Erotik in der Kunst Griechenlands 9783805315401, 3805315406

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Erotik zwischen Männern
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Erotik in der Kunst Griechenlands
 9783805315401, 3805315406

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ANGELIKA DIERICHS EROTIK IN DER KUNST GRIECHENLANDS

Zaberns Bildbände zur Archäologie Band 9

VERLAG PHILIPP VON ZABERN • MAINZ AM RHEIN

ANGELIKA DIERICHS

Erotik in der Kunst Griechenlands

VERLAG PHILIPP VON ZABERN • MAINZ AM RHEIN

136 Seiten mit 104 Färb- und 157 Schwarzweißabbildungen Titelbild: Satyr und Mänade. Innenbild einer attisch-rotfigurigen Trinkschale des sogenannten Jenaer Malers; um 390 v.Chr.; Größe des Bildausschnittes ca. 12 cm. Ehemals Sammlung Warren; Martin von Wagner-Museum, Würzburg, Inv. L. 492 (Foto: Museum) (vgl. Abb. 48) Vorsatz: Satyr (rechts) wirbt um eine Mänade mit Thyrsos und Efeu (links). Details einer dem sogenannten Eretria-Maler zugewiesenen Oinochoe; Höhe des gesamten Gefäßes 23 cm; um 430 v. Chr.; aus Athen; Antikenmuseum Basel, Inv. BS 407 (Fotos: Ciaire Niggli, Basel) Frontispiz (S. 6): Rasende Mänade. Kopie des 1. Jhs. n.Chr. einer dem Bildhauer Skopas zugeschriebenen Figur des 3. Viertels des 4. Jhs. v.Chr.; Marmor; erhaltene Höhe 45 cm. Aus Marino (Albanersee); Skulpturensammlung Albertinum, Dresden, Inv. ZV 1941 (Foto: Museum) Rückseite: Erastes und Eromenos vor dem Kuß. Innenbild einer Trinkschale; um 500 v. Chr. The John Paul Getty Museum, Malibu, Inv. 85.AE.25 (Foto: Museum) (vgl. Abb. 200)

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Dierichs, Angelika: Erotik in der Kunst Griechenlands / Angelika Dierichs. Mainz am Rhein : von Zabern, 1993 (Zaberns Bildbände zur Archäologie ; Bd. 9) ISBN 3-8053-1540-6 NE: GT

© für die Erstausgabe 1993 by ANTIKE WELT, Verlag Philipp von Zabern, Mainz am Rhein © für die Buchausgabe 1993 by Verlag Philipp von Zabern, Mainz am Rhein ISBN 3-8053-1540-6 Satz: Typo-Service Mainz Lithos: SWS Repro GmbH, Wiesbaden Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Printed in Germany by Philipp von Zabern Printed on fade resistant and archival quality paper (PH 7 neutral)

Inhalt

Vorbemerkungen Erotische Signale der Einzelfigur: Mann - Frau - Gottheit

7 10

Erotik und Nacktheit 10 • Erotik und Gewand 11 • Von der Knidischen Aphrodite bis zur Aphrodite Kallipygos 13 • Erotik - Gesicht - Gebärde 18 • Badeszenen 19 • Opfer am Altar 21 • Körpertransparenz 21

Erotik im Spiegel der Gottheit: Aphrodite - Dionysos

22

Allgemeines zu Aphrodite 22 • Tempelprostitution 22 • Erotische Szenen in einer zyprischen Schale 23 • Allgemeines zu Dionysos 24 • Dionysos und eine Gefährtin 27 • Dionysos im Gefolgszug 28 • Liebe und Verweigerung im Umkreis des Dionysos 28 • Satyrn - Silene 37 • Esel 41

Erotik und männliches Genital

44

Ein Glied aus Holz 44 • Ein Glied aus Ton 45 • Ein Glied aus Teig 48 • Ein Glied aus Stein 48 • Phallosvogel 48 • Phallosverehrung 49

Erotik der Paarung

50

Symplegma 50 • Frühe Liebespraktiken 50

Erotik bei Hetären und Männern

56

Hetären 56 • Akrobatinnen 60 • Erotischer Tanz 64 • Liebeswerben 66 • Kuß 71 • Liebesvorspiel 71 • Liebesakt 73 • Sexualpartnerin beim Rauschfest oder im Bordell? 84 • Zur gesellschaftlichen Stellung der Hetäre 88 • Erotische Hilfsmittel: Kleidung - Schmuck - Haartracht - Make up 90

Erotik bei Ehepaaren

93

Erotik zwischen Männern

94

Werbung 95 • Befingerung 96 • Blickkontakt 96 • Schenkelverkehr 96

Erotik und Selbstbefriedigung

99

Frauen 99 • Männer 103

Erotik im Mythos

104

Allgemeines zum Mythos 104 • «Die Liebe der Götter in der attischen Kunst des 5. Jhs. v.Chr.» 104 • Danae und der Regen 104 • Europa und der Stier 105 • Leda und der Schwan 107 • Herakles und Auge 110

Erotik als geschlechtliche Kongruenz

111

Durchsichtiges Gewand bei Frau und Mann 111 • Die Badende und der Ausruhende 111 • Die Opfernde und der Krieger 112 • Hetäre und Symposiast 112 • Akrobatin - Akrobat 112 • Tänzerin und Tänzer 112 • Hetero-und homosexueller Liebesbeginn 112

Erotik und Tier

115

Tierpaare 115 • Mensch und Tier 115 • Satyr und Tier 116

Erotik und Tod

118

Grabreliefs 118 • Grabbeigaben 120 • Weibliche Todesdämonen 120

Schlußbemerkungen

121

Anhang

126

Abkürzungen 126 • Anmerkungen 126 • Literaturauswahl 131 • Abbildungsnachweis 132 • Glossar 134 • Konkordanz 136

* v, '

Vorbemerkungen

«Unnötig vor allem ist eben der Krieg» (ARISTOPHANES, Lysistrata 499)

Vorbemerkungen, obgleich unterschiedlich als lästiger Zusatz oder nützliche Klärung aufgenommen, mögen die Beschäftigung mit der «Erotik in der Kunst Griechenlands» einleiten. Erotik meint allgemeinhin Erscheinungsformen von Liebe, die im Zusammenleben der Menschen offenkundig werden. Neben der Liebe zwischen Frau und Mann sind auch die gleichgeschlechtliche Liebe, ferner die Eigenliebe und die Liebe in mitmenschlichen Bereichen zu nennen. Erotik kann somit als geistig-seelische Entfaltung der Geschlechtlichkeit definiert werden, die bewußt oder unbewußt das Spiel mit den körperlichen Reizen einbezieht. Darf «Sexualität» im folgenden bedeutungsgleich mit «Erotik» verwendet werden? Unter Sexualität versteht man die Geschlechtlichkeit in der Gesamtheit aller Verhaltensweisen, die sich auf den Geschlechtsakt bzw. auf die Triebbefriedigung bei Mensch und Tier beziehen. Aber im Unterschied zum Tier verbindet sich die Sexualität beim Menschen nicht ausschließlich dem Fortpflanzungszweck. Als Bestandteil der menschlichen Persönlichkeit ist sie nicht nur körperorientiert, sondern sie hat auch Teil am GeistigSeelischen. Die dem Menschen innewohnende Fähigkeit, seine geistig-seelisch und körperlich-sinnlich geprägten Verhaltensweisen zu vereinen, schließt einerseits aus, Erotik und Sexualität als Synonyme zu gebrauchen. Aber die enge Verwandtschaft von Erotik und Sexualität, deren Grenzen sich häufig überschneiden, erlaubt andererseits, ja erfordert sogar, die Begriffe zuweilen gegeneinander auszutauschen. Diese knappe Erklärung von Erotik ließe sich beliebig vervollständigen. Nachschlagewerke unterschiedlicher Fachrichtungen geben Auskunft. Unbefriedigend endet hingegen die Suche nach Definitionen zum Thema «Erotik in der Kunst Griechenlands». Informationen erhofft der an Kunst und Kultur der Antike Interessierte in Paulys Realencyclopädie der Classischen Altertumswissenschaft.

Er wird enttäuscht. Gleiches widerfährt ihm beim Lexikon für Antike und Christentum. Fündig wird er schließlich im Lexikon der Alten Welt. Unter dem Stichwort «Erotik» gibt es einen Abschnitt zu den erotischen Darstellungen in der bildenden Kunst, dessen Kernsatz lautet: «Aus der Fülle der hier in Betracht kommenden Erscheinungen seien nur zwei herausgehoben: die Darstellung des Nackten und die der geschlechtlichen Vereinigung.» Weitere Ausführungen sind so abgefaßt, daß sie strenggenommen nur dem archäologisch-kunsthistorisch und altertumswissenschaftlich vorgebildeten Leser nützen. Die Verfasserin möchte einen weiteren Leserkreis ansprechen und wünscht sich, mit ihrem Beitrag das Verständnis erotischer Darstellungen in der griechischen Antike zu vertiefen. Sie kann an Bewährtes anknüpfen. Erotisches in der Kunst Griechenlands wurde bearbeitet in einer Studie über die erotischen Darstellungen in der griechischen Kunst von J. Marcade (Eros Kalos. Studie über die erotischen Darstellungen in der griechischen Kunst, 1962), ferner in einer Untersuchung von J. Boardman und E. La Rocca (Eros in Griechland, 1976). Diese Publikationen erreichten zu Recht einen großen Bekanntheitsgrad, weil es den Autoren gelang, archäologisches Fachwissen allgemeinverständlich darzulegen und in repräsentativen Abbildungen zu dokumentieren. Populärer, beliebter, angesehener - sowohl bei interessierten Laien als auch bei Archäologen - ist die jüngere der beiden Arbeiten. Unter der Doppel-Überschrift «Der griechische Eros. Die Liebe in griechischer Kunst und Gesellschaft» geht J. Boardman im ersten Teil des Buches zunächst auf die vielseitigen Liebesvorstellungen und ihre Veränderungen im Laufe der Jahrhunderte ein, um sich anschließend den liebesbezogenen Darstellungen aus dem Ambiente von Gottheit, Mythos und Religion zuzuwenden. In einem weiteren Kapitel verfolgt er den Alltag eines fiktiven Griechen des 5. vorchristlichen Jahrhunderts namens Pamphilos und durchleuchtet konsequenterweise auch dessen Liebesleben. Diesbezügliche Beobachtungen und Zeugnisse, die der Autor in

Zusammenhang mit seiner erdachten Figur anführt, beschränken sich nicht auf den klassischen Zeitabschnitt des 5. Jahrhunderts v.Chr., sondern führen bis in die hellenistische Epoche hinab. Sehr gut illustrieren die beigegebenen Fotos die Mehrzahl der angesprochenen Aspekte. Allerdings setzen die Bilder, da sie nicht immer hinreichend beschrieben werden, ein gewisses Maß an archäologischen Vorkenntnissen voraus. Es ist unbefriedigend, daß der Text keine Abbildungsverweise zu den Fotos enthält und die meisten Beschreibungen Erotisches allenfalls vage andeuten. E. La Rocca stellt im zweiten Teil des Buches unter der Überschrift «Die erotische Kunst in Griechenland» ein reiches Bildmaterial an Erotika vor (Vasen; Reliefs sowie rundplastische Werke aus Marmor, Ton und Bronze; Erzeugnisse der Glyptik; Reliefgefäße; Wandmalereien) und betrachtet es nach archäologischen Kriterien (Ikonographie, Stil, kunsttopographische Zuordnung, Datierung). So reiht sich eine stattliche Anzahl von Denkmälern aneinander, jeweils in Foto und Einzelbeschreibung. Diese informative Aufbereitung des Denkmälerbestandes beruht auf gewissenhaften Recherchen. Nur zuweilen ist sie zu kritisieren, wenn die Aussagen zur erotischen Nuancierung des betreffenden Denkmals hinter der Vermittlung archäologischer Grundinformationen zurückstehen. Die von J. Boardman und E. La Rocca in «Eros in Griechenland» angegebene Bibliographie ist recht knapp, der Text verzichtet auf Anmerkungen, enthält allerdings einige Zitate nach antiken Schriftquellen. Insgesamt gesehen erhält der Leser wenig Hinweise auf weiterführende Literatur. Meine kurze Besprechung von J. Boardmans und E. La Roccas Untersuchung mag gezeigt haben, daß auf «Eros in Griechenland» nicht die gleiche Kritik zutrifft, die für einige andere Beiträge1 gilt, in denen die verwandte Thematik aufbereitet ist als verwirrendes mixtum compositum aus andächtiger Antikenverehrung, anspruchsvollem Feuilleton, ausgeprägter Zitierfreudigkeit und einer Effekthascherei bei der Abbildungsanordnung. Sehr positiv zu beurteilen sind hinge-

Vorbemerkungen gen ferner die Arbeiten von O. J. Brendel (The Scope and Temperament of Erotic An in the Greco-Roman World, 1970), von F. Sutton (The Interaction between Men and Woman. Portrayed on Attic Red-figure Pottery, 1981), von C. Johns (Sex or Symbol. Erotic Images ofGreece and Rome, 1982) und von E. C. Keuls (The Reign of the Phallus, 1985), die wohl in der archäologischen Fachliteratur gebührende Beachtung finden, aber ansonsten noch wenig bekannt sind. Das gilt ebenso für die ergebnisreiche Dissertation von I. Peschel (Die Hetäre bei Symposion und Komos, 1987), die unten besonders zu berücksichtigen sein wird (s. S. 56 ff., Kap. Erotik bei Hetären und Männern). Grundlegend für jede weitere archäologisch-kunsthistorische Behandlung der erotischen Thematik in der Kunst des antiken Griechenland und darüber hinaus auch noch hervorragend verständlich ist das Buch von C. Reinsberg (Ehe, Hetärentum und Knabenliebe im antiken Griechenland, 1989), in dem die verschiedenen Facetten der betreffenden Sujets in einen gesellschaftlichen Kontext des Stadtstaates Athen im 5. vorchristlichen Jahrhundert gestellt werden. G. Koch-Harnack (Erotische Symbole. Lotosblüte und gemeinsamer Mantel auf antiken Vasen, 1989) fasziniert durch neue Interpretationen zweier «erotischer Symbole», der «Lotosblüte» und des «gemeinsamen Mantels», die sie unter archäologischen, philologischen und psychologischen Aspekten ausleuchtet. Mehrere Beiträge zur Erotik in der Antike findet die intensiv an der Thematik interessierte Leserschaft in einer von A. K. Siems herausgegebenen Zusammenstellung (Sexualität und Erotik in der Antike, 1988) und in einem von D. M. Halperin, J. J. Winkler und F. I. Zeitlin edierten Band (Before Sexuality. The Construction of Erotic Experience in the Ancient Greek World, 1990). Die Einleitung des letzteren beinhaltet Beurteilungen älterer Untersuchungen und nennt jüngere Arbeiten zu Teilthemen des Erotisch-Sexuellen, die hier aber nicht mehr einbezogen wurden. Der Katalog zur Ausstellung «Eros Grec»2, die 1989 in Paris und 1990 in Athen zu sehen war, ist ferner als wichtiger Literaturhinweis zu erwähnen. Text und Fotos, großenteils in Farbe, bedeuten eine Bereicherang. Von unterschiedlicher Qualität und Sachbezogenheit sind die Kommentare zu den Abbildungen. Es verwundert, daß dem Themenkreis der Erotik und der Sexualität bei den Griechen in einer ansonsten sorgfältigen Untersuchung von H. Blanck (Einfüh-

rung in das Privatleben der Griechen und Römer, 1976) nur mit einem einzigen Satz im Kapitel «Ehe, Hochzeit, Stellung der Frau» Beachtung geschenkt wird. H. Blanck gibt allerdings einige weiterführende Literatur an. Er verweist unter anderm auf H. Lichts Sittengeschichte. Hans Licht (Pseudonym für Paul Brandt) veröffentlichte nach fünfundzwanzig} ähriger Forschung an literarischem und archäologischem Quellenmaterial der Antike eine dreibändige Sittengeschichte Griechenlands (1925-1928) mit einem gewissenhaft zusammengestellten Index, der dem Suchenden eine rasche Orientierung zu Einzelthemen ermöglicht. Ich verzichte hier auf Verweise, weil sie einen zu umfangreichen Anmerkungsapparat ergeben würden. H. Lichts Hauptwerk gehört noch immer zu den einschlägigen und mittlerweile auch wissenschaftsgeschichtlich aufschlußreichen Arbeiten der anstehenden Thematik, vorausgesetzt, man rezipiert es nicht vorbehaltlos. Schmunzelnd liest man im Band III des Jahres 1928 die folgende, dem Vorwort des Verlages vorangestellte Versicherung in Großbuchstaben. «Dieser Ergänzungsband wird nur an Bibliotheken, Gelehrte und wissenschaftliche Sammler abgegeben, die einen Revers unterschreiben, wonach der Band nur wissenschaftlichen Zwecken dient.» Auch auf zwei Untersuchungen G. Vorbergs ist hier noch zu verweisen: G. Vorberg, Ars Erotica Veterum. Das Geschlechtsleben im Altertum (1926), überarbeitet und nicht mehr zwei-, sondern einbändig, erschien neu aufgelegt 1968. An einem älteren französischen Sammelwerk orientiert sich: G. Vorberg, Glossarium Eroticum (1932). Der Autor charakterisiert diese Arbeit folgendermaßen: «In dem vorliegenden Glossarium Eroticum findet man Wörter, über die Nachschlagebücher keine oder nur dürftige Auskunft geben. Für Leute, die alles wissen, ist das Buch nicht bestimmt, ebensowenig für Besserwisser und Bönhasen.» Man erfährt Rat: Von «ABACTUS, A, UM, von obigere, abtreiben. Abactus venter est fetus medicamentis eiectus. Paul. Sentent. 4, 9, 6.» über «GENERABILIS, E, zeugungsfähig, die Zeugung befördernd; partes genitales, Zeugungsteile. Arnob. 4, 28.» und «MUNDITIA, AE, MUNDITIES, EI, Niedlichkeit, Zierlichkeit; aber auch Putzsucht und Eitelkeit» bis hin zu «ZONA, AE, 1. der Keuschheitsgürtel, den die Brautfrau (pronuba) löste, ehe sich die Neuvermählte in das Schlafgemach begab. Den Gürtel weihte man der

Diana, aber auch dem Priapus. Catull. 2, 6. Ovid. Herold. 2,116. Macrob. Sät. I, 19. Siehe auch VIRGINENSIS. 2. Das purpurne Busenband, das die schwellenden Brüste - der Hermione — hält. Auson. Epigr. 94, l. Auf das Band waren die Verse gewebt: Der du liest diese Inschrift, mich lieben heißet dich Venus, Hindere niemand daran, so mich zu lieben wie du.» Die Zitate sind dem Nachdruck des Glossarium Eroticum von 1965 entnommen. Alle Autoren3 umfangreicher Untersuchungen zur Erotik in der Kunst Griechenlands haben am Anfang ihrer Studien vermutlich das gleiche Problem bei der Auswahl der Denkmäler, denn gemäß der eingangs versuchten Definition von Erotik und Sexualität sollte sich ja nicht nur die aufreizende Darstellung eines nackten Körpers oder die drastische Wiedergabe eines Geschlechtsaktes zu einem erotischen Bilderbogen reihen. Auch Szenen von verhaltener erotischer Ausstrahlung, wie anmutiges Schreiten oder scheues Werben, gehören hinein. Diese Feststellung zeigt, wie überaus wichtig die Persönlichkeit der Betrachtenden für die Interpretation einer erotischen Darstellung ist. Inwieweit ein direkter oder nur verschleierter erotischer Inhalt als Aussage erotischer Kunst rezipiert wird, hängt weitgehend von der Empfindungsfähigkeit, geschmacklichen Vorliebe, Reizbarkeit, sogar von der Erziehung des einzelnen ab. Weder Selektion noch Interpretation von Erotika können somit gänzlich objektiv erfolgen. Auch die Verfasserin weiß, daß sie bei der Behandlung des Themas ihrer persönlichkeitsstrukturell bedingten, zuweilen einseitigen Sehweise unterliegt. Sie baut auf das Regulativ der kritischen Leserschaft, die sich ebenfalls ihrer individuellen Betrachtungsschwingungen bewußt sein wird. Auf eine weitere Schwierigkeit bei der Behandlung zahlreicher Erotika ist hinzuweisen. Sie sind mit einem Doppelsinn befrachtet, den der heutige Betrachter nicht mehr erkennt. So läßt sich vieles aus der erotischen Bilderwelt nur dann ganzheitlich verstehen, wenn beispielsweise auch der Verwurzelung im Religiösen nachgespürt wird. Ferner gilt es, bei der Interpretation erotischer Darstellungen darauf zu achten, daß der verzeihliche Fehler unterbleibt, die Lebensumstände im antiken Griechenland mit denen der Gegenwart gleichzusetzen. Eine Parallelisierung liegt gerade bei erotischer Thematik nahe, beinhaltet sie ja wie kaum eine andere bestimmte, die Jahrtausende über-

Vorbemerkungen dauernde Konstanten des menschlichen Grundverhaltens. In der vorliegenden Studie sollen die griechischen Erotika primär vom Bild aus beschrieben werden. Antiquarische Informationen und antike Schriftzeugnisse werden absichtlich gering gehalten und nur dann in die Erörterung eingebunden, wenn sie verständnisnotwendig sind. Diese Einschränkung verrät abermals, daß es die moderne Betrachtung nicht immer leicht hat, ein antikes Kunstwerk in seiner erotisch-sexuellen Aussage umfassend zu verstehen, weil sich die Komplexität mancher Darstellungen eben erst durch bestimmte kulturgeschichtliche Kenntnisse erschließt. Die aufgezeigte Problematik ergibt sich selbstverständlich nicht nur bei der Behandlung der «Erotik in der Kunst Griechenlands», sondern würde gleichermaßen bei der Besprechung erotischer Darstellungen aus anderen antiken Kulturen auftreten. Um eine derartige Vielschichtigkeit teilweise zu klären oder zumindest wissenschaftlich verantwortungsvoll zu bearbeiten, bedurfte es einer disziplinierten Materialauswahl. So erforderte eine notwendige Beschränkung auf bestimmte Themenkreise, die Bilddokumentation den erörterten Teilthemen anzupassen und auf eine bloße Aneinanderreihung erotisch effektvoller Bilder zu verzichten. Demnach wird eine Szenenfolge antiker Pornographie ausbleiben. Es mag in diesem Zusammenhang erhellend sein, einen Blick auf den Begriff Pornographie zu lenken, der sich vom griechischen Wort porneia herleitet. Seine Bedeutung ist mit Unzucht zu umschreiben. Als pornographische Darstellungen bezeichnet man heute literarische, bildliche und filmische Äußerungen mit vorwiegend sexuellen Aspekten und Vorgängen. Von Ausnahmen abgesehen, ist das künstlerische Niveau der betreffenden Erzeugnisse zumeist gering, fehlt häufig gänzlich oder wird auch gar nicht erst angestrebt. Definition und praktische Abgrenzung des Pornographischen vom Erotischen sind dennoch nicht immer einfach, zumal die Bewertungsmaßstäbe, wie oben bereits angedeutet, von den Moralvorstellungen des Indivi-

duums abhängen und ferner durch sein Zeitalter geprägt werden. Direkt ist das Wort Pornographie für die Antike nicht nachgewiesen. Bei Athenaios, einem Schriftsteller, dessen Lebenszeit zwischen 220 und 160 v. Chr. angenommen wird, begegnet die Bezeichnung Pomographos. Sie bezieht sich dort primär auf Maler. Durch die Zusammenstellung mit Literaten kann die Benennung auf diese ausgedehnt werden und so den Ausgangspunkt für den in den antiken Schriftquellen nicht belegten Begriff Pornographie geben.4 Belegt hingegen ist das hinter der heutigen Bezeichnung «Erotik» stehende Wort Eros. Es wurde im 7. Jh. v. Chr. erstmalig von Hesiod (Hes. theog. 201) gebraucht und umschreibt das männliche Liebes verlangen ohne bestimmte Orientierung. Versteht man Eros also im antiken Sinn, dann beinhaltet der Begriff weit gefaßt die grundlegende Naturgewalt und konkret eingegrenzt die geschlechtliche Vereinigung. Allgemeinhin wird heute mit Eros weniger jene kosmische Urkraft verbunden, die als Zeugungsfähigkeit zu den Elementen der Weltentstehung gehört. Eher wird an den griechischen Liebesgott gedacht. Obgleich Eros in der Vorstellungswelt der Griechen eine bedeutende Rolle spielte, erfuhr er nur bedingt kultische Verehrung. Eros kommt in unterschiedlicher Gestalt vor. Aus Literatur und Kunst kennt man ihn hauptsächlich als schönen, geflügelten Jüngling oder Knaben, der in Liebesangelegenheiten vermittelt.5 Eine Erklärung zu der schwerpunktartigen Auswahl von Themen, Bildern, Kunstgattungen und Epochen mag noch dienlich sein. Im Interesse einer verständnisfördernden Komprimierung vermied ich bewußt, eine chronologische Darstellung der Erotika von der archaischen bis zur hellenistischen Zeit zu versuchen. Den umfangreichsten Teil der folgenden Erörterung nehmen erotische Themen in der attisch-schwarzfigurigen und -rotfigurigen Gefäßmalerei ein. Bei der im 7. und 6. Jh. v. Chr. angewendeten schwarzfigurigen Technik wurden die Figuren im Malton aufgetragen, der dann nach dem Brand des Gefäßes im Töpfer-

ofen schwarz erschien, während der Hintergrund rötlich aussah. Die Innengliederung der Figuren erfolgte nachträglich durch Ritzung und zusätzliche Bemalung mit roter, weißer, gelber bzw. violetter Deckfarbe. Die rotfigurige Technik, seit etwa 520 v. Chr. in Athen praktiziert, beruhte auf einem Aussparen der Figuren. Auf ihre Vorritzung folgte die Umrißzeichnung in breiten Firnisstreifen. Dünne Relieflinien, die in dickflüssigem Malmittel mit einer Borste gezogen wurden, setzten die Figuren zusammen. Der Brand festigte sie rotbraun und ihren Hintergrund schwarz. Ein beachtenswerter Reichtum an Bildmaterial attischer Provenienz erklärt sich aus der Quellenlage, denn im Vergleich zum übrigen Griechenland gibt es für Athen eine erschöpfendere literarische und bildliche Überlieferung.6 Zugunsten einer besseren Übersichtlichkeit des Materials werden unteritalische Vasen ausgeschlossen, wenngleich die betreffenden Gefäße aus den - seit der Mitte des 5. vorchristlichen Jahrhunderts von attischen Töpfern gegründeten - süditalienischen Ateliers zahlreiche Beispiele mit vorrangig gedämpfter Erotik aufweisen.7 Eine Gedankenkette zu geschlechtlichen Handlungen, von K. J. Dover8 niedergeschrieben, deckt sich mit der Einstellung der Verfasserin so sehr, daß sie das Zitat vor die Behandlung der indirekten und direkten Erotika in der Kunst Griechenlands stellen möchte: «Ich bin in der glücklichen Lage, über geschlechtliche Handlungen weder moralische Empörung noch Ekel zu empfinden, vorausgesetzt, die daran Beteiligten führen sie in gegenseitigem Einvernehmen aus. Jede Handlung kann meinem ästhetischen Empfinden - oder dem eines anderen - entsprechen oder widerstreben. Jede Handlung kann um eines moralischen Zieles willen vollzogen werden oder der Durchsetzung unmoralischer Absichten dienen. Jede Handlung kann gute oder schlechte Konsequenzen haben. Keine Handlung ist gerechtfertigt oder schädlich, nur weil sie eine geschlechtliche ist.»

10

Erotische Signale der Einzelfigur: Mann - Frau - Gottheit Die Einzeldarstellung eines Mannes, einer Frau, einer Gottheit kann erotische Komponenten enthalten. Statuen, Reliefs und Vasenmalereien bezeugen es. Anknüpfend an die hier in den Vorbemerkungen aufgenommene Definition aus dem Lexikon der Alten Welt, daß die Nacktheit eine wesentliche Erscheinung des Erotischen in der Kunst sei, mögen zunächst einige Überlegungen zur unbekleideten menschlichen und göttlichen Figur folgen.

Erotik und Nacktheit Der Kouros9, eine der Leitformen der archaischen Plastik, dürfte bei sensibler Betrachtungshaltung eine verhaltene ero-

Abb. Ib Genitalbereich des Kouros aus Abb. l a

Abb. l a Statue eines jungen Mannes. Kouros. «Apoll Milani». H. 1,39 m; um 530 v.Chr. Florenz, Archäologisches Museum, Inv. Nr. 99042.

tische Ausstrahlung haben, denn bei jenen nackten Jünglingsfiguren, die als Erinnerungsmal des Verstorbenen dienten, vermag das Genital als dominierendes Zentrum des Rumpfes das Auge des Betrachters unaufdringlich, aber bestimmt auf sich zu lenken (Abb. la.b). Allerdings bleibt festzuhalten, daß die Nacktheit des menschlichen Körpers im frühen und entwickelten archaischen Kunstschaffen in keinem Fall derart vorgetragen ist, daß sie sich den Betrachtenden vordringlich unter erotischem Aspekt darbietet. Das gilt auch für nackt gebildete Gestalten von Göttern oder Sterblichen der Hochklassik, die vorwiegend in römischen Kopien erhalten sind. Nur bedingt wird man bei dem Apoll des Phidias (Abb. 2a.b) oder dem Diadumenos des Polyklet (Abb. 3) die ideale Schönheit des Gottes oder des Athleten als erotische Komponente empfinden. Entsprechende Statuen der Spätklassik, ebenfalls vornehmlich in römischen Kopien bekannt, setzen deutlichere erotische Akzente. Ein Beispiel gibt Abb. 4. Es handelt sich um jenen jugendlichen nackten Dionysos, der den archäologi-

schen Namen «Bacchus Richelieu» trägt. Die frühere Annahme, das Bildwerk kopiere ein Meisterwerk des Praxiteles, wurde in neueren Forschungen sicher zu Recht relativiert.10 Herabhängende Locken umschmeicheln die Schulter des Dionysos. Sein linker Arm ist auf eine Stütze gelehnt. Die entspannte Haltung des Gottes saugt den Blick der Betrachtenden an und leitet ihn auf Hüfte, Bauch und Penis. Man assoziiert die einzige erhaltene, ausführliche Beschreibung der plastischen Darstellung ebenjenes Dionysos von der Hand des Praxiteles, die Kallistratos'' überlieferte. Er schwärmte von einem jugendlichen Dionysos aus Bronze mit «geschmeidigem und gelöstem Körper», der «blühend, voller Schönheit, überfließend von zärtlichem Verlangen» gebildet war und der trotz des harten Werkstoffs, aus dem er bestand, «etwas Grünes und Erblühtes» erstrahlen ließ. Ferner liest man in der zitierten Quelle vom «feurig-glänzenden Auge» des Gottes, das «wie in Raserei anzusehen war». Und es heißt, daß die Bronze «die bakchische Raserei zeigte», weil «Praxiteles auch den bakchischen Stachel beizufügen vermochte».

Erotik und Gewand

11

Abb. 2a Statue des Gottes Apoll. «Kasseler Apoll». H. 1,97 m. Römische Kopie nach griechischem Original um 450 v. Chr. Kassel, Staatliche Kunstsammlungen, Antikenabteilung.

Erotik und Gewand Erotische Ausstrahlung ist nicht zwangsläufig mit Nacktheit verknüpft. Das gilt gleichermaßen für Darstellungen der männlichen wie der weiblichen Gestalt. Halbbekleidete Männer- bzw. Götterkörper können durch die Anordnung ihres Gewandes unterschwellig erotisch wirken. So läßt das Himation zuweilen den Genitalbereich unbedeckt, legt sich derart um den Unterkörper, daß es Bauchund Hüftwölbungen sinnlich betont oder eine wirkungsvolle Hintergrundsfolie zu einem ebenmäßigen Körper bietet. Es wäre ermüdend, diese gedämpfte Erotik an der männlichen Figur hier durch eine Beispielsreihe aus Plastik, Relief und Vasenmalerei zu demonstrieren. Ich wende mich statt dessen einer deutlicheren erotischen Gewanddrapierung beim Mann zu. Bei dieser ist das Himation so um den Unterkörper geschlungen, daß es halbkreisähnlich unterhalb der Leistenfurchen hängt. Die bogigen Stoffbahnen lassen Hoden und Perus ganz oder fast

Abb. 2b Nachbildung der Statue aus Abb. 2a. Gipsabguß, bildhauerisch überarbeitet, ergänzt, vervollständigt (J. Hasslar, R. Schajer) und bemalt (H. D. Tylle).

entblößt. Nach J. Finks Meinung 12 tauchte dieses absichtsvoll erotische Gewandmotiv erstmalig an der Wende vom 5. zum 4. Jh. v. Chr. auf, beim Jüngling einer Grabstele (Abb. 5), die leider nur fragmentiert erhalten ist. Auf das Phänomen, daß Erotisches - hier als Gewandmotiv - in die Sphäre der sepulkralen Kunstäußerung hineinreicht, komme ich unten zurück (s. S. 118ff., Kap. Erotik und Tod). Die beschriebene, den Genitalbereich so wirkungsvoll betonende Gewanddrapierung hat die bildenden Künstler immer wieder zur Gestaltung gereizt13 und prägt insbesondere die statuarischen Schöpfungen von Hermaphroditen (Abb. 6) der hellenistischen Zeit. Ovid erzählt in seinen Metamorphosen (4, 288 ff.) nach hellenistischer Poesie, daß Hermaphroditos der Sohn von Aphrodite und Hermes war. Als ein göttliches Wesen folglich läßt sich Hermaphroditos definieren, dessen Gestalt die Zeichen beider Geschlechter trägt. Weibliche Brüste, männliches Genital, volle Glutäen ver-

mochten die Bildhauer in einem männlichweiblichen Körper zu vereinen, dessen natürlicher Widerspruch eine faszinierende erotische Wirkung hervorruft, so daß es die Hermaphroditen als «feste Bestandteile von Hand- und Bilderbüchern zu einem beachtlichen Bekanntheitsgrad gebracht haben», wie W. Hornbostel geistreich-kritisch moniert.14 Ich verlasse den erotischen Zauber des teilbekleideten androgynen Zwitters und erörtere das Verhältnis von Erotik und Gewand bei einzelnen vollplastischen Frauengestalten. Eine Information zur griechischen Kleidung15, die es nicht fertig zu kaufen gab, sei vorangestellt. Grundlage jedes Gewandes ist ein großer rechteckiger Stoffabschnitt, den Knöpfe oder Nadeln halten. Der Chiton aus dünnem Stoff wird in Längsrichtung gefaltet und an der offenen Seite zugenäht. Auf den Schultern verschließen ihn Knopfreihen, von denen dekorative Zugfalten ausgehen können. Selbstverständlich bleiben Öffnungen für Kopf und Arme. Über der Gürtung in der Taille läßt sich der Stoff

12

Erotische Signale

Abb. 3 Statue eines Siegers. «Diadumenos von Delos». H. l ,86 m. Römische Kopie nach griechischem Original um 450 v. Chr. Athen, Nationalmuseum 1826. Abb. 4 Statue des Gottes Dionysos. Sog. «Bacchus Richelieu». H. 1,94 m. Römische Kopie nach griechischem Original des 4. Jhs. v. Chr. Paris, Musee du Louvre 87 (Giv. 1188).

herausziehen, so daß weite Ärmel und ein gefälliger Kolpos entstehen. Ein solcher Stoffüberfall ergibt sich ja noch in der zeitgenössischen Mode, wenn ein Kleidungsstück im Taillenbereich lässig gebauscht über einen Gürtel gezurrt wird. Ebenfalls eine Gürtung faßt den ärmellosen Peplos aus schwerem Stoff zusammen, der an den Seiten offen oder zugenäht sein kann. Er ist an der Halslinie nach außen umgeschlagen und hängt latzähnlich bis zur Taille herab. An den Schultern halten ihn Nadeln. Der Peplos wird zuweilen zusätzlich über dem Chiton getragen. Das Himation, eine Art Manteltuch - üblicherweise wie eine

Stola mit langen herabhängenden Enden - bedeckt bei Bedarf auch den Kopf. Bei den Koren16 (Abb. 7), jenen anmutigen Mädchengestalten der archaischen Zeit, die gewissermaßen die Korresponden/figuren zu den nackten Kouroi sind, erreicht gerade die vollkommene Gewandung erotische Nuancierungen, weil sie die Rundungen des Körpers, insbesondere der Brust und des Gesäßes, wirkungsvoll durch die Wiedergabe der sich glatt spannenden oder kleinteilig rieselnden Stoffbahnen unterstreicht. Auch bei Statuen von Göttinnen der klassischen Zeit, die in Kopien durch römische Bildhauer tradiert sind, erkennt

man, daß Chiton und Himation beinahe mehr von der körperlichen Schönheit offenlegen als verhüllen. Als Beleg mag eine sich an einen Pfeiler anlehnende Aphrodite (Abb. 8) dienen. Im Gegensatz zu den archaischen Koren lassen sich bei zahlreichen klassischen Gewandstatuen nicht nur Busen und Glutäen unter den sie bedeckenden Stoffpartien nachzeichnen, sondern infolge der bewegteren Haltung werden auch andere Zonen des weiblichen Körpers sichtbar, wie Bauchwölbung, Hüftschwung und Oberschenkelform. Pointiertes Gewandspiel zugunsten einer erotischen Betonung liegt insbeson-

Knidische Aphrodite - Aphrodite Kallipygos

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Abb. 5 Relief eines Mannes. Grabstele aus Laurion. H. 0,67 m; um 400 v. Chr. Athen, Nationalmuseum 794. - Abb. 6 Statue eines männlich-weiblichen Zwitterwesens. «Hermaphrodit aus Pergamon». H. 1,86 m; 2. Jh. v.Chr. Istanbul, Archäologisches Museum 624 (363).

dere dann vor, wenn eine Brust entblößt wird. Dieses Motiv ist durch die Aphroditestatue (Abb. 9) zur erotischen Drapierung par excellence geworden. Es geht bei der betreffenden Aphrodite und verwandten Werken einher mit einer höchst sinnlichen Gestaltung des Chitons. Die Gewandschichten sind nämlich so verdünnt dargestellt, daß sie sich wie durchnäßter Stoff auf den Körper pressen. Eine derartige bildhauerische Virtuosität, Körperlichkeit durch die Bekleidung hindurchschimmern zu lassen, hat dazu geführt, vom «nassen Stil» zu sprechen. In diesen Zusammenhang gehören die «koischen Gewänder». Die Insel Kos war bekannt für die Fabrikation hauchzarter Gewebe17, die den Reiz des weiblichen Körpers willkommen unzureichend verhüllten. Auf das «transparente Kleid von Kos» ist unten noch einzugehen (s. S. 56ff., Kap. Hetären). Die beiden zuvor erwähnten Statuen der Liebesgöttin (Abb. 8, 9) sind jüngst erneut umfangreich in der archäologischen Fachliteratur behandelt worden. 18

Ein in römischer Zeit überaus häufig rezipiertes Vorbild der griechischen Klassik gibt die Aphrodite in Abb. 9 wieder. Ihre Typus-Bezeichnung «Louvre/ Neapel» bezieht sich auf den Standort der zwei wichtigsten Kopien dieser Aphrodite (Paris, Musee du Louvre, und Neapel, Museo Nazionale). P. Karanastassis, die in ihrem hervorragenden Beitrag nach den Gründen für die starke Verbreitung des Typus fragt und einleuchtende archäologisch-kunsthistorische Erklärungen aufzählt, weist m. E. nicht eindeutig genug darauf hin, daß auch die erotische Ausstrahlung dieses Aphroditebildes zu seiner Beliebtheit geführt haben wird. 19 Auch M. Brinke hätte diesem Aspekt in ihrer ausführlichen Untersuchung mehr Beachtung schenken können. 20 Erotische Spannung, die zwischen Bekleidung und Entblößung entsteht, äußert sich in unzähligen Drapierungsarten. Eine höchst wirkungsvolle Variation gelingt, wenn der Bildhauer den Chiton nur bis zur Brustwarze gleitend skulptiert, wie bei der Kauernden in Abb. lOa.b. Sie

wird allgemeinhin als Danae, Tochter des Königs Akrisios von Argos, gedeutet. Zeus vereinte sich mit ihr in Gestalt des goldenen Regens und zeugte Perseus (s. S. 104 f., Kap. Danae und der Regen).

Von der Knidischen Aphrodite bis zur Aphrodite Kallipygos Die bisherigen Erörterungen erwiesen: Vom nackten, bekleideten und teilverhüllten Körper - egal, ob er männlich oder weiblich ist, gleichgültig auch, ob er sterbliche Menschen oder unsterbliche Gottheiten wiedergibt - können erotische Signale ausgehen. Dieser Befund soll noch durch eine Reihe statuarischer Aphroditedarstellungen21 erhärtet werden (zur Liebesgöttin in anderem Zusammenhang, s. S. 22ff., Kap. Erotik im Spiegel der Gottheit: Aphrodite - Dionysos). Überaus berühmt ist die «Knidia». Eine Hommage erfuhr die knidische Aphrodite22 (Abb. 11) bereits durch den zuvor

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Erotische Signale Abb. 7 Statue eines Mädchens. Eine Köre von der Akropolis in Athen. H. 0,55 m; um 520 v. Chr. Athen, Akropolismuseum 675.

Abb. 8 Statue der Göttin Aphrodite. «Angelehnte Aphrodite». H. 1,44 m. Römische Kopie nach griechischem Original um 420 v. Chr. Neapel, Museo Nazionale G 6396.

schon erwähnten Autor H. Licht, der sie als Frontispiz abbildete im Liebesleben der Griechen, dem 2. Band seiner Sittengeschichte Griechenlands aus dem Jahre 1926. Das Original der Knidia, die leider nur in römischen Kopien, hellenistischen Umbildungen, Werken der Kleinkunst und Münzprägungen erhalten ist, wurde von Praxiteles um 340 v. Chr. geschaffen. Die Leute von Kos hatten das Aphroditebild bei dem attischen Bildhauer in Auftrag gegeben. Wegen des revolutionären Entwurfs - es handelte sich um die erste gänzlich unbekleidete Aphroditestatue der griechischen Großplastik - akzeptierten sie das Bild der Liebesgöttin dann jedoch nicht. So erwarben die offensichtlich aufgeschlosseneren Bewohner von Knidos das Werk. Es machte ihr Aphroditeheiligtum weltbekannt, dessen Kultstatue wohl das am meisten bewunderte Bildwerk des Altertums war. Mit der Aphrodite von Knidos habe Praxiteles nicht nur seine eigenen, sondern alle Kunstwerke der Welt übertroffen, wird überliefert. Und es heißt, um die Knidia zu sehen, seien eigens Seereisen nach Knidos angetreten worden. Dort stand das Marmorwerk in einem heiligen Raum, dessen zusätzliche rückwärtige Tür auch den Anblick der Hinterseite des Kultbil-

Abb. 9 Statue der Göttin Aphrodite (Typus Neapel/ Paris). H. 1,65 m. Römische Kopie nach griechischem Original um 420 v. Chr. Paris, Musee du Louvre 525.

Knidische Aphrodite - Aphrodite Kallipygos

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Abb. lOa Sitzstatue der Danae. Sog. «Schutzflehende Barberini». H. 0,98 m. Römische Kopie nach griechischem Original um 430 v.Chr. Paris, Musee du Louvre 3433. - Abb. lOb Detail der Danae aus Abb. lOa.

des ermöglichte. In frühchristlicher Zeit gelangte es nach Konstantinopel und ging dort bei einem Brand 476 n. Chr. zugrunde. Die entkleidete Göttin ist in einem Moment vor dem Bade gezeigt. Sie steht aufrecht, ihr Gewicht ruht auf dem rechten Bein, das linke Bein ist entlastet. Leicht angewinkelt führt der rechte Arm nach unten, so daß die rechte Hand die Scham verdeckt. Die Hand des seitwärts gebeugten linken Armes greift nach dem Gewand, das über einem Wassergefäß neben der Göttin liegt. Ihren Kopf wendet die Knidia zur Spielbeinseite. Für die Mehrheit der heutigen Betrachterinnen und Betrachter dürfte die Nacktheit der Göttin, die Ebenmäßigkeit ihrer Körperformen und die Neigung ihres Kopfes keinesweg mehr den außergewöhnlichen erotischen Stellenwert haben, den die Statue in früheren Generationen oder gar in der Antike für sich beanspruchte und der einen reichen Nährboden für Anekdotisches bot. Obgleich das Modellstehen von Hetären (zur Hetäre s. S. 56ff., Kap. Erotik bei Hetären und Männern) im 4. vorchristlichen Jahrundert üblich war und Legenden von einem Hetärenmodell zur Knidia und der Liebe des Praxiteles zu seinem Modell umliefen, bleibt unsicher, ob die berühmte Hetäre Phryne als Modell für das knidische Göttinnenbild diente und ob sie mit jener Frau identisch war, die Hypereides vor Verurteilung

schützte, weil er ihre Richter während eines Prozesses gegen sie durch das Zerreißen ihres Gewandes und die Offenlegung ihrer Schönheit beeinflußte. In den Bereich der Anekdote gehören wohl auch Berichte von intensiven Erlebnissen männlicher Verehrer, die sich in überwältigender Verliebtheit der Statue (Abb. 11) näherten. Ein Mann aus Athen mag zu Worte kommen. Folgendes soll er beim Anblick der Aphrodite von Knidos ausgerufen haben: «Wie ist der Rücken schön geformet. Wie runden sich die Lenden, zur Umarmung geeignet. Wie herrlich ist der Umriß des Gesäßes, die Muskulatur weder zu knapp, so daß sie sich an die Knochen andrückt, noch zu schwellend oder von übertriebener Fülle. Mit unbeschreiblicher Süße lächeln die zwei Grübchen, die beiderseits, rechts und links, in die Lenden eingedrückt sind, den Beschauer an.»23 Selbst die anatomische Forschung zu Beginn des 20. Jahrhunderts vermochte sich der Faszination jener «Grübchen» nicht zu entziehen. Kommentarlos sei hier eine Untersuchung aus dem Jahre 1908 angeführt, die folgendes Teilergebnis publizierte: 158 von 759 exemplarisch ausgewählten Frauen verfügten nicht über das bei der Knidia zu beobachtende «Schönheitsmerkmal».24 Die spätklassische Aphrodite von Knidos ist nicht zu trennen von den in den hellenistischen Jahrhunderten folgenden Aphroditeschöpfungen, die die Göttin

ebenfalls nackt oder halbbekleidet wiedergeben. Zu nennen wäre die «Kauernde Aphrodite»25 (Abb. 12a-d). Die Zuschreibung des Originals aus dem 3. vorchristlichen Jahrhundert an Doidalsas aus Bithynien wurde in jüngeren Forschungen angezweifelt.26 Aphrodite kauert nackt auf dem Boden. Balancehaltend hat sie sich auf die Ferse des rechten, nach hinten gestellten Fußes gesetzt. Ihr Oberkörper ist nach vorn gebeugt und leicht nach rechts gedreht. Der Kopf wendet sich zur rechten Schulter. Beide Arme, leider bei der abgebildeten Kopie weggebrochen, kreuzten sich frei vor dem Oberkörper. Fülle zeigt die Gestalt, so daß die Bauchfalten - durch die hockende Haltung ohnehin schon bedingt - prominent zum Ausdruck kommen. Die erotische Prägung des Aphroditebildes ist offenkundig. Detailbeschreibungen könnten nicht mehr zum Verständnis des Bildwerkes beitragen als eine Feststellung von E. Simon27, mit der sie präzise die erotische Wirkung umschreibt: «An keinem anderen Aphroditebild der Antike sind Üppigkeit und Grazie, Sinnlichkeit und Dezenz in so genialer Weise verbunden wie hier.» Auch W. Neumer-Pfau behandelt im Rahmen ihrer Untersuchung zu hellenistischen Aphroditestatuen28 umfassend die erotische Ausstrahlung der «Kauernden Aphrodite» und setzt sich hervorragend kritisch mit der Art auseinander, in der die For-

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Abb. 11 Statue der Göttin Aphrodite. «Aphrodite von Knidos». H. 2,04 m. Römische Kopie nach griechischem Original um 340 v. Chr. Rom, Vatikanische Museen. Inv. 812.

