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German Pages 358 Year 2021
Judith Heß Europäisierung des Gedenkens?
Public History – Angewandte Geschichte | Band 8
Judith Heß studierte und promovierte im Fach Geschichte an der Universität Mannheim. Nach einem wissenschaftlichen Museumsvolontariat am Historischen Museum der Pfalz entwickelte sie ihr Promotionsthema zu Geschichtsbildern des Ersten Weltkrieges.
Judith Heß
Europäisierung des Gedenkens? Der Erste Weltkrieg in deutschen und britischen Ausstellungen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar. © 2021 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagcredit: epd-bild / Fotograf: Rolf Zöllner Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5619-0 PDF-ISBN 978-3-8394-5619-4 https://doi.org/10.14361/9783839456194 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download
Inhalt
Danksagung ................................................................................... 11
Europäisierung des Gedenkens? 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6
Einleitung................................................................................ 15 Fragestellung und Erkenntnisinteresse .................................................... 15 Theoretische Überlegungen .............................................................. 17 Ausstellungen als Quelle ................................................................. 28 Methodik ................................................................................. 31 Aufbau und Vorgehen in der Arbeit ....................................................... 35 Einordnung in den Forschungsstand zum Weltkriegsgedenken ............................ 36
2. 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7
Der Erste Weltkrieg im Museum ......................................................... Deutsches Historisches Museum ......................................................... Militärhistorisches Museum der Bundeswehr ............................................. Historisches Museum der Pfalz........................................................... Haus der Geschichte Baden-Württemberg ................................................ Imperial War Museum.................................................................... Imperial War Museum North.............................................................. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier ...................................
43 45 53 60 67 75 85 93
Der Erste Weltkrieg in Ausstellungen und Gedenkveranstaltungen 3. 3.1 3.2 3.3
Deutschland und die Kriegsschuldfrage................................................. 107 Ausstellungen zur Kriegsschuldfrage .................................................... 108 Forschungen zur Kriegsschuldfrage ...................................................... 117 Analyse ................................................................................ 133
4. 4.1 4.2 4.3
Großbritannien und die Kriegsschuldfrage ............................................. 139 Ausstellungen zur Kriegsschuldfrage .....................................................140 Forschungen zur Kriegsschuldfrage ...................................................... 144 Analyse .................................................................................159
5. 5.1 5.2 5.3
Deutschland und die Lehren aus dem Ersten Weltkrieg ................................. 167 Ausstellungen zu Lehren aus dem Ersten Weltkrieg ....................................... 167 Forschungen zu Lehren aus dem Ersten Weltkrieg ........................................169 Analyse ................................................................................. 172
6. 6.1 6.2 6.3
Großbritannien und die Bedeutung der Kriegsopfer ..................................... 177 Ausstellungen zu den Kriegsopfern....................................................... 177 Forschungen zu den Kriegsopfern....................................................... 186 Analyse .................................................................................195
7. 7.1 7.2 7.3
Gewalt und Grauen an der Front........................................................ 203 Ausstellungen zu Gewalt und Grauen an der Front........................................ 203 Forschungen zu Gewalt und Grauen an der Front.......................................... 216 Analyse ................................................................................ 228
8. 8.1 8.2 8.3
Leid der Zivilbevölkerung .............................................................. 237 Ausstellungen zum Leid der Zivilbevölkerung ............................................ 238 Forschungen zum Leid der Zivilbevölkerung ............................................. 249 Analyse ................................................................................ 263
9. Der Erste Weltkrieg in Gedenkveranstaltungen......................................... 275 9.1 Britische Regierungs- und Staatsvertreter............................................... 275 9.2 Deutsche Regierungs- und Staatsvertreter .............................................. 279
Europäisierung der Geschichtsbilder des Ersten Weltkrieges? 10. Akteure der Geschichte – Geschichtspolitische Akteure ............................... 287 10.1 Museen als Akteure ..................................................................... 287 10.2 Politiker als Akteure .................................................................... 298 11
Schlussfolgerung – Europäisierung der Geschichte des Ersten Weltkrieges?........... 305
Wissenschaftlicher Apparat 12
Abbildungsverzeichnis ................................................................. 313
13
Abkürzungsverzeichnis ................................................................. 315
14 14.1 14.2 14.3
Quellen- und Literaturverzeichnis ...................................................... 319 Quellen ................................................................................. 320 Literatur ............................................................................... 344 Onlineressourcen ....................................................................... 355
Für meine Oma (* 11.11.1919 † 04.04.2014)
Danksagung
Dieses Buch basiert auf der überarbeiteten Version meiner Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität Mannheim. Bis zur Verteidigung im September 2019 war es ein langer Weg, den ich nicht allein gegangen bin. Von ganzem Herzen gilt mein Dank allen meinen Begleiterinnen und Begleitern im akademischen, musealen und privaten Bereich, die mich unterstützt, ermutigt und motiviert haben. Allen voran möchte ich meiner Doktormutter Prof. Dr. Sylvia Schraut danken. Sie hat meinen akademischen Weg seit 2005 begleitet, als sie mich als Hilfskraft für ihr Forschungsprojekt zu Geschichtsbildern in Geschichtsatlanten einstellte, und stets großes Vertrauen in meine akademischen Fähigkeiten legte. Darüber hinaus hatte sie immer ein offenes Ohr, ganz besonders in den schwierigen Phasen der Dissertation. Dies gilt auch für Prof. Dr. Julia Angster, die mich als »Satellit« in ihrem Oberseminar aufgenommen und meine Anfrage für das Zweitgutachten mit einem »Selbstverständlich« bejaht hat. In zahlreichen Gesprächen hat sie mir das »richtige Werkzeug« mit auf den Weg gegeben und geholfen meine Gedankengänge zu kanalisieren. Für die Betreuung, die ich mir nicht besser vorstellen und wünschen hätte können, gilt ihnen beiden mein herzlichster Dank. Letztlich hätte die vorliegende Arbeit nicht entstehen können, wenn sich die Museen – das Deutsche Historische Museum in Berlin, das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden, das Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart, das Historische Museum der Pfalz in Speyer, das Imperial War Museum in London, das Imperial War Museum North in Manchester und das Firing Line Museum of The Queen’s Dragoon Guards and The Royal Welsh in Cardiff – nicht bereit erklärt hätten, mir einen Blick hinter ihre Kulissen zu gewähren. Daher gilt mein besonderer Dank den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich für die Experteninterviews zur Verfügung gestellt und sich auch in der Schreibphase der Dissertation Zeit für meine Fragen genommen haben. Die Forschungsarbeit in Großbritannien wurde durch ein Stipendium des DAADs unterstützt. An dieser Stelle möchte ich mich nicht nur für die finanzielle, sondern auch für die ideelle Förderung und vor allem die hervorragende Betreuung bedanken. In der Reihe derer, denen ich danken möchte, sind mein Vorgesetzter und meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsstelle des Zentralen Prüfungsaus-
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Europäisierung des Gedenkens?
schusses der Universität Mannheim zu nennen, die mir den zeitlichen Freiraum in der Schreibphase der Dissertation ermöglichten. Mein weiterer Dank gilt den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Oberseminars am Lehrstuhl von Frau Prof. Angster. Insbesondere möchte ich Dr. Almuth Ebke danken. Im Oberseminar hatte ich die Möglichkeit meine Arbeit einem kritischen Publikum vorzustellen und in ehrlichen, offenen und stets wertschätzenden Diskussionen meine Forschungen kritisch hinterfragen zu lassen. Einen besonders herzlichen Dank haben auch meine fleißigen Korrekturleserinnen und Korrekturleser verdient. Für den größten Einsatz bedanke ich mich bei Steffen Hölzel. Er hat die Arbeit in Gänze gelesen und mir mit dem sorgfältigen und gründlichen Lektorat so viel seiner Zeit geschenkt. Für das Korrekturlesen des übearbeiteten Texts gilt mein herzlicher Dank zudem Veronika Koch. Des Weiteren – nun in alphabetischer Reihenfolge – geht mein Dank an Nadine Baum, Anja Elkeries, Bernadette Heß, Verena Heß und Dr. Christiane Sutter. Darüber hinaus möchte ich auch besonders Dr. Daniela Kuschel und Eva-Maria für ihre Zeit und das Motivieren – wo notwendig – danken. Meine letzten Dankesworte gelten meinen Eltern: Hättet Ihr mich damals nicht unterstützt, als ich mich entschied, anstatt einer Ausbildung das Abitur zu machen, hätte ich mir mit dem vorliegenden Buch einen Kindheitstraum nicht erfüllen können. Danke für Eure immerwährende Unterstützung in jeglichen Lebenslagen. Mannheim, September 2020
Europäisierung des Gedenkens?
1. Einleitung
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Fragestellung und Erkenntnisinteresse
Die Politik nutzt Jahrestage, Jubiläen oder Geburtstage oft als Anlass für eine Ausstellung nicht zuletzt zur eigenen Prestigesteigerung.1 Im Juli beziehungsweise im August 2014 jährte sich zum hundertsten Mal der Beginn des Ersten Weltkrieges. Im deutschen Geschichtsbewusstsein sind vor allem der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg präsent. Der Erste Weltkrieg hingegen spielte in der deutschen Gesellschaft kaum mehr eine Rolle. Anders in Großbritannien, wo die Erinnerung durch die jährlichen Feierlichkeiten zum »Remembrance Day« um den 11. November wachgehalten wird. Politische Gedenktage bilden dabei eine Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, um Orientierungs- und Handlungshilfen für die Deutung und Wahrnehmung von Geschichte zu generieren.2 Umso verwunderter äußerten sich die Presse und Historiker3 wie Gerd Krumeich oder Edgar Wolfrum über das Handeln der deutschen Bundesregierung, die sich nur zögerlich und verspätet zu ihren Plänen für das Gedenken an den Ersten Weltkrieg im Jahr 2014 äußerte.4 Die Süddeutsche.de veröffentliche am 4. März 2014 einen Artikel über die Verspäteten Pläne für das Gedenkjahr und 1 2
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Vgl. hierzu: Martin Große Burlage: Große historische Ausstellungen in der Bundesrepublik Deutschland 1960-2000 (= Zeitgeschichte – Zeitverständnis 15), Münster 2005, S. 301. Vgl. Janina Fuge: Zwischen Kontroverse und Konsens: »Geschichtspolitik« als pluralistische Bewährungsprobe der deutschen Nachkriegsgesellschaft in der Weimarer Republik, in: Harald Schmid (Hg.): Geschichtspolitik und kollektives Gedächtnis (= Formen der Erinnerung), Göttingen 2009, S. 134. Mit Nennung der männlichen Funktionsbezeichnung ist in diesem Buch, sofern nicht anders gekennzeichnet oder inhaltlich nicht stimmig, immer auch die weibliche Form mitgemeint. Vgl. Constanze von Bullion: Verspätete Pläne für das Gedenkjahr, in: Süddeutsche.de (4. März 2014). URL: https://www.sueddeutsche.de/politik/beginn-des-ersten-weltkriegs-verspaetete-plaen e-fuer-das-gedenkjahr-1.1904202 (3. Oktober 2018); Monika Fenn: »Der Krieg, der fern war, ist jetzt nah«. Staatliches Erinnern an »1914« im Mega-Jubiläumsjahr 2014 in Deutschland, in: Monika Fenn/Christiane Kuller (Hgg.): Auf dem Weg zur transnationalen Erinnerungskultur? Konvergenzen, Interferenzen und Differenzen der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg im Jubiläumsjahr 2014 (= Wochenschau Geschichte), Schwalbach i.T. 2016, S. 69.
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Europäisierung des Gedenkens?
das Budget der deutschen Bundesregierung von 4,7 Millionen Euro, das im Vergleich zu dem der britischen Regierung, die etwa 60 Millionen Euro einplante, spärlich wirken würde.5 Hew Strachan führte das Verhalten der Bundesregierung auf die FischerKontroverse in den 1960er Jahren zurück.6 Fritz Fischers These, dass Deutschland, wie in den Versailler Verträgen festgehalten, die Alleinschuld am Ersten Weltkrieg zu tragen habe, habe die deutsche Vorstellung über den Ersten Weltkrieg bis nach der Jahrtausendwende geprägt.7 Christopher Clark eröffnete mit der Publikation von Die Schlafwandler 8 im Jahr 2013 die Diskussion in der breiten Öffentlichkeit in Deutschland um die Frage nach der Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges neu. Dabei verschob sich der Fokus von der Frage der Schuld zu der Frage nach einer geteilten Verantwortung. Dies trug wohl auch dazu bei, dass sich die Politik nicht weiter im »Wegducken«9 übte, obwohl die Deutung der geteilten Verantwortung in der Wissenschaft zu dem Zeitpunkt längst anerkannt war.10 Denn der »Erste Weltkrieg […] war kein Anlass mehr, nach einem Schuldigen für den Tod von Millionen zu suchen, sondern eine Mahnung, gemeinsam eine Wiederholung zu verhindern«11 und »für das furchtbare Geschehen durch Erinnern Verantwortung zu übernehmen.«12 Für 2014 war daher zu erwarten, dass es insbesondere in Großbritannien, aber auch in Deutschland, neben politischen und kulturellen Veranstaltungen auch Museumsausstellungen zum Gedenken geben würde. Die vorliegende Arbeit zeigt auf, wie 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg aus musealer Sicht an die ›Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts‹ gedacht wurde und welche Geschichtsbilder über den Ersten Weltkrieg im Gedenkjahr 2014 in den Museen und ihren Ausstellungen dafür vermittelt wurden. Die Frage nach den Geschichtsbildern soll anhand exemplarisch ausgewählter Museumsausstellungen beantwortet werden, die anlässlich des Gedenkens 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland und Großbritannien veranstaltet wurden. Das Erkenntnisinteresse richtet sich dabei auf die Herausarbeitung der unterschiedlichen nationalen Perspektiven eines Kriegsgewinners – Großbritannien – und eines Kriegsverlierers – Deutschland. Dabei sollen zum einen Geschichtsbilder identifiziert werden, die die nationalen Narrative und Diskurse widerspiegeln, und zum anderen aufgezeigt werden, welche Geschichtsbilder hinsichtlich einer Europäisierung der Geschichte des Ersten Weltkrieges in deutschen und britischen Museumsausstellungen konstruiert wurden. Die Annahme dabei ist, dass Museen als selbstständige geschichtspolitische
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Vgl. Constanze von Bullion: [371]. Zur Verwendung der laufenden Nummern anstatt Kurztiteln vgl. den Hinweis im Kapitel Quellen- und Literaturverzeichnis. Vgl. Hew Strachan: The Fog of War. Germany Is Uncertain About How to Commemorate the First World War, in: Prospect 220 (2014), S. 39. Vgl. ebd. Christopher Clark: The Sleepwalkers. How Europe Went to War in 1914, Erstveröffentlichung in Großbritannien 2012, New York 2013. Michael Epkenhans: Der Erste Weltkrieg – Jahrestagsgedenken, neue Forschungen und Debatten einhundert Jahre nach seinem Beginn, in: VfZ 63, 2 (2015), S. 135. Vgl. ebd., S. 135f und S. 146f. Ebd., S. 140. Ebd., S. 148.
1. Einleitung
Akteure handeln, die zur Schaffung eines europäischen Geschichtsbildes ›Erster Weltkrieg‹ beitragen. Mit einem solchen europäischen Geschichtsbild ist die Einbindung nationaler Narrative in eine europäische Geschichtsschreibung gemeint, die damit zu einer Europäisierung der Geschichte des Ersten Weltkrieges beitragen soll. So sehen Monika Fenn, Martin Sabrow, Herfried Münkler oder Aleida Assmann Anzeichen, dass Erinnerungsprozesse politisch gewollt zu einer gemeinsamen europäischen Geschichtsschreibung des Ersten Weltkrieges führen sollen.13 Dabei ist mit Europäisierung nicht gemeint, »dass vermeintlich homogene nationale Geschichtsbilder auf einer neuen Stufe zu einem einzigen, grenzübergreifenden Geschichtsbild zusammenwachsen«14 , sondern, dass eine transnationale Erinnerung vielmehr aus dem Zusammentreffen eines breiten Spektrums heterogener Geschichtsbilder auf unterschiedlichsten Ebenen entsteht.15
1.2
Theoretische Überlegungen
Bei Ausstellungsprojekten in Museen ergibt sich erfahrungsgemäß die Schwierigkeit den wissenschaftlichen Anspruch und die Anforderungen, die die Besucher an die Museen und Ausstellungsinhalte stellen, zu vereinbaren. Wissenschaftler, die je nach Ausstellungsthema beratend hinzugezogen werden, und die Ausstellungsmacher ringen oftmals darum, wieviel Wissenschaft, Kontroversen, Debatten und detailliertes Fachwissen in einer Ausstellung sichtbar bleiben müssen und wo der wissenschaftliche Anspruch in der inhaltlichen und sprachlichen Darstellung und Präsentation der Themen auf Kosten von Verständlichkeit und begrenzter Textlänge begrenzt werden muss. Denn Ausstellungsmacher stoßen bei ihrer Arbeit an inhaltliche und sprachliche oder auch an räumliche und finanzielle Begrenzungen, wenn es um die Durchführung und Umsetzung einer Ausstellung geht. Aus eigener Erfahrung besteht die Schwierigkeit, wissenschaftlich relevante Teilaspekte für die Besucher in Kürze verständlich und spannend zu vermitteln, möglichst ohne die Ausstellungsräume mit Texttafeln zu überfrachten und zu viel Fachsprache zu verwenden. Denn zu den Aufgaben eines Museums zählt neben dem Sammeln, Bewahren und Forschen insbesondere das Vermitteln.16 Museen bewegen sich bei der Durchführung ihrer Ausstellungstätigkeit und der Vermittlung von Geschichte und historischen Ereignissen in einem Bereich, in dem noch weitere Akteure mit unterschiedlichen Interessen eingebunden sind. Neben den
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Vgl. Monika Fenn: [398], S. 86f. Monika Fenn/Christiane Kuller: Auf dem Weg zur transnationalen Erinnerungskultur? Konvergenzen, Interferenzen und Differenzen der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg im Jubiläumsjahr 2014. Einleitung, in: Dies. (Hgg.): Auf dem Weg zur transnationalen Erinnerungskultur? Konvergenzen, Interferenzen und Differenzen der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg im Jubiläumsjahr 2014 (= Wochenschau Geschichte), Schwalbach i.T. 2016, S. 15. Vgl. ebd. Zu den Richtlinien der Mindeststandards des International Council of Museums (ICOM) vgl. ICOM Schweiz/ICOM Deutschland/ICOM Österreich (Hgg.): Ethische Richtlinien für Museen von ICOM, überarb. 2. Auflage der deutschen Version, Paris 2010.
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Europäisierung des Gedenkens?
Ausstellungsmachern, Wissenschaftlern und Besuchern ist das auch oftmals die Politik. Die Ausstellungsmacher konzipieren Ausstellungen unter einer bestimmten Fragestellung und bestimmen darüber, auf welche Weise und in welchem geschichtlichen Zusammenhang die Exponate kontextualisiert und verstanden werden sollen. Das Leitbild des Museums dient dabei als Richtschnur für die inhaltliche Ausrichtung der Ausstellungen. Es wird gleichzeitig von den Trägern des Museums mitbestimmt, die in der Regel der öffentlichen Hand angehören und somit der Politik, sei es auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene.
1.2.1
Museums- und Ausstellungstheorie
Museumsausstellungen schaffen »Geschichtsbewußtsein oder […] Geschichtsbilde[r] [und nehmen, J.H.] eine herausragende Rolle in der öffentlichen Geschichtskultur«17 ein, so Ulrich Thamer. Sie sind Orte der Wissensproduktion, indem sie Objekte als Elemente institutionalisierter Geschichten verwenden.18 Gleichzeitig ergeben sich Kontroversen zwischen geschichtswissenschaftlichen Ansprüchen und den Zwängen, denen die Ausstellungsmacher unterliegen.19 Das Museum soll mit seiner Präsentation von Objekten »sinnliche Geschichtserkenntnis«20 stimulieren und dem Bedürfnis nach Identifikation, aber auch gleichzeitig dem nach Verfremdung gerecht werden. Denn das authentische Objekt als Zeugnis ferner, vergangener Zeiten ruft beim Betrachter die Erfahrung von Fremdheit, aber auch von Zugehörigkeit hervor. Es ist Sache des Historikers, die Zusammenhänge zwischen den Objekten und historischen Strukturen beziehungsweise Prozessen herzustellen.21 Arno Borst sprach davon, dass es die Aufgabe der Wissenschaftler sei, Geschichte in ihren Veränderungen zu identifizieren, ohne dass der Besucher sich mit der Geschichte identifiziert.22 Die Geschichtswissenschaft ist dazu da, um die »Pluralität von historischen Identitätsangeboten heraus[zu]arbeiten und den kritischen Umgang mit historischen Sinnzusammenhängen vor[zu]bereiten.«23 Folglich bedeutet dies, dass histori-
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Ulrich Thamer: Vom Heimatmuseum zur Geschichtsschau. Museen und Landesausstellungen als Ort der Erinnerung und der Identitätsstiftung, in: Westfälische Forschungen. Zeitschrift des Westfälischen Instituts für Regionalgeschichte des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe 46 (1996), S. 431. Vgl. James Wallis/James Taylor: The Art of War Display. The Imperial War Museum’s First World War Galleries, 2014, in: James Wallis/David Harvey (Hgg.): Commemorative Spaces of the First World War. Historical Geographies at the Centenary (= Routledge Research in Historical Geography), London/New York 2018, S. 107. Vgl. Ulrich Thamer: [517], S. 445f. Ebd., S. 445. Vgl. hierzu bei ebd., S. 445f; sowie Gottfried Korff: Ausgestellte Geschichte, in: Saeculum: Jahrbuch für Universalgeschichte 43 (1992), S. 27; Sheila Watson: Myth, Memory and the Senses in the Churchill Museum, in: Sandra Dudley (Hg.): Museum Materialities. Objects, Engagements, Interpretations, London/New York 2010, S. 205. Vgl. Arno Borst: Barbarossas Erwachen. Zur Geschichte der deutschen Identität, in: Odo Marquard/Karlheinz Stierle (Hgg.): Identität (= Poetik und Hermeneutik 8), München 1979, S. 60; Ulrich Thamer: [517], S. 446. Ebd.
1. Einleitung
sche Ausstellungen ein wichtiges, wenn auch nicht unproblematisches Mittel der Geschichtsvermittlung sind, das einer ständigen Kritik zu unterziehen ist, nicht zuletzt auch, um einer »unhistorischen Identitätsstiftung entgegenwirken«24 zu können.25 Die Stärke von Museumsausstellungen ist es, begehbare Geschichtsbilder zu erzeugen, die Geschichte anhand von Originalobjekten illustrieren.26 Dadurch werden in Ausstellungen historische Zusammenhänge und Strukturen erschlossen, ohne dabei in Gefahr zu geraten, Vergangenheit lebendig machen zu wollen.27 Denn der historische Sinn eines Objekts erschließt sich erst durch die didaktische Vermittlung von relevanten Inhalten für das Ausstellungsnarrativ.28 Durch die didaktische Vermittlung werden die Vorstellungen und Erkenntnisse der Besucher von und über Geschichte begründet, korrigiert oder erweitert.29 Erst wenn die Objekte durch Ausstellungstexte, Führungen, Installationen, Inszenierungen und Beleuchtung in einen Zusammenhang gebracht werden, beginnen sie ihre Geschichte zu erzählen.30 Denn Ausstellungen folgen Narrativen mit einem Anfang und einem Ende, mit Höhe- und Tiefpunkten.31 Erst durch die Kontextualisierung der Objekte wird eine Bedeutung geschaffen, und diese Bedeutung wiederum bildet die konstruierte Geschichte als Abbild und nicht als Wiederaufleben der Vergangenheit.32 24 25
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Ebd., S. 447. Vgl. hierzu Rainer Wirtz: Gehört Geschichte ins Museum? Zum Verhältnis von Geschichtswissenschaft zu gegenwärtigen Versuchen musealer Präsentation, in: Zeitschrift für Volkskunde. Beiträge zur Kulturforschung 85 (1989), S. 80; Ulrich Thamer: [517], S. 446. Vgl. Gottfried Korff: Museumsdinge. Deponieren – exponieren, hg.v. Martina Eberspächer/Gudrun König/Bernhard Tschofen, 2. ergänzte Auflage, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 171 und S. 311. Als Original im eigentlichen Sinn wird im Museumskontext ein Gegenstand bezeichnet, der vom Urheber selbst stammt, geschaffen und unverändert überliefert ist. Entsprechend sind Nachbildungen, Zweitfassungen, Umarbeitungen und Repliken keine Originale eines Künstlers, aber dennoch von ihm selbst hergestellte Wiederholungen. Ein Replikat hingegen ist eine originalgetreue Nachbildung, die sich dadurch von einer Kopie unterscheidet, dass eine Kopie eine möglichst originalgetreue Nachbildung ist, die aus dritter Hand entsteht. Die Begriffsdefinition ist entnommen aus Hildegard Vieregg: Museumswissenschaften. Eine Einführung, Paderborn 2006, S. 44. Vgl. Gottfried Korff: [449], S. 311; Katharina Flügel: Einführung in die Museologie (= Einführung Kunst und Architektur), Darmstadt 2005, S. 140f. Einen Überblick über weitere Museums- und Ausstellungskonzepte stellt Hildegard Vieregg vor. So gibt es neben narrativen auch szenografisch, landschaftlich oder räumlich orientiere Konzepte. Vgl. Hildegard Vieregg: [524], S. 50-54. Die Konzepte der untersuchten Ausstellungen werden im Kapitel 2 Der Erste Weltkrieg im Museum vorgestellt. Vgl. Katharina Flügel: [403], S. 140f; Gottfried Korff: Vom Verlangen, Bedeutung zu sehen, in: Heinrich Grütter/Jörn Rüsen/Ulrich Borsdorf (Hgg.): Die Aneignung der Vergangenheit. Musealisierung und Geschichte (= Zeit – Sinn – Kultur 2), Bielefeld 2005, S. 101f. Vgl. Olaf Hartung: Aktuelle Trends in der Museumsdidaktik und ihre Bedeutung für das historische Lernen, in: Vadim Oswalt/Hans-Jürgen Pandel (Hgg.): Geschichtskultur. Die Anwesenheit von Vergangenheit in der Gegenwart, Schwalbach i.T. 2009, S. 168f; Hildegard Vieregg: [524], S. 47. Vgl. Olaf Hartung: [420], S. 171. Vgl. Michael Fehr: Das Museum und sein Gedächtnis. Die Sammlung »Moderne Kunst aus dem Museum Folkwang« im Karl Ernst Osthaus-Museum der Stadt Hagen, in: Ulrich Borsdorf/Heinrich Grütter (Hgg.): Orte der Erinnerung, Frankfurt a.M. 1999, S. 342; Daniel Sherman: Gegenstände des Erinnerns. Geschichte und Erzählung in französischen Kriegsmuseen, in: Rosmarie Beier-de Haan (Hg.): Geschichtskultur in der Zweiten Moderne, Frankfurt a.M. 2000, S. 210.
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Europäisierung des Gedenkens?
Hinzu kommen die bedeutenden Rollen der ›Authentizität‹ und der ›Aura des Originals‹33 , wie es der Kulturkritiker Walter Benjamin beschrieb. Erst die »Authentizität des historischen Relikts«34 macht die museale Präsentation aus, sie generiert die besondere Geschichtserfahrung, die durch kognitive, intellektuelle und diskursive Wege wie dem Geschichtsunterricht oder der Literatur nicht geboten werden.35 ›Authentizität‹ betrifft allerdings nicht nur die Objekte selbst. Das ›Authentische‹, das in der Bedeutung des Echten oder des Ursprünglichen zu verstehen ist, kann um den Begriff der ›historischen Authentizität‹ erweitert werden, denn die Kriterien und Praktiken zur Festlegung, was als authentisch gewertet wird, müssen im jeweiligen zeitlichen und räumlichen Kontext betrachtet werden.36 Die Deutung einer authentischen Vergangenheit wird folglich von bestimmten Personen oder Gruppierungen festgelegt, die damit entscheiden, was wichtig ist und bewahrt, aber auch was vergessen oder vernichtet werden soll.37 Thiemeyer formuliert es zugespitzt: »Das Ding wird nicht bedeutsam, nur weil es echt ist, sondern weil es in einem als bedeutend erkannten [Herv. i.O.] Zusammenhang steht.«38 Die ›Authentizität‹ erhöht dadurch den »Zeugniswer[t]«39 musealer Ausstellungen. Unter der ›Aura‹, so Korff, ist die sinnliche Anmutung der Exponate zu verstehen, die, wie bereits erwähnt, die Vergangenheit näher bringt und eine unmittelbare Berührung ermöglicht, aber gleichzeitig, da die Dinge im Museum ihrem ursprünglichen Kontext entnommen sind, eine Distanz und Fremde generiert, die notwendig ist, um historische Erkenntnis zu schaffen.40 Dieser sinnliche oder emotionale Aspekt lässt sich jedoch nicht begrifflich fassen, sondern nur erleben.41 Daher geht es auch in den Welt-
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Vgl. Gottfried Korff: [449], S. 120; Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit und weitere Dokumente, mit Kommentar von Detlev Schöttker (= SuhrkampStudienbibliothek 1), Frankfurt a.M. 2007, S. 16. Gottfried Korff: [449], S. 120. Vgl. ebd. Vgl. Andrea Rehling/Johannes Paulmann: Historische Authentizität jenseits von »Original« und »Fälschung«. Ästhetische Wahrnehmung – gespeicherte Erfahrung – gegenwärtige Performanz, in: Martin Sabrow/Achim Saupe (Hgg.): Historische Authentizität, Göttingen 2016, S. 125. Vgl. ebd. Thomas Thiemeyer: Werk, Exemplar, Zeuge. Die multiplen Authentizitäten der Museumsdinge, in: Martin Sabrow/Achim Saupe (Hgg.): Historische Authentizität, Göttingen 2016, S. 82. Gottfried Korff: [449], S. 168. Darüber hinaus vgl. zum Begriff Authentizität Martin Sabrow/Achim Saupe (Hgg.): Historische Authentizität, Göttingen 2016. Vgl. Gottfried Korff: [449], S. 120. Vgl. Thomas Thiemeyer: [521], S. 83. In Bezug auf Weltkriegsausstellungen seien Historiker »genuinely suspicious of the capacity of personal feeling to provide the foundation for an enduring and intelligent connection to a complex past. On the other hand, the persistence of powerful emotional responses to the war and those who fought it does not immediately shut down the possibilities for the fresh perspectives that so many historians are now demanding. Rather can they provide the impetus to seek broader, more complex comprehension of the war, where it is made publicly available. In Winter’s schema of historical remembrance, historians are only one group among numerous active agents; our unease about the limited space we occupy should push us to embrace our own role as makers of the past in an attempt to rework popular narrative of the war, in ways responsible to the evidence and to the people of the past.« Bart Ziino: Introduction. Remembering the First World War Today, in: Ders. (Hg.): Remembering the First World War (= Remembering the Modern World), London/New York 2015, S. 14.
1. Einleitung
kriegsausstellungen nicht darum, Vergangenheit wieder lebendig zu machen, sondern mittels der authentischen Objekte den »historischen Sinn und historischen Spürsinn ausbilden helfen.«42 Die ausgewählten Objekte werden entsprechend ihres Sinnzusammenhangs in den Ausstellungen angeordnet, entweder innerhalb einer Objektgruppe, so dass die einzelnen Ausstellungsstücke bereits einen Zusammenhang im Kleinen darstellen, oder als Einzelexponat, was auch zur Betonung eines besonderen Stellenwerts beitragen kann.43 Die Raumarchitektur, die Höhe der Anordnung, ob mit oder ohne Vitrine, aber auch die Lichtführung und die farbliche Gestaltung des Objekthintergrunds wirken im Zusammenspiel mit den Objekten auf die kognitive und emotionale Wahrnehmung der Besucher.44 Dabei werden Geschichtsbilder konstruiert, die das Objekt als »Träger vielfältiger Informationen [Herv. i.O.]«45 transportiert, wie beispielsweise »die Lebensart einer Epoche, auch teilweise für uns unverständliche Fakten, Gewohnheiten, Förmlichkeiten, Gebräuche, Modeerscheinungen [und, J.H.] Ziel- und Wertvorstellung der Vergangenheit«46 . »Farbe, Form und Material entfalten emotionale Anmutungen, ziehen die Aufmerksamkeit des Besuchers auf sich und beeinflussen den Wahrnehmungsprozess.«47 Gemäß Korff kann Inszenierung in einer Ausstellung »einen bewußt ästhetisch organisierten Rahmen für Kognitionsleistungen schaffen.«48 Neben dem Sehen, der Anschauung, werden Erkenntnisleistungen- und Erkenntnislenkungsprozesse in der Museumsexposition also durch den Raum, den die Dreidimensionalität der Dinge fordert, möglich gemacht. Das räumliche Arrangement ist die Voraussetzung für Imaginationsvorgänge, für das Wirksamwerden der Einbildungskraft, […] mit der Absicht, Neugierde zu evozieren und Erkenntniskräfte zu aktivieren.49 Die Anordnung der Objekte, zeitlich oder nach Gattung, folgt dabei dem Ausstellungsnarrativ.50 Die Einordnung der Objekte in einen kulturellen, historischen, räumlichen, ästhetischen, politischen oder ökonomischen Kontext und die Deutung über die ursprüngliche Funktion des Objekts erfolgt schließlich durch die Ausstellungstexte.51 Aufgrund dessen, dass Museumsobjekte letztlich fragmentarische Überlieferungen einer Vergangenheit sind, benötigt es ein Narrativ, erläuternde Texte und Beschriftungen, die den Besuchern vermitteln, wie die Vergangenheit in Bezug auf die Gegenwart zu deuten und im wörtlichen Sinne zu lesen ist.52
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Gottfried Korff: [449], S. 122. Vgl. Hildegard Vieregg: [524], S. 45. Vgl. ebd., S. 45f. Ebd., S. 47. Ebd. Ebd. Gottfried Korff: [449], S. 172. Ebd., S. 173. Vgl. Tony Bennett: The Birth of the Museum. History, Theory, Politics (= Culture: Policies and Politics), London/New York 1995, S. 130f; Gottfried Korff: [449], S. 171. Vgl. Hildegard Vieregg: [524], S. 46. Vgl. Tony Bennett: [360], S. 131; Gottfried Korff: [449], S. 171; Sheila Watson: [530], S. 204f.
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Europäisierung des Gedenkens?
Eine Schwierigkeit, die Ausstellungsmacher dabei berücksichtigen müssen, ist, dass Besucher in der Regel nur kurz vor einem Objekt verweilen und die Inhalte folglich in nur wenigen Sekunden auch bei kursorischem Lesen erfassbar sein müssen, so Evelyn Dawid und Robert Schlesinger.53 Zuviel Text übersättigt und schreckt ab, trotzdem dürfen aufgrund der Knappheit der wissenschaftliche Inhalt und Wahrheitsgehalt nicht zu kurz kommen. Im Idealfall strengen Ausstellungstexte die Besucher beim Lesen nicht an, sondern funktionieren eher wie bei einem Hörbuch im Zuhörermodus.54 Grundsätzlich lesen Besucher nicht alle Texte oder betrachten alle Objekte, so dass mittels textlicher Hierarchieebenen versucht wird, die wichtigsten Informationen dennoch zu vermitteln und die Besucher bei der Auswahl dessen, was sie lesen, zu unterstützen. Das Ziel ist es, dass die Besucher beim Betreten der Ausstellungsräume sofort erfassen können, worum es allgemein geht, ohne dass jede einzelne Objektbeschriftung gelesen werden muss.55 Ausstellungstexte hierarchisch zu gliedern, bietet zudem die Möglichkeit, trotz des vorherrschenden Gebots, so wenig Text wie möglich zu produzieren, ins Detail zu gehen.56 Ob und wie Kriege in Museen ausgestellt werden sollen, ist die Frage einer Langzeitdiskussion, die Jay Winter eindeutig bejaht.57 Er begründet das damit, dass Museen eine »semi-sacred aura«58 haben, die eine Art Aufbewahrungsort für unsere Geschichten, wer wir sind und wie wir dazu wurden, bieten.59 Dabei geht es weniger darum darzustellen, wie der Krieg wirklich gewesen ist, da eine Ausstellung dies nicht zu leisten vermag, als vielmehr darum den Besuchern über seine »footprints on the map of our lives«60 zu erzählen. Museen geben lediglich einen Vorschlag, wie Krieg verstanden werden kann, da Krieg den menschlichen Verstand und die menschliche Kontrolle
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54 55
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58 59 60
Vgl. Evelyn Dawid/Robert Schlesinger: Theorie. Zwischen Dogma und Häresie. Texte im Museum – pro und contra, in: Dies. (Hgg.): Texte in Museen und Ausstellungen. Ein Praxisleitfaden, Bielefeld 2002, S. 12. Vgl. ebd. Vgl. Evelyn Dawid/Robert Schlesinger: Texthierarchien. Wahlfreit statt Zwangsbeglückung. Klare Gliederung der Informationen, in: Dies. (Hgg.): Texte in Museen und Ausstellungen. Ein Praxisleitfaden, Bielefeld 2002, S. 35. Vgl. ebd., S. 39f. Vgl. Jay Winter: Museums and the Representation of War, in: Wolfgang Muchitsch (Hg.): Does War Belong in Museums?. The Representation of Violence in Exhibitions (= Edition Museumsakademie Johanneum 4), Berlin 2013, S. 24. Ebd. Vgl. ebd. Ebd., S. 23. Gerd Krumeich fühlte sich bezüglich der Inszenierung im Historial de la Grande Guerre nach einem Besuch der Ausstellung von »der Verlebendigung des Krieges« (Gerd Krumeich: Der Erste Weltkrieg im Museum. Das »Historial de la Grande Guerre« in Péronne und neuere Entwicklungen in der musealen Präsentation des Ersten Weltkriegs, in: Barbara Korte/Sylvia Paletschek/Wolfgang Hochbruck (Hgg.): Der Erste Weltkrieg in der populären Erinnerungskultur (= Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte, Neue Folge 22), Essen 2008, S. 67.) erschlagen. Seiner Ansicht nach sei das Konzept, den Krieg so realitätsnah wie möglich darstellen zu wollen, nicht aufgegangen. Krumeich kommt daher zum gleichen Schluss wie Winter, dass das Verstehen des Ersten Weltkrieges sich aus der Annäherung an die Quellen ergebe, nicht dadurch, dass der Besucher dazu gebracht würde, den Krieg wie er war nachzuempfinden. Vgl. ebd.
1. Einleitung
übersteigt.61 Dabei besteht jedoch die Gefahr der Verharmlosung.62 Wenn Kriegsausstellungen die Besucher zum Hinterfragen anregen und »as a kind of cultural compass«63 agieren, indem sie den Besuchern Deutungsmuster an die Hand geben, dann hätten Kriegsmuseen und Kriegsausstellungen die Möglichkeit, ein »permanent element in the memory boom of our own times«64 zu werden. Dies beantwortet in gewisser Weise auch die Frage, wie man einen Krieg ausstellen sollte. Eine wichtige Prämisse ist es, Krieg nicht zu glorifizieren.65 Daher muss einerseits eine sinnvolle Antwort auf die Frage nach einer angemessenen Repräsentation von Krieg gefunden werden. Und gleichzeitig gilt es zu vermeiden, Illusionen und Sensationsgier seitens der Besucher zu bestätigen, oder den Besuchern Kriegserfahrungen im Sinne einer ›Pseudo-Realität‹, wie es Winter umschreibt, vermitteln zu wollen.66 Wie sich beispielsweise die Angst im Schützengraben oder eine Schussverletzung anfühlt, ist, solange nicht selbst erlebt, immer Fiktion und Vorstellung. Um eine Vorstellung zu vermitteln, wie der Kriegsalltag beispielsweise im Umgang mit Schusswaffen aussah, bleibt einem Museum die Möglichkeit, erklärend und visualisierend auf Film- und Fotomaterial zurückzugreifen.67 Das Museum befindet sich dabei jedoch immer in der Gefahr, dass »the objects and images of war are ›both profane and potentially transcendent‹, conventional war exhibitions always privilege the transcendent over the profane.«68 Das Potential, das in der ›Aura des Originals‹ und somit in seiner Erhabenheit liegt, läuft folglich immer Gefahr, die Betrachter zu moralisieren und zu belehren, so dass nur noch wenig Raum für kritisches Hinterfragen seitens der Besucher bleibt.69 Kriegsmuseen müssen Orte der Anfechtung und des Hinterfragens bleiben und leisten damit einen maßgeblichen Beitrag zum kulturellen Umfeld und möglichen Deutungsmustern der Gegenwart auf Grundlage der vergangenen Erfahrungen und Ereignisse.70 Ausstellungen – auch Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg – ermöglichen
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Vgl. Jay Winter: [537], S. 24. Vgl. Eva Zwach: Deutsche und englische Militärmuseen im 20. Jahrhundert. Eine kulturgeschichtliche Analyse des gesellschaftlichen Umgangs mit Krieg (= Museen – Geschichte und Gegenwart 4), Münster/Marburg 1999, S. 325. Jay Winter: [537], S. 24. Ebd. Vgl. ebd., S. 33. Vgl. ebd., S. 36. Vgl. ebd., S. 33 und S. 36f. Die Historiker stehen wie die Museen vor demselben Problem, wenn es darum geht, die Erfahrungen der Soldaten, das erlebte Grauen und Leid darzustellen. Paul Fussell zeigte in seiner Studie, dass eine Darstellung nicht möglich sei, ohne dabei auf literarische oder künstlerische Vorbilder assoziierend zu verweisen. Vgl. Gerhard Hirschfeld: Krieg und Kultur: Auf dem Weg zu einer neuen Kulturgeschichte des Ersten Weltkriegs, in: Els Herrebout (Hg.): Annalen. Internationale Archivsymposien in Ede (NL) (2010) und Lüttich (B) (2011) (= Miscellanea archivistica Studia 204), Brüssel 2012, S. 152; Paul Fussell: The Great War and Modern Memory, Nachdruck, London 1979. Debbie Lisle: Sublime Lessons: Education and Ambivalence in War Exhibitions, in: Millennium: Journal of International Studies 34, 3 (2006), S. 861. Vgl. ebd. Vgl. Jay Winter: [537], S. 37.
23
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Europäisierung des Gedenkens?
das Verstehen historischer Ereignisse anhand von authentischen Objekten.71 Dies gelingt dann, wenn auch komplexe Sachverhalte wie der Erste Weltkrieg unter gezielten Leitfragen aufgearbeitet werden, wobei die Objekte und die Leitfragen in einem sich gegenseitig beeinflussenden Verhältnis stehen.72 With this in mind, war exhibitions should not simply celebrate ›our‹ victories and commemorate ›our‹ victims: they must also acknowledge the acts of atrocity committed against others, in ›our‹ name. […] museums should not just soothe and reassure – they should also examine painful memories and ask difficult questions about violence, conflict and war.73
1.2.2
Geschichtspolitik
Zur Beantwortung der eingangs gestellten Forschungsfrage wird in der vorliegenden Arbeit auf geschichtspolitische Konzepte und Methoden, wie sie vor allem Edgar Wolfrum prägte, zurückgegriffen. Geschichtspolitik als Instrument eignet sich deshalb für die Klärung der Fragestellung, weil geschichtspolitische Forschungen ihr Erkenntnisinteresse auf die »öffentliche Konstruktion von Geschichts- und Identitätsbildern [richten, J.H.], die sich beispielsweise über Rituale und Diskurse vollziehen«74 . Dabei geht es darum, wie über die Deutung von historischen Ereignissen Identitäten gestiftet werden, welche Auswirkungen dies auf das Geschichtsbewusstsein hat und wie mit Geschichte Politik gemacht wird, um so eine Sinnstiftung der Gegenwart durch politisch motivierte Deutung von historischen Ereignissen zu erreichen.75 Geschichtspolitik ist demnach eine Überzeugungsstrategie, die insbesondere in Konfliktsituationen als Machtinstrument eingesetzt und zur Geschichtskonstruktion angewendet wird.76 Unter Geschichtsbewusstsein ist nach der Definition von Karl-Ernst Jeismann der Zusammenhang zwischen Vergangenheitsdeutung, Gegenwartsverständnis und Zukunftsperspektive zu verstehen, an dem sich Individuen, Gruppen oder ganze Gesellschaften orientieren, um aus ihrer Vergangenheit und ihren Erfahrungen ihr
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73 74 75 76
Vgl. Katharina Flügel: [403], S. 144. Vgl. Helmut Trotnow: Der Historiker und das Museum, oder: Wie stelle ich einen Krieg aus?, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (Hgg.): Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch. Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs (= Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte, Neue Folge 1), Essen 1993, S. 272. Zitiert nach Debbie Lisle: [472], S. 862. Im Original abgedruckt in Neil Postman: Museum as Dialogue, in: Museum News (September/Oktober 1990), S. 58. Petra Bock/Edgar Wolfrum: Einleitung, in: Dies. (Hgg.): Umkämpfte Vergangenheit. Geschichtsbilder, Erinnerung und Vergangenheitspolitik im internationalen Vergleich, Göttingen 1999, S. 9. Vgl. ebd.; Janina Fuge: [405], S. 123f. Vgl. Edgar Wolfrum: Erinnerungskultur und Geschichtspolitik als Forschungsfelder. Konzepte, Methoden, Themen, in: Jan Scheunemann (Hg.): Reformation und Bauernkrieg. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik im geteilten Deutschland. Beiträge einer im März 2009 von der Stiftung Luthergedenkstätten veranstalteten Tagung (= Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 11), Leipzig 2010, S. 26f.
1. Einleitung
gegenwärtiges Selbstverständnis zu formen.77 Geschichtskultur ist die »praktische Artikulation von Geschichtsbewusstsein«78 und lässt sich in eine ästhetische, eine kognitive und eine politische Ausrichtung auffächern, die ihren Ausdruck in kulturellen Einrichtungen wie Museen oder Universitäten findet.79 Der Eindruck, dass sich Geschichtskultur jedoch nur in wissenschaftlichen Debatten von Historikern abspielt, täuscht, denn Geschichtskultur und Geschichtsbewusstsein werden auch auf politischer Ebene betrieben, wenn Geschichte »zu einem Medium der Konstruktion politischer und nationaler Identitäten«80 wird. Dies geht auch über die reine ästhetische Beschäftigung mit Geschichtskultur hinaus, da die Deutung und die Wahrnehmung von historischen Ereignissen in der Öffentlichkeit nicht mit den Aussagen von wissenschaftlich erworbenen Erkenntnissen enden. Vielmehr ist die Deutung hochgradig politisch geprägt.81 Die geschichtspolitische Forschung in Deutschland beschäftigte sich bis Ende der 1990er Jahre vornehmlich damit, wie Geschichte als politisches Ereignis in Demokratien hinsichtlich des Geschichtsbewusstseins und der Geschichtskultur funktioniert und richtete dabei den Fokus auf die politischen Akteure.82 Dabei hängen die Deutung und Interpretation von historischen Ereignissen vom politischen Interesse des Akteurs ab, so Michael Klundt.83 Die Geschichtsbilder, derer sich bedient wird, entstehen durch historische Forschung und breite öffentliche Debatten, um der Deutung damit eine größtmögliche allgemeine Geltung und Legitimität zu verschaffen.84 Unter Geschichtsbildern versteht Wolfrum »nicht nur Fotos, sondern auch die imaginierten Bilder von Sinnzusammenhängen«85 . Hierzu zählen auch »textbasierte Erinnerung[en]«86 , wenn sie sich dazu eignen Geschichtsbilder, zu formen. Es geht darum, »den politischen Zusammenhang von wissenschaftlichen Geschichtsbildern und öffentlichem Gegenwartsverständnis herauszuarbeiten«87 , wobei die Deutung auf die politische Diskussion zurückwirkt. Gemäß der Definition bei Edgar Wolfrum hat Geschichtspolitik demnach mehrere Dimensionen und Funktionen. Zum einen ist sie Handlungsund Politikfeld, in dem die Akteure Geschichtsdarstellungen ihren eigenen Interessen gemäß deuten und um öffentliche Zustimmung ringen. Hierbei geht es jedoch nicht um den Wahrheitsgehalt, sondern um die Frage, mit welcher Absicht und Wirkung
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Vgl. Edgar Wolfrum: Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1989. Phasen und Kontroversen, in: Petra Bock/Edgar Wolfrum (Hgg.): Umkämpfte Vergangenheit. Geschichtsbilder, Erinnerung und Vergangenheitspolitik im internationalen Vergleich, Göttingen 1999, S. 57. Ebd. Vgl. ebd. Edgar Wolfrum: [542], S. 57. Vgl. ebd., S. 57f. Vgl. ebd., S. 56f. Vgl. Michael Klundt: Geschichtspolitik. Die Kontroversen um Goldhagen, die Wehrmachtsausstellung und das »Schwarzbuch des Kommunismus«, Köln 2000, S. 10. Vgl. ebd. Edgar Wolfrum: [541], S. 30. Ebd. Michael Klundt: [446], S. 10.
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Europäisierung des Gedenkens?
Vergangenheit thematisiert und politisch relevant gemacht wird. Die zweite Dimension ist eine politisch-pädagogische, die entweder um Aufklärung oder um Legitimation bemüht ist. Die dritte Dimension betrifft das Spannungsverhältnis zwischen Wissenschaft und Politik, wobei um Objektivität bemühte Ansätze oft im Gegensatz zu denen politischer Narrative stehen, da sich Politiker in erster Linie nicht um die Einhaltung der Kriterien von Wissenschaftlichkeit bemühen.88 Auch Beatrix Bouvier und Michael Schneider kommen zu dem Schluss, dass die historische Erinnerungsarbeit von Geschichtspolitik auf mehreren Ebenen stattfindet.89 Es gibt demnach eine Ebene der persönlichen und individuellen Erinnerung, beispielsweise bei Zeitzeugen. Weitere Ebenen bilden die Wissenschaft, die die Vergangenheit professionell aufarbeitet und entsprechend präsentiert, und die fiktionale Verarbeitung, die beispielsweise in Literatur oder in Film und Fernsehen auf ein breites Publikum wirkt. Schließlich gibt es noch die Ebene des öffentlichen Erinnerns, die von Verbänden, politischen Parteien, Nationen oder sogar übernational betrieben wird.90 Dabei sind »Erinnerungsgemeinschaften«91 keine Seltenheit, wenn beispielsweise an übergreifende Großereignisse wie etwa Kriege erinnert wird. Diese Ebenen bedingen sich teilweise gegenseitig oder wirken ineinander. So können sich wissenschaftliche Erkenntnisse manchmal erst nach Jahren oder Jahrzehnten in der öffentlichen Erinnerung etablieren, wenn geschichtspolitische Gründe nicht länger entgegenstehen, wie beispielsweise im Fall der Fischer-Kontroverse.92 Wolfrum sieht beispielsweise auch im Wegsterben der Zeitzeugen, der Erfahrungs- und Erinnerungsgemeinschaften und somit der »living memory«93 , eine Chance, da ein Generationenwechsel eine kritische Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit der Vergangenheit begünstigen kann.94 Zur geschichtspolitischen Erinnerung ist jedoch einschränkend zu sagen, dass nicht jede öffentliche Erinnerung auch ein geschichtspolitisches Instrument im Sinne von Wolfrums Definition ist. Um die öffentliche Erinnerung zu einem solchen Instrument zu machen, muss sie von politischen Organisationen oder Institutionen ausgehen, so Beatrix Bouvier.95 Die Beiträge müssten »als Teil des politischen Diskurses primär und
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Vgl. die Dimensionen der Geschichtspolitik zusammengefasst bei Edgar Wolfrum: [542], S. 58-60; Ders.: [541], S. 20; Michael Klundt: [446], S. 12f. Vgl. zu den Ebenen der Erinnerungspolitik Beatrix Bouvier/Michael Schneider: Geschichtspolitik und demokratische Kultur. Einleitende Überlegungen, in: Dies. (Hgg.): Geschichtspolitik und demokratische Kultur. Bilanz und Perspektiven (= Reihe Politik- und Gesellschaftsgeschichte 78), Bonn 2008, S. 7. Vgl. ebd., S. 7f. Ebd., S. 8. Vgl. ebd.; Edgar Wolfrum: [541], S. 20. Im Falle der Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht, die in den 1990er Jahren im Deutschen Historischen Museum gezeigt wurde, wurde mit ausdrücklich geschichtspolitischer Intention eine Kontroverse ausgelöst, die sich über die wissenschaftlichen Diskussionen hinwegsetzte. Vgl. hierzu Beatrix Bouvier/Michael Schneider: [368], S. 8. Judith Heß: Experteninterviews. Imperial War Museum, in: Dies.: Geschichtsbilder des Ersten Weltkrieges – eine Europäisierung des Gedenkens? Geschichtspolitische Deutung deutscher und britischer Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg. Anhang, Bd. 2, Diss. phil. Mannheim 2019, S. 100. Vgl. Edgar Wolfrum: [541], S. 23. Vgl. Beatrix Bouvier/Michael Schneider: [368], S. 8.
1. Einleitung
direkt auf die Gestaltung des kollektiven, aber vielfältigen historisch-politischen Bewusstseins und damit auf die Ausprägung der politischen Kultur zielen.«96 Geschichtspolitisch geprägte Geschichtsbilder werden in der Öffentlichkeit, beispielsweise in Museen, Reden, Denkmälern oder bei Festen und Ritualen präsentiert, unabhängig davon, ob es sich um populäre, pädagogische, politische oder wissenschaftliche Zugriffe auf Geschichte handelt.97 Edgar Wolfrum bietet für die Untersuchung politischer Handlungsfelder der Geschichtspolitik ein methodisches Vorgehen an.98 Es sieht vor, zunächst einmal die Akteure zu identifizieren.99 Im zweiten Schritt geht es darum, die Ziele und Motive der Handelnden und damit die Funktion des »Zugriff[s] auf die Geschichte«100 herauszuarbeiten und die Adressaten und deren Rezeption zu bestimmen.101 Zudem muss erarbeitet werden, in welchem Kontext die Akteure handeln.102 Eine hilfreiche Interpretation von Wolfrums Methode stellt der Ansatz von Janina Fuge dar. Sie teilt den Begriff Geschichtspolitik in die drei Bereiche Handlungsfelder, Akteure und Modi des Erinnerns auf, die für die vorliegende Arbeit ebenfalls Anwendung finden.103 Das Handlungsfeld wird als »öffentliche Konstruktion von Geschichtsund Identitätsbildern, die sich in Ritualen und Diskursen vollzieh[en]«104 , verstanden. 96 97
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102 103 104
Beatrix Bouvier/Michael Schneider: [368], S. 8. Vgl. Edgar Wolfrum: Krieg und Frieden in der Erinnerung. Zum Verhältnis von Geschichtskultur, Friedensfähigkeit und Bellizismus vom Ancien Régime bis zum Zeitalter der Weltkriege und der Dekolonisation, in: Benjamin Ziemann (Hg.): Perspektiven der Historischen Friedensforschung, Essen 2002, S. 339. Siehe Korte, Paletschek und Hochbruck zur Definition von Geschichtskultur, worunter die Geschichtsrepräsentation unterschiedlicher kultureller Einrichtungen wie auch Museen zu verstehen ist, die durch Vermittlung und Unterhaltung zur Kritik, Aufklärung und Legitimation und damit zur historischen Erinnerung beitragen. Vgl. Barbara Korte/Sylvia Paletschek/Wolfgang Hochbruck: Der Erste Weltkrieg in der populären Erinnerungskultur. Einleitung, in: Dies. (Hgg.): Der Erste Weltkrieg in der populären Erinnerungskultur (= Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte, Neue Folge 22), Essen 2008, S. 12. Vgl. Edgar Wolfrum: [543], S. 339. Vgl. Edgar Wolfrum: [541], S. 21f. Edgar Wolfrum: [543], S. 339. Vgl. Horst-Alfred Heinrich: Geschichtspolitische Akteure im Umgang mit der Stasi: Eine Einleitung, in: Claudia Fröhlich/Horst-Alfred Heinrich (Hgg.): Geschichtspolitik. Wer sind ihre Akteure, wer ihre Rezipienten?, Stuttgart 2004, S. 32. Karsten Stephan beleuchtete in seiner Untersuchung die Besucherrezeption der in den 1990er Jahren gezeigten Sonderausstellungen Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944, die sogenannte Wehrmachts-Ausstellung, und Aufstand des Gewissens. Militärischer Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime 1933-1945. Er setzte die Ausstellungen in den Kontext der zeitgenössischen Debatten der politischen Parteien. Sein Beitrag zeigte, dass die Ausstellungen ein Mittel der Umsetzung von geschichtspolitischen Anschauungen sind. Vgl. hierzu Karsten Stephan: Vernichtungskrieg oder Aufstand des Gewissens? Ausstellungsbesucherinnen als Rezipienten Geschichtspolitischen Handelns, in: Claudia Fröhlich/Horst-Alfred Heinrich (Hgg.): Geschichtspolitik. Wer sind ihre Akteure, wer ihre Rezipienten?, Stuttgart 2004, S. 119-131; vgl. auch Ders.: Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg. Zum Zusammenhang von kollektiver Identität und kollektiver Erinnerung (= Nomos Universitätsschriften Geschichte 15), Baden-Baden 2006. Vgl. Edgar Wolfrum: [541], S. 22. Vgl. Janina Fuge: [405], S. 125f. Ebd., S. 125.
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Europäisierung des Gedenkens?
Hierunter fallen für die Untersuchung die deutschen und britischen Ausstellungen, die wissenschaftlichen Forschungen und die Gedenkveranstaltungen zum Ersten Weltkrieg. Durch das Aufzeigen der Handlungsfelder der jeweiligen Akteure wird erst eine Verortung der Arbeit der Ausstellungsmacher ermöglicht. Nur so kann im Folgenden auch herausgearbeitet werden, wie selbstständig die Akteure der Geschichte geschichtspolitisch handeln, da die Akteure in der Regel in Wechselwirkung und einem Spannungsverhältnis zueinanderstehen.105 Unter Akteuren fasst die vorliegende Untersuchung die Ausstellungsmacher, die Wissenschaftler und die Regierungs- und Staatsvertreter auf. Sie alle haben im Rahmen ihrer Funktion in der Gesellschaft eine Deutungshoheit über das öffentliche Gedenken an den Ersten Weltkrieg und geben im Rahmen ihrer Interessen die »politische Nutzung von Geschichte in der Öffentlichkeit«106 vor. Als Modi des Erinnerns stehen den drei Akteuren unterschiedliche und ihrer Funktion entsprechende Mittel – die Ausstellungsnarrative, die wissenschaftlichen Publikationen und öffentliche Reden – zur Verfügung. Durch diese Mittel erzeugen sie bestimmte Deutungen und Geschichtsbilder, steuern »die Strategien des Erinnerns sowie ihre Funktion und Auswirkungen«107 und legen die Gewichtung fest, die die »Vergangenheit für die Gestaltung der […] Gegenwart«108 haben soll. Mit Hilfe dieses Analyseansatzes nach Wolfrum und Fuge werden die Ausstellungsnarrative im Wechselspiel und Spannungsverhältnis der wissenschaftlichen Forschungen und der politischen Reden auf ihre eigene geschichtspolitische Intention und Geschichtsbilder untersucht.
1.3
Ausstellungen als Quelle
Ende der 1970er Jahre stellte der Historiker Hubert Glaser die Frage, was Ausstellungen mit geisteswissenschaftlicher Forschung zu tun hätten.109 Glaser sieht noch am ehesten einen kunstwissenschaftlichen Sinn, der wie auch bei kulturhistorischen Ausstellungen doch weniger der Forschung, als vielmehr dem öffentlichen Interesse, weil meist aus öffentlichen Geldern finanziert, diene. Sowohl die Ausstellungen als auch möglicherweise erscheinende Begleitpublikationen würden doch den sogenannten interessierten Laien im Blick haben und damit ein primär publizistisches Ziel haben, weniger ein wissenschaftliches Interesse befriedigen.110 Glaser spricht Ausstellungen jedoch einen politischen Stellenwert zu und bezeichnet sie als »hervorragend[e] Mitte[l], mit denen internationale Verständigung und Kooperation, nationale oder regionale Identität, his-
105 106 107 108 109
110
Vgl. Edgar Wolfrum: [541], S. 20-23. Janina Fuge: [405], S. 125f. Ebd., S. 126. Ebd. Vgl. Hubert Glaser: Ausstellung und Forschung am Beispiel kulturhistorischer Präsentationen der letzten Jahre betrachtet, in: Geisteswissenschaft als Aufgabe, hg.v. Hellmut Flashar, Berlin 1978, S. 86. Vgl. ebd.
1. Einleitung
torische Kontinuität, staatliches Selbstbewusstsein, staatliche Kulturpflege dokumentiert und demonstriert werden.«111 Wie bereits im vorherigen Kapitel zur geschichtspolitischen Theorie ausgeführt, sind Museen und ihre Ausstellungen Orte, die Geschichtsbewusstsein objektgestützt erzeugen und geschichtlichen Ereignissen eine bestimmte Bedeutung zumessen.112 Den Mehrwert einer Ausstellung gegenüber fach- oder populärwissenschaftlicher Literatur macht die emotionale und »sinnliche Geschichtserkenntnis«113 aus, die durch die Anschauung der Ausstellungsobjekte entsteht. Dadurch konstruierte Geschichtsbilder bieten folglich eine Untersuchungsgrundlage für eine geschichtspolitische Studie.114 Die Grundlage für die vorliegende Untersuchung bilden exemplarisch ausgewählte Weltkriegsausstellungen historischer und militärhistorischer Museen in Deutschland und in Großbritannien.115 Die Auswahl der Ausstellungen erfolgte sowohl für die deutschen als auch britischen Museen weitestgehend nach den gleichen Kriterien und erhebt keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit. Es wurden Museen mit nationaler und regionaler Bedeutung berücksichtigt, um sicherzustellen, dass sie auch von mehreren zehn- bis hunderttausend Personen besucht werden. Zudem ist davon auszugehen, dass die Einzugsgebiete der Museen begrenzt sind. Als Museen von nationaler Bedeutung wurden das Deutsche Historische Museum in Berlin (DHM)116 , das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden (MHM)117 und das Imperial War Museum in London (IWM)118 ausgewählt. Museen mit einem regionalen Schwerpunkt sind das Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart (HdG)119 , das Historische Museum der Pfalz in Speyer (HMP)120 , das Imperial War Museum North in Manchester (IWMN)121 und das Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier in Cardiff (FLM)122 .
111 112
Ebd. Vgl. Edgar Wolfrum: [542], S. 57; Ders.: [541], S. 26f; Petra Bock/Edgar Wolfrum: [364], S. 9; Janina Fuge: [405], S. 123f. 113 Ulrich Thamer: [517], S. 445. 114 Vgl. Edgar Wolfrum: [541], S. 30; Michael Klundt: [446], S. 10. 115 Vgl. zur deutschen und britischen Kriegs- und Militärmuseumslandschaft weiterführend bei Eva Zwach: [545], S. 319-325. 116 Sonderausstellung 1914-1918. Der Erste Weltkrieg vom 29. Mai bis zum 30. November 2014. 117 Sonderausstellung 14 – Menschen – Krieg vom 1. August 2014 bis zum 24. Februar 2015. 118 Dauerausstellung First World War Galleries eröffnet am 19. Juli 2014. 119 Sonderausstellung Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne vom 4. April 2014 bis zum 1. März 2015. 120 Ausstellung als Historisches Schlaglicht: 1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg vom 29. Mai 2014 bis zum 1. Mai 2017 im Rahmen der Dauerausstellung der ständigen Sammlung im Bereich Neuzeit. 121 Sonderausstellung From Street to Trench: A World War that Shaped a Region vom 5. April 2014 bis zum 31. Mai 2015. 122 Sonderausstellung Outbreak 1914: Wales Goes to War vom 18. Juni 2014 bis zum 4. Mai 2015. Das Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier hat sich einige Zeit nach der Ausstellung umbenannt und firmiert seither unter dem Namen Firing Line Museum of The Queen’s Dragoon Guards and The Royal Welsh. In der vorliegenden Arbeit wird das Museum mit dem im Jahr 2014 geltenden Namen bezeichnet.
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Europäisierung des Gedenkens?
Der Schwerpunkt der Studie liegt darauf, anhand ausgewählter Beispiele eine Erkenntnis hinsichtlich der Europäisierung des Geschichtsbildes ›Erster Weltkrieg‹ zu erzielen. Einen generalisierenden Überblick zu geben, ist im Rahmen dieser Untersuchung aus Kapazitätsgründen nicht möglich. Die Entscheidung, den Vergleich ausschließlich mit britischen Ausstellungen durchzuführen, ist im Hinblick auf das Erkenntnisinteresse zu begründen. Die Betrachtung der britischen Ausstellungen versprach zu Beginn des Projekts im Jahr 2013 eine kontroversere Ausgangslage als französische Ausstellungen. Der Standpunkt Großbritanniens in der Europäischen Union war auch schon lange vor dem Referendum über den Ausstritt aus der Union im Juni 2016 strittig gewesen, anders als beispielsweise im Falle Frankreichs. Daher dürfte einer Untersuchung der geschichtspolitischen Deutung deutscher und britischer Ausstellungen für die Frage nach einer Europäisierung der Geschichte des Ersten Weltkrieges besondere Aussagekraft zukommen. Auch Monika Fenn bezeichnete 2014 die Geschichtsbilder Großbritanniens »auf politischer Ebene weniger intensiv verflochten«123 als die Geschichtsbilder Deutschlands mit denen Frankreichs oder Deutschlands mit denen Polens. Aus den genannten Gründen wurden weitere Länder sowohl auf der Seite der Kriegsverlierer wie Österreich, als auch der Kriegsgewinner wie Frankreich ebenfalls nicht berücksichtigt. Bei den ausgewählten Ausstellungen handelte es sich, bis auf eine Ausnahme, ausschließlich um Sonderausstellungen, die im Gedenkjahr 2014/2015 in Deutschland und Großbritannien veranstaltet wurden. Sonderausstellungen zum Untersuchungsgegenstand zu machen, garantiert Aktualität. Die Sonderausstellungen oder die neu konzipierte Dauerausstellung gewährleisten, dass neuere Forschungen und möglicherweise Forschungsdebatten Eingang in die Konzepte gefunden haben. Neuere Forschungen sowie aktuelle geschichtspolitische Debatten wären in schon länger bestehenden Dauerausstellungen, wie das Beispiel des IWMs deutlich zeigt, schwerlich zu finden gewesen. Eine Ausnahme stellte die Dauerausstellung First World War Galleries im IWM in London dar. Deren letzte Überarbeitung erfolgte Ende der 1980er Jahre. Anlässlich des First World War Centenarys124 erfuhr die Ausstellung erneut eine gänzliche Überarbeitung. Dieses Kriterium hätte auf die Weltkriegsausstellung des IWMs aus den 1980er
123 Monika Fenn/Christiane Kuller: [397], S. 16. 124 In Großbritannien wurde ein umfangreiches Programm zu den Gedenkfeierlichkeiten anlässlich des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren, First World War Centenary, absolviert. Das IWM in London Übernahm die Koordination des landesweiten Programms First World War Centenary Partnership. An dem Programm nahmen auch Institutionen wie Museen, Archive, Universitäten oder Schulen und Vereine außerhalb Großbritanniens teil. Für weiterführende Informationen vgl. Imperial War Museum (Hg.): About the First World War Centenary (2017). URL: www.1914.org/about/ (13. Juli 2017). Das von der Europäischen Union geförderte Online-Editionsprojekt Europeana koordiniert ebenfalls anlässlich des Gedenkens an den Ersten Weltkrieg ein europaweites Sammlungsprojekt. In den Europeana Collections wurden bislang über 58 Millionen Kunstwerke, Artefakte, Bücher, Video- und Audiodateien aus ganz Europa zum Ersten Weltkrieg zusammengestellt und online zugänglich gemacht. Die Sammlung zum Ersten Weltkrieg Europeana 1914-1918 enthält annähernd 400.000 Bilder und Texte und über 3.000 Video- und Audiodateien aus Bibliotheken, Archiven und privaten Beständen aus ganz Europa. Siehe hierzu die Webseite des Online-Editionsprojekts: https://www.europeana.eu/portal/de/collections/world-war-I (16. November 2018).
1. Einleitung
Jahren nicht gepasst; die Aktualisierung der Dauerausstellung zum Gedenkjahr 2014 rechtfertigt daher die Aufnahme der First World War Galleries in die Auswahl.
1.4
Methodik
1.4.1
Historischer Vergleich
Für eine Untersuchung von Museumsausstellungen ist bislang keine eigenständige historisch-kritische Methode vorhanden.125 Für eine Analyse deutscher und britischer Ausstellungen bezüglich der geschichtspolitischen Intention zum Ersten Weltkrieg bietet sich der historische Vergleich an. Mit Hilfe der vergleichenden Perspektive ist es möglich, durch ein besseres Verständnis für andere Gesellschaften die eigenen Positionen klarer zu definieren und besser zu verstehen.126 Das Herausarbeiten von Unterschieden und Gemeinsamkeiten sowie Annäherungen, Interferenzen und Divergenzen bildet dabei den Schwerpunkt.127 Dadurch lassen sich transnationale Geschichtskulturen und transnationales Geschichtsbewusstsein erfassen, denn bei der Untersuchung transnationaler Phänomene geht es wie eingangs bereits konstatiert nicht darum, dass vermeintlich homogene nationale Geschichtsbilder auf einer neuen Stufe zu einem einzigen, grenzübergreifenden Geschichtsbild zusammenwachsen. Transnationale Erinnerung entsteht vielmehr aus dem Zusammentreffen eines breiten Spektrums heterogener Erinnerungsphänomene und Geschichtsbilder auf unterschiedlichsten Ebenen.128 Im zweiten Schritt wird durch das Vergleichen erkennbar, wie groß das Ausmaß der Unterschiede und Gemeinsamkeiten ist. Es geht dabei darum, das eigene historische Selbstverständnis zu verstehen und sich gleichzeitig davon distanzieren zu können. Die Distanzierung, die mit Hilfe der anderen Perspektive erreicht wird, führt dazu das eigene Selbstverständnis deutlicher wahrzunehmen und zu überprüfen. So ist es möglich, über den Vergleich nationale Identitäten zu identifizieren und sich dadurch mit den gesellschaftlichen Identitäten Europas auseinanderzusetzen.129 Durch diese Methode hat der Historiker die notwendige Distanz zu den untersuchten Identitäten und kann dadurch »irrtümliche, spekulative oder starke Gefühle mobilisierende historische Identitätskonstrukte«130 herausarbeiten.131 Folglich eignet sich der historische Vergleich, um
125
Vgl. Thomas Thiemeyer: Geschichtswissenschaft: Das Museum als Quelle, in: Joachim Baur (Hg.): Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2010, S. 32f. 126 Vgl. Hartmut Kaelble: Historischer Vergleich. Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte (14. August 2012). URL: http://docupedia.de/zg/Historischer_Vergleich?oldid=125457 (24. Oktober 2018). 127 Vgl. ebd.; Monika Fenn/Christiane Kuller: [397], S. 13. 128 Monika Fenn/Christiane Kuller: [397], S. 15. 129 Vgl. Hartmut Kaelble: [440]; vgl. hierzu auch Ders.: Der historische Vergleich. Eine Einführung zum 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M./New York 1999, S. 64-66 und S. 72. 130 Hartmut Kaelble: [439], S. 73. 131 Vgl. ebd., S. 75.
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32
Europäisierung des Gedenkens?
aufzuzeigen, wie nationale Geschichtsbilder in Museumsaustellungen »geformt, präsentiert und mit welchen Besonderheiten akzentuiert«132 werden.
1.4.2
Ausstellungsanalyse
Um wichtige Ausstellungsdiskurse zu identifizieren, orientierte sich die Vorgehensweise zur Erhebung der Daten für die vorliegende Arbeit an derjenigen von Thomas Thiemeyer.133 Anders als bei Thiemeyer und anderen neueren Forschungen, die sich der Untersuchung von Weltkriegsausstellungen widmeten, wird jedoch in der vorliegenden Arbeit der Fokus auf die Ausstellungsinhalte und -narrative selbst gelegt. Die Analyse orientiert sich dadurch eng am Quellenbestand. Dafür erfolgte die Untersuchung der Ausstellungen zunächst durch mehrfache Begehungen vor und nach den Experteninterviews mit den Ausstellungsmachern. Die Ausstellungsinhalte der sieben untersuchten Museen wurden mittels eines Frageleitfadens erfasst, der ebenso für die Experteninterviews mit den Ausstellungsmachern verwendet wurde. Dieses Vorgehen ermöglichte eine systematische Datenerhebung, um die anschließende Analyse der Ausstellungen, Kataloge, Begleitpublikationen und der Interviews auf einer einheitlichen Basis durchzuführen.134 Das Fragenraster erlaubte zudem die eigenen, durch die Begehungen erhaltenen Erkenntnisse zu überprüfen und »Betriebsblindheit«135 zu vermeiden. Der erste Eindruck wurde festgehalten, so dass die Erkenntnisse, die durch die Interviews gewonnen wurden, nicht den eigenen kritischen Blick für die weiteren Ausstellungsbegehungen beeinflussen konnten. Die Experteninterviews wurden als offene, auf dem Frageleitfaden basierende Gespräche geführt und erlaubten damit den Gesprächsfortgang in gewissem Maße flexibel zu halten, um auf die jeweiligen Interviewpartner und Ausstellungen individueller eingehen zu können. Durch die Interviews konnten Hintergrundinformationen über die Intentionen und die vorhandenen Rahmenbedingungen der Ausstellungsmacher gewonnen werden, die sonst einen zusätzlichen Rechercheaufwand von nicht veröffentlichter Ausstellungsdokumentation, sofern überhaupt zugänglich, bedeutet hätte. Die Experteninterviews stellten insofern eine notwendige und arbeitsökonomisch sinnvolle Ergänzung zu dem Quellenkonglomerat der Ausstellungstexte dar. Unter dem Oberbegriff Ausstellungstexte sind alle Texte innerhalb der Ausstellungen zu verstehen, was sowohl übergeordnete Texte wie Abteilungs- oder Sektionstexte, umfasst, aber
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133 134
135
Katrin Pieper: Resonanzräume. Das Museum im Forschungsfeld Erinnerungskultur, in: Joachim Baur (Hg.): Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2010, S. 205. Vgl. Thomas Thiemeyer: Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Die beiden Weltkriege im Museum (= KRiG 62), Paderborn u.a. 2010, S. 32-35. Vgl. Uwe Flick: Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung, vollständig überarb. u. erw. Neuauflage, Hamburg 2007, S. 214-219; Cornelia Helfferich: Die Qualität qualitativer Interviews. Manual für die Durchführung qualitativer Interviews, Wiesbaden 2 2005, S. 159; Judith Heß: Geschichtsbilder des Ersten Weltkrieges – eine Europäisierung des Gedenkens? Geschichtspolitische Deutung deutscher und britischer Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg. Anhang, Bd. 2, Diss. phil. Mannheim 2019, S. 4-6. Thomas Thiemeyer: [518], S. 34.
1. Einleitung
auch Bereichs-, Objektgruppen- und Objekttexte beziehungsweise Exponatgruppenund Exponattexte. Die kleinste Einheit bilden in der Regel kurze Beschriftungen zur Objektkennung.136 Als wichtigste Quellen für die vorliegende Untersuchung sind die Ausstellungstexte selbst anzusehen. Ergänzend dazu wurden auch die Ausstellungskataloge und Begleitpublikationen137 als Untersuchungsgegenstand herangezogen, sofern zu den Sonderausstellungen begleitend publiziert wurde. Zur Konzeption des Frageleitfadens für das Durchführen der Experteninterviews und die Auswertung der Gespräche wurde, wenngleich auch vereinfacht, auf Methoden der qualitativen Forschung zurückgegriffen.138 Im Hinblick auf das Forschungsinteresse erfolgte die Auswertung der Interviews rein auf der inhaltlichen Ebene.139
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Vgl. Evelyn Dawid/Robert Schlesinger: [380], S. 35-47. Das IWM nutzte noch eine weitere Hierarchieebene in den einzelnen Ausstellungsbereichen. Kleine Themenblöcke wurden so zusammengefasst. Diese Texte sind als Zusammenfassung gekennzeichnet. Die Publikationen dienen den Museen in der Regel dazu die Ausstellungsinhalte weiter zu vertiefen. Zudem bieten Ausstellungskataloge den Museen nach Ende der Ausstellungslaufzeit die Möglichkeit Sonderausstellungen überdauern zu lassen. Die Vorgehensweise zur Erstellung des Frageleitfadens und zur Durchführung der Experteninterviews wurde an die Vorgehensweise folgender Autoren angelehnt: Horst Mayer: Interview und schriftliche Befragung. Entwicklung, Durchführung und Auswertung, überarb. u. erw. 4. Auflage, München/Wien 2008, S. 37-57; Christel Hopf: Qualitative Interviews – ein Überblick, in: Uwe Flick/Ernst von Kardoff/Ines Steinke (Hgg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Hamburg 7 2009, S. 349-360. Für die Transkription als notwendigen Zwischenschritt vor der Analyse bietet Uwe Flick Hilfestellung. Auf die genaue phonetische Wiedergabe, auch von non-verbalen Äußerungen oder den Tonfall, wurde verzichtet, da diese keinen gewinnbringenden Informationsgehalt für das Vorhaben gebracht hätten. Die Transkriptionen wurden entsprechend bei Transkripto.de nach den Einfachen Regeln – geglättet in Auftrag gegeben. Vgl. Uwe Flick: [402], S. 380-385; Christiane Schmidt: Analyse von Leitfadeninterviews, in: Uwe Flick/Ernst von Kardoff/Ines Steinke (Hgg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Hamburg 7 2009, S. 448-456; Dies.: »Am Material«: Auswertungstechniken für Leitfadeninterviews, in: Barbara Friebertshäuser/Annedore Prengel (Hgg.): Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft, Weinheim/München 2003, S. 546-566; Michael Meuser/Ulrike Nagel: Das Experteninterview. Wissenssoziologische Voraussetzung und methodische Durchführung, in: Barbara Friebertshäuser/Annedore Prengel (Hgg.): Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft, Weinheim/München 2003, S. 488f; Philipp Mayring: Qualitative Inhaltsanalyse, in: Uwe Flick/Ernst von Kardoff/Ines Steinke (Hgg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Hamburg 7 2009, S. 468-475, insbesondere S. 472. Zur Transkriptionsmethode Einfache Regeln – geglättet vgl. die Regeln auf der Webseite der Firma Transkripto.de https://www.transkripto.de/interview-transkribieren (18. Dezember 2018). Die Experteninterviews mussten für die Auswertung der Inhalte nicht kategorisiert und kodiert werden. Die Untersuchungsschritte Kategorisieren, Kodieren und Interpretieren fiel für die Auswertung der Reden, Ansprachen und Interviews der Regierungs- und Staatsvertreter an. Anhand der evaluierten Kategorien konnte die Auswahl an Themen für die Ausstellungsuntersuchung eingegrenzt werden. Vgl. Christiane Schmidt: [497], S. 448-456; Dies.: [496], S. 546-566; Michael Meuser/Ulrike Nagel: [480], S. 488f.
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Europäisierung des Gedenkens?
1.4.3
Quellen- und Methodenkritik
Da für eine Ausstellungsanalyse keine fachspezifische Untersuchungsmethode existiert, ergaben sich bei der Durchführung auch Schwierigkeiten, die Ausstellungen und Ausstellungstexte als Quellen mit sich bringen, und auf die hier im Rahmen der Quellen- und Methodenkritik für künftige ähnliche Arbeiten hingewiesen werden soll. An dieser Stelle soll kurz auch auf die mögliche Kritik eingegangen werden, dass Historiker Texte auf Kosten der Exponate überbewerten würden und alles so detailliert wie möglich dargestellt sehen wollen.140 Für Kuratoren, die von Haus aus Historiker sind, trifft dieser Sachverhalt möglicherweise zu, wenn sie eine Ausstellung planen und umsetzen. Mit geschichtswissenschaftlichen Methoden kann »das sinnliche Potential einer Präsentation«141 allerdings nicht analysiert werden und daher ist der Rückgriff auf Textmaterial unerlässlich. Das Zusammenspiel von Exponaten und deren Wirkung im Raum ist für einen Historiker schwer erfassbar. Dies gilt insbesondere auch für Sonderausstellungen, die meist nach nur wenigen Monaten wieder abgebaut werden und somit einer kritischen Untersuchung entzogen sind.142 An dieser Stelle wird eine zweite Problematik deutlich. Das Einzige, was von Ausstellungen zurückbleibt, sind die Kataloge, Begleitpublikationen und die Ausstellungsdokumentation der Museen.143 Für die vorliegende geschichtswissenschaftliche Arbeit bleibt daher die textliche Überlieferung der Ausstellung die Hauptuntersuchungsgrundlage. Sofern die Ausstellungstexte detaillierte Beschreibungen enthalten, die eine Einordnung in das Ausstellungsnarrativ bieten, ist ausgiebig Material für eine quellenkritische Untersuchung vorhanden. Bei den Ausstellungen, zu denen es keine Begleitpublikationen gibt, ist der Historiker jedoch auf eine im Idealfall vollständige Ausstellungsdokumentation seitens der Museen angewiesen, die auch aus unveröffentlichten schriftlichen Dokumenten unterschiedlichster Art bestehen kann.144 Teilweise stellte sich bei der Arbeit zu dieser Untersuchung heraus, dass beispielsweise dokumentierte Ausstellungstexte in der tatsächlichen Präsentation gegebenenfalls gekürzt oder geändert worden waren oder gänzlich fehlten, falls bei einem Austausch eines Exponats der Ersatztext nicht dokumentiert wurde. In diesen Fällen wird auf den Exponat- oder den Exponatgruppentext im Ausstellungskatalog zurückgegriffen, der sich unter Umständen von den Texten in der Ausstellung unterscheiden konnte, da beispielsweise zusätzliche Informationen enthalten sind, oder es findet sich ein entsprechender Vermerk im Text oder der Fußnote. Freilich ist der Historiker auch bei einer Dauerausstellung nicht vor dieser Problematik sicher, nicht zuletzt, da auch Dauerausstellungen in der Regel eine begrenzte Laufzeit haben, wenngleich diese auch mehrere Jahrzehnte dauern kann, oder Exponate aus konservatorischen Gründen ausgetauscht werden müssen.
140 141 142 143
Vgl. Katharina Flügel: [403], S. 128. Thomas Thiemeyer: [519], S. 89. Vgl. ebd., S. 89f. Vgl. Christine Beil: Der ausgestellte Krieg. Präsentationen des Ersten Weltkrieges 1914-1939 (= Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen 97), Tübingen 2004, S. 26. 144 Vgl. ebd.
1. Einleitung
Auf eine Rezeptionsforschung wurde in der vorliegenden Untersuchung verzichtet und vor allem die Ausstellungsbesucher als weiterer Akteur ausgeklammert. Sie finden lediglich darin Berücksichtigung, als dass die Ausstellungsmacher bei der Auswahl der Exponate insbesondere bei Fotografien und Filmmaterial wohl überlegt vorgingen, beispielsweise wie Kriegsgewalt im Hinblick auf die Zielgruppe Schulklassen und Familien mit Kindern gezeigt werden kann. Der Soziologe Horst-Alfred Heinrich weist zwar daraufhin, dass Geschichtspolitik nicht ohne Rezipienten denkbar ist, da diese ebenso als aktiv Handelnde in den Prozess der Produktion von Geschichte und bestimmten Geschichtsbildern eingreifen, indem sie weitere Interpretationsalternativen böten, die wiederum ihren eigenen politischen Einstellungen am nächsten wären.145 Das Anliegen der vorliegenden Studie ist es aber, die Geschichtsbilder und nicht deren Wirkung herauszuarbeiten. Eine solche Arbeit ist sicherlich lohnend, muss an dieser Stelle aber für weitere Forschungen offengelassen werden.
1.5
Aufbau und Vorgehen in der Arbeit
Für das konkrete Vorgehen bedeutet dies, dass zunächst einmal die untersuchten Ausstellungen vorgestellt werden. In Kapitel 2 Der Erste Weltkrieg im Museum wird daher ein Überblick darüber gegeben, um welche Ausstellung es sich handelt, wie lange sie gezeigt wurde, wer die Ausstellung produzierte, ob gegebenenfalls darüber hinaus weitere Wissenschaftler beteiligt waren und wenn ja in welchem Umfang. Ebenso wird erläutert, wen die Ausstellungsmacher als Zielgruppe ihrer Ausstellung bei den Planungen und der Umsetzung im Blick hatten. Dies vermittelt einen Einblick darüber, ob die Ausstellungen beispielsweise auf ein nationales oder eventuell sogar ein internationales Publikum ausgerichtet waren, wieviel Hintergrundwissen die Ausstellungsmacher seitens der Besucher erwarteten oder ob beispielsweise hauptsächlich Schulklassen angesprochen werden sollten, die sich dem Thema erst einmal grundsätzlich nähern würden. Gleichzeitig hat die Zielgruppe eine Auswirkung auf die Exponatauswahl, wenn es darum geht, wie Gewalt und Töten bildlich dargestellt werden kann. Es folgen eine Beschreibung der räumlichen Aufteilung und der Ausstellungsgestaltung sowie ein Überblick auf die Exponatauswahl. Die Ausstellungen in einem separaten Kapitel darzustellen bietet zudem die Möglichkeit das Ausstellungsnarrativ und die Leitfragen vorzustellen. Auf der Vorstellung der Ausstellungen baut der daran anschließende Teil Der Erste Weltkrieg in Ausstellungen und Gedenkveranstaltungen mit den exemplarisch herausgearbeiteten Ausstellungsdiskursen auf. Die Kapitel 3 bis Kapitel 8 beschäftigen sich folglich mit den Diskursen Deutschland und die Kriegsschuldfrage, Großbritannien und die Kriegsschuldfrage, Deutschland und die Lehren aus dem Ersten Weltkrieg, Großbritannien und die Bedeutung der Kriegsopfer, Gewalt und Grauen an der Front sowie Leid der Zivilbevölkerung. Die Auswahl dieser Themen erfolgte gerade deshalb, weil sie in deutschen und britischen Museen entweder sehr differenziert behandelt wurden oder sehr ähnliche Ansätze zu beobachten waren. Die gleichen Themen spielten auch im Handlungsfeld der Politiker 145
Vgl. Horst-Alfred Heinrich: [421], S. 32; Karsten Stephan: [504], S. 119-131.
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Europäisierung des Gedenkens?
eine wichtige Rolle, so dass es lohnend war, sich exemplarisch auf diese Teilaspekte des Ersten Weltkrieges zu konzentrieren. Zu jedem Diskurs werden zunächst die Ausstellungsnarrative und die Kontextualisierung der Exponate ausführlich herausgearbeitet. In den Kapiteln zu den Ausstellungsdiskursen wird neben dem Akteur Museum auch der Akteur Wissenschaft vorgestellt, indem die neueren Forschungen zu den jeweiligen Themenfeldern von deutschsprachigen und anglo-amerikanischen Wissenschaftlern vorgestellt werden. Einige dieser Autoren waren auch in den Beiräten der Museen und für die Ausstellungen tätig. Ein Teil ihrer Forschungen wurde in den Ausstellungen und in den Begleitpublikationen rezipiert. Daneben werden auch Forschungen von Wissenschaftlern in die Untersuchung einbezogen, die nicht in die Ausstellungsproduktion involviert waren. Dadurch sollen aktuelle Forschungsdebatten und -kontroversen möglichst breit dargestellt werden. Der musealen und forschungsbezogenen Vorstellung der Ausstellungsnarrative folgt jeweils ein Analysekapitel, in dem die exemplarisch ausgewählten Ausstellungsinhalte in die Forschungsdebatten und deren Geschichtsbilder eingeordnet werden. Die Ausstellungsanalysen schließen dann mit einem Zwischenresümee, welche Geschichtsbilder die Ausstellungen den Besuchern zum jeweiligen Thema anbieten. Im Kapitel 9 Der Erste Weltkrieg in Gedenkveranstaltungen wird der dritte Akteur, die Politik, beleuchtet. Hierzu werden Ansprachen, Reden, Interviews und weitere Beiträge britischer und deutscher Regierungs- und Staatsvertreter vorgestellt. Es wurden dafür hauptsächlich Beiträge aus dem Jahr 2014 ausgewählt, die anlässlich von national und international organisierten Gedenkveranstaltungen, Ausstellungseröffnungen, Podiumsdiskussionen und ähnlichem veröffentlicht wurden. Es befinden sich darunter aber auch vereinzelte Ansprachen zu den Planungen der Gedenkveranstaltungen, die bereits im Vorfeld des ersten Gedenkjahres gehalten wurden. Im anschließenden Teil Europäisierung der Geschichtsbilder des Ersten Weltkrieges? wird der geschichtspolitische Diskurs im musealen und politischen Bereich in Deutschland und Großbritannien aufgearbeitet und abschließend verglichen. Die in den Ausstellungen herausgearbeiteten Geschichtsbilder werden den Vergleichskategorien Divergenz, Konvergenz und Differenz zugeordnet.146 Anschließend werden sie auf ihre geschichtspolitische Aussage hin überprüft und in Bezug zur Deutung der Regierungsund Staatsvertreter gesetzt, um schlussfolgernd zur Beantwortung der Forschungsfrage zu gelangen.
1.6
Einordnung in den Forschungsstand zum Weltkriegsgedenken
Wencke Meteling beschreibt ein Phänomen zur Weltkriegsforschung, das auch die vorliegende Arbeit beherrschte, sehr treffend: Die riesige Anzahl von Einzelstudien und der Spezialisierungsgrad der Forschung zum Ersten Weltkrieg bringen es mit sich, dass es für einzelne Wissenschaftler, besonders
146 Vgl. Monika Fenn/Christiane Kuller: [397], S. 13-16.
1. Einleitung
jüngere, immer schwieriger wird, das bunt schattierte Gesamtfeld im Auge zu behalten und Querverbindungen zwischen den thematischen und methodischen Teilfeldern herzustellen, von internationalen Vergleichen ganz zu schweigen.147 Die Geschichtswissenschaft, die Geschichtspolitik und die Populärkultur stehen in Großbritannien in einem schwierigen, aber »produktiven Spannungsverhältnis.«148 Zahlreiche Studien beschäftigten sich bislang mit Formen des Gedenkens und der Erinnerungskultur zum Ersten Weltkrieg, weshalb das »Centenary« 2014 mit großer Spannung zu erwarten sei, so Meteling 2011 in ihrem Ausblick auf das Gedenkjahr.149 Vor allem in der europäischen Politik würde der Erste Weltkrieg als »gemeineuropäische Leidens- und Opfergeschichte«150 betrachtet werden, was politisch verständlich sei. Im Gegensatz dazu jedoch sieht sie auf wissenschaftlicher Ebene keine allgemeine Leidensgeschichte, die die Versöhnung der Europäer vorgezeichnet hätte, auch nicht in den nationalen Erinnerungskulturen.151 Man dürfe also gespannt sein, »ob sich aus der intensiven nationalen und europäischen Memoralisierung des Ersten Weltkrieges und aus den zu erwartenden fachhistorischen und geschichtspolitischen Debatten zwischen 2014 und 2018 auch neue Forschungsimpulse ergeben.«152 Als besonders hilfreich für die vorliegende Arbeit erwies sich der Beitrag von Michael Epkenhans mit seinem Ausblick auf mögliche Forschungsimpulse für die Gedenkjahre.153 Epkenhans fasst die neuesten, vor allem deutschen, historiografischen Forschungen zusammen und ordnet diese gemeinsam mit öffentlichen Gedenkansprachen der Politiker in die Debatte um die Kriegsschuldfrage ein. Die seitens der Fachvertreter längst geklärte Frage der Kriegsschuld wurde in der breiten Öffentlichkeit mit Christopher Clarks in Deutschland 2013 veröffentlichter Arbeit Die Schlafwandler wieder aktuell und Teil eines großen öffentlichen Diskurses, der den Beginn der Gedenkjahre in Deutschland maßgeblich prägte.154 Epkenhans kommt hinsichtlich der Debatte zu dem Schluss, dass zum einen der »belastete Begriff der ›Kriegsschuld‹ […] endlich aus
147
Wencke Meteling: Literaturbericht. Neue Forschungen zum Ersten Weltkrieg. Englisch- und französischsprachige Studien über Deutschland, Frankreich und Großbritannien, in: Geschichte und Gesellschaft 37 (2011), S. 621f. 148 Ebd., S. 646. 149 Vgl. ebd. 150 Ebd. 151 Vgl. ebd. 152 Ebd. 153 Vgl. Michael Epkenhans: [393], S. 135-165. 154 Vgl. ebd., S. 136f. Für aktuelle Beiträge zum historiografischen Forschungsstand zur Frage nach der Schuld beziehungsweise nach der Verantwortung am Ausbruch des Ersten Weltkrieges in der deutschen und der britischen Forschungslandschaft vgl. die entsprechenden Unterkapitel im Teil Der Erste Weltkrieg in Ausstellungen und Gedenkveranstaltungen, sowie bei Wencke Meteling: [479], S. 614-648; Christoph Nübel: Neue Forschungen zur Kultur- und Sozialgeschichte des Ersten Weltkriegs. Themen, Tendenzen, Perspektiven, in: H-Soz-u-Kult (8. Juli 2011). URL: http://hso zkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/2011-06-001 (5. Januar 2013); Gerd Krumeich/Gerhard Hirschfeld: Die Geschichtsschreibung zum Ersten Weltkrieg, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, hg.v. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz, aktualisierte und erw. Studienausgabe, Paderborn u.a. 2009, S. 304-315; Barbara Korte/Sylvia Paletschek/Wolfgang Hochbruck (Hgg.): [451].
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Europäisierung des Gedenkens?
dem Vokabular der Historiker bei der Interpretation der ›Juli‹-Krise verschwinden«155 soll und zum anderen, dass ein transnationaler Blick auf die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges trotz einiger global angelegter Arbeiten noch ein Forschungsdesiderat darstellt.156 Im Rahmen des Gedenkens bot sich im Oktober 2014 Anlass für die Tagung Auf dem Weg zur transnationalen Erinnerungskultur? Konvergenzen, Interferenzen und Differenzen der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg im Jubiläumsjahr 2014, die verdeutlichte, dass zur Klärung der Frage nach einer gemeinsamen europäischen Erinnerungskultur157 sowohl auf wissenschaftlicher, politischer als auch populärkultureller Ebene noch Antworten fehlen.158 Fenn und Kuller sehen insbesondere im Hinblick auf die »erinnerungskulturelle Entwicklung in Deutschland und die Frage nach deren Öffnung für transnationale Erinnerungsprozesse«159 noch ein Desiderat, weshalb Vergleiche mit Ländern wie Großbritannien, »deren Geschichtsbilder auf politischer Ebene weniger intensiv verflochten sind«160 , zu untersuchen sind. Einen ersten Ansatz lieferte Franziska Dunkel in ihrem Tagungsbeitrag zur Untersuchung von Museumausstellungen. Sie stellte fest, dass Museen Teil der Erinnerungskultur sind und als Akteure dazu beitragen können, mit einem transnationalen Fokus die nationale Färbung der Weltkriegserinnerung aufzubrechen, sofern denn der Erinnerungsgegenstand transnationaler Art wäre. Jedoch hatten die von ihr betrachteten Museen dies nicht zum Ziel.161 Ähnliche Schlüsse zog auch André Keil in seinem Tagungsbeitrag zur Erinnerungskultur in Großbritannien. Er bezog politische, wissenschaftliche und museale, literarische sowie filmische Erinnerungsformate in seine Überlegungen ein und schloss damit, dass die zwei gängigen und gleichsam widersprüchlichen Erinnerungsnarrative der Sinnlosigkeit und der Notwendigkeit des Ersten Weltkrieges nach wie vor die öffentlichen Debatten prägen und darüber hinaus kein europäisches Narrativ erkennbar ist.162
155 156 157
Michael Epkenhans: [393], S. 165. Vgl. ebd., S. 164. Den Begriff der Erinnerungskultur fassen Fenn und Kuller als Synonym für Geschichtskultur nach Karl-Ernst Jeismann und in Anlehnung an Christoph Cornelißen als zeitlich und räumlich verortbare praktische historische Phänomene »der bewussten Erinnerung an historische Ereignisse, Persönlichkeiten oder Prozesse« (Monika Fenn/Christiane Kuller: [397], S. 12.) auf. 158 Vgl. Monika Fenn/Christiane Kuller: [397], S. 10f. 159 Ebd., S. 16. 160 Ebd. 161 Vgl. Franziska Dunkel: »Es fehlt etwas«. Transnationales Erinnern an den Ersten Weltkrieg im Museum 2014, in: Monika Fenn/Christiane Kuller (Hgg.): Auf dem Weg zur transnationalen Erinnerungskultur? Konvergenzen, Interferenzen und Differenzen der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg im Jubiläumsjahr 2014 (= Wochenschau Geschichte), Schwalbach i.T. 2016, S. 220; Monika Fenn/Christiane Kuller: [397], S. 29. 162 Vgl. André Keil: Der Erste Weltkrieg in der britischen Erinnerungskultur. Mediendiskurse, Museen und Literatur zum Centenary, in: Monika Fenn/Christiane Kuller (Hgg.): Auf dem Weg zur transnationalen Erinnerungskultur? Konvergenzen, Interferenzen und Differenzen der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg im Jubiläumsjahr 2014 (= Wochenschau Geschichte), Schwalbach i.T. 2016, S. 97-117; Monika Fenn/Christiane Kuller: [397], S. 25.
1. Einleitung
Anders als in Großbritannien, wo der Erste Weltkrieg stets ein fester Bestandteil der öffentlichen Erinnerungskultur war und ist, zeigen neuere Studien, dass er auch in Deutschland in den letzten Jahren aus dem Schatten des Zweiten Weltkrieges hervortritt und zunehmend wahrgenommen wird. Das Interesse am Ersten Weltkrieg hat aufgrund des »Centenary« zu zahlreichen Veröffentlichungen in der Fachwissenschaft geführt. Dass in Deutschland das Interesse am Ersten Weltkrieg auch in der breiten Öffentlichkeit wiederentdeckt wurde, liegt auch an populärkulturellen Formaten wie Film und Fernsehen, Literatur und Theater, aber auch an Museumsausstellungen, die eine bedeutende Rolle spielen.163 Diese Genres zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich an einen weiten Adressatenkreis wenden, was sich durchaus auch auf ein kleineres Teilpublikum beziehen kann und nicht zwangsläufig nur auf die Massen.164 Zur populärkulturellen Erforschung des Ersten Weltkrieges insgesamt liegen jedenfalls bislang nur wenige Untersuchungen vor, wie Korte, Paletschek und Hochbruck zusammenfassen.165 Thomas Thiemeyer präzisiert hierzu, dass sich das Forschungsinteresse zur »Musealisierung der Weltkriege«166 in den vergangenen zwei Jahrzehnten aber verstärkt hat. Dabei ist für Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg nur eine lückenhafte Erforschung der Rolle der militärhistorischen Museen und Kriegsausstellungen erfolgt.167 Der Erste Weltkrieg ist im Vergleich zum Zweiten aus kulturhistorischer Sicht besser erforscht und die Forschung zu der Darstellung der Weltkriege in Deutschland und Frankreich weiter vorangeschritten als in England. Untersuchungen aus den vergangenen 15 Jahren zeigen jedenfalls, dass der Erste Weltkrieg in Museen immer wieder thematisiert wurde.168 Die Bandbreite der untersuchten Ausstellungen reicht dabei von Militär- bis hin zu historischen Museen, sowohl national als auch international. Meist beschränken sich die vergleichenden Studien auf Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Hierbei handelt es sich in der Regel um Dauerausstellungen, die zum Untersuchungsgegenstand wurden. Neuere Forschungen lieferten die Arbeiten von Thomas Thiemeyer, Christine Beil, Susanne Brandt, Britta Lange und Eva Zwach.169 Für den anglo-amerikanischen Sprachraum konstatierten Jay Winter und Antoine Prost, dass zum Ende des 20. Jahrhunderts vor allem Filme und Weltkriegsliteratur großes Interesse beim breiten Publikum fanden, Historiker lediglich einen geringen
163 Vgl. Barbara Korte/Sylvia Paletschek/Wolfgang Hochbruck: [452], S. 11. 164 Vgl. ebd., S. 13. 165 Vor allem für die Untersuchung von Weltkriegsliteratur, -filmen und Fernsehproduktionen nennen die Autoren zahlreiche Beispiele. Vgl. ebd., S. 14-17. 166 Thomas Thiemeyer: [518], S. 29. 167 Vgl. ebd. 168 Vgl. zum Forschungsstand ebd., S. 29f; außerdem bei Eberhard-Karls-Universität Tübingen (Hg.): Sonderforschungsbereich 437. Kriegserfahrungen. Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit (1. November 2010). URL: www.uni-tuebingen.de/SFB437/index.htm (1. Juli 2014, Seite nicht mehr verfügbar). 169 Thomas Thiemeyer: [518]; Christine Beil: [358]; Susanne Brandt: Vom Kriegsschauplatz zum Gedächtnisraum. Die Westfront 1914-1940 (= Düsseldorfer Kommunikations- und Medienwissenschaftliche Studien 5), Baden-Baden 2000; Britta Lange: Einen Krieg ausstellen. Die »Deutsche Kriegsausstellung« 1916 in Berlin, Berlin 2003; Eva Zwach: [545].
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Europäisierung des Gedenkens?
Anteil an den erinnerungskulturellen Produktionen hatten und die Geschichte des Ersten Weltkrieges »everybody’s business«170 gewesen ist. Seit den 1990er Jahren haben sich Gaynor Kavanagh171 und Richard Espley172 dezidiert mit Museen und Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg in Großbritannien und ausführlich auch zum IWM beschäftigt, ebenso wie eine aktuelle britische Forschungsarbeit von James Wallis, die sich mit dem Ersten Weltkrieg in den Dauerausstellungen des IWMs beschäftigt173 . Hier einzureihen ist auch die Aufsatzsammlung zu Commemorative Spaces of the First World War. Historical Geographies at the Centenary174 , die sich neben Museumsausstellungen mit weiteren populärkulturellen Genres befasst. Die in den letzten zwei Jahrzehnten erschienenen Studien von Brandt, Beil, Lange und Wallis beschäftigten sich mit nationalen Vergleichen von Weltkriegsausstellungen. Mehrere Länder im Vergleich untersuchten bislang Zwach und Thiemeyer. Gerd Krumeich sieht dennoch weiteren Forschungsbedarf. Er hält an der Forderung nach Studien zu einer transnationalen Geschichtskultur fest, und dass es nach wie vor darzustellen gelte, wie different heute noch die Erinnerungen der verschiedenen Nationen Europas an diesen ›Großen Krieg‹ sind, und es könnte […] auch versucht werden, die historische Forschung noch viel stärker europäisch vergleichend zu orientieren als dies für den Ersten Weltkrieg bislang der Fall ist.175 Das vorliegende Dissertationsprojekt ordnet sich in die Gedenkforschung zum Ersten Weltkrieg ein. Ihm liegt ein transnationaler Vergleich mit einem geschichtspolitischen Zugriff auf die Frage nach einer Europäisierung der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg zu Grunde. Damit ordnet sich das Projekt zudem auch in das Thema Geschichtspolitik ein, das in den letzten Jahren einen Aufschwung erlebte.176 Analytisch greift die Arbeit die bei Thomas Thiemeyer entwickelte Vorgehensweise zur Datenerhebung für eine Ausstellunguntersuchung auf und spezifiziert sie dahingehend, die Ausstellungstexte zum Untersuchungsgegenstand zu machen. 170 Jay Winter/Antoine Prost: The Great War in History. Debates and Controversies, 1914 to the Present, Cambridge/New York/Melbourne 2005, S. 190. 171 Gaynor Kavanagh: Museums and the First World War. A Social History, London/New York 1994. 172 Richard Espley fragt in seinem Beitrag nach der Authentizität von Schützengrabenausstellungen. Vgl. hierzu Richard Espley: »How Much of an ›Experience‹ Do We Want the Public to Receive?«. Trench Reconstructions and Popular Images of the Great War, in: Jessica Meyer (Hg.): British Popular Culture and the First World War, Leiden/Boston 2008, S. 325-349. 173 Die Dissertation von James Wallis mit dem Titel Commemoration, Memory and the Process of Display: Negotiating the Imperial War Museum’s First World War Exhibitions, 1964-2014 war bis zum Abschluss der vorliegenden Untersuchung nicht öffentlich zugänglich. Die Arbeit hätte sicherlich weitere Impulse zur Geschichte und zum Ausstellungskonzept des IWMs und damit zur britischen Erinnerungskultur zum Ersten Weltkrieg geben können. Wallis hat zu fünf Jahrzehnten Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg im IWM in London über die Frage der Darstellbarkeit von Krieg geforscht und untersuchte dafür auch die 2014 eröffneten First World War Galleries. 174 James Wallis/David Harvey (Hgg.): Commemorative Spaces of the First World War. Historical Geographies at the Centenary (= Routledge Research in Historical Geography), London/New York 2018. 175 Gerd Krumeich: [460], S. 70. 176 Vgl. Beatrix Bouvier/Michael Schneider: [368], S. 7.
1. Einleitung
Es liegen bereits Rezeptionen und Beiträge zu Weltkriegsausstellungen vor, die für die vorliegende Arbeit zum Überblick herangezogen wurden.177 Es liegt bislang jedoch noch keine transnational vergleichende Studie zu im Gedenkjahr veranstalteten Weltkriegsausstellungen vor, die deren geschichtspolitische Intention untersucht, um dadurch Rückschlüsse auf das Geschichtsbild zum Ersten Weltkrieg 100 Jahre nach Kriegsausbruch, und konkret auf das Geschichtsbild hinsichtlich dem Aspekt nationaler Identitätsstiftung und Europäisierung der Erinnerung zu ziehen.
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Beispielhaft seien hier genannt: André Keil: [443], S. 97-117; Franziska Dunkel: Einen Blick in die Hölle werfen? Die Ausstellung Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne im Haus der Geschichte Baden-Württemberg, in: Deutscher Museumsbund (Hg.): Museumskunde. Themenschwerpunkt Erster Weltkrieg, Bd. 79, 1, Berlin 2014, 69-75; Juliane Haubold-Stolle/Cosima Götz: 1914-1918. Der Erste Weltkrieg. Deutsches Historisches Museum, in: Deutscher Museumsbund (Hg.): Museumskunde. Themenschwerpunkt Erster Weltkrieg, Bd. 79, 1, Berlin 2014, S. 8-13; Ludger Tekampe: Der ferne Krieg. 1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg, in: Deutscher Museumsbund (Hg.): Museumskunde. Themenschwerpunkt Erster Weltkrieg, Bd. 79, 1, Berlin 2014, S. 29-34; Thomas Thiemeyer: Rezension zu: Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne. Ausstellung im Haus der Geschichte Baden-Württemberg vom 4. April 2014 bis zum 1. März 2015, in: H-Soz-u-Kult (24. Mai 2014). URL: www.hsozkult.de/exhibitionreview/id/rezausstellungen-194 (22. September 2018).
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2. Der Erste Weltkrieg im Museum
In Großbritannien spielt die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg heute noch eine große und bedeutende Rolle. Selbst die Schrecken und Dimensionen des Zweiten Weltkrieges konnten die Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg, der in Großbritannien nach wie vor als ›The Great War‹ bezeichnet wird, nicht überdecken.1 So verwundert es auch nicht weiter, dass von Seiten der britischen Regierung ein eigenes Programm mit zahlreichen Veranstaltungen im Bildungs- und Kulturbereich in Schulen, Gemeinden, Vereinen, Büchereien, den Medien und auch Museen zum Gedenken an die Ereignisse vor 100 Jahren durchgeführt wurde. Für das Programm und die zahlreichen Einzelprojekte stellte die Regierung unter dem damaligen Premierminister, David Cameron, Gelder in Millionenhöhe zur Verfügung. Allein zehn Millionen Pfund wurden für die neuen First World War Galleries des IWMs in London bereitgestellt.2 Cameron hatte sich das Gedenken an den Ersten Weltkrieg als ein Ziel mit höchster Priorität gesetzt, wie er in einer Rede am 11. Oktober 2012 formulierte.3 Ihm als Premierminister sei es ein Anliegen, aus dem Gedenken an den Ersten Weltkrieg eine nationale Angelegenheit zu machen und den nationalen Geist in jeder Ecke des Landes einzufangen, denn »[r]emembrance must be the hallmark of our commemorations«4 . Dahinter stecke für ihn die Pflicht, an diejenigen zu erinnern, die ihren Dienst taten und im Krieg ihr Leben lassen mussten, und um sicher zu stellen, dass die Lehren, die aus dem Ersten Weltkrieg gezogen wurden, nicht vergessen würden.5 Ein von der deutschen Regierung zentral organisiertes oder zumindest unterstütztes Programm zur Erinnerung an den Ersten Weltkrieg fand in Deutschland weder zu
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Vgl. David Cameron: Speech at Imperial War Museum on First World War Centenary Plans (11. Oktober 2012). URL: https://www.gov.uk/government/speeches/speech-at-imperial-war-museumon-first-world-war-centenary-plans (2. November 2018). Vgl. Department for Digital, Culture, Media & Sport (Hg.): Imperial War Museum London Reopens to the Public (22. Juli 2014). URL: https://www.gov.uk/government/news/imperial-war-museum-lo ndon-reopens-to-the-public (Stand: 7. August 2017); David Cameron: [315]. Vgl. David Cameron: [315]. Ebd. Vgl. ebd.
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Europäisierung des Gedenkens?
Beginn noch im Verlauf der vier Jahre zwischen 2014 und 2018 statt. Die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, erklärte in ihrem Videopodcast am 24. Mai 2014, dass der Erste Weltkrieg »nicht so im Blick«6 der Regierung gewesen sei, da dieser von der Schuld und dem Schrecken und Grauen des Nationalsozialismus überlagert sei. Dennoch beteiligte sich die Regierung an zahlreichen dezentral organisierten Veranstaltungen und Projekten, die sich der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg widmeten.7 So hielt Merkel unter anderem auch die Eröffnungsrede auf dem Europe 14/14 – HistoryCampus in Berlin am 7. Mai 2014.8 Eine weitere Großveranstaltung, die die deutsche Regierung unterstützte, war die Ausstellung 1914-1918. Der Erste Weltkrieg im DHM. Merkel hielt am 28. Mai 2014 die Eröffnungsrede und nahm anschließend an einer Diskussionsrunde, die der Frage nach der Lehre aus der Geschichte des Ersten Weltkrieges nachging, mit Studenten teil.9 Am 27. Juni 2014 lud Bundespräsident Joachim Gauck internationale Politiker, Kulturschaffende und Historiker zur Veranstaltung 1914-2014. Hundert europäische Jahre in seinen Amtssitz im Schloss Bellevue. Sowohl die unterschiedlichen nationalen Erinnerungen als auch die gemeinsamen Erfahrungen standen im Fokus der Diskussion, ebenso die Frage nach den Lehren, die Europa aus dem Krieg zog.10 Gauck stellte die Frage nach einer »gemeinsame[n] europäische[n] Erzählung«11 in den Raum, denn der Krieg habe ganz Europa betroffen, und deshalb sei eine europäische Perspektive notwendig.12 Trotz der Tatsache, dass es in Deutschland keine von der Bundesregierung zentral organisierten Gedenkveranstaltungen gab, nahmen sich doch zahlreiche Institutionen, Vereine, Stiftungen und Museen des Themas an. Die für die Arbeit herangezogenen Museen und ihre Weltkriegsausstellungen sollen im Folgenden vorgestellt werden.
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
2.1
Deutsches Historisches Museum
Abbildung 1: Einblick in 1914-1918. Der Erste Weltkrieg, Sektion Tannenberg
Das DHM in Berlin zeigte vom 29. Mai bis zum 30. November 2014 die Sonderausstellung 1914-1918. Der Erste Weltkrieg. Nach 1994 und 2004 war dies die dritte große Sonderschau, die sich mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigte. Mit der Ausstellung Die letzten Tage der Menschheit. Bilder des Ersten Weltkrieges im Jahr 1994 wurde der Erste Weltkrieg
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Angela Merkel: Video-Podcast »Jede Generation muss für das Friedenswerk Europa arbeiten« (24. Mai 2014). URL: https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Pressemitteilungen/BPA/2014/05/2 014-05-23-podcast.html (1. August 2017). Vgl. Angela Merkel: [341]. Die Veranstaltung HistoryCampus »›look back and think forward‹. Europe 14|14« fand vom 7. bis zum 11. Mai 2014 in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung, der Körber Foundation, der Robert-Bosch-Stiftung und anderen statt und bot jungen politisch und geschichtlich interessierten Europäern im Alter von 18 bis 25 Jahren eine Plattform zum transnationalen Austausch. Vgl. hierzu: www.bpb.de/veranstaltungen/dokumentation/175125/europe-1414 (1. August 2017); www.bpb.de/veranstaltungen/dokumentation/175835/historycampus-berlin (1. August 2017); vgl. auch Monika Fenn: [398], S. 70. Vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hg.): [346]. Vgl. Bundespräsidialamt (Hg.): [313]. Joachim Gauck: Begrüßung zur Gedenkveranstaltung »1914-2014. Hundert europäische Jahre« am 27. Juni 2014 in Schloss Bellevue (27. Juni 2014). URL: www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2014/06/140627-Gedenkveranstaltung-1914-2014-morgens.html (3. Oktober 2018). Vgl. ebd.
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Europäisierung des Gedenkens?
aus einer kulturhistorischen Sicht beleuchtet.13 Die Ausstellung Der Weltkrieg 1914-1918. Ereignis und Erinnerung im Jahr 2004 wurde mit dem Ansatz einer europäischen Erinnerung an den Ersten Weltkrieg umgesetzt und folgte einem nach Sachthemen, wie Religion oder Motivation, organisierten Ausstellungskonzept.14 Mit der Ausstellung anlässlich des hundertjährigen Gedenkens grenzte sich das DHM deutlich von der vorangegangenen aus dem Jahr 2004 ab, da für das Wiederholen von Themen für Sonderausstellungen zehn Jahre ein zu kurzer Zeitraum sind. Die Ausstellung 2014 hatte den Krieg selbst und die »Eskalation der Gewalt«15 , die »die nachfolgenden Kriege, […] das politische Denken und Handeln im gesamten 20. Jahrhundert«16 veränderte, zum Thema. In 14 Sektionen, die einem zentralen Ort des Kriegsgeschehens gewidmet waren, wurde eine Überblicksausstellung über die Kriegsereignisse gegeben.17 Die Ausstellung, die am 3. Juli und ein Tag nach dem Experteninterview am 5. Juli 2014 besucht wurde, zeigte rund 500 Exponate auf einer Fläche von 1.100 Quadratmeter. Entsprechend der Aufteilung in 14 Orte des Ersten Weltkrieges wurden Einbauten errichtet, mit deren Hilfe innerhalb der Ausstellung eine räumliche Trennung der Themen erreicht wurde.18 Das Ausstellungsnarrativ wurde den Besuchern anhand von 21 Sektionstexten19 erläutert, die entsprechend dem Konzept in der Regel einen prägnanten Ort und ein damit verbundenes Thema des Ersten Weltkrieges vorstellten: Marne – Der Schock des neuen Krieges, Brüssel – Besatzer und Besetzte, Tannenberg – ›Kriegsheld‹ und Propaganda, Galizien – Die Suche nach ›inneren Feinden‹, Ostafrika – Europas Krieg in Afrika, Ypern – Die Schrecken des Gaskriegs, Gallipoli – Neue Front im Osmanischen Reich, Gorlice und Tarnów – Die deutsche Besatzungsmacht im Osten, Verdun – Der industrialisierte Krieg, Somme – Das Desaster der Offensive, Isonzo – Der Krieg in den Bergen, Petrograd – Revolutionen in Russland, Berlin – Die erschöpfte Großstadt, Amiens – Sieg und Niederlage. Neben einem einführenden Text zum Ersten Weltkrieg und einer Vorstellung der Stimmungslage in Deutschland vor Ausbruch des Krieges wurde in weiteren ortsunabhängigen Texten der Seekrieg und die globale Dimension der Weltkriegswirtschaft vorgestellt: 1914-1918. Der Erste Weltkrieg, Die moderne Welt von gestern, Leben an der Front, Soldaten in Gefangenschaft, Der Krieg zur See, Globaler Wirtschaftskrieg, Der unbewältigte Krieg. Neben den Sektionstexten erschloss sich die Ausstellung über die jeweiligen Exponat- oder Exponatgruppentexte, wenn mehrere Exponate gemeinsam erläutert 13
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Vgl. Judith Heß: Experteninterviews. Deutsches Historisches Museum, in: Dies.: Geschichtsbilder des Ersten Weltkrieges – eine Europäisierung des Gedenkens? Geschichtspolitische Deutung deutscher und britischer Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg. Anhang, Bd. 2, Diss. phil. Mannheim 2019, S. 7. Zum Rückblick auf die vergangenen Ausstellungen des DHMs vgl. ebd. Alexander Koch: Vorwort, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 9. Ebd. Vgl. Judith Heß: Experteninterview DHM [214], S. 7f. Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Pressemappe »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014 (Juli 2014). URL: www.dhm.de/fileadmin/medien/relaunch/presse/pressemappen/2014/DHM_Erster_Weltkrieg_Pressemappe_deutsch_komplett.pdf (29. August 2018). Für die Sektionstexte in der Ausstellung des DHMs vgl. ebd.
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
wurden. Diese wurden durch das DHM im Rahmen der Ausstellungsdokumentation zur Verfügung gestellt. Die Sektionstexte standen darüber hinaus auch in der Pressemappe über die Homepage des DHMs zur Verfügung. Ergänzend zur Ausstellung wurde ein Begleitband mit dem Titel Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten20 erstellt. Die Beiträge, in denen die Exponate der museumseigenen Sammlung die Geschichte des Ersten Weltkrieges erzählen, wurden zum größten Teil von den Museumsmitarbeitern selbst geschrieben. Der Aufbau der Publikation, anders als bei einem Ausstellungkatalog, orientierte sich nicht am Aufbau und der Struktur der Ausstellung wie oftmals üblich und stellte damit ein eigenständiges Produkt neben der Ausstellung dar.21 Das DHM besitzt eine eigene Sammlung zum Ersten Weltkrieg. Dabei versteht sich das Museum als »Sacharchiv der Dinge«22 , das vor allem Objekte sammelt, die Zeugnis geben von den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen und dem Alltag vergangener Zeiten.23 Die Weltkriegssammlung des DHMs setzt sich aus den Sammlungen des Zeughauses und des Museums für Deutsche Geschichte (MfDG), dem ehemaligen nationalen Geschichtsmuseum der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), aber auch aus Ankäufen, die anlässlich der Museumsgründung 1987 erworben wurden, zusammen. Die Sammlung zum Ersten Weltkrieg wurde bereits im Herbst 1914 angelegt und im Zuge dessen erste in Gefechten erbeutete Waffen und Fahnen in das Zeughaus überführt. Diese Stücke wurden noch während des Krieges in sogenannten Beuteschauen im Schlüterhof ausgestellt, um die Kriegsmotivation der Bevölkerung zu befeuern. Daneben begann man auch Uniformen und andere Militaria aus dem Ersten Weltkrieg zu sammeln.24 Gemäß der Versailler Verträge mussten die Beutestücke aus dem Ersten Weltkrieg wieder zurückgegeben werden. Erst 1932 eröffnete eine neue Weltkriegssammlung, die während der Zeit der Nationalsozialisten erweitert und für Propagandazwecke gezeigt wurde. Nach 1945 wurde das Kriegsmuseum, das bis dahin im Zeughaus untergebracht war, aufgelöst. 1952 übernahm das MfDG die Sammlungen des Zeughauses inklusive der Sammlung zum Ersten Weltkrieg. Das MfDG nutzte die Sammlungen zum Ersten Weltkrieg, die es kontinuierlich erweiterte, um das marxistisch-leninistische Geschichtsbild der DDR zu vermitteln.25 Obwohl, dass das DHM auf eine eigene große Weltkriegssammlung zurückgreifen konnte, wurden zahlreiche Exponate ergänzend von nationalen und internationalen
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Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014. Die zitierten Ausstellungstexte der Berliner Ausstellung entstammen entweder dem Ausstellungskatalog, den online zur Verfügung stehenden Materialen wie der Pressemappe oder der Ausstellungsdokumentation, die durch die Kuratoren des DHMs zur Verfügung gestellt wurde. Detaillierte Auskunft gibt die jeweilige Fußnote in Verbindung mit dem Quellenverzeichnis. Vgl. Judith Heß: Experteninterview DHM [214], S. 28; Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): [353]. Alexander Koch: [265], S. 9. Vgl. ebd. Die Zusammensetzung und Herkunft der Weltkriegssammlung des DHMs zusammengefasst bei ebd., S. 10. Vgl. für die Zusammenfassung der Gründung des DHMs im Jahre 1987 und seinen Dauerausstellungen zu den zwei Weltkriegen Thomas Thiemeyer: [518], S. 42-45. Vgl. Alexander Koch: [265], S. 10f.
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Europäisierung des Gedenkens?
Leihgebern gezeigt. Neben dem IWM in London waren auch französische, russische, polnische oder österreichische Museen mit Leihgaben vertreten.26 Dabei sei eines der wichtigsten Auswahlkriterien für die Exponate gewesen, ob das gewünschte Ausstellungsstück überhaupt zu bekommen sei, so die Kuratoren, da eine Liste des DHMs 80 weitere Museen allein in Deutschland auswies, die 2014 eine Ausstellung über den Ersten Weltkrieg veranstalteten.27 Insgesamt war den Kuratoren aber eine »bunte Mischung«28 an Exponaten wichtig gewesen, damit die Ausstellung weder überwiegend aus Militaria bestand, noch zu »dokumentenlastig«29 wurde. Nicht zuletzt spielten aber auch praktische Überlegungen eine große Rolle, beispielsweise die Statik des Ausstellungsraums. Die Traglast des Bodens hatte es nicht erlaubt, beliebig große und schwere Artilleriegeschütze auszustellen. Aber auch die politische und diplomatische Lage musste bei Leihanfragen im Ausland unter Umständen beachtet werden. So bestanden zeitweilig Befürchtungen, dass sich die Ukrainekrise auf Leihanfragen an russische Leihgeber auswirken könnte.30 Konnten Exponate aus Platzgründen oder aufgrund der Statik nicht gezeigt werden, behalf sich das DHM, wie im Falle eines französischen Renault-Panzers, mit einem Modell aus.31 Ebenso wurden Reproduktionen eingesetzt, da aufgrund der langen Ausstellungsdauer Dokumente, Plakate oder Fotografien aus konservatorischen Gründen nicht für die gesamte Dauer gezeigt werden konnten. Auf Repliken wurde verzichtet.32 Bei der Exponatgattung gab es in der Berliner Ausstellung keine Einschränkungen. Die Schau zeigte sowohl Flachware33 in Form von Feldpostbriefen und Tagebüchern, Fotografien, Plakaten und Flugblätter, als auch Kunst in Form von Gemälden und Trench-Art-Exponaten. Ebenso waren Waffen, wie Gewehre, Handgranaten oder einem Flammenwerfer, aber auch schwere Artilleriegeschütze, Munition, Uniformen, Helme und sonstige Ausrüstungsgegenstände, wie beispielsweise Kondome im Exponatportfolio zu sehen. Auch ein Feldküchenwagen sowie persönliche Habseligkeiten der Soldaten gehörten zu den Ausstellungsstücken. Die Berliner Kuratoren ließen zudem in einigen Vitrinen, die sich durch ihren gelben Anstrich von den übrigen abhoben, Zeitzeugen berichten. In diesen Vitrinen wurden die persönlichen Geschichten und sub-
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Vgl. zu den Leihgebern der Ausstellung Judith Heß: Experteninterview DHM [214], S. 15f und S. 18. Vgl. ebd., S. 15. So lieh das Deutsche Literaturarchiv in Marbach beispielsweise den Stahlhelm von Ernst Jünger und einen von ihm erbeuteten britischen Stahlhelm im Jahr 2014 gleich mehrfach an Museen aus. Die Helme waren sowohl im DHM als auch in der Stuttgarter Ausstellung Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne sowie in einer eigenen Ausstellung des Literaturarchivs zu sehen. Ebd., S. 16. Ebd. Vgl. ebd., S. 16-19. Vgl. ebd., S. 17. Vgl. ebd., S. 19. Unter dem Begriff der Flachware sind Objekte wie Schriftstücke, Dokumente, aber auch Bücher, Briefe oder Plakate zusammengefasst, die weniger durch ihre Optik und Form als Exponat dienen, sondern ihres Inhalts wegen. Oft wird die sogenannte Flachware so präsentiert, dass die Besucher in den Schriftstücken oder Büchern lesen können.
