Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung: Ein Aufbruch [1. Aufl.] 9783658276119, 9783658276126

Der Band geht der Frage nach, welche aktuelle Bedeutung die Jugendforschung in der Erziehungswissenschaft hat. In den Be

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German Pages X, 265 [266] Year 2020

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Table of contents :
Front Matter ....Pages I-X
Einleitung: Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung – ein Aufbruch (Karin Bock, Cathleen Grunert, Nicolle Pfaff, Wolfgang Schröer)....Pages 1-12
Front Matter ....Pages 13-13
Jugend – noch eine relevante Kategorie erziehungswissenschaftlicher Forschung? Zum Stellenwert von Jugendforschung in der Erziehungswissenschaft (Cathleen Grunert)....Pages 15-34
Jugend: Moderne und spätmoderne Generationsmuster (Jutta Ecarius)....Pages 35-52
Forschung zu Jugend – Was ist das spezifisch „Erziehungswissenschaftliche“ an Jugendforschung? (Anja Schierbaum)....Pages 53-74
Front Matter ....Pages 75-75
Jugendforschung in den Fallstricken des methodologischen Nationalismus?! (Nicolle Pfaff)....Pages 77-95
Adoleszente Bildung(en). Bildungsprozesse Jugendlicher im Kontext sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher Transformation (Anke Wischmann)....Pages 97-112
Erziehungswissenschaftliche Jugendmedienforschung. Entwicklung, Diskussionsfelder und Perspektiven der Forschung zu Jugend und Medien (Kai-Uwe Hugger)....Pages 113-128
Ethische und gesellschaftsanalytische Perspektiven der Jugendforschung und ihre Relevanz für den Gegenstand der Kinder- und Jugendhilfe (Zoë Clark)....Pages 129-144
Jugendkulturelle Praktiken als Formen der Übergangsgestaltung (Barbara Stauber)....Pages 145-163
Front Matter ....Pages 165-165
Diversitätsorientierung in der Jugendforschung. Konzeptionelle Überlegungen am Beispiel von Forschung mit Jugendlichen mit Behinderungen (Folke Brodersen, Nora Gaupp)....Pages 167-184
„Ich bin nicht Teil von etwas“ – Biographische Wege von Jugendlichen (Werner Thole, Lukas Schildknecht)....Pages 185-205
Front Matter ....Pages 207-207
Zur aktuellen Lage und Zukunft der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung – inhaltliche und strukturelle Herausforderungen (Heinz-Hermann Krüger, Birgit Reißig, Christine Wiezorek)....Pages 209-225
Same, same but different. Perspektiven erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung (Merle Hummrich)....Pages 227-244
Schwelende Themen zwischen erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung und „gesellschaftlicher“ Jugendpolitik – Generationalität, Institutionalisierung & Jugendrechte (Karin Bock, Wolfgang Schröer)....Pages 245-265
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Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung: Ein Aufbruch [1. Aufl.]
 9783658276119, 9783658276126

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Cathleen Grunert · Karin Bock Nicolle Pfaff · Wolfgang Schröer Hrsg.

Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung Ein Aufbruch

Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung

Cathleen Grunert · Karin Bock · Nicolle Pfaff · Wolfgang Schröer (Hrsg.)

Erziehungs‑ wissenschaftliche Jugendforschung Ein Aufbruch

Hrsg. Cathleen Grunert Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Halle (Saale), Deutschland

Karin Bock Technische Universität Dresden Dresden, Deutschland

Nicolle Pfaff Universität Duisburg-Essen Essen, Deutschland

Wolfgang Schröer Stiftung Universität Hildesheim Hildesheim, Deutschland

ISBN 978-3-658-27611-9 ISBN 978-3-658-27612-6  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-27612-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Stefanie Laux Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung – ein Aufbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Karin Bock, Cathleen Grunert, Nicolle Pfaff und Wolfgang Schröer Impulse zum Verhältnis von Erziehungswissenschaft und Jugendforschung Jugend – noch eine relevante Kategorie erziehungswissenschaftlicher Forschung? Zum Stellenwert von Jugendforschung in der Erziehungswissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Cathleen Grunert Jugend: Moderne und spätmoderne Generationsmuster. . . . . . . . . . . . . . 35 Jutta Ecarius Forschung zu Jugend – Was ist das spezifisch „Erziehungswissenschaftliche“ an Jugendforschung?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Anja Schierbaum Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung im Spannungsfeld aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen Jugendforschung in den Fallstricken des methodologischen Nationalismus?!. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Nicolle Pfaff

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Adoleszente Bildung(en). Bildungsprozesse Jugendlicher im Kontext sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher Transformation. . . . . . . . . . . 97 Anke Wischmann Erziehungswissenschaftliche Jugendmedienforschung. Entwicklung, Diskussionsfelder und Perspektiven der Forschung zu Jugend und Medien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Kai-Uwe Hugger Ethische und gesellschaftsanalytische Perspektiven der Jugendforschung und ihre Relevanz für den Gegenstand der Kinderund Jugendhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Zoë Clark Jugendkulturelle Praktiken als Formen der Übergangsgestaltung. . . . . . 145 Barbara Stauber Methodische Reflexionen und Zugänge erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung Diversitätsorientierung in der Jugendforschung. Konzeptionelle Überlegungen am Beispiel von Forschung mit Jugendlichen mit Behinderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Folke Brodersen und Nora Gaupp „Ich bin nicht Teil von etwas“ – Biographische Wege von Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Werner Thole und Lukas Schildknecht Jugendforschung zwischen Politik, Pädagogik und Wissenschaftsbetrieb Zur aktuellen Lage und Zukunft der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung – inhaltliche und strukturelle Herausforderungen. . . . 209 Heinz-Hermann Krüger, Birgit Reißig und Christine Wiezorek Same, same but different. Perspektiven erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Merle Hummrich

Inhaltsverzeichnis

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Schwelende Themen zwischen erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung und „gesellschaftlicher“ Jugendpolitik – Generationalität, Institutionalisierung & Jugendrechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Karin Bock und Wolfgang Schröer

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Über die Herausgeber Prof. Dr. Cathleen Grunert,  ist Leiterin des Arbeitsbereiches ‚Soziokulturelle Bedingungen von Erziehung und Bildung‘ an der Universität Halle. Ihre Arbeitsund Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Kindheits- und Jugendforschung, der Professionsforschung und der Wissenschaftsforschung. Prof. Dr. phil. habil. Karin Bock, ist Professorin für Sozialpädagogik an der Technischen Universität Dresden. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte umfassen Generationen- und Familienforschung, Kindheits- und Jugendforschung, Kinder- und Jugendhilfeforschung, Theorien der Sozialpädagogik/ Sozialarbeit, Rekonstruktive Methoden der Sozialforschung sowie sozialgeschichtliche Zugänge zu erziehungswissenschaftlichen Fragestellungen (Kinderladen, Heimerziehung etc.). Prof. Dr. Nicolle Pfaff, leitete die Arbeitsgruppe Migrations- und Ungleichheitsforschung an der Universität Duisburg-Essen. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Jugendforschung, der Schulforschung und der bildungsbezogenen Ungleichheitsforschung. Prof. Dr. Wolfgang Schröer,  ist Professor für Sozialpädagogik am Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim. Seine Arbeitsund Forschungsschwerpunkte sind Theorie und Geschichte der Sozialpädagogik und Sozialpolitik, Kinder- und Jugendhilfe, Übergänge in Beschäftigung und transnationale Soziale Arbeit.

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Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Autorenverzeichnis Prof. Dr. phil. habil. Karin Bock  TU Dresden, Dresden, Deutschland Folke Brodersen  TU Berlin, Berlin, Deutschland Dr. phil., Dipl. Pädagogin Zoë Clark  Universität Siegen, Siegen, Deutschland Prof. Dr. phil. habil. Jutta Ecarius  Universität zu Köln, Köln, Deutschland Dr. Nora Gaupp  DJI München, München, Deutschland Prof. Dr. Cathleen Grunert  Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale), Deutschland Prof. Dr. Kai-Uwe Hugger  Universität zu Köln, Köln, Deutschland Prof. Dr. Merle Hummrich  Universität Frankfurt, Frankfurt, Deutschland Prof. Dr. Heinz-Hermann Krüger Universität Halle-Wittenberg, Wuppertal, Deutschland Prof. Dr. Nicolle Pfaff  Universität Duisburg-Essen, Essen, Deutschland Prof. Dr., Soziologin Birgit Reißig  DJI München, München, Deutschland Dr. phil. Anja Schierbaum  Universität zu Köln, Köln, Deutschland Lukas Schildknecht  Universität Kassel, Kassel, Deutschland Prof. Dr. Wolfgang Schröer  Universität Hildesheim, Hildesheim, Deutschland Prof. Dr. Barbara Stauber  Universität Tübingen, Tübingen, Deutschland Prof. Dr., Dipl. Pädagoge Werner Thole Universität Kassel, Kassel, ­Deutschland Prof. Dr. Christine Wiezorek  Universität Gießen, Gießen, Deutschland Dr. habil., Dipl. Pädagogin Anke Wischmann Europa-Universität Flensburg, Flensburg, Deutschland

Einleitung: Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung – ein Aufbruch Karin Bock, Cathleen Grunert, Nicolle Pfaff und Wolfgang Schröer

Jugendpolitik ist gegenwärtig wieder en vogue. Zumindest zeichnet sich in der Fachpolitik eine neue Aufmerksamkeit ab. Der 15. Kinder- und Jugendbericht fokussierte bspw. explizit „Jugend“ und forderte eine Neuvermessung ein. Doch diese Entwicklung bildet sich in der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung kaum ab und dies obwohl die Jugendforschung historisch betrachtet ein zentrales Forschungsgebiet der Erziehungswissenschaft ist. Seit den 1990er Jahren sind Studien zur Jugend gegenüber anderen Gegenstandsbereichen deutlich seltener geworden. Dies betrifft sowohl die Theoriebildung zu Jugend wie auch entsprechende Fragestellungen in empirischen Studien zum Jugendalter. Zudem stagniert die Institutionalisierung des Forschungsfeldes innerhalb der Disziplin. So sind nur noch wenige Professuren und Arbeitsgruppen in erziehungswissenschaftlichen Instituten explizit auf Jugendforschung ausgerichtet, in erziehungswissenschaftlichen Studiengängen ist das Forschungsfeld curricular nur im Einzelfall verankert und auch innerhalb der Fachgesellschaft fehlen nach K. Bock (*)  TU Dresden, Dresden, Deutschland E-Mail: [email protected] C. Grunert  Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale), Deutschland E-Mail: [email protected] N. Pfaff  Universität Duisburg-Essen, Essen, Deutschland E-Mail: [email protected] W. Schröer  Universität Hildesheim, Hildesheim, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Grunert et al. (Hrsg.), Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27612-6_1

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K. Bock et al.

wie vor institutionalisierte einschlägige Diskussionszusammenhänge etwa in Form von Kommissionen oder Sektionen. In der Folge ist eine erziehungswissenschaftliche Jugendforschung derzeit weniger sichtbar und thematisch verstreut. Gleichzeitig werden im Kontext des Aufstiegs der Empirischen Bildungsforschung Jugendliche primär in ihrer Rolle als „Schüler*innen“ und/oder „Lernende“ adressiert und es hat sich mit dem (längst überfälligen) Erstarken einer sozialwissenschaftlichen Kindheitsforschung ein weiteres Forschungsfeld etabliert, dem es zudem besser gelingt als aktuell der Jugendforschung, übergreifende Theorieimpulse zu setzen und kollaborativ zu verfolgen. Vor diesem Hintergrund zielt der vorliegende Band auf eine bilanzierende und an aktuellen Entwicklungen orientierte Auseinandersetzung über Jugendforschung als Forschungsfeld der Erziehungswissenschaft. Die abgedruckten Beiträge befassen sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit Jugendforschung in aktuellen erziehungswissenschaftlichen Forschungsgebieten. Sie stellen die Bedeutung des Gegenstandsfelds Jugend in verschiedenen Feldern der Erziehungswissenschaft mit Blick auf deren theoretische, methodologische und/ oder methodische Grundlegung thesenartig dar und entwickeln Vorschläge für die Stärkung der erziehungswissenschaftlichen Forschung zu Jugend. Der Band soll damit Impulse für weiterführende Diskussionen und für eine zukunftsorientierte Konzeption der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung geben. Er soll Diskussionen eröffnen und fordert geradezu weitere Positionierungen ein. Der Band versammelt dabei Texte, die im Nachgang zu einer im Juni 2018 an der FernUniversität in Hagen durchgeführten Tagung entstanden sind. Hier diskutierten etwa 80 Wissenschaftler*innen intensiv über das Verhältnis von Jugendforschung und Erziehungswissenschaft. Auch die Frage, welche aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen erziehungswissenschaftliches Denken über Jugend herausfordern wurde auf der Tagung in verschiedenen Beiträgen thematisiert. Zudem standen die forschungsmethodischen Implikationen einer aktuellen erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung und ihre Positionierung im Spannungsfeld von Pädagogik, Politik und Wissenschaft im Fokus. Die breite Resonanz auf den Call zur Tagung, die sich auch in der Zahl der Teilnehmer*innen spiegelt, weist auf die Notwendigkeit hin, einen neuen Rahmen für dezidiert erziehungswissenschaftliche Jugendforschungsfragen und -zugänge zu schaffen. Die diskutierten inhaltlichen Schwerpunkte werden im vorliegenden Band unter Aufnahme weniger zusätzlicher Beiträge und eher interaktiv orientierter Darstellungen aufgegriffen. Die hier publizierten Beiträge positionieren sich zur Bedeutung von Jugend als erziehungswissenschaftliches Gegenstandsfeld und als

Einleitung: Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung …

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Reflexionsanlass für erziehungswissenschaftliche Forschung und Theoriebildung. Sie nehmen damit Bezug auf eine relativ lange Forschungstradition in der Disziplin und auf die Bedeutung pädagogischer Perspektiven auf Jugend als eigenständiger Lebensphase und Jugendliche in ihren Lebens- und Alltagswelten. Vor allem drei Bewegungen stehen exemplarisch für Entwicklungen im Feld der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung. Sie zeigen, dass die Konjunktur und die disziplinäre Einbettung der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Jugend an gesellschaftliche Transformationen und wissenschaftliche sowie bildungspolitische Trends gebunden sind: 1. Pädagogische Auseinandersetzungen über Jugend und die Bedingungen des Aufwachsens prägten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entscheidend die neu entstehende Jugendforschung. Sie begleiteten die Institutionalisierung von Jugend ebenso wie die historische Durchsetzung von Jugend als soziale Konstruktion (Dudek 1990; Harring und Schenk 2018). Mit Blick auf Europa ist sie nicht nur im Kontext der pädagogischen Disziplin- und ­Institutionenbildung, sondern zugleich im historischen Zusammenhang von Industri­ alisierung, Modernisierung und Verschiebung des Generationengefüges zu verorten (Dudek 1990). Studien zu Jugend im Kontext von Reformpädagogik, Jugendbewegung und Geisteswissenschaftlicher Pädagogik basierten übereinstimmend auf der Aufforderung, pädagogische Institutionen und Interaktionen an der Realität der Jugend auszurichten. Neben Versuchen, das Jugendalter wissenschaftlich zu modellieren, waren sie von einem grundsätzlichen Interesse an sozialem Wandel im Zusammenhang des Generationengefüges und an als normabweichend wahrgenommenen Praktiken von Jugendlichen geprägt. Mit Siegfried Bernfeld (1922) richteten sie ihr Augenmerk auch kritisch auf die Frage nach der Bedeutung pädagogischer bzw. gesellschaftlicher Institutionen für die Herausbildung einer Jugendphase mit unterschiedlichen Verläufen, je nach ‚sozialem Ort‘. Jugendforschung wurde dabei insgesamt, wenn auch mit verschiedenen Zielsetzungen, als zentrale Aufgabe einer wissenschaftlichen Pädagogik entworfen. 2. Die Frage der gesellschaftlichen Integration junger Menschen prägte die Jugendforschung der bundesdeutschen Nachkriegszeit und stärkte sozialwissenschaftliche Zugänge zu Jugend, die neben der Beobachtung von institutioneller Teilhabe vor allem Einstellungen und Werthaltungen der jüngeren Generationen zentral stellte. Einen Perspektivwechsel erzeugte das Erstarken einer pädagogischen Jugendforschung in den späten 1970er und 1980er Jahren, in der vor allem die Akteursperspektive fokussiert und nach den Alltagswelten Jugendlicher gefragt wurde (Krüger und Grunert 2010; Pfaff 2015).

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Damit ging eine Vervielfältigung theoretischer und methodischer Ansätze ebenso einher wie eine thematische Ausdifferenzierung der Jugendforschung. Die sog. „pädagogische Wende in der Jugendforschung“ (Griese und Mansel 2003, S. 15) muss rückblickend als zentraler Zusammenhang des – zeitlich begrenzten – Aufbaus der Infrastruktur erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung und disziplinär bezogenen Forschungsförderung betrachtet werden, in der zentrale Forschungszentren gegründet und entsprechende Lehrstühle eingerichtet wurden. Gleichzeitig nimmt die Auseinandersetzung mit Jugend in der Erziehungswissenschaft die Risikofokussierung der psychologischen und soziologischen Jugendforschung auf, indem sie den Blick vor allem auf ‚Abweichungen‘ richtet: Jugend wird, auch im Zusammenhang theoretischer Debatten über Prozesse der Entstrukturierung und Entgrenzung von Jugend (z. B. Olk 1985; Lenz et al. 2004; Schröer et al. 2013), einerseits als Phase des Ausprobierens und des Risikos betrachtet, andererseits stehen insbesondere Jugendliche im Fokus der Studien, deren soziale Teilhabe gefährdet scheint (vgl. Pfaff 2015). Aufgegriffen wird vor allem auch das Verhältnis von Schule und der Entstehung (klassenspezifischer) jugendkultureller Ausdrucksformen (Grunert und Pfaff 2020). Historisch entfalten sich diese Perspektiven vor dem Hintergrund von Emanzipationsbewegungen und Bildungsexpansion sowie im Kontext sozialer Bewegungen und gesellschaftlicher Risikodiskurse. Die pädagogische Jugendforschung mit ihren zentralen theoretischen Perspektiven und methodischen Zugängen prägte die erziehungswissenschaftliche Auseinandersetzung mit Jugend bis ins 21. Jahrhundert hinein. 3. Gleichzeitig wird seit Ende der 1990er Jahre aber auch ein Wandel in der Bedeutung der Jugendforschung in der Erziehungswissenschaft deutlich, der einen erneuten Perspektivenwechsel einläutet. So zeichnet sich seit etwa zwei Jahrzehnten im Zuge des Erstarkens einer interdisziplinären empirischen Bildungsforschung eine Fokussierung auf Jugendliche primär in ihrer Rolle als Lernende und Schüler*innen ab. Jugend wird damit als Forschungsgegenstand in erster Linie als Objekt und Bedingung schulischer Bildung und Qualifizierung wird. Einen anderen Blick nehmen Studien an der Schnittstelle von Schul- und Jugendforschung ein, die die Forschungstradition zu Ungleichheiten im Bildungsverlauf verschiedener sozialer Gruppen fortschreiben sowie nach Bildungsbiographien Jugendlicher im Spannungsfeld von Bildungsinstitutionen, Familie und Peers (z. B. Kramer 2002; Krüger et al. 2012; Helsper et al. 2018) fragen. Aber auch nonformale und informelle Zusammenhänge jugendlichen Aufwachsens werden zunehmend unter die Perspektive des Kompetenzerwerbs gerückt (z. B. Düx et al. 2008; Thole und Höblich 2008; Göring und Mutz 2016). Gleichzeitig diversifizieren sich die disziplinären

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Zugriffe auf Jugend und auch die im Kontext der Erziehungswissenschaft bearbeiten Themen werden pluraler und verstreuen sich in unterschiedlichen teildisziplinären Fokussierungen. Nach einer starken Phase einer pädagogischen Jugendforschung in den 1980er und 1990er Jahren ist Jugendforschung in der Erziehungswissenschaft auch gegenwärtig strukturell und curricular wenig verankert. Der vorliegende Band ist in vier größere Teile gegliedert, die Beiträge zu aktuellen Diskussionslinien in sich versammeln: • Impulse zum Verhältnis von Erziehungswissenschaft und Jugendforschung (Teil 1) • Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung im Spannungsfeld aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen (Teil 2) • Methodische Reflexionen und Zugänge der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung (Teil 3) • Jugendforschung im Spannungsfeld von Politik, Pädagogik und Wissenschaftsbetrieb (Teil 4) So ist im Verhältnis von Jugendforschung und Erziehungswissenschaft (Teil 1) zu beobachten, dass die Thematisierung von Jugend im Fach wissenschaftsgeschichtlich fluktuiert und in ihren inhaltlichen Ausrichtungen, theoretischen Perspektiven und in der methodologischen und methodischen Orientierung variiert. Drei Beiträge widmen sich im Band einer Systematisierung und Zuspitzung der aktuellen Situation. Cathleen Grunert fragt zunächst in historischer Perspektive nach der Relevanz von Jugend in den disziplinären Entwürfen einer sich seit Ende des 18. Jahrhunderts etablierenden Erziehungswissenschaft und skizziert die Entwicklungslinien einer erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung in Deutschland. Anhand einer Inhaltsanalyse erziehungswissenschaftlicher und interdisziplinärer Zeitschriften in Deutschland zeigt sie auf, wie Jugend aktuell in diesen thematisch wird und welche Jugendbilder darüber produziert werden. Abschließend wird im Beitrag skizziert, inwiefern Jugend und Jugendforschung wieder stärker in den Kontext einer Allgemeinen Erziehungswissenschaft zu rücken wären. Jutta Ecarius geht in ihrem Beitrag davon aus, dass sich in der Spätmoderne die Koordinaten der Lebensführung durch neoliberale Ökonomisierung, Optimierung und Singularisierung wandeln. Auf der Grundlage empirischer Ergebnisse reflektiert sie, welche Strukturen und Muster einer generationalen Ordnung

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Jugend sich gegenwärtig abzeichnen, welche Bedeutung dem Authentischen für die Subjektbildung zukommt und wie Mutter und Vater mit einer Erziehung des Beratens jugendliches Leben konstituieren. Anhand von empirischen Daten zu den Themen Flexibilität, Eigenbestimmung und Offenheit für die Zukunft sowie subjektives Wellbeing, Familie, Schule und Peergroup nimmt sie eine Theoretisierung einer spätmodernen Jugend vor. Anja Schierbaum arbeitet in ihrem Beitrag heraus, dass Jugendforschung zwar viele Themen und Problemstellungen aufzuweisen habe und somit vielfältig und facettenreich sei. Allerdings, so die Autorin, sei das Forschungsprogramm durch unterschiedliche theoretische und methodische Zugriffe gekennzeichnet, um Jugend theoretisch und empirisch zu vermessen sowie (inter-) disziplinär einzubetten. Gleichwohl erkennt Schierbaum disziplinär unterschiedliche thematische Schwerpunkte, daher bedürfe es nach Ansicht der Autorin einer disziplinären Selbst- und Rückvergewisserung, der sie in ihrem Beitrag nachgeht und somit die Frage nach dem spezifisch ‚Erziehungswissenschaftlichen‘ an Jugendforschung ins Zentrum stellt. Aktuelle disziplinäre Auseinandersetzungen um Jugend werden unter der Überschrift Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung im Spannungsfeld aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen (Teil 2) diskutiert und insbesondere gesellschaftliche Transformationsdynamiken reflektiert. Schwerpunkte dieser Diskussionen waren und sind der Wandel familialer Beziehungen (z. B. Ecarius 2009), Individualisierung als gesellschaftlicher Prozess (z. B. Olk 1989), die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten (z. B. Krüger et al. 1995) oder migrationsgesellschaftlicher Wandel (z. B. Mecheril und Hoffarth 2006). Vier Beiträge nehmen im Band unterschiedliche Herausforderungen einer erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung in den Blick: Die Bedeutung des Nationalstaats als unhinterfragte Bezugsfolie der Jugendforschung nimmt der Beitrag von Nicolle Pfaff in diesem Band in den Blick. Dabei wird gefragt, wie theoretische Perspektiven auf Jugend etabliert werden und welche Reichweite ihnen in einer sich globalisierenden Jugendforschung zugewiesen werden. Am Beispiel des Forschungsfelds der Jugendkulturforschung werden Engführungen aufgezeigt, die durch die Ausblendung von Phänomenen der Transnationalisierung und der Globalisierung jugendkultureller Ästhetiken und Praktiken entstehen. Schließlich wird die bundesdeutsche Forschung zu sog. ‚Jugendlichen mit Migrationshintergrund‘ auf ihren Beitrag zur Hervorbringung und Festschreibung von Fremdheitskonstruktionen hin befragt. Der Beitrag schließt mit Hinweisen auf die analytischen Potenziale einer Perspektiverweiterung einerseits und einer Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen im Forschungsfeld andererseits. Anke Wischmann wirft in ihrem Beitrag die Frage auf, wie Bildungsprozesse Jugendlicher unter aktuellen Bedingungen zunehmender sozialer Ungleichheit

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und gesellschaftlicher Transformationsprozesse konzeptuell gefasst und empirisch erforscht werden können. Hierzu reflektiert sie zunächst die Begriffe Adoleszenz und Bildung und setzt sie zueinander ins Verhältnis, um anschließend vor dem Hintergrund struktureller Ungleichheitslagen aus intersektionaler Perspektive Adoleszenz und Bildung zu problematisieren und schließlich im Hinblick auf ihre erziehungswissenschaftliche Relevanz und empirische Anschlussfähigkeit zu befragen. Dabei geht es Wischmann nicht zuletzt um die notwendige Reflexion des Bildungsverständnisses, das an Jugendliche herangetragen wird. Im Zusammenhang des medientechnischen und damit verbundenen gesellschaftlichen Wandels fragt Kai Hugger in seinem Beitrag nach der Spezifik medienpädagogischer Perspektiven im Zusammenhang einer interdisziplinären Jugendmedienforschung. In der historischen Rekonstruktion erziehungswissenschaftlicher Forschungen zum Medienhandeln junger Menschen, in der Auseinandersetzung mit neueren kommunikationswissenschaftlichen Studien zur Mediatisierung von Alltagswelten und im Nachvollzug praxistheoretischer Studien zum Medienhandeln werden unterschiedliche Zugänge zum Gegenstandsfeld nachgezeichnet. Als zentrale Gegenstandsfelder und damit Schnittstellen der Interdisziplinarität in der Jugendmedienforschung werden erweiterte Partizipationschancen, Prozesse und Praktiken der Vergemeinschaftung, Ungleichheit, Identitätsbildung und Wissensaneignung ausgewiesen und vor diesem Hintergrund Potenziale medienpädagogischer Dialoge mit anderen disziplinären Zugängen ausgewiesen. Zoe Clark fragt in ihrem Beitrag danach, welchen Mehrwert die Jugendforschung bzw. unterschiedliche Formen von Jugendforschung für die Kinderund Jugendhilfeforschung liefern kann. Um den Mehrwert der Jugendforschung für die Kinder- und Jugendhilfe herauszukristallisieren, diskutiert sie Perspektiven unterschiedlicher Teilbereiche der Jugendforschung exemplarisch entlang von qualitativen Daten. Die Analyse der qualitativen Interviews mit Fachkräften und Adressat*innen in der Heimerziehung zeigt aus Sicht der Autorin, dass die derzeitigen theoretischen Folien der gesellschaftsanalytischen Jugendforschung nur eingeschränkt die institutionellen Bedingungen des Aufwachsens in diesem Setting erfassen können. Demgegenüber plädiert Clark für eine ethisch fundierte Jugendforschung, um Beurteilungsmaßstäbe einer „guten Jugend“ zu entwickeln, die die Institutionen der Jugendhilfe gewährleisten sollten. Für eine konsequente Ausrichtung erziehungswissenschaftlicher Perspektiven auf jugendkulturelle Praktiken als Räume der Gestaltung von biographischen Übergängen plädiert Barbara Stauber in ihrem Beitrag. Übergänge im Jugendalter entwirft sie praxis- und differenztheoretisch begründet als Ergebnisse komplexer Herstellungsprozesse in jugendkulturellen Praktiken und Ausdrucksformen. In kritischer Auseinandersetzung mit dem Konzept der

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Lebensbewältigung und grundlegenden Ansätzen der Jugendkulturforschung sowie vor dem Hintergrund exemplarischer Analysen zum Älterwerden und zum Alkoholkonsum junger Menschen fragt der Beitrag nach dem analytischen Potenzial empirischer Studien zu jugendkulturellen Praktiken. Im Hinblick auf methodische Reflexionen und Zugänge der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung (Teil 3) ist in den letzten Jahrzehnten eine enorme Diversifizierung zu beobachten. Jugendtheoretische Auseinandersetzungen kreisen zunächst vor allem um die Reichweite bestehender analytischer Zugänge. So wird die analytische Kraft des Konzeptes des Jugendmoratoriums vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen, wie der Prekarisierung von Arbeit, der Bildungsexpansion und steigender Ungleichheit infrage gestellt (z. B. Böhnisch und Schröer 2008; Reinders 2016; Clark und Ziegler 2016). Auch in Bezug auf sozialisations- und identitätstheoretische Perspektiven entstanden kritische Auseinandersetzungen (etwa Popp 2009; Reinders 2003; Scheunpflug 2015), bis hin zur Diagnose allgemeiner Theoriedefizite in der Jugendforschung ab der Jahrtausendwende (Mansel und Griese 2003; Harring und Schenk 2018). Neuere theoretische Perspektiven und ihre Potenziale loten etwa Studien aus, die Subjektivierungsprozesse oder Formen transnationaler Vergemeinschaftung in den Blick nehmen (z. B. Rose 2012; Klein-Zimmer 2015). In Bezug auf forschungsmethodische Zugänge kann die Jugendforschung als Experimentier- und Entwicklungsfeld methodischer Ansätze gelten, in dem sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden in ihrer Breite, von der Biographieforschung bis zu Jugendsurveys zum Einsatz kommen und neue Verfahren (z. B. Netzwerk- oder Bildanalysen) angewandt werden. Zugleich bestehen auch hier Konjunkturen, in denen bestimmte methodologische Positionen und methodische Zugänge dominant werden oder wieder in den Hintergrund treten. Im dritten Teil des Bandes widmen sich zwei Beiträge den methodischen Herausforderungen und theoretischen Bezugsoptionen einer erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung: Folke Brodersen und Nora Gaupp fragen danach, wie sich ein großes Forschungsdesiderat in der aktuellen – nicht nur erziehungswissenschaftlichen – Jugendforschung angemessen bearbeiten lässt. Jugendliche mit Behinderungen sind bislang kaum in das Blickfeld einer Jugendforschung geraten, die danach fragt, wie junge Menschen die Herausforderungen der Jugendphase in all ihren Facetten erleben. Aspekte jugendlichen Lebens, wie Prozesse der Verselbständigung und Selbstpositionierung (BMFSFJ 2017), stehen bei Forschungen zu diesen Jugendlichen selten im Zentrum und deren Untersuchung stellt gleichzeitig eine methodische Herausforderung dar. Dieser Herausforderung haben sich die Autor*innen gestellt und diskutieren in ihrem Beitrag Möglichkeiten und Grenzen einer diversitätsorientierten Jugendforschung am Beispiel der methodischen Herausforderungen, die mit einer Forschung zu Jugendlichen mit Behinderungen einhergehen.

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Werner Thole und Lukas Schildknecht gehen in ihrem Beitrag auf die historischen Wurzeln der bundesdeutschen Jugendforschung zurück und beschreiben die Bedeutung biographieanalytischer Zugänge als zentral für ein Verständnis von Jugend im gesellschaftlichen Zusammenhang und für Erkenntnisse über Gesellschaft und sozialen Wandel. Vor dem Hintergrund der Kritik aktueller erziehungswissenschaftlicher Perspektiven auf Jugend, die deren gesellschaftliche Situiertheit weitgehend ausblendet, zeigen sie in rekonstruktiven Analysen zu zwei Biographien aus einem Studienprojekt Potentiale einer so verstandenen erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung für Erkenntnisse über gesellschaftliche Entwicklungen auf. Im erkennbaren Zusammenhang der fehlenden Institutionalisierung von Jugendforschung als Teilgebiet der Erziehungswissenschaft wird erziehungswissenschaftlichem Wissen über Jugend eine große Bedeutung für die Gestaltung pädagogischer Institutionen und für bildungspolitische Entscheidungen beigemessen. Dabei besteht gegenwärtig vor allem Interesse an Erkenntnissen zu institutionell gerahmten, qualifizierenden Bildungsverläufen und Bedingungen ihres Gelingens und Scheiterns. Junge Menschen kommen dabei vor allem als künftige Arbeitskräfte in den Blick. In den Hintergrund getreten sind aktuell hingegen Auseinandersetzungen um die Gestaltung demokratischer Prozesse und Fragen der politischen Beteiligung junger Menschen, die angesichts der Wahlerfolge von Rechtspopulist*innen und nationalistischen Interessengruppen, aber auch durch die transnationalen Jugendbewegungen wieder aufgerufen werden. Mit der Frage der thematischen Konjunkturen und der Erwartungshorizonte an die Wissensproduktion in der Jugendforschung eng verbunden sind die strukturellen Bedingungen von Jugendforschung an Hochschulen und in Forschungszentren. Deshalb muss es auch darum gehen, die Positionierung erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung im Spannungsfeld von Politik, Pädagogik und Wissenschaftsbetrieb (Teil 4) kritisch zu reflektieren. Drei Beiträge diskutieren dies im letzten Teil des Bandes: Im ersten dieser abschließenden Beiträge des Bandes diskutieren ­ HeinzHermann Krüger, Birgit Reißig und Christine Wiezorek in Anlehnung an eine Podiumsdiskussion u. a. folgende Fragen: Wie kann die aktuelle Situation der Jugendforschung in der Erziehungswissenschaft eingeschätzt werden? Wie steht sie zu anderen disziplinären Bearbeitungen des Gegenstands ‚Jugend‘ im Verhältnis und wie lässt sie sich besser vernetzen? Welche Herausforderungen werden für die Forschungs- und Nachwuchssituation gesehen und wie ließe sich eine erziehungswissenschaftliche Jugendforschung besser strukturell verankern? Zu diesen Themen konfrontiert der Beitrag die unterschiedlichen Perspektiven eines erziehungswissenschaftlichen Jugendforschers ‚der ersten Stunde‘ (Krüger), der Leiterin einer Abteilung eines außeruniversitären Jugendforschungsinstituts

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K. Bock et al.

(­Reißig) sowie einer Professorin für außerschulische Jugendbildung und gleichzeitig eines DGfE-Vorstandsmitglieds (Wiezorek). Auch Merle Hummrich setzt sich in ihrem Beitrag mit der Frage auseinander, wie eine erziehungswissenschaftliche Jugendforschung sowohl historisch eingebettet als auch aktuell verankert ist. Dabei wirft sie erstens einen kritischen Blick darauf, wie in den unterschiedlichen Forschungszugängen der Jugendforschung die Jugendlichen selbst im Forschungsprozess wahrgenommen und als Jugendliche konstruiert werden. Zweitens fragt sie nach der Gegenstandskonstruktion einer erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung, die sich der Strukturmerkmale von Jugend vergewissern muss, die in disziplinärer Perspektive von Interesse sind. Besonders herausgestellt wird im Beitrag die Perspektive auf die gesellschaftlichen Hervorbringungsprozesse von Jugend, die einerseits nationalgesellschaftlich verankert sind, sich aber andererseits durch Migrationsund Globalisierungsprozesse verändern. Karin Bock und Wolfgang Schröer diskutieren in ihrem Beitrag schwelende Themen zwischen erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung und „gesellschaftlicher“ Jugendpolitik, die seit Jahren in diesem Verhältnis nur latent thematisiert werden. Generationalität, Institutionalisierung und Jugendrechte sind aus ihrer Sicht Themen, die sich jenseits der Konjunkturen als grundsätzliche Kristallisationspunkte von erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung und Jugendpolitik erweisen, für die aber im aktuellen Verhältnis von erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung und Jugendpolitik und seiner Gegenwartsbezogenheit des Macht- und Transfergefüges nur schwer ein grundlegender Spannungsbogen aufgebaut werden könne. Der vorliegende Band soll mit diesen Beiträgen die aktuelle Standortbestimmungen erziehungswissenschaftlicher Perspektiven auf Jugend vornehmen und Konzepte und Ansätze für eine Stärkung der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung diskutieren, einen Beitrag zu einer Wiederaufnahme der Thematisierung von Jugend in der Disziplin leisten. Er fordert damit zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den hier entfalteten Debatten auf. Wir wünschen eine angenehme Lektüre!

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Einleitung: Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung …

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Teil I Impulse zum Verhältnis von Erziehungswissenschaft und Jugendforschung

Jugend – noch eine relevante Kategorie erziehungswissenschaftlicher Forschung? Zum Stellenwert von Jugendforschung in der Erziehungswissenschaft Cathleen Grunert Zusammenfassung

Der Beitrag widmet sich dem Stellenwert der Kategorie ‚Jugend‘ in der Erziehungswissenschaft. Dafür fragt er zunächst in historischer Perspektive nach der Relevanz von Jugend in den disziplinären Entwürfen einer sich seit Ende des 18. Jahrhunderts etablierenden Erziehungswissenschaft und skizziert die Entwicklungslinien einer erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung in Deutschland. In einem zweiten Schritt wird anhand einer quantitativen themenbezogenen Inhaltsanalyse erziehungswissenschaftlicher und interdisziplinärer Zeitschriften in Deutschland herausgearbeitet, wie Jugend darin thematisch wird und welche Jugendbilder darüber produziert werden. Abschließend fragt der Beitrag danach, inwiefern Jugend und Jugendforschung wieder stärker in den Kontext einer Allgemeinen Erziehungeswissenschaft zu rücken wären.

Ich danke Dr. Katja Ludwig für die Unterstützung bei der Datenerhebung, -analyse und -aufbereitung sowie für die Diskussionen zum Beitrag C. Grunert (*)  Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale), Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Grunert et al. (Hrsg.), Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27612-6_2

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C. Grunert

Abstract

The article focuses on the significance of ‚Youth‘ as a category in educational science. In the first step, it addresses in a historical perspective the question about the importance of youth in the disciplinary approaches of educational science and outlines the paths of an educational youth research in Germany. In a second step, a quantitative content analysis of educational and interdisciplinary journals in Germany shows how youth becomes a subject matter and what kind of images about youth are being constructed through it. Finally, the article sketches to what extent youth and youth research should once again be resumed more strongly into the field of general educational science.

1 Zum Stellenwert von Jugend und Jugendforschung in wissenschaftstheoretischen Entwürfen der Erziehungswissenschaft „Fangt also damit an, Eure Schüler besser zu studieren, denn ihr kennt sie bestimmt nicht.“ (Rousseau 2001 [1762], S. 6) Diese Feststellung der Fremdheit des Wesens der Kindheit und die Aufforderung, diese durch Beobachtung zu überwinden, findet sich am Beginn des Erziehungsromans Emilé aus dem Jahre 1762. In dieser Schrift fasst Rousseau nicht nur die Kindheit, sondern auch die Jugend als eigenständige Lebensphase, die es allererst in ihren Eigenheiten zu beobachten gilt. Die Jugendphase betrachtet er dabei als „zweite Geburt“ (ebd., S. 211), die durch neue Zugänge zur Welt und zu sich selbst als konflikthafte und notwendige innere Reifezeit gekennzeichnet ist und die deshalb als pädagogisch begleiteter Schonraum zu konzipieren sei. Der Gedanke, diese Lebensphase auch mit wissenschaftlichen Mitteln zu analysieren bricht sich Ende des 18. Jhds. zunehmend Bahn und fällt mit der Entstehung der Pädagogik als Wissenschaft zusammen. Die Jugendkunde wird dabei etwa von Ernst Christian Trapp (1780) oder stärker konzeptionell von Kajetan von Weiller (1800) als Grundlage für eine Wissenschaft von der Erziehung entworfen, die es ermöglichen sollte, die zukünftigen professionellen Pädagogen mit einem adäquaten Jugendbild auszustatten, das sich von den subjektiven, zumeist an der eigenen Jugend orientierten Vorstellungen distanziert. Jugend wird seit dieser Zeit – ebenso wie Kindheit – nicht nur mehr und mehr zum Gegenstand pädagogischen Handelns, sondern auch zum Gegenstand der Wissenschaft (Dudek 1990). Beides trug maßgeblich

Jugend – noch eine relevante Kategorie …

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zur sozialen Konstruktion dieser Lebensphasen insbesondere im Kontext eines pädagogischen Moratoriums bei. Explizit Jugend als Kategorie und Untersuchungsgegenstand der Pädagogik stellte dann vor allem Siegfried Bernfeld als Vertreter einer psychoanalytisch orientierten Pädagogik zu Beginn des letzten Jahrhunderts in den Mittelpunkt. Jugend, das hieß damals für Bernfeld männliche Jugend, fasste er als eine spezifische Lebensphase, die geprägt ist von unterschiedlichen Bewältigungsweisen einsetzender Sexualität, die abhängig sind vom Sozialen Ort und damit der Lebenswirklichkeit bzw. des Milieus, das „je eine andere Chance der Entwicklung“ entfaltet (1929, S. 312). Während im Verlaufstyp der gestreckten Pubertät Sublimierungsstrategien zu einer besonderen kulturellen Produktivität und Eigenart der Jugend führen, ist die einfache Pubertät von einer Anerkennung der Sexualität geprägt, die gemeinsam mit einer notwendig frühen Integration in Arbeit einen schnellen Übergang in das Erwachsensein bedingt (Bernfeld 1923, 1935). Mit der Fokussierung auf jugendkulturelle Phänomene auf der einen Seite und der Betonung der Abhängigkeit des Pubertätsverlaufs vom sozialen Ort auf der anderen Seite, entwirft Bernfeld einen Jugendbegriff (Bernfeld 2010 [1915]), der für eine pädagogische Jugendforschung anschlussfähig ist, die sich als interdisziplinäres Projekt entwerfen muss und sowohl Jugend in entwicklungspsychologischer, soziologischer, kulturwissenschaftlicher und historischer Perspektive fokussiert als auch nach den Einflüssen pädagogischer Institutionen und deren Jugendbildern auf die Konstitution der Jugendphase fragt. Für Bernfeld war es zentrale Aufgabe wissenschaftlicher Pädagogik, die „Stellung der Jugend in der Gesellschaft“ (1917, S. 225) systematisch in den Blick zu nehmen und die Frage zu beantworten, wie die „Tatsachen der Erziehung, ihre Art und ihr Umfang“ (ebd., S. 231) sowie die materialen Lebensbedingungen von Jugendlichen ihre Ausdrucks- und Positionierungsmöglichkeiten bestimmen. Jugendphase als pädagogisches Moratorium gerät damit auch kritisch vor dem Hintergrund der Ermöglichung und Begrenzung jugendlicher Handlungsräume durch die bestehenden Erziehungsverhältnisse in den Blick. Während Bernfeld mit dem Verweis auf die „unerschöpfliche Fülle von Verlaufsformen“ (Bernfeld 1935, S. 231) auf die Schwierigkeit verwies, von der Jugend zu sprechen, versuchte sich Eduard Spranger mit seiner „Psychologie des Jugendalters“ (1925) an einem Gesamtentwurf der Jugendphase (Dudek 1990, S. 257). Diese fasst er ohne empirische Basis und konzentriert auf die bürgerliche, männliche, großstädtische Jugend – ähnlich wie Rousseau – als krisenhaften inneren Reifeprozess (Abels 1993, S. 100), in dem der Jugendliche in schöpferischer Auseinandersetzung mit den kulturellen Objektivationen

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C. Grunert

der jeweiligen Zeit in die soziale Ordnung und Kulturzusammenhänge hineinwächst (Spranger 1925). Da Jugend vor diesem Hintergrund als erziehungsbedürftig gilt, wird sie von Spranger als pädagogisches Moratorium entworfen, das zur Verinnerlichung der kulturellen Werte der jeweiligen Zeit anregen soll, sodass Jugend hier gleichsam als Träger des kulturellen Erbes und dessen Weiterentwicklung adressiert wird (vgl. auch Löffelholz 1991, S. 263). Im Gegensatz zu Bernfeld blendet Spranger jedoch Fragen nach der Differenziertheit jugendlichen Aufwachsens im Kontext pädagogischer Einflussnahmen und soziokultureller Rahmenbedingungen ebenso aus wie den Stellenwert empirischer Jugendforschung für die erziehungswissenschaftliche Theoriebildung. Das von ihm konstruierte Idealbild von Jugend ist dabei als Einordnung in den objektiven und normativen Geist der Zeit (Haan und Rülcker 2002, S. 202 f.) als Transitionsgeschehen enggeführt und konnte darüber lange Zeit – auch in der Zeit des Nationalsozialismus (vgl. Ortmeyer 2008) – normative Wirkung sowohl im gesellschaftlichen Diskurs über Jugend als auch als normative Orientierungsfolie pädagogischen Handelns entfalten – ein gutes Beispiel dafür, wie sehr der wissenschaftliche Diskurs über Jugend immer auch an der über das akademische Feld hinausgehenden Diskursproduktion über Jugend beteiligt ist. Bemühungen, die nach dem 2. Weltkrieg stark in der Soziologie verankerte Jugendforschung wieder in die Pädagogik zu integrieren, kamen dann in den 1960er-Jahren vor allem aus einer neuen, sozialwissenschaftlich orientierten Erziehungswissenschaft, etwa von Heinrich Roth (1967) oder Klaus Mollenhauer (1973a [1964]) und waren nicht zuletzt Reaktionen auf die Kritik Schelskys an der Ausweitung des pädagogischen Moratoriums im Kontext der Bildungsreform, die Jugend laut Schelsky zunehmend vereinnahme und von der gesellschaftlichen Integration abhielte (Schelsky 1961). Da Jugend aber, so Heinrich Roth, erziehungsbedürftig sei und Erziehungswissenschaft es mit dem ganzen Menschen zu tun habe, sei Jugend „vorwiegend ein pädagogisches Phänomen“ und Jugendforschung müsse unter genuin pädagogischen Fragestellungen psychologische und soziologische Perspektiven integrieren (Roth 1967, S. 450). Für Klaus Mollenhauer ist dabei Jugend immer im Kontext gesellschaftlicher Regulierungen und darin eingelassener Erziehungsverhältnisse als intergenerationales Verhältnis zu denken (Mollenhauer 1973b [1968], S. 98 ff.). Ähnlich wie Bernfeld fokussiert er Jugend und deren gesellschaftliche Positionierungsmöglichkeiten als hervorgebracht durch die Erziehungstatsache und betont dabei auch die Reproduktion von Herrschaftsverhältnissen über diese Prozesse und damit soziale Ungleichheitslagen, über die sich immer auch Risiken und Gefährdungen im Aufwachsen Jugendlicher entfalten (vgl. Mollenhauer 1982). Jugend besitzt für ihn jedoch die Potenzialität, „gesellschaftliche Veränderungen

Jugend – noch eine relevante Kategorie …

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hervorzubringen“ (Mollenhauer 1973a [1964], S. 67). Jugend wird damit vom Träger des kulturellen Erbes bei Spranger zum Hoffnungsträger gesellschaftlicher Veränderung bei Mollenhauer. Pädagogik als Praxis und als Theorie hat dies zu unterstützen (ebd., S. 66 f.). Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung hat dabei die Aufgabe, die Besonderheiten der Perspektiven der Jugendlichen auf ihre gesellschaftlichen Positionierungsprozesse im Kontext generationaler Ordnung, institutioneller Einbettung und sozialer Lagerungen in den Blick zu nehmen und gleichzeitig diese Zusammenhänge ebenso wie die eigene Empirie immer wieder der Kritik zu unterziehen. Dies sei – so Mollenhauer – „die unteilbare Aufgabe der Erziehungswissenschaft“ (ebd., S. 67). Mollenhauer richtet damit den Blick ähnlich wie Bernfeld auf jugendliches Aufwachsen im Spannungsverhältnis von zunehmender Institutionalisierung und Pädagogisierung als Mittel gesellschaftlicher Regulierung von Jugend und den darin sich entfaltenden Ermöglichungsund Begrenzungsräumen jugendlicher Handlungsmächtigkeit, die sich immer auch gegen gesellschaftliche Regulierungen und Normierungen richten kann (vgl. Mollenhauer 1982). Mit der Hinwendung der Erziehungswissenschaft zu sozialisationstheoretischen Konzepten entwirft sich erziehungswissenschaftliche Jugendforschung jedoch weniger als pädagogisches, denn als sozialwissenschaftliches Projekt. Diesem geht es vor allem darum, statt distanzierter Surveyforschung zu Einstellungen und Orientierungen wie in der damaligen Soziologie, die Perspektiven der Jugendlichen selbst auf ihr Leben und ihre Handlungsräume in den Fokus zu rücken. Jugendliche werden nun v. a. auf der Basis interaktionistischer und phänomenologischer Theoriekonzepte in ihrem Akteursstatus fokussiert (vgl. Krüger und Grunert 2010, S. 17 ff.). Mit diesem Perspektivwechsel ist dann auch ein methodischer Paradigmenwechsel verbunden, der an hermeneutische Traditionen anschließt und qualitativ-rekonstruktiven methodischen Zugängen einen hohen Stellenwert einräumt, um die Differenziertheit jugendlichen Alltagslebens im Kontext soziokultureller Rahmenbedingungen, mit denen ganz spezifische Bewältigungslagen verbunden sind, in den Blick zu bekommen. Jugend wird nun vor allem aus modernisierungstheoretischer Perspektive als eine Lebensphase gefasst, die den Chancen und Risiken gesellschaftlicher Individualisierungstendenzen unterliegt und nicht mehr als kollektive Statuspassage greifbar wird. Eine zunehmende Verschulung und Pädagogisierung des Jugendlebens geht einher mit einer Entstrukturierung und Destandardisierung der Jugendphase, wie es bspw. Thomas Olk damals zugespitzt formuliert hat (Olk 1985, 1986). Diese lässt sich aufgrund vorgelagerter Platzierungsentscheidungen und zeitlich differenter Übergänge, die von Jugendlichen in ganz unterschiedlicher Art und Weise bearbeitet und bewältigt werden, nicht mehr als

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eine einheitliche Lebensphase fassen. Ein Generationenbild von Jugend scheint vor diesem Hintergrund nicht mehr formulierbar, sodass der Blick auf Jugend sich wandelt von Jugend als gesellschaftlicher Größe hin zum konkreten Jugendlichen und seiner Lebenswelt (Schefold 1993), die von einer Ausweitung schulischer Logiken über den Kontext Schule hinaus und dem wachsenden Einfluss von Massenmedien und Konsum geprägt ist. Jürgen Zinnecker prägte dafür den Begriff des Bildungsmoratoriums (Zinnecker 1991). Gleichzeitig entfernt sich der erziehungswissenschaftliche Blick zunehmend von pädagogischen Fragen nach der Einbettung von Jugendlichen in die je gegebene generationale Ordnung und deren Gestaltung sowie nach den Risiken, Möglichkeiten und impliziten Machtverhältnissen eines immer auch zukunftsbezogenen und wirkungsorientierten pädagogischen Handelns, wie sie auch Mollenhauer (1973b [1968]) aufwarf. Es ging vielmehr um analytische Perspektiven, die möglichst methodisch elaboriert, die Lebenslagen, Ausdrucksformen und Orientierungen von Jugendlichen – größtenteils außerhalb von Schule – in einer interdisziplinären Perspektive differenziert zu beschreiben suchten. In den Blick gerieten dabei vor allem jugendkulturelle Ausdrucksformen, Stilbildungen und politische Orientierungen von Jugendlichen auf der einen sowie vor dem Hintergrund eines prekärer werdenden Arbeitsmarktes Risiken der Jugendphase als Transitionsphase in das Erwachsenenalter auf der anderen Seite (vgl. Krüger und Grunert 2010, S. 20 ff.). Jugend kommt nun als pluralisierte und ausdifferenzierte Lebensphase in den Blick, an deren Analyse ganz unterschiedliche Disziplinen beteiligt sind.

2 Zur aktuellen Situation der Jugendforschung im Kontext der Erziehungswissenschaft Damit entwickelte sich ein Forschungsfeld, das den sozialwissenschaftlichen Blick auf Jugend deutlich erweitert hat, das interdisziplinär ausgestaltet ist, ohne dass disziplinäre Grenzziehungen immer eindeutig erkennbar wären. Die Allgemeine Erziehungswissenschaft hat sich aus diesem Feld jedoch zunehmend zurückgezogen, sodass Jugendfragen vor allem auch im Kontext der Teildisziplinen verhandelt werden und in wissenschaftstheoretischen Entwürfen Jugend nicht mehr explizit thematisiert wurde. Zumindest verweisen darauf die seit Ende der 1990er Jahre immer wieder geführten Selbstvergewisserungsdebatten (vgl. z. B. Hornstein 1997; Lüders 1998; Hübner-Funk und Lüders 2004; Ecarius 2009; Winkler 2012) sowie ein Blick auf die strukturelle Eingebundenheit von Jugendforschung und Jugendthemen in die Erziehungswissenschaft:

Jugend – noch eine relevante Kategorie …

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1. So hat zum einen Jugendforschung in den Diskussionszusammenhängen der Erziehungswissenschaft keinen wirklichen Ort. Der einzige Ort ist die eher kleine Sektion Jugendforschung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, in die mittlerweile eine ganze Reihe von ErziehungswissenschaftlerInnen integriert ist. 2. Zum anderen findet Jugendforschung in der Erziehungswissenschaft ihren Ort ebenso wenig in einschlägigen Professuren, kaum eine Professur in Deutschland hat ein Profil, das explizit auf dieses Themenfeld zugeschnitten ist und auch die Ausschreibungen der Jahre 2011–2014 verweisen auf lediglich vier Professuren im Kontext der Allgemeinen Erziehungswissenschaft, die den Terminus Jugend in der Denomination verwenden (Detailprüfung der Daten von Gerecht et al. 2016, S. 151 ff.). 3. Jugendforschung und Jugendthemen sind zudem nicht systematisch in den Curricula erziehungswissenschaftlicher Studiengänge verankert, ebenso wenig im Kerncurriculum Erziehungswissenschaft der DGfE. Eine Untersuchung der aktuellen Studiengangslandschaft in der Erziehungswissenschaft (vgl. etwa Grunert et al. 2016; Grunert und Ludwig 2016) machte deutlich, dass in den Modulinhalten der Bachelor- und Masterstudiengänge zum Wintersemester 2014/15 nur bei 6 von 190 Studiengängen allgemeine Jugendthemen verpflichtend aufgenommen wurden und Jugend als Thema in erster Linie in den professionsbezogenen Logiken der Teildisziplinen in AdressatInnenbezügen verankert ist. Vor diesem Hintergrund stellt sich aber zwingend die Frage, wie die Altersgruppe der Jugendlichen – wie auch immer man diese begrenzt – im erziehungswissenschaftlichen Kommunikationsraum dann überhaupt thematisch wird, ist sie doch trotz des Ausbaus der frühpädagogischen und erwachsenenbildnerischen Handlungsfelder weiterhin eine zentrale Zielgruppe pädagogischen Handelns.

3 Jugend im Spiegel erziehungswissenschaftlicher und interdisziplinärer Zeitschriften Dieser Frage soll im Folgenden anhand der Befunde einer quantitativen Inhaltsanalyse von Fachzeitschriften nachgegangen werden. Fachzeitschriften sind dabei als Orte wissenschaftlicher Kommunikation zu fassen, die Auskunft darüber geben, welche Themen in einer Fachcommunity jeweils Konjunktur haben. Anders als Handbücher bilden sie kein zum Kanon geronnenes Wissen ab, dem künstlich der gleiche Stellenwert zugewiesen wird, sondern eher vorläufiges

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Wissen, über dessen künftigen Stellenwert in der Disziplin erst noch verhandelt werden muss. Um die Frage nach der Einbettung jugendbezogener Themen in den disziplinären als auch den interdisziplinären Fachdiskurs zu bearbeiten, dienten mit der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft (ZfE) und der Zeitschrift für Pädagogik (ZfPäd) zwei Zeitschriften als Datengrundlage, die sich selbst als repräsentative Fachorgane für die Erziehungswissenschaft verorten1 sowie mit dem DISKURS Kindheits- und Jugendforschung und der Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation (ZSE) zwei Zeitschriften, die stärker interdisziplinär ausgerichtet sind. In die Auswahl kamen Beiträge ab 1998 bzw. für den DISKURS erst ab 2006, da dieser erst ab diesem Zeitpunkt erschienen ist, bis zum Jahr 2016. Ausgewählt wurden alle Beiträge, die auf Jugendliche zunächst rein als Altersgruppe, unabhängig von Rollenzuschreibungen fokussieren2. Die Auswahl der Beiträge erfolgte über eine Recherche auf dem Portal FIS-Bildung, auf dem alle Zeitschriftenbeiträge der ausgewählten Zeitschriften abrufbar sind. Insgesamt konnten so für den genannten Zeitraum 530 Beiträge identifiziert werden. In der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 126, in der Zeitschrift für Pädagogik 117, im DISKURS Kindheits- und Jugendforschung 153 und in der Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation 134. In einem ersten Schritt wurde dann pro Jahrgang und Zeitschrift jeweils ein Artikel ausgewählt (n = 80) und für die thematische und methodische Zuordnung der Beiträge wurde über eine textbasierte Inhaltsanalyse ein Kategoriensystem entwickelt. Diesen induktiv gewonnenen Kategorien wurden dann durch zwei Codiererinnen unabhängig voneinander auch die anderen Beiträge zugeordnet. Für die Beurteilung der Güte der Zuordnungen wurde die Intercoderreliabilität anhand von Cohen‘s Kappa berechnet. Diese betrug für die Themenzuordnung κThemen = 0,76 und für die Methodenzuordnung κMethoden = 0,94, was auf eine sehr gute Beurteilerreliabilität verweist. Diejenigen Beiträge, die im ersten Schritt nicht von beiden Codiererinnen in gleicher Weise zugeordnet wurden, wurden geprüft und konnten entweder auf Basis einer vergleichenden Diskussion zugeordnet werden oder machten teilweise auch eine Erweiterung des Kategoriensystems notwendig. Die Daten wurden in das Statistikprogramm SPSS eingegeben und deskriptiv ausgewertet.

1Siehe

dazu die jeweiligen Webauftritte. Suchbegriffe wurden verwendet: Jugend*, Adoleszen*, Schüler*, Student*, Studierend*, Lehrling*, Auszubildend*, youth*, young adult*, adolescent*, Heranwachs*.

2Als

Jugend – noch eine relevante Kategorie …

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Abb. 1   Beiträge mit und ohne Jugendbezug (n = 2297)

Bei aller in diesem Vorgehen liegenden Abstraktion zeigen sich in den Befunden folgende Tendenzen (Abb. 1): Der Vergleich zwischen der Gesamtzahl der Beiträge in den Zeitschriften im beobachteten Zeitraum und denjenigen mit einem Bezug zum Thema ‚Jugend‘ macht zunächst deutlich, dass von Jugendvergessenheit in der Erziehungswissenschaft nicht grundsätzlich die Rede sein kann. Immerhin beziehen sich mit Schwankungen im Schnitt 20 % der Beiträge in der ZfE und 12 % in der ZfPäd durchaus auf den Personenkreis, der im Zugang zu den Zeitschriften als Jugendliche, Schüler*innen, Auszubildende, junge Erwachsene, Adoleszente oder Studierende bezeichnet wurde. In den beiden anderen Organen sind dies jedoch mit 45 % im DISKURS, aber auch 38 % in der ZSE erwartungsgemäß deutlich mehr. Dies sagt aber noch nichts darüber aus, wie Jugend jeweils in den Blick gerät, d. h. welche Themen verhandelt werden, wenn über Jugendliche gesprochen wird. Wenn wir zunächst einen Blick auf den interdisziplinären Kommunikationsraum legen (Abb. 2), dann kommt Jugend sehr vielfältig über unterschiedliche Themenfelder zum Tragen, wie die politischen Orientierungen, Fragen von Verselbständigung und Vergemeinschaftung im Jugendalter, Risikoperspektiven auf deviantes und gesundheitsgefährdendes Verhalten, aber durchaus auch institutionenbezogene Themen von schulischer Leistungserbringung und schulischen

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C. Grunert

Abb. 2   Themenkumulationen in den interdisziplinären Zeitschriften

Übergängen. Darüber hinaus finden sich eine Vielzahl von Themen, die Jugend im Kontext unterschiedlicher Lebenslagen oder jugendkultureller Praktiken in den Blick nehmen, sodass hier Jugend primär in ihrem soziokulturellen Eigengewicht in den Blick kommt. Betrachtet man demgegenüber den engeren erziehungswissenschaftlichen Kommunikationsraum der ZfE und ZfPäd (Abb. 3), dann zeigt sich ein ganz anderes Bild. Deutlich dominant werden hier Themen, die einer qualifikationsbezogenen Transitionsperspektive auf Jugend verhaftet sind und die primär auf schulische Bildungsverläufe und deren Anschlüsse fokussieren. Dies zeigt sich auch im differenzierteren Zeitvergleich (Abb. 4)3. Für die allgemein-disziplinären Zeitschriften wird deutlich, dass Jugendliche in erster Linie im Bildungssystembezug als Schülerinnen und Schüler und dabei über unterrichts- und leistungsbezogene Fokussierungen in den Blick geraten. Eine solche Ausrichtung verbindet sich in diesen Zeitschriften auch stark mit Fragen von institutionellen Übergängen innerhalb von Schule oder aus der

3Die

weiße Linie in der Abb. 4 macht die Anzahl der Beiträge im jeweiligen Jahr deutlich, die an der Skala rechts abzulesen ist.

Jugend – noch eine relevante Kategorie …

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Abb. 3   Themenkumulationen in den disziplinären Zeitschriften

Abb. 4   Themenkonjunkturen in den disziplinären Zeitschriften (n = 243)

Schule heraus, die in den Beiträgen ausschließlich standardisiert-quantitativ als Bildungsbeteiligungsfragen empirisch bearbeitet werden. Beide Perspektiven stellen Schule als zentrale Regulierungsinstanz von Jugend in das Zentrum und zeichnen damit ein Bild von Jugend als Transitionsphase, die sich über Qualifizierungsnotwendigkeiten zukunftsbezogen bestimmt. Jugendliche werden damit kategorial in ihrer Schülerrolle betrachtet und ihr Anteil am

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Unterricht auf das didaktisch geplante Lehren und Lernen reduziert. Leistungserbringung wird dabei ebenso wie die institutionellen Übergänge in Abhängigkeit von Schulform- oder Individualvariablen, wie Geschlecht, soziale Herkunft und Migration analysiert. Bezüge zur außerunterrichtlichen Lebenswelt tauchen so vor allem als erklärende Variablen für Bildungserfolg und Bildungskarrieren auf und werden damit als objektive Größe und feststehende Identitätskategorien vorausgesetzt. Systematischer kommen diese in den wenigen Beiträgen in den Blick, die sich auf soziale Beziehungen in- und außerhalb der Schule beziehen und darüber auf die Relevanz von Sozialisationskontexten wie Familie oder Peers für die Entfaltung schulischer Bildungsorientierungen und -aspirationen auch unter einer Milieuperspektive verweisen. Derartige Forschungsperspektiven liegen dann im Schnittfeld von Jugend-, Schul- und Familienforschung und weisen nicht nur auf die Komplexität des Gegenstandsfeldes Jugend hin, sondern können auch als Versuche gelesen werden, die quantitativ herausgearbeiteten Differenzen jugendlicher Bildungsverläufe systematischer in einer Mikroperspektive in den Blick zu nehmen und Bildungs- und Sozialisationsprozesse etwa in der Familie oder den Peers in ihrem Wechselverhältnis zu schulischen Bildungsanforderungen zu analysieren. Über diesen starken Fokus auf Schule geraten Berufsausbildung oder Hochschule in der Frage, was diese für die Ausgestaltung der Jugendphase oder jugendliche Positionierungsprozesse bedeuten, kaum in den Blick. Sie sind eher Teil der bildungssystembezogenen Transitionsforschung, die Übergänge in erster Linie unter einer Risiko- und Bewältigungsperspektive von spezifischen – insbesondere als benachteiligt adressierten – Gruppen betrachtet oder Jugendliche werden hier – ebenso wie im Kontext Schule – als Lerner und Leistungserbringer adressiert. Ein kurzer Blick auf die interdisziplinären Zeitschriften (Abb. 5) zeigt, dass Jugendthemen deutlich breiter und seltener in einer engen funktionsbezogenen Perspektive verhandelt werden, wobei auch hier die Themen Lernen, Unterricht sowie Bildungsverläufe und -übergänge durchaus Raum einnehmen. Jugend wird eher als eigenständige Lebensphase thematisch, die in spezifischer Weise mit Prozessen der Identitätsentwicklung und Verselbständigung sowie jugendkulturellen Praktiken und politischen Orientierungen verwoben ist, aber gleichzeitig auch Risiken für die gesellschaftliche Integration in sich birgt, sodass Jugendliche auch als Gefährder und Gefährdete im Kontext von deviantem, demokratiefeindlichem und gesundheitsriskantem Verhalten adressiert werden. Dies sind Themen, die sich relativ kontinuierlich durch die ZSE ziehen, während im DISKURS stärker noch Fragen von außerschulischem Lernen und der Bewältigung

Jugend – noch eine relevante Kategorie …

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Abb. 5   Themenkonjunkturen in den interdisziplinären Zeitschriften (n = 287)

prekärer Lebenslagen als erziehungswissenschaftliche und sozialpädagogische Problemstellungen verhandelt werden. Die Lebenslage Behinderung oder Beeinträchtigung kommt allerdings in allen Periodika erstaunlicherweise gar nicht in den Blick und lässt sich bislang auch generell als Forschungsdefizit in der Jugendforschung ausmachen (vgl. den Beitrag von Brodersen und Gaupp in diesem Band). Ebenso kommen Bildungsprozesse als Transformationsprozesse von Selbstund Weltverhältnissen, die über die Analyse von biographischem Material im Kontext einer bildungstheoretisch orientierten Biographieforschung in den letzten Jahren in der erziehungswissenschaftlichen Forschung zunehmend eine Rolle spielen (vgl. etwa Nohl 2006; Koller und Wulftange 2014; Nohl et al. 2015; Koller 2016), in Verbindung mit dem Thema Jugend über alle Zeitschriften hinweg kaum in den Blick und sind in der Kategorie Sonstige aufgehoben. Die Zeitschriftenanalyse macht deutlich, dass Jugend im erziehungswissenschaftlichen Kommunikationsraum in erster Linie in einer eher engen Perspektive als Schul- und Lernjugend und damit integriert in eine spezifische Institution der gesellschaftlichen Verinselung oder Separierung von Jugend thematisch wird. Zentral ist dabei die Perspektive auf Qualifizierung als gesellschaftlicher Integrationsleistung für einen erfolgreichen Übergang im Bildungssystem und in den Arbeitsmarkt. Über den interdisziplinären Kommunikationsraum eröffnet sich dann eine bereitere Perspektive auf Jugend, wenngleich deutlich wird, dass mit

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der Verabschiedung von Jugend als Generationszusammenhang und gesellschaftlich konstruierter Statuspassage ein Perspektivenwechsel stattgefunden hat, der den Blick nun stärker auf konkrete lebensweltliche Ausschnitte einzelner Jugendgruppen lenkt und Jugend im Spannungsfeld von problematischer Bewältigungslage und kulturell eigensinniger Lebensphase fokussiert.

4 Fazit Insgesamt machen der historische Rückblick sowie die skizzierten Befunde zum Thematischwerden von Jugend in aktuellen erziehungswissenschaftlichen Kommunikationszusammenhängen Folgendes deutlich: Jugendforschung wurde seit Beginn der Etablierung der Erziehungswissenschaft als Wissenschaftsdisziplin als eines ihrer maßgeblichen Forschungsfelder definiert. Systematisches Wissen über Jugend wurde sowohl für die pädagogische Praxis als auch die Theoriebildung als notwendig erachtet und dessen Erzeugung als zentrale Aufgabe einer wissenschaftlichen Pädagogik verortet. Damit wurden gleichzeitig Differenzen zwischen verschiedenen Phasen im menschlichen Lebenslauf über die Betonung der Andersheit von Jugend und Jugendlichen festgeschrieben, und Jugend als eine besondere Lebensphase konstruiert, die zunehmend über die Einbettung in pädagogische Handlungsfelder, allen voran die Schule, maßgeblich bestimmt und reguliert wird. Die wissenschaftsgeschichtlich sich unterscheidenden Perspektiven auf Jugend in der erziehungswissenschaftlichen Theoriebildung verweisen dabei nicht zuletzt auf das Spannungsfeld zwischen zukunftsbezogener pädagogischer Gestaltung des Jugendalters und dem soziokulturellen Eigengewicht der Jugendphase. Jugendphase als Wechselverhältnis von pädagogischer Einflussnahme und jugendlicher Selbsttätigkeit wird dabei etwa von Siegfried Bernfeld (1917) und Klaus Mollenhauer (1982) durchaus kritisch im Kontext von gesellschaftlicher Konstruiertheit und Regulierung sowie sozialstrukturellen Begrenzungen diskutiert, aber auch als Möglichkeitsraum der Überschreitung gesellschaftlicher Normierungen und der eigenen kulturellen Produktivität betrachtet, während es für Eduard Spranger (1925) eher ein Verhältnis der Ermöglichung und Einordnung in die jeweilige gesellschaftliche Ordnung darstellt. Die Frage jedoch, wie Jugend über sich historisch wandelnde gesellschaftliche Regulierungen, die sich immer auch in je spezifischen institutionalisierten Erziehungsverhältnissen niederschlagen, konstruiert wird, und wie sich darin Jugendliche als „eigenverantwortliche Subjekte ihrer Lebenspraxis“ (Scherr 2010, S. 57) begreifen können, ist seit den 1990er-Jahren jedoch kein zentrales Thema

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einer Allgemeinen Erziehungswissenschaft mehr. Der theoretische Blick auf das Spannungsverhältnis von gesellschaftlicher Regulierung und jugendlicher Positionierung lässt sich in seiner Globalität über empirische Zugänge auf Jugend, die immer nur bestimmte Ausschnitte jugendlicher Lebenswirklichkeit in den Blick bekommen, scheinbar kaum einholen. Vielmehr lässt sich eine Entkoppelung beobachten. Jugend wird entweder in ihrer Eingebundenheit in pädagogische Kontexte, allen voran die Schule als Lernjugend in einer Transitionsperspektive als eher passive Ein- und Anpassung in bzw. an vorgegebene gesellschaftliche Ordnungsstrukturen fokussiert4. Oder Jugendliche kommen andererseits vor allem in einer Akteursperspektive in den Blick, die sich im Spannungsfeld risikobehafteter Bezugnahmen auf die gesellschaftliche Ordnung und kreativer und eigensinniger Auseinandersetzungen mit dieser bewegt. Während Ersteres vor dem Hintergrund des Aufstiegs der empirischen Bildungsforschung den erziehungswissenschaftlichen Blick auf Jugend, wie es an der Zeitschriftenanalyse deutlich wurde, aktuell zu bestimmen scheint, ist Letzteres eher im interdisziplinären Diskursraum zu beobachten und wird stärker auch in den Nachbardisziplinen und den erziehungswissenschaftlichen Teildisziplinen verhandelt. Eine systematische Bezugnahme findet dabei eher selten statt. Dabei wäre es eine wichtige Aufgabe erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung, die veränderten Normierungen und Strukturierungen des pädagogischen Moratoriums in den Blick zu nehmen, wie sie sich etwa im Kontext der Ausweitung formaler und non-formaler Bildungsinstitutionen bei gleichzeitig verkürzten Schul- und Ausbildungszeiten als Beschleunigungs- und Verdichtungsprozesse andeuten (auch BMFSFJ 2017), und die Frage zu stellen wie sich diese zum Befund der Entstrukturierung, Individualisierung und Pluralisierung der Lebensphase Jugend (Olk 1985; Münchmeier 1998) vermitteln. Es ginge also um das Sichtbarmachen der Folgen dieser Veränderungen in ihren Konsequenzen für das Handeln von Jugendlichen, aber auch für die damit einhergehenden veränderten Bildungs- und Erziehungsverhältnisse. In den Blick einer reflexiven erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung müsste darüber auch der Anteil kommen, den die Erziehungswissenschaft selbst an der Konstruktion von Jugend hat, wie es bereits Bernfeld gefordert hat. Indem

4Bereits

Zinnecker hat 2000 darauf hingewiesen, dass damit eine deutlich lehrerzentrierte Forschung einhergeht, die den einzelnen Schüler oder die einzelne Schülerin eher als „Lernmonade“ fasst und kaum das soziale Feld des Schulalltags in den Blick nimmt (Zinnecker 2000, S. 671).