Erotische Signale schung die erotische Wirkung der Statue rezipierte.29 Die zahlreichen Aphroditestatuen und -Statuetten, die originale Schöpfungen hellenistischer Aphroditebilder überliefern, bieten reiches Material zu erotischer Gewandanordnung. Es gibt mehrere Drapierungsspielarten des bis zur Taille oder darüber hinaus hinabgesunkenen Himations. Assoziationen zu dem Gewandmotiv des Jünglings auf der Stele (Abb. 5) und zum Hermaphroditen (Abb. 6) stellen sich ein. So kann der Mantel - in seinem oberen Rand die waagerechte Erstreckung des weiblichen Beckens aufnehmend - den Unterkörper und die Scham umhüllen oder das Schamdreieck freilassen. Auch schräg über den Unterkörper wird er getragen, so daß sein oberer Wulst diagonal über Oberschenkel, Scham bzw. Leistenfurche dahinfließt. Ein Bausch, der durch die zusammengenommenen Mantelenden am Ansatz der Oberschenkel entsteht, läßt bei manchen Aphroditebildern den subjektiven Eindruck entstehen, seine massige Stoffülle reiche nicht aus, die sich hinter ihm verbergende Scham zu verdecken. Die Statue einer halbbekleideten Aphrodite Anadyomene30 (Abb. 13) sei als Beleg angeführt. In hellenistischer Zeit31 entstand dieser Typus einer im Bereich des Unterkörpers bzw. bis zum Beinansatz verhüllten Aphrodite, die leicht vorgebeugt steht und mit beiden Händen ihr gelöstes Haar ergreift. Die statuarische Schöpfung geht sehr wahrscheinlich auf ein Gemälde des Apelles32, eines Malers aus Kolophon zurück, der in der zweiten Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. die dem Meer entsteigende, ihr nasses Haar auswringende Göttin darstellte. Eine Reihe von Teilbeobachtungen ließe sich anschließen zur erotischen Gewanddrapierung bei hellenistischer Aphroditeplastik und ihren /ahlreichen Versionen aus römischer Zeit, die zuweilen lieblos zwischengelagert sind in Magazinen, Höfen und Gärten der Museen, wie das Exemplar in Abb. 14a.b dokumentiert. Aber es mag genügen, hier nur noch auf eine der wohl raffiniertesten Kombinationen von Nacktheit und Verhüllung, die Aphrodite Kallipygos33 (Abb. 15a.b), einzugehen. Der Beiname bedeutet soviel wie die Aphrodite «mit dem schönen Gesäß». Unsicher bleibt, ob die vermutlich von einem späthellenistischen Original abhängende Statue als Liebesgöttin oder Tänzerin zu deuten ist. Die Dargestellte trägt einen unter der Brust gegürteten Chiton, der sich an der

Knidische Aphrodite - Aphrodite Kallipygos

Abb. 12a-d Statue der Göttin Aphrodite. «Kauernde Aphrodite». H. l ,06 m. Römische Kopie nach griechischem Original des 3. Jhs. v. Chr. Rom, Thermenmuseum Inv. 108597.

17

d

BH

Erotische Signale

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Abb. 13 Statue der Göttin Aphrodite. «Halbbekleidete Aphrodite Anadyomene». H. 1,49 m. Römische Kopie nach hellenistischer Schöpfung. Rom, Vatikanische Museen. Inv. 807. - Abb. 14a Statue der Göttin Aphrodite. «Typus Aphrodite von Syrakus». H. (geschätzt) 1,60 m. Römische Kopie nach späthellenistischer Schöpfung. Neapel, Museo Nazionale, Gartenhof. - Abb. 14b Rückansicht der Aphrodite aus Abb. 14a.

rechten Körperseite öffnet. Er ist so weit von der rechten Schulter herabgeglitten, daß er die Brustwarze enthüllt. Mit der rechten Hand zieht die Aphrodite Kallipygos die vordere Gewandpartie zur Seite. Auf diese Weise werden Bauch und Scham halb, das rechte Bein bis zur Hüfte ganz sichtbar. Gänzlich nackt präsentiert sich auch das Gesäß, weil die linke Hand die rückwärtige Bahn des Chitons über den Rücken aufwärts hebt. Der Kopf34 ist nach rechts gesenkt, so daß sich das Gesicht auf der enthüllten Körperseite über die Schulter nach hinten wendet.

Erotik - Gesicht - Gebärde Wie insbesondere die Beschreibung der Aphrodite Kallipygos (Abb. 15a.b) gezeigt hat, ist die Gewanddrapierung nur eine Facette der erotischen Ausstrahlung. Sie muß stets im Zusammenwirken mit dem Gesichtsausdruck und den Gebärden verstanden werden. Ein Rückblick auf

die Statuen der mehr oder minder bekleideten Frauen bzw. Göttinnen in den Abb. 7-10a.b, 13, 14a.b, 15a.b macht das deutlich. Zum einen ist da die volle Schönheit der Köre (Abb. 7), die sich in ihrem jugendlichen Antlitz spiegelt und eine rätselhafte Wechselwirkung mit dem anmutigen, ruhig verhaltenen Standmotiv des Mädchens eingeht. Zum anderen sind die Gesichtszüge der Aphrodite aus Abb. 8 sicherlich ideal, beinahe abweisend zu nennen und passen zur latenten Erotik, die in der Haltung der Göttin manifest wird. Auch für den ursprünglich zu dieser Statue zugehörigen Kopf dürfte das gegolten haben. Ihr Körper bietet sich zwar dem Betrachter dar in sanfter Schrägstellung, aber das vorgesetzte linke Bein, der sich abstützende linke Arm und der aufgenommene rechte Arm scheinen die Blicke zugleich abzuwehren und anzuziehen. Weniger ambivalent verhalten sich Gesichtsausdruck und Gebärdensprache der

Aphrodite mit entblößter Brust (Abb. 9). Auch ihr Angesicht ist nicht ohne göttlich-ideale Prägung, aber der menschliche Liebreiz überwiegt in diesem Antlitz, das sich sensuell zur entblößten Brust senkt. Es unterstreicht die Gesamthaltung, die eine Präsentation des vollkommenen Körpers zaubert. Mit der rechten Hand hebt die Göttin den Mantel über die Schulter, den Blick auf Armkuppe und Achselhöhle freigebend. Die linke, vorgestreckte Hand hält bezeichnenderweise den Granatapfel, das Symbol der Fruchtbarkeit (zum Granatapfel s. S. 23f., Kap. Erotische Szenen in einer zyprischen Schale). Bei der ihre Haarsträhnen aufnehmenden Aphrodite (Abb. 13) steigert der Bildhauer die erotische Wirkung durch die leichte Vorwärtsbeugung des Rückens und die entsprechende Einziehung der Bauchdecke, ferner durch den verhaltenen Schwung des Unterkörpers, der das Herabrutschen des Mantels zu verhindern scheint, und durch die erhobenen

Badeszenen

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Abb. 15a Statue der Göttin Aphrodite. «Aphrodite Kallipygos». H. 1,52 m. Römische Kopie nach hellenistischem Original. Neapel, Museo Nazionale 314. Abb. 15b Detail der Aphrodite aus Abb. 15a.

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Arme, die in ihrer Hinführung zu den Haarsträhnen wie betonende Rahmung für den Oberkörper wirken. Körperhaltung bzw. Gebärden, die sich übrigens nur mit äußerster muskulöser Verkrampfung realistisch nachstellen lassen und die zwischen Zurschaustellung und Verschämtheit einzuordnen sind, schaffen also in ihrer Verbindung mit partieller Nacktheit und geschickter Gewanddrapierung eine höchst erotische Aura. Das gilt auch für die Aphrodite Kallipygos (Abb. 15a.b). Badeszenen Im folgenden möchte ich zeigen, daß außer der vollplastischen bzw. reliefplastischen Darstellung, die zuvor als Medium einer erotischen Wirkung erörtert wurde, nun desgleichen zweidimensionale Vasenmalereien intensive erotische Wirkung haben können. Das belegen einige Gefäßbilder von gänzlich oder partiell nackten Frauen.

Abb. 16 Hetäre neben einem Becken. Trinkschale, Innenbild; um 500 v. Chr. Malibu, The John Paul Getty Museum 81.AE.129.

Abb. 17 Hetäre, händewaschend am Becken. Trinkschale, Innenbild; um 500 v. Chr. New York, Norbert Schimmel Collection.

Es gibt zahlreiche Vasenszenen mit nackten bzw. spärlich bedeckten Frauen in der Nähe eines Beckens, das im häuslichen Bereich vorzustellen ist. Mehrere der Beispiele sind Innenbilder attisch-rotfiguriger Trinkschalen. Die Frauen ste-

hen in schräger Haltung neben dem Becken (Abb. 16) oder spülen sich die Hände darin (Abb. 17). Sie hantieren mit ihrem ausgezogenen Schuhwerk neben dem Waschgefäß (Abb. 18), gießen Wasser hinein (Abb. 19), schreiten auf das

Erotische Signale

20

Becken zu mit Eimer und Himation in den Händen (Abb. 20). Bei den Dargestellten 35 , die nicht als geschätzte Bürgerinnen, sondern als ungeachtete, käufliche Partnerinnen für erotisch-sexuelle Dienste aufzufassen sind (s. S. 56ff., Kap. Erotik bei Hetären und Männern), wird eine natürliche Grazie frei, die dem schönen Körper eigen sein kann, wenn er beim Bade oder bei der Reinigung abgebildet ist. Ob diese Anmut nun erotische Aspekte beim Betrachten freisetzt, hängt ab von der individuellen Aufnahme solcher Bildkompositionen. Eine sinnliche Ausstrahlung könnte man sowohl der Frau im federnden Stand neben dem Becken (Abb. 16) als auch der anmutig auf das Becken Zuschreitenden (Abb. 20) zuerkennen. Bei den betreffenden Frauen mag die Zeichnung des Busens, üppig (Abb. 16) oder zierlich (Abb. 20), als primär erotisches Detail wirken.

Abb. 18 Hetären am Becken. Weinmischgefäß (Kolonettenkrater); um 480 v. Chr. Sammlung Hirschmann Inv. 657.

Abb. 19 Hetären am Becken. Weinmischgefäß (Kolonettenkrater); um 490 v.Chr. Aufbewahrungsort nicht zu ermitteln.

Körpertransparenz

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placiert den Körper nämlich so bei der Opferhandlung, daß die Betrachtung auf mehrere erogene Zonen gelenkt wird. Frei liegt die rechte Achselhöhle. Die Nackenpartie sowie die Innenseite des linken Oberschenkels und der Schoß bieten sich dar. Beide Hände, die den Kranz halten, sind weit vorgestreckt und erhoben, so daß die üppigen Brüste mit den großen aufgerichteten Brustwarzen betont werden. Derartige Details, die zu einer Erotisierung der Darstellung führen, lassen sich bei zahlreichen Hetären im Bereich der Symposionsdarstellungen wiederfinden.

Körpertransparenz

Abb. 20 Hetäre auf dem Weg zum Bad. Trinkschale, Innenbild; um 480 v. Chr. Brüssel. Musees Royaux d'Art et d'Histoire A 889.

Opfer am Altar Eng verwandt mit den Badeszenen ist die singuläre Darstellung einer Nackten (Abb. 21), die im Begriff ist, den lodernden Flammen eines Altarfeuers einen Kranz zu übergeben. Vielleicht bringt sie Aphrodite ein Opfer. Durch die balancie-

rende Haltung und die Zeichnung der Brüste erinnert die opfernde Hetäre (zur Hetäre s. S. 56 ff., Kap. Erotik bei Hetären und Männern) an die Badende der Abb. 16. Und wie von dieser geht auch von der Opfernden (Abb. 21) eine erotische Wirkung aus, die sich durch die Komposition des Vasenmalers erklärt. Er

Auch bekleidete Frauen sind in der Vasenmalerei häufig so dargestellt, daß die Körperteile unter den zarten Gewändern durchscheinen, wie bei dem fliehenden Mädchen in Abb. 22. Seine mythologische Einbindung - die Gesamtdekoration36 der Vase lehrt, daß es sich um Antiopeia handelt, die Zeugin des Raubes ihrer Freundin Korone durch Theseus wird - interessiert im Rahmen der erotischen Thematik weniger als die aufreizende Sinnlichkeit ihrer Körpersprache, die der Vasenmaler mit wenigen kalligraphischen Linien meisterhaft vorträgt.

Abb. 21 Hetäre, opfernd am Altar. Trinkschale, Innenbild; um 490 v.Chr. Athen, Agoramuseum, Agora P 24102. - Abb. 22 Antiopeia, davoneilend. Amphora; Ende 6. Jh. v. Chr. München, Staatliche Antikensammlungen, Museum antiker Kleinkunst 2309.

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Erotik im Spiegel der Gottheit: Aphrodite - Dionysos Es ist allgemeinhin bekannt, daß frühe Kunstäußerung, somit auch die im antiken Griechenland, in einem Beziehungsgefüge zur Religion stand. Zahlreiche Kunstwerke, die heute im Museum häufig nur noch nach ästhetischen Gesichtspunkten beurteilt werden, befanden sich ursprünglich in Heiligtümern bestimmter Gottheiten und genügten vorrangig religiösen Bedürfnissen. Sowohl Werke der Großplastik als auch kleinformatige Arbeiten der unterschiedlichsten Gattungen und Sujets mit mehr oder minder stark ausgeprägten erotischen Nuancierungen konnten die Gottheit darstellen oder ihr geweiht sein. Müßte die vorliegende Untersuchung nicht auf einen bestimmten Umfang begrenzt werden, ließe sich zeigen, daß Mythos und Bildkunst bei diversen Gottheiten Wesenszüge offenbaren, in denen Erotisches latent oder intensiv faßbar wird. Im ersten Kapitel, das die erotischen Signale behandelte, die von der Einzelfigur des Menschen bzw. der Gottheit ausgesendet werden können, wurden bereits die Bereiche von Aphrodite und Dionysos gestreift. Sie sind tatsächlich jene Gottheiten, deren sexuell-erotische Prägung am vordergründigsten greifbar wird, so daß es gerechtfertigt ist, die aphrodisische und dionysische Welt im folgenden ausführlicher zu behandeln. Allgemeines zu Aphrodite Überall, wo Griechen wohnten, verehrten sie Aphrodite.37 In vielen ihr zugeeigneten Heiligtümern genoß sie Kult. Dennoch gibt es kaum Nachrichten über Kultstatuen der Göttin in ihren Tempeln. 38 Unterschiedlich wurde die Göttin benannt. Sie hieß «Kypris» als Herrin der Insel Zypern, «Paphia» gemäß ihrem heiligen Ort Paphos auf Zypern oder «Kytheria» nach dem Eiland Kythera. Die «Knidia», jene berühmte Statue in ihrem Heiligtum in Knidos, wurde zuvor schon angeführt (s. S. 13 ff., Kap. Von der Knidischen Aphrodite bis zur Aphrodite Kallipygos). Aphrodite stand in enger Verbindung zur großen Liebes- und Fruchtbarkeitsgöttin des Vorderen Orients (s. S. 23f., Kap. Erotische Szenen in

einer zyprischen Schale). Anmut und Schönheit charakterisieren die Göttin. Süßes Verlangen und sinnliche Lust verkörpert sie selbst, schenkt beides anderen, befiehlt Leidenschaft, übt mit ihrem Zauber sogar Gewalt aus, die bis zum Verbrechen führen kann. Sie stiftet desgleichen Frieden in der Natur. Winde und Wolken gehorchen ihr. Folglich wird sie auch als Göttin des Meeres und der Seefahrt verehrt. Blüten läßt sie gedeihen. In Athen, am Ilissos, hat es einen heiligen Bezirk der «Aphrodite in den Gärten» gegeben.39 Ihre Persönlichkeit beinhaltet also auch Züge einer Wachstumsgöttin. Durch das «Gastmahl» des Platon beeinflußt, wird zwischen der Aphrodite Pandemos und der Aphrodite Urania unterschieden. Die erste, die Göttin des gemeinen Volkes, gilt als Tochter des Zeus und der Dione. Die zweite ist die himmlische Aphrodite, die Tochter des Uranos, die allbekannte Schaumgeborene. Ihre Beinamen sind dahin ausgelegt worden, daß eine unedle Aphrodite neben einer edlen existierte. Man wollte darin die gegensätzliche Versinnbildlichung von irdischer und himmlischer Liebe sehen. Diese Differenzierung ist jedoch zu relativieren, weil die Bedeutung von Aphrodite Pandemos, «die dem ganzen Volk Gemeinsame», ursprünglich politisch und nicht ethisch aufzufassen ist. Aphrodite Pandemos wurde nämlich in Athen in der Nähe der Agora, dem Versammlungsplatz des Volkes, verehrt. Korinth beheimatete die wohl bekannteste Kultstätte der Aphrodite Urania.40 Dort gab es, wie in zyprischen Aphroditeheiligtümern, Tempelprostitution (s. S. 23f., Kap. Erotische Szenen in einer zyprischen Schale), auf die im folgenden einzugehen ist.

Tempelprostitution Die im vorigen Kapitel erwähnte Erscheinungsform der Liebesgöttin als Aphrodite Urania, deren Rezeption aus dem Orient41 außer Frage steht, vereint in sich die Rollen von Ehestifterin und Hetärenherrin (zur Hetäre s. S. 56ff., Kap. Erotik bei Hetären und Männern).

Zum Kult der Aphrodite Urania gehörte Tempelprostitution42, die im Zusammenhang mit der singulären Schale aus Zypern (s. das folg. Kap. Erotische Szenen in einer zyprischen Schale) noch weiter erörtert wird. Den antiken Schriftquellen zufolge war die heilige Prostitution vornehmlich in den Ländern das Vorderen Orients verbreitet. So berichtet Herodot43 im 5. vorchristlichen Jahrhundert, daß Scharen von Tempeldirnen zum Heiligtum der Göttin in Babylon gehörten. Die einmalige Prostitution vor der Hochzeit der Frau wurde häufig als orientalisch und ungriechisch bezeichnet. Der Ursprung des Rituals liegt im Tabu des Blutes, das beim ersten Geschlechtsverkehr durch die Verletzung des Hymens auftritt. Dem Fremden, der das Mädchen deflorierte, so glaubte man, schade der Blutkontakt nicht. Tempelprostitution konnte einen profanen Charakter annehmen. Nicht immer handelte es sich um die singuläre, heilige Entjungferung vor der Eheschließung, sondern die sakralen Elemente mochten sich auch lediglich auf die Weihe des Mädchens an die Liebesgöttin und auf seine lokale Bindung an den Tempel beschränken. Im griechischen Mutterland galt das zuvor schon genannte Aphroditeheiligtum in Korinth bislang allgemeinhin44 als gesicherter Ort für die Praxis von Tempelprostitution. Im Tempel der Aphrodite auf Akrokorinth taten zahlreiche Hierodulen ihren Dienst. Im griechisch beeinflußten Westen hat es «Heilige Prostitution» auf dem sizilischen Berg Eryx45 und in einer spezifischen Form im unteritalischen Lokroi Epizephyrioi46 gegeben. Dort gelobten Väter vornehmer Familien angesichts einer drohenden Kriegsgefahr zu Beginn des 5. vorchristlichen Jahrhunderts als Preis für den ersehnten Sieg, die Jungfräulichkeit ihrer Töchter im Aphroditeheiligtum zu opfern. Der Sieg wurde errungen, und so prostituierten sich gemäß dem Gelübde jährlich hundert durch das Los ausgewählte Mädchen, vermutlich nur einen Monat lang, anläßlich der Feierlichkeiten des Aphroditefestes in Lokri. Man nimmt an, daß es unmittelbar vor der Verheiratung ste-

Erotische Szenen in einer zyprischen Schale hende Mädchen waren. Ausschließlich Nichtlokrer durften sich im Heiligtum mit ihnen vereinen. Im Rahmen dieser Erörterungen kann nicht ausführlich auf die kulturhistorisch interessante Erscheinung der Tempelprostitution in ihren unterschiedlichen Kriterien eingegangen werden. Daß eine geheimnisvolle Faszination von diesen mehr oder minder gut überlieferten Bräuchen ausgeht, beweist die Häufigkeit, mit der sie in archäologisch-kunsthistorischen Untersuchungen erwähnt werden. Darstellungen der bildenen Kunst, die sexuelle Aktivitäten aus dem Bereich der Tempelprostitution beinhalten, sind äußert selten. Auch die umfangreiche Materialsammlung zum vorliegenden Beitrag enthält kaum Bildbelege zum Phänomen der Tempelprostitution.

Erotische Szenen in einer zyprischen Schale Eine bildliche Fassung ausgeführter Tempelprostitution gibt Abb. 23a.b wieder. Es handelt sich um die altertümlichste, wahrscheinlich auch älteste, Darstellung von Liebesvereinigungen in der archaischen Vasenmalerei. Sie entstand um 600 v. Chr. und führt in die östliche, gleichermaßen orientalisch und griechisch geprägte Welt. Bildträger ist eine zyprische Schale. Seit dem Jahr ihrer Auffindung, 1803, in Achna auf Zypern, wurde sie, gemessen an ihrer außergewöhnlichen Dekoration, selten abgebildet und diskutiert. Auf der Außenseite sind acht stehende Sphingen in heraldischer Anordnung gemalt. Im Innern des Gefäßes (Abb. 23a) erkennt man vier Paare sich gegenüberstehender Frauen in langen Gewändern. Diese Komposition ist durch stilisierte Bäumchen gegliedert. Den Frauenreigen unterbricht eine mehrfigurige Komposition (Abb. 23b), die Gegenstand der folgenden Erörterung sein wird. Insgesamt sind sechs Personen wiedergegeben, abgesehen von einer, in kleinerem Format als die Frauenpaare. Die beiden kopulierenden Gruppen nehmen den größten Teil des Bildausschnitts ein. Eine Frau, bei der sich nicht genau ablesen läßt, ob sie nackt oder in kurzem Chiton zu denken ist, beugt sich weit nach vorn. Sie stützt sich mit den Händen auf dem Boden ab, während die Liebesvereinigung a tergo vollzogen wird. Das zweite Paar liebt sich frontal im Stand. Auf einem dreieckigen Gebilde steht die fünfte, zwergenhafte Gestalt. Gleiche Physiognomie, Halsform und Bartbil-

dung verbindet sie mit den Männern beim Sexualverkehr. Das Genital ist bei ihr jedoch nicht angedeutet. Sie wendet sich nach rechts und streckt beide Arme nach vorn. Dicht neben ihr erkennt man die größere sechste Figur, die auf einem Bein steht, das andere anhebt und beide Arme zu einer Pflanze emporstreckt. Sie trägt ein Gewand wie die Frauen, allerdings in Kurzform. Einen Halsschmuck hat sie nicht. Der Vasenmaler kennzeichnete Einzelheiten in einem geradezu rührenden Bemühen um Exaktheit. So sind die Schambehaarung bzw. der Genitalbereich durch einen dunklen Fleck im umgebenden Rot gekennzeichnet. Die Eichel des Penis beim nach links gewendeten Mann wird besonders hervorgehoben. Aber im Eifer, dieses Detail genau zu skizzieren, sind die Schuppen, die offenbar die Penisspitze markieren sollen, an die Ansatzstelle des Gliedes gesetzt. Vergebliches Streben des Vasenmalers nach Genauigkeit verrät auch die Kette der dorsal geliebten Frau. Bedingt durch ihre Haltung nämlich, müßte der Schmuck herabhängen. Er liegt aber auf den Schultern. Aufgrund derartiger Beobachtungen möchte man fragen, ob der Vasenmaler mit dem Ornament, das wie eine stilisierte Leiter auf die Flanke der Frau gesetzt ist, und mit den Bögen auf dem Oberkörper der winzigen Gestalt anatomische Inskriptionen versuchte. Bei der gegenständlichen Beschreibung des Ausschnitts mit den Paaren beim Sexualverkehr muß noch auf die vier anders und reicher als im Frauenreigen stilisierten Blüten verwiesen werden, ferner auf den Granatapfel neben den Händen der sich nach vorn beugenden Frau sowie auf die vom Dekorationsganzen abweichende Standfläche der kleinsten Gestalt. Eine Deutung der figürlichen Darstellungen in der zyprischen Schale hat von dem beschriebenen Ausschnitt mit den Liebesgruppen (Abb. 23a.b) auszugehen. Sie sind dem Aphrodite-Kult zu verbinden, in dem die heilige Prostitution (s. S. 22f., Kap. Tempelprostitution) praktiziert wurde. Mehrere Kriterien stützen diese Interpretation: Bereits die Tatsache, daß die Schale in Achna gefunden wurde, kann dazu bewegen, die sexuellen Betätigungen der Paare auf der zyprischen Schale als ausschnitthafte Wiedergabe von Tempelprostitution zu lesen, denn Achna liegt in der Nähe Kitions, und letzteres gilt als erster fester phönizischer Stützpunkt.47 Da die heilige Prostitution bei den Phöniziern üblich war, ist sie mit großer Wahrscheinlichkeit auch für den Tempel der Astarte in Kition anzunehmen. Eine Inschrift

23 weist dort Tempelprostituierte nach. Die Tatsache, daß sich die Kulte der phönizischen Astarte und der griechischen Aphrodite eng miteinander verbanden, rechtfertigt es, die Doppelbenennung Astarte - Aphrodite für die früharchaische, orientalisch-griechische Fruchtbarkeits- und Liebesgöttin auf Zypern zu verwenden.48 Im phönikischen Astartetempel in Kition entdeckte man zwei Einsatzgruben, die nichts als rötliches Erdreich enthielten, so daß sie einst die heiligen Bäume aufgenommen haben müssen, die in symmetrischer Anordnung den Temenos-Eingang umgaben.49 Dieser Befund legt nahe, auch die sechs Figuren aus Abb. 23b in einem abgeschlossenen, bluten- und baumreichen Teil des Heiligtums der Göttin zu verstehen, wo sich Tempelprostitution vollzogen haben mag. Denn während im Frauenreigen hauptsächlich eine Pflanzenart vertreten ist, finden sich in der Nähe der beiden Liebespaare noch andere, üppigere vegetabilische Formen. Es würde zu weit fuhren, die lotosähnlichen Blüten zu selten der Koitierenden als die zuvor erwähnten geheiligten Bäume am Eingang des sakralen Bezirks zu interpretieren, aber auf ihre besondere Größe und ihre Zweierzahl sei zumindest hingewiesen. Immerhin ist ein anderes zyprisches Vasenbild anzuführen, das ein Tempelgebäude zwischen einem Baumpaar wiedergibt.50 Ein Granatapfel, der neben den Händen der sich beim Liebesakt auf dem Boden aufstützenden Frau zu erkennen ist, paßt zu der Vorstellung des Pflanzenreichtums im Heiligtum der Astarte Aphrodite. Der Granatapfelbaum und seine Frucht - wegen der zahlreichen Samen ein Symbol der Fruchtbarkeit gehören in den Umkreis der Astarte. Zudem soll Aphrodite den ersten Granatapfelbaum auf Zypern gepflanzt haben.51 Die androgyne Charakteristik, die bei der kleinen einzelnen Figur und bei der großen einzelnen Figur auffällt, scheint mir deutungserhellend. Das kurze Gewand charakterisiert die größere, im Tanzschritt und mit erhobenen Armen gemalte Person als männlich, der Busen weist sie als weiblich aus. Der Bart der kleinen Gestalt ist ein maskuliner Zug, das fehlende Glied deutet auf Feminines. Diese Feststellung des Mann-Weiblichen reizt dazu, die Gestalten als Spiegelung der Zweigeschlechtlichkeit jener Gottheit aufzufassen, deren Kultbereich die sich sexuell verbindenden Paare angehören. Sowohl die zyprische Aphrodite als auch die phönizische Astarte kommen bärtig vor.52 Und da die Tempelprostitution gleichermaßen zu Ehren beider Göttin-

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Dokument früher Bildkunst belegt, daß lustvolles Erleben der Sexualität wohl am Sinnfälligsten in den Umkreis der Aphrodite gehört. Es offenbart ferner die ursprüngliche Verbindung zwischen dem Sexualverkehr im Kult der Aphrodite und im Leben des antiken Menschen. Auch das mit dem Göttinnennamen «Aphrodite» zu verbindende griechische Verb aphrodisiazein, das soviel bedeutet wie «den Liebesakt ausführen», verrät die als heilig empfundene Wurzel der Liebesvereinigung. Es ist festzuhalten: Unter den bisher bekannten archäologischen Denkmälern sind die Illustrationen zur heiligen Tempelprostitution bzw. der sie praktizierenden Personen kaum faßbar. Und das wenige, das die Thematik minimal erhellt und ungelöste Rätsel hinterläßt, liefert nur eine spärliche Bereicherung erotischen Bildguts aus dem kultischen Bereich um Aphrodite.

Abb. 23a Frauen und Liebesakt-Gruppen. Schale, Innendekoration; Anfang 6. Jh. v. Chr. London, British Museum C 838.

nen praktiziert wurde, ist es zulässig, die Paare beim Liebesakt anläßlich heiliger Prostitution in einem Tempelbezirk der Astarte - Aphrodite zu deuten. Als eine Art Alltagsgeschehen, analog der sexuellen Vereinigungen in der Vasenmalerei (s. S. 50ff., Kap. Erotik der Paarung, S. 56ff., Kap. Erotik bei Hetären und Männern) auf schwarzfigurigen und rotfigurigen Vasen, ist das zyprische Bild keinesfalls zu verstehen. Der Vasenmaler

Abb. 23b Detail aus Abb. 23a.

wollte, bei aller Naivität seiner Zeichnung, eine sakrale Handlung darstellen. Durch die vorgeschlagene Deutung der erotischen Szenen in der zyprischen Schale liegt meines Erachtens die einzige bisher faßbare Darstellung in der Vasenmalerei vor, die einen Liebesakt zwischen Tempelprostituierten und Besuchern in einem zyprischen Aphroditeheiligtum illustriert.53 Das behandelte, überaus interessante

Allgemeines zu Dionysos Dionysos54, auch als Bakchos bekannt, heutzutage wohl am populärsten als der Gott des Weines, gehört zum Typus der vorgriechischen Vegetationsgötter, die nach antikem Glauben im Winter sterben und im Frühling zu neuem Leben erwachen. Im Kult begleiteten Trauerzeremonien den Tod, Freudenfeste die Wiedergeburt. Ägypten, Kreta und Kleinasien werden in der Forschung als ursprüngliche Heimat des Dionysos erwogen. Aber diese Überlegungen sind angesichts einer vorgriechischen Dionysosverehrung auf den Weininseln der Ägäis zu modifizieren. Die Griechen müssen bereits zu Beginn ihrer Einwanderung in den ägäischen Raum mit dem Vegetationsgott ihrer Siedlungsplätze in Berührung gekommen sein, dessen Kult auch die religiöse Raserei - Ausdruck von Strafe oder Reinigung für die mit dem Gott in Kontakt getretenen Menschen beinhaltete. Dichterische, literarische und bildliche Überlieferungen erhellen, wie man sich die orgiastischen Riten zu Ehren des Gottes vorstellte. Dionysos zog besonders Frauen und Satyrn in seinen Dienst. Seine weiblichen Anhängerinnen waren Nymphen und Mänaden. Nymphen, die Bezeichnung bedeutet eigentlich «Braut» oder «junge Frau», wurden als menAbb. 24a Dionysos. Bronzekrater aus Derveni (Ausschnitt aus Abb. 24b); um 330 v.Chr. Saloniki, Archäologisches Museum.

Allgemeines zu Dionysos

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schengestaltige, weibliche Naturdämonen gedacht. Sie wohnten und wirkten in Wald und Flur. Konsequenterweise verbanden sie sich dem ausgelassenen Treiben im Thiasos, dem Gefolgszug des Gottes. Dort finden sich auch seine Anhängerinnen, die Mänaden. Ihre Benennung ist mit «die Rasenden» zu übersetzen. Inbrünstig verehrten sie Dionysos, feierten nächtens im Streben nach einer Vereinigung mit dem Gott bestimmte Riten, verfielen in Ekstase. Stimuliert durch Musik, Tanz, Fackelschein und Weingenuß, waren sie sich der Epiphanie des Angebeteten gewiß, wenn sie glaub-

Abb. 24b Museum.

ten, Milch, Honig und Wein aus dem Boden quellen zu sehen. Visionen ihres Gottes erlebten sie auch in der Gestalt eines Stiers oder einer Ziege. Die Dionysosanhängerinnen säugten Zicklein und Rehkitze, zerrissen sie mit bloßen Händen und verzehrten sie roh. Letzteres mag als Ausdruck des primitiven Aktes gedeutet werden, mit dem sich der antike Mensch die göttliche Kraft einzuverleiben hoffte. Die Frauen bzw. die Mänaden werden oft, wie Dionysos selbst, mit dem Thyrsos55 dargestellt. Das ist ein Narthexstengel, mit einem Pinienzapfen bekrönt und häufig mit Efeu, Weinlaub

Dionysos und Ariadne. Bronzekrater aus Derveni; um 330 v. Chr. Saloniki, Archäologisches

und Bändern umwickelt. Dieses dionysische Attribut handhaben die Mänaden selten ruhig, meistens temperamentvoll. Die männlichen Teilnehmer des Thiasos sind die Satyrn und Silene (s. S. 37ff., Kap. Satyrn - Silene). Obgleich menschengestaltig, haben sie Ohren, Schwänze, zuweilen auch Hufe des Pferdes. Allgemeinhin werden die jüngeren dieser ausgelassenen, zumeist lüsternen Gesellen als Satyrn, die älteren mit dickem Bauch, Glatze, wulstigen Lippen und stumpfer Nase als Silene bezeichnet. Ihrem ursprünglichen Wesen nach sind sie, wie die Nymphen, Naturdämonen. Im Gegensatz zu den Nymphen prägt sie allerdings ihre Mischwesengestalt. Gebildet aus Mensch und Tier personifizieren sie animalisch-ungezügelte Fruchtbarkeit. In diesem Kontext ist ihr zumeist in übertriebener Größe und Erektion angegebenes Glied zu interpretieren. Die Frage, inwieweit die Satyrn in der Entwicklung ihrer Darstellung als ein «psychologisches Substitut»56 des Mannes gelten dürfen, wurde oft in archäologischen Beiträgen gestellt, unterschiedlich beantwortet und dürfte noch lange Gegenstand der Forschung bleiben. Aufgrund der überaus zahlreichen Darstellungen, die den mythischen Thiasos des Dionysos ausschnitthaft oder umfangreich wiedergeben, ist zu schließen, daß Sexualität im breiten Spektrum ihrer Erscheinungsweise den Dionysoskult charakterisierte. Die folgenden Kapitel (Dionysos und eine Gefährtin; Dionysos im Gefolgszug; Liebe und Verweigerung im Umkreis des Dionysos; Satyrn Silene) werden das hinreichend belegen. Sogar orgiastische Bräuche aus dem dionysischen Mysterienkult sind sicher überliefert. Seine Feste und Prozessionen wiesen dem Phallos, der unten noch Gegenstand weiterer Erörterungen sein wird (s. S. 44f., Kap. Ein Glied aus Holz), eine wichtige Rolle als Symbol für Fruchtbarkeit und Zeugungskraft zu. Nach diesen Ausführungen zur Präsenz des Geschlechtlichen im Umkreis des Dionysos wundert es nicht, daß von bestimmten Standbildern des Gottes eine erotische Wirkung ausgeht (s. Abb. 4). Sie bleibt allerdings äußerst verhalten im Vergleich zu anderen Szenen der dionysischen Welt (s. S. 28 ff., Kap. Liebe und Verweigerung im Umkreis des Dionysos; S. 37 ff. Kap. Satyrn - Silene; S. 41 ff. Esel).

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Dionysos und eine Gefährtin Dionysos und eine Gefährtin Einige sinnliche Bilder des Dionysos führen in den Bereich des toreutischen Reliefs. Eine Spiegel Verzierung 57 , die im letzten Viertel des 5. vorchristlichen Jahrhunderts entstanden ist, bildet Dionysos neben seiner Gemahlin Ariadne58 ab. Eng sitzen sie beieinander. Dionysos ist nackt, Ariadne bekleidet. Sie umarmt Dionysos, und beider Gesichter nähern sich zum Kuß. Infolge der etwas schwerfällig und plump gebildeten Frauengestalt bleibt die erotische Ausstrahlung, trotz der Umarmung seitens Ariadnes und der körperlichen Nähe des Paares, weit hinter der etwa hundert Jahre jüngeren Darstellung auf dem Krater von Derveni (Abb. 24a.b) zurück. Auf diesem Metallgefäß, das im Rahmen einer Bestattung verwendet wurde, erscheint der Gott mit Ariadne inmitten seines Gefolgszuges. Dionysos ist in der Rolle des schöngestaltigen jungen Liebenden wiedergegeben. Das abgestreifte Gewand drapiert sich kunstvoll um den Gott, ein gefälliges Ambiente für seine makellose Schönheit bildend. Der Schöpfer des Kraters zeigt die Vollkommenheit des göttlichen Körpers in seiner Zurschau-

stellung vor Ariadne. Der rechte Arm des zeigt. Dionysos und Ariadne stehen sich Dionysos, weit hochgehoben und über beispielsweise gegenüber. Den freien den Kopf gelegt, unterstreicht die sinnRaum zwischen ihnen füllt häufig ein lich verführerische Präsentation. Die BeTrinkhorn, das der Gott in einer Hand wegung seines rechten Beines, das, in hält und seiner Gemahlin zu reichen zärtlicher und bestimmender Weise zuscheint. Beide mögen durchaus in Blickgleich, zwischen die Oberschenkel Ariadkontakt verstanden werden, aber Gesten nes führt, gehört ebenfalls ins Repertoire bzw. Bewegungsmotive, die Liebesemperotischer Aktionen. Ariadne drückt ihre findungen ausdrücken, fehlen. 61 Dieser Bereitschaft zur Liebe nicht nur durch Befund verändert sich auch nicht durch den Entschleierungsgestus aus, jenes üb- die oft zusammen mit Dionysos und liche Motiv des Hieros Gamos, der Heili- Ariadne wiedergegebenen Gruppen vergen Hochzeit.59 Sehnsucht nach der Ver- liebter bzw. lüsterner Satyrn und Mänaeinigung verrät ihr Gesicht in der Nei- den, über die unten ausführlicher gehangung zum Schoß des Gatten. Die delt wird (s. S. 28ff., Kap. Liebe und erotische Spannung, die aus dieser Dio- Verweigerung im Umkreis des Dionynysos-Ariadne-Darstellung spricht, fehlt sos). bei Bildern des Paares in der zeitlich vorZwei Vasenbilder mit Dionysos und seiner jeweiligen Gefährtin fallen allerausgehenden Vasenmalerei. Schwarz- und rotfigurige Vasenbilder dings doch durch ihren sinnlichen Ausdes Dionysischen Kreises wurden in den druck auf. In einem (Abb. 25) stellt Dioletzten Jahren intensiv erforscht. 60 Die nysos Ariadne nach und hält sie fest. Der Gefäßmalerei liefert wenig Beispiele, in linke Arm des Gottes greift in den linken denen von einem sinnlichen Ausdruck Oberarmmuskel der Frau, seine Rechte zwischen Dionysos und Ariadne - etwa berührt ihren anderen Arm. In der «ehrwie auf dem Krater aus Derveni (Abb. fürchtigen Kopfneigung der Ariadne, 24a.b) - zu sprechen ist. Soweit ich die dem sinnenden Ausdruck ihres schönen Gesichts, der hilflosen Geste ihrer vor große Zahl an Dionysosthemen in der Vasenmalerei übersehen konnte, wird der Brust angewinkelten rechten Hand» das Paar gern in feierlicher Strenge ge- wurde «die Ohnmacht der sterblichen

Abb. 25 Dionysos und Ariadne. Hydria; 480-470 v. Chr. Berlin, Pergamonmuseum F 2179.

Abb. 26 Gefährtin des Dionysos, tanzend. Amphora; 520-500 v. Chr. München, Staatliche Antikensammlungen, Museum antiker Kleinkunst 2302.

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Geliebten vor der göttlichen Macht» erkannt.62 Das ist eine vertretbare Interpretation, aber innerhalb der gegebenen Konnotationen muß auch auf die erotische Komponente hingewiesen werden. Sie äußert sich in der Verklammerung des Paares, die Sichhingeben und Sichentziehen gleichermaßen ist, ferner in der Nähe der Köpfe und in den Gesichtszügen, die bei Ariadne Zustimmung, bei Dionysos Begierde bedeuten mögen. Das andere Vasenbild (Abb. 26), in dem eine subtile Sinnlichkeit von Dionysos und seiner Partnerin ausgeht, zeigt den Gott beim Gelage. Gleich einem genießenden, sterblichen Symposiasten (s. S. 56 ff., Kap. Erotik bei Hetären und Männern) liegt er ausgestreckt auf der Kline und schaut wohlgefällig auf die vor ihm agierende Krotalentänzerin. Zeichenhaft nähern sich die Finger des Dionysos dem Busen der Tanzenden, so daß man - eine gewisse Sensibilität bei der Betrachtung voraussetzend - aus der rechten, weit vorgestreckten Hand des Gottes sein Verlangen nach Berührung der Tänzerin abliest. Auffällig ist die zur Erotisierung der Darstellung genutzte Entscheidung des Vasenmalers, nur eine Brust der Frau recht prominent und mit deutlich angegebener Brustwarze unter dem dünnen Chiton durchscheinen zu lassen.

Dionysos im Gefolgszug Gefäßbilder, in denen Dionysos ohne eine ihm direkt zugeordnete weibliche Begleitung erscheint, zeigen ihn thronend63 oder stehend bzw. schreitend inmitten seines Gefolges.64 Ein majestätischer Gott in langem Gewand ist es, der gänzlich unberührt wirkt vom erotischen Geschehen in seiner Umgebung. Sinnenfreudigkeit, ein Charakteristikum der Gottheit, äußert sich nur zuweilen und ganz verhalten in Vasenbildkompositionen, die den Thiasos zum Gegenstand haben. Beispielsweise, wenn der thronende Gott anteilnehmend seinem tanzenden Gefolge zuschaut65, so als wünsche er aufzuspringen, um sich unter die Tanzenden zu mischen. Dionysos kann sogar selbst wie ein berauschter Tänzer66 dargestellt sein. In derartigen Bildern des Gottes spiegelt sich allerdings niemals ein geschlechtliches Verlangen, das seine Anhänger so mannigfaltig bezeugen.

Liebe und Verweigerung im Umkreis des Dionysos Szenen aus dem Umkreis des Dionysos, die sexuelle Lust der Satyrn bzw. Silene auf die Nymphen bzw. Mänaden ausdrücken, sind überaus zahlreich. Die wendigen Satyrn - jene tierhaften Dämonen mit Pferdeohren, Pferdeschwänzen und zuweilen auch Pferdehufen - springen, torkeln, tanzen in unübersehbarer Vielfalt durch die Bilderwelt der Gefäßmalerei. In Abb. 27 erscheinen sie als stämmige Burschen, langbärtig mit groben Pferdeohren und einem großen aufgerichteten Glied. Im plumpen Tanzsprung, vorgestreckten Bauch und Kopfneigung zu der ihnen benachbart tanzenden Nymphe drücken sich ihre Begierden aus. Zustimmung oder Abneigung der Tanzpartnerinnen ist aus einem derartigen Bild nicht abzulesen. Die Tanzbewegungen sind sicher als Stimulans sexueller Wünsche zu bezeichnen. Übereinkunft zwischen Satyr und Nymphe spricht aus Abb. 28. Die Flucht der Frau vor dem behaarten, sie in Erregung verfolgenden Verehrer deutet zwar an, daß sie sein Begehren ablehnt. Aber der Vasenmaler überlagert diesen Ausdruck der Mißbilligung seitens der Nymphe mit ihrer Geste des Einverständnisses. Nur scheinbar abwehrend hebt sie ihre Hände, denn sie berühren zugleich zärtlich die rechte Hand des Satyrn. Der Wunsch nach körperlicher Nähe spiegelt sich auch im Blickkontakt des Paares, ferner in den intendierten Berührungen vom rechten Knie des Satyrn mit den Ellenbogen der Frau sowie in dem nahen Beieinander der dem «Boden» aufruhenden Füße. Die Einbindung des Paares in das runde Bildfeld, also die kompositionelle Geschlossenheit der Figuren, verursacht die Assoziation, es handele sich um ein harmonisch-glückliches Paar. Nicht so sanft wie das Verlangen des Behaarten in Abb. 28 werden die Wünsche der ihm verwandten Gesellen in

Abb. 27 Nymphen und Satyrn beim Tanz. Amphora; um 530 v. Chr. Privatbesitz.

Abb. 28 Mänade und Satyr. Trinkschale, Innenbild; um 540 v. Chr. Boston, Museum of Fine Arts 69.1052.

Abb. 29a vorgetragen. Zwei sehr erregte Satyrn - einer hat die nicht häufig gestalteten Pferdehufe - heben eine im Gegensatz zu ihren Gefährtinnen gänzlich nackte Mänade hoch, um sie in dieser unbequemen Stellung für die Liebe bereitzuhalten. Der Penis des einen Satyrn scheint im Begriff, in die Mänade einzudringen. Das aktionsbereite Glied des anderen berührt fast den Rücken der Frau. Möglicherweise spiegeln die ekstatischen Handlungen die lasziven Bewegungen eines Fruchtbarkeitstanzes wider.67 Der Samenerguß - angegeben in dicken Tropfen beim Satyrn, der die Szene links begrenzt - ist kein außergewöhnliches Motiv in Vasenmalereien, wie Abb. 29b (vgl. hier ferner Abb. 84) mit drei weiteren Satyrn belegt, deren Sperma sich in hohem Bogen ergießt, während sie mit drei Gefährtinnen tanzen. Auch ruhige, gesammelte, konzentrierte kommen neben temperamentvoll tanzenden Mänaden vor. In Abb. 30 ist ein sexuell erregter Satyr zu Füßen des Dionysos beim Musizieren abgebildet. Er liegt auf Polstern und flötet zum Tanz der Frauen, die der Vasenmaler erotisierend darzustellen versucht, indem er das angehobene Bein in seinen Konturen unter dem Chiton sichtbar macht. Das Bildrepertoire der Gefäßmaler, den Wunsch der Satyrn nach geschlechtlicher Vereinigung mit Frauen dazustellen, ist unerschöpflich. Abb. 31 macht bekannt mit beherzten, erregten Satyrn, die sich einer nach rechts davoneilenden Mänade in den Weg stellen. Die Reaktion der Frau auf die Annäherung eines der Zudringlichen, ihr fester Griff in seinen Bart, ist kaum als Zeichen für ihre Liebesbereitschaft zu verstehen. Sogar der sanft werbende Silen aus Abb. 33 wird keine Liebesgewährung von der Anhängerin des Dionysos erfah-

Liebe und Verweigerung

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Abb. 29a Zwei Satyrn tragen eine Mänade. Amphora; um 540 v. Chr. Würzburg, Martin von Wagner-Museum L 252.

ren, die herablassend, ratlos, vielleicht auch animierend zu ihm zurückblickt. Das Gesicht des Werbenden spiegelt ebenfalls verschiedene Empfindungen, die man zwischen Zögern, Bewunderung und Lüsternheit einordnen möchte. Seine Arme öffnen sich in beschwichtigender Geste und wollen wohl die Begehrte besänftigen. Eventuell befürchtet er einen Stoß mit dem Kantharos gegen sein erigiertes Glied, denn die Mänade hält das Gefäß wie eine Waffe in ihrer Rechten. Zahlreiche verwandte Darstellungen68 leben wie die zuvor besprochenen von dem Gegensatz zwischen dem in äußerster Erregung wiedergegebenen nackten Dionysosanhänger - dieser kann jung als Satyr oder alt als Silen charakterisiert sein - und der häufig aufregend schönen, aber widerspenstigen Mänade in durchsichtigem Chiton, dessen Faltenwurf die Reize des Körpers betont und häufig die Gliedmaßen hervortreten läßt. Die Verweigerung der Mänade ist zumeist gar nicht aus ihren Gesichtszügen bzw. nicht allein aus ihrer Physiognomie abzulesen, sondern erschließt sich aus ihren Bewegungen und Handlungen. Das Paar in

Abb. 35 kann als exemplarischer Beleg für diese Feststellung gelten. Unter dem wirbelnden Gewand der Mänade werden die rechte Brust, der Bauch, das Gesäß

und die Oberschenkel sichtbar und offenbaren die Grazie ihres Körpers, der sich zwischen die gespreizten Beine des um Liebe bittenden Satyrn schiebt. Das

Abb. 29b Mänaden und Satyrn im Tanz. Korrespondenzbild zu Abb. 29a.

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Abb. 30 Ein Satyr flötet zum Tanz der Mänaden im Gefolge des Dionysos. Wassergefäß (Kalpis); 490-480 v. Chr. Privatbesitz.

Abb. 32 Eine Mänade wehrt sich gegen einen aufdringlichen Satyrn. Mischgefäß (Kelchkrater); Anfang 5. Jh. Ferrara, Museo Archeologico.