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
jektiven Erlebnisse einzelner Kriegsteilnehmer anhand persönlicher Gegenstände, wie beispielsweise Feldpostbriefen, Verdienstmedaillen oder Beutestücken erzählt.34 Multimediaangebote wie Filme, Hörstationen oder Multimediaguides wurden dazu verwendet, um Exponatlücken zu schließen beziehungsweise Exponate zu ergänzen und sie in den Kontext des Frontalltages zu setzen, wenn diese nicht von sich aus sprachen. Im Falle des Renault-Panzermodells zeigten Filmausschnitte den Panzer im Einsatz während des Ersten Weltkrieges.35 Einen wichtigen multimedialen Beitrag in der Ausstellung lieferte ein sogenannter Medientisch zum Thema Wirtschaftskrieg. Dieses Thema habe sich kaum einem der 14 Orte zuordnen lassen, da es sich um ein globales Phänomen gehandelt habe, so die Kuratoren.36 An diesem Tisch konnten die Besucher interaktiv »die maßgebliche Bedeutung der wirtschaftlichen und finanziellen Kräfteverhältnisse für den Ausgang des Krieges«37 erfahren und ›spielerisch‹ lernen, wie der Aufstieg der USA zu einer der weltweit führenden Wirtschaftsmächte als Folge des Ersten Weltkrieges gelang.38 Darüber hinaus ergänzten ein Multimediaguide für Erwachsene und einer für Jugendliche, der für die Nutzung durch ein Smartphone konzipiert wurde, den Ausstellungsrundgang mit vertiefenden Informationen zu ausgewählten Objekten. Der Guide für Erwachsene war neben Deutsch auch auf Englisch, Französisch und Russisch erhältlich, der Guide für Jugendliche hingegen nur auf Deutsch.39 Ergänzend zu den Exponaten nutzten die Ausstellungsmacher auch ein großes Angebot an Multimediastationen und einen Überblicksfilm zum Verlauf des Ersten Weltkrieges mit dem Titel Der Erste Weltkrieg – Eine Einführung40 , um den Besuchern weiterführende oder vertiefende Informationen zu liefern. Neben zahlreichen Filmausschnitten, die von Zeitgenossen aufgenommen worden waren, wurde die Ausstellung zudem durch Originaltöne in Hörstationen ergänzt. Eine konkrete Zielgruppe habe man für die Ausstellung nicht vor Augen gehabt, so die Ausstellungskuratoren. Dafür habe es ein entsprechendes Begleitprogramm gegeben, das beispielsweise auf Schulklassen zugeschnitten worden sei. Da das DHM ›das‹ nationale Geschichtsmuseum für die deutsche Geschichte sei und durch seine Vorortung in der Hauptstadt Berlin, habe man auch einen hohen ausländischen Besucheranteil, weshalb die Ausstellungstexte gänzlich zweisprachig, englisch-deutsch, zur Verfügung standen.41 Das Ausstellungsteam, das im Kern aus sieben Mitarbeitern des DHMs bestand, erarbeitete das grundsätzliche inhaltliche Konzept der Ausstellung. Der wissenschaftli34 35 36 37 38 39 40
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Vgl. ebd., S. 21f und S. 25. Vgl. ebd., S. 17. Vgl. ebd., S. 10. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): [353]. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Der Film entstand in Kooperation zwischen dem DHM und der Darmstädter Agentur Architectura Virtualis GmbH. Wissenschaftlicher Berater des Films war Gerd Krumeich. Der Film wurde auch in der Speyerer Ausstellung mit Ergänzungen zur pfälzischen Geschichte gezeigt. Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): [353]. Vgl. Judith Heß: Experteninterview DHM [214], S. 8 und S. 25.
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Europäisierung des Gedenkens?
che Fachbeirat der Ausstellung hatte eine beratende Funktion hinsichtlich der Schwerpunktsetzung beziehungsweise Vertiefung der ausgewählten Themen und stand mit dem Ausstellungsteam in engem Austausch. Zudem lieferte der Fachbeirat Hinweise, damit bestimmte Themen entsprechend wissenschaftlich angemessen präsentiert werden konnten.42 Mit seinen 14 Mitgliedern war der Fachbeirat international besetzt und setzte sich zum Teil aus Zeithistorikern und Historikern, die sich speziell mit dem Ersten Weltkrieg befassen, zusammen.43 Neuere Forschungen wurden in der Ausstellung teilweise berücksichtigt, sofern die Ausstellungsthematik und die Exponate dies zuließen. Die Frage nach der Kriegsschuld, wie Christopher Clark sie wieder aufgeworfen hatte, habe wenig Berücksichtigung gefunden, so die Kuratoren.44 Zum einen seien Exponate zur Diplomatie und Politik zum Großteil – wenn überhaupt – lediglich durch sogenannte Flachware auszustellen, was für den Besucher auf Dauer wenig attraktiv sei.45 Zum anderen habe die Thematik der Kriegsschuldfrage nichts zur Fragestellung der Berliner Ausstellung beigetragen. Zudem sei dieses Thema eine zu große Forschungskontroverse, als dass dafür Raum in der Ausstellung gewesen wäre.46 Generell würde die Ausstellung aber dem neuesten Stand der historischen Weltkriegsforschung entsprechen, nicht zuletzt, da sich mit Herfried Münkler und Oliver Janz zwei Experten zum Ersten Weltkrieg im Beirat befunden hätten, sowie auch Gerd Krumeich am Begleitband beteiligt war.47
Ausstellungsnarrativ Die Berliner Ausstellung 1914-1918. Der Erste Weltkrieg, die deutschlandweit die einzige Überblicksausstellung gewesen sei, wie es in der Ausstellungsbewerbung hieß, hatte nicht nur die deutsche, sondern insbesondere die europäische und globale Dimension des Krieges zum zentralen Thema.48 Dass die Berliner Ausstellungsmacher anlässlich des hundertjährigen Gedenkens eine Überblicksausstellung umsetzten, habe auch damit in Zusammenhang gestanden, dass das DHM, als das nationale Geschichtsmuseum Deutschlands, dem öffentlichen Gedenken an die ›Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts‹ einen Raum habe gegeben wollen.49 Die Sektionstexte folgten einer chronologischen Reihenfolge, die sich daran orientierte, wann die Orte und die damit verknüpften Themen für das Kriegsgeschehen relevant wurden. So begann der Rundgang an der Marne und in Brüssel, um über den
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Vgl. ebd., S. 12f. Dem wissenschaftlichen Fachbeirat gehörten Helmut Altrichter, Ute Daniel, Etienne François, Oliver Janz, Stefan Karner, Birgit Klein, Herfried Münkler, Horst Müller, Susanne Popp, Gerd Quaas, Rainer Rother, Martin Sabrow, Jutta Scherrer und Andreas Wirsching an. Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): [353]. Vgl. Judith Heß: Experteninterview DHM [214], S. 14. Vgl. Judith Heß: Experteninterview DHM [214], S. 11. Vgl. ebd., S. 14f. Vgl. ebd., S. 13f. Vgl. Alexander Koch: [265], S. 9. Vgl. ebd.
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
»Schock des neuen Krieges«50 die deutsche Besatzung Belgiens zu schildern. Über Tannenberg und Galizien gelangten die Besucher nach Ostafrika und wieder zurück an die europäischen Frontlinien nach Ypern, Gallipoli, Gorlice und Tarnów, Verdun, die Somme und den Isonzo. An diesen Orten wurde Fragen nach Kriegshelden und Propaganda, aber auch nach den Schrecken des Krieges, der massenhaften Industrialisierung des Krieges und ihrer Folgen nachgegangen und die für die deutsche Kriegserinnerung wichtigen Schlachten erläutert. Im Anschluss fanden die Ereignisse der Oktoberrevolution und das Ausscheiden Russlands aus dem Krieg ihren Platz in der Ausstellung.51 Die Orte waren aus der deutschen Perspektive ausgewählt und in einen europäischen und globalen Kontext eingeordnet worden. Sie wurden jedoch nicht nur mit bestimmten Ereignissen verknüpft, sondern auch mit den zentralen Themen, die über die vier Kriegsjahre hinweg den Konflikt maßgeblich prägten.52 Neben der europäischen Dimension, die durch die Orte an der West-, Ost- und der Alpenfront repräsentiert wurde, wurde mit Deutsch-Ostafrika die globale Dimension erfasst, die sich in den Schlachten in den Kolonien und auf den Weltmeeren widerspiegelte.53 So erzählte die Berliner Ausstellung die Geschichte des ersten totalen Krieges, der erstmals durch industriell und damit massenhaft produzierten Waffen und Munition ein massenhaftes Sterben zur Folge hatte und sich dadurch von den bis dahin geführten Kriegen deutlich unterschied. Die Entwicklung der Technik, die der Krieg selbst hervorbrachte, solle verdeutlichen, so die Ausstellungsmacher im Interview, dass der Erste Weltkrieg als »Katalysator«54 gewirkt habe, der nicht nur den Krieg selbst beschleunigt habe, sondern auch das politische Denken der Nachkriegszeit.55
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Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext »Marne – Der Schock des neuen Krieges«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«; Dies. (Hg.): Sektionstext »Brüssel – Besatzer und Besetzte«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. Vgl. Ausstellungstexte der Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext »Tannenberg – ›Kriegsheld‹ und Propaganda«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«; Dies. (Hg.): Sektionstext »Galizien – Die Suche nach ›inneren Feinden‹«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«; Dies. (Hg.): Sektionstext »Ostafrika – Europas Krieg in Afrika«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«; Dies. (Hg.): Sektionstext »Ypern – Die Schrecken des Gaskriegs«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«; Dies. (Hg.): Sektionstext »Gallipoli – Neue Front im Osmanischen Reich«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«; Dies. (Hg.): Sektionstext »Gorlice und Tarnów – Die deutsche Besatzungsmacht im Osten«, Ausstellungsdokumentation zu »19141918. Der Erste Weltkrieg«; Dies. (Hg.): Sektionstext »Verdun – Der industrialisierte Krieg«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«; Dies. (Hg.): Sektionstext »Somme – Desaster der Offensive«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«; Dies. (Hg.): Sektionstext »Isonzo – Der Krieg in den Bergen«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«; Dies. (Hg.): Sektionstext »Petrograd – Revolutionen in Russland«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. Vgl. hierzu Judith Heß: Experteninterview DHM [214], S. 7f und S. 10f; Alexander Koch: [265], S. 9. Vgl. Judith Heß: Experteninterview DHM [214], S. 8 und S. 25. Ebd., S. 9. Vgl. ebd.; Alexander Koch: [265], S. 9.
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Europäisierung des Gedenkens?
Ähnlich der Forschung habe man auch in der Ausstellung »den Krieg als Krieg wieder stärker entdeckt«56 . Dabei waren die »Modernisierung der Kriegstechnik mit ihren physischen und psychischen Folgen für die Menschen, die weltumspannende Kriegswirtschaft und die globale Ausweitung der Kämpfe sowie die Totalisierung des Krieges an der ›Heimatfront‹«57 zwar Themen, die den Ersten Weltkrieg im Gesamten prägten und charakterisierten, jedoch waren diese Themen, aber auch mit den ausgewählten Orten in Verbindung zu bringen.58 Die Somme und Verdun standen thematisch für das massenhafte Sterben einer ganzen Generation junger Menschen und Ypern für die neu entdeckte Waffe, dem Giftgas, sowie die Marne im Gesamten für den unbeweglichen Stellungskrieg in den Schützengräben, der bezeichnend für die Westfront und das Kriegsgeschehen insbesondere auf französischem Boden war. Gallipoli und Deutsch-Ostafrika standen als Beispiele für die sich erstmalig weltweit erstreckende Dimension eines Krieges, wurde der Krieg doch von den europäischen Mächten stellvertretend auch in ihren Kolonialgebieten geführt. Ebenso wurde auch, insbesondere in der Schlacht bei Gallipoli, das Thema der weltumspannenden Bündnisse und Kolonialreiche durch den Einsatz der Truppen des britischen Empires aufgegriffen. Berlin stand für das Geschehen und das Erleben des Krieges an der Heimatfront, da der Erste Weltkrieg als erster totaler Krieg auch von der Zivilbevölkerung neben Hunger und Not, Trauer und Leid höchsten Einsatz insbesondere in der Kriegsindustrie forderte.59 Darüber hinaus wurde geschildert, wie man sich das Leben der Soldaten an der Front und in der Kriegsgefangenschaft vorstellen musste und welche Folgen der »unbewältigte Krieg«60 für Deutschland und die Welt hatte. In Ergänzung des Ausstellungsnarrativs waren innerhalb des Rundgangs fünf interaktive Stationen optisch durch einen petrolfarbenen Anstrich herausgestellt und über die Ausstellung verteilt. Diese Stationen gehörten nicht zum Multimediaangebot und stachen auch inhaltlich aus dem Konzept heraus, denn hier ging es den Machern der Ausstellung um die gegenwärtige Sicht auf den Krieg. Unter anderem ging es um Begrifflichkeiten, die im Ersten Weltkrieg aufkamen und im Nachhinein Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch fanden, wie das Beispiel des Maschinengewehrs 08/15 zeigt. In einer weiteren Station ging es um die Frage nach der Erinnerung an das Attentat von Sarajevo, insbesondere, wie in Serbien, Österreich und in Deutschland an den Attentäter erinnert wird.61 An der dritten Station zum Thema Frieden konnten die Besucher Kalenderblätter ähnlich denen eines Abreißkalenders zu den Gedenktagen 56 57 58 59
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Judith Heß: Experteninterview DHM [214], S. 9. Alexander Koch: [265], S. 9. Vgl. Judith Heß: Experteninterview DHM [214], S. 8-12. Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext [33]; Dies. (Hg.): Sektionstext [35]; Dies. (Hg.): Sektionstext [36]; Dies. (Hg.): Sektionstext [30]; Dies. (Hg.): Sektionstext [27]; Dies. (Hg.): Sektionstext [31]; Dies. (Hg.): Sektionstext »Berlin – Die erschöpfte Großstadt«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext »Der unbewältigte Krieg«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. Zu den interaktiven Stationen: Heldentat, Gas!, Gedenken, 08/15, Friede? vgl. Judith Heß: Experteninterview DHM [214], S. 22f.
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
mitnehmen, für Großbritannien der 11. November oder für Frankreich und für Neuseeland der 25. April, an dem den Gefallenen der Schlacht von Gallipoli gedacht wird.
2.2
Militärhistorisches Museum der Bundeswehr
Abbildungen 2-3: Leitexponate in 14 – Menschen – Krieg: Güterwagen G 10 und Kilianstollen
Das MHM in Dresden zeigte vom 1. August 2014 bis zum 24. Februar 2015 die Sonderausstellung 14 – Menschen – Krieg. Gemäß der Leitlinie des Hauses stand der Mensch im Mittelpunkt der Ausstellung.62 Dazu habe auch die Partnerschaft mit ARTE und der ARD für die Fernsehdokumentation 14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs63 beigetragen. Im ersten Teil der Ausstellung wurde angelehnt an die achtteilige Dokumentationsserie 62
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Vgl. Judith Heß: Experteninterviews. Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, in: Dies.: Geschichtsbilder des Ersten Weltkrieges – eine Europäisierung des Gedenkens? Geschichtspolitische Deutung deutscher und britischer Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg. Anhang, Bd. 2, Diss. phil. Mannheim 2019, S. 30f. Die Dokumentationsserie wurde erstmals vom 29. April bis zum 13. Mai 2014 auf ARTE ausgestrahlt. Folge 1: Der Abgrund, Folge 2: Der Angriff, Folge 3: Die Verwundung, Folge 4: Die Sehnsucht, Folge 5: Die Vernichtung, Folge 6: Die Heimat, Folge 7: Der Aufstand, Folge 8: Die Entscheidung. Vgl. Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (Hg.): Sonderausstellung »14 – Menschen – Krieg« (2014). URL: www.mhmbw.de/sonderausstellungen/14-menschen-krieg/sendetermine-der-dokuserie (12. Mai 2014, Seite nicht mehr verfügbar). Zur Fernsehdokumentation ist ein Begleitbuch erschienen: Gunnar Dedio/Florian Dedio: 14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs. Farbfotografien und Aufzeichnungen aus einer Welt im Untergang, München 2014. In der Dokumentationsserie wurden folgende Biografien vorgestellt: Ernst Jünger, Käthe Kollwitz, Marina Yurlova, Sarah Mac-
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Europäisierung des Gedenkens?
die Geschichte des Ersten Weltkrieges nicht anhand politischer oder militärischer Ereignisgeschichte erzählt, sondern aus dem mentalitätsgeschichtlichen Blickwinkel der einfachen, meist unbekannten Menschen, »der Mütter, der Väter, der Kinder«64 . Den Biografien der 14 Menschen, die in der Fernsehreihe vorgestellt wurden, wurden in der Ausstellung Originaldokumente und Objekte zugeordnet, »die über die individuelle Objektgeschichte hinaus die ›große Welt‹ in den ›kleinen Dingen‹ reflektier[t]en«65 . Dies sollte dem Besucher die Einordnung der Biografien in einen größeren gesellschaftlichen und historischen Kontext ermöglichen und vorstellbar machen.66 Die Ausstellungsbesuche in Dresden erfolgten am 27. Oktober und 28. Oktober 2014 sowie am 30. Oktober 2014. Die Schau zeigte in zwei großen Hallen auf rund 1.300 Quadratmeter Ausstellungsfläche verteilt über 600 Exponate.67 Die räumliche Aufteilung spiegelte auch die Zweiteilung des Ausstellungskonzepts wider. Im ersten Ausstellungsteil wurden die Ursachen des Krieges und die allgemeine gesellschaftliche Stimmung in der Bevölkerung zu Kriegsbeginn thematisiert. Der zweite Ausstellungsteil in der zweiten Halle widmete sich der Fronterfahrung, die bereits im ersten Kriegsjahr 1914 von der Materialschlacht gekennzeichnet war.68 Dieser Teil beherbergte zudem die Geschichte des Kilianstollens, eines Schützengrabens bei Carspach im Oberelsass, der am 18. März 1918 durch französischen Artilleriebeschuss einstürzte und bei dem über 30 deutsche Soldaten verschüttet wurden.69 Die zwei Ausstellungsteile wurden in vier Sektionen, I. Aufbruch, II. Sturz, III. Abseits der Kampfzonen und IV. Neue Welt, unterteilt. Die vier Sektionen untergliederten sich nochmals in Bereiche zu den Themen: I.1. Unruhiger Friede, I.2. Monarchische Pracht und bewaffnete Macht, I.3. Krise und Kriegstaumel, II.1. Der Schock des Krieges, II.2. Massenhaftes Leid, III.1. Etappe und Hinterland, III.2. Heimat, IV.1. Das Inferno der Materialschlacht, IV.2. Grabenkrieg: Beispiel Elsass, IV.3. Schutzraum und Massengrab: Der Kilianstollen.70 Die Sektions-, Bereichs- und Exponattexte im Ausstellungskatalog zu 14 – Menschen – Krieg
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naughtan, Elfriede Kuhr, Yves Congar, Karl Kasser, Vincenzo D’Aquila, Louis Barthas, Gabrielle M. West, Ethel Cooper, Edward Montague, Marie und Paul Pireaud. Gerhard Bauer: »Ein Tag der Rosen im August…«. Die Wiederentdeckung eines verlorenen Krieges, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 10. Gorch Pieken: Vorwort, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Essayband zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 12. Vgl. Gorch Pieken: [285], S. 12. Vgl. Gerhard Bauer: [229], S. 10; Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (Hg.): 14 – Menschen – Krieg. Die Ausstellung zum TV-Doku-Drama von ARTE und Das Erste, Flyer, 2014. Vgl. Gerhard Bauer: [229], S. 10; Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 30-33. Vgl. Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 33-36; Michaël Landolt u.a.: Deutsche Stollenanlagen im Oberelsass. Eine archäologische Vision, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 248; Gerhard Bauer: [229], S. 10. Vgl. zur Aufteilung der Sektionen und Bereiche der Ausstellung das Inhaltsverzeichnis in Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 4f.
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
entsprechen nicht immer den Texten, wie sie in der Ausstellung gezeigt wurden. Teilweise sind sie gekürzt, zusammengefasst oder um zusätzliche Informationen erweitert.71 In einer Art Banderole entlang den Wänden der ersten Ausstellungshalle wurden die Personen der Fernsehdokumentarreihe 14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs mit Fotografien, sowohl der realen Personen als auch der Schauspieler, den Lebensdaten und einer Kurzbiografie auf jeweils vier hinterleuchteten Texttafeln vorgestellt. Die ausführlichen Biografien der bekannten und unbekannten Zeitzeugen waren thematisch den jeweiligen Ausstellungsbereichen zugeordnet.72
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Die zitierten Ausstellungstexte entstammen entweder dem Ausstellungskatalog oder der Ausstellungsdokumentation, die durch die Kuratoren des MHMs zur Verfügung gestellt wurde. Detaillierte Auskunft gibt die jeweilige Fußnote in Verbindung mit dem Quellenverzeichnis. Die Biografien waren den Ausstellungsthemen folgendermaßen zugeordnet: II. Sturz: Karl Kasser, Marina Yurlova, II.1. Schock des Krieges: Sarah Macnaughtan, II.2. Massenhaftes Leid: Käthe Kollwitz, III.2. Heimat: Gabrielle M. West, Ethel Cooper, Elfriede Kuhr, Vincenzo D’Aquila, III.1. Etappe und Hinterland: Yves Congar, IV.1. Das Inferno der Materialschlacht: Louis Barthas, IV.2. Grabenkrieg: Beispiel Elsass: Ernst Jünger, Edward Montague, Paul und Marie Pireaud. Vgl. Erik Zimmermann: Exponattext »Karl Kasser (1889-1976)«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 88; Ders.: Exponattext »Marina Yurlova (1900-1984)«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 103; Ders.: Exponattext »Sarah Macnaughtan (1864-1916)«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 101f; Ders.: Exponattext »Käthe Kollwitz (1867-1945)«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 131; Ders.: Exponattext »Gabrielle M. West (1890-unbekannt)«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 174f; Ders.: Exponattext »Ethel Cooper (1871-1961)«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 184f; Ders.: Exponattext »Elfriede Kuhr (1902-1989)«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 107; Ders.: Exponattext »Vincenzo D’Aquila (1894-1970)«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 139; Ders.: Exponattext »Yves Congar (1904-1995)«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 189; Ders.: Exponattext »Paul Pireaud (1890-1970) und Marie Pireaud (1892-1978)«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 221f; Ders.: Exponattext »Ernst Jünger (1895-1998)«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 219f; Ders.: Exponattext »Charles Edward Montague (1867-1928)«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 212f; Gerhard Bauer: Exponattext »Louis Barthas (1879-1852)«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen –
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Europäisierung des Gedenkens?
Die Exponate wurden teilweise in zusammenfassenden Exponatgruppentexten beschrieben, wie beispielsweise die Vielzahl an Granaten und Bomben im zweiten Ausstellungsteil. Zum Großteil fanden sich die Erläuterungen jedoch auf separaten Exponattafeln. Geschrieben wurden die Texte von den Kuratoren und freien Mitarbeitern des MHMs. Sämtliche Ausstellungstexte waren in deutscher und englischer Sprache abgedruckt, der Katalogband enthält die Texte jedoch nur in deutscher Sprache.73 Das MHM veröffentlichte eine zweibändige Publikation zur Ausstellung. Im Katalogband, der dem Konzept der Ausstellung folgte, wurden die Themen und Ausstellungstexte seitens des Ausstellungsteams aufbereitet, ergänzt sowie mit zahlreichen Abbildungen der Exponate illustriert. Der Essayband begleitet den Ausstellungskatalog und enthält weiterführende Aufsätze externer Autoren zu den in der Ausstellung gezeigten Themen.74 Neben den Objekten aus der eigenen, über zwei Millionen Objekte umfassenden Sammlung zeigte das MHM auch zahlreiche Exponate von über 60 weiteren nationalen, internationalen, institutionellen und privaten Leihgebern, wie beispielsweise das belgische In Flanders Fields Museum in Ypern oder das französische Musée de l’Armée in Paris.75 Bei der Exponatauswahl wurde in Dresden bedacht, dass zum Gedenkjahr zahlreiche Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg allein in Deutschland gezeigt werden würden und eine große Nachfrage und nur ein begrenztes Angebot an Objekten vorhanden sein würden. Eine frühzeitige Planung und rechtzeitig gestellte Leihanfragen waren wichtig, um sich auch vielfach nachgefragte Exponate für die eigene Ausstellung zu sichern.76 Weiter hätte die »frühzeitige Entscheidung, mit dem Kilianstollen einen klaren deutsch-französischen Schwerpunkt zu wählen«77 , die Auswahlkriterien für die Exponate mit beeinflusst. Trotz der mehreren Millionen Objekte umfassenden eigenen Weltkriegssammlung hatte das MHM, bedingt durch Kriegsschäden, aber auch als Folge der Besatzung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, Lücken in der Ausstellungsbestückung, die nicht durch eigene Exponate gefüllt werden konnten. Aufgrund der großen Nachfrage anderer Häuser sei zudem auch aus der eigenen Sammlung einiges entliehen worden. In anderen Fällen waren Exponate, die die Dresdner Ausstellung noch bereichert hätten, bereits in anderen Häusern ausgestellt, wie im Falle eines Eau-de-Cologne-Fläschchens aus dem Kilianstollen.78 Zudem wurden nur Modelle von Großgeschützen gezeigt. Die
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Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 215-218; weiterführend vgl. Gunnar Dedio/Florian Dedio: [244]. Vgl. zur Beschriftung der Exponate Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 42f und S. 59 sowie zur Liste der Autoren bei Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): [224], S. 292f. Vgl. Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 42f und S. 60-62; Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Essayband zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014; Dies. (Hgg.): [224]. Vgl. Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): [224], S. 16f; Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 49f. Vgl. Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 49. Ebd. Vgl. ebd., S. 51. Das Eau-de-Cologone-Fläschchen wurde in der Stuttgarter Ausstellung Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne präsentiert. Vgl. Sebastian Dörfler: Tod und Verwesung, in: Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
Originalgeschütze, die teilweise in der Lage waren, riesige Granaten von bis zu 42 cm Kaliber zu verschießen, konnten aus logistischen Gründen nicht ausgestellt werden. Um dennoch die Dimensionen der riesigen Geschütze zu verdeutlichen, wurde auf Modelle zurückgegriffen.79 Auch die Dresdner Ausstellung präsentierte die gängigen Exponatgattungen, die bei einer Ausstellung zum Ersten Weltkrieg zu erwarten waren. Insbesondere im zweiten Ausstellungsteil wurden Waffen, wie Säbel und Gewehre, Handgranaten oder Artilleriemunition gezeigt. An Uniformen, die das MHM zum Großteil ausgeliehen hatte, wurden nicht nur soldatische, und dabei insbesondere höherer Dienstgrade, gezeigt, sondern auch zivile, wie sie beispielsweise von britischen Krankenschwestern des Women’s Army Auxiliary Corps getragen wurden. Zu den weiteren Ausstellungsstücken gehörten auch Helme und Mützen der Soldaten, aber auch die für den Ersten Weltkrieg charakteristischen Gasmasken. Als sogenannte Flachware wurden Briefe, Fotografien und Zeitungen sowie Plakate und Fahrpläne gezeigt. Vom Leben der Zivilbevölkerung während des Ersten Weltkrieges erzählten beispielsweise Spielzeuglebensmittelkarten für Puppen. Damit sollte verdeutlicht werden, bis in welche persönlichen Bereiche der Krieg Einfluss nahm. So illustrierte auch eine Patentschrift für ein Notzeitbrot die Not und den Hunger, unter denen die deutsche Zivilbevölkerung insbesondere im sogenannten Steckrübenwinter litt, als Lebensmittel nur noch mit Lebensmittelkarten zu bekommen waren. Medizinische Geräte, wie beispielsweise eine Krankenliege für Lazarettwagons nach dem ›Hamburger System‹ oder eine Schiene aus stabilem Draht zur Justierung von Brüchen, gaben Zeugnis vom millionenfachen Leid, das durch Kriegsverletzungen entstand. Eher ungewöhnliche Exponate waren die Rekonstruktion des Kilianstollens und der Güterwagen G 10. Besondere Aufmerksamkeit wurde auf die Soldaten gerichtet, die am 18. März 1918 beim Beschuss des Kilianstollens fielen. Die Ausgrabungen im elsässischen Carspach brachten nicht nur die sterblichen Überreste nach fast 100 Jahren wieder an das Tageslicht, sondern auch die Ausrüstung und ganz persönlichen Gegenstände der Gefallenen, die bis zu diesem Tag in Vergessenheit geraten waren. Die Gefallenen konnten im Rahmen der Forschungen identifiziert werden, so dass die Ausstellung und die Rekonstruktion des Kilianstollens einen Beitrag zum Gedenken an die Toten lieferten. Denn der Schützengrabenabschnitt, der bei den archäologischen Ausgrabungen erschlossen wurde, sei letztendlich auch ein Grab.80 Zum Andenken an die Gefallenen wurden neben der soldatischen Ausrüstung wie Waffen, Uniformfragmente, ein Fernglas, Gasmasken und eine Gasglocke, auch Persönliches wie die Überreste einer Brille, selbstgebastelte Würfel, eine Tabakpfeife und Hygieneartikel, wie Kämme, Rasiermesser und eine Zahnbürste gezeigt.81
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die Sinne. Katalog zur Ausstellung »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne« vom 4. April 2014 bis 1. März 2015, Ulm 2014, S. 37. Vgl. Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 52f. Vgl. ebd., S. 35. Vgl. ebd., S. 33-35. Zusammenfassend zum Kilianstollen vgl. Michaël Landolt u.a.: [267], S. 250 und zu den Exponaten Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): [224], S. 254-285.
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Europäisierung des Gedenkens?
Audiovisuelle Medien kamen in der Ausstellung in geringem Umfang ergänzend zum Einsatz. Das Angebot an audiovisuellen und interaktiven Multimediainstallationen umfasste in der Dresdner Ausstellung neben einem Film zu den Ausgrabungsarbeiten des Kilianstollens mehrere Touchscreenstationen, an denen die Besucher tiefergehende Informationen zu den Schicksalen deutscher Soldaten und ihrer Angehörigen anhand von Feldpost und Tagebuchauszügen erfahren konnten. Es wurden zudem Filmsequenzen unter anderem zum Schlieffen-Plan, den Verläufen der West- und Ostfront im Laufe der vier Kriegsjahre und, im Kontext des Güterwagens G 10, zu den Schicksalen jüdischer Soldaten gezeigt. Die Zielgruppe der Ausstellung waren nicht nur Angehörige der Bundeswehr, wenngleich diese einen großen Besucheranteil im MHM ausmachen.82 Eine weitere Zielgruppe waren »die geschichtsinteressierten […] zivilen Museumsbesucher«83 , vor allem auch internationale Besucher. Dem wurde auch mit zweisprachigen Ausstellungstexten in Deutsch und Englisch Rechnung getragen. Da mit der Ausstellung des Kilianstollens insbesondere auch französische Besucher angesprochen werden sollten, wurde ein dreisprachiger Audioguide konzipiert, der auch eine französische Tonspur enthielt. Zudem wurde durch die Abteilung Museumspädagogik ein Programm für junge Besucher entwickelt.84 Das Ausstellungsteam der Museumsmitarbeiter, die auch die Ausstellungstexte verfassten, wurden von einem Gestalter ergänzt. Einen wissenschaftlichen Fachbeirat hatte das MHM für 14 – Menschen – Krieg nicht, da die wissenschaftliche Expertise und auch die Sachkenntnisse über die eigenen Sammlungen dies nicht erforderten.85 Neuere Forschungen gingen in die Konzeption der Ausstellung und beim Verfassen der Ausstellungstexte ein. Jörn Leonhards Die Büchse der Pandora habe das Ausstellungsnarrativ bezüglich der Thesen der Fragmentierung der Gesellschaft und der Dynamik des Krieges und der Gewalt maßgeblich beeinflusst. Aber auch die neuesten Publikationen von Christopher Clark, Herfried Münkler oder Gerd Krumeich seien in der Vorbereitung für die Ausstellung von den Ausstellungsmachern berücksichtigt worden.86
Ausstellungsnarrativ 14 – Menschen – Krieg folgte dem mentalitätsgeschichtlichen Konzept »den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen«87 . Die Basis für das Ausstellungskonzept lieferte die achtteilige Dokumentationsserie 14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs.88 Ausgehend von den durch die Fernsehreihe vorgestellten Biografien erzählte die Ausstellung die Geschichte des Ersten Weltkrieges aus Sicht der Zeitzeugen und gab einen sämtliche Aspekte des 82 83 84 85 86
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Vgl. Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 59. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 42f und S. 59. Vgl. ebd., S. 31-33 und S. 48f; Jörn Leonhard: Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs, durchgesehene und um ein Sachregister erw. 5. Auflage, München 2014; Christopher Clark: [373]; Herfried Münkler: Der Große Krieg. Die Welt 1914 bis 1918, Berlin 7 2014; Gerd Krumeich: Die 101 wichtigsten Fragen. Der Erste Weltkrieg, München 2014. Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 31. Vgl. Gerhard Bauer: [229], S. 10.
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
Ersten Weltkrieges umfassenden Überblick zu den Ereignissen, bedeutenden Schlachten, aber auch und insbesondere zu den menschlichen Erfahrungen, die der Erste Weltkrieg mit sich brachte.89 Im ersten Teil der Ausstellung erzählten bekannte Personen, wie Käthe Kollwitz, und unbekannte Personen, wie der Österreicher Karl Kasser, der Italiener Vincenzo D’Aquila und die Kosakin Marina Yurlova von ihren Erlebnissen an der Front, im Schützengraben in den Alpen und an der Ostfront. Der Franzose Yves Congar oder die schottische Krankenschwester Sarah Macnaughtan schilderten eindrücklich ihre Erlebnisse aus der Etappe, insbesondere zur Versorgung der Verwundeten, aber auch zum Hass der einheimischen Bevölkerung in den besetzten und eroberten Gebieten. Die Deutschen Käthe Kollwitz und Elfriede Kuhr oder die Britin Gabrielle M. West standen beispielhaft für die Erfahrungen, die sie und Millionen andere in der Heimat gemacht hatten. Diese persönlichen Schicksale wurden eingebettet in die allgemeine Geschichte des Ersten Weltkrieges, begonnen mit einem Abriss über die Ereignisse vor Kriegsausbruch, dem Überfall auf das neutrale Belgien bis hin zu den ersten Schlachten an der Westfront. Der Blick richtete sich nicht nur auf das Frontgeschehen, sondern auch auf das Leid der Zivilbevölkerung, sei es am Beispiel Belgiens oder hinsichtlich des Hungers und der Entbehrungen, die die Menschen aufgrund der Kriegsanstrengungen erleiden mussten.90 Zur optischen Verbindung zwischen der ersten Ausstellungshalle zum Kriegsausbruch, der allgemeinen Kriegsgeschichte und den Fronterlebnissen der Soldaten führte die Ausstellung über den Hof des MHMs vorbei an einem »Ensemble von Fahrzeugen und schweren Waffen«91 . In der zweiten Halle wurden Waffen, Munition, der Schützengrabenabschnitt des Kilianstollens und die persönliche Ausrüstung gefallener Soldaten ausgestellt. Die gezeigten Exponate kontextualisierten das »Inferno der Materialschlachten an der Westfront«92 . Die zwei das Ausstellungsnarrativ leitenden Thesen von der Dynamik des Krieges und der Fragmentierung der Gesellschaft wurden durch zwei Großexponate dargestellt, einen Güterwagen G 10 – ab 1914 wurden Wagen solchen Typs für Militärtransporte und Deportationen eingesetzt – und Teile des Kilianstollens.93 Die Dynamisierung des Krieges stand für das verbindende Element zwischen der Heimat und der Frontlinie. Rund 80 Prozent der männlichen, kriegsfähigen Bevölkerung wurde mobilisiert und an die Frontlinien transportiert. Zudem löste der Erste Weltkrieg einen »Gewaltexzess«94 aus, der sich auch durch eine Massenproduktion an Munitions- und Rüstungsgütern abzeichnete.95 Der Eisenbahnwagon stand symbolisch für die Massenbewegungen an Zivilisten, die nach dem Beitritt zur Armee als Soldaten
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Vgl. ebd. Vgl. Gerhard Bauer: [229], S. 10; Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 31-33. Gerhard Bauer: [229], S. 10. Ebd. Vgl. ebd., S. 11; Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 30-37. Vgl. ebd., S. 37. Vgl. ebd.
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Europäisierung des Gedenkens?
millionenfach an die Frontabschnitte transportiert wurden. Symbolisch stand der Güterwagen G 10 aber auch für die weitere geschichtliche Entwicklung, denn die ›Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts‹ mündete in der noch größeren Katastrophe des Zweiten Weltkrieges und des Holocausts.96 Mit dem Güterwagen G 10 wollte das MHM zum Ausdruck bringen, dass der Erste Weltkrieg, entgegen der üblichen Annahme von einem Stellungskrieg, trotzdem ein dynamischer Krieg war. In den Alpen oder an der Ostfront habe es einen Stellungskrieg, wie in Frankreich und Belgien nicht gegeben, und selbst noch im Stellungskrieg habe sich eine Dynamik entwickelt. Und zwar dahingehend, dass sich der Krieg andere Wege gesucht habe. »[D]ie Vektoren der Gewalt«97 seien lediglich abgelenkt worden, der Krieg blieb nicht auf der Erde oder auf dem Wasser, er sei in die Luft oder unter die Erde gegangen, so die Ausstellungsmacher.98 Die These der Fragmentierung der Gesellschaft griff die Überlegungen von Jörn Leonhard auf.99 Denn der Erste Weltkrieg hatte nicht nur einen maßgeblichen Einfluss auf die Kriegsführung an sich, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene. Frauen wurden mobilisiert und als Arbeiterinnen in der Kriegsindustrie eingesetzt. Ordnungssysteme und Jahrhunderte alte Monarchien und Staaten zerbrachen. Dennoch lebte die deutsche Zivilbevölkerung während des Krieges zum größten Teil in einer gewissen Sicherheit, da nur wenige deutsche Gebiete zum Frontabschnitt zählten. Die Erlebnisse der daheimgebliebenen Angehörigen, der Zivilgesellschaft, unterschieden sich fundamental von den Erlebnissen der Soldaten, der militärischen Gesellschaft, an der Front.100 Trotz der Millionen Feldpostbriefe entstand eine »Sprachlosigkeit«101 zwischen den beiden Gesellschaften. Die Soldaten waren nicht in der Lage ihren Ängsten, Sorgen, Nöten und Sehnsüchten Worte zu verleihen. Diese ›Sprachlosigkeit‹ führte dazu, dass die Angehörigen in der Heimat das Ungesagte nicht verstehen konnten und resultierte in einer Fragmentierung. Diese Fragmentierung spiegelte sich in der Teilung in die zwei Ausstellungsbereiche wider.102
2.3
Historisches Museum der Pfalz
Das HMP in Speyer präsentierte ab dem 29. Mai 2014 die Ausstellung 1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg im Rahmen der Dauerausstellung Historisches Schlaglicht. Dabei war es geplant, die Ausstellung während der Gedenkjahre bis zum 11. November 2018 zu zeigen.103 96 97 98 99 100 101 102 103
Vgl. Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 37-39; Gerhard Bauer: [229], S. 11. Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 37. Zusammenfassend zur zweiten These vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 31-33; Jörn Leonhard: [469]. Zusammengefasst gemäß Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 32. Ebd. Vgl. ebd., S. 32f. Vgl. Judith Heß: Experteninterviews. Historisches Museum der Pfalz, in: Dies.: Geschichtsbilder des Ersten Weltkrieges – eine Europäisierung des Gedenkens? Geschichtspolitische Deutung deutscher und britischer Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg. Anhang, Bd. 2, Diss. phil. Mannheim
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
Abbildung 4: Einblick in 1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg
1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg war, wie auch die Stuttgarter Ausstellung, Teil des von der Europäischen Union geförderten Projekts INTERREG, das das Netzwerk Museen am Oberrhein, ein Zusammenschluss französischer, deutscher und schweizer Museen entlang des Oberrheins, erarbeitet hatte. Im Rahmen von INTERREG wurden im Jahr 2014 in über 30 aufeinander abgestimmten Ausstellungsprojekten in Deutschland, Frankreich und in der Schweiz die Jahre des Ersten Weltkrieges beleuchtet.104 Die Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Museen am Oberrhein habe für die inhaltliche Konzeptionierung der Speyerer Ausstellung jedoch keine entscheidende Rolle gespielt, da aus der Pfalz keine weiteren Museen diese Region vertraten.105 In der französischen Erinnerung an den Ersten Weltkrieg musste beispielsweise mit der Schwierigkeit umgegangen werden, dass Deutschland der Kriegsgegner Frankreichs war. Die Elsässer und Lothringer, heute französische Staatsbürger, kämpften damals aber als deutsche Staatsbürger auf der deutschen Seite gegen Frankreich.106 Diese Schwierigkeit hätte die Speyerer Ausstellung zwar nicht direkt betroffen, aber dennoch hätte sie dafür gesorgt, dass bei der Erarbeitung des eigenen Ausstellungsnarrativs die französische Sicht bedacht wurde. In erster Linie betraf es den Bereich, der zum Leid, das über die Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten hereingebrochen war, gezeigt wurde. Im Sinne 2019, S. 63. Das Ende der Laufzeit wurde auf den 24. September 2017 vorverlegt. Letztlich geschlossen wurde die Ausstellung dann bereits zum 1. Mai 2017. 104 Vgl. Franck Burckel u.a.: Grenzen überwinden: das Ausstellungsnetz zum Ersten Weltkrieg, in: Markus Moehring (Hg.): Der Erste Weltkrieg am Oberrhein. La Grande Guerre dans le Rhin supérieur. Begleitband zur Ausstellungsreihe des Netzwerks Museen und zur Überblicksausstellung im Dreiländermuseum. Catalogue du cycle d’expositions du Réseau des musées et de l’exposition génerale du musée des Trois Pays (= Lörracher Hefte 20), Lörrach 2014, S. 8. 105 Vgl. Judith Heß: Experteninterview HMP [217], S. 73f. 106 Vgl. ebd., S. 73.
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eines »völkerverbindenden Aspekt[s]«107 habe Transnationalität und das deutsch-französische Verhältnis von heute also eine Rolle für die Speyerer Ausstellung gespielt, so der Kurator.108 Der erste Ausstellungsbesuch erfolgte am 28. September 2014, ein zweiter und dritter Besuch am 25. November 2014 beziehungsweise am 21. Juli 2015.109 Die Speyerer Schau war ein zu den übrigen untersuchten Ausstellungen vergleichsweise kleines Ausstellungsprojekt, das 14 Sektionen auf drei Räume mit etwa 150 Quadratmeter verteilte. Zum Einstieg in die Ausstellung wurde ein Überblicksfilm zum Ausbruch und Verlauf des Krieges gezeigt. Die eigentliche Ausstellung begann erst im zweiten Raum, in dem der Großteil der Ausstellung untergebracht war. So fiel im zweiten und eigentlichen Hauptraum der Ausstellung sofort ein wuchtiger, mitten im Raum platzierter Einbau in Keilform auf. Das Innere des keilförmigen Ausstellungseinbaus sollte die Enge und Tiefe eines Schützengrabens andeuten. Möglicherweise sei die Ausstellungsgestaltung durch den Keil des Architekten Liebeskind im MHM in Dresden inspiriert gewesen. Der Keil stand in der Speyerer Ausstellung jedenfalls stellvertretend für die Sprachlosigkeit der Soldaten, da viele über den erlebten Schrecken nicht sprechen konnten.110 Im dritten Raum wurden inhaltlich die Nachgeschichte des Ersten Weltkrieges und das Gedenken an die Gefallenen thematisiert. Zudem wurde mit großflächigen Fotografien gearbeitet, die Szenen aus einer Munitionsfabrik, einem Lazarettsaal, von der Front oder der Rede Adolf Hitlers in Neustadt an der Haardt (heute an der Weinstraße) am 29. Juli 1932 zeigten und die das Narrativ fotografisch illustrierten. Durch den Ausstellungsrundgang führten 13 Sektionstexte111 : Vor dem großen Krieg, August 1914, Kriegslazarette, Salpeter und Granaten, Heimatfront, Feldpost, Kriegsgefangene in der Pfalz, Fronterlebnis, Der Krieg der Anderen, Kriegsende, Pfälzische Kriegssammlung, Andenken der Toten und Erinnerungskultur in europäischer Geschichte. Die Sektionstexte wurden als Handreichung auch auf Französisch und Englisch zur Verfügung gestellt und trugen so dem nicht deutschsprachigen Publikum Rechnung. Weiterführende Infor-
107 Ebd., S. 74. 108 Vgl. ebd. 109 Die Ausstellung erstreckte sich nach der Eröffnung ursprünglich auf vier Räume. Der vierte Raum wurde jedoch nach kurzer Zeit zurückgebaut und die gezeigten Exponate zu Kriegsdenkmälern in der Pfalz abgebaut und in kleinen Teilen in den Raum zur Nachkriegssituation integriert. Durch den Umbau der Ausstellung, der zwischen den von mir durchgeführten Ausstellungsrundgängen erfolgte, gilt für die Erläuterungen zum Ausstellungsbau der Zustand vom zweiten Rundgang am 25. November 2014, da dieser langfristig beibehalten wurde. 110 Vgl. Judith Heß: Experteninterview HMP [217], S. 72f; Historisches Museum der Pfalz (Hg.): Über die Sammlung, in: Sammlung: 1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg (Ausstellungsobjekte aus der ehemaligen Sammlungsausstellung) (Historisches Museum der Pfalz, Speyer). URL: https://rl p.museum-digital.de/index.php?t=sammlung&instnr=14&gesusa=308&cachesLoaded=true (29. Januar 2019). 111 Die zitierten Ausstellungstexte entstammen entweder direkt aus der Ausstellung, fotografiert beim Ausstellungsbesuch am 25. November 2014, oder der Datenbank zur Weltkriegssammlung des HMPs, Pfälzische Kriegssammlung, beziehungsweise der Datenbank, die nur die Ausstellungsobjekte dieser Sammlung aufführt. Detaillierte Auskunft gibt die jeweilige Fußnote in Verbindung mit dem Quellenverzeichnis.
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mationen, die in der Sammlungsdatenbank im Internet zugänglich gemacht wurden, standen wie die Gruppen- und Exponattexte nur auf Deutsch zur Verfügung. Die Exponate wurden sowohl in Einzel- als auch Gruppentexten erläutert. Teilweise waren die Exponate mit einem sogenannten QR-Code versehen. Mit Hilfe des QR-Codes konnten die Besucher die Informationen über ihr Smartphone in der Sammlungsdatenbank nachlesen.112 Damit sollte die Ausstellung zum einen interaktiv erfahrbar gemacht und zum anderen den Besuchern die Sammlung in der Datenbank nähergebracht werden. Beispielweise konnten Übersetzungen der Plakate oder Transkriptionen der Feldpostbriefe und -karten über die Datenbank eingesehen werden.113 Ein Ausstellungskatalog oder eine sonstige hauseigene Begleitpublikation zur Ausstellung wurde nicht erstellt. Zum einen lag dies daran, dass die Ausstellungs- und übrigen Sammlungsobjekte in der Datenbank dauerhaft eingesehen werden können und zum anderen wurde die Speyerer Ausstellung im Übersichtskatalog des Dreiländermuseums in Lörrach vorgestellt.114 Im Mittelpunkt der Ausstellung stand die weitestgehend unbekannte Pfälzische Kriegssammlung des HMPs, die auch noch nach der Ausstellung dauerhaft über die Datenbank online zugänglich ist und über 3.000 Objekte umfasst.115 Die Sammlung wurde bereits zu Beginn des Krieges angelegt und während der Kriegsjahre erweitert, »um künftigen Generationen von kriegerischen Heldentaten zu berichten«116 . Die Gedenkjahre 2014 bis 2018 wurden zum Anlass genommen, die hauseigene Kriegssammlung aufzuarbeiten, diese im Rahmen der Datenbank über das Internet dauerhaft zugänglich zu machen und in zwei Ausstellungen den Besuchern zu präsentieren.117 Folglich stammten die Exponate überwiegend aus der hauseigenen Sammlung. Nur einige wenige Objekte wurden zur Ergänzung ausgeliehen, wie etwa vom Stadt- und Festungsmuseum in Germersheim, vom Stadtmuseum in Landau, vom Deutschen Medizinhistorischen Museum in Ingolstadt, vom Pfälzischen Landesbibliothekszentrum in Speyer sowie von mehreren privaten Leihgebern. Hauptleihgeber war das Stadt- und Festungsmuseum in Germersheim, das selbst über eine Militariaabteilung verfügt und das Maschinengewehr 08/15 für die Dauer der Ausstellung zur Verfügung stellte – ein Exponat, das die hauseigene Sammlung in Speyer beispielsweise nicht beinhaltete.118 112
113 114
115 116 117 118
Vgl. Historisches Museum der Pfalz (Hg.): Sammlung: 1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg (Ausstellungsobjekte aus der ehemaligen Sammlungsausstellung) (Historisches Museum der Pfalz, Speyer). URL: https://rlp.museum-digital.de/index.php?t=listen&gesusa=308&instnr=14 (29. August 2018). Vgl. Judith Heß: Experteninterview HMP [217], S. 71. Vgl. Ludger Tekampe: Speyer (D): Historisches Museum der Pfalz. 1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg, in: Markus Moehring (Hg.): Der Erste Weltkrieg am Oberrhein. La Grande Guerre dans le Rhin supérieur. Begleitband zur Ausstellungsreihe des Netzwerks Museen und zur Überblicksausstellung im Dreiländermuseum. Catalogue du cycle d’expositions du Réseau des musées et de l’exposition génerale du musée des Trois Pays (= Lörracher Hefte 20), Lörrach 2014, S. 115; Judith Heß: Experteninterview HMP [217], S. 80f. Vgl. hierzu Historisches Museum der Pfalz (Hg.): [331]. Historisches Museum der Pfalz (Hg.): Sektionstext »Pfälzische Kriegssammlung«, aus: Ausstellung »1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg« (25. November 2014). Vgl. Judith Heß: Experteninterview HMP [217], S. 63. Vgl. ebd., S. 69.
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Ein Großteil der Exponate bestand aus Fotos und Plakaten. Daneben gab es aber auch große Ausstellungsstücke wie ein Lazarettbett, das bereits erwähnte Maschinengewehr 08/15, ein Nagelwappen der Stadt Speyer sowie eine Freifallbombe. Zudem waren neben Feldpostkarten und -briefen auch sogenannte »Trench Art« und Uniformen beziehungsweise Ausrüstungsteile wie Helme, Mützen und Gasmasken zu sehen. Ein eher ungewöhnliches Exponat stellte eine Mappe mit Kriegspredigten des Bischofs von Speyer, Dr. Michael von Faulhaber, aus den Jahren 1914/1915 dar. Eine weitere größere Exponatgruppe bildeten Kriegsdenkmäler, entweder als Fotografien oder in Form von Gedenktafeln und -blättern, wie sie beispielsweise in Unternehmen, Vereinsheimen und Gemeinden in Erinnerung an die gefallenen Mitarbeiter, Vereinskameraden und Mitbürger angebracht wurden. Die Exponate wurden neben der Verfügbarkeit und zur Illustration des Erzählstrangs auch nach einer »gewisse[n] Attraktivität im Hinblick auf die Sehgewohnheiten der Besucher«119 ausgewählt. So wurden beispielsweise aus der Plakatsammlung nur einige Exponate gezeigt, damit sich die Besucher durch einen Überhang an sogenannter Flachware nicht langweilen.120 Die ausgewogene Mischung aus Fotografien, Plakaten und dreidimensionalen Objekten war eines der Auswahlkriterien für die Exponate, weshalb wie im Fall des Maschinengewehrs 08/15 oder des Lazarettbetts auf die Sammlungen externer Leihgeber ausgewichen werden musste.121 Für die weitere Auswahl der gezeigten Objekte war von Bedeutung, dass die Stücke für den jeweiligen Erzählstrang beispielhaft stehen sollten. So wurde dem ausstellungstechnisch schwierig darzustellenden Thema des Fronterlebnisses durch Objekte wie einem Maschinengewehr 08/15, einer Gasmaske, einer Pickelhaube, einem Stahlhelm und Granaten, wobei es sich hier mehrheitlich um Stücke handelte, die der sogenannten »Trench Art« zugerechnet werden, Rechnung getragen. Das Maschinengewehr 08/15 stand auch für das Thema der Industrialisierung des Krieges, des ersten totalen Krieges der Menschheitsgeschichte. Für die Geschehnisse an der Heimatfront standen eine Flasche Ammoniumnitrat und der Großdruck einer Fotografie aus einer Munitionsfabrik.122 Exponatlücken, die nicht durch Objekte externer Leihgeber aufgefüllt wurden, wurden mit Hilfe von audiovisuellen Medien geschlossen. So fehlen in einer Ausstellung zum pfälzischen Kriegserlebnis die Ostfront sowie der See- und Überseekrieg in den Kolonien. Daher wurden neben der Rede des Kaisers, Jetzt muss denn das Schwert entscheiden, die genannten Kriegsschauplätze durch mehrere Hörstationen, die mit Texten einer Produktion des Südwestrundfunks (SWR) bestück wurden, als akustische Exponate in die Ausstellung mit eingebunden.123
119 120 121 122 123
Ebd., S. 67. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 67-69. Vgl. ebd., S. 68f. Vgl. ebd., S. 69f. Die Hörstationen spielten folgende Beiträge: Teil 1: 1914 – Der Erste Weltkrieg beginnt, Teil 2: Panzer und Giftgas – die neuen Kriegstechniken, Teil 3: Alpen und Orient – die Ausbreitung des Krieges, Teil 4: Seeschlachten und Hungerwinter: die Kriegsjahre, Teil 5: 1918 – Der Krieg ist zu Ende.
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
Abbildung 5: ›Standard‹-Exponate: Stahlhelm, Gasmaske, Pickelhaube mit und ohne Abdeckung (von links nach rechts)
Durch die Hör- und Filmstationen sollte die Ausstellung sinnlich noch weiter erfasst werden können als nur optisch und zudem eine klare Trennung des Erzählstrangs erreicht werden. Themen zum pfälzischen Kriegserlebnis wurden mit Exponaten illustriert, Themen, die außerhalb standen und den Gesamtzusammenhang der Kriegsereignisse darstellten, wurden hingegen mit Hilfe von audiovisuellen Angeboten in die Ausstellung integriert.124 In den Hörstationen wurden auch das Attentat von Sarajewo, die Alpenfront und die Kriegsgeschehnisse im Orient angesprochen, sowie von den Seeschlachten und dem Kriegsende bis zu den Versailler Verträgen berichtet. Ergänzend zu den Hörstationen brachten kleinere Filmsequenzen das Augusterlebnis und das Leid der Kriegsversehrten, insbesondere der sogenannten Kriegszitterer, näher. Ein Überblicksfilm, Der Erste Weltkrieg. Eine Einführung, stand auch in französischer Sprache zur Verfügung und fasste die Ereignisgeschichte vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg zusammen.125 Ergänzend zum Überblicksfilm wurde der pfälzische Blickwinkel in filmischer Form zudem durch Ausschnitte einer SWR-Produktion von Knut Weinrich, Der Erste Weltkrieg im Südwesten, präsentiert, in denen mehrere Pfälzer Familien von den Kriegserlebnissen und -erinnerungen ihrer Familien erzählten. Die Ausstellung richtete sich insbesondere auf die Zielgruppen Schülerinnen und Schüler, Studierende und am Thema interessierte Besucher. Weniger im Fokus der Ausstellungsmacher stand der eventbewegte Besucher.126
124 Vgl. ebd. 125 Der Film lief ohne den Abschnitt zur pfälzischen Geschichte auch in der Ausstellung des DHMs in Berlin. Vgl. hierzu Judith Heß: Experteninterview HMP [217], S. 64f; Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): [353]. 126 Vgl. Judith Heß: Experteninterview HMP [217], S. 79.
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Das Konzept der Ausstellung wurde in erster Linie durch den Ausstellungskurator erarbeitet. Einen Fachbeirat oder ständige Unterstützung von wissenschaftlicher Seite gab es nicht, jedoch flossen Ergebnisse einer studentischen Seminargruppe der Universität Heidelberg sowie die Arbeit zweier studentischer Mitarbeiter, die insbesondere den Aufbau der Datenbank betrieben, in die Konzeption ein.127 Neuere Forschungen fanden in die Speyerer Ausstellung dahingehend Eingang, als dass für die Recherche, die bis 2013 erschiene Literatur von Gerd Krumeich oder JeanJacques Becker und Thomas Thiemeyer rezipiert wurde, jedoch keine tiefergehenden Forschungskontroversen in den Ausstellungstexten Niederschlag fanden. So habe beispielweise Christopher Clarks Die Schlafwandler keine Rolle gespielt, jedoch das für die pfälzische Geschichte relevante Werk von Heinrich Thalmann Die Pfalz im Ersten Weltkrieg128 , das als Standardwerk zu betrachten ist. Ergänzend zu den Ausstellungstexten wurde hinsichtlich der Aktualität der Forschungsdiskussionen, die Eingang in die Ausstellung gefunden hatten, auf den Überblicksfilm verwiesen, der in Zusammenarbeit mit Gerd Krumeich, einem der führenden deutschen Weltkriegsforscher, entstanden war.129
Ausstellungsnarrativ Im Zentrum der Speyerer Ausstellung 1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg stand die Regionalität und die Frage, was der Erste Weltkrieg für die Pfalz bedeutete.130 Der Erzählstrang begann bereits im Jahre 1900 mit dem Militarismus in der Gesellschaft und endete in der Nachgeschichte zum Ersten Weltkrieg in den 1930er Jahren des Nationalsozialismus. Der Ausstellungsrundgang wurde in insgesamt 14 Sektionen unterteilt, die weniger chronologisch als thematisch den pfälzischen Blick auf die Ereignisse zeigten. Für die Pfalz stand neben dem Kriegsbeginn die Krankenversorgung im Mittelpunkt, da in der Pfalz als direktem Hinterland zum Frontverlauf in Elsass-Lothringen zahlreiche Lazarette zur Versorgung der Verwundeten eingerichtet wurden. Weiter spielte auch die Militarisierung der Industrie und des Handwerks eine zentrale Rolle für die pfälzische Geschichte, da das Militär Industriebetriebe zur Produktion von Waffen und Munition in Dienst nahm. Ein weiteres für die Pfalz relevantes Thema waren Kriegsgefangene. In Landau und Germersheim wurden Kriegsgefangenenlager eingerichtet, in denen mehrere tausend Soldaten interniert wurden. Nicht unerwähnt blieben die Nahrungsmittelknappheit und der Steckrübenwinter. So spiegelte die Pfalz eine Region wider, in der die Heimatfront in verschiedenen Facetten repräsentiert wurde. Das Fronterlebnis, der Alltag der Soldaten im Schützengraben und im Gefecht wurde in der Speyerer Ausstellung als der »Krieg der Anderen«131 benannt, da die Pfalz selbst nicht
127 128
Vgl. ebd., S. 80. Heinrich Thalmann: Die Pfalz im Ersten Weltkrieg. Der ehemalige bayerische Regierungskreis bis zur Besetzung Anfang Dezember 1918 (= Beiträge zur pfälzischen Geschichte 2), Kaiserslautern 1990. 129 Vgl. Judith Heß: Experteninterview HMP [217], S. 67. 130 Vgl. ebd., S. 63. 131 Ebd., S. 74.
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
unmittelbares Gebiet des Frontverlaufs war. Die Westfront in Nordost- und Westfrankreich sowie Belgien wurde als eigene Sektion dennoch thematisiert.132 Sogenannte Reservistenkrüge und Mannschaftsbilder, aufgenommen sowohl vor als auch nach dem Krieg, fungierten als Objekte zur gestalterischen Rahmung der Ausstellung. Mit diesen Exponaten, die auch das Thema der soldatischen Kameradschaft aufgriffen, wurde die Militärbegeisterung vor dem Krieg illustriert. Auf die soldatische Kameradschaft wiesen auch die Gedenktafeln und Kriegsdenkmäler am Ende des Ausstellungsrundgangs hin und zeigten auf, wohin der Krieg am Ende führte.133 Mit einem Großdruck einer Fotografie zur Rede Adolf Hitlers im Jahre 1932 in Neustadt an der Haardt wurden die Versailler Verträge und die Folgen für Deutschland aus Sicht der Nationalsozialisten thematisiert. Damit wurde der Bogen zu den Kriegsdenkmälern gespannt, die sich im Verlauf der 1920er und 1930er Jahre im Hinblick auf ihre Gestaltung, wie an den Krieg erinnert werden sollte, veränderten. Diese Veränderungen deuteten an, dass die Vorbereitungen der Nationalsozialisten für den nächsten Krieg propagandistisch nicht vor den Kriegsdenkmälern Halt machten.134 Die regionalspezifische pfälzische Perspektive wurde nicht isoliert betrachtet, sondern in die Gesamtgeschichte des Ersten Weltkrieges eingebunden. Dies erfolgte weniger durch Exponate als durch ein Angebot an Hör- und Filmstationen, die zusätzliche weiterführende Informationen zur Chronologie der Ereignisse und zu den politischen Hintergründen, aber auch zu den verschiedenen Kriegsschauplätzen zur Verfügung stellten.135
2.4
Haus der Geschichte Baden-Württemberg
Das HdG in Stuttgart widmete sich in der Sonderausstellung Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne vom 4. April 2014 bis zum 1. März 2015 dem Gedenken an die ›Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts‹.136 Wie auch die Ausstellung im HMP in Speyer gehörte die Ausstellung Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne zu dem von der Europäischen Union geförderten Projekt INTERREG des französisch-deutschschweizer Netzwerks Museen entlang des Oberrheins.137 Die Ausstellungsbesuche erfolgten am 18. und am 25. Mai 2014. 132 133 134 135 136
137
Zum Inhalt der Ausstellung zusammengefasst vgl. gemäß ebd., S. 63f. Vgl. ebd., S. 64 und S. 67f. Vgl. ebd., S. 64. Vgl. ebd., S. 64f und S. 69f. Das HdG stellt in seinem Onlinearchiv einen virtuellen Rundgang durch die Ausstellung zur Verfügung: Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Ausstellungsarchiv zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. URL: https://www.hdgbw.de/fileadmin/templates/img/panora men/1_Weltkrieg/index.html?html5=prefer (29. August 2018). Vgl. Franck Burckel u.a.: [242], S. 8; Sebastian Dörfler: Stuttgart (D): Haus der Geschichte BadenWürttemberg. »Fastnacht der Hölle«. Der Erste Weltkrieg und die Sinne, in: Markus Moehring (Hg.): Der Erste Weltkrieg am Oberrhein. La Grande Guerre dans le Rhin supérieur. Begleitband zur Ausstellungsreihe des Netzwerks Museen und zur Überblicksausstellung im Dreiländermuseum. Catalogue du cycle d’expositions du Réseau des musées et de l’exposition génerale du musée des Trois Pays (= Lörracher Hefte 20), Lörrach 2014, S. 120.
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Abbildung 6: Einblick in Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne: Stationen zur sinnlichen Wahrnehmung und Vitrine zur Front
Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne wurde in einem großen Saal präsentiert. Drei große Vitrinen strukturierten den Saal räumlich und teilten die Ausstellung in die Bereiche Front, Etappe und Heimat ein. Diesen drei Vitrinen war ein Bereich vorgeschaltet, die sogenannte Simulationszone, in der die Besucher an fünf Stationen zum Hören, Riechen, Fühlen, Schmecken und Sehen mit den sinnlichen Wahrnehmungen des Krieges konfrontiert wurden.138 Die Ausstellungmacher wollten aufzeigen, wie der Krieg in der Wahrnehmung der Menschen stattgefunden hat. Wie Lärm, Gestank, seelisches und körperliches Leid und Hunger auf die Bevölkerung wirkte. Aber auch wie neueste Technik für Propagandazwecke benutzt wurde, um die Wahrnehmung zu manipulieren.139 Ein Zeitstrahl zu fast jedem Tag der vier Weltkriegsjahre war entlang des Ausstellungsraums an der Wand angebracht und bettete die Inhalte der Schau in den Gesamtzusammenhang der Weltkriegsgeschichte ein. Am Ende der Ausstellung wurde auf das Kriegsende und seine Nachwirkungen bis heute eingegangen. Eine Vitrine zum Epilog des Ersten Weltkrie-
138
139
Vgl. hierzu den Raumplan im Katalog zur Ausstellung: Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne. Katalog zur Ausstellung »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne« vom 4. April 2014 bis 1. März 2015, Ulm 2014, S. 9; Thomas Thiemeyer: [520]. Vgl. zudem die Ausstellungstexte hierzu Haus der Geschichte BadenWürttemberg (Hg.): Bereichstext »Krieg sehen«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«; Id. (Hg.): Bereichstext »Krieg hören«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«; Id. (Hg.): Bereichstext »Krieg schmecken«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«; Id. (Hg.): Bereichstext »Krieg fühlen«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«; Id. (Hg.): Bereichstext »Krieg riechen«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. Vgl. Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Ausstellungsprogramm: »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«, Broschüre, 2014, S. 2.
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
ges, in der Schicksale einzelner Soldaten nach Kriegsende weitererzählt oder erstmals vorgestellt wurden, bildete den Schlusspunkt der Ausstellung.140 Die Stuttgarter Ausstellung arbeitete nicht mit Sektionstexten.141 In der Ausstellung selbst waren es vor allem die durch das Pepper’s-Ghost-Verfahren transkribierten Auszüge aus Tagebüchern beziehungsweise aus der Feldpost von Soldaten und ihren Angehörigen, die die sinnlichen Eindrücke und Gefühle, die der Krieg mit sich brachte, vermittelten. Mit Hilfe dieser Technik wurde Zeile für Zeile des geschriebenen Wortes auf die Vitrinenscheiben direkt über dem Exponat projiziert. Dabei entstand der Eindruck, dass der Schreiber die Zeilen gerade erst niederschrieb und die Besucher waren in der Lage, ohne Kenntnis der Sütterlinschrift, die originalen Dokumente zu lesen und zu verstehen.142 Die Kontextualisierung der Exponate erfolgte zum Großteil über diese schriftlichen Zeitzeugnisse sowie über die jeweiligen Exponat- und Exponatgruppenbeschriftungen. Die Exponatbeschreibungen standen nur in deutscher Sprache zur Verfügung. Für die vorliegende Arbeit stellte das HdG die Texte zur Verfügung, wie sie auch in der Ausstellung vorzufinden waren.
Abbildung 7: Projektion der Handschrift im Pepper’s-Ghost-Verfahren
140 Vgl. zum Aufbau der Ausstellung Judith Heß: Experteninterviews. Haus der Geschichte BadenWürttemberg, in: Dies.: Geschichtsbilder des Ersten Weltkrieges – eine Europäisierung des Gedenkens? Geschichtspolitische Deutung deutscher und britischer Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg. Anhang, Bd. 2, Diss. phil. Mannheim 2019, S. 83 und S. 92f. 141 Die zitierten Ausstellungstexte der Stuttgarter Ausstellung entstammen der Ausstellungsdokumentation, die durch das HdG zur Verfügung gestellt wurde oder dem virtuellen Ausstellungsrundgang im Onlinearchiv des HdGs. Detaillierte Auskunft gibt die jeweilige Fußnote in Verbindung mit dem Quellenverzeichnis. 142 Vgl. Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): [257], S. 5; Judith Heß: Experteninterview HdG [216], S. 88f.
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Zur Ausstellung erschien ein Begleitbuch143 , dessen Kapitel sich am Aufbau der Ausstellung orientierte und in dem die Ausstellungsinhalte ergänzend und vertieft erläutert wurden. Die Beiträge wurden von den Ausstellungskuratoren selbst verfasst. In der Publikation fand sich zudem ein Raum- beziehungsweise Vitrinenplan zu den drei Verortungsräumen der Wahrnehmung des Krieges an der Front, in der Etappe und in der Heimat. Die im Katalog aufgeführten und abgebildeten Exponate waren eine Auswahl der tatsächlich ausgestellten Objekte zur Illustration der Beiträge. Das HdG besitzt eine eigene Sammlung zum Ersten Weltkrieg, so dass ein Großteil der Ausstellung mit eigenen Exponaten bestritten wurde. Darüber hinaus wurden dem HdG Exponate, die als persönliche Erinnerungsstücke Geschichten von Soldaten und Angehörigen erzählten, in großer Zahl von privaten Leihgebern zur Verfügung gestellt, die über die Zeitung oder den Rundfunk auf die Ausstellung aufmerksam gemacht wurden.144 Weitere Leihgeber waren das Armeemuseum Ingolstadt, von dem beispielsweise Waffen und ein Scherenfernrohr ausgeliehen wurden, oder das Deutsche Literaturarchiv in Marbach, das den Stahlhelm von Ernst Jünger zur Verfügung stellte. Auch internationale Leihgeber wie das IWM in London stellten Exponate wie die Bruchstücke eines Zeppelins zur Verfügung.145 Als Auswahlkriterium für die Exponate zu Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne, aber auch generell bei den Ausstellungen des HdGs, sei in erster Linie entscheidend gewesen, dass diese eine Geschichte erzählen können.146 Da für die Kontextualisierung von Sinneswahrnehmungen besonders die persönlichen Zeugnisse der Zeitzeugen von Bedeutung waren, bildeten Tagebücher und Feldpost einen großen Bestandteil der Exponate, die mit Hilfe des Pepper’s-Ghost-Verfahrens zum Sprechen gebracht wurden. Gemeinsam arrangierte Exponate veranschaulichten Einzelschicksale wie beispielsweise im Falle eines Stacheldrahtverhaus, eines Tagebuchs und eines Feldpostbriefes. Zusammen illustrierten diese Exponate die Geschichte eines Soldaten und seine Erfahrungen im Schützengraben. Der Soldat beschrieb in seinem Tagebuch die Nähe der feindlichen Soldaten, die nicht weit entfernt im gegnerischen Schützengraben lagen, lediglich durch einen Drahtverhau getrennt. Eine Zeichnung des Grabens mit dem Stacheldrahtverhau schickte er per Feldpost an seine Kinder nach Hause.147 143 Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): [258]. 144 Vgl. Judith Heß: Experteninterview HdG [216], S. 85f. 145 Ein vollständiges Leihgeberverzeichnis findet sich im Katalog. Vgl. Haus der Geschichte BadenWürttemberg (Hg.): [258], S. 183. 146 Vgl. Judith Heß: Experteninterview HdG [216], S. 88f. 147 Vgl. ebd., S. 89. Der Soldat Wilhelm Münz schrieb, dass sie die Feinde nahe bei sich hätten und es eine Kleinigkeit sei, bei Nacht hinüberzuspringen, aber sowohl die deutschen als auch die englischen Gräben seien mit Drahtverhauen verbarrikadiert. Vgl. hierzu Haus der Geschichte BadenWürttemberg (Hg.): Pepper’s Ghost »Wilhelm Münz an Trudel Pressel, 1915«, in: Ausstellungsarchiv zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. URL: https://www.hdgbw.de/filead min/templates/img/panoramen/1_Weltkrieg/index.html?html5=prefer (29. August 2018); Id. (Hg.): Exponattext »Brief von Wilhelm Münz an Trudel Pressel«, in: Ausstellungsarchiv zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. URL: https://www.hdgbw.de/fileadmin/templates/img/p anoramen/1_Weltkrieg/index.html?html5=prefer (29. August 2018); Id. (Hg.): Exponatgruppentext »Niemandsland«, »Spanischer Reiter vom Hartmannsweiler Kopf«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«.
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
Daneben waren auch Ausrüstungsgegenstände wie Gasmasken, Uniformen, Waffen oder eine Funkausrüstung zu sehen, die den Eindruck des Fronterlebnisses illustrieren sollten. Exponate, die der Etappe zugeordnet wurden, waren medizinisches Besteck und Verbandsmaterial zur Versorgung der Verwundeten, aber auch Stücke, die der »Trench Art« zugerechnet werden, wie verzierte oder zu Vasen umgearbeitete Granatenhülsen. Ergänzend wurden Kleidung und Kochgeschirr, aber auch Instrumente, die zur neuen Kriegstechnik der Luftaufklärung gehörten, etwa eine Kamera und ein Fliegerhelm, gezeigt. Exponate, die die Eindrücke der Heimat wiedergaben, waren unter anderem Objekte, die die Knappheit der Ressourcen, etwa Lebensmittel oder kriegswichtige Materialien, wie beispielsweise Gummi oder Metall thematisierten. Dazu gehörten auch Propagandamaterial oder Prothesen, Krücken und ein Elektroschockgerät zur Behandlung von Kriegszitterern in psychiatrischen Anstalten oder aber britische Kriegstrophäen der britischen Zivilbevölkerung wie die Überreste eines über Großbritannien abgeschossenen deutschen Zeppelins.148 Exponatlücken habe es keine gegeben, wenn es auch beispielsweise zum Thema Durst an der Front schwierig gewesen wäre, dieses mit Exponaten zu veranschaulichen.149 Multimedia wurde in der Stuttgarter Ausstellung großzügig eingesetzt, um die Exponate zum Sprechen zu bringen und in den Kontext der Ausstellung zu stellen. Das bereits mehrfach erwähnte Pepper’s-Ghost-Verfahren wurde vielfach genutzt. Daneben wurden aber auch Hörstationen mit Originaltönen eingesetzt. Die Besucher konnten dadurch armenischen Soldatenliedern und Aufnahmen aus einem russischen Kriegsgefangenenlager lauschen oder sich anhören, wie ein Fahrrad mit einer Spezialfederbereifung klang.150 Ergänzendes Filmmaterial zeigte, welche Sinneswahrnehmungen an der Front, in der Etappe oder in der Heimat charakteristisch waren. Beispielsweise illustrierten Filmausschnitte aus The Battle of the Somme aus dem Jahr 1916 in teilweise nachgestellten Szenen den Kampf und das Leben in den Schützengräben und auf den
148 Vgl. Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Exponatgruppentext »Herrenrad mit Spiralbereifung am Vorderrad«, »Maueranschlag: Beschlagnahmung von Fahrradschläuchen«, »Fahrgeräusche von Rädern mit Spiralbereifung«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«; Id. (Hg.): Exponattext »Frottage der Glockeninschrift von Östringen«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«; Id. (Hg.): Exponatgruppentext »Bericht über den Abtransport der Glocken in Hochsal«, »Abnahme der Glocken in Seckenheim«, »Simulation des Geläuts von Hochsal vor und nach der Glockenabgabe«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«; Id. (Hg.): Exponattext »Achselstützen aus dem Vereinslazarett Schloss Wolfegg«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«; Id. (Hg.): Exponattext »Mobiler Elektroschockapparat«, »Pulverbriefchen Veronal«, in: Ausstellungsarchiv zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. URL: https://www.hdgbw.de/fileadmin/ templates/img/panoramen/1_Weltkrieg/index.html?html5=prefer (29. August 2018). 149 Vgl. Judith Heß: Experteninterview HdG [216], S. 84f und S. 90. 150 Vgl. Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Exponattext »Lautaufnahme im Kriegsgefangenenlager Köln-Wahn«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«; Id. (Hg.): Exponatgruppentext »Erzählung des russischen Kriegsgefangenen Ivan Jagedow, »Armenisches Soldatenlied von Ter Grigorianz«, »Personalbogen der Phonetischen Kommission zu Ivan Jagedow«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«; Id. (Hg.): Exponatgruppentext [67].
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Schlachtfeldern der Westfront. Aber auch Filmausschnitte zur Behandlung von Kriegszitterern oder zur Funktionsweise von Prothesen, die ein willkürliches Bewegen ermöglichten, ergänzten die Exponate.151 Bereits bei der Auswahl der Themen und Exponate, insbesondere bei Fotografien und dem Filmmaterial, hatten die Ausstellungmacher ihre Zielgruppen vor Augen. Eine der wichtigsten Zielgruppen des HdGs waren Schülerinnen und Schüler, die im Rahmen des Geschichtsunterrichts die Ausstellung besuchten.152 Die Ausstellung wurde durch ein Ausstellungsteam des Hauses geplant und umgesetzt. Unterstützung erhielten die Mitarbeiter durch einen wissenschaftlichen Beirat, der sich aus Fachwissenschaftlern deutscher und internationaler Universitäten und Museen zusammensetzte und das Projektteam in erster Linie fachlich beriet.153 Sinneserfahrungen, Sinnesgeschichte und Sinneswahrnehmungen sind in den USA und in Großbritannien weit mehr Thema der historischen Forschung als in Deutschland. Daher wurde vor allem der amerikanische Historiker Roger Chickering und seine Arbeit zur Geschichte der Stadt Freiburg, insbesondere das Kapitel zu Der Krieg und die Sinne154 für die Ausstellungsrecherche herangezogen. Aus literaturwissenschaftlicher Sicht war das Buch von Julia Encke, Augenblicke der Gefahr. Der Krieg und die Sinne. 1914-1934155 von Bedeutung. Die Publikation von Gerhard Paul, Sound des Jahrhunderts. Geräusche, Töne, Stimmen 1889 bis heute156 , wurde zwar erst nach Ausstellungseröffnung publiziert, jedoch habe das Ausstellungsteam in Kontakt zu Gerhard Paul gestanden. Für Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne seien auch Aspekte aus Jörn Leonhards Die Büchse der Pandora relevant gewesen, jedoch sei das Buch zu spät publiziert worden, um noch Berücksichtigung zu finden.157 Hingegen spielte die neuste Arbeit von Christopher Clark und anderen zur Ursache des Krieges für die Stuttgarter Ausstellung zu den Sinneswahrnehmungen keine große Rolle.158
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Vgl. Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Exponattext »Elektroschockbehandlung im Reservelazarett Hornberg«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«; Judith Heß: Experteninterview HdG [216], S. 91f. Der Erste Weltkrieg würde im Unterricht in erster Linie als Vorgeschichte und Grund für das Ausbrechen des Zweiten Weltkrieges vermittelt werden. Jedoch stünden zu wenige Schulstunden für den Ersten Weltkrieg selbst zur Verfügung, so dass die Ausstellung von den Schulen als Ergänzung und Vertiefungsmöglichkeit zum Unterricht sehr gut wahrgenommen werden würde. Vgl. Judith Heß: Experteninterview HdG [216], S. 91 und S. 98. Vgl. ebd., S. 87. Zu den genannten Mitgliedern des Beirats gehörten unter anderem Wolfram Pyta, Dietmar Preißler, Alexander Koch, Sylvia Paletschek, Gabriele Haug-Moritz, Christel KöhleHezinger. Vgl. hierzu Roger Chickering: Freiburg im Ersten Weltkrieg. Totaler Krieg und städtischer Alltag, 1914-1918, bearb. u. übers. a.d. Amerikanischen v. Rudolf Renz/Karl Nicolai, Paderborn u.a. 2009, S. 249-301. Julia Encke: Augenblicke der Gefahr. Der Krieg und die Sinne. 1914-1934, Paderborn 2006. Gerhard Paul/Ralph Schock (Hgg.): Sound des Jahrhunderts. Geräusche, Töne, Stimmen 1889 bis heute, Bonn 2013. Vgl. Judith Heß: Experteninterview HdG [216], S. 87f. Vgl. zur verwendeten Forschungsliteratur ebd., S. 82 und S. 87f.
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
Ausstellungsnarrativ Die Schau Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne näherte sich dem Ersten Weltkrieg mit einem eher ungewöhnlichen Ansatz. Es ging nicht um die Chronologie oder die reine Wiedergabe von historischen Ereignissen. Die Stuttgarter Ausstellung fragte nach der sinnlichen Erfahrung des Krieges. Den Ausstellungsmachern ging es darum, zu fragen, wie der Erste Weltkrieg erlebt und erfahren wurde, was er mit den Sinnen machte, wie er aussah, sich anfühlte, schmeckte, roch, sich anhörte und wie der Krieg die Sinne zerstörte.159 Da der Krieg, je nachdem ob man ihn an der Front oder in der Heimat erlebte, eine andere Wirkung hatte und einen anderen Eindruck auf die Menschen machte, war für die Stuttgarter Ausstellung eine Einteilung in räumliche Erfahrungsräume notwendig: Krieg an der Front, Krieg in der Etappe und Krieg in der Heimat. Erst mit der räumlichen beziehungsweise geographischen Unterteilung war es möglich, die Sinneseindrücke, die der Krieg hinterließ, in einen logischen Erzählstrang einzuordnen.160 Die Sinneseindrücke wurden auf der Grundlage von historischen Quellen simuliert, wobei sich die Ausstellungsmacher der Gefahren einer Simulation sehr deutlich bewusst waren.161 So wurde das durch Maschinengewehre und Schrapnelle verursachte Trommelfeuer nachgeahmt. Als Hörbeispiel wurden Tonspuren aus den Antikriegsfilmen der 1930er Jahre, Westfront und Im Westen nichts Neues, in denen der Schlachtenlärm rekonstruiert wurde, eingespielt. Bis heute prägen diese Filme unsere Vorstellung von Geschützlärm.162 Für die Soldaten an der Front sei es überlebenswichtig gewesen, die Geräusche der einzelnen Geschosse unterscheiden zu können.163 Um den Grabengeruch nachzuempfinden, wurde mit Hilfe von chemischer Synthese der Geruch von Phosgengas rekonstruiert. Mit dem ersten Einsatz von Giftgas 1915 gehörte der Geruch von Gas ebenso zum Alltag der Soldaten in den Schützengräben wie der Gestank nach Blut und Exkrementen. Die britischen Soldaten seien auf den Gaskrieg vorbereitet worden, in dem ihr Geruchssinn trainiert wurde, da Gasangriffe oftmals nur mittels des Geruchssinns rechtzeitig erkennbar waren. Phosgengas habe beispielsweise einen Heugeruch.164 Der Krieg sei aber auch in der Heimat fühlbar gewesen. 1917 erließ das Hochbauamt in Freiburg eine Bestimmung, dass aufgrund des Mangels an Brennmaterial in Wohnungen eine Temperatur von höchstens 15°C genügen müsse, Schulen, Kirchen oder Theater wurden gar nicht mehr beheizt.165 Zur Rekonstruktion von Geschmack wurde Zwieback nach einem Rezept aus dem Jahr 1917 nachgebacken und zur Verköstigung angeboten. Aufgrund des Nahrungsmittelmangels waren sowohl die Rationen an Kriegszwieback für die Soldaten wie auch 159 Zusammenfassend vgl. ebd., S. 82f und S. 87f. 160 Vgl. ebd., S. 82-84. 161 Vgl. zur Frage der Gefahren durch Simulationen in Ausstellungen Jay Winter: [537], S. 21-37; Thomas Thiemeyer: [520]; Judith Heß: Experteninterview HdG [216], S. 83. 162 Vgl. Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Bereichstext [61]. 163 Vgl. Judith Heß: Experteninterview HdG [216], S. 83. 164 Zusammenfassend vgl. nach Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Bereichstext [62]. 165 Zusammenfassung vgl. nach Judith Heß: Experteninterview HdG [216], S. 83; Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Bereichstext [60].
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die Nahrungsmittel in der Heimat von Rationierung oder der Verwendung von Ersatzprodukten betroffen. So standen beispielsweise keine Eier oder Milch zur Verfügung, weshalb der Zwieback ohne Milch, Eier oder Fett gebacken werden musste.166 Um den Krieg optisch noch erfahrbarer zu machen, wurde in der Simulationszone in der Station Sehen auf Stereofotografien zurückgegriffen. Diese Technik ermöglichte es schon vor über 100 Jahren Dreidimensionalität mittels Fotografien zu erzeugen. Diese dreidimensionalen Fotos vermittelten einen greifbaren Eindruck über das Kriegserlebnis, selbst wenn er inszeniert oder geschönt wurde.167 Nach Durchschreiten der Simulationszone gelangten die Besucher in die Bereiche Front, Etappe, Heimat, in denen die Wahrnehmungen des Kriegsalltags aus Sicht badischer und württembergischer Soldaten an der West- als auch der Ostfront, deren Familienangehörigen oder Lazarettmitarbeiterinnen und -mitarbeitern erzählt wurden. Die zeitgenössischen Schilderungen wurden durch zahlreiche Exponate der hauseigenen Kriegssammlung illustriert, um die regionale Ausrichtung und Fokussierung des HdGs und seiner Ausstellungen zu realisieren.168 Welche Sinneseindrücke für die Soldaten an der Front eine bedeutende Rolle spielten, schilderten sie in zahlreichen ausgestellten Feldpostbriefen und Tagebüchern, in denen beispielsweise von »Höllenlärm, Höllenspektakel, Krach wie beim Weltuntergang«169 die Rede war. Aber auch das Nichtsehen des Feindes spielte eine Rolle, da dieser dennoch zu hören war, weil die Schützengräben der verfeindeten Linien nicht weit voneinander entfernt lagen.170 Aber auch ein Mangel an Geräuschen war Teil der Sinneswahrnehmungen im Krieg. In der Heimat erklangen keine Kirchenglocken mehr, da sie zum Einschmelzen eingezogen worden waren. Ebenso fehlte das Trotten der Pferdefuhrwerke auf den Straßen, da auch die Pferde an der Front massenweise zum Einsatz kamen. In der Heimat wurde es also ruhiger.171 Das HdG kontextualisierte auch die Frage nach der Sexualität im Krieg. Eine Schachtel amerikanischer Kondome verwies darauf, dass diese dicker als heute üblich waren und mehrfach verwendet werden konnten. Der gesundheitliche Schutz vor Geschlechtskrankheiten war den Armeeführungen auf allen Seiten wichtig. Aufgrund des Rohstoffmangels setzte das deutsche Heer jedoch eher auf desinfizierende Medi-
166 Vgl. hierzu Judith Heß: Experteninterview HdG [216], S. 83; Haus der Geschichte BadenWürttemberg (Hg.): Bereichstext [63]. 167 Vgl. hierzu Judith Heß: Experteninterview HdG [216], S. 83; Haus der Geschichte BadenWürttemberg (Hg.): Bereichstext [64]. 168 Vgl. Judith Heß: Experteninterview HdG [216], S. 83 und S. 94f. 169 Judith Heß: Experteninterview HdG [216], S. 84. 170 Vgl. ebd. 171 Vgl. ebd.
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
kamente nach dem Geschlechtsverkehr als auf Präservative aus Gummi und versuchte zudem die Prostitution zu kontrollieren.172 Das Schicksal einzelner Soldaten, die in der Ausstellung zum Erzählen kamen, wurde in einem letzten Ausstellungsabschnitt als Epilog auch über die Kriegsjahre hinaus verfolgt. So hatten die Erfahrungen der Kriegsversehrten, die an dem für den Ersten Weltkrieg so typischen Zittern litten, für die Nachgeschichte große Bedeutung. Sie wurden oft für Simulanten gehalten, wenn selbst über Jahrzehnte keine Besserung ihres Krankheitszustands eintrat. Mehrere tausend Soldaten wurden so Opfer der sogenannten Krankenmorde und der Euthanasie in der Zeit des Nationalsozialismus.173 Der Zeitstrahl, der entlang der Wände des Ausstellungsraumes führte, sollte die Ausstellung nicht nur inhaltlich und optisch in einen Gesamtzusammenhang betten. Er sollte auch die weltweite Dimension verdeutlichen, und dass über vier Jahre hinweg jeden Tag Krieg stattfand, der die Sinneswahrnehmungen beeinflusste.174
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Imperial War Museum
Das IWM in London gestaltete anlässlich des hundertsten Jahrestages des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges seine Dauerausstellung neu. Die neuen First World War Galleries öffneten am 19. Juli 2014 ihre Pforten für die Besucher. Der Umbau der Dauerausstellung zum Ersten Weltkrieg 2014 erfolgte im Rahmen eines landesweiten Government’s Centenary Programme. Das IWM beteiligte sich am Regierungsprogramm mit einem eigenen Kulturnetzwerk, dem First World War Centenary. Neben der Neugestaltung der First World War Galleries folgten in diesem Rahmen weitere, während der vier Gedenkjahre veranstaltete Ausstellungs- und Kulturprojekte in den eigenen Häusern. Dem First World War Centenary unter der Schirmherrschaft des IWMs waren lokale, nationale und internationale Museen, Kultur- und Bildungseinrichtungen, aber auch Einzelpersonen angeschlossen, die sich mit eigenen Veranstaltungen an den Gedenkfeierlichkeiten beteiligten.175
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Vgl. ebd., S. 85; Sebastian Dörfler: Sexualität, in: Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne. Katalog zur Ausstellung »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne« vom 4. April 2014 bis 1. März 2015, Ulm 2014, S. 78f; Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Exponattext »Amerikanische Kondome Marke ›GoldRay‹«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«; Id. (Hg.): Exponattext »Desinfektionsset zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«; Id. (Hg.): Exponattext »Neosalvarsan-Ampulle«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«; Id. (Hg.): Exponattext »Flugblätter der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. Vgl. Judith Heß: Experteninterview HdG [216], S. 92f. Vgl. ebd., S. 83. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Press Release – New First World War Galleries at IWM London, From 19 July, Free Entry (19. Juli 2014). URL: www.iwm.org.uk/sites/default/files/press-release/First %20World %20War %20Galleries %20at %20IWM %20London_0.pdf (13. Juli 2017).
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Die Ausstellungsbesuche im IWM erfolgten am 7. März und 10. März 2015, einen Tag nach dem Experteninterview, sowie am 11. März 2015. Die neuen First World War Galleries zeigten anhand von mehr als 1.300 Exponaten auf über 1.000 Quadratmeter Fläche die verschiedensten Aspekte des Ersten Weltkrieges.176 Die Ausstellung spannte einen weiten Bogen über die Rolle Großbritanniens als Weltmacht über die weltpolitische Lage bis zum Ausbruch des Krieges. Der Krieg wurde aus der Perspektive der Zeitzeugen beleuchtet, auf der einen Seite die Soldaten und wie sie den Krieg an der Front, insbesondere an der Westfront, erlebten, und parallel dazu wurde das Kriegserlebnis der Bevölkerung an der Heimatfront dargestellt. Die bedeutendsten Schlachten aus britischer Sicht wurden ebenso angesprochen wie der Seekrieg, aber auch die Anstrengungen an der Heimatfront, die ein totaler Krieg mit sich brachte. Der Rundgang endete mit den Versailler Verträgen, einem Ausblick auf die Veränderungen der geopolitischen Lage in der Welt, dem Aufkommen der politischen Ideologien und der Voraussetzungen für den Zweiten Weltkrieg.177 Die Londoner Ausstellung bot den Besuchern auf mehreren hierarchischen Ebenen schriftliche Informationen an.178 Die Texte zu den 13 Sektionen führten die Besucher durch das Ausstellungsnarrativ und hoben sich farblich von den Bereichstexten mit tiefergehenden Informationen ab.179 Besucher, die nur die Beschreibungen zu den Sektionen lasen, erhielten einen groben Überblick über die wichtigsten Aspekte, Orte und Ereignisse des Ersten Weltkrieges.180 Die Sektionen in den First World War Galleries behandelten folgende Themen: Hope and glory, Shock, Your country needs you, Deadlock, World war, Feeding the Front, Total war, At all costs, Life at the Front, Machines against men, Breaking down, Seizing victory und War without end.181 176
Vgl. Imperial War Museum (Hg.): The First World War. 100 Years on…, Flyer, 2014; Id. (Hg.): Permanent Display – First World War Galleries. URL: www.iwm.org.uk/exhibitions/iwm-london/firstworld-war-galleries (13. Juli 2017); Id. (Hg.): [334]. 177 Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 100f; Imperial War Museum (Hg.): Sektionstext »War without end«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 178 Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 101. Die zitierten Ausstellungstexte stammen direkt aus der Ausstellung, fotografiert beim Ausstellungsbesuch am 10. März 2015. Detaillierte Auskunft gibt die jeweilige Fußnote in Verbindung mit dem Quellenverzeichnis. 179 Vgl. zu den Ausstellungssektionen auch das Inhaltsverzeichnis in der Begleitpublikation zur Ausstellung: Cornish Paul: The First World War Galleries, Begleitband zur Ausstellung »The First World War Galleries«, London 2014, S. 5. 180 Vgl. zur Ausstellungsbeschriftung Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 104. 181 Imperial War Museum (Hg.): Sektionstext »Hope and glory«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Sektionstext »Shock«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Sektionstext »Your country needs you«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Sektionstext »Deadlock«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Sektionstext »World war«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Sektionstext »Feeding the Front«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Sektionstext »Total war«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Sektionstext »At all costs«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Sektionstext »Life at the Front«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Sektionstext »Machines against men«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Sektionstext »Breaking down«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Sektionstext
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
Die Sektionen waren nochmals in weitere Themenbereiche aufgeteilt. Die Beschreibungen der Bereiche waren auf weißen Tafeln gedruckt. Der inhaltliche Aufbau der Bereichstexte folgte einem bestimmten didaktischen Schema.182 Zunächst kam ein Zeitgenosse zu Wort, indem zumeist ein prägnantes Zitat angeführt wurde, das den Kern des folgenden Textinhaltes wiedergab. Im Bereich Your country needs you, beispielsweise, folgt auf das Zitat, »Come along boys [Herv. i.O. groß, in blauer Schrift] and join the army… our cheery lads need your help«183 , eine Erläuterung zum Zustand der britischen Armee zum Zeitpunkt des Kriegsausbruchs und wie Gemeinden oder Vereine mithalfen Freiwillige zu rekrutieren.184 Im zweiten Teil des Bereichstextes wurde der Besucher durch ein didaktisches Mittel in eine Art direkter Interaktion mit den Ausstellungsinhalten und den Objekten verwickelt, um seine Aufmerksamkeit wach zu halten. Dies erfolgte durch das Stellen einer Frage. Informationen wurden so nicht nur präsentiert, sondern die Tafel regte zum Mit- und darüber Nachdenken an und war als Dialog aufgebaut.185 Die Sprache der Ausstellungstexte wurde bemüht einfach gehalten, so dass möglichst alle Besucher die Texte verstehen konnten; insbesondere wurde bei den Formulierungen an Jugendliche ab 14 Jahren gedacht.186 In den Vitrinen fanden sich teilweise weitere Texte zur Zusammenfassung bestimmter Themen, Exponat- und Exponatgruppentexte. Die Beschriftungen waren in Fließtexten geschrieben, Exponate, auf die verwiesen wurde, wurden in einer anderen Schriftfarbe im Text hervorgehoben. Die in der Untersuchung zitierten Ausstellungstexte wurden bis auf eine Ausnahme seit der Eröffnung nicht verändert und wurden während der Ausstellungsbesuche fotografiert beziehungsweise als Auszug aus der Ausstellungsdokumentation zur Verfügung gestellt. Die Texte aus der Dokumentation finden sich mit gleichem Wortlaut in der Dauerausstellung wieder. Die First World War Galleries arbeiteten zudem mit dem didaktischen Konzept der »contemporaneity«187 . Die Ausstellung sollte den Besuchern, die heute keine eigenen Erinnerungen mehr an den Ersten Weltkrieg haben, den Krieg aus Sicht der Zeitgenossen erzählen. Dafür wurden Ausstellungstexte mit Zitaten eingeleitet und die Ausstellungsräume und -einbauten mit weiteren Zitaten versehen. Auf diese Weise wurde die Sicht der Zeitgenossen in das Ausstellungsnarrativ einbezogen und trug folglich zum Bild, wie an den Krieg erinnert werden soll, bei.188 Das Konzept der »contemporaneity« ermöglichte es den Ausstellungsmachern, die Geschichte des Krieges aus
»Seizing victory«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Sektionstext [144]. 182 Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 105. 183 Zitiert nach Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext »Come along boys and join the army«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 184 Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext »Bandits! Cowards! Arsonists! Murderers!«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 185 Vgl. hierzu Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 104f; James Wallis/James Taylor: [529], S. 104f. 186 Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 112. 187 Ebd., S. 121. 188 Vgl. ebd., S. 121f; James Wallis/James Taylor: [529], S. 106.
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Abbildung 8: Bereichstext Come along boys and join the army…, Sektion Your country needs you
Sicht der Zeitgenossen zu erzählen. Gleichzeitig wurde das heutige Verständnis über den Ersten Weltkrieg mit dem damaligen in Beziehung gesetzt.189 Darüber hinaus sollte dem Besucher damit die Möglichkeit geboten werden, ein Gefühl der Identifikation mit den Zeitgenossen zu erlangen.190 Die Kombination aus Zitaten von Zeitzeugen und originalen Objekten festigte den Kurator als glaubwürdigen allwissenden Erzähler unter gleichzeitiger Hinzuziehung ansonsten nicht zur Sprache kommenden Stimmen. Zudem ermöglichte es diese Methode, die bisher vorherrschende Sicht auf den Ersten Weltkrieg und das gängige Verständnis der Besucher über den Ersten Weltkrieg in Frage zu stellen.191
189 Vgl. James Wallis/James Taylor: [529], S. 106. 190 Vgl. ebd. 191 Vgl. ebd.
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
Zur Dauerausstellung veröffentlichte das IWM eine Begleitpublikation, die an das Konzept des Ausstellungsrundgangs angelehnt war, jedoch inhaltlich darüber hinaus Informationen zu den jeweiligen Themengebieten lieferte. Die Kapitel der Publikation richteten sich nach den Sektionen des Ausstellungsrundgangs und ermöglichten dadurch eine leichte Zuordnung der Themenabschnitte zur Ausstellung. Wissenschaftliche Beiträge von externen Wissenschaftlern fanden sich nicht in der Publikation, lediglich eine Einführung des Historikers Hew Strachan, der als Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats an der Ausstellung mitwirkte.192 Den Ausgangspunkt der Sammlungen des IWMs, die in den neuen First World War Galleries gezeigt wurden, bildeten Beutestücke, die bereits während der ersten Kriegsjahre nach Großbritannien verbracht worden waren.193 Am 5. März 1917, noch während der Erste Weltkrieg andauerte, wurde die formale Zustimmung zur Gründung eines nationalen Kriegsmuseums durch das Kriegsministerium gegeben. Zunächst unter dem Namen National War Museum, und dann ab Januar 1918 unter dem Namen Imperial War Museum, begannen die ersten Sammlungstätigkeiten; die Eröffnung erfolgte 1920.194 Die Intention des IWMs war es, die Kriegsanstrengungen einer ganzen Nation über gesellschaftliche Standesgrenzen hinweg aufzuzeichnen, an diese zu erinnern und damit die essentiellen Werte der Nation zu schützen.195 Der Zeitpunkt der Gründung des IWMs legt zudem nahe, dass das Museum zu Propagandazwecken und zur Aufrechterhaltung der Kriegsmoral in der Bevölkerung nach den zahlreichen Verlusten, insbesondere in der Schlacht an der Somme im Sommer 1916, dienen sollte.196 Letztendlich sprachen auch pragmatische Gründe für eine Gründung noch während dem Krieg, wie beispielsweise, dass es nach Kriegsende schwieriger werden würde, Objekte zu sammeln.197
192 Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 121. 193 Vgl. Gaynor Kavanagh: [441], S. 127. 194 Vgl. ebd., S. 117 und S. 137; Aribert Reimann: »Endless Poetry«. Die Präsenz des »Großen Krieges« in der englischen Gesellschaft, in: Jost Dülffer/Gerd Krumeich (Hgg.): Der verlorene Frieden. Politik und Kriegskultur nach 1918 (= Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte, Neue Folge 15), Essen 2002, S. 82. 195 Vgl. Gaynor Kavanagh: [441], S. 117; James Wallis/James Taylor: [529], S. 101; Paul Cornish: Afterword. The Mobilization of Memory 1917-2014, in: James Wallis/David Harvey (Hgg.): Commemorative Spaces of the First World War. Historical Geographies at the Centenary (= Routledge Research in Historical Geography), London/New York 2018, S. 227. Weiterführend zur Geschichte des IWMs bei Alys Cundy: Thresholds of Memory. Representing Function through Space and Object at the Imperial War Museum, London, 1918-2014, in: Museum History Journal 8, 2 (2015), S. 247-268; Sue Malvern: War, Memory and Museums. Art and Artefact in the Imperial War Museum, in: History Workshop Journal 49 (2000), S. 177-203. Die Aufgabe des IWMs stand bereits bei der Gründung fest und lag darin, den Ersten Weltkrieg aus staatlicher Sicht zu rechtfertigen und gegenüber der Bevölkerung zu erklären sowie nationale Narrative zu bekunden. Vgl. Steven Cooke/Lloyd Jenkins: Discourses of Regeneration in Early Twentieth-Century Britain. From Bedlam to the Imperial War Museum, in: Area 33, 4 (2001), S. 385. 196 Vgl. Steven Cooke/Lloyd Jenkins: [374], S. 384f. Bis in die 1980er Jahre war sich die Forschung darüber aber längst nicht einig. Vgl. hierzu Gaynor Kavanagh: [441], S. 122. 197 Vgl. hierzu Gaynor Kavanagh: [441], S. 122f.
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Um ein möglichst vielfältiges Abbild der Kriegsgebiete durch die Sammlung zu erfassen, begann man im März/April 1917 damit, Objekte unter anderem nach ihrer Bedeutung für die Regimenter und nach geographischen Gesichtspunkten zu beschaffen.198 Daneben wurden aber auch persönliche Erinnerungsstücke und Gegenstände wie Briefe, Fotografien oder Kriegssouvenirs zusammengetragen, um die Sammlung lebendig werden zu lassen und in den Kontext der persönlichen Erfahrungen der Soldaten und Zeitzeugen zu stellen, und somit ihren Mut und ihre Ausdauer zu bezeugen. Das Totale des Krieges in all seinen Dimensionen an der Front zu Lande, zu Wasser und in der Luft, sowie auch an der Heimatfront sollte durch das Museum erfasst werden.199 Das IWM erschloss zahlreiche Möglichkeiten für die Besucher, sich dem Krieg zu nähern, auch anhand der umfangreichen Sammlung an Manuskripten, Filmen und Fotografien.200 Für die neuen First World War Galleries spielten Leihgaben von anderen Museen oder Privatpersonen daher auch eine untergeordnete Rolle. Lediglich vom Royal Collection Trust wurden Exponate, die unter anderem König George V. selbst gesammelt hatte, als Dauerleihgaben in die Ausstellung integriert. Hierzu zählte auch eine Uhr von Königin Elisabeth II.201 In dem Rundgang wurden neben Uniformen vieler am Krieg teilnehmender Nationen Waffen, Munition, Ausrüstungsgegenstände, Feldpostbriefe, Fotografien, Spielzeug oder Essgeschirr, das an die Portionsgröße der Rationierungen angepasst war, gezeigt. Aber auch große Geschütze fanden sich in der Ausstellung. Ein lebensgroßer Nachbau eines Schützengrabenabschnitts sollte den Besuchern vor Augen führen, wie es sich in der Enge des Grabens anfühlte. Die erschreckende Wirkung, die die neue Kriegstechnik auf die deutschen Soldaten gehabt haben musste, wurde durch einen Panzer vom Typ Mark V, der über dem nachgebauten Schützengraben aufragte, veranschaulicht.202 Die Auswahlkriterien für die Exponate der neugestalten First World War Galleries hingen maßgeblich mit den Inhalten des Ausstellungsnarrativs und dem vorhandenen Ausstellungsraum zusammen. Hinzu kam, dass einige gestalterische Ausstellungseinbauten unbeweglich waren und andere beweglich bleiben mussten, was beispielsweise bei der Größe einzelner Exponate berücksichtigt werden musste.203 Zudem sah das Ausstellungskonzept eine thematische Trennung der zwei Erzählstränge Kampflinie und Heimatfront vor, die die Ausstellungsdesigner räumlich umsetzten. Die Hufeisenform des Ausstellungsraums ermöglichte es, dass die beiden Erzählstränge parallel zueinander an der Innen- beziehungsweise der Außenseite des ›Hufeisens‹ verliefen. Zusammenhänge zwischen Ereignissen, die an der Front stattfanden, und Maßnahmen, die
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Vgl. ebd., S. 127. Vgl. ebd., S. 130. Vgl. Jay Winter: [537], S. 36. Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 122f; Imperial War Museum (Hg.): Exponatgruppentext »This stained glass fragment and watch are souvenirs of the German bombardment of Reims cathedral in France.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 202 Vgl. Imperial War Museum (Hg.): [260]. 203 Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 108.
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daraufhin in der Heimat ergriffen wurden, konnten für die Besucher auf diese Weise optisch verdeutlicht werden.204 Da das IWM mit der Intention gegründet wurde, dem Ersten Weltkrieg zu gedenken und die Sammlungstätigkeiten bereits 1917 begannen, bestand für die Neugestaltung der First World War Galleries nicht die Schwierigkeit, dass für bestimmte Themen Exponate gefehlt hätten. Selbst für die ersten Kriegsjahre sei die Sammlung sehr gut bestückt.205 Exponatlücken bestanden lediglich zu einzelnen Themen, die vor allem andere Länder und Kriegsteilnehmer betrafen, wie beispielsweise die USA.206 Das Sammeln von Objekten, die nicht den britischen Blickwinkel auf die Kriegsereignisse zeigen und zum britischen Gedenken beitragen, gehörte nicht zur Aufgabe des IWMs. Hiervon war auch der Bereich zur Russischen Revolution und Versorgungssituation der Bevölkerung in Deutschland und Österreich-Ungarn betroffen. Auch die Lebensverhältnisse in besetzten Ländern wurden durch die Sammlungen des IWMs nicht repräsentiert.207 In der First World War Galleries wurde viel mit audiovisuellen Medien gearbeitet, sowohl um die Ausstellung inhaltlich zu erweiterten, um Inhalte auf spielerische Art zu vermitteln, aber auch um komplizierte Sachverhalte den Besuchern auf wenig Raum zu erläutern.208 Hierzu gehörte beispielsweise eine Spielstation. Ziel war es mittels Beamer-Projektionen, digitalen Animationen und Hands-On-Objekten eine Versorgungskette aufrecht zu erhalten, um die Truppen mit ausreichend Nachschub an Nahrung, Ausrüstung, aber auch Munition zu versorgen. Ähnlich, aber in digitaler Form, gab es ein Spiel zum U-Boot-Krieg, bei dem die Besucher die Versorgung auf dem Seeweg gegen feindlichen U-Boot-Beschuss sichern mussten und lernten, dass dies nur mittels eines Konvois erreicht werden konnte.209 Die Ausstellungsbereiche wurden teilweise mit Raumtönen beschallt. Es gab Hörstationen mit Originaltönen, Filmausschnitte, haptische und digitale interaktive Spielund Medienstationen mit Touchscreens zur Ergänzung oder Vertiefung von bestimmten Themen. Beispielsweise wurde in der Sektion World war zur weltweiten Dimension des Krieges ein Medientisch mit vier Touchscreens installiert. Der Seekrieg selbst war aufgrund der Größe möglicher Exponate, wie Schiffen oder Schiffskanonen, nur schwer ausstellbar. Durch die Touchscreens konnte dennoch auf den Krieg zur See und in den Kolonien verwiesen werden.210 Ein weiteres Multimediaelement bildeten kleine Bildschirme, die den Besuchern New Perspectives aufzeigten. Mit New Perspectives waren Aspekte des Ersten Weltkrieges gemeint, die insbesondere für die Zeitgenossen ein Novum in der Kriegsführung darstellten. In fast jeder der 13 Sektionen wurden mit Hilfe der kleinen Bildschirme auf 204 205 206 207
Vgl. zur Aufteilung des Ausstellungsraums und der Exponatverteilung ebd., S. 108f. Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 109; Gaynor Kavanagh: [441], S. 127. Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 109. Vgl. ebd., S. 100-102; Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext »Russia has failed us«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Zusammenfassung »Food shortages haunted the peoples of Germany and Austria-Hungary.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 208 Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 110f. 209 Vgl. ebd., S. 111f; Imperial War Museum (Hg.): [334]; Id. (Hg.): [332]. 210 Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 110f.
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diese Weise kurze Filmbeiträge zu solch neuen Perspektiven gezeigt. So gab es etwa in der Sektion Deadlock kurze Filmbeiträge zu den Mitteln der Tarnung, beispielsweise zu als Bäume getarnte Ausgucke, von denen auch ein Exemplar in der Ausstellung zu sehen war, oder Pferde, die in Afrika eine Zebratarnung erhielten. In der Sektion Total war wurde unter New Perspectives ein Film zu einer 9,2 Inch Haubitze gezeigt, um die Dimensionen und schiere Größe der eingesetzten neuen Waffen zu visualisieren. An zwei Installationen, sogenannten »reflection spaces«211 , hatten die Besucher die Möglichkeit, anhand eines zentralen Exponats, das mit Foto- und Zitatprojektionen sowie mit Tonbeiträgen kontextualisiert wurde, über das Thema Töten und Getötetwerden zu reflektieren.212 In der zweiten Installation in der Sektion Deadlock wurde ein sogenannter Schrumpfhandschuh gezeigt, der den Gaskrieg kontextualisierte.213 Neben den Multimediainstallationen zur Vertiefung der Ausstellungsinhalte und dem Abhandeln von Nebenschauplätzen aus britischer Sicht, gab es in den First World War Galleries Hands-On-Exponate, die die Ausstellung zusätzlich ergänzten. Eine Reihe davon war auf Kinder und Jugendliche zugeschnitten, wie beispielsweise eine Station mit Uniformen, Helmen und einem Gewehr in der Sektion Life at the Front oder eine Messlatte, um zu sehen, ob man den Maßgaben bei der Rekrutierung entsprochen hätte. Dies zeigte, dass das IWM mit den First World War Galleries auf eine breite Besuchergruppe abzielte. Bereits Kinder sollten von der Ausstellung angesprochen werden, ebenso wie am Ersten Weltkrieg interessierte Erwachsene. Kinder und Familien waren zwar nicht die Hauptzielgruppe, jedoch gab es einige Exponate, die gezielt in Kinderhöhe angebracht und so gut einsehbar waren, wie ein Modell zur Schlacht an der Somme. Des Weiteren waren sich die Ausstellungsmacher darüber im Klaren, dass zahlreiche ausländische Besucher die Ausstellung sehen würden, so dass auch für diese Gruppe relevante Themen Eingang in das Konzept fanden. Insbesondere bildeten französische und deutsche Schulklassen einen Großteil der ausländischen Besucher.214 Im wissenschaftlichen Beirat, mit dem das Ausstellungsteam des IWMs eng zusammenarbeitete, wirkten führende britische Weltkriegshistoriker mit. Die Arbeit des Beirats an der Ausstellung beschränkte sich nicht nur darauf, sich zum Ausstellungsnarrativ und zum Konzept zu äußern, vielmehr schrieben die Mitglieder an den Ausstellungstexten mit.215 Das eigentliche Ausstellungsteam bestand im Kern aus vier bis fünf Personen. Diese arbeiteten wiederum mit Ausstellungsdesignern, dem wissenschaftlichen Beirat und weiteren Firmen zur Umsetzung der audiovisuellen Medien zusammen. Der Ausstellungsinhalt und die konzeptionelle Arbeit erarbeitete das Kernteam in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Beirat über vier Jahre hinweg.216
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Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 113. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): [334]. Vgl. Abbildung 14. Zu den Zielgruppen vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 118f. Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 102 und S. 121. Dem wissenschaftlichen Beirat gehörten an: Hew Strachan, David Reynolds, David Stevenson, Deborah Thom, Dan Todman. Zu den Beiratsmitgliedern vgl. Paul Cornish: [243], S. 247. Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 104f und S. 119f.
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
Die enge Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Beirat erleichterte die konzeptionelle Arbeit, da aufgrund der Besetzung die aktuelle Forschungsmeinung direkt in das Ausstellungsnarrativ eingebracht werden konnte.217 Die Forschung hatte sich seit der letzten Überarbeitung der Dauerausstellung in den 1980er und 1990er Jahren sehr verändert, deshalb war es den Kuratoren wichtig, dass die neue Dauerausstellung zum Ersten Weltkrieg auch die neuesten wissenschaftlichen Forschungen berücksichtigte. Beispielsweise sei es für die Besucher neu gewesen, dass sich die britische Armee als alliierter Partner der Franzosen in der Verantwortung gesehen habe und folglich die Schlacht an der Somme Teil eines Plans der alliierten und nicht nur der britischen Streitkräfte gewesen war.218 Hinsichtlich der Darstellung von neuesten Forschungserkenntnissen sei es weniger darum gegangen wissenschaftliche Debatten in das Narrativ aufzunehmen. Jedoch sollte durch das Ausstellungsnarrativ die dominierende öffentliche Wahrnehmung über den Ersten Weltkrieg in Frage gestellt werden. Folglich stellt das Ausstellungsnarrativ aus Sicht der Kuratoren selbst eine Kontroverse dar, da die First World War Galleries den gewohnten britischen Blick auf die Westfront mit den Vorstellungen von verschlammten Landschaften und dem sinnlosen Vergeuden von Menschenleben anzweifelten.219
Ausstellungsnarrativ Die Aufgabe des IWMs ist es, Konflikte aus der Wahrnehmung der Briten und der Menschen des britischen Empires zur Zeit der Ereignisse darzustellen. Die Schwerpunkte im Ausstellungsgrundgang waren gemäß dem Auftrag des IWMs folglich darauf ausgerichtet, den Fokus auf Großbritannien und das Commonwealth of Nations zu richten. So wurde in erster Linie der Verlauf der Westfront, der für die britische Geschichte und Erinnerung von Bedeutung ist, und die Erfahrungen an der Heimatfront thematisiert.220 Bewusst versuchten die Kuratoren der Ausstellung »some element of reality«221 zu geben, beispielsweise wurde erwähnt, dass die Soldaten während ihres Einsatzes nicht dauerhaft im Kampf gewesen seien. Insbesondere wollten die Kuratoren, die traditionelle britische Sichtweise auf den Ersten Weltkrieg, die sich in den 1930er Jahren zu etablieren begann, wonach der Krieg umsonst und sinnlos gewesen sei und die Soldaten hilflose Opfer waren, in Frage stellen.222 Mit den neuen First World War Galleries wurde zudem erstmals eine Ausstellung über den Ersten Weltkrieg für eine Generation konzipiert, die keinerlei eigene Erinnerungen an diesen Konflikt mehr hat. So folgte das Ausstellungskonzept der Idee, diesen Menschen eine strukturierte Erklärung zu den Ereignissen in chronologischer Reihenfolge zu liefern.223
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Vgl. ebd., S. 105-108 und S. 115. Vgl. ebd., S. 105f. Vgl. ebd., S. 107f; James Wallis/James Taylor: [529], S. 105. Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 100-102. Ebd., S. 106. Vgl. ebd., S. 106 und S. 113. Vgl. ebd., S. 100.
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Dafür wurden einzelne Themen, wie beispielsweise das Attentat von Sarajevo und die Julikrise bis zum Kriegsausbruch, nur oberflächlich erläutert. Die Komplexität der politischen Verwicklungen sowohl auf europäischer Ebene als auch aus innenpolitischer Sicht sei aus Kuratorensicht zu kompliziert, um sie den Besuchern in der Ausstellung zu vermitteln.224 Der Rundgang der First World War Galleries gliederte sich in vier große Themenblöcke Before the War, Fighting Front, Home Front und Impact of the War und insgesamt 13 Sektionen, die jeweils noch einmal in Unterbereiche aufgeteilt waren.225 Die wichtigen Themen für die Darstellung der Heimatfront waren die massenhafte Rekrutierung von Freiwilligen für die Armee in den ersten Kriegsjahren und anschließend die Einführung der Wehrpflicht. Die Einbeziehung der weiblichen Bevölkerung in die Kriegsanstrengungen, insbesondere in der Krankenpflege, aber auch in der Rüstungsindustrie, stellte ein weiteres wichtiges Thema dar. Nicht zuletzt spielten an der Heimatfront auch die Rationierungen und die Furcht vor deutschen Luftangriffen eine eminente Rolle.226 Wichtige Themen für die britische Geschichte und Erinnerung, die direkt mit den Kriegsereignissen in Zusammenhang stehen und die in der Ausstellung kontextualisiert wurden, waren unter anderem die Neutralitätsverletzung und die Gräueltaten der deutschen Soldaten in Belgien, die Westfront und das Haupteinsatzgebiet der British Expeditionary Force (BEF) mit den bedeutenden Schlachten an der Somme und Marne sowie bei Ypern und Passchendaele. Insbesondere der Stellungskrieg, der aufgrund des Einsatzes von Kampfgas und massenhafter Artillerie Millionen Gefallene und Kriegsversehrte hinterließ, bildete einen wichtigen Bestandteil der britischen Kriegsdarstellungen. Der Kriegseintritt der USA und der Osteraufstand in Irland im Jahr 1916 wurden ebenso thematisiert wie die Folgen des Krieges auf gesellschaftlicher oder auf der politischen Ebene, da nach Kriegsende ganze Reiche verschwanden und dafür neue Staaten sowie neue politische Ideologien entstanden, die rund 20 Jahre später in den Zweiten Weltkrieg führten.227 Bedeutend für den britischen Blick auf den Ersten Weltkrieg und für die breite Öffentlichkeit war eine detaillierte Darstellung der Weiterentwicklung der Ausbildung und Ausrüstung der britischen Soldaten und ihrem Leben an der Front. Das IWM zeigte sie gezielt nicht als hilflose Opfer, wie es die bisherige öffentliche Erinnerung getan
224 Vgl. ebd., S. 107; Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext »Europe’s Hour of Destiny«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 225 Vgl. Fußnote 181 in Kapitel 2.5 Imperial War Museum sowie Paul Cornish: [243], S. 5. 226 Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Sektionstext [137]; Id. (Hg.): Sektionstext [134]. 227 Vgl. u.a. Imperial War Museum (Hg.): Sektionstext [134]; Id. (Hg.): Sektionstext [140]; Id. (Hg.): Bereichstext »A dozen men – all gassed«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Bereichstext »One is here confronted«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Bereichstext »They know that they are saving France«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Bereichstext »The problem set is a comparatively simple one«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Sektionstext [143]; Id. (Hg.): Bereichstext »I placed my soul and body in God’s keeping«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Sektionstext [144].
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
habe, sondern thematisierte, dass sich tausende junge Männer freiwillig für den Kriegsdienst gemeldet hatten.228 Die Erfahrung des unmittelbaren Tötens, ein weiterer Aspekt des Fronterlebnisses, wurde anhand von Granaten, Messern und Schlagstöcken für den Einsatz in den Schützengräben gezeigt.229 Ebenso wurde anhand zahlreicher Exponate dargestellt, dass die Berichte über die Kriegsgräuel der deutschen Truppen in Belgien für eine in der britischen Zivilbevölkerung weit verbreitete feindliche Haltung gegenüber den in Großbritannien lebenden Deutschen sorgte und gleichzeitig die Rekrutierung von tausenden Freiwilligen anfachte.230 Die allgemeine Begeisterung und Unterstützung für den Krieg standen im Gegensatz zu den unermesslichen Opferzahlen an der Westfront, und trotzdem ließen die Kriegsanstrengungen der britischen Regierung nicht nach. Dies waren aus Kuratorensicht heikle Ausstellungsthemen, die das IWM dennoch zeigte.231 Für die britische Erinnerung an den Ersten Weltkrieg spielte das Leben in einem besetzten Gebiet oder Land keine bedeutende Rolle, weshalb dieser Aspekt keinen Eingang in das Ausstellungskonzept fand. Eine geringe Bedeutung für die Ausstellung hatte auch die Thematik der Kriegsgefangenen, die zwar angesprochen, aber nicht sonderlich betont wurde. Ähnlich verfuhr man mit der Russischen Revolution. Aufgrund geringer Sammlungstätigkeiten des IWMs wurde die Revolution mit nur wenigen Objekten kontextualisiert und fand lediglich im Hinblick auf den weiteren Kriegsverlauf überhaupt Eingang in das Ausstellungsnarrativ. Ebenso wurde der Kriegseintritt Rumäniens auf der Seite der Alliierten nur über eine audiovisuelle Station in den Rundgang integriert, obwohl das IWM nach Kriegsende zahlreiche Waffen, Uniformen und ähnliches von der rumänischen Regierung erhalten hatte.232 Grund für die Auslassungen waren demnach nur teilweise fehlende Objekte in der eigenen Sammlung. Vielmehr ging es darum, dem Ausstellungsnarrativ treu zu bleiben, das hauptsächlich den britischen Blickwinkel, die Westfront und die Heimatfront zu zeigen, im Fokus hatte.233
2.6
Imperial War Museum North
Das IWMN234 in Manchester ist eines von vier Zweigmuseen des IWMs in London. Das IWMN fokussiert sich seit seiner Eröffnung im Jahr 2010, sowohl was die Sammlungs228 Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 106 und S. 113. 229 Vgl. ebd., S. 113f; Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext »The cold-blooded science«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 230 Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Sektionstext [146]; Id. (Hg.): Bereichstext »You are doing the only thing that is right.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Bereichstext »Everyone has a purpose to help«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Bereichstext [93]; Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 114. 231 Vgl. ebd., S. 113f. 232 Vgl. ebd., S. 101f. 233 Vgl. ebd., S. 100f. 234 Vgl. Imperial War Museum North (Hg.): Press Release – Immediate Release: From Street To Trench: A World War That Shaped A Region. Major First World War Centenary Exhibition. Special Exhibitions Gallery, IWM North, Free Entry – Donations Welcome, iwm.org.uk, 5 April 2014 – 31 May 2015 (keine Angabe zur Veröffentlichung). URL: www.iwm.org.uk/sites/default/files/press-
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Europäisierung des Gedenkens?
aktivität als auch was die Ausstellungen anbelangt, auf den Nordwesten Englands.235 So war auch die Ausstellung From Street to Trench: A World War that Shaped a Region auf den Nordwesten Englands ausgerichtet. Die Ausstellung hatte eine für Sonderausstellungen lange Laufzeit von über einem Jahr, vom 5. April 2014 bis zum 31. Mai 2015.236 Der erste Ausstellungsbesuch erfolgte am 8. März 2015 und der zweite Besuch am 13. März 2015, einen Tag nach dem Experteninterview. Die Ausstellung fand in einem großen Ausstellungssaal statt, der durch architektonische Einbauten in kleinere Sektionen und Bereiche unterteilt wurde, die die Besucher von den Straßen Nordwest Englands in die Schützengräben an der Westfront führten. Einleitend wurden die schwierigen Lebensumstände und Arbeitsbedingungen der Menschen im Nordwesten bis vor Kriegsausbruch vorgestellt.237 Der Ausstellungsrundgang teilte sich in sechs Sektionen: From Street to Trench: A World War that Shaped a Region, Walking up to War, On the Street, Feeding the Fire, Witnessing War, Aftershocks. Die Ausstellungsarchitektur der Sektionen war großteils szenografisch auf die Sektionsinhalte abgestimmt und wurde jeweils durch Sektionstexte erläutert.238 Die Kontextualisierung der Ausstellungsobjekte in das Ausstellungsnarrativ erfolgte sowohl über einzelne Exponatbeschriftungen als auch Exponatgruppentexte. Die in der vorliegenden Arbeit verwendeten Sektions- und Exponattexte wurden seitens des IWMNs als Auszug der Ausstellungsdokumentation zur Verfügung gestellt. Die Sektionstexte wurden durch Vitrinen ergänzt, die den Briefwechsel zwischen drei Schwestern, Ada, Rhoda und Eva McGuire, enthielten. In den Briefen tauschten sich die Schwestern zu ihren Erlebnissen aus, die in der jeweiligen Sektion als einer der Themenaspekte des Ersten Weltkrieges behandelt wurden. Ähnlich wie im DHM
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release/From %20Street %20To %20Trench %20IWM %20North %20Press %20Release_FINAL %20(2).pdf (4. Juli 2017). Vgl. Judith Heß: Experteninterviews. Imperial War Museum North, in: Dies.: Geschichtsbilder des Ersten Weltkrieges – eine Europäisierung des Gedenkens? Geschichtspolitische Deutung deutscher und britischer Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg. Anhang, Bd. 2, Diss. phil. Mannheim 2019, S. 124f. Weiterführende Informationen zum IWMN, zur Architektur, zur Gestaltung der Dauerausstellung und den Sammlungen vgl. bei Gaynor Bagnall/Antony Rowland: The Imperial War Museum North: A Twenty-First Century Museum?, in: Richard Crownshaw/Jane Kilby/Antony Rowland (Hgg.): The Future of Memory, New York 2010, S. 51-76; Thomas Thiemeyer: [521], S. 74-76. Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMWN [219], S. 125; Imperial War Museum North (Hg.): [335]. Vgl. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Sektionstext »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«; Imperial War Museum North (Hg.): [335]. Die zitierten Ausstellungstexte der Ausstellung in Manchester entstammen der Ausstellungsdokumentation, die durch die Kuratoren des IWMNs zur Verfügung gestellt wurde. Detaillierte Auskunft gibt die jeweilige Fußnote in Verbindung mit dem Quellenverzeichnis. Vgl. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Sektionstext [191]; Dies.: Sektionstext »Waking up to War«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«; Dies.: Sektionstext »On the Street«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«; Dies.: Sektionstext »Feeding the Fire«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«; Dies.: Sektionstext »Witnessing War«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«; Dies.: Sektionstext »Aftershocks«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«.
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
in Berlin wurde das Ausstellungsnarrativ dadurch um eine zeitgenössische Dimension erweitert. Das im IWM in London eingesetzte Konzept der »contemporaneity« setzte das IWMN mit diesen Vitrinen in ähnlicher Form um.239 Weitere Ausstellungstexte standen für From Street to Trench: A World War that Shaped a Region nicht zur Verfügung, da aus finanziellen Gründen weder ein Katalog noch eine Begleitpublikation produziert werden konnten.240 Über 200 Exponate, Filme, Originaltöne, Kunstgegenstände, Briefe, Waffen und Ausrüstungsgegenstände der Soldaten brachten den Besuchern näher, wie die Menschen und ihr Leben im Nordwesten Englands durch den Ersten Weltkrieg geprägt wurden.241 Die Ausstellung wurde zum Großteil mit Objekten der eigenen Sammlung bestückt, die teilweise gezielt mit Leihgaben ergänzt wurden, um so weitere lokal ansässige Museen und Galerien oder auch private Leihgeber einzubeziehen. Beispielsweise verliehen das Broughton House Home for Ex-Servicemen and Women und das Dunham Massey, die beide während des Krieges Genesungsheime beherbergten, ein Lazarettbett und eine Silberdose von Admiral Jellicoe, die er dem Broughton House zu FundraisingZwecken zur Verfügung gestellt hatte. Aber auch das Greater Manchester Police Museum and Archives, die Manchester City Galleries oder die Bolton Library and Museum Services zählten zu den regionalen Leihgebern. Zahlreiche private Leihgaben wie persönliche Familienerbstücke wurden für die Sektion Witnessing War zur Verfügung gestellt. Lediglich ein Originalmanuskript des Dichters Wilfred Owen wurde in dieser Sektion von der Bodleian Library der Universität Oxford ausgeliehen. Aufgrund der regionalen Ausrichtung waren keine internationalen Leihgeber vertreten.242 Als Auswahlkriterium für die Exponate waren zum einen die Themen, die in der Ausstellung angesprochen werden sollten, entscheidend, und zum anderen die Zielgruppen, auf die die Ausstellung ausgerichtet wurde.243 Ausgehend von dieser eher generellen Zielsetzung wurde geplant, wie sich die Objekte in das Ausstellungsnarrativ integrieren ließen, ohne an historischer Genauigkeit zu verlieren. So kam den Filmausschnitten, die im Eingangsbereich der Ausstellung zur »Edwardian era« und den schwierigen Lebensbedingungen der Arbeiterschicht gezeigt wurden, eine besondere
239 Vgl. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext »Letter written by Ada McGuire to her sister Eva on 7 August 1914«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«; Dies.: Exponattext »Letter written by Ada McGuire from Liverpool to her sister Eva in the USA, 31 May 1915«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«; Dies.: Exponattext »Letter written by Ada McGuire from Liverpool to her sister Eva in the USA, 8 August 1915«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«; Dies.: Exponattext »Letter written by Ada McGuire, from Liverpool, to her sister Eva in the USA, 9 July 1916«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«; Dies.: Exponattext »Letter by Rhoda McGuire from Liverpool to her sister Eva in the USA, 11 November 1918«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 240 Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMWN [219], S. 143. 241 Vgl. Imperial War Museum North (Hg.): [335]. 242 Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMWN [219], S. 132f und S. 143f. 243 Vgl. ebd., S. 131 und S. 134f.
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Bedeutung zu.244 Das Filmmaterial diente hier nicht nur der Kontextualisierung und Ergänzung der gezeigten Exponate. Vielmehr waren die Filmsequenzen selbst die Exponate.245 Neben den Filmsequenzen arbeitete From Street to Trench: A World War that Shaped a Region mit Fotografien, Briefen, Gemälden, aber auch mit Kinderspielzeug, um die Heimatfront abzubilden. Die Mobilisierung der Industrie wurde unter anderem mit Waffen, Granaten und Fotografien zur Arbeit in den Munitionsfabriken dargestellt. Die Front wurde den Besuchern zum Großteil anhand ausgewählter Beispiele einzelner Soldaten, bekannten wie auch unbekannten, erzählt. Dafür wurden Augenzeugenberichte, Fotografien, Verdienstmedaillen und persönliche Gegenstände wie eine Brille oder eine Tabakspfeife, aber auch Uniformen, Schuhwerk oder Waffen gezeigt. Die Ausstellungsstücke in der Sektion Aftershocks waren unter anderem Plakate, die die Thematik der zurückkehrenden männlichen Arbeitskräfte und die Verdrängung der weiblichen Arbeiterinnen aufzeigten. Das Ausstellungsende beschäftigte sich, ähnlich wie die Speyerer Ausstellung, mit der Erinnerung an die Gefallenen, beispielsweise durch Gedenktafeln und kleiner Memorabilien sowie Fotografien von Kriegsdenkmälern und Filmausschnitten von früheren Gedenkfeiern. Bei Ausstellungsplanungen kommt es immer wieder vor, dass für bestimmte Themen keine Exponate vorhanden sind. In einem solchen Fall griff das IWMN in From Street to Trench: A World War that Shaped a Region auf andere Möglichkeiten der Kontextualisierung zurück, wie beispielsweise Filmsequenzen, Hörstationen oder andere interaktive digitale Stationen.246 Im Bereich Witnessing War kamen beispielsweise Originaltonaufnahmen von Soldaten zum Einsatz, die über ihre Erfahrungen in Luft- und Seekämpfen berichteten. Konkret wurde hier geschildert, wie Kanonenschüsse des Kriegsschiffs HMS Courageous klangen und rochen oder wie es sich anfühlte, von deutschen Flugzeugen abgeschossen zu werden.247 Neben den Filmsequenzen im Eingangsbereich wurden Filme auch 244 Vgl. ebd., S. 131. 245 Vgl. Imperial War Museum North (Hg.): Filmstation »A Day in the Life of a Coal Miner«, »The Works and Workers of Denton Holme«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«; Id. (Hg.): Filmstation »A Trip Along the Manchester Ship Canal«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«; Id. (Hg.): Filmstation »Manchester United v Newcastle United«, »Royal Visit to Lancashire«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«; Id. (Hg.): Filmstation »Stockport Market«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 246 Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMWN [219], S. 125f und S. 132f. 247 Vgl. Imperial War Museum North (Hg.): Hörstation »Kitty Morter explains how her husband Percy was recruited into the Army by music hall performer Vesta Tilley at the Palace Theatre, Manchester in 1914«, »Evelyn Ellershaw recalls the atmosphere of seeing soldiers mobilising in Lancaster town centre in 1914«, »Evelyn Ellershaw describes seeing women giving white feathers to men in Lancaster to encourage them to join the Army in 1914«, »Tom Bromley talks about the local reaction in Bolton to the events leading to the outbreak of war in 1914«, »James Snailham explains why he decided to join the Chorley Pals aged just 16 in 1914«, »Donald Price describes how he cheated in his army medical test at the recruiting office in Manchester in 1914«, »Arthur Wilkinson explains why he registered as a Conscientious Objector in 1918«, »Frederick Plimmer comments on changes to the workforce at Vickers Shipyard in Barrow-in-Furness, Cumbria«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«; Id. (Hg.): Hörstation »Frederick
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als Ergänzungen und zur Kontextualisierung vorhandener Exponate verwendet wie in der Sektion Aftershocks, in der mehrere Sequenzen zu Gedenkfeiern aus den Jahren 1919 bis 1924 gezeigt wurden.248 Der Einsatz von Multimedia und Hands-On-Exponaten in der Ausstellung verfolgte, wie auch im IWM in London, nicht nur die Absicht Exponatlücken abzudecken und Exponate in den Kontext einzuordnen, sondern auch gezielt jüngere Museumsbesucher und Familien anzusprechen.249 So wurden neben Holzspielzeug oder Kleiderrepliken zum Anprobieren auch ein »hopscotch pattern« oder ein Tunnel in der Sektion Witnessing War eingesetzt, um die Ausstellung für Kinder und Jugendliche ab einem Alter von zehn Jahren sowie Familien spannend zu gestalten und zu zeigen, dass der Krieg auch das Leben und den Alltag der Kinder beeinflusste.250 Die generelle Zielgruppe für From Street to Trench: A World War that Shaped a Region waren die Menschen aus der Region im Nordwesten Englands. Die Ausstellung war für die interessierten Besucher ohne spezielles Expertenwissen konzipiert und geschrieben, die das IWMN in die Gruppe der »empathizers [sic!]«251 und der »self-developers«252 einteilt.253 Das IWMN veranstaltete zu Beginn der Ausstellungsplanung einen wissenschaftlichen Workshop, zu dem Historiker verschiedener Universitäten aus dem Norden und Nordwesten Englands eingeladen wurden, um über potenzielle Themen und Schwerpunkte für die Ausstellung zu diskutieren. Da das IWMN die wissenschaftliche Expertise zum Ersten Weltkrieg selbst im Haus hatte, wurde nach der Anfangsphase kaum noch mit externen Wissenschaftlern beraten. Insgesamt wurde die Ausstellung ohne einen wissenschaftlichen Fachbeirat konzipiert und ausgearbeitet. Das Ausstellungsteam bestand aus vier bis fünf Mitarbeitern des Museums, das die Inhalte erarbeitete, sowie die Objektrecherche und den Leihverkehr organisierte.254 Neuere und neueste Forschungen hätten weniger Eingang in das Konzept gefunden. Vielmehr sei es darum gegangen die Erwartungen der Besucher zu erfüllen und
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Powell, a pilot in the Royal Flying Corps, describes being shot down during a dogfight against German planes in 1918«, »Frederick Powell explains how he and fellow pilots kept their spirits up«, »Cyril Punt describes the smell and noise of the guns firing on HMS Courageous«, »James Leary talks about the working conditions as a stoker aboard HMS Arab at Scapa Flow, Scotland«, »Thomas Northcote describes the sleeping arrangements and local conditions when serving with the Manchester Regiment in Egypt«, »Walter Lunt comments on the harsh weather conditions and threat of disease when based in Salonika with the King’s Liverpool Regiment«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. Vgl. Imperial War Museum North (Hg.): Filmstation »Opening of Astley Park War Memorial, Chorley«, »Remembrance Day in Manchester«, »The Official Unveiling of the Darwen War Memorial«, »Whalley Peace Pageant«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMWN [219], S. 134f. Vgl. ebd.; Abbildung 9; Imperial War Museum North (Hg.): [335]. Judith Heß: Experteninterview IMWN [219], S. 141. Ebd. Vgl. ebd., S. 124, S. 139 und S. 141. Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMWN [219], S. 126f und S. 142f.
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Abbildung 9: Ausstellungsinszenierung: Straßenzug in Manchester, Sektion On the Street zur Heimatfront
Themen zu zeigen, die für den Ersten Weltkrieg charakteristisch sind.255 Dennoch waren Themen in der Ausstellung zu finden, die durchaus in der Forschung aktuell diskutiert wurden, wie beispielsweise die Rolle der Frauen vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg, und ob die Änderungen, die nach dem Krieg eintraten, aufgrund der Kriegserfahrungen erfolgten oder nicht.256 Ebenso wurde die Thematik der in Großbritannien lebenden deutschen Staatsangehörigen, den sogenannten »›enemy aliens‹«257 , in die Ausstellung integriert. Das Thema hatte zur Zeit des Ersten Weltkrieges große Bedeutung, sei aber aus heutiger Sicht wenngleich nicht kontrovers so doch schwierig anzusprechen.258
Ausstellungsnarrativ Mit From Street to Trench: A World War that Shaped a Region standen weniger die militärgeschichtlichen Ereignisse des Ersten Weltkrieges im Mittelpunkt der Ausstellung, sondern vor allem die Erfahrungen, die die Bevölkerung aus dem Nordwesten Englands machte. Dafür wurden zum einen persönliche Schicksale bekannter und unbekannter Soldaten und zum anderen die Erfahrungen der Menschen in der Heimat vorgestellt. 255 Vgl. ebd., S. 125. 256 Vgl. ebd., S. 127-129. 257 Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext »Register of 398 ›enemy aliens‹ recorded by Salford Police«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 258 Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMWN [219], S. 135f und S. 138.
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
Die Anstrengungen, die der erste totale Krieg von den Menschen abverlangte, betrafen die Industrieregion um Manchester enorm, insbesondere die daheimgebliebenen Frauen.259 Es ging darum, den Blick bewusst auf die Heimatfront zu lenken. Die Heimat wurde im ersten totalen Krieg der Geschichte als Teil der Front gesehen, der die Bevölkerung über jegliche gesellschaftlichen Schichten hinweg mobilisierte.260 Der Einstieg in die Ausstellung eröffnete zunächst einen Blick auf die Vorkriegssituation, der »Edwardian era […] an age of innocence, almost like an extended golden summer.«261 Dennoch litt ein Großteil unter schwierigen Lebensbedingungen, wie beispielsweise die Minenarbeiter oder die Arbeiter in der Textilindustrie. Es kam zu zahlreichen Streiks in der Arbeiterschaft, die Löhne fielen zu gering aus und nicht zuletzt schwelte der Konflikt mit Irland über die Home-Rule.262 Diesen Teil der Bevölkerung der Industrieregion rund um Manchester nahm die Ausstellung in den Fokus. Zudem war in Großbritannien weder die Armee noch die Industrie auf einen lang andauernden Krieg vorbereitet gewesen. Infolgedessen mobilisierte die Region im Nordwesten Englands nicht nur tausende Soldaten für den Fronteinsatz, zunächst freiwillig, später durch die Einführung der Wehrpflicht. Die Zivilbevölkerung wurde ebenso in den Dienst genommen, entweder in der Industrie oder in den neu eingerichteten militärischen Organisationen.263 In der folgenden Sektion On the Street wurde durch Einbauten ein Straßenzug in einem Ort im Nordwesten Englands inszeniert. In den ›Häusern‹ waren Räume zu den jeweiligen Ausstellungsthemen eingerichtet, wie etwa die Versorgung von verwundeten Soldaten. Diese hatte konkret Einfluss auf die Kriegserfahrungen an der Heimatfront durch die Einrichtung von zahlreichen Krankenhäusern und Hospitälern für die Kriegsverwundeten. In der Ausstellung wurde dies am Beispiel des Herrenhauses Dunham Massey, das während des Krieges als Stamford War Hospital bekannt war, aufgezeigt.264 Aber auch die als Spione verdächtigten Deutschen, die in Großbritannien lebten und in Internierungslagern gefangen gehalten wurden, nahmen Einfluss auf die Alltagserfahrungen der Bevölkerung.265 Die Heimatfront wurde kurzeitig selbst immer wieder zur Kriegsfront, wenn deutsche Zeppeline in den britischen Luftraum vordrangen und damit den Nordwesten Englands bedrohten.266 Nicht zuletzt gehörte auch die Rationierung von Lebensmitteln und sonstigen Gütern des täglichen Ver- und Gebrauchs zum Alltag der Menschen während des Ersten Weltkrieges. Selbst die Fußballligen waren von Einschränkungen und der Spielbetrieb von Einstellung betroffen, da die Spieler an die Front gingen. Ein den Alltag prägendes Bild wurden Frauen, die immer mehr die Arbeit der in den Krieg gezogenen Männer übernahmen. Viele arbeiteten in Städten beispielsweise als Bus-, Straßenbahn- und Zugführerinnen.267 259 260 261 262 263 264 265 266 267
Vgl. ebd., S. 124-126 und S. 128. Vgl. ebd., S. 124f. Ebd., S. 131. Vgl. ebd. Vgl. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Sektionstext [193]. Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMWN [219], S. 132f. Vgl. ebd., S. 135-138. Vgl. ebd., S. 128f; Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Sektionstext [192]. Vgl. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Sektionstext [192].
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Europäisierung des Gedenkens?
In der Sektion Feeding the Fire eröffnete eine große Wandgrafik den thematischen Übergang zur Rüstungsindustrie. Die Massenmobilisation, sowohl in der Kriegsproduktion als auch in der Rekrutierung der Soldaten, waren Themen dieses Ausstellungsabschnitts. Dabei zeigte die Ausstellung die Änderungen der Alltagserfahrungen auf, die der Arbeitseinsatz für die Versorgung der Soldaten an der Front und auf die berufsfähige Bevölkerung hatte.268 Die Kriegsproduktion im Nordwesten trug signifikant zur Versorgung der Frontlinien überall auf der Welt bei. Textilwebereien stellten auf die Produktion von Uniformen um, Fabriken begannen massenhaft Bomben und Granaten herzustellen und den größten Teil der Arbeiterschaft stellten die Frauen. Erst später wurden Männer mit Spezialkenntnissen und -fertigkeiten von der Front wieder in die Industrie zurückgeschickt.269 Die Sektion zum Kriegsgeschehen, Witnessing War, die im Anschluss folgte, differenzierte sich optisch durch einen hellblauen Farbton von der Ausstellungsarchitektur der übrigen Sektionen. Die Einbauten suggerierten auf abstrakte Weise, die von Granattrichtern zerstörte Landschaft an der Westfront. Der Fokus lag auf dem Aspekt, dass tausende Männer aus dem Nordwesten zu den Streitkräften gingen und überall auf der Welt am Kriegsgeschehen teilnahmen.270 In der Kriegssektion wurden die Einzelschicksale bekannter und unbekannter Soldaten aus dem Nordwesten vorgestellt, wie das des Dichters Wilfred Owen, der mit dem Manchester Regiment an der Westfront kämpfte.271 Die Alltagserfahrungen der Soldaten an der Front, die zum Teil noch nie zuvor den Nordwesten Englands verlassen hatten, änderten sich durch den Krieg massiv. Reisen und Seefahrten in weit entfernte Regionen mit anderen klimatischen Verhältnissen sowie die Gefahr im Kampf zu Land, zu Wasser und in der Luft gehörten zu ihrem neuen Alltag. Der Haupteinsatzort blieb aber die Westfront in Frankreich und Belgien, wo die Soldaten aus dem Nordwesten Englands an den großen Schlachten an der Somme und in Ypern teilnahmen.272 Ein Eindruck dieser Schlachten wurde mit dem Film The Battle of the Somme vermittelt. Der Film entstand an der Frontlinie, jedoch mit zum Teil nachgestellten Szenen.273 In der letzten Ausstellungssektion Aftershocks wurden die Nachwirkungen des Ersten Weltkrieges thematisiert. Als am 11. November 1918 der Waffenstillstand eintrat, hatte noch niemand geahnt, welche gesellschaftlichen Umwälzungen der Krieg als langfristige Folgen mit sich gebracht hatte.274 So ergaben sich beispielweise drastische Auswirkungen für die Frauen, als die Kriegsrückkehrer an ihre alten Arbeitsplätze zurückdrängten. Gleichzeitig hatten die Frauen während des Krieges ›ihren Mann gestanden‹, so dass 1918 Frauen erstmals das Wahlrecht erhielten, wenn auch mit Einschrän-
268 269 270 271 272 273
Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMWN [219], S. 125 und S. 133. Vgl. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Sektionstext [192]. Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMWN [219], S. 132. Vgl. Imperial War Museum North (Hg.): [335]. Vgl. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Sektionstext [194]. Vgl. Imperial War Museum North (Hg.): Filmstation »The Battle of the Somme«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 274 Vgl. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Sektionstext [189].
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
kungen.275 Ein großer Teil der Exponate widmete sich dem Gedenken an den Ersten Weltkrieg und seiner Opfer. Es wurde zudem auf die wenigen Dutzend sogenannten »›Thankful Villages‹«276 hingewiesen, die im Gegensatz den etwa 16.000 anderen Gemeinden keine Kriegsverluste erlitten hatten.277
2.7
Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier
Das FLM in Cardiff zeigte in der Sonderausstellung Outbreak 1914: Wales Goes to War vom 18. Juni 2014 bis zum 4. Mai 2015 ein Ausstellungsprojekt, das unter der Schirmherrschaft des National Army Museums (NAM) stand.278 Da das NAM aufgrund von Umbaumaßnahmen im Jahr 2014 keine Centenary-Ausstellung im eigenen Haus in London zeigen konnte, entstand in Zusammenarbeit mit sechs Regiments- und Corpsmuseen aus ganz Großbritannien eine Reihe von Sonderausstellungen.279 Im Jahr 2014 wurden in den Ausstellungen die ersten Kriegsmonate in den Blick genommen. Im weiteren Verlauf des Centenary-Programms280 waren weitere Ausstellungen geplant, die im Laufe der Zeit alle vier Kriegsjahre beleuchten sollten: The Outbreak of War and Mobilisation (2014-15), The Experience of War (2016-17) und The Memory of War (2018). Durch die Kooperation mit den Regiments- und Corpsmuseen eröffnete sich für die Ausstellungen jeweils ein regionaler oder lokaler Schwerpunkt. Die Ereignisse des Ersten Weltkrieges wurden aus dem Blickwinkel des jeweiligen Regiments oder Corps und der Bedeutung für die jeweilige Region betrachtet.281
275 Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMWN [219], S. 128f; Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Sektionstext [189]. 276 Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext »Triumph motorcycle«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 277 Vgl. ebd.; Judith Heß: Experteninterview IMWN [219], S. 144. 278 Vgl. National Army Museum (Hg.): Building for the Future. News Release. National Army Museum Announces Expansive Plans for First World War Commemorations (2014). URL: www.nam.ac.uk/sites/default/files/NAM_WW1_Overiew_Briefing_Statement.pdf (30. Juni 2014, Seite nicht mehr verfügbar). 279 Vgl. National Army Museum (Hg.): Director Generals Blog. A time for Remembrance (25. Juni 2014). URL: www.nam.ac.uk/microsites/future/1527/directors-blog/a-time-for-remembrance/ (16. Juli 2014, Seite nicht mehr verfügbar). 280 Wales führte neben dem landesweiten Programm, First World War Centenary, das auf Initiative der britischen Regierung in London startete, ein eigenes Programm, Cymru’n Cofio – Wales Remembers 1914-1918, durch. In diesem Rahmen veranstaltete das FLM noch weitere Ausstellungen, 2015 zu Gallipoli und 2016 zu Mametz und zur Schlacht an der Somme. Vgl. Judith Heß: Experteninterviews. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier, in: Dies.: Geschichtsbilder des Ersten Weltkrieges – eine Europäisierung des Gedenkens? Geschichtspolitische Deutung deutscher und britischer Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg. Anhang, Bd. 2, Diss. phil. Mannheim 2019, S. 146f. 281 Vgl. National Army Museum (Hg.): Exhibitions in cooperation with 6 regimental museums (30. April 2014). URL: www.nam.ac.uk/microsites/future/1527/directors-blog/a-time-for-remembrance/ (16. Juli 2014, Seite nicht mehr verfügbar); Kate Clements: National Army Museum Announces Nationwide Centenary Plans (23. August 2013). URL: www.1914.org/news/national-army-
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Europäisierung des Gedenkens?
Die Ausstellung des FLMs beschränkte sich auf eine kleine Fläche im Vergleich zu den übrigen untersuchten Ausstellungen, da das FLM im Cardiff Castle auf einen Ausstellungsraum begrenzt war. Der Ausstellungsbau bestand aus mehreren T-förmigen, linear im Raum aufgebauten Stellwänden. Outbreak 1914: Wales Goes to War war keine objektbasierte Ausstellung, sie bestand im Wesentlichen aus Texten282 und Fotografien. Die Ausstellung im FLM stellte damit eine Ausnahme in der Reihe der untersuchten Ausstellungen dar.
Abbildung 10: Einblick in Outbreak 1914: Wales Goes to War
Die Ausstellungsbesuche in Cardiff erfolgten am 2. März und 4. März 2015. Outbreak 1914: Wales Goes to War war in vier Sektionen, Outbreak, Call to arms, Into action und Digging in, unterteilt. Um den Rundgang durch die textlastige Ausstellung für die museums-nationwide-centenary-plans/ (19. Juni 2017); Judith Heß: Experteninterview FLM [215], S. 146 und S. 165f. 282 Die zitierten Ausstellungstexte entstammen direkt aus der Ausstellung und wurden beim Ausstellungsbesuch am 4. März 2015 fotografiert. Detaillierte Auskunft gibt die jeweilige Fußnote in Verbindung mit dem Quellenverzeichnis.
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
Besucher zu erleichtern, arbeitete das FLM mit Bereichstexten. Die vier Sektionen wurden nur durch die Bereichstexte erläutert. Die Bereiche gliederten sich in der Sektion Outbreak auf in: Ready for war?, Be prepared, Outbreak, Human resources, Your country needs you!. In der Sektion Call to arms fanden sich die Bereiche: Measuring up, Answering the call, Stepping into place. Die dritte Sektion Into Action gliederte sich in die Bereiche: To France, First contact, Help. Die letzte Sektion Digging in beschäftigte sich mit dem Race to the sea, The Empire responds, Entrenched, Daily grind, Staying in touch, A time of peace and goodwill?, Christmas on the Western Front, Winter 1914 und World wide war. Um dem Inhalt der Ausstellung folgen zu können, war es für die Besucher nicht notwendig die gesamten Ausstellungstexte zu lesen. Vielmehr wurde mit Überschriften gearbeitet, die den Bereichstexten vorangestellt und optisch hervorgehoben wurden. Den Besuchern sollte auf diese Weise eine schnelle Erfassung des wesentlichen Inhalts ermöglicht werden. Die Erfahrungen hätten gezeigt, dass die Besucher nicht viel lesen würden. Um aber dennoch einen groben Überblick über die Ausstellungsinhalte zu erhalten, genüge das Lesen der Überschriften, so die Kuratoren.283 Tiefer gehende Informationen enthielten die Bildbeschriftungen der Fotografien, die in dieser Ausstellung die Funktion der Exponatbeschriftungen übernahmen. Für ein walisisches Museum wie das FLM stellte sich die Frage nach der Sprache der Ausstellungstexte. Das FLM hatte als unabhängiges, nicht staatlich geführtes Museum keinen Zwang seine Texte zweisprachig in Englisch und Walisisch zu verfassen. Dass die Texte teilweise dennoch zweisprachig waren, habe daran gelegen, dass sich das NAM der generellen und nicht zuletzt auch politisch aufgeladenen Frage nach der Sprache der Ausstellungtexte in einem walisischen Museum in der Hauptstadt von Wales bewusst war und daher zweisprachige Texte vorsah.284 Die Ausstellungstexte wurden während der Ausstellungsbesuche fotografiert, so dass die Textverweise dem Stand Anfang März 2015 entsprechen. Einen Katalog oder eine Begleitpublikation zur Ausstellung gab es nicht. Auch das NAM publizierte bislang keinen Begleitband zur Ausstellungsreihe. Für die waliser Ausstellung wurde ein Flyer gedruckt und Werbemaßnahmen auf der Museumshomepage sowie in den sozialen Netzwerken geschaltet, auf die in der Arbeit teilweise verwiesen wird.285 Das FLM besitzt eine eigene Weltkriegssammlung, die sich vor allem auf Objekte der eigenen Regimenter stützt. Da ein Großteil der Sammlung zum Ersten Weltkrieg in der eigenen Dauerausstellung sowie der Ausstellung des walisischen Gedenkprogramms, Cymru’n Cofio – Wales Remembers 1914-1918 gezeigt wurde, entfiel auf Outbreak 1914: Wales Goes to War lediglich eine sehr kleine Auswahl an Exponaten. Die Exponate, die das FLM in diesem Rahmen zeigte, stammten entweder aus der Sammlung des FLMs oder wurden von Seiten des NAMs und einigen privaten Leihgebern gestellt.286 Als Auswahlkriterium für die Exponate beziehungsweise Themen und die dazu gehörigen Fotografien spielten neben dem Konzept, das erste Kriegsjahr zu thematisie-
283 284 285 286
Vgl. Judith Heß: Experteninterview FLM [215], S. 159. Vgl. ebd., S. 182f. Vgl. ebd., S. 181. Vgl. ebd., S. 158 und S. 182; National Army Museum (Hg.): [344].
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Europäisierung des Gedenkens?
ren, die Besucher des FLMs eine Rolle, da diese in erster Linie wegen des Cardiff Castles kamen. Den Kuratoren war daher eine mentalitätsgeschichtliche Ausrichtung der Ausstellung wichtiger als die Fokussierung auf die militärische Ereignisgeschichte.287 Nur einige wenige Exponate, wie ein Maschinengewehr 08/15, archäologische Überreste, wie Stahlhelme und Teile von Waffen, und eine Schwesternuniform ergänzten die Ausstellung, deren Gestaltung »very interpretation based rather than object based«288 gehalten war. Die Ausstellung wurde folglich mit Foto- und Plakatdrucken bestritten. Die Fotografien und Plakate wurden zum überwiegenden Teil durch das NAM und vereinzelt durch das Regimental Museum of The Royal Welsh in Brecon oder das Museum of The King’s Royal Hussars in Winchester zur Verfügung gestellt. Feldpostbriefe oder jegliche Arten von Waffen, Munition oder Ausrüstungsgegenstände, wie beispielsweise ein sogenannter »›gor-blimey‹«289 , wurden anhand der Fotografien gezeigt. Die für den Ersten Weltkrieg charakteristischen Gasmasken suchte man in der Ausstellung vergebens, da der erste Giftgaseinsatz erst im Frühjahr 1915 erfolgte. Audiovisuelle Medien kamen in Outbreak 1914: Wales Goes to War nur geringfügig zum Einsatz. Beispielsweise bot eine Touchscreenstation eine Auswahl an Filmsequenzen zu den Fronterfahrungen der Soldaten und der Frauen in der Heimat sowie Fotografien und Erläuterungen zu britischen Armeemedaillen zur Vertiefung an. Zudem wurden über ein Fernsehgerät Fotografien gezeigt, die einen Eindruck der zerbombten und zerstörten Landschaft an der Westfront vermittelten. In einem kleinen Hands-On-Bereich konnten die Besucher, insbesondere Kinder und Jugendliche, französische, deutsche und britische Uniformjacken anziehen. Aus Sicht der Kuratoren sollte den Besuchern dadurch ins Bewusstsein gebracht werden, dass unabhängig davon, welche Uniform ein Soldat trug, welcher Kriegspartei er angehörte, in jeder Uniform ein Mensch steckte.290 Des Weiteren fand sich eine Reproduktion einer Ausgabe der Tageszeitung Daily Mail aus dem Jahre 1914 in diesem Bereich. Dabei handelte es sich um eine Ausgabe, die über die Ereignisse des sogenannten »Christmas truce«291 an der Westfront berichtete. Dadurch, dass die Projektverantwortung beim NAM lag, kam den Kuratoren des FLMs die Aufgabe zu, darauf hinzuweisen, dass das FLM zwar ein Militärmuseum sei, jedoch nicht die für ein Militärmuseum üblichen Zielgruppen zu Besuch habe. Vielmehr hat aufgrund der Lage des Museums im Cardiff Castle die große Mehrheit der
287 Vgl. Judith Heß: Experteninterview FLM [215], S. 147, S. 156 und S. 160. 288 Ebd., S. 158. 289 Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext »Winter 1914«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). Unter einem »gor-blimey« ist eine Kopfbedeckung, das Winter Service Dress Cap, zu verstehen, die im November 1914 eingeführt wurde. Die Ohr- und Nackenbedeckung konnte über dem Kopfteil zusammengebunden werden, wenn sie nicht benötigt wurde. Die Bezeichnung »gor-blimey« soll von einem Ausruf eines Sergeanten beim ersten Anblick der Mütze herrühren. Vgl. ebd. 290 Vgl. Judith Heß: Experteninterview FLM [215], S. 151. 291 Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext »A Time of peace and goodwill?«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015).
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
Besucher keinerlei Wissen oder Interesse über beziehungsweise an Militärgeschichte. Für den Erzählstrang der Ausstellung war daher zu bedenken, dass dieser weniger auf der Kriegsführung an sich lag, sondern einen mentalitätsgeschichtlichen Ansatz zu verfolgen.292 Der Großteil der Besucher seien Familien und Touristen aus dem Inund Ausland, die aber in erster Linie das Cardiff Castle besichtigten.293 Der Zugang zur Geschichte des Ersten Weltkrieges wurde daher allgemein gehalten, da die Besucher in der Regel ohne tiefer gehendes Hintergrundwissen die Ausstellungen des FLMs besuchten.294 Eine zweite Zielgruppe waren Schulklassen. Für diese gab es zudem ein gesondertes Programm, in dessen Rahmen Mitarbeiter des Museums eine sogenannte »loan box«295 in die Schule brachten und den Schülern vor Ort die Ausstellungsinhalte vermittelten.296 Aufgrund der Kooperation mit dem NAM wurde Outbreak 1914: Wales Goes to War zum Großteil durch das NAM erarbeitet. Die Kuratoren des FLMs arbeiteten mit ihrer Expertise zur Regimentsgeschichte dem NAM zu. Die Entscheidung, welche Themen in den Ausstellungsrundgang aufgenommen werden sollten, lag jedoch beim NAM, ebenso wie das Ausstellungsdesign, die Ausstellungstexte und die gesamte Recherche sowie die Finanzierung. Folglich fungierte das Team des FLMs wie ein wissenschaftlicher Beirat für Outbreak 1914: Wales Goes to War.297 Neuere und neueste wissenschaftliche Forschungsergebnisse zu präsentieren, lag nicht im Fokus des Ausstellungsnarrativs. Forschungskontroversen wurden in der Ausstellung nicht abgebildet. Das inhaltliche Ziel der Ausstellung war es, die Darstellung der Ereignisse des Kriegsausbruchs zu schildern und wie die Gesellschaft auf diesen reagierte.298
Ausstellungsnarrativ Das FLM zeigte in Outbreak 1914: Wales Goes to War, welchen Beitrag die walisischen Truppenteile, insbesondere die Royal Welsh Fusiliers und die South Wales Borderers, bereits in den ersten Kriegsmonaten leisteten.299 Dabei ging es darum, die Ereignisse des Ersten Weltkrieges als »human stories of the individuals involved«300 und weniger als eine
292 293 294 295 296 297 298 299
Vgl. Judith Heß: Experteninterview FLM [215], S. 156. Vgl. ebd., S. 156 und S. 181. Vgl. ebd., S. 146 und S. 156. Ebd., S. 181. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 149 und S. 155f. Vgl. ebd., S. 150 und S. 155. Die Royal Welsh Fusiliers, die bereits 1689 gegründet wurden, waren am »Christmas truce« von 1914 beteiligt. Ihnen gehörten die Autoren Siegfried Sassoon und Robert Graves an. Auch die South Wales Borderers wurden bereits 1689 gegründet und kämpften in Frankreich, in Gallipoli und waren an der Invasion der deutschen Kolonie Tsingtau in China beteiligt. Das Welsh Regiment wurde 1881 aus zwei bestehenden Fußregimentern zusammengeschlossen und kämpfte ebenfalls unter anderem an der Westfront, in Gallipoli und im Nahen Osten. Vgl. hierzu Lucy Richardson: Outbreak 1914. Welsh Regiments in Focus (1. Juli 2014). URL: http://ww1.nam.ac.uk/634/news/welsh-re giments-focus/#.WUf7IcZpyUk (19. Juni 2017). 300 Judith Heß: Experteninterview FLM [215], S. 147.
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Europäisierung des Gedenkens?
militärische Ereignisgeschichte zu erzählen.301 Besonders in den Blick genommen wurde der Kriegsausbruch, die Reaktion der Bevölkerung darauf und die Erwartungen, die, sowohl was die Dauer, die Dimension als auch den Einfluss auf das persönliche Leben angingen, übertroffen wurden.302 In der ersten Sektion Outbreak wurden die Ereignisse nach dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger in Sarajevo bis zum Kriegseintritt Großbritanniens aufgegriffen. Die Ausstellung gab Einblicke in den Aufbau der britischen Armee, die aus einem kleinen und sehr gut ausgebildeten Berufsheer bestand, das aber in keiner Weise auf einen Konflikt in der Dimension des Ersten Weltkrieges vorbereitet und ausgelegt war. Daher waren die britischen Streitkräfte auf die Rekrutierung tausender Freiwilliger angewiesen.303 Nach dem Attentat, den sich überschlagenden Ereignissen der Julikrise und durch den Einmarsch der deutschen Armee in Belgien, der eine Verletzung der vertraglich garantierten Neutralität darstellte, sah sich Großbritannien am 4. August 1914 gezwungen, dem Vertragspartner Belgien zu Hilfe zu eilen. Nach der Schlacht von Waterloo wurde erstmals wieder in einen Konflikt auf europäischem Boden eingegriffen.304 Die Briten sandten die BEF, die sich aus den Kräften des stehenden Heeres, der Territorial Force, den Armeen des Empires und den Freiwilligen zusammensetzte.305 Die Schlacht von Mons am 25. August 1914 löste das sogenannte »›Recruitment Fever‹«306 aus, währenddessen sich annähernd 10.000 Freiwillige täglich meldeten, um in den Krieg zu ziehen.307 In der zweiten Sektion, Call to arms, wurden die in Großbritannien anlaufenden Rekrutierungsmaßen behandelt und geschildert, welche Erfahrungen die neuen Rekruten in den Trainingslagern machten. Bis zum 12. September 1914 hatten sich über 300.000 Freiwillige gemeldet und die Armee musste Kriterien zur Reglementierung einführen, für deren Überwachung und Einhaltung die Armee zivile Ärzte einstellen musste. Um die Bereitschaft für den Freiwilligendienst weiter zu erhöhen, wurden sogenannte »Pals
301 Vgl. National Army Museum (Hg.): Discover Exhibitions: Outbreak 1914! Wales Goes to War, Flyer, 2014; Id. (Hg.): [344]; Judith Heß: Experteninterview FLM [215], S. 147 und S. 160; Lucy Richardson: [349]; Kate Clements: [317]. 302 Vgl. Judith Heß: Experteninterview FLM [215], S. 148; Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Sektionstext »Outbreak 1914: Wales Goes to War«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 303 Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext »Ready for war?«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015); Dies. (Hgg.): Bereichstext »Be prepared«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 304 Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext »Outbreak«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 305 Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext »Human resources«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 306 Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext »Answering the call«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 307 Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext »Your country needs you!«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015).
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
Battalions«308 gegründet, in denen die jungen Männer, die beispielsweise aus derselben Ortschaft kamen, gemeinsam ihren Dienst versahen. Nachdem die anfängliche Kriegsbegeisterung jedoch immer mehr nachließ, wurde 1916 die Wehrpflicht für alle Männer zwischen 18 und 41 Jahren eingeführt, die eine ausreichende Fitness vorwiesen.309 Die Rekrutierten wurden in speziellen Trainingslagern im Umgang mit Gewehren, der Verbesserung der körperlichen Fitness, aber auch im Pflegen der eigenen Ausrüstung und Kochen ausgebildet, bevor sie nach einem Jahr an die Front geschickt wurden.310 Zuhause mussten sich die Briten erstmals vor Luftangriffen der deutschen Zeppeline und Kanonen fürchten. Frauen nahmen die Rolle der abwesenden Männer ein und arbeiteten in der Kriegswirtschaft. Zu der Arbeit sahen sich die Frauen zum Teil auch gezwungen nicht zuletzt durch Rekrutierungsplakate, mit denen moralischer Druck ausgeübt wurde.311 Die Einschiffung der ersten walisischen Truppenteile, deren Einsatz in Belgien und das Thema Krankenpflege wurden in der dritten Sektion Into Action behandelt. Bereits am 11. August und 13. August 1914 wurden die Royal Welsh Fusiliers, die South Wales Borderers und das Welsh Regiment in Frankreich eingeschifft, um sich an der belgischen Grenze mit den französischen und belgischen Truppen zu vereinen. Die BEF umfasste zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 80.000 Soldaten und stand einer deutschen Armee mit über einer Million Soldaten gegenüber.312 Die Kämpfe bei Mons und an der Marne, als der Vorstoß der deutschen Truppen endete und der Stellungskrieg in den Schützengräben begann, gingen bis zum 16. September 1914.313 Die vierte und ausführlichste Sektion Digging in erzählte über das Leben an der Front, im Schützengraben und in der Etappe, welche Bedeutung der Feldpost zukam, aber auch mit welcher Ausrüstung die ersten tausend Freiwilligen in den Kampf ziehen mussten. Für die walisische Erinnerung an den Ersten Weltkrieg spielten die Erfahrungen des sogenannten »Christmas truce«, dem Waffenstillstand während der ersten Kriegsweihnacht 1914, eine bedeutende Rolle. Am 24. Dezember 1914 beschlossen deutsche und britische Truppenteile in Teilstücken an der Westfront einen spontanen inoffiziellen Waffenstillstand über die Weihnachtsfeiertage. In diesen war auch das 2nd
308 Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext [38]. 309 Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext [38]. 310 Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext »Stepping into place«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 311 Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Exponattext »Women Say Go«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015); Dies. (Hgg.): Exponattext »Order Overturned«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015); Dies. (Hgg.): Bereichstext »World wide war«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 312 Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext »To France«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 313 Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext »First contact«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015).
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Battalion der Royal Welsh Fusiliers verwickelt. Die britischen Soldaten hatten nicht erwartet an Weihnachten noch an der Front und im Krieg zu sein. Deshalb erhielten sie zur Versorgung und zur Aufrechterhaltung der Motivation mit der Feldpost wärmende Kleidung und Weihnachtsgeschenke aus der Heimat zugeschickt.314 Die Versuche die deutschen Schützengräben zu umgehen, endeten in einem Wettlauf, der die Frontlinie von der belgischen See bis an die Alpen ausweitete. Es war für die Alliierten insbesondere von Bedeutung die belgischen Häfen vor den Deutschen und damit die Versorgung des britischen Heeres zu sichern, so dass es auf dem Weg dahin, im Oktober und November 1914, zu den langen und schweren Schlachten bei Ypern kam. In diesen Schlachten waren auf beiden Seiten hohe Verluste zu beklagen und Ypern wurde zerstört.315 Die enormen Verluste innerhalb der ersten Kriegsmonate hatten zur Folge, dass der Bedarf der BEF mit den Truppen des Empires gedeckt werden musste. So erreichten indische Truppen bereits im September 1914 die französische Front.316 Das Leben in den Schützengräben, in der nassen und schlammigen Erde, brachte große Entbehrungen für die Soldaten mit sich, die den Krieg an der Westfront bis zu seinem Ende charakterisierten.317 Um unter solchen Umständen die Moral der Truppe aufrechtzuerhalten, waren die Soldaten nicht dauerhaft im Fronteinsatz. Neben dem Training, dem Säubern und Pflegen der Uniformen und der Ausrüstung, war es den Soldaten auch möglich in Quartieren auszuruhen, in den Reservelinien auszuhelfen oder sie hatten Fronturlaub.318 Unabhängig ob an der Frontlinie, in der Etappe oder im Trainingscamp waren Briefe und Postkarten die einzige Möglichkeit der Soldaten mit ihren Familien in Kontakt zu bleiben und von ihren Erlebnissen zu berichten. Jedoch unterlag die britische Feldpost der Zensur, um feindlicher Spionage vorzubeugen.319 Neben den Ereignissen der ersten Kriegsweihnacht, dem Kriegsverlauf und den Auswirkungen des Krieges auf die britische Heimatfront wurden in der Sektion Digging in der Seekrieg und der Einsatz der Streitkräfte aus den britischen Kolonien behandelt sowie die weltweite Dimension des Krieges aufgezeigt, denn die South Wales
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Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext [37]; Dies. (Hgg.): Bereichstext »Christmas on the Western Front«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015); Dies. (Hgg.): Bereichstext [52]. Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext »Race to the sea«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext »The Empire responds«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext »Entrenched«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext »Daily grind«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext »Staying in touch«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015).
2. Der Erste Weltkrieg im Museum
Borderers waren von Beginn des Krieges an bis November 1914 in die Kämpfe um die deutsche Kolonie Tsingtau involviert.320
320 Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext [53].
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Der Erste Weltkrieg in Ausstellungen und Gedenkveranstaltungen
Die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg der an der Westfront kämpfenden Kriegsteilnehmer war eine andere wie die Erinnerung der an der Ostfront kämpfenden Soldaten. Herfried Münkler sieht den Grund dafür im Stellungskrieg. Der Krieg an der Ostfront war in Bewegung und spielte sich nicht an festen Orten ab, wie das an der Westfront der Fall war.1 Erinnerungstopoi wie Heldenmut und Tapferkeit, aber auch Loyalität oder Gehorsam der eroberten Bevölkerungsgruppen waren für die Ostfront typisch. An der Westfront gab es im Vergleich dagegen viele Orte der Erinnerung, wie beispielsweise Verdun, Ypern und Passchendaele für die Flandernschlachten. Im Westen hatte zudem die Frage nach der materiellen Überlegenheit über den Gegner die Erinnerungskultur geprägt, wobei insbesondere die »Materialschlachten zum Symbol des industrialisierten Kampfes«2 wurden. In den folgenden Kapiteln werden exemplarisch die Geschichtsbilder, die 2014 sowohl auf deutscher als auch britischer Seite transportiert wurden, herausgearbeitet. Für die Ausführungen zur Einordnung der Ausstellungsthemen in die Forschung wird hinsichtlich der aufgeführten Forschungsliteratur in erster Linie auf die von den Ausstellungsmachern genannten Werke zurückgegriffen, die für die Konzeption und Umsetzung gelesen und rezipiert wurden. Im Übrigen ist für die Einordnung darauf zu achten gewesen, dass Forschungen, die zeitlich nach den Ausstellungseröffnungen erschienen, nicht einbezogen werden, da sie keinen Eingang in die Ausstellungsnarrative mehr finden konnten. Sofern in den folgenden Kapiteln ältere Forschungen angeführt werden, liegt dies daran, dass auch den Ausstellungsmachern diese Literatur zur Verfügung stand und es sich teilweise auch um Standartliteratur handelt. Um in der vorliegenden Arbeit auch Gegenpositionen darzustellen, sind die folgenden Ausführungen zu den Forschungsdebatten um exemplarisch ausgesuchte Autoren und Wissenschaftler ergänzt. Auch dafür wurde sich darum bemüht, dass es sich bei den Werken um neuere und neueste Forschungen handelt, auf die die Ausstellungsmacher durchaus rechtzeitig Zugriff gehabt hätten. Denn sie alle betonten ausdrücklich, aktuelle Werke, sofern rechtzeitig vor Ausstellungseröffnung publiziert, für die inhaltliche Konzeption der Ausstellungen gelesen und verwendet zu haben.3 Der Erste Weltkrieg bietet eine große Vielfalt an Themen, die in den Ausstellungen in größtmöglichem Umfang aufgegriffen und dargestellt wurden, um den Besuchern ein möglichst breites Bild zu präsentieren. Selbst wenn die Ausstellungen den Ersten Weltkrieg anhand einer spezifischen Fragestellung beleuchteten, wie etwa in der Stuttgarter oder der Speyerer Ausstellung beziehungsweise in Manchester und Cardiff, orientierte sich die Auswahl der exemplarisch ausgesuchten Ausstellungsthemen daran, was im Hinblick auf das Erkenntnisinteresse der Arbeit geschichtspolitische Relevanz hatte.
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Vgl. Herfried Münkler: [482], S. 754f. Ebd., S. 756. Die Verfasser der Standardwerke zum Ersten Weltkrieg saßen mitunter in den Fach- beziehungsweise wissenschaftlichen Beiräten der Museen, folglich ist es naheliegend, dass deren Forschungsmeinung in die Ausstellungen Eingang fanden. In den Beiräten weniger vertreten, waren stattdessen Spezialwissenschaftler, die sich beispielsweise auf die Medizingeschichte des Ersten Weltkrieges fokussieren.
In der vorliegenden Untersuchung der Ausstellungsthemen werden die Ausstellungstexte in Form einzelner Exponatbeschriftungen, Gruppen- oder Sektionstexte, aber auch anhand von Auszügen aus einer Objektdatenbank beleuchtet. Zudem kommen die Ausstellungskuratoren im Rahmen der geführten Experteninterviews zu Wort. Ergänzend werden die Beiträge aus den Ausstellungskatalogen und Begleitpublikationen herangezogen. Denn auch sie tragen zu den Geschichtsbildern des Ersten Weltkrieges bei, die in den Ausstellungen konstruiert wurden. Zudem überdauern sie die Sonderschauen, so dass die Geschichtsbilder nachwirken können.
3. Deutschland und die Kriegsschuldfrage
Die Frage nach der Schuld oder der Verantwortung am Ersten Weltkrieg beschäftigt seit 100 Jahren die Historiker und sie ist, zumindest in der deutschen Forschungslandschaft, nicht abschließend geklärt.1 In Deutschland lag bereits in den Zwischenkriegsjahren der Fokus der Forschungsdebatte auf der Frage nach der Kriegsschuld. Dabei war es in erster Linie die amtliche Militärgeschichtsschreibung, die versuchte die Verantwortung der Deutschen am Kriegsausbruch von sich zu weisen.2 Ab 1945 wurde nach Zusammenhängen zwischen den zwei Weltkriegen geforscht, um die Frage nach der Kriegsschuld zu vermeiden.3 Dennoch beschäftigte die Kriegsschuldfrage die Historiker in Deutschland und führte in den 1960er bis in die 1970er Jahre zur sogenannten Fischer-Kontroverse.4 Fritz Fischer kurbelte die Debatte um die Frage nach der Kriegsschuld in seinem Werk Griff nach der Weltmacht neu an, indem er der wilhelminischen Politik Kriegstreiberei nachwies. In den 1970er Jahren spielte die Kriegsschuldfrage und die Politikgeschichte im Allgemeinen dann keine große Rolle mehr. Die These Fischers 1 2
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Vgl. Gerd Krumeich: Juli 1914: Eine Bilanz. Mit einem Anhang: 50 Schlüsseldokumente zum Kriegsausbruch, Paderborn u.a. 2014, S. 8. Zur Amtlichen Militärgeschichtsschreibung vgl. die dazu erschiene Dissertation von Markus Pöhlmann: Kriegsgeschichte und Geschichtspolitik: Der Erste Weltkrieg. Die amtliche deutsche Militärgeschichtsschreibung 1914-1956 (= Krieg in der Geschichte 12), Paderborn u.a. 2002; Christoph Cornelißen: Die Frontgeneration deutscher Historiker und der Erste Weltkrieg, in: Jost Dülffer/Gerd Krumeich (Hgg.): Der verlorene Frieden. Politik und Kriegskultur nach 1918 (= Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte, Neue Folge 15), Essen 2002, S. 311-337; Wolfgang Jäger: Historische Forschung politische Kultur in Deutschland: Die Debatte 1914-1980 über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 61), Göttingen 1984. Vgl. hierzu Wolfgang Jäger: [436], S. 107. Vgl. hierzu u.a. Thomas Thiemeyer: [518], S. 78; Wolfgang Kruse: Ursachen und Auslösung des Krieges, in: Ders. (Hg.): Eine Welt von Feinden. Der Große Krieg 1914-1918, Frankfurt a.M. 1997, S. 11f; Fritz Fischer (Hg.): Weltmacht oder Niedergang. Deutschland im Ersten Weltkrieg (= Hamburger Studien zur neueren Geschichte 1), Frankfurt a.M. 1965; Ders.: Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18, Nachdruck der Sonderausgabe 1967, Erstveröffentlichung 1961, Düsseldorf 1984; Imanuel Geiss: Julikrise und Kriegsausbruch 1914. Eine Dokumentensammlung, 2 Bde., Hannover 1963/1964; Gerhard Ritter: Staatskunst und Kriegshandwerk: Das Problem des »Militarismus« in Deutschland, 4 Bde., Oldenburg 1954/1960/1964/1965/1968.
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Europäisierung des Gedenkens?
von der bewussten Inkaufnahme eines Krieges seitens der Deutschen wurde zu diesem Zeitpunkt allgemein anerkannt. Sozialgeschichtliche und soziologische Fragestellungen nach den »sozialen und ökonomischen Verwerfungen des Kriegs, die Geschichte der industriellen Entwicklung, […] traten in den Vordergrund des Interesses.«5 So blieb es auf diesem Forschungsgebiet lange recht still, bis im Vorfeld des hundertsten Jahrestages die Arbeit von Christopher Clark und seiner Sicht einer geteilten Verantwortung am Ausbruch des Ersten Weltkrieges die Debatte auch in der breiten deutschen Öffentlichkeit wieder anfachte.6 So war es für die vorliegende Arbeit unumgänglich, das Thema aufzunehmen und zu fragen, wie die Schuldfrage in den Ausstellungen thematisiert wurde und welche Forschungsansätze Eingang in das Ausstellungsnarrativ fanden. Waren zu Beginn noch Verteidigung, Anfechtung oder Ablehnung die prägenden Komponenten der Forschungsdebatten, so legte sich 100 Jahre nach dem Krieg der Fokus darauf, Deutschland vor dem Vorwurf der »Aggression«7 in Schutz zu nehmen, so Gerd Krumeich zur Forschungslage.8 Der neuere und neueste Stand der Forschung hat sich von den Thesen Fritz Fischers entfernt. Die Tendenz, von einer geteilten Verantwortung am Ausbruch des Krieges zu sprechen, hat sich weitestgehend durchgesetzt. Aber auch bei der Frage nach geteilten Verantwortlichkeiten führten verschiedene Ansätze zu breiten Diskussionen in der Forschung. Die Rollen Österreich-Ungarns, Russlands und Frankreichs, und die Frage, inwieweit sie als aktive Akteure während der Julikrise einzuordnen sind, wurden in ein neues Licht gerückt, was auch zu einer Neubewertung der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg hinsichtlich der Schuldfrage führte, so Krumeich.9
3.1
Ausstellungen zur Kriegsschuldfrage
Das HdG umging in Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne die Frage nach der Verantwortlichkeit am Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Durch das Ausstellungsnarrativ – die Erfahrung des Krieges mit den Sinnen – gelang es den Ausstellungsmachern, die gerade in der deutschen Forschungsgeschichte ausgiebig diskutierte Thematik auszulassen.10
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Gerd Krumeich: Kriegsgeschichte im Wandel, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (Hgg.): Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch. Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs (= Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte, Neue Folge 1), Essen 1993, S. 12. Vgl. zur Sicht von Krumeich auch Christoph Nübel: [484]; Wolfgang Kruse: Der Erste Weltkrieg, Darmstadt 2009, S. 2f. Zur historischen Sozialwissenschaft und deren Forschungsfelder vgl. auch Wolfgang Jäger: [486], S. 158 und S. 169; wichtige Werke aus sozialhistorischer Sicht: Jürgen Kocka: Klassengesellschaft im Krieg. Deutsche Sozialgeschichte 1914-1918, Göttingen 1973; Arthur Marwick: The Deluge. British Society and the First World War, Harmondsworth 2 1967. Vgl. Christopher Clark: [373], S. 560-562. Gerd Krumeich: [462], S. 10. Vgl. ebd. Vgl. Gerd Krumeich: [462], S. 10. Vgl. Judith Heß: Experteninterview HdG [216], S. 87f.
3. Deutschland und die Kriegsschuldfrage
Dennoch bezog das HdG im Rahmen der Begleitpublikation Position in der Debatte. Das Ausstellungsnarrativ stellte die Kriegserfahrungen einzelner Menschen in den Fokus, wodurch umso deutlicher hervortrat, dass die lange Friedenszeit seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges im größten Teil von Europa umso positiver zu bewerten sei, so Thomas Schnabel.11 Als Erkenntnis des Ersten Weltkrieges zog Schnabel den Schluss, dass Krieg »als die absolute ultima ratio«12 betrachtet werden müsse, da Kriege nicht kalkulierbare Automatismen in Gang setzen, die in den seltensten Fällen zu den gewünschten Ergebnissen führen.13 »Auch dies ist eine wesentliche Erkenntnis des Ersten Weltkriegs, den niemand bewusst vom Zaun brechen, aber eben auch niemand verhindern wollte.«14 Das HMP griff in seiner Ausstellung 1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg wiederum auf, dass die deutsche Bevölkerung keine pazifistische Gesellschaft gewesen ist. Der zeitliche Einstieg in die Ausstellung bildete das Jahr 1900. Es wurde aufgezeigt, dass Militarismus damals zur deutschen Kultur dazugehörte und die »Überbetonung des Militärischen in allen Bereichen der Gesellschaft […] ein Grund für den unterentwickelten Willen zum Frieden vor dem Kriegsausbruch 1914«15 war. So wurde auch angesprochen, dass es zu jener Zeit bereits einen zweijährigen Pflichtwehrdienst für Männer gab.16 Sinnbildlich für den Militarismus zeigte das HMP sogenannte Reservistenkrüge, die bunt bebildert glorifizierende Szenen und Motive aus dem Soldatenleben oder einer Schlacht zeigten.17 Trotz der kritischen Worte zu Beginn der Ausstellung finden die kriegsauslösenden Ereignisse lediglich im Begriff der Kettenreaktion auf die Kriegserklärung ÖsterreichUngarns an Serbien nach dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger Erwähnung.18 Die Kettenreaktion riss nach und nach viele Nationen auf der ganzen Welt in den »ersten globalen Krieg hinein«19 . Den Speyerer Ausstellungsmachern war wichtig zu erwähnen, dass jüngste Forschungen den Ausbruch des Ersten Weltkrieges als gemeinsame Verantwortung der damaligen Kriegsgegner aufzeigen und im Hinblick auf den Zweiten Weltkrieg von einer Zeit eines zweiten Dreißigjährigen Krieges gesprochen werden kann.20 Mit einer Schilderung der politischen und gesellschaftlichen Lage im Deutschen Reich nach 1890 stieg das DHM in seine Ausstellung 1914-1918. Der Erste Weltkrieg ein. Das 11
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Vgl. Thomas Schnabel: Vorwort, in: Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne. Katalog zur Ausstellung »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne« vom 4. April 2014 bis 1. März 2015, Ulm 2014, S. 5. Ebd. Vgl. ebd. Ebd. Historisches Museum der Pfalz (Hg.): Sektionstext »Vor dem großen Krieg«, aus: Ausstellung »19141918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg« (25. November 2014). Vgl. ebd. Vgl. Historisches Museum der Pfalz (Hg.): Exponatgruppentext »Reservistenkrüge«, aus: Ausstellung »1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg« (25. November 2014). Vgl. ebd. Ebd. Vgl. Historisches Museum der Pfalz (Hg.): Sektionstext »Erinnerungskultur in europäischer Perspektive«, aus: Ausstellung »1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg« (25. November 2014).
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Europäisierung des Gedenkens?
Deutsche Reich wurde als ein dominanter preußischer Obrigkeitsstaat, indem vor allem Adlige die wichtigsten Machtpositionen bekleideten, vorgestellt. Geprägt wurde die Lage von den Weltmachtbestrebungen des deutschen Kaisers durch den Erwerb von Kolonien. Wirtschaftliche, politische und militärische Konkurrenzbestrebungen mit den anderen europäischen Großmächten führten zu diplomatischen Krisen und zur massiven Aufrüstung der Staaten. In diesem Gefüge glaubten viele militärische und politische Entscheidungsträger daran, dass ein Krieg unausweichlich war und kurz bevorstand.21 Der Einstieg, den das DHM mit dem Ortskonzept wählte, ermöglichte keine ausführliche Darstellung der Ereignisse in Berlin, Wien, St. Peterburg, Paris oder London, die Ende Juli zu den Kriegserklärungen führten. Die Berliner Ausstellung begann an der Marne und in Brüssel und thematisierte lediglich den Schlieffen-Plan aus dem Jahr 1905. Dieser wurde als ausschlaggebend für die Entscheidung des deutschen Führungsstabs angeführt, mit einem Truppenvorstoß am 4. August 1914 zunächst über Belgien in Nordfrankreich einzudringen, um so dem befürchteten Zweifrontenkrieg gegen Russland und Frankreich zu entgehen.22 Da das DHM mit 1914-1918. Der Erste Weltkrieg eine Überblicksausstellung über die Ereignisse des Ersten Weltkrieges konzipierte, blieb für die Frage nach der Kriegsschuld oder der Verantwortlichkeit am Ausbruch des Krieges und die Dimension, die er annahm, im wörtlichen Sinne nur wenig Raum. Das lag auch daran, dass sich die Thematik mit Exponaten nur leidlich attraktiv ausstellen lasse, so die Kuratoren, da auf sogenannte Flachware wie handschriftliche Notizen, Briefe oder Telegramme hätte zurückgegriffen werden müssen.23 Auch wenn die Ausstellung die Kriegsursachen nicht näher beleuchtete, fand sich in der Begleitpublikation zu 1914-1918. Der Erste Weltkrieg Raum für Erläuterungen, welche der europäischen Großmächte durch ihre Entscheidungen zum Ausbruch des Krieges beitrugen. Die deutsche Weltpolitik von Kaiser Wilhelm II. führte ab den 1890er Jahren zu einem massiven Aufrüstungswettlauf der Flotten insbesondere zwischen Deutschland und Großbritannien, das sich durch die deutsche Kriegsmarine an seinen Küsten bedroht sah. Gleichzeitig wollte Deutschland mit der Aufrüstung der eigenen Marine Großbritannien in kolonialen Angelegenheiten zu Zugeständnissen bewegen. Die deutsche Taktik führte jedoch lediglich dazu, dass Großbritannien mit Frankreich und Russland näher zusammenrückte.24 In den Jahren 1912 und 1913 war es bereits zu Spannungen und Kriegshandlungen auf dem Balkan gekommen. Für Österreich-Ungarn war dies von großer Bedeutung, da die kaiserlich und königliche (k.u.k.) Monarchie die serbischen Separationsbestrebungen, selbst auf Kosten eines Krieges mit Russland, das sich als Schutzmacht Serbiens verstand, eindämmen wollte. Das Attentat auf den österreichischen Thronfolger und 21 22 23 24
Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext »Die moderne Welt von gestern«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext [30]; Dies. (Hg.): Sektionstext [23]. Vgl. für den Abschnitt Judith Heß: Experteninterview DHM [214], S. 14. Vgl. Gerd Krumeich: Der Erste Weltkrieg, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 12.
3. Deutschland und die Kriegsschuldfrage
seine Frau kam Österreich-Ungarn daher zupass, Serbien in seine Schranken zu weisen.25 Dieser Ansicht folgte auch Kaiser Wilhelm II. umgehend und infolgedessen führte eine »diplomatische Kettenreaktion […] Europa binnen eines Monats in den Krieg«26 . Die Deutschen hofften anfänglich noch, dass Russland nicht intervenieren würde, jedoch nahm man einen Krieg mit Russland »lieber jetzt als später«27 in Kauf, da man der Überzeugung war, dass Russland erst 1916 stark genug aufgerüstet gewesen wäre, um im Krieg gegen Deutschland eine Gefahr zu sein. Britische und französische Bemühungen, eine diplomatische Lösung für den schwelenden Konflikt zu finden, lehnte man in Berlin mit der Begründung ab, dass der serbisch-österreichisch-ungarische Konflikt sonst niemanden etwas angehen würde.28 Krumeich vertritt die These, dass gerade die Bemühungen, die Krise unbedingt lokal auf Serbien zu begrenzen, dazu dienten, die russische Kriegsbereitschaft zu testen.29 Er geht davon aus, dass die deutschen Akteure dabei nicht bedachten, dass sie mit den Lokalisierungsbestrebungen Russland erst zu einem Krieg provozieren könnten, den sie selbst für unausweichlich hielten und ihn deshalb lieber früher als später führen wollten. Deutschland könne sich durch diese Bestrebungen eben gerade nicht aus der Verantwortung für die Ursachen, die zum Ersten Weltkrieg führten, stehlen, so Krumeich.30 Österreich-Ungarn drängte zudem ein Exempel an Serbien zu statuieren. Das Ultimatum an Serbien, österreichische Beamte an der Untersuchung des Attentats von Sarajevo zu beteiligen und Akteneinsicht zu gewähren, stellte einen Eingriff in die serbische Souveränität dar.31 Der österreich-ungarische Militärschlag, der trotz der weitestgehenden Annahme des Ultimatums folgte, empörte jedoch Russland dermaßen, dass es am 30. Juli 1914 die Generalmobilmachung ausrief. Dies wiederum veranlasste Deutschland gemäß dem 1905 entwickelten Schlieffen-Plan Russland den Krieg zu erklären, um einem gefürchteten Zweifrontenkrieg gegen einen zu starken russischen Gegner zuvorzukommen.32 »Keine der Großmächte wollte 1914 um jeden Preis den Frieden bewahren, der Krieg galt noch als ›Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln‹ (Carl von Clausewitz).«33 Jedoch ist die »Hauptverantwortung für die Eskalation des Konflikts […] zweifellos [der] Risikopolitik des ›lieber jetzt als später‹ von Kaiser Wilhelm II., seinem Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg und den auf den Krieg drängenden Militärs um Generalstabschef von Moltke«34 anzulasten, folgert Krumeich. Deutschland und Österreich-Ungarn ließen sich auf ein »Vabanquespiel«35 ein und schreckten auch nicht vor einem großen Krieg zurück, um das Mächtegleichgewicht in
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Vgl. ebd., S. 13. Gerd Krumeich: [266], S. 13. Helmuth von Moltke sinngemäß zitiert nach ebd. Vgl. ebd. Vgl. Gerd Krumeich: [462], S. 13. Vgl. ebd. Vgl. Gerd Krumeich: [266], S. 14. Vgl. ebd. Ebd. Gerd Krumeich: [266], S. 14. Gerd Krumeich: [462], S. 183.
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Europa zu ihren Gunsten zu beeinflussen.36 Die deutsche Führung fürchtete sich vor einer Einkreisung zwischen Russland, Frankreich und Großbritannien und litt an einer »ausgeprägte[n] Zukunftsangst«37 . Wenn auch die Ausstellung des DHMs nur wenige Informationen zur Frage nach der Verantwortung am Ausbruch des Ersten Weltkrieges vermittelte, so bezieht Krumeich in der Begleitpublikation eine deutliche Stellung. Damit vertrat das DHM die Position, dass auch die anderen europäischen Großmächte am Kriegsausbruch aktiv mitwirkten.38 »Die nervöse Krisendiplomatie aller Staaten war geprägt vom Willen, die Situation zum eigenen Vorteil zu nutzen, aber auch von Misstrauen und von der Furcht vor einem Prestigeverlust«39 , so Andreas Mix in der Begleitpublikation. Dass aus einem lokalen Ereignis aufgrund von Bündnisverpflichtungen ein europäischer Krieg werden konnte, kalkulierten die Diplomaten und Militärs ein, insbesondere in Deutschland, wo die Militärs großen Einfluss auf die politischen Entscheidungen nahmen.40 Jedoch waren alle beteiligten Nationen davon überzeugt, »das eigene Vaterland verteidigen zu müssen.«41 Die für Deutschland so viel zitierte Kriegsbegeisterung war lediglich bei einer Minderheit vorhanden, dennoch bewirkte Patriotismus, auch unter der organisierten Arbeiterschaft, eine allgemeine Stimmung der Befürwortung. Sogar die SPDFraktion trug mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten dazu bei, den Burgfrieden zu bewahren. Lediglich »eine kleine Minderheit«42 bewahrte sich eine ablehnende Haltung gegenüber dem Krieg.43 Das DHM zeigte die noch am 28. Juni 1914 veröffentliche 2. Extra Ausgabe der Bosnischen Post 44 zu den zwei Attentaten auf die österreichische Delegation um den Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie. Die Situation ausnutzend wollte Österreich-Ungarn Serbien durch die Behauptung, der serbische Geheimdienst hätte die Verschwörer unterstützt, politisch demütigen. Denn Wien war die serbische Machtstellung auf dem Balkan ein Dorn im Auge. Deutschland unterstützte ÖsterreichUngarn ausdrücklich dabei militärisch vorzugehen und verschärfte die Spannungen in Europa, die infolge des Attentats aufgetreten waren.45 Es wurde einkalkuliert, dass sich 36 37 38 39
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Vgl. ebd. Ebd., S. 184. Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext [25]. Andreas Mix: Der zerstörte Frieden. Das Kaiserreich am Vorabend des Ersten Weltkriegs, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 21. Vgl. ebd.; Ders.: »Mobilisierungskundmachung« für die österreichisch-ungarischen Streitkräfte, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 40. Andreas Mix: [277], S. 21. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. Andreas Mix: 2. Extra-Ausgabe der Bosnischen Post vom 28. Juni 1914, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 39. Vgl. ebd., S. 38.
3. Deutschland und die Kriegsschuldfrage
der Konflikt auch über den Balkan hinaus ausweiten konnte. Noch während die Mobilmachungen in den ersten Staaten anliefen, begannen diplomatische Versuche zur Deeskalation, jedoch setzte Deutschland am 31. Juli 1914 mit der Erklärung des drohenden Kriegsgefahrenzustands anlässlich der russischen Mobilmachung das Räderwerk der europäischen Bündnisse in Gang. Auf die Kriegserklärung gegen Russland folgte auf Grundlage des Schlieffen-Plans auch eine an Frankreich.46 Der Überfall auf das neutrale Belgien zog den Kriegseintritt Großbritanniens auf der Seite Frankreichs und Russlands am 4. August 1914 nach sich. Nationalismus und staatliche Propaganda überzeugten die Bevölkerung davon, dass die jeweils feindlichen Staaten den Krieg aufgezwungen hätten. Dies erklärt auch die große Bereitwilligkeit, sich freiwillig zum Kriegsdienst zu melden.47 Dass die deutsche Regierung nicht einheitlich hinter der Politik des Kaisers und der führenden Militärs stand, kontextualisierte der ausgestellte Waffenrock des SPDPolitikers und Mitglieds im Reichstag, Karl Liebknecht.48 Die SPD versuchte noch bis Ende Juli 1914 mittels Antikriegsdemonstrationen die Bedrohung eines anstehenden Krieges abzuwenden. Jedoch sorgte die »aufgeheizt[e] patriotisch[e] Atmosphäre«49 und der durch den Kaiser propagierte Burgfrieden schlussendlich dafür, dass auch die SPD den Kriegsanstrengungen zustimmte, als der Reichstag am 4. August 1914 Kriegskredite bewilligen musste.50 Im Kontext der Julikrise wurde auch das Gemälde einer düster und entschlossen blickenden Germania von Friedrich August von Kaulbach gezeigt. Die Darstellung der Germania sollte verdeutlichten, dass die Reichsregierung der Ansicht war, dass die europäischen Mächte Deutschland einen Krieg aufgezwungen hätten.51 Die Haltung der deutschen Künstler, Intellektuellen, Dichter, Autoren, Philosophen, Ökonomen, Wissenschaftler und Professoren sei geradezu von einem Wetteifern geprägt gewesen, »den Krieg als notwendig und gerecht zu begründen«52 , und dass es galt »die Eigenart der deutschen Kultur, […] gleichermaßen gegen die seelenlose westliche Zivilisation wie gegen die östliche Barbarei zu verteidigen«53 . In 14 – Menschen – Krieg im MHM in Dresden stand die Frage nach der Verantwortung am Ausbruch des Krieges ebenso wenig im Fokus wie in der Berliner Ausstellung. Der einleitende Aufsatz im Ausstellungskatalog stellt klar, dass der Fokus nicht auf der 46 47 48
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Vgl. Andreas Mix: [279], S. 40. Vgl. ebd. Liebknecht sei bekennender Antimilitarist gewesen und hätte die Kriegskredite als einziger abgelehnt, woraufhin er am Jahresende 1914 in ein Armierungsbataillon eingezogen worden sei. Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Exponattext »Waffenrock für den Armierungssoldaten Karl Liebknecht«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. Andreas Mix: Waffenrock des Armierungssoldaten Karl Liebknecht, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 44. Vgl. Andreas Mix: [280], S. 44. Vgl. ebd.; Ders.: Friedrich August von Kaulbach: Germania, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 48. Andreas Mix: [278], S. 48. Ebd.
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bloßen Nacherzählung der politischen und militärischen Geschichte gelegen habe, sondern auch darauf, »wie der Krieg […] zur Menschheitskatastrophe«54 und dadurch zur Lebenskatastrophe von Millionen Menschen wurde.55 Eine Arbeit wie Die Schlafwandler von Christopher Clark hätte zwar in der Gesellschaft und den Medien eine breite Diskussion entfacht, da sie »das Deutsche Reich von seiner 1919 in Versailles auferlegten Kriegsschuld freizusprechen und diese zu Lasten Serbiens und Russlands umzuverteilen schien«56 , sie sei jedoch nicht für die Umsetzung der Ausstellungsidee maßgeblich gewesen, »den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen«57 und das »Erleben der Beteiligten – der Mütter, der Väter, der Kinder«58 zum Thema zu machen, so die Ausstellungsmacher hinsichtlich der Umsetzung der Frage nach der Kriegsschuld in der Ausstellung 14 – Menschen – Krieg. Trotzdem klammerten auch die Dresdner Ausstellungsmacher die Ereignisse, die zur Julikrise und zum Kriegsausbruch führten, nicht ganz aus. Die Ausstellungssektion Krise und Kriegstaumel fassten sie kurz: Das Attentat von Sarajevo am 28. Juni 1914, das den Lauf der Ereignisse in Gang brachte, findet Erwähnung.59 In Österreich-Ungarn und Deutschland reagierten die Menschen empört mit antiserbischen Kundgebungen.60 Der Glaube an nationale Vorrechte war weit verbreitet, so Gerhard Bauer, und auch Krieg galt lediglich als legitimes und ehrenhaftes Mittel, die eigenen Interessen und politischen sowie wirtschaftlichen Ziele durchzusetzen.61 Jedoch ahnten die Menschen zu diesem Zeitpunkt nicht, dass nur wenige Wochen später ein Weltkrieg aus dem Attentat erwachsen würde.62 Erst als Ende Juli 1914 aus der Kriegsgefahr der Kriegszustand wurde, hätte, wenn auch öffentlich Gegenteiliges bekundet wurde, im Privaten »die Furcht vor der ungewissen Zukunft«63 überwogen. Die Darstellung der außenpolitischen Ambitionen von Kaiser Wilhelm II., das »Deutsche Reich auf Augenhöhe mit dem Britischen Empire«64 zu bringen, und seine Begeisterung für das Militär, spiegelten die Stimmung im Vorkriegsdeutschland wider.65
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Gerhard Bauer: [229], S. 9. Vgl. für den Abschnitt ebd. Ebd., S. 8. Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 31. Gerhard Bauer: [229], S. 10. Vgl. Gerhard Bauer: Bereichstext »Krise und Kriegstaumel«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 58. Vgl. ebd. Vgl. Gerhard Bauer: Bereichstext »Monarchische Pracht und bewaffnete Macht«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 29. Vgl. Gerhard Bauer: Bereichstext [226], S. 58. Ebd. Gerhard Bauer: Exponattext »Skizze der ›H.M.S. Devastation‹«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 31. Gezeigt wurde hierzu eine Bleistiftzeichnung von Kaiser Wilhelm II. aus dem Museum Huis Doorn, Niederlande, die er 1884 selbst anfertigte. Vgl. ebd.
3. Deutschland und die Kriegsschuldfrage
Österreich-Ungarn litt zur gleichen Zeit vor allem unter der Problematik, dass zum einen Reformen im Staatswesen, der Verwaltung und des Militärs aufgrund der konservativen Haltung Kaiser Franz Josephs I. nicht vorankamen. Zum anderen war die Frage ungelöst, wie der Vielvölkerstaat der Forderung, die Identitäten der zahlreichen Volksgruppen »gegenüber den deutschen und ungarischen ›Leitkulturen‹«66 zu würdigen, nachkommen sollte.67 Sowohl die Generalstäbe der k.u.k. Monarchie als auch die des deutschen Reichs hatten Pläne für den kriegerischen Ernstfall gegen Russland, Kriegsfall »R«, und für den Balkan, Kriegsfall »B«, vorbereitet. Das MHM zeigte neben der Schrift für den Kriegsfall »R« auch eine Abschrift der Denkschrift Alfred Graf von Schlieffens, die den Titel Krieg gegen Frankreich trägt, und die Grundlage der deutschen Kriegsführung bildete – den sogenannten Schlieffen-Plan.68 Der Neffe Schlieffens, Generalstabschef Helmuth von Moltke der Jüngere, trat während der Julikrise für die Demonstration von Stärke ein, obwohl er die Bedrohung durch einen möglichen Zweifrontenkrieg kannte, und versprach Österreich-Ungarn die »unbedingte Unterstützung«69 .70 Gerhard Groß präzisiert, dass der Plan Schlieffens vorsah, einen Zweifrontenkrieg dadurch zu vermeiden, dass stattdessen zwei nacheinander geführte Einfrontenkriege – beide mit einer schnellen Entscheidungsschlacht – geschlagen werden müssten.71 Jedoch sah Moltke sich anders als Schlieffen nicht nur Frankreich und Russland gegenüber, sondern musste auch noch den Kriegseintritt Großbritanniens fürchten. Zudem war er von einigen Prämissen Schlieffens nicht überzeugt, weshalb er den ursprünglichen Plan modifizierte und die deutschen Truppen folglich eher mit einem »Moltkeplan«72 in den Krieg zogen.73
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Gerhard Bauer: Exponattext »Franz Joseph I. (1830-1916), Kaiser von Österreich und König von Ungarn«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 35. Illustriert wurde diese Information durch eine Druckgrafik aus dem Weißenburger Bilderbogen (MHM), um 1914, die Kaiser Franz Joseph I. zeigte. Vgl. ebd. Vgl. Magnus Pahl: Exponattext »K.u.k. Landesschützenregiment Innichen Nr. III. Res. Nr. 408 Mob. Kriegsfall ›R‹ 83!«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 37; Konstantin Kleinichen: Exponatgruppentext »Abschrift der Denkschrift Alfred Graf von Schlieffens (1833-1913) von 1905/06, sog. ›Schlieffenplan‹«, »Generalfeldmarschall Alfred Graf von Schlieffen (1833-1913)«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 37f. Gerhard Bauer: Exponattext »Generalstabschef Helmuth von Moltke der Jüngere (1848-1916)«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 38. Das zugehörige Exponat, ein Kunstdruck nach Karl Bauer (MHM), aus der Mappe »Führer und Helden«, Berlin 1914, zeigt den Generalstabschef. Vgl. ebd. Vgl. Gerhard Groß: Der Schlieffenplan oder das Damoklesschwert des Zweifrontenkriegs, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Essayband zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 24f. Ebd., S. 31. Vgl. ebd., S. 29-31.
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Selbst der deutsche Kanzler, Theobald von Bethmann Hollweg, der als besonnen und vorsichtig galt, trug zur Verschärfung der Julikrise maßgeblich bei, indem auch er Österreich-Ungarn die Bündnistreue zusicherte, so Bauer.74 Seine Bemühungen während des Krieges zwischen den feindlichen Mächten zu vermitteln, verliefen »trotz aufrichtigen Engagements«75 erfolglos.76 Die unbedingte Bündnistreue zu erklären, so Gerhard Bauer, fiel Kaiser Wilhelm II. am 5./6. Juli 1914, kurz nach dem Attentat, wohl nicht schwer, da der Kaiser scheinbar einen solchen Fall lange für unwahrscheinlich hielt.77 Erst die Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien am 28. Juli 1914 löste die Kettenreaktion aus, die letztlich zur Mobilmachung Russlands am 30. Juli 1914 und der Deutschlands am 1. August 1914 führte.78 Das Manifest Kaiser Franz Josephs I., An meine Völker!79 , das in der Ausstellung ebenfalls gezeigt wurde, erläuterte die Mobilmachung der k.u.k. Truppen in elf Sprachen. Serbien reagierte auf das österreich-ungarische Ultimatum vom 23. Juli 1914, indem es fast alle aufgeführten Forderungen akzeptierte. Trotzdem mobilisierte ÖsterreichUngarn seine Truppen gegen Serbien und erklärte umgehend den Krieg.80 Die Handlungen und Entscheidungen der deutschen Führung während der Julikrise könnten nicht mit Schlafwandelei erklärt werden, so Olaf Jessen, denn insbesondere Moltke war sich bereits 1905 darüber im Klaren, welche Ausmaße ein Krieg annehmen, und dass er verheerende Folgenden für ganz Europa haben würde.81 Insbesondere beleuchtete das MHM auch die politische Lage in Serbien vor Ausbruch des Krieges im Rahmen des Essaybands. Darin wird versucht aufzuzeigen, dass es Österreich-Ungarn darum ging, »Rechenschaft von Serbien zu fordern und
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Vgl. Gerhard Bauer: Exponattext »Theobald von Bethmann Hollweg (1856-1921), Kanzler des Deutschen Reiches«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 38. Ebd., S. 39. Eine Druckgrafik (MHM) nach J. Kraut, 1909, zeigt Theobald von Bethmann Hollweg. Vgl. ebd. Hierzu wurde die Titelseite der Hildesheimer Zeitung und Anzeiger vom 2. August 1914 (MHM) gezeigt, der mit der Titelschlagzeile »Mobilmachung!« aufwartete. Vgl. Gerhard Bauer: Exponattext »›Mobilmachung!‹«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 60. Vgl. ebd. Manifest Kaiser Franz Josephs I. (1830-1916) zur österreichischen Kriegserklärung an Serbien, Österreich-Ungarn, MHM, 28. Juli 1914. Vgl. Gerhard Bauer: Exponattext »›An meine Völker!‹«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 60. Vgl. ebd.; Ders.: [237], S. 60. Moltke habe die Politik des Säbelrasselns gefordert, obwohl er um die Folgen und die geringen Siegesaussichten eines Krieges wusste, so Olaf Jessen. Geringes Selbstwertgefühl, starre Feindbilder, Rassismus und Endzeitängste hätten Moltke bewegt, ebenso wie die Erwartung, dass ein Krieg unvermeidlich wäre. Vgl. zur Einschätzung Moltkes bei Olaf Jessen: Schlafwandler? Helmuth von Moltke in der Julikrise, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Essayband zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 322.
3. Deutschland und die Kriegsschuldfrage
an die Gewalt der Waffen zu appellieren«82 , und dass Serbien bis Kriegsende »noch viele schmerzliche Herausforderungen«83 zu bewältigen hatte, die der serbische Historiker und Diplomat Dušan Bataković, als einen »lange[n] Weg vom Martyrium Ende 1915/Anfang 1916 bis zum Sieg und zur Wiederauferstehung im Herbst 1918«84 bezeichnet.
3.2
Forschungen zur Kriegsschuldfrage
In der deutschen Forschung wurden in den vergangenen 100 Jahren viele Thesen aufgestellt, wie es zur Eskalation der Julikrise und zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges kommen konnte. In neueren und neusten Forschungen, die im Vorfeld des Gedenkjahres 2014 diskutiert wurden, wurden ideologische Vorstellungen wie Nationalismus, Imperialismus und der Primat des Militärs über die Politik als Gründe benannt. Aus militärischen Überlegungen betrachtet, führten Ängste vor Einkreisung sowie zeitlich und militärtaktisch eingeschränkte Handlungsspielräume zu einem Präventivkrieg. Provokation und das Austesten von Grenzen, wie weit die hoch aufgerüsteten Nationen im Mobilmachungswettlauf zu gehen bereit wären, spielten neben den Fragen nach einem nicht vorhandenen politischen Willen zur Deeskalation und der Angst vor einem massiven Prestigeverlust ebenfalls eine Rolle in der Debatte. Wieder andere Meinungen tendierten dazu, von einem Hineinschlittern oder Schlafwandeln zu sprechen. Womit den Bündnissystemen der europäischen Großmächte ein entscheidender Anteil am Kriegsausbruch zugesprochen wird. Dass es dabei auch transnationale Forschungsansätze gibt, vermag heute nicht mehr verwundern. Christopher Clark, der zwar kein deutscher Historiker ist, jedoch zur jüngsten Forschungsdebatte in Deutschland maßgeblich beitrug, bezeichnet die Julikrise als einen komplexen, multinationalen Vorgang, der durch innenpolitischen Druck in den einzelnen Nationen entstand und infolgedessen multinationale Prozesse mit wechselseitigen Auswirkungen schließlich zum Ausbruch des Krieges führten.85 Er vertritt die These, dass dieser Vorgang nicht zulasse, einem einzelnen Protagonisten die alleinige Schuld zu geben, wie es im Artikel 231 der Versailler Verträge mit der Alleinschuld Deutschlands festgelegt wurde.86 Die Julikrise entstand »from rapid-fire interactions among heavily armed autonomous power-centres confronting different and swiftly changing threats and operating under conditions of high risk and low trust and transparency«87 . Clark 82
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Manfried Rauchensteiner: »Ich vertraue auf meine Völker«. Österreich-Ungarns Zweifrontenkrieg 1914, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Essayband zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 52. Dušan Bataković: Serbien 1914. Innere Unruhen, Ultimatum und ein erzwungener Krieg, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Essayband zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 62. Ebd. Vgl. Christopher Clark: [373], S. 555-560. Vgl. ebd., S. 555 und S. 560. Ebd., S. 557.
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bestreitet, dass es zwischen den Jahren 1912 bis 1914 in Russland oder in Deutschland eine Balkanpolitik gab. Vielmehr habe es viele verschiedene Initiativen, Szenarien und Standpunkte gegeben, denen es an einem gemeinsamen Ziel gefehlt habe. Da sich auch immer wieder die Machtverhältnisse innerhalb der Regierungen änderten, entstand ein erheblicher innenpolitischer Druck im Hinblick auf die Durch- und Umsetzung der unterschiedlichen Ansätze im Umgang mit dem Balkan. Dieses Narrativ wiederum gründete auf Erfahrungen, Ängsten, Projektionen und Interessen, die als Maximen deklariert wurden. Die Balkankriege 1912/1913 hatten bereits dafür gesorgt, dass die Beziehungen zwischen den Großmächten und den kleineren Staaten eine gefährliche Neukalibrierung erfuhren, die zwar nicht auf einen europäischen Krieg abzielte, aber doch den entsprechenden Rahmen für die Ereignisse im Sommer 1914 lieferte.88 Dennoch könne nicht ein einzelner Staat für den aus der Julikrise entstandenen Krieg verantwortlich oder schuldig gesprochen werden, so Clark, denn einer solchen Anschuldigung liegen in der Regel nicht Fakten, sondern vielmehr »built-in assumptions«89 zugrunde. Diese Vermutungen führten dazu, dass der Fokus sich auf die politische Stimmung und die Entschlüsse einzelner Staaten legen würde, anstatt auf den multilateralen Prozess der wechselseitigen Beziehungen. Zudem muss bedacht werden, dass bei der Frage nach der Schuld das Problem besteht, dass ein Krieg von jemandem gewollt und geplant worden und dann auch ausgelöst sein musste. Aus der Sicht Clarks war dies aber nicht der Fall und demnach der Ausbruch des Ersten Weltkrieges kein Verbrechen, sondern ein Unfall.90 Wenn auch die Kriegslust und imperialistische Paranoia von Österreich-Ungarn und Deutschland dadurch nicht abgewiegelt werden sollten, so sieht Clark in den Deutschen nicht die einzigen Imperialisten. Vielmehr bestand eine politische Kultur, die alle Beteiligten teilten und die »multipolar and genuinely interactive«91 geprägt war. Die ursprünglich vorherrschende Meinung, dass die Akteure selbst nicht vorhersehen hätten können, was sie mit ihren Entscheidungen letztlich auslösen würden, wurde von neueren Forschungen widerlegt. Sowohl in den Militärstäben von Deutschland, Frankreich und Russland, als auch in britischen Regierungskreisen ahnte man bereits vor dem Kriegsausbruch, dass dieser Krieg nicht bis Weihnachten beendet sein würde, sondern jahrelange Zerstörung und Auslöschung mit sich bringen würde. Die Furcht vor einem so zerstörerischen Krieg wurde dennoch von der Hoffnung auf einen kurzen Krieg aufgewogen, der die Risiken eines an Zerstörungswut noch nie dagewesenen Krieges ausgeglichen hätte.92 »In this sense, the protagonists of 1914 were sleepwalkers, watchful but unseeing, haunted by dreams, yet blind to the reality of the horror they were about to bring into the world.«93 88 89 90 91 92 93
Vgl. ebd., S. 558f. Ebd., S. 560. Vgl. ebd., S. 560f. Ebd., S. 561. Vgl. ebd., S. 561f. Ebd., S. 562. Der Historiker Holger Herwig folgert als Gegenposition zu Clark, dass insbesondere auf deutscher Seite nicht von einem Hineinschlittern oder schlafwandlerischem Taumeln in einen Krieg gesprochen werden könne, da Moltke sich bereits im März 1913 gegenüber einem italienischen Militärattaché entsprechend geäußert habe. Der nächste Krieg würde zwischen Frankreich
3. Deutschland und die Kriegsschuldfrage
Gerd Krumeich kommt zusammen mit Jean-Jacques Becker und Gerhard Hirschfeld zu dem Schluss, dass vor allem die geopolitische Lage Deutschlands in der Mitte Europas und die daraus resultierende Angst der deutschen Militärs vor einer Einkreisung die entscheidenden Faktoren für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges waren, und folgen damit auch Münkler und Leonhard.94 Deutschland sah sich isoliert und einem von Großbritannien dominierten feindlichen Bündnissystem gegenüber, so dass führende deutsche Politiker bereits 1906 davon sprachen, dass sich Deutschland »von Feinden umgeben«95 sähe und unter Druck fühlte, der zwangsläufig zu Gegendruck führen würde. Dabei spielten nach Meinung der Historiker die Militärs eine bedeutende Rolle, die die politische Handlungsstrategie während der Julikrise maßgeblich bestimmten. Deutschland trug demnach eine besondere Verantwortung am Kriegsausbruch.96 Zudem sehen sie Deutschland in der Verantwortung, dass sich die Krise auf dem Balkan zwischen Serbien und Österreich-Ungarn zuspitzen konnte.97 Der Versuch, den Krieg auf den Balkan zu lokalisieren, sollte gleichzeitig dazu dienen, die Kriegsbereitschaft Russlands und damit auch die Stabilität der Bündnisse mit Frankreich und Großbritannien zu testen.98 Die deutschen Militärs fürchteten, dass Russland, sobald seine militärische Stärke genug gewachsen war, einen Krieg gegen Deutschland führen könnte. Dem wollte man zuvorkommen, solange die deutschen Chancen auf einen Erfolg noch gut standen, und nahm daher einen Krieg mit dem Zarenreich in Kauf. Sollte Russland Serbien beistehen, so wäre Russland als Aggressor identifiziert. Hierbei übersah der deutsche Führungsstab jedoch, dass diese Taktik Russland womöglich erst recht dazu veranlassen könnte, Serbien beizustehen.99 Zur Klärung der Frage, ob Deutschland die Verantwortung am Ausbruch des Krieges zukommt, müsse der »mentale Kontext«100 , in dem sich die Akteure bewegten, beachtet werden. Krumeich und Becker sind sich einig, dass die Verantwortlichen auf
und Deutschland stattfinden und die Verletzung der belgischen Neutralität sei von Deutschland dafür einkalkuliert, so Moltke. Er stelle sich auf einen brutalen Krieg ein; ein Krieg um die Existenz, bei dem vor nichts Halt gemacht würde, unabhängig davon, welche Mittel dafür eingesetzt werden müssten. In seinem Ruhestand schrieb Moltke im Sommer 1915 in einem persönlichen Brief an Feldmarschall Colmar von Goltz über den zu diesem Zeitpunkt bereits fast ein Jahr andauernden Krieg, dass es sich um eben diesen Krieg handle, den er vorbereitet und initiiert hätte. Vgl. zur Gegenposition von Holger Herwig: Why Did It Happen?, in: Richard Hamilton/Holger Herwig (Hgg.): The Origins of World War I, Cambridge 2003, S. 466. Jörn Leonhard sieht im Handeln Moltkes ebenfalls ein Drängen auf einen baldigen Krieg, den Moltke für unausweichlich hielt, und sieht ihn mitverantwortlich für die Verschärfung der Krise. Vgl. Jörn Leonhard: [469], S. 93. 94 Vgl. Jean-Jacques Becker/Gerd Krumeich: Der Große Krieg: Deutschland und Frankreich 1914-1918, bearb. v. Peter Böttner/Yann Schnee, übers. a.d. Französischen v. Marcel Küsters, Essen 2010, S. 35. 95 Zitiert nach ebd., S. 33. 96 Vgl. ebd., S. 33 und S. 67. 97 Vgl. ebd., S. 67. 98 Vgl. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich: Deutschland im Ersten Weltkrieg, Frankfurt a.M. 2013, S. 37. 99 Vgl. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich: [429], S. 37f; auch bei Gerd Krumeich: [461], S. 27-29; JeanJacques Becker/Gerd Krumeich: [357], S. 68 und S. 74f. 100 Jean-Jacques Becker/Gerd Krumeich: [357], S. 69.
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deutscher Seite zwar eine Vorstellung davon hatten, dass der Krieg katastrophal werden würde und das Ende Europas bevorstehen könnte. Jedoch waren die Vorstellungen eher abstrakter Natur gewesen, da bis zu diesem Zeitpunkt ein Krieg mit über zehn Millionen Toten, an dessen Ende das Ende des Kaiserreichs stehen würde, nicht vollstellbar war.101 Die deutsche Risikopolitik im Hinblick auf das Handeln Russlands war dementsprechend jedoch »weniger eine maßlose Kriegstreiberei als vielmehr ein tiefer Fatalismus«102 , angetrieben von einer großen Angst um die Zukunft. Die Strategie des deutschen Führungsstabs schätzen Krumeich und Becker als »ebenso komplex wie hoch riskant«103 ein. Einen Weltkrieg hätte man in Berlin aber nicht provozieren wollen, vielmehr sei man davon ausgegangen, dass Russland eine »österreichische Strafaktion gegen die serbischen Terroristen aus monarchischer Solidarität dulden«104 müsse, da die serbische Regierung für mitverantwortlich am Attentat gehalten wurde. Es galt zu verhindern, dass Deutschland der Vorwurf der Kriegstreiberei treffen könnte, indem man Österreich-Ungarn riet, zur Machtdemonstration Belgrad als »eine Art Pfand«105 , anstatt Serbien zur Gänze militärisch zu besetzen.106 »Wenn Russland jedoch einen Krieg riskierte und Serbien half, so hätte man den Beweis für die russische Aggressivität erbracht und die Legitimation zu eigenen, kriegerischen Schritten erhalten.«107 Die Bestrebungen, den Konflikt lokal auf den Balkan zu begrenzen und damit den Kriegswillen Russlands zu testen, sei ausschließlich Deutschland zuzuschreiben, wenngleich man in Berlin auch den österreichischen Willen zur Bestrafung Serbiens unterschätzt habe.108 Krumeich und Becker heben hervor, dass Deutschland das Attentat von Sarajevo auch unabhängig von der Bündnistreue zu Österreich-Ungarn als einen Testfall für die russische Kriegsbereitschaft betrachtete.109 Die deutsche Regierung sei mit ihrem Vorgehen letztlich »in die Falle des Bündnisses mit Österreich-Ungarn«110 gegangen. Die Bestrebungen der britischen Regierung, den Konflikt friedlich im Rahmen einer Konferenz unter Einbeziehung auch der Länder beizulegen, die keine un- oder mittelbaren Interessen an der Serbien-Frage hatten, wurde von deutscher Seite mit dem Hinweis, dass die Angelegenheit nur Österreich-Ungarn und Serbien anginge, strikt abgelehnt.111 Man fürchtete, dass aufgrund des Bündnissystems und daraus etwaig resultierenden gegenseitigen Verpflichtungen ein großer Krieg unvermeidlich werden würde.112 So fassen Krumeich und Becker zusammenfassen, dass aber gerade die deutsche Auffassung von der Lokalisierung des Konflikts dazu führte, dass der Krieg letztlich
101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112
Vgl. ebd. Ebd., S. 71. Ebd. Ebd. Ebd., S. 73. Vgl. ebd. Ebd., S. 71. Vgl. ebd., S. 70f und S. 74. Vgl. Jean-Jacques Becker/Gerd Krumeich: [357], S. 70f. Ebd., S. 74. Vgl. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich: [429], S. 40f. Vgl. ebd., S. 39; Jean-Jacques Becker/Gerd Krumeich: [357], S. 67.
3. Deutschland und die Kriegsschuldfrage
nicht nur ausbrach, sondern aufgrund der Bündnisse zu einem großen Krieg zwischen den europäischen Mächten werden konnte.113 Deutschland war bereit, im Falle einer Ausweitung des Konflikts auf dem Balkan auch gegen den serbischen Bündnispartner Russland vorzugehen.114 So hatte die deutsche »Risikopolitik«115 gegenüber Russland zu einer »ambitiösen Droh-, Bluff- und Erpressungspolitik«116 geführt, für die Kaiser Wilhelm II., Reichskanzler Bethmann Hollweg und die führenden Militärs um Generalstabschef Moltke die Hauptverantwortung trugen. Zwar sei die Friedenswahrung auch nicht das oberste Ziel der übrigen europäischen Großmächte gewesen, jedoch habe letztlich die deutsche Politik dazu geführt, dass Russland Serbien gegen den militärischen Vorstoß von Österreich-Ungarn zu Hilfe kommen wollte.117 Gerhard Hirschfeld und Gerd Krumeich konstatieren, dass das Attentat von Sarajevo durch »staatlich motivierten Terrorismus«118 erfolgte, wenngleich es nicht der tatsächliche Auslöser des Ersten Weltkrieges war.119 Auf Seiten Österreich-Ungarns nahm man das Attentat jedenfalls als eine Kriegserklärung auf, die nur mit einem Krieg beantwortet werden konnte.120 Kaiser Wilhelm II. berief am 5. Juli 1914 aufgrund eines Schreibens und eines Memorandums von Kaiser Franz Joseph I. den als »›Kronrat‹ von Potsdam«121 bezeichneten Beraterkreis ein. Krumeich sieht in diesen Beratungen einen Schlüssel für die Klärung der Kriegsschuldfrage.122 Das Ergebnis dieser Beratungen war der sogenannte Blankoscheck an den Verbündeten Österreich-Ungarn. Allerdings wäre sich die deutsche Führung nicht darüber bewusst gewesen, was die Zusage einer bedingungslosen Unterstützung letztlich bedeutete, so Krumeich.123 Vielmehr bekundete man in »relativer Sorglosigkeit«124 die Bereitschaft, die k.u.k. Monarchie bedingungslos gegen Serbien zu unterstützen und empfahl ein schnelles Vorgehen, auch wenn dies eine Einmischung Russlands bedeuten würde.125 113 114 115 116 117 118 119
Vgl. Jean-Jacques Becker/Gerd Krumeich: [357], S. 67. Vgl. ebd., S. 68; Gerd Krumeich: [461], S. 28. Gerd Krumeich: [461], S. 29. Ebd. Vgl. ebd., S. 27-29. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich: [429], S. 33. Der serbische militärische Geheimdienst hatte heutigen Erkenntnissen zufolge unzweifelhaft am Attentat mitgewirkt, eine unmittelbare Verantwortung der serbischen Regierung ist jedoch bislang nicht nachgewiesen worden. Vgl. ebd. 120 Vgl. die Memoiren von Franz Conrad von Hötzendorf bei Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich: [429], S. 36. 121 Gerd Krumeich: [461], S. 30. 122 Seitens der zivilen Reichsregierung nahmen der Reichskanzler, Arthur Zimmermann, der Kriegsminister, Erich Falkenhayn, und zwei Militärs, Moritz Lyncker und Hans von Plessen, sowie ein Unterstaatssekretär an den Beratungen mit Kaiser Wilhelm II. teil. Hierzu und zur Protokollfrage vgl. ebd., S. 29f. 123 Vgl. ebd., S. 30. 124 Ebd. 125 Vgl. ebd.; Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich: [429], S. 36f. Bethmann Hollweg riet dem Gesandten, Graf Hoyos, einen schnellen Schlag gegen Serbien durchzuführen und die Gründe für einen Militärschlag mit stichhaltigem Material über eine Beteiligung der serbischen Regierung am Attentat zu belegen. Vgl. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich: [429], S. 37.
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Dass Russland tatsächlich eingreifen würde, habe man in Berlin zu diesem Zeitpunkt nicht geglaubt. Der Kaiser trat sogar eine Reise an und Generalstabschef Moltke befand sich in Kur. Der deutsche Kanzler Theobald von Bethmann Hollweg hingegen wollte ein Eingreifen Russlands unbedingt verhindern, da er befürchtete, dass dann ein Kriegseintritt Frankreichs an der Seite Russlands wahrscheinlich werden würde.126 In Wien wurde die bedingungslose Zusage zur Unterstützung jedenfalls sehr ernst genommen und war »ausschlaggebend dafür, dass die Regierung des Habsburgerreiches wenige Tage darauf beschloss, Serbien ein unannehmbares Ultimatum zu stellen«127 . Die serbische Antwort auf das österreich-ungarische Ultimatum bedeutete für Kaiser Wilhelm II. den Wegfall eines Kriegsgrundes. Er forderte die Führung in Wien auf, den Konflikt zu beenden und lediglich die Hauptstadt Belgrad anstatt des ganzen Landes zu besetzten. Jedoch hielt Bethmann Hollweg die Anordnung des Kaisers so lange zurück, bis Österreich-Ungarn Serbien den Krieg erklärt hatte. Gleichzeitig versicherte Bethmann Hollweg, man wolle Österreich-Ungarn nicht zurückhalten, sondern im Falle eines Krieges die Bedingungen für den Bündnispartner verbessern. Hirschfeld und Krumeich nach wisse man bis heute nicht, warum Bethmann Hollweg so handelte, möglicherweise, um ein Zerwürfnis mit Österreich-Ungarn zu verhindern.128 So war die Bemühung, Österreich-Ungarn zum Einlenken gegenüber Serbien zu bewegen und Russland durch eine Besetzung Belgrads, anstatt ganz Serbiens zu beschwichtigen, nur erfolgt, um damit einem möglichen Vorwurf zu entgehen, dass Deutschland einen Weltkrieg schuldhaft verursachte. Krumeich und Becker sehen in den Ausführungen von Bethmann Hollweg den Beleg, dass sich Deutschland in eine Sackgasse bewegt hatte.129 Der letzte Aspekt, den es in der Frage der Kriegsschuld zu untersuchen gibt, so Becker und Krumeich, ist das »Mobilmachungs-Wettrennen«130 , das zwischen Russland und Deutschland Ende Juli ausbrach. Dass Russland am 30. Juli 1914 zuerst die Generalmobilmachung aussprach, war für viele Deutsche der Beweis für die Verantwortung Russlands am Kriegsausbruch. Die deutsche Politik in der Julikrise wurde von den Militärs gesteuert. Die »Dominanz des Militärs«131 in der deutschen Führung sorgte dafür, dass politische und diplomatische Handlungsspielräume immer weiter eingeschränkt wurden. So geriet das politische Deutschland in die Falle der eigenen führenden deutschen Militärs, die sich aus dem Schlieffen-Plan insbesondere dem für die Umsetzung notwendigen zeitlichen Aspekt und den Einkreisungsängsten ergab.132 Letztlich hätten sowohl in Berlin als auch in St. Petersburg und Wien die Militärs die Führung über die politische Richtungsweisung übernommen.133 Die Mobilisierungen kamen in Gange und den Regierungen ging es nur noch darum, dem jeweils anderen 126 127 128 129
Vgl. Gerd Krumeich: [461], S. 30; Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich: [429], S. 37. Gerd Krumeich: [461], S. 30. Vgl. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich: [429], S. 43. Für den Abschnitt vgl. Jean-Jacques Becker/Gerd Krumeich: [357], S. 72-74; Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich: [429], S. 42-44. 130 Jean-Jacques Becker/Gerd Krumeich: [357], S. 75. 131 Ebd., S. 76. 132 Vgl. ebd. 133 Vgl. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich: [429], S. 44.
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»die Schuld an der kommenden Katastrophe zuzuschieben und die öffentliche Meinung davon zu überzeugen, dass man selbst zu einem Verteidigungskrieg gezwungen sei.«134 In diesem Sinne sei auch die »Willy-Nicky«135 -Korrespondenz zu sehen. Herfried Münkler sieht dies im gegenteiligen Licht und schreibt den Cousins, Kaiser Wilhelm II., Zar Nikolaus II. und König George V., die sich in den letzten Julitagen in persönlichen Briefen noch ihre auf Frieden gerichteten Absichten zusicherten, echten Friedenswillen zu. Allerdings, so konstatiert auch Münkler, hatte die Korrespondenz keinerlei Einfluss auf die getroffenen Entscheidungen in den Führungsstäben.136 Vielmehr überschritt Bethmann Hollweg die rote Linie damit, dass er im deutschen Ultimatum an Russland vom 31. Juli 1914 fälschlicherweise bereits davon sprach, dass Deutschland sich im Zugzwang sehe, da die »Erklärung des Zustandes des drohenden Krieges«137 bereits die automatische Mobilmachung und damit eine Kriegserklärung bedeuten würde.138 Erklären können sich Hirschfeld und Krumeich diese »Freud’sch[e] Fehlleistung«139 nur damit, dass Bethmann Hollweg in der Hektik der Ereignisse »offensichtlich ›außer sich‹«140 war. Mit der Generalmobilmachung im Zarenreich hatten sich die deutschen Einkreisungsbefürchtungen bestätigt und man konnte in Umsetzung des Schlieffen-Plans gegen Russland »lieber jetzt als später«141 vorgehen. Das Vorgehen wurde der deutschen Öffentlichkeit als Verteidigungskrieg verkauft.142 Die Großmächte hatten durch die Mobilmachungshysterie den Schluss gezogen, dass es keine politische Möglichkeit zum Einhalt mehr gab. Krumeich und Hirschfeld sehen dadurch auch Deutschland nicht allein für die Eskalation der Krise verantwortlich.143 Denn in der Krise war keine der Großmächte bereit, den Frieden als das höchste Gut zu sehen. Krumeich und Hirschfeld sind aber davon überzeugt, dass keine der Großmächte derart riskant vorgegangen wäre, hätte man gewusst, welche Ausmaße der Krieg letztlich annehmen würde.144 Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler erachtet es, wie auch Krumeich, Hirschfeld und Becker, für notwendig, dass die geopolitische Lage Deutschlands in der Mitte des europäischen Kontinents und »die sich daraus ergebenden Ansprüche und Besorgnisse, Einflussmöglichkeiten und Bedrohungsszenarien«145 in der Frage nach den Gründen für den Kriegsausbruch berücksichtigt werden. In der neueren Literatur sei dieser Aspekt fast gänzlich in den Hintergrund geraten, so Münkler.146
134 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144 145 146
Ebd. Ebd. Vgl. Herfried Münkler: [482], S. 103. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich: [429], S. 46f. Vgl. hierzu das abgedruckte Telegramm in ebd.; ursprünglich abgedruckt in: Walter Goetz (Hg.): Propyläen Weltgeschichte. Das Zeitalter des Imperialismus 1890-1933, Bd. 10, Berlin 1933. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich: [429], S. 46. Ebd. Der Ausspruch Moltkes zitiert nach Gerd Krumeich: [461], S. 27. Vgl. ebd., S. 27f. Vgl. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich: [429], S. 47. Vgl. ebd., S. 49. Herfried Münkler: [482], S. 23. Vgl. ebd.
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Die Bündnisse, die die europäischen Nachbarn aus Furcht vor einem erstarkenden Deutschland eingegangen waren, liefen »zwangsläufig auf eine politische Einkreisung Deutschlands«147 hinaus. »Die Folge war ein Syndrom von Ängsten und Befürchtungen, das die Entscheidungen der Politiker und Militärs in Europa beeinflusste.«148 Frankreich fürchtete sich vor einer Marginalisierung, Russland um seinen Einfluss in Japan, Österreich-Ungarn und Großbritannien hatten Niedergangsängste und Deutschland fürchtete die Einkreisung. Unter solchen Umständen war eine rationale Interessenverfolgung kaum mehr möglich gewesen, »zumal wenn solche Ängste durch geopolitische Überlegungen und demographische Entwicklungsstudien geschürt wurden, von denen sich die Politik unter Handlungsdruck gesetzt fühlte.«149 Deutschland besaß in dieser Situation, als Macht in der Mitte des Kontinents, eine besondere Verantwortung und versagte, dieser Verantwortung gerecht zu werden, so Münkler.150 Münkler stellt deutlich heraus, dass neben dem Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg auch Kaiser Wilhelm II. zunächst an einer friedlichen Beilegung des Konflikts interessiert war. Wenngleich sich der Kaiser einer martialischen Sprache bedient und mit dem Gedanken an einen Krieg gespielt habe, so habe er doch vor diesem zurückgeschreckt und forderte Moltke am 30. Juli 1914 auf, den Angriff auf Frankreich zu stoppen, um so eine britische Intervention zu verhindern. Die Militärs wiesen dieses Ansinnen zurück und beriefen sich auf jahrelange sorgfältige Planungen. Diese Überlegungen waren politisch völlig naiv, so Münkler, da die Militärs davon ausgingen, es nur mit Frankreich und Russland zu tun zu haben. An eine Kriegsbeteiligung der Briten dachten sie nicht, da der Schlieffen-Plan, ein durch und durch militärstrategischer Plan und keinesfalls ein politischer, eine britische Rolle nicht bedachte. Der Plan wurde von den Militärs sowohl zur militärischen als auch politischen Strategie erklärt. Am Ende machte sich auch Reichskanzler Bethmann Hollweg die Denkweise der Militärs zu Eigen und schob den Ausbruch des Krieges im Sommer 1914 darauf, dass es zwei Jahre später viel gefährlicher gewesen wäre, einen Krieg zu beginnen.151 Der Schlieffen-Plan sah ursprünglich vor, lediglich durch Truppenaufmärsche im Aachener Raum Frankreich zu einem Vorstoß über das neutrale Belgien zu provozieren, um damit die Bündnistreue der Briten nicht selbst auf die Probe stellen zu müssen. Aber die militärischen Vorteile, die ein Vorstoß der deutschen Truppen über Belgien brachte, ließen die Militärs eine britische Einmischung in Kauf nehmen. In Frankreich existierten ebenfalls Pläne über Belgien nach Deutschland zu marschieren, jedoch gab man in Frankreich dem Primat der Politik den Vorzug, um eine etwaige britische Unterstützung im Kriegsfalle nicht zu gefährden.152 147 148 149 150 151 152
Herfried Münkler: [482], S. 24. Ebd. Ebd. Vgl. ebd., S. 23f. Vgl. für den gesamten Abschnitt ebd., S. 79-81. Vgl. für den Abschnitt Herfried Münkler: [482], S. 86f. Jörn Leonhard führt aus, dass die deutsche Führung Großbritannien als zu sehr mit den Problemen der eigenen Innenpolitik und der Einführung der Home-Rule in Irland beschäftigt betrachtete, um seinen Bündnisverpflichtungen nachzukommen und in einen kontinental-europäischen Krieg einzutreten. Russland wäre im Falle eines Krieges im Inneren durch national motivierte Aufstände in Polen und Finnland geschwächt, so
3. Deutschland und die Kriegsschuldfrage
Zu diesen Überlegungen kam hinzu, dass sich der deutsche Generalstab unter zeitlichem Druck sah, einem Zweifrontenkrieg mit einem in voller Stärke mobilisierten russischen Truppenaufgebot zuvorzukommen, mit dem für die Jahre 1916 oder 1917 gerechnet wurde. Münkler sieht jedoch in den Änderungen des Schlieffen-Plans durch Moltke, den Vorstoß gegen Frankreich ausschließlich über Belgien durchzuführen, als entscheidender an. Dieser Plan barg aber nicht nur erhebliche militärische Risiken, sehr viel weitreichender waren die politischen Folgen, da in diesem Plan Deutschland Kampfhandlungen gegen Belgien eröffnete, bevor Frankreich oder Belgien kriegerisch gegen Deutschland tätig geworden wären.153 Deutschland würde in diesem Fall eindeutig als Aggressor im Westen dastehen und müsste sowohl außen- als auch innenpolitische Konsequenzen fürchten, denn die Sozialdemokraten hatten im Falle eines deutschen Angriffskrieges angekündigt, ihre Unterstützung zum Krieg zu verweigern.154 Dennoch entschied sich Moltke für diese Planänderung, denn sie sah auch vor, die Neutralität der Niederlande zu sichern. Moltke versprach sich dadurch, den Rücken für Truppenund Versorgungstransporte frei zu haben. Im Falle einer britischen Einmischung wäre nicht zu erwarten gewesen, dass die Briten unter Verletzung der niederländischen Neutralität ihrerseits den deutschen Truppen in den Rücken fallen würden. Die Angst der Deutschen, aufgrund ihrer Mittellage zwischen Russland und Frankreich eingekreist und gleichzeitig durch die Briten vom Zugang zu den Weltmeeren abgeschnitten zu werden, korrespondierte mit den Niedergangsängsten der Briten, so Münkler. Denn die Briten fühlten sich durch den deutschen Flottenbau bedroht.155 Dass Moltke zur Eile trieb, lag daran, dass bereits 1911 Frankreich Russland drängte, das Eisenbahnnetz auszubauen, um im Kriegsfalle bereits nach zwei Wochen eine Mobilmachung abschließen zu können.156 Angeheizt wurde die Stimmung des ›Je eher, desto besser‹, wie Moltke es formulierte, weil die Briten im Frühjahr 1914 eine Marinekonvention mit Russland geschlossen hatten. Da die Briten diese Verabredung abstritten, hatte die deutsche Regierung das Vertrauen in die Aufrichtigkeit der Briten verloren und Bethmann Hollweg sträubte sich nicht länger gegen die Vorstellungen Moltkes, einen Präventivkrieg zu führen.157 Anders als Fritz Fischer sieht Münkler in dem Bestreben einen Präventivkrieg führen zu wollen jedoch keinen Griff nach der Weltmacht.158 Denn Deutschland sei »keineswegs die einzige imperialistisch agierende Macht in Europa«159 gewesen. Münkler vertritt im Hinblick auf den Imperialismus als Ursache für den Ersten Weltkrieg die Ansicht einer geteilten Verantwortung am Kriegsausbruch, denn »[j]e mehr man bei der Analyse […] politischer Entscheidungen in die sozioökonomischer Strukturen hinüberwechselt, desto stärker verteilt sich die Verantwortung für den Krieg auf alle europäi-
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hieß es im Auswärtigen Amt, und Frankreichs Armee wäre in keinem guten Zustand. Vgl. hierzu Jörn Leonhard: [469], S. 93. Vgl. Herfried Münkler: [482], S. 87f. Vgl. ebd., S. 88. Vgl. ebd., S. 88f. Vgl. Herfried Münkler: [482], S. 91; Jörn Leonhard: [469], S. 93. Vgl. Herfried Münkler: [482], S. 92. Vgl. ebd., S. 94. Ebd.
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Europäisierung des Gedenkens?
schen Großmächte.«160 Münkler widerspricht der älteren Forschung in dem Punkt, dass die Überlegungen, einen Präventivkrieg zu führen, »politisch [Herv. i.O.] defensiv«161 waren, denn es sei darum gegangen, »einem Angriff der Gegenseite oder einer Situation politischer Erpressbarkeit militärisch zuvorzukommen.«162 Lediglich Moltke hätte einen Krieg angestrebt, jedoch auch nur unter der Prämisse, dass das ›Wenn‹ ein ›Dann so bald als möglich‹ bedingte. Der Kaiser schwankte wie so oft und Bethmann Hollweg, als dritten entscheidenden Akteur auf deutscher Seite, ging es darum, die Entente cordiale zu spalten, um auf diese Weise die Gefahren einer Einkreisung zu eliminieren. Er war der Ansicht, dass die Entscheidung zum Krieg in Russland getroffen würde. Zu dieser Folgerung gelangt auch Münkler, denn wenn die russische Mobilmachung und Kriegserklärung nicht erfolgt wäre, dann wäre es wohl nur zu einem weiteren Balkankrieg gekommen. Demnach war der Erste Weltkrieg eben nicht unabwendbar und vorherbestimmt.163 Vielmehr hatte Bethmann Hollweg noch am 31. Juli 1914 versucht, nachdem Österreich-Ungarn bereits militärisch gegen Serbien vorgegangen war, die k.u.k. Monarchie zu warnen, die Ratschläge aus Berlin zu ignorieren und Berlin in einen Krieg hineinzuziehen.164 Dass Wien sich durch den Blankoscheck aus Berlin, den Bethmann Hollweg wieder zurückzuziehen versuchte, sicher fühlte, um mit großer Härte gegen Serbien vorzugehen, scheint Münkler anders als Krumeich und Hirschfeld wenig plausibel. Ein Rückzieher aus Wien hätte jedoch einen Prestigeverlust für die k.u.k. Monarchie bedeutet, der mit einem Verlust des Status einer Großmacht einhergegangen wäre. Folglich verfolgte Österreich-Ungarn seine harte Haltung gegenüber Serbien und trotz der Bedrohung durch Russland weiter.165 Prestige, so Münkler, war zu jener Zeit »die Währung der internationalen Politik«166 . Folglich hatte auch Russland, um keinen Gesichtsverlust zu erleiden, am 28. Juli 1914 die Teilmobilmachung verkündet.
160 Ebd., S. 94f. 161 Ebd., S. 97. 162 Ebd. In der älteren Forschung hielten sich andere Thesen. So habe Immanuel Geiss die Rolle Deutschlands als »zwangsläufige Folge des politischen Kompromisses, der auf die Reichsgründung 1871 gefolgt sei« (Ebd., S. 95.) interpretiert. Demnach hätten soziopolitische Konstellationen – Industrie im Westen und Landwirtschaft in Preußen, bürgerliche Dynamik und aristokratisches Beharren – die deutsche Außenpolitik und die internationalen Beziehungen geprägt und keinesfalls geopolitische Faktoren. Dieser Sicht folgte im Wesentlichen auch Hans-Ulrich Wehler, der vom sogenannten Primat der Innenpolitik sprach, so Münkler. Demnach sei die deutsche Außenpolitik seit den 1890er Jahren sozialimperialistisch geprägt gewesen. Anders als die übrigen Kriegsteilnehmer war die deutsche Außenpolitik daher nicht von geographischen und schon gar nicht von möglichen Szenarien einer militärischen Einkreisung durch Frankreich und Russland geprägt. Vielmehr hatte »das Kaiserreich […] in der Rolle eines Akteurs [Herv. i.O.], der die anderen zu Handlungen veranlasste, die sonst nicht erfolgt wären, und dabei permanent zum Krieg drängte« (Ebd., S. 96.), gehandelt. Münkler benennt als Verfechter der geopolitischen Faktoren außerdem Egmont Zechlin, Karl Dietrich Erdmann, Andreas Hillgruber, Klaus Hildebrand und Gregor Schöllgen. Vgl. ebd., S. 95f. 163 Vgl. ebd., S. 100f. 164 Vgl. ebd., S. 101f. 165 Vgl. ebd., S. 102f. 166 Ebd., S. 102.
3. Deutschland und die Kriegsschuldfrage
Die Versuche des deutschen Kaisers, auf seine Cousins Zar Nikolaus II. und König George V. einzuwirken, hatten keinen relevanten Einfluss mehr auf die Abläufe.167 Dass aus der Julikrise doch noch ein Krieg nie gekannten Ausmaßes entstand, führt Münkler auf den Schlieffen-Plan zurück. Österreich-Ungarn hätte ohne den Blankoscheck möglicherweise keinen Krieg mit Russland über die Balkanfrage riskiert. Der Schlieffen-Plan und seine politischen Implikationen sorgten letztlich dafür, dass die Automatismen, die zum Ausbruch des Weltkrieges führten, in Gang kamen.168 Der Zeitdruck, der dem Plan immanent war, »wurde […] zu einer ganz realen Größe, und die Festlegung auf einen Zweitfrontenkrieg sowie der fest eingeplante Bruch der belgischen Neutralität ließen räumlich wie politisch getrennte Krisen«169 zu einem Weltkrieg werden. Langfristige Entwicklungen wirtschaftlicher oder auch bündnispolitischer Art gerieten aufgrund des Zeitdrucks völlig außer Sicht und spielten für die Beurteilung der Lage und der Handlungsoptionen keine Rolle mehr.170 Münkler sieht alle kriegsbeteiligten Akteure in der Verantwortung, wenn auch aufgrund von Bündniskonstellationen, geopolitischen Gegebenheiten und Machtverhältnissen in unterschiedlichem Maße. Deutschland kam durch seine Mittellage in Europa aber eine besondere Verantwortung zu, zumal es wirtschaftlich und militärisch der mächtigste Akteur auf dem europäischen Kontinent war.171 Und aus Frankreich und Großbritannien kamen zwar warnende Stimmen, »dass man Deutschland nicht in die Enge treiben dürfe«172 . Trotzdem führte gerade die »Strategie der doppelten Einkreisung«173 – Österreich-Ungarn durch den Balkanbund mit russischer Unterstützung und Deutschland durch Russland, Frankreich und britischer Unterstützung – zwangsläufig dazu, »dass sich die Zeitperspektive verkürzte, womit tendenziell ein irrationales Agieren der deutschen Führung wahrscheinlicher wurde.«174 Der Historiker Jörn Leonhard kommt in seiner Studie Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs im Gegensatz zu Münkler zu dem Schluss, dass die Versicherung der unbedingten Bündnistreue an Österreich als Blankoscheck verstanden wurde, hart gegen Serbien durchzugreifen.175 Bethmann Hollweg riet dem österreichisch-ungarischen Diplomaten Alexander Graf von Hoyos in einer Unterredung, dass für ein militärisches Vorgehen, »wenn ein Krieg unvermeidlich wäre, […] der jetzige Zeitpunkt günstiger als ein späterer«176 wäre und Österreich-Ungarn schnell agieren sollte. Diese Überlegungen erhielten alsbald eine besondere Dynamik und überstrahlten die eigentliche Krisensituation auf dem Balkan, so Leonhard.177 Die politischen Handlungsspiel-
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Vgl. ebd., S. 102f. Vgl. ebd., S. 103f. Ebd., S. 104. Vgl. ebd., S. 105. Vgl. ebd. Ebd. Ebd., S. 106. Ebd. Vgl. zur Sichtweise von Leonhard, der auch Krumeich und Hirschfeld folgen: Jörn Leonhard: [469], S. 91. Zitiert nach ebd., S. 93. Vgl. ebd.
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räume der Akteure in Berlin wurden dadurch erheblich einschränkt und »eine Abhängigkeit von vermeintlich alternativlosen Szenarien und militärischen Notwendigkeiten«178 entstand. In den Abläufen der Julikrise trat deutlich zu Tage, dass das »Denken ohne Alternativen, fast panikartige, erratische Reaktionen, eine Tendenz zum Aktionismus ohne realistische Beurteilung von mittel- und langfristigen Konsequenzen«179 nach sich zog. Auch in der Beurteilung der Strategie von Bethmann Hollweg, der im Sommer 1914 eine »Politik des ›kalkulierten Risikos‹«180 betrieb, um eine Gefährdung des Status quo der deutschen Großmachtposition zu verhindern, folgt Leonhard dem Ansatz von Krumeich. Durch diese Politik trug Deutschland eine besondere Verantwortung an der Julikrise, so Leonhard, da es Wien unter Druck setzte, hart gegen Serbien vorzugehen. Dennoch wären die Entwicklungen nicht auch ohne das Zutun der übrigen europäischen Großmächte, besonders Russlands und Frankreichs, so entscheidend verlaufen.181 Leonhard hebt besonders die Verantwortung Russlands für den Ausgang der Julikrise hervor. Russland zeigte sich weniger an einer Aufklärung des Attentats und einer Verurteilung der Verantwortlichen interessiert, als vielmehr daran, den österreichischen Thronfolger als aggressiven Kriegstreiber darzustellen, um damit eine Begründung für eine unbedingte Verpflichtung gegenüber Serbien als Schutzmacht zu liefern. Dabei verließ sich Russland auf die ihm zugesicherte Unterstützung Frankreichs, sollte es zu einem neuerlichen Balkankrieg kommen.182 Leonhard geht sogar so weit zu sagen, dass der Besuch der französischen Regierung in St. Petersburg vom 21. Juli bis 23. Juli 1914 und die Zusicherung der vollen Unterstützung im Kriegsfall als Blankoscheck Frankreichs an Russland zu werten sei.183 Dass es sich bei dem französischen Blankoscheck nicht um einen aktiven kriegstreiberischen Akt seitens der Franzosen handelte, wie es die deutsche Regierung darstellte, sieht Leonhard schon länger als erwiesen an.184 Vielmehr bekräftigte die französische Regierung »ihre defensive Bündnistreue«185 . In diesem Zuge sei auch die langsam anlaufende russische Mobilmachung eine passive Reaktion auf die Bedrohung durch die deutsch-österreichische Bündnispolitik gewe-
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Ebd. Ebd., S. 66. Ebd., S. 94. Vgl. ebd., S. 94f. Vgl. ebd., S. 95f. Vgl. ebd., S. 96f. Der Ansicht eines französischen Blankoschecks an Russland folgen auch JeanJacques Becker und Gerd Krumeich, jedoch lehnen sie ab, dass es sich dabei um eine bewusste Kriegstreiberei Frankreichs gehandelt hätte. Die Reise hatte Tradition und sei lange im Voraus geplant gewesen, zudem wären vor Abreise der französischen Delegation nur wenige Informationen bezüglich der österreich-ungarischen Pläne bekannt gewesen. Vgl. hierzu Jean-Jacques Becker/Gerd Krumeich: [357], S. 75. 184 Vgl. Wolfgang Kruse: [466], S. 24. 185 Ebd.
3. Deutschland und die Kriegsschuldfrage
sen, so Leonhard weiter. Aber erst die deutsche Mobilmachung ließ dann letztlich aus einer Krise den großen europäischen Krieg werden.186 Die Reaktion Österreich-Ungarns auf die serbische Antwort auf das Ultimatum vom 23. Juli 1914 waren der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Serbien am 25. Juli 1914 und die Mobilmachung. Die Entscheidung für einen Krieg gegen Serbien war gefallen, trotz mehrerer Versuche seitens des britischen Außenministers Edward Greys, den Konflikt auf diplomatischem Wege beizulegen. Denn in Wien fürchtete man, dass eine Vermittlung tatsächlich noch eine Änderung der Situation hätte nach sich ziehen können.187 Leonhard sieht hinter dieser Handlungsweise ein grundlegendes Problem. Die Bündnisse der Zeit zeichneten sich durch ihren losen Charakter aus. Demonstrative Treuebekundungen waren notwendig, weil ansonsten die Loyalität innerhalb der lockeren Übereinkünfte grundsätzlich in Frage stand.188 Und die Situation sollte sich noch zuspitzen. Die Versuche Edward Greys, eine Konferenz zur Vermittlung zwischen Österreich-Ungarn und Russland unter Beteiligung der übrigen Großmächte Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien einzuberufen, verdeutlichten, dass sich ein ursprünglich lokaler Konflikt durch Akteure, die zunächst nicht direkt beteiligt waren, zu einem internationalen Konflikt ausweitete. Diese Ausweitung trug zu einer massiven Verschärfung des Konflikts bei.189 Noch am 27. Juli 1914 kamen Kaiser Wilhelm II. und Reichskanzler Bethmann Hollweg überein, dass man Russland als Provokateur darstellen und gleichzeitig Österreich-Ungarn nicht ausbremsen wollte. Ungeachtet dessen lief jedoch in Russland die Mobilmachung der Armee an, die der Zar am 30. Juli 1914 unterzeichnete. Bereits am 26. Juli 1914 hatte man sich in Berlin entschieden, ein Ultimatum an Belgien bezüglich eines deutschen Truppendurchmarschs vorzubereiten, das am 2. August 1914 übermittelt wurde. Leonhard sieht darin eine klare Linie des Primats des Militärs gegenüber der zivilen Regierung.190 Die Strategie der deutschen Regierung schien voll aufzugehen. Mit der Generalmobilmachung Russlands, die auf Betreiben der russischen Militärs vorangetrieben worden war, hatte die deutsche Regierung endlich selbst die Mobilmachung anweisen können191 , ohne als Aggressor vor der eigenen Bevölkerung und dem Parlament, insbesondere den Sozialdemokraten, dazustehen.192 Dennoch sandte der Reichskanzler nach Erhalt der Nachricht über die russische Mobilmachung Depeschen nach Wien, dass Deutschland zwar zu seiner Bündnispflicht stehe, sich aber dennoch nicht »von
186 Vgl. ebd. Anders sieht es Münkler, der die Erklärung der Generalmobilmachung Russlands als entscheidende Handlung betrachtet, dass aus einem lokalen Konflikt auf dem Balkan ein europäischer Krieg werden konnte. Vgl. Herfried Münkler: [482], S. 101. 187 Vgl. Jörn Leonhard: [469], S. 100f. 188 Vgl. ebd., S. 98. 189 Vgl. ebd., S. 99. 190 Vgl. ebd., S. 103 und S. 108. 191 Vgl. ebd., S. 102-104. 192 Noch am 29. Juli 1914 habe Moltke gegenüber Österreich-Ungarn betont, dass Deutschland Österreich zur Seite stünde, würde es in einem Krieg gegen Serbien auch Russland gegenüberstehen. Vgl. ebd., S. 104.
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Wien leichtfertig und ohne Beachtung [seiner, J.H.] Ratschläge in einen Weltbrand hineinziehen«193 lassen wolle, so Leonhard. In diesen widersprüchlichen Handlungen der deutschen Regierung auf der einen und der Militärführung auf der anderen Seite sieht Leonhard ein Charakteristikum der Julikrise, das eine »Reflexion […] über die möglichen weitreichenden Konsequenzen der Entscheidungen«194 zunichtemachte. Frankreich versuchte sich in dieser Situation als Opfer eines deutschen Angriffs dazustellen, so Leonhard.195 Dies wurde dann auch zu einem Problem, da es von deutscher Seite keinen Kriegsgrund gegen Frankreich gab, außer den militärischen Strategieüberlegungen des Schlieffen-Plans und Frankreichs Bündnis mit Russland. So lieferte eine angebliche Grenzverletzung durch französische Flieger den Grund für die Kriegserklärung an Frankreich am 3. August 1914.196 Die Frage nach der Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges beantwortet Leonhard deutlich. Schlafwandler im Sinne eines unbewussten Handelns seien die Akteure sicherlich nicht gewesen. Es sei auch bekannt gewesen, welche Konsequenzen ein moderner Krieg mit sich bringen würde, unabhängig von der Dauer. Auch die späteren Erklärungsversuche vom Hineinschlittern in den Krieg, wie sie etwa Lloyd George in den 1920er Jahren tätigte, seien aus Sicht Leonhards nicht haltbar.197 Die »übernervösen Reaktionen, die vielfachen Frühwarnsysteme, mit denen die konkreten Personen immer wieder überfordert waren, die Neigung in Szenarien die Risikobereitschaft der jeweiligen Gegenseite auszutesten«198 , waren problematisch. »Jenseits der moralischen Kategorie der Schuld kommt keine Analyse der Julikrise ohne den Blick auf die besondere Verantwortung der Akteure aus.«199 Keiner der europäischen Staaten hatte einen Angriffskrieg geplant. Aber nicht nur in Berlin, auch in Wien, Paris und St. Petersburg lagen Pläne für einen Präventivkrieg vor.200 Auch wurde das von Moltke geforderte ›Je eher, desto besser‹ nicht allein im deutschen Militärstab gedacht. Auch in London fürchtete man ein baldiges Erstarken Russlands und die dadurch wachsende Bedrohung für Indien und das Empire. Die entscheidende Frage, die Leonhard aufgreift, ist aber warum es nicht zur Deeskalation kam. Seiner Meinung nach schränkte die deutsche und die französische Blankoscheck-Politik gegenüber Österreich-Ungarn beziehungsweise Russland sowie die lange Zeit unklare Haltung Großbritanniens den Spielraum für eine Deeskalation massiv ein. Zudem wurde Krieg als legitimes politisches Mittel betrachtet, die eigene Souveränität zu untermauern. Gleichzeitig liefen die Planungen und Vorbereitungen für einen Krieg dessen Zielen
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Bethmann Hollweg zitiert nach Eberhard von Vietsch: Bethmann Hollweg: Staatsmann zwischen Macht und Ethos (= Schriften des Bundesarchivs 18), Boppard 1969, S. 190. Bei Jörn Leonhard in gekürzter Fassung zitiert: Jörn Leonhard: [469], S. 104. Jörn Leonhard: [469], S. 104. Vgl. ebd., S. 107. Vgl. ebd., S. 108. Vgl. zur Sicht Leonhards ebd., S. 118. Ebd. Ebd., S. 119. Vgl. ebd. So hatte der k.u.k. Generalstab ebenfalls bereits seit 1905 einen »Operationsfall ›Serbien‹« abrufbereit. Vgl. hierzu Manfried Rauchensteiner: [286], S. 44; Dušan Bataković: [222], S. 56f.
3. Deutschland und die Kriegsschuldfrage
zuwider, etwa im Falle der Haltung Großbritanniens.201 Insbesondere durch die Uneindeutigkeit der Bündnissysteme waren im Falle einer Eskalation die Reaktionen völlig unklar und unberechenbar. Unberechenbarkeit aber führte aufgrund von subjektiven Eindrücken, Annahmen und Unterstellungen zur Einschränkung der eigenen Handlungsoptionen.202 Letztlich konnten die Militärs ihre eigene Logik durch zu wenig politisches Gegengewicht seitens der Regierungen und Parlamente ohne Einschränkungen umsetzen. Das zeigte sich auch darin, dass mögliche alternative Optionen, die es Ende Juli durchaus noch gegeben habe, so Leonhard, als Schwäche ausgelegt wurden. Er sieht darin die vielleicht entscheidende Dimension der Julikrise.203 Fehlendes gegenseitiges Vertrauen, das er als Regulativ betrachtet, habe dafür gesorgt, dass das Risiko eines Krieges geringer eingeschätzt wurde, als das Risiko durch eine »Vertrauensvorleistung«204 einen Krieg auf Kosten des eigenen Prestiges zu verhindern. Der gerade auf Seiten der Militärs subjektiv »wahrgenommene Zeit- und Problemdruck nach der Überschreitung bestimmter Schwellen«205 machte es unmöglich, eine wirksame Vertrauensbasis herstellen zu können. Daraus folgert Leonhard, dass eingeschränkte Perspektiven und Handlungszwänge das Denken bestimmt hätten und man sich gegen die unterstellten Absichten der anderen verteidigen musste.206 Eine alternative Einordnung des Attentats von Sarajevo findet sich bei Oliver Janz. Er sieht die serbische Regierung in Belgrad nur bedingt für das Attentat von Sarajevo verantwortlich. Die Attentäter wurden von der nationalistischen Geheimorganisation Schwarze Hand beauftragt, die zwar mit dem serbischen Militär verflochten war, das sich jedoch der politischen Kontrolle Serbiens weitestgehend entzog. Der Chef der militärischen Aufklärung der Schwarzen Hand fürchtete einen Präventivkrieg durch Österreich-Ungarn und sah in Franz Ferdinand einen Kriegstreiber. Die Pläne für das Attentat waren der serbischen Regierung bekannt und wurden an Wien übermittelt. Der österreichische Geheimdienst nahm die Warnung jedoch nicht ernst.207 Die zögernde Haltung der serbischen Führung das Attentat aufzuklären, kam dadurch zustande, dass sie sich nicht in der Lage sah, gegen die Militärs vorzugehen. Österreich-Ungarn kam infolgedessen rasch zum Schluss, sein Prestige mittels einer harten Reaktion gegen Serbien wieder herzustellen, vor allem da es sich auf die Unterstützung des Deutschen Reiches berufen konnte.208 Die deutsche Regierung wiederum sah in der Balkankrise eine Chance, das internationale Bündnissystem zu testen, um somit »den Bündnisring um Deutschland sprengen zu können,«209 den Russland, Frankreich und Großbritannien mit der Entente cordiale und insbesondere durch das
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Vgl. Jörn Leonhard: [469], S. 119-122. Vgl. ebd., S. 122f. Vgl. ebd., S. 124f. Ebd., S. 125. Ebd., S. 126. Vgl. ebd., S. 125-127. Vgl. Oliver Janz: 14 – Der große Krieg, Frankfurt a.M. 2013, S. 60. Vgl. ebd., S. 60f. Ebd., S. 61.
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britisch-russische Marineabkommen gebildet hatten. Diese Überlegung basierte darauf, dass man den Konflikt zu lokalisieren hoffte, um so einerseits die russische Bereitschaft Serbien beizustehen und andererseits die britische und französische Bereitschaft Russland beizustehen, testen konnte. Ein Krieg zwischen den Großmächten wurde von Berlin zwar nicht gewollt, aber in Kauf genommen, so Janz, insbesondere als dass man einen Krieg gegen Russland lieber baldmöglichst führen wollte.210 Oliver Janz folgt mit seiner Sicht auf die Julikrise der These von Krumeich, Hirschfeld und Becker, dass Berlin versuchte, den Konflikt auf den Balkan zu begrenzen. Österreich-Ungarn habe das Attentat genutzt, um gegen Serbien vorzugehen und dabei kaum Rücksicht auf die übrigen europäischen Großmächte genommen. Folglich, so zieht Janz den Schluss, trage die Donaumonarchie einen großen Teil der Schuld.211 Die deutsche Führung hatte diese Politik der k.u.k. Monarchie zwar bedingungslos unterstützt, jedoch plante keine der beiden Mächte einen großen Krieg lange im Voraus. Die These von Fritz Fischer, dass die Julikrise für Deutschland ein willkommener Auslöser für den Griff nach der Weltmacht gewesen wäre, verfolgt die Forschung heute weitestgehend nicht mehr. Auch ein Krieg gegen Russland war nicht um jeden Preis gewollt, jedoch willentlich in Kauf genommen worden. Auch andere heutige Forschungen gehen davon aus, dass die deutsche Führung einen Krieg mit Russland für wahrscheinlich hielt und mit Frankreich als möglichem Kriegsgegner rechnete. Mit Großbritannien als Kriegsgegner wurde zunächst nicht gerechnet. Letztlich trug die Politik der Reichsleitung die Hauptverantwortung am Ausbruch des Ersten Weltkrieges, da sie aufgrund grober Fehleinschätzungen erst sehr spät Gegenmaßnahmen auf dem Verhandlungsweg einschlug.212 Die Krisen und kriegerischen Auseinandersetzungen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts brachten den Rüstungswettlauf der europäischen Großmächte in Gang, so Jost Dülffer.213 Deutschland stand in diesem Rüstungswettlauf gegenüber den Briten, Russen und Franzosen zurück. Dennoch wollte keine Nation einen großen Krieg aktiv herbeiführen, auch wenn internationale Krisen zu dieser Zeit mittels militärischer Maßnahmen geregelt wurden. Entscheidend hinzugekommen war in diesem Gefüge die Sorge um die eigene Position im Bündnissystem, da man im Falle eines Krieges befürchtete, schlechter dazustehen als die übrigen Staaten.214 Ähnlich wie Clark sieht auch Dülffer in den innenpolitischen Spannungen einen Grund, warum die Julikrise eskalieren konnte. Die Regierungen standen unter Druck: Russland fürchtete die Revolution, in Großbritannien drohten Unruhen durch die Irland-Politik, Frankreich wollte sich der russischen Bündnistreue versichern, Österreich-Ungarn hatte mit nationalistischen Bestrebungen im Vielvölkerstaat zu
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Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 68. Vgl. Oliver Janz: [437], S. 68f. Vgl. Jost Dülffer: Der Weg in den Krieg, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, hg.v. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz, aktualisierte und erw. Studienausgabe, Paderborn u.a. 2009, S. 240. 214 Vgl. ebd.
3. Deutschland und die Kriegsschuldfrage
kämpfen und Deutschland sah sich im Widerspruch zwischen industrieller Modernisierung und einem veralteten politischen System.215 Für Deutschland habe zudem gegolten, dass aufgrund der kriegerischen Konflikte in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in der deutschen Führung zunehmend in militärischen Kategorien gedacht und agiert worden sei, folglich »mussten auch militärische Erwägungen zu Erfolgen kommen.«216 Nach außen zeigte man sich folglich optimistisch, einen Krieg kurz und siegreich zu halten, dennoch sorgten sich die Politiker aller europäischen Großmächte im Juli 1914 sehr wohl, dass ein Krieg einem »Sprung ins Dunkle«217 gleichkam. Den Akteuren war bereits zu Beginn der Krise klar, dass die Dimension eines neuen Krieges einem weltumspannenden militärischen Konflikt gleichkommen würde.218
3.3 3.3.1
Analyse Geschichtsbild Forschung zur ›Kriegsschuldfrage‹
Das bisherige Geschichtsbild in der deutschen Weltkriegsforschung war geprägt von der sogenannten Fischer-Kontroverse und der Annahme einer deutschen Alleinschuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Die Gründe für dessen Ausbruch sind auch Jahrzehnte nach dem wissenschaftlichen Streit dieselben, schließlich hat sich die Quellenlage seither nicht verändert. Jedoch hat sich der Blick auf die Ereignisse gewandelt. Die Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges wird nicht mehr allein auf Seiten der deutschen Entscheidungsträger in der Julikrise gesehen, so die neuere Forschung. Vielmehr hat sich die Sicht dahingehend geändert, dass alle beteiligten Großmächte durch ihre Entscheidungen und Handlungen einen Teil der Verantwortung für den Kriegsausbruch gemeinsam tragen. Die Fachwelt war sich der Änderung des Geschichtsbildes schon lange, bevor diese auch in der breiten deutschen Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, bewusst. Einen maßgeblichen Einfluss, dass dieses neue Geschichtsbild auch in der breiten Bevölkerung wahrgenommen wurde und dort große Akzeptanz erfuhr, hatte Christopher Clark, der das Bild des deutschen Führungsstabes als Schlafwandler schuf.219 Auch Jost Dülffer oder Stig Förster folgen einer ähnlichen Argumentation. Von einer deutschen Alleinschuld im Sinne der Versailler Verträge könne nicht die Rede sein, sondern vielmehr seien die Entscheidungsträger der beteiligten europäischen Großmächte wachsam, aber dennoch blind ins Dunkel gesprungen, weil sie in der Hoffnung auf einen kurzen Krieg, das Wissen um seine zerstörerische Kraft ausgeblendet hätten.220 215 216 217 218
Vgl. ebd. Ebd. Ebd. Vgl. Stig Förster: Vom europäischen Krieg zum Weltkrieg, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, hg.v. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz, aktualisierte und erw. Studienausgabe, Paderborn u.a. 2009, S. 242. 219 Vgl. Christopher Clark: [373], S. 555-560. 220 Vgl. ebd., S. 562; Jost Dülffer: [384], S. 240; Stig Förster: [404], S. 242.
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Europäisierung des Gedenkens?
Jörn Leonhard schafft mit dem Buchtitel Die Büchse der Pandora ebenfalls eine bildliche Vorstellung davon, wie er die Lage in der Julikrise in Europa verstanden sehen will. Die europäischen Großmächte hätten es nicht geschafft, für eine Deeskalation zu sorgen, zum einen, weil Krieg als legitimes politisches Mittel betrachtet wurde und zum anderen, weil die Bündnissysteme und die Blankoscheck-Politik zu Uneindeutigkeiten und zur Unberechenbarkeit der einzelnen Akteure führten. Am Ende hätten subjektive Annahmen, Eindrücke und Unterstellungen aufgrund von fehlendem Vertrauen auf allen Seiten zum Ausbruch eines Weltkrieges geführt.221 Einen weiteren Mosaikstein im Geschichtsbild um die Kriegsschuldfrage stellt die Eingrenzungstheorie dar, der führende Weltkriegsforscher wie Krumeich, Hirschfeld oder auch Janz folgen.222 Die deutsche Strategie sei gewesen, den Konflikt auf dem Balkan lokal zu begrenzen und das Potenzial, das durch die Bündnissysteme in dem Konflikt lag, einzudämmen. Zudem wollte man die russische Bündniszusage an Serbien austesten, da man in Berlin nicht wirklich daran glaubte, dass Russland Serbien tatsächlich beistehen würde, so Krumeich und Hirschfeld.223 Des Weiteren seien die Bündnissysteme und Machtverhältnisse der europäischen Großmächte untereinander dafür maßgeblich gewesen, dass jede Nation einen Teil der Verantwortung zu tragen habe, wenngleich Deutschland durch seine Mittellage und durch seine wirtschaftliche und militärische Macht eine besondere Verantwortung zukäme, so Münkler.224 Die Handlungsstrategien der übrigen Großmächte, auch getrieben von der Angst vor einem Prestigeverlust, sorgten in der Julikrise jedoch dafür, dass sich Deutschland aufgrund seiner geografischen Lage und der Angst vor einer Einkreisung sowie dem Zeitdruck, der durch den Schlieffen-Plan vermeintlich entstanden war, zu einem »irrationalen Agieren«225 verleiten ließ.226 Becker, Krumeich und Münkler messen auch Russland eine besondere Verantwortung zu, das durch die Entscheidung zur Generalmobilmachung das Fass letztlich zum Überlaufen gebracht und Deutschland zum Handeln gezwungen habe.227 Hätte Russland die Generalmobilmachung nicht entschieden, wäre ein großer Krieg abwendbar gewesen, so vor allem Münkler.228 In diesem Zusammenhang kommt Janz zu dem Schluss, dass der k.u.k. Monarchie ebenfalls eine sehr große Verantwortung am Ausbruch des Ersten Weltkrieges zukomme, da sie sich aufgrund des Blankoschecks der deutschen Unterstützung in ihrer aggressiven Vorgehensweise gegenüber Serbien und bei einem Eingreifen Russlands sicher sein konnte.229 Berlin, St. Petersburg und Wien starteten die Mobilisierungen und am Ende sei es nur noch darum gegangen, die Schuld
221 Vgl. für den Absatz Jörn Leonhard: [469], S. 119-123 und S. 125-127. 222 Vgl. Oliver Janz: [437], S. 68; Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich: [429], S. 37f; Gerd Krumeich: [461], S. 27-29; Jean-Jacques Becker/Gerd Krumeich: [357], S. 68 und S. 74f. 223 Vgl. Gerd Krumeich: [461], S. 27-30; Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich: [429], S. 37. 224 Vgl. Herfried Münkler: [482], S. 105. 225 Ebd., S. 106. 226 Vgl. ebd., S. 23f, S. 87-89 und S. 102-106; Jean-Jacques Becker/Gerd Krumeich: [357], S. 35. 227 Vgl. Herfried Münkler: [482], S. 100f; Jean-Jacques Becker/Gerd Krumeich: [357], S. 76. 228 Vgl. Herfried Münkler: [482], S. 100f. 229 Vgl. Oliver Janz: [437], S. 60f und S. 68.
3. Deutschland und die Kriegsschuldfrage
den anderen in die Schuhe zu schieben und sich hinter der Vorgabe, zur Verteidigung gezwungen worden zu sein, zu verstecken.230
3.3.2
Einordnung der Ausstellungen in die Forschung
In der Stuttgarter Ausstellung Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne wurde zu den Gründen, die zum Kriegsausbruch führten, keine Auskunft gegeben. Lediglich in der Begleitpublikation erwähnte das HdG, dass niemand den Ersten Weltkrieg »bewusst vom Zaun brechen, aber eben auch niemand verhindern wollte«231 . Damit griff das HdG indirekt die These von Oliver Janz und Jörn Leonhard nach den fehlenden oder zu späten Deeskalationsversuchen auf. Allerdings, so die Auskunft der Ausstellungsmacher, war zum Zeitpunkt der Eröffnung Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs noch nicht erschienen.232 Militarismus wurde in 1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg im HMP als Kriegsgrund angeführt, der in der neueren Forschung jedoch kaum mehr als Kriegsgrund genannt wird.233 Als weitere Ursache wurde der Ansatz der Kettenreaktion benannt, die aus den politischen Entscheidungen während der Julikrise entstand und die Gerd Krumeich auch in der Begleitpublikation des DHMs aufgreift.234 Details zum Ablauf der Krise fanden sich in der Ausstellung nicht. Die Speyerer Ausstellung verwies aber auf weitere Forschungsansätze, indem sie auf die gemeinsame Verantwortung der damaligen kriegführenden europäischen Nationen hinwies und zudem die These eines zweiten Dreißigjährigen Krieges verfolgte. Auch wenn Christopher Clarks Die Schlafwandler nicht direkt Einfluss auf die Ausstellungsinhalte nahm, so wurden Gerd Krumeich und Jean-Jacques Becker für die Ausstellung rezipiert, ohne aber Details zu deren Ansatz zu benennen. Die These vom Lokalisierungsversuch und gleichzeitigem Austesten, wie bereitwillig Russland in einen Krieg eintreten würde, wurde jedenfalls nicht aufgegriffen.235 Die Ausstellungsmacher von 1914-1918. Der Erste Weltkrieg konzentrierten sich auf die Erwähnung der These vom Weltmachtstreben des deutschen Kaisers. Damit verbunden 230 Vgl. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich: [429], S. 44. 231 Thomas Schnabel: [290], S. 5. 232 Vgl. Judith Heß: Experteninterview HdG [216], S. 88; Oliver Janz: [437], S. 69; Jörn Leonhard: [469], S. 119f. 233 Vgl. Historisches Museum der Pfalz (Hg.): Sektionstext [89]; Herfried Münkler: [482], S. 62. Entgegen der Auffassung der Speyerer Ausstellungsmacher sieht Herfried Münkler den Militarismus, nicht als den kriegstreibenden Faktor. Er verweist darauf, dass es zwar eine kontrovers geführte Debatte in den Vorkriegsjahren gab, bei der »die Anhänger des Führbarkeitstheorems« (Herfried Münkler: [482], S. 62.) jedoch in der Defensive blieben. Auch spricht die Höhe der Rüstungsausgaben im Kaiserreich und der Anteil der deutschen Streitkräfte und Wehrpflichtigen auf die deutsche Bevölkerung pro Kopf verteilt, nicht für einen entscheidenden Einfluss des Militarismus. Deutschland lag hier im Vergleich mit anderen europäischen Ländern zurück. Worin der Militarismus jedoch eine bedeutende Rolle spielte, war die militärstrategische Planung, so Münkler. Vgl. hierzu ebd., S. 62f und S. 70f. 234 Vgl. Historisches Museum der Pfalz (Hg.): Sektionstext [84]; Gerd Krumeich: [266], S. 13. 235 Vgl. Judith Heß: Experteninterview HMP [217], S. 67; Jean-Jacques Becker/Gerd Krumeich: [357], S. 76.
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Europäisierung des Gedenkens?
sahen die Berliner und Gerd Krumeich das Wettrüsten und ein Konkurrenzdenken sowohl auf politischer, militärischer als auch wirtschaftlicher Ebene. Der Schlieffen-Plan war im von preußischem Obrigkeitsdenken geleiteten adligen Führungsstab ausschlaggebend für den Ausbruch eines von deutscher Seite als Präventivmaßnahme deklarierten und für unausweichlich gehaltenen Krieges.236 Die Berliner Ausstellung durchleuchtete die Hintergründe für den Kriegsausbruch nicht im Detail, wie es die im Vorfeld der Ausstellungseröffnung aufgekommenen Diskussionen hätten vermuten lassen, da dies nicht im Fokus des Ausstellungsnarrativs stand.237 Trotzdem wurde ausgeführt, dass sich vor allem die Führung im Deutschen Reich von Militarismus, Imperialismus und Nationalismus verleiten ließ, den 1905 ausgearbeiteten Schlieffen-Plan in die Tat umzusetzen. Die Darstellung der Rolle der SPD, allen voran Karl Liebknecht, zeigte, dass Deutschland gespalten war und nicht alle einen Krieg befürworteten. Dass während der Julikrise militärstrategische Überlegungen über politische gestellt wurden, zeigte insbesondere Herfried Münkler auf, der auch im Fachbeirat des DHMs tätig war.238 Ähnlich wie die Speyerer Ausstellung zeigte das MHM in 14 – Menschen – Krieg mehrere Gründe auf, die zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges führten. Das Attentat von Sarajevo wurde als Auslöser benannt, der das Fass, angefüllt mit Nationalismus, Imperialismus und innenpolitischen Problemen auf der österreich-ungarischen Seite, zum Überlaufen brachte und die Kettenreaktionen der Julikrise auslöste. Damit folgten die Kuratoren beispielsweise der Sicht von Jörn Leonhard oder Jost Dülffer.239 Die Dresdner Ausstellung ging in ihrer Darstellung der Ereignisse um den Ausbruch des Ersten Weltkrieges in Bezug auf die Kriegsschuldfrage keine neuen Wege. Die Erklärung, dass das Attentat von Sarajevo den Konflikt mit Österreich-Ungarn verschärfte und Deutschland mit der Zusicherung der unbedingten Bündnistreue der k.u.k. Monarchie ungeachtet des drohenden gesamteuropäischen Krieges Rückdeckung für ihr Handeln gab, entspricht dem gängigen Narrativ der Ereignisse um den Kriegsausbruch.240 Wer die Verantwortung am Kriegsausbruch trug, wurde im MHM nicht deutlich benannt. Aufgrund der ausführlichen Darstellung des Vorgehens der k.u.k. Monarchie ist anzunehmen, dass von einer großen Verantwortung Österreich-Ungarns ausgegangen wurde. Gleichzeitig hob das MHM auf den modifizierten Schlieffen-Plan ab, der das Denken der Militärs in Deutschland maßgeblich prägte.241
236 237 238 239
Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext [25]; Gerd Krumeich: [266], S. 12f. Vgl. Judith Heß: Experteninterview DHM [214], S. 14. Vgl. Herfried Münkler: [482], S. 80f. Vgl. u.a. bei ebd., S. 101-103; Gerd Krumeich: [461], S. 29f; Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich: [429], S. 36f; Jörn Leonhard: [469], S. 94f; Jost Dülffer: [384], S. 240. 240 Vgl. Jean-Jacques Becker/Gerd Krumeich: [357], S. 67; Gerd Krumeich: [461], S. 29f; Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich: [429], S. 36f; Oliver Janz: [437], S. 60f; Jörn Leonhard: [469], S. 91. 241 Vgl. insbesondere bei Oliver Janz: [437], S. 68; Gerd Krumeich: [461], S. 29f; Gerhard Groß: [252], S. 29-31; Herfried Münkler: [482], S. 87f.
3. Deutschland und die Kriegsschuldfrage
3.3.3
Geschichtsbild Ausstellungen zur ›Kriegsschuldfrage‹
Die öffentliche Diskussion, die durch Christopher Clarks Die Schlafwandler im Jahr 2013 in Deutschland ausgelöst wurde, wurde auch von den Ausstellungsmachern der hier untersuchten Ausstellungen wahrgenommen. Jedoch lag deren Augenmerk nicht darauf, die Thematik auch aufzugreifen. Zum einen ließen dies die spezifischen Fragestellungen der jeweiligen Ausstellungsnarrative nicht zu, so die Kuratoren. Und zum anderen wäre es nicht die Aufgabe von Ausstellungen, Forschungsdebatten zu vermitteln.242 Dies erklärt, warum in der Öffentlichkeit breit diskutiert wurde und die Ausstellungen diese Diskussion nicht aufgriffen beziehungsweise nicht vertiefend darstellten. In den untersuchten Ausstellungen in Deutschland wurde sowohl durch die Exponatauswahl als auch durch die Erläuterungen der Ausstellungstexte ein bestimmtes Geschichtsbild zur Frage nach den Kriegsursachen und der Verantwortlichkeit am Ausbruch des Ersten Weltkrieges konstruiert. Die gezeigten Objekte gehörten in der Regel zur Flachware, die mehr durch ihre ›Authentizität‹ zu beeindrucken wussten als durch die Optik, wie beispielsweise eine Abschrift der Denkschrift Alfred Graf von Schlieffens, der sogenannte Schlieffen-Plan. Das Argument der Kuratoren, dass die Thematik der Schuldfrage für die Besucher optisch unattraktiv und an sich schwer darstellbar sei, lässt sich meines Erachtens nur teilweise aufrechterhalten. Beispielsweise steht durch das Pepper’s-Ghost-Verfahren, das das HdG in seiner Ausstellung konsequent nutzte, durchaus eine praktikable und attraktive Möglichkeit zur Verfügung, auch schwer leserliche Exponate für die Besucher attraktiv darzustellen. So wäre aus Besuchersicht eine Vitrine mit Telegrammen, die zwischen Berlin, Wien, St. Petersburg, Brüssel, London und Paris ausgetauscht worden waren, möglicherweise optisch im Vergleich zu einer Uniform nicht ganz so attraktiv. Aber trotz einer vermeintlich nicht ansprechenden Optik, können solche Dokumente überzeugen. Denn sie kontextualisieren das Ringen um die Entscheidungen zu den Mobilmachungen und Kriegserklärungen durch die ›Aura des Originals‹. Die Stuttgarter Ausstellung war die Einzige, die wenn auch nur angedeutet in der Begleitpublikation nicht aber in der Ausstellung selbst auf die Frage nach der Schuld und der Verantwortung am Ersten Weltkrieg einging.243 In der Ausstellung selbst erhielten die Besucher keinerlei Auskünfte zu den Ereignissen der Julikrise. Ein Geschichtsbild zur Verantwortung am Kriegsausbruch suchte man dort also vergebens. Trotz der in der Begleitpublikation angedeuteten Frage nach fehlenden oder zu späten Deeskalationsversuchen bezog die Ausstellung einen Standpunkt, der am ehesten noch für eine geteilte Verantwortung plädiert. Für die anderen Ausstellungen lässt sich in einer Zusammenschau mit den Begleitpublikationen ein gemeinsamer Tenor feststellen. Inhaltlich und inszenatorisch bezogen die Ausstellungen Position, wenngleich nur als Nebenerzählung. Sie wollten durch-
242 Vgl. Judith Heß: Experteninterview HdG [216], S. 87f; Dies.: Experteninterview HMP [217], S. 67; Gerhard Bauer: [229], S. 8. 243 Vgl. Thomas Schnabel: [290], S. 5.
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Europäisierung des Gedenkens?
aus das Bild einer gemeinsamen Verantwortung der Kriegsgegner zeichnen.244 Jedoch ohne dabei einzelne beteiligte Staaten herausauszuheben, die Verantwortungen zu gewichten oder abzuwiegeln, und damit einzelne Forschungsansätze in den Ausstellungstexten direkt aufzugreifen, die entweder Deutschland, Österreich-Ungarn oder Russland eine erhöhte Verantwortung zuschreiben oder ihnen wie Clark schlafwandlerische Handlungen zugestehen. Die Ausstellungen boten ein sehr vereinfachtes Geschichtsbild an. Das Attentat auf den österreichischen Thronfolger wurde dabei als Ausgangspunkt benannt, das zu einer Kettenreaktion, der sogenannten Julikrise, führte. An deren Ende standen sich die Nationen in einem Weltkrieg gegenüber. Hinter der deutschen Vorgehensweise steckten in erster Linie die ambitionierten Weltmachtbestrebungen des deutschen Kaisers, die Flottenaufrüstung und vor allem die Furcht vor einem Funktionieren der Bündnissysteme, wenn es zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den europäischen Großmächten kommen würde. In dieser Lage überließ man dem Primat des Militärs den Handlungsspielraum. Militärtaktische Überlegungen wurden einer diplomatischen und politischen Vorgehensweise vorgezogen. Gleichzeitig wurde die Rolle ÖsterreichUngarns und dessen Motivation, hart gegen die serbischen Unabhängigkeitsbestrebungen vorzugehen, sowie die Rolle Russlands und dessen Treue zu seinem Bündnispartner zu testen als wichtige Argumente benannt. Insgesamt zeichnete sich ein Geschichtsbild ab, das eine von militärstrategischen Überlegungen, falsch verstandener Treue und vor allem eine von Furcht bestimmte hochgekochte Stimmung unter den europäischen Führungskreisen im Juli 1914 zeigte. Frieden zu wahren war den Akteuren in Berlin, Wien und St. Petersburg angesichts eines vermeintlichen Prestigeverlusts nicht wichtig genug. Nationale Interessen wurden im Zweifel durch Krieg – in zeitgenössischer Sicht ein legitimes Mittel – durchgesetzt.
244 Vgl. beispielsweise Judith Heß: Experteninterview DHM [214], S. 25f; Dies.: Experteninterview MHM [220], S. 54; Historisches Museum der Pfalz (Hg.): Sektionstext [86].
4. Großbritannien und die Kriegsschuldfrage
Die Frage nach der Schuld am Ersten Weltkrieg beziehungsweise nach der Verantwortung am Ausbruch des Ersten Weltkrieges führte im Laufe der Jahrzehnte in der deutschen Forschungslandschaft immer wieder zu heftigen Diskussionen. Die Verantwortung und damit auch die Hauptlast am Ausbruch des Krieges sieht die anglo-amerikanische Forschung überwiegend im Handeln Deutschlands.1 Jedoch gehen auch britische Forschungen, wenngleich auch in einem geringeren Umfang wie in Deutschland, der Frage nach, inwiefern nicht auch die anderen Großmächte eine erhebliche Verantwortung am Kriegsausbruch trugen. In Großbritannien wird vor allem das eigene Handeln hinterfragt, das zur Kriegserklärung an das Deutsche Reich führte. Dabei stand weniger das Attentat in Sarajevo im Fokus als vielmehr die Frage, wie entscheidend die Neutralitätsverletzung Belgiens durch die deutschen Truppen war.2 Die Frage, wie und warum es zum britischen Kriegseintritt kam, wenn die britischen Interessen von den Spannungen zwischen Österreich-Ungarn und Serbien nicht berührt worden waren, führte in der angloamerikanischen Forschungslandschaft zu unterschiedlichen Ansätzen. Folglich geht es in der Diskussion weniger darum, die Rolle Großbritanniens im Hinblick auf die Verantwortung am Kriegsausbruch im Rahmen einer Schulddebatte zu untersuchen. Es wird weit mehr darüber gestritten, ob es eine Notwendigkeit gab, in den europäischen Krieg einzutreten oder nicht. Im Folgenden wird aufzuzeigen sein, welche Rolle Großbritannien während der Julikrise spielte und ob sich dabei Unterschiede zwischen Forschung und Ausstellungen feststellen lassen.
1
2
Vgl. David Stevenson: The First World War and International Politics, Oxford 1991, S. 16f. In seinem Buch The Outbreak of the First World War. 1914 in Perspective schreibt Stevenson sogar davon, dass es Deutschlands Entscheidung gewesen sei, einen europäischen Krieg zu beginnen. Vgl. Ders.: The Outbreak of the First World War. 1914 in Perspective (= Studies in European History), Basingstoke 1997, S. 28. Vgl. hierzu Hew Strachan: [510], S. 40.
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Europäisierung des Gedenkens?
4.1
Ausstellungen zur Kriegsschuldfrage
Die First World War Galleries im IWM in London beschäftigten sich in einem kleinen Bereich mit den Ereignissen der Julikrise. Als ausschlaggebendes Ereignis der Krise wurde das Attentat auf den österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand benannt. Es sei die Initialzündung für die Kriegserklärung Österreich-Ungarns – »encouraged by Germany«3 – an Serbien gewesen. Die darauffolgende Kettenreaktion aus Mobilisierungs- und Kriegserklärungen wurde im Ausstellungstext zusammengefasst: Deutschland wollte unbedingt Österreich-Ungarn unterstützen und Russland entschied sich, auf Seiten Serbiens zu stehen. Dies wiederum führte dazu, dass Deutschland einen Vorteil zu erzielen glaubte, wenn es zuerst losschlug, und erklärte daher selbst zuerst Russland und dann Frankreich den Krieg.4 Zur Rolle Großbritanniens Ende Juli Anfang August 1914 wurde erläutert, dass einige Briten gegen einen Krieg waren. Auch die Regierung unter Premierminister Herbert Asquith habe sich mit der Frage gequält, Russland und Frankreich zu unterstützen. Denn es sei befürchtet worden, dass ein siegreiches und feindliches Deutschland den europäischen Kontinent dominieren könnte und dadurch die britische Sicherheit und seine Position in der Welt bedrohen würde. Letztlich habe die deutsche Invasion Belgiens auf dem Durchmarsch nach Frankreich den Ausschlag gegeben, dass Großbritannien am 4. August 1914 Deutschland den Krieg erklärte. Großbritannien habe zuvor versprochen, das Recht Belgiens auf Neutralität zu verteidigen.5 Zur Illustration zeigte das IWM eine Filmsequenz zu britischen Zeitungsartikeln, die das Attentat von Sarajevo und die daran anschließende Krise thematisierten. Unter anderem wurde die Titelseite des London Couriers vom 28. Juli 1914 gezeigt. Darauf waren die Portraits des österreich-ungarischen Kaisers Franz Joseph I. und des serbischen Königs Peter I. abgebildet, die sich über einer Karte der Grenzregion Ungarn Serbien feindlich anstarren. Die Schlagzeile dazu lautete, dass die österreich-ungarische Regierung Serbien offiziell den Krieg erklärt habe und bereits am 30. Juli 1914 erste Kriegshandlungen und der Beschuss Belgrads erfolgt wären. Die Sequenz endete mit Artikeln zur britischen Kriegserklärung am 4. August 1914 um 23 Uhr.6 Der Ausbruch des Krieges wurde in der Sektion Shock, in der es von Geschützdonner widerhallte, mit einer Sammlung an Uniformen kontextualisiert. Neben einer österreichischen Uniform wurden die Uniformen eines russischen Artillerieoffiziers, eines deutschen und eines französischen Infanteristen gezeigt. Die einleitenden Worte bezüglich möglicher Kriegsgründe lauteten, dass Österreich-Ungarn »set out to crush
3
4 5 6
Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext »Why war?«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). In der Multimediastation in diesem Bereich wurde eine Ausgabe des London Couriers zitiert, in der es hieß »[o]ne month later Austria-Hungary, with German encouragement, declares war on Serbia.« Imperial War Museum (Hg.): Touchscreenstation »Europe’s Hour of Destiny. German newspaper editorial, 1 August 1914«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Vgl. ebd. Vgl. für den gesamten Abschnitt ebd. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Touchscreenstation [147].
4. Großbritannien und die Kriegsschuldfrage
Serbia and fight Russia«7 , wobei die russische Armee zu einem Großteil aus Bauern bestand, die nur unwillig in den Krieg zogen. Im Gegensatz dazu galten die deutsche Armee und die deutsche Infrastruktur als die besten ihrer Zeit in Europa. Die deutschen Truppen fielen in Belgien und Frankreich ein, indem sie am Tag durchschnittlich 12 Meilen beladen mit Ausrüstung und Bewaffnung zurücklegten.8 Im Ausstellungsbereich »Europe’s Hour of Destiny« [Herv. i.O. groß, in blauer Schrift]9 wurde gezeigt, dass Deutschland plante, Frankreich schnell zu besiegen, um anschließend gegen Russland loszuschlagen. Doch der deutsche Vormarsch nach Frankreich kam bereits an der Marne zu einem Halt und auch der österreich-ungarische Kampf gegen Serbien und Russland scheiterte kläglich.10 Die Handlungsweise der britischen Regierung stellte das IWM eher als passiv dar. Die Regierung habe zwar auch eigene Interessen im Krieg vertreten, aber sie sei dem Krieg nicht beigetreten, weil sie selbst angegriffen wurde, sondern der Bündnispartner Belgien. Zeitgenössische Berichte aus Belgien von feindlichen Gräueltaten hätten den Hass auf Deutschland und die Deutschen in der britischen Bevölkerung verstärkt. Infolgedessen wurden seitens der britischen Propaganda die Ereignisse in Belgien zur Rekrutierung und Mobilisierung der heimischen Bevölkerung verwendet. Gleichzeitig dienten die deutschen Gräueltaten als Begründung, einen Krieg zur Verteidigung der zivilisatorischen Werte zu kämpfen.11 Dass die Ausstellung den Ereignissen der Julikrise und dem Kriegseintritt Großbritanniens nur wenig Raum gab, lag daran, dass die Thematik für eine Ausstellung zu kompliziert sei, um den Besuchern die unterschiedlichen Nuancen der britischen Politik näher zu bringen.12 In der Begleitpublikation zur Ausstellung wurden die Umstände des britischen Kriegseintritts etwas ausführlicher erläutert. Seit der Jahrhundertwende wurde Deutschland für seine Kultur bewundert und stellte zunächst einmal keine Bedrohung dar.13 Mit Beginn der Aufrüstung der deutschen Flotte begann man jedoch zu fürchten, dass Deutschlands Streben zur Weltmacht eine Bedrohung für die britische Seeherrschaft darstellen könnte.14 Noch bis Mitte Juli 1914 habe die britische Bevölkerung nicht daran geglaubt, dass ein europäischer, und erst recht kein weltweiter, Krieg kurz vor seinem Ausbruch stünde. Vielmehr fokussierte man sich in Großbritannien 7
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9 10 11 12 13 14
Imperial War Museum (Hg.): Zusammenfassung »The army of the Austro-Hungarian Empire, which set out to crush Serbia and fight Russia«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Zusammenfassung »Most soldiers in the Russian Army were peasants.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Zusammenfassung »The German Army was led by the world’s most professional officers.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Exponatgruppentext »This is the uniform of a German private of the 56th Infantry Regiment.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [95]. Vgl. ebd. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [96]; Id. (Hg.): Bereichstext [92]; ebenso bei Paul Cornish: [243], S. 42-59. Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 106f. Vgl. Paul Cornish: [243], S. 18. Vgl. ebd., S. 19.
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Europäisierung des Gedenkens?
auf den politischen und industriellen Wettstreit im eigenen Land, da hiervon eher eine Bedrohung für das gesellschaftliche Zusammenleben erwartet wurde.15 Dennoch, so Paul Cornish, der Autor der Begleitpublikation zu den First World War Galleries, machten die europäischen Allianzen, die bereits in der Marokko-Krise oder in den Balkankriegen zum Tragen kamen, einen europäischen Krieg nicht unausweichlich, sondern eher noch wahrscheinlicher.16 So sei die deutsche Ermutigung Österreich-Ungarns, hart gegen Serbien vorzugehen, die ausschlaggebende Entscheidung gewesen, die zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges führte. Deutschland habe sich von Russland, Frankreich und Großbritannien eingekreist und in seinem Streben nach der Position einer Weltmacht bedroht gefühlt. Folglich hielten viele in den deutschen Streitkräften und der Regierung einen Krieg für unausweichlich.17 Zur Einkreisungstheorie fand sich in der Ausstellung ein Plakat, das die deutschen Kriegsgegner im Westen und im Osten zeigte und die deutsche Befürchtung »Germany was ›encircled‹ and could only defend itself by going to war«18 illustrierte. Cornish führte in der Begleitpublikation weiter aus, dass Russlands Mobilmachung zur Unterstützung Serbiens im Krieg gegen Österreich-Ungarn Deutschland bewog, den Schlieffen-Plan von 1905 umzusetzen. Frankreich fühlte sich verpflichtet, Russland beizustehen und sah nach 1871 wohl auch eine Möglichkeit, sich für die Niederlage bei Deutschland zu revanchieren. Letztlich hatte Frankreich aufgrund der deutschen Strategie jedoch keine andere Wahl, als in einen Krieg einzutreten, als Deutschland am 3. August 1914 in Umsetzung des Schlieffen-Plans Frankreich den Krieg erklärte.19 Bis zum 29. Juli 1914 hatte Großbritannien noch versucht, die europäischen Großmächte zu einer diplomatischen Lösung der Situation zu bewegen. Trotz seiner Abkommen sah man gegenüber Frankreich oder Russland keine Verpflichtung für einen militärischen Beistand. Gleichzeitig wollte Großbritannien verzweifelt eine deutsche Vormachtstellung in Europa verhindern. Die Befürchtung, selbst im Falle einer Niederlage Deutschlands, seinen Rang in der Welt zu verlieren, wenn man sich heraushalten würde, war sehr groß. Daher wurde die deutsche Forderung nach der britischen Neutralität im Tausch gegen das Versprechen des Kaisers nicht in Frankreich oder Belgien einzufallen, auch eher als Bedrohung denn als eindringliche Bitte aufgefasst. Bis dahin quälte sich das Kabinett mit der Frage über den Kriegseintritt und reagierte, wie auch die britische Öffentlichkeit, auf die Berichte über den deutschen Truppeneinmarsch in Belgien empört. Deutschland verletzte damit seine vertragliche Zusicherung gegenüber Belgien und somit auch gegenüber Großbritannien.20 »Beyond the moral issues involved, this was a matter of vital national interest«21 , denn man fühlte sich durch eine deutsche
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19 20 21
Vgl. ebd., S. 13. Vgl. ebd., S. 19f. Vgl. ebd., S. 22. Imperial War Museum (Hg.): Exponattext »These posters give a German view of ›Our Enemies in the West‹, the French, British and Belgians, and ›Our Enemies in the East‹«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Vgl. Paul Cornish: [243], S. 23. Vgl. für den gesamten Abschnitt ebd. Ebd.
4. Großbritannien und die Kriegsschuldfrage
Kontrolle der belgischen Nordseeküste getroffen »like a dagger aimed at the heart of Britain.«22 Schlussfolgernd wurde in der Begleitpublikation erläutert, dass ein britisches Ultimatum zum Rückzug aus Belgien von Deutschland nicht beantwortet wurde, woraufhin Großbritannien am 4. August 1914 Deutschland den Krieg erklärte. Die Kriegserklärung wurde jedoch nicht von allen Mitgliedern der britischen Regierung unterstützt. Und auch viele Banker sahen die Position Großbritanniens im Finanzsektor dadurch bedroht. Die meisten Briten akzeptierten die Entscheidung der Regierung jedoch als richtig.23 Der Blick der Ausstellung From Street to Trench: A World War that Shaped a Region im IWMN in Manchester richtete sich weniger auf die politischen Ereignisse als auf die wirtschaftliche und soziale Situation der Briten in der Zeit vor und kurz nach dem Kriegsausbruch, insbesondere im industriell geprägten Nordwesten Englands rund um Manchester. Das Ausstellungsnarrativ sah die Darstellung der politischen Lage in den europäischen Hauptstädten während der Julikrise ebenso wenig vor wie eine Schilderung der Überlegungen der britischen Regierung hinsichtlich des Kriegseintritts. Der Verzicht auf die Thematisierung des Kriegsausbruchs hing zum einen damit zusammen, dass die Ausstellung einen regionalen Fokus hatte und zum anderen, dass die Darstellung der komplizierten Abläufe sehr viel Erklärungs- und Erläuterungsbedarf nach sich gezogen hätte. Aus Kuratorensicht war diese Thematik eher im IWM in London anzusiedeln als im IWMN mit seiner regionalen und lokalen Ausrichtung.24 Die Ausstellung Outbreak 1914: Wales Goes to War im FLM hatte gegenüber den Ausstellungen in London und Manchester sowohl den inhaltlichen als auch den zeitlichen Schwerpunkt auf dem Jahr 1914. Demnach wäre in der Ausstellung auch eine Darstellung zu den Ereignissen der Julikrise und zum britischen Kriegseintritt zu erwarten gewesen. Jedoch beschäftigte sich auch die Ausstellung in Cardiff aufgrund ihrer regionalen Ausrichtung und dem Schwerpunkt des Museums, der Darstellung der Geschichte der eigenen Regimenter, nur sehr kurz mit den politischen Ereignissen, die zum Kriegsausbruch und zum Kriegseintritt Großbritanniens führten.25 Dabei lag der Fokus im Unterschied zu den Ausstellungen des IWMs oder des IWMNs auf der Geschichte der britischen Armee und nicht auf der Darstellung der politischen oder gesellschaftlichen Situation in Großbritannien.26 So erfuhren die Besucher, dass im Jahr 1908 eine Reform der Armee erfolgte, die darauf abzielte, dauerhaft eine kleine, aber hochtrainierte Armee zur Stabilität des britischen Empires zu unterhalten. Mit einem großflächigen Krieg habe zu diesem Zeitpunkt weder das Militär noch die Regierung gerechnet.27
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Ebd. Vgl. ebd., S. 23 und S. 25. Vgl. hierzu Judith Heß: Experteninterview IMWN [219], S. 129. Vgl. Judith Heß: Experteninterview FLM [215], S. 146-148. Vgl. ebd., S. 148. Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext [47].
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Europäisierung des Gedenkens?
Das Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo bildete den Einstieg in die Darstellung der Ereignisse um den britischen Kriegseintritt. Es wurde als Auslöser einer Reihe von Geschehnissen, die zu massiven Spannungen in Europa und letztlich zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges führten, bezeichnet. Zum Attentat wurde eine Fotografie des Herzogpaares gezeigt, unmittelbar, bevor es in das mit offenem Verdeck wartende Auto einstieg, in dem es kurz darauf erschossen wurde.28 In der Sektion Qutbreak folgte die sehr kurz gehaltene Darstellung der letzten Tage der Julikrise und die ausschlaggebenden Argumente zur Entscheidung der Regierung. Bereits Jahrzehnte vor 1914 waren die europäischen Großmächte in territoriale Auseinandersetzungen verstrickt gewesen. Allianzen wurden geschlossen, oder sich im Rüstungswettlauf auf den Ausbau von Marine und Armee bereits auf einen Krieg in Europa vorbereitet. Der Kriegseintritt Großbritanniens gründete auf dem Vertrag von London aus dem Jahr 1839, in dem die unterzeichneten Staaten die belgische Neutralität zusicherten.29 Das Überschreiten der belgischen Grenze durch die deutsche Armee am 4. August 1914 begründete den Eintritt Großbritanniens in einen westeuropäischen Krieg, erstmals seit der Schlacht von Waterloo.30
4.2
Forschungen zur Kriegsschuldfrage
Der britische Weltkriegshistoriker David Stevenson sieht die Hauptverantwortung am Kriegsausbruch aufgrund der Zusicherung des deutschen Kanzlers Bethmann Hollweg an Österreich-Ungarn, dass Deutschland eine sofortige Aktion gegen Serbien in »›whatever way‹«31 unterstützen würde, bei Deutschland. Österreich-Ungarn wurde damit ermutigt sein Ultimatum an Serbien ohne Verzögerungen zu vollstrecken, was eine frühe Kriegserklärung bedeutete. The German Government unquestionably desired and encouraged an Austro-Serb conflict. In the end it initiated war against Russia and France, although alleging that Russian mobilisation had provoked it. Finally, rather than modify its plan of campaign, it reluctantly accepted hostilities with Britain, opening a conflict that spread far beyond Europe’s shores. These distinctions between the local, continental, and global stages of escalation must be kept in mind when approaching the problem of responsibility.32 Erst zwischen dem 26. Juli und dem 30. Juli 1914 startete Reichskanzler Bethmann Hollweg einen kurzen und halbherzigen Versuch, Österreich-Ungarn noch zurückzuhalten, der nicht von Erfolg gekrönt war.33 28
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Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Exponattext »Assassination in Sarajevo«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext [45]. Vgl. ebd. Zitiert nach David Stevenson: [508], S. 8. Ebd., S. 9. Vgl. David Stevenson: [508], S. 16.
4. Großbritannien und die Kriegsschuldfrage
Stevenson zufolge wusste Deutschland, dass mit der Entscheidung, St. Petersburg und Paris ein Ultimatum zu stellen und den Kriegsgefahrenzustand in Deutschland auszurufen, nicht nur Feindseligkeiten gegen Russland und Frankreich geschürt wurden, sondern fast schon sicher auch gegen Großbritannien.34 Auch Mark Hewitson, Historiker für deutsche Geschichte und Politik, kommt in seiner Studie zu dem Schluss, dass Deutschland die Verantwortung am Ersten Weltkrieg zu tragen hat. Er untermauert dafür die These Fritz Fischers aus den 1960er Jahren, »that German leaders were confident that they could win a continental war, that they pursued an offensive policy – at the risk of such a war – at important junctures during the 1900s and 1910s, and that they chose to enter a world war in July 1914.«35 Entgegen der Meinung der Revisionisten, die die deutsche Politik im Gegensatz zu Fischer als defensiv im Sinne eines Vorwegnehmens eines potenziellen Krieges oder als die »Flucht nach vorn«36 beschrieben, argumentiert Hewitson, dass vielmehr die Armee und die Regierung bereits vor 1914 auf einen Krieg hinarbeiteten.37 Dies war die »consequence of a belief in the ascendancy of the German nation-state […], in the validity of war as an instrument of policy […], and in the decisiveness of power politics – not law – in international relations«38 . Hewistons These nach war Frankreich als Erzfeind Deutschlands im Winter 1913 weggefallen und Russland an dessen Stelle getreten. Das Zarenregime und die »›Slav‹ barbarity«39 waren traditionell Schreckbilder der Linksliberalen, der Sozialisten und der demokratischen Katholiken, die die Reichsregierung nutzte, um im Juli 1914 Russland als entscheidenden Aggressor darzustellen. Dies bedeute nicht, dass die deutsche Führung unbedingt einen Krieg plante, dass sie aber eine waghalsige Politik entlang eines Abgrunds, wie sie es jahrelang mit Frankreich tat, fortführte, so Hewitson, der damit den defensiven Befunden der Revisionisten widerspricht.40 Francis Hinsely, britischer Historiker für internationale Beziehungen, folgert, dass den europäischen Großmächten als letzte Möglichkeit lediglich blieb, sich auf die vorhandenen und bewährten Mittel der Balance of Power der verschiedenen Allianzen und der militärischen Kräfte zu verlassen.41 Er ist der Ansicht, dass der Erste Weltkrieg auf Grund zweier Ereignisse ausbrach. Zum einen waren dies die Entscheidungen der 34
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Vgl. ebd., S. 28; Ders.: [507], S. 17; Ders.: 1914-1918. The History of the First World War, London 2004, S. 16 und S. 31f. Dass der Frieden in Europa letztlich so schnell kollabieren konnte – innerhalb von nur knapp einem Monat –, sieht Stevenson in der Charakteristik der internationalen Bündnissysteme und den Entscheidungen der einzelnen Regierungen begründet. Durch die Bündnisse wurden Staaten zu Opfern und durch ihre Entscheidungen die Regierungen zu Tätern. Grundsätzlich war der Friede in Europa zu dieser Zeit zerbrechlich und dies verschärfte sich noch. Vgl. Ders.: [505], S. 40. Denn die Großmächte hatten »the capacity, if not necessarily the intention, to wage a great war and given that capacity they were always liable to do it. Neither the Concert of Europe nor the Second International could stop them.« Ebd., S. 41. Mark Hewitson: Germany and the Causes of the First World War, Oxford/New York 2004, S. 3. Ebd., S. 13. Vgl. ebd., S. 3f. Ebd., S. 13. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. Francis Hinsely: Introduction. The Origins of the First World War, in: Keith Wilson (Hg.): Decisions for War, 1914, Nachdruck der ersten Auflage von 1995, London 1998, S. 7.
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Europäisierung des Gedenkens?
deutschen Führung am Ende der Julikrise und zum anderen waren diese Entscheidungen Teil eines größeren und nicht mehr abwendbaren Prozesses, der unweigerlich zum bewaffneten Konflikt führen musste.42 Demnach wurde der Erste Weltkrieg dadurch verursacht, dass die Deutschen [s]elf-assertive on account of Germany’s power, they resented any check to their assertiveness as a hostile act. Insecure in spite of Germany’s power, their suspicion blinded them to the threat they posed to the security of others. And instead of learning from experiences these attitudes led to setbacks, they became more assertive and felt more insecure after every disappointment, and thus were always raising the tests for what would give them satisfaction.43 Einer der führenden Weltkriegshistoriker, Hew Strachan, folgt in der Frage, wie es zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges kommen konnte, in weiten Teilen traditionellen Forschungsansätzen. Seines Erachtens nach sei neben der Dynamik, die in der Julikrise entstand, oder dem Verhalten und den individuellen Erfahrungen der einzelnen Protagonisten und Akteure, zu einem Großteil Österreich-Ungarn für den Kriegsausbruch zu beschuldigen und weniger Berlin. Die Regierung in Wien hatte zwar keinen europäischen und erst recht keinen Weltkrieg auslösen wollen, jedoch drängte sie bereitwillig auf einen weiteren Balkankrieg. Wobei Strachan den Krieg weder als vermeidbar noch als unumgänglich betrachtet. Denn sowohl der deutsche Kanzler Bethmann Hollweg, der russische Zar Nikolaus II., aber auch der britische Außenminister Grey hätten zwar den Ernst der Lage wahrgenommen und waren sich über die möglichen Dimensionen eines Krieges im Klaren, jedoch trieben sie durch ihre Entscheidungen und Handlungen einen Ausbruch auch weiter voran.44 Dass Wien eine Hauptverantwortung trägt, sieht auch Samuel Williamson als erwiesen an, allerdings gemeinsam mit Berlin. Weiterhin sieht er im russischen Verhalten einen bedeutenden Anteil am letztendlichen Kriegsausbruch, da Russland nicht bereit war, mit Berlin oder Wien zu verhandeln. Die russische Generalmobilmachung am 30. Juli 1914 garantierte die Katastrophe. Dabei war Frankreich das Opfer der deutsch-russischen Aggressionen und konnte aus dem Bündnis mit Russland kaum Nutzen ziehen. Vielmehr musste es auf die britische Unterstützung hoffen.45 Eine andere Sicht auf die Verantwortung nach dem Kriegsausbruch haben Richard Hamilton und Holger Herwig. Den beiden Historikern zufolge war der Erste Weltkrieg zum einen kein Unfall der Geschichte und somit auch nicht aus Unachtsamkeit ausgebrochen. Im Gegenteil, die Regierungen hätten bewusst die Wahl zu kämpfen anstatt nachzugeben getroffen.46 Zum anderen legen Hamilton und Herwig sich fest, dass sich 42 43 44 45
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Mit dieser Argumentation folgt er James Joll aus den 1980er Jahren. Vgl. ebd., S. 3f. Ebd., S. 7. Vgl. Hew Strachan: The Outbreak of the First World War, Neudruck der Ausgabe von 2004, Oxford 2007, S. vii. Vgl. zum Abschnitt Samuel Williamson: The Origins of War, in: Hew Strachan (Hg.): The Oxford Illustrated History of the First World War, Neuauflage der Erstveröffentlichung 1998, Oxford/New York 2014, S. 27. So der Kommentar von David Stevenson zu Richard Hamiltons und Holger Herwigs Decisions for War, 1914-1917 aus dem Jahr 2004, das den aktuellen Forschungsstand zu den Gründen des Kriegs-
4. Großbritannien und die Kriegsschuldfrage
die Entscheidungsträger der Großmächte, Österreich-Ungarn, Deutschland, Russland, Frankreich und Großbritannien, auf allen Ebenen über die Gefährlichkeit der ineinander verketteten Abfolge der Entscheidungen bewusst waren, und dass es letztendlich diese Großmächte waren, deren Entscheidungen für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges verantwortlich waren.47 Am Ende trafen jeweils ein bis zwei Handvoll Entscheidungsträger auf Basis einer Mischung aus Gruppendynamik und Informationen, die auf Sichtweisen, Fakten, Logik und Argumentationen beruhten, die Entscheidung für einen Kriegseintritt.48 Vor allem für Hamilton ist die Zusammensetzung der Gruppe der Entscheidungsträger ausschlaggebend, die zum einen den adligen Dynastien entstammten und zum anderen von den Parteiführern ausgewählt wurden. Weiter sieht er als maßgeblich an, dass andere Gruppierungen, wie beispielsweise aus Wirtschaft, Finanzen und der Bourgeoisie, in diesen kleinen Gruppen nicht vertreten waren. Hätten diese Gruppierungen die ausschlaggebende Meinung gehabt, so wäre es nach Hamiltons Ansicht nicht zum Krieg gekommen.49 »Put differently, the war happened because premodern elites, the dynasts, were still in power.«50 Kritisch sehen Hamilton und Herwig die bereits seit den 1920er Jahren diskutierten Gründe für den Krieg, wonach Militarismus, Nationalismus, Wirtschaftsimperialismus, ein System geheimer Allianzen, Presseagitation – wobei diese These in der heutigen Forschungsmeinung nicht mehr gängig sei – oder Sozialdarwinismus für den Ausbruch des Krieges verantwortlich gemacht wurden. Eine andere Position vertrat die These, dass der Krieg ein Unfall gewesen sei, den keiner der Entscheidungsträger beabsichtigte oder vorhersehen hätte können.51 Hamilton und Herwig kritisieren an den in der Forschung diskutierten Gründen, dass »without further specification, it is not clear they had causal impact. A listing of factors that occurred prior in time is easy; establishing their causal significance is much more difficult.«52 Wäre einer dieser Faktoren der Grund gewesen, so müsste dieser in den Gedanken und Äußerungen der Entscheider im Juli 1914 zu finden sein.53 Das sei aber nicht der Fall, weshalb Hamilton und Herwig die These des Vorhandenseins eines weiteren entscheidenden Faktors, des »strategic argument«54 vertreten, »that the decision makers of the five major powers sought to save, maintain, or enhance the power and prestige of the nation.«55 In Österreich-Ungarn, Deutschland, Russland
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ausbruchs zu Beginn der 2000er Jahre wiedergäbe und eine gekürzte Version von Hamiltons und Herwigs The Origins of World War I sei, das im Jahr zuvor 2003 erschienen war. Vgl. David Stevenson: Advance Praise for Decisions for War, 1914-1917, in: Richard Hamilton/Holger Herwig (Hgg.): Decisions for War, 1914-1917, Cambridge 2004, S. iii. Vgl. Richard Hamilton/Holger Herwig: World Wars. Definition and Causes, in: Dies. (Hgg.): The Origins of World War I, Cambridge 2003, S. 10 und S. 12. Vgl. ebd., S. 11 und S. 41f. Vgl. Richard Hamilton: On the Origins of the Catastrophe, in: Richard Hamilton/Holger Herwig (Hgg.): The Origins of World War I, Cambridge 2003, S. 469. Ebd. Vgl. Richard Hamilton/Holger Herwig: [417], S. 16. Ebd., S. 41. Vgl. ebd. Ebd. Ebd.
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und Frankreich hatte man eine ernsthafte Bedrohung und den Niedergang der Nationen vor Augen. Um dem entgegenzuwirken, sah man sich gezwungen, Stärke durch einen Kriegseintritt zu demonstrieren.56 Der britische Militärhistoriker John Keegan sieht vor allem im internationalen Bündnissystem eine einen Krieg provozierende Politik. Ein permanenter Austausch zwischen den europäischen Großmächten hätte einen Krieg möglicherweise verhindern können. 1914 war jedoch die Technik für eine stete und sofort verfügbare Kommunikation noch nicht vorhanden. Trotzdem, so Keegan, war es vor allem der fehlende Wille, weder unter den Diplomaten, den Militärs noch den Mitgliedern der Regierungen selbst, nach einer solchen Möglichkeit zu suchen. So hätte der deutsche Kaiser in der Julikrise die Notbremse noch ziehen können, um die Umsetzung des Schlieffen-Plans zu verhindern, aber der Kaiser verstand die Mechanismen zwischen seiner Regierung und der Militärs nicht.57 Einzig der britische Außenminister Edward Grey versuchte noch am 26. Juli 1914 in einer Vier-Mächte-Konferenz die Krise und den drohenden Krieg abzuwenden.58 Diese Konferenz kam jedoch nicht zustande. Keegan spricht von Sabotage, dass ÖsterreichUngarn, als es von Greys Konferenzvorschlag am 27. Juli 1914 erfuhr, den deutschen Botschafter informierte, anderntags, spätestens jedoch am übernächsten Tag, Serbien offiziell den Krieg zu erklären, um einem solchen Vermittlungsversuch zuvor zu kommen.59 Jedenfalls hätten weder Deutschland noch Russland einen Krieg gewollt, noch erahnt, dass aus dem serbisch-österreichischen Konflikt ein Krieg mit solchen Ausmaßen die Folge wäre. Vielmehr hätten der deutsche Kaiser und sein Kanzler immer noch geglaubt, zwischen Russland und Österreich-Ungarn vermitteln zu können, obwohl die militärische Führung eine Mobilmachung wollte.60 Die Entscheidung zur Generalmobilmachung in Russland war möglicherweise die bedeutsamste in der Geschichte Russlands, denn sie zerstörte tatsächlich jegliche Aussichten, einen großen europäischen
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Vgl. Holger Herwig: [424], S. 443. Vgl. John Keegan: The First World War, London 1998, S. 49-51. Vgl. ebd., S. 66f. Die Deutschen hatten Großbritannien und Frankreich mündlich zugesichert, dass Deutschland den Frieden bewahren und deshalb direkt mit Russland und Österreich-Ungarn in Kontakt bleiben wollte. Deutschland unternahm jedoch nichts, dass Österreich-Ungarn auch tatsächlich mit Russland sprach. Vielmehr war es das Ziel, die russische Mobilmachung zu verzögern und Großbritannien und Frankreich mittels Diplomatie zur Inaktivität zu bringen. Großbritannien versuchte bis zum 30. Juli 1914 noch eine Vermittlung zu arrangieren, ließ allerdings offen, ob es in einen europäischen Krieg eintreten würde, während Frankreich noch keine substanziellen vorsorglichen Maßnahmen unternommen hatte, Österreich-Ungarns Truppen lediglich gegen Serbien mobilisiert waren und Deutschland ebenfalls noch keinerlei Mobilisierung begonnen hatte. General Erich von Falkenhayn hatte anlässlich der offiziellen russischen Teilmobilmachung umgehend die Umsetzung des Schlieffen-Plans in Gang bringen wollen, wohingegen Bethmann Hollweg immer noch darauf hoffte, dass Russland die österreichische Serbienoffensive als lokalen Krieg betrachten würde. Vgl. ebd., S. 67 und S. 71. Vgl. ebd., S. 74.
4. Großbritannien und die Kriegsschuldfrage
Krieg zu verhindern. Die Generalmobilmachung bedeutete Krieg und diese Erkenntnis nahm damit auch in den europäischen Hauptstädten Form an.61 Laut David Stevenson wäre Deutschland diplomatisch isoliert gewesen und es gäbe keine Beweise, die zeigten, dass Russland, Frankreich oder Großbritannien einen Angriff geplant hatten, auch wenn sich das Kräfteverhältnis im Sommer 1914 zu Gunsten der Entente cordiale verschoben hatte.62 Eine deutsche Vormachtstellung auf dem europäischen Festland wurde als gefährlich erachtet. Man fürchtete sich vor einem deutschen Übergewicht in der europäischen Balance of Power, jedoch wollte man lieber Deutschland im Rahmen einer Verständigungspolitik in Schach halten, als gegen es zu kämpfen. Denn Edward Grey und das Außenministerium fürchteten, dass im Falle einer russischen und französischen Niederlage Großbritannien der nächste Gegner auf der Liste der Deutschen wäre.63 Großbritannien hatte mit Frankreich bereits im Jahr 1911 ein geheimes Abkommen geschlossen, um Frankreich militärisch und mit seiner Marine zu unterstützen.64 Grey 61 62
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Vgl. ebd., S. 69. Vgl. David Stevenson: [505], S. 596. Aber auch Österreich hätte einen Krieg mit in das Kalkül genommen. Das Attentat von Sarajevo war dabei nur noch der Auslöser, um die serbische Frage zu lösen. Stevenson sagt, dass Österreich bei der Lösung des serbischen Problems auch einen Krieg mit den europäischen Großmächten in Kauf zu nehmen bereit war, ohne dass dies explizit besprochen worden sei. Vgl. ebd., S. 15f. Die Rolle Großbritanniens sieht auch Gary Sheffield, darin, dass die Interessen Großbritanniens seit jeher darin lagen, eine Vormachtstellung anderer Staaten gegenüber Großbritannien zu verhindern. So sei es Großbritannien schon im 19. Jahrhundert zugefallen, als Mediator zwischen den Großmächten zu vermitteln. Insbesondere als Großbritannien seine Politik der Splendid Isolation aufgab und mit der Entente cordiale näher an Frankreich und Russland heranrückte, um sich gegen das Aufkommen der deutschen imperialistischen Politik abzusichern. Für die längste Zeit während des 19. Jahrhunderts hatte Großbritannien Russland als eine Bedrohung für Indien wahrgenommen. Erst mit der Niederlage Russlands im Krieg gegen das mit Großbritannien alliierte Japan 1904/1905 ließ das Bedrohungsszenario nach. So war eine Annährung an Russland möglich, da Großbritannien sich durch das deutsche Kaiserreich in seiner Position, weniger in Afrika als in Europa, bedroht sah. Bereits 1902 vereinbarten Großbritannien und Japan die gegenseitige Neutralität zu achten und sich darüber hinaus zu unterstützen, sollte eines der Länder in einen Krieg verwickelt werden. Vgl. Gary Sheffield: Forgotten Victory. The First World War: Myths and Realities. London 2002, S. 42-45; auch bei Richard Hamilton/Holger Herwig: [417], S. 18. Vgl. David Stevenson: [505], S. 33f. Am 8. April 1904 wurde die Entente cordiale zwischen Frankreich und Großbritannien unterzeichnet, zwei Wochen nach Ausbruch des Krieges zwischen Japan und Russland. Die Entente cordiale verpflichtete die Partner jedoch zu keinerlei militärischer Zusammenarbeit im Konfliktfall. Zwei Jahre später äußerte Edward Grey, dass es im Falle eines militärischen Konflikts zwischen Frankreich und Deutschland schwerlich vorstellbar sei, Frankreich nicht zu unterstützen, auch insofern als Frankreich dies erwarte. Am 31. August 1907 zeichnete auch Russland die Entente cordiale. Wie im Falle Frankreichs ging es um die Definition und gegenseitige Akzeptanz der jeweiligen Einflussspähren und nicht um die Obliegenheit, den Partner militärisch zu unterstützen. 1912 gab Grey gegenüber den Franzosen eine Zusage zum gemeinsamen Handeln. Die Entsendung der BEF zur maritimen und militärischen Unterstützung an Frankreichs Nordflanken wurde bereits 1911 im Rahmen des geheimen Abkommens und im Zuge der Entente-Politik zur Unterstützung Frankreichs gegen Marokko und Russlands während den Balkankriegen vereinbart. Nichtsdestotrotz beinhaltete das Abkommen, wie ein Briefwechsel aus dem Jahre 1912 belegt, dass im Falle der Bedrohung des europäischen Friedens, Großbritannien mit Frankreich konsultieren sollte, nicht aber
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war 1914 der Überzeugung, dass Großbritannien diese Zusage gegenüber Frankreich einhalten müsse. Das Kabinett stimmte dagegen, da die Mitglieder den Standpunkt vertraten, dass sich Großbritannien nicht in die Aggressionen hineinziehen lassen sollte. Folglich teilte Grey dem französischen Botschafter am 1. August 1914 mit, dass Frankreich über das deutsche Ultimatum ohne eine feste Zusicherung einer britischen Unterstützung entscheiden müsse.65 Aber bereits am darauf folgenden Tag, am 2. August 1914, entschied das Kabinett, im Falle einer erheblichen Verletzung der belgischen Neutralität oder einem deutschen Angriff auf französische Schiffe oder die Küste zu handeln.66 »The latter was as far as it would go in acting on the agreements with Paris, and as the Germans were willing to keep out of the Channel it would not have triggered British intervention.«67 Mit der Verletzung der belgischen Neutralität, die mit dem deutschen Ultimatum Realität zu werden drohte, wurde das Kabinett in seiner Haltung zur Umkehr gezwungen. Auf der einen Seite war die nationale Sicherheit dadurch betroffen, dass Belgiens Küste nahe London und der Themsemündung lag. Auf der anderen Seite hatte Großbritannien 1839 im Vertrag von London Belgien die Unabhängigkeit und die Unversehrtheit zugesichert.68 Herbert Asquith sah das deutsche Ultimatum als Vereinfachung der Lage. Es verpflichtete Großbritannien mehr aus moralischer als politischer Notwendigkeit zum Handeln, da Großbritannien zugesichert hatte, Belgien im Falle einer »substantial violation«69 zu verteidigen. Die Entscheidung für den Kriegseintritt erfolgte schließlich aufgrund der deutschen Invasion Belgiens, die als eine erhebliche Verletzung eingeordnet wurde.70 Stevenson sieht zudem die innenpolitischen Spannungen zwischen den Anhängern der Liberal Party und denen der Conservative and Unionist Party sowie die Autonomie-
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zwangsläufig Pläne für den Eventualfall umzusetzen oder gar in einen Krieg zu ziehen. Noch 1911 war die Überlegung im Rahmen der Zusammenarbeit der Entente-Mächte, dass eine Entsendung der BEF nach Frankreich eher einen moralischen als einen materiellen Wert für die französischen Truppen hätte. Im Spätsommer 1911 wurde seitens des britischen Generalstabs ein Plan ausgearbeitet, wonach sechs Infanteriedivisionen und eine Reitereidivision zur Unterstützung Frankreichs entsendet werden konnten. Am 23. August 1911 befürworteten die Minister, darunter auch Herbert Asquith, diesen Plan. Vgl. J. Paul Harris: Great Britain, in: Richard Hamilton/Holger Herwig (Hgg.): The Origins of World War I, Cambridge 2003, S. 271-273 und S. 295; Christopher Clark: [373], S. 545; John Keegan: [442], S. 48f; Richard Hamilton/Holger Herwig: [417], S. 20; David Stevenson: [505], S. 35; Gary Sheffield: [499], S. 46; Keith Wilson: The Policy of the Entente. Essays on the Determinants of British Foreign Policy 1904-1914, Cambridge u.a. 1985, S. 2 und S. 133. Vgl. David Stevenson: [505], S. 34f. Vgl. ebd., S. 35. Ebd. Die ältere Forschung, wie beispielsweise Keith Wilson in den 1980er Jahren, folgt der Ansicht, dass Großbritannien aus Furcht vor einer deutschen Vormachtstellung in Europa und gegenüber Großbritannien in den Krieg zog. Auslöser seien die Verletzung der belgischen Neutralität durch die deutschen Truppen und das britisch-französische Abkommen aus dem Jahr 1904 sowie der Vertrag von London aus dem Jahr 1839 gewesen. In einer zweiten Sitzung am 2. August 1914 beschloss das Kabinett, dass eine erhebliche Verletzung der belgischen Neutralität die Entsendung der Truppen nach sich ziehen würde. Vgl. Keith Wilson: [534], S. 2 und S. 137f. Vgl. David Stevenson: [505], S. 32. Ebd., S. 33. Vgl. ebd.
4. Großbritannien und die Kriegsschuldfrage
bestrebungen Irlands, die zunächst die Aufmerksamkeit des Kabinetts und der britischen Presse auf sich zogen, als Motivation hinter der Entscheidung für den Kriegseintritt. Andrew Bonar Law, Anführer der Unionists, drängte auf Unterstützung Russlands und Frankreichs, andernfalls hätten er, der Außenminister Edward Grey und der Premierminister Herbert Asquith ihre Ämter niedergelegt. Hätte das Kabinett weiterhin auf die britische Neutralität gepocht, wäre somit möglicherweise ein Bruch der Regierung die Folge gewesen. Großbritannien, so Stevenson, wäre am Ende aber dennoch in den Krieg eingetreten.71 »Like other powers the British were leaping into darkness, but wishful thinking helped them plunge.«72 Die Zerrissenheit Großbritanniens aufgrund der innenpolitischen Spannungen in der britischen Regierung und unter den Liberals und den Unionists sowie die Lage in Irland habe die Entscheidung für oder gegen einen Kriegseintritt lediglich verzögert, so Samuel Williamson.73 Edward Grey konnte aufgrund der Situation aber kaum mehr ausrichten als das, was er getan hatte. Einzig ein großes stehendes britisches Heer hätte Deutschland womöglich davon abgehalten, seine Pläne zu einem Feldzug im Westen umzusetzen.74 Der Militärhistoriker John Keegan sah in Belgien einen Vorwand für die britische Kriegserklärung. Dafür spräche die bereits im Jahr 1912 von Edward Grey getätigte Zusage gegenüber Frankreich zum gemeinsamen Handeln, sollte eines der beiden Länder militärisch bedroht sein. Die dann zu treffenden Maßnahmen würden militärische Schritte nicht ausschließen.75 Dennoch ließ die britische Politik der Splendid Isolation, die wegen der Gefahren einer Abschwächung der Wirtschaft und der erstarkten deutschen Marine betrieben wurde, Großbritannien immer noch zögern, sich während der Julikrise an einen Entente-Partner zu binden. Schließlich besaß Großbritannien aufgrund seiner Insellage gegenüber den Kontinentalmächten den Vorteil, den Grad seiner kriegerischen Beteiligung mehr oder weniger selbst bestimmen zu können.76 Während der Julikrise hielt Großbritannien daher seinen Standpunkt und seine Intention gegenüber Frankreich zurück, das forderte, dass die Briten Position bezogen, jedoch selbst nicht wusste, wie es handeln sollte. Nichtsdestotrotz hatte Großbritannien zu diesem Zeitpunkt bereits Vorbereitungen getroffen. Die Flotte war in ihre Kriegsstationierung verlagert und Frankreich bereits geheim versichert worden, dass die Royal Navy im Falle eines deutschen Angriffs auf die französischen Kanalküsten zur Hilfe eilen würde.77 Zu mehr ließ sich das Kabinett nicht verleiten. Das deutsche Ultimatum an Belgien am 2. August 1914, in dem Deutschland von Belgien gefordert hatte, seinen Truppen den Durchmarsch nach Frankreich zu erlauben, und wonach Belgien bei Widerstand als Feind betrachtet werden würde, lieferte dem britischen Kabinett letztlich den Grund in einen europäischen Krieg einzutreten. Am 71 72 73 74 75 76 77
Vgl. David Stevenson: [505], S. 35f; zu den innenpolitischen Spannungen siehe auch bei Keith Wilson: [534], S. 36 und S. 133. David Stevenson: [505], S. 36. Vgl. zu den innenpolitischen Spannungen bei Samuel Williamson: [532], S. 27. Vgl. ebd. Vgl. John Keegan: [442], S. 49. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 76f.
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4. August 1914 stellte Großbritannien daher selbst ein Ultimatum an Deutschland, den deutschen Durchmarsch durch Belgien zu stoppen. Das Ultimatum verstrich, so dass infolgedessen Großbritannien an der Seite Russlands und Frankreichs in den Krieg eintrat.78 Gary Sheffield interpretiert die Entscheidung über die Belgienfrage ähnlich wie John Keegan. Die Vereinbarung im November 1912 zwischen Edward Grey und Paul Cambon, dem französischen Botschafter, versetzte Großbritannien moralisch und möglicherweise auch rechtlich in die Lage, Frankreich im Falle eines Krieges zu unterstützen, so Gary Sheffield. In der Vereinbarung hatten sich die beiden Länder unter anderem darauf geeinigt, dass Großbritannien seine Mittelmeerflotte zu Gunsten Frankreichs reduzierte und Frankreich im Kanal das Gleiche zu Gunsten der Royal Navy veranlasste. Eine zuvor im Jahr 1905 getroffene Übereinkunft, sich im Krisenfall lediglich auf einen gemeinsamen Kurs zu verständigen, hatte aus britischer Sicht ein Schlupfloch offengelassen, dass Großbritannien selbst entscheiden kann, was es als Kriegsgrund definiert und wann es zu militärischen Handlungen bereit ist.79 Die Debatte im Juli 1914, ob ein deutscher Durchmarsch durch Belgien schon einen ausreichenden Grund darstellte oder eine Invasion des ganzen Landes erfolgen müsste, stellte ein eben solches Schlupfloch dar. 1905 betrachtete man den Vertrag von London noch nicht als Verpflichtung, Belgien militärisch zu Hilfe zu eilen, sollte der Vertrag gebrochen werden.80 So wurde zunächst auch die Verbindlichkeit der Entente cordiale in Frage gestellt. Herbert Asquith erkannte jedoch, dass eine Vormachtstellung Deutschlands in Europa und ein Niedergang Frankreichs nicht zum Vorteil Großbritanniens wären. So kam es, dass am Ende der deutsche Übergriff auf Belgien die unlösbar scheinende britische Lage klärte.81 Für Belgien und die Verteidigung von Vertragsvereinbarungen in den Krieg zu ziehen, war der Öffentlichkeit einfacher zu verkaufen, als in den Krieg zu ziehen für die Erhaltung der Balance of Power oder für die Aufrechterhaltung guter Beziehungen zu Frankreich oder Russland, was aus Sicht der Entscheidungsträger einen ebenso wichtigen Faktor darstellte. Der frühe Kriegseintritt Großbritanniens an der Seite Frankreichs und Russlands dürfte das Land auch davor bewahrt haben, so Sheffield, dass es am Ende ohnehin in den Krieg hineingezogen worden wäre, dann jedoch möglicherweise zu einem Zeitpunkt, an dem Frankreich und Russland bereits besiegt worden wären und Großbritannien ohne Verbündete dagestanden hätte.82 Zur Rolle Großbritanniens äußerte der Historiker Mark Hewitson, dass Großbritannien entgegen anders lautender Meinungen gegenüber Frankreich 1911/1912 keine Zusicherungen für eine Unterstützung im Falle eines Angriffskrieges gegeben habe.
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Vgl. für den Abschnitt ebd., S. 77. Vgl. Gary Sheffield: [499], S. 46f. So beschreibt auch Clark, dass Grey gegenüber Cambon noch am 29. Juli 1914 geäußert habe, dass Großbritannien frei von Verpflichtungen wäre und die Entscheidung einer Unterstützung davon abhinge, was im Interesse Großbritanniens sei. Vgl. hierzu Christopher Clark: [373], S. 536. Vgl. Gary Sheffield: [499], S. 47. Vgl. ebd., S. 48. Vgl. für den Abschnitt ebd.
4. Großbritannien und die Kriegsschuldfrage
Zudem widersetzte sich Großbritannien, das mehr Manövriermöglichkeiten in der Julikrise als die übrigen Großmächte hatte, der deutschen Weltpolitik aktiv, indem es eine strikte Politik des Mächteausgleichs in Europa verfolgte, die einen Kontinentalkrieg nur als letzten Weg aus einer diplomatischen Sackgasse sah.83 Auch andere Forscher wie Samuel Williamson oder Trevor Wilson beschreiben die Rolle Großbritanniens an den Ursprüngen des Ersten Weltkrieges als die einer Nation unter vielen, die sich am Krieg beteiligte.84 Wilson beruft sich dabei auf eine Äußerung Winston Churchills gegenüber Arthur Ponsonby am 31. Juli 1914, dass Großbritannien zwar ein Teil Europas, jedoch von den Querelen auf dem Balkan nicht betroffen sei. Dies sähe anders aus, würde Deutschland Frankreich oder Belgien angreifen.85 Auch Michael Howard sieht im Verhalten Großbritanniens keine aktive kriegerische Politik. Jedenfalls war sich die britische Regierung bewusst, so Howard, welchen Preis ein Krieg und welchen Preis die Beibehaltung des Friedens in Europa fordern würde. Weder war Großbritannien territorial ambitioniert, noch versprach es sich wirtschaftlichen Gewinn wie die anderen europäischen Großmächte. Die Briten fürchteten allerdings, sollte Deutschland siegreich aus dem Krieg hervorgehen, dass sich Großbritannien vor einer deutschen Vormachtstellung auf dem europäischen Kontinent in Acht nehmen müsste. Folglich war es an Großbritannien, alles Mögliche zu tun, um einen Krieg zu verhindern, und sollte dies fehlschlagen, an der Seite Frankreichs und Russlands zu kämpfen.86 Auch aus Holger Herwigs Sicht sah sich Großbritannien im Gefüge der europäischen Großmächte nicht direkt bedroht, da es keinen Territorialverlust auf dem europäischen Festland befürchten musste und geographisch bedingt sich hinter dem Kanal und den Kanonen der Royal Navy verschanzen konnte. Großbritannien hatte aber ein Interesse an einer Politik der Balance of Power, denn so konnte das britische Hauptinteresse erreicht werden, den Zugang zu den Märkten auf dem Kontinent und insbesondere auch zu den deutschen Märkten offen zu halten. Die Entscheidung für den Kriegseintritt von Asquiths Kabinett wurde mit Zustimmung des Parlaments getroffen, wobei auch das Kabinett sich nicht einig war, sondern von einer resoluten Minderheit um Grey, Churchill und Asquith beeinflusst wurde.87 Herwig schließt daraus, dass »[i]n fact, Germany’s violation of Belgian neutrality and Chancellor von Bethmann Hollweg’s ill-chosen words about the 1839 Articles constituting but ›a scrap of paper‹ did much to persuade them.«88 David Reynolds beschreibt in The Long Shadow. The Great War and the Twentieth Century, dass die Rolle Großbritanniens in den Kriegsjahren 1914-1918 bis heute zu Diskussionen und Interpretationen führt und nachwirkt, wenn es um die schwierige Beziehung zur
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Vgl. Mark Hewitson: [425], S. 231f. Vgl. Samuel Williamson: [532], S. 25-27; Trevor Wilson: The Myriad Faces of War. Britain and the Great War, 1914-1918, Cambridge/Oxford/New York 1986, S. 1. Vgl. zum Ausspruch Winston Churchills nach Trevor Wilson: [535], S. 7. Vgl. Michael Howard: Europe 1914, in: Robert Cowley (Hg.): The Great War. Perspectives on the First World War, Erstveröffentlichung in Military History Quarterly, New York/Toronto 2003, S. 10f. Vgl. für den Abschnitt Holger Herwig: [424], S. 446f und S. 459. Ebd., S. 459.
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Europäischen Union geht.89 Das besondere an der Rolle Großbritanniens sieht auch er darin, dass die Briten nicht direkt für den Schutz ihres Heimatlands vor einer Invasion oder zur Eroberung neuer Gebiete in den Krieg zogen, wie die übrigen europäischen Kriegsteilnehmer. Die deutsche Kriegstreiberei im August 1914, so Reynolds, bedeutete zunächst keine territoriale Bedrohung für Großbritannien. It was the Kaiser’s violation of Belgian neutrality, which Britain had pledged to protect, that provided the casus belli [Herv. i.O.], and public anger was accentuated by reports of German ›atrocities‹ against Belgian civilians. Germany’s air raids on London and other centres would later inject an element of territorial jeopardy but, in large measure, the attacks on civilian homes were seen as additions to the list of Hunnish atrocities. Essentially Britain’s public case for war was grounded more in morality than self-interest: This was seen as a war to defend the principles of freedom and civilization.90 Belgien, Frankreich oder Serbien verteidigten sich vor einer Invasion, wobei Frankreich gleichzeitig Gebiete wie das Elsass oder Lothringen zurückerobern wollte. Und auch Deutschland, Russland und Österreich-Ungarn kämpften einen Präventivkrieg zur Verteidigung.91 Christopher Clark sieht in der deutschen Handlungsweise mehrere entscheidende Fehler, die zum Kriegseintritt Großbritanniens führten. Zum einen war das die von Generalstabschef Helmuth von Moltke forcierte Eile, den Schlieffen-Plan umzusetzen, um Frankreich und Belgien so wenig Zeit wie möglich zu lassen, ihre Verteidigung in Stellung zu bringen – die deutsche Militärführung hatte eine mögliche britische Intervention, die die Umsetzung des Plans zwangsläufig zur Folge gehabt hätte, für nicht relevant erachtet. Zum anderen war die Annahme der Militärführer ein Irrtum, dass eine Verletzung der belgischen Neutralität weder größere politische Schwierigkeiten noch militärische Folgen in Form einer britischen Intervention mit sich bringen könnte.92 Außerdem enthielt das Ultimatum an Belgien am 2. August 1914 einen Fehler. Gemäß den Ausführungen von Clark hätte es aus deutscher Sicht glimpflicher ablaufen können, wären die deutschen Truppen lediglich durch Belgien hindurch marschiert, hätten sich entschuldigt und hinterher das vor vollendete Tatsachen gestellte Belgien entschädigt. Einen solchen Ablauf erwartete man auf britischer Seite und brachte dies gegenüber Deutschland auch mehrfach zum Ausdruck: Ein deutscher Durchmarsch hätte noch keinen Kriegseintrittsgrund für Großbritannien dargestellt, solange die Sambre-Maas-Linie, die strategisch bedeutsame Region um Antwerpen und das Mündungsgebiet der Schelde von den Deutschen umgangen worden wäre.93 89 90 91 92 93
Vgl. David Reynolds: The Long Shadow. The Great War and the Twentieth Century, London 2013, S. 421. Ebd., S. 421f. Vgl. David Reynolds: [492], S. 421f. Vgl. für den Abschnitt Christopher Clark: [373], S. 548. Vgl. für den Abschnitt ebd., S. 549. Zunächst hatte das deutsche Ultimatum an Belgien dies auch vorgesehen, Deutschland hatte demnach zum Ausdruck bringen wollen, dass es seitens der Gegner gezwungen wäre, belgisches Gebiet zu durchqueren. Belgien hätten sein Territorium und seine Besitzungen zugesichert werden sollen, ebenso eine Evakuierung sowie eine Übernahme aller
4. Großbritannien und die Kriegsschuldfrage
Schließlich wurde die Frist für die Beantwortung des deutschen Ultimatums von 24 auf zwölf Stunden reduziert und die Klausel, dass Belgien territorial auf Kosten Frankreichs entschädigt werden würde, wenn es die Deutschen ungehindert passieren ließe, wurde weggelassen »because it had suddenly occurred to the Foreign Office that it might well enrage Britain even more than the intended violation of Belgian territory.«94 Die Belgier lehnten das deutsche Ultimatum ab, da es weder seine Ehre opfern, noch gleichzeitig Verrat an seinen Verpflichtungen gegenüber Europa ausüben wollte.95 Deutschland bedauerte die Zurückweisung Belgiens, so Clark. Selbst noch am 8. August 1914 äußerte Deutschland dies und bot Belgien erneut die Evakuierung an, die abermals abgelehnt wurde.96 Christopher Clark fasst hierzu zusammen, dass ältere Forschungen die britische Politik während der Julikrise und den ersten Tagen im August 1914 geprägt sahen vom Paradigma der Balance of Power. Neuere revisionistische Forschungen »have globalized the field of vision, arguing that Britain’s vulnerability as a world power obliged it to focus on Russia as the more fundamental threat.«97 1914 wären die Entscheider jedoch nicht gezwungen gewesen, zwischen der kontinentalen oder der imperialistischen Option zu wählen, also ob Russland oder Deutschland die größere Bedrohung darstellte, denn der Ausgang wäre derselbe gewesen.98 »In the conditions of 1914, the logics of global and continental security converged in the British decision to support the Entente powers against Germany and Austria.«99 Dass es auch gegensätzliche Interpretationen der Gründe für den britischen Kriegseintritt gab, zeigen John Terraine, Keith Wilson, Alan Simmonds und J. Paul Harris. Der Militärhistoriker John Terraine, der in den 1960er Jahren maßgeblich an der sehr erfolgreichen BBC-Serie The Great War mitgearbeitet hatte, die großen Einfluss auf das britische Verständnis des Ersten Weltkrieges erlangte, sieht entgegen der gängigen Meinungen im Verhalten der britischen Regierung eine gezielte Vorbereitung auf einen Krieg.100 Hierfür sieht Terraine den mit Deutschland geführten Rüstungswettlauf insbesondere zwischen der Royal Navy und der deutschen Marine als Indiz. So inspizierte König George V. am 18. Juli 1914 informell den Stützpunkt Spithead bei Portsmouth.101 Nach der Inspektion lief die Flotte, zu der Schiffe der neuen Dreadnought-Klasse gehörten, zu einem Manöver aus. Terraine sieht darin bereits eine erste Kriegshandlung, Kosten und die finanzielle Entschädigung für entstandene Schäden. Sollte Belgien den deutschen Durchmarsch ablehnen, würde Deutschland zu seinem Bedauern, Belgien als Feind betrachten, andernfalls würde die freundschaftliche Beziehung beider Nachbarstaaten umso stärker und beständiger werden. Jedoch wurden an diesem Text noch zwei Änderungen vorgenommen, die den Gang der Ereignisse wohl entscheidend bestimmten und insbesondere die Einmischung Großbritanniens zur Folge hatten. Vgl. ebd., S. 549f. 94 Christopher Clark: [373], S. 550. 95 Vgl. ebd., S. 550f. 96 Vgl. ebd., S. 549-551. 97 Ebd., S. 546. 98 Vgl. ebd., S. 547. 99 Ebd. 100 Vgl. Dan Todman: The Great War. Myth and Memory, Nachdruck der Neuauflage als Taschenbuch 2007, Erstveröffentlichung 2005, London 5 2014, S. 4. 101 Vgl. John Terraine: The Great War 1914-1918, Erstveröffentlichung 1965, London 1998, S. 2.
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die »[t]he sailors did not know it, but in effect they were already at war. These squadrons were not dispersed; they passed straight to their war stations.«102 Trotz pazifistischer Gefühle war sich Großbritannien seit der Jahrhundertwende seiner militärischen Ressourcen bewusst.103 Es nannte die führende Kriegsmarine sein Eigen, die das Empire auf der gesamten Welt zusammenhielt. In der Zeit des Rüstungswettlaufs wurde die britische Armee professionalisiert, modernisiert und die heterogenen Truppenteile des Empires neu organisiert. Auch ein Ausbau der Armee in Kriegszeiten wurde in Betracht gezogen.104 Nichtsdestotrotz hätte Großbritannien während der Julikrise gezögert sich zu positionieren, da niemand das Ausmaß der Folgen hätte erkennen können, so Terraine.105 Zum Überlaufen brachte das Fass dann am 29. Juli 1914 die deutsche Reaktion, als man Garantien von Großbritannien forderte, sich im Falle eines europäischen Krieges neutral zu verhalten. Grey lehnte das am folgenden Tag ab und forderte stattdessen am 31. Juli 1914 Frankreich und Deutschland auf, die belgische Neutralität zu respektieren. Frankreich sicherte diese sofort zu, Deutschland gab nur eine ausweichende Antwort. Auch zu diesem Zeitpunkt zögerte Großbritannien noch, Frankreich seine militärische Unterstützung zuzusichern. Erst nachdem Deutschland am 3. August 1914 Frankreich und am 4. August 1914 Belgien den Krieg erklärt hatte, in das Land einmarschiert war und damit das britische Ultimatum, die belgische Neutralität zu wahren, ignorierte hatte, erklärte Großbritannien Deutschland den Krieg.106 Mitte der 1990er Jahre zeigte auch Keith Wilson in seinem Beitrag Britain auf, dass auch Großbritanniens Politik nicht auf Erhaltung des Friedens in Europa ausgelegt war.107 Großbritannien sei in den Augen der Zeitgenossen Ramsay McDonald, Parteivorsitzender der Parliamentary Labour Party, oder David Lloyd George, Kriegs- und Premierminister, durch die Außenpolitik Edward Greys in den Krieg getrieben worden, wobei Belgien letztendlich nur der Vorwand war, das Kabinett zu einer Entscheidung zu zwingen, die es noch am 1. August 1914 nicht hatte treffen wollen.108 Wilson folgt den Ausführungen von Lloyd George, wonach für einen Kriegseintritt zu stimmen, nicht die Entscheidung des Kabinetts gewesen sei. Vielmehr waren lediglich Edward Grey, Herbert Asquith und Winston Churchill sowie der imperialistische Flügel der Liberals für das an Deutschland gerichtete Ultimatum, die Invasion Belgiens innerhalb
102 Ebd. Auch bei Christopher Clark findet sich hierzu der Eintrag, dass das Kabinett am 29. Juli 1914 der Forderung Churchills als »First Sea Lord«, die Flotte als Vorsichtsmaßname zu mobilisieren, nachkam. Churchill habe daraufhin am 1. August 1914, mit der impliziten Zustimmung des Premierministers, aber ohne die Zustimmung des Kabinetts dafür zu sichern, die Mobilisation der Flotte in Gang gesetzt. Vgl. Christopher Clark: [373], S. 541. 103 Vgl. John Terraine: [513], S. 3f. 104 Vgl. ebd., S. 4f. Der finale Ausdruck der Kriegsvorbereitungen war im War Book festgehalten, das in Verantwortung des »Secretary of the Committee of Imperial Defence«, Maurice Hankey, entstand und jede Stufe der Vorbereitung in allen Teilen des öffentlichen Lebens regelte und das am 14. Juli 1914 vorlag. Vgl. ebd., S. 5f. 105 Vgl. ebd., S. 6f. 106 Vgl. für den Abschnitt ebd., S. 6f und S. 11. 107 Vgl. Keith Wilson: Britain, in: Ders. (Hg.): Decisions for War, 1914, Nachdruck der ersten Ausgabe von 1995, London 1998, S. 175-208. 108 Vgl. ebd., S. 175f.
4. Großbritannien und die Kriegsschuldfrage
von 24 Stunden zu beenden, verantwortlich. Denn sowohl Grey als auch Asquith drängten darauf, entsprechend der Entente-Politik zu handeln.109 Eine Entscheidung gegen den Kriegseintritt hätte ein Auseinanderbrechen der liberalen Regierung bedeutet, was der Großteil des Kabinetts jedoch nicht verantworten wollte.110 Auch die neueren Forschungen, wie beispielsweise die von Alan Simmonds, folgen der Ansicht, »Belgium was the instance, not the reason, for Britain’s entry into the First World War.«111 Nach Simmonds sicherte das Kabinett Grey noch vor dem Einmarsch der Deutschen in Belgien die Unterstützung an Frankreich zu, indem es bestätigte, feindliche Aktionen deutscher Kriegsschiffe im Kanal nicht zu dulden. Das entscheidende Argument von Grey sei dabei gewesen, dass man sich im Falle einer französischen Niederlage vor einer deutschen Dominanz fürchtete, die es Großbritannien ebenfalls unmöglich machen würde, als ein »›first-class State‹«112 weiter zu bestehen. J. Paul Harris fasst zusammen, dass zwischen dem 24. Juli und dem 28. Juli 1914 die Deutschen auf Grund von Äußerungen Edward Greys gegenüber dem deutschen Botschafter Lichnowsky und einer, wenn auch informellen, Aussage von König George V. gegenüber dem jüngeren Bruder von Kaiser Wilhelm II. davon ausgingen, dass Großbritannien im Falle eines europäischen Krieges seine Neutralität bewahren würde.113 Deshalb sieht Harris im Agieren von Edward Grey den Schlüssel, warum Großbritannien in den Krieg eintrat. Die russische und die französische Regierung übten Druck auf Grey aus, die britische Position gegenüber Deutschland im Falle eines Krieges klarzustellen. Insbesondere drängte Russland, dass Großbritannien im Falle einer österreichischen Invasion in Serbien nicht neutral bliebe. Jedoch war die Lage auf dem Balkan für Großbritannien nicht von Interesse, weshalb sich das Kabinett auch nicht genötigt sah, Serbien oder Russland in einer bewaffneten Auseinandersetzung zu unterstützen.114 Am 29. Juli 1914 versuchte Grey die Kabinettsmitglieder vielmehr davon zu überzeugen, Belgien und Frankreich im Falle eines deutschen Angriffs zu unterstützen. Hierzu legte er Kopien eines Berichts vor, der besagte, dass Großbritannien durch den Vertrag von London aus dem Jahre 1839 daran gebunden sei, die belgische Neutralität zu verteidigen. Dies wurde von einer Mehrheit der Minister jedoch verneint. Lediglich Grey und Churchill waren am 31. Juli 1914 für eine Intervention in einem europäischen Krieg.115 Bis zum 1. August 1914 war die Mehrheit der Kabinettsminister nicht davon überzeugt, dass ein Kriegseintritt Großbritanniens an der Seite Frankreichs und Russlands das Kräfteverhältnis auf dem Kontinent stabilisieren würde. Grey drohte dem Kabinett mit Rücktritt und Asquith fürchtete ein Auseinanderbrechen der Regierung. Mit der Rücktrittsdro-
109 110 111 112 113 114 115
Vgl. ebd., S. 201f; vgl. auch Ders.: [534], S. 133, S. 137-140 und S. 143. Vgl. Keith Wilson: [534], S. 133, S. 137f und S. 140-142. Alan Simmonds: Britain and World War One, London 2012, S. 27. Zitiert nach ebd. Vgl. J. Paul Harris: [419], S. 280f. Vgl. ebd., S. 280 und S. 283. Vgl. ebd., S. 281f. Gemäß Clark seien zu diesem Zeitpunkt auch noch Herbert Asquith, Richard Burdon Haldane und Robert Crewe-Milnes für eine Intervention gewesen. Vgl. Christopher Clark: [373], S. 539.
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Europäisierung des Gedenkens?
hung erreichte Grey die Zustimmung des Kabinetts, Deutschland und Frankreich eine Zusicherung der Wahrung der belgischen Neutralität abzuringen.116 Dass das Kabinett am Ende doch zusammenhielt und sich für einen Kriegseintritt Großbritanniens entschied, hält Harris für den Verdienst eines der jüngsten Kabinettsmitglieder, Herbert Samuel. Dieser erläuterte am 2. August 1914 in mehreren Besprechungen und Treffen mit verschiedenen Ministern, dass ein Kriegseintritt Großbritanniens nur aus zwei Gründen zurechtfertigen sei, zum einen im Falle eines deutschen Flottenangriffs auf die Nordküste Frankreichs und zum anderen im Falle einer »substantial violation«117 der belgischen Neutralität.118 Wobei Samuel erläuterte, dass eine »limited violation of Belgian neutrality – the passage of German troops through the Ardennes, for example – would not have been sufficient to justify British intervention. A full-scale German invasion of Belgium, on the other hand, would be sufficient cause.«119 Entscheidend an Samuels Erläuterung war, dass das Überschreiten dieser zwei möglichen roten Linien von Deutschland ausging und nicht von Großbritannien. Auch in der Öffentlichkeit kippte die Meinung zugunsten einer Befürwortung. Hierfür ausschlaggebend sei die Bedrohung Belgiens durch Deutschland gewesen, so Harris.120 Die öffentliche Meinung hatte wohl auch einen starken Einfluss auf die Ansichten einiger Minister, insbesondere auf Lloyd George.121 Am 3. August 1914, Deutschland hatte am Abend zuvor freien Durchmarsch von Belgien gefordert, was von Belgien abgelehnt worden war, entschied das Kabinett in einer weiteren Abendsitzung, Deutschland erneut eine Nachricht zukommen zu lassen. Hierin verlangte man, die Forderung nach einem freien Truppendurchzug gegenüber Belgien bis Mitternacht deutscher Zeit zurückzuziehen. Die Nachricht wurde mit der Drohung verbunden, dass Großbritannien sich verpflichtet sähe, Belgiens Neutralität mit allem dafür Notwendigen aufrechtzuerhalten, sollte dies nicht geschehen. Die Androhung des britischen Kriegseintritts kommentierte Bethmann Hollweg mit den berühmten Worten, dass Großbritannien für »a scrap of paper«122 in den Krieg ziehen würde. Auf deutscher Seite wurde die Forderung aus Großbritannien abgelehnt. Am 4. August 1914 trafen dann bereits erste Nachrichten aus Belgien ein, wonach Deutschland die belgische Neutralität verletzt hatte.123 Die Entscheidung von Edward Grey im Sommer 1914, in einem europäischen Krieg zu intervenieren, letztlich auch unterstützt von einer großen Mehrheit im Kabinett, sei unter den Umständen der Zeit ehrenhaft und vernünftig gewesen, resümiert J. Paul Harris.124 Der Eintritt in den Krieg erfolgte »with a deep sense of foreboding in the belief that any other course would be both dishonorable in its treatment of Britain’s entente [Herv. i.O.] partners and potentially even more demanding than war to Britain’s
116 117 118 119 120 121 122 123 124
Vgl. J. Paul Harris: [419], S. 278 und S. 282f. Zitiert nach Christopher Clark: [373], S. 543. Vgl. J. Paul Harris: [419], S. 286. Ebd. Vgl. ebd., S. 287f. Vgl. ebd. Zitiert nach ebd., S. 290. Vgl. ebd., S. 288f. Vgl. ebd., S. 299.
4. Großbritannien und die Kriegsschuldfrage
national interests.«125 Nicht zuletzt habe Grey mit der Entscheidung versucht, das System des Kräftegleichgewichts auf dem Kontinent aufrecht zu erhalten, da es Deutschland durch den britischen Kriegseintritt nicht mehr möglich war, Russland und Frankreich zu besiegen, so Harris.126 Ebenso mochte für manche Kabinettsmitglieder auch die Befürchtung vor einem Regierungswechsel den Ausschlag gegeben haben, für den Kriegseintritt zu stimmen, nicht zuletzt auch um ihre Posten zu behalten.127
4.3 4.3.1
Analyse Geschichtsbild Forschung zur ›Kriegsschuldfrage‹
In der Frage nach der Verantwortung am Ausbruch des Ersten Weltkrieges sind sich Stevenson, Hewitson oder auch Hinsely sicher, dass sich die deutsche Führung von der russischen Mobilmachung provozieren ließ, einen Krieg gegen Russland und Frankreich anzustreben. Gleichzeitig hätte Deutschland die Feindseligkeiten mit Großbritannien in Kauf genommen, so dass aus einem europäischen Krieg eine globale Eskalation erwuchs.128 Diese Sicht entspricht dem traditionellen britischen Geschichtsbild, dass Deutschland die Schuld am Ersten Weltkrieg trägt. Das Geschichtsbild der neueren britischen Forschung ist ähnlich wie die deutsche im Hinblick auf die Verantwortung am Ausbruch des Ersten Weltkrieges differenzierter. Strachan oder Williamson etwa sehen vor allem Österreich-Ungarn und weniger die deutsche Führung in Berlin als entscheidend kriegstreibend, wenngleich die deutsche Führung durch ihr Verhalten einen mitentscheidenden Beitrag leistete, den österreichischen Eifer, auf dem Balkan militärisch einzugreifen, zu forcieren.129 Hamilton und Herwig sehen hingegen die Entscheidungsträger aller beteiligten Großmächte, Österreich-Ungarn, Deutschland, Russland, Frankreich und sogar Großbritannien, als verantwortlich an.130 Wobei neben anderen Faktoren vor allem das Ansehen und der Machterhalt der eigenen Nation gegenüber den anderen Großmächten als ein entscheidendes Moment der Handlungsmotivation zu sehen sei.131 Keegan und Hinsely benennen noch ein weiteres Argument, das sie für erheblich halten. Es sei vor allem die europäische Bündnispolitik gewesen, die zur Eskalation führte. Wobei Keegan im Unterschied zu Hinsley zu dem Schluss kommt, dass weder
125 126
Ebd. Vgl. ebd., S. 293. Die formale Entscheidung in den Krieg einzutreten, traf dann das Kabinett von Herbert Asquith. Das House of Commons hätte die britische Intervention noch stoppen können, allerdings waren die Parteiführer Kriegsbefürworter und so folgten die Mitglieder deren Meinung. Asquith und Churchill pflichteten Grey bei, die übrigen Kabinettsmitglieder waren nicht ganz so entschlossen, so dass letztlich der Fakt über die Verletzung der belgischen Neutralität ihrer Entscheidung nachhalf. Vgl. ebd., S. 294f. 127 Vgl. ebd., S. 295. 128 Vgl. David Stevenson: [508], S. 9 und S. 28; Mark Hewitson: [425], S. 3 und S. 13. 129 Vgl. Hew Strachan: [511], S. vii; vgl. zum Abschnitt Samuel Williamson: [532], S. 27. 130 Vgl. Richard Hamilton/Holger Herwig: [417], S. 10 und S. 12. 131 Vgl. ebd., S. 41 und S. 443.
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Europäisierung des Gedenkens?
Deutschland noch Russland einen Krieg gewollt hätten.132 Schließlich habe die russische Mobilmachung den Bündnisfall ins Rollen gebracht und Deutschland zur Kriegserklärung veranlasst.133 Für das britische Geschichtsbild zur Frage der Kriegsschuld ist in der Forschung neben der Frage nach der Rolle Deutschlands, vor allem aber die Rolle Großbritanniens entscheidend. Die Forschung beschäftigt sich dabei mit der Frage, wie die Entscheidungsträger in Großbritannien im Juli 1914 zu ihrer Entscheidung kamen, an der Seite Frankreichs Deutschland den Krieg zu erklären. Für die britische Forschung ist diese Frage zentral, beschäftigt sie sich zwar nicht mit der Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges an sich, so aber damit, welche Rolle Großbritannien dabei spielte, einen bis dahin auf den europäischen Kontinent beschränkten Konflikt zu einem Weltkrieg auszuweiten. Die Fragestellung ist im Zusammenhang mit dem britischen Blick auf den Ersten Weltkrieg insgesamt von immenser Bedeutung. Das über Jahrzehnte vorherrschende Geschichtsbild war geprägt von Millionen sinnlos geopferten Menschenleben, das mit den Begriffen der Lost Generation oder der »›lions led by donkeys‹«134 umschrieben werden kann. Bei den Überlegungen der britischen Regierung habe vor allem eine Rolle gespielt, dass Großbritannien aus eigenem Interesse unbedingt eine deutsche Vormachtstellung auf dem europäischen Kontinent habe verhindern wollen, so Stevenson oder Howard.135 Herwig erläutert, dass die Furcht weniger vor einer territorialen als vielmehr vor einer wirtschaftlichen Bedrohung bestand.136 Stevenson, Renyolds und Sheffield gehen davon aus, dass Großbritannien sich vor allem moralisch zum Kriegseintritt verpflichtet sah, zum einen gegenüber Belgien, dem es im Vertrag von London im Falle einer Neutralitätsverletzung seine Unterstützung zugesichert hatte, und zum anderen durch die Entente cordiale gegenüber Frankreich.137 Der deutsche Überfall auf Belgien habe das britische Dilemma gelöst, da man den Überfall und die Übergriffe auf die belgische Zivilbevölkerung der eigenen Öffentlichkeit als Grund für einen Kriegseintritt einfacher habe verkaufen können, als eine wage vorhandene territoriale oder wirtschaftliche Bedrohung durch Deutschland.138 Dass das britische Handeln im Juli 1914 trotzdem nicht als aktive kriegerische Politik zu verstehen sei,139 wird in der britischen Forschung nicht uneingeschränkt geteilt und 132 133 134
135 136 137 138 139
Vgl. John Keegan: [442], S. 49-51 und S. 74; Francis Hinsely: [426], S. 3f und S. 7. Vgl. John Keegan: [442], S. 69. Dan Todman: [522], S. 203. Im Jahr 1985 sendete der britische Fernsehsender Channel Four die Dokumenation Lions Led by Donkeys, ein Begriff der bereits 1915 geprägt worden war, aus. Darin wurde vor allem die Militärführung unter Haig und Rawlinson aufgrund des Desasters des ersten Tages der Schlacht an der Somme kritisiert. Dan Todman widerspricht dieser Sichtweise. Die Soldaten hätten ihren Glauben in die militärische Leitung nicht bereits am 1. Juli 1916 verloren und sowohl Haig als auch Rawlinson wären nicht zwangsläufig »murderous idiots« (Ebd., S. 205.). Vgl. ebd., S. 203-205. Vgl. David Stevenson: [505], S. 596; Michael Howard: [434], S. 10f. Vgl. Holger Herwig: [424], S. 446f und S. 459. Vgl. David Stevenson: [505], S. 32f; David Reynolds: [492], S. 421f; Gary Sheffield: [499], S. 46-48. Vgl. Gary Sheffield: [499], S. 48. Vgl. Michael Howard: [434], S. 10f; Samuel Williamson: [532], S. 25-27; Trevor Wilson: [535], S. 1; Mark Hewitson: [425], S. 231f.
4. Großbritannien und die Kriegsschuldfrage
zeigt auf, dass ein durchaus gespaltenes Geschichtsbild auf die eigene Rolle vorhanden ist. Aus Keegans, aber auch aus Sheffields oder Simmonds Sicht, war Belgien lediglich ein Vorwand für die britische Kriegserklärung.140 Der Kriegseintritt sei »with a deep sense of foreboding in the belief that any other course would be both dishonorable in its treatment of Britain’s entente [Herv. i.O.] partners and potentially even more demanding than war to Britain’s national interests«141 erfolgt, so Harris. Nicht zuletzt sahen sich einige Regierungsmitglieder innenpolitisch unter Druck gesetzt, für den Eintritt zu stimmen.142 Letztlich, so argumentiert auch Clark, habe sich Großbritannien in seiner Rolle als Weltmacht verletzlich gefühlt und sei dadurch zur Entscheidung an der Seite Frankreichs in den Krieg einzutreten, gezwungen gewesen.143
4.3.2
Einordnung der Ausstellungen in die Forschung
Die Narrative in den britischen Ausstellungen, sofern die Ereignisse zum Kriegsausbruch, der Rolle Deutschlands und zum britischen Kriegseintritt angesprochen wurden, spiegelten die Differenzierungen in der Forschung kaum wider. Gründe hierfür waren, so die Ausstellungskuratoren, dass es kaum möglich sei, die komplizierten politischen Zusammenhänge ausführlich auf dem wenigen zur Verfügung stehenden Raum vorzustellen und einzuordnen. Aber auch das jeweilige Ausstellungsnarrativ und der Fokus, den die Kuratoren für die jeweilige Ausstellung wählten, waren ausschlaggebend dafür, ob und falls ja, wie ausführlich die Fragen nach der Verantwortung am Kriegsausbruch und zum britischen Kriegseintritt beleuchtet wurden.144 Lediglich das FLM in Cardiff und das IWM in London hatten in ihren Ausstellungen Bereiche zu den Ereignissen der Julikrise eingerichtet. In Outbreak 1914: Wales Goes to War im FLM wurde der Darstellung der Ereignisse um den Kriegsausbruch und den britischen Kriegseintritt nur ein kleiner Ausstellungsteil gewidmet, obwohl der Ausstellungstitel Outbreak anderes hätte vermuten lassen können.145 Neben dem Rüstungswettlauf, der die Stimmung in Europa vor dem Kriegsausbruch mitprägte, wurden auch die Bündnissysteme und das Attentat von Sarajevo benannt, das die Kettenreaktion auslöste, die zum Ersten Weltkrieg führte. Deutschland oder eine andere Kontinentalmacht und deren Rollen während der Krise wurden nicht explizit erwähnt.146 Das gängige Narrativ, dass Großbritannien aufgrund der deutschen Vertragsverletzung dem belgischen Vertragspartner zu Hilfe eilte, wurde in der Ausstellung als Grund für den britischen Kriegseintritt benannt und folgte damit den Forschungen von David Stevenson, John Keegan oder Christopher Clark. Zu weiteren Motiven, wie etwa der Bedrohung der militärischen und wirtschaftlichen Sicherheit durch 140 141 142 143 144
Vgl. John Keegan: [442], S. 49; Gary Sheffield: [499], S. 46f; Alan Simmonds: [501], S. 27. J. Paul Harris: [419], S. 299. Vgl. ebd., S. 294f. Vgl. Christopher Clark: [373], S. 547. Für die Zusammenfassung der Kuratorenaussagen vgl. Judith Heß: Experteninterview FLM [215], S. 146-148; Dies.: Experteninterview IMWN [219], S. 129; Dies.: Experteninterview IMW [218], S. 107. 145 Vgl. Judith Heß: Experteninterview FLM [215], S. 146-149. 146 Vgl. zur Zusammenfassung der Ausstellungsinhalte Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext [47].
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Europäisierung des Gedenkens?
eine deutsche Hegemonie oder dem Antrieb einzelner Regierungsmitarbeiter, die mit einem Kriegseintritt auch britische Interessen aktiv zu verteidigen beabsichtigten,147 gab die Ausstellung im FLM keine Auskunft. Als entscheidenden Faktor, warum es überhaupt erst zu kriegerischen Handlungen kam, benannte das IWM sowohl in den First World War Galleries als auch im Begleitband den deutschen Blankoscheck und die Aufforderung an Österreich-Ungarn, in seinem Vorgehen gegen Serbien hart zu bleiben, und folgt darin der Sicht von Hew Strachan oder David Stevenson.148 Eine weitere Erklärung für den Ausbruch des Krieges sieht Cornish darin begründet, dass sich Deutschland eingekreist sah, was auch in der Ausstellung thematisiert wurde.149 Dieses Argument, in der deutschen Forschung eine gängige These, lässt sich in der britischen Forschung als Motivation für die deutschen Kriegserklärungen kaum finden.150 Das durch die Entente cordiale entstandene Bedrohungsgefühl und die durch den Schlieffen-Plan vorgegebene Strategie zur Verhinderung eines Zweifrontenkrieges nötigten Deutschland zu einer sofortigen Reaktion auf die russische Teilmobilmachung. Deutschland mobilisierte ebenfalls, was wiederum die Generalmobilmachung in Russland auslöste. Daraufhin erklärte Deutschland am 1. August 1914 Russland den Krieg.151 Die russische Generalmobilmachung wird von Cornish als letzter entscheidender Grund für den Kriegsausbruch genannt, womit er der Meinung einiger britischer Forscher folgt und klarstellt, dass Russland seitens der deutschen Handlungen zum Schritt der Generalmobilmachung provoziert wurde. Jedoch benennt Cornish Russland nicht als Hauptaggressor.152 In den First World War Galleries wurde nur erwähnt, dass sich die britische Regierung mit der Entscheidung über einen Kriegseintritt schwergetan hatte.153 Diese Auffassung folgt der traditionellen Sicht der britischen Weltkriegsforschung, beispielsweise bei Francis Hinsely, Mark Hewitson, David Stevenson oder J. Paul Harris.154 Gründe für die Unschlüssigkeit der britischen Regierung wurden nicht benannt. Angeführt wurde lediglich, dass die Regierung unter Herbert Asquith Furcht vor einer deutschen Vormachtstellung in Europa hatte und seine Position im weltweiten Gefüge durch einen 147
Zur Forschungsmeinung hinsichtlich des britischen Kriegseintritts vgl. unter anderem bei David Stevenson: [505], S. 32f; John Keegan: [442], S. 76f; David Reynolds: [492], S. 421f; Christopher Clark: [373], S. 548f; Gary Sheffield: [499], S. 46-48; Alan Simmonds: [501], S. 27; J. Paul Harris: [419], S. 266299. 148 Vgl. Paul Cornish: [243], S. 22; Hew Strachan: [511], S. vii; David Stevenson: [508], S. 8. 149 Vgl. Paul Cornish: [243], S. 22. 150 Vgl. Jean-Jacques Becker/Gerd Krumeich: [357], S. 76. 151 Vgl. Paul Cornish: [243], S. 22f. 152 Vgl. ebd. Vgl. unter anderem folgende Forschungen zur These, dass Russland als Hauptaggressor jedenfalls als Hauptmitverantwortlicher am Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu betrachten sei: David Stevenson: [508], S. 8f und S. 28; Ders.: [507], S. 17; Ders.: [505], S. 16 und S. 31f; John Keegan: [442], S. 66f, S. 69 und S. 74; J. Paul Harris: [419], S. 280; Samuel Williamson: [532], S. 27. Hew Strachans Ansatz von einer hohen Mitverantwortung Österreich-Ungarns wurde nicht erwähnt. Vgl. Hew Strachan: [511], S. vii. 153 Vgl. Ausstellungstext Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [112]. 154 Zu den Vertretern der These über das britische Zögern zählen etwa Francis Hinsely: [426], S. 3f; David Stevenson: [505], S. 15f; Mark Hewitson: [425], S. 231f; Michael Howard: [434], S. 11; J. Paul Harris: [419], S. 266-299.
4. Großbritannien und die Kriegsschuldfrage
eventuellen deutschen Sieg gefährdet sah. So wurde bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Frankreich und Russland die Entente cordiale geschlossen. Letztlich veranlasste aber die Invasion Belgiens seitens der deutschen Truppen Großbritannien, auf Grundlage des Londoner Vertrags von 1839, Belgien beizustehen und Deutschland den Krieg zu erklären.155 Die in der Forschung ausführliche Darstellung der Rolle Edward Greys oder die innenpolitischen Spannungen zwischen den Liberals und den Unionists, die manche Forscher ebenfalls als entscheidend betrachten, fanden weder in der Ausstellung noch im Begleitband Erwähnung.156 In der Begleitpublikation zu den First World War Galleries wurde der britische Kriegseintritt etwas ausführlicher dargestellt, als er den Besuchern der Ausstellung präsentiert wurde.157 Das Gefühl der Bedrohung der eigenen Position in der Welt durch einen von Deutschland dominierten europäischen Kontinent wurde sowohl im Hinblick auf die Seestreitkräfte, den Handel und letztlich auf das gesamte Empire von Paul Cornish präzisiert. Die Bedrohung sei aber auch im Hinblick auf eine mögliche deutsche Niederlage empfunden worden, hätte Großbritannien sich aus einem möglichen Krieg herausgehalten.158 So hatte die Ablehnung des britischen Ultimatums in Berlin und die folgende Verletzung der belgischen Neutralität in Großbritannien großen Zorn hervorgerufen. Denn neben der moralischen und vertraglichen Verpflichtung wurde eine deutsche Kontrolle der belgischen Küsten als »dagger aimed at the heart of Britain«159 empfunden, so dass infolgedessen die Kriegserklärung an Berlin am 4. August 1914 erging.160 Auch hier folgte das IWM den gängigen Forschungen und nicht der Darstellung von Keegan oder Sheffield, bei der Belgien lediglich als Vorwand für den britischen Kriegseintritt dargestellt wird.161 Der Sicht, dass Großbritannien keine Politik zur Erhaltung des Friedens in Europa verfolgt habe, folgten weder das IWM noch das FLM.162
4.3.3
Geschichtsbild Ausstellungen zur ›Kriegsschuldfrage‹
Von den drei untersuchten britischen Ausstellungen widmeten sich zwei den Ereignissen der Julikrise und dem Kriegsausbruch. Der Frage nach der Kriegsschuld bezie155
Vgl. den Ausstellungstext zur Zusammenfassung der Darstellung der Ergebnisse, die zur britischen Kriegserklärung führten: Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [112]; vgl. zudem auch bei Samuel Williamson: [532], S. 25-27; Trevor Wilson: [535], S. 1 und S. 7; David Reynolds: [492], S. 421; J. Paul Harris: [419], S. 286; Christopher Clark: [373], S. 548-550; Gary Sheffield: [499], S. 48; Holger Herwig: [424], S. 459. 156 Vgl. Paul Cornish: [243], S. 22f; J. Paul Harris: [419], S. 266-299; David Stevenson: [505], S. 35f. 157 Vgl. Paul Cornish: [243], S. 23; Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [112]. 158 Vgl. Paul Cornish: [243], S. 23. 159 Ebd. 160 Vgl. ebd. 161 Vgl. unter anderem bei David Stevenson: [505], S. 32f; David Reynolds: [492], S. 421f; Christopher Clark: [373], S. 548f; Alan Simmonds: [501], S. 27; Holger Herwig: [424], S. 446f; Michael Howard: [434], S. 11; Keith Wilson: [533], S. 175f; Ders.: [534], S. 133, S. 137f und S. 140-142; John Keegan: [442], S. 49 und S. 76f; Gary Sheffield: [499], S. 42 und S. 44-48. 162 Vgl. zu diesen Forschungen etwa bei J. Paul Harris: [419], S. 293 und S. 299; Alan Simmonds: [501], S. 27; Keith Wilson: [533], S. 175f; Dan Todman zu John Terraine in Dan Todman: [522], S. 4; John Terraine: [513], S. 2.
163
164
Europäisierung des Gedenkens?
hungsweise der Verantwortlichkeit am Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurden im IWM und im FLM ähnlich wie in den deutschen Museen auch nur kleine Ausstellungsbereiche gewidmet. Das IWMN verzichtete gänzlich auf eine Darstellung. Wie ihre deutschen Kollegen äußerten auch die britischen Kuratoren, dass eine detaillierte Darstellung im Rahmen einer Ausstellung nicht möglich wäre, sei es, weil der Fokus des Ausstellungsnarrativs anders lag oder weil die Komplexität der Abläufe zu kompliziert für eine ausführliche Darstellung sei.163 Das FLM verwies in seiner Ausstellung auf den Kriegsausbruch und erwähnte in diesem Zusammenhang den Rüstungswettlauf, die europäischen Bündnissysteme, die die Stimmung während der Julikrise und in den vorigen Jahrzehnten mitprägten, und das Attentat von Sarajevo. Die Julikrise selbst wurde lediglich als Kettenreaktion bezeichnet. Zum Attentat in Sarajevo wurde immerhin eine Fotografie des Herzogpaares kurz vor seiner Ermordung gezeigt.164 Damit bot das FLM, auch bedingt durch seinen Vermittlungsauftrag, die Geschichte der Queen’s Dragoon Guards und der Royal Welsh darzustellen, ein Geschichtsbild, das hinsichtlich der Gründe für den Kriegsausbruch keine eindeutige Position bezog. Deutschland wurde dahingehend erwähnt, dass es die deutsche Armee gewesen sei, die mit ihrem Einmarsch in Belgien die britische Reaktion ausgelöst habe. Österreich-Ungarn oder Russland wurden als mögliche Mitverantwortliche nicht benannt, lediglich, dass die Großmächte in Europa bis 1914 seit Jahrzehnten in territoriale Streitigkeiten verwickelt gewesen seien.165 Mit Blick auf die eigene Rolle wurde Großbritannien als treuer Bündnispartner Belgiens positioniert, der aufgrund der deutschen Neutralitätsverletzung in den Konflikt eintreten musste. Das IWM ist für Großbritannien das bedeutendste Museum zur Darstellung der britischen Kriegsgeschichte und versteht seinen Bildungsauftrag dahingehend, Kriege und Konflikte so darzustellen, wie sie aus britischer Sicht erfahren wurden.166 Ausführlicher als im FLM ging das IWM in London bei der Erläuterung der Julikrise in den First World War Galleries vor. Inhaltlich wurde in der neuen Dauerausstellung ÖsterreichUngarn als von Deutschland zum harten Vorgehen gedrängt dargestellt und die deutsche Führung als zum äußersten Risiko bereit in der Vertretung der eigenen nationalen Interessen. Deutschland habe geglaubt, mit einem Erstschlag einen Vorteil zu erreichen.167 Großbritannien wurde in der Darstellung der First World War Galleries die Rolle eines passiven Akteurs in der Julikrise zugewiesen: Auf der einen Seite sei ein Teil der Regierung, darunter der Premierminister, für die Unterstützung Frankreichs und Russlands gewesen, viele Briten befürworteten einen Krieg jedoch nicht. In der Ausstellung wurde die Angst vor einer deutschen Dominanz in Europa als mögliche Gründe für einen 163
Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 106f; Dies.: Experteninterview IMWN [219], S. 129; Dies.: Experteninterview FLM [215], S. 146-148. 164 Zur Forschungsmeinung hinsichtlich des britischen Kriegseintritts vgl. unter anderem bei David Stevenson: [505], S. 32f; John Keegan: [442], S. 76f; David Reynolds: [492], S. 421f; Christopher Clark: [373], S. 548f; Gary Sheffield: [499], S. 46-48; Alan Simmonds: [501], S. 27. 165 Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext [45]. 166 Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 100f. 167 Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [112].
4. Großbritannien und die Kriegsschuldfrage
Kriegseintritt genannt, ebenso wie eine mögliche Gefährdung der britischen Sicherheit und seiner Rolle als Weltmacht. Der letztliche Auslöser für den britischen Kriegseintritt stellte in den First World War Galleries die Verletzung der belgischen Neutralität durch die deutschen Truppen dar, da Großbritannien schon 1839 zugesichert hatte, diese zu schützen.168 Die Kriegserklärung an Deutschland erfolgte am 4. August 1914 seitens Großbritanniens »with its global empire«169 . Dies lässt den Schluss zu, dass das IWM damit andeutete, der britische Kriegseintritt habe den bis dahin europäischen Konflikt zu einem Weltkrieg ausgeweitet. Aus Sicht des IWMs war Deutschland der Aggressor, der den Ersten Weltkrieg auslöste. Denn Deutschland drängte Österreich-Ungarn zum harten Vorgehen, sicherte ihm dafür seine Unterstützung zu und ergriff letztlich aus Furcht vor einem Zweifrontenkrieg, der sich aus deutscher Sicht durch die europäischen Bündnisse abzeichnete, selbst die Initiative mit der Kriegserklärung an Russland. Von einer geteilten Verantwortung sprach das IWM nicht, wenngleich es die russische Generalmobilmachung als letztlichen Auslöser benannte, der das Fass während der Julikrise zum Überlaufen gebracht und Deutschland zur Kriegserklärung an Russland veranlasst habe. Und auch hierbei wurde eingeschränkt, dass die russische Generalmobilmachung nur die Folge der deutschen Mobilmachung gewesen war. Das IWM prägte mit seiner Darstellung das Geschichtsbild eines deutschen Aggressors, der aus unterschiedlichen Gründen den Ersten Weltkrieg entfesselte. Dieses Bild benötigte das IWM letztlich auch deshalb, weil die First World War Galleries das in der breiten britischen Öffentlichkeit gängige Narrativ der Sinnlosigkeit des Ersten Weltkrieges aufbrechen sollten. Hinsichtlich der Rolle Großbritanniens zeichneten sowohl das IWM als auch das FLM das Bild eines passiven Akteurs, der seinen Verbündeten, Belgien, Frankreich und Russland, gegen Deutschland zur Hilfe eilte. Allerdings war auch das britische Handeln nicht gänzlich von Selbstlosigkeit geprägt, sondern von der Furcht vor einer deutschen Vorherrschaft in Europa und möglichen daraus resultierenden Folgen wirtschaftlicher, politischer und militärischer Art.
168 Vgl. für den Abschnitt ebd. 169 Ebd.
165
5. Deutschland und die Lehren aus dem Ersten Weltkrieg
So schrecklich der Erste Weltkrieg war und von den Zeitgenossen wahrgenommen wurde, er war nicht der Krieg, der zum Ende aller Kriege führte. Im Gegenteil, allein aus dem Zerbrechen des Deutschen Reiches, Österreich-Ungarns und des Osmanischen Reiches, der Revolution in Russland und den Umwälzungen im Nahen Osten und in Arabien gingen zahlreiche weitere Kriege und Konflikte und nicht zuletzt der Zweite Weltkrieg hervor. Konflikte, die teilweise bis heute nicht gelöst sind. Folglich darf zu Recht gefragt werden, ob und wenn ja welche Lehren aus dem Ersten Weltkrieg gezogen wurden. Insbesondere gilt dies für Deutschland, das gemäß Artikel 231 der Versailler Verträge die Alleinschuld am Ersten Weltkrieg zu tragen hatte. Im folgenden Kapitel wird untersucht, ob und wie die vier untersuchten deutschen Ausstellungen auf Lehren, die aus dem Ersten Weltkrieg gezogen wurden oder gezogen werden konnten, eingingen und welche Geschichtsbilder die Ausstellungsmacher dazu entwickelten.
5.1
Ausstellungen zu Lehren aus dem Ersten Weltkrieg
Von den vier untersuchten Museen haben sich drei mit der Frage nach Lehren, die aus dem Ersten Weltkrieg gezogen wurden oder werden konnten, beschäftigt und in den Ausstellungen aufgegriffen.1 Zwei Aspekte lassen sich herausarbeiten: Zum einen ist das Versöhnung auf einer moralischen und zum anderen ist das Einigung auf einer institutionellen Ebene. Die Ausstellungsmacher von Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne hoben auf den moralischen Aspekt der Versöhnung ab. Im Ausstellungsteil Epilog stellte das HdG diesen Aspekt am Schicksal einzelner Kriegsteilnehmer vor. Hermann Föller, so erfuhren die Besucher beispielsweise, war 1917 bei Verdun gefallen und beigesetzt
1
Das Narrativ von 14 – Menschen – Krieg im MHM ging zeitlich nicht über den 11. November 1918 hinaus und äußerte sich nicht zu etwaigen Lehren, die aus dem Ersten Weltkrieg gezogen werden könnten.
168
Europäisierung des Gedenkens?
worden. Als Exponat zeigte das HdG ein Foto der Großnichte am Grabstein von Föller auf dem Soldatenfriedhof in Mangiennes bei Verdun. Im Kommentar zu dem Foto äußerte seine Großnichte Susanne Asoronye, dass sich ihre Urgroßeltern sicherlich gewünscht hätten, einmal das Grab ihres Sohnes zu besuchen.2 Die Exponatbeschriftung erläuterte dazu ergänzend, dass der Wunsch der Urgroßeltern nicht in Erfüllung gegangen sei, denn während des Krieges war das Betreten des Frontgebietes nur mit einer Sondergenehmigung möglich und nach dem Krieg die Reise zu teuer. Darüber hinaus war ein Besuch aufgrund des bis in die 1950er Jahre angespannten deutsch-französischen Verhältnisses nicht möglich.3 Die Speyerer Ausstellung sprach die Einigung Europas auf der institutionellen Ebene als Lehrstück an. Im Sektionstext Erinnerungskultur in europäischer Perspektive wurde zusammenfassend erläutert, dass sich heute in einem zusammenwachsenden Europa ein veränderter Blick auf den Ersten Weltkrieg entwickelt habe. Zum einen gibt es eine »gemeinsame Verantwortung der damaligen Kriegsgegner für den Ausbruch des Kriegs«4 , und zum anderen wird der Erste Weltkrieg »heute vielfach als Anfang eines zweiten Dreißigjährigen Krieges gesehen«5 . Folglich erscheinen »[v]or dem Hintergrund des Grauens zweier Weltkriege und unvorstellbarer Verbrechen gegen die Menschlichkeit […] die politischen Errungenschaften der europäischen Einigung nach 1945 wie ein glücklich ausgegangener Lernprozess.«6 Exponate zeigte das HMP hierzu nicht. Zwar nahm sich das DHM in Berlin ebenfalls der institutionellen Ebene an, in dem es die Gründung des Völkerbundes ansprach. Eine Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden bedeutete die Gründung des Völkerbundes jedoch nicht, wie der Sektionstext Der unbewältigte Krieg für die Nachkriegszeit erläuterte: Die 1919 und 1920 geschlossenen Verträge veränderten »die politische Landkarte Europas nachhaltig«7 . Nach dem Zusammenbruch von Österreich-Ungarn, dem Zarenreich und dem Osmanischen Reich gründeten sich viele neue Nationalstaaten. Die Weimarer Republik und die deutsche Wirtschaft hatten jedoch schwer an den Kriegsschulden und Reparationen zu tragen. Rechte und linke politische Kräfte sorgten zudem für die Destabilisierung der ersten parlamentarischen Republik und die Gesellschaft war in ihrer Erinnerung an den Krieg gespalten.8
2
3 4 5 6 7 8
Vgl. Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Exponattext »Susanne Asoronye am Grab von Hermann Föller«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«; Sebastian Dörfler: 1934/2012: Hermann Föller, in: Haus der Geschichte BadenWürttemberg (Hg.): Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne. Katalog zur Ausstellung »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne« vom 4. April 2014 bis 1. März 2015, Ulm 2014, S. 164. Zur Zusammenfassung der Exponatbeschriftung vgl. Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Exponattext [82]. Historisches Museum der Pfalz (Hg.): Sektionstext [86]. Ebd. Ebd. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext [24]. Zusammenfassend zur Darstellung der Lage nach Kriegsende vgl. ebd.
5. Deutschland und die Lehren aus dem Ersten Weltkrieg
Ein hier zugeordnetes Exponat war die Reproduktion einer amerikanischen Grußkarte zu Neujahr, World peace with liberty and prosperity 1919. Erläutert wurde dazu, dass die Karte »das während des Krieges gewachsene Selbstverständnis der Vereinigten Staaten, auf internationaler Bühne als frieden- und wohlstandstiftende Weltmacht zu agieren«9 , versinnbildlichte. In der Begleitpublikation wurde dazu ergänzend erläutert, dass der amerikanische Präsident Woodrow Wilson im Januar 1918 dem amerikanischen Kongress einen Plan für einen künftigen Weltfrieden vorstellte. Dieser sah Transparenz in der Diplomatie, Sicherung der freien Schifffahrt, Rüstungsbeschränkungen, die Wiederherstellung der belgischen Souveränität, die Rückerstattung des Elsasses und Lothringens sowie das Selbstbestimmungsrecht der aus den Großreichen Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich hervorgehenden Staaten vor. Zudem sollte ein Staatenbündnis zum Erhalt des Friedens und zur Wahrung der politischen Unabhängigkeit der einzelnen Staaten gegründet werden.10 Jedoch führte gerade die Umsetzung des sogenannten 14-Punkte-Plans im Hinblick auf die Schaffung von »möglichst ›ethnisch reine[n]‹ Nationalstaaten«11 anstelle der multiethnischen Großreiche zu neuen Konflikten und Kriegen.
5.2
Forschungen zu Lehren aus dem Ersten Weltkrieg
Jay Winter und Antoine Prost stellten in ihrer 2005 erschienen Arbeit fest, dass sich die Praktiken des Erinnerns nicht mehr nur in Denkmälern, in Reden von Politikern während der Zwischenkriegsjahre oder durch verschiedene politische Gruppierungen und Organisationen äußerten, sondern mit der Zeit auch in Gesten.12 Als Beispiel führten sie die Gedenkveranstaltung in Verdun im September 1984 an, bei der der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl und der französische Staatspräsident François Mitterrand sich symbolisch die Hand hielten. Die verbundenen Hände der beiden Staatsvertreter symbolisierten die Versicherung, die Zukunft eines ganzheitlichen Europas zu bewahren. Ein Europa, das auf den Ruinen eines zerschlagenen Europas aufgebaut ist. Der Schlachtort Verdun stand sinnbildlich für zahlreiche weitere Orte des Massensterbens während des Ersten Weltkrieges.13 Zu diesem Zeitpunkt war aus den memorativen Gesten, Riten und Praktiken eine Sprache der Erinnerung geworden, die sowohl die Menschen als auch die Akademiker
9
10
11 12 13
Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Exponattext »World peace with liberty and prosperity 1919 (Weltfrieden in Freiheit und Wohlstand 1919)«, Ausstellungsdokumentation zu »19141918. Der Erste Weltkrieg«. Zusammenfassend zum 14-Punkte-Plan vgl. Maja Peers: Amerikanisches Rekrutierungsplakat, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 200. Gerd Krumeich: [266], S. 19. Vgl. Jay Winter/Antoine Prost: [536], S. 173. Vgl. ebd. Verdun als Erinnerungsort auch bei Johannes Großmann: Der Erste Weltkrieg als deutschfranzösischer Erinnerungsort? Zwischen nationalem Gedenken und europäischer Geschichtspolitik, in: Cahiers d’Études Germaniques 66 (2014), S. 218.
169
170
Europäisierung des Gedenkens?
zu sprechen begannen. Historiker nahmen sich dieses Feldes an, historisierten das Erinnerungsritual und luden es mit der insbesondere an die Jugend gerichteten Lehre auf, Bürgerrechte einzuhalten. Als einer der Ersten griff Reinhard Koselleck dieses Potential in seiner Arbeit auf, um Lehren aus dem Ersten Weltkrieg zu ziehen und diese mit einem historischen Narrativ zu unterlegen. Winter und Prost nennen es die Dekodierung von Kriegsdenkmälern, die vor allem in den 1980er und 1990er Jahren betrieben wurde, um wichtige Botschaften zu entschlüsseln, wie sich die verschiedenen Gesellschaften an den Ersten Weltkrieg erinnerten.14 Lehren aus dem Ersten Weltkrieg zu ziehen, ist vor allem in Frankreich verbreitet, wo es bereits zur Schulbildung gehört, die Schüler zu aktiven Staatsbürgern zu erziehen. In Großbritannien ist dies weniger der Fall, da es keinen entsprechenden nationalen Lehrplan gibt und, weil der Erste Weltkrieg weniger im Sinne eines britischen Krieges verstanden wird. Das liegt daran, dass weniger Historiker und ihre Forschungen als vielmehr Dichter und Literaten das gängige Bild der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in Großbritannien geprägt haben. Für Deutschland sehen Winter und Prost die Erinnerungskultur sogar noch in den Kinderschuhen stecken.15 John Keegan bezeichnet den Zweiten Weltkrieg als »unquestionably the outcome of the First, and in large measure its continuation.«16 Der Erste Weltkrieg beschädigte die vernünftige und liberale europäische, von der Aufklärung geprägte Zivilisation, aber auch die Zivilisation der gesamten Welt für immer. Innerhalb von nur 15 Jahren nach dem Ende des Ersten Weltkrieges war der Aufstieg des Totalitarismus fast überall vollzogen. Dieser drängte den Liberalismus oder den Konstitutionalismus, die die europäischen Politiker seit 1789 inspirierten, zurück.17 Keegan zieht den Schluss, dass die Zeitgenossen, die Lehre zogen, dass »[t]otalitarianism […] the political continuation of war by other means«18 war. Jean-Jacques Becker und Gerd Krumeich sehen im Ersten Weltkrieg eine »Matrix Europas«19 , die durch den Zweiten Weltkrieg letztlich ihre ganze Bedeutung entfalten sollte. Aus Hass und Zerstörung sei die Erkenntnis zu gewinnen, dass eine »Zukunft nur aus Versöhnung entstehen kann, aus der Betonung der Gemeinsamkeiten und nicht länger – bei allen historisch gewordenen Unterschieden – der nationalen Differenzen und des Hasses.«20 Deutsche und Franzosen könnten nun »gemeinsam das Haus Europa bauen.«21 Herfried Münkler sieht im Ersten Weltkrieg, im kollektiven Gedächtnis Mitteleuropas, so etwas wie ein Gründungsereignis der »nationalstaatlichen ›Wiedergeburt‹«22 , 14
15 16 17 18 19 20 21 22
Vgl. Jay Winter/Antoine Prost: [536], S. 173; Reinhart Koselleck: War Memorials. Identity Formations of the Survivors, in: Ders. (Hg.): The Practice of Conceptual History. Timing History, Spacing Concepts, unter Mitarbeit und übers. v. Todd Samuel Presner u.a., Stanford 2002, S. 285-326. Vgl. hierzu Jay Winter/Antoine Prost: [536], S. 190. John Keegan: [442], S. 9. Ähnlich auch bei Hew Strachan: [510], S. 40. Vgl. John Keegan: [442], S. 8. Ebd. Jean-Jacques Becker/Gerd Krumeich: [357], S. 322. Ebd. Ebd. Herfried Münkler: [482], S. 753.
5. Deutschland und die Lehren aus dem Ersten Weltkrieg
das insbesondere in Westeuropa und damit vor allem für Großbritannien und Frankreich zum »großen Opfergang«23 wurde. Dies liegt daran, dass Großbritannien aber auch Frankreich die Materialschlachten, die der Erste Weltkrieg hervorbrachte, nie mehr erleiden mussten, auch nicht im Zweiten Weltkrieg. Aufgrund der Verwüstungen, die der Erste Weltkrieg an der Westfront hinterließ, hatte man geglaubt, das Land sei dort für immer unbewohnbar. Heute zeugen Kraterlandschaften und die Überreste der Schützengrabensysteme nur noch an wenigen Stellen von den unmittelbaren Kampfhandlungen, vielmehr rücken endlos scheinende Soldatenfriedhöfe an die Stelle der Schlachtfelder, die bis heute von der Politik zu Gedenkzwecken und für Erinnerungszeremonien genutzt werden. Als Lehre aus den Verwüstungen und Zerstörungen, nicht zuletzt aus zwei Weltkriegen, legten Frankreich und Deutschland ihre Erbfeindschaft bei. Das Symbol der deutsch-französischen Aussöhnung war die Geste der Handreichung von Helmut Kohl und François Mitterand im ehemaligen Schlachtort Verdun.24 Gary Sheffield ist der Ansicht, dass der Erste Weltkrieg gerecht und notwendig war, denn der Sieg der Alliierten entwickelte sich zur Grundlage dafür, dass im ausgehenden 20. Jahrhundert Frieden und Wohlstand relativ weite Verbreitung in der westlichen Welt fanden. Hätte Deutschland den Krieg für sich entschieden, so wäre dies anders gekommen. Sheffields Begründung lautet, dass die Pläne von Woodrow Wilson nach dem Ersten Weltkrieg zwar erst einmal für Instabilität sorgten. Auf lange Sicht war »democracy plus welfare capitalism […] a good, although imperfect, recipe for stability and prosperity«25 , das Europa und insbesondere den USA Sicherheit brachte.26 Matthias Waechter stellt mit seiner Sicht auf den 14-Punkte-Plan die von Sheffield benannten positiven Langzeitfolgen in Frage. Die Deutschen hatten sich durch den 14Punkte-Plan einen glimpflichen Ausgang des Krieges erhofft und fühlten sich durch die tatsächliche Umsetzung in den Versailler Verträgen von Wilson betrogen. Die Modifikationen, die Großbritannien und Frankreich am Plan Wilsons hatten, warfen in der späteren Bewertung der Verträge die Frage auf, wieviel von Wilsons Visionen tatsächlich noch darin steckten. Es kam zwar zur Gründung des Völkerbundes, jedoch ohne dass die USA die Satzung ratifizierten. Letztlich scheiterte der Bund auch daran, dass nationale Interessen und die weitergeführte traditionelle Politik der europäischen Großmächte immer noch Vorrang hatten.27 Herfried Münkler sieht eine entscheidende Lehre aus dem Ersten Weltkrieg in den Institutionen der Europäischen Union. Der Erste Weltkrieg war ein Krieg der Nationalstaaten an der Westfront und ein Krieg multinationaler Reiche an der Ostfront, die selbst gegen aufkommende nationalistische Strömungen ankämpften, um den inneren 23 24 25 26 27
Ebd. Vgl. zum Abschnitt Herfried Münkler: [482], S. 754. Gary Sheffield: [499], S. 280. Vgl. für den Abschnitt ebd., S. 278 und S. 280. Für die Zusammenfassung vgl. Matthias Waechter: »Vierzehn Punkte«, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, hg.v. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz, aktualisierte und erw. Studienausgabe, Paderborn u.a. 2009, S. 950; zum Völkerbund vgl. Jost Dülffer: Art. »Völkerbund«, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, hg.v. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz, aktualisierte und erw. Studienausgabe, Paderborn u.a. 2009, S. 952f.
171
172
Europäisierung des Gedenkens?
Zerfall zu verhindern. Der Erste Weltkrieg zeigte damit, dass sich die Nationalstaaten militärisch betrachtet gegenüber den multinationalen Imperien im Vorteil befanden. Am Ende zerfielen die Vielvölkerstaaten im Osten alle. Selbst im Fall der Sowjetunion räumt Münkler ein, dass der Zerfall lediglich mit einer Verzögerung von rund 70 Jahren einsetzte, die Europäische Union die Folgen aber heute noch spürt.28 Nach Münklers Erachten liegt das Hauptargument der Zweifler der Europäischen Union in den transnationalen europäischen Strukturen, die kein »Friedensgarant«29 wären. Er folgert jedoch, dass die Europäische Union sehr wohl in der Lage sei, die Rolle als Friedensstifter und Integrator zu übernehmen. Die Europäische Union erreiche dies weniger durch militärische und polizeiliche Hoheitsgewalten, als vielmehr durch die Schaffung eines Raumes mit einheitlichen wirtschaftlichen Strukturen, die Gemeinschaft, Aufstreben, Migration und finanziellen Transfer über jegliche nationalen oder religiösen Zwänge einzelner Nationalstaaten hinaus ermöglichen. Denn die Politik der Europäischen Union ist entgegen den multinationalen Großreichen des Ersten Weltkrieges auf gegenseitige Toleranz ausgelegt und bewirkt dadurch eine Minderung möglicher Konfliktherde zwischen den einzelnen ethnischen oder religiösen Gruppen.30 Gleichzeitig besteht für die Europäische Union keine Bestandsgarantie, denn wie auch schon im Sommer 1914 gibt es »politische und kulturelle Eliten, die das Handeln der Brüsseler Kommission als das eines ausbeuterischen und unterdrückenden Imperiums darstellen und darüber politischen Sprengstoff anhäufen, der 1914 entscheidend zur Katastrophe beigetragen hat.«31
5.3
Analyse
5.3.1
Geschichtsbild Forschung zu ›Lehren aus dem Ersten Weltkrieg‹
Die deutsche Forschung hat sich mit der Erinnerungskultur zum Ersten Weltkrieg im Hinblick auf den Aspekt der Lehren, die aus dem Ersten Weltkrieg zu ziehen sind, beschäftigt. Winter, Prost, Großmann, Krumeich, Becker, Münkler oder auch Koselleck zeigten auf, dass die Erinnerungspraktiken, wie die verbundenen Hände von Kohl und Mitterrand in Verdun, aber auch die Kriegerdenkmale in der Lesart der 1980er und 1990er Jahre, der visuelle Ausdruck sind, dass aus einer menschlichen Katastrophe wie dem Ersten Weltkrieg eine Lehre gezogen werden kann. Die Forscher schließen daraus, dass durch das Erinnern an die gemeinsam erlittenen Wunden eine gemeinsame friedliche Zukunft basierend auf Versöhnung entstehen könne. Wichtig sei, dass die Gemeinsamkeiten betont würden und man nicht auf der Konsolidierung bestehender Differenzen beharre. Gleichzeitig könne dadurch die Rechtstaatlichkeit und folglich die Achtung der
28 29 30 31
Vgl. zur Zusammenfassung der Sicht Münklers: Herfried Münkler: [482], S. 759-761. Ebd., S. 761. Vgl. zur Europäischen Union ebd. Ebd., S. 762.
5. Deutschland und die Lehren aus dem Ersten Weltkrieg
Bürgerrechte, die letztlich ein friedliches Miteinander garantieren, angemahnt werden.32 Symbole der Versöhnung wie die Handreichung manifestieren sich demnach zum Geschichtsbild eines gemeinsam gebauten »Haus[es] Europa«33 , das durch Institutionen wie die Europäische Union als Friedensstifter und Integrator eine praktische Umsetzung findet.34 Für Großbritannien lässt sich ein solches Geschichtsbild in der Forschung schwieriger herausarbeiten als für Deutschland, da die Erinnerungskultur in Großbritannien weniger von Forschungserkenntnissen oder einem landesweit einheitlichen Lehrstoff an den Schulen als vielmehr von Literatur und Dichtung geprägt ist.35 Keegan argumentiert beispielsweise aus der Sicht der Zeitgenossen, dass die Lehre aus dem Kollaps der aufgeklärten Zivilisation, den der Erste Weltkrieg darstelle, Totalitarismus sei, der lediglich eine Weiterführung der politischen Dimension des Krieges sei.36 Nichtsdestotrotz findet sich aber auch in der britischen Forschung beispielweise bei Sheffield ein ähnliches Geschichtsbild wie das deutsche. Die friedensstiftende Wirkung, die die Rahmenbedingung auch für den wirtschaftlichen Wohlstand wenigstens in den sogenannten westlichen Gesellschaften in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begründete, führt auch Sheffield auf transnationale Initiativen zurück. Er benennt Woodrow Wilsons 14-Punkte-Plan, der auf lange Sicht die Festigung demokratischer Strukturen, wirtschaftlichen Wohlstand und Frieden ermöglichte.37
5.3.2
Einordnung der Ausstellungen in die Forschung
Die Änderung in den Praktiken des Gedenkens hin zu einer Praxis der Gesten, die gemäß Jay Winter und Antoine Prost nach dem Krieg vor allem in Reden von politischen Führern, Gruppierungen und sonstigen Organisationen bestand, wandelte sich im Falle des Ersten Weltkrieges durch die Arbeit der Historiker weiter vom sichtbaren Narrativ in das sichtbare historische Narrativ, Lehren aus dem Ersten Weltkrieg zu ziehen.38 Die Zeitgenossen hätten zunächst wenig Lehren gezogen, denn der aufkommende Totalitarismus faschistischer und kommunistischer Ideologien sorgte für eine kontinuierliche Fortführung des Krieges und führte damit fraglos zum Zweiten Weltkrieg, so John Keegan.39 Von einer fraglosen Kontinuität sprechen Jean-Jaques Becker und Gerd Krumeich zwar nicht, folgern jedoch, dass der Erste Weltkrieg als ›Matrix Europas‹ seine volle Bedeutung erst durch den Zweiten Weltkrieg erfahren habe und eine Zukunft aus Hass und Zerstörung nur durch Versöhnung und Betonung der Gemeinsamkeiten überwunden werden könne.40 32 33 34 35 36 37 38 39 40
Vgl. Jay Winter/Antoine Prost: [536], S. 173; Johannes Großmann: [413], S. 218; Reinhart Koselleck: [453], S. 285-326; Jean-Jacques Becker/Gerd Krumeich: [357], S. 322; Herfried Münkler: [482], S. 754. Jean-Jacques Becker/Gerd Krumeich: [357], S. 322. Vgl. Herfried Münkler: [482], S. 759-762. Vgl. hierzu Jay Winter/Antoine Prost: [536], S. 190. Vgl. John Keegan: [442], S. 8f. Vgl. Gary Sheffield: [499], S. 278 und S. 280. Vgl. Jay Winter/Antoine Prost: [536], S. 173. Vgl. John Keegan: [442], S. 8f; auch bei Hew Strachan: [510], S. 40. Vgl. Jean-Jacques Becker/Gerd Krumeich: [357], S. 76 und S. 322.
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Europäisierung des Gedenkens?
Dass Versöhnung zwischen den vorherigen Erzfeinden Deutschland und Frankreich als eine Lehre aus dem Ersten Weltkrieg und sicherlich auch vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges gezogen wurde beziehungsweise überhaupt möglich war, zeigte das HdG am Ende des Ausstellungsrundganges in der Sektion Epilog auf. Nicht nur zerstörte Landschaften blieben bis heute vom Ersten Weltkrieg übrig. Vielmehr konnte aus der Zerstörung und dem Leid auch Versöhnung entstehen, die es den Nachkommen der Angehörigen der deutschen Soldaten heute ermöglicht, ihrer individuellen Trauer an den Gräbern auf den Schlachtfeldern Ausdruck zu verleihen und nicht nur an den Kriegsdenkmälern und Gedenktafeln in der Heimat. Vom Ersten Weltkrieg als einem unter großen Opfern erkauften Gründungsereignis einer »nationalstaatlichen Wiedergeburt«41 spricht Herfried Münkler und spielt damit auf den Zusammenbruch der west- und osteuropäischen Großreiche an. Seiner Sicht nach ist die Lehre aus dem Ersten Weltkrieg die Europäische Union, die heute als Garant für Frieden in Europa sorgt. Die Europäische Union schaffe durch eine integrative Politik wirtschaftliche und gesellschaftsrelevante Strukturen, die gegenseitige Toleranz auf einer multinationalen Ebene ermögliche.42 Gary Sheffield schreibt diesen Erfolg, der zum Ende des 20. Jahrhunderts zur Entfaltung kam, dem 14-Punkte-Plan von Woodrow Wilson zu, der politische und wirtschaftliche Freiheiten und die Selbstbestimmung der Nationen als Grundstein für die Sicherung von Demokratie und Frieden vorsah.43 Die Speyerer Ausstellung griff als einzige den Aspekt der integrativen Kraft der Europäischen Union als Erfolg eines nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzten Lernprozesses auf. Dieser Blick auf den Ersten Weltkrieg ist recht neu.44 Die Rolle der USA und des amerikanischen Präsidenten skizzierte das DHM am Ende seines Ausstellungsrundgangs in Ansätzen und ging der Argumentation von Gary Sheffield nach, dass die USA seit dem Ersten Weltkrieg als friedens- und wohlstandsstiftende Weltmacht zu agieren begannen. Das Staatenbündnis des Völkerbundes sollte gemäß der Vision von Woodrow Wilson künftig den Frieden wahren und die Unabhängigkeit einzelner Staaten gewährleisten.45
5.3.3
Geschichtsbild Ausstellungen zu ›Lehren aus dem Ersten Weltkrieg‹
Drei der vier deutschen Museen griffen die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen, die sich aus dem Ersten Weltkrieg ergaben beziehungsweise danach entwickelten, in ihren Ausstellungen auf. Ob und welche Lehren aus dem Krieg gezogen wurden, wurde in den Ausstellungen zwar nur in einem kleinen Bereich am Ende thematisiert, dennoch schufen die Museen ein deutliches Geschichtsbild der Notwendigkeit, Lehren aus dem Ersten Weltkrieg zu ziehen. Den Ersten Weltkrieg als ein solches Deutungsinstrument in das Ausstellungsnarrativ zu integrieren, wurde dabei vor allem in den zwei Regionalmuseen umgesetzt. Die beiden regional ausgerichteten
41 42 43 44 45
Herfried Münkler: [482], S. 753. Vgl. ebd., S. 753f und S. 759-762. Vgl. Gary Sheffield: [499], S. 278; Matthias Waechter: [527], S. 949-951. Vgl. Historisches Museum der Pfalz (Hg.): Sektionstext [86]. Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext [24]; Gerd Krumeich: [266], S. 19.
5. Deutschland und die Lehren aus dem Ersten Weltkrieg
Museen richteten ihren Ausblick zeitlich weit über das Ende des Ersten Weltkrieges hinaus und unternahmen damit einen Versuch, die Relevanz des Krieges für die heutige Generation zu formulieren. Die Museen mit bundesweiter Bedeutung hingegen nahmen sich der Thematik, Lehren aus der ›Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts‹ zu ziehen, nicht in derselben Deutlichkeit an oder sie wurde gar nicht erst in das Ausstellungsnarrativ integriert, wie etwa im Falle des MHMs. Am Beispiel der Exponate zu Hermann Föller, der bei Verdun gefallen war, zeigte die Stuttgarter Ausstellung auf, wie bedeutsam Versöhnung und ein friedliches Miteinander zwischen den europäischen Staaten war beziehungsweise ist. Konkret wurde am Exponat zu Hermann Föller auf die deutsch-französische Aussöhnung Bezug genommen. Diese wurde zwar erst weit nach Ende des Ersten und auch nach Ende des Zweiten Weltkrieges vollzogen, aber sie war für das seit nun mehr über 60 Jahren friedliche Miteinander in großen Teilen Europas von großer Bedeutung. Letztlich stellt die Aussöhnung damit auch eine Lehre des Ersten Weltkrieges insofern dar, als dass ohne Aussöhnung weitere Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen die Folge sein können. Das HMP in Speyer führte im Sektionstext Erinnerungskultur in europäischer Perspektive die Institutionen der Europäischen Union als Erfolg aus einem langen Lernprozess an, der sich aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg ergab. Wenngleich die Ausstellung an dieser Stelle auf eine exponatgestützte Darstellung verzichtete, wurde anhand des Ausstellungstextes deutlich gemacht, dass der Friede in Europa ein Zustand des Glücks sei, der ohne die gezogene Lehre der »politischen Errungenschaften der europäischen Einigung«46 nicht möglich gewesen wäre. Das DHM in Berlin, das sich als ›das‹ Museum für die deutsche Geschichte begreift, benannte in der Frage nach möglichen Lehren, die aus dem Krieg gezogen werden können, den unmittelbar nach dem Krieg geschaffenen Völkerbund basierend auf den Ideen von Woodrow Wilsons 14-Punkte-Plan als eine Errungenschaft zur Aufrechterhaltung des Friedens. Die Einrichtung des Völkerbundes wurde als Instrument für ein künftiges friedliches Miteinander angeführt, wenngleich das DHM einschränkte, dass der Völkerbund den Zweiten Weltkrieg nicht verhindern konnte und danach aufgelöst wurde. Das DHM zeigte mit seinem Geschichtsbild nach aus dem Ersten Weltkrieg zu ziehenden Lehren die heutige Relevanz zwar nicht so deutlich auf wie das HdG oder das HMP. Allerdings klang auch in der Berliner Ausstellung an, dass eine transnationale Idee, wie die Institution des Völkerbundes sie verkörperte, eine mögliche Lösung zur Verhinderung von Kriegen und Konflikten sein kann. Das Geschichtsbild, das in den deutschen Ausstellungen konstruiert wurde, war folglich geprägt von der Thematik der Versöhnung oder Aussöhnung und von einer der Einigung, die sich nicht nur in Gesten, sondern vor allem institutionell, wie beispielsweise in Form der Institutionen der Europäischen Union niederschlagen muss, um zu einem dauerhaften Frieden zu führen.
46
Historisches Museum der Pfalz (Hg.): Sektionstext [86].
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6. Großbritannien und die Bedeutung der Kriegsopfer
Warum die Briten in den Krieg eintraten und wie die Zeitgenossen darüber dachten, wurde und wird in der britischen Öffentlichkeit und unter den britischen Wissenschaftlern kontrovers diskutiert. Die Frage nach der Rechtfertigung für den Kriegseintritt Großbritanniens eröffnete unweigerlich auch die Frage nach der Rechtfertigung der Opfer, die die Soldaten und die Zivilbevölkerung erbrachten. Im Folgenden soll vorgestellt werden, wie sich die Ausstellungen der Frage nach dem Sinn der Opfer annahmen und ein Überblick über die Forschungsdebatte gegeben werden.
6.1
Ausstellungen zu den Kriegsopfern
In der Ausstellung Outbreak 1914: Wales Goes to War in Cardiff wurde das erste Kriegsjahr ausführlich erläutert. Aufgrund der Ausstellungskonzeption wurde die Darstellung der Ereignisse nicht mit Exponaten kontextualisiert, sondern lediglich mit Fotografien von Rekrutierungslagern und Ausbildungsstätten sowie Plakaten zur Rekrutierung. Der Schwerpunkt der Darstellung lag auf der Schilderung der Aushebung des großen Freiwilligenheeres, das auch als ›Lord Kitchener’s New Army‹ bezeichnet wurde, um die deutsche Kriegsmaschinerie schnell zu stoppen.1 Als die Armee 1908 reformiert wurde, hatte niemand einen größeren Krieg in Europa geplant, vielmehr ging es darum, dass eine hochtrainierte Armee die Stabilität des Empires gewährleisten sollte. Entgegen der Gepflogenheiten anderer europäischer Staaten gab es in Großbritannien keine Wehrpflicht, sondern der Militärdienst baute auf der freiwilligen Meldung auf. Bereits seit den 1880er Jahren gab es sogenannte »Boy’s Brigades« und Boyscouts, die von den militärischen Prinzipien wie Dienst und Pflicht sowie Drill und Exerzieren geprägt waren. Der Kriegseintritt Großbritanniens erfolgte aufgrund des Vertrags von London 1839. 99 Jahre nach Waterloo war dies der erste bewaffnete Konflikt in Westeuropa, in den
1
Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Exponattext »When Britain entered the First World War«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015).
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Europäisierung des Gedenkens?
ein Teil der britischen Berufsarmee zog.2 Über die Berufsarmee hinaus wurden im August 1914 fast 270.000 Mitglieder der Territorial Force der BEF zugeordnet, wobei ein Großteil weder ausgebildet noch zeitgemäß ausgerüstet war. Der größte Teil der BEF wurde jedoch von Freiwilligen gestellt, die keinerlei oder nur wenig militärische Ausbildung besaßen und die Monate der Ausbildung vor einem ersten Einsatz an der Front benötigten. Denn es sei klar gewesen, dass sich die BEF im Kriegseinsatz auf eine gute Ausbildung und Ausrüstung verlassen können musste.3 Gemäß den Ausstellungsmachern hätten Pflichtgefühl gegenüber dem König, aber auch Stabilität, eine gesicherte Ernährung, Unterkunft und Kleidung sowie Abenteuerlust dafür gesorgt, dass sich in den ersten Wochen nach Kriegseintritt fast 50.000 Freiwillige gemeldet hätten. Als sich nach dem 25. August 1914 die Kunde des Ausgangs der Schlacht von Mons und die Zahl der Gefallenen und Verletzten verbreitete, war eine Zeit des sogenannten »Recruitment Fevers« ausgebrochen, während der sich an einem Tag bis zu 30.000 Freiwillige zum Dienst meldeten, und bis zum 12. September 1914 folgten noch einmal über 300.000 Männer. Die meisten Rekruten gingen davon aus, dass der Krieg bis Weihnachten beendet sei und sie ihre Chance verpassten, wenn sie sich nicht umgehend freiwillig meldeten. Dass die Zahl der freiwilligen Meldungen bis Januar 1916 hoch blieb, lag auch daran, dass sogenannte »Pals Battalions« ausgehoben wurden, in denen die Männer gemeinsam mit ihren Freunden und Verwandten aus denselben Ortschaften eine Einheit bildeten.4 In From Street to Trench: A World War that Shaped a Region widmete das IWMN ebenfalls einen großen Teil des Ausstellungsrundgangs der Frühphase des Ersten Weltkrieges und der Rekrutierung der Massen, sowohl für die Armee wie auch für die Kriegsindustrie. 1914 war Großbritannien auf einen großen und langen Krieg nicht vorbereitet, die Armee war klein und die Industrie nicht auf die Ausrüstung eines großen Krieges ausgerichtet. Soldaten mussten daher erst rekrutiert und die Zivilbevölkerung mobilisiert werden, wofür sich Tausende zunächst freiwillig, später gezwungen durch die Wehrpflicht, meldeten. Die große Mehrheit der Bevölkerung unterstützte die Kriegsanstrengungen, eine lautstarke Minderheit jedoch nicht.5 Anhand von Plakaten und öffentlichen Aushängen zur Rekrutierung zeigte das IWMN auf, mit welchen Taktiken die Rekrutierung durchgeführt wurde. So sollte das Plakat mit dem Titel County Palatine Artillery – Recruits now Wanted, das eine heranstürmende Kavallerieeinheit zeigte, Männer aus der Region Lancashire für die Royal
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Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext [47]; Dies. (Hgg.): Bereichstext [39]; Dies. (Hgg.): Bereichstext [44]; Dies. (Hgg.): Bereichstext [45]. Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext [44]. Vgl. für den Abschnitt Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext [54]; Dies. (Hgg.): Bereichstext [38]; Judith Heß: Experteninterview FLM [215], S. 151f. Vgl. für den Abschnitt Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Sektionstext [193].
6. Großbritannien und die Bedeutung der Kriegsopfer
Artillery ansprechen.6 Ein anderes Plakat hob darauf ab, dass sich die Männer in Manchester mit schottischen Wurzeln gemeinsam melden sollten und ein drittes Plakat war an die Women of Lancashire gerichtet, die ihre Männer ermutigen sollten, sich zu melden.7 In der Regel appellierten die Plakate an das Pflichtbewusstsein. In manchen Fällen jedoch wurden Angehörige und Freunde psychologisch erpresst. Sie sollten moralischen Druck auf potenziell wehrfähige Männer ausüben, sich zum Kriegsdienst zu melden.8 Das hierzu im IWMN gezeigte Plakat war sehr deutlich in der Aussage, »that if you keep back a son or sweetheart you are prolonging the War and adding to the peril of those who have gone«9 . Persönliche Gründe für die freiwillige Meldung zum Kriegsdienst waren oftmals ein Gefühl der Pflicht, gehen zu müssen, wie eine Notiz eines Kriegsfreiwilligen an seine Mutter aus dem Jahr 1914 bezeugte, in der er darum bat, dass diese nicht weinen möge. Frank Middelton fiel 1915 im Gefecht, so die Exponatbeschriftung weiter.10 Das IWMN stellte zahlreiche Regimentsabzeichen aus und kontextualisierte damit, dass auch im Norden Englands zahlreiche »Pals Battalions« ausgehoben wurden. Die »Pals Battalions« »gave a sense of local identity, but meant the casualties sustained had a particularly strong impact at home. From mid-1916 onwards, this policy began to be reversed.«11 Dass die neuen Rekruten zunächst in Lagern eine Ausbildung für den Fronteinsatz erhielten, zeigte das IWMN anhand mehrerer Filmsequenzen und Briefe, die ganz persönliche Eindrücke über die Erfahrungen in den Lagern vermittelten, wie beispielweise das Gefühl von Heimweh, das durch Pflicht- und Dienstgefühl nicht aufgewogen
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Vgl. für den Abschnitt bei Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext »Recruitment poster encouraging men from Lancashire«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. Vgl. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext »Recruitment poster aimed at men in Manchester with Scottish roots«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«; Dies.: Exponattext »Recruitment poster appealing to women of Lancashire«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext [182]. Ebd. Vgl. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext »Note left by Frank Middleton for his mother in 1914«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext »Cap badges are the insignia of a regiment«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«.
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werden konnte.12 Heimweh drückte sich auch in dem Lied »It’s a Long, Long Way to Tipperary«13 aus, wie ein mit dem Liedtext besticktes Taschentuch illustrieren sollte. Ein japanisches Gewehr kontextualisierte die schlechte Ausrüstung der britischen Rekruten und stand dafür, dass die britische Armee auf einen großen Krieg nicht vorbereitet war und deshalb beim Verbündeten Japan Waffen erwerben musste.14 In seinem Gedicht Anthem for Doomed Youth beschrieb der Dichter Wilfred Owen den Lärm und die Gefahr an der Westfront, ebenso eindrücklich beschrieb er den Effekt von Giftgas in Dulce et Decrum est.15 Die Manuskripte der beiden Gedichte zeigte das IWMN in der Sektion Witnessing War, in der die Ausstellung persönliche Einzelschicksale bekannter und unbekannter Soldaten vorstellte, wie eben das des Dichters Owen. Owen diente im Manchester Regiment als Offizier und starb am 4. November 1918 eine Woche vor dem Waffenstillstand im Alter von 25 Jahren. Er avancierte zu einem der bekanntesten britischen Dichter des Ersten Weltkrieges, den sogenannten »war poets«, als seine Gedichte nach dem Krieg veröffentlicht wurden.16 Der Ausstellungsrundgang schloss im IWMN mit der Sektion Aftershocks. Neben zahlreichen Fotografien zu Kriegsdenkmälern und anderen persönlichen Erinnerungsstücken zeigte das IWMN einige Filmsequenzen zu Gedenkzeremonien aus den 1920er Jahren, wie eine Remembrance-Day-Zeremonie in Manchester am dortigen Kenotaph oder die Einweihung des Astley Park War Memorial in Chorley.17 Ein besonders exponiertes Objekt in dieser Sektion war ein Motorrad, mit dem im Jahr 2003 die 53 sogenannten ›Thankful Villages‹ im ›Thankful Villages Run‹ angefahren wurden, um für Wohltätigkeitszwecke Gelder zu sammeln. Von rund 16.000 Gemeinden, die im Ersten Weltkrieg Soldaten an die Front schickten, waren lediglich diese 53 von Verlusten verschont geblieben und alle Männer kehrten wieder heim.18 Im Sektionstext hieß es dazu:
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Vgl. beispielsweise Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext »A Great Servant of a Great Empire«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«; Dies.: Exponattext »The Pals’ Visit to Accrington«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«; Dies.: Exponattext »Liverpool Regiments Leave for Fresh Training Quarters«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«; Dies.: Exponattext »Letter from William Anderson to his wife Agnes«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext »Handkerchief decorated with the music of ›It’s a Long, Long Way to Tipperary‹«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. Vgl. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext »Japanese Type 38 Rifle«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. Vgl. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext »›Anthem to Dead Youth‹«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«; Dies.: Exponattext »›Dulce et Decorum est‹«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. Vgl. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext »Wilfred Owen«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. Vgl. Imperial War Museum North (Hg.): Filmstation [198]. Vgl. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext [187].
6. Großbritannien und die Bedeutung der Kriegsopfer
The hardest impact to bear was loss. Of those who served, most came home. But Britain’s war dead still amounted to losing the population of a city the size of Manchester. War memorials still stand publicly for that loss, but families had to find ways to cope privately as well. Even for those who returned, the war left a significant imprint.19 Bis heute spielen die Kriegsdenkmäler eine bedeutende Rolle im Alltag der Region, insbesondere bei Gedenkzeremonien. In erster Linie verankerten die Denkmäler aber den Ersten Weltkrieg in der kollektiven Erinnerung der Region und in der nationalen Geschichte.20 Die First World War Galleries in London zitierten eine Aussage von Captain Frederick Chandler vom 17. August 1917, dass kein »material thing can ever justify this war nor afford any compensation. This war cannot go on. [Herv. i.O. groß, in blauer Schrift]«21 , und thematisierten damit indirekt die Frage nach dem Sinn der britischen Opfer. Im Ausstellungstext hieß es weiter, dass die Rufe nach Frieden in der Öffentlichkeit zu dieser Zeit zugenommen hätten. Im Hintergrund waren seitens der Regierung zwar bereits entsprechende Friedensbemühungen unternommen worden, jedoch war die Mehrheit der Bevölkerung noch davon überzeugt, dass ohne Sieg die bis zum Ende des Jahres 1917 gefallenen 800.000 Briten und Angehörigen des Empires »had fought for nothing«22 .23 Dass die Briten in den Krieg gezogen waren, erklärte das IWM damit, dass die britische Regierung unter der Führung von Premierminister Herbert Asquith eine deutsche Dominanz in Europa fürchtete und durch ein siegreiches und feindliches Deutschland die britische Sicherheit bedroht sah.24 So habe »Germany’s invasion of Belgium, to get to France, tipped the balance[.] Britain had long promised to protect Belgium’s right to be neutral.«25 Denn bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts hätten Deutschlands aggressive Versuche als Weltmacht zu agieren, Großbritannien, Frankreich und Russland beunruhigt, so der Bereichstext weiter.26 Das IWM widmete der Lage in Belgien im Zusammenhang mit der Kriegspropaganda zu den sogenannten deutschen Gräueltaten einen großen Ausstellungsbereich. In den besetzten Gebieten in Belgien wurde der Schrecken des Krieges durch von deutschen Soldaten verübten Straftaten gegen die Zivilbevölkerung noch verschlimmert. Die britische Propaganda nutzte Berichte aus Belgien, um die Rekrutierung zu bewerben.27 Im August 1914 soll ein belgischer Priester angesichts des deutschen Vorgehens in 19 20 21 22 23 24 25 26 27
Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Sektionstext [189]. Vgl. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext »This photographic artwork«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. Zitiert nach Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext »No material thing«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Ebd. Vgl. ebd.; Paul Cornish: [243], S. 194. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [112]. Ebd. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext »There are always clouds in the international sky«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Sektionstext [142].
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Belgien »Bandits! Cowards! Arsonists! Murderers! [Herv. i.O. groß, in blauer Schrift]«28 , gerufen haben. Dem deutschen Einmarsch seien über 6.000 Zivilisten in einem Massaker zum Opfer gefallen und durch Bombardierung und Brandstiftung viele berühmte Kulturstätten zerstört worden. Die Deutschen, die bis dahin für ihre Kultur bewundert worden waren, gingen brutal und entgegen jeglichen internationalen Übereinkünften vor. Im Ausstellungstext wurde beschrieben, dass dieser Akt als schockierender Angriff auf das Herz des zivilisierten Europas wahrgenommen wurde und schließlich dazu führte, dass Großbritannien und Frankreich einen Krieg »to defend civilisation itself«29 kämpften. Die dazu gezeigten Exponate, unter anderem eine 42 cm Granate, die aus einem als ›Dicke Berta‹ bezeichneten Geschütz gefeuert wurde, illustrierten zusammen mit Fotografien von belgischen Flüchtlingen und der zerstörten Stadt Löwen die Verwüstungen, die das deutsche Vorgehen hinterlassen hatte. Weitere Dokumente zu Interviews belgischer Flüchtlinge und Fotografien von ermordeten Bewohnern der Stadt Andenne wiesen eindrücklich auf die sogenannten deutschen Gräueltaten hin.30 Die Zerstörung der kulturellen Stätten, darunter die berühmte Universitätsbibliothek in Löwen mit ihren mittelalterlichen Handschriften und Büchern, und der Kathedrale von Reims habe international große Entrüstung ausgelöst, so die Beschreibung zu den Exponaten.31 Das IWM berichtete zudem davon, dass die deutschen Truppen belgische Zivilisten beschuldigten sie aus Hinterhalten anzugreifen und rechtfertigten damit ihr Vorgehen, das zu über 1,5 Millionen belgischen Flüchtlingen führte, die in Frankreich, den Niederlanden und Großbritannien Schutz suchten.32 Die Situation in Andenne wurde mit einem Augenzeugenbericht zitiert: »The corpses of …many civilians lying on the ground… In the square, desperate looking men, women and children, more dead than alive, halfclothed … Everywhere terror and brutality.«33 Propaganda über die deutschen Gräueltaten in Belgien und über »the ›wicked Hun‹«34 waren überall in der Presse zu lesen gewesen, so dass es in der »poisonous atmosphere«35 zu Gewalttaten gegen Deutsche in Großbritannien gekommen sei. Gemäß 28 29 30
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Zitiert nach Imperial War Museum (Hg.): Exponatgruppentext [92]. Ebd. Vgl. ebd.; Id. (Hg.): Zusammenfassung »›Big Bertha‹ was the nickname given to a powerful German siege mortar.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Exponattext »This 42 cm shell was the type fired by the huge Big Bertha.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Exponatgruppentext »The German Army’s destruction of cultural sites caused international outrage.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Exponatgruppentext »These documents record interviews with Belgian refugees and troops about German atrocities«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Exponatgruppentext »These photographs show some of the 262 inhabitants of the Belgian town of Andenne«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [92]; Id. (Hg.): Exponatgruppentext [120]; Id. (Hg.): Exponatgruppentext [124]. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [92]; Id. (Hg.): Exponatgruppentext [121]. Zitiert nach Imperial War Museum (Hg.): Exponatgruppentext [122]. Imperial War Museum (Hg.): Zusammenfassung »Hate propaganda against the ›wicked Hun‹«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Ebd.
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einem Gedicht von Rudyard Kipling sei dies die Zeit gewesen, in der die Engländer die Deutschen zu hassen begannen.36 Das IWM veranschaulichte dies mit einem Pamphlet zur sogenannten ›Road-Hogs-of-Europes‹-Rede von David Lloyd George37 , das in einer Auflage von 2,5 Millionen Exemplaren und mit Falschinformationen, die von »mutilated nuns and butchered babies«38 berichteten, gedruckt wurde. Die britische Bevölkerung glaubte solche Darstellungen bereitwillig, so dass alles, was sich deutsch anhörte oder einen deutschen Bezug haben konnte, umbenannt wurde. Ein weiteres für sich sprechendes Exponat zur Berichterstattung der britischen Propaganda war eine damals noch neuartige Rolle Toilettenpapier, die ein Bildnis von Kaiser Wilhelm II. zeigte, der für die meisten Briten den Erzfeind schlechthin darstellte und die eine Anspielung auf die Aussage des deutschen Kanzlers Bethmann Hollweg darstellte, Großbritannien wäre für einen Fetzen Papier in den Krieg gezogen.39 Wie das IWMN in Manchester zeigten auch die First World War Galleries in London eine Reihe von Plakaten und Fotografien, inszeniert wie Fotokisten zum Durchblättern, aber auch Propagandaartikel zur Rekrutierung von Freiwilligen, die »united by a sense of patriotism, duty and the shock of war«40 zu hunderttausenden bereit gewesen waren, die Kriegsanstrengungen im Kampf zu unterstützten. Die Angst vor den Folgen eines deutschen Sieges hatte einen Hass gegen den Feind ausgelöst, so dass lediglich eine Minderheit nicht vom »war fever«41 erfasst wurde. Die meisten Briten brauchten keine weitere Überzeugung, ihren Teil für die Sache ihres Landes beizutragen. Als Gründe, warum so viele Freiwillige ›Kitchener’s Army‹ beitraten, nannte das IWM Pflichtgefühl, Patriotismus oder sogar Verärgerung über die deutschen Gräueltaten, andere wiederum sahen eine Möglichkeit, einem langweiligen Leben zu entkommen und Abenteuer zu erleben oder um Elend und Arbeitslosigkeit zu entfliehen. In nur acht Wochen hatten sich über eine drei viertel Millionen Briten freiwillig gemeldet. Das IWM stellte klar, dass im Gegensatz zu vielen anderen Kitchener durchaus an einen lang andauernden
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Es sei auch Rudyard Kipling gewesen, der die Bezeichnung Hunnen für die Deutschen beliebt gemacht habe, traf dies doch den Zeitgeist, die Deutschen als Barbaren und aus dem Mittelalter kommend – wenn auch mit modernen Waffen – zu betrachten. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Zusammenfassung [153]; Id. (Hg.): Exponatgruppentext »This tankard commemorates German atrocities in Belgium and France.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). In dieser Rede am 19. September 1914 habe Lloyd George rechtfertigt, warum Großbritannien in den Krieg eingetreten sei. »Germany had left Belgium, ›flung to the roadside, bleeding and broken; women and children thrust under the wheel of his cruel car… It will be a terrible war. But in the end we shall march through terror to triumph‹.« Zitiert nach Imperial War Museum (Hg.): Exponattext »Chancellor of the Exchequer David Lloyd George gave his ›Road Hogs of Europe‹ speech«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Imperial War Museum (Hg.): Exponatgruppentext »Reports of German atrocities were often lurid and false«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Exponatgruppentext [118]; Id. (Hg.): Exponatgruppentext »In August 1914 German Chancellor Bethmann Hollweg dismissed the longstanding treaty guaranteeing Belgium’s neutrality as a ›scrap of paper‹«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Imperial War Museum (Hg.): Sektionstext [146]. Ebd.
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Krieg glaubte, dem die kleine britische Berufsarmee nicht gewachsen gewesen wäre, und dass er deshalb große Anstrengungen in die Rekrutierung setzte.42 Dennoch seien im August 1915 über zwei Millionen unverheiratete Männer im wehrfähigen Alter noch nicht rekrutiert gewesen, woraufhin sie von Anfeindungen in der Öffentlichkeit getroffen, aber auch seitens der Regierung unter moralischen Druck gesetzt wurden, sich zu melden. Im Laufe des Krieges wurde infolge von Rückgängen bei den Neumeldungen im Jahr 1916 die Wehrpflicht in Großbritannien eingeführt. Zwar hätten zuvor große Teile der Bevölkerung argumentiert, dass in einem Krieg zur Verteidigung der Freiheit die Männer frei entscheiden dürfen müssten, ob sie kämpfen wollten, jedoch war der Bedarf durch ein System, das auf Freiwilligkeit basierte, nicht mehr zu decken gewesen. Kriegsdienstverweigerer, sogenannte »conscientious objectors«, seien sozial ausgegrenzt worden. Dass Feigheit oder Kriegsdienstverweigerung in der britischen Öffentlichkeit von vielen nicht akzeptiert wurde, zeigte das IWM am Exponat einer weißen Feder. Vielen Männern wurde in Anlehnung an den 1902 erschienen Roman The Four Feathers von Alfred Edward Woodley Mason von jungen Frauen eine weiße Feder als Zeichen von Feigheit und zur Beschämung, sich noch nicht gemeldet zu haben, überreicht.43 Die sogenannten »war poets« Wilfred Owen, Siegfried Sassoon, Robert Graves oder Edmund Blunden hatten schon früh über den Schrecken des Krieges und die Ignoranz der Öffentlichkeit geschrieben; ebenso brachten sie ihre Frustration über die Art und Weise wie gekämpft wurde, in ihren Werken zum Ausdruck.44 Das IWM zeigte hierzu einen Protestbrief von Sassoon, in dem er »claimed that the war had ceased to be one of ›defence and liberation‹ and was now one of ›aggression and conquest‹, which was being needlessly prolonged.«45 Sassoons Brief sei im Parlament verlesen worden. Die Kritik, die Sassoon an der Kriegsführung darin übte, hätte eine schwere Strafe nach sich ziehen können. Das IWM erläuterte, dass die öffentliche Debatte um den Brief so klein wie möglich gehalten werden sollte und die Armee Sassoon statt einer schweren Strafe lediglich »shell shock« beziehungsweise Neurasthenie attestierte, als er sich im Sommer 1917 nach einem Aufenthalt in einem Genesungsheim weigerte, an die Front zurückzukehren.46 In der Sektion War without end stellten die Ausstellungsmacher der First World War Galleries die Folgen des Ersten Weltkrieges in den Mittelpunkt und erläuterten, dass [t]errible as the losses were, there was no ›Lost Generation‹ of young British men. [Herv. i.O.] 88 per cent of those who went off to fight came home. But some towns and families paid a disproportionately high price. Many men returned damaged, physically
42 43
44 45 46
Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [113]. Vgl. für den Abschnitt Imperial War Museum (Hg.): Zusammenfassung »In August 1915 over 2 million single men of military age were still not in uniform.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Bereichstext »When one sees young men idling…«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Paul Cornish: [243], S. 108. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Exponattext »Sassoon’s The Old Huntsman and Other Poems was published in 1917.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Paul Cornish: [243], S. 194. Vgl. ebd.; Imperial War Museum (Hg.): Exponattext [130].
6. Großbritannien und die Bedeutung der Kriegsopfer
or mentally, some irreparably. At the end of the following decade, nearly 2.5 million war veterans were still receiving a disability pension of some sort.47 In der Begleitpublikation ergänzt Paul Cornish, dass viele der am Krieg teilnehmenden Länder einen schrecklichen Preis zahlen mussten. Zu den über zehn Millionen getöteten Männern und Frauen, die im Dienst ihr Leben verloren, seien sicherlich noch einmal rund fünf Millionen Zivilisten hinzuzuzählen sowie Millionen von psychisch und physisch Kriegsversehrten, aber auch die zerstörten Regionen entlang der West- und Ostfront.48 Viele Gründe, warum die Menschen damals in den Krieg zogen und diese Opfer auf sich nahmen, seien den Menschen Generationen später fremd geworden, andere hingegen vertraut geblieben. Daher, so die Folgerung in den First World War Galleries, hätten die verschiedenen Generationen dem Ersten Weltkrieg unterschiedliche Bedeutungen zugemessen und auch 100 Jahre nach dem Krieg würde in Großbritannien um die Bedeutung immer noch gerungen werden.49 Die Erwartungen der vier Millionen Kriegsveteranen, nach dem Ende des Krieges in das versprochene »Land Fit For Heroes«50 zurückzukehren, wurden enttäuscht. Denn stattdessen kam es nach dem Krieg zur wirtschaftlichen Depression, in der viele von ihnen in die Arbeitslosigkeit gerieten. Unter anderem deshalb fragten sich viele der Veteranen in den späten 1920er Jahren, wofür sie eigentlich gekämpft hatten. Denn der Krieg hatte in Großbritannien große Veränderungen in der Gesellschaft nach sich gezogen, die die alte Ordnung in Frage stellten, wie beispielsweise die Einmischung der Regierung in die Wirtschaft, aber auch sich neu etablierende moralische, politische, soziale und religiöse Werte.51 Großbritannien war auch demokratischer geworden; erstmals konnten Frauen, wenn auch eingeschränkt, wählen und die Besteuerung des Einkommens betraf nach dem Krieg doppelt so viele Menschen wie vor 1914.52 Andererseits habe das Ende des Ersten Weltkrieges andere Konflikte nicht beenden können und war demnach nicht der sogenannte ›war to end all wars‹. Im Falle von Irland, wo nach den Wahlen von 1918 die Unabhängigkeit erklärt worden war, brach ein »guerrilla war«53 zwischen den britischen Kräften und der Irish Republican Army aus. 47
48 49 50
51 52 53
829 Imperial War Museum (Hg.): Zusammenfassung »Terrible as the losses were, there was no ›Lost Generation‹«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Wolfgang Kruse, der zwar die deutsche Seite betrachtet, beschreibt den Begriff der Lost Generation als einen, den man nicht nur im wörtlichen Sinne begreifen dürfe, sondern auch als Synonym für den Verlust und »die Zerstörung einer vermeintlich heilen Welt, die nun plötzlich für die eigene Zukunft unwiederbringlich verloren schien« Wolfgang Kruse: Gibt es die Weltkriegsgeneration?, in: BIOS: Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen 18, 2 (2005), S. 169. Vgl. Paul Cornish: [243], S. 229. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext »We cannot say with what eyes posterity will regard this Museum«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Zitiert nach Imperial War Museum (Hg.): Zusammenfassung »The 4 million war veterans who returned to Britain hoped for the promised ›Land Fit For Heroes‹«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Vgl. ebd.; Paul Cornish: [243], S. 233. Vgl. Paul Cornish: [243], S. 233; Imperial War Museum (Hg.): Zusammenfassung »Britain became more democratic after the war.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Imperial War Museum (Hg.): Zusammenfassung »The end of war did not bring peace to Ireland.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Ähnlich bei Paul Cornish: [243], S. 237.
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Europäisierung des Gedenkens?
In der arabischen Welt und im Nahen Osten waren nach dem Ende des Osmanischen Reiches unter britischer und französischer Führung neue Staaten und Einflusszonen entstanden, so dass für die Einheimischen der Eindruck entstand, lediglich einen Kolonialherren gegen einen anderen ausgetauscht zu haben.54 Eindringlich zeigte das IWM insbesondere das Aufkommen und Erstarken neuer Ideologien, wie beispielsweise des Faschismus oder des Kommunismus, und das Zerbrechen von Reichen in einer Filmsequenz auf.55
Abbildung 11: Filmausschnitt zur politischen und ideologischen Lage in Europa nach dem Ersten Weltkrieg
6.2
Forschungen zu den Kriegsopfern
In der Forschung kursieren sehr unterschiedliche Sichtweisen auf die von den Briten erbrachten Opfer, wie im Folgenden aufgezeigt wird. Die Debatte bewegte sich zwischen dem Narrativ der Sinnlosigkeit der Opfer der Briten auf der einen und dem der Notwendigkeit der gebrachten Opfer auf der anderen Seite. Alan Taylors The First World War: An Illustrated History stellte in den 1960er Jahren einen Wendepunkt in der angelsächsischen Geschichtsschreibung dar und hatte trotz Kritik großen Einfluss auf die Darstellung des Ersten Weltkrieges.56 Der populärwissenschaftliche und kritisierte Ansatz Taylors »decentred the historical narrative and 54 55 56
Vgl. Paul Cornish: [243], S. 235. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Sektionstext [144]; vgl. Abbildung 11. Vgl. Alan Taylor: The First World War. An Illustrated History, London 1963; vgl. David Stevenson: [505], S. 592f.
6. Großbritannien und die Bedeutung der Kriegsopfer
constituted a fundamental point of departure for all subsequent studies«57 , so die Beurteilung von Jay Winter und Antoine Prost. Taylors Arbeit zeige Demokratisierungstendenzen der Kriegsbilder, die kosmopolitisch und frei von Illusionen das Ergebnis des Krieges als »monumental waste of the good will«58 darstellten, und dass die Leben von Millionen Männern und Frauen »were thrown away by politicians and generals overwhelmed by a war they could not control«59 .60 Taylor selbst äußerte, er wollte den Ersten Weltkrieg aus einer historischen Perspektive zeigen, »to explain what the war was about; particularly, to resolve the paradox that men were passionately engaged in the war and hated it at the same time«61 . Er hegte die Hoffnung, dass es nachfolgenden Generationen im Gegensatz zu den Zeitgenossen durch ein besseres Verstehen des Krieges möglich sei, Herr über das eigene Schicksal und das eigene Glück zu sein.62 Taylor sah nach dem Ausgang der Verhandlungen nach Kriegsende die Zweiteilung in eine kommunistische und eine nicht-kommunistische Welt als direkte Folge des Krieges. Die Zeitgenossen hätten in erster Linie die Millionen Toten und Kriegsgeschädigten sowie die gewaltige Zerstörung gesehen, von der sie sich niedergedrückt fühlten und die aus dem Krieg heraus entstanden war. Dennoch waren die Verluste für die einzelnen Nationen, auch in der Generation der jungen Männer, die zum Kriegsdienst eingezogen wurden oder sich freiwillig meldeten, verkraftbar gewesen.63 Die materielle Zerstörung und ihre Folgen für die betroffenen Landstriche waren sogar von noch kürzerer zeitlicher Dauer gewesen und in nur wenigen Jahren kompensiert, wenngleich sie den Zeitgenossen enorm erschienen, so Talyor. Der europäische Lebensstandard war in den Kriegszwischenjahren so hoch wie niemals zu vor.64 Taylor folgert, dass zwar das Ziel, mit dem Ersten Weltkrieg einen Krieg zu kämpfen, der alle Kriege für immer beenden würde, gescheitert sei, dennoch seien mit dem Ersten Weltkrieg durchaus auch Ziele erreicht worden, die den Einsatz rechtfertigten.65 So seien einzelne Bevölkerungen in den Vielvölkerstaaten Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich, aber vor allem die Belgier befreit worden. Schließlich sei der Befreiungskampf für Belgien das einzige Ziel, so Taylor, das durch und durch heldenhaft gewesen sei. Ein weiteres wichtiges Ziel wurde mit der Verhinderung einer deutschen Dominanz und Vorherrschaft auf dem europäischen Kontinent erreicht. Insgesamt aber hatten die britischen Soldaten, so wie diejenigen der anderen Länder auch, für Ziele gekämpft, die sie nicht vollständig erfassten und verstanden; sie hatten aber gehofft, für sich selbst und ihre Nation Vorteile zu erkämpfen. Die Phrase der ›lions led
57 58 59 60 61 62 63 64
65
Jay Winter/Antoine Prost: [536], S. 21. Ebd. Ebd. Vgl. ebd. Alan Taylor: [512], S. 9. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 212 und S. 214. Vgl. ebd., S. 214. Taylor konnte zu Beginn der 1960er Jahre sicherlich nur erahnen, dass Landstriche im Nordosten Frankreichs und Belgiens aufgrund der Kriegsschäden, die Granaten und chemische Kampfstoffe verursacht hatten, auch noch Jahrzehnte nach der Jahrtausendwende nicht oder nur unter Lebensgefahr bewirtschaftbar bleiben würden. Vgl. ebd., S. 220.
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Europäisierung des Gedenkens?
by donkeys‹ habe sich nicht nur auf den einzelnen Soldaten und die militärische Führung oder die britische Bevölkerung bezogen, sondern vielmehr auch auf die Staatsmänner, so Taylor.66 Mit John Keegan, einem der führenden britischen Forscher zum Ersten Weltkrieg, hat die Theorie, dass der Erste Weltkrieg eine Tragödie und ein unnötiger Konflikt gewesen sei, weitere anerkannte Unterstützung erhalten. Seiner Ansicht nach war der Krieg deshalb unnötig, weil während der fünf Wochen im Juli und August 1914 zu jeder Zeit die Möglichkeit bestanden hätte, einen Krieg abzuwenden, hätte etwas guter Wille oder Besonnenheit unter den handelnden Regierungen geherrscht. Tragisch wäre der Krieg daher, weil seine Folgen zehn Millionen Tote und Gefallene waren und Millionen mehr Menschen, die neben den direkten Auswirkungen und Folgen des Krieges auch emotionale Grausamkeiten hatten erleiden müssen. Die optimistische und hoffnungsvolle Zukunft des gesamten europäischen Kontinents sei beendet worden und habe nach den vier Jahren nur ein Vermächtnis des Rassenhasses und der politischen Verbitterung zurückgelassen, was Jahre später in einen weiteren Weltkrieg mündete.67 Die Verluste an Soldaten gemessen an der Gesamtbevölkerung waren mit rund zwei bis drei Prozent in Großbritannien, Frankreich und Deutschland proportional gesehen nicht hoch gewesen, so Keegans Argument. Zwar hinterließen diese vergleichsweise geringen Zahlen eine große Wunde in der Erinnerung, wie dies am Mythos der Lost Generation deutlich wurde, jedoch waren die Verluste unter der jungen Bevölkerung demografischen Untersuchungen gemäß tatsächlich schnell wieder ausgeglichen. So, war der Krieg für die Mehrheit nur »a passage in their lives, an interruption of normality to which society rapidly returned as soon as the guns fell silent«68 . Auch materiell hatte der Erste Weltkrieg im Vergleich zum Zweiten nur einen kleinen Schaden angerichtet, da keine größere europäische Stadt ernsthaft verwüstet oder gar zerstört wurde. Keegan bezeichnet den Krieg als »rural conflict, on the Eastern as on the Western Fronts.«69 Die Felder wurden rasch wieder urbar gemacht und die Dörfer, bis auf Verdun und seine Umgebung, waren schnell wiederaufgebaut.70 The First, unlike the Second World War, saw no systematic displacement of populations, no deliberate starvation, no expropriation, little massacre or atrocity. It was, despite the efforts by state propaganda machines to prove otherwise, and the cruelties of the battlefield apart, a curiously civilised war.71 Die Sinnlosigkeit des Krieges wurde durch die Opferbereitschaft für die Kameraden noch zusätzlich verdeutlicht. Denn Keegan sieht die Kameradschaft als eine der Le66 67 68 69 70 71
Vgl. für den Abschnitt bei Alan Taylor: [512], S. 220. Für die Zusammenfassung in diesem Abschnitt vgl. bei John Keegan: [442], S. 3. Ebd., S. 7. Ebd., S. 8. Vgl. insgesamt ebd., S. 7f. Ebd., S. 8. Keegan grenzt jedoch ein, dass es Ausnahmen gab, beispielsweise bei der Besetzung Serbiens und Belgiens zu Beginn des Krieges. Ebenso benennt er die Vertreibung und den Genozid an den Armeniern durch das Osmanische Reich als Ausnahme. Wobei er hier gleichzeitig einschränkt, die Vertreibung und Ermordung der Armenier eher zur Geschichte des Osmanischen Reiches als zur Geschichte des Ersten Weltkrieges zu zählen. Vgl. ebd.
6. Großbritannien und die Bedeutung der Kriegsopfer
genden, die der Erste Weltkrieg hervorbrachte.72 Sie bewog die Soldaten und die Zivilbevölkerung dazu, den Kampf durchzustehen und an seinen Zweck zu glauben. Unter den Soldaten schuf sie Loyalität und aus Fremden wurden Brüder, die auf Leben und Tod miteinander verbunden waren. Die Bereitschaft, für den Kameraden sein Leben zu geben, wäre sogar stärker als alle Freundschaft, die in Friedenszeiten geschlossen werden könnte. Die Gefühle von Liebe und Hass, die der Krieg hervorbrachte, gehören zu seinem Mythos dazu.73 Der Historiker Dan Todman hält die Mythologisierung des Ersten Weltkrieges für die Ursache der negativen Bewertung der britischen Kriegsopfer. Obwohl die negative Bewertung mittlerweile als wissenschaftlich widerlegt gilt, hält sie sich hartnäckig in der Erinnerung der breiten Öffentlichkeit. Denn Krieg und die Kriegsanstrengungen betrafen nicht nur die Soldaten, sondern jeden einzelnen Briten.74 Taylors The First World War. An Illustrated History wurde von Dan Todman als ein Beispiel für diese mythologisierende Geschichtsschreibung bezeichnet, die den Ersten Weltkrieg als sinnund zwecklos darstellt.75 Todman selbst beschreibt in The Great War. Myth and Memory, dass die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in Großbritannien seit jeher von dem Trauma geprägt war, dass die jungen Soldaten letztendlich nicht verstanden, warum sie anlässlich eines Attentats auf dem Balkan, das keine, bis wenig Relevanz für Großbritannien hatte, in den Krieg gezogen waren. Traumatisierte Überlebende des Krieges und nachfolgende Generationen erachteten die Opfer, die der Krieg gefordert hatte, oft als umsonst erbracht. Es sei nichts erreicht worden, da der Krieg letztlich aufgrund der Spaltungen in der deutschen Bevölkerung und dem Kriegseintritt der USA endete und nicht durch einen Sieg über Deutschland.76 Dieser Ansicht widersprachen Historiker zunehmend, so Dan Todman.77 Der Krieg war demnach kein Kampf um Nichts, sondern ein Kampf um Ideale, ein Ringen zwischen einem aggressiven Militarismus und einem mehr oder weniger liberalen Demokratieverständnis, das es zu verteidigen und durchzusetzen galt.78 Neuere Forschungen zeigen genau dies auf, dass der Erste Weltkrieg ein Krieg der verschiedenen Ideologien – liberale Demokratie auf der einen und autokratischer Militarismus auf der anderen Seite – war, so Dan Todman.79 Großbritannien stand aktiv für eine liberale Demokratie ein. Denn im Unterschied zu Deutschland war Großbritannien auf einer demokratischen Ebene verlässlicher als Deutschland, dessen Reichstag relativ wenig politische
72 73 74 75 76 77 78 79
Vgl. ebd., S. 456. Zum Mythos der Kameradschaft vgl. ebd. Vgl. Dan Todman: [522], S. xii. Vgl. ebd., S. 138. Vgl. ebd., S. xif. Vgl. ebd., S. xii. Vgl. ebd. Gleichzeitig schränkt Todman ein, dass Großbritannien – verbündet mit Russland – eine Autokratie nicht völlig ablehnte und es um die liberale Demokratie in Großbritannien schlechter stand als in Deutschland zu der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Unter anderem macht er dies daran fest, dass in Deutschland das Wahlrecht einem größeren Kreis zustand als in Großbritannien. Zudem waren das Gesundheits- und das Schulsystem in Deutschland wesentlich besser ausgebaut, wenngleich in beiden Nationen Rassismus weit verbreitet war. Vgl. ebd., S. 123.
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Einflussmöglichkeiten gegen die Macht des Kaisers und seines nicht gewählten Führungszirkels entgegenzusetzen hatte. Diese Gruppe war es, die einen Krieg willentlich in Kauf nahm. Sie stellte den Primat des Militärischen über alles und verkörperte sinnbildlich den Militarismus, der die deutsche Bevölkerung durchdrang. Die Berichte der Propaganda über die deutschen Kriegsgräuel in Belgien bewogen viele Briten sich in den Krieg zu begeben, um den »Prussian barbarism unleased on Britain«80 aufzuhalten, wenngleich dies nicht bedeutet, dass die Briten einen Krieg enthusiastisch befürworteten. Jedenfalls sah man den Krieg als Kampf Gut gegen Böse. Dennoch, so folgert Todman, hielt sich die ursprüngliche Sichtweise auf den Ersten Weltkrieg in Großbritannien bis hinein in die erste Dekade des 21. Jahrhunderts.81 Einer der wichtigsten Faktoren dafür war, so Todman, dass diese Bewertung im 20. Jahrhundert nützlich blieb. In einer Zeit, in der der technologische Fortschritt rapide voranging, waren die Briten mit den archetypischen Spannungen einer modernen Welt konfrontiert. Die Zweifel, die hierüber in der Gesellschaft bestanden, wurden von einem negativen Kriegsmythos besser bestätigt und als Erklärung akzeptiert, als dies ein positiver Mythos hätte können. Zudem wurden mit dem größer werdenden zeitlichen Abstand die Generationen, die sich noch selbst erinnern konnten, nach und nach immer kleiner, so dass ein Bruch entstand, da Geschichten über den Krieg nicht mehr aus erster Hand erzählt werden konnten.82 Die späteren Generationen hatten sich aus Respekt vor den überlebenden und trauernden Eltern, aber auch vor den noch lebenden Kriegsveteranen nicht in dem Maße kritisch über den Krieg äußern können. So stellten Bemerkungen über die Sinnlosigkeit des Krieges, die Fehlerhaftigkeit des Kriegseintritts oder über die schlechten Kampfstrategien eine Ohrfeige für die Trauer der Hinterbliebenen dar beziehungsweise für die erbrachten Opfer im Kampf.83 Hierbei war vor allem die Urenkelgeneration sehr problematisch, denn sie wuchs bereits mit gut etablierten Mythen über den Krieg auf, jedoch ohne eine persönliche Beziehung zum Krieg oder den verwandten Kriegsteilnehmern zu haben. In den Familien selbst spielten die Erzählungen keine große Rolle mehr und es wurden weniger Geschichten und keine Details mehr erzählt.84 Die soziale Funktion von Mythen sei die Reduktion der Vergangenheit; sie sei zusammen mit der Ungenauigkeit und der Vereinfachung möglicherweise der Preis für das Erinnern. Denn sobald keine persönliche Verbindung mehr zu den Ereignissen bestehe, setze das Vergessen ein, ein Prozess, der nicht aufgehalten werden könne, und so würde auch das Vergessen über den Ersten Weltkrieg nicht aufzuhalten sein, so Todman.85 Dennoch sei es im Fall von Großbritanniens Erinnerung an den Ersten Weltkrieg anders. Todman nimmt an, dass die Dauer der Zeit bis zum Vergessen hier noch verlängert wurde, weil der Krieg noch länger als anderswo in der populären Erinnerung
80 81 82 83 84 85
Ebd., S. 125. Vgl. ebd., S. xii und S. 124f. Vgl. Dan Todman: [522], S. 187 und S. 223-225. Vgl. ebd., S. 224. Vgl. ebd., S. 226. Vgl. ebd., S. 228.
6. Großbritannien und die Bedeutung der Kriegsopfer
verhaften blieb.86 Dies lag zum einen an der Einzigartigkeit der britischen Rolle, die darin bestand, dass Großbritannien die Verantwortung übernahm, die eigenen Kriegsanstrengungen soweit zu erhöhen, dass die Truppen gegen eine Großmacht bestehen konnten.87 Zum anderen lag es an der Massenmobilisation, die danach nicht mehr erreicht wurde, und an der großen Betroffenheit der Bevölkerung – kaum eine Familie blieb unberührt –, dass der Krieg auch auf nationaler Ebene ein wichtiges historisches Ereignis blieb. Zum anderen war es mit der Zeit möglich, dass einzelne Personen durch das Ende von Sperrfristen in Archiven identifizierbar wurden und zahllose Artefakte, wie Feldpostbriefe, Kriegssouvenirs und Kriegstrophäen sowie sonstige Memorabilien zum ersten Mal in großem Maßstab eingesehen werden konnten. Dies war grundlegend dafür, dass sich das Interesse von Familien, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen, verstärkte. Jedoch konnten auch diese Faktoren nichts an der Tatsache ändern, dass mit der Zeit das emotionale Interesse abnahm, sie konnten es nur aufschieben.88 In the short term, Britons will still be convinced that they should care about the First World War. Interest will be renewed around the centenary of the war. Remembrance of the First World War in popular culture will outlast not only those that experienced the war, but those who knew them too.89 Dennoch ist bis heute die Sichtweise, dass der Erste Krieg sinnlos, unnötig und unklug war, in Großbritannien verbreitet, wie Todman feststellt.90 Diese Sichtweise läuft zwangsläufig darauf hinaus, dass bei einer Rechtfertigung des Krieges beispielsweise Kosten gegen Nutzen aufgerechnet werden, ob die hohen Verlustzahlen eine solche Kriegsanstrengung rechtfertigten. Die immens hohen Verlustraten und im Vergleich dazu der geringe Landgewinn mussten den Schluss nahelegen, dass der Krieg sinnlos und die Offiziere und Führungseliten »idiotic butchers«91 gewesen waren. Jedoch sei es schwerlich möglich, eine Gewinn- und Verlustrechnung einer ganzen Nation mit den Schicksalen einzelner Individuen zu vergleichen.92 This tension between national and individual interests and the terrible scale of losses has always underpinned thoughts about the futility of the war. As the First World War has receded into history and personal contact with it has been lost, it has become increasingly easy to judge the war futile. But this judgement has not been all-encompassing in the sense that the dead have been dismissed. In terms of national rhetoric and family connections, it remains difficult for Britons to deny all meaning to wartime death. Instead, the perceived futility of their cause has come to mark the bravery of those who fought.93
86 87 88 89 90 91 92 93
Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. für den Abschnitt ebd., S. 228f. Ebd., S. 229. Vgl. ebd., S. 121. Ebd. Vgl. ebd. Ebd., S. 121.
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Die deutschen Truppen verstießen wiederholt gegen Kriegsrecht, wie das Bombardieren von Zivilisten in Großbritannien, die Exekution der Krankenschwester Edith Cavell, die Plünderung weiter Landstriche in Belgien und Frankreich sowie der uneingeschränkte U-Boot-Krieg zeigten. Diese Beweise der »German frightfulness«94 zeigten den Zeitgenossen, dass der Kriegseintritt Großbritanniens nicht sinnlos war. Die britische Sichtweise auf den Ersten Weltkrieg ist folglich widersprüchlich.95 Einerseits wurde der Krieg als legitim erachtet, weil das Vorgehen der deutschen Truppen den britischen Kriegseintritt rechtfertigte. Andererseits trug aber gerade die schier unermessliche Zahl an Gefallenen und Verwundeten dazu bei, dass der Kriegszweck nur in Grenzen öffentlich diskutiert werden konnte.96 Anstatt zu einer offenen Diskussion entwickelte sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Kriegseinsatzes zu einer Erinnerungskultur der Tröstung der Hinterbliebenen. Davon profierten auch diejenigen, die keine Verluste zu beklagen hatten und ihre Erleichterung nicht länger verbergen mussten. Die Kultur der Heroisierung arbeitete mit Begriffen wie »›sacrifice‹, ›redemption‹ and ›glory‹«97 und änderte sich auch nicht, nachdem die letzten Überlebenden und Hinterbliebenen verstarben, obwohl danach eine Öffnung der Diskussion möglich gewesen wäre. Die Sicht, dass der Krieg sinnlos war, setzte sich folglich erst lange nach Kriegsende durch, vor allem seit den 1960er und 1970er Jahren. Todman macht unter anderem literarische Texte, auch die der »war poets«, dafür verantwortlich, die in der Zeit des Kalten Krieges in Umlauf waren und auf Grundlage der Erfahrungen des Ersten Weltkrieges vor einer Eskalation warnen sollten. Den Krieg als sinnlos zu erachten, stellte jedoch eine Bedrohung für die Heroisierung des einzelnen Soldaten dar. Diese fand nach wie vor statt, je mehr es den Briten möglich wurde, die eigene, aber auch die nationale Vergangenheit zu untersuchen.98 Jay Winter schlägt vor, dass nationale Mythen die übrig gebliebenen Versuche eines Heeres von individuellen »›agent of remembrance‹«99 sind, die dem Trauma des Krieges einen Sinn geben. In dem Moment, in dem die individuellen Mythen an Wirkung verlieren, bleiben die nationalen Mythen übrig. Todman stimmt Winter in dem Punkt zu, dass die Mythen weniger von oben eingeführt oder aufgezwängt wurden, als vielmehr von unten entstanden.100 Aber Todman schränkt ein, dass ein Konstrukt individueller Mythen zum Ersten Weltkrieg nicht die Veränderungen der nationalen Mythen während und nach dem Zweiten Weltkrieg begründete. Die Dominanz der Negativmythen, die sich in den 1970er Jahren etablierten, sei weniger aus den Familienerzählungen entstanden als vielmehr aus einer Umformung und Wiederverwertung nationaler Mythen,
94 95 96 97 98 99
Ebd., S. 125. Vgl. ebd., S. 151. Vgl. ebd., S. 151f. Ebd., S. 152. Vgl. für den Abschnitt ebd., S. 152 und S. 219. Zitiert nach ebd., S. 223. Jay Winter und Antoine Prost verwenden ebenfalls den Begriff der »agent of memory«. Vgl. hierzu Jay Winter/Antoine Prost: [536], S. 173-191. 100 Vgl. Dan Todman: [522], S. 223.
6. Großbritannien und die Bedeutung der Kriegsopfer
insbesondere in der Literatur und den Fernsehprogrammen, und zur Anpassung an den jeweils neuen kulturellen, politischen, demographischen und emotionalen Kontext.101 Jay Winter sieht jedoch sehr wohl, dass bis Ende des 20. Jahrhunderts die Erinnerung durch verschiedene Aspekte wie Geschichten, Mythen und Legenden, die gewöhnliche Menschen über ihre Kriegserlebnisse berichteten, aber auch von Geschichten, die die Nation im Gesamten betrafen, beeinflusst und konfiguriert wurde.102 Seiner Ansicht nach sei die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg eine Gesamtsumme der Geschichten, die darüber erzählt wurden. Dabei standen Schlachtorte wie Verdun, die Somme oder Passchendaele als Sinnbilder, die nun von denjenigen – auch Historikern – mit Bedeutung gefüllt wurden, die selbst keine persönliche Berührung mehr mit dem Ersten Weltkrieg oder unmittelbaren Zeitgenossen hatten.103 Das Gedenken wurde fortgesetzt, »fixed, in the calendar, and attracted new adherents, but now it was both subject and object, both a matter of participation and of contemplation.«104 Hew Strachan stellt die positive Sicht auf die Opfer der Briten ganz in Frage, wenngleich er damit nicht den Kampf im Ersten Weltkrieg als sinnlos bezeichnet. Er behauptet, dass der Erste Weltkrieg eine Folge des anglo-deutschen Antagonismus war und somit als Konflikt unter anderem zwischen Liberalismus und Militarismus zu sehen ist.105 Für die Verteidigung seiner Werte und Ideen trat Großbritannien in den Krieg ein. Der Krieg machte es dann aber dringend erforderlich, dass die Briten ihren Liberalismus zugunsten einer größeren militärischen Effizienz modifizierten, indem sie beispielsweise die Wehrpflicht einführten, den Freihandel einschränkten oder Profite regulierten. Auf lange Sicht führte die Verteidigung der als ›Ideen von 1914‹ bezeichneten Werte jedoch auch zu einer geografischen Ausweitung des Krieges.106 Die Werte, die Großbritannien vermeintlich verteidigte, sieht Strachan jedoch nur als vorgeschobene Gründe. Vielmehr unterstellt er Großbritannien, dass es aus wirtschaftlichem Interesse in den Krieg eintrat, wie auch die USA, denen er sogar Profitgier unterstellt.107 »[T]he sin of perfidy and the pursuit of mammon were even more firmly entrenched across the Atlantic than across the Channel«108 und diese führten letztlich zum Kriegseintritt der USA, der spätestens die Dimensionen des Krieges zu einem Weltkrieg ausweitete.109 Der Historiker Toby Thacker stellt die positive Sicht auf die Kriegsopfer der Briten ebenso in Frage wie Hew Strachan, jedoch kommt er zu einem differenzierteren Schluss. In seinem Buch British Culture and the First World War. Experience, Representation and Memory untersucht Thacker die Kriegserfahrungen anhand unterschiedlicher Quellen und beleuchtet, wie diese eine erweiterte Konstruktion der Erinnerung an den Krieg
101 102 103 104 105 106 107 108 109
Vgl. ebd., S. 223f; Jay Winter/Antoine Prost: [536], S. 173f. Vgl. Jay Winter/Antoine Prost: [536], S. 190. Vgl. ebd., S. 190f. Ebd., S. 174. Vgl. Hew Strachan: [511], S. 239. Vgl. ebd., S. 240. Vgl. ebd., S. 239f. Ebd., S. 240. Vgl. ebd.
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unterfüttern.110 Thacker beschäftigte sich dazu mit ausgewählten Schriftstellern, Malern und Musikern und bettete deren Arbeiten bewusst in die Ereignisgeschichte des Ersten Weltkrieges ein. Er geht davon aus, dass der Fokus in der englisch-sprachigen Geschichtsschreibung auf der Dichtung und der Literatur lag, die aus dem Krieg heraus entstand, und somit die Vorstellung davon, wie der Krieg war, sich aus einer kulturellen Imagination entwickelte.111 Bei der Untersuchung müsse klar getrennt werden zwischen Erfahrung und Erinnerung, da die Gruppe der Untersuchten zu Beginn des Krieges andere Darstellungen produzierten als die Überlebenden der Gruppe nach dem Krieg. Die meisten der Künstler und Intellektuellen vor dem Krieg hatten keine Ressentiments gegen Deutschland. Mit der Dauer des Krieges wendete sich die Sicht auf die Deutschen jedoch. Die Berichte von deutschen Gräueltaten und die Missachtung von internationalem Recht sorgte dafür, dass die Mehrheit der Untersuchten zu Beginn des Krieges daran geglaubte, dass Großbritannien zu Recht in den Krieg eingetreten war. Der Krieg selbst verstärkte dann sowohl die Ressentiments gegen die Deutschen als auch den Patriotismus.112 Mit zunehmender Kriegserfahrung wurden jedoch einige der Künstler, wie so viele andere Briten auch, »increasingly disillusioned with the war and with this sense of moral purpose during the war, and after it.«113 Diese Desillusionierung besaß den größten Einfluss auf die Zeitgenossen und die Generationen danach. Paul Nash, der in offiziellem Auftrag die Front und den Krieg malte, bezeichnete die Desillusionierung im November 1917 als »›the bitter truth‹«114 , die am Ende akzeptiert wurde.115 Thacker fasst diese bittere Wahrheit zusammen: Where individuals are concerned, the stereotypical image has been of the young soldier or junior officer who goes to war in a blithe spirit of trust, and is changed by exposure to incompetent leadership and horrible experiences at the front line, which provoke a gradual realization that youthful enthusiasm has been cruelly exploited.116 Wann die Sichtweise des moralisch gerechtfertigten Krieges sich in eine der Desillusionierung wandelte, machen Historiker, wie etwa John Keegan, John Terraine oder Alan Taylor, an den großen Schlachten fest, wie beispielsweise der Somme-Schlacht und insbesondere deren erstem Tag.117 Taylor habe in diesem Zusammenhang, so Thacker, die Sicht des vergeblichen und sinnlosen Krieges sogar noch verstärkt, indem er von mutigen, aber hilflosen Soldaten sprach, die den eigensinnigen Generälen zum Opfer fielen und nichts erreichten.118 John Terraine folgt der sogenannten These der ›lions led by
110 111 112 113 114 115 116 117 118
Vgl. Toby Thacker: British Culture and the First World War. Experience, Representation and Memory, London/New York 2014, S. 1. Vgl. ebd., S. 1f. Vgl. für den Abschnitt ebd., S. 273. Ebd. Zitiert nach ebd., S. 274. Vgl. ebd., S. 273f. Ebd., S. 277. Vgl. ebd., S. 276. Vgl. ebd., S. 277.
6. Großbritannien und die Bedeutung der Kriegsopfer
donkeys‹ anders als Taylor zwar nicht, jedoch beschreibt auch er die Somme als Wendepunkt der Kriegseuphorie. Von der Erfahrung des ersten Tages der Somme-Schlacht habe sich die Nation nie mehr erholt, so Terraine.119 Die These der Desillusionierung entstand bereits in den 1920er Jahren und erwies sich insbesondere ab Mitte der 1940er Jahre als dominantes Narrativ.120 Thacker sieht bereits vor 1918 Anzeichen dieser Desillusionierung. Er versteht unter Desillusionierung die Skepsis gegenüber den Behauptungen zu deutschen Gräueltaten und Gegenbehauptungen zur moralischen Rechtschaffenheit der Briten, ebenso die Furcht vor der Zerstörung und Umwälzung, die ein Krieg für die Natur, aber auch für eine Gesellschaft und jedes Individuum mit sich bringt. Daneben gab es aber durchaus auch gegenteilige, heroisierende Narrative, die sich ebenfalls vor und nach 1918 gegenseitig Konkurrenz in der Erinnerungskultur machten.121 Die von Thacker untersuchte Gruppe Intellektueller und Künstler spiegelt genau diese Diversität und damit auch die breitere Gesellschaft wider. Einige Intellektuelle und Künstler, die später an direkten oder indirekten Folgen des Krieges verstarben, trugen physische und mentale Traumata davon. Wieder andere sahen einen Sinn hinter den Opfern, wie die Erfahrung von Kameradschaft, persönlichem Mut und Ausdauer. Eine Großzahl musste jedoch auch noch die Erfahrung des Zweiten Weltkrieges machen und lebte bis weit in die 1970er Jahre hinein in einer komplett veränderten Welt. Dennoch blieb der Erste Weltkrieg das prägende Ereignis ihres Lebens. Wie sich 100 Jahre später zeigen sollte, trifft dies auch auf die europäische Geschichte zu, so Thacker.122 Auf vielerlei Weise habe die Massenmobilisierung der Gesellschaft, die Anwendung von wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen insbesondere in der Verwendung von chemischen Waffen, aber auch die Misshandlung von Gefangenen und das massenhafte Töten von Zivilisten ein Modell für die noch größeren Schrecken, die folgen sollten, geliefert und somit die Sicht der Briten auch auf den Zweiten Weltkrieg und Krieg im Allgemeinen geprägt. Thacker schließt mit den Worten des britischen Premierministers Asquith, der am Vorabend der britischen Kriegserklärung bereits andeutete, dass man schrecklichen Dingen entgegenblicke, was sich als wahr herausstellen sollte.123
6.3
Analyse
6.3.1
Geschichtsbild Forschung zu ›Kriegsopfer‹
Die britische Weltkriegsforschung betrachtete über Jahrzehnte hinweg die Millionen Gefallenen und Opfer des Ersten Weltkrieges als sinnlos erbracht. Die ältere Forschung seit den 1960er und 1970er Jahren hatte bis hinein in das 21. Jahrhundert das Bild des
119 120 121 122 123
John Terraine vgl. nach ebd. Vgl. ebd., S. 282; auch bei Dan Todman: [522], S. 224. Vgl. Toby Thacker: [514], S. 282. Vgl. für den Abschnitt ebd., S. 282f. Zusammengefasst nach ebd., S. 283.
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Europäisierung des Gedenkens?
»monumental waste of goodwill«124 vertreten und damit auch dem Geschichtsbild der Lost Generation eine wissenschaftlich begründete Legitimität verliehen. Maßgeblich habe vor allem Taylors The First World War: An Illustrated History zu dieser Sichtweise beigetragen, so Stevenson.125 Die Menschen seien nicht Herr über ihr eigenes Schicksal gewesen und hätten den Krieg und seine Ziele nicht verstanden, vielmehr hätte die schiere Zahl der Toten und Versehrten sowie auch die immense Zerstörung die Menschen niedergedrückt, so Taylors Schlussfolgerung.126 Die neuere Forschung bemüht sich dieses negative Geschichtsbild aufzuarbeiten und zu widerlegen.127 Dabei wird in den Fokus gerückt, dass es den Zeitgenossen bei ihrer zunächst freiwilligen Bereitschaft, dem Krieg an der Frontlinie beizutreten und die Kriegswirtschaft in Gang zu halten, um einen Kampf zur Verteidigung von Idealen gegangen sei. Die Demokratie musste gegen den aggressiven deutschen Militarismus verteidigt werden, der vor einer deutschen Dominanz auf dem europäischen Kontinent fürchten ließ. Dabei galt es die zivilisatorischen und aufklärerischen Werte zu verteidigen, die insbesondere durch die deutschen Kriegsverbrechen in Belgien in Gefahr geraten waren.128 Letztlich sei der millionenfache Verlust von Menschenleben ebenso wie der materielle Sachschaden in Großbritannien geringer gewesen als das bisherige Bild dies suggerierte, so neuere Forschungen.129 Das Narrativ der Sinnlosigkeit sei, so Todman, lange nützlich gewesen, um die negativen gesellschaftlichen Entwicklungen, etwa das Aufkommen der totalitären Systeme und den Zweiten Weltkrieg, aber auch die wirtschaftlichen Entwicklungen in Großbritannien insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren zu erklären.130 Auch Winter und Prost sind zu diesem Schluss gekommen und sehen das Aufkommen und Überdauern der negativen Sichtweise vor allem auch durch die weite Verbreitung in der Literatur und den Fernsehprogrammen begründet.131 Nichtsdestotrotz gibt es auch kritische Stimmen, die die jüngsten Erkenntnisse relativieren. So stellt Strachan zwar den britischen Einsatz im Ersten Weltkrieg nicht grundsätzlich in Frage, jedoch die positive Sicht auf die Opfer.132 Die hehren Gründe, für die die Briten gekämpft haben, seien nur vorgeschoben gewesen, Großbritannien hätte den Kriegseintritt vor allem aus wirtschaftlichem Interesse unternommen.133 Kritisch sieht auch Toby Thacker in seiner Untersuchung britischer Intellektueller und Künstler, die den Krieg an der Front erlebt hatten, die positive Sichtweise der Opfer und plädiert dafür, einen Unterschied zwischen den Erlebnissen und den Erfahrungen der Überlebenden zu machen.134 Die moralischen Überzeugungen, aufgrund derer 124 125 126 127 128 129 130 131 132 133 134
Jay Winter/Antoine Prost: [536], S. 21. Vgl. David Stevenson: [505], S. 592f. Vgl. Alan Taylor: [512], S. 9, S. 212, S. 214 und S. 220. Vgl. Dan Todman: [522], S. xii. Vgl. Alan Taylor: [512], S. 220; John Keegan: [442], S. 3; Dan Todman: [522], S. xif. Vgl. John Keegan: [442], S. 3 und S. 7f. Vgl. Dan Todman: [522], S. xii, S. 123-125, S. 151f, S. 187 und S. 223-225. Vgl. ebd., S. 223f; Jay Winter/Antoine Prost: [536], S. 173f. Vgl. Hew Strachan: [511], S. 239. Vgl. ebd., S. 239f. Vgl. Toby Thacker: [514], S. 1f und S. 273.
6. Großbritannien und die Bedeutung der Kriegsopfer
sich die Briten millionenfach freiwillig für den Kriegsdienst meldeten, hätten mit der zunehmenden Kriegserfahrung zur Desillusionierung geführt.135 Trotzdem sieht Thacker, dass sich neben der Desillusionierung und dem Bild der ›lions led by donkeys‹ auch heroisierende Narrative unter den Zeitgenossen gehalten hätten – auch unter den überlebenden Frontkämpfern.136
6.3.2
Einordnung der Ausstellungen in die Forschung
Die Beurteilung der Bereitschaft der Menschen, sich für den Kriegsdienst zu melden und ihm dann zum Opfer zu fallen, fällt in der Forschung großteils nach wie vor negativ aus. John Keegan spricht von einer Tragödie aufgrund der Millionen Toten und Verwundeten, der durch den Krieg verursachten Zerstörung und aufgrund der Tatsache, dass der Krieg wegen fehlender Besonnenheit unnötig ausbrach.137 Auch Alan Taylor, dessen Ansatz als populärwissenschaftlich kritisiert wird, spricht von einer millionenfachen Verschwendung von Leben, für die vor allem die Politik und das Militär verantwortlich waren. Dennoch wären die Verluste und die Zerstörung für die einzelnen Nationen verkraftbar gewesen.138 John Terraine vertrete ebenfalls die These vom vergeblichen und sinnlosen Krieg, die insbesondere durch die Einschätzung der Ereignisse an der Somme als einem Wendepunkt, von dem sich die Nation nicht mehr erholt hätte, begründet ist. Mit der Kriegserfahrung habe sich im Laufe der Zeit eine Desillusionierung eingestellt, die die moralische Rechtfertigung des Kriegseintritts in Frage zu stellen begann und großen Einfluss auf die Zeitgenossen und die Generationen danach besessen habe, so Toby Thacker.139 Das IWM in London zitierte in einem seiner Ausstellungstexte einen Soldaten des Ersten Weltkrieges, der keine Rechtfertigung für den Krieg sah.140 Dem entsprach die zeitgenössische Sicht mehrheitlich und prägte auch, wie der Erste Weltkrieg in der Erinnerung über Jahrzehnte hinweg gesehen wurde.141 Zudem erläuterte das IWM, dass aus Sicht der Zeitgenossen Verhandlungen mit Deutschland »would seem like they had fought for nothing«142 und solange an einen Sieg geglaubt wurde, würde auch weitergekämpft.143 Die Darstellung in den First World War Galleries griff insofern Keegans, Taylors und Thackers These der Desillusionierung auf, indem die zeitgenössische Sicht auf den Krieg dargestellt wurde. In diesen Kontext ist auch die Vitrine mit den Exponaten zu Siegfried Sassoon im IWM in London einzuordnen, der mit seinem Protestbrief der britischen Bevölkerung und vor allem der Regierung vor Augen führen wollte, dass der
135 136 137 138 139 140 141 142 143
Vgl. ebd., S. 273f. Vgl. ebd., S. 276f und S. 282. Vgl. John Keegan: [442], S. 3. Vgl. Alan Taylor: [512], S. 214; Jay Winter/Antoine Prost: [536], S. 21; Dan Todman: [522], S. 138. Zu den Thesen von Thacker und Terraine vgl. bei Toby Thacker: [514], S. 273f, S. 277 und S. 282. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [100]. Vgl. ebd.; Paul Cornish: [243], S. 194. Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [111]. Vgl. ebd.
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Europäisierung des Gedenkens?
Krieg für Ideale, wie die Verteidigung der Freiheit, zu einem aggressiven Kampf der Eroberung verkommen sei, der grundlos verlängert würde.144 Dan Todman lieferte in seiner Studie eine Erklärung, warum nach Ansicht vieler Zeitgenossen, aber auch noch bis ins 21. Jahrhundert hinein, die Millionen Gefallenen umsonst gestorben seien und durch den Krieg nichts erreicht worden sei.145 Durch den zeitlichen Bruch, den das voranschreitende Aussterben der »living memory« der Angehörigen, Hinterbliebenen und der Kriegsteilnehmer mit sich brachte, habe sich auch eine negative Bewertung des Krieges immer mehr durchsetzen können. Denn kritische Äußerungen hätten sonst eine Respektlosigkeit gegenüber deren Leid und Opfer bedeutet.146 Zudem sei eine negative Bewertung des Ersten Weltkrieges in den 1960er und 1970er Jahren nützlich gewesen und danach auch geblieben, denn die Spannungen, die aus den Umwälzungen und dem technologischen Fortschritt nach den Weltkriegen entstanden, konnten damit besser begründet und bestätigt werden.147 Hierzu äußerten sich die Ausstellungen nicht direkt, jedoch verfolgte das IWM das Ziel, das Narrativ von den sinnlosen Opfern aufzulösen.148 Die über die gesamte Ausstellung sowohl in den Texten als auch auf den Ausstellungsbauten platzierten Zeitzeugenaussagen dienten den Ausstellungsmachern dazu, den Ersten Weltkrieg aus deren Sicht zu schildern. Mittels des Konzepts der »contemporaneity« sollte durch positiv konnotierte Zeitzeugenaussagen zum Krieg das Sinnlosigkeitsnarrativ aufgebrochen werden und zu einer neuen Sicht auf die Kriegsopfer führen.149 Zwar scheiterte das Ziel, mit dem Ersten Weltkrieg einen Krieg auszufechten, der alle Kriege beenden würde, so Alan Taylor.150 Der Mythos der Lost Generation könne jedoch trotzdem nicht aufrechterhalten werden, denn der demographische Verlust sei schnell wieder ausgeglichen gewesen. Gleiches träfe auch auf den Wiederaufbau der kriegsbedingten Zerstörungen zu.151 Das IWM folgte insgesamt diesem Ansatz und erläuterte, dass trotz der Millionenverluste 88 Prozent der Soldaten wieder zurückkehrten, wenngleich – und hier folgte sogleich eine Einschränkung – einige Städte und Familien einen hohen Preis bezahlen mussten.152 Diese Aussage steht im Gegensatz zu der Darstellung der ›Thankful Villages‹ im IWMN, wonach von den rund 16.000 Gemeinden lediglich 53 keine Gefallenen zu beklagen hatten.153 Der Erste Weltkrieg verhinderte weder in Irland, in Russland, noch im Nahen Osten oder in Europa selbst weitere Kriege. Er verhinderte auch nicht das Aufkommen und das Erstarken des Faschismus und des Kommunismus.154 Nichtsdestotrotz brachte der
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Vgl. ebd.; Id. (Hg.): Exponattext [130]; Paul Cornish: [243], S. 108. Vgl. Dan Todman: [522], S. xii. Vgl. ebd., S. 224f und S. 187. Vgl. ebd., S. 223. Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 106. Vgl. ebd., S. 121f; James Wallis/James Taylor: [529], S. 106. Vgl. Alan Taylor: [512], S. 220. Vgl. ebd., S. 214; John Keegan: [442], S. 7f. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Zusammenfassung [158]. Vgl. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext [187]. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Sektionstext [144]; Id. (Hg.): Zusammenfassung [161]; vgl. auch Paul Cornish: [243], S. 235 und S. 237.
6. Großbritannien und die Bedeutung der Kriegsopfer
Krieg auch Veränderungen mit sich, die positiv zu bewerten sind, wie beispielsweise die Ausweitung des Wahlrechts auf Frauen.155 So stellte Dan Todman fest, dass der Erste Weltkrieg kein Kampf um Nichts gewesen sei. Vielmehr sei um Ideale gerungen worden, die es zu verteidigen und durchzusetzen galt, wie beispielweise die Verteidigung der Demokratie.156 Dieser Ansicht folgt auch Hew Strachan, er sieht in der Verteidigung der Werte jedoch einen vorgeschobenen Grund. Seiner Ansicht nach ging es Großbritannien in erster Linie um die Verteidigung seiner wirtschaftlichen Interessen.157 In der Darstellung von Outbreak 1914: Wales Goes to War in Cardiff wurden Ideale, wie die Verteidigung der Demokratie und der Freiheit, nicht als Motivationsgründe, sich für den Kriegsdienst zu melden und gegebenenfalls sein Leben zu opfern, angeführt. Der Darstellung des FLMs nach meldeten sich die walisischen Soldaten vielmehr aus profaneren Gründen, etwa aus Pflichtgefühl gegenüber dem König, einer gesicherten Ernährung oder einfach aus Abenteuerlust.158 Auch das IWMN benannte Pflicht- und Dienstgefühl als Motivation für die Meldung zum Kriegseinsatz.159 Patriotismus und Pflichtgefühl waren ebenso die im IWM in London dargestellten Motive für die Kriegsteilnahme, aber auch der Schock über den Krieg und die deutschen Kriegsgräuel in Belgien, zu dem sicherlich auch die Propaganda beigetragen hatte, wie die zahlreichen Exponate des IWMs deutlich machten. Ein weiterer Grund sei die Flucht aus elenden Lebensumständen gewesen.160 In Outbreak 1914: Wales Goes to War wurde als Grund für den britischen Kriegseintritt der Vertrag von London genannt, wodurch sich die Darstellung der Ereignisse im FLM Taylors Ansatz zuordnen lässt, dass Belgien von der deutschen Besatzung zu befreien war und dies schlussendlich auch gelang.161 Wie die waliser Ausstellung stellte auch das IWM in den Vordergrund, dass der britische Kriegseintritt aufgrund der Verletzung der belgischen Neutralität durch den deutschen Truppeneinmarsch erfolgte. Alan Taylors Sicht, dass es den Briten dabei auch darum ging, die deutsche Vormachtstellung in Europa zu verhindern, findet in den First World War Galleries ebenfalls Erwähnung. Dabei sei es Großbritannien um seine eigene Sicherheit gegangen.162 Damit folgt das IWM der Aussage von Dan Todman, dass die Briten nicht der eigenen Vormachtstellung in Europa wegen in den Krieg zogen. Aus Sicht der Zeitzeugen ließ gerade dies die Opfer auf einer moralischen, aber auch geopolitischen Ebene als nicht sinnlos erscheinen.163 Wenngleich die großen Opferzahlen, die in der Öffentlichkeit nur begrenzt diskutierbar
155 156 157 158
Vgl. Paul Cornish: [243], S. 233; Imperial War Museum (Hg.): Zusammenfassung [150]. Vgl. Dan Todman: [522], S. xii. Vgl. Hew Strachan: [511], S. 239f. Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext [54]; Dies. (Hgg.): Bereichstext [38]. 159 Vgl. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext [180]; Dies.: Exponattext [173]. 160 Zusammenfassend zu den in den First World War Galleries genannten Motivationsgründen vgl. Imperial War Museum (Hg.): Sektionstext [146]; Id. (Hg.): Bereichstext [113]. 161 Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext [45]; Dies. (Hgg.): Bereichstext [44]; Alan Taylor: [512], S. 220. 162 Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [112]; Id. (Hg.): Bereichstext [107]; Id. (Hg.): Sektionstext [146]. 163 Vgl. Dan Todman: [522], S. 125.
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Europäisierung des Gedenkens?
waren, eine andere Schlussfolgerung nach sich zogen, so ergab sich daraus eine Erinnerungskultur, die Trost, Erleichterung, aber auch Ehre bot.164 Das IWMN in Manchester zeigte anhand der Rekrutierungsplakate nämlich auf, dass die Regierung durch psychologische und moralische Erpressung Druck auf Familien, Frauen und Freunde ausübte, ihre Ehemänner, Söhne, Brüder und Freunde nicht zurückzuhalten, damit der Krieg sich dadurch nicht verlängern und die Gefahr für die Kämpfenden noch größer würde.165 Die dadurch thematisierte Angst um die Angehörigen an der Front, verlieh der späteren Erinnerungskultur Plausibilität und verstärkte die Argumentation, dass der Krieg und die Opfer nicht umsonst gewesen seien. Die Mythisierung des Ersten Weltkrieges, sei es durch individuelle oder nationale Mythen und Geschichten, verlieh dem Kriegstrauma ebenfalls Sinn und Schlachtorte wie die Somme oder Verdun stehen heute als Sinnbilder für diejenigen, die keine persönliche und unmittelbare Berührung mit dem Ersten Weltkrieg oder den Zeitgenossen mehr haben.166 Toby Thacker, der das Bild der Desillusionierung in erster Linie aus den Werken der Intellektuellen und Künstler heraus entstanden sieht, spricht trotz der negativen Beurteilung der britischen Opfer davon, dass durch heroisierende Begriffe wie ›Mut‹ und ›Ausdauer‹ oder die Hervorhebung der Bedeutung von Kameradschaft die Gefallenen positiv umgedeutet wurden.167 Dass beispielsweise Kameradschaft dazu beitrug, dass die Männer sich freiwillig für den Kriegsdienst meldeten, zeigte das IWMN anhand der ausgestellten Rekrutierungsplakate auf.168 Das gleiche Motiv der Kameradschaft verdeutlichten das IWMN und das FLM anhand der Erläuterungen zu den sogenannten »Pals Battalions«.
6.3.3
Geschichtsbild Ausstellungen zu ›Kriegsopfer‹
Die Beurteilung des Ersten Weltkrieges in der britischen Geschichtsbetrachtung unterlag Veränderungen. Die Begründung der britischen Regierung für den Kriegseintritt im August 1914 – sich für Belgien und die Verteidigung ziviler Werte in den Kampf zu begeben – scheint den nachfolgenden Generationen keine ausreichende Erklärung, um die Millionen Toten zu rechtfertigen. Das Bild der Lost Generation setzte sich fest. Über Jahrzehnte war das Geschichtsbild in der breiten Öffentlichkeit von der negativen Beurteilung geprägt, dass die Millionen Gefallenen mit ihrem Tod ein sinnloses Opfer erbracht hätten und folglich auch das damit verbundene Leid der Hinterbliebenen umsonst gewesen wäre. Zu dieser Sichtweise trugen sowohl Zeitzeugen wie die »war poets« Wilfred Owen, Siegfried Sassoon oder Maler wie Paul Nash mit ihren Werken bei, aber auch die vom Kriegsalltag desillusioniert zurückkehrenden überlebenden und zum Teil kriegsversehrten Soldaten. In der Nachkriegszeit wurde diese Sicht der Desillusionierung durch den Krieg und damit auch das Narrativ der sinnlos erbrachten Kriegsopfer,
164 165 166 167
Vgl. ebd., S. 151f. Vgl. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext [182]. Vgl. Jay Winter/Antoine Prost: [536], S. 190f; Dan Todman: [522], S. 228. Vgl. Toby Thacker: [514], S. 1 und S. 282. Das Narrativ des Mutes findet sich auch bei Dan Todman: [522], S. 121. 168 Vgl. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext [181].
6. Großbritannien und die Bedeutung der Kriegsopfer
beispielsweise durch Arbeiten wie Alan Taylors The First World War. An Illustrated History, weiter bestärkt. Dass der britische Kriegseintritt zu Beginn als politisch gerechtfertigt betrachtet wurde und auch die Gründe und die individuelle Motivation der Millionen, die sich freiwillig zum Kriegsdienst meldeten, nicht in Frage gestellt wurden, hatte völlig an Bedeutung verloren. Das IWM in London versuchte, dieses seit Jahrzehnten bestehende Bild der Desillusionierung und der Sinnlosigkeit der Kriegsopfer und des Krieges aufzulösen, jedoch ohne dabei den Besuchern zu vermitteln, dass ihr bisheriger Blick auf den Krieg falsch gewesen wäre.169 Insbesondere in den Sektionen Shock und Your country needs you gelang es dem IWM deutlich aufzuzeigen, warum es die Zeitgenossen als sinnvoll und sogar als notwendig erachteten, in einen Krieg gegen Deutschland einzutreten. Die Verteidigung der zivilisatorischen Werte war in den Augen vieler Zeitgenossen, sowohl der einfachen Soldaten als auch der Zivilbevölkerung, ein gerechtfertigter Grund, um Belgien beizustehen, ebenso wie die Verteidigung der eigenen Stellung im Gefüge der Weltmächte. Besonders hervorgehoben wurde dies im IWM durch das Konzept der »contemporaneity«, mittels dem die Sicht der Zeitgenossen durch Zitate direkt in die Ausstellungsgestaltung und in das Narrativ eingebettet werden konnten. Die Zitate sollten dazu beitragen, das Geschichtsbild eines gerechtfertigten Krieges und gerechtfertigter Opfer sowohl unter den Soldaten als auch in der britischen Bevölkerung an der Heimatfront wieder in den Vordergrund zu rücken. Damit sollte die vorherrschende Sichtweise abgelöst werden. Auch die Darstellung im FLM in Cardiff war hinsichtlich der Bewertung der Opfer und der Sinnhaftigkeit des Krieges tendenziell positiv besetzt. Die Vertragsverletzung Deutschlands und der damit eintretende Bündnisfall wurden als akzeptabler politischer Grund für den Kriegseintritt genannt, schließlich wurde Belgien von der deutschen Besatzung befreit. Die Motivation, sich aus Pflichtgefühl gegenüber dem König, aber auch zur Sicherung von Ernährung und Unterkunft für den Kriegsdienst zu melden, erschien in der Waliser Ausstellung nicht als negative Bewertung. Möglicherweise beruhte diese Darstellung aber auch darauf, dass lediglich das Kriegsjahr 1914 in der Ausstellung präsentiert wurde und somit ein Überdenken der Motivationsgründe und Sinnhaftigkeit nach den Erfahrungen der Somme-Schlacht und nach Kriegsende, als die schiere Zahl der Toten auch den Zeitgenossen bewusst wurde, nicht Teil des Ausstellungsnarratives waren. Das IWMN griff das Thema der Kriegsopfer ebenfalls in einer insgesamt positiven Darstellung auf. Zwar wurde hier auf den »war poet« Wilfred Owen und seine aufgrund der unermesslichen Opferzahlen kritische Sicht auf den Krieg hingewiesen. Dennoch endete die Ausstellung mit zahlreichen Beispielen von Gedenkorten im Nordwesten Englands, die die besondere Bedeutung des Ersten Weltkrieges in der kollektiven Er-
169 Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 106 und S. 113. In den gesamten First World War Galleries wurde zahlreich auf die unermesslichen Opferzahlen hingewiesen und an vielen Stellen zeichneten die Aussagen von Zeitzeugen ein Bild der Desillusionierung durch die schreckliche Kriegswirklichkeit. Vgl. beispielsweise Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [100]; Id. (Hg.): Exponattext [130]; Id. (Hg.): Bereichstext [110]; Paul Cornish: [243], S. 194.
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Europäisierung des Gedenkens?
innerung bewahren und aufrechterhalten sollten und sollen.170 Die Art und Weise der Kontextualisierung der gezeigten Exponate griff dabei die Sichtweise des IWMs in London auf, den Krieg und die Millionen Toten nicht länger in Frage zu stellen und die erbrachten Kriegsopfer als gerechtfertigt Wert zu schätzen.
170 Vgl. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext [186].
7. Gewalt und Grauen an der Front
Der Erste Weltkrieg war zweifelsohne ein einschneidendes Erlebnis. Auch wenn in Deutschland der Zweite Weltkrieg die Erinnerung überdeckt, so gedenken Großbritannien, Frankreich und Belgien dem Ersten Weltkrieg nach wie vor als dem Großen Krieg.1 Selbst die führenden Eliten der kriegsbeteiligten Nationen waren sich kurz vor Kriegsausbruch sicher, dass ein kommender Krieg alle bisherigen in den Schatten stellen würde. Der Krieg brachte auf sämtlichen Ebenen des Lebens tiefgreifende Änderungen mit sich. Vor allem das Ausmaß an Gewalt und Zerstörungskraft auf den Schlachtfeldern wurde immens gesteigert durch die sich seit dem 19. Jahrhundert rasant weiterentwickelte Kriegstechnik.2 Damit wurde auch ein neues Ausmaß des Grauens und Schreckens für diejenigen erreicht, die die Auswirkungen direkt erlebten. Im Folgenden geht es darum, an exemplarisch ausgewählten Themenfeldern herauszuarbeiten, wie die Gewalt und das Grauen des Ersten Weltkrieges in den Ausstellungen thematisiert wurden und wie sich die Darstellung in den wissenschaftlichen Kontext einfügt.
7.1
Ausstellungen zu Gewalt und Grauen an der Front
In den deutschen Ausstellungen spielte die Westfront eine größere Rolle in der Darstellung als die Ostfront, daher wird exemplarisch die Westfront genauer betrachtet. Zudem ist damit die Vergleichbarkeit mit den britischen Ausstellungen gewährleistet, da deren Schwerpunkte auf der Darstellung der Westfront lagen. Alle hier untersuchten deutschen Ausstellungen griffen die Thematik vom Grauen des Krieges und der Eskalation der Gewalt an der Westfront auf. Betrachtet werden im Folgenden die Ausstellungen des DHMs und des MHMs, da diese im Vergleich zu den 1 2
Vgl. Herfried Münkler: [482], S. 753. Vgl. hierzu die Ausführungen bei Volker Berghahn nach Eric Hobsbawm, der in seinen Studien ca. 80 Millionen Opfer in beiden Weltkriegen zählt: Volker Berghahn: Gewalt von Krieg zu Krieg, in: Gerd Krumeich/Anke Hoffstadt/Arndt Weinrich (Hgg.): Nationalsozialismus und Erster Weltkrieg (= Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte, Neue Folge 24), Essen 2010, S. 380.
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Europäisierung des Gedenkens?
anderen das Thema Gewalt zum Leitmotiv ihres Ausstellungsnarrativs erhoben hatten. Für die britischen Ausstellungen wird das IWM exemplarisch untersucht, da die Londoner Ausstellung im Vergleich zu den Ausstellungen der beiden anderen britischen Museen den Kriegshandlungen an der Westfront größere Bereiche widmete und die Thematik ausführlicher behandelte.
Materialschlachten, Vernichtungskrieg, Schützengräben, von Granaten zerfurchte Landschaften In 1914-1918. Der Erste Weltkrieg im DHM wurde das Ausstellungsnarrativ entlang zweier Themen geführt, die zum einen die europäische Dimension des Krieges und zum anderen die Darstellung der Gewalteskalation aufzeigen sollten, von der sowohl die Soldaten als auch die Zivilbevölkerung betroffen waren. Im Hinblick auf die Gewalt wirkte der Erste Weltkrieg wie »ein Katalysator«3 , der sie noch beschleunigte und vervielfachte.4 »Die Erfahrung von Gewalt, die sich im Kriegsverlauf in einem bis dahin unbekannten Maße steigerte, veränderte die europäischen Gesellschaften dauerhaft und prägte das weitere politische Denken und Handeln.«5 Neue Kriegstechniken und die massenhafte Verwendung von Artillerie führten bereits innerhalb der ersten Kriegswochen zu hohen Verlusten.6 Der Krieg entwickelte sich zu einer Materialschlacht, in der selbst der Mensch »nur noch als Material«7 betrachtet wurde. Allein in der sogenannten ›Blutmühle‹ oder ›Hölle von Verdun‹ gingen »26 Millionen Sprenggranaten und 100.000 Giftgasgranaten […] bis Ende 1916 auf sehr engem Raum«8 nieder, wodurch etwa eine halbe Millionen Soldaten auf beiden Seiten der Frontlinie umkamen. Mit Verdun war aus dem Krieg ein industrialisierter Krieg geworden, in dem allein entscheidend war, welche Nation schneller und mehr Soldaten an die Front schicken, mehr Waffen und mehr Munition produzieren konnte.9
3 4 5 6 7 8 9
Judith Heß: Experteninterview DHM [214], S. 9. Vgl. ebd., S. 8f. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext [30]. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext [35]. Ebd. Vgl. ebd. Die Eroberung von Fort Douaumont am 25. Februar 1916 wurde von der deutschen Militärführung zum heroischen Sieg mythisiert, obwohl die Einnahme des Forts militärisch unbedeutend war. »Am Beispiel Douaumonts war eine Darstellung des Krieges möglich, die sonst in der Masse des anonymen Sterbens und Grauens vor Verdun untergegangen wäre: ein mutiger und ehrenhafter Kampf Mann gegen Mann, in dem noch wahre Heldentaten einzelner vorstellbar waren.« (Juliane Haubold-Stolle: Schlüssel von Fort Douaumont, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 70.) Erst in der Zwischenkriegszeit sei dem Heldenmythos die Sinnlosigkeit der Schlacht um Douaumont entgegengehalten worden. Vgl. ebd.
7. Gewalt und Grauen an der Front
Ähnliches erlebten insbesondere die Briten an der Somme.10 Nach einem »einwöchige[n] Trommelfeuer der Artillerie«11 starben bereits am ersten Tag der Großoffensive fast 20.000 britische Soldaten »im Stacheldraht und im Maschinengewehrfeuer«12 , so der Ausstellungstext. »Das blutige Scheitern«13 der Angreifer kostete bis Herbst 1916 mehr als einer Millionen Soldaten das Leben. Vom Grauen des Grabenkampfes durch eine von Granateinschlägen zerfurchte Landschaft illustriert erzählten Grafiken, wie beispielsweise die Radierung Somme 1916 IV (Granateinschlag) von Max Pechstein. Künstlerische Werke seien oftmals besser geeignet als Fotografien, das Grauen des Krieges darzustellen, so die Beschreibung zu Pechsteins Darstellung, die einen Granateinschlag durch Lichtblitz und Splitterfontäne mit Staubsäule und Tod sowie das Leid der Verwundeten zeigt.14 Dass der britische Vormarsch an der Somme gestoppt wurde, lag am deutschen Stacheldraht, der im Niemandsland verlegt war. Selbst der einwöchige Artilleriebeschuss und der Einsatz von sogenannten Drahtzerstörern konnten diesen nicht beseitigen. So blieben die anstürmenden Soldaten darin hängen und starben durch die Maschinengewehrfeuer.15 Der Kampf im Schützengraben brachte neben dem ständig niedergehenden Granatenhagel auch den Kampf Mann gegen Mann mit sich. Da sich Gewehre und Bajonette für den Grabenkampf weniger eigneten, musste man entweder auf Schlagwaffen und Messer für den Nahkampf ausweichen oder auf Handgranaten, von denen allein in Deutschland 300 Millionen Stück in verschiedensten Ausführungen produziert wurden.16 Diese schleuderten die Soldaten »bei einem Sturmangriff in gegnerische Schüt-
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Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext [35]; Thomas Weißbrich: Die erstarrte Front. Der Krieg im Westen, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 50f. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext [33]. Zur Verwendung von Stacheldraht führt Marcel Kellner in der Begleitpublikation aus, dass dicht gestellte Stacheldrahtverhaue die Soldaten in den zickzackförmigen Schützengräben vor feindlichen Durchbrüchen schützen sollten. Erst die ab September 1916 eingesetzten Panzer waren in der Lage die Stacheldrahtsperren zu überwinden. Bis 1918 habe der Stacheldraht somit symbolisch für den Stellungskrieg im Ersten Weltkrieg gestanden, bis er nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund der Verwendung in den Konzentrationslagern zum Symbol für die gewaltsame Internierung von Zivilisten wurde. Vgl. Marcel Kellner: Stacheldrahtrolle aus Péronne, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 60. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext [33]. Ebd. Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Exponattext »Somme 1916 IV (Granateinschlag)«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Exponatgruppentext »Schützengrabenarmbanduhr«, »Stacheldrahtrolle aus Péronne an der Somme«, »Drahtzerstörer«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. Vgl. Marcel Kellner: Grabenkeule und Stielhandgranate, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 58; Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Exponatgruppentext »Eroberte deutsche Handgranaten«, »Kugelhandgranate«, »Eierhandgranate 17«, »Grabenkeulen«, »Stahlrute mit morgensternförmigem Schlagkopf«,
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Europäisierung des Gedenkens?
zengräben und Unterstände […], wo sie durch ihre fürchterlichen Sprengwirkungen Soldaten töteten und verwundeten.«17 Der Erste Weltkrieg brachte darüber hinaus auch zahlreiche neue Kampfmittel hervor, wie beispielsweise den Flammenwerfer, der vor Verdun erstmals zum Einsatz kam, um französische Unterstände auszubrennen. »Die Grausamkeit seiner Wirkung machte den Flammenwerfer zu einem der Symbole für die Schrecken des Ersten Weltkriegs.«18 Die Grausamkeit des Krieges, der durch die neuen Waffentechnologien und Kampfmittel ermöglicht wurde, drückte sich letztlich auch darin aus, dass der Stellungskrieg an der Westfront Millionen Tote und Millionen körperlich oder seelisch Verletzte forderte.19 Das Narrativ der Dresdner Ausstellung 14 – Menschen – Krieg ging in Anlehnung an die These von Jörn Leonhard von einer »Dynamik der Gewalt«20 aus, die sich in einem Gewaltexzess äußerte.21 Dieser habe sich in einer zuvor nicht gekannten Massenmobilisation und Massenproduktion von Gewaltmitteln geäußert.22 Hierzu zählt auch, dass im Ersten Weltkrieg so viele Soldaten bereits in den ersten Kriegsmonaten starben wie in keinem anderen Krieg; selbst im Zweiten Weltkrieg eskalierte die Gewalt langsamer.23 Im einleitenden Text zur Ausstellung wurde erläutert, dass 14 – Menschen – Krieg »Schlaglichter auf die Heimatfront und das Inferno der Materialschlachten im Westen«24 werfe. Gerhard Bauer griff dies im Ausstellungskatalog auf: Projektile aller Art, Splitter und Detonationen zerhackten und zerfetzten die Körper der Getroffenen. Das Inferno vergegenwärtigte für die Frontsoldaten auch ständig den
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»Stielhandgranate (Nachbildung)«, »Grabenkeule«, »Grabendolch mit Scheide«, »Zwei Stielhandgranaten (Nachbildungen)«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«; Sven Lüken: Maschinenpistole MP 18, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 206f. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Exponatgruppentext [2]. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Exponattext »Flammenwerfer«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. Thomas Weißbrich: [297], S. 51. Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 39. Vgl. ebd., S. 39f; vgl. auch bei Frédéric Rousseau: Kämpfen ohne Hassgefühle… Das Töten seines Feindes im Großen Krieg, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Essayband zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 344-353. Vgl. Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 37. Vgl. Jens Wehner: Militärische Verluste von 1914 und ihre Bedeutung, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 152. Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (Hg.): Sektionstext »14 – Menschen – Krieg«, aus: Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« (28. Oktober 2014).
7. Gewalt und Grauen an der Front
Tod: als Bedrohung, aber auch in Gestalt nicht bestatteter Leichen vor den Schützengräben.25 Fotografien von halb skelettierten Leichen, die im Niemandsland nicht geborgen werden konnten, oder von Leichenbergen in Schützengräben, führten den Besuchern das Grauen, das die Soldaten erlebten, vor Augen.26 Neben zahlreichen groß- und kleinkalibrigen Artilleriegranaten war das zentrale Exponat im zweiten Ausstellungsteil ein Stück des Kilianstollens bei Carspach im Elsass, der über den Horror des Stellungskrieges Zeugnis ablegen sollte. Am 18. März 1918 stürzte der Graben nach einem Artilleriebeschuss der französischen Armee auf einer Länge von rund 60 Metern ein und verletzte und verschüttete 34 Soldaten, von denen 21 nur noch tot geborgen werden konnten. Die übrigen 13 verschütteten deutschen Soldaten wurden erst 2011 im Rahmen der archäologischen Ausgrabungen gefunden.27 Das begehbare Exponat sollte einen Eindruck davon vermitteln, »wie sich in Klaustrophobie erzeugender Enge Soldaten in vermeintlicher Sicherheit ›einrichteten‹«28 . Der Kilianstollen maß nur 1,1 Meter in der Breite und 1,7 Meter in der Höhe; wobei die halbe Gangbreite teilweise durch Stockbetten oder Holzbänke verbaut war.29 Die Soldaten waren in dieser engen, schmutzigen und feuchtkalten Umgebung zudem Krankheiten ausgesetzt, wie Typhus oder Fleckfieber, das einen Soldaten bis zur Kriegsuntauglichkeit erkranken ließ.30 Zudem zeichnete sich der Stellungskrieg in den Schützengräben, so die Beschreibung zur Kohlezeichnung von Hans von Hayek mit dem Titel Schützengraben im Bereich des XIX. (sächsischen) Armeekorps31 , durch »Phasen grausamer Nahkämpfe«32 aus. Die Lage an der Westfront und in den Schützengräben war geprägt von der Materialschlacht, die oft tagelang andauerndes 25
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Gerhard Bauer: Bereichstext »Massenhaftes Leid«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 126. Vgl. Gerhard Bauer: Exponatgruppentext »Gefallener französischer Soldat vor der Stellung des 7. Königlich Bayerischen Infanterie-Regiments«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 126. Vgl. zum Kilianstollen Michaël Landolt u.a.: [267], S. 246 und S. 248f. Gerhard Bauer: [229], S. 12. Im Kilianstollen wurde auch ein Eau-de-Cologne-Fläschchen ausgegraben, das in Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne zu sehen war. Das Duftwasser war möglicherweise eine Abhilfe gegen faule Gerüche in den Schützengräben, die von den Leichnamen der nicht geborgenen und bestatteten Gefallenen, aber auch von ungewaschenen Kameraden herrührten und durch Schlamm und Dreck noch verschlimmert wurden. Vgl. Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Exponattext »Eau de Cologne aus dem Kilianstollen«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. Vgl. Michaël Landolt u.a.: [267], S. 247. Vgl. Erik Zimmermann: Exponattext [299], S. 213; Wolfgang Eckart: Art. »Epidemien«, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, hg.v. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz, aktualisierte und erw. Studienausgabe, Paderborn u.a. 2009, S. 459f. Vgl. Gerhard Bauer: Exponattext »›Schützengraben im Bereich des XIX. (sächsischen) Armeekorps‹«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 213f. Gerhard Bauer: Exponattext »›Strassenkampf in Loos [Pas-de-Calais] bei einem Gasangriff der Engländer‹«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog
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Europäisierung des Gedenkens?
Artillerietrommelfeuer auf die Truppen niedergehen ließ. 1918 waren an der Somme allein auf deutscher Seite 6.473 Geschütze stationiert, was etwa 81 Geschütze je Frontkilometer bedeutete.33 Mit dem folgenden Zitat leitete das IWM den Ausstellungsbereich zu der Schlacht um Verdun ein: »They know that they are saving France, [Herv. i.O. groß, in blauer Schrift] but also that they are going to die on the spot«34 . Mit dem Zitat wurde zum Ausdruck gebracht, dass den Soldaten bewusst gewesen war, dass sie in Verdun in den sicheren Tod geschickt wurden und ihr Leben unausweichlich auf grausame Weise enden würde. Die Schlacht, die zum Ziel hatte, Frankreich aus dem Krieg zu drängen und die daher auf beiden Seiten mit dem größtmöglichen zerstörenden Artillerieeinsatz ausgetragen wurde, brachte in nur zehn Monaten rund 700.000 französischen und deutschen Soldaten den Tod.35 Darüber hinaus war Verdun nicht der einzige Schlachtort, der für die britischen Ausstellungsmacher den Horror des Krieges beschrieb. Im Ausstellungsbereich Total war wurde die Schlacht an der Somme im Juli 1916 behandelt. Trotz ausreichend vorhandener Munition und Waffen fielen dort am ersten Tag der Großoffensive fast 20.000 Männer und die folgenden Monate brachten wenig Bodengewinn.36 Gründe für das Scheitern des britischen Großangriffs sah das IWM darin, dass sich das zuvor stattgefundene Bombardement über ein zu großes Gebiet verteilt hatte und dadurch die deutschen Geschützstände und der dicht verlegte Stacheldraht der Zerstörung entgangen waren. Zudem explodierten zahlreiche Blindgänger erst beim Ansturm der britischen Infanterie auf die deutschen Stellungen.37 Wie in Verdun dauerte auch die Schlacht an der Somme mehre Monate und »sank into a muddy stalemate. It was finally called off in November.«38 War die Somme eine »bloody but vital lesso[n]«39 für die Briten, so war der Artilleriebeschuss der Alliierten ein großer Schock für die deutschen Soldaten.40 Die Schrecken, die sich in der Somme-Schlacht zeigten, hatten ein gänzlich neues Ausmaß angenommen. Hierüber konnten sich die Besucher an einer Touchscreenstation informieren, die anhand von Tagebucheinträgen und Fotografien des deutschen Generalstabsoffiziers Albrecht von Thaer von dessen Fronterfahrung berichtete. Von Thaer äußerte sich sehr kritisch über die Zustände der Soldaten während der Somme-Schlacht in seinem
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zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 215. Vgl. Gerhard Bauer: Bereichstext »Das Inferno der Materialschlacht«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 210. Zitiert nach einem Zensurreport des französischen Militärs im Juli 1916 in Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [108]. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [108]. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Sektionstext [143]. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [99]. Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext »The British… infantry…is very brave«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext »A year of indecisive fighting…«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Sektionstext [143].
7. Gewalt und Grauen an der Front
Tagebuch. »These are dreadful days. [Herv. i.O. groß] Our IX Reserve Corps is […] ›done for‹ after fourteen days fighting without any break. Around half the infantry has been lost, if not more«41 und »[t]hose who remain are not humans anymore [Herv. i.O. groß] but have more or less lost their minds.«42 Dass der Kampf an der Westfront durch die Schützengräben geprägt war, kontextualisierte das IWM in einem großen Ausstellungsbereich: Zum Schutz vor Schrapnellen und Gewehrkugeln gruben sich die Truppen ein, jedoch führte dies zum »deadlock«43 in zuvor noch nicht dagewesenem Ausmaß. »In deafening bombardments, streams of shells tested soldiersʼ nerves as they crouched down, praying they would not be blown to pieces, mutilated or buried alive.«44 Zum Kampf in den Schützengräben wurden Messer und Keulen für den Kampf Mann gegen Mann eingesetzt, die das IWM zeigte. Um in die feindlichen Gräben zu gelangen, musste zuvor das Niemandsland überquert werden. »But many soldiers who advanced across no man’s land had little chance against machine gun fire and artillery. Some soldiers were cut down even before they had crossed their own front line«45 , wie die Exponatgruppenbeschreibung in einer Vitrine mit mehreren Lee-Enfield-Gewehren und Pattern-1907-Bajonetten erläuterte. Die Soldaten an der Frontlinie sahen sich der täglichen Gefahr des Todes durch einen fast unsichtbaren Feind ausgesetzt.46 Eindrücklich stellte das IWM in einer Vitrine eine Vielzahl verschiedener Handund Stielgranaten aus, die so angebracht waren, dass sie einen sich gerade im Anflug befindenden Granatenhagel zu imitieren schienen. Ein Schützengrabennachbau sollte den Besuchern außerdem nahebringen, wie eng, aber auch wie tief diese Gräben zumindest in Teilstücken waren. Wie bedrohlich es für die deutschen Soldaten gewesen sein musste, als die Alliierten begannen Panzer als neue Kriegstechnologie einzusetzen, suggerierte ein Mark V tank, der so in die Ausstellung eingebaut war, als ob er über den Rand des Schützengrabennachbaus nach unten stürzen würde. Der Horror der Schützengräben und die durch den Granaten- und Bombeneinschlag zerstörten Landschaften Flanderns wurden im IWM durch die Ausstellungstexte beschrieben: 41
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Albrecht von Thaer am 7. August 1916 zitiert nach Imperial War Museum (Hg.): Touchscreenstation »›These are dreadful days.‹ The German experience of the Somme«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Das Tagebuch von Albrecht von Thaer erschien 1958; hierzu vgl. Albrecht von Thaer/Helmut Rönnefarth/Siegfried Kaehler (Hgg.): Generalstabsdienst an der Front und in der O.H.L.: Aus Briefen und Tagebuchaufzeichnungen 1915-1919 (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse 3, 40), Göttingen 1958. Albrecht von Thaer habe die Befehle der Obersten Heeresleitung durchaus kritisch betrachtet und trotz Geheimhaltung darüber in zahlreichen Briefen an seine Ehefrau geschrieben. Vgl. Alexander Griebel: Das Jahr 1918 im Lichte neuer Publikationen, in: VfZ 6, 4 (1958), S. 362. Albrecht von Thaer zitiert nach Imperial War Museum (Hg.): Touchscreenstation [148]. Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext »Digging, digging, digging.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [104]. Imperial War Museum (Hg.): Exponatgruppentext »The attacking British infantry expected to drive the Germans from their trenches«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Vgl. zudem Id. (Hg.): Bereichstext [104]. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [101].
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Europäisierung des Gedenkens?
Britain developed new weapons. Found ways to make guns even more destructive. […] War on the Western Front became even more costly and destructive. Soldiers fought in landscapes devastated by shellfire. A massive British offensive around Ypres became bogged down in mud. It was called off with the capture of a village called Passchendaele.47 Die Flandernschlachten bei Ypern wurden durch Regen, der das Schlachtfeld in flüssigen Schlamm und Morast verwandelte, massiv behindert, so dass die Briten unter General Haig gezwungen waren, den Sieg gegen die Deutschen durch Zermürbung herbeizuführen. Die Deutschen erlitten große Verluste bei der Eroberung von Passchendaele, aber auch die britischen Truppen und die des Empires beklagten 275.000 Tote und verloren ihr Vertrauen in General Haig.48 Der Maler Paul Nash, der für das Militär die Frontlandschaften in seinen Gemälden festhielt, beschrieb die Situation im November 1917 folgendermaßen: »I have seen the most frightful nightmare of a country… unspeakable, utterly indescribable.«49 »The machines of war created a new and unrecognisable world of devastated landscapes.«50 Im Gemälde The Menin Road51 , das Nash 1919 fertigstellte und das Teil einer »Hall of Remembrance«52 werden sollte, um den »national ideals of heroism and sacrifice«53 zu gedenken, zeigte Nash die Zerstörung auf, die die Soldaten zu verarbeiten hatten – »[t]he shell-pocked road itself barely survives amid the devastated, flooded landscape. Dwarfed by the chaotic setting, two soldiers doggedly follow the roadway.«54 Hinzu kamen körperliche Anstrengungen, nicht nur durch Kampfhandlungen, sondern auch durch den Bau und die Instandhaltungsarbeiten der Schützengräben sowie der Stacheldrahtverhaue. Meist mussten die Arbeiten nachts im Schutz der Dunkelheit durchgeführt werden, manchmal aber auch während eines Beschusses, so dass die Soldaten kaum Pausen und Erholung hatten.55 Die Nässe und der Schlamm in den
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Imperial War Museum (Hg.): Sektionstext [140]. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext »Extraordinary hardships«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Zitiert nach Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext »I have seen the most frightful nightmare of a country…«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Ebd. Das Gemälde The Menin Road wurde 2015 nach den Ausstellungsbesuchen für die Untersuchung aus konservatorischen Gründen aus der Dauerausstellung entfernt. Es wurde durch zwei kleinere Werke ersetzt: The Mule Track von Paul Nash und After a Push von Christopher Richard Wynne Nevinson. Die zerstörte Landschaft wurde weiterhin durch Fotografien im Rahmen der Ausstellungsgestaltung und -inszenierung illustriert. Imperial War Museum (Hg.): Exponattext »Official war artist Paul Nash completed The Menin Road in 1919«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Ebd. Ebd. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Zusammenfassung »In the front line, repairing trenches and barbed wire and moving supplies were constant chores.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015).
7. Gewalt und Grauen an der Front
Schützengräben führten zudem zu Erkrankungen und Infektionen wie dem sogenannten »trench foot« und dem »trench fever«.56 Eine Kulmination der Gewalt beschrieb das IWM in der Sektion Seizing victory, die es mit dem Zitat eines deutschen Kavallerieoffiziers, »[t]omorrow there will be nothing to keep secret – for then hell breaks loose [Herv. i.O. groß, in blauer Schrift]«57 , einleitete. Das Zitat bezog sich auf den Tag der deutschen Großoffensive im März 1918, nachdem die Truppen von der Ostfront nach Frankreich abgezogen worden waren. Die Offensive begann mit ununterbrochenem Beschuss, der die britische Verteidigung aufbrechen sollte.58 In der ersten Vitrine in dieser Sektion war neben anderem eine lebensgroße Figurine ausgestellt, die die Uniform und die Ausrüstung eines deutschen »[h]ighly trained ›stormtroopers‹«59 in Angriffsposition mit zum Wurf der Granate erhobenem Arm zeigte. Diese Spezialeinheit führte den deutschen Angriff am 21. März 1918 an und überrannte die Positionen der Alliierten.60 Wie sich die Soldaten bei einem solchen Sturmangriff gefühlt haben dürften, beschrieb Ernst Jünger, der einen Stoßtrupp anführte. In der Ausstellung wurde er mit folgenden Worten zitiert: »attacking the enemy, ›in a mixture of feelings brought on by excitement, bloodthirstyness, anger and alcohol‹.«61 Zudem verschossen die Deutschen an diesem Tag in den ersten fünf Stunden doppelt so viele Granaten wie die Alliierten in der gesamten Woche vor Beginn der Schlacht an der Somme.62 Neben der Figurine wurde auch ein Wex-Flammenwerfer, eine »terrifying weapon«63 gezeigt, die von zwei Männern zu bedienen war – einer um den Brennstoff zu tragen, der zweite, um die bis zu 30 Meter weitreichende Flamme auszurichten. Das IWM erläuterte, dass infolge des massenhaften Artilleriebeschusses bis Ende Juni 1918 über 800.000 deutsche Soldaten getötet oder verwundet wurden und die Deutschen schließlich erkennen mussten, dass ihre Chance auf einen Sieg vorbei war.64
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62 63 64
Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Zusammenfassung »Soldiers battled their environment as well as shells and bullets.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Rudolf Binding am 20. März 1918 zitiert nach Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext »Tomorrow there will be nothing«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [109]. Imperial War Museum (Hg.): Zusammenfassung »The German Army massed its best troops and nearly all its artillery«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); vgl. Abbildung 12. Vgl. ebd. Ernst Jünger zitiert nach Imperial War Museum (Hg.): Exponatgruppentext »On 21 March 1918 Lieutnant Ernst Jünger of the German 73rd Fusilier Regiment recorded attacking the enemy«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Zusammenfassung [162]. Imperial War Museum (Hg.): Exponattext »Flamethrowers added to the attacking power of German assault troops.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Zusammenfassung [162].
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Europäisierung des Gedenkens?
Abbildung 12: Figurine zur Darstellung eines Stoßtruppsoldaten
Gaskrieg Die Schützengräben brachten nicht nur die »Stahlgewitter«65 der Materialschlacht hervor, ein weiterer untrennbar mit dem Ersten Weltkrieg verbundener Aspekt des Grauens war der Gaskrieg. Zahlreiche Schilderungen der Soldaten über diese unheimlich anmutende Form des Kampfes und die furchtbaren gesundheitlichen Folgen, die mitunter einen langen und qualvollen Tod nach sich zogen, hatten eine erschütternde Wirkung. So verwundert es nicht, dass die Ausstellungsmacher Fotografien von Gasmasken ikonengleich und werbewirksam auf den Ausstellungsplakaten, Flyern und Begleitpublikationen einsetzten.66 Besonders eindrucksvoll warb das HdG für Fastnacht der Hölle.
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Unter dem Titel In Stahlgewittern erschienen die Aufzeichnungen von Ernst Jünger zu seinen Weltkriegserfahrungen: Ernst Jünger: In Stahlgewittern, Stuttgart 3 2014. Vgl. Thomas Weißbrich: Gasmaske M 1917, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 72.
7. Gewalt und Grauen an der Front
Der Erste Weltkrieg und die Sinne mit einer das Plakat und das Begleitbuchcover fast vollständig ausfüllenden Gasmaske. Die leeren Augengläser der Maske scheinen die Betrachter anzustarren. Die Gasmaske erinnert dabei an das verstörende Grinsen eines Skelettschädels, um auf die Hölle, die der Erste Weltkrieg für Millionen von Soldaten war, hinzuweisen. Ähnlich einprägsam wählte auch das MHM in Dresden eine Gasmaske als Leitbild. Jedoch ist die aus dem nebulösen schwarzen Hintergrund auftauchende Gasmaske nur zur Hälfte abgebildet, die andere Gesichtshälfte ist aufgedeckt und enthüllt das schöne Gesicht einer lächelnden jungen Frau. Auch hier weist die Gasmaske auf die Schrecken des Ersten Weltkrieges hin. Dieser Eindruck wird verstärkt, indem das menschliche Antlitz unter der Maske nicht das Gesicht eines möglicherweise vom Krieg bereits gezeichneten Soldaten zeigt, sondern das einer jungen Frau. Die Wirkung des Krieges, so die Aussage der Abbildung betraf auch die unschuldige Zivilbevölkerung und niemand war vor seiner Gewalt und seinem Schrecken sicher. Alle untersuchten Ausstellungen hatten Gasmasken, im Falle von Stuttgart sogar eine Gasmaske für Pferde im Kriegseinsatz67 , oder wenigstens Fotografien davon unter ihren Exponaten. Besonders eindrücklich, und daher sollen diese beiden Ausstellungen exemplarisch genauer betrachtet werden, präsentierten das DHM in Berlin und das IWM in London den Gaskrieg in ihren Ausstellungen. Ypern und der 22. April 1915 stehen für den Tag, an dem die deutschen Truppen erstmals Chlorgas an der Westfront zum Einsatz brachten, da der Krieg in den Schützengräben zum Erstarren gekommen war. Schon bald darauf setzten auch die alliierten Streitkräfte chemische Kampfstoffe ein. Nicht nur die Entwicklung neuer Giftgase, auch der Schutz vor diesen wurde von Militärs und Wissenschaftlern, wie den Deutschen Fritz Haber und Otto Hahn, vorangetrieben. Der Einsatz von Giftgas prägte die Kriegsführung im Ersten Weltkrieg, fast jede dritte Granate war mit Giftgas befüllt und allein bei Verdun gingen bis Ende 1916 100.000 Giftgasgranaten auf engstem Raum nieder. Der Einsatz der tödlichen Kampfgase richtete unter den Soldaten verheerende physische und psychische Schäden an.68 Die Unsichtbarkeit der Gase belastete die Soldaten immens. Eine Gefahr, die man grundsätzlich nicht sehen, hören und zum Teil auch nicht riechen konnte, war mit besonderem Schrecken verbunden, weil sich die Soldaten kaum oder gar nicht vorbereiten konnten.69 Die Installation der Gasmasken in der Berliner Ausstellung veranschaulichte den Schrecken des Gaskrieges auf bemerkenswerte Weise.70 Den Horror, den der Gaskrieg bei den Soldaten auslöste, hat Franz Roubaud in seinem Ölgemälde Dante und Vergil im Schützengraben festgehalten, in dem er »den Krieg als Hölle«71 inszenierte und letztlich auch seine persönlichen Eindrücke des Kriegsge67 68 69 70 71
Vgl. Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Exponattext »Deutsche Pferdemaske«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. Vgl. zum Abschnitt Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext [35]; Dies. (Hg.): Sektionstext [36]. Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext [36]. Abbildung 13. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Exponattext »Dante und Vergil im Schützengraben«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«.
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Europäisierung des Gedenkens?
Abbildung 13: Inszenierung eines Gasangriffs: Zunächst war die Vitrine dunkel. Nach ertönen eines Gasalarms, waberte langsam eine Nebelwolke aus dem sich erhellenden Vitrinenhintergrund hervor und ließ in der ›Gaswolke‹ die bedrohlich starrenden Gasmasken sichtbar werden
schehens, »das Schlachtfeld aus toten Leibern, Blutlachen, Feuer und Rauch«72 festhielt. Daneben stellte das DHM Gasmasken, eine Blindenbrille, ein sogenanntes SauerstoffEinatmungsgerät und eine Gasglocke aus, denn schnelles Erkennen von Giftgas für eine rechtzeitige Warnung und die Opferversorgung waren überlebenswichtig, um sich vor den Folgen der Gase, wie Lungenverätzungen oder Erblinden, zu schützen. Jedoch erblindeten die meisten nicht durch Kampfgas, sondern infolge von schwerem Artilleriebeschuss, der zu mechanischen Verletzungen der Augen führte.73 Der Erste Weltkrieg war auch der erste Krieg, in dem Soldaten selbst fotografierten, und obwohl es von der Zensur verboten war, die eigenen Toten abzulichten, wurden Fotografien von toten Kameraden aufgenommen.74 Der Schrecken des Krieges wurde mit solchen Fotografien auch den Angehörigen vermittelt. Die in der Ausstellung des DHMs gezeigten Fotografien von toten Soldaten nach dem Giftgasangriff bei Ypern
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74
Ebd. Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Exponatgruppentext »SauerstoffEinatmungsgerät«, »Reihe von britischen Gasverletzten«, »Blindenbrille«, »Zivilisten mit Gasmasken«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«; Dies. (Hg.): Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Exponatgruppentext »Ratsche für die Auslösung von Gasalarm«, »Gasglocke«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Exponatgruppentext »Postkarte mit toten Soldaten und Opfern von Gasangriffen vor Ypern«, »Gefallene Soldaten vor Ypern«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«.
7. Gewalt und Grauen an der Front
wurden als Postkarten nicht nur unter den Soldaten ausgetauscht, sondern auch in die Heimat verschickt.75 Ähnlich beeindruckend gelang es auch dem IWM, den Horror des Gaskrieges in den First World War Galleries auszustellen. In zwei sogenannten »reflection spaces« zum Gaskrieg und zur Somme konnten die Besucher innehalten. In der Reflexionszone zum Gaskrieg wurde in einer Vitrine ein durch die Einwirkung von Kampfgas geschrumpfter Handschuh ausgestellt. Der Vitrinensockel diente gleichzeitig auch als Projektionsfläche für Fotografien und Zitate von Soldaten,76 die den Gaskrieg erlebt hatten und die man auch als Tonspur anhören konnte. »It was like an appalling nightmare as you look like some horrible kind of demon or goblin in these masks«77 , so Captain Geoffrey Donaldson vom Royal Warwickshire Regiment am 16. Juli 1916, als er einen sogenannten »PH helmet« zum Schutz gegen das Giftgas tragen musste. Und Lance-Sergeant Elmer Cotton von den 5th Northumberland Fusiliers äußerte seinen Schrecken über die Folgen des Gaskrieges folgendermaßen: »A dozen men – all gassed [Herv. i.O. groß, in blauer Schrift] – their colours were black, green and blue, tongues hanging out and eyes staring.«78
Abbildung 14: »Reflection space« mit Schrumpfhandschuh zum Gaskrieg in den First World War Galleries
Neben dem Schrumpfhandschuh zeigte das IWM auch eine kleine Auswahl an verschiedenen Gasmasken, unter anderem den »PH helmet« oder »›Tube‹ helmet«79 . Die 75 76 77 78 79
Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Exponatgruppentext [5]. Abbildung 14. Zitiert nach Paul Cornish: [243], S. 76. Zitiert nach Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [90]. Paul Cornish: [243], S. 76.
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Europäisierung des Gedenkens?
Exponate standen stellvertretend, um die Angst der Soldaten vor den schrecklichen Verletzungen durch das Gas zu kontextualisieren.80 So führte Chlorgas zu Husten- und Würgereiz sowie einer Blaufärbung der Haut, Phosgengas führte zu spastischen Lähmungserscheinungen, die bis zu 48 Stunden anhalten konnten, und Senfgas81 verätzte die Haut so sehr, dass nicht nur Blasen entstanden, sondern das Gewebe teilweise bis auf den Knochen weggeätzt wurde.82 Dennoch forderte der Gaskrieg weit weniger Todesopfer als gedacht, da viele Verwundete nach einigen Wochen wieder genasen. Die Armeen erkannten bald, dass Kampfgas nicht die siegbringende Waffe war, nach der sie suchten. Trotzdem wurde Gas noch bis Kriegsende eingesetzt; Senfgas sogar erst im Oktober 1917 eingeführt.83 Denn der Giftgaseinsatz hatte zumindest einen unmittelbaren weiteren Effekt. Die Schützengräben waren nicht länger ein sicherer Rückzugsort vor dem Granatenhagel und auch nicht länger eine unüberwindliche oder zumindest schwer überwindbare Barriere für den Feind. Denn das Gas überwand diese Hindernisse und sammelte sich oftmals unbemerkt, unsichtbar und geruchlos in den Granattrichtern und Gräben.84
7.2
Forschungen zu Gewalt und Grauen an der Front
Materialschlachten, Vernichtungskrieg, Schützengräben, von Granaten zerfurchte Landschaften Dan Todman hebt hervor, dass es methodisch schwierig ist, die Erfahrungen der Soldaten über die Schrecken des Krieges zu untersuchen, da dabei unbedingt zwischen individuellen und persönlichen Quellen und solchen, die eine allgemeine Reaktion auf die Kriegsschrecken widerspiegelten, unterschieden werden muss. Zudem gab es auch Zeitzeugen, die das Erlebte heruntergespielt haben. Anderen war es nicht möglich über ihre Erinnerungen zu sprechen oder diese niederzuschreiben. Aufgrund der dramatischen Umstände erinnerten sie sich nur noch ungenau oder die Erinnerungen lagen in einem Teil des Gehirns begraben, zu dem sie keinen Zugang mehr hatten.85 Zudem war es problematisch, dass die Erinnerungen der Kriegsteilnehmer mit neueren Erlebnissen und neueren Erinnerungen überschrieben wurden.86 Entscheidend sei auch, in welchem Kontext die Kriegsveteranen zu ihren Erinnerungen befragt wurden, da der Kontext der Fragestellung einen entscheidenden Einfluss habe, was und wie erzählt wird. Todman sieht die Problematik darin bedingt, dass ein nie im Kriegseinsatz gewesener Historiker einem Zeitzeugen möglicherweise eine Aura uneingeschränkter 80 81
82 83 84 85 86
Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Exponatgruppentext »Gas caused horrific injuries.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). Senfgas wird offiziell mit LOST abgekürzt. Der chemische Kampfstoff Dichloräthylsulfid, entwickelt am Dahlemer Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin, wurde nach den verantwortlichen Wissenschaftlern Lommel und Steinkopf bezeichnet. Vgl. Julia Encke: [392], S. 202. Vgl. ebd.; Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [90]. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [90]; Paul Cornish: [243], S. 76. Vgl. Paul Cornish: [243], S. 76. Vgl. Dan Todman: [522], S. 8f. Vgl. ebd., S. 11.
7. Gewalt und Grauen an der Front
Glaubwürdigkeit zuweist und dabei oben Gesagtes außer Acht lässt.87 Zudem war es früher nicht üblich, über Gefühle und Erfahrungen zu sprechen, so dass teilweise auch schlicht die Gewohnheit die Überlebenden vom Erzählen abhielt. Dennoch entwickelte sich aus der Erinnerung und der Erfahrung des einzelnen Soldaten mit der Zeit ein allgemeingültiges Bild, dass Schlamm, Matsch und Morast sinnbildlich für die grauenhafte Zerstörungskraft im Ersten Weltkrieg stehen:88 »Without mud, it wouldn’t be the First World War.«89
Abbildung 15: Zerstörte Schlammlandschaften an der Westfront, Sektion Machines against men
Die von Granaten zerfurchte Landschaft und der Schützengraben, auch wenn dieser weder eine Erfindung des Ersten Weltkrieges war noch an allen Frontabschnitten als militärische Maßnahme genutzt wurde, stehen als Folgen der Materialschlacht und des industriellen Massenkrieges stellvertretend für das Erinnerungsbild wie kaum etwas anderes.90 Zum Jahresende 1914 zogen sich auf einer Strecke von über 2.000 Kilometern Schützengräben an der Westfront von der Nordsee kontinuierlich bis zu den Schweizer Bergen und an der Ostfront von der Memel bis in die Karpaten.91 Wo die Erde es nicht zuließ, waren diese nicht sonderlich tief eingegraben, andernorts tiefer als Manneshöhe mit Sandsäcken zur Verstärkung der Grabenwehr. Je feuchter das Erdwerk war, desto mehr mussten die Schützengräben und Unterstände mit Holz ausgekleidet wer-
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Vgl. insgesamt zur Kritig von Zeitzeugenaussagen bei ebd., S. 187. Vgl. ebd., S. 12 und S. 40. Ebd., S. 41; vgl. auch Abbildung 15. Vgl. Anton Holzer: Das Lächeln der Henker. Der unbekannte Krieg gegen die Zivilbevölkerung 19141918 mit zahlreichen bisher unveröffentlichten Fotografien, Lizenzausgabe, Darmstadt 2008, S. 9. Vgl. John Keegan: [442], S. 146f und S. 191. Bis gegen Ende 1916 seien über 16.000 Kilometer Schützengräben gebaut worden. Vgl. hierzu Alan Kramer: Dynamic of Destruction. Culture and Mass Killing in the First World War (= The Making of the Modern World), Oxford/New York 2007, S. 213.
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den.92 Der starke Bomben- und Artilleriebeschuss machte es zudem notwendig, dass Unterstände teilweise noch tiefer ins Erdreich gegraben wurden und nur über Treppen erreichbar waren.93 Das Niemandsland zwischen den feindlichen Schützengräben war von Stacheldraht durchzogen. Auf deutscher Seite wurden beispielsweise bis Mitte 1916 über 7.000 Tonnen Stacheldraht ausgebracht.94 Julia Encke zeigt auf, dass es in den Schützengräben überlebenswichtig war, Geräusche richtig zuzuordnen: etwa, um das Klopfen der Hacken der Mineure zu erkennen, das Hallen von Schritten in den Schützengräben, die Vorbereitung einer Zündladung oder das Herannahen von Granaten.95 Der Krieg unter der Erde erforderte, dass der
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93 94 95
Vgl. John Keegan: [442], S. 192. Aus der Erfahrung des Burenkrieges heraus entwickelten die Briten ein kompliziertes Schützengrabensystem, das durch doppelte und dreifache Grabenlinien eine Kompensation dafür schaffen sollte, dass die britischen Posten von den deutschen Truppen einsehbar waren. Die Briten versahen ihre Gräben an der Frontlinie mit Versorgungs- und Kommunikationsgängen, so dass auch die Versorgungseinheiten die vorderen Reihen geschützt erreichen konnten. Eine einheitliche Bauweise gab es nicht. An der Ostfront hatten einige Grabensysteme keine Quergräben zu den hinteren Versorgungslinien, so dass die Soldaten ungeschützt über offenes Land gehen mussten. Anders an der Westfront, die geprägt war von Stacheldraht bewährtem Niemandsland zwischen den feindlichen Grabenlinien, die teilweise weniger als 300 Meter auseinanderlagen. 1915 waren deutsche Schützengräben soweit ausgestattet, dass der Boden mit Holzbohlen ausgelegt und die Unterstände teils mit elektrischem Licht sowie Telefonverbindungen ausgerüstet und die Wände getäfelt und mit Bildern dekoriert waren. Zudem wurde die Wehrfähigkeit ausgebaut und betonierte mit Holz und Stahl geschützte Maschinengewehrposten wurden eingerichtet. Im Ersten Weltkrieg gingen die ersten Vorläufer der späteren Betonbunker in Betrieb. Die deutsche Taktik bestand gegenüber der britischen darin, einfache Grabensysteme zu bauen, die mit wenig Besatzung auch gegen eine Übermacht leicht zu verteidigen waren, da General Falkenhayn jede Unterstützung der Truppen an der Ostfront benötigte. Zweite Gräben als Rückzugslinien sollten nur der Vorsorge dienen, denn verloren gegangene Linien waren umgehend wieder zurückzuerobern. Einige Generäle hätten sich jedoch bewusst nicht an diese Anweisung gehalten mit dem Verweis, dass ein Graben für einen Rückzug möglicherweise den Vorstoß schwächer ausfallen ließe. Zudem habe sich gezeigt, dass die Sprengkraft der Geschosse, bei zu eng aneinander gereihten Gräben, diese auf einen Schlag zerstören konnte, so dass größere Abstände notwendig wurden. Vgl. ebd., S. 192 und S. 195f; Alan Kramer: [456], S. 213; Julia Encke: [392], S. 114. Vgl. John Keegan: [442], S. 192. Vgl. Alan Kramer: [456], S. 213. Vgl. Julia Encke: Art. »Sinne«, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, hg.v. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz, aktualisierte und erw. Studienausgabe, Paderborn u.a. 2009, S. 1004f. Um auch leiseste Geräusche wahrnehmen zu können, die der Gegner bei seiner Arbeit erzeugte, wurden Vorrichtungen zum Abhorchen entwickelt und eingesetzt, die auch Geräusche in über einem Kilometer Entfernung noch hörbar machten. Lehmböden trugen Schall und Geräusche weniger weit als andere Böden. So waren die Gegner teilweise nur wenige Meter voneinander entfernt, ohne davon zu wissen. Anders war dies in Kalkböden der Fall, so dass entsprechende Vorkehrungen für die Arbeiten getroffen werden mussten, wie etwa die Stollen mit Stroh oder Heu auszulegen, die Stiefel durch Stroh- oder Filzschuhe zu ersetzen oder mit Sandsäcken zu umwickeln. Hacken oder Klopfen war in solchem Erdreich ebenso zu vermeiden, so dass das Ausheben von Minen nur äußerst mühsam vorstatten ging. Wie Berichte bezeugen, wurden die gegnerischen Arbeiten aber auch dadurch verraten, dass man den Gegner sprechen hörte. Horchapparate, wie der Edelmann’sche Apparat, wurden durch Telefonleitungen und Mikrophonanlagen vernetzt, so dass
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Soldat »ganz Ohr«96 war, da nur so abzuschätzen und aufgrund der Bodenkenntnisse kalkulierbar war, ob eine unmittelbare Gefahr drohte.97 Die Gräben mussten auch immer wieder wegen Überflutung oder feindlichem Angriff verlassen werden; gleichzeitig wurden gut ausgebaute Grabensysteme verlassen, wenn ein Vorstoß gelang, um möglicherweise beim Rückzug in feindliche Hand zu fallen.98 Der Aufwand um die Schützengräben auszuheben und zu unterhalten war dann besonders groß, wenn beispielsweise aufgrund der Wetterlage die Gräben zu reißenden Flussbetten wurden und zur Trockenlegung Holzbohlen in den nassen, aufgeweichten und matschigen Boden getrieben werden mussten, da die Soldaten hierbei teilweise über Wochen in fast hüfthohem Wasser arbeiten mussten. Aber nicht nur die Wetterlage musste beachtet werden, vielmehr waren beim Bau der Gräben, Minen und Versorgungsbrunnen geologische Kenntnisse und Wissen über den Grundwasserstand notwendig, insbesondere im wasserreichen Nordfrankreich.99 Trotz der Fachkräfte, die man für den Grabenbau einsetzte, und trotz immer professioneller ausgebauter Schützengrabensysteme in einigen Frontabschnitten, ist die Erinnerung von den in den französischen und belgischen Boden eingegrabenen Soldaten durch Schlamm und Matsch geprägt. Dieses Bild wurde von den Kriegsfotografen geschaffen, die völlig zerstörte Landschaften mit wassergefüllten Bombenkratern und zersplittertem Holz fotografierten und damit einen ungeschönten bildlichen Eindruck vom Kampfgebiet entlang der Westfront aufnahmen. Todman beschreibt die Motive dieser Fotografien als überwältigende Bilder von Schlamm. Schlamm, der das Motiv dominierte und mehr als die bloße Vermischung von Dreck und Wasser bedeutete, nämlich die Vermischung von Exkrementen, toten Soldaten und Tieren, Schrapnellen, Stacheldraht und Giftgas, das völlige Gegenbild einer intakten Natur.100 Schlamm und Matsch stehen somit für das »terrifying potential to engulf soldiers who struggle within it, to suck them down – spluttering, choking, drowning – and to convert their corpses into yet more mud.«101 Mit diesen Assoziationen steht der Schlamm und der Matsch auch sinnbildlich für unser heutiges Verständnis über den Ersten Weltkrieg und wie es war, darin kämpfen zu müssen.
ein einzelner Horchposten in der Lage war, mehrere Stollen gleichzeitig zu überwachen. Vgl. Julia Encke: [392], S. 117-120. 96 Ebd., S. 122. 97 Vgl. ebd. 98 Vgl. John Keegan: [442], S. 192f. 99 Vgl. John Keegan: [442], S. 193f; Julia Encke: [392], S. 114f. Bergarbeitern kam als Fachkräfte bei der Aushebung von Schützengräben und Minen eine bedeutende Rolle zu, ebenso der sich neu entwickelnden Luftaufklärung, die es ermöglichte Messbilder des Kriegsgeländes aufzunehmen, mit deren Hilfe topografische Karten zu Stellungsbau, Grundwasserstand und Entwässerung, Rohstoff- und Wasserversorgung, aber auch zum Baugrund, Hochwassergefährdung, Mooren oder Kompassstörungen gewonnen wurden. Das Wissen um die Durchlässigkeit von Gesteinsschichten war für den Schützengrabenbau ebenso von immenser Bedeutung und verhinderte, dass feindliche Mineure gegebenenfalls noch tiefer gruben, um so die eigenen Anlagen zu unterminieren. Vgl. Julia Encke: [392], S. 116f. 100 Vgl. für den Abschnitt Dan Todman: [522], S. 1; vgl. Abbildung 15. 101 Ebd.
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Ebenso untrennbar mit dem Ersten Weltkrieg verbunden sind die Materialschlachten und das schiere Ausmaß des Krieges hinsichtlich des Personaleinsatzes, der Logistik und der Geografie.102 Die Anonymität, die dadurch beim Töten des Gegners und der Vernichtung entstand, brachte »eine ganz eigene Gewaltökonomie«103 hervor, bei der »[n]icht die individuellen Opfer, sondern die demografische Abstraktion […] in den Vordergrund«104 rückte, so Jörn Leonhard. Die »Unsichtbarkeit des Gegners, die permanente Todesdrohung und die Kontingenz, das massenhafte Verschwinden der Körper, die Trauer ohne Körper«105 , machte die physische Gewalt attraktiv, »die vor allem aus der Distanz zwischen Waffen und Tötungsräumen entstand«106 . Der einzelne getötete Soldat geriet dabei aus dem Blick und so konnte der Erste Weltkrieg zu dem Vernichtungskrieg werden, der er war.107 Letztlich betraf der Vernichtungskrieg an der Westfront, gemäß den Ausführungen von Alan Kramer, allein in Frankreich ein Gebiet, das mehr als doppelt so groß als Wales war. 600.000 Hektar Wald wurden zerstört und eine Fläche größer als der Großraum London wurde kontaminiert, so dass eine wirtschaftliche Nutzung erst wieder in den 1980er Jahren möglich wurde. Darüber hinaus waren der Vieh- und Ackerlandbestand, Flüsse und Fischereien verseucht und vernichtet worden, ebenso wie über 480.000 Häuser, darunter auch historisch und künstlerisch bedeutsame Gebäude und Industrieanlagen. Noch schlimmer als Frankreich war Belgien betroffen, das entweder Besatzungsoder Kampfzone war, und in dem über 70.000 Häuser dem Erdboden gleich gemacht und über 200.000 beschädigt wurden, darunter die Städte Ypern und Löwen mit ihrer mittelalterlichen Bebauung. Für die Ostfront gibt es kaum Informationen, wieviel Schaden in Polen oder im Westen Russlands entstand, lediglich für Galizien und die Bukowina nennt Kramer die Zahl von 344.000 zerstörten Häusern.108 Die Vernichtung menschlichen Lebens ging sogar in die Millionen. Deutschland allein entsandte elf Millionen und Großbritannien einschließlich seines Empires 7,4 Millionen Soldaten. Von den insgesamt fast 45 Millionen, die die am Krieg teilnehmenden Nationen in die Schlachten und Schützengräben schickten, so Volker Berghahn, starben über zehn Millionen.109 Die Schlacht an der Somme ragt dabei als trauriger Spitzenreiter besonders heraus. Hier hatten die Alliierten allein am ersten Tag der Schlacht etwa 20.000 Tote zu beklagen. Am Ende der Somme-Schlacht standen auf beiden Seiten 1,33 Millionen gefallene und verwundete Soldaten auf den Opferlisten. Ähnliche Opferzahlen waren auch in den Flandern-Schlachten zu beziffern. So seien in der sogenannten Loretto-Schlacht 11.600 Soldaten in nur 15 Stunden, bei Loos über 8.000 Soldaten in lediglich drei Stunden gefallen, und bei Passchendaele fielen in ebenfalls nur drei Stunden sogar 13.000 Soldaten.110 Bereits Ende 1914, nach den ersten fünf Mo102 103 104 105 106 107 108 109 110
Vgl. ebd., S. 3. Jörn Leonhard: [469], S. 1000. Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. ebd. Zu den Angaben vgl. Alan Kramer: [456], S. 314. Vgl. Volker Berghahn: [361], S. 380f. Vgl. ebd.
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naten des Ersten Weltkrieges, war mit über 850.000 Verwundeten die Hälfte der BEF schon kriegsunfähig. Die Franzosen erlitten in nur vier Tagen im Zuge der Gegenoffensive im August 1914 gegen die Deutschen schon 40.000 Opfer, die sich bis Jahresende um weitere 100.000 erhöhten.111 Berghahn sieht die verheerenden Opferzahlen als Folge des industrialisierten Massenkrieges. Aber nicht nur dieser forderte seine Opfer, auch im Nahkampf starb eine Großzahl an Soldaten. Auf britischer und französischer Seite kamen auf 1.000 Soldaten 86 aus unmittelbarer Nähe getötete Soldaten, auf deutscher Seite 53. Berghahn erwähnt, dass sich die Briten und Franzosen als besonders »willig«112 und begierig zeigten, deutsche Soldaten im Nahkampf zu töten und verweist dafür auf eine Studie von Joanna Bourke.113 Mit der Somme und Verdun haben sich zwei Schlachtorte ganz besonders in das Gedächtnis der kriegsbeteiligten Nationen eingegraben.114 Die Somme war für Großbritannien die »›blood mill‹«115 , ähnlich wie Verdun für die Franzosen und die Deutschen – Monate unerlässlichen Granaten- und Bombenhagels, zerstörte Landschaften, massenhaft Tote aufgrund eines industrialisierten Krieges, der kaum Land oder strategische Gewinne brachte, so Alan Kramer.116 Am 21. Februar 1916 begannen die Deutschen bei Verdun aus über 1.200 Artilleriegeschützen auf einer Frontlinie von 13 Kilometern die feindlichen Linien zu beschießen;
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Für die Zahlenangaben vgl. ebd. Aber nicht nur an der Westfront trug die Gewalt in massenhaft getöteten Soldaten ihre makabren Früchte. Die Forschung hat in neueren Untersuchungen auch für die Ostfront verheerende Opferzahlen erhoben, die noch höher geschätzt werden als die im Westen. Auf russischer Seite seien bis Jahresende 1914 etwa 1,2 Millionen von einer 3,3 Millionen Mann starken Armee gefallen und auf Seiten Österreich-Ungarns nennt Berghahn allein für die ersten drei Monate im Jahr 1915 eine sehr hohe Opferzahl von 800.000. Für Deutschland und Frankreich hält Berghahn die folgenden Gesamtzahlen allein an gefallenen Soldaten für gesichert: 2,03 Millionen Deutsche und 1,32 Millionen Franzosen. Hinzuzuzählen seien 1,1 Millionen Gefallene der k.u.k. Armee und mindestens 1,81 Millionen russische Soldaten, deren Opferzahlen Berghahn jedoch noch weiteraus höher schätzt. Für Großbritannien und die Armee des Empires nennt Berghahn keine Gesamtzahlen. Vgl. ebd., S. 381f. Zum Ersten Weltkrieg und den Verlusten in den Flandernschlachten insbesondere an der Marne erschien, jedoch für die Ausstellungskuratoren nicht mehr berücksichtigbar: Holger Herwig: Marne 1914. Eine Schlacht, die die Welt veränderte? (= Zeitalter der Weltkriege 13), Paderborn 2016. Volker Berghahn: [361], S. 382. Vgl. für den Abschnitt ebd. »Im Nahkampf getötet zu haben, war Anlass zum Feiern. Die Leichen wurden als Trophäen zur Schau gestellt. Auch die Scharfschützen, die überall auf die geringste Bewegung in den gegenüberliegenden Schützengräben lauerten, waren über jeden Kopfschuss erfreut« (Ebd.), so Berghahn. Weiterführend hierzu bei Joanna Bourke: An Intimate History of Killing. Face-to-Face Killing in Twentieth Century Warfare, Nachdruck, London 2000. Vgl. Alan Kramer: [456], S. 211; Günther Kronenbitter: Rezension zu: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (Hgg.): Die Deutschen an der Somme 1914-1918. Krieg, Besatzung, Verbrannte Erde, Essen 2006, in: sehepunkte 7, 5 (15. Mai 2007). URL: www.sehepunkte.de/2007/05/10072.html (24. Juli 2018). Alan Kramer: [456], S. 216. Vgl. ebd.; weiterführend zur Somme unter Berücksichtigung zahlreicher bis dahin unveröffentlichter Erfahrungsberichte von Zeitzeugen bei Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (Hgg.): Die Deutschen an der Somme 1914-1918. Krieg, Besatzung, Verbrannte Erde, Essen 2006.
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an keinem anderen Frontabschnitt waren so viele Geschütze stationiert. Die deutsche Taktik sah vor, die französischen Linien zu zermürben, die bis zu diesem Zeitpunkt bereits über 600.000 Gefallene zu verzeichnen hatten und somit ein aus deutscher Sicht gut kalkulierbarer Gegner waren. Bei Verdun wendete sich der Krieg vom Kampf Soldat gegen Soldat hin zum massenhaften industrialisierten Krieg. Die deutschen Militärs wollten nicht nur einen Durchbruch erreichen, sondern die gesamte französische Armee konzentrieren und bezwingen. Auf beiden Seiten fielen zwischen 340.000 und 380.000 Soldaten, da auch die Franzosen aus fast 2.000 Artilleriegeschützen erbittert auf die deutschen Stellungen feuerten.117 Am Tag der ersten Somme-Schlacht, am 1. Juli 1916, fielen allein auf britischer Seite fast 20.000 Soldaten, insgesamt gab es über 57.000 Gefallene und Verwundete. In der Zeit von Juni bis zum späten November 1916 zogen allein an der Somme, auf einer Fläche von nur 6 Kilometern Länge und 1,5 Kilometern Breite, 2,5 Millionen alliierte Soldaten in einer Reihe von massiven Angriffswellen gegen 1,5 Millionen deutsche Soldaten in die Schlacht. Am Ende wurden 1,1 Millionen Tote, Verwundete oder Gefangene beklagt. Insbesondere aus britischer Sicht steht die Somme damit sinnbildlich für ein sinnloses Abschlachten, in das die Soldaten von der Militärführung in den sicheren Tod geschickt wurden.118 Die übliche Praxis aufgrund der Erfahrungswerte aus vorherigen Kriegen war das Vorrücken in geordneten Linien. Die Offiziere, unter ihnen der britische General Haig und auch der französische General Foch, wären der Auffassung gewesen, dass ein »free-for-all«119 oder ein »›Go as you please‹«120 in die Katastrophe führen würde. Der Aufmarsch erfolgte daher gemäß der üblichen Vorgehensweise in langsamen, aber geordneten und dichten Linien. Damit wurden die Soldaten jedoch ein leichtes Ziel für den Gegner – die Sprache war von ›lions let by donkeys‹. Kramer verweist auf neuere Studien der australischen Forscher Robin Prior und Trevor Wilson, die zeigen, dass von 80 Bataillonen lediglich zwölf oder 17 gemäß der üblichen Praxis vorgegangen wären, andere Taktiken wären jedoch ebenso erfolglos geblieben, da die deutschen Maschinengewehrnester und Geschützstände intakt waren.121 Die Kampftaktik des Stellungskrieges hatte zur Folge, dass beispielsweise auf britischer Seite innerhalb von nur sieben Tagen über 1,5 Millionen Bomben und Granaten abgefeuert wurden, um die massiv gebauten Schützengräben, Unterstände und Artillerienester zu zerstören. Ende 1916 waren der ersten Somme-Schlacht auf Seiten der Briten und Franzosen fast 625.000 Mann und auf Seiten der Deutschen zwischen 465.000 und 500.000 Soldaten zum Opfer gefallen.122 Für die Briten spielte noch ein weiterer Ort eine bedeutende Rolle in der Erinnerung und der Konstruktion des Bildes vom sinnlosen Abschlachten. Passchendaele steht in der britischen Erinnerung »for suffering of biblical quality, with bloody attacks through
117
Vgl. Alan Kramer: [456], S. 216f. So sei Verdun für die Franzosen zum Symbol für den Befreiungskampf gegen die Deutschen geworden. Vgl. ebd., S. 217. 118 Vgl. die Angaben zur Somme-Schlacht ebd., S. 216f. 119 Ebd., S. 212. 120 Ebd. 121 Vgl. ebd., S. 212f. 122 Vgl. Alan Kramer: [456], S. 213.
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waist-high mud.«123 Auf beiden Seiten fielen in der dritten Flandern-Schlacht, die von Juli bis November 1917 andauerte, insgesamt über eine halbe Millionen Soldaten. Das Beispiel Passchendaele, das von britischen Truppen dem Erdboden gleich gemacht wurde, zeige aber auch, dass die Kriegstaktik der Vernichtung nicht alleiniges Privileg des deutschen Militärs gewesen war, vielmehr bedienten sich auch die Alliierten dieser Taktik, so Kramer.124 Die Kriegserfahrung war aber auch auf deutscher Seite verheerend: Durch Bombeneinschlag zerstörte Unterstände und lebend begrabene Kameraden hinterließen psychische Schockzustände, die die Überlebenden bis in die Unzurechnungsfähigkeit trieben.125 Die deutschen Soldaten waren durch den dauerhaften Bombenhagel völlig erschöpft, so dass die Armeeführung einen Aufenthalt an der Frontlinie auf 14 Tage begrenzte. Verletzte konnten oft nicht geborgen werden, da die übrigen Soldaten den Schutzunterstand nicht verlassen konnten.126 Der umstrittene deutsche Schriftsteller Ernst Jünger umschrieb seine Erfahrungen in den Schützengräben der Westfront mit dem Begriff »Stahlgewitter«127 , wobei Alan Kramer wie auch Dan Todman zur Vorsicht
123 Ebd., S. 226. 124 Zu Passchendaele vgl. ebd., S. 227; John Keegan: [442], S. 395 und generell zu Passchendaele S. 381395. 125 Vgl. Alan Kramer: [456], S. 214f. 126 Vgl. ebd., S. 215. 127 Ernst Jünger: [438]. Der Erste Weltkrieg erfuhr eine vielfältige literarische Auseinandersetzung sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien. In Großbritannien prangerten die »war poets« wie Wilfred Owen oder Siegfried Sassoon den Krieg in ihren Werken deutlich an. Dabei stand das Einzelschicksal des Frontsoldaten im Fokus. In den 1960er Jahren wurden die Werke der »war poets« als Pflichtlektüre in den Lehrplan der Sekundarschulen aufgenommen und prägten dadurch das britische Bild des Ersten Weltkrieges von Generationen. Auch in Deutschland gab es seitens der Intellektuellen und Literaten eine rege Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg. Eines der bekanntesten Werke ist der 1929 erschienene Antikriegsroman Im Westen nichts Neues von Erich Maria Remarque, der mehrfach verfilmt wurde, aber auch Ernst Jüngers In Stahlgewittern, in dem er seine Kriegserlebnisse literarisch aufgearbeitet schildert, zählt dazu. Ein Beitrag zur deutschen Intellektuellen Szene und Künstler, die im Krieg zunächst eine Chance für die Gesellschaft und die Integration des Einzelnen in die Gesellschaft sahen, findet sich bei Hew Strachan: [511], S. 171-180. Vgl. weiter bei Wolfgang Mommsen: Der Erste Weltkrieg. Anfang vom Ende des bürgerlichen Zeitalters (= Schriftenreihe 439), Frankfurt a.M. 2004, S. 155-167; Thomas Thiemeyer: [518], S. 82f; David Stevenson: [505], S. 592. Aus den literarischen Arbeiten ließen sich auch für die Geschichtswissenschaft wichtige Erkenntnisse gewinnen. Verfechter eines interdisziplinären Forschungsansatzes sind unter anderem Frank Field: British and French Writers of the First World War. Comparative Studies in Cultural History, Cambridge/New York 1991, S. 4f; Paul Fussell: [406]; vgl. auch die Arbeiten von Literaturspezialisten mit interdisziplinärer Herangehensweise, die die Wichtigkeit für Interdisziplinarität auch für Historiker aufzeigen: Holger Klein (Hg.): The First World War in Fiction. A Collection of Critical Essays, Neudruck mit Änderungen, London 1978; Peter Buitenhuis: The Great War of Words. Literature as Propaganda, 1914-18 and after, London 2 1989; vgl. zu britischen Schriftstellern und ihrer Involvierung in der Propaganda während des Krieges zwei deutsche Arbeiten: Herbert Cysarz: Zur Geistesgeschichte der Weltkriege, Bern, Frankfurt a.M. 1973; Klaus Vondung (Hg.): Kriegserlebnis. Der Erste Weltkrieg in der literarischen Gestaltung und symbolischen Deutung der Nationen, Göttingen 1980.
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raten, Berichten von Augenzeugen undifferenziert zu folgen, unabhängig ob es sich dabei um zeitgenössische Quellen oder spätere Interpretationen handelt.128 Alan Kramer folgt anderen Forschern, wie beispielsweise Gary Sheffield, darin, dass sich der erste Tag der Somme-Schlacht zwar als massives Trauma in die britische Erinnerung eingegraben habe, dies jedoch die historische Realität verschleiere. Denn dabei würden die übrigen viereinhalb Monate, die die Schlacht andauerte, ausgeblendet werden. Diese brachten jedoch einen erheblichen Lerneffekt für die Ausbildung und die Ausrüstung der Soldaten, aber auch wesentliche Verbesserungen auf operationaler und taktischer Ebene. Infolgedessen gelang es den Briten, den Deutschen die Initiative aus der Hand zu nehmen und den Krieg ab 1917 wieder mobil zu gestalten.129 Auch auf deutscher Seite hinterließ die erste Somme-Schlacht 1916 ihre Spuren. So wurden die Schwachstellen der deutschen Artillerie, der mangelnde Nachschub an Munition und die unzureichende Luftunterstützung von der Offensive der Alliierten deutlich aufgedeckt. Die Folgen, die die Somme für die Deutschen brachte, reichten aber noch weiter. Zum einen erwies sich der Glaube an den unmittelbar bevorstehenden Sieg spätestens mit der Somme als Illusion. Zum anderen führte die Somme-Schlacht zum Umdenken hinsichtlich des Einsatzes an Soldaten, Munition und Waffen. Die Waffenproduktion wurde enorm angekurbelt.130 Die Soldaten an der Front wurden zurückgezogen, um aus möglichst großer Entfernung dem Feind mit einem Inferno an Artillerie entgegenzutreten – Waffen, Maschinen und Munition sollten die Soldaten ersetzen. Gleichzeitig wurden spezialisierte Sturmtrupps eingesetzt, die mit Dolchen, Handgranaten und leichten Maschinengewehren ausgerüstet, an Schwachstellen in den feindlichen Linien zuschlagen sollten.131 Die Massenmobilisierung des industriellen Krieges nahm nun volle Fahrt auf. Nicht mehr der größtmögliche Aufmarsch an Soldaten spielte eine Rolle, sondern die größtmögliche Mobilisierung an Artilleriegeschützen, Mörsern und Maschinengewehren sowie Bomben und Granaten. Die Menge an eingesetzten Waffen und Munition stellte die neue Kennzahl für die Erfolgsaussichten dar und sollte den Feind zermürben und abnutzen. Zum Abnutzungskrieg zählte auch das beim Rückzug preisgegebene Land zu zerstören. Ganze Orte, die komplette Infrastruktur an Straßen oder Wasserleitungen, aber auch Obstbäume wurden gesprengt, abgerissen und dem Erdboden gleichgemacht
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Vgl. Alan Kramer: [456], S. 214; Dan Todman: [522], S. 10f. Ernst Jünger beschrieb seine Erfahrungen folgendermaßen: »Der Hohlweg erschien nur noch als eine Reihe riesiger, mit Uniformstücken, Waffen und Toten gefüllte Trichter; das umliegende Gelände war, soweit mein Blick reichte, völlig von schweren Granaten umgewälzt. […] Zwischen den lebenden Verteidigern lagen die toten. Beim Ausgraben von Deckungslöchern bemerkten wir, daß sie in Lagen übereinandergeschichtet waren. Eine Kompanie nach der anderen war, dicht gedrängt im Trommelfeuer ausharrend, niedergemäht, dann waren die Leichen durch die von den Geschossen hochgeschleuderten Erdmassen verschüttet worden, und die Ablösung war an den Platz der Gefallenen getreten. Nun war die Reihe an uns.« Ernst Jünger: [438], S. 101f. 129 Vgl. Alan Kramer: [456], S. 214. 130 Vgl. für den Abschnitt ebd., S. 216 und S. 221f. 131 Vgl. für den Abschnitt Alan Kramer: [456], S. 222f und S. 225.
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und die Einwohner deportiert, um so vorrückenden feindlichen Einheiten jegliche Versorgungsgrundlage, Rückzugs- und Schutzmöglichkeiten zu entziehen.132
Gaskrieg »Waffen, Geschoss[e] und Stoff[e], die ›geeignet sind, unnötiger Weise Leiden zu verursachen‹«133 , waren gemäß der Haager Landkriegsordnung (HLKO) bereits 1899 und 1907 verboten worden.134 Die Einschränkung auf ›unnötig hervorgerufenes Leid‹ sollte den Einsatz von Kriegsmitteln, die dieser Einschränkung nicht entsprachen und sich durch hohe Effizienz auszeichneten, dennoch ermöglichen.135 Verboten war dabei der Einsatz von Giften und Giftgasgeschossen. Einige darunter auch die deutsche Militärführung interpretierten den Wortlaut der HLKO jedoch dahingehend, dass zwar ein versteckter oder heimlicher Einsatz verboten, aber ein offener Einsatz von Kampfgasen nicht ausgeschlossen wäre. Infolgedessen setzten die Deutschen im April 1915 bei Ypern erstmals tödliche Kampfgase ein.136 Die Briten und Franzosen zogen im September 1915 nach und setzten ebenfalls Giftgas mit der Argumentation ein, dass »Giftgase zwar grausam und verboten, aber als Mittel für gleichwertige Repressalien geeignet«137 wären. Obwohl die HLKO den Begriff ›Repressalien‹ nicht vorsah, galt der Konsens, dass Kriegsgegner zuvor begangene Verstöße gegen das Völkerrecht mit gleichartigen Vergeltungsmaßen ahnden dürften.138 So wendeten im Ersten Weltkrieg sowohl die Mittelmächte als auch die Alliierten entsprechend gewählte Vergeltungsmaßnahmen an.139 Die völlig neuartige Waffe kam erstmals in der zweiten Flandernschlacht bei Ypern zum Einsatz. General Falkenhayn hatte zunächst Gas eingesetzt, um eine Truppenverlagerung von der West- an die Ostfront bei Gorlice-Tarnów zu verschleiern.140 Der Einsatz von Gas in Flandern diente sowohl zu Testzwecken, denn anders als bei vorherigen deutschen Gasangriffen im Osten kam bei Ypern erstmals Kampfgas zum Einsatz, das eine tödliche Wirkung hatte, als auch dazu, den Druck auf die französischen und
132 133
Vgl. ebd., S. 223f. Alan Kramer: Art. »Kriegsrecht und Kriegsverbrechen«, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, hg.v. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz, aktualisierte und erw. Studienausgabe, Paderborn u.a. 2009, S. 288. 134 Die HLKO regelt das Rechtsverhältnis von Kriegführenden und Nicht-Kriegführenden, den Umgang mit Kriegsgefangenen, die Einschränkung von Mitteln, den Feind zu schädigen, die Tötung von Verwundeten, Unbewaffneten und Wehrlosen und verbot die Verwendung von Gift und Giftgas. Sie untersagt Plünderungen und legt Regelungen für die Rechtslage im Waffenstillstand fest, ebenso wie die Anwendung von militärischer Gewalt in besetzten Gebieten und die Rechte und den Schutz der Bevölkerung. Vgl. Alan Kramer: [455], S. 281 und S. 288; Irina Renz: Art. »Haager Landkriegsordnung«, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, hg.v. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz, aktualisierte und erw. Studienausgabe, Paderborn u.a. 2009, S. 539. 135 Vgl. Alan Kramer: [455], S. 288. 136 Vgl. ebd. 137 Ebd. 138 Vgl. ebd. 139 Vgl. ebd. 140 Vgl. John Keegan: [442], S. 213; Christoph Gradmann: ›Vornehmlich beängstigend‹. Medizin, Gesundheit und chemische Kriegsführung im deutschen Heer 1914-1918, in: Wolfgang Eckart/Christoph Gradmann (Hgg.): Die Medizin und der Erste Weltkrieg, Pfaffenweiler 1996, S. 131.
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britischen Einheiten zu erhöhen, umso aus dem Stellungskrieg wieder einen Bewegungskrieg zu erzeugen.141 Das eingesetzte Chlorgas, das als Abfallprodukt bei der chemischen Herstellung von Düngemitteln anfällt, führt zur Überproduktion von Flüssigkeit in der Lunge und folglich zum Tod der Soldaten durch Ertrinken.142 Der Kampfgaseinsatz am 22. April 1915 in Form einer grau-grünen Wolke kam für die britischen, französischen, kanadischen und algerischen Einheiten in ihren Schützengräben unerwartet und unvorbereitet. Denn einen einige Tage zuvor abgehörten deutschen Funkspruch, dass der deutsche Chemiker Fritz Haber den Wind für ungünstig befand, konnten die Franzosen nicht zuordnen.143 Dennoch konnten die deutschen Truppen ihren Vorteil, eine sechs Kilometer lange Bresche, die den Zugang nach Langemarck eröffnete, nicht nutzen, so dass beim nächsten Angriff zwei Tage später das Chlorgas bereits identifiziert und einfachste Schutzmaßnahmen auf alliierter Seite getroffen worden waren.144 John Bourne beurteilt den deutschen Gasangriff als »verheerende[n] Fehler«145 , hatte er doch nicht nur den Zorn gegen den deutschen Feind angefacht, sondern auch die Propagandamaschinerien mit neuem Stoff hinsichtlich der Boshaftigkeit der Deutschen versorgt.146 Da die Verwendung von Giftgas als Kampfmittel durch die HLKO verboten war, nutzte die alliierte Propaganda die chemische Kriegsführung der Deutschen für ihre Zwecke.147 Am bedeutendsten schätzt Bourne ein, dass mit dem deutschen Giftgaseinsatz den Gegnern ebenfalls der Einsatz von Giftgas und chemischen Waffen ermöglicht wurde, ohne dafür moralisch verurteilt zu werden.148 Problematisch blieb der Gaseinsatz aber auch für diejenigen, die es als Waffe nutzten, war doch der Einsatz abhängig von den Windverhältnissen und bedrohte damit auch die eigenen Reihen.149 Im Gaskrieg kam es darauf an, schnellstmöglich zu erkennen, um welches Gas es sich handelte, um entsprechende Maßnahmen ergreifen zu können.150 Neben Chlorgas wurden auch Phosgen- und Senfgas zum Einsatz gebracht.151 Chlorgas war an seiner gelblich-grünen Farbe erkennbar, Phosgen hingegen war am Geschmack und Geruch »nach faulem Holz und unreifem Obst«152 erkennbar, Senfgas hingegen an seinem namensgebenden senfartigen Geruch.153 Der Senfgeruch war jedoch nur wahrnehmbar, wenn das Gas verunreinigt war. In seiner Reinform war
141 Vgl. John Keegan: [442], S. 213f; Julia Encke: [392], S. 198. 142 Vgl. John Keegan: [442], S. 214. 143 Vgl. ebd.; Julia Encke: [392], S. 197; John Bourne: Art. »Flandern«, übers. v. Markus Pöhlmann, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, hg.v. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz, aktualisierte und erw. Studienausgabe, Paderborn u.a. 2009, S. 490. 144 Vgl. John Keegan: [442], S. 214f; John Bourne: [367], S. 490; Julia Encke: [392], S. 198. 145 John Bourne: [367], S. 492. 146 Vgl. ebd. 147 Vgl. Christoph Gradmann: [410], S. 132. 148 Vgl. John Bourne: [367], S. 492. 149 Vgl. ebd., S. 490. 150 Vgl. Julia Encke: [391], S. 1005; Dies.: [392], S. 199. 151 Vgl. John Keegan: [442], S. 215. 152 Zitiert nach Julia Encke: [392], S. 199. 153 Vgl. Julia Encke: [391], S. 1005; Dies.: [392], S. 199.
7. Gewalt und Grauen an der Front
es weder zu sehen noch zu riechen.154 Zu seinen Auswirkungen zählten Lungenödeme, eitrige Bronchitis oder Bronchopneumonie. Die mitunter tödliche Wirkung von Senfgas trat erst verzögert ein. Einen wirksamen Schutz gegen die Wirkung sahen Fritz Haber und seine Kollegen nicht. Vielmehr warnten sie die Militärführung, es als Kampfmittel einzusetzen, weil bei einem Einsatz auch die deutschen Truppen von der Wirkung betroffen sein konnten, da es sich lange an Ort und Stelle halten konnte.155 Julia Encke untersuchte die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges auf die Sinneswahrnehmungen, da nicht nur dem Sehen im Gaskrieg eine wichtige Bedeutung zukam, sondern auch dem Hören und dem Riechen.156 Der Kampf in den Schützengräben machte die Devise »Wer nicht sehen kann, muß hören«157 für die Soldaten zum Überlebensmotto. Im Gaskrieg wurden daher verschiedene akustische Warnsysteme wie Pfeifen, Heulsirenen, Hupen oder auch Kirchenglocken eingeführt und verwendet.158 Die Briten setzten Kanarienvögel und Mäuse zur rechtzeitigen Vorwarnung ein. Jedoch war der zeitliche Gewinn der Vorwarnung bei allen gängigen Methoden je nach Windgeschwindigkeit nur gering und lag teilweise bei nur 15 Sekunden.159 Die frühzeitige Erkennung blieb problematisch insbesondere im Hinblick auf die Geruchsschulung der Soldaten für die Erkennung von Kampfgasen.160 Das Gas war »eine Gefahr, gegen die, um ihr begegnen und sie aushalten zu können, weder Sinne ›gestählt‹ noch Körper ›mobil gemacht‹ werden können.«161 Problematisch war zudem, dass die Schutzausrüstungen, wie Gasmasken oder abgedichtete Schutzanzüge, dazu führten, dass den Soldaten mit der Abdichtung die Wahrnehmung, was um sie herum vorging, massiv eingeschränkt wurde.162
154 155
Vgl. ebd., S. 1005; Dies.: [392], S. 202. Vgl. Julia Encke: [392], S. 202f. Nach heutigen Erkenntnissen boten die Gasmasken einen Schutz, da der Kampfstoff die Masken nicht durchdringen konnte. Allerdings durchdrang der Kampfstoff die Uniformen und Stiefel und kam aufgrund der Sesshaftigkeit im Gelände letztlich doch zur Wirkung. Vgl. hierzu ebd., S. 203. 156 Vgl. Julia Encke: [391], S. 1004. 157 Zitiert nach ebd. 158 Vgl. Julia Encke: [392], S. 201. 159 Vgl. ebd., S. 200. Besondere Warnlaute für die unterschiedlichen Kampfstoffe gab es nicht, jedoch konnte aufgrund der verwendeten Signale zwischen verschiedenen Angriffsarten unterschieden werden. Beispielsweise hatten die Franzosen für Blas- oder Gaswerferangriffe lange und kurze Töne signalisiert. Auf russischer Seite wurden sogenannte Gaswahrnehmungsapparate aufgestellt, deren Detektoren Chlorspuren in der Luft wahrnahmen und die einen Alarm oder ein Lichtsignal zur Warnung absetzten. Auf französischer Seite wurden geruchssensible Männer an den Frontabschnitten zur Erkundung eingesetzt. Die Schwierigkeit der frühzeitigen Erkennung und das rechtzeitige Ergreifen von Schutzmaßnahmen wurden durch die Verwendung von Gaskombinaten jedoch erschwert. Das sogenannte Buntkreuzschießen, das Fritz Haber und der Gasartillerieexperte Georg Bruchmüller einführten, hatte zur Folge, dass der eine Kampfstoff den Filter der Atemschutzmaske überwinden konnte. Infolgedessen rissen sich die betroffenen Soldaten aufgrund einsetzender Atemnot, Niesen und Erbrechen, die Masken vom Gesicht, um dann schutzlos dem zweiten chemischen Kampfstoff ausgesetzt zu sein. Vgl. ebd., S. 199-201. 160 Vgl. ebd., S. 201. 161 Ebd. 162 Vgl. Julia Encke: [391], S. 1006.
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Europäisierung des Gedenkens?
Christoph Gradmann setzt bei der Frage an, welche medizinischen Probleme der Gaskrieg mit sich brachte, wobei er medizinhistorische Erkenntnisse in einen engen Zusammenhang mit der neueren Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkrieges stellt.163 Der Gaskrieg unterschied sich, wie der Krieg an der Westfront allgemein, »von der sozialen Wirklichkeit der Heimat«164 ganz grundsätzlich und für zahlreiche Soldaten kennzeichnete er den Krieg als irreales Erlebnis.165 In diesem Sinn stellte der Gaskrieg einen »Bruch mit den Wahrnehmungsgewohnheiten als Entfremdung besonders intensiv«166 dar. Die Veränderung des Raumes, dass mit Gas beschossene Gebiete selbst tödlich wurden und nicht mehr nur der direkte Schuss, trug zu der entfremdenden Wahrnehmung besonders bei. »Der Anblick gasmaskentragender Soldaten, die in den Schwaden der Kampfstoffe umhertappten, vertiefte zusätzlich den Eindruck der Irrealität des Kampfgeschehens«167 als ein »›Karneval des Todes‹«168 . Das Tückische am Kampfgas war aus medizinischer Sicht die verzögerte Wirkung, die es teilweise unbemerkt, wie im Falle von Senfgas, erst im Laufe von Stunden, Tagen oder Wochen entwickelte.169 Gradmann spricht von einem »Psychodrom der Angst«170 , das sich bei den Soldaten entwickelte. Die psychischen Folgen erachtet er als nicht weniger gefährlich als die körperlichen Krankheitssymptome.171 Des Weiteren spricht Gradmann von der »Terrorisierung des Gegners, die auf den Tod einiger und die Qual und Beängstigung der Vielen zielt, als Funktionsprinzip einer in diesem Sinne inhumanen Waffe.«172
7.3 7.3.1
Analyse Geschichtsbild Forschung zu ›Gewalt und Grauen an der Front‹
Materialschlachten, Vernichtungskrieg, Schützengräben, von Granaten zerfurchte Landschaften Dan Todman schrieb, »[w]ithout mud, it wouldn’t be the First World War.«173 Jedenfalls ist das Bild auf britischer Seite geprägt von den Eindrücken der Soldaten an der Westfront, wo der Großteil der BEF im Einsatz war. Forscher wie Todman haben sich mit den Eindrücken der Soldaten an der Westfront beschäftigt und prägten damit auch 163 Vgl. Christoph Gradmann: [410], S. 131 und S. 153. 164 Ebd., S. 153. 165 Vgl. ebd. Gradmann verweist an dieser Stelle auf Modris Eksteins, der die verwüsteten Landschaften und den ständigen Granat- und Gewehrbeschuss an der Westfront als ein Infragestellen von gängigen Raumvorstellungen herausarbeitete. Vgl. ebd.; weiterführend hierzu: Modris Eksteins: Tanz über Gräben. Die Geburt der Moderne und der Erste Weltkrieg, Reinbek bei Hamburg 1990. 166 Christoph Gradmann: [410], S. 153. 167 Ebd. 168 Modris Eksteins zitiert nach ebd. Ursprünglich publiziert in Modris Eksteins: [390], S. 249. 169 Vgl. Christoph Gradmann: [410], S. 154. 170 Ebd. 171 Vgl. ebd. 172 Ebd. 173 Dan Todman: [522], S. 41.
7. Gewalt und Grauen an der Front
das Geschichtsbild. Die zerstörten Landschaften, die in Folge der Materialschlachten und der klimatischen Verhältnisse entlang der durch die Schützengräben gezogenen Frontlinie entstanden, beschäftigten auch Keegan oder Kramer und tragen somit zum Bild bei, dass ohne die verschlammten Landschaften der Erste Weltkrieg nicht derselbe wäre.174 Den industrialisierten Massenkrieg, der die Zerstörung der Landschaften und auch die Vernichtung von Millionen Menschenleben zur Folge hatte, beschrieb auch der deutsche Historiker Jörn Leonhard bildhaft als millionenfachen, massenhaften, anonymen, industrialisierten Tod mit »eine[r] ganz eigene[n] Gewaltökonomie«175 . Die Rede der Zeitgenossen von der »›blood mill‹«176 prägt somit ebenso das Geschichtsbild, das die Forschung von der Westfront zeichnete. Gleichzeitig tragen auch Begrifflichkeiten wie Materialschlacht und Vernichtungskrieg eine bildhafte Botschaft, die sowohl den Verlust der Menschenleben als auch die Zerstörung der Landschaft und der Infrastruktur insbesondere an der Westfront beschreibt.177 Ein ebenso bildhafter Begriff ist Ernst Jüngers »Stahlgewitter«178 , wenngleich Jünger nicht zur Forschung als vielmehr zur Literatur zu zählen ist und Todman und Kramer eindrücklich warnen, die Berichte von Augenzeugen zu unkritisch zu sehen.179
Gaskrieg Die Forschung befasst sich mit dem Gastkrieg, dessen Beginn sie mit dem ersten deutschen Giftgasangriff bei Ypern im April 1915 festsetzt, sowohl in den rechtlichen, moralischen, technischen als auch den gesundheitlichen Folgen.180 Im Hinblick auf die Rechtslage wurden die Regelungen der HLKO seitens der kriegsführenden Parteien zu ihrem jeweiligen Vorteil ausgenutzt, um so den Einsatz der tödlichen Kampfgase zu legitimieren. Die Propaganda sorgte auf allen Seiten dafür, dass der jeweilige Giftgaseinsatz als angemessene Vergeltungsmaßnahme gegenüber der eigenen Bevölkerung gerechtfertigt wurde, um so einer möglichen moralischen Verurteilung vorwegzugreifen.181 Der Anblick von Gasmasken tragenden Soldaten in den Kampfgasschwaden auf den Schlachtfeldern und die Wirkung dieses Anblicks auf die Soldaten unten in den Schützengräben beschäftigte die Forschung.182 Die Gefahr, die von dieser Waffe ausging, war für die meisten Soldaten nur schwer erfassbar.183 Zum einen waren Kampfgase teils kaum wahrnehmbar, kam der Einsatz oftmals ohne ausreichende Vorwarnung, wie
174
Vgl. John Keegan: [442], S. 146f, S. 191f, S. 195f und S. 381-395; Alan Kramer: [456], S. 212f, S. 216f und S. 226f. 175 Jörn Leonhard: [469], S. 1000. 176 Alan Kramer: [456], S. 216. 177 Vgl. zu den Zahlen ebd., S. 216f und S. 314 oder Volker Berghahn: [361], S. 380-382. 178 Vgl. Ernst Jünger: [438]. 179 Vgl. Dan Todman: [522], S. 10f; Alan Kramer: [456], S. 214. 180 Vgl. Alan Kramer: [455], S. 281 und S. 288; Irina Renz: [491], S. 539; John Keegan: [442], S. 213f; Christoph Gradmann: [410], S. 131; Julia Encke: [392], S. 197; John Bourne: [367], S. 490. 181 Vgl. John Bourne: [367], S. 492; Christoph Gradmann: [410], S. 132; Alan Kramer: [455], S. 288. 182 Vgl. Christoph Gradmann: [410], S. 153. 183 Vgl. ebd.
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Europäisierung des Gedenkens?
Encke herausarbeite, und zum anderen mussten Schutzmaßnahmen erst noch entwickelt werden und hinkten oftmals der Weiterentwicklung der Kampfgase hinterher.184 Auch boten die Schützengräben gegen diese Waffe keinen ausreichenden Schutz mehr. Vielmehr war das Gegenteil der Fall, da sich die Gase in den Gräben absetzten und ihre unsichtbare tödliche Wirkung über lange Zeit nicht verloren.185 Das eindrücklichste Geschichtsbild, das Forscher wie Modris Ecksteins oder Christoph Gradmann in der Beschäftigung mit dieser illegitimen chemischen Waffe geschaffen haben und das vor allem die psychische Wirkmächtigkeit des Gaskrieges illustriert, ist das Bild eines »Karneval[s] des Todes«186 , der bei den Soldaten auf allen Seiten in ein »Psychodrom der Angst«187 mündete.
7.3.2
Einordnung der Ausstellungen in die Forschung
Materialschlachten, Vernichtungskrieg, Schützengräben, von Granaten zerfurchte Landschaften In den Ausstellungen wurden Schützengräben teilweise sehr aufwendig rekonstruiert, wie der Abschnitt des Kilianstollens im MHM. Dabei waren die Schützengräben auf vielfältige Art mit der Gewalt und dem Grauen des Krieges verbunden. Gleichzeitig bildeten sie einen Schutzraum während der Materialschlachten, die die Kriegsstrategie der Abnutzung und der Vernichtung mit sich brachte.188 Zum anderen durchzogen sie das durch Granaten zerfurchte Gelände und hinterließen ebenfalls Wunden in der zerstörten Landschaft, wie durch die im IWM oder im DHM ausgestellten Arbeiten der Kriegsmaler gezeigt wurde.189 Fotografien der zerstörten Landschaften zeigten vor allem auch eines: Schlamm, allgegenwärtiger Dreck und stehendes Wasser in den Schützengräben und Granattrichtern. Die exemplarisch vorgestellten Ausstellungen im IWM, im DHM und im MHM griffen dieses Bild auf und folgten in diesem Punkt Dan Todman und Alan Kramer. Der Schlamm und der Dreck in den Schützengräben und dem zerstörten Gelände setzten sich als Geschichtsbild für die Gewalterfahrungen und die Brutalität des Kampfes an der Westfront im kollektiven Gedächtnis fest.190 Todman schlussfolgert, »[w]hithout mud, it wouldn’t be the First World War.«191 184 185 186 187 188
Vgl. Julia Encke: [391], S. 1004 und S. 1006; Dies.: [392], S. 199-201. Vgl. Christoph Gradmann: [410], S. 154. Modris Eksteins: [390], S. 249. Christoph Gradmann: [410], S. 154. Vgl. Alan Kramer: [456], S. 224; Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext [35]; Thomas Weißbrich: [297], S. 50f; Imperial War Museum (Hg.): Exponattext [129]; Id. (Hg.): Bereichstext [97]. 189 Vgl. unter anderem bei Dan Todman: [522], S. 40; Anton Holzer: [431], S. 9; John Keegan: [442], S. 147 und S. 191f; Alan Kramer: [456], S. 213. 190 Vgl. Dan Todman: [522], S. 1, S. 8-11 und S. 40; Alan Kramer: [456], S. 214. Unter anderem in folgenden Exponat- und Ausstellungstexten sowie in den Begleitpublikationen: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Exponattext [18]; Imperial War Museum (Hg.): Exponattext [129]; Id. (Hg.): Zusammenfassung [157]; Id. (Hg.): Zusammenfassung [155]; Id. (Hg.): Sektionstext [140]; Id. (Hg.): Bereichstext [97]; Paul Cornish: [243], S. 185; Gerhard Bauer: Bereichstext [227], S. 126; Michaël Landolt u.a.: [267], S. 246 und S. 248f. 191 Dan Todman: [522], S. 41.
7. Gewalt und Grauen an der Front
Insbesondere die zwei exemplarisch vorgestellten deutschen Ausstellungen im DHM und im MHM verfolgten den von Jörg Leonhard diskutierten Ansatz der ›Dynamik der Gewalt‹.192 Sowohl Leonhard als auch Kramer sehen in der Anonymität des Tötens über lange Distanzen hinweg, das erst durch den technisierten und massenhaften Einsatz von Artilleriegeschützen, Granaten oder Gewehren möglich war, die volle Entfaltung der Materialschlacht.193 Die Materialschlacht, so zeigten es auch die Ausstellungen, äußerte sich in Millionen Toten, hunderttausenden zerstörten Häusern und verwüsteten Landschaften.194 Der Mensch galt bis zu den Schlachten bei Verdun und an der Somme ebenfalls nur als Material. Ab diesen Wendepunkten erkannte das Militär sowohl auf britischer als auch auf deutscher Seite, dass im Rahmen des Abnutzungskrieges ein Sieg jedoch nur mit der schieren Masse an Waffen und Munition zu erreichen wäre. Die Soldaten wurden ab da vor allem als Stoßtrupps zum Kampf Mann gegen Mann in die feindlichen Schützengräben geschickt, so Alan Kramer.195 Auch dieser Aspekt wurde in den Ausstellungen aufgenommen, sei es im IWM, im DHM oder im MHM, durch die zahlreichen Hand- und Artilleriegranaten in allen Kalibern und sonstigen Hand- und Feuerwaffen. Die Figurine im IWM, die einen Stoßtruppsoldaten in Aktion zeigte, oder Geschütze und Panzer, teils als Miniaturmodelle, wurden ebenso zur Illustrierung der Materialschlachten gezeigt.196 Verdun, die Somme, aber auch die Flandernschlachten bei Ypern oder Passchendaele gruben sich als Trauma des industrialisierten Massenkrieges besonders in die Erinnerung ein, wie nicht nur Kramer und Sheffield aufzeigten.197 Die deutschen und britischen Ausstellungsmacher thematisierten dieses Trauma, in dem sie die Schlachtorte der Westfront in ihre Ausstellungsnarrative integrierten und ihnen eigene Bereiche widmeten.
Gaskrieg Die Ausstellungen thematisierten ebenfalls, dass das Leben in den Schützengräben besondere Herausforderungen mit sich brachte, dass insbesondere die Sinne geschult werden mussten, um sich beispielsweise rechtzeitig vor einem Gasangriff oder auch einer kurz vor der Explosion stehenden Mine zu schützen, wie Julia Encke ausführlich in ihrer Studie aufzeigte.198 Zwar war der Einsatz chemischer Kampfstoffe durch
192
Vgl. Jörn Leonhard: [469], S. 1000; Gerhard Bauer: [229], S. 10f; Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 39; Dies.: Experteninterview DHM [214], S. 8f; Thomas Weißbrich: [297], S. 51. 193 Vgl. Jörn Leonhard: [469], S. 1000; Alan Kramer: [456], S. 222f. 194 Vgl. Alan Kramer: [456], S. 212f, S. 217, S. 222f und S. 314; Volker Berghahn: [361], S. 380f. 195 Alan Kramer: [456], S. 214, S. 216 und S. 221-226. Vgl. hierzu auch folgende Exponat- und Ausstellungstexte: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext [30]; Dies. (Hg.): Sektionstext [33]; Dies. (Hg.): Sektionstext [35]. 196 Vgl. unter anderem Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext [35]; Thomas Weißbrich: [297], S. 50f; Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [91]; Id. (Hg.): Bereichstext [94]; Id. (Hg.): Bereichstext [104]; Id. (Hg.): Exponatgruppentext [119]; Id. (Hg.): Zusammenfassung [162]; vertiefend auch in der Begleitpublikation Paul Cornish: [243]; im Falle des MHMs sei zudem auf den Ausstellungskatalog verwiesen Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): [224]. 197 Vgl. Alan Kramer: [456], S. 214. 198 Vgl. Julia Encke: [392], S. 117-120 und S. 122.
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Europäisierung des Gedenkens?
die HLKO verboten, trotzdem verwendeten die deutschen Truppen Giftgas, um wieder Bewegung in den Stellungskrieg zu bringen.199 Da die Franzosen zuvor Tränengas eingesetzt hätten, sah die deutsche Armeeführung dies als Rechtfertigung, ebenfalls Gas als Kampfmittel zu nutzen – wenngleich Chlorgas um ein Vielfaches gefährlicher war als das von den Franzosen eingesetzte nicht tödliche Tränengas, so Thomas Weißbrich in der Begleitpublikation zu 1914-1918. Der Erste Weltkrieg.200 Das DHM nutzte für die Darstellung der Hintergründe zum ersten Giftgaseinsatz der Deutschen vor allem die Begleitpublikation.201 Alan Kramer spricht in seiner Untersuchung lediglich davon, dass die alliierten Truppen erst im September 1915 mit eigenen Giftgasangriffen konterten, was insofern dem Prinzip der gleichartigen Vergeltungsmaßnahmen entsprochen hätte.202 Hier folgt auch das IWM der Forschung von Kramer und Keegan. Im Bereichstext hieß es, dass beim ersten Giftgaseinsatz im April 1915 die Deutschen eine Chlorgaswolke auf die alliierten Truppen bei Ypern geblasen und die Alliierten im September mit einem eigenen Gasangriff zurückgeschlagen haben. Im weiteren Kriegsverlauf habe sich der Einsatz von Kampfgasen noch intensiviert.203 Von einem Tränengasangriff durch französische Truppen vor dem Deutschen Giftgasangriff im April 1915 berichtete das IWM nicht, vielmehr hoben die Ausstellungsmacher darauf ab, dass das deutsche Militär Mittel und Wege suchte den Stellungskrieg wieder in einen Bewegungskrieg zu wandeln, wie es auch Keegan und Encke sehen.204 Paul Cornish schließt sich im Begleitband zu den First World War Galleries der Sicht von Keegan und Gradmann an, dass es sich bei dem Gasangriff bei Ypern um eine Ablenkungsmaßname für den Truppenabzug an der Ostfront handelte.205 Cornish stellt ebenfalls dar, dass die deutsche Industrie und Wissenschaft Gas als humanes Kampfmittel propagierte, da das Gas im Hinblick auf die Gesamtzahl der gefallenen Soldaten nicht die tödliche Wirkung entfaltete wie herkömmliche Waffen.206 Der Tatsache, dass die Gegner den deutschen Giftgaseinsatz als Vorwand ausnutzten, um ebenfalls Giftgas zum Einsatz zu bringen, wie John Bourne kritisch festhält, folgten weder das DHM noch das IWM in ihren Darstellungen.207 Die Bedeutung von Schutzmaßnahmen gegen die Kampfgase wurde in beiden Ausstellungen hervorgehoben und durch verschiedene Arten von Gasmasken und anderen Ausrüstungsgegenständen zum Schutz der Soldaten dargestellt. Die Bedeutsamkeit ei-
199 Vgl. John Keegan: [442], S. 213; Julia Encke: [392], S. 198; Alan Kramer: [455], S. 288; Thomas Weißbrich: [297], S. 50; Ders.: [298], S. 72. 200 Vgl. Thomas Weißbrich: [298], S. 72. 201 Vgl. ebd., S. 72f. 202 Vgl. Alan Kramer: [455], S. 288. 203 Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [90]; Alan Kramer: [455], S. 288; John Keegan: [442], S. 214. 204 Vgl. Paul Cornish: [243], S. 73; John Keegan: [442], S. 213f; Julia Encke: [392], S. 198. 205 Vgl. Paul Cornish: [243], S. 73; John Keegan: [442], S. 213; Christoph Gradmann: [410], S. 131. 206 Vgl. Paul Cornish: [243], S. 73. 207 Vgl. John Bourne: [367], S. 492.
7. Gewalt und Grauen an der Front
nes rechtzeitigen Erkennens eines Gasangriffs wurde von den Ausstellungen anhand von Exponaten, wie einer Gasglocke, kontextualisiert und hervorgehoben.208 Deutlich wurde sowohl in der Ausstellung des DHMs als auch des IWMs, dass der Gaskrieg, wie es Christoph Gradmann ausdrückt, bei den Soldaten ein »Psychodrom der Angst«209 auslöste. Auch dass die vermeintliche Sicherheit der Schützengräben vor feindlichen Granaten nicht mehr länger gegeben war, wie Paul Cornish festhält, sondern die Gräben und Unterstände vielmehr selbst zur Falle werden konnten, veranschaulichte die Gasmaskeninstallation des DHMs.
7.3.3
Geschichtsbild Ausstellungen zu ›Gewalt und Grauen an der Front‹
Materialschlachten, Vernichtungskrieg, Schützengräben, von Granaten zerfurchte Landschaften Die untersuchten Ausstellungen in Deutschland und Großbritannien hatten alle die verheerende Gewalt der industrialisierten Materialschlacht mit ihren Millionen Opfern und die damit einhergehenden grauenvollen Erfahrungen der Soldaten thematisiert. In Dresden und in Berlin wurden die ›Dynamik der Gewalt‹ und der Krieg als ›Katalysator der Gewalt‹ zu Leitnarrativen der Ausstellungen erhoben. Sowohl die britischen als auch die deutschen Museen zeigten auf, dass die Militärführungen auf beiden Frontseiten aus den Schlachten an der Somme und bei Verdun die Erkenntnis gewannen, dass der Krieg an der Westfront nur mit einem massenhaften Einsatz von Granaten und Salven der Artilleriegeschütze und Maschinengewehre zu gewinnen wäre. Exponate zur Kontextualisierung der Materialschlacht waren demnach Granaten in allen möglichen Größen und Ausführungen, Artilleriegeschütze, Mörser, Gewehre, Flammenwerfer, Messer oder auch Panzer. Auch eine besondere Inszenierung der Exponate wurde, wie am Beispiel der Figurine des Stoßtruppsoldaten im IWM, geboten. Die Figurine verbildlichte auch im wörtlichen Sinn den aggressiven letzten Angriff der Deutschen in der Großoffensive am 21. März 1918 und sorgte damit für ein »emotional involvement of visitors«210 . Daneben wurden Fotografien, Gemälde, Tagebucheinträge, Feldpost, Zitate, aber auch Filmmaterial wie The Battle of the Somme gezeigt, in denen die durch diese Waffen ausgelöste Gewalt bildhaft dargestellt war. Auch die zerstörte Landschaft, als bildlicher Ausdruck von Gewalt, wurde mittels Fotografien und Filmmaterial gezeigt und zudem mit Gemälden der Militärkriegsmaler Paul Nash oder Franz Roubaud illustriert. Inmitten der zersplitterten und zerschossenen Landschaft, die aus einer Aneinanderreihung von unzähligen Granatentrichtern bestand, durchschnitten die Schützengräben das Gelände. Diese sollten einerseits Schutz vor dem Artilleriefeuer gewähren, konnten aber gleichzeitig zur Falle werden, wie der im MHM rekonstruierte Kilianstollen in seiner klaustrophobischen Enge in Erinnerung rief.211
208 Vgl. Julia Encke: [391], S. 1005; Dies.: [392], S. 199-203; Thomas Weißbrich: [297], S. 72; Paul Cornish: [243], S. 73; John Keegan: [442], S. 73-77. 209 Christoph Gradmann: [410], S. 154. 210 Zitiert nach James Wallis/James Taylor: [529], S. 106. 211 Vgl. Gerhard Bauer: [229], S. 12.
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Europäisierung des Gedenkens?
Den bildhaften Ausdruck der Gewalt und des Grauens zeigten die Museen in den fotografischen und filmischen Darstellungen der zerschossenen und von Granattrichtern und Schützengräben durchzogenen Landstriche an der Westfront. Das Inferno der Materialschlacht – der ›Blutmühle‹ des Vernichtungs- oder Abnutzungskrieges –, das diese unwirtliche und fürchterliche Landschaft erzeugt hatte, hatte auch Millionen Soldaten grauenhaftes physisches wie psychisches Leid und einen gewaltsamen Tod gebracht. Dieses Geschichtsbild der Materialschlacht, in dem der Kampfkraft des Einzelnen innerhalb der Masse nur noch wenig Bedeutung zugestanden wurde, zeigten die Ausstellungen alle auf.
Gaskrieg Mit dem am 22. April 1915 eingeleiteten Gaskrieg entstanden für die Soldaten ein neuer Schrecken und ein bis dahin unbekanntes Grauen. Symbolisch inszeniert wurde dieser Schrecken insbesondere in der Ausstellung des DHMs. Gasmasken kontextualisierten dabei nicht nur die sachliche Bedeutung der Gasmasken als Schutzmaßnahme, sondern auf einer abstrakten Ebene standen sie für die Furcht vor schmerzhaften Verwundungen und dem Tod, den das Gas oftmals unbemerkt brachte.212 Das IWM zitierte hierzu Beschreibungen der Zeitgenossen, die die Masken mit schrecklichen dämonischen Fratzen verglichen.213 Die Museen blieben trotz der Einbeziehung von zeitgenössischen Zitaten noch innerhalb der von Jay Winter postulierten Grenzen der Ausstellbarkeit von Krieg und Gewalt, und zwar ohne damit eine ›Pseudo-Realität‹ zu erzeugen.214 Die First World War Galleries und in gewissem Umfang auch Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne versuchten die traditionelle Herangehensweise des Kurators als allwissenden Erzähler durch den zusätzlichen Blickwinkel der Zeitzeugen zu ergänzen. Dafür wurde im IWM das Konzept der »contemporaneity« und im HdG das Pepper’s-Ghost-Verfahren eingesetzt215 , indem Frontsoldaten wie Albrecht von Thaer, Ernst Jünger, Paul Nash, aber auch unbekannte Soldaten zitiert wurden. Damit überbrückten die Ausstellungsmacher die zeitliche Distanz zwischen der Erzählung der Ausstellung und dem tatsächlichen Geschehen, die durch den Tod der letzten am Krieg teilnehmenden Soldaten und der damit fehlenden »living memory« entstand.216 Thomas Thiemeyer merkt zur Stuttgarter Ausstellung an, dass durch das Pepper’s-Ghost-Verfahren die Zitate selbst zu Ausstellungsobjekten würden, und dass dadurch die »Erlebnisnähe, jene sensuelle und emotionale Eindrücklichkeit«217 den Besuchern vermittelt wurde, die durch die hinweggestorbenen Zeitzeugen fehle. Er sieht dies als »passende[n] Kunstgriff einer Präsentation, die Wahrnehmungen dingfest machen will und die Vergänglichkeit des Menschen im Krieg als unterschwelliges Narrativ stets mitführt.«218 212
Vgl. Pierre Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, übers. v. Wolfgang Kaiser, ungekürzte Lizenzausgabe, Frankfurt a.M. 1998, S. 32f. 213 Vgl. Paul Cornish: [243], S. 76. 214 Vgl. Jay Winter: [537], S. 37. 215 Vgl. James Wallis/James Taylor: [529], S. 106. 216 Vgl. ebd. 217 Thomas Thiemeyer: [520]. 218 Ebd.
7. Gewalt und Grauen an der Front
Die Verortung der Zeitzeugenaussagen und der Exponate in den Ausstellungskontext erfolgte durch das kommentierende Beschreiben und Erläutern der Ausstellungsmacher. Damit blieb zum einen die notwendige Distanz gewahrt und zum anderen wurde eine ›Pseudo-Realität‹ verhindert. Im Fall der exemplarisch vorgestellten Themen zur Kriegsgewalt und dem Grauen des Krieges wurde hinsichtlich der Auswahl, der Inszenierung und der Beschreibung der Exponate diese Distanz bis auf wenige Einzelfälle, wie die Figurine des Stoßtruppsoldaten im IWM, gewahrt. Die von Jay Winter aufgestellte Forderung, dass Museen sich als Frageräume im Hinblick auf die Ausstellbarkeit von Krieg und Gewalt verstehen, war damit in den Ausstellungen erfüllt.219 Es bleibt resümierend festzuhalten, dass Begriffe wie Materialschlacht, Gas- und Abnutzungskrieg und ›Blutmühle‹ das in den Ausstellungen konstruierte Geschichtsbild des Ersten Weltkrieges beschreiben. Die Gasmaskeninstallation im DHM stellte dafür ein besonders einprägsames Geschichtsbild des Grauens dar, das den Ersten Weltkrieg als »Karneval des Todes«220 treffend veranschaulichte.221
219 Vgl. Jay Winter: [537], S. 37. 220 Modris Eksteins: [390], S. 249. 221 Vgl. Paul Cornish: [243], S. 76; vgl. Abbildung 13.
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8. Leid der Zivilbevölkerung
Wie auch in vorangegangenen Kriegen hat es im Ersten Weltkrieg vielfaches Leid gegeben, jedoch mit dem Unterschied, dass es im Vergleich zu vorherigen Kriegen eine neue Dimension einnahm. Denn der neue Krieg mit seiner industriellen Prägung tötete und verwundete Millionen Soldaten. Millionenfach litt aber auch die Zivilbevölkerung in den vom Krieg unmittel- und mittelbar betroffenen Ländern, sei es durch die akute Bedrohung aufgrund von tatsächlichen Kriegshandlungen oder durch Gewalttaten, die der Krieg mit sich brachte, oder durch Maßnahmen wie die Seeblockade1 , die Leid in Form von Hunger unter der Zivilbevölkerung erzeugte. Leid entstand auch in den Familien, die millionenfach Tod, Vermisstenmeldungen, Gefangennahmen und drastische Verwundungen ihrer Väter, Brüder, Onkeln und Söhne ertragen mussten. 1
Für dieses Kapitel hätten noch einige andere Themen mehr herangezogen werden können. In der vorliegenden Untersuchung wurde beispielsweise auf eine Betrachtung der Auswirkungen der deutschen Rationierungsmaßnahmen, die der durch die Seeblockade entstandene Mangel an Produkten für den alltäglichen Gebrauch mit sich brachte, und des sogenannten Steckrübenwinters auf die Ernährungssituation verzichtet. Ob die Maßnahme der Seeblockade und der dadurch entstandene Mangel sowie die Hungersnot ein Kriegsgräuel und somit ein direktes Kriegsverbrechen darstellen, sei bei einer Seeblockade umstritten. Es sei auch umstritten, inwiefern die Hungersnot direkt auf die Seeblockade zurückzuführen sei, so Oliver Janz, oder nicht auch eine Folge von politischen Fehlentscheidungen einen totalen Krieg zu verwalten. Die Logik eines Massakers sei eine andere als die Logik eines totalen Krieges. Wobei Janz einschränkt, dass ein totaler Krieg an sich verbrecherisch sei, da er nicht allein an der Front ausgetragen würde, sondern die Bevölkerung vollständig miteinbeziehe bis hin zur totalen Ausbeutung der Ressourcen. Vgl. Gorch Pieken: Gorch Pieken im Gespräch mit Jan Peter, Yury Winterberg, Gunnar Dedio, Oliver Janz. Interviews zu »14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Essayband zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 302. Weiterführend zu Hunger, Steckrübenwinter und zur britischen Seeblockade vgl. bei Alan Kramer: [456], S. 225; Wolfgang Eckart/Christoph Gradmann (Hgg.): Die Medizin und der Erste Weltkrieg (= Neuere Medizin- und Wissenschaftsgeschichte Quellen und Studien 3), Herbolzheim 2 2003; Wolfgang Eckart: Medizin und Krieg. Deutschland 1914-1924, Paderborn 2014, S. 274-300; Roger Chickering: [372]; zum Seekrieg insbesondere in der Nordsee und zur britischen Seeblockade vgl. die Ausführungen von John Keegan: [442], S. 279-296; Michael Epkenhans (Hg.): Skagerrakschlacht. Vorgeschichte – Ereignis – Verarbeitung (= Beiträge zur Militärgeschichte 66), München 2009.
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Europäisierung des Gedenkens?
Im folgenden Kapitel werden einige ausgewählte Aspekte beispielhaft für das Thema ›Leid‹, das an der Zivilbevölkerung verübt wurde, betrachtet. Es handelt sich dabei um Leid, das durch ganz konkrete und direkte Einwirkung des Militärs auf die Zivilbevölkerung entstand. Auch die Weltkriegsforschung nahm sich den Auswirkungen der Kriegsgewalt auf die Zivilbevölkerung, sei es durch Tötung, Vergewaltigung oder Folterung, an.2 Exemplarisch werden im Folgenden die sogenannten Kriegsgräuel gegenüber der belgischen Zivilbevölkerung für die Westfront und die Vertreibung der Armenier für die Ostfront behandelt. Ein weiterer Aspekt ist der Umgang mit der Bevölkerung im eigenen Staats- beziehungsweise Herrschaftsgebiet sofern sie der Spionage oder Unterstützung des Kriegsgegners verdächtigt und beschuldigt wurde. Die Museen bezeichneten diese Bevölkerungsgruppen als ›innere Feinde‹ beziehungsweise im Falle Großbritanniens als ›enemy aliens‹.
8.1
Ausstellungen zum Leid der Zivilbevölkerung
Westfront – Kriegsgräuel in Belgien Die deutschen Ausstellungen im HdG und im HMP erwähnten das Motiv ›Leid der Zivilbevölkerung‹ an der Westfront am Beispiel des deutschen Überfalls auf das neutrale Belgien lediglich als Nebenereignis. Mehrere Exponate beziehungsweise einen kleineren Ausstellungsbereich widmeten das DHM und das MHM dem deutschen Einmarsch und den verübten Gräueltaten. In den britischen Ausstellungen zeigte das IWM in London ausführlich Exponate zu dem deutschen Einmarsch und der Propaganda als Reaktion auf die sogenannten deutschen Kriegsgräuel. Aufgrund der regionalen Ausrichtung erwähnten das IWMN in Manchester das Vorgehen und die Kriegsgräuel der deutschen Truppen in Belgien überhaupt nicht und das FLM in Cardiff nur am Rande. Das HdG zeigte als Hinweis auf die Kriegsgräuel das Kriegstagebuch des Rastatter Reserveleutnants Karl August Zwiffelhoffer, der die in Belgien verübten Kriegsgräuel und die in Frankreich verübten Plünderungen beschrieb, sowie ein Propagandahörspiel über Die Erstürmung von Lüttich aus dem Jahr 1914. Fotografien oder weiterführende Informationen wurden in der Ausstellung nicht gezeigt.3 Auch die Speyerer Ausstellung widmete Belgien wenig Aufmerksamkeit. Im Sektionstext Kriegslazarette hieß es lediglich, dass die Menschen in Belgien aufgrund von Verwüstungen große Not litten.4 Zur Situation der belgischen Zivilbevölkerung zeigte das HMP einige Reproduktionen von Aushängen und Bekanntmachungen der deutschen Besatzer. Damit wurde die belgische Bevölkerung informiert, dass Geiseln mit Gefängnisstrafen oder gar Tötung zu 2 3
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Vgl. Volker Berghahn: [361], S. 379. Vgl. Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Exponattext »Kriegstagebuch von Karl August Zwiffelhoffer«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«; Id. (Hg.): Exponatgruppentext »Propagandahörspiel: Die Erstürmung von Lüttich«, »›Vaterländische Zonophon-Aufnahme zum Besten deutscher Krieger‹«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. Vgl. Historisches Museum der Pfalz (Hg.): Sektionstext »Kriegslazarette«, aus: Ausstellung »19141918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg« (25. November 2014).
8. Leid der Zivilbevölkerung
rechnen hatten, sollten sie den Anweisungen der Deutschen nicht Folge leisten. Solche öffentlichen Aushänge seien nicht nur zu Beginn der deutschen Offensive veröffentlicht worden, wie eine in Löwen ausgehängte Bekanntmachung noch im Oktober 1914 zeigte.5 In einer anderen Bekanntmachung aus dem Jahr 1915 war zu lesen, dass der Belgier Leon Parant von einem Feldgericht wegen Kriegsverrats zum Tode verurteilt worden sei, weil er »der feindlichen Armee Soldaten und Kriegsfreiwillige zugeführt, mit französischen Spionen in Verbindung gestanden, diesen Dienste geleistet und einen solchen Spion beherbergt«6 habe. Hinsichtlich der sinnlosen Zerstörung der Kulturdenkmäler wurde ein am 5. Juli 1915 in Brüssel ausgehängtes Plakat des deutschen Generalgouvernements gezeigt, das die Vorwürfe zurückwies und darauf verwies, dass »[n]ur den unerbittlichen Forderungen des Krieges gehorchend«7 die Zerstörung erfolgte, nicht aber aus blinder Barbarei. Zudem hätten auch die Engländer und die Franzosen zahlreiche Kirchen, Schlösser, Städte und Dörfer mit kostbaren Kulturschätzen zerstört.8 Das DHM wählte Brüssel als einen der 14 Orte aus, um daran das Thema Besatzer und Besetzte zu präsentieren. Im Sektionstext hieß es, dass deutsche Truppen in das neutrale Belgien einmarschierten und gegen den nicht erwarteten Widerstand der Belgier und aus Angst vor Attacken aus dem Hinterhalt mit brutalen Vergeltungsmaßnahmen reagierten, denen über 6.500 belgische Zivilisten zum Opfer fielen und Dörfer und Städte willkürlich in Brand gesteckt und zerstört wurden. 1916 seien etwa 60.000 Belgier zur Zwangsarbeit verschleppt worden. Seitens der Alliierten wurden diese Gräueltaten als zentrales Thema in der Kriegspropaganda aufgegriffen.9 Insbesondere die als Vergeltungsmaßnahmen für angebliche Angriffe von »›Heckenschützen‹«10 durchgeführte Zerstörung der Bibliothek von Löwen und die Exekution tausender Zivilisten sei von der alliierten Propaganda genutzt worden, um die Deutschen als »bluttriefende Barbaren«11 darzustellen, so Krumeich in der Begleitpublikation.12 Als zugehörige Exponate zeigten eine Multimediastation eine Filmsequenz zu Belgien unter der deutschen Besatzung und ein französisches Plakat den belgischen Kardinal Mercier, wie er seine Hand schützend über die Belgier hält. Mercier bezeichnete die deutsche Be-
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Vgl. Historisches Museum der Pfalz (Hg.): Exponattext »Plakat in Louvain, Belgien«, in: Sammlung: 1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg (Ausstellungsobjekte in der Sammlungsausstellung) (14. Mai 2017). URL: https://rlp.museum-digital.de/index.php?t=objekt&suinin=14&suinsa=308&oges= 6563 (20. September 2018). Historisches Museum der Pfalz (Hg.): Exponattext »Plakat in Brüssel, Belgien, 1915«, in: Sammlung: 1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg (Ausstellungsobjekte in der Sammlungsausstellung) (12. Dezember 2017). URL: https://rlp.museum-digital.de/index.php?t=objekt&oges=6558&navlang=de (23. September 2018). Ebd. Vgl. ebd. Vgl. zusammenfassend zum Vorgehen der deutschen Truppen in Belgien: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext [23]. Gerd Krumeich: [266], S. 15. Ebd. Vgl. ebd.
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Europäisierung des Gedenkens?
satzung offen als Unrecht und den belgischen Widerstand folglich als rechtmäßig und wurde aufgrund seiner Haltung zum Beschützer der Belgier stilisiert.13 Die Ausstellung im MHM in Dresden, in der der Mensch im Mittelpunkt stand, nahm sich der deutschen Besatzung in Belgien noch ausführlicher an, als es das DHM tat. Der Erste Weltkrieg bewirkte unvorstellbare Gewaltexzesse und ethnische und soziale Verwerfungen, die sich in großen Flüchtlingsströmen zeigten.14 Diese Flüchtlingsströme waren auch der Grund, warum die Opferzahl unter der Zivilbevölkerung, Frauen und Kinder eingeschlossen, auch meist erheblich höher war als unter den Soldaten.15 »Teile der Zivilbevölkerung […] in Belgien flohen vor dem deutschen Einmarsch und den Kampfhandlungen«16 , so der Exponattext in der Ausstellung zu einer Kohlezeichnung mit dem Titel Flüchtlinge von Louis Raemaker, die in Belgien große Bedeutung für das Gedenken an den Ersten Weltkrieg habe.17 Gleichzeitig gab es aber auch Belgier, die wenig Verständnis für die Flüchtenden hatten, wie das Exponat des satirischen Hasenfußordens zeigen sollte.18 Darüber hinaus zeigte die Dresdner Ausstellung mehrere Exponate zur Zerstörung der belgischen Städte, unter anderem einen Stadtplan von Löwen, in dem die niedergebrannten Viertel markiert waren, sowie eine Zeichnung der zerstörten Universitätsbibliothek, deren Zerstörung seitens der Alliierten als besonders barbarisch verurteilt worden war.19 Infolge dessen verwendete die alliierte Presse das deutsche Wort Kultur als Synonym für die deutsche Barbarei und betonte damit den Gegensatz, dass Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg in Europa eine kulturelle Vorbildfunktion in-
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14 15 16 17
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Vgl. Juliane Haubold-Stolle: Französisches Plakat zur Besatzung in Belgien, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 64f. Vgl. Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 36f und S. 39f. Vgl. ebd., S. 41. Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (Hg.): Exponattext »›Flüchtlinge‹«, Ausstellungsdokumentation zu »14 – Menschen – Krieg«. Vgl. Eva Langhals: Exponattext »›Flüchtlinge‹«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 104f. Vgl. Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (Hg.): Exponattext »2 Medaillen und eine Urkunde des ›Ordre du Lièvre‹, des belgischen ›Hasenfußordens‹ für Flüchtlinge«, Ausstellungsdokumentation zu »14 – Menschen – Krieg«; Eva Langhals: Exponattext »Zwei Medaillen und eine Urkunde des ›Ordre du Lièvre‹, des belgischen ›Hasenfußordens‹ für Flüchtlinge«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 105f. Vgl. Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (Hg.): Exponattext »Die zerstörte Universitätsbibliothek von Leuven«, Ausstellungsdokumentation zu »14 – Menschen – Krieg«; Eva Langhals: Exponattext »Die zerstörte Universitätsbibliothek von Leuven«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 107; Dies.: Exponattext »Stadtplan von Leuven mit Markierung der zerstörten Stadtviertel«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 107f.
8. Leid der Zivilbevölkerung
ne hatte.20 Im Falle Belgiens sei das MHM auch an eine Grenze gegangen, in dem es Fotografien von getöteten Soldaten aus den ersten Tagen des Krieges zeige, die von der belgischen Dorfbevölkerung wohl zur Identifizierung fotografiert worden waren.21 Von deutscher Seite gab es Versuche, belgische oder französische Berichte über Gräueltaten, Kriegsverbrechen und Gewaltakten gegen die Zivilbevölkerung zu widerlegen oder als Fälschung zu entlarven, beispielsweise die Schrift von Max Kuttner Deutsche Verbrechen? Wider Joseph Bédier, Les crimes allemands d’après des témoignages allemands. Zugleich eine Antwort aus französischen Dokumenten.22 Dass dies nicht gelang, hat die heutige Forschung nachgewiesen, so Anne Respondek im Ausstellungskatalog, allerdings aber wären Berichte über Verstümmelungen von Frauen und Kindern oder das Kreuzigen von Priestern nach wie vor nicht belegt.23 Die Kuratoren der First World War Galleries standen wie die anderen Ausstellungsmacher auch vor der Frage, ob sie Fotografien von Getöteten, in diesem Fall von belgischen Zivilisten, ausstellen sollten. Bei der Frage sei es zum einen um die Darstellung des Tötens als untrennbarer Aspekt von Krieg gegangen und zum anderen um die antideutsche Propaganda, die sich auf die Kriegsgräuel der Deutschen berief und maßgeblich zu den Rekrutierungsanstrengungen beitrug.24 Dass man sich letztlich für das Ausstellen der Fotografien entschied, wurde damit begründet, dass der Kriegseintritt Großbritanniens auf tatsächlichen Vorkommnissen beruhte und zwar »on actual occurrences of massacre«25 , auch wenn die Realität von der Propaganda später übertriebener dargestellt wurde.26
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Vgl. Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (Hg.): Bereichstext »Neu waren die Dimensionen des Krieges«, Ausstellungsdokumentation zu »14 – Menschen – Krieg«. Vgl. Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 54; vgl. auch im Katalog zwei Fotografien der Gefallenen von Vottern mit zerfetzten Körperteilen: Eva Langhals: Exponatgruppentext »Die Gefallenen von Vottern«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 96f. Vgl. Anne Respondek: Exponattext »›Deutsche Verbrechen? Wider Joseph Bédier, Les crimes allemands d’après des témoignages allemands. Zugleich eine Antwort aus französischen Dokumenten‹« in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 108f. Vgl. ebd., S. 109. Ergänzend zur Ausstellung und zum Katalog erschien im Essayband ein Beitrag zur belgischen Bürgerwehr: Piet Veldeman: Nicht ein Haar besser als die Kosaken? Die Rolle der belgischen Bürgerwehr (»burgerwacht«) in den ersten Kriegsmonaten des Jahres 1914 – Realität und Mythos, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Essayband zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 64-75. Weiterführend sei auf das Essay von Eva Langhals zu den Tagebüchern der deutschen Thea Sternheim, die den Einmarsch der deutschen Truppen in Belgien miterlebte, verwiesen: Eva Langhals: Eine Deutsche in Belgien zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Aus den Tagebüchern der Thea Sternheim, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Essayband zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 374-382. Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 113. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 114. Vgl. ebd.
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Europäisierung des Gedenkens?
In der Sektion Shock zu Beginn der First World War Galleries fasste das IWM die Situation an der Westfront im ersten Kriegsjahr und insbesondere in Belgien zusammen: Die Briten kämpften an der Westfront gemeinsam mit den Franzosen und den Belgiern gegen die deutschen Invasoren, dennoch gelang auf keiner Seite ein entscheidender Sieg bis zum Jahresende 1914. Vielmehr schockierten die ins Unermessliche gestiegenen Opferzahlen und die Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung, die den Schrecken des Krieges noch verschlimmerten.27 Dem Massaker fielen über 6.000 belgische und französische Zivilisten zum Opfer sowie zahlreiche berühmte Kulturdenkmäler. Wo die Deutschen vorrückten, floh die Zivilbevölkerung.28 Das IWM führte zur Begründung für das brutale Verhalten der deutschen Armee gegen die Zivilbevölkerung an, dass die Nervosität unter den Soldaten und die Furcht vor Angriffen der Ortsansässigen sehr hoch war und sie damit einen möglichen Widerstand auszumerzen versuchten. Das zuvor für seine Kultur so angesehene Deutschland habe die Welt angesichts des Übergehens von international getroffenen Vereinbarungen, die ein eben solches Verhalten hätten verhindern sollen, alarmiert. Folglich habe für Großbritannien und Frankreich der Krieg nun als Kampf für die Erhaltung der Zivilisation selbst gegolten, da die Briten sich davor fürchteten, was die Folgen im Falle eines deutschen Sieges für Großbritannien bedeutet hätten.29 In Folge des Schockgefühls über die Berichte deutscher Gräueltaten sei Hass und eine antideutsche Stimmung entstanden, gleichzeitig sei aber auch ein Gefühl der Einheit und des Patriotismus in der britischen Bevölkerung gewachsen.30 Weiterhin wurden Dokumente zu Berichten über und Gesprächen mit belgischen Flüchtlingen über die deutschen Gräueltaten gezeigt und erläutert, dass aufgrund der folgenden Panik über 1,5 Millionen Flüchtlinge aus Belgien, aber auch aus den Niederlanden nach Frankreich und Großbritannien flohen.31 Als weiteren Beleg für die brutalen Attacken auf belgische Zivilisten zeigte das IWM Fotografien von am 21. August 1914 ermordeten Andenner Bürgern. Die 262 Andenner waren von den Deutschen beschuldigt worden, sie in hinterhältiger Art angegriffen zu haben.32 Im Exponatgruppentext wurde aus dem Bericht eines Augenzeugen zitiert, dass »the corpses of …many civilians lying on the ground…In the square, desperate looking men, women and children, more dead than alive, half-clothed … Everywhere terror and brutality.«33 Im Begleitband führt Paul Cornish auch noch die Ermordung von weiteren 674 Zivilisten in Dinant, die durch ein deutsches Exekutionskommando hingerichtet worden waren, als Beispiel für das brutale Vorgehen der Deutschen in Belgien an. Das Vorgehen der deutschen Truppen beruhte auf deren Erfahrung aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/1871, mit zivilem Widerstand rechnen zu müssen.34 27 28 29 30 31 32 33 34
Vgl. Imperial War Museum (Hg.): [142]. Vgl. zur Beschreibung des Vorgehens der deutschen Truppen Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [92]; Id. (Hg.): Sektionstext [146]. Vgl. für den Abschnitt Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext [92]; Id. (Hg.): Sektionstext [146]. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Sektionstext [146]; Id. (Hg.): Bereichstext [96]. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Exponatgruppentext [121]. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Exponatgruppentext [122]. Zitiert nach ebd. Vgl. Paul Cornish: [243], S. 42.
8. Leid der Zivilbevölkerung
Der gefühlte Zusammenbruch der Zivilisation und der Kultur, der sich insbesondere in der Zerstörung der belgischen Kulturdenkmäler zeigte, schockierte die Briten besonders, da sie dies im Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts überwunden geglaubt hatten, so Paul Cornish.35 In der Ausstellung fanden sich zudem mehrere Fotografien zu der von den Deutschen angerichteten Zerstörung, so beispielsweise die zerstörte Innenstadt von Löwen. Der Exponatgruppentext zu diesen Fotografien erläuterte, dass panicking German troops, suspecting they had been fired upon by inhabitants of Louvain, beat, bayoneted and shot 248 of the town’s citizens. They also burnt down the world-famous university library, destroying irreplaceable medieval books and manuscripts.36 Die Briten und die Franzosen haben sich angesichts der Gräuel versichert, dass sie den Krieg zur Verteidigung der Zivilisation führen würden und »[t]his was how they began to portray their struggle to the rest of the world.«37 Die britische Propaganda nahm dieses Gefühl des Zusammenbruchs der Zivilisation entsprechend für ihre Zwecke auf, um nicht zuletzt die Rekrutierung und Zustimmung in der Bevölkerung zum Kriegseintritt und den -anstrengungen anzukurbeln und hochzuhalten. Die Berichte über die Gräueltaten von getöteten Babys und verstümmelten Nonnen waren reißerisch und oft auch falsch, dennoch hätten die Briten sie nur zu gerne geglaubt, wie die ausgestellten Propagandaberichte in der Ausstellung zeigten.38 Besonderen Eingang in die Sprache fand der Betriff des Hunnen für den deutschen Soldaten. In der sogenannten ›Hunnenrede‹ hatte Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1900 die Niederschlagung des Boxeraufstands in China durch deutsche Truppen beschrieben und prägte somit den Begriff für ein harsches und brutales deutschen Vorgehen. Rudyard Kipling nahm den Ausdruck in einem Gedicht, das er im September 1914 schrieb, auf.39 In dieser vergifteten Stimmung wurden zudem Schaufenster von deutschen Geschäftsleuten eingeworfen und Deutsche in Internierungslager eingesperrt.40 So aufgeladen die Stimmung war, wäre doch die eigentliche Tragödie, dass die wahren menschlichen Schicksale zu Propagandazwecken missbraucht wurden, so Cornish im Begleitband zur Ausstellung.41
Ostfront – Armenienfrage An der Ostfront war die Gewalt gegen Zivilisten noch ausgeprägter als im Westen. Das IWM in London griff die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung an der Ostfront nur am Rande auf. Das IWM legte aufgrund seines Auftrags, den Ersten Weltkrieg aus britischer Sicht zu zeigen, den Schwerpunkt nicht auf den Krieg an der Ostfront, da die 35 36
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Vgl. ebd. Imperial War Museum (Hg.): Exponatgruppentext [120]. Auch die Kathedrale von Reims, von der ein Bruchstück aus Fensterglas gezeigt wurde, war von den deutschen Truppen unter Beschuss genommen worden. Vgl. Id. (Hg.): Exponatgruppentext [124]. Paul Cornish: [243], S. 43. Infolge der Berichte über die deutschen Gräueltaten wurden zahlreiche deutsche oder deutsch klingende Namen anglisiert. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Exponatgruppentext [118]. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Zusammenfassung [153]; Paul Cornish: [243], S. 59. Vgl. Imperial War Museum (Hg.): Zusammenfassung [153]. Vgl. Paul Cornish: [243], S. 59.
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Briten in erster Linie an der Westfront gekämpft hatten.42 Dem Fall der Armenier widmete das IWM in einer der Multimediastation in der Sektion World war dennoch einen eigenen Beitrag, Turkey goes to war. Die Armenier waren in den Jahrhunderten zuvor bereits Opfer von Gewalt, da sie innerhalb des Osmanischen Reiches als Bürger zweiter Klasse behandelt wurden.43 Die türkische Armee tötete armenische Soldaten bei bloßem Verdacht, für den russischen Feind zu spionieren oder zwang sie zum Arbeitseinsatz bis zum Tod. Von 1915 an wurden rund eine Millionen Armenier unter Anwendung von Gemetzeln und Vergewaltigungen brutal vertrieben. Wer überlebte, dem drohte Krankheit oder das Verhungern.44 Bei der Thematisierung der Armenier ging es dem IWM in erster Linie darum, aufzuzeigen, dass Gewaltakte gegen Zivilisten nicht betrunkenen Soldaten zugesprochen werden könne, sondern die Armeeführungen Terror als gezieltes Mittel zur Unterwerfung der Zivilbevölkerung einsetzten wie auch im Falle Belgiens.45 In der Kontroverse um die Armenienfrage, ob es sich bei den Ereignissen um ein Massaker oder um einen Genozid handle, verzichtete das IWM darauf den Begriff Genozid zu verwenden, da dieser von den Zeitgenossen nicht verwendet worden wäre.46 Die Ausstellung des IWMNs in Manchester thematisierte die Armenienfrage nicht. Gleiches galt für die Ausstellung des FLMs in Cardiff, die sich zudem nur mit den Geschehnissen bis zum Jahresende 1914 befasste. In den deutschen Ausstellungen griffen die beiden großen Museen die Armenienfrage auf. Das DHM in Berlin und das MHM in Dresden widmeten den Armeniern jeweils einen Bereich ihrer Ausstellungen. Zur Vertreibung der Armenier, wie es in der Exponatbeschriftung hieß, wurde im DHM unter anderem eine Flugschrift des evangelischen Theologen Johannes Lepsius und Fotografien des Schriftstellers Armin Wegner gezeigt, der im Auftrag des deutschen Militärs die wenigen Fotografien aufnahm, die es von der Vertreibung durch die osmanischen Behörden gab. Es fielen mindestens 300.000, wahrscheinlich sogar über eine Million Armenier der Vertreibung zum Opfer, die aufgrund einer angeblichen Unterstützung der russischen Armee in Gang gesetzt worden war. Der ausgestellte Brief von Lepsius sollte das Verbrechen an den Armeniern in Deutschland bekannt machen; die Zensur verhinderte dies jedoch.47 Unter der Bezeichnung »Pogro[m]«48 an den Armenieren nahm 14 – Menschen – Krieg diesen Aspekt des Leides der Zivilbevölkerung in seinem Ausstellungsnarrativ
42 43 44 45 46 47
48
Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 101f. Vgl. Paul Cornish: [243], S. 81. Vgl. ebd., S. 82. Vgl. ebd., S. 114f. Vgl. ebd., S. 114. Vgl. für den gesamten Abschnitt zur Vertreibung der Armenier: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Exponatgruppentext »Verlassenes Kind«, »Lager an der anatolischen Bahn«, »Flüchtlinge auf dem Tauruspass«, »Bericht über die Lage des Armenischen Volkes in der Türkei«, »Flugschrift mit einem Aufruf zur Hilfe für die deportierten Armenier in der Türkei«, »Brief von Johannes Lepsius an seine Frau Alice«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (Hg.): Exponattext »Foto: Leiche einer verdursteten Armenierin in der Wüste«, Ausstellungsdokumentation zu »14 – Menschen – Krieg«.
8. Leid der Zivilbevölkerung
auf. Misstrauen der Militärs, der Verdacht auf Konspiration mit dem Feind und bereits bestehende ethnische Konflikte führten ab 1915 zu den Pogromen durch türkische und kurdische Soldaten. Ausgelöst durch einen Aufstand in der osttürkischen Stadt Van, wurden zwischen 600.000 und 1,3 Millionen Armenier deportiert, ermordet oder starben an Hunger, Krankheit und Erschöpfung. Hierzu zeigte das MHM eine Fotografie einer halbskelettierten Leiche einer in der Wüste umgekommenen Armenierin.49
Heimatfront – ›enemy aliens‹ und ›innere Feinde‹ Eine Sektion in From Street to Trench: A World War that Shaped a Region widmete sich der Internierung der sogenannten ›enemy aliens‹. Die antideutsche Stimmung sei seiner Zeit »a key element of what people were feeling and experiencing on the home front«50 gewesen. Solange die ausländischen Bürger beziehungsweise Bürger mit einem vor allem deutschen Hintergrund nicht interniert waren, wurden sie registriert und ihre Bewegungsfreiheiten eingeschränkt. Dies hatte zur Folge, dass die Polizei diese ›enemy aliens‹ in ihren Bezirken unter Beobachtung stellte, wie das IWMN mit einem Polizeiregister aus Salford, das 398 Personen verzeichnete, aufzeigte.51 Ein weiteres Exponat war ein Brief, in dem eine deutschstämmige Lehrerin, die zur Kündigung gezwungen worden war, schrieb, dass sie aufgrund antibritischer Äußerungen von den Eltern ihrer Schülerinnen angegriffen worden war und Polizeischutz benötige.52 Auch das persönliche Schicksal des deutschen Malers George Kenner, der bereits 1910 nach Großbritannien ausgewandert war, kontextualisierte das IWMN im Hinblick auf die ›enemy aliens‹. Kenners Gemälde zeigte das Kriegsgefangenenlager Knockaloe auf der Isle of Man, indem er von 1915 bis 1919 mit 30.000 weiteren Insassen interniert war. 1919 schickte man Kenner nach Deutschland zurück.53 In den deutschen Ausstellungen hingen die Darstellung und die Thematisierung der Gewalt gegen die Zivilbevölkerung stark vom Ausstellungsnarrativ ab.54 49
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Vgl. für den gesamten Abschnitt zum Pogrom an den Armenieren: ebd.; Gerhard Bauer: Exponattext »Leiche einer verdursteten Armenierin in der Wüste, aufgenommen von einem deutschen Soldaten, der beim Bau der Bagdadbahn eingesetzt war«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 111. Weiterführend zur Darstellung von Tod und der Darstellung von Leichen und menschlichen Überresten in Ausstellungen bei Thomas Thiemeyer: [518], S. 153-160. Judith Heß: Experteninterview IMWN [219], S. 136. Vgl. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext [184]. Vgl. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext »Letter written by Ada McGuire, a schoolteacher in Liverpool«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. Vgl. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext »George Kenner: View of a POW Camp«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. In 1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg wurde die Ostfront und die Armenienfrage in den Hörstationsbeiträgen angesprochen. Da der Schwerpunkt auf der Darstellung der Pfalz als Hinterland zur Westfront lag, wurde die Thematik nur in die Hörstationen aufgenommen. Vgl. Judith Heß: Experteninterview HMP [217], S. 70. Auch das regional ausgerichtete HdG in Stuttgart verzichtete auf die Darstellung von Gräueltaten, Hinrichtungen und Massakern der Mittelmächte an der Ostfront. Ein Hinweis fand sich in der Vitrine Heimat, wobei es sich um ein Propagandamotiv gehandelt haben
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Europäisierung des Gedenkens?
Ausführlich wurde im DHM das Vorgehen gegen den sogenannten ›inneren Feind‹ geschildert. Galizien stand gemäß dem Ortskonzept der Ausstellung stellvertretend für die Beschreibung zum Vorgehen der Mittelmächte gegen die Zivilbevölkerung. Zwar besetzten die Russen nach der Niederlage der österreich-ungarischen Armee große Teile Galiziens und verübten dort auch Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung, zuvor hatte aber auch bereits die k.u.k. Armee Repressalien gegen unbewaffnete Zivilisten in Galizien und Serbien ausgeübt.55 Die von der russischen Armee praktizierte Strategie der verbrannten Erde zerstörte Dörfer sowie die Infrastruktur und tausende Menschen flohen. Durch das russische Vorgehen wurde zwar das Vorankommen der deutschen Truppen im Osten verlangsamt, die Besetzung durch die Deutschen habe diese Strategie jedoch nicht verhindert, so das DHM.56 Die Besetzung und die Errichtung des Militärstaats Ober Ost mit dem zivil verwalteten Generalgouvernement Warschau waren geprägt durch bürokratische Kontrolle der Bevölkerung. Die Einheimischen mussten Zwangsarbeit leisten, um die vorhandenen Ressourcen möglichst effektiv auszunutzen.57 Zudem litt die Zivilbevölkerung in den eroberten und durch den Krieg zerstörten Gebieten unter Hunger und der Ausbreitung von Seuchen und Krankheiten.58 Wer der Spionage verdächtigt wurde, musste mit einer öffentlichen Hinrichtung rechnen. Verdächtig machen konnte man sich bereits wegen der Sprache oder der Religionszugehörigkeit.59 Um Spionage und Sabotage vorzubeugen, verschleppte man die Einheimischen und internierte sie im Hinterland, wovon auch Teile der eigenen Bevölkerung betroffen waren. Das DHM erwähnte aber auch, dass die österreich-ungarischen Soldaten brutal gegen unbewaffnete Menschen vorgegangen seien.60 Hunderte Zivilisten, darunter auch Frauen und Kinder, wurden der Spionage verdächtigt und
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dürfte: In einem Postkartenalbum für einen Fünfjährigen befand sich eine Karte, die mutmaßlich geschändete Gräber zeigte. Die Bildbeschriftung schrieb die Schändung russischen Soldaten zu. Vgl. Franziska Dunkel: Propaganda im Bild, in: Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne. Katalog zur Ausstellung »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne« vom 4. April 2014 bis 1. März 2015, Ulm 2014, S. 124 und S. 127; Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Exponattext »Postkartenalbum für einen Fünfjährigen«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. Vgl. für den Abschnitt Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext [26]. Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext [28]; Juliane Haubold-Stolle: Riesige Räume. Krieg im Osten, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 86f. Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext [26]; Dies. (Hg.): Exponatgruppentext »Plakat zu einer Obst-Ausstellung in Berlin«, »Bekanntmachung über die Reduzierung der Kartoffelzuteilung«, »Chleba naszego powszedniego (Unser tägliches Brot)«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«; Dies. (Hg.): Exponatgruppentext »Gruppe Nr. 64152 aus einem Flüchtlingslager«, »Ciało, dusza i paszport z fotografią (Körper, Seele und Reisepass mit Foto)«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext [26]. Vgl. für den Abschnitt ebd. Vgl. ebd.
8. Leid der Zivilbevölkerung
öffentlich hingerichtet, wie zahlreiche Fotografien belegen.61 So wurden Fotos von als Spione verurteilten und erhängten Personen in Wilicka in Galizien gezeigt, ebenso wie ein Fotoalbum eines russischen Soldaten, der eine Fotografie von der Erhängung eines Zivilisten aufbewahrt hatte. Die Soldaten der k.u.k. Armee verdächtigen vor allem Ukrainer und die Russen jüdische und deutschsprachige Zivilisten der Spionage.62 Auch in Serbien wurde mit besonderer Härte gekämpft und Zivilisten als Geiseln genommen. Die Geiseln wurden »bei Unruhen oder militärischen Vorfällen exekutiert, die Dörfer […] niedergebrannt«63 , wie das Plakat zur Bekanntmachung über die Aushebung von Geiseln in Pancsova der Zivilbevölkerung verkündete.64 Neben solchen angekündigten Aushebungen von Geiseln führten die Militärs auch Verzeichnisse über Personen, die der Spionage verdächtigt wurden.65 Zivilisten, die als ›innere Feinde‹ eingeordnet wurden, darunter Frauen und Kinder, wurden interniert. Die ausgestellten Fotos aus Graz-Thalerhof zeigten die Ankunft der Ukrainer, Bürger des österreich-ungarischen Vielvölkerstaates, im September 1914 auf einem Feld. Erst nach der Ankunft der Verschleppten wurde mit dem Lagerbau begonnen. Die hygienischen Bedingungen in Graz-Thalerhof seien so schlecht gewesen, dass bis April 1915 über 1.000 Menschen starben.66 Je länger der Krieg angedauerte, desto mehr Internierungen und Zwangsarbeit gab es sowohl auf russischer als auch auf Seiten der Mittelmächte. So wurden über 600.000 russische Juden östlich des Dnjepr und über 250.000 Deutsche ins russische Hinterland zwangsumgesiedelt. Was als Evakuierung zum Schutz vor Kriegshandlungen bezeichnet wurde, diente oftmals als Umschreibung der Rekrutierung von Zwangsarbeitern.67
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Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Exponatgruppentext »Verwundetensammelstelle beim Vormarsch 1914«, »Schützengräben in Galizien«, »Judenfamilie auf der Flucht in Galizien 1914«, »Kisanov in Galizien 1914«, »Bürgermeister und Rabbiner von Kisanov 1914«, »Gehängte Spione in Wilicka, Galizien«, »Franz Pachleitner mit seiner Ausrüstung«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. Vgl. ebd.; Dies. (Hg.): Exponattext »Russisches Album mit Fotos aus dem Ersten Weltkrieg«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. Das Kuratorenteam habe sich bei der Auswahl der Fotografien sehr genau überlegt, was gezeigt werden sollte und konnte, um trotz der überwältigenden Wirkung der Fotografien den Besuchern eine Distanz zu ermöglichen. Vgl. Judith Heß: Experteninterview DHM [214], S. 20f. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Exponattext »Bekanntmachung über die Aushebung von Geiseln in Pancsova«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. Vgl. ebd. Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Exponatgruppentext »Verzeichnis spionageverdächtiger Personen«, »Propagandaschrift über die Kriegsführung Österreich-Ungarns in Serbien«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. Vgl. zusammenfassend zum Lager Graz-Thalerhof die Exponatgruppenbeschriftung für folgende Fotografien: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Exponatgruppentext »Die Ankunft der Internierten in Abtissendorf«, »Abmarsch der Internierten von der Station Abtissendorf«, »Internierte unter freiem Himmel auf dem Flugfeld in Graz-Thalerhof«, »Unterbringung der Internierten in Zelten«, »Barackenbau im Internierungslager Graz«, Ausstellungsdokumentation zu »19141918. Der Erste Weltkrieg«. Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Exponattext »Registrierungskarten von Flüchtlingen«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«; Dies. (Hg.): Ex-
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Europäisierung des Gedenkens?
Im MHM wurden die ›inneren Feinde‹ ebenfalls thematisiert. Als zentrales Exponat der Ausstellung 14 – Menschen – Krieg wurde dazu ein Güterwagen G 10 ausgestellt.68 Dieser stand sinnbildlich für das Leid, das durch die Deportationen im Ersten Weltkrieg und in gesteigerter Form im Zweiten Weltkrieg entstand, so die Intention der Ausstellungsmacher.69 Denn neben den deutschen Soldaten wurden mit derartigen Waggons auch hunderttausende Kriegsgefangene aus ihrer Heimat in Lager deportiert, wie Fotografien und Fotoalben den Besuchern verbildlichten, die im und um den Güterwaggon ausgestellt wurden.70 Deportation und Zwangsarbeit von Kriegsgefangenen wurde in den von den Deutschen besetzten Gebieten systematisch durch die deutschen Behörden kontrolliert und angeordnet sowie die Arbeitskraft und das wirtschaftliche Potential für die eigene Kriegsrüstung ausgenutzt. Das Leid, das die Zivilbevölkerung durch Zwangsarbeit und Kriegsgefangenschaft ertragen musste, wurde durch Gewaltakte seitens der Besatzer noch erhöht. Die Rolle der deutschen Behörden bei der Behandlung der Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten kontextualisierte das MHM anhand der Schulterstücke eines Feldrocks der Feldziviluniform der Generalgouvernements Belgien und Warschau.71 Wurden im Westen, konkret in Belgien, den Deutschen Kriegsgräuel angelastet, so warfen die Deutschen im Osten den Russen ebenfalls Kriegsgräuel vor. Wobei es in Ostpreußen, so schränkt der Ausstellungstext ein, kaum zu Übergriffen durch die russische Armee gekommen sei. Für Galizien lägen jedoch zahlreiche Berichte insbesondere gegen die jüdische Bevölkerung gerichtete Repressalien russischer Soldaten vor.72 Ebenso waren die k.u.k. Truppen dafür berüchtigt, so der Exponattext, »dass Kommandeure über Verbrechen eigener Soldaten an der Zivilbevölkerung an den Fronten im Osten und auf dem Balkan hinwegsahen. Vorhaltungen deutscher Offiziere bewirkten so gut wie nichts.«73 Veranschaulicht wurde das Thema mit einer Ausgabe des sogenannten
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ponattext »Album Nr. 94 mit Bildern von der ›evakuierten‹ Zivilbevölkerung«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. Vgl. Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (Hg.): Exponattext »Güterwagen G 10«, Ausstellungsdokumentation zu »14 – Menschen – Krieg«; Gerhard Bauer: Exponattext »Güterwagen G 10«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 85. Vgl. Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 39f. Vgl. Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (Hg.): Exponatgruppentext »Fotoalbum: Chef des Feldeisenbahnwesens im Großen Hauptquartier«, Ausstellungsdokumentation zu »14 – Menschen – Krieg«. Vgl. Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (Hg.): Exponattext »Schulterstücke, mittlere Beamte, zum Feldrock der Feldziviluniform, Zivilverwaltungen der Generalgouvernements Belgien und Warschau«, Ausstellungsdokumentation zu »14 – Menschen – Krieg«. Vgl. Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (Hg.): Exponattext »›Deutsche Verbrechen? Wider Joseph Bédier‹ – Gegendarstellung zu Berichten über deutsche Massenvergewaltigungen in Belgien«, Ausstellungsdokumentation zu »14 – Menschen – Krieg«. Ebd.
8. Leid der Zivilbevölkerung
›Reiss-Berichts‹ über die verübten Kriegsverbrechen der k.u.k. Truppen in Serbien, der in Großbritannien veröffentlich wurde.74
8.2
Forschungen zum Leid der Zivilbevölkerung
Zur Verhinderung von unnötigem Leid wurden in der Vergangenheit Rechtstexte geschaffen, die bis dahin gängiges Kriegsrecht schriftlich fixieren sollten. Bereits 1864 wurde die Genfer Konvention erlassen (mehrfach erweitertet 1874, 1899 und 1906), um den Krieg zu humanisieren, die Versorgung und Evakuierung von verwundeten Soldaten zu gewährleisten und insgesamt zu verbessern.75 1899 und 1907 folgte die HLKO, die explizit auf die Genfer Konvention verweist, indem sie die Anerkennung der Konvention vorschrieb.76 Die beiden Rechtswerke regelten anerkanntes Kriegsrecht, zum einen das Recht zum Krieg (»jus ad belum«) und zum anderen das Recht im Krieg (»jus in bello«).77 Letztlich stellten die zwei Regelungswerke zwar kein neues Recht dar, in ihnen wurden die bereits geltenden Richtlinien des Völkerrechts, die für alle Kriegsteilnehmer bindend waren, verfasst. Zum Zeitpunkt des Ersten Weltkrieges war die HLKO noch nicht von allen am Weltkrieg beteiligten Kriegsparteien vollständig ratifiziert. Die deutsche Regierung hatte das Abkommen trotz Ablehnung der Armeeführung jedoch anerkannt.78 Die Entwicklung des Kriegsrechts seit der Verabschiedung der HLKO sah bereits vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges Regelungen zum Schutz der Zivilbevölkerung vor.79 Die Auslegung des Abkommens im Hinblick auf Kombattanten und Nichtkombattanten, insbesondere den Schutz der Zivilisten betreffend, hatten die alliierten Mächte jedoch anders aufgefasst als die deutsche Militärführung, so Alan Kramer.80 Der deutsche Truppeneinmarsch in Belgien und das Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung
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Vgl. Anne Respondek: Exponattext »›The Kingdom of Serbia: Report upon the atrocities committed by the Austro-Hungarian army during the first invasion of Serbia‹«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 111; Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (Hg.): Exponattext »›Reiss-Bericht‹ über von k.u.k. Truppen in Serbien verübte Kriegsverbrechen«, Ausstellungsdokumentation zu »14 – Menschen – Krieg«. Im Zuge der Regelungen der Genfer Konvention wurde das Rote Kreuz zur Kennzeichnung von Ärzten und Sanitätspersonal eingeführt, das deren Neutralität kennzeichnen sollte. Vgl. Alan Kramer: [455], S. 281; Jost Dülffer: Art. »Genfer Konvention«, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, hg.v. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz, aktualisierte und erw. Studienausgabe, Paderborn u.a. 2009, S. 526f. Vgl. Alan Kramer: [455], S. 281; Irina Renz: [491], S. 539. Vgl. Alan Kramer: [455], S. 281. Vgl. ebd. Vgl. Volker Berghahn: [361], S. 379. Dass der Schutz der Zivilbevölkerung und der von Minderheiten vor Gewalt in Friedenzeiten insbesondere in den Zwischenkriegsjahren und vor allem den 1930er Jahren nicht durchgesetzt werden konnte, hatte zur Folge, dass sich die Vereinten Nationen nach dem Zweiten Weltkrieg der Festlegung der Menschenrechte und somit dem Schutz des Individuums zuwandten. Hierzu vgl. ebd., S. 379f. Vgl. Alan Kramer: [455], S. 281.
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Europäisierung des Gedenkens?
stellten aus Alliiertensicht einen Bruch mit dem geltenden Völkerrecht dar, worüber sich der deutsche Reichskanzler Bethmann Hollweg durchaus im Klaren gewesen sei.81 Denn in seiner Reichstagsrede vom 4. August 1914 habe er geäußert, dass er sich des Völkerrechtsbruchs bewusst sei, das Vorgehen aber in Notwehr erfolge und man den Schaden nach Erreichen der Kriegsziele wieder gut mache.82 Nach Alan Kramer und Ian Kershaw sei mit einem Drittel die Anzahl der zivilen Opfer im Ersten Weltkrieg zwar nicht so hoch gewesen wie im Zweiten Weltkrieg, was auf die Weiterentwicklung der Kriegstechnologien zurückzuführen sei, insbesondere den Luftkrieg.83 Dennoch legen die Schätzungen von insgesamt bis zu zehn Millionen Toten im Ersten Weltkrieg nahe, dass nicht nur die Opferzahl unter den Soldaten, sondern auch unter der Zivilbevölkerung in die Millionen gehen musste.84 Berghahn zählt zu den zivilen Opfern auch die Opfer von Massenmorden und spricht allein von 1,5 Millionen deportierten und ermordeten Armeniern durch das Osmanische Reich.85 Dazu kämen weitere 900.000 Opfer auf russischer Seite, die sich zwar durch den Bürgerkrieg ergeben hätten, jedoch aus Berghahns Sicht zu den zivilen Kriegsopfern dazugezählt werden müssten, ebenso wie die Opfer der indirekten Kriegsfolgen wie Hunger und Krankheit.86 Alan Kramer behauptet mit Blick auf die Sterblichkeit von Verwundeten im Ersten Weltkrieg, dass diese gegenüber dem Krimkrieg von annährend 60 Prozent auf 7,5 Prozent gesunken sei.87 Im Gegensatz dazu würde massiv ins Gewicht fallen, dass Zivilisten massenhaft als Kriegsopfer hingenommen wurden. Kramer macht hierfür in erster Linie den Luftkrieg verantwortlich, der 1906 beziehungsweise 1907 zwar absehbar war, folglich sahen mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges aber weder die Genfer Konvention noch die HLKO Regelungen zu einem Luftkrieg vor. Erst 1923 wurde eine Regelung zum Luftkrieg in die Genfer Konvention aufgenommen, die jedoch von den USA nicht ratifiziert wurde, so dass der Schutz der Zivilisten weiterhin unzureichend geregelt blieb. Der Einsatz von Giftgas wurde 1925 verboten, die Behandlung von Kriegsgefangenen, Kranken und Verwundeten wurde 1929 neu geregelt, wie auch die Kriegsführung mit U-Booten.88 Im Gegensatz zu Alan Kramer sieht Anton Holzer nicht, dass sich die Kriegsparteien insbesondere Deutschland und Österreich-Ungarn großteils an kriegsrechtliche
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Vgl. ebd., S. 282. Vgl. nach ebd. Vgl. Alan Kramer: [456], S. 334; Ian Kershaw: War and Political Violence in Twentieth-Century Europe, in: Contemporary European History 14, 1, S. 107-123, hier S. 110 (Februar 2005). URL: https://s earch.proquest.com/docview/204230271?accountid=14570 (12. Juli 2018). Vgl. Ian Kershaw: [444], S. 9. Vgl. Volker Berghahn: [361], S. 382. Vgl. ebd. Vgl. Alan Kramer: [455], S. 289. Vgl. ebd., S. 290. Eine Errungenschaft, die sich aus den Bemühungen ergab, Kriege künftig zu verhindern, stellte der Briand-Kellogg-Pakt zwischen Frankreich und den USA aus dem Jahr 1928 dar. Zwar scheiterte der Pakt am Ende, aber er generierte auch eine neue Sicht in den liberaldemokratischen Staaten, Krieg als Mittel der Politik zu ächten. Dieses Prinzip bildete die Grundlage bei der Gründung der Vereinten Nationen. Vgl. Alan Kramer: [455], S. 290.
8. Leid der Zivilbevölkerung
Regelungen gehalten hätten. Er zeichnet in seiner Arbeit anhand von Kriegsfotografien, aufgenommen von Militär- und zivilen Auftragsfotografen, ein drastisches Bild von Kriegsverbrechen und Gewalttaten, die die Mittelmächte an der zumeist unschuldigen Zivilbevölkerung insbesondere an der Ostfront verübten.89 Kriegsgräuel und -verbrechen, Gewalt an Zivilisten, organisiert oder willkürlich – all dies wurde reichlich fotografisch dokumentiert und in den ersten Kriegsjahren eingebettet in die jeweilige Propaganda auch in der Presse veröffentlicht.90 Auf deutscher Seite habe das Fotografieren erst nachgelassen, als sich der Kriegsgegner für die Fotografien zunehmend als Beweismaterial für die deutschen und österreich-ungarischen Kriegsverbrechen zu interessieren begann und die Zensur den Druck erhöhte.91 Holzer stellte in seiner Untersuchung auch fest, dass sich »[d]as bis heute vorherrschende Kriegsbild des Ersten Weltkrieges […] in überwiegendem Maß aus offiziellen Kriegsbildern, d.h. aus Fotografien (und Filmen), die in offiziellem militärischem Auftrag hergestellt wurden«92 , äußert. Private Aufnahmen, die es ebenso zahlreich gäbe und die auch Hinrichtungen und Gewaltakte gegen Zivilisten zeigten, hätten dagegen wenig Eingang in das offizielle Gedächtnis gefunden.93 Dabei sei zu unterscheiden, dass es sich bei den Fotografien auch um Bildmaterial handeln konnte, das eigens zu Propagandazwecken aufgenommen wurde. Denn vielfach wurden die hingerichteten Personen mit Schildern um den Hals, auf denen die Aufschrift Verräter oder Spion zu lesen war, fotografiert, um so Kriegshandlungen zu rechtfertigen. Den Alliierten dienten diese Aufnahmen hingegen, um das brutale und grausame Handeln der deutschen oder österreich-ungarischen Truppen zu belegen.94 Dass die Hingerichteten von den Truppen oftmals für die Öffentlichkeit exponiert über Tage hinweg an den Galgen, Bäumen oder Straßenlaternen hängen gelassen wurden, sei, so Holzer, ein deutliches Zeichen, dass es hierbei nicht nur um eine streng gehandhabte Kriegsjustiz gegangen sei, sondern darum, ein »sorgfältig inszenierte[s] Schauspiel der Rache«95 zur Abschreckung zu statuieren.96 Holzer hält fest, dass die Fotografien teilweise kommentiert, vervielfältigt, kopiert, beschriftet, retuschiert und beschnitten worden seien und dadurch die Bedeutung der Fotografien sich veränderte. So könne aus den Fotografien Schaulust und Sensationsgier der Soldaten und Offiziere sprechen oder Beschämung, die den Blick auf die Schuld der Täter richten wollte.97 Julia Encke stellt fest, dass das Fotografieren an der Front im Laufe der Kriegsjahre zu einem solchen Ausmaß geführt habe, dass vom Ersten Weltkrieg auch von einem »Krieg mit und in Bildern«98 gesprochen werden könne. Neben
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Vgl. Anton Holzer: [431], S. 9 und S. 18f. Vgl. ebd., S. 13 und S. 109. Vgl. ebd., S. 10, S. 13 und S. 109f. Ebd., S. 164. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 40-43 und S. 107. Ebd., S. 43. Vgl. ebd., S. 43 und S. 107. Vgl. ebd., S. 108. Julia Encke: [392], S. 17.
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amtlich bestellten Fotografen seien auch unzählige Soldaten mit Fotoapparaten ›bewaffnet‹ gewesen und hätten trotz Reglementierungen und Verboten, die bei Zuwiderhandlung entsprechend sanktioniert wurden, ihren Kriegsalltag an der Front oder in den besetzten Gebieten fotografisch festgehalten. Mitunter konnte man so der Spionage verdächtigt werden und war generell der Zensur unterworfen, wenn bisweilen auch Lockerungen oder deren Aufhebung für Amateuraufnahmen getroffen wurden.99 Die Fotografien zeigten zwar immer nur einen Teil der Realität, da sie in der Regel auf Seiten der Täter entstanden, jedoch seien sie Quellenmaterial und somit wichtige Zeugnisse zum Ersten Weltkrieg und würden zur Geschichte und Erinnerung beitragen, sowohl aus Opfer- als auch aus Tätersicht.100 Encke konstatiert, dass die meisten der Kriegsfotografien, Portrait- oder Gruppenaufnahmen, die die Soldaten mit Gewehr im Anschlag oder beispielsweise vor zerstörten Panzern oder Flugzeugen zeigten, gestellt waren. Dennoch hätten die Fotos illustriert, wie gekämpft und gesiegt wurde.101 Es sei den Soldaten durchaus bewusst gewesen, dass sie an außergewöhnlichen Ereignissen teilnahmen, die es fotografisch festzuhalten gegolten habe.102 Bei Encke finden sich weniger kritische Betrachtungen zur Kriegsfotografie im Vergleich zur Arbeit von Anton Holzer. Sie hebt hervor, dass sich der Soldat als Fotograf der Gefahr aussetzte, in dem Moment, in dem er die Waffe gegen den Fotoapparat tauschte, um »›ein Bild zu schießen‹«103 , sich wehrlos einem möglichen gegnerischen Angriff aussetzte, was nicht selten mit dem Leben bezahlt worden sei.104
Westfront – Kriegsgräuel in Belgien Dass der Krieg insbesondere auch in seiner Gewalt gegen die Zivilbevölkerung kein Zufall war, zeigten die zahlreichen überlieferten Fotografien von Massenhinrichtungen, Erschießungen, Belege zu Internierungen, Deportationen oder Zwangsarbeit. Gewalt an Zivilisten, denen Spionage und Verrat zur Last gelegt wurde, ob begründet oder unbegründet, äußerte sich auch entgegen dem Kriegsrecht in Vergewaltigungen, Plünderungen, Zerstörung von Privathäusern und in willkürlichen Tötungen.105 Für die Westfront lässt sich dies am Beispiel von Belgien darlegen. Die alliierten Mächte sprachen im Fall von Belgien von deutschen Gräueltaten, die Deutschen auf der anderen Seite von einem illegitimen Volkskrieg, der eine harte Gegenreaktion erforderlich gemacht hätte.106 Noch während des Krieges erschien ein Werk des belgischen Soziologen Fernand van Langenhove, der den Glauben der Deutschen an einen belgischen FranktireurKrieg107 als Legendenzyklus bezeichnete. Langenhove bot aber keinerlei Erklärungen, 99 100 101 102 103 104 105 106 107
Vgl. ebd., S. 17f. Vgl. Anton Holzer: [431], S. 14. Vgl. Julia Encke: [392], S. 18. Vgl. Bode von Dewitz bei ebd. Ebd., S. 20. Vgl. ebd., S. 20f. Vgl. Anton Holzer: [431], S. 12. Vgl. John Horne/Alan Kramer: German Atrocities, 1914. A History of Denial, New Haven 2001, S. 419. Bei den Franktireuren handelte es sich um Zivilisten, die aus Sicht der Deutschen heimtückisch, nicht uniformiert und mit versteckt getragenen Waffen die deutschen Truppen von der belgischen
8. Leid der Zivilbevölkerung
warum die Reaktion auf den angeblichen belgischen Widerstand so drastisch ausfiel.108 Marc Bloch, der über die Arbeit von Langenhove reflektierte, kam zu dem Schluss, dass in Momenten von Krisen und Spannungen tiefgreifende Ansichten, wie im Falle der deutschen Angst vor einem erneuten Franktireur-Krieg, Manifestationen des Irrationalen hervorrufen könnten.109 Die mündliche Wiedergabe, und somit auch Gerüchte und Legenden, hätte als Gegenentwurf zu zensierten oder zu Propagandazwecken manipulierten schriftlichen Informationen gegolten, so dass die Soldaten, verunsichert und misstrauisch, der eigenen Führung nicht weiter getraut hätten.110 Beide Ansätze waren ihrer Zeit damals voraus, gerieten aber in Vergessenheit.111 Between the wars, historians reflected the prevalent scepticism which saw ›German atrocities‹ as essentially an Allied fabrication, and thus as part of the broader issue of manipulation by propaganda. This remained the dominant view after the Second World War. It was closely related to the belief that the real message of the Great War was the horror of industrial warfare and nationalist passions, and to the associated conviction that liberal democratic states betrayed their own principles by manipulating opinion in support of the conflict.112 Entgegen ihrer besonderen Grausamkeit hätten die deutschen Gräueltaten von 1914 jedoch vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit von Historikern erfahren, so John Horne und Alan Kramer.113 Es habe lediglich einen Versuch in den 1950er Jahren in Kooperation zwischen deutschen und belgischen Historikern gegeben, die tatsächlichen Umstände und Abläufe zu erforschen. Im Falle von Löwen seien die belgischen Proteste hinsichtlich der Unschuld der Belgier korrekt gewesen. Die Aufzeichnungen des deutschen Au-
Regierung als Volkskrieg geplant überfallen hätten. Wobei auch Frauen, Kinder und katholische Priester unter den Franktireuren zu sein, verdächtigt wurden. Vgl. Alan Kramer: [455], S. 283f; Ders.: Art. »Franktireur«, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, hg.v. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz, aktualisierte und erw. Studienausgabe, Paderborn u.a. 2009, S. 500f. 108 Vgl. John Horne/Alan Kramer: [433], S. 3. Hierzu vgl. Fernand van Langenhove: Wie Legenden entstehen! Franktireurkrieg und Greueltaten in Belgien, Zürich 1917. 109 Vgl. John Horne/Alan Kramer: [433], S. 3; Marc Bloch: Réflexions d’un historien sur les fausses nouvelles de la guerre, in: Marc Bloch/Etienne Bloch (Hgg.): Écrits de guerre (1914-1918), Erstveröffentlichung in Revue de synthèse 1921, Paris 1997, S. 169-184. 110 Vgl. die Zusammenfassung von Blochs Überlegungen bei Anton Holzer: [431], S. 59. Zur Legendenbildung, beispielsweise die Engelserscheinung von Mons im September 1914 oder die Spiritualität unter den Soldaten, aber auch in der Zivilbevölkerung in der Zeit des Ersten Weltkrieges vgl. Jay Winter: Sites of Memory, Sites of Mourning. The Great War in European Cultural History (= Studies in the Social and Cultural History of Modern Warfare 1), Cambridge/New York 1995, S. 54-77, insbesondere S. 67f. 111 Vgl. John Horne/Alan Kramer: [433], S. 3. 112 Ebd. 113 Vgl. ebd.
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ßenministeriums im Weißbuch von 1915114 zur Rechtfertigung gegen die »Allied atrocity charges«115 seien hingegen nicht glaubwürdig.116 John Horne und Alan Kramer untersuchten in ihrer Studie aus dem Jahr 2001 die Beweise beider Seiten. Sie konnten die offizielle Kriegsschätzung von rund 6.500 zivilen Opfern in Belgien und Frankreich zwischen August und Oktober 1914 bestätigen.117 Darüber hinaus stellten Horne und Kramer fest, wie die beiden völlig unterschiedlichen Vorwürfe beziehungsweise die gegenseitige Leugnung der Gräueltaten zustande kam. Die deutschen Invasionstruppen seien von der großen Furcht erfasst gewesen, die beinahe schon an eine Wahnvorstellung gegrenzt habe, dass feindliche Zivilisten in einem massiven Franktireur-Widerstand involviert gewesen wären. Diese Wahnvorstellung, genährt aus den Erfahrungen und den ideologischen und kulturellen Prägungen des Deutsch-Französischen Krieges 1870/1871, nahm ein solches Ausmaß an, dass die Soldaten diese Vorstellungen für die Realität hielten.118 Einen solch kollektiven Massenwiderstand, wie er 1870/1871 der Fall gewesen war, habe es 1914 jedoch weder auf ziviler noch auf militärischer Seite gegeben. Es habe zwar Beschuss auf die deutschen Truppen durch belgische Zivilisten gegeben, jedoch hatte dieser lediglich in Dinant, Löwen oder Lüttich in Belgien oder in Nomény, Longuyon und Haybes in Frankreich Massenexekutionen als Bestrafung zur Folge.119 Diese Massenexekutionen, denen in Löwen, Tamines oder Dinant fast ein Zehntel der Zivilbevölkerung zum Opfer gefallen sei, stellten aus Alliiertensicht Kriegsgräuel dar, die nicht nur moralisch zu verurteilen gewesen wären, »sondern konstituierten im eigentlichen Sinn Kriegsverbrechen«120 , für die Deutschland nach Kriegsende juristisch zu belangen war.121 Alan Kramer fasst zusammen, dass dem Schutz von Nichtkombattanten eine große Rolle im »jus in bello«, dem Recht im Krieg, bereits vor 1914 zugekommen und wonach ein Beschuss von unverteidigten Orten verboten war.122 Der Angriff auf die belgische Stadt Löwen, die nicht verteidigt worden sei, habe, wie die Alliierten es zu Recht sahen, einen Verstoß gegen das Völkerrecht dargestellt. Anders habe es sich bei den Beschießungen auf Nomény, Nancy oder Reims verhalten, die während regulärer KampfhandDas Weißbuch von 1915 war ein Produkt des Außenministeriums zur Manipulation und konstruierte offiziell einen Freischärlerkrieg. Vgl. ebd., S. 420; zu den Weißbüchern vgl. auch Peter Schöller: Der Fall Löwen und das Weißbuch. Eine kritische Untersuchung der deutschen Dokumentation über die Vorgänge in Löwen vom 25.-28.8.1914, Köln u.a. 1958. Bei den sogenannten Farbbüchern (Weiß – Deutschland, Blau – Großbritannien, Rot – Österreich-Ungarn, Grün – Italien, Orange – Serbien, Schwarz – Russland, Gelb – Frankreich) handelt es sich um Rechtfertigungsschriften, die, so Gerd Krumeich, dazu dienten, zum einen die Kriegsbegeisterung anzukurbeln und zum anderen die Kriegsvorbereitungen, Mobilmachungen und Kriegserklärungen gegenüber der eigenen Bevölkerung, aber auch die Landesverteidigung nach außen zu rechtfertigen. Vgl. hierzu Gerd Krumeich: [462], S. 188f. 115 John Horne/Alan Kramer: [433], S. 3. 116 Vgl. ebd. 117 Vgl. ebd., S. 419. 118 Vgl. ebd. 119 Vgl. ebd.; Alan Kramer: [455], S. 283. 120 Ebd. 121 Vgl. ebd. 122 Vgl. ebd., S. 282. 114
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lungen angegriffen worden seien.123 Zudem habe sich die deutsche Militärführung bei der Invasion von Belgien und Frankreich darüber hinaus schuldig gemacht, als zwischen August und Oktober 1914 Geiseln als »menschliche Schutzschilde«124 genommen wurden wie bei der Einnahme der belgischen Städte Lüttich, Namur, Tamines und Dinant sowie der französischen Städte Lunéville, St. Dié und Senlis. Geiselnahmen und insbesondere das Töten von Geiseln waren zu diesem Zeitpunkt bereits durch die HLKO und auch durch andere Militärgesetze verboten.125 Tatsächlich hätten die meisten deutschen Gräueltaten gerade dort stattgefunden, wo keine belgische Garde Civique existierte, eine mit Zylinder bekleidete Bürger- oder Landwehr, die ihre Ursprünge im Dreißigjährigen Krieg hatte und die von den Deutschen als Wurzel der Franktireure betrachtet wurde.126 In Frankreich behaupteten die Deutschen nicht einmal die Existenz einer solchen Truppe, um ihre Taten zu rechtfertigen.127 Die deutsche Antwort auf eingebildete feindliche Gräueltaten könne jedoch nicht ausschließlich im Hinblick auf die Umstände, Mythen oder kulturelle Prägungen erklärt werden. Während Gewalt gegen Zivilisten vor dem 18. August 1914 hauptsächlich von autonomen Truppen herrührte, war die Hauptinvasion geprägt von den Befehlen der Obersten Heeresleitung (OHL) und der Heerführer. Diese wiesen darauf hin, dass zivile Gegenwehr zu erwarten sei und darauf mit Kollektivstrafen zu reagieren wäre, bei denen die Unschuldigen für die Schuldigen zu leiden hätten. Diese Anordnungen erwähnten viele deutsche Soldaten in ihren Feldpostbriefen.128 Gemäß dem Völkerrecht waren jedoch Angriffe, die direkt auf die Zivilbevölkerung gerichtet waren, rechtswidrig; stattdessen sah die HLKO vor, das Leben von Zivilisten zu schützen und Kollektivstrafen für die Taten Einzelner waren verboten. Jedenfalls, so stellt Kramer klar, sei es den deutschen Militärbehörden in keinem der Fälle gelungen, einen Franktireur in einem kriegsrechtlichen Prozess zu überführen.129 Belgien sei eine friedliche Nation gewesen, die auch nicht auf einen Krieg vorbereitet gewesen wäre.130 Die Bevölkerung sei durch öffentliche Aushänge instruiert worden, jeglichen Widerstand zu vermeiden, der zu Repressalien oder Blutvergießen, Plünderungen oder sogar zu Massakern an der Zivilbevölkerung führen könnte. Zivilisten seien seitens der Regierung zudem aufgefordert worden, Feuerwaffen den Behörden zu übergeben.131 Dan Todman spricht davon, dass die deutschen Gräueltaten eine Sache der Taktik und nicht nur eine panische Reaktion gewesen seien. Die deutschen Truppen hätten zwischen 3.000 und 5.000 Zivilisten getötet, sowie drei bedeutende belgische Städte –
123 124 125 126 127 128 129 130 131
Vgl. ebd. Ebd., S. 283. Vgl. ebd. Vgl. John Keegan: [442], S. 90. Vgl. John Horne/Alan Kramer: [433], S. 420; Alan Kramer: [455], S. 283. Vgl. John Horne/Alan Kramer: [433], S. 420. Vgl. Alan Kramer: [455], S. 283-285. Vgl. John Keegan: [442], S. 91. Vgl. ebd., S. 91f.
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darunter die bedeutende Bibliothek in Löwen – zerstört.132 Berichte von Gewalt gegen Nonnen, von Kindern, denen die Hände abgeschlagen wurden, oder Babys, die auf Bajonette aufgespießt wurden, hält Todman für übertrieben und schreibt sie der späteren Propaganda zu.133 Für die Nachwelt sind besonders die Gräueltaten der deutschen Truppen im Fall der belgischen Städte Löwen und Dinant in Erinnerung geblieben. Löwen war bekannt für seinen mittelalterlichen Stadtkern, darunter das Rathaus und die Bibliothek der 1425 gegründeten Universität, die selbst in einem noch älteren Gebäude, einer ehemaligen Tuchhalle aus dem 14. Jahrhundert im Stil der Brabanter Gotik, untergebracht war. Dem Einmarsch der deutschen Truppen waren bereits Nachrichten über Grausamkeiten gegenüber der belgischen Bevölkerung vorausgegangen, seit die deutschen Truppen am 4. August 1914 bei Lüttich die Grenze überschritten hatten. Den Berichten nach seien bis zum 12. August 1914 bereits fast 640 Zivilisten den Deutschen zum Opfer gefallen. Am 19. August 1914 sei es bei Aarschot zu einer Massentötung mit knapp über 150 Toten gekommen und tags darauf zu weiteren 262 Opfern in Andenne.134 Die Zahlen hierzu variieren, Keegan etwa spricht in Andenne von 211, in Tamines von 384 und in Dinant von 612 getöteten Zivilisten, wobei sich auch Frauen und Kinder darunter befunden hätten. In Tamines seien die Bürger auf einem Platz gesammelt und von Exekutionseinheiten erschossen worden. Wer die Erschießung überlebte, sei mit Bajonetten erstochen worden.135 Die Stadtführung von Löwen hatte auf diese Berichte hin Waffen in privater Hand konfisziert, um möglichen Vergeltungsmaßen gegen Zivilisten vorzukommen und warnte, dass nur die regulären Truppen militärische Aktionen durchführen durften. So drangen die deutschen Truppen am 19. August 1914 ohne Gegenwehr in Löwen ein und besetzten die Stadt. Die Bewohner wurden mit Plakataushängen aufgefordert, ihre Haustüren die ganze Nacht offenzuhalten und die Fenster zu beleuchten.136 Am 25. August 1914 kam es zum Alarm vor einem belgischen Gegenschlag auf das von den Deutschen besetzte Löwen. Der Alarm und zusätzliche Gerüchte über englische Truppen sowie einen angeblichen Beschuss durch Franktireure provozierten große Panik unter den deutschen Soldaten. Diese begannen die Gebäude der Stadt in Brand zu setzen und zu zerstören. Die Bibliothek sei vorsätzlich mit Hilfe von Brandbeschleunigern in Brand gesteckt worden und brannte bis auf die Grundmauern nieder. Tausende sehr seltene Bücher, Inkunabeln, aus der Zeit des Humanismus und des frühen Buchdrucks sowie antike und mittelalterliche theologische Schriften und das gesamte Universitätsarchiv verbrannten binnen Stunden zu Asche.137 Anderntags, am 26. August 132 133 134 135 136
137
Todman benennt hier andere Zahlen als John Horne und Alan Kramer. Vgl. Dan Todman: [522], S. 124f. Vgl. ebd., S. 125. Vgl. für den Abschnitt zu den Ereignissen in Belgien Alan Kramer: [456], S. 6. Vgl. John Keegan: [442], S. 92. Vgl. zu Löwen Alan Kramer: [456], S. 6f. Zudem wurden Mitarbeiter der Stadtverwaltung, des Stadtrats und der Universität als Geiseln unter der Drohung bei jeglichen feindlichen Maßnahmen die Tötung der Geiseln zu veranlassen, genommen und die Stadtkasse beschlagnahmt. Vgl. ebd., S. 7. Vgl. zur Zerstörung der Bibliothek von Löwen bei ebd., S. 7-9. John Keegan benennt Zahlen, wonach 209 Zivilisten getötet, 230.000 Bücher verbrannt und über 1.000 Gebäude zerstört worden seien. Vgl. John Keegan: [442], S. 92f.
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1914, gingen die deutschen Soldaten gegen die Bevölkerung vor. So seien Männer, Frauen und Kinder geschlagen, gefesselt und gezwungen worden, beim Verbrennen ihrer Häuser zuzusehen, um anschließend erschossen zu werden.138 Die Opfer hätten zum Teil auch Verwundungen gezeigt, die auf Folter schließen ließen, bevor man die Personen tötete und teilweise nicht einmal ordentlich bestattete, sondern »dumped pellmell in ditches and construction trenches.«139 Dies spreche dafür, dass die Ermordungen, von den Deutschen als Exekutionen bezeichnet, mit äußerster Gewalt und großem Hass ausgeführt worden seien.140 Auch die Zerstörung der Stadt Dinant und die Massenhinrichtung der Einwohner hatten einen internationalen Aufschrei der Entrüstung zur Folge. Die Einwohner seien bereits entwaffnet im Gewahrsam der deutschen Soldaten gewesen, als diese beschossen worden seien. Die Soldaten hätten die Zivilisten beschuldigt und getötet, darunter auch Frauen, Kinder und Alte.141 Berichte von angeblichem Beschuss aus dem Hinterhalt sollten vor allem den Mythos der Franktireure untermauern. Sie dienten den deutschen Truppen auch dazu, ihre brutale Vorgehensweise gegenüber der Zivilbevölkerung zu rechtfertigen. Im Mai 1915 unternahm das deutsche Auswärtige Amt mit der Publikation des Weißbuchs den Versuch, das eigene Vorgehen auch gegenüber dem Ausland zu legitimieren.142 Ian Kershaw kommt zu dem Schluss, dass durch solche Mythen die Legitimierung von massiver Brutalität und Gewalt gegen Zivilisten zum Teil der modernen Kriegsführung wurden.143 Kramer folgert, dass die Zerstörung Löwens, anders als im Falle von Dinant, wohl weniger auf der Grundlage eines militärischen Plans als eher aufgrund von früheren Erfahrungen, kulturell begründeten Annahmen und der Angst der Soldaten erfolgt sei, da eine unzerstörte Stadt den Truppen weit mehr genutzt hätte.144 Eine große Rolle bei der Zerstörung hätten auch antikatholische Ängste in der deutschen Armee und der Status Löwens als intellektuelles katholisches Zentrum Belgiens gespielt, so Kramer.145 Die Zerstörung rivalisierender kultureller Symbole diente daher als adäquates Mittel.146 Da das Ansehen Deutschlands aufgrund der Gräueltaten massiv litt und somit auch die Unterstützung von internationalen Partnern in Gefahr geriet, richtete man eine Abteilung zur Untersuchung von Kriegsverbrechen im preußischen Kriegsministerium ein.147 Insbesondere habe die Reputation Deutschlands, seines Militärs und die des Kai-
138 139 140 141 142
Vgl. Alan Kramer: [456], S. 8-10. Ebd., S. 8. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 15. Vgl. ebd., S. 15-17 und S. 22f. Hierzu vgl. Auswärtiges Amt (Hg.): Die völkerrechtswidrige Führung des belgischen Volkskriegs, Berlin 1915. 143 Vgl. Ian Kershaw: [444], S. 110. 144 Vgl. Alan Kramer: [456], S. 19-21. 145 Vgl. ebd., S. 20. 146 Vgl. ebd. 147 Vgl. ebd., S. 23.
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sers in den USA gelitten, als erste Berichte über die Massaker und Plünderungen der deutschen Truppen öffentlich bekannt wurden.148 Ending the targeting of civilians must have been a conscious decision, for the muchpublicized atrocities were a heavy liability to Germany’s reputation in the battle for international support in a long war. The opportunity to maltreat civilians was still present since most of Belgium and […] north-east France were under German occupation for the rest of the war. Whatever the considerable degree of oppression during the occupation, including forced labour, forced prostitution, deportation, prison sentences for recalcitrance: mass killings of the type seen in August to October 1914 were not repeated.149 Nichtsdestotrotz hätte sich die generelle Haltung, wie die deutschen Truppen einen Krieg zu führen hätten, nicht geändert. Das oberste Ziel sei der Sieg. Dieses Ziel würde auch weiterhin mit Terror gegen die Zivilbevölkerung oder der Bombardierung unverteidigter Städte geführt werden, wenn es für notwendig erachtet würde, so habe sich der Leiter des deutschen militärischen Nachrichtendienstes Walter Nicolai, in dessen Zuständigkeit auch die Propaganda fiel, gegenüber einem amerikanischen Journalisten zu Beginn des Jahres 1915 geäußert.150 Trotzdem waren auch die alliierten Regierungen schnell dabei die deutsche Art und Weise der Propaganda für ihre Zwecke zu nutzen und in der Heimat und in neutralen Ländern die öffentliche Meinung zu mobilisieren. Die Propaganda der Alliierten habe sich dabei hauptsächlich auf inoffizielle und informale Quellen, die den Äußerungen von traumatisierten Opfern entsprangen, gestützt und sei sehr reißerisch gewesen, so John Horne und Alan Kramer.151 Dennoch trugen die Gräueltaten zur Deutung des Krieges und zum Entstehen der unterschiedlichen Erinnerungen auf beiden Seiten maßgeblich bei: Die alliierte Propaganda über die Gräueltaten entstand als Folge der Realität der deutschen Repressionen; die deutschen Gräueltaten gründeten jedoch lediglich auf einen von den Deutschen imaginierten Volkskrieg.152
Ostfront – Armenienfrage Der Krieg im Osten sei von einer großen Brutalität insbesondere auch gegen die Zivilbevölkerung geprägt gewesen. Bei dem Vernichtungs- und Vertreibungskrieg im Osten habe es sich um eine Fortsetzung des industriellen Krieges im Westen gehandelt.153 Wenn von der Darstellung des Leides die Rede ist, dann verzichtet keine der untersuchten Ausstellungen darauf, das Schicksal der Armenier anzusprechen. In Dynamic of Destruction aus dem Jahr 2001 schrieb Alan Kramer noch von einem Genozid an den Armeniern durch das Osmanische Reich. Dem Vorgehen der Osmanen 1915/1916 habe eine kausale Verkettung aus militärischen Rückschlägen, Rassismus und einer Tendenz zu genozidalen Vergeltungsmaßnahmen und Repressalien zugrunde gelegen. Wenngleich
148 149 150 151 152 153
Vgl. John Keegan: [442], S. 92. Alan Kramer: [456], S. 23. Vgl. ebd., S. 24. Vgl. John Horne/Alan Kramer: [433], S. 420f. Vgl. ebd., S. 421. Vgl. ebd.
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das Potential zu einem Genozid einem totalen Krieg immanent wäre, so sei ein Genozid jedoch keine unabwendbare Konsequenz eines totalen Krieges, so Kramer.154 2010 spricht Kramer ›nur noch‹ von einer ethnischen Säuberung, die einem Genozid gleichgekommen sei und die die Entfernung der nichttürkischen und nicht muslimischen Bevölkerungsanteile im Osmanischen Reich zum Ziel hatte. Im Auftrag der Regierung der Jungtürken155 wurden 1915/1916 die Männer getötet und Überlebende, in der Regel Frauen und Kinder, vertrieben und unter unmenschlichen Bedingungen auf Trecks durch die Wüste geschickt.156 Nach Donald Bloxham war das armenische Schicksal »composed of two elements: ethnic cleansing, or forced collective displacement, and direct physical annihilation. Only because of the presence of both elements is the epithet genocide applicable«157 . Begrenzte nationalistische Bestrebungen der Armenier und die Entente-Mächte, insbesondere Russland, seien wichtige Auslöser gewesen, dass die Politik des Osmanischen Reiches eskalierte.158 So habe die Regierungspartei Komitee für Einheit und Fortschritt gemeinsam mit der zivilen politischen Gruppierung der Jungtürken den Genozid angeordnet.159 Zwar hätten bereits zuvor eher regional begrenzte Gewalttaten gegen Armenier stattgefunden, die sich erst im Frühsommer 1915 mit dem Aufstand in Van zu einer »policy of general killing and death by attrition«160 entwickelt hätten. Vor diesem Zeitpunkt könne jedoch nicht von einem Genozid oder einer genozidalen Absicht gesprochen werden.161 Im Gegensatz dazu spricht Wolfgang Gust in seiner Untersuchung eindeutig von Völkermord an den Armeniern.162 Bereits im März 1915 habe es einen Zwischenfall mit armenischen Deserteuren gegeben, die seitens des türkischen Militärs erschossen wurden. Immer wieder sei es zu Scharmützeln gekommen. Der Aufstand von Van war dann der offizielle Anlass zum Völkermord, so Gust.163 Gust beschreibt, dass die Män-
154 155
Vgl. Alan Kramer: [456], S. 333f. Die Jungtürken vertraten eine Osmanismus genannte Ideologie, die sich nach der Niederlage im Ersten Balkankrieg zu einer Ideologie entwickelte, die eine Vorherrschaft des Islams und der Türken vor allen anderen Religionen und Ethnien innerhalb des Osmanischen Reiches vorsah. Vgl. hierzu Wolfgang Gust: Art. »Armenier«, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, hg.v. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz, aktualisierte und erw. Studienausgabe, Paderborn u.a. 2009, S. 342. 156 Vgl. hier Alan Kramer: Ethnische Säuberungen vom Ersten Weltkrieg zum Nationalsozialismus, in: Gerd Krumeich/Anke Hoffstadt/Arndt Weinrich (Hgg.): Nationalsozialismus und Erster Weltkrieg (= Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte, Neue Folge 24), Essen 2010, S. 331f. 157 Donald Bloxham: The Great Game of Genocide. Imperialism, Nationalism, and the Destruction of the Ottoman Armenians, Oxford 2005, S. 70. 158 Vgl. ebd. 159 Vgl. Alan Kramer: [456], S. 334. 160 Donald Bloxham: [363], S. 70. 161 Vgl. ebd., S. 71. 162 Vgl. Wolfgang Gust: [414], S. 342; weiterführend zur Armenienfrage: Ders.: Der Völkermord an den Armeniern. Die Tragödie des ältesten Christenvolkes der Welt, München/Wien 1993; Ders. (Hg.): Der Völkermord an den Armeniern 1915/16. Dokumente aus dem politischen Archiv des deutschen Auswärtigen Amts, Springe 2005. 163 Vgl. Wolfgang Gust: [414], S. 342.
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ner meist von den Frauen und Kindern getrennt gleich zu Beginn der Deportationen ermordet wurden. Die Deportationen erfolgten zumeist in Todesmärschen ohne ausreichend Nahrung und Wasser. Teilweise wurden die Vertriebenen bis zur Erschöpfung im Kreis geführt.164 Ian Kershaw führt den Genozid an den Armeniern auf die »incorporation of pseudoscientific race theories into populist politics«165 zurück, was zur Bildung eines nationalen Selbstbewusstseins beitrug. Insbesondere auf dem Balkan, wo der ethnischen Zugehörigkeit große Bedeutung zukam, habe diese 1915 maßgeblich zu schlimmen Massakern an den Armeniern beigetragen.166 Der Krieg an der Ostfront sei besonders auf dem Balkan von Gewalt gegen die Zivilbevölkerung geprägt gewesen. Dem Gehorsam der eroberten Bevölkerung sei demnach große Bedeutung zu gekommen, denn dort wo es daran gefehlt habe, seien Zivilisten Massenexekutionen zum Opfer gefallen.167 Münkler bezeichnet die Ost- und die Balkanfront folglich als »Räume der Galgen und der Gehenkten.«168 Dass politische Gewalt in Nationen wie dem Vereinigten Königreich, wobei Irland ausgenommen sei, relativ selten vorkam, habe an etablierten demokratischen Strukturen, Werten und Mentalitäten gelegen, aber auch an befriedigten oder nicht vorhandenen imperialistischen Ambitionen und an einem nationalen Selbstbewusstsein, das sich eher auf einer konstituierenden Staatlichkeit gründete als auf ethnischer oder kultureller Zugehörigkeit. Das Gegenteil davon sei in Deutschland oder in Österreich-Ungarn, aber auch Russland der Fall gewesen.169 Gerade in Staaten, in denen die ethnische Aufsplitterung groß und das Streben nach der Vorherrschaft umstritten gewesen sei, habe die ethnische Frage die Bereitschaft zu großflächiger politischer Gewalt ansteigen lassen. Denn gerade in zersplitterten Nationen sei das Ziel der »ethnically ›cleansed‹ nationstat[e]«170 gewesen. Für die Umsetzung eines ›ethnisch reinen Nationalstaats‹ sind laut Michael Mann in der Regel staatliche Eliten verantwortlich, die dafür mörderische ethnische Säuberungen durchführten. Mann sieht solche Säuberungen als Endprozess von staatlicher Desintegration der unterschiedlichen Ethnien, Rückbildung und Radikalisierung. Insbesondere seien rivalisierende Herrschaftsansprüche der Hauptgrund, der zu einer Säuberung führen würde.171
Heimatfront – ›enemy aliens‹ und ›innere Feinde‹ Kriegsgefangene gab es auch bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Der systematische Ausbau von Internierungslagern fand jedoch erstmals in dessen Verlauf statt. Grundsätzlich seien die Bedingungen in den Kriegsgefangenen- oder Internierungslagern im Westen, sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien, human gewesen. Jedoch 164 165 166 167 168 169 170 171
Vgl. ebd., S. 343. Ian Kershaw: [444], S. 111. Vgl. ebd. Vgl. Herfried Münkler: [482], S. 756. Ebd. Vgl. für den Abschnitt Ian Kershaw: [444], S. 115. Ebd., S. 117. Vgl. Michael Mann: The Dark Side of Democracy. Explaining Ethnic Cleansing, Cambridge 2005, S. 23-33.
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stellte die Internierung von Zivilisten an sich eine Völkerrechtsverletzung dar.172 Das Lagersystem, das hingegen im Osten und Südosten existierte, habe auf Plänen gegründet, die bereits vor dem Krieg existierten. So sei in Serbien auch unter den Soldaten in den Lagern bereits von planmäßiger Ausrottung die Rede gewesen.173 Jedoch sei für den Ersten Weltkrieg zu beachten, dass die Gewalttaten zu keiner Zeit auch nur eine annähernde Systematik und Planung wie die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten erreichte und seien mit dieser keinesfalls vergleichbar.174 Dennoch habe »[d]er systematische Krieg gegen die Zivilbevölkerung nicht erst im Jahr 1941, sondern […] bereits 1914 begonnen.«175 Auch im Osten sei es zu antijüdischen Ausschreitungen gekommen, aber »[d]er nationalsozialistische Vernichtungsfeldzug ging weit über die Gewalttaten des Ersten Weltkriegs hinaus.«176 Die Nationalsozialisten haben sich jedoch die Erfahrungen zunutze gemacht, so Holzer. Sie setzten »Massendeportationen von Zivilisten ein [und] knüpfte[n] an die Lagerpolitik des Krieges 1914 bis 1918 an und spitze[n] diese in den Vernichtungslagern radikal zu.«177 Erst im Zweiten Weltkrieg sei aus regional begrenzter und »spontaner«178 Gewalt eine »flächendeckende bürokratisch-maschinelle Vernichtungsmaschinerie«179 geworden. Im Ersten Weltkrieg sei die Deportation zur Internierung erfolgt, erst im Zweiten Weltkrieg sei daraus die Vorstufe der Vernichtung geworden.180 Und auch die Massenhinrichtungen als Bestrafungs- und Vergeltungsmaßnahmen des Ersten Weltkrieges hätten sich erst im Zweiten Weltkrieg zu der unvorstellbaren »Brutalität und […] Totalität«181 entwickelt.
Vgl. Alan Kramer: [455], S. 286. Weiterführend sei auf Prisoners, Diplomats and the Great War. A Study in the Diplomacy of Captivity von Richard Speed verwiesen. Speed stellte in seinem bereits 1990 erschienen Buch trotz einiger kontrovers diskutierter Ansätze eine Studie zur Internierung von Zivilisten und Kriegsgefangenen während des Ersten Weltkrieges sowohl in alliierten als auch in Lagern der Mittelmächte zusammen. Ausgehend von Berichten amerikanischer Diplomaten zeigte Speed ein detailliertes Bild über die Zustände in den Lagern. Er ging davon aus, dass die zeitgenössische Propaganda von übertriebener Brutalität vor allem in den Kriegsgefangenenlagern berichtete und nur im Falle von Russland tatsächlich von einem Zusammenbruch der Regeln gesprochen werden konnte. Vgl. John Whiteclay Chambers: Rezension zu: Richard Speed: Prisoners, Diplomats and the Great War. A Study in the Diplomacy of Captivity (= Contributions in Military Studies 97), New York 1990, in: The Journal of American History 78, 2 (1991), S. 708f; Richard Speed: Prisoners, Diplomats and the Great War. A Study in the Diplomacy of Captivity (= Contributions in Military Studies 97), New York 1990. Zusammenfassend zum Thema Internierung ist auch auf den Artikel von Ute Hinz: Art. »Internierung«, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, hg.v. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz, aktualisierte und erw. Studienausgabe, Paderborn u.a. 2009, S. 582-584 zu verweisen. 173 Vgl. Anton Holzer: [431], S. 140f. 174 Vgl. ebd., S. 160. 175 So die These von ebd. 176 Ebd., S. 161. 177 Ebd. 178 Ebd. 179 Ebd. 180 Vgl. ebd. 181 Ebd. 172
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Wie im Falle des Franktireur-Mythos an der Westfront, so habe eine »[k]rankhafte Phantasietätigkeit«182 der deutschen Soldaten auch an der Ostfront zu Gewalt gegen die Zivilisten geführt. Da man aufgrund von »chaotischer und unübersichtlicher Kampfhandlungen und geschürt von der offiziellen Kriegspropaganda«183 sowie den Erfahrungen des Krieges 1870/1871 Spionage und Verrat von allen Seiten gewittert habe.184 Bei der Behandlung von Kriegsgefangenen sahen sowohl die HLKO als auch nationale Militärvorschriften eine menschenwürdige Behandlung vor. Kriegsgefangene durften demgemäß auch zur Arbeit herangezogen werden, jedoch durften diese Arbeiten in keinerlei Bezug zu Kriegsunternehmungen stehen. Strikt verboten war auch das Töten von wehrlosen Feinden oder die Ansage ›kein Pardon walten zu lassen‹. Dass solche Befehle sowohl auf deutscher als auch auf britischer Seite dennoch gegeben wurden, zeigten Kriegsverbrecherprozesse in den 1920er Jahren auf.185 Ebenso seien Misshandlungen von Gefangenen durchaus vorgekommen, so Kramer. Für die Lager an der Westfront stellte er fest, dass dies weniger aufgrund von Brutalität oder Hass, sondern eher als Resultat von organisatorischen Schwierigkeiten, Inkompetenz oder dem Mangel an Nahrungsmitteln der Fall gewesen war.186 An der Süd- und Ostfront habe die Lage hingegen drastischer ausgesehen. Sowohl in russischen als auch in den Lagern der k.u.k. Monarchie seien die Bestimmungen der HLKO vorsätzlich missachtet worden. Die Ernährungslage sei katastrophal gewesen und die Gefangenen seien seitens der Behörden teilweise absichtlich vernachlässigt worden.187 Noch zu erwähnen ist im Ersten Weltkrieg auch die Situation der sogenannten ›enemy aliens‹, die es sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland gab. Eine sich steigernde Xenophobie beziehungsweise ein gestiegener Hass in Verbindung mit der Einführung der Wehrpflicht sorgten dafür, dass Ausländer, insbesondere junge Männer im wehrfähigen Alter, Gefahr liefen interniert zu werden. Hiervon waren im Jahr 1914 etwa 50.000 in Großbritannien lebende Deutsche betroffen. Hätte man sie ausreisen lassen, so hätten sie als potenzielle Soldaten dem Kriegsgegner zur Verfügung stehen können.188 Insbesondere nach der Versenkung des Passagierschiffs RMS Lusitania im Mai 1915 kam es dann in Großbritannien zu massiven Ausschreitungen gegen diese sogenannten ›enemy aliens‹, infolgedessen selbst eingebürgerte Deutsche und Österreicher in Internierungslager verbracht wurden. In Deutschland seien hingegen alle 4.000 britischen männlichen Staatsbürger im wehrfähigen Alter bereits im November 1914 interniert worden, so Kramer. Frauen und Kinder hätten zwar relativ unbehelligt leben können, jedoch sei es ihnen verboten gewesen, in bestimmten Gebieten zu wohnen, den Wohnort ohne Genehmigung zu verlassen oder Autos, Fahrräder und Telefone zu besitzen.189
182 183 184 185 186 187 188 189
Ebd., S. 53. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. Alan Kramer: [455], S. 286f. Vgl. ebd., S. 287. Vgl. ebd. Vgl. für den Abschnitt ebd., S. 286. Vgl. für den Abschnitt ebd.
8. Leid der Zivilbevölkerung
8.3 8.3.1
Analyse Geschichtsbild Forschung zu ›Leid in der Zivilbevölkerung‹
Die Forschung konstatiert, dass das vorherrschende Geschichtsbild des Ersten Weltkrieges überwiegend aus Fotomaterial offizieller seitens der Militärführungen engagierter Fotografen stammt.190 Dieses Material zeigt nicht nur Aufnahmen von der Front, sondern auch wie mit Zivilisten vor allem in den besetzen Gebieten umgegangen wurde und diente in erster Linie propagandistischen Zwecken, sowohl zur Rechtfertigung gegenüber der eigenen Bevölkerung als auch gegenüber den Kriegsgegnern. Dabei war keine der Kriegsparteien zimperlich bei der Auswahl, was fotografiert wurde.191 Hinrichtungen, die als ein »sorgfältig inszenierte[s] Schauspiel der Rache«192 zur Abschreckung dienen sollten, waren ebenso darunter zu finden wie Gewalthandlungen oder Erschießungen.193 Encke spricht sogar davon, dass der Erste Weltkrieg ein »Krieg mit und in Bildern«194 gewesen sei. Insbesondere für die Propagandafotografien stellt die Forschung fest, dass die Fotos überwiegend auf Seiten der Täter entstanden seien und daher meist nur einen Teil der Realität abbilden würden. Trotzdem zeugen die Fotografien, die dadurch wirkmächtige Geschichtsbilder transportieren sowohl von der Täter- als auch der Opferperspektive.195
Westfront – Kriegsgräuel in Belgien In Belgien wurde seitens der britischen Propaganda schnell von den Gräueltaten der deutschen Truppen an den Belgiern gesprochen, die die Forschung auch als bewusste Kriegstaktik bestätigen konnte.196 Besondere Eindrücklichkeit bei der Beschäftigung mit der Gewalt an Leib und Leben der Zivilbevölkerung entwickelt die Beschreibung der Zerstörung der mittelalterlichen Städte Dinant und Löwen mit der bedeutenden Universitätsbibliothek. Sowohl die Zerstörung von Kulturdenkmälern, die sinnbildlich für eine zivilisierte und aufgeklärte Gesellschaft stehen, als auch das brutale Vorgehen der deutschen Truppen, das in Massakern und Hinrichtungen mündete, symbolisieren das Geschichtsbild des Leides der Zivilbevölkerung an der Westfront.197
Ostfront – Armenienfrage Auch wenn die Forschung in der Verwendung der Begriffe Genozid198 oder ethnische Säuberung199 eine kontroverse Diskussion führt, so steht das Schicksal der Armenier 190 191 192 193 194 195 196 197 198
Vgl. Anton Holzer: [431], S. 164. Vgl. ebd., S. 40-43 und S. 107. Ebd., S. 43. Vgl. ebd., S. 43 und S. 107. Julia Encke: [392], S. 17. Vgl. Anton Holzer: [431], S. 14. Vgl. Dan Todman: [522], S. 124f; Alan Kramer: [456], S. 6-9; Ian Kershaw: [444], S. 110. Vgl. Alan Kramer: [456], S. 8-10 und S. 15. Vgl. ebd., S. 333f; Wolfgang Gust: [414], S. 342; Donald Bloxham: [363], S. 70f; Ian Kershaw: [444], S. 111. 199 Vgl. Michael Mann: [474], S. 23-33; Donald Bloxham: [363], S. 70f; Alan Kramer: [457], S. 331f.
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als Bevölkerungsgruppe für ein sehr dramatisches Geschichtsbild zum Umgang mit der Zivilbevölkerung und dem Leid, das bestimmte Bevölkerungsgruppen insbesondere an der Ostfront während des Ersten Weltkrieges zu erdulden und ertragen hatten. Für die Ostfront entwirft Münkler das Bild der »Räume der Galgen und der Gehenkten.«200
Heimatfront – ›enemy aliens‹ und ›innere Feinde‹ In den besetzten Gebieten war die Zivilbevölkerung jedoch nicht nur den Repressalien der Besatzer durch Hinrichtungen aufgrund von Spionageverdacht ausgesetzt. Zivilisten wurden zudem zur Zwangsarbeit für den Krieg herangezogen und interniert, obwohl die HLKO kriegsdienliche Zwangsarbeit verbot.201 In Großbritannien beschäftigt sich die Weltkriegsgeschichtsschreibung mit den sogenannten ›enemy aliens‹, die das Geschichtsbild der in Großbritannien lebenden Deutschen mitgeprägt haben und bis heute ein schwieriges Thema seien.202 Internierungen und Deportationen, Gewalt an und die Tötung von Zivilisten war kein Zufall, wie die Forschung belegen konnte.203 Dies gilt insbesondere für die belgische Zivilbevölkerung und die Armenier.204 Die wohl eindrücklichsten Geschichtsbilder, die die Forschung bei der Beschäftigung mit dem Leid der Zivilbevölkerung beschreibt, können exemplarisch an diesen beiden Bevölkerungen aufgezeigt werden.
8.3.2
Einordnung der Ausstellungen in die Forschung
Insbesondere die Genfer Konvention und die HLKO galten von den Weltkriegsteilnehmern als großteils anerkannte Regelungen zur Verhinderung von unnötigem Leid in bewaffneten Konflikten und Kriegen. Und dennoch spielt Leid in der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg eine gravierende Rolle. Insbesondere die hohe Zahl an zivilen Opfern ging im Vergleich zu vorangegangenen Kriegen in die Millionen.205 Dass das Leid, das die Zivilbevölkerung durch den Krieg und seine mannigfaltigen Formen von Gewaltausbrüchen ertragen musste, gegen gängiges Kriegsrecht verstieß, sei zwar von den Kriegsteilnehmern, je nachdem ob die Täter- oder die Opferperspektive eingenommen wurde, abgestritten worden, jedoch hat die Forschung die Tatsachen deutlich herausgearbeitet.206 Die kriegsrechtlichen Regelungen und deren Bedeutung für die Beurteilung des im Ersten Weltkrieg begangenen Leides an der Zivilbevölkerung fanden jedoch insgesamt kaum Eingang in die Ausstellungsnarrative.
Westfront – Kriegsgräuel in Belgien Das HMP zeigte die Plakate zu Belgien hinsichtlich einer Einordnung in die geschichtswissenschaftlichen Forschungen unkommentiert. Die Exponatbeschreibungen enthielten lediglich eine kurze inhaltliche Zusammenfassung der jeweiligen Bekanntmachung. 200 201 202 203 204 205 206
Herfried Münkler: [482], S. 756. Vgl. Alan Kramer: [455], S. 286f. Vgl. ebd., S. 286. Vgl. Anton Holzer: [431], S. 12. Vgl. John Horne/Alan Kramer: [433], S. 419. Vgl. Volker Berghahn: [361], S. 382; Ian Kershaw: [444], S. 109. Vgl. Alan Kramer: [455], S. 281f; Anton Holzer: [431], S. 12; John Horne/Alan Kramer: [433], S. 419f.
8. Leid der Zivilbevölkerung
Für die tiefergehenden Informationen wurde mittels QR-Codes auf die Sammlungsdatenbank verwiesen. Jedoch enthielten auch die Datenbankeinträge keinen Hinweis auf eine Einordnung in den Forschungsstand. Alan Kramer und John Horne gelangen in ihrer Untersuchung zu dem Schluss, dass die OHL mit Gegenwehr gerechnet und Kollektivstrafen angeordnet habe, insbesondere aufgrund der Furcht vor den sogenannten Franktireuren.207 Diese Furcht vor feindlich gesinnten Zivilisten, die in einen Franktireur-Widerstand involviert sein könnten, habe innerhalb der Invasionstruppen an Wahnvorstellungen gegrenzt.208 Das DHM folgte dieser Sicht nicht, gemäß dem Ausstellungstext hätten die Belgier »[w]ider Erwarten […] heftigen Widerstand«209 geleistet. Kramer, Horne und Keegan kommen auch hinsichtlich der Heftigkeit des Widerstandes, anders als das DHM, zu dem Schluss, dass es einzelne und isolierte Beschießungen durch Zivilisten gegeben habe, jedoch nicht in einem Ausmaß, dass Massenexekutionen von Zivilisten wie in Löwen, Tamines oder Dinant eine gerechtfertigte Strafe gewesen wären.210 Da die Berliner Ausstellung in ihrem Text nicht zwischen den belgischen Truppen und der von den deutschen als angeblichem Franktireur-Widerstand benannten zivilen Wehrtätigkeit unterschied, lässt sich der Widerspruch zur Forschung von Kramer und Horne auch mit einer zu geringen Differenzierung der Begriffe erklären. Denn im Beitrag der Begleitpublikation zum Exponat Französisches Plakat zur Besatzung in Belgien wurde die in der Ausstellung vertretene Darstellung relativiert. Die deutsche Armee sei »auf stärkeren Widerstand als gedacht«211 gestoßen und »Panik und Beschuss durch eigene Truppenteile ließen die deutschen Soldaten an einen belgischen Partisanenkrieg glauben.«212 Aber auch hierzu gibt es Gegenstimmen. Zur Frage, inwieweit das deutsche Handeln bewusst gesteuert oder unbewusst agierend gewesen sei, gibt es ebenfalls abweichende Positionen in der Forschung. So seien Dan Todman zur Folge die deutschen Gräueltaten nicht einfach nur eine panische Reaktion gewesen, sondern hätten zur Kriegstaktik gehört.213 Hingegen stellte das DHM im Ausstellungstext klar, dass die Zerstörung und Brandschatzung in Dörfern und Städten willkürlich erfolgt sei.214 Dies sieht etwa Kramer beispielsweise im Fall von Löwen ebenso. Das Anrücken der belgischen Truppen und möglicherweise Missverständnisse hinsichtlich eines angeblichen Franktireur-Angriffs innerhalb der Stadt hätten die deutschen Truppen provoziert, so dass infolgedessen auch die weltberühmte Universitätsbibliothek in Brand gesteckt worden sei.215 Das MHM zeigte im Vergleich zu den übrigen deutschen Ausstellungen die meisten Exponate zu Belgien. Die Darstellung ging im Gegensatz zum DHM oder zum IWM allerdings kaum auf die deutschen Handlungen gegenüber der Zivilbevölkerung ein, und 207 Vgl. John Horne/Alan Kramer: [433], S. 420. 208 Vgl. ebd., S. 419. 209 Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext [23]; auch im Begleitband ist von unerwartetem Widerstand die Sprache. Vgl. Gerd Krumeich: [266], S. 15. 210 Vgl. John Horne/Alan Kramer: [433], S. 419; Alan Kramer: [455], S. 92. 211 Juliane Haubold-Stolle: [254], S. 64. 212 Ebd. 213 Vgl. Dan Todman: [522], S. 124f. 214 Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext [23]. 215 Vgl. Alan Kramer: [456], S. 7f.
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Europäisierung des Gedenkens?
dass trotz des Leitmotivs des Museums, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Am Beispiel von Löwen und der Zerstörung der Kulturgüter wurden die zivilen Toten zwar erwähnt, jedoch nicht, dass es sich in vielen Fällen um gezielte Exekutionen gehandelt habe, wie Horne und Kramer dies feststellen.216 Dass in Belgien insbesondere die Zivilbevölkerung unter der deutschen Besatzung litt, wurde im Ausstellungstext nur als »erschütternde Erfahrungen von Beschuss, Plünderung und Gewalt in allen Formen«217 und mit »Exzesse gegen die Zivilbevölkerung«218 benannt. Im Katalog zur Ausstellung wurde deutlicher erwähnt, dass es sich bei den etwa 6.500 toten Zivilisten um Opfer von Gewaltakten durch deutsche Soldaten handelte.219 Die First World War Galleries widmeten dem Einmarsch der deutschen Truppen in Belgien und der anschließenden Besatzung erwartungsgemäß – aufgrund der Bedeutung für den britischen Kriegseintritt – viel Raum innerhalb der Ausstellungsfläche. Mit seiner Darstellung der deutschen Gräueltaten in Belgien folgte das IWM der neuesten Forschung von John Horne und Alan Kramer.220 In der Gesamtschau ist dies ebenfalls zutreffend, allerdings spricht Alan Kramer im Falle der Kathedrale von Reims, von der Fensterglasbruchstücke ausgestellt wurden, nicht von einer völkerrechtswidrigen Beschießung, da, anders als im Falle von Löwen, Reims verteidigt wurde.221 Cornish folgert in der Begleitpublikation zur Ausstellung, analog zu Horne und Kramer, dass die Propaganda, entstanden auf realen Geschehnissen, die Deutung des Krieges auf allen Seiten beeinflusst habe.222 Der Ansatz, dass die Berichte von Gräueltaten gegen Nonnen oder Babys als von der Propaganda manipuliert und übertrieben angesehen werden können, wie Dan Todman es formuliert, wurde im IWM aufgegriffen.223
Ostfront – Armenienfrage Zur Armenienfrage, ob es sich nun um eine Vertreibung, eine ethnische Säuberung oder um Völkermord handle, vertrat das IWM den Standpunkt, in den First World War Galleries nicht von einem Völkermord zu sprechen, da der Begriff als solcher im Hinblick auf die Ereignisse während des Ersten Weltkrieges nicht wendet worden sei.224 Dass die Zeitgenossen die Ereignisse sinngemäß als Völkermord wahrnahmen, lässt sich jedoch durchaus belegen. So beschreibt der im MHM erwähnte evangelische Theologe Johannes Lepsius, der sich versuchte für die Armenier einzusetzen, in seinem Bericht über die Lage des Armenischen Volkes in der Türkei, der 1916 als strengvertrauliches Manuskript gedruckt wurde, dass das armenische Volk in Gefahr sei, »vernichtet zu werden.«225 An 216 217 218 219 220 221 222 223 224 225
Vgl. Eva Langhals: Exponattext [270], S. 107; Dies.: Exponattext [272], S. 107f; Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (Hg.): Exponattext [205]. Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (Hg.): Bereichstext [203]. Ebd. Vgl. Anne Respondek: Exponattext [287], S. 109. Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 115. Vgl. Alan Kramer: [455], S. 282; Imperial War Museum (Hg.): Exponatgruppentext [124]. Vgl. John Horne/Alan Kramer: [433], S. 42. Vgl. Dan Todman: [522], S. 124f; Imperial War Museum (Hg.): Exponatgruppentext [118]. Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 114. Johannes Lepsius: Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei, Potsdam 1916, S. V.
8. Leid der Zivilbevölkerung
mehreren Stellen spricht er wiederholt von Vernichtung, etwa von »der Vernichtung der armenischen Nation«226 oder von der »Vernichtung Hunderttausender von Wehrlosen«227 . Das DHM widmete in seiner Ausstellung immerhin sechs Exponate der Armenienfrage. Dabei wurde in der Beschriftung zu den Objekten von der Vertreibung der Armenier gesprochen.228 Im Gegensatz dazu sprach das MHM von einem Pogrom. Dieser sei basierend auf Verdächtigungen, dass die Armenier zusammen »mit den Russen«229 einen armenischen Aufstand in Van geplant hätten, durchgeführt worden. Die Darstellung im MHM geriet sehr knapp und unterschlug, dass die Armenier bereits lange vor dem Ersten Weltkrieg eine im Osmanischen Reich unterdrückte Minderheit waren und das Vorgehen durch die politischen Umwälzungen bereits zuvor absehbar war, wie Wolfgang Gust schreibt.230 Von einer ethnischen Säuberung sprach keine der Ausstellungen. Die in der Forschung unterschiedlichen Meinungen und Argumente, die für oder gegen eine Einstufung als Völkermord sprechen, und welche politischen Hintergründe im Einzelnen zur Handlung der türkischen Militärs und Behörden führten, wurde in den Ausstellungen ebenfalls nicht thematisiert.231 Im Ausstellungsvergleich wurde an der Armenienfrage deutlich, dass es sich bei der Debatte um die Begrifflichkeit, ob es sich um ein Massaker, einen Pogrom, einen Genozid oder eine ethnische Säuberung handelte, nicht allein nur um eine Debatte in der Fachwissenschaft handelt. Die einzelnen Ausstellungen positionierten sich zwar, verzichteten aber – anders als die Forschung und nicht zuletzt aus Rücksicht auf die hochsensible politische Bedeutung der Frage – auf die Benennung als Genozid.
Heimatfront – ›enemy aliens‹ und ›innere Feinde‹ Die Behandlung der sogenannten ›enemy aliens‹ im Nordwesten Englands wurde in From Street to Trench: A World War that Shaped a Region unter anderem anhand persönlicher Einzelschicksale von betroffenen Personen aus Großbritannien erzählt. Wie bereits aufgezeigt wurde, hat Alan Kramer festgestellt, dass sich die Stimmung im Mai 1915 nach der Versenkung der RMS Lusitania noch weiter verschlechterte und es zu massiven und gezielten Ausschreitungen gekommen sei.232 Xenophobie und die antideutsche Haltung hätten das Stimmungsbild in der Gesellschaft im Nordwesten Englands geprägt.233 Die Ausstellung des IWMNs verdeutlichte diesen Aspekt mit mehreren Exponaten wie dem
226 Ebd., S. 296. 227 Ebd., S. 297. Vgl weiterführend auch Ders. (Hg.): Deutschland und Armenien 1914-1918. Sammlung diplomatischer Aktenstücke, mit einem Vorwort zum Nachdruck von Tessa Savvidis und einem Nachwort von M. Rainer Lepsius, Neuausgabe zur Auflage von 1919, Bremen 1986. 228 Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Exponatgruppentext [9]. 229 Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (Hg.): Exponattext [209]. 230 Vgl. Wolfgang Gust: [414], S. 342. 231 Vgl. ebd.; Donald Bloxham: [363], S. 70f. 232 Vgl. Alan Kramer: [455], S. 286. 233 Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMWN [219], S. 137-139; Herfried Münkler: [482], S. 756; Michael Mann: [474], S. 23-33; Anton Holzer: [431], S. 163.
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Europäisierung des Gedenkens?
Brief der deutschstämmigen Lehrerin oder dem Gemälde des deutschen Künstlers George Kenner.234 Informationen, wie sie in der Forschung klar dargelegt werden, dass deutsche Männer im kriegsfähigen Alter interniert wurden, weil man sich der potenziellen Gefahr bewusst war, dass diese bei einer Ausweisung in die deutsche Armee eingezogen werden konnten, waren in der Ausstellung hingegen nicht zu finden.235 Das Leid der Zivilbevölkerung an der Ostfront wurde erwartungsgemäß lediglich in den deutschen Ausstellungen aufgegriffen. Konkret berücksichtigten diesen Aspekt das MHM und das DHM. Im Vordergrund der Darstellungen hinsichtlich des Leides der Zivilbevölkerung in der Ausstellung des DHMs standen die Repressalien der k.u.k. Armee gegen die Zivilbevölkerung in Galizien und Serbien sowie die russischen Gräueltaten, infolge derer die Zivilbevölkerung flüchtete oder deportiert wurde. Dabei bildete die Darstellung angeblicher Spionage als Grund für Hinrichtungen und Zwangsarbeitsdienst in Kriegsgefangenenlagern den Schwerpunkt in der Ausstellung. Damit folgte das DHM der neueren Forschung, jedoch ohne dabei bereits von einem Vernichtungsund Vertreibungskrieg als Fortsetzung des industriellen Krieges im Westen zu sprechen wie Münkler oder Holzer.236 Vielmehr wird der Bewegungskrieg an der Ostfront als Begründung gesehen, warum es zu Flucht, Deportationen, Internierungen, Hinrichtungen und Besatzung gekommen sei.237 Fotografien von als Spionen hingerichteten Zivilsten nahmen hingegen Münklers Bild von den »Räume[n] der Galgen und der Gehenkten«238 durchaus auf.239 Hinsichtlich der Gewaltausübung von deutschen Soldaten gegen die Zivilbevölkerung an der Ostfront fasste sich 14 – Menschen – Krieg kurz. Im Gegensatz zum DHM wurde im MHM vielmehr in den Fokus gerückt, dass russische Truppen insbesondere die jüdische Bevölkerung mit Repressalien überzogen hätten. Es wurde zudem auf die österreich-ungarische Armeeführung hingewiesen, die über Verbrechen gegenüber der Zivilbevölkerung hinweggesehen hätte, wenn die eigenen Soldaten diese verübten.240 Das MHM beschrieb die von den deutschen Soldaten verübten Verbrechen nicht beziehungsweise verwies darauf, dass deutsche Ermahnungen an die verbündeten österreich-ungarischen Soldaten nicht gehört worden wären.241 Mit dem Kriegsgefangenenlager Graz-Thalerhof, in das die ›inneren Feinde‹, die eigenen Staatsbürger, deportiert wurden und das sich zum Zeitpunkt der Deportierung noch im Bau befand, zeigte das DHM ein Beispiel zur Sicht Alan Kramers, wonach nicht nur Hass, sondern auch organisatorische Schwierigkeiten, Inkompetenz und Mangel an Nahrungsmittel für die katastrophale Lage der Gefangenen verantwortlich waren.242 234 Vgl. Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext [184]; Dies.: Exponattext [174]; Dies.: Exponattext [168]. 235 Vgl. Alan Kramer: [455], S. 286. 236 So etwa zu finden bei Herfried Münkler: [482], S. 756; Anton Holzer: [431], S. 163. 237 Vgl. Juliane Haubold-Stolle: [255], S. 86f. 238 Herfried Münkler: [482], S. 756. 239 Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Exponatgruppentext [10]. 240 Vgl. Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (Hg.): Exponattext [206]. 241 Vgl. ebd. 242 Vgl. Alan Kramer: [455], S. 287; Cosima Götz: Modell eines Kriegsgefangenenlagers, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Aus-
8. Leid der Zivilbevölkerung
Im MHM hoben die Ausstellungsmacher hervor, dass die Arbeitskraft der Internierten durch Zwangsarbeit ausgebeutet worden sei.243 Der radikalen Meinung von Anton Holzer, dass die Kriegsgefangenenlager im Osten und Südosten und insbesondere in Serbien eine Vorstufe zur späteren Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten gewesen wären, folgten beide Ausstellungen allerdings nicht. Die Behandlung der ›inneren Feinde‹ spielte im MHM vor allem im Rahmen der Thematik Deportation eine wichtige Rolle, war der Güterwagen G 10 doch eines der Leitexponate. Nach Jörn Leonhard habe der Krieg mit Eisenbahnen begonnen und geendet, denn sie hätten den Krieg plan- und berechenbar gemacht und ihn dynamisiert, indem sie sowohl die Mobilmachung von Soldaten als auch die Versorgung der Front und der Zivilbevölkerung auf rasche Weise ermöglichten.244 Dieser These folgte das MHM und kontextualisierte sie mit dem Güterwagen. Darüber hinaus wurde anhand des Güterwagens G 10 auch das Leid der deportierten Zivilisten kontextualisiert.
8.3.3
Geschichtsbild Ausstellungen zu ›Leid in der Zivilbevölkerung‹
Leid ist ein großes Thema, das die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg prägt und das in allen untersuchten Ausstellungen in unterschiedlicher Art und Weise präsent war. Bewusst und wohl überlegt wurde das Narrativ des Leides der Zivilbevölkerung nicht nur über die Ausstellungstexte vermittelt, sondern auch durch fotografisches Material. Gerade das Fotomaterial vermittelte Leid auf äußerst drastische Weise. Getötete Soldaten und hingerichtete Zivilisten, teilweise verweste Leichen, wurden den Besuchern nicht vorenthalten und gaben Auskunft darüber, was die Zivilbevölkerung erdulden musste.245
Westfront – Kriegsgräuel in Belgien Die Geschehnisse in Belgien wurden in den deutschen Ausstellungen zwar meist thematisch in das Ausstellungsnarrativ eingebunden, sie spielten jedoch keine so bedeutende Rolle in der Darstellung wie in Großbritannien.246 Von den deutschen Museen widmeten sich die beiden großen nationalen Museen in Berlin und Dresden ausführlicher den Ereignissen in Belgien. Sie zeigten diesen aus deutscher Sicht schwierigen Aspekt des Ersten Weltkrieges auf unterschiedliche Weise. Anstatt von einem einheitlichen deutschen Geschichtsbild muss man vielmehr von zwei gänzlich differenten Bildern sprechen. Das MHM zeigte die meisten Exponate zu Belgien im Vergleich zu den anderen Ausstellungen. Es verzichtete allerdings darauf, Fotografien von zivilen belgischen Opfern zu zeigen; stattdessen zeigten die Fotografien im Kampf getötete belgische Soldaten
243 244 245 246
stellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 164. Vgl. Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (Hg.): Exponattext [212]. Vgl. Jörn Leonhard: [469], S. 162f. Vgl. Thomas Thiemeyer: [518], S. 153-160. Die beiden regional ausgerichteten deutschen Museen in Speyer und Stuttgart widmeten dem Vorgehen der Deutschen in Belgien aufgrund ihres Ausstellungsnarrativs wenig oder gar keinen Raum.
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und verwiesen auf die Zerstörung der Kulturdenkmäler wie der Universitätsbibliothek in Löwen. Exponate wie der Hasenfußorden scheinen aber die Taten der deutschen Truppen relativieren zu wollen. Dass Zivilisten häufig zwischen die Fronten gerieten, wie es im Exponattext verharmlosend hieß247 , verriet jedenfalls keine weiteren Details über die Gewalttaten, die gegen die Zivilbevölkerung seitens der Deutschen begangen wurden. Vielmehr wurde mit dem Schriftstück Deutsche Verbrechen? Wider Joseph Bédier, Les crimes allemands d’après des témoignages allemands. Zugleich eine Antwort aus französischen Dokumenten von Max Kuttner darauf hingewiesen, dass es in Deutschland Versuche gegeben habe, die Kriegsverbrechen und Gräueltaten als Fälschungen zu entlarven. Es wurde zudem erläutert, dass die Alliierten gerade die Zerstörung von Löwen als besonders barbarischen Akt ansahen und das deutsche Wort Kultur zu einem Synonym für deutsche Barbarei wurde. Lediglich im Ausstellungskatalog wurde hierzu ergänzend erläutert, dass die Forschung nachweisen konnte, dass die deutschen Gewalttaten tatsächlich geschehen, manche Berichte aber dennoch übertrieben waren. Im Falle Belgiens und dem Vorgehen der deutschen Truppen wurde deutlich, dass es sich um eine Ausstellung eines Museums der deutschen Streitkräfte handelte, da es sich offenbar schwertat, die Ereignisse in Belgien ausführlicher darzustellen. Das Geschichtsbild, das zu Belgien und dem Vorgehen der deutschen Truppen gegen die belgische Zivilbevölkerung in der Ausstellung anhand der Exponatauswahl präsentiert wurde, relativierte die deutschen Gräueltaten. Das DHM ging mit der Rolle, die die deutsche Besatzung in Belgien spielte, kritischer um. Es beleuchtete neben der willkürlichen Zerstörung auch die Vergeltungsmaßen, die aufgrund angeblicher Angriffe gegenüber der Zivilbevölkerung verübt wurden. Gewalttaten, Mord, Exekutionen, Verschleppung und Zwangsarbeit und die über 6.500 Opfer, die das deutsche Vorgehen gefordert hatte, wurden in Berlin den Besuchern in Erinnerung gerufen. Gleichfalls erfuhren die Besucher auch, dass die Belgier durch Beschlagnahmung von Rohstoffen und Lebensmitteln Hunger litten und eine strenge Melde- und Ausweispflicht herrschte. Anders als im MHM zeichnete das DHM für die Besucher ein deutlicheres Bild dessen, wie die deutschen Truppen in Belgien vorgegangen waren. Das Geschichtsbild erzählte von den als Vergeltungsmaßnahem verübten Gräueltaten an der Zivilbevölkerung und der willkürlichen Zerstörung von Kulturgütern.248 Aus Sicht der britischen Museen stand die Frage nach der Ausführlichkeit der Darstellung in der Belgienfrage sicherlich in starkem Zusammenhang mit den Gründen für den britischen Kriegseintritt und hängt, wie im Kapitel zu den Kriegsopfern aufgezeigt wurde, damit zusammen, wie in Großbritannien dem Ersten Weltkrieg gedacht wurde und wird. Das Zeigen von Fotografien getöteter belgischer Zivilisten und der zerstörten belgischen Kulturgüter sowie die dokumentierten Augenzeugenberichte über Massaker an hunderten Zivilisten sollten den Besuchern in deutlichen Bildern die Gräueltaten der deutschen Besatzer aufzeigen. Die Briten waren über das Vorgehen der Deutschen schockiert gewesen, insbesondere über die Zerstörung der Kulturdenkmäler, und wer-
247 Vgl. Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (Hg.): Exponattext [205]. 248 Vgl. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Sektionstext [23].
8. Leid der Zivilbevölkerung
teten dies als Zusammenbruch der Zivilisation. Besonders hervorgehoben wurde das durch die Einbeziehung von Zeitzeugenaussagen in den Ausstellungstexten. Das IWM vergaß aber auch nicht auf den Aspekt hinzuweisen, dass die Ereignisse in Belgien von der britischen Propaganda ausgeschlachtet wurden, nicht zuletzt, um die Rekrutierungsanstrengungen am Laufen zu halten, sondern auch um generell den Kampfeswillen sowohl unter der Zivilbevölkerung als auch unter den Soldaten zu stärken. Das Bild des Hunnen, das die Propaganda aufgriff, sorgte dafür, dass die Stimmung gegen Deutsche in Großbritannien vergiftet war und sich auch in gewalttätigen Ausschreitungen äußerte. Das Geschichtsbild im IWM war folglich gezeichnet von der Vernichtung zivilisatorischer Werte, die sich in der Zerstörung der Kulturdenkmäler und den brutalen Gewalt- und Tötungsakten gegen die belgische Zivilbevölkerung äußerte. Belgien stand sinnbildlich dafür, dass die Briten zurecht zur Verteidigung der Zivilisation in den Krieg gegen Deutschland eingetreten waren.
Ostfront – Armenienfrage Der Ausstellungsbereich zur Armenienfrage im DHM war zwar klein, die gezeigten Objekte und dazugehörigen Erläuterungen erschufen dennoch ein erschütterndes Bild. Die Vertreibung der gesamten armenischen Bevölkerung sei durch die türkischen Behörden und dem Militär aufgrund des Vorwands der angeblichen Unterstützung der russischen Armee erfolgt. Berichte über die Vertreibung der Armenier und die bis zu 1,3 Millionen Opfer, verursacht durch den militärischen Bündnispartner, wurden der deutschen Bevölkerung aufgrund der Zensur nicht bekannt. Das MHM wies in seiner Ausstellung ebenfalls auf die Armenienfrage hin und bezeichnete das Vorgehen des türkischen Militärs als Pogrom, der auf einen Verdacht der Konspiration mit Russland beruhte. Auf die politischen Hintergründe der Armenienfrage wurde in beiden Ausstellungen nicht näher eingegangen. Jedoch positionierten sich das MHM und das DHM dagegen, von einem Genozid an den Armeniern zu sprechen. Auf das Leid, das den Armeniern widerfuhr, wurde dennoch deutlich in den Ausstellungen hingewiesen: Zum Leid der Zivilbevölkerung an der Osterfront vermittelten die deutschen Ausstellungen anders als im Falle der Westfront ein einheitliches Geschichtsbild. Den Besuchern wurde in beiden Ausstellungen deutlich vor Augen geführt, dass seitens des Osmanischen Reiches und mit Unterstützung des verbündeten Deutschlands gezielt und äußerst brutal gegen die Bevölkerungsgruppe der Armenier vorgegangen wurde. Unmissverständlich wurde erläutert, dass nicht nur armenische Deserteure und Aufständische mit harten Bestrafungen und Erschießungen zur Rechenschaft gezogen wurden, sondern dass gezielt gegen alle Armenier, auch Frauen und Kinder, vorgegangen wurde. Eine Fotografie in 14 – Menschen – Krieg, die die Leiche einer verdursteten Armenierin zeigte, steht sinnbildlich für das Geschichtsbild der brutalen Vertreibung und die Tötung der Armenier, auch ohne, dass die Museen den Begriff des Genozids verwendeten. Das IWM behandelte die Armenienfrage lediglich in einer Multimediastation, so dass die Besucher nicht automatisch damit konfrontiert wurden. Laut den Ausstellungsmachern wurde die Armenienfrage in erster Linie deswegen aufgegriffen, um
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Europäisierung des Gedenkens?
analog zu Belgien aufzuzeigen, dass das Militär den Krieg durch Terror und Gewaltakte auch systematisch gegen Zivilisten führte.249 Die Frage nach dem Genozid umging die Ausstellung ähnlich wie die deutschen, es wurde jedoch deutlich darauf hingewiesen, dass die türkische Armee bei der Vertreibung vor Gemetzeln, Vergewaltigungen, Zwangsarbeit und Aushungern nicht zurückschreckte. Das britische Geschichtsbild in der Armenienfrage war eines, das von Zwangsarbeit, Deportationen und Massakern an der Zivilbevölkerung erzählte. Die Brutalität des Vorgehens, die in diesem Bild beschrieben wurde, endete für rund die Hälfte der etwa zwei Millionen Armenier in einer tödlichen Katastrophe.250
Heimatfront – ›enemy aliens‹ und ›innere Feinde‹ Der Feind im Inneren war auf britischer Seite der sogenannte ›enemy alien‹. Die Internierungen der deutschen ›enemy aliens‹ wurden anhand mehrerer Objekte gezeigt. Das Geschichtsbild, das das IWMN den Besuchern hierzu vermittelte, zielte jedoch nicht darauf ab, zu zeigen, in welchem Umfang die deutschen Zivilisten in Großbritannien unter Ausschreitungen, der Internierung oder den Einschränkungen im Privatleben gelitten hatten. Das britische Geschichtsbild fokussierte vielmehr darauf, die massive antideutsche Stimmung zu präsentieren. Aus Sicht der Ausstellungskuratoren sei dies für die Briten heutzutage ein schwieriges Thema innerhalb der eigenen Weltkriegsgeschichte, trotzdem habe man nicht verzichten wollen, es zu zeigen.251 Die deutschen Ausstellungen widmeten der Darstellung der Behandlung der ›inneren Feinde‹ und der gegen sie von den eigenen oder den verbündeten Soldaten begangenen Gewalttaten eigene Ausstellungsbereiche. Das MHM verlegte sich darauf, vor allem auf die im Osten von der russischen Armee begangenen und als sogenannte Russengräuel bezeichnete Gewalttaten hinzuweisen, ebenso wie auf die österreich-ungarischen Kommandeure, die insbesondere auf dem Balkan nicht gegen die Gewalttaten ihrer Soldaten vorgingen und auch auf deutsche Hinweise hin diese nicht unterbanden. Wenngleich auch in der Berliner Ausstellung die Repressalien der russischen und der österreich-ungarischen Armeen in den Fokus der Darstellung zur Gewalt an der Zivilbevölkerung gerückt wurden, so versäumte es das DHM nicht, die mutmaßliche Spionage im Kampf gegen den sogenannten ›inneren Feind‹ zu thematisieren. Die auf Spionageverdacht begründeten Hinrichtungen, sowie die völker- und kriegsrechtswidrige Zwangsarbeit der internierten Zivilisten verschwieg das DHM den Besuchern nicht und zeigte hierzu auch Fotomaterial von Hinrichtungen oder wies am Beispiel des Lagers Graz-Thalerhof auf die unerträgliche Lage im Falle der Internierung hin. Dass unter den Repressalien auch Frauen und Kinder leiden mussten, zeigte das DHM ebenfalls auf. In der Frage nach dem Umgang mit Kriegsgefangenen zeichnete auch das MHM ein durchaus kritisches Geschichtsbild. Obwohl eindeutig rechtswidrig, wurden die Kriegsgefangenen, so der kritische Blick, auch in der Kriegswirtschaft und in der Rüstungsindustrie eingesetzt. Wobei die Lage in den Internierungslagern weniger im Fokus des 249 Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMW [218], S. 115. 250 Vgl. Paul Cornish: [243], S. 82. 251 Vgl. Judith Heß: Experteninterview IMWN [219], S. 135f.
8. Leid der Zivilbevölkerung
MHMs stand als die Deportationen zu diesen Lagern. Dies geschah mittels des Güterwagens G 10, der das Leid der deportieren Zivilisten und Kriegsgefangenen im Ersten Weltkrieg zum Ausdruck bringen sollte. Gleichzeit wurde damit ein Ausblick auf die künftigen Deportationen vor allem der jüdischen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg eröffnet.252 Die beiden deutschen Museen griffen die Thematik des sogenannten ›inneren Feindes‹ auf. Das kulturhistorisch ausgerichtete DHM stellte das Geschichtsbild in einem selbstkritischen Licht dar und zeigte nicht zuletzt durch drastisches fotografisches Material von erhängten Zivilisten und der Lage in den Internierungslagern auf, welches Leid die deutsche Führung unter der eigenen Zivilbevölkerung verursacht und zu verantworten hatte. Das militärhistorisch ausgerichtete MHM lenkte den Blick darauf, dass Leid gegen den ›inneren Feind‹ sowohl von der russischen und der österreich-ungarischen Armee verübt wurde, aber auch auf das Thema der Deportation, das auf die noch folgenden schrecklichen Ereignisse hinweisen sollte.
252 Vgl. Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 37-40; Gerhard Bauer: [229], S. 11.
273
9. Der Erste Weltkrieg in Gedenkveranstaltungen
Anders als zum Jahresbeginn 2014 von der deutschen Presse noch moniert, gab es seitens der Bundesregierung im weiteren Verlauf des Jahres etliche Veranstaltungen zum Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges.1 Hierzu zählten die bereits im ersten Teil der Arbeit benannte Veranstaltungsreihe des Auswärtigen Amtes gemeinsam mit dem DHM mit dem Titel 1914 – Vom Versagen und vom Nutzen der Diplomatie, eine Gedenkstunde im Plenarsaal des Deutschen Bundestages, oder auch die Gedenkveranstaltung des Bundespräsidenten 1914-2014. Hundert europäische Jahre. Darüber hinaus nahmen deutsche Regierungsvertreter an zahlreichen Veranstaltungen von europäischen Ländern teil, die 100 Jahre zuvor zu den deutschen Kriegsgegnern gezählt hatten. Trotz des beachtlichen deutschen Engagements nahmen die Planungen in Großbritannien eine andere Dimension an, wie Premierminister David Cameron bereits im Oktober 2012 angekündigt hatte.2 Im folgenden Kapitel werden die im Rahmen ausgewählter Gedenkveranstaltungen gehaltenen Ansprachen, Grußworte, Reden und weiteren Beiträgen britischer und deutscher Staats- und Regierungsvertreter vorgestellt. Sie geben einen Überblick darüber, welche Sicht die politische Führungsebene der beiden Länder auf den Ersten Weltkrieg im Jahr 2014 hatte. Eine Untersuchung auf mögliche Geschichtsbilder erübrigt sich im Falle der Beiträge der Staats- und Regierungsvertreter, da deren Beiträge anders als im Falle der Museumsausstellungen die geschichtspolitische Deutung direkt vermitteln. Die Analyse und der Vergleich der deutschen und britischen Beträge im Hinblick auf ihre geschichtspolitische Botschaft erfolgen in Kapitel 10.2 Politiker als Akteure.
9.1
Britische Regierungs- und Staatsvertreter
In der Ankündigung zum First World War Centenary am 11. Oktober 2012 benannte David Cameron drei Gründe, warum die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg für Großbritan-
1 2
Vgl. Monika Fenn: [398], S. 68-71. Vgl. Constanze von Bullion: [371].
276
Europäisierung des Gedenkens?
nien wichtig sei und er das Gedenken zur nationalen Aufgabe erkläre.3 Zum einen sei dies »the sheer scale of the sacrifice«4 , das die britische Bevölkerung erleiden musste. Von den Millionen Gefallenen und Toten starben allein am ersten Tag der großen Offensive an der Somme 20.000 britische Soldaten. Von über 14.000 Gemeinden hätten nur 50 ihre Soldaten wieder vollzählig zurückkehren sehen. Der zweite Grund seien die Auswirkungen, die der Erste Weltkrieg auf Großbritannien, aber auch auf die gesamte Welt, bis heute hatte und habe. Gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche, technische oder auch medizinische Entwicklungen seien ohne den Ersten Weltkrieg nicht denkbar. Auch der Zweite Weltkrieg sei eine der Folgen gewesen, so dass es ein großer Fehler wäre, national, aber auch international die Bedeutung des Ersten Weltkrieges nicht anzuerkennen. Der dritte Grund, den er als am schwierigsten zu definieren, aber als den vielleicht wichtigsten benannte und der einen »fundamental part of our national [Großbritanniens, J.H.] consciousness«5 ausmache, sei eine sehr starke »emotional connection«6 , die mit dem Ersten Weltkrieg in Verbindung gebracht würde. Ihm ginge es darum zu sagen, [t]hat from such war and hatred can come unity and peace, a confidence and a determination never to go back. However frustrating and however difficult the debates in Europe, 100 years on we sort out our differences through dialogue and meetings around conference tables, not through the battle on the fields of Flanders or the frozen lakes of western Russia.7 In der Rede zur Eröffnung der neuen Dauerausstellung First World War Galleries im IWM in London am 17. Juli 2014 erklärte Cameron,8 dass es die Hauptaufgabe des IWMs sei, die Vergangenheit in die Gegenwart zu transportieren und »to turn the sepia to technicolour«9 . Dies sei eine große Herausforderung für das Museum, da keine Person mehr lebe, die selbst im Konflikt gekämpft habe, und nur noch sehr wenige Menschen überhaupt leben würden, die eigene Erinnerungen an die Zeit zwischen 1914 und 1918 hätten. Umso wichtiger sei es, niemals zu vergessen, aus welchen Gründen der Krieg gekämpft worden sei und warum er nach 100 Jahren für die heutige Generation Relevanz habe. Unter anderem, führte Cameron vor dem britischen Publikum aus, sei es wichtig, dass »we should never forget that those who volunteered and fought believed they did so in a vital cause: to prevent the domination of Europe by one power; to defend the right of a small country – Belgium – to exist.«10 Sie seien im Recht gewesen, so zu denken und er, Cameron, sei der Meinung, dieser Überzeugung der Freiwilligen müsse auch gedacht 3 4 5 6 7 8
9 10
Für den folgenden Abschnitt zu den Planungen der britischen Regierung vgl. David Cameron: [315]. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Für die Zusammenfassung der Eröffnungsrede im folgenden Abschnitt vgl. David Cameron: Reopening of the Imperial War Museum: David Cameron’s Speech (17. Juli 2014). URL: https://www. gov.uk/government/speeches/reopening-of-the-imperial-war-museum-david-camerons-speech (2. November 2018). Ebd. David Cameron: [314].
9. Der Erste Weltkrieg in Gedenkveranstaltungen
werden. Das IWM stelle mit den First World War Galleries einen wichtigen Bestandteil dieses Gedenkens dar. Im Geleitwort zur Begleitpublikation der Frist World War Galleries äußert sich Prinz William Herzog von Cambridge, dass die hundertjährige Wiederkehr Anlass gäbe, über die Natur der Katastrophe, die Europa zwischen 1914 und 1918 heimsuchte, nachzudenken, und dass es die Verantwortung der heutigen Generation sei, die Geschichten der Zeitgenossen weiterzuerzählen, sie nicht dem Vergessen anheimfallen zu lassen.11 Zum hundertsten Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkrieges fanden in Belgien zahlreiche Gedenkveranstaltungen unter anderem in Lüttich, Löwen und bei Mons statt.12 An diesen nahmen zahlreiche Staats- und Regierungschefs sowie Repräsentanten aus Europa teil. Neben dem belgischen Königspaar waren auch der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck, der britische Premierminister David Cameron und Prinz William an den Feierlichkeiten anwesend. Die Veranstaltungen in Lüttich und Löwen fanden auf Einladung des belgischen Königs und die Veranstaltung auf dem deutschbritischen Militärfriedhof in St. Symphorien bei Mons auf Einladung des britischen Premierministers statt. Auf der Gedenkfeier in Lüttich sprach Prinz William über die Lage in Europa vor dem Kriegsausbruch und setzte diese in Kontrast zu dem Töten und der Zerstörung, die der Krieg mit sich brachte.13 Er zitierte Stefan Zweig, der im Sommer 1914 in Belgien Urlaub gemacht habe und davon berichtete, dass viele Deutsche an den belgischen Stränden Urlaub machten und deshalb sehr viel Deutsch zu hören gewesen wäre. Nur Tage später habe der Kriegsausbruch alles verändert. Prinz William hob den belgischen Widerstand, seine Anstrengungen und Opfer hervor und bezeichnete die Schützengräben, die alsbald Belgien durchzogen, als Narben, die vom Schrecken des Krieges, aber auch vom Mut der Belgier zeugten. Diesem Mut würden die Briten und viele andere der anwesenden Nationen Respekt zollen und große Dankbarkeit schulden. Der Krieg habe Lektionen gelehrt, die man heute noch lernen müsse. Denn Friede sei auch heute keine Selbstverständlichkeit, wie das Beispiel der Ukraine zeige. Dass die ehemaligen Feinde, Deutschland und Österreich, ebenfalls an den Gedenkfeierlichkeiten in Belgien teilnähmen, sei Zeugnis von der Kraft der Versöhnung. Krieg zwischen den europäischen Nationen sei heute unvorstellbar. Damit wir heute in Demokratie, Wohlstand und Rechtsstaatlichkeit leben und gemeinsame Werte in der Welt fördern könnten, dafür müssten wir an die Gefallenen erinnern und ihnen danken. Denn sie hätten für diese Freiheit ihr Leben gegeben. 11
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Für die Zusammenfassung des Geleitworts in diesem Abschnitt vgl. Prinz William Herzog von Cambridge: Foreword, in: Paul Cornish: The First World War Galleries, Begleitband zur Ausstellung »The First World War Galleries«, London 2014, S. 6. Zu den Gedenkveranstaltungen in Belgien vgl. Belgische Botschaft (Hg.): Gedenkfeiern in Lüttich, Leuven und Mons zum 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs, in: Nachbar Belgien 5, S. 4-6, hier S. 4f (September/Oktober 2014). URL: http://germany.diplomatie.belgium.be/sites/defa ult/files/content/newsletter/2014/nachbar_belgien_september-oktober_2014.pdf (8. August 2017). Für die Zusammenfassung der Rede im folgenden Abschnitt vgl. Prinz William Herzog von Cambridge: A Speech by The Duke of Cambridge at the World War One Centenary Commemorations, Belgium, 2014 (4. August 2014). URL: https://www.royal.uk/speech-hrh-duke-cambridge-world-wa r-one-centenary-commemorations-cointe-inter-allied-memorial-li %C3 %A8ge (1. August 2017).
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Europäisierung des Gedenkens?
Später am 4. August 2014 sprach David Cameron auf dem Militärfriedhof in St. Symphorien.14 Er stellte die Einzigartigkeit des Ersten Weltkrieges im Vergleich zu den Kriegen davor heraus und sprach von einer unaussprechlichen Brutalität, einem unerträglichen Verlust und fast unglaublichem Mut, weshalb es wichtig sei, an den Krieg zu erinnern. Er fand zudem ähnliche Worte wie bei der Eröffnung der First World War Galleries hinsichtlich der Gründe, warum die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg aufrechterhalten werden müsse. Auch in dieser Rede sprach er davon, dass die Soldaten kein sinnloses Opfer betrieben hätten, sondern sich freiwillig meldeten »up to prevent the domination of a continent«15 , um die Prinzipien der Freiheit und der Souveränität zu bewahren. In einem Vortrag an der Universität Mannheim am 12. Juni 2014 richtete der britische Botschafter in Deutschland, Simon McDonald, hinsichtlich der Gründe für den Kriegseintritt Großbritanniens das Augenmerk auf die Neutralitätsverletzung des Deutschen Reiches gegenüber Belgien.16 Großbritannien habe aus seinem eigenen Interesse heraus den Londoner Vertrag von 1839 einhalten müssen, da eine Vormachtstellung Deutschlands in Europa – im Falle eines deutschen Sieges – für die britischen Häfen und den Seehandel schlimme Folgen gehabt hätte.17 Gleichzeitig zog der Botschafter Bilanz und fragte nach den Lehren aus dem Ersten Weltkrieg. Er warnte davor, dass auch aus Freunden schnell Feinde werden könnten und mahnte zur Wachsamkeit.18 Deshalb sei es wichtig, die Erinnerung zu bewahren, denn die damaligen Ereignisse würden die heutige Generation mahnen, an der Freundschaft und Partnerschaft zu arbeiten.19 Simon McDonald nahm in seiner Argumentation zu den Lehren, die aus dem Ersten Weltkrieg gezogen werden sollten, Bezug auf das Referendum über den britischen Austritt aus der Europäischen Union. Er äußerte gegen Ende seines Vortrags die Worte: »Krieg ist heute in Westeuropa unmöglich geworden. Ein Auseinanderbrechen aber nicht.«20 Denn die Geschichte, insbesondere die des Ersten Weltkrieges, habe gelehrt, dass der Erfolg Europas nicht auf die leichte Schulter genommen werden dürfe.21
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Zur Zusammenfassung der Ansprache in St. Symphorien im folgenden Abschnitt vgl. David Cameron: Speech. PM’s Words at St Symphorien Cemetery (4. August 2014). URL: https://www.gov.uk/ government/speeches/pms-words-at-st-symphorien-cemetery (7. August 2017). Ebd. Für die Zusammenfassung des nicht publizierten Vortrags in den folgenden beiden Abschnitten vgl. Simon McDonald: Skript des nicht publizierten Vortrags: »Zurück in die Zukunft. Die deutschbritischen Beziehungen im 21. Jahrhundert« am 12. Juni 2014, in: Vortragsreihe: Von Sarajevo nach Brüssel. 100 Jahre nach Beginn des Grossen Krieges, Universität Mannheim. Vgl. ebd., S. 6. Vgl. ebd., S. 10 und S. 13. Vgl. ebd., S. 14. Ebd., S. 19. Vgl. ebd., S. 20.
9. Der Erste Weltkrieg in Gedenkveranstaltungen
9.2
Deutsche Regierungs- und Staatsvertreter
Nach dem der deutschen Regierung seitens der Presse zögerliches Verhalten hinsichtlich des deutschen Gedenkens an den Ersten Weltkrieg vorgeworfen worden war, sei die erste Reaktion vom damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier gekommen.22 Für Außenminister Steinmeier lag dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges das Versagen der Eliten, Militärs und vor allem der Diplomatie zugrunde. Denn es habe keinen Willen und keine Institution gegeben, die eine Beilegung der Streitigkeiten auf friedlichem Wege ermöglicht hätte.23 Heute sei ein Krieg in Europa undenkbar, dennoch müsse das Gedenkjahr 2014 eine Mahnung für die »zivilisatorische Leistung«24 sein, dass in Europa Streitigkeiten am Verhandlungstisch friedlich und zivilisiert gelöst würden. Insbesondere vor der anhaltenden Europakritik sei es notwendig, sich des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges zu erinnern.25 Kluge Diplomatie, außenpolitische Vernunft, diplomatisches Handwerk, verantwortungsvolles Handeln und ein nüchternes Bedenken der Folgen unter Einbeziehung der Interessen der Nachbarn und Partner seien für Steinmeier die Mittel, um den Frieden zu wahren.26 Anlässlich des Beginns der Veranstaltungsreihe 1914 – Versagen der Diplomatie führte Steinmeier aus, dass es nicht genüge, das »heutig[e] geeint[e] Europa als gelungene Lehre aus dem Drama der Weltkriege zu betrachten, und sich anschließend selbstzufrieden in den Sessel zu lehnen.«27 Die »Auseinandersetzung«28 gehe weiter, daher müsse die Lehre aus den Fehlern von 1914 sein, dass Diplomatie, verantwortungsvolles Handeln und das Abwägen der eigenen Interessen und denen der Partner sowie der Wille zu Kompromissen unabdingbar seien.29 Auch in der Rede anlässlich der Podiumsdiskussion Julikrise 1914 – schlafwandelnde Diplomaten? im DHM mahnte Steinmeier vor allem das Versagen der Diplomatie im Juli 1914 an.30 Er dankte Christopher Clark dafür, dass dieser die »Frage nach der Verantwortung der Diplomatie zurück auf die Tagesordnung gebracht«31 habe. Persönlich
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24 25 26 27 28 29 30
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Vgl. Hew Strachan: [510], S. 41. Vgl. Frank-Walter Steinmeier: 1914 – vom Versagen und vom Nutzen der Diplomatie. Interview Beitrag von Außenminister Frank-Walter Steinmeier zum Gedenken des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Erschienen in der F.A.Z vom 25. Januar 2014 (27. Januar 2014). URL: https://w ww.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/140125-bm-faz/259382 (3. Oktober 2018); Ders.: Grußwort von Außenminister Steinmeier zur Veranstaltung »1914 – Versagen der Diplomatie« (28. Januar 2014). URL: https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/140128-rede-bm-podiumsdiskussion1-wk/259480 (3. Oktober 2018). Frank-Walter Steinmeier: [350]. Vgl. ebd. Vgl. ebd; Ders.: [351]. Ebd. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. Frank-Walter Steinmeier: »Julikrise 1914 – schlafwandelnde Diplomaten?«. Rede von Außenminister Steinmeier bei der Diskussionsveranstaltung zum Ersten Weltkrieg im Deutschen Historischen Museum (14. März 2014). URL: https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/140313-bm -dhm/260754 (3. Oktober 2014). Ebd.
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Europäisierung des Gedenkens?
ziehe Steinmeier die Lehre aus den Ereignissen von 1914, dass selbst wenn Gespräche nicht erfolgreich wären, er sich nicht vorwerfen lassen wolle, sich gar nicht erst darum bemüht zu haben.32 Am 3. Juli 2014 hielt die Bundesregierung eine Gedenkstunde im Plenarsaal des Deutschen Bundestages ab. Bundestagspräsident Norbert Lammert gedachte den Millionen Opfern unter den Soldaten und der Zivilbevölkerung.33 Er prangerte den Krieg als »industrialisierte Apokalypse«34 mit ihrer beispiellosen Massenmobilisation an. Dabei bezog er sich sowohl auf den Stellungskrieg im Westen als auch auf die Schlachtfelder an der Ostfront, ebenso auf die Entwicklung hin zum ersten modernen Krieg, der von Maschinengewehren und dem Einsatz von Giftgas geprägt war. Seine Ansprache folgte der Fragestellung, was der Erste Weltkrieg die heutige Gesellschaft angehe. Lammert kam zu der Antwort, »dass militärische Maßnahmen grundsätzlich kein geeignetes Mittel politisch gewollter Veränderungen sind und, wenn überhaupt, nur das letzte Mittel der Konfliktbeilegung sein dürfen.«35 Die Bundesrepublik habe daraus eine historische Lektion gezogen und als erstes Land der Welt die Kriegsdienstverweigerung als ein Grundrecht in seine Verfassung aufgenommen. Eine weitere Lektion sei es gewesen, nicht zuletzt aufgrund des Zweiten Weltkrieges, dass das Parlament über bewaffnete Auslandseinsätze der Bundeswehr die Entscheidungsgewalt habe. Die »völkerrechtswidrig[e] Annexion der Krim durch Russland«36 habe die Souveränität eines europäischen Staates erstmals wieder in Frage gestellt, trotzdem würde niemand einen Krieg wollen und insbesondere Deutschland habe die größte Verpflichtung in Europa zu einer friedlichen Beilegung eines solchen Konflikts beizutragen. 1914 sei »ein Lehrstück politisch unverantwortlichen Handelns«37 gewesen, weshalb es umso wichtiger sei, Deeskalation anzustreben. Lammert endete damit, dass trotz der bestehenden unterschiedlichen nationalen Erinnerungskulturen, die von Sieg oder Niederlage und von der Zuweisung von Verantwortung und Schuld geprägt seien, der wichtigste Sinn des gemeinsamen Gedenkens »die beispielhafte europäische Erfahrung, der Gewalt ein Ende gesetzt zu haben«38 , sei. Am 27. Juni 2014 lud der deutsche Bundespräsident zur Gedenkveranstaltung 19142014. Hundert europäische Jahre in das Schloss Bellevue ein.39 Im Rahmen mehrerer Podiumsdiskussionen erörterten Historiker aus Belgien, Frankreich, Deutschland, Großbri-
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Vgl. ebd. Für die Zusammenfassung der Ansprache des Bundestagspräsidenten im folgenden Abschnitt vgl. Norbert Lammert: 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs – Gedenkstunde im Plenarsaal des Deutschen Bundestages am 3. Juli 2014 – Ansprache von Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert (3. Juli 2014). URL: https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Bulletin/2010-2015/201 4/07/81-1-btagspras-gedenken-bt.html (3. Oktober 2018). Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. Bundespräsidialamt (Hg.): Bericht zur Veranstaltung »1914-2014. Hundert europäische Jahre« (10. Juni 2014). URL: www.bundespraesident.de/SharedDocs/Berichte/DE/JoachimGauck/2014/06/140627-Erster-Weltkrieg-Gedenktag.html#Start (4. September 2017).
9. Der Erste Weltkrieg in Gedenkveranstaltungen
tannien, Russland, Polen, der Türkei und aus Kroatien die Frage nach den unterschiedlichen nationalen Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg, den sich daraus ableitenden Identitäten und der Frage, ob es nicht auch eine gemeinsame europäische Wahrnehmung und Erinnerung gibt. Joachim Gauck sah in einem gemeinsamen Europa die Lösung, die Herausforderungen der Zeit zu meistern. Eine Entfremdung zur eigenen Nation sei dafür nicht notwendig, Respekt vor der Würde des anderen, Verständnis und Verständigung sowie Dialog und Deeskalation seien die Werkzeuge, mit denen die Herausforderungen gemeistert werden sollten. Denn die Alternative, wenn eine gemeinsame Anstrengung nicht gelänge, wäre allen bekannt.40 Gauck wies darauf hin, dass die Veranstaltung bewusst europäisch ausgerichtet worden sei, denn der Krieg habe ganz Europa betroffen.41 Dieses Europa sei es, das auf der gemeinsamen Achtung der Menschenrechte und im »uneingeschränkten Respekt vor der Geltung und der Herrschaft des Rechtes«42 sowie der Würde des Menschen einen Krieg heute unvorstellbar mache.43 Er plädierte dafür, »dieses Europa auch in Zukunft als […] gemeinsames Haus«44 anzunehmen und sachlich und wohlgesonnen nach Verbesserungen unter Berufung auf die Gemeinsamkeiten der Europäer zu suchen.45 Ähnliches trug Joachim Gauck auch in seiner Rede auf der Gedenkveranstaltung im belgischen Lüttich am 4. August 2014 vor den europäischen Staats- und Regierungsvertretern vor.46 Der Bundespräsident gedachte dem deutschen Überfall auf das neutrale Belgien am 4. August 1914 und dem Leid, dass die Deutschen dadurch auslösten. Die »Verbrechen gegen Land und Leute, […] die Angriffe auf die Kultur«47 seien die Folge von Verblendung und Nationalismus gewesen und hätten »die Büchse der Pandora geöffnet, aus der millionenfach Unglück, Elend, Verkrüppelung und Tod hervorgingen.«48 Aus diesen Schrecken habe Europa gelernt, dass gemeinsame Verständigung, Versöhnung und Frieden möglich seien, wenn man aktiv für Freiheit, Recht, Aufklärung, Toleranz, Gerechtigkeit und Humanität eintrete. Daher sei es umso wichtiger, dass an den Ersten Weltkrieg erinnert und gedacht werde, damit nicht vergessen werde, die Lektionen auch in Zukunft einzuhalten.
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Vgl. Joachim Gauck: Anlässlich der Gedenkveranstaltung »1914-2014. Hundert europäische Jahre« am 27. Juni 2014 in Schloss Bellevue (27. Juni 2014). URL: www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2014/06/140627-Gedenkveranstaltung-1914-2014mittags.html (3. Oktober 2018). Vgl. Joachim Gauck: [320]. Joachim Gauck: [319]. Vgl. ebd. Ebd. Vgl. ebd. Zur Ansprache des Bundespräsidenten in Lüttich im folgenden Abschnitt vgl. Joachim Gauck: Bundespräsident Joachim Gauck anlässlich der Gedenkveranstaltung »100 Jahre Erster Weltkrieg« am 4. August 2014 in Lüttich/Belgien (4. August 2014). URL: www.bundespraesident.de/SharedDocs/Downloads/DE/Reden/2014/08/140804-Rede-GedenkenLuettich.pdf?__blob=publicationFile (8. August 2017). Ebd. Ebd.
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Europäisierung des Gedenkens?
Entsprechende Worte fand er auch im belgischen Löwen, das im Anschluss Ziel der Gedenkfeierlichkeiten war.49 Löwen gehöre zu den sieben ›Märtyrerstädten‹ Belgiens, so Gauck, in der insbesondere die Zerstörung der Bibliothek beim Überfall der deutschen Truppen die Welt erschüttert habe. Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte ebenfalls, dass Lehren aus dem Ersten Weltkrieg gezogen werden müssten, wie die im Folgenden vorgestellten Beiträge zeigen. Vor allem hob sie die europäischen Institutionen hervor. Bei ihrer Ansprache am 27. Februar 2014 vor den beiden Häusern des britischen Parlaments vermied sie dies allerdings.50 Vielmehr appellierte sie in der dort gehaltenen Rede, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Pflicht hätten, die Lehren aus Hass, Gewalt und Terrorismus zu ziehen und sich »in der Welt für Frieden und Rechtstaatlichkeit einzusetzen.«51 Die deutsch-britischen Beziehungen seien eng und vertrauensvoll, beide Nationen würden ihren Beitrag zum Frieden, zur Freiheit und zum Wohlstand in einem geeinigten Europa leisten. »Die engen und freundschaftlichen Beziehungen der europäischen Länder, so selbstverständlich sie uns auch heute erscheinen mögen, waren vor 200 Jahren, vor 100 oder gar vor 70 Jahren undenkbar.«52 Merkel würdigte in ihrer Rede die britischen Kriegsopfer und das unendliche Leid des Ersten und des Zweiten Weltkrieges, das Großbritannien durch Deutschland erfahren habe. Sie berief sich auf eine Rede von Richard von Weizsäcker, der gesagt habe, dass Großbritannien seine europäische Berufung nicht zu beweisen brauche. Vielmehr würden die Deutschen den europäischen Partnern und insbesondere Großbritannien dankbar dafür sein, »dass sie nach den Schrecken der beiden Weltkriege wieder Vertrauen in ein demokratisches Deutschland gesetzt haben.«53 Am 1. März 2014 hielt Angela Merkel vor den Mitgliedern der Europäischen Kommission in Berlin eine Rede,54 die sie damit einleitete, dass durch »das Versprechen auf Frieden, das Versprechen auf Freiheit und das Versprechen auf Wohlstand«55 die europäische Einigung herbeigeführt worden sei. Des Weiteren seien aber auch Recht, Vielfalt und Solidarität Leitmotive für Europa. Der Bezug zum Ersten Weltkrieg wurde 49
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Zur Ansprache in Löwen in diesem Abschnitt vgl. Joachim Gauck: Bundespräsident Joachim Gauck an der Katholischen Universität Löwen beim offiziellen Besuch im Königreich Belgien am 4. August 2014 in Löwen/Belgien (4. August 2014). URL: www.bundespraesident.de/SharedDocs/Downloads/DE/Reden/2014/08/140804-Rede-Gedenken-Loewen.pdf?__blob=publicationFile (8. August 2017). Zur Ansprache vor den beiden Häusern des britischen Parlaments im folgenden Abschnitt vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hg.): Rede von Bundeskanzlerin Merkel vor beiden Häusern des britischen Parlaments (27. Februar 2014). URL: https://www.bundesregierung. de/Content/DE/Pressemitteilungen/BPA/2014/02/2014-02-27-rede-merkel-brit-parl.html (1. August 2017). Ebd. Ebd. Ebd. Zur Rede vor der Europäischen Kommission im folgenden Abschnitt vgl. Angela Merkel: Rede von Bundeskanzlerin Merkel zur Abschlussveranstaltung des Projekts »Ein neues Leitmotiv für Europa« der Europäischen Kommission am 1. März 2014 (1. März 2014). URL: https://www.bundeskanzlerin. de/Content/DE/Rede/2014/03/2014-03-01-merkel-narrative-leitmotiv-europa.html (1. August 2017). Angela Merkel: [338].
9. Der Erste Weltkrieg in Gedenkveranstaltungen
deutlich, als sie davon sprach, dass 100 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges Frieden in Europa wieder ein aktuelles Thema sei, womit sie auf den Balkankrieg und die zum damaligen Zeitpunkt als Krise bezeichnete Situation auf der Krim Bezug nahm. Anlässlich der Eröffnungsrede zum HistoryCampus in Berlin am 7. Mai 2014 sprach die Bundeskanzlerin in erster Linie über die Lehren, die aus der Katastrophe des Ersten Weltkrieges gezogen werden müssten, um ein friedliches, tolerantes und freiheitliches Europa zu erhalten.56 Sie vermittelte den Veranstaltungsbesuchern, dass Europa gelernt habe, »bei Dissens und Streit nationale Kurzsichtigkeit hinter sich zu lassen und kooperative Lösungen zu finden.«57 Noch deutlichere Worte für die Lehren aus dem Ersten Weltkrieg fand Merkel bei der Eröffnung der Ausstellung 1914-1918. Der Erste Weltkrieg im DHM in Berlin am 28. Mai 2014.58 Merkel sah die Errungenschaften eines vereinten Europas, nämlich die europäischen Institutionen, als Folge dessen, was Menschen aus der Geschichte lernen können: »Dialog und Integration statt Abschottung und Renationalisierung – Kooperation statt Konfrontation.«59 Am 28. Oktober 2014 war die Bundeskanzlerin auf Einladung des belgischen Königs zur Gedenkfeier der Schlacht an der Yser nach Nieuwpoort in Belgien gereist.60 Sie bedankte sich, dass sie als deutsche Kanzlerin sprechen dürfe, habe doch gerade Belgien besonders unter der »seelenlosen militärische[n] Logik«61 der deutschen Reichsregierung und Militärführung leiden und »unermessliche Opfer«62 ertragen müssen. Der Überfall auf Belgien habe nicht nur Soldaten, sondern auch die Zivilbevölkerung, insbesondere in den belgischen ›Märtyrerstädten‹, getroffen. Mit dem Einsatz von Chemiewaffen in der Flandernschlacht bei Ypern habe Deutschland eine »neue Schwelle der Grausamkeit überschritten«63 und Schrecken, Verzweiflung, Angst und Sprachlosigkeit verbreitet. Umso dankbarer seien die Deutschen, dass gerade Belgien als einer der ersten Nachbarn die Hand zur Versöhnung gereicht habe. So sei Brüssel der passende Platz für den Sitz der Europäischen Union, die »für die Freiheit, für demokratische 56
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61 62 63
Zur Eröffnungsrede desHistoryCampus in diesem Abschnitt vgl. Angela Merkel: Rede von Bundeskanzlerin Merkel zur Eröffnung der Veranstaltung »Europe 14/14 – HistoryCampus Berlin am 7. Mai 2014« (7. Mai 2014). URL : https ://www.bundeskanzlerin.de/Content/DE/Rede/2014/05/2014-05-07merkel-maxim-gorki-theater.html (1. August 2017). Ebd. Zur Rede im DHM in diesem Abschnitt vgl. Angela Merkel: Rede von Bundeskanzlerin Merkel zur Eröffnung der Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« im Deutschen Historischen Museum am 28. Mai 2014 (28. Mai 2014). URL: https://www.bundeskanzlerin.de/Content/DE/Rede/2014/05/ 2014-05-28-merkel-ausstellung-1914-bis-1918.html (1. August 2017). Ebd. Zur Zusammenfassung der Rede in Nieuwpoort im folgenden Abschnitt vgl. Angela Merkel: Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel anl. der Gedenkveranstaltung »100 Jahre Erster Weltkrieg« am 28. Oktober 2014 (28. Oktober 2014). URL: https://www.bundeskanzlerin.de/Content/DE/Rede/2014 /10/2014-10-28-merkel-ypern.html;jsessionid=B3075EC054B101C7B72541CFBD4537F8.s3t2 (3. Oktober 2018). Ebd. Angela Merkel: [337]. Ebd.
283
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Europäisierung des Gedenkens?
Werte und die Wahrung internationalen Rechts«64 einstehe. Dazu würden die Opfer der beiden schrecklichen Kriege mahnen.
64
Ebd.
Europäisierung der Geschichtsbilder des Ersten Weltkrieges?
10. Akteure der Geschichte – Geschichtspolitische Akteure
10.1
Museen als Akteure
Die vorliegende Untersuchung zeigt deutlich, dass die Diskurse in den Ausstellungen, die für die Untersuchung exemplarisch analysiert wurden, den vorherrschenden Forschungsmeinungen folgen. Die Ausstellungsnarrative basierten auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und entstanden teilweise in direkter Zusammenarbeit mit den führenden Weltkriegsforschern. Dadurch legitimieren die Museen ihre Arbeit und die von ihnen in den Ausstellungen konstruierten Geschichtsbilder erhalten größte Glaubwürdigkeit. Darüber hinaus wurde deutlich, dass eine parallele Darstellung von unterschiedlichen Forschungsmeinungen nicht vorgenommen wurde. Die Kuratoren und Projektverantwortlichen entschieden, welche Meinung Eingang in das Ausstellungsnarrativ fand. Die Ausstellungsmacher nahmen gezielt Einfluss auf die Auswahl dessen, was sie für relevant erachteten. Durch diesen Selektionsprozess konstruierten die Museen aktiv spezifische Geschichtsbilder in den Ausstellungen. Sie waren und sind somit »aktive Produktionsstätten, die ihren Gegenstand nicht abbilden, sondern neu bilden. Sie entwerfen, produzieren und konstruieren Geschichtsbilder als Vorstellungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft«1 und werden so zu Akteuren der Geschichte.2 In den Sonderausstellungen anlässlich des hundertsten Gedenkens an den Ersten Weltkrieg wurden unter anderem kultur- und sozialgeschichtliche Diskurse aufgegriffen. Dabei unterschieden sich die Diskurse in den deutschen Ausstellungen von denen in den britischen zum Teil erheblich, teilweise ließen sich auch Gemeinsamkeiten finden. Oberflächlich betrachtet konnten scheinbar gleiche Diskurse identifiziert werden, deren nationale Narrative sich bei genauerer Analyse aber unterschieden und bei denen sich divergente Geschichtsbilder feststellen ließen wie etwa im Falle der Frage nach der Kriegsschuld. Der Aspekt der britischen Kriegsopfer und der der Lehren aus dem Ersten Weltkrieg gehörten zu den Ausstellungsdiskursen, die deutlich differierten und zu denen auch unterschiedliche Geschichtsbilder konstruiert wurden. Die Themen 1 2
Katrin Pieper: [486], S. 201. Vgl. Thomas Thiemeyer: [518], S. 16f.
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Europäisierung des Gedenkens?
Gewalt und Grauen an der Front und Leid der Zivilbevölkerung fanden sich im Gegensatz zu den beiden vorher genannten in den Ausstellungen beider Länder. Hier ließ sich auch eine Annäherung der verschiedenen nationalen Geschichtsbilder feststellen, wenngleich die Ausstellungsnarrative teilweise voneinander abwichen.
10.1.1
Divergente Geschichtsbilder
Deutschland, Großbritannien und die Kriegsschuldfrage Die Frage nach der Kriegsschuld am Ersten Weltkrieg spielte 2013/2014 in Deutschland nach langer Zeit wieder eine große Rolle in der Öffentlichkeit. Damit war anzunehmen, dass das Thema auch eine bedeutende Rolle in der deutschen Weltkriegserinnerung einnehmen würde. Folglich wurde der Kriegsschuldfrage in der vorliegenden Untersuchung auch sehr viel Raum gegeben. Denn so sehr man in der deutschen Öffentlichkeit durch Clarks These von den Schlafwandlern eine Befreiung von der empfundenen kollektiven Schuld spüren konnte, so blieb zu untersuchen,3 ob und wie Clarks Sichtweise der geteilten Verantwortung am Ausbruch des Ersten Weltkrieges in den Ausstellungen umgesetzt und inwiefern damit insbesondere in den deutschen Ausstellungen diese empfundene ›Schuldbefreiung‹ thematisiert wurde. Im Gegensatz zur Wahrnehmung der Öffentlichkeit war die Frage nach der Kriegsschuld sowohl in der deutschen als auch in der britischen Forschung bereits lange vor dem »Centenary« wiederaufgekommen und diskutiert worden. Debatten wurden rege darüber geführt, welche der Entscheidungen zur Eskalation der Julikrise und zum Kriegsausbruch beigetragen hätten. Die Rolle des Schlieffen-Plans hinsichtlich einer Einkreisung durch Russland, Frankreich und letztlich auch Großbritannien durch die Bündnissysteme wurde gegen den Blankoscheck gegenüber Österreich-Ungarn und das Mobilmachungswettrennen abgewogen. Fehlender Wille zur Erhaltung des Friedens und die Furcht vor einem Prestigeverlust waren ebenso gängige Erklärungsmodelle für den Kriegsausbruch wie der Primat des Militärs und die Einschränkung der Handlungsspielräume. Die wissenschaftliche Debatte in Großbritannien verfolgte den Ansatz einer geteilten Verantwortung weniger intensiv, wenngleich es Meinungen gab, die beispielsweise auch Russland oder Österreich-Ungarn in bedeutender Verantwortung sahen. Die aus britischer Sicht bedeutendere Debatte war die Frage nach den Gründen für den eigenen Kriegseintritt. Die Erfüllung des Vertrags von London gegenüber Belgien, die moralische Verpflichtung gegenüber den Bündnispartnern Frankreich und Russland sowie die eigenen wirtschaftlichen, sicherheits-, aber auch machtpolitischen Interessen bildeten dabei die Ankerpunkte der verschiedenen Argumentationen. Die britischen Ausstellungen spiegelten diesen Schwerpunkt der wissenschaftlichen Debatte zur Schuldfrage in Großbritannien wider. Insbesondere im IWM wurde der Frage nach den Gründen für den Ausbruch des Krieges weniger Aufmerksamkeit gewidmet als den Gründen für den britischen Kriegseintritt, wenngleich die Darstellung im
3
Hew Strachan schrieb hierzu, dass Frank-Walter Steinmeier in einer Rede am 27. Januar 2014 die Argumentation Clarks akzeptierte, dass alle europäischen Regierungen »had played a role in the rush to war in 1914« (Hew Strachan: [510], S. 41.) und dass »[t]he bulk of German public opinion now agrees with that interpretation.« Ebd.
10. Akteure der Geschichte – Geschichtspolitische Akteure
Detail teilweise nicht weiter ausgearbeitet war. Das Attentat von Sarajevo stand am Ausgang der Ereignisse, aber Großbritannien trat aufgrund des deutschen Vertragsbruchs gegenüber Belgien in den bis dahin europäischen Krieg ein. Die Darstellung des IWMs erzeugte das Bild eines passiv agierenden Großbritanniens, das sich gedrängt durch ein aggressiv und hart agierendes Deutschland zu einem Kriegseintritt an der Seite Frankreichs und Russlands gezwungen sah. Differenzierter als im FLM, aber im Einklang mit der gängigen britischen Weltkriegsforschung zeigte das IWM auf, dass durch eine deutsche Vormachtstellung die britische Sicherheit und seine Rolle als Weltmacht bedroht gewesen wären. Das IWM, das für das britische Geschichtsbewusstsein über den Ersten Weltkrieg eine bedeutende Rolle innehat, machte aber auch deutlich, dass mit Großbritannien nicht nur die BEF in die Kriegshandlungen involviert wurde, sondern das gesamte Empire und infolgedessen der Krieg seine weltumspannende Dimension erreichte. Das Geschichtsbild des passiven Handelns wurde durch die objektgestützte Darstellung in beiden Ausstellungen untermauert, indem die Bereiche zum Kriegsausbruch klein gehalten und lediglich mit fotografischem und digitalem Bildmaterial zur Julikrise ausgestattet waren. Das vorherrschende Geschichtsbild, das sich vor allem in der Ausstellung des IWMs wiederfand, schrieb die Schuld und damit die Verantwortung an einem gewollten Krieg der deutschen Führung zu, die durch ihre Haltung gegenüber Österreich-Ungarn und der Mobilisierung der Streitkräfte gegenüber Russland als Aggressor auftrat. Großbritanniens Kriegseintritt wurde als notwendig skizziert, da es gegenüber Belgien nicht vertragsbrüchig werden wollte wie die Deutschen und weil es auch vor allem gegenüber dem Bündnispartner Frankreich zu seinen Obliegenheiten stand und im Kriegsfall mit Truppen zu Hilfe eilte. Dass Belgien oder die Bindung an den Entente-Partner Frankreich für Großbritannien nur ein Vorwand gewesen wäre, um gegen die Bedrohung, die Deutschland macht- und sicherheitspolitisch sowie wirtschaftlich aus britischer Sicht darstellte, vorzugehen, verfolgte keine der drei britischen Ausstellungen. Großbritanniens Rolle war gemäß den Ausstellungen des IWMs und des FLMs die eines passiv agierenden Reaktionärs und nicht die eines aktiv agierenden Angreifers. In den deutschen Ausstellungen wurde die Frage nach der Schuld am Krieg nur am Rande angesprochen. Die zu Beginn des Gedenkjahres in der deutschen Öffentlichkeit debattierte Frage fand jedenfalls in den Ausstellungen kaum ein Echo. Eine Aussage hierzu, sofern sie überhaupt getroffen wurde, ging konform mit den neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass nicht von einer deutschen Schuld am Krieg, sondern von einer geteilten Verantwortung am Ausbruch des Krieges die Sprache war, ohne dass dabei geäußert wurde, wem die weitere Verantwortung in welchem Maße zukam. Das Attentat von Sarajevo wurde als ausschlaggebendes Ereignis, das den schwelenden Konflikt zwischen Serbien und Österreich-Ungarn verschärfte, klar benannt. Der weitere Ablauf der Ereignisse der Julikrise wurde dann als Kettenreaktion dargestellt, die sich aus mehreren Gründen ergab. Dazu zählten das kaiserliche Weltmachtstreben, das sich im Imperialismus und im wirtschaftlichen und politischen Konkurrenzdenken äußerte, und der Militarismus, der am Rüstungswettlauf und in der Umsetzung des Schlieffen-Plans deutlich zu Tage trat. Zudem war Krieg im Jahr 1914 als legitimes Mittel zur Klärung von Konflikten betrachtet worden. Ferner hatte Deutschland ganz im Zuge seiner Zusicherung der Bündnistreue zu Österreich-Ungarn gehandelt. Das
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Europäisierung des Gedenkens?
DHM zeigte mit seinen Exponaten zur SPD auf, dass die Haltung der Deutschen nicht gänzlich aggressiv gewesen war, sondern dass es auch andere Meinungen gab als das preußisch-adlige Obrigkeitsdenken, den Krieg als notwendige Präventivmaßnahme zu betrachten. Das Geschichtsbild in den untersuchten deutschen Ausstellungen war davon geprägt, das Handeln der deutschen Führung zu erklären. Zum Kriegsausbruch führten die militärstrategischen Überlegungen, die im Schlieffen-Plan verankert waren, die unbedingte Treue gegenüber dem Bündnispartner Österreich-Ungarn und die Furcht vor einem Prestigeverlust sowie vor der Bedrohung einer militärischen Einkreisung, die der Schlieffen-Plan suggerierte. Dass die Verantwortung am Ausbruch des Krieges eine geteilte war, klang in der Darstellung dadurch an, dass die Kriegserklärung von Österreich-Ungarn an Serbien und letztlich die Mobilmachung Russlands Deutschland erst zur Ausführung des Schlieffen-Plans drängten. Zusammenfassend wurde auf einer transnationalen Ebene kein einheitliches Narrativ hinsichtlich der Schuldfrage geboten. Die in den Ausstellungen gezeigten Geschichtsbilder blieben mit den national vorherrschenden Narrativen behaftet. Dies galt insbesondere für das britische Geschichtsbild, das Deutschland in der Verantwortung darstellte, gleichzeitig jedoch die Frage der Notwendigkeit des eigenen Kriegseintritts viel mehr im Fokus hatte. Das deutsche Geschichtsbild spiegelte immerhin die neuere Forschung in Ansätzen wider. Die unterschiedliche Schwerpunktsetzung bei der Fragestellung in den deutschen Ausstellungsnarrativen – Wer trug die Verantwortung aufgrund welchen Handelns? – und in den britischen – War es gerechtfertigt in den Krieg, den Deutschland zu verantworten hatte, einzutreten? – zeigt in der transnationalen Betrachtung ein Auseinandertriften in unterschiedliche Geschichtsbilder.
10.1.2 Differente Geschichtsbilder Deutschland und die Lehren aus dem Ersten Weltkrieg Die Ausstellungen in Deutschland verbanden mit dem Ersten Weltkrieg eine Mahnung, Lehren aus der Gewalt und dem dadurch verursachten Leid zu ziehen. Möglicherweise hinge dies mit damit zusammen, dass es nur wenige Staaten gibt, die so umfassend aus ihrer Geschichte gelernt hätten wie die Bundesrepublik Deutschland, wie Edgar Wolfrum schrieb.4 Wenngleich auch für die deutschen Ausstellungen festzustellen ist, dass das Thema Lehren aus dem Ersten Weltkrieg nur kleinere Ausstellungsbereiche einnahm. Sofern diese Thematik aufgegriffen wurde, dann in der Darstellung von Versöhnungs- und Einigungsgesten und -akten. Versöhnung und Vereinigung prägten das Geschichtsbild der Lehren, die aus dem Ersten Weltkrieg zu ziehen sind, und wurden mit der deutsch-französischen Aussöhnung oder der europäischen Einigung, die sich in den Institutionen der Europäischen Union manifestierte, konkret benannt. Auch der Hinweis auf den Völkerbund kann als Lehre interpretiert werden, insofern als
4
Vgl. Edgar Wolfrum/Cord Arendes: Öffentliches Erinnern – Auftrag oder Instrument der Politik?, in: Landesstiftung Baden-Württemberg GmbH (Hg.): Gedenkstättenkongress Karlsruhe 2005 – Dokumentation, S. 76-89 (September 2006). URL: https://www.bwstiftung.de/uploads/tx_news/Gedenk staettenkongress.pdf (19. Oktober 2018).
10. Akteure der Geschichte – Geschichtspolitische Akteure
bereits den Zeitgenossen bewusst war, dass eine Katastrophe wie der Erste Weltkrieg künftig nur zu verhindern wäre, wenn die Nationen sich in einem Austausch befänden und die Erhaltung des Friedens das Ziel einer gemeinsamen Anstrengung wäre. Die britische Wissenschaftsdebatte widmete sich ebenfalls der Frage nach den Lehren des Ersten Weltkrieges, die britischen Ausstellungen allerdings nicht. Zwar wurden teilweise Ausblicke auf die Folgen des Krieges gegeben, etwa auf das Aufkommen des Faschismus und des Bolschewismus oder auf die Bürgerkriege, die eine Folge des Zusammenbrechens der Großreiche und den daraus neu erwachsenden Staaten waren. Aus diesen Ausblicken ließen sich für die Analyse der Geschichtsbilder jedoch keine konkreten Lehren ableiten. Auch wurde in den britischen Ausstellungen auf den sogenannten »Christmas truce«5 mittels Fotografien, Zeitungskopien und Memorabilien der Soldaten, wie einem von einem deutschen an einen britischen Soldaten verschenkten Uniformknopf, eingegangen. Jedoch fand sich in den britischen Ausstellungsnarrativen zu der kurzzeitigen Versöhnung während der ersten Kriegsweihnacht kein Hinweis darauf, dass damit eine Lehre oder gar ein entsprechendes Geschichtsbild konstruiert werden sollte. Die Ausstellungstexte zum »Christmas truce« gaben hierüber jedenfalls keine Auskunft. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Geschichtsbild der Lehren aus dem Ersten Weltkrieg ein deutsches Geschichtsbild ist, nicht zuletzt in Anlehnung an Wolfrum, weil das Ziehen von Lehren aus der Geschichte den Deutschen nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus immanent geworden ist.
5
Das IWM und das FLM widmeten sich dem Ereignis, das während der ersten Kriegsweihnacht 1914 vereinzelt an der Westfront stattgefunden haben soll. Vor allem Berichte über ein Fußballspiel zwischen deutschen und britischen Soldaten im Niemandsland zwischen den Schützengräben haben in der britischen Weltkriegserinnerung einen festen Platz. Der inoffizielle Waffenstillstand sei spontan und ungeplant auf Zuruf zwischen den verfeindeten Parteien geschehen. Es wurden gemeinsam Weihnachtslieder gesungen und Geschenke wie Zigaretten, Bier oder auch Knöpfe als Souvenirs ausgetauscht. Im IWMN lag ein Brief aus, der von einem inoffiziellen Waffenstillstand über Weihnachten sogar noch im Jahr 1916 berichtete. Vgl. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext [37]; Imperial War Museum (Hg.): Zusammenfassung »By the end of 1914 the exhausted armies had sought safety in trenches.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Exponatgruppentext »Frederick Chandler was a surgeon attached to the British Expeditionary Force.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Id. (Hg.): Exponattext »German soldier Werner Keil«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015); Matthew Brosnan/Imperial War Museum North: Exponattext »Letter from Arthur to Reg, 29 December 1916«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. Weiterführend zum »Christmas truce« bei Kathryn McDaniel: Commemorating the Christmas Truce: A Critical Thinking Approach for Popular History, in: The History Teacher 49, 1 (November 2015), S. 89-100; Neil Armstrong: England and German Christmas Festlichkeit, c. 1800-1914, in: German History 26, 4 (2008), S. 486-503; Terri Crocker: The Christmas Truce. Myth, Memory, and the First World War. Lexington 2015; Lauren Stokes: Fraternité! Schöne Augenblicke in der europäischen Geschichte, in: German History 35, 2 (2017), S. 322-324.
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Europäisierung des Gedenkens?
Großbritannien und die Kriegsopfer Im Hinblick auf die Thematik der Kriegsopfer zeichnete die britische Forschung ein gespaltenes Bild. Einerseits gab es das Narrativ der Notwendigkeit, für die Verteidigung der zivilisatorischen Werte in den Krieg zu ziehen, und andererseits gab es das dazu in völligem Widerspruch stehende Narrativ der Sinnlosigkeit der Kriegsopfer. Die Auffassung von den sinnlos gefallenen Millionen junger Männer bildete über Jahrzehnte das vorherrschende Narrativ, geprägt vor allem durch populärkulturelle Genres wie der Weltkriegsliteratur der »war poets«. Die britischen Weltkriegsausstellungen bezogen Position, indem sie vor allem ein Geschichtsbild zu den Kriegsopfern zeigten, das von einer Notwendigkeit für die Verteidigung der zivilisatorischen Werte erzählte. Indem beispielsweise im IWM mit dem Konzept der »contemporaneity« die positive Sicht der Zeitgenossen hervorgehoben wurde, sollte eine positive Bewertung der Kriegsopfer auch heute wieder möglich sein. Hierzu wurden die Beweggründe der Politik, für die Vertragseinhaltung gegenüber Belgien einzustehen, betont. Im IWM wurde dafür ein großer Ausstellungsbereich zu den von deutschen Truppen an der Zivilbevölkerung und den Kulturdenkmälern verübten Gräueltaten in Belgien und zur Rekrutierungs- und Propagandapolitik der britischen Regierung eingeräumt. Die durch die Propaganda geschürte antideutsche Stimmung führte zu hunderttausenden freiwilligen Meldungen insbesondere in den ersten Kriegsmonaten, so die Ausstellungstexte. Zu den von politischer Seite angebrachten Gründen für den Kriegseintritt gesellten sich die individuellen Gründe der jungen Männer wie die Pflicht gegenüber dem König oder die Hoffnung auf eine Verbesserung der eigenen Lebensumstände im Hinblick auf Versorgung und Lebensunterhalt. Die individuellen Gründe wurden als positiv und legitim dargestellt. Dennoch verschwiegen die Ausstellungen gleichzeitig auch nicht die kritischen Stimmen, die den Sinn der Kriegsopfer in Frage stellten. So wurden den »war poets« Siegfried Sassoon und Wilfred Owen Vitrinen gewidmet. Ebenso wurden Plakate zu den moralisch erpressenden Rekrutierungsanstrengungen der Regierung gezeigt, als spätestens nach der Erfahrung der Somme-Schlacht der notwendige Bedarf eines massenhaften Truppennachschubs deutlich wurde und weil die freiwilligen Meldungen rückläufig waren. Die Hinweise auf kritische Stimmen beziehungsweise die hinterfragbaren Rekrutierungsversuche der Regierung waren dahingehend zu verstehen, dass die Ausstellungsmacher das Narrativ der Sinnlosigkeit aufbrechen wollten, ohne dieses als falsch darzustellen. Vielmehr wollten sie mit der Hinwendung zur Sicht der Zeitgenossen, die den Krieg überwiegend als sinnvoll erachteten, ein positives Geschichtsbild der Millionen Kriegsopfer schaffen. Das britische Narrativ der sinnlos erbrachten Kriegsopfer fand in den deutschen Ausstellungen kein Pendant. In Deutschland lag das Hauptaugenmerk der amtlichen Militärgeschichtsschreibung in den Zwischenkriegsjahren darauf, die Frage nach der Kriegsschuld der Deutschen am Kriegsausbruch zu negieren und sich selbst als Opfer darzustellen.6 Auch die Geschichtswissenschaft gab dem Narrativ der Lüge von der Kriegsschuld Nahrung und förderte damit die Absichten des Auswärtigen Amtes,
6
Zur amtlichen Militärgeschichtsschreibung siehe Markus Pöhlmann: [487].
10. Akteure der Geschichte – Geschichtspolitische Akteure
den Frieden von Versailles als ›Schmachfrieden‹ zu empfinden.7 Viele Historiker erlebten den Ersten Weltkrieg selbst an der Front und suchten nicht zuletzt auch nach einem Sinn hinter ihrem Einsatz, der mit dem Eingeständnis einer Schuld obsolet gewesen wäre.8 Gerade für die 1920er und 1930er Jahre lässt sich feststellen, dass die universitären Historiker das Thema des Großen Krieges nicht oder kaum angingen und es weitestgehend der amtlichen Militärgeschichtsschreibung überlassen war, die über »eng gefaßt[e] militärgeschichtlich[e] Fragestellungen«9 kaum hinauskam und wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügte.10 Nach 1945 wollte man weg von der Frage der Kriegsschuld und die Zusammenhänge zwischen den zwei Weltkriegen rückten in den Fokus.11 Fritz Fischer regte die Debatte um die Frage nach der Kriegsschuld in seinem Werk Griff nach der Weltmacht in den 1960er Jahren jedoch erneut an, indem er der wilhelminischen Politik Kriegstreiberei nachwies. Ab den 1970er Jahren spielte die Kriegsschuldfrage aber auch die Politikgeschichte in den Forschungsdebatten keine große Rolle mehr. Die These Fischers von der bewussten Inkaufnahme eines Krieges seitens der Deutschen wurde allgemein anerkannt. Die deutsche Erinnerung an den Ersten Weltkrieg wurde durch den Zweiten Weltkrieg überlagert und mündete in die Sicht einer kollektiven Schuld an beiden Weltkriegen.12
10.1.3 Konvergente Geschichtsbilder Gewalt und Grauen an der Front Alle untersuchten Ausstellungen in Deutschland und in Großbritannien zeigten und beschrieben den Besuchern ein Geschichtsbild zur Gewalt und dem Grauen der Kriegswirklichkeit. Im IWM und im HdG wurde dieses Narrativ durch die Zeitzeugenaussagen noch einmal besonders betont, da sie den Besuchern Auskunft darüber gaben, wie die Gewaltausbrüche erfahren beziehungsweise welches Grauen und welche Ängste bei den Soldaten durch die Gewalterfahrung ausgelöst wurden. Das Grauen des Krieges zeigten die Ausstellungen durch Bilder von zerstörten Landschaften und Häusern, Schlamm- und Wasserlöchern, zersplitterten Bäumen oder zerfetzten und halb halbverwesten Überresten gefallener Soldaten und Zivilisten. Die Schwarz-Weiß-Fotografien, teils Wände füllend zur Gestaltung des jeweiligen Ausstellungsbereichs, verstärkten den Eindruck der schrecklichen Szenerien und Perspektiven, die für die Soldaten an den Frontabschnitten zum grauenhaften Kriegsalltag geworden waren. Beschreibungen von Zeitzeugen vermittelten zudem den Besuchern, welchen Eindruck die Soldaten von der ›Blutmühle‹ des Abnutzungskrieges 7
8 9 10 11 12
Vgl. hierzu Wolfgang Jäger: [436], S. 44-46, S. 68f und S. 87. Von der Unschuld der Deutschen waren aber auch ausländische Wissenschaftler wie die Amerikaner Sydney Fay, Harry Barnes und der Engländer Edmund Morel sowie der Franzose Georges Demartial und Matthias Morhardt aus der Schweiz überzeugt. Bei Fay wurde der Krieg als Unfall dargestellt. Bei Barnes waren Frankreich und Russland die Schuldigen. Vgl. hierzu ebd., S. 58. Zu den Historikern an der Front vgl. den Beitrag von Christoph Cornelißen: [375], S. 311-337. Gerd Krumeich/Gerhard Hirschfeld: [459], S. 304. Vgl. ebd., S. 304-315. Vgl. hierzu Wolfgang Jäger: [436], S. 107. Vgl. Wolfgang Mommsen: [481], S. 7.
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Europäisierung des Gedenkens?
hatten. Die durch die Materialschlachten ausgelöste ›Dynamik der Gewalt‹ und die Gewaltexzesse, die durch die Millionen Artilleriegeschosse an der Westfront ausgelöst wurden, hoben alle Ausstellungen hervor. Vereinzelt wurde die Gewalt zum leitenden Ausstellungsnarrativ erklärt, wie im DHM in Berlin und dem MHM in Dresden. Das MHM versuchte die Enge eines Schützengrabens für die Ausstellungbesucher nachempfindbar zu machen, indem es einen Abschnitt des 1918 zerstörten Kilianstollens rekonstruierte und in Originalgröße aufbaute. Mehr als die Enge eines Schützengrabens konnte der Nachbau zu Gewalt und Grauen jedoch nicht simulieren. Für diesen Eindruck setzten die Ausstellungen auf weitere Bilder. Die vom einzelnen Soldaten ausgehende Gewalt und Gefahr illustrierte das IWM in der Darstellung eines zum Angriff aus dem Schützengraben bereiten Stoßtruppsoldaten in deutscher Uniform, der mit erhobenem Arm im Begriff scheint, eine Granate zu werfen. Ein sehr eindrückliches Bild lieferte Gradmanns »Psychodrom der Angst«13 , das in der Installation der aus dem Nebel des Kampfgases auftauchenden und fratzenhaft erscheinenden Gasmasken im DHM den »Karneval des Todes«14 treffend und auf einer abstrakten Ebene vermittelte.15 Die schiere Masse an Menschen, Waffen und Munition, die der Krieg allein entlang der Schützengräben an der Westfront verschlang, prägte die Darstellungen in allen sieben Museen. Dem Geschichtsbild der Gewalt und des Grauens, das die Soldaten über vier lange Jahre als Kriegsalltag ertragen mussten, wurde sowohl in den deutschen als auch den britischen Museen damit große Bedeutung beigemessen. Die Ausstellungen vermittelten mit Hilfe der Darstellungsweise auch noch 100 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges ein Geschichtsbild der Überwältigung.
Leid der Zivilbevölkerung Ein Geschichtsbild zum Leid, das die Zivilbevölkerung im Ersten Weltkrieg in den verschiedenen Front- und Besatzungsgebieten erfuhr, kam gleichfalls sowohl in den britischen als auch den deutschen Ausstellungen vor. Beispielhaft wurde die Lage der Belgier und die der Armenier, für die West- und die Ostfront untersucht. Eine weitere Gruppe bildete die eigene Zivilbevölkerung, die als ›innere Feinde‹ oder ›enemy aliens‹ der Kollaboration mit dem Feind oder der Spionage verdächtigt wurde. Das Geschichtsbild des Leides der belgischen Zivilbevölkerung war ein Aspekt des Ersten Weltkrieges, der in den untersuchten deutschen Ausstellungen insgesamt betrachtet, und im Gegensatz zum IWM, eine untergeordnete Rolle spielte. Mit der Darstellung der von der eigenen Seite verübten Kriegsverbrechen und Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung taten sich die deutschen Museen offenbar schwer. Das Leid der Menschen stellte vor allem das DHM dar, das nicht davor zurückscheute, auf die über 6.500 zivilen belgischen Opfer von Gewalttaten, Mord, Exekutionen, Zwangsarbeit und Hunger durch die Beschlagnahmung von Rohstoffen sowie die Zerstörung der bedeutsamen Kulturstätten einzugehen. Das MHM tat sich als militärhistorisches deutsches
13 14 15
Christoph Gradmann: [410], S. 154. Modris Eksteins: [390], S. 249. Vgl. Abbildung 13.
10. Akteure der Geschichte – Geschichtspolitische Akteure
Museum damit deutlich schwerer. Die oben beschriebene Exponatauswahl kontextualisierte die Gewalttaten gegen die Zivilisten und die Vernichtung der Kulturgüter, stellte aber das Vorgehen als ›Gräueltaten‹ in Frage. Für die britische Weltkriegsgeschichte und folglich für das Geschichtsbild spielte der deutsche Einmarsch in Belgien hingegen die entscheidende Rolle. Das Bild von der Zerstörung der zivilisatorischen Werte, nicht zuletzt durch die Zerstörung von Löwen, und das brutale Vorgehen der deutschen Armee gegenüber der Zivilbevölkerung, prägte die Darstellung im IWM. Ein großer Bereich der Ausstellung widmete sich zudem der Kriegspropaganda, indem aufgezeigt wurde, wie die Lage in Belgien für propagandistische Zwecke ausgenutzt wurde. Indem die Deutschen mittels der in die Ausstellung integrierten Zeitzeugenaussagen als gewalttätige Zerstörer der zivilisatorischen Werte dargestellt wurden, zeichnete das IWM ein klares Bild der antideutschen Stimmung in Großbritannien. Gemeinsam hatten die Ausstellungen sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland, dass sie die Gewalttaten gegen die Armenier nicht als Genozid, sondern als Vertreibung, Massaker oder als Pogrom benannten. Zum einen lag das an der hochpolitischen Brisanz dieser Frage und zum anderen, weil der Begriff als solcher während des Ersten Weltkrieges nicht verwendet worden sei – wenngleich die Zeitgenossen sich darüber im Klaren waren, dass es um die Vernichtung der Armenier als gesamtes Volk ging. Anders als im Falle Belgiens zeigten die deutschen Ausstellungen, insbesondere auch das MHM, in der Armenienfrage weniger Zurückhaltung bei der Darstellung des Leides der Zivilbevölkerung, das ebenfalls durch kriegsverbrecherische Handlungen verursacht worden war. Dies hing möglicherweise damit zusammen, dass im Falle der Armenier mit dem türkischen Militär ›nur‹ ein Bündnispartner die Gewalttaten verübte und nicht in erster Linie das deutsche Militär selbst. Die Ausstellungen widmeten den Gewalttaten, die das türkische Militär an der armenischen Zivilbevölkerung verübte, jeweils nur kleine Bereiche. Keines der Museen verzichtete aber darauf, auf die brutal ausgeübte Gewalt und das damit verbundene Leid der Armenier hinzuweisen. Das eindrücklichste Bild, das dies ausstellungsübergreifend treffend versinnbildlichte, war die Fotografie der Leiche einer Armenierin im MHM. Sowohl in Großbritannien als auch im deutschen Reichsgebiet wurde gegen Zivilisten vorgegangen, die man der Kollaboration mit oder der Spionage für den Feind verdächtigte. Die Darstellung des IWMNs bezog sich auf die Lage der in Großbritannien lebenden Deutschen beziehungsweise deutschstämmigen Briten. Aufgrund der massiven antideutschen Stimmung waren diese großen Anfeindungen ausgesetzt. Obwohl in der Ausstellung weniger das Leid dieser Zivilbevölkerungsgruppe beschrieben werden sollte, sondern die Haltung der britischen Gesellschaft gegenüber den ›enemy aliens‹, wurde deutlich, dass auch auf britischer Seite nicht nur gegen verdächtige Zivilisten vorgegangen wurde. Von den deutschen Ausstellungen widmeten die zwei national bedeutsamen Museen gesonderte Bereiche zur Frage nach dem Vorgehen gegen den sogenannten ›inneren Feind‹. Das DHM vermittelte ein deutliches Bild davon, dass das deutsche und das k.u.k. Militär bereit war, die eigene Zivilbevölkerung wegen Spionageverdachts hinrichten zu lassen oder unter unmenschlichen Bedingungen zu internieren. Mittels des Leitexponats, des Güterwagens G 10, verwies auch das MHM auf die Verantwortung des deutschen Militärs und der Behörden für das Leid von hun-
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Europäisierung des Gedenkens?
derttausenden Zivilisten und Kriegsgefangenen, die in Lager deportiert wurden und Zwangsarbeit in der Kriegsindustrie leisten mussten. Gleichzeitig sollte der Güterwaggon auf das kommende Leid vor allem der jüdischen Bevölkerung hinweisen, die unter den Nationalsozialisten in solchen Waggons in die Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert werden sollten. Das Geschichtsbild des Leides der Zivilbevölkerung griffen die Ausstellungen beispielhaft an der Lage in Belgien, der Armenienfrage und dem Umgang mit den ›inneren Feinden‹ beziehungsweise den ›enemy aliens‹ auf. Wenngleich die Themen vielfältig waren und in den Ausstellungsnarrativen unterschiedlich thematisiert wurden, war den Geschichtsbildern gemeinsam, dass die Zivilbevölkerung im Ersten Weltkrieg besonders und unmittelbar durch den Krieg betroffen war. An Beispielen zu den Belgiern und den Armeniern wurde dies besonders deutlich. Bei den ›inneren Feinden‹ und den ›enemy aliens‹, zeigte sich, dass man nicht nur gegen die Zivilbevölkerung von Kriegsgegnern vorging, sondern auch die eigene Bevölkerung unter Verdacht geraten konnte und nicht verschont blieb. Die Konvergenz der britischen und deutschen Geschichtsbilder besteht darin, dass das Leid der Zivilbevölkerung in der nationalen Betrachtung zwar aus unterschiedlichen Perspektiven und für unterschiedliche Gruppen betrachtet wurde, das Geschichtsbild des Leides der Zivilbevölkerung in beiden Ländern aber als besonders erschütternder Aspekt dargestellt war.
10.1.4
Geschichtspolitische Deutung der Ausstellungen
Die Handlungsfelder der Museen als geschichtspolitische Akteure sind ihre Ausstellungen, in denen sie Geschichtsbilder konstruieren. Die Ausstellungen vermittelten historische, politische, militärische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Zusammenhänge der Weltkriegsgeschichte. Da es sich bei den untersuchten Weltkriegsausstellungen um Sonderausstellungen beziehungsweise eine neu eingerichtete Dauerausstellung handelte, die ausschließlich das Gedenken an den Ersten Weltkrieg nach 100 Jahren zum Anlass hatten, stellt sich die Frage nach der Funktion dieses Gedenkens.16 Die Geschichtsbilder des Ersten Weltkrieges, die in den Ausstellungen konstruiert wurden, waren vielfältig. Die exemplarisch herausgegriffenen Diskurse zur Kriegsschuld, zu den Kriegsopfern, zu den Lehren aus dem Ersten Weltkrieg, zur Gewalt und zum Grauen an der Front sowie zum Leid der Zivilbevölkerung eignen sich für eine politische Deutung. Nicht zuletzt, weil der Erste Weltkrieg seit seinem Ausbruch immer auch politische Deutung erfuhr. Zudem wurden sowohl die britischen als auch die deutschen Ausstellungen in Museen in teilweiser staatlicher Trägerschaft untersucht, die mit Geldern aus der öffentlichen Hand finanziert werden. Einen geschichtspolitischen Auftrag hinter den Ausstellungskonzepten und Ausstellungsinhalten zu vermuten, liegt nahe. Die in den Ausstellungen konstruierten Geschichtsbilder erwiesen sich als Teil des gesellschaftlichen und des politischen Diskurses. Damit greifen auch sie direkt in »die Gestaltung des kollektiven […] historisch-politischen Bewusstseins«17 ein
16 17
Vgl. Edgar Wolfrum: [543], S. 339; Ders.: [541], S. 22; Janina Fuge: [405], S. 125f. Beatrix Bouvier/Michael Schneider: [368], S. 8.
10. Akteure der Geschichte – Geschichtspolitische Akteure
und tragen aktiv dazu bei, dass die Deutung des Ersten Weltkrieges auf die Gestaltung und auf das Verstehen der Gegenwart einwirkt.18
Geschichtspolitische Deutung der deutschen Museen Ein Bild, das sich in den deutschen Ausstellungen fand, ist, dass der Erste Weltkrieg unermessliches körperliches und seelisches Leid über die Menschen brachte und alle bis dahin dagewesenen Maßstäbe sprengte.19 Die »Menschen in den Mittelpunkt zu stellen«20 war ein von fast allen Ausstellungen geteilter Ansatz, um die katastrophale Erfahrung der Zeitgenossen für heutige Besucher verstehbar zu machen. Das zweite Bild, das die Ausstellungen aufgriffen, war das der »Totalisierung des Krieges«21 und die durch die »Modernisierung der Kriegstechnik«22 hervorgebrachten »verheerenden Folgen für die Menschen«23 , sowohl für die Soldaten an den Kriegsfronten als auch für die Zivilbevölkerung. Die »Eskalation der Gewalt [und, J.H.] [d]ie Gewalterfahrung veränderte nicht nur die nachfolgenden Kriege, sondern auch das politische Denken und Handeln im gesamten 20. Jahrhundert.«24 Gleichzeitig entwickelte sich durch den Krieg eine Dynamik, die die Gesellschaft im Gesamten erfasste – Massenmobilisierung und -sation, Massenproduktion, »ethnische und soziale Verwerfungen«25 . Die Ausstellungen verdeutlichten den Zusammenhang der Gewaltexzesse an den Frontlinien einerseits und das dadurch entstandene Leid andererseits. Dass das Leid der Soldaten und der Zivilbevölkerung mit dem 11. November 1918 nicht endete, war ebenso Teil der Ausstellungsnarrative wie der Hinweis auf die Steigerung des Gewaltexzesses im Zweiten Weltkrieg und im Holocaust.26 Die Motive von Gewalt und Leid waren in den deutschen Ausstellungen untrennbar miteinander verwoben und setzten die deutliche Botschaft, dass sich eine solche Katastrophe nicht mehr wiederholen dürfe. Es wurde auf die friedenstiftende Funktion von Institutionen wie dem Völkerbund oder der Europäische Union hingewiesen. Die geschichtspolitische Botschaft des Gedenkens war es, den Ersten Weltkrieg als Mahnung zur »Völkerverständigung«27 zu sehen und das friedliche Zusammenleben der Nationen in Europa als Ziel, nie aus den Augen zu verlieren.
18 19 20 21 22 23 24 25 26 27
Vgl. Janina Fuge: [205], S. 126. Vgl. Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): [257], S. 2. Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 31. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg. 1914-1918, 29.05.-30.11.2014. Programm Juni/Juli, Flyer, 2014. Ebd. Ebd. Alexander Koch: [265], S. 9. Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 37. Vgl. Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (Hg.): [275]; Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 39f. Judith Heß: Experteninterview MHM [220], S. 35.
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298
Europäisierung des Gedenkens?
Geschichtspolitische Deutung der britischen Museen Die Aspekte der traditionellen Geschichtsbetrachtung aus britischer Sicht, die in allen drei untersuchten Ausstellungen aufgegriffen wurden, waren die Schlachten an der Westfront, der Gaskrieg, das Bild von zerstörten und verschlammten Landschaften, die großen Anstrengungen für die Rüstungsindustrie und die Versorgung der Truppen in der Heimat sowie vor allem die Sichtweise der sinnlosen Verschwendung von Millionen von Menschenleben. Die Absicht des IWMs mit den First World War Galleries war es, nicht nur dem Ersten Weltkrieg zu gedenken, sondern aufzugzeigen, dass »[t]he exhibits were […] more about evoking a set of experiences that in their entirety were common to all.«28 Diese Botschaft sollte auch im FLM in Cardiff und im IWMN in Manchester vermittelt werden, indem der Fokus auf den »average lad that come from the valleys, the tin mines«29 und die Tapferkeit »of people who shaped and were shaped by this first global conflict«30 gerichtet wurde. Es wurde bewusst der menschlichen Seite des Konflikts und den Erfahrungen der Soldaten und der Bevölkerung gedacht.31 Im IWMN standen daher insbesondere die Erfahrungen der einfachen Menschen, ihre »regional contribution and th[e] specific roles of people from the north-west, in terms of the fighting and the home front«32 im Mittelpunkt des Gedenkens.33 Dieser Ansatz stellte den Nährboden für die Hauptbotschaft dar, die über Jahrzehnte und Generationen vorherrschende Sicht der Sinnlosigkeit des Krieges und der Kriegsopfer zu überwinden, die vor allem im IWM verfolgte wurde. Das IWM folgte damit auch neusten geschichtswissenschaftlichen Forschungen, dass die Millionen Opfer des Krieges, die die Soldaten brachten, nicht umsonst waren. »[I]t’s about recognizing sacrifices«34 , so auch die Kuratoren in Cardiff. All die Exponate – »from artillery pieces to intensely personal items such as diaries and letters, from photographs to works of art – […] serve[d] as a compelling, vibrant and emotive narrative of the war which was the founding event of our modern world.«35
10.2
Politiker als Akteure
Die europäischen Regierungsvertreter und Staatsoberhäupter bedienten sich in ihren Reden, Ansprachen und Interviews bestimmter Aspekte des Ersten Weltkrieges und ordneten diese in ihr Gegenwartsverständnis ein. Dabei stellten sie politische Zusammenhänge her, die sie mit geschichtspolitischer Bedeutung aufluden.36 Das Gedenken 28 29 30 31 32 33 34 35 36
Hew Strachan: Introduction, in: Paul Cornish: The First World War Galleries, Begleitband zur Ausstellung »The First World War Galleries«, London 2014, S. 9. Judith Heß: Experteninterview FLM [215], S. 166. Imperial War Museum North (Hg.): [335]. Vgl. Judith Heß: Experteninterview FLM [215], S. 147 und S. 178. Judith Heß: Experteninterview IMWN [219], S. 127. Vgl. ebd., S. 124f. Judith Heß: Experteninterview FLM [215], S. 178. Hew Strachan: [305], S. 11. Vgl. Michael Klundt: [446], S. 10.
10. Akteure der Geschichte – Geschichtspolitische Akteure
an den Ersten Weltkrieg wurde 2014 sowohl von deutschen als auch britischen Politikern dazu genutzt, die Geschichtsdeutung des Ersten Weltkrieges ihren Interessen gemäß zu formulieren. Dabei ging es nicht um die Feststellung des Wahrheitsgehalts – die wissenschaftlichen Debatten zeigen, wie hart um eine historische Wahrheit gerungen wird –, sondern darum, dass die Politiker die Vergangenheit, die Geschehnisse des Ersten Weltkrieges, mit bestimmten Absichten und auf eine bestimmte Wirkung gerichtet, politisch relevant machten.37 Damit zielten die Äußerungen auf einen politischen Diskurs ab, der »primär und direkt auf die Gestaltung des kollektiven, aber vielfältigen historisch-politischen Bewusstseins und damit auf die Ausprägung der politischen Kultur«38 gerichtet war, wie Bouvier und Schneider es formulieren. Die britischen und deutschen Regierungs- und Staatsvertreter deuteten bei ihren öffentlichen Auftritten den Ersten Weltkrieg gemäß ihren politischen Interessen.39 Zum einen ging es darum, die Gründe für ein Gedenken zu erläutern und die Relevanz des Gedenkens für die Gegenwart zu deuten. Zum anderen zeigte sich, dass die Politiker das Gedenken an den Ersten Weltkrieg geschichtspolitisch als Lehre für die politische Gestaltung der Gegenwart verstanden sehen wollten.40 Dabei kristallisierten sich in der vergleichenden Betrachtung zum Teil unterschiedliche, aber auch gemeinsame geschichtspolitische Deutungen hinsichtlich der Gründe und der Lehren heraus. So wurden beispielsweise in den britischen Beiträgen Gründe für das Gedenken benannt, die von deutscher Seite nicht angeführt wurden. Vielmehr überschnitten sich die von deutscher Seite benannten Gründe mit denen der Briten. In Bezug auf die Lehren verhielt es sich umgekehrt. In den deutschen Beiträgen wurden Lehren aufgeführt, die auf britischer Seite nicht benannt wurden. Gleichzeitig benannten die Briten ihrerseits Lehren, die auch von deutscher Seite benannt wurden und somit beide Seiten als geschichtspolitisch relevant erachteten. Im Hinblick auf eine Europäisierung der Geschichte des Ersten Weltkrieges werden im Folgenden sowohl die unterschiedlichen als auch die gemeinsamen Deutungen herausgearbeitet.
10.2.1
Unterschiedliche Geschichtsdeutung
Gründe für das Gedenken Aus Sicht der britischen Staats- und Regierungsvertreter spielten mehrere Gründe eine Rolle, warum anlässlich des »Centenarys« dem Gedenken an den Ersten Weltkrieg große politische Bedeutung zukam. Die Gründe für das Gedenken wurden eng mit der Relevanz für die britische Gegenwart verknüpft. David Cameron benannte bei mehreren öffentlichen Auftritten mehrere Gründe für die Relevanz des Ersten Weltkrieges in der Gegenwart, die auch in den Reden von Prinz William und dem britischen Botschafter Simon McDonald aufgegriffen wurden. Die
37 38 39 40
Die Dimensionen der Geschichtspolitik zusammengefasst bei Edgar Wolfrum: [542], S. 57-60. Beatrix Bouvier/Michael Schneider: [368], S. 8. Vgl. Michael Klundt: [446], S. 10. Vgl. Janina Fuge: [405], S. 126.
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Europäisierung des Gedenkens?
geschichtspolitische Botschaft der genannten Gründe war, dass Großbritannien absolut gerechtfertigt in den Krieg eingetreten war und dass die Kriegsopfer, die Millionen toten oder versehrten Kriegsfreiwilligen, folglich nicht umsonst gewesen waren. Denn die Bereitschaft der Millionen Freiwilligen ermöglichte es, die vertraglichen Verpflichtungen gegenüber Belgien einzuhalten und die Freiheit des Landes zu verteidigen. Die Verteidigung Belgiens wurde auch als Kampf gegen die Vorherrschaft Deutschlands in Europa bezeichnet, die eine Gefährdung der britischen Sicherheit und Wirtschaft bedeutet hätte. Der britische Botschafter sprach in seinem Vortrag vor dem überwiegend deutschen Publikum ganz offen über diese geschichtspolitische Auslegung der Gründe für den britischen Kriegseinstritt.41 David Cameron tat dies bei der Eröffnung der First World War Galleries ebenfalls.42 Die Rede, die Cameron anlässlich der Ausstellungseröffnung vor einem vorwiegend britischem Publikum hielt, hielt er in abgeänderter Form noch einmal bei der Gedenkfeier am 4. August 2014 auf dem britischdeutschen Militärfriedhof St. Symphorien.43 Vor dem europäischen Publikum, unter anderem dem deutschen Bundespräsidenten, sprach er jedoch nicht mehr von einer deutschen Vormachtstellung über den europäischen Kontinent, sondern nur noch allgemein von dem Ziel »to prevent the domination of a continent«44 . Der weitere Grund für die Relevanz des Gedenkens für die Gegenwart lag aus Camerons Sicht darin begründet, dass der Erste Weltkrieg in zahlreichen Gebieten bis heute wirke und politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, technischen oder auch medizinischen Fortschritt gebracht habe, ohne den der heutige Stand nicht erreicht worden wäre.45 Geschichtspolitisch die größte Bedeutung für das britische Verständnis des Ersten Weltkrieges, so Cameron, sei aber eine »emotional connection«46 , die ein elementarer Bestandteil des gegenwärtigen britischen nationalen Selbstverständnisses sei.47
Lehren aus dem Ersten Weltkrieg Die deutschen Regierungs- und Staatsvertreter benannten die Millionen Opfer unter den Soldaten und der Zivilbevölkerung und die beispiellose Zerstörung insbesondere auch von Kulturdenkmälern und historischen Stätten auf den Schlachtfeldern im Westen wie im Osten als die Folge der »industrialisierte[n] Apokalypse«48 , die durch die riesigen Artilleriegeschütze, Millionen von Granaten und dem Einsatz von Kampfgasen im Ersten Weltkrieg ausgelöst wurde. Norbert Lammert endete seine Ansprache vor dem Bundestag damit, dass die heutige Generation durch ihr Wirken solch ein Leid und Sterben künftig verhindern könne.49 Das geschichtspolitische Gedenken an den
41 42 43 44 45 46 47 48 49
Vgl. Simon McDonald: [221], S. 6. Vgl. David Cameron: [314]. Vgl. David Cameron: [316]. Ebd. Vgl. David Cameron: [315]. Ebd. Vgl. ebd. Norbert Lammert: [336]. Vgl. ebd.
10. Akteure der Geschichte – Geschichtspolitische Akteure
Ersten Weltkrieg sollte gerade in Deutschland, das sich seiner Rolle in den zwei Weltkriegen bewusst sei, davon geprägt sein, sich vor allem des Leides zu erinnern, das durch den Krieg entstand, um daraus die wichtige Lehre zu ziehen, dass bewaffnete, militärische Maßnahmen grundsätzlich keine politische Option für die Lösung von Konflikten seien.50 Als wohl bedeutendste Lehre aus dem Ersten Weltkrieg erachteten die deutschen Politiker die Vereinigung Europas und die europäischen Institutionen. Gauck, Merkel und Steinmeier benannten das geeinigte Europa als gelungenes Lehrstück, das Frieden, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz, Freiheit und Humanität gewährleiste.51 Doch auch die deutsche Bundeskanzlerin achtete bei ihren Reden darauf, vor wem sie sprach und passte ihre Inhalte entsprechend an. Ihre Äußerung, in der sie die europäischen Institutionen und die Europäische Union als bedeutsame Lehre aus dem Ersten Weltkrieg bezeichnet, sprach sie bei der Eröffnung der Weltkriegsausstellung im DHM vor deutschem Publikum oder auch bei der Gedenkfeier in Nieuwpoort in Belgien vor einem europäischen Publikum an.52 Bei ihrer Rede vor den beiden Häusern des britischen Parlaments vermied Merkel es, von der Europäischen Union als gelungener Lehre aus dem Ersten Weltkrieg zu sprechen. Dennoch nahm sie Großbritannien in die Pflicht, sich weiterhin an einem gemeinsamen Europa zu beteiligen.53
10.2.2
Einheitliche Geschichtsdeutung
Gründe für das Gedenken Sowohl von den deutschen als auch von den britischen Regierungs- und Staatsvertretern wurden übereinstimmend Gründe für das Gedenken an den Ersten Weltkrieg und seine Relevanz für die Gegenwart angeführt. Die Bewahrung des Friedens in Europa war einer der häufigsten genannten Gründe, warum sowohl den Briten als auch den Deutschen das Weltkriegsgedenken so viel bedeutete. Wenngleich ein Krieg im heutigen Europa von beiden Seiten als unvorstellbar bezeichnet wurde, wurden dennoch mit dem Balkankrieg in den 1990er Jahren und der russischen Annexion der Krim, die 2014 die europäische Politik maßgeblich mitbestimmte, mahnende Beispiele für die Fragilität dieses Friedens ins Feld geführt.54 Die Vertreter beider Länder benannten die europäische Einheit als einen für die Gegenwart relevanten Grund für das Gedenken an den Ersten Weltkrieg. Wenngleich dieser Grund mehrheitlich bei den deutschen Vertretern zu finden war, so äußerte sich
50 51 52 53
54
Vgl. ebd. Vgl. Joachim Gauck: [319]; Ders.: [322]; Angela Merkel: [339]; Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hg.): [348]; Frank-Walter Steinmeier: [351]. Vgl. Angela Merkel: [339]; Dies.: [337]. Vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hg.): Die Woche der Kanzlerin (27. Februar 2014). URL: https://www.bundeskanzlerin.de/Content/DE/AudioVideo/2014/Video/_woche_der_ kanzlerin/2014-02-27-woche-der-kanzlerin-rede/2014-02-27-textversion-wdk-rede.html (8. August 2017). Vgl. unter anderem in folgenden Beiträgen: Prinz William Herzog von Cambridge: [327]; Simon McDonald: [221], S. 19; Frank-Walter Steinmeier: [351]; Norbert Lammert: [336]; Angela Merkel: [340]; Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hg.): [348]; Joachim Gauck: [319].
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Europäisierung des Gedenkens?
doch auch der britische Botschafter vor überwiegend deutschem Publikum hierzu.55 McDonald sprach die Rolle Großbritanniens in Europa im Zusammenhang mit der Neubesetzung des Präsidenten der Europäischen Kommission an und mahnte, dass ein Auseinanderbrechen Europas durchaus vorstellbar wäre.56
Lehren aus dem Ersten Weltkrieg So sehr die meisten der auf britischer Seite geäußerten Gründe für die Relevanz des Gedenkens an den Ersten Weltkrieg sich von denen der deutschen Seite unterschieden, so übereinstimmend waren die genannten Lehren, die aus dem Ersten Weltkrieg gezogen werden sollten. Die in den Reden und Ansprachen aufgeführten Stichpunkte der britischen Staats- und Regierungsvertreter wurden ausnahmslos auch von deutscher Seite genannt. Sowohl aus britischer als auch aus deutscher Sicht wurde es als notwendig erachtet, Lehren aus dem Ersten Weltkrieg zu ziehen, die geschichtspolitische Bedeutung enthalten. Versöhnung, Freundschaft, Partnerschaft und vor allem Frieden waren dabei die meistgenannten Ziele.57 Das Gedenken und Erinnern an die Gewalt, die Schrecken sowie das durch den Ersten Weltkrieg millionenfach verursachte Leid und die Zerstörung58 betone die Bedeutung von Frieden für Europa in ganz besonderem Maß. Die »zivilisatorische Leistung«59 , Streitigkeiten und unterschiedliche Auffassungen im Dialog, mittels Diplomatie und Kompromissbereitschaft zu lösen, wurde gleichfalls als eine der Lehren benannt, da nur durch den Dialog und die Einbeziehung der Interessen von Nachbarn und Partnern Frieden möglich sei.60 Frieden wurde auch deshalb am häufigsten als Lehre benannt, da nur in einem friedlichen Europa Rechtstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte aufrechterhalten werden könnten, was wiederum als Garantie für Freiheit und Wohlstand erachtet wurde.61
10.2.3
Geschichtspolitische Deutung der Ansprachen und Reden
100 Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges wurde deutlich, dass die politischen Führungsebenen in Großbritannien und Deutschland das Gedenken an die ›Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts‹ mit unterschiedlichen Werten und Vorstellungen inter-
55 56 57
58 59 60
61
Vgl. unter anderem bei Frank-Walter Steinmeier: [351]; Joachim Gauck: [319]; Angela Merkel: [339]; Dies.: [337]. Vgl. Simon McDonald: [221], S. 19. Vgl. unter anderem David Cameron: [314]; Ders.: [315]; Prinz William Herzog von Cambridge: [327]; Simon McDonald: [221], S. 10 und S. 13f; Frank-Walter Steinmeier: [350]; Ders.: [352]; Norbert Lammert: [336]; Joachim Gauck: [319]; Ders.: [322]; Angela Merkel: [337]; Dies.: [338]; Dies.: [339]; Dies.: [340]; Dies.: [341]. Vgl. insbesondere bei Joachim Gauck: [322]; Ders.: [321]. Frank-Walter Steinmeier: [350]. Vgl. unter anderem ebd.; Ders.: [351]; Ders.: [352]; David Cameron: [315]; Prinz William Herzog von Cambridge: [327]; Simon McDonald: [221], S. 19f; Norbert Lammert: [336]; Joachim Gauck: [319]; Ders.: [322]; Angela Merkel: [337]; Dies.: [338]; Dies.: [339]; Dies.: [340]; Dies.: [341]; Dies.: [348]. Vgl. insbesondere bei Prinz William Herzog von Cambridge: [327]; Joachim Gauck: [322].
10. Akteure der Geschichte – Geschichtspolitische Akteure
pretierten. Die Äußerungen der Politiker sollten sich auf das Geschichtsbewusstsein auswirken, nicht zuletzt, weil der feierliche Rahmen der Gedenkrituale diese Wirkung verstärken würde und diese durch eine entsprechende mediale Verbreitung einem großen Publikum zugänglich gemacht werden konnte. Sowohl auf deutscher als auch auf britischer Seite wurden durch die Deutungen des Weltkrieges Identitäten gestiftet und die Gegenwart mit Sinn aufgeladen. Von den deutschen Regierungsvertretern wurde insbesondere durch die Reden von Gauck und Merkel im Rahmen der europäisch angelegten Gedenkfeierlichkeiten in Löwen, Lüttich und Ypern vor allem auf das Leid und die unermesslichen Opferzahlen verwiesen. Die Opfer würden die heutige Generation mahnen, wie wichtig es sei, die Lehren des Ersten Weltkrieges nicht zu vergessen, und dass vor allem die europäische Versöhnung und Einigung als wichtigstes Gut bewahrt bleiben müsse, um Frieden in Europa zu gewährleisten. Lehren aus dem Ersten Weltkrieg zu ziehen, war 2014 die primäre Botschaft der deutschen politischen Führungsriege. Gemeint waren damit vor allem der Frieden und die Erhaltung des Friedens in Europa. Dies, so sahen es die deutschen Staats- und Regierungsvertreter, sei vor allem durch die Vereinigung Europas, den europäischen Institutionen und dem Willen, Streitigkeiten auf diplomatischem Wege zu lösen, gelungen. Das deutsche geschichtspolitische Narrativ ist demnach ein transnationales Narrativ der Hinwendung zu der »Idee Europa als ein historisches Legitimationsfundament«62 zu betrachten. Damit könnte das bis dahin noch vorherrschende nationale Schuldnarrativ überwunden werden und in einem neuen deutschen ›SelbstBewusstsein‹ – im Sinne von sich selbst neu wahrnehmen – aufgehen. Der Hinweis auf das Leid der Millionen Gefallenen, Versehrten und Hinterbliebenen des Ersten Weltkrieges war aus britischer Sicht weniger als Mahnung zu verstehen, sondern zielte darauf ab, das in der britischen Öffentlichkeit gängige Erinnerungsnarrativ der Sinnlosigkeit in eines der Sinnhaftigkeit für einen gerechtfertigten und notwendigen Krieg zu wandeln. Die geschichtspolitische Deutung des Gedenkens an den Ersten Weltkrieg ist bei den Briten in erster Linie nicht nur Lehren aus dem Krieg zu ziehen, sondern der breiten britischen Öffentlichkeit den Krieg als sinnvolles Opfer darzustellen, und dass die Ziele des damaligen Kriegseinsatzes, Frieden und Freiheit in Europa zu erreichen, heute relevanter denn je sind. Die geschichtspolitische Botschaft der britischen Regierungs- und Staatsvertreter bewegte sich in nationalen Bahnen, trotz einiger Andeutungen zu Europa. Der Erste Weltkrieg sollte vor allem als Identifikationsmodell der Sinnstiftung für die eigene Vergangenheit dienen, indem die Kriegsopfer als bedeutender Beitrag zum heutigen friedlichen und freiheitlichen Europa und vor allem für das britische Selbstverständnis zu werten sind, wie Cameron es ausdrückte: »Our ambition is a truly national commemoration, worth of this historic centenary. I want a commemoration that captures our national spirit […] A commemoration that […] says something about who we are as a people.«63
62
63
Martin Sabrow: Gedenken an den Ersten Weltkrieg. Helden und Opfer, in: Der Tagesspiegel (5. Juli 2014). URL: https://www.tagesspiegel.de/kultur/gedenken-an-den-ersten-weltkrieg-helden-un d-opfer/10157164.html (19. November 2018). Vgl. David Cameron: [315].
303
11 Schlussfolgerung – Europäisierung der Geschichte des Ersten Weltkrieges?
Der vorliegenden Untersuchung liegt die Fragestellung zugrunde, wie 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg aus musealer Sicht an die ›Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts‹ gedacht wurde, und welche Geschichtsbilder über den Ersten Weltkrieg im Gedenkjahr 2014 in den Museumsausstellungen dafür vermittelt wurden. Die Annahme war, dass die Museen die Geschichtsbilder als selbstständige Akteure konstruierten. Diese Geschichtsbilder sind dabei als museales geschichtspolitisches Deutungsinstrument zu verstehen, anhand derer aufzeigt werden sollte, dass die Museen zur Schaffung eines europäischen Geschichtsbildes ›Erster Weltkrieg‹ beitrugen. Dieses europäische Geschichtsbild entsteht als transnationale Erinnerung aus dem Zusammentreffen eines breiten Spektrums heterogener Geschichtsbilder auf unterschiedlichsten Ebenen.1 Monika Fenn und Christiane Kuller konstatierten, dass »[t]ransnationale Erinnerungsprozesse […] bei weitem nicht immer in ein homogenes neues Narrativ der Erinnerung«2 münden. Eine Europäisierung der Geschichte des Ersten Weltkrieges bedeutet folglich nicht, dass die Geschichte homogen sein muss, sondern dass es auch nationale Unterschiede geben kann.3 Gemäß der Annahme von Fenn und Kuller definiert und prägt sich ein gemeinsames europäisches Geschichtsbild des Ersten Weltkrieges demnach gerade durch die Vielfalt unterschiedlicher nationaler Narrative und Geschichtsbilder. Für eine Europäisierung der Geschichte des Ersten Weltkrieges bedeutet das folglich, dass ein europäisches Narrativ aus mehreren verschiedenen nationalen Narrativen besteht, da gerade die Vielfalt Europa und folglich auch eine europäische Geschichte des Ersten Weltkrieges ausmacht. Eine Europäisierung der Geschichte des Ersten Weltkrieges bezieht also eine transnationale, im Sinne einer mehrere Nationen umfassende, Betrachtungsweise ein. In der vorliegenden Untersuchung konnte aufgezeigt werden, dass das Geschichtsbild des Ersten Weltkrieges in den Ausstellungen vielfältig war. Dies hing jedoch nicht wie ursprünglich angenommen mit der Perspektive eines Kriegsgewinners oder eines 1 2 3
Vgl. David Cameron: [315]. Monika Fenn/Christiane Kuller: [397], S. 15. Vgl. ebd.
306
Europäisierung des Gedenkens?
Verlierers zusammen. Die Geschichtsbilder waren vielmehr von der Frage geprägt, wer für den Ausbruch des Krieges in welchem Maß die Verantwortung zu tragen hatte. Ob sich in den Geschichtsbildern auch die geschichtspolitische Botschaft einer Europäisierung der Geschichte des Ersten Weltkrieges ablesen ließ, soll im Folgenden zusammenfassend und schlussfolgernd beantwortet werden. Im transnationalen Vergleich betrachtet, divergierten die Geschichtsbilder im Hinblick auf die Schuldfrage in Deutschland und Großbritannien auseinander. Entgegen der ursprünglichen Annahme zeigte sich, dass sich die Erkenntnisse aus Die Schlafwandler in den deutschen Ausstellungen 2014 nicht so deutlich im Geschichtsbild zur Frage nach der Kriegsschuld niederschlugen, wie es die öffentliche Debatte hatte erwarten lassen. Allerdings wurde in den Ausstellungen durchaus darauf hingewiesen, dass nicht allein die Entscheidungen der deutschen Führung den Ausbruch des Ersten Weltkrieges herbeigeführt hatten. Im britischen Geschichtsbild zur Schuldfrage zeigte sich die Divergenz der beiden nationalen Betrachtungen dann deutlich. Die Hauptlast der Verantwortung am Kriegsausbruch lag gemäß dem britischen Geschichtsbild eindeutig bei Deutschland. Diese Perspektive war auch notwendig, denn die Frage der Kriegsschuld stand nicht im Zentrum der Darstellung. Vielmehr beschäftigten sich die britischen Ausstellungen mit den Gründen, warum Großbritannien sich veranlasst sah, in den Krieg einzutreten. Der Einmarsch in das neutrale Belgien stellte Deutschland aus britischer Sicht eindeutig als Aggressor dar. In den Ausstellungen wurde klargestellt, dass es vor allem die deutschen Entscheidungen und das brutale Vorgehen der deutschen Truppen in Belgien waren, die aus dem Attentat von Sarajevo innerhalb von nur wenigen Wochen einen Krieg mit europäischer Dimension entfachten und Großbritannien zum Kriegseintritt veranlassten. Dass die Schuld am Krieg daher eindeutig Deutschland zugeschrieben wurde, untermauerte umso stärker das Narrativ der Notwendigkeit und die Rechtmäßigkeit des britischen Kriegseintritts. In der transnationalen Betrachtung konvergierten die Geschichtsbilder im Hinblick auf die Gewalt und das Grauen an der Front sowie auf das Leid der Zivilbevölkerung. Den Ersten Weltkrieg als einen Gewaltexzess darzustellen, gelang sowohl in den deutschen als auch den britischen Ausstellungen. Das von den Museen gezeigte Geschichtsbild war geprägt von Darstellungen der zerschossenen und von Granattrichtern und Schützengräben durchzogenen Landstriche an der Westfront. Der Begriff der ›Blutmühle‹ beschrieb ein treffendes Bild hinsichtlich der Millionen im Artilleriefeuer der Material-, Abnutzungs- und Vernichtungsschlachten getöteten und schwerstverwundeten Soldaten. Ergänzt wurde das Bild des Grauens durch den in den Gasmasken sinnbildlich dargestellten Horror des Gaskrieges. Ebenso gelang es den Museen auf das unermessliche Leid hinzuweisen, das der Krieg erzeugte. Die Geschichtsbilder waren sich dort einig, wo es darum ging, Kriegsgewalt als Kriegshandlung zwischen Soldaten darzustellen. Im Hinblick auf die Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung ließ das Geschichtsbild in der Ausstellung des militärhistorischen MHMs kritische Hinweise auf die Kriegsverbrechen der Truppen dann vermissen, wenn es sich um die ›eigenen‹ Taten handelte. Kritische Hinweise auf kriegsverbrecherische Handlungen von verbündeten Truppen wurden hingegen offen angesprochen und ausführlich dargestellt. In der kulturhistorischen Ausstellung wurden die Kriegsgräuel der deutschen Truppen hingegen deutlich gezeigt. Das britische
11 Schlussfolgerung – Europäisierung der Geschichte des Ersten Weltkrieges?
Geschichtsbild zeigte in aller Deutlichkeit die brutale Vorgehensweise der deutschen Truppen gegen die Zivilbevölkerung an der Westfront, vor allem in Belgien, auf. Im Hinblick auf das eigene Verhalten bei der Behandlung der ›enemy aliens‹ hingegen, zielte das Bild vor allem darauf, die teilweise äußerst radikale antideutsche Stimmung aufzuzeigen. Unterschiedliche, und somit deutlich differierende Geschichtsbilder zeigten sich bei den Themen Großbritannien und die Kriegsopfer und auf deutscher Seite den Lehren, die aus dem Ersten Weltkrieg zu ziehen sind. Die Geschichtsbilder verharrten in den nationalen Narrativen. In der geschichtspolitischen Deutung des deutschen Geschichtsbildes war der Erste Weltkrieg demnach als Mahnung für die Zerbrechlichkeit des friedlichen Miteinanders der Staaten und Nationen zu verstehen. Im britischen Geschichtsbild wurden der britische Kriegseinsatz und die Millionen Kriegsopfer als Notwendigkeit für das Fundament der heutigen modernen Welt und auch Großbritanniens dargestellt. Damit war die geschichtspolitische Deutung verbunden, dass ohne den britischen Einsatz im Ersten Weltkrieg die Freiheit und die Erhaltung der zivilisatorischen Werte nicht möglich gewesen wären. Die geschichtspolitische Deutung der Geschichtsbilder, die den britischen und deutschen Ausstellungen gemeinsam war, lässt sich damit zusammenfassen, dass sich Gewaltexzesse, wie sie der Erste Weltkrieg hervorbrachte, und das von der Zivilbevölkerung zu ertragende Leid nicht wiederholen dürfen. Die deutschen Ausstellungen sahen als Umsetzung dessen die Einrichtung von völkerverbindenden transnationalen Institutionen als notwendig an, um das friedliche Zusammenleben in Europa zu ermöglichen. Die britischen Ausstellungen sahen vor allem in der Anerkennung der Kriegsopfer und dem Lebendighalten der Erinnerung einen Gründungsmoment für die heutige moderne Welt. Aus den Reden der politischen Akteure wurden die nationalen Narrative hinsichtlich der Frage, warum ein Gedenken an den Ersten Weltkrieg auch nach 100 Jahren Relevanz für die Gegenwart hat, und welche möglichen Lehren daraus zu ziehen sind, deutlich. Das unermessliche Leid und die Anmahnung der Gewaltexzesse des Krieges stellten ein universelles Geschichtsbild und Narrativ in den Reden sowohl der britischen als auch der deutschen Politiker dar und wurden auch von den Museen aufgegriffen. Die einheitliche geschichtspolitische Botschaft aller untersuchten Akteure war, für ein friedliches Miteinander zu werben, damit ein Krieg in Europa weiterhin unvorstellbar bliebe. Das geschichtspolitische Narrativ der britischen Staats- und Regierungsvertreter war dabei insgesamt deutlich nationaler geprägt, indem der Erste Weltkrieg zum »nationalen Gründungsmythos des modernen Großbritanniens«4 (v)erklärt wurde. Seitens der politischen Vertreter klang an, dass der Einsatz der Soldaten im Ersten Weltkrieg den Frieden und die Freiheit in Europa erst ermöglichte, der heute durch Diplomatie und Zusammenarbeit aufrechterhalten werde.5 Die Rolle, die die eigene Nation dabei spielte, wurde hervorgehoben und positiv bewertet.
4 5
André Keil: [443], S. 114. Vgl. Prinz William Herzog von Cambridge: [327]; David Cameron: [315].
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Europäisierung des Gedenkens?
Auch die deutschen Staats- und Regierungsvertreter banden nationale Geschichtsbilder zur Deutung der deutschen Gegenwart ein. Jedoch betonten sie mehr den Einfluss Europas und der europäischen Einigung auf das heutige Deutschland. Demnach bildet Europa das Legitimationsfundament, das es Deutschland ermöglichte und ermöglicht, trotz seiner historischen Verantwortung für zwei Weltkriege seine Rolle innerhalb Europas zu finden und zur Erhaltung der Einigkeit und des Friedens beizutragen. Aus der deutschen Geschichte heraus erklärt sich demnach, dass der Erste Weltkrieg sowohl von den deutschen Staats- und Regierungsvertretern als auch in den deutschen Ausstellungen als ein Ereignis betrachtet wurde, das sich durch gemeinsames Handeln und Gedenken nicht mehr wiederholen würde. Die Museen stellten sich im Zuge der Untersuchung als Akteure mit einer deutlichen geschichtspolitischen Deutung heraus, die sich großteils mit den Deutungen der eigenen Staats- und Regierungsvertreter deckte. Sie stimmten insbesondere im Hinblick auf das Leid der Zivilbevölkerung und der Millionen Kriegsopfer als Mahnung für ein friedliches Miteinander überein. Am Beispiel dieser beiden Geschichtsbilder lässt sich besonders gut aufzeigen, wie schwierig es ist, ein gemeinsames homogenes Narrativ zu etablieren. Eine »gemeineuropäische Leidens- und Opfergeschichte«6 sei zwar politisch nachvollziehbar, weil Politiker die Weltkriege als Mahnung zur Einigung auffassten, so Wencke Meteling.7 Jedoch sei der Wunsch der Politiker nach einer gemeinsamen und homogenen Leidens- und Opfergeschichte wissenschaftlich nicht haltbar.8 So wird dabei nicht berücksichtigt, dass die nationalen Narrative jeweils durch Täter- oder Opferperspektiven unterschiedlich geprägt sind. Deutsche Weltkriegsausstellungen, die die Ereignisse in Belgien nur aus der Opferperspektive darstellen, verschweigen beispielsweise die eigene Schuld und Verantwortung. Die Geschichtsbilder des Leides und der Kriegsopfer eignen sich trotzdem für ein transnationales Ausstellungsnarrativ im Hinblick auf eine mögliche Europäisierung. Denn ein transnationales Narrativ besteht aus dem Zusammentreffen verschiedener heterogener Geschichtsbilder.9 Das heißt, dass die verschiedenen nationalen Sichtweisen nebeneinander – also transnational – dargestellt und berücksichtigt werden. Ein gemeinsames Opfernarrativ eignet sich dann als transnationales Narrativ in Ausstellungen, wenn zwar gemeinsam getrauert oder gemahnt wird, dabei aber die unterschiedlichen nationalen Narrative auch genannt werden. Ein Geschichtsbild einer transnationalen Opfer- und Leidensgeschichte müsste demnach auch die nationalen Narrative einbinden und wäre von der Heterogenität geprägt, die eine Europäisierung der Geschichte des Ersten Weltkrieges ausmacht. Denn erst wenn auch die Sicht des Gegenübers einbezogen wird, ist eine transnationale Betrachtung möglich. Das leisteten die Museen, wie aufgezeigt werden konnte, in der Regel nicht, insbesondere dann nicht, wenn das Ausstellungsnarrativ dies
6 7 8 9
Wencke Meteling: [479], S. 646. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. Monika Fenn/Christiane Kuller: [397], S. 15.
11 Schlussfolgerung – Europäisierung der Geschichte des Ersten Weltkrieges?
nicht vorsah. Mehrfach wurde seitens der Ausstellungsmacher bekräftigt, dass die Museen klare Leitbilder hatten und haben, die Geschichte der eigenen Nation oder Region zu thematisieren.10 Eine transnationale Perspektive einzunehmen, entsprach demnach weder den Leitbildern der Museen noch den Fragestellungen der untersuchten Ausstellungen. Für 2014 bleibt festzuhalten, dass die Museen als geschichtspolitische Akteure auftraten. Mit ihren Ausstellungen konstruierten sie bestimmte Geschichtsbilder, deren Deutung des Ersten Weltkrieges eine Mahnung an die Gewalt, das damit einhergehende Leid und die nationale Opferbereitschaft waren. Diese Mahnung kann als Aufrechterhaltung für die Bewahrung der Freiheit der eigenen Nation und dadurch des friedlichen Miteinanders in Europa gedeutet werden. Die Museen trugen in ihren Ausstellungen aber letztlich nicht dazu bei, eine Europäisierung der Geschichte des Ersten Weltkrieges und des Gedenkens an den Ersten Weltkrieg umzusetzen, da die nationalen Narrative und Geschichtsbilder nicht in eine transnationale europäische Geschichte des Ersten Weltkrieges eingebunden wurden. Dafür hätten die Ausstellungen den »Krieg der Anderen«11 auch aus Sicht der anderen mit in ihr Narrativ einbinden müssen.
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Vgl. unter anderem Judith Heß: Experteninterview HdG [216], S. 97; Dies.: Experteninterview DHM [214], S. 24f; Dies.: Experteninterview IMW [218], S. 100f; Dies.: Experteninterview IMWN [219], S. 124f. Historisches Museum der Pfalz (Hg.): Sektionstext »Der Krieg der Anderen«, aus: Ausstellung »1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg« (25. November 2014).
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Wissenschaftlicher Apparat
12 Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Deutsches Historisches Museum/Foto: I. Desnica. Abbildung 2: picture alliance/dpa/Foto: Matthias Hiekel Abbildung 3: Militärhistorisches Museum der Bundeswehr/Foto: Judith Heß Abbildung 4: Historisches Museum der Pfalz/Foto: Peter Haag-Kirchner, HMP Speyer 2014 Abbildung 5: Historisches Museum der Pfalz/Foto: Judith Heß Abbildung 6: Haus der Geschichte Baden-Württemberg/Foto: Werner Kuhnle Abbildung 7: Haus der Geschichte Baden-Württemberg/Foto: Werner Kuhnle Abbildung 8: Imperial War Museum/Foto: Judith Heß Abbildung 9: Little Greene Paint Company, aus: www.littlegreene.com/wordpress/wpcontent/uploads/2014/05/Sky-Blue-Floor-3.jpg (30. Januar 2017). Abbildung 10: Firing Line Museum of The Queen’s Dragoon Guards and The Royal Welsh/Foto: Judith Heß Abbildung 11: Imperial War Museum/Foto: Judith Heß Abbildung 12: Imperial War Museum/Foto: Judith Heß Cover und Abbildung 13: epd-bild/Foto: Rolf Zöllner Abbildung 14: Imperial War Museum/Foto: Judith Heß Abbildung 15: Alamy Stock Photo/Foto: Malcolm Park editorial
13 Abkürzungsverzeichnis
a.M. am Main anl. anlässlich Art. Lexikonartikel ARD Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland ARTE Deutsch-französischer Fernsehsender: Association Relative à la Télévision Européenne; ARTE Deutschland TV GmbH B Belgien BBC British Broadcasting Corporation Bd./Bde. Band/Bände bearb.v. bearbeitet von BEF British Expeditionary Force BIOS Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen c./ca. circa cm Zentimeter D Deutschland DAAD Deutscher Akademischer Austauschdienst DDR Deutsche Demokratische Republik Ders. Derselbe DHM Deutsches Historisches Museum
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Europäisierung des Gedenkens?
Dies. Dieselbe/Dieselben Diss. phil. Dissertation philosophiae Dr. Doktor ebd. ebenda erw. erweiterte f folgend F.A.Z. Frankfurter Allgemeine Zeitung FLM Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/Firing Line Museum of The Queen’s Dragoon Guards and The Royal Welsh GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung HdG Haus der Geschichte Baden-Württemberg Herv.i.O Hervorhebung im Original Hg./Hgg. Herausgeber hg.v. herausgegeben von HLKO Haager Landkriegsordnung HMP Historisches Museum der Pfalz HMS/H.M.S. Her/His Majesty’s Ship H-Soz-u-Kult Humanities – Sozial- und Kulturgeschichte; Informations- und Kommunikationsplattform für Historikerinnen und Historiker im Internet ICOM International Council of Museums Id. Dasselbe INTERREG Die Abkürzung steht für europäische territoriale Zusammenarbeit als Teil der Struktur- und Investitionspolitik der Europäischen Union. i.T. im Taunus IWM Imperial War Museum IWMN Imperial War Museum North J.H. Judith Heß k.u.k. kaiserlich und königlich (Österreich-Ungarn) KRiG Krieg in der Geschichte
13 Abkürzungsverzeichnis
LOST Senfgas, nach den deutschen Chemikern Wilhelm Lommel und Wilhelm Steinkopf bezeichnet MfDG Museum für Deutsche Geschichte MHM Militärhistorisches Museum der Bundeswehr MP Maschinenpistole NAM National Army Museum NL Niederlande Nr. Nummer NS Nationalsozialismus OHL/O.H.L. Oberste Heeresleitung PM Prime minister POW Prisoner of War QR-Code Quick Response Code RMS Royal Mail Ship S. Seite/n sog. sogenannt/e SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands St./St Sankt/Saint SWR Südwestrundfunk TV Television (Fernsehen) u. und u.a. und andere/unter anderem überarb. überarbeitet übers. a.d. übersetzt aus dem übers. v. übersetzt von URL Uniform Resource Locator (Internetadresse) USA United States of America/Vereinigte Staaten von Amerika v./vs. von/versus (gegen im Sport) VfZ Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte vgl. vergleiche
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14 Quellen- und Literaturverzeichnis
Hinweis zur Nutzung der Verzeichnisse Das Quellenverzeichnis führt alle verwendeten veröffentlichten und unveröffentlichten Quellen auf und umfasst auch Quellenmaterial aus dem Internet, wie beispielsweise die Beiträge der Regierungs- und Staatsvertreter. Die zitierten Ausstellungstexte entstammen entweder als unveröffentlichte Quellen der Ausstellungsdokumentation, die Seitens der Ausstellungsmacher zur Verfügung gestellt wurden oder direkt aus der Ausstellung entsprechend der eigenen fotografischen Dokumentation. Diese Ausstellungstexte entsprechen dem jeweiligen Zeitpunkt der Ausstellungsbesuche und sind mit dem entsprechenden Datum vermerkt. Unter den veröffentlichten Quellen sind neben den Ausstellungstexten, die in den Ausstellungskatalogen und Begleitbüchern publiziert sind, auch Werbematerial in Form von Broschüren und Flyern aufgeführt. Die Sortierung erfolgt nach Museen in alphabetischer Reihenfolge. Um die Arbeit mit dem wissenschaftlichen Apparat zu erleichtern, ist jedem Eintrag im Quellen- und Literaturverzeichnis eine durchlaufende Nummer zugeordnet. Diese wird in den Fußnoten anstatt eines Kurztitels verwendet: •
Quellenangaben werden folgendermaßen angegeben:
Autor/Herausgeber: Exponattext [laufende Nummer], gegebenenfalls Seitenangabe. •
Forschungsliteratur wird folgendermaßen angegeben:
Autor/Herausgeber: [laufende Nummer], Seitenangabe.
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Europäisierung des Gedenkens?
14.1
Quellen
14.1.1 Museale und unveröffentlichte Quellen Deutsches Historisches Museum 1. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Exponatgruppentext »Die Ankunft der Internierten in Abtissendorf«, »Abmarsch der Internierten von der Station Abtissendorf«, »Internierte unter freiem Himmel auf dem Flugfeld in Graz-Thalerhof«, »Unterbringung der Internierten in Zelten«, »Barackenbau im Internierungslager Graz«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 2. Dies. (Hg.): Exponatgruppentext »Eroberte deutsche Handgranaten«, »Kugelhandgranate«, »Eierhandgranate 17«, »Grabenkeulen«, »Stahlrute mit morgensternförmigem Schlagkopf«, »Stielhandgranate (Nachbildung)«, »Grabenkeule«, »Grabendolch mit Scheide«, »Zwei Stielhandgranaten (Nachbildungen)«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 3. Dies. (Hg.): Exponatgruppentext »Gruppe Nr. 64152 aus einem Flüchtlingslager«, »Ciało, dusza i paszport z fotografią (Körper, Seele und Reisepass mit Foto)«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 4. Dies. (Hg.): Exponatgruppentext »Plakat zu einer Obst-Ausstellung in Berlin«, »Bekanntmachung über die Reduzierung der Kartoffelzuteilung«, »Chleba naszego powszedniego (Unser tägliches Brot)«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 5. Dies. (Hg.): Exponatgruppentext »Postkarte mit toten Soldaten und Opfern von Gasangriffen vor Ypern«, »Gefallene Soldaten vor Ypern«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 6. Dies. (Hg.): Exponatgruppentext »Ratsche für die Auslösung von Gasalarm«, »Gasglocke«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 7. Dies. (Hg.): Exponatgruppentext »Sauerstoff-Einatmungsgerät«, »Reihe von britischen Gasverletzten«, »Blindenbrille«, »Zivilisten mit Gasmasken«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 8. Dies. (Hg.): Exponatgruppentext »Schützengrabenarmbanduhr«, »Stacheldrahtrolle aus Péronne an der Somme«, »Drahtzerstörer«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 9. Dies. (Hg.): Exponatgruppentext »Verlassenes Kind«, »Lager an der anatolischen Bahn«, »Flüchtlinge auf dem Tauruspass«, »Bericht über die Lage des Armenischen Volkes in der Türkei«, »Flugschrift mit einem Aufruf zur Hilfe für die deportierten Armenier in der Türkei«, »Brief von Johannes Lepsius an seine Frau Alice«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 10. Dies. (Hg.): Exponatgruppentext »Verwundetensammelstelle beim Vormarsch 1914«, »Schützengräben in Galizien«, »Judenfamilie auf der Flucht in Galizien 1914«, »Kisanov in Galizien 1914«, »Bürgermeister und Rabbiner von Kisanov 1914«, »Gehängte Spione in Wilicka, Galizien«, »Franz Pachleitner mit seiner Ausrüstung«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«.
14 Quellen- und Literaturverzeichnis
11. Dies. (Hg.): Exponatgruppentext »Verzeichnis spionageverdächtiger Personen«, »Propagandaschrift über die Kriegsführung Österreich-Ungarns in Serbien«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 12. Dies. (Hg.): Exponattext »Album Nr. 94 mit Bildern von der ›evakuierten‹ Zivilbevölkerung«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 13. Dies. (Hg.): Exponattext »Bekanntmachung über die Aushebung von Geiseln in Pancsova«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 14. Dies. (Hg.): Exponattext »Dante und Vergil im Schützengraben«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 15. Dies. (Hg.): Exponattext »Flammenwerfer«, Ausstellungsdokumentation zu »19141918. Der Erste Weltkrieg«. 16. Dies. (Hg.): Exponattext »Registrierungskarten von Flüchtlingen«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 17. Dies. (Hg.): Exponattext »Russisches Album mit Fotos aus dem Ersten Weltkrieg«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 18. Dies. (Hg.): Exponattext »Somme 1916 IV (Granateinschlag)«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 19. Dies. (Hg.): Exponattext »Waffenrock für den Armierungssoldaten Karl Liebknecht«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 20. Dies. (Hg.): Exponattext »World peace with liberty and prosperity 1919 (Weltfrieden in Freiheit und Wohlstand 1919)«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 21. Dies. (Hg.): Sektionstext »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 22. Dies. (Hg.): Sektionstext »Berlin – Die erschöpfte Großstadt«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 23. Dies. (Hg.): Sektionstext »Brüssel – Besatzer und Besetzte«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 24. Dies. (Hg.): Sektionstext »Der unbewältigte Krieg«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 25. Dies. (Hg.): Sektionstext »Die moderne Welt von gestern«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 26. Dies. (Hg.): Sektionstext »Galizien – Die Suche nach ›inneren Feinden‹«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 27. Dies. (Hg.): Sektionstext »Gallipoli – Neue Front im Osmanischen Reich«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 28. Dies. (Hg.): Sektionstext »Gorlice und Tarnów – Die deutsche Besatzungsmacht im Osten«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 29. Dies. (Hg.): Sektionstext »Isonzo – Der Krieg in den Bergen«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 30. Dies. (Hg.): Sektionstext »Marne – Der Schock des neuen Krieges«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 31. Dies. (Hg.): Sektionstext »Ostafrika – Europas Krieg in Afrika«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«.
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32. Dies. (Hg.): Sektionstext »Petrograd – Revolutionen in Russland«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 33. Dies. (Hg.): Sektionstext »Somme – Desaster der Offensive«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 34. Dies. (Hg.): Sektionstext »Tannenberg – ›Kriegsheld‹ und Propaganda«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 35. Dies. (Hg.): Sektionstext »Verdun – Der industrialisierte Krieg«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«. 36. Dies. (Hg.): Sektionstext »Ypern – Die Schrecken des Gaskriegs«, Ausstellungsdokumentation zu »1914-1918. Der Erste Weltkrieg«.
Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier 37. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier/National Army Museum (Hgg.): Bereichstext »A Time of peace and goodwill?«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 38. Dies. (Hgg.): Bereichstext »Answering the call«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 39. Dies. (Hgg.): Bereichstext »Be prepared«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 40. Dies. (Hgg.): Bereichstext »Christmas on the Western Front«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 41. Dies. (Hgg.): Bereichstext »Daily grind«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 42. Dies. (Hgg.): Bereichstext »Entrenched«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 43. Dies. (Hgg.): Bereichstext »First contact«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 44. Dies. (Hgg.): Bereichstext »Human resources«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 45. Dies. (Hgg.): Bereichstext »Outbreak«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 46. Dies. (Hgg.): Bereichstext »Race to the sea«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 47. Dies. (Hgg.): Bereichstext »Ready for war?«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 48. Dies. (Hgg.): Bereichstext »Staying in touch«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 49. Dies. (Hgg.): Bereichstext »Stepping into place«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 50. Dies. (Hgg.): Bereichstext »The Empire responds«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 51. Dies. (Hgg.): Bereichstext »To France«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015).
14 Quellen- und Literaturverzeichnis
52. Dies. (Hgg.): Bereichstext »Winter 1914«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 53. Dies. (Hgg.): Bereichstext »World wide war«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 54. Dies. (Hgg.): Bereichstext »Your country needs you!«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 55. Dies. (Hgg.): Exponattext »Assassination in Sarajevo«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 56. Dies. (Hgg.): Exponattext »Order Overturned«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 57. Dies. (Hgg.): Exponattext »When Britain entered the First World War«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 58. Dies. (Hgg.): Exponattext »Women Say Go«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015). 59. Dies. (Hgg.): Sektionstext »Outbreak 1914: Wales Goes to War«, aus: Ausstellung »Outbreak 1914: Wales Goes to War« (4. März 2015).
Haus der Geschichte Baden-Württemberg 60. Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Bereichstext »Krieg fühlen«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. 61. Id. (Hg.): Bereichstext »Krieg hören«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. 62. Id. (Hg.): Bereichstext »Krieg riechen«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. 63. Id. (Hg.): Bereichstext »Krieg schmecken«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. 64. Id. (Hg.): Bereichstext »Krieg sehen«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. 65. Id. (Hg.): Exponatgruppentext »Erzählung des russischen Kriegsgefangenen Ivan Jagedow, »Armenisches Soldatenlied von Ter Grigorianz«, »Personalbogen der Phonetischen Kommission zu Ivan Jagedow«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. 66. Id. (Hg.): Exponatgruppentext »Bericht über den Abtransport der Glocken in Hochsal«, »Abnahme der Glocken in Seckenheim«, »Simulation des Geläuts von Hochsal vor und nach der Glockenabgabe«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. 67. Id. (Hg.): Exponatgruppentext »Herrenrad mit Spiralbereifung am Vorderrad«, »Maueranschlag: Beschlagnahmung von Fahrradschläuchen«, »Fahrgeräusche von Rädern mit Spiralbereifung«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. 68. Id. (Hg.): Exponatgruppentext »Niemandsland«, »Spanischer Reiter vom Hartmannsweiler Kopf«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«.
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69. Id. (Hg.): Exponatgruppentext »Propagandahörspiel: Die Erstürmung von Lüttich«, »›Vaterländische Zonophon-Aufnahme zum Besten deutscher Krieger‹«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. 70. Id. (Hg.): Exponattext »Achselstützen aus dem Vereinslazarett Schloss Wolfegg«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. 71. Id. (Hg.): Exponattext »Amerikanische Kondome Marke ›Gold-Ray‹«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. 72. Id. (Hg.): Exponattext »Desinfektionsset zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. 73. Id. (Hg.): Exponattext »Deutsche Pferdemaske«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. 74. Id. (Hg.): Exponattext »Eau de Cologne aus dem Kilianstollen«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. 75. Id. (Hg.): Exponattext »Elektroschockbehandlung im Reservelazarett Hornberg«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. 76. Id. (Hg.): Exponattext »Flugblätter der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. 77. Id. (Hg.): Exponattext »Frottage der Glockeninschrift von Östringen«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. 78. Id. (Hg.): Exponattext »Kriegstagebuch von Karl August Zwiffelhoffer«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. 79. Id. (Hg.): Exponattext »Lautaufnahme im Kriegsgefangenenlager Köln-Wahn«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. 80. Id. (Hg.): Exponattext »Neosalvarsan-Ampulle«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. 81. Id. (Hg.): Exponattext »Postkartenalbum für einen Fünfjährigen«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«. 82. Id. (Hg.): Exponattext »Susanne Asoronye am Grab von Hermann Föller«, Ausstellungsdokumentation zu »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«.
Historisches Museum der Pfalz 83. Historisches Museum der Pfalz (Hg.): Exponatgruppentext »Reservistenkrüge«, aus: Ausstellung »1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg« (25. November 2014). 84. Id. (Hg.): Sektionstext »August 1914«, aus: Ausstellung »1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg« (25. November 2014). 85. Id. (Hg.): Sektionstext »Der Krieg der Anderen«, aus: Ausstellung »1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg« (25. November 2014). 86. Id. (Hg.): Sektionstext »Erinnerungskultur in europäischer Perspektive«, aus: Ausstellung »1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg« (25. November 2014).
14 Quellen- und Literaturverzeichnis
87. Id. (Hg.): Sektionstext »Kriegslazarette«, aus: Ausstellung »1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg« (25. November 2014). 88. Id. (Hg.): Sektionstext »Pfälzische Kriegssammlung«, aus: Ausstellung »1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg« (25. November 2014). 89. Id. (Hg.): Sektionstext »Vor dem großen Krieg«, aus: Ausstellung »1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg« (25. November 2014).
Imperial War Museum 90. Imperial War Museum (Hg.): Bereichstext »A dozen men – all gassed«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 91. Id. (Hg.): Bereichstext »A year of indecisive fighting…«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 92. Id. (Hg.): Bereichstext »Bandits! Cowards! Arsonists! Murderers!«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 93. Id. (Hg.): Bereichstext »Come along boys and join the army«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 94. Id. (Hg.): Bereichstext »Digging, digging, digging.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 95. Id. (Hg.): Bereichstext »Europe’s Hour of Destiny«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 96. Id. (Hg.): Bereichstext »Everyone has a purpose to help«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 97. Id. (Hg.): Bereichstext »Extraordinary hardships«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 98. Id. (Hg.): Bereichstext »I have seen the most frightful nightmare of a country…«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 99. Id. (Hg.): Bereichstext »I placed my soul and body in God’s keeping«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 100. Id. (Hg.): Bereichstext »No material thing«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 101. Id. (Hg.): Bereichstext »One is here confronted«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 102. Id. (Hg.): Bereichstext »Russia has failed us«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 103. Id. (Hg.): Bereichstext »The British… infantry…is very brave«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 104. Id. (Hg.): Bereichstext »The cold-blooded science«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 105. Id. (Hg.): Bereichstext »The day of the rifle man in done …his day is over.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 106. Id. (Hg.): Bereichstext »The problem set is a comparatively simple one«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 107. Id. (Hg.): Bereichstext »There are always clouds in the international sky«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015).
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108. Id. (Hg.): Bereichstext »They know that they are saving France«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 109. Id. (Hg.): Bereichstext »Tomorrow there will be nothing«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 110. Id. (Hg.): Bereichstext »We cannot say with what eyes posterity will regard this Museum«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 111. Id. (Hg.): Bereichstext »When one sees young men idling…«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 112. Id. (Hg.): Bereichstext »Why war?«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 113. Id. (Hg.): Bereichstext »You are doing the only thing that is right.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 114. Id. (Hg.): Exponatgruppentext »Frederick Chandler was a surgeon attached to the British Expeditionary Force.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 115. Id. (Hg.): Exponatgruppentext »Gas caused horrific injuries.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 116. Id. (Hg.): Exponatgruppentext »In August 1914 German Chancellor Bethmann Hollweg dismissed the longstanding treaty guaranteeing Belgium’s neutrality as a ›scrap of paper‹«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 117. Id. (Hg.): Exponatgruppentext »On 21 March 1918 Lieutnant Ernst Jünger of the German 73rd Fusilier Regiment recorded attacking the enemy«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 118. Id. (Hg.): Exponatgruppentext »Reports of German atrocities were often lurid and false«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 119. Id. (Hg.): Exponatgruppentext »The attacking British infantry expected to drive the Germans from their trenches«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 120. Id. (Hg.): Exponatgruppentext »The German Army’s destruction of cultural sites caused international outrage.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 121. Id. (Hg.): Exponatgruppentext »These documents record interviews with Belgian refugees and troops about German atrocities«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 122. Id. (Hg.): Exponatgruppentext »These photographs show some of the 262 inhabitants of the Belgian town of Andenne«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 123. Id. (Hg.): Exponatgruppentext »This is the uniform of a German private of the 56th Infantry Regiment.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 124. Id. (Hg.): Exponatgruppentext »This stained glass fragment and watch are souvenirs of the German bombardment of Reims cathedral in France.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 125. Id. (Hg.): Exponatgruppentext »This tankard commemorates German atrocities in Belgium and France.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015).
14 Quellen- und Literaturverzeichnis
126. Id. (Hg.): Exponattext »Chancellor of the Exchequer David Lloyd George gave his ›Road Hogs of Europe‹ speech«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 127. Id. (Hg.): Exponattext »Flamethrowers added to the attacking power of German assault troops.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 128. Id. (Hg.): Exponattext »German soldier Werner Keil«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 129. Id. (Hg.): Exponattext »Official war artist Paul Nash completed The Menin Road in 1919«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 130. Id. (Hg.): Exponattext »Sassoon’s The Old Huntsman and Other Poems was published in 1917.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 131. Id. (Hg.): Exponattext »The British Mark V tank was introduced in 1918.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 132. Id. (Hg.): Exponattext »These posters give a German view of ›Our Enemies in the West‹, the French, British and Belgians, and ›Our Enemies in the East‹«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 133. Id. (Hg.): Exponattext »This 42 cm shell was the type fired by the huge Big Bertha.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 134. Id. (Hg.): Sektionstext »At all costs«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 135. Id. (Hg.): Sektionstext »Breaking down«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 136. Id. (Hg.): Sektionstext »Deadlock«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 137. Id. (Hg.): Sektionstext »Feeding the Front«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 138. Id. (Hg.): Sektionstext »Hope and glory«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 139. Id. (Hg.): Sektionstext »Life at the Front«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 140. Id. (Hg.): Sektionstext »Machines against men«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 141. Id. (Hg.): Sektionstext »Seizing victory«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 142. Id. (Hg.): Sektionstext »Shock«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 143. Id. (Hg.): Sektionstext »Total war«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 144. Id. (Hg.): Sektionstext »War without end«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 145. Id. (Hg.): Sektionstext »World war«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 146. Id. (Hg.): Sektionstext »Your country needs you«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015).
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Europäisierung des Gedenkens?
147. Id. (Hg.): Touchscreenstation »Europe’s Hour of Destiny. German newspaper editorial, 1 August 1914«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 148. Id. (Hg.): Touchscreenstation »›These are dreadful days.‹ The German experience of the Somme«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 149. Id. (Hg.): Zusammenfassung »›Big Bertha‹ was the nickname given to a powerful German siege mortar.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 150. Id. (Hg.): Zusammenfassung »Britain became more democratic after the war.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 151. Id. (Hg.): Zusammenfassung »By the end of 1914 the exhausted armies had sought safety in trenches.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 152. Id. (Hg.): Zusammenfassung »Food shortages haunted the peoples of Germany and Austria-Hungary.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 153. Id. (Hg.): Zusammenfassung »Hate propaganda against the ›wicked Hun‹«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 154. Id. (Hg.): Zusammenfassung »In August 1915 over 2 million single men of military age were still not in uniform.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 155. Id. (Hg.): Zusammenfassung »In the front line, repairing trenches and barbed wire and moving supplies were constant chores.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 156. Id. (Hg.): Zusammenfassung »Most soldiers in the Russian Army were peasants.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 157. Id. (Hg.): Zusammenfassung »Soldiers battled their environment as well as shells and bullets.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 158. Id. (Hg.): Zusammenfassung »Terrible as the losses were, there was no ›Lost Generation‹«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 159. Id. (Hg.): Zusammenfassung »The 4 million war veterans who returned to Britain hoped for the promised ›Land Fit For Heroes‹«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 160. Id. (Hg.): Zusammenfassung »The army of the Austro-Hungarian Empire, which set out to crush Serbia and fight Russia«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 161. Id. (Hg.): Zusammenfassung »The end of war did not bring peace to Ireland.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 162. Id. (Hg.): Zusammenfassung »The German Army massed its best troops and nearly all its artillery«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015). 163. Id. (Hg.): Zusammenfassung »The German Army was led by the world’s most professional officers.«, aus: Ausstellung »First World War Galleries« (10. März 2015).
Imperial War Museum North 164. Brosnan, Matthew/Imperial War Museum North: Exponattext »A Great Servant of a Great Empire«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«.
14 Quellen- und Literaturverzeichnis
165. Dies.: Exponattext »›Anthem to Dead Youth‹«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 166. Dies.: Exponattext »Cap badges are the insignia of a regiment«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 167. Dies.: Exponattext »›Dulce et Decorum est‹«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 168. Dies.: Exponattext »George Kenner: View of a POW Camp«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 169. Dies.: Exponattext »Handkerchief decorated with the music of ›It’s a Long, Long Way to Tipperary‹«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 170. Dies.: Exponattext »Japanese Type 38 Rifle«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 171. Dies.: Exponattext »Letter by Rhoda McGuire from Liverpool to her sister Eva in the USA, 11 November 1918«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 172. Dies.: Exponattext »Letter from Arthur to Reg, 29 December 1916«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 173. Dies.: Exponattext »Letter from William Anderson to his wife Agnes«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 174. Dies.: Exponattext »Letter written by Ada McGuire, a schoolteacher in Liverpool«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 175. Dies.: Exponattext »Letter written by Ada McGuire from Liverpool to her sister Eva in the USA, 31 May 1915«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 176. Dies.: Exponattext »Letter written by Ada McGuire from Liverpool to her sister Eva in the USA, 8 August 1915«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 177. Dies.: Exponattext »Letter written by Ada McGuire, from Liverpool, to her sister Eva in the USA, 9 July 1916«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 178. Dies.: Exponattext »Letter written by Ada McGuire to her sister Eva on 7 August 1914«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 179. Dies.: Exponattext »Liverpool Regiments Leave for Fresh Training Quarters«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 180. Dies.: Exponattext »Note left by Frank Middleton for his mother in 1914«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 181. Dies.: Exponattext »Recruitment poster aimed at men in Manchester with Scottish roots«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«.
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Europäisierung des Gedenkens?
182. Dies.: Exponattext »Recruitment poster appealing to women of Lancashire«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 183. Dies.: Exponattext »Recruitment poster encouraging men from Lancashire«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 184. Dies.: Exponattext »Register of 398 ›enemy aliens‹ recorded by Salford Police«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 185. Dies.: Exponattext »The Pals’ Visit to Accrington«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 186. Dies.: Exponattext »This photographic artwork«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 187. Dies.: Exponattext »Triumph motorcycle«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 188. Dies.: Exponattext »Wilfred Owen«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 189. Dies.: Sektionstext »Aftershocks«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 190. Dies.: Sektionstext »Feeding the Fire«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 191. Dies.: Sektionstext »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 192. Dies.: Sektionstext »On the Street«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 193. Dies.: Sektionstext »Waking up to War«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 194. Dies.: Sektionstext »Witnessing War«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 195. Imperial War Museum North (Hg.): Filmstation »A Day in the Life of a Coal Miner«, »The Works and Workers of Denton Holme«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 196. Id. (Hg.): Filmstation »A Trip Along the Manchester Ship Canal«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 197. Id. (Hg.): Filmstation »Manchester United v Newcastle United«, »Royal Visit to Lancashire«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 198. Id. (Hg.): Filmstation »Opening of Astley Park War Memorial, Chorley«, »Remembrance Day in Manchester«, »The Official Unveiling of the Darwen War Memorial«, »Whalley Peace Pageant«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 199. Id. (Hg.): Filmstation »Stockport Market«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«.
14 Quellen- und Literaturverzeichnis
200. Id. (Hg.): Filmstation »The Battle of the Somme«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 201. Id. (Hg.): Hörstation »Frederick Powell, a pilot in the Royal Flying Corps, describes being shot down during a dogfight against German planes in 1918«, »Frederick Powell explains how he and fellow pilots kept their spirits up«, »Cyril Punt describes the smell and noise of the guns firing on HMS Courageous«, »James Leary talks about the working conditions as a stoker aboard HMS Arab at Scapa Flow, Scotland«, »Thomas Northcote describes the sleeping arrangements and local conditions when serving with the Manchester Regiment in Egypt«, »Walter Lunt comments on the harsh weather conditions and threat of disease when based in Salonika with the King’s Liverpool Regiment«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«. 202. Id. (Hg.): Hörstation »Kitty Morter explains how her husband Percy was recruited into the Army by music hall performer Vesta Tilley at the Palace Theatre, Manchester in 1914«, »Evelyn Ellershaw recalls the atmosphere of seeing soldiers mobilising in Lancaster town centre in 1914«, »Evelyn Ellershaw describes seeing women giving white feathers to men in Lancaster to encourage them to join the Army in 1914«, »Tom Bromley talks about the local reaction in Bolton to the events leading to the outbreak of war in 1914«, »James Snailham explains why he decided to join the Chorley Pals aged just 16 in 1914«, »Donald Price describes how he cheated in his army medical test at the recruiting office in Manchester in 1914«, »Arthur Wilkinson explains why he registered as a Conscientious Objector in 1918«, »Frederick Plimmer comments on changes to the workforce at Vickers Shipyard in Barrow-in-Furness, Cumbria«, Ausstellungsdokumentation zu »From Street to Trench: A World War that Shaped a Region«.
Militärhistorisches Museum der Bundeswehr 203. Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (Hg.): Bereichstext »Neu waren die Dimensionen des Krieges«, Ausstellungsdokumentation zu »14 – Menschen – Krieg«. 204. Id. (Hg.): Exponatgruppentext »Fotoalbum: Chef des Feldeisenbahnwesens im Großen Hauptquartier«, Ausstellungsdokumentation zu »14 – Menschen – Krieg«. 205. Id. (Hg.): Exponattext »2 Medaillen und eine Urkunde des ›Ordre du Lièvre‹, des belgischen ›Hasenfußordens‹ für Flüchtlinge«, Ausstellungsdokumentation zu »14 – Menschen – Krieg«. 206. Id. (Hg.): Exponattext »›Deutsche Verbrechen? Wider Joseph Bédier‹ – Gegendarstellung zu Berichten über deutsche Massenvergewaltigungen in Belgien«, Ausstellungsdokumentation zu »14 – Menschen – Krieg«. 207. Id. (Hg.): Exponattext »Die zerstörte Universitätsbibliothek von Leuven«, Ausstellungsdokumentation zu »14 – Menschen – Krieg«. 208. Id. (Hg.): Exponattext »›Flüchtlinge‹«, Ausstellungsdokumentation zu »14 – Menschen – Krieg«. 209. Id. (Hg.): Exponattext »Foto: Leiche einer verdursteten Armenierin in der Wüste«, Ausstellungsdokumentation zu »14 – Menschen – Krieg«.
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Europäisierung des Gedenkens?
210. Id. (Hg.): Exponattext »Güterwagen G 10«, Ausstellungsdokumentation zu »14 – Menschen – Krieg«. 211. Id. (Hg.): Exponattext »›Reiss-Bericht‹ über von k.u.k. Truppen in Serbien verübte Kriegsverbrechen«, Ausstellungsdokumentation zu »14 – Menschen – Krieg«. 212. Id. (Hg.): Exponattext »Schulterstücke, mittlere Beamte, zum Feldrock der Feldziviluniform, Zivilverwaltungen der Generalgouvernements Belgien und Warschau«, Ausstellungsdokumentation zu »14 – Menschen – Krieg«. 213. Id. (Hg.): Sektionstext »14 – Menschen – Krieg«, aus: Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« (28. Oktober 2014).
Experteninterviews 214. Heß, Judith: Experteninterviews. Deutsches Historisches Museum, in: Dies.: Geschichtsbilder des Ersten Weltkrieges – eine Europäisierung des Gedenkens? Geschichtspolitische Deutung deutscher und britischer Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg. Anhang, Bd. 2, Diss. phil. Mannheim 2019, S. 7-29. 215. Dies.: Experteninterviews. Firing Line, Cardiff Castle Museum of the Welsh Soldier, in: Dies.: Geschichtsbilder des Ersten Weltkrieges – eine Europäisierung des Gedenkens? Geschichtspolitische Deutung deutscher und britischer Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg. Anhang, Bd. 2, Diss. phil. Mannheim 2019, S. 146-184. 216. Dies.: Experteninterviews. Haus der Geschichte Baden-Württemberg, in: Dies.: Geschichtsbilder des Ersten Weltkrieges – eine Europäisierung des Gedenkens? Geschichtspolitische Deutung deutscher und britischer Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg. Anhang, Bd. 2, Diss. phil. Mannheim 2019, S. 82-99. 217. Dies.: Experteninterviews. Historisches Museum der Pfalz, in: Dies.: Geschichtsbilder des Ersten Weltkrieges – eine Europäisierung des Gedenkens? Geschichtspolitische Deutung deutscher und britischer Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg. Anhang, Bd. 2, Diss. phil. Mannheim 2019, S. 63-81. 218. Dies.: Experteninterviews. Imperial War Museum, in: Dies.: Geschichtsbilder des Ersten Weltkrieges – eine Europäisierung des Gedenkens? Geschichtspolitische Deutung deutscher und britischer Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg. Anhang, Bd. 2, Diss. phil. Mannheim 2019, S. 100-123. 219. Dies.: Experteninterviews. Imperial War Museum North, in: Dies.: Geschichtsbilder des Ersten Weltkrieges – eine Europäisierung des Gedenkens? Geschichtspolitische Deutung deutscher und britischer Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg. Anhang, Bd. 2, Diss. phil. Mannheim 2019, S. 124-145. 220. Dies.: Experteninterviews. Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, in: Dies.: Geschichtsbilder des Ersten Weltkrieges – eine Europäisierung des Gedenkens? Geschichtspolitische Deutung deutscher und britischer Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg. Anhang, Bd. 2, Diss. phil. Mannheim 2019, S. 30-62.
Sonstige unveröffentlichte Quellen 221. McDonald, Simon: Skript des nicht publizierten Vortrags: »Zurück in die Zukunft. Die deutsch-britischen Beziehungen im 21. Jahrhundert« am 12. Juni 2014, in: Vor-
14 Quellen- und Literaturverzeichnis
tragsreihe: Von Sarajevo nach Brüssel. 100 Jahre nach Beginn des Grossen Krieges, Universität Mannheim.
14.1.2
Ausstellungspublikationen und sonstige veröffentlichte Quellen
222. Bataković, Dušan: Serbien 1914. Innere Unruhen, Ultimatum und ein erzwungener Krieg, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Essayband zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 54-63. 223. Bauer, Gerhard/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Essayband zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014. 224. Dies. (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014. 225. Bauer, Gerhard: Bereichstext »Das Inferno der Materialschlacht«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 210. 226. Ders.: Bereichstext »Krise und Kriegstaumel«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 58. 227. Ders.: Bereichstext »Massenhaftes Leid«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 126. 228. Ders.: Bereichstext »Monarchische Pracht und bewaffnete Macht«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 29. 229. Ders.: »Ein Tag der Rosen im August…«. Die Wiederentdeckung eines verlorenen Krieges, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 6-13. 230. Ders.: Exponatgruppentext »Gefallener französischer Soldat vor der Stellung des 7. Königlich Bayerischen Infanterie-Regiments«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 126f. 231. Ders.: Exponattext »›An meine Völker!‹«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 60. 232. Ders.: Exponattext »Franz Joseph I. (1830-1916), Kaiser von Österreich und König von Ungarn«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 35.
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Europäisierung des Gedenkens?
233. Ders.: Exponattext »Generalstabschef Helmuth von Moltke der Jüngere (18481916)«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 38. 234. Ders.: Exponattext »Güterwagen G 10«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 85. 235. Ders.: Exponattext »Leiche einer verdursteten Armenierin in der Wüste, aufgenommen von einem deutschen Soldaten, der beim Bau der Bagdadbahn eingesetzt war«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 111. 236. Ders.: Exponattext »Louis Barthas (1879-1852)«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 215218. 237. Ders.: Exponattext »›Mobilmachung!‹«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 60f. 238. Ders.: Exponattext »›Schützengraben im Bereich des XIX. (sächsischen) Armeekorps‹«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 213f. 239. Ders.: Exponattext »Skizze der ›H.M.S. Devastation‹«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 31. 240. Ders.: Exponattext »›Strassenkampf in Loos [Pas-de-Calais] bei einem Gasangriff der Engländer‹«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 213-215. 241. Ders.: Exponattext »Theobald von Bethmann Hollweg (1856-1921), Kanzler des Deutschen Reiches«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 38f. 242. Burckel, Franck u.a.: Grenzen überwinden: das Ausstellungsnetz zum Ersten Weltkrieg, in: Markus Moehring (Hg.): Der Erste Weltkrieg am Oberrhein. La Grande Guerre dans le Rhin supérieur. Begleitband zur Ausstellungsreihe des Netzwerks Museen und zur Überblicksausstellung im Dreiländermuseum. Catalogue du cycle d’expositions du Réseau des musées et de l’exposition génerale du musée des Trois Pays (= Lörracher Hefte 20), Lörrach 2014, S. 8-10. 243. Cornish, Paul: The First World War Galleries, Begleitband zur Ausstellung »The First World War Galleries«, London 2014. 244. Dedio, Gunnar/Florian Dedio: 14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs. Farbfotografien und Aufzeichnungen aus einer Welt im Untergang, München 2014.
14 Quellen- und Literaturverzeichnis
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256. Dies.: Schlüssel von Fort Douaumont, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 70f. 257. Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Ausstellungsprogramm: »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne«, Broschüre, 2014. 258. Id. (Hg.): Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne. Katalog zur Ausstellung »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne« vom 4. April 2014 bis 1. März 2015, Ulm 2014. 259. Herzog von Cambridge, Prinz William: Foreword, in: Paul Cornish: The First World War Galleries, Begleitband zur Ausstellung »The First World War Galleries«, London 2014, S. 6. 260. Imperial War Museum (Hg.): The First World War. 100 Years on…, Flyer, 2014. 261. Jessen, Olaf: Schlafwandler? Helmuth von Moltke in der Julikrise, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Essayband zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 316-323. 262. Kellner, Marcel: Grabenkeule und Stielhandgranate, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 58f. 263. Ders.: Stacheldrahtrolle aus Péronne, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 59f. 264. Kleinichen, Konstantin: Exponatgruppentext »Abschrift der Denkschrift Alfred Graf von Schlieffens (1833-1913) von 1905/06, sog. ›Schlieffenplan‹«, »Generalfeldmarschall Alfred Graf von Schlieffen (1833-1913)«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 37f. 265. Koch, Alexander: Vorwort, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 8-11. 266. Krumeich, Gerd: Der Erste Weltkrieg, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 12-19. 267. Landolt, Michaël u.a.: Deutsche Stollenanlagen im Oberelsass. Eine archäologische Vision, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 244-253. 268. Langhals, Eva: Eine Deutsche in Belgien zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Aus den Tagebüchern der Thea Sternheim, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Essayband zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 374-382. 269. Dies.: Exponatgruppentext »Die Gefallenen von Vottern«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 96f.
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270. Dies.: Exponattext »Die zerstörte Universitätsbibliothek von Leuven«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 107. 271. Dies.: Exponattext »›Flüchtlinge‹«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 104f. 272. Dies.: Exponattext »Stadtplan von Leuven mit Markierung der zerstörten Stadtviertel«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 107f. 273. Dies.: Exponattext »Zwei Medaillen und eine Urkunde des ›Ordre du Lièvre‹, des belgischen ›Hasenfußordens‹ für Flüchtlinge«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 105f. 274. Lüken, Sven: Maschinenpistole MP 18, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 206f. 275. Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (Hg.): 14 – Menschen – Krieg. Die Ausstellung zum TV-Doku-Drama von ARTE und Das Erste, Flyer, 2014. 276. Mix, Andreas: 2. Extra-Ausgabe der Bosnischen Post vom 28. Juni 1914, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 38f. 277. Ders.: Der zerstörte Frieden. Das Kaiserreich am Vorabend des Ersten Weltkriegs, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 20f. 278. Ders.: Friedrich August von Kaulbach: Germania, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 48f. 279. Ders.: »Mobilisierungskundmachung« für die österreichisch-ungarischen Streitkräfte, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 40f. 280. Ders.: Waffenrock des Armierungssoldaten Karl Liebknecht, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 44f. 281. National Army Museum (Hg.): Discover Exhibitions: Outbreak 1914! Wales Goes to War, Flyer, 2014. 282. Pahl, Magnus: Exponattext »K.u.k. Landesschützenregiment Innichen Nr. III. Res. Nr. 408 Mob. Kriegsfall ›R‹ 83!«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg
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(Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 37. 283. Peers, Maja: Amerikanisches Rekrutierungsplakat, in: Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg in 100 Objekten. Begleitband zur Ausstellung »1914-1918. Der Erste Weltkrieg« vom 29. Mai bis 30. November 2014, Darmstadt 2014, S. 200f. 284. Pieken, Gorch: Gorch Pieken im Gespräch mit Jan Peter, Yury Winterberg, Gunnar Dedio, Oliver Janz. Interviews zu »14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Essayband zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 276-303. 285. Ders.: Vorwort, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Essayband zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 12-19. 286. Rauchensteiner, Manfried: »Ich vertraue auf meine Völker«. Österreich-Ungarns Zweifrontenkrieg 1914, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Essayband zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 42-53. 287. Respondek, Anne: Exponattext »›Deutsche Verbrechen? Wider Joseph Bédier, Les crimes allemands d’après des témoignages allemands. Zugleich eine Antwort aus französischen Dokumenten‹« in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 108f. 288. Dies.: Exponattext »›The Kingdom of Serbia: Report upon the atrocities committed by the Austro-Hungarian army during the first invasion of Serbia‹«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 111. 289. Rousseau, Frédéric: Kämpfen ohne Hassgefühle… Das Töten seines Feindes im Großen Krieg, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Essayband zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 344-353. 290. Schnabel, Thomas: Vorwort, in: Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne. Katalog zur Ausstellung »Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne« vom 4. April 2014 bis 1. März 2015, Ulm 2014, S. 4f. 291. Stiftung Deutsches Historisches Museum (Hg.): Der Erste Weltkrieg. 1914-1918, 29.05.-30.11.2014. Programm Juni/Juli, Flyer, 2014. 292. Strachan, Hew: Introduction, in: Paul Cornish: The First World War Galleries, Begleitband zur Ausstellung »The First World War Galleries«, London 2014, S. 8-11. 293. Tekampe, Ludger: Der ferne Krieg. 1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg, in: Deutscher Museumsbund (Hg.): Museumskunde. Themenschwerpunkt Erster Weltkrieg, Bd. 79, 1, Berlin 2014, S. 29-34. 294. Ders.: Speyer (D): Historisches Museum der Pfalz. 1914-1918. Die Pfalz im Ersten Weltkrieg, in: Markus Moehring (Hg.): Der Erste Weltkrieg am Oberrhein. La Gran-
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307. Ders.: Exponattext »Paul Pireaud (1890-1970) und Marie Pireaud (1892-1978)«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 221f. 308. Ders.: Exponattext »Sarah Macnaughtan (1864-1916)«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 101f. 309. Ders.: Exponattext »Vincenzo D’Aquila (1894-1970)«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 139. 310. Ders.: Exponattext »Yves Congar (1904-1995)«, in: Gerhard Bauer/Gorch Pieken/Matthias Rogg (Hgg.): 14 – Menschen – Krieg. Katalog zur Ausstellung »14 – Menschen – Krieg« vom 1. August 2014 bis 24. Februar 2015, Dresden 2014, S. 189.
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1919 – Zeit der Utopien Zur Topographie eines deutschen Jahrhundertjahres 2018, 382 S., Hardcover, 39 SW-Abbildungen, 35 Farbabbildungen 39,99 € (DE), 978-3-8376-4654-2 E-Book: PDF: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4654-6
Sebastian Barsch, Jörg van Norden (Hg.)
Historisches Lernen und Materielle Kultur Von Dingen und Objekten in der Geschichtsdidaktik 2020, 284 S., kart., 22 SW-Abbildungen, 13 Farbabbildungen 35,00 € (DE), 978-3-8376-5066-2 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5066-6
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Geschichtswissenschaft Wiebke Reinert
Applaus der Robbe Arbeit und Vergnügen im Zoo, 1850-1970 2020, 414 S., kart., 10 Farbabbildungen, 55 SW-Abbildungen 45,00 € (DE), 978-3-8376-5106-5 E-Book: PDF: 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5106-9
Frank Becker, Darius Harwardt, Michael Wala (Hg.)
Die Verortung der Bundesrepublik Ideen und Symbole politischer Geographie nach 1945 2020, 278 S., kart., 17 Farbabbildungen, 18 SW-Abbildungen 35,00 € (DE), 978-3-8376-5003-7 E-Book: PDF: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5003-1
Verein für kritische Geschichtsschreibung e.V. (Hg.)
WerkstattGeschichte Differenzen einschreiben 2020, 178 S., kart., 26 SW-Abbildungen 21,99 € (DE), 978-3-8376-5299-4
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