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sie Normierungen und Leitbilder produziert, über die sich immer auch institutionelle Regulierungen und soziale Praktiken im Umgang mit Jugendlichen legitimieren, bringt Wissenschaft Jugend als widersprüchliche und intern differenzierte Form der Vergesellschaftung gleichsam mit hervor (auch Hornstein 1997, S. 40). Insbesondere die empirische Bildungsforschung ist dabei in den letzten Jahren auf ökonomisch und bildungspolitisch fruchtbaren Boden gefallen und hat zu einer Umgestaltung der Rahmenbedingungen des Aufwachsens massiv beigetragen, sodass dieses mittlerweile einem radikalen Optimierungsprozess unterworfen zu sein scheint, der über den schulischen Kontext deutlich hinausgeht und die Jugendphase entscheidend mitgestaltet (Stojanov 2009; Reinders 2016). Wie genau dies die Jugendphase neu konstituiert ist bislang noch kaum systematisch in den Blick genommen worden. Es ginge dabei aus einer erziehungswissenschaftlichen Perspektive um Bildungs- und Erziehungsprozesse, die sich in der Dynamik gesellschaftlicher Regulierung von Jugend über das pädagogische Feld und der Bezugnahme Jugendlicher auf diese Prozesse und Rahmenbedingungen, auch vor dem Hintergrund sich darin vermittelnder sozialer Ungleichheiten entfalten. Damit wäre eine Verbindung strukturbezogener Analysen und der Rekonstruktion von Bedeutungszuschreibungen, sozialen Praktiken und biographischen Entwürfen Jugendlicher nötig, für die eine erziehungswissenschaftliche Jugendforschung sehr von den theoretischen und methodischen Entwicklungen der letzten Jahre in der Erziehungswissenschaft profitieren könnte, wie bspw. • die über bildungstheoretische Perspektiven auf Selbst- und Weltverhältnisse im Kontext einer bildungstheoretisch orientierten Biographieforschung Bildungsprozesse im Jugendalter gerade nicht an den Ort Schule binden und die Teilbereiche des Aufwachsens in ihren Potenzialitäten für Lern- und Bildungsprozesse gerade nicht separieren (vgl. etwa Koller und Wulftange 2014; Nohl 2006; Nohl et al. 2015); • die über Anschlüsse an das Habituskonzept Bourdieus Jugend bspw. auch in ihrer Einbettung in milieuspezifische familiale Generationsordnungen oder Migrationserfahrungen analysieren und nach der Reproduktion sozialer Ungleichheiten in Bezug auf bildungssystembezogene Anforderungen fragen (vgl. etwa Büchner und Brake 2006; Helsper et al. 2009; Kramer und Helsper 2010; Hummrich 2011), • oder die über diskurstheoretische Ansätze für die Relevanz sich historisch wandelnder Jugenddiskurse und Jugendbilder sensibilisieren und auch kritisch nach dem Einfluss erziehungswissenschaftlicher Wissensproduktion auf die

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soziale Konstruktion und Normierung von Jugend fragen lassen (vgl. etwa Fegter et al. 2015). Was bislang im erziehungswissenschaftlichen Blick auf Jugend fehlt sind Ansätze, die versuchen, die Teilbereiche jugendlichen Alltagslebens noch stärker aufeinander zu beziehen und die Dynamik zwischen den sich wandelnden gesellschaftlichen, sozialen und materialen Konstitutionsbedingungen pädagogischer Handlungskontexte und den Bewegungen Jugendlicher in und zwischen diesen Kontexten vor dem Hintergrund ihrer biographischen Erfahrungen in anderen Sozialisationsräumen, wie Familie, Medien oder Peers, in den Mittelpunkt stellen und darauf fokussieren wie sich darüber Welt- und Selbstverhältnisse konstituieren. Zudem erscheint eine Verbindung von bildungs- und raumtheoretischen Ansätzen (vgl. Grunert und Ludwig 2016; Nohl 2016) die Möglichkeit zu bieten, das Spektrum bislang in den Blick genommener Sozialisationsräume zu erweitern und ungleichheitsbezogene Perspektiven in der Jugendforschung um regional und räumlich bedingte Ungleichheiten zu ergänzen und gleichzeitig deutlich zu machen, wie differenziert sich Jugendliche zu regionalen und räumlichen Bedingungen des Aufwachsens ins Verhältnis setzen und institutionalisierte und nicht-institutionalisierte Räume zueinander vermitteln. Darüber käme dann auch in den Blick, wie sich die Ausweitung formaler und non-formaler Bildungsinstitutionen regional unterschiedlich im Jugendleben niederschlagen und für jugendliche Bildungsverläufe relevant werden.

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Prof. Dr. Cathleen Grunert, ist Leiterin des Arbeitsbereiches ,Soziokulturelle Bedingungen von Erziehung und Bildung‘ an der Universität Halle. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Kindheits- und Jugendforschung, der Professionsforschung und der Wissenschaftsforschung.

Jugend: Moderne und spätmoderne Generationsmuster Youth: Modern and Late Modern Generational Patterns Jutta Ecarius Zusammenfassung

In der Spätmoderne wandeln sich die Koordinaten der Lebensführung durch neoliberale Ökonomisierung, Optimierung und Singularisierung. Es ist auf der Grundlage empirischer Ergebnisse theoretisch darüber nachzudenken, welche Strukturen und Muster einer generationalen Ordnung Jugend sich gegenwärtig abzeichnen, welche Bedeutung dem Authentischen für die Subjektbildung zukommt und wie Mutter und Vater mit einer Erziehung des Beratens jugendliches Leben bewirken. Anhand von empirischen Daten zu den Themen Flexibilität, Eigenbestimmung und Offenheit für die Zukunft sowie subjektives Wellbeing, Familie, Schule und Peergroup wird eine Theoretisierung einer spätmodernen Jugend vorgenommen. Abstract

In late modernity, the coordinates of life-style change through neoliberal economization, optimization, and singularization. On the basis of empirical results, it is theoretically necessary to consider which structures and patterns of a generational order of youth are currently emerging, what significance is attached to the authentic for subject formation, and how mother and father bring about youthful life through the education of counselling. On the basis

J. Ecarius (*)  Universität zu Köln, Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Grunert et al. (Hrsg.), Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27612-6_3

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of empirical data on the topics of flexibility, self-determination and openness for the future as well as subjective well-being, family, school and peer group, a theorization of a late modern youth is undertaken.

1 Einleitung Jugend gewinnt wieder an Interesse, nicht nur wegen ‚Fridays for future‘, sondern auch, da sich Gesellschaft in einem grundlegenden sozialen, medialen und kulturellen Umbruch (Reckwitz 2018) befindet und davon Lebensformen von Jugendlichen nicht unbehelligt bleiben. Diskussionen um Individualisierung, Identität, Abgrenzung und Selbstfindung, Medien und Konsum sowie Singularität, Selbstinszenierung und virtuelle Performanz bestehen gleichermaßen, moderne und postmoderne Strukturen scheinen nebeneinander die Vielfalt auszumachen. So kommt es zu der Frage, wie sich gesellschaftliche Strukturen transformieren, welche Perspektiven gegenwärtig Jugendliche haben und damit zusammenhängend, wie sich Jugend theoretisch fassen lässt. Trotz unterschiedlichster Diskurse über Diversität, Migration, Geschlecht und einer Anhäufung von Statuspassagen ist die klassische Frage weiterhin hochbrisant, wie sich Tradierung und Erneuerung im Wechsel von Generationen (Mannheim 1928) vollziehen und wie sich Jugend als generationale Ordnung beschreiben lässt. Eine Ermöglichung nachwachsender Generationen zur Verselbstständigung und Entfaltung eigener Fähigkeiten interessiert genauso wie die Bezugnahme auf spätmoderne Strukturen. Jugend als generationale Ordnung zu verstehen, die Verselbstständigung sowie Aneignung von Gesellschaftlichkeit gleichermaßen berücksichtigt, interessiert schon lange aus erziehungs- und auch sozialwissenschaftlicher Perspektive. Schon Schleiermacher thematisiert die Bedeutung von Jugend im Kontext von Gesellschaft und Erziehung. „Die Erziehung soll so eingerichtet werden, daß beides in möglichster Zusammenstimmung sei, daß die Jugend tüchtig werde, einzutreten in das, was sie vorfindet, aber auch tüchtig, in die sich darbietenden Verbesserungen mit Kraft einzugehen“ (Schleiermacher 1983, S. 64). Die Eigentätigkeit, das Handeln und Gestalten von nachkommenden Generationen bzw. Jugenden eröffnen eine Gestaltung von Gesellschaft, wobei Tradierung und Wandel ineinander gehen. Angesprochen ist zugleich mit Erziehung eine Institutionalisierung von Bildung, eine Gestaltung der Jugendphase, um Wissensvermittlung zu ermöglichen. Für Kant (1982) ist diese Vermittlung, die er ganz allgemein ohne weitere Konkretisierungen Erziehung nennt, eine ‚Kunst‘, die darum bemüht ist, Menschsein mit dem Ziel einer aufgeklärten Moralisierung zu

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vervollkommnen. Er betont gleichsam, dass sowohl der ‚gute Mensch‘ als auch der kategorische Imperativ eine Konstruktion mit einem Aufforderungscharakter ist. Eine Ordnung von Jugend über Bildung und Erziehung dient so dem Aufbau und – auch gegenwärtig – der Aufrechterhaltung von Gesellschaftlichkeit im Modus der Erneuerung, indem „eine Generation ihre Erfahrungen und Kenntnisse der folgenden überliefert, diese wieder etwas hinzu tut, und es so der folgenden übergibt“ (Kant 1982, S. 13). Nun ist die Gestaltung von Jugend spätestens seit der Bildungsreform der späten 1960er Jahren ein vornehmliches Projekt älterer Generationen. Gegenwärtig sind auch Eltern zur verantworteten Elternschaft bei gleichzeitiger Berücksichtigung des Kindeswohles aufgerufen, was sicherlich als pädagogischer Gedanke bis in die Reformpädagogik zurückreicht, denn schon Nohl (1919) betont das Eigenrecht von Heranwachsenden, deren Selbstständigkeit und Autonomiebedürfnisse. Eine Analyse einer aktuellen generativen Ordnung von Jugend hat dies im Kontext gesellschaftlicher Bedingungen der Moderne und Spätmoderne zu berücksichtigen. Die Frage, welche Gestalt Jugend mit Bezug auf ältere Generationen (Eltern und Lehrer) an Kontur gewinnt, wird diskutiert werden. wird Im ersten Abschnitt wird Jugend als generational strukturiertes Ordnungsmuster der Moderne beschrieben (1), um dann zum juvenilen Ordnungsmuster der Spätmoderne (2) überzuleiten. Hierbei werden Ergebnisse der Sekundär-Analyse der Studie Jugend. Leben mit 5520 10–18-Jährigen herangezogen (Maschke et al. 2013; Ecarius et al. 2017). Abschließend (3) folgt eine Kontrastierung.

2 Generationale Ordnungen der Jugend in der Moderne Die Reformpädagogik hat mit Nohl, Weniger und auch Bühler u. a. den gedanklichen Boden bereitet für eine Installierung einer Jugend für alle mit einer Ermöglichung eines Bildungsmoratoriums für nachwachsende Generationen, die an die Meißner-Formel der Wandervogelbewegung 1913 anschließt: Eine Jugend, die für ihre eigene Bestimmung und Selbstverantwortung eintritt. Die Bildungsreform der 1960er Jahre (vgl. Dahrendorf 1965) brachte eine Institutionalisierung von schulischer Bildung vormittags und Eigenbildung nachmittags hervor (Hornstein 1966), die sich dem Gedanken des Bildungsmoratoriums (Tenbruck 1965; Neidhardt 1970) verpflichtete. Eine längere Schulzeit für alle und eine institutionalisierte Bildung brachte Altersgleiche, Jugendliche, hervor, die nicht mehr mit dem 13. Lebensjahr die Schulzeit beenden und ‚früh‘ erwachsen werden (müssen). Begleitet von der Idee von Adorno einer Entbarbarisierung durch

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Bildung gelang es mit der Institutionalisierung von Schule für alle, ein Bildungsmoratorium für Heranwachsende zu installieren, das dem Ziel gewidmet war, einen „allgemeinen und klassenübergreifenden Bürgerstatus“ mit entsprechendem „Bewußtsein zu entwickeln“ (Zinnecker 1987, S. 314). Eine reflexive Verselbstständigung wurde damit Jugendlichen nicht nur zugestanden, sondern war von Älteren erwünscht. Die Jugendforschung der 1970er bis 1980er erforschte jugendliche Kulturbildungen, die Heranwachsende nach der Schule in ihrer Freizeit in ihren Peergroups entfalten. Erforscht wurden Heranwachsende, die sich an Altersgleichen orientierten, sich in ihren jugendkulturellen Stilformen mit ihrer Peergroup identifizierten und auch politisierten. Diese, gewissermaßen von Erwachsenen eröffnete und auch weitgehend gewollte, individuelle Ausgestaltung einer modernen Jugend wurde in der Jugendforschung analysiert. So entstanden Annahmen zur Ablösung von den Eltern bei zunehmender Orientierung an der eigenen Peergroup, schulische Bildung als Privileg und reflexive Verselbstständigung (Eisenstadt 1966; Schelsky 1957), die einhergeht mit Entwicklungsaufgaben (Geschlecht, Schule, Freunde, politisches Engagement), die in produktiven Eigenleistung als realitätsverarbeitendes Subjekt erarbeitet wurden (Hurrelmann 1983). Die Herausbildung von reflexiver Identität versehen mit Autonomie und Handlungsfähigkeit geht in dieser theoretischen Vorstellung einher mit einer Einmündung in das Erwachsenalter mit Berufstätigkeit und Gründung einer Familie. Und die Annahme einer Ablösung von den Eltern wird verknüpft mit der von einer Abwendung der Jugendlichen von privaten partikularen und einer Hinwendung zu universalistischen Werten durch ein Leben in Peergroups. Eingeflochten sind darin psychologische Annahmen (Erikson 1975), mit der menschliche Entwicklung begründet und die reflexive Abgrenzung von verkrusteten Traditionen theoretisch untermauert wird. „Der Übergang in das Erwachsenenalter ist dann möglich, wenn alle jugendaltersspezifischen Entwicklungsaufgaben bewältigt sind und zugleich – was teilweise Voraussetzung dafür ist – die psychodynamischen Veränderungen sowie der Prozeß der inneren Ablösung von den Eltern abgeschlossen sind, wenn also die ‚Adoleszenzkrise‘ bewältigt ist“ (Hurrelmann et al. 1985, S. 13). Moderne Jugend als generationale Ordnung soll ein ‚Ermöglichungsraum‘ (King 2010) sein, der im Kern Experimentieren erlaubt und auch einfordert, Freiheiten und Ausprobieren zur Identitätsbildung normativ zugrunde legt bei gleichzeitiger sicherheitsgebender Rahmung durch einen institutionalisierten Lebenslauf (Allerbeck und Hoag 1985). Das Nachdenken über sich selbst, über die eigenen Lebensformen, die Frage, wie man sich binden möchte, aber auch solche über eine berufliche Orientierung, Medien (Baacke 1985), Konsum und

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gesellschaftliche Partizipation avancieren zu Entwicklungsaufgaben einer modernen Jugendphase. Schon Mitte der 1980er Jahre verliert das generationale Ordnungsmuster der modernen Jugend erstmalig an Struktur. Gesellschaft wandelt sich und der Normallebenslauf bricht auf. Eine durch Politik und demokratische Sichtweise beförderte Öffnung von alters-, sozial- und geschlechtsspezifischen Verhaltensmustern eröffnet mehr Wahlfreiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten, wodurch sich Chronologisierung und Standardisierung des Lebenslaufs mit den normierten Altersphasen Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter an den Übergängen öffnen und variabler werden. Der Lebenslauf eines Jeden bzw. einer Jeden nimmt individualisiert-subjektivierte Formen an (Olk 1985, 1986) und dies findet theoretisch als Entstrukturierung der Jugendphase Eingang in die Jugendforschung. Ganz in modernisierungstheoretische Theorien eingebunden (Beck 1986; Giddens 1992) wird die These von der Individualisierung prominent gesetzt, womit die Debatte theoretisch und empirisch unterschiedliche geschlechtliche Verortungen und Lebensmilieus, Migrationserfahrungen etc. im jugendlichen Handeln aufdeckt, zudem neben quantitativer Forschung die qualitative Forschung jugendliches Handeln und Denken in vielfältigen Dimensionen erforscht. Gesellschaft durchläuft dann einen enormen Transformationsprozess, wandelt sich zur Jahrtausendwende hin zum interkulturell Globalen, Medialen und Internationalen. Um die Jahrtausendwende sind die Debatten um Jugend weitgehend im modernisierungstheoretischen Diskurs angesiedelt, die eben jene Vielfalt jugendlichen Lebens akzentuieren. Gewissermaßen auf die Spitze getrieben listet Ferchhoff (1999) akribisch die ‚Unterabteilungen‘ und verschiedenen ‚Stämme‘ jugendlicher Lebensformen auf. Diagnostiziert wird eine Verflüssigung von Übergängen zwischen Jugend und Erwachsenenalter, die in den Thesen von Reversibilität, Fragmentierung und Diversifizierung (Stauber 2004) die gesellschaftlichen Wandlungsprozesse und damit eine Transformation der generationalen Ordnung von Jugend andeuten. Die Vielfalt jugendlichen Lebens wird auch als Auflösung diskutiert, da sich die Jugendforschung weitgehend im Kontext der Thesen von Individualisierung und Diversifizierung bewegt und sich damit zugleich der Ausgang der Moderne abzeichnet. Mit Bezug auf modernisierungstheoretische Annahmen sind es die uneinheitlichen Übergänge, der Wandel auf dem Bildungsmarkt und die mediatisierte Alltagskultur (Reinders 2003, 2006). Selbst die Identitätsbildung als Teil der Jugendphase wird infrage gestellt (Ferchhoff 1999, 2007) und die Konstruktion eines Bildungsmoratoriums scheint nicht mehr in den gesellschaftlichen Wandel hin zur Postmoderne zu passen (Heitmeyer et al. 2011, S. 21). Sichtbar wird, dass es nicht mehr eine, sondern mehrere Jugenden (Ferchhoff und Neubauer 1997; Harring et al. 2015) gibt und selbstbestimmtes

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Handeln – wie in den 1960er bis 1980er Jahren im Kontext von Adorno und auch Habermas diskutiert – sich strukturell geändert hat. Die Annahme, dass subjektives Handeln von gesellschaftlichen Strukturen überfrachtet und mit einer reflexiven Analyse eine Befreiung des Subjekts möglich sei, mit der das eigentliche, wahrhafte Subjekt und eine Vervollkommnung von Gesellschaft erreicht werden könne, wird zunehmend kritisch gesehen und damit die Jugendphase, die ja genau das hervorbringen soll.

3 Generationale Ordnungsmuster einer spätmodernen Jugend Um den gesellschaftlichen Wandel aufzugreifen, sollen im Folgenden theoretische Diskurse zur Spätmoderne für eine Analyse der generationalen Ordnung der Jugend (Bröckling 2007; Rosa 2007; Illouz 2013; Reckwitz 2016) in den Fokus gerückt und diese mit empirischen Materialen verknüpft werden. Hierbei wird ganz im klassischen Sinn davon ausgegangen, Jugend als jene Phase nach der Kindheit zu begreifen, in der der immerwährende Prozess der Subjektbildung akut wird. Mit Foucault lässt sich die generationale Ordnung Jugend als eine Lebensphase verstehen, in der in einer Zeit eines normativ angelegten Einübens einer ‚Regierungskunst‘ aktives und passives Handeln gleichermaßen eingewoben sind, Heranwachsende sich „Strategien und Taktiken“ aneignen, „mit denen Menschen zu Subjekten gemacht werden und sich zu Subjekten machen“ (Bröckling 2007, S. 121). Damit wird eine strukturelle Parallele zur Moderne hergestellt, womit die generationale Ordnung der spätmodernen Jugend genauso Krisenerfahrungen und Ich-bildung vorsieht. Die ‚Regierungskunst‘ in der Spätmoderne als das anzueignende Subjekthafte in Form einer ‚authentischen Identität‘ findet sich ebenso: „Das gerade erwachte Ich sucht in fragloser Selbstverständlichkeit für sich den richtigen Weg (…). Die Entdeckung, dass (…) Individuelles und Gesellschaftliches nicht aufeinander abgestimmt sind und das Ich sich mit sich selbst nicht auskennt, löst Erschrecken aus“ (Bröckling 2007, S. 127). Subjektive Krisen und die Suche nach sich, die Frage ‚Wer bin ich?‘ haben Heranwachsende auch gegenwärtig für sich zu beantworten. Gesellschaftliche Bedingungen prägen nicht nur das Handeln eines jeden Subjekts in vielfältiger Weise, sondern Jugendliche richten sich an normativen Vorstellungen je nach Geschlecht, Milieu und ethnischer Zugehörigkeit aus. In Interaktionen mit Anderen entfalten Heranwachsende eine eigene Perspektive und Verhältnismäßigkeit zu sich und zur sozialen Welt, wobei zu diskutieren ist, welche Bedeutung Eltern, Schule und

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Peers zukommen und dabei nicht nur ‚Agenturen von Gesellschaft‘ sind, und wie die generationale Ordnung von Jugend gerahmt ist, wobei gleichermaßen die Vielfalt von Lebensformen der Heranwachsenden angedeutet ist (Lenz 1988). Neoliberale Deregulierungsmaßnahmen, spätmoderne Beschleunigung im technischen, sozialen und kulturellen (Rosa 2007), Globalisierung und Anrufungen eines unternehmerischen Selbst (Bröckling 2007) nehmen Einfluss auf private Lebensformen, Praktiken in Familie, Schule und Peers (Scherr 2005; Keupp 2005). Hier werden allerdings die generationalen Ordnungsmuster der Jugend nicht nur als überbordende Ökonomisierungspraxen des Privaten gelesen und die Subjektfolie eines anpassungsbereiten Subjekts (Keupp 2005) nicht nur als Pendant einer ökonomisierten Gesellschaftsstruktur gesehen, sondern es wird die Frage gestellt, wie Heranwachsende ihr Leben gestalten, welche Bedeutung Familie, Schule und Freunde haben und welches Wohlbefinden sie haben. Dazu werde ich im nächsten Schritt empirische Daten einer Sekundäranalyse (Ecarius et al. 2017) der Studie Jugend. Leben heranziehen, um diesen Wandel hin zu einer spätmodernen Jugend zu konkretisieren.

3.1 Empirische Daten und theoretische Aspekte Der Blick wird nun gerichtet auf die Bedeutung von Mutter und Vater, von Peers und von Schule, womit zentrale Lebensbereiche der Heranwachsenden thematisiert werden, wobei Ergebnisse der Panorama-Studie und der Sekundäranalyse herangezogen werden1.

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Panoramastudie mit 5520 Heranwachsenden im Alter von 10 bis 12 Jahren wurde im Land NRW durchgeführt (Maschke et al. 2013). Insgesamt wurde an 141 Schulen, die für das Schulsystem repräsentativ sind, die 4. bis 13. Jahrgangsstufe erhoben. Die Heranwachsenden haben jeweils einen Basisfrageteil, den alle bekommen haben, und nach Zufallsprinzip Modulfragebögen erhalten, die in der Regel bei etwas unter 1000 Heranwachsenden liegt. Für das Modul Familie liegen Antworten von 980 Heranwachsenden vor. Insgesamt orientiert sich die Stichprobenziehung der Schulen entlang der Schulstatistik, insofern liegen hier repräsentative Befunde für NRW vor. Die Auswertung wurde mit dem Statistischen Verfahren SPSS vorgenommen. 2017 ist eine Sekundäranalyse durchgeführt wurden mit diesen Daten. Auch hier wurde mit SPSS ausgewertet, für die Ergebnisse liegen vorrangig Signifikanzen vor (Fischer-Test: Signifikanzschwelle R = 0,05).

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Offenheit für Neues Für spätmodernes Leben, deren Kennzeichen Flexibilität, Eigenbestimmung und Offenheit für die Zukunft wichtige Parameter sind und mit einer Subjektfolie des Optimierens einhergeht, bedeutet dies, sich auf Unerwartbarkeiten in bestimmten Situationen ohne Angst einzulassen. Folglich müssten Heranwachsende eine Sichtweise präferieren, ihr Leben offen gestalten zu wollen. Selbstbestimmung und flache Hierarchien sind hierfür kennzeichnend. Dies genau haben wir die Jugendlichen gefragt. Von den Heranwachsenden haben 89 % der Frage „Ich kann mein Leben zu einem großen Teil selbst lenken“ mit stimmt genau/stimmt eher zugestimmt. Gleich viel präferieren mit 89 % „Ich probiere in meinem Leben gerne Neues aus“. Im Gegensatz dazu mögen es die Heranwachsenden gar nicht, wenn andere über ihr Leben bestimmen. So sagen nur 18 %, „Am liebsten hätte ich es, wenn andere mir sagen, wie ich mich entscheiden soll“. Auch haben die Heranwachsenden kaum Angst vor neuen Situationen, sondern freuen sich auf Unerwartetes. Nur 25 % sagen „Neue Situationen, in denen ich mich entscheiden muss, machen mir Angst“. Diese Fragen zeigen, dass Heranwachsende es lieber haben, wenn sie offen in der eigenen Gestaltung ihres Lebens sind und es nicht möchten, dass andere für sie entscheiden. Gleichwohl probieren sie gerne Neues aus und sind auch der Ansicht, dass sie ihr Leben selbst lenken können. Dieses Ergebnis lässt sich so lesen, dass die Heranwachsenden von einer Selbstbestimmtheit ausgehen und auch über eine eigene Flexibilität verfügen, auf Unerwartetes adäquat reagieren zu können. Die Eigenbestimmung und auch die Freude auf Neues erfordert einen freien Raum und eine generationale Ordnung, in der Heranwachsende lernen, mit Unerwartetem umgehen zu können. Familie Zugleich sind Mutter und Vater von herausragender Bedeutung. So lassen sich die Heranwachsenden zu 86 % von der Mutter (72 % vom Vater) in der Frage beraten „Was ich machen soll, wenn es mir schlecht geht“. Auch besprechen sie mit Mutter (84 %) und Vater (75 %) ‚Wem ich vertrauen kann‘ (Mobbing: Mutter: 76 %, Vater: 71 %). Ähnlich verhält es sich bei dem Thema ‚Welche Ziele ich mir für mein Leben vornehmen soll‘ (Mutter: 83 %, Vater: 78 %). Selbst Probleme mit Gleichaltrigen werden fast gleichermaßen mit Mutter (72 %) und Vater (71 %) besprochen. Eine Ablösung oder Abgrenzung von den Eltern, wie in Theorien zur modernen Jugend formuliert, findet sich nicht, sondern eher genau das Gegenteil, eine intime Bindung und Vertrautheit. Vielleicht ist dies auch eine Voraussetzung dafür, dass Heranwachsende ein gutes Wohlbefinden entfalten und auf diese

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Weise von einem sicheren Ort aus agieren, so dann auch davon überzeugt sind, ihr Leben selbst lenken zu wollen. In dem Kontext von freier Entscheidung, Neues ausprobieren und das Leben selbst lenken scheinen die Eltern somit eine wichtige Anlaufstelle für Beratung zu sein. Dies hat uns veranlasst, in der Sekundäranalyse die Bedeutung von Mutter und Vater tiefergehend zu analysieren. Daher haben wir Items geclustert mit Fragen der Heranwachsenden zur Selbstsicht (wem man vertrauen kann; sich darüber klar werden, was man kann; was man machen soll, wenn es einem schlecht geht) und Weltsicht (wenn man Probleme mit Gleichaltrigen – oder Lehrern hat; warum es Ungerechtigkeit auf der Welt gibt), um Mutter und Vater als Beratende genauer beleuchten zu können. Die Analyse zeigt, dass Mutter und Vater für die meisten Heranwachsenden (63,7 % Mutter; 50,1 % Vater) Beratende für die Selbst- und Weltsicht sind. Es zeichnet sich auf quantitativ-empirischer Ebene sogar ein neues Muster von Erziehung, die des Beratens, ab (Ecarius et al. 2017). Verstehen es aus der Sicht der Heranwachsenden Mutter und Vater, eine vertraute und offene sowie anerkennende Beziehungsstruktur herzustellen, lassen sich die 10- bis 18-Jährigen umfassend von ihren Eltern beraten. So erzählen sie (43,2 % immer der Mutter, 35,8 % dem Vater bei Beratung zur Selbstsicht), was sie gerade besonders beschäftigt. Die Frage nach dem, was sie besonders beschäftigt, bezieht sich nicht auf Alltägliches oder Beiläufiges, sondern angesprochen werden ganz konkrete Themen, Dinge, Erfahrungen und auch Probleme, die für die Heranwachsenden aktuell bedeutsam sind. Auch ist den Heranwachsenden die besondere Sorge, Aufmerksamkeit und damit auch Erziehung von Mutter und Vater bewusst: Mehr als zwei Drittel betonen, dass sie ihnen (80,8 % Mutter, 74,8 % Vater für Selbstsicht) immer zuhören. Damit wissen sie um die anerkennende und resonante Beziehung, die gleichermaßen keinen Grund dafür gibt, sich von den Eltern abzugrenzen. Die Beziehungs- und Kommunikationsmuster mit Mutter und Vater sind intim und persönlich sowie geprägt von einer großen Vertrautheit, die ermöglichen, in einer ethisch globalen Welt den Heranwachsenden Perspektiven aufzuzeigen und sie über indirekt lenkende Gespräche gleichermaßen zu erziehen. Ablösung oder Abgrenzung – wie für die moderne Jugend formuliert – werden damit in gewisser Weise unnötig. Dies bedeutet nicht, dass es keine Konflikte zwischen Heranwachsenden und Eltern gibt. So zeigen die Analysen, dass die 13- bis 15-Jährigen der Jugend. Leben-Studie sich stärker von den Eltern distanzieren als die 16- bis 18-Jährigen (Ecarius et al. 2017). Diese bedeutet aber nicht, wie mit Thesen von Erikson für die moderne Jugendphase vielfach formuliert, eine manifeste

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Ablösung bei gleichzeitiger vollständiger Hinwendung zu den Peers, mit denen partikulare in universelle Werte transformiert und an Stelle der Eltern die Peers treten würden. Bildung Auch hat die schulische Bildung einen Bedeutungswandel erfahren. Der Erwerb von Wissen und Bildungstiteln folgt nicht mehr dem Duktus eines Privilegs im Sinne eines reflexiven Moratoriums zur Selbstfindung, sondern Bildung wird zu einem ‚Muss‘. Auch hier sind es die Eltern, die bei Problemen in der Schule ihren Kindern beratend zur Seite stehen. Heranwachsenden erzählen beratenden Eltern immer (73 % Mutter für Weltsicht und dem Vater 67,4 %), wie sie in der Schule zurechtkommen. Schule ist gegenwärtig zu einem Ort der Leistungserbringung und des Leistungsdrucks geworden, wobei die Verlängerung der Schulzeit (Ganztagsschule, etc.) und auch die Ideologie des lebenslangen Lernens eine Transformation vom Bildungsmoratorium zur Bildungsoptimierung (Helsper 2015) bewirkt hat. Zeit am Nachmittag ist beginnend mit PISA als Bildungsoffensive weitgehend institutionell. Befördert wurden durch die Verlängerung der Schulund Lernzeiten im Modus des lebenslangen Lernens Selbstverbesserungen. Der normative Anspruch eines Lernzuwachses besteht permanent, er ist damit unendlich offen, lässt sich nicht beenden. Das unterstreicht eine Optimierung, in der diese Offenheit eingelagert ist (Bröckling 2007). Gleichaltrige und Peers Wenn auch in Schule und Familie Medien Bedeutung haben, so sind es aber vor allem die Peerbeziehungen, in denen Selbstinszenierung und neue Modi der Performanz in Chats oder Treffen an Bedeutung gewinnen (Hugger 2014) und das kuratierte Selbst (Damm et al. 2012) praktiziert wird. Die mediale Inszenierung des Selbst sowie konkrete Beziehungen mit Gleichaltrigen befördern eigene Kommunikationsmuster. Nähe und Ferne an Freundschaftsbeziehungen können über das mediale Netz zeitlich verdichtet werden, wobei sowohl eine mediale als auch eine reale Präsenz möglich werden und das Mischungsverhältnis beider das Besondere von Peerbeziehungen ausmacht. Gleichsam sind es aber nicht mehr nur die Peers, die von großer Bedeutung für die Heranwachsenden sind, sie sind nicht mehr alleinige Ansprechpartner für Sorgen und Probleme. Die Panoramastudie Jugend. Leben (Maschke et al. 2013) zeigt, dass die 13- bis 18-Jährigen bei Sorgen und Problemen diese zu 62,8 % mit der Mutter, und dann erst zu 42,3 % mit der guten Freundin und dass zu 36,8 %

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mit dem Vater besprechen. Erst dann folgt der gute Freund mit 28,8 %. Das Feld der Kommunikation wird damit nicht enger, sondern breiter und eröffnet das Einholen unterschiedlicher Sichtweisen. Auch unternehmen die Heranwachsenden in ihrer Freizeit Ausflüge mit den Eltern (Ecarius et al. 2017). Wohlbefinden – das authentische Subjekt Für die spätmoderne Jugendphase sind Selbstformung und -modellierung und eine produktive Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Anforderungen gleichermaßen wie in der modernen Jugendphase bedeutsam. Der gesellschaftliche Wandel hat jedoch eine Verschiebung der Inhalte von der Maxime der Selbstverwirklichung hin zu einer Maxime des Selbst-Managements (Keupp 2005; Aubert 2009) und der singulären Authentizität (Reckwitz 2018) bewirkt, womit ein kreatives Umgehen mit Dynamik, prozesshafter Wandelbarkeit und steter Neuerfindung ermöglicht wird. Statt rationaler Lebensführung gewinnt das Kreative und authentisch Singuläre an Bedeutung. Weniger allgemeine Normen und eine institutionalisierte Lebensführung sind bedeutsam, sondern das Wandelbare, der Umgang mit dem Unerreichten, auch dem Entzogenen, vom dem sich der Einzelne affizieren lässt. Überspitzt könnte man sagen, das jugendliche Subjekt steht vor der Herausforderung, sich als authentisch zu erleben, daran kreativ zu arbeiten und sich selbstlernend zu entfalten. Dies erfordert von Heranwachsenden die Fähigkeit, sich mit alltäglichen und besonderen Erfahrungen und Anforderungen (Schule, Peers, Medien, Körper) in Beziehung zu sich selbst und zur sozialen Welt verorten zu können. Die dynamische Prozesshaftigkeit steten Lernens (Rosa 2016) führt zugleich zur Suche nach dem eigenen Authentischen, mit dem das Gefühl des Wohlbefindens (Wellbeing) verbunden ist. Risiken der spätmodernen generationalen Ordnung von Jugend liegen genau in diesen Sinndeutungen, Erfordernissen und Selbstverortungen. Ängste und Unsicherheit kommen aber genauso auf, sich nicht zu spüren und sich nicht als authentisch zu erleben, und zugleich nicht zu wissen, was auszuwählen ist und wie zu entscheiden ist, um ein kreatives authentisches ­Wohlbefinden zu erlangen.

3.2 Zusammenführung: Charakteristika spätmoderner Jugend Insgesamt zeichnet sich ein Wandel ab: Heranwachsende und Eltern praktizieren eine intime und für beide Generationen bedeutungsvolle Kommunikation. Eltern

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betreiben eine verantwortete Elternschaft nicht nur während der Kindheit, sondern auch während der Jugend, sie werden so zu emotional bedeutsamen langjährigen BegleiterInnen. Gleichzeitig produzieren Bildungsimperative einen Bildungszwang, das Lernen zu lernen, und als lebenslanges Lernen befördert dies Leistungskonkurrenz und Leistungsmaximierung. Peers sind real, zugleich eröffnen Medien eine digitalisierte Kommunikationswelt der Inszenierung und Selbstmodellierung in Chats und Communities. Ein kuratiertes Ich, das sich stets pflegt, sich wohlfühlt und mit der Welt affiziert verbindet, gestaltet sich spielerisch und kreativ über mediale Kommunikation mit Peers und zugleich auch in realer Kommunikation (Bröckling 2007; Reckwitz 2016). In der generationalen Ordnung von Jugend in der Spätmoderne sind Generationsbeziehungen mit Familie, Peers und auch mit LehrerInnen emotionalisiert, Jugend wird so aktiv gestaltet über die beratende Erziehung von Mutter und Vater, Bildung und Lernen in der Schule (LehrerInnen) und synchronen Generationsbeziehungen mit den Peers.

4 Vergleich: Moderne und spätmoderne Jugend Reckwitz (2016), Bröckling (2007) und auch Rosa (2016) haben den tiefgreifenden Wandel hin zur Spätmoderne differenziert charakterisiert, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen, wobei es doch zugleich um eine Analyse gewandelter Subjektanrufungen, Emotionen und Befindlichkeiten, um Offenheit und Kreativität geht. Vor diesem Hintergrund lassen sich die empirischen Analysen der 10- bis 18-Jährigen interpretieren. Bröckling arbeitet die Anrufung zur Optimierung als Subjektfolie heraus, interpretiert das Kreative als unternehmerische Strategie und betont die Anziehungskraft der Selbstmodellierung, nämlich „Operationen an seinem Körper oder seiner Seele, seinem Denken, seinem Verhalten und seiner Existenzweise vorzunehmen“ und dabei Momente des „Glücks, der Reinheit, der Weisheit, der Vollkommenheit oder der Unsterblichkeit“ (Bröckling 2007, S. 39) zu erleben. Flexibilität, Kreativität und eine zunehmende Konzentration auf das Eigene werden zu Anforderungen, mit denen sich Heranwachsende auseinanderzusetzen haben, wofür sie ein ganzes Bündel an Ressourcen und Netzwerken benötigen. Nicht Abgrenzung vom Traditionellen wie bis in die späten 1980er Jahre hinein, um sich zu emanzipieren, sondern die Auseinandersetzung mit Selbstökonomisierung und Selbstvermarktung bei flexibler Anpassung und einem guten Wellbeing sind die Anrufungen spätmoderne Jugend.

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Die generationale Ordnung der spätmodernen Jugend bedeutet weniger Ablösung von Mutter und Vater, sondern stete Kommunikation und ein Beraten, womit die Eltern fast immer für ihre Kinder zur Verfügung stehen. Resonante Beziehungen als echte und authentische formieren Intimität auf beiden Seiten, sodass die Heranwachsenden auch zu Beratern der Eltern werden können (z. B. bei Scheidung). Das ‚semi-professionelle‘ Beraten der Eltern setzt bei ihnen einen hohen Grad an Reflexivität und Bildungsorientierung voraus, Wissen zu recherchieren, Wege aufzuzeigen und Evaluationsstrategien zu präsentieren. Und dies alles in Orientierung am Wohl des Kindes und einer Bildungsorientierung, durch die Heranwachsende ihren Weg finden, ihr Glück wahrnehmen und sich authentisch erfahren können (sollen oder müssen). Nach Bröckling (2007) agiert das spätmoderne, kreative und authentische Subjekt von einem bekannten Ort aus, was hier die Familie ist. Verankert im Familiären wird Neues erprobt, werden mediale und reale Welten mit Peers und in Schule (auch über Auslandaufenthalte, Austauschschülerprogramme oder bilinguale Schulformen) kreativ ausgestaltet und zu einem eigenen authentischen Lebensstil geformt. Mit Fähigkeiten des Evaluierens und einer Selbstwirksamkeit können Jugendliche sich dann „außerhalb der gewohnten Bahnen“ bewegen, wo „sichere Informationen und verbindliche Handlungsregeln fehlen“ (Bröckling 2007, S. 116). Während also in der generationalen Ordnung der modernen Jugend Strukturmuster eine kritische Ablösung von den Eltern induzieren, die Eltern eine Erziehung des Verhandelns über das Einhalten von Grenzen praktizieren mit einer

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Orientierung an normativen Ordnungen und mit Peers eine kritisch-emanzipierte Einstellung entfaltet wird, Schule ein Bildungsprivileg ist und in sowie mit den Peers eine autonome, stabile Identität erarbeitet wird, enthält die generationale Ordnung der Spätmoderne eben andere Normierungen, Kommunikationsmuster, Subjektbilder und Bildungsorientierungen. Die Netzwerke und Kommunikationsmuster vervielfältigen sich, und Jugendliche können, wenn sie beratende Eltern haben, sich überlegen, mit wem sie was besprechen: Schulische Laufbahn, Modetrends, Selbstinszenierung in Chats, Körperlichkeit und Geschlechtlichkeit, ethnische und kulturelle Zugehörigkeit etc. Diese generationale Ordnung ist nicht frei von neoliberalen Strukturen. Ressourcen und Wissen sind unterschiedlich je nach sozialen Milieus verteilt. Schon Zinnecker (1987) hat in Anlehnung an den sozialen Raum von Bourdieu darauf aufmerksam gemacht, dass eine Analyse von Jugend im Kontext von sozialen Milieus eine Ausdifferenzierung unterschiedlicher Jugendformen verdeutlichen würde. Gegenwärtig sind es die Studien von Calmbach et al. (2016), die die jugendlichen Lebensorientierungen an soziale Milieus rückbinden. Diese wäre nun auch für diese Annahmen vorzunehmen. So ist die Frage interessant, wie Heranwachsende von Mutter und Vater beraten werden, welche Bedeutung Bildungsbenachteiligung, Migrationshintergrund, Gewalterfahrung oder psychische Probleme haben. So könnte es gut sein, das in hedonistischen Milieus die schulische Eigenverantwortlichkeit als Lernselbst eher abgelehnt wird und sich Heranwachsende davon nicht affizieren lassen, somit auch keine Homologien in Peers zwischen Freizeitgestaltung und schulischen Leistungsorientierungen zu finden sind (Krüger et al. 2015; Equit 2014). Auch die normative Folie des eigenen Wohlbefinden könnte sich ins Gegenteil verdrehen, wenn Heranwachsende nicht das Wissen ihrer Eltern schätzen, sich alleine fühlen, Angst bekommen und an der Folie des authentischen flexiblen und kreativen Subjektes scheitern und sich das Regime der Subjektivierung der Spätmoderne, „sich zeitlebens selbst (zu) erkunden und (zu) gestalten“ (Bröckling 2007, S. 127) zum Damoklesschwert mutiert und das Hamsterrad der steten Bewegung immer wieder zum selben Punkt führt, durch das Leere und Orientierungslosigkeit entsteht. „Angst kommt daher, dass alles offen, aber nichts ohne Bedeutung ist“ (Bude 2014, S. 20). Aus dem Ja-Sagen aus Neugierde und Offenheit wird ein Verlieren im Vielfältigen und Heranwachsende verlernen das ‚Nein‘, da alles bedeutsam scheint. Nun fragt sich, wieso Jugendliche dazu bereit sind, sich solchen Disziplinierungen zu unterwerfen, was ihr Gewinn sein könnte. Der Anrufung ‚Herr seiner selbst‘ zu sein und sich gezielt zu positionieren, befreit von äußeren gesetzten

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Regeln wie ‚Du sollst dieses oder das tun‘ und ‚Du darfst nicht jenes‘. Die Anziehungskraft der Selbstmodellierung besteht darin, mit der Fähigkeit zur Flexibilität, Kreativität und Selbstachtsamkeit „Operationen an seinem Körper oder seiner Seele, seinem Denken, seinem Verhalten und seiner Existenzweise vorzunehmen“ und sich dabei so zu bearbeiten, dass das Subjekt in diesem Moment das Gefühl des „Glücks, der Reinheit, der Weisheit, der Vollkommenheit oder der Unsterblichkeit erlangt“ (Bröckling 2007, S. 39). Jugendliches Leben bedarf somit immer wieder auch der Unterstützung und pädagogischen Begleitung, vielleicht mehr denn je. Die sozialpädagogische Jugend- und Familienhilfe (Athanassiadou et al. 2015) hat darauf reagiert, indem sie betont, dass spätmoderne Aufgaben Heranwachsende und auch Eltern nicht alleine bewältigen können. Thematisiert wird angesichts des gesellschaftlichen Wandels hin zum Optimieren und strategischen Planen eine private Überforderung des Einzelnen, Eltern werden zu Semi-Professionellen, ohne eine pädagogische Ausbildung zu haben und Jugendlichen sollen stets reflexiv mit ihren Erfahrungen hantieren und sich als authentisch mit kreativen Fähigkeiten wahrnehmen. Aber auch das gilt es, weiter zu erforschen.

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Jugend: Moderne und spätmoderne Generationsmuster

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Prof. Dr. phil. habil. Jutta Ecarius, ist Professorin für Erziehungswissenschaft an der Universität zu Köln. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Qualitative Bildungsforschung, Familienforschung, Jugendforschung und Generationenforschung.

Forschung zu Jugend – Was ist das spezifisch „Erziehungswissenschaftliche“ an Jugendforschung? Anja Schierbaum Zusammenfassung

Jugendforschung weist viele Themen und Problemstellungen auf, sie ist vielfältig und facettenreich. Das Forschungsprogramm kennzeichnen unterschiedliche theoretische und methodische Zugriffe, um die Lebenswirklichkeit von Jugendlichen aufzuschließen und Entwicklungsprozesse und jugendspezifische Entwicklungsaufgaben, den Einfluss sich verändernder Lebens- und Aufwachsensbedingungen sowie Zeitverhältnisse auf das Leben von Jugendlichen in ihren historischen, gesellschaftlichen und institutionellen Bezügen, Bildungs- und Erziehungsprozesse, Gesundheitsförderung und Versorgung sowie Risiken im Jugendalter, aber auch Jugendbewegungen, Jugendkulturen und Jugendszenen zu untersuchen. Vielzählige Theorien und Konzepte sind generiert worden, um Jugend theoretisch und empirisch zu vermessen sowie (inter-) disziplinär einzubetten. Auch wenn Jugendforschung ein interdisziplinär orientiertes Forschungsfeld ist, werden disziplinär unterschiedliche thematische Schwerpunkte gesetzt und Jugend wird in der jeweiligen Disziplin sowohl theoretisch entworfen als auch empirisch reflektiert. Aus diesem Grund bedarf es einer disziplinären Selbst- und Rückvergewisserung, der im vorliegenden Beitrag nachgegangen werden soll. Im Mittelpunkt steht die Frage nach dem spezifisch ‚Erziehungswissenschaftlichen‘ an Jugendforschung.

A. Schierbaum (*)  Universität zu Köln, Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Grunert et al. (Hrsg.), Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27612-6_4

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A. Schierbaum

Abstract

Youth research has many topics and problem statements, it is multifaceted and divers. The research program is characterised by different theoretical and methodological approaches in order to unlock the realities of young peoples lives and to investigate on development processes as well as youth-specific development tasks, the influence of changing living and growing conditions and time relations on the lives of young people in their historical, social and institutional contexts, educational and educational processes, health promotion and care as well as risks in adolescence, but also youth movements, youth cultures and youth scenes. Numerous theories and concepts have been developed to measure the youth theoretically and empirically, as well as to embed them (inter-)disciplinarily. Even though youth research is an interdisciplinary research field, different thematic focuses are set in different disciplines, youth is theoretically described and empirically reflected. For this reason, there is a need for a disciplinary self-assurance and reassurance, which will be explored in this article. The focus is on the thematic question of the specific ‘educational science’ of youth research. Schlüsselwörter

(Inter-)Disziplinarität · Theoretische und empirische Vermessung der Jugend · Jugend-konzeptionen · Jugendforschung · ‚Erziehungswissenschaftliche‘ Jugendforschung Keywords

(Inter-)disciplinarity · Theoretical and empirical measurement of youth · Youth concepts · Youth research · Educational youth research

1 Einleitung Was ist eigentlich das spezifisch ‚Erziehungswissenschaftliche‘ an Jugendforschung? Diese Frage zielt auf die disziplinäre Selbst- und Rückvergewisserung der Erziehungswissenschaft in einem interdisziplinär orientierten Forschungsfeld wie dem der Jugendforschung. Die Erziehungswissenschaft übernimmt in der Jugendforschung eine doppelte Aufgabe: Sie beschreibt Bildungs-, Erziehungs- und Lernprozesse und ist damit beschäftigt, „‚bessere‘ von ‚schlechteren‘ Erziehungsmaßnahmen, Umweltbedingungen, Lehrzielen usw. zu unterscheiden“

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(Garz 2000, S. 17). Sie ist aber auch an normativen Fragen orientiert, wenn Jugend als Lebensphase zur Selbsterprobung und Selbstfindung bestimmt wird, in der sich Heranwachsende lernend mit kulturellen Normen und Entwicklungsanforderungen auseinandersetzen. Sie geht von einer Bildungs- und Erziehungsbedürftigkeit Heranwachsender aus (Ferchhoff 2000) und fokussiert erzieherische Maßnahmen und pädagogische Interventionen von der Schule bis hin zur Kinder- und Jugendhilfe. Die theoretische Reflexion dort stattfindender Bildungs-, Lern- und Erziehungspraktiken wie auch ihre empirische Analyse bilden eine untrennbare Einheit im erziehungswissenschaftlichen Theorie-Praxis-Verhältnis (Garz 2000, S. 17). Im vorliegenden Beitrag soll die Jugendforschung als interdisziplinär organisiertes Forschungsfeld erarbeitet und ein systematischer Überblick über die Forschung zu Jugend gegeben werden. Daran schließt sich die Frage nach dem spezifisch ‚Erziehungswissenschaftlichen‘ der Jugendforschung an.

2 Jugend und Forschung zu Jugend Jugendforschung lässt sich als ein zentrales Themenfeld der Erziehungswissenschaft ausweisen. Jugendforschung ist aber auch ein signifikantes Forschungsfeld der (Entwicklungs-) Psychologie und Soziologie. Zudem ist Jugend als Gegenstand in den Gesundheits-, Kultur- und Rechtswissenschaften interessant, wenn es um Gesundheitsförderung, Prävention und Versorgung, die Konstruktion von Jugend in ihren soziohistorischen Bezügen oder ihre rechtliche Stellung geht (zur Veranschaulichung der disziplinären Zugriffe auf Jugend siehe Abb. 1)1. Im disziplinären Selbstverständnis der Bezugswissenschaften verändert sich der Blick auf relevante Fragen und jugendtypische Problemstellungen. Diese zielen auf die Lebenswirklichkeit von Jugendlichen, die sowohl individuelle, soziale und gesellschaftliche Verhältnisse reproduzieren und infrage stellen als auch identitätsbezogene biographische Such- und Entwicklungsprozesse gestalten. Die disziplinären Zugriffe auf Jugend bieten im Rahmen ihrer Verschränkung Möglichkeiten, ein vielschichtiges Bild von Jugend zu zeichnen (Pfaff 2011; Krüger 2012). Auch wenn sich Jugend aus unterschiedlichen Perspektiven zusammensetzt und die Jugendforschung als ‚Integrationsfach‘ der genannten

1Die

folgenden Ausführungen beschränken sich jedoch auf die drei Bezugsdisziplinen, die Psychologie, Soziologie und Erziehungswissenschaft, die das Forschungsfeld im Wesentlichen kennzeichnen.

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Abb. 1   Disziplinäre Zugriffe auf Jugend – unterschiedliche Forschungsperspektiven und -schwerpunkte

Disziplinen behandelt wird, ist „ein fruchtbarer interdisziplinärer Austausch […] kaum zu konstatieren“ (Kleeberg-Niepage und Rademacher 2018, S. VI). Insofern ist die genauer zu betrachtende disziplinäre Einbettung der Jugendforschung mit der Frage verbunden, welche Unterschiede in den Betrachtungsweisen Barrieren gemeinsamer Verständigung am Forschungsgegenstand Jugend erzeugen.

3 Wissenschaftliche Semantiken eines intensiv diskutierten Begriffs: Theoretische Konzeptualisierungen Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Jugend setzt verstärkt zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein. Der globale soziale Wandel durchdringt alle Lebensbereiche und „revolutioniert auch die Gestaltung der generationalen Ordnung der Jugendphase“ (Ecarius et al. 2017, S. 9). Im Zuge der sich verändernden Lebens- und Aufwachsensbedingungen, der beginnenden Institutionalisierung des Jugendalters, aufkommenden Jugendbewegungen, der zu beobachtenden Tendenz zur Individualisierung und Pluralisierung der Lebenslagen wie auch einer Steigerung der ‚qualitativen Freiheit‘ von Heranwachsenden und dem wahrzunehmenden gesellschaftlichen Trend der Juvenilisierung des Erwachsenenalters

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(Harring und Schenk 2018, S. 113–116) wird Jugend vor dem Hintergrund unterschiedlicher gesellschaftlicher Diagnosen zum Gegenstand der Forschung2. Jugend hat sich zu einer eigenständige Lebensphase entwickelt, die im Lebenslauf fest verankert ist. Gleichwohl ist Jugend Erfahrung von Biographie und Generation (Zinnecker 2006), also Teil der eigenen Lebensgeschichte in ihren generativen und historischen Bezügen, wie auch soziale Praxis eines Lebensentwurfs zwischen Selbstverwirklichungsansprüchen und gesellschaftlicher (Fremd-) Platzierung. Als eine Zeit des Übergangs schließt sie an Erfahrungen und Entwicklungen der Kindheit an und geht zur Entwicklung im Erwachsenenalter über. Jugend ist aber auch eine mit der Pubertät beginnende Altersphase, in der besondere Entwicklungsanforderungen von Heranwachsenden wahrgenommen, beurteilt und bewältigt werden (Schierbaum 2018). Sie bleibt auf institutionelle Normierungen verwiesen, die sie als Altersgruppe der 13- bis etwa (heute) 29jährigen und als ‚Jugendliche‘ oder ‚junge Erwachsene‘ adressieren. Um die Vielfalt von Jugend systematisch zu erfassen, muss die Ausdifferenzierung, aber auch Entgrenzung der Jugendphase, ihre Diversität und ‚inhärente Ambivalenz‘ (Harring und Schenk 2018) angesprochen werden: Die Jugendphase ist dem zu beobachtenden gesellschaftlichen Individuierungs- und Transformationsprozess ausgesetzt und zur Stellungnahme gegenüber sich dynamisierenden Zeitverhältnissen, Optimierungsbestrebungen und Selektionsprozessen aufgefordert. Sie ist aber auch vor die Herausforderung gestellt, die Widersprüche zwischen Freiheit und (Entscheidungs-) Zwang, Autonomie und Heteronomie, Individualisierung und gesellschaftlicher Determinierung aufzu­ lösen. Sie benötigt dafür Möglichkeitsräume ihrer Bearbeitung und verlangt nach ‚Schonräumen‘, um sich auf gesellschaftliche Mitgliedsrollen vorzubereiten (Chassé 2017, S. 169). Diese disziplinären Blickachsen auf Jugend und ihre kulturelle und soziale Verankerung erzeugen und reproduzieren ‚Jugendbilder‘, also idealtypische Vorstellungen davon, was Jugend ist und welche Lebenszusammenhänge und -entwürfe von Heranwachsenden ‚normalerweise‘ mit der Lebensphase zusammenhängen. Zu den Bildern zählen beispielsweise die Konstruktion von Jugend als Moratorium, Statuspassage, zu ‚erziehende Größe‘, gesellschaftliches Problem, Seismograph sozialer Krisen oder Motor für gesellschaftliche Erneuerung. Diese prägen nicht nur die theoretischen Reflexionen

2Zur Entwicklung der Jugendforschung (aus historischer Perspektive) siehe u. a. Griese und Mansel (2003); Andresen (2005); Krüger und Grunert (2010b); Krüger (2012).

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Abb. 2   Jugendkonzeptionen

jugendbezogener Frage- und Problemstellungen, sondern haben auch praktische Konsequenzen für Politik und Bildungswesen, öffentliche Rechtsprechung, Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe oder in der Arbeit mit Jugendlichen. Sander und Vollbrecht (2000) fassen die praktische Bedeutung jugendtheoretischer Entwürfe (siehe Abb. 2) wie folgt zusammen: „Die Politik, die Rechtsprechung, die schulische und außerschulische pädagogische Praxis, die mediale Öffentlichkeit, das Alltagsdenken und letztendlich auch das Selbstverständnis von Jugendlichen werden [durch wissenschaftliche Jugendkategorisierungen] beeinflusst. So finden sich z.B. entwicklungspsychologische Stufentheorien der Reifung im Jugendalter in der Praxis des Erziehungssystems wieder, sozialisatorische Außeneinflüsse werden von jugendlichen ‚Delinquenten‘ als Legitimation ihres Handelns bemüht, der Kinder- und Jugendschutz wird institutionalisiert, die deutsche Politik […] instrumentalisiert in den verschiedenen Phasen von Staatssystemen immer wieder die Rolle der Jugend als Hoffnungsträger und Gestalter einer ‚neuen Zeit‘, und Eltern orientieren sich zunehmend an wissenschaftlichen Erkenntnissen und Erziehungsmaximen“ (Sander und Vollbrecht 2000, S. 9).

Die erziehungswissenschaftlichen, psychologischen und soziologischen Jugendbilder können hier nur grob umrissen werden. Jugend wurde schon immer in

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seiner Vielfalt diskutiert, weshalb Hornstein und Thole (2005) auch davon sprechen, dass es ‚die Jugend‘ nicht gebe (Hornstein und Thole 2005, S. 444) und man von Jugend nur im Plural sprechen könne. Auch wenn damit nur ein unzureichender Versuch unternommen wird, die jugendtheoretische und empirische Vielfalt von Jugend sprachlich einzufangen. Um bei aller Vielfalt individueller ‚Fahr- und Zeitpläne‘ die Lebenszusammenhänge von Heranwachsenden in der späten Moderne in ihrer Heterogenität auszuleuchten (Harring und Schenk 2018, S. 112), müssen theoretische Entwürfe, methodologische Zugriffe und empirische Befunde aufeinander abgestimmt werden. Erst mit dieser Verschränkung sind sachhaltige Aussagen zur alltäglichen Lebensführung und den Lebenszusammenhängen Jugendlicher zu treffen und die Krisen und Risiken des Heranwachsens zu benennen (Riegel et al. 2010, S. 9). Welche Frage- und Problemstellungen insbesondere in der Psychologie, Soziologie und Erziehungswissenschaft forschungsleitend sind, soll im Folgenden herausgearbeitet werden. Sie stehen für die ‚einzelwissenschaftlichen Spezialisierungen‘ auf Jugend und ihre Lebenswirklichkeit.

4 Jugend in der Forschung: ‚Die Jugend der Pädagogik, Psychologie und Soziologie‘ Die Entwicklung der Jugendforschung im deutschsprachigen Raum zeigt, dass JugendforscherInnen interdisziplinär denken und forschen, auch wenn sie unterschiedliche Perspektiven auf Jugend einnehmen und ein Austausch zwischen den Bezugsdisziplinen kaum stattfindet. Zu beobachten ist der Trend, dass sich JugendforscherInnen der Jugend von gesellschaftlichen Problemstellungen her zuwenden (Riegel et al. 2010)3. Das heißt forschungspraktisch, dass in der Jugendforschung sozialhistorische, soziologische, psychologische und erziehungswissenschaftliche Perspektiven ‚problembezogen‘ kombiniert werden, um „das Zusammenwirken von a) gesellschaftlichen Strukturen und sozialen Kontexten mit b) den kulturellen Rahmungen und Diskursen, c) der Subjektivität, dem Erleben, den Wahrnehmungen, Deutungen und Bewertungen und d) den individuellen und

3Zum

Wandel der Jugendforschung siehe bspw. Pfaff (2015), Gaupp und Lüders (2015), Krüger und Grunert (2010a, b) oder Hübner-Funk und Lüders (2004), zur gegenstands- und problembezogenen transdisziplinären Auseinandersetzung mit Jugend bspw. Ecarius et al. (2017), King und Busch (2012) oder King (2010).

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kollektiven Praktiken“ (Riegel et al. 2010, S. 9) für die Jugendphase, jugendliche Lebensstile oder die individuelle Entwicklung Heranwachsender zu ermitteln. Gleichwohl, so betonen auch Pfaff (2011) und Krüger (2012), bleiben Fragen nach der disziplinären Abgrenzung der Jugendforschung und ‚einzelwissenschaftlichen Spezialisierungen‘ virulent (Pfaff 2011, S. 534; Krüger 2012, S. 81). Wichtig scheinen der jeweiligen Disziplin wissenschaftlichen Grenzziehungen und Barrieren zu sein, die auch die jeweilige spezifische Forschungsperspektive gegenüber Fremdperspektiven verteidigen. Zu den zentralen Themen der Jugendforschung gehören (I) die historischen und gesellschaftlichen Bedingungen und deren biographische Bedeutung für das Jugendalter, (II) institutionelle und jugendbiographische Veränderungen, die in unmittelbaren Zusammenhang mit Familie, Bildungssystem, Arbeitsmarkt oder Medien stehen und (III) Entwicklungsprozesse und zu bewältigende Entwicklungsaufgaben sowie Bildungs-, Erziehungs- und Lernprozesse (Schierbaum 2018, S. 24). Untersucht werden, in Abhängigkeit sich verändernder gesellschaftlicher Bedingungen und Zeitverhältnisse, Fragen nach der Gesundheitsförderung, Prävention und Versorgung von Heranwachsenden, dem Einfluss von Medien, Religion und Migration auf das Jugendalter, Sexualität und Geschlechterordnungen, Gewalt, Jugendszenen und -kulturen, aber auch Fragen der Reproduktion sozialer Ungleichheit und Armut in institutionellen Kontexten (siehe Abb. 3). Vielfältig zeigt sich auch die Forschungslandschaft zu

Abb. 3    Überblick über ‚einzelwissenschaftliche Spezialisierungen‘ und disziplinäre Forschungsperspektiven

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Jugend4: So werden etwa am Bielefelder Zentrum für Kindheits- und Jugendforschung Fragestellungen zur Persönlichkeitsentwicklung, Erziehung, Bildung und Sozialisation zu einem Forschungsprogramm zusammengefasst, am Deutschen Jugendinstitut (DJI) oder auch dem Siegener Zentrum für Sozialisations-, Biographie- und Lebenslaufforschung stehen u. a. ‚Jugendprobleme‘, jugendkulturelle Orientierungen und politische Einstellungen, Geschlecht und Migration auf der Agenda (Schierbaum 2018, S. 26). Auch in den Themen- und Forschungsschwerpunkten spiegeln sich disziplinäre Zugriffe auf Jugend und das Jugendalter. Was zeichnet dabei die ‚einzelwissenschaftlichen Spezialisierungen‘ (siehe Abb. 3) konkret aus? ErziehungswissenschaftlerInnen interessieren sich wie auch PsychologInnen für (körperlich-) seelisch-psychische Entwicklungsprozesse. Sie fragen nach der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben und betrachten die Persönlichkeitsstruktur von Jugendlichen in Bildungs- und Lernprozessen. Sie nehmen Maßnahmen und Interventionsprogramme in pädagogischen Institutionen von der Schule bis hin zur Kinder- und Jugendhilfe in den Blick (Krüger 2012; Ferchhoff 2000; Dollase 2000; Lüders 1998) und interessieren sich für Bildungs-, Lern- und Erziehungspraktiken. Psychologische Perspektiven stehen für kognitive Entwicklungsprozesse, Reifungs- und Veränderungsprozesse, Verhaltensveränderungen von Jugendlichen in Altersstadien und (psychosoziale) ‚Belastungen‘ in jugendbiographischen Übergangssituationen. Die (Entwicklungs-) Psychologie des Jugendalters fragt nach adoleszenten Selbstentwürfen und jugendkulturellen Orientierungen (Mey 2011, S. 29) und nimmt Heranwachsende als ‚aktive Gestalter‘ ihrer eigenen Entwicklung wahr, die sich mit jugendtypischen und entwicklungsrelevanten Themen wie Liebe und Sexualität, Berufswahl und Berufseinstieg, aber auch mit sozialem Grenzverhalten wie Aggressivität und Gewalt auseinandersetzen (Dollase 2000, S. 111). Pädagogische Perspektiven interessieren darüber hinaus auch die Bedingungen, die Heranwachsende zu Eigenregie, Selbsttätigkeit und Selbstkontrolle befähigen. Sie beschreiben die Jugendphase als pädagogisches Moratorium (Zinnecker 2000) zur Selbstfindung und Selbsterprobung und betonen Bildungs- und Lernpraktiken in Elternhaus und Schule, aber auch in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. In familialen Kontexten fragen sie nach Erziehungsstilen und -mustern, ein-

4Wichtige

Hinweise für eine Literaturumschau zur Jugendforschung sind im Band von Schierbaum (2018) gegeben.

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bettenden Erziehungsmilieus und habituellen Erziehungspraktiken, aber auch die gesellschaftlichen Verhältnisse sich verdichtender und beschleunigender Arbeitsund Verwertungszusammenhänge bilden Themenstränge kritischer pädagogischer Betrachtungen. SoziologInnen sehen in der Jugend einen Seismographen gesellschaftlicher Modernisierung und Transformation. Sie interessieren sich für Jugend als eine Lebensphase, an der sich besonders gut ablesen lässt, „wie das Individuum in einer Gesellschaft, die sich strukturell rapide verändert, zu denken und zu handeln lernt“ (Abels 2008, S. 81). Sie fragen, wie sich Jugend zu generationalen Verhältnissen positioniert (King 2010), welche Auswirkungen soziale Ungleichheitsverhältnisse und historisch-politische und soziale Wandlungen auf die Lebenssituation und die Lebenschancen Jugendlicher haben (Scherr 2016; Abels 2000) und sie untersuchen Erwartungen und Zielvorstellungen der Gegenwartsgesellschaft an Jugend im Sinne gesellschaftlicher Delegationen zur Reproduktion dominanter Ordnungsperspektiven. Die Jugendsoziologie interessiert sich stärker für die Probleme Heranwachsender und ihre ‚jugendtypischen Verhaltensweisen‘ (Scherr 2016, S. 150), die sich beispielsweise an Themen wie Körper und Körperlichkeit, Freundschafts- und Peer-Beziehungen, Risikolagen und Gewalt, Lebensplanung und Zukunftsorientierungen im Jugendalter bündeln. Die Jugendforschung verhandelt Frage- und Problemstellungen, die thematische Brücken zwischen den Disziplinen schlagen, dennoch differenziert sie sich in der Logik ihrer Bezugswissenschaften und der Betrachtung ihrer ‚einzelwissenschaftlichen Spezialisierungen‘. Zu ihren ‚vordringlichsten Aufgaben‘ zählen sowohl die empirische „Vergewisserung der unterschiedlichen ‚Jugenden‘ in ihrer Vielfalt milieu-, geschlechts- und bildungsspezifischer Differenzierungen“ als auch eine „differenzierte Analyse unterschiedlicher Formen, Bedingungen und Praxen des Aufwachsens in heterogenen Gesellschaften“ (Bohnsack und Pfaff 2012, S. 217). Dies schließt die theoretischen und empirischen Zugriffe in und zwischen den einzelnen Disziplinen ebenso ein wie gesellschaftliche Diskurse, die das Forschungsprogramm zur Jugend kennzeichnen. Hier zeigt sich die Stärke, die im Zusammenwirken der einzelnen Disziplinen liegt, um die Lebenswirklichkeit von Jugendlichen aufzuschließen. Indem sich die jeweilige Disziplin ihrer selbst vergewissert und ihren ‚Korpus an Wissen‘ pflegt, kann sie eine Form der Kooperation etablieren, die gleichsam neue disziplinäre Grenzen zieht. Diese sind unterschiedlich durchlässig oder rigide, aber notwendig für die soziale Konstruktion und gesellschaftliche Gestaltung von Jugend. Disziplinäre Grenzziehungen regulieren so eine gemeinsame Ordnung und Struktur, in der sich Forschung zu Jugend bewegt: Insofern wird Interdisziplinarität zu einem ‚Durchgangsstadium‘ für disziplinäre Selbst- und Rückvergewisserungen

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(Defila und Di Giulio 1998, S. 117)5, die notwendig sind, um die Lebenswirklichkeiten von Heranwachsenden in ihrer Eigenlogik mehr oder weniger geordnet reflektieren und systematisieren zu können.

5 Forschung zu Jugend – ein ‚Konzert der Disziplinen‘ Zu klären ist nun, wie die skizzierten Frage- und Problemstellungen empirisch untersucht werden und wie diese in der Forschung zu Jugend zum Tragen kommen. Die Frage ‚Was ist eigentlich das spezifisch ‚Erziehungswissenschaftliche‘ an Jugendforschung?‘ soll im Anschluss konkreter aufgegriffen werden.6 Die Aufmerksamkeit der Pädagogik auf Jugend als eigenständige Lebensphase lenkt im ausgehenden 18. Jahrhundert Jean Jaques Rousseau: Mit der ‚Entdeckung der Jugend‘ in seinem Erziehungsroman „Emile“ (1972 [2014]), also mit der Wahrnehmung eines ‚spezifischen Eigensinns‘ (Krüger 2012) des Jugendalters, beginnt das ‚Konzert der Disziplinen‘ mit der Pädagogik in dominanter Position. Auch Ernst Christian Trapp und August Hermann Niemeyer unternehmen im deutschsprachigen Raum erste Versuche, Jugend als eigenständige Lebensphase im Lebenslauf zu konzeptualisieren und eine empirisch orientierte wissenschaftliche Pädagogik zu etablieren. Sie beziehen sich auf Alltagsbeobachtungen und entwickeln im Studium der „Innenansicht vom kindlichen Leben und Erleben“ (Grunert 2010, S. 246) Unterrichts- und Erziehungskonzepte, die zu einer ‚besseren‘ Ausbildung von Jugendlichen dienen sollen (Reinders 2012, S. 62). Aus heutiger Sicht betonen sie damit „die grundlegende Bedeutung biographischer

5Zu

ergänzen ist in Bezug auf Defila und Di Giulio (1998, S. 217), dass Interdisziplinarität „zur weiteren Spezialisierung und Kompartimentalisierung in der Wissenschaft bei[trägt], sie wird zu neu institutionalisierter Disziplinarität, die wiederum der interdisziplinären Zusammenarbeit bedarf. Eine solche Institutionalisierung von Interdisziplinarität führt damit paradoxerweise zu ihrer Disziplinierung, sie verliert gewissermaßen ihre Interdisziplinarität“. 6Die folgenden Ausführungen beziehen auf die qualitative deutschsprachige Jugendforschung. Einen Überblick zur Vermessung der quantitativen Jugendforschung geben Tippelt (1992) oder Walper und Tippelt (2002). Die Entwicklung der Jugendforschung in anderen europäischen Ländern dokumentieren bspw. Wallace (2003) oder auch die internationalen Berichte in den Bänden der Reihe Jahrbuch Jugendforschung ab 2001.