Frauenantlitz zeigt keine Spur von Verweigerung. Seine Züge könnten sogar einen Hauch zärtlicher Zuneigung für den Liebeshungrigen verraten. Aber da ist die linke erhobene Hand der Frau in abwehrender Haltung. Am deutlichsten jedoch drückt sich die Abweisung der Mänade in der Position ihres Thyrsos aus, den sie wie eine Stoßwaffe auf die Hoden des Satyrn richtet. Derartige Bildfindungen werden zu wirkungsvollen Erotika aufgrund eines ihnen innewohnenden Dualismus. Er besteht aus dem ungestillten Liebesverlangen des animalisch-triebhaften Mischwesens und dem Verhalten der enthusiasmierten Dionysosanhängerin, die ihre körperlichen Reize stimulierend einsetzt, ohne sich dem sexuellen Zugriff des Satyrn zu überlassen. Über einigen dieser Szenen, in denen die Satyrn erfolglos werben, liegt eine merkwürdige Melancholie, denn der Satyr scheint weniger

tritt sein erregter Gefährte in eindeutiger Verführungsabsicht von hinten an sie heran. Die Annäherungsversuche liebeshungriger Satyrn werden zuweilen in wendiger Schnelligkeit ausgeführt. So springt einer70 mit geducktem Oberkörper und mit eingewinkelten Knien neben eine Frau, um ihre Flanke und ihr Gesäß in den Griff zu bekommen. Im gleichen Vasenbild greift ein anderer, in ähnlicher Haltung, eine Mänade von vorn um ihre Taille. Eine weitere Gefäßmalerei zeigt, wie die flüchtende Dionysosanhängerin71 aufgehalten wird, indem ein Satyr sie anspringt. Seine Arme umklammern ihre Schultern, seine Beine hängen in der Luft. Wie eine Last beschwert er die Frau. Abb. 34 illustriert, wie der erregte Satyr den Gewandzipfel seiner umworbenen Mänade erhascht. Einem anderen (Abb. 32) gelingt es, die Frau am linken Fußgelenk zu packen. Der Satyr in Abb. 38 trägt eine Mänade auf der Schulter davon, in der Hoffnung, seine Lust zu stillen. Von subtiler erotischer Wirkung ist eine Gruppe von Gefäßdekorationen des dionysischen Themenkreises mit folgendem Bild: Die Mänade liegt unterschiedlich weit ausgestreckt, ruht aus oder schläft, während sich der Sytyr bzw. Silen nähert. Auch ein zweiter kann an dem Geschehen teilhaben. Hauptsächlich drei Darstellungsmodi sind für die sinnliche Aussage derartiger Szenen verantwortlich. Erstens (Abb. 39): Die Mänade schläft und stellt ihren Körper - nackt, teilumhüllt oder auch bekleidet - in Dreiviertelaufsicht zur Schau. Der Körper ist in eine verführerische Position gebracht, in der seine Schönheit auf einen Blick wahrnehmbar wird. Zweitens (Abb. 43): Der Satyr - durch Gesichtsausdruck, Körperhaltung und Erektion mehr oder

die Züge eines atavistisch-lüsternen Wesens, mehr die unstillbare Leidenschaft eines empfindsamen Mannes zu verkörpern. Moderne Betrachtungstendenz rezipiert teilnehmend die bedrückte Stimmung des Abgewiesenen, die durch zwei weitere Beispiele (Abb. 36, 37) besonders eindringlich wird, in denen Paare aus der mächtigen, bestimmenden Mänade und dem schwachen, vergeblich hoffenden Satyrn bzw. Silen faszinieren. In einer anderen Gruppe von Vasenbildern präsentieren sich die Satyrn nun keineswegs als enttäuschte Freier, sondern wähnen sich auf dem Weg zur Erfüllung ihrer Wünsche. Mit Witz, Erfindungsreichtum und Derbheit versuchen sie, die Auserkorenen zu erobern. Einige Kompositionen sollen nur beschreibend angeführt werden. Da gibt es beispielsweise eine Frau an einem Ziehbrunnen.69 Während ein ithyphallischer Silen durch aufreizende Gebärden vor ihr posiert,

Abb. 31 Eine Mänade erwehrt sich zweier zudringlicher Satyrn. Trinkschale, Außenbild; 520-500 v.Chr. Kopenhagen, Nationalmuseum 13407.

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Liebe und Verweigerung minder lüstern wiedergegeben - möchte unentdeckt das Ziel seiner Begierde erreichen, denn er schleicht sich dreist an die Auserwählte heran. Seine Annäherung läßt an ein jagendes Tier, die schlafende Frau an dessen Beute denken. Derartige Bilder sind von einer gewissen Spannung, die suggeriert, der Satyr vollziehe im nächsten Augenblick die sexuelle Vereinigung mit der Mänade. Drittens (Abb. 44): Der Satyr ist nahe an die Schlafende herangekommen. Er greift unter ihr Gewand, oder seine Hände berühren den Genitalbereich der Frau in zärtlich zugreifender Befingerung, die vom Betrachter erotisierend verstanden werden kann. Abb. 41a.b mit zwei weiteren Mänaden, die von Satyrn beschlichen werden, sei noch hinzugefügt. Mit der entspannt Schlummernden in Abb. 41 a wünscht sich ein Silen mit stark aufgerichtetem Glied zu vereinen. Seine Rechte hat er unter das Gewand der Frau gesteckt. Die linke Hand faßt in die rechte Kniekehle der Mänade. Mit festem, aber behutsamem Griff hebt er das Bein an, um ihren Schoß zu öffnen. Besorgt, sein Verlangen könne gestört werden, scheint er auf die Schlafende zu schauen. Vielleicht gilt sein Blick auch seinem ebenfalls erregten Gefährten, der hinter der Frau steht und im Begriff ist, sie am rechten Handgelenk und an der linken Schulter zu fassen. Die Szene in Abb. 41 b zeigt gewissermaßen die Fortsetzung des zuvor beschriebenen Ausschnitts. Erwacht und aufgerichtet nimmt die Mänade ihre Verehrer wahr. Sie erschrickt, schließt die Schenkel, signalisiert Verweigerung. Auch das Schwenken des Thyrsos bezeichnet ihre Ablehnung. Die Liebessehnsucht der Silene wird ungestillt bleiben. Alle bisher angeführten Darstellungen mit Satyrn bzw. Silenen, die sich in sexuellem Verlangen den Nymphen bzw. Mänaden ihrer Umgebung aufdrängen, offenbarten, daß die Werbenden letztlich ohne wirkliche Liebeszuwendung bleiben. Inmitten des umfangreichen Bildmaterials, das die Begierde der Satyrn und Silene in unterschiedlichster Intensität ausdrückt, lassen sich nur begrenzt Beispiele finden, die einen Satyrn bzw. Silen und seine Partnerin in zärtlicher Übereinstimmung wiedergeben. Zu nennen wäre ein dahinschwärmendes, sich umarmendes Paar in Abb. 45. Durch seine Harmonie steht es in auffälligem Gegensatz zu der Mänade und dem Satyrn in Abb. 35. In Abb. 45 treffen sich die Gesichter annähernd zum Kuß, und die Mänade gewährt dem Satyrn, mit sei-

Abb. 33 Ein Silen umwirbt eine Mänade. Trinkschale, Innenbild; um 460 v. Chr. Paris, Musee du Louvre G 448.

ner linken Hand in Oberschenkelhöhe unter ihren Chiton zu greifen. Auch in Abb. 40 begegnet man zwei Paaren in liebevoller Berührung. Die Mänade und der Satyr hinter Dionysos sind ausreichend erhalten, so daß deutlich wird, daß sie sich ihre Arme gegenseitig um die Schultern gelegt haben. Zärtlichkeit zwischen Mänaden und ihren Verehrern bezeugt ferner Abb. 46 mit einem Silen, der sich anschickt, eine

efeubekränzte, ihm zugeneigte Schöne zu küssen. Im Kunsthandel wurde vor wenigen Jahren eine fragmentierte Trinkschale angeboten, die das John Paul Getty Museum ankaufte und meines Wissens bisher nur in einer Kurznotiz 72 bekannt machte. Die Neuerwerbung darf hier vorgestellt werden (Abb. 47). Das Paar gehört zwar durchaus zu jenen Bildern, in denen lüsterne Gesellen aus dem dio-

Abb. 34 Ein Satyr bedrängt Mänaden. Trinkschale, Außenbild; 510-500 v.Chr. München, Staatliche Antikensammlungen, Museum antiker Kleinkunst 2589.

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Abb. 35 Eine Mänade stößt einen Satyrn mit ihrem Thyrsos zurück. Trinkschale, Innenbild; um 480 v.Chr. München, Staatliche Antikensammlungen, Museum antiker Kleinkunst 2654.

nysischen Zug schlummernde Mänaden beschleichen (Abb. 39, 41 a.b, 43, 44), stellt allerdings einen Sonderfall dar inmitten der betreffenden Denkmälergruppe, da das Paar in liebevollem Einvernehmen die Gesichter zum Kuß nähert und die Mänade ohne Zeichen von Abwehr gegen die Zudringlichkeit des Satyrn bleibt.73 Inmitten der vielfältigen Szenerie um

Abb. 36 Ein Satyr umschlingt eine Mänade. Amphora, um 520 v. Chr. Paris, Musee du Louvre G 2.

Mänaden und Satyrn b/w. Silene ist Liebeserfüllung durch Begattung äußerst selten dargestellt. In Abb. 42a.b vereinigen sich behaarte Silene - sie könnten Brüder des Küssenden aus Abb. 46 sein mit je einer Frau a tergo. Abb. 51 enthält eine innige Liebesszene. Man kann das Paar beim Vorspiel oder bei der Vereinigung verstehen. Der Satyr verharrt in federnder Stellung.

Abb. 37 Ein Silen bittet eine Mänade um ihre Gunst. Trinkschale, Innenbild; 470-460 v. Chr. Tarent, Museo Nazionale.

Weit nach vorn beugt er sich über die Mänade, die graziös, mit gespreizten Beinen auf seinem linken Oberschenkel sitzt. Ihr Gewand gibt den Schoß frei. Die Frau und der Satyr halten einander umarmt, tauschen Blicke und sind zum Kuß bereit. Die Fähigkeit des Künstlers, das schwierig zu gestaltende Bewegungsmotiv der Gruppe und die differenzierten Gefühlswerte der Partner vollendet wiederzugeben, ist beachtenswert. Letzteres gilt auch für die wesentlich später entstandene erotische Szene in Abb. 48. Wiederum bleibt es der individuellen Betrachtung überlassen, die Dargestellten im Aneinanderschmiegen oder beim Koitus zu rezipieren. Das Liebesspiel zwischen Satyr und Mänade wirkt dezent, trotz der weiten Spreizung der Beine und der Darbietung des Körpers. Die Protagonisten dieser klassischen Vasenmalerei wirken unbeschwert liebend, erscheinen beinahe schwebend in dem sie umgebenden Raum, der ohne jegliches Beiwerk74 bleibt, so daß allein die Gruppe den Blick ansaugt und ihn schweifen läßt über feine Gesichtszüge, minutiöse Frisurdetails, einfachen Kopf-

Abb. 40 Umarmungen im Gefolge des Dionysos. [> Amphora; um 540 v. Chr. Verschollen, früher Berlin V. I. 3210.

Liebe und Verweigerung

Abb. 38 Satyrn verschleppen eine Mänade. Amphora; 530-520 v. Chr. University of Chicago, David and Alfred Smart Gallery, E. P. Warren 1967.115.363.

33

Abb. 39 Ein Satyr beschleicht eine schlafende Mänade. Kanne; 430-420 v.Chr. Frankfurt, Museum für Vor- und Frühgeschichte VF ß 146.

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Erotik im Spiegel der Gottheit putz, gefällige Gewanddrapierung und raffinierte Bewegungskomposition. Mit Ausnahme des zuletzt besprochenen Vasenbildes, das um 400 v. Chr. oder gar erst zu Beginn des 4. Jhs. v. Chr. entstand, stammen alle zuvor behandelten Kompositionen mit Satyrn/Silenen und Mänaden dieses Teilkapitels (s. S. 28 ff., Kap. Liebe und Verweigerung im Umkreis des Dionysos) aus der breiten Zeitspanne des 6. und 5. vorchristlichen Jahrhunderts. Im Rahmen einer begrenzten Untersuchung kann nicht auf die zeitbedingte stilistische Entwicklung der betreffenden Vasenmalereien eingegangen werden. Auch die Verschmelzung unterschiedlicher Bilderwelten - zum einen mythische Szenen mit Mänaden und Satyrn/Silenen aus der Welt des Dionysos, zum ändern alltägliche Begebenheiten aus nächtlichen Festgelagen begüterter Athener Bürger - möchte ich nicht erörtern. Verwiesen sei auf detaillierte Beobachtungen zu Mänade-Satyr/Silen-Gruppen in der Dissertation von A. Schöne.75 Für das ausgehende 6. Jh. v. Chr. bestätigt sie die zuvor festgestellte Vielfalt der Mänadenverfolgung durch Satyrn und Silene, wobei die Frau einerseits relativ passiv bleibt (man vergleiche hier Abb. 28, 29a, 34, 38), dem Zudringlichen andererseits auch das Unterliegen droht (vgl. hier Abb. 36). Ferner bekräftigt die umfangreiche Materialauswertung A. Schönes, welche Popularität und gefühlsintensive Abb. 41 a Satyrn beschleichen eine schlafende Mänade. Trinkschale, Außenbild; 490-480 v. Chr. Boston, Museum of Fine Arts 01.8072. Abb. 41 b Satyrn umwerben eine Mänade. Korrespondenzbild zu Abb. 41 a.

Abb. 42a Liebesvereinigung zwischen Nymphe und Satyr. Trinkschale, Außenbild; um 530 v. Chr. Würzburg, Martin von Wagner-Museum L 164.

Abb. 42b Liebesvereinigung zwischen Nymphe und Satyr. Gruppe an der gleichen Außenseite der Trinkschale wie Abb. 42a.

Liebe und Verweigerung

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Abb. 43 Ein Satyr nähert sich einer schlafenden Mänade. Trinkschale, Außenbild; 510-500 v. Chr. Berlin, Antikenmuseum (Charlottenburg), Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz 3232.

Abb. 44 Ein Silen befingert eine schlafende Mänade. Hydria; um 500 v. Chr. Rouen, Musee des Antiquites.

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Abb. 45 Mänade und Satyr. Trinkschale, Innenbild; um 480 v. Chr. New York, Metropolitan Museum of Art 06.1152.

Erotik im Spiegel der Gottheit Aussage jene Vasenbilder aus der ersten Hälfte des 5. Jhs. v.Chr. besaßen, in denen eine überlegene, groß und hoheitsvoll gestaltete Mänade abgebildet ist, die einen in bezug auf sein Sehnen aussichtslos agierenden kleineren Satyrn beherrscht (vgl. hier Abb. 35, 37). Ebenfalls die oben diskutierten Szenen mit Satyrn, die schlafende Mänaden beschleichen, wurden von A. Schöne analysiert und dahingehend gesondert, daß die lüsternen Gesellen in der spätarchaischen Zeit recht aktionsfreudige Annäherungen betreiben (vgl. hier Abb. 41 a.b, 43, 44, 47), während sie sich in klassischer Zeit wesentlich zurückhaltender dem Ziel ihrer Wünsche nähern (vgl. hier Abb. 39). Ein Rückblick auf die Vasenbilder, die zur Dokumentation der Liebeserfüllung in der dionysischen Welt herangezogen werden konnten, führt mit Ausnahme des klassischen Vasenbildes Abb. 48 zu archaischen Gefäßmalern außerattischer Ateliers. Zwei Kompositionen (Abb. 40, 46) stammen vom Amasis-Maler.76 Bei ihm handelt es sich um eine Künstlerpersönlichkeit, dessen Werk Züge beinhaltet, die in der Gesamtheit der attischschwarzfigurigen Vasenmalerei fremdartig wirken. Die Beispiele der Abb. 42a.b gehören der chalkidischen Gattung77 an. Das Detail in Abb. 51 befindet sich auf einer Caeretaner Hydria. 78 Bei den Abb. 40, 42a.b, 46, 51, die «Liebesglück» der Satyrn dokumentieren, handelt es sich also um nicht-attische Bildfindungen. Dieser Befund intendiert folgende Fragen: Könnte eine intensivere Auswertung - eine solche müßte auf einer katalogartigen Erfassung aller erfüllten und unerfüllten Liebesszenen des Dionysischen Kreises, der Gelageszenen des Alltags, ferner der gesamten frühen Erotika aus anderen Themenkreisen beruhen - dazu verhelfen, eine unterschiedliche Darstellung des Sexuellen in den verschiedenen Kunstzentren der archaischen griechischen Welt festzuschreiben?79 Werden sich die Gegensätze so deutlich herausschälen, daß die andersartige Gestaltung der Erotika und die ihr zugrundeliegende unterschiedliche Auffassung des Geschlechtlichen durch bestimmte Bevölkerungsgruppen auf deren spezielle, kulturhistorische, vielleicht sogar gesellschaftliche Gegebenheit hinweisen? Abb. 46 Mänaden und Satyrn. Amphora, Fragment; um 540 v. Chr. Verschollen. Der ehemalige Aufbewahrungsort ließ sich nicht ermitteln.

Satyrn - Silene

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Satyrn - Silene Satyrn bzw. Silene, Begleiter des Dionysos, wurden in ihrer Erscheinungsweise als Mischwesen aus Mensch und Pferd bereits beschrieben (s. S. 24ff., Kap. Allgemeines zu Dionysos). Die Version einer qualitätvollen Bronzestatuette eines tanzenden Satyrn (Abb. 54), die wahrscheinlich ein korinthischer Künstler80 schuf, sei hier zur weiteren Anschauung einbezogen, ungeachtet der Tatsache, daß das bekannte Exemplar den Umsatz der zeitgenössischen Postkartenindustrie Griechenlands ungemein fördert. Vasenmalereien, die die ständige Bereitschaft des Satyrn bzw. Silens zur sexuellen Betätigung mit Frauen im Ambiente des Dionysos bezeugen (s. S. 28 ff., Kap. Liebe und Verweigerung im Umkreis des Dionysos), sind sicherlich als erotische Zeugnisse einzustufen. Es läßt sich zusammenfassen: Bei allen Szenen mit erfolglosen oder erfolgreichen Werbungen der Satyrn und Silene um Mänaden liegt eine gewisse erotische Prägung vor, die nicht ausschließlich, aber in beachtlichem Grade von der pointierten ithyphallischen Darstellung der Protagonisten ausgeht (Abb. 27-31, 33-36, 38, 40, 41a.b, 43-45). Ob erotische Nuancierung durch die Hervorhebung des Gliedes nun auch bei dem einzeln dargestellten Satyrn empfunden wird, ist von individueller Sehweise abhängig. Erotisches mag für manche Betrachtenden auch jenen Schöpfungen innewohnen, die einen einzelnen Satyrn mit übertrieben großem und erigiertem Genital zeigen, wie das in Abb. 54 eingeblendete Beispiel. Derartiges Bildmaterial ist höchst ergiebig. Der Erregte erscheint profil- oder frontalansichtig in ruhiger oder rascher Bewegung. Während der Silen in Abb. 56 mit andächtigem Gesichtsausdruck feierlich nach rechts schreitet und einen großen Skyphos in den weit vorgestreckten Händen trägt, läuft ein anderer (Abb. 49) geschwind nach rechts. Er blickt sich um und lächelt verschmitzt. Die Auloi hält er zum raschen Einsatz bereit in beiden Händen. Sein erigiertes Glied benutzt er als Hängevorrichtung für das Flötenetui. In vergleichbarem Bewegungsmotiv versteht man den Satyrn, der zwei Weinbehälter mit sich führt (Abb. 50). Jede Hand faßt einen Kantharos, jenen Trinkbecher mit zwei hochgezogenen Henkeln, der vorzüglich Dionysos zugeordnet ist, geradezu als Attribut des Weingottes gelten darf, zuweilen aber auch vom dionysischen Gefolge getragen wird, wie

Abb. 47 Satyr umwirbt Mänade. Trinkschale, Innenbild; 500-490 v. Chr. Malibu, The John Paul Getty Museum 86. A E. 6007.

Abb. 48 Mänade und Satyr beim Liebesspiel. Trinkschale, Innenbild; um 390 v. Chr. Würzburg, Martin von Wagner-Museum L 492.

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Abb. 49 Laufender Satyr mit Auloi und Flötenetui. Teller; um 510 v.Chr. Paris, Bibliotheque Nationale 509.

Erotik im Spiegel der Gottheit

Abb. 50 Hockender Satyr mit zwei Kantharoi. Trinkschale, Innenbild; um 500 v. Chr. Malibu, The John Paul Getty Museum 80.AE.31.

eben hier von dem einzelnen Satyrn in Abb. 50. Auf einem solchen Kantharos (Abb. 57a), der in Form von zwei Gesichtern gebildet ist, erscheint auf dem einen Halsabschnitt der Figurenvase ein liegender, die Auloi blasender Silen. Das Korrespondenzbild der anderen Gefäßseite (Abb. 57b) zeigt einen an Weinschlauch b/w. Kissen gelehnten Silen. Letzterer mutet an, als wolle er augenblicks aufspringen und zum Geklapper der Krotalen in seinen Händen tanzen, um dann einem Artgenossen im Innenbild einer Trinkschale81 aus den Jahren um 500 v. Chr. zu gleichen. Auch auf Silene bei der Selbstbefriedigung ist zu verweisen. Sie werden zuweilen in hockender Stellung abgebildet. Besondere herb-komische Drastik im «Vorher-Nachher-Effekt» setzen die beiden Exemplare von einer Vase frei, die hier in Abb. 58 nebeneinander eingeblendet sind. Eine Gefäßseite zeigt den mit weit gespreizten und angewinkelten Beinen sitzenden Silen frontalansichtig bei der Masturbation seines riesigen, pfahlartig aufragenden Penis. Die andere Amphorenseite gibt ihn mit überdimensioniertem, schlaff herabhängenden Glied wieder. Diesen Silenen im Gesamtcharakter der Darstellung sehr verwandt ist der

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Abb. 51 Liebeserfüllung zwischen Nymphe und Satyr. Hydria; 530-520 v. Chr. Wien, Kunsthistorisches Museum IV 3577.

Satyrn - Silene

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Abb. 52 Silen im Waffenlauf. Amphora, 520-500 v. Chr. Berlin, Antikenmuseum (Charlottenburg), Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz 1966.19.

Abb. 53 Ein Satyr befriedigt sich mittels einer Spitzamphora. Trinkschale, Innenbild; um 500 v. Chr. Kassel, Staatliche Kunstsammlungen, Antikenabteilung Alg 214.

Abb. 54 Bronzestatuette eines erregten Satyrn. 470-460 v. Chr. Athen, Nationalmuseum, Sammlung Carapanos 22.

Abb. 55 Tanzender Satyr. Satyrschauspieler. Volutenkrater; um 400 v. Chr. Neapel, Museo Nazionale 3240.

Erotik im Spiegel der Gottheit

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Artgenosse in Abb. 59, der den Platz unter dem Gefäßhenkel füllt. Auf einem Aryballos82 aus der Zeit um 560 v. Chr. weisen sogar die Namensbeischriften Terpekelos, Psolas, Dophios - auf Masturbation hin. 83 Folgendermaßen charakterisiert K. J. Dover84 eine Gruppe von Satyrn: «Sie masturbieren ständig, wenn kein Lebewesen mit einer passenden Öffnung zur Verfügung steht.» Zuweilen werden Hilfsmittel zur Selbstbefriedigung eingesetzt. So verwendet ein Satyr (Abb. 53) eine Spitzamphora zur sexuellen Entspannung. Sicherlich eigenartig für zeitgenössische Betrachtungsweise offenbart sich der im Waffentanz85 nach rechts eilende Silen (Abb. 52) mit Schild und Stock, dessen erigiertes Glied wie ein Bestandteil der Bewaffnung wirkt. Im Rahmen dieser Untersuchung kann nicht erörtert werden, inwieweit die betreffenden Satyrdarstellungen in einen Zusammenhang gehören mit dem künstlich aufgebundenen Glied des Silensbzw. Satyrkostüms bei Theateraufführungen, wie man es auf Gefäßen mit Illustrationen zu dem betreffenden Themenkreis wahrnimmt. 86 Der einzelne auf den efeugeschmückten Kolonettenkrater zuschreitende Silen in Abb. 60 und der tanzende Satyr aus einer vielfigurigen Szene87 der Abb. 55 sind als Belege eingeblendet. Als Erotika würde man sie nur höchst bedingt ansprechen. Das gilt auch für die Silene in der Weinlese-Szene (Abb. 61) und für den Artgenossen, der

Abb. 57a Kantharos in Form eines doppelten Frauenkopfcs. Liegender Satyr, flötend. 490-480 v. Chr. New York, Metropolitan Museum of Art 12.234.5.

Abb. 57b Liegender Silen mit Krotalen. Gegenseite zum flötenden Satyrn aus Abb. 57a.

Abb. 56 Schreitender Silen mit Skyphos. Weinmischgefäß (Kolonettenkrater); 470-460 v.Chr. New York, Metropolitan Museum of Art 16.72.

sein erigiertes Glied als Stütze für den Balanceakt mit dem Kantharos einsetzt (Abb. 62). F. Lissarague hat jüngst Vasenbilder von Satyrn 88 unter anatomischen und sexuellen Gesichtspunkten erörtert und somit auch ihr nicht obligatorisches, aber zumeist unproportioniert großes Genital in Erektion beschrieben (vgl. hier Abb. 27-31, 33, 35, 36, 38, 40, 41, 43-45,

49, 50, 52, 54, 56-59). Er verweist, eine antike Schriftquelle und frühere Untersuchungen zitierend, auf die lächerlich komische Komponente derartiger Bilder und setzt sowohl die frontale Haltung als auch das Hocken mit gespreizten Beinen in eine Beziehung zu Darstellungen, die Männer bei der Darmentleerung oder Vertreter minderen Standes - etwa Sklaven - meinen. Lissarague warnt vor dem

Esel falschen Verständnis, das Ithyphallische als positives Zeichen übermännlicher Kraft zu sehen. Seine Auffassung ist durchaus nachzuvollziehen und steht in keinem Gegensatz zur hier geäußerten Meinung (s. S. 24ff., Kap. Allgemeines zu Dionysos), daß überzeichnete sexuelle Erregung tierisch-unkontrollierte Fertilität ausdrückt. Diese wird, wie zuvor einleitend bei der Besprechung von einzelnen Satyrbildern ohne den erotischen Kontext mit Mänaden schon angedeutet, heute wahrscheinlich nur von einer begrenzten Betrachtergruppe als erotisch bzw. erotisierend empfunden.

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Abb. 58 Silen. Sexuell erregt, sexuell entspannt. Amphora; um 530 v. Chr. Berlin, ehemals Staatliche Museen Berlin (Ost) F 1671.

Esel Innerhalb des dionysischen Themenkreises mit den kaum zählbaren lüsternen Satyrn ist abschließend noch auf die vielfältigen Esels- bzw. Maultierdarstellungen89 einzugehen, die vorbehaltlich den Erotika zuzurechnen sind, weil sie wie die Satyrn und Silene mit übertrieben großem und erigiertem Glied gemalt sind. Sie tragen Dionysos selbst (Abb. 64, 65) oder Mitglieder seines Gefolges (Abb. 63, 66). In Abb. 64 reitet Dionysos, sein Trinkhorn haltend, auf dem Tier. Ein Satyr eilt voraus, eine Mänade folgt. Abb. 65 zeigt einen Satyrn, der in gleicher Erregung und mit identischer Behaarung gekennzeichnet wie der auf ihn zukommende Esel mit seinem göttlichen Reiter - dem Tier einen Kantharos reicht. In moderner Betrachtung liegt eine ironische Feierlichkeit über diesem Bild, in dem Dionysos annähernd zierlich und unscheinbar wirkt neben den größeren, kräftigeren Gestalten des Satyrn und des Esels in ihrer deutlich gemachten sexuellen Potenz. Abb. 66 umschreibt dionysische Sinnenfreude in unterschwellig beziehungsreicher Komposition, wenn der Penis des Satyrn und des erregten Maultiers zwangsläufig in die gleiche Richtung weisen, nämlich auf den voranschreitenden Gott. Ein witziger Zug überspannt die Detailszene in Abb. 63. Er entsteht durch den beherzten Griff des Silens an den Schwanz des Esels, der eine Reaktion des Tieres denken läßt, die seine gelassene Reiterin mit dem Rhyton in ihrer Hand aus der Balance bringen

Abb. 60 Silen, auf ein Weinmischgefäß zueilend. Satyrschauspieler. Trinkschale, Innenbild; um 460 v. Chr. Paris, Musee du Louvre G 448.

Abb. 59 Silen in sexueller Erregung. Amphora; um 520 v. Chr. München, Staatliche Antikensammlungen, Museum antiker Kleinkunst 1488.

Erotik im Spiegel der Gottheit

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Abb. 6l

Satyrn bei der Weinverarbeitung. Amphora; um 530 v. Chr. Würzburg, Martin von Wagner-Museum L 265.

könnte. Die besprochenen und zahlreiche andere vergleichbare Bilder90 lesen sich zuweilen wie eine geistreiche Karikatur zu den im Dionysischen verankerten Fruchtbarkeitsbezügen. Im Kontext mit den Eseln, deren ithyphallische Darstellung als unmißverständliches Zeichen für Fruchtbarkeit rezipiert wird und deren kanonische Einbindung in den Thiasos die Beziehung zu

Dionysos offenbart, sei ein Trinkgefäß angeführt.91 Es handelt sich um einen Kantharos, also jenen Trinkbecher mit zwei hochgezogenen Henkeln, der Dionysos attributiv zugeordnet ist. Das betreffende Stück endet auf einer Seite in einem plastisch geformten Eselskopf. Die übrige Gefäßwand ist figürlich bemalt, unter anderem mit einem ithyphallischen Satyrn. Augenfälliger als in die-

sem Kantharos läßt sich die Verknüpfung des Esels mit der Ikonographie des Dionysischen Kreises kaum belegen. Die zuvor aneinandergereihten Beobachtungen zur Darstellung des Esels in der Welt des Dionysos sollten dem interessierten Leser Anlaß sein, eine Studie von H. Hoffmann 92 nachzulesen, in der er Bilder erregter Esel im Thiasos nicht nur nach archäologischen, sondern auch

Abb. 62 Zechende Satyrn. Psykter; 500-470 v. Chr. London, British Museum E 768. - Abb. 63 Mänade auf einem Esel im dionysischen Zug. Trinkschale, Außenbild; Ende 6. Jh. v.Chr. Athen, Museum Canellopoulos 2572.

Esel unter psychoanalytischen und soziologischen Aspekten bespricht. Es bleibt festzuhalten: Erotische Komponenten im Umkreis des Dionysos manifestieren sich hinreichend in den Aktionen seines Gefolges. Ferner offenbart die sexuelle Erregung, die ständig bei den Silenen bzw. Satyrn und Reittieren des Thiasos sichtbar gestaltet wird, wie eng das zeugungsbereite Glied mit dem religiösen Bereich des Dionysos zu verbinden ist. J. D. Beazley versteht den Phallos als «alternative symbol of Dionysos» («als wahlweises Symbol für Dionysos»).93 In diesem Zusammenhang sollte abschließend darauf hingewiesen werden, daß es sich eingebürgert hat, die Benennung «Phallos»94 gleichermaßen für das erigierte Glied des Mannes im realen Leben als auch für das des Satyrn und Silens in der mythologischen Welt zu gebrauchen. In gleichen Sinne wird die Umschreibung «ithyphallische Darstellung» verwendet. Ursprünglich meint «Phallos» das männliche Glied, besonders in nachgebildeter Gestalt, in sakraler oder superstitiöser Form, und «ithyphallisch» bezieht sich auf die Ausstattung mit einem künstlichen Phallos, eine für die Tänzer im Dionysoskult übliche Kostümierung (vgl. Abb. 55, 60).95

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Abb. 64 Dionysischer Zug. Mastos; 530-520 v.Chr. Paris, Bibliotheque Nationale (Cat. de Ridder) Nr. 352.

Abb. 65 Dionysischer Zug. Trinkschale, Außenbild; um 500 v. Chr. Würzburg, Martin von WagnerMuseum H 1646.

Abb. 66 Dionysischer Zug. Amphora; 570-550 v.Chr. Oxford, Ashmolean Museum 1920.107.

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Erotik und männliches Genital

Unbestreitbar erotisch sind zahlreiche Szenen aus dem Ambiente des Dionysos, in denen die dem Gott folgenden Silene bzw. Satyrn mit aufgerichtetem Glied in sexueller Begierde den Nymphen bzw. Mänaden nachstellen. Das konnte ausreichend dokumentiert werden (s. S. 28ff., Kap. Liebe und Verweigerung im Umkreis des Dionysos). Zu fragen bleibt: Gehen derartige erotische Signale auch vom Penis aus, wenn er nicht als physischer Bestandteil zur menschlichen oder menschlich-fabulösen Figur gehört, sondern als eigenständiges Objekt in der Darstellung erscheint? Sehr umfangreich ist das Material archäologischer Denkmäler, das bei der Auseinandersetzung mit diesem Themenkreis ausgewertet werden muß. Es gibt Gefäße in Form eines männlichen Gliedes, wie das Rhython (Abb. 79) oder die Schale mit ausmodellierten Phallen (Abb. 67), aus denen vermutlich beim Gelage getrunken wurde. Auch die Verwendung bei Kulthandlungen ist denkbar. Viele plastisch geformte männliche Genitalien96 gelangten als Geschenk an die Gottheit ins Heiligtum. Salbölbehälter97 in Phallosgestalt (Abb. 80) wurden benutzt. Eine erotische Rezeption solcher phallischer Bildungen ist erwägbar. Aber sie verwischt sich aufgrund der Funktion der «Phallosgefäße», sei es durch ritusnahe Verwendung beim Symposion, durch den Einsatz als Votiv oder durch die Nutzung als Salbölspeicher.98 Einige weitere Denkmäler, zumeist bemalte Vasen, zeigen nun Szenen, in denen der Phallos ebenfalls ohne den zugehörigen männlichen Körper abgebildet wird. Hier kann das Glied in Holz, Ton oder Teig gemeint sein. Ferner gilt es den Phallos aus Stein einzubeziehen. Wiederum stellt sich die Frage: Haben auch diese Kompositionen erotische Wirkung?

Ein Glied aus Holz Abb. 69a.b gibt die Außenseiten einer häufig besprochenen und abgebildeten" Trinkschale wieder. Sechs Männer schleppen einen langen Untersatz, auf dem sich die Nachbildung eines riesigen

Abb. 67 Trinkschale; Ende 6. Jh. v.Chr. Oxford, Ashmolean Museum 1974.344.

hölzernen Phallos befindet. Es ist ein Baumstamm, an seiner Spitze abgerundet, mit einem Auge und zwei stummeiförmigen, tierkopfähnlich stilisierten Ohren. Bänderschmuck verziert die Phallosspitze. In Abb. 69b verharrt ein Dickbäuchiger über dem Phallos, in Abb. 69a krümmt sich ein Silen über den Stamm, seinerseits noch eine männliche Figur auf dem Rücken schleppend. Die Träger des Phallosbaumes dieser Seite sind ithyphallisch gebildet. Ihr Phallos mag als Kostüm zu denken sein. Moderne Betrachtungsweise rezipiert in den beschriebenen Bildern wohl kaum erotische, eher komische Züge, wie sie auch von dem Teilnehmer einer Phallosprozession ausgehen, der sich heutigen Karnevalsbräuchen vergleichbar maskiert hat. Er trägt einen Phallos auf seinem Stirnkranz, einen anderen auf seiner Nase. 10° Desgleichen unerotisch, aber wie die Bilder auf der Schale in Abb. 69a.b Fruchtbarkeitsrituale wirkungsvoll demonstrierend, ist eine interessante Statuettengruppe aus Ton zu nennen.101 Sie besteht aus sechs schreitenden Personen, die zu drei Paaren mit kleinem Abstand hintereinander angeordnet sind und einen beschnittenen, mit Binden geschmückten Phallos auf ihren Schultern transportieren. Es handelt sich um eine vermutlich erst in hellenistischer Zeit entstandene Phallophorie, die im ägyptisch-griechischen Kulturkreis anzusiedeln ist. Darstellungen dieser Art führen in den Bereich dionysischer Feste. Umzüge wie die zuvor erwähnten, in denen ein künstlicher Phallos mitgeführt

wurde, waren allerorts anläßlich der Dionysosfeiern102 üblich. Gemäß einer Überlieferungsvariante sind die Phallosprozessionen folgendermaßen entstanden. Der Arzt und Zauberer Melampus, der die Sprache der Vögel und Schlangen verstand, errang mittels seiner Kunst die Herrschaft über die Argiver. Er ließ Phallophorien veranstalten, bei denen nicht nur der gewaltige Phallos, sondern auch die Kteis, das weibliche Geschlechtsorgan, in Nachbildungen mitgeführt wurde. So gilt Melampus als Begründer des Dionysoskultes bei den Argivern.103 In vielen Varianten gab es Prozessionen mit übergroßen künstlichen Phallen. Sie gehörten ebenfalls zu den ländlichen und städtischen Dionysien in Attika. Der Hauptakt des ländlichen Dionysosfestes war die Pompe, ein feierlicher Opferzug, der sich ausschnitthaft in einer Komödie

Abb. 68 Eine Hetäre trägt ein Gefäß mit Phallen. Vasenfragment; 490-480 v. Chr. Berlin, Antikenmuseum (Charlottenburg), Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz F 2275.

Ein Glied aus Ton des Aristophanes104 widerspiegelt. Dort wird folgendes beschrieben: Die Tochter des Dikaiopolis trägt einen mit Opfergaben gefüllten Korb. Zwei Sklaven folgen ihr. Sie halten eine Phallosnachbildung aufrecht. Als letzter schreitet Dikaiopolis und singt das Phallikon, ein Lied zu Ehren des Phales, der göttlichen Verkörperung des Phallos. Der Phallos ist hier wohl nicht als Symbol des Dionysos zu verstehen, sondern als selbständiger Fruchtbarkeitsgott, dessen Kult von Dionysos aufgesogen wurde. Die ursprünglichen Dionysien könnten eine rein phallische Begehung gewesen sein. Später wurde Phales, wie es auch in dem Lied des Dikaiopolis zum Ausdruck kommt, ein Gefährte des großen Gottes. Auf die attischen ländlichen Dionysien bezieht L. Deubner eine Textstelle bei Plutarch, die von einer Dionysos-Pompe berichtet. Da wurden eine Amphora mit Wein und eine Rebe vorangetragen. Eine Person mit einem Bock als Opfertier folgte, eine weitere mit einem Korb voller Feigen schloß sich an. Zuletzt kam der Phallos. Aus dieser Reihenfolge des Zuges läßt sich ableiten, daß sich die dionysische Schicht der ursprünglich phallischen vorgelagert hat. Korb und Phallos sind die alten Elemente, die auch in der Prozession der aristophanischen Komödie begegnen. Wein, Rebe und Bock gelten als spezifisch dionysisch. Außer der Pompe gab es bei den ländlichen Dionysien auch die Komoi, also dionysische Schwarmzüge, die in einen Konkurrenzkampf treten konnten, vielleicht dann, wenn sich mehrere Gemeinschaften zu einer Feier vereinigten. 105 Wie bei den ländlichen Dionysien spielte die Phallosprozession auch bei den jüngeren städtischen Dionysien eine bedeutende Rolle. Es ist denkbar, daß sie zu Ehren des aus Eleutherai nach Athen überführten Dionysos eingerichtet wurden. Wahrscheinlich bestanden sie aus drei verschiedenen Festzügen: Transport des Götterbildes des Dionysos zwischen heiligen Orten, Opferprozession (Pompe), Schwarmzug (Komos). Der Komos bildete mit seinem «Fastnachtstreiben» aus Spötterei und Neckerei einen Gegensatz zu der hieratischen Strenge der Pompe. Die große Bedeutung des Phallos anläßlich der Dionysosfeste steht außer Frage. Und so erklärt sich denn auch eine überlieferte Verfügung. Die Kolonie Brea hatte anläßlich ihrer Gründung den städtischen Dionysien einen Phallos zu übersenden. Solche Auflagen lassen sich auch bei anderen Kolonien des griechi-

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Abb. 69a Dionysische Prozession mit einem Phallos aus Holz. Trinkschale, Außenseite; Mitte 6. Jh. v. Chr. Florenz, Archäologisches Museum 3897.

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Abb. 69b Korrespondenzbild zu Abb. 69a.

sehen Mutterlandes annehmen. Der Phallos aus Holz war vermutlich obligatorischer Bestandteil der feierlichen Pompe bei den Dionysien. Spärlich sind die bildlichen Überlieferungen zu Phallosumzügen anläßlich dionysischer Feste. Aus dem Bereich der Vasenmalerei kann ich nur ein Beispiel (Abb. 69a.b) anführen. Dieses gäbe somit Riesenphalloi aus Holz in einer Pompe wieder. Wie bei der Beschreibung der betreffenden Schalenbilder schon herausgestellte wurde, dürften diese monumentalen Aufbauten männlicher Genitalien inmitten kleinfigurig gemalter Zugteilnehmer ausschließlich als Bestandteile von Fruchtbarkeitsritualen interpretiert und kaum als erotische Kunstäußerung zu verstehen sein, wenngleich sie die Phallosabbilder mit einer erotischen Begebenheit des Mythos verknüpfen lassen, denn Clemens von Alexandria106 erzählt: Dionysos will in den Hades hinabsteigen, ohne den Weg zu kennen. Ein gewisser Prosymnos bietet seine Hilfe an. Als Gegenleistung verlangt er, daß sich Dionysos sexuell mit ihm vereine. Der Gott läßt sich helfen, nachdem er geschworen hat, sich dem

Prosymnos bei seiner Rückkehr aus dem Totenreich hinzugeben. Als Dionysos die Forderung einlösen möchte, ist Prosymnos gestorben. Der Gott opfert ihm, streckt sich auf seinem Grabe aus und wird von Begierde erfaßt. Daraufhin schneidet er von einem Feigenbaum einen Ast ab, gibt diesem die Form des männlichen Gliedes, richtet es auf, senkt sich darauf hinab und löst so seinen Eid ein, den er dem Prosymnos geschworen hat. Zur Erinnerung an dieses Geschehen werden in den Städten zu Ehren des Dionysos Abbilder des Phallos errichtet.107 Eine Überlieferung verweist sogar auf einen vergoldeten Holzphallos. In hellenistischer Zeit soll anläßlich der Prozession des Philadelphos ein goldener Phallos von 120 Ellen Länge einhergefahren worden sein. Er war bemalt und mit vergoldeten Bändern und einem goldenen Stern an der Spitze geschmückt. l08

Ein Glied aus Ton Auf dem Gefäß in Abb. 70 erscheint wiederum ein männliches Glied riesigen Ausmaßes. Der isolierte Phallos mit

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Erotik und männliches Genital

Abb. 70 Hetären neben einem Phallos aus Ton. Trinkschale, Innenbild; 490 v. Chr. Rom, Villa Giulia 50404.

Abb. 71 Eine Frau besprengt Phalloi aus Ton. Pelike; um 430 v. Chr. London, British Museum E 819.

deutlicher Angabe der Hoden schafft eine erotische Nuancierung, allerdings nicht infolge seines kraftvoll-monumentalen Aufragens, sondern aufgrund seines Bildzusammenhangs. Ein Frauenpaar umrahmt das «Monument», das man sich aus Ton geformt vorzustellen hat. Die Bekleidete tanzt erregt vor ihm. Die Nackte scheint es zu stützen, zu betasten oder zu sich heranzuziehen. Mit ihrer Zehenspitze weist die Tanzende in den Schambereich der Gefährtin. Vor dem aufgerichteten Phallos kann diese Bewegung als Zeichen für heterosexuelle Vereini-

gung gelesen werden, das der Vasenmaler ganz bewußt einsetzte. Ein großes, solitäres Genital wird zum Götterbild, das die Frauen in seinen Bann zieht. Heutige Sehweise nimmt das Geschehen mit ambivalenten Gefühlen auf. Man spürt deutlich die Erotik, die aus dem Wechselspiel von Religiosität und Sinnlichkeit erwächst, aber man empfindet Befremden, das männliche Sexualorgan als heiliges Objekt zwischen Begierde und Anbetung zu rezipieren. Während der tönerne Phallos in Abb. 70 bereits aufgerichtet ist, zeigt Abb. 72

Abb. 72 Eine Hetäre trägt einen Phallos aus Ton. Kolonettenkrater; um 470 v. Chr. Berlin, ehemals Staatliche Museen Berlin (Ost) 3206.

Abb. 73 Drei Scheiden und ein geflügelter Phallos. Teller; 4. Jh. v. Chr. Athen, Nationalmuseum 510/2830.

eine Frau, die sich mit einer Phallosnachbildung aus Ton auf dem Weg zur Aufstellung des Kultgegenstands befinden mag. Für die erotische Aussage dieses Vasenbildes gilt ebenfalls, was für das zuvor besprochene herausgestellt wurde. Nicht durch die isolierte Präsentation des monströsen Gliedes, das in Abb. 72 wie ein behäbiger Fisch wirkt, bringt der Vasenmaler einen erotischen Aspekt in sein Bild, sondern durch die Art, wie er den Phallos mit den umgebenden Darstellungen, hier der einzelnen nackten Frau, vergesellschaftet. Sie trägt den Phallos so, als benutze er ihren angewinkelten Arm wie einen Durchschlupf. Dominierend breitet er sich horizontal vor der Frau in die Fläche, nur soviel von ihrem Körper verdeckend, daß Brüste, Bauch, Scham und Gesäß sichtbar bleiben. Die Leichtigkeit, mit der die Frau einherschreitet und den Phallos locker in ihren zierlichen Händen hält, will nicht passen zu dem gewichtigen Gebilde, das sie schleppt. Die beiden Dokumente in Abb. 70, 72 belegen Phallosverehrung im Umkreis der Haloa109, des Tennenfestes, das zu Ehren der Göttinnen Demeter und Köre gefeiert wurde, um vegetative Fruchtbarkeit zu begünstigen. So stellte man während der Haloa große tönerne Phallen

Ein Glied aus Ton

47

Abb. 74 Eine Frau enthüllt einen Korb mit Phalloi aus Teig. Amphora; um 470 v. Chr. Paris, Petit Palais 307.

Abb. 75 Phallosvogel. Skyphos; 1. Hälfte des 5. Jhs. v.Chr. Boston, Museum of Fine Arts 08.31c.

Abb. 76 Phallosvogelreiterin. Kyathos; 520-500 v. Chr. Berlin, Antikenmuseum (Charlottenburg), Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz 2095.

auf, nach Art des in Abb. 70 zwischen den beiden Frauen aufragenden oder des in Abb. 72 von der Frau getragenen Exemplars. Auch kleinere Phallosnachformungen aus Ton scheinen üblich gewesen zu

sein. 110 Ein Vasenbild (Abb. 71) illustriert eine Art Befruchtungszauber. Aus der zarten, aufkeimenden Saat ragen vier kleine, in die Erde gesteckte Phalloi auf. Sie werden von einer bekleideten Frau besprengt oder bestreut. Diese Darstel-

lung ist, im Gegensatz zu den in Abb. 70, 72 wiedergegebenen, ohne jede erotische Färbung. Hier kann nicht erörtert werden, inwieweit das Bild eine Interpretation bezüglich des Adonisfestes ermöglicht, bei dem die Frauen Saaten keimen

Abb. 77 Marmormonument eines Phallos aul rechteckigem Unterbau mit Reliefs. Weihgeschenk des Karystios; Ende 4./Anfang 3. Jh. v.Chr. Delos.

Abb. 78 Phallosvogelreiter. Kanne; um 450 v. Chr. Athen, Museum Canellopoulos 401.

Erotik und männliches Genital

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Abb. 79 Rhyton in Form eines männlichen Gliedes. Ende 3. Jh. v.Chr. Pella, Archäologisches Museum 83.940.

lassen und mittels dieses Brauchtums die magische Neubelebung der Natur beschwören. n i Vorherrschaft der geschlechtlichen Symbole, Freude des Mahles und Genuß des Weines kennzeichneten die Festbräuche anläßlich der Haloa. Die Frauen trugen Bilder von weiblichen und männlichen Symbolen. Angeblich ermunterten die Priesterinnen der Göttinnen heimlich zu unerlaubter Liebe. Auch Hetären (s. S. 56 ff., Kap. Erotik bei Hetären und Männern) nahmen an dem Fest teil.

Ein Glied aus Teig Bei den zuvor skizzierten Bräuchen anläßlich der Haloa soll es üblich gewesen sein, männliche Genitalien aus Teig herzustellen und sie als Backwerk auf den Tisch zu legen. Nur wenige Denkmäler sind erhalten, auf denen Phalloi sichtbar werden, die man vorbehaltlich als solche anläßlich der Haloa zubereitete Gebäckstücke verstehen darf.

