 StPO) besonders geschützt und sind in Ausübung ihres Amtes schweigepflichtig und zeugnisverweigerungsberechtigt. Gerade für Opfer und Opferangehörige bieten sie als Ansprechpartner wichtige Ratgeber in einer für sie schwierigen persönlichen Situation. Deshalb ist ggf.

47

Verrel, Selbstbelastungsfreiheit und Täuschungsverbot bei verdeckten Ermittlungen, FS Puppe, 2011, S. 1641 m.w.N.

48

Vgl. dazu insgesamt Ricker/Weberling, Handbuch des Presserechts, 6. Aufl. 2012, S. 66 f.; 209 ff.

49

Vgl. dazu Ausführungen unter „IV. Ein medienspezifischer Blick auf Beweisgewinnung und -verwertung“.

50

Ladeur, in: Hamburger Kommentar, 2. Aufl. 2012, 4. Abschnitt, Rn. 24 f. mit Hinweis darauf, dass er vor diesem Hintergrund die Regelung zur Telekommunikationsüberwachung in § 100a StPO, die keine pressespezifische Ausnahme vorsieht, vor diesem Hintergrund als nicht ausreichend erachtet.

51

Vgl. BVerfGE 117, S. 244, 258 f. („Cicero“), m.w.N.

242 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

243

auch rechtlich sicherzustellen, dass weder Polizeibeamte noch Mitarbeiter von Nachrichtendiensten generell, aber gerade auch gegenüber Opfern und Opferangehörigen mit der falschen Legende eines Zeugnisverweigerungsberechtigten auftreten oder gar so Informationen erhalten wollen. Nicht nur Rechtsanwälte und Geistliche, auch Ärzte, Psychologen, Journalisten, Abgeordnete oder Notare sind entsprechend § 53 StPO hier mit einzubeziehen. Eine Verletzung dieses Grundsatzes muss mindestens beamtenrechtliche Konsequenzen haben. Das Ausnutzen einer rechtlichen Vertrauensstellung gegenüber Opfern und Opferangehörigen ist schändlich und falsch.“52

VII. Das Redaktionsgeheimnis – Grenze für verdeckte Ermittler Ausgehend von dem Befund, dass bei den in § 53 StPO genannten Berufsgruppen wie z. B. Journalisten ein besonderes Vertrauensverhältnis erwartet wird, dessen Schutz im Zentrum des Zeugnisverweigerungsrechts steht, spricht m.E. bei der Verwendung solch einer Legende viel dafür, dass ein Großteil dieses besonderen Vertrauensverhältnisses – das für die Bejahung einer qualifizierten Täuschung im Sinne von § 136a StPO erforderlich ist – bereits vorliegt. § 53 StPO sowie die übrigen Reglungen zum Schutze des Redaktionsgeheimnisses vermitteln rechtlich ein Vertrauensverhältnis, das durchaus dafür spricht, ein „besonderes Vertrauensverhältnis“ und die damit einhergehende unzulässige Täuschung im Sinne von § 136a StPO zu bejahen. Das gilt m.E. sowohl für Journalisten, wie auch für die anderen in § 53 StPO genannten Personenkreise. Zu bedenken ist jedoch, dass es den Presseangehörigen in jedem Einzelfall frei steht, ob sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen wollen. Im Gegensatz zu unter Geheimhaltungspflicht stehenden Berufen der Ärzte, Steuerberater und Rechtsanwälte (§ 203 StGB) besteht für die Presse hinsichtlich ihrer Informanten zwar ein Schweigerecht, aber keine Schweigepflicht – von der moralischen Pflicht des Standesrechts abgesehen.53 Insofern erfordert die Bejahung solch eines auch rechtlich geschützten Vertrauensverhältnisses zwischen Journalisten und Informanten zumindest in den meisten Fällen tatsächlich das Vorliegen einer konkreten Beziehung und das Vertrauen auf die Gewährleistung von Vertraulichkeit bzw. „Quellenschutz“ durch den Journalisten. Wenn dies der Fall ist, kann das „besondere Vertrauensverhältnis“ im Sinne von § 136a StPO bejaht werden. Die „bloße“ Präsenz im Umfeld des Beschuldigten ohne Aufbau solch eines Mindestkontaktes zwischen ihm und dem verdeckten Ermittler und eines entsprechenden Hinweises auf die Gewährung von „Quellenschutz“ ist m.E. hingegen nicht ausreichend, um ein „besonderes Vertrauensverhältnis“ bzw. das Vorliegen einer qualifizierten Täuschung im Sinne von § 136a StPO zu begründen. Sobald sich jedoch in diesem Sinne in tatsächlicher Hinsicht aus Sicht des Beschuldigten unter anderem durch § 53 StPO und die übrigen Reglungen zum Schutze des Redaktionsgeheimnisses ein besonderes Vertrauensverhältnis gebildet hat, sind die oben dargestellten Anforderungen des Bundesgerichtshof für ein „besonderes Vertrauensverhältnis“ und die damit

52

Bericht BT-UA, S. 981.

53

Ricker/Weberling, Handbuch des Presserechts, 6. Aufl. 2012, S. 218.

243 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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einhergehende unzulässige Täuschung im Sinne von § 136a StPO zu bejahen. Die Ermittlungsergebnisse eines als Journalisten getarnten verdeckten Ermittlers dürften dann von Gerichten nicht verwertet werden. Auch der mögliche Einwand, dass der Beruf des Journalisten – anders als der des Arztes oder des Anwalts – keine besondere Zulassung erfordert, sich insofern jeder Bürger als Journalist bezeichnen könnte, steht dem nicht entgegen: Zum einen beruht diese Freiheit des Journalismus auf einer grundgesetzlichen Wertung in Art. 5 Abs. 1 GG („Die Presse ist frei“) und ist eine bewusste Reaktion des Grundgesetzes auf die zwangsweise „Verkammerung“ des deutschen Journalismus durch den Nationalsozialismus. Daher darf die Presse – anders als die anderen freien Berufe wie Ärzte, Anwälte oder Notare – weder einem Standeszwang noch einer mit hoheitlicher Gewalt ausgestatteten Standesgerichtsbarkeit unterworfen werden.54 Aus diesem Grund wurde in der Strafprozessordnung der besondere Schutz des Redaktionsgeheimnisses „nur“ an die Voraussetzung der journalistischen Tätigkeit gebunden. Allerdings erscheint es in diesem Zusammenhang in Hinblick auf § 203 StGB – der den Geheimnisverrat unter Strafe stellt, wenn man als Mitglied einer besonderen Berufsgruppe unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, das ihm z. B. als Anwalt anvertraut wurde offenbart – angezeigt, für die in § 203 StGB aufgeführten Berufsgruppen die Anforderungen an das Vorliegen eines besonderen Vertrauensverhältnisses für die Bejahung einer Täuschung in Sinne von § 136a StPO nochmals herabzusetzen: Wenn der verdeckte Ermittler sich z. B. als Anwalt tarnt, um – auch im Hinblick auf die durch § 203 StGB vermittelte besondere Vertrauenswürdigkeit – besonders vertrauenswürdig auf die zu vernehmende Person zu wirken, dann entsteht bereits damit – sobald er mit dem Beschuldigten einen vom Normbereich von § 203 StGB umfassten Kontakt aufnimmt – in der Regel ein besonderes Vertrauensverhältnis bzw. liegt eine unzulässige Täuschung gemäß § 136a StPO vor, die ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht. Auf die Zusicherung von „Quellenschutz“ bzw. von „Mandantenschutz“ kommt es hier – anders als bei einer „Journalistenlegende“ – nicht an, da bei Anwälten das „besondere Vertrauen“ des Beschuldigten schon aufgrund der von § 203 StGB vermittelten Verschwiegenheitspflicht und vom verdeckten Ermittler gewählten Legende hervorgerufen wird.

VIII. Verstoß gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz Doch selbst für den Fall, dass beim Einsatz von als Journalisten getarnten verdeckten Ermittlern kein Verstoß gegen § 136a StPO im oben dargestellten Sinne vorliegt, hat dies nicht zur Folge, dass die hier in Frage stehenden Ermittlungsmaßnahmen automatisch prozessordnungsgemäß sind und das gewonnene Beweismaterial ohne weiteres verwertet werden kann: Vielmehr bleibt im Einzelfall noch zu prüfen, ob die Beschaffung und Verwertung des Materials – unabhängig von § 136a StPO – gegen rechtsstaatliche Grundsätze wie den Vorbehalt des Gesetzes, die Selbstbelastungsfreiheit oder das 54

Ricker/Weberling, Handbuch des Presserechts, 6. Aufl. 2012, S. 67.

244 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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Recht auf ein faires Verfahren verstößt und aus diesem Grund einem Beweisverbot unterliegt.55 Sind – wie beim Einsatz von verdeckten Ermittlern – die heimlichen Ermittlungsmaßnahmen darauf gerichtet, selbstbelastende Äußerungen des Beschuldigten zu erlangen, kann hierin unter Umständen ein Verstoß gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz liegen.56 Ermittlungsmaßnahmen, die ihren Schwerpunkt nicht im Zwang, sondern in der Heimlichkeit der Ausforschung haben, hat der Bundesgerichtshof zwar vom Schutzbereich dieses Grundsatzes ausgenommen, wobei er einräumt, dass ein solches Vorgehen in bestimmten Konstellationen einem Verstoß gegen diesen Grundsatz „nahe kommen könnte“.57 Als Beispiele für die Überschreitung dieser „rechtsstaatlichen Grenze“ sind unter anderem. die strafbare Aufzeichnung des nichtöffentlich gesprochenen Worts, die „qualifizierte Anbahnung von Liebesverhältnissen“ („Romeo-Falle“) sowie die Ignorierung einer ausdrücklich erklärten Einlassungsverweigerung anerkannt.58 Abzuwägen sind in solchen Einzelfällen die widerstreitenden Interessen, insbesondere das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten sowie der Grundsatz des fairen Verfahrens gegenüber dem Schutz der Allgemeinheit sowie der Pflicht des Rechtsstaates zur effektiven Strafverfolgung. Im Hinblick auf den oben dargestellten verfassungsrechtlichen Schutz des Redaktionsgeheimnisses gibt es im Hinblick auf solch eine Abwägung im Einzelfall gute Gründe, den Einsatz von verdeckten Ermittlern unter der Legende eines Journalisten wegen der negativen Auswirkungen und der Schwächung des verfassungsrechtlich geschützten Redaktionsgeheimnisses für unzulässig zu erachten.

IX.

Ausblick

Die Betrachtung der Rahmenbedingungen für den Einsatz verdeckter Ermittler hat verdeutlicht, dass die Zugrundelegung einer „Journalistenlegende“ von Seiten der Strafprozessordnung wenig entgegensteht. Allerdings begegnet die Verwertung von Beweisen, die auf Grundlage solch einer Legende ermittelt wurden, zum Teil erhebliche Bedenken. Insbesondere das besondere Vertrauen, das man Journalisten aufgrund des „Quellenschutzes“ regelmäßig entgegen bringen kann, führt beim Vorliegen einer vernehmungsähnlichen Situation schnell zu einer qualifizierten Täuschung und einem Beweisverwertungsverbot im Sinne von § 136a StPO. Eine schnelle gesetzgeberische Reaktion, wie sie vom Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages empfohlen wird, ist trotz der vorliegenden Bedenken jedoch m.E. nicht zu erwarten: Dazu ist dieses Rechtsgebiet zu stark durch höchstrichterliche 55

Rogall, in: SK-StPO, 4. Aufl. 2010, § 136a, Rn. 33 m.w.N.

56

Ambos, Beweisverwertungsverbote, 2010, S. 65.

57

Ambos, Beweisverwertungsverbote, 2010, S. 65.

58

Rogall, in: SK-StPO, § 136a, Rn. 33 mit Hinweis auf BGHSt 40, 72; 42, 155; 52, 15. Zu weiteren Hinweise zur unterschiedlichen Rechtsprechung des EGMR vgl. Ambos, Beweisverwertungsverbote, 2010, S. 65 ff.

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Rechtsprechung und die Umstände des jeweiligen Einzelfalls geprägt. Auch wenn solch eine gesetzgeberische Initiative im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gebot, einen effektiven Schutz des Redaktionsgeheimnisses zu gewährleisten, zu begrüßen wäre. Umso wichtiger bleibt, dass öffentliche Ermittlungsbehörden sich der besonderen öffentlichen Aufgabe der Medien bewusst sind. Wolfgang Thaenert kann ich diesbezüglich als Ansprechpartner besten Gewissens empfehlen. Ad multos annos!

246 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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Qualitätsjournalismus in der digitalen Welt Gedanken zur Verteidigung eines Handwerks Werner D‘Inka Alles schon gesagt?1 In der Tat lässt sich mit ein wenig Phantasie die digitale Medienwelt unserer Tage bereits im Neuen Testament entdecken. Jakobus (1,22) fordert nämlich: „Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein!“. Liest sich das nicht wie eine Vorwegnahme des Web 2.0 mit seinem partizipativen Anspruch, den der französische Soziologe Michel Serres so formuliert: „Selbstverständlich manipulieren Zeitungen, das Fernsehen und all die anderen offiziellen Medien viel stärker das Denken der Menschen als das Internet. Das liegt in der Natur der Sache. Sie haben hier wenig Produzenten und viele Empfänger, während Sie im Internet eben genau so viele Produzenten wie Empfänger haben. Von daher liegt hier eine ungeheure Möglichkeit verborgen: Alle Menschen können am Informationsfluss teilnehmen.“2

Einmal von der Frage abgesehen, inwiefern Zeitungen, Fernsehen und Radio „offizielle Medien“ sind, als die Serres sie tituliert – vielleicht denkt er an manche französischen Kanäle –, ist seine Vorstellung der Reziprozität von Sender und Empfänger, von Produzent und Konsument nicht ganz neu. Bertolt Brecht hatte, das Radio mit seinen damals neuen Möglichkeiten vor Augen, dieses Postulat schon in den Dreißigerjahren des vorigen Jahrhunderts in seine Radiotheorie aufgenommen: „Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen.“3

Aus heutiger Sicht war das Radio, das Adorno und Horkheimer als „progressiven Spätling der Massenkultur“ begriffen, allerdings eher ein mediales Frühchen. Denn erst in der digitalen Welt tritt die Vorstellung vom Rollentausch von Sender und Empfänger aus dem Reich der Theorie hinaus in die Praxis. Warum? Wer bisher die Weltöffentlichkeit aufrütteln oder seine Mitwelt von seinen Ansichten überzeugen wollte, konnte das allenfalls im Kleinen – am Stammtisch, im Bekanntenkreis oder auf einer Apfelsinenkiste am Hyde Park Corner. Eine größere Reichweite hatten in der Tat nur die etablierten Medien. Heute hingegen erreicht jeder, der will, ein Millionenpublikum, nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch. Zu jeder Sekunde können wir unsere Geistesblitze in alle Welt hinaussenden, und wir finden dafür Follower von Frankfurt bis Feuerland.

1

Der Beitrag basiert in Teilen auf einem Festvortrag aus Anlass der Verleihung des Ralf-DahrendorfPreises für Lokaljournalismus am 17. Juni 2013 in Freiburg im Breisgau.

2

In einem Beitrag in hr2-Kultur, gesendet am 4. September 2013, http://www.hr-online.de/website/ suche/home/mediaplayer.jsp?mkey=49522763&type=a&xtmc=pressefreiheit&xtcr=1.

3

Zit. nach Mersch, Medientheorien, Hamburg 2009, S. 72.

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I.

Überlebt sich der Journalismus?

Dadurch wird freilich der Journalismus als Profession in Frage gestellt. Die Argumentation lautet: Die traditionelle Rolle von Journalisten als den Überbringern von Neuigkeiten überlebt sich, denn was immer irgendwo auf der Welt gerade geschieht, kann auf Facebook, Twitter, Youtube und anderen Kanälen auch ohne den Umweg über Redaktionsstuben verbreitet und empfangen werden. Was auf dem Taksim-Platz in Istanbul, was auf dem Tahrir-Platz in Kairo geschieht, erfahren wir direkt von den Beteiligten. Genau darin liege das Neue, sagen die Vertreter der digitalen Avantgarde in der Tradition von Brecht, und es sei eine Befreiung. Roy Greenslade vom „Guardian“ hat es so ausgedrückt: Die klassischen Journalisten bildeten eine Art Kaste weltlicher Priester, die darüber entschieden, welche Nachrichten das einfache Volk empfangen dürfe. Demgegenüber sei das Web 2.0 eine digitale Revolution, die die Informationswelt vom Kopf auf die Füße stelle.4 Niemand muss also mehr auf die passive Rolle von Empfängern beschränkt bleiben, die das konsumieren dürfen, was die Journalistenpriesterkaste ihnen zuteilt, jedermann kann in der digitalen Welt selber zum Sender, zur Stimme werden, die Gehör findet. Brauchen wir also noch Journalisten? Nicht unbedingt, meint Stefan Niggemeier, wenn er schreibt: „In einer Welt ohne Journalisten gingen uns die Neuigkeiten nicht aus. Die Lawblogger würden uns Neuigkeiten aus den Gerichtssälen erzählen, Parteimitglieder über neue Gesetzesentwürfe streiten, Foodblogger neue Restaurants erkunden und chinesische und iranische Blogger uns mit Einblicken in ihr Leben bereichern.“5

Würde uns also wirklich nichts fehlen, wenn es den altmodischen, etablierten Journalismus nicht mehr gäbe? Am Rande bemerkt: Wie befreiend es ist, wenn im Internet „Parteimitglieder streiten“, um mit Niggemeier zu sprechen, erlebt schmerzlich gerade jene Partei, die sich digitale Revolution auf die Fahnen geschrieben hat: die Piratenpartei. Einige ihrer klügsten Köpfe haben entnervt und entsetzt aufgegeben, nachdem sie das Ziel von „Shitstorms“ geworden waren, überwiegend entfesselt von ihren eigenen Leuten.

II.

Was ist das überhaupt – Journalismus?

Doch was ist das: Journalismus, worin besteht seine Aufgabe? Die oberste Maxime heißt nachzuforschen, nachzuhaken, nachzufragen, Fakten zusammenzutragen und sie – ganz wichtig – zu prüfen: auf ihre Herkunft, ihren Realitätsgehalt, auf Plausibilität und Verlässlichkeit, und das Tag für Tag, Nachricht für Nachricht. In einem Blog mag es genügen, unbesehen Gerüchte zu verbreiten, im Journalismus verbietet es sich. Dabei ist

4

„Macht euch vom Sockel!“, Message 2008, Nr. 4, S. 10 f.

5

„Was würde uns fehlen ohne Journalismus?“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. Mai 2009, S. 36.

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der Faktencheck zumal unter dem Zeitdruck des Tagesjournalismus keine ganz einfache Sache. Deshalb kommt es manchmal zu Ungenauigkeiten, zu Fehlern. Sie umgehend zu korrigieren sollte selbstverständlich sein. Auch Journalisten sind nicht unfehlbar. Wie steht es in diesem Zusammenhang mit den Twitter- und Facebook-Mitteilungen der Aktivisten auf dem Tahrir, dem Taksim- und den anderen Plätzen des Aufbegehrens? „Besonders authentisch“, sagen die Befürworter des Graswurzeljournalismus, „denn diese Leute sind ja wirklich dabei, sie sind mittendrin“. – „Vorsicht“, so wäre zu entgegnen, denn genau das kann ein Problem sein. Natürlich erfahren wir auf diese Weise viel Unmittelbares. Aber halten die subjektiven Erfahrungsberichte in jedem Fall einer Nachprüfung stand? Die Absender sind Aktivisten, sie sind Partei, und wer mittendrin ist, hat manchmal nur einen sehr eingeschränkten Überblick. Mit einer zweiten Quelle hingegen fährt man immer besser, um einen ZDF-Slogan aufzugreifen. Auch die Informationen derjenigen, denen möglicherweise unsere Sympathie gilt, bedürfen der professionellen Prüfung. Im Pflichtenheft des Journalismus steht zudem die Aufgabe, aus einer Flut von Ereignissen urteilssicher die relevanten, die wichtigen Themen herauszusieben und sie dem Publikum verständlich zu präsentieren. Darüber, was wichtig und was nebensächlich ist, kann und muss man reden, manchmal auch streiten. Redaktionen tun das Tag für Tag in ihren Konferenzen, und in die Entscheidung „Aufmacher oder Papierkorb?“, „groß mit Foto oder kurze Meldung“ fließen immer mehrere Sichtweisen und Argumente ein. Zudem streuen die Relevanzkriterien ganz erheblich zwischen einer überregionalen Tageszeitung und einem Frauenmagazin, zwischen einem Wirtschaftsblatt und einer Computerzeitschrift. Zur Themenauswahl gehört übrigens auch, dem Publikum gelegentlich Themen zuzumuten, die keine Quotenbringer sind, für den Zusammenhalt der Gesellschaft aber von enormer Wichtigkeit. Sind, so gesehen, die klickmarktoptimierten Digitalangebote dem publizistischen Programm jener etablierten Medien wirklich überlegen, die sich trauen und die es sich leisten können, nicht nur auf vermeintliche Selbstgänger zu setzen, sondern von Fall zu Fall nicht nur das Gängige, sondern eben auch das Sperrige zu bringen? Das wirft die Frage nach dem etablierten Geschäftsmodell der auf Leser und Anzeigen angewiesenen Presse auf. Dieser Finanzierungsmix sichert ein journalistisches Angebot, das Breite und Tiefe miteinander verbindet und Redaktionen von der ausschließlichen Orientierung an Quoten und Publikumsvorlieben entlastet. Um dieses Geschäftsmodell geht es und nicht um den Journalismus, obschon eine bestimmte Avantgarde das Ende der Zeitung und des Journalismus beschwört, selbst aber kein Geschäftsmodell vorweisen kann, was sie den Verlagen stets vorhält – es sei denn, man verstünde Modelle à la „Huffington Post“, die auf Selbst- und Fremdausbeutung beruhen, als Vorbild. Häufig ist der Vorwurf zu hören, Journalisten scherten sich nicht um die Wünsche des Publikums. Cordt Schnibben vergleicht diese angebliche Hoffart mit dem „Abwerfen

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250 von Care Paketen über den Lesern“.6 Schon recht. Allerdings klingt das so, als schlössen sich Journalisten in ihren Schreibstuben ein, abgekoppelt von der Welt da draußen, und schrieben auf, was ihnen gerade in den Sinn komme – völlig einerlei, ob sich jemand dafür interessiert. Weit gefehlt. Erstens ist es schon aus Gründen der Eitelkeit keinem Journalisten gleichgültig, ob seine Artikel gelesen werden. Zweitens erfahren zumal Lokaljournalisten unmittelbare Reaktionen auf ihre Arbeit, und zwar jeden Tag. Nirgends wird journalistische Grenzgängerei so schnell entlarvt wie hier, wo die Leser den Realitätsgehalt und die Relevanz vieler Nachrichten aus eigener Anschauung beurteilen können. Drittens müssen Zeitungen und Sender, wie erwähnt, gelegentlich Stoffe bringen, von denen von vornherein klar ist, dass sie nicht zu den Quotenrennern gehören, die aber dennoch wichtig sind. So wie ein guter Musiktheaterintendant auch nicht jeden Abend die „Vier Jahreszeiten“ oder die „Kleine Nachtmusik“ spielt. Der Karl Kraus zugeschriebene Satz „Die Zeitungen haben früher das Niveau ihrer Journalisten gehabt und haben jetzt das ihrer Leser“ klingt reichlich arrogant, ganz falsch ist er allerdings nicht, und zwar in dem Sinne, dass guter Qualitätsjournalismus immer etwas mehr bringt als die Leser erwarten, dass er überraschender ist und mit einem Angebot aufwartet, das als Erwartung zu formulieren die Leser vielleicht gar nicht in der Lage wären, wenn der Umfrageforscher an der Tür klingelt.

III. Die Kraft, die aus Redaktionen kommt Von unschätzbarem Wert ist ferner die qualitätssichernde Kraft von Organisationen. Eine versierte und wache Redaktion als Korrekturinstanz, die für den „Faktencheck“ sorgt, nur halb recherchierte Geschichten zurückstellt und die Spreu vom Weizen trennt, ist das A und O im journalistischen Qualitätswesen. Erst die Komposition einer Zeitung oder einer Sendung in der Redaktionskonferenz, der Filter vieler Gespräche, die Selbstvergewisserung im Austausch mit Kollegen, die Beantwortung der Frage „Können, wollen wir das wirklich vertreten? Oder schießen wir da über das Ziel hinaus?“ – erst in diesem Zusammenspiel entsteht ein Qualitätsprodukt, das mehr ist als eine lose Sammlung gut geschriebener Einzelbeiträge. Diese Form der Qualitätssicherung durch das redaktionelle Mehr-Augen-Prinzip stößt sich freilich mit dem Selbstverständnis vieler Blogger, die sich mehr als meinungsstarke Kolumnisten denn als Nachrichtenarbeiter sehen. Das ist die Kehrseite der neuen digitalen Freiheit: Sie ist erkauft mit einer schleichenden De-Professionalisierung. Anders als Blogger und Bürgerreporter annehmen und behaupten, ist ernstzunehmender Journalismus nämlich mehr als nur Geschichtenerzählen, und er ist ganz bestimmt keine Heimwerkerbeschäftigung, die jeder beherrscht, wenn er sich ein bisschen Mühe gibt – sondern ein Beruf, der bestimmte Fähigkeiten und Kenntnisse verlangt und dessen Ansprüchen bei weitem nicht jeder genügt, der in einem Blog die Zeitgenossen mit möglichst steilen Thesen unterhält. Wäre Journalismus ein Do-ityourself-Job, könnten wir uns nämlich Journalistenschulen und Volontariate sparen.

6

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/auflagenschwund-elf-vorschlaege-fuer-bessere-zeitungena-914855.html.

250 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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Gelegentlich drängt sich freilich der Eindruck auf, als zählten Expertise und durch Ausbildung erworbenes Wissen nicht mehr viel. Jürgen Kaube hat neulich darauf hingewiesen, dass in der Facebook-Gemeinde die Haltung „Wenn meinen Freunden der Dampfgarer gefällt, glaube ich ihnen eher als der Stiftung Warentest“7 immer mehr an Boden gewinnt.

IV.

Was würde uns ohne Journalismus fehlen?

Denken wir die Vorstellung einmal zu Ende, nach dem Sieg der sogenannten digitalen Revolution gäbe es keinen traditionellen Journalismus mehr, sondern nur noch die Schwarmintelligenz der vielen. Dann äußert sich jeder jederzeit über alles, und weil alles so authentisch ist, kann auch jeder jede Form der Kompetenz für sich und für seine Steckenpferde beanspruchen. Weil die Kaste der weltlichen Journalistenpriester abdanken musste, sortiert niemand mehr mit Sinn und Verstand und nach handwerklichen Kriterien die Themen nach ihrer Relevanz, denn das war ja eine besonders üble Form der medialen Repression. Nur: Wenn alle alles können, würden wir uns auch von einem Graswurzel-Chirurgen den Blinddarm entfernen lassen? Vielleicht hat der Amazon-Gründer Jeff Bezos die Rolle von seriösem Journalismus in einer offenen Gesellschaft besser verstanden als die, die ihn verächtlich machen. Bei der Übernahme der „Washington Post“ sagte Bezos, er hoffe, dass er an zwei journalistische Traditionen der Zeitung anknüpfen könne: den Mut, Geschichten auf den Grund zu gehen, egal was die Kosten und Konsequenzen sind. Und den Mut, mit Geschichten abzuwarten, Tempo herauszunehmen und sich mit zusätzlichen Quellen abzusichern. Das ist nicht die schlechteste Beschreibung dessen, was guten Journalismus ausmacht.

7

„Wie das Internet den Menschen enteignet.“ Cicero, 1. Mai 2012, S. 102.

251 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

252

Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

253

Ansehensschutz in Zeiten der zunehmenden Verdachtsberichterstattung – Richtigstellung eines Verdachts? Gernot Lehr

I.

Ausgangslage und Fragestellung

Die Verdachtsberichterstattung ist eines der in der Praxis wichtigsten und in der juristischen Diskussion zugleich spannendsten Themen des Medienäußerungsrechts. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen Medien sanktionslos über einen Verdacht berichten dürfen, der sich später, also nach der Berichterstattung, als falsch herausstellt, hat die Rechtsprechung durch ein ausgefeiltes und sensibles System von Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen gelöst.1 Dieses von der Rechtsprechung entwickelte System stellt eine eindrucksvolle zivilrechtliche Umsetzung des verfassungsrechtlichen Auftrags dar, bei Grundrechtskollisionen praktische Konkordanz2 herzustellen, namentlich die Auflösung der Kollision der Medienfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG. Ziel dieses grundrechtlich gebotenen Ausgleichs von Interessenlagen ist es, einerseits eine Berichterstattung der Medien bereits über den Verdacht eines gesellschaftlich relevanten Missstandes im Interesse eines offenen Meinungsbildungsprozesses zu ermöglichen, andererseits den von dieser Berichterstattung Betroffenen vor der Prangerwirkung einer medialen Vorverurteilung zu schützen. Hierzu ist ein strenges Regime von vier Voraussetzungen an eine rechtmäßige Verdachtsberichterstattung entwickelt worden. Die konkrete Ausgestaltung und Gewichtung dieser vier Voraussetzungen sowie deren Anwendung auf Einzelfälle sind Gegenstand einer lebhaften juristischen Debatte,3 die mit diesem Beitrag nicht nachvollzogen werden soll. Die – insoweit unstreitigen – Grundvoraussetzungen der Verdachtsberichterstattung zwingen die Betroffenen aber aus rechtlichen Gründen zu bestimmten Reaktionsweisen im Umgang mit den Medien. Das Krisen- oder Reputationsmanagement von Personen, Unternehmen oder Institutionen, die von einer Verdachtsrecherche oder den Folgen einer Verdachtsberichterstattung betroffen sind, muss von den äußerungsrechtlichen Voraussetzungen an die Verdachtsberichterstattung vorgeprägt sein. Reputationsmanagement, das die rechtlichen Anforderungen an eine zulässige Verdachtsberichterstattung ignoriert, kann leicht versagen. Dieser Beitrag soll sich zunächst mit der Frage befassen, welche Konsequenzen für das Reputationsmanagement sich aus den Bedingungen der Verdachtsberichterstattung er1

BGH, AfP 2000, S. 167 ff.; Schlüter, Verdachtsberichterstattung, 2011; Rinsche, AfP 2013, S. 1 ff.; Lehr, AfP 2013, S. 7 ff.

2

Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 1980, S. 135.

3

Vgl. Wallraf, Verdachtsberichterstattung, AfP 2013, S. 35 ff.

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geben. Daran schließt sich insbesondere die Rechtsfrage an, ob im Falle einer falschen Verdachtsberichterstattung ein Richtigstellungsanspruch gegenüber den Medien besteht, der gegebenenfalls in die Strategie der Krisenbewältigung miteinbezogen werden könnte.

II.

Vier Voraussetzungen der Verdachtsberichterstattung

Erste Voraussetzung einer zulässigen Verdachtsberichterstattung ist ein Mindestbestand an Beweistatsachen. Haben die Medien einen solchen Mindestbestand an Beweistatsachen nicht recherchieren können, so muss auf die geplante Veröffentlichung verzichtet werden.4 Die Anforderungen an die Zuverlässigkeit des Mindestbestandes von Beweistatsachen dürfen nicht überspannt werden, weil es gerade das Wesen der Verdachtsberichterstattung ist, über einen noch nicht feststehenden und ungewissen Sachverhalt zu berichten. Einigkeit besteht allerdings, dass anonyme Belastungsschreiben in der Regel nicht ausreichen, um von einem Mindestbestand an Beweistatsachen auszugehen.5 Als zweite Voraussetzung erfordert die zulässige Verdachtsberichterstattung ein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse. Nicht jeder Sachverhalt eines möglichen Fehlverhaltens darf in die Öffentlichkeit getragen werden. Jedoch gelten die Hürden, für ein im Raum stehendes Fehlverhalten das berechtigte Informationsinteresse zu bejahen, als niedrig. In einer transparenten Gesellschaft dürfen grundsätzlich auch kleinere Missstände in der Verwaltung, in der Wirtschaft, im Sport oder in anderen interessanten gesellschaftlichen Bereichen erörtert werden. Die geschützte Informationsfunktion der Medien erfasst gerade nicht nur schweres Fehlverhalten und nicht nur bundesweite oder landesweite Skandale, sondern auch Lebenssachverhalte, die noch nicht die Schwelle zur Strafbarkeit überschritten oder nur auf lokaler Ebene stattgefunden haben, aber kritikwürdig sind.6 Trotz der Feststellung, dass die Hürden für die Bejahung eines berechtigten öffentlichen Informationsinteresses niedrigschwellig sind, muss stets die Frage gestellt werden, ob sich dieses berechtigte öffentliche Informationsinteresse auch auf die identifizierende Berichterstattung erstreckt. Hier sind insbesondere folgende Einschränkungen zu beachten: Fand das vermeintliche Fehlverhalten ausschließlich in der Privatsphäre des Betroffenen statt und treten nicht besondere Umstände hinzu, die ein besonderes Interesse an einem solchen Vorgang aus der Privatsphäre rechtfertigen, so ist ein öffentliches Informationsinteresse kritisch zu hinterfragen. Dies gilt insbesondere für den Verdacht von Fehlverhalten innerhalb von Beziehungen oder familiären Auseinandersetzungen.7 Das Privat-

4

BGH, AfP 1977, S. 340 – Abgeordnetenbestechung; BGH, AfP 2000, S. 167 – Namensnennung; Rinsche, AfP 2013, S. 1 (2 f.); Lehr, AfP 2013, S. 7 (10).

5

Schlüter, aaO, S. 94.

6

BGH, AfP 2000, S. 167 (170); OLG Hamburg, AfP 2008, S. 404 (406); Lehr, AfP 2013, S. 7 (9).

7

Soehring/Hoene, Presserecht, 5. Aufl. 2013, § 19 Rn. 15a.

254 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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leben ist nicht nur in den Bereichen der räumlichen Abgeschiedenheit vor der Berichterstattung der Medien geschützt. Der Schutz betrifft auch private Phasen des Lebens in der Öffentlichkeit, in denen die Momente der Entspannung oder des Sich-GehenLassens außerhalb der beruflichen oder sonstigen sozialen Sphäre im Vordergrund stehen.8 Ein berechtigtes Informationsinteresse für ein mögliches Fehlverhalten innerhalb der Privatsphäre kann aber dann entstehen, wenn der Betroffene zuvor die Privatsphäre in die Öffentlichkeit – etwa durch Homestorys – getragen hat. Im Falle einer solchen vorausgegangenen Kommerzialisierung der Privatsphäre ist auch das berechtigte öffentliche Informationsinteresse entsprechend weit. Berührt der Verdacht eines Fehlverhaltens nicht die Privatsphäre, sondern die Sozialsphäre des Betroffenen, also insbesondere die berufliche Sphäre oder andere gesellschaftliche Aktivitäten, darf ein berechtigtes Informationsinteresse gleichwohl nicht vorschnell im Wege eines Automatismus bejaht werden. Vielmehr ist stets zu prüfen, ob die gesellschaftliche Position des Betroffenen in dieser Sozialsphäre eine identifizierende Erwähnung in den Medien rechtfertigen kann. Dies ist bei untergeordneten beruflichen oder sozialen Funktionen kritisch zu hinterfragen. Hier kann das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG das Informationsinteresse überwiegen. Dies kann selbst dann gelten, wenn Amtswalter im Zusammenhang mit ihren dienstlichen behördlichen Tätigkeiten betroffen sind. Auch ein Amtsträger genießt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das Bundesverwaltungsgericht führt aus, die Gefahr, dass das Erscheinungsbild eines Menschen in einer bestimmten Situation von diesem abgelöst und in anderen Zusammenhängen vor einem unüberschaubaren Personenkreis reproduziert, dabei verändert oder manipuliert werde, bestehe bei Amtsträgern nicht anders als bei anderen Personen. Die Folgen einer solchen beliebigen Darstellung beträfen den Einzelnen regelmäßig zugleich auch in seiner persönlichen und privaten Existenz.9 Deshalb ist ein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse dann zu verneinen, wenn ein betroffener Amtsträger nur in untergeordneter Stellung und ohne Beziehung zu Leitungsfunktionen tätig ist. In solchen Fallkonstellationen steht den Medien auch kein presserechtlicher Auskunftsanspruch zu.10 Darüber hinaus ist derzeit eine Tendenz der Rechtsprechung feststellbar, dass bei der identifizierenden Berichterstattung über den Tatverdacht aus einem Ermittlungsverfahren trotz der öffentlichen Funktion des Betroffenen besondere Zurückhaltung gezeigt werden müsse. Unterhalb der Schwerkriminalität sei eine namentliche Berichterstattung nur dann zulässig, wenn ein besonderes berechtigtes Interesse an der Person des Beschuldigten bestehe, nicht aber, wenn die Berichterstattung auch ohne Nennung des Namens in hinreichendem Maße stattfinden könne.11

8

Soehring, aaO, § 19 Rn. 13.

9

BVerwGE 116, 104 (112).

10

VGH, Urteil vom 23. Februar 2012, Az. 8 A 1303/11, S. 13 f. des Entscheidungsabdrucks.

11

LG Köln, Urteil vom 29. Februar 2012, Az. 28 O 840/11, S. 8 f. des Entscheidungsabdrucks; LG Berlin, Urteil vom 17. Januar 2012, Az. 2 O 637/11, S. 7 f. des Entscheidungsabdrucks.

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Als dritte Voraussetzung für eine zulässige Verdachtsberichterstattung ist eine sorgfältige Recherche erforderlich. Damit einher geht die Verpflichtung der Medien, dem Betroffenen mit dem Vorwurf detailliert zu konfrontieren. Dies bedeutet, dass jene den Verdacht begründenden Details, die in die Berichterstattung aufgenommen werden, dem Betroffenen vorher zur Kenntnis gebracht werden müssen.12 Der Betroffene muss die Möglichkeit haben, auf das Rechercheergebnis, mit dem er in Form von detaillierten Fragen konfrontiert werden muss, zu reagieren, ohne hierbei eine Interviewverpflichtung einzugehen.13 Darüber hinaus verlangt eine zulässige Verdachtsberichterstattung, dass vor einer Berichterstattung weitere Recherchen durchgeführt werden, wenn die Stellungnahme des Betroffenen hierzu Anlass gegeben hat. Kurz: Medien dürfen vor entlastenden Hinweisen nicht die Augen verschließen, bevor sie über den vermeintlichen Verdacht berichten. Und schließlich ist eine Verdachtsberichterstattung als vierte Voraussetzung nur dann zulässig, wenn sie ausgewogen und distanziert erfolgt. Dies verlangt, dass die Einwände des Betroffenen, also das Ergebnis der vorausgegangenen Konfrontation, in die Berichterstattung inhaltlich mitaufgenommen werden. Die bloße pauschalisierende Wiedergabe, dass der Betroffene die Vorwürfe dementiere, reicht dann nicht aus, wenn der Betroffene substantiiert einzelnen Vorwürfen entgegen getreten war. Die umfassende Konfrontationspflicht korrespondiert mit einer umfassenden Berichterstattungspflicht.14 Darüber hinaus darf dem Rezipienten weder auf direkte noch auf subtile Weise vermittelt werden, dass an dem Verdacht etwas dran sein müsse. Dem Leser, Zuschauer oder Zuhörer muss im Gegenteil deutlich werden, dass die Verdachtslage gänzlich offen sei.

III. Konsequenzen der Anforderungen an die zulässige Verdachtsberichterstattung für das Reputationsmanagement Ob den Medien ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegt, liegt grundsätzlich außerhalb des Einwirkungsbereichs der Betroffenen. Stützen sich allerdings journalistische Anfragen ausschließlich auf die Einleitung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens oder einer sonstigen behördlichen Untersuchung, so sollte durchaus darauf hingewiesen werden, dass allein ein solcher Umstand keinen Mindesttatbestand an Beweistatsachen begründet. Nimmt die journalistische Anfrage im Rahmen der Konfrontation ausschließlich Bezug auf ein Ermittlungsverfahren, ohne einen Mindestbestand an konkreten Beweistatsachen vorzuhalten, so besteht kein Anlass, zu dem angefragten Sachverhalt substantiiert Stellung zu nehmen.

12

Hanseatisches OLG, Urteil vom 23. März 2010, Az. 7 U 95/09, Juris, Rn. 31.

13

KG, Urteil vom 19. Oktober 2010, Az. 9 U 210/09, Juris, Rn. 47 f.

14

Vgl. LG Köln, Beschluss vom 10. Mai 2012, Az. 28 O 201/12; Hanseatisches OLG AfP 2008, S. 627 (628).

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Liegt eine journalistische Anfrage zu einem Sachverhalt vor, an dem kein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse besteht, so sollte sich die Stellungnahme in der Sache selbst allenfalls auf eine pauschale Zurückweisung des Vorwurfes beschränken, im Übrigen aber dezidiert darlegen, dass der angefragte Sachverhalt ausschließlich die geschützte Privatsphäre berührt und einer Veröffentlichung nachdrücklich widersprochen wird. Sollte eine Veröffentlichung gleichwohl erfolgen, so kann eine einstweilige Unterlassungsverfügung der Pressekammer eines Landgerichts kurzfristig allein mit dem Argument der Verletzung der geschützten Privatsphäre erwirkt werden, ohne dass sich der Betroffene vor Gericht in der Sache selbst äußern muss. Gerade bei notwendigem Schutz vor einer öffentlichen Darstellung des Privatlebens, insbesondere des Familienlebens reagieren die Pressekammern der Gerichte in der Regel sehr schnell. Die größte Herausforderung für ein gutes Krisenmanagement stellt die dritte Voraussetzung, die sorgfältige Recherche einschließlich einer substantiierten Konfrontation des Betroffenen dar. Hier sind eine Reihe von Verhaltensregeln zu beachten, auf die flexibel, je nach den Anforderungen der konkreten Fallgestaltung zurückgegriffen werden sollten: Mündliche bzw. telefonische Anfragen zu einem kritischen Sachverhalt, der möglicherweise zu einer Verdachtsberichterstattung führen könnte, sollten grundsätzlich nicht mündlich inhaltlich beantwortet werden. Stattdessen sollten die anfragenden Medien gebeten werden, ihre Anfrage schriftlich zu übermitteln. Eine Prüfung der Frage innerhalb eines angemessenen Zeitraums sollte zugesagt werden, wobei sich die Angemessenheit des Beantwortungszeitraums nach der Komplexität des Sachverhalts und der Zugänglichkeit der Informationen für den Betroffenen richtet. Der – früher übliche – Zeitraum von wenigen Stunden zur Beantwortung von Fragen erfüllt in der Regel nicht das Angemessenheitskriterium. Das Beharren auf schriftliche Übermittlungen der Fragen liegt darin begründet, dass in einer Auseinandersetzung über die Rechtmäßigkeit der Verdachtsberichterstattung nachgewiesen werden muss, welche Fragen gestellt und welche insbesondere nicht gestellt wurden. Stützt sich eine Berichterstattung auf Verdachtsmomente, mit denen der Betroffene nicht vor der Veröffentlichung konfrontiert wurde, so kann die Berichterstattung bereits aus diesem Grund rechtswidrig und unterlassungspflichtig sein. Außerdem versetzt die schriftliche Übermittlung den Betroffenen in die Lage, exakt vorwegzunehmen, auf welche möglichen Informationen sich die Berichterstattung berufen wird. Diese genauere Information erleichtert das (publizistische) Krisenmanagement unabhängig von rechtlichen Fragen. Die Beantwortung der Fragen sollte in der Regel nicht mündlich, sondern ebenfalls schriftlich erfolgen, um den Medien eine exakte Grundlage für ihre Berichterstattung zu geben. Dies erhöht die Qualität der Berichterstattung. Zugleich ist der Nachweis leicht zu führen, mit welchen Sachverhaltshinweisen die Verdachtsmomente, mit denen der Betroffene konfrontiert wurde, entkräftet werden konnten. Der im Rahmen der Ausgewogenheitsprüfung der Berichterstattung durchzuführende Abgleich zwischen Stellungnahme und Aufnahme der Entgegnung in die Berichterstattung ist leichter zu führen.