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und ethnographischer Ansätze für eine Theorie und Praxis der Erziehung und [sehen] in der Sammlung und Auswertung von Autobiographien und der Beobachtung von Heranwachsenden die empirische Grundlage pädagogischen Denkens“ (Krüger 2012, S. 82). Fortgeführt werden ihre praktischen Forschungsbemühungen zunächst jedoch nicht. Im 19. Jahrhundert dominieren stattdessen bildungstheoretische Zugänge und eine auch in der Soziologie vertretene gesellschaftstheoretische Bestimmtheit des Individuums, die eine biographische Perspektive auf Jugend ausblenden (Grunert 2010, S. 246). Erst im Zuge der entstehenden bürgerlichen Jugendbewegung und der sich abzeichnenden problematischen Situation der Arbeiterjugend in den Großund Industriestädten wird Jugend zum Gegenstand empirischer Forschung. Im Umfeld von Universitäten wird auf der Grundlage teilnehmender Beobachtung von Jugendbewegungstreffen und der Untersuchungen „von Zeitungen und Pamphleten dieser Generation sowie […] Tagebüchern“ (Reinders 2012, S. 62) eine Jugendforschung etabliert, die sich auch „nachdrücklich von den Alltagstheorien über Jugend distanziert“ (Dudek 1989, S. 153). Jugend wird ‚neu‘ vermessen und in der Forschung zu Jugend dominiert ein gesellschaftliches Problembewusstsein für die Lebenswirklichkeit von Heranwachsenden: Jugend wird zum „Reflexionsfeld für soziale Probleme“ (Andresen 2005, S. 40). Gefährdungen der Jugend durch die Gesellschaft als Folge von Industrialisierung und Verstädterung, aber auch die Gefahren für die Gesellschaft, die von ihr ausgehen, stehen dabei im Mittelpunkt. In den 1930er Jahren konsolidiert sich eine wissenschaftliche Jugendkunde (Dudek 1989, S. 155), die Jugend als ‚Phase der kulturellen Selbstvergewisserung‘ (von Wensierski 2010) interpretiert. Reformpädagogisch ausgerichtete Lehrerverbände und VertreterInnen der experimentellen Pädagogik fordern in diesem Zusammenhang die wissenschaftliche Institutionalisierung der Jugendforschung, auch um sie von ‚Unternehmen‘ der in dieser Zeit dominanten psychologischen Jugendforschung abzugrenzen: „Hierbei waren es vor allem die Arbeiten von Charlotte Bühler zum Seelenleben des Jugendlichen, die die erste Blüte psychologischer Jugendforschung markierten. […] Neben Bühler war es vor allem Sigfried Bernfeld (1931), der Tagebuchmaterialien via hermeneutischem Forschungsansatz und psychoanalytischer Methodik unter Berücksichtigung einer sozialgeschichtlichen Perspektive zu deuten versuchte“ (Mey 2011, S. 28). Zu nennen ist aber auch William Stern, der durch seine jugendtheoretischen Schriften und sein bildungspolitisches Engagement zur Institutionalisierung der Jugendkunde beiträgt (Dudek 1989). Innerhalb der Pädagogik untersuchen Ernst Meumann, Günther Dehn, Heinrich Kautz oder auch Robert Dinse „das Leben und die Orientierungen von Jugendlichen aus dem proletarischen Milieu“ (Krüger 2012, S. 83). Sie legen damit einen empirischen Blick

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auf die ‚Lebenskunde der Jugend‘ frei. Im Anschluss fordert auch Hermann Nohl, die Lebenssituation von Jugendlichen durch die Begleitung ihrer Aktivitäten zu erschließen. Erst ein tieferes Verständnis ihrer Lebenszusammenhänge und gesellschaftlichen Situiertheit ermöglicht es „in ihnen liegende erzieherische Möglichkeiten zum Bewusstsein zu bringen“ (Dudek 1990, S. 268). Um in die Lebenspraxis von Jugendlichen einzutauchen, ihr ‚Seelenleben‘ zu erforschen, untersuchen auch August Aichhorn, Hans Zulliger oder Hans Heinrich Muchow und Martha Muchow Selbstzeugnisse Jugendlicher – unter anderem ihre Tagebücher, Briefe und Aufsätze. Mit den empirischen Zeugnissen der Jugend werden Erziehungs- und Entwicklungstheorien sowie pädagogische Handlungsmodelle begründet. Sie stehen für den Anspruch, durch methodengeleitete Untersuchungen objektive Erkenntnisse über diese Lebensphase zu gewinnen (Dudek 1989, S. 155). In den 1920er Jahren erlebt die Forschung zu Jugend, und insbesondere die qualitativen Zugänge zum Feld, sowohl in der Pädagogik, als auch in der Psychologie eine erste Blütezeit. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten werden diese jedoch wieder aus der Jugendkunde und der (psychoanalytischen) Pädagogik verdrängt. In der Nachkriegszeit nimmt die Forschung zu Jugend im deutschsprachigen Raum eine neue Wende: Die Psychologie verliert im Konzert der Disziplinen ihre dominante Position (Mey 2011, S. 29). Auch die ‚Zweitbesetzung‘ durch die Erziehungswissenschaft kann ihre Position nicht verteidigen. Stattdessen geht die Forschung zu Jugend in den 1950er Jahren auf ‚soziologischen Pfaden‘. Im Zentrum stehen nicht mehr nur die Reflexion von Entwicklungsprozessen im Jugendalter und die sich aus der Deutung von Entwicklung ergebenden Entwicklungsaufgaben, sondern das Interesse am Verhältnis von Gesellschaft und Jugend. JugendsoziologInnen reflektieren die sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen, die den Prozess des Aufwachsens und Älterwerdens von Heranwachsenden beeinflussen, und sie fragen nach der Rolle von Jugendlichen in gesellschaftlichen Transformationsprozessen im Rahmen von Generationenverhältnissen (Mannheim 1969). Sie untersuchen Lebenszusammenhänge von Jugendlichen mehrheitlich über statistische Kennzahlen und Fragebögen in repräsentativen Studien. Erst mit den Arbeiten von Wilhelm Roessler, Hermann Bertlein, Fritz Stückrath und Ewald Welzel oder auch Waltraut Küppers halten auch qualitative Zugänge zur Lebenswelt Heranwachsender wieder Einzug in die Jugendforschung, die sich an größere Themen wie ‚Jugend im Erziehungsfeld von Schule und Familie‘, das ‚Selbstverständnis der Jugend‘ oder ‚Jugend im Wandel‘ heranwagen. Ab Mitte der 1960er Jahre etabliert sich eine Jugendforschung, an der sich allerdings unabhängig voneinander sowohl die Soziologie und Erziehungswissenschaft als auch die Psychologie beteiligen

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(Mey 2011, S. 28). Die verschiedenen disziplinären Perspektiven interessieren sich für Lebensgeschichten oder spezifische Statuspassagen von Jugendlichen, Veränderungsprozesse in der Jugendbiographie im Zuge gesellschaftlicher Modernisierungs- und Individualisierungsprozesse (Krüger 2012, S. 84), aber auch für jugendliche Lebenswelten, Jugendszenen und -kulturen. Wenn auch eine theoretische Neuorientierung und interdisziplinäre Öffnung im Feld der Jugendforschung zu beobachten ist, bleibt die Jugendkunde bis weit in die 1960er Jahre hinein ein zentrales Element im Kanon der Lehrerbildung (Dudek 1990, S. 32). Die Einführung einer spezifisch ‚Pädagogischen‘ Jugendkunde ist als Versuch einzuschätzen, sich gegen die Dominanz der Psychologie abzugrenzen, Fragen nach der Jugend als erziehungsbedürftige Lebensphase nachzugehen und ein erziehungspraktisch lehr- und vermittelbares Wissen über Jugend zu generieren (Ferchhoff 2000, S. 42.). Eine spezifisch ‚Pädagogische Jugendkunde‘, so Dudek (1990, S. 32), „dient auch der Behauptung der Pädagogik gegenüber anderen Disziplinen und dem Versprechen, das Wissen um Jugend zu ordnen, es erziehungstheoretisch und -praktisch zu diskutieren und auf ein dauerhaftes Abnehmerfeld zu beziehen“. Nach Einschätzung von Dudek gelang die Verfestigung einer erziehungswissenschaftlichen Forschungstradition allerdings nur in Ansätzen. In den 1970er Jahren halten die Sozialwissenschaften Einzug in die Pädagogik und die Forschung zu Jugend differenziert sich entlang von Methodenparadigmen weiter aus: SoziologInnen und ErziehungswissenschaftlerInnen, aber auch PsychologInnen wenden sich dem interpretativen Paradigma der Sozialforschung zu und untersuchen die Erfahrungs- und Lebenszusammenhänge von Jugendlichen. Sie betonen ihre aktive Rolle und Handlungsfähigkeit in Prozessen der Sozialisation, der Bildung und des Lernens und orientieren sich stärker an den Selbstrepräsentationen und Selbstthematisierungen von Jugendlichen. Hierin deutet sich ein Perspektivenwechsel in der Forschung zu Jugend an – Jugend steht nicht mehr nur für eine gesellschaftliche (Grunert 2010; King 2010) oder zu erziehende Größe (Sander 2014), sondern für eine individuell zu gestaltende, eigenständige Lebensphase, eingebettet in generationale Ordnungen und moderne Gesellschaftsstrukturen. In den 1980er Jahren verpasst die Jugendforschung den Anschluss an hermeneutisch-rekonstruktive Zugänge. Allerdings eröffnen sich mit dem ‚Individualisierungstheorem‘ neue Perspektiven auf die ‚Konstruktion von Jugend‘ (Mey 2011, S. 34). Erst ab Ende der 1980er Jahre, auf dem Hintergrund der Individualisierungsthese, richten sich auch Projekte der Jugendforschung auf ein hermeneutisches Sinnverstehen der Erfahrungs- und Handlungsräume von Jugendlichen (Combe und Helsper 1991). Ende der 1990er Jahre dominieren biographische Ansätze in der Jugendforschung, die bis heute ein wichtiger

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Abb. 4   Überblick zur Entwicklung der Jugendforschung in groben Zügen

Bestandteil des Forschungsprogramms qualitativer Jugendforschung sind (Reinders 2012). Weitere aktuelle Schwerpunkte bilden Lebensweltstudien, die bspw. die Pluralisierung und Ausdifferenzierung jugendlicher Lebenswelten wie Familie, Schule und Peers fokussieren; oder Interaktionsstudien, die Stigmatisierungsprozesse von Jugendlichen in der Schule, Kommunikationsprozesse in Peergroups oder auch Interaktionskonflikte zwischen Jugendlichen in Schulklassen analysieren (Krüger 2012, S. 85)7. An dieser Stelle soll die Zusammenfassung der wesentlichen Entwicklungslinien der Jugendforschung (vorerst) genügen (siehe Abb. 4). Es sollte deutlich geworden sein, dass die Jugendforschung sichtbar über disziplinäre Beschränkungen hinaus geht und sich insbesondere durch methodische und methodologische Zugriffe auf Jugend als ein interdisziplinäres Forschungsfeld konstituiert. Insbesondere interpretative Ansätze betrachten Jugend als eine ‚transdiziplinäre‘ (Riegel et al. 2010) Auslegungs- und Reflexionsarena, weil sie ihrem Forschungsgegenstand nur durch verschiedene disziplinäre Bezugnahmen

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zentrale Themen sind: Freizeitverhalten und Jugendszenen, Gesundheit, Sexualität und Partnerschaft, Familien- und Peerbeziehungen, Medien- und Internetnutzung, politische Sozialisation und gesellschaftliches Engagement, Risiko und Delinquenz sowie Schule und Lernen, Bildungsverläufe oder Übergänge (siehe Gaupp und Lüders 2015).

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gerecht werden kann. Im Rahmen dieser Auseinandersetzungen kommt es zu Weiterentwicklungen und Verschiebungen in der Perspektivierung von Jugend und es entstehen neu zu vermessende Felder in der Jugendforschung (Gaupp und Lüders 2015, S. 61).

6 Jugendforschung – ein zentrales Themenfeld der Erziehungswissenschaft Im Beitrag wurde die disziplinäre Einbettung der Jugendforschung in einem interdisziplinär orientierten Forschungsfeld besprochen: Jugend ist beeinflusst von historisch gewachsenen und gesellschaftlich etablierten Leitbildern, die sich disziplinären Perspektiven anschließen. Jugend ist aber auch ein Gegenstand empirischer Sozialforschung der sich in der Auseinandersetzung mit historischen, gesellschaftlichen und lebensweltlichen Bedingungen konstituiert. Entlang der vorgenommenen theoretischen und empirischen Rahmung des Gegenstandsfeldes wurden jugendtheoretische Entwürfe disziplinär konkretisiert und Jugend als Gegenstand der Forschung und der Anwendung forschungsmethodologischer Zugriffe reflektiert. Herausgearbeitet wurden mit Blick auf die Entwicklung der Forschung zu Jugend im deutschsprachigen Raum einzelwissenschaftliche Spezialisierungen, aber auch interdisziplinäre Verschränkungen. Für eine erziehungswissenschaftliche Rückversicherung ist die Jugendforschung untrennbar mit Bildungs-, Lern- und Erziehungspraktiken verbunden. Weil auch die disziplinären Besonderungen fortbestehen, muss die Frage, Was ist das spezifisch ‚Erziehungswissenschaftliche‘ an der Forschung zu Jugend stets aufs Neue gestellt werden. Aktuell ist zu beobachten, „dass die Erziehungswissenschaft nicht Erziehungsphänomene erforscht, sondern sich vielmehr als empirische Bildungsforschung etabliert“ (Rademacher 2018, S. 29): Sie interessiert sich für die Heterogenität der Lebenssituation Heranwachsender, erkundet unterschiedliche Lern- und Bildungskontexte, sie untersucht Lehr- und Lernprozesse und arbeitet sich an pädagogischen Handlungsmodellen ab, sie fragt aber auch nach jugendlichen Bildungserfolgen und gesellschaftlichen Anforderungen, um Jugend die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Sie konzentriert sich weniger auf Fragen der Persönlichkeitsentwicklung und fragt eher nicht nach ‚gelungenen‘ oder ‚misslungenen‘ Sozialisationsverläufen. Aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive werden Heranwachsende im Jugendalter als bildsame, erziehbare wie erziehungsbedürftige Subjekte charakterisiert, die in einem „dialogischen Prozess gemeinsamer Gestaltung von Unterricht und Lernen“ stehen und sich „an der Gestaltung des pädagogischen Geschehens“ (Koller 2014, S. 241 f.) auch an außerschulischen

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Bildungs- und Lernorten beteiligen. Insofern stehen nicht zuallererst die Heranwachsenden im Fokus, sondern die Frage, wie von außen und pädagogisch legitimiert auf Jugend eingewirkt wird (Rademacher 2018, S. 39). Entscheidend ist, dass sich in der Empirisierung der Jugend Entwicklungs- und Erziehungstatsachen mehr und mehr als Bildungstatsachen adressiert werden und sich dafür verstärkt Bildungsinstitutionen zugewendet wird. Es dominieren „Fragen der Verschränkung unterschiedlicher Lernprozesse (wie formales, non-formales und informelles Lernen) an unterschiedlichen Lern- und Bildungsorten“ (Gaupp und Lüders 2015, S. 68) wie auch Fragen nach „pädagogischen Binnenprozessen und soziale Beziehungen (…) in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen“ (Gaupp und Lüders 2015, S. 68). Damit stehen Bildungsübergänge, Bildungsverläufe und Bildungserfolge von Jugendlichen im Mittelpunkt und weniger Erziehungsfragen und Fragen nach adoleszenten Suchbewegungen. Zentral ist für die pädagogische Perspektive der Jugendforschung, dass sie stark von der Bildungsforschung geprägt ist. Obgleich sich hier Jugendforschung als ‚bildungsbezogene Jugendforschung‘ (Bohnsack und Pfaff 2012) aufstellt, sollte doch auch die Familie als Ort der Bildung und sozialen Reproduktion auf der Agenda der Jugendforschung stehen. Denn gerade der Blick auf Familie als ‚Generationengeflecht‘ (Ecarius 2009) ermöglicht, Erziehungsstile und Erziehungspraxen vor dem Hintergrund sich verändernder Lebens- und Aufwachsensbedingungen in der Gegenwartsgesellschaft zu erschließen. Damit sind zwei zentrale Themenfelder der Erziehungswissenschaft angezeigt, die für die erziehungswissenschaftliche Jugendforschung einen thematischen Schwerpunkt bilden und Fragen nach Bildungs- und Erziehungsprozessen zwischen jungen und älteren Generationen (Ecarius 2009, S. 11), eben nicht nur in Schule und Unterricht, Beruf und außerschulischen Lernwelten, ins Zentrum rücken. Es wird deutlich, dass Jugendforschung inhaltlich klar konturierte Forschungsprogramme benötigt, denn „nur wenn die Rückbindung an die Disziplinen gewährleistet ist, bleibt sie interdisziplinär“ (Defila und Di Giulio 1998, S. 131) und kann die vielen Facetten von Jugend erschließen. Weil sich Jugend aber auch „in ihrem Eigenrecht und ihren eigenlogischen Ausdrucksgestalten, die es in ihrer Vielfalt erst verstehend zu erschließen gilt“ (Helsper et al. 2015, S. 11), manifestiert, haben interpretative Verfahren der Sozialforschung in der Erschließung von Jugend eine besondere Aufgabe. Die erziehungswissenschaftliche Jugendforschung bleibt auch eine normativ argumentierende Bezugsdisziplin: „Sie ist zugleich eine deskriptive, also beschreibende Wissenschaft, die Fakten ermittelt, wie eine präskriptive, also vorschreibende bzw. normative Wissenschaft im Sinne einer normsetzenden Disziplin mit dem Ergebnis, dass empirische Analyse wie philosophische Reflexion […] eine untrennbare Einheit bilden“ (Garz 2000, S. 17). Die Antworten auf

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normative Fragen können durchaus unterschiedlich ausfallen, sie können z. B. ‚eher‘ philosophisch, wissenschaftlich oder erziehungspraktisch beantwortet werden, denn ausklammern lassen sie sich aus einer erziehungswissenschaftlichen Betrachtung nicht. Insofern markieren sie die ‚Erziehungswissenschaftliche‘ Perspektive der Jugendforschung, die bei jugendspezifischen Themen und Fragen auch als Praxiswissenschaft (Garz 2000) einzuschätzen ist, die Bildungs-, Erziehungs- und Lernprozesse von Jugendlichen in Familie und Schule, aber auch in verschiedenen Institutionen des Bildungs- und Sozialwesens (Krüger 2012, S. 81) mit Gestaltungsfragen verbindet. Sowohl die Rahmenbedingungen pädagogischen Handelns als auch ihre pädagogischen Praxisformen in Beziehung zu Jugendlichen sind als erziehungswissenschaftliche Schwerpunkte der Jugendforschung auszumachen. Im Gegenhorizont dieses pädagogischen Regelwerks steht der Eigensinn der Jugend, denn Heranwachsende sind eigensinnige Akteure, die sich mit kulturellen Entwicklungsnormen und biographischen Herausforderungen auseinandersetzen und ihre Lebenszusammenhänge selbst gestalten (Schierbaum 2018). Der Anspruch der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung ist damit ein doppelter: Sie will Jugend aus der Perspektive der Jugendlichen selbst erforschen und dabei ihre Verwicklung in die pädagogische Praxis und auch ihre Bildungsinstitutionen im Blick behalten. Erst die Kombination und Verschränkung beider Zugriffe auf die Jugend eröffnet ein umfassendes Verständnis erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung und zeichnet ein Bild von Jugend als Maßstab ‚guten Lebens‘ unter modernen gesellschaftlichen Verhältnissen, ihre Einbindung und Hervorbringung in Institutionen, aber auch in ihrer Sichtbarkeit als eigensinnige Lebensphase mit kreativen Potenzialen. Jugendtheoretische Reflexionen und die empirische Erkundung der Lebenszusammenhänge von Heranwachsenden bilden so eine Grundlage für die Gestaltung der pädagogischen Praxis. Sie ist damit nicht nur Gegenstand der Forschung, sondern zugleich auch ein Praxisfeld der Vermittlung pädagogischer Leitvorstellungen von Bildung und Erziehung. Jugendforschung gibt dem professionellen Handeln von PädagogInnen und Institutionen der Bildungspolitik nicht nur Impulse für neue fachliche Anforderungen, sondern auch für die Beteiligung von Jugendlichen in institutionellen Kontexten. Sie liefert ein Orientierungswissen zu zentralen Jugendthemen wie Sexualität, Freundschaften und Peers, Berufswahl und Zukunftsplanung, Gewalt oder Medien, kann Anregungen für passende Hilfe- und Unterstützungsangebote geben und die biographischen Verstrickungen und Selbstwidersprüche jugendlichen Aufwachsens in spätmodernen Lebensverhältnissen aufdecken. Um dieses komplexe Bild von Jugend und ihre Lebenswirklichkeit angemessen zu erfassen, ist die (erziehungswissenschaftliche) Jugendforschung auf (inter-)disziplinäre Perspektiven angewiesen. Spätestens seit

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der sozialwissenschaftlichen Wende in der Erziehungswissenschaft in den 1970er Jahren bezieht sich die pädagogische Jugendforschung sowohl auf sozialwissenschaftliche Theoriediskurse als auch ihr elaboriertes qualitatives und quantitatives Methodenrepertoire (Krüger 2012, S. 81). Um Jugend in ihrer Vielfalt zu erkunden und den sich verändernden Bedingungen des Aufwachsens theoretisch und empirisch gerecht zu werden, sind eben nicht nur Teilaspekte im Forschungsprogramm zu Jugend hervorzuheben und die einzelwissenschaftlichen Spezialisierungen zu stärken, sondern auch das Zusammenwirken der unterschiedlichen Disziplinen fördern. Dabei sind Selbstund Rückvergewisserungen immer wieder notwendig, aber nicht nur um weitere Spezialisierungen zu vermeiden (Defila und Di Giulio 1998, S. 131), sondern um sich themen- und problembezogen mit dem Forschungsgegenstand Jugend auseinanderzusetzen und eine gemeinsame Ordnung, in der sich Forschung zu Jugend bewegt, herzustellen. Wenn eine Rückbindung an die jeweilige Disziplin trotz Anleihen – die von der Erziehungswissenschaft vor allem aus der Psychologie und Soziologie genommen werden – gewährleistet bleibt und Disziplinarität bewusst gestaltet wird, und dazu gehört es eben auch, sich immer wieder zu vergewissern, was das spezifische der jeweiligen Disziplin an Jugendforschung ist, dann bleibt Jugendforschung ein interdisziplinär orientiertes Forschungsfeld.

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Dr. phil. Anja Schierbaum,  ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehr- und Forschungsbereich Bildungsphilosophie, Anthropologie und Pädagogik der Lebensspanne an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Sozialisationsforschung, Jugendforschung, Familien- und Generationenforschung, Klinische Soziologie und Rekonstruktive Forschungsverfahren.

Teil II Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung im Spannungsfeld aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen

Jugendforschung in den Fallstricken des methodologischen Nationalismus?! Nicolle Pfaff

Zusammenfassung

Der vorliegende Beitrag bezieht die Kritik des methodologischen Nationalismus auf die bundesdeutsche Jugendforschung. An drei Forschungsfeldern, der Forschung zu Jugend im globalen Süden, Studien zu ästhetischen Praktiken in Jugendkulturen und der jugendbezogenen Migrationsforschung wird die Relevanz des Nationalstaats als begrenzendes, wie den Blick auf Jugend zurichtendes Feld herausgestellt. Vor diesem Hintergrund wird gefragt, welche Potenziale gerade für die erziehungswissenschaftliche Jugendforschung darin lägen, diese Engführungen zu überwinden.

Abstract

This article takes up the criticism of methodological nationalism relating it to German youth research. The relevance of the nation-state as a limiting field is emphasized in three fields of research: studies on youth in the global South, scholarship on aesthetic practices in youth cultures, and youth-related migration research. Against this background, it is asked what potential there is for educational youth research in particular to overcome these bottlenecks.

N. Pfaff (*)  Universität Duisburg-Essen, Essen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Grunert et al. (Hrsg.), Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27612-6_5

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N. Pfaff „Der methodologische Nationalismus ist eine ideologische Perspektive, die sich sozialen und historischen Prozessen annähert, als ob diese innerhalb abgeschlossener nationalstaatlicher Grenzen stattfänden (Beck 2000). Nationalstaaten werden mit Gesellschaften gleichgesetzt und ihren Mitgliedern eine gemeinsame Geschichte und geteilte Werte, Normen, Traditionen, Institutionen und Identitäten zugeschrieben.“ (Glick-Schiller 2014, S. 158)

Der vorliegende Beitrag entwickelt ausgehend von der Perspektive des methodologischen Nationalismus die Kritik, dass gängige Forschungen und theoretische Konzepte zu Jugend in der deutschsprachigen (insbesondere erziehungswissenschaftlichen) Jugendforschung dem Paradigma einer nationalstaatlichen Verfasstheit verhaftet bleiben. Vor dem Hintergrund bestehender Auseinandersetzungen mit den Grenzen eines solchen wissenschaftlichen Zugriffs auf Jugend sollen drei Aspekte genauer in den Blick genommen werden, die für die Anwendung und Reichweite theoretischer Konzepte, für Auseinandersetzungen mit Grenzüberschreitungen in jugendlichen Lebenswelten sowie für die Wirkungsweise nationaler Zugehörigkeitsordnungen in der Jugendforschung selbst stehen: So werden erstens kritische Auseinandersetzungen mit der globalen Hegemonie theoretischer Konzepte von ‚Jugend‘ aufgegriffen. Zweitens wird diskutiert, inwiefern Prozesse der Transnationalisierung und Globalisierung von ästhetischen Ausdrucksformen zur Kenntnis genommen werden. Drittens werden bestehende Blickverengungen in der Auseinandersetzung mit Jugend in der Migrationsgesellschaft herausgestellt. Den analytischen Kontext der vorliegenden Selbstvergewisserung bietet dabei – und schon dies kann die Relevanz der Auseinandersetzung anzeigen – gleichfalls der nationalstaatliche und wissenschaftspolitische Zusammenhang der bundesdeutschen bzw. deutschsprachigen Jugendforschung, der im Forschungsfeld in vielen Fällen noch immer den zentralen Referenzrahmen darstellt (Hunner-Kreisel und Bühler-Niederberger 2015; Liebel 2014). Vor dem Hintergrund dieser Kritiken werden Folgen für eine erziehungswissenschaftliche Jugendforschung im Paradigma des methodologischen Nationalismus abgeleitet und Perspektiven zu ihrer Überwindung skizziert. Die damit vorgetragene Kritik ist dabei keinesfalls neu. Sie geht von einer seit etwa zwei Jahrzehnten anhaltenden sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung um die Reichweite des Konzepts ‚Jugend‘ und darauf bezogene Forschungsperspektiven aus: Dazu gehören einerseits Versuche zur Etablierung von Konzepten ‚globaler Generationen‘ (z. B. Edmunds und Turner 2005; Beck und Beck-Gernsheim 2009) oder einer ‚culturally inclusive youth sociology‘ (Nilan 2011), ebenso wie seit langem vorgetragene Forderungen nach der Stärkung international vergleichender Perspektiven in der Jugendforschung (z. B. McLeod

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2009; Riegel et al. 2009; Helsper et al. 2015; Krüger 2016). Sie verweisen damit implizit auf das Bestehen eines dominant durch den Nationalstaat geprägten Bezugsrahmens der Jugendforschung. Zugleich wird diese Perspektive irritiert, etwa durch Studien zu transnationalen Lebenswelten und ästhetischen Ausdrucksformen, durch vergleichende Studien, die auf Analogien in den Problemlagen junger Menschen in bestimmten Weltregionen aufmerksam machen sowie durch Arbeiten zu Jugend im Kontext von Migration. Diese Auseinandersetzungen und die aus ihnen resultierenden Fragen nimmt der vorliegende Beitrag zum Ausgangspunkt für eine grundsätzliche Vergewisserung über die Orte und Perspektiven der Jugendforschung.

1 Nationale Jugendkonzepte im Spiegel globaler Jugendgenerationen Wissenschaftlich dominante soziologische und erziehungswissenschaftliche Modelle zur gesellschaftlichen Verankerung von Jugend, z. B. in Form der kulturellen Eigenlogik, der Ko-Konstruktion von Welt oder des Bildungsmoratoriums, wurden bislang fast ausschließlich in Auseinandersetzung mit Prozessen des Aufwachsens in den ‚industrialisierten Ländern‘ des sog. ‚Globalen Nordens‘ entwickelt (vgl. Nilan 2011; Everatt 2015; Liebel 2014; Phillips 2018). Diese Konzeptionen von Jugend werden auf die als ‚peripher‘ konstruierten Weltregionen des globalen Südens übertragen und die sog. ‚moderne‘ Jugend in ihrer sichtbaren Gestalt, gebunden an Autonomiegewinn, institutionell gerahmte Qualifizierung und Entlastung von Erwerbsarbeit, unhinterfragt als globale Struktur entworfen (ebd.). Dies führt nicht nur zu einer eingeschränkten Perspektive auf Jugend, sondern auch zu begrenzten theoretischen Konzepten, deren analytische Reichweite in einem breiten weltgesellschaftlichen Zusammenhang bislang nicht ausreichend zum Gegenstand gemacht wurde (vgl. auch Hunner-Kreisel et al. 2008). In der Kritik am methodologischen Nationalismus kommt die mangelnde Reflexion der territorialen und sozialhistorischen Limitiertheit von Phänomenbeschreibungen als ‚Ausblendung der nationalen Spezifika von Modernität‘ in den Blick (Glick-Schiller und Wimmer 2002, S. 304). Argumente für die Annahme einer globalen Realität von Jugend beziehen sich vor allem auf eine zunehmende Bildungsbeteiligung und die kontinuierliche Ausdehnung der Bildungszeit in allen Weltregionen. Die so interpretierte fortgesetzte Institutionalisierung einer erweiterten Jugendphase wird als Beleg für die Freisetzung von jungen Menschen von Erwerbs- und früher Reproduktionsarbeit

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gewertet. Dies kann weder im globalen Maßstab, noch anhaltend für alle Teile der Bevölkerung in wohlhabenderen Weltregionen behauptet werden (z. B. UN WYR 2018). Gleichsam stellen bspw. Konzepte der Transition, die das Erreichen des Erwachsenenalters an die ökonomische und soziale Loslösung von der Herkunftsfamilie koppeln, kein adäquates Beschreibungsmoment des Jugendalters für viele Regionen dar (vgl. z. B. Nilan 2011; Liebel 2014). Für die Konzeption von Jugend als globales gesellschaftliches Strukturmerkmal werden im Kern zunehmende internationale Vernetzungen ins Feld geführt: Die raum-zeitliche Verdichtung durch globale Kommunikationsarenen und steigende internationale Mobilität führen demnach zur Ausbreitung kultureller Sinnangebote, wie etwa Religionen, Sprachen, Essgewohnheiten oder auch ästhetische Ausdrucksformen. Auch wenn umstritten ist, ob diese Entwicklungen eher zu globaler kultureller Homogenisierung oder zur Hybridisierung bzw. Melánge von Sinnangeboten führen, ob Globalisierung eher als technologische oder als ökonomische Transformation der Weltgesellschaft zu begreifen sei, bleibt als gemeinsame Beobachtung bestehen, dass der Prozess eine räumliche Entgrenzung von sozialen Phänomenen vorantreibt. Entsprechend konstatiert etwa Phillips (2018) in Bezug auf Jugend: „The young generation in particular faces a ‘heritage’ that is essentially transnational—whether it regards technological progress or environmental degradation. Young people come into contact anew not only with their own region’s history, but with entangled histories whose origins are scattered across the globe. To different degrees and through different means, they harness and hybridize a diversity of cultural inventories to navigate a world that simultaneously becomes more interconnected and less capable of silencing long-standing inequities.“ (Phillips 2018, S. 30)

Die massiven Ungleichheiten zwischen den Lebensbedingungen junger Menschen in verschiedenen Weltregionen bilden gleichwohl ein zentrales Argument gegen die unhinterfragte Übertragung jugendtheoretischer Konzepte aus Europa und Nordamerika auf weitere Regionen (z. B. Griffin 2001; Pilkington und Johnson 2003; Blossfeld 2006; Tyyskä 2017). Sie sind zugleich Ausgangspunkt für Überlegungen und Auseinandersetzungen um die Frage, wie Jugend global wissenschaftlich zu repräsentieren und welche theoretischen Perspektiven geeignet seien, die sozialen Realitäten und Lebensbedingungen junger Menschen im globalen Zusammenhang angemessen abzubilden. So wird vorgeschlagen, von über Altersgrenzen biologistisch argumentierenden Konzepten von ‚Jugend‘ und damit verbundenen Vorstellungen von typischen

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Entwicklungsverläufen Abstand zu nehmen. Stattdessen wird ein soziologisch fokussiertes Konzept vorgeschlagen, das junge Menschen als Teil einer globalen Jugendgeneration in den Blick nimmt. Aus modernisierungstheoretischer Perspektive plädieren Beck und Beck-Gernsheim (2009) dabei für eine Jugendsoziologie in kosmopolitischer Perspektive. Vor dem Hintergrund von Beobachtungen politischer Jugendproteste, getragen mehrheitlich von Angehörigen einer spezifischen Generation, wie sie aktuell z. B. in der ökologischen Bewegung ‚Fridays for Future‘ wieder aufscheinen, entwerfen sie die Fragen: „to what extent can we discern today the emergence of transnational generations on a global scale; what are the different fractions appearing within the ‚global generation’; and how does one fraction of the ‚global generation‘ relate to each of the others?“ (ebd., S. 26). Ausgehend von Beobachtungen der normativen Zurückweisung von Strukturen globaler Ungleichheit, massiver kultureller Globalisierung und der damit verbundenen Orientierung an Wohlstand, Sicherheit und kulturellen Freiheiten als ‚westlichen‘ Lebensstandards diagnostizieren sie zunehmende Analogien in den Lebensbedingungen von jungen Menschen weltweit und fordern, diese zum Gegenstand empirischer Studien und soziologischen Denkens über Jugend und gesellschaftlichen Wandel zu machen. Der Beitrag von Beck und Beck-Gernsheim (2009) erzeugte eine breite Debatte in der Jugendforschung, die grundlegende Diagnosen der Autor*innen infrage stellte, zugleich aber die Frage aufnahm, wie die singulären Perspektiven auf Jugend als Risiko unter Bedingungen des Wohlstands reicher Länder überwunden werden können (z. B. Woodman 2009; Roberts 2012; Threadgold 2011). Ausgehend von den im globalen Norden entwickelten Jugendtheorien wird im Anschluss an diese Debatte gefordert, eine inklusive Perspektive in der Jugendforschung zu entwickeln. Dabei rückt die anhaltende strukturelle Dominanz theoretischer und empirischer Perspektiven auf Jugend ins Zentrum: „While there is so little dialogue between the global North and the South in the field of youth studies, the standard interpretive paradigms we use remain confined in their usefulness to nations most like our own“ (Nilan 2011, S. 22). Die Anwendbarkeit konzeptioneller Überlegungen aus einem gesellschaftlichen Zusammenhang auf andere wird hier kritisch diskutiert und stattdessen eine empirisch basierte Theorieentwicklung zu Jugend in einem territoriale und kulturelle Gegebenheiten übergreifenden Sinne vorgeschlagen, die einerseits von globalen Entwicklungen und Prozessen der Transnationalisierung ausgeht, andererseits aber als ‚genuinely intercultural youth sociology‘ (ebd., S. 25) gerade hinreichend abstrakte und damit inklusive Beschreibungsfolien entwickelt. David Everatt (2015)

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liest die Dominanz jugendsoziologischer Konzepte aus dem globalen Norden als koloniale Praxis, die Maßstäbe zu setzen beansprucht, nicht nur für wissenschaftliche Perspektiven auf Jugend, sondern nachgerade auch für Jugend in anderen Weltregionen selbst. Am Beispiel der breiten Forschung zu Lebensverläufen und institutionellen Übergängen einerseits sowie Jugendkulturen andererseits fragt er nach der Adäquatheit ‚westlicher‘ Konzepte von Jugend für andere Regionen. Zugleich wird hier in einer postkolonialen Reflexion gefragt, welchen Beitrag gerade die Exotisierung von Jugend in als ‚peripher‘ konstruierten Weltregionen über wissenschaftliche Studien für deren Konstruktion als ‚Andere‘ und die Reproduktion der Geltungsansprüche von Jugendkonzepten aus als etabliert geltenden Wissenschaftssystemen leistet. Mit dem Konzept der ‚Zugehörigkeit‘ betont Everatt (ebd.) vor dem Hintergrund der demographischen Bedeutung von Jugend im globalen Süden die Tatsache, dass die Lebenschancen vieler Jugendlicher entscheidend an die mit nationaler Zugehörigkeit einhergehenden Rechte und gesellschaftlichen Bedingungen gebunden sind. Philipps (2018) zeigt am Beispiel der ‚youth bulge theory‘, wie in demographischen und kriminologischen Studien die Übertragung von risikotheoretischen Ansätzen über Jugend aus psychologischen und soziologischen Arbeiten des 19. Jahrhunderts zu einer Renaissance kolonialer Rassismen führt, wenn vom Anteil junger Menschen in afrikanischen Ländern auf Konfliktpotenziale in der Region und im globalen Zusammenhang geschlossen wird. Am Beispiel internationaler kulturanthropologischer Studien zu Gesellschaften auf dem afrikanischen Kontinent kann er zeigen, dass gesellschaftliche Jugendkonzepte nicht nur an die Kategorie Alter gebunden sind, sondern innerhalb und zwischen Gesellschaften im Hinblick auf die herrschende generationale und ökonomische Ordnung stark variieren. Insgesamt machen die beschriebenen Debatten und konzeptionellen Kritiken darauf aufmerksam, dass bei der Nutzung jugendtheoretischer Konzepte sowohl die spezifischen sozialstrukturellen und soziokulturellen Bedingungen ihrer Produktion wie auch die Machtverhältnisse innerhalb des globalen Wissenschaftssystems sorgsam zu reflektieren sind. Die hier in Kürze referierten Auseinandersetzungen können zusammenfassend als Plädoyer zur Stärkung solcher Untersuchungsperspektiven gelesen werden, die ausgehend von abstrakten Kategorien, wie Generation oder Zugehörigkeit, die Lebensbedingungen und Praktiken junger Menschen in unterschiedlichen Weltregionen vergleichend zum Gegenstand werden lassen. Sie fordern zugleich aber auch zur weiteren Entwicklung von jugendtheoretischen Ansätzen auf, die insbesondere die Lebenserfahrungen und sozialen Realitäten von jungen Menschen in Ländern des sog. ‚globalen Südens‘ zum Ausgangspunkt machen.

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2 Jugendkulturforschung zwischen nationalen Wissenschaftskulturen und globalen Ästhetiken Neben der kritischen Auseinandersetzung mit der globalen Reichweite von jugendtheoretischen Konzepten bildet insbesondere der Gegenstandsbereich jugendkultureller Ausdrucksformen ein Untersuchungsfeld, in dem bereits seit langem auf die Bedeutung von Globalisierungsprozessen einerseits und transnationalen Bezügen andererseits aufmerksam gemacht wird. So werden jugendkulturelle Ausdrucksformen insbesondere dann als globalisierte Stile beschrieben und als global ausgerichtete Konsum- und Rezeptionsmuster untersucht, wenn diese als Teil einer soziokulturell dominanten Populärkultur verstanden werden (z. B. Roth 2002; Maira und Soep 2005; Kjeldgaard und Askegaard 2006). Darauf verweist bspw. die Analyse von Cicchelli und Octobre (2017) zu Jugendlichen in Frankreich, die fünf Formen der Bezugnahme auf einen ‚­ästhetisch-kulturellen Kosmopolitismus‘ unterscheidet. Diese reichen von unbeabsichtigtem Kosmopolitismus durch Konsum globalisierter Popkultur über Formen der Zugehörigkeit zu globalen Fankulturen und Fans nationaler oder regionalisierter Ästhetiken bis hin zur Ablehnung globalisierter Kulturproduktionen (ebd.). Kelly (2006) und Kaya (2015) beschreiben am Beispiel der globalen Verbreitung von Ausdrucksformen des Hip Hop die Selektivität der Bezugnahme auf spezifische Ästhetiken (Rap) und Sinnhorizonte (Rassismuskritik und Marginalisierung) in der Adaption des Stils in anderen regionalen und lokalen Zusammenhängen. „This media-induced blurring of the boundaries between the global and the local has led to the reconceptualization of social experiences, knowledge, and identity as produced through the dominance of hip hop cultural formation“ (Kelly 2006, S. 34). Die sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Phänomenen kultureller Globalisierung bleibt lange – und im Besonderen in Studien zu populärer Kultur – auf die Analyse der Dominanz und weltweiten Verbreitung ‚westlicher‘ und insbesondere englischsprachiger Populärkultur beschränkt (Iwabuchi 2002). Neben der Kritik am methodologischen Nationalismus (Hunner-Kreisel und ­Bühler-Niederberger 2015) wie auch am kolonialen Impetus einer solchen Forschungsperspektive (Phillips 2018) wird kritisiert, dass die Forschung zu jugendlichen Ästhetiken und Populärkultur zu stark im nationalstaatlichen Kontext verbleibt (Storey 2003). Demgegenüber bleiben historische Entstehungszusammenhänge von Populärkultur weitgehend ausgeblendet, die nationale Grenzen transzendieren (vgl. aber die Beiträge in Bock et al. 2007). So wird die Gleichsetzung von Globalisierung und Verwestlichung schon seit längerem im wissenschaftlichen Globalisierungsdiskurs unter Hinweis

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auf das Ineinandergreifen von globalen und lokalen Kräften infrage gestellt. Unter Bezugnahme auf Robertsons (1994) Term ‚Glokalisierung‘ wird dagegen deren Zusammenwirken betont. Globalisierungsprozesse, so die damit verbundene Annahme, rufen nicht einseitig Homogenisierung hervor, sondern gehen zugleich mit einer Vervielfältigung und Rekontextualisierung der sich weltweit verbreitenden Phänomene in unterschiedlichen lokalen Kontexten einher. In der internationalen Jugendkulturforschung wird die Perspektive des Ineinandergreifens der globalen Verbreitung von ästhetischen Ausdrucksformen und regionaler sowie lokaler Entwicklungen inzwischen breit rezipiert. So zeigen verschiedene Studien, dass junge Menschen globalisierte Ästhetiken und ökonomische Trends auf ihre konkreten sozialen Lagen und soziokulturellen Ressourcen sowie auf konkrete soziale Entwicklungen und lebensweltliche Herausforderungen vor Ort beziehen (Bennett 1999; Kjeldgaard und Askegaard 2006). Differenzierte mikrosoziologisch ausgerichtete Analysen zu Glokalisierungsprozessen liegen insbesondere zur Adaption von Praktiken des Hip Hop vor, der in diesen als „vehicle for global youth affiliation and a tool for reworking local identity all over the world“ verstanden wird (Mitchell 2001, S. 1; vgl. auch Weller 2003 zu Rap in Berlin und São Paulo; Niang 2006 zu Bboys in Dakar; Kaya 2015 zu Hip Hop in Berlin und Istanbul; vgl. auch die regionalen und lokalen Fallstudien im Band von Bock et al. 2007). Übereinstimmend werden hier Nutzungsweisen der ästhetischen Formen des DJing, Sampling und des Rap-Gesangs sowie teilweise auch von Artefakten und des Graffiti-Writings in unterschiedlichen lokalen, i. d. R. urbanen Settings untersucht. Diese werden als Expressionen lokal wirksamer sozialer Positionierungen und gesellschaftlicher Verhältnisse beschrieben. Auch zu anderen Stilen, z. B. zu Gothic (z. B. Byron 2015) und visual kei (z. B. Heymann 2014) liegen entsprechende Analysen vor: hieran wird u. a. die Relevanz von global mediatisierten Repräsentationen und Formen der Vergemeinschaftung im Verhältnis zu konkreten körperlichen Stilisierungspraktiken und lokalen Events diskutiert. Die inzwischen durchaus vielfältige internationale Forschung zu Phänomenen und Bewegungen der Glokalisierung in Jugendkulturen ist zwar stilbezogen stark differenziert, aber in ihren sozialräumlichen Bezügen z. T. wenig systematisch verbunden. Den Versuch international vergleichender Perspektiven glokaler Praktiken im Hip-Hop unternehmen die Beiträge im Band von Bock, Meier und Süss (2007) mit Einblicken in lokale Zusammenhänge des Hip Hop und Rap in unterschiedlichen Weltregionen sowie Analysen zu Relationierungen zwischen Sozialraum und Ästhetik. Im Zentrum dieser Studien stehen Relationen und Interaktionen zwischen globalen Repräsentationen von kulturellen Ästhetiken und

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damit verbundenen Sinnangeboten – Kjeldgaard und Askegaard (2006, S. 245) sprechen hier von „youth culture [as a …] universal […] symbolic space for identity articulation“ – mit lokal verankerten Praktiken ihrer (Re)Produktion, Adaption und Transformation. Im Feld der Jugendkulturforschung wird die Beobachtungsfolie der Transnationalisierung in einem konkreteren – über eine allgemein auf Internationalisierung verweisende Begriffsverwendung hinausweisenden – Sinn vor allem genutzt, um auf die plurilokale Genese und Verbreitung von Stilen aufmerksam zu machen. Roberts (2013) analysiert am Beispiel der Genese des Bricolage-Stils Shibuya-kei als Facette des J-Pop (Japanischer Pop) die transnationalen sozialen Netzwerke von Labels und Musiker*innen sowie die musikalischen Stilelementen und diskursiven Konzepte aus Japan, Großbritannien, den USA, Frankreich, Deutschland, Spanien und Brasilien, die zur Etablierung des Stils zunächst im lokalen Setting eines Tokioer Stadtteils und später zu seiner weltweiten Popularisierung beigetragen haben. Zur Bedeutung des Nationalen zeigt er, wie die Bezugnahme auf je soziokulturell dominante und typische Stilelemente nationalkulturelle Homogenisierung in der Erzeugung hybrider kultureller Produktionen aufrechterhält. Auf die Funktion nationalkultureller Stereotype für die Konstruktion von Authentizität und die Repräsentation marginaler sozialer Positionierung in der Diaspora weisen verschiedene Analysen zu Hip-Hop hin (z. B. Weller 2003; Kaya 2015). Ebenfalls von transnationalen Netzwerken als Kontext der Internationalisierung jugendkultureller Stile geht Um (2013) am Beispiel von K-Pop (Koreanischer Pop) aus. Er zeigt auch, wie staatliche Strukturen in Korea z. B. in Form kulturpolitischer Programme, musikindustrielle Unternehmen und staatliche wie private Unterhaltungsmedien die Hervorbringung spezifischer Spielarten und die Repräsentation von transnationalen Stilelementen einerseits in Korea moderieren, sie andererseits als kulturpolitisches Instrument zur Unterstützung koreanischer Engagements in anderen Staaten und Regionen nutzen. In einem konzeptionellen Blick auf Jugendkulturen im globalen Kontext unterscheiden Feixa und Nilan (2006) unterschiedliche Zusammenhänge der Transnationalisierung von Stilen. Hierbei betonen sie Kontexte der Mobilität und Netzwerke von Künstler*innen, Zusammenhänge regionaler Migrationsregime und der durch sie produzierten Ungleichheiten sowie die Bezugnahme auf soziale Netzwerke, die sich in mediatisierten Sozialisationsarenen Jugendlicher etablieren und ständig wandeln (ebd.). Iwabuchi (2010) weist in der kritischen Auseinandersetzung mit der globalen Fankultur japanischer Jugendmedien darauf hin, dass die einseitige Konzentration auf transnationale Bezüge zwischen Jugendszenen und -stilen zu kurz greift, indem sie darin eingewobene Prozesse der Stabilisierung nationaler ­Ordnungen

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bzw. nationalistische Vereinnahmungen von ästhetischen Formen kaum zum Gegenstand macht. In der hier referierten knappen Zusammenschau ausgewählter internationaler Befunde zu globalen und transnationalen Bezügen in jugendkulturellen Ästhetiken wird hingegen deutlich, dass diese in ihrer konkreten Ausgestaltung durch z. B. migrations-, kultur- oder kommunikationspolitische Regulationen moderiert werden und vor diesem Hintergrund immer auch nationalstaatlich verankert sind. Zugleich, das zeigen bspw. Analysen zur globalen Verbreitung von Hip-Hop, dienen homogenisierende Konzepte von Nationalkultur als zentraler Bezugspunkt in der Ausgestaltung ästhetischer Praktiken – und bleiben damit bspw. als Zugehörigkeitsordnungen in ihrer ein- wie ausschließenden Logik und ihren rechtlichen und sozialen Konsequenzen relevant. Für die deutschsprachige Jugendkulturforschung ergibt sich nun vor diesem Hintergrund die interessante Beobachtung, dass hier die Bezugsfolie des Nationalstaats nach wie vor hochgradig relevant ist. So überschreiten einerseits Fallstudien zu Jugendszenen und stilistischen Formen zwar zunehmend den Horizont der bundesdeutschen Medien- und Szenelandschaft (vgl. z. B. Villányi und Witte 2004; Weller 2003; Hugger 2005; Bock et al. 2007; Eisewicht und Grenz 2011; Lorig und Vogelgesang 2011; Schröer 2011; Kaya 2015). Die lange geforderte Internationalisierung der bundesdeutschen Jugendforschung (vgl. etwa Helsper et al. 2015; Liebel 2014) über vergleichende bzw. europäisch ausgerichtete Studien ist auch bezogen auf die Analyse jugendkultureller Ausdrucksformen bislang kaum vorangeschritten (aber z. B. Bock et al. 2007). Dies gilt nicht nur für die erziehungswissenschaftliche, sondern auch für die soziologische und die geisteswissenschaftliche Jugendforschung (vgl. kritisch Levsen 2010; Mrozek 2019). Hinweise auf Globalisierungsprozesse und transnationale Bezüge finden sich hier bislang vor allem in Regionalstudien in Kulturanthropologie (vgl. kritisch Phillips 2018) sowie – und damit kommt der Nationalstaat auf einer dritten Ebene ins Spiel – in Bezug auf junge Menschen, denen in ihrer Adressierung als ‚Migrationsandere‘ (Mecheril 2002) Überschreitungen des Nationalstaats sozusagen als kennzeichnende Eigenschaft zugeschrieben werden.

3 Jugend in der Migrationsgesellschaft – selektive Bezugnahmen und anhaltende Be-Sonderung Leonie Herwartz-Emden stellt 1997 (S. 895) fest, dass „die Gruppe der Migranten und Einwandererjugendlichen […], wenn sie in den Blick genommen wird, allenfalls als Sondergruppe definiert“ wird. Während von einem grundsätzlichen Desiderat einer migrationsbezogenen Jugendforschung gegenwärtig

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kaum noch die Rede sein kann, bleibt die Beobachtung der Be-Sonderung junger Menschen im Kontext von Migration bis heute aktuell (vgl. auch Riegel und Geisen 2010; Geisen 2010). So entstand seit Ende der 1990er Jahre eine breite Forschung zu Jugend im Kontext von Migration, die sich insbesondere auf die Lebensbedingungen, die Teilhabechancen sowie auf Fragen der Identitätsbildung konzentrierte (vgl. historisch-systematisierend Geisen 2010; für eine Einordnung Pfaff 2011). Damit gilt auch für Jugendforschung in der BRD, was Astrid Messerschmidt (2008) mit kritischem Blick auf öffentliche Diskursarenen wie auf pädagogische Verhältnisse beschreibt: „Insbesondere in Deutschland werden auch die zweite und dritte Generation der Nachkommen von Migranten auf den Status des Migriertseins fixiert. Es zeigt sich darin eine nationale Strategie, Fremdheit an Herkunft fest zu machen und die durch Einwanderung stattfindenden Veränderungen in der Gesellschaft abzuwehren, um neue Zugehörigkeiten zu begrenzen. Die Kulturmarkierung ist dafür das bevorzugte Werkzeug. Auch nachdem sie in dieser Gesellschaft sozialisiert sind, werden Personen, deren familiärer Hintergrund mit einer Migrationsgeschichte verbunden ist, mit der Unterstellung kultureller Fremdheit konfrontiert und damit immer wieder auf die Herkunft ihrer Vorfahren verwiesen. Abgewehrt wird dadurch die Infragestellung national homogenisierter Identität.“ (ebd., S. 6).

Jugendforschung kann damit als ein Forschungszusammenhang beschrieben werden, der die Normalität der Migrationsgesellschaft in zweifacher Weise negiert: Einerseits bleibt die Besonderung jugendlicher Nachkommen von Migrant*innen in ihrer Erforschung als ‚Jugendliche mit Migrationshintergrund‘ mit einer anhaltenden Differenzierung von Jugend entlang einer diskursiv und institutionell verbürgten Zugehörigkeitsordnung verbunden, die, wie Geisen (2010) herausstellt, lange Zeit durch eine problematisierende Perspektive gekennzeichnet war. Andererseits erweckt die aktuelle bundesdeutsche Jugendforschung den Eindruck, als beträfen Phänomene der Migration und ihre sozialen, kulturellen und alltagsweltlichen Folgen der Diversifizierung von Gesellschaft ausschließlich Angehörige oder Nachkommen von Minderheiten. Migration wird dabei grundlegend als individuelles Merkmal der sozialstrukturellen Lage thematisiert, wenn kulturelle Praxis und soziale Teilhabe in aktuellen Jugendstudien zwischen einem Aufwachsen unter Bedingungen der Migration und einer Jugend jenseits dieser unterscheiden. So gilt Transnationalisierung von Lebenswelt als Kennzeichen spezifischer und nicht aller junger Menschen (vgl. kritisch Pfaff 2019). Dabei wird ausgeblendet, dass die Migrationsgesellschaft und die mit ihr verbundenen Prozesse des sozialen Wandels, wie sie etwa in transnationalen Bildungsräumen, Milieus und Sinnangeboten oder in Mobilitätserwartungen im

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Kontext von Bildungsinstitutionen bestehen, für alle jungen Menschen relevant sind (z. B. Mecheril 2010; Mecheril und Karakaşoǧlu 2019). In seiner historischen Rekonstruktion der erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Forschung zu den Kindern von Zuwanderer*innen beschreibt Thomas Geisen (2010) eine Entwicklung von einer defizitorientierten, problematisierenden Perspektive auf Jugend im Kontext von (familialer) Migration in den 1970er und 1980er Jahren hin zu Sichtweisen, die kulturelle Differenz grundsätzlich positiv konnotieren, aber so gleichsam weiter Fremdheit zuschreiben in den späten 1980er und 1990er Jahren. Geisen (2010, 2015) macht in seiner Rekonstruktion der Forschungslandschaft deutlich, dass die Erforschung jugendlicher Lebenswelten im Kontext von Migration eng an Paradigmen der erziehungswissenschaftlichen Thematisierung und Bezugnahme auf Phänomene der Migration als Facette der kulturellen Pluralisierung gebunden bleibt. Gerade für die Analyse von Bearbeitungs- und Bewältigungsformen gilt dabei, dass sie – wenngleich unter anderen normativen Vorzeichen – die defizitorientierte ausländerpädagogische Perspektive der Betrachtung von Migration als Risiko fortschreibt (vgl. auch Hummrich 2008; Yildiz 2016; Herwartz-Emden 2018). Aber auch darüber hinaus dominiert vor allem in der quantitativen Jugendforschung bis in die Gegenwart hinein eine Analysehaltung, die biographische Bezüge zu Migration konzeptionell als strukturelle Differenz entwirft (z. B. Burrmann et al. 2014; Quenzel u. a. 2015; Spallek und Razum 2016; Spieß et al. 2016; Hoffmann-Lange und Gille 2016). Unter dem Label ‚Jugendliche mit Migrationshintergrund‘ werden dabei unterschiedliche sozialstrukturelle Lagerungen, rechtlich und sozial codierte Teilhabechancen, mehrheitsgesellschaftliche Adressierungen und nicht zuletzt individuelle Bezüge zu Migration vereinheitlicht und einer als Normalitätsfolie gesetzten ‚Jugend ohne Migrationshintergrund‘ gegenübergestellt (allgemeiner zu Migration vgl. z. B. Mecheril 2012). Statistisch aufzeigbare Differenzen zwischen den so unterschiedenen Gruppen in sozialer Teilhabe, Verhalten und Einstellungen legitimieren diese pauschalisierende Unterscheidung – und reproduzieren nicht zuletzt auch inhaltlich eine problematisierende Sichtweise. Vorliegende Kritiken an der sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Jugend im Kontext von Migration machen auf das Fortbestehen einer „problemzentrierte[n] Wahrnehmung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ aufmerksam (Riegel und Geisen 2007, S. 15). Mit Blick auf die 2000er Jahre und die jüngere deutlich expandierende Forschung zu Jugend und Migration kommt Geisen (ebd., S. 54 f.) zu der optimistischen Diagnose, „dass die in früheren Forschungsansätzen auffindbaren Essentialisierungen von Kultur weitgehend ad acta gelegt wurden. Damit ist eine einseitig verengende Perspektive in der Forschung, die vor allem auf kulturelle

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Konstruktionsprozesse von Jugendlichen mit Migrationshintergrund ausgerichtet war, einer eher breiteren sozialwissenschaftlichen Orientierung gewichen.“ Im Spiegel der Kritiken an einer problematisierenden, defizitorientierten Perspektive auf das Aufwachsen im Kontext von Migration hat sich im vergangenen Jahrzehnt eine poststrukturalistisch und rassismuskritisch orientierte Jugendforschung entfaltet. Sie rückt Praktiken der Subjektivierung im Kontext von ethno-natio-kulturellen Zugehörigkeitsordnungen, Rassismuserfahrungen und Diskriminierungen in den Mittelpunkt (vgl. Mecheril und Hoffarth 2006; Spieß 2010; Rose 2012; Huxel 2014; Riegel 2016; Akbaba 2019).

4 Fazit Die hier nachvollzogenen Auseinandersetzungen mit Jugend im Verhältnis zum Nationalstaat verweisen darauf, dass Jugendforschung bislang nur eingeschränkt einen wissenschaftlichen Kontext darstellt, in dem die Bezugsfolie des Nationalstaats substanziell reflektiert, systematisch auf ihre Sinnhaftigkeit geprüft oder gar infrage gestellt wird. Stattdessen bleibt die Erforschung von jungen Menschen, den Bedingungen ihres Aufwachsens, ihre Positionierungen und Praktiken weitgehend unhinterfragt an Kategorien des Nationalen gebunden. Dies gilt für die Übertragung von Konzepten von Jugend von einer Untersuchungsregion auf andere, wie am ersten Beispiel anhand der Forschung zu jungen Menschen im globalen Süden deutlich wurde und wie sich analog in Studien aus den 1990er Jahren zu Jugend in Ostdeutschland oder Osteuropa zeigen ließe (vgl. Pfaff 2011). Hierbei bleiben gesellschaftliche Konstruktionen, rechtliche Regulationen, institutionelle Verfasstheiten und lebensweltliche Bedingungen der je untersuchten Jugendpopulation unbeachtet, wenn theoretische Konzepte aus dominanten Wissenschaftsräumen zum Maßstab der Erforschung von Jugendlichen – und von Jugend im Allgemeinen – gemacht werden. Jugend als soziale Struktur jenseits des Nationalstaats in den Blick zu nehmen fordert in diesem Zusammenhang dazu auf, globale Ungleichheiten in ihrer komplexen Verschränkung zum Gegenstand zu machen und die diskursive Konstruktion von Jugend in ihrer Bedeutung für gesellschaftliche Ordnung (und den Erhalt dieser Ungleichheiten) analytisch zu erfassen. Als unreflektierte Bezugsfolie greift der Nationalstaat auch in der Forschung zu Jugendkulturen und ästhetischen Praktiken Jugendlicher. Hier werden in der deutschsprachigen erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung transnationale Relevanzsysteme und die zunehmende Globalisierung ästhetischer Ausdrucksformen bislang nur eingeschränkt thematisch. Dabei zeigt die hier kursorisch

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aufgerufene Forschung zu Jugendszenen, dass Populärkultur in einem übergeordneten Sinne durch Phänomene der Transnationalisierung geprägt ist. Die im dritten Beispiel skizzierte und bis heute anhaltende ver-andernde Betrachtungsweise der bundesdeutschen Jugendforschung auf Jugend im Kontext von Migration lässt schließlich erahnen, dass die Zuschreibung kultureller Differenz den nationalen Bezugsrahmen als natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeitsordnung in besonderer Weise festschreibt und als wissenschaftliche Perspektive wirksam werden lässt. Auch wenn diese beschränkende und Ausschließungen reproduzierende Analysefolie in jüngeren Arbeiten kritisch reflektiert wird (z. B. Mecherill und Hoffarth 2006; Rose 2012; Riegel und Geisen 2010), bleibt sie in vielen Arbeiten der Jugendforschung noch immer wirksam. Welche Perspektiven zur Überwindung der skizzierten Spielarten des methodologischen Nationalismus bestehen nun in der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung mit Bezug zu den aufgeworfenen Untersuchungsfeldern? In kritischen Diskussionen zur Relevanz und Reichweite jugendtheoretischer Konzepte explizit gefordert ist eine reflexive und empirisch orientierte Auseinandersetzung mit bestehenden Theoremen der Jugendforschung, wie dem der Adoleszenz, der Entwicklungsphasen, dem Moratorium oder dem Generationenkonzept. Andere Vorschläge in diesem Zusammenhang beziehen sich darauf, alternative Theoreme, wie etwa das der Zugehörigkeit, zur Anwendung zu bringen (Pinson et al. 2010; Everatt 2015), oder in der empirischen Auseinandersetzung mit den Bedingungen des Aufwachsens, den Erfahrungen und der Lebenspraxis von jungen Menschen im globalen Zusammenhang neue Konzepte zu entwickeln (Maira und Soep 2005). Für die erziehungswissenschaftliche Jugendforschung bietet diese Auseinandersetzung die Chance, rechtliche Kodierungen und staatlich verfasste Institutionalisierungsformen von Jugend sowie ihre diskursive Hervorbringung im Zusammenhang zu betrachten. So wäre einerseits ein Blick auf das Allgemeine von Jugend jenseits eines konkreten territorialen und rechtlich-politischen Raums zu gewinnen. Andererseits könnten entsprechende Studien die Spezifik von Jugend in nationalstaatlichen Kontexten herausstellen und so auch Aussagen über die Bedeutung von pädagogischen Institutionen in diesen Zusammenhängen generieren (vgl. z. B. Walther 2006; Cuconato und Walther 2015). Mit Blick auf Phänomene der Transnationalität bzw. der Hybridität und multiplen Zugehörigkeiten lägen potenzielle erziehungswissenschaftliche Erträge sowohl der Analyse von jugendkulturellen Praktiken wie auch der Forschung zu lebensweltlichen Erfahrungen von jungen Menschen vor allem in der Frage, wie neues Wissen sozial generiert wird. Die erziehungswissenschaftliche ­Auseinandersetzung zu Jugend bietet dann nicht zuletzt auch die Chance, handlungspraktische Überschreitungen nationalstaatlicher Grenzen im Alltagsleben

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und in alltäglichen Praktiken von jungen Menschen sichtbar zu machen und diese auf Konstruktionen und Bedeutungen natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit systematisch zu beziehen. Im Zentrum erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung stünden dann nicht mehr Jugendliche, denen Zugehörigkeit zu einer nationalstaatlich verfassten Gesellschaft zugeschrieben oder aberkannt wird. Ihre Gegenstände wären stattdessen die Reflexion (und Kritik) damit verbundener Prozesse, aber nicht zuletzt auch die Hervorbringung und der Transfer solchen Wissens, das diese Ordnung systematisch überwindet sowie die Bedingungen, die solche Prozesse moderieren und die Frage, welche Rolle nationalstaatlichen Zusammenhängen dabei zukommt.

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Prof. Dr. Nicolle Pfaff,  leitete die Arbeitsgruppe Migrations- und Ungleichheitsforschung an der Universität Duisburg-Essen. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Jugendforschung, der Schulforschung und der bildungsbezogenen Ungleichheitsforschung.

Adoleszente Bildung(en). Bildungsprozesse Jugendlicher im Kontext sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher Transformation Anke Wischmann Zusammenfassung

In diesem Beitrag wird die Frage aufgeworfen wie Bildungsprozesse Jugendlicher unter aktuellen Bedingungen zunehmender sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher Transformationsprozesse konzeptuell gefasst und empirisch erforscht werden können. Hierzu werden zunächst die Begriffe Adoleszenz und Bildung reflektiert und zueinander ins Verhältnis gesetzt. In einem nächsten Schritt werden sie vor dem Hintergrund struktureller Ungleichheitslagen aus intersektionaler Perspektive problematisiert und schließlich im Hinblick auf ihre erziehungswissenschaftliche Relevanz und empirische Anschlussfähigkeit befragt. Dabei geht es nicht zuletzt um die notwendige Reflexion des Bildungsverständnisses, das an Jugendliche herangetragen wird. Abstract

In this contribution, the question will be raised, how educational processes of young people can be conceptualized and empirically researched under the current conditions of increasing social inequality and social transformation. To this end, the concepts of adolescence and education are first of all reflected and set in relation to each other. In a next step, they are problematized against the background of structural inequality from an intersectional perspective and

A. Wischmann (*)  Europa-Universität Flensburg, Flensburg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Grunert et al. (Hrsg.), Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27612-6_6

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finally questioned with regard to their pedagogical relevance and empirical connectivity. The aim is to discuss necessity of reflecting on educational notions that are brought the young people are being confronted with.

1 Vorbemerkungen Die Bildung Jugendlicher ist ein zentrales Thema von Jugendforschung (Krüger et al. 2017). Dabei geht es sowohl um formale Bildung (Stecher 2003; King et al. 2011) als auch um non-formale und informelle Bildung etwa im Kontext von Peers (Harring 2010) oder Medien (Tully 1994; Hartung 2010). Bildung ist ein Thema, eine Aufgabe von Jugendlichen. Doch was ist das Spezifische an ihrer Bildung? Das ist die Frage, der im Folgenden nachgegangen werden wird. Dabei werden Adoleszenz und Bildung – und adoleszente Bildung – im Spannungsfeld aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen verortet und problematisiert. Diese Herausforderungen sind nicht nur vielfältig und fallspezifisch relevant, sondern auch widersprüchlich und ambivalent. Allenthalben wird thematisiert, dass Lebensverhältnisse und damit auch die Umstände des Heranwachsens, des Erwachsenwerdens pluraler werden, was wiederum Auswirkungen auf Bildungsprozesse von Jugendlichen hat (Rosenberg und Geimer 2014; Rosenberg 2016). Damit einhergehend wird eine fortschreitende Individualisierung (Beck 1986) konstatiert, welche sich angesichts neoliberaler ökonomischer und politischer Entwicklungen zuspitzt (King et al. 2014). Die Anforderungen an den und die Einzelne sich in der Adoleszenz zu individuieren, eine stabile Identität auszubilden und bildungserfolgreich zu sein, sind hoch und damit auch hoch normativ aufgeladen. Wie Beck bereits herausgestellt hat, ist die Individualisierung Segen und Fluch zugleich – je nachdem in welcher sozialen und persönlichen Lage sich eine Person befindet und welcher Art ihre Möglichkeiten sind, sich als einzigartig zu entwerfen und anerkannt zu werden (Beck 1986, S. 144). Neben der Individualisierungsdebatte wird in der Soziologie auch auf eine fortschreitende Prekarisierung von Lebensformen hingewiesen, die durchaus ein Effekt von Individualisierung bzw. Individualisierungszwang sein kann (Dörre 2006). Diese trifft insbesondere jene, die strukturell aufgrund unterschiedlicher Faktoren benachteiligt sind und diskriminiert werden (Bude et al. 2008). Hier ergibt sich die Prekarisierung paradoxerweise aus der Persistenz sozialer Ungleichheitsstrukturen. Tatsächlich führt Individualisierung nicht dazu, dass bestehende Strukturen transformiert werden, sondern vielmehr dazu, dass diese sich stabilisieren (Dörre 2006). Diese Reproduktion sozialer Ungleichheitsverhältnisse

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erfolgt nicht zuletzt in der Adoleszenz als gesellschaftlichem und individuellem Möglichkeitsraum. Wie dieser Raum für Jugendliche jeweils ausgestaltet ist, ob es ihn überhaupt gibt und was sich darin vollzieht, unterscheidet sich geschlechts-, milieu- und kulturspezifisch (King und Koller 2009). Damit sind auch die Bedingungen und die Verläufe adoleszenter Bildung – oder eben Bildungen – entsprechend unterschiedlich. Gleichzeitig gibt es aber auch übergreifende Veränderungen, wie sie etwa im Hinblick auf Beschleunigung und Optimierung (King 2011; Uhlendorf 2018) oder auf Mediatisierung (Wagner et al. 2012) diskutiert werden. Allerdings sind die Effekte dieser Veränderungen wiederum in unterschiedlicher Weise wirksam, werden problematisch oder positiv erlebt.

2 Adoleszenz Im Anschluss an Vera King verstehe ich die Adoleszenz als psychosozialen Möglichkeitsraum, der gleichsam gesellschaftlich und generational gewährt als auch intersubjektiv ausgestaltet wird (King 2013). Deshalb kann Adoleszenz auch nicht als klar abgrenzbare Phase des Aufwachsens mit klar definierten Entwicklungsaufgaben bestimmt werden, sondern beschreibt die Qualität der Phase zwischen Kindheit und Erwachsensein. Es handelt sich um ein soziales Konstrukt, mit dem spezifische Erwartungen und Anforderungen in spezifischen historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Kontexten zusammenhängen bzw. die darin wirksam werden. D. h. es handelt sich um ein normatives Konzept, wenn davon ausgegangen wird, dass sich in der Adoleszenz Ablösungs- und Trennungsprozesse von den Eltern sowie der eigenen Kindheit im Hinblick auf eine schrittweise Individuierung vollziehen (sollten). Auch wenn der Begriff Übergang hier verwendet wird (vgl. ebd. S. 23), so wird doch keine Defizitperspektive auf Jugendliche als Noch-Nicht-Erwachsene eingenommen. Vielmehr wird die Adoleszenz in ihrer spezifischen Qualität in den Blick genommen. Die angesprochene Normativität in Kings Theorie bezieht sich somit nicht auf das erwartete Ergebnis von Adoleszenz, sondern vielmehr auf die Ausgestaltung des Möglichkeitsraumes und die sich daraus ergebenden Implikationen für psychische und soziale Entwicklungen (ebd. S. 275 ff.). Empirische Forschung hat immer wieder gezeigt, dass diese Erwartungen und sich daraus ergebende Anforderungen als besonders konflikthaft erlebt werden können unter Bedingungen sozialer Benachteiligung und Diskriminierung (Günther 2009; Wischmann 2010; Scharathow 2014). Sie können, sie müssen nicht. Eine intersektionale Forschungsperspektive ermöglicht es nicht nur zu rekonstruieren, dass sich die Parameter eines „gelingenden Adoleszenzverlaufs“ je nach

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sozialer Positionierung, sehr unterscheiden können, sondern auch in welcher Weise dies geschieht (z. B. Günther et al. 2010; Carnicer 2017; Wischmann 2018). Dies erscheint notwendig vor dem Hintergrund sich verändernder Lebenswelten und diverser gesellschaftlicher Positionierungen einerseits und der Persistenz diskriminierender Strukturen und Dominanzdiskurse (Attia 2015) andererseits. Im Anschluss an Butler (2001) muss davon ausgegangen werden, dass das adoleszente Subjekt sich den jeweiligen Diskursen und Strukturen (bspw. rassistische) unterwerfen muss, um sich dazu verhalten und handeln zu können (vgl. Wischmann 2010, Wischmann 2014b). Diese ambivalente Verwobenheit des Subjekts bzw. des Prozesses der Subjektivation gilt es zu berücksichtigen, wenn von der Notwendigkeit des Sich-Ablösens bzw. des Opponierens die Rede ist: diese Prozesse, die normativ als Teil der Adoleszenz unterstellt und erwartet werden, sind selbst in der Paradoxie zwischen Unterwerfung und Entunterwerfung gefangen (Butler 2013). Daraus ergeben sich Konsequenzen für das Verständnis dezidiert adoleszenter Bildungsprozesse. Doch bevor ich mich diesem widme, werde ich mich zunächst dem Bildungsbegriff im Allgemeinen zuwenden.

3 Bildung Der hier aufgegriffene und zu befragende Bildungsbegriff steht in der Tradition des deutschen bzw. europäischen Bildungsdenkens, welches sich seit dem 18. Jahrhundert etabliert hat (Böhm 2013). Hier geht es um die Idee der Gestaltung eines „gelingenden Lebens“ (Horlacher 2011) sowie einem konstitutiven Wechselverhältnis zwischen Subjekt und Welt, welches ein selbstreflexives Moment notwendig umfasst (z. B. Adorno 2006). Ob es sich dabei immer um die Transformation eines bestehenden Welt-Selbstverhältnisses (Koller 2018) handeln muss – oder überhaupt kann – ist fraglich. Gleichwohl folge ich Koller in der Ansicht, dass Bildung, insbesondere wenn sie empirisch betrachtet wird, als prozessuales Geschehen zu verstehen ist, das durch sich dem Subjekt stellende Herausforderungen oder Problemlagen angestoßen werden kann. In diesem Sinne ist Bildung eine Möglichkeitskategorie und höchstens als solche als anthropologische Konstante zu verstehen. Es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass sich jede*r bildet, aber eben davon, dass jede*r die anthropologische Anlage dazu hat und auch – wenn man Humboldt folgt – dass für jede*n die Notwendigkeit besteht sich zu bilden. Dies macht den Bildungsbegriff einerseits attraktiv, denn er birgt Versprechungen und schreibt Potenziale zu. Andererseits ist Bildung aber auch schwer konkretisierbar und damit notwendiger Weise mehr oder weniger abstrakt und mehrdeutig. Gleichzeitig – und hier liegt die zentrale

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Herausforderung der Auseinandersetzung mit Bildung – beinhaltet Bildung immer auch normative Implikationen, welche implizit wirksam werden. Nicht nur mediale oder bildungspolitische Verwendungen des Bildungsbegriffs sind hier angesprochen, die Bildung als Chance auf gesellschaftliche Teilhabe oder sozialen Aufstieg entwerfen. Ebenso auch aktuelle erziehungswissenschaftliche Diskurse, die an das neuhumanistische Bildungsdenken und dabei insbesondere an die Arbeiten Wilhelm von Humboldts anschließen (z. B. Fuchs 2014; Koller und Wulftange 2014). Es wird zwar konstatiert, dass Differenzerfahrungen im Kontext gesellschaftlicher Pluralisierung und Diversifizierung bildungsrelevant sind, dabei werden aber i. d. R. durch den Bildungsbegriff bzw. Bildungsdiskurse selbst erzeugte Differenzen und Hierarchisierungen ausgeblendet. Bildung wird zwar als Möglichkeitskategorie bereits bei Humboldt als anthropologische Konstante eingeführt (Humboldt 2018), aber gleichzeitig wird konkret auf unterschiedliche Bildungsdispositionen verwiesen, etwa von Männern und Frauen (Humboldt 1992) oder von Europäern und Afrikanern (Hegel 2013) bzw. von „zivilisierten“ und „primitiven“ Völkern (Humboldt 1997). In diesem Sinne ist dem Bildungsdenken immer schon die Idee von „Bildungsferne“ und „Bildungsnähe“ inhärent. Hier manifestiert sich das grundlegende Paradox von Bildung innerhalb der heutigen Verwendung des Begriffs: Einerseits ist sie eine Möglichkeit für alle, andererseits sind die einen der Bildung näher als die anderen. Dies hat Konsequenzen für die empirische Bildungsforschung im Allgemeinen und für die Auseinandersetzung mit adoleszenter Bildung im Speziellen.

4 Spezifika adoleszenter Bildung(en) Die Spezifika adoleszenter Bildung ergeben sich aus der Verknüpfung von bildungs- und adoleszenztheoretischer Perspektive und einer sich daran anschließenden Gegenstandskonstruktion. Adoleszente Bildungsprozesse zeichnen sich im Anschluss an die vorausgegangenen theoretischen Überlegungen nicht einfach dadurch aus, dass Bildungsprozesse Jugendlicher betrachtet werden, sondern durch die Annahme, dass Bildungsprozesse in der Adoleszenz eine spezifische Qualität haben, denn hier geht es um die erwartete Konstitution einer handlungsfähigen und reflexiven Subjektposition. Diese vollziehe sich, so King und Koller, im Kontext der Ablösung vom eigenen Kindsein und der Transformation bestehender Beziehungskonstellation bzw. deren Qualität (vgl. King 2013; King und Koller 2009). Das sich potenziell bildendende Subjekt sei in gewisser Weise besonders fragil und dadurch tendenziell strukturell offen(er) für Bildungsprozesse (ebd.). Gleichwohl betont Koller (2009), dass sich in der Adoleszenz

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nicht notwendigerweise Bildungsprozesse vollziehen müssen. Entscheidend ist hier das Moment der Selbstreflexivität, welches Bildungsprozesse von Sozialisations- und Entwicklungsprozessen unterscheidet, die als adoleszenzspezifisch gelten können (zu letzteren siehe bspw. Flammer und Alsaker 2002). Adoleszente Bildungsprozesse zeichnen sich demzufolge dadurch aus, dass sie im Zusammenhang stehen mit sich in der Adoleszenz vollziehenden Prozessen der Identitätsarbeit sowie in spezifischen Sozialisationskontexten wirksamen Erwartungen und Erwartungserwartungen. Hier wird gleichsam ein doppelter normativer Effekt wirksam, wobei die intersubjektive Verstrickung in intergenerationalen Beziehungen von besonderer Bedeutung ist. Diese – und mit ihr das Konstrukt des adoleszenten Möglichkeitsraums – sind wiederum gerahmt und durchdrungen von gesellschaftlichen, also bspw. geschlechts- und milieuspezifischen, intersektional wirkenden sozialen Strukturen und Diskursen. Wenn von adoleszenter Bildung die Rede ist, dann taucht häufig der Begriff Identität bzw. Identitätsbildung auf. Dabei wird oft Bezug genommen auf Erikson (1966) und es zeigt sich auch hier ein Anspruch im Hinblick auf eine „gelingende Identitätsbildung“: „Diese Identität von etwas im Kern des Individuums Angelegten und einem wesentlichen Aspekt des inneren Zusammenhalts der Gruppe soll also der Gegenstand unserer Untersuchung sein; denn der junge Mensch muß lernen, dort am meisten er selbst zu sein, wo er auch in den Augen der anderen am meisten bedeutet – jener anderen natürlich, die wieder für ihn die höchste Bedeutung erlangt haben. Der Begriff ‚Identität‘ drückt also insofern eine wechselseitige Beziehung aus, als er sowohl ein dauerndes inneres Sich-Selbst-Gleichsein wie ein dauerndes Teilhaben an bestimmten gruppenspezifischen Charakterzügen umfaßt.“ (Erikson 1966, S. 124). Identität wird bei Erikson also relational verstanden. Gleichzeitig muss klar sein, worauf das Selbst jeweils Bezug nimmt, womit es sich also identifiziert. Sind diese Bezüge nicht klar, dann könne dies zu einer Identitätsdiffusion führen mit schwerwiegenden Folgen für den oder die Adoleszente/n. Dass es sich dabei nicht um universelle Bezugsgrößen handeln kann, wird bereits bei Erikson deutlich, wenn er auf die Relevanz der Gruppe verweist. Dennoch geht er davon aus, dass die grundsätzliche Idee der Notwendigkeit der Bildung einer stabilen Ich-Identität universell gültig ist. Die Stabilität sei die Folge der erfolgreichen Bewältigung der adoleszenzspezifischen Entwicklungskrise, wobei es um die Erarbeitung eines Gleichgewichts zwischen den Erwartungen (signifikanter) Anderer und Selbstpositionierungen gehe. Letztere gehen auf den oben genannten „Kern des Individuums“ zurück. Die Existenz eines solchen Kerns wird aber durch Judith Butler grundlegend infrage gestellt. Einen der Intersubjektivität

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vorausgehenden Kern von Subjektivität sei nicht einholbar. Damit ist die Situation einer sich konstituierenden Identität weitaus fragiler einzuschätzen, insbesondere dann, wenn das Subjekt sich nicht über beständige Anerkennungsbeziehungen permanent restabilisieren kann, was nach Butler permanent erfolgen muss, um das fragile Konstrukt Identität überhaupt aufrecht erhalten zu können (vgl. hierzu auch Wischmann 2010, S. 86 ff.). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Spielräume zur Bewältigung von Trennung- und Ablösungserfahrungen eingeschränkt sind: „Als katastrophal können die mit der adoleszenten Lebensphase verbundenen Trennungsprozesse und Anforderungen daher beispielsweise vor allem von jenen erlebt werden, die einerseits entwurzelt sind und deren Chancen andererseits marginal sind, sich neu zu verankern“ (King 2013, S. 53) Dies trifft vor allem unter Bedingungen sozialer Benachteiligung und Diskriminierung zu. Dies korrespondiert mit den Annahme Butlers, dass nicht alle Subjekte gleichermaßen Anerkennung erfahren bzw. ihnen gar der Status als Subjekt abgesprochen wird (Butler 2010).

5 Adoleszente Bildung im Kontext sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher Transformationen – eine intersektionale Perspektive Der adoleszente Möglichkeitsraum wird durch milieu-, geschlechts- und kulturspezifische Bedingungen strukturiert (King 2013). D. h. wie sich Adoleszenz vollzieht, variiert zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Herkünften und auch im Hinblick auf intergenerationale gesellschaftliche Verhältnisse. Daraus ergibt sich auch, dass sich die Vorstellungen eines gelingenden Adoleszenzverlaufs unterscheiden im Hinblick auf das, was als „angemessenes“ geschlechtsspezifisches Verhalten verstanden wird. Wenn diese Differenzen von Adoleszenz berücksichtigt werden, können grundsätzlich sich potenziell ungünstig auswirkende Einflussfaktoren benannt werden, die vor allem die familialen Beziehungen angehen, sowie massive Missachtungserfahrungen etwa einhergehend mit allen Formen des körperlichen und psychischen Missbrauchs. Aus der Resilienzforschung ist jedoch hinreichend bekannt, dass sogenannte Risikofaktoren sich in sehr unterschiedlicher Weise auf die Entwicklung und das Wohlbefinden auswirken können (Unger et al. 2013). Und hier spielen wiederum die jeweiligen sozialen Bedingungen eine Rolle, die selbst zu Risiko- oder Schutzfaktoren werden können. Im Anschluss an King lässt sich festhalten, „dass die Chancenstruktur der Adoleszenz auf vermittelte Weise Ausdruck und Medium der

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Reproduktion sozialer Ungleichheiten ist“ (King 2013, S. 43) und dass, wie oben dargestellt, nicht alle Adoleszenten die gleichen Möglichkeiten haben, sich (neu) zu positionieren. Beides hängt in vielen Fällen zusammen, etwa wenn Flucht und Adoleszenz zusammenfallen (King und Schwab 2000). Aber auch andere Gruppen Jugendlicher, die in der einen oder anderen Weise diskriminiert werden, sind besonders gefährdet. Und gerade wenn es um diese Jugendlichen geht, ist die Frage, ob und wie sich Bildung vollziehen kann bzw. unter welchen forschungslogischen (theoretischen und methodischen) Bedingungen in diesen Fällen von Bildung die Rede sein kann. Es bedarf also einer Reflexion der jeweilig wirksamen Ungleichheitskonstellationen und der subjektiven Perspektive der oder des Jugendlichen, ebenso wie der eigenenForscher*innenpositionierung. Und hier bietet sich ein intersektionaler Zugang an. Zwar hat Butler auf die Fallstricke einer intersektionalen Perspektive bezüglich der Reifizierung von Ungleichheitskategorien und mit ihnen verwobenen Bias innerhalb von Dominanzdiskursen hingewiesen (Butler 2018). Wenn Intersektionalität allerdings berücksichtigt, dass die Kategorien keine Entitäten darstellen, sondern selbst diskursiv erzeugt, fluid und brüchig, aber gleichwohl machtvoll sind im Hinblick auf Subjektivierungsprozesse, dann ermöglicht diese Perspektive eine Sensibilisierung für die komplexe Verwobenheit von Ungleichheitsverhältnissen in ihrer Wirkung auf adoleszente Subjekte, die sie nicht nur umgeben, sondern gleichermaßen hervorbringen (vgl. hierzu Winker und Degele 2009). Intersektionale Ansätze zeichnen sich dadurch aus, dass sie vor allem das Ineinanderwirken, die Verwobenheit verschiedener Aspekte sozialer Ungleichheit – und damit unterschiedlicher Sozialisationsbedingungen der Jugendlichen ebenso wie der Forscherin – in den Blick nehmen und diese dabei nicht quantifizieren, im Sinne einer Additions- oder Kompensationslogik (vgl. z. B. Winker und Degele; Walgenbach 2017). Vielmehr geht es darum, dass sich, aus dem je spezifisch gegebenen Verhältnis verschiedener Aspekte, eine wiederum spezifische Subjektposition ergibt. Dies gilt sowohl auf der Mikroebene des handelnden Subjekts als auch auf der Makroebene der nicht personalisierbaren Positionen im sozialen Raum. Es ist durchaus möglich, dass dem Subjekt aufgrund seiner (statistisch identifizierten) Merkmale (z. B. ‚weiß‘, Mittelschicht, weiblich) eine bestimmte Position im sozialen Raum zugeschrieben wird, die jedoch in ganz unterschiedlicher Weise relevant – oder eben nicht relevant – werden kann. Im Kontext rekonstruktiver Studien ermöglicht eine intersektionale Perspektive, eigene Bias und Zuschreibungsreflexe kritisch zu beleuchten und zu dekonstruieren. Zwar kann durchaus davon ausgegangen werden, dass bestimmte Aspekte und Kategorien sozialer Ungleichheit besonders relevant sind, wie eben ‚Rasse‘/Ethnizität, Geschlecht und Klasse/Sozio-ökonomischer Status Aber dies

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ergibt sich nicht aus ihnen selbst, sondern aus der Relevanz, die ihnen wiederum zugesprochen wird – und die selbstverständlich auch subjektiv erfahren wird – wie etwa rassistische Diskriminierungen (vgl. Wischmann 2018).

6 Empirische Erkundungen: Ist das Bildung? Die theoretischen Reflexionen haben gezeigt, dass adoleszente Bildung einen überaus komplexen und in Bezug auf die Diversität der Bedingungen des Heranwachsens relationalen Gegenstand darstellen. Und es stellt sich die Frage, wie dieser Gegenstand nun als ein empirischer untersucht werden kann, ohne dass zunächst fest-gestellt wird, was konkret adoleszente Bildung ausmacht, wie sie sich zeigt. Dies ist deshalb eine Herausforderung, weil – wie oben gezeigt – sowohl der Bildungsbegriff als auch der Adoleszenzbegriff normative Implikationen beinhalten. Diese können nicht „ausgeschaltet“ werden und müssen somit im Forschungsprozess fortlaufend reflektiert werden. Im Folgenden sollen zwei Forschungsprojekte vorgestellt werden, um zum einen zu zeigen, wie die Erforschung adoleszenter Bildung(en) angelegt sein könnte und zum anderen, um die Problematiken einer solchen Forschung herauszustellen und zu diskutieren. Zunächst geht es um eine Studie, in der ich Bildungsprozesse als sozial benachteiligt markierter männlicher Jugendlicher untersucht habe. Die Studie umfasst zehn narrative Interviews mit Jugendlichen im Alter zwischen 16 und 26 Jahren, die mithilfe der Fallrekonstruktion im Anschluss an Rosenthal (1995) sowie der Inferenzanalyse (Kokemohr und Prawda 1989) analysiert worden sind (vgl. Wischmann 2010). Es konnten sechs Typen1 rekonstruiert werden,

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geht bei der Typenbildung hier nicht darum, einen Typus zu bestimmen, der sich als besonderes Exemplar einer bestimmten Gruppe verstehen lässt, also als ein Typus, der für andere steht, sondern darum, im Besonderen das Allgemeine herauszustellen (vgl. Wohlrab-Sahr 1994). Der Prozess der Typisierung lässt sich als ein Abstraktionsprozess beschreiben, wobei die im Fall rekonstruierten Strukturen generalisiert werden. Ulrich Oevermann insistiert, dass es möglich sei, anhand eines einzigen Falls einen Typus herauszuarbeiten (Oevermann 1988). Die Spezifizität des jeweiligen Einzelfalls gilt es zu reduzieren, nachdem sie in rekonstruktiven Verfahren zunächst im Analyseprozess potenziert worden ist. Mit Wohlrab-Sahr (1994) lässt sich konstatieren, dass generell Typisierungen Ordnungsversuche sind (ebd.: S. 270), die sich in der rekonstruktiven Sozialforschung jedoch nicht über Häufungen von Merkmalen bestimmen lassen, sondern über den „inneren Sinnzusammenhang“ (ebd.) bestimmter Merkmale. Die Typen werden über ihre Sinnlogik bestimmt.

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in denen sich je sechs unterschiedliche Strukturlogiken der Ermöglichung oder Verhinderung adoleszenter Bildungsprozesse zeigten. Die sechs Typen sind „der Gefangene“, „der Suchende“, „der Verstrickte“, „der Angepasste“, „der Reflektierte“ und „der Außenseiter“ (ebd., S. 193 ff.). In dieser Studie wurde deutlich, dass die adoleszenten Bildungsprozesse in einem widersprüchlichen Verhältnis zum Verständnis eines traditionellen Bildungsbegriffs und somit den Anforderungen des Bildungssystems, zu allererst der Schule, stehen. Insbesondere anhand des „Gefangenen“ wird deutlich, dass die Bildung der Straße, wie ich sie nennen will, nicht nur nicht kompatibel ist, sondern vielmehr dazu führt, dass formaler Bildungserfolg immer unwahrscheinlicher wird. Die gegensätzlichen Erwartungen stehen sich gegenüber und erscheinen als grundsätzlich unvereinbar, was in vielen Fällen zur Folge hat, dass die Jugendlichen ihre formalen Bildungsaspirationen – oft schon in der frühen Adoleszenz – aufgeben. Dem Typus des Reflektierten gelingt es zwar formal bildungserfolgreich zu sein, jedoch unter schwierigen Bedingungen und mit hohem Kostenaufwand für den Jugendlichen. Aus der Perspektive der Forscherin lässt sich konstatieren, dass die bildungstheoretischen und pädagogischen Bias im Forschungsprozess grundlegend infrage gestellt worden sind. Die Studie gab Anlass zur Kritik am transformatorischen Bildungsbegriff (Koller 2012), der selbst vorab als kritisches Instrument angesehen worden war. Dies steht auch im Zusammenhang mit dem angelegten Verständnis von Adoleszenz (King 2013), dem ebenfalls die Idee einer grundlegenden Transformation inhärent ist. Bildungstheoretisch wird eine Transformation bestehender Welt-Selbstverhältnisse als zentrales Moment sich empirisch vollziehender Bildungsprozesse unterstellt und adoleszenztheoretisch wird von der Transformation vom Kind zum Erwachsenen als Individuations- und Neupositionierungsprozess ausgegangen. In den in dieser Studie untersuchten Fällen war es jedoch so, dass die Bedingungen des Heranwachsens dazu führten, dass die Subjektpositionen der Jugendlichen derart prekär waren – sowohl im Hinblick auf den sozio-ökonomischen Status als auch auf fragile Männlichkeitskonstruktionen und in den meisten Fällen Diskriminierungserfahrungen –, dass eine Transformation des Welt-Selbstverhältnisses ebenso wenig zu rekonstruieren war wie eine aktive Ablösung und Neuverortung. Vielmehr zeigten sich Konsolidierungs- und Stabilisierungsprozesse, welche Subjektivität und damit Handlungsfähigkeit ermöglichen und erhalten. Kann somit weder von Bildung noch von gelingenden Adoleszenzverläufen die Rede sein? Die zweite Studie zu adoleszenter Bildung ist eine international vergleichende Studie, die sich mit Lebensgeschichten Jugendlicher und junger Erwachsener zwischen 20 und 25 Jahren mit sogenanntem Migrationshintergrund in Deutschland und Frankreich im Hinblick auf Sozialisation und Bildung beschäftigt hat

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(King und Müller 2013; Colin und Terzian 2016). In dem Projekt standen adoleszente Sozialisations- und Bildungsprozesse im Fokus, wobei die biografische Be- und Verarbeitung von Migrationserfahrungen – eigene und familiale – im Zentrum stand. Es wurden insgesamt 20 offene Interviews mit jungen Frauen und Männern unterschiedlicher sozialer Herkunft mit verschiedenen Migrationshintergründen geführt, die dann jeweils ins Deutsche bzw. Französische übersetzt wurden. Die Fälle wurden biografisch-rekonstruktiv ausgewertet (Rosenthal 1995). Ein zentraler Aspekt, der herausgearbeitet wurde, waren die unterschiedlichen Strategien, Bildungsentscheidungen im Hinblick auf den formalen Bildungsverlauf zu treffen (Wischmann 2014a). Diese waren vor allem geschlechtsspezifisch unterschiedlich, wobei die unterschiedlichen nationalen Rahmenbedingungen und der jeweilige Migrationshintergrund immer fallspezifisch bedeutsam wurden. In diesem Projekt bezog sich der angelegte Bildungsbegriff auf den formalen Bildungserfolg, von dem zunächst angenommen werden kann, dass er objektiv bestimmbar ist, gleichsam als objektiviertes Kulturkapital im Sinne Bourdieus (Bourdieu 2018). Doch auch dieser Bildungsbegriff wurde im Hinblick darauf, was tatsächlich in den Fällen Bildungserfolg bedeutet, infrage gestellt. Ist es gut und wichtig Abitur zu machen? Dieser Frage haben zunächst und auf der manifesten Sinnebene (Wernet 2012) alle Interviewten zugestimmt, allerdings, so wurde sehr deutlich, nicht um jeden Preis. So relativierte sich die Vorstellung von formalem Bildungserfolg als einem Indikator für Bildung insbesondere vor dem Hintergrund familialer Beziehungen, ökonomischer Restriktionen und Rassismuserfahrungen. Diese Aspekte waren auch zentral im Hinblick auf die Ausgestaltung des adoleszenten Möglichkeitsraums. In allen Fällen zeigen sich komplexe psychosoziale Anforderungen an die Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Es geht darum, bildungserfolgreich zu sein, dabei den Erwartungen der Eltern zu entsprechen und sich gleichzeitig zu individuieren und damit auch: Herkunftsbedingungen zu transformieren. Schaut man sich nur die jungen Frauen an, dann fällt eine fallübergreifende, in beiden nationalen Kontexten zu findende Strategie von „Nicht-Entscheidungen“ ins Auge (Wischmann 2014a). Es werden jeweils die Schwierigkeiten angesprochen, denen sie sich als Frauen mit Migrationshintergrund ausgesetzt sehen und diese zeigen sich in ihrer Situation zwischen familialen Erwartungen und gesellschaftlichen Zuschreibungen. Sie entwickeln die Möglichkeit, ihre Position in ihrem je individuellen Sinn zu transformieren, ohne dabei in Kauf nehmen zu müssen, dass sie sich in Konflikten aufreiben. So kann eine intersektionale Perspektive in der biografisch-rekonstruktiven Forschung dazu beitragen, die mit bestimmten Faktoren sozialer Ungleichheit verbundenen Zuschreibungen und Vorannahmen so zu rekonstruieren, das die jeweils subjektive Strategie in

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den Blick gerät und damit die spezifischen Möglichkeitsräume, die Chancen und Grenzen im jeweiligen Fall. Wie in der Studie zu den männlichen Jugendlichen wurde deutlich, dass Bildungsprozesse grundlegend von ihrer Anerkennung als Bildung abhängen. Wie wird also die Frage „Ist das Bildung?“ potenziell beantwortet? Diesbezüglich haben sich nicht nur geschlechtsspezifische und individuelle, sondern auch nationale Unterschiede gezeigt. Nicht unbedingt was Diskriminierungserfahrungen angeht, aber was den Status und die eigene Selbstwirksamkeitserwartung im Kontext formaler Bildung angeht, denn in Frankreich waren die jungen Menschen, die an der Studie teilgenommen hatten, im Durchschnitt formal deutlich bildungserfolgreicher als in Deutschland. Was dieser Bildungserfolg dann aber bedeutet und welche psychosozialen Kosten er gefordert hat, variiert auch innerhalb der nationalen Samples erheblich. Kosten lassen sich bekanntlich über Ressourcen decken, aber diese müssen dann auch als bildungsrelevante Ressourcen anerkannt sein. Dies lässt sich am Beispiel Mehrsprachigkeit verdeutlichen: Es gibt durchaus Mehrsprachigkeit, die aus Sicht von Schule bspw. als bildungsbedeutsam anerkannt wird, aber es gibt eben auch Mehrsprachigkeiten, die eher als Bildungshindernis verstanden werden – unabhängig von der Beherrschung der jeweiligen Mehrheitssprache (Fürstenau und Niedrig 2009).

7 Schluss Es zeigen sich somit große Unterschiede bezüglich dem, was als Bildung verstanden wird und als solche anerkannt wird, ebenso wie Bildung im Kontext von Adoleszenz als adoleszente Bildung erfahren wird. Deshalb muss der jeweils angelegte Bildungsbegriff ebenso wie das Verständnis einer gelingenden Adoleszenz fallspezifisch reflektiert und ggf. infrage gestellt werden. Wenn dies nicht geschieht, rücken gerade Jugendliche in schwierigen Lebenslagen eher in die „Bildungsferne“. Aus welcher sozialen Position spricht und entwirft sich das adoleszente Subjekt? Woran orientiert es sich – woran nicht? (Mit Bourdieu könnte man auch nach dem jeweiligen Habitus und seinen Grenzen fragen – dies gilt dann natürlich wiederum auch für die Forscher*in.) Ist diese Position stabil oder nicht? Wie ist es um den adoleszenten Möglichkeitsraum bestellt? Bietet er Sicherheit oder ist er prekär? Die Verbindung einer intersektionalen Perspektive mit Butlers Theorie ermöglicht im Forschungsprozess eine Auseinandersetzung mit diesen Fragen und hilft dabei, die Effekte der „Bildungsentfernung“ aufzudecken. Bildung und

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Adoleszenz erscheinen so als relationale Konzepte, die den Gegenstand, auf den sie verweisen, mit hervorbringen und gleichzeitig als Heuristiken dienen können, um adoleszente Bildungsprozesse in ihren spezifischen Kontexten erforschen zu können.

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Dr. habil., Dipl. Pädagogin Anke Wischmann, ist Vertretungsprofessorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt empirische Bildungsforschung an der Europa-­ Universität Flensburg. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in der qualitativen Bildungsforschung, insbesondere der Erforschung von Bildungsungleichheiten.

Erziehungswissenschaftliche Jugendmedienforschung. Entwicklung, Diskussionsfelder und Perspektiven der Forschung zu Jugend und Medien Kai-Uwe Hugger Jugend ist in den letzten Jahrzehnten einem gravierenden Wandel unterworfen, der durch Prozesse der Entstrukturierung und einer Individualisierung von Lebenslagen charakterisiert ist (vgl. Ferchhoff 2011; Harring 2015; Heitmeyer et al. 2011; Sandring et al. 2015). Jedoch ist der Wandel von Jugend ohne die Einbeziehung von Mediatisierungsprozessen und eine veränderte Mediennutzung von Jugendlichen nur unzureichend gekennzeichnet. Der Begriff Jugendmedienforschung, der im Titel dieses Beitrags genannt wird, bezeichnet eine Forschung, die gerade den Wandel des Verhältnisses von Jugend und Medien in den Mittelpunkt stellt. Wichtige Beiträge steuert eine erziehungswissenschaftlich-medienpädagogisch interessierte Jugendmedienforschung bei, deren Entstehung eng mit der Ablehnung klassischer Massenkommunikationsforschung verbunden ist. Jugendmedienforschung neueren Datums hat interdisziplinären Charakter: Neben der Medienpädagogik wird sie insbesondere von Kommunikationswissenschaft, Kommunikationssoziologie und Medienpsychologie getragen. Ihr Hauptgegenstand sind die (miteinander verschränkten) Ausdrucksformen entgrenzten kommunikativen Handelns mit digitalen Medien.

1 Zur Entwicklung der Jugendmedienforschung Die Entstehung einer medienpädagogisch interessierten und am Medienverhalten von Kindern und Jugendlichen orientierten Jugendmedienforschung fällt mit einem Paradigmenwechsel in der Medien- und KommunikationsforK.-U. Hugger (*)  Universität zu Köln, Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Grunert et al. (Hrsg.), Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27612-6_7

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schung ­spätestens in den 1970er Jahren zusammen (Baacke 1994), bei dem die Forschungsstrategie des Uses-and Gratification-Approach/Nutzenansatz (Katz et al. 1974) als Gegenmodell zur klassischen Medienwirkungsforschung entwickelt worden ist. Während letztere fragt „Was machen die Medien mit den Menschen?“, fragt der Uses-and Gratification-Approach/Nutzenansatz „Was machen die Menschen mit den Medien?“. Damit wird die am behavioristischen Denken orientierte Annahme eines medienzentriert und linear verlaufenden Prozesses von Massenkommunikation kritisiert und stattdessen gefordert, das zielorientierte und intentionale Handeln des aktiven Rezipienten zentral in den Blick zu nehmen, um Medienwirkung adäquat abzubilden. Mediennutzung wird als interpretatives soziales Handeln verstanden. Damit greift der Ansatz das interpretative Paradigma des Symbolischen Interaktionismus auf (z. B. Mead 1968; Blumer 1973) und wendet es auf den Kommunikations- und Medienbereich an. Medienaussagen sind demnach nicht als vom Kommunikator vorgefertigte Reize, sondern als interpretationsbedürftige Wirklichkeitsangebote (Teichert 1973) anzusehen, die erst vom Rezipienten definiert werden müssen. Vor diesem Hintergrund und einer sich immer mehr ausweitenden und ausdifferenzierenden Medienlandschaft in den 1980er Jahren (v. a. Programmvermehrung durch Kabel- und Satellitenfernsehen und Sendestart des privaten Rundfunks), in deren Zusammenhang verstärkt die Frage nach den Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche gestellt wurde, hat der Paradigmenwechsel auch den Weg für eine erziehungswissenschaftlich-medienpädagogische Jugendmedienforschung bereitet, die den Menschen nicht (mehr) als passiven Empfänger von Medienbotschaften verstanden wissen möchte, sondern als (aktives) Subjekt, das aus dem vorhandenen Medienangebot auswählt. Mit dieser Fokussierung auf das Medienhandeln des Einzelnen knüpft(e) die Jugendmedienforschung an eine moderne sozialisationstheoretische Orientierung an, die Mediensozialisation, analog zum allgemeinen Sozialisationsmodell des „produktiv Realität verarbeitenden Subjekts“ (Hurrelmann 1983), als aktive Auseinandersetzung des Individuums mit der durch Medien geprägten Umwelt versteht (Kübler 2010). Nicht ohne Grund wird mit den 1980er und 1990er Jahren eine Aufbruchstimmung der Jugendmedienforschung verbunden (Baacke 1994). In diesem Zeitraum wurden eine Reihe unterschiedlicher, freilich teils auch wenig aufeinander Bezug nehmende Ansätze, Methodologien und Methodenkombinationen entwickelt, wie etwa der ethnomethodologische Ansatz (z. B. Bachmair 1990), der strukturanalytische Ansatz (Charlton und Neumann-Braun 1992) oder kulturanalytische Ansätze im Kontext der Cultural Studies (z. B. Winter 1995). Breit rezipiert wurden alltags- und lebensweltlichen Ansätze, vor allem der medienbiographische Ansatz und der medienökologische Ansatz: Während der medienbiographische

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Ansatz untersucht, welche Bedeutung Medien bei der biographischen Konstruktion und Rekonstruktion von Biographien einnehmen (Sander und Vollbrecht 1987), beansprucht der medienökologische Ansatz, die Überschneidung von Kontext-Situationen bei der Aneignung von Medien zu analysieren. Er erlaubt es, Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen als räumliches Aufwachsen zu begreifen. In Anlehnung an die Überlegungen von Bronfenbrenner (1981) entwickelte Dieter Baacke (1988) einen auf Lebensweltanalyse ausgerichteten sozialökologischen Ansatz, den er in späteren Arbeiten auf die Mediensozialisation von Kindern und Jugendlichen anwendete. Lebensweltanalyse geht für ihn davon aus, dass sich sozial-strukturelle Faktoren zur Erklärung jugendlicher Sozialisation wie Schichtzugehörigkeit, Geschlecht, Alter etc. je nach bestimmten Lebensräumen konkretisieren und verändern. Für das Verständnis jugendlicher Entwicklung und ihrer Beeinflussung durch Medien ist es deshalb wichtig zu erfassen, welche Umwelten der Jugendliche betritt, welche Rolle Medien darin spielen und welche Bedeutung diese Medien-Welten für ihn haben. Es ist vor allem dem Einfluss sozialökologischer Konzepte zu verdanken, dass medialen Umwelten auch im gegenwärtigen Verständnis von Mediensozialisation ein zentraler Stellenwert zukommt. Empirisch wurde die sozialökologische Lebensweltanalyse von Baacke et al.(1991) in die erziehungswissenschaftliche Mediensozialisationsforschung eingebracht und auf die Untersuchung der Medienwelten Jugendlicher angewendet. Für wichtige Akzente bis in die 2000er Jahre hinein hat in der erziehungswissenschaftlichen Jugendmedienforschung die Individualisierungsdebatte gesorgt. In welchem Zusammenhang die zunehmend festzustellende Entstrukturierung, Pluralisierung und Ausdifferenzierung von Jugend und Jugendkulturen mit den medienbezogenen Umgangsweisen und Vergemeinschaftungsprozesse von jungen Menschen steht, wurde in zahlreichen Arbeiten (z. B. Baacke 2007; Ferchhoff 2011; Mikos 2006; Vogelgesang 2001) thematisiert. Seit den 2000er Jahren haben sich verschiedene, teils überschneidende und übergreifende Forschungsperspektiven entfaltet, von denen drei im Folgenden genannt werden, andere ließen sich freilich hinzufügen: 1. Untersuchung des jugendlichen Medienhandelns aus der Perspektive des medienpädagogischen Medienkompetenz- und Medienbildungsdiskurses: Ausgangspunkt ist die Annahme, dass es sich bei der Medienkompetenz eines (jungen) Menschen um die ansozialisierten Umgangsweisen mit Medien handelt, die entweder eigenständig im Rahmen von Selbstsozialisationsprozessen erworben, oder aber auch in formalen wie non-formalen Bildungssettings ausgebildet werden. Auf dieser Basis stellt sich in empirischer Hinsicht die

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Frage, wie medienkompetent Subjekte eigentlich sind. Während die theoretisch-konzeptionelle Debatte um Medienkompetenz in der Medienpädagogik breit diskutiert wird (überblickshaft: Hugger 2008), gibt es erst wenige empirische Analysen zum Gegenstand: So stellen etwa Treumann et al. (2007) auf der Basis einer Untersuchung 12–20Jähriger fest, dass es sich mit Blick auf ihr Medienhandeln und ihre Medienkompetenz (vgl. Baacke 1996) nur um eine scheinbar homogene Gruppe handelt. Jung-Sein bedeute nicht gleichzeitig souveränes Medienhandeln. Vielmehr müsse zwischen einzelnen Nutzergruppen differenziert werden. In der jüngeren medienpädagogischen Diskussion ist Medienbildung (etwa Jörissen und Marotzki 2009) als Leit- und Zielwert von Medienpädagogik und medienpädagogischem Handeln eingeführt worden. Medienbildung wird teils synonym zu Medienkompetenz gebraucht, teils aber auch als Gegenbegriff zu Medienkompetenz dargestellt. In den letzten Jahren werden in diesem Diskurs empirisch-qualitativ ausgerichtete Studien zur Erforschung von Medienbildungsprozessen, z. B. in Fablabs und Makerspaces, entwickelt. So zeigt Bettinger (2017) in methodologischer und methodischer Absicht, wie in einem praxeologischen Bildungsverständnis Medienbildungsprozesse als Habitustransformationen erhoben und mit einer modifizierten Variante der Dokumentarischen Methode rekonstruiert werden können. 2. Untersuchung des jugendlichen Medienhandelns aus der Perspektive des Mediatisierungsdiskurses: Die Forschung zu Jugend und Medien wurde in den letzten Jahren stark von der kommunikationswissenschaftlich akzentuierten Mediatisierungsforschung beeinflusst. Einen wichtigen Beitrag hat dazu das DFG-Schwerpunktprogramm „Mediatisierte Welten“ von 2010 bis 2016 geleistet, in dessen Rahmen auch Forschungsprojekte zu Jugendthemen gefördert wurden (z. B. Wagner et al. 2012). Das Konzept der Mediatisierung rückt in den Mittelpunkt, dass technische Medien immer mehr die Orte sowie Formen der Kommunikation von Jugendlichen durchdringen. Mediatisierung als gesellschaftlicher Metaprozess, der insbesondere mit Globalisierungs-, Individualisierungs- und Kommerzialisierungsprozessen in Wechselwirkung steht, lässt sich nach Krotz (2001, 2017) als Prozess der zeitlichen, räumlichen und sozialen Entgrenzung von Medienkommunikation verstehen, bei der die „alten“ Einzelmedien, wie z. B. Zeitung, Radio oder Fernsehen, in technischer, organisatorischer und ästhetischer Hinsicht neu konfiguriert werden und als Hard- und Softwaresysteme in eine „computergesteuerte digitale Infrastruktur“ eingehen (Krotz 2017). Zugleich zeigt sich, dass die neuen Medien nicht mehr an besondere Wahrnehmungsformen sowie Vermittlungsweisen gebunden sind. So sind etwa Apps und die mit ihnen verbundenen kommunikativen Handlungsweisen sowohl auf Smartphone, Tablet und Laptop

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v­ erfügbar und gebündelt organisiert. Die digitale Infrastruktur entwickelt sich somit zum Knotenpunkt gegenwärtiger Kommunikation. Für die Jugendmedienforschung im engeren Sinne erweist sich der Mediatisierungsdiskurs als fruchtbar, um die mediatisierten Lebenswelten von (Kindern und) Jugendlichen zu untersuchen. Dabei wird für die Analyse mediatisierter Lebenswelten von Jugendlichen zum einen an die technischen Entwicklungen angeknüpft, im Mittelpunkt stehen dann aber insbesondere die gewandelten kommunikativen und sozialen Praktiken. Zum anderen wird auf die räumlich strukturierte Lebenswelt von Jugendlichen Bezug genommen, die sich als konstituierte und (auch ungleiche) Umwelt von Erfahrungen und Handlungsmöglichkeiten eines Menschen oder einer Gruppe präsentiert (vgl. etwa Tillmann und Hugger 2014). 3. Untersuchung des jugendlichen Medienhandelns aus praxistheoretischer Perspektive: In kritischer Abgrenzung zu Analysen und Erkenntnisinteressen einer (Jugend-)Medienforschung, die entweder einseitig subjektzentriert, phänomenologisch oder einseitig gesellschaftsstrukturell ausgerichtet sind, werden in jüngster Zeit verstärkt praxistheoretische Argumente eingebracht (vgl. Bettinger und Hugger 2019). Mit Bezug auf das praxeologische Theoriemodell von Bourdieu (2009) verweist Bettinger (2018, S. 50) darauf, dass die praxeologische Position „die Wechselverhältnisse von Subjekt und Gesellschaft als zentralen Konstitutionsmechanismus von Sozialität“ hervorhebe. Durch diese Perspektive könnten einseitige sozialwissenschaftliche Bezugnahmen überwunden werden, da das Problem „einer rein subjekt-zentrierten, phänomenologischen Erkenntnisweise darin [bestehe], die gesellschaftliche Bedingtheit des untersuchten Phänomenbereichs nur unzureichend erfassen und erklären zu können, während eine Fokussierung auf die strukturelle Ebene der Gesellschaft die Gefahr birgt, wissenschaftlichen Konstrukten der Welt eine eigenmächtige Wirksamkeit zu unterstellen, ohne deren Erzeugungsprinzipien zu berücksichtigen“. Die Fruchtbarkeit der praxeologischen Perspektive für die (Kinderund) Jugendmedienforschung hat in den letzten Jahren Paus-Hasebrink (2017) am Beispiel der Mediensozialisation sozial benachteiligter Kinder im Kontext individueller biographischer Veränderungen und sozial-medialen Veränderungen auf der Meso- und Makroebene herausgearbeitet. Dies erfordere „stets den Blick auch auf die je subjektiven Umgangsweisen von Individuen mit Medienangeboten zu richten und danach zu fragen, wie sich die in bestimmten Lebensphasen relevanten Handlungspraxen der Akteure herausbilden“ (Paus-Hasebrink 2017, S. 116). Praxistheoretische Argumentationen werden aber auch beispielsweise in der qualitativen Studie von Schachtner und Duller

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(2013) zu den Kommunikations- und Subjektivierungspraktiken von Jugendlichen im Social Web deutlich. Somit zeigt sich in disziplinärer Hinsicht: Erziehungswissenschaftliche Jugendmedienforschung hat eigene Perspektiven und Fragestellungen auf bzw. für die Erforschung von Jugend und Medien entwickelt. Freilich orientieren sich diese vor allem an den theoretisch-konzeptionellen Diskursen der Medienpädagogik als erziehungswissenschaftlicher Teildisziplin. Diesen medienpädagogischen Perspektiven und Fragestellungen ist gemeinsam, dass einerseits Medien als integraler Bestandteil der Lebenswirklichkeit von Jugendlichen angesehen werden, andererseits Mediennutzung in ihrer Verschränktheit von Subjektorientierung und gesellschaftlicher Bedingtheit verstanden wird. Hinzu kommt, dass das Gegenstandsfeld Jugend und Medien nicht unabhängig von Fragen der Medienkompetenz und Medienbildung betrachtet werden kann. Es zeigt sich aber zugleich: Während sich Mediatisierungsprozesse offenbar immer tiefgehender gesellschaftlich bemerkbar machen (vgl. Krotz 2017), erhalten medienpädagogische Diskurse aufseiten der Jugendforschung noch vergleichsweise wenig Resonanz, wie sich etwa an wichtigen jugendtheoretischen Positionsbestimmungen der letzten Jahren zeigt (vgl. Helsper et al. 2015).

2 Gegenwärtige Diskussionsfelder der Forschung zu Jugend und Medien Ob bzw. inwiefern sich die zeitliche, räumliche und soziale Entgrenzung von Medienkommunikation, so wie sie im Zuge von Mediatisierungsprozessen deutlich wird, auch auf die Sozialisation und die kommunikative Alltagspraxis von jungen Menschen auswirkt, indem hier ebenfalls Entgrenzungstendenzen festzustellen sind, ist Gegenstand gegenwärtiger empirischer Forschung zu Jugend und Medien. In der Jugendmedienforschung wird dabei ein facettenreiches Spektrum von verschiedenen, teils miteinander verschränkten Ausdrucksformen entgrenzten kommunikativen Handelns von jungen Menschen mit digitalen Medien diskutiert, von denen hier fünf vorgestellt werden: 1. Im Vergleich zu den früheren Massenmedien eröffnet das Internet seinen Nutzern erweiterte Partizipationsmöglichkeiten, (deren Wirkmächtigkeit freilich nicht fraglos ist) – in den sozialen Medien gekennzeichnet durch die technischen Möglichkeiten der partizipativen Interaktion, Annotation, Zitation, Kollaboration und Kommentierung (Marotzki 2008), angeboten vonseiten wie

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z. B. Youtube, Snapchat, Facebook oder Instagram. Henry Jenkins hat dazu bereits 2006 betont, dass sich eine durch digitale Medien ermöglichte Kultur der Partizipation entwickelt, die sich kategorial von den früheren, massenmedial geprägten Vorstellungen vom passiven Zuschauer unterscheidet. Jugendliche seien immer mehr über das Internet in „participatory cultures“ eingebunden. Darin nehmen jugendliche Fans eine wichtige Rolle ein. Von ihnen werde eine aktive Teilhabe erwartet, weil sie z. B. von neuen Fernsehserien, aber auch von ihren Stars und Idolen ermutigt werden, nach zusätzlichen und weiterführenden Informationen im Internet zu suchen und sich in Foren darüber auszutauschen. Die Fans stellen medienkonvergente Verbindungen zwischen den in unterschiedlichen Medien verfügbaren Inhalten her. Dabei sind sie aber auch auf die sozialen Beziehungen zu Gleichgesinnten angewiesen, wodurch Gemeinschaften entstehen, in denen Wissen gemeinsam geschaffen, zirkuliert und debattiert wird (Jenkins 2006, S. 27). Zugleich macht sich jedoch in den letzten Jahren Ernüchterung breit, ob diese neuen Teilhabemöglichkeiten des Internets gesellschaftlich nachhaltig und durchdringend sind. Ein Beispiel dafür ist, dass die hohen Erwartungen an die internetgestützten politische Partizipationsprozesse, wie sie etwa rund um die Ereignisse des Arabischen Frühlings formuliert wurden, kaum eingelöst werden konnten. Heinz Moser (2014, S. 26) fasst als Ergebnis dieser Diskussion zusammen, dass zwar über die digitalen Medien eine Mobilisierung von jüngeren Bevölkerungsschichten gelang. Dadurch habe letztendlich aber keine Revolution von unten stattgefunden. Komplexere politische Strukturveränderungen seien weniger über Facebook oder Twitter organisiert worden, als mehr über die Demonstrationen, die auf der Straße stattgefunden haben. Allerdings wird in der gegenwärtigen Debatte oft zu pauschal festgestellt, dass E-Partizipation häufig eher die Gestalt von Pseudo-Partizipation annimmt bzw. im passiv-rezipierenden Bereich verbleibt (vgl. Schmidt et al. 2009). Für Jugendliche scheint es heute zwar naheliegender zu sein, eine Online-Petition zu unterzeichnen, als dies an einem Straßenstand zu tun, wie die Shell-Jugendstudie (2015, S. 200) festhält. Welche Wirkmächtigkeit diese oder jene Online-Aktivität hat, muss aber jeweils überprüft werden (Kutscher und Farrenberg 2014). Denn vieles spricht dafür, dass sich mit den individuellen und niederschwelligen (politischen)Partizipations- und Beteiligungsangeboten, die über das Internet zugänglich sind und in die sich Jugendliche online einbringen können (Shell Deutschland Holding 2015, S. 200), wichtige neue Möglichkeiten der Teilhabe ergeben. 2. Vergemeinschaftungs- und Gesellungsformen, in deren Rahmen Jugendliche sich selbst darstellen, sich mit ihrer Identität auseinandersetzen und ein

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s­oziales Miteinander mit Gleichgesinnten finden können, wandeln sich und sind heute nicht mehr denkbar ohne ihre Verflechtungen mit der computergestützten digitalen Infrastruktur. Dabei zeigt die aktuelle Jugendmedienforschung, dass die Pluralität jugendkultureller Vergemeinschaftungsformen mit der Pluralität digitaler Mediennutzung korrespondiert. Die digitale Infrastruktur bietet jeder nur erdenklichen Jugendkultur und Jugendszene einen geradezu unüberschaubaren Möglichkeitsraum, sich zu präsentieren, inszenieren, stilisieren, orientieren und vergemeinschaften. Dies bedeutet: Um ein Verständnis dafür zu entwickeln, wie und warum Jugendliche und ihre jugendkulturellen Gesellungen die Online-Welt besiedeln und sich dort in Verankerung mit der Offline-Welt gewissermaßen hybrid sozialisieren, muss man sich von der homogenisierenden Generationengestalt der Netz-Generation verabschieden und sich den jugendkulturellen Eigenheiten sowie den Selbstdefinitionen der Jugendlichen zuwenden (vgl. Hugger 2014). Die heutigen Jugendszenen können mit Hitzler (2008) prototypisch als Brutstätten posttraditionaler Vergemeinschaftung verstanden werden, die Jugendlichen, die an ihnen teilhaben, bei einem Höchstmaß an individueller Freiheit zugleich auch „‚so etwas (…) bieten wie eine – zumindest situative – ‘Kuhstallwärme“ (Hitzler 2008, S. 55). Jugendliche eignen sich die digitale Infrastruktur in ihren Szenen auf jugendtypische Art und Weise an (Hugger 2014, S. 21 f.), indem mit ihr a) Intensitätserfahrungen gemacht werden. Dabei wird Mediennutzung zum Medienereignis, wie z. B. bei Instagram Challenges, eSport-Tournaments oder Hackathons. b) Darüber hinaus machen die digitale Medien Ganzheitserfahrungen möglich: (Digitale) Medienkommunikation erlaubt es Jugendlichen, die eigenen konkreten lebensweltlichen Erfahrungen einzubringen und mit (ausgewählten) Anderen zu teilen. Lokale und globale kommunikative Vernetzungen in Alltag und Szenenleben werden somit in erheblichen Teilen über Medien gemanagt, und zwar immer mehr über mobile Medien, wie Hepp et al. (2014) in einer Studie mit jungen Erwachsenen herausgefunden haben. Schließlich c) wird es Jugendlichen in ihren Szenen durch die Medien in der digitalen Infrastruktur möglich, Subjektivitätserfahrungen zu machen. Die partizipativen Möglichkeiten der Online-Welt erlauben ihnen zumindest potenziell, sich selbstbestimmt zu artikulieren, wodurch sie nicht zuletzt die Wirksamkeit eigenen Handelns erfahren können. 3. Es gelingt aber nicht allen Jugendlichen in gleichem Maße, die sich eröffnenden Möglichkeiten der digitalen Medien für sich zunutze zu machen. Neben denjenigen, die über ein hohes formales Bildungsniveau verfügen und sich die Angebote der Online-Welt besonders schnell und flexibel aneignen, inklusive der notwendigen Kompetenzen, gibt es die formal niedriger Gebildeten,

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denen die Fruchtbarmachung des gesamten Möglichkeitsfeldes der digitalen Medien weniger kompetent gelingt, wie Treumann et al. (2007) in einer der wenigen umfassenden empirischen Studien zur Entwicklung von Medienkompetenz bei Jugendlichen feststellen. Dieses Ergebnis wirft ein Schlaglicht auf die „Zumutungen und Herausforderungen des digital-vernetzten Lebens“ (Deutscher Bundestag 2017, S. 297), denen sich die heutigen Jugendlichen gegenübersehen. Diese Zumutungen und Herausforderungen werden von der Sachverständigenkommission des 15. Kinder- und Jugendberichts in sechs Punkten zusammengefasst: 1) Strukturell bedingte sozial ungleiche Zugänge, von denen z. B. Jugendliche mit Behinderungen betroffen sind, 2) Problematische kommunikative Rahmenbedingungen, die sich etwa in enthemmenden Effekten digitaler Medienkommunikation zeigen, z. B. Hate Speech, 3) Infrastrukturelle Zumutungen, wie z. B. die Auswirkungen globaler, kommerzieller Machtkonzentrationen durch große Technologiekonzerne, 4) Jugendgerechter Datenschutz, der sich bisher noch ausreichend im Datenschutzrecht wiederfindet, 5) Glaubwürdigkeit und Qualität von Quellen, z. B. in Bezug auf den Umgang mit Informationen Dritter und 6) Entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte und menschenverachtende Ideologien, wie z. B. Pornografie und Gewalt sowie extremistische Gewalt gehören. Demnach ist die nahezu flächendeckende Zuwendung der gegenwärtigen Jugendkohorte und ihrer kulturellen Gesellungen zu Computer, Internet und mobilen Geräten keineswegs per se gleichzusetzen mit dem souveränen kommunikativen Handeln, der innerhalb der neuen digitalen Infrastruktur pädagogisch wünschenswert ist. 4. Das Internet, insbesondere die sozialen Medien, stellen für Jugendliche zentrale Ressourcen für Identitätsarbeit dar. Jugendmedienforschung kann im Hinblick auf das Identitätsthema auf eine lange Tradition zurückblicken, die bis auf die Studien von Sherry Turkle (1998) zur jugendlichen Nutzung von schriftbasierten Online-Rollenspielen zurückreicht. Mittlerweile sind es immer mehr die sozialen Medien, die dem „digitalen Selbst“ (Reckwitz 2017) zentrale Orte für Identitätsarbeit zur Verfügung zu stellen. Dabei scheint das Streben nach Authentizität in den sozialen Medien von essentieller Bedeutung zu sein, wie es Reckwitz (2017, S. 246 ff.) in seiner Theorie der „Gesellschaft der Singularitäten“ herausarbeitet: Das Subjekt nehme in den sozialen Medien an einem ständigen „digitalen Aufmerksamkeit- und Attraktivitätswettbewerb“ teil, unter Bedingungen eines „Kampfes um Sichtbarkeit und Wertschätzung mit anderen Profilen, Blogs etc. (…). Allein wenn das Subjekt auf eine authentische und interessante Weise als einzigartig wahrgenommen, das heißt sichtbar wird, hat es eine Chance, in diesem Kampf zu bestehen und dauer-

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haft auch Singularitätskapital zu akkumulieren, das im Spiel des Sozialen eine soziale Position und Anerkennung sichert“. Konkrete Bezüge zu diesen theoretischen Annahmen weist die empirische Jugendmedienforschung in den letzten Jahren in vielfältiger Weise auf: So ist etwa die Relevanz des Authentisch-Seins für Jugendliche bereits vor Längerem für das Reality-Format der Daily Talkshows untersucht worden, mit dem Ergebnis, dass deren Reiz das „Wechselspiel zwischen Authentizität und Inszenierung“ ausmache (PausHaase et al. 1999, S. 372). Welche Arten des Medienhandelns von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Internet für die Identitätsbildung wirksam werden, haben Schachtner und Duller (2014) untersucht. Sie konnten empirisch netztypische kommunikative Praktiken nachweisen, wie etwa Praktiken des Formwandelns, in denen die Suche nach (Veränderung und Verwandlung von) verschiedenen Selbstentwürfen deutlich wird, z. B. hinsichtlich der Suche nach einer Geschlechtsidentität oder im Hinblick auf das Ausleben verschiedener Identitäten auf unterschiedlichen Online-Plattformen bzw. sozialen Netzwerken im Internet. Andere Studien zum Identitätsthema liegen etwa zur Suche nach Anerkennung und Vergewisserung von Zugehörigkeit in Online-Communities von jungen Migranten vor (Hugger 2009) oder zu Identitätsräumen von Mädchen im Internet (Tillmann 2008). 5. Soziale Medien scheinen für Jugendliche immer mehr eine zentrale Quelle, um sich über politische Inhalte und Meinungen zum aktuellen Weltgeschehen zu informieren. Angesichts der problematischen und kritikwürdigen Aspekte der sozialen Medien, wie sie sich etwa in Hate Speech (vgl. Kaspar et al. 2017) oder Fake News (auch auf YouTube) zeigen, stellt sich für eine (medienpädagogisch sensible) Jugendmedienforschung die Frage nach der politischen Meinungsbildung von Jugendlichen und ihrer Kritikfähigkeit gegenüber sozialen Medien. Ein wichtiges Beispiel ist, welche Bedeutung Jugendliche informationsbezogenen YouTuber*innen beimessen. Webvideos von informationsorientierten YouTuber*innen werden von Jugendlichen nicht nur als Mittel genutzt, um sich zu unterhalten (z. B. Games/Lets Play, Comedy) oder um sich über den aktuellen Lifestyle und Schminktipps auf dem Laufenden zu halten. Sie sind für Jugendliche auch eine zentrale Quelle, um sich über politische Inhalte und Meinungen zum aktuellen Weltgeschehen zu informieren. So sehen sich 23 % der YouTube-Nutzer*innen im Alter von 12 bis 19 Jahren regelmäßig Videos von YouTuber*innen an, die Nachrichten und das aktuelle Weltgeschehen kommentieren (Medienpädagogischer Forschungsverband Südwest 2018). Insgesamt liegen jedoch der Jugendmedienforschung erst wenige genaue empirische Erkenntnisse darüber vor, wie kritisch Jugendliche mit den Webvideos von

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YouTuber*innen umgehen, insbesondere mit solchen, in denen politische Inhalte und Meinungen zum aktuellen Weltgeschehen thematisiert und kommentiert werden. Erste vertiefte Studienergebnisse (vgl. Hugger et al. 2019) zeigen zwar, dass sich Jugendliche durchaus kritisch zu YouTuber*innen und deren Webvideos äußern. Allerdings haben die kritischen Einschätzungen von Jugendlichen gegenüber Medieninhalten eher kritisch-analytischen als reflexiven Charakter, d. h. Einschätzungen der Jugendlichen zu den Inhalten der Webvideos, z. B. zu den gesellschaftlichen Ursachen und Folgen der YouTuber*innen-Kommerzialisierung, bleiben auf einer eher basalen und oberflächlichen Ebene und werden häufig nicht hinterfragt.

3 Perspektiven Forschung zum mediatisierten Aufwachsen drängt sich mittlerweile in verschiedensten erziehungswissenschaftlichen Diskursen auf, insbesondere in der Kindheits- und Jugendforschung, Sozialisationsforschung, Familienforschung, Schulforschung und der Sozialen Arbeit. Erziehungswissenschaftliche Jugendmedienforschung greift auf Ansätze, Begriffe, Methodologien und Methoden zurück, die teils jenseits erziehungswissenschaftlicher Diskurse angesiedelt sind, um die eigenen Forschungsfragen beantworten zu können. Dies liegt insbesondere am interdisziplinären Charakter, den Medienfragen per se aufweisen. Insofern ist ein wichtiges Kennzeichen erziehungswissenschaftlicher Jugendmedienforschung, dass sie analytische Kreuzwege mit anderen disziplinären Perspektiven der Medienforschung aufsucht. Zugleich führt dies aber zur permanenten Herausforderung, sich immer wieder über die eigenen Forschungszugänge und -grenzen vergewissern zu müssen. Ein Beispiel, das diese Vergewisserungsarbeit verdeutlicht, ist die Debatte über Gemeinsamkeiten und Abgrenzungen von Mediatisierungs- und Mediensozialisationsforschung. Beide Forschungsperspektiven beschäftigen sich – wie in den letzten Abschnitten deutlich werden sollte -, mit der gegenwärtigen Analyse des Verhältnisses von Jugend und Medien. Beide Perspektiven teilen teils auch die gleichen Grundverständnisse gegenüber dem Gegenstandsfeld: Während beide „notwendig in Prozessen denken“, „von einer wechselseitigen Beziehung zwischen Subjekt, Gesellschaft, Kultur und Medien ausgehen und in ihrer konkreten Ausgestaltung beide abhängig sind von den exoder implizit leitenden Medien- und Kommunikationsverständnissen“, gebe es doch wichtige Unterschiede im Erkenntnisinteresse, so Hoffmann et al. (2017, S. 8), denn: „Wer sich auf Mediatisierung beruft, interessiert sich in der Regel für den Wandel von (Teil‑)Kulturen, Institutionen, kommunikativen Mustern

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der Lebensführung und des Zusammenlebens in Relation zu Medientechniken/ technologien, medialen Inhalten und Ästhetiken. Wer sich auf Mediensozialisation beruft, interessiert sich für das Leben mit Medien primär auf individualgeschichtlicher Ebene (was daran anschließende überindividuelle Abstraktionen freilich einschließt), für die soziale, kulturelle und gesellschaftliche Funktion und Bedeutung von Medien sowie für die historischen Wandlungsprozesse, da sich (Medien-)Sozialisation für verschiedene Generationen und Alterskohorten unterschiedlich darstellt.“ Dass Verschränkungen und Schnittfelder zwischen den Forschungsperspektiven bestehen, ist offensichtlich. Gilt dies heute auch für das Verhältnis von Jugendmedienforschung und Jugendforschung? Dieter Baacke bemerkte 1994: „Auf Jugendliche bezogene Medienforschung ist ohne Jugendforschung nicht mehr denkbar“ (Baacke 1994, S. 42). Für diese Aussage spricht, dass der Wandel von Jugend und die Prozesse der Entstrukturierung und Individualisierung von Lebenslagen ohne die Einbeziehung von Mediatisierungsprozessen und veränderter Mediennutzung von Jugendlichen nur unzureichend gekennzeichnet sind, wie bereits zu Beginn dieses Beitrags bemerkt wurde. Gleichwohl scheinen neuere Diskurse der Jugendmedienforschung, so wie sie etwa in diesem Beitrag abgebildet werden, aus Sicht „der“ Jugendforschung einen noch relativ neuen Forschungsgegenstand darzustellen (Pfaff 2015, S. 42). Umgekehrt scheint sich die Jugendmedienforschung teils mit dem Blick über den schmalen Tellerrand der Medien-Forschung schwer zu tun. Nicht zuletzt deshalb macht es Sinn, in einen engeren wissenschaftlichen Dialog einzutreten, um Ansätze, Begriffe, Methodologien und Methoden auszutauschen und ggf. (neu) zu übersetzen.

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Prof. Dr. Kai-Uwe Hugger,  leitet die Arbeitsgruppe Medienpädagogik und Mediendidaktik an der Humanwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln. Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich digitaler Kindheit und Jugend unter besonderer Berücksichtigung von Mediensozialisationsprozessen. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen auf Themen wie der Analyse jugendkultureller Vergemeinschaftung im Internet, mobile Methoden in der Medienforschung und Medienkompetenzförderung.

Ethische und gesellschaftsanalytische Perspektiven der Jugendforschung und ihre Relevanz für den Gegenstand der Kinder- und Jugendhilfe Zoë Clark Zusammenfassung

In diesem Beitrag wird es darum gehen, welchen Mehrwert die Jugendforschung bzw. unterschiedliche Formen von Jugendforschung für die Kinder- und Jugendhilfeforschung liefern kann. Um den Mehrwert der Jugendforschung für die Kinder- und Jugendhilfe herauszukristallisieren, werden in diesem Beitrag Perspektiven unterschiedlicher Teilbereiche der Jugendforschung exemplarisch entlang von qualitativen Daten diskutiert. Die Analyse der qualitativen Interviews mit Fachkräften und Adressat*innen in der Heimerziehung zeigt, dass die derzeitigen theoretischen Folien der gesellschaftsanalytischen Jugendforschung nur eingeschränkt die institutionellen Bedingungen des Aufwachsens in diesem Setting erfassen können. Es wird demgegenüber für eine ethisch fundierte Jugendforschung plädiert, um Beurteilungsmaßstäbe einer „guten Jugend“ zu entwickeln, die die Institutionen der Jugendhilfe gewährleisten sollten.

Abstract

This article will focus on the added value that youth research or rather various forms of youth research can provide for research on child and youth welfare services, in particular out-of-home care. In order to crystallize the added value of youth research for child and youth welfare, this article discusses Z. Clark (*)  Universität Siegen, Siegen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Grunert et al. (Hrsg.), Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27612-6_8

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p­ erspectives of different sub-areas of youth research on the basis of qualitative data. The analysis of the qualitative interviews with social workers and addressees in out-of-home care show that the current theoretical slides of youth research can only capture the institutional conditions for growing up in this setting on a limited extent. In contrast, there is a plea for ethically founded youth research in order to develop quality standards for a “good youth”, that should be guaranteed by youth welfare institutions.

1 Einleitung Die Jugendforschung ist ein Feld, das sich nicht eindeutig disziplinär verorten lässt. Die Bedingungen des Aufwachsens sind sowohl erziehungswissenschaftlich als auch soziologisch relevant, außerdem lassen sich philosophische oder auch entwicklungspsychologische Fragen im Zusammenhang mit der Jugendphase stellen. In diesem Beitrag wird es darum gehen, welchen Mehrwert die Jugendforschung bzw. unterschiedliche Formen von Jugendforschung für die Kinder- und Jugendhilfeforschung und insbesondere die Heimerziehungsforschung liefern kann. Welche Perspektiven ergeben sich aus der Jugendforschung für die wissenschaftliche Analyse der Lebensbedingungen junger Menschen in der Heimerziehung? lautet die Kernfrage dieses Artikels. Um den Mehrwert der Jugendforschung für die Kinder- und Jugendhilfe(-forschung) herauszukristallisieren, werden in diesem Beitrag Perspektiven unterschiedlicher Teilbereiche der Jugendforschung exemplarisch entlang von qualitativen Daten diskutiert, die im Feld der Heimerziehung 2016 erhoben wurden. Es wurden 15 Jugendliche, fünf Mitarbeiter*innen des Jugendamts und fünf Mitarbeiter*innen aus Freien Trägern der Sozialen Arbeit interviewt. Außerdem wurden 2018 zwei Gruppendiskussionen mit derzeitigen und ehemaligen Bewohner*innen der Heimerziehung sowie einer Interessenvertretung von Straßen-Jugendlichen geführt, um zu erfassen, was aus ihrer Perspektive Indikatoren einer guten Heimerziehung und einer guten Jugend sind. Diese Daten werden aus dem Blickwinkel der unterschiedlichen Teilbereiche der Jugendforschung analysiert. Da die Jugendforschung ein heterogenes Feld ist, wird zunächst eine Ausdifferenzierung unterschiedlicher Formen der Jugendforschung vorgenommen, um die spezifischen Potenziale für die theoriebasierte und empirische Analyse der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe zu identifizieren. Auf die jeweiligen Skizzierungen der unterschiedlichen Teilbereiche der Jugendforschung folgt eine exemplarische Analyse der oben genannten Sekundärdaten. Die Differenzlinie

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wird dabei vor allem zwischen einer gesellschaftsanalytischen Jugendforschung und einer ethischen Jugendforschung gezogen. Weit verbreitet ist ein Strang der Jugendforschung, der im Folgenden mit der Kategorie der gesellschaftsanalytischen Jugendforschung klassifiziert wird, die sich dem Verstehen und Erklären der historischen und gegenwärtigen Bedingungen des Jung-Seins widmet. Die Bestimmung der Bedeutung der Kategorie von Jugend geht mit einer Analyse von der Vergesellschaftung junger Menschen einher, die perspektivisch und zeitspezifisch heterogen sein kann. Entsprechend ist das Objekt, das sich hinter dem Begriff der Jugend verbirgt, sowohl umstritten als auch kontingent. Die ethische Variante der Jugendforschung liefert einen evaluativen Rahmen, um Bedingungen des Jung-Seins gerechtigkeitstheoretisch beurteilen zu können. Der Zugang zur Jugend und die Gestaltungsmöglichkeiten von Jugendlichkeit werden als ethisch fundierter Maßstab für die Institutionen des Aufwachsens herangezogen, um zu prüfen, ob sie angemessene Bedingungen des Jung-Seins hervorbringen. Dies ist eine Form der Jugendforschung, die bislang wenig vorangeschritten ist. Die Debatte um Maßstäbe für gelingendes Aufwachsen ist derzeit vor allem im Feld der Kindheitsforschung angesiedelt (vgl. dazu zum Beispiel Bischoff und Betz 2011, Betz und Bischoff 2015) und insgesamt wenig ausdifferenziert mit Blick auf unterschiedliche Phasen des Aufwachsens und deren institutionell spezifische sozialen Beschaffenheiten. Nun ergibt sich aus einer ethischen und einer gesellschaftsanalytischen Jugendforschung nicht per se ein Widerspruch, vielmehr scheint es die Notwendigkeit eines synergetischen Zusammendenkens dieser Perspektiven zu benötigen. Die Kritiken an gegenwärtigen Formen der Vergesellschaftung junger Menschen – zum Beispiel an den Selbstoptimierungsanforderungen, die Reinders (2016) formuliert – offerieren keinen oder nur einen impliziten positiven Gegenentwurf einer „guten Jugend“, der als Maßstab dieser Kritik herangezogen werden könnte.

2 Gesellschaftsanalytische Jugendforschung Die gesellschaftsanalytische Jugendforschung befasst sich mit dem Verstehen und Erklären der gegenwärtigen Bedingungen des Jung-Seins, die die Jugendphase konstituieren. Es handelt sich also um eine Verhältnisbestimmung von Kategorie und Objekt. Welche Bedeutung und Funktion hat die Jugendphase unter spezifischen sozialen Konstellationen? Verbirgt sich hinter dem Begriff der Jugend also eine spezifische Form der Vergesellschaftung junger Menschen, ist es folgerichtig, dass nicht notwendigerweise alle Menschen im Jugendalter Zugang zu einer Phase der Jugend haben. Dies wiederum wirft die Frage auf,

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inwiefern die Institutionen (der Kinder- und Jugendhilfe) in der Lage sind, eine Jugend zu ermöglichen (vgl. Köngeter et al. 2013). Die Ermöglichung oder Verunmöglichung von Jugend betrifft einerseits die Population junger Menschen und andererseits die Jugendphase als solche. Mit letzterer befasst sich eine Form der Jugendforschung, die ich im Folgenden als institutionenkritische Jugendforschung bezeichnen möchte. Eine akteur*innenzentrierte Perspektive fokussiert die Formung der Jugendphase durch junge Menschen selbst. Dies setzt aber wiederum ein gewisses Ausmaß an Handlungsmächtigkeit voraus, zu der junge Menschen nicht unter allen sozialen und institutionellen Bedingungen Zugang haben. a) Die institutionenkritische Jugendforschung befasst sich mit einer am Humankapital-Ansatz orientierten Funktionalisierung von Jugend. Die Phase der Jugend werde so weit funktionalisiert, dass die Rede von einer Jugend im Sinne eines Moratoriums nicht mehr sinnvoll erscheine, weil Schule und Arbeit so weit entgrenzt wären, dass die Rationalitäten des Arbeitsmarktes die Bildungsphasen junger Menschen dominieren würden (vgl. Schröer 2004, 2006). Mit einer ähnlichen Argumentationslinie nimmt Reinders (2016) eine Redefinition des Moratoriums vor, indem er den gegenwärtigen Typus der Jugend als Optimierungsmoratorium klassifiziert. In beiden Fällen lautet die Kritik an gegenwärtigen Bildungsinstitutionen und Bildungspolitiken sowie der Bildungsforschung, die das Wissen für die Gestaltung beider Bildungsebenen produziert, dass das klassische Moratorium im Sinne einer temporären Freisetzung von institutionellen Zwängen zwecks individuellen Bildungs- und Entfaltungsmöglichkeiten, neoliberal geprägten Bildungs- und Subjektvorstellungen zum Opfer gefallen sind. Fraglich erscheint dabei die historische Verortung des allgemeingültigen und idealtypischen Moratoriums. Bereits in den 1960er Jahren wird die Ausrichtung von (Schul-)bildung an Arbeitsmarktrationalitäten festgestellt. Dass eine temporäre Freisetzung von Zwängen, die mit Arbeitsmarktrationalitäten verbunden ist, bestenfalls ein bürgerliches Privileg ist, hat Zinnecker (1986) schon in den 1980er Jahren k­ ritisiert. b) Als akteur*innenzentrierte Jugendforschung könnte man eine Ausrichtung beschreiben, die die Jugendphase in erster Linie über die gestaltende Handlungsmacht junger Menschen konstituiert sieht. Ein klassisches Beispiel für diesen Strang der Jugendforschung ist Erik Erikson (1971). Die Jugendphase sei eine Antizipation des Verantwortlichwerdens. Diese Antizipation bringe Praktiken hervor, mit denen junge Generationen neue, ethische ­Orientierungen in die Gesellschaft einbringen. Dem Jugendmoratorium wird von Erikson also eine hohe gesellschaftliche Gestaltungsmacht zugeschrieben, sowohl mit Blick auf die Jugendphase selbst – es sind die jungen Menschen, die a­ ntizipieren – als

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auch hinsichtlich der Ethik, an der die Gestaltung gesellschaftlicher Gesamtzusammenhänge ausgerichtet ist. Auch Andresen (2008) konstatiert, dass junge Menschen Fakten schaffen für die Ausrichtung und die Bedeutung der Phase der Jugend. Beide Perspektiven sind also weniger strukturdeterministisch an den institutionellen Rationalitäten von Jugend ausgerichtet, sondern betrachten die Jugendphase als ein Produkt von Agency junger Menschen. „Fridays for Future“ wäre sicherlich ein aktuelles Beispiel für diese Form der ethischen Re-orientierung und des Schaffens von Fakten, die sich institutionellen Vorgaben entgegensetzen. Dies ist eine Form der Selbstermächtigung junger Menschen, die politisch umstritten ist; jüngst, weil jungen Menschen die Expertise abgesprochen wird die, Lage hinreichend beurteilen zu können. Mit Blick auf die Jugendhilfe stellt sich im Anschluss an die gesellschaftsanalytische Jugendforschung die Frage, welches Verständnis die Akteur*innen der Jugendhilfe von der Gestalt und Funktion der Jugendphase haben. Versteht sich die Kinder- und Jugendhilfe als Institution, die eine Kraft in der Gestaltung eines Optimierungsmoratoriums ist oder als eine Institution, die dazu beiträgt, dass junge Menschen Fakten schaffen können oder gelten für die Adressat*innen spezifische Bestimmungen der Jugendphase, sodass sie eine ‚andere Jugend‘ haben? Die Forschungsperspektiven der akteurszentrierten und institutionenkritischen Jugendforschung werden im Folgenden exemplarisch als analytisches Instrumentarium für qualitative Daten verwendet, die im Feld der stationären Heimerziehung erhoben wurden.1

2.1 Gesellschaftsanalytische Jugendforschung als Perspektive für die Heimerziehung Dieses Unterkapitel enthält eine Inhaltsanalyse der oben benannten qualitativen Daten durch die analytische Brille der gesellschaftsanalytischen Jugendforschung, welche in akteur*innenzentrierte und institutionenkritische Perspektiven untergliedert wird.

1Die Darstellung der Forschungsergebnisse von Abschn. 2.1. bezieht sich auf qualitative Leitfadeninterviews, die 2016 in fünf unterschiedlichen Wohngruppen der stationären Heimerziehung mit 15 Jugendlichen geführt wurden. Ab Kapitel drei werden Ergebnisse aus zwei Gruppendiskussionen dargestellt, die 2018 mit (ehemaligen) Bewohner*innen der Heimerziehung geführt wurden.

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Die analytischen Bezugspunkte sind: Erstens werden die Deutungen von Handlungsfähigkeit junger Menschen, die bei den Fachkräften zu finden sind rekonstruiert. Dies ist vor allem für die akteur*innenzentrierte Perspektive und ihren starken Gegenwartsbezug dieses Modells der Jugendphase zentral. Zwar spricht Erikson (1971) von einer Antizipation der Zukunft durch junge Menschen, die Handlungsermächtigung junger Menschen findet jedoch in der Gegenwart statt. Zweitens werden die institutionenkritischen Zeitdiagnosen von Schröer (2006) und Reinders (2016), die vor allem die institutionelle Überformung der Jugendphase in den Fokus rücken, exemplarisch für den Kontext der Heimerziehung geprüft. a) Junge Menschen als Akteur*innen ihrer Jugend Zunächst stellt sich die Frage, ob junge Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe eine Anerkennungsgemeinschaft erleben, in der sie mit Blick auf ihre lebensweltlichen Bedingungen des Jung-Seins Fakten schaffen, und damit konstitutiv wirksam werden für die Gestaltung ihrer Jugendphase. Dies setzt ein Adressat*innenbild voraus, das diesen jungen Menschen Agency zuspricht. Die Mitarbeiter*innen des Jugendamtes sind explizit danach gefragt worden, ob bestimmte reglementierende und „rigide“ Reglungen zugunsten von Partizipationsbestrebungen zu revidieren seien. In den Antworten der Mitarbeiterinnen des Jugendamtes zeigen sich insgesamt paternalistische Perspektiven, die an dem Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen, man könnte sagen an dem Kindeswohl, ausgerichtet sind. Sicherheit durch engmaschige Reglementierung zwecks Komplexitätsreduktion werden als Gegenstand der Hilfe beschrieben: „Also wenn er [der Jugendhilfeadressat] so mit Freiheiten noch schlecht umgehen kann oder mit Partizipation an sich, dann ist es vielleicht auch mal notwendig, klarere Vorgaben zu machen, strikte Regeln und Strukturen da einzuführen, einfach um da auch Sicherheit zu geben, wenn man da anders noch nicht mit umgehen kann. Um auch einfach, ja, die Hilfe an sich besser gestalten zu können. Also ich denke, Partizipation gerät da vielleicht dann auch mal an Grenzen, wenn man damit nicht mit umgehen kann.“

Ausgangspunkt dieser paternalistischen Argumentation ist eine Bedürfnisinterpretation, die auf einer Klassifikation von jungen Menschen beruht, mit der zwischen denen, die zur Freiheit befähigt erscheinen, und denen, die eine Einhegung benötigen, unterschieden wird. Dies wird darüber hinaus an anderer Stelle von den Fachkräften mit Gymnastikmetaphern gerahmt, mit denen sie zwischen den ‚Fitten‘ und denjenigen unterschieden, die an der Grenze zu einer geistigen Behinderung seien. Die Schlussfolgerung der Zuschreibungen von Behinderungen

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fallen also deutlich anders aus, als dies in der UN Behindertenrechtskonvention der Fall ist, geht es hier doch explizit um die Ermöglichung von Partizipation an der Gestaltung sozialer Verhältnisse und der Ermöglichung von Selbstbestimmung nicht trotz Assistenzbedarfs, sondern möglicherweise gerade durch Assistenz (vgl. Grauman 2011). Selbstbestimmung findet im Zusammenleben mit anderen Menschen statt, folglich ist die Partizipation an der Urheber*innenschaft der sozialen Ordnung Grundvoraussetzung, um Akteur*in der eigenen Jugend zu sein. In den Interviews wird sehr deutlich, dass dies in den betreffenden fünf Einrichtungen nur eingeschränkt der Fall ist: „Den Jugendlichen ist ja bekannt, welche Regeln es in den Gruppen gibt und woran sie sich zu halten haben und sie wissen auch von Anfang an, welche Konsequenz es zur Folge hat, wenn sie sich eben nicht dranhalten.“

Die Regeln sind dem Eintreten in die Wohngruppen vorgelagert und werden über Strafen – die hier euphemistisch mit Konsequenzen bezeichnet werden – abgesichert. In den Einrichtungen gibt es Arbeitsstrafen, Phasenmodelle, Hausarrest, Kollektivstrafen und Abmahnungen, die zu Einrichtungsverweisen führen können, um das Regelwerk der Einrichtungen stabil zu halten und dem Schaffen von Fakten genau keinen Raum zu geben. Nun lassen sich weder diese Praktiken der Freien Träger noch die Adressat*innenbild dieser Fachkräfte des Jugendamtes für die Kinder- und Jugendhilfe oder die Heimerziehung generalisieren. Es zeigt sich aber dennoch, dass dieses Adressat*innenbild nicht per se kompatibel ist mit akteur*innenzentrierten Perspektiven darauf, was Jugend konstituiert. An diesem Punkt bietet die Jugendforschung die Möglichkeit der Analyse und Kritik an der Herstellung ungleicher Jugenden. Anders als in Zinneckers (1986) Analysen geht es in diesem Fall nicht um eine habituelle, sondern um eine institutionelle Prägung der Jugendphase. b) Junge Menschen als Subjekte des Optimierungsmoratoriums Die These der Entgrenzung von Schule und Arbeit sowie die Kritik an dem Optimierungsmoratorium verweisen auf spezifische Subjektivierungsprozesse, ausgerichtet an kompetitiven Arbeitsmarktrationalitäten, für die Jugend zukunftsorientiert funktionalisiert werde. Diese jugendtheoretischen Anlagen beziehen ihre Auseinandersetzung auf die Schule als eine Institution des Aufwachsens, die die Jugendphase hervorbringt. In ähnlicher Weise lässt sich fragen, wie die Heimerziehung als Institution des Aufwachsens Jugend bedingt und ob es Konstrukte des Erwachsenseins gibt, an denen die Gestaltung der Jugend ausgerichtet ist.

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Die Forschung zu Care-Leavern zeigt eine Fokussierung der Heimerziehung auf Verselbstständigung, was letztlich darauf reduziert zu sein scheint, „alleine – leben“ zu können (vgl. Groning und Sting 2018) und ein Leben in Abwesenheit von Assistenz zu führen. Dieser Maßstab verlangt den 18jährigen Care-Leavern einerseits mehr ab, als viele junge Menschen zu leisten haben, die in ihren Herkunftsfamilien leben, lässt jedoch zugleich nicht auf den Anspruch der Selbstoptimierung schließen. Auch die Indikatoren der Wirkungsforschung weisen keine Orientierung an einem Optimierungsmoratorium auf, scheint es hier doch primär um Legal-, Sozial- und Berufsbewährung zu gehen, also um die Abwesenheit von Devianz und Arbeitslosigkeit (vgl. Macsenaere 2017). Diese Wirkungsindikatoren haben erst einmal wenig mit dem Anspruch der Selbstoptimierung zu tun. Diese Deutung zeigt sich ebenso in einem Interview mit einer Fachkraft eines Freien Trägers: „Also ich sehe es schon als eine unserer wesentlichen Aufgaben, dass die Jugendlichen, wenn sie hier rausgehen ins Leben, also dass deren Bandreite oder Wahlmöglichkeit so groß wie möglich ist. Das Spielfeld auf dem sie spielen können. und damit meine ich jetzt nicht nen Schulabschluss. Natürlich kann man mit nem mit ner mittleren Reife oder Fachoberschulreife mehr hat man nen größeren Spielraum als wenn man jetzt nen Hauptschulabschluss oder Förderschulabschluss hat. Aber ich glaube die wesentlichen Strukturen werden im Sozialverhalten gelegt.“

In dieser Aussage kommt durchaus ein Optimierungsanspruch zur Geltung, welcher jedoch in diesem Fall nicht auf die arbeitsmarktbezogene Wettbewerbsfähigkeit junger Menschen zielt. Den Fokus auf das Sozialverhalten junger Menschen zu legen, um Handlungsspielräume zu eröffnen, scheint eher nahezulegen, dass es vor allem um Anpassungsleistung als um individualisierte Selbstoptimierung geht. Es bleibt also zu prüfen, ob die Diagnose der Überlagerung von Jugend durch kompetitive Arbeitsmarktrationalitäten nicht eigentlich eine klassenspezifische Diagnose ist, die möglicherweise nicht dem Subjekt- und Adressat*innenverständnis der Jugendhilfe und ihren Institutionen des Aufwachsens entspricht, und möglicherweise ein meritokratischer Maßstab ist, der nicht bei allen Populationen zur Anwendung kommt. Auch im Feld der institutionenkritischen Jugendforschung scheint also das Hervorbringen ungleicher Jugenden relevant und vor allem konstitutiv für eine Gegenwartsdiagnose darüber zu sein, was unter derzeitigen institutionellen Bedingungen Charakter und Funktion der Jugendphase(n) ist. Die Rede von ungleichen – nicht etwa schlicht verschiedenen – Jugenden manifestiert sich in den Adressat*innenbildern der zitierten Fachkräfte. Es zeigt sich eine Form der Vergesellschaftung junger Menschen, die vornehmlich konventionalistisch ist. Das pädagogische Ziel des regelkonformen Sozialverhaltens

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junger Menschen findet seinen Ausdruck in repressiven, regellastigen und sanktionsfreudigen Strukturen. Nun ist eine an neoliberalen Arbeitsmarktrationalitäten orientierte Ausformung der Jugendphase weder aus einer akteur*innenzentrierten noch aus einer institutionenkritischen Perspektive (sozialpädagogisch) erstrebenswert: Ein Optimierungsmoratorium ist mit Blick auf die Bedürfnisinterpretationen junger Menschen undemokratisch und hinsichtlich ungleicher personaler Voraussetzungen unsolidarisch. Die vorzeitige Ausmusterung aus dem Wettbewerb auf der Basis von defizitären Adressat*innenbildern erzeugt jedoch eine Ungleichheitsdimension, die einen Typus von Jugend hervorbringt, der noch nicht einmal im Spektrum der Leistungsgerechtigkeit angesiedelt ist.

2.2 Gerechtigkeitstheoretische Jugendforschung Eine Kritik an dem Modus der Jugend, der innerhalb und außerhalb der Kinderund Jugendhilfe dominant ist, erzeugt noch keinen Maßstab einer ‚guten Jugend‘. Dieses Mittel der Kritik ist eine ethisch fundierte, evaluative Perspektive, mit der die Güte der Institutionen beurteilt werden kann. Ein derartiger Maßstab einer guten Jugend könnte eine auf Legal-, Sozial- und Berufsbewährung reduzierte Wirkungsforschung revidieren. Der Schwerpunkt läge entsprechend nicht mehr darauf, welche Form der Hilfe zur Erziehung aus volkswirtschaftlicher Perspektive am effizientesten ist, sondern welche Form der Intervention durch die Kinder- und Jugendhilfe legitimierbar ist. Es geht in diesem Zusammenhang um einen Maßstab für gerechte Institutionen. Die zentrale Frage in diesem Zusammenhang lautet, wie und von wem dieser Maßstab entwickelt wird. Die Konfliktlinie verläuft dabei in gleicher Weise wie in der gerechtigkeitstheoretischen Auseinandersetzung um das gute Leben, zwischen Hedonismus und Präferenzorientierung auf der einen und den sog. objektiven Listentheorien auf der anderen Seite. Während eine hedonistische Perspektive auf eine gute Jugend die subjektive Zufriedenheit junger Menschen fokussiert und zugunsten einer subjektivistischen Perspektive auf weitere Indikatoren verzichtet, entkoppeln die objektiven Listentheorien das gute Leben von subjektiver Zufriedenheit und benennen stattdessen materielle und/oder immaterielle Grundgüter, deren Verfügbarkeit das gute Leben kennzeichnen (vgl. dazu Clark und Steckmann 2019). Problematiken, die mit der präferenzorientierten Bewertungsgrundlage des guten Lebens verbunden sind, werde ich im Folgenden verdeutlichen, um schließlich für eine Definition einer guten Jugend zu plädieren, die auf der Idee der objektiven Listentheorien fußt und einen universalistischen, sich überlappenden Konsens als gerechtigkeitstheoretische Metrik wählt.

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a) Die gute, zufriedene Jugend: Glück als Maßstab gerechter Institutionen? Die Rede von einer guten Jugend als Erbringungsleistung von Institutionen zu definieren, legt es möglicherweise nahe, subjektive Zufriedenheit als Maßstab für Ergebnisqualität der Institutionen einzubeziehen. Dagegen spricht, dass gerade dann, wenn ein hohes Maß an emotionaler Abhängigkeit vorauszusetzen ist, die Adaption von Wünschen, Aspirationen und Präferenzen notwendig ist. Da die Heimerziehung ein Ersatz für emotionale, familiale Nahbeziehungen sein sollte oder sein kann, haben junge Menschen die Wahl zwischen Zufriedenheit, hoher emotionaler Belastung und Frustration. Zudem werden die Einrichtungslogiken möglicherweise verinnerlicht; es setzen Sozialisations- und Gewöhnungseffekte ein, die auch Aspekte betreffen, die unter ethischen Gesichtspunkten nur schwer legitimierbar erscheinen. Fälle, in denen junge Menschen unter entrechtenden Bedingungen ein hohes Ausmaß an Lebenszufriedenheit äußern, lassen sich als Entfremdungsprozesse oder Präferenzdeformierung klassifizieren, sicherlich nicht als Zeichen einer guten Einrichtung. Ein empirisches Beispiel von Sozialisationseffekten und Präferenzdeformierung zeigt sich in einem Interview mit einem Jugendlichen. Er lebt in einer Einrichtung, die mit einem Phasenmodell arbeitet. Bei Eintritt in die Einrichtung wird jungen Menschen der Zugang zu elektronischen Kommunikationsund Unterhaltungsgeräten entzogen. Zeigen sie in der Einrichtung Wohlverhalten, bekommen sie stufenweise Zugang zu ihren Geräten. Dieses Vorgehen ist aus zahlreichen Gründen zu kritisieren und gehört sicherlich nicht zu den Konzepten, die aus der Perspektive einer emanzipatorischen, auf Autonomie und Mündigkeit zielenden Pädagogik wünschenswert ist. Mit dem Eintritt in die Einrichtung werden junge Menschen in präventiver Logik als defizitäre, zu disziplinierende Subjekte adressiert; der Entzug von Kommunikationsmedien isoliert junge Menschen sowohl von sozialen Kontakten als auch von wesentlichen Zugängen zu Information. Damit ist dieses Vorgehen weder sinnvoll noch legitimierbar bzw. vereinbar mit der UN Kinderrechtskonvention, die eine Diskriminierung von Kindern untersagt (Artikel 2) und den Zugang zu Informationen festschreibt (Artikel 13). Folglich handelt es sich um entrechtende institutionelle Bedingungen. Dennoch äußert sich ein junger Mensch wie folgt: „Ja. das [Unzufriedenheit] gibt‘s immer mal. Zum Beispiel wenn man abends das Handy abgeben muss oder so. Ist man immer so ein bisschen unzufrieden. Aber das legt sich mit der Zeit. Also (-) es gibt (.) also ich hab mich mittlerweile an alles gewöhnt. Es gibt nichts mehr was mich jetzt so stören würde. So am Anfang war das schon so. Aber jetzt ist das (.) alles eigentlich wieder weg.“

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Dieses Beispiel, in dem ein junger Mensch beschreibt, wie er sich an repressive pädagogische Praktiken gewöhnt, zeigt, dass weder die Abwesenheit von Beschwerden noch die aktive Äußerung subjektiver Zufriedenheit ein hinreichendes Merkmal für eine Heimerziehung ist, die eine gute Jugend ermöglicht. Es benötigt Kriterien einer guten Jugend, die nicht dem Fehlverhalten junger Menschen vorbeugen, sondern derartigen Präferenzdeformationen, welche bewirken, dass sich Adressat*innen der Heimerziehung nicht mehr als Subjekte mit Rechten wahrnehmen. b) Objektive Listentheorie als Grundlage einer guten Jugend in der Heimerziehung? Der Begriff der objektiven Listentheorie beinhaltet die Idee der Operationalisierung von Kriterien, die zusammengenommen ein Amalgam des guten Lebens abbilden. Die Adaption des Konzepts des guten Lebens zu einer guten Jugend betont dabei das Anrecht junger Menschen auf einen Gegenwartsbezug des guten Lebens, um die Qualität ihrer Jugend nicht auf ein produktives Erwachsenensein zu reduzieren. Dies wird bereits in Korczaks (2008) Forderung des Rechtes des Kindes auf den heutigen Tag formuliert; eine Forderung danach, die Gegenwart von Kindern nicht ihrer Zukunft zu opfern. Ein zentraler aktueller Ansatz der objektiven Listentheorien ist in Martha Nussbaums (2007) Version des Capabilities Approach zu finden. Der Begriff der ‚objektiven Liste‘ klingt im Zusammenhang mit der Jugendhilfe zunächst nach einer expertokratischen, wenig demokratischen Lösung, in der erwachsene Menschen Kriterien für eine gute Jugend entwickeln. Dies wäre ein paternalistisches und/oder bevormundendes Vorgehen, mit dem diejenigen, die in erster Linie von den Maßstäben einer guten Jugend betroffen sind, nicht als Akteur*innen ihrer eigenen Jugend anerkannt werden. Menschen mit Maßstäben eines guten Lebens zu adressieren, deren Urheber*innen sie nicht sind, ist jedoch schwer zu legitimieren. Zugleich muss aber eine Operationalisierung einer oder ‚der‘ guten Jugend über rein subjektivistische Werturteile einzelner junger Menschen hinausgehen, wenn damit der Anspruch verfolgt wird, eine evaluative Perspektive für die Heimerziehung als gerechte Institution zu generieren. Das wiederum bedeutet, dass der Maßstab der guten Jugend pluralitätsoffen sein muss und folglich keine weltanschaulichen Werturteile enthalten sollte. Um diesem Anspruch der pluralitätsoffenen Maßstäbe für gerechte Institutionen Folge leisten zu können, fußt Martha Nussbaums Ansatz eines guten Lebens auf den demokratietheoretischen Anlagen des von John Rawls (1987) hervorgebrachten Konzeptes eines sog. ‚overlapping consensus‘. Die Bezugsgröße des sich ­überlappenden Konsensus ist nicht die abstrakte Gesellschaft als Ganzes und eine daran gekoppelte umfassende Theorie von Gerechtigkeit. Der Konsens bezieht sich auf die je spezifische Gestaltung

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politischer, sozialer und ökonomischer Institutionen, auf die „basic structure of a modern constitutional democracy“ (Rawls 1987, S. 3). Das Kernanliegen dieses Ansatzes ist die Demokratisierung von Institutionen und eine Ablehnung repressiver Staatsmacht, die über die Idee eines gemeinsamen nationalen Interesses – wie etwa ein utilitaristisches Nutzenkalkül – legitimiert wird. Diese zunächst demokratietheoretische Anlage von Rawls ist von Nussbaum (2007) auf das Konzept der menschlichen Würde adaptiert worden, indem sie Kriterien eines guten Lebens operationalisiert hat, die unabhängig von heterogenen Kontexten und heterogenen Weltanschauungen unter allen Umständen realisiert sein sollten, um von würdevollen Lebensbedingungen ausgehen zu können. Unabhängig davon, ob Menschen sich gegen die Realisierung einzelner Punkte entscheiden, sei es Grundbedingung gerechter Institutionen, mindestens die auf der Liste genannten realen Freiheiten zu gewährleisten. Die Punkte dieser Liste sind wiederum darüber legitimiert, dass sie einen sich überlappenden Konsens von Aspekten menschlichen Lebens abbilden, die für alle Menschen unter pluralen Bedingungen zustimmungsfähig sind. Werden junge Menschen in der Heimerziehung nun als Teil einer Anerkennungsgemeinschaft betrachtet, ist ihre Stimme für die Herstellung eines Konsenses darüber zentral, was eine gerechte Heimerziehung ausmacht. Voraussetzung dafür wäre eine politische Kultur in der Heimerziehung, die einen Diskurs darüber zulässt, welche Bedingungen diese Institutionen zu erfüllen haben, damit diese Institution des Aufwachsens, jungen Menschen eine gute Jugend ermöglicht. Wissenschaft und vor allem partizipative Forschung ist ein Medium innerhalb dieser politischen Kultur, um in Zusammenarbeit mit jungen Menschen systematisch zu rekonstruieren, was unter einer guten Jugend und einer gerechten Heimerziehung zu verstehen ist.

3 Gute Heime – Gute Jugend In den Gruppendiskussionen mit jungen Menschen wurde ein utopisches Moment erzeugt2. Wie würde gute Heimerziehung sein, könnten die jungen Menschen sie vollständig neu gestalten? Die Antworten der jungen Menschen waren wenig

2Im

Rahmen einer explorativen Studie, die nach den Kriterien guter Heimerziehung aus der Perspektive junger Menschen gefragt hat, sind 2018 zwei Gruppendiskussionen mit Betroffenen geführt worden. An dieser Studie haben Laura Vesper, Alexandra Denisova und Lena Nägle mitgewirkt.

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utopisch, sondern stark orientiert an menschlichen Grundbedürfnissen. Das mag nicht überraschen, da es schwierig ist, über ein Sollen zu sprechen und dabei das Sein auszublenden. Es lässt sich in den Ergebnissen dennoch exemplarisch zeigen, dass die Frage nach einer guten Jugend zentral ist für die Beurteilung der Folgen und Prozesse von Heimerziehung. Die Jugendlichen benennen Aspekte, die als eine Operationalisierung von Jugendlichkeit verstanden werden können. Eine jugendtheoretische Folie, mit der die ungleichen Zugänge zu Jugend und Jugendlichkeit abgebildet werden können, wäre damit eine sinnvolle Fortentwicklung der Heimerziehungsforschung. Zwei gegenwartsbezogene Kerndimensionen von Jugendlichkeit, die sich herausgreifen lassen, betreffen a) die Freiräume junger Menschen, sich Raum und Zeit anzueignen; b) die Möglichkeit der Selbstsorge unter Abwesenheit der Pflicht zur Selbstständigkeit (vgl. Vesper 2019). a) Junge Menschen in der Heimerziehung kritisieren Möglichkeiten der Raumund Zeitaneignung gegenüber jungen Menschen, die in ihren Herkunftsfamilien leben: B3: es gibt irgend ne Feier und du sollst um zwölf gehen (.) Als Einziger. B2: naja wenn es die Regel der Wohngruppe ist, muss ich mich da dranhalten B3: Ja aber dann kann man niemanden anrufen und sagen, kannst du mich vielleicht um eins abholen oder so? ich bin hier auf einer Feier (.) und das ist so nett hier (.) und irgendjemand macht sich auf den Weg und sammelt dich ein (G1P1 Abs. 87–80) Es gibt wenig Verhandlungsspielräume für junge Menschen in den Wohngruppen, an sozialen Zusammenkünften teilzunehmen, die sich außerhalb festgelegter Zeitfenster bewegen. Auch nehmen einige junge Menschen deutliche Beschneidungen ihrer Möglichkeiten wahr, sich die zugewiesenen Räume individuell als auch sozial anzueignen. Die Rechtslage scheint dabei für die jungen Menschen intransparent, so reflektiert ein Bewohner einer Wohngruppe über den Widerspruch, dass er Mieter eines WG Zimmers sei, aber dennoch einen Antrag stellen soll, bevor er Möbel umstellen darf. Das Bewohnen eines Zimmers ergibt sich also nicht aus der Zugehörigkeit zu einer sozialen Einheit wie einer Familie und deren sozial anerkannten (ökonomischen) Abhängigkeitsverhältnissen, die damit verbunden sind, sondern aus dem Rechtsstatus des Empfängers sozialer Dienstleistungen. Dass ausgerechnet dann, wenn sich das gemeinsame Wohnen aus einem Rechtsstatus ergibt und nicht im Rahmen emotionaler Nahbeziehungen realisiert wird (welche von vielfältigen strukturellen wie interpersonalen Machtdimensionen

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durchdrungen sind), Reglementierungen und Sanktionen unverhandelbar sind und teilweise willkürlich erscheinen, konfrontiert die Jugendlichen mit Widersprüchen, in denen sie sich in ihrer Jugendlichkeit beschnitten und darüber hinaus als „Asoziale“ stigmatisiert fühlen. b) Wie bereits in der Forschung zu Care-Leavern herausgearbeitet wurde (vgl. Strahl et al. 2012), besteht eine Komponente der ungleichen Jugend darin, dass die Hilfen – und damit wesentliche Aspekte von Jugendlichkeit – häufig mit dem 18. Lebensjahr beendet werden und ein starker Fokus der Einrichtungen auf Verselbstständigung liegt. Diese Form der Verselbstständigung wird in manchen Wohngruppen mithilfe einer Reglementierung des Alltags eingeübt, man könnte sagen trainiert. Dadurch ergibt sich für die Jugendlichen die Problematik, dass Regeln Formen kollektiver Strafe annehmen, da sie in einigen Wohngruppen starr sind, unabhängig davon, ob „es gut läuft“ oder nicht und in einigen Wohngruppen Regeln strikter werden, sobald einzelne Bewohner*innen Probleme bekommen, ihren Tagesablauf zu strukturieren. Diese Begegnung von individuellen Lebensführungsproblemen mit organisationalen, ein Kollektiv betreffenden Regeln, nimmt jungen Menschen die Möglichkeit individuell gestalteter Sorgebeziehungen, in denen sinnvolle zwischenmenschliche Übereinkünfte getroffen werden können. Zugleich sind Jugendliche mit dem Paradox konfrontiert, dass sie Selbstständigkeit erlernen sollen, sie jedoch in ihrem Bedürfnis nach Selbstsorge eingeschränkt werden: „Also man ist halt trotzdem irgendwo ein Mensch und (.) hat für sich selbst zu sorgen und auch für sich selbst also zu stehen und wenn da dann relativ junge Kinder leben und man da schon so auf die sechzehn, siebzehn zu geht, passt das halt dann irgendwie nicht mehr, weil man doch andere (.) also andere Sachen machen möchte (.) Man kommt ja auch in die Pubertät, irgendwann ((lacht)) will machen was man möchte […] Aber ähm, das waren halt auch so Schlafensgehzeiten und diese Essenssachen, wo der Betreuer dann nur aufgefüllt hat (.) Man durfte sich nicht selber was zu essen nehmen (.) Und so (.) Wo ich dann dachte, also keine Ahnung: Ich möchte mir mein Essen schon selber nehmen (.) “ (G2P1 Abs. 32). Beginnende Selbstsorge bei gleichzeitigen verlässlichen Care-Beziehungen wird in diesem Gruppen-Interview als ein Kernelement von Jugendlichkeit benannt, das jedoch im Kontext von institutionellen Reglementierungen und standardisierten Abläufen beschnitten wird. Es gilt das Verhältnis von Selbstbestimmung und Selbstständigkeit in den Blick zu nehmen, um die Bedingungen der Möglichkeiten einer guten Jugend in der Heimerziehung zu gewährleisten.

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4 Fazit Die Kernfrage dieses Artikels lautet, ob sich jugendtheoretische Anlagen für die Analyse von Lebensbedingungen junger Menschen in der Heimerziehung eignen. Die Analyse der qualitativen Interviews mit Fachkräften und Adressat*innen in der Heimerziehung zeigt, dass die derzeitigen theoretischen Folien der gesellschaftsanalytischen Jugendforschung nur eingeschränkt die institutionellen Bedingungen des Aufwachsens in diesem Setting erfassen können. Weder eine akteur*innenzentrierte noch eine mit Blick auf gegenwärtige Bildungspolitik institutionenkritische Jugendforschung, ist in der Lage, die ungleichen Bedingungen des Aufwachsens, die durch die Heimerziehung erzeugt werden, angemessen zu thematisieren. Es benötigt eine Ausdifferenzierung der Kategorie der Jugend, um ungleiche Jugenden und die damit verbundenen Verwirklichungschancen vergleichbar zu machen. Jugendforschung ist für die Heimerziehungsforschung dann sinnvoll, wenn sie es ermöglicht, Jugendlichkeit als Dimension institutionell erzeugter, sozialer Ungleichheit zu operationalisieren, um daraus Forderungen ableiten zu können, was eine gerechte Heimerziehung zu leisten hat, die ungleichen Jugenden entgegenwirkt, anstatt sie zu erzeugen oder zu reproduzieren. Dies wiederum benötigt neben einer Analyse davon, welche institutionelle Ausgestaltung von Jugend und Jugendlichkeit die Heimerziehung erzeugt, ebenso einen gerechtigkeitstheoretisch begründeten positiven Begriff der „guten Jugend“, der als Bewertungsmaßstab für Prozesse und Folgen der Heimerziehung dient. Soll dieser Begriff einer „guten Jugend“ (analog zum guten Leben) weder expertokratisch und/oder funktionalistisch determiniert sein, noch auf individuelle subjektive Empfindungen reduziert bleiben, erscheint das rawlsche Konzept des overlapping consensus als gerechtigkeitstheoretische Folie sinnvoll, um ein demokratisch erzeugtes Konzept einer guten Jugend zu generieren, das die Perspektiven derer beinhaltet, die maßgeblich betroffen sind und zugleich pluralitätsermöglichend ist.

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Dr. phil., Dipl. Pädagogin Zoë Clark, ist Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Kinder- und Jugendhilfe an der Universität Siegen. Ihre Schwerpunkte umfassen die Hilfen zur Erziehung, insbesondere die Heimerziehung. Sie arbeitet sowohl mit quantitativen als auch mit qualitativen Methoden der der Sozialforschung.

Jugendkulturelle Praktiken als Formen der Übergangsgestaltung Barbara Stauber

Zusammenfassung

Der Artikel macht mit der Perspektive auf Übergangsgestaltung einen ganz bestimmten Zugang zur Übergangsforschung deutlich, der u. a. auf dem Weg zu einer Forschungsperspektive „jugendkulturelle Praktiken“ wichtig wird: Wo und wie stellen diese „Antworten“ auf Anrufungen dar, wie sind sie dabei eingebunden in bestimmte (Interaktions-)Kontexte, in lokale Kontexte, in institutionelle Kontexte, in sozio-biografische Situierungen, in Routinen und Rituale? Was wird hierbei neu entwickelt? Und nicht zuletzt: wie werden dabei Übergänge hergestellt und gestaltet? Mit dieser Fokussierung auf jugendkulturelle Praktiken (statt etwa auf Jugendkulturen) wird in Bezug auf die Jugendkulturforschung eine ganz bestimmte Diskursverschiebung vorgenommen, die in diesem Beitrag genauer ausgeleuchtet wird – auch, indem deutlich wird, wie dafür wichtige Markierungen der Jugendkulturforschung zu nutzen sind. Hieraus sind Konsequenzen für jugendsoziologische, sozialpädagogische, und generell erziehungswissenschaftliche Forschung zu ziehen, die mit der Forschungsperspektive “Doing Transitions” gefasst werden können, welche derzeit in einem Graduiertenkolleg mit demselben Titel fruchtbar gemacht wird. Der Titel dieses Beitrags klingt unspektakulär, doch stecken in ihm schon viele theoretische Prämissen, die einen entsprechenden Klärungsbedarf mit sich bringen. Diesem Klärungsbedarf will der Beitrag Schritt für Schritt nachkommen. Dabei geht es nicht darum – und dieses mögliche Missverständnis gälte es B. Stauber (*)  Universität Tübingen, Tübingen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Grunert et al. (Hrsg.), Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27612-6_9

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B. Stauber

vorab auszuräumen – Begriffe zu definieren. Diesbezüglich würde ich es gerne mit Adorno halten, demzufolge das Definieren von Begriffen geschieht, um einem „Idol […] von Sicherheit zu folgen, ‚zweifelsfreie Verfügbarkeit‘ anzustreben und die Bedeutungsfülle von Begriffen abzuschneiden.“ (Adorno 1958/2015, S. 281). Stattdessen sollen hier Begriffe als Werkzeuge, an denen selbst wiederum gewerkelt werden kann und soll, verstanden werden. Ihr jeweiliger Gebrauch ist jedoch nicht beliebig, sondern verweist auf bestimmte theoretische Positionierungen, die jeweils zu debattieren sind. Und so sollen diese Ausführungen als Debattenbeiträge verstanden werden: Wenn etwa im Folgenden erstens von Übergangsgestaltung gesprochen wird statt schlichtweg „Übergänge“ zu setzen, so ist hiermit bereits ein theoretisches Statement im Kontext der Übergangsforschung verbunden; oder wenn zweitens dem vielleicht erwartbaren Begriff der Lebensbewältigung der der Lebensgestaltung vorgezogen wird (Böhnisch 2016; Stauber 2016), dann sind damit ebenfalls ganz bestimmte theoretische Entscheidungen verbunden, die vor allem auf dem Weg zu einer Forschungsperspektive „jugendkulturelle Praktiken“ wichtig werden. Und auch mit letzterem, der Perspektive auf jugendkulturelle Praktiken (statt auf Jugendkulturen), ist in Bezug auf die Jugendkulturforschung eine ganz bestimmte Diskursverschiebung anvisiert. Diese genauer auszuleuchten, einschließlich der Frage, welche Fundstücke und Stationen hierfür zu nutzen sind, ist dann der vierte Schritt. Fünftens sind hieraus Konsequenzen für jugendsoziologische, sozialpädagogische, und generell erziehungswissenschaftliche Forschung zu ziehen. Diese werden abschließend mit der Forschungsperspektive “doing transitions” gefasst, welche wir derzeit in einem Graduiertenkolleg mit demselben Titel fruchtbar zu machen versuchen).1

1 „Übergangsgestaltung“ statt „Übergänge“ Soziale Tatsachen haben auch im Eifer des wissenschaftlichen Geschäftes die Tendenz zu (allzu) schlichten Tatsachen zu werden – ihr grundständig sozialer Charakter, und das heißt: ihr hochgradig kontextbezogener Herstellungsprozess,

1Vgl.

www.doingtransitions.org; wenn also im Folgenden immer wieder statt des Autorinnen-„ichs“ ein „wir“ auftaucht, dann ist dies nicht der Rückfall in den Pluralis Majestatis, sondern schlicht der Tatsache geschuldet, dass viele der hier einfließenden Erkenntnisse auf unsere Kolleg-Debatten zurückgehen, die ich eben auch gerne als gemeinsamen Erkenntnisprozess sichtbar machen würde (Diesen Hinweis verdanke ich Regina AmmichtQuinn 2018, S. 188).

Jugendkulturelle Praktiken als Formen der Übergangsgestaltung

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gerät dann schnell einmal in den Hintergrund. Dieser Reifizierungseffekt entsteht insbesondere in Forschungsrichtungen, in denen Einheiten gerechnet und Strukturkategorien empirisch gefüllt werden sollen. Doch nicht nur hier scheint es eine gewisse Anfälligkeit für Essentialisierung zu geben. Damit ist der Prozess gemeint, in dem das Gewordensein von sozialen Phänomenen, also ihr Charakter als soziale Vollzugswirklichkeiten (Hirschauer 2004), nicht mehr hinreichend reflektiert, sondern sich statt dessen mit den Ergebnissen dieser Herstellungsprozesse beschäftigt wird, als wären sie schlichtweg gegeben, als wären sie Gegenstände oder gar Naturphänomene (Bauer et al 2018). In der Wissenschaftsgeschichte findet sich in schöner Regelmäßigkeit eine Aufeinanderfolge von „empirical turn“ und „reflexive turn“ – so kann man beispielsweise für die Erziehungswissenschaft beobachten, dass mit der alarmistischen Diagnose eines „empirischen Rückstands“ ein „empirical turn“ eingeläutet wurde. Mit dieser zunehmenden empirischen Ausrichtung erziehungswissenschaftlicher Forschung ging eine zunehmende Diskursdominanz einer ganz bestimmten Ausrichtung von Bildungsforschung einher, die nun auch wieder im Hinblick auf ihre theoretischen Ausblendungen und damit ihren impliziten Unterstellungen befragt wird. Man könnte also sagen: der „empirical turn“ hat interessanterweise auch eine Wiederbelebung theoretischer Diskurse angeregt2. In diese Traditionslinie eines reflexiven Auf-Distanz-Bringens reiht sich der hier vorgetragene Ansatz ein, der die Übergangsforschung einer solch reflexiven Selbstbefragung aussetzt – im Hinblick auf ihre Gegenstands„bestimmung“, aber auch im Hinblick auf ihre Methoden, die ja nicht unerheblich für das Generieren von Forschungs„gegenständen“ sind. Mit dieser reflexiven Selbstbefragung wird gegenüber der dominanten Übergangsforschung eine Verschiebung vorgenommen – eine eben ent-substanzialisierende, ent-essentialisierende Verschiebung. So wird nicht mehr von Übergängen als schlichten Gegebenheiten ausgegangen, sondern vielmehr davon, dass sie durch das Tun, genauer: die Praktiken vieler beteiligten Akteur_innen – und zu diesen gehören immer auch die Forscher_innen selbst – hergestellt und gestaltet werden. Diesen Herstellungs- und Gestaltungsprozess untersuchen wir derzeit in unserem Graduiertenkolleg (vgl. Fußnote 2) mit unterschiedlichen perspektivischen

2Das

ist nun alles sehr holzschnittartig – empirisch war die erziehungswissenschaftliche Forschung auch schon lange vor dem alarmistischen Aufschrei zu Beginn der Nuller Jahre, es gäbe zu wenig Empirie. Zum Beispiel gab es damals einen breiten Diskurs rekonstruktiver Sozialforschung, die eben von diesem Aufschrei gar nicht wahrgenommen wurde. Und je nachdem, worauf man fokussiert, kann man Kontinuitäten völlig jenseits dieses hier als „dominant“ markierten Bildungsforschungsdiskurses feststellen.

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Fokussierungen: Zum einen mit der Fokussierung auf das, was die Biografieträger_innen selbst zu diesen Übergängen beitragen – und darauf, was sie an ihren unterschiedlichen Erfahrungswelten hierfür relevant setzen. Zum zweiten mit der Fokussierung auf institutionelle Regulierungen – wobei wir davon ausgehen, dass auch Institutionen mit ihren Regelwerken, Vorgaben und auch ihren räumlich-materiellen Umwelten Übergänge herstellen und gestalten. Zum dritten schließlich mit der Fokussierung auf diskursive Herstellungsprozesse, mit denen auch die normativen Aufladungen von Übergängen als gelungen oder gescheitert ins Blickfeld kommen. Damit stehen auch die Integrations- oder besser Inklusions- wie auch die Exklusionspotenziale dieser Übergänge zur Debatte. Hatten wir diese Fokussierungen ursprünglich als drei – freilich nur analytisch getrennte Ebenen – eingeführt, und waren wir uns von Anfang an bewusst, dass diese drei Ebenen vielfach aufeinander bezogen sind, so hat sich im Laufe der Auseinandersetzung gezeigt, dass auch diese dezidiert analytische Unterscheidung eine Substanzialisierung nahelegt bzw. Gefahr läuft, in diese Richtung missverstanden zu werden: als gäbe es so etwas wie eine interaktive Ebene, losgelöst von Diskursumgebungen oder institutionellen Rahmungen, und umgekehrt: als gäbe es eine diskursive Ebene losgelöst von den Praktiken der Beteiligten. Daher sind wir dazu übergegangen dieses Ebenenmodell durch eine präzisere Beschreibung wechselseitiger Hervorbringungsverhältnisse zu ersetzen. Von verschiedenen Seiten aus wird also – im Sinne eines doing transitions – eine konsequente Gegenstandsbefragung betrieben. Für das Thema dieses Beitrags heißt dies festzuhalten: dass Übergänge im Jugendalter, Übergänge zwischen Jugend- und Erwachsensein, Übergänge im Junge-Erwachsenensein (wie alle anderen Übergänge im Lebenslauf) nicht als gegeben zu verstehen sind, sondern als Resultate komplexer Herstellungsprozesse. Hiervon zeugen gerade die verschiedenen Modi der Ausgestaltung dieser Übergänge, die in diesem Beitrag als jugendkulturelle Praktiken und Ausdrucksformen in den Blick genommen werden sollen. Damit wird die Bedeutung einer grundsätzlich praxistheoretischen Ausrichtung des forschenden Fragens offenkundig (Wanka 2020): sie ist so unverzichtbar wie nützlich. Gleichzeitig wohnt gerade der Forschung zu jugendkulturellen Phänomenen die Gefahr inne, vom „Gegenstand“ so fasziniert zu sein, dass Prozesse der Herstellung sozialer Ungleichheiten marginalisiert werden. Dies soll hier durch das Einnehmen einer Perspektive auf „Doing difference“ vermieden werden. Diese wurde in der Vergangenheit bereits erfolgreich zur Analyse der Konstruktion sozialer und symbolischer Ordnungen (z. B. der Geschlechterordnungen) eingesetzt und konnte hier nicht nur für deren Kontingenz sensibilisieren, sondern hat auch maßgeblich dazu beigetragen, den kritischen Blick für die Mechanismen

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der Legitimation sozialer Ungleichheitsstrukturen zu schärfen (West und Zimmerman 1987; Gildemeister 2010). Es geht hier also immer um ein Doing difference while doing transitions – sei es in Form der Reproduktion bekannter Ungleichheitsverhältnisse, sei es als Resultat neuerer Differenzmarkierungen. Eine solche Perspektive auf Ein- und Ausschlussprozesse und auf machtvolle Differenzsetzungen (Hark und Villa 2017), die davon ausgeht, dass sich diese in alltäglichen, institutionellen, diskursiven Praktiken vollziehen, ist letztlich in grundlagentheoretischer Hinsicht auf praxistheoretische Ansätze angewiesen (Alkemeyer und Buschmann 2017). Diese praxistheoretische Perspektive hat aber noch weitere Vorteile: sie argumentiert nicht nur gegen einen Struktur-Essentialismus, sondern sensibilisiert auch für problematische Unterstellungen intentional handlungsfähiger Akteure und betont Momente von Unverfügbarkeit, Kontingenz, Kontextualität (Reckwitz 2003). Das Konzept des Doing difference (Fenstermaker und West 1995, siehe auch: Hirschauer 2017) und Praxistheorien sind also hierbei ineinandergreifende theoretische Hintergrundfolien.

2 Zum Verhältnis von Lebensbewältigung und Lebensgestaltung Mit der Herstellungs- und Gestaltungsfigur wird eine bestimmte Richtung und ein bestimmter Grundton angeschlagen, den ich nun dadurch schärfen will, dass ich ihn mit naheliegenden konkurrierenden Konzepten konfrontiere. Für diese Gegenüberstellung nutze ich den in der sozialpädagogischen Debatte wichtigen, für viele Kontexte sehr angemessenen, (nicht nur) im Blick auf Jugend jedoch oft engführenden Begriff der Lebensbewältigung (Litau et al. 2016). Um es vorwegzustellen: Dieses Konzept hat in vielen Bereichen seine Berechtigung. Und auch für Jugendthemen kann es insofern erst einmal plausibilisiert werden, als ja jede Jugendgeneration sich permanent mit machtvollen Vorgaben, Regularien, Ordnungssystemen, darin eingelagerten Wissensordnungen, und auch starken normativen Vorstellungen von Gelingen und Scheitern auseinandersetzen muss. Diese Auseinandersetzung kann durchaus als eine Bewältigungsleistung betrachtet werden. Auch Peergroups stellen diesbezüglich oft keinen „entlasteten“ Ort dar, sondern zeichnen sich häufig gerade dadurch aus, dass sie relativ genaue und hochnormative Vorstellungen von gelungenen oder gescheiterten Übergängen entwickeln (Köhler et al. 2016). So entstehen vielfältige, zwischen den verschiedenen Übergangsthemen unter Umständen durchaus konfligierende Anforderungen (Walther und Stauber 2018), und mit diesem

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komplexen Gefüge von verschiedenen Aufgaben und Anforderungen so viel „Kontext“, dass man mit gutem Grund auf das Konzept der Lebensbewältigung von Lothar Böhnisch zurückgreifen könnte. Doch muss man dann auch klären (und hierüber kann man sich trefflich streiten), was das Konzept „Lebensbewältigung“ alles in den Blick nimmt und was es eher ausblendet. Dies wurde vor ein paar Jahren auf einer Tagung mit Lothar Böhnisch ausführlich und in viel gegenseitiger Anerkennung getan (vgl. die hieraus entstandene Publikation, Litau et al. 2016). Dabei konnte m. E. ein zentrales Argument nicht ausgeräumt werden: das Konzept der Lebensbewältigung greift genau an den Stellen zu kurz, um die es bei der Betonung jugendkultureller Praktiken geht3: um deren vielfältige Gestaltungspraktiken und um die hierin zum Ausdruck kommende agency (Emirbayer und Mische 1998; Raithelhuber 2011). Ich kann diese Diskussion hier nicht in der gebotenen Ausführlichkeit wiedergeben, zentral ist mir jedoch für den Fortgang dieser Argumentation der folgende Punkt: dass Übergänge – als das eben benannte Anforderungsgefüge – eben nicht nur bewältigt werden müssen oder wollen, also irgendwie ‚(weg)gepackt‘ und hinter sich gebracht werden, sondern dass gerade in diesen Zonen (und ich nutze hier jetzt bewusst eine räumliche Kategorie) viel Kreativität freigesetzt wird, ausgestaltet, Bedeutungen nicht nur übernommen, sondern auch modifiziert und verschoben werden. Statt der gerade für diese Themen allzu reaktiven Figur der Lebensbewältigung scheint hier der Begriff der Gestaltung der wesentlich (ergebnis-)offenere und normativ weniger aufgeladene zu sein. Gleichzeitig könnte der Gestaltungsbegriff nun voluntaristisch missverstanden werden, er könnte Assoziationen von „freier Gestaltung“ wecken und mithin vom reaktiven in das andere Extrem kippen. Um dies zu vermeiden, wären in einer eher poststrukturalistisch ausgerichteten Lesart die Anforderungen und die Gestaltungsformen als viel enger aufeinander bezogen zu fassen. Gerade die Anforderungen, und vielleicht gerade solche, die als Limitationen erlebt werden, wären dann als hochambivalenter und machtvoller Subjektivierungsprozess zu verstehen, der eben nicht nur Unterwerfung bedeutet, sondern in der Unterwerfung auch Handlungsfähigkeit und Gestaltbarkeit hervorbringt (vgl. Butler

3Für

noch schwieriger halte ich die Figur der „anomischen Praxis“, die Lothar Böhnisch diesbezüglich im Rückgriff auf das Anomie-Konzept von Durkheim bemüht. Dieses Konzept wollte soziale Regellosigkeit fassen, mitsamt ihren destruktiven Begleiterscheinungen, und passt m. E. nur sehr schwer auf jugendkulturelle Praktiken, die zwar durchaus eine gewisse Selbstläufigkeit ausweisen, jedoch mitnichten auf Normativität und Regelhaftigkeit bzw. Regulierung verzichten.

Jugendkulturelle Praktiken als Formen der Übergangsgestaltung

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2000). Das eine wäre also ohne das andere gar nicht zu denken. Dies könnte in der Tat einen produktiven Ausweg aus dem missverständlichen Dualismus zwischen allzu reaktiv und allzu proaktiv klingenden Konzepten weisen. Im Hinblick auf den Gegenstandsbereich ließe sich hiermit in der Tat produktiver über den (vermeintlichen) Wegfall „echter widerständiger“ Orientierungen und einer (vermeintlich immer stärker werdenden) Konsumorientierung nachdenken: Jugendkulturelle Praktiken waren nie ohne einen (historisch freilich unterschiedlich ausgeprägten) Jugendkonsum zu denken, und dennoch waren und sind sie nie „bloßer“ Konsum; ihre konsumtiven Praktiken sind vielmehr im Kontext unterschiedlich akzentuierter Subjektivierungsprozesse zu verstehen.

3 Auf dem Weg zu einer Forschungsperspektive „jugendkulturelle Praktiken“ Dass mit einer solchen Perspektive auf jugendkulturelle Praktiken mehr und anderes in den Blick kommt als in einem tendenziell essentialisierenden Blick auf „Jugendkulturen“, soll im Folgenden deutlich gemacht werden. Zunächst möchte ich auch hier einige begriffliche Auseinandersetzungen offenlegen, um dann zu zwei empirischen Beispielen zu kommen. Von „jugendkulturellen Praktiken“ zu sprechen, ist bereits das Resultat einer längeren kritischen Auseinandersetzung in und mit der sogenannten „Jugendkulturforschung“ und ihrer Gegenstandsbestimmung. Gerade hier, im Blick auf Jugendkulturen, wurde in der jüngeren Geschichte dieser Forschungsrichtung doch mit einer ganzen Reihe von Setzungen gebrochen, die mit dem Jugendkulturbegriff verbunden waren. Diese Debatten der Jugendkulturforschung lassen sich als immer wieder einsetzende Interventionen verstehen, die von dem gemeinsamen Bemühen geprägt sind Substanzialisierungen abzuschichten und soweit es geht einen essentialisierenden Jugendkulturbegriff zu vermeiden. So gab es, nachdem in den 1970-er Jahren Jugendkultur sehr stark mit Subkultur gleichgesetzt wurde (siehe etwa die „resistance and rituals“-Forschung des Birminghamer Centre of Contemporary Cultural Studies in den 1970er Jahren (Hall und Jefferson 1976; Willis 1977; McRobbie und Garber 1976 und viele andere mehr), eine lange subculture-Debatte (Bennett 1999). In dieser Debatte wurde sich vor allem kritisch an dem Präfix „sub“ abgearbeitet, das mit Widerstand assoziiert wurde, und in dem manche kritische Autor*innen ein uneingestandenes Delegieren der Widerstandsansprüche der eigenen Erwachsenengeneration an die beforschte Jugendgeneration sahen. Mit diesem „sub“ einher ging ein oft ebenso uneingestandener maskulinistischer Heroismus,

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dem die feministische Kritik – vor allem der wenigen weiblichen Forscherinnen des Birminghamer CCCS wie etwa Angela McRobby oder Sarah Thornton (siehe Women’s Studies Group 1978) – zu Leibe rückte. In den 1980-er und 1990-er Jahren wurde der Jugendkultur-Begriff pluralisiert, es wurden, wie etwa im Kontext der Dortmunder Jugendszenen-Forschung um Ronald Hitzler und Michaela Pfadenhauer, zu den verschiedenen Ausprägungen von Jugendszenen geforscht, und zudem ein dynamisches Verständnis derselben entwickelt. Zwar hatten die Dortmunder Kolleg*innen vor allem das Phänomen der Szene als Szene (ihre Organisierungsprozesse, ihre Professionalisierungsprozesse, ihre Prozesse von machtvollem Einbezug und Ausschluss) im Blick, doch wurde auch hier schon dem Wechsel und der Hybridität von Jugendkulturen Rechnung getragen, mit Sampling und Bricolage als wichtigen Charakteristika (Niederbacher und Hitzler 2015). In dieser Zeit entstanden auch die für die Jugendkulturforschung wichtigen Archive und Dokumentationsstellen für jugendkulturelle Strömungen: das Archiv der Jugendkulturen in Berlin (https://www.jugendkulturen.de/startseite.html), die Porträts aktueller jugendkultureller Szenen auf dem Portal jugendszenen.com der Dortmunder Szeneforschung (http://wp1026128.server-he.de/wpsz/), der Jugendtrendmonitor „Tracts“ des Wiener Instituts für Jugendkulturforschung (https:// jugendkultur.at/). Diese Archive sind Zeugnisse einer Diversifizierung jugendkultureller Gestaltungsformen – statt einer Jugendkultur im Singular geht es hier um das Aufzeigen der Vielfalt jugendkultureller Ausdrucksformen in ihren ebenso vielfältigen Bezugnahmen aufeinander. In theoretisch-methodologischer Perspektive gewannen zunehmend praxeologische Konzepte an Bedeutung, und dies durchaus in Verbindung mit performanztheoretischen Ansätzen. Sie sind auch für die wenigen größeren Forschungsprojekte aktuell von Bedeutung (siehe z. B. JuBri-Forschungsverbund Techniken jugendlicher Bricolage 2018), in dem es um die Relationen von performing belonging, performing gender, performing youthfulness, performing citizenship geht. Diesbezüglich ist der Vorschlag „jugendkultureller Aktionismen“ von Ralf Bohnsack und Arnd-Michael Nohl (2001), der den Aspekt der selbstläufigen Eigendynamiken jugendkultureller Praktiken betont, wichtig, der in der Jugendkulturforschung eine viel breitere Rezeption verdient hätte. Worin sind die Vorteile einer solchen praxeologischen Wendung zu sehen? Sie liegen zum einen darin, keine unnötigen Grenzziehungen vorzunehmen – also nicht die Differenzsetzungen, die im Feld selbst vorgenommen werden, nachzuvollziehen, sondern als Gegenstand zu bearbeiten: Gerade solche feldspezifischen Grenzziehungsprozesse bieten interessante Untersuchungsanlässe für jugendsoziologische, sozialpädagogische, generell erziehungswissenschaftliche

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Forschung – ihr „sozialer Sinn“ kann in komparativer Perspektive besonders deutlich herausgearbeitet werden. Ein anderer Vorteil liegt darin, die doings und sayings in jugendkulturellen Zusammenhängen, die praxistheoretisch als die kleinsten sozialen Untersuchungseinheiten gelten (Schatzki 1996), wiederum als Dokumente zu lesen – als Dokumente von (machtvollen) Adressierungszusammenhängen, von Diskursen, von zum Teil hochnormativen sozialen und Wissens-Ordnungen. Solche machtvollen Adressierungszusammenhänge werden dabei nicht als determinierend konzipiert, sondern vielmehr als solche, zu denen man sich positionieren muss. Dabei ist immer und prinzipiell mit Verschiebungen zu rechnen, mit Kontingenzen und Unvorhergesehenem (z. B. jugendkulturell gerahmte politische Proteste), die hierdurch in den Blick kommen können. Und schließlich sind solche praxeologischen Ansätze aussichtsreich für das Ansinnen, latente Substanzialisierungen, die in der Fokussierung z. B. auf eine jugendkulturelle Szene lauern, zu überwinden: Wenn jugendkulturelle Praktiken in den Blick genommen werden, gelingt es, die Relationen zu benennen, in die diese Praktiken eingebunden sind: Wo und wie stellen sie „Antworten“ dar auf die genannten Anrufungen, wie sind sie dabei eingebunden in bestimmte (Interaktions-)Kontexte (der Medien, der Peers), in lokale Kontexte, in institutionelle Kontexte, in sozio-biografische Situierungen, in Routinen und Rituale? Was wird hierbei neu entwickelt? Und nicht zuletzt: wie werden dabei Übergänge hergestellt und gestaltet? Zum Beispiel als lebensalterbezogene Übergänge, wie sie in aktuelleren Beiträgen zum „Altern in jugendkulturellen Zusammenhängen“ intensiv erforscht werden (so etwa Bennett und Hodkinson 2012; Bennett und Woodman 2015; Hodkinson 2013). Diese Fragerichtungen sollen nun anhand von zwei Forschungsbeispielen illustriert werden.

4 Zwei Beispiele aus der Jugendkulturforschung 4.1 Jugendkulturelle Praktiken I: ageing, oder: doing being older Das erste Beispiel ist meine Studie zu einer ganz bestimmten Form der Übergangsgestaltung, dem Älterwerden in jugendkulturellen Zusammenhängen (Stauber 2014). Hierzu habe ich mit LadyX, einer jungen Frau, die ihre Lebensgeschichte im Kontext ihrer jugendkulturellen Verortung im hiphop ansiedelt, ein biografisches Interview geführt und anhand der Dokumentarischen Methode der Interpretation ausgewertet. Da diese Methode nur in komparativer Weise

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funktioniert, habe ich dieses Material mit Interviews aus meiner schon Länger zurückliegenden Studie mit jugendkulturellen Aktivist*innen ähnlichen Alters kontrastiert, die sich der Goa-Trance-Szene zugeordnet hatten (Stauber 2004). LadyX hat als Teil einer Crew von B-Girls vielfältige sozialräumliche Netzwerke aufgebaut: lokale Netze wie auch Ankerpunkte rund um den Globus; sie hat sich auf diese Weise vielfältig mit der Welt verbunden, und nutzt diese Verbindungen aktiv, um ihr Leben immer und immer wieder zu reorganisieren. Auch wenn sie zur Zeit des Interviews an einem Punkt angelangt ist, wo sie das anstrengende Training nicht mehr in ihren Alltag integrieren kann und auch körperlich an Grenzen kommt, ist ihre zentrale Orientierung immer noch die Crew. Diese stellt einen solidarischen, wenn auch durchaus konflikthaften, immer aber relevanten Zusammenhang dar, den sie weiterhin für sich nutzen kann. Das biografische Interview mit ihr ist ein einziges Dokument der Übergangsgestaltung (und eben nicht nur der Bewältigung) – selbst dort, wo sie harte Einschnitte wie einen burnout verarbeiten muss. Es geht um Übergänge in beruflicher Hinsicht – sie startet eine erfolgreiche Karriere im Bereich Kommunikationsdesign –, und es geht um zentrale persönliche Orientierungen – sie beginnt eine feste Beziehung mit ihrer Partnerin. Dabei ist sie ständig damit beschäftigt die richtige Dosis für ihr jugendkulturelles Engagement zu finden, sie hat permanent Stress beim Vereinbaren ihrer unterschiedlichen Lebensbereiche, und sucht hierfür andauernd nach neuen Formen – zum Zeitpunkt des Interviews findet sie diese z. B. im individuellen Trainieren einer jungen Frau im Setting der Offenen Jugendarbeit. Doch geht sie in diese Aushandlungsprozesse, in diese Suche nach Passung, nicht alleine, sondern nimmt diese zum Anlass, hierfür zum Teil ältere Kontakte in die Szene wieder aufzugreifen um sich mit anderen, von denen sie ausgeht, dass sie sich derzeit mit ähnlichen Fragen beschäftigen, zu verständigen. Sie organisiert also aktiv Austausch über Fragen, die letztlich nicht nur sie alleine umtreiben, und praktiziert hierdurch eine ganz bestimmte, kollektive Form der Übergangsgestaltung. Dabei greift sie auf Praktiken zurück, die in der Szene entwickelt wurden, und entwickelt diese weiter: Formen der Bezugnahme aufeinander, das Prinzip „each one teach one“, das Prinzip einer intensiven sozialräumlichen Vernetzung. Dabei hilft ihr der Status, Mitglied einer der wenigen weiblichen Crews zu sein, die einen starken Distinktionsgewinn und viel Anerkennung erfährt, wie auch eine in dieser Crew entwickelte Kultur der Auseinandersetzung unter Frauen*. So fällt es ihr leicht den kollektiven Austausch über die Probleme, die derzeit viele in ihrem Umfeld beschäftigen, zu organisieren: wie können wir im hiphop älter werden? Nun ist diese Forschung zwar von eindeutig als „jugendkulturell“ markierten Praktiken gestartet, hat dann aber immer stärker deren Alltags- und biographische

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Bedeutung in den Fokus genommen: diese entsteht dort, wo die Biografin „hineingerufen wird“ in machtvolle Diskurse des Älter- bzw. Erwachsenwerdens, in Auseinandersetzungen also, denen sie sich nicht entziehen kann (vgl. Spies 2009). Man könnte hier von einer starken, letztlich chrononormativen Adressierung sprechen (vgl. Riach et al. 2014; Rose 2012). Dieser muss sie sich unterwerfen, doch genau in diesem Akt entwickelt sie Handlungsfähigkeit, die vor allem darin zu sehen ist, dass und wie sie ihre jugendkulturellen Bezüge aktiviert. Interessant ist auch, dass es ihr hierbei in gleichem Atemzug um ihre eignen wie auch um kollektive Verständigungsprozesse geht. Das zweite Beispiel setzt gerade umgekehrt ein: hier wird von einer sehr alltäglichen Praxis (hier: dem jugendlichen Alkoholkonsum) ausgegangen, dieser aber als jugendkulturelle Praxis gelesen. Dies wirft die Frage auf: wann sprechen wir von jugendkulturellen Praktiken? Was ist mithin das Spezifikum einer Jugendkulturforschung? Diese Frage verweist zurück auf Positionierungen im CCCS, und streift auch noch einmal die subculture-Debatte: sind Praktiken Jugendlicher nur dann als jugendkulturelle Praktiken zu betrachten, wenn sie „resistance and rituals“, also nicht nur Rituale, sondern auch Widerständigkeit zum Ausdruck bringen? Oder sind sie es nur dann, wenn wir die „big performance of spectacular youth“ vor uns haben, wie David Buckingham das einmal gesagt hat? Und was entdecken wir, wenn wir mit einem etwas weiteren Verständnis des jugendkulturellen auf diese Praktiken schauen? Vielleicht entdecken wir viele Alltagspraktiken als ‚jugendkulturelle‘, und vielleicht kommen wir dann auch nicht mehr so schnell zu der Einschätzung, dass Jugendkulturelles im Aussterben begriffen sei.

4.2 Jugendkulturelle Praktiken II: das „ganz normale“ Trinken Der Beginn dieser Forschung (Litau et al. 2015) liegt in den Hochzeiten der Dramatisierung von jugendlichem Alkoholkonsum („Komasaufen“, „binge drinking“ etc.) in den Nuller-Jahren. Und dieser diskursive Rahmen war uns gleich zu Beginn auch Thema: so stellten wir uns angesichts dieser Dramatisierungen die Frage: Wo liegt eigentlich das Problem? – und richteten damit den Fokus auf latent anstrengende Übergänge zwischen Jugend und Erwachsensein, die eine ganze Reihe von Gestaltungsaufgaben mit sich bringen. Wir haben in drei Erhebungswellen (2008, 2010, 2013) rauscherfahrene Mädchen und Jungen – zum Teil unterstützt durch die Mobile Jugendarbeit – an ihren informellen Trinkorten aufgesucht und zu ihren Trinkgewohnheiten interviewt.

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Die 29 Erst-, 17 Zweit- und 16 Dritt-Interviews wurden als episodische Interviews geführt (Helfferich 2005) und anhand der Dokumentarischen Methode der Interpretation (Nohl 2006) ausgewertet. Hierbei wurde deutlich, dass eine ganze Palette relevanter Übergangsthemen (Familienbeziehungen, Peer- und Liebesbeziehungen, der Übergang Schule – Beruf, jugendkulturelle Stile, körperliche Übergänge) im Rahmen der Entwicklung von Trinkpraktiken mitverhandelt wird. Gerade jugendkulturelle Phänomene wie der exzessive Alkoholkonsum in informellen Gruppen an öffentlichen Plätzen können als eine mögliche Antwort auf die Unsicherheiten und Verunsicherungen in diesen Übergängen und mithin als Formen der Übergangsgestaltung gelesen werden. Doch was lässt uns gerade anhand einer so „stinknormalen“ Praxis wie dem Alkoholkonsum von jugendkulturellen Praktiken sprechen? Einige Anhaltspunkte hierfür, die weniger als harte Kriterien denn als Plausibilisierungen gelesen werden sollen, sind: • Es wird beim gemeinsamen Trinken Gruppe hergestellt – es wird ein sozialer Zusammenhang und Bezugsrahmen, ein Bezugsrahmen für Zugehörigkeit und Ausschluss organisiert, also auch ein im Hinblick auf Grenzziehungspraktiken spannendes Terrain (tatsächlich fanden sich diese Praktiken in sehr expliziter Weise in unserem Interviewmaterial: als Abgrenzung von den „viel schlimmer“, „viel härter“, oder „ganz anderes“ konsumierenden Gruppen) • Es wird hierbei Freizeit strukturiert – und damit eine Lösung für ein keineswegs triviales Problem gefunden, • gleichzeitig wird Entlastung von einem immer stressiger werdenden Schulund Ausbildungsalltag organisiert. • Es werden Gelegenheiten geschaffen und genutzt, sich näher zu kommen, Genderkonzepte anzunehmen oder zu verwerfen, Neues auszuprobieren und Bestehendes zu variieren, • Dabei werden immer wieder Normen und Werte überprüft und neu ausgehandelt – Werte wie Verlässlichkeit in Freundschaftsbeziehungen, Vertrauen aufeinander, Fürsorge füreinander („Aufpassen“). • Es werden Körper riskiert, Körper trainiert („etwas vertragen lernen“), es werden verletzbare Körper inszeniert. • Es werden öffentliche Räume angeeignet (real und/oder virtuell), indem geradezu offensiv die Öffentlichkeit gesucht wird, und es werden neue Räume für jugendkulturelle Inszenierungen geschaffen. Gerade im Hinblick auf diese Aspekte scheint der gemeinsame Alkoholkonsum von Jugendlichen, die sich in größeren Gruppen an öffentlichen Plätzen zum

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Trinken treffen, die größten Affinitäten zu anderen jugendkulturellen Ausdrucksformen zu haben: ähnlich wie etwa bei den Punk-Szenen der 1980er-Jahre, den Party-Szenen der 1990er Jahre oder der Emo-Szene der 2000er Jahre gibt es hier eine Praxis, mit der sich geradezu offensiv in der Öffentlichkeit inszeniert wird (anstatt sich zum Trinken in Partykeller oder hinter verschlossene Türen zu verkriechen), in der das mitgeführte und vor sich hergetragene Getränk kein Stigma, sondern eher ein Zugehörigkeitsattribut darstellt und ganz eigene Formen des Konsumierens hervorgebracht werden, auch wenn dieses sich auf die gesellschaftlich anerkannteste Droge, den Alkohol, bezieht (vgl. Walter et al. 2019). Nun haben wir uns nicht nur dafür interessiert, was (gegenstandsbezogen) über den Alkoholkonsum gesagt wurde, sondern vor allem auch dafür, wie das Trinken in den Interviews dargestellt wurde. Hierbei konnten wir drei zentrale Modi identifizieren (Stauber et al. 2016): • Normalisierungen des eigenen Konsums („Wo lernst neue Leute besser kennen als beim Saufen?“ Basti, 20 J.) • Inszenierungen von Handlungsfähigkeit („man kennt ja irgendwann seine Grenzen, ganz einfach“ Kai, 18 J.) • Inszenierungen biografischer Wendepunkte („und dann hat‘s klick gemacht“, Jana, 15 J.). Diese Darstellungsformen dokumentieren eine ganz bestimmte Form der Adressierung der Jugendlichen im Interview (Rose 2012), die ganz bestimmte Selbstinszenierungen (etwa als kompetente Trinker*innen, als Konsument*innen, die alles im Griff haben, als reif gewordene junge Erwachsene, die auf ihre ‚wilden Jahre‘ zurückblicken) hervorbringt. Diese können auch als Modi der Gestaltung von Übergängen gelesen werden. Dabei zeigen sich durchaus eigenständige Positionierungen: im Trinken – und im Reden hierüber – werden immer auch Grenzen verhandelt: das Kennenlernen und Ausreizen von Grenzen und die Abgrenzung von „übertriebenem“ Konsum; es finden sich Normalisierungen des Alkoholkonsums, genauso wie explizite Distanzierungen hiervon. Diese praxeologische Perspektive auf jugendkulturellen Alkoholkonsum war durch die Ausführungen von Ralf Bohnsack und Arnd-Michael Nohl zu jugendkulturellen Aktionismen (2001) inspiriert – doch ging es uns in kritischer Gegenbewegung zu den genannten Dramatisierungsdiskursen darum zunächst einmal wahrzunehmen und anzuerkennen, was im Kontext des jugendkulturellen Trinkens überhaupt passiert: wie wird das Trinken zu einem strukturierenden Moment von Freizeit, wie wird es organisiert (vgl. hierzu korrespondierend Wiesler et al. 2013), welche informellen Regeln und Rituale werden hierbei gefunden und

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immer wieder modifiziert, und nicht zuletzt, welche Normen entwickeln Jugendliche und junge Erwachsene hierbei – im Hinblick auf die Gestaltung ihrer Zeit, ihrer Freundschafts- und Liebesbeziehungen, ihrer Geschlechtervorstellungen, aber auch im Hinblick auf das Trinken selbst?4 Diese Momente von Übergangsgestaltung sind hier also wichtig festgehalten zu werden, denn sie offenbaren ein ganzes Bündel an Adressierungen wie auch an Formen, in denen diesen Adressierungen begegnet wird.

5 Perspektiven für jugendsoziologische, sozialpädagogische, erziehungswissenschaftliche Forschung Anhand solcher praxeologisch interpretierten Befunde lassen sich – und das macht deren Analyse so spannend – in vielfältige Richtungen relevante Anschlussfragen stellen: • Was drücken diese Praktiken über die gesellschaftlichen Kontexte des Aufwachsens aus? • Inwieweit kommen in ihnen (machtvolle) Diskurse und ihre Normierungen zum Ausdruck – etwa bestimmte Vorstellungen von Gelingen und Scheitern? • Welche Adressierungen lassen sich erkennen, etwa im Hinblick auf Gender, aber auch im Hinblick auf Einbezug oder Ausschluss? • Was drücken diese Praktiken über die Möglichkeiten einer jugendkulturellen agency aus? Wie etwas sehen die jeweiligen Inszenierungspraktiken aus, und was wird mit ihnen kommuniziert? • Inwieweit stellen sie Differenzierungspraktiken dar, inwieweit werden mit ihnen auch soziale Unterschiede reproduziert/modifiziert? • Was alles kommt in den Blick, wenn wir sie als Formen der Übergangsgestaltung lesen?

4Dies

nun wäre noch einmal einen eigenen Aufschlag wert (Stauber und Walter 2018): Denn wir haben vor allem im Feldzugang die Erfahrung gemacht, wie stark das Bedürfnis junger Menschen in diesen Übergängen ist, in ihren jugendkulturellen Praktiken auch ernst genommen zu werden. Jugendliche scheinen hier eher ein Bedürfnis nach Erzählung und Selbstinszenierung zu haben, als nach Verheimlichung und Abgrenzung gegenüber der Erwachsenenwelt. Dies verweist auf womöglich zentrale Anerkennungsproblematiken, die auch von der Sozialen Arbeit verstanden werden müssen, wenn sie Zugang zu bestimmten Gruppen von Adressat*innen bekommen möchte.

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Diese ganzen Fragen stehen genauso sehr für eine jugendsoziologische wie für eine sozialpädagogische Perspektive auf riskante Praktiken von Jugendlichen – eine Perspektive, die darum bemüht ist, die gesellschaftlichen Kontexte und sozialen Lagen derer, die sie beforscht, respektive ihrer Adressat*innen, genauer zu verstehen, die machtvollen Eingebundenheiten ihres Erwachsenwerdens zu begreifen, um damit auch deren Praktiken besser dechiffrieren zu können. Dazu gehört wo möglich, ihre Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen genauso in den Blick zu nehmen wie ihre Handlungsmöglichkeiten. Vor allem mit der letzten Frage – was alles kommt in den Blick, wenn wir diese Konsumpraktiken als Formen der Übergangsgestaltung lesen? – ist kein verkappter Funktionalismus anvisiert, vielmehr geht es darum diese Praktiken der Übergangsgestaltung relational zu denken – zum Beispiel in zeitlichen Relationen. Hiermit sind biografische Bezüge gemeint: was hat das Trinken für eine Relevanz in der biografischen Rekonstruktion? Wie baut es sich in die Biografie ein?, aber auch die Frage nach den jeweiligen Lebensalter-Normativitäten: was ist in welchem Alter „zu tun“ oder „zu lassen“ (Riach et al. 2014), oder inwieweit werden Aspekte wie das Lebensalter oder die biografisch legitim(iert)e Zeit für bestimmte Praktiken relevant gemacht? Spannend sind diesbezüglich auch historische Kontextualisierungen: welche Praktiken, auch: welcher Substanzkonsum ist derzeit angesagt, welcher derzeit eher verpönt? Und was ist an diesen Verschiebungen zeitdiagnostisch interessant? Relational ist Übergangsgestaltung aber auch im Hinblick auf Körper, Räume, und generell: auf Materialitäten. Wie werden Räume angeeignet, wie inszenieren sich z. B. Körper mit ihren jeweils mitgeführten Getränken im Raum? Wie werden solche Praktiken genutzt für die Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit? Für das Besetzen bzw. Herstellen von Räumen? Und gleichzeitig: welche Körper treten in Erscheinung, welche nicht? Wo sind auch hier die latenten Normativismen, die unmittelbar auf weitere -ismen verweisen: auf Genderismen etwa, aber auch auf Ageismen, auf Klassismen oder Rassismen? Wie sind diese miteinander verwoben bzw. voneinander überlagert?5 Vor allem aber sind es dann nicht mehr die Praktiken einzelner, sondern Praktiken, die nur in Bezug auf Andere Sinn machen, und dies reicht von der Reorganisation familialer Beziehungen über die Organisation von Zugehörigkeiten (respektive Ausschlüssen) im Peer-Kontext bis hin zur Vergewisserung über

5Vgl. hierzu die intersektional angelegten sozial- und erziehungswissenschaftlichen Forschungen, die hier einen grundsätzlich ergebnisoffenen Zugang anstreben (vgl. Riegel 2016).

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Freundschaften und Liebesbeziehungen (Wißmann und Stauber 2016). Sie verweisen auf Beziehungsgefüge, die mehr oder weniger verlässlich und unterstützend sein können. Mit dieser Perspektivenverschiebung weg vom isoliert-isolierenden Einzelphänomen (und den schnell hiermit verbundenen Dramatisierungen oder Heroisierungen) hin zu jugendkulturellen Praktiken wird also vieles, was für jugendsoziologische, sozialpädagogische, erziehungswissenschaftliche Forschung spannend werden kann, zugänglich6: die Perspektive auf Praktiken erlaubt einen kontextualisierenden Zugriff auf Phänomene, die nur in ihrer gesellschaftlichen Genese verstanden werden können, und die so in ihrer Gestaltbarkeit hervortreten. Mit deren Rahmung als Praktiken von Übergangsgestaltung werden komplexe Subjektivierungsprozesse analysierbar, mit denen die Handlungsfähigkeit nicht als Gegenpol zu, sondern als Ergebnis einer vielfältigen Eingebundenheit in machtvolle Adressierungskontexte interpretiert werden kann; es werden die Möglichkeiten, aber auch der Preis für Mitspielfähigkeit analysierbar (Alkemeyer und Buschmann 2017). Es werden Differenzsetzungen und Grenzziehungen in unterschiedlichen Praktiken deutlich. Besprechbar und analysierbar werden die vielfältige Relationalität sozialer Phänomene, ihre relative Kontingenz, aber auch (und nicht zuletzt): die Möglichkeiten des pädagogischen Flankierens und Unterstützens. Diese herrschaftskritische Analyse mit den vielfältigen Modi von Gestaltbarkeit zu verknüpfen, macht m. E. das Potenzial einer im weitesten Sinne poststrukturalistischen Praxeologie für den sozialpädagogischen Blick auf jugendkulturelle Praktiken aus.

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6Hier

ist noch einmal auf die in der Reihe „Doing transitions“ sukzessive erscheinenden Dissertationen des gleichnamigen Graduiertenkollegs zu verweisen.

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Prof. Dr. Barbara Stauber,  ist Professorin für Erziehungswissenschaft, Abteilung Sozialpädagogik, an der Universität Tübingen. Ihr Schwerpunkt ist biografische Übergangsforschung unter besonderer Berücksichtigung von Gender und Diversität, vor allem in den Bereichen Jugend und junges Erwachsensein. Sie ist Ko-Sprecherin des DFG-Graduiertenkollegs „Doing Transitions“.

Teil III Methodische Reflexionen und Zugänge erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung

Diversitätsorientierung in der Jugendforschung. Konzeptionelle Überlegungen am Beispiel von Forschung mit Jugendlichen mit Behinderungen Folke Brodersen und Nora Gaupp Zusammenfassung

Jugendliche wachsen in vielfältigen Lebenslagen auf. Mit dem Anspruch, diese empirisch so gut wie möglich und damit so differenziert wie nötig abzubilden, steht die u. a. erziehungswissenschaftliche Jugendforschung vor der Herausforderung, Stichproben und Zugänge, Instrumente und Inhalte auf diese Heterogenität abzustimmen. Anhand der Dimensionen der zu untersuchenden Zielgruppe und des thematischen Zuschnitts führen wir verschiedene Umgangsweisen mit gesellschaftlicher Diversität in der Jugendforschung aus. Die drei dargestellten Perspektiven auf ‘Jugend’ und ‘Diversität’ zeigen dabei unterschiedliche Verhältnisse zwischen diversitätsorientierter und allgemeiner Jugendforschung: von einer parallelen Existenz und Arbeitsteilung über eine gegenseitige Bezugnahme und Kontextualisierung bis zu einem immanenten Verhältnis. Am Beispiel eines empirischen Forschungsprojektes mit Jugendlichen mit Behinderungen werden diese konzeptionellen Überlegungen exemplarisch illustriert und in ihren Möglichkeiten und Grenzen diskutiert.

F. Brodersen (*) · N. Gaupp  TU Berlin, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] N. Gaupp E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Grunert et al. (Hrsg.), Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27612-6_10

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Abstract

Young people grow up in a range of different situations. By aspiring to describe these in an empirically accurate – and therefore differentiated – manner, the educational branches of youth research face the challenge of developing sampling strategies, research methods and topics which can do justice to this heterogeneity. Focusing on ‚target group‘ and ‚thematic focus‘, we identify various patterns of how diversity is dealt with in youth research. Three perspectives on the concepts ‚youth‘ and ‚diversity‘ exemplify different relations between diversity-oriented and ‚general‘ youth research: a parallel but separate existence entailing a division of labor; mutual reference and contextualization; a relation of convergence. Taking an empirical project with young people with disabilities as an example, we illustrate these three relation-types and discuss their prospects and limitations.

1 Vielfältige Lebenslagen junger Menschen Das Aufwachsen von Jugendlichen ist von deren vielfältigen Lebenslagen und den darauf bezogenen gesellschaftlichen Umgangsweisen geprägt. Drei Beispiele mögen dies zum Eingang dieses Textes illustrieren. Jugendliche – erstens –, die als junge Geflüchtete nach Deutschland kommen, leben unter stark institutionell gerahmten Bedingungen. Die Frage, in welcher Wohnform und in welcher Region sie leben, ob und wann sie Zugang zu Bildung und Ausbildung erhalten, ob sie eine rechtliche Vormundschaft erhalten und wie ihre Bleibeperspektive aussieht, ist in hohem Maße von rechtsstaatlichen Regelungen und Verfahren bestimmt. Dies hat ganz konkrete Auswirkungen auf die Frage, in welcher Form so etwas wie „jugendlich-Sein“ für diese jungen Menschen möglich ist: Können sie wie andere Jugendliche eine Jugend mit den dazugehörigen typischen Herausforderungen von Qualifizierung, Selbstpositionierung und Verselbständigung (BMFSFJ 2017) leben und wenn ja, auf welche Weise? Queere Jugendliche – als zweites Beispiel –, das heißt z. B. lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, inter* und diverse*1 Jugendliche wachsen in einer nach wie

1Zur

Verwendung dieses analytischen und nach der Entscheidung des Deutschen Bundestags über einen dritten Geschlechtseintrag auch rechtlichen Begriffs siehe Krell und Oldemeier 2017.

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vor heteronormativ strukturierten Gesellschaft auf. Mit ihrer sexuellen Orientierung bzw. geschlechtlichen Zugehörigkeit erfüllen sie in Teilen nicht die erwarteten Schemata von gegengeschlechtlichem Interesse und unveränderbarer und eindeutiger Geschlechtsrolle. Sie müssen sich vielmehr unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen einen für sich individuell passenden Lebensentwurf erarbeiten. Eine biographisch zentrale Stellung nimmt dabei weiterhin das Coming-out ein, in dem sie sich ihrer eigenen sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Zugehörigkeit bewusst und sicher(er) werden, sich mit (ggfs. unerfüllten) Erwartungen ihrer Eltern auseinandersetzen, für sich geeignete Orte für Freizeit, kulturelle und sportliche Aktivitäten finden und mit Befürchtungen vor und Erfahrungen von Diskriminierung umgehen (Krell und Oldemeier 2017). Viele dieser spezifischen Herausforderungen kennen heterosexuelle und cisgeschlechtliche2 Jugendliche nicht in dieser Form. Jugendliche mit Behinderung – drittens –, werden oft nicht zunächst als Jugendliche, sondern als junge Menschen mit Behinderung gesehen und adressiert. Schnell stehen Fragen nach medizinischem, psychologischem oder pädagogischem Unterstützungs-, Therapie- und Förderbedarf im Raum. Jugendtypische Fragen etwa nach Autonomie und Selbständigkeit, nach Freundschaften, Partnerschaft und erster Sexualität, nach Hobbies und Interessen, nach beruflichen und privaten Zukunftsperspektiven laufen demgegenüber Gefahr, in den Hintergrund zu treten. Und je nach Form und Ausprägung einer Behinderung erleben Jugendliche mit Behinderung unterschiedlich deutliche (oder auch überhaupt keine) Einschränkungen in diesen für sie ebenso zentralen Lebensbereichen. Warum diese drei Beispiele zur Einführung in diesen Text? Mit diesen möchten wir verdeutlichen, vor welchen Herausforderungen die erziehungswissenschaftliche wie jugendsoziologische Jugendforschung steht, wenn sie den Anspruch erhebt, heterogene Lebenswelten von Jugendlichen so gut wie möglich und damit auch so differenziert wie nötig abzubilden. Jugendforschung muss konzeptionell, d. h. inhaltlich wie methodisch mit dieser Vielfalt umgehen. Sie muss beispielsweise Stichproben und Zugänge wählen, die eine Chance bieten, Jugendliche in ganz unterschiedlichen Lebensumständen zu erreichen. Sie muss sich in ihren Methoden und Instrumenten auf unterschiedliche sprachliche, kommunikative oder kognitive Möglichkeiten von Jugendlichen einstellen. Sie muss schließlich die „richtigen“ inhaltlichen Fragen stellen. Die Perspektive, die wir an dieser Stelle „Diversitätsorientierung“, d. h. die Berücksichtigung, konzeptuelle

2Bei

cisgeschlechtlichen Menschen entspricht die geschlechtliche Identität dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht.

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Integration und Setzung gesellschaftlicher Vielfalt als Ausgangspunkt, nennen wollen, hat bisher in unterschiedlichem Maße Einzug in Ansätze der Jugendforschung gehalten. Ist in einigen Strängen der sozialwissenschaftlichen Jugendforschung wie etwa der Ethnografie eine solche Perspektive bereits etabliert bzw. weit entwickelt, hat diese in anderen Forschungstraditionen, darunter besonders den quantitativen Ansätzen, bisher nur wenig Verbreitung gefunden. Die Diskussion um eine solche Diversitätsorientierung zu führen und zu befördern, ist Ziel des vorliegenden Beitrags. Er möchte Möglichkeiten und Grenzen einer diversitätsorientierten Jugendforschung am Beispiel von Forschung mit Jugendlichen mit Behinderungen exemplarisch illustrieren und ausloten.

2 Diversität als gesellschaftliche Grundstruktur Bevor jedoch konkret auf die Jugendforschung und ihre möglichen Entwicklungen im Sinne einer diversitätsorientierten Jugendforschung eingegangen wird, soll nochmals ein etwas systematischerer Blick auf gesellschaftliche Pluralisierungsprozesse geworfen werden. So sind Prozesse gesellschaftlichen Wandels häufig Anlass, Hintergrund und Begründung von Themensetzungen und Weiterentwicklungen in der Forschung, indem Forschung diese Entwicklungen als Forschungsfragen aufgreift und mit ihrer Bearbeitung zur Bearbeitung von gesellschaftlichen Fragen beiträgt. Geht es um die Diversität in den Lebenslagen junger Menschen und den Wandel der Bedingungen ihres Aufwachsens, so stellt Pluralisierung einen der zentralen gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse dar. Im Kontext der Pluralisierungs- und Destandardisierungsthese (Beck und Beck-Gernsheim 1993; Beck 1986) wird vor allem das Schwinden normalbiografischer Lebensentwürfe und Lebensverläufe vor allem innerhalb der letzten fünfzig Jahre diskutiert. Pluralisierung kann dabei einerseits bedeuten, dass neue Lebensrealitäten entstehen, andererseits, dass sich bereits bestehende Lebensrealitäten anteilsmäßig ausdehnen. Viele heutige Lebensformen bestehen in ihrer Vielfältigkeit durchaus schon länger und stellen damit in der Regel kein völlig neues Phänomen dar. Vielmehr nehmen einige Lebensformen anteilsmäßig zu und werden zunehmend sichtbar und legitim. Beispielhaft zeigt sich dies an familialen Lebensformen. Familie besteht heute nicht nur als vollständige „Normalfamilie“ mit Vater, Mutter und Kind(ern), sondern auch als Familie mit gleichgeschlechtlichen Elternpaaren, als Ein-Eltern-Familie, als multilokale Familie oder als

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Nach-Trennungs- bzw. Patchwork-Familie (Peukert 2012). Auch medizinisch assistierte Elternschaft kann in diesem Kontext aufgeführt werden. Bezogen auf Interesse und Anziehung zwischen Menschen ist im deutschsprachigen Raum nicht mehr nur eine heterosexuelle Orientierung gesellschaftlich anerkannt, sondern auch lesbische, schwule und bisexuelle Lebensweisen sind zunehmend akzeptiert. Eine vergleichbare Diagnose gilt, wenngleich zeitlich versetzt und unter veränderten Kontextbedingungen, für die gesellschaftlichen Lebensbedingungen trans*- und intersexueller Menschen. Die kürzlich geschaffene rechtliche Möglichkeit einer „divers“-Eintragung für das Geschlecht in das Geburtenregister ist ein offenkundiges Indiz dieser Entwicklung. Solche Pluralisierungsprozesse finden jedoch nicht nur im „privaten Raum“ statt, sondern tangieren auch Bereiche des institutionellen Aufwachsens junger Menschen in öffentlicher Verantwortung. So finden sich im Bereich Bildung und Ausbildung zunehmend vielfältige Möglichkeiten, die eigene Bildungsbiographie zu gestalten. Bildungsangebote im Übergang von der Schule in den Beruf bieten Möglichkeiten, den eigenen Lernweg zeitlich zu verlängern, fehlende Schulabschlüsse nachzuholen oder bestehende aufzuwerten oder unklare Berufswünsche und Zukunftspläne zu konkretisieren. Innerhalb des Berufsspektrums steigen die Wahlmöglichkeiten durch sich ausdifferenzierende Ausbildungsberufe und Studienfächer (z. B. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2016). Flexibilisierte „atypische“ und potenziell prekäre Beschäftigungsformen insbesondere am Beginn der Erwerbstätigkeit wie Praktika, Trainee-Programme, Teilzeit und Befristungen treten neben die klassischen „Normalarbeitsverhältnisse“ (z. B. Schmeißer et al. 2012). Übergreifend gilt für das Aufwachsen junger Menschen: Timing und Abfolge wichtiger Statuspassagen im Lebenslauf werden variabler und vormals festgefügte Abfolgen von Entwicklungsschritten öffnen sich zunehmend einer Gestaltung (z. B. Nico 2014). So leben junge Erwachsene derzeit unterschiedliche Konstellationen und zeitliche Abläufe in Hinblick auf Auszug, Partnerschaft, Heirat, Gründung eines gemeinsamen Haushaltes und Geburt eigener Kinder (Berngruber 2016; Brückner und Mayer 2005). In der Folge sind Lebensentwürfe durch eine Vielfalt an sozialen Konstellationen und Zugehörigkeiten, Lebensverlaufsformen, Identitäten und Orientierungen gekennzeichnet. Junge Menschen haben mehr Möglichkeiten, ihr Leben den eigenen Vorstellungen entsprechend zu gestalten – sind gleichzeitig aber auch gefordert diese Gestaltungsoptionen auszufüllen, damit einhergehende Entscheidungen abzuwägen und Unsicherheiten auszuhalten. Die „Normalbiographie“ wird laut Ulrich Beck und

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Elisabeth Beck-Gernsheim (1993) auch für Jugendliche und junge Erwachsene zur „Wahlbiographie“ oder „Bastelbiographie“ (vgl. auch Mey 2011).3 Und wenngleich diese Gesellschaftsdiagnose in ihren Begründungen und Verläufen nicht unumstritten ist, so wird doch die Beobachtung einer zunehmenden Pluralisierung und Individualisierung gesellschaftlich, fachlich, medial und öffentlich weitgehend geteilt. Demgegenüber orientiert sich Jugendforschung noch immer häufig an „Normaljugendlichen“ – wer auch immer diese sind. Jugendliche mit Behinderungen, unterschiedlichen Migrations- und Fluchterfahrungen, geringer (formaler) Bildung, finanziell schlechter gestellten Eltern/ Familien, vielfältigen sexuellen und geschlechtlichen Zugehörigkeiten und anderen Diversitätsmerkmalen werden in Jugendforschungsprojekten häufig nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt. Diese Beobachtung gilt insbesondere für quantitativ ausgerichtete Jugendforschungsprojekte, weniger für qualitative. Dies liegt u. a. darin begründet, dass qualitative Forschungsvorhaben nicht auf kategorisierende Stichprobenbeschreibungen angewiesen sind. Das nicht unkomplizierte Verhältnis einer diversitätsorientierten Jugendforschung, die eine gesellschaftliche Heterogenität zum Ausgangspunkt nimmt und einer allgemeinen Jugendforschung, die sich auf eine Allgemeinheit aller Jugendlichen richtet und damit an ‚Durchschnitts‘-Jugendlichen4 orientiert, soll daher im folgenden Kapitel dargelegt und diskutiert werden.

3 Perspektiven von Jugendforschung und Diversität Um das Verhältnis von allgemeiner und diversitätsorientierter Jugendforschung (Gaupp 2017) zu bestimmen, sind zwei Dimensionen zu unterscheiden. So stellen sich für die Ausgestaltung einer Jugendforschung im Zeichen der Diversität zwar viele Fragen – etwa nach den möglichen Quellen eines geeigneten

3Das

Aufbrechen tradierter Lebensverläufe bietet dabei einerseits Chancen, andererseits liegen darin auch Herausforderungen und es ergeben sich potenziell neue Formen der Prekarisierung. Hier übersetzen sich die benannten und weiteren Dimensionen sozialer Ungleichheiten in Determinanten der Öffnung und Schließung von Möglichkeitshorizonten und Gestaltungsanforderungen. 4Damit sind normalitätsorientierte Bilder von Jugendlichen gemeint, hinter denen die Heterogenität der Gruppe der Jugendlichen verschwindet.

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Forschungsstands oder den Zielgruppen der Dissemination – vor dem Hintergrund der ‚Pluralisierung der Lebenswelten‘ von Jugendlichen sind allerdings die folgenden beiden Unterscheidungen in jeweils allgemeine und spezifische Aspekte zentral. Erstens ist zu unterscheiden, welche Jugendlichen innerhalb von Forschungsprojekten adressiert werden, wer also die Zielgruppe ist. Wird etwa eine Allgemeinheit von Jugendlichen anvisiert oder werden spezifische Teilgruppen wie etwa queere Jugendliche oder junge Muslim*innen ins Zentrum der Datengenerierung und Auswertung gesetzt (Geier und Gaupp 2015)? Implikationen hat dies zum einen für das Design von Stichprobenkonzepten und die damit verbundenen Ein- und Ausschlusskriterien, wenn Erhebungen etwa an allgemeinbildenden Schulen durchgeführt oder Jugendliche über Religionsverbände, queere Online-Webangebote oder Einrichtungen der Behindertenhilfe rekrutiert werden. Zum anderen sind damit Methoden der Datenerhebung angesprochen. So geht mit der Festlegung einer ‚Zielgruppe‘ die Notwendigkeit einher, etwa jungen Geflüchteten eine Übersetzung anzubieten (Lechner und Huber 2017) oder für die Befragung von Jugendlichen mit einer sogenannten geistigen Behinderung Strategien der Anpassung von Komplexität und Form des Fragebogens vorzuhalten (Schütz et al. 2019). Zweitens sind allgemeine und spezifische inhaltliche Themensetzungen zu differenzieren. So bemühen sich allgemeine Ansätze zumeist um eine inhaltliche Bestimmung der Charakteristika einer „Jugend“. In einer Abgrenzung zur Altersphase der Kindheit und des Erwachsenenalters werden etwa die besondere Rolle familiärer Verselbstständigungsprozesse, die Ausbildung politischer Werthaltungen, Teilnahme an Bildungsangeboten oder Veränderungen von Freundschaftsbeziehungen und Freizeitgestaltung thematisiert (exempl. Hurrelmann 2007). Dieser übergreifenden Perspektive auf „das“ Jugendalter stehen spezifische Lebenslagen von Jugendlichen gegenüber, die sich aus sozialstrukturellen, identitätsbezogenen oder lebenslagenimmanenten Unterscheidungen ergeben. So stellt für queere Jugendliche die „Unsichtbarkeit“ ihrer sexuellen Orientierung bzw. geschlechtlichen Identität eine spezifische und eigenlogische Herausforderung dar, auf die sie mit unterschiedlichen Strategien des Coming-out, der Anpassung oder Verhandlung reagieren (Krell und Oldemeier 2017; Brodersen 2018; Kleiner 2015). Auf eben solche Weise ist die Fluchtgeschichte für junge Geflüchtete ein zentraler biographischer wie juristischer Referenzpunkt in der Ausgestaltung ihres Jugendlich-Seins (Lechner und Huber 2017). Merkmale wie Sexualität, Migration, Behinderung oder soziale Schicht stellen solch vielfach differenzierte Lebenslagen junger Menschen dar, deren inhaltlich-thematische Eigenlogiken Forschungsvorhaben aufgreifen können.

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Abb. 1   Analytische Trennung in „entweder-oder“

Diese Dimensionen von „Zielgruppe“ und „Themen“ unterliegen jeweils einer zunehmenden Pluralisierung und Differenzierung. Die Gruppen Jugendlicher mit unterschiedlichen Lebensweisen und Selbstbezügen als auch die damit verbundenen Herausforderungen und Modelle der Lebensführung vervielfältigen sich. Trotz ihrer personalen und sozialstrukturellen Verbindung finden die Ausprägungen dieser Dimensionen innerhalb der Jugendforschung eine relativ unabhängige Verwendung – durchaus werden allgemeine oder spezifische Zielgruppen hinsichtlich allgemeiner oder spezifischer Themen befragt bzw. können befragt werden. Anhand der möglichen Kombinationen möchten wir drei forschungsbezogene Perspektiven eines Umgangs mit gesellschaftlicher Diversität unterscheiden. Diese heuristischen Konstellationen bestehen dabei nur selten in Reinform – ihre schematische Darstellung gibt aber Hinweise auf den Stand des Umgangs mit Diversität innerhalb der Jugendforschung: (Abb. 1).

3.1 analytische Trennung in „entweder-oder“ Die Perspektive der analytischen Trennung zeichnet sich durch eine klare Zuweisung der Zuständigkeiten für „allgemeine“ und „spezifische“ Zielgruppen und Themen aus (Abb. 1). Themen einer allgemeinen Jugendforschung wie Freundschaften oder Bildungsteilnahme finden sich dabei in Erhebungen, die

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formal alle, praktisch aber oftmals bestimmte „normale“ Jugendliche erreichen bzw. auf deren Darstellung abzielen. Studien wie die SHELL-Jugendstudie oder der Survey „Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten“ stellen dabei übergreifend Daten zu vielen Dimensionen des jugendlichen Aufwachsens bereit. Zugleich erreichen sie mit ihren Stichprobenkonzepten und Zugangswegen die heterogene Bandbreite an Jugendlichen methodisch nicht vollständig (z. B. in Einrichtungen lebende Jugendliche). Ebenso tauchen spezifische Lebenslagen Jugendlicher wie ihre sexuelle Orientierung in diesen Erhebungen nicht oder nur am Rande auf. Berücksichtigung finden diese wiederum in Studien wie „Comingout – und dann…?!“ (Krell und Oldemeier 2017) oder dem Projekt „Unbegleitete und begleitete geflüchtete Jugendliche – Lebenslagen und Integrationsprozesse aus der Perspektive junger Geflüchteter“ (Lechner und Huber 2017), welche die spezifischen Zielgruppen queerer bzw. geflüchteter Jugendlicher zu den jeweils spezifischen Themen des Coming-outs bzw. der Ankommenssituation in Deutschland nach der Flucht befragen. Gesellschaftliche Heterogenität ist in dieser Perspektive somit eindeutig von einer allgemeinen Jugendforschung unterschieden – diversitätsorientierte Forschung findet exklusiv unter der Berücksichtigung spezifischer Fragestellungen statt, oft ohne Jugendlichkeit als Lebensphase und sozialem oder kulturellem Kontext einzubeziehen.

3.2 gegenseitige Bezugnahme zwischen „Jugend“ und „Diversität“ Eine gegenseitige Bezugnahme zwischen „Jugend“ und „Diversität“ findet an der Überkreuzung von allgemeinen und spezifischen Zielgruppen und Themen statt (Abb. 2). So bestehen innerhalb der Jugendforschung Perspektiven und Projekte, die sowohl mit spezifischen Zielgruppen allgemeine Themen aufgreifen, als auch Forschungsvorhaben, die spezifische Themen in die Befragung allgemeiner Zielgruppen integrieren. Ersteres findet etwa innerhalb des Projektes „Queere Freizeit“ (Krell und Oldemeier 2018) statt. Queere Jugendliche werden dabei zu ihrer Freizeitgestaltung, zu kulturellen und sportlichen Aktivitäten und ihren Freundschaftsbeziehungen befragt. Beantwortet wird damit die Frage, wie unter Aspekten der Diversität „Jugend“ stattfindet. Korrespondierend dazu berücksichtigen auch auf eine Allgemeinheit der Jugendlichen ausgerichtete Jugendstudien spezifische Themen und Lebenslagen. So bezieht die BRAVO Dr. Sommer Studie „Liebe! Körper! Sexualität!“ (2009) die Werthaltungen Jugendlicher in Bezug auf Homosexualität mit ein – auch wenn eine Frage zur eigenen sexuellen

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Abb. 2   Gegenseitige Bezugnahme zwischen „Jugend“ und „Diversität“

Orientierung nicht dargestellt wird – ebenso wie die Sinus-Jugendstudie (Calmbach et al. 2016) die Lebenssituationen von Jugendlichen unter verschiedenen ökonomischen Bedingungen aufgreift. Betrachtet wird damit vice versa die Frage, in welchen Aspekten jugendlicher Lebenswelt Diversität relevant ist. Diversität wird in dieser zweiten Perspektive in Bezug gesetzt zu den Ansätzen einer allgemeinen Jugendforschung. Zumeist werden dafür die jeweils spezifischen Zielgruppen und Themen in den inhaltlichen Kontext des Jugendalters eingebettet und auf Entwicklungsaufgaben und Sozialisationsprozesse, Bildungsabläufe und jugendliche Lebenswelten bezogen (Abb. 2).

3.3 Diversität als immanentes Verhältnis und gedankliche Prämisse Eine enge Verzahnung innerhalb der Jugendforschung geschieht für uns schließlich mit der Verwendung von Diversität als gedanklicher Prämisse (Abb. 3). Hierbei wird eine Heterogenität des Jugendalters nicht im Anschluss an dessen theoretische oder empirische Ausfüllung festgestellt, sondern steht als immanentes Verhältnis am Anfang der jugendtheoretischen Überlegungen. Eine Umsetzung hat eine derartige Perspektive bisher unter anderem und zentral

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in geschlechterbezogener Jugendforschung gefunden. Im Bericht des Beirats Jungenpolitik „Jungen und ihre Lebenswelten – Vielfalt als Chance und Herausforderung“ (BMFSFJ 2013) werden nicht nur die in sich vielfältigen Lebensweisen von Jungen dargestellt, sondern auch die jugendtheoretischen Konzepte erhalten eine Auf- und Überarbeitung, die zentral an Rollenanforderungen, Gruppenprozessen und biographischen Perspektiven von Jungen ansetzt. Marc Calmbach (ebd.) bezieht diese etwa auf berufliche Orientierungen und zeichnet dabei die Auswirkungen medialer, familialer und peergruppenspezifischer geschlechtsbezogener Orientierungen nach. Michael Meuser und Sylka Scholz (ebd.) arbeiten die verschränkten Möglichkeiten und Anforderungen heraus, sich über die eigene Freizeitgestaltung als Junge darzustellen bzw. dies nicht zu vermögen. In ähnlicher Weise kann das Coming-out lesbischer und schwuler Jugendlicher als Statuspassage des Jugendalters perspektiviert werden (Brodersen 2020): So sei das Coming-out empirisch gerade auf die Schnittstelle zwischen der für queere Jugendliche spezifischen Aushandlung von Unsichtbarkeit, antizipierter Dramatisierung und Erleben eines sozialen Drucks und dem für das Jugendalter auf besondere Weise relevanten Ideals der Authentizität rückführbar und erst vor diesem Hintergrund verständlich. Diversität und Jugendlichkeit verschränken sich in dieser Perspektive unauflöslich und engmaschig. Die Trennung zwischen allgemeinen und spezifischen Zielgruppen und Themen deutet sich in den genannten Beispielen zwar noch an, findet aber eine zunehmende Auflösung, wenn Diversitätsaspekte mit jugendspezifischen Aspekten sukzessive in Verbindung gesetzt werden. Dabei verschränken sich sowohl die allgemeinen und die spezifischen Zielgruppen von Forschung untereinander wie auch die allgemeinen und spezifischen Themen. Erkenntnisse zu spezifischen Teilgruppen ermöglichen dabei Ableitungen zu einer Allgemeinheit ebenso wie umgekehrt. Diversität wird damit zu einem Impulsgeber für Konzepte der erziehungswissenschaftlichen und jugendsoziologischen Jugendforschung (Abb. 3). Die drei dargestellten Perspektiven zeigen unterschiedliche Verhältnisse zwischen diversitätsorientierter und allgemeiner Jugendforschung. Von einer parallelen Existenz und Arbeitsteilung über eine gegenseitige Bezugnahme und Kontextualisierung bis zum immanenten Verhältnis und einer gegenseitigen Weiterentwicklung haben wir dabei unterschiedliche Abstufungen der Verschränkung von „Diversität“ und „Jugend“ innerhalb der gegenwärtigen Forschungslandschaft skizziert. Jeweils geht mit diesen Perspektiven auch eine andere Form diversitätsorientierter Forschung mit ihren Vorgehensweisen und Methoden, Inhalten und theoretischen Reichweiten einher. Sie stellen dabei eine eigene, unterschiedlich begründete, aber in sich notwendige

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Abb. 3   Diversität als immanentes Verhältnis und gedankliche Prämisse

Forschungsperspektive mit jeweiligem Nutzen und Grenzen dar. Anhand des Beispiels einer Erhebung unter Jugendlichen mit Behinderungen möchten wir dies weiter ausführen und für eine reflektierte Zusammenführung der drei genannten Verhältnisse von allgemeiner und diversitätsorientierter Jugendforschung plädieren.

4 Praxisbeispiel – Erhebung mit Jugendlichen mit Behinderung Ausgangspunkt des Projektes „Methodenstudie zur Entwicklung inklusiver quantitativer Forschungsstrategien in der Jugendforschung am Beispiel von Freundschaften und Peerbeziehungen von Jugendlichen mit Behinderungen“ (www.dji. de/InklusiveMethoden) stellte die Analyse der gegenwärtigen Jugendforschung in Hinblick auf „Behinderung“ dar. So besteht eine Aufmerksamkeit für Jugendliche mit Behinderungen zwar aus bildungs- und rehabilitationswissenschaftlicher Perspektive, jedoch zum einen in nur sehr begrenztem Umfang für ihre freizeitbezogenen, freundschaftlichen oder medialen Lebenswelten (Grunert – in diesem Band). Zum anderen legen die bestehenden, quantitativen Ansätzen überwiegend eine Zielgruppenspezifik zugrunde, welche jeweils nur bestimmte (vermeintlich homogene) Teilgruppen von Jugendlichen mit Behinderungen betrachtet.

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Vorbehalte gegenüber einer (standardisierten) „Befragbarkeit“ insbesondere von Jugendlichen mit einer sogenannten geistigen Behinderung aber auch von anderen Teilgruppen (z. B. von gehörlosen oder blinden Jugendlichen) begründen unterschiedliche Mechanismen des im- und expliziten (Teil–) Ausschlusses aus großen Surveys etwa über die Beschränkung der Stichprobe auf Schüler*innen allgemeinbildender Schulen oder methodische Einschränkungen des Erhebungsmodus (Schütz et al. 2017; Gaupp et al. 2018). Demgegenüber erprobte das Projekt „Inklusive Methoden“ die Möglichkeiten und Grenzen einer quantitativen Erhebungspraxis, welche die Gesamtheit der Jugendlichen mit Behinderungen entsprechend ihrer je unterschiedlichen Fähigkeiten adressierte und versuchte Barrieren im Forschungsprozess abzubauen. Dazu wurden in der Methodenstudie verschiedene Verfahren der Anpassung von Erhebungsmethoden in Fokusgruppen mit Jugendlichen (weiter)entwickelt und empirisch in Einzel- und Gruppensettings erprobt (Ebner et al. eingereicht). Zugleich war eine Repräsentation der jeweiligen Lebenswelt innerhalb des Fragebogens sicherzustellen, um dadurch die Jugendlichen überhaupt in Befragungen einbeziehen wie auch inhaltlich belastbare und vollständige Daten erheben zu können (Brodersen et al. 2019). Eine Diversitätsorientierung zeigt sich innerhalb dieses Projektes der Jugendforschung so in den beiden dargestellten Dimensionen: Es wurden die spezifische Zielgruppe der Jugendlichen mit Behinderung anvisiert, in sich differenziert und damit zusammenhängende Methoden in den Fokus gesetzt (exempl. dazu Brodersen et al. 2018b; Müller et al. 2019) wie auch korrespondierende Themen einer Befragung identifiziert wurden (exempl. dazu Brodersen et al. 2018a; Tran und Brodersen 2019). Eine eindeutige Einordnung in eine der dargestellten Perspektiven diversitätsorientierter Jugendforschung verbietet sich jedoch. Demgegenüber möchten wir anhand der Fragebogengestaltung des Projektes das Ineinandergreifen und die wechselseitige Ergänzung der verschiedenen Perspektiven veranschaulichen. Die Perspektive der analytischen Trennung (Abschn. 3.1) kommt in der Erfassung der spezifischen Lebenssituation der Jugendlichen im Kontext „Behinderung“ zum Tragen. Durch die weitgehende institutionelle, medizinische und rechtliche Rahmung des Aufwachsens von Jugendlichen mit Behinderung sind Fragen nach Erfahrungen der Stigmatisierung, Barrieren und verschiedenen Unterstützungsformen innerhalb der Gruppe von Jugendlichen mit Behinderung verstehbar und bearbeitbar. Damit ist in Teilen ein inhaltliches „entweder-oder“ (im Sinne der Erfassung spezifischer Inhalte) notwendig, um die Lebenssituation der Jugendlichen quantitativ adäquat repräsentieren zu können. Dies gilt ebenso (Abschn. 3.2) für jene Teile der Lebenswelten von Jugendlichen mit Behinderungen, die sie mit Jugendlichen ohne Behinderung

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teilen oder die diesen gleichen: So sind Freundschaftsbeziehungen oder Prozesse der Verselbstständigung unter Bezugnahme auf ein übergreifendes, allgemeines Jugendlich-Sein zu erheben. Dabei müssen zugleich die spezifischen Bedingungen der Jugendlichen mit Behinderung berücksichtigt werden. An dieser Überschneidung von allgemeinen Themen mit einer spezifischen Zielgruppe sind etwa Ergänzungen nötig, welche die Zusammensetzung eines Freundeskreises in Bezug auf das Merkmal Behinderung erfassen oder die Ambivalenz der Nutzung von Assistenzleistungen: Zu fragen wäre etwa, inwiefern eine persönliche Assistenz als Einschränkung aufgrund des Angewiesen-Seins oder als Form der Ermöglichung einer Selbstständigkeit wahrgenommen wird. Die theoretischen Werkzeuge der „allgemeinen“ Jugendforschung erfahren so eine Weiterführung und Überarbeitung vor dem Hintergrund der spezifischen Teilgruppe der Jugendlichen mit Behinderung. Das immanente Verhältnis von „Jugend“ und „Diversität“ (Abschn. 3.3) zeigt sich schließlich bei der Gestaltung von Fragen nach einer „Behinderung“. So bestehen derzeit zwar unterschiedliche medizinische und soziologische Ansätze der Operationalisierung von „Behinderung“ (zusammenfassend Brodersen et al. 2018b) – in der Diskussion der jeweiligen Fragen mit den betreffenden Jugendlichen wurden aber unterschiedliche Formen von Schwierigkeiten deutlich, etwa im Verständnis von Fachvokabular oder der Vereinbarkeit mit dem eigenen subjektiven Erleben. Am eindrücklichsten ist dabei wohl, dass die auch für die „International Classification of Disability and Health“ (ICF) (exempl. Hornberg und Schröttle 2011; Bosse und Hasebrink 2016) zentrale Frage nach dem Erleben von Einschränkungen oder Barrieren im Zusammenspiel personenbezogener (etwa körperlicher, kognitiver und/oder seelischer) und umweltbezogener Faktoren (etwa räumlicher oder institutioneller) von den Jugendlichen sowohl als schwer verständlich, wie auch als unnötig komplexe Umschreibung einer für sie alltäglichen Situation abgelehnt wurde (Brodersen et al. 2018b). Die (Weiter-)Entwicklung einer passenden Operationalisierung setzte demgegenüber an der spezifischen Lebenswelt an, die an der Überkreuzung von Jugendlichkeit und Behinderung zu verorten ist. So wurden etwa Fragen im Format „Wie gut kannst du…?“ in Anlehnung an diagnostische Kategorien als passend, unproblematisch und beantwortbar empfunden. Werden diese von Verbänden der (Erwachsenen-)Selbstvertretung teilweise aufgrund von pathologisierenden Implikationen abgelehnt, liegt es nahe, dass diese in den spezifischen Institutionen des Alltags der Jugendlichen zirkulieren (so auch Pfahl 2011) und damit in der Ausgestaltung entsprechender Fragen auch produktiv aufgenommen werden können: Schulische Maßstäbe des Erwerbs, der Förderung und Bewertung von Fähigkeiten mögen darin ebenso

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eingehen wie die innerhalb von immer noch größtenteils segregierten Institutionen der Behindertenhilfe in einer im öffentlich Diskurs ungewohnten Selbstverständlichkeit zirkulierenden medizinischen Begriffe. „Jugend“ und „Behinderung“ bzw. „Diversität“ sind für diese Frage der Operationalisierung somit notwendig gleichursprünglich zu denken und damit untrennbar. Gerade die Schnittstelle einer allgemeinen, weiterhin institutionellen Jugendlichkeit und der Spezifik der sozialstrukturellen Kategorie Behinderung wird hier zur Basis für eine adäquate Forschungspraxis.

5 Diversitätsorientierung in der Jugendforschung – Ein Blick in mögliche künftige Entwicklungen Das Beispiel des Projektes „Inklusive Methoden“ und die darin erfolgte methodische wie thematische Ausgestaltung einer Befragung von Jugendlichen mit Behinderungen zeigt den Erkenntnisbeitrag der unterschiedlichen Verhältnisse von Diversitätsorientierung und Jugendforschung. Betont werden soll an dieser Stelle, dass alle drei dargestellten Perspektiven einen spezifischen Gewinn und Nutzen haben und in Forschungsvorhaben notwendig und legitim sind. So leisten gerade die unter Abschn. 3.1 und 3.2 genannten analytisch getrennten bzw. im Jugendalter kontextualisierten Arbeiten einen wichtigen Beitrag, spezifische Teilgruppen von Jugendlichen mit ihren eigenlogischen Lebenswelten zu adressieren und Forschungsergebnisse zu ihnen für Wissenschaft, pädagogische Praxis, Öffentlichkeit und Politik zu generieren und zugänglich zu machen. Dabei müssen Auswahl und Reichweite der Forschungszugänge reflektiert werden. So können beispielsweise „Durchschnittsjugendliche“ nicht für alle Jugendlichen stehen. Darüber hinaus bietet die unter Abschn. 3.3 beschriebene Perspektive der immanenten Verschränkung mit dem Jugendalter eine spezifische Nützlichkeit. Sie bietet einen Anlass für weiterführende jugendtheoretische Diskussionen. Diese können sich etwa auf die Reflexion darüber beziehen, wo und an welchen Stellen sich Gemeinsamkeiten im Aufwachsen von Jugendlichen zeigen (wie sie etwa in Generationszugehörigkeiten oder geteilten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen thematisiert werden) und wo Heterogenität und Unterschiedlichkeit ein genuines Charakteristikum der Jugendphase darstellen. Was bleibt vor dem Hintergrund dieser Erwägungen als mögliche Zukunftsperspektive in Bezug auf eine diversitätsorientierte Jugendforschung zu formulieren? Die dargestellten Varianten von Diversitätsorientierung sind als gegenseitige Bereicherung und Ergänzung zu sehen, nicht als Konkurrenz untereinander.

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Gemeinsam ist ihnen, dass sie dazu dienen können, der erziehungswissenschaftlichen, aber auch der jugendsoziologischen Jugendforschung als Reflexionspunkt für die eigene Verortung und Praxis zu dienen und als Impulsgeber für weitere und neue Entwicklungen (von methodischer Praxis und Inhalten von Forschung) zu fungieren.

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Folke Brodersen, MA, war wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Fachgruppe ‚Lebenslagen und Lebensführung Jugendlicher‘ am Deutschen Jugendinstitut. Er promoviert gefördert von der Heinrich-Böll-Stiftung. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Gender Studies und Queer Theory, empirische Subjektivierungsforschung und Jugendsoziologie. Dr. Nora Gaupp, leitet die Fachgruppe Lebenslagen und Lebensführung Jugendlicher am Deutschen Jugendinstitut München. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Jugendforschung unter besonderer Berücksichtigung von Diversität und Heterogenität jugendlicher Lebenslagen.

„Ich bin nicht Teil von etwas“ – Biographische Wege von Jugendlichen Zur Konstruktion von Selbstoptimierungsnarrationen Werner Thole und Lukas Schildknecht Zusammenfassung

Der Artikel nimmt sich der Aufgabe an, erziehungswissenschaftliche Jugendforschung in einem gesellschaftstheoretischen Kontext zu betrachten. Dabei werden in einem ersten Schritt Forschungsansätze und Forschungsarbeiten aufgerufen, die dieses Anliegen seit Beginn des 20. Jahrhunderts fokussierten. Daran anschließend werden Hinweise dazu geliefert, dass diese Form der Forschung heute unterrepräsentiert sein könnte. Im Zentrum des Beitrages werden zwei biografische Artikulationen von Jugendlichen im Rahmen eines laufenden, als Studienprojekt an der Universität Kassel angesiedelten Forschungsvorhabens rekonstruiert. Im Fazit werden die Rekonstruktionen im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen reflektiert. Diese Reflexionen laufen auf die Deutung hinaus, dass innerhalb der Biografien Selbstoptimierungsnarrationen konstruiert werden, welche das eigene Leben als Erfolgsgeschichte darstellen.

Abstract

The article takes on the task of looking at educational youth research in a socio-theoretical context. In a first step, research approaches are called W. Thole (*) · L. Schildknecht  Universität Kassel, Kassel, Deutschland E-Mail: [email protected] L. Schildknecht E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Grunert et al. (Hrsg.), Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27612-6_11

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which have focused this concern since the beginning of the 20th century. Subsequently, evidence is provided that this form of research could be underrepresented today. In the following, two biographical articulations of adolescents are reconstructed as part of an ongoing research project based on a study project at the University of Kassel. In conclusion, the reconstructions are reflected in the context of social developments. These reflections are based on the interpretation that within the biographies self-optimizing narratives are constructed, which represent one’s own life as a success story. Die, „die vorher Objekt von Erziehung waren, werden zum souveränen Subjekt“, stellen unlängst die Redakteur*innen Theresia Hein und Quentin Lichtblau (2019) der Süddeutschen Zeitung in Bezug auf die Akteur*innen von Fridays For Future überrascht wie irritiert fest. Jugendliche heute, zumindest diejenigen, die sich öffentlich für den Klimaschutz engagieren, so wird weiter ausgeführt, sind nicht länger bereit, nach dem Protest „ihre Transparente abends wieder einzurollen und sich damit zu begnügen ‚mal etwas gesagt‘ zu haben“ – ihr Protest ist langfristig angelegt, so zumindest scheint es gegenwärtig. Bis zur Entstehung und Entdeckung dieses neuen, jugendlichen Protestes dominierte die Kennzeichnung „unpolitisch“ die öffentlichen Diskussionen zur gegenwärtigen Jugendgeneration (vgl. u. a. Burchard 2016), ohne allerdings diese Charakterisierung über empirische Studien nachdrücklich und hinreichend belegen zu können (vgl. u. a. Shell Deutschland 2010, 2015). In den wissenschaftlich abgestützten Beschreibungen von Jugend und Jugendlichen findet weiterhin das schon in den 1980er Jahren entwickelte Bild einer kulturellen und sozialen Pluralisierung und „Ausdifferenzierung der Jugendphase“ (Grunert 2010, S. 256; Thole 2010) Zuspruch. Jenseits von in Panoramastudien vorgetragenen, pauschalisierenden Lagebeschreibungen zum Zustand der Jugend (vgl. Shell Deutschland 2015; Calmbach et al. 2016) wird in diesem Beitrag an die Tradition einer auf die Gesamtkomposition von Jugend orientierten Biographieforschung erinnert. Die Konzeption des Beitrages ist zudem motiviert über die Wahrnehmung, dass jüngere, biographische Studien die Wege von Jugendlichen durch die Jugendzeit vornehmlich thematisch fokussiert rekonstruieren. Ausgelotet werden die Potenziale einer durch erziehungswissenschaftliche Fragen und Bezüge gerahmten Jugendforschung, die explizit an den biographischen Verläufen, den p­ ersönlichen, in der eigenen Lebensrealität fundierten Darstellungen „jugendlicher Subjektivität“ (Bernfeld 1991 [1915], S. 61) und den individuellen Entwürfen der Jugendphase interessiert ist. Im Zentrum des Beitrages stehen Rekonstruktionen von

„Ich bin nicht Teil von etwas“ – Biographische Wege …

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zwei biographischen Narrationen von Jugendlichen1 (2) sowie ein von den empirischen Sichtungen ausgehender Versuch, die Formen jugendlicher Selbstthematisierungen auch gesellschaftstheoretisch zu kontextualisieren (3). Um zu verdeutlichen, dass die Formen, wie heute junge Erwachsene auf ihre Jugendzeit zurückblicken, von den Selbstverordnungen und empirisch gesättigten Beschreibungen vorheriger Jugendgenerationen unterschieden werden können, wird zunächst an einige Studien und Befunde der Jugendforschung erinnert (1).

1 Jugend im Blick der Biographie- und Jugendforschung – ein erinnernder Rückblick Auch weil seit gut einem Jahrzehnt die biographische Jugendforschung an Aktualität und Aufmerksamkeit keineswegs gewonnen hat, scheint ein Rückblick auf einige Etappen dieser Forschungstradition durchaus angebracht. Als eine der ersten, bedeutenden, auf Biographien, wenn auch nicht auf biographische Narrationen basierende Studie ist Eduard Sprangers „Psychologie des Jugendalters“ (1924) anzusehen. Konzipiert wird in dieser Studie eine von der Entwicklungsund Strukturpsychologie getragene Typologie „des jugendlichen Lebensgefühls“ (vgl. Spranger 1924). E. Sprangers hermeneutische Verdichtung im Kontext der rekonstruktiven psychologischen Philosophie wie auch Charlotte Bühlers (1922b) Erkundungen des „Seelenlebens Jugendlicher“ und Siegfried Bernfelds (1991) psychoanalytisch gefärbte Arbeiten entwerfen den theoretischen Rahmen für eine Vielzahl von Jugendstudien der 1920er Jahre. Basierend auf Selbstzeugnissen untersuchte etwa Claus Stockhaus (1926) 14- bis 18-jährige Arbeiterjugendliche und Agathe Schmidt (1926) erkundigte sich bei über 1.800 Berufsschüler*innen nach ihren Wohn- und Familienverhältnissen, Alltagswelten, kulturellen Interessen und Freizeitgewohnheiten. Im selben Zeitraum beschäftigte sich Philipp Behler (1928) mit den Alltagsorientierungen von Berufsschülern, Hubert Jung (1930)

1Bezug

genommen wird auf ein laufendes, als Studienprojekt an der Universität Kassel angesiedeltes Forschungsvorhaben. Im Rahmen der noch laufenden Studie werden ältere Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 20 und 26 Jahren interviewt. In diesem Beitrag wird auf der Basis der Rekonstruktion respektive codierenden Sichtung von sechszehn Interviews argumentiert. Zudem liegt ein Interview mit einem vierzehnjährigen Jugendlichen vor.

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analysierte das Phantasieleben sowie die kulturellen Interessen und Bedürfnisse von Jugendlichen, Hildegard Jüngst (1928) versuchte dem Alltagsleben von jungen Industriearbeiterinnen näher zu kommen und Johannes Schmidt (1934) rekonstruierte eine „Typologie der erwerbstätigen Jugend“. Neben den heute partiell noch rezipierten Studien „Jugend und Beruf“ von Paul Lazarsfeld (1931), den tagebuchanalytischen Studien von Charlotte Bühler (u. a. 1922a, 1925), der Studie von Adolf Busemann (1926) „Die Jugend im eigenen Urteil“ und der Freizeitstudie des Berliner Stadtjugendpflegers Robert Dinse (1932) dokumentieren diese, weithin unbekannteren Studien die breite Themenpalette des in den 1920er Jahren expandierenden und die disziplinären Schranken der Psychologie und Pädagogik sprengenden Forschungsinteresses an der Jugend, ihren biographischen Wegen und kulturellen Orientierungen. Eine vergleichbare quantitativ Breite und Vielfältigkeit an Jugendstudien mit einer im Kern biographischen Ausrichtung ist in den darauffolgenden fünf Jahrzehnten nicht anzutreffen. Erst in den 1980er Jahren erlebt die Jugendforschung eine neue und dann im Kontrast zu den 1920er Jahren auch wesentlich auf die Rekonstruktion von biographischen Narrationen setzende Blütezeit. Peter Alheit und Christian Glaß (1986) konzentrierten sich in ihrer Studie „Beschädigtes Leben“ auf die Rekonstruktion von Biographien erwerbsloser Jugendlicher. Unterschiedliche Handlungsformen von Jugendlichen in ihrer Freizeit beschrieb Karl Lenz (1988). Gegen das Konzept einer einheitlichen Gestalt Jugend argumentierend, schlug K. Lenz vor, zwischen familien-, hedonistisch-, maskulin- und subjektorientierten jugendlichen Handlungsformen zu unterscheiden. An das kommunikativ reformulierte lebenswelttheoretische Paradigma anknüpfend (vgl. Habermas 1981), aber gleichfalls gegen das Muster einer einheitlichen Lebensphase Jugend argumentierend, interessierte sich Werner Thole (1991) für den Alltag einer jugendlichen Szene und ihr Verhalten in institutionalisierten wie eigengestalteten Handlungsräumen, ihren Umgang miteinander und mit den gesellschaftlichen Normen. Werner Helsper et al. (1991) zeichneten auf Basis umfänglichen Materials zeitgleich gescheiterte Bildungs- und Ausbildungsverläufe von Jugendlichen biographieanalytisch nach und Eberhard Nölke (Nölke 1996) rekonstruierte anhand biographisch-narrativer Interviews mit Jugendlichen „Prozesse der Marginalisierung“. Werner Fuchs-Heinritz und Heinz-Hermann Krüger (1991; vgl. auch Abels 1993; Ferchhoff und Neubauer 1997) zeigten in ihrer Studie dann, dass die Wege durch die Jugendzeit in den 1980er Jahren endgültig das rechtlich und gesellschaftlich betonierte Flussbett verlassen hatten und neue Verläufe gesucht und gefunden wurden. Neben der jugendlichen Orientierung an starren Altersnormen suchten Jugendliche dieser Studie zufolge jetzt ihren Weg in der Balance

„Ich bin nicht Teil von etwas“ – Biographische Wege …

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zwischen Schule und Clique sowie zwischen individueller und institutionell vorgegebenen Zeitrahmungen oder aber in der Abkehr von klassischen zeitlichen Vorstrukturierungen in der frühen Familiengründung, also in der Einkehr in ein eigenständig gestaltbares familiales Dach.2 Diese Lokalisierungen von Jugend im „Prozess der Reproduktion gesellschaftlicher Strukturen“ bündelte Jürgen Zinnecker (1986, S. 99) in der Erkenntnis, dass nicht mehr ein, sondern drei parallel von Jugendlichen favorisierte Jugendkonzepte empirisch wahrzunehmen sind. Neben dem Konzept „Jugend als politisch-kulturelles Moratorium“ entwarfen demnach Jugendliche in den 1980er Jahren ihren Weg durch die Jugendzeit als „Bildungslaufbahn“ oder aber als „kommerzielle Jugendkultur“ beziehungsweise als „subkulturellen Stil“ (Zinnecker 1986, S. 119). Hintergrund einer derartigen Charakterisierung der jugendlichen Selbstthematisierungen bildete die Beobachtung, dass eine zunehmend komplexer, mobiler und undurchschaubarer werdende Gesellschaft Jugendliche motivierte oder sogar zwang, eine „Patchwork-Identität“ zu entwickeln (vgl. Keupp 1992, 1999), mit der sie situativ heterogene Anforderungen zu „meistern“ suchen, ohne allerdings sich so zugleich die Garantie zu sichern, diese auch bewältigen zu können. Analysen des jugendlichen Aufwachsens hielten zudem fest, dass die Formen der Identitätsentwicklung hybride Züge andeuten, wenn die Selbstvergewisserungen und -verortungen über transnationale Erfahrungen oder einen Migrationshintergrund zusätzlich angereichert oder gebrochen werden (vgl. Fürstenau und Niedrig 2007) und noch undurchsichtiger erscheinen, wenn internet- und handygestützte Präsentations- und Kommunikationspraktiken mit einbezogen werden. Ob und wenn wie diese neuen Alltagspraktiken Identitätsbildungsprozesse neu und anders formen, blieb allerdings empirisch unaufgeklärt und weitgehend unthematisiert. Ausgehend von der Annahme, dass die Herausbildung von

2Dezidiert

zwei Studien der 2000er Jahre schließen an diese Tradition der Jugendforschung an. In ihrer Studie zu Biographien ostdeutscher Jugendlicher bezieht Christine Wieczorek detaillierte Beschreibungen familiärer und gesellschaftlicher Bedingungen des Auswachsens mit ein. Diese nutzt sie allerdings nicht nur zur Kontextualisierung ihres Datenmaterials, sondern lässt ihre Erkenntnisse in eine theoretische Neubewertung der Schule als Sozialisationsfaktor mit diversen Anerkennungsanforderungen einfließen (vgl. Wieczorek 2005). Ähnlich gelagert lässt sich Nicolle Pfaffs multimethodische Studie einordnen. Zwischen einem Jugendsurvey und biographischer Fallstudien changierend zeigt sie nicht nur auf, dass politische Positionierungen von Jugendlichen keinesfalls verschwinden, sie leistet zudem einem Beitrag zum Verständnis jugendlicher Positionierungen allgemein (vgl. Pfaff 2006).

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­ elbstbildern und die Wahrnehmungen der sozialen Umwelt miteinander verS woben sind, wurden die damit verbundenen Fragen jedoch zumindest in der Studie „Jugendliche und Erwachsene `85“ (Jugendwerk der Deutschen Shell 1985) über die Suche nach den sozialen Orientierungsmustern und den Bildern vom Ich in der sozialen Welt in dem bipolaren Spannungsfeld zwischen Anpassungsbereitschaft und Selbstbehauptung aufgegriffen. Resümierend wurde festgehalten, dass Anpassungsbereitschaft zwar generell bei Jugendlichen als zentrale Orientierung zu erkennen ist, nicht jedoch in der erwarteten Ausprägung bei den Jugendlichen der 1980er Jahre. Selbstbehauptung schien der Studie zufolge für die damaligen Jugendlichen eine prägnante, wenn auch keineswegs durchgängig anzutreffende Orientierung darzustellen. Die darin eingewobene Relationierung von Ich und Gesellschaft war bestimmt durch eine defensive, „gegen das Gesellschaftliche gerichtete Selbstverwirklichungsabsicht“ (Jugendwerk der Deutschen Shell 1985, Bd. 1, S. 190 f.). Der Weg durch die Jugendbiographie, zumindest diese Tatsache schien sicher, war für Jugendliche eine schwierige, holprige Tour – für viele sogar eine Tortur –, auch weil sie sich mit dem dynamischen „Abschleifen traditioneller Sozialformen“ (Ziehe 1994, S. 259) konfrontiert sahen und die darüber gegebenen Herausforderungen zu kompensieren hatten. Im Schatten der Bewältigung der kulturellen Freisetzungsprozesse entwickelte sich für Thomas Ziehe (1985, S. 200) eine „Zunahme von Reflexivität“ sowie eine Erweiterung der Möglichkeiten, neue Lebensentwürfe zu entwickeln und diese auch als realisierbar und machbar anzusehen. Die identifizierten kulturellen Tendenzen schienen Jugendlichen neue selbstkonzeptuelle Möglichkeitshorizonte und „Denkmöglichkeiten“ zu eröffnen, allerdings um den Preis der Konfrontation mit neuen „Verunsicherungsnötigungen“, die die tradierten, herkunftsbedingten Lebensformen nicht zu kompensieren vermochten (Ziehe 1985, S. 205). Da Jugendliche den Entzauberungsprozessen der Welt weder „ichstark“ noch über den Rückgriff auf „kollektive Gewissheiten“ zu begegnen vermochten, so Th. Ziehe (1985, S. 209), sind sie gezwungen, neue Handlungsmuster zu entwickeln. Die Entkopplung von den alten Gewissheiten motivierte wie zwang Jugendliche folglich, in kulturellen Suchbewegungen und im Feld der neokonservativen Gegenangebote sich über adäquate Subjektivierungsangebote zu informieren sowie diese dann zu besetzen und zu gestalten. Jugendlichen schienen kaum noch bindende und verlässliche Sicherheiten zur Verfügung zu stehen, auf die sie ritualisiert zur Bewältigung von Risiken des Alltags zurückgreifen hätten können. Die bislang gesellschaftlich und in den Milieus bereitgehaltenen, ritualisierten sozialen Korsette, die unhinterfragt soziale Beziehungen und Orientierungen herstellten, lagen nicht mehr vor. Dieser, über vielfältige empirische Studien abgesicherte Erkenntnisstand prägte den Blick auf

„Ich bin nicht Teil von etwas“ – Biographische Wege …

191

Jugendliche und Jugendgenerationen bis zu den 2000er Jahren und konfiguriert den Blick partiell bis in die Gegenwart. Mehr oder weniger deutlich grundieren die so gewonnenen theoretischen Sichtweisen auf Jugend und Jugendliche die gegenwärtige, biographisch orientierte Jugendforschung. Aktualisiert schimmert diese Perspektive auf Jugend beispielsweise in der „transformatortischen Bildungsforschung“ durch.3 Diese Forschungslinie wurde wesentlich durch die Arbeiten von Rainer Kokemohr, Winfried Marotzki und Hans-Christoph Koller angeregt und ausgestaltet (vgl. Kokemohr 1989, 2007; Marotzki 1990; Koller 1999, 2011). Bildung wird dabei insbesondere von H.-Ch. Koller als Resultat eines Transformationsprozesses gesehen, der sich darin ausdrückt, „dass Menschen in der Auseinandersetzung mit neuen Problemlagen neue Dispositionen der Wahrnehmung, Deutung und Bearbeitung von Problemen hervorbringen, die es ihnen erlauben, diesen Problemen besser als bisher gerecht zu werden“ (Koller 2011, S. 16). Biographien spiegeln demnach den Zugang zu tatsächlich erlebten Bildungsprozessen (vgl. Koller 2011, S. 153). Bildungsprozesse werden damit als empirisch erforschbare Transformationen operationalisiert, in welcher ein Mensch auf die Erfahrung des Fremden oder der Krise mit einem neuen Selbst- und Weltverhältnis reagiert. Dieser Forschungsperspektive könnte vorgehalten werden, dass ein so aufgefasster deskriptiver Bildungsbegriff das „ungelöste Normproblem der Pädagogik“ (vgl. Ruhloff 1980) in der empirischen Vorgehensweise verfehle, weil die Problembearbeitungen in den Biographien nicht auf ihre moralischen Implikationen hin befragt würden (vgl. Wigger 2004; Krinninger und Müller 2012; Rieger-Ladich 2014; selbstkritisch Koller 2016). H.-Ch. Koller argumentiert demgegenüber jedoch, dass in seiner Intention das sozialwissenschaftliche Interesse dadurch flankiert sei, dass es um Bildungsprozesse gehe (vgl. Koller 2011, S. 143). Empirisch operationalisiert findet sich dieser Blick in verschiedenen Studien zu biographischen Artikulationen von Jugendlichen aufgegriffen. Vera King und H.-Ch. Koller wie auch Nadine Rose weisen mit ihren Arbeiten darauf hin, wie insbesondere das Aufwachsen als Migrant*in eine Irritation

3Die

folgenden Ausführungen konzentrieren sich kursorisch auf ein Feld, das heterogen ist, aber einige Gemeinsamkeiten aufweist in der Verschränkung von Bildungstheorie und qualitativ-rekonstruktiver Biographieforschung. So geraten lediglich Facetten der (erziehungswissenschaftlichen) Biographieforschung in den Blick (vgl. etwa das weite Feld in Krüger und Marotzki (1996) sowie Lutz et al. 2017). Beiträge mit Bezug auf Orientierungsmuster (vgl. Bohnsack 1998), zur Entwicklung spontaner Bildungsprozesse (vgl. Nohl 2006) oder Beiträge, die die Irrelevanz der Bildungskategorie für Biographieforschung beschreiben (vgl. Dausien 2016), rücken hier nicht in den Fokus der Argumentationen.

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jugendlicher Selbstverhältnisse darstellt (vgl. King und Koller 2007; vgl. Rose 2013). Aus einer anderen Sicht beschreibt Anke Wischmann in ihrer Jugendstudie, wie sich subjektive Bildungsprozesse im Ringen um Anerkennung in der Adoleszenz andeuten (vgl. Wischmann 20104), und Bettina Kleiner zeigt, wie sich biographische Linien von Menschen transformieren, wenn deren queere Sexualität heteronormativen Erwartungshaltungen widerspricht (vgl. Kleiner 2015). Im Kontrast jedoch zu den biographisch orientierten Jugendstudien der 1980er Jahre wird in diesen neueren biographischen Jugendstudien weitgehend auf eine dezidiert gesellschaftstheoretische Kontextualisierung der rekonstruierten Befunde verzichtet. Die Studien zeigen sich durchaus sensibel für die gesellschaftliche Verfasstheit der Veränderung von Selbst- und Weltverhältnissen. Nur punktuell werden jedoch die rekonstruierten Phänomene auch theoretisch aufgegriffen und als Hinweise für die Neukonfiguration der Jugendphase verstanden. B. Kleiner (2015) skizziert die Wirkmächtigkeit von Heteronormativität, N. Rose (2013) akzentuiert diskursanalytisch sehr differenziert wie der Diskurs über Migration ein komplexes Feld machtförmiger Wirkungen hervorbringt und die jugendlichen Lebenswelten tangiert. Florian von Rosenberg versucht Bildung als Nonkonformität mit der Genese des bürgerlichen Subjekts generell in Verbindung zu denken (vgl. von Rosenberg 2011). Aber das Potenzial der Beforschung jugendlicher Biographien mit der Möglichkeit des Weiterdenkens in gesellschaftstheoretischer Hinsicht in Verbindung zu bringen, wird in diesen Arbeiten nur bedingt ausgeschöpft. Die gesellschaftlichen Gegebenheiten und Bedingungen, auf die Heranwachsende in ihren biographischen Selbstentwürfen reagieren, werden zwar herausgearbeitet, undiskutiert bleibt jedoch weitgehend, welche Schlüsse auf gesellschaftstheoretischer Ebene aus den jugendlichen Selbstinszenierungen gezogen werden könnten und ob und in welcher Form die jugendlichen Perspektiven und Artikulationen Gesellschaft neu präsentieren respektive konfigurieren. Der Gewinn der jüngeren, erziehungswissenschaftlich ausgerichteten biographieinteressierten Jugendforschung, Narrationen von Jugendlichen fokussiert auf konkrete Themen und Fragestellungen hin auszuwerten, ist somit an den Verlust gebunden, jugendliche Erzählungen und Selbstthematisierungen auch hinsichtlich ihrer Konstitution durch gesellschaftliche Bedingungsfaktoren und Phänomene hin zu befragen. Fragen, wie Subjekte Gesellschaft sehen und wie sie sich in der Welt verorten, werden kaum noch prominent platziert. Ob und inwieweit gesellschaftliche Bedingungen und Veränderungen die Hervorbringung

4Vgl.

hierzu auch den Beitrag von Anke Wischmann in diesem Band.

„Ich bin nicht Teil von etwas“ – Biographische Wege …

193

von Subjekten, Subjektivitäten und deren Selbstthematisierungen grundieren, wird aus biographischer Sicht nur noch randständig thematisiert – mit anderen Worten: In den über biographisches Material fundierten Befunden der jüngeren Jugendforschung wird weitgehend darauf verzichtet, zu reflektieren, wie der Umgang mit gesellschaftlichen Herausforderungen von den Subjekten adressiert wird, wie sich in den Selbstdarstellungen Gesellschaft einwebt und wie gesellschaftliche Kontexte von den Subjekten als Repräsentant*innen von Gesellschaft narrativ konstruiert werden.

2 Eva und Katha: Biographische Annäherungen 2.1 Eva Die Protagonistin des ersten Falls, Eva, ist 21 Jahre alt. Sie lebte bis zu ihrem vierzehnten Lebensjahr zusammen mit ihren drei Geschwistern bei ihrer, zumeist vom Vater getrenntlebenden Mutter und dann einige Jahre in verschiedenen familialen und sozialpädagogischen Betreuungssettings. Eva ist ledig, lebt aber gegenwärtig in einer seit gut einem Jahr andauernden gleichgeschlechtlichen Liebesbeziehung. Augenblicklich wohnt sie mit einem Mann und einer Frau zusammen in einer Wohngemeinschaft. „Äähm (2) ja (.) und momentan mache ich ja das FOS (.) mit Schwerpunkt Sozialwesen (.) Uuund (.) hab mich halt entschlossen danach zu schauen, ob ich Soziale Arbeit studiere oder halt nicht – oder ob ich erstmal `ne Pause mache und ein bisschen reise.“ In der Eingangserzählung rahmt die Protagonistin Eva ihre Erzählung über die Thematisierung der von ihr bewohnten Orte. Eva  „Okay. Ääähm ja ich bin (2) nicht gebürtig aus A-Stadt, sondern aus C-Stadt und bin damals mit sieben Jahren rübergekommen. So nach A-Stadt. Ääähm (4) ja, weil, meine Tante hier gewohnt hat und da wollten wir sie so bisschen begleiten. Ähm, ich selber hab (3) paar Geschwister – also drei Geschwister. Ääähm (3), ein Bruder – ein Größeren, eine größere Schwester – also das ist die Älteste von uns. Und dann noch eine kleine Schwester. (4) Ähhm (2), ja, und (.) hab dann eigentlich hier angefangen zur Vorschule zu gehen und bin in Stadtteil A aufgewachsen, hier eine Zeitlang, bevor ich dann in die Stadtteil B gezogen bin. Und, äähm (3), ja eigentlich als Kind immer @ eher nicht das gemacht, was Mädels so machen, sondern immer son bisschen mit Fahrrädern rum geschraubt und ja und son bisschen im Garten gearbeitet und alles und Fußball gespielt – die ganze Zeit“.

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Die an Orte gebundene und über die Beschreibung von Wohnortswechsel chronologisierte Erzählorientierung hält die jugendliche Biographin auch im weiteren Verlauf aufrecht. In der Eingangserzählung ist zunächst auffällig, dass ihre Geschwister, nicht jedoch ihre Eltern erwähnt werden und sie nach dem genannten Wohnortswechsel offenlässt, mit wem sie gemeinsam umzog und zu wem sie zog. Deutlich ist auch, dass sie zwar ihre frühe Kindheit, nicht jedoch ihre Jugendzeit erwähnt, obwohl über den Stimulus eben nach der Gestaltung ihrer Jugendzeit explizit gefragt worden war. Und die erneute, sich dieser Passage anschließende Nachfrage, motiviert Eva zunächst nicht, ihr Erinnern an die Jugendphase zu schildern, sondern herauszustellen, wir waren viel „Draußen im Wald und (.) sind immer rausgefahren mit den Fahrrädern. (4) Ääähm (2). Das war eigentlich das Besonderste.“ Sie verbleibt in ihrer Erzählung in der Kindheit und berichtet, dass sie ein „schon ziemlich kreatives Kind“ war, „auch impulsiv“ und auch viel „Sportliches und viel Bauzeugs“ gemacht hat. In Bezug auf die Gestaltung ihrer Jugendzeit erzählt sie in der erweiterten Eingangssequenz lediglich, dass sie „sonst auch im Jugendzentrum auch Zeit verbracht“ hat. Die Konnotation „auch“ deutet zwar an, dass sie damals auch woanders Zeit verbringt, wo sie jedoch mit welchem Engagement ihre Jugendzeit gestaltet, bleibt zunächst weiter offen. Nochmaliges Insistieren der Interviewerin greift die Biographin dann allerdings sofort auf und hebt hervor, dass sie mit den Besuchen des Jugendhauses „viel Gutes, viel, viel, vieles, viel was gefördert wurde und auch gesehen wurde“. Ergänzend führt sie aus, dass sie hierin auch jenes sieht, was sie „dann auch automatisch mit Jugend verbinde“, um sogleich und direkt im Anschluss zu präzisieren, „dass ich nicht Zuhause, ääähm, die ganze Zeit gewohnt hab`“. Im weiteren Verlauf konkretisiert die Protagonistin Eva diesen zunächst noch undeutlichen Hinweis und klärt darüber auf, dass sie „seit ich vierzehn oder fünfzehn bin, (…), also ich habe da in verschiedenen Betreuungsformaten gelebt.“ Wird die von Eva im Interview verstreut und keineswegs chronologisch referierte Zeit der Jugend insgesamt betrachtet, dann kann davon ausgegangen werden, dass die Protagonistin aufgrund von familialen Gewalterfahrungen erstmals mit 14 Jahren Kontakt zum Jugendamt aufnahm. Ihre Erzählung konstruiert die Kontaktaufnahme ebenso als einen von ihr aktiv gestalteten Prozess wie den Auszug aus der elterlichen Wohnung – „Ich habe mich nicht mehr wohlgefühlt und hab‘ dann beschlossen, in ein betreutes Wohnen zu ziehen“. Zunächst wohne Eva dann, so ist ihrer Erzählung zu entnehmen, für mehrere Monate in einer außerhalb ihres Stadtteils im „nirgendwo“ liegenden Übergangseinrichtung und anschließend in einem anderen Stadtteil in einer Mädchengruppe, die von zwei „Betreuerinnen, die dort auch geschlafen haben“, pädagogisch „mit sehr viel Regeln und Struktur“ geleitet wurde. Sie erzählt, nach zehn Monaten diese

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Gruppe verlassen zu haben und dann für vier Monate zu einer älteren Freundin gezogen zu sein, die Eva in ihrer eigenen Immobilie eine eigene kleine Wohnung einrichtete. Nach einiger Zeit zog sie dann ihrer Erzählung nach mit Unterstützung des Jugendamtes erneut in ein betreutes Wohnprojekt, um von „dort aus alles nochmal zu starten und aufzubauen“. In dem Wohnprojekt wohnte sie dann zwei Jahre. Anschließend, inzwischen achtzehn Jahre alt, „bin ich in meine eigene Wohnung gezogen (.) und das war die gleiche Wohnung wo ich zeitweise (.) bei (.) der Bekannten gewohnt ha‘, der sehr guten Freundin von mir, (1) ähm (.), ja das war in der Straße B, ähm im Stadtteil E“. Im Anschluss daran zog Eva, so berichtet sie, in die von ihr jetzt noch bewohnte Wohnung mit ihren derzeitigen Mitbewohner*innen zusammen. Erst zu einem späteren Zeitpunkt des Interviews erzählt Eva von ihren „depressiven Verstimmungen“ und ihren Therapieerfahrungen sowie „ich bin nicht zur Schule gegangen“, weil ich nicht „raus“ wollte, sie „ähm nicht mehr gemacht“ habe, außer „jeden Tag `ne Toffifeepackung zu essen“. Wie in Bezug auf die Eingangspassage schon herausgestellt, rahmt die Biographin ihre Erzählung über Hinweise auf die jeweils von ihr bewohnten sozialen Räume und markiert Veränderungen in ihrer biographischen Erzählung über die Betonung von räumlichen Neubesetzungen. Im Kontext dieser biographischen Chronologisierung platziert sie erlebte Konflikte, Krisen und komplizierte biographische Ereignisse und Veränderungen. Die jeweils neu besetzten und eroberten räumlichen Konfigurationen werden so zu Kristallisationskernen wie zum Fluchtpunkt ihrer biographischen Erzählung. Diese über Räume sortierten Vergewisserungen ermöglichen ihr, einen insgesamt zunächst als konsistent erscheinenden Blick das bislang erlebte Leben in der Spanne vom Umzug von C-Stadt nach A-Stadt bis hin zu ihren jetzigen Reiseplänen zu konstruieren. Bis zum Ende der biographischen Erzählung bleibt allerdings unklar, ob und wenn, wann unter welchen Umständen die Eltern sich trennten – dass sie sich wahrscheinlich trennten, dennoch aber auch wieder zusammenwohnten, wird lediglich im Zusammenhang einer Erzählung über die zaghaft bestehenden Kontakte zu den Geschwistern und zur Mutter angedeutet. Welche Erlebnisse von gewaltvollen Integritätsverletzungen sie motivierten, aus dem Elternhaus auszuziehen, bleibt allerdings weitgehend verborgen. Biographische Brüche, Krisen bis hin zu Therapieerfahrungen werden ohne besondere Betonung oder Problematisierung erwähnt, keineswegs jedoch als Ereignisse vorgestellt, die sie verunsicherten oder sogar in einer bedeutsamen Form prägten und beispielsweise ihren jetzigen Berufswunsch motivieren. Ohne dramatisierende Betonungen des doch relativ inkonsistenten, von Brüchen und Handlungskrisen geprägten Wegs durch die gesamte Jugendphase gelingt es ihr, die Zeit des Aufwachsens als einen

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­ eitgehend erfolgreich bewältigten Lebensabschnitt zu präsentieren, den sie aktiv w zu gestalten vermochte und der keineswegs von institutionellen Interventionen, Freund*innen oder anderen Personen angeregt oder von ihr nach vorgegebenen Handlungsplänen gestaltet werden musste.

2.2 Katha Die zwanzigjährige Katha, welche als Einzelkind aufwuchs, entwirft ein geradliniges Bild ihrer eigenen Entwicklung. Sie betont, dass ihr Leben als Einzelkind ihren Charakter geformt habe. Die Orientierung ihrer Eltern an gesellschaftliche Normalitätsannahmen wird von der Erzählerin mit Hinweis auf deren dauerhafte Ehe zu Beginn des Interviews genauso betont wie deren Berufstätigkeit, welche dazu geführt habe, dass sie als Kind viel von den Großeltern betreut wurde. Sie beschreibt, auf dem Dorf gewohnt zu haben, wobei dies allerdings lediglich ihr Wohnort gewesen sei. Sie erwähnt, sich überwiegend in der nächstgelegenen Stadt aufgehalten zu haben. Sehr früh nennt sie eine Orientierung, die ihr bis heute wichtig zu sein scheint: Katha  „(…) ich spiele Klavier und Ukulele und ich singe gerne also Musik eigentlich alles Kreative. Ich finde Leute, die nichts Kreatives in ihrem Leben machen, ziemlich gruselig, weil wenn man noch nie ein Lied geschrieben hat oder eine Geschichte oder ein Gedicht oder noch nie was gemalt hat, find` ich ist das ziemlich gruselig, weil ich jeder Mensch find ich hat so braucht sowas Kreatives um sich raus zu-auszulassen.“ Katha weist damit nicht nur darauf, dass sie selbst eine Person sei, für die das Kulturelle und das Kreative ein wichtiger Wert darstelle, der sich bei ihr in Praktiken der Freizeitgestaltung bemerkbar mache. Sie liefert nicht nur diese Beschreibung, sondern grenzt sich gleichzeitig in sozial abwertender Manier von Menschen ab, denen dies fehle. Sie beschreibt diese als „gruselig“. Lieder, Gedichte oder Geschichten schreiben sind für sie so selbstverständlich, dass sie es als Norm formuliert, wonach jeder Mensch so ein Ventil benötige. Insgesamt scheint Kathas Leben zielstrebig auf einen Punkt zugelaufen zu sein. Sie beschreibt es nach dem Schema, dass ihr ein Leben auf dem Dorf noch nie habe genügen können. Stattdessen habe ein anderes Ziel im Vordergrund gestanden, denn sie habe sich „ja entschlossen, ins Ausland zu gehen für mein Studium, weil ich eigentlich immer weg wollte von dieser Stadt“.

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In vielen Passagen des Interviews verweist Katha auf das Studieren im Ausland. Diese Hinweise scheinen ihr sehr wichtig, auch um zu verdeutlichen, was sie bislang in ihrem Leben erreicht habe. Sie beschreibt sich damit als sehr zufrieden und unterstreicht die Bedeutung des Ortswechsels für ihr Wohlbefinden in ihrem Leben. Im Laufe der Interpretation des Interviews stellt sich alsbald allerdings eine Irritation ein, da Katha auch benennt, dass es sich bei ihrem Studienort im Ausland um einen grenznahen, niederländischen Hochschulstandort handelt, wo Studiengänge in den Sprachen Deutsch und Englisch angeboten werden. Unter diesem Aspekt erscheint die Relevanzmarkierung des Ortes als Studienort im Ausland noch stärker als Distinktionssetzung. Ein Studienort im Inland und in der Nähe des Herkunftsortes zu wählen, wird als naheliegend imaginiert und demgegenüber eine bewusste Abgrenzung markiert. Dies entspricht, zumindest wenn hier Pierre Bourdieu (1996) gefolgt wird, der eigentümlichen Logik, dass in sozialen Feldern feinste Unterschiede als Absolutes markiert werden, um auf die besondere Verfasstheit des eigenen Identitätsentwurfs hinzuweisen. Entsprechend der Logik solcher Markierungen scheint es sehr wohl bedeutsam zu sein, dass Katha herausstellt, nicht den nächstbesten Studienort gewählt zu haben, sondern dass sie sich von vielen Abiturient*innen unterscheide, in dem sie sich für das Ausland entschieden habe. Solcherlei Inszenierungen des Besonderen findet sich auch in der Angabe des Berufswunsches wieder. Gemessen an der Selbstdarstellung als kreativer Mensch mag es nämlich geradezu überraschen, dass sich Katha für ein Studium von „economics and business economics“ entschieden hat, einen Studiengang, mit dem lediglich wenig Möglichkeitsräume der Ästhetisierung assoziiert werden. Katha  „ Ähm (.) ja ich mach jetzt mein Abschluss in economics and business econimics und möchte dann erstmal ins Ausland, möchte (.) äh internship machen am liebsten so in Lateinamerika oder irgendwo wo woo, die Länder nicht so entwickelt sind wiiie hier ähm (.) und möchte in Umwelt(.)wirtschaft gehen, das heißt zu gucken, dass ich andern Ländern helfen kann entweder weniger unterdrückt zu werden von den Großkapitalisten oder das man Großkapitalisten sagt, wie sie mehr die Umwelt schützen können oder die Meere reinigen oder es gibt so viel was man da machen kann die Richtung.“ Ihren erhofften beruflichen Werdegang entrückt sie damit narrativ von der Logik ökonomischer Effizienz. Dagegen beschreibt sie sich selbst als empathisch gegenüber Menschen in Ländern, denen sie Entwicklungsrückstände attestiert. Ihre

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eigene mögliche, berufliche Verortung sieht sie daher im Kampf für eine sauberere Umwelt und in der Auseinandersetzung mit einer besitzenden Kapitalistenklasse, welche für die Zerstörung dieser zur Verantwortung zu ziehen sei. Hiermit versucht sie zu verdeutlichen, dass sie sich auch aufgrund des von ihr gewählten Studiengangs keineswegs eingebunden sieht in die Sprache und Thematisierungen ökonomischen Denkens. In ihrer Narration deutet sie zumindest sprachlich eine antikapitalistische, gesellschaftskritische Haltung an, die sie zudem von den vermeintlichen Intentionen der Wirtschaftswelt abgrenzt. Kathas Narrationen sind durchzogen mit Inszenierungen von Zufriedenheit. Die Betonungen, dass jeweils anvisierte zu erreichen, untermauern ihre Präsentationen von Zufriedenheit. Sie präsentiert sich als Person, welche sich Dinge vornimmt, diese umsetzt und mit den erhofften Auswirkungen zufrieden ist.

3 Selbstoptimierungsnarrationen – Erkenntnisse und Thesen In beiden Erzählungen präsentieren die jüngeren Erwachsenen ihre Wege durch die Jugendzeit als Prozesse der Angleichung respektive Anpassung an den von ihnen als gesellschaftlich „normal“ identifizierten Entwurf von Jugend sowie als weitgehend krisen- und bewältigungsproblemfreie Gestaltung der Jugendphase. Herausforderungsvolle, tendenziell auch Krisen und Verunsicherungen hervorrufende Lebensereignisse werden zwar in den Narrationen nicht ausgeblendet, jedoch keineswegs dramatisiert und zentral platziert oder als Erleben auch von Ohnmacht, als problematische, mit Zukunftsängsten durchzogene Leidenserlebnisse der Hilflosigkeit und Beschämung erinnert. Lebensereignisse, die Verlaufskurven (vgl. Schütze 1999) andeuten, also Ereignisse, die sie möglicherweise nicht selbstmächtig zu gestalten vermochten, wie etwa die außerfamilialen Unterbringungen von Eva im Rahmen der sozialpädagogischen Hilfen zur Erziehung, bleiben in den Narrationen zwar nicht ausgeblendet, werden jedoch als selbstgestaltete Lebensphasen erzählt. Auffallend ist zudem, dass die beiden Protagonistinnen familiale Konstellationen und insbesondere Freundschaftsbeziehungen und -netzwerke in ihren Erzählungen keine durchgehend hohe Bedeutsamkeit zuweisen. Typischen, mit der Jugendzeit verbundenen Phänomenen – extensiv Musik hören, sich mit Freund*innen entspannen, die Suche nach einer Selbstund Weltdeutungen tragenden kulturell-ästhetischen Orientierung, Absetzungen von familialen Vorgaben und Normen oder das Suchen und Finden von ersten Liebesbeziehungen – wird keine exklusive, die Jugendzeit prägende Bedeutung in den Narrationen zugewiesen. Im Kern präsentieren die beiden jetzt älteren

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Jugendlichen in ihren biographischen Erzählungen mit Blick auf ihre Jugendzeit konsistente, krisenfreie, zukunftsoffene, mit sich selbst zufriedene Identitätskonstruktionen. Im Kontrast jedoch zu den Befunden der 1980er Jahre, wo vergleichbare Positionierungen als gegengesellschaftliche Selbstverwirklichungskonstruktionen entworfen wurden (Jugendwerk der Deutschen Shell 1985, Bd. 1, S. 190 f.), wird von Katha und Eva die Entwicklung und Gestaltung von Selbstbehauptung als ein Anpassungsprozess ohne gegengesellschaftliche Attitüden gekennzeichnet. Sensibel, ohne reflexive Vergewisserungen und orientiert auf „Machbarkeit“ (vgl. Ziehe 1985) scheinen beide darauf bedacht, ihre Selbstrepräsentationen nicht als gegenkulturelle, normabweichende Wege durch die Jugendzeit, sondern als konventionelle und normkompatible, aber zugleich auch als selbstbestimmte Gestaltungen und Realisierungen eines „Normalentwurfs von Jugend“ erscheinen zu lassen. Die Protagonistinnen der hier vorgestellten biographischen Narrationen werfen einen von hoher Deskriptivität geprägten Blick auf ihre Jugendzeit und skizzieren diese als Bewältigung einer Lebensphase. In ihren Narrationen präsentieren sie ihre Jugendzeit als „erfolgreich“ bestanden und optimal gestaltet, die sie jedoch zugleich, so deuten die Rekonstruktionen ebenfalls an, dennoch nicht gelebt zu haben scheinen. Gesellschaftliches wird lediglich zwischen den Zeilen mitgedacht, als eigenständige, auch das Ich tangierende Dimension jedoch nicht markiert. Und doch schimmert es in den Präsentationen insofern auf, als darauf geachtet wird, sich nicht als ein Subjekt zu konzipieren, das mit den als konventionell angenommenen gesellschaftlichen Regeln nicht konform zu gehen vermag. Eva scheint zu wissen, was soziale Ausgrenzung bedeutet, und in ihrer Erzählung darauf zu achten, sich nicht als ein Subjekt zu entwerfen, das hiervon betroffen war oder sein könnte. Mit vergleichbarer Intention scheint Katha auf ihre musikalischen Ambitionen als ein Handeln „aus sich selbst heraus“ (Ehrenberg 2012) zu verweisen, auch um zu betonen, dass sie diejenigen, die sich nicht kreativ betätigen, „ziemlich gruselig“ findet. Als ob sie um die Brisanz von biographischen Narrationen wüssten, präsentieren sie ihr Bild vom Ich in der Welt als Selbstoptimierungskonstruktionen. Sie präsentieren sich als ein Ich, das die Umwelt und die sozialen Ereignisse der näheren Welt souverän zu bewältigen und autonom zu gestalten vermag. Die Aktivistinnen der Fridays For Future Bewegung – in der öffentlichen Wahrnehmung scheinen hier jüngere Männer kaum engagiert zu sein –, scheinen zunächst diesen anpassungsorientierten Selbstpräsentationen von Eva und Katha nicht zu entsprechen, artikulieren sie doch Positionen, die mit Welt- und Zukunftsvorstellungen der als hegemonial anzusehenden politischen Milieus nicht durchgehend übereinstimmen. Doch im Kern schimmert auch in dieser Bewegung nur zaghaft ein gegenkultureller

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Gesellschaftsentwurf durch. Noch wird lediglich die von Erwachsenen dominierte Politik daran erinnert, Versprechen und Programme prominenter auf der alltagspraktischen politischen Agenda zu platzieren. Im Kern erinnern sie die Partien der sogenannten „politischen Mitte“ lediglich daran, die in den politischen Programmen formulierten Weltoptimierungsversprechen ernst zu nehmen. Das in den biographischen Artikulationen von Eva und Katha identifizierte Konzept der Selbstinszenierung als Erfolgsgeschichte findet sich auch in den weiteren Interviews des sicherlich noch ausbaufähigen Samples der hier herangezogenen Jugendstudie. Ob andere Narrative und wenn welche von Jugendlichen gegenwärtig artikuliert werden, bleibt offen. Gleichwohl findet das rekonstruierte Selbstoptimierungsnarrativ eine verblüffende Entsprechung in den momentan gehypten Genre autobiographer Bildungsromane. Der Erfolg und die mediale Aufmerksamkeit von Werken wie Didier Eribons „Rückkehr nach Reims“ (vgl. Eribon 2016), James David Vances „Hillbilly-Elegie: Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise“ (vgl. Vance 2017) oder aber auch von Ulla Hahns „Wir werden erwartet“ (vgl. Hahn 2017) sind bemerkenswert.5 Markus-Rieger-Ladich sieht die Gefahr, dass diese und andere Selbstbeschreibungen pädagogischer Institutionen und des Berufslebens als „Cooling out“ geradezu dazu führen könnten, dass Subjekte diese gesellschaftlichen Felder in ihren Selbstkonzepten auch so übernehmen (vgl. Rieger-Ladich 2018), also beispielsweise darauf verzichten, die nicht immer erfolgreichen Bildungsbemühungen gesellschaftlicher Institutionen auch als ein Scheitern dieser und nicht als ihr subjektives Leiden an diesen zu deuten. Aus dieser Perspektive ließe sich etwa D. Eribons Roman „Rückkehr nach Reims“ nicht nur als Entfremdungsgeschichte vom Herkunftsmilieu samt Anpassungsschwierigkeiten an ein intellektuelles Milieu deuten, sondern als eine Erzählung, die, im Einklang mit den hier favorisierten Deutungen, eine Selbstoptimierungskonstruktion entwirft, die Momente des Scheiterns ausklammert oder nivelliert.6 Erlebnisse des Scheiterns und Beschämungen ausklammernde oder souverän kaschierende IchReflexionen und Selbstverortungen in der sozialen Welt, und darauf weist Sighard

5Vorläufer

hat diese Form der Literatur beispielsweise in Reflexionen wie „Die Wörter“ von Jean-Paul Sartre (1984) oder „Der Verräter“ von André Gorz (1997). 6Dies lässt sich auch an einem Beispiel aus einem weniger bildungsbürgerlichem Referenzrahmen verdeutlichen: Sabrina Schröder verdeutlicht in Bezug auf die Autorin des Werkes „Sei schlau, stell dich dumm“ Daniela Katzenberger, dass selbst die Inszenierung drastischen Nichtwissens durch den Hinweis auf Erfolg zelebriert werden kann und strategische Marktvorteile mit sich bringt (vgl. Schröder 2017).

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Neckel (2008) hin, verschleiern gesellschaftliche Realitäten. Das Selbst wird zur „Hauptbeschäftigung“, um der angenommenen Herausforderung, „sich selbst zu regieren und aus sich selbst heraus zu handeln“ (Ehrenberg 2012, S. 300 ff.), zumindest narrativ entsprechen zu können. In der Ausformulierung eines „unternehmerischen Selbst“ (Bröckling 2007) geht es in diesen Selbstthematisierungen und -verortungen in der sozialen Welt nicht mehr um die Darstellung der Praxis, wie die Anforderungen der kapitalistischen Leistungsgesellschaft bewältigt werden können, sondern vornehmlich darum, Leiden an der Gesellschaft zu tarnen, neu zu framen und den erlebten Alltag als gelungene und erfolgreiche Gestaltungen der gelebten Zeit zu kommunizieren. Möglicherweise finden sich in den Narrationen Spuren dessen, was Andreas Reckwitz (2019, S. 289) als „das komplizierte Streben nach Einzigartigkeit und Außergewöhnlichkeit“ beschreibt, welches nicht nur subjektiver Wunsch ist, „sondern paradoxe gesellschaftliche Erwartung geworden ist“. Für erziehungswissenschaftliche Jugendforschung und die pädagogische Praxis stellt dies eine enorme Herausforderung dar. Begegnen sie Selbstbeschreibungen zu affirmativ, so laufen sie Gefahr, ökonomisch-politisch intendierte Subjektivierungsformen aus pädagogischer Perspektive als gelungene Formen der Lebensbewältigung zu klassifizieren. Verlieren sie hingegen die Widersprüchlichkeiten innerhalb der Inszenierungen von Subjektivität gegenüber kapitalistischer Wertungslogiken und Vergesellschaftungsformen aus dem Blick, so setzen sie sich dem Bedenken aus, den Selbstadressierungen der Subjekte nicht zu glauben und ihren Versuchen, sich selbst zu regieren, mit Misstrauen zu begegnen, also die Subjekte mit dem Verdacht zu konfrontieren, fremdregiert zu sein.

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Prof. Dr., Dipl. Pädagoge Werner Thole,  Pädagoge, ist Hochschullehrer für Erziehungswissenschaft, Schwerpunkt Soziale Arbeit und außerschulische Bildung am Fachbereich Humanwissenschaften der Universität Kassel. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Jugend und Kindheit, Kinder- und Jugendhilfe, Professionalisierungs-, Kindheits- und Jugendforschung, Theorie und Praxis der Sozialpädagogik, Strukturen und Praktiken pädagogischen Handelns. Lukas Schildknecht, MA,  ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Soziale Arbeit und außerschulische Bildung an der Universität Kassel. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Kindheits- und Jugendforschung, der Analyse diskursiver Praktiken, der Erziehungs- und Bildungsphilosophie und der Kulturellen Bildung.

Teil IV Jugendforschung zwischen Politik, Pädagogik und Wissenschaftsbetrieb

Zur aktuellen Lage und Zukunft der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung – inhaltliche und strukturelle Herausforderungen Heinz-Hermann Krüger, Birgit Reißig und Christine Wiezorek Zusammenfassung

In diesen Beitrag diskutieren drei Akteur*innen aus unterschiedlichen Kontexten der Jugendforschung in Deutschland über den aktuellen thematischen und methodischen Stand einer erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung, ihre Position innerhalb der Disziplin und ihre strukturelle Verankerung sowie über zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten. Abstract

In this article, three actors from different contexts of youth research in Germany discuss the current thematic and methodological status of youth research in educational science, its position and structural embodiment within the discipline itself as well as future development opportunities.

H.-H. Krüger (*)  Universität Halle-Wittenberg, Wuppertal, Deutschland E-Mail: [email protected] B. Reißig  DJI München, München, Deutschland E-Mail: [email protected] C. Wiezorek  Universität Gießen, Gießen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Grunert et al. (Hrsg.), Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27612-6_12

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Wie kann die Situation der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung aktuell beschrieben werden? In welchem Verhältnis stehen disziplinäre Perspektiven der Jugendforschung und was kann hierin als erziehungswissenschaftlicher Forschungszusammenhang ausgemacht werden? Welche jüngeren und aktuellen Entwicklungen zeichnen sich ab in der Institutionalisierung erziehungswissenschaftlicher Perspektiven auf Jugend? Welche Forschungsfelder und Entwicklungsbedarfe im Spannungsfeld von Grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung, Forschungsförderung und Institutionalisierung sowie Theorie- und Methodenentwicklung sind aktuell zu bestimmen? Zu diesen Fragen diskutieren im Folgenden entlang der Anregungen von Cathleen Grunert drei Akteur*innen, die für verschiedene Perspektiven auf Jugendforschung in der Erziehungswissenschaft stehen: Heinz-Hermann Krüger als langjähriger Protagonist, engagierter Streiter für neue Themen und Perspektiven und kritischer Begleiter des Forschungsfeldes macht dazu jeweils einen Aufschlag, Birgit Reißig als interdisziplinär und multiperspektivisch orientierte Jugendforscherin, Leiterin der Außenstelle Halle am Deutschen Jugendinstitut und des Forschungsschwerpunkts „Übergänge im Jugendalter“ und Christine Wiezorek als eine der wenigen Erziehungswissenschaftler*innen mit einer Professur im Feld der Jugendforschung, als Mitglied des aktuellen Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft und als langjähriges Vorstandsmitglied der Sektion Jugendforschung in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie antworten.

1 Wie würden Sie die aktuelle Situation der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung beschreiben? Heinz-Hermann Krüger: Diese Frage lässt sich auf zweifache Weise beantworten, je nachdem, ob man entsprechend den Prämissen der Wissenschaftsforschung eher die sozialen Strukturen, die personellen und finanziellen Rahmenbedingungen sowie die Medien des fachlichen Austausches oder eher die kognitiven Strukturen, die theoretischen Diskussionen, die methodischen Entwicklungen und die zentralen thematischen Forschungslinien in den Blick nimmt. Betrachtet man zunächst die institutionelle Verfasstheit der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung, so stellen sich die personellen und finanziellen Voraussetzungen dafür gegenwärtig eher schwierig dar. So hat z. B. eine von mir durchgeführte Internetrecherche gezeigt, dass im Unterschied zum Fach Psychologie, wo Professuren für Entwicklungspsychologie zur Grundausstattung der meisten psychologischen Institute in Deutschland gehören, im Fach

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Erziehungswissenschaft nur sieben Professuren eine explizite Denomination zu dem Themengebiet Kindheits- und/oder Jugendforschung haben. Und im Unterschied zu den Fachgesellschaften für Psychologie und Soziologie ist die Jugendforschung in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft auch nicht mit einer eigenständigen Sektion vertreten. Ähnlich ungünstig stellt sich die erziehungswissenschaftliche Jugendforschung gegenwärtig auch im Bereich der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Grundlagenforschung dar. Im Gegensatz zu den 1980er- und 1990er-Jahren, wo die Erziehungswissenschaft noch federführend an der Einrichtung und Durchführung von zwei DFG-Schwerpunktprogrammen zur pädagogischen Jugendforschung und zur Kindheit und Jugend im deutschdeutschen Vergleich und einem Sonderforschungsbereich an der Universität Bielefeld beteiligt war, nehmen von der DFG geförderte Projekte aktuell nur noch einen eher marginalen Stellenwert ein. So sind in den Datenbanken der DFG insgesamt nur 19 Projekte im Bereich der Jugendforschung erfasst, die sich zudem noch auf die Fächer Erziehungswissenschaft, Psychologie, Soziologie und Geschichtswissenschaft verteilen (DFG 2018). Daneben gibt es sicherlich aktuell eine Vielzahl von noch genauer zu recherchierenden Projekten, die von Bundesministerien, Länderministerien oder Stiftungen und Unternehmen wie etwa der Deutschen Shell AG finanziert werden. Diese haben jedoch oft den Nachteil, dass sie von kurzfristigen Verwertungsinteressen ihrer politischen oder ökonomischen Auftraggeber abhängig sind. Exemplarisch sei etwa auf eine Reihe vom Deutschen Jugendinstitut in München und Halle durchgeführter Forschungsprojekte verwiesen, die oft kurze Laufzeiten haben und unmittelbare bildungs- und jugendpolitische Interessen ihrer ministeriellen Auftraggeber bedienen müssen. Weitaus besser sieht hingegen der Institutionalisierungsprozess der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung im Bereich der Dokumentation des Forschungswissens in Gestalt von Handbüchern (vgl. Handbuch der Kindheits- und Jugendforschung, Handbuch der Peerforschung) oder der Publikation von Forschungsergebnissen in peerreviewten Zeitschriften (Diskurs Kindheitsund Jugendforschung, Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation) aus, an deren Herausgabe Professor*innen aus dem Fach Erziehungswissenschaft maßgeblich beteiligt sind. Während somit die Bilanz zur institutionellen Gestalt der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung eher ambivalent ausfällt, gilt dies weitaus weniger beim Blick auf den Stand der Theorie- und Methodenentwicklung und die thematische Breite der bisher durchgeführten Forschungsprojekte. Zwar ist der theoretische Diskurs in der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung und der sie rahmenden Sozialisationsforschung nicht mehr durch Versuche bestimmt,

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in komplexen mehrebenenanalytisch angelegten Großtheorien gesellschaftstheoretische, institutionentheoretischen und persönlichkeitstheoretische Ansätze zu integrieren. Vielmehr ist der aktuelle theoretische Diskurs eher durch eine Pluralität, Ausdifferenzierung und ein Nebeneinander verschiedener Theorieströmungen gekennzeichnet. Auf der Ebene gesellschaftstheoretischer Diagnosen finden sich erstens Fortschreibungen von Becks Theorie reflexiver Modernisierung und des Theorems von einer Individualisierung von Lebenslagen etwa in einer positiven Lesart in den Arbeiten von Wilfried Ferchhoff, der die flexiblen Einbindungen von Jugendlichen in posttraditionale Vergemeinschaftungsformen betont oder in einer skeptischen Lesart etwa in aktuellen Studien von Wilhelm Heitmeyer, der den Blick auf die Schattenseiten und Folgewirkungen von Individualisierungsprozessen für Jugendliche richtet. Im Zuge der Wiederentdeckung der sozialen, insbesondere der Bildungsungleichheit treten, beispielsweise in Studien von Werner Helsper und anderen, zweitens wieder theoretische Ansätze in den Vordergrund, die sich auf Pierre Bourdieus Theorie der Lebensstile, des sozialen Raums und des Habitus beziehen und Jugend unter der Perspektive der Reproduktion sozialer Ungleichheit und des generationalen Transfers betrachten. Drittens haben in diesem Zusammenhang auch differenztheoretische Ansätze an Bedeutung gewonnen, die die Dimensionen von Klasse, Geschlecht und Ethnie gleichzeitig berücksichtigen. Viertens wird versucht, in Anlehnung an Ulrich Bröcklings Konzept des unternehmerischen Selbst oder an Hartmut Rosas Theorem von der Beschleunigung des Sozialen, den auf Jugendliche ausgeübten Beschleunigungsdruck durch die Verkürzung von Schul- und Studienzeiten und die ihnen auferlegten Zwänge der Selbstoptimierung theoretisch zu fassen. Auf einer mikroanalytischen Ebene rücken inzwischen praxistheoretische Konzepte ins Zentrum, die in einer ethnografischen Perspektive die verschiedenen Sinnschichten des kulturellen Alltagslebens sowie die sozialen Praktiken von Jugendlichen in pädagogischen Zusammenhängen beschreiben oder in einer wissenssoziologischen Variante aus Gruppendiskussionen und Interviews die habituellen Orientierungen von Jugendlichen herauszuarbeiten suchen. Auf einer persönlichkeitstheoretischen Ebene wurde das in den 1980er-Jahren entwickelte Konzept von Jugendlichen als aktiven Gestalter*innen ihrer Umwelt inzwischen in sozialkonstruktivistischen Theorieansätzen oder in transaktionalen Prozessmodellen in der Entwicklungspsychologie der Lebenspanne modifiziert und weiterentwickelt, die Übergänge im Jugendalter bzw. Lebenslauf als soziale Prozesse begreifen, die gesellschaftlich gerahmt sind. Neben diesem pluralen Nebeneinander von Theorieangeboten zur Erklärung einzelner Dimensionen des Untersuchungsgegenstands Jugend, gibt es inzwischen auch Versuche zumindest Brückenkonzepte zu entwickeln, die in der

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Lage sind, mehre Analyseebenen des Gegenstandsfeldes Jugend gleichzeitig in den Blick zu nehmen. So plädieren etwa Andreas Walther und andere in ihren Studien zu Übergängen dafür, diskurstheoretische, praxistheoretische und transaktionale persönlichkeitstheoretische Prozessmodelle bei der Analyse von Übergängen im Jugendalter (bzw. im Lebenslauf) zu verbinden, um die diskursive Artikulation von Anforderungen, die institutionelle Prozessierung und die sozialen Praktiken an Übergängen sowie die Lern- und Bildungsprozesse am Übergang und deren Niederschlag in biografischen Entwicklungen erfassen zu können. Auch im Bereich der methodologischen Begründungen und der praktischen Umsetzung quantitativer und qualitativer methodischer Zugänge sind in den vergangenen Jahrzehnten in der Jugendforschung enorme Fortschritte gemacht worden. Im Feld der quantitativen Jugendforschung wurden inzwischen eine ganze Reihe nationaler Jugendsurveys mit immer größeren Stichproben und unter Berücksichtigung umfassenderer Alterspannen, bspw. am DJI, sowie eine Vielzahl von Längsschnittstudien, z. B. im Nationalen Bildungspanel, durchgeführt. Auch in der qualitativen Jugendforschung wurde in den vergangenen Jahrzehnten in einer Vielzahl von Projekten das gesamte Spektrum an qualitativen Erhebungsinstrumenten von der teilnehmenden Beobachtung über verschiedene Formen von Interviews, Gruppendiskussionen bis hin zur Videographie erprobt. Zudem wurden die zentralen sehr elaborierten Auswertungsverfahren (z. B. die Sozialwissenschaftliche Prozessanalyse, die Dokumentarische Methode, die Objektive Hermeneutik) eingesetzt und weiterentwickelt und in jüngster Zeit, z. B. am Zentrum für Schul- und Bildungsforschung an der Universität Halle-Wittenberg auch einige Längsschnittuntersuchungen realisiert. Ein Nachholbedarf besteht in der Jugendforschung noch im Hinblick auf Studien, die quantitative und qualitative methodische Zugänge etwa in zeitlich sequenziell angelegten Phasenmodellen miteinander verbinden, um auf diese Weise z. B. eine qualitativ herausgearbeitete Typologie von biografischen Orientierungen in einem zweiten Schritt mithilfe quantitativer Verfahren auf ihre Verteilung nach Häufigkeiten zu untersuchen. Betrachtet man schließlich die relevanten thematischen Felder, die in der Jugendforschung in den vergangenen Jahrzehnten bearbeitet worden sind, so würde ich in Weiterführung und Zuspitzung der Systematisierungsvorschläge von Nora Gaupp und Christian Lüders sowie Nicolle Pfaff im Band „Jugend. Theoriediskurse und Forschungsfelder“ folgende vier Forschungslinien unterscheiden: Ein erster inhaltlicher Schwerpunkt in der Jugendforschung ist die sogenannte Risikoforschung. Diese hat in der Jugendforschung mit Studien zum Gewalthandeln und deviantem Verhalten von Jugendlichen eine lange Tradition, die kontinuierlich fortgeschrieben wird. Andere Themen wie psychische oder somatische Störungen oder gesundheitsriskantes Verhalten erfuhren erst mit dem

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Ausbau der Gesundheitsforschung im vergangenen Jahrzehnt auch in der Jugendforschung verstärkte Aufmerksamkeit. Ein zweites zentrales Themenfeld der Jugendforschung stellt die Jugendkulturforschung dar, die sich mit den kulturellen und medialen Praxen von Jugendlichen in Szenen und Peerkontexten beschäftigt und bereits in den 1980er-Jahren, z. B. in Studien von Jürgen Zinnecker, Winfried Breyvogel und mir einen ersten Höhepunkt erlebte. Neben detaillierten Fallstudien zu einzelnen jugendkulturellen Szenen, gibt es auch szenevergleichende Untersuchungen oder umfassende Überblicke über das Spektrum jugendkultureller Stile. Daneben gewinnt vor dem Hintergrund der Digitalisierung jugendlicher Lebenswelten die Frage nach den vielfältigen medialen Praxen von Jugendlichen wieder zunehmend an Relevanz. Mediennutzung wird auch als Bildungsprozess im Sinne der Aneignung von Medienkompetenz oder als informeller Lernprozess analysiert. Ein dritter Themenschwerpunkt der Jugendforschung wird durch eine Reihe von Studien repräsentiert, die die Frage nach der sozialen und politischen Integration der Jugend in den vergangenen Jahrzehnten ins Zentrum der Analyse gerückt haben. Vor allem im Gefolge der deutschen Vereinigung hatten Studien zu politischen Orientierungen von Jugendlichen im Ost-West-Vergleich eine Konjunktur, die leider im letzten Jahrzehnt kaum fortgeführt wurden. Eine weitere Forschungslinie, die sich mit der Integrationsproblematik von Jugendlichen auseinandersetzt, bildete sich bereits in den 1980er-Jahren im Kontext der Migrationsforschung heraus. Während die Diskussion in dieser Zeit noch stark durch eine Defizitperspektive geprägt war, indem eine behauptete bzw. beobachtete Traditionalität von Familien und Heranwachsenden mit Migrationshintergrund vor allem als Integrationshemmnis angesehen wurde, wurden seit den 1990er-Jahren eine Reihe von quantitativen und qualitativen Studien zu den Biografieverläufen, interethnischen Freundschaftsbeziehungen oder kulturellen Ausdrucksformen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund durchgeführt, die Migration im Spannungsfeld von Risiken und Ressourcen und ethnische Zugehörigkeit im Spektrum von Selbst- und Fremdzuschreibungen betrachten. Daneben hat sich in der Jugendforschung im vergangenen Jahrzehnt vor allem im Gefolge der PISA-Debatte ein vierter thematischer Schwerpunkt herausgebildet, bei dem die Analyse von Bildungskarrieren und -prozessen in Schule, Beruf, Studium und außerschulischen Lernwelten sowie an den Übergängen zwischen diesen Bildungsbereichen im Zentrum stehen. Untersucht wurden dabei Schülerbiografien, die Relevanz von Peerbeziehungen für schulische

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Bildungsverläufe, die Auswirkungen des Ausbaus von Ganztagsschulen auf das Peer- und Freizeitleben von Jugendlichen, informelle Lernprozesse in der Jugendarbeit von Kommunen, Vereinen und Verbänden bzw. Jugendkulturen oder Übergänge von der Schule in den Beruf. Im Unterschied zu den anderen an der Jugendforschung beteiligten Fachdisziplinen wie der Psychologie, der Soziologie, der Politikwissenschaft, der Kriminologie, den Medien- und Kulturwissenschaften oder der Gesundheitswissenschaft, hat die erziehungswissenschaftliche Jugendforschung in allen vier skizzierten Forschungsfeldern wichtige empirische Studien durchgeführt. Eine Schrittmacherrolle nimmt sie darüber hinaus seit den späten 1970er-Jahren sicherlich im Bereich der Jugendkulturforschung und der Peerforschung ein. Ebenso wurde von ihr im Themenfeld der bildungsbezogenen Jugendforschung nicht nur eine Vielzahl von quantitativen und qualitativen Studien durchgeführt. Vielmehr hat sie mit der Debatte um das Verhältnis von formaler, non-formaler und informeller Bildung auch zentrale theoretisch-konzeptionelle Diskurse in diesem Untersuchungsfeld mit angestoßen. Christine Wiezorek: Diese sehr differenzierten und z. T. kritischen Ausführungen zur Situation der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung von Heinz-Hermann Krüger teile ich, insbesondere, was den Institutionalisierungsgrad der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung angeht. Allerdings weiß ich nicht, ob es eine genuin erziehungswissenschaftliche Theorieentwicklung im Bereich der Jugendforschung geben kann. Nach meinem Dafürhalten, dies machen im Übrigen auch Ihre Ausführungen deutlich, ist Jugendforschung und stärker noch sind jugendtheoretische Überlegungen ein interdisziplinäres Feld. Das Erziehungswissenschaftliche zeigt sich für mich stärker durch die Fragestellungen und einhergehend die Perspektiven auf Jugend, aber es lässt sich m. E. nicht von zentralen erziehungswissenschaftlichen jugendtheoretischen Paradigmen sprechen. Insbesondere zur Jugendsoziologie sehe ich große Überschneidungen. Diese Überschneidung zeigt sich im Übrigen auch in Bezug auf eine Reihe der oben genannten Wissenschaftler*innen. Im Hinblick auf die Beschreibung der Lage der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung ist das sicherlich eine Medaille mit zwei Seiten. Denn so ist z. B. die Sektion Jugendsoziologie, die sich immer interdisziplinär verstand und es von ihren Mitgliedern her auch ist, ja zunächst eine Sektion innerhalb der DGS, d. h. sie ist in der Soziologie institutionalisiert. Das hat sicher den interdisziplinären Diskurs befördert, aber zugleich möglicherweise auch eine entsprechende (lebensphasenbezogene) Institutionalisierung in der Erziehungswissenschaft eher behindert. Hier kommt m. E. noch

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hinzu, dass sich die erziehungswissenschaftlichen Teildisziplinen, die sich potenziell mit Fragen der Jugend befassen, vor allem die Schul- und die Sozialpädagogik, viel stärker als handlungsfeld- bzw. institutionenbezogene (Teil-)Pädagogiken ausdifferenziert haben. Schul- und sozialpädagogische Perspektiven, die Kindheit und Jugend stärker individuumsbezogen (und biographisch) und nicht sosehr institutionenbezogen thematisieren, haben sich erst in den letzten fünfzehn Jahren ausdifferenziert, und daran haben Sie, Herr Krüger und die Hallenser Kollegen und Kolleginnen, maßgeblichen Anteil. Birgit Reißig: Als Vertreterin einer außeruniversitären Forschungseinrichtung finde ich es nicht leicht, mich spezifisch auf eine erziehungswissenschaftliche Jugendforschung zu kaprizieren. Zum Alltag dort gehört es, in multiprofessionellen Teams zusammenzuarbeiten, womit zumindest soziologische, psychologische und erziehungswissenschaftliche Perspektiven integriert sind. Insofern teile ich auch die Ausführungen zu Jugendtheorien von Christine Wiezorek. Einen eher skeptischen Blick wirft Heinz-Hermann Krüger auf die von Bundes- und Landesministerien, von Stiftungen und weiteren Einrichtungen initiierte Jugendforschung. Zu stark anwendungsbezogen, auf kurzfristige (politische) Interessen und entsprechende Verwertungen sei diese Forschung ausgerichtet und dazu oftmals schlecht ausgestattet. Dass grundlagenorientierte Jugendforschungsthemen nur in Ausnahmefälle von den genannten Einrichtungen beauftragt werden, ist nicht falsch. Das gilt häufig auch für Laufzeiten und Ausstattung. Dennoch gibt es eine Reihe von Beispielen, auch am Deutschen Jugendinstitut, bei denen aus anwendungsorientierter Forschung auch grundlagenorientierte Befunde generiert werden konnten. Ein Bespiel aus meiner Forschung sind die so genannten lokalen Schulabsolventen-Panelstudien. Dort wurden über drei bis vier Jahre hinweg Schulabsolventinnen und -absolventen auf ihrem Weg in die Ausbildung verfolgt. Auftraggeber waren jeweils Kommunen, die im Rahmen ihrer Koordinierungsfunktion im Übergangsmanagement Planungsdaten benötigten. Mit den gewonnenen Befunden konnte jedoch auch der wissenschaftliche Diskurs zu Übergangsprozessen insgesamt bereichert werden. Insofern bildet die erziehungswissenschaftlich geprägte Jugendforschung einen wichtigen Baustein in der außeruniversitären Forschung und kann dort in interdisziplinärer Zusammenarbeit Impulse für die Jugendforschung insgesamt setzen. Das gilt nicht allein für Themen, sondern auch für methodische Entwicklungen. Panel- und Surveystudien sind in diesen Forschungseinrichtungen Alltag (z. B. DJI-Survey AID:A). Darüber hinaus können methodische Ansätze, z. B. innerhalb von wissenschaftlichen Begleitprozessen, erprobt werden (z. B. partizipative Forschungsansätze).

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2 Wie lässt sich die Jugendforschung in der Erziehungswissenschaft besser vernetzen, auch im Vergleich zu den Nachbardisziplinen (Psychologie und Soziologie)? Heinz-Hermann Krüger: Wie vorab bereits angedeutet, verfügen die Deutsche Gesellschaft für Psychologie mit der Sektion Entwicklungspsychologie und die Deutsche Gesellschaft für Soziologie mit der Sektion Jugendsoziologie über eigenständige Kommissionen, die sich explizit mit Fragen der Jugendforschung beschäftigen. Im Gegensatz dazu gibt es in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft keine Fachgruppe, die Aspekte der Jugendforschung thematisch ins Zentrum rückt. Dies ist auch insofern überraschend, als die Erziehungswissenschaft im Unterschied zur Soziologie zumindest über sieben Professuren mit einer Denomination Kindheits- und/oder Jugendforschung verfügt. Darüber hinaus gibt es sicherlich schätzungsweise weit über 30 Professuren in der Allgemeinen Erziehungswissenschaft, der Schulpädagogik oder der Sozialpädagogik, die sich explizit mit Themen der Jugendforschung befassen. Mein Vorschlag wäre es nun, die Einrichtung einer Arbeitsgruppe erziehungswissenschaftliche Jugendforschung im Rahmen der Sektion Allgemeine Erziehungswissenschaft bei der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft mit dem Ziel zu beantragen, der Jugendforschung im Fach Erziehungswissenschaft einen eigenständigen institutionellen Ort und eine Kommunikationsplattform zu geben. Aufgabe einer solchen Arbeitsgruppe sollte es sein, alle ein bis zwei Jahre eine Fachtagung zu aktuellen theoretischen oder methodischen Fragen oder inhaltlich spannenden Themen und Ergebnissen der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung durchzuführen und in einem Sammelband oder noch besser ausgewählte Beiträge in einem Themenheft einer peerreviewten Zeitschrift zu publizieren. Außerdem könnte ein Newsletter zu aktuellen Tagungen, Projekten etc. der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung erstellt und an die wissenschaftliche und jugendpolitische Fachöffentlichkeit verschickt werden. Zudem könnte einmal pro Jahr ein Workshop zur methodischen Beratung von Nachwuchswissenschaftler*innen oder zur Beratung bei der Konzipierung von Forschungsanträgen organisiert und durchgeführt werden. Christine Wiezorek: Ich denke, bevor wir über Fragen der Vernetzung der Jugendforschung in der Erziehungswissenschaft nachdenken, sollten wir überlegen, wozu. Wie gesagt, denke ich, dass wir in Bezug auf die jugendtheoretischen Diskussionen nicht wirklich weiterkommen, wenn wir (noch) stärker eine ‚Abgrenzung‘ zu den Nachbardisziplinen betreiben. Nehmen wir bspw.

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den sehr elaborierten jugendtheoretischen Entwurf von Vera King – die Entstehung des Neuen in der Adoleszenz (2004): Hier lässt sich m. E. nicht wirklich entscheiden bzw. machte die Unterscheidung auch wenig Sinn, ob dieser Theorieentwurf nun ein erziehungswissenschaftlicher, ein soziologischer, ein psychoanalytischer oder ein sozialpsychologischer ist; bedeutsam ist m. E. eher, inwiefern dieser adoleszenztheoretische Entwurf für weitere (eigene) Überlegungen und Arbeiten relevant ist, und dass er das ist, zeigt sich in den mannigfachen Bezugnahmen auf Kings Überlegungen. Und auch in Bezug auf die Person wird deutlich, dass die fachdisziplinäre Verortung in der Erziehungswissenschaft nicht unbedingt das primär Relevante ist, wenn man sich im Bereich der (Kindheits- und) Jugendforschung bewegt: King hat, nachdem sie von 2002–2016 im Fachbereich für Allgemeine, Interkulturelle und International Vergleichende Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg die Professur für Entwicklungs- und Sozialisationsforschung hielt, nun am Institut für Soziologie der Universität Frankfurt die Professur für Soziologie und psychoanalytische Sozialpsychologie inne und ist zudem Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts. Worauf ich also hinweisen will, ist, dass, wenn eine bessere Vernetzung der Jugendforschung in der Erziehungswissenschaft angestrebt wird, nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden sollte, wenn dies zugleich eine Abgrenzung zu anderen Disziplinen bedeutet, die sich auch mit Jugend befassen. Der Jugendforschung allerdings in der Erziehungswissenschaft eine ‚institutionalisierte‘ Heimat zu geben, dafür spricht nicht nur, wie Herr Krüger bereits sagte, dass es in unserem Fach zumindest sieben Professuren mit einer Denomination Kindheits- und/oder Jugendforschung und eine Reihe weiterer in der Schul- und der Sozialpädagogik gibt. Dafür spricht auch, dass damit erziehungswissenschaftlich relevante Fragen, wie solche nach Bildung und Partizipation, nach Wegen gesellschaftlicher Integration, nach jugendkulturellen Ausdrucksstilen systematischer für die Jugendforschung fruchtbar gemacht werden könnten. Insofern begrüße ich die Idee der Arbeitsgruppe unter dem Dach der Allgemeinen Erziehungswissenschaft. Was die Organisation von Fachtagen angeht, könnte ich mir gut vorstellen, dass es einen Wechsel von z. B. gemeinsamen Fachtagen mit den entsprechenden Sektionen der soziologischen und psychologischen Fachgesellschaften und eigenen erziehungswissenschaftlich fokussierten Tagungen gibt. Auch die Idee, ausgewählte Beiträge in einem Themenheft zu publizieren, teile ich. Mit dem „Diskurs Kindheits- und Jugendforschung“ liegt m. E. auch eine dafür prädestinierte Zeitschrift schon vor. Birgit Reißig: Die Frage der Vernetzung lässt sich mindestens in zwei Richtungen beantworten. Zum einen geht es um die empirische Bearbeitung von Themen der Jugendforschung, also um die Praxis der Forschung. Zum anderen gerät

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hierbei die disziplinäre Reflexion über Jugendforschung in den Blick. Im ersten Fall spielt für viele Fragestellungen der Jugendforschung weniger die Vernetzung innerhalb der Erziehungswissenschaft eine Rolle, als vielmehr die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen der Erziehungswissenschaft und der Soziologie, Psychologie, Sozialmedizin u. a. Das bedeutet nicht, dass die Erziehungswissenschaft ihr Profil verliert, sie bringt dies gerade in einer stärker bildungswissenschaftlichen Ausrichtung von Jugendforschung ein und kann sich auf ihre große Bandbreite stützen. Neben der Vernetzung zwischen den Disziplinen spielt jedoch auch die Selbstversicherung zum Thema Jugendforschung innerhalb der Erziehungswissenschaft eine wichtige Rolle. Eine institutionelle Stärkung, wie vorgeschlagen, über die Einrichtung einer Fachgruppe in der DGfE scheint dabei ein guter Start.

3 Wie könnte die Forschungssituation in der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung strukturell verbessert werden? Heinz-Hermann Krüger: Neben der schon angesprochenen Beratung von Antragsteller*innen bei der Entwicklung von Forschungsanträgen, die bei den Bundesministerien (vor allem Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend), bei Ministerien der Bundesländer oder bei Stiftungen (z. B. Stiftung Jugendmarke) durch forschungserfahrene Wissenschaftler*innen, sollte insbesondere die Stärkung der Grundlagenforschung durch die Einreichung von Anträgen bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Zentrum der Bemühungen stehen. Dabei ist ein ganzes Spektrum von Antragsformen möglich, das von der Beantragung eines Forschungsnetzwerkes für Nachwuchswissenschaftler*innen zu Fragen der Jugendforschung, über Einzelprojekte bis hin zu Paketanträgen zu Forschungsverbünden eventuell auch unter Einbeziehung des Deutschen Jugendinstituts reicht. Als Königsweg für forschungserfahrene Wissenschaftler*innnen gilt sicherlich die Beantragung einer langfristig angelegten Forschungsgruppe oder eines Graduiertenkollegs bei der DFG. Hier gibt es inzwischen mit dem DFGGraduiertenkolleg „Doing Transitions. Formen der Gestaltung von Übergängen im Lebenslauf“ an den Universitäten Frankfurt am Main und Tübingen erste produktive Ansätze, da in diesem Kolleg neben Übergängen in der Kindheit und im Erwachsenenalter auch institutionelle und biografische Übergänge im Jugendalter und im frühen Erwachsenenalter mit untersucht werden.

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Christine Wiezorek: Dem kann ich nur zustimmend noch anfügen, dass ja die Leiterin und der Leiter des Graduiertenkollegs, Barbara Stauber und Andreas Walther, prominente Vertreter der sozialpädagogischen Jugendforschung sind. Das Graduiertenkolleg ist insofern auch ein Ergebnis langjähriger Zusammenarbeit der beiden im Kontext von Übergängen im Jugendalter, das zur Kenntnis nimmt, dass zentrale lebenslaufbezogene und biographische Übergänge längst nicht mehr auf die Lebensphase der Jugend beschränkt sind, die ja lange Zeit als die Übergangsphase galt. Insofern lässt sich das Graduiertenkolleg m. E. auch als Fortführung ehemals (nur) jugendtheoretisch relevanter Fragen des Übergangs verstehen, in dem diese nun grundlegender erforscht werden. Eine erziehungswissenschaftliche Arbeitsgruppe Jugendforschung könnte insofern auch dazu beitragen, aktuelle relevante Fragen der Jugendforschung zu bündeln und zu systematisieren in Bezug auf die Einreichung von im besten Fall gemeinsamen Forschungsanträgen. Das denke ich auch vor dem Hintergrund, dass es, wie eingangs des Gesprächs von Heinz-Hermann Krüger dargestellt, eigentlich eine breite Jugendforschung gibt. Allerdings stehen hier eine Vielzahl von Studien unvermittelt nebeneinander und lässt sich insgesamt eher ein Theoretisierungsdefizit ausmachen. Die Verknüpfung von Empirie und Theorieentwicklung kann m. E. durch Einzelwissenschaftler*innen nur noch in sehr umgrenzten Themenfeldern, zu sehr spezifischen Fragestellungen erfolgen. Hier sehe ich einen Gewinn der Arbeit einer gemeinsamen Arbeitsgruppe Jugendforschung. Das impliziert allerdings zugleich einen kollektiven Austausch, der Zeit braucht und wenig Konkurrenz. Die Politik von Hochschulen (und Ländern), die Drittmitteleinwerbung als Leistung von jeweils einzelnen Wissenschaftler*innen zu honorieren und entsprechend Druck aufzubauen, widerspricht aber tendenziell solchen, eher langsamen Formen wissenschaftlicher Zusammenarbeit und Forschung. Birgit Reißig: Den Ideen einer verstärkten Kooperation, vor allem auch zwischen universitären und außeruniversitären Einrichtungen kann ich nur zustimmen. Dabei bildet die DFG eine Möglichkeit, Themen der Jugendforschung zu platzieren. Gerade in den letzten Jahren wurde dieser Weg verstärkt am Deutschen Jugendinstitut beschritten. Auf der anderen Seite sind Forschungsförderprogramme z. B. des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auch attraktiv für Universitäten und Hochschulen. Hier bieten sich ebenfalls gemeinsame Antragstellungen an, um die verschiedenen u. a. disziplinären Erfahrungen nutzen zu können. Insgesamt scheint es aber immer schwieriger, langfristig angelegte Forschungsprojekte im Bereich der Jugendforschung zu verankern (z. B. Sonderforschungsbereiche der DFG). Mit thematisch ausgerichteten Arbeitseinheiten insbesondere an außeruniversitären Forschungseinrichtungen oder auch An-Instituten von Universitäten können jedoch durch verschiedene

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Projekte Gegenstände der Jugendforschung aus unterschiedlichen Blickwinkeln und breiter Methodenanwendung in interdisziplinären Teams langfristig bearbeitet werden. Das geschieht jedoch nicht selten unter den Bedingungen laufender Akquisebemühungen.

4 Wie könnte die Nachwuchsförderung verbessert werden? Heinz-Hermann Krüger: Außer den schon erwähnten Möglichkeiten der Beantragung eines Netzwerks für Nachwuchswissenschaftler*innen bei der DFG oder der recht exklusiven Möglichkeit zur Promotion in einem DFG-Graduiertenkolleg, könnten im Rahmen einer neu zu gründenden Arbeitsgruppe für erziehungswissenschaftliche Jugendforschung kleinere Formate der Nachwuchsförderung organisiert und realisiert werden. Zu denken wäre hier etwa an einen einmal im Jahr stattfindenden Methodenworkshop, bei dem Nachwuchswissenschaftler*innen zusammen mit methodisch versierten Jugendforscher*innen qualitative oder quantitative Daten aus ihren Projekten auswerten oder an einen in einem ähnlichen Rhythmus organisierten Theorieworkshop, auf dem sie theoretische Fragen aus ihren Qualifikationsarbeiten diskutieren können. Christine Wiezorek: Auch hier kann ich nur zustimmen, insbesondere, was die Formate der Nachwuchsförderung innerhalb einer zu gründenden AG angeht, und vielleicht noch ergänzen, dass sich m. E. inzwischen an den Hochschulen die Aufmerksamkeiten für Nachwuchswissenschaftler*innen doch auch verändert hat: Es gibt inzwischen auch an den Hochschulen eine ganze Reihe strukturierter Angebote zur Begleitung der Promotionsphase. Birgit Reißig: Die Bedingungen am Deutschen Jugendinstitut zu promovieren, sind nicht so einfach. Zwar ergeben sich aus den verschiedenen Forschungsprojekten immer wieder interessante und für eine Promotion lohnende Themenstellungen. Die Realisierung einer Dissertation aus solchen Projektzusammenhängen ist zumeist jedoch ein add on. Da das DJI selbst kein Promotionsrecht besitzt, ist die Kooperation mit Universitäten unerlässlich. Die regelmäßige Teilnahme an Kolloquien und Workshops bildet da oft ein gutes Mittel für Promovierende des DJI, um im universitären Kontext angebunden zu sein und sich auszutauschen. Auf der anderen Seite bietet auch das DJI Workshops – Spring Schools – für Promovierende an, indem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ins DJI eingeladen werden. Darüber können auch Themen der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung in Universiäten getragen werden und eine Nachwuchsförderung über das DJI hinaus realisiert werden.

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5 Welche zentralen Forschungsdesiderata und Herausforderungen sehen Sie für die erziehungswissenschaftliche Jugendforschung im nächsten Jahrzehnt? Heinz-Hermann Krüger: Eine erste zentrale Herausforderung für die erziehungswissenschaftliche Jugendforschung ergibt sich meiner Auffassung nach aus der für die nächsten Jahrzehnte sich abzeichnenden demografischen Entwicklung. Auch wenn die bisherigen Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung, zum Rückgang der Anteile von Kindern und Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung aufgrund von Zuwanderung und Geburtenanstieg deutlich nach oben korrigiert werden müssen, wird zukünftig das Problem der Abwanderung aus spezifischen ökonomischen Krisenregionen oder aus ländlichen Räumen bestehen bleiben. Diese Entwicklung führt bereits jetzt und wird zukünftig noch stärker zum Rückbau von Bildungs- und Jugendhilfeeinrichtungen führen, deren Folgewirkungen für die Bildungs- und Ausbildungschancen von Jugendlichen in quantitativen und qualitativen Studien noch genauer zu untersuchen sind. Eine zweite wichtige Herausforderungen für die erziehungswissenschaftliche Jugendforschung stellt die Analyse des aktuellen und zukünftig erwartbaren Umbaus des Bildungswesens dar, der durch gleichzeitige Trends zu einer vertikalen Hierarchisierung der Bildungsgänge, etwa durch die Expansion privater Grundschulen, Prime Gymnasien, internationaler Schulen oder Eliteuniversitäten auf der einen Seite und durch eine Öffnung, etwa durch die Etablierung von teilintegrierten Schulsystemen, den weiteren Ausbau von Ganztagsschulen oder durch die Inklusion von Förderschüler*innen ins Regelschulsystem auf der anderen Seite gekennzeichnet ist. In diesem Zusammenhang stellt sich für die Jugendforschung zum einen die Frage, wie sich die distinktiven Absetzbewegungen zwischen den Bildungsinstitutionen auf die Bildungsorientierungen von Jugendlichen und ihren Eltern oder auch das schulische und außerschulische Peerleben auswirken. Zum anderen müsste untersucht werden, welche Folgen die Inklusion von beeinträchtigten Heranwachsenden in das Regelschulsystem auf das Zusammenleben und den Alltag von Jugendlichen innerhalb der Schule und in ihren Freizeit- und Peerwelten hat. Darüber hinaus fehlen in der Jugendforschung insgesamt Studien zu den Lebenslagen und Lebensentwürfen von Jugendlichen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen. Mit der Frage nach den Folgewirkungen von neuen Inklusions- und Exklusionsprozessen ist drittens die Herausforderung verbunden, in der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung noch stärker das Thema soziale

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Ungleichheit in den Blick zu nehmen. Diese Auswirkungen betreffen nicht nur die ungleichen Bildungs- und Arbeitsmarktchancen von Jugendlichen insbesondere in abgehängten Regionen oder in sogenannten städtischen sozialen Brennpunktquartieren. Vielmehr stellen die aktuellen Entwicklungen hin zu einer Polarisierung sozialer Lebenslagen auch die gesellschaftliche und politische Integrationsbereitschaft von Teilen der jungen Generation infrage. Auch wenn die gegenwärtigen Trends hin zu einer Verstärkung rechtspopulistischer Bewegungen in Deutschland und Europa nicht primär ein Jugendproblem bzw. nicht nur eine Protestbewegung benachteiligter Bevölkerungsgruppen sind, so sollten dennoch auch von der Jugendforschung neue Initiativen ausgehen, rechtspopulistische Orientierungen in quantitativen Surveys alterskohortenvergleichend zu untersuchen oder in qualitativen Studien die medialen Vernetzungen und politischen Ausdrucksformen von rechtspopulistischen Szenen wie etwa der „Identitären Bewegung“ genauer in den Blick zu nehmen. Eine vierte Herausforderung für die erziehungswissenschaftliche Jugendforschung stellt die Analyse der Folgewirkungen einer global entfesselten Weltgesellschaft dar. Diese müsste vor diesem Hintergrund stärker interkulturell und international vergleichend angelegt sein. Zwar sind im letzten Jahrzehnt einige Studien zu jugendlichen Lebenslagen und jugendkulturellen Praxen in Europa oder anderen Weltregionen durchgeführt worden. Trotzdem muss man feststellen, dass die interkulturell vergleichende Jugendforschung in Deutschland nur schwach entwickelt ist. Finanzierungsprobleme, sprachlich-kulturelle Verständigungsprobleme und ungeklärte methodische Fragen erweisen sich oft als Hemmnisse. Zukünftig sollten zudem Fragestellungen und theoretische Perspektiven der Migrationsforschung und der international vergleichenden Jugendforschung stärker aufeinander bezogen werden. In diesem Zusammenhang sollten nicht nur die Risikolagen von geflüchteten Jugendlichen in Deutschland oder anderen Weltregionen untersucht werden, sondern auch die Chancen, die sich aus dem Leben in mehreren Ländern etwa für Jugendliche aus privilegierten sozialen Milieus für transnationale Bildungs- und Berufskarrieren ergeben. Christine Wiezorek: Gerade im letzten Punkt, den Heinz-Hermann Krüger ansprach, sehe ich selbst sehr große Herausforderungen. Denn Fragen der demographischen Entwicklung oder der sozialen Ungleichheit lassen sich nicht mehr thematisieren, ohne auf globale Entwicklungen Bezug zu nehmen. Dies zum einen vor dem Hintergrund, dass globale Themen und Entwicklungen – erst recht in der digitalisierten Welt – sich in konkreten lokalen Bedingungen des Aufwachsens widerspiegeln und hier von Jugendlichen entsprechend verhandelt werden. Das können wir derzeit an “Fridays for future” ganz gut beobachten. Zum

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anderen brauchen wir aber, wie Heinz-Hermann Krüger schon betonte, viel stärker auch international vergleichende Forschungen zu den Lebensbedingungen und der Ausgestaltung von Jugend, jenseits von Schulleistungsvergleichen. Solche Studien sind nicht nur jugendtheoretisch relevant, weil sie helfen, über die anthropologische und die gesellschaftliche Bedingtheit von (heutiger) Jugend kulturvergleichend aufzuklären. Sie sensibilisieren vielleicht viel stärker unseren (westlichen) Blick auf Jugend, irritieren vielleicht auch erst einmal stärker unsere jugendtheoretischen Konstruktionen. Das ist schließlich auch insofern relevant, als dass wir die Vielzahl jugendkultureller Artikulationsformen bzw. die Vielzahl der Möglichkeiten, seine Jugend zu leben, auch hier, in unseren migrationsgesellschaftlichen Zusammenhängen, nicht mehr adäquat erfassen. In Bezug auf die Veränderungen der Bildungslandschaften wie den Ausbau von Ganztagsschulen oder den Rückbau von Jugendarbeit sehe ich insofern Herausforderungen für die Jugendforschung, dass m. E. hier die Notwendigkeit deutlich wird, von den Heranwachsenden aus – und nicht von den Institutionen und deren fachdisziplinärer Argumentation heraus – darüber nachzudenken, welche (pädagogischen) Institutionen und Professionen es für ein gutes Aufwachsen braucht. Hier könnte eine AG Jugendforschung in der Erziehungswissenschaft auch der Ort sein, die bislang jeweils stark fachdisziplinär und jeweils institutionenbezogenen Perspektiven in der Schul- und der Sozialpädagogik auf Jugend zugunsten einer zuvorderst jugendzentrierenden Perspektive zurückzustellen. Birgit Reißig: Den vorab genannten Themen lässt sich kaum noch etwas hinzufügen, ich sehe sie ebenfalls als zentrale Themen der aktuellen und zukünftigen Jugendforschung. Es ist zudem eine Herausforderung, den Blick auf Jugend in der Forschung insgesamt zu stärken und noch besser öffentlich wahrnehmbar zu machen. Insgesamt spielt auch die Balance zwischen der Forschung zu spezifischen Gruppen von Jugendlichen und dem Blick auf die Breite des Jugendalters eine wichtige Rolle. Zugleich scheint immer wieder eine gute Verbindung von subjektorientierter Jugendforschung mit der Analyse gesellschaftlicher und institutioneller Rahmungen angebracht. Gerade vor dem Hintergrund einer nach wie vor umfangreichen Bildungsforschung geht es auch darum, diesen Bereich der Jugendforschung möglichst umfassend zu denken. Dazu gehören beispielsweise die weitere Erforschung von Bildungsverläufen genauso wie die Betrachtung der Rolle non-formaler und informeller Bildung. Ein entscheidendes zukünftiges Thema, das an ganz unterschiedlichen Stellen der Jugendforschung aufscheint, ist das der Digitalisierung, das weit über die Analyse des Nutzungsverhaltens hinausgeht.

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Prof. Dr. Heinz-Hermann Krüger, war Hochschullehrer für Allgemeine Erziehungswissenschaft und ist stellv. Sprecher der DFG- Forschergruppe 1612 an der Martin- LutherUniversität Halle-Wittenberg. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Theorien und Methoden der Erziehungswissenschaft, Kindheits- und Jugendforschung, Biografieund Bildungsforschung. Prof. Dr., Soziologin Birgit Reißig,  Soziologin, ist Leiterin des Forschungsschwerpunkts „Übergänge im Jugendalter“ am Deutschen Jugendinstitut und leitet die Außenstelle des DJI in Halle, sie hat eine Honorarprofessur für Jugendhilfeforschung an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK) inne. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in der Übergangsforschung, insbesondere Bildungsübergänge benachteiligter junger Menschen. Prof. Dr. Christine Wiezorek, ist Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Außerschulische Jugendbildung an der Universität Gießen. Ihre Arbeitsund Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen der qualitativen Bildungs- und Sozialisationsforschung, insbesondere der Jugendforschung. Zudem gehören Forschungen zur Kooperation von Jugendhilfe und Schule, zu pädagogischen Haltungen und zu Familienbildern professioneller Pädagog*innen zu ihren Arbeitsschwerpunkten.

Same, same but different. Perspektiven erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung Merle Hummrich

Zusammenfassung

Der Beitragstitel nimmt Bezug auf die Struktur von Jugendforschung, die sich zwischen Etabliertheit einerseits, neuen Anforderungen vor dem Hintergrund der Globalisierung und Transnationalisierung andererseits (neu) zu verorten hat. Ausgehend vom Entwicklungspfad der kulturanalytischen Jugendforschung – jenen des CCCS und des Essener Zentrums für Jugendforschung – werden neue Perspektiven, wie die Institutionalisierung der Jugendforschung, die Instrumentalisierung der Jugendlichen als Ergebnislieferanten in largescale-assesments sowie die Pluralisierung und Diffundierung von Jugendstilen analysiert. Von hier aus werden Ausblicke auf Jugendforschung entwickelt, die auch die Relationalität von Jugend in den Blick nehmen, die sich als Konsequenz der aufgezeigten Entwicklungslinien ergeben.

Abstract

The contribution’s title refers to the structure of youth research between its own establishment on the one hand and new requirements because of globalization and transnationalization on the other. Coming from this, news Die Autorin dankt Katharina Mangold für den Austausch und ihre Notizen aus der Podiumsdiskussion zur Zukunft der Jugendforschung und Merle Hinrichsen für die Diskussionen zu dem Beitrag. M. Hummrich (*)  Universität Frankfurt, Frankfurt, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Grunert et al. (Hrsg.), Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27612-6_13

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d­ evelopment perspectives are discussed. Based on the path of cultural analytical youth research of the CCCS and the Center of Youth Research in Essen, those perspectives include the institutionalization of youth research, the instrumentalization of youth by large-scale-assessments as well as pluralization and diffusion of youth styles. In the end an outlook on youth research is sketched out, which involves the relationality of youth as well as the consequences which result from the discussed paths.

Dass sich erziehungswissenschaftliche Jugendforschung in den letzten 20 Jahren zunehmend verändert hat, wird in diesem Band insgesamt deutlich. Drehen sich zunächst Perspektiven um Jugendforschung in Deutschland in den 1970er und 80er Jahren vor allem um Jugendsubkulturen, so hat sich die Perspektive im ausgehenden 20. Jahrhundert deutlich erweitert und transformiert: einerseits werden dabei ungleiche Bedingungen des Aufwachsens thematisiert (Ecarius 1997; Pott 2000; Löw 1997; Hummrich 2009; Helsper 2012); andererseits wird Jugend als Lebensphase auch in anderen Subdisziplinen der Erziehungswissenschaft zunehmend ernst- und aufgenommen. Dabei scheint jedoch insgesamt auch der Begriff der Jugend in seiner Abgrenzung zu anderen Lebensphasen stellenweise unklar und es wird diskutiert, ob die Jugend durch Alter oder durch Zugehörigkeit bestimmt wird (Mecheril und Hoffarth 2009); und auch die Diffundierung der Jugendforschung in andere Bereiche (zum Beispiel die Schulforschung und die Sozialpädagogik) lässt nach dem Stellenwert von Jugendforschung in der Erziehungswissenschaft fragen (vgl. Grunert und Pfaff 2020). An diesen Diskussionen wird unter anderem deutlich, dass Jugendforschung gefordert ist, ihren Gegenstand im Feld der Erziehungswissenschaft (neu) zu konstruieren1. Wie andere L ­ebensphasen-Theorien – etwa Honigs (2000)

1So

entsteht – wie bei der Podiumsdiskussion kontrovers diskutiert – zum Teil der Eindruck, Jugendforschung sei langweilig geworden. Sie sei einerseits in einer verewigten Routine verhaftet, die Zukunft sei aber unklar (dazu interessant: die Ausführungen von Eastwood et al. 2012; sowie von Paris 2015). Es lässt sich hier hinzufügen: es geht um das Erleben von Ohnmacht und der Unfähigkeit, seine Zeit effizient und aktiv zu nutzen. Das Warten, dass der Zustand der Langeweile aufhöre und etwas Neues, Spannendes beginne, wird damit thematisch. Und dennoch artikuliert sich hierin eine gewisse Ohnmacht, denn wer in der Situation der Langeweile gefangen ist, ist der zeitlichen Struktur ausgeliefert. Wie lässt sich eine Jugendforschung vorstellen, die langweilig ist? Sie müsste in einer verewigten Routine verhaftet sein und keine neuen Erkenntnisse bringen; gewissermaßen müsste das Forschersubjekt selbst dieser Routine ausgeliefert sein.

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Theorie der Kindheit – muss es darum gehen, Forschung zu Jugendlichen darüber zu bestimmen, welche Begriffe sie sich von Jugend(lichen) macht und wie die Forschung selbst Jugend(liche) zu ihrem Gegenstand macht. Vor diesem Hintergrund geht es in diesem Beitrag um eine Auseinandersetzung mit den Perspektiven erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung. Dabei wird zunächst der Entwicklungspfad von erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung grob skizziert (andere Beiträge in diesem Band tun dies differenzierter). Diese Skizze bildet den Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit den Forschungsperspektiven innerhalb empirischer Settings. Im dritten Teil sollen die Bezüge auf Jugendforschung seit den 1970er und 80er Jahren aufgenommen werden und vor allem das Transformationspotenzial der Lebensphase und ihre Relationierung zu anderen Lebensphasen thematisch werden. Der Beitrag schließt mit einem vierten Teil zu Perspektiven der Jugendforschung, der noch einmal die Veränderungen der Jugendforschung im Lichte der skizzierten historischen Entwicklung untersucht und auf die Bedingungen einer Jugendforschung aufmerksam macht, aus der Prozesse der Transnationalisierung – z. B. durch Globalisierung und Migration – nicht mehr wegzudenken ist.

1 Diffundierung (in) der Jugendforschung (?) Sozial- und erziehungswissenschaftliche Jugendforschung hat sich in den letzten hundert Jahren etabliert, aber in den vergangenen 40 Jahren eine deutliche Konjunktur erfahren. Als Forschungsgegenstand wird Jugend bereits im frühen 20. Jahrhundert thematisiert (Bernfeld 1978 [1925]; Bühler 1991 [1921]). Dabei wird ihre Doppelpositionierung aus Arbeit an der Autonomie und der gesellschaftlichen Eingebettetheit thematisch. Doch ist mit der Jugendforschung des „Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS)“ in den 1970er Jahren eine deutliche Wendung angezeigt. Hier wurde Jugend und ihre Subkulturen erstmals systematisch qualitativ empirisch untersucht (z. B. Cohen 1972; Willis 1979; Hall 1999). Besondere Aufmerksamkeit galt dabei dem innovativen Potenzial der Jugend als „formatives Entwicklungsstadium“ und „rebellische Phase“, die besonderer pädagogischer und sozialwissenschaftlicher Aufmerksamkeit bedarf (Cohen 1985, S. 22 f.). Es ging in diesem Zusammenhang darum, einerseits Erkenntnisgewinn über die Eigenlogik/relative Autonomie der jugendlichen Ausdrucksformen (ebd., S. 74) und ihrer durch „Klassenunterschiede“ (ebd., S. 78) bedingten Reproduktionslogiken sozialer Ungleichheit zu generieren (vgl. auch: Willis 1979). Die Bedeutung, die diese Perspektive für die Entwicklung qualitativer erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung im deutschen

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­ prachraum hatte, lässt sich exemplarisch am Essener Forschungskontext belegen, S der seit den 1980er Jahren zunächst mit historischen Analysen die Doppelperspektive von Eigenlogik und gesellschaftlicher Verbundenheit in den Blick nahm (Breyvogel und Krüger 1987) und dann sehr deutlich auf unterschiedliche Stile, Szenen und je spezifische Positionierungen eingegangen ist (z. B. Wensierski 1985; Krüger und Fuchs-Heinritz 1991; Helsper et al. 1991; Helsper 1992). Dabei wird insgesamt die Eigenlogik der Lebensphase analytisch zugänglich und auch herausgearbeitet, wie sich jugendliche Individuation vor dem Hintergrund gesellschaftlicher, familialer, schulischer und peerkultureller Eingebundenheiten vollzieht. Unter anderem mit Bezug auf den Begriff des jugendlichen Moratoriums (Zinnecker 2003) wird in diesem Zusammenhang der Versuch unternommen, Jugend theoretisch zu bestimmen, wobei immer wieder darauf hingewiesen wird, wie vielfältig und multidisziplinäre „die“ Jugendforschung ist (ebd., S. 37). Die Doppelstellung aus Eigenlogik/Autonomie und Eingebundenheit, welche die frühen Jugendstudien durchzieht, muss als innovativ gewürdigt werden. Gleichzeitig verweisen auch erste Studien aus dieser Zeit auf jene Einbettungskontexte (Helsper 1989), die ab den 2000er Jahren bis heute die Diffundierungsthese der Jugendforschung nährt vgl. Helsper 1989. Diese beinhaltet die Problematisierung einer Jugendforschung, die sich über ihren Gegenstand zunehmend unklar werde: einerseits ist das dadurch bedingt, dass sich Jugend zunehmend pluralisiert; andererseits wird sie in Subdisziplinen wie die Schulforschung und die sozialpädagogische Forschung integriert (Grunert und Krüger 2013; Pfaff 2015; Harring und Schenk 2018). Ohne hier auf die geläufigerweise diskutierte Pluralisierung anhand des Wandels von Subkulturen zu Stilen oder Szenen einzugehen (vgl. Hoffmann 2012), soll die Pluralisierung hier an zwei Phänomenen verdeutlicht werden: zum einen werden heute auch dort jugendliche Lebensstile und subkulturelle Orientierungen gepflegt, wo die Protagonist*innen unter einem Altersregime, das Jugend z. B. zwischen dem 13. und 18. Lebensjahr verortet, längst nicht mehr dem Jugendalter zugerechnet werden können. Dies lässt sich exemplarisch mit Blick auf Richards (2020) Analyse der der Schwarzen Szene und ihren generationalen Lagerungsstrukturen zeigen. Die Szene selbst hat sich vervielfältigt und ist von einem generationalen Gefüge geprägt. Dies führt dazu, dass sich die Stile selbst diversifizieren, dass in ihnen Traditionen und Wandel entsteht. Was in den 1980ern noch als Ausdruck jugendkultureller Rebellion gegolten hat, wird z. T. an die eigenen Kinder bzw. die nachfolgende Generation weitergegeben. Die Rebellion gegen Traditionen ist dabei selbst zum Gegenstand der Tradierung geworden. Die Traditionen der älteren Generationen werden aufgenommen und kreativ in neue subkulturelle Orientierungen integriert (ebd.).

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Zum anderen weisen etwa Mecheril und Hoffarth (2009) darauf hin, dass das Probende, Ungelenke, Übersteigerte, das etwa Cohen (1985) der Jugend strukturell zurechnet, angesichts zunehmender Destandardisierung nicht mehr unbedingt dem Lebensalter geschuldet sei, sondern einer bestimmten Lebensweise zugerechnet werden müsse, in der es um Aushandlungsprozesse um Zugehörigkeit und Teilhabe geht. Das Jugendliche ist ein Stil geworden, der in nahezu allen Altersklassen Eingang gefunden hat. Themen, die als typisch jugendlich galten (etwa die Autonomie und Entscheidungsfähigkeit) werden auch mit Blick auf andere Lebensalter diskutiert: etwa hinsichtlich der Partizipationsrechte von Kindern oder der Teilhabe- und Autonomiestrukturen im Alter. Die Kolonialisierung und Institutionalisierung von Jugend wird vor allem mit Blick auf Studien deutlich gemacht, die sich damit auseinandersetzen, dass ein Großteil des jugendlichen Lebens in Institutionen stattfindet und diese auch sozialisatorisch bedeutsam für die Jugendlichen sind (z. B. Helsper 2015). Die Schule beispielhaft in den Blick nehmend, kann herausgearbeitet werden, dass jugendliche Individuation, Peerkulturen und Generationsbeziehungen auch im Rahmen der Institution stattfinden (z. B. Helsper et al. 2009; Hummrich 2011; Zaborowski et al. 2012; Krüger et al. 2012; Wenzl 2018) und dass die Institutionen der Jugendphase ihren eigenen Stempel aufprägen. Insbesondere mit Blick auf Ganztagsschulbildung wird die Ambivalenz der Schule zwischen Ermöglichungsstruktur (von Peerbeziehungen, Bildung, außerfamilialen Generationsbeziehungen) und Kolonialisierung der Jugendkulturen mit dem Argument diskutiert, das jugendliche „Eigenleben“ bleibe dabei auf der Strecke (Helsper und Hummrich 2019). Eine durch Schule und andere pädagogische Einrichtungen – z. B. das Freiwillige Soziale Jahr (Hinrichsen 2018) oder die Jugendhilfe (Graßhoff 2020) – institutionalisierte Jugend ist zudem längst Gegenstand institutionalisierter Forschungsprozesse geworden: seit 1953 wird die Shell-Jugendstudie durchgeführt, seit dem Jahr 2001 genießt die PISA-Studie breite Aufmerksamkeit: insbesondere durch letztere wird die Jugendforschung selbst durch die neue Bildungsforschung kolonialisiert und es geht weniger um die Eigenlogik der Lebensphase oder Fragen der Jugendlichen Individuation, als die Objektivierung Jugendlicher als (z. B.) Leistungsträger (vgl. Kap. „Jugend: Moderne und spätmoderne Generationsmuster“; Grunert in diesem Band). Pluralisierung und Institutionalisierung weisen insgesamt darauf hin – so mögen Kritiker dieser Tendenzen einwenden –, dass die Lebensphase Jugend und die Jugendforschung selbst einer postmodernen Beliebigkeit anheimfallen bzw. in anderen Forschungsbereichen aufgehen. Betrachtet man vor diesem Hintergrund das enorme Innovationspotenzial, das sich in den Befunden der CCCS-Jugendstudien finden lässt und das auch seinen Niederschlag in den ­

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benannten Essener Studien findet, so mag dieser Eindruck zutreffen. Denn die Jugendforschung der 1970er bis 90er Jahre selbst bekommt als Perspektive etwas „Rebellisches“ und erhebt sich gegen die etablierte Forschung und ihre konventionellen Methoden2. Damit steht diese Perspektive der Jugendforschung zugleich paradigmatisch für die ambivalente Positionierung (gesellschafts-) kritischer Erziehungswissenschaft (vgl. Krüger und Sünker 1999): Einerseits haben die frühen Studien zu Jugend und Gesellschaft „Sprengkraft“ i. S. v. enormem innovativen Potenzial, weil sie noch nicht zu den etablierten Forschungsperspektiven gehören, andererseits ist ihre Etablierung Ausdrucksgestalt einer allmählichen Normalisierung, unter der sich allerdings notwendigerweise der Besonderungscharakter relativiert. Gerade hierin artikuliert sich allerdings auch der Erfolg dieser Jugendforschungsperspektiven. Was sind nun Entwicklungsperspektiven der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung? Um dies auszuleuchten, möchte ich zwei Perspektiven betrachten, mit denen sich Jugendforschung systematisch auseinanderzusetzen hat. Zum einen mit ihrem Gegenstand: den Jugendlichen. Mit welchen Herausforderungen Jugendforschung im empirischen Kontexten konfrontiert wird und wie hier die Gefahr entsteht, Jugendliche zu instrumentalisieren – auch indem spezifische Konstruktionen von Jugendlichen erst durch Forschung hervorgebracht werden – soll im folgenden Kapitel behandelt werden. Einem instrumentalisierenden „Zugriff“ der Forschung auf Jugendliche, soll hier die Perspektive eines reflexiven Umgangs mit den Eingebundenheiten der (erziehungswissenschaftlichen) Jugendforschung entgegengesetzt werden. Dabei – so die hier vertretene Perspektive – gilt es nicht nur Jugend im Kontext nationalgesellschaftlicher Bedingungen und Hervorbringungslogiken zu untersuchen, sondern auch Prozesse der Globalisierung und Transnationalisierung zur Kenntnis zu nehmen (Hummrich 2019; Hinrichsen und Paz 2018). Hierin liegt – das wird im Folgenden entfaltet – einerseits die Chance, zu analysieren, wie sich Jugend selbst unter der Bedingung von Transnationalisierung verändert – etwa, weil die Eingebundenheiten in Migrationsgesellschaften sich auch in die Lebensphase Jugend einschreiben; andererseits, weil angenommen werden kann, dass in dem Entstehen neuer Szenekulturen (wie z. B. für die Gothics beschrieben, Richard 2020), neue Herausforderungen für Jugendliche liegen, ihre Individuation zu gestalten.

2Dessen

wird man unter anderem gewahr, wenn man sich vor Augen führt, dass die Konjunktur des CCCS und der Essener Jugendforschung einher ging mit einer Methodenentwicklung, die eine Empirie im Anspruch der kritischen Theorie entfaltet hat (Oevermann 1983).

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2 Instrumentalisierung: Heiligt der Zweck die Mittel? Jugendliche als Ergebnislieferanten Die Thematisierung von Jugend in empirischen Forschungszusammenhängen ruft zwei Fragen auf den Plan: Erstens, welche allgemeinen Anforderungen stellen sich mit dem Forschungsgegenstand Jugend an Forschungszugänge? Zweitens, in welcher Art der Forschung läuft die Nutzung von Daten von Jugendlichen Gefahr, diese zu entsubjektivieren? Erstens: Der Gewinn der oben benannten Forschungstradition war, dass Jugendliche als Subjekte wahrgenommen wurden: einerseits in ihren Individuationsbestrebungen, andererseits in ihren Gebundenheiten an gesellschaftliche Machtstrukturen. Dass sich diese Forschung in den letzten Jahren erheblich ausdifferenziert hat, wurde oben (siehe Bock et al.: Einleitung zu diesem Band) exemplarisch gezeigt. Jeweils ist jedoch in Rechnung zu stellen, dass Jugendliche nicht nur als Person gewürdigt werden, die den Status eines autonomen Subjekts zuerkannt bekommen, sondern auch, dass das an ihnen beobachtete „Material“ sie auch zu Objekten der Betrachtung macht und dass jede Forschung zu Jugendlichen diese auch als Jugendliche mit hervorbringt. Dies begründet die forschungsethische Überlegung, inwiefern Jugendliche als Datenträger durch Forschung instrumentalisiert werden und welche Maßnahmen notwendig sind, um eine Krise der noch nicht vollständig hergestellten Autonomie zu vermeiden. In diesem Zusammenhang haben sich in vielen Universitäten und in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) Ethikkommissionen gebildet, die Forschungsanlagen begutachten und große Projektträger, wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft und das Bundesministerium für Bildung und Forschung fordern Nachweise zum Datenschutz, zur Datenarchivierung und zur Datenverwendung. Dass Jugendlichen interaktiv Freiwilligkeit zugesichert wird, dass Eltern Einverständniserklärungen unterschreiben müssen – all dies sind Hinweise darauf, dass es Standards guter wissenschaftlicher Praxis gibt, in der Jugendliche und ihre Datenpreisgabe geschützt werden sollen. Dabei dient die Objektivierung (z. B. Anonymisierung, Transkription) bis zu einem gewissen Grad dem Schutz der Jugendlichen. Bis zu welchen bleibt aber eine Frage, die sich in jedem Vorhaben neu stellt, denn nicht alle empirischen Forschungsfragen und Fragen jugendlicher Erlebniswelten können überhaupt beforscht werden. Jede Forschung, auch die Forschung zu Jugendkulturen und subjektiven Verarbeitungsstrukturen, muss sich die Frage stellen, wo die Grenze der (z. B. intimisierten) Einsichtnahme in Lebenswelten und -verhältnisse liegt. Heiligt der Zweck der Erkenntnis, die

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Mittel der Forschung? Schon Max Weber (1985) hat in der „Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis“ darauf hingewiesen, dass Sozial- und Kulturwissenschaft nicht rein zweckrational bestimmt werden könne (vgl. auch Radtke 2009). Sie muss an wertrationale Kriterien zurückgebunden bleiben. Weber tritt somit für das Bewusstsein darüber ein, dass die praktische Reichweite von Erkenntnis begrenzt ist und konzipiert Wissenschaft dabei als reflexive Wissenschaft, die selbst in ihren wertrationalen Grenzen gedacht werden muss und die zugleich die wertrationalen Grenzen der Wissenschaft reflektieren kann (Hummrich 2016). Anders gesagt: jeweilige gesellschaftlich kontextuelle Rahmungen und normative Annahmen über Zugänge, die ethische Perspektiven immer auch mitkonstituieren, müssen in erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung zwingend mitreflektiert werden. Zweitens: Auf eine Problematisierung von Perspektiven auf Jugendliche als Mittel zum Zweck verweist eine kritische Linie der Post-Pisa Diskussion. Seit den 1990er Jahren werden Jugendliche (und nicht nur Jugendliche, auch Kinder) regelmäßigen Leistungsvergleichstests unterzogen, in denen es um ihr outcome im Sinne ihrer Leistungsfähigkeit geht. Damit sind weitreichende Erkenntnisse über den Zusammenhang von Leistungsfähigkeit und Begabung entstanden, vor allem aber liegen auch international vergleichende Rankings vor, die jugendliche Leistungsfähigkeiten aufgespaltet nach Nationen vergleichbar werden lassen. Die deutsche Beteiligung an PISA muss in diesem Zusammenhang als Ausdrucksgestalt verstanden werden, dass ein weitreichender Zugriff auf Jugendliche erfolgt, der nicht nur im Sinne der Erkenntnis über sie als jugendliche Personen (also zum Beispiel ihre Autonomieentwicklung und Eingebundenheiten) liefern, sondern auch im Anspruch der kontinuierlichen ökonomischen Kapitalisierung des Selbst (Rose 1999, S. 161) erhoben wird. Hierbei geht es also nicht darum, Bildungschancen und Teilhabemöglichkeiten des Einzelnen zu gesellschaftlichen Bedingungen zu relationieren, sondern weltweit eine Bildungspraxis umzusetzen, die an den Humankapitalressourcen arbeitet (ebd., Radtke 2009). Darauf reagiert auch die Bildungspolitik – ganz deutlich nachvollziehbar, wenn beispielsweise im US-amerikanischen Bildungsgesetz davon die Rede ist, dass das Gesetz helfen soll, „achievement gap“ (die Leistungslücke der Schüler*innen untereinander) zu schließen, während bspw. von einem „opportunity gap“ (der Möglichkeitslücke) nicht die Rede ist (vgl. Hummrich und Terstegen 2020). Die Frage der involvierten Subjekte ist hier aufgehoben in der Orientierung an der Leistungsfähigkeit und Fähigkeitserzeugung. Dass Jugendliche damit nicht im Eigensinn ihrer Lebensweisen wahrgenommen werden, muss hier nicht eigens betont werden – sie werden zu Ergebnislieferanten, deren Humankapital genutzt wird, um anderenorts verglichen zu werden. Es geht darum, dass das Land im

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internationalen Ranking nach vorne kommt und damit einem leistungs- und konkurrenzfähigen Bildungssystem Ausdruck verliehen wird. Eine Forschung, die sich diese Perspektive zueigen macht, nimmt in Kauf, dass Jugendliche instrumentalisiert werden und stellt sich in den Dienst machtpolitischer Interessen. Die Rede von persönlichem Wachstum dreht sich dann vor allem um die Akkumulation von Humankapital und vermessbarem Bildungskapital (Mumby und Kuhn 2019). Die Darstellungsform in Rankings und die Perspektiven auf Gewinner und Verlierer der Studie mag ironisierend noch mit Sportreportagen und Bundesligatabellen verglichen werden. Dies ist jedoch gerade Ausdruck eines methodologischen Nationalismus (Wimmer und Glick Schiller 2003; Amelina 2012) von Studien, in denen Bildungssysteme wie Unternehmen behandelt und Jugendliche darin als reine Ergebnislieferanten instrumentalisiert werden.

3 Verhältnismäßigkeiten – Jugend(forschung) unter Transnationalisierungsbedingungen Springfield, Mittelstadt in einem nord-östlichen US-Bundesstaat. Wir sitzen mit unserer Gastgeberin und einer Highschool-Lehrerin aus einer umliegenden Schule am Esstisch. Aufgebracht erzählt die Lehrerin unserer Gastgeberin von einer Situation, die sich an jenem Tag in ihrer Schule zugetragen hat: Ein Schüler hat sich nach einem Streit mit ihr im freiwilligen Nachmittagskurs (einer ­Theater-AG) vom Schulgelände entfernt und ist auf dem Fußweg neben dem Highways in Richtung seines Zuhauses gelaufen. Das sei sehr gefährlich und sie habe sich große Sorgen gemacht, aber auch darüber geärgert, dass dieser Junge („this boy“) so undiszipliniert war, er wisse doch, dass er sich nicht aus dem Schulgebäude entfernen dürfe, weil dies gefährlich sei. Er hätte, wenn er unaufmerksam gewesen wäre, leicht von einem Auto erfasst werden können. Im weiteren Gesprächsverlauf stellte sich heraus, dass es sich um einen 17jährigen Jugendlichen handelte. Dies verwundert uns sehr, hatten wir doch übereinstimmend imaginiert, dass dies ein 8–10 Jähriger sein müsse, der am Straßenrand leicht zu übersehen ist und dem man möglicherweise ein Entfernen vom Schulgelände noch nicht zutraut.3

Die Protokollnotiz, die hier als Anlass einer Reflexion dienen soll, verweist auf ein Strukturmoment des Aufwachsens, das sich mit den Stichworten Schutz und 3Die

Szene stammt aus der Erhebungsphase im Rahmen des DFG-Projektes EDUSPACE (2015–2019), in dessen Rahmen wir die schulkulturelle Praxis des Umgangs mit ethnischer Diversität in Deutschland und den USA vergleichend untersucht haben. Es handelt sich um eine Randnotiz, die sich in der Gastfamilie, in der Saskia Terstegen und ich untergebracht waren, ereignet hat.

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Kontrolle beschreiben lässt. Auch wenn Jugendliche in den USA schon mit 16 Auto fahren dürfen, werden sie in der Institution Schule kontrolliert (es gibt Eingangskontrollen) und gilt die Überwachung als Moment des Schutzes (auch während der Highschool-Zeit darf das Schulgelände in der eigentlichen Schulzeit nur in Ausnahmefällen verlassen werden). In diesem Sinne haben Highschool Schüler*innen nicht viel mehr Autonomiespielräume als Kinder. Dass sich den deutschen Beobachterinnen in diesem Zusammenhang jedoch eine Missinterpretation der Situation aufdrängte, verweist noch auf einen anderen Aspekt: nämlich, dass die Annahme über Autonomiespielräume für Jugendliche durch jeweilige symbolische Ordnungen strukturiert ist, in die sich Annahmen über Jugend und deren Normalitäten einschreiben und dass nicht nur die methodologischen Perspektiven einem Nationalismus anheimfallen können vgl. Pfaff in diesem Band, sondern dass auch Protokollnotizen und Interpretationen sich mit der eigenen Standortgebundenheit konfrontieren müssen. Dies schließt an die relationale Perspektive von Forschungszugängen, die oben mit Blick auf Weber entfaltet wurde, an und bedeutet, dass auch Szenen, Stile und Subkulturen als je spezifische Ausdrucksgestalten bestimmter gesellschaftlicher Ermöglichungsstrukturen von Jugend verstanden werden müssen, in denen die jeweiligen Vorstellungen von Freisetzung und Vereinnahmung, Autonomie und Gebundenheit und Kontextuierung durch Ungleichheiten und Anforderungen an die Gestaltung von Übergängen deutlich werden (vgl. Hummrich 2018; Hinrichsen 2018). Jugend ist in diesem Zusammenhang jeweils lokal hervorgebracht und durch die globale Vorstellung, sie sei eine eigenständige Lebensphase gerahmt (Hummrich 2019). Dies stellt Vorhaben, die Jugend erforschen, vor die Aufgabe, das, was als Diffundieren der Jugendstile (Richard 2020) oder als Ausdrucksgestalt gesellschaftlicher Veränderungsprozesse wie Gefahr der Vereinnahmung von Jugend durch Schule (Helsper und Hummrich 2020) gesehen wird, jeweils in seiner Gebundenheit und Relationalität in den Blick zu nehmen und Forschungsperspektiven auf die eigenen Normalitätsannahmen hin zu befragen. So können anhand vergleichender Szenen wie der oben benannten (der Zugänglichkeit und Abgeschlossenheit von Schulen für Jugendliche) etwa gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen von jugendlicher Praxis und Möglichkeitsräume jugendkultureller Verortung vergleichend rekonstruiert werden. Damit wäre dann auch komparativ zu untersuchen, in welchen Gesellschaften sich jugendkulturelle Orientierungen wie artikulieren und ob sich zum Beispiel soziale Ungleichheiten in jugendlichen Individuationsverläufen unter Bedingungen der Transnationalisierung radikalisieren. Denn Transnationalisierung nimmt ja einerseits die nationale Bedingtheit sozialen Handelns und die jeweiligen Muster der

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Grenzüberschreitung in den Blick (Wimmer und Glick Schiller 2003; auch: Pfaff in diesem Band). Damit stehen schließlich neue Forschungsfragen auf dem Plan, die Jugend als sich wandelnde Lebensphase begreifen, in die sich jeweilige natio-ethno-kulturelle Vorstellungen von Normalität einschreiben. Internationale Biographien Jugendlicher wie sie z. B. in Elitebildungsinstitutionen vorkommen (Kotzyba et al. 2018) haben sich mit diesem Thema ebenso auseinander zu setzen wie Biographien, denen ein „Migrationshintergrund“ zugesprochen wird und solche, die Fluchterfahrungen haben (Hummrich 2019). Die zentrale Frage ist hier, was dies, insbesondere angesichts der gesellschaftlichen Vereinnahmung von Jugend – z. B. durch Schule – oder auch sozialpädagogische Kontroll- und Fürsorgemechanismen mit Blick auf die Struktur der Lebensphase und die Doppelwertigkeit von Autonomie und Eingebettetheit in gesellschaftliche Verhältnisse bedeutet; oder ob nicht auch die Autonomiekonzepte Vorstellungen sind, die nicht als universell gelten können und was das wiederum für die Lebensphase, die strukturell zwischen Kindheit und Erwachsenheit angesiedelt ist, bedeutet.

4 Same, same but different: Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung im Anspruch der Kritik Der Beitrag ist überschrieben mit „Same, same but different“, dem Titel eines Filmes von Detlev Buck aus 2009, auf den in mehrfacher Weise in diesem Titel angespielt werden kann. Erstens, geht es in dem Film um einen Abiturienten, also einen Jugendlichen, zweitens, um die Suche nach autonomer Lebensgestaltung. Drittens, kann die Auslandsreise, die der Protagonist unternimmt, als eine typische jugendkulturelle Unternehmung nach dem Abitur angesehen werden: als Backpacker die Welt zu bereisen und damit Erfahrungen mit Autonomie und Befremdung zu machen, ist eine gängige Praxis für Jugendliche. Dass der Film schließlich den Weg des Protagonisten bis zur Hochzeit beschreibt – also dem Ereignis, das formal als herausgehobener Markierer für Erwachsensein verstanden wird – lässt ihn auch als Film des Übergangs verstehen, der mit Konventionen und Fremdheit in unterschiedlichen kulturell-gesellschaftlichen Kontexten spielt. Dies erweckt den Eindruck, als seien lebens- und alterstypische Fragen „ganz gleich und dennoch anders“ – also: „Same, same but different“. „Ganz gleich“ ist in der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung ein Forschungsstrang geblieben, der sich mit der Individuation Jugendlicher

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zwischen Autonomiebestrebungen und Eingebundenheiten befasst (z.  B. Hummrich 2009; Wischmann 2010; Hoffmann 2012; von Wensierski und Lübcke 2012; Hummrich 2012; Schinkel und Herrmann 2017; Böder und Pfaff 2018; Hinrichsen 2018). Jugendforschung genießt als Forschung zu einer bestimmten Lebensphase auch ein Alleinstellungsmerkmal, da es um die erziehungswissenschaftliche Auseinandersetzung mit einer Lebensphase im Rahmen eines institutionalisierten Lebenslaufs geht (Kohli 1985). Und dennoch hat sich etwas geändert, denn Jugendforschung ist inzwischen ein etablierter Forschungsgegenstand. Dass und wie sich Gegenstandsbezüge verändert und verlagert haben, ist folgenden Aspekten geschuldet, die gleichsam auch als Skizzierung von Forschungsperspektiven gelten können: • Jugendforschung hat keinen singulären und revolutionären Status mehr. „Jugend“ als Lebensalter ist inzwischen ein Querschnittsthema auch weiterer Subdisziplinen. Dabei ist Jugendforschung kaum eine eigene Subdisziplin, Professuren mit der Denomination „Jugend“ sind (auch gegenüber Professuren zur Kindheitsforschung) eher rar (vgl. Krüger in diesem Band). Dabei scheint es nicht nur von hoher Relevanz die Jugend in einzelnen Institutionen oder in Abgrenzung von Institutionen in den Blick zu nehmen, sondern das „Dazwischen“ zu betrachten – die Übergänge Jugendlicher zwischen Familie und Schule (Helsper et al. 2009), die Übergänge zwischen Institutionen und die Bedeutung von Übergangsinstitutionen (z. B. dem FSJ, Hinrichsen 2018) und das Zusammenspiel unterschiedlicher weiterer (pädagogischer) Zusammenhänge (Mangold 2018). • Die Schwierigkeit, den Jugendbegriff oder gar bestimmte Szenen oder Stile deutlich von anderen Lebensphasen abgrenzen zu können oder nicht mehr lebensalterspezifisch bestimmen zu können, spiegelt eine Problematik, die der Erziehungswissenschaft selbst auch eigen ist. Es gilt hier – möglicherweise ex negativo – zu bestimmen, was Jugend ausmacht, oder eben gerade nicht ausmacht und sich der Strukturmerkmale zu vergewissern, die unter diesen Bedingungen von erziehungswissenschaftlichem Interesse sind. Hierbei muss es zwingend weiter um die Möglichkeiten von Teilhabe und Zugehörigkeit gehen. Ob dafür die in den 1980er Jahren in Anspruch genommene Perspektive der Ambivalenz von Autonomie und Eingebundenheit nach wie vor gültige Kategorien theoretischer Bestimmung sein können, bleibt zu diskutieren. • Jugend ist auch – das haben die Auseinandersetzungen mit den ­large-scale-assesments gezeigt (s. o.) – ein Ergebnislieferant, wobei die Eigenlogik der Jugend hier weniger interessiert als ihre Leistungsfähigkeit. Diese oben als Instrumentalisierung beschriebene Zurichtung der Jugendlichen sub-

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239

jektiviert sie unter der Frage der Leistung und entsubjektiviert sie zugleich, wenn es um die Betonung der Leistungsverbesserung nach Wettbewerbsstrategien und die (nationale) Vorherrschaft im Vergleich zu anderen Ländern geht. Deutlich hypothesenhaft lässt sich hier weniger eine Annahme als eine Frage ableiten: nämlich, ob nicht die zunehmende Orientierung Jugendlicher an nationalistischen Tendenzen wie der Neuen Rechten4 einerseits mit dem Kampf um postkoloniale Privilegienstrukturen zu tun hat, andererseits aber auch Ausdrucksgestalt der Auseinandersetzung mit der Erfahrung von Entsubjektivierung ist, weil sich Jugendliche hier als verdinglicht erfahren. Dies ist hier lediglich eine Spur, die in der Perspektive kritisch erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung bislang erst wenig thematisiert wurde, auch wenn mit Blick auf das Verhältnis von Verdinglichung, Entsubjektivierung und Radikalisierung der Gedanke im Sinne des „ganz Gleichen und dennoch Verschiedenen“ an das Erklärungsmodell von Adorno und Horkheimer (1969) aus der Dialektik der Aufklärung naheliegend ist (ebd., S. 207 ff.): wo sich nur am isoliert Faktischen orientiert wird, Gedankengänge als unbequeme und unnütze Anstrengung fortgewiesen wird, verliere das Ich seinen Spielraum für geistige Konsequenzen und werde anfällig dafür, die eigene Ohnmacht durch Fügsamkeit in Ideologie zu bearbeiten. Ob die These tragfähig ist und in welchem Verhältnis die Neue Rechte zu anderen (globalen und explizit internationalen) Jugendbewegungen (z. B. Fridays4Future) steht, bleibt zu untersuchen. • In Rechnung zu stellen ist auch die Verhältnismäßigkeit von Jugend mit Blick auf die Bedeutung von Jugend in unterschiedlichen Gesellschaften (als unterschiedlichen symbolischen Ordnungen). Denn während Jugendliche der nordwestlichen Hemisphäre nach wie vor die Perspektive der Eigenlogik zu haben scheinen und sich dies auch in neuen Protestbewegungen wie „Fridays4Future“ zeigt, sind „Jugenden“, die nicht im globalen Norden hervorgebracht werden, möglicherweise anders konnotiert. Dies lassen etwa Rekonstruktionen zu Zukunftsvorstellungen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland und Ghana erwarten (Maier und Rademacher 2016). Eine solche Perspektive, die nach den Bedeutungsstrukturen von Jugend sucht, ist zugleich eine, die der Transnationalisierung von Jugend Rechnung trägt. Mit der Perspektive des „ganz Gleichen und dennoch Verschiedenen“ ist in diesem Zusammenhang auch angesprochen, dass nicht selbstverständlich von einer universalistischen

4Selbstverständlich

finden sich in der Neuen Rechten nicht nur Jugendliche. An dieser Stelle wird jedoch aus jugendtheoretischer Perspektive der Versuch unternommen, die Attraktivität dieser Bewegung für Jugendliche zu begründen.

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Verortung der Jugend die Rede sein kann, sondern auch die Annahme Autonomie Ausdruck einer hegemonialen Struktur ist. Es geht also darum, Jugend selbst als relationale Konstruktion wahrzunehmen – nicht nur hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit zu anderen Lebensphasen, sondern gerade auch im Verhältnis zu anderen gesellschaftlich-kulturellen Erfahrungshintergründen. • Hierzu gehören aber nicht nur die gesellschaftlichen Konzeptionen und Hervorbringungspraktiken von Jugend, sondern auch die Frage, wie sich diese in Biographien einschreiben und unter migrationsgesellschaftlichen Bedingungen verändern. Welche neuen Ungleichheitsstrukturen entstehen im Anspruch der Internationalisierung und der damit verbundenen Elitebildungsstrategien? Was bedeuten sich widerholende Migrationsprozesse (Transmigration) z. B. unter Fluchtbedingungen für die Selbstpositionierung? Inwiefern ist ein unsicherer Aufenthaltsstatus von Bedeutung für Prozesse biographischen Lernens? Entstehen unter Migrationsbedingungen Jugendszenen, die Prozesse biographischer Unsicherheit und systematischer Benachteiligungsstrukturen aufarbeiten? Zusammenfassend zieht sich durch die lapidare Feststellung des „Same, same but different“ die Anforderung, in der Jugendforschung den Anschluss an transnationale Bedingungen zu suchen. Dabei gilt es, den personalen Status der Jugendlichen zu würdigen und individuelle Eingebundenheiten herauszuarbeiten. Erziehungswissenschaftlich kann so eine Jugendforschung gelingen, die nicht in anderen Bereichen aufgeht, aber Innovationen ermöglichend auf die Bedingungen unter denen Jugend hervorgebracht wird eingeht.

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Prof. Dr. Merle Hummrich,  ist Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Schule und Jugend an der Goethe-Universität Frankfurt a. M. Im Bereich der Schulund Jugendforschung interessieren Sie insbesondere bildungsbezogene Ungleichheiten, kulturtheoretische Perspektiven der Transnationalisierung und qualitative Forschungsmethoden.

Schwelende Themen zwischen erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung und „gesellschaftlicher“ Jugendpolitik – Generationalität, Institutionalisierung & Jugendrechte Karin Bock und Wolfgang Schröer Zusammenfassung

Wenn in diesem Beitrag von schwelenden Themen zwischen erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung und Jugendpolitik gesprochen wird, dann soll die Aufmerksamkeit auf Herausforderungen gelegt werden, die seit Jahren in diesem Verhältnis nur latent thematisiert werden. Es sind Themen, die sich u. E. jenseits der Konjunkturen in einer Gegenwartsgesellschaft als Kristallisationspunkte von erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung und Jugendpolitik erweisen, für die aber in dem aktuellen Verhältnis von erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung und Jugendpolitik und seiner Gegenwartsbezogenheit des Macht- und Transfergefüges nur schwer ein grundlegender Spannungsbogen aufgebaut werden kann. Wenn in diesem Beitrag von schwelenden Themen zwischen erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung und Jugendpolitik gesprochen wird, dann soll die Aufmerksamkeit auf Herausforderungen gelegt werden, die seit Jahren in

K. Bock (*)  TU Dresden, Dresden, Deutschland E-Mail: [email protected] W. Schröer  Universität Hildesheim, Hildesheim, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Grunert et al. (Hrsg.), Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27612-6_14

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diesem Verhältnis nur latent thematisiert werden. Es sind Themen, die sich u. E. jenseits der Konjunkturen in einer Gegenwartsgesellschaft (Preyer 2006) als Kristallisationspunkte von erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung und Jugendpolitik erweisen, für die aber in dem aktuellen Verhältnis von erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung und Jugendpolitik und seiner Gegenwartsbezogenheit des Macht- und Transfergefüges nur schwer ein grundlegender Spannungsbogen aufgebaut werden kann.

1 Jugendforschung und Jugendpolitik: Ein komplexes Verhältnis Das Verhältnis von erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung und Jugendpolitik wird auf ganz unterschiedlichen Ebenen in einem komplexen Macht- und Transfergefüge gestaltet. Es lässt sich nicht einfach klären. Zunächst kann von zwei ‚Containern‘ ausgegangen werden, durch die die Jugendforschung und Jugendpolitik als getrennt voneinander organisierte gesellschaftliche Felder konstruiert werden, die allein mittelbar in einem Verhältnis zueinanderstehen. Grundsätzlich ist dieses Bild für die Jugendforschung zunächst einmal essenziell. Es verleiht ihr rechtlich, sozial und auch politisch eine Autonomie und Unabhängigkeit gegenüber der Politik. Es ist damit eine Konstruktion, die für demokratische Gesellschaften konstitutiv ist und die Freiheit und politische Autonomie von Forschung und Lehre begründet. Doch – so unser Ausgangspunkt – das Verhältnis von erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung und Jugendpolitik ist damit nicht abschließend geklärt. Es beginnt mit dieser politischen Ordnung von Wissenschaft und Politik erst die Herausforderung der sozialen und politischen Ausgestaltung des Verhältnisses auf unterschiedlichen Ebenen, weil in demokratischen Gesellschaften gleichzeitig erwartet wird, dass diese ‚Container‘ in Beziehung zueinander treten und die Akteur*innen z. B. wissenschaftlich produziertes Wissen für die Bürger*innen und Entscheidungsträger*innen sowie Organisationen aufbereiten und zur Verfügung stellen. Freilich existieren immer wieder Vorstellungen in der Jugendforschung (insgesamt), nach denen das Verhältnis so ausgestaltet sein solle, dass eine weitgehende Nichtwahrnehmung der Jugendpolitik als Ausdruck der Autonomie begriffen und den politischen Ebenen allein aufgetragen wird, sich um den Transfer zu bemühen. Doch auch diese Haltung ist eine politische Verhältnisbestimmung von Jugendforschung und Jugendpolitik – wenn auch eine sehr reduzierte.

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Insgesamt ergibt sich aus der beanspruchten und rechtlich formulierten Unabhängigkeit und Autonomie der Jugendforschung gegenüber der Jugendpolitik eine politische Verantwortung, sich in den unterschiedlichen politischen Ebenen und im Transfergefüge als Jugendforschung mit wissenschaftlich fundiertem Wissen, Methoden und Reflexionsformen einzubringen und so das Verhältnis und die bestehenden Abhängigkeiten immer wieder neu sozial herzustellen und zu gestalten. Zudem: Die Jugendforschung selbst ist kein einheitliches Gebilde, sondern ein lose gekoppeltes Netzwerk von Forschungseinrichtungen, Einzelakteur*innen, Forschungsförderung, Hochschulen und wissenschaftlichen Initiativen etc., die mit sehr unterschiedlicher Positionsmacht ausgestattet sind und sich u. a. durch selbstgesetzte Qualitätsstandards in ihrer sozialen Gestaltung gegenseitig und in Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt, u. a. der Jugendpolitik, regulieren. Gleichzeitig existiert auch nicht ‚die Jugendpolitik‘. Auch sie kann als ein vielschichtiges prozessuales Gefüge angesehen werden. Wird die gängige Dreiteilung des Politischen – ‚polity‘, ‚policies‘ und ‚politics‘ – zugrunde1 gelegt (Bock 2000; Bock und Reinhardt 2010), zeigt sich bereits die Vielschichtigkeit, die angesichts der korporatistischen Grundstruktur des Sozialstaats in Deutschland und des Föderalismus auf der Ebene der ‚polity‘ wiederum durch ein komplexes institutionelles und dezentralisiertes Macht- und Entscheidungsgefüge gestaltet ist. Dieses institutionelle politische Gefüge ist eng verflochten mit unterschiedlichen Aushandlungsformen und Inhalten – ‚policies‘ – und umfasst diese gleichzeitig noch lange nicht. Denn Jugendpolitik wird auch in der politischen Bildung der Schulen und anderer Akteure in diesem Feld sowie jenseits organisierter politischer Strukturen durch Initiativen etc. und Aktionen von jungen Menschen selbst gestaltet. Auf der Ebene der ‚policies‘ ist die Jugendpolitik

1Diese

Dreidimensionierung geht auf die us-amerikanische politische Sozialisationsforschung zurück. Nach Rohe 1978 bezeichnet „Policy“ die inhaltliche Dimension von Politik, d. h. die Bearbeitung von gesellschaftlichen Problemen durch eine bestimmte Politik (etwa Bildungspolitik); „Politics“ meint den Prozess der Auseinandersetzung um diese Politikinhalte, die in pluralen Gesellschaften notwendig und legitim sind; „Polity“ steht dann für die gesellschaftliche Rahmung, innerhalb derer politics und policy stattfinden, d. h. den konflikthaften Kampf um Macht und Einfluss, der seinerseits durch Regeln kanalisiert wird – gemeinsame Reglungen gemeinsamer Angelegenheiten sind das Ergebnis demokratischer Auseinandersetzungen (Rohe 1978; Bock und Reinhardt 2010) – wird häufig auch als „Kompromiss“ im politischen Wortabschlag bezeichnet und nicht selten zur Begründung von scheinbar irritierenden Entscheidungen herangezogen.

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auch durch eine verstreute Landschaft zivilgesellschaftlicher Aktionen junger Menschen und Diskurse charakterisiert. Genauso vielfältig gestalten sich die Prozesse und Verfahren von Jugendpolitik. Zwar wird einerseits häufig suggeriert, dass die ‚politics‘ der Jugendpolitik sich nicht von denen anderer Politikfelder unterscheiden. Doch soweit die Jugendpolitik genauer betrachtet wird, fordert daneben jede Generation junger Menschen auch eigene Verfahren und Prozesse ein, was sich gegenwärtig an der Politikgestaltung im digitalen Raum oder den Schüler*innenprotesten genauso ablesen lässt, wie bspw. an den jugendkulturellen Protestkulturen der 1980er Jahre. Wird dieses komplexe Gefüge der Jugendpolitik zugrunde gelegt, um das Verhältnis von Jugendforschung und Jugendpolitik zu reflektieren, so sind wiederum zwei Perspektiven zu unterscheiden: Auf der einen Seite ist die Jugendpolitik selbst Gegenstand der Jugendforschung. Jugendforschung analysiert etwa wie sich die Jugendpolitik auf den unterschiedlichen Ebenen der ‚polity‘, ‚policies‘ und ‚politics‘ entwickelt. Als Beispiel für ‚policy‘ kann hier etwa die Forschung zur institutionellen Entwicklung der Jugendpolitik herangezogen werden (Hornstein 2002). Auf der anderen Seite stehen die Positionierungen der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung mit ihrem Wissen und Akteuren auf den unterschiedlichen Ebenen der Jugendpolitik selbst. Dabei reicht auch hier das Spektrum vom Feld der organisierten Politikberatung – ‚polity‘ – (z. B. im Kontext der Bildungs- und Jugendberichte oder von Enquete- und Sachverständigenkommissionen sowie im Bundesjugendkuratorium) über Analysen zu Kompetenzen Jugendlicher in den Schulen oder Lebenslagen junger Menschen, die für die Inhalte – ‚policies‘ – der Jugendpolitik Relevanz bekommen (bspw. zur sozialen Ungleichheit und Diskriminierung im Jugendalter) oder die Mitgestaltung und Bewertung von Verfahren – ‚policies‘ – der Jugendpolitik. Dies bedeutet letztlich, dass – lässt man sich auf diesen weitgefassten Politikbegriff ein – angesichts des komplexen Macht- und Transfergeflechtes von Jugendforschung und Jugendpolitik auch die Ausgestaltung dieses Verhältnisses selbst politisch ist. So ist bspw. schon die Entscheidung von Jugendforscher*innen, auf welchen Ebenen sie wie (nicht) agieren, letztlich politisch. Zudem erscheint es lohnend weiterführend zu betrachten, welche Themenfelder in diesem Transfergeflecht Brisanz gewinnen und welche nicht. Nimmt man die Entwicklung der Jugendforschung und der Jugendpolitik genauer in den Blick, eröffnet sich ein eigenes Forschungsfeld, indem untersucht werden kann, welche Themen wie gerade durch das zeitgenössische Verhältnis von erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung und Jugendpolitik an Konjunktur gewinnen und welche nicht. So ist z. B. das Thema der Kompetenzmessung junger Menschen

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in der (Ganztags-) Schule und die Konjunktur empirischer Bildungsforschung in der Erziehungswissenschaft nur durch das Macht- und Transfergefüge in Konstellation zwischen Bildungsforschung und Bildungspolitik zu begreifen. Es sind aber auch andere Themen, die in dem komplexen politischen Transfergeflecht (AGJ 2018) zwischen Forschung und Politik an Konjunktur gewinnen und in die Wissenschaft und Politik zurückwirken (z. B. die G8-G9-Debatten). Im Folgenden sollen aber nicht diejenigen Themen aufgenommen werden, die in diesem Macht- und Transfergeflecht2 an Konjunktur gewinnen, sondern es soll nach ‚schwelenden Themen‘ gefragt werden, die scheinbar nicht durchdringen können und doch seit Jahren eine politische Brisanz in sich tragen, aber nur latent im Verhältnis von erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung und Jugendpolitik bearbeitet werden. Insofern wollen wir hier dafür plädieren, eine gesellschaftliche Jugendpolitik zu stärken, die durch eine generationssensiblere Jugendforschung untersetzt ist und darüber jugendpolitische Wirkkraft entfaltet, d.  h., eine erziehungswissenschaftliche Jugendforschung für eine gesellschaftliche3 Jugendpolitik, in der Jugendliche als Akteure eines ambivalenten Alltags wahrgenommen werden und ihr Anspruch auf Selbstbestimmung respektiert wird (Thiersch 1992; auch Schröer und Struck 2019). Warum diese Perspektive wichtig und bedeutsam sein könnte, versuchen wir zudem anhand der Themen ‚Jugendrechte‘ und ‚Institutionalisierung von Jugend‘ zumindest anzudeuten. Zunächst soll allerdings danach gefragt werden, wie die Jugendforschung gegenwärtig den Generationsbegriff verwendet und warum es – zumindest aus unserer Sicht – spätestens jetzt wieder an der Zeit sein sollte, sich dem Begriff der Jugendgeneration erziehungswissenschaftlich zu nähern und seine Potenziale wieder für Fragen der Jugendpolitik zu nutzen.

2Mit

dem „Macht- und Tranfergeflecht“ nehmen wir einen Hinweis aus der Intersektionalitätsforschung auf, d. h. es geht um die ‚Repräsentationsregime‘, in denen sich gesellschaftliche Gruppen wiederfinden – oder eben nicht wiederfinden. Dieses Macht- und Transfergeflecht ist sowohl in sozialen Strukturen, Institutionen und Organisationen, symbolischen Ordnungssystemen wie in sozialen Praktiken und Subjektformationen auf allen Ebenen enthalten (ausf.: Walgenbach 2014). 3Mit „gesellschaftlicher Jugendpolitik“ meinen wir die Idee, dass eine gemeinsam geteilte, partizipativ orientierte, politisch öffentlich selbstverständliche und selbstwirksame Jugendpolitik entwickelt wird, die nicht mehr länger „für die Jugend“, sondern mit bzw. von der jeweiligen Jugendgeneration selbstbestimmt und eigenwillig/eigensinnig entworfen wird und öffentlichkeitswirksam zur Debatte steht.

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2 Generationalität – jenseits der Gegenwartsbezogenheit des Transfers Spätestens seit Erscheinen des 15. Kinder- und Jugendberichts (BMFSFJ 2017) ist (wieder) deutlich, dass die gegenwärtige Jugendgeneration mehr ist als eine Kohorte ‚junger Menschen‘, die sich – zuweilen scheinbar politikverdrossen – auf ihr Erwachsenendasein freue. Zwar konnten die jährlich erscheinenden ‚großen Jugendstudien‘ wie Shell oder SINUS in den vergangenen Jahren einige Trends nachzeichnen, die die junge Generation berühren, doch verstanden (im Sinne von: Wünsche, Träume und Zukunftsperspektiven nachverfolgen, politische Ausdrucksweisen und jugendkulturelle Ausdrucksformen verstehen) wurden sie darüber nicht. Zudem bescheinigen die gegenwärtig andauernden Demonstrationen der #fridaysforfuture-Bewegung genau diesen Jugendstudien eine wenig prognostische Kraft. Hier wird deutlich, dass derartige Einstellungsuntersuchungen nur eine begrenzte Aussagekraft haben. Sie können zwar Positionierungen von jungen Menschen ‚einfangen‘, aber kaum reflektieren, wie sich Generationalität konstruiert und welche soziale Spannung der Vorstellung von Generationalität im Verhältnis von erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung und Jugendpolitik innewohnt. Entsprechend möchten wir argumentieren, dass zu unterschiedlichen Zeiten in diesem Verhältnis Generationalität als sozialhistorische Analyseebene eingezogen wird und sie ansonsten ‚schwelend‘ im Hintergrund verbleibt. Der sozialhistorische Generationsbegriff geht auf die Überlegungen von Karl Mannheim (1928) zurück, der Generation als Grundlage der gesellschaftlichen Entwicklung herausarbeitete. Mannheim legte bereits Anfang des 20. Jahrhunderts ein differenziertes Konzept vor, in dem er versuchte, Generationen als historische Gestalten zu beschreiben und sie in ihren sozialgeschichtlichen Kontext einzubetten (Mannheim 1928). Hierbei unterschied er zunächst zwischen quantitativen Generationenbestimmungen als arithmetische Altersgruppenbildungen und qualitativen Konstruktionen von Generationen als sinnbezogene ‚Erlebnisgemeinschaften‘, die aus ihrer historischen Gestalt vor dem Hintergrund spezifischer Generationszusammenhänge, also entlang bestimmter, gemeinsam erlebter und gedeuteter, gesellschaftlicher und historischer Lebensund Ereigniszusammenhänge identifiziert werden (Bock 2000, S. 122 ff.; Köhler 2002). Generationen lassen sich nach Mannheim durch je eigene Weltbilder und Normensysteme sowie durch spezifische Regelungen des sozialen Zusammenlebens charakterisieren. Eine Generation wird somit als eine spezifische, kollektive Erlebnisgemeinschaft verstanden, die sich in ganz bestimmten politischen und sozialen Handlungsspielräumen bewegt und einen ‚jeweils eigenen Gegner

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in der Welt und in sich‘ bekämpft, d. h. durch die gemeinsame Lage im historischen Raum (Generationenlagerung), durch gemeinsame prägende Erlebnisse (Generationen-Zusammenhang) und durch gemeinsame Verarbeitungs- und Handlungsformen (Generationen-Einheit) charakterisiert werden kann. Somit besitzt jede Generation eine (eigene) sozialhistorische Gestalt. Ein Blick in die Jugendstudien der letzten Jahre zeigt, dass sich in der repräsentativen Umfrageforschung stark auf einzelne Jahrgänge konzentriert worden ist (etwa die vorliegenden SINUS- und Shell-Studien der letzten Jahre). Jugendliche und junge Erwachsene wurden zumeist als Geburtsjahrgänge mit ‚Erwachsenenfragen‘ im Sinne einer quantitativen Generationenbestimmung konfrontiert, in denen es mehrheitlich darum ging, wie sie in den Arbeitsmarkt einmünden werden, welche Vorstellungen sie vom politischen, sozialen und familialen Zusammen-Leben haben und wie wertvoll sie ihre Schul-, Aus- und Weiterbildung einschätzen bzw. wie sie im OECD-Vergleich abschließen. Auch politische Einstellungen wurden viel und gern abgefragt. Herauskristallisiert hat sich dabei ein Bild von schnell aufeinanderfolgenden Jugendgenerationen (mit marktgängigen Labeln versehen: X, Y, Z), die familienorientiert und dabei gleichsam hoch individualisiert ihre Zukunft entwerfen und deren konsumierendfreundliche Haltung einem ökonomischen „Weiter-so“ entspricht. In den Hintergrund rückte die Frage nach dem sozialhistorischen Eigensinn einer jungen Generation, die „einen jeweils eigenen Gegner in sich und der Welt (bekämpft)“ (Mannheim 1928, S. 181) und/oder gar gegen ihn vorgeht, weil die ‚alten, vorhergehenden Generationen solch einen Gegner niemals identifiziert hatten oder gegen ihn vorgehen wollten‘. Vielmehr ging es auch hier um ‚Erwachsenenthemen‘ – das Fortschreiten der Digitalisierung, die Faszination der ‚socialmedia‘, die quasi symbiotische Verknüpfung zwischen ‚junger Mensch und Maschine‘, sodass ein eigentümliches Bild von den Jugendgenerationen gezeichnet wurde, die sich kreativ ‚surfend‘ durchs Internet als „Grenzarbeiter_ innen“ (BMFSFJ 2017) bewegen und kaum mehr am Gemeinwohl teilhaben bzw. teilnehmen. Insgesamt reflektiert ‚diese‘ Jugendforschung, die das Geflecht von Jugendforschung und Jugendpolitik umfassend inhaltlich mitgestaltet, kaum Generationalität als gesellschaftspolitische oder sozialhistorische Dimension. Dies bedeutet nicht, dass zu wenig Analysen über jugendliche Ausdrucksformen, Lebenswelten und Raumaneignungen, über Jugendkulturen und Jugendszenen vorliegen und diese nicht von Bedeutung sind. Zudem wurde neben der Jugendforschung in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Kindheitsforschung ausgebaut, sodass heute in Bezug auf ‚junge Menschen‘ und ihre Generationalität von einer differenzierten ‚Kindheits- und Jugendforschung‘ auszugehen ist.

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Es liegt damit ein differenziertes Wissen über die jungen Generationen und ihr(e) Alltagsleben, ihre Kulturen und Szenen, ihre politischen Ausdrucksformen etc. vor. Doch die Reflexionsebene, die heute kaum offen diskutiert, sondern allein schwelend vorhanden ist, hat Walter Hornstein 1982 formuliert: „Der Versuch, so etwas wie einen ‚Stand‘ der Jugendforschung zu identifizieren, steht vor einer Reihe von Schwierigkeiten, die ihre Ursache in den Eigentümlichkeiten des Forschungsgegenstandes haben, um den es dabei geht. […] Jugend ist weder in der alltäglichen Lebenspraxis noch in der Politik, noch in der Forschung einfach ein ‚Gegenstand‘, der eben gegeben ist, sondern er ist immer schon in den vielfältigen und unterschiedlichen Weisen ideologisch und interessemäßig besetzt. Jeder hat ein anderes Interesse an der Jugend, hat eine andere Vorstellung davon, wie sie sein sollte […]. Es fehlt also an einer kontinuierlichen, von Praktikern und Politikern verkraftbaren, ihre Handlungsprobleme mit reflektierender Verarbeitung von Jugendforschung“ (Hornstein 1982, S. 115 ff.).

Dies würde aber bedeuten, zunächst analytisch zwischen Jugend als Lebensalter und als gesellschaftlich und sozialgeschichtlich bestimmbares Politikfeld der Generationalität zu trennen: Einerseits wird mit Jugend ein bestimmter Lebensabschnitt bezeichnet, der zwischen Kindheit und Erwachsenenalter liegt, also ein bestimmter Zeitraum im Lebensverlauf, der sich als individuelles Jugendalter beschreiben lässt (Hornstein 1996). Andererseits wird mit Jugend eine bestimmte soziale Gruppe innerhalb der Gesellschaft bezeichnet, die sich als die jeweilige ‚Jugend von heute‘ beschreiben lässt. Damit wird die Jugend zu einer gesellschaftlichen Größe und zum politischen Gegenstand im Geflecht von Jugendforschung und Jugendpolitik, das „gesellschaftlichen Wandlungsprozessen und Veränderungen unterworfen ist“ und als „gesellschaftlich-geschichtliches Phänomen“ betrachtet werden kann (Hornstein 1996, S. 296). Durch diese gesellschaftlich-geschichtliche Bestimmung wird ‚Jugend‘ zu einer bestimmten und gleichzeitig bestimmbaren Größe, die jeweils über eine eigene historische Gestalt verfügt und z. T. durch diese identifiziert werden kann (Nave-Herz 1989). Der Blick auf einzelne historische Generationen wurde im 20. Jahrhundert insbesondere in der Jugendforschung aufgegriffen und führte dazu, Bilder für einzelne Generationen nachzuzeichnen. Zumeist stand dabei die Analyse der jeweils ‚herausragenden‘ Jugendgeneration im Zentrum, die mit einprägsamen Generationsetiketten beschrieben wurde. Zugleich wurde versucht, die jeweilige Jugendgeneration in ihren historischen Rahmen einzuordnen. Diese Generationsetiketten der jeweiligen Jugend werden im Hinblick auf Sozial- und/oder Zeitgeschichte formuliert, etwa die Jugendgeneration der Weimarer Republik, die

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Flakhelfergeneration, die 68er- oder die 89er-Generation. Etikettierungen wie skeptische Generation, Protestgeneration, Null-Bock-Generation, No-FutureGenration, APO-Generation oder ‚Generation @‘ sollen gesellschaftliche Wandlungs- sowie soziale Differenzierungsprozesse versinnbildlichen und zielen auf die politischen Orientierungen, die sich aus dem Generationenzusammenhang über ‚prägende Schlüsselereignisse‘ rekonstruieren lassen. Warum derartige Etikettierungen insbesondere an der Jugend festgemacht werden, hat ebenfalls Karl Mannheim in seiner Generationentheorie herausgearbeitet: Mannheim sieht in der Jugend „die eigentliche generationsformierende Kraft. Sie tritt jeweils neu in die schon bestehende Kultur ein und hat ihre Zukunft noch vor sich. Die Jugend ist in dieser Generationsperspektive (…) grundsätzlich zum Neuen bereit: Wie dieses Neue allerdings ausfällt, ob es nun in progressiver oder repressiver, passiver oder aktiver, konformistischer oder abweichender Gestalt auftritt, hängt von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab; vor allem vom jeweiligen Verhältnis der gesellschaftlich herrschenden Kräfte zum sozialen Wandel und sozialen Konflikt und ihrer damit zusammenhängenden Bereitschaft, das Neue und das Konflikthafte in der Jugend anzuerkennen. Das historisch Neue, die Zeitdimension – nicht die inhaltlichen Ausformungen – macht also den Generationstypus Jugend aus. Oder allgemeiner ausgedrückt: An der Generationsgestalt der Jugend symbolisiert sich das jeweils historisch Neue, ob es nun die Jugend selbst durch Konflikt, Protest, abweichendes Verhalten ausdrückt oder ob sich lediglich die gesellschaftliche Diskussion um Wandel und Bestand, Integration oder Zerfall der Gesellschaft an dem Zustand der jungen Generation entzündet. Die Jugend wird so – aktiv oder passiv – zum Kristallisationspunkt des Zeitverständnisses“ (Böhnisch 1996, S. 112). In diesen Ausführungen wird die gesellschaftspolitische Bedeutung des Generationsdiskurses im 20. Jahrhundert noch einmal deutlich. Die junge Generation wird in die moderne Gesellschaft hinein freigesetzt. Entsprechend wird die junge Generation strukturell gezwungen, sich jenseits der Erfahrungen der älteren Generationen und gesellschaftlicher Institutionen wie Familie und Schule zu positionieren. Sie wird aus ihrer Perspektive jeweils mit neuen Anforderungen und Herausforderungen konfrontiert, die in dieser Form ihren Eltern oder der Vorgänger-Generation nicht bekannt waren. So wurde Jugend als eine Gruppe gesehen, die ‚die Zukunft schon auf der Zunge hat, nur noch nicht weiß, wie sie schmeckt‘, wie Hans Thiersch (1986) in Anlehnung an Bloch pointiert formuliert hat. Für die Erziehungswissenschaft, so ist Mollenhauer zu verstehen, sei darum „das Generationenproblem“ sogar „vom Beginn ihrer Entwicklung an konstitutiv gewesen. Hier konnte es sich entfalten, da die Erziehungswege nicht durch

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traditionsreiche Institutionen vorgeformt waren und der Anspruch einer jungen Generation unvermittelt auf die Welt der Erwachsenen traf“ (Mollenhauer 2001, S. 31). Wenn wir heute feststellen, dass in dem Macht- und Transfergeflecht zwischen erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung und Jugendpolitik kaum mehr über die sozialhistorische Einbettung von Jugend als Generationalität gesprochen wird, dann könnte dies zwei Gründe haben: Einerseits konzentriert sich die Auseinandersetzung über Jugend auf einen Gegenwartsbezug und nicht auf den Diskurs über die Zukunft. Andererseits wird der Generationalität wohl weniger Bedeutung beigemessen, da die ‚jungen Menschen‘ in hierzulande zu einer kleinen Gruppe geworden sind, und ihrem Eintreten in die gesellschaftlichen Kontexte nicht mehr die gesellschaftspolitische Wirkmächtigkeit beigemessen wird. Denn historisch konnte eine Jugendpolitik mit einem generationalen Profil immer dann beobachtet werden, wenn sich die Jugendgeneration auch zahlenmäßig gut repräsentieren konnte (Peukert 1987). So wird nur schwelend und kaum offen eine Vorstellung von gegenwartsbezogener Generationalität konstruiert, durch die grundlegend die Lebensbedingungen der jungen Menschen mitgestaltet werden.

3 Institutionalisierung generationaler Ordnung – Entgrenzte Jugend? In diesem Zusammenhang der Generationskonstruktionen gilt für die Diskussion um Jugend ebenso, was für die gegenwärtige Diskussion um Kindheit seit Jahren festgehalten wird und hier schon lange ein Allgemeinplatz zu sein scheint: Kindheit als soziales Phänomen wie biologische Tatsache im Kontext der „generationalen Ordnung des Sozialen“ ist institutionalisiert und wird zunehmend durch Organisationen geprägt; nunmehr von Anfang an (schon Bernfeld 1925). Diese zunehmende und fortschreitende ‚Verinstitutionalisierung‘ (Bock 2013) bzw. der darin aufscheinende wohlfahrtsstaatlich geprägte ‚methodologische Institutionalismus‘ (etwa Eßer und Schröer 2019) von Kindheit lässt sich seit einigen Jahren auch innerhalb der gesellschaftlichen Organisation von Jugend beobachten und wird mithin als ‚Scholarisierung‘ beschrieben. Gemeint ist damit, dass Jugend zunehmend in organisational vorgegebenen Bildungs- und Erziehungszusammenhängen verläuft (Schule, Ganztagsbildung, Ausbildung, Jugend(sozial)arbeit, aber auch in der sog. Vereinskultur, etwa im Breitensport, der Jugendverbandsarbeit oder den Musikschulen etc. pp.), die sich nicht nur über den Alltag erstrecken, sondern diesen zunehmend takten und (vor) strukturieren (ausf. BMFSFJ 2017, insb. Kap. 1– 4).

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Das Phänomen, dass sich hier abbildet, ist aber nicht nur, dass (nun auch) Jugend als Institution zu betrachten ist und in Organisationen verläuft und von diesen geprägt ist, sondern dass Jugend als Lebensalter, d. h. als eine spezifische Konstruktion des Seins (‚Jugendlichsein‘) vermittelt über ihre Institutionalität begriffen wird. Die Institutionalität von Jugend und die organisationale Verfasstheit wird quasi ‚naturalisiert‘ (Schröer 2013). Nicht die ‚junge Generation‘ oder die jeweilige Jugendgeneration wird angesprochen, sondern die institutionalisierten Adressat*innen, wie ‚Schülerinnen und Schüler‘ bzw. Auszubildende, ‚Inklusionskinder‘ oder ‚Adressat*innen der Kinder- und Jugendhilfe‘ werden thematisiert, als ob sie tatsächlich ausschließlich über die organisationale Einbindung identifizierbar seien. Ein aktuelles Beispiel: In der Diskussion über die #fridaysforfuture-Aktivist*innen spiegelt sich diese Spannung wider: Häufig werden die jungen Menschen auf ihren Schüler*innen-Status in der dieser Debatte reduziert. Sie werden als ‚Schüler‘ (oft nicht mal gendersensibel) adressiert, die freitags ihrer Schulpflicht nicht nachkämen. Gleichzeitig drücken sie eine generationale Perspektive aus, die aber in den Diskussionen um die Schulpflicht in den Hintergrund tritt oder entwertet werden soll, da sie als gegenwärtig Lernende klassifiziert werden. Mit anderen Worten: Gerade in und mit der Verschiebung der Adressierung zeigt sich die Scholarisierung und Ver-Institutionalisierung von Jugend besonders deutlich. Die erziehungswissenschaftlichen (Forschungs-) Fragen, die sich hieraus ergeben, sind dementsprechend mehrdimensional: Beobachtbar ist mindestens das Phänomen einer gesellschaftlichen Jugendpolitik, die Jugend über institutionalisierte Klassifikationen normiert und zur „Selbstoptimierung“ (BMFSFJ 2017) in der Gegenwart bewegt werden soll. Insgesamt hat zwar die Jugendforschung in vielfältiger Form darauf hingewiesen, dass eine neue Diskussion über institutionalisierte Machtpolitiken gegenüber jungen Menschen notwendig sei. Dabei kann gar nicht gesagt werden, ob dabei ein Generationenkonflikt, wie er noch in den 1970er und 1980er Jahren innerhalb der Jugendforschung insgesamt allgegenwärtig diskutiert wurde, hinter den Institutionalisierungen ‚schwelt‘. Offen erscheint aber ein anderer Widerspruch: Auf der einen Seite wird die Entstandardisierung und Entgrenzung (Schröer 2004; BMFSFJ 2017) des institutionalisierten Lebenslaufs diagnostiziert und auf der anderen Seite der methodologische Institutionalismus in der Jugendforschung und Jugendpolitik forciert. Traditionelle Grundlage des Modells vom institutionalisierten Lebenslauf war, dass der Mensch in seinem Leben Entwicklungsstufen durchläuft und abschließt und auf diesen aufbauend sich in einer neuen Entwicklungsphase entfaltet (Havighurst 1951). Das Modell basiert auf der strukturellen Voraussetzung, dass den Lebensaltern unterschiedliche gesellschaftliche Erwartungen zugeordnet

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werden können, die die Funktionserfordernisse dieser Lebensphasen für den industriellen Modernisierungsprozess widerspiegeln: Entwicklung in der Kindheit und frühen Jugend, Qualifikation in der mittleren und späteren Jugendphase bis hinein in die junge Erwachsenenzeit (Erwerbstätigkeit im Erwachsenenalter, Entberuflichung im Alter). Insbesondere in den letzten dreißig Jahren wurde dementsprechend der institutionelle und biographische Lebenslauf in eine strukturelle und konfliktdynamische Parallelität gesetzt und gleichzeitig das Bild von der Jugend an die entsprechenden institutionalisierten Vergesellschaftungsformen gebunden. Selbstbestimmung der Jugend und Jugendemanzipation – das Zu-sich-finden der Jugendlichen – wurde im Verhältnis zu den gesellschaftlichen Institutionen – insbesondere Schule und Elternhaus – definiert, die den Entwicklungsraum Jugend aus der Perspektive der Erwachsenengeneration regulieren sollten. Jugendlicher Eigensinn sollte im Verhältnis zu den institutionalisierten Erwartungen, den sozialen Rollen, erfahrbar sein. Der Konflikt mit den gesellschaftlichen Institutionen wurde als ein pädagogisch notwendiger Bestandteil der Identitätsbildung der nachwachsenden Generation gedeutet. Identitätsund Integrationsbalance gingen ineinander über (Erikson 1970). Die Ablaufstruktur des institutionalisierten Lebenslaufs wurde über diese Diskussionen im 20. Jahrhundert zu der Grundstruktur, an der sich die Erziehungsund Bildungsperspektiven orientierten. Derzeit zeigt sich aber insbesondere an den Übergängen zwischen den einzelnen Phasen des institutionalisierten Lebenslaufs, dass dieses Modell nicht mehr die Sozialisationsverläufe der jungen Menschen umfasst. Biographische Herausforderungen werden verstärkt auf die Übergänge zwischen den einzelnen Statuspassagen verschoben. Dieser Prozess deutete sich bereits in der Mitte der 1980er Jahre an. Es bildeten sich die gesellschaftlichen Strukturveränderungen im modernen Lebenszeitregime und damit auch im Jugendalter ab. Eine Destandardisierung oder Entstrukturierung der Jugendphase wurde diagnostiziert. Aus pädagogischer Perspektive sahen sich die Bildungseinrichtungen vor der Herausforderung, dass die Grundvoraussetzungen des institutionalisierten Lebenslaufs verschwimmen. Die These von der Entstrukturierung der Jugendphase (Olk 1989) verwies modernisierungstheoretisch auf Pluralisierungs- und Differenzierungsprozesse, auf unterschiedliche Zeit- und Raumdynamiken in der Jugendphase, die im engen Corpus des letztlich linear entworfenen institutionalisierten Lebenslaufmodells keinen Platz hatten: Die Status-Rollen-Konfiguration Jugend schien „intern immer unausgewogener zu werden, durch zunehmende Inkonsistenzen und Spannungen gekennzeichnet zu sein, sich zeitlich immer mehr in die Länge zu strecken, zum Ende zu zerfasern und an inhaltlicher Struktur und Gestalt zu verlieren“ (Lenz 1998, S. 58 f.).

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Die Bildungsorganisationen sollten darum hinterfragt werden, inwieweit sie selbst der sozialen Differenzierung hinderlich seien und Selbstbildungsprozesse im Alltag überdeckten, keine Räume zur Selbstthematisierung als Gestaltungsmoment des Biographischen ließen. Diese Überlegungen als Teil reflexiver Modernisierungsstrategien hielten letztlich an der etablierten institutionalisierten Vergesellschaftungsform Jugend fest. Das Modell des Jugendmoratoriums sollte reflexiv an die Bildungsbedürfnisse und Lebenswelten rückgebunden und insbesondere in seiner sozialen Zeit- und Raumstruktur aufgefächert werden. Die größere Bedeutung der Lebenszeit und der Biographieverläufe wurde entsprechend betont: „Wenn-dann“-Konstellationen wurden in der pädagogischen Reflexion tendenziell von biographisierten „um zu“ Formen abgelöst (Schefold 2002). In der Jugendforschung ist in diesem Zugang aber eher von einer Verlängerung der Bildungs- und erwerbsarbeitsfreien Jugendphase die Rede. Zudem wurde darauf verwiesen, „dass Jugendliche heute veränderte Ansprüche an Beruf und Arbeit herantragen (intrinsische Arbeitsmotivation): Jugendliche fragen verstärkt anspruchsvolle Arbeit nach, von der sie erwarten, dass sie das, was sie lernen sollen und gelernt haben, auch anwenden können“ (Arnold 2002, S. 217). Es sei schließlich „von einer neuen Form des Übergangs (ins Erwachsenenleben, KB/ WS) auszugehen, deren bestimmende Merkmale ihre Offenheit und Ungewissheit sind“ (Walther 2000, S. 59). Dies ist insbesondere für die Phase des jungen Erwachsenenalters gezeigt worden, die nicht mehr dem Jugendalter, aber auch noch nicht dem Erwachsenenalter zurechenbar ist, wenn man den Status der ökonomischen Selbständigkeit als Maßstab heranzieht (Walther et al. 2002). In dieser Phase wird der Qualifikations- und Selbstoptimierungsdruck besonders gespürt, gleichzeitig wird Bildung neu biographisch eingebunden. Trotzdem sind weiterhin jugendkulturelle Identifikationen und Zuschreibungen mit beherrschend (Stauber und Walther 2002). Im weitesten Sinn geht es gegenwärtig um die Frage, wie das Verhältnis von jungen Menschen zur sich entgrenzenden Institution Jugend bestimmt wird. Letztlich findet diese Entwicklung auch Ausdruck in solchen Jugendtheorien, in denen versucht wird, die Spannbreite zwischen einer Verbleibs- und einer Übergangsorientierung auszuloten (etwa Reinders 2006). Zumindest aus dieser Sicht erscheint denn auch das institutionalisierte Gesellschaftsversprechen an Jugend als „Integration durch Separation“ (Böhnisch 1982) ambivalent. So werden Jugendliche einerseits in ihrer subjektiven Gestaltungsverantwortung für ihre Biographie angesichts der Entgrenzungen adressiert und ihre subjektiven Gestaltungsmöglichkeiten mitunter überhöht sowie andererseits mit institutionalisierten Normierungen konfrontiert, deren lebenslaufbezogene Gestaltungsmacht brüchig geworden ist. Empirische Studien

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aus der Jugendforschung weisen allgemein darauf hin, dass Jugendliche „in verschiedenen Bereichen ihres Lebens Handlungsfähigkeit und -mächtigkeit“ zeigen: „Sie können sich sozial behaupten und stehen der sozialen Welt nicht ungerichtet gegenüber, sondern arbeiten auf bestimmte Handlungspraktiken und Strategien hin, um sich mit den Dingen des Lebens zu arrangieren. Heranwachsende beginnen sich durch praktisches, körperlich-sinnliches und moralisches Tun von anderen abzugrenzen und einen eigenwilligen Selbst- und Normalitätsentwurf zu gestalten. Sie versuchen, sich in einer Gesellschaft sich auflösender Normalbiographien zu behaupten und sich an biographischen und gesellschaftlichen Anforderungen, die durch interaktive Bezüge zwischen verschiedenen Lebensdimensionen miteinander verwoben sind, abzuarbeiten, auch wenn sie dafür recht eigensinnige Wege einschlagen“ (Schierbaum 2018, S. 325 f.).

4 Soziale und persönliche Jugendrechte Angesichts dieser ambivalenten Konstellation zwischen einer Entgrenzung bzw. Entstandardisierung des institutionalisierten Lebenslaufs – und damit auch von Jugend – und aktuellen Versuchen, über organisationale Arrangements und Bildungsreformen die Jugend neu zu formieren, kann die These von der Kontrollgesellschaft zumindest reflektiert werden, die Gilles Deleuze Anfang der 1990er Jahre formuliert hat (Deleuze 2017) und in der er die Ablösung von der „Disziplinargesellschaft“ (Michel Foucault) sah: Kontrollgesellschaften entstehen danach, wenn gesellschaftliche Institutionen in (Sinn) Krisen geraten, die Reaktion ist eine überdimensionierte Optimierung der Subjekte, die nahezu vollständig von Institutionenreformen erfasst werden. Auch wenn Deleuze’ Diagnose letztlich defätistisch ist, verweist sie doch auf einen tendenziellen Perspektivwechsel, der gegenwärtig ebenfalls in Zeitdiagnosen zur Jugend zu finden ist, wenn z. B. von einem diffusen Druck zur Selbstoptimierung (BMFSFJ 2017) die Rede ist: „In den Disziplinargesellschaften hörte man nie auf anzufangen (von der Schule in die Kaserne, von der Kaserne in die Fabrik), während man in den Kontrollgesellschaften nie mit irgendetwas fertig wird: Unternehmen, Weiterbildung, Dienstleistung sind metastabile und koexistierende Zustände ein und derselben Modulation, die ein und demselben Verzerrer gleicht“ (Deleuze 2017, S. 257). Gegenwärtig vollziehe sich diese Art von Kontrolle über Digitalisierung, Überwachungs- und Datenschutz, ‚Videoüberwachung und eine ökonomisierte Durchdringung des öffentlichen Raums‘ (Conrads 2008, o.S. und Deleuze 2017, S. 261 ff.). Dabei werde ‚Macht‘ weder explizit von einzelnen Individuen noch von den jeweiligen Institutionen letztlich hervorgerufen, sondern sie wird durchgehend und abstrakt performiert.

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Für die Jugendforschung gleichzeitig weiterführend ist der Hinweis auf die Überhöhung des Subjekts, die sich z. B. auch in den Versionen des kompetenten, resistenten und resilienten Jugendlichen niederschlagen kann. Auch die Jugendforschung hat entsprechend ihre biographie-orientierten Zugänge dahingehend zu reflektieren, dass sie nicht implizit dieser Überhöhung im Rahmen einer verkürzten Individualisierungs- und Entgrenzungsthese folgen. Jugendpolitisch stellt sich für die jungen Menschen die Frage, welche sozialen Rechte ihr persönliches Leben (Smart 2007) ‚schützen‘ und ‚sichern‘ und ihnen darüber hinaus Räume zur (mitunter auch schwachen) oder eigenwilligen Selbstpositionierung eröffnen. Dabei ist es jugendpolitisch entscheidend, dass die Diskussion um die Rechte von/der Jugendlichen nicht dergestalt paternalisiert wird und als pädagogischer Schutz von weniger starken Individuen formuliert wird, wie es derzeit der Fall scheint. Umgekehrt kann auch die Diskussion um Jugendrechte in die Falle der übermächtigen Überhöhung der jugendlichen Subjekte ‚tappen‘. Entsprechend ist eine Diskussion um eigenständige Jugendrechte zu führen, die als eine gesellschaftliche Regulation auf den Selbstoptimierungsdruck und die Normierungspraktiken (Kelle 2010) und der sich darin abstrakt ausdrückenden Machtasymmetrien zwischen Erwachsenenwelt und Jugend entworfen wird, gleichzeitig aber junge Menschen und Jugend als Generationsgestalt in ein Verhältnis zu den anderen sozialen Gruppen und gesellschaftlichen Institutionen setzen. Spätestens an diesem Punkt gilt es an die alte – schwelende – Diskussion um eigenständige Jugendrechte wieder anzuknüpfen, die die Entwicklung der Kinder- und Jugendhilfe begleitet. So hat Walter Hornstein immer wieder darauf hingewiesen, dass sich in der Geschichte nicht ein allgemeines Jugendrecht durchgesetzt hat, in dem die Rechte der jungen Menschen als Ausdruck ihrer gesellschaftlichen Bedeutung und von Jugend als eigenständiger Lebensphase und nicht allein im Kontext der Verrechtlichung von Erziehung formuliert sind. Es wurde somit in der Weimarer Republik kein „Rechtssystem für den gesellschaftlichen Teilbereich Jugend“ verabschiedet, das „durchaus vergleichbar mit der Entwicklung des Arbeitsrechts zur Regelung der Rechtsposition des Arbeitnehmers gegenüber Betrieb und Staat“ gewesen wäre; Wirklichkeit wurde ein „Jugendhilferecht, das den Maßnahmen von Erziehungsinstitutionen eine gesetzliche Grundlage geben sollte“ (Hering und Münchmeier 2000, S. 132 f.). Es wurde mit dieser Entwicklung in den 1920er Jahren der Pfad für eine protektionistische Jugendpolitik in Deutschland gelegt, der bis heute prägend ist. So resümierte Walter Hornstein (2004, S. 47): „Entstanden ist es in der Weimarer Republik in der Diskussion um das damalige Reichsjugend-Wohlfahrtsgesetz, wo es zwei […] Positionen gab; eine Position, die gesagt hat, wir müssen jetzt eine

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Regelung für Jugend finden […], die die Idee eines umfassenden Jugendgesetzes […] vor Augen hatte und anstrebte. Gesiegt hat die Fraktion, die Jugendpolitik als Hilfepolitik für die Jugend verstanden hat, die andere hat auch nachgegeben, weil man sich gesagt hat, es ist immer noch besser, wir kriegen wenigstens ein Jugendhilfegesetz als gar nichts und ein umfassendes Jugendgesetz war politisch nicht durchsetzbar. Und seit der Zeit – das ist also wirklich ganz erstaunlich sich das klar zu machen – ist Jugendpolitik konzentriert auf diesen Aspekt der Hilfe, des Schutzes, und wenn man mal sieht, was in diesen 100 Jahren in Bezug auf Jugend in Deutschland gemacht worden ist, da wird man sehen, welch große Bedeutung der Schutzgedanke hat. Deutschland hat im Grunde eine protektionistische Jugendpolitik, andere Dinge haben in dieser Politik keinen Platz, sind da nicht gegenwärtig. […] Im Reichsjugend-Wohlfahrtsgesetz hat Jugend keine Rolle gespielt, nicht als Jugendbewegung, höchstens ein bisschen Pädagogisierung.“ Auch Christoph Sachße (2018) arbeitet in seiner Studie zur Vergesellschaftung und Verrechtlichung von Erziehung in Deutschland zwischen 1870 und 1990 heraus, dass im Mittelpunkt nicht die sozialen Rechte von Jugendlichen standen, sondern die Frage der „Sozialisierung“ (Schröer 1999) von Erziehung in Konstitution des Wohlfahrtsstaats. Deutlich wird auch hier, dass in der Entwicklung des Kinder- und Jugendhilferechts der Fokus nicht in der Formulierung eines Katalogs eigenständiger Jugendrechte lag, sondern auf der Frage, wie Erziehung aus einem „rechtsfreien, von Ungleichheit und Abhängigkeit geprägten Raum“ (Sachße 2018, S. 313) in einen wohlfahrtstaatlichen Organisations- und Regulationskontext überführt werden kann. Nur langsam sei die Geschichte der Verrechtlichung von Erziehung im 20. Jahrhundert bestimmt von einer „sukzessiven Ankoppelung an die herrschenden gesellschaftlichen Prinzipien von individueller Rechtssubjektivität, Freiheit und Gleichheit“ (ebd.) auch für das Jugendalter.

5 Plädoyer für Jugendforschung im Horizont gesellschaftlicher(er) Jugendpolitik in einer Gegenwartsgesellschaft – geht das? Das Fazit scheint klar: Es bedarf einer generationsinformierten (erziehungswissenschaftlichen) Jugendforschung, die von der sozialhistorischen Gestalt von Jugend ausgeht und die zeitgenössischen Phänomene des Jugendalters, die Generationsbeziehungen sowie die kulturellen, sozialen und politischen Ausdrucksformen Jugendlicher in diesem Rahmen der Generationenverhältnisse kritisch einordnet und Jugendpolitik als Generationenpolitik versteht.

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Eine erziehungswissenschaftliche Jugendforschung hätte dann diejenigen Herausforderungen zu bearbeiten, die sich im komplexen Verhältnis der pädagogischen Ausgestaltung der Generationsbeziehungen und Generationenverhältnisse (Rauschenbach 1998) stellen und sich jugendpolitisch aus diesem Wissen einzumischen. Es ginge zudem darum, ‚Brückenfragen‘ und ‚-themen‘ zu formulieren, die sich aus den jeweils gegebenen generationalen Lagen der Jugendgeneration(en) stellen, diese auszuformulieren und – so es die Macht- und Transferräume zulassen, in die politischen Entscheidungsformen einzubringen. D. h. die Aufgabe einer erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung bestünde dann (auch wieder) darin, sich darauf zu konzentrieren, dass sie sich neben dem reinen Erkenntnisinteresse auch solchen Fragen zuwendet, „die der Erziehungspraxis und ihren möglichen Folgen dasjenige Wissen zur Verfügung stellt, das sie zur Bewältigung ihrer Probleme braucht“ (Mollenhauer 1966, S. 212). Es ginge also darum, gesellschaftliche Spannungsfelder generationaler Lagen zu beobachten, zu thematisieren und eine stetige Diskussion über mögliche Lösungen zur Aufhebung anzuregen, notfalls auch ungefragt und skandalisierend, um gehört zu werden und sich in die politische Diskussion einzumischen. Denn es gibt keine andere Sozialwissenschaft als die Erziehungswissenschaft, in deren Zentrum Erziehungs- und Bildungsfragen der jungen Generation(en) stehen. Kurz: Es geht um die Einmischung in die (nun: gesellschaftliche) Jugendpolitik als erziehungswissenschaftliche Daueraufgabe, um Jugend als Lebensalter und Lebenslage zu ermöglichen. So überzeugend dieser Entwurf ist, er bleibt im Verhältnis von Jugendpolitik und erziehungswissenschaftlicher Jugendforschung verkürzend und auch undifferenziert. Schon die Rede von der „Erziehungspraxis“ – selbst wenn man Erziehungs- und Bildungspraxis schreiben würde – hat sich mit der Entgrenzung von Jugend und der Generationsbeziehungen und -verhältnisse (Bock und Schröer 2008) sowie den Praktiken und Zumutungen im gesellschaftlichen Integrationsmodus Jugend (BMFSFJ 2017) sowie der alltäglichen Lebensbewältigung Jugendlicher zumindest ausdifferenziert und es lassen sich die Institutionalisierung sowie die pädagogischen Organisationsformen von Jugend kaum mit dieser Begrifflichkeit differenziert theoretisieren oder problematisieren. Zudem wäre es geradezu fahrlässig, die Frage nach sozialen und persönlichen Rechten junger Menschen allein aus der Erziehungspraxis und den Generationsbeziehungen und -verhältnissen zu analysieren. Jugend, Jugendpolitik und Jugendforschung stehen in den sozialhistorischen Generationsbeziehungen und -verhältnissen, sind aber gleichzeitig so grundlegend mit anderen gesellschaftlichen und historischen Prozessen und deren zeiträumlichen

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Dynamiken verflochten, die gerade in sog. Gegenwartsgesellschaften für den jeweiligen Integrationsmodus Jugend und die Lebenslagen der Jugendlichen eine jugendpolitisch entscheidende Bedeutung haben. Zudem, folgt man der alten Idee Mannheims, ist Jugendforschung als Generationenforschung so nicht zu bewerkstelligen: Es fehlt das jeweilige Vergleichskonstrukt; d. h. eine Jugendgeneration ist erst dann – zumindest sozialwissenschaftlich seriös – identifizierbar, wenn ihre jeweils eigene historische Gestalt im Gegensatz zur jeweils älteren Generation herausgearbeitet werden kann. Dies erfordert jedoch eine Jugendforschung, die mit solchen historische(n) Gestalt(en) sicher agiert. Ob das gewollt ist, bleibt fraglich. Für eine Jugendpolitik, die das Lebensalter Jugend (aus eigenem Recht) im Blick hat (und nicht in Meinungsumfragen verharren, sondern sich vom Schutz- und Hilfekonstrukt befreien will), wäre es unumgänglich, dass in all ihrer pädagogischen Fürsorge eben auch soziale Ungleichheiten als Folgeprobleme hervorbringt, die ohne dieses Konstrukt gar nicht real wären. Nicht zuletzt hat sich auch das politische Gefüge zwischen Jugendforschung und Jugendpolitik ausdifferenziert oder ist zumindest als komplex zu begreifen, wie wir eingangs gezeigt haben. Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung muss sich einmischen, ja, aber sie ist bereits in unterschiedlichen jugendpolitischen Ebenen „eingemischt“, wie wir dargestellt haben. So ist der Ruf nach Einmischung eher als Aufforderung zu verstehen, reflexiv wahrzunehmen, wie die Selbst- und Fremdverortung der wissenschaftlichen Expertise gerade stattfindet, wie sie sich dadurch auch selbst verändert und bspw. welche Themen wie besetzt werden. Als ein Beitrag dazu könnte dieser Aufsatz verstanden werden. Es gilt also, diejenigen Transferprozesse zu reflektieren, die über die jeweiligen Adressierungen in Erscheinung treten und auch Verkürzungen hervorbringen, wie es etwa im Horizont des methodologischen Institutionalismus gegenwärtig der Fall zu sein scheint. Und doch: Wenn die von uns genannten Themenbereiche „schwelend“ sind, dann meinen wir damit auch, dass sie in diesen komplexen Gefügen mehr zeiträumliche Aufmerksamkeit und Bearbeitung in der erziehungswissenschaftlichen Jugendforschung und Jugendpolitik benötigen. Sie verweisen auf Zusammenhänge, die in Gegenwartsgesellschaften aufgrund ihrer anderen politischen Zeitund Raumstruktur – sozialhistorisch, jugendliche Alltagswelten und Freiräume, (Grund) Rechtsprinzipen – nicht in die Bearbeitungsmodi zu passen scheinen. Hier ist wiederum die Wissenschaft als das gesellschaftliche Konstrukt gefragt, das seine Legimitation auch daraus zieht, die reflexiven Räume zu haben, um die Themenbereiche gesellschaftlicher Jugendpolitik zu bearbeiten, die „schwelend“ sind, heute im Hintergrund sich vermischen und darum politisch sichtbar reflektiert werden sollten.

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Prof. Dr. phil. habil. Karin Bock, ist Professorin für Sozialpädagogik an der Technischen Universität Dresden. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte umfassen Generationen- und Familienforschung, Kindheits- und Jugendforschung, Kinder- und Jugendhilfeforschung, Theorien der Sozialpädagogik/Sozialarbeit, Rekonstruktive Methoden der Sozialforschung sowie sozialgeschichtliche Zugänge zu erziehungswissenschaftlichen Fragestellungen (Kinderladen, Heimerziehung etc.). Prof. Dr. Wolfgang Schröer, ist Professor für Sozialpädagogik am Institut für Sozialund Organisationspädagogik der Universität Hildesheim. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Theorie und Geschichte der Sozialpädagogik und Sozialpolitik, Kinder- und Jugendhilfe, Übergänge in Beschäftigung und transnationale Soziale Arbeit.