Auf dem Fragment eines bemalten Gefäßes (Abb. 68) ist eine nackte Frau zu erkennen. Sie hockt neben einem Korb mit mehreren, als gebacken vorstellbaren Phallen. Es blieb zuwenig von der Darstellung, daß sie sich auf ihre erotische Wirkung hin untersuchen ließe. Obgleich in Abb. 81 keine Teigphallen deutlich werden, könnten die zwei Frauen des Vasenbildes sehr wohl mit der Herstellung des betreffenden Backwerks beschäftigt sein. Ihre Tätigkeit wurde als häusliche Arbeit - Waschen oder Mahlen von Getreide - aufgefaßt und der Phallosvogel (s. hier S. 48, Kap. Phallosvogel) über dem Frauenpaar als bezeichnendes Motiv innerhalb der Szene erklärt, weil er einen gewissen Zusammenhang mit manchen Brunnenszenen und ihrem erotischen Einschlag herstelle.112 Ich möchte den betreffenden Phallosvogel eher in symbolhafter Verknüpfung mit der Anfertigung von Teigphallen anläßlich der Haloa sehen. Diesen Deutungsversuch stützt eine Amphorendekoration (Abb. 74), die ebenfalls das dichte Nebeneinander von Phalloi aus Teig und Phallosvogel zeigt. Eine nackte Frau, im Dreiviertelprofil, tritt an einen Korb heran. Sie ist im Begriff, das über den Behälter gebreitete Tuch aufzuheben, so daß die Spitze eines dunkel und eines hell gebackenen Phallos sichtbar werden. Im linken Arm hält sie einen Phallosvogel. Sucht man in Abb. 74 nach erotischen Zügen, werden diese allenfalls unterschwellig spürbar. Sie könnten möglicherweise vom nackten Frauenkörper ausgehen. Vielleicht mag man sie auch in der Aktion der Frau entdecken, die in sakral anmutender Geste das Tuch von den Phallen entfernt. Geschieht es zur sexuellen Stimulierung im Rahmen bestimmter Fruchtbarkeitsrituale? Über derartige Gebräuche ist sehr wenig bekannt, so daß alle Interpretationen in Hinsicht auf die realistische Wiedergabe bestimmter Riten unsicher bleiben. Aufgrund der verschlüsselt erotischen Darstellungsweise der Szene und durch die Einbeziehung eines Phallosvogel s scheint mit die Komposition in einen religiösen Kontext zu gehören. Keineswegs möchte ich sie wie B . C . Keuls 113 im Bereich der Olisbos-Bilder ansiedeln, die noch gesondert zu besprechen sind (s. S. 99ff., Kap. Erotik und Selbstbefriedigung) . Ein Glied aus Stein

Abb. 80 Salbölgefäß in Penisgestalt. 575-550 v.Chr. London, British Museum Inv. 1676.

Von der Einzeldarstellung des männlichen Gliedes, solange es in einem Bild-

zusammenhang ohne sinnliche Prägung erscheint, geht meines Erachtens keine erotische Wirkung aus. Das gilt nicht nur für Phallosnachbildungen aus Holz, Ton oder Teig (s. die drei vorausgehenden Kapitel), sondern auch für Phalloi aus Stein, die zuweilen reliefartig an Hauswänden und Befestigungsmauern zu finden sind oder als plastische Monumente aufragen. Die betreffenden, in Mauerwerk114 eingelassenen Reliefs von Darstellungen des männlichen Genitals sind als übelabwehrende Symbole zu interpretieren. Auf Delos stiftete Karystios 115 nach Beendigung seiner Choregie116 Weihgeschenke an Dionysos in Form frei stehender, auf viereckigem Sockel thronender Phalloi. Sie rahmen ein 7,50 zu 3,20 m messendes Gebäude, das die französischen Ausgräber «Chapelle de Dionysos» nannten. Von diesen eindrucksvollen Marmorwerken, die am Ende des 4. oder zu Beginn des 3. Jhs. v. Chr. entstanden, erfreut sich dasjenige im Süden des Geländes der größten Beliebtheit und gehört sicherlich zu den meistfotografierten und -abgebildeten Ruinen der Insel (Abb. 77). Der Unterbau ist auf drei Flächen reliefverziert: auf der Vorderseite befindet sich ein Hahn mit Hals und Kopf in Phallosform (s. das folg. Kap. Phallosvogel), an den Nebenseiten erkennt man Dionysos, begleitet von einer Mänade und einem kleinen Satyrn bzw. Pan. Der sich heute auf dem Sockel erhebende Phallos - er ist nur bis zu einem kurzen Stück über den Hoden erhalten - wurde zwar in unmittelbarer Nähe der Weihgeschenke gefunden, muß aber ursprünglich nicht zwingend auf dem beschriebenen Stück gesessen haben.117 Die kurzen Informationen zu der bekannten Karystios-Weihung (Abb. 77) belegen meiner Meinung nach, daß auch der Riesenphallos aus Stein ohne erotische Wirkung bleibt, wenn man ihn im betreffenden Monument nicht in einen gewissen sinnlichen Zusammenhang preßt, der sicherlich von den dahinschwärmenden Paaren des Dionysos und der Mänade im Sockelrelief ausgeht.

Phallosvogel Inmitten des reichen Repertoires an Mischwesen in der griechischen Kunst ist der Phallosvogel (Abb. 75), der längst einer neuen zusammenfassenden Untersuchung bedürfte 118 , eine besonders merkwürdige Schöpfung: ein aufgerichtetes, geneigtes oder gedrehtes männliches Genital mit zurückgeschobener

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Phallosverehrung Vorhaut ist mit Augen auf der Eichel versehen und als Kopf und Hals einem Vogelkörper aufgepfropft. In reduzierter Form begegnet das phantastische Gebilde als geflügeltes Glied ohne Angabe des Vogelkörpers. Hinter solchen ikonographischen Erfindungen steht höchstwahrscheinlich das Bestreben des antiken Menschen, das mit magischen Kräften gedachte Zeugungsorgan als dämonisches Wesen zu verlebendigen. Besonders im Bereich der Dionysosfeste oder in der Welt der Haloa sind die wundersamen Gebilde zu finden. Die Phallosvögel am Weihgeschenk des Karystios (Abb. 77) und in zwei Vasenbildern (Abb. 74, 81) wurden bereits erwähnt. 119 Interessant ist ferner die Darstellung eines geflügelten Phallos zwischen einem Zwerg, und einer tanzenden Gestalt, die in ein langes Gewand gehüllt ist.120 Abb. 76 gibt eine Nackte auf einem Phallosvogel wieder, den ein prächtiges Flügelpaar ausstattet. Sie führt ihn wie ein Pferd an den Zügeln. Eine erotische Wirkung des Bildes bleibt aus, es sei denn, die Betrachtenden lesen sie aus dem intensiven Blick, den die Frau auf den Phalloskopf des Vogels wirft, oder aus dem engen Nebeneinander von Phallosteil des Vogels und nacktem Frauenkörper. Einen unbekleideten männlichen Reiter trägt der Phallosvogel in Abb. 78. Auch diese Bildfmdung ist meines Erachtens nicht als erotisch zu charakterisieren. Gleiches gilt für die Szene auf der Außenseite einer spätarchaischen Trinkschale121, auf der ein Satyr in behendem Ritt einen Phallosvogel lenkt. Derartige Phallosvogel als Reittiere sind durchaus realistisch vorstellbar. Innerhalb einer festlichen Dionysosprozession122 etwa können sie als bewegliche Phallosvogelkonstruktion mit einer plastisch ausgeformten Kostümierung bestimmte Funktionen erfüllt haben. Hinzuweisen ist noch auf die auffällige Verwendung des Phallosvogels bzw. des Flügelphallos als Schildzeichen, wenngleich den betreffenden Darstellungen Erotisches vordergründig 123 nicht innewohnt. Sie waren auf dem Schild des Kriegers angebracht, wie einige Vasenbilder124 belegen. Als unheilabwehrendes Signum galten sie, das den Träger des Schildes vor der Wirksamkeit des gegnerischen Angriffs schützte. Aus dem Rahmen aller bekannten Darstellungen mit Phallosvögeln oder geflügelten Phalloi fällt der kleine bemalte Tondeckel125 in Abb. 73. Ein mit der Namensbeischrift «Philonides» versehener Flügelphallos dringt ein in die ihm gegenüberliegende Scheide, die der

«Anemone» gehört, wie der beigeschriebene Name verrät. Auch die Scheide einer Auletris, der Flötenspielerin, steht oder stand zur Verfügung. Sie befindet sich links vom geflügelten Glied, dem sich noch eine dritte Möglichkeit bietet oder geboten hat. Diese Scheide ließ der Vasenmaler ohne Namen. Auf S. 101 wird mit Abb. 181 eine weitere Variation des Phallosvogel-Motivs vorzustellen sein.

Phallosverehrung Allenthalben in der griechischen Kunst und Kultur werden eine große Bedeutung und auffällige Verehrung des männlichen Sexualorgans evident. Es ist nicht übertrieben, für dieses Phänomen sogar den Begriff «Phalloskult» zu verwenden. Daß man in der Tat von einem Kult für das Glied sprechen darf - Kult beinhaltet ja die heilige Pflege und abgöttische Verherrlichung des verehrungswürdigen Objektes -, belegen zahlreiche Denkmäler aus den Bereichen von Religion, Sage und Realität. Sowohl Beobachtungen, die in den voraufgehenden Kapiteln bereits niedergeschrieben wurden, als auch Teilergebnisse, die im folgenden noch zu erarbeiten sind, offenbaren ganz direkt den hohen Stellenwert, der dem männlichen Genital zukam. Vor allem in der mythisch-religiösen Welt der Aphrodite und des Dionysos wird der erigierte Phallos durchgängig zum Symbolträger für Sinnenlust und Fruchtbarkeit. Anläßlich heiliger Feste sind Phalloi selbständige Symbole im fruchtbarkeitsfördernden Dienst an der Gottheit. Phalloi erscheinen als apotropäische Reliefbilder an Mauerwerk und als frei stehende, überdimensionale Weihgeschenke für Göttin und Gott. Zur Abbildung gelangen Phantasiegebilde wie Phallosvogel. Der einzelne Gott selbst wird zum Repräsentanten des Phallos. So belegen die Hermen das ithyphallische Erscheingungsbild des Hermes. Leider verbietet der begrenzte Umfang dieser Untersuchung, auf erotische Bilder im Umkreis des Hermes bzw. der Hermen einzugehen. Im Spannungsfeld zwischen Alltag und Fest wird die Vase mit plastisch ausgeformtem Phallosteil zum Trinkgefäß beim Gelage, verwahrt ein Phallosgefäß das Salböl, wirkt das Phallosvotiv im göttlichen Heiligtum. Der sexuell erregte Mann ist ein beliebter Darstellungsgegenstand in alltäglichen Liebesszenen, sei es mit Frauen oder Männern. Die Liebe unter Männern hat bekanntlich einen festen Platz in den begüterten Schichten der antiken griechi-

Abb. 81 Zwei Frauen bei der Arbeit unter einem Phallosvogel. Trinkschale, Innenbild; um 500 v. Chr. Berlin, Antikenmuseum (Charlottenburg), Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz 1966.21.

sehen Gesellschaft. Nachbildungen des Penis sind beliebte Requisiten bei sexstimulierenden Tänzen, die Hetären ihren Kunden bieten. Nicht immer offenbart sich der dem Phallos zugemessene Wert so plakativ wie in den zuvor aufgelisteten Befunden. Seine «Anbetung» kann sehr versteckt zum Ausdruck kommen. Ganz unvermutet offenbart sie sich in der Darstellung von Kleinkindern, weil ausschließlich Knaben mit deutlicher Genitalangabe in der Gefäßmalerei vorkommen. 126 Und jene schon erwähnte, dem männlichen Glied zugeschriebene apotropäische Macht wird im kleinsten Detail sinnfällig, beispielsweise in der Verwendung von Phallosvogel oder Flügelphallos als Schildzeichen. Bemerkungswert ist auch, daß ein isolierter, verlängerter Phallos in der Hand eines Satyrn als Waffe dient.ni Obgleich die immense Bedeutung des Phallos in der griechischen Welt hier erneut belegt wurde, ergibt sich im Zusammenhang der Erotik in der Kunst Griechenlands, daß der hohe Stellenwert des männlichen Genitals in den unterschiedlichsten Konnotationen nicht durchgängig einhergeht mit erotischer Nuancierung. Darstellungsinhalte mit dem männlichen Glied decken meines Erachtens nur dann Erotisches auf, wenn das Phallische mit Erscheinungsformen von körperlicher Liebe und sexuellen Wünschen kombiniert ist und sich ferner in eine Schönheit der Darstellung integriert, die das Sentiment der Betrachtenden anspricht. Der Phallos allein kann also nicht als Garant einer erotischen Wirkung in Verbindung mit Kunstwerken bzw. Gebrauchsgegenständen angesehen werden.

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Erotik der Paarung

In den Ausführungen der vorangegangenen Kapitel kam das Erotische der griechischen Kunst vielschichtig zum Ausdruck: offensichtlich im Vorzeigen des schönen Körpers, hintergründig im Verhältnis zur Gottheit, umgesetzt in die sexuellen Aktivitäten der Satyrn, bedingt in der Form des Phallos. Die folgenden fünf Kapitel widmen sich nun ausschließlich der erotischen Thematik des realistisch aufzufassenden Liebeslebens in der Zweierbeziehung sowie der sexuellen Entspannung der Einzelperson. Symplegma Der Liebesakt bzw. seine Darstellung wurde in der archäologischen Literatur der Vergangenheit meistens mit dem be-

wußt neutralen Terminus Symplegma umschrieben, gemäß einer Verwendung bei Plinius d. Ä. 128 Vermutlich aus einer gewissen Scheu, den Sexualverkehr beim Namen zu nennen, erfreut sich die griechische Bezeichnung in der archäologischen Literatur noch immer allergrößter Beliebtheit. Im Altgriechischen bedeutet sie soviel wie «das Zusammengeflochtene» und meint insbesondere eine Gruppe von Ringenden, die sich gegenseitig mit den Armen faßten und umschlangen. Im Neugriechischen ist der Begriff ebenso mit Verflechtung bzw. Gruppe zu übersetzen. Vergeblich sucht man in den gängigen archäologischen Nachschlagewerken (s.o. Vorbemerkungen) das Stichwort «Symplegma», aufgefaßt als sexuelle Vereinigung.129

Abb. 82 Liebesakt unter dem Mantel. Amphora; um 560 v. Chr. Sassari, Sammlung Chesa 992402.

Frühe Liebespraktiken Eine kleine Auswahl von frühen Liebesgruppen in der attisch-schwarzfigurigen Vasenmalerei des 6. vorchristlichen Jahrhunderts, die sich vorrangig in Friesen auf einer bestimmten Gruppe von Amphoren und auf der Außenseite von Trinkschalen befinden, soll zunächst vorgestellt werden. Die Frauen in den betreffenden Bildern sind durchgängig weiß, die Männer schwarz wiedergegeben. Das gilt entsprechend für Paare aus Satyr/Silen und Nymphe/Mänade (vgl. hier Abb. 51). Zuweilen kann die Oberfläche des gemalten Frauenkörpers stellenweise abgeblättert sein, wie Abb. 83a.b verdeutlicht. Die Darstellungsweise des weißen Frauen- und dunklen Männerkörpers resultiert aus der Tatsache, daß die Griechen großen Wert legten auf die Bewegung der jungen Männer im Freien, ihre Frauen aber gehalten waren, sich den Sonnenstrahlen zu entziehen, um ihrer Haut die begehrte helle Tönung zu bewahren. In der späteren rotfigurigen Vasenmalerei wird dieser Unterschied allgemeinhin nicht mehr beachtet. 13° Viele heterosexuelle Paare sind abgebildet auf tyrrhenischen Amphoren131, die ihren Namen nach dem Hauptfundort in Etrurien am Tyrrhenischen Meer erhielten. Es handelt sich um etwa zweihundert attisch-schwarzfigurige Vasen, die als Exportgüter auf den etruskischen Markt gelangten. Kennzeichnend für den Bau dieser Gefäße sind ihr eiförmiger Bauch und der abgesetzte Hals. Zu ihrem typischen Dekorationsrepertoire gehören: ein Geschlinge von Lotos, Palmetten und Kreuzen auf dem Amphorenhals, ferner ein Hauptbild mit menschlichen Figuren in zumeist mythologischer Szenerie auf der Gefäßschulter und zwei oder drei Tierreihen auf dem Bauch der Amphora. Die Bedeutung dieser untergeordneten Tierfriese läßt sich bis zu einem gewissen Grad durch den Hauptfries erschließen. Im Rahmen dieser Untersuchung interessieren jene Figurenfriese, die die frühesten Gruppen attischer Liebesdarstellungen der Vasenmalerei bezeugen (Abb. 88). Sie führen selten über die Mitte des 6. Jhs. v. Chr. hinaus.

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Frühe Liebespraktiken Alle Liebesgruppen auf tyrrhenischen Amphoren sind infolge ihrer Farbigkeit, Größe und Gestaltung dicht in die übrige Dekoration der Vase einbezogen. Es bedarf des genauen Hinschauens, um die Paare bei ihrem Liebesspiel auszumachen. Ihre Aktivitäten wirken wie Gruppenaktionen. Frauen und Männer lieben sich überwiegend im Stehen, und die dabei bevorzugte Stellung scheint die Vereinigung a tergo zu sein, wie sie beispielsweise das Paar in Abb. 88 neben dem großen, auf dem Boden stehenden Kantharos ausführt. Der Vasenmaler charakterisiert auch den Augenblick kurz vor dieser Variante des Liebesaktes, indem er den Mann mit stark erigiertem Glied in einem geringen Abstand hinter der Frau zeigt (Abb. 87). Die Erregung des Liebhabers wird noch deutlicher gemacht, weil er seinen Penis mit der Hand umfaßt. Die von ihm begehrte Frau hält Kränze132 in ihren Händen. Sie gehören in den Bereich der Liebessymbolik und sind nach G. Koch-Harnack in derartigen Bildern sicher zu Recht als direkte Vorstufe zum Sexualverkehr zu deuten. 133 Neben dem Mann, der sein Glied umgreift, erfährt ein Paar sexuelle Erfüllung auf eine Art und Weise, die akrobatisches Talent und körperliche Kraft gleichermaßen voraussetzt. Der Mann steht mit eingewinkelten Knien und hebt seine Partnerin hoch. Wie im Sprunge scheint sie die Vereinigung zuzulassen. Abb. 82 gibt eine wenig bekannte tyrrhenische Amphora wieder. Zwischen zwei Tierreihen in der unteren Gefäßhälfte und den pflanzlichen Ornamenten am Hals der Vase läuft der Hauptfries um: Ein Reigen aus einem nackten einzelnen Mann und drei unbekleideten, sich stehend von hinten liebenden heterosexuellen Paaren wird durch die Darstellung eines weiteren Paares unterbrochen. Dieses versteckt seine Umarmung bzw. die sicher anzunehmende sexuelle Vereinigung a tergo unter einem Mantel. Eine geistreiche Erfindung des Vasenmalers ist es, durch die er die Gleichförmigkeit seiner Symplegmata auflockert und die Komposition zusätzlich pointiert, indem er die benachbarten Paare neugierig auf die Aktionen der sich Verhüllenden blicken läßt. Auch H. G. Buchholz134 berücksichtigt das Stück in seiner hervorragend umfassenden Untersuchung zum Symbol des gemeinsamen Mantels. G. Koch-Harnack interpretiert den Gegensatz des eingehüllten Liebespaares und der vier nackten, beim Analverkehr gezeigten Liebesgruppen dahingehend, daß das Mantelsymbol diese Liebesver-

i Abb. 83a Dorsale Liebesvereinigung. Trinkschale, Außenbild; um 540 v. Chr. Paris, Musee du Louvre.

Abb. 83b Frontale Liebesvereinigung. Aus dem Außenbild der gleichen Trinkschale wie Abb. 83a.

Abb. 84 Dorsaler Liebesakt gerahmt von Zuschauern und Tieren. Trinkschale; um 540 v.Chr. Kunsthandel.

Abb. 85 Dorsaler Liebesakt inmitten von laufenden Männern und Sirenen. Trinkschale, Außenbild; um 540 v. Chr. Würzburg, Martin von Wagner-Museum L 400.

einigung im Zentrum individueller akzentuiere. 135 In der archäologischen Literatur ist es üblich, die Liebesaktivitäten in den Friesen auf den tyrrhenischen Vasen als orgiastisches Treiben zu umschreiben. Hinter solchen Formulierungen versteckt sich eine empfundene Obszönität. Die Mehrzahl der Betrachtenden rezipiert derartige Szenen heute vermutlich eher als einen heiteren Bilderbogen, in dem sich die Freude an der Sexualität in tänzerischer Unbekümmertheit zeigen darf136. Das gilt auch für Verwandtes in den

Abb. 86 Liebesakt a tergo. Trinkschale, Innenbild; 520-510 v.Chr. Leiden, Rijksmuseum van Oudheden PC 64.

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Friesen an der Außenseite zahlreicher ren Gefäßen. Exemplarisch erwähnt sei Trinkschalen, auf denen die Paare in ähn- der erotische Reigen aus zwölf Paaren lichen oder nur graduell abgewandelten und einem einzelnen Mann in der SchulPositionen agieren, wie sie zuvor auf terzone einer Hydria, die um 530 v. Chr. tyrrhenischen Amphoren beschrieben entstand.139. Mit der Haltung, bei der wurden. Die Frauen und Männer schei- sich die Beine der Frau weit spreizen, bei nen ihre raschen, tanzverwandten Bewe- der ihre Arme gestikulierend vom Körgungen kaum zu unterbrechen, um ste- per wegführen und bei der ihr Kopf, hend, kauernd, hockend, gebeugt, sprin- Oberkörper und Unterkörper wechselnd gend, taumelnd zu koitieren. Zwei frontal- oder seitenansichtig gemalt sind, exemplarische Belege sind abgebildet. In assoziiert jeder, der mit der älteren grieAbb. 83 a stützt sich die Frau, weit vorge- chischen Bilderwelt vertraut ist, jenes beugt, beim Liebesakt a tergo mit den typisch archaische Bewegungsmotiv des Händen auf der Standfläche ab, und in «Kielaufs» 140 , das sich nicht nur bei Abb. 83b hockt sie beim frontalen Koi- Menschen, sondern auch bei Fabelwesen tus, dem stehenden Mann zugewendet, findet. auf dessen Oberschenkeln. Zusätzlichen Eine vergleichbare motivische AnnäheHalt gewinnt sie durch das Aufruhen rung der erotischen Gruppe an Darstelihrer Hände auf dem Boden. Darstel- lungsinhalte archaischer Denkmäler offenlungsvariationen von Liebesakten und bart sich auch in Abb. 84 und Abb. 85, den ihnen voraufgehenden Liebesspielen deren Liebespaare wie selbstverständlich an mehreren schwarzfigurigen Trink- inmitten von Panther-, Wasservogel- und schalen könnten noch angeführt wer- Sirenenpaaren141 agieren. Beim Sexualden. 137 In einem einzigen Fries beiakt a tergo erscheinen die Paare wie ein spielsweise - gemalt im 3. Viertel des 6. Bestandteil des Tierfrieses142, der speziJhs. v. Chr. - an den Außenseiten einer fischen Dekoration der frühen und mittleSchale138 bewegt sich eine Kette von ins- ren archaischen Kunstepoche. Die begesamt siebenundvierzig Personen bei treffenden Liebesgruppen kopulieren sexuellen Spielen. Eine globalere Aus- offensichtlich ganz ungestört, trotz der wertung des Motivrepertoires würde Zuschauer. Neben einem Liebespaar stets aufs neue die Mischung aus Naivi- (Abb. 84) hocken zwei erregte Männer. tät, Drastik, Sinnlichkeit und Witz be- Der Samenerguß des linken wird erkennstätigen. bar. Zu selten der anderen Liebesgruppe Besonders hervorzuheben wäre immer (Abb. 85) schauen zwei Männer zu, renwieder jene bereits mehrfach erwähnte nend und wild gestikulierend. Sowohl die Liebesstellung, die man als eine Art Be- kauernden als auch die laufenden Männer gattung im Sprung umschreiben könnte binden sich, wie die Rentierenden, völlig (Abb. 87). Häufig läßt sie sich belegen dem Tierfries ein. auf Trinkschalen, Amphoren und andeErinnerungen an archaische Darstel-

Abb. 87 Liebesszenen. Amphora; 570-550 v. Chr. Heidelberg, Sammlung des Archäologischen Instituts 67/4.

Erotik der Paarung lungen weckt desgleichen die Armhaltung der Frau bei einer dorsalen Liebesvereinigung (Abb. 86).143 Man denkt an die Pfotenstellung so mancher Sphinx144, jenes Fabelwesens aus Frauenkopf und Löwenkörper, das zu den Leitformen archaischen Bildguts gehört.145 Im Themenkreis der attisch-schwarzfigurigen Symplegmata verdienen drei Vasenbilder (Abb. 89-91) besondere Beachtung, weil ihre Liebesgruppen durch Komposition oder Bildzusammenhang vom Üblichen abweichen. Das Fragment einer Schale (Abb. 89) gibt eine für die betreffende Denkmälergruppe nicht ungewöhnliche, aber seltenere Liebesstellung wieder. Die Frau liegt auf dem Rücken, hebt das Gesäß, hält sich mit ihren aufgenommenen Beinen auf den Schultern ihres Partners. Sie umfaßt mit den Händen den Kopf des Mannes, der sich im Koitus über sie beugt. Bemerkenswerter als dieses neuerliche Beispiel eines sich beiwohnenden heterosexuellen Paares ist seine unmittelbare Nachbarschaft zu einem miteinander verkehrenden homosexuellen Paar (s. S. 94ff., Kap. Erotik zwischen Männern). Auf anderen Fragmenten der gleichen Schale sind Reste von zwei weiteren sich liebenden Paaren aus Frau und Mann zu sehen. Allerdings haben sich jeweils nur Teile der nach vorn geneigten Frau erhalten. Man beachte ferner die Außendekoration einer Schale146 mit dem Nebeneinander von heterosexuellen Paaren und einem Männerpaar, die sich unter üppig herabhängenden Trauben einer Weinkultur lieben. Die vier Liebespaare in Abb. 90 vergnügen sich zwar in Stellungen, wie sie mehrfach in der schwarzfigurigen Vasenmalerei begegnen. Allerdings liegt eine Variation vor, wenn einer der Männer seine Partnerin gän/lich auf den Armen trägt, während er sich mit ihr verbindet. Auffällig ist ferner der Bildzusammenhang dieser Symplegmata mit einem seine Notdurft verrichtenden Mann. I47 In ungewöhnlicher und komisch anmutender Liebesakrobatik zeigen sich die Gruppen der Abb. 91a.b, die sich in scherenschnittartiger Manier auf beiden Gefäßseiten entfalten. In Abb. 91 a stützt sich die Frau nach vorn gebeugt mit beiden Händen auf einem Schemel ab. Gleichzeitig schaut sie sich zu dem Mann um, der auf ihr Gesäß gesprungen ist. Rücken und Beine des Liebhabers befinden sich in unsicherer Schräge. Halt findet er allenfalls durch sein penetrierendes Glied und die über der Gruppe auszumachende Schlinge, die seine Hände zu ergreifen scheinen. Bärtige, Zipfelmützen

Frühe Liebespraktiken

Abb. 88 Liebesszenen und Tierfriese. Amphora; 560-550 v.Chr. München, Staatliche Antikensammlungen, Museum antiker Kleinkunst 1431.

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Abb. 89 Hetero- und homosexuelle Liebesvereinigung. Trinkschale, Außenseite; um 540 v. Chr. Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe. Privatbesitz.

Abb. 90 Liebespaarungen. Trinkschale, Innenbild; um 530 v.Chr. Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe Inv. Nr. 1983.275.

Abb. 91a Liebesakt mit Schaukelhilfe. Skyphos; um 540 v.Chr. Riehen, Sammlung Dr. Hoek.

Erotik der Paarung tragende nackte Männer, die sich ebenfalls an schlingenähnlichen Gebilden festhalten, rahmen das erotische Paar. Soweit sich noch erkennen läßt, ist im Korrespondenzbild (Abb. 91b) eine rücklings auf einem Schemel liegende Frau abgebildet. Ihre Beine sind hoch aufgenommen. In einer Schlinge hängen die Füße. Der stehende Partner wendet sich mit eingeknickten Knien /um Gesäß der Liegenden. Zwei nackte Männer, vermutlich wie auf der anderen Gefäßseite bärtig und mit Zipfelmützen, springen auf die Mittelgruppe zu. K. Schauenburg, der mir in sehr hilfsbereiter Weise die Abb. 91a.b ermöglichte, plant eine intensivere Bearbeitung der singulären Darstellung und wird vermutlich eine Deutung vorschlagen, die über das primär Sexuelle hinausführt. Die Mittelgruppe in Abb. 91 b schließt sich in einem Detail mit dem Paar in Abb. 92 zusammen. In beiden Kompositionen gibt es nämlich ein Lager für die Frau, in Abb. 91 b stark stilisiert, in Abb. 92 deutlich als Kline erkennbar. Diese Bequemlichkeit ist für die Liebesakte der schwarzfigurigen Bilder nachweisbar, aber außergewöhnlich. Die auffällige Seltenheit des Ruhebetts in den schwarzfigurigen Liebesbildern könnte so zu erklären sein, daß die Szenen derartiger Liebesvereinigungen zwischen Frau und Mann von den schwarzfigurigen, motivisch richtungweisenden und zeitlich etwas früher einsetzenden erotischen Begegnungen zwischen Silen/ Satyr und Nymphe/Mänade abhingen, deren Aktivitäten eben in der freien Natur gedacht wurden. Wie verwandt die frühen Koitusbilder Frau/Mann und Frau(= Nymphe)/Satyr sind, offenbart die Gegenüberstellung der Erotika an der Lekythos in Abb. 93a.b und dem Skyphos in Abb. 94 a.b mit je einem Detail. Zusammenfassend ist auf die Leistung der in schwarzfiguriger Technik arbeitenden Vasenmaler Athens hinzuweisen, die erotische Gruppen vor 550 v. Chr. als wirkungsvolle Vasendekoration eingesetzt haben. Die betreffenden attischschwarzfigurigen Liebesaktbilder spiegeln ein überaus breit gefächertes Repertoire erotischer Stellungen. Aber die sexuellen Gruppen unterwerfen sich auffällig oft den Bemalungsgesetzen frühgriechischer Vasen. So können die Liebespaare zu relativ unselbständigen bzw. gleichberechtigten «Versatzstücken» in-

Abb. 91 b Liebesakt auf einem Schemel. Korrespondenzbild zu Abb. 91 a.

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Frühe Liebespraktiken

Abb. 92 Liebesakt a tergo. Ständer; 540-530 v.Chr. London, British Museum 1865.11-18.44.

mitten der Miniaturwelt archaischer Friese werden. Zuweilen rezipiert man sie mehr als Dekor denn als Umsetzung realistischer Lebensbilder, so daß bei manchen Bildfindungen in gewisser Weise von «Erotik als Dekoration» zu sprechen ist. Dennoch sind die «attischschwarzfigurigen Frauen und Männer» in ihren vielfältigen erotischen Betätigungen als die Ahnen der «attisch-rotfigurigen Liebespaare» anzusehen, die unter anderem den Inhalt des folgenden Kapitels bilden.

Abb. 93b Liebestreiben. Ausschnitt aus Abb. 93a.

Abb. 94a Liebesvereinigungen. Skyphos; um 550 v. Chr. Paris, Musee du Louvre

Abb. 93a Liebestreiben. Lekythos; um 560 v. Chr. Berlin. -

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Abb. 94b Liebesvereinigung a tergo. Ausschnitt aus der Korrespondenzseite zu Abb. 94a.

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Erotik bei Hetären und Männern

Das breiteste Spektrum vordergründig erotischer Präsentation bietet die umfangreiche Denkmälergruppe rotfigurig bemalter Vasen aus Athen. Die betreffenden Bildinhalte führen in den großen Bereich des Symposions148 und veranschaulichen diesen Teil antiken Lebens in künstlerischer Vollendung. Das Symposion, eine besondere Art von Geselligkeit, wurde zum Inbegriff antiker Lebensqualität und Unterhaltung hohen Niveaus, zumal Platon149 und Xenophon150 die Form des Symposionsgesprächs bis ins zeitgenössische Bewußtsein weitergaben. Symposionsdarstellungen haben bereits eine lange Tradition, bevor sie zu einem der dominierenden Bildthemen der attisch-rotfigurigen Vasenmalerei werden.151 Sie befinden sich an kostbaren Gefäßen, deren Benutzung letztlich jener Bevölkerungsschicht vorbehalten ist, die infolge beachtlichen Besitzes und reich bemessener Freizeit den Genuß eines bestimmten Wohllebens auskostet. Untrennbar von diesem ist die abendliche Zusammenkunft beim Symposion, einer ganz spezifischen Kontaktpflege: Dem gemeinsamen Abendessen folgt das üblicherweise dem Dionysos geweihte152 Symposion im engeren Sinne, also das vom eigentlichen Mahl getrennte Trinkgelage. Die Teilnehmer schmücken ihr Haar mit Blattkränzen oder Bändern. Ihr gesalbter Körper ist nackt oder spärlich in den Mantel gehüllt. In Gesellschaft jugendlicher Freunde und willkommener Hetären (s. S. 56 ff., Kap. Hetären) sprechen die Symposiasten ausgiebig dem Wein153 zu, der mit Wasser vermischt getrunken wird.154 Später dann ziehen die Teilnehmer mit ihren Musikinstrumenten und Trinkgefäßen von Haus zu Haus oder bleiben im Andron, dem Speisezimmer.15S Dort bieten Liegebetten Platz. Üblicherweise sind es drei Klinen. Weibliche Begleitung beim Symposion ist nicht zwingend, aber überaus beliebt. Die Ehefrauen der Symposiasten nehmen nicht teil.156 Die klare Gliederung der «Abendveranstaltung» in den ruhigeren Teil des Trinkgelages (Symposion) und den lärmenden, sich anschließenden Umzug (Komos), die in der archäologischen Forschung bislang vorgenommen wurde, hat

I. Peschel angezweifelt und durch ihre neue Interpretation bereichert, Symposion und Komos als Teile ein und derselben «Festbegehung» zu verstehen, aus denen sich das «Rauschfest» zu Ehren des Dionysos zusammensetzt. Diese Feststellung bedeutet, daß diverse Hetärentätigkeiten, die hier im folgenden noch einzeln dokumentiert werden, gewisse Ausschnitte des Rauschfestes zitieren. Die Unterhaltung und Sex belebenden Hetären meinen demnach Frauen, die am Symposion-Komos-Fest partizipieren, das mit dem Symposion beginnt und in den Komos übergeht. Die Auffassung von I. Peschel ist durchgängig stimmig. Nur eine Schlußfolgerung, gemäß der auch alle sexuellen Symplegmata ausschließlich Teile des Komos sind, ist meines Erachtens zu relativieren (s. S. 84 ff., Kap. Sexualpartnerin beim Rauschfest oder im Bordell?). I. Peschels intensive Behandlung von insgesamt 294 Hetärenbildern im Bereich von Symposion und Komos verhalf ihr durch die starre Sonderung des Materials in fünf Zeitstufen157, eine detaillierte Entwicklung der betreffenden Hetärendarstellung von der archaischen bis zur klassischen Zeit vorzulegen. Sie versuchte darüber hinaus, ihre Resultate mit übergreifenden geschichtlichen Vorgängen Griechenlands zu verknüpfen. Die folgenden Ausführungen mit mehreren Abbildungen attisch-rotfiguriger Vasenmalereien werden belegen, daß Weingenuß, Liebesverlangen und sexuelle Erfüllung bei vorauszusetzender Bereitschaft der Symposiasten und ihrer weiblichen und männlichen Gäste manches Trinkgelage prägten. Unerschöpflich erscheint das Repertoire an Vasenbildern, die den Reiz der Frauen, die erregende Vorführung von Kunststücken, den erotischen Tanz, den innigen oder begehrlichen Blickkontakt, die scheue oder derbe Werbung, die Umarmung und den Kuß, das Liebesvorspiel und die Liebesvereinigung im Ambiente des Symposions wiedergeben. Bevor die einzelnen Themenkreise erörtert werden, mag eine Definition des Begriffs «Hetäre» hilfreich sein.

Hetären Das Wort Hetäre15* bedeutet ursprünglich «Gefährtin» bzw. «Freundin», entspricht also als Femininum dem Maskulinum Hetairos, das mit «Gefährte» bzw. «Genösse» zu übersetzen ist. Ausschließlich in diesem Sinne begegnet der Begriff bei Homer und den frühen Lyrikern. Erst bei Herodot bezeichnet der Begriff «Hetäre» eine Frau als «Geliebte», «Beischläferin», «Freudenmädchen». Diese primär sexuell-erotische Auffassung dominiert in der Folgezeit, ohne jedoch die andere Bedeutung einer Freundin und Gefährtin gänzlich zu verdrängen. Neben dem Begriff «Hetäre» ist das ältere, bereits im 7. vorchristlichen Jahrhundert vorkommende Wort Porne zu berücksichtigen, das sich von dem altgriechischen Verb «verkaufen», «veräußern» herleitet. Porne meint die eigentliche Prostituierte, die ihren Körper für den Geschlechtsverkehr anbietet. Auch etymologisch manifestiert sich somit als Hauptcharakteristikum jeder Prostituierten Käuflichkeit, aus der Verfügbarkeit resultiert.159 Dieser Tatbestand gilt desgleichen für einen Mann oder einen Knaben, der gewerblich homosexuellem Verkehr nachging und mit dem männlichen Substantiv Pornos benannt wurde. 16° Bemerkenswert ist, daß das Wort Porne, welches die Porneia161, also die «Unzucht» treibende Frau bezeichnet, ursprünglich den Tatbestand der Prostitution ausschließlich unter dem Aspekt des Verkaufs ohne moralische Wertung umschreibt. Erst später erhält es den abfalligen Klang.162 Der Begriff Porne offenbart die negative Sicht der Prostituierten, die Umschreibung Hetäre ihre positive Wertung (s. S. 88ff., Kap. Zur gesellschaftlichen Stellung der Hetäre). Im Sprachgebrauch wird das angenehmere Wort Hetäre üblicherweise für die bessergestellten, teuren, von der Kundschaft öffentlich favorisierten Prostituierten benutzt, die sogar auf ihren Freikauf hoffen dürfen, während die einfachen, preiswerten Dirnen, die auf der Straße oder im Bordell arbeiten, mit der abwertenden Bezeichnung Porne belegt werden. Diese

Hetären

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Abb. 95 Gelagerte Hetäre. Trinkschale, Innenbild; um 500 v. Chr. Malibu, The John Paul Getty Museum 83.AE.287.

ist der heute noch zuweilen gebrauchten Benennung «Hure» vergleichbar. Die Wortwahl in den antiken Texten hängt sicher nicht von der objektiven Beurteilung der betreffenden Frau ab, sondern sie beruht auf der Sicht des jeweiligen Autors.163 Daß die Grenze zwischen der «niederen» und der «höheren» Spielart des Prostitutionsgewerbes sowohl in den antiken Schriftquellen als auch in der Sekundärliteratur fließend bleibt, verwundert nicht, weil sie im wirklichen Leben ebenfalls offen und zufallsabhängig gewesen sein muß.164 Die Einstufung als Porne oder Hetäre hing wohl primär von der Anzahl der Beischlafpartner und der jeweiligen Dauer einer Beziehung ab. Zweifellos galt eine Frau als Porne, die in einem Bordell

mehrere Kunden an einem Tag empfing, während eine andere, die von einem wohlhabenden Mann für geraume Zeit ausgehalten wurde und überwiegend mit diesem verkehrte, als Hetäre galt. So dürfte man sich häufig schwergetan haben, eine Frau eindeutig als Porne oder Hetäre zu charakterisieren, wenn sie mehrere kurzfristige Beziehungen aneinanderreihte oder parallelisierte, vielleicht stets im Wunsch, eine längerwährende Verbindung zu erreichen.165 Entgegen einer oft geäußerten Meinung handelt es sich bei den Hetären somit keineswegs nur um die gebildeten, geistreichen, charmanten und schönen Frauen, die zur wohlgeachteten Elite der Prostituierten gehörten, sondern es gilt festzuhalten, daß das Wort Hetäre umfassend und allgemein für die käufliche Pro-

stituierte stehen darf.166 Die Bezeichnungen Hetäre und Prostituierte sind also durchaus als Synonyme zu gebrauchen. Üblicherweise beruhen die Beziehungen der Hetären zu ihren Liebhabern auf sexuellem Verlangen der letzteren, streben keine Familiengründung an, garantieren keine Dauerhaftigkeit. Hoffen auf emotionale Zuneigung und sexunabhängige Liebe, sogar das Vorhandensein dieser Lebens werte, kann in günstigen Konstellationen derartige Verbindungen prägen, so daß in vielen Fällen der Begriff der «Geliebten» dem der «Prostituierten» vorzuziehen ist. Das zuvor Ausgeführte bedeutet: Eine Relativierung der vielfach noch gängigen Vorstellung - einerseits der Athener in heiterem Glück mit der gebildeten, raffinierten, liebeserfahrenen Hetäre und

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Erotik bei Hetären und Männern

i Abb. 96 Hetären beim Gelage. Hydria; um 510 v.Chr. München, Staatliche Antikensammlungen, Museum antiker Kleinkunst 2421.

andererseits der Athener in der lästigen Gemeinschaft mit einer ungebildeten, beschränkten, liebesunerfahrenen Ehefrau zum gelegentlichen Gebären von Kindern - ist vonnöten. Auffällig bleibt der Befund, daß «Ehepaarbilder» mit erotisch-sexueller Aussage nur unter bestimmten Interpretationsweitungen zu finden sind (s. S. 93, Kap. Erotik bei Ehepaaren). Einige Darstellungen einzelner Hetären, die im folgenden abgebildet und kommentiert werden, führen in das erotikträchtige Umfeld des Symposions. Die mit einem kunstvoll zur Haube gesteckten Kopftuch bekleidete, verführerisch auf ihr Kissen gestützte Hetäre in Abb. 95 scheint schwerelos auf einem Palmettengeflecht zu schweben. Sie ist

nackt. Obgleich der Vasenmaler sparsam mit Körperinskriptionen umgeht - er gibt nur die Rundung der Brüste, Leistenfurche und Nabel an -, scheint ihm doch daran zu liegen, die Schamhaare als dunklen Fleck zu kennzeichnen. Es fällt leicht, die Frau gedanklich in die Symposionsnacht zu versetzen und sie realistisch auf einer Kline oder einem Polster am Boden anzunehmen. In entspannter Haltung, den Kopf kokett ins Profil gedreht, stellt sie ihre sinnlichen Reize zur Schau. Seitdem G. Koch-Harnack167 ihre neue und in den meisten Fällen sicher nicht überzogene Ausdeutung bestimmter Symbole unter erotischen Aspekten publiziert hat, ist man gezwungen, in dem Blütengeschlinge unter der Hetäre mehr als ein Phantasielager zu

sehen und die schwertartig aufragende Lotosknospe als Kürzel für die sexuellen Wünsche und Forderungen der Symposiasten zu deuten. Zweifel an der Richtigkeit dieser Sehweise lassen sich verwischen durch einen weiteren Beleg. Zu verweisen wäre hier auf die drastisch erotischen Szenen in Abb. 128a.b, in denen Blütenkombinationen die sexuellen Handlungen der beiden heterosexuellen Paare kommentieren. G. Koch-Harnacks Aussage « . . . wenn man die Blüte als Omnipotenzsymbol auffaßt, welches das Liebes- und Kreativitätsprinzip generell verkörpern sollte, dann ist ihr zeitlos erotischer Aspekt ihr selbstverständlichster» l68 gilt sicher auch für die Darstellungen der Abb. 128a.b, in denen die Blüten ebenjenen Symbolcharakter ha-

Abb. 97 Hetären beim Gelage. Trinkschale, Außenbild; um 520 v.Chr. Madrid, Museo Arqueolögico Nacional 11.267.

Hetären ben, der sie mit zahlreichen Vasenbildern aus dem Bereich heterosexueller Liebesthematik und darüber hinaus mit vielfältigen Bildern des Mythos zusammenschließt. Nach dem Exkurs über die versteckte Bedeutung der Blütenornamentik sei verwiesen auf zwei gelagerte und auf Kissen gestützte Hetären (Abb. 96) von recht erotischer Ausstrahlung. Charmant ist ihr Gesichtsausdruck. Der Kopfschmuck - eine Frau trägt eine Haube, die andere ein Band im Haar - steht in effektvollem Gegensatz zum nackten Oberkörper mit den unterschiedlich proportionierten Brustpaaren. Das hinabgerutschte Gewand umspielt gefällig das Gesäß und verhüllt die Beine. Graziös lassen die Frauen ihren Skyphos über dem rechten Zeigefinger kreisen. Sie schleudern den Rest des Weines auf ein in der Mitte des Raumes zu denkendes Gerät, das in den Vasenbildern selten dargestellt ist.169 Es handelt sich um einen hohen Ständer mit einer beweglichen Scheibe, die nach einem Treffer scheppernd in die Auffangvorrichtung fällt. Die Frauen in Abb. 96 spielen also jenen Kottabos170, ein sizilisches Gelagespiel, das auch als Liebesorakel verwendet wurde. Und so verrät denn auch die Inschrift bei der einen Hetäre den Favorisierten: «Dir, dem schönen Euthymides, schleudere ich diese Neige». Als Preise für den Sieg im Kottabosspiel sind Süßigkeiten oder Liebesdienste denkbar.171 Auf den ersten Blick könnte man denken, die halb liegende Hetäre mit einem Skyphos in ihrer Linken (Abb. 97) spiele ebenfalls den Kottabos, indem sie aus der Schale in ihrer Rechten den Bodensatz des Weines vergießt. Aber durch die Inschrift «trink auch du-» ist die Szene wohl eher so zu deuten, daß sie der ihr gegenüber gelagerten, flötenden Hetäre die Kylix zum Weingenuß reicht. Die Aulosbläserin hat ein Tuch kunstvoll um den Kopf gewunden. Wie ein Beutel nimmt es ihr langes Haar im Nacken auf. Einen Kranz trägt die andere Hetäre auf den frei herabhängenden Haaren. Gekonnt setzte der Vasenmaler die Nacktheit der Frauen in Szene. Er wußte um den sinnlichen Reiz des dünnen Kettchens bzw. Bandes an Hals und Arm des sonst unbekleideten Körpers. Wie die zuvor erwähnten Hetären in Abb. 97 stützt sich die gelagerte, scha-

Abb. 98a-d Hetären beim Gelage. Skyphos; 520-510 v.Chr. Leningrad, Eremitage B.1650 (St. 1670, B.644).

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Erotik bei Hetären und Männern

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Abb. 99 Gelagerte Hetäre. Trinkschale, Innenbild; um 510 v. Chr. München, Staatliche Antikensammlungen, Museum antiker Kleinkunst 2636.

lenschwenkende Frau der Abb. 99 auf ein Kissen. Nur scheinbar verdecken Teile des Gewandes bestimmte Partien ihres Körpers, denn die Stoffbahnen drapieren sich so, daß sie zwischen den Brüsten herabführen und den Schoß entblößen. Brustwarzen bzw. Warzenhöfe und Schamdreieck sind minutiös gekennzeichnet. Der Vasenmaler hat die Schambehaarung spärlich angegeben, so daß daran zu denken ist, er habe den enthaarten Genitalbereich darstellen wollen. In diesem Zusammenhang möchte ich hinweisen auf einen scharfsinnigen Artikel von M. Kilmer172, der Genitalphobie der Männer und Depilation der Frauen behandelt und somit auch Stellung nimmt zu den in der archäologischen Literatur zuweilen auftauchenden Vorstellungen über die Entfernung der Schambehaarung, die als obligatorischer Bestandteil weiblicher Körperpflege angenommen wird, sowohl bei Prostituierten als auch bei «ehrbaren» Frauen. Glaubt man Lysistrata bei Aristophanes173 - mit allem Vorbehalt bezüglich einer Beweiskraft der Komödie -, dann schickte es sich und steigerte das sexuelle Verlangen des Mannes, wenn die Frau ihre Pubes entfernte. Diese Gewohnheit,

wertet man Vasenbilder mit Hetären als Spiegelung von Realität, kann jedoch allenfalls im Laufe des 5. vorchristlichen Jahrhunderts üblich geworden sein, denn in Vasenmalereien aus den spätarchaischen und die Klassik einleitenden Jahrzehnten werden die Schamhaare zumindest rudimentär angegeben, gelegentlich sogar unter dem Gewand.174 Als Bildbelege mögen hier die Abb. 98d, 99, 100, 104, 105, 113, 147b, 152 dienen. Zeugnisse für eindeutige bzw. gänzliche Depilation sind seltener zu finden175, Abb. 111, 149, 150, vielleicht auch Abb. 112, 195a.b könnten sie verraten. In der oben angeführten Untersuchung hat M. Kilmer Textstellen aus der «Alten Komödie»176 verwendet und kommt zu folgendem Ergebnis: Rasieren und Auszupfen bei der allgemeinen Enthaarung (Achselhöhlen, Beine) waren üblich. Auszupfen und Absengen177 wurden für die Pubesdepilation verwendet. Die Absengmethode ließ selbstverständlich kurze Haarstoppeln zurück. Beim Auszupfen entfernten die Frauen keineswegs alle Haare, sondern schufen einen sorgfältig in Form gebrachten Haarfleck. Diese partielle Schamhaarentfernung läßt sich, wie zuvor gezeigt werden

konnte, in mehreren Vasenbildern aufspüren. Die attischen Gefäßmaler vermieden somit keineswegs, den weiblichen Genitalbereich mit seiner Behaarung darzustellen. Zu Recht zweifelt M. Kilmer eine Argumentation P. E. Slaters178 an, derzufolge die männliche Furcht vor den weiblichen Geschlechtsorganen den Wunsch nach Entfernung der weiblichen Schambehaarung bedingt habe. Eine in der Tat unlogische Erklärung, da ja die Depilation der Pubes geradezu bewirkt, daß die Vulva, also die äußere weibliche Scham, sichtbar wird. Wenn von den Männern Enthaarung bei den Sexualpartnerinnen geschätzt wurde, dann erklärt sich das wohl weniger als Phobie vor dem weiblichen Geschlechtsorgan, sondern vielleicht eher aus der Tatsache, daß bestimmte Männer eine depilierte Vulva mit einer noch unbehaarten Vulva eines sehr jungen Mädchens assoziierten. Die Sitte der Pubesdepilation wäre somit ein Medium für die Frau gewesen, ihre sexuelle Attraktivität gemäß männlichen Wunsch Vorstellungen zu steigern.179 Die zuvor einzeln oder paarweise abgebildeten Hetären wurden gedanklich mit den Männern verknüpft, die Genuß beim Symposion fanden. Hetären feierten jedoch auch ihre eigenen abendlichen Weinfeste miteinander. Die vier gelagerten Hetären (Abb. 98a-d) - eine Flötenspielerin und drei Zecherinnen mit Weingefäßen - könnten als Teilnehmerinnen eines Hetärengelages180 interpretiert werden. Nach den zuvor erörterten Trinkgelageszenen, die nackte oder teilbekleidete Hetären in moderierter Bewegung beim Flötenspiel, beim Hantieren mit Trinkgefäßen oder ruhig in der Zurschaustellung ihrer physischen Reize zeigten und so das allgemeine Motiv der liegenden Frau in mehreren erotischen Facetten durchspielten, geht es im folgenden um Tätigkeiten der Hetären beim Rauschfest, die temperamentvollere Aktionen beinhalten.

Akrobatinnen In rotfigurigen Vasenbildern, die abendliches Zech vergnügen illustrieren, schenken meistens nackte Knaben181, nur zuweilen Mädchen, den Wein ein.182 So möchte ich denn auch die heftig bewegt Wiedergegebene (Abb. 100) mit einem Skyphos im linken Arm nicht als Schenkin deuten, sondern als Balancierungskünstlerin, die zwischen ihren männlichen Kollegen agiert. Derartige «Vor-

Akrobatinnen

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Abb. 100 Akrobatische Szene. Trinkschale, Außenseite; um 490 v. Chr. Malibu, The John Paul Getty Museum 5.82.AE.35 Bareiss 229.

führungen» sind den Akroamata zuzurechnen, jenen unterschiedlichen Unterhaltungen gegen die Langeweile, die das Symposion mitprägten. Obgleich der Vasenmaler den Körper der Frau mit deutlichen sexuellen Details in die Fläche gebreitet hat, wird Erotisches von Akrobatischem überdeckt. Das gilt desgleichen für eine Akrobatin zwischen Schwertern.183 Sie steht auf den Händen. Ihr Körper krümmt sich in die Höhe. Weit sind die Beine über ihren Kopf nach vorn genommen. Im nächsten Moment wird sie auf die Füße schnellen, um zwischen die im Boden aufgesteckten Waffen zu springen. Recht erotisch hingegen hat der Vasenmaler, trotz der sparsamen Innenzeichnung, eine Balancekünstlerin an einem Kolonettenkrater184 dargestellt. Sie ist bis auf die Haube nackt, schreitet graziös vorsichtig einher, trägt auf beiden Händen und dem Kopf flache Schalen, die man sich aus Metall vorzustellen hat. Daß die Frau eindeutig ins Rauschfestambiente gehört, verrät der einen Weinschlauch tragende Festteilnehmer des Korrespondenzbildes an der gleichen Vase. Den erotisierenden Akroamata sind auch Darstellungen mit Hetären zuzuordnen, die sich anschicken, aus einem Gefäß zu trinken, dessen Ausguß oder Fuß in Form männlicher Genitalien gestaltet ist. Abb. 101 enthält eine nackte Frau, die hockt, mit beiden Armen einen großen Skyphos mit penisförmiger Tülle anhebt und zum Munde führt. Ihr abgelegtes Gewand erscheint zeichenhaft als

Abb. 101 Hetäre mit Skyphos. Trinkschale, Innenbild; um 490 v. Chr. Ehemals Paris, Privatbesitz Comte de Pourtales 388.

Stoffstück auf dem Sitzmöbel, das gerade noch am Bildrand zu sehen ist. Eine ebenfalls nackte Hetäre (Abb. 102) sitzt auf einem Kissen und zieht eine riesige Kylix zu sich heran, deren Fuß die Form von Hoden und Penis hat. Die Frau - mit attraktiv gebundener Kopfbedeckung und rundem Ohrschmuck - ist wiederum als Protagonistin einer lasziven Vorführung denkbar. Sie konnte sich ihrer sinnlich-erotisierenden Wirkung auf die Festteilnehmer sicher sein. Es wurde bereits auf tönerne Trinkgefäße hingewiesen (s. S. 44, Kap. Erotik und männliches Genital), deren Körper sich mit Nachbildungen männlicher Geschlechtsorgange verbindet (hier Abb.

Abb. 102 Hetäre mit Trinkschale. Trinkschale, Außenbild; um 510 v.Chr. New York, Metropolitan Museum 56.171.61.

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Erotik bei Hetären und Männern

Abb. 103 Flötenspielerin, Zecher, Schenkknabe. Trinkschale, Außenbild; um 490 v.Chr. Rom, Vatikanische Museen 16561.

67). Ähnliches ist miniaturhaft versteckt wiederzuentdecken. Auf der Außenseite einer Trinkschale185 sind mehrere Teilnehmer eines Symposions lagernd auf Polstern gemalt, unter denen ein dekoratives Band mit zierlichen Trinkgefäßen umläuft, in dem nun außer Kannen und Trinkschalen auch ein in Penisform gestaltetes Trinkhorn vorkommt (vgl. hier Abb. 79). Und in Abb. 103 erkennt man in einem ähnlichen kleinen Gefäßfries unter gelagerten Symposiasten jenen Skyphostyp mit der Tülle in Penisform

Abb. 104 Hetäre auf einer umgestülpten Spitzamphora. Trinkschale, Innenbild; 520-500 v. Chr. Verschollen, ehemals Berlin.

wieder, den die Hetäre in Abb. 101 zum Munde führt. Mastoi186 (vgl. hier Abb. 64), als weibliche Brust gebildete Trinkgefäße, wären ebenfalls im Rahmen erotisierender Akroamata denkbar. Ein im weitesten Sinne akrobatisches Schaustück überliefert wohl die seltene Darstellung im Tondo einer verschollenen Trinkschale (Abb. 104). In dem betreffenden Bild, das der Literatur nur noch als Zeichnung zu entnehmen ist, «reitet» eine nackte Frau auf einer umgedrehten Spitzamphora. Die Hetäre ist im Profil nach rechts abgebildet. Ihre weit gespreizten Beine umklammern das umgestülpte Gefäß, auf dem sie derartig sitzt, daß die Spitze der Amphora als Ersatz für ein in sie eindringendes männliches Glied gelesen werden kann. Die Entscheidung, ein hartes, aus Ton gebranntes Medium, wenn auch mit einem Leder- oder Stoffüberzug vorstellbar, zur Selbstbefriedigung auszuwählen, ist wohl nur für eine Minderheit nachvollziehbar. Die Komposition dürfte nicht in den Bereich der Selbstbefriedigung, sondern in den der Akroamata gehören. Allenfalls vorbehaltlich könnte man sie als Reflex einer Selbstbefriedigungsszene deuten, denn die zur Vorführung gebrachte sexuelle Entspannung mittels

eines wie auch immer gearteten Penisersatzes wäre sehr wohl als Bestandteil erotisch-sexueller Akroamata im Rahmen des Rauschfestes anzusiedeln. Die Flöten in den Händen der «Amphorenreiterin» weisen sogar eindeutig ins Symposion-Komos-Geschehen. Das Bild hat, wie immer man es interpretiert, eine erotische Nuancierung, die jedoch schwierig zu verbalisieren ist. Sicherlich entsteht sie nicht nur durch die Sujet-Kette Frau, Nacktheit, auf Voyeurtum abzielende Selbstbefriedigung der Hetäre. Soweit die Zeichnung noch Aufschluß gibt, scheint die erotische Wirkung der Szene primär auszugehen von der Begabung des Vasenmalers. Er breitet den Frauenkörper kalligraphisch perfekt in die Fläche und fixiert den Blick auf bestimmte Linienführungen. So entsprechen die ausgebreiteten Arme der Frau ihren weit auseinandergenommenen Oberschenkeln. Jede der üppig hängenden Brüste nimmt umgekehrt die Form der Spitzamphora wieder auf. Der Rundbogen der Halskette, den man beinahe als stilisierte Angabe der Schulterblätter sieht, gleicht in seinem einfachen Verlauf den Leistenfugen, die den Unterkörper gegen die Beine abgrenzen. Die blütenblattförmig stilisierte Pubes, wie bei spätarchaischen Kouroi gestaltet, bildet annähernd den

Akrobatinnen formalen Mittelpunkt der Komposition, drängt sich dem Auge auf, unterscheidet sich in der besonderen Akzentuierung von der üblichen Schamhaargestaltung der Hetären. 18V Die für den Frauenkörper angewendete Zeichenweise, die sich als feine Mischung aus Banalität und Kalkül charakterisiert, setzt sich abgemildert in den Gesichtszügen fort. Hier erhält sie - gesteigert durch das Blütendiadem auf dem Haar sowie durch Schläfenlocken und geringelte Haarsträhnen auf der Schulter - eine Zartheit, die im Gegensatz zu der Starrheit des Körpers steht. Diese Ambivalenz von dezenter Anmut und derber Körperlichkeit - also nicht das Thema der via Akroamata vorgeführten Selbstbefriedigung der Frau - erklärt den erotischen Zauber des Bildes. Vorführungen anläßlich der Trinkgelage werden auch in Vasenmalereien deutlich, die Frauen bei der Handhabung von Olisboi, Penisnachbildungen aus Leder, zeigen. Gespräche sowohl mit Archäologen als auch mit anderen kulturgeschichtlich Interessierten decken immer wieder auf, daß derartige Bildfindungen noch auffallend häufig ausschließlich mit der Selbstbefriedigung von Frauen verknüpft werden. Deshalb ist die Auseinandersetzung mit der Problematik der Olisbosbilder, allerdings in der Hoffnung auf Revidierung der einseitigen Sehweise, hier noch im Kapitel zur Selbstbefriedigung (s. S. 99ff., Kap. Frauen) zu finden. Die auf den ersten Blick wie eine akrobatische Nummer anmutende Szene an einer Kalpis188 gibt eine nackte Hetäre wieder. Nach einem Sprung über den Boden kniet sie mit dem linken Bein. Das rechte Bein ist weit nach vorn abgespreizt. Die rechte Fußspitze scheint den Boden zu berühren. Die Frau uriniert in ein Becken. Der Strahl ist deutlich angegeben. Beide Arme hält sie annähernd waagerecht vorgestreckt. Über dem linken hängt ein Gewandstück, daß sie möglicherweise auch mit ihrer rechten Hand faßt. Vor ihr kniet ein ebenfalls nackter Rauschfestteilnehmer in sexueller Erregung. Er bläst die Doppelflöte. Fast berühren sich die Zehenspitzen des Paares. I. Peschel189 interpretiert die Gruppe in einer Zweier-Situation, sieht sie demzufolge in Absonderung von weiteren, im Vasenbild zwar nicht angegebenen, aber in die Betrachtung einzubeziehenden Festteilnehmern. Sie liest die Darstellung so, daß der Mann die Frau beim Urinieren überrasche und nun Spaß daran habe, die anderen Feiernden durch sein Flötenspiel auf die Situation hinzuweisen. So werde die Überraschte zum Schauobjekt

63

Abb. 105 Hetäre, in ein Gefäß urinierend. Trinkschale, Innenbild; um 480 v. Chr. Berlin, Antikenmuseum (Charlottenburg), Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, V. I. 37.57.

Abb. 106 Eine Hetäre tanzt vor einem Symposiasten. Trinkschale, Innenbild; um 480 v.Chr. London, British Museum E 68.

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Erotik bei Hetären und Männern Erotischer Tanz

Abb. 107 Hetäre mit Krotalen neben einem Mann. Trinkschale, Innenbild; um 480 v. Chr. New York, Metropolitan Museum of Art 96.9.191.

Abb. 108 Krotalentänzerin. Trinkschale, Innenbüd; um 510 v. Chr. USA, Privatsammlung.

gemacht, ohne daß es in ihrer Absicht läge, sich zu produzieren oder eine Vorstellung zu geben, wie es bei der Hetäre mit der Spitzamphora (Abb. 104) oder den Olisboshandhaberinnen (Abb. 175 bis 177, 179, 183-185) vorausgesetzt werden kann. Obgleich mir I. Peschels phantasiereiche Deutung überinterpretiert erscheint, regt ihr Gedankengang zu der Frage an: Wurden auch Bildfindungen in der Art einer über einem großen Skyphos urinierenden Hetäre, wie sie im Tondo einer

Trinkschale (Abb. 105) zu sehen ist, bei Symposion bzw. Komos als Vorführung in Szene gesetzt? Derartige Zurschaustellungen könnten dem für eine solche Art von Voyeurismus empfänglichen Festteilnehmer sexstimulierende Kurzweil bedeutet haben. Nicht abtrennbar von den erotisierenden Vorführungskünsten der Hetären anläßlich der Symposion-Komos-Nacht sind ihre Tänze, die in aktuellem Sprachgebrauch treffend als regelrechte Sexshows190 zu apostrophieren sind.

Von den vielfältigen Tanzdarstellungen in der griechischen Kunst 191 sollen hier nur jene aus dem engen oder weiteren Zusammenhang des Trinkgelages herangezogen werden, bei dem tanzende Hetären die Symposiasten erfreuten und sexuell stimulierten. Derartige Darstellungen befinden sich beispielsweise in Rundbildern, die ein Zecher auf dem Boden seiner Trinkschale erblickte, wenn er den letzten Schluck des Weines genossen hatte. In einem (Abb. 106) tanzt die Hetäre, ihren ungegürteten Chiton nur wenig anhebend, vor ihrem Partner, der auf der Kline liegt. In der Hand des aufgestützten Armes hält er die Auloi. Der andere Arm, gestreckt und mit senkrecht gestellter Hand, weist gebieterisch auf die Frau. Die Geste, vielleicht weniger befehlend als freundschaftlich anspornend, mag Zustimmung oder auch Anweisung zur Beschleunigung der Tanzschritte bedeuten. Das Innenbild einer anderen Trinkschale (Abb. 107) zeigt eine Hetäre mit langem, gegürtetem Chiton. Ihr Bewunderer steht hinter ihr. Sie blickt zu ihm zurück. Verhalten noch scheint sie die ersten Schritte auszuführen. Begleitet vom Spiel der Krotalen, die in ihren Hän-

Abb. 109 Krotalentänzerin. Trinkschale, Innenbild; 490-480 v. Chr. London, British Museum E 61. - Abb. 110 Krotalentänzerin. Trinkschale, Innenbild; 520-510 v.Chr. London, British Museum E 61.

Erotischer Tanz den sichtbar sind, wird sie sich bald in leidenschaftlichem Tanz verausgaben. Eine ähnliche Assoziation vermittelt das Innenbild der Trinkschale mit einer einzelnen Tänzerin (Abb. 108). Vollkommenen erotischen Tanz, das Ambiente des Trinkgelages charakterisierend, präsentiert eine Hetäre (Abb. 109), die sich vor einer sitzenden Aulosbläserin in mitreißender Bewegung zum Klang ihrer Krotalen dreht. Sie trägt einen durchsichtigen Chiton, der die Schönheiten ihres Körpers offenbart. Mit vergleichbarem Reiz bewegt sich eine andere Tänzerin (Abb. 110) vor dem Auloi blasenden Partner. Ihre Krotalen ergänzen sein Spiel. Sie trägt Sakkos, Ohrring (s. S. 90ff., Kap. Erotische Hilfsmittel: Kleidung - Schmuck Haartracht - Make up) und Pantherfell. Letzteres ist so drapiert, das es einen Glutäus und beide Brüste nackt läßt. Schmale Streifen des Pantherfells verhüllen die Scham. Auch gänzlich unbekleidete Tänzerinnen werden gern abgebildet. Die Aulosbläserin mit den üppigen Körperformen (Abb. 111) führt nur einen ruhigen Tanzschritt aus. Dennoch verfehlt sie ihre Wirkung nicht, wie die genießenden Physiognomien der links von ihr gelagerten Zuschauer verraten. Ein Symposiast berührt die Frau am Oberschenkel. Eine andere Hetäre (Abb. 112) hält ihren Mantel zu einer schmalen Stoffbahn zusammengerafft in den Händen. Einen animierenden Tanzschritt vollführt sie vor ihrem auf einem Hocker sitzenden Partner, der sie bewundert und in sexuelle Erregung geraten ist. Trotz der Beschädigung dieses Tellerbildes erkennt man hinreichend, daß es dem Vasenmaler gelang, die temperamentvolle Bewegung der Frau einzufangen, etwa durch das Detail der sich im Sprung anhebenden Brust oder der fest ins Himation fassenden Hand. In verhaltener Tanzdrehung ist eine unbekleidete Hetäre (Abb. 113) wiedergegeben, die von zwei ebenfalls nackten Zechern begleitet wird. Die erotische Aussage dieser Komposition geht nicht so sehr vom weiblichen Akt aus, der sich grob mit teilweise stark virilen Formen frontal darbietet, sondern beruht eher auf der herausfordernden Geste der Frau. Die Hetäre dreht sich nämlich im Tanz zu ihrem Begleiter und berührt sein Glied mit einem Aulos. Die hier nach erotischen Aspekten beurteilten Tanzszenen verdeutlichen, daß im antiken Griechenland der Tanz und die Musik eine Einheit bildeten. Auloi und Krotalen, die zu den üblichen Begleit-

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Abb. 111 Musik und Tanz beim Symposion. Trinkschale, Außenbild; um 490 v. Chr. Cambridge, Corpus Christi.

Instrumenten des griechischen Tanzes gehören, beherrschen demzufolge auch den erotisch geprägten Tanz im Symposionsgeschehen. Es sind ja die Instrumente der naturnahen und triebhaften Sphäre. So wird der Klang des unserer Oboe verwandten Aulos unterschiedlich als scharf, volltönend, schönrufend und süß charakterisiert. Er muß sich, verbunden mit dem aufreizenden Geklapper der paarweise gebrauchten Krotalen, stimulierend auf die Sinnenfreude beim Zechgelage ausgewirkt haben. 192 In der Zuordnung von Flöten oder Rhythmusklappern an die betreffenden Tänzerinnen kann sich der allmähliche Übergang von der feierlichen Musikeinleitung des Symposions zu ausgelassenerem Festtreiben spiegeln193. Der Wechsel mag sich auch in Gewandung oder Nacktheit der Hetären ausdrücken. Während eine «noch» bekleidete tanzende Hetäre mit ihren

moderierten bis temperamentvollen Schritten das sich allmählich entwickelnde Rauschfest illustriert (Abb. 106), deutet die «nur noch teilbekleidete» Krotalentänzerin in ekstatischen Bewegungen auf die Endphase des Gelages hin (Abb. 110). Die Instrumente begleiten selbstverständlich auch den Gesang, etwa das Trinklied, das Skolion, den sicher obligatorischen Bestandteil des Symposions. Anakreon194, der zu jener Zeit dichtete, in der einige der hier besprochenen rotfigurigen Vasenbilder entstanden, gab dem Trinklied seine Kunstform. 195 Ausgestreckte Zecher, die mit angehobenem bzw. zurückgelegtem Kopf und geöffnetem Mund 196 dargestellt sind, kann man singend denken. Sogar Worte aus einem Trinklied ergänzen derartige Bilder zuweilen inschriftlich. Besonders auf eine Trinkschale in München l97 wäre zu ver-

Abb. 112 Hetäre im Tanzsprung vor sitzendem Mann. Teller; 520-510 v. Chr. Tübingen, Antikensammlung des archäologischen Instituts der Universität S/10 1539 J 27. Slg. Arndt.

Erotik bei Hetären und Männern

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weisen. Ihr Innenbild zeigt einen Mann auf der Kline. Seine Rechte ruht leicht auf dem nackengeneigten Kopf. Vor dem Mund sind Buchstaben zu lesen. Sie bedeuten «Nein, ich kann nicht . . .». Gemeint ist wohl der Beginn eines bekannten Trinkliedes: «Ich kann jetzt nicht hell singen wie die Nachtigall, denn auch die vorige Nacht schon bin ich bei einem Gelage gewesen . . . » 198

Liebeswerben Zwischen Hetären und Männern sind zahlreiche Werbeszenen ganz unterschiedlichen Sentiments zu beobachten. Die sich Gegenüberstehenden (Abb. 114) schauen sich ermunternd in die Augen. Mit der Linken hält die Frau ihren Spiegel beiseite. Bereitwillig wird sie mit der Rechten die Blume ergreifen, die ihr ein Verehrer reicht. Ohne eindeutigen Blickkontakt bleibt ein anderes Paar (Abb. 115). Der Liebhaber ist alt. Das verraten seine kahle, runzlige Stirn und der schüttere Bart. Sitzend erwartet der Mann die Annäherung der neben ihm stehenden Frau, die, leicht seitlich zu ihm gewandt, auf ihn herabblickt. Sie ist im Begriff, die Schnur ihres Chitons aufzubinden. Der Mann streckt seine Hand nach vorn in die Nähe des Gürtels, den er sehnsüchtig gelöst wünscht. Trotz ihrer auffälligen Verhaltenheit lebt diese Darstellung durch die erotische Spannung zwischen Hetäre und Liebhaber. Abb. 113 Hetäre und Symposiast. Amphora; um 500 v. Chr. Würzburg, Martin von Wagner-Museum L 507.

Abb. 114 Liebeswerbung. Trinkschale, Innenbild; 480-470 v. Chr. Malibu, The John Paul Getty Museum S.82.AE.37. Bareiss 241.

Abb. 115 Ein Mann erwartet die Entkleidung einer Hetäre. Trinkschale, Innenbild; um 500 v. Chr. London, British Museum E 44.

Liebeswerben

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Abb. 116 Zärtlichkeit zwischen Hetäre und Zecher. Trinkschale, Innenbild; um 490 v. Chr. Boston, Museum of Fine Arts 01.8022.

Von werbender, zarter und doch bestimmter Berührung erzählt ein Schaleninnenbild (Abb. 116), in dem eine Hetäre an die Kline eines gelagerten Symposiasten herantritt und seinen Bart zum einen streichelt und zum anderen packt. Erotischer Reiz des Bildes durch das hauchdünne Gewand der Frau, das Körperlich-

Abb. 117 Ein Mann umwirbt eine Hetäre. Trinkschale, Innenbild; um 490-480 v.Chr. New York, Metropolitan Museum 12.231.1.

keit durchscheinen läßt, teilt sich ferner mit durch das leichte Vorbeugen ihres Oberkörpers in Richtung des Mannes und setzt sich frei durch die zärtlich-verführerischen Gesichtszüge der Hetäre. Leider sind die Gesichter eines weiteren Paares (Abb. 117) teilweise zerstört, so daß sich nur vorstellen läßt, wie der

Abb. 118 Ein Symposiast legt seinen Arm um eine Hetäre. Trinkschale, Innenbild; 510-500 v. Chr. Paris, Musee du Louvre G 13.

stehende Mann auf die vor ihm sitzende Frau herabschaute, die ein dünnes Band oder Kettchen betrachtete, das sie zwischen den Fingern beider Hände hielt. Der Blick des Liebhabers wird begehrlich gewesen sein, versucht er doch, die Zärtlichkeit der Hetäre durch den Griff unter ihren Chiton zu wecken. Vervoll-

Abb. 119 Paar in liebevoller Berührung. Trinkschale, Innenbild; 490-480 v.Chr. Paris, Musee du Louvre G 143.

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Erotik bei Hetären und Männern

Abb. 120 Hetäre und Mann beim Gelage. Stamnos; um 510 v.Chr. Brüssel, Musees Royaux d'Art et d'Histoire A 717.

ständigt man die Zeichnung des Armes, dann muß die linke Hand des Mannes zur rechten Brust der Frau führen. Bemerkenswert, daß der Vasenmaler wohl die Rundung des Busens, nicht aber die Hand des Liebhabers unter der durchsichtigen Kleidung verdeutlicht. Begehrender Körperkontakt wird hier durch den Griff des Mannes an die Brust der Frau evident gemacht.

Eine Umarmung in ihren Anfängen genießt der Symposiast aus Abb. 118. Die Hetäre gewährt, daß sein Arm auf ihrer Schulter ruht. Eng preßt sich der Mann an seine Auserwählte, die seinen intensiven Blick allerdings nicht erwidert. Versonnen hält sie ihre Lyra, deren Saiten sie mit dem Plektron in ihrer Rechten schlägt. Ganz auf den vor ihr stehenden Partner

konzentriert sich hingegen die sitzende Hetäre in Abb. 119. Sie ist im Begriff, ihren Liebhaber in die Arme zu schließen. Festes Fassen an den Unterarmen und liebevolles Stützen des Nackens und Hinterkopfes stehen zeichenhaft für die Umarmung, die sich als gängiges Motiv in der Bildersprache der Zärtlichkeit erweist. Bei den bisher angeführten Liebeswerbungen (Abb. 114-119) erschließt man das in den Bildern verschlüsselt ausgedrückte sexuelle Verlangen dadurch, daß man die Reaktionen der Dargestellten in Hinblick auf die Erfüllung des Ersehnten in Gedanken selbst weitermalt und weiterdeutet. Darüber hinaus aber gibt es Szenen, die weniger der ergänzenden Betrachtung bedürfen, wie etwa die in Abb. 120, wenn die Finger eines Symposiasten stimulierend die Brustwarze der Frau berühren, die vor ihm auf der Kline sitzt und gerade die Enden ihres Haarbandes faßt. Auch Abb. 121a.b.c offenbart Liebeswerbungen mit unverhüllten Aktivitäten zur sexuellen Erregung zwischen zwei Paaren in innig-begehrlichem Blicketausch. Abb. 121 a.c zeigt sehr deutlich, wie der Liebhaber, gelagert und zugleich halb aufgerichtet, seine Rechte dem Oberschenkel bzw. dem Geschlecht der vor ihm knienden Frau nähert, die mit ihrer rechten Hand über sein Himation im Genitalbereich streicht. Abb. 121a.bläßt klar erkennen, wie der andere Mann die rechte Hand aus der engen Umschlingung mit seiner Hetäre löst, um ihr liebkosend zwischen die Glutäen zu fassen. Liebeswerbung durch gegenseitiges Be-

Abb. 121a Zwei Paare tauschen Zärtlichkeiten. Kalpis; 510-500 v. Chr. Brüssel, Musees Royaux d'Art et d'Histoire R 351.

Liebeswerben

Abb. 121 b Umarmung. Detail aus Abb. 121a.

Abb. 121c Befingerung. Detail aus Abb. 121a.

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Erotik bei Hetären und Männern

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Abb. 122 Paare beim Symposion. Trinkschale, Außenbild; 490-480 v.Chr. New York, Metropolitan Museum of Art 20.246.

rühren wird eindringlich gemacht in einer subtilen Mischung aus Direktheit und Dezenz. Auf das uneingeschränkte, aber dennoch kultivierte Vorzeigen von Sinnlichkeit verstand sich ebenfalls der Schöpfer einer Gelagedarstellung mit insgesamt sechs Paaren, von denen hier drei abgebildet sind (Abb. 122). Zum Knaben, der sich rechts unter dem Schalengriff befin-

det und für frischen Wein sorgt, blicken sich eine Frau und ein Mann um, die entspannt auf der Kline ruhen. Beider Gesichter verraten, soweit erkennbar, kein Gefühlsengagement. Aber die Art, wie sich die Hetäre in den Schoß des Liebhabers schmiegt, bezeugt die gewünschte Nähe. Er faßt sie an Ellenbogen und Schulter. Sie berührt seinen Hals. Ein zweites Paar, links im Bild, wird noch

zueinander finden. Leicht nach vorn gebeugt, mit der Linken ihren Schöpf fassend, mit der Rechten ein Haarband haltend, steht eine Hetäre nackt vor ihrem Partner, dessen ausgestreckte Hand den Wunsch äußert, zu ihm zu kommen. Halb liegend vereint sich die mittlere Zweiergruppe in jenem üblichen Umarmungsmotiv, das in Zusammenhang mit Abb. 119 beschrieben wurde. Verliebtes Anschauen ist ablesbar. Die Darstellung ist so lebendig, daß man meint, die lächelnde Frau müsse im nächsten Augenblick den Kopf des Symposiasten näher zu sich ziehen, um ihm einen Kuß auf die Lippen zu drücken. Sein auf dem Oberschenkel ruhender Arm verrät vielleicht, daß er die Aktivität der Hetäre weiter herausfordert. Obgleich der Vasenmaler die Mäntel der Männer, die Polster und die Klinen recht summarisch wiedergegeben hat, ist es ihm gelungen, bestimmte Stufen sexueller Empfindungen in Anordnung, Gesten und Gesichtsausdruck der Paare auf höchst sensible Weise zu charakterisieren. Die zuletzt in Zusammenhang mit Abb. 116-122 beschriebenen Gestaltungen von mehr oder minder erotisierenden

A

Abb. 123 Ein Paar vor dem Kuß. Hydria; 460-450 v. Chr. The Art Institut of Chicago 1911.456.

Abb. 124 Ein Mann greift im Liebesverlangen nach einer Hetäre. Kolonettenkrater; 480-470 v. Chr. Cambridge, Fogg Art Museum 60.346.

Liebesvorspiel

71

Zärtlichkeiten - hier als Liebeswerbung klassifiziert, zuweilen aber durchaus in den Themenkreis des Liebesvorspiels (s. S. 71 ff., Kap. Liebes Vorspiel) hinüberreichend - gleiten nicht ab in eine Erniedrigung der Partnerin, die man in einer Darstellungsgruppe mit drastisch sexuellen Forderungen feststellt und die deshalb nicht mehr unter die Liebeswerbungen in dem zuvor erörterten Rahmen zu rechnen sind. Sie werden gesondert behandelt (s. S. 73 ff., Kap. Liebesakt).

Kuß

Bei dem breiten Spektrum erotischen Verhaltens zwischen Hetären und Männern, das bislang besprochen wurde, verwundert es, daß so selten Kußdarstellungen vorkommen.'" Dieser Befund ist sicher nicht zu erklären mit der Scheu der Vasenmaler vor der Zeichnung des Küssens als eines Vorspiels zum Liebesakt. Schließlich gibt es mehrere unten noch zu kommentierende Bilder, die Liebesspiele vor der sexuellen Vereinigung der Partner wiedergeben. Das Fehlen von realistischen Kußszenen läßt sich ganz einfach auf ein maltechnisches Problem zurückführen. Um das Aufeinanderpressen der Lippen zu zeigen, hätte der Künstler in den Gesichtern seiner Liebespaare die Relieflinien von Nase, Mund und Kinn so eng nebeneinander ziehen oder sogar ineinanderfließend zeichnen müssen, daß eine Art doppelköpfiges Fabelwesen entstanden wäre. So sind denn auch die Paare in Abb. 123, 126 nicht direkt beim Kuß, sondern im Verlangen auf den Kuß hin aufgefaßt. 200 Ein sehr enges Beieinander der Gesichter (Abb. 123), mit einer Berührung an den Nasenspitzen, darf vielleicht als Illustration zu dem in Griechenland angeblich so beliebten «Henkelkuß» gesehen werden. Bei dieser Art des Kusses nahm der aktive Partner den anderen an beiden Ohren und küßte ihn. Hier scheinen die Hände der Frau im Begriff, die Ohren ihres Liebhabers zu fassen. Die Gelagerten auf der Kline in Abb. 126 sind nicht nur interessant unter dem Aspekt des sich vor dem Kuß befindenden Paares. Intensives Umarmen, Aneinanderschmiegen der Körper, streichelndes Anheben einer Brust der Frau durch die Hand des Mannes deuten Liebesvorspiel an und leiten zu den Beispielen des nächsten Themenkreises über. (Zum Kuß vergleiche ferner S. 112ff., Kap. Hetero- und homosexueller Liebesbeginn).

Abb. 125 Liebesvorspiel. Trinkschale, Innenbild; 510-500 v. Chr. Malibu, The John Paul Getty Museum 80.AE.322.

Liebesvorspiel Im folgenden wird das Liebesvorspiel von der bereits S. 66 ff. im Kapitel Liebeswerben diskutierten Sujetgruppe der Liebes Werbung getrennt, obgleich das Motivrepertoire beider Themenkomplexe zuweilen miteinander verschmilzt. Eine von J. D. Beazley, dem wohl hervorragendsten Kenner attischer Gefäßmalerei, angefertigte Zeichnung eines Vasenbildes (Abb. 124) zeigt Liebesvorspiel als Verfolgung. Der erregte Liebhaber möchte die Hetäre festhalten. Sein Blick konzentriert sich ganz auf den nackten Körper der Frau, deren Busen und Gesäß das Ziel seiner Hände sind. Sie dreht sich zu dem Mann um. Ob ihr erhobener rechter Arm Ermunterung oder Abwehr bedeutet, bleibt der individuellen Phantasie beim Betrachten überlassen. An diese Szene (Abb. 124) erinnert das Paar zwischen Annäherung und Fliehen in Abb. 127. Aber dieses Liebesvorspiel ist zu einem erregenderen Augenblick gesteigert. Das offenbaren der lüstern begehrliche Blickkontakt und die transitorische Bewegung, die in der vereinenden Umarmung enden werden.

Liebesvorspiel in liegender Position genießt das Paar aus Abb. 125. Die Frau schmiegt sich rücklings in den Schoß ihres Liebhabers. Er hebt sein rechtes Bein über ihre rechte Hüfte und senkt es zwischen ihre Oberschenkel. Die Hetäre lehnt ihren Oberkörper weit zurück und läßt ihren Kopf an der linken Schulter des Mannes ruhen. Beider Gesichter berühren einander. Mit ihrer linken Hand stützt sich die Frau vor dem Polster ab, mit ihrer rechten, nach oben geführten Hand faßt sie den Hinterkopf des Liebhabers. Beide Arme des Mannes umschlingen den Oberkörper der Frau. Seine Rechte hält zärtlich ihren Hinterkopf. Mit der Linken wiegt er eine ihrer Brüste, ohne daß die Finger die Brustwarze berühren oder die Brust fest umschließen. In seiner Verhaltenheit spiegelt dieses Liebesvorspiel, das dem Gefühlstimbre des Paares in Abb. 126 vergleichbar ist, eine innige Atmosphäre zwischen den Partnern. Weniger Zärtlichkeit hingegen beziehen die Beteiligten in Abb. 128a.b bei ihrem Vorspiel zur Liebe ein. Die Szene ließe sich auch so deuten, daß die sexuelle Entspannung nicht im Beischlaf nach dem Liebesvorspiel, sondern durch manuelle Einwirkung erreicht wird. Der

72

Erotik bei Hetären und Männern

Abb. 126 Ein Paar beim Gelage vor dem Kuß. Trinkschale, Innenbild; um 500 v. Chr. New Haven, Yale University Art Galery. 1913.163.

hockende Mann (Abb. 128a) umfaßt sein aufgerichtetes Glied. Er konzentriert sich ganz auf sein Tun. Die Verbindung zu der vor ihm sitzenden Hetäre stellt der Vasenmaler im Formalen her, wenn er den Liebhaber an den Fuß des Kelchkraters fassen läßt, den die Frau in ihrer Rechten hält. Individuelle Sehweise mag entscheiden, ob sie die Starrheit im Blick der Hetäre mit dem Kopftuch als Warten auf weitere Aktionen ihres Gegenübers

Abb. 128a

Abb. 127 Ein Mann verfolgt eine Hetäre. Trinkschale, Innenbild, 510-500 v.Chr. Athen, Nationalmuseum 17303.

deutet oder ob sie ihn als Ausdruck des Berauschtseins auslegt. Von der Position des Weingefäßes läßt sich zumindest ablesen, daß es weitgehend geleert ist. Den zurückgelehnten Liebhaber (Abb. 128b) erfreut der feste Griff der Hetäre an sein Genital. Soweit es die Haltung des Mannes erlaubt, gibt er sich vollends seiner sexuellen Erregung hin. Dieser Eindruck entsteht durch den stark zurückgeneigten Kopf, seine Wohlempfinden verströ-

mende Physiognomie und den entspannt vorgestreckten Arm mit nach oben gedrehter und weit geöffneter Handfläche. Der Blick seiner vor ihm kauernden Partnerin richtet sich gebannt auf den Penis. Die schwammigen, fetten Frauenkörper zeigen an, daß reife Hetären gemeint sind. Eine klare, aber keineswegs unangenehme Drastik prägt die Szenen der Abb. 128 a.b. Ähnliche Darstellungsinhalte kön-

Liebesvorspiel. Trinkschale, Außenbild; um 500 v.Chr. Malibu, The John Paul Getty Museum 80.AE.31.

Liebesakt

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Abb. 128b Liebesvorspiel. Korrespondenzbild zu Abb. 128a.

nen sich allerdings zu einer befremdlichen Derbheit steigern, wenn vergleichbare Liebesvorspiele in Gefäßdekorationen mit Fellatiopraktiken und Geschlechtsakten vergesellschaftet sind (s. das folg. Kap. Liebesakt, Abb. 143a.b, 144, 148a-c).

Liebesakt Zu Beginn dieses Kapitels möchte ich Kompositionen mit je einem einzelnen heterosexuellen Paar behandeln, dessen Liebesakt, abgesehen von einer Ausnahme (Abb. 146), ohne benachbarte

Abb. 129 Liebesakt. Trinkschale, Innenbild; 480-470 v.Chr. München, Privatbesitz.

Personen gezeigt ist. Anschließend werden Bildfindungen einbezogen, die Frauen und Männer beim Sexualverkehr inmitten der Turbulenz einer vielfigurigen Darstellung abbilden. Diese umfangreiche Dokumentation ist erforderlich, um die schwer zugäng-

Abb. 130 Liebesakt. Trinkschale, Innenbild; um 470 v. Chr. Tarquinia, Museo Nazionale (ohne Inv. Nr.).

Erotik bei Hetären und Männern

74

Abb. 131 Liebesakt. Trinkschale, Inncnbild; 480-470 v.Chr. Oxford, Ashmolean Museum 1967.305.

liehen Darstellungen in einer bequemen Übersicht bereitzuhalten. Nur anhand ausreichender Illustrationen läßt sich beurteilen, inwieweit neuere Forschungen relevant sind, die belegen, daß die betreffenden Bilder nicht nur das Interesse des Vasenmalers bzw. des Gefäßkäufers an Szenen des geschlechtlichen Verkehrs bekunden, sondern zugleich gesellschaftspolitische Rückschlüsse erlauben. Mehrere Bilder (Abb. 129-134) geben dorsalen Geschlechtsakt wieder. Inwie-

Abb. 132 Liebesakt. Trinkschale, Innenbild; um 510 v. Chr. Orvieto, Museo Claudio Faina Inv. 549 T 26.

weit antikonzeptioneller Analverkehr gemeint ist, kann durch die Vasenmalerei nicht zwingend klar werden. Die Frauen stehen weit nach vorn gebeugt. Mit den Händen stützen sie sich auf den Boden (Abb. 129, 131, 132), ein Polster (Abb. 130), einen Schemel (Abb. 133) oder eine Kline (Abb. 134). Zumeist erfordern die Haltungen gymnastisches Vermögen. Ein stark zerstörtes Schaleninnenbild dürfte zu der genannten Darstellungsgruppe gehören. 201 Bei den drei anzuführenden frontalen

Abb. 133 Liebesakt. Trinkschale, Innenbild; um470v. Chr. Boston, Museum of Fine Arts 1970.233.

Liebesvereinigungen liegt die Frau auf polsterbedecktem Lager (Abb. 139, 141) oder sitzt auf der Kline, an ein Kissen gelehnt (Abb. 135). Die Beine der Prostituierten beschweren die Schultern des Liebhabers. Sowohl die Knie des Freiers mit gelichtetem Haar (Abb. 139) als auch die des Mannes mit vollem Schöpf (Abb. 141) sind so unrealistisch über die Kline hinabführend angegeben, daß man den bevorstehenden Absturz vom Lager assoziiert. Ähnliches könnte auch dem Liebhaber in Abb. 135 widerfahren.

Abb. 134 Liebesakt. Trinkschale, Innenbild; um 470 v.Chr. Malibu, The John Paul Getty Museum (S.80.AE.33) 86.AE.294.

Liebesakt

Abb. 135 Liebesakt. Lekythos; um 470 v.Chr. Privatbesitz. Collezione Guarini Inv. 154.

Einige Liebesvereinigungen (Abb. 136 bis 138, 145), dorsal oder ventral zu umschreiben, sind transitorischer als die zuvor erwähnten, lassen offen, ob analer oder vaginaler Geschlechtsakt gemeint ist, geben die Frau oder den Mann in tragender Position. Während sich die bäuchlings gewendete Frau (Abb. 136) mit der Hand des einen Armes auf dem Kopfkissen abstützt, faßt sie mit der anderen den Penis des Partners. Der Mann kniet am Fußende der stilisierten Kline und hebt die Hüftzone der Hetäre mit seiner linken Hand an. Abb. 137 illustriert einen Koitusbeginn. Der Liebhaber streckt sich rücklings auf ein Polster. Seine Partnerin, von ihm abgewendet, senkt sich aufsein erigiertes Glied hinab. Ein Bewegungsmoment wird eingefangen, das diese Liebesstellung konsequent erfaßt. Die Füße der Frau berühren den Boden. Ihre Hände pressen sich auf den Oberkörper des Mannes. Gesäß und Rücken der Prostituierten bieten sich den Blicken des Partners.

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Ein Paar beim Akt von hinten auf einer zeichenhaft angedeuteten Kline erkennt man in Abb. 138. Der Mann stützt seinen Rücken gegen ein voluminöses Kissen. Der Freier in Abb. 145 sitzt auf einem Stuhl und hat sich mit einer Hetäre vereinigt, die mit gespreizten Beinen auf seinem Schoß hockt. Seine Rechte umfaßt eine Brust der Frau. Auf dem Knotenstock des Mannes ruht lässig der linke Arm der Hetäre, die aus dem Bild herausschaut, als berühre sie das Geschehen nicht. Ein tiefes Sentiment zwischen den Partnern prägt eine singuläre Darstellung (Abb. 140), bei der die Frau aktiv wird und zum Liebesvollzug auf den Schoß des sexuell erregten Mannes steigt, der erwartungsvoll zurückgelehnt auf einem Stuhl verharrt. Hinreichend verwiesen wurde auf die Innigkeit dieser Liebesszene, die sich hauptsächlich im Transitorischen der Handlung, durch sanfte Bewegungen, ferner mittels Stirnberührung und Blickkontakt der Beteiligten manifestiert.202 Kaum weniger Zartheit verströmt eine wesentlich ältere Bildfindung (Abb. 146) mit einer Frau, die in untergeordneter Position auf einem Polster liegt und mit hoch aufgenommenen Beinen die sexuelle Vereinigung mit ihrem Liebhaber annimmt. Fuß- und Beinspuren zu seilen dieses Liebesaktes zeigen an, daß er inmitten einer vielfigurigen Szene anzusiedeln ist. Mit den Koitusszenen in Abb. 142a-c, die - gewissermaßen exemplarisch an einem Gefäß - das Nebeneinander von frontalem und dorsalem Koitus vorführen, mag die Bestandsaufnahme der Liebespaare, die der Vasenmaler ohne «Zuschauer» komponiert hat (ausgenommen Abb. 146), abgeschlossen sein.

Abb. 136 Liebesakt. Trinkschale, Innenbild; um 470 v.Chr. London, British Museum E 816.

Abb. 137 Liebesakt. Trinkschale, Innenbild; um 470 v. Chr. London, British Museum.

Abb. 138 Liebesakt. Trinkschale, Innenbild; um 510 v.Chr. Berlin, Privatbesitz.

Da die Behandlung von Erotika niemals interpretationsneutral verlaufen kann, bemühte ich mich, die Bildbelege primär vom Gegenständlichen her zu beschreiben, um dadurch eine sachliche Basis zu schaffen für die Auseinandersetzung mit einigen das erotische Symplegma betreffenden Gedanken aus der neueren archäologischen Forschung. Die Koitusbilder wurden bezüglich ihres Aussagewertes zur Stellung der Frau in ihrer Gesellschaft ausgeleuchtet. Zweifelsohne führen die vorgelegten Denkmäler «paradigmatisch die Objekthaftigkeit der Frau» vor Augen. W. Martini203, dessen Formulierung ich schlagwortartig zitiert habe, gewinnt seine Beobachtungen hauptsächlich aus einer Analyse des Schalenbildes Abb. 131. Innerhalb der zuvor angeführten Liebesakte ist diese Darstellung tatsächlich diejenige, in der die Frau in ausnehmend passiver, ja demütigender Stellung gemalt ist. Sie hockt zu Füßen des Mannes. Von ihm abgewandt, überläßt sie ihm ihr Gesäß. W. Martini denkt zu Recht an das «für die vierbeinige Tierwelt charakteristische Begattungsschema». Die Verfügbarkeit der Frau, die aus diesem Vasenbild interpretiert werden muß, liegt mei-

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Erotik bei Hetären und Männern

Abb. 139 Liebesakt. Trinkschale, Innenbild; um 470 v.Chr. Tarquinia, Museo Nazionale (ohne Inv. Nr.).

nes Erachtens nicht primär in der Darstellung des Kauerns und der Liebe a tergo, sondern in der Position des Kopfes der Frau. Ihre Stirn berührt den Boden. Der Mund erscheint wie kußbereit über den Zehen des Liebhabers. Die Assoziation zur Proskynese drängt sich auf, zu jener fuß fälligen Begrüßung, dem Zeichen sklavischer Unterwürfigkeit und göttlicher Verehrung, die besonders den persischen Großkönigen zukam, aber von den Griechen für freie Menschen als

Abb. 140 Liebesszene. Kanne; 430-420 v. Chr. Berlin, Antikenmuseum (Charlottenburg), Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz F 2414.

unwürdig abgelehnt wurde. Daß gerade bei diesem Schaleninnenbild (Abb. 131) die Frau als Objekt des Mannes plakatiert ist, scheint mir auch in folgendem Detail ablesbar. Die einzige Verbindung zwischen dem Paar ist das penetrierende Glied, während in anderen Liebesszenen mehr oder minder intensive, stützende, zuweilen sogar liebkosende Berührungen zwischen den Partnern hinzukommen. So greifen beide Hände des Mannes unter die Achseln der Frau (Abb. 129, 132,

Abb. 141 Liebesakt. Trinkschale, Innenbild; um 470 v. Chr. Tarquinia, Museo Nazionale (ohne Inv. Nr.).

133, 138) oder ruhen auf ihrem Rücken (Abb. 130). Ein Liebhaber hält die Glutäen der Hetäre (Abb. 134). In Abb. 136 hebt der Mann den Unterkörper seiner Partnerin an, während sie seinen Penis umgreift. Rückstütze für die Frau gibt der Mann mit seiner Linken in Abb. 145, Liebkosung ihrer Brust mit der Rechten. Die Verklammerung der Zweiergruppen auf der Kline beim frontalen Verkehr verinnerlicht sich durch den als zärtlich (Abb. 139, 141) oder begehrlich (Abb. 135) zu bezeichnenden Blickkontakt. Beim Paar in Abb. 137 beschränkt sich die Berührung - die Hände der Frau stemmen sich auf den Brustkorb des Mannes - ausschließlich auf das für die durchgeführte Liebesaktion nötige Abstützen. Für die Agierenden in Abb. 140, 146 sei nochmals auf das Ineinandertauchen der Blicke, für das Paar in Abb. 140 zusätzlich auf den Stirnkontakt hingewiesen. Nicht nur die Darstellung in Abb. 131, die W. Martini als Ausgangspunkt für seine Beobachtungen auswählte und der ich ebenfalls noch einige Aufmerksamkeit schenkte, sondern auch die übrigen hier abgebildeten und besprochenen Liebesakte wurden desgleichen von E. C. Keuls204 vorrangig unter dem Aspekt der Objektfunktion der Frau betrachtet. E. C. Keuls weist durchaus auf die zuweilen durchschimmernde Zuneigung der Paare in den betreffenden Szenen hin, liest aber vor allem Erniedrigung und Ausnutzung der sich sexuell unterwerfenden Frau aus ihnen ab. Derartige Argumentationen sind bis zu einem ge-

Liebesakt

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Abb. 142a Koitusszenen. Askos; um 470 v.Chr. Athen, Kerameikos Museum 1063.

Abb. 143a Sexuelle Aktivitäten. Trinkschale, Außenbild; 510-500 v. Chr. Paris, Musee du Louvre G 13.

Abb. 142b Frontaler Liebesakt. Detail aus Abb. 142a. Abb. 143b Sexuelle Aktivitäten. Korrespondenzbild zu Abb. 143a.

Abb. 142c Dorsaler Liebesakt. Korrespondenzbild zu Abb. 142b.

wissen Grade stimmig und werden besonders einsichtig, wenn man sie unter dem Gesichtspunkt des Forschungsthemas von E. C. Keuls wahrnimmt, nämlich der Dominanz des Mannes in der athenischen Gesellschaft des 5. vorchristlichen Jahrhunderts, eines Faktums, das aus heutiger Sicht für die meisten Frauen eine unvorstellbare Härte in allen ihren Lebensbereichen bedeutet hat. Obgleich ich die Forschungsergebnisse von E. C.

Abb. 144 Sexuelle Betätigungen. Kantharos; 510-500 v.Chr. Boston, Museum of Fine Arts 95.61.

Keuls in ihrer Gesamtheit hier ausdrücklich als positive neue Interpretationswege würdigen möchte, meine ich, daß sie zuweilen auf einer einseitigen Auslegung der Bildinhalte beruhen. Um diesen Eindruck zu begründen, mag der Leserschaft eine Teilanalyse zugemutet werden. Nur das Gesicht jener Hetäre (Abb. 131) - sie kauert so vor ihrem Liebhaber, daß ihre Stirn den Boden berührt - wirkt stumpf und ge-

quält. Die Abb. 130, 132-134, 136 bis 138, 140, 142, 146 spiegeln die Züge der Frauen indifferent, ohne eindeutige Abneigung gegen die sexuellen Betätigungen, an denen sie teilhaben. Aus einer gewissen Verkniffenheit der Gesichtszüge der Hetäre in Abb. 135 könnte man vorbehaltlich Widerwillen oder Ungeduld bezüglich des ausgeübten Verkehrs ablesen. Wohlwollendes Einverständnis, angenehmes Empfinden oder sogar Lei-

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Abb. 145 Liebesakt. Trinkschale, Innenbild; 480-470 v.Chr. Malibu, The John Paul Getty Museum 83.AE.321.

Abb. 146 Liebesakt. Trinkschale, Außenbild; um 500 v.Chr. Malibu, The John Paul Getty Museum (S.80.AE.305) 86.AE.284 Bareiss 327.

Erotik bei Hetären und Männern denschaft möchte ich den Gesichtern der Frauen aus Abb. 129, 139, 141 entnehmen. Die Physiognomie der Hetäre in Abb. 145 verströmt Langeweile. Die voraufgehenden Ausführungen belegen erneut, wie subjektiv Bildfmdungen erotischen Inhalts aufgenommen werden. Es ist in diesem Zusammenhang, der die Hetäre in ihrer rollenspezifischen Einengung bzw. Ausnutzung durch den Mann offenbart, unbedingt zu konstatieren, daß die Gesichter der Liebhaber annähernd die gleichen Gefühlsfacetten zeigen, die sich in denen ihrer Partnerinnen ablesen lassen. Das bedeutet: Da sich das künstlerische Vermögen des Vasenmalers gleichermaßen in den weiblichen und männlichen Köpfen niederschlägt, muß jede Sehweise irreführen, die bestimmte Details nur in Hinblick auf die Frau interpretiert. Bei der Beachtung vieler gegenständlicher Einzelheiten wird also evident, daß die Objekthaftigkeit der Hetäre nicht gleichbleibend durchgängig und eindeutig in den betreffenden Vasenbildern zum Ausdruck kommt. Meine Relativierung bezweifelt keineswegs die Tatsache, daß die Frau in der athenischen Gesellschaft des 5. vorchristlichen Jahrhunderts unerfreulich abhängig vom Mann gewesen ist, sondern sie möchte nur vor der tendenziösen Teilanalyse bestimmter Kriterien zugunsten einer erotischen Deutung warnen. Aus der längst selbstverständlich gewordenen Einsicht, daß es heute nicht mehr genügen kann, die betreffenden Themen erotisch-sexuellen Inhalts als kuriose Altertümer mit lüsternen Motiven zu behandeln, scheint sich bedauerlicherweise zuweilen der Zwang zu entwickeln, sie nun, in ebenfalls einseitiger Sehweise, ausschließlich als Spiegel spezifischer kulturgeschichtlicher bzw. gesellschaftspolitischer Zustände zu nutzen. In diesem Kontext wäre beispielsweise auf ein interessantes Phänomen hinzuweisen, das auch K. J. Dover205 diskutierte. Die relativ häufig dargestellten heterosexuellen Geschlechtsakte, bei denen die Frauen a tergo begattet werden, sich also nach vorn beugen, während die Männer hinter ihnen stehen, könnte zu der Schlußfolgerung verleiten, daß sich diese Stellung beim Sexual verkehr (s. hier Abb. 129-134) im antiken Griechenland besonderer Beliebtheit erfreute. Aber eine oft abgebildete Verhaltensweise muß nicht zwingend in der Realität verbreitet gewesen sein. Ständige Wiederholungen eines Sujets können sich auch folgendermaßen erklären: Es eignete sich besonders für eine bestimmte Gefäßgruppe,

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Liebesakt wurde als gelungene Szene eines bewunderten Künstlers gern kopiert oder genoß große Nachfrage seitens der Käufer. Ferner ist stets die Zufälligkeit des Erhaltenen zu berücksichtigen. Immer wieder zeigt sich, daß man bei der Betrachtung von Erotika in besonderem Maße der Sphäre seiner eigenen erotischen Reizbarkeit verhaftet bleibt und somit zuweilen auch einer verständlichen Subjektivität gegenüber seinen Fragestellungen erliegt. W. Martini beispielsweise, von der stillen, durchaus psychologisierend aufzufassenden Liebesszene der Abb. 140 fasziniert, führt diese - mit geschickt umsichtiger Absicherung gegen eine etikettierende Auslegung - als repräsentatives Zeugnis an für eine sich in bildender Kunst und Literatur der Hochklassik spiegelnde gewandelte Stellung der Frau in der athenischen Gesellschaft. 206 Bei aller Zustimmung für eine derartige Interpretation bleibt dennoch mit Rückblick auf Abb. 140 zu fragen: Strahlt das Symplegma in Abb. 146 auf einem älteren Gefäßfragment, bei dem die Frau während des Liebesaktes in physischer Unterordnung erscheint, nun wirklich weniger Intimität, Stille. Übereinkunft oder Zuneigung zwischen den Partnern aus? Dessenungeachtet kann ich M. Martinis Sicht der erotischen Gruppe in Abb. 140 sehr wohl akzeptieren. Hingegen fällt es mir schwer, einer Deutungskette von B.C. Keuls zu folgen207, die in zwei Bildern (Abb. 142b.c) an einem Askos (Abb. 142a) den gleichen Mann erkennt und feststellt, seine ziemlich lange Nase in beiden Darstellungen beweise, daß es sich um dieselbe Person eines Freiers handele, der zwei verschiedene Frauen liebe, die eine frontal (Abb. 142b), die andere dorsal (Abb. 142c). Die schlanke Frau in Rückenlage sei die Jüngere. Die sich aufstützende dicke Frau, deren Bauch durchhänge und die zahnlos erscheine, sei als ältere einzustufen. Zwingend laute die aus dem Gegenständlichen zu ziehende Folgerung, daß die frontale Vereinigung als die kultiviertere Liebesstellung für begehrenswerte Frauen gegolten habe, während der dorsale Verkehr weniger rücksichtsvoll und wahrscheinlich herabwürdigend empfunden worden sei. Die Leserschaft mag sich anhand der Fotos ihr eigenes Urteil bilden und entscheiden, ob sie diesen Interpretationen folgen will. Leider habe ich das Gefäß aus Abb. 142a-c nicht im Original gesehen. Meines Erachtens bestätigen die Abbildungen keineswegs jene zitierte Detailbeobachtung einer Zahnlosigkeit bei

Abb. 147 a Ein Mann schlägt eine Hetäre mit der Sandale. Trinkschale, Außenseite; um 470 v.Chr. Ehemals München, Sammlung Arndt.

Abb. 147b Liebesakt und Züchtigung mit der Sandale. Korrespondenzbild zu Abb. 147a.

der fülligen Frau. Und anzumerken wäre ferner, daß auch die grazile schlanke Frau beim entspannten Koitus a tergo während eines vorgebeugten Hockens oder Stehens über ein mehr oder minder herabhängendes Bindegewebe der Bauchpartie verfügt. Wie oben angekündigt, sollen im weiteren Teil dieses Kapitels eine Reihe von Liebesakten dokumentiert werden, die als orgiastische Realisation sexueller Bedürfnisse im Rahmen des Rauschfestes anzusprechen sind. Die Szenen der Abb. 143a.b bezeugen das kompositorische Können des Vasenmalers und seinen freien Umgang mit der Bildersprache grob sinnlicher Sexualität. Unbekleidete Gruppen aus zwei oder drei Personen - kräftige Frauenkörper und schlankere Männerkörper - überspannen die Außenseite der Trinkschale. Mit dem angezogenen linken Knie kauert eine

Hetäre bäuchlings über einem Schemel (Abb. 143a). Ihren rechten Arm muß man abgestützt vorstellen, andernfalls würde die Frau nicht in ihrer unbequemen Position verharren können, zumal der andere Arm herabhängt, ohne Halt zu finden. Die Hetäre bedient den vor ihr stehenden Freier mit Fellatio, während der hinter ihr befindliche Mann a tergo in sie eindringt. Auf seiner linken Schulter ruht das rechte Bein der Prostituierten, die die Sandale in der Hand ihres stimulansbedürftigen Freiers bereits gespürt haben wird. Die freien Hände der Männer pressen gegen den Rücken der Frau, diese und zugleich sich selbst abstützend. Die Erniedrigung der Hetäre bzw. das Verfügen über die weibliche Ware ist eindringlich und dezenzlos gestaltet. Ähnliches gilt für die sich anschließende Gruppe (rechts in Abb. 143a). In ihr preßt ein Mann sein über-

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Erotik bei Hetären und Männern groß gemaltes Glied in den Mund der vor ihm auf die Knie Gesunkenen. Hinreichende Derbheit der Darstellung begegnet desgleichen in Abb. 143b mit dem knienden Rauschfestteilnehmer, der sich durch eine Hetäre befriedigen läßt, die wie ein Vierfüßler vor ihm ausharrt. Seine Rechte hält ein Trinkhorn. Die Linke streckt er gestikulierend aus. Links in Abb. 143b erkennt man die Frau eines weiteren Paares in a tergo-Position, dem sich ein Mann in höchster sexueller Erregung nähert, die Lampe in der einen, den Lampenständer in der anderen Hand mit sich führend. Die zuvor beschriebene Dreiergruppe mit Fellatio und dorsaler Liebesvereinigung kehrt ganz ähnlich wieder im Rauschfestgeschehen auf den Außenseiten einer anderen Trinkschale. Dort (Abb. 148a) ist der Hetäre allerdings kein Möbel beigegeben, sondern sie steht mit eingeknickten Knien geduckt nach vorn gebeugt. Dem Kompositionsganzen ist ebenfalls die Liebesvereinigung der Abb. 148b eingebunden. Ein aufrecht schreitender Liebhaber hält seine Partnerin auf seinen Händen in Schoßhöhe. Sie umschlingt mit beiden Armen seinen Kopf und Hals. Mit ihren gespreizten

Abb. 148a Dreiergruppe bei sexuellen Aktionen. Trinkschale, Außenseite; 490-480 v.Chr. Florenz, Archäologisches Museum 3921.

Abb. 148c Züchtigung mit der Sandale. Korrespondenzbild zu Abb. 148a.

Abb. 148b Liebespaar. Detail aus der gleichen Schalenaußenseite wie Abb. 148a.

Liebesakt Beinen klammert sie sich an den Schultern des Mannes fest. Ähnliche Konstellationen kommen selten auf rotfigurigen Gefäßen208, etwas häufiger auf schwarzfigurigen Vasen vor (vgl. hier Abb. 87, 90). Im stark zerstörten Teil der Schalendekoration (Abb. 148c) erkennt man einen Freier, dessen eine Hand mit der Sandale zuschlägt, während die andere die vor ihm «auf allen Vieren» hockende Prostituierte niederpreßt. Gegenüber diesen höchst drastischen Szenen wirken die sexuellen Betätigungen in der Abb. 144, die wiederum im Ambiente des Rauschfestes anzusiedeln sind, annähernd graziös und liebenswürdig. Neben einem Männerpaar, das sich unmittelbar vor geschlechtlicher Vereinigung befindet, agiert ein einzelner Mann mit einer Penisnachbildung (s. S. 99ff., Kap. Erotik und Selbstbefriedigung, Frauen). Eine Hetäre beugt sich über einen gelagerten Freier zur FellatioHandlung. Andere, hier nicht abgebildete Dekorationen des Gefäßes beinhalten erregte Männer im Tanz mit Hetären, die ihnen in lasziven Bewegungen verführerische Körperlichkeit bieten.209 Die Motivverknüpfung von Züchtigung mit der Sandale und dorsalem Koitus, bekannt von den Darstellungen in Abb. 143 a, 148c, spiegeln auch die erotischen Gruppen der Abb. 147a.b. In Abb. 147a liegt die Prostituierte rücklings auf einem Polster. Sie stützt sich auf beide Ellenbogen. Ein Mann packt die angewinkelten Beine der Frau und blickt auf ihr Gesäß, das mit der Sandale in seiner Linken zu schlagen er sich anschickt. Ein Beobachter des Vorgangs gestikuliert, als ermuntere er zu weiterem Tun. Abb. 147'b, das Korresponden/bild zu Abb. 147a, enthält eine verwandte «Prügelszene» neben einem Paar beim Geschlechtsakt von hinten. Wollte man die Beispiele von Vasenbildern fortsetzen, in denen Hetären beim «love making» benutzt und gedemütigt werden, dann wären noch zwei Außenseiten einer Trinkschale anzuführen. 210 Eine Dekoration gibt die halb gelagerte Frau vor dem leicht über sie gebeugten Freier wieder, dessen eine Hand sich ihrem dargebotenen Genitalbereich nähert, während die andere eine Sandale bereithält. Der Zechgenosse scheint die Situation mit Anfeuerungsbewegungen voranzutreiben. In der korrespondierenden Gefäßseite stützt sich eine Frau weit vorgebeugt auf beide Hände. Zwei sie rahmende Männer machen sie gefügig. Während der eine ihren Schöpf faßt, preßt der andere ihre Glutäen. Auf motivähnliche Bildfmdungen an Trink-

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Abb. 149 Liebesspiel zu dritt. Weinmischgefäß (Stamnos); um 440 v.Chr. Paris, Musee du Louvre C 9682.

Abb. 150 Sex zu viert. Weinmischgefäß (Stamnos); um 430 v. Chr. Athen, Nationalmuseum 2579 (Sammlung J. Demetriou).

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Abb. 151 a Liebesaktivitäten. Trinkschale, Außenseite; um 500 v.Chr. Malibu, The John Paul Getty Museum 82.AE.27.

Abb. 151b Zecher. Korrespondenzbild zu Abb. 151a.

Abb. 151c Liebesvorspiel. Detail aus Abb. 151a.

Abb. 151d Liebesakt. Detail aus Abb. 151a.

Erotik bei Hetären und Männern schalen in Orvieto 211 und Florenz212 sei nur noch verwiesen. In den zuvor erörterten, thematisch verwandten Gruppen von orgiastischen Rauschfestausschnitten (Abb. 143, 144, 147, 148), die Erzwingung sexueller Tätigkeiten, Fellatio und Koitus kennzeichneten, wurden überwiegend duldsame und ausgelieferte Prostituierte in ihrer Verfügbarkeit für den Festteilnehmer bzw. Kunden charakterisiert. Das gilt auch für die unbekleidete Hetäre, die inmitten von Aktivitäten beim Rauschfest (Abb. 149) dargestellt ist. Man erkennt zwei nackte, in höchster Erektion einherschreitende Zecher, die eine Hetäre derart tragen, daß die narrative Bildaussage beinahe so wirkt, als werde die bemitleidenswerte Frau zur Opferung gebracht. Der ihre Oberschenkel packende Mann befindet sich in der Position, die Hetäre vaginal zu lieben. Die Frau faßt den Penis des anderen Freiers, der ihren Oberkörper schleppt. Eine befremdende Dezenzlosigkeit dieser Vasenmalerei scheint mir überdeckt von einem nur schwierig zu umschreibenden Ausdruck, der in den Physiognomien der drei Personen liegt. Sinnenbewegtheit, Erotik, Gefühlsintensität möchte man gemäß heutiger Sehweise ablesen. Aber das in den Gesichtszügen freiwerdene Sentiment ist sicher primär zeitstilistisch zu werten. 213 Die Szene erinnert motivisch an die Satyr-Gruppe auf einer etwa hundert Jahre älteren, attischschwarzfigurigen Amphora (Abb. 29a). Als «eine der obszönsten unter den attischen Keramikmalereien» wurde die Darstellung in Abb. 150 eingestuft.214 Ein Mann liegt auf einer Kline, relativ teilnahmslos, sieht man von seiner sexuellen Erregung ab. Ein zweiter Mann, der am Kopfende des Ruhebettes steht und ein dritter, der ans Fußende der Kline getreten ist, halten eine Frau an gespreizten Armen und Oberschenkeln und senken sie auf das Glied des Liegenden hinab. Die Gesichter der drei Männer sind stark beschädigt. Die mützenartige Kopfbedeckung der Frau fällt als ikonographische Besonderheit auf (s. S. 90, Kap. Erotische Hilfsmittel: Kleidung Schmuck - Haartracht - Make up). Die antike Entstehung des Gefäßes und seiner Bemalung wurde angezweifelt215, zudem von etruskischer und nicht-attischer Faktur des Stückes gesprochen.216 Sexuelles Treiben bei Symposion bzw. Komos in breitester Variation dokumentieren Innenbild und Außendekorationen (Abb. 153a.b) einer Kylix, die viel Beachtung in der Forschung fand. Für das Innenbild (Abb. 153b) übernehme ich

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Liebesakt teilweise die stichwortartige Beschreibung aus einer grundlegenden Publikation217: «Auf einer Kline mit mehreren Polstern ein Paar in actu. Die Hetäre umschlingt den Mann mit linkem Arm und rechtem Bein und holt mit der Sandale zum Schlag gegen ihn aus. Die Verschlingung der beiden ist nicht leicht zu entwirren. Der Mann hat das linke Knie angezogen, Teil seines gebeugten Beines sichtbar, der halb verdeckte Unterschenkel mit Fußgelenk über dem linken Oberschenkel der Hetäre. Zwischen seinem Bauch und dem angezogenen Bein etwas vom Ansatz ihres rechten Oberschenkels. Links auf dem Kissen sitzender Jüngling erhebt in lebhafter Bewegung linken Arm und linkes Bein und, indem er dem Treiben der beiden zuschaut, umfaßt er mit der Rechten sein Glied. Unter dem Kissen, auf dem er sitzt, ein Stück der linken Fußspitze des Mannes; unmittelbar darunter, über der Kline, rechte Zehe der am Boden liegenden Hetäre, die trunken von Wein und Liebesgenuß eingeschlafen ist. Ihr linkes Bein untergeschlagen, linke Fußsohle über dem Schemel. Vom rechten Bein Ansatz des Oberschenkels und die erwähnte Fußspitze sowie Finger der linken Hand erhalten.» Das Innenbild (4 Personen) und die Außendekorationen (17 Personen) sind zweifellos als Ganzheit eines Ereignisses aufzufassen. Die ruhigere Phase der Abendunterhaltung ist vorbei. Begonnen hat der freiere Teil des Festes, in dem erotisierende Tänze und unterschiedliche sexuelle Betätigungen in das nächtliche Liebestreiben der nackten Rauschfestteilnehmer einmünden. Diverse Situationen der RauschfestNacht, die zuvor bereits erwähnt wurden, begegnen abermals. Lasziver Tanz der Hetäre und erotisch-sexuelle Verfolgung als eine Variante von Liebesvorspiel sind auszumachen. Ein Festteilnehmer koitiert mit seiner Partnerin. Einmalig hingegen ist eine Detailszene (Abb. 153a) dieses orgiastischen Geflechts aus Frauen und Männern. Als Cunnilingus während einer transitorischen Bewegung wäre sie aufzufassen. Eine Hetäre vollführt einen Tanzsprung, bei dem sie ihren linken Oberschenkel so weit abspreizt, daß ihre Vulva sichtbar wird, der sich Mund und Hand eines auf dem Boden liegenden Mannes nähern. Das Paar befindet sich zwischen einer weiteren tanzenden Frau und einem Lampenständer, an dem zwei Schöpfkellen hängen. Inmitten der zuvor beschriebenen Darstellungen wäre auch sehr wohl eine Situation denkbar, die das Fragment in Abb. 154 wiedergibt. Es zeigt eine Frau,

Abb. 152 Hetäre vor einer Kline. Vasenfragment; 500-490 v. Chr. Malibu, The John Paul Getty Museum 86.AE.312.

die sich anschickt, ihren Mund dem erigierten Glied ihres Begleiters zu nähern. Für die Vasenscherbe läßt sich nicht mehr entscheiden, ob der Freier brutal wird, um die gewünschte Befriedigung durch gezielte Handbewegungen oder schonungslose Sandalenschläge zu erreichen. Beides ist für die Ergänzung der Komposition erwägbar. Eine bisher unveröffentlichte, stark ergänzte Kylix (Abb. 151a-d) darf hier erstmalig bekannt gemacht werden. Auf einer Gefäßseite (Abb. 151 a) sind zwei heterosexuelle Erotika und ein einzelner Mann abgebildet, auf der anderen (Abb. 151 b) mehrere weinselig torkelnde und tanzende männliche Festteilnehmer mit Rhythmusklappern, Gefäßen, Knotenstock, umgehängten oder abgelegten

Mänteln und einem Flötenfutteral. Während der Freier einer Liebesgruppe (Abb. 151 c) steht und seine Hetäre am rechten Unterschenkel packt, als plane er eine Art Schubkarrenspiel vor dorsalem Koitus, ruht sein Zechgenosse (Abb. 151 d) bequem auf einer Kline und ist im Begriff, sich mit einer Frau zu vereinen. Diese wendet ihm den Rücken zu und senkt sich auf seinen Schoß hinab. Zu einer ähnlichen vielfigurigen Sexualszene gehörte sicher auch ein bislang unpubliziertes Fragment (Abb. 152). Erhalten sind der Unterkörper einer nackten Hetäre vor einer Kline und die Extremitäten einer auf die Frau und das Ruhebett zueilenden Person, wohl eines Mannes. Die in Hüftnähe der Frau wiedergegebene Hand gehört entweder zu ihr

Abb. 153a Zecher und Hetären. Detail aus Außenbild zu Abb. 153b.

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Erotik bei Hetären und Männern gig als Figurationen von Hetärentätigkeit bei Symposion und Komos zu sehen. Diese Feststellung initiiert das folgende Teilkapitel.

Sexualpartnerin beim Rauschfest oder im Bordell? Läßt man die auf Koitus hinweisenden Fragmente219, die keine gesicherte Auswertung mehr erlauben, ferner zwei unter einem Mantel liegende Liebespaare220, die eine ikonographische Besonderheit darstellen, beiseite, dann sind, soweit ich augenblicklich sehe, zwölf intakte, verläßlich restaurierte oder relativ groß fragmentierte Schaleninnenbilder bekannt, die eine Frau und einen Mann beim Verkehr abbilden. Ganz allgemein betrachtet, kann selbstverständlich der Bildträger - in allen Fällen ist es ja die Trinkschale - auf das Thema des Rauschfestes hinweisen. Von den Darstellungsdetails, die außer dem Liebespaar in der betreffenden Tondogruppe erscheinen und ausschließlich für

Abb. 153b Sexuelle Aktivitäten. Trinkschale, Innenbild; um 510 v. Chr. Berlin, Antikenmuseum (Charlottenburg) Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz V. I. 3251.

selbst oder stammt von einer sich ihr anschließenden Figur. Am Ende dieser Zusammenstellung von heterosexuellen Liebesgruppen innerhalb mehrfiguriger Szenen soll noch hingewiesen werden auf die Fragmente eines Pinax218, die zu drei Koitusszenen auf drei Liegebetten ergänzbar sind. In akrobatischer Wendigkeit vollzieht das Paar auf der ersten Kline (Abb. 155a) den Verkehr, der halb aufgerichtet in einer annähernd dorsalen Haltung vorstellbar wäre. Erhalten sind die Beine und der Penis des Mannes sowie die Glu-

Abb. 154 Hetäre bei Fellatiohandlung. Vasenfragment; um 500 v. Chr. Privatbesitz.

täen und ein Oberschenkel der Frau. Beider Position ist der des Paares beim Liebesspiel in Abb. 121 b vergleichbar. Hetäre und Mann auf der zweiten Kline (Abb. 155b) sind beim dorsalen Koitus analog der Gruppe in Abb. 130 zu rekonstruieren. Sichtbar blieben der reizvolle Frauenkopf, der sich ins Kissen preßt, die Arme, die sich auf der weichen Unterlage abstützen und eine Zehenspitze der Hetäre. Von der sich anschließenden dritten erotischen Gruppe nimmt man lediglich die Unterschenkel des Liebhabers wahr, der sich mit seiner Partnerin in der Art des Liebespaares aus Abb. 146 Abb. 155a Koitierendes Paar. Pinaxfragment; 500-490 v. Chr. Oxford, Ashmolean Museum. vereint haben könnte. Bei den Liebesaktdarstellungen (Abb. 143, 144, 146-155) in vielfigurigen Kompositionen, die zuletzt behandelt wurden, zeigte sich wiederholt, daß die betreffenden Bildfmdungen sicher als Ausschnitte orgiastischer Rauschfeste zu lesen sind, was die Ergebnisse von I. Peschel bestätigt. Differenzierter müssen jedoch die attisch-rotfigurigen Kopulationstondi (Abb. 129-134, 136-139, 141, 145) ausgewertet werden, die ich zu Beginn dieses Kapitels erörterte. Im Gegensatz zu I. Peschels Forschungsergebnis sind Abb. 155b Kontierende Paare. Fortsetzung zu sie meiner Meinung nach nicht durchgän- Abb. 155a.

Rauschfest - Bordell?

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Abb. 156a Liebesakt a tergo. Pelike; Anfang 5. Jh. v. Chr. Tarquinia, Museo Statale.

die Angabe von Rauschfestgeschehen in Anspruch genommen werden können, wären eigentlich nur Weinschlauch und Speisekorb anzuführen. Und diese finden sich nur auf drei (Abb. 134, 136, 141) von den zwölf eindeutigen Kopulationstondi (Abb. 129-134, 136-139, 141, 145). Alle anderen «Zeichen» für Symposion und Komos wie Sakkos oder Oberschenkelamulett der Hetären (s. S. 90, Kap. Erotische Hilfsmittel: Kleidung - Schmuck - Haartracht — Make up), Knotenstock der Freier, abgelegte Gewandstücke, Becken, Klinen, Schemel, Matratzen, Polster und Kissen können sehr wohl auch auf Szenen in der Behausung einer Hetäre oder, enger gefaßt, auf unterschiedlich gut situiertes BordellLeben hindeuten. Insbesondere auch deshalb, weil die Vasenmaler bei fast allen Schalen mit den Kopulationstondi auf jegliche Außenbilder - etwa bewegte Komoi, die eine einigermaßen definitive Interpretation auf Rauschfestambiente stützen würden - verzichtet haben. Nur zu einem Innenbild ohne jeglichen Rauschfestbezug (Abb. 137) reihen sich in der Außendekoration der betreffenden Trinkschale Männer bei sportlichen Betätigungen. In aufschlußreicher Motivverknüpfung stehen die sexuelle Benutzung der Frau seitens des Mannes und der

Abb. 156b

Prostituierte und Interessent. Korrespondenzbild zu Abb. 156a.

Abb. 157 Ein Mann wirbt mit dem Geldbeutel um eine Hetäre. Kanne; 490-480 v. Chr. San Antonio, Collection of Gilbert M. Denman, Jr.

Abb. 158 Mit dem Geldbeutel um eine Hetäre werbender Mann. Lekythos; 490 v. Chr. Athen, Nationalmuseum 12778.

Erotik bei Hetären und Männern

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Sport als Ausdruck maskuliner Tugend nebeneinander. Ein prägnantes Beispiel für die Aussichtslosigkeit, bei «love making» in den Schaleninnenbildern eindeutig zwischen Reflex von Rauschfest oder Spiegelung des Bordells zu entscheiden, ist das zu den Kopulationstondi zählende Paar in Abb. 138. «Unter» oder «vor» der Kline steht ein Becken. Dieses Waschgerät und das Kissen auf dem Ruhebett, ferner die Kopfbedeckung der Hetäre, zitieren Festgemach und Hetärenhaus gleichermaßen. Das Innenbild der Trinkschale in Abb. 132 gibt aufgrund des Fehlens eines eindeutigen Symposion-Komos-Attributs sehr wahrscheinlich den Verkehr mit einer Prostituierten jenseits des Rauschfestes wieder. Recht sicher ins Milieu eines Bordells weist ebenfalls die Tondodarstellung aus Abb. 129, verrät doch der an der «Wand» befestigte Geldbeutel prosaische Käuflichkeit und uneingeschränktes Besitzergreifen der Frau, die für ihren Freier zur Vereinigung bereitsteht.

Festzuhalten ist somit, daß die Mehrzahl der Kopulationstondi nicht zwingend in die Welt des Rauschfestes führt, wie I. Peschel annimmt, wenn sie alle Symplegmata in den Schaleninnenbildern dem im Dionysischen wurzelnden Symposion-Komos-Geschehen zuordnet. Auch jenseits der Rundbilder mit Liebesakt-Paaren gibt es noch eine Reihe von Vasenbildern, bei denen nicht eindeutig zu klären ist, ob Rauschfestteilnahme oder Besuch eines Bordells gemeint ist. An die den Schoß ihres Kunden erklimmende Hetäre auf der berühmten Berliner Kanne ließe sich zunächst denken (Abb. 140). Auch die Bilder einer nicht minder bekannten Pelike in Tarquinia (Abb. 156a.b) ordnen sich in diesen Zusammenhang ein. Auf einer Seite des Gefäßes (Abb. 156b) ist ein erregter Freier sitzend vor einer Prostituierten gezeigt. Er begutachtet sein ausgewähltes Objekt, indem er das Gewand der Frau so weit hochhebt, daß er die ihm interessanten Körperpartien einsehen kann. Die andere Gefäßseite (Abb. 156a) nutzte der Vasen-

Abb. 159 Mann mit Geldbeutel vor einer Hetäre. Weinmischgefäß (Kolonettenkrater); um 480 v. Chr. Rom, Villa Giulia 1054.

maier, um den Mann in einer Verbindung a tergo mit der Prostituierten abzubilden. Jüngst wurde die Situation recht geistreich als Fortsetzungsszene mit satirischem Charakter gelesen.221 Es verwundert, daß C. Reinsberg die Tondi (Abb. 129, 132, 137, 138), die ich zuvor als Bordellszenen in Erwägung zog, nicht ebenfalls als solche ansprach, da sie die Reliefs eines Spiegels aus der Mitte des 4. vorchristlichen Jahrhunderts mit sehr verwandten Sujets stimmig als Bordelleinblicke klassifizierte.222 In ein Etablissement der käuflichen Liebe könnten auch die Erotika aus Abb. 135, 142, 145 führen. Festzuhalten bleibt, daß es Koitus-Bilder gibt, die mit großer Wahrscheinlichkeit als Bordelleinblicke zu interpretieren sind. Dennoch wurde das Thema relativ selten von den Vasenmalern aufgegriffen, wenn die wenigen Beispiele, die für eine Auswertung zur Verfügung stehen, nicht durch die Zufälligkeit des Erhaltenen bedingt sind. Zahlreich hingegen malte man die Geldbeutelwerbungen223, die meines Erachtens durchgängig auf die käufliche Liebe im Haus der Hetäre bzw. im Bordell hinweisen. Es sind auch heute äußerst sinnfällige Bilder für Prostitution. Ein vordergründiger erotischer Reiz ist ihnen nicht eigen. Sowohl in Abb. 157 als auch in Abb. 158 sitzt die Hetäre züchtig bekleidet - zur Verkaufsabsprache bereit - repräsentativ auf einem Stuhl und empfängt den ganz oder teilweise in seinen Mantel224 gehüllten Kunden, der, auf seinen Knotenstock225 gestützt, den Geldbeutel in der Hand wiegt oder der Frau darreicht. Diese Männer diverser Altersstufen werden gezeigt, wie sie gemäß tatsächlicher oder erwünschter sozialer Stellung über hinreichend Besitz verfügen, um die Frau für den angestrebten Sex zu kaufen. Nach M. Meyers Recherchen übergeben die Interessenten ergänzend zum Geldbeutel niemals ein Geschenk.226 Wie bei allen Denkmälergruppen, die sorgfältig unter bestimmten Gesichtspunkten erarbeitet werden, sind irgendwann Ausnahmen zu nennen. So bringt denn auch der Freier in Abb. 157227 außer dem Geldsäckchen in der Linken noch eine - kaum mehr erkennbare - Blütenranke, die dem Bild durch ihre Symbolkraft dann doch einen versteckten erotischen Zug verleiht. Von einem romantischen Blumengruß zwischen Liebenden darf allerdings nicht gesprochen werden, denn die Blüte zielt in diesem Zusammenhang primär auf Schönheit, Gepflegtheit, Anmut der Prostituierten ab. 228

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Rauschfest - Bordell? Einleuchtende Präsentation im Haus einer Prostituierten spiegelt ferner eine recht beschädigte Trinkschale.229 In einem Außenbild erkennt man noch hinreichend, daß die männlichen Kunden eine Hetäre begutachten, die sich ihnen nackt präsentiert. Sie wartet neben einem Stuhl. Ganz ähnlich hat man sich die Frau zwischen den beiden Interessenten auf der anderen Außenseite der Trinkschale vorzustellen. Nur noch ein Unterarm, dessen Hand einen Spiegel hält, ist zu erkennen. Die dritte Frau im Innenbild selbstverständlich kann auch stets die gleiche zum Liebesdienst bereite Prostituierte gemeint sein - steht neben einem Schemel, auf dem das Gewand liegt, und hält einen Spiegel. Die Innendekoration einer Kylix230, in der eine Hetäre ihr Gewand anhebt, so daß ihr Körper einem Freier zur Prüfung offen dargeboten wird, dürfte zweifellos als Bordellszene zu lesen sein. Nicht ohne bestimmtes Vorwissen lassen sich jene Bilder als Interieurszenen aus Hetärenhaus oder Bordell verstehen, in denen nun eine Frau - ohne ausgeprägte erotische Handlungen und ohne Attribute aus dem Bereich von verschlüsselten oder deutlichen Werbungen - in der züchtigen Bekleidung der ehrbaren Bürgerin beim Spinnen in der Nähe eines Wollkorbes beschäftigt ist bzw. mit oder ohne Spinnutensilien neben einem Wollkorb erscheint. Auf der Außenseite einer Trinkschale 231 ist eine solche «Spinnerin» mit Spinnrocken und Spindel frontalansichtig sitzend wiedergegeben. Als Chefin eines Hauses, in dem Liebe zum Verkauf steht, muß sie aufgefaßt werden, denn zwei ihrer diensttuenden Mädchen nehmen sich bereits der männlichen Kunden an, die mit Geschenken eingetreten sind. E. C. Keuls umschreibt eine derartige Situation - «Where an enthroned woman appears with hetaerai, she is probably to be unterstood äs the madam of the establishment» («Wo eine sitzende Frau mit Hetären erscheint, ist sie wahrscheinlich als die Chefin des Etablissements zu verstehen») - in weiterem Zusammenhang mit Frauengemachbildern, die sie in einen ikonographischen Bezug zu Darstellungen von thronenden Gottheiten setzt.232 An einem Weinmischgefäß (Abb. 159) wird ein Paar in charmantem Standmotiv von schwebenden Eroten bekränzt. Ein Wollbehälter steht neben der Hetäre. Auf den ersten Blick ist man geneigt, sie als Ehefrau aufzufassen, die sich liebevoll ihrem Gatten zuwendet, doch der Geldbeutel in der Hand entlarvt den Besucher als kaufkräftigen, zum Sex entschlosse-

Abb. 160 Zwei Hetären. Trinkschale, Innenbild; 480-470 v. Chr. Berlin, Antikenmuseum (Charlottenburg), Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz F 2289.

nen Kunden. Der Wollkorb in diesem Vasenbild und die Spindel in der zuvor angeführten Komposition auf der Trinkschale in Berlin233 charakterisieren die dargestellte Frau somit keineswegs als ehrbare Bürgerin. Recht ausführlich wurde das Phänomen der «spinnenden Hetäre» in der archäologischen Forschung bearbeitet. Prägnant faßte C. Reinsberg234 die Thematik zusammen: Da zu erschließen ist, daß Frauen mit Zurückhaltung und Anstand große Anziehungskraft auf die Athener Männerwelt ausübten, kann die Tätigkeit des Spinnens als Zeichen hausfraulicher Tugenden zum Inbegriff begehrter Weiblichkeit geworden sein. Demzufolge assoziierte der antike Betrachter Spindel und Wollkorb als Garantie für die Qualität einer Hetäre bzw. Prostituierten. Frauenfleiß machte gewissermaßen eine Facette erotischer Stimulierung beim Mann aus. Dieser Bezug zwischen Philergia (Liebe zur Arbeit, Emsigkeit) und Erotik wurde schon lange gesehen.235 Er zeigt sich auch im Tenor einer weiteren Darstellung (Abb. 160). Eine mit Chiton und Himation bekleidete Hetäre sitzt auf einem Stuhl, ihr rechtes angezogenes Bein liegt auf einer Stütze. Über das

Schienbein zieht sie drehend die Wolle und bereitet sie so zur Spinnfaser vor. Im Vordergrund ist der Wollkorb angedeutet. Den wohl üblicherweise bei dieser Arbeit getragenen Schutz, das Epinetron aus Leder oder Ton, benutzt die Frau nicht. Ein solches tönernes Gerät zeigt Abb. 161. Bezeichnenderweise ist es mit Szenen von Frauen und Männern verziert, die im Haus einer Hetäre zu verstehen sind. Das Epinetron wurde über Knie und Oberschenkel gestülpt. Die grobe Faser krempelte man über die aufgeraute Oberfläche. Vor der «Fleißigen» in Abb. 160 steht eine «Müßige» neben einer Kline, auf der ein weiterer Wollkorb abgestellt ist. Diese andere Frau, ähnlich gewandet wie ihre Kollegin, schaut zu und gibt sich durch das Anlupfen ihres Chitonärmels in reizend koketter Pose. E. C. Keuls236, die recht anschaulich von einer «flirtatious gesture» der Untätigen spricht, schlägt vor, die Szene des Tondo und die zugehörigen Außenbilder (Männer-Komoi) verknüpfend zu interpretieren, dergestalt, daß die Männer während ihres Umzugs ohne Frauenbegleitung die sexuellen Freuden zu Hause erwarten. Wenn E. C. Keuls «das Zuhause» oder die Wirkungsstätte einer Hetäre meint, hat sie sicher recht;

Erotik bei Hetären und Männern

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in die private Sphäre von fleißigen und begehrenswerten Ehefrauen führt das Bild aufgrund der Außendekorationen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht.

Zur gesellschaftlichen Stellung der Hetäre Teilbeobachtungen halfen, das Erscheinungsbild und die Fertigkeiten der Hetären bzw. Prostituierten im Athen der spätarchaischen und klassischen Zeit zu beschreiben und die erotischen Facetten mehrerer Darstellungen anzusprechen. Ein Blick auf die Einbindung der Hetären in die Gesellschaft mag sich anschließen. Weniges diesbezüglich - in erster Linie die Ausnutzung seitens der Männerwelt klang bereits an bei der Behandlung verschiedener Vasenbilder. Aber jenseits bestimmter Attribute oder gewisser Bildzusammenhänge, die auf die Arbeit im Gewerbe der käuflichen Liebe hinweisen, gibt es nur spärliche Aufschlüsse über die Situation der betreffenden Frauen in ihrem sozialen Gefüge. Bedingt kann sie manchmal aus den Kompositionen der Vasenmalereien abgelesen werden. Literarische Quellen in begrenzter Zahl sind zu erschließen. Eine Quelle, die immer wieder angeführt und oft falsch verstanden wurde, stammt aus dem demosthenischen Corpus. Sie ist Teil einer Anklagerede gegen eine Frau namens Neaira237 und lautet: « Wir haben die Hetären der Lust wegen, die Nebenfrauen wegen der täglichen Pflege unseres Körpers, die Ehefrauen aber dazu, um uns legitime Kinder zu gebären, und als verläßliche Wächter unseres Haushalts.» Das Zitat ist in folgendem Zusammenhang zu verstehen. Neaira und sechs andere hübsche Mädchen lebten bei einer Freigelassenen aus Elis namens Nikarete. Diese ließ den ausgesetzten oder von Sklavinnen geborenen Mädchen eine Erziehung als Hetäre angedeihen und vermietete sie. Sie gab vor, daß es sich um ihre eigenen frei geborenen Töchter handele, und zog mit ihnen nach Korinth, das als Handelsmetropole mit florierendem Prostitutionszentrum Verdienste versprach. Dort verkaufte sie Neaira für 3000 Drachmen an einen Korinther und einen Mann aus Leukas, die sie aus Rentabilität als ihre beiderseitige Sklavin benutzen. Als die Herren heirateten, stellten sie Neaira vor die Alternative, in ein Bordell zurückzugehen oder sich zum «reduzierten» Preis von 2000 Drachmen freizukaufen. Für diesen Handel fehlten Neaira die Mittel. Sie akzeptierte den nächsten Liebhaber,

Phrynion, der das Geld bereitstellte, sie so in seine Abhängigkeit brachte und mit nach Athen nahm. Als er das Interesse an ihr verlor, begab sie sich mit ihrer persönlichen Habe, zwei Dienerinnen und einem Teil des Hausstandes nach Megara und arbeitete weiter als Prostituierte. Dort gefiel sie dem Athener Stephanos, der sie zusammen mit ihren beiden Söhnen und einer Tochter - als seine Frau und seine Kinder - zurück nach Athen brachte, wo sie vom Verdienst Neairas lebten, deren Preise gestiegen waren, da sie eine respektable Ehefrau zu sein schien. Zusätzliches Geld verschafften sich Neaira und Stephanos durch Erpressung ortsfremder Kunden wegen angeblichen Ehebruchs. In Athen erfuhr Phrynion von der Anwesenheit seines ehemaligen Besitzes und machte seine Ansprüche geltend. Ein privates Schiedsgericht bestimmte, daß Neaira Phrynion und Stephanos gemeinsam gehöre. Man gewährte ihr den Status einer Freigelassenen. Von dem gestohlenen Besitz des Phrynion hatte sie alles zurückzugeben mit Ausnahme ihrer persönlichen Gegenstände. Ein Rechtsfall wurde die Lebenssituation der Neaira erst, als Stephanos die Tochter der Neaira als sein eigenes Kind ausgab und das Mädchen mit einem Athener namens Phrastor verheiratete, letzterer sich aber wieder scheiden ließ, als seine Frau wegen ihrer Herkunft ins Gerede kam. Danach gab Stephanos sie einem Theogenes zur Frau. Sowohl durch die Vermittlung der Ehe der Neairatochter mit Phrastor als auch mit Theogenes hatte sich Stephanos schuldig gemacht, weil er eine Auswärtige mit athenischen Bürgern verheiratet hatte. Letzteres war ein Grund der Anklage, denn das Gesetz schrieb vor, daß jemand seines Bürgerrechts verlustig ging, der eine Nichtathenerin unter der falschen Angabe, sie sei athenische Bürgerin, mit einem Athener verheiratete. Die eigentliche Anklage richtete sich allerdings gegen Neaira, die sich als Auswärtige in die Position der legitimen Gattin des Stephanos gebracht hatte. Der Prozeßausgang ist unbekannt. Die Aufzählung der Schicksalsstationen der Neaira könnten die Worte «Damit genug von Neaira» abschließen, in Anlehnung an die Sentenz «Damit genug von Rhodopis»238, mit der Herodot seinen anekdotischen Bericht über eine thrakische Sklavin namens Rhodopis beendet, die im 6. Jh. v. Chr. unter glückhafteren Umständen der gleichen Beschäftigung wie Neaira nachging, in Ägypten reich wurde, vom Zehnten ihres Vermögens eiserne Bratspieße anfertigen

ließ und sie ins delphische Apollonheiligtum nach Griechenland weihte. Zuweilen unterliegt die zeitgenössische Vasenforschung der Gefahr eines Hineininterpretierens, jenem Grundübel so manchen Deutungsbemühens, das verstehen läßt, wie man verstehen möchte. Die beliebte Verquickung von psychologischen Interpretationskategorien mit historisch abgesicherten Erklärungsversuchen kann zu umstrittenen Ergebnissen führen.239 Beobachtungen zum Leben der Hetäre bzw. Prostituierten in der Gesellschaft Athens - und nur zu dieser stellten die hier behandelten Vasenbilder ja den Bezug her - dürften eigentlich nicht von Erörterungen getrennt werden, die sich allgemein dem Leben der Frau und ihrem gesellschaftlichen Status widmen. Den ganzen Themenkreis zu streifen würde jedoch den Rahmen dieser Untersuchung übersteigen. Was sich über die Lage der betreffenden Frauen in ihrem sozialen Umfeld herausfinden läßt, ist deprimierend. Es folgt eine knappe Zusammenfassung der weitgehend gesicherten Tatbestände, größtenteils in Anlehnung an R. Reinsbergs Untersuchung.240 Lediglich in Ausnahmefällen arbeiteten Frauen aus ehrbaren Familien als Prostituierte, beispielsweise als Folge ausbleibender Verheiratung oder wenn ihre Aussetzung als Säugling nicht zum Tode geführt hatte und sie von Fremden aufgezogen wurden, die sie im Mädchenalter dann, auf direktem oder indirektem Wege, in die «Demimonde» drängten. Man vergleiche die zuvor eingebundene Geschichte der Neaira. Findelkinder galten als unfrei, teilten also das Los der Sklaven. Insbesondere Sklavinnen arbeiteten in großer Zahl als Prostituierte für ihre Besitzer. Dem gleichen Gewerbe gingen ferner Metökinnen nach, also Frauen, die aus anderen Gegenden nach Athen kamen, kein athenisches Bürgerrecht besaßen, aber zeitweise oder ständig in Athen lebten. Der Bevölkerungsgruppe der Metöken gehörten auch illegitime Bürgerstöchter an. Viele von ihnen gab es insbesondere nach einem Gesetz aus der Mitte des 5. vorchristlichen Jahrhunderts, demzufolge eine Ehe in Athen nur zwischen athenischen Vollbürgern als rechtmäßig galt. Die Töchter vieler Hetären dürften die Tätigkeit ihrer Mütter fortgesetzt haben. Obgleich die dem untersuchten Berufsstand angehörenden Frauen gegenüber der achtbaren, verheirateten Bürgerin den Vorteil hatten, sich insgesamt freier als ihre ehegebundenen Geschlechtsge-

Hetäre und Gesellschaft

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Abb. 161 Hetären und Männer. Epinetron; 425-420 v. Chr. Athen, Nationalmuseum 2180.

nossinnen zu bewegen, bleiben sie letztlich in seelisch-geistiger, körperlicher und pekuniärer Abhängigkeit von ihrer Kundschaft. Selbst eine Frau, die aufgrund bestimmter günstiger Umstände für längere Zeit oder sogar für immer mit einem Partner im Konkubinat lebte, geriet in ein Verhältnis, das dem einer rechtmäßigen Gattin entsprach. Aber wie eine solche konnte sie ihre Rechte nur durch die Vermittlung ihres Partners oder eines anderen Mannes geltend machen. Sich prostituierende Frauen unterlagen Registrierung und Steuerpflicht. Die Fama der reichen Hetäre hat die neuzeitlichen Vorstellungen nachhaltig beeinflußt, aber angesichts der unzähligen Frauen, die ihr Leben als Durchschnittshetären mit begrenzter Schutzmöglichkeit gegen unerwünschte Schwangerschaften fristeten, läßt sie sich nicht mehr als Teil der Glorifizierung antiken athenischen Prostitutionswesens einsetzen. C. Reinsberg hat die Verdienstmöglichkeiten von einfachen Dirnen und von Luxushetären sehr anschaulich zusammengestellt, so daß es hier genügen mag, ihr aktuelles Fazit zu übernehmen. Der einmalige Genuß käuflicher Liebe

Abb. 162 Hetäre, ihre Sandale bindend. Amphora; 520-500 v.Chr. Paris, Musee du Louvre G 2.

kostete für einen Mann der unteren Einkommensklasse durchaus einen Tageslohn. Derartige Ausgaben, kontinuierlich fortgesetzt, konnten den Kunden also sehr wohl wirtschaftlich ruinieren. Preisgünstig war eine Durchschnittshetäre für die Bevölkerungsschicht der Wohlhabenden, die sich bei weinreichen und ausgelassenen Abendunterhaltungen zerstreuten. Die wenigen Frauen, die es verstanden, ihre Reize sehr teuer zu vermarkten, blieben einigen sehr Begüterten vorbehalten. C. Reinsberg verweist auf den Mangel an Schriftquellen, die belegen könnten, daß Hetären die in der Jugend zusammengetragenen Einkünfte für ihre Altersversorgung anlegten. Die gealterte Bordellmutter ohne gesellschaftliche Achtung wird demzufolge oft zum Alltag gehört haben. Angesehene Glieder der athenischen Gesellschaft waren die Durchschnittsprostituierten auch in der Blüte ihrer Jahre nicht. Einige Vasenbilder mit derb sinnlich-erotischen Szenen gaben einen deutlichen Reflex dieses Tatbestandes. Eine auffällige Veränderung in der Charakterisierung der Hetäre, und somit wahrscheinlich auch ein Wandel in

ihrer sozialen Wertung, läßt sich für die drei Jahrzehnte zwischen 500 und 470 v. Chr. fassen, aus denen mehrere Vasenbilder stammen, die die betreffenden Frauen in erniedrigender Darstellungsweise wiedergeben (vgl. etwa Abb. 143, 144, 147-150). Die meisten Vasenmalereien jedoch - exemplarische Beispiele sind hier hinreichend von Abb. 95 bis Abb. 127 zu finden - kennzeichnen die Hetären als schöne, graziöse, musische Gespielinnen des Mannes und überdecken so die Verachtung, die man den Repräsentantinnen der käuflichen Liebe zollte. Anzunehmen ist, daß ihnen Kontakte zu bürgerlichen Frauen fehlten, es sei denn, sie trafen einander bei den Haloa, jenem Fest zu Ehren der wachstumspendenden Göttin Demeter. L. Deubner241 wies darauf hin, daß Hetären zahlreich zur Nachtfeier der Haloa kamen, mit ihren Freiern zechten oder von diesen Mittel für die Festbegehung erhielten, ferner zum Heiligtum der Demeter und ihrer Tochter Köre in Eleusis nahe Athen Zutritt hatten, während sie von den Thesmophorien, einem anderen Fest für die beiden Göttinnen, ausgeschlossen blie-

90 ben. Tonphalloi, die Hetären an den Haloa zu Ehren der Gottheiten aufrichteten, wurden schon erwähnt (s. S. 45 ff., Kap. Ein Glied aus Ton; S. 48, Kap. Ein Glied aus Teig, Abb. 70-72). Hetärenweihungen, spektakuläre und einfache Votive, für die Heiligtümer von Gottheiten sind bekannt.242 Die unauffälligen Weihgeschenke verdeutlichen, was sich eine Durchschnittshetäre normalerweise leisten konnte. Ein Gefäßfragment243 zeigt eine Hetäre mit einem Messer in der Hand, die eine Ziege, das bevorzugte Opfertier für Aphrodite, davonzerrt. Fragmentierte, mit Erotika bemalte Weihetäfelchen, wie das in Abb. 155a.b oder ein anderes244, auf dem sich zwei Männer a tergo mit ihren Partnerinnen vereinen, sind denkbar als bescheidene Weihungen an Athena, die Göttin jener Stadt, aus deren Keramikwerkstätten die Vasenbilder mit den ungezählten Hetärenpersönlichkeiten stammen, die nicht in die Geschichte eingingen. Erinnerungen an wenige berühmte Frauen, die das Bild von der Hetäre in der griechischen Antike prägten, verblassen gegenüber den klaren Umrissen in den attischen Vasenmalereien, durch die sich die bittere Gefangenschaft der zahllosen unbekannten Frauen im Dienste der käuflichen Liebe manifestiert, füir deren Ausübung sie sich gepflegt und attraktiv herzurichten hatten. Bestimmter äußerer erotischer Hilfsmittel bedienten sie sich, die im folgenden gestreift werden.

Erotische Hilfsmittel: Kleidung Schmuck - Haartracht - Make up Hetären, so sie nicht nackt oder teilverhüllt erscheinen, tragen vorwiegend das lange dünne Untergewand im ionischen Typus, den Chiton, häufig kombiniert mit einem dichter gewebten Mantel, dem Himation (vgl. hier auswahlweise Abb. 107, 114). Dieser besteht aus einer großen langen Stoffbahn, die kapuzenartig über den Kopf gezogen werden kann. Beide Gewandstücke gehören zur Standardbekleidung der Frauen in der hier betrachteten Epoche245 (s. S. 11 ff., Kap. Erotik und Gewand). Folgendes paßt recht gut in manche Vorstellung: Während die Prostituierten sicher gern transparent gewebte Materialien für ihre Gewänder aussuchten, unter denen die Umrisse ihres Körpers erotische Reize für die Blicke der Kunden aussandten, bedienten sich die achtbaren Frauen festerer Gewebe. Bevorzugt wurden dichte Leinen- und Wollstoffe in ihrer Naturfarbe. Mit Safran getönte

Erotik bei Hetären und Männern Textilien waren den Vertreterinnen der käuflichen Liebe vorbehalten.246 Verführerisch durchsichtige koische Gewänder247 für die Prostituierte und dezent verbergende Hüllen für die Achtbare! Die Wahl der favorisierten Stoffarten leuchtet ein, und dieses Klischee faßt sicher sogar einen Teil der Realität, den viele Vasenbilder aus dem Hetärenbereich belegen. Dennoch gilt es darauf hinzuweisen, daß jene Gewanddurchsichtigkeit, für die erotisch-sinnliche Auffassung des weiblichen Körpers hervorstechend nutzbar, durchaus als ein Grundzug in allen Gattungen des antiken griechischen Kunstschaffens zu bezeichnen ist und mitnichten auf den Themenkreis der Erotika beschränkt bleibt. Aufzeigen ließe er sich beispielsweise bei anderen Bildfindungen der Vasenmalerei, die Frauen jenseits der Hetärenwelt oder in mythologischem Kontext abbilden.248 Man erinnere sich zudem, daß die ehrbare Lysistrata vom durchsichtigen Gewand der Ehefrauen spricht.249 Auffällig sind ferner die zahlreichen Vasenbilder mit einer züchtig verhüllten Hetäre. Letzteres liest sich (s. S. 84ff., Kap. Sexualpartnerin beim Rauschfest oder im Bordell?) primär so: Das einseitig körperlich ausgerichtete Interesse des Freiers nimmt die «Ware» gern in der Spielart einer geachteten fraulichen Sittsamkeit wahr. Diese wird von der Hetäre in der Dezenz von Gewandung vorgeführt und mag sogar für ihr Leben erstrebenswert erschienen sein. Weiterzudeuten jedoch ist ein derartiges Verbergen durch Bekleidung. Für Prostituierte und Freier gleichermaßen nimmt sie das sexuell stimulierende Ritual des allmählichen Enthüllens vorweg. Überaus oft sieht man Chiton und Himation nicht am Körper der Hetäre, sondern das abgelegte Kleiderbündel in ihrem Umkreis (Abb. 101, 131, 133, 151a). Es wird gewissermaßen zum Symbolträger für die voyeuristische Tendenz, die recht unterschiedliche Facetten der Erotika in der Welt von Hetären und Kunden durchzieht. Selten sind Frauen in den Vasenmalereien auszumachen, die ein dem Büstenhalter verwandtes Gebilde umgelegt haben. Anzuführen wäre eine Hetäre auf dem Fragment eines Mischgefäßes (Abb. 163). Sie trägt ein solches Exemplar, an dem ihr Freier unter den Blicken eines benachbarten Paares nestelt. Auf dem breiten palmettengeschmückten Busenband sind Schmuckscheiben angebracht, die als Öffnungen für die Brüste angesehen wurden.250 Nur die der linken Brust ist erhalten. An ihr beginnt ein Träger, der noch soweit sichtbar ist, daß man ihn

schräg bis zur rechten Schulter und in Überkreuzung mit der gegenläufigen Halterung denken muß. Ein ähnliches, allerdings trägerloses Busenband findet sich bei einer Frau, die wohl Atalante in Vorbereitung eines Laufwettkampfes meint.251 Auf ebendieses Busenband der Atalante wurde mit einem Kommentar verwiesen, dessen Zitat ich der Leserschaft nicht vorenthalten möchte. «Ein Büstenhalter hilft jenen Frauen, die ein aktives Leben führen . . ,». 252 Blicke auf die Füße der Hetären mögen folgen. Wie die Vasenbilder lehren, sind sie überwiegend ohne Schuhe dargestellt. Das darf nicht verwundern, denn die Griechen gingen häufig barfuß. Trug man offene oder geschlossene Fußbekleidung, wurde sie üblicherweise beim Betreten des Hauses abgelegt, so wie es bekanntlich noch heute im Orient praktiziert wird.253 Abb. 162 zeigt eine auf Kissen sitzende Hetäre beim Schnüren ihrer Sandale. Eine erotische Komponente liegt über diesem Bild, hervorgerufen durch die völlige Nacktheit der Hetäre, die in einem reizvollen Gegensatz steht zu der sorgfaltigen Sakkos-Blattkranz-Kopfbedeckung und den zierlichen Sandalen (s. ferner die sandalenbindende Frau in Abb. 175). Die Hetäre der Abb. 162 befindet sich an der Amphora, von der auch die oben bereits einbezogene Satyr-Mänaden-Gruppe Abb. 36 stammt. Darüber hinaus sind einige Sandalen auszumachen, die in den Händen der Freier zweckentfremdet als Prügelhilfe benutzt werden (Abb. 143a, 147a.b, 148c). Außer den luftigen Sandalen favorisierten die Hetären auch Schnabelschuhe, die heute an leichte Lederstiefel erinnern. Es handelt sich wahrscheinlich um eine Art Hausschuh mit mehr oder minder hohen Stulpen, die sich am oberen Rand umkrempeln ließen. Bilder, in denen Hetären diese Stiefel «tatsächlich» an den Füßen haben, sind relativ selten. Hingegen entdeckt man sie recht häufig nahe den Ruhebetten (Abb. 144) oder im Ambiente von Badeszenen (Abb. 18). Auch neben der Urinierenden in Abb. 105 sind derartige Stiefel an der Wand gegenüber dem Flötenfutteral aufgehängt.254 Kürzlich wurden 82 Bezeichnungen klassischer griechischer Fußbekleidung zusammengestellt255, die zuvor beschriebenen Schnabelschuhe aber nur in einem Fall ausdrücklich im Zusammenhang mit Hetärenschuhwerk genannt. In den Vasenbildern läßt sich wohl kaum klären, welche Art der verschiedenen Sandalen, Slipper oder Stiefel nun gemeint ist. Der Ohrschmuck der Hetären in den

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Erotische Hilfsmittel

Abb. 163 Zwei Liebespaare. Vasenfragment; um 470 v. Chr. Athen, Sammlung Vlastos.

hier einbezogenen Gefäßmalereien läßt sich als rundes Scheibchen mit betontem Zentrum oder als einfacher Ring unterschiedlicher Größe ablesen (Abb. 21, 102, 103, 110, 141, 145, 160). In diesem Befund spiegelt sich bedingt ein Wechsel von der üppigeren, verspielteren archaischen Form zur einfacheren, konzentrierteren frühklassischen Bildung der Ohrzier.256 Eine direkte Vorstellung von derartigem Ohrschmuck aus Edelmetall vermitteln zahlreiche Funde. 257 Die Hetäre in Abb. 128a trägt einen Ohrschmuck aus zwei ineinandergehängten Ringen. Ein phantasievolles Ohrgehänge aus drei stilisierten Blütenblättern hat eine nackte Prostituierte mit sehr langem Haar. In einer singulären Bildfmdung an einer Kalpis258 kniet sie vor ihrem gelagerten Kunden. Die eng am Hals liegenden Ketten bzw. Halsbänder und der Armschmuck der Hetären (Abb. 97, 104, 117, 120, 124, 157) werden überwiegend einfach als dünne Linien angegeben. In der Halsgrube sind zuweilen kleine Anhänger an Kette bzw. Band erkennbar. Ob mit manchem Armreif in den Gefäßdekorationen spiralförmige Schlangenarmbänder in der Art erhaltener Edelmetallarmbänder259 gemeint sind, ließe sich wohl erst definitiv nach einer aufwendigen Mate-

rialzusammenstellung und vor allem durch Autopsie der Vasen entscheiden. Eine Besonderheit von gemaltem Halsschmuck bietet das breite und mehrgliedrige Collier einer Hetäre (Abb. 126). Es ist aus einzelnen Perlen und eingelegten Plättchen gereiht. Fadenamulette an den Oberschenkeln kennzeichnen nackte Prostituierte in mehreren Vasenbildern. Bei flüchtiger Betrachtung fallen sie kaum auf. Sie wirken wie ein Strich mit einem Punkt (Abb. 98a, 124, 130, 134). Die Hetäre in Abb. 101 spannte ein singuläres gezacktes Zierband um ihren Oberschenkel. Anhänger bzw. Amulette, an Hals oder Bein befestigt, befriedigten nicht nur das Schmuckbedürfnis zur Unterstreichung körperlicher Reize, sondern übernahmen die wichtige Funktion eines Talismans, der Übel von seiner Trägerin fernhält und Glück bringt.260 Eine gründliche Sichtung der Vasenbilder mit Hetären könnte klären, ob kettenoder kranzähnliche Gebilde in den Händen der Frauen als Spielketten vorzustellen sind in der Form, wie sie Hetären in einigen Denkmälern nachklassischen Kunstschaffens durch die Finger gleiten lassen.261 Die Haartracht der Prostituierten ist unterschiedlich. Bildbelege finden sich

hinreichend (s. die Abbildungen im gesamten Kapitel Erotik bei Hetären und Männern, S. 56-92). Allgemein läßt sich nach langem oder kurzem Haar differenzieren, bei mehr oder minder lockigen Partien des Stirn- und Schläfenhaares. Die langen Haare, strähnig oder wellig, können offen über Nacken und Schultern herabhängen oder an den unteren Enden zusammengebunden sein. Auch aufgenommen, mittels schmaler oder breiter Bänder, sind sie frisiert. Oft ist der Schöpf am Hinterkopf oder im Nacken knotenähnlich zusammengefaßt. Kurz geschnittenes Haar wird in der archäologischen Literatur zuweilen als typisch für Sklavinnen erklärt.262 Im Rahmen der vielfältigen Hetärenbilder auf Vasen läßt die Frisur jedoch keine eindeutige Aussage über die genauere soziale Stellung der Betreffenden zu. Hetären benutzen vielfältigen Haarschmuck. Blattkränze aus Efeu oder Weinlaub (Abb. 97, 104, 126) und Diademe (Abb. 98b, 143a) bereichern die Frisur. Vor allem ist sie immer wieder mit Bändern gestaltet (Abb. 96, 101, 103, 116-122, 149, 158). Zuweilen bleibt unklar, ob Diademe, Bänder oder Blattkränze gemeint sind. Aus einigen Vasenmalereien läßt sich erschließen, daß Hetären einen Stoffteil,

92 eine Art Kopftuch, geschickt und kunstvoll zugleich zu einem Sakkos (Abb. 95, 96,98a.c.d, 102, 110, 127, 153a)umdie Haare wickelten. Dieser ist manchmal derart arrangiert, daß er am Hinterkopf offenbleibt, so daß ein «Pferdeschwanz» frei heraushängen kann (Abb. 102, 153a). In einigen Fällen wird über Kopftuch bzw. Sakkos zusätzlich ein Blattkranz drapiert (Abb. 98a.c.d, 162).263 Die Hetären tragen auch haubenartige Kopfbedeckungen in schlichter oder bunt gemusterter Ausführung (Abb. 97, 105, 114, 115, 160). Eine exakte Differenzierung nach Kopftuch und Haube bereitet zuweilen Schwierigkeiten. Das Schminken des Gesichts, dem heutigen Make up vergleichbar, gehörte sicherlich für die meisten Hetären zum Alltag. Details der kosmetischen Künste lassen sich in den Vasenmalereien nicht greifen, aber es darf wohl als sicher gelten, daß die Hetären Blei weiß benutzten, um sich das Gesicht hell zu tönen. Einen

Erotik bei Hetären und Männern dunklen Teint empfand man als unschön. Mennige und roter Maulbeersaft dienten als Rouge für Lippen und Wangen. Schwarze Schminke betonte Augenbrauen und Augenlider. Einen Weg zu Spezialliteratur über die Arten und Herstellungsmethoden der betreffenden Kosmetika weist die Studie von E. Pas/thory.264 Empfehlenswert als Einführung für die aus Pflanzen gewonnenen Kosmetika ist ferner eine Untersuchung von H. Baumann.265 Gemäß ihren Möglichkeiten gaben wahrscheinlich «ehrbare Frauen» ebenso jenen Pflege- und Schmuckbedürfnissen nach, die hier nur in bezug auf Prostituierte bzw. Hetären behandelt wurden. Zu bedenken ist dennoch, daß Xenophon266 im 4. vorchristlichen Jahrhundert seinem Oikonomikos, der ausführlichsten Erörterung antiken Ehelebens, einen Passus gegen das Schminken der Ehefrau einbezieht, weil letzteres die Wahrheit ändere.

Abb. 164 Abschied eines Kriegers von seiner Frau. Weinmischgefäß (Stamnos); um 430 v.Chr. München, Staatliche Antikensammlungen, Museum antiker Kleinkunst Inv. 2415.

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Erotik bei Ehepaaren

Darstellungen von Ehepaaren, die als direkte erotische Bildfmdungen anzusprechen sind, gibt es nicht. Dieses Faktum mag daraus resultieren, daß in der Epoche, aus der die hier einbezogenen Vasenbilder stammen, der Liebesgenuß in erotischer Anreicherung wohl einen geringen Stellenwert im Eheleben hatte. Eine solche globale Aussage, die durch Einbeziehung von Quellentexten und Beiträgen aus der archäologischen Forschung gleichermaßen zu gewinnen ist, darf nicht den Blick verstellen vor einer breiten Lebenswirklichkeit, die sicher auch Ausnahmen einer erotischen Zweierbeziehung in ehelichem Status kannte. So ist zu erfahren, daß ein gewisser Nikeratos in seine Frau und sie in ihn verliebt war.267 Und in der Komödie «Lysistrata» des Aristophanes lassen sich «zwischen den Zeilen» Hinweise finden, die auf erotisch-sinnliche Liebeserfüllung in der Ehe schließen lassen. Auffällig ist, daß mehrere in den Komödienversen erwähnte erotische Hilfsmittel oder Verhaltensweisen der Ehefrauen letztlich identisch sind mit denen, die als typische Charakteristika für die Hetären herausgestellt werden konnten (s. S. 56 ff., Kap. Erotik bei Hetären und Männern).268 Der Mangel an bildlichen Darstellungen von Zärtlichkeiten oder gar Liebesakten, die im Ehebett vorstellbar sind, begründet sich einerseits aus der Tatsache, daß positiv empfundenem erfülltem Sexualleben in der Ehe gegenüber der pragmatisch geforderten Zeugung von Nachkommenschaft vermutlich eine geringere Bedeutung zukam. Andererseits ist der Mangel an bildnerisch umgesetzter erotischer Eheszenerie wohl hauptsächlich dadurch zu erklären, daß die Regeln des bürgerlichen Anstands verboten, eheliche Intimitäten in die Öffentlichkeit zu tragen. E. C. Keuls vermutet gar, daß sich die

Frau beim ehelichen Sexualverkehr ihrer Kleidung nicht entledigte.269 Ist man gefühlsmäßig so veranlagt, auch in einem innigen Paarbild sinnliche Kommunikation zu rezipieren, dann könnten Vasenmalereien mit dem Abschied des Kriegers von seiner Frau (Abb. 164) zu jenen Ehepaarbilder zählen, die Erotisches freisetzen. Das gilt desgleichen für Darstellungen (Abb. 209), die in einem folgenden Kapitel (s. S. 118ff., Erotik und Tod) noch gestreift werden. Sichtet man die Grabepigramme270, dann stechen die Lobpreisungen über Tüchtigkeit, Fleiß, Zurückhaltung, Wirtschaftlichkeit der Frau hervor für das 6. und 5. vorchristliche Jahrhundert. Erst im 4. Jh. v. Chr. gibt es Beispiele, die Liebe zwischen den Ehepartnern bezeugen. Auf Erotisches abzielende Erinnerungsschriften fehlen. Zwei Reliefs an Lekythen271 reihte C. Reinsberg jüngst der verhalten erotischen Ehepaardarstellung ein, indem sie die kaum verborgene Funktion des Ehebettes ansprach.272 Es handelt sich um Bildfmdungen an Salbölfläschchen, die aus attischen Gräbern stammen und ins 4. Jh. v. Chr. datiert worden sind. Auf dem Gefäß aus der Zeit um 350 v. Chr., das mittlerweile verschollen ist, lagert der «Bräutigam» auf dem Ruhebett und spendet der Liebesgöttin ein Weihrauchopfer ins Thymiaterion, das neben dem Bett steht. Ein kleiner Eros273 hockt, attributiv der Szene zugeordnet, am Boden, das «hochzeitliche» Thema unterstreichend. Am Fuß der Kline sitzen «Braut» und «Brautführerin», eine weitere Frau gesellt sich stehend der Gruppe hinzu. Im Relief des anderen Gefäßes aus dem 2. Viertel des 4. Jhs. sind die «Vermählten» allein gemeint, vorausgesetzt, man deutet die beidseitig der Kline auf

einem Stuhl sitzenden Frauen vorstellig, sieht also in ihnen die jung Verheiratete in ihrer zukünftigen Rolle als Ehe- und Hausfrau. Die «Braut» hat ihr Gewand vom Körper gezogen und hält es mit ihrer Rechten dekorativ hinter sich. In diesem Motiv ist sie der Aphrodite in Abb. 9 zu vergleichen. Ansonsten erscheint sie nackt bis auf das verhüllte rechte Bein. Ich bin mir nicht sicher, ob in den Lekythenreliefs tatsächlich «Ehepaare» dargestellt sind. Eine Deutung in direktem Bezug auf die Liebesgöttin ist wahrscheinlicher. Der Interpretationszweifel gilt besonders für jene Komposition, in der die «Braut» so gut wie nackt gezeigt wird, da die unverhüllte Darstellung einer ehrenhaften Bürgerin unüblich war. Ist eine «normale» Braut gemeint, dann muß eine ikonographische Identifikation mit Aphrodite vorliegen. Eine Behandlung der Darstellung unter diesem Gesichtspunkt könnte vielleicht zu einer jüngeren Entstehungszeit der Lekythos führen. «Eheliche Erotik» läßt sich hin und wieder verschlüsselt in der Vasenmalerei entdecken, wenn durch eine geöffnete Tür der Teil eines Bettes274 sichtbar wird oder eine Frau in der Kleideranordnung mit gelöstem Gürtel275 abgebildet ist. E. C. Keuls erwägt anhand eines Vasenbildes276, in dem sie bestimmtes Schuhwerk als «Hochzeitsslipper» erkennt, diese in Analogie zu den Schnabelschuhen der niederländischen Barockmalerei zu erklären, die für Kopulation, Gefahr und Verführung stehen. Sie möchte die betreffenden «Hochzeitsslipper» als Zeichen für Sex in der Ehe interpretieren. Die gleiche Autorin vermutet, der Vasenmaler spiele mit dem Alabastron in Frauenhand auf jenes Salböl an, mit dem die Ehefrau ihren Mann vor und nach dem Sexualverkehr salbte.277

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Erotik zwischen Männern

Autorinnen und Autoren mehrerer in den letzten Jahren erschienener Bücher und Artikel zur Liebe unter Männern im antiken Griechenland gelang es endlich, das Thema zu befreien von den Vorurteilen vieler Forscher früherer Generationen, die es infolge ihres schwärmerischen Verhältnisses zur griechischen Kultur und ihrer zwanghaften Abscheu vor der gleichgeschlechtlichen sexuellen Vereinigung einseitig oder verfälschend behandelt hatten. Die umfangreichste der neueren Arbeiten von K. J. Dover erschien 1978 in England. Seit 1983 ist sie unter dem Titel «Homosexualität in der griechischen Antike» auch in deutscher Sprache greifbar. 278 In der Grundbedeutung meint «Homosexualität» die Neigung, Sinnengenuß hauptsächlich durch körperlichen Kontakt mit Personen des eigenen Geschlechts zu suchen. Sie kann sich demzufolge sowohl auf die Liebe zwischen Frauen als auch auf die zwischen Männern beziehen. Antike Quellen, die über weibliche Sexualität jeglicher Art informieren, sind äußerst begrenzt. Wesentlich mehr Zeugnisse kommentieren den Sexualverkehr zwischen Männern. In Übereinstimmung mit K. J. Dover verwende ich die Begriffe homosexuell bzw. Homosexualität im folgenden aus-

schließlich für die Beziehung zwischen Männern. Oft wird Homosexualität mit Päderastie - aus den altgriechischen Wörtern pais (Kind) und eran (lieben) - gleichgesetzt. Der Ursprung des Phänomens, das in den Homerischen Epen noch nicht beschrieben wird, ist ungeklärt. Vielleicht entstammt es der militärischen Männergemeinschaft dorischer Stämme der Wanderungszeit. Möglicherweise hat es sich aus rituellen Initiationen des Jugendlichen entwickelt, die ihn seiner zukünftigen männlichen und sozialen Rolle zuführen. Die erste Prämisse eines geachteten päderastischen Liebesverhältnisses ist der Altersunterschied, also die altersbedingte physisch-geistige Ungleichheit beider Liebespartner. Die zweite Voraussetzung liegt in der unbedingten Einseitigkeit des Liebesbegehrens durch den Älteren, das vom Jüngeren nicht erwidert werden darf. Letzterer schenkt freundschaftliche Zuneigung infolge von Hochschätzung und Bewunderung. Die Liebe des Knaben entbehrt der sexuellen Natur. Die zuvor gegebenen Erklärungen umschreiben die Idealvorstellung der Knabenliebe, die im gesellschaftlichen Wertesystem keineswegs verpönt war, sondern ihren parallelen Stellenwert neben der ehelichen Liebe hatte. Im Platoni-

schen Symposion wird die Liebe zu Frauen und Männern gleichermaßen angesprochen, der Vorrang allerdings der Knabenliebe zuerkannt. Im Symposion des Xenophon steht die eheliche Frauenliebe im Vordergrund. Gemäß den idealen Forderungen zielte das werbende Verlangen des Liebhabers, des Erastes, auf das Wohlwollen des geliebten Knaben, des Eromenos, ab. Ein dauerhafter Liebesbezug mit erzieherischer Funktion wurde angestrebt, der bis zum Erwachsensein des Eromenos währte und anschließend in ein lebenslanges freundschaftliches, nicht sexuelles Lieben überging.279 Die Knabenliebe unterscheidet sich durch die Absicht des Erastes, den Eromenos zu unterweisen, und durch seine Qualität, es zu vermögen, von der Knabenprostitution, die aber sicherlich als verbrämte Knabenliebe anzutreffen war. Junge Männer, die als Tänzer oder Akrobaten den Hetären (s. S. 56ff., Kap. Erotik zwischen Hetären und Männern) vergleichbar sind, also in den Bereich der Prostitution gehörten, gab es hinreichend. Hinzuweisen ist auf die ambivalente Beurteilung der Knabenliebe. Das sittliche Niveau des Erastes gestand man den Sklaven und Metöken nicht zu. Ihr Verhältnis zu einem Eromenos wäre also unter die Prostitution ge-

Abb. 165 Homosexuelle Werbeszene. Amphora; um 540 v. Chr. Paris, Cabinet des Medailles 206. - Abb. 166 Ein Mann umwirbt einen Knaben. Trinkschale, Innenbild; um 490 v.Chr. Bochum, Kunstsammlungen der Ruhr-Universität Bochum S 507.

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Werbung

Abb. 167 Ein Mann befingert das Genital eines Knaben. Trinkschale, Außenbild; um 500 v. Chr. New York, Metropolitan Museum 07.2286.47.

rechnet worden, nicht hingegen jenes eines Bürgers zu einem Jüngling. Zahlreiche Vasenbilder stellen reife Männer in der Gesellschaft von Knaben dar. Letztere werden mit Worten und Handlungen umworben, beschenkt, liebkost, umarmt, am Penis berührt, haben Schenkelverkehr mit dem Älteren. Die meisten dieser Szenen, die homosexuellen Verkehr abbilden oder für das Thema der Homosexualität relevant sind, entstanden in der Zeit zwischen 570 und 470 v. Chr., so daß ihre Bildträger sowohl in der schwarzfigurigen als auch in der rotfigurigen Technik bemalt sind. Aufgrund des überaus umfangreichen Materials an Gefäßdekorationen aus dem Bereich homosexueller Beziehungen fällt es schwer, eine repräsentative Auswahl vorzustellen. Infolge der sehr guten fotografischen Vorlagen der betreffenden Malereien beschränke ich mich auf wenige Abbildungen, die ein Paar aus Erastes und Eromenos wiedergeben und verweise für eine vertiefende Betrachtung der Päderastie auf die Publikationen, die das Thema umfangreich behandeln.280 Wie zuvor schon angesprochen, ist der Erastes der ältere Liebhaber und der Eromenos der jüngere Geliebte. Ziel des Interesses des älteren Mannes sind Knaben zwischen 12 und 18 Jahren.

das Gesicht des Umworbenen, mit der anderen dessen Genital zu berühren (Abb. 169) - ist in gewissem Grad erotisch zu nennen. Das gilt besonders dann, wenn die Erektion des Penis beim Werbenden den Wunsch nach sexueller Betätigung offenkundig macht und ein intensiver Blickkontakt des Paares in die Darstellung einfließt(Abb. 165). Geschenke, beispielsweise Kranz (Abb. 169) und Hahn (Abb. 172), auf deren Bedeutung unten noch gesondert einzugehen ist, können den schwarzfigurigen Bildfmdungen zur Päderastie eingebunden sein. Vergleichbare Liebeswerbungen der rotfigurigen Vasenmalerei (Abb. 166) drücken mehr erotische Spannung zwischen den Partnern aus. Das mag zum einem an der Maltechnik liegen, die nicht mehr an die Silhouette gebunden ist und charakterisierende Details in die Darstellung einbringen kann. Zum anderen scheint mir die stärkere erotische Wirkung folgendermaßen begründbar: Während die schwarzfigurig gemalten homosexuellen Paare üblicherweise gänzlich nackt wiedergegeben sind, tragen die rotfigurig gemalten meistens einen Mantel. Dieses Himation nun stellt nicht nur eine dekorative Teilverhüllung des Körpers dar, sondern es läßt darüber hinaus bestimmte Körperpartien frei, von denen sinnliche Reize ausgehen. Die Vasenma-

Werbung Einige schwarzfigurige päderastische Szenen mögen die Betrachtung von Werbungen eines Erastes um einen Eromenos einleiten. Die typische Anordnung - der Werbende schickt sich an, mit einer Hand

Abb. 168 Ein Mann befingert den Penis eines Knaben. Trinkschale, Innenbild; um 480 v.Chr. Oxford, Ashmolean Museum 1967.304.

ler der rotfigurigen Werbeszenen erreichen ferner eine starke Erotisierung ihrer Bilder, indem sie Einzelheiten in einer überpointierten Zeichenhaftigkeit einsetzen. Letzteres läßt sich exemplarisch anhand von Abb. 166 erklären: Der linke, stark gewinkelte Oberarm des Erastes hält den Mantel. Man assoziiert in diesem Bewegungsmotiv den festen Zugriff, mit dem der Verliebte seinen Auserwählten zu sich heran pressen möchte. Das leichte Einknicken der Beine signalisiert die Bereitschaft, dem jüngeren und kleineren Eromenos näherzukommen. Ferner geht es einher mit einer aufdringlichen Präsentation von Hüften, Bauch und Schenkel, als suche der Vasenmaler nach einer wirkungsvollen Kulisse für das erigierte Glied seines auf Entspannung hoffenden Protagonisten. In der Hand des Werbenden hängt ein Geldbeutel herab. Dieser, in seiner Gestaltung selbst an eine phallische Form angelehnt, scheint vom Vasenmaler bewußt in die Nähe des versteiften Genitals gesetzt. Und die Hand des Jünglings, die besonders hervorgehoben wird, indem sie sich aus der Manteleinhüllung am Hals herauszwängt, weist weit geöffnet in die Richtung von Geldbeutel und Penis des Erastes. Aufgrund der «Beutelwerbung», die diese Bildfindung mit jenen Darstellungen der um Hetären werbenden Freier verknüpft,

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Bilder (Abb. 167, 168) vereinen sie sich durch jene subtile Mischung von Begehren, Neugier, Berührungszwang, die von den Männerpaaren ausgeht, in denen der Ältere den Penis des Jüngeren mit den Fingerspitzen abtastet, während der Knabe stützend bzw. zärtlich den Kopf des Partners faßt.

Blickkontakt Bilder von homosexuellen Paaren in liebevoller Unterhaltung mit einer Annäherung der Gesichter und einem Ineinandertauchen der Blicke - also im Moment vor dem Kuß - scheinen mir für das Schwarzfigurige wenig repräsentativ zu sein bezüglich ihrer erotischen Ausstrahlung. Aus der rotfigurigen Vasenmalerei gibt es diverse Beispiele höchst sinnlicher Szenen in der auf den Kuß hinführenden Situation, wie es eine Schaleninnendekoration (Abb. 170) dokumentiert (vgl. ferner S. 111 ff., Kap. Erotik als geschlechtliche Kongruenz, Abb. 197-200). So steht ein Eromenos - seine Jugend wird zeichenhaft vorgeführt durch den Reifen und den Stock, die Bestandteile eines beliebten Kinderspiels - vor seinem Erastes, dessen Stab ihn als den reiferen Mann charakterisiert.282 Dem Vasenmaler gelang es, zärtliches Verlangen ins Bild umzusetzen und eine sehr erotische Komposition zu schaffen.

Schenkelverkehr

Abb. 169 Werbungsszene zwischen Männern. Amphora; um 530 v. Chr. Kunsthandel.

rückt die Komposition der Abb. 166 für das vordergründige Verständnis in den Bereich der Knabenprostitution, weil sie sich durch den Geldbeutel abhebt von den oben skizzierten idealen Zielen der Päderastie. Es wurde allerdings daraufhingewiesen, daß es aufgrund der Geschenke nicht möglich sei, ehrbare Eromenoi und käufliche Pornoi in den Vasenmalereien zu unterscheiden.281

Befingerung Schwarzfigurige Szenen mit männlichen Liebespaaren sind weniger erotisch nuanciert als rotfigurige. Dieser Befund, mittels der beiden Werbeszenen in Abb. 165, 166 kommentiert, bestätigt sich bei anderen Darstellungsinhalten des homo-

sexuellen Themenbereichs. Meines Wissens gibt es im Schwarzfigurigen keine so erotischen Wiedergaben des Befingerns, wie sie im Rotfigurigen deutlich werden. Die Szene in Abb. 171, geprägt durch ihre Verhaltenheit der Zärtlichkeitsbewegungen, mutet idealisiert an gegenüber der Darstellung aus Abb. 167, in der ein auf der Kline gelagerter Mann lüstern die Penisspitze eines herantretenden Knaben betastet. Sein Tun verbindet ihn mit dem stehenden Erastes in Abb. 168, der ebenfalls seinen Eromenos im Genitalbereich liebkost. Dezenzloser als die Szene in Abb. 167 wirkt die in Abb. 168, weil der Liebhaber hier vor seinem Geliebten in einer transitorischen, wippenden Bewegung und mit stark aufgerichtetem Penis wiedergegeben ist. Trotz der unterschiedlich intensiven Erotisierung beider

Keineswegs erotischer als diese Liebesvorspiele zwischen Männern und Knaben wirken nun die eigentlich sexuellen Gruppen, wenn Paare beim Schenkelverkehr gezeigt werden. Soweit sich das Material überblicken läßt und in Fotos vorliegt, sind mehr Schwarzfigurige (Abb. 173) als rotfigurige (Abb. 174) Vasenmalereien des betreffenden Motivs erhalten. Erastes und Eromenos vereinen sich auf beiden Darstellungen (Abb. 173, 174) in ähnlicher Haltung. Mit leicht eingeknickten Beinen verharrt der Erastes und reibt sein Genital zwischen den Schenkeln des Partners, während sein Kopf an dessen Schulter lehnt. Das rotfigurige Bild (Abb. 174) scheint nach heutiger Sehweise einen vernehmbareren erotischen Ton anzuschlagen. Das mag sich folgendermaßen erklären: Gemäß dem Zeitstil ist der homosexuelle Verkehr des schwarzfigurigen Paares (Abb. 173) als Silhouette wiedergegeben, erscheint unter einer Sirene aus der Welt der archaischen Tierfriese und ist zudem

Schenkelverkehr

Abb. 170 Liebhaber und Geliebter vor dem Kuß. Trinkschale, Innenbild; 510-500 v.Chr. Privatbesitz. Skyphos; um 530 v. Chr. Boston, Museum of Fine Arts 08.292.

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Abb. 171 Ein Mann wirbt um einen Knaben.

Abb. 172 Homosexuelle Paare und ein einzelner Mann. Amphora; um 540 v. Chr. London, British Museum 18.43.39.

Erotik zwischen Männern

Abb. 173 Homosexuelles Paar beim Schenkelverkehr. Lekythos; um 540 v.Chr. London, Kunsthandel.

mit hüpfenden, gewissermaßen zuschauenden Männern vergesellschaftet. Derartiges kann die moderne Betrachtung weniger realistisch begreifen als das rotfigurige Liebespaar (Abb. 174). Dieses

ist detaillierter gemalt als das in Abb. 173. Die neben Mann und Knaben hockende, wahrscheinlich als Diener aufzufassende Gestalt bleibt unbeteiligt am Geschehen, scheint den Kopf aufzustützen, eher zu schlafen als wegzusehen. Im Vergleich mit Abb. 173 bestimmt Abb. 174 eine stärkere Intimität, die sich noch durch die Einrahmung der Szene mit Pflanze und Säule steigert. Sie assoziieren die Abgegrenztheit von Garten und Palästra oder die Nähe eines Heiligtums. Ebenfalls ein Paar beim Schenkelverkehr zeigt die schwarzfigurige Vasenmalerei Abb. 172. Es befindet sich inmitten einer weiteren homosexuellen Zweiergruppe unmittelbar vor dem Schenkelverkehr, eines Laufenden und eines Paares mit Kränzen 283 und einem Hahn. Der Hahn ist als Symbol des Kampfes und der sexuellen Potenz aufzufassen und als solches in die päderastische Darstellung einbezogen.284 Auf dem Arm des Eromenos dargestellt, mag er daraufhindeuten, daß der Eromenos in die seitens des Erastes gewünschte Beziehung eingewilligt hat. 285 Die knappen Ausführungen zum Themenkreis «Erotik zwischen Männern» machten deutlich, daß homosexuelle Liebesszenen einen ähnlichen erotischen Einschlag haben können wie heterosexuelle Parallelsituationen (s. S. 56ff., Kap. Erotik bei Hetären und Männern; S. 111, Kap. Erotik als geschlechtliche

Abb. 174 Mann und Knabe beim Schenkelverkehr. Pelike; 480-470 v.Chr. Basel, Kunsthandel 1977.

Kongruenz). Eine wesentliche Abweichung ist dennoch zu konstatieren. Es scheint kein Beispiel für Schenkelverkehr zwischen einer Frau und einem Mann zu geben.

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Erotik und Selbstbefriedigung

Nachdem zuvor (Kap. Erotik der Paarung, Kap. Erotik bei Hetären und Männern, Kap. Erotik zwischen Männern) etliche Darstellungen der Liebeserfüllung von hetero- und homosexuellen Paaren unter dem Aspekt ihrer erotischen Nuancierung erörtert wurden, befassen sich die beiden folgenden Themenkreise mit Bildern von Einzelpersonen bei sexueller Entspannung bzw. mit Darstellungen, die fälschlich als Selbstbefriedigungsszenen gedeutet wurden.

Frauen Einige Vasenmalereien mit unbekleideten Frauen, die ein nachgebildetes männliches Glied halten, werden in wohl allen Untersuchungen zur erotischen Kunst Griechenlands besprochen und mehr oder minder ausreichend abgebildet. Ein solcher künstlicher Phallos, durchgängig als Selbstbefriedigungshilfe verstanden, kann mit oder ohne Hoden geformt sein. Die Penisnachbildung ist aus Leder vorzustellen. Olisbos wird sie genannt, in der Ableitung von einem griechischen Verb, das «gleiten» bedeutet. Literari-

sche Quellen lassen darauf schließen, daß derartige Instrumente tatsächlich hergestellt und verkauft wurden. 286 Archäologische Forschungsbeiträge, in denen diese Olisboi Beachtung fanden, lehren, daß letztere selten vorurteilsfrei besprochen wurden. Noch heute haftet ihnen zuweilen eine kaum mehr verständliche Aura von Verworfenheit an. Einiges aus der Literatur mag referiert werden. H. Licht287 bildet ein Beispiel ab (hier Abb. 175), erwähnt die Bilder im Rahmen allgemeiner Überlegungen zur Selbstbefriedigung bei den Griechen und kommentiert sie nur, indem er den berühmten, für die Olisboi so erhellenden sechsten Mimiambus des Herondas anführt. Dieser trägt den Titel «Die beiden Freundinnen oder das vertrauliche Gespräch» und beinhaltet eine Unterhaltung zweier Frauen über einen besonders gut gearbeiteten Olisbos aus einer bestimmten Werkstatt. Hauptsächlich aus diesem Text und aus einem kleinen Ausschnitt einer «Erotes» betitelten Schrift des Lukian folgert der Autor: «Einen solchen Olisbos gebrauchten die Mädchen nun teils allein in der verschwiegenen Stille des Schlafzim-

Abb. 175 Sandalenbindende Hetäre neben einem Olisbos (Penisnachbildung aus Leder). Trinkschale, Innenbild; um 500 v. Chr. Verschollen, ehemals Berlin F 2272.

mers, teils bedienten sich zwei Frauen gemeinschaftlich eines solchen.» J. Marcade288 greift in Zusammenhang mit dem Olisbos, genau wie H. Licht, die Textstelle aus dem Mimiambus des Herondas auf und zitiert sie in einer Passage. Ansonsten beschränkt er seine Ausführungen zum Olisbos auf einen zwanghaft anmutenden Verteidigungssatz für die Olisbos-Anhängerinnen: «So mag es entschuldbar erscheinen, wenn sie insgeheim jene Instrumente der Illusion gebrauchten . . . » Als Illustration dient J. Marcade289 die Frau mit zwei Olisboi (Abb. 177). Die von ihm ebenfalls noch als Bebilderung zur Olisbos-Handhabung eingeblendete Frau (Abb. 178) könnte auch sehr wohl einen Ton-Phallos in ihrer Hand halten, der in den Rahmen der Haloa gehört (s. S. 45 ff., Kap. Ein Glied aus Ton). Diese Interpretation scheint mir erwägenswert durch das Bild der anderen Seite des betreffenden Gefäßes, auf der eine Frau einen riesigen Korb mit Teigphallen trägt, die anläßlich der Feierlichkeiten zu Ehren der Demeter und Köre gebacken wurden (hier Abb. 74). Einen knappen Hinweis zum Olisbos ohne bildliche Wiedergabe enthält die

Abb. 176 Hetäre mit zwei Olisboi. Trinkschale, Innenbild; 510-500 v. Chr. Leningrad, Eremitage 14611.

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Erotik und Selbstbefriedigung

Abb. 177 Hetäre mit zwei Olisboi. Trinkschale, Innenbild; um 500 v. Chr. London, British Museum E 815.

Studie von E. La Rocca und J. Boardman290: «Eine vernachlässigte Ehefrau konnte sich Befriedigung mit sinnreich konstruierten Lederartikeln (olisboi) verschaffen. » J. Boardman291 erwähnt den Olisbos im allgemeinen Zusammenhang mit Phallosmodellen, wählt das hier als Abb. 177 erscheinende Bildbeispiel als Beleg und beschreibt die Frau als Benutzerin zweier Olisboi zur Selbstbefriedigung. K. J. Dover292 stellt die übliche Inter-

Abb. 178 Hetäre mit Olisbos. Amphora; um 470 v. Chr. Paris, Petit Palais 307. Korrespondenzbild zu Abb. 74.

pretation von Frauen mit Olisboi in Frage, indem er diese Bilder nicht als den realistischen Ersatz künstlicher Phallen zur Selbstbefriedigung deutet, sondern sie als Produkte der Phantasie jener Kräfte auffaßt, die Homosexualität in jeglicher Form als abnormal empfanden. Demzufolge möchte er homosexuelle Praktiken bei Frauen - darunter eben die Verwendung von Olisboi - als geschlechtliche Handlungen interpretiert wissen, die den Frauen angedichtet wur-

Abb. 179 Eine Hetäre neben einem Korb mit Olisboi. Pelike; Anfang 5. Jh. v.Chr. Syrakus 20065.

den. K. J. Dover bildet abermals die wohl bekannteste Darstellung des Themenkreises ab (hier Abb. 177). E. C. Keuls293 versteht die Bilder von Frauen mit Olisboi in ähnlichem Sinne wie K . J . Dover und legt zwei Abbildungen vor (vgl. hier Abb. 176, 177). C. Johns294 und C. Reinsberg295 halten den Olisbos ebenfalls für ein unrealistisches Utensil zur weiblichen Selbstbefriedigung und vermuten, daß die Hetären die Phallen aus Leder zur Unter-

Abb. 180 Hetäre und Satyr beim Koitus. Trinkschale, Innenbild; 510-500 v. Chr. Boston, Museum of Fine Arts 08.30a.

Frauen Haltung ihrer männlichen Kunden gebrauchten und sie bei lasziven Tänzen schwenkten. Einleuchtend umschreibt C. Reinsberg die erotischen Tänze der Prostituierten gemäß dem heutigen Sprachgebrauch als «regelrechte Sexshows». Die Richtigkeit dieses Interpretationsstranges bestätigen hier noch die Abb. 179, 183-185. Es handelt sich um Szenen auf mehr oder minder fragmentierten Trinkschalen und auf einer Pelike. Während man in Abb. 183 eine nackte Frau erkennt, die in ekstatischem Tanzsprung einen Olisbos schwenkt, sind in Abb. 184 zwei Tänzerinnen, vielleicht auch Akrobatinnen auszumachen, hinter denen die betreffenden Tanzrequisiten in Olisbos-Form «noch» an der Wand hängen.296 Drei nackte Frauen (Abb. 185), weniger tanzend als hockend dargestellt, schwingen die Olisboi nicht nur in ihren Händen, sondern zwei von ihnen lassen sich auf dem künstlichen Penis nieder. Reservestücke von Olisboi werden an der Wand und auf dem Boden der zuletzt genannten Interieurszene angegeben. Abb. 179 zeigt eine Nackte, die sportlich wendig in einen mit Olisboi gefüllten Korb springt, während sie eine Phallosnachbildung trophäenartig in ihrer vorgestreckten Linken hält. Außergewöhnlich bezüglich des Bildzusammenhanges ist eine Darstellung (Abb. 180), weil die den Olisbos schwingende Frau sich mit einem Satyrn vereinigt. Dieser bäumt sich unter ihr auf mit gewaltiger Erektion. Hier hat der Vasenmaler eine Hetäre aus der Welt des orgiastischen Rauschfestes mit einem Teilnehmer des dionysischen Gefolges verknüpft. Eine noch relativ unbekannte Darstellung, die Olisbos-Tänzerin in Abb. 186, ergänzt die Tondi mit ihren «Schwestern» der Abb. 175-177. Ihre erstmalige Publikation in einem Ausstellungskatalog297 wird wiederum durch die gängige Interpretation - Olisbos für die Selbstbefriedigung - kommentiert. Die Komposition der Abb. 181 zeigt einen geflügelten Olisbos, stellt sich somit in den Kontext der geflügelten Phalloi (s. S. 48f., Kap. Phallosvogel). Sie ist meines Erachtens kein Beleg für den Bezug Phallosvogel und Fruchtbarkeitskult, wie bei der Erstpublikation des Stückes angenommen wurde. 298 Die Position der Frau, die sich hier im Schema der a tergo durchgeführten Liebesakte (vgl. exemplarisch Abb. 129 bis 134) für den geflügelten Olisbos bereithält, ist eine geistreiche Kontamination, die der Vasenmaler aus Koitusbild, Phallosvogel und Olisbos zusammengestellt

101 hat. Seine Schöpfung ging vermutlich kaum über seinen Wunsch hinaus, männliche Potenz sinnfällig zu machen. Die Frage, ob jene Olisboi, die in den Vasenbildern dargestellt wurden, den Frauen nun wirklich als Mittel zur Selbstbefriedigung dienten oder ob es sich um erdachte Schöpfungen in Literatur und Bildkunst handelt, ist relativ eindeutig zu beantworten, wenn man die Gegenständlichkeit der Olisboi sachlich analysiert. Ein Blick auf die Details lehrt, daß die künstlichen Phallen übermäßig groß gemalt werden. Anatomische Statistiken, die auf Erhebungen im modernen Westeuropa beruhen, ergaben eine durchschnittliche Penislänge vom Ansatz bis zur Eichel von 9,61 Zentimetern.299 Selbst unter Zugrundelegung einer erheblichen Erektionsvergrößerung steht die Länge der gemalten Olisboi weder in einem realistischen Proportionsverhältnis zu der Länge eines Gliedes in erigiertem Zustand noch zu den Körpermaßen der Benutzerin. Mit oder ohne Angabe der Hoden erreichen die Olisboi in den betreffenden Darstellungen mindestens das Maß der Unterarme der sie handhabenden Frau. Diese Übertreibung beim Ausmaß der Penisnachbildungen erklärt sich aus der Überbewertung des männlichen Genitals, die ja auch in der Bildung der abnorm großen Geschlechtsorgane der Satyrn bzw. Silene auffällt (s. S. 28ff., Kap. Liebe und Verweigerung im Umkreis des Dionysos; S. 37 ff., Kap. Satyrn - Silene). Bezeichnenderweise ähnelt das aufgerichtete Glied des Satyrn in Abb. 180 dem künstlichen Phallos in der Hand der Frau, die den Liebesakt auf dem Satyrn begonnen hat. Die konstatierte überdimensionierte Größe der Olisboi könnte nur einer überaus großwüchsigen Frau erfreuliche sexuelle

Abb. 181 Hetäre mit geflügeltem Phallos. Lekythos; um 450 v.Chr. Dion, Archäologisches Museum 6941.

Befriedigung garantiert haben. Zu folgern ist: Die Deutung der Olisbos-Bilder als Spiegelung der sexuell stimulierenden Tänze der Hetären ist zwingend. Wie ja oft genug herausgestellt wurde, erscheinen nach antiker griechischer Bildtradition ausschließlich die Hetären unbekleidet dargestellt. Und alle Frauen, die mit Olisboi gezeigt werden, sind nackt. Die Tatsache, daß kein Vasenbild von einer «bekleideten» Frau erhalten ist, die ein Glied aus Leder verwendet, bestätigt die Auffassung, daß in den Vasenbildern der Olisbos als Utensil zur sinnlichen Aufreizung der Männer zu verstehen ist. Die

Abb. 182 Zwei masturbierende Männer. Trinkschale, Innenbild; 530-520 v.Chr. Boston, Museum ot Fine Arts 10.651.

Erotik und Selbstbefriedigung

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Abb. 183 Olisbostänzerin. Vasenfragment; um 500 v. Chr. Athen, Nationalmuseum.

Hetäre benutzt es virtuos. Ihre Vorführungen garantieren lebendige Assoziationen zur Selbstbefriedigung mit dem Olisbos und passen vorzüglich in den Rahmen eines Rauschfestes. Daß es dessenungeachtet in der Lebenswirklichkeit künstliche männliche Genitalien zur Selbstbefriedigung der Frauen gegeben hat, ist nicht zu bezweifeln. Nicht nur die bis heute käuflichen Objekte, die einer Frau für die selbst durchzuführende sexuelle Entspannung angeboten werden, unterstreichen diese Annahme. Sie wird desgleichen favorisiert durch eine jüngst geäußerte Meinung, gemäß der die Olisboi wiederum als Selbstbefriedigungshilfen für Frauen apostrophiert wurden, die aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur «feinen» und begüterten Gesellschaft die sicher kostspieligen Olisboi zu erwerben in der Lage waren.300 Aber auf dieses Faktum wird im Vasenbild keineswegs abgezielt. Zusammenfassen läßt sich: Das Olisbos-Sujet in der Vasenmalerei führt zuweilen in den Bereich der sexuellen Phantasien, macht sicher auch eine Facette in der Verherrlichung des männlichen Genitals aus, ist aber vor allem als Teil des sexuellen Stimulansrepertoires der Akroamata beim Rauschfest einzustufen. Von allen erwähnten Beispielen, die Frauen mit Olisboi zeigen, geht eine sinnliche Wirkung aus. Diese beruht zum einen auf der Darstellung des nackten Frauenkörpers, der schöngestaltig und ausgewogen proportioniert ist. Zum ändern resultiert sie aus der gekonnten Andeutung transitorischer Bewegungen, die die Frauen mit dem Olisbos ausführen. Sicherlich liegen hier Bilder vor, die als erotisierend angesprochen werden dürfen, für die antike und moderne Betrachtung gleichermaßen. Das Phänomen der Olisboi führt, wie gezeigt werden konnte, nicht nur ent-

schieden über das Thema der Selbstbefriedigung hinaus, sondern ist in bezug auf die Darstellungen in den Vasenbildern überhaupt nicht als direktes Selbstbefriedigungsmedium der Frau anzusprechen. Es hätte zum einen im Kapitel «Erotik und männliches Genital» (s. S. 44 ff.), etwa als Abschnitt «Ein Glied aus Leder», erscheinen können. Zum anderen wäre es im Kapitel «Erotik bei Hetären und Männern: Erotischer Tanz» (s.S. 64 ff.) angemessen diskutiert gewesen. Aber die dogmatische Zähigkeit, mit der sich die Olisbos-Diskussion in allen Schriften zur erotischen Kunstäußerung bei den Griechen in der Rubrik der weiblichen Selbstbefriedigung behauptet, hat mich bewegen, die Olisboi unter dem irreführenden Stichwort «Selbstbefriedigung der Frau» - also unter einer die Lesebereitschaft fördernden Reizüberschrift - erneut zu behandeln, um die nicht mehr haltbare Interpretation durch eine neutrale Sehweise der Olisbos-Bilder zu ersetzen. Enttäuschend bleibt die weitere Suche

nach Bildbelegen zur Selbstbefriedigung bei Frauen. Ein von E. C. Keuls angeführtes Schulterbild einer Hydria 301 , das eine Szene am Brunnen wiedergibt, könnte als Dokument herangezogen werden. Man erkennt eine Frau, die sich ihrer Kleider entledigt hat. Sie sitzt auf dem Boden, mit angezogenen und weit gespreizten Beinen. Ihr Kopf neigt sich nach links. Der linke Arm ist gewinkelt. Aus der Handhaltung im Genitalbereich ließe sich durchaus eine Aktion zur sexuellen Befriedigung rezipieren. Desgleichen könnte aber auch lediglich die über den Oberschenkel gelegte Hand gemeint sein. Die Fingerstellung macht nicht klar, ob das einfache Herabhängen der Hand oder die Befingerung der Scheide angedeutet ist. Die Auffassung «Selbstbefriedigung» ist zwar nicht beweisbar, aber aufgrund der gemalten Einzelheiten immerhin vorstellbar. Zu hypothetisch hingegen scheint mir die einfallsreiche Fortsetzung der Deutung. Die Frau befriedige sich selbst, so ist bei E. C. Keuls zu lesen, weil der zuvor mit

Abb. 184 Hetären vor Olisboi. Trinkschale, Außenbild; um 500 v. Chr. Paris, Musee du Louvre G 14.

Abb. 185 Hetären mit Olisboi. Trinkschale, Außenbild; um 480 v. Chr. Ehemals Sammlung Castellani.

Männer

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ihr beschäftigte Liebhaber sich von ihr abgewandt habe und mehr Interesse für eine andere, zum Brunnen kommende Frau zeige. Der Gesamtblick auf die Szene ergibt: Eine verhaltene erotische Ausstrahlung geht von der sitzenden Nackten aus, sei sie nun als Ausruhende oder vorbehaltlich als Frau während der Selbstbefriedigung interpretiert.

Männer Bei den sich selbst befriedigenden Männern in Abb. 182 wird erotisches Timbre vernehmbarer, das sich vordergründig und offen freisetzt. Die beiden auf dem Rücken Liegenden sind ganz auf sich selbst konzentriert. Ihre Hände greifen in unmißverständlicher Aktivität den Penis, so daß man an das griechische Wort dephestai für masturbieren und seine Verwandschaft zu depsein in der Bedeutung von «formen, kneten» denkt. Diese Direktheit sexueller Eigenberührung ist ebenfalls feststellbar in Vasenbildern von Männern, die ihren erigierten Penis umklammern während der Werbung, Bedrängung oder Verfolgung einer potentiellen Liebesbeute. Bei diesen Szenen handelt es sich aber nicht um das Motiv des Masturbierens, weil der sexuell Erregte auf einen anderen Mann fixiert ist (vgl. hier Abb. 87, rechte Gruppe). Sie sind also nicht relevant in einem Themenkreis, der nach dem Verhältnis von Erotik und Selbstbefriedigung fragt. In Zusammenhang mit sich selbst befriedigenden Frauen und Männern ist noch auf Abb. 153b zurückzuverweisen. Ein Jüngling masturbiert im Sitzen neben einem Paar beim Liebesakt, dessen Be-

Abb. 186 Hetäre mit Olisbos. Trinkschale, Innenbild; 510-500 v.Chr. Elie Borowski Collection.

wegungsraum auf dem Lager in lästiger Weise einschränkend. Auf dem Boden schläft eine Hetäre, deren rechte Hand auf ihrer Pubes ruht. Das Motiv, hier eindeutig für eine Schlafende verwendet, muß also keinesweg ein Indiz für Selbstbefriedigung sein, wie E. C. Keuls bei ihrer Leseart des kurz zuvor erwähnten Vasenbildes erwog.302 Soweit Abb. 153b offenbaren kann, beruht die erotische Wirkung, die von dem Masturbierenden in dieser Szene ausgeht, weniger auf seiner Aktion als auf dem Bildzusammenhang mit dem Liebespaar, das höchste

sexuelle Erregung verströmt. Auch die in reizender Entspanntheit schlafende Hetäre, die mit ihrem ins Dreiviertelprofil gedrehten Körper und den gespreizten Beinen die Betrachtung anzieht und den Blick zu den weiteren Darstellungsinhalten führt, trägt zu der erotischen Wirkung des sich manuell selbst Befriedigenden bei, weil sie in ihrer «sexuellen Ruhestellung» einen Gegensatz zu der Heftigkeit des Masturbierenden darstellt. Es hat sich hinreichend gezeigt: das Thema der Selbstbefriedigung allein muß kein Garant für erotische Wirkung sein.

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Erotik im Mythos

Der Bereich des Mythos, schon eingangs berührt (S. 22 ff., Kap. Erotik im Spiegel der Gottheit: Aphrodite — Dionysos) wird im folgenden unter dem Aspekt des Erotischen in der Welt der Sage abermals aufgegriffen. Sexuell-sinnliche Züge kennzeichnen den griechischen Mythos allenthalben. Nur eine kleine Auswahl mit deutlich erotischer Prägung kann hier vorgestellt werden. Einige allgemeine Bemerkungen zum Mythos mögen sie einleiten. Allgemeines zum Mythos Die Mythologie befaßt sich bekanntlich mit jenen Phantasiegebilden, die von den Griechen Mythen genannt wurden. Mythen ist mit «Worte», Mythos also mit «Rede, Erzählung» zu übersetzen. Schon die Urmythen kreisten wahrscheinlich um die Entstehung der Welt, um das Leben von Göttern und Heroen, um Liebe und Schuld. Aus der Fülle des mythischen Erbes mögen geniale Dichter mündlich vorgetragene Werke zusammengesetzt haben, die unter anderem vom Trojanischen Krieg und der Heimkehr der Helden handelten. Derartige kyklische Dichtungen mit zahlreichen genealogischen Verknüpfungen lassen sich bereits voraussetzen für die Werke Homers und Hesiods, in denen der griechische Mythos schriftlich faßbar wird. Und so schreibt auch Herodot303 über Homer und Hesiod: «Die sind es, die den Griechen die Entstehung der Götter schufen, den Göttern die Beinamen gaben, Ehren und Fertigkeiten sonderten und ihre Gestalten aufzeigten.» Homer und Hesiod bieten den intensivsten Einblick in den griechischen Mythos, der nicht nur von Göttern und Helden kündet, sondern auch einfache Sterbliche und phantastische Geschöpfe zum Gegenstand wählt. Die zunächst nur mündlich überlieferten Gedichte wurden vermutlich zur Kithara vorgetragen, die schriftlichen dann ohne Saiteninstrument von den «Rhapsoden» genannten fahrenden Sängern zitiert. Kyklos, eine um 600 v. Chr. entstandene, fragmentarisch erhaltene Gedichtreihe bietet einen reichen mythologischen Stoff. Das gilt glei-

chermaßen für die «Homerischen Hymnen», eine Sammlung von Gedichten, die nicht vom Verfasser der Ilias bzw. Odyssee stammt, sondern ihre kanonische Fassung erst nach 600 v. Chr. erhalten haben dürfte. Quellen zur Mythologie liefern ferner die Dichter, hellenistische Schriftsteller, frühe Historiker und spätere Kompilatoren, die Vorhandenes übernehmen. Kenntnisse stammen auch aus mythologischen Handbüchern des Altertums. Informationen geben ebenfalls Scholiasten und Kommentatoren antiker Dichter. Selbst bei christlichen Autoren lassen sich noch mythologische Stoffe finden. Ein Problem in der Darstellung antiker Mythen liegt darin, daß durchgängige Erzählungen fehlen und der einzelne Mythos aus verstreuten Werken, Auszügen und Hinweisen zusammengesetzt werden muß. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich aus unklaren Grenzen zwischen Mythos und Geschichte. Heute ist es selbstverständlich, daß sich die Begriffe «geschichtlich» und «mythisch» einander ausschließen. Für den antiken Menschen existiert dieser Gegensatz nicht in gleicher Schärfe. Herodot beispielsweise verfolgt die historischen Kämpfe zwischen Griechen und Persern bis in eine mythische Vorzeit zurück. Sicherlich haben Heldenlieder geschichtliche Spuren im Mythos hinterlassen. Erst die Kritik der Sophisten, verstärkt noch durch die breite Wirkung der Tragödien des Euripides, untergrab den unbefangenen Glauben des antiken Menschen an seine Mythen. Nicht nur die Literatur ist eine wichtige Quelle zum Mythos, sondern gleichermaßen das Bildwerk selbst. Es gibt Mythen, die nur schriftlich, andere, die nur bildlich überliefert sind. Der Schatz an mythologischen Darstellungen in der bildenden Kunst der griechischen Antike bleibt unübersehbar. Da die betreffenden Mythen über mehrere Jahrhunderte gestaltet wurden, zudem in diversen Gebieten der antiken Welt, bedeuten ihre unzähligen gemalten oder plastischen Versionen stets aufschlußreiche Selbstzeugnisse der Zeit, in der sie entstanden.304

«Die Liebe der Götter in der attischen Kunst des 5. Jahrhunderts v.Chr.» Unter diesem Titel legte S. KaempfDimitriadou305 ein umfangreiches Darstellungskontingent vor, in dem Sterbliche, Zwitterwesen, Helden und Götter im erotischen Kontext von Liebesbeziehungen gezeigt werden. Eingehend beschäftigte sie sich mit den geliebten Frauen und Knaben der Götter Zeus, Poseidon, Dionysos und Hermes, behandelte ebenfalls die Liebesbeziehungen von Apoll zu weiblichen Geliebten und ging ein auf die Verbindung zwischen Hades und Persephone, ferner auf die zwischen Boreas und Oreithyia. Auch die Liebe des Pan zu einem Hirten, die zwischen Zephyros und Hyakynthos, die der Eos zu ihren Geliebten wurde erfaßt. Allen Liebesepisoden, die S. KaempfDimitriadou zusammenstellte, ist gemeinsam, daß sich die Gottheiten ihren Geliebten in menschlicher Gestalt und nicht in einer Verwandlung nähern. Allein aus dem Material, das sich nur auf die Vasenmalerei eines Jahrhunderts beschränkt, ließe sich bereits ein beträchtlicher Anteil von Bildern einer verhaltenen, feinen, empfindsam vorgezeigten Erotik des Mythos herausfiltern. S. Kaempf-Dimitriadous umfassende, übersichtlich gegliederte und vorzüglich bebilderte Studie spart jene Stoffe aus, in denen sich Zeus der sterblichen Geliebten in veränderter Gestalt nähert. Drei solcher Liebesabenteuer des obersten olympischen Gottes sollen hier folgen. Danae und der Regen Danae306 war die Tochter des Königs Akrisios von Argos, der die Weissagung fürchtete, Danae gebäre einen Sohn, der später seinen Großvater töten werde. Um das zu verhindern, schloß Akrisios seine Tochter in einen ehernen Raum ein. Die Erzähler der Sage dachten möglicherweise an ein mykenisches Kuppelgrab. Zeus, voll Liebesverlangen nach Danae, erreichte sie in ihrem Gefängnis, indem er sich in der Gestalt eines goldenen Regens mit ihr vereinigte. Danae wurde

Europa und der Stier schwanger und gebar Perseus. Als Akrisios eine Kinderstimme aus dem Verlies vernahm, setzte er Mutter und Sohn in einer Lade aus, die nach Seriphos getrieben wurde. Später dann, nach Vollendung all seiner Heldentaten, tötete Perseus beim Diskuswurf seinen Großvater Akrisios, so daß sich der einst vernommene Orakelspruch für den König von Argos verwirklichte. Vasenbilder des 5. und 4. vorchristlichen Jahrhunderts zeigen Danae bekleidet oder mit einem bis auf die Hüften herabgeglittenen Gewand. Sie ist halb gelagert mit aufgerichtetem Oberkörper bzw. sitzend auf der Kline dargestellt. Das wohl bekannteste Bild aus der Zeit um 490-480 v. Chr. befindet sich auf einem attischen Kelchkrater.307 Danae trägt Chiton und Himation. Ihre Hände halten die Enden einer Tänie, die sie im Begriff ist, um ihr Haar zu binden. Ihr Blick führt nach oben zu den Tropfen, die sich auf sie herabsenken und in ihren Schoß fallen. Wenig erregt, allenfalls erstaunt zu nennen ist Danaes Gesichtsausdruck. Ihr Körper scheint in Ruhe zu verharren. Der Vasenmaler hat eine wunderschöne Komposition geschaffen, mit einer Frau voll Anmut, aber ohne besonderes erotisches Fluidum. Auch die Zeichnung der Brustwölbungen, die durch das Gewand der Danae hindurchschimmern, geben dem Bild keine erotische Nuance. Diese Charakterisierung gilt gleichermaßen für ein böotisches Vasenbild (Abb. 187), das eine Danae mit nacktem Oberkörper zeigt. Letztlich bleiben alle Vasenbilder der Danae beim Aufnehmen des Regens ohne erotische Komponenten. Nur wenige Schöpfungen zeigen die Tochter des Akrisios als verführerische Frau, wie es für die rundplastische Statue der Heroine308 (s. Abb. lOa.b) zutrifft, deren sinnliche Ausstrahlung nicht zu verkennen ist. Zu nennen wäre ferner ein bronzenes Spiegelrelief309 aus der Zeit um 370 v. Chr. mit einer aphrodisisch anmutenden Danae. In durchsichtigem Chiton sitzt sie, leicht zurückgelehnt, mit gekreuzten Beinen auf einem Schemel und fängt in ihrem Mantel, den sie mit der Linken weit vom Körper zieht, den Regen auf. Ein kleiner Eros schmückt die Zeusgeliebte. Erschrocken weicht eine Dienerin zurück. Einen winzigen geschnittenen Stein aus der Mitte des 4. vorchristlichen Jahrhunderts 310 könnte man als weiteres Beispiel einer erotischen Danae nennen, die im Sitzmotiv der zuvor Beschriebenen im Spiegelrelief gleicht. Sie schaut zum Himmel. Mit dem linken, zur Schulter

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Abb. 187 Danae empfängt den goldenen Regen. Weinmischgefäß (Glockenkrater); um 430 v. Chr. Athen, Nationalmuseum 12593.

hin angewinkelten Arm und mit dem rechten, über den Kopf hinaus gestreckten Arm hält sie den oberen Teil ihres Mantels. Oberkörper und Bauch sind entblößt. Der Schoß wird in Schambeinhöhe locker vom Mantel überfangen. Mit dem Sagenstoff vertraut, assoziiert man durch diese Komposition, daß sich die Heroine bereitwillig und lustvoll dem obersten aller Götter hingibt, der hier in seiner wohl erfindungsreichsten Verwandlung an das Ziel seiner Liebessehnsucht gelangt. Von gedämpfter erotischer Ausstrahlung (Abb. 188) ist das Figurengefäß mit dem Relief einer Danae. In einem Naiskos über stufenartiger Erhöhung sitzt die Heroine auf einem Bett. Sie ist annähernd frontal wiedergegeben. Jene beliebte, aufreizende Gewandanordnung, die aus dem Kontrast von Nacktheit und Verhüllung resultiert, ist auch in dem kleinen Kunstwerk für Danae angewendet. Ihr Oberkörper präsentiert sich unbekleidet. Die erhobene Linke greift das üppig herabfallende Himation, das sich hinter Kopf und Rücken der Frau ausbreitet. Ihre rechte Hand faßt den waagerecht

über die Oberschenkel gelegten Mantel, dessen Saum sich wellig unterhalb der Scham drapiert. Durch das Gewand zeichnen sich die Beine ab. Sie sind graziös nach links gesetzt. Das linke ist etwas angezogen und führt seinen Fuß hinter das rechte. Dieses ragt am weitesten aus dem Reliefgrund heraus und lenkt die Betrachtung im Zentrum der Terrakotte auf die Schönheit der halbentblößten Danae, deren verhaltene, aber subtil sinnliche Ausstrahlung noch augenfälliger gewesen sein dürfte aufgrund der ursprünglich farbigen Fassung. Reste einer weißen Malgrundierung mit einem gelblichen Poliment und einer winzigen Goldspur auf der nackten Haut sowie grüne Flecken von der Kolorierung des Gewandes blieben sichtbar.

Europa und der Stier Europa311 ist die Auserwählte eines anderen Liebesabenteuers des Zeus, das er in verwandelter Gestalt genießt. Als die Tochter des phönikischen Königs Agenor mit ihren Freundinnen am hei-

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Abb. 188 Danae empfängt den goldenen Regen. Reliefvase; um 350 v.Chr. Frankfurt, Liebieghaus Museum alter Plastik I. N. 503.

matlichen Strand spielte, nahte sich Zeus in der Erscheinung eines schönen weißen Stieres und verlockte sie, sich auf ihn zu setzen. Mutiger als ihre Gespielinnen, wagte sie es und wurde nach Kreta getragen. Dort gebar sie Söhne aus der Verbindung mit Zeus. Ein tönernes Reliefamphorenfragment aus der Mitte des 7. vorchristlichen Jahrhunderts 312 wird allgemeinhin als die früheste Darstellung der Europa auf dem Stier gedeutet. Die Köpfe von Reiterin und Stier sind weggebrochen. Mit Sicherheit ausschließen läßt sich ein ero-

tisches Flair für Gesichts- und Kopfbildung der Europa. Das bestätigen Analogien zu anderen frühen Frauendarstellungen, etwa auf Reliefgefäßen. 313 Ein spätarchaisches Relief (Abb. 189), leider ebenfalls fragmentiert, gibt dennoch genug von Kopf und Oberkörper der Europa wieder, um zu ermessen, welche feinen erotischen Schwingungen einst von dieser Komposition ausgegangen sein müssen. Eine schwellende Brust liegt unter dem durchsichtigen Stoff des Chitons und hebt sich prominent über den Saum des gefältelten Schrägmantels, den

die Zeusgeliebte über ihrem Untergewand trägt. Man vergleiche die Bekleidung der Köre in Abb. 7. Das volle Gesicht der Europa (Abb. 189) mit dem zierlichen Mund verbindet den Zauber des archaischen Lächelns mit der Sinnlichkeit eines aufgeworfenen Lippenpaares. Attisch-schwarzfigurige Vasenbilder, in denen Europa im Damensitz auf dem Stier reitend dargestellt ist, sind zahlreich erhalten aus der zweiten Hälfte des 6. und dem Beginn des 5. vorchristlichen Jahrhunderts. Erotisch lassen sie sich in keinem Fall nennen. Auch die Danae auf attisch-rotfigurigen Vasen aus der ersten Hälfte des 5. Jhs. v. Chr. bleibt ohne sinnliche Züge. 314 Erst im 4. Jh. v. Chr. ist eine verhaltene Erotisierung des Europabildes in der Vasenmalerei festzustellen. Auf einem attisch-rotfigurigen Glockenkrater315 beispielsweise sitzt die Heroine nicht mehr auf dem Stier, sondern ist in einer Art Schwebezustand neben dem Tier gemalt. Mit diesem aufgelockerten Bewegungsmotiv geht eine freiere Art der Bekleidung einher. So ist der Peplos aus seiner geordneten Drapierung geraten und läßt durch den breiten Seitenschlitz einen Teil des Körpers der Europa nackt hervortreten. Zarte erotische Wirkung hat die Terrakotte mit einer bekleideten Europa (Abb. 190), die sich dem Tier so eng anschmiegt, daß man die Frau und den stiergestaltigen Zeus als unauflösliche Gruppe rezipiert, die jene Unmittelbarkeit der Liebesforderung des Olympiers kompositorisch sinnfällig macht. Es gibt auch Terrakotten aus dem 4. vorchristlichen Jahrhundert, die Europa mit entblößtem Oberkörper wiedergeben. Ich denke exemplarisch an ein böotisches Stück.316 In einer Haltung, die weder als sitzend, liegend noch schwebend zu umschreiben ist, hält sich Europa am Stier fest. Wären da nicht der Kopf und die Beine des Tieres, könnte man meinen, sie schmiege sich wohlig in ein großes Polster. Gekünstelt greift ihre rechte Hand in das Himation, das den Unterkörper und die Beine gefällig umspielt, aber den Bauch in seiner zarten Schwellung unbedeckt läßt. Im Laufe des Hellenismus wird die Heroine im Bereich der Terrakottakunst zunehmend entblößt bzw. in erotisch raffinierter Teil Verhüllung wiedergegeben. Ein Beispiel317 zeigt Europa neben dem Stier, in einer transitorischen Haltung zwischen Stehen und Anlehnung. Sie hat das rechte Bein nach hinten gestellt. Ihre rechte Hand hält das linke Hörn des Tie-

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Leda und der Schwan res, mit der Linken stützt sie sich aufsein Hinterteil. Vom Mantel, dessen größte Partie zwischen ihren Beinen zu Boden fällt, bedeckt ein Teil ihren rechten Arm, ein anderer das rechte Bein. Der Körper zeigt sich ganz nackt. Auf dem Oberkopf ist das Haar nach hinten gestrichen. Das restliche, üppig herabhängende Haar wirkt fast wie ein Gewandstück. Es bedeckt die linke Schulter und bildet einen effektvollen Gegensatz zur nackten Brust.

Leda und der Schwan Als Leda318, die Gemahlin des spartanischen Königs Tyndareos, im Eurotas badete, ließ Zeus einen Adler über ihr kreisen. In Gestalt eines Schwans suchte der Gott unter Ledas Mantel Schutz vor dem Raubvogel und genoß ihre Liebe. Leda, auf diese Weise durch Zeus begattet, brachte Helena zur Welt. So lautete die Version der peloponnesischen Sage. Eine attische Fassung des Mythos machte die Göttin Nemesis zur Partnerin des Schwans. Nach der sexuellen Vereinigung mit dem Schwan gebar Nemesis ein Ei, aus dem Helena schlüpfte, die dann von Leda aufgezogen wurde. Auch das Liebesabenteuer des Zeus mit Leda erfreute sich großer Darstellungsbeliebtheit und ist zum Inbegriff des göttlichen Betrugs geworden. Eine als Leda zu deutende Relieffigur an einer um 420 v. Chr. entstandenen attischen Lekythos319 zeigt die Frau frontalansichtig. Sie kniet mit dem rechten Bein auf einem querrechteckigen Untersatz. Das linke Bein bleibt gestreckt und weist mit dem Fuß über das kastenartige Möbelstück hinaus, so daß man von diesem Punkt in die Komposition hineingelenkt wird auf den nackten, ebenmäßigen Körper der Heroine, die sich stark nach rechts neigt. Ihren linken Arm hebt sie zur Schulter. Die Hand greift den Saum eines weiten Mantels, der hinter ihr in bewegten Faltenzügen herabfällt. Ein Teil des Gewandes bedeckt die rechte Leistenfuge. Ledas Blick ist aufwärts gerichtet und führt nach links in die Ferne. Der Schwan mit ausgebreiteten Flügeln, erhobenem Hals und abwärtsgebogenem Schnabel hat sich gerade erst auf dem rechten Oberschenkel Ledas niedergelassen. Die Frau umfaßt den Vogel mit dem rechten Arm. Über die rechte Schulter der Frau schaut ein kleiner Eros. Eine gedämpfte erotische Wirkung geht von der beschriebenen Heroine an dem Reliefgefäß aus. Sie herrscht gleichermaßen

bei anderen freiplastischen Terrakottastatuetten, die eine stehende Leda zeigen.32° Erotisch deutlicher pointiert ist die großplastische Formulierung des LedaThemas. Eine griechische originale Marmorarbeit321 aus dem Ende des 5. Jhs. v.Chr., die möglicherweise aus einer architektonischen Einbindung stammt, ist leider stark zerstört. Weggebrochen sind Kopf, rechte Hand, linker Arm, rechtes Bein oberhalb des Knies; Teile des Gewandes; Kopf, Hals, Schwanz des Schwanes. Außer diesen Beschädigungen hat das Stück auch noch durch Eingriffe gelitten, denn es diente in der Renaissancezeit als Teil eines Brunnens. Trotz des fragmentarischen Zustandes geht von der Statue eine bemerkenswerte Sinnlichkeit aus. Leda ist im Begriff aufzuspringen, um den Schwan vor dem Adler zu schützen, der hinzugedacht werden muß. Sie drückt den Schwanenkörper mit ihrem rechten Arm an ihren Leib. Die Seitenansicht von rechts enthüllt, daß der Bildhauer das Gewand der Leda in erotischer Tendenz gestaltete, denn es wiederholt bzw. unterstreicht in seiner mittleren Partie

die Rundung des schwanaufnehmenden Schoßes. Der linke Arm Ledas war gegen den Adler erhoben. Die als heftig vorzustellende Bewegung verursachte das Herabrutschen des Gewandes über die rechte Brust. Der ohnehin offen an einer Körperseite getragene Peplos klafft nun so auffällig weit, daß der Körper entblößt wird im Bereich der rechten Oberschenkel-Glutäus-Partie und in einem Teil des Rückens. Eine Assoziation zu der wesentlich später entstandenen, raffiniert erotischen Gewanddrapierung der Aphrodite Kallipygos (Abb. 15) liegt nahe. Der beschriebenen Leda ist eine erotische Aura eigen, die in verwandter Intensität jene rundplastische Schöpfung der Heroine prägt, in der das berühmte Werk des Bildhauers Timotheos aus der Zeit um 380 v. Chr. faßbar wird. Es ist nicht im Original, wohl aber in Kopien und Umbildungen erhalten.322 Abb. 192 gibt die wohl beste Fassung, von der Hand eines römischen Kopisten, wieder. Der rechte Oberarm Ledas und der Hals des Schwans sind ergänzt. Die Frau hat sich von ihrem Felsensitz erhoben. Diese Haltung und das Aufnehmen des Vogels führen zu einem gespannt-graziösen Stand-

Abb. 189 Europa auf dem Stier. Relief. H. 0,21 m; um 500 v. Chr. Berlin, ehemals Pergamonmuseum SK 1709.

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Erotik im Mythos

Abb. 190 Europa auf dem Stier. Terrakotte. H. 0,15 m; 5. Jh. v. Chr. Athen, Museum Canellopoulos.

motiv. Das linke Bein neigt sich leicht nach innen. Leda schaut zum Himmel empor. Mit der Linken hebt sie ihren Mantel schützend gegen den Adler, der ja dem Bildwerk vorstellig zu ergänzen ist. Das Transitorische der Bewegungen und den Gegensatz von nackten Körperpartien und reicher Faltendraperie, besonders im Bereich von Unterkörper und Beinen, nutzte der Bildhauer als Mittel zur Erotisierung, genau wie das Nebeneinander von dickbahnigen, körperverhüllenden Gewandschwüngen und zarten, durchsichtigen Stoffpartien. In einem größeren Rahmen ließe sich entwickeln, in welch subtiler Weise die erotische Nuancierung der LedaSchwan-Thematik seit ihrem frühesten Erscheinen im ausgehenden 5. Jh. v. Chr. bis in die hellenistische Zeit zunimmt. Das mögen auswahlweise Abb. 191 und 194a. b belegen. Abb. 191 gibt Leda wieder in einer Marmorarbeit aus römischer Zeit, die allerdings auf eine späthellenistische Relieferfindung zurückgeht.323 In höchst erotischer Weise wird Leda mit dem Schwan gezeigt, der durch Größe und Zudringlichkeit über den Frauenkörper dominiert und die sexuelle Vereinigung kaum im Bereich der Phantasie beläßt. Ebenjene oder eine sehr ähnliche Schöpfung, die in dem betreffenden Relief

Abb. 192 Leda mit dem Schwan. Statuarische Gruppe. H. 1,32 m. Römische Kopie nach griechischem Original um 380 v. Chr. Rom, Museo Capitolino 302.

Abb. 191 Leda und der Schwan. Relief aus Brauron. H. 0,50 m. Römische Kopie eines späthellenistischen Originals. Athen, Nationalmuseum 1499.

Leda und der Schwan

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Abb. 193 Herakles verführt die Athenapriesterin Auge. Deckelrelief eines Bronzespiegels; Ende 4. Jh. v.Chr. Sammlung C. G. Bastis.

(Abb. 191) faßbar wird, diente der Gruppe aus Abb. 194a.b als Vorbild, die einst als die «gemeinste aller Leden»324 bezeichnet wurde. Wie kaum ein anderes Sujet eignet sich

das Paar aus Frau und Vogel, um Erotisches unterschwellig-verhalten, deutlich zitiert oder schlüpfrig-assoziativ zum Ausdruck zu bringen. Der klein oder groß gebildete, mit zierlichen oder riesi-

gen Schwingen ausgestattete Schwan mit dem phallosähnlichen Hals und dem glatten Gefieder neben der schönen Frau, die, ihren Mantel öffnend, Zuflucht gewährt und Erfüllung schenkt, ergibt

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Abb. 194a Leda mit dem Schwan. Tischfuß. Römische Kopie nach späthellenistischem Original. Venedig, Archäologisches Museum Inv. Nr. 30.

Abb. 194b Leda mit dem Schwan. Rückansicht zu Abb. 194a.

immer wieder eine reizvolle Motivverknüpfung, die Laszives enthalten kann und bedingt an Phallosvogel-Gestaltungen erinnert (s. S. 48f., Kap. Phallosvogel). Den zuvor behandelten Verbindungen zwischen Zeus und drei seiner sterblichen Geliebten würden sich nun noch zahlreiche andere erotisch geprägte Mythen anschließen lassen, etwa abermals Liebesabenteuer um Zeus oder Liebesgeschichten aus den Bereichen der Aphrodite und des Dionysos (s. S. 22ff., Kap. Erotik im Spiegel der Gottheit: Aphrodite - Dionysos) sowie aus der Welt anderer weiblicher und männlicher Gottheiten (s. S. 104, Kap. «Die Liebe der Götter in der attischen Kunst des 5. Jahrhunderts v. Chr.»).

bekannteste Held des griechischen Mythos, mag mit einem Liebeserlebnis vertreten sein. Herakles325, wild und unbeherrscht, desgleichen schaffend und sich mühend, gilt allgemeinhin als Prototyp männlicher Kraft. Ursprünglich in Argos beheimatet, wird er frühzeitig zum Lieblingshelden aller Peloponnesier und schließlich zum Nationalhelden von ganz Griechenland. Zeus hat ihn mit Alkmene, der Gattin des Thebaners Amphitryon, gezeugt. Als Kleinkind bereits erwürgt Herakles Schlangen, die von der eifersüchtigen Zeusgemahlin Hera zu seiner Vernichtung gesandt werden. Zahlreiche heldenhafte Leistungen, aber auch frevlerisches Tun säumen seinen weiteren Lebensweg. Am berühmtesten sind die zwölf Arbeiten, die er für Eurystheus, den König von Tiryns, verrichtet. Am Ende seines Lebens läßt er sich auf einem Scheiterhaufen verbrennen. Philoktet, der ihm diesen letzten Dienst erweist, erhält den Bogen des Herakles. Der Held steigt in einer Wolke zum Olymp, wo er unter die Unsterblichen aufgenommen wird und Hebe zur Gemahlin erhält.

Herakles und Auge Exemplarisch möchte ich nur noch einen erotischen Sagenstoff aus der Welt der Heroen - jenen Geschöpfe zwischen unsterblichen Göttern und sterblichen Menschen - aufgreifen. Herakles, der wohl

F. Brommer326 hat die Liebesabenteuer des Helden zusammengestellt. Mit fünfzig Frauen zeugte Herakles einundfünfzig Söhne. Nur drei Töchter sind namentlich bekannt. Einige Knaben gelten als Geliebte des Helden. Diese statistisch anmutende Bestandsaufnahme eines heroischen Sexuallebens basiert auf literarischen Quellen. Keineswegs alle Liebesverbindungen sind in Darstellungen der bildenden Kunst erhalten. Die große Anzahl der Liebesabenteuer des Herakles, die sich aus den sorgsamen Recherchen F. Brommers ergab, belegt die antike Vorstellung von einer im wahrsten Sinne des Wortes «sagenhaften» sexuellen Potenz des Helden. Es tut wohl, sie in der amüsanten Brechung eines Bühnenstücks dieses Jahrhunderts gespiegelt zu sehen. In F. Dürrenmatts Komödie «Herkules und der Stall des Augias» (Neufassung 1985), die eine der zwölf Arbeiten, nämlich die Reinigung der Rinderställe des elischen Königs Augias, zum Thema hat, begegnet man einem müden Herakles, der den Stallknecht Kambyses zwingt, stellvertretend für ihn, den liebesberühmten Helden, die Erwartungen der Frauen von Elis zu befriedigen. Eine Liebesgeschichte des Herakles im Bild (Abb. 193) mag hier genügen. Das bronzene Spiegelrelief zeigt einen bärtigen, nackten Mann mit starken Muskeln, halb sitzend, halb liegend, mit gespreizten Beinen. Sein linker Arm stützt sich auf dem felsigen Untergrund ab, der rechte faßt nach einer nackten, fülligen Frau. Erotische Züge werden gedämpft deutlich, etwa im aufsichtig gestalteten, entspannten Männerkörper und im profilansichtig wiedergegebenen, leicht nach vorn sinkenden Frauenkörper. Sie äußern sich ferner im transitorischen Bewegungsmotiv, denn Herakles zieht die Frau langsam zu sich heran. Auch aus den Gesichtern sprechen sie. Vielleicht darf man - subjektive Sehweise riskierend - von dumpfer Sinnlichkeit im Antlitz des Helden, von gespannten Gefühlen in den Zügen der Frau sprechen. Herakles ist im Begriff, Auge327 zu verführen. Die Deutung beruht auf folgendem Mythos: Aleos glaubte der Weissagung, ein möglicher Sohn seiner Tochter Auge werde seine eigenen Söhne vernichten. Um das zu verhindern, machte Aleos seine Tochter zu einer Priesterin der Göttin Athena und kündigte dem Mädchen an, es zu töten, wenn sie einem Manne beiwohne. Herakles schlief mit ihr und schwängerte sie. Auge entrann jedoch der väterlichen Strafe und gebar Telephos.

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Erotik als geschlechtliche Kongruenz

Alle Darstellungsinhalte der zuvor behandelten Themenkreise, ob sie nun der Welt der Menschen, Heroen oder Götter entstammten, offenbarten Erotisches als eine Konstante im griechischen Kunstschaffen. Vom bekleideten, teil verhüllten und nackten Körper des Menschen bzw. der Gottheit, die üblicherweise ja ebenfalls in menschlicher Gestalt aufgefaßt wird, geht in unzähligen Kunstwerken eine erotische Ausstrahlung aus. Letztere wird in breitgefächertem Darstellungsrepertoire faßbar und trifft gleichermaßen zu für die Figur in Ruhe, verhaltener Bewegung oder temperamentvoller Aktion, egal, ob sie allein, zusammen mit einer anderen oder in einer Gruppe vorkommt. Sogar eine gewisse Kongruenz in der erotischen Ausstrahlung des weiblichen und männlichen Körpers ist augenfällig. Bereits bei mehreren Abbildungen der vorangehenden Kapitel wurde offenkundig, daß sehr ähnliche erotische Nuancen vom weiblichen und männlichen Körper bzw. von hetero- und homosexuellen Liebespaaren in ihren verschiedenen Aktivitäten ausgesendet werden können. Dieser Tatbestand soll noch separat belegt werden. Ich greife hauptsächlich auf hier bereits kommentierte Abbildungen aus dem Denkmälerkomplex der attisch-rotfigurigen Vasenmalerei zurück und vergleiche sie mit weiteren Vasenbildern.

Mannes eine Erotisierung der Szenerie. Trotz der häufigen Übereinstimmung der Körpertransparenz bei Frauen und Männern ergibt das ausgewertete Bildmaterial: Bei weiblichen Gestalten tritt das betreffende erotische Motiv häufiger und akzentuierter auf als bei männlichen Figuren.

Die Badende und der Ausruhende Die nackte Frau, die ihr Gewand über den linken Arm gelegt hat und an ein Badebecken herantritt (Abb. 20), ist gut mit einem ebenfalls nach rechts gerichteten Mann vergleichbar, der das Innenbild einer Trinkschale (um 490 v. Chr.) in

Abb. 195a Hetären und Männer beim Gelage. Trinkschale, Außenseite; 470-460 v. Chr. Basel, Sammlung Käppeli Inv. 415.

Durchsichtiges Gewand bei Frau und Mann Bei der Erörterung ähnlicher erotischer Signale des weiblichen und männlichen Körpers ist abermals auf die Durchsichtigkeit der Gewänder (s. S. 21, Kap. Körpertransparenz) hinzuweisen. Das Durchscheinen der nackten Körperformen unter dem Gewand, das ja zweifellos eine erotische Wirkung garantiert, beschränkt sich keineswegs, wie zu Abb. 22 exemplarisch beschrieben, auf die Darstellung von Frauen. Beispielsweise findet es sich auch bei Männern im Ambiente von Trinkgelage und Liebeswerbung. In Abb. 117 bewirkt die durch das Himation erkennbare Beinkontur des

Abb. 195b Hetären und Männer beim Gelage. Korrespondenzbild zu Abb. 195a.

Erotik als geschlechtliche Kongruenz

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Tänzerin und Tänzer

Abb. 196 Männerpaar. Trinkschale, Innenbild; um 430 v. Chr. Frankfurt, Liebieghaus - Museum alter Plastik Li 1522.

Hannover328 dekoriert. Der Mann unterscheidet sich zwar durch das Bewegungsmotiv - er steht ruhig, stützt sich mit einer Hand auf einen Stock und läßt die andere oberhalb der Hüfte ruhen -, aber sein Körper präsentiert sich auf ähnlich erotische Weise, denn wie bei der Nackten neben dem Becken (Abb. 20) liegen erogene Zonen für die Betrachtung frei. Die Schönheit des nackten jungen Mannes wird durch das über den Oberarmen und im Rücken herabhängende Himation unterstrichen. Es wirkt wie eine aufwendige Umrahmung des Körpers.

Hetäre und Symposiast Der erotische Zauber nackter oder teilverhüllter Hetären, die auf einer Kline im Umkreis des Rauschfestes anzunehmen sind, ist zuweilen auch bei unbekleideten oder partiell mit ihrem Mantel bedeckten Zechern festzustellen. Ein Vergleich, etwa zwischen den gelagerten Frauen aus der heterosexuellen Symposionsszene in Abb. 195a.b und dem Männerpaar auf einer Kline der Abb. 196 mag die Feststellung unterstreichen.

Akrobatin - Akrobat Die Opfernde und der Krieger Jene nackte Hetäre, die neben einem Altar kauert und ein Opfer darbringt (Abb. 21), läßt sich mit dem Innenbild einer Schale (um 520 v. Chr.) in Athen329 parallelisieren, das einen Krieger neben Lanze und Schild zeigt, der im Begriff ist, seinen Helm aufzusetzen. Er hockt in annähernd gleicher Stellung wie die Frau, bietet also ebenfalls seine Brust-, Bauch- und Genitalzone der Betrachtung. Eine verwandte erotische Aura beider Gestalten fällt auf. So wie sich der Busen der Opfernden hervorhebt, wirkt auch das Genital des Kriegers prominent, denn der Vasenmaler führt den Schurz absichtlich schmal über die Hüften des Kriegers, um Penis und Hoden nicht zu verdecken.

Aus den Szenen mit Frauen, die sich in erotischem Tanz neben Männern bewegen (Abb. 106, 107, 110, 113), greife ich nochmals die besonders reizvolle Darstellung mit einer Hetäre und einem Auloi blasenden Begleiter (Abb. 110) heraus, um sie mit einem Männerpaar zu verknüpfen, das einen Teller (um 510 v. Chr.) in Riehen331 verziert. Beide Bilder verbindet die Spannung des alle Sinne erregenden Tanzes. Ebenso erotisch wie die Hetäre mit dem Pantherfell, die sich im Tanze lockend zu ihrem Partner zurückwendet, bewegt sich der einen Skyphos schwenkende Jüngling der Tellerdekoration. Im Tanzschritt blickt er sich animierend zu seinem Doppelflöte blasenden Gefährten um. Letzterer trägt ein Himation, während der Mantel des Voraneilenden auf die Arme herabgerutscht ist, so daß sein Körper nackt erscheint. Unaufdringlich und zierlich sind Hoden und Penis gemalt. Sexuelle Erregung wird durch eine beginnende Erektion verdeutlicht.

Die nur bedingt freiwerdende erotische Ausstrahlung einer Balancekünstlerin mit virilen Körperformen (Abb. 100) offenbart sich gleichermaßen, allerdings zur Derbheit gesteigert, bei einem Mann von linearer Gestalt auf einer Schale (um 510 v.Chr.) in Paris.330 Seine akrobatische Übung besteht darin, während einer rücklings ausgeübten Brücke über einer Kanne auf seiner linken Bauchseite einen Skyphos aufrecht stehend zu halten. Als Stütze des großen Gefäßes dient das starke Glied des Mannes, das senkrecht erigiert gemalt ist. Im beschriebenen Bildzusammenhang rezipiert man aus den Gesichtszügen des Akrobaten eine konzentriert freudige Reaktion über das Gelingen des Balanceaktes und die Demonstration von Potenz.

Hetero- und homosexueller Liebesbeginn Verwandte erotische Nuancierungen bei Frau und Mann lassen sich auch allenthalben in den eng verwandten Themenkreisen von Liebeswerbung, Kuß und Liebesvorspiel aufspüren. Hingewiesen sei nochmals auf die Werbeszenen Hetäre/ Interessent (Abb. 114) und Erastes/Eromenos (Abb. 166). Gemäß moderner Sehweise gibt es in Abb. 114 Koketterie und Galanterie, die sich /eichenhaft durch den Spiegel in der Hand der Frau und die Blume in der Hand des Mannes ausdrücken und sich ferner in den Gesichtern der beiden finden, aus denen die Projektion der bevorstehenden sexuellen Verbindung gelesen werden kann. Auch über dem Männerpaar in Abb. 166 liegt jene Mischung aus Körperpräsentation, Hofieren und Freude auf die sexuelle Erfüllung. Aber die Szene wirkt unterschwellig aggressiv, weil der Erastes, sich klar anbietend und unverhüllt, sein Verlangen direkt vorträgt. Seinem Antlitz könnte man Unsicherheit über den Ausgang seines Antrags entnehmen. Beide Bilder (Abb. 114, 166), so unterschiedlich die Bedingungen und der Vortrag ihrer Werbungen auch sind, prägt ein ähnliches erotisches Timbre. Der Unterschied zwischen dem heterosexuellen Paar (Abb. 114) bei seiner sanften Werbung und dem homosexuellen Paar (Abb.

Hetero- und homosexueller Liebesbeginn

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Abb. 197 Hetäre und Mann vor dem Kuß. Trinkschale, Innenbild; um 520 v. Chr. Berlin, Antikenmuseum (Charlottenburg), Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz F 2269. - Abb. 198 Liebhaber und Geliebter vor dem Kuß. Trinkschale, Innenbild; 510-500 v. Chr. Gotha, Schloßmuseum Ahv 48 A. K. 326.

166) mit seiner stringenten Forderung des Erastes darf keineswegs im Sinne einer geschlechtsspezifischen Auslegung erotischer Szenen verstanden werden, denn der Denkmälerbestand kennt auch zