Essays zur spanischen Literatur 9783964564368

Eine allgemein verständliche Darstellung spanischer_______ Literatur und Kultur anhand von ausgesuchten Einzelaspekten.

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German Pages 327 [352] Year 2019

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INHALT
VORWORT
ERSTER TEIL. ZUR KULTURGESCHICHTE
VON DEN SCHWIERIGKEITEN DER DEUTSCH-HISPANISCHEN KULTURBEGEGNUNG
WIE SPANISCH KOMMEN UNS DIE SPANIER VOR? BEOBACHTUNGEN ZUR VERWENDUNG DIESES VOLKSNAMENS IM DEUTSCHEN
DIE BILDER SPANIENS UND LATEINAMERIKAS IN DEN KÖPFEN DER DEUTSCHEN
CARMEN - VON MERIMEE ÜBER BIZET ZU SAURA UND GADES. EIN SPANIENBILD IM SPIEL DER MEDIEN
MODERNISMEN UND AVANTGARDE IN DER IBEROROMANIA
ZWEITER TEIL. ZUR ÄLTEREN LITERATUR
LA CELESTINA, DEUTSCH. ZUR VERÖFFENTLICHUNG DER WIRSUNG-ÜBERSETZUNG
UNTERWEGS ZU QUEVEDO
CALDERON IN EINSIEDELN. BEMERKUNGEN ZUR REZEPTION EINES SPANISCHEN DRAMATIKERS
EIN HOMME DE LETTRES - EIN MANN DER BRIEFE. ZUM 150. GEBURTSTAG VON JUAN VALERA (1824-1905)
DRITTER TEIL. ZUR NEUEREN LITERATUR
DAS BARBARISCHE THEATER VON VALLE-INCLAN
ANTONIO MACHADO (1875-1939). EIN PORTRÄT
ANTONIO MACHADO (1875-1939) EIN PORTRÄT
FEDERICO GARCIA LORCA (1898-1936). EIN VERSUCH, SEINE GRÖSSE ZU BEGRÜNDEN
DIE REZEPTION LORCAS IM DEUTSCHEN SPRACHRAUM. GESCHICHTE EINER VERZERRUNG
VICENTE ALEIXANDRE (1898-1984). POETA MEDIATOR
DIE GENERATION VON 1927. EINE RÜCKSCHAU
MIGUEL HERNANDEZ (1910-1942). ERINNERUNG AN EIN WEHRLOSES OPFER FRANCOS
LYRISCHES NEULAND ZU ENTDECKEN: KATALONIEN
ANHANG
NACHWEIS DER ERSTVERÖFFENTLICHUNGEN
BILDNACHWEIS
BIOGRAPHISCHES STICHWORT
NAMENREGISTER
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Essays zur spanischen Literatur
 9783964564368

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Siebenmann Essays zur spanischen Literatur

Gustav Siebenmannn

Essays zur spanischen Literatur

Vervuert Verlag • Frankfurt am Main 1989

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Siebenmann, Gustav: Essays zur spanischen Literatur / Gustav Siebenmann. Frankfurt am Main: Vervuert, 1989 ISBN 3-89354-413-5 NE: Siebenmann, Gustav [Sammlung]

© Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 1989 Alle Rechte vorbehalten Titel unter Verwendung einer Zeichnung von Federico García Lorca; Umschlagriickseite: »Firmarabesko« von Norberto Gimelfarb. Wir danken für die freundliche Genehmigung von Norberto Gimelfarb und der Fundación Federico García Lorca. Printed in West-Germany

INHALT

Vorwort

7

Erster Teil: ZUR KULTURGESCHICHTE Von den Schwierigkeiten der deutsch-hispanischen Kulturbegegnung

12

Wie spanisch kommen uns die Spanier vor? Beobachtungen zur Verwendung dieses Volksnamens im Deutschen . 35 Die Bilder Spaniens und Amerikas in den Köpfen der Deutschen (mit 4 Illustrationen)

55

Carmen: Von Mérimée über Bizet zu Saura und Gades. Ein Spanienbild im Spiel der Medien

85

Modernismen und Avantgarde in der Iberoromania

117

Zweiter Teil: ZUR ÄLTEREN LITERATUR La Celestina, deutsch. Zur Veröffentlichung der Wirsung-Übersetzungen

145

Unterwegs zu Quevedo. Hinweise auf neue Editionen und Studien zwischen 1957 und 1985

153

Calderön in Einsiedeln. Bemerkungen zur Rezeption des spanischen Dramatikers

168

Ein homme de lettres - ein Mann der Briefe. Zum 150. Todestag von Juan Valera

179

Dritter Teil: ZUR NEUEREN LITERATUR Das barbarische Theater von Valle-Inclân

188

Antonio Machado (1875-1939). Ein Porträt

197

6

INHALTSVERZEICHNIS

Juan Ramón Jiménez und die Überwindung des Modernismo

218

Federico García Lorca (1898-1936). Ein Versuch, seine Grösse zu begründen

226

Die Rezeption Lorcas im deutschen Sprachraum. Geschichte einer Verzerrung

244

Vicente Aleixandre (1898-1984). Poeta Mediator

273

Die Generation von 1927. Eine Rückschau

288

Miguel Hernández (1910-1942). Erinnerung an ein wehrloses Opfer Francos

305

Lyrisches Neuland zu entdecken: Katalonien

320

A N H A N G

Nachweis der Erstveröffentlichungen Bildnachweis Biographische Skizze Namenregister

333 335 336 337

VORWORT Spanien gehört seit 1986 auch vertraglich zu Europa, und südlich der Pyrenäen beginnt mittlerweile längst nicht mehr Afrika. Dennoch, Hand aufs Herz: Ist die traditionsreiche Region Iberien den heutigen Mitteleuropäern nicht noch immer fremd? Es wäre verfehlt anzunehmen, die aufstrebenden Regionen zwischen Frankreich und Afrika hätten im Zuge der in den letzten zwanzig Jahren erfolgten rasanten Modernisierung ihre Eigenart abgebaut. Von einer Vertrautheit mit den iberischen Kulturen kann im deutschsprachigen Raum jedenfalls noch lange nicht die Rede sein. Einer der aufschlussreichsten Zugänge zu einer andersartigen Kultur ist noch immer die zugehörige Literatur. Allerdings geht das nicht ohne die entsprechenden Sprachkenntnisse oder mittels tauglicher Übersetzungen, in vielen Fällen wohl auch nicht ohne begleitende Vermittlung durch den Kenner und Fachmann. Deshalb stehen diese Essays gewissermassen unter dem Patronat des Hieronymus, des legendären Mittlers zwischen den Kulturen, und gilt den Problemen der Übersetzung in einigen dieser Arbeiten eine gezielte Aufmerksamkeit. Was nun die textbegleitende, die systematisierende, auch die Kultur vermittelnde Absicht anbetrifft, so muss eingeräumt werden, dass die Literaturwissenschaft in den letzten vierzig Jahren zweifellos gesündigt hat. Sie ist immer kopflastiger geworden. Im legitimen Bestreben nach erhöhter Wissenschaftlichkeit sind Methoden ausprobiert worden - strukturalistische, linguistische, rezeptionsästhetische, dekonstruktivistische, semiotische und andere mehr -, die jede auf ihre Weise beansprucht, das Wesen von Literatur exakter oder aus neuen Perspektiven zu erfassen und der Werkanalyse eine höhere Exaktheit und vermehrte Objektivität zu verleihen. Der Verständigkeit der neuen Ansätze steht dabei allzu oft eine anspruchsvolle Terminologie im Wege. Die Anstrengung des Lesens von wissenschaftlichen Texten, die mit neuen Begriffen überfrachtet sind, steht dann gelegentlich in einem krassen Missverhältnis zum Erkenntnisgewinn. Aber man schreibt eben für die Zunft und ist bei den Insidern. Von aussen besehen jedoch sind dadurch Ghetti entstanden. Die textwissenschaftliche Grundlagenforschung hat zwar beachtliche Ergebnisse vorzuweisen, doch die rür die heute dank anderen Medien hart bedrängte Institution Literatur mehr denn je notwendige Aufgabe der Vermittlung auch anspruchsvoller Texte, die Kunst der Verführung zum Akt des Lesens, die List des Aufdeckens kultureller Zusammenhänge, sie wird von der Wissenschaft gerne verdrängt und

8

VORWORT

wohlwollend dem sogenannten Dilettanten überlassen. Es geschieht meines Erachtens zu Unrecht und zum ausgesprochenen Schaden der Literatur. Hier wird deshalb versucht, es den Angelsachsen gleichzutun, nämlich auch anspruchsvolle Themen für den interessierten, nicht professionellen Leser möglichst verständlich zu behandeln. In diesem Sinne bemühen sich die hier versammelten Essays um das Erkennen und um das Vermitteln der Andersheit, der Eigenheit spanischer Kulturphänomene, literarischer Strömungen und Motive sowie herausragender Dichter. Im Vordergrund steht das Bestreben, den Zugang zu originellen Kulturen und zu bedeutsamen Literaturzeugnissen zu erleichtern. Die Aufsätze stammen aus verschiedenen Jahrzehnten meiner Tätigkeit und reichen deshalb von früheren stilkritischen Analysen bis zu jüngeren kulturvergleichenden Ansätzen. Im Anhang findet man den Nachweis der Erstveröffentlichungen. Die Anordnung erfolgt nicht chronologisch nach der Entstehung, vielmehr thematisch, in einer Abfolge vom Allgemeineren zum Spezielleren, vom Älteren zum Neueren. Das Verbindende ist dabei - wie gesagt - das stete Interesse an der Vermittlung herausragender Phänomene und Figuren der spanischen Kultur und Literatur, das Bestreben, den Deutschsprachigen eine Partizipation an kulturellen Prozessen in der spanischen Fremde zu erleichtern. Die Präsenz oder die Absenz einer bedeutenden Fremdkultur im eigenen Land steht im Zusammenhang mit dessen Wertekanon. Die Frage nach den Gründen der Fremdheit von allem Spanischen in unseren Breiten drängt sich all denen zwingend auf, die sich beruflich oder sonstwie ernsthaft mit der Vermittlung zwischen den beiden Kulturen beschäftigen. Im ersten Essay dieses Sammelbandes wird deshalb versucht, Gründe dieses Sachverhalts und Tendenzen zur Umwertung oder zum Abbau dieser Fremdheit aufzuzeigen. Der zweite Aufsatz befasst sich mit dem Niederschlag von 'Spanien', 'Spanier', 'spanisch'im Deutschen, um zu zeigen, wie sich im Laufe der Zeit die geschichtlichen Beziehungen in der Sprache niedergeschlagen haben. Die dritte Arbeit tritt mit der Methode der Bildforschung an die historischen Hintergründe der Spanienfeindlichkeit heran und die vierte umreisst die Geschichte des Carmen-Stoffes und die Entstehung und den Wandel des ihm anhaftenden Spanienbildes. Der fünfte Essay versucht sodann, eine gerade ihrer Originalität wegen nicht über die iberische Welt hinausgelangte literarische Bewegung, den Modernismo der Jahrhundertwende, im internationalen Kontext zu situieren. Im zweiten Teil befasse ich mich mit einigen Autoren und Texten zwischen Renaissance und Realismus. Sie haben mich nicht nur ihres Ranges wegen interessiert, entsprechen auch nicht allein meiner persönlichen Vorliebe, vielmehr lassen sie auch oftmals aufschlussreiche interkulturelle Rezeptionsvorgänge erkennen. Die neun Essays des dritten Teils betreffen alle das 20.Jahrhundert. Vom Galicier Valle-Inclän bis zum Katalanen Espriu sind es Autoren, Generationen, Texte, mit denen ich mich im Laufe der Jahre immer wieder beschäftigt habe.

VORWORT

9

Man wird insgesamt erkennen, dass die Gegenstände dieser Essays keine marginalen Spezialitäten und keine Kuriosa sind, dass es sich vielmehr um Merkstellen in der Abfolge der Epochen und Bewegungen Handelt, die meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Hoffentlich merkt der Leser, dass hier keine Pflichtübungen vorgeführt werden, dass es mich zu den hier behandelten Themen und Dichtern vielmehr hingezogen hat. Ohne Zuneigung zum Gegenstand sollte man bekanntlich keine Forschung betreiben, im Bereich der Literatur schon gar nicht. Eine Literaturgeschichte - deren Problematik ist heute sattsam bekannt - muss auch Ungeliebtes, Inaktuelles, somit auch die Durststrecken behandeln, um der lieben Vollständigkeit und Objektivität willen. Eine Essaysammlung hingegen darf sich jene Sprünge leisten, die der auch noch so geneigte Leser in einem Handbuch ohnehin vornimmt. Nachdem hier nun aber die von mir bevorzugten Höhepunkte oder Transitstellen in eine Reihe gestellt wurden, lässt sich vielleicht dieser Sammelband auch als Erkundung des literarischen Geländes Spanien lesen. Wie auch immer: es soll keine Einheit konstruiert werden, wo Essays von solcher zeitlicher Streuung vorgelegt werden. Auch dieser Sammelband verdankt seine Existenz letztlich jener Instanz, die bei jedem Buch zusammenfassend tätig wird, dem Buchbinder. Damit komme ich zum Danken: Dem Verleger Klaus Dieter Vervuert für seine spontane Übernahme dieser Publikation in sein Programm, dem Informatikbereich der Hochschule St.Gallen für Beratung und technische Hilfe, meinem Assistenten Jürg Koch für seine kundige Mitwirkung bei der Eingabe und Korrektur der Texte in die EDV sowie bei der Erstellung des Namensregisters, schliesslich Frau Helen Mayerthaler für ihre geduldige Schreibarbeit.

St. Gallen, im Mai 1989

Gustav Siebenmann

ERSTER TEIL ZUR KULTURGESCHICHTE

VON DEN SCHWIERIGKEITEN DER DEUTSCH-HISPANISCHEN KULTURBEGEGNUNG Bei Anlass des IX. Kongresses des Internationalen Hispanisten-Verbandes im August 1986 bemühte sich die Fachwelt, die Erfolge und Verdienste der Hispanistik im deutschen Sprachraum gebührend darzustellen, zumal diese alle drei Jahre stattfindende wissenschaftliche Tagung zum ersten Mal im deutschen Sprachraum durchgeführt wurde. Der Anlass war zwar erfreulich, doch die Besinnung auf die Geschichte und Rolle des Fachs ergab keinen Grund zur festlichen Lobpreisung, vielmehr zur kritischen Beurteilung der Lage. Der folgende Rückblick auf die Präsenz der spanischsprachigen Kulturen im deutschen Sprachraum wird zwar in sokratischem Geist vorgenommen, doch in der Hoffnung auf Erkenntniszuwachs. So wird hier versucht, nach jahrelanger Beschäftigung mit dieser interkulturellen Problematik, 1 eine Zwischenbilanz zu ziehen.

I. Symptome der Marginalität Das kulturelle Leben eines jeden Landes schlägt sich nieder in einem spezifischen Kanon, einer Ansammlung von Meinungen, ästhetischen Bevorzugungen, existentiellen Optionen, wobei das Gesamte vielleicht für die Dauer einer Generation wirksam bleibt, jedoch ständig durch die Neuerungen der heranwachsenden Generation verändert und durch neue Fremdeinflüsse bereichert wird. Ein kultureller Kanon, ähnlich wie etwa der sogenannte Zeitgeist, ist ein soziales Phänomen, das sowohl in seinen Neigungen wie in seinen Abneigungen möglicherweise im Nachhinein erklärbar ist; das ihm eigene Beharrungsvermögen jedoch wie auch seine Wandlungen sind im Grunde unvorhersehbar. Keiner Autorität ist es auf die Dauer vergönnt, einen kulturellen Kanon zu verordnen oder das Wünschbare verbindlich zu umschreiben. Fassbar wird ein kultureller Kanon allerdings anhand gewisser Symptome, in denen sich die mehrheitliche Einstellung einer Gesellschaft öffentlich und institutionell niederschlägt. Anhand solcher Einstellungen kann man ablesen, in welchem Verhältnis zwei einander fremde Kulturen zueinander stehen. Im Falle der Haltung der deutschsprachigen Kulturen gegenüber den spanischsprachigen verraten

'

V g l . in der Bibliographie am E n d e dieses F.ssays die Titel S i e b e n m a n n 1972; 1973; 1977; 1978; 1979; 1980; 1982; 1983a; 1983b; 1985b; 1986.

DEUTSCH-HISPANISCHE

KULTURBECEGNUNC

13

diese Symptome eine unleugbare Randstellung. 2 Unschwer lassen sich dafür Beispiele finden. Die Unkenntnis von Namen, Werken und Sachverhalten aus der Iberischen Halbinsel oder aus Lateinamerika gehört zur Norm selbst unter Gebildeten in den beiden Deutschland, in Oesterreich und in der Schweiz (von den Berufsleuten ist hier natürlich nicht die Rede). Deshalb wird solches Nichtwissen für verzeihbar gehalten, denn der kulturelle Kanon lässt diese partielle Ignoranz zu. Eine gebildete Person in unseren Landen wird sich nicht blossgestellt vorkommen, wenn sie nicht weiss, wer beispielsweise Alfons der Weise ist, oder Quevedo, oder "Clarín", oder José Martí, oder Vicente Aleixandre, oder Julio Cortázar, um allein literarische Beispiele zu bringen. Das Attribut 'gebildet' wird offenbar verliehen aufgrund gewisser Erfordernisse, die eben vom kulturellen Kanon gesteuert sind. Da der unsere, nebst dem Eigenen, bestenfalls Elemente der griechisch-römischen Antike, der räumlich nahestehenden Kulturen, also der skandinavischen, der englischen, der französischen, der italienischen, der slawischen, aber auch der nordamerikanischen umfasst, entzieht sich, einer nun bald zweihundertjährigen Tradition gemäss, alles Iberische und Iberoamerikanische jener "sozialen Kontrolle" durch den Bildungskanon. Ein anderes Symptom für diese Marginalität wird erkennbar an der Zahl der ins Deutsche übersetzten Bücher. Für das Spanische als Ausgangssprache sind die Statistiken entmutigend. Vom Gesamt der 9'325 Titel, die 1987 aus einer der 44 Fremdsprachen ins Deutsche übersetzt worden sind, entsprechen nur 182 der Herkunftssprache Spanisch, das sind wie in den Vorjahren 2%. Demgegenüber stehen 67,9% aus dem Englischen, 11,9% aus d e m Französischen, 3,0% aus dem Italienischen, 2,4% aus dem Russischen und 2,2% aus dem Niederländischen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Bundesrepublik Deutschland gemäss UNESCO-Statistik für 1982 mit 4'884 Übersetzungen von Titeln der Schönen Literatur in diesem Sachgebiet weltweit an der Spitze steht, wie denn überhaupt der Anteil der Übersetzungen an der Gesamttitelproduktion im Jahr 1987 (gemäss der Deutschen Bibliographie) den bisherigen Höchststand von 14,2% erreicht hat. 3 Immerhin bleibt festzustellen, dass tendenziell der Anteil der aus dem Spanischen übersetzten Titel rasch ansteigt. In einer Bibliographie der Übersetzungen aus dem Spanischen, Portugiesischen und Katalanischen ins Deutsche, die die Gesamtproduktion der Jahre 1945 bis 1983 umfasst, haben wir 1'548 Titel registriert, die aus dem Spanischen übersetzt worden sind, nebst 276 aus dem Portugiesischen und 24 aus dem Katalanischen.* Dieses Total ist bei weitem höher als die Gesamtheit der Bücher, die aus iberischen Sprachen je und bis 1944 ins Deutsche übersetzt worden sind.

1

Vgl. Hans Hinterhäuser (Hg.): Spanien und Europa. Stimmen zu ihrem Verhältnis von der Aufklärung bis zur Gegenwart, München: dtv, 1979.

'

Die Zahlen entnehme ich Buch und Buchhandel

'

Vgl. S i e b e n m a n n / C a s c t t i 1985.

in Zahlen

(Ausgabe 1988), Tabellen 8, 9, 17.

14

ZUR

KULTURGESCHICHTE

Über den zähflüssigen und oft auch unverständlichen Rezeptionsvorgang gibt es inzwischen schon einige Untersuchungen. 5 Ein weiteres Symptom der Nachrangigkeit des hispanischen Kulturkreises ist die Reihenfolge der zu erlemdenden Fremdsprachen auf der Sekundarstufe und die Lage der Hispanistik an den Universitäten. Aus dem heftigen Kampf um die Hierarchie im Bildungssystem der deutschsprachigen Länder, der nach dem Ersten Weltkrieg zwischen den Alt- und den Neuphilologen entbrannt war, sind letztere grosso modo als Sieger hervorgegangen. Aber unter den nunmehr gegeneinander rivalisierenden neueren Fremdsprachen hat sich - aus sattsam bekannten Gründen - das Englische massiv durchgesetzt und hat sogar, wenn man vom viersprachigen Sonderfall der Schweiz absieht, die in Europa traditionelle Vorrangstellung der Fremdsprache Französisch völlig abgebaut. Das Spanische nun, das bis in die dreissiger Jahre unseres Jahrhunderts als vornehmlich kommerzielle Verkehrssprache betrachtet worden war, hat seit dem Zweiten Weltkrieg viel Terrain hinzugewonnen. Was jedoch zunächst als gerechtfertigter Zuwachs im Sinne der Weltgeltung registriert werden konnte, scheint in den letzten Jahren in einer neuen Gleichgewichtslage zu stagnieren. Das Spanische als Fremdsprache hat jedenfalls im deutschen Sprachraum weder heute noch vermutlich in nächster Zukunft einer der Stellung im Schulwesen anderer Kulturkreise vergleichbare Position. Freilich, ausserhalb des angelsächsischen Sprachgebietes scheint es unausweichlich, dass das Englische sich als erste Fremdsprache durchsetzt. Somit rivalisieren in den nicht anglophonen Ländern das Französische, das Spanische, das Italienische, das Russische miteinander um den zweiten und die weiteren Ränge. Da nun die Erziehungssysteme von Bundesland zu Bundesland, von Kanton zu Kanton recht unterschiedlich sind, ergibt es sich, dass das Spanische auf der Sekundarstufe an gewissen Orten die erste auf das Englische folgende Fremdsprache ist, oder dann die zweite nach dem Französische oder gar die dritte nach dem Italienischen, namentlich in der Schweiz, wo letzteres eine der Landessprachen ist. Das Russische und das Portugiesische sind die einzigen wichtigen europäischen Sprachen, die überall gegenüber dem Spanischen als nachrangig angesehen werden. 6

s

4

H i n w e i s e und A n a l y s e n ü b e r d i e R e z e p t i o n d e r s p a n i s c h e n und d e r l a t e i n a m e r i k a n i s c h e n L i t e r a t u r f i n d e n sich in f o l g e n d e n A r b e i t e n : S i e b e n m a n n 1972; S p r e l l 1976; L o r e n z ( I l g . ) 1977; ISroyl c s 1 9 8 1 ; L o p e z 1982; Strausfeld 1 9 8 2 ; 1 9 8 3 a , 1 9 8 3 b ; f l a u b r i c h 1 9 8 3 ; W i e s e 1 9 8 9 . F.inige statistische A n g a b e n k ö n n e n d e n a u f f a l l e n d e n R ü c k g a n g d e s F r a n z ö s i s c h e n in d e r B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d v e r a n s c h a u l i c h e n . A l s e r s t e F r e m d s p r a c h e lernten 1984 - g e m ä s s A n g a b e d e s Statistischen B u n d e s a m t s - n u r noch 2 , 5 % aller S c h ü l e r an a l l g e m e i n b i l d e n d e n S c h u l e n F r a n z ö s i s c h . N o c h im J a h r 1982 lernten ca. 6 5 , 5 % d e r S c h ü l e r Knglisch, l / , 5 % F r a n z ö s i s c h , 3 6 % S p a n i s c h , B d . 8 4 , 1 9 8 5 , p.253). 1 % Italienisch ( Z a h l e n a u s Die neueren Sprachen, I n t e r e s s a n t sind a u c h d i e E r h e b u n g e n a n d e n ö s t e r r e i c h i s c h e n U n i v e r s i t ä t e n . Im Z e i t r a u m von 1 9 8 0 / 8 1 bis 1 9 8 4 / 8 5 hat d i e Z a h l d e r S t u d i e n a n f ä n g e r in den r o m a n i s c h e n I l a u p L s p r a c h c n leicht z u g e n o m m e n (von 1 '041 a u f 1 '185). W ä h r e n d d i e Z a h l für F r a n z ö s i s c h u n g e f ä h r k o n s t a n t b l i e b , lag d i e für Italienisch im letzten d e r f ü n f J a h r e g e g e n ü b e r d e m ersten u m 2 5 % h ö h e r , für S p a n i s c h s o g a r u m 4 8 % . Bei den S t u d e n t e n d e r R o m a n i s t i k ist s o m i t im b e s a g t e n Z e i t r a u m e i n e b e t r ä c h t l i c h e U m s c h i c h t u n g zu U n g u n s t e n d e r t r a d i t i o n e l l e n I x ' i t s p r a c h e F r a n z ö s i s c h zu k o n s t a t i e r e n : Ihr A n t e i l

DEUTSCH-HISPANISCHE

KULTURBEGEGNUNG

15

Die Präsenz/Absenz des Spanischen im Sekundärbereich der deutschsprachigen Länder steht in engem Zusammenhang mit der kulturellen Kanonisierung, von der oben die Rede war. Die verhältnismässige Abseitsstellung der hispanischen Welt in unserem Kultursystem ist zugleich Folge und Ursache der soeben geschilderten Hintanstellung. Auf der anderen Seite manifestiert sich die Weltbedeutung des Spanischen in der grossen Häufigkeit, mit der diese Sprache in der Erwachsenenbildung hinzugelernt wird. Ein sehr weites Publikum, sei es aus kultureller Neugier, sei es um die vom Erziehungssystem gelassene Lücke zu schliessen, sei es aus professionellen Gründen, entschliesst sich zur Erlernung des Spanischen, oft in weit fortgeschrittenem Alter. Die Lage an den Universitäten unseres Kulturraums unterscheidet sich gegenüber den übrigen europäischen Ländern durch eine relativ späte Verselbständigung der Hispanistik. In der Tat war die traditionelle Wissenschaftssystematik im Rahmen der verschiedenen Philologien, namentlich das integrierende Konzept der Romanistik, ein hemmender Faktor für die Entwicklung des Faches Hispanistik. Der schöne Grundgedanke der Romanistik, der auf Goethe zurückgeht und von Friedrich Diez in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konzipiert worden war, hat zu einer im Grundsatz komparatistischen Philologie geführt, in der die neun Hauptregionen der europäischen Romania in diachronischer und synchronischer Perspektive einander gegenübergestellt werden. Um zu erkennen, dass hier nun kein Gleichgewicht dieser verschiedenen romanischen Kulturen denkbar und möglich war, genügt beispielsweise ein Blick in jene Bibel der deutschen Romanistik, in den sogenannten Grundriss der romanischen Philologie, den Gustav Gröber zwischen 1888 und 1906 herausgegeben hat (und von dem es überraschenderweise seit 1985 einen Reprint gibt). Das Kapitel, das der spanischen Literatur entspricht - wobei diese auch nur bis ins Jahr 168) beschrieben wird und selbstverständlich die Literaturen des spanischen Amerika völlig wegbleiben - umfasst ganze 83 Seiten, bei einem Gesamtumfang des vierbändigen Grundrisses von 3'478 Seiten. Gewiss, diese seltsame Diskrepanz ist nicht Gustav Gröber anzulasten, sondern dem Sachbearbeiter Gottfried Baist, der zudem fünf Jahre brauchte, um seinen Teil abzuliefern. 7 Obwohl natürlich auch im Rahmen dieser totalisierenden Konzeption der

s a n k von 67,1% auf 54,5%; der des Italienischen stieg von 2 2 3 % a u f 27,5%, der des S p a n i s c h e n von 9 , 5 % a u f 1 6 , 6 % , d e r d o s P o r t u g i e s i s c h e n von 0 , 8 % a u f 1,2. ( D i e Z a h l e n s t a m m e n v o n D i e l e r M e s s n e r , S a l z b u r g , u n d ich e n t n e h m e sie d e n Mitteilungen des Deutschen Roma nisten-Verbandes 1 9 6 6 / 1 , pp.39 ff.) F ü r d i e v i e r s p r a c h i g e S c h w e i / mit ihren 2 6 k a n t o n a l e n F . r / i c h u n g s d e p a r t a m c n l c n s i n d G e s a m t s t a t i s t i k e n zu w e n i g a u s s a g e k r ä f t i g . I n s g e s a m t k a n n m a n j e d o c h s a g e n , d a s s d e r in d e r V e r f a s s u n g u n d in d e r M a tu ritäls V e r o r d n u n g a u s g u t e n p o l i t i s c h e n G r ü n d e n v e r a n k e r t e S c h u t z d e r L a n d e s s p r a c h e n s i c h in d e r S p r a c h e n f o l g e an d e n S c h u l e n - u n d d a m i t an d e n P h i l o s o p h i s c h e n F a k u l t ä t e n zugunsten des Französischen und auch des Italienischen und damit zu Ungunsten des S p a n i s c h e n wie des Russischen auswirkt. 7

C f . G r ö b e r , B d . II, 2: P r o l o g .

16

ZUR

KULTURGESCHICHTE

romanischen Philologie grundlegende und hervorragende Forschung im Bereich der Hispanistik geleistet werden konnte, bleibt unbestritten, dass die so geartete Strukturierung der Philosophischen Fakultäten unmittelbare Folgen haben musste für die Forschung, waren doch die sogenannten romanistischen Lehrstühle de facto Professuren mit einer eindeutig die Galloromania bevorzugenden Orientierung, eine Folge der grösseren Nähe und des erheblicheren Gewichts von Frankreich im Kulturkanon Europas wie auch der studentischen Nachfrage. Daher kommt es, dass die Hispanistik sich im deutschen Kulturraum wesentlich später als beispielsweise in England, Frankreich oder Italien zu einem systematisch bearbeiteten Forschungsfeld entwickeln konnte. Während in England eine Hispanistengesellschaft sich schon Ende der Fünzigerjahre gründen Hess, die Französische und die Internationale in den ersten Sechzigerjahren, wurde die Schweizerische Hispanisten-Gesellschaft 1969 und der Deutsche Hispanisten-Verband erst 1977 gegründet. Aus dem gleichen Grund hat sich die Ausweitung der Hispanistik auf die Romania Nova, also nach Übersee, in den Philologien der deutschsprachigen Universitäten sehr viel später ergeben als im übrigen Europa, auch als in den anderen Disziplinen der deutschsprachigen Lateinamerikaforschung.8 Dennoch geniesst die deutschsprachige Hispanistik und Lateinamerikanistik international einen guten Ruf. Er gründet auf hervorragenden Leistungen einiger Wissenschaftler, die mit strenger Methodik, geistiger Disziplin und grossem Kenntnishorizont zum Teil bleibende Werke geschaffen haben. Aber das romanistische System Hess nicht allen die gleichen Chancen. Im Schatten hervorragender "Karl Vossler" mussten die zahlreichen "Ludwig Pfandl" einen Grabenkrieg ausserhalb der Fakultätsburgen austragen. Mag dies die traurige Kehrseite der Medaille sein, so muss man auch heute noch die Vorzüge der Gesamtromanistik erkennen, namentlich auf den Gebieten der Sprachwissenschaft und der Philologie im engeren Sinne. Aber auch für die Literaturwissenschaft kann die im Zeichen der Romanistik gezwungenermassen vergleichende und kontrastive Blickweise durchaus zum Vorteil gereichen, vor allem im Hinblick auf die vergleichende Wertung zwischen verschiedenen Kulturen. Doch davon soll weiter unten noch die Rede sein. Insgesamt kommt man trotz allem nicht an der Feststellung vorbei, dass die Hispanistik im deutschsprachigen Raum im Vergleich zu anderen Ländern an der vom romanistischen Gesamtmodcll teilweise verhinderten Spezialisierung zu leiden hatte. Die Romanistik steckt heute nun ihrerseits, gemäss den bitteren Äusserungen des damaligen ersten Vorsitzenden des Deutschen Romanisten-Verbandes, Fritz

'

Ich verweise auf meinen Beitrag "Die Lateinamerikaforschung in der Sprach- und Literaturwissenschaft (1930-1980) in der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik, Österreich und in der Schweiz", in Wilhelm Stegmann (Hg.): Deutsche Iberoamerüui-rorschung in den Jahren 1930-1980, Berlin: Colloquium Verlag, 1987 (Bibliotheca Ibero-Americana Bd. 32), pp.9-41.

DEUTSCH-HISPANISCHE

KULTURBEGEGNUNG

17

Nies,® in einer tiefen Krise. Es wäre nun ein Irrtum, daraus zu schliessen, dass es den Teilgebieten des romanistischen Modells - also der Galloromanistik, der Hispanistik, der Italianistik, der Lusitanistik etc. - bei der inzwischen einsetzenden Verselbständigung besser ergeht. Zwar ist gerade die Hispanistik und namentlich die Lateinamerikanistik seit den 60er Jahren auch an den Hochschulen in jenen fördernden Aufwind geraten, der - obschon das Interesse gelegentlich stärker durch ideologische Solidarität denn durch Wissbegier motiviert war - z.B. zu jener "dritten Entdeckung Amerikas" geführt hat, zur Entdeckung der grossartigen neuen Literatur Lateinamerikas. 10 Aber dieser Aufschwung ist zusammengefallen mit der Krise aller übrigen Geisteswissenschaften, denen durch Verwaltungsmassen, Stellenstreichungen und Haushaltskürzungen nun die gleiche Margination beschieden ist, die früher nur die Hispanistik im Rahmen des dominanten Kulturkanons hinnehmen musste. Wer mehr wissen möchte über die Situation der Hispanistik in den deutschsprachigen Ländern, darf hier verwiesen werden auf einige bibliographische Angaben." Ich denke, wir können für alle Bereiche des deutsch-spanischen Kulturkontaktes den gleichen Schluss zulassen, den eine Erhebung über die Situation des Spanischen im Sekundärbereich ergibt, dass nämlich "die bestehende Diskrepanz zwischen der Minimalofferte an Spanisch an den Schulen und dem Interesse an dieser Sprache greifbar ist". In Anbetracht des soeben skizzierten Sachverhalts können wir sagen, dass weder die Bildungstradition noch der soziokulturelle Kontext einer stärkeren Präsenz der Sprache und der Kulturen der hispanischen Welt entgegenkommen, und dies nach wie vor. Die bitteren Reaktionen der Vertreter dieser Kulturen in unseren Ländern, auch der eingewanderten Hispanen - seien diese Arbeiter, Professoren oder Asylanten - sprechen eine deutliche Sprache und sind psychologisch verständlich, wenngleich der Sache kaum förderlich. Zum Trost kann man immerhin feststellen, dass im Laufe der letzten zwanzig Jahre eine unleugbare Ausweitung des Interesses an den hispanischen Kulturen zu verzeichnen ist, und dies besonders dank dem vielversprechenden und immer intensiver beackerten Forschungsfeld

'

CÍ. Mitteilungen

"

Cf. Strausfcld 1982a, p.136.

des

D R V , 1 9 8 5 / 1 , p.3 f.und 1 9 8 6 / 1 , p.5 ff.

11

Die Tagung des Deutschen Romanisten-Verbandes 1985, in Siegen, war dem zentralen Thema "Deutsche Romanistik: Kritische Bilanz und Perspektive" gewidmet. Die von Manfred Tietz (Bochum) geleitete Sektion 8 w a r zentriert auf die Geschichte der deutschen Hispanistik vor 1900. - Am Hispa nisten tag (März 1989) in Mainz hat W i d o Hempel einen Vortrag gehalten über die institutionellen und ideologischen Aspekte der Hispanistik in der Bundesrepublik Deutschland. (Die Akten sind in Vorbereitung). - Für die Ceschichte der Beziehungen zwischen Deutschland und Spanien vergleiche man Hoffmeister 1976. - Einen "Gelchrtenkalender" für die deutsche Hochschulhispanistik findet man in Muñoz Cortes 1980. Für das spanischsprachige Publikum ist die S o n d e r n u m m e r der Zeitschrift Arbor interessant. Vgl. Antón Andres 1984. - Als weiterführende Literatur über die Fremdsprache Spanisch im deutschsprachigen Raum vgl. man Schröder 1984 und Polo 1984.

"

Vgl. Schröder 1984, p.9.

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KULTURGESCHICHTE

Lateinamerikas." Angesichts der erwähnten Zunahme der Übersetzungen ins Deutsche, in Anbetracht der spezifischer auf die Region ausgerichteten Vorbereitung der Medienschaffenden, dank der Möglichkeit zu stärkerer Spezialisierung in der Forschung und in der Lehre an den Hochschulen, sowie - auf der anderen Seite - dank der Zunahme des demographischen Gewichts der spanischsprachigen Welt, sind die Aussichten für die nächste Z u k u n f t wohl hoffnungsvoll, ma non troppo.

II. Die alte Sehnsucht nach Transkulturation Die Faszinierung durch die Andersheit war seit der Renaissance ein den zur Blüte gelangten eurpoäischen Kulturen innewohnender dynamisierender Faktor. Der homo xmtor, der Seefahrer, der Pilger waren schon seit alters seine Archetypen. Während die Versuche eines Landes, sich in einem hochmütigen Streben nach Autarkie gegen Fremdeinflüsse abzuschirmen, jedes Mal - deutlich beweisen es in jüngster Zeit die "casticismo" genannte Bodenständigkeit in Franco-Spanien und die Blut und Boden-Gesinnung in Deutschland und Österreich unter Hitler - zur kulturellen Verarmung oder gar zur Barbarei geführt haben, ging von den kulturellen Grenzüberschreitungen immer wieder ein unübersehbares Aufblühen der Empfängerkultur (oft auch ihrer Wirtschaft) aus. Wir können zurückdenken an historische Fälle wie Alexandrien und Rom gegenüber d e m antiken Griechenland, an d a s mittelalterliche Spanien angesichts der islamischen Kalifate im eigenen Land, an den Fall des Renaissance-Europas gegenüber der Antike und dem italienischen Mittelalter, oder an das habsburgische Europa angesichts der Neuen Welt, auch an Mitteleuropa im 19. Jahrhundert gegenüber den slawischen und skandinavischen Kulturen, u m nur einige Beispiele zu erwähnen. Das Paradigma war allerdings immer erst dann stimulierend, wenn die Zeit dafür gekommen war. Die ersten europäischen Reisenden nämlich, Mandeville und Marco Polo, lassen in ihren wunderbaren Berichten ein totales Unverständnis der geschauten Fremdheit erkennen. "Mandeville beschrieb Asien als Welt ausserhalb der seinen; Marco Polo war schon in ihr, aber allein unter Fremden", wie Daus beobachtet." Und was für die Kultur ganzer Gesellschaften gilt, trifft auch für das Einzelkunstwerk zu, namentlich für das literarische. Die Komparatisten wissen dies am besten: "Unübersehbar wie auch unausweichlich ist somit die Verflechtung des Nationalen mit dem Internationalen, denn davon geprägt war vor allem, was die Dichter erlebt hatten, die Luft, die sie in ihrer Epoche atmeten, die Herausforderung, die anzunehmen war. Der Prozess selbst der Literaturgeschichte hat, wenigstens in Europa und in Amerika,

" "

Vgl. S i e b e n m a n n 1986. Vgl. D a u s 1983, p. 22.

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KULTURBEGEGNUNG

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immer die Sprachen- und Nationengrenzen überschritten", meint Claudio Guillen.15 Der stimulierende Einfluss grosser Reiseberichte, von Montaigne über Mme D'Aulnoy und Casanova bis zu Goethe, brachte dem einheimischen Leser die Faszination einer Andersheit sowie Leseerlebnisse mit sich, die langfristig auf das Gesamte einer Landeskultur einen kaum zu überschätzenden Einfluss nahmen. Nicht zuletzt deshalb begann man gegen Ende der europäischen Romantik das humanistische Monopol in den Bildungseinrichtungen in Frage zu stellen und andere Ausblicke zu fordern als den einen, der einzig auf das Grossmodell der Antike ausgerichtet war. Der zunächst gemache, dann immer drängendere Trieb nach interkultureller Grenzüberschreitung, der Wunsch, wenigstens einer, wenn möglich mehreren fremden Kulturen zu begegnen, wurde für die Gebildeten so etwas wie ein kategorischer Imperativ. Die Begegnung mit der Andersheit mochte durch persönliches Reisen erfolgen oder auch durch blosse Sprachstudien und die Lektüre von aus der Fremde hereingeholten Werken. Die Vorliebe für die eine Fremdkultur oder die Hinneigung zu mehreren zugleich sind Definitionsmöglichkeiten für die nationalen Kulturphasen und verlaufen von Land zu Land anders. Wir haben oben anlässlich der Beziehungen zwischen der spanisch- und der deutschsprachigen Welt gesehen, wie sich die Rivalität zwischen mehreren Fremdkulturen in einer Gesellschaft auswirken, wie sehr diese auch die Institutionen in Konflikte bringen kann. Man muss jedoch sehen, dass es ohne diese Friktionen nicht geht in einer Welt, wo so zahlreiche Spielarten von Kultur simultan und massiv zur allgemeinen Kommunikation gelangen.

III. Von der fraglichen Fortüne eines deutschen Begriffs: 'Weltliteratur' Der beschriebene Aspekt einer rivalisierenden Gegenseitigkeit, eines selektiven Austausches gehört als Bestandteil zu diesem deutschen Begriff, den bekanntlich Goethe ersonnen hatte. Ursprung und Bedeutungswandel des Begriffs 'Weltliteratur' verdienen in unserem Zusammenhang in Erinnerung gerufen zu werden, ergeben sich doch daraus Einsichten in die Problematik des Kulturaustausches.14 Germanisten und Komparatisten haben die semantischen Geschicke des Terminus untersucht, namentlich Strich (1946) und Eppelsheimer (1970). Goethe hat ihn im Zusammenhang

" Cf. Guillen 1985, p.21. " Es ist bezeichnend, dass der Begriff 'Weltliteratur' in den romanischen Sprachen nicht oder kaum als germanisches Lehnwort aufgenommen worden ist, so wie dies etwa mit 'Weltanschauung', 'Zeitgeist' geschehen ist Wenn 'Weltliteratur' als Germanismus in einem spanischen Text auftaucht, wie z.B. bei Eugenio G. de Nora: La novela apañóla contemporánea, Madrid: Credo6, Bd. III, 1970 , p.260, so geschieht dies im Sinne von Universalliteratur, d.h. in der weiter unten definierten semantischen Variante (A), also ohne die kontrastive Höchstbewertung, die dem Begriff im Deutschen neuerdings zugeschrieben wird.

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einer kämpferisch vorgetragenen Forderung verwendet. Als er in seinem Vorwort zum Schüler von Carlyle am 5.IV.1830 schrieb, dass "daraus nur endlich die Nationen die Verhältnisse aller gegen alle kennen lernen",17 so dachte er an die ungerechte Zurücksetzung, die damals von den anderen europäischen Kulturen der deutschen zuteil geworden war und forderte implizit, es sei jetzt (mit ihm) die Stunde für eine gerechtere Wertung gekommen. Zu diesen von Affekt geprägten Umständen kommt hinzu, dass der Begriff bei Goethe von Anfang an ohne eindeutige Definitionen belassen worden war. Überblickt man die zwanzig Stellen in seinem Werk, an denen er zwischen 1827 und 1831 diesen Terminus verwendet, so stellt man fest, dass es sich nicht nur um fortschreitende Annäherung an eine Idee handelt, die im Entstehen begriffen und demnach noch verschwommen war, sondern dass auch handfeste Widersprüche in der Verwendung durch Goethe selber sichtbar werden.18 Dies erklärt sich wiederum durch die Tatsache, dass der Begriff 'Weltliteratur' sich antagonistisch und in Auseinandersetzung Goethes mit seinen jungromantischen Rivalen einstellte, die vermehrt auf Herders Stimmen der Völker hören wollten. Goethe wie Herder hielten es damals für angezeigt, dass die deutsche Kultur sich auf das Fremde hin öffne und andere Kulturen in den Blick nähme. Während jedoch Herder an das dachte, was die fremden Kulturen den Deutschen bringen könnten, meinte Goethe zu Beginn (1827) eine entgegengesetzte Zielrichtung, nämlich an die ehrenvolle Rolle, die den Deutschen dann zukäme, wenn endlich die anderen deren Vorzüge zu erkennen vermöchten und diese sich im Ausland in der richtigen Perspektive, d.h. im Rahmen einer "allgemeinen Weltliteratur" darstellte." Wenig später jedoch, als er sah, dass die Romantiker "seinen" Terminus im Sinne Herders verwandten, wurde Goethe skeptisch und ging bis hin zu einer Warnung vor den Gefahren, die der deutschen Literatur seitens einer "anmarschierenden Weltliteratur" angeblich drohten.20 Heutzutage können wir die Semantik des Begriffs 'Weltliteratur' folgendermassen differenzieren: A) Die Gesamtheit der geschriebenen und mündlich überlieferten Literaturen aller Epochen und Regionen, als Äquivalent des Ausdrucks Universalliteratur; B) die Gesamtheit der herausragenden Werke der verschiedenen Nationalliteraturen aller Völker und Zeiten, und C) die Gesamtheit aus einer anderen Sprache ins Deutsche übersetzten Werke. Im kumulativen Sinn (A) verwendet man als Synonym auch die Ausdrücke "Literaturen der Welt" oder "Welt-Literatur", mit

17

Strich 1946, pp.18 und 400.

"

"

In Strich 1946, pp.397-400 werden die 20 Stellen wiedergegeben, an denen Goethe den Begriff verwendet hat. Sie sind mit etwas mehr Kontext zugänglich in Goethe 1964, pp.898-917. Die Einführung zu diesem Band 14 der Goethe-Ausgabe von Beutler stammt von Fritz Strich und befasst sich im Kapitel 8 mit der 'Weltliteratur', op.cit., pp.1027-1044. Strich 1946, pp.379, Zitate 2 und 3.

"

ibid. PP-399 f., Zitate 13 bis 19, das sind Äusserungen Goethes zwischen 1829 und April 1930.

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Bindestrich (Schütz 1982). Die semantische Nuance (C) - dies sei vorweggenommen - ist von der Literaturwissenschaft nicht angenommen worden und steht fast ausschliesslich bei Buchhändlern, Sammlern und Verlegern im Gebrauch.21 Während mit der Bedeutung (A) der ideale und utopische Gegenstand der Vergleichenden Literaturwissenschaft bezeichnet wird, impliziert der nun zu diskutierende Begriff 'Weltliteratur' im Sinne (B) eine wertende Auswahl, die aus einer für den geistigen Austausch offenen Haltung aus einer "weltliterarischen Gesinnung" hervorgeht, wie Werner Weber (1984) es nennt. Eine solche Gesinnung strebt nach Entdeckung übernationaler Werte, z.B. des "allgemein Menschlichen", wie Goethe es nannte. Der Komparatist Claudio Guillen22 fasst in seinem neusten Buch die Geschicke des Begriffes 'Weltliteratur' geschickt zusammen und verschweigt auch seine Fragwürdigkeiten nicht. Ich meine jedoch, er habe einen neuerdings eingetretenen Bedeutungswandel der Semantik (B) nicht bemerkt: Vielleicht in Analogie zum sportlichen Wettkampf oder zu den olympischen Spielen wird in der deutschsprachigen Literaturkritik, namentlich in der Presse, der Bestandteil "Welt" dieses Begriffes als siegreiche Auszeichnung für höchste Güte verwendet. Zu einer so verstandenen 'Weltliteratur' gehört ein Buch "von Weltrang" oder man schreibt über eine bestimmte Literatur, die einen Rezeptionsboom erlebt hat, sie sei "zur Weltspitze vorgestossen", oder gar, mit einer wettkämpferischen Metapher: " diese 'jüngste' der zeitgenössischen Literaturen der Welt [habe] sich in knapp 30 Jahren an die Spitze geschrieben".23 Es ist nicht zu überhören, dass mit diesem sportlichen Gleichnis oder mit jener anderen, so häufigen Metapher des Konzertes, in dem die einzelnen Nationen nacheinander den Hauptpart übernehmen, jedesmal Wertungen vorgenommen werden, und zwar durch anonyme Instanzen. Die Literaturwissenschaftler wissen mehr darüber: z.B. dass diese Instanz im Grunde jener Sektor der Öffentlichkeit ist, der den herrschenden kulturellen Kanon beachtet; oder dass der Rezeptionserfolg ein Zeichen geglückter literarischer Kommunikation ist; ferner dass ein literarischer Text immediaten und/oder dauerhaften Erfolg findet, je nach dem wie die Adressaten ihn aufnehmen; und dass dieser, der Leser nämlich, in unterschiedlicher Weise rezipieren kann: mit Verzicht, mit Lektüre, mit Kritik. Es ist demnach das Publikum, und zwar just jenes gebildete, "kanonisierte" und "kanonisierende" Publikum, das einem bestimmten Werk zum Erfolg verhilft, sei dieser nun dauerhaft und "klassisch" oder augenblicklich und vielleicht vergänglich. An diese letzte Instanz der Kommunikationskette, an das Publikum, an

11

n a

Es sei immerhin vermerkt, dass es ein Handbuch gibt, in dem 'Weltliteratur' vorwiegend in diesem Sinne der ins Deutsche übersetzten fremden Literatur aufgefasst wird. Ich verweise auf Schuster, Wilhelm und Max Wicser-Spandau (Hg.): Weltliteratur der Gegenwart, 1890-1931, 2 Bde., Berlin: Sieben-Stäbe-Verlag, 1931. Guillen 1985, pp.54-64. Strausfeld 1982 b, pp. 268 und 281.

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diese von eigenen Kulturreflexen konditionierte "in-group" hatten zunächst weder Goethe noch alle jene gedacht, die wir den Begriff 'Weltliteratur' ohne zu überlegen verwendet hatten. Ein immediater Rezeptionserfolg bedeutet, dass einem Werk Bedeutung zuerkannt wird, wenigstens für den Augenblick. Indes, was heisst das eigentlich, dass ein Werk oder eine Nationalliteratur bedeutend oder zur Reife gelangt sei? Wir müssen da nochmals etwas ausholen: Ich möchte drei Arten der Bedeutsamkeit unterscheiden, wobei die auftretende Reihenfolge in keiner Weise eine Wertstufung einschliesst. Das erste Kriterium für die Zuerkennung von Bedeutsamkeit eines Textes oder einer Reihe literarischer Werke ist mikrokultureller Art. Ich meine damit einen Fall, den die Anthropologen besser kennen als bisher die Literaturwissenschaftler, die bis vor wenigen Jahren die mündliche Überlieferung nicht in Betracht gezogen hatten. Ich bezeichne deshalb als 'mikrokulturell' ein semiotisches oder kommunikatives System im Rahmen eines Stammes oder einer Gemeinschaft auf geographisch eng begrenztem Raum. Denken wir an Gebilde der literarischen Folklore, wie z.B. in der Iberoromania die c'Antares aus Galicien, die yaravis aus den Anden, der mexikanische nahualismo oder die corridos in Lateinamerika. Diese Formen gehören in ein System überlieferter Kommunikation, das ohne Bewusstwerdung verläuft, ohne analytischen "Meta-Diskurs", dem jedoch ein enormer kollektiver Identifikationseffekt eignet. Das zweite Kriterium für Bedeutsamkeit ist makrokultureller Art. Zu ihm gehört die bewusste und analytische Reflexion angesichts des Kommunikationsvorgangs. Im Falle der Literatur schliesst dies einen Prozess ein, der von einem kritischen Apparat begleitet wird: Beobachter, Zeitschriften, Rezensionen, mündliche oder schriftliche Kommentare. In diesem Fall fungiert eine Kultur, inbesondere eine Literatur als kollektive Institution, die Wertekanones hervorbringt, sie bestätigt und verändert. Es mag hinzugefügt werden, dass das Gewicht der Institution Literatur von Land zu Land sehr unterschiedlich ist, dass es gar gänzlich entfällt in Ländern mit totalitärem Regime. Eine nationale Kultur erreicht weder in den verschiedenen Ländern noch in den aufeinanderfolgendei. Epochen den gleichen Grad an Institutionalisierung, wie namentlich das unterschiedliche öffentliche Gewicht von Literatur in Frankreich und in Deutschland erkennen lässt. Das dritte Kriterium für Bedeutsamkeit ist nun präzis die obenerwähnte und mit dem Begriff 'Weltliteratur' zusammenhängende transkulturelle Wirkung. Es besagt, dass ein Werk oder eine Teilliteratur die Grenzen der eigenen Nation überschreitet und ausserhalb des eigenen Kulturraums angenommen und (vielleicht nicht überall in der gleichen Form oder Weise, doch dies ist ein anderes Thema) verstanden wird und dort Einfluss ausübt. Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang, dass die verschiedenartigen Kriterien für Bedeutsamkeit - das mikro-, das makro- und das transkulturelle Kriterium - allesamt ihre Funktion haben und keinerlei Bedeutungshierarchie bilden. Die transkulturelle Dimension darf als integrierender

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Teil des Begriffes 'Weltliteratur' gesehen werden, wobei allerdings Folgen aufgetreten sind, die Goethe nicht vorhersehen konnte. Zwar erkannte er durchaus die belebende Wirkung eines edlen Wettstreites unter den Völkern (z.B.: die deutsche Literatur lasse sich von der romanischen zu Form und Mass, zu Schönheit ..und Reinheit erziehen14) und er hob ausdrücklich die Wichtigkeit der Übersetzung hervor. (Es war oben schon von der semantischen Variante (C) die Rede, mit der der Begriff 'Weltliteratur' zum Synonym fremder Literatur in eigener Übersetzung wird). Doch der scheinbaren Neutralität des so verstandenen Begriffes wohnte schon eine Wertung inne: Nur jene Werke, die in fremde Kulturen hinausdringen, d.h. übersetzt werden, erhielten demgemäss literarische Bedeutsamkeit. Ich nehme mir heraus, dieser wertenden Verwendung des Begriffes, die heute in einigen europäischen Ländern, namentlich im deutschen Sprachraum so stark verbreitet ist, zu widersprechen. Ich behaupte sogar, dass der Begriff 'Weltliteratur' in diesem qualitativen und eine Höchstwertung implizierenden Sinne dem weltweiten Kulturdialog abträglich ist. Auf die drei Arten von Bedeutsamkeit zurückkommend, wiederhole ich, dass sie alle gleichermassen wesentlich sind für das jeweilige kulturelle Leben. Die Funktion des ersten, des mikrokulturellen Kriteriums ist wohl so offenbar, dass weitere Ausführungen sich erübrigen. Was das zweite, das makrokulturelle Kriterium anbelangt, muss vielleicht noch etwas hinzugesagt werden, inbesondere hinsichtlich der Institutionalisierung einer Literatur. In diesem Fall braucht eine Nationalliteratur die eigenen geographischen oder sprachlichen Grenzen nicht zu überschreiten, bringt jedoch einen Rezeptionsvorgang im eigenen Binnenraum zustande, der im glücklichsten Fall sogar eine kulturelle Identität zu stiften vermag. Es gibt Werke, ohne die das Profil einer Kulturnation verschwommen, vielleicht sogar inexistent wäre; es gibt ästhetische Strömungen, denen ein ganz besonderer emotionaler Wert im eigenen Land eignet. Als Beispiel mag der hispanoamerikanische modernismo dienen, eine Bewegung zwischen 1890 und 1920 etwa, die charakterisiert wird durch eine Verschmelzung zwischen dem Abendland und Amerika, unter Einschluss einiger Elemente aus dem asiatischen Bereich." Es war eine literarische Bewegung, in welcher sich die abendländische Kultur kondensiert und in einer eigengeprägten spanischen Sprachform niedergeschlagen hatte. Es handelt sich also nicht um eine "übernommene" oder "imitierte" Literatur, die man als europäisiert oder gar als "französisisiert" bezeichnen könnte, sondern um eine Bewegung, die unter Hinzufügung vorgegebener Elemente eine höchst originelle Literatur enstehen Hess, die sich aus Hispanoamerika auch auf das ehemalige Mutterland Spanien übertrug. Diese Bewegung griff aus Nicaragua nach Argentinien, nach Cuba, nach Mexiko, nach Venezuela und

"

Cf. Strich 1946, pp.70.

*

Vgl. den Essay "Modernismen und Avantgarde in der Iberoromania" in diesem Band.

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Bolivien über, so dass im Subkontinent erstmals eine gemeinsame literarische Strömung wirksam und zugleich ein geschlossenes Kulturpanorama erkennbar wurde. Der modernismo rief schon damals eine Art Boom hervor, mit dem gebührenden Abstand vergleichbar etwa der Erfolgswelle des lateinamerikanischen Neuen Romans in den sechziger und siebziger Jahren. Aber die im eigenen Raum so erfolgreiche modernistische Bewegung griff überhaupt nicht auf ausserspanische Kulturräume über. Die erste deutschsprachige Anthologie mit Gedichten von Rubén Darío ist sage und schreibe erst 1983 erschienen, in einem Büchlein, das nicht mehr als zwei Dutzend seiner Gedichte enthält.26 In Frankreich, in Italien und in England erfuhr der modernismo eine etwas stärkere Beachtung, die jedoch praktisch auf Universitätskreise beschränkt blieb. Es gab weder Übersetzungen noch Verkauf, Geschweige denn Dialog, oder gar Anerkennung. Wir sehen demnach, dass die Tatsache, dass eine Bewegung und auch ein einzelnes Werk die eigenen Sprachgrenzen nicht überschritten hat, ihrer Bedeutung keinerlei Abbruch tut. Man könnte deshalb sagen, dass jede der drei genannten Arten von Bedeutsamkeit ihren eigenen Wert, ihre eigene und je andere Wirkungsweise hat. Wir sollten demnach nicht mehr davon ausgehen, dass Literaturen, die nicht über ihre Grenzen hinausdringen, wertlos sind. Und auch auf das Gegenteil sollte nicht unbesehen geschlossen werden.

IV. Von den Wertmassstäben in einer entkolonialisierten Welt Die Marginierung der Kultur Spaniens hat bekanntlich andere (historische) Gründe als die Spanisch-Amerikas. Dennoch besteht bei den jeweiligen Rezeptionsprozessen ein Zusammenhang, allein schon von der gemeinsamen Sprache her.27 Ein Blick auf die so ganz andere Entwicklung der kulturellen Beziehungen zwischen dem deutschen Kulturraum und Lateinamerika dürfte sich lohnen. Wir stehen nämlich heute vor einer für die Komparatistik neuen Problematik, die aus der Globalisierung unserer "drei Welten" hervorgegangen ist. Wie wir sahen, eignet dem Begriff 'Weltliteratur' ein guter Sinn - mag er noch so verschwommen sein -, sofern er das Objekt und zugleich die auf das Fremde offene Gesinnung bezeichnet.28 Heute jedoch, angesichts der unabweisbaren Notwendigkeit

* 27

"

Rüben Dario: Gedichte, Vorwort von Ernesto Cardenal, übersetzt von Curt Meyer-Clason, Schwifting: Galerie-Verlag, 1983, % Seiten, mit 22 mehrsprachig reproduzierten Gedichten. Ich verweise auf den nachstehenden Essay "Die Bilder Spaniens und Amerikas in den Köpfen der Deutschen". G o e t h e sagt es explizit: "Europäische, das heisst Welt-Literatur", wobei dies zugleich der Titel ist zu dem von Goethe entworfenen Schema einer kulturellen Charakterisierung der Deutschen, Franzosen, Engländer, Schotten und Italiener (Goethe 1964:907). Nebenbei sei vermerkt, dass Spanien sich in keinem der Texte Goethes wiederfindet, die von Weltliteratur oder europäischen Literaturen handeln.

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eines weniger selbst- als vielmehr weltgerechten Kulturaustausches, muss eine neue Modalität des gegenseitigen Umgangs der verschiedenen Kulturen miteinander gefunden werden. Dies gilt namentlich für die Einstellung der mitteleuropäischen Kulturen gegenüber den marginalen wie den iberischen und den aussereuropäisehen - wie u.a. den lateinamerikanischen. 29 Die Debatte hierüber hat vor einigen Jahren begonnen, als aus dem Blickwinkel der Dependenztheorie eine kulturelle Analogie zur Ökonomie nachvollzogen wurde. Die Debatte über die kulturelle Dependenz beschränkt sich nicht auf den lateinamerikanischen Raum, sie prägt seit einiger Zeit zahlreiche Überlegungen im Bereich der komparativen Literaturkritik in der gesamten Ersten Welt. Diese Aktualität ist eng verwoben mit der kritischen Überprüfung der Dekolonisationsgeschichte, wobei ein erneutes "Schuldgefühl" der Europäer aufkommt angesichts der an zahlreichen Orten aufschiessenden "Visionen der Besiegten" aus der Vergangenheit, die zusammen mit antiimperialistischen Protesten ein emotionsgeladenes Wirkungspotential verbreiten. So kommt es nicht überraschend, dass in neueren literaturkritischen Arbeiten in der deutschsprachigen Welt eine prononcierte Zurückhaltung gegenüber dem Begriff 'Weltliteratur' zu beobachten ist. Wolfgang von Einsiedel beispielsweise verzichtet in den einführenden Essays von Kindlers Literatur Lexikon30 auf diesen Begriff. Er macht seine Skepsis besonders deutlich, wenn er sagt: "Der Begriff der 'Weltliteratur' wiederum ist deshalb so anfechtbar, weil er, wenn er nicht geradezu als locker gehandhabter Wertbegriff verstanden wird, jedes festen, für alle Teile der Welt verbindlichen Bezugspunktes ermangelt." Mit dem Aufblühen der neuen Literatur Lateinamerikas scheint erstmals in der Geschichte eine nicht dem europäisch/nordamerikanischen Kulturkreis angehörende Literatur eine transkulturelle Bedeutsamkeit erlangt zu haben, im Sinne des dritten unter den oben aufgeführten Kriterien. Diese Tatsache macht deutlich, dass dem Begriff 'Weltliteratur' als Erbmangel ein anachronistischer Eurozentrismus anhaftet. Im Gegensatz zu Wolfgang von Einsiedel halte ich die Suche jenes festen und vereinheitlichten Bezugspunktes für alle Teile der Welt, von dem aus dann die universellen Wertungen vorgenommen werden könnten, nicht nur für unmöglich, sondern auch für verfehlt. Ich halte vielmehr dafür, dass es gilt, neue Modalitäten im gegenseitigen Umgang der Weltkulturen miteinander zu finden.

Die spanische Literatur bleibt bei ihm unerwähnt, abgesehen von den bekannten Ausnahmen seiner Begeisterung für Calderón und einigen Bemerkungen über Cervantes. Die fremden und für G o e t h e zeitgenössischen Autoren, denen dieser eine Bevorzugung im europäischen Raum gewährte, sind Byron, Carlyle, Manzoni, Ampère. Es ist auch zuzugeben, dass von den damals lebenden spanischen Autoren wohl keiner in diese Reihe gehört hätte. - Der Titel des Buches von F.ppcLsheimer (1970) ist auch keine contradicho in adiecto, sondern eine Goethe-Reminiszenz. Zu d e r auffallenden Wiederaufnahme dieser Terminologie im Jahr 1970 durch Eppelsheimer vgl. Siebenmann 1983b. "

Vgl. dazu Etiemble 1966.

M

Kindlers

Literatur

Uxikon,

Bd. VII (1972), p.6.

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Da ich gewiss nicht der erste bin, der über dieses Problem nachdenkt, drängt es sich auf, dass ich einige der vorgeschlagenen Lösungen hier in Erwägung ziehe. Ich beziehe mich zunächst auf den bekannten Afrikanisten Jahnheinz Jahn. In der Einleitung zu seiner Geschichte der neoafrikanischen Literatur (Jahn 1966 und 1971) bringt er eine neue und aktuellere Auslegung des Begriffs. Wenngleich natürlich die Beziehungen Afrikas und Asiens zu Europa wesentlich andere sind als die Lateinamerikas oder gar Spaniens, so bieten doch die Zielrichtung "exotischer" Sehnsüchte und der latente Eurozentrismus diesen Ländern gegenüber Vergleichsmomente. Im Kapitel "Universalliteratur und Weltliteratur" fordert Jahn für die letzte Etappe der Kolonialepoche einen Wandel der Werturteile, die bis anhin auf Europa zentriert waren, denn nur so gelange man zu einer echten "Partizipation". Mit Partizipation mein Jahn den Versuch, jeden einzelnen der Teilhaber gemäss seinen eigenen Werten zu verstehen und den Verzicht auf Allgemeingültigkeit einer spezifischen - beispielsweise der europäischen - Werteskala (p.8). Auch wenn er dasselbe anstrebt wie wir, scheint uns die vorgeschlagene Übernahme von Wertmassstäben aus der jeweils zu bewertenden Kultur ein Ding der Unmöglichkeit. Jahn spricht hier als Ethnologe und vergisst die Gesetze, die im Bereich literarischer Kommunikation gelten. Dem normalen (d.h. nicht professionellen) Leser fremdländischer Literatur kann nicht die Aneignung einer fremden Werteskala auferlegt werden. Wolfgang Iser, der so viel versteht vom Akt des Lesens, sagt diesbezüglich: "Wenn der Text weder in der empirischen Welt noch im Habitus des Lesers sein Identisches hat, dann muss der Sinn aus den» von ihm mitgeführten Angebot konstituiert werden". 31 Auf unseren Fall bezogen, möchte ich diesen Satz wie folgt deuten: Ein fiktionaler (und selbst ein dokumentarischer) Text, der aus einer fremden Kultur stammt, muss alle jene Elemente mit sich führen, deren Werte der Leser wiedererkennt, denn andernfalls verweigert dieser die Lektüre angesichts des Unverstehens und seine Neigung, am kommunikativen Akt teilzunehmen, schwindet. Der Übergang von einer eigenen Kulturnorm zu einer fremden ist bestenfalls dem Spezialisten vergönnt. Einführungen und gelehrte Anmerkungen, selbst wenn sie höchst nützlich sind, hemmen den Lauf einer direkten und in den Akt des Lesens integrierten Kommunikation zwischen Text und Leser. Dies besagt soviel, dass es hochrangige Werke bestimmter Literaturen gibt und immer geben wird, die durch ihre besondere Art und trotz der binnenkulturellcn Bedeutung, die ihnen zukommt, nie eine adäquate und breite Rezeption ausserhalb des eigenen Raumes finden und somit nie eine transkulturelle Bedeutung erlangen werden. Ein weiteres Postulat Jahns hat vermutlich mehr literarische Gültigkeit, indem er ebenfalls von der Prämisse ausgeht, dass die transkulturelle

31

Isor 1976, p.l 15, hiernach p.114.

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Bedeutsamkeit, jene also, die dem Begriff 'Weltliteratur' zugehört, nicht von den Nationen ausgeht, die sie hervorbringen, sondern von jenen, die diese Werke rezipieren, wobei jedesmal fremde Mittler erforderlich sind, seien es die Spanienreisenden, die abendländischen Entdecker, seien es hingebungsvolle Übersetzer oder schlicht wohlgesinnte europäische Modeströmungen. So fragt sich dann Jahn, auf welchem Wege sich denn eine Literatur, die sich sogar der selben (englischen) Sprache bedient, selbständig werden und ihre eigenen Wertmassstäbe finden konnte, wie also der Fall der nordamerikanischen Literatur zu erfassen sei. Jahn findet eine Antwort anhand des Begriffes von Van Wyck Brook, der von der Notwendigkeit einer "gültigen" eigenen kulturellen Vergangenheit spricht. Er fordert damit, als Voraussetzung für die Erschaffung eigener Wertmassstäbe, das Vorhandensein einer eigenen konsistenten Tradition. Wenden wir diese Argumentationsweise auf den Fall Lateinamerikas an, so führt uns diese "eigene konsistente Tradition", soweit sie den ästhetischen Kanon anbelangt, direkt und explizit auf europäische Modelle - oder zumindest Impulse - zurück, soweit es die Literatur der Kolonialzeit und des 19. Jahrhunderts betrifft. In Lateinamerika können wir bestenfalls von einer "gültigen" Vergangenheit sprechen seit dem Aufkommen der modernistischen Bewegung, d.h. etwa vom Ende des vergangenen Jahrhunderts an. Vielleicht darf man aus diesem Fall den Schluss ziehen, dass der Zeitraum von einem Dreiviertcljahrhundert ausreicht, damit eine Vergangenheit "gültig" wird und damit die unverzichtbare Basis für autochthone Wertsysteme herstellt. Der Fall Spaniens zeigt hinwiederum, dass eine "gültige" Vergangenheit nicht nur präsent sein kann, dass sie vielmehr der Rezeption immer wieder im Wege gestanden hat. Hierin ist ein bemerkenswerter Unterschied zwischen den beiden hispanischen Kulturen bezüglich ihrer Rezeption zu erkennen. Doch genug nun von den Kausalfaktoren. Wenden wir uns erneut den möglichen neuen Modalitäten des gegenseitigen Umgangs zwischen den Kulturen zu. Im Zeitalter der raschen interkulturellen Ortsveränderungen, der dichten Informationsnetze rund um die Welt, der Produktions- und Distributionskapazität der grossen Verlagshäuser scheint sich uns - so Jahn - die utopische Möglichkeit zu bieten, dass die interkulturellen Gemeinsamkeiten sich synchronisch mehren und so die Bewusstseinsinhalte der Schaffenden wie auch der kritischen Instanzen harmonisieren. Hochwertung und Dauer hätte in einer so bewerteten Literatur nur das, was einem interkulturell gültigen ästhetischen Kanon entspräche. Erneut müssen wir Vorbehalte anmelden, denn von den oben unterschiedenen drei Kriterien für Bedeutsamkeit erhielte wiederum nur das dritte, das transkulturelle, Gültigkeit, während die anderen beiden trotz ihrer Identifikationskraft und ihrer kommunikativen Vitalität gemäss Jahn zur Wirkungslosigkeit verkommen würden. Es scheint mir weder wahrscheinlich noch wünschbar, was er in folgenden Worten weissagt: " Nur was ins gemeinsame Bewusstsein [der europäischen Nationalliteraturen] eingeht und zum

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gemeinsamen Besitz wird, gilt überhaupt noch als echte Literatur; der Rest der ehemaligen Nationalliteratur ist Provinzialismus und fällt [...] der Verachtung anheim, es sei denn, im Lokalen würde Typisches deutlich gemacht.' Doch Jahn bleibt skeptisch, vermutet er doch hinter dieser "Weltliteratur neuer Prägung" den alten Eurozentrismus, in dem die Alte Welt mit der Welt schlechthin gleichgesetzt wird (ibidem). Mit diesen von Resignation, Sehnsucht und Groll gezeichneten Gedanken rekurrierten Einsiedel wie Jahn auf die Prophezeiung, die der grosse Komparatist Erich Auerbach in seinem Altersessay "Philologie der Weltliteratur"33 niedergeschrieben hatte, dass nämlich die Kulturen rund um die Erde uniform würden und sich damit die überlieferte Vielfalt zu einer einzigen literarischen Kultur reduziert fände, womit die Idee einer Weltliteratur gleichzeitig verwirklicht und gegenstandslos würde. Ich meine, dass wir eine dieser Uniformierung entgegenlaufende Bewegung beobachten können. Die regionalistischen Tendenzen sind ein unzweideutiges Symptom des Widerstandes, der neuen Bekräftigung des Autochthonen. Das Symptom macht sich mit Heftigkeit bemerkbar gerade im kritischen und wertenden Diskurs über die neue lateinamerikanische Literatur, diese auffallende Blüte, die zwischen 1950 und 1976 namentlich die erzählenden Gattungen erlebt haben. Für die Literaturkritik in Spanisch-Amerika seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und bis heute gab es nur eine wichtige Losung: Unabhängig werden, wie Angel Rama scharf beobachtet.34 In diesem Drang nach Verselbständigung haben gewisse Sektoren der heutigen Literaturkritik in Lateinamerika und - aus postkolonialem Schuldkomplex wie auch aus Solidarität mit jenem Kontinent - auch in Europa und Nordamerika den vielzitierten Rezeptionserfolg dieser Avantgarde-Literaturen bedauert, weil dieser ausgerechnet dank "importierten" und auf den Erwartungshorizont eines übernationalen Publikums gerichteten Erzähltechniken zustanden gekommen sei, die von den Lesern der eigenen Region gar nicht geschätzt oder verstanden würden. Alejandro Losada, ein in Lateinamerika, Nordamerika und in Europa ausgebildeter Literaturwissenschaftler, behandelt dieses Thema in zwei postum erschienenen Essays. Ihm erscheint "Die Internationalisierung der lateinamerikanischen Literatur"35 als "ein peripheres und die von Europa selber einst durchlaufenen Wege wiederholendes Phänomen". Für den Österreicher Hans Joachim Müller34 entspricht diese neue Literatur nicht dem wahren Wesen des lateinamerikanischen Menschen, sondern einzig dem Wunsch nach Repräsentation und Verfremdung. Der Berliner Ronald Daus, ein Spezialist in Fragen der kulturellen Ausstrahlungen des

M

Jahn 1966, p.11.

D

Auerbach 1952, p 3 9 . Rama 1982, p . l l .

14

* *

Losada 1984, p 3 5 . Müller 1977, p.49.

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europäischen Kolonialismus (1973, 1983), verurteilt mit besonderer Schärfe die (für ihn) ästhetisierende Verantwortungslosigkeit so vieler lateinamerikanischer Schriftsteller von heute (1977, 1985). Mit einiger Verwunderung stellen wir fest, dass dieser mit bissiger Europaschelte selten geizende Kritiker nun von Europa aus die Lateinamerikaner belehrt, welche Art von Literatur ihnen dort drüben frommen könnte. Jänos Riesz aus Bayreuth veröffentlicht zehn die Beziehung zwischen Kolonialismus und Literatur betreffende Postulate. 57 Im letzten fordert er die systematische Ausschaltung des Eurozentrismus im Kontext der Vergleichenden Literaturwissenschaft, denn nur so könne die wahre Weltliteratur gefördert werden. Mehr Erfolg scheinen mir die letzte Beurteilung von Alejandro Losada (1985) und das ähnliche Transkulturations-Modell zu versprechen, das Angel Rama beschreibt. 38 Gestützt auf den Transkulturationsbegriff des kubanischen Anthropologen Fernando Ortiz nimmt Rama die Tatsache hin, dass eine kosmopolitische Avantgarde den internationalen Rezeptionserfolg gefunden hat, der früheren literarischen Bewegungen wie dem modernismo, dem Regionalismus oder dem Indigenismus nicht vergönnt gewesen war. Anstatt nun jedoch diesen Erfolg als einen Import oder ein selbstentfremdendes und opportunistisches Phänomen zu werten, erkennt Rama darin einen Transkulturationsvorgang, der die Transformationsprozesse einschliesst, die ein literarisches Werk oder eine Ästhetik bei der Aus/Einwanderung durchmachen. Das Ergebnis, das Ortiz als Neokulturation bezeichnen würde, bedingt Verluste, Selektionen, Wiederentdeckungen und Einflüsse, die gemeinsam hinwirken auf eine generelle Neustrukturierung des geltenden Kultursystems. Der Dialog, der sich solchermassen zwischen den westlichen und den lateinamerikanischen Kulturen ergeben hat, ist ein wesentlich fruchtbarerer und besser gesicherter Ansatz als beispielsweise die West/Ost-Beziehung, die man heute systematisch in die Komparatistik einbauen will. 3 ' In der Tat, braucht es eine Rechtfertigung, wenn ein Mexikaner für Fernöstliches schwärmt? Oder ein Kolumbianer für eine bestimmte Erzählkunst Nordamerikas? Oder ein Franzose für Brasilianisches? Oder ein Brasilianer für die deutsche Sprache? Die Bevorzugung einer fremden Kultur erfolgt unter anderem in Funktion einer individuellen oder kollektiven Erwartung. Im Grunde genommen handelt es sich nicht um wertende Präferenzen, sondern um Leerstellen, die es zu besetzen, um Sehnsüchte, die es zu befriedigen gilt. Es sind der Felder viele, auf denen sich irgendeine Andersheit kundgibt: Für die mitteleuropäischen Romantiker des 19. Jahrhunderts konnte Exotisches in Spanien gefunden werden, während die Spanier der Jahrhundertwende sich im Nahen oder Fernen

"

B a d c r / R i e s z 1983, pp.9-11.14

"

Rama 1982, p p 3 2 - 5 6 .

"

C u i l l c n 1985, pp.28-30 und 154 ff.

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KULTURGESCHICHTE

Orient umschauten (cf. Litvak 1986). Für den Nicaraguaner Rüben Dario lag die exotische Sehnsuchtsregion sogar in der griechisch-römischen Antike. So sind denn solche Wünsche nach emotionalen und ästhetischen Kontrapunkten zum Eigenen nie universell gleich, sondern immer regional, stets auf den je eigenen, mehr oder weniger weiträumigen makrokulturellen Kanon ausgerichtet. In unserem Jahrzehnt und in Mitteleuropa könnte man vielleicht diese generelle Erwartung einer Andersheit (sie hat natürlich nichts zu tun mit dem Erwartungshorizont wie ihn Hans Robert Jauss und die Rezeptionsästhetik verstehen) definiert werden als die Suche nach irgend einem déjà vu, als das Bedürfnis, etwas Vergangenes und zugleich noch Vertrautes wiederzufinden und neu zu erkennen. Die Wiederkunft des Jugendstils, die neue Begeisterung am Tango, die Sucht nach Antiquitäten sind weitere Symptome für ein solches Bedürfnis. Die Begeisterung für die neue Literatur Lateinamerikas kann sehr wohl mit dieser kollektiven Sehnsucht der Europäer zusammenhängen: In ihr können wir - freilich nebst vielem anderem - dem Eigenen wiederbegegnen, jedoch verfremdet, mestiziert, z.B. "lateinamerikanisiert", doch stets neue Schlaglichter auf unsere eigene Vergangenheit werfend. In diesem Sinne stimmen wir mit Jânos Riesz überein, wenn er sagt, die Beschäftigung mit Literaturen aus der Dritten Welt sei nicht nur derentwegen und im aktuellen Kontext der Universalliteratur interessant, sondern weil durch sie ein neues Licht auf die Geschichte unserer europäischen Literaturen geworfen werde. 40 Die gegenseitige Wertung von einander fremden Kulturen ist, so gut wie die Wertung im Bereich von Kunst und Literatur, ein diesseits jeder Analyse und Wissenschaftlichkeit vor sich gehender Akt. Rezeptionelle, d.h. kollektive Wertungen lassen sich nicht a priori erklären und daher auch ihre Schwankungen kaum vorhersagen; wohl aber kann man sie beschreiben, in Frage stellen, verwerfen, vielleicht auch korrigieren. Für einen kritischen Diskurs über die interkulturelle Wertung scheinen mir heute jedoch die Bedingungen günstiger zu sein als früher. Es zeichnet sich in der intemationelen Wissenschaft ein Konsens ab hinsichtlich der angemessenen Kriterien im gleichberechtigten Umgang zwischen den Kulturen. Wir stossen auf Begriffe wie Partnerschaft, Austausch, Dialog. Ich möchte dies veranschaulichen anhand der Aussagen des argentinischen Philosophen Victor Massuh, eines Kenners sowohl Lateinamerikas wie Europas. In seinem Buch El llamado de la patria grande (Der Ruf der grossen Heimat, d.i. die Völkergemeinschaft) schreibt er: Insgesamt darf man s a g e n , dass die vor mehr als dreissig Jahren eingeleitete kulturelle Entwicklung im allgemeinen als sehr g ü n s t i g zu beurteilen ist: Es b e s t e h t ein tatsächlicher Pluralismus, die verschiedenen Kulturen verkehren von gleich zu gleich m i t e i n a n d e r , zahlreiche Formen der Vorherrschaft oder der A b s o n d e r u n g sind beseitigt w o r d e n . Indes, gibt e s einen echten Dialog z w i s c h e n den V ö l k e r s l i m m e n oder erleben wir zur heutigen Zeit nichts a n d e r e s als ein verworrenes und unverständliches Babel? Der Pluralismus ist die V o r a u s s e t z u n g joden

40

Riesz 1983, p.146 f.

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KULTURBECEGNUNC

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Dialogs, ist aber noch nicht der Dialog selber ... (Der pluralistische Dialog] kann vollgültig nur zustande kommen auf der Grundlage einer Universalität. Das Universelle, die einheitliche Vision der Vielfalt, das verbindende Wort |la palabra religante], dank dem der differcnte Wortlaut erst verstehbar wird, das ist die Grundlage eines Dialogs zwischen den Kulturen."

Offensichtlich meint Massuh mit "palabra religante", dem verbindenden Wort, weder eine Sprache noch einen Stil, vielmehr eine grundsätzliche Haltung, die nämlich einer grosszügigen und auf das Fremde hin geöffneten Einstellung, die verstehen will und gleichzeitig aufmerksam macht auf das, was seine eigene Kultur darbieten und hinüberreichen kann wie auch - angesichts von Einseitigkeiten und Leerstellen in der eigenen Kultur - auf das, was er als Gabe aus der Fremde entgegennehmen könnte. Ich glaube, dass in Anbetracht der gegenseitigen literarischen Anleihen, die wir in den letzten hundert Jahren zwischen unseren Literaturen in Europa und denen ausserhalb feststellen können, ein solcher Dialog eigentlich schon im Gange ist, ohne dass die Literaturwissenschaft dies mit der erforderlichen Gelassenheit zur Kenntnis genommen hätte. Die Tatsache, dass bei diesem Geben und Nehmen nicht immer Gleichzeitigkeit gegeben war, widerspricht dem Konzept eines Dialoges keineswegs, denn ein Zwiegespräch verbietet ja per se, dass die Partner zur gleichen Zeit reden. Die Tatsachen, dass die Marginierten und die aus Übersee sich erst seit einigen Jahrzehnten in Europa Gehör verschafft haben, sollte weder Bitterkeit auf der einen noch Schuldgefühl auf der anderen Seite hervorrufen. Angemessener wäre es, in diesem Vorgang ein Zeichen verbesserter gegenseitiger Kenntnisnahme zu erkennen. Die aporistische Unmöglichkeit, eine fremde Kultur richtig zu bewerten, kann umgangen werden durch Einnahme einer generösen und offenen Einstellung, die in einem fortgesetzten Dialog- und Austauschprozess die Bereitschaft herstellt, eigene wie fremde "Kulturemata" herzugeben beziehungsweise anzunehmen.

Bibliographie Andres, Angel Anton (Hg.): Arbor, CXIX, 467/468 (November-Dezember, Madrid 1984), Sondernummer über die Hispanistik in der Bundesrepublik Deutschland. Auerbach, Erich: "Philologie der Weltliteratur", in Muschg, W. u. E.Staiger (Hg.): Weltliteratur. Festgabe für Fritz Strich, Bern 1952, pp.39-50. Bader, Wolfgang u. Jänos Riesz (Hg.): Literatur und Kolonialismus, 1, Frankfurt/M./Bern, 1983. Broyles, Yolanda J.: The German response to Latin American literature and the reeeption of J.L.Borges and Pablo Neruda, Heidelberg 1981.

"

Massuh 19&3, p.196 f.

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KULTURGESCHICHTE

Buch und Buchhandel in Zahlen, hg. v. Börsenverein d e s Deutschen

Buchhandels e.V., Frankfurt/M. 1988. Daus, Ronald: Zorniges Lateinamerika. Selbstdarstellung eines Kontinents, Düsseldorf 1973. - "Der deutsche Leser und seine Schwierigkeiten mit der fremden Realität", in Zeitschrift für Kulturaustausch, 27. Jg., 1. Vj., Stuttgart 1977, pp.53-57. - Die Erfindung

des Kolonialismus,

W u p p e r t a l 1983.

- "La literatura novísima de America Latina. Imágenes de la vida real - un arte de consumo para intelectuales", in Eco, 267 (Januar, Bogotá 1984), pp.305-320. - "Literatura latinoamericana en el exilio europeo", in Humboldt, 84, München 1985, pp.30-39. Eppelsheimer, H a n n s W.: Geschichte der europäischen Homer bis Montaigne, F r a n k f u r t / M . 1970.

Weltliteratur,

I.: Von

Etiemble, René: Comparaison n'est pas raison, Paris 1963. - "Faut-il réviser la notion de Weltliteratur?", in Actas del IV Congreso de la A1LC, hg. v. François Jost, Den Haag 1966, pp.5-16. Goethe, Johann W o l f g a n g von: Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche,

Bd. 14, Schriften zur Literatur, 2. Aufl., Zürich 1964. Gröber, Gustav (Hg.): Grundriss der romanischen Philologie, Bd. II, 2, Strassburg 1897. (Reprint 1985). Guillén, Claudio: Entre lo uno y lo diverso. Introducción a la literatura comparada, Barcelona 1985. Haubrich, Walter: "Alemania descubre las literaturas latinoamericanas", in Humboldt, 78, (München 1983), pp.31-40. Hoffmeister, Gerhard: Spanien und Deutschland, Berlin 1976. Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung, München 1976. Kindlers Literatur Lexikon, Bd.VII, Essays, " V o r b e m e r k u n g " v. W o l f g a n g v o n

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DEUTSCH-HISPANISCHE

KULTURBECECNUNG

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KULTURGESCHICHTE

- u n d Donatella Casetti: Bibliographie der aus dem Spanischen, Portugiesischen und Katalanischen ins Deutsche übersetzten Literatur, 1945-1983,

Tübingen 1985 (Beihefte zur Iberoromania, Bd.3), 190 pp. - "El concepto de Weltliteratur y la nueva literatura latinoamericana", in Humboldt, 85 (München 1985), pp.56-60. - "Deutsche Iberoamerika-Forschung in den Jahren 1930-1980. Sprache und Literatur", in Stegmann 1987 (Berlin 1987), pp.9-41. Splett, Oskar: "Gesucht: Lateinamerika. Späte Gedanken zur diesjährigen Buchmesse", in Börsenblatt des deutschen Buchhandels, 88 (Frankfurt/M.

2.11.1976), pp.1653-1657. Stegmann, Wilhelm (Hg.): Deutsche Iberoamerika-Forschung in den Jahren 1930-1980. Forschungsberichte über ausgewählte Fachgebiete, Berlin 1987 (Bibliotheca Ibero-Americana, Bd. 32). Strausfeld, Michi: "Nach Franco: Vom Trauma zum Traum", (Handelt von der spanischen Literatur nach Franco), in Schütz 1982, pp. 178-186. - "Zur Weltspitze vorgestossen" (Wertet die neuere Literatur Lateinamerikas), in Schütz 1982, pp.268-281. - "Anmerkungen zur literarischen Erkundung Lateinamerikas" / Anotaciones sobre la literatura latinoamericana", in Magazin Horizonte '82 (2. Festival der Weltkulturen/Lateinamerika, 29. Mai-20.Juni, Berlin 1982), pp.126-144. (Texte Spanisch und Deutsch, synoptisch). Die deutsche Fassung steht auch in der Sondernummer von die hören, bei Anlass von Horizonte '82, mit dem Titel "Noch immer ein Ghetto für Liebhaber", 129 (Bottropp 1983), pp.119-136. - "Lateinamerikanische Literatur in Deutschland. Schwierigkeiten und Kriterien für ihre Vermittlung und Veröffentlichung", in LateinamerikaStudien, 13 (Festschrift für Gustav Siebenmann), II, München 1983, pp.927-339. Strich, Fritz: Goethe und die Weltliteratur, Bern 1946. Weber, Werner: "Weltliterarische Gesinnung. Eine Zürcher Rede". (Bei Anlass des 40jährigen Jubiläums der Manesse Bibliothek der Weltliteratur, Zürich), in Neue Zürcher Zeitung, Literatur und Kunst, Nr.287 (Zürich 8./9.12.1984), pp.65 f. Wiese, Claudia: "La recepción de la literatura hispanoamericana del 'boom' en Alemania", in Hispanorama, N° 51 (März 1989), pp.50-53.

WIE SPANISCH KOMMEN UNS DIE SPANIER VOR? BEOBACHTUNGEN ZUR VERWENDUNG DIESES VOLKSNAMENS IM DEUTSCHEN I. Fremdenfeindlichkeit und Sprache Offenbar gibt es ein Wirkungsgesetz bei Texteinheiten kleineren Ausmasses, das nach möglichst festen sprachlichen Fügungen verlangt, nach Invariationen also, währenddem wir bekanntlich aus der Stilkunde ansonsten das Gebot der Variation als in den abendländischen Sprachen vorherrschend beobachten können. Welch hohen Verbreitungsgrad das Sprechen in festen Fügungen im traditionellen Denken besitzt, das lässt sich gleich auch wieder sprichwörtlich sagen: "Kein Sprichwort lügt, / Sein Schein nur trügt;..."; "Sprichwort, Wahrwort"; "Ein schöner Spruch im Gedächtnis ist wie ein Stück Geld im Kasten", "ein Spruch aus Volkes Mund / Tut uns oft grosse Weisheit kund"; "Sprüche kann man wohl konfutieren, widerlegen, aber nicht erlegen und niederlegen" (Martin Luther). Dabei fällt auf, wie oft der Zusammenhang von Volksempfinden und Sprache gepriesen wird, namentlich in der Blütezeit des Bürgertums, in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Wie alle diese Zitate, so stammt auch der folgende Spruch aus Lipperheides Spruchwörterbuch: "Wenig grosse Lieder bleiben, / Mag ihr Ruhm auch stolzer sein; / Doch die kleinen Sprüche schreiben / Sich ins Herz des Volkes ein, / Schlagen Wurzel, treiben Blüte, / Tragen Frucht und wirken fort; / Wunder wirkt oft im Gemüte / Ein geweihtes Dichterwort.'" Dass die festgefügten sprachlichen Wendungen in der Tat Wunder vollbringen an Ausdauer, das hat nicht nur seine guten Seiten. Wer sich, wie ich in letzter Zeit, mit dem Problem der Nationalcharaktere, der Vorurteile zwischen Völkern und der kulturellen Stereotype befasst, wird bald einmal sehen, dass die Sprache auch ein Residuum werden konnte für Voreingenommenheit und Fremdenhass. Unser Lipperheide bietet uns in der Tat auch solche Anti-Sprüche an, z.B. von Goethe: "Sprichwort bezeichnet Nationen, / Musst aber erst unter ihnen wohnen". Und auch Georg Christoph Lichtenberg ist misstrauisch: "Die Sprichwörter leben in ewigem Krieg, wie alle Regeln, die nicht der Untersuchungsgeist, sondern

'

Friedrich von Bodenstedt, A.: Morgenland

u. Abenland,

1882.

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KULTURGESCHICHTE

die Laune gibt."2 In dieser besseren Gesellschaft fände sich auch Gottfried Keller, wenn Lipperheide sein Sonett "Nationalität" im vollen Umfang wiedergegeben hätte und nicht nur die folgende 1. Strophe: Volkstum und Sprache sind das Jugendland, / Darin die Völker wachsen und gedeihen, / Das Mutterhaus nach dem sie sehnend schreien, / Wenn sie verschlagen sind auf fremden Strand.

Die nächsten Strophen strafen diese Volkstümelei sogleich Lügen: Doch manchmal werden sie zum Gängelband, / Sogar zur Kette um den Hals der Freien; / Dann treiben Länesterwachsene Spielereien, / Genarrt von der Tyrannen schlauer Hand. / / Hier trenne sich der langvereinte Strom! / Versiegend schwinde der im alten Staube, / der andere breche sich ein neues Bette! II Denn einen Pontifex nur fasst der Dom: / Das ist die Freiheit, der polit'sche Glaube, / Der löst und bindet jede SeelenketteP

Wie jeder Hispanist weiss, ist der Beziehung zwischen dem deutschen und spanischen Kulturraum eine sehr wechselvolle Geschichte beschieden. Dem wandelbaren Spanienbild bzw. Lateinamerikabild in Europa gelten in jüngster Zeit diverse Forschungsinteressen.4 Inwieweit sich solche Bilder in einer Sprache verfestigt haben, hat Kurt Baldinger in einem belegreichen und witzig kommentierenden Aufsatz zusammengetragen: "Die Völker im Zerrspiegel der Sprache".5 Unser Heidelberger Kollege fragt sich, wie es komme, "dass andere Völker sich in den Sprachen stets negativ spiegeln, als dumm, starrköpfig, geizig, barbarisch, trunksüchtig, gefrässig, um nur einige Epitheta zu nennen" (158 f.). Diese These von der negativen Verzerrung belegt er in seinem Aufsatz anhand der Spiegelung der Völker in der französischen Sprache und in den galloromanischen Mundarten. Seine Inventur zum Völkernamen espagnol registriert afr. espaignous "flux de ventre" und nfr. grippe espagnole für die Grippe in den Jahren 1918-20; ferner avoir le ventre ä l'espagnole "einen leeren Magen haben" (pop. Larousse 1873); marcher ä l'espagnole für "marcher avec gravité" und trait d'espagnol für "gasconnade", "Prahlerei" (beide Oudin 1640); daneben payer ä l'espagnole für "payer de coups au lieu d'argent" (Cotgrave 1611, Oudin 1640); in Jupille heisst espagnoulé soviel wie 'leicht betrunken" (FEW 4, 438). Damit kommen, wie Baldinger richtig bemerkt, die Spanier im ganzen gesehen recht glimpflich weg, revanchieren sich aber dessenungeachtet mit recht pauschalen Sprichwörtern wie Francesa cortesía, todo es falsía; Francés, falso y cortés; Francés, mala res (alle drei in Martínez Kleiser, 1953), oder auch Cuando el francés duerme, el diablo lo mece "den Franzosen reitet der Teufel" (Gottschalk, 93).

1 1

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In Vermischte Schriften (1800 bis 1806). Über Physiognomik. Gottfried Keller Gesammelte Werke, Zürich: Büchergilde Gutenberg, 1960, 1. Band, p.106. Vgl. hinsichtlich der Beziehungen zwischen dem deutschen Sprachram und Spanien den vorausgehenden und den folgenden Essay in diesen Sammelband. Kurt Baldinger: "Die Völker im Zerrspiegel der Sprache", in Überlieferung und Auftrag, Festschrift für Michael de Ferdinandy, Wiesbaden 1973, pp.158-178.

W I E SPANISCH KOMMEN UNS DIE SPANIER

VOR?

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Wie aus Baldingers Belegen hervorgeht, spielt der ältere Sprachzustand eine erhebliche Rolle. Ich werde weiter unten auf die Frage zurückkommen, inwieweit dieses ältere Beleggut zwar lexikographisch erfassbar, aber in der Gegenwart ideologisch unwirksam oder höchstens potentiell wirksam geworden ist. Vorher möchte ich jene Grundsätze hier wiedergeben, die Baldinger beim Kommentar seines Materials en passant aufstellt, denn sie scheinen mir sehr aufschlussreich und weitreichend. Zunächst ergibt sich als generellste Schlussfolgerung für Baldinger, dass nur solche Völker "ins Gerede" kommen, die zeitweilig eine gewisse internationale Bekanntheit erlangt haben, sei es durch bedeutsame historische Tätigkeit oder Rolle, sei es als Zielland für Auswanderer oder Söldner. Grundlegend ist auch, dass offensichtlich nicht alle Urteile und Wertungen über andere Völker sich in sprachlichen Wendungen oder stehenden Vergleichen niederschlagen (163). Die These von den allgemein pejorativen Wertungen in den überlieferten Belegen wurde schon erwähnt. Baldinger findet im Französischen nur ganz seltene Ausnahmen, d.h. positive Wertungen, etwa Fin et malin comme un bermudien (170) und apr. Persan "homme de qualité, de haut rang" (173). Fernerhin gilt, dass die Sprache wie die Stereotype nur pauschale Urteile fällt, somit nichts von Differenzierungen hält (167). Dazu passt, dass Länder- und Völkernamen oft zur Bezeichnung von Krankheiten gebraucht werden (164. Anm. 19). Interessant ist die Feststellung Baldingers, dass Kriege meist die Umkehr früherer Wertungen herbeiführen, oder dass wenigstens Negativität in ein sprachlich gefestigtes Urteil kommt, das vorher neutral verstanden wurde. So hat man z.B. beduin nach den Algerienkriegen seit 1863 pejorativ verwendet. Dass die Andersgläubigen und ideologischen Widersacher seit alters mit diskriminatorischen Wertungen bedacht wurden, bedarf keiner Begründung. Seltener sind Abschwächungsprozesse wie im Fall von bougre im Französischen. Dieser Völkername der Bulgaren bedeutete im Mittelalter soviel wie "Ketzer", nahm dann auch die Bedeutung "Sodomit" an und wurde erst im Neufranzösischen zu einem allgemeinen, unspezifischen Schimpfwort, das der Petit Robert in der abgeschwächten Form von "drôle, gaillard" und "individu" aufführt. Einige weitere generelle Beobachtungen Baldingers sind dann gewissermassen innersprachlicher Natur: Dass im Argot üblicherweise eine Umkehrung der Wertung gegenüber der Hochsprache erfolgt; dass es auch rein wortspielerische paronymische Anwendungen gibt, die einer realen Grundlage entbehren, z.B. faire un voyage en Suède für "schwitzen", in Anlehnung an suer (173); dass ein Ethnikon gelegentlich zum Appellativum wird, bezeugt das Wort esclave (173), hergeleitet von den "Slaves"; häufig wird der Ausdruck für "undeutlich sprechen" aus einem Ethnikon abgeleitet, wie französisch parler français comme une vache (un basque) espagnole oder auch chinoiser belegen. Soweit die generellen Schlussfolgerungen Baldingers. Wie man sieht, erscheint das Wesen der Völker aus fremder Sicht in der Tat verzerrt und hat sich die Geschichte der schlechten Beziehungen zwischen sozialen Grossgruppen in unrühmlicher Weise sprachlich niedergeschlagen. Es wäre

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KULTURGESCHICHTE

gewiss im Sinne einer Völkerverständigung, wenn man alte sprachliche Wendungen, die von einem Vorurteil zeugen, in der Vergessenheit beliesse, in die sie geraten sind. Auf der anderen Seite ist es wohl gerade nötig, den sprachlichen Fixierungen, soweit sie ein bestimmtes Fremdland betreffen, nachzugehen, um zu entdecken, ob sie ein Werturteil enthielten, vor allem um zu überprüfen, was davon noch heute wirksam sein könnte. Dem sprachlichen Wechselspiel, dem Geben und Nehmen zwischen dem spanischen und dem deutschen Kulturraum nachzugehen, scheint mir einen nicht nur archäologischen Sinn zu haben, und so will ich diese Aufgabe ein Stück weit verfolgen, nicht etwa um alte Wunden aufzureissen, vielmehr in der Hoffnung, manche Voreingenommenheit zu entlarven. "Welch triste Epoche, in der es leichter ist, ein Atom zu zertrümmern als ein Vorurteil", soll Albert Einstein kurz vor seinem Tod erklärt haben (Schoeps, 198). Dass an solcher Zähigkeit der Vorurteile unter anderem auch die Sprache schuld ist, sollten gerade wir Philologen bedenken.

II. Die Spanier im deutschen Wortschatz In einschlägigen lexikographischen Werken habe ich nach sprachlichen Fixierungen gesucht, aus denen Wertungen früherer Zeiten oder auch der Gegenwart hervorgehen oder wenigstens vermutet werden können.® Ich '

Für diese Untersuchung habe ich die folgenden lexikographischen Werke konsultiert:

Academia: Real Academia Española: Diccionario de la lengua española, Madrid 1970. Beinhauer, Werner: Stüistisch-phraseologisches Wörterbuch, spanisch-deutsch, München: Max Huber, 1976. Brockhaus Enzyklopädie in 20 Bänden, 71973, Bd. 17. Büchmann, Georg: Geflügelte Worte, der Zitatenschatz des deutschen Volkes, München/Zürich: Droemer/ Knaur, 1959. Casares, Julio: Diccionario ideológico de la lengua española, Barcelona: Gustavo Gilí, 1942. Dornseiff, Franz: Der deutsche Wortschatz nach Sachgruppen, Berlin: W.d.Cruyter, '1959. Duden, Fremdwörter: Duden Fremdwörterbuch, Mannheim /Wien / Zürich: Bibliographisches Institut, '1971. Duden-Lexikon: Das grosse Duden-Lexikon, Mannheim/Wien/ Zürich: Bibliographisches Institut, 21969, Bd. 7. Duden, Stil: Duden Stilwörterbuch der deutschen Sprache, Mannheim/Wien/Zürich: Bibliographisches Institut, •1970. Duden, TB: Duden: Wie sagt man noch? Sinn- und sachverwandte Wörter und Wendungen, von Wolfgang Müller, Duden-Taschenbücher, Bd. 2, Mannheim/Wien/Zürich: Bibliographisches Institut, 1968. Dobel: Lexikon der Goethezitate, hg. v. Richard Dobel, Zürich/Stuttgart: Artemis, 1968. Gottschalk, W.: Die büdhafen Sprichwörter der Romanen, 3 Bde, Heidelberg 1935/8. Grimm, Jakob u. Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Leipzig, 1905, Bd. X. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Berlin /Leipzig, 1929/30, Bd. II, 7. Herders Sprachbuch, Freiburg/Basel/Wien: Herder, '1971. Iribarren, José María: El porqué de las dichos, Madrid: Aguilar, '1956. Kany, Charles E.: Semántica hispanoamericana, Madrid: Aguilar, 1962, im englischen Original University of California Press, 1960. Klappenbach: R. Klappenbach u. W. Steinitz: Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache, Berlin: Akademie-Verlag, 1974. Krüger Das grosse Krüger Zitaten Buch, 15000 Zitate von der Antike bis zur Gegenwart, hg. v. J. H. Kirchberger, Frankfurt a.M.: Wolfgang Krüger Verlag, 1977. Küpper, Heinz: Wörterbuch der deutschen Umgangssprache, Bd. I, Hamburg: Ciaassen, '1965.

W I E SPANISCH KOMMEN UNS DIE SPANIER

VOR?

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ordne diese sprachlichen Fixierungen nach verschiedenen Typen des Vorkommens: Zitate, Sprichwörter, Redewendungen, stehende Vergleiche, adverbiale Ergänzungen, lexikalisierte Attribute, Schimpf- und Spottnamen, Ethnica als Appellative und schliesslich Lehnwörter.

II.l. In Zitatensammlungen Die traditionellen Sammlungen von Zitaten und Redensarten verzeichnen nahezu alle den romantisch frohgemuten Vers von Emanuel Geibel "Fern im Süd das schöne Spanien", aus dem Jahr 1834 (Lipperheide, Büchmann, Ullrich, Zoozmann). 7 Aus Goethes Faust (1808) wird zweimal Mephisto zitiert: "Wir kommen erst aus Spanien zurück, dem schönen Land des Weins und der Gesänge" (Dobel, Krüger) und ferner "Mein treuer Freund, ich rat Euch drum / Zuerst Kollegium Logicum, / da wird der Geist Euch wohl dressiert / in spanische Stiefel eingeschnürt..." (Röhrich). Im meistgelesenen Werk Goethes also einmal die schöne Evokation südlicher Genüsse, ein andermal die Assoziation mit einer Marter. Der spanische Stiefel war im Mittelalter ein zum Erzwingen von Geständnissen dienendes Folterinstrument, in das Waden und Knie eingezwängt wurden (Grimm, Röhrich), und wenn Goethe Egmont (1787) gegenüber Märchen sagen lässt: "Ich versprach Dir, einmal spanisch zu kommen", so dachte er zweifellos an dessen Kleidung (Büchmann, Dobel). Dass hier mit dem Adverb spanisch nach und nach eine Umdeutung im pejorativen Sinn erfolgte, zeigt Büchmann in seinem Kommentar zu diesem Zitat Goethes: "Wir gebrauchen das Wort ironisch als Drohung". In die Trilogie "Wein, Weib und Gesang" stimmt wieder das berühmte Leporello-Zitat ein, in Mozarts und

Lipperheide, Franz Freiherr von: Spruchwörterbuch, Berlin: Justus Dröner, *1934. Martínez Kleiser, L.: Refranero general ideológico español, Madrid: Real Ac. Esp., 1953. Meyers Enzyklopädisches Lexikon, in 25 Bden, Mannheim/ Wien/Zürich: Bibliographisches Institut, '1978, Bd. 22. Moliner, María: Diccionario del uso del español, Madrid: Credo6, 1966 C1977). Peltzer, Wort: Karl Peltzer: Das treffende Wort, Wörterbuch sinnverwandter Ausdrücke, Thun/München: Ott, '1955. Peltzer, Zitat: Karl Peltzer: Das treffende Zitat, Thun /München: Ott, 1957. Röhrich, Lutz: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, Freiburg/Basel/Wien: Herder, 1973, Bd. Q. Schoeps, Hans-Joachim: Ungeflügelte Worte, Was nicht im Büchmann stehen kann, Wiesbaden: Fourier und Fertig, o. J. (1971). Schweizerisches Idiotikon, Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache, Bd. 10, Frauenfeld, 1939. Slaby-Crossmann: Wörterbuch der spanischen und deutschen Sprache, Bd. 1 u. 2, Wiesbaden: Brandstetter, 1973. Sprach-Brockhaus: Deutsches Bildwörterbuch für jedermann, Wiesbaden: Brockhaus, '1962. Trübner: Trübners deutsches Wörterbuch, 6. Bd., Berlin: de Gruyter, 1955. Ullrich, Karl-Heinz: Das Goldene Buch der Zitate, Berlin: F. W. Peters, 1968. Wander, K. F. W.: Deutsches SprichuiSrter-Lexikon, Ein Hausschatz für das deutsche Volk, Leipzig 1867, unveränd. Nachdruck Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1964. Wehrle-Eggers: Deutscher Wortschatz 1, Ein Wegweiser zum treffenden Ausdruck, Frankfurt a.M./ Hamburg: Fischer Bücherei, 1968. Zoozmann, Richard: Zitaten- und Sentenzenschatz der Weltliteratur, Leipzig: Hesse und BeckCr, o. J. (1911). 7 Die Bibliographie zu diesen Quellen findet man in Anm.6.

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Da Pontes Don Giovanni: "Aber in Spanien, tausendundzwei, / nein tausendunddrei. / Sie, mein Fräulein, sind auch mit dabei" (Zoozmann). Ambivalenter sind die bekannten Schiller-Zitate aus Don Carlos (1787): "Die span'sehen Königinnen haben Müh' / zu sündigen", sagt Domingo (Zoozmann), und "Stolz will ich / den Spanier", meint der König im 3. Akt (Krüger, Ullrich, Büchmann, Zoozmann). Was im Zusammenhang des Dramas durchaus positiv gemeint war, hat sich dann in der Redensart Stolz wie ein Spanier als Kritik niedergeschlagen. An modernen Zitaten sind die Lexika sehr arm. Wir finden von Max Frisch: "Warum hat es die Wahrheit in Spanien so schwer?", aus Don Juan oder die Liebe zur Geometrie, 1953 (Krüger). In den Bereich der Zitate gehören auch die seit der Antike beliebten Völkervergleiche. Wer das Dümmliche solcher Wertvereleiche vertuschen möchte, beruft sich meistens auf Kant, der in seinen Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (4) folgendes geschrieben hat: "Die Empfindung vor der Ehre ist am Franzosen Eitelkeit, an dem Spanier Hochmut, an dem Engländer Stolz, an dem Deutschen Hoffart und an dem Holländer Aufgeblasenheit. Diese Ausdrücke scheinen beim ersten Anblicke einerlei zu bedeuten, allein sie bemerken nach dem Reichtum unserer deutschen Sprache sehr kenntliche Unterschiede." Nicht immer stehen die Spanier in einer so ehrbaren Reihe von abträglichen Urteilen (Peltzer, Zitat, 'Ehren' 53). Es gibt auch klarere Abstufungen, wie z.B.: "Die Spanier scheinen Weise und sind Narren; die Franzosen scheinen und sind Narren; die Italiener scheinen und sind Weise; die Deutschen scheinen Narren und sind Weise" (Peltzer, Zitat, 'Spanier7 1). Gerade an diesem Beispiel kann man ersehen, wie wichtig es ist, dass man weiss, wer eine solche Äusserung tut: Dieses Zitat wird nämlich bei Peltzer bezeichnet als "spanisches Sprichwort"! Bei Martinez Kleiser® sucht man indessen vergeblich danach. Für Zitate dieser Art, mitsamt ihrer Zweideutigkeit und Widersprüchlichkeit ist das Deutsche Sprichwörterlexikon (Wander 1867) eine wahre Fundgrube. Die Belege stammen aus verschiedenen, vor allem aus den früheren Epochen, aus der Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts, oft aus der Deutschen Romanzeitung, und sind vielfach aus dem Humanistenlatein übersetzt. Leider sind die 16 Belege unter 'Spanien', die 60 Belege unter 'Spanier' und die 4 Belege unter 'spanisch' ohne ersichtliche Ordnung aufgereiht. Obschon der Herausgeber im Kleindruck oftmals wissenswerte Erläuterungen beigibt, fällt eine Auslegung einzelner Sprüche recht schwer. Was bedeutet z.B. "Spanien ist der Mund von Europa"(9)? Ist hier vom Küssen, vom Essen oder vom Sprechen die Rede? Jedenfalls könnte man eine positive Konnotation heraushören. Aber wie steht's mit "Wenn's in Spanien brennt, so brennt's vier Tage"(14)? Soll man an die Wasserarmut,

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Luis Martínez Kleiser Refranero general ideológico español, Madrid: Hernando, 1953, Reprint 1978.

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an Leidenschaftlichkeit, an Inquisition, an grausame Kriege denken? Da eine Quellenangabe fehlt, ist auch kein Zusammenhang ersichtlich und fällt eine Deutung schwer. Immerhin scheint mir, dass eine Konnotation der Heftigkeit, der Dramatik, also wohl eine negative Wertung aus diesem Spruch herauszuhören ist. Recht zynisch ist das folgende Zitat, das auf Spaniens Bevölkerungsarmut hinweist: "Wenn Spanien so viele Menschen hätte als Frankreich, und Frankreich so viele Pferde als Spanien, so wäre beiden geholfen"(13). Die völkervergleichenden Sprüche bilden die Mehrzahl, nämlich 46 von insgesamt 80 Zitaten. Darunter sind historische Sprüche: "In Spanien regier' ich über Knechte, in Teutschland über Könige", sagte Carolus Quintus (5); oder der scherzhaft gemeinte "Witzfunken" wie "Der Spanier gleicht (seiner Erscheinung nach) dem Teufel, der Italiener ist ein Mann, der Franzose ist wie ein Weib, der Brite wie ein Engel, der Deutsche wie eine Säule" (Spanier 1), über dessen Ursprungsland man wohl nicht lange wird rätseln müssen. Gelegentlich finden wir auch etwas Positives: "Der Spanier ist (in seiner Kleidung) bescheiden, der Italiener düster, der Franzose wandelbar, der Brite stolz, der Deutsche nachäffisch" (5). Die Hinweise auf Inferiorität überwiegen jedoch insgesamt: Ein Beispiel auf derbem Stammtischniveau: "Der Spanier Mauserei, der Italiener Liebelei und der Deutschen Sauferei sind keine Grenzen zu geben" (29); oder dieses für die Spanier frappant unzutreffende Beispiel: "Der Spanier schreibt wenig, der Deutsche schreibt viel, der Italiener schreibt viel und gut, der Engländer schreibt trefflich, der Franzose noch besser" (33). Da kann man sich höchstens mit dem sprichwörtlichen Adel der spanischen Sprache trösten: "Der Spanier spricht mit Gott, der Italiener mit den Frauen, der Deutsche mit den Pferden, der Engländer mit den Vögeln, der Franzose mit seinen Freunden" (35), ein Zitat, das man in ähnlicher Weise schon Karl V. in den Mund gelegt hatte. Im Zusammenhang mit der Hoffart der Spanier steht im Kommentar Wagners zum Zitat 56: "Ihr übertriebener Stolz spricht sich auch in folgenden ihrer Sprichwörter und Redensarten aus: 'Gott hat mit Adam im Paradiese, wie auch mit Moses auf dem Berge Sinai nur Spanisch geredet". Und wenn einmal ein tolles Lob für die Spanier kommt, z.B. "Ein Spanier ist so gut als vier Teutsche, drey Franzosen vnd zween Italiener" (51), so kann man im Nachsatz lesen: "So rühmen Spanier sich unverschämter weiss". Der negative Tenor dieser Zitatensammlung ist unüberhörbar. Bei vorsichtiger Zählung komme ich bei den insgesamt 80 Sprüchen auf 51, die sicherlich diskriminierend sind; an 4 Stellen bin ich unentschieden und nur 25 können als positiv gewertet werden.

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Auch für diesen Spruch habe ich bei Martinez Kleiser (op.cit.) keinen spanischen Beleg gefunden. Zu diesem Wettstreit um eine Ehrenordnune der Sprachen vgl. das amüsante Feuilleton von Amo Borst: "Wie sprach Kaiser Karl mit seinem Pferd?", in Dil Zeit, Nr. 48 (25.Nov.1966), p.58.

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II.2. In historischen Wörterbüchern Wie sieht es nun in den grossen historischen Wörterbüchern aus? Grimm führt Spanien, Spanienfahrer an, beide mit neutraler Beschreibung und Belegen versehen. Bei Spanier werden noch die für Grimm offenbar wieder neutralen Synonyme Spanjol, Spanjolen auch Spanieler aufgeführt, auch ohne Bezug auf die Sepharditen, auf die Nachfahren der 1492 aus Spanien vertriebenen Juden. Demgegenüber ist ein mit dem Dreissigjährigen Krieg in Zusammenhang stehender Beleg für die adjektivische Form spanolisiert im Schweizerischen Idiotikon zu finden,: "Als... wegen der spanolisierten, untrewen Landkinder allerhand Unruowen erwachsen wollten" (X, 307). Ein weiterer Beweis für die Spanienfreundlichkeit der Brüder Grimm - es sei an ihre Begeisterung für die Romanzen erinnert - ist der folgende Eintrag unter Spanier, "öfter von erzeugnissen des landes, nicht ohne inneres lob: von einem edlen rosz ...; von feurigem wein ...; im bair. eine gute art Schnupftabak ... und scherzhaft als alter schulmeisterausdruck von einer tüchtigen tracht prügel ebenda" (Spalte 1883). Mit dem Wort spanisch kommen wir in den viel neutraleren Bereich der Attribute und der adverbialen Ergänzungen. Grimm ordnet sein Material so an, dass man "einen bestimmten weg der bedeutungsentwicklung erkenne". Unter 1) "von naturproducten, die von Spanien her eingeführt werden", führt er auf: span. Pfeffer (Capiscum), Tabak, Wein, Flieder, Klee, Wicke, Selwe (eine Melissenart), spanische Glocke (campanula hispanica), Feige, Kirsche, Kork. Bei Hebbel findet er (1832) einen Beleg für spanische nudeln, "scherzhaft zur Bezeichnung einer gehörigen Tracht Prügel". Gleich anschliessend ist vom spanisch rohr die Rede, das "gern als klopfgerät verwandt" wurde; als nächstes kommt die Rede auf spanische fliege, seltener spanische mucken, auf den Pflasterkäfer, der "im getrockneten zustande von stark blasenziehender Wirkung" ist. Dass er früher auch als Aphrodisiakum Verwendung fand, nicht erwähnt bei Grimm allerdings auch beim Verweis auf das köstliche Schiller-Zitat aus Kabale und Liebe (I, 1) und auf das Jean Paul-Zitat nicht (vgl. unten, sp. Schlösser). Als Volksheilmittel und Liebeszauber war dem Attribut 'spanisch' in diesem Zusammenhang zweifellos eine positivere Konnotation eigen als dem spanischen rohr, dem "Ausklopfstöckchen". Danach ist bei Grimm vom spanischen wachs die Rede, dem Siegellack. Das danach eingetragene spanische brod bezeichnet Grimm als "eine mit fremdländischen gewürzen erreichte Verfeinerung des brotes". Den vornehmen Zürchern um die Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Spanisch Bröötli, die sie in Baden kaufen konnten, eine Reise dorthin wert, so dass man scherzhaft die erste Eisenbahnverbindung in der Schweiz (1847) zwischen Zürich und Baden die "Spanisch-Bröötli-Bahn" nannte. In zweiten Abschnitt führt Grimm "bei uns eingeführte spanische gebrauchsgegenstände und modegewohnheiten des täglichen lebens" auf: die spanische Wand, die sp. Klinge, die sp. Perücke. Das spanische kreuz ist Grimm nur in scherzhafter Bedeutung bekannt als ein vierfacher Kuss auf "die

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stime, mund und beide backen'Mm Handwörterbuch ist unter span. Kreuz auch noch die Bedeutung Caravaca-Kreuz belegt, womit ein Schutzzettel gegen Hochgewitter gemeint ist, der besonders im 16. und 17. Jahrhundert beliebt war und 1678 von der Kirche verboten wurde. Das spanische Kreuz konnte auch ein Anhängerkreuz aus Metall sein und auch zum Geisterzwang dienen. Der Ursprung ist eine Legende von einem maurischen König, der in der Stadt Caravaca einem Priester befahl, den dort gefangengehaltenen Christen eine Messe zu lesen, und zwar ohne Kreuz. Als dann durch ein Wunder ein solches vom Himmel herab kam, bekehrte sich der Ketzerkönig zum Christentum. Ikonologisch handelt es sich beim sogenannten spanischen Kreuz um ein Doppelkreuz, um eine crux bipalmaris. An dritter Stelle kommt bei Grimm alles Spanische, d.h. was die von spanischen Heeren in Deutschland geübte Kriegsführung an traurigen Erinnerungen zurückgelassen hat: Der spanische reiter, dessen Synonym friesischer reiter angeblich den Weg der Entlehnung zeigt; das spanische pech, zu Brandfackeln gebraucht; der spanische trunk, anstelle des häufigeren "schwedischen Trunks", der spanische ritt, in der Gaunersprache "eine Tracht Prügel". Ebenso deutlich mit Unangenehmem verbunden ist Abschnitt 4, mit Reminiszenzen des Versuchs, die spanische Inquisition auch in Deutschland durchzusetzen: Es kommen die schon erwähnten spanischen Stiefel; dann der spanische bock, worin die Daumen und grossen Zehen kreuzweise zusammenzuschrauben sind; der spanische mantel und die spanische kappe, beides Folterinstrumente. Im fünften und letzten Abschnitt unter dem Wort spanisch trägt Grimm die Belege zusammen, die in das Bedeutungsfeld 'peregrinus, rarus, mirus' gehören. Er meint in einem feinsinnigen Kommentar, dass der Weg dieser Bedeutungsentwicklung deutlich sei: Ausgehend von Wendungen wie ein spanisches gesicht machen (von einem stolzen oder auch hochmütigen Mann gesagt) sei dann leicht in der Richtung des 'Fremden', 'Unbekannten', Seltsamen', 'Wunderbaren' die begriffliche Weiterbildung eingetreten, wobei Grimm dem oben erwähnten EgmontZitat, "Ich versprach dir einmal spanisch zu kommen", einen feinen Nebensinn zumisst. Die reiche Verwendung des Wortes in Sprichwort und Redensarten habe dann den Begriff des 'Fremden', 'Unbekannten', weniger den des 'Staunenswerten' hervorgekehrt. Hierin bestätigt sich einmal mehr, dass ehedem neutrale Bedeutungen sich im Einklang mit bestehenden Vorurteilen zunehmend in Negativität verwandeln können. Das Phänomen der Interferenzen unter Imagotypen ist sattsam bekannt. Unter den Nebenbedeutungen registriert Grimm seltener jene des 'starken Tadels'(im Sinne von lat. 'superbus'), wie z.B. in "denn des vaters eifer war fast, ich weiss nicht, ob ich welsch sagen soll oder spanisch" (1887 u.). Gewöhnlicher komme spanisch vor im Sinne 'fremd, wunderlich, unverständlich': das ist mir spanisch, es kommt mir spanisch vor. Grimm zitiert eine Deutung von A. W. Schlegel, in seinen Bemerkungen zu Voss im Göttinger Musenalmanach ("fremd wie Böhmen und Spanien sähe das Mädchen mich an"); demnach mochte zu dieser Redensart die strenge Kriegszucht Anlass geben, welche Herzog Alba in Deutschland einführen wollte. Ferner

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registriert Grimm: "statt des geläufigeren böhmischen dorf spanisches dorf, von dingen, die man nicht versteht", mit einem Beleg aus Goethes Werther (19,95). Der letzte Eintrag betrifft das spanische schloss, Ausdruck für etwas besonders Prächtiges, dann vor allem für zu rosig beleuchtete Gebilde des menschlichen Wunsches. In einem kuriosen Zitat von jean Paul vereinigt sich diese Verwendung mit einer weiteren, schon oben angeführten: "Die sinnliche Liebe nämlich ist, gegen die gemeine Meinung, vielmehr phantastisch und bauet mehr spanische Schlösser, oft von spanischen Fliegen getragen, als die sogenannte geistige" (Sp 1888). Grimms lexikographische Leistung ist auch in diesem Falle imponierend und für unseren Zusammenhang von unschätzbarem Wert. Dass er unter den spanischen Naturprodukten und den von dort importierten Gebrauchsgegenständen eine viel geringere Anzahl registriert als die späteren Enzyklopädien, ist verständlich. Aber selbst so zeigen seine Eintragungen, dass sogar bei vermeintlich neutralen Sachbezeichnungen sich durch die mit dem Begriff 'spanisch' näher determinierten Substantive eine historisch bedingte Negativität einstellen kann. Bevor ich mich den Eintragungen in neueren Enzyklopädien zuwende, möchte ich noch zwei Lexika heranziehen, in denen ebenfalls älteres Sprachgut registriert wird. Zunächst das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Im Register finden wir unter dem Stichwort Spanier (VII, 1006) einen Hinweis auf das Stichwort Schatz, und dort finden wir belegt, dass Spanier (nebst Soldaten, Türken, Armeniern und Zauberern!) als erfahrene Schatzgräber galten. Besonders ausführlich sind in diesem Handwörterbuch die Angaben zur spanischen Fliege: In I, 530 sind diese Käfer (Kanthariden) unter den Aphrodisiaka aufgeführt. In IV, 963 ff. wird dann ausführlich über die Heilkraft der Lytta vesicatoria referiert, die man schon im Altertum kannte als Diuretikum, Abortivum, zur Heilung von Aussatz, Krebs, Flechte, Wassersucht. Der französische Arzt Ambroise Paret (1517-1590) hebt die Benützung der Kanthariden als Aphrodisiakum ausdrücklich hervor. Im 18. Jahrhundert benutzt die galante Welt solche "Pastilles á la Richelieu" und "Bonbons á la Marquis de Sade". Es sind, wie die "Diavolini di Napoli" und die "Tunispralinees" in der Hauptsache mit zerriebenen Kanthariden versetzte Süssigkeiten. Es fällt auf, dass unter den volkstümlichen Bezeichnungen für die Kanthariden das Attribut spanisch nicht mehr vorkommt, wohl aber in den Rezepten der Kräutermänner. Als Inventar älteren und dialektalen Sprachgutes ist das Schweizerische Idiotikon immer ergiebig (Band X, 1939). Die Form Spaniol oder Spangöler für "Spanier" scheint vor allem in der Bauernsprache geläufig gewesen zu sein, ohne dass ein pejorativer Nebenton erkennbar wäre. Historisch aufschlussreich ist das aus der Zeit des Bündnerkrieges belegte Attribut spanisiert für "spanienfreundlich", d.h. mit der spanischen katholischen Partei sympathisierend. Spanisch (auch spangisch) wird in der Schweiz vielfach verwendet: Der spanische Weg wird als "Weg nach Spanien" erklärt, wobei es sich mit grosser Sicherheit um den Camino de Santiago handeln

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dürfte, um die Jakobspilgerstrasse nach Compostela; die Spanischen waren während der Bürgerkriegswirren in Gaubünden die spanienfreundliche Partei, die "spanische Fraktion". Ein weiterer Einflussbereich ist die Kleidermode: Spanier-Hosen, Spanier-Chappen, -Barettlin, -Hüetli, -Gürtlen. Im Bereich der Währung sind die spanischen Dublonen (Goldmünzen) aufgeführt. Unter den Gebrauchsgegenständen figuriert die spanische Wand; das spanische Rohr ist hier überraschenderweise "als eine Art Handfeuerwaffe" erklärt, nicht mehr als Prügelrute; dann kommen auch hier die Folterwerkzeuge zur Sprache: Spanischer Mantel, spanischer Bock und, als Zusatz zu Grimm, spanisches Fuesswasser, "so vill peinlicher als die scherpfiste Folter" (Sp.304). Unter den Naturprodukten sind registriert: Spanisch Erd (Kreidepulver); sp. Wachs (Siegellack); unter den Pflanzen Spanischer Binätzsch, sp. Bluest oder Wieke (Lathyrus), sp. Rebe für Jungfemrebe, spanischi Rösli (Kerrie), sp. Holder für Flieder oder Pfeifenstrauch, sp. Pfeffer für Capiscum, sp. Zwetschgen statt ungarischer, sp. Wiechslen für Sauerkirschen, spanischi Nüssli, wie die Erdnüsse heute noch in den Mundarten der Deutschen Schweiz heissen. Aus dem Tierreich sind zu nennen: Spanischi Hüenli, auch heute noch in Enzyklopädien als Spanisch Huhn, das vermutlich wegen seines schwarzen Gefieders und dem weissen Kopf eher eine metaphorische Benennung ist als eine Herkunftsbezeichnung; Spanisch Katz als Pelzbezeichnung (Genethkatzen). Sodann kommt auch hier die berühmte Spanischi Mugge (Kantharide) zur Sprache, zunächst als "grüner Käfer", dann vor allem im Zusammenhang der Heilkunde (Spanisch-Muggen-Pflaster stillt das Zahnweh), dann wiederum als Aphrodisiakum, als "welsches Süpplein", aber auch als Taubenfutter ("damit die Dauben nicht leichtlich hinwegfliegen"); interessant ist auch die Wendung "einem mit spanischen Muggen vergeben", d.h. "ihn mit unerlaubten Mitteln wie Bestechung seinen Wünschen geneigt machen". In ähnlichem Zusammenhang bedeuten sparische Muggen auch "politische Machenschaften" (schon 1627); sodann ist spanische Muggen belegt als Zierat, vermutlich auch für die Kosmetik der Schauspieler. Es gibt ferner zahlreiche Gebäcke und Gerichte mit diesem Attribut. Auf das spanisch Brot sind wir schon früher gestossen; es gibt aber auch sp. Wurst, sp. Suppen, sp. Nieren, letzteres scherzhaft und euphemistisch in der Metzgersprache gebraucht für ein "Gericht aus kleingeschnittenen Ochsenhoden" als billiger Ersazu für teurere Nieren. Es sind noch andere, allgemeinere Fixierungen und Redensarten aus dem schweizerischen Sprachgut zu erwähnen, die ideologieverdächtig sind: sparisch heisst denn auch hier 'fremdartig', 'wunderlich', 'unverständlich': sparische Schlösser sind "Luftschlösser", in Ahnlehnung an die châteaux en Espcgtie, schon bei U. Brägger (1789). Einem spanisch vorkommen ist schon 1686 belegt. Dann gibt es Verwendungen mit Bezug auf die Sprache: etwas vers ehen können wie eine Kuh Spanisch oder "der Schreiner Chäppi versteht von seinem Handwerk auch nicht mehr als eine Kuh vom Spanischen" (1910). Da müsste ein Zusammenhang herzustellen sein zur erwähnten französischen Redensart "parler français comme une vache espagnole" (unter dem angedeuteten, heute nicht mehr transparenten Bezug auf das Französische

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der Basken). Ferner ist belegt: etwas anschauen wie ein spanisches Scheunentor, als Ausdruck grossen Erstaunens. Schliesslich gab es noch ein Spiel: Spanischlaufen, beim Pfändereinlösen, wobei zwei Mitspieler je an einem Fuss aneinandergefesselt wurden und so eine Strecke weit gehen mussten (1911). Eine Reminiszenz auf den bei Spaniern üblichen Gefangenentransport, wie er auch im Don Quijote (I, XXII) geschildert wird? Nach dieser Sichtung des historischen Sprachgutes ist es wohl angebracht, die vielfach auftretende Negativität der auf Spanien bezogenen sprachlichen Wendungen in Zusammenhang zu bringen mit den geschichtlichen Vorgängen. Diese waren geprägt von der Machtentfaltung Karls V. und Philipps II. über ganz Europa und in der Neuen Welt, sodann von den Kriegen und Fehden, die mit der Reformation und Gegenreformation über Europa kamen, namentlich im Dreissigjährigen Krieg, in der Schweiz während der sogenannten Bündnerwirren. Die durch die bündnerische Herrschaft zum protestantischen Glauben gezwungenen Veltliner brachten am 19. Juli 1620 im sogenannten Veltlinermord etwa ein halbes Tausend Protestanten um, worauf sich die reformierten Orte der Schweiz auf Bitten der Bündner zu einer Strafexpedition ins Veltlin entschlossen, dort aber durch spanisches Geschütz bei Tirano zum Rückzug gezwungen wurden. Als diese Kämpfe zwischen Katholiken und Protestanten im Bündnerland kein Ende nehmen wollten, rückten 1621 die Spanier ins Veltlin ein, das damals der Eidgenossenschaft für immer verloren ging. Vor diesem Hintergrund muss man die zahlreichen Belege im Idiotikon sehen, vor allem soweit diese in irgendeiner Weise Negativität überliefern. Die Einstellung des übrigen Europa, vor allem Italiens, Hollands und Deutschlands gegenüber den Spaniern hat sich in der sogenannten Schwarzen Legende niedergeschlagen. Dieses vor allem durch die machtpolitischen Konstellationen über ganz Europa verbreitete Feindbild der Spanier wird im Abschnitt V. des hier folgenden Essays ausführlich erläutert. Es hat bis ins 17. und 18. Jahrhundert eine politische Wirkkraft sondergleichen bewahrt. Die leyenda negra hat den Grund gelegt für die Entstehung eines international kohärenten, gegenüber Spanien negativen imagotypischen Systems, das im deutschen Sprachgebrauch sehr lange nachwirkte.

II.3. In Enzyklopädien Es dürfte nun interessant sein, in neueren Enzyklopädien nachzusehen, was dort noch immer oder zusätzlich unter den Stichwörtern Spanien, Spanier, spanisch steht. In der Brockhaus Enzyklopädie (1973) finden wir die folgenden Eintragungen: Spanien; Spanier; Spaniol (Spaniolen für spanische Juden); Spanienkärpßing (neu gegenüber dem Brockhaus von 1934); sp. Artischocke (neu gg. Br. 1934); sp. Erde (Aluminiumsilicat); sp. Flagge oder sp. Fahne (Schmetterling, Schönbär); sp. Fliege (Blasenkäfer, Pflasterkäfer); Sp. Hofreitschule (Wien) (neu gg. Br. 1934); sp. Kresse (Kapuzinerkresse); Sp. Mark (778 von Karl d. G. südlich der Pyrenäen gegründet); sp. Kragen

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(Paraphimose; d.h. Abschnürung der zu engen Vorhaut, eine metaphorische, vielleicht scherzhafte Umschreibung einer unangenehmen Deformation); sp. (auch friesischer) Reiter; sp. roter Pfeffer (Paprika, Capiscum auch Spanischpfeffertinktur); sp. Schritt (Reitkunst); sp. Moos (Bromeliengewächs); sp. Rohr (Calamus, Peddigrohr), wobei vom "Schlagstöckchen" nicht mehr die Rede ist und zudem die Herkunft aus Südostasien erwähnt wird, so dass das Attribut 'spanisch', das auf die kommerzielle Vermittlung zurückgehen dürfte, neutralisiert erscheint; sp. Wand (Paravent); sp. Wicke (Platterbse); sp. Rot, rotes Pigment für Malerei und Anstrich, aus sp. Roteisenstein. Aufschlussreich wird es nun erst recht, wenn wir nachschauen, was demgegenüber in der 15. Auflage des Brockhaus noch zusätzlich registriert war, also zwischen 1934 und 1973 entfallen ist: Spanischbitter; Spanischbraun; sp. Brigadestellung; sp. Krankheit (Grippe), wodurch sich zeigt, dass jene Epidemie von 1918, die mehr Opfer gefordert hatte als manche Pest im Mittelalter, in der neuesten Auflage nicht mehr unter dieser Bezeichnung mit Ethnikon erwähnenswert schien; sp. Kreide; sp. Linse (Lathyrus sativus) für das später aufgenommene sp. Wicke, beides 'Platterbse"; sp. Klee (Esparsette); sp. Lauch (Porree); beim sp. Reiter war damals zusätzlich die Bedeutung eines Hilfsmittels in der Reitkunst registriert; sp. Tritt für sp. Schritt (Reitkunst); 1934 waren die sp. Stiefel als Folterinstrument noch aufgeführt; sp. Wind als Bezeichnung des Südwindes im französischen Pyrenäenvorland; sp. Seife; sp. Fieber (Encephalitis lethargica); spanisch Rot (Saflor, Färberdistel), neben dem 1973 erwähnten Spanischrot (Roteisenstein); sp. Wachs (Siegellack); Spanischgelb (Auripigment); Spanischhopfenöl (Origanumöl); Spanischschwarz (Kernschwarz); Spanischweiss (Schlämmerkreide). Die festgestellte Reduktion der Eintragungen im Abstand von rund 40 Jahren ist bemerkenswert. Es sind alle Spuren der leyenda negra verschwunden, dafür ist die Spanische Hofreitschule in Wien mit ihren positiven Konnotationen hinzugekommen. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Durchsicht der neuesten Auflage von Meyers Enzyklopädischem Lexikon in 25 Bänden (1978). Zusätzlich zu den im Brockhaus von 1973 vorhandenen Eintragungen finden wir darin: sp. Eröffnung (Schachspiel); sp. Galeere (=port. Galeere); sp. Goldwurzel (Scolymus hispanicus, Golddistel); sp. Makrele (Thunfischart); sp. Hopfen (Origanum creticum); sp. Mantel (Schultermantel), ohne Erwähnung des bei Grimm beschriebenen, ebenso benannten Folterwerkzeugs; sp. Mustang; sp. Rippenmolch; sp. Salat (Gartenmelde); sp. Sandläufer (eine Echsenart); sp. Schweinsfisch, ein Lippfisch aus der Karibik; sp. Steinbock (Capra pyrenaica); sp. Merinoschaf.

II .4. In neueren Wörterbüchern Angesichts dieser evidenten Neutralisierung könnten wir zuversichtlich sein, wenn nicht ein Blick in neuere deutsche Wörterbücher und vor allem in die Stil Wörterbücher uns nicht wenigstens zum Teil wiederum

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enttäuschten. Dies gilt vor allem für Trübners Deutsches Wörterbuch (1955). Unter spanisch steht als einziges Beispiel das schwäbische Volkswort: "Der ka französisch wie e Kuh spanisch", das wir schon im Schw. Idiotikon vorgefunden hatten. Dann wird sp. Wein als ein Beispiel für Herkunftsangabe aufgeführt und eine Anzahl von festgefügten Sachbezeichnungen wie sp. Klee usf. Es wird auffallenderweise nach wie vor der "schweisstreibende und abführende" spanische Tee aufgeführt, mit dem Beleg aus Peter Rosegger: "einen spanischen Tee, den er heiss verschlucken musste". Dann ist wiederum von der spanischen Fliege die Rede, auch in der süddeutschen Form spanische Mucke. Das spanische Brot wird mit einem Beleg aus Grimmelshausen und einem zweiten aus Gottfried Keller aufgeführt. Erstmals finden wir hier den spanischen Besen erwähnt, einen "von steifen Reisern, starken Spänen und ähnlichen Dingen gemachten Besen, womit man den äussern, unter dem Wasser befindlichen Teil des Schiffes reinigt" (1794 bei F. Kluge, Seemannssprache, 1911); es wird auch die spanische Wand mit der ersten Nennung 1691 erwähnt; erstmals dann der spanische Nebel, ein künstlicher Sprühregen. Dann taucht die spanische Krankheit für die epidemische Grippe von 1918 wieder auf. Aus Spaniens grosser Zeit, in der es die europäische Vormacht war, wurden die folgenden Ausdrücke aufgenommen: Spanische Tracht, unter Hinweis auf Egmont, der spanische Mantel, auch Spanier Mantel, für einen glockenförmigen Umhang, wobei auch das bei Grimm beschriebene Folterinstrument "zu einer Ehrenstrafe" Erwähnung findet, mit einem Beleg Friedrich Wilhelms I. Die spanischen Stiefel werden drastisch beschrieben und ihre erste Erwähnung 1615 vermeldet. Schliesslich die spanischen Reiter, mit dem Datum der ersten Nennung, 1691. Darauf folgt ein Abschnitt über das spanische Wesen, das in Deutschland "fremdartig wirken musste", da die spanische Etikette und Grandezza vielfach als Hochmut erschienen (sie). Dazu das Beispiel: ein solch spanisch Gesicht machen. Im Schwäbischen hat sich spanisch zu 'aufgeregf, 'kurz angebunden' entwickelt ("Du bist heut scho recht spanisch"). Gemeinhin bedeutet es 'fremdartig', 'unverständlich': "das ist mir spanisch", entsprechend dem heutigen "das kommt mir spanisch vor". Die spanischen Dörfer seien inzwischen von den böhmischen abgelöst worden, vermeldet Trübner. In unserem Zusammenhang insgesamt und in Anbetracht des Abbaus spanienfeindlicher Sprachfügungen bietet Trübner im Vergleich zu den übrigen lexikographischen Werken der Nachkriegszeit eigentlich eine betrübliche Bilanz. Wir sollten dabei nicht vergessen, dass auch dieses Wörterbuch unter anderem den älteren Sprachgebrauch vermitteln will. Der Chronologie der Erscheinungsjahre folgend wollen wir uns in weiteren Nachschlagewerken umsehen. In Peltzer, Wort, einem Wörterbuch sinnverwandter Ausdrücke (1955), wird man unter stolz nicht mehr auf den Spanier verwiesen, wohl aber im Duden, Stil (1956), der in unserem Zusammenhang eher "konservativ" ist (Reiter, Rohr, Stiefel).

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In Domseiff (1959) finde ich einen Verweis auf das Bedeutungsfeld 4.50 'hoher Grad', und da steht stolz wie ein Spanier, wobei auffällt, dass unter den zahlreichen Beispielen des Typus 'schwarz wie die Nacht', die ganze 18 Zeilen einnehmen, unser Beispiel das einzige ist, das mit einem Völkemamen gebildet wurde. Unter dem Bedeutungsfeld 11.44 'stolz' ist die gleiche Wendung noch einmal registriert. Im Sprach-Brockhans von 1962 kommt derselbe stehende Vergleich zu stolz schon an erster Stelle; unter spanisch finden wir gleich als erstes "das kommt mir spanisch vor"; es folgen die uns mittlerweile alle bekannten Ausdrücke wie sp. Fliege, sp. Krankheit, sp. Pfeffer, sp. Reiter, sp. Rohr, sp. Schritt, sp. Stiefel (mit der Erwähnung 'Folterwerkzeug'), sp. Wand, der Spaniol (als Schnupftabak), der Spanide (als Nachkomme der 1492 aus Spanien vertriebenen Juden); als Zweitbedeutung wird hier erstmals Spaniol scherzhaft als Völkername, für also für 'Spanier' registriert. Der SprachBrockhaus erweist sich eigentlich gegenüber der neuesten Auflage der Brockhaus Enzyklopädie als "konservativer", wobei wir natürlich nicht vergessen wollen, dass der Sprach-Brockhaus als Nachschlagewerk und Hilfsmittel zur Lektüre auch älterer Texte angelegt ist. Im Wehrle-Eggers (1968), einem Wegweiser zum treffenden Ausdruck, finden wir die folgenden lexikologischen Eintragungen, jeweils unter Hinweis auf ein begriffliches Gliederungsfeld: sp. Fliege (begriffliche Gliederung: Wirkkraft/Tier/Heilmittel/Gift); sp. Stiefel (Strafmittel); sp. Wand (äussere Bedeckung/Zwischenstellung/Undurchsichtigkeit); sp. Pfeffer (Würze); sp. Reiter (Verteidigung); sp. Rohr (wiederum Strafmittel). Im grossen Duden-Lexikon, Band 7 (1969), ist zunächst wieder der Spanier als "alte Haushuhnrasse" registriert, wie übrigens auch im etwas älteren Schweizer-Lexikon (1948) Spanierhuhn. Im übrigen sind lauter Naturerscheinungen aufgeführt: Artischocke, Fliege (einmal als "Ölkäfer", einmal als die vorerwähnte Lytta vesicatoria, also als Kantharide), Klee, Gras, Smaragdeidechse, Pferd ("iberisches Pferd"), und schliesslich spanisches Rohr, unter Hinweis auf die Herkunft von der Rotangpalme in Südostasien, unter Erwähnung aber auch des Zusammenhangs mit der Prügelstrafe. Dudens Stilwörterbuch (1970) erwähnt als feste Verbindungen und Wendungen, in erfreulichem Fortschritt gegenüber 41956, nur noch die sp. Wand, den sp. Reiter und als umgangssprachlich "etwas kommt mir spanisch vor". Herders Sprachbuch (1971) registriert einzig wiederum die selbe Redewendung: "das kommt mir spanisch vor" ("fremd", "unglaubwürdig", "sonderbar"). In Röhrichs Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten (1973) ist wieder eine verhältnismässig "konservative", lies voreingenommene Auswahl festzustellen: Unter Spanier wird man auf 'stolz' verwiesen. Mit "das kommt mir spanisch vor" geht es weiter, unter Zugabe einer (z.T. falschen) Erklärung über die Herkunft:

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KULTURGESCHICHTE

Als Karl V. (1519-56), ein Spanier seiner Abstammung und Erziehung nach [sie], die d t Kaiserkrone trug, fanden manche span. Sitten, Moden, Claubenssatzungen, die den Deutschen bis dahin unerhört waren, in Dil. Eingang. Damals wird die Rda. aufgekommen sein, bezeichnend für ein - wenn auch geringes - bewusstes Fühlen der eigenen Art gegenüber aufgedrängtem fremden Brauch. Die Rda. ist auch in die Lit. und in die Mdaa. eingedrungen.

Auffallenderweise wird bei Röhrich als nächstes eine Wendung registriert, die sonst in den neueren lexikographischen Werken nicht mehr steht: "da geht es spanisch zu", "da sieht es spanisch aus", also "seltsam", "unverständlich", "unordentlich". Wie schon Grimm gibt auch Röhrich niederländische Entsprechungen an, was offensichtlich historische Gründe hat (Spanische Besetzung Flanderns). Interessant ist Röhrichs Kommentar: "Wenn den Spaniern Eigenheiten ihres Volkes merkwürdig erscheinen, sagen sie spöttisch: 'Cosas de Espana' [spanische Zustände], oder dass ihnen etw. griech. vorkomme, wenn es fremdländisch ist oder unglaubwürdig". Damit wird auf die spanische Redewendung angespielt, die ungefähr Gleiches bedeutet: '"Es igual que si hablas en griego' o 'Eso es griego para mi' para significar que una cosa o una manera de hablar no es comprendida o es incomprensible" (Moliner, I, 1423). Hier ist Gelegenheit, einen kurzen Hinweis auf jenes köstliche Karussell der Nationen einzuschieben, das sich aus einem Sprachenvergleich ergibt: "filer à l'anglaise" heisst "sich französisch empfehlen", dem "soûl comme un polonais" replizieren die Polen angeblich mit sinngemässem "betrunken wie ein Deutscher"; was die Schweden auf "hacerse el sueco"10 zu erwidern haben, entzieht sich leider meiner Kenntnis; interessant ist auch das in Portugal und Brasilien umgangssprachliche "para inglês ver" für "um Eindruck zu schinden" also eine ungefähre Entsprechung der potjemkin'schen Dörfer. Da solche Redewendungen bewusst und oft augenzwinkernd als sprachliche Kuriositäten und damit scherzhaft verwendet werden, geht ihnen für das heutige Sprachempfinden eine beleidigende Konnotation weitgehend ab. Doch zurück zu Röhrich: Auffallenderweise registriert er auch als "drohende Redensart" einem spanisch kommen und bringt als Beleg einmal mehr das oben erwähnte Egmont-Zitat. Es folgen dann zwei Redewendungen aus dem Französischen, nämlich einmal mehr "vous parlez français comme une vache espagnole", wobei als Ursprung zutreffend "un basque espagnol" angegeben wird, unter Bezugnahme auf baskische Fremdarbeiter (so auch im Petit Robert); ferner auch "faire des châteaux en Espagne". Zum

Hacerse el sueco, wörtlich "den Schweden spielen", bedeutet soviel wie hacerse el sordo, also "so tun, als ginge einen nichts etwas an", "sich taub stellen". Bezeichnend für die Tendenz zum Abbau von Feindbildern zwischen den Völkern, die sich in den letzten Jahrzehnten verdeutlicht, ist die Umdeutung, die Iribarren mit dieser Redewendung gegenüber Sbarbi vornimmt, der in seinem Gran Diccionario de refrtmes die Verstellungskunst und den Geiz als die charakteristischen Eigenschaften der schwedischen Volksschicht bezeichnet Iribarren meint demgegenüber, dass der Spruch auf die des Spanischen unkundigen Matrosen aus Schweden zurückgehe, die in der Tat nicht verstanden, was ihnen die Spanier vom Pier aus zuriefen.

W I E SPANISCH KOMMEN UNS DIE SPANIER

VOR?

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Schluss werden noch die sp. Dörfer aufgeführt, die sp. Stiefel und stolz wie

ein Spanier.

Als letztes bleibt noch ein Blick in die ausdrücklich auf die Gegenwartsbzw. Umgangssprache bezogenen Wörterbücher. Aus ihnen wird ersichtlich, was von diesem - wie wir gesehen haben - durchaus nicht vorurteilsfreien Sprachgut fortan der Sprachgeschichte überlassen bleibt. Im Küpper (1965) finden wir unter spanisch: Das ist mir spanisch = "Das ist mir unverständlich"; das sind mir spanische Dörfer = "das sind mir unverständliche Dinge", was erklärt wird als unter Einfluss der vorgehenden Redewendung entstandenen Variante von "das sind für mich böhmische Dörfer"; schliesslich das kommt mir spanisch vor = "das mutet mich seltsam an", wobei Küpper einen Zusammenhang mit den bis 1765 in Wien in spanischer Sprache aufgeführten Komödien sieht, die vom Wiener Publikum sprachlich nicht verstanden wurden. Im Klappenbach (1974) stehen als feste Wendungen registriert: Der sp. Wein, der sp. Pfeffer, der sp. Reiter, die sp. Wand; ebenfalls als umgangssprachlich wird hier die Wendung das kommt mir spanisch vor bezeichnet, mit der Bedeutung "sonderbar", "verdächtig". Als "veraltet" wird auch das sp. Rohr noch aufgeführt. Wie man sieht, ist das alte Sprachgut, das mit Spanien/Spanier/spanisch verbunden ist, weitgehend aus der heutigen deutschen Umgangssprache verschwunden. Aber Stereotypen sind, wie der Name ja besagt, feste Fügungen und haben ein zähes Leben. Die Geläufigkeit und Bedenkenlosigkeit angeblich typischer Zuschreibung von Eigenschaften an eine fremde (ungeliebte) Nation ist offensichtlich vor allem in Stilwörterbüchern auch in jüngster Zeit noch spürbar. Im soeben erschienenen Stilistisch-phraseologischen Wörterbuch Spanisch-Deutsch von Werner Beinhauer (1978) finden wir als gängige Epitheta zu español: típico, castizo, auténtico, a carta cabal, individualista, rebelde, altivo, orgulloso, varonil, valiente. Auch wenn diese Attributionen weitgehend ein positives Bild vermitteln, handelt es sich um imagotypische, clichéhafte Charakterisierungen, deren angebliche Glaubwürdigkeit gerade in ihrer Verankerung im idiomatischen Sprachgebrauch gründet. Ich breche hier die Suche nach sprachlichen Fixierungen ab, obschon es in diesem Zusammenhang angezeigt und interessant wäre, die Entsprechungen zu alemán/austríaco/suizo und ihren Synonyma zusammenzustellen.11 Aus Raumgründen muss ich darauf verzichten, kann aber wenigstens den Hinweis anbringen, dass sie viel weniger zahlreich sind, als man zunächst erwarten könnte. Dass das Ethnikon suizo/suiza häufiger vorkommt als die beiden anderen, hängt offensichtlich auch mit der militärischen Präsenz der Schweizer Söldner und ihren gefürchteten Hellebarden (Academia, Casares, Moliner: suizón, zuizón) zusammen; dass suiza (auch zuiza) u.a. auch einen "Streit", einen "Aufruhr zwischen zwei Parteien" bedeutet, beweist auch das

Cf. Luis López Molina: "Suiza y los suizos en español", in Paralliles, Nr. 4, (Genf) 1981, pp.75-87.

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KULTURGESCHICHTE

Erinnerungsvermögen des Wortschatzes an frühere, kriegerische Zeiten. Der heute so geläufige Name bollo suizo für das "ovale, lockere Gebäck aus Mehl, Ei und Zucker" wird dem neueren Imagotyp des friedfertigen, auf die Herstellung von Süssigkeiten spezialisierten Schweizers besser gerecht. Auf einen Aspekt dieses Gearings unter den Völkern möchte ich abschliessend doch noch hinweisen. Ich meine den von Baldinger so genannten "Entlehnungskleinkrieg": Es handelt sich dabei um Lehnwörter, die bei ihrer Wanderung über die Sprachgrenzen hinweg eine aufschlussreiche Bedeutungsverschiebung erfahren. Bekannt ist der Fall von frz. häbler, das "parler beaucoup, avec forfanterie" bedeutet, also "viel und hochtrabend reden". Dabei ist es von sp. hablar entlehnt, dem Normalwort für "sprechen, reden". Die Spanier revanchieren sich dadurch, dass sie ihrerseits das französische Normalwort parier entlehnt haben, in der Form von sp. parlar, (parlanchín), das nun mit der Bedeutung von "plappern", "(aus)plaudern" ("Schwätzer") gebraucht wird. Ich habe bis jetzt keine "Munition" aus einem analogen spanisch-deutschen Kleinkrieg entdeckt. Auch eine vergleichende Statistik der Lehnwörter, die die beiden Sprachen gegenseitig übernommen haben, wäre aufschlussreich. Unter den in der 4. Auflage des Fremdwörter-Dudens (1982) registrierten 45'000 Wörtern dürften sich eine gute Anzahl aus dem Spanischen und Hispanoamerikanischen herleiten, Appellativa zwischen Adobe und Zortzico, Tier- und Pflanzenbezeichnungen zwischen aguti ("südamerikanischer Goldhase") und zorilla (sie, "Bandiltis", "afrikanischer Marder"). Es wäre ein kulturhistorisch reizvolles Unterfangen, diesem Sprach-Clearing systematisch nachzugehen und daran abzulesen, welcher Art die Beziehungen zwischen den Germanen und den Iberern im Laufe der Jahrhunderte waren. In diesen Zusammenhang gehören schliesslich auch die Spitz- und Schimpfnamen unter Völkern. So kennt man beispielsweise im Französischen marran, marrarte als Äquivalent von "juif ou maure converti, renégat, en Espagne terme d'injure" (Petit Robert), das im 16. Jahrhundert generell der Schimpfname für einen Spanier war. Mir sind demgegenüber, ausser dem obenerwähnten Spaniol, das möglicherweise eine diskriminierende Bezeichnung war (vgl. oben bei Tübner und bei Grimm), und ausser dem Adjektiv suizo für "persona muy adicta, que secunda ciegamente las iniciativas de otro" (Academia, 5. = unterwürfige Person, die sich blindlings der Initiative anderer anschliesst), keine Beispiele gegenseitiger Diskrimination zwischen Deutschsprachigen und Spanischsprachigen mittels lexikalisierten Bezeichnungen bekanntgeworden. Ergiebiger ist die Suche nach Schimpfnamen für die Spanier begreiflicherweise in den ehemaligen Kolonien. Kany hat sie zusammengetragen."

Cf. Ch. E. Kany: Semántica hispanoamericana, op.dt. in Anm. 6, im Kapitel "Apodes de grupo y de raza", besonders p.34.

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Als ein merkwürdig unergiebiger Bereich hat sich für die "namentlichen" Entlehnungen aus Spanien die Kunst und Litertur erwiesen, soweit es die Werktitel angeht. Das Kindler Lexikon verzeichnet einzig (im Ergänzungsband) Ein spanisches Testament, den Erlebnisbericht aus dem spanischen Bürgerkrieg von Arthur Koestler (1938). Die spanische Fliege heisst auch ein beliebter Schwank von Franz Arnold und Ernst Bach, der 1911 in Magdeburg uraufgeführt wurde. Der Titel meint in diesem Fall nicht die vielzitierte Kantharide, sondern eine Tänzerin, die mit ihrem unehelichen Kind in einer deutschen Kleinstadt einige Turbulenzen auslöst. Die österreichische Autorin Brigitte Schwaiger hat ihren jüngsten Roman Mein spanisches Dorf genannt (Wien 1978), womit sie - laut Klappentext - die Frage stellt, "wer denn eigentlich auf diesem Planeten nicht in einem spanischen Dorf lebt", d.h. unter dem Eindruck von Fremdheit selbst in der vertrautesten Umgebung. Die geradezu zärtliche Titelgebung spielt mit der bekannten Redewendung, kehrt aber dabei die Unbekanntheit ins Positive, in das noch zu entdeckende Neue unter dem Altvertrauten: Eine bemerkenswerte Wende auch im österreichischen Sprachgebrauch. Ein weiteres Beispiel auch für die Mutationsfähigkeit von Imagotypen." Dass unser Ethnikon nicht häufiger in deutschen Werktiteln vorkommt, besagt nichts über den Kulturaustausch zwischen den beiden Sprachen. Darüber gibt zum Beispiel das Buch von Gerhart Hoffmeister nähere Auskunft," neuerdings auch der Schwerpunkt "Alemania y Espana" in der Zeitschrift

Hispanorama.1S

Damit wollen wir diesen Streifzug beenden. Um den Leser über die mühselige Lektüre hinwegzutrösten, darf ich vielleicht ein weiteres Zeugnis für den Abbau der alten Xenophobie beibringen. In der Neuen Zürcher Zeitung vom 4./5. November 1978 finde ich ein Inserat der bekannten Restaurantkette Mövenpick, die auch mit Wein handelt. Geworben wird in diesem Fall für spanischen Sherry. Die Überschrift lautet: "Spanisch gemessen, spanisch begiessen". Ein Venenciador aus Jerez kredenzt dort den Kunden drei neue Spitzen-Sherries. Unter dessen Konterfei steht in der Anzeige der Satz zu lesen: "Wir garantieren Ihnen, dass es Ihnen so richtig spanisch vorkommen wird!" Ist das nicht eine kleine Sensation? Selbst die hartnäckigste, zäheste, noch in den jüngsten Wörterbüchern der Gegenwartssprache verzeichnete Wendung findet sich in dieser Variante offensichtlich aus der ihr anhaftenden Spanienfeindlichkeit ins Gegenteil verkehrt. Ein Lichtblick in der Düsternis so mancher feindseliger Reminiszenz, die zu Recht oder zu Unrecht entstanden war und dann im

Zur Imagologie vgl. Abschnitt I. des nachfolgenden Essays in diesem Band. Gerhart Hoffmeister: Spanien und Deutschland. Geschichte und Dokumentation der literarischen Beziehungen, Berlin: Erich Schmidt, 1976. Hispanorama. Mitteilungen des Deutschen Spanischlehrerverbands, Nr.50 (Nürnberg, Okt.1988), darin der I.Teil des von D.Briesemcister herausgegebenen Schwerpunktes "Alemania y España", pp.77-145. Teil II in Nr.51, pp.69-137.

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KULTURGESCHICHTE

Sprachgut über lange Zeit hin überführt wurde. Vielleicht hat die unentwegte Aufklärungsarbeit von Hispanisten und Romanisten hier einiges bewirkt. Mit Sicherheit jedoch hat der beliebte Spanientourismus zum Abbau von Vorurteilen Wesentliches beigetragen. Es scheint, als werde nach der politischen Wende von 1975 der in unserem Kulturraum feststellbare Sympathiezuwachs gegenüber Spanien auch mit den letzten Spuren der Hispanophobie aufräumen, so wie der Frühjahrsföhn in unseren Alpentälern mit dem Schnee.

DIE BILDER SPANIENS UND LATEINAMERIKAS IN DEN KÖPFEN DER DEUTSCHEN Das Bild, das wir und die anderen Deutschsprachigen uns im Laufe der Zeiten von Spanien bzw. von Lateinamerika gemacht haben, ist seit Jahren einer meiner Forschungsgegenstände 1 - und ein sehr weites Feld. Es hat sich gezeigt, dass man das Spanienbild Europas in der besagten Epoche nicht untersuchen kann, ohne zugleich das Lateinamerikabild zu berücksichtigen. Es wird deshalb von beiden ausführlich die Rede sein. Ich werde mich in diesem Rahmen beschränken auf die Untersuchung der Bilder, in denen die Europäer deutscher Sprache - und sie meine ich, wenn ich hier von den Deutschen spreche - sich in den 150 Jahren nach der Entdeckung, also in der frühen Neuzeit, Spanien und jene Neue Welt denken konnten, denken mussten, wobei gelegentliche Ausblicke bis in die Gegenwart einbezogen werden. Eine Gliederung der nachstehenden Ausführungen drängt sich schon vom Gesamtumfang dieses Essays auf. Um in den speziellen Fragenkomplex der Bildforschung einzuführen, halte ich einen theoretischen Vorspann für sinnvoll. (Wer ihn für eine Fachsimpelei hält mag ihn überspringen). Danach werde ich zunächst über die geschichtlichen Voraussetzungen, sodann über die Vermittlungswege der Vorstellungen bezüglich Lateinamerikas sprechen und anschliessend über die eruierten Sammelbilder, darunter besonders über die Schwarze Legende und ihre Ausstrahlungen ins spanische Amerika. Für den Schluss spare ich einen kleinen historischen Test auf, einen bibliographischen Leckerbissen, mit dem ich untersuchen möchte, wie lange sich das auf dem Umweg über Spanien negativ beeinflusste Lateinamerikabild in Deutschland gehalten hat.

I. Zur Einführung in die Imagologie Das Bild, das wir uns in unseren Köpfen von der Wirklichkeit machen, stimmt mit dieser bekanntlich nicht immer überein. Paul Watzlavick hat es

1

Mein Forschungsprojekt ist zwischen 1981 und 1984 vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert worden und ist inzwischen in seiner Vorbereitungsphase formell abgeschlossen. Der Arbeitstitel lautete "Das Lateinamerikabild in deutschsprachigen fiktionalen Texten (SNF Gesuch Nr. 1.074-0.79). Die Auswertung des Materials wird seither fortgesetzt, namentlich im Forschungsgespräch an der Herzog-August Bibliothek in Wolfenbüttel (März 1989) über "Das Bild Lateinamerikas im deutschsprachigen Raum", das ich zusammen mit Hans-Joachim König geleitet habe.

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KULTURGESCHICHTE

in einem Aulavortrag 2 in St.Gallen als schöne Pointe formuliert mit der Frage: "Wie wirklich ist die Wirklichkeit?" und der Antwort: "Nicht sehr". Die Macht solcher Vorstellungen, seien sie nun wirklichkeitsgerecht oder nicht, ist unbestritten und bei einiger Aufmerksamkeit für jedermann wahrnehmbar. Sie wirkt sich besonders deutlich und folgenschwer aus im Umgang der Völker miteinander. Die Stereotype, Mentalitäten, Vorurteile, Einstellungen, Images, Attitüden, alle diese Einzelbegriffe können wir subsumieren unter dem Oberbegriff Bild. Die Bildforschung in diesem Sinne hat sich als Zweig der Komparatistik, der vergleichenden Literaturwissenschaft konstituiert unter dem Namen Imagologie. 3 Solche "Bilder in unseren Köpfen", also die Vorstellungen, die wir uns von uns selber (das sind die Auto-Imagotype) bzw. von den anderen machen (das sind die Hetero-Imagotype), sind in der Geschichte der Menschheit omnipräsent, aber erst in neuster Zeit Gegenstand ernsthafter Forschung. Dabei waren und sind die Imagotype, zumal die Völker-Klischees seit Ende des Mittelalters dankbarer Stoff für Witze und spassige Anekdoten. So zum Beispiel gegen Ende des Mittelalters: Kaum erschien die Menschheit nicht mehr nur in Christen und Heiden aufgeteilt, kaum begann sich das Weltbild in der beginnenden Neuzeit aufzufächern, schon tauchten die ersten nationalen Imagotype auf. Agrippa von Nettesheim (1486-1535) hat dafür ein frühes Beispiel erbracht. Allerdings wollte er als Beweis der Vanitas, der Eitelkeit allen irdischen Tuns verstanden wissen, was heute humoristisch anmutet: D e r Franzose stellet sich verliebet, der Teutsche verbirget seine Liebe, der Spanier überredet sich selbst, dass er geliebet werde, der Italiener aber weiss nicht, ohne F.ifer zu lieben. Der Franzose liebet eine Anmutige, o b sie schon nicht schön ist; der Spanier liebet eine Schöne, wann sie gleich träge und indolent ist; der Italiener will lieber eine Schüchterne; der Teutsche begehret eine m e h r Kühne und Freche. Der Franzose wird mit seinem halsstarrigen Lieben endlich gar aus einem Weisen zum Narren; der Teutsche vertut das Seinige alles darüber und wird wohl endlich klug, aber zu spät; der Spanier fanget wegen der Liebe grosse Sachen an; der Italiener, dass er nur der I j e b e geniessen mag, verachtet alles. 4

Wie wir sehen, standen so früh schon die nationalen Männer-Imagotype fest: der spanische Don Juan, der italienische Casanova, der deutsche

2

Aulavorträge an der Hochschule St.Gallen, Nr. 41 (Sept.1988), p.16. Vgl. auch I'aul Watzlawick: Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Wahn - Täuschungen - Verstehen, München: Piper, " 1 9 8 7 .

3

Z u r Orientierung über dieses Forschungsfeld hier einige Hinweise: J. Hoffmann: Völkerbilder in Osf und West. Auswahlbibliographie, Dortmund: Rheinl.-westfälische Auslandsgesellschafl, 1980; DanielHenri Pageaux: La recherche en littérature comparée en France. Aspects et problèmes, Paris: S.F.L.G.C., 1983; Hugo Dyserinck und Manfred S. Fischer (Hg.): Internationale Bibliographie zur Geschichte und Theorie der Komparatistik, Stuttgart: Anton-Hiereemann-Verlag, 1985; Akten des ImagologieKolloquiums der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft (St.Callen, Mai 1987), Co//,>1 "IN l'A

N ü r n b e r g 1638 30 7 G e o m

A b b i l d u n g 1: | C 5 7 | Sevilla m i l d e r G i r a l d a

IN TOtDERAQVXDAM N 0 5 T R 0 R U M TEMPORlíAC.

1.IBH.L L S \ O V L S P H I I T I C L ' S F m b l c m a u c u s C i v n a t u m P A R S Q L ' I N T A . . . N ü r n b e r g 1638. 30.7 G e o m . H.

A b b i l d u n g 2: | G 6 2 | P r o s p e k t v o n

Barcelona

Gbz

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KULTURGESCHICHTE

64 Granata * (vgl.Nr.59)

"Nulla potestas nisi a Deo" < (Es gibt keine Macht, ausser sie kommt von Gott) [Allegorien der Macht in den Wolken, darunter ein betender Ritter]

65 Bornes o [Bornos, Cádiz] F 1.674

"Honos dignos Corona t" (Ehre, wem Ehre gebührt)

66 Toledo *

"Tota vita sapientis est + meditatio mortis" (Das ganze Leben des Weisen ist eine Besinnung auf den Tod) [Ein Totenkopf und eine Frau vor dem Spiegel]

67 Santander *

"Der ist sicher, der dir [Christo] vertraut, (Und nicht auff blosen Menschen schawt.)" [Ein Eremit]

+

68 Vegel o [Vejer de la Frontera, Cádiz] F 14.645

"Zustand freier kunst zu unsern Zeiten" [Zwei Esel trampeln auf Büchern und Kunstgegenständen herum]

> -

69 Osuna o

"Virtute ac pietate non bonis" < + (Der Tugend und Frömmigkeit, nicht dem Reichtum) [Ein Mann schleppt einen mit Reichtümern beladenen Karren, ein anderer trägt ein Kreuz, daneben eine Frau mit Buch]

< +

[Siegreiche Krieger auf einem von zwei Frauen gezogenen Schlitten]

70 Alhama o "Necessitas facit fortes" + [de Granada] (Die Not macht stark) F 201 [Kaiser Basilius wird von einem Hirsch angefallen] 71 Bilbao *

"Fortunam reverenter habe" (Verachte nicht den eigenen Wohlstand) [Agatokles - Tyrann von Syrakus - wehklagt inmitten seiner Reichtümer]

+

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D I E BILDER SPANIENS UND A M E R I K A S

72 Loxa o

"Fallacia alia aliam trudit"[Terenz] (Betrügen und betrogen werden, nichts ist jewöhnlicher auf Erden) Storch und Fuchs aus der Fabel]

< x

f 73 Archidona o

"Parentibus in senectute necessaria procuranda sunt" (Für die Eltern ist im Alter zu sorgen) [Jungstörche füttern ihre Alten]

74 S. Laurens In Escuriael [sie] ** < x [El Escorial] "Futura consideranda sunt" (Bedenke das Künftige) "Dem Gott Jano folg jedermann, der vor und nach wohl sehen kann" [Der Escorial, rechts der zweigesichtige Janus, gekrönt, ein Schwert in der Hand] 75 Corduba

"Gubernat cuncta voluptas" (Die Wollust regiert über alles) [Die Wollust entthront die Tugend]

76 Zahara o (Cädiz) F 15.820

"Huius seculi status" (Der Zustand dieses Jahrhunderts) [Zwei Fuhrleute spannen ihre Pferde an, einer vorne, der andere hinten]

77 Marchena o

"Tarnen non odit" "Der Fürst hasst die Personen nicht, Wann er die Laster strafft und rieht" [Ein Rebbauer schneidet seine Reben]

78 Gades * (Cädiz)

"Hic finis ad alta levatis" (Hochmut kommt vor dem Fall) [Einstürzender Kirchturm]

81 Hardales o [Ardales, Malaga] F 633

"Praestat amittere partem, quam totum" * (Lieber einen Teil verlieren als das Ganze) [Ein verfolgter Biber beisst sich die Hoden ab, die ihn auf der Flucht behindern]

< x -

83 Conimbria ** "Meyd nuhr die That, Lügen findt Rath" [Coimbra] [Ein Jüngling flieht vor einem zudringlichen Weib]

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KULTURGESCHICHTE

85 Lisabona *

"Committe deo, spera, et ille faciet (Vertraue auf Gott, hoffe, und er wird handeln) [Eine Jungfrau mit Anker wird von einem Engel geleitet]

+

88 Antequera o (Granada)

"Semper praesto esse infortunium" (Sei stets auf ein Unglück gefasst) [Fünf Käuzchen]

> -

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Von diesen 26 auf Örtlichkeiten der iberischen Halbinsel bezogenen Emblemen kann man - wenn man den Epochenhorizont bedenkt - bei ganzen 16 eine negative oder wenigstens ambivalente Aussage konnotieren. Davon sind 12 deutlich auf spanicnfeindliche Imagotypen bezogen; zwei weitere (68 und 76) sind Klagen über die barbarischen, chaotischen Zeitläufte und eines bekennt sich, wenigstens in der deutschen Legende und ikonisch, auf ein antisemitisches Imagotyp (60). Zehn weitere Embleme beziehen sich auf das Verhalten in Notlagen und empfehlen Selbsthingabe (61), stoische Hinnahme (66, 77, 88), Gottergebenheit (67, 85), Genügsamkeit (71), Solidarität (70), Fürsorge (73). In Anbetracht der noch immer andauernden religiösen Auseinandersetzungen und zumal beim Erscheinungsort, dem protestantischen Nürnberg, ist die festgestellte Tendenz nicht verwunderlich. Namentlich die negativen Züge, die hier zugeschrieben werden, gehören zu den Imagotypen, die durch die Schwarze Legende über ganz Europa verbreitet wurden. So prangert beispielsweise Emblem 57 das Grossmaul und den Heuchler an; 58 übt Kritik am imperialen Grössenwahn und lobt dialektisch die Kleinheit und Bescheidenheit; 59 denunziert die Bosheit, 62 den Meineid - man beachte das geistreiche Wortspiel mit den "falschen Bünden" (am Instrument wie in der Politik); 64 tadelt den Machthunger, 65 die Ehrsucht, 69 die Habgier, 72 die Verschlagenheit, 75 die Wollust, 78 den Hochmut; und 83 kann ironisch verstanden - das tatenlose Schwätzen meinen, wobei auf das (lutheranische) Gebot Bezug genommen wird, wonach allein die Taten zählen und nicht die hohlen Versprechungen. 74 kann als Warnung vor einer Schicksalswende gelesen werden, wobei dem Herrscher des Escorial bedeutet wird, er möge wie der zweigesichtige Janus bedenken, woher er kommt und wohin er geht. Auch Nr. 81 kann zeitgeschichtlich ausgelegt werden: Der angesichts seiner Verluste Trauernde soll resignieren und froh sein, dass er überlebt hat, was eine deutliche Anspielung auf die immer drastischere Einschnürung der Protestanten durch die omnipräsenten Spanier sein könnte. Liest man solche Emblemata vor dem historischen Hintergrund - von 1580 an war Speyer permanenter Sitz der Reichskammer geworden; die Spanier herrschten in Österreich und in Bayern; die

DIE

B I L D E R S P A N I E N S UND

81

AMERIKAS

gesamte deutsche Flussschifffahrt stand unter spanischer Kontrolle - so springen die gängigen Imagotypen aus der Schwarzen Legende geradezu in die Augen. Freilich, manche dieser Emblemata könnten auch schlicht positiv gedeutet werden, zumal sie zum Kanon der zeitgenössischen Moralistik gehören: Lob der Selbstlosigkeit (61), des Ingeniums (63), Primat des Glaubens an Gott (64 und 85) und an Jesus Christus (67), Vorrang der Ehre (65), Zuspruch gegen den Missmut im Wohlstand (71), Gebot der Achtung gegenüber den Eltern (72), Verurteilung der Zwietracht (76), Rechtfertigung der Moralstrenge der Fürsten (77); Preisung der Spiritualität und der Askese. Haben solche Ermahnungen ihre Gültigkeit nicht über alle Parteiungen hinweg (66, 68 und 88)? Und dennoch: Mir scheint, dass sich selbst bei solch ahistorischem Neutralitätswillen noch immer die folgenden Proportionen ergeben: 11 Emblemata zeigen deutliche Einflüsse der leyenda negra; 3 führen allgemeine Klage über das eherne Zeitalter; 2 bringen "Volksweisheiten" und 10 entsprechen Präzepten aus der Bibel, aus Fürstenspiegeln oder Moraltraktaten. Wie sind nun auf der anderen Seite die Emblemata im Libellus geprägt, die das damalige Amerika betreffen? Das 8.Kapitel [H] umfasst gemäss Titelblatt Ortschaften, die sich in "Italia, lndia, Türkey und Hungarn" befinden, darunter drei,2* die zu den überseeischen Besitzungen der Spanier und Portugiesen gehören, nämlich: 1 S.Salvator ** in Brasilien S.Abbildg. Nr.3

21

"Haec maxima dona vigescunt" (Dies sind die grössten Gaben) "Corporis, Ingenii donis, Sortisqu ecoruscat Si quis; haec tria sunt maxima dona Dei." "Wer Gsundt, Klug und von gutem Glück Der hat von Gott drey" schöner Stück:

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Das Emblem H 7 verzeichnet den Namen St.Sebastian, bringt als Legende "In hoc signo vinees" (Unter diesem Zeichen (des Kreuzes) wirst du siegen), mit dem deutschen Spruch Thirch alle Fährnis führt uns Gott doch ins gelobte Land". Der Kupferstich stellt eine Karavele auf hoher See dar, mit go6sem Kreuz auf dem Segel, viel Volk auf Deck, darüber ein posaunender Engel. - Da man keinen ikonischen Hinweis auf das nordspanische San Sebastian erkennt, da ferner die spanischen Ortschaften in Kapitel [C] stehen, da ich schliesslich keinen Ort dieses Namens im iberischen Amerika fand, der damals hinreichend bekannt war, schlug ich in der spanischen Fassung dieses Aufsatzes die Hypothese vor, mit St Sebastian sei der in der Schlacht von Alcäzarquivir 1578 verschollene, legendäre Portugiesenkönig Dom Sebastiao gemeint, der Anlass für den sebastianismo der Portugiesen gegeben hat, Tür den Glauben an die Wiederkehr des verschollenen Königs und an die Wiedergeburt von Portugals Crosse. König Sebastian ist zwar nicht geheiligt worden, war jedoch bei den Portugiesen eine mystisch verehrte Kultfigur. Die Kreuzfahrer-Szene auf dem Bild bestärkte mich in dieser Vermutung. Inzwischen bin ich darauf gestossen, dass Rio de Janeiro von den Portugiesen im Jahr 1567 den Gründungsnamen S»o Sebastiao do R.d.J. erhielt, nachdem sie die von den Franzosen unter Villegaignon seit 1555 besetzten Cuanabara-Bucht zurückerobert hatten. Zwar zeigt der Kupferstich keinen Zuckerhut, aber die Nachbarschaft mit zwei anderen brasilianischen Städten im Kapitel (H| spricht doch sehr dafür, dass es sich hier um Rio de Janeiro handelt, wenngleich der Bezug zur frommen Zuversicht der Legende nicht vorhanden ist - wie so oft im Libellus. Wenn diese Annahme richtig ist, so wäre auch in diesem vierten amerikanischen Emblem eine positive, erbauliche Botschaft mit Brasilien verbunden, vielleicht im Sinne des Imagotyps der Mystik (112) oder gar des Landes mit erfolgreicher Zukunft (231).

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ZUR

KULTURGESCHICHTE

Welcher sie nun von Ihm kan habn, Der hat fürwar die grösten Gabn." [Eine Hand reicht aus den Wolken eine geflügelte (Gesundheit) Kugel (Glück) mit der Äskulap-Schlange (Gesundheit) dar. Oberstadt und Baixa von Salvador sowie Hafenbucht mit Festungen und Schiffen] 51 Olinda de * "Insunt meliora latentque" + Phernambuco (Hier drinnen wartet das Beste) [sie] [Ein Buch mit Beschlägen - die Bibel? auf einem Tisch, im Hintergrund eine schöne exotische Landschaft] 53 Cusco in West Indien S.Abbildg. Nr.4

"Die Natur ist Sparsam." Indus Egens fern saxo secat igneque ligna; Sic Natura parens sufficit ipsa sibi." "Ein Wilder auss der Newen Weldt Ohn Ey"sen Bäum mit Fewer fällt Reisst sein Holtz mit eim Stein so scharff. Natur nicht viel gereht bedarff." [Kolonialstadt mit Schachbrettgrundriss und Tempel, dem Prospekt von Cuzco bei de Bry entsprechend; im Vordergrund links ein nackter Indianer beim Schwenden, rechts ein zweiter beim Spalten eines Baumstamms mit Keule und Steinkeil]

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