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Für elektronische Medien ist die Reduzierung der Antwort auf schriftliche Stellungnahmen häufig eine „bittere Pille“, da elektronische Medien O-Töne benötigen. In zugespitzten Krisensituationen sollte der Betroffene gleichwohl sich ausschließlich schriftlich äußern; in entspannteren Situationen kann begleitend zur schriftlichen Stellungnahme ein O-Ton – gegebenenfalls mit Autorisierungsvorbehalt – gegeben werden. Gewinnt man den Eindruck, dass die zu erwartende Verdachtsberichterstattung ungeachtet der Stellungnahmen eine für den Betroffenen negative Tendenz haben wird, so eröffnet die vorausgehende Konfrontationspflicht zugleich die Möglichkeit, andere Medien vorzeitig über den Sachverhalt zu unterrichten und auf diese Weise eine zeitgleiche oder sogar vorausgehende distanzierte Berichterstattung zu fördern. All dies verdeutlicht, dass das Reputationsmanagement im Vorfeld einer zu erwartenden kritischen Verdachtsberichterstattung ein enges Zusammenspiel zwischen publizistischer und presserechtlicher Beratung erfordert. Durch eine gute äußerungsrechtliche Beratung im Vorfeld der Beantwortung von Medienanfragen kann die Qualität der dann folgenden Verdachtsberichterstattung erheblich gesteigert werden. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass auch Fallkonstellationen vorliegen können, in denen die äußerungsrechtliche Empfehlung dahin geht, keine Stellungnahme zum angefragten Sachverhalt abzugeben. Parallel dazu sollte äußerungsrechtlich stets beobachtet werden, ob sich so genannte „privilegierte Quellen“, insbesondere Behörden wie Staatsanwaltschaften, zu dem Sachverhalt äußern. Medien dürfen auf die Richtigkeit und Zulässigkeit von behördlichen Mitteilungen, insbesondere von Mitteilungen der Staatsanwaltschaft, vertrauen.15 Bei einem Rückgriff auf behördliche Pressemitteilungen müssen die Medien allenfalls nur eingeschränkt den Betroffenen konfrontieren. Verletzt eine behördliche Mitteilung den Anonymitätsschutz eines Betroffenen, so ist eine auf dieser Mitteilung beruhende Medienberichterstattung trotz einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht rechtswidrig. Deshalb bedarf es im Rahmen des Reputationsmanagements unter Umständen sofortiger Intervention gegen eine behördliche Pressemitteilung, die sich ihrerseits nicht an den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung orientiert und eine vorverurteilende Tendenz hat.16 Liegt eine Verdachtsberichterstattung vor, die nicht dem Anspruch der ausgewogenen und distanzierten Darstellung genügt, sondern eine vorverurteilende Tendenz enthält, so kann es geboten sein, unverzüglich äußerungsrechtlichen Rechtsschutz im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens zu erwirken. Das schnelle Vorliegen eines Unterlassungstitels kann eine wichtige Unterstützung im Rahmen des publizistischen Reputationsmanagements sein: Die Folgeberichterstattung wird durch einen solchen gerichtlichen Beschluss vor der Übernahme gewarnt. Die Berichterstattung selbst wird durch den Hinweis auf ein gerichtliches Verbot entwertet. Außerdem wird die OnlineVerbreitung der angegriffenen Print- oder Rundfunkberichterstattung untersagt. Aus

15

BVerwG, Beschluss vom 9. März 2012, Az. 1 BvR 1891/05.

16

Lehr, NJW 2013, S. 728 (731 ff.).

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diesen Gründen kann dem nachträglichen Verbot einer Berichterstattung eine wichtige Bedeutung zukommen. Ein präventives Verbot ist in der Regel nicht durchsetzbar, da es an der für den Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung erforderlichen Glaubhaftmachung der Begehungsgefahr fehlt. Allein die journalistischen Anfragen für eine Berichterstattung begründen keine Begehungsgefahr.

IV.

Schutz des Betroffenen nach der Berichterstattung – Anspruch auf Richtigstellung?

Erfolgte eine rechtmäßige Verdachtsberichterstattung und stellt sich später heraus, dass der berichtete Verdacht widerlegt wurde, z. B. das Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, so besteht nach einer im Vordringen befindlichen Rechtsauffassung eine Aktualisierungs- bzw. Ergänzungspflicht zur Entkräftung des berichteten Verdachts.17 Nicht geklärt ist allerdings die wichtige Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen dem Betroffenen ein Richtigstellungsanspruch wegen einer vorausgegangenen Verdachtsberichterstattung zusteht. Umstritten ist bereits die Frage, ob hierbei zwischen rechtswidriger und rechtmäßiger Verdachtsberichterstattung zu unterscheiden ist. Nach der hier vertretenen Auffassung führt nur die rechtswidrige Verdachtsberichterstattung zu einer Verpflichtung der Medien, im Falle des Nachweises der Unrichtigkeit des mitgeteilten Verdachts die eigene Berichterstattung zu korrigieren. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine rechtswidrige Verdachtsberichterstattung, die nicht die vier genannten Voraussetzungen erfüllt, gerade nicht das Privileg einer sanktionslosen Berichterstattung eröffnet. Eine missglückte und deswegen rechtswidrige Verdachtsberichterstattung stellt nichts anderes als eine falsche Tatsachenbehauptung dar, für die das übliche Regime der Richtigstellung greift. Allerdings stellt sich in solchen Fallkonstellationen die Frage, ob die Darlegungs- und Beweislast für die Unrichtigkeit des rechtswidrig berichteten Verdachts bei dem Anspruch stellenden Betroffenen oder bei den Medien liegt. Grundsätzlich muss der Betroffene die Unrichtigkeit der als „Verdacht“ mitgeteilten Tatsachenbehauptung darlegen und beweisen, um einen Berichtigungsanspruch durchzusetzen.18 Allerdings ist es häufig für den Betroffenen unmöglich, für das Nichtvorliegen eines behaupteten Sachverhalts einen Negativbeweis zu führen. Deshalb hat die Rechtsprechung im Rahmen des Widerrufsanspruchs demjenigen, der sich nachteilig über einen Dritten äußert, eine erweiterte Darlegungslast auferlegt. Der Journalist oder Verlag ist in diesem Fall verpflichtet, Belegtatsachen für seine Behauptung anzugeben. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Betroffene dem geäußerten Verdacht bereits mit substantiierten Darlegungen entgegengetreten ist. In einer solchen Situation sind die Medien verpflichtet, im Rahmen ihrer sekundären Darlegungs- und Beweislast vorzu-

17

OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2011, S. 21.

18

BGHZ 89, 181 (182 f.).

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tragen. Behauptungen, die durch Gegenbehauptungen widerlegt und die deswegen nach § 138 Abs. 2 ZPO als zugestanden anzusehen sind, gelten als unrichtig im Sinne eines Widerrufsanspruchs.19 Das Landgericht Hamburg hat sich im Falle einer rechtswidrigen Verdachtsberichterstattung dieser Rechtsauffassung angeschlossen.20 Diese Entscheidung ist bislang nicht rechtskräftig. Das Hanseatische Oberlandesgericht hat sich derzeit mit dieser Rechtsfrage zu befassen. Hierbei wird auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu berücksichtigen sein, dass es auch unter dem Blickwinkel des Art. 5 Abs. 1 GG auf keine verfassungsrechtlichen Bedenken stößt, demjenigen eine erweiterte Darlegungslast aufzuerlegen, der ehrenrührige Tatsachen behauptet, und bei Nichterfüllung dieser Darlegungslast die zum Widerruf führende Tatsachenbehauptung als unwahr anzusehen sei.21 Bleiben die Medien im Prozess jede Substantiierung und Konkretisierung des von ihnen erhobenen Vorwurfes schuldig und machen sie damit dem Betroffenen die Führung des ihm obliegenden Negativbeweises damit de facto unmöglich, muss ausnahmsweise von der Unwahrheit der umstrittenen Behauptung ausgegangen werden. Sonst besteht die Gefahr, dass ein Betroffener im Richtigstellungsverfahren zur Durchsetzung seines Richtigstellungsanspruchs sich „gewissermaßen ins Blaue hinein“ rechtfertigen müsse, um seiner Darlegungs- und Beweislast entsprechen zu können.22 Es wird noch einige Zeit dauern, bis sich die Rechtsprechung zur Frage der Richtigstellung nach einer Verdachtsberichterstattung stabilisiert hat. Grundsätzlich sollte aber im Rahmen des Reputationsmanagement davon ausgegangen werden, dass – zumindest rechtswidrige – Verdachtsberichterstattungen richtigstellungsfähig sind. Auf diese Weise können die Medien verpflichtet werden, einen aufgestellten Verdacht zugunsten des Betroffenen zu korrigieren. Allerdings wird die streitige Durchsetzung eines solchen Anspruchs eine längere Zeit dauern, bis ein rechtskräftiges Hauptsacheurteil vorliegt.

V.

Zusammenfassung

In der Medienpraxis stellt die Rechtsordnung ein sehr differenziertes und weitreichendes äußerungsrechtliches Instrumentarium zur Verfügung, mit dessen Einsatz das Reputationsmanagement für betroffene Personen, Unternehmen oder Institutionen hilfreich und wirksam begleitet werden kann. Die zwischen Presseabteilungen, PR-Beratern und Juristen manchmal spürbare Distanz sollte zugunsten eines effektiven Krisenmanagements aufgegeben werden. Eine ineinandergreifende Beratung kann nicht nur zur Erhöhung des Persönlichkeitsschutzes, sondern auch zur Erhöhung der journalistischen Qualität beitragen.

19

BGH, GRUR 1987, S. 397 (399).

20

LG Hamburg, Urteil vom 23. März 2012, Az. 324 O 628/10, Blatt 15 des Entscheidungsabdrucks unter Hinweis auf Meyer, in: Paschke/Berlit/Meyer (Hrsg.), Hamburger Kommentar, Gesamtes Medienrecht, 2. Aufl. 2012, 43. Abschnitt, Rn. 16.

21

BVerfGE 85, 1 (21).

22

BGH, NJW 1974, S. 1710 (1711); Soehring/Hoene, a.a.O. § 31, Rn. 22.

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Das gedruckte Wort hat Zukunft Wolfgang Maaß Im Zeitalter fortgeschrittener Digitalisierung und des nahezu ungetrübten ElektronikHypes scheint das gedruckte Wort zunehmend in den Hintergrund zu treten. Allenthalben sind Smartphones und Tablets angesagt, auf Papier Gedrucktes nur noch etwas für die älteren oder weniger technikaffinen Jahrgänge? Innovationen von Apple oder Microsoft, Plattformen von Facebook oder Twitter, aber auch Angebote von Google erhalten hohe Aufmerksamkeit und großes Medieninteresse, hingegen werden Weiterentwicklungen im Printbereich allenfalls beiläufig zur Kenntnis genommen. Übrigens auch, dass die expandierenden Online-Angebote der Zeitungen längst mit einer Fülle von kundenfreundlichen Funktionalitäten aufwarten und zudem erfreulich ihre Reichweiten ausbauen. Gedrucktes, insbesondere die Zeitung nur noch ein Auslaufmodell? Ein Blick in die Jahresabschlüsse der über Jahrzehnte erfolgsverwöhnten und im Weltmarkt früher nahezu unangefochtenen deutschen Hersteller von Zeitungsdruckmaschinen könnte diesen Eindruck bestätigen. Die schleichend rückläufige Entwicklung der Printauflagen von Zeitungen, wo seit dem Jahre 2000 nahezu ein Fünftel der Abonnements verloren gegangen sind, weist in die gleiche Richtung. Zugleich hat sich die Werbefinanzierung des lange Zeit Werbeträgers Nummer Eins deutlich hin zu den elektronischen Medien verschoben. Inzwischen haben gar bei den Zeitungen die Vertriebserlöse (trotz rückläufiger Auflagen) die Werbeumsätze überholt, da letztere eben noch deutlicher eingebrochen sind. Die Trends scheinen eindeutig zu sein. Die Printauflagen werden weiter zurückgehen. Schließlich zeigt die Demografie unbestreitbar eine rückläufige Bevölkerungsentwicklung, wobei auch noch für die heranwachsenden Generationen die Zeitung nicht mehr den Stellenwert ihrer Vorfahren hat und dank Kohorteneffekt damit auch nicht mehr erlangen wird. Überdies setzt die Werbewirtschaft zunehmend auf elektronische Medien und neue Werbeformen, wo sie glaubt, ihre Zielgruppen besser erreichen zu können. Die Verleger reagieren hierauf sehr unterschiedlich. Das über Jahrzehnte tradierte und starre Verlagsgefüge ist allerdings kräftig in Bewegung geraten. Ausstiege aus Print einerseits, aber auch Übernahmen, Fusionen und Kooperationen andererseits sind trotz der nach wie vor völlig überhöhten gesetzlichen Hürden des Pressekartellrechts keine Seltenheit mehr. Beachtliche Investitionen in die Qualität, in neue Angebote (zumeist allerdings elektronischer Natur) und in die starken Marken gehören dabei zur strategischen Ausrichtung. Vor diesem Hintergrund haben es auch die berufsständischen Einrichtungen und Verbände der Presse nicht leicht. Sind doch die Struktur ihrer Mitglieder und deren Interessen derart heterogen, zugleich die Mittel begrenzt, die Herausforderungen für die Branche aber gewaltig. Aus gutem Grunde und über Jahrzehnte bewährt ist im Grundgesetz die Pressefreiheit als konstitutiv für den demokratischen Rechtsstaat formuliert und durch das Bundesverfassungsgericht konkretisiert, geformt und weiterentwickelt worden.

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Dabei ist dies kein Freibrief für die Presse und schon gar nicht eine Bestandsgarantie für einzelne publizistisch arbeitende Unternehmen. Diese haben aber einen Anspruch darauf, dass bei der politischen Ausgestaltung der Rahmenbedingungen dem Schutz der Pressefreiheit ein besonderer Stellenwert zugemessen wird. Dabei hat auch die für Medien zuständige Landespolitik durchaus auch den Erhalt einer unabhängigen und vielfältigen Presse, wie sie in Hessen im Unterschied zu einigen anderen Bundesländern noch vorhanden ist, im Auge. Die bewährte Beschränkung des privaten Rundfunks auf ausschließlich landesweite (und nicht regional auseinanderschaltbare) Werbung zum Schutz gerade kleinerer Lokalzeitungen ist solch ein Beispiel gelungener Ordnungspolitik. Die bislang gerade auch von der LPR Hessen und ihrem rührigen Direktor an der Spitze durchgehaltene Ablehnung regionaler Werbeangebote von national verbreiteten privaten Fernsehprogrammen ist hier ebenso zu nennen. Doch können die politischen Möglichkeiten zum Erhalt von Presse und Pressevielfalt in einem erfreulich staatsfreien System nur sehr begrenzt Wirkung entfalten. Und so gibt es denn auch selbst in Krisenzeiten kaum Rufe der Verlage nach Subventionen oder anderweitiger materieller Unterstützung durch die Allgemeinheit. Staatsferne und Unabhängigkeit sind als hohe Werte im Bewusstsein der Verleger tief verankert. Das schließt freilich nicht aus, auf Beschränkung des gebührenfinanzierten öffentlichrechtlichen Rundfunks zu bestehen, wenn dieser sich mal wieder mit presseähnlichen Angeboten in seinem Online-Angebot ausbreitet. Nein, letztlich müssen sich die Presse und damit das gedruckte Wort aus eigener Kraft mit überzeugendem Mehrwert und attraktivem Angebot im Wettbewerb der Medien um Aufmerksamkeit, Nutzungszeit und Werbewirkung behaupten. Dies ist die Herausforderung schlechthin, der sich wie alle Mitbewerber auch die Zeitungen permanent zu stellen haben. Relevante – und bei den Lokalzeitungen gerade lokale – Inhalte stehen dabei für den Leser an erster Stelle. Sauber recherchiert, gut aufbereitet und lesbar formuliert, wo nötig mit Bild und Grafik unterstützt und nicht zuletzt als Beitrag zur Meinungsbildung auch kommentiert, sind heute die berechtigten Erwartungen des Publikums, welches bekanntlich den Zeitungen weiterhin die mit Abstand höchste Glaubwürdigkeit aller Medien zuspricht. Und gerade in Abgrenzung zur kaum noch überschaubaren OnlineWelt: Orientierung, Gewichtung und Einordnung von Sachverhalten. Nicht mithalten können Druckerzeugnisse freilich mit der Aktualität der elektronischen Medien, wo heute in Sekundenschnelle Top-Nachrichten ins Netz gestellt oder über Fernsehen und Radio verbreitet werden. Aber ist, wer ständig online lebt und Aktuelles erfährt, wirklich der besser Informierte? Wie soll er den Wust an News gewichten, einordnen und bewerten? Wie soll er Hintergründiges erfahren, Sachverhalte auch einmal in einem größeren Kontext sehen? Zunehmend an Bedeutung gewinnt für die Zeitung auch die Ansprache spezieller, gerade jüngerer Zielgruppen. Wenn die (zeitungsfreundliche) traditionelle Familienstruktur mit gemeinsamem Frühstück und dem Vertrautwerden mit der morgendlichen Lektüre gerade auch für den Nachwuchs inzwischen eher die Ausnahme darstellt, müssen die jüngeren Menschen eben andernorts an die Zeitung herangeführt werden. Nach den guten Erfahrungen mit Zeitungsprojekten in der Schule sind daher längst auch andere 262 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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tionen – vom Kindergarten über die Ausbildung bis zum Studium – für zielgruppenbezogene Aktivitäten gewonnen worden. Über die inhaltliche Qualität hinaus spielen auch die Präsentation und die Gestaltung eine große Rolle. Wer etwas Gedrucktes in die Hand nimmt, will über den haptischen Eindruck, das Knistern von Papier, das Wahrnehmen von gedruckter Farbe, auch Freude am Lesen empfinden. Es ist eben schon qualitativ etwas ganz anderes, als wenn man über den Tablet-Bildschirm streicht oder auf dem vergleichsweise kleinen SmartphoneDisplay liest oder zu lesen versucht. Ebenfalls etwas grundlegend anderes ist die Nachrichtenaufnahme des Fernsehzuschauers oder Radiohörers, die zwar bequemer und wesentlich weniger anstrengend als Lesen ist, aber damit zugleich in der Flüchtigkeit des Gesehenen und Gehörten ein wesentliches Handicap hat. Denn Lesen setzt Konzentration voraus, ein Nebenbei, ein schlichtes Berieseln gibt es nicht. Zur Sicherung einer wirtschaftlich unabhängigen Presse und damit Zukunft der Zeitung ist es aber nicht weniger wichtig, dass das Standbein der Mitfinanzierung aus dem Werbemarkt erhalten bleibt. Denn Anzeigen und Beilagen sind nicht nur selbstverständliche – und auch von der Leserschaft ganz überwiegend erwartete – Bestandteile von Zeitungen, sondern diese ermöglichen erst die Sicherung von Unabhängigkeit und Qualität. Ansonsten müsste der Bezugspreis in die unakzeptable Höhe von mehr als einer Verdoppelung gesteigert werden. Nicht weniger wichtig ist aber das seit einiger Zeit leidende Image der Zeitungen als bewährter und ein kaufkräftiges Publikum erreichender Werbeträger. Zeitungswerbung hat schleichend den für die Verlage früher so komfortablen Status der Selbstverständlichkeit verloren. Ohne aktiven und professionellen Verkauf geht schon lange nichts mehr. Nicht weniger nötig ist aber auch ein offensives und pfiffiges Gattungsmarketing, wo längst die Mitbewerber um die Werbebudgets kräftig auch in Gemeinschaftsaktivitäten – und dabei durchaus erfolgreich – investieren. Nicht zuletzt bleiben auch die nur mühsam zu erreichenden Standardisierungen in der Abwicklung der Zeitungswerbung auf der Agenda, wo unterschiedliche Formate, Preisund Rabattstrukturen immer wieder Agenturen schrecken. Von Verlagen ist zunehmend zu hören, dass sie selbstredend ihr Kerngeschäft in der Vermittlung von Nachrichten und Werbebotschaften sehen – dabei aber gleich über welches Ausgabemedium, nämlich gedruckt auf Papier oder elektronisch über die unterschiedlichen stationären oder mobilen Endgeräte. Dies klingt fortschrittlich, zuweilen auch sehr optimistisch, wenn man bedenkt, dass bislang in Ermangelung einer allgemein akzeptierten Paid-Content-Lösung nach wie vor das Geld ganz überwiegend im Printbereich verdient wird. Überdies begegnen den weitgehend mittelständisch geprägten Verlagshäusern im elektronischen Bereich ganz andere Wettbewerber, nämlich solche mit immenser Markt- und Kapitalkraft, die auch noch immer weiter in angestammte lokale Märkte einzudringen versuchen. Hier bleiben zusätzliche Wachsamkeit und ein möglichst geschlossener Auftritt der Zeitungsverlage angesagt. Im Ergebnis werden daher noch auf Jahre erhebliche Unterschiede in der Wirtschaftlichkeit von Print und Elektronik verbleiben. Insofern sind die Zeitungen gut beraten, wenn sie auch weiterhin alle Anstrengungen zur Sicherung von Print und damit des gedruckten Wortes unternehmen.

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Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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Politische Kommunikation in der Bürgergesellschaft Veränderungsprozesse einer digitalen Medienwelt und ihre Auswirkungen auf die Bürgermedien Jochen Fasco Bürgermedien befinden sich in einem Veränderungsprozess, der vor allem durch die neuen, digitalen Welten beeinflusst wird. Vielfach nutzen zivilgesellschaftlich Engagierte die Bürgermedien für die Kommunikation ihrer Themen. Es stellt sich die Frage, ob die Veränderungsprozesse bei der politischen Kommunikation, die immer deutlicher zutage treten, ebenfalls Auswirkungen auf die Bürgermedien, ihre künftigen Schwerpunkte und die Frage haben, ob sie sich stärker weg von bisherigen Übertragungstechnologien hin zum Internet bewegen müssen.

I.

Veränderungsprozesse politischer Kommunikation

Wenn man die veränderten „Rahmenbedingungen“ von politischer Kommunikation1 in der Bürgergesellschaft vertieft betrachtet, dann gibt es drei Bereiche, die dabei berücksichtigt werden müssen: •

Medien,



Gesellschaft und



Politik.

Diese sind jedoch nicht unabhängig voneinander zu betrachten. Denn Medien, Gesellschaft und Politik stehen in einem engen dynamischen und wechselseitigen Verhältnis zueinander. Diese Beziehung lässt sich in einer Demokratie wie folgt auf den Punkt bringen: Die Medien bilden eine „Brücke“ zwischen den Bürgern und der Politik! Die Medien besitzen dabei eine zentrale Bedeutung für eine funktionierende moderne Demokratie. Denn demokratische Gesellschaftssysteme, die auf „Volksherrschaft“ basieren, sind auf Strukturen angewiesen, die es dem „Volk“, also den Bürgern, ermöglichen, •

Informationen zu gewinnen,



Meinungen auszutauschen und



Entscheidungen auszuhandeln.

1

Vgl. Füting, Politische Kommunikation in Deutschland. Eine Längsschnittanalyse, Vistas, 2013 (im Druck).

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Die zentrale Rolle spielen hierbei die Massenmedien, wie die Printmedien, der Rundfunk und die Digitalen Medien. Sie bilden die Hauptinformationsquelle der Bürgerinnen und Bürger auch zu politischen lokalen Themen. Das Besondere an Massenmedien ist, dass sie Informationen mit einer hohen Geschwindigkeit an einen sehr großen Adressatenkreis richten können. Erst wenn die Bürger über die Medien über politische Themen informiert sind, können sie in einen ernsthaften politischen Meinungsaustausch treten und sich auch an politischen Prozessen beteiligen, z. B. mit der Gründung von Bürgerinitiativen. Die Medien sind damit nicht nur Informationsquelle, sondern dienen der Umsetzung des Demokratieprinzips. Denn letztlich führen gesellschaftliche und politische Partizipation, also Beteiligung (z. B. mit der Stimmabgabe bei einer Wahl) zur Legitimation des politischen Systems. Damit stehen die Medien aber gleichzeitig auch in der Verantwortung, politische Informationsangebote qualitativ und quantitativ ausreichend anzubieten, die vom Bürger genutzt werden können. Erst dann kann Politik eine Rolle im persönlichen Meinungsaustausch und in der Öffentlichkeit spielen und hat eine Chance, nicht durchgängig von Konsum und Unterhaltung verdrängt zu werden. Man darf dies nicht falsch verstehen: Konsum und Unterhaltung sind auch wichtige Bereiche und wer abends nach Hause kommt, freut sich als „Couch-Potato“ die Füße hochzulegen und sich bei „Wetten, dass..?“, „Heidi Klum“ oder einer Castingshow unterhalten zu können. Das ist und muss Teil gerade des öffentlich-rechtlichen Systems sein, das die Grundversorgung garantiert – und dies darf und wird in der Regel das Hauptangebot privater Sender sein, die uns lange am Bildschirm fesseln wollen, damit wir auch die Werbung, die das Ganze üblicherweise finanziert, rezipieren. Aber, um im Bild mit der Brücke zu bleiben: Mit dem Internet hat sich der Bereich der Medien (also der Brücke zwischen Politik und Gesellschaft) grundlegend verändert. Es vollzieht sich seit ca. 20 Jahren vor unseren Augen ein grundlegender Wandel gesellschaftlicher Kommunikation. Das Internet hat in kürzester Zeit den Raum für kommunikative Möglichkeiten weit geöffnet. Dieser Veränderungsprozess verliert bisher nicht an Dynamik und es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass bestehende Kommunikationsgrenzen nicht auch zukünftig aufgelöst oder verschoben werden. Hinter dem Begriff Internet verbirgt sich eine Vielzahl von Medien. Das Besondere ist, dass dabei verschiedene Formen von Kommunikation ermöglicht und auch verschränkt werden. Durch die Kombination von •

zwischenmenschlicher Kommunikation,



Massenkommunikation,



Gruppenkommunikation und



Mensch-Computer-Kommunikation

entstehen hybride Formen, wie z. B. bei Videoplattformen, Nachrichtensuchmaschinen etc. Es findet eine Konvergenz, ein Zusammenwachsen und Durchmischen von Rundfunk, Telefonnetz, Presse und Computer statt, wobei die jeweiligen Vorteile dabei 266 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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bündelt und verstärkt werden. Die Online-Medien werden damit zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten der traditionellen Medien und üben auf diese damit auch einen gewissen Druck aus (Beispiel: Online-Zeitungen, Mediatheken, Hybrid-TV). Insgesamt zeigt sich, dass alle Medien sämtliche gesellschaftlichen Bereiche durchdringen, den Alltag der Menschen, aber auch den Bereich der Politik. Die neuen Kommunikationstechnologien und das Internet verstärken diesen Trend. Die Omnipräsenz der Medien ist allgegenwärtig. Diese Beobachtungen lassen sich anhand dreier grundsätzlicher Entwicklungstendenzen zusammenfassen: Erstens ist dies die zeit- und raumunabhängige Verbreitung: die vorrangig digitalen Technologien, die Kommunikation durch neue Formen der zeit- und raumunabhängigen Verbreitung und Verfügbarmachung (Internetdienste: E-Mail, Datenübertragung und zunehmend auch Telefonie, Radio und Fernsehen). Unvorstellbar, dass wir erst 20 Jahre des „World Wide Web“ feiern. Kann man sich noch ein modernes Arbeits- oder Privatleben ohne Smartphone und E-Mail, ohne Blick auf die Wetter-App, die sekundenschnelle Beantwortung nach dem Kinoprogramm oder die schnelle Mail – die Post baut die gelben Kästen ab – vorstellen? Zweitens ist zu attestieren, dass digitale Medien die Medienlandschaft durch crossmediale Strategien der Medienunternehmen und durch hybride Angebotsformen verändern (beispielsweise Online-Zeitungen mit Videoangeboten). Aber wir haben auch den Streit der Zeitungsverleger mit den öffentlich-rechtlichen Sendern über die Tagesschau-App zu beobachten, wo man den Rundfunkmachern vorwirft, sich zu weit in die Gefilde der Printwelt vorgewagt zu haben. Drittens wird durch die digitalen Medien zunehmend die Medienlandschaft so modifiziert, dass sich die Rollenverteilung zwischen Informationsanbieter und Rezipient verändert sowie Medienaktivitäten und nicht-mediatisierte Aktivitäten das soziale Umfeld immer mehr durchmischen (beispielsweise Blogs, soziale Netzwerke, Apps). Früher waren es Tagesschau und die – zumeist einzige – Tageszeitung vor Ort, die uns informiert haben. Viele frühere Zeitungsabonnenten und -leser, insbesondere junge Menschen, nutzen dies nicht mehr. Durch Phänomene wie Wikileaks, die Gründung der Piratenpartei, die ACTABewegung, die Proteste zu Stuttgart 21, die Revolutionsbewegungen in den arabischen Ländern oder jüngst die Blockupy-Bewegung gegen die EZB in Frankfurt, die durch die neuen Medien initiiert und organisiert wurden, bekommen die beschriebenen Entwicklungstendenzen in der neuen Mediengesellschaft eine zusätzliche Bedeutsamkeit. Dabei stehen wir bei der Entwicklung der sozialen Netzwerke noch am Anfang. Von besonderer Bedeutung dabei ist, dass die neuen Medien nun nicht mehr „nur“ auf den unmittelbaren Alltag der Bürger wirken, sondern gesellschaftliche Relevanz besitzen. Was bedeutet dies für das eingangs erwähnte Bild? Die Medien, die erwähnte Brücke zwischen Gesellschaft und Politik, hat sich verändert! Es sind neue Wege entstanden, die schneller, umfangreicher und auch direkter sind. Die neuen digitalen Kommunikationstechnologien bieten damit sowohl der Politik als auch den Bürgern und natürlich 267 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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auch den Medien selbst neue Kommunikationsmöglichkeiten. Verändert sich damit auch die Seite der Gesellschaft bzw. der Bürgerinnen und Bürger? Die medialen Veränderungen, die das Kommunikations- und Partizipationsrepertoire der Bürger erweitern, stärken zunächst den Ansatz einer Bürgergesellschaft. Dieser geht davon aus, dass die Bürger eigeninitiativ und demokratisch auf den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungsprozess gestalterisch Einfluss nehmen, insbesondere auch über klassische Partizipationsformen (wie die Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen). Aber: Deutliche Anzeichen einer Veränderung lassen sich bei der Sichtweise des Bürgers als Rezipient, als Nutzer, erkennen. Circa 75 Prozent der Deutschen sind online. Die internetbasierten Medien werden zunehmend öfter und intensiver genutzt. Facebook, Twitter oder YouTube sind schon lange keine Fremdwörter mehr. Die Zahl der Nutzer von Sozialen Medien steigt ständig, bei Facebook deutlich über ein Milliarde Nutzer. Gleichzeitig verlieren aber die traditionellen elektronischen Medien (diesbezüglich) scheinbar nicht an Bedeutung. Fernsehen und Radio halten auch weiterhin ihre Nutzungsdauer und Medienzeitbudgetanteile. Auch in der gesamten gesellschaftlichen Struktur lassen sich Veränderungen nachweisen, die mit den neuen Medien und politischer Kommunikation zusammenhängen. Zwei Begriffe, die in diesem Zusammenhang häufig auftreten, sind Digital Natives und Digital Immigrants. Als Digital Natives (digitale Eingeborene) werden Personen bezeichnet, die mit digitalen Technologien wie Computern, dem Internet, Mobiltelefonen und MP3Player aufgewachsen sind. Als Antonym existiert der Begriff des Digital Immigrant (digitaler Einwanderer oder digitaler Immigrant) für jemanden, der diese Dinge erst im Erwachsenenalter kennengelernt hat. Dies bedeutet aber nicht, dass Angehörige der Digital-Immigrant-Generation nicht mit den neuen Medien umgehen können oder dass die junge Generation die traditionelleren Formen von Kommunikation ignoriert. Die Unterscheidung zielt vielmehr auf die Art und Weise des Umgangs mit Medien und Technik ab und lässt sich weniger am Alter festmachen. Aus diesem Grund sollte auch Medienbildung und Medienkompetenzvermittlung nicht nur auf junge Zielgruppen ausgerichtet sein. Vor dem Hintergrund einer Bürgergesellschaft ist jedoch nicht die Frage, „wer“ das Internet generell nutzt, sondern vielmehr, „ob“ es für politische Kommunikation und Partizipation eingesetzt wird. In der deutschen Bevölkerung hat sich eine Gruppe herausgebildet, die vornehmlich auf die Veränderungen durch neue Medien zurückzuführen ist. Es sind die „Bequemen Modernen“ – junge, gut gebildete, politisch interessierte, kommunikative und aktive Menschen, die die Möglichkeiten des Internets zur politischen Information, politischen Kommunikation sowie Partizipation ausgiebig nutzen. Diese Gruppe macht ca. 15 Prozent – mehr als jeder achte der deutschen Bevölkerung – aus. Diese „Bequemen Modernen“ meiden jegliche Formen der politischen Offline-Aktivität, wie z. B. die Mitgliedschaft in einer politischen Organisation oder die Wahlteilnahme. Die jungen politischen Onliner ziehen den heimischen PC der Straße und dem Sitzungszimmer vor. Dies zeigt, dass die jungen politischen Online-Aktiven den traditionellen Formen der Kommunikation keine so große Wirkung beimessen oder diese kulturell einfach zu weit von deren Lebenswelt entfernt sind. Das Hinzutreten des Internets zum kommunikativen 268 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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toire der Menschen führt nicht dazu, dass sich eine Informationselite abspaltet. Vielmehr bildet sich diese neue Gruppe von jüngeren Aktiven, deren Charakteristikum es ist, dass sie internetbasierte Medien in allen Kommunikationsformen vorziehen. Mit diesem Befund kann an die intensive Diskussion um den „Digital Divide“, also die digitale Spaltung, die „Kluft“ zwischen Nutzern und Nicht-Nutzern, angeschlossen werden. Diese Erkenntnisse haben Konsequenzen auf verschiedenen Ebenen: These I: Auf der gesellschaftlichen Ebene ist statt eines revolutionären Wandels unseres politischen Alltagslebens eher eine evolutionäre Veränderung zu erwarten, die deshalb aber in ihren Folgen nicht weniger ausgeprägt sein dürfte. These II: Klassische Beteiligungsformen (herkömmliche Wahlbeteiligung, Parteimitgliedschaft etc.) werden nicht nur wegen der in Deutschland mittelfristig schrumpfenden Bevölkerungszahl abnehmen, sondern auch, weil sie offenbar – in ihrer jetzigen Form – den politischen Kommunikationsmustern jüngerer Menschen nicht mehr entsprechen. Das Hinterzimmer der politischen Diskurse wird zunehmend durch das Tablet und den heimischen PC ersetzt.

II.

Auswirkungen veränderter politischer Kommunikation auf die Bürgermedien

Haben die skizzierten Veränderungen Auswirkungen auf die Bürgermedien? Wird sich die Nutzung in Offenen Kanälen und in nichtkommerziellen Angeboten in den nächsten Jahren verändern? Wird der Aufgabendreiklang2 der Bürgermedien bestehend aus •

Zugangsoffenheit,



lokaler Information und



Medienbildung

weiter Bestand haben? Um diese Fragen beantworten zu können, bedarf es der Betrachtung der drei Aufgaben unter veränderten Bedingungen. Die Diskussion hierzu findet nicht kontinuierlich statt, sondern tritt in Wellen auf. Grundlage ist die allen bekannte Annahme, dass aufgrund der gestiegenen Teilhabe der Bürger im Internet – was grundsätzlich erst einmal zu begrüßen ist – nicht mehr die Notwendigkeit bestünde, Bürgerrundfunk im Radio und Fernsehen zu verbreiten. Wenn der Bürgerrundfunk zukünftig im Internet oder z. B. per DAB+ „sendet“, so würden – und dies ist für einige ein angenehmer Nebeneffekt – auch die ohnehin knapper wer-

2

Vgl. Heinold-Krug, in: Schäfer (Hrsg.), Qualitätsentwicklung in Bürgermedien. Qualitätsentwicklung als Motor der Organisationsentwicklung bei den Partizipationsmedien der Zivilgesellschaft. Vistas, 2012.

269 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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denden Kassen der Landesmedienanstalten entlastet werden. Soweit die Annahme, die Realität sieht derzeit jedoch nach meiner Meinung anders aus. Eine in Thüringen durchgeführte wissenschaftliche Untersuchung bestätigt, dass das alleinige Verlagern der Bürgerrundfunkprogramme ins Internet deren gesellschaftliche Relevanz deutlich verringern würde.3 Unbestritten ist die Tatsache, dass mit dem Aufkommen des Internets – als eigenständige Mediengattung mit dem Mehrwert der Interaktivität – die tägliche Mediennutzung gestiegen ist. Der Alltag ist deutlich mediatisierter geworden. Eine Vielzahl von Tätigkeiten erledigen wir heute medienbasiert, wie beispielsweise Bankgeschäfte, Einkäufe oder das Buchen der nächsten Urlaubsreise, wo wir vorher ohne Mediennutzung auskamen. Trotz aller Veränderungen ist die Mediennutzung von Radio und Fernsehen jedoch nahezu gleich geblieben. Diese beläuft sich täglich – je nach Gattung – auf drei bis vier Stunden. Fernsehen ist weiterhin das Leitmedium, was die Dauer der Mediennutzung betrifft. Die Dauer der Internetnutzung hingegen steigt kontinuierlich und liegt derzeit bei etwas mehr als einer Stunde – und das Ganze zu Lasten des Lesens von Zeitungen und Zeitschriften. Legt man zusätzlich die Reichweitendaten für den Bürgerrundfunk mehrerer Länder zugrunde, liegt die Reichweite des weitesten Hörer- bzw. Seherkreises bei durchschnittlich 15 Prozent. Manch professioneller Sender würde sich über derartige Zahlen freuen. Im Ergebnis bedeutet dies, dass sich einige Minuten tägliche Bürgermediennutzung durch den Rezipient im Durchschnitt ableiten lässt – immerhin. Was würde ein Verlagern der Bürgermedienprogramme ins Internet bedeuten? Um es vorwegzunehmen: Man würde den Sendern die Chance nehmen, gesellschaftsrelevant wirken zu können. Denn das Internet ist derzeit eigentlich ein „radio-“ und „fernsehfeindliches“ Umfeld. Die User tun so ziemlich alles im Netz, vom Mailen und Chatten als Beispiel interpersoneller Kommunikation bis hin zum virtuellen Einkaufen – was mit Mediennutzung im Sinn von Publizistik nur wenig zu tun hat. Dies alles zählt zu der einen Stunde durchschnittlicher Internetnutzung pro Tag. Für das Radio hören und Fernsehen schauen im Internet bleiben wenige Minuten. Wie sollen sich in dieses Zeitbudget die Bürgermedieninhalte noch „hineinmogeln“? Die Optimisten argumentieren, über das Social Web – über Facebook insbesondere – müsste es doch funktionieren, Relevanz zu erzeugen. Man darf die Inhalte eben nicht nur „1:1“ ins Internet stellen, sondern man muss sich der Charakteristik – nämlich den interaktiven Möglichkeiten – des Internets anpassen. Man muss also das Internet verstehen lernen, dieses als eigenständige Kommunikationsform begreifen.

3

Vgl. Forschungsgruppe „diskursiv“ der Universität Erfurt, Bürgermedien im Wandel, Eine qualitative Studie über die Bedeutung von Bürgerrundfunk und partizipativen Internetplattformen als Zugang zur Öffentlichkeit, in: Thüringer Landesmedienanstalt (Hrsg.): Chancen lokaler Medien, Modelle, Bewertungen und Anforderungen von lokalem Hörfunk und Fernsehen, Zwei explorative Untersuchungen. Vistas, 2010.

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Bezüglich dieser theoretischen Annahmen hat das Medieninstitut Ludwigshafen tendenziell mit seiner Studie etwas Klarheit – basierend auf empirischen Daten – geschaffen.4 Den 100 reichweitenstärksten klassischen Medien in Deutschland gelingt es mit ihren facebook-Seiten nicht, über die Charakteristik des „Zweitverwertungskanals“ hinauszukommen. Das, was auf vielen anderen Facebook-Seiten Realität ist, Interaktion bzw. Response zu erzeugen, gelingt den klassischen Medien im Social Web nicht. Nach Vowe hat dies mit der Kommunikationsform zu tun. Klassische Medien, auch Bürgermedien, funktionieren nach der Logik der Massenkommunikation – Einer sendet, Viele Empfangen – und dies auch im Internet.5 Die bevorzugte Kommunikationsform im Internet – die Onlinekommunikation – ist jedoch eine Form der Gruppenkommunikation, bei der viele verschiedene Partikularinteressen unter wenigen Usern in Form von Interaktion ausgetauscht werden. Dies hat jedoch nicht viel mit Publizistik zu tun. Im Ergebnis bedeutet dies für die klassischen Rundfunkmedien – auch für den Bürgerrundfunk – dass das Internet – nach wie vor – parallel neben dem Rundfunk bedient werden sollte, jedoch weniger als Distributionsweg von Beiträgen, sondern vielmehr als Imageträger zur Förderung der eigenen Medienmarke. Deshalb müssen wir auf eine parallele und nicht ausschließliche Internetverbreitung achten, damit dem Bürgerrundfunk als Institution seine gesellschaftsbezogene Relevanz als dritte Säule nicht abhandenkommt. Problem hierbei ist, im Internet finanzieren diese Gelder in den seltensten Fällen „Journalismus“. Im Ergebnis haben die klassischen Medien – gerade die Tageszeitungen, aber auch das kommerzielle Lokalfernsehen – also erhebliche Probleme, ihren Journalismus zu refinanzieren. Aktuell wird daher gefordert, dass der Lokaljournalismus stärker unterstützt werden muss. Über das Wie wird noch heftig diskutiert. Der Schweizer Kommunikationswissenschaftler Kurt Imhof fordert sogar, dass die Bürgermedien eine Ausfallbürgschaft für das kommerzielle Mediensystem übernehmen müssen: „Diese Ausfallbürgschaft müssen die Bürgermedien überall da übernehmen, wo das kommerzialisierte, professionelle Mediensystem den Lokal- oder Regionaljournalismus unter den Bedingungen des Marktes nicht mehr sichert. Hier springen die Bürgermedien in eine Lücke, die der Markt einerseits, die Medienpolitik andererseits hinterlassen hat. Bürgermedien erfüllen in dieser Lücke dann maßgeblich die Funktionen der Öffentlichkeit im lokalen und regionalen Raum, ohne die die Demokratie nicht auskommt.“6

Imhof meint die gleichen Bürgermedien, die es nach Kritikern in ihrer klassischen Form als Radio und Fernsehen nicht mehr braucht, da es das Internet gibt. Man kann sicher sein, dass die Bürgermedien mit dem Funktionsdreiklang (Zugangsoffenheit, lokaler Information und Medienbildung) auch in der längst existierenden digitalen Gegenwart und Zukunft weiter gut aufgestellt sind.

4

Vgl. Medieninstitut Ludwigshafen, Medienmarken in Facebook. Loseblattsammlung (Stand: 2011).

5

Vowe, Gerhard: Intro: Wandel in Medien und Gesellschaft - Passt die Regulierung ihre Instrumente an? Vortrag, 2012.

6

Imhof, Die Geltung der Bürgermedien in der Demokratie, http://www.fes.de/medienpolitik/pdf/ 20121025_Imhof_Text.pdf; 2012 (Stand: 23. September 2013).

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Medienkompetenz als Schlüsselqualifikation Paul Leo Giani

I.

Medienkompetenz – umfassend und dennoch lückenhaft

Der inflationäre Gebrauch des Begriffs „Medienkompetenz“ in allen Bereichen des gesellschaftlichen, kulturellen, pädagogischen und politischen Lebens führt dazu, dass dieser Begriff häufig undifferenziert und teilweise abwertend verwendet wird. Es gibt keine inhaltlich alle Facetten des kompetenten Umgangs mit Medien beschreibende, die vielen Dimensionen des Begriffes enthaltende Definition. Die Pädagogik versteht unter Medienkompetenz das Lernen mit Medien, definiert eher didaktisch, auf den Unterricht und die Wissensvermittlung bezogen. Bei einer mehr ästhetisch und kommunikativ ausgerichteten Sichtweise wird die Medienkompetenz eher als aktives, mediales Handeln verstanden. Eine politische, journalistische, auf die Gesellschaft bezogene Sichtweise wiederum erwartet von der Medienkompetenz einen selbstbestimmten Umgang mit den Medien. Web 2.0, die digitalen Welten, die sozialen Netzwerke, die Communities – das sind die aktuellen, neuen Herausforderungen, weshalb die Medienkompetenz wiederum eine neue Gewichtung erfährt. Anknüpfend an die bisherigen an einer umfassenden kommunikativen Kompetenz orientierten Definitionen rückt heute die soziale Handlungskompetenz in den Vordergrund. Bei der Medienkompetenz geht es nun zunehmend um die individuelle Auseinandersetzung mit der eigenen Person und der Herausbildung der Identität in den Medien, es geht um die Frage der Rolle und Position in den sozialen Netzwerken als Herausforderung für die Regelung von Beziehungen im und durch das Netz und es geht um die Fähigkeit, sich im Angebot der vielfältigen Informationen richtig und sachgerecht verhalten zu können, Mechanismen auszubilden dafür, die richtigen Informationen an den richtigen Stellen zu finden und sie kompetent zu beurteilen und zu nutzen. Das Handeln in Netzen, in vernetzten Strukturen, die Bildung von Communities, die Chance, in der digitalen Welt alle Informationen zu erhalten – all das sind die neuen Herausforderungen für die Medienkompetenz. Rückblickend ist festzustellen: Mit allen „neuen“ Medien, angefangen vom Buchdruck bis heute zu den digitalen Medienwelten, ging immer die Herausforderung einher, diese Medien individuell und gesellschaftlich möglichst intelligent zu nutzen. Der Buchdruck revolutionierte Alltag- und Berufswelt, Lesekompetenz war und ist für die Teilhabe an der Gesellschaft unabdingbar. Der Film, das Fernsehen mit ihren bewegten Bildern verlagerten die Medienkompetenz auf den Umgang mit Bildern. Die Semantik der Bilder wurde wichtig, das bildhafte Erleben, die Wahrnehmung kommunikativer Botschaften über Bilder musste entschlüsselt werden. Und heute, wenn wir vielleicht erst am Beginn von sich abzeichnenden großen Veränderungen durch die digitalen Medien stehen, so zeigt sich bereits, dass die digitalen, vernetzten Welten die individuelle und gesellschaftliche Kommunikation, das Lehren und Lernen, die politische Kultur, verändert haben.

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Der kurze Rückblick zeigt: Medienkompetenz kann kein fest stehender, genau und für alle Zeiten definierter Begriff sein. Im Gegenteil. Jedes neue Medium erfordert eine Fortschreibung, eine Weiterentwicklung des Begriffes. Medienkompetenz muss immer wieder neu definiert werden, eben weil sich Medien, Menschen und Gesellschaft verändern. In der heutigen differenzierten Ausprägung impliziert der Begriff technische Kompetenz, Handlungskompetenz, Gestaltungskompetenz, kommunikative Kompetenz, die Befähigung zur Medienkritik und Medienanalyse und die umfassende Sozialkompetenz. Weil aber der Begriff so vielfältige Aspekte hat, besteht die Gefahr, im politischen, pädagogischen oder gesellschaftlichen Diskurs aneinander vorbei zu reden. Der Jurist argumentiert bei dem unbestimmten Begriff anders als der Politiker, Pädagogen in der Schule meinen etwas anderes als Pädagogen in der Erwachsenenbildung, die Medien selbst definieren die Medienkompetenz eher unter den Gesichtspunkten von Einschaltquoten und Abozahlen, Redakteure und Journalisten fordern kritisches Wahrnehmen und Jugendschützer wollen, dass durch präventives Handeln eine Fähigkeit vermittelt wird, die Kindern und Jugendlichen hilft, sich selbst vor problematischen Medieninhalten zu schützen. Im Umgang mit dem Begriff Medienkompetenz ist es erforderlich, seine Vielfalt zu akzeptieren, damit keine Irritationen entstehen. Die unterschiedlichen begrifflichen Gewichtungen spiegeln die Vielfalt der Medien, die unser Alltags- und Berufsleben bestimmen, wider. Das Spezifische des Begriffes liegt in der gegebenen Heterogenität. Zugleich ist dies aber auch eine Stärke des Begriffes und seiner Funktion, notwendiges Ausstattungsmerkmal als Schlüsselqualifikation für das Leben in unserer Medien- und Informationsgesellschaft.

II.

Medienkompetenz – erforderlich in allen Lebensbereichen

Bis heute werden Medien, vor allen Dingen neue Medien, häufig negativ konnotiert. Immer dann, wenn sich in der Gesellschaft neue Kommunikations-, Informations- und Unterhaltungsmedien ausbreiten, treten Bedenkenträger auf den Plan, die vor den möglichen Gefahren warnen. Die Bewahrpädagogik findet deshalb bis heute Befürworter, im Gegensatz zu denjenigen, die Medien als Chance nutzen und deshalb Medienkompetenz aktiv im Umgang mit den Medien erreichen wollen. Im vergangenen Jahr erschien ein Buch des Psychologen Manfred Spitzer, einem der seit Jahren intensiv vor allen Medien warnenden Wissenschaftler, mit dem Titel „Digitale Demenz“ (München 2012). Medien, so seine Thesen, sind schädlich für Kinder und Jugendliche, hindern sie in ihrer altersgerechten Entwicklung. Auf der anderen Seite stehen die Befürworter der Medien der digitalen Welt. Etwa David Pfeifer, früher Journalist beim Stern. Er schrieb bereits 2007 in seinem Buch „Klick – Wie moderne Medien uns klüger machen“ (Campus Verlag, Frankfurt/New York 2007) darüber, wie moderne Medien den Horizont des Wissens erweitern und Menschen selbständiger und unabhängiger machen.

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Ohne auf diese aktuellen und kontroversen Diskussionen einzugehen: Kompetent mit Medien umgehen zu können, ist schon immer notwendig gewesen und heute notwendiger denn je. Mediale Kompetenz ist schließlich in allen Lebensbereichen die notwendige Grundlage, z. B. um •

im Beruf technische Geräte, Computer, Internet oder Fotografie nutzen zu können,



sich in der Bildung sachgerecht zu informieren, Wissen aufzunehmen, durch Wissenskommunikation zu lernen bzw. Wissen an andere zu vermitteln,



in der Privatsphäre sachgerecht miteinander zu kommunizieren, soziale Kontakte zu pflegen, neue soziale Kontakte zu erschließen und sich in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen.

Medienkompetenz ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, um in unserer Medienund Informationsgesellschaft selbstbestimmt zu leben und zu handeln. Nur dann, wenn die vorhandene Medienvielfalt sinnvoll und im individuellen Sinne positiv genutzt wird, ist die Teilhabe an Kommunikation und die daraus erwachsende Partizipation möglich. Medienkompetente Mediennutzerinnen und Mediennutzer sind in der Lage, •

die von den Medien transportierten Informationen zu verstehen,



die Medien im Sinne eigener, individueller Kommunikation zu beherrschen,



die Medien als Wirtschaftsgüter zu verstehen und zu bewerten,



die Mechanismen von medialer Manipulation zu begreifen und sich dagegen zu wehren,



politisch verantwortlich mit den Medien umzugehen,



mögliche Gefährdungen, die von Medien ausgehen, zu erkennen, und sich dementsprechend zu verhalten und



herauszufinden, welche Medien für sie individuell den größtmöglichen Gewinn verschaffen.

Somit ermöglicht eine umfassende Medienkompetenz auch in der aktuellen digitalen Welt, sich in der Alltags- und Berufswelt lernend zurechtzufinden. Gerade die immer neuen medientechnologischen Entwicklungen fordern ein lebenslanges Lernen heraus.

III. Erwerb der Schlüsselqualifikation Medienkompetenz Als Schlüsselqualifikation ist die Medienkompetenz damit auch eine umfassende Lebenskompetenz. Aus dieser Feststellung ist die Forderung abzuleiten, dass die Vermittlung von Medienkompetenz als eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft zu betrachten ist. 275 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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Der Prozess der Aneignung von Medienkompetenz ist in vieler Hinsicht unterschiedlich und in hohem Maße individuell bestimmt. Gesellschaftliche Verantwortung bedeutet, dafür zu sorgen, dass es keine Zwei- oder Mehrklassengesellschaft bei der Nutzung von Medien gibt. Der Staat, das Bildungswesen, Kultur und Politik haben eine umfassende Aufgabe, in den von ihnen verantworteten und zu gestaltenden Bereichen die Voraussetzungen zu schaffen für den Erwerb einer ausreichend entwickelten Medienkompetenz. Weil es nicht „die“ Medienkompetenz gibt, sondern der kompetente Umgang mit den Medien und den Medieninhalten von vielen unterschiedlichen, individuellen Erwartungen, Fähigkeiten und Einstellungen abhängig ist, bedarf es einer genauen Analyse darüber, an welchen Stellen die Gesellschaft mit ihren Möglichkeiten Angebote bereitzustellen hat für das Erlernen und Erfahren von Medienkompetenz. Allerdings ist zunächst dabei nicht zu unterschätzen, dass Medienkompetenz im Wege der Selbstaneignung einen hohen Stellenwert einnimmt. Das Aufwachsen mit Medien ist heute begleitet von einer intensiven Mediensozialisation. Kinder und Jugendliche mit ihrer Neugierde, ihrer raschen Auffassungsgabe, ihrem unverkrampften Umgang mit den Medien insgesamt erwerben vielfältige Nutzungskompetenzen. Das gilt sowohl für den technischen Bereich als auch für die Wahrnehmung und taktile Umsetzung, z. B. bei Computer- und Internetspielen. Die Mediensozialisation vermittelt Kenntnisse und Fertigkeiten, die nützlich sind, um die Medien im eigenen Interesse zu nutzen. Dennoch ist es erforderlich, den Horizont der erworbenen Kenntnisse zu erweitern, Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu vermitteln, mehr und intensiver Kenntnisse über Wirkung und Nutzung der Medien und ihrer Inhalte zu erfahren. Es ist sicher auch erforderlich, dabei auf die möglichen negativen Wirkungen zu blicken. Kinder und Jugendliche werden früh mit Medieninhalten in Berührung kommen, die sie möglicherweise in ihrer Entwicklung zu einer eigenbestimmten Persönlichkeit beeinträchtigen können. Darüber zu wachen ist eine Aufgabe des Kinder- und Jugendmedienschutzes, der für die Nutzung öffentlich zugänglicher Medien (Filme, Spiele, Publikationen, Rundfunk) Altersgrenzen bzw. Sendezeitbeschränkungen vorsieht. Diese vom Staat geforderten und in der Selbstkontrolle der Medienanbieter durchgeführten Maßnahmen sind notwendig und hindern auch nicht den Selbstaneignungsprozess. Im Gegenteil, sie sind hilfreich für das notwendige Lernen, Medieninhalte qualitativ beurteilen zu können. Selbstaneignung ist aber nicht nur auf Kinder und Jugendliche beschränkt. Auch die Erwachsenen unterliegen einer ständigen Notwendigkeit, sich auf die immer wieder neuen Medien einzustellen. Der Einzug der Computer im Alltag, sei es in den Banken oder im Personennah- und Fernverkehr, stellt eine deutliche Herausforderung dar. So ist der Erwerb von medialen Kompetenzen durch Mediennutzung auch ein Teil der Erwachsenensozialisation, des lebenslangen Lernens, notwendig, um den medialen Anschluss an die Gesellschaft nicht zu verlieren. Die Mediensozialisation von Kindern und Jugendlichen wird in großem Umfang von den Eltern bzw. den Erziehungspersonen bestimmt. Eltern verhalten sich selbst als Vorbild bei der Mediennutzung, zugleich sind sie diejenigen, die „Macht“ haben über die 276 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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„großen Erziehungsinstrumente“, das Fernsehen und den Computer. Eltern vermitteln ihre Medienkompetenz weiter, öffnen Freiräume für selbstbestimmtes Medienlernen und setzen zugleich Grenzen oder engen den medialen Spielraum ein. Für viele Eltern und Erziehungspersonen stellen Medien eine oftmals nicht oder nur schwer zu bewältigende Herausforderung dar. Sie fühlen sich häufig allein gelassen bei den Fragen nach der familiären Medienerziehung und Medienbildung. Es fehlt ein Elternbildungsangebot für die Medienerziehungskompetenz. Sporadische Elternveranstaltungen in den Kindertagesstätten oder in der Grundschule zur Medienerziehung reichen nicht aus. Institutionalisierte Elternbildungsangebote in der Kindertagesstätte, in der Grundschule, gegebenenfalls im Verbund mit der Erwachsenenbildung, könnten die elterliche Medienkompetenz in Erziehungsfragen deutlich verbessern. Im institutionellen Bereich sind die Kindertagesstätten die ersten Einrichtungen für die Vermittlung von Medienkompetenz, die den Prozess der Selbstaneignung pädagogisch begleiten können. Es ist deshalb wichtig, die Medienerziehung in der Kindertagesstätte als pädagogisches Angebot fest zu verankern, zumal es der professionellen Pädagogik immer wieder Mühe bereitet, die Medien mit in das Erfahrungslernen einzubeziehen. Es war deshalb wichtig, dass die Hessische Landesanstalt für den Privaten Rundfunk und Neue Medien (LPR) in nachhaltigem Bohren durch Herrn Thaenert in diesem wichtigen Bereich aktiv Medienpädagogik entwickelt hat und hessenweit veranstaltet. In den Kindertagesstätten bringt das Projekt „Ene, Mene, Medien“ sowohl den Kindern praktische Möglichkeiten der kreativen Erfahrung mit eigenem Medienhandeln, den Erzieherinnen und Erziehern Einsichten und Handlungsoptionen für medienpädagogisches Handeln und begleitend dazu Informationen für die Eltern und Erziehungspersonen. Kinder werden mit dieser Veranstaltung bei ihren eigenen Medieninteressen abgeholt, sie können ihre schon erworbenen Fähigkeiten prüfen, erweitern und sich selbst medial „erfinden“. In der praktischen Umsetzung ist dennoch auch zu bemerken, dass es viele Vorbehalte gibt, wenn die Medien Erfahrungs- und Lerngegenstand sind. Die Bedenken entstehen dadurch, dass aus pädagogischer Sicht die Gefahr gesehen wird, die Kinder noch mehr an die Medien heranzuführen und ihr Interesse an Medien noch mehr zu fördern. Medienkompetenzlernen in der Schule ist ein noch stärker zu entwickelndes Anliegen. Medien zum Lernen im Unterricht einzusetzen, das Recherchieren im Netz mit einzubeziehen, das wird geleistet. Aber die Medien selbst zum Gegenstand des Lernens zu machen im Sinne einer Medienkompetenz, sei es bei der Produktion eigener schulischer Medien, bei Film- und Medienanalyse oder -kritik, dazu fehlt die Zeit, dazu fehlen häufig aber auch die personellen Kompetenzen. Es ist erforderlich, die Schule für das aktive Lernen im Umgang mit Medien stärker als bisher zu öffnen. Medienkompetenzvermittlung für Lehrerinnen und Lehrer darf nicht nur ein Fortbildungsangebot für spezialisierte Lehrpersonen sein, sondern muss im Kanon der Fort- und Weiterbildung insgesamt einen zentralen Bereich einnehmen. 277 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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Individuelle Mediennutzung und Medienwirkung sind Basisthemen, die dann bei einer entsprechenden Vermittlungskompetenz in der Schule aufzuarbeiten sind. Nur dann, wenn sich Kinder und Jugendliche als aktive Rezipienten begreifen und damit auch ihr mediales Verhalten reflektieren und medial verantwortlich Handeln können, besteht die Voraussetzung für einen kompetenten Umgang mit den Medien. In der Schule sind die bisherigen Lernformen zu ergänzen durch gezielte Angebote des e-Learning und blended-learning. Die durch Medienkonvergenz entstehende Möglichkeit, vernetzt und mit unterschiedlichen Lernformen zu arbeiten, sind aktiv und zielgerichtet zu entwickeln. Über diese stärker auf Methodik abzielende Forderung ist aber vor allem intensiv die Rolle des Individuums, also des Kindes, des Jugendlichen, des Erwachsenen und auch des Inhalte vermittelnden Pädagogen in den Blick zu nehmen. Medienlernen in der Schule ist nicht nur eine Aufgabe des naturwissenschaftlichen und technischen Bereiches, sondern ebenso eine Aufgabe von Ethik, Literatur, Gesellschaftslehre und sozialem Lernen. Gerade weil die Medien eine universelle Herausforderung des Bildungswesens darstellen, ist bei der Vermittlung von Medienkompetenz eine zunehmende Vernetzung der schulischen und außerschulischen Bildung dringend erforderlich. Der Gesetzgeber steht daher vor der Aufgabe, die Schulgesetze mit den Weiterbildungsgesetzen und den Gesetzen zur außerschulischen Jugendbildung aufeinander inhaltlich abzustimmen. Auch hier ist ein Projekt der LPR zu nennen. Das so genannte Handyprojekt „Veränderung der Kommunikationskultur durch digitale Medien“ in der Schule. Mit Schulklassen wird in diesem Lernangebot das Handy als Medium einerseits entzaubert, indem über die Gefahren und Probleme informiert wird. Im Vordergrund steht aber, die Faszination des Mediums zu nutzen, um das Handy als ein Instrument eigenen Medienhandelns aktiv zu begreifen. Eigene Filme werden produziert, am Rechner geschnitten, vorgeführt, diskutiert. Das vorhandene Wissen, die vorhandenen Kompetenzen werden so weiter entwickelt. Spielt die Vermittlung von Medienkompetenz in der außerschulischen Jugendbildung eine große Rolle (siehe unten Abschnitt V.), so muss dies auch für die Erwachsenenbildung gelten. Medienkompetenzvermittlung in der Erwachsenenbildung sollte zu einem zentralen Schwerpunkt der Bildungsangebote in der Volkshochschule werden. Gleichrangigkeit neben Gesundheitsbildung, Sprachbildung und kultureller Bildung ist anzustreben, damit im Sinne lebenslangen Lernens auch Erwachsene Möglichkeiten haben, ihre bisher erworbene Medienkompetenz zu aktualisieren und weiter zu entwickeln. Doch bei allen pädagogischen Bemühungen dürfen die Medien selbst nicht außer Acht gelassen werden. Besonders die Presse, der Rundfunk, sowohl Hörfunk als auch Fernsehen, bieten zu wenig Angebote zum Erwerb medialer Kompetenzen an. Dabei haben doch die Wissenssendungen im Fernsehen zum Beispiel einen hohen Stellenwert. Mit ihnen und mit Medienkompetenz vermittelnden Formaten dürfte es möglich sein, Medienkritik und Medienakzeptanz gleichermaßen zu entwickeln.

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Wie stark in diesem Zusammenhang das Interesse an derartigen Angeboten ist, zeigt ein weiteres Projekt der Landesanstalt für den Privaten Rundfunk und neue Medien: „Du bist Radio“. Schulklassen werden geschult, erhalten in Zusammenarbeit mit HITRadio FFH eine Aufgabe, zwei 90-minütige Sendungen zu produzieren. Diese Sendungen werden begleitet von einer Information der Lehrerinnen und Lehrer über die Mediennutzungsgewohnheiten der Jugendlichen und die Produktionen werden dann online von FFH präsentiert und mit Preisen belohnt. Schließlich ist die Vermittlung von Medienkompetenz aber auch eine Aufgabe, die im Blick von Politik auf allen Ebenen zu stehen hat. Es ist auffällig, dass in einigen Wahlprogrammen der zur Landtagswahl in Hessen in diesem Jahr antretenden Parteien Medienkompetenz so gut wie keine Rolle spielt. Es gibt dort zwar Hinweise auf mediale Probleme wie Cybermobbing und auf einen notwendigen Jugendmedienschutz. Aber eine positive Herangehensweise an das Medienthema im Sinne einer zu entwickelnden Struktur für Medienkompetenz ist dort eher nicht zu entdecken. Gerade weil die Medienkompetenz für alle Lebensbereiche so wichtig ist, müsste sie eine zentrale Stelle in allen Wahlaussagen einnehmen.

IV.

Schlüsselqualifikation Medienkompetenz als zentrale Aufgabe von Medienpolitik

Die Politik muss auf allen Ebenen, angefangen von den Gemeinden und Städten über die Landkreise bis hin zu Land und Bund für eine ausreichende Struktur des Lernens und Entwickelns von Medienkompetenz schaffen. Es gibt Bemühungen, Medienführerscheine zu kreieren, es gibt Ansätze, verstärkt in der Jugendhilfe oder der Erwachsenenbildung Akzente zu setzen, aber ein abgestimmtes und allgemein wirksam werdendes Konzept für Medienkompetenz ist bislang noch nicht gefunden worden. Seit Jahren wird darüber diskutiert, dass sich die Bürgerinnen und Bürger über die Medien immer stärker an politischen Entscheidungsprozessen beteiligen oder beteiligen wollen. Politik ist auch in dieser Hinsicht viel stärker herausgefordert als früher, weil sich medienkompetente Nutzerinnen und Nutzer die Möglichkeiten der Medien zu Nutze machen. Der Stellenwert von Politik in der „digitalen Mediendemokratie“ wird neu zu definieren sein angesichts der immer stärker vernetzten User. Aber auch die Medienkompetenz denjenigen zu vermitteln, die (aus finanziellen oder sozialen Gründen) keinen Zugang zu den Medien haben ist im Sinne kompensatorischen Wirkens eine Aufgabe der Politik. Die Vermittlung von Medienkompetenz ist damit eine zentrale Aufgabe für die (Medien-)Politik der Zukunft: •

Politik auf allen Ebenen, im Bund, in den Ländern, in den Kommunen, muss die Medienkompetenz als Schlüsselqualifikation befördern.



Im System der Bildung und Erziehung ist die Vermittlung von Medienkompetenz fest in den Lehrplänen und in die pädagogischen Angebote einzuplanen.

279 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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In der Ausbildung der Pädagoginnen und Pädagogen, sowohl im vorschulischen Bereich, in der Schule und in der außerschulischen und universitären Bildung ist die Vermittlung von Medienkompetenz einzuplanen.



Es bedarf einer umfassenden Elternbildung, um Medienkompetenz in der Erziehung vermitteln zu können, gegebenenfalls in der Jugendhilfe, aber auch in der Erwachsenenbildung.



Der präventive Kinder- und Jugendmedienschutz ist als Teil der Medienkompetenz zu verstehen und dementsprechend klar und nachvollziehbar zu strukturieren.

V.

Sonderfall: Außerschulische Bildung – die Aufgaben eines zentralen Instituts für Medienpädagogik und Medienkommunikation in Hessen

Medienkompetenzvermittlung ist keine Aufgabe, die allein von einem Bereich, einer Institution in der Bildung und Erziehung geleistet werden kann. Angesichts der komplexen Lebenswelt und der vielfältigen Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten stellt sich Medienkompetenzvermittlung als eine übergreifende Aufgabe dar. Eine besondere Bedeutung hat dabei die außerschulische Bildung, vor allem die Jugendbildung. Vom pädagogischen Ansatz her ist das nur zu verständlich: Kinder und Jugendliche wachsen mit den jeweils neuen Medien auf. Sie sind es, die zuerst mit ihren Erfahrungen und ihren Entdeckungen mediale Kompetenzen entwickeln und ihren Lebensalltag gestalten. Gerade die außerschulische Bildung, die sich an den Bildungsbedürfnissen junger Menschen orientieren soll, wird immer wieder durch diese Jugendlichen herausgefordert. Hinzu kommt, dass neue Medien immer auch den Touch des Modernen, des Fortschrittlichen haben. Kinder und Jugendliche sind immer neugierig auf Neues, versuchen damit ihre Welt zu entdecken und zu gestalten. Schon in den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, mit dem Aufkommen der Möglichkeit, mit der Videokamera eigene Produktionen herzustellen, gab es einen regelrechten Boom in der außerschulischen Jugendbildung. Seminare, Kurse und Lehrgänge orientierten sich medial, Jugendliche waren begeistert davon, eigene Clips herzustellen und eigene Reportagen zu gestalten – kurz, sich medial auszudrücken und ihre Erfahrungen über mediale Produkte zu vermitteln. Die außerschulische Jugendbildung hatte damit so etwas wie eine Vorreiterrolle in der Pädagogik. Während sich die schulische Pädagogik schwer tat, öffnete die außerschulische Jugendbildung die Freiräume, die Jugendliche benötigen, wenn es um ihre Lebenswelten ging und geht. In Hessen hatte die Landesregierung, das Sozialministerium, diese spezielle Aufgabe der außerschulischen Bildung als Teil der politischen Jugendbildung früh erkannt und den damaligen Landesfilmdienst Hessen e.V. so ausgestattet, dass eine medienbezogene 280 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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außerschulische Bildung modellhaft angeboten wurde. Es war eine wichtige Aufgabe im Rahmen des damaligen Hessischen Jugendbildungsförderungsgesetzes und damit der Jugendhilfe in Hessen. Einhergehend mit den finanziellen Veränderungen, der Sparaktion „Sichere Zukunft“ in Hessen Ende der Neunzigerjahre wurden die Haushaltmittel für die Medienarbeit und die Medienkompetenzvermittlung gestrichen. Was folgte, war eine Reduzierung der Angebote in der außerschulischen Jugendbildung und eine Umorientierung auf eine Projektförderung, die von der LPR entwickelt wurde. Mit den von der Landesanstalt finanziell geförderten Projekten und weiteren Einnahmen anderer Träger und Einrichtungen ist es für den Landesfilmdienst Hessen, Institut für Medienpädagogik und Kommunikation, möglich, im Jahr etwa 6.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer unterschiedlichen Alters in rund 300 Veranstaltungen, seien es Vorträge, Kurse, Seminare, Wochenendlehrgänge oder sonstiges, zu erreichen. Die Themenvielfalt ist dabei beeindruckend: Von dem generationsübergreifenden Mediencoaching – einem Projekt für Familien – über „Die Veränderung der Kommunikationskultur durch digitale Welten“ bis zu filmpädagogischen Bildungsangeboten, Seminaren zu E-Government, Facebook und seinen Auswirkungen auf die Gesellschaftsstruktur, Verbraucherschutz und Medienkompetenz, Cybermobbing im Web 2.0 und vieles mehr reichen die vielfältigen Veranstaltungsangebote. Diese auf Medienkompetenz abzielende medienpädagogische Arbeit ist nur zu leisten dank der finanziellen Förderung durch die LPR. In einem Rahmenvertrag wurde in diesem Jahr die Zusammenarbeit in der Medienkompetenzvermittlung strukturiert festgehalten und inhaltlich so gestaltet, dass neue Entwicklungen jederzeit in die Bildungsangebote aufgenommen werden können.

VI.

Perspektive: Finanzielle Ausgestaltung des Rahmens für Medienkompetenz in der außerschulischen Bildung

Der Rundfunkstaatsvertrag (RStV) sieht vor, dass die Aufgaben der Landesmedienanstalten aus dem so genannten „Kabelgroschen“ finanziert werden (§ 40 RStV – „Finanzierung besonderer Aufgaben“). Diese rund zweiprozentige Abgabe zusätzlich zu den Rundfunkgebühren wird für die Ausgestaltung der Medienzulassung und Medienaufsicht in den einzelnen Bundesländern, aber auch für technische Infrastruktur sowie für die offenen Kanäle für Fernsehen, nichtkommerzielle Radiosender und die Förderung der Medienkompetenz zur Verfügung gestellt. Aus diesen Mitteln werden auch in Hessen nach dem Hessischen Privatrundfunkgesetz die medienpädagogischen Projekte der Landesanstalt für den privaten Rundfunk in Hessen finanziert, die wiederum von Trägern der außerschulischen Bildung durchgeführt werden. Allerdings wird in Hessen ein Teil dieser Gelder dem Hessischen Rundfunk für kulturelle Projekte, aber etwa auch die Teilnahme am jährlichen Hessentag zugewiesen.

281 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

282

Durch eine Änderung des Hessischen Privatrundfunkgesetzes wäre es möglich und wünschenswert, von diesen Mitteln einen etwas höheren Anteil für die Förderung der Medienkompetenz einzusetzen, um die Medienpädagogik und Medienerziehung in stärkerem Umfang als bisher zu unterstützen. Hierbei muss man auch berücksichtigen, dass durch die effektive Verwaltung durch die Landesanstalt und durch die Beschränkung auf Projektförderung (keine institutionelle Dauerförderung) mit relativ geringen Mitteln ganz beträchtliche Wirkungen erzielt werden können. Mit einer solchen Aufstockung der Mittel an die Landesanstalt wäre es dann auch möglich, in den tradierten Bildungsbereichen vorschulische Bildung und Erziehung, Schule und außerschulische Bildung, aber auch im Sinne eines präventiven Jugendmedienschutzes flächendeckende Angebote zum Erwerb von Medienkompetenz anzubieten, zu bündeln und zu vernetzen, damit die Medienkompetenz als Schlüsselqualifikation den ihr gebührenden Stellenwert erhält.

282 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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Datenschutz in Social Networks Alexander Roßnagel Wolfgang Thaenert bereichert als Honorarprofessor des Instituts für Wirtschaftsrecht in der Universität Kassel das Lehrangebot im Bereich des Rundfunk- und Medienrechts und ist sehr engagiert in der Betreuung von Bachelor- und Masterarbeiten von Absolventen des Studiengangs Wirtschaftsrecht sowie in der Begutachtung von Promotionsleistungen. Der folgende Beitrag systematisiert vielfältige Themen, die in zahlreichen gemeinsamen Prüfungen Gegenstand der Erörterungen waren.1

I.

Die Notwendigkeit des Datenschutzes in Social Networks

Social Networks sind Kommunikationsplattformen, die es dem Nutzer ermöglichen, sich Netzwerken von Gleichgesinnten anzuschließen oder solche zu begründen.2 In ihnen werden – im Unterschied zu klassischen Internetdiensten – die Informationen nicht primär von den Anbietern, sondern von den Nutzern angeboten. Sie weisen folgende Merkmale auf:3 Erstens fordern sie ihre Nutzer auf, durch personenbezogene Angaben ein persönliches Profil von sich zu erstellen. Zweitens bieten sie Funktionen an, mit denen die Nutzer selbstgenerierte Inhalte wie z. B. Bilder, Tagebucheinträge, Musik- oder Videoclips, veröffentlichen können. Drittens bieten sie Plattformfunktionen, wie z. B. Kontaktlisten oder Adressbücher an, mit denen Verweise zu anderen Mitgliedern der Netzgemeinschaft verwaltet und zu Interaktionen mit diesen genutzt werden können. Sie ermöglichen durch diese Eigenschaften den Austausch von Informationen, die Kommunikation und Interaktion, den Aufbau und die Pflege sozialer Beziehungen sowie die Selbstdarstellung. Bei der Inanspruchnahme von Social Networks werden regelmäßig sehr viele Daten der Nutzer und Dritter verarbeitet: Für den Besuch der Plattform und die Teilnahme an den verschiedenen Communities werden Daten für die Anmeldung benötigt. In der Nutzung der Plattform übermitteln die Nutzer Daten unterschiedlichster Art über sich und Dritte und rufen gleichzeitig Daten anderer Nutzer ab, die der Betreiber der Plattform bereithält. Sowohl die Nutzer als auch die Diensteanbieter verknüpfen die Nutzerinformationen durch Verlinkungen und Tagging miteinander, um die gewünschten Netzwerkeffekte zu bewirken. Alle diese Datenverarbeitungsvorgänge haben eine datenschutzrechtliche Relevanz, wenn es sich dabei um personenbezogene Daten handelt. Social Networks wären ein ideales Medium für die Persönlichkeitsentfaltung und für die Stärkung der Meinungs- und Informationsfreiheit, wenn immer nur verantwortlich mit

1

Der Beitrag geht in Teilen zurück auf ein Gutachten für die Landesanstalt für Medien NordrheinWestfalen (LfM).

2

Art. 29-Datenschutzgruppe, Stellungnahme 5/2009 zur Nutzung sozialer Online-Netzwerke, WP 163, 5.

3

S. Art. 29-Datenschutzgruppe (Fn. 2), 5.

283 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

284 ihren Möglichkeiten umgegangen würde.4 Da dies nicht der Fall ist, muss der Persönlichkeitsschutz der Beteiligten gesetzlich gewährleistet werden. Der Beitrag untersucht, welche Regelungen bestehen oder erforderlich sind, um in Social Networks die informationelle Selbstbestimmung aller Betroffenen sicherzustellen. Nicht näher untersucht wird die vergleichsweise wichtige Frage, welcher Schutz gegenüber Dritten besteht, die in Social Networks verfügbare Daten auswerten, zu Beziehungs-, Interessen- und Persönlichkeitsprofilen verarbeiten und diese verkaufen oder nutzen.

II.

Anwendungsbereich des Datenschutzrechts

Zu Beginn dieser Untersuchung ist zu klären, ob und wenn ja welches Datenschutzrecht bei Social Networks zur Anwendung kommt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Social Networks international angeboten und genutzt werden, zu untersuchen, inwieweit der Anwendungsbereich der Datenschutzgesetze eröffnet ist, weil mit personenbezogenen Daten umgegangen wird, und schließlich zu prüfen, welche Datenschutzgesetze zur Regelung dieses Umgangs zur Anwendung gelangen. 1.

Internationale Nutzung von Social Networks

Social Networks sind vielfach international, das Datenschutzrecht aber national. Das ist für den Bereich der Europäischen Union weniger gravierend, weil durch die Datenschutzrichtlinie (DSRL) vergleichbare Datenschutzanforderungen in allen Mitgliedstaaten gelten. Es ist aber besonders relevant, wenn Anbieter aus Drittstaaten, die – wie etwa den USA – ein erheblich geringeres Datenschutzniveau aufweisen. Erhebt, verarbeitet oder nutzen sie personenbezogene Daten in Deutschland, findet hierfür nach § 1 Abs. 5 Satz 2 BDSG deutsches Datenschutzrecht Anwendung. Erfolgt dieser Datenumgang aber ausschließlich in den USA, gilt hierfür auch allein das Recht der USA. In diesem Fall kann Datenschutz im europäischen Niveau nur noch gewährleistet werden, wenn er durch Technik sichergestellt wird.5 Datenschutztechniken wirken unmittelbar und global. Vielfach müssen jedoch die Anbieter Einsatzmöglichkeiten eröffnen. Bezogen auf Social Networks sollten die Dienstangebote so fortentwickelt werden, dass die rechtlichen Grundsätze der Transparenz, Zweckbegrenzung, Selbstbestimmung und des Schutzes der Persönlichkeit implementiert werden. In diesem Sinn hilfreich wäre es zum Beispiel, wenn Social Networks pseudonyme Nutzungsmöglichkeiten vorsehen oder dem Nutzer Konfigurationsmöglichkeiten für die Abrufbarkeit online gestellter Daten anbieten. Dies werden sie aber nur tun, wenn sie davon wirtschaftliche Vorteile haben, was wiederum eine entsprechende Nachfrage voraussetzt.

4

S. zu Freiheit und Demokratie im Internet Roßnagel, Globale Datennetze: Ohnmacht des Staates – Selbstschutz der Bürger, ZRP 1997, 26 ff.

5

S. näher Roßnagel, Datenschutz in einem informatisierten Alltag, 2007, 173.

284 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

285

2.

Datenschutz für personenbezogene Daten

Datenschutzgesetze gelten nur dann, wenn jemand mit personenbezogenen Daten umgeht. Denn nur der Umgang mit personenbezogenen Daten stellt einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar.6 Der Umgang mit nicht personenbezogenen Daten ist keinen datenschutzrechtlichen Beschränkungen unterworfen. Der Begriff der personenbezogenen Daten ist in § 3 Abs. 1 BDSG als „Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person“ definiert. Präziser bestimmt Art. 2 a) DSRL, dass „der Ausdruck ‚personenbezogene Daten’ alle Informationen über eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person (‚betroffene Person’)“ umfasst; „als bestimmbar wird eine Person angesehen, die direkt oder indirekt identifiziert werden kann, insbesondere durch Zuordnung zu einer Kennnummer oder zu einem oder mehreren spezifischen Elementen, die Ausdruck ihrer physischen, physiologischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität sind“. Eine Person ist bestimmt, wenn sie sich von anderen Personen einer Gruppe eindeutig unterscheiden lässt. Die Identifikation kann – auch ohne dass der Name bekannt ist – über eindeutige Merkmale erfolgen.7 Eine Person ist bestimmbar, wenn sie gemäß Art. 2 a) DSRL „direkt oder indirekt identifiziert werden kann“. Ob der jeweils verantwortlichen Stelle der Schluss von den bekannten Daten auf die Identität der Person möglich ist, hängt meist von ihrem „Zusatzwissen“ ab.8 Die „rein hypothetische Möglichkeit zur Bestimmung der Person“ reicht nicht aus.9 Vielmehr ist nach Erwägungsgrund 26 DSRL auf das Zusatzwissen abzustellen, über das sie mit „vernünftigerweise“ eingesetzten Mitteln verfügen kann. Dabei ist das Zusatzwissen Dritter zu berücksichtigen, die die Daten erhalten oder die mit der verantwortlichen Stelle zusammenarbeiten können.10 Entscheidend ist letztlich, ob die Identifizierung praktisch möglich ist. Dies wird entsprechend § 3 Abs. 6 BDSG angenommen, wenn eine prospektive KostenNutzen-Abwägung für die verantwortliche Stelle ergibt, dass diese die Person mit vertretbarem Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft identifizieren kann.11

6

BVerfGE 100, 313 (366). Dies gilt auch für den Datenumgang durch private Stellen – s. BVerfGE 84, 192 (195).

7

Art. 29 Datenschutzgruppe, Stellungnahme 4/2007 zum Begriff „personenbezogene Daten“, WP 136, 14; Tinnefeld, Personenbezogene Daten, in: Roßnagel, Handbuch Datenschutzrecht, 2003, Kap. 4.1 Rn. 20; Buchner, in: Taeger/Gabel, BDSG, 2010, § 3 Rn. 9; Karg, Die Rechtsfigur des personenbezogenen Datums – ein Anachronismus des Datenschutzes?, ZD 2012, 257.

8

Art. 29 Datenschutzgruppe (Fn. 7), 15; Dammann, in: Simitis, BDSG, 7. Aufl. 2011, § 3 Rn. 26; Roßnagel/Scholz, Datenschutz durch Anonymität und Pseudonymität, Rechtsfolgen der Verwendung anonymer und pseudonymer Daten, MMR 2000, 723; Roßnagel, Modernisierung des Datenschutzes, digma 2011, 161.

9

Art. 29-Datenschutzgruppe (Fn. 7), 17.

10

S. z. B. Art. 29-Datenschutzgruppe (Fn. 7), 18 ff., 22 ff.; Dammann, in: Simitis (Fn. 8), § 3 Rn. 33 f.; Eckhardt, IP-Adresse als personenbezogenes Datum, CR 2011, 343 f.

11

Art. 29-Datenschutzgruppe (Fn. 7), 17; Dammann, in: Simitis (Fn. 8), § 3 Rn. 23; Roßnagel/Scholz (Fn. 8), MMR 2000, 723.

285 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

286

Ob in Social Networks mit personenbezogenen Daten umgegangen wird, ist jeweils im Einzelfall zu prüfen. Dies ist immer anzunehmen, wenn der Nutzer sich mit seinem bürgerlichen Namen und weiteren personenbezogenen Angaben anmelden muss. Dies ist in der Regel der Fall, wenn die Netzgemeinschaft zu dem Zweck gegründet worden ist, bereits in der realen Welt existierende Gemeinschaften zu vernetzen. In diesen Fällen wird der bürgerliche Name benötigt, damit sich die Mitglieder dieser Gemeinschaften finden und wiedererkennen können. Personenbezogene Daten bestehen auch bei allen Einträgen auf der Network-Seite des jeweiligen Nutzers, da diese Einträge ihm zugerechnet werden. Adressen in Freundeslisten sind in der Regel ebenfalls personenbezogen. Dies gilt auch für Bilder, wenn die dargestellten Personen erkannt werden können. Foren sind dagegen im Schwerpunkt themenbezogen und dienen der Vernetzung von Personen, die gleiche Interessen verfolgen. Blogs dienen meist sehr allgemein der Darstellung von Aspekten des eigenen Lebens oder der Äußerung von Meinungen sowie dem Austausch von Informationen, Gedanken und Erfahrungen wie auch der Kommunikation. Die Teilnahme an Foren und Blogs erfolgt daher sehr häufig unter einem Pseudonym. Ob die Daten für den Anbieter der Social-Network-Dienste oder für die Teilnehmer personenbezogen sind, hängt dann davon ab, ob die Person durch andere Merkmale – z. B. die kommunizierten Inhalte – identifiziert werden kann.12 Für die Frage des Personenbezugs sind immer die technischen Möglichkeiten zu berücksichtigen, diesen durch das Zusammenführen und Auswerten im Internet verfügbarer Daten herzustellen. Dies dürfte durch die künftigen Potentiale von Big DataAnalysen, die mit Programmen aus der Cloud durchgeführt werden können, noch erheblich erleichtert werden.13 Unter Berücksichtigung zukünftiger Risiken ist daher davon auszugehen, dass nahezu jede in Social Networks zugängliche Information für den Anbieter wie für andere Internetnutzer als personenbezogenes Datum anzusehen ist. 3.

Anwendbare Datenschutzgesetze

Der Umgang mit personenbezogenen Daten ist nur dann zulässig, wenn der Gesetzgeber ihn durch eine ausreichend bestimmte Vorschrift erlaubt oder der Betroffene selbst ihn durch seine Einwilligung gebilligt hat. Erlaubnisvorschriften sind für Social Networks im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) oder im Telemediengesetz (TMG) zu finden. Für den Anbieter von Social Networks kommt das TMG in Frage, weil er einen Telemediendienst anbietet, subsidiär kommen die Regelungen des BDSG zum Tragen. Für den Nutzer, kommt nur das BDSG in Frage, weil er keinen Telemediendienst anbietet. Im Anwendungsbereich des TMG sind § 14 für Bestandsdaten und § 15 für Nutzungsdaten die maßgeblichen Erlaubnistatbestände. Zentraler Erlaubnistatbestand für nichtöffentliche Stellen im BDSG ist § 28 BDSG. Dieser regelt die Datenverarbeitung zu eigenen Zwecken. Daneben erlaubt § 29 BDSG die Datenverarbeitung für fremde Zwecke. 12

Zum Streit, ob und für wen dynamische IP-Adressen personenbezogen sind, s. z. B. BGH, MDR 2011, 343; Kirchberg-Lennartz/Weber, Ist die IP-Adresse ein personenbezogenes Datum?, DuD 2010, 479 ff.; Schmitz, in: Hoeren/Sieber, Handbuch Multimediarecht, 2011, Teil 16.2, Rn. 83; AG München, K&R 2008, 767 f.; AG Berlin, K&R 2007, 600 f.

13

S. Roßnagel, Big Data – Small Privacy, ZD 11/2013, i.E.

286 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

287

III. Verantwortliche Stelle Die Anforderungen des Datenschutzrechts richten sich an die verantwortliche Stelle. Für Social Networks ist die Beantwortung der Frage, wer verantwortliche Stelle ist, allerdings problematisch und kaum erörtert.14 Meist wird davon ausgegangen, dass der Anbieter der Plattform die datenschutzrechtlich verantwortliche Stelle sei.15 Daneben kann aber auch der Nutzer des Social Network verantwortliche Stelle sein, wenn er personenbezogene Daten Dritter veröffentlicht. Nach § 3 Abs. 7 BDSG ist verantwortliche Stelle „jede Person oder Stelle, die personenbezogene Daten für sich selbst erhebt, verarbeitet oder nutzt oder dies durch andere im Auftrag vornehmen lässt“. Nach Art. 2 d) DSRL gilt als Verantwortlicher, wer „über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet“.16 Verantwortliche Stelle ist danach, wer sowohl über das „Ob“ als auch über das „Wie“ der Datenverarbeitung entscheidet. Die Entscheidung über das „Mittel“ umfasst technische und organisatorische Fragen, z. B. welche Hard- und Software eingesetzt wird, sowie die konkreten Umstände, zum Beispiel die Art der Daten, die Speicherdauer und die Zugriffsmöglichkeiten.17 Die Entscheidung über den „Zweck“ legt das Ergebnis fest, das beabsichtigt ist oder die geplanten Aktionen leitet.18 Für Social Networks lässt sich keine eindeutige Aussage treffen, wer die verantwortliche Stelle ist. Die Entscheidung über den Zweck der Datenverarbeitung wird durch die Ausgestaltung der Plattform – die Festlegung des thematischen Kontexts und die verschiedenen Funktionen – teilweise vom Anbieter vorgegeben oder zumindest beeinflusst. Diese Einflussnahme kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Je enger die Vorgaben auf einer Plattform sind und je weniger Gestaltungsoptionen sie dem Nutzer belassen, desto eher ist von einer ausschließlichen Verantwortlichkeit des Plattformbetreibers auszugehen. Einige Personenbewertungsportale, wie zum Beispiel „spickmich.de“ und „meinprof.de“, geben Rahmenangaben, Bewertungskriterien und das Bewertungssystem sehr detailliert vor. Neben dem Zweck, eine Plattform zur Verfügung zu stellen, wird zudem vom Anbieter der weitere Zweck verfolgt, individualisierte Werbung anbieten zu können. Im Detail entscheidet aber auch der die Daten eingebende Nutzer über den Zweck der Datenverarbeitung, indem er die Daten auswählt, ihren Verbreitungsgrad festlegt und auch Einfluss auf die Dauer der Verfügbarkeit durch Löschung nimmt. Die Entscheidung über die technische und organisatorische Ausgestaltung der Datenverarbeitung liegt wiederum eindeutig beim Diensteanbieter.

14

S. Jandt/Roßnagel, Datenschutz in Social Networks – Kollektive Verantwortlichkeit für die Datenverarbeitung, ZD 2011, 160 ff., sowie die sehr knappen Ausführungen bei Kamp, Personenbewertungsportale, 2011, 23.

15

S. z. B. Erd, Datenschutzrechtliche Probleme sozialer Netzwerke, NVwZ 2011, 20 f.

16

Art. 29-Datenschutzgruppe, Stellungnahme 1/2010 zu den Begriffen „für die Verarbeitung Verantwortlicher“ und „Auftragsverarbeiter“, WP 169, 1.

17

Art. 29-Datenschutzgruppe (Fn. 16), 17.

18

Art. 29-Datenschutzgruppe (Fn. 16), 16.

287 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

288

Ist faktisch eine eindeutige Zuordnung der Verantwortlichkeit nicht möglich, ist zu prüfen, ob nicht eine kumulative Verantwortlichkeit in Betracht kommt. Die Definition der verantwortlichen Stelle in § 3 Abs. 7 BDSG trifft hierzu zwar keine Aussage. Art. 2 d) DSRL sieht jedoch eine Verantwortlichkeit „allein oder gemeinsam“ vor, so dass auch für das deutsche Recht eine kumulative Verantwortlichkeit möglich ist.19 Somit sind die Anbieter von Social Networks für die Verarbeitung verantwortlich, weil sie sowohl über die Zwecke als auch die Mittel der personenbezogenen Daten von Nutzern und Dritten entscheiden. Die Nutzer sind ebenfalls verantwortlich, wenn sie personenbezogene Daten Dritter über das Netzwerk veröffentlichen.20 Zu beachten ist allerdings, dass nicht-öffentliche Stellen gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3 BDSG nicht dem Datenschutzrecht unterliegen, wenn die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung der Daten „ausschließlich für persönliche oder familiäre Tätigkeiten“ erfolgt. Diese eng auszulegende Ausnahme betrifft nur Fälle, in denen kein Risiko für die informationelle Selbstbestimmung Dritter entstehen kann, weil die Daten nie die häusliche oder familiäre Sphäre verlassen.21 Dies ist jedoch bei Veröffentlichungen in Social Networks, die einem größeren Kreis von Menschen sowie in der Regel über Suchmaschinen der gesamten Welt zugänglich sind und von Anbietern für Werbezwecke verarbeitet und genutzt werden, nicht der Fall.22

IV.

Datenverarbeitung durch Plattformanbieter

Welche Daten darf der Anbieter speichern und wofür darf er sie verwenden? Im Folgenden wird untersucht, welche Daten der Anbieter für den Abruf der Mitglieder des Social Networks zur Verfügung stellen und welche Daten er für Werbedienstleistungen auswerten darf. Nicht untersucht werden zusätzliche Risiken, die sich dadurch ergeben, dass Arbeitgeber, Adresshändler, Auskunfteien, Polizei, Behörden und andere Interessierte Daten, die in das Social Network eingestellt wurden, für ihre Zwecke auswerten. 1.

Verarbeitung der Daten von Nutzern

Gemäß § 14 Abs. 1 TMG ist die Erhebung und Verwendung von personenbezogenen Daten durch den Anbieter ohne die Einwilligung des Nutzers zulässig, soweit sie für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung oder Änderung eines Vertragsverhältnisses mit ihm über die Nutzung des Social Network erforderlich sind. Zu diesen Bestandsdaten zählen insbesondere Anmeldedaten oder Daten zu grundsätzlichen Einstellungen. § 15

19

S. hierzu näher Jandt/Roßnagel (Fn. 14), ZD 2011, 160 ff.

20

Art. 29-Datenschutzgruppe (Fn. 16), 26.

21

S. hierzu auch Dammann, in: Simitis (Fn. 8), § 1 Rn. 149 ff.

22

S. Jandt/Roßnagel (Fn. 14), ZD 2011, 162; ebenso Art. 29-Datenschutzgruppe (Fn. 2), 8 – zu berücksichtigen ist allerdings, dass Nutzer sozialer Netzwerkdienste unter weitere Ausnahmeregelungen fallen können, so beispielsweise unter die Ausnahme der Verarbeitung personenbezogener Daten, die allein zu journalistischen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt. In diesen Fällen ist die Freiheit der Meinungsäußerung gegen das Recht auf Privatsphäre abzuwägen.

288 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

289

Abs. 1 Satz 1 TMG erlaubt die Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten, soweit dies erforderlich ist, um die Inanspruchnahme des Social Network zu ermöglichen. Zu diesen Nutzungsdaten zählen alle Daten, die für die Inanspruchnahme der verschiedenen Leistungsmerkmale eines Social Network notwendig sind. Als Bestandsund Nutzungsdaten sind Profile und Festlegungen über die sozialen Kontakte innerhalb des Systems anzusehen.23 Die personenbezogenen Daten, die der Nutzer in das Social Network einstellt, um sie anderen Mitgliedern zugänglich zu machen, sind weder Bestands- noch Nutzungsdaten, sondern Inhaltsdaten.24 Die Zulässigkeit des Umgangs mit personenbezogenen Inhaltsdaten richtet sich nach §§ 28 ff. BDSG. Der Bundesgerichtshof hat für Social Networks ausdrücklich klargestellt, dass das Medienprivileg des § 41 BDSG in Verbindung mit § 57 RStV entgegen der in der Literatur teilweise vertretenen Ansicht25 nicht greift.26 Er ist davon ausgegangen, dass als Erlaubnistatbestand § 29 BDSG und nicht, wie von den Vorinstanzen angenommen, § 28 BDSG anwendbar sei.27 Dies wurde damit begründet, dass der Anbieter entgegen § 28 BDSG keinen eigenen Geschäftszweck verfolge, sondern nur den gegenseitigen Austausch von Informationen der Mitglieder ermöglichen wolle. Die Finanzierung über Werbeeinnahmen stelle nicht den Hauptzweck des Dienstes dar. Dient jedoch – wie üblich – das Social Network aus Sicht des Anbieters primär dazu, die Mitglieder zu verleiten, möglichst viele Daten von sich und Dritten preiszugeben, die für Marketingzwecke ausgewertet werden, verfolgt er sehr wohl einen eigenen Geschäftszweck. Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Bereitstellung der Daten zum Abruf durch die anderen Mitglieder ist dann § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BDSG. Diese Vorschrift erlaubt das Übermitteln der Daten, wenn es für die Durchführung des rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisses mit dem Betroffenen erforderlich ist. Gegenstand der Dienstleistung eines Social Network ist es gerade, personenbezogene Daten aller Mitglieder abrufbar zu halten. Differenzierte Regelungen für die darüber hinausgehende Datenauswertung zu Werbezwecken finden sich in § 28 Abs. 3 BDSG. Aus Satz 1 folgt der Grundsatz, dass der Umgang mit personenbezogenen Daten für Werbezwecke nur zulässig ist, soweit der Betroffene eingewilligt hat. Diese Einwilligung wird in der Regel bei der Anmeldung abverlangt. Eine Ausnahme vom Einwilligungserfordernis besteht aber für die Werbung für fremde Angebote nach § 28 Abs. 3 Satz 5 BDSG. Danach dürfen personenbezogene Daten genutzt werden, wenn für den Betroffenen bei der Werbeansprache die verant-

23

Jandt/Roßnagel, Social Networks für Kinder und Jugendliche, MMR 2011, 639.

24

S. auch Lerch/Krause/Hotho/Roßnagel/Stumme, Social Bookmarking Systeme – die unerkannten Datensammler, MMR 2010, 456 f.; Dix/Schaar in: Roßnagel, Recht der Telemedien, 2013, § 15 TMG, Rn. 23.

25

Greve/Schärdel, Der digitale Pranger – Bewertungsportale im Internet, MMR 2008, 647 f.; Plog, Zur Zulässigkeit eines Bewertungsportals für Lehrer (spickmich.de), CR 2007, 669; a.A. Walz, in: Simitis (Fn. 8), § 41 Rn. 7 ff.

26

BGH, NJW 2009, 2890.

27

BGH, NJW 2009, 2891; OLG Köln, MMR 2008, 675.

289 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

290

wortliche Stelle eindeutig erkennbar ist. Will ein Anbieter die Auswertung der Nutzerdaten zu Werbezwecken auf diese Vorschrift stützen, muss er sich demnach eindeutig als Absender der jeweiligen Werbung zu erkennen geben. Dies dürfte aber für eine Werbung innerhalb des Social Network deutlich sein. 2.

Verarbeitung der Daten von Dritten

Werden personenbezogene Daten von Dritten über das Social Network verbreitet, ist die maßgebliche Rechtsgrundlage § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 oder § 29 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BDSG. Diese Erlaubnistatbestände fordern immer eine Interessenabwägung. Der Anbieter hat zu prüfen, ob ein Grund zur Annahme besteht, dass der Betroffene ein schutzwürdiges Interesse am Ausschluss der Datenverarbeitung hat. Dieses kann sich insbesondere aus einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung seiner informationellen Selbstbestimmung ergeben. Je nach Inhalt der Daten kann darüber hinaus eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliegen, wenn die Informationen falsche Tatsachen wiedergeben, eine Formalbeleidigung oder eine Schmähkritik darstellen. Die Zulässigkeit des Umgangs mit personenbezogenen Daten Dritter kann demnach nicht pauschal festgestellt werden, sondern bedarf einer inhaltlichen Einzelfallprüfung. Diese ist dem Anbieter aber schon in Bezug auf Anzahl und Umfang der Nutzereinträge unmöglich. Er ist auch nicht in der Lage, den jeweiligen Wahrheitsgehalt der Äußerungen zu beurteilen. Da sowohl das Recht nichts Unmögliches verlangen darf als auch der Datenschutz umfassend gewährleistet werden muss, ist die bestehende gemeinsame datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit des Nutzers und des Anbieters zu einer gestuften kollektiven Verantwortlichkeit zu konkretisieren. Danach kann jede verantwortliche Stelle nur für die Einhaltung derjenigen Datenschutzvorschriften verantwortlich sein, die sie tatsächlich erfüllen kann.28 Dieser Gedanke entspricht den Verantwortlichkeitsvorschriften der §§ 7 ff. TMG.29 Gemäß § 7 Abs. 1 TMG ist der Anbieter nur für eigene Informationen in vollem Umfang verantwortlich. Für fremde Informationen besteht gemäß §§ 8 bis 10 TMG eine gestufte Verantwortlichkeit, je nach Art seiner Tätigkeit und damit einhergehenden inhaltlichen und technischen Einflussmöglichkeiten als Networkund Access-Provider (§ 8 TMG), Cache-Provider (§ 9 TMG) oder Host-Provider (§ 10 TMG). Übertragen auf die datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit ist der Nutzer, der personenbezogene Daten Dritter im Social Network zum Abruf bereitstellt, primär für die datenschutzrechtliche Zulässigkeit dieser Datenverarbeitung verantwortlich, da es seine eigenen Informationen sind. Diese Daten dürfen vom Anbieter grundsätzlich ohne eine detaillierte Interessenabwägung verwendet werden. Erhält er allerdings konkrete Anhaltspunkte, dass entgegenstehende Interessen des Betroffenen vorliegen, ist er spätestens von diesem Zeitpunkt an zur Vornahme einer einzelfallspezifischen Interessenabwägung verpflichtet.30

28

S. näher Jandt/Roßnagel (Fn. 14), ZD 2011, 160 ff.

29

Die §§ 7 ff. TMG gelten nur für haftungsrechtliche Ansprüche, die Folge einer rechtswidrigen Datenverarbeitung sind, sie entfalten aber keine Rechtswirkung in Bezug auf die Frage der Zulässigkeit der Datenverarbeitung – s. Jandt, in: Roßnagel (Fn. 24), § 7 TMG, Rn. 23 ff.

30

Gola/Schomerus, BDSG, 11. Aufl. 2012, § 29 Rn. 14.

290 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

291

V.

Datenverarbeitung durch Nutzer

Da Nutzer von Social Networks keine Telemedienanbieter sind, kommt als Erlaubnistatbestand für die durch sie verantwortete Datenverarbeitung nur § 28 BDSG in Betracht. Problematisch ist allerdings, dass diese Vorschrift das Verfolgen eines eigenen Geschäftszwecks voraussetzt. Danach muss die Datenverarbeitung als Hilfsmittel für einen geschäftlichen, beruflichen oder gewerblichen Zweck auf einen wirtschaftlichen Erfolg ausgerichtet sein.31 Dies trifft zwar auf die Anbieter des Social Networks zu, aber allenfalls im Ausnahmefall auf deren Nutzer. Die Tatsache, dass es für nicht-öffentliche Stellen ausschließlich Erlaubnisvorschriften für gewerbliche, nicht aber für die private Datenverarbeitung gibt, ist vor dem historischen Hintergrund des BDSG nachvollziehbar. Ursprünglich hat der Gesetzgeber die Datenschutzvorschriften mit dem Vorstellungsbild einer Technologie erlassen, die der öffentlichen Verwaltung und privaten Unternehmen gleichermaßen helfen sollten, Informationsprobleme effektiver zu bewältigen.32 Die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien werden mittlerweile aber ebenso für private Zwecke im erheblichen Umfang genutzt. Da von diesen vergleichbare Risiken für die informationelle Selbstbestimmung ausgehen, entspricht es nicht dem Ziel des BDSG, umfangreiche Datenverarbeitungen zu privaten Zwecken – jenseits der nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BDSG ausgenommenen Datenverarbeitung zu persönlichen und familiären Zwecken – aus dem Geltungsbereich des Datenschutzrechts zu entlassen oder ihnen keine datenschutzrechtliche Erlaubnis zu geben. Für diese Datenverarbeitungen sind die Erlaubnistatbestände der §§ 28 ff. BDSG analog anzuwenden: Es besteht eine planwidrige Regelungslücke, die eine vergleichbare Interessenlage enthält und mit den bestehenden Regelungen geschlossen werden kann.33 Da zwischen Nutzern eines Social Network und Dritten kein rechtsgeschäftliches Verhältnis besteht, entspricht die Interessenlage am ehesten derjenigen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BDSG. Nach dieser Vorschrift ist der Umgang mit personenbezogenen Daten zulässig, soweit er zur Wahrung berechtigter Interessen der verantwortlichen Stelle erforderlich ist und keine Anhaltspunkte für ein überwiegendes entgegenstehendes Interesse des Betroffenen bestehen. Die Interessenabwägung umschreibt den noch tragbaren Kompromiss im Widerstreit zwischen der informationellen Selbstbestimmung des Dritten und dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Kommunikationsfreiheit des Nutzers.34

31

Gola/Schomerus (Fn. 30), § 28 Rn. 4; Simitis, in: ders. (Fn. 8), § 28 Rn. 23.

32

Simitis, in: ders. (Fn. 8), § 27 Rn. 45.

33

S. näher Jandt/Roßnagel (Fn. 14), ZD 2011, 163.

34

Simitis, in: ders. (Fn. 8), § 28 Rn. 133; von dieser Interessenkonstellation geht auch BGH, NJW 2009, 2891 aus.

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292

VI.

Defizite des geltenden Rechts

Das Datenschutzrecht enthält zahlreiche Regelungen, die grundsätzlich auf Social Networks anwendbar sind. Vielfach bietet es ausreichende Lösungsansätze für die spezifischen datenschutzrechtlichen Risiken an, obwohl im TMG und BDSG keine spezifischen Regelungen vorhanden sind. Allerdings sind auch einige Regelungsdefizite festzustellen. Diese sind darauf zurückzuführen, dass sich, seitdem die einschlägigen Vorschriften erlassen worden sind, sowohl die Geschäftsmodelle des Internet als auch die Technik in eine Richtung weiterentwickelt haben, die nicht vorhergesehen und entsprechend berücksichtigt werden konnten. Das Recht muss stetig hinsichtlich seiner Tauglichkeit an den veränderten Wirklichkeitsbedingungen überprüft und gegebenenfalls angepasst werden, sofern eine Antizipation rechtlicher Risiken und des daraus resultierenden rechtlichen Regelungsbedarfs nicht gelungen ist. Bis auf wenige Ausnahmen greift das gesetzliche Datenschutzkonzept erst, wenn ein Umgang mit personenbezogenen Daten vorliegt. Dies ist insbesondere in Bezug auf die Weiterentwicklung der Bilderkennungsprogramme und Suchmaschinen ein erhebliches Problem. Es ist davon auszugehen, dass in naher Zukunft Personen auf Bildern anhand biometrischer Merkmale durch Gesichtserkennungsprogramme eindeutig bestimmt werden können, wenn entsprechendes Vergleichsmaterial zur Verfügung steht. Findet sich im Internet nur ein Foto von einer Person, das sie identifiziert, wie dies durch Namensnennung in manchen Social Networks üblich ist, können zukünftig vermutlich alle anderen Fotos im Internet, auf denen dieselbe Person abgebildet ist, aufgefunden und zugeordnet werden.35 Gleichzeitig können Suchmaschinen die Bilder mit allen im Internet über die Person auffindbaren Daten zusammenführen. Die Prognose über die Bestimmbarkeit des Personenbezugs von Daten wird sich demnach wesentlich verändern.36 Um diese Risiken abzufangen, ist es daher erforderlich, verstärkt datenschutzrechtliche Vorsorgeregelungen zu erlassen.37 Das Datenschutzrecht geht von einer eindeutigen Rollenverteilung der verantwortlichen Stelle, des Betroffenen und Dritter aus und weist dementsprechend eindeutige Verantwortlichkeitsbereiche zu. Das Web 2.0 stellt insofern eine besondere datenschutzrechtliche Herausforderung dar, als diese eindeutige Rollenverteilung insbesondere auf Social Networks faktisch nicht gegeben ist. Die datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit der verantwortlichen Stelle setzte ursprünglich voraus, sowohl inhaltlich als auch technisch Einfluss nehmen zu können.38 Inhaltlich traf die verantwortliche Stelle die Entscheidung über Art und Umfang des Umgangs mit personenbezogenen Daten ebenso wie über die

35

S. auch Caspar, Soziale Netzwerke und Einwilligung der Nutzer, digma, 2013, 60 ff.

36

S. zu gesetzgeberischen Maßnahmen zu Gesichtserkennungsdiensten http://www.heise.de /newsticker/meldung/Aigner-sorgt-sich-um-Gesichtserkennungsdienste-im-Netz-1145134.html.

37

S. Roßnagel/Pfitzmann/Garstka, Modernisierung des Datenschutzrechts, 2001, 61, für Profile; Roßnagel (Fn. 5), 2007, 185 ff., für Ubiquitous Computing und Roßnagel (Fn. 13), ZD 11/2013, i.E., für Big Data.

38

Weichert, Datenschutz und Meinungsfreiheit: Regulierung im BDSG, Anwaltsblatt 2011, 253, setzt anscheinend nur die technische Kontrollmöglichkeit voraus, sieht aber in der Rollendefinition ebenfalls ein Gesetzesdefizit in Bezug auf soziale Netzwerke.

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293

Einhaltung der datenschutzrechtlichen Grundsätze der Zweckbestimmung und der Erforderlichkeit. Technisch musste die verantwortliche Stelle insbesondere auf die Datensicherheit Einfluss nehmen können. Im Web 2.0 trennen sich die inhaltliche und die technische Einflussnahmemöglichkeit zunehmend. Die Inhalte werden nicht primär von den Anbietern zur Verfügung gestellt, sondern fast ausschließlich von den Nutzern. Der Schwerpunkt der Internetdienstleistung liegt in der technischen Umsetzung eines Social Network. Ausgehend von dieser tatsächlichen Trennung ergibt sich eine kollektive Verantwortlichkeit, die sich zwar mit der Definition der verantwortlichen Stelle grundsätzlich vereinbaren lässt, allerdings Rechtsunsicherheiten bei der Zuordnung der datenschutzrechtlichen Pflichten aufwirft. Im BDSG fehlen Regelungen, die auch bei einer kollektiven Verantwortlichkeit eine klare Pflichtenzuweisung ermöglichen und realen Umständen ausreichend Rechnung tragen.39 Die Entwicklung der Personal Computer und mobilen Endgeräte sowie des Internet haben dazu geführt, dass personenbezogene Daten in großem Umfang nicht mehr vorrangig durch Behörden und Unternehmen, sondern gleichermaßen durch Privatpersonen erhoben, verarbeitet und genutzt werden. Privatpersonen werden, da dieser Umgang mit personenbezogenen Daten nicht mehr nur für private und familiäre Tätigkeiten erfolgt, ebenfalls zu verantwortlichen Stellen. Die datenschutzrechtlichen Erlaubnisvorschriften setzen aber immer einen Geschäftszweck voraus, der häufig nicht gegeben ist. Dies führt nach dem Wortlaut der Regelungen in §§ 28 und 29 BDSG zu einer ungerechtfertigten Privilegierung kommerzieller Anbieter. Diese kann nur durch eine analoge Anwendung dieser Erlaubnistatbestände auf private, nicht geschäftsmäßige Datenverarbeiter ausgeglichen werden. Für die Rechtssicherheit förderlicher wäre es jedoch, die Regelungslücke durch eine explizite Regelung zu schließen.40 Zudem stellt die Abhängigkeit der datenschutzrechtlichen Erlaubnistatbestände von der Interessenabwägung die Anbieter von Social Networks vor erhebliche praktische Probleme. Grundsätzlich haben sie kein Eigeninteresse an dem Inhalt der Informationen, die durch die Nutzer für andere Nutzer über Social Networks verbreitet werden. Zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der von ihnen vorgenommenen Datenverarbeitung ist es aber notwendig, die Daten inhaltlich auszuwerten. Denn dies ist eine Voraussetzung sowohl für die Überprüfung der Herkunft der Daten – stammen sie vom Betroffenen selbst oder von einem Dritten? – als auch für die erforderliche Interessenabwägung. Die datenschutzrechtliche Anforderung der Interessenabwägung beinhaltet somit selbst eine datenschutzrechtliche Beeinträchtigung.

VII. Defizite des Entwurfs der Datenschutz-Grundverordnung Seitdem die Europäische Kommission ihren Entwurf einer Datenschutz-Grundverordnung41 im Januar 2012 veröffentlicht hat, sind alle Diskussionen in den Mitgliedstaaten

39

S. Jandt/Roßnagel (Fn. 14), ZD 2011, 160 ff.

40

S. Jandt/Roßnagel (Fn. 14), ZD 2011, 166.

41

KOM(2012) 11 endg.

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294

zur Modernisierung des Datenschutzrechts erstorben. Alle starren nach Brüssel und warten auf die dort zu erwartenden Neuregelungen. Daher stellt sich die Frage, ob denn der Entwurf die angesprochenen Probleme beseitigt.42 Positiv zu werten ist die Ausweitung des räumlichen Anwendungsbereichs des europäischen Datenschutzrechts durch Art. 3 Abs. 2. Dies soll danach auch dann gelten, wenn personenbezogene Daten einer in der Union ansässigen natürlichen Person erhoben werden, um dieser Person Waren oder Dienstleistungen anzubieten oder ihr Verhalten zu beobachten. Dies führt dazu, dass Social Networks auch dann unter die Verordnung fallen, wenn sie ausschließlich aus einem Drittstaat angeboten werden. Für die Erlaubnistatbestände des Art. 6 wird nicht gefordert, mit der Datenverarbeitung eigene Geschäftszwecke zu verfolgen. Sie gelten für Unternehmen und Privatpersonen gleichermaßen. Damit entfällt das Problem einer analogen Anwendung der Erlaubnistatbestände. Allerdings sind die Erlaubnistatbestände in Art. 6 extrem allgemein und unspezifisch gehalten und werden den vielfältigen Risiken und Konflikten – insbesondere der Datenverarbeitung im Internet – nicht gerecht. Dies gilt insbesondere für Art. 6 Abs. 1 lit. f), der die Datenverarbeitung zur Wahrung berechtigter Interessen des für die Verarbeitung Verantwortlichen erlaubt, sofern nicht Interessen des Betroffenen überwiegen. Diese Regelung wird die ausgefeilten Erlaubnistatbestände in §§ 28 ff. BDSG und die differenzierten und hinsichtlich der Zweckbegrenzung strengen Regelungen des TMG ersetzen. Dies wird die Rechtsunsicherheit beim Umgang mit Inhalts-, Bestandsund Nutzungsdaten im Internet erheblich vergrößern. Auch löst die Verordnung nicht das Problem, dass der Anbieter eines Social Network faktisch nicht in der Lage ist, die als einzige Voraussetzung für die Datenverarbeitung geforderte Interessenabwägung vorzunehmen. Mit Art. 17 und 18 hat die Kommission sehr öffentlichkeitswirksam neue, besonders für Internetangebote gedachte Rechte der Betroffenen eingeführt. In Art. 17 Abs. 1, der mit „Recht auf Vergessenwerden“ überschrieben ist, findet sich allerdings nur ein Recht auf Löschung und Unterlassung. Diese werden nach Art. 17 Abs. 3 und 4 nur mit acht Ausnahmen gewährt. Nach Art. 17 Abs. 2 ist der Verantwortliche, der die von ihm erhobenen Daten öffentlich gemacht hat, zudem verpflichtet, alle vertretbaren Schritte zu unternehmen, um Dritte, die diese Daten verarbeitet haben, über ein Löschungsverlangen der betroffenen Person zu informieren. Somit ist zwar die Überschrift neu, nicht aber ihr weit dahinter zurückbleibender Inhalt. Dieser ist im deutschen Recht in § 35 Abs. 2 und 7 BDSG längst geregelt: Hier besteht die Informationspflicht sogar weitergehender, unabhängig davon, ob die Daten veröffentlicht wurden oder nicht. Die Beschränkung auf vertretbare Schritte wird der Informationspflicht in der Praxis ihre Wirksamkeit nehmen. Das „Recht auf Vergessenwerden“ erweist sich in der gegenwärtigen Ausgestaltung als politischer Werbetrick. Wenn die Vorschrift auch nur annähernd ihrer Über-

42

S. zum Entwurf z. B. Hornung, Eine Datenschutz-Grundverordnung für Europa, ZD 2012, 99 ff.; Roßnagel/Richter/Nebel Besserer Internetdatenschutz für Europa – Vorschläge zur Spezifizierung der Datenschutz-Grundverordnung, ZD 2013, 103 ff.; Nebel/Richter, Datenschutz bei Internetdiensten nach der DS-GVO, DuD 2012, 408; Schild/Tinnefeld, Datenschutz in der Union, DuD 2012, 312; Wagner, Der Entwurf der Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Kommission, DuD 2012, 676.

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295

schrift gerecht werden soll, muss sie aber Anforderungen und Kriterien für das Einfordern solcher technischen Lösungen regeln: So könnte z. B. das Recht vorgesehen werden, einen (automatischen) Lösch- oder Verschlüsselungsmechanismus zu nutzen, der ab einer bestimmten Frist oder zu einem bestimmten Datum bewirkt, dass bestimmte Daten dauerhaft gelöscht oder unlesbar werden. Eine andere Möglichkeit könnte darin bestehen, dass die Betroffenen im Web 2.0 zumindest für die von ihr selbst veröffentlichten Inhalte die technische Möglichkeit erhalten, diese jederzeit selbst zu löschen. Ebenfalls als neue Errungenschaft hat die Kommission das in Art. 18 geregelte „Recht auf Datenübertragbarkeit“ präsentiert. Es soll der betroffenen Person das Recht geben, eine Kopie „ihrer“ Daten zu erhalten und diese in ein anderes Verarbeitungssystem zu überführen. Diese Regelung kann eine sinnvolle Beschneidung von gegenteiligen AGB bewirken und Lock-in-Effekte reduzieren.43 Sie bietet jedoch kein Datenschutzrecht, sondern ein Nutzerschutzrecht. Sie führt allenfalls indirekt zu mehr Datenschutz, soweit sie dem Nutzer ermöglicht, unter Mitnahme seiner Daten in ein datenschutzfreundlicheres Social Network zu wechseln.44 Ob er dem alten Netzwerk die Daten entziehen kann, entscheidet sich nach Art. 17. Datenschutzrechtliche Vorsorgeregelungen, um künftigen neuartigen Risiken zu begegnen, sieht der Entwurf nicht vor. Er ist insgesamt von der Ideologie der Technikneutralität45 geprägt und sieht daher keine risikoadäquaten Regelungen für Internetanwendungen vor. Stattdessen enthält er nur wenige allgemeine Regelungen des Datenschutzes, die für nahezu alle Bereiche von Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft gelten sollen. Da dennoch Regelungen erforderlich sind, sollen die allgemeinen Vorgaben durch die Kommission konkretisiert werden. Notwendig ist jedoch, dass der demokratisch legitimierte und zur Regelung berufene Gesetzgeber (Parlament und Rat) sich mit den Interessenlagen und Risiken sowie passenden Lösungen wesentlicher Technikanwendungen wie dem Internet auseinandersetzt. Technikbezogene Regelungen sind gerade in einem so technikgeprägten Bereich wie dem Datenschutz im Internet unabdingbar, sollen die rechtlichen Ziele erreicht werden. Daher müssen spezifische Datenverarbeitungstechniken und die typischen Verarbeitungszwecke, ihre Risiken und Lösungsansätze interessengerecht und risikoadäquat im Verordnungstext geregelt werden. Nur so kann die notwendige Rechtssicherheit und Interessengerechtigkeit erreicht werden.

43

S. Hornung (Fn. 42), ZD 2012, 103.

44

Nebel/Richter (Fn. 42), DuD 2012, 413.

45

Kritisch zu „technikneutralen“ Regelungen Roßnagel, Technikneutrale Regulierung: Möglichkeiten und Grenzen, in: Eifert/Hoffmann-Riem, Innovationsfördernde Regulierung, 2009, 323 ff.

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297

Die geplante europäische Datenschutz-Verordnung – Fortschritt oder Rückschritt? Norbert Holzer*

I.

Annäherung an das Thema

Die landläufige Assoziation bei Erwähnung des Begriffes „Datenschutz“ ging bislang in die Richtung penibler Prüfung und Beurteilung von Lebenssachverhalten, an denen der Normalbürger nichts Böses fand, und ein Vortrag über Datenschutz wurde sinnvollerweise von einem Datenschutzbeauftragten gehalten. Die Annäherung an das Thema in diesem Fachaufsatz geschieht ein wenig anders, und die zitierte landläufige Assoziation ist gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Begriff, sich in Windeseile zu verändern, wie sogleich zu zeigen sein wird. Es gab Zeiten, da war Datenschutz etwas für die „Freaks“: Fachjuristen, Bürgerrechtler, Hacker – oder Leute, die „etwas zu verbergen hatten“. Nicht so dieser Tage: Vor allem in Europa hat die jüngst von Edward Snowden aufgedeckte Spähaffäre westlicher Nachrichtendienste so manchen aufgeschreckt, zur Beschäftigung mit und zum Einsatz von Verschlüsselungstechnologien veranlasst und allgemein zu erhöhter Aufmerksamkeit für das Anliegen des Datenschutzes geführt. Dabei ist der jetzt bekannt gewordene Umfang geheimdienstlicher Abhöraktivitäten alles andere als überraschend: zum einen, weil sich der „ganzheitliche“ Überwachungsansatz der „Five Eyes“-Dienste1 bereits seit den Enthüllungen2 um das unter dem Namen „Echelon“ bekanntgewordene Spionagenetzwerk abgezeichnet hatte.3 Zum ande-

*

Für die Erarbeitung und kenntnisreiche Einordnung des umfangreichen Basismaterials dankt der Autor Herrn Rechtsanwalt Sebastian Schweda, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im EMR, ebenso herzlich wie für die engagierten und erhellenden Diskussionen zum Thema.

1

Als „Five Eyes“ werden die Staaten bezeichnet, die als Vertragsparteien der ab 1947 geschlossenen UKUSA-Vereinbarungen (abrufbar unter: http://www.nationalarchives.gov.uk/ukusa/) eine enge geheimdienstliche Zusammenarbeit vereinbart hatten: die USA, UK, Kanada, Australien und Neuseeland.

2

Hager, Secret Power, 1996; s. auch http://www.heise.de/tp/special/ech/default.html.

3

Der Bericht des hierzu eingesetzten Untersuchungsausschusses des Europäischen Parlaments weist einige Ähnlichkeiten mit den aktuellen Diskussionen auf, sowohl hinsichtlich der rechtlichen Qualifizierung der Aktivitäten als auch hinsichtlich der Beurteilung praktischer Abhilfemaßnahmen; Europäisches Parlament, Bericht vom 11. Juli 2001 über die Existenz eines globalen Abhörsystems für private und wirtschaftliche Kommunikation (Abhörsystem ECHELON), A5-0264/2001, http://www. europarl.europa.eu/comparl/tempcom/echelon/pdf/rapport_echelon_de.pdf. Nur kurze Zeit später nahm die damalige Diskussion allerdings, bedingt durch die Ereignisse des 11.September 2001, einen anderen Verlauf.

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ren, weil der gegenwärtige Entwicklungsstand der Digitaltechnologie die Möglichkeit derart umfangreicher Kommunikationsdatenüberwachung nahelegt.4 Im gleichen Maße, wie die Bedeutung digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien für unser Sozialleben wächst, gerät auch das aus Datenkompilationen heute ableitbare „Profiling“ von Personen oder Personengruppen in den Blick der insofern bisher eher unbedarften Öffentlichkeit. Dass man über sog. Verkehrsdaten mobiler Kommunikation den aktuellen Standort eines mutmaßlichen Terroristen in Afghanistan bestimmen kann (und mit hoher Wahrscheinlichkeit seinen Aufenthalt in den nächsten zwei Stunden vorhersagen kann), wird von Laien staunend wahrgenommen und bis dato zumeist als Sicherheitsgewinn dank elektronischer Terrorabwehr verbucht (Nebenbemerkung: Dass dieser mutmaßliche Terrorist dann mittels einer bewaffneten Drohne getötet wird und mit ihm die drei oder dreizehn zufällig im selben Raum befindlichen Personen, wird oftmals auch von Menschen, die im eigenen Umfeld den Rechtsstaat nicht hoch genug halten können, als unvermeidliche Kriegshandlung akzeptiert oder überhaupt nicht als Problem erkannt.). Stück für Stück wird aber deutlich, dass diese Technologie und Methodik auch – um nur ein aktuelles Beispiel zu nennen – das politische Wahlverhalten von Individuen beängstigend genau vorhersagen kann und herkömmliche Meinungsumfragen vor Wahlen recht steinzeitlich aussehen lässt. Und zunehmend löst die bisher als nette Kundenansprache verstandene Frage an der Kaufhausund Tankstellenkasse: „Haben Sie eine Kunden- bzw. Payback-Karte? – Nein? Möchten sie eine? Dann brauchen Sie nur Adresse, Telefonnummer und Mailadresse hier einzutragen“ ein steigendes Unwohlsein aus, weil das Bewusstsein dafür wächst, dass diese Payback- und ähnlichen Karten ein wichtiger Baustein des werbeprofessionellen Profiling sind. Die Regeln des geltenden Datenschutzrechts sind auf diese vielfältigen Herausforderungen nicht optimal vorbereitet: Das momentan geltende EU-Datenschutzrecht hat seine Grundlagen in Entwürfen der Kommission von 1990,5 und während sich das Rad der Technik immer schneller dreht, ist der allgemeine rechtliche Rahmen seit der Verabschiedung der Datenschutzrichtlinie (DSRL)6 über 18 Jahre hinweg im Wesentlichen unverändert geblieben. Anfang 2012 hat die EU-Kommission daher Vorschläge zur Reform der innerhalb der EU geltenden Datenschutzbestimmungen vorgelegt.

4

Die Investitionen des US-Geheimdienstes NSA in das „Utah Data Center“ zeigen die Bedeutung derartiger Technologien für die Fernmeldeaufklärung („Signal Intelligence“, SIGINT); Richard Meusers, US-Geheimdienst NSA baut riesiges Abhörzentrum, 16. März 2012, http://www.spiegel.de /netzwelt/web/nsa-baut-riesiges-abhoerzentrum-a-821737.html.

5

Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum Schutz von Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, KOM(90) 314 endg.; ABl. EG 1990, C 277, S. 3.

6

Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABl. EG 1995, L 281, S. 31.

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299

Um diese jetzigen Entwürfe besser zu verstehen, erscheint zunächst ein kurzer Blick auf die historische Entwicklung des Datenschutzrechts und seine Einbettung in das System der Grundrechte und das der Menschenrechte nutzbringend.

II.

Geschichte

Auf internationaler Ebene finden sich erste Ansätze zu einer Regelung des Schutzes personenbezogener Daten in zwei Instrumenten, die etwa zur selben Zeit verabschiedet wurden: den – völkerrechtlich unverbindlichen – Datenschutzleitlinien der OECD7 und der Datenschutzkonvention des Europarates (DSchKonv).8 Während erstere überwiegend auf freiwillige Selbstregulierung setzen, enthält letztere völkerrechtlich verbindliche Regeln über ein – freilich zunächst9 nicht übermäßig hoch anzusiedelndes – Mindestniveau des Datenschutzes für die Vertragsstaaten. Die DSchKonv stand Pate für die Erarbeitung eines Regelungsrahmens für den Datenschutz in der Europäischen Gemeinschaft: Wesentliche Gestaltungselemente der DSchKonv finden sich in ähnlicher Form auch in der DSRL von 1995 wieder, so etwa die Vorschriften über die Datenqualität und Zweckbindung (Art. 5 DSchKonv bzw. Art. 6 DSRL), die Identifizierung besonders schutzwürdiger Datenarten, für die strengere Verarbeitungsregeln gelten (Art. 6 DSchKonv bzw. Art. 8 DSRL), sowie die Auskunfts-, Berichtigungs- und Löschungsrechte des Betroffenen (Art. 8 DSchKonv bzw. Art. 12 DSRL). Die menschenrechtlichen Grundlagen dieser Datenschutzinstrumente sind in völkerrechtlichen Vereinbarungen niedergelegt, die bis in die Nachkriegszeit zurückreichen. Der Anspruch auf angemessenen Schutz der ihn betreffenden Daten ergibt sich für den Einzelnen aus dem Recht auf Privatleben, wie es sich in Art. 12 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, Art. 17 des Internationalen Paktes für bürgerliche und politische Rechte (IPbpR), Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und Art. 7 der EU-Grundrechtecharta (GRCh) findet. Ein Grundrecht auf Datenschutz – als spezielle Ausprägung des Rechts auf Privatleben – sprechen dem Einzelnen daneben Art. 8 GRCh und Art. 16 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zu; die Kodifizierung dieses Rechts in einem Zusatzprotokoll zum IPbpR wird

7

OECD, Guidelines governing the protection of privacy and transborder flows of personal data, 23. September 1980, C (80) 58 (Final), BAnz. Amtl. Teil, 14. November 1981, Nr. 215. Auf dem Geist der OECD-Leitlinien bauen auch die Regeln des APEC (Asian-Pacific Economic Cooperation) Privacy Framework von 2005 (http://www.apec.org/Groups/Committee-on-Trade-andInvestment/~/media/Files/Groups/ECSG/05_ecsg_privacyframewk.ashx) und der APEDC CrossBorder Privacy Rules von 2011 (http://aimp.apec.org/Documents/2011/ECSG/DPS2/11_ecsg_ dps2_009.pdf) auf.

8

Europarat, Übereinkommen zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten, 28. Januar 1981, SEV Nr. 108.

9

Wesentliche Zusatzbestimmungen zu Datenübermittlungen in Drittstaaten und über unabhängige Kontrollstellen finden sich allerdings im Zusatzprotokoll vom 8. September 2001.

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300

nach den Enthüllungen Edward Snowdens derzeit von der deutschen Bundesregierung angestrebt.10

III. Datenschutzgesetzgebung in Deutschland Die Geschichte des deutschen Datenschutzes beginnt mit der Verabschiedung des Hessischen Datenschutzgesetzes11 am 7. Oktober 1970, das zugleich als erstes kodifiziertes Datenschutzgesetz weltweit gilt.12 Es war Vorbild für das sieben Jahre später beschlossene Bundesdatenschutzgesetz (BDSG),13 das den Umgang mit personenbezogenen Daten erstmals bundesweit regelte. Das BDSG erfuhr umfangreiche Änderungen14 im Gefolge des „Volkszählungsurteils“15, in dem das Bundesverfassungsgericht ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG ableitete. Das Gesetz hatte maßgeblichen Einfluss auf die Gestaltung der DSRL. Umgekehrt war die Richtlinie wiederum vom deutschen Gesetzgeber umzusetzen, was (erst) 2001 durch entsprechende Anpassungen des BDSG geschah.16 Bereichsspezifische Regelungen existieren in zahlreichen Regelungsmaterien, so unter anderem für den Telekommunikationssektor (§§ 91 ff. TKG), für Rundfunk und Telemedien (§ 47 RStV, §§ 11 ff. TMG) und für die Datenverarbeitung durch Polizeien und Nachrichtendienste (vgl. etwa §§ 21 ff. BPolG, §§ 2 ff. BND-Gesetz).

IV. 1.

EU-Rechtsrahmen und Reformansätze Bestehende Rechtslage: DSRL

Bis Mitte der 1990er Jahre waren personenbezogene Daten in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) sehr unterschiedlich geschützt. Mit der DSRL wollte die EG die Datenschutzgesetzgebung innerhalb des Gemeinsamen Binnenmarktes angleichen und so zum ersten Mal ein gemeinschaftsweit einheitliches Schutzniveau gewährleisten.

10

Jungholt, „Datenschutz – FDP-Minister starten UN-Initiative“, welt.de v. 24. Juli 2013, http://www.welt.de/politik/deutschland/article118322833/Datenschutz-FDP-Minister-starten-UNInitiative.html; Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, „NSA-Aufklärung: Deutschland ist ein Land der Freiheit“, Mitteilung v. 19. August 2013, http://www.bundeskanzlerin.de /Content/DE/Artikel/2013/07/2013-07-19-bkin-nsa-sommerpk.html.

11

HessGVBl. I v. 12. Oktober 1970, S. 625.

12

Genz, Datenschutz in Europa und den USA, 2004, S. 9.

13

BGBl. I 1977, S. 201.

14

BGBl. I 1990, S. 2954.

15

BVerfGE 65, 1.

16

BGBl. I 2001, S. 904.

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301

Kernprinzip der Richtlinie ist ein sog. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, durch das jede Verarbeitung personenbezogener Daten zunächst als rechtswidrig angesehen wird, es sei denn, es liegt ein Erlaubnistatbestand vor. Ein solcher kann sich z. B. aus einer gesetzlichen Vorschrift, die eine Datenverarbeitung explizit zulässt, oder einer ausdrücklichen Einwilligung der betroffenen Person ergeben. Die Richtlinie verlangt zudem, dass jede Datenverarbeitung einem besonders benannten Zweck dienen muss, und dass die für einen Zweck erhobenen Daten grundsätzlich nicht für einen anderen Zweck verarbeitet werden dürfen (Zweckbindungsgrundsatz). Betroffenen stehen umfangreiche Informations-, Auskunfts- und Widerspruchsrechte sowie Rechtsbehelfe zur Verfügung. Die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen ist in jedem Mitgliedstaat von einem Datenschutzbeauftragten oder einer anderen unabhängigen Kontrollstelle zu überwachen. Bei Nichteinhaltung können Sanktionen (z. B. Bußgelder) gegen den Datenverarbeiter verhängt werden. Die Datenschutzrichtlinie wurde 1997 ergänzt um spezifische Schutzvorschriften für Telekommunikationsvorgänge, die sich heute in der Richtlinie 2002/58/EG (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation)17 finden. Wichtigster Grundsatz ist die Pflicht zur Löschung der sog. Verkehrsdaten, also der Daten über die äußeren Umstände einer Kommunikation (Datum, Zeit, Dauer, ggf. Standort bei Mobilkommunikation, Telefonnummer oder IP-Adresse von Sender und Empfänger), sobald diese nicht mehr für die Kommunikation selbst oder für Abrechnungszwecke benötigt werden. Eine Ausnahme gilt seit dem Inkrafttreten der Richtlinie 2006/24/EG zur Vorratsdatenspeicherung:18 Bestimmte Verkehrsdaten sind danach für mindestens sechs Monate und höchstens zwei Jahre von den Telekommunikationsunternehmen zu speichern, damit sie den Strafverfolgungsbehörden für die Aufklärung schwerer Straftaten zur Verfügung stehen. Weitere Änderungen erfuhr die Richtlinie 2002/58/EG wiederum drei Jahre später mit dem Inkrafttreten des Reformpakets von 2009. Erstmals wurde darin geregelt, dass die Speicherung von oder der Zugriff auf Informationen (z. B. Cookies) in Endgeräten nur nach Einwilligung des Endnutzers zulässig ist.19 Außerdem sind Dienstanbieter nun verpflichtet, über Datenlecks unverzüglich die zuständige Behörde und in bestimmten Fällen auch die betroffene Person zu informieren.

17

Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation), ABl. EG 2002, L 201, S. 37.

18

Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG, ABl. EG 2006, L 105, S. 54.

19

Vgl. die entsprechenden Änderungen durch Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25. November 2009 zur Änderung der Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten, der Richtlinie 2002/58/EG über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation und der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz, ABl. EG 2009, L 337, S. 11.

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302

Sonderregeln für den Bereich der – vor dem Vertrag von Lissabon nicht vergemeinschafteten – polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) enthält ein Rahmenbeschluss des Rates.20 Die Regeln zur Datenverarbeitung durch die Institutionen und Einrichtungen der EU sind in einer eigenen Verordnung21 niedergelegt. Zwischenbemerkung: Vergleicht man dieses Schutz- und Regelungssystem mit den insbesondere im laufenden Jahr 2013 bekannt gewordenen Zugriffen auf Kommunikationsinhalte und die zugehörigen Verkehrsdaten, so entsteht das Bild eines redlichen Wächters an der Haustür, während an der Hintertür die Diebe sich die Klinke in die Hand geben. Damit wird – wohlgemerkt – nicht die Regelungsnotwendigkeit verneint, auch nicht die fachliche Redlichkeit der dabei handelnden Personen und Institutionen, wohl aber der Blick auf ein besonders extremes Auseinanderklaffen von faktisch limitierter Regelungsreichweite und technologisch weit überschießender Realität gelenkt. Zweite Zwischenbemerkung: Etwa Mitte 2013 kamen die ersten Smartphones auf den Markt, die – ob eingeschaltet oder ausgeschaltet – eine vollständige Umgebungsüberwachung durchführen, also „wissen“, ob es im Raum hell oder dunkel, warm oder kalt ist, ob gesprochen wird, ob viele oder wenige Personen im Raum sind. Die Hersteller preisen diese Fähigkeit als den ultimativen Nutzeffekt für den Besitzer an, der sein Gerät jederzeit ansprechen, nach subjektiv relevanten Daten befragen oder mit Aufträgen bestücken kann, z. B. zu Hause Jalousien auf- oder abzufahren. Angesichts dieser Art von Technik macht sich eine Vorschrift, wonach „Datenlecks gemeldet werden müssen“, nachgerade naiv aus. 2.

Die EU-Datenschutzreform

Der im vorangegangenen Abschnitt beschriebene Rechtsrahmen diente der EG über eineinhalb Jahrzehnte als Grundlage für eine umfassende Harmonisierung des Datenschutzes in den Mitgliedstaaten. Berücksichtigt man einerseits, dass die DSRL maßgeblich auf einen von der Kommission bereits 1990 vorgelegten Richtlinienvorschlag22 zurückgeht, andererseits, dass ihre Umsetzung durch die Mitgliedstaaten teils nur sehr verzögert erfolgt war und sich bis Anfang des neuen Jahrtausends hingezogen hatte,23 so wird deutlich, dass ihr Regelungsgehalt angesichts der Schnelllebigkeit dieses Rechts-

20

Rahmenbeschluss 2008/977/IJ des Rates v. 27. November 2008 über den Schutz personenbezogener Daten, die im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen verarbeitet werden, ABl. EU 2008, L 350, S. 60. Zur Zwitternatur des Rahmenbeschlusses zwischen Völkerund Gemeinschaftsrecht Christoph Schönberger, Der Rahmenbeschluss. Unionssekundärrecht zwischen Völkerrecht und Gemeinschaftsrecht, ZaöRV Bd. 65 (2007), S. 1107 ff.

21

Verordnung Nr. (EG) 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 18. Dezember 2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr, ABl. EG 2001, L 8, S. 1.

22

KOM(90) 314 endg. (Fn. 5).

23

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Erster Bericht über die Durchführung der Datenschutzrichtlinie (EG 95/46), 15. Mai 2003, KOM(2003) 265 endg., S. 3. Die letzten Umsetzungsgesetze traten demnach erst 2002/2003 in Kraft.

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303

gebiets bereits veraltet sein musste, als die Umsetzungsgesetze in den letzten Mitgliedstaaten in Kraft traten. Umso mehr gilt dies nach einer weiteren Dekade, in der sich die Möglichkeiten digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien im Wesentlichen nach den Parametern des „Mooreschen Gesetzes“24 fortentwickelt haben. Erschwerend kommt der Siegeszug des Internet hinzu: Die weitere Internationalisierung der Datenverbindungen und die Zunahme grenzüberschreitenden Datenverkehrs – insbesondere auch mit Drittländern – hat zu einer deutlichen Reduzierung des praktisch erzielbaren Schutzniveaus geführt.25 Vor diesem Hintergrund hat die Kommission am 25. Januar 2012 ihre Vorschläge für eine Reform der Datenschutzbestimmungen vorgelegt.26 Anders als bisher, sollen die allgemeinen Regeln für den Umgang mit personenbezogenen Daten den Mitgliedstaaten nicht mehr durch eine Richtlinie vorgegeben werden, sondern vielmehr als Verordnung27 gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar in jedem Mitgliedstaat Anwendung finden. Ein Umsetzungsakt der Mitgliedstaaten wäre damit nicht mehr erforderlich, entgegenstehendes nationales Recht würde unanwendbar. Die Kommission begründet dies mit der unzureichenden Harmonisierungswirkung der DSRL.28 Die mitgliedstaatlichen Datenschutzvorschriften im bislang nicht durch Gemeinschaftsrecht geregelten Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen sollen durch eine neue Richtlinie angeglichen werden.29 Die Union käme damit ihrer primärrechtlichen Verpflichtung nach, das Grundrecht auf Datenschutz gemäß Art. 8 GRCh auch in der ehemaligen „dritten Säule“ zu gewährleisten, die mit dem Vertrag von Lissabon insgesamt der supranationalen Regelungskompetenz des Unionsrechts unterstellt wurde.

24

Moore, Cramming more components onto integrated circuits, Electronics 38, Nr. 8, 1965, 114. Nach dieser empirischen Regel verdoppelt sich die Komplexität integrierter Schaltkreise etwa alle eineinhalb Jahre.

25

Tinnefeld/Buchner/Petri, Einführung in das Datenschutzrecht, 2012, S. 124.

26

Mitteilung der Kommission v. 25. Januar 2012 an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Der Schutz der Privatsphäre in einer vernetzten Welt – Ein europäischer Datenschutzrahmen für das 21. Jahrhundert“, KOM(2012) 9 endg., S. 3.

27

Europäische Kommission, Vorschlag für Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung), 25. Januar 2012, KOM(2012) 11 endg.

28

Erwägungsgrund 7 DSGVO-E; KOM(2012) 9 endg., S. 3.

29

Europäische Kommission, Vorschlag für Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr KOM(2012) 10 endg.

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304 Insgesamt dienen die Reformvorschläge der Umsetzung des Stockholmer Programms,30 das der Union aufgab, „eine umfassende Regelung zum Schutz personenbezogener Daten [...] für sämtliche Zuständigkeitsbereiche der Union“ zu schaffen31 und „für eine konsequente Anwendung des Grundrechts auf Datenschutz“32 zu sorgen. Der verschärfte Harmonisierungsansatz wurde zu Beginn von einigen Mitgliedstaaten kritisiert.33 Welche Veränderungen brächten die genannten Entwürfe nun genau?34 Zunächst setzt der Verordnungsentwurf (DSGVO-E) auf Bewährtes: Die Verarbeitungsvoraussetzungen etwa – vorherige Einwilligung des Betroffenen oder gesetzliche Grundlage – bleiben unverändert erhalten, ebenso der Zweckbindungsgrundsatz und das Prinzip der Datensparsamkeit. Auch das Recht der Betroffenen auf Auskunft und die Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörden sollen nicht angetastet werden. Neu ist dagegen, dass die Einwilligung nun „explizit“ erteilt werden muss.35 Diese bereits im ersten Kommissionsentwurf zur DSRL vorgesehene Voraussetzung hatte seinerzeit letztlich keinen Eingang in den Richtlinientext gefunden,36 soll nun jedoch klarstellen, dass eine Einwilligung nicht schon dann vorliegt, wenn sich aus einer Handlung „ohne jeden Zweifel“ das (konkludente) Einverständnis der Person ergibt, sondern erst dann, wenn sich dieses eindeutig nach außen manifestiert hat. Denn es wird erwartet, dass eine sich verbal äußernde Person ein Bewusstsein für die Bedeutung ihres Handelns hat.37 Die Beweislast für das Vorliegen der Einwilligung trägt die verarbeitende

30

Europäischer Rat, Das Stockholmer Programm – ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger, ABl. EU 2010, C 115, S. 1.

31

So die das Programm vorbereitende Mitteilung der Kommission v. 10. Juni 2009 an das Europäische Parlament und den Rat „Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Dienste der Bürger“, KOM(2009) 262 endg., S. 34.

32

Mitteilung der Kommission v. 20. April 2010 an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts für die Bürger Europas – Aktionsplan zur Umsetzung des Stockholmer Programms, KOM(2010) 171 endg., S. 3.

33

So hat der Bundesrat am 30. März 2012 Subsidiaritätsrügen gegen beide Rechtsaktentwürfe erhoben; BR-Drs. 51/1/12 (zur Richtlinie) und BR-Drs. 52/1/12 (zur Verordnung), Beschl. v. 30. März 2012. Rüge gegen die Verordnung erhoben haben ferner Schweden, Italien, Frankreich und Belgien, gegen die Richtlinie Schweden; vgl. http://www.ipex.eu/IPEXL-WEB/dossier/document/ COM20120011.do#dossier-COD20120011, http://www.ipex.eu/IPEXL-WEB/dossier/document/ COM20120011.do#dossier-COD20120011. Vgl. hierzu Nguyen, Die Subsidiaritätsrüge des Deutschen Bundesrates gegen den Vorschlag der EU-Kommission für eine DatenschutzGrundverordnung, ZeUS 2012, 277 ff., der zu der Auffassung gelangt, dass die vom Bundesrat vorgebrachten Bedenken weitgehend unbegründet sind.

34

Vgl. zum Ganzen ausführlich etwa Hornung, Eine Datenschutz-Grundverordnung für Europa?, ZD 2012, 99; De Hert/Papakonstantinou, The proposed data protection Regulation replacing Directive 95/46/EC: A sound system for the protection of individuals, CLSR 2012, 130; Schild/ Tinnefeld, Datenschutz in der Union – Gelungene oder missglückte Gesetzentwürfe?, DuD 2012, 312.

35

Art. 4 Nr. 8 DSGVO-E.

36

Ehmann/Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, Kurzkommentar, 1999, Art. 2 Rn. 68.

37

Vgl. KOM(2012) 11 (Fn. 27), S. 8.

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305 Stelle.38 Für Kinder unter 13 Jahren ist die Einwilligung der Eltern erforderlich, wenn es um die Nutzung von Onlinediensten geht.39 Eine wesentliche Neuerung ist des Weiteren das sog. Recht auf „Vergessenwerden“ und auf Löschung.40 Danach könnte der Betroffene nicht nur – wie heute gemäß Art. 12 lit. b DSRL vorgesehen – die Löschung seiner Daten verlangen, wenn die Verarbeitung nicht der Richtlinie entspricht, sondern auch, wenn eine Speicherfrist abgelaufen ist oder der Betroffene seine Einwilligung widerruft.41 Sofern der für die Verarbeitung Verantwortliche die Daten veröffentlicht, muss er alle vertretbaren Schritte unternehmen, um Dritte darüber zu informieren, dass der Betroffene die Löschung von Querverweisen oder Kopien verlangt.42 Ausnahmen von der Löschpflicht können sich unter anderem aus dem Recht auf freie Meinungsäußerung oder aus Gründen des öffentlichen Interesses bzgl. der öffentlichen Gesundheit ergeben. Eine wichtige Änderung stellt auch die vorgesehene Ausdehnung des räumlichen Anwendungsbereichs auf Vorgänge in Nicht-EU-Staaten dar, bei denen Daten von in der EU ansässigen Personen verarbeitet werden (sog. Marktortprinzip):43 Dient die Datenverarbeitung dazu, diesen Personen in der Union Waren oder Dienstleistungen anzubieten oder deren Verhalten zu beobachten – wie dies in globalen Netzen wie dem Internet häufig der Fall ist –, so soll sich der für die Verarbeitung Verantwortliche nicht der Anwendung europäischer Datenschutzvorschriften entziehen können, nur weil er seinen Sitz außerhalb der EU hat. Weitere Änderungsvorschläge, mit denen die Kommission den Datenschutz in der EU an die heutigen Bedürfnisse anpassen will, umfassen unter anderem: •

ein Recht auf Datenportabilität (Art. 18 DSGVO-E),



Verpflichtungen zum Datenschutz durch Technik (data protection by design) und zur Verwendung datenschutzfreundlicher Voreinstellungen (data protection by default) (Art. 23 DSGVO-E)44,



eine Meldepflicht bei Datenlecks (Art. 31 DSGVO-E),

38

Art. 7 Abs. 1 DSGVO-E.

39

Art. 8 Abs. 1 DSGVO-E.

40

Vgl. hierzu Kalabis/Selzer, Das Recht auf Vergessenwerden nach der geplanten EU-Verordnung, DuD 2012, 670.

41

Art. 17 DSGVO-E. Zum Ganzen ausführlich Härting, Starke Behörden, schwaches Recht – der neue EU-Datenschutzentwurf, BB 2012, 459 (464).

42

Zu den praktischen Problemen, die sich hieraus für den Verantwortlichen ergeben können, Härting (Fn. 41), BB 2012, 459 (464).

43

Art. 3 Abs. 2 DSGVO-E.

44

Vgl. hierzu Richter, Datenschutz durch Technik und die Grundverordnung der EU-Kommission, DuD 2012, 576.

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306



einheitliche Aufgaben und Befugnisse der Aufsichtsbehörden (Art. 51 ff. DSGVO), zusätzliche bzw. erweiterte Rechtsbehelfe des Betroffenen (Art. 75, 77 DSGVO-E) und verschärfte Sanktionsmöglichkeiten, die die Verhängung von Bußgeldern bis zu zwei Prozent des Jahresumsatzes des verarbeitenden Unternehmens ermöglichen (Art. 79 DSGVO-E),



die Einrichtung eines Europäischen Datenschutzausschusses, der die bisherige „Artikel-29-Arbeitsgruppe“ der Datenschutzbeauftragten der Mitgliedstaaten ersetzen und eine einheitliche Anwendung der DSGVO in der EU sicherstellen soll,



eine deutliche Stärkung der Kommissionsbefugnisse, die hinsichtlich zahlreicher Regelungen zum Erlass von delegierten Rechtsakten oder Durchführungsrechtsakten (sog. tertiärem Unionsrecht) berufen wird, mit denen die Bestimmungen der Verordnung konkretisiert werden sollen,45



die Einführung eines „Kohärenzverfahrens“ zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden, dem Europäischen Datenschutzausschuss und der Kommission und



eine Richtlinie für den Datenschutz bei Polizei und Justiz, die den bisherigen Rahmenbeschluss 2008/977/JI ersetzen soll und die Harmonisierung auch in diesem Bereich vorantreiben will.46

Besonders in Deutschland kritisiert wird eine Regelung im DSGVO-E, die die Benennung eines betrieblichen Datenschutzbeauftragten in der Regel erst ab einer Mitarbeiterzahl von 250 verpflichtend vorschreibt.47 Wegen der unmittelbaren Anwendbarkeit der Verordnung in den Mitgliedstaaten (und mangels einer diesbezüglichen Öffnungsklausel) würde dies eine deutliche Verschlechterung des datenschutzrechtlichen Schutzniveaus in Deutschland bewirken, da das BDSG bislang die Einsetzung eines solchen Beauftragten für jedes Unternehmen unabhängig von der Zahl seiner Beschäftigten vorsieht, wenn es personenbezogene Daten automatisiert verarbeitet. Insbesondere große US-Unternehmen wie Google oder Facebook, die in der EU nur kleine Niederlassungen betreiben, könnten sich so der Pflicht zur Bestellung eines Datenschutzbeauftragten entziehen.48

45

Vgl. hierzu die Kritik bei Dix, Datenschutzaufsicht im Bundesstaat – ein Vorbild für Europa, DuD 2012, 318; Hornung (Fn. 34), ZD 2012, 99, 105; ders., Stellungnahme zu den öffentlichen Anhörungen des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 22. Oktober 2012 zu den Vorschlägen der Europäischen Kommission für eine Reform des Datenschutzrechts, Ausschuss-Drs. 17(4)584 E, http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a04/Anhoerungen/Anhoerung22/ Stellungnahmen_SV/Stellungnahme_05.pdf, S. 11 ff; Ronellenfitsch, Fortentwicklung des Datenschutzes, DuD 2012, 561.

46

Vgl. hierzu Kugelmann, Datenschutz bei Polizei und Justiz, DuD 2012, 581; Bäcker/Hornung, EURichtlinie für die Datenverarbeitung bei Polizei und Justiz in Europa, ZD 2012, 147.

47

Art. 35 Abs. 1 lit. b DSGVO-E.

48

Vgl. dazu Tinnefeld/Buchner/Petri (Fn. 25), S. 280 f.

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307

Abweichende Regeln dürfen die Mitgliedstaaten dagegen unter anderem mit Bezug auf die Verarbeitung für journalistische, künstlerische und literarische Zwecke (sog. Medienprivileg), den Beschäftigtendatenschutz und den Schutz von Gesundheitsdaten erlassen. Der Kommissionsentwurf zur DSGVO ist bereits im Rat für Justiz und Inneres beraten worden.49 Auf eine gemeinsame und einheitliche Position konnten sich die Vertreter im Rat bislang nicht verständigen; mit einer Einigung wird jedoch im Herbst gerechnet. Im EP federführend ist der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, dessen Berichterstatter im Januar 2013 einen Berichtsentwurf50 vorstellte. Seit diesem Zeitpunkt sind etwa 4.000 Änderungsanträge eingegangen.51 Die erste Lesung im EP ist für den Beginn des nächsten Jahres angesetzt.52 Mit Blick auf die Europawahlen im Mai 2014 wäre den beteiligten EU-Organen – vor allem Rat, EP und Kommission – anzuraten, die Zeit bis dahin für einen konstruktiven Trilog zu nutzen und mit einer Verabschiedung nicht allzu lange auf sich warten zu lassen, um das Verfahren noch in der laufenden Legislaturperiode zu einem Abschluss zu bringen.

V. 1.

Der ganz andere Datenschutz außerhalb Europas USA

Ausgangspunkt des US-amerikanischen Ansatzes für einen Schutz personenbezogener Informationen ist der Vierte Verfassungszusatz, der das Recht des Volkes auf Sicherheit der Person vor willkürlicher Durchsuchung für unverletzlich erklärt. Damit sind jedoch nicht alle Formen einer staatlichen Einsichtnahme in persönliche Informationen umfasst: Nur wo der Einzelne eine „vernünftige Erwartung von Privatsphäre“ („reasonable expectation of privacy“) haben dürfe, greife der Schutz.53 Deutlich weitergehend – als umfassendes „right to be let alone“ – hatte dieses Recht noch der berühmte und als weltweit meist zitiert geltende juristische Aufsatz von Samuel Warren und Louis D.

49

http://ec.europa.eu/prelex/detail_dossier_real.cfm?CL=de&DosId=201286. Bisher nicht behandelt wurde dagegen der Richtlinienentwurf; vgl. http://ec.europa.eu/prelex/detail_dossier_real.cfm?CL= de&DosId=201285.

50

Entwurf eines Berichts über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung), 16. Januar 2013, http://www.europarl. europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+COMPARL+PE-01.927+04+DOC+PDF +V0//DE&language=DE.

51

Vgl. Angaben auf der Website des Berichterstatters, http://www.janalbrecht.eu/themen/datenschutzund-netzpolitik/alles-wichtige-zur-datenschutzreform.html.

52

In der OEIL-Datenbank des EP ist als möglicher Termin der 15. Januar 2013 genannt; vgl. http://www.europarl.europa.eu/oeil/popups/ficheprocedure.do?lang=en&reference=2012/0011%28C OD%29.

53

Supreme Court of the United States, Katz v. United States, 389 U.S. 347 (1967).

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308 Brandeis interpretiert.54 Diese Auffassung, die auch in der Minderheitsmeinung des Richters Brandeis in der Rechtssache Olmstead v. United States zum Ausdruck kam,55 konnte sich in der Rechtsprechung des Supreme Court jedoch nicht durchsetzen. Gleichzeitig wird dem Ersten Verfassungszusatz, der die Rede- und Pressefreiheit garantiert, teils eine das Recht auf Privatsphäre begrenzende Funktion zugesprochen, die einer Datenschutzgesetzgebung nach europäischen Maßstäben entgegenstehen könnte.56 Fest steht, dass allgemeingültige, sektorübergreifende gesetzliche Datenschutzvorschriften in den USA bis heute fehlen. In einzelnen Bereichen existieren Spezialregelungen, so etwa zum Datenschutz für Kinder bei Online-Aktivitäten oder für Krankenversicherungsdaten. Die von der Obama-Administration Anfang 2012 vorgestellte Consumer Privacy Bill of Rights57 stellt dagegen einen Versuch dar, Datenschutz zumindest im Internet einheitlich zu regulieren. Die Initiative ist allerdings bislang nicht Gesetz geworden. 2.

China

Am 16. Juli 2013 veröffentlichte das chinesische Ministerium für Industrie und Informationstechnologie (MIIT) ein Regelwerk zum Schutz personenbezogener Daten in Telekommunikation und Internet, das am 1. September 2013 in Kraft trat.58 Dabei handelt es sich um verbindliche Regeln, die sich an die Anbieter von InternetInformationsdiensten und Telekommunikationsunternehmen richten. Sie enthalten unter anderem einen Grundsatz der Datensparsamkeit, bestimmte Informationspflichten bezüglich der gesammelten Daten (Zweck, Methode und Umfang der Nutzung) und eine Benachrichtigungspflicht bei Datenlecks. Persönliche Informationen dürfen von einem Nutzer nur mit dessen Einwilligung erhoben oder genutzt werden. Anbieter müssen des Weiteren die Einhaltung des Datenschutzes beaufsichtigen, wenn Datenverarbeitungsanlagen Dritter verwendet werden. Schließlich machen die Bestimmungen Vorgaben hinsichtlich der Datensicherheit und verpflichten die Anbieter zu einer jährlichen Selbstinspektion, um die Einhaltung der Regeln sicherzustellen.

54

Warren/Brandeis, The right to privacy, 4. Harvard Law Review (1890), 193 ff., http://groups.csail. mit.edu/mac/classes/6.805/articles/privacy/Privacy_brand_warr2.html

55

Supreme Court of the United States, Olmstead v. United States, 277 U.S. 438 (1928). Brandeis vertrat darin die Ansicht, das Recht, allein gelassen zu werden, sei das „umfassendste und von zivilisierten Menschen am höchsten geschätzte Recht“.

56

Vgl. hierzu Greenleaf, The Influence of European Data Privacy Standards Outside Europe: Implications for Globalisation of Convention 108, http://ssrn.com/abstract=1960299, S. 4 f.

57

The White House, Consumer Data Privacy in a Network World: A Framework for Protecting Privacy and Promoting Innovation in the Global Digital Economy, 2012, http://www.whitehouse.gov/ sites/default/files/privacy-final.pdf.

58

Die chinesische Fassung und eine inoffizielle englische Übersetzung sind abrufbar unter: http://chinacopyrightandmedia.wordpress.com/2013/07/16/telecommunications-and-internet-userindividual-information-protection-regulations/.

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309

Bereits 2011 hatte das MIIT ähnliche Bestimmungen erlassen und 2012 hatte der Ständige Ausschuss des Volkskongresses eine Entscheidung zu Internetinformationen verabschiedet. Sie bleiben neben den Regelungen von 2013 weiter anwendbar, soweit ihre Fortgeltung nicht ausgeschlossen ist – letzteres ist etwa hinsichtlich der Bestimmungen zur Nutzereinwilligung und zur Benachrichtigung von der Datenerhebung der Fall.59 Die Entscheidung von 2012 legt daneben verschiedene weitere Pflichten fest. Insbesondere müssen Anbieter von „Internet-Veröffentlichungsdiensten“ und „Websitezugangsdiensten“ von ihren Nutzern eine Klarnamenregistrierung verlangen.60 Da dieses Regelungssystem Hand in Hand mit staatlichen Eingriffen und Zensurmaßnahmen geht, wird man trotz der teilweise gleichlautenden Begrifflichkeiten skeptisch hinsichtlich der Rechtspraxis sein müssen. Zugleich ist zu konzedieren, dass man es mit einem Kulturkreis zu tun hat, in welchem über Jahrtausende hinweg das Kollektiv mit seiner zentral-dynastischen Führung das Entstehen von Individualrechten und Individualbewusstsein be- und verhinderte. Beim Datenschutz wird es also in diesem wie auch im US-amerikanischen Falle nicht um die „Übernahme“ europäischer Standards durch den Drittstaat gehen, sondern um Annäherung und Beeinflussung auf der Ebene von Faktizitäten. 3.

Europäischer „Exportschlager“ Datenschutz?

In der Tat sind einer aktuellen rechtsvergleichenden Untersuchung zufolge die meisten Datenschutzgesetze außerhalb Europas von den europäischen Datenschutzstandards beeinflusst. Gleichzeitig ist die DSchKonv ausdrücklich nicht auf Mitgliedstaaten des Europarates beschränkt, sondern steht Staaten weltweit für einen Beitritt offen. Mit Uruguay ist zum 1. August 2013 bereits ein nichteuropäischer Staat Vertragspartei geworden. Das europäisch geprägte Datenschutzmodell scheint sich daher zu einem Vorbild für Datenschutzgesetze in aller Welt – mit Ausnahme der USA und Chinas – zu entwickeln.61 Gleichzeitig dehnt die EU ihren eigenen datenschutzrechtlichen Einflussbereich über die Grenzen ihrer Mitgliedstaaten hinaus aus, indem sie den räumlichen Anwendungsbereich auch auf Sachverhalte erweitert, in denen Daten einer in der EU ansässigen Person verarbeitet werden, ohne dass der für die Verarbeitung Verantwortliche selbst seinen Sitz innerhalb der EU haben muss.62

59

Vgl. http://www.cov.com/files/Publication/3024dd1a-ab7e-4437-805d-139dbb96a713/Presentation/ PublicationAttachment/527b0441-8c91-4e08-a866-175d89b796a9/China_Issues_Comprehensive_ Regulation_on_Collection_and_Use_of_Personal_Information_by_Service_Providers.pdf.

60

Darüber, welche Anbieter hierunter fallen, besteht noch Unsicherheit; vgl. im Einzelnen http://www.cov.com/files/Publication/83ff413a-af68-4675-850e-a0f54533d149/Presentation/Pub licationAttachment/240e4b51-6450-4403-8cfe-b0cea77c8370/China_Enacts_New_Data_Privacy_ Legislation.pdf.

61

Siehe dazu im Einzelnen unten VIII. 4.

62

Vgl. dazu schon oben IV. 2.

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310

Welches der beiden Modelle (Einladung zur vertraglichen Übernahme eines Rechtsrahmens einerseits oder Geltungsanspruch des eigenen Regelungsregimes auch außerhalb des Hoheitsgebietes andererseits) letztlich zu größerem Erfolg führen wird – oder ob am Ende beide gemeinsam eine internationale Rechtsangleichung auf dem Gebiet des Datenschutzrechts bewirken können –, wird die Zukunft zeigen müssen.

VI.

Der pragmatische Blick auf die Realität

Grundsätzlich ist eine Übermittlung von innerhalb der EU erhobenen Daten an Drittstaaten nur zulässig, wenn die dortige Rechtsordnung ein vergleichbares Datenschutzniveau gewährleistet (Art. 25 DSRL). Ausnahmen hierzu bilden die Fälle des Art. 26 DSRL. Dort geht es insbesondere um spezielle Vereinbarungen oder Verpflichtungserklärungen, wie sie im „Safe Harbor“Abkommen mit den USA formuliert worden sind (Art. 26 Abs. 5 i. V. m. Art. 31 Abs. 2 DSRL).63 Diese zunächst einfach und eingängig scheinende Vorgabe enthält aber, was der deutschen und europäischen Öffentlichkeit Stück für Stück bewusst wird, ein großes Problem. Es gibt nämlich umfangreiche Zugriffsmöglichkeiten staatlicher Behörden auf in den USA liegende Daten (Patriot Act, Foreign Intelligence Surveillance Act [FISA], insbesondere in der Fassung der Änderungen durch den FISA Amendment Act 2008). Dadurch wird selbstverständlich auch der Zugriff auf Daten von EU-Bürgern möglich, und dass er nicht nur möglich, sondern tägliche Praxis ist, füllt im Jahr 2013 die Seiten unserer Zeitungen. Hierbei erscheint es zweifelhaft, ob US-Unternehmen die „Safe Harbor“-Grundsätze im Einklang mit dem aktuell geltenden US-Recht umsetzen können, so dass man gar die Frage stellen muss: Ist „Safe Harbor“ am Ende? Auf diese in der breiten Öffentlichkeit noch nicht ganz „angekommene“ Problemlage hat Mitte 2013 die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder einen in seiner Ausrichtung klaren, in der praktischen Wirkung aber leider eher symbolischen Beschluss gefasst: Keine Erteilung weiterer Genehmigungen für die Datenübermittlung in Drittländer mehr und zugleich Prüfung, ob bereits genehmigte Datenübermittlungen auf der Grundlage von „Safe Harbor“ und Standardvertragsklauseln auszusetzen sind, bis die Bundesregierung plausibel darlegt, dass unbeschränkter Zugriff ausländischer Nachrichtendienste auf personenbezogene Daten der Menschen in Deutschland effektiv begrenzt wird.64 Die Bundesregierung, der solches abverlangt wird, ist nicht zu beneiden. Denn die Vorstellung, fremde Regierungen, ob „befreundet“

63

Vgl. Europäische Kommission, Entscheidung 2000/520/EG v. 26. Juli 2000 gemäß der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Angemessenheit des von den Grundsätzen des „sicheren Hafens“ und der diesbezüglichen „Häufig gestellten Fragen“ (FAQ) gewährleisteten Schutzes, vorgelegt vom Handelsministerium der USA, ABl. EU 2000, L 215, S. 7.

64

Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder, Pressemitteilung v. 24. Juli 2013,http://www.bfdi.bund.de/DE/Home/homepage_Kurzmeldungen2013/PMDerDSK_SafeHarbor. html.

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311

oder nicht, öffneten auf Zuruf die Türen zu ihren Geheimdiensten (von denen sie oft selbst nicht alles wissen) ist hinreichend naiv bzw. hinreichend vordergründig-taktisch. Die DSGVO könnte den Zustand der rechtlichen Schutzlosigkeit beenden, da die VO auf alle Datenverarbeitungsvorgänge Anwendung findet, die personenbezogene Daten von Personen in der EU betreffen (Marktortprinzip). Ob dies auch die faktische Schutzlosigkeit beendet, ist angesichts des erheblichen Umfangs heimlicher staatlicher Überwachungstätigkeiten indes zweifelhaft: Abgesehen von Ausnahmen wie den jetzigen Enthüllungen Edward Snowdens, die nur unter erheblichem persönlichen Risiko und möglicherweise entgegen geltendem US-Recht zustandekamen, dürfte die Geheimhaltung im Regelfall dazu führen, dass EU-Behörden von Verletzungen europäischer Datenschutzvorschriften in Drittstaaten keine Kenntnis erlangen. Folglich werden beteiligte Unternehmen kaum mit Sanktionen rechnen müssen. Sollten Verstöße dennoch bekannt werden, könnten die Unternehmen – jedenfalls im Fall der geheimdienstlichen Tätigkeiten der USA – von ihrer Regierung finanziell für mögliche Strafzahlungen entschädigt werden. Der Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA) garantiert den Unternehmen bereits heute65 eine Entschädigung für ihre Kooperation mit den Behörden (Sec. 702(h)(2) FISA) und sichert ihnen rechtliche Immunität zu (Sec. 702(h)(3), Sec. 703(e) FISA), so dass die Datenweitergabe nach US-Recht weder strafrechtlich noch zivilrechtlich verfolgt werden kann.66

VII. Vernetzung, Entnetzung Mitte des Jahres 2013 stolperte der aufmerksame Zeitungsleser über eine etwas kurios anmutende Meldung. Russische Geheimdienste, so hieß es, kramen die gute alte Schreibmaschine wieder raus.67 Der Leser erfuhr, „[...] auch die handschriftliche Aufzeichnung geheimer Informationen sei üblich. Besonders heikle Dokumente würden nur auf Papier und nicht auf elektronischen Datenträgern archiviert [...]“. Darüber hinaus gewährten die Meldungen Einblick in den früher einmal ehrfürchtig bestaunten Bereich der roten Telefone, an denen die Digitalisierung offenbar spurlos vorbeigegangen ist: „[...] auch alte abhörsichere Telefonleitungen würden weiter für vertrauliche Gespräche zwischen den Staatsführungen genutzt.“ Mit diesen Meldungen gerät – vom durchschnittlichen Gerätenutzer schon irgendwie vermutet – die Entnetzung als denkbare Lösung zum Schutz besonders sensibler Daten ins Blickfeld.68

65

Seit Inkrafttreten des FISA Amendments Act 2008, http://www.govtrack.us/congress/bills/110/ hr6304/text.

66

Vgl. zur Immunität gem. Sec. 802 FISA schon US District Court of the Northern District of California, Urt. vom 3. Juni 2009, Hepting vs. AT&T, http://www.eff.org/files/filenode/att/orderhepting 6309_0.pdf.

67

ZEIT Online vom 11. Juli 2013, geheimdienst-schreibmaschinen.

http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2013-07/russland-

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Dass man nicht geortet werden kann, wenn man kein Handy oder Smartphone oder ähnliches Gerät bei sich trägt, ist evident. Ob und wo man dann in eine Kameraaufzeichnung hineingerät, in der Fußgängerzone oder in der U-Bahn oder im Supermarkt, steht auf einem anderen Blatt. Diese ganz persönliche Entscheidung, im Netz nicht oder nur absolut minimalistisch vorhanden zu sein, wird am Ende dieses Aufsatzes nochmals kurz aufgegriffen unter dem Aspekt: Was kann man tun? Noch interessanter und zudem von einer beträchtlichen wirtschaftlichen Tragweite ist die Frage der Entnetzung aber für die sog. kritischen Infrastrukturen. Als Beispiel möge der Fall dienen, bei welchem ein Hacker ein texanisches Wasserwerk lahmlegte, indem er sich aus dem Internet heraus Zugang zur Fernwartung der dortigen Technik verschaffte und Betriebsbefehle einspeiste, die mindestens eine der zentralen Pumpen zerstörten.69 Ein solcher Fall provoziert nachgerade die Frage, ob kritische Infrastrukturen nicht dadurch gesichert werden müssen, dass man sie von den digitalen Kommunikationsnetzen völlig entkoppelt. Das betrifft nicht nur die in der Regel kommunalen Anlagen der Wasserversorgung oder der Müllentsorgung, und nicht nur die Fertigungsstraßen der Autozulieferer, sondern auch Kraftwerke aller Art. Fachleute bejahen heute die Notwendigkeit, eine solche Diskussion zu führen, allerdings fehle es am politischen Willen, eine solche Lösung ernsthaft in Betracht zu ziehen. Denn die Möglichkeit zu einem (befugten) Fernzugriff auf diese Systeme bringe hohe ökonomische Vorteile für die zu wirtschaftlichem Handeln angehaltenen (öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich organisierten) Betriebe mit sich – genau deshalb war ja die Möglichkeit der Fernwartung vor Jahren als Chance zur Effizienzsteigerung begeistert wahrgenommen und ausgebaut worden. Die Frage der Sicherheit trete, so die vielfach zu hörende Meinung, daher bei den Verantwortlichen im Zweifel in den Hintergrund. Es darf angemerkt werden, dass diese Einstellung jedenfalls vor den Enthüllungen zum weltweiten netzbasierten Spionageprogramm PRISM auch im Zusammenhang mit dem zunehmenden Einsatz von Cloud Computing häufig anzutreffen war. Datenschutzbedenken wurden, wie so oft, zur Seite geschoben und durch das Prinzip „Hoffnung“ ersetzt, nämlich Hoffnung darauf, die Verwalter der Daten würden redlich und treuhänderisch verlässlich agieren. An die Nachrichtendienste, die nicht nur an den Terroristen in Afghanistan, sondern auch an den Fertigungstechniken der ZF Getriebe AG interessiert sind, dachte man seinerzeit – wenn überhaupt – erst ganz zum Schluss. Die Frage ist nicht auf das Internet beschränkt. Grundsätzlich ist die Fremdnutzung sämtlicher über Telekommunikationsnetze übertragener Daten denkbar. Im Fall der GSM-Mobilfunkkommunikation etwa ist eine Echtzeitentschlüsselung übertragener Inhalte (Voice, Daten) mit einfachsten Mitteln, die jedem Verbraucher zur Verfügung stehen (Funkempfänger, Modem, PC), möglich.70 UMTS ist besser gesichert, Kom68

Vgl. Gaycken/Karger, Entnetzung statt Vernetzung, MMR 2011, 3 ff.

69

heise.de v. 21. November 2011, http://www.heise.de/security/meldung/Hacker-zerstoert-Pumpe-inUS-Wasserwerk-1381930.html.

70

Barkan/Biham/Keller, Instant Ciphertext-Only Cryptanalysis of GSM Encrypted Communication, Crypto 2003. S. 600; die vollständige Fassung wurde 2006 veröffentlicht und ist abrufbar unter

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munikationsvorgänge können jedoch leicht unbemerkt auf GSM umgeleitet werden. Die Sicherheitslücken sind spätestens seit 2003 bekannt, an einer Schließung besteht jedoch vermutlich deshalb kein politisches Interesse, weil sie auch eine staatliche Kommunikationsüberwachung verhindern könnte.

VIII. Das Zusammenspiel von staatlichen und persönlichen Schutzund Abwehrmaßnahmen 1. „Der Staat rettet den Selbstgefährder“ als Umsetzung menschen- und grundrechtlicher Schutzpflichten Aus Art. 8 EMRK ergibt sich nach ständiger Rechtsprechung des EGMR auch eine Schutzpflicht des Staates.71 Dieser muss also durch die Verabschiedung entsprechender Rechtsakte sicherstellen, dass das Privatleben im Anwendungsbereich der EMRK angemessen geschützt ist. In einem Umfeld, das die Übertragung der Daten in Drittstaaten in Sekundenbruchteilen ermöglicht, ohne dass der Betroffene dies erfährt, muss der Staat den Schutz für seine eigenen Bürger unter Umständen auch in diesen Drittstaaten gewährleisten, wenn und soweit ihm dies möglich ist. Die praktische Relevanz dieses letzten Konditionalsatzes kann allerdings nicht hoch genug eingeschätzt werden. 2.

Selbstschutz als ergänzende Maßnahme

Die „Brücke“ zwischen den vielen staatlich gebotenen und den nicht ganz so vielen staatlich möglichen Sicherungsmaßnahmen einerseits und den vom Einzelnen zur Selbstsicherung zu ergreifenden Maßnahmen andererseits besteht aus den Elementen •

Verhaltensanleitung,



Endgerätesicherheit und



Verschlüsselung.

VERHALTENSANLEITUNG: Soweit der technische Datenschutz (Datensicherheit) angesprochen ist, können Selbstschutzmaßnahmen sinnvoll sein, wie sie etwa in § 9 BDSG i.V.m. der Anlage bereits heute genannt sind. Diese Maßnahmen können auch die Schutzpflicht des Staates konkretisieren: Wo Datenverarbeitung – wie im Internet – vielfach nicht durch öffentliche Stellen (und überwiegend noch nicht einmal im öffentlichen Raum!), sondern durch viele Private stattfindet, sind die direkten Eingriffsmög-

http://www.cs.technion.ac.il/users/wwwb/cgi-bin/tr-get.cgi/2006/CS/CS-2006-07.pdf. Mittlerweile sind weitere Angriffstechniken bekannt, die in den meisten Fällen eine Entschlüsselung innerhalb weniger Sekunden ermöglichen. 71

Erst recht gilt dies für den bereits vom Wortlaut entsprechend ausgestalteten Art. 8 GRCh und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach dem Grundgesetz, s. hierzu ausführlich Rupp, Die grundrechtliche Schutzpflicht für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Pressesektor, Saarbrücken 2013, S. 64 ff.

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lichkeiten des Staates rechtlich und tatsächlich begrenzt. Der Einflussverlust kann durch die Bereitstellung von Informationen, Techniken und Technologien zum Selbstdatenschutz teilweise kompensiert werden72 und somit eine entsprechende Pflicht des Staates, in diesem Sinn fördernd aktiv zu werden, entstehen lassen.73 In Deutschland besteht mit den IT-Grundschutzkatalogen des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik74 bereits ein staatliches Instrument, das mögliche Selbstschutzmaßnahmen beschreibt. Allerdings ist zu klären, welche Maßnahmen dem Einzelnen in der konkreten Situation und für den konkreten Einsatzzweck jeweils zumutbar sind. ENDGERÄTESICHERHEIT: Zahlreiche Schutzmaßnahmen zur Gewährleistung der Endgerätesicherheit (damit ist gemeint der technische Datenschutz bei der Datenspeicherung und -verarbeitung), etwa der Einsatz aktueller Anti-Viren-Software, die regelmäßige Aktualisierung des Betriebssystems und die Verwendung einer softwareseitigen Firewall, können dem Nutzer abverlangt werden, da sie leicht verfügbar und konfigurierbar sind. VERSCHLÜSSELUNG: Gleiches könnte grundsätzlich auch für die Übertragungssicherheit (damit ist gemeint der technische Datenschutz bei der Datenübermittlung) gelten: Die Nutzung von Verschlüsselung könnte sich nach den NSA-Enthüllungen als notwendig herausstellen, um die Vertraulichkeit der Telekommunikation weiterhin zu gewährleisten. Zu diesem Zweck existieren zwei gängige asymmetrische Verschlüsselungsmethoden: S/MIME und OpenPGP (Symmetrische Verschlüsselungsverfahren sind für den Masseneinsatz nicht praktikabel, da es an einem sicheren Kanal zum Schlüsselaustausch fehlt.). Allerdings scheitert die Umsetzung einer durchgehend verschlüsselten Kommunikation derzeit vielfach noch an zwei Problemen: Zum einen sind die relevanten Anwendungsprogramme (insbesondere Mail-Clients) teilweise noch nicht optimal auf die standardmäßige Verwendung von Verschlüsselungsalgorithmen vorbereitet, so dass ihr Einsatz nicht von einem durchschnittlichen Nutzer erwartet werden kann. Zum anderen erfordert die Anwendung asymmetrischer Verschlüsselung, dass beide Enden der Kommunikation dazu in der Lage sind und ihre öffentlichen Schlüssel zuvor ausgetauscht haben. Solange davon regelmäßig noch nicht ausgegangen werden kann, ist eine Verwendung von Kommunikationsverschlüsselung jedenfalls im privaten Bereich keine zumutbare Schutzmaßnahme. Mit zunehmender Verbreitung starker Verschlüsselung könnte sich dies allerdings ändern. Diese Entwicklung kann der Staat fördern, z. B. indem er ent72

So auch von den deutschen Datenschutzbeauftragten verschiedentlich geäußert (vgl. z. B. den Tätigkeitsbericht des Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit 2008/2009, Abschn. 3.1, http://www.datenschutz-hamburg.de/uploads/media/22._Taetigkeitsbericht_20082009.pdf). Auch die DSGVO stärkt diesen Ansatz und fordert daneben einen verstärkten Systemdatenschutz und „privacy by default“.

73

Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder fordert in diesem Zusammenhang die Einführung einer gesetzlichen Pflicht zur Förderung der Kompetenz zum Selbstdatenschutz; vgl. Entschließung „Europa muss den Datenschutz stärken“, 85. Konferenz vom 13./14. Mai 2013, http://www.datenschutz.bremen.de/sixcms/detail.php?gsid=bremen236.c.7665.de.

74

S. https://www.bsi.bund.de/DE/Themen/ITGrundschutz/ITGrundschutzKataloge/itgrundschutzkata loge_node.html.

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sprechendes Informationsmaterial zum Einsatz von Verschlüsselungstechnologien verbreitet, Informationskampagnen durchführt und die Entwicklung entsprechender Software unterstützt (wie z. B. im Fall von GnuPG vor etlichen Jahren bereits geschehen).75 Konzepte zum Selbstdatenschutz scheitern allerdings dort, wo die Datenerhebung und -verarbeitung mit Mitteln des Betroffenen gar nicht verhindert werden kann, etwa bei den Verkehrsdaten („Metadaten“). Hier können allenfalls Konzepte zum Systemdatenschutz auf Provider-Ebene eingreifen, deren Einsatz jedoch von der Bereitschaft der – auch von ökonomischen Interessen geleiteten – beteiligten Unternehmen abhängt, jedenfalls solange gesetzliche Vorgaben fehlen. Insgesamt sind staatliche Maßnahmen zur Förderung des Selbstschutzes daher allenfalls als ergänzend anzusehen: Dort, wo zumutbare Selbstschutzmaßnahmen nicht bestehen, der Staat aber selbst direkte Einflussmöglichkeiten hat (z. B. durch politische Verhandlungen mit Drittstaaten oder Anwendung nationaler und europäischer Datenschutzbestimmungen auf Sachverhalte mit Auslandsbezug), sollte er diese Möglichkeiten auch wahrnehmen. 3.

Selbstregulierung statt gesetzlicher Vorgaben?

Eine andere Frage ist, in welchem Umfang eine Selbstregulierung (bei einer Datenverarbeitung im nichtöffentlichen Bereich) an die Stelle staatlicher Vorgaben für den Datenschutz treten kann.76 Angesichts der meist ungleichen Verhandlungspositionen der Parteien, die auf asymmetrischen wirtschaftlichen Machtverhältnissen und unterschiedlicher technischer Kompetenz beruhen, ist kaum denkbar, dass der Staat durch einen völligen Rückzug aus diesem Bereich seiner Schutzpflicht aus den relevanten Grundund Menschenrechten noch gerecht werden könnte. Allenfalls ist ein Konzept der „regulierten Selbstregulierung“ denkbar. In jedem Fall müsste durch zivilrechtliche Schutzvorschriften – ähnlich entsprechenden Regelungen etwa im Kaufrecht (Verbraucherschutz), im Mietrecht und im Arbeitsrecht – sichergestellt werden, dass die schutzwürdigen Interessen der schwächeren Partei angemessen berücksichtigt werden. Das geltende europäische Datenschutzrecht enthält Elemente einer Selbstregulierung: Eine Verarbeitung personenbezogener Daten ist nach der RL 95/46/EG und der DSchKonv nicht nur dann zulässig, wenn ein gesetzlicher Erlaubnistatbestand existiert, sondern auch dann, wenn eine wirksame, informierte Einwilligung des Betroffenen vor Beginn der Datenverarbeitung vorliegt. Soweit der Betroffene also über die Folgen aus-

75

Die Bundesregierung bemüht sich derzeit um die Durchsetzung von De-Mail als einem vermeintlich sicheren Angebot zur Übertragung von vertraulichen E-Mails. Dabei ist allerdings darauf hinzuweisen, dass dieses System keine End-zu-End-Verschlüsselung bereitstellt, sondern die Nachricht auf dem Mail-Server des Empfängers entschlüsselt und anschließend erneut verschlüsselt wird. Dies geschieht vorgeblich zur Überprüfung auf Viren in der Nachricht, ermöglicht jedoch zugleich eine Kenntnisnahme Dritter vom Nachrichteninhalt. Das Konzept kann daher nicht als geeignete Selbstschutzmaßnahme angesehen werden, da die Vertraulichkeit der Kommunikation hier nicht gewährleistet ist.

76

So etwa im Bereich des Redaktionsdatenschutzes, s. hierzu Rupp, (Fn. 71), S. 187 ff.

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reichend informiert ist, steht einer einvernehmlichen Regelung mit der verarbeitenden Stelle nichts entgegen. 4.

Gute und weniger gute Vorbilder

Vorbildwirkung für eine Herausbildung von Datenschutzstandards über die Grenzen Europas hinaus könnte die Datenschutzkonvention des Europarates entfalten, die oben im kurzen geschichtlichen Abriss (Abschnitt I) bereits beschrieben wurde. In 89 Staaten (Stand 2011) gibt es bereits gesetzliche Regeln für den Datenschutz, mit zunehmender Tendenz vor allem außerhalb Europas. In den meisten der 39 außereuropäischen Länder ist die Datenschutzgesetzgebung laut einer rechtsvergleichenden Betrachtung der verschiedenen nationalen Datenschutzregelwerke eines australischen Datenschutzexperten erheblich von den europäischen, von der DSchKonv und ihrem Zusatzprotokoll definierten Standards beeinflusst.77 Die DSchKonv selbst steht seit Anbeginn auch nichteuropäischen Staaten für einen Beitritt offen. Das Stockholmer Programm der EU für die gemeinsame Innen- und Sicherheitspolitik hat die Förderung des Beitritts außereuropäischer Staaten zur DSchKonv gefordert. Mit Uruguay ist vor kurzem bereits ein Staat der Konvention beigetreten, der außerhalb dieser Weltregion liegt.78 Dagegen wird der US-amerikanische Ansatz als „inkohärent, sektorbasiert“ beschrieben, der gesetzliche Schutz in den USA als „weitgehend reaktiv, getrieben von der sporadischen Empörung über bestimmte, eng abgegrenzte Praktiken“.79 Der Grund für die staatliche Zurückhaltung in den USA könnte der rechtsvergleichenden Untersuchung zufolge allerdings in einer stärkeren Betonung des freien Informationsflusses („free flow of information“) in der US-Verfassung liegen, der nach dem Ersten Verfassungszusatz von der US-Regierung nicht beschränkt werden darf. Die Bedeutung dieser Einschränkung gesetzgeberischen Spielraums könne noch nicht abschließend beurteilt werden, da die bisherige Rechtsprechung nicht konsistent erscheine. Die USA werden jedoch als Land mit „einzigartigem, weitgehend isoliertem und bisweilen inkonsistentem Datenschutzansatz“ beschrieben.80 „These differences are amplified by the core role it plays as the host or provider of numerous Internet-based personal information services which have global reach. The attempt to make US-based services accommodate the data privacy approaches of most other countries will continue to be one of the defining features of global privacy developments for years to come. Similarly, attempts by US companies and

77

Greenleaf (Fn. 56), S. 7 ff.

78

Europarat, Uruguay becomes the first non-European state to accede to personal data protection „Convention 108“, Pressemitteilung v. 12. April 2013, http://www.coe.int/t/dghl/standardsetting/ dataprotection/News/Press-release-FINAL-Uruguay-revised_EN.pdf.

79

Hoofnagle, „Country Studies B.1 – United States of America“, in: Korff, D. (Hrsg.), Comparative Study on Different Approaches to New Privacy Challenges, in Particular in the Light of Technological Development, http://ec.europa.eu/justice/policies/privacy/docs/studies/new_privacy_challenges/ final_report_country_report_B1_usa.pdf, S. 1.

80

Greenleaf (Fn. 56), S. 4 ff.

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the US government to use their combined economic and political influence to limit development of data privacy laws in other countries will continue to be important, but may now be on the wrong side of history. The rest of the world has to accept that there are some aspects of US domestic law on data privacy which are unlikely to change, but that does not constitute a reason for reducing international privacy standards in fundamental ways in order to accommodate or compromise with the inherent or deliberate weaknesses of American privacy protection. That would merely be capitulation.“ 81 Auch der Einfluss des APEC Privacy Framework (eines freiwilligen Regelwerks, das Selbstregulierung als Prinzip fördert und auf verbindliche gesetzliche Regeln verzichtet) auf die tatsächliche Entwicklung des Datenschutzes in den Staaten der Welt wird als sehr gering angesehen. Dem Autor erscheint dies nur logisch: „Why pay attention to non-binding guidelines that no one follows“?82 Insgesamt sieht die Untersuchung „keine guten Gründe für Europa, sich von seinen Datenschutzstandards, die es langsam und relativ konsistent über 40 Jahre hinweg entwickelt hat, zurückzuziehen. Es gibt keine alternativen globalen Standards, die erwägenswert wären.“83 Gleichzeitig sei die DSchKonv „die einzige realistische Möglichkeit, dass sich ein weltweit bindendes internationales Datenschutzabkommen herausbilde. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein neuer UN-Vertrag von Grund auf neu entwickelt werde, ist dagegen extrem klein.“ Im Gegensatz zum EU-Ansatz, der anderen Staaten einseitig die eigenen Standards auferlege (gemeint ist die Prüfung des „vergleichbaren Datenschutzniveaus“ gemäß DSRL durch die Kommission, aber die Aussage gilt natürlich umso mehr für die geplante DSGVO mit ihrem nicht territorial begrenzten Anwendungsbereich), ermögliche die DSchKonv die freiwillige Annahme des Vertrags als Partner auf Augenhöhe.84 Wichtig für einen möglichen Erfolg der DSchKonv als eines weltweiten Datenschutzabkommens sei aber auch, dass die Gesetze in den Beitrittsländern nicht nur auf dem Papier existierten, dass der Europarat eine proaktive Rolle bei der Förderung solcher Beitritte übernehme und dass die Datenschutzstandards nicht im Rahmen der Reform der Konvention verwässert würden.85

IX.

Was ist zu tun?

Das vollumfängliche Vertrauen darauf, dass der Staat alles Erforderliche zum Schutz persönlicher Daten und damit zum Schutz der Individuen in einer digitalisierten Welt tun werde, ist obsolet. Dabei soll und muss man konzedieren, dass dieser Befund nicht

81

Ebd., S. 6.

82

Ebd., S. 18.

83

Ebd., S. 33.

84

Ebd., S. 31.

85

Ebd., S. 32 f.

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darin begründet ist, dass staatliche Stellen und staatliche Amtswalter diesen Schutz nicht gewähren wollten, sondern darin, dass sie es nicht (mehr) können. Hoffnungsvolle Ansätze zum Datenschutz sind vorhanden, aber die Regelungsreichweite ist sehr begrenzt. Solange diese hoffnungsvollen Ansätze sich nicht verfestigt haben und zur multinationalen Realität geworden sind, ist jeder Einzelne dazu aufgerufen, seinen individuellen Umgang mit Daten, mit Datenverarbeitung und mit Datenpreisgabe verantwortlich für sich selbst zu regeln. Nur vor einem derart vom Individuum vorgeprägten strukturierten Hintergrund wird staatlicher Datenschutz sich überhaupt in Zukunft entfalten und behaupten können. Selbstschutz in der digitalen Datenwelt erfordert mindestens drei elementare Entscheidungen: Erstens die Entscheidung, welchen Teil der eigenen persönlichen Daten man bewusst preiszugeben bereit ist, und zwar nicht nur bei sozialen Netzwerken, sondern im normalen Privat- und Geschäftsverkehr (Stichwort Payback-Karte haben oder nicht haben, bei Gewinnspielen die persönlichen Daten offenlegen etc.). Dieser Gedanke fußt auf der These, dass die Gesamtheit dessen, was wir heute als persönliche Daten begreifen, auf Dauer in einer digitalisierten Welt nicht dem Zugriff Dritter entzogen werden kann. Zweitens die Entscheidung, den danach verbleibenden (also radikal verkleinerten) Bestand persönlicher Daten, die kraft eigener Entscheidung unbedingt und ausnahmslos geschützt sein sollen, durch aktives Tun bzw. Unterlassen zu schützen. Drittens die Entscheidung, wo und wie eine Entnetzung vollzogen werden soll, also welche Kommunikation wieder per klassischem Brief erfolgt oder auf welche technischen Features von Kommunikationsgeräten man verzichten will, um diesem Gerät nicht ausgeliefert zu sein. Diese letztgenannte Bewusstseinsschärfung ist aber nicht nur eine relativ simple Entscheidung über Kommunikationsformen oder über die Teilnahme an sog. „sozialen“ (?!) Netzwerken, sondern darüber hinaus ein gesellschaftspolitisch relevanter Schritt zurück zum individuellen, empathischen Umgang mit Mitmenschen, während die digitalen Optionen dort ausgelebt werden sollen, wo sie hingehören: nämlich in den technischen, geschäftlichen und organisatorischen Sektoren. Vor diesem Hintergrund muss man wohl zu der Folgerung gelangen, dass die geplante europäische DSGVO in der Gesamtschau positiv zu werten ist, und zwar selbst dann, wenn die gegenwärtig (aus deutscher Sicht) noch vorhandenen Mängel wider Erwarten nicht behoben werden könnten. Denn besser folgt man einem einheitlichen europarechtlichen Ansatz, der einige Mängel und in Teilen wohl auch einen Rückschritt beinhaltet, als dass man weitere Jahre mit der Suche nach der noch besseren Lösung vertut, die dann in der inzwischen wieder fortgeschrittenen Realität ihre Wirkungslosigkeit so bescheinigt bekommt, wie es 2013 mit dem aktuellen Datenschutzreglement durch die Erkenntnisse über weltweit aktive Geheimdienste geschieht. Die DSGVO ist also ganz gewiss kein Allheilmittel (das gibt es im digitalen Datenzeitalter nicht und wird es wohl nie geben), aber die DSGVO ist auch kein Rückschritt. 318 Generiert durch Universität Leipzig, am 02.03.2023, 21:45:56. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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Einerseits sollte es möglich sein, im politischen gesetzgeberischen Diskurs die aus deutscher Sicht inakzeptablen Elemente noch einzuschleifen, andererseits ist die Chance europaweiter Harmonisierung im Falle der Datensicherheit ein unschätzbarer Vorteil – und der Geltungsanspruch nach dem „Marktortprinzip“ erst recht. Die Probleme liegen bei denen, die ihre Daten unbedacht und ohne Not preisgeben, und sie liegen bei den Akteuren, die – ob staatlich oder kommerziell – sich Daten unrechtmäßig bzw. in rechtlichen Grauzonen beschaffen und zu ihrem Nutzen gebrauchen. Das Bewusstsein für diese Fakten ist 2013 in entscheidendem Maße gewachsen. Das sollten wir nutzen.

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Von „Big Brother“ zu „Big Data“ Die Jagd auf Privatheit ist offen. Die Medien jagen mit. Norbert Schneider Lange galt die Erkenntnis, dass die Wertvorstellungen einer Gesellschaft weitaus stabiler sind, als gelegentliche Ausschläge oder öffentliche Aufwallungen angesichts von Ereignissen vermuten lassen, die man dann gerne mit dem Etikett „Tabubruch“ belegt hat. Mit dem Aufkommen der Massenmedien gibt es Anzeichen dafür, dass für moderne Gesellschaften, deren öffentlicher Diskurs von diesen Medien beherrscht wird (und die man deshalb auch Mediengesellschaften nennt), diese Annahme nicht mehr uneingeschränkt gilt. Diese Medien tragen, bei allem, was sie sonst noch bewirken, offenbar auch zu einer Beschleunigung des Wertewandels bei. Als steter Tropfen so gut wie durch spektakuläre Angebote.

I. Diese Erosionskompetenz gilt auch für eine Unumstößlichkeit westlicher Gesellschaften, die sich fast zwei Jahrtausende als hart und widerstandsfähig erwiesen hat: die Aufteilung des Lebens in res privata und res publica. Sie vollzog die Annahme, es müsse für ein gedeihliches Zusammenleben der Menschen einen Bereich, eine „Sphäre“ geben, über deren Zugang nur der verfügt, der sich in ihr aufhält, eine Privatsphäre also, die dem Einblick und dem Zugriff Dritter solange entzogen bleibt, als der „Privatier“ sich in seinen „Vier Wänden“1 aufhält und sich insofern der Öffentlichkeit verweigert. Es gab einen Konsens, dass man diese Trennung von privat und öffentlich – so häufig es auch historische Verschiebungen gab und so unscharf beide Begriffe und damit auch beide Sphären im konkreten Leben auch sein mögen – nicht einfach beiseite schieben kann, wenn einem der Sinn danach steht oder weil man sie für überholt hält. Immerhin werden Kernbereiche der Privatsphäre wie die eigene Wohnung oder bestimmte Formen und Orte der Kommunikation durch die Verfassung explizit geschützt. Und es handelte sich um eine dieser gesellschaftlichen Verabredungen, ohne die keine Gesellschaft in Frieden leben kann. Dieser Konsens bröckelt. Unter dem Druck der Massenmedien und mehr noch durch Auswirkungen der social media kam – und kommt es zunehmend – zu einer erheblichen Grenzverschiebung zuungunsten von Privatheit, was zugleich zu einer „Überfüllung“ der öffentlichen Sphäre führt. Manches deutet darauf hin, dass diese Verschiebung anders als frühere Verschiebungen irreversibel ist, als Resultat bestimmter digitaler Technologien, die nicht mehr aus der Welt zu schaffen sind. Mittlerweile erregt man kaum noch Aufsehen mit der (Post-Privacy-)These, Privatheit habe sich erledigt.

1

Der Begriff ist erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts belegt.

https://doi.org/10.5771/9783845251707-321 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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Die Medien leisten zu dieser Entwicklung einen steten, den Tropfen höhlenden Beitrag. Zugleich bieten sie Programme an, in denen sich die Entwicklung verdichtet und mit denen sie einen Sprung macht; und dies nicht nur im Urteil professioneller Beobachter, sondern sichtbar und fühlbar für nahezu jeden. Solche Ereignisse zeichnen sich meist dadurch aus, dass man sie in ihrer vollen Tragweite erst ex post erkennt.

II. Ein solches Ereignis, ein Beispiel für die Beteiligung der Medien am Wertewandel und zugleich ein solcher Sprung in der Geschichte der Balance von Privatheit und Öffentlichkeit ist das Format „Big Brother“, das in Deutschland erstmals im Jahr 2000 von RTL II ausgestrahlt worden ist. Schon im Vorfeld der Ausstrahlung von „Big Brother“ – der Titel spielt provokant-ironisch auf George Orwells 1984 an – hatte es auf der Basis des holländischen Programms (man höhnte daher auch über einen neuen „Abfall der Niederlande“) eine polarisierte Debatte gegeben. Während das eine Lager vermutet hatte, hier werde die Menschenwürde verletzt, verstieg sich die Begeisterung des andern bis zu der Forderung, man möge das Format mit einem Deutschen Fernsehpreis auszeichnen.2 In dieser Debatte spielten die Landesmedienanstalten eine zentrale Rolle, weil sie zu denen gehörten, die im Zweifel eine Ausstrahlung von „Big Brother“ hätten verhindern können. Nun gab es unter diesen Anstalten keine, die nach einer öffentlichen Auszeichnung gerufen hätte. Dafür umso mehr solche, die das übliche Prüfungsdilemma beredt artikulierten: so recht gefallen will uns das nicht, aber wir können auch so recht nichts dagegen unternehmen. Diejenigen, die in der völligen Ent-Privatisierung von Lebensvollzügen einzelner Menschen und ihrer öffentlichen Zurschaustellung eine Verletzung der Menschenwürde vermuteten – ich habe zu diesen gehört –, sahen sich nicht nur mit dem Totschlag-Einwand konfrontiert, ob sie es nicht eine Nummer kleiner hätten. Man hielt ihnen auch vor, die Mitwirkenden hätten ausdrücklich allen Prozeduren der Selbstentblößung zugestimmt. Alles sei auf der Basis von Freiwilligkeit ins Werk gesetzt worden. Niemand werde zu etwas gezwungen. Und wäre nicht auch zu bedenken, so hieß ein intern immer wieder ins Spiel gebrachtes Argument, was passieren würde, wenn die Medienaufsicht vor Gericht unterliegen würde? Hätte man da der Idee von der Unverletzlichkeit der Menschenwürde nicht einen Bärendienst erwiesen, weil nach einer Niederlage vor Gericht – und die könne man ja nie ausschließen – im Fernsehen mehr denn je erlaubt sein würde? Im Abwägen immer besonders stark, hat die Gemeinschaft der Landesmedienanstalten sich schließlich nicht dazu verstehen können, was Wolfgang Thaenert, der für RTL II zuständige „Aufseher“, bis zum Schluss von ihr erwartet hat: zu einem Verbot. Sie hat „Big Brother“ am Ende, wie so vieles natürlich auch diesmal hörbar zähneknirschend, „durchgewinkt“. Ob es sich um eine Verletzung der Menschenwürde gehandelt haben

2

322

Vgl. dazu Schneider, Das Hühnerstall-Syndrom, Süddeutsche Zeitung vom 12. September 2000 und ders., Big Brother – war da was?, Wissenschaftszentrum NRW, Das Magazin 4/2000 vom 8. September 2000.

https://doi.org/10.5771/9783845251707-321 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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könnte, musste nach dieser Entscheidung nicht mehr geklärt werden. Wo es keinen Kläger gab, musste sich auch das höchste Gericht nicht den Kopf zerbrechen. Denn bei ihm wäre eine Klage, wenn auch auf einem Rechtsweg von beträchtlicher Länge, am Ende gelandet. Der Verzicht auf ein Verbot – es wäre übrigens andernfalls das erste Format-Verbot gewesen – hatte zwar auch einige beachtliche Argumente auf seiner Seite, institutionsgeschichtlich steht es indes eher für die Skrupulanz und die Bänglichkeit von Aufsichtsgremien, gesellschafts- und mediengeschichtlich für Kurzsichtigkeit. Es fehlte vor allem ein Gefühl dafür, was auf dem Spiel stand und was heute mit Händen zu greifen ist: dass mit dem Verzicht auf ein Verbot im Verhältnis von medialer Kommunikation und Privatsphäre zwar nicht das erste Mal, aber das erste Mal massiv sichtbar und ohne öffentlichen Aufstand eine rote Linie überschritten worden ist. Ein umfassend verstandenes bzw. von den Produzenten von „Big Brother“ in Anspruch genommenes Transparenzgebot hatte dem Gedanken vom Wert einer Trennung von Privatsphäre und öffentlichem Raum einen schweren Schlag versetzt.3

III. Eine der Folgen des aufsichtlichen Umgangs mit „Big Brother“ war, dass das Thema „Menschenwürde“ im Kontext von Fernsehprogrammen in den Folgejahren kaum noch eine Rolle gespielt hat. Denn was hätte noch als Verletzung erscheinen können, wenn „Big Brother“ keine war? Nicht weniger folgenreich war, dass beides, das schamlose Sich-Anbieten und das un-verschämte Ausbeuten von Privatheit, von der sowohl „Big Brother“ als auch sein Erfinder Jon de Mol lebten, sich weiter „normalisiert“ haben: ein Exempel für „flexible Normalität“ (Jürgen Lück). Im Jetstream von „Big Brother“ ist vor allem dieses Gefühl gewachsen, es sei weder exhibitionistisch (also eigentlich ir-

3

Damit hat sich als ein weiterer Effekt die Vorstellung befestigt, dass jeder Mensch über die Verletzung seiner Würde ganz allein verfügt, dass Menschenwürde das ist, wofür sie von jedem einzelnen Menschen jeweils gehalten wird. Man kann daher auch mit seiner Würde, sei es aus Not, sei es aus Lust, Geschäfte machen. Sie gilt nicht unbedingt, sie ist abdingbar. Wenn ein Mensch sich, völlig autonom und selbstbestimmt, nicht verletzt fühlt, dann kann niemand sonst eine Verletzung konstatieren. Dann gibt es keine Verletzung. Wäre es so, dann hätte das eine gravierende Konsequenz. Dann hätte der Schutz der Menschenwürde, den die Verfassung durch staatliches Handeln gewährleistet sieht, seinen Sinn verloren. Was es milliardenfach je unterschiedlich gibt, lässt sich nicht mehr schützen. Wenn die Menschenwürde von jedem Einzelnen autonom definiert werden kann, ganz so, wie ihm ums Herz ist, ist sie als gesellschaftliche Basiskategorie, als Referenzgröße für alle, wertlos geworden. Wolfgang Thaenert hat vor allem diese Konsequenz zehn Jahre später noch einmal thematisiert, wenn er feststellt: “[...] das ist kalkulierter Tabubruch. Die Verletzung eines Tabus, der Begrenzung menschlichen Handelns, der strengen Konvention, des Verweises, was nur im Privaten stattfinden darf, garantiert öffentliche Aufmerksamkeit. Es ist ein Tabubruch im doppelten Sinne: Zunächst, indem das Private, das auf den Bildschirmen eines Millionenpublikums sichtbar wird, mit dem Hinweis der Freiwilligkeit gerechtfertigt wird. Damit wird die Würde in die Selbstbestimmung des Einzelnen gestellt und ist als anthropologische Konstante, wie das Grundgesetz sie verankert, aus dem Spiel – und das ist das zweite Tabu, das verletzt wird.“ (Thaenert, Wirklich wahr und gut? Anmerkungen zur Fernsehunterhaltung, in: Gerd Hallenberger (Hrsg.), Gute Unterhaltung, Konstanz 2011, S. 211).

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gendwie unanständig) noch genant (also eher zu unterlassen), sich überall und jederzeit mit allem, was man hat, öffentlich zu präsentieren. Doch genau dieses Gefühl, dass Selbstentblößung etwas Normales, Unanstößiges sei, technisch gesprochen: das Gefühl für die Harmlosigkeit der Verbreitung eigener Daten, von vielen als eine neue Freiheit gepriesen, ist eine wesentliche Grundlage dafür, dass der inzwischen nicht nur mögliche, sondern auch vollzogene und sogar eingeräumte Zugriff von Wirtschaft und Staat auf Privatheit, realisiert durch die großen sozialen Netzwerke und ihre staatlichen Nutznießer, kaum Aufsehen erzeugt. Der Aufschrei, als Google Häuser und Straßenzüge fotografiert hat, war vergleichsweise schrill, wenn man die beredte Stille dagegen setzt, die Informationen über das Ausspähen von deutschen Bürgern durch US-amerikanische Geheimdienste ausgelöst haben. Obwohl Einigkeit darüber besteht, dass es sich hier um einen Skandal handelt, ist das Interesse in der Bevölkerung an diesem Sachverhalt, der sich um Gesetze und um die Verfassung nicht gekümmert hat, so gering gewesen, dass sich auch ein themenarmer Wahlkampf damit nicht interessanter machen ließ. Das heißt: „Big Brother“ wirkt weiter. Das Argument von damals, es geschehe ja alles auf der Basis der Freiwilligkeit, wird heute – mit der derselben logischen und populistischen Qualität angereichert – durch das Argument ersetzt, nur wer etwas zu verbergen habe, habe auch etwas zu befürchten. Ein schönes Beispiel für eine Umkehr der Beweislast ohne jede Not. Doch hinter diesem Triumph der Transparenz wird mehr und mehr sichtbar: Tatsächlich erfolgt in einem elementar wichtigen Bereich der Privatheit eines Menschen durch digitales Kommunizieren keine Befreiung von den Fesseln der Konvention, kein positiver Schub an Transparenz und schon gar nicht ein Beitrag zur Verbrechensbekämpfung gegenüber unbekannten Tätern. Zu beobachten ist vielmehr die schleichende Befreiung des mündigen Menschen von seiner Mündigkeit. Mit dem Freiheitsversprechen der Verfechter von „Big Brother & Co.“ ist eine Haltung hoffähig geworden, die es nicht nur der Wirtschaft, sondern auch dem Staat leicht macht, die informationelle Selbstbestimmung seiner Bürger – und das heißt: deren Recht auf Privatheit – zu ignorieren. Inzwischen maßt sich dieser Staat, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen, das Recht an, in jeden Winkel jeder einzelnen Privatsphäre hineinzuleuchten. Natürlich nicht, um zu „schnüffeln“, sondern nur um auszuschließen, dass jemand eine unerlaubte Handlung begeht, auch wenn nichts darauf hindeutet. Inzwischen gibt es Orwell nicht als Provokation oder ironisches Zitat, oder gar als ein kleinkariertes TV-Format wie „Big Brother“, sondern als Realität. Dass diese Realität Orwell bei weitem übertrifft, wie heute gerne gesagt wird, wird man nur sagen können, wenn man Orwells Vision für harmlos hält – und damit unterschätzt. Big Data ist, was immer auch sonst noch dazu zu sagen wäre, insofern die konsequente Fortsetzung von „Big Brother“ und nachfolgenden Programmen aus dem Geist dieser Idee, wie etwa bestimmte Real-Life-Formate, die zu nichts anderem taugten als zu Spekulationsobjekten an der Quotenbörse. Die Erlaubnis der Probanden aus dem Container, ihre Privatheit zu vermarkten, mündet problem- und geräuschlos in die Dreistigkeit derer, die meinen, Privatheit habe sich, zum Glück, erledigt und sei, wenn sie denn unvermeidbar sein sollte, in den Händen des Staates in den allerbesten Händen.

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Der kleine Unterschied zum Jahr 2000 ist: nun geschieht alles mit neuen, mit digitalen Mitteln, und die Menschenwürde wird nicht mehr von einem Sender und seinem Programm, sondern unter Beihilfe von Konzernen von Staaten verletzt, die eigentlich für ihren Schutz gemacht und legitimiert sind. Sie verhalten sich wie eine Feuerwehr, die ihre eigenen Leute mit der Begründung zu Brandstiftern ausbildet, dass sie auf diese Weise am schnellsten erfahren könne, wo es brennt. Auch jener Orgelton der „Big Brother“-Verfechter, die Gegner dieses „Befreiungsprogramms“ würden doch nur eine alteuropäische „Moralkeule“ schwingen oder mit „Scheuklappen“ leben – schon die Wortwahl deutet an, dass Kommunikation mit Moral offenbar nichts verbinden darf, und dass Pferde mit der Freiheit ein Problem haben –, auch jener Orgelton kehrt wieder: Privatsphäre ist etwas für Moralisten, genauer: für moralisch Verklemmte, die in einem verschwiemelten Gebiet persönlicher Geheimniskrämerei sich einrichten möchten, die sozial „dicht“ machen. Dass etwa das Geheimnis ein Teil des menschlichen Lebens ist, verschwindet hinter einem Transparenzgebot, das in der Ausweitung auf die Privatsphäre immer mehr totalitäre Züge annimmt, das einen Kontrollwahn ideologisch abstützt. Wenigstens darin ist Botho Strauß zuzustimmen, wenn er schreibt: „Vielleicht bleibt noch die eine oder andere Liebesnacht geheim, aber sonst stehen alle Türen offen. Was gäbe es außer Mafiazirkeln, das nicht jedermann zugänglich wäre? Transparenz! Doch was ist aus der Kunst der Diskretion geworden, die einst die Individuen untereinander vor den gröbsten Unverschämtheiten der Selbstentblößung bewahrte? Diskretion wäre heute das zentrale Widerwort zu allem, was da läuft, sich äußert und outet.“4 Privatheit ist als Objekt ökonomischer und staatlicher Begierde für die weitere Entwicklung der digitalen Kommunikationstechniken zu einem Schlüsselbegriff geworden. An der Art und Weise, wie und wie weit sie ihren Raum behält oder für überflüssig erklärt wird, wird man erkennen, ob die Kontrolle der Konzerne (aus wirtschaftlichen Interessen) und die von Staaten (aus politischem Interesse) sich gegen das Bild des autonomen, des mündigen Menschen durchsetzt, ob dieses für überholt erklärte Bild gleichwohl eine Zukunft hat, oder ob die Verfassung nur noch als ornamentale Rhetorik fungiert, bis sie allmählich – von der Kontrollgesellschaft (Deleuze) nicht mehr gebraucht, der die Verfassung seiner Bürger auch ohne Verfassung steuert – in Vergessenheit gerät.

IV. Eine solche Vorstellung klingt nicht nur übertrieben – und sie ist es ja auch immer noch. Sie zieht sich im Internet-Diskurs vor allem den Vorwurf der Einseitigkeit und der Einäugigkeit zu. Um diesem Vorwurf zu entgehen, bekennen daher auch harte Kritiker des Datenraubs und seiner Folgen nach ihrer Kritik nahezu schuldbewusst, dass man bei all dem Negativen doch das Positive nicht übersehen dürfe, die schönen Seiten, die Innovationen, die wirklichen Momente einer neuen Freiheit, die das Internet geschaffen habe

4

Strauß, Der Plurimi-Faktor. Anmerkungen zum Außenseiter (Spiegel-Essay, Der Spiegel 31/2013, S. 112).

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326 und weiter schaffen werde.5 Die scheinbar unwiderstehliche Frage heißt: Bei aller Beachtung des weniger Erfreulichen – macht die Menschheit durch die Digitalisierung nicht wieder einmal einen Sprung? Und diesmal sogar in die richtige Richtung? Das ist so richtig wie der Hinweis, die Kontrollgelüste des Staates seien nun wahrhaftig nichts Neues. Was indes nicht richtig ist, ist die Annahme, es handle sich hier um zwei Seiten einer Medaille, und der Verlust an Privatheit sei der Preis der neuen Freiheit, nicht schön, gewiss, aber doch zu verschmerzen im Vergleich zu dem, was man sich dafür einhandelt. Ich finde, man sollte der Versuchung widerstehen, die negativen und die positiven Effekte der Digitalisierung zu verrechnen, das Minus mit einem Plus zu überbieten. Das Eindringen in die Privatsphäre lässt sich nicht vergleichen mit den Spänen, die fallen, wenn am Holz der Freiheit gehobelt wird. Diese Zimmermannslogik verfehlt den Punkt. Zwar hat das eine mit dem andern insofern zu tun, als der freiheitsbeseelte Nutzer der digitalen Tools, während er nutzt, die Grundlagen dafür schafft, dass man ihn problemlos ausspähen kann. Doch beide Vorgänge finden auf verschiedenen Ebenen statt. Wir haben es nicht mit einer Waage und zwei Schalen zu tun, die in eine Balance zu bringen wären. Das positive Gewicht kann das negative Gewicht nicht aufwiegen, weil auf zwei Waagen gewogen werden muss, die ganz Unterschiedliches gewichten. Unabhängig von all dem Neuen und Erfreulichen erledigt sich die Aufgabe, die Nachteile dieser Kommunikationsmittel zu beseitigen, nicht durch das Erfreuliche und Neue. Nicht der wird glücklich, der vergisst, was angeblich doch nicht zu ändern ist, sondern, vielleicht, der, der einen Gesetzgeber hat, der sich der Sache annimmt. Hier wird nicht bis zur Ausgewogenheit gewogen. Hier ist politisches Handeln gefragt, dessen letztes Ziel ist und bleiben muss, die Unantastbarkeit der Würde des Menschen zu gewährleisten. Weniger denn je geht es auch eine Nummer kleiner.

5

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Eines von vielen Beispielen für das Ab- und Aufwiegen, für dieses „Man muss beides sehen!“ ist ein Gespräch, das Thomas Ramge mit dem Informatiker Johannes Buchmann führt, der unter anderem für das Projekt „Privatheit im Internet“ verantwortlich ist. (in: brand eins vom 30. Juli 2013).

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Nach dem Mandat ist vor den Verhandlungen. Das Transatlantische Handels- und Investitionsprotokoll (TTIP) Verena Metze-Mangold Die öffentliche Debatte zum Vorhaben eines transatlantischen Handelsabkommens hat nicht zuletzt der Rundfunkrat des Westdeutschen Rundfunks (WDR) in Gang gebracht,1 indem er durch seine beherzte Stellungnahme vom 23. April 20132 die öffentliche Aufmerksamkeit auf dieses für den Rundfunk äußerst sensible Thema lenkte. Ähnlich positionierte sich der neu gewählte Intendant des WDR als er in seiner Rede am 17. Juli 2013 zur Übernahme seines Amtes die entscheidende Frage stellte: Ist der Rundfunk eine Ware wie alle anderen? Eine Antwort gab die FAZ unter der Überschrift „Güterabwägung – Was die EU und Amerika in der Welt der Medien trennt“ bereits am 19. Dezember 2005 – wenige Tage, bevor sich die Welthandelsorganisation (WTO) in Hongkong traf: „Um die WTO geht es, werden hier doch weltweit Maßstäbe für den Rundfunk etabliert, was Folgen hat: Folgen für das in Europa kulturell geprägte Verständnis von Rundfunk, das dem amerikanischen Modell, das Rundfunk als reines Wirtschaftsgut ausweist, diametral zuwider läuft. In Honkong verhandelt die WTO über Erleichterungen des Handels mit Kulturellen Dienstleistungen wie Fernsehproduktionen, Werbung und audiovisuellen Formaten. Die Amerikaner sind für eine vollständige Freigabe. Für die Europäische Union stehen zwei Dinge im Vordergrund: der Erhalt ihrer kulturellen Vielfalt und der Wunsch nach internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Als Faustpfand für die europäische Sache gilt die UNESCO-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt, die am 20. Oktober dieses Jahres auf der 33. UNESCO-Generalkonferenz verabschiedet wurde. ‚Die Konvention versteht sich als normatives Element, die Spielregeln der Globalisierung mitzubestimmen’, sagte Verena Metze-Mangold, die Vizepräsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission. Ihr wichtigstes Ziel sei, einen Rahmen zu schaffen, in dem Staaten zum Schutz und zur Förderung ihrer kulturellen Güter eingreifen können, ohne mit Sanktionen ihrer Handelspartner rechnen zu müssen. Früchte kann die Konvention allerdings nur tragen, wenn die 3 Staaten ihren Spielraum nutzen.“

Und das ist die Frage. Dass wir heute geopolitisch in einer völlig anderen Lage sind – nach nur sechs Jahren – ist kein Geheimnis. Wie die letzte Ausfahrt für den Westen kommt das transatlantische Freihandelsabkommen – der alte Traum! – daher, verbunden mit der Hoffnung, jetzt, da die multilateralen Handelsabkommen der WTO ins Stocken geraten sind, mit der größten bilaterale Freihandelszone der Welt die Standards für die aufstrebenden BRICS-

1

Der Beitrag basiert auf einer Stellungnahme der Autorin im WDR-Rundfunkrat vom 18. Juli 2013.

2

Siehe Pressemitteilung des WDR-Rundfunkrats vom 23. April 2013, abrufbar unter http://www. wdr.de/unternehmen/gremien/rundfunkrat/pressemitteilungen/pressemeldung_2013_04_23.jsp.

3

Krüger, „Güterabwägung – Was die EU und Amerika in der Welt der Medien trennt“, in: FAZ, 19. Dezember 2005, S. 38.

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Staaten setzen zu können. Doch wäre ein solches Abkommen eine wechselseitige „Declaration of Dependance“, wie sie Sloterdijk bei der Börne-Preisverleihung am 23. Juni 2013 in der Frankfurter Paulskirche nicht ganz ohne Ironie gefordert hat? Gibt es einen kulturellen Preis für Europa? Ich möchte auf vier Fragen eingehen:

I.

Die grundsätzlichen Prinzipien von Freihandelsverhandlungen und die damit verbundenen Eigendynamik

Wenn wir uns fragen, was im globalen Markt der bestimmende Ordnungsrahmen ist, dann ist es neben dem Regelwerk der Weltfinanzmärkte vor allem die Welthandelsordnung. Beides sind Handelsregime mit der formalen Zielsetzung eines freien Marktzugangs und der Öffnung der Wettbewerbsbedingungen für Anbieter aller WTOMitgliedstaaten (159). 26 Staaten haben Beobachterstatus. Drei Viertel der Welt hat sich diesem Regime schon heute verpflichtet. 134 Staaten haben mittlerweile auch die UNESCO-Konvention für kulturelle Vielfalt ratifiziert. Die meisten dieser Staaten sind beiden Vertragswerken verpflichtet. Was bedeutet das? Das Prinzip der Welthandelsorganisation mit ihren drei großen Vertragswerken GATT (Güter), GATS (Dienstleistungen) und TRIPS (Lizenzhandel) ist die kontinuierliche Liberalisierung. Auch audiovisuelle Dienstleistungen unterliegen der grundlegenden Bestimmung des Art. XIX GATS und damit dem Ziel fortschreitender Liberalisierung der Weltmärkte. Daneben gibt es im Welthandelsregime wichtige Prinzipien, von denen ich zwei erwähnen möchte: •

Nach dem Meistbegünstigungsprinzip (Art. I GATT) müssen Handelsvorteile, die einem Vertragspartner gewährt werden, auch für alle anderen Vertragspartner gelten. Neben dem Meistbegünstigungsprinzip steht das Prinzip der Reziprozität (Gegenseitigkeit), das in mehreren Regeln verankert ist.



Nach dem Prinzip der Inländerbehandlung in Art. III GATT müssen ausländische und inländische Anbieter grundsätzlich gleich behandelt werden.

Im internationalen Handelsrecht ist mit der Annahme des GATS, des WTODienstleistungsvertrags, am 15. April 1994 der gesamte Kultursektor Gegenstand der fortschreitenden Liberalisierung geworden. Die für Europa so typischen kulturpolitischen Regulierungen wurden damit dem internationalen Handelsrecht unterworfen und als potentielle „Handelsbarrieren“ eingestuft. Damit wächst entsprechend des WTOMandats mit jeder neuen Verhandlungsrunde der Druck zu ihrem Abbau. Ausnahmen sind nach den Genfer Regularien möglich, aber auf zehn Jahre begrenzt; Verhandlungsführerin für Europa ist neben den Vertretern der nationalen Wirtschaftsministerien die Kommission, sie hat die handelspolitische Zuständigkeit für die Union in ihrem Außenverhältnis. GATS ist mit seinen zwölf Dienstleistungssektoren, seinen 155 Subsektoren und vier Erbringungsarten („modes“), die man getrost mit den Sektoren multiplizieren kann, ein komplexes und filigranes Vertragswerk, das in Regelungsbereiche anderer nationaler und internationaler Verträge nicht nur überlappt. Es ist ein Vertragswerk, dessen größtes 328

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Manko ist, dass sein Regelungsgegenstand unklar blieb. Das Vertragswerk ist aus den erbitterten Schlachten der Uruguay-Runde als Formelkompromiss hervorgegangen. Die Verhandlungspartner haben es dabei versäumt, die Begriffe „Ware“ und „Dienstleistung“ zu definieren.4 Die Unterscheidung zwischen Gütern und Dienstleistungen unterliegt damit zahlreichen Unsicherheiten, welcher Vertrag ist anzuwenden, GATT oder GATS? Die Abkommen „definieren also nicht wirklich die konkreten Voraussetzungen ihrer Anwendbarkeit“.5 Keines der beiden Vertragswerke gebe in diesem Punkte Aufschluss. Das ist keineswegs nur rechtstheoretisch von Interesse. Ihre politische Brisanz erhält der Tatbestand aus den Unterschieden in der rechtlichen Behandlung der beiden Kategorien. Die Einordnung eines Erzeugnisses hat damit rechtlich unterschiedliche Konsequenzen. Gerade die Einordnungen aber werden mit der Digitalisierung des Mediensektors immer schwieriger. Denn nicht nur ändern sich die Wertschöpfungsketten, in denen Dienstleistungen als Vorleistung zur Güterproduktion einen immer höheren Anteil haben: Die Veränderung der Technik macht es immer schwieriger zu bestimmen, wo der Inhalt endet und der Vertrieb beginnt. Diese Veränderungen sind das Einfallstor für politische Umdeutungen. Begriffe sind alles andere als neutral, hat Habermas einmal gesagt. Und das gilt auch im Handelsrecht und für das transatlantische Handelsabkommen, denn die Prinzipien und Strukturen des internationalen Regimes definieren auch die bilateralen und plurilateralen Freihandelsverhandlungen. Meine zweite Frage:

II.

Was aber sind die Gründe, warum die USA wegen ihrer bisher schon dominanten Rolle ein besonderes Interesse an der noch stärkeren Öffnung der audiovisuellen Märkte in Europa haben?

Die Verhandlungen seien mit „nur einer Ladung Benzin“ durchzuziehen. Bei seiner Rede zur Eröffnung der Münchner Sicherheitskonferenz mahnte US-Vizepräsident Jo Biden zur Eile: keine Bereichsausnahmen, ein sehr allgemeines Mandat. Nur schnelle Verhandlungen könnten helfen, Populisten und Lobbyisten in Schach zu halten. Demokratisch, argwöhnte die SZ, wäre eine in aller Eile aufoktroyierte Freihandelszone wohl eher nicht. Die Antwort auf die Frage, warum die USA ein besonderes Interesse an der Durchsetzung weltweiter Regeln haben, hat der frühere amerikanische Filmlobbyist Jaques Valenti einmal so gegeben: „Manche Menschen verstehen nicht: Wenn Filme per Satellit zeitgleich auf den Erdball abgestrahlt werden, so ist das ein globaler Markt.“ Amerika werde sich seinen Teil holen. Was dem entgegenstehe, erfülle den Tatbestand von Han-

4

So Oeter, Rundfunk als Wirtschaftsgut. Die audiovisuelle Industrie im Visier des Welthandelsrechts, AfP 2005, S. 8.

5

Ebd., S. 8, vgl. auch Oeter/Metze-Mangold, „Zwischen Welthandel und kultureller Vielfalt“, in: Pitzer/Scheithauer (Hrsg.), Im Regulierungsviereck von WTO, EU, Bund und Ländern, Berlin 2006, S. 45–71.

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delshemmnissen. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst? Offenbar hapert es mit den WTOGrundsätzen der Gleichbehandlung und der Reziprozität. Heute ist die amerikanische Tonlage moderaterer. Aber die Gründe bleiben. Der enorme Bedeutungszuwachs, den Kultur in den letzten zwanzig Jahren erfahren hat, und die damit einher gehenden ökonomischen Interessen tun das ihre: Der internationale Handel mit kulturellen und audiovisuellen Produktionen ist ein Wirtschaftsfaktor ersten Ranges, es geht um Hunderte von Milliarden Euro bzw. Dollar jährlich, in den USA handelt es sich um die nach der Luftfahrtindustrie größte Exportindustrie des Landes, in Europa um den beschäftigungs- und wachstumsintensivsten Sektor: Dienstleistungen tragen mit rund zwei Dritteln zum Bruttoinlandsprodukt der Europäischen Union bei.6 Dass es sich bei den Gütern und Dienstleistungen der Kultur, den Diensten der Wissensgesellschaft des 21. Jahrhundert inzwischen überwiegend um elektronische und zunehmend digitale Produkte handelt, hat sich herumgesprochen. Doch handelt sich eben nicht um Handelsgut wie Seife und Schnürsenkel; oder jene der klassischen Telekommunikationsdienste. Kulturelle Güter und Dienstleistungen sind fraglos wirtschaftliche Produkte, aber es sind Produkte mit einer Doppelnatur, die in der politischen Ökonomie auch „meritorische“ Produkte genannt werden, eine Kategorie der öffentlichen Güter, weil ihr gesellschaftlicher „Verdienst“ (merit), ihre gesellschaftliche Bedeutung ihren Warenwert bei weitem übersteigt. In Deutschland fällt einem Ernst-Wolfgang Böckenförde ein. Doch für die Verfechter des Freihandels ist die Ökonomie der Modus für die Organisation menschlicher Bedürfnisse und Handlungsweisen und die Kultur nur ein Anwendungsfall unter anderen. Anders in Europa. Hier ist Kultur der Inbegriff menschlicher Verhaltensweisen und Ordnungen, übrigens auch der Rechtsordnung. Und dieser Begriff schließt auch den Kapitalismus und seine Gebräuche ein – ohne ihm jedoch eine führende, alles regulierende Rolle einzuräumen.7 Der Spannungsbogen besteht international also zwischen der Perzeption der Welt, dem Geist der Kulturen, die in den Handelsrunden bis in die Semantik der Klassifizierungen hinein aufeinanderstoßen. Kein Thema – außer genmanipulierten Lebensmitteln vielleicht – dürfte für die Freihandelsverhandlungen strittiger werden als die Frage, ob der bereits eingeleitete Prozess der Öffnung der Märkte für ausländische Produkte, also Güter und Dienstleistungen, und ausländische Investitionen, die wie inländische zu behandeln wären, „kulturverträglich“ gestaltet werden kann. Meine dritte Frage:

6

Vgl. Metze-Mangold/Merkel, „Magna Charta der internationalen Kulturpolitik“, in: Media Perspektiven Nr. 7, 2006, S. 362 (363 f.).

7

So Siemons, „Vom Geist der Kulturen. Der Kampf der UNESCO um globale Gewaltenteilung“, in: FAZ, 1. Februar 2005.

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III. Was bedeutet die Unterscheidung im Verhandlungsmandat zwischen der Ausnahme für den „audiovisuellen Sektor“ und dem Einbeziehen der „Kultur“ in das Mandat, wenn man die erwähnten Abgrenzungsschwierigkeiten betrachtet? Zunächst einmal bedeutet das eine unterschiedliche Behandlung von Kultur und Medien. Von Kulturpolitik und Medienpolitik. Es bleibt zu prüfen, inwieweit dies unserem europäischen Verfassungsverständnis entspricht: Eine Frage vielleicht für den gleichnamigen Parlamentsausschuss Kultur und Medien des Deutschen Bundestages. Unübersehbar sind die Bemühungen der USA, mit der Begründung der technischen Konvergenz zu einer Re-Klassifizierung im Handelsregime WTO zu gelangen. Als Interpretation boten sie bereits Termini wie „elektronische Güter“ an, um die Dienstleistung dem stärker liberalisierten Warenhandel unterstellen zu können, wenn nicht gleich der weitgehend liberalisierten Telekommunikation. Wo das scheiterte, wurde auch schon überlegt, ein eigenes WTO-Vertragswerk für audiovisuelle Waren und Dienstleistungen zu errichten – sozusagen zwischen dem GATT- und dem GATS-Vertrag. Wie sich diese Strategie in den bilateralen Verhandlungen zwischen der EU und den USA nun auswirken, wird sich erst zeigen. Wo Literatur,8 wo Musik dann bliebe, ist noch nicht ausgemacht: Als „Content-Provider“ des lukrativen audiovisuellen Unterhaltungsbusiness oder abgeschlagen in einer Nische „Sonstige Kulturdienstleistungen“? Entspannung ist jedenfalls nicht angesagt. Die Abgrenzungen von kulturellen Dienstleistungen verlangen damit ein besonderes Augenmerk. Lassen Sie mich das an einem klassischen Kulturdienstleister, den Bibliotheksdiensten erläutern. In der Konvergenz verschwinden die klaren Trennungen von kreativem Inhalt und elektronischem Vertrieb – und das ist das Einfallstor für politische Umdeutungen und Zuordnungen zu Sektoren, die in der Uruguay-Runde bereits weitgehend liberalisiert worden sind. Die möglichen drohenden Konsequenzen für den Buchmarkt – und uns alle – bis in die Struktur des Einzelhandels und jene der Städte hinein – hat Birgit Reuss eindringlich in der Zeitschrift Kultur & Politik des Deutschen Kulturrats dargelegt. Buchmarktpolitik und Bibliotheksdienste werden nicht nur durch globalen OnlineVertrieb, sondern zugleich durch die e-Book-policy ausgehebelt. Der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Hans-Joachim Otto, berichtete am Rande der Börne-PreisVerleihung, er habe den Geschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels sofort nach Mandatserteilung angerufen, die müssten sich jetzt kümmern. Die wohl nicht allein. Sektor für Sektor muss das tun. Vor allem kommt hier eine ökonomische Besonderheit ins Spiel: Kulturgüter sind keine gewöhnlichen Güter. Extrem hohe Vorabkosten, hohe Skaleneffekte, eine hohe Regulie-

8

Vgl. Metze-Mangold, „Literatur und GATS. Die Bedeutung der GATS-Verhandlungen für den Erhalt der Vielfalt und Qualität der deutschen Gegenwartsliteratur“, in: Kulturpolitische Mitteilungen 109, II/2005, S. 32–39.

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rungsresistenz und verschiedene Flaschenhälse beim Zugang zu den Plattformen des Internet begünstigen eine vielfaltsverkürzende Konzentration gerade bei den kulturellen Dienstleistungen und den neuen Medien. Diese ökonomische Besonderheit leistet Oligopolen Vorschub. Angesichts ihres Bedeutungsgewinns gegenüber dem traditionellen Rundfunk führt dies längerfristig zu einer verminderten Vielfalt des rezipierten Kulturund Medienangebotes insgesamt und damit auch der öffentlichen Kommunikation, besonders bei der jungen Generation, die sich bereits heute überwiegend über die neuen Medien informiert und ausdrückt.9 Vielfalt ist über den Markt allein nicht gewährleistet. Das Gegenteil ist der Fall: Ökonomen sprechen von einem „Failed Market“ und „Curious Economics“.10 Das Verhandlungsmandat erstreckt sich mit Ausnahme des audiovisuellen Sektors auf den gesamten Kultursektor. Zum Schutz der Kultur nützt meines Erachtens auch nicht die Vorkehrung im Mandat, dass bisherige Förderinstrumente unangetastet bleiben sollen. Das ist die Politik der Glasglocke für lineare Dienste, die die digitalen Dienstleistungen nicht betrifft. Ein gefährlicher Spaltpilz. Meine vierte und letzte Frage und die Antwort nur ganz knapp:

IV.

Was sind – trotz Mandatsausnahme – die besonderen Gefahren für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch TTIP?

Wenn der Kultursektor bei dem für die Verhandlungen seitens Europa erteilten Mandat anders als der audiovisuelle Sektor nicht ausgenommen worden ist, stellt das die Frage nach den Beziehungen der Sektoren untereinander und ihren Überlebensbedingungen. Das betrifft zunächst ganz schlicht die Frage der Finanzierung des audiovisuellen Sektors. Die Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seine Finanzierung durch Abgaben stehen in Art. 36 Freihandelsmandat mit zur Diskussion, wo es um Unternehmen geht, die mit Aufgaben im öffentlichen Interesse betraut sind. Das kann eine erneute Beihilfedebatte bedeuten. Der Kultursektor – nicht ausgenommen – und der audiovisuelle Sektor – ausgenommen – sind bekanntlich eng verzahnt und begrifflich kaum zu trennen. Erwähnt seien nur die vielen freien Mitarbeiter in Literatur und Musik. Eine unterschiedliche Behandlung beider Sektoren kann zu wechselseitigen spill-over-Effekten führen, und solche Effekte würden auch die Interessen des ausgenommenen audiovisuellen Bereichs tangieren.

9

Vgl. das Kapitel „Elektronische Medien“ in dem Weißbuch „Kulturelle Vielfalt gestalten. Handlungsempfehlungen aus der Zivilgesellschaft zur Umsetzung des UNESCO-Übereinkommens zur Vielfalt kultureller Ausdrucksformen (2005) in und durch Deutschland“, Weißbuch, Bonn 2009.

10

So Grant und Wood, „Blockbusters and Trade Wars. Popular Culture in a Globalized World“, Vancouver 2004, S. 42 ff.; so auch Smiers, „Artistic Expressions in a Globalized World“, Utrecht 2004 oder Caves, „Switching Channels. Organization and Change in TV Broadcasting“, Workshop Paper, Cultural Policy Center, The University of Chicago, 6. Mai 2005.

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Zudem ist das Prinzip des Medienpluralismus als Schutzziel in den Leitlinien für die Verhandlungen nicht verankert worden. Gerade angesichts der Oligopol- und Konzentrationstendenzen im globalen Medienumbruch hat sich der Europarat zur Notwendigkeit des Schutzzieles von Medienpluralismus geäußert. Fehlt das Schutzziel, ist es nahe liegend, dass es mit der Umsetzung eines westlichen Freihandelsabkommens zu weiteren Liberalisierungen von Dienstleistungen und Diensten und zum Abbau von kulturellen Schutzstandards kommt. Diese Entwicklung ist umso wahrscheinlicher, als die europäische Rechtsarchitektur im Umbau begriffen ist und gleich drei einschlägige Großbaustellen aufweist. Die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie) soll der Revision unterzogen werden. Diese Revision aber steht ganz am Anfang. Ein Investitionsschutz für USamerikanische Medienansiedelungen im Rahmen eines Freihandelsabkommens könnte die Durchsetzung eines auch künftig geltenden europäischen Ansatzes zur Inhalte- und nicht technologiebezogenen Medienregulierung vereiteln, mindestens erschweren. Die europäische AVMD-Richtlinie folgt wie jene zu e-Commerce einem auf Inhalte bezogenen Regulierungsansatz. Und das ist nur eine von drei europäischen Baustellen. Um den Revisionsbedarf insgesamt zu überprüfen, der sich aus der Rasanz des technischen Fortschritts ergibt, hat die Europäische Kommission das „Grünbuch über die Vorbereitung auf die vollständige Konvergenz der audiovisuellen Welt: Wachstum, Schöpfung und Werte“ aufgelegt – manche nannten es auch das Grünbuch zu Connected TV –, das bis Ende September zur Kommentierung offen war. Schließlich liegt die europäische Datenschutzverordnung als Entwurf zur Vereinheitlichung des Datenschutzes auf dem europäischen Binnenmarkt seit Januar 2012 vor. Findet sie in Rat und Parlament Zustimmung, ist die Verordnung unmittelbar europäisches Recht. Aus Sicht von ausländischen Investoren wäre ein einheitliches europäisches Datenschutzrecht an Stelle von 28 Rechtsordnungen zweifellos von Vorzug; von Vorzug aber wäre das in Europa aus gesellschaftspolitischer Perspektive nur dann, wenn das ohnehin in unvorstellbarer Weise von Staaten und global agierenden Konzernen unterlaufene Schutzniveau mit der Verordnung nicht weiter gesenkt wird. Und angesichts all dieser offenen Flanken stellt sich die Frage: Was bedeutet der Hinweis von Handelskommissar Karel De Gucht, es gebe im europäischen Mandat für die Verhandlungen des Freihandelsabkommens keine Ausnahme, könne sie gar nicht geben, weil es ja gar keine Regulierung für die konvergenten Medien gebe?: „As regards audiovisual services, what is really at stake in this sector is the digital revolution of the media environment. But there is currently no EU legislation on digital media. The European Commission has recently invited all interested parties to comment on a Green Paper on this issue. Hence, we do not want to treat it now, but come back to the matter at a later stage. Let me be clear: this is not a carve-out. Audiovisual services are presently not in the mandate, but the mandate clearly indicates that the Commission has the possibility to come back to the Council with additional negotiating directives after on the basis of a discussion with our US counterparts.

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We are ready to discuss it with our American counterparts and to listen to their views on this issue. That’s when we’ll come to a conclusion on if we will ask for additional negotiating directives.“

Strittig bleibt die Frage der Trennlinie von Wirtschafts- und Kulturpolitik. Und da hat Europa zu Beginn seiner transatlantischen Freihandelsverhandlungen drei große Baustellen. In Zeiten der Konvergenz ist das nicht trivial. Denn das heißt nichts anderes, als dass wir im Moment nicht klar definieren können, wie wir das europäische Gesellschaftsmodell selber verstehen. Der Positionswechsel der Binnenmarktkommissarin Neelie Kroes in Sachen Netzneutralität im Mai 2013 ist da nur ein Beleg. Aus meiner Sicht erweist sich, dass der europäische – inhaltlich und eben nicht technologisch definierte – Regulierungsansatz der AVMD-Richtlinie einer europäisch geprägten Klassifizierung elektronischer Kommunikationsdienstleistungen den Weg weisen könnte. Die EU-Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste steht da in einer Linie mit dem jüngsten UNESCO-Kulturabkommen, der „Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksweisen“ und setzt diese als europäische Rahmenregelung insofern um. Dies ist freilich noch nicht überall verstanden worden. Dem Regelungsrahmen steht eine Überarbeitung bevor. Das Ergebnis wird ein Indikator sein, in welche Richtung sich europäische Medienregulierung entwickelt. Die entscheidende Herausforderung ist eine politische: Die nationale, europäische und – wo möglich – internationale Kulturpolitik muss heute einen ebenso breiten Konsens herstellen wie es jener war, auf dem vor sechzig Jahren die internationale Handelsordnung aufgebaut wurde. Wenn richtig ist, dass mit der Finanzkrise auch der Höhepunkt des Einflusses neoliberalen Denkens überwunden worden ist und im Zuge der NSAAffäre die Sensibilität für die Gefährdung unserer gesellschaftlichen Vorstellungen und Freiheitsrechte in der digitalen Welt wächst, sind die europäisch-amerikanischen Verhandlungsrunden ein historischer Prüfstein dafür wo wir stehen.

V.

Fazit

Aus 20 Jahren WTO lässt sich etwas lernen: Egal über welche Bande gespielt wurde, immer ging es um die Beseitigung von kulturellen Handels- und Investitionshemmnissen; von den GATS-Verhandlungen über das MAI, das Multilateral Agreement on Investments, in letzter Minute transparent geworden (Auslöser letztlich für den politischen Willen, einen kulturpolitischen Völkerrechtsvertrag auf Augenhöhe zu den Welthandelsverträgen abzuschließen), bis zu ACTA, das im Shitstorm der Netzgemeinde unterging. Aber vielleicht lernen wir nur in solchen Prozessen, dass Kulturproduktion heute ganz eigenen Markt- und Verwertungsmechanismen unterliegt, die der Bildung von Marktmacht Vorschub leisten und die massiven Konzentrationsprozesse erklären, die der ka-

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https://doi.org/10.5771/9783845251707-327 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

335 nadische Lawyer Peter S. Grant in seinem Bestseller „Blockbusters and Trade Wars“11 so anschaulich beschreibt. Und vielleicht lernen wir auch nur in epochalen Phasen des Umbruchs, dass Kultur in sich wandelnden Gesellschaften eine Schlüsselrolle spielt. Denn sollten die Gesellschaften nicht, wie Dick Stanley in „The Three Faces of Culture“ schreibt, in der Lage sein, mit ihren eigenen Kriterien und Bedeutungen diesem Wandel entgegenzutreten, kann dies zum Fiasko werden. Das Rechtssystem, das Enzensberger ausdrücklich als Teil unserer Kultur begreift, ist ebenso kulturgeprägt wie es kulturprägend ist. Kommt die größte Freihandelszone der Welt zustande, wird sie einen Rechtsrahmen vorgeben, der unsere künftige Kulturproduktion definiert. Lesen wir also das Mandat zu den Verhandlungen des transatlantischen Freihandelsabkommen, lernen es verstehen, klären das Verhältnis von Kulturproduktion und Kulturpolitik und begleiten die Verhandlungen an der Seite des Europäischen Parlaments mit der offensiven Forderung nach Transparenz. Das bis zum Thema Netzneutralität modernste multilaterale Rechtsinstrument für Kulturpolitik ist die Konvention für kulturelle Vielfalt. Die Europäische Union hat dieses multilaterale Abkommen mitverhandelt, ratifiziert und in die europäische Rechtsarchitektur integriert. Wir haben damit ein Völkerrechtsprivileg. Es zu nutzen, halte ich für eine erstrangige politische Entscheidung.

11

Vgl. Fn. 9.

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Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages Erfolgreiches Wirken zu Grundsatzfragen der Digitalisierung mit neuen Formen der Bürgerbeteiligung Wolf-Dieter Ring

I.

Wolfgang Thaenert

Wolfgang Thaenert war beim Aufbau der zweiten Säule unserer Rundfunklandschaft, dem Privaten Rundfunk, von Anfang an dabei und hat in unterschiedlichen Funktionen einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der dualen Rundfunkordnung in Deutschland geleistet. Das gilt natürlich im Besonderen in ordnungspolitischen Positionen und Fragen der Aufsicht. Ich habe Thaenert in vielen Aktivitäten seit Mitte der Achtzigerjahre erlebt und dabei sein fundamentales Interesse an der Bewältigung auch neuer Fragestellungen und seine medienrechtliche und medienpolitische Kompetenz schätzen gelernt. Im Kreise der Kollegen zeichnete er sich durch hohe Sachkenntnis aus, immer bestens vorbereitet, diskussionsfreudig und auch gemeinschaftsorientiert ohne die föderale Basis unserer Rundfunkordnung außer Acht zu lassen. Die Zusammenarbeit mit ihm war vom Ziel getragen, zu gemeinsamen Positionen der Landesmedienanstalten zu kommen, ein nicht immer leichtes Unterfangen. Die Tätigkeit als Europabeauftragter der DLM nahm er mit großem Einsatz und hoher Anerkennung der europäischen Partner war, neben seiner Tätigkeit als Honorarprofessor ein Beleg für seine vielfältigen Interessen über die Funktion als Direktor der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien hinaus. In Zeiten der grundsätzlichen Veränderung unserer Medienlandschaft sind solche Aktivitäten für die Zukunft der Aufsicht von entscheidender Bedeutung. Die Landesmedienanstalten müssen an vielen Stellen der Gesellschaft ihre Erfahrungen einbringen können und bei der Gestaltung einer veränderten Medienordnung mitreden. Die Verbindung von rechtlicher und wissenschaftlicher Vertiefung und Praxisnähe ist eine gute Grundlage, die komplexen und umfassenden Auswirkungen der Digitalisierung und Globalisierung sachgerecht zu erfassen und entsprechende Vorschläge zur Weiterentwicklung unserer Medienlandschaft in die rechtspolitische Diskussion einzubringen. Bemerkenswert ist die Veranstaltungsreihe an der Uni Kassel, Institut für Wirtschaftsrecht, an der die LPR Hessen ebenso mitwirkt wie das EMR und die juristische Gesellschaft zu Kassel. Die Themen dieser Reihe „Brennpunkt Medien und Recht“ reichen von Urheberrechtsfragen, Fragen des Jugendschutzes im Netz, Netzneutralität als Grundrecht?, bis hin zu Themen wie „soziale Netzwerke und Datenschutz“ und „liquid democracy“. In allen diesen Themen ist Thaenert mit zum Teil leidenschaftlichen Beiträgen dabei. Ich freue mich, wenn Thaenert solche Aktivitäten beibehält zum Nutzen einer komplexen Diskussion. Vielleicht helfen die Beiträge der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“, die eine vertiefte Befassung verdienen, zumal sie auch zu den Themen der Reihe an der Uni Kassel wichtige Erkenntnisse liefern.

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II. Verfahrensweise der Enquete-Kommission 1.

Bürgerbeteiligung

„Die Enquete-Kommission ‚Internet und digitale Gesellschaft‘ ist die unterschätzte Keimzelle für die Erneuerung des Parlamentarismus“ (Wolfgang Blau, Chefredakteur Zeit online). Eine sehr weitreichende Bewertung. Aber in der Tat, die EnqueteKommission hat in ihrer Arbeitsweise Neuland betreten. So wurden neue Formen der öffentlichen Kommunikation erprobt und damit mehr Transparenz der parlamentarischen Abläufe ermöglicht. „Bei der Erkundung neuer Kommunikationsformen und neuer Wege politischer Willensbildung überschritt die Kommission bislang bewährte Grenzen“, so die Formulierung im Schlussbericht (vgl. BT-Drs. 17/12550 II. 2. mit weiteren Aussagen). Die Enquete-Kommission tagte öffentlich, anders als bisherige EnqueteKommissionen, alle Sitzungen wurden live oder zeitversetzt online übertragen. Auch viele Projektgruppensitzungen wurden öffentlich abgehalten. Entscheidend aber waren die neuen unter Nutzung der digitalen Technik praktizierten Beteiligungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger, vor allem über die Internetplattform enquetebeteiligung.de unter Nutzung des Beteiligungstools Adhocracy in Zusammenarbeit mit dem gemeinnützigen Verein Liquid Democracy. Es wurde eine auf die Bedürfnisse der Kommissionsarbeit zugeschnittene Anwendung entwickelt, später übernahm der Verein zusätzliche Kosten (vgl. Schlussbericht unter III.1). Die Plattform enquetebeteiligung.de war keine offizielle Plattform des Deutschen Bundestages. Der Ältestenrat des Deutschen Bundestages hatte eine offizielle Beauftragung abgelehnt. Dies belegt, wie kontrovers man teilweise mit solchen Plattformen umging. Dabei ist auch zu konstatieren, dass hier ein Verein eine maßgebliche Rolle spielte, dessen Strukturen nicht so bekannt waren und daher Einflüsse auf die Arbeit der Kommission intransparent sein könnten, so eine interne Kritik. Bei der praktischen Mitwirkung konnten solche Sorgen weitgehend widerlegt werden. Der Verein hat vielmehr tatkräftig und sachgerecht aufgrund vieler Erfahrungen an den Beteiligungsfragen positiv mitgewirkt. Zu den Erkenntnissen aus der Bürgerbeteiligung gehört auch, dass das Interesse der Öffentlichkeit an einer Textarbeit gering war. Das Experiment einer Textwerkstatt, das Bürgerinnen und Bürger einlud, ein ganzes Kapitel selbst zu verfassen, fand nur geringe Resonanz, die sog. Blogparade mit der Möglichkeit einen Beitrag zu einem vorgegebenen Thema zu schreiben, der dann im Bericht einer Projektgruppe dokumentiert würde, war durchaus erfolgreich (vgl. Projektgruppe Kultur, Medien und Öffentlichkeit, die diese teilweise neuen Möglichkeiten eröffnet hatte, BT-Drs. 17/12542). Die praktischen Ergebnisse der Beteiligung lassen nur den Schluss zu: Das Experiment ist grundsätzlich geglückt. Die positiven Erfahrungen der Enquete-Kommission haben bereits Eingang in die Arbeit des Bundestages gefunden und sind bei neuen EnqueteKommissionen bereits Praxis (vgl. Schlussbericht unter II 2 a. E.). 2.

Transparenz

Eine qualifizierte und zielführende Beteiligung der Öffentlichkeit ist nur möglich, wenn größtmögliche Transparenz über Diskussionsprozesse und gefundene Positionen, vor 338

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allem in einem frühen Stadium der Tätigkeit hergestellt wird. Dies ist durch eine Reihe von Maßnahmen gelungen, so z. B. durch umfangreiche Berichte über jede öffentliche und nichtöffentliche Sitzung der zwölf Projektgruppen, die die wesentlichen Positionen und Texte verfasst haben. Der Bericht der Kommission entspricht diesem System und gibt – ohne dass eine inhaltliche Zusammenfassung aller Ergebnisse möglich war – die Ergebnisse jeder einzelnen Projektgruppe wieder. Aber auch einzelne Beiträge von Mitgliedern waren fast immer sofort öffentlich. Für mich, der ich als Sachverständiger in der Kommission in verschiedenen Projektgruppen mitgearbeitet habe, war das eine sehr ungewöhnliche Situation, einmalig im bisherigen Berufsleben und sehr gewöhnungsbedürftig. Aber nach einer schwierigen Anfangsphase wurde das selbstverständliche Praxis, die meine Mitwirkung nicht beeinträchtigt hat.

III. Zusammensetzung der Kommission Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ wies viele Unterschiede zu den 22 bislang eingesetzten Enquete-Kommissionen auf. Bemerkenswert war ihre heterogene Zusammensetzung: unter den 17 Abgeordneten und 17 Sachverständigen fanden sich IT-Unternehmer, Programmierer, Journalisten, Künstler und Historiker, Juristen, Lehrer, Wissenschaftler, Blogger, Ingenieure, Gewerkschafter und Verbandsvertreter. Insgesamt waren 29 Berufe in der Kommission vertreten. Das Altersspektrum der Mitglieder reichte von 34 bis 71 Jahre, das Durchschnittsalter lag bei etwa 45 Jahren (vgl. Schlussbericht BT-Drs. 17/12550 unter II.1). Die ungewöhnliche Vielfalt in der Zusammensetzung entspricht dem Anspruch der Kommission, die Vielfältigkeit der Digitalisierung in unserer Gesellschaft widerzuspiegeln. Diese Zusammensetzung eröffnete die Chance, einen intensiven Dialog zu führen zwischen Vertretern mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen und Prägungen (vgl. Schlussbericht, Interview mit dem Autor dieses Beitrags unter V. 1.1.15).

IV. Wesentliche Erkenntnisse und Ergebnisse der Tätigkeit der Kommission 1.

Allgemeine Bewertung

Während ihrer dreijährigen Arbeitszeit legte die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ zwölf Zwischenberichte, einen Tätigkeits- und einen Schlussbericht vor. Diese breit angelegte Tätigkeit gründete sich auf den Auftrag des Deutschen Bundestages im Einsetzungsbeschluss vom 4. März 2010 mit einem komplexen Untersuchungsauftrag (vgl. BT-Drs. 17/950). Der besondere Gewinn der Tätigkeit der Kommission liegt dabei nicht immer in der Vorlage spektakulärer Handlungsempfehlungen und dezidierten Lösungsvorschlägen. Der eigentliche Wert liegt häufig in der umfangreichen und ausgewogenen Aufbereitung der Themen, dem Aufzeigen der wesentlichen Aspekte und ihrer Zusammenhänge. Die Ergebnisse der Enquete-Kommission bieten so eine Grundlage zur Vorbereitung späterer politischer Entscheidungen (vgl. Schlussbericht, Interview mit dem Sachverständigen Dr. Wolf Osthaus unter V.1.1). Hierzu ein Beispiel: die Projektgruppe „Netzneutralität“ hat sich intensiv mit den Strukturen und

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den heutigen Realitäten des Internets befasst. Dabei hat sie auch Erkenntnisse aus Anhörungen mit externen Sachverständigen einbezogen. Bei manchen recht theoretisch anmutenden Diskussionen zu Fragen der Netzneutralität wäre man gut beraten, sich diese Analysen und praxisnahen Ausführungen im Bericht der Projektkommission genauer anzusehen, um sachgerechte Lösungen zu befördern (vgl. Vierten Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Netzneutralität“, BT-Drs. 17/8536 unter 2, Technische Bestandsaufnahme).

V.

Einige konkrete Ergebnisse der Tätigkeit der EnqueteKommission

1.

Allgemeine Feststellung

Es würde den Umfang dieses Beitrages sprengen, auch nur annähernd einen Überblick über wesentliche Ergebnisse der Tätigkeit der Kommission darzustellen. Zu vielfältig sind die Themen und die komplexen Zusammenhänge der Digitalisierung für unsere Gesellschaft. Für zukünftige politische Entscheidungsprozesse bieten die Ergebnisse der Kommission hervorragende Grundlagen zur Weiterführung und Versachlichung, man muss sie nur nutzen. 2.

Einige Ergebnisse

Nur beispielhaft seien einige Erkenntnisse aus der Projektgruppe „Kultur, Medien und Öffentlichkeit“ hier dargestellt (vgl. Dreizehnten Zwischenbericht der EnqueteKommission „Kultur, Medien und Öffentlichkeit“, BT-Drs. 17/12542). Diese Projektgruppe, an der ich als Sachverständiger intensiv mitgearbeitet habe, hat nach einer verfassungsrechtlichen Aufbereitung mit Darstellung neuer Abgrenzungsfragen und schwierigen Einordnungsfragen neuer Dienste durch die technischen Veränderungen, vor allem durch das Internet, den dringenden Novellierungsbedarf unserer Rechtsordnung herausgearbeitet. Dabei sind durchaus Fragen offen geblieben, die einer weiterführenden Diskussion bedürfen. Wichtig war der Projektgruppe, auch die Auswirkungen des Veränderungsprozesses auf Unternehmen und auf den Journalismus darzustellen. Einen dringenden Novellierungsbedarf sah die Projektgruppe beim geltenden Kartellrecht und der damit verbundenen Entscheidungspraxis des Bundeskartellamts. Das geltende Recht berücksichtigt nach Auffassung der Projektgruppe viel zu wenig den globalen Wettbewerb, dem sich die Unternehmen in Deutschland zunehmend ausgesetzt sehen, vor allem wenn strenge Regeln diese Unternehmen treffen, andere in den deutschen Markt eindringende global agierende Unternehmen davon nicht erfasst werden. Zu dieser Problematik gibt es Vorschläge für eine Novellierung des Kartellrechts (vgl. 13. Bericht, BT-Drs. 17/12542 unter 4.1 zu Internet und Vermachtungsfragen). Auch zum Medienkonzentrationsrecht, zur Plattformregulierung, zu den so genannten „Intermediären“ sowie zur Organisation von Aufsicht, um nur einige Beispiele zu nennen, gibt es Beiträge, die für zukünftige rechtspolitische Diskussionen herangezogen werden können.

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VI. Fazit und Ausblick Die Enquete-Kommission hat einstimmig empfohlen, einen ständigen Ausschuss für Internet und digitale Gesellschaft im Parlament fest zu verankern, um auch zukünftig eine sich wandelnde, zunehmend digital geprägte Welt zu betrachten und zu bewerten (vgl. Vorwort des Vorsitzenden im Schlussbericht, BT-Drs. 17/12550). Für eine Verankerung eines solchen Ausschusses im Parlament haben sich besonders deutlich auch nahezu alle Sachverständigen ausgesprochen. Notwendig ist dabei, dass auch auf Regierungsebene eine entsprechende Lösung eingerichtet wird, am besten mit der Schaffung eines Ministeramtes oder eines Beauftragten im Bundeskanzleramt, um die übergreifende und vernetzte Bedeutung der Digitalisierung für alle Bereiche der Politik deutlich zu machen (vgl. die Interviews der Sachverständigen, besonders auch den Vorschlag des Autors eine Regierungsverantwortung auf jeden Fall im Bundeskanzleramt zu verankern, Schlussbericht unter V.1.15).

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Wolfgang Thaenert: Eckpunkte einer beruflichen Laufbahn

Wolfgang Thaenert wurde 1950 in Hildesheim geboren, wo er auch 1969 die Schule mit dem Abitur abschloss. Von 1969 bis 1974 studierte er Rechtswissenschaften an der Georg-August-Universität Göttingen und absolvierte in den beiden darauffolgenden Jahren bis 1977 den juristischen Vorbereitungsdienst. Sechs Jahre übte Thaenert verschiedene Tätigkeiten in der Niedersächsischen Landesverwaltung aus, bevor er 1984 die Geschäftsführung des Niedersächsischen Landesrundfunkausschusses übernahm. Von 1984 bis 1989 baute Thaenert den Niedersächsischen Landesrundfunkausschuss, die heutige Niedersächsische Landesmedienanstalt (NLM), auf und führte in Niedersachsen – als einem der ersten Bundesländer – den privaten Rundfunk ein. Er hatte zu dieser Zeit zugleich den Vorsitz des Länderausschusses nach dem so genannten Nordschienenstaatsvertrag inne, der die erste bundesweite Fernsehzulassung für das Programm „RTL plus“ aussprach. Nach Abschluss der Aufbaujahre in Niedersachsen folgten Aufbaujahre in Hessen, wo Thaenert 1989 zum Direktor der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk – LPR Hessen – gewählt wurde. Thaenert startete mit einem kleinen Team und war zunächst in einem Büroraum in der 5. Etage des Regierungspräsidiums Kassel untergebracht (Dienstbesprechungen aus Raummangel auf dem Präsidentenflur), bevor die von Thaenert aufgebaute Verwaltung und das Entscheidungsorgan der hessischen Landesmedienanstalt, die Versammlung, ihre Tätigkeit in eigenen Geschäftsräumen in Kassel aufnahm. Thaenert führte als Chef der hessischen Landesmedienanstalt den privaten Rundfunk nun auch in Hessen ein. Das in Hessen existente erfolgreiche „Duale Rundfunksystem“ ist wesentlich auf Thaenerts Wirken zurückzuführen: Die Vergabe der Lizenz für das erste private Radio in Hessen gestaltete sich vor dem Hintergrund eines engen Zeithorizontes, der Bewerberkonkurrenz sowie kaum vorhandener Arbeitsstrukturen als große Herausforderung. Es galt, neben den HR-Programmen ein ökonomisch tragfähiges und publizistisch erfolgreiches werbefinanziertes Hörfunkangebot einzuführen, ohne die Existenzbedingungen für Pressevielfalt zu gefährden. Ein weiterer „Meilenstein“ aus den Anfängen des privaten Rundfunks in Hessen war die Etablierung alternativer Landesberichterstattung in den bundesweiten Fernsehprogrammen von RTL und SAT .1. Um das hessische Programmfenster von RTL, das anfänglich werktäglich 60 Minuten Sendezeit aufwies und von seiner Anmutung und seiner Kostenstruktur mit dem „modernen“ Hauptprogramm nur schwer in Einklang zu bringen war, gab es heftige Auseinandersetzungen. Heute bieten RTL und SAT.1 werktäglich attraktive Magazine mit Informationen über Hessen. Mit der Zulassung von Rhein-Main TV im Jahr 2002 erhielt der Ballungsraum zudem ein „eigenes“ Fernsehprogramm. In den Folgejahren und bis heute ging die Entwicklung des privaten Rundfunks unter Führung Thaenerts in Hessen stetig voran. Heute strahlen neben dem landesweiten Hörfunkprogramm FFH, seinem Jugendsender planet radio und harmony.fm zwei weitere

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„hessische“ Radioveranstalter, Radio BOB! und Antenne Frankfurt 95,1 ihr Programm über UKW aus. Weitere drei bundesweite Sender verfügen über terrestrische Frequenzen und hessische Programmanteile. Dass es in Hessen nicht nur private kommerzielle Hörfunkveranstalter, sondern auch sieben nichtkommerzielle Lokalradios gibt, die eine wesentliche publizistische Leistung erbringen, ist ebenfalls auf Thaenerts Engagement zurückzuführen. Thaenert hat sich als Direktor der LPR Hessen nicht nur für die Etablierung des Rundfunks, sondern gleichzeitig auch für eine funktionierende Programmaufsicht eingesetzt. Ob es um die Kanzlersatire, die grundsätzliche Zulässigkeit von Big Brother, Zeitgrenzen für Formate wie „X-Diaries“ oder die Informationsfunktion in Hörfunkprogrammen ging – für Thaenert waren Programmgrundsätze, Jugendschutz, Werbeaufsicht und die Kontrolle der Informationsleistungen privater Rundfunkveranstalter immer wichtige Bestandteile der Arbeit einer Landesmedienanstalt. In Thaenerts Amtszeit fällt auch die Übertragung der Telemedienaufsicht auf die LPR Hessen, die einen wesentlichen Beitrag zur Vereinheitlichung der Inhalteregulierung audiovisueller Medien geleistet leistet. Auf Initiative und unter Leitung Thaenerts konnte im Rhein-Main-Gebiet terrestrischer Fernsehempfang über DVB-T in nur wenigen Monaten eingeführt werden. Zwei Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern wurde eine einfache, kostengünstige Empfangsmöglichkeit für 24 TV-Programme eröffnet. Und auch das Digitalradio entwickelt sich unter Thaenerts Ägide nach Anlaufschwierigkeiten seit 2011 in Hessen ermutigend. Auch beim Ausbau der Breitbandinfrastruktur gehört Hessen zu den Vorreitern. Inzwischen nutzen rund 50 Prozent der Fernsehhaushalte Kabelempfang. Die Förderung des Ausbaus war Thaenert ein Anliegen, weil es Bürgern nicht nur größere Vielfalt und Auswahlmöglichkeiten bietet; es gewährleistet neben dem Telefonkabel die Versorgung mit schnellem Internet auch in der Fläche. Die Breitbandversorgung im ländlichen Raum zählt mittlerweile zu den Infrastrukturherausforderungen der Neuzeit. Thaenert hat sich mit der LPR Hessen-Initiative „nordig – Nordhessen digital“ dafür stark gemacht. Mit vier Offenen Fernsehkanälen in Trägerschaft der LPR Hessen wurde den Bürgern schon viele Jahre vor Einführung des Internets die Möglichkeit eröffnet, selbst Beiträge für und im Fernsehen zu gestalten. Mit dem Ausbau der Offenen Kanäle zu Medienprojektzentren trug Thaenert einer weiteren Aufgabe nach dem HPRG Rechnung: 1991 wurde der erste Offene Kanal in Kassel – noch vorsichtig als Pilotprojekt – in Betrieb genommen. Inzwischen sind Offene Kanäle in Gießen, Offenbach/Frankfurt und Fulda hinzugekommen – als feste Bürgereinrichtungen. Die Vermittlung von Medienkompetenz als eine Form des präventiven Jugendschutzes konnte erfolgreich zu einem weiteren Arbeitsschwerpunkt der LPR Hessen entwickelt werden. In seiner Amtszeit ist auch die Mediathek Hessen auf den Weg gebracht worden: eine Online-Plattform, die Zugriff bietet auf Sendungen hessischer Fernseh- und Radioveranstalter sowie Bild- und Tondokumente weiterer hessischer Institutionen und Unternehmen. Abrufbar sind insbesondere Angebote der vier hessischen Offenen Kanäle, 344

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spezifische Sichtweise mit der ökonomischen Perspektive des Binnenmarktes in Ausgleich zu bringen. Auch waren die Rundfunkinteressen gegen die Forderung der Mobilfunkindustrie nach einer Ausweitung des Frequenzspektrums zu vertreten. Parallel ist Thaenert seit 2008 Mitglied der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) und seit Januar 2013 auch ZAK-Beauftragter für Zulassungsangelegenheiten. In all den Funktionen, die Thaenert für die Gemeinschaft der Landesmedienanstalten wahrgenommen hat, hat er sich für einheitliche Maßstäbe bei Zulassung und Aufsicht eingesetzt und im Interesse der Bereitstellung vielfaltsgewährender Übertragungswege für die Digitalisierung engagiert. Wichtig waren ihm auch ein stärkeres Augenmerk auf die Hörfunkentwicklung und der Erhalt lokaler und regionaler Berichterstattung angesichts der enormen Informationsflut, die das Netz dem Nutzer bietet. Neben seinem Engagement innerhalb der hessischen Landesmedienanstalt und der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten hat sich Wolfgang Thaenert auch für die wissenschaftliche Ausbildung, speziell von Juristen, eingesetzt. Schon während seiner Tätigkeit in Hannover war er als Lehrbeauftragter am kommunalen Studieninstitut tätig. Anfang der 1990er Jahre hat er Lehraufträge im Internationalen Ergänzungsstudiengang Medien- und Kulturwissenschaften an der Universität Kassel wahrgenommen und auch Vorlesungen am Institut für Fachjournalistik der Justus-Liebig-Universität Gießen gehalten. Thaenert ist seit 2003 Honorarprofessor für Medienrecht an der Universität Kassel und betreut Abschluss- und Doktorarbeiten, die medienrechtliche Aspekte thematisieren. Mit der Vortragsreihe „Brennpunkt ‚Medien und Recht‘“ hat Thaenert zusammen mit der Universität Kassel, dem Institut für Europäisches Medienrecht (EMR) und der Juristischen Gesellschaft zu Kassel aktuelle medienspezifische Fragestellungen durch hochkarätige Referenten und Diensteanbieter vor einer breiten Öffentlichkeit thematisiert. Persönlichkeitsrechte, Jugendschutz, Netzneutralität, Urheberrecht und Datenschutz sind nur einige Beispiele für die vielbeachtete Veranstaltungsreihe. Thaenert ist auch Mitglied des Kuratoriums der Akademie Hofgeismar der evangelischen Kirche von Kurhessen Waldeck.

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Autoren

Helmut G. Bauer, Rechtsanwalt in Köln, Studium der Rechtswissenschaften, Publizistik, Politik und Ethnologie in Heidelberg und Mainz. Er war der erste Direktor der Landeszentrale für Privaten Rundfunk Rheinland-Pfalz und Geschäftsführer verschiedener Medienunternehmen. In seiner Arbeit als Anwalt und Berater konzentriert er sich auf Fragen der Rundfunkinfrastruktur und auf neue Medientechnologien, insbesondere für den Hörfunk. Er berät unter anderem Hersteller und Nutzer drahtloser Produktionsmittel auf nationaler und europäischer Ebene in Bezug auf die Digitale Dividende. Seit 2012 ist er Mitglied im Vorstand des Instituts für Europäisches Medienrecht (EMR) e.V. Bauer ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen und war viele Jahre Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten. Klaus Beucher, LL.M., ist seit 1992 als Rechtsanwalt zugelassen und Partner in der Sozietät Freshfields Bruckhaus Deringer LL.P in Köln. Er hat Rechtswissenschaften an den Universitäten Saarbrücken, Bonn und der University of Wisconsin, USA, studiert. Danach war er für ein Jahr in London und Washington, D.C., für eine USamerikanische Kanzlei tätig. Er ist spezialisiert auf die Beratung von Unternehmen aus der TV-, Print- und IT-Industrie bei allen operativen und strategischen Fragestellungen. Unter anderem hat er 1992/93 das Verfahren für die Zulassung des Senders RTL II bei der LPR Hessen betrieben und berät den Sender seitdem in seinen Beziehungen zur LPR. Volker Bouffier, geboren am 18. Dezember 1951 in Gießen. Nach dem Abitur im Jahr 1970 absolvierte Bouffier ein Studium der Rechtswissenschaften an der Justus-LiebigUniversität Gießen und schloss dieses mit der Ersten Juristischen Staatsprüfung 1975 ab. Das anschließende Referendariat beendete er 1977 mit der Zweiten Juristischen Staatsprüfung. Von 1975 bis 1978 war Bouffier zudem als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht III tätig. Nach seiner Zulassung im Jahr 1978 arbeitete Bouffier in eigener Kanzlei als Rechtsanwalt und später als Notar bis 1987 sowie von 1991 bis 1999. Als Mitglied der Landesregierung ruhte Bouffiers Berufsausübung. So als Staatssekretär im Hessischen Ministerium der Justiz von 1987 bis 1991 und seit seiner Ernennung zum Hessischen Minister des Innern und für Sport im Jahr 1999. Bouffier war in seinem Heimatkreis Gießen ab 1979 über 14 Jahre als Stadtverordneter und über 20 Jahre als Kreistagsmitglied aktiv. Von 1982 bis 1987 und seit 1991 ist er Mitglied des Hessischen Landtags. Seit 1978 ist Bouffier Mitglied des Landesvorstandes der CDU Hessen, seit 1991 stellvertretender Landesvorsitzender und seit Juni 2010 Landesvorsitzender. Im November 2010 wurde er darüber hinaus stellvertretender Vorsitzender der CDU Deutschlands. Ausgezeichnet wurde Bouffier 2005 mit dem Hessischen Verdienstorden, 2006 mit der IOC Trophy „Sports and Community“ und 2012 mit dem Deutschen Feuerwehr Ehrenkreuz in Gold. Bouffier ist evangelisch, verheiratet und hat drei Kinder. Seit August 2010 ist Bouffier Ministerpräsident des Landes Hessen. Dr. Jürgen Brautmeier (Jahrgang 1954) hat in Düsseldorf und Cambridge Geschichte und Anglistik studiert und in Düsseldorf bei Prof. Peter Hüttenberger promoviert. Als

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Autoren

Helmut G. Bauer, Rechtsanwalt in Köln, Studium der Rechtswissenschaften, Publizistik, Politik und Ethnologie in Heidelberg und Mainz. Er war der erste Direktor der Landeszentrale für Privaten Rundfunk Rheinland-Pfalz und Geschäftsführer verschiedener Medienunternehmen. In seiner Arbeit als Anwalt und Berater konzentriert er sich auf Fragen der Rundfunkinfrastruktur und auf neue Medientechnologien, insbesondere für den Hörfunk. Er berät unter anderem Hersteller und Nutzer drahtloser Produktionsmittel auf nationaler und europäischer Ebene in Bezug auf die Digitale Dividende. Seit 2012 ist er Mitglied im Vorstand des Instituts für Europäisches Medienrecht (EMR) e.V. Bauer ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen und war viele Jahre Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten. Klaus Beucher, LL.M., ist seit 1992 als Rechtsanwalt zugelassen und Partner in der Sozietät Freshfields Bruckhaus Deringer LL.P in Köln. Er hat Rechtswissenschaften an den Universitäten Saarbrücken, Bonn und der University of Wisconsin, USA, studiert. Danach war er für ein Jahr in London und Washington, D.C., für eine USamerikanische Kanzlei tätig. Er ist spezialisiert auf die Beratung von Unternehmen aus der TV-, Print- und IT-Industrie bei allen operativen und strategischen Fragestellungen. Unter anderem hat er 1992/93 das Verfahren für die Zulassung des Senders RTL II bei der LPR Hessen betrieben und berät den Sender seitdem in seinen Beziehungen zur LPR. Volker Bouffier, geboren am 18. Dezember 1951 in Gießen. Nach dem Abitur im Jahr 1970 absolvierte Bouffier ein Studium der Rechtswissenschaften an der Justus-LiebigUniversität Gießen und schloss dieses mit der Ersten Juristischen Staatsprüfung 1975 ab. Das anschließende Referendariat beendete er 1977 mit der Zweiten Juristischen Staatsprüfung. Von 1975 bis 1978 war Bouffier zudem als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht III tätig. Nach seiner Zulassung im Jahr 1978 arbeitete Bouffier in eigener Kanzlei als Rechtsanwalt und später als Notar bis 1987 sowie von 1991 bis 1999. Als Mitglied der Landesregierung ruhte Bouffiers Berufsausübung. So als Staatssekretär im Hessischen Ministerium der Justiz von 1987 bis 1991 und seit seiner Ernennung zum Hessischen Minister des Innern und für Sport im Jahr 1999. Bouffier war in seinem Heimatkreis Gießen ab 1979 über 14 Jahre als Stadtverordneter und über 20 Jahre als Kreistagsmitglied aktiv. Von 1982 bis 1987 und seit 1991 ist er Mitglied des Hessischen Landtags. Seit 1978 ist Bouffier Mitglied des Landesvorstandes der CDU Hessen, seit 1991 stellvertretender Landesvorsitzender und seit Juni 2010 Landesvorsitzender. Im November 2010 wurde er darüber hinaus stellvertretender Vorsitzender der CDU Deutschlands. Ausgezeichnet wurde Bouffier 2005 mit dem Hessischen Verdienstorden, 2006 mit der IOC Trophy „Sports and Community“ und 2012 mit dem Deutschen Feuerwehr Ehrenkreuz in Gold. Bouffier ist evangelisch, verheiratet und hat drei Kinder. Seit August 2010 ist Bouffier Ministerpräsident des Landes Hessen. Dr. Jürgen Brautmeier (Jahrgang 1954) hat in Düsseldorf und Cambridge Geschichte und Anglistik studiert und in Düsseldorf bei Prof. Peter Hüttenberger promoviert. Als

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Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) ist Dr. Jürgen Brautmeier Mitglied in der Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten (ALM). Seit 2013 ist er Vorsitzender der DLM/ZAK/ALM. Er war in den 1990er Jahren im Auftrag des Europarats regelmäßig in verschiedenen Ländern Mittel- und Osteuropas als unabhängiger Berater bei der Rundfunkgesetzgebung tätig und hatte Lehraufträge an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (1991–1998), der Fachhochschule Düsseldorf (1993/94), der LomonossowUniversität in Moskau (1995) und der Universität von St. Petersburg (1997). Jürgen Brautmeier gehört zu den Gründern der Europäischen Plattform der Regulierungsbehörden (EPRA), deren stellvertretender Vorsitzender er bis Mai 2013 war. Er ist seit 2006 Vizepräsident des Medienrats der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens. Werner D’Inka, Jahrgang 1954. Studium der Publizistik, Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Mainz und an der Freien Universität Berlin. 1980 Eintritt in die Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Von 1980 bis 1986 Redakteur für Neue Medien (Bildschirmtext, Videotext), am 1. Januar 1984 im Ressort „Tele-F.A.Z.“ an der ersten privaten Fernsehnachrichtensendung in Deutschland beteiligt. Von 1986 bis 1991 Redakteur beim Chef vom Dienst der Zeitung, von 1991 an Chef vom Dienst. Im März 2005 Berufung in das Herausgebergremium der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Ko-Direktor des „Freien Russisch-Deutschen Instituts für Publizistik“ und Honorarprofessor an der Staatlichen Lomonossow-Universität Moskau. Mitglied im Beirat des Korrespondentennetzwerks n-ost und der Online-Plattform eurotopics. Präsident des Frankfurter Presseclubs. Claus Detjen, geb. 1936 in Würzburg, Herausgeber des Haller Tagblatts, Mitglied des Redaktionsbeirats der Südwest Presse. Frühere Tätigkeiten unter anderem Herausgeber der Märkischen Oderzeitung (Frankfurt/Oder), Mitherausgeber Donaukurier (Ingolstadt), Hauptgeschäftsführer Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (Bonn), Geschäftsführer der Anstalt für Kabelkommunikation Ludwigshafen/Rhein, Leitender Redakteur Deutsche Welle (Köln). Detjen nahm viele Jahre lang Lehraufträge an der Bayerischen Akademie für Werbung und Marketing (München) und der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer wahr. Er ist Ehrensenator der ViadrinaUniversität Frankfurt (Oder) und wurde mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Dipl-Theol. Winfried Engel, geb. 1947 in Hünfeld/Hessen; Studium der katholischen Theologie und Germanistik in Fulda, München, Würzburg und Marburg; 1. und 2. Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien; vom 1. Juli 1976 bis 31. August 2012 tätig in der Abteilung Schule-Hochschule-Medien des Bischöflichen Generalvikariats Fulda, zunächst als Referent für Religionsunterricht an Gymnasien und für den Bereich Medien, von 1992 bis zum Eintritt in den Ruhestand Leiter der Abteilung und Rundfunkbeauftragter der Diözese Fulda; 1980 bis 2006 Lehrbeauftragter für Katechetik an der Theologischen Fakultät Fulda. Seit 1997 ist er Vorstandssprecher der Stiftung Marienschule Fulda; seit 2000 Geschäftsführer der Marianum Schulträger GmbH Fulda; seit 1989 Vertreter der katholischen Kirche in der Versammlung der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien (LPR Hessen). Seit 1995 ist er Vorsitzender der Versammlung der LPR Hessen; von April 2003 bis Dezember 2005 und ab 1. Januar 2012 Vorsitzender der Gremienvorsitzendenkonferenz der deutschen Landesmedienanstalten (GVK); von 2001 bis 2011 Vorsitzender der Konferenz der Leiter/-innen 348

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der diözesanen Schulabteilungen in Deutschland; Autor von kirchlichen Sendungen beim Hessischen Rundfunk, Deutschlandfunk und DeutschlandRadio Kultur; langjähriger Prüfer bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft e.V. (FSK). Jochen Fasco, geboren 1963. 1983–1991 Studium der Rechtswissenschaft in Mainz. Abschluss des Ersten und Zweiten Staatsexamens. Während der Ausbildung: journalistische Tätigkeit bei Zeitung, Hörfunk und Fernsehen, Studium an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, ZDF-Rechtsabteilung. 1992 Postgraduiertenstudium am Europa-Institut der Hochschule des Saarlandes. 1992–1993 wissenschaftlicher Mitarbeiter/Büroleiter im Deutschen Bundestag. 1993–1999 Leitung des Referats Medienrecht und -politik in der Thüringer Staatskanzlei. Ab 1993 unter anderem Vorsitzender der Arbeitsgruppe Rundfunkgebühren-Reform der Rundfunkreferenten der Länder. 1997–2007 beim Thüringer Kultusministerium. Dort ab 1999 Aufbau und Leitung der Abteilung Medien. 2002–2007 Leitung der Zentral- und Personalabteilung. 1999–2007 Mitglied der Versammlung der Thüringer Landesmedienanstalt (TLM). 2003–2007 Vorsitzender des Ausschusses für Bürgerrundfunk und Medienkompetenz der TLMVersammlung. Seit 2007 Direktor der TLM (2. Amtsperiode seit Juni 2013) und Mitglied der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). Seit 2008 stellvertretender Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM). 2008–2010 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der mitteldeutschen Landesmedienanstalten (AML). Seit 2011 Beauftragter der DLM für Medienkompetenz und Bürgermedien. Paul Leo Giani, Jahrgang 1942, 1961 Abitur am altsprachlichen Gymnasium Essen, Banklehre, Bankkaufmann 1963. Studium Recht, Geschichte, Philosophie in Freiburg, Bonn, Mainz; 1965–1966 stellvertretender Vorsitzender des VDS (Dachverband der AStAs); 1972–1973 Assistent am Lehrstuhl für Rechts- und Verwaltungswissenschaft an der Uni Frankfurt; 1973–1975 Referent bei der SPD Bundestagsfraktion; 1975–1985 Geschäftsführer der SPD Landtagsfraktion Hessen; 1977–1985 in Personalunion Landesgeschäftsführer der SPD Hessen; 1985–1987 Chef der Staatskanzlei Hessen. Paul Leo Giani ist Rechtsanwalt und Berater der DCTP (Spiegel TV, Focus TV, Stern TV, Alexander Kluge.). Als Chef der Staatskanzlei Hessen hat er den ersten Rundfunkstaatsvertrag (1986–87) verhandelt. Von 1986–1987 war er Mitglied des Fernsehrates des ZDF; von 1992–1995 Vorstand der Domizil, Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft, Frankfurt a.M. Seit 1998 ist er Mitglied des Hessischen Staatsgerichtshofs; Mitglied im Fernsehvorstand des VPRT; Mitglied der Bundesmedienkommission der SPD; Mitglied des Gesellschafterausschusses von Radio FFH. Prof. Joachim von Gottberg, Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF) in Berlin. Daneben begleitet er eine Professur für das Fach Medienethik / Medienpädagogik im Studiengang AV-Medienwissenschaft der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam und ist Vizepräsident des Deutschen Kinderhilfswerks. Von Gottberg studierte Germanistik und Theologie (Lehramt). Nach journalistischer Tätigkeit baute er die Landestelle Jugendschutz Niedersachsen auf und beschäftigte sich neben Suchtprävention und Jugendkriminalität auch mit der Wirkung von Medien. Ab 1985 war er als Ländervertreter bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) tätig. Seit 1997 ist er Chefredakteur der Fachzeitschrift tv diskurs, die von der FSF herausgegeben wird.

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Dr. Alfred Grinschgl, Geschäftsführer bei der Rundfunk und Telekom RegulierungsGmbH, Wien. Alfred Grinschgl wurde 1952 in Graz geboren. Nach Volksschule und Mittelschule studierte er in Graz Rechtswissenschaften an der Karl-FranzensUniversität. Zum Dr. jur. promovierte er 1978. Ab 1971 arbeitete er als Redakteur für die Tageszeitung Südost-Tagespost in Graz. Von 1976 bis 1979 war er innenpolitischer Redakteur der katholischen Wochenzeitung „Die Furche“ in Wien. Im Anschluss daran hatte er bis 2001 in verschiedenen Bereichen des Druck-Verlagshauses Styria in Graz (heute Styria Medien AG) Geschäftsführungsfunktionen inne, unter anderem bei der Grazer Kabel-TV GmbH und der Telekabel Graz sowie der TV- & Videoproduktion Cinevision. Ab 1993 war Alfred Grinschgl an der Etablierung von PrivatradioUnternehmen führend beteiligt, er war auch Gründungsgeschäftsführer des ersten in Österreich zugelassenen Privatradios „Antenne Steiermark“. Seit 1. Juni 2001 ist Alfred Grinschgl Geschäftsführer für den Fachbereich Medien der Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH in Wien. Jürgen Harrer, geboren am 28. April 1974 in Hanau. 1993–1999 Studium an der J. W. Goethe-Universität, Frankfurt a.M., Studiengang katholische Theologie und Germanistik für das Lehramt an Gymnasien; Erstes Staatsexamen im Jahr 1999. Vom 1. September 1999 bis 17. Dezember 1999 war er Angestellter der Flughafen Frankfurt/Main AG, Abteilung Presse und Publikationen; vom 3. Januar 2000 bis 30. September 2000 Grundwehrdienst; Stabsdienstsoldat Jugendoffiziere Frankfurt, Presse und Öffentlichkeitsarbeit. Vom 1. Oktober 2000 bis 31. August 2004 war er Angestellter der Flughafen Frankfurt/Main AG; ab 2001 Fraport AG, Abteilung Presse und Publikationen, verantwortlich für Ausbau-Pressearbeit. 2001–2002 berufsbegleitendes Studium beim Deutschen Institut für Betriebswirtschaft Frankfurt, Diplom als Unternehmensredakteur. Von 1. September 2004 bis 31. März 2009 war Jürgen Harrer beim Hessischen Finanzministerium Pressesprecher und Referatsleiter für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit; vom 1. April 2009 bis 31. August 2009 stellvertretender Pressesprecher bei der Fraport AG; vom 1. September 2009 bis 31. März 2010 zudem Leiter Presse und Publikationen bei der Fraport AG. Seit 1. April 2010 ist Jürgen Harrer Leiter Unternehmenskommunikation der Fraport AG. Dr. Hans Hege ist Direktor der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) und Beauftragter für Plattformregulierung und Digitalen Zugang der Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) der Medienanstalten. Nach einem juristischen Studium und Funktionen im Berliner Abgeordnetenhaus und in den Senatsverwaltungen für Justiz und Kultur wurde er 1985 erster Direktor der Anstalt für Kabelkommunikation, nach der deutschen Einigung 1992 Direktor der Medienanstalt Berlin-Brandenburg. Von 1993 bis 1995 war Dr. Hege Vorsitzender der DLM (Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten), seit 1995 ist er in der Zusammenarbeit der Medienanstalten für die Entwicklung des digitalen Fernsehens und des digitalen Zugangs zuständig, seit 1. September 2008 als Beauftragter der Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) für Plattformregulierung und Digitalen Zugang. Dr. Hege ist auch Mitglied der KEK (Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich). Aufbauend auf diesen Erfahrungen hat Dr. Hege das Konzept zum ersten Analog-Digital-Umstieg bei der terrestrischen Fernsehversorgung entwickelt. Im August 2003 wurde in Berlin-Brandenburg als erster Region weltweit das analoge Fernsehen abgeschaltet. 2012 folgte bundesweit die Beendigung der analogen Satellitenverbreitung, die Dr. Hege als Vorsitzender der Len350

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kungsgruppe der öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehveranstalter koordinierte. Die Verbreitung von Fernsehen und Videoinhalten über das Internet und ihre Nutzung auf vielfältigen Geräten, die Entwicklung von Navigation und Nutzeroberflächen, die Digitalisierung des Kabels und die Rahmenbedingungen für die Finanzierung von Netzen und Inhalten stellen die Medienregulierung vor aktuelle Herausforderungen. Dr. Martin Hein, geb. 1954, ist seit 2000 Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck und Honorarprofessor im Fachbereich Geistes- und Kulturwissenschaften der Universität Kassel. Vorher war er Gemeindepfarrer, Studienleiter am Predigerseminar in Hofgeismar und Dekan in Kassel. Promotion 1982 an der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg und Habilitation 2000 an der Universität Kassel. Er ist Vorstandsvorsitzender der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg (FEST), Mitglied im Zentralausschuss des Weltkirchenrates und im European Council of Religious Leaders sowie Evangelischer Leiter des Ökumenischen Arbeitskreises Evangelischer und Katholischer Theologen. Hans-Dieter Hillmoth, Dipl.-Ing. (TU) für Nachrichtentechnik, (60) ist seit Sendebeginn (1989) Programmdirektor der Radio/Tele FFH in Hessen und seit 1971 auch Geschäftsführer. Die Radio/Tele FFH veranstaltet den hessischen Radio-Marktführer HIT RADIO FFH, das jünger formatierte planet radio und harmony.fm, den Sender für erfahrene Hörer. Der gebürtige Westfale ist gelernter Journalist und Diplom-Ingenieur für Nachrichtentechnik (TU Braunschweig). Seine ersten Radio-Erfahrungen sammelte er als Schüler – bei der Gründung eines „Krankenhausfunkes“ in seiner Heimatstadt Münster. Hillmoth volontierte bei der Tageszeitung „Westfälische Nachrichten“ und war dort als Redakteur tätig (1979–83). Als Fernseh-Redakteur wechselte er zum Hessischen Rundfunk (Studio Kassel/1983–86) und arbeitete von 1986 bis 89 als „Leiter Hörfunk“ beim Münchener Zeitungsverlag (unter anderem Radio Charivari). Hillmoth gehört den Vorständen des Verbandes privater Rundfunk und neue Medien (VPRT) an, war viele Jahre Vizepräsident und Vorsitzender des Fachbereiches Hörfunk. Im europäischen Radioverband AER wirkte er im Vorstand und als Präsident. Er ist Geschäftsführer der RTL Hessen Programmveranstalter GmbH und der „Digital 5“. Als Aufsichtsrat gehört er den Gremien der dpa Deutschen Presse Agentur (Hamburg/Berlin) und der Radio Marketing Service (Hamburg) an. Bei der Verwertungsgesellschaft VG Media (Berlin) wurde er zum Stellvertretenden Vorsitzenden des Beirates gewählt. Dr. Norbert Holzer, geboren 1948, Mitglied der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (KEF), Direktor und Erster stellvertretender Vorstandsvorsitzender des EMR. Vor seiner Berufung in die KEF war er Verwaltungs- und Betriebsdirektor des Saarländischen Rundfunks (1997–2011). Er promovierte 1978 über das Thema „Präventive Normenkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht“, war dann Fraktionsassistent im Landtag und anschließend Persönlicher Referent des Ministers für Umwelt, Raumordnung und Bauwesen des Saarlandes. Parallel zu einer zehnjährigen Haupttätigkeit als Bürgermeister und fünf Jahren in der Energiewirtschaft amtierte er neun Jahre lang als ehrenamtlicher Vorstand der Landesanstalt für das Rundfunkwesen (heute: LMS) im Saarland, bevor er 1997 seine Funktion beim SR antrat. Er gehörte dem Verwaltungsrat der GEZ an und leitete ab 1999 die Arbeitsgruppe Honorare und Lizenzen. Den Vorsitz der Finanzkommission ARD/ZDF/DR hatte er in den Jahren 2007 und 2008 inne. Er ist Gründungsmitglied des EMR.

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Prof. Dr. Bernd Holznagel, LL.M., ist Direktor der öffentlich-rechtlichen Abteilung des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht (ITM) an der Universität Münster. Seine Forschungstätigkeit liegt schwerpunktmäßig im Telekommunikations- und Medienrecht. Die Bundesnetzagentur hat ihn in ihren „Wissenschaftlichen Arbeitskreis für Regulierungsfragen“ berufen. Prof. Holznagel ist Mitglied der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer, des Studienkreises für Presserecht und Pressefreiheit, des Deutschen Juristentages sowie des Münchener Kreises. Er ist zudem Mitherausgeber der Zeitschrift „Multimedia und Recht“. Mehrere Lehr- und Forschungsaufenthalte führten ihn an die China Academy of Telecommunicatons Research in Peking, die Akademische Rechtsuniversität in Moskau sowie die University of Virginia, School of Law in Charlottesville. David Kampert, Jahrgang 1986, studierte Rechtswissenschaften an der Universität Münster und der Universität Paris II (Panthéon-Assas). Seit Januar 2012 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht (ITM, öffentlich-rechtliche Abteilung) und befasst sich dort schwerpunktmäßig mit der europäischen Medienpolitik. Promotionsvorhaben im Bereich des Datenschutzrechts. Prof. Thomas Kleist, Intendant des Saarländischen Rundfunks (SR), Staatssekretär a.D. Geboren 1955, Studium der Rechtswissenschaften an der Universität des Saarlandes, 1980–1983 wissenschaftlicher Mitarbeiter; 1985 Direktor und Vorstandsvorsitzender der Landesanstalt für das Rundfunkwesen des Saarlandes, 1995/1996 Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten, 1996–1999 Staatssekretär in der saarländischen Landesregierung. 2000–2011 Rechtsanwalt, Strategie- und Unternehmensberater in den Bereichen Medien und Krankenhausmanagement. Mitgründer und von 2000–2011 Vorsitzender des Vorstands sowie Direktor des Instituts für Europäisches Medienrecht, Saarbrücken/Brüssel; Lehrbeauftragter an der Universität Mainz/Mainzer Medieninstitut (ab Sommersemester 2006) und an der Universität des Saarlandes (Wintersemester 2006 bis 2010). Seit 2011 Honorarprofessor an der Universität Mainz. Von 2000 bis 2011 Vorsitzender des Verwaltungsrates des Saarländischen Rundfunks; Mitglied im Aufsichtsrat der Werbefunk Saar GmbH, der GlobeTV GmbH, der ProSaar Medienproduktion GmbH (jeweils bis 2011) und der Radio Salü GmbH. Wolfgang Kopf, LL.M., Jahrgang 1964, ist seit November 2006 Leiter Politik und Regulierung der Deutschen Telekom AG in Bonn. Sein Verantwortungsbereich umfasst neben der nationalen und internationalen politischen Interessenvertretung, die Verbands-, Frequenz- und Medienpolitik sowie sämtliche Regulierungsfragen im Konzern. Wolfgang Kopf berichtet direkt an den Vorsitzenden des Vorstandes, René Obermann. Seit 1995 war er bei der Deutschen Telekom AG verantwortlich für internationale M&A-Projekte und ab 1997 leitete er die Kartellrechtsabteilung der Deutschen Telekom. 2003 wechselte er zur T-Mobile International und leitete dort den neu gegründeten Bereich Public & Regulatory Affairs. Wolfgang Kopf studierte Rechts- und Geisteswissenschaften in Mainz, Speyer und London. Annette Kümmel hat ihre berufliche Laufbahn in den 1990ern bei SAT.1 begonnen und nach der Fusion von SAT.1 und ProSieben in der ProSiebenSat.1 Media AG den Bereich Medienpolitik geprägt. Annette Kümmel ist Senior Vice President Governmen352

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tal Relations & Regulatory Affairs. Sie ist stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und Vorstandsvorsitzende für den Fachbereich Fernsehen und Multimedia beim Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT). Gernot Lehr, ist ein bundesweit tätiger Anwalt für Presse- und Medienrecht. Als Partner der Sozietät Redeker Sellner Dahs vertritt er mit seinem Team insbesondere Einzelpersonen und Unternehmen in äußerungsrechtlichen Belangen ebenso wie Rundfunkanstalten im öffentlichen und privaten Medien und Verfassungsrecht. Zu den aktuellen Verfahren zählen unter anderem die Vertretung des ZDF im Normenkontrollverfahren über den ZDF-Staatsvertrag vor dem Bundesverfassungsgericht und die Vertretung der ARD im Verfahren zur Zulässigkeit der Tagesschau-App sowie die Vertretung von Unternehmen und von mehreren Spitzenpolitikern in Auseinandersetzungen mit Verlagen. Boris Lochthofen, Geschäftsführer RADIO PSR, R.SA, Marktverantwortung Sachsen, Leiter Kommunikation & Politik REGIOCAST GmbH & Co. KG. Geboren 1975 in Rodewisch (Vogtland). Studium Politik und Kommunikation an der Universität Leipzig. Freier Journalist. Seit 2006 Leiter Kommunikation & Politik beim deutschen Radiounternehmen REGIOCAST. Von 2009 bis 2011 Geschäftsführer des Sendernetzbetreibers DERUTEC – Deutsche Rundfunktechnik GmbH & Co. KG. Von 2009 bis 2010 Prokurist der sächsischen Beteiligungen der REGIOCAST – RADIO PSR, Landesfunk Sachsen und des Vermarktungsunternehmens mir (marketing im radio). Seit 2009 zusätzlich Geschäftsführer des sächsischen Kulturprogramms apollo radio. Seit 2010 Geschäftsführer der landesweiten Radiosender RADIO PSR und R.SA. Seit 2013 stellvertretender Vorsitzender des Branchenverbandes APR (Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk). Dr. Wolfgang Maaß, Vorsitzender des Verbandes Hessischer Zeitungsverleger e. V. sowie Geschäftsführer und Chefredakteur der Gießener-Anzeiger-Zeitungsgruppe. Er wurde am 2. Januar 1955 in Rotenburg (Wümme) geboren. In Gießen hat er Rechtsund Wirtschaftswissenschaften studiert. Nach Zweitem Juristischem Staatsexamen und Promotion ging er zur Deutsche Bank AG, wo er nach Traineezeit zuletzt als Prokurist in der Zentrale Frankfurt tätig war, ehe er 1987 zum Gießener Anzeiger wechselte. Ehrenamtlich betätigt er sich über den Verbandsvorsitz hinaus unter anderem als Präsident der IHK Gießen-Friedberg. Nicht zuletzt ist er Vorsitzender des Ausschusses Programm und Technik von Radio/Tele FFH. Er ist verheiratet, hat vier erwachsene Kinder und einen Enkel. Dr. Verena Metze-Mangold, (*1946, Deutschland) ist Vizepräsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission und Bereichsleiterin in der Intendanz des Hessischen Rundfunks. Nach ihrem Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und Geschichte leitete sie von 1976 bis 1987 die Evangelische Medienakademie (cpa) im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik in Frankfurt. Sie wechselte zum Hessischen Rundfunk und übernahm die Leitung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, baute die Medienforschung auf und war 1989/90 Pressesprecherin des ARD-Vorsitzenden. Als Mitglied der Deutschen UNESCO-Kommission hatte sie seit 1982 diverse Funktionen in Kommissionen und Delegationen inne, unter anderem nahm sie 2003 und 2005 am „World Summit on Information Society“ der Vereinten Nationen in Genf teil. Seit 2001 vertritt sie Deutschland im zwischenstaatlichen Rat „Information for All“. Schwerpunkt ihrer Ver-

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öffentlichungen sind Themen wie Internationale Entwicklung, WTO und Völkerrecht, Presse- und Informationsfreiheit, Menschenrechte sowie interkulturelle Kommunikation. Prof. Dr. Stephan Ory, geboren 1958, Rechtsanwalt, Vorsitzender des Vorstands und Wissenschaftlicher Direktor des EMR. Ory ist Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk (APR) und Vorsitzender des Medienrates der Landesmedienanstalt Saarland (LMS). Nach beruflichen Stationen bei der Anstalt für Kabelkommunikation (Kabelpilotprojekt Ludwigshafen), der Teleclub GmbH und beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e.V., ist er seit 1988 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Ory ist Mitglied des Studienkreises für Presserecht und Pressefreiheit e.V., seit 2001 Lehrbeauftragter und seit 2009 Honorarprofessor der Universität des Saarlandes. Ory zählt zu den Gründungsmitgliedern des EMR. Dr. Helmut Reitze, volontierte nach dem Abitur 1971 in Kassel zunächst bei der HNA (Hessische/Niedersächsische Allgemeine) und arbeitete dort bis 1974 als Redakteur. An der Philipps-Universität Marburg studierte er Volkswirtschaft, machte 1978 sein Diplom und wurde 1980 zum Doktor der politischen Wissenschaften (Dr. rer. pol.) promoviert. In den Jahren seiner akademischen Ausbildung arbeitete er nebenbei weiter als Journalist, unter anderem als Reporter für den Hessischen Rundfunk. Reitze fing 1981 als Redakteur und Moderator in der Wirtschaftsredaktion des Bayerischen Rundfunks an. 1985 wechselte er als Redakteur und Moderator zum ZDF ins heute-journal. Von 1987 bis 1990 berichtete er als ZDF-Korrespondent aus Washington, von 1992 bis 1993 aus Brüssel. Dazwischen war er von 1990 bis 1992 Geschäftsführer Fernsehproduktion bei der AV Euromedia Gesellschaft für Audiovision mbH. Von 1993 bis 1995 war er Zweiter Chefredakteur von ARD-aktuell, anschließend von 1995 bis 2002 Stellvertretender Chefredakteur des ZDF. Seit 2003 ist er Intendant des Hessischen Rundfunks. Prof. Dr. Wolf-Dieter Ring, Rechtsanwalt, Präsident a.D. der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM). Geboren am 27. März 1941 in Wien. Studium der Rechtswissenschaften an der Universität München, 2. Staatsexamen 1972. Tätig beim Verein der Bayerischen Chemischen Industrie im Bereich der Tarif- und Sozialpolitik. Von 1975 bis 1978 persönlicher Referent des Intendanten des Bayerischen Rundfunks, Reinhold Vöth. Von 1978 bis 1985 Leiter des Referats Medienpolitik der Bayerischen Staatskanzlei. Von April 1985 in der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien tätig, erst als Beauftragter, dann als Geschäftsführer und vom Januar 1990 bis September 2011 als Präsident. In dieser Zeit Wahrnehmung verschiedener Aufgaben der Landesmedienanstalten (DLM), z. B. Vorsitzender der Direktorenkonferenz der DLM, des Arbeitskreises Rechts- und Grundsatzangelegenheiten, Vorsitzender der technischen Kommission (TKLM) sowie Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz. 1993 erfolgte die Bestellung zum Honorarprofessor für Rundfunkpolitik und neue Medien an der Ludwig-Maximilian-Universität München, Oktober 2011 die Zulassung als Rechtsanwalt. Ring ist im Aus- und Fortbildungsbereich aktiv, so seit mehr als 20 Jahren als Studienleiter des Fachstudiums Medienmarketing an der Bayerischen Akademie für Werbung und Marketing (BAW), als Vizepräsident der BAW sowie als Vizepräsident der Bayerischen Akademie für Fernsehen (BAF). Außerdem wirkt er im FilmFernsehFonds Bayern mit. Von April 2010 bis April 2013 war er sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission im Deutschen Bundestag „Internet und digitale Gesellschaft“. 354

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Dr. Alexander Roßnagel, Universitätsprofessor für Öffentliches Recht mit dem Schwerpunkt Recht der Technik und des Umweltschutzes an der Universität Kassel. Wissenschaftlicher Leiter der „Projektgruppe verfassungsverträgliche Technikgestaltung (provet)“ im Forschungszentrum für Informationstechnik-Gestaltung (ITeG) der Universität Kassel, geschäftsführender Direktor des Kompetenzzentrums für Klimaschutz und Klimaanpassung (CliMA). Promotion 1981, Habilitation 1991, Forschungspreis der Alcatel Lucent-Stiftung 1993, Fellow der Gesellschaft für Informatik 2007, von 2003 bis 2011 Vizepräsident der Universität Kassel. Ingrid Scheithauer arbeitet als Publizistin, Medienberaterin und Coach in Meckenheim bei Bonn. Mit ihrem 2003 gegründeten Büro übernimmt die gebürtige Hannoveranerin mit österreichischen Wurzeln die Konzeption und Realisation von Medienveranstaltungen. Die Veränderungen der Medienlandschaft analysiert und kommentiert Ingrid Scheithauer seit Anfang der 80er Jahre als Redakteurin der Frankfurter Rundschau, deren Medienressort sie aufbaute und bis 2003 leitete. Als Moderatorin ist Ingrid Scheithauer, die Politik- und Kommunikationswissenschaft in Mainz, München und Stanford/Kalifornien studiert hat, bei nationalen und internationalen Medienkongressen aktiv. Sie gehört verschiedenen Jurys für Medienpreise an und war unter anderem Mitglied der „Weizsäcker-Kommission“ und des Medienrates der LfM NRW. Mit den durch die Digitalisierung ausgelösten Transformationsprozessen in Medien und Gesellschaft befasst sie sich ebenso intensiv wie mit den verschiedenen Facetten des Themas Vertrauen und mit dem Entstehen von Denkstrukturen. Alexander Scheuer, geboren 1968, ist seit Juli 2013 Leiter Medienpolitik und Medienregulierung im Zentralbereich Politik und Regulierung der Deutschen Telekom AG in Bonn. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität des Saarlandes und der Katholieke Universiteit Leuven, Belgien, absolvierte er den Aufbaustudiengang „Europäische Integration“ an der Universität des Saarlandes. Im Anschluss an das Referendariat am Saarländischen Oberlandesgericht begann Scheuer 1996 als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Institut für Europäisches Medienrecht e.V. (EMR), Saarbrücken/Brüssel. Von 2000 bis Juni 2013 war er Geschäftsführer und Mitglied des Direktoriums des EMR. Scheuer ist Mitherausgeber und Autor des Kommentars „European Media Law“; er war von 1999 bis 2010 Autor des Kommentars zu den EU-Verträgen. Scheuer ist Mitglied im Redaktionsausschuss der „IRIS – Rechtliche Rundschau der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle“ in Straßburg; seit 2004 Mitglied und seit 2013 stellvertretender Vorsitzender des Kuratoriums der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), Berlin. Prof. Dr. Norbert Schneider, geboren am 7. August 1940 in Langenau/Württemberg. Von 1959 bis 1964 Studium der evangelischen Theologie und Publizistik an den Universitäten Tübingen, Marburg und Hamburg mit Promotion und Tätigkeit als Wissenschaftlicher Assistent; Vikariate, Volontariat beim SWF (1965–1971). Referent von 1971 bis 1976, ab 1976 Direktor des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP) in Frankfurt a.M. Direktor für Hörfunk und Fernsehen beim Sender Freies Berlin von 1981 bis 1986. Von 1986 bis 1993 Geschäftsführer der Allianz-Film GmbH Berlin, einer Tochter des WAZ-Konzerns. Von 1993 bis 2010 Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM). Vorsitzender der DLM von Januar 1999 bis März 2003. Beauftragter der ZAK für Programm und Werbung von April 2003 bis Dezember

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2009. Mitglied der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) von 2006 bis 2009. Verleihung des Professorentitels durch die Landesregierung NRW am 29. Juli 2004. Seit 1. Oktober 2010 im Ruhestand. Zahlreiche Publikationen zu Medienthemen in Fachdiensten, in der Tages- und Wochenpresse, in Büchern und Sammelbänden. Siegfried Schneider, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) in München und Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) der Landesmedienanstalten. Nach dem Studium und seiner Tätigkeit als Lehrer an verschiedenen Grund-, Haupt- und Förderschulen wechselte er 1994 als Mitglied des Bayerischen Landtags in die Politik. Von 2005 bis 2008 war Schneider Bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus, von Oktober 2008 bis zu seiner Wahl zum Präsidenten der BLM im März 2011 Leiter der Bayerischen Staatskanzlei. Seit 14. Dezember 2011 ist Siegfried Schneider Vorsitzender der KJM. Neben Funktionen in etlichen medienbezogenen Organisationen hält Schneider Mitgliedschaften unter anderem im Kuratorium der Internationalen Simon Mayr Gesellschaft Ingolstadt sowie im Aufsichtsrat des TSV 1986 München. Dr. Willi Steul, geboren 1951 in Brechen bei Limburg/Lahn, verheiratet, vier Kinder. Nach dem Abitur im Jahre 1969 studierte er Ethnologie, Philosophie, kath. Theologie und Geschichte an den Universitäten Oxford, Paris, Frankfurt und Kabul. Promotion zum Dr. phil. an der Universität Heidelberg. Zur Finanzierung des Studiums arbeitete er als Freier Mitarbeiter und Korrespondent für Tageszeitungen und Wochenzeitungen. 1973–1975 erhielt er ein Stipendium und eine Ausbildung im „Institut zur Förderung publizistischen Nachwuches e.V.“ in München und war zugleich Reporter und Moderator im SWF Landesstudio Tübingen. 1976–1977 Feldforschungen, Dozent Ethnologie an der Universität Kabul und stellvertretender Leiter der Außenstelle Kabel des Südasien-Instituts der Universität Heidelberg. 1978–1979 war er Redakteur im Bereich Politik beim SWF Baden-Baden und übernahm Vertretungen des ARDNahostkorrespondenten Beirut im Libanon. Danach war er Korrespondent des SWF in Bonn und zusätzlicher Sonderkorrespondent der ARD für Afghanistan. Von 1982–1987 war er ARD-Korrespondent im Bereich Hörfunk für Griechenland, Türkei und Zypern. 1988–1989 Chef vom Dienst des aktuellen Zeitgeschehens beim SWF Baden-Baden. 1990–1991 ARD-Korrespondent HF, Abrüstung, UNO und Schweiz, Genf, und zusätzlicher Sonderkorrespondent für den Golf-Krieg. 1992–1994 stellvertretender Leiter des SWF/SDR-Studios in Bonn. Von 1994–1998 war er Chefredakteur und stellvertretender Direktor von DeutschlandRadio Berlin. Von 1998 an war er Landessenderdirektor Baden-Württemberg und gleichzeitig stellvertretender Intendant des Südwestrundfunks Stuttgart. Seit 2009 ist er Intendant des Deutschlandradios. Er hat außerdem zahlreiche Ehrenämter inne, unter anderem als Vorsitzender des Deutschen Freundeskreises europäischer Jugendorchester e.V., als Präsident und Gründer „young-euro-classic“ Orchester-Festival, Berlin, als Berater des AA und von NGOs zu Afghanistan, islamische Länder generell etc. Im November 2003 Verleihung des Bundesverdienstkreuzes. Katrin Stoffregen, ist seit 1998 als selbständige Rechtsanwältin in Brüssel im Medienund Wettbewerbsrecht sowie im Internationalen Privatrecht tätig. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Nach ihrem Studium der Rechtswissenschaft in Bonn und Paris und ihrem zweiten Staatsexamen am Kammergericht Berlin arbeitete Frau Stoffregen von 356

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1987 bis 1990 als Referentin in der Grundsatzabteilung des Bundeskartellamtes, Berlin. Von 1990 bis 1994 war sie als nationale Expertin bei der EU Kommission / GD Wettbewerb für die wettbewerbliche Prüfung von Fusionskontrollvorhaben zuständig. Im Anschluss an ihre Abordnung zur GD Wettbewerb wechselte Frau Stoffregen in den Anwaltsberuf und ist seitdem als Avocat communautaire auch Mitglied der Brüsseler Anwaltskammer. Seit 1999 berät und vertritt sie die Landesmedienanstalten in europarechtlichen Fragen in Brüssel. Prof. Dr. Helmut Thoma, nach einer Ausbildung in einer Molkerei holte Thoma 1958 an einer Abendschule seine Matura nach und absolvierte anschließend ein Studium der Rechtswissenschaften an der Wiener Universität. Dort promovierte er auch 1962 zum Dr. jur. Nach diversen Praktika bei Gericht und Tätigkeiten in verschiedenen Kanzleien leitete er von 1968 bis 1973 die Rechtsabteilung des ORF „Österreichischer Rundfunk“. 1973 wechselte er als Prokurist zur IPA „Information et Publicité Allemagne“ in Frankfurt, der deutschen Generalvertretung von „Radio Luxemburg“. 1975 Geschäftsführer der „IPA Deutschland“, Frankfurt. 1982 Programmdirektor von „Radio Luxemburg“. Eine herausragende Station seiner Karriere war die Gründung des privaten TV Senders „RTL Plus“ im Jahr 1984 in Luxemburg. 1988 zog „RTL Plus“ unter seinem Vorsitz nach Deutschland um. Damit verbunden war eine Umbenennung des Senders in „RTL Television“. Der Fernsehsender wurde 1992 Marktführer in Deutschland und stieg in der „Ära THOMA“ zur erfolgreichsten TV-Station Europas auf. Helmut Thoma gilt als der „Gründungsvater“ des europäischen Privatfernsehens. Nebst zahlreichen Auszeichnungen wie z. B. „Bambi“, „Goldene Kamera“, „Deutscher Medienpreis“ etc. und Ehrungen wurde er im Jahr 1994, als Anerkennung an seine internationale Karriere, mit dem renommierten „EMMY AWARD“, dem „Fernseh-Oscar“, ausgezeichnet. Nach seiner Karriere bei „RTL Television“ beriet er als Medienbeauftragter den damaligen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Herrn Wolfgang Clement. Heute ist Prof. Dr. Helmut Thoma nebst vielen nationalen und internationalen Aufsichtsratsmandaten in Kabel-, Internet- und Fernsehunternehmen tätig. Als Medienberater vertritt er den Axel Springer Verlag im Verwaltungsrat der „Dogan TV Gruppe“, Istanbul. Zurzeit widmet Thoma jedoch seine ganze Leidenschaft der Gründung seines neuen Fernsehprojekts, einem TV-Network nach amerikanischem Muster mit dem Namen, „VolksTV“, mit einem Programm für junge Zuschauer (14–29 Jahre). Helmut Thoma blickt auf eine nunmehr fast 44-jährige Medienkarriere zurück. Dr. Jörg Ukrow, LL.M. Eur., geboren am 6. Dezember 1960 in Heusweiler. Studium der Rechtswissenschaft, Geschichte, Politikwissenschaft und Philosophie. 1989 2. juristisches Staatsexamen. 1995 Promotion zum Dr. iur. 1989 bis 1992 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität des Saarlandes. 1992 bis 2003 Rundfunkreferent der Staatskanzlei des Saarlandes. Seit 2003 Stellvertretender Direktor der Landesmedienanstalt Saarland. Vorstandsmitglied und seit 2011 zweiter stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Instituts für Europäisches Medienrecht (EMR). Jörg Ukrow war viele Jahre lang Rundfunkreferent in der Saarländischen Staatskanzlei sowie Lehrbeauftragter am Europa-Institut, Sektion Rechtswissenschaft. Karl Waldeck, geb. 1958 in Kassel. Studium der Ev. Theologie in Bielefeld-Bethel, Basel, Marburg und Göttingen. Absolvent der Henri-Nannen-Journalistenschule – Hamburger Journalistenschule. Abgeschlossene Ausbildung zum PR-Berater (DPRG).

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Von 1990 bis 1993 Gemeindepfarrer im Marburger Land, zugleich Medienbeauftragter des Sprengels Waldeck und Marburg. Von 1993 bis 1996 Chefredakteur des Kirchengebietsblatts „Kasseler Sonntagsblatt“. Von 1996 bis 2011 Sprecher der Landeskirche, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Von 2007 bis 2011 Mitglied der Versammlung der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien – LPR Hessen, seit 2011 Direktor der Ev. Akademie Hofgeismar. Dr. Christopher Wolf, LL.M., Mag. rer publ., geboren 1974, studierte Rechtswissenschaften an der Johannes-Gutenberg Universität Mainz. Während seines Referendariats absolvierte er das verwaltungswissenschaftliche Aufbaustudium (Mag. rer. publ.) der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer sowie den Weiterbildungsstudiengang Medienrecht (LL.M.) am Mainzer Medieninstitut. Seit 2003 ist der Leiter des Referats „Medienrecht, Medienpolitik und Medienstandort Saarland“ der saarländischen Staatskanzlei. Berufsbegleitend promovierte er 2009 über das Thema „Der Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“. Für diese Arbeit verlieh ihm 2010 die Johannes-Gutenberg Universität Mainz den Preis der Feldbausch-Stiftung. Er ist Mitglied im Vorstand des Instituts für Europäisches Medienrecht, des saarländischen Justizprüfungsamtes sowie seit dem Wintersemester 2009/2010 Lehrbeauftragter der Universität des Saarlandes mit den Schwerpunkten Medien- und öffentliches Recht. Heiko Zysk hat seine berufliche Laufbahn in den 1990ern bei SAT.1 begonnen und nach der Fusion von SAT.1 und ProSieben in der ProSiebenSat.1 Media AG den Bereich Medienpolitik mitgeprägt. Als Vice President Governmental Relations & Head of European Affairs vertritt er heute die Interessen der ProSiebenSat.1 Media AG auf nationaler und internationaler Ebene mit besonderem Schwerpunkt auf den Themengebieten Neue Medien und Technologien. Heiko Zysk ist Vorstandsmitglied der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e.V. (FSM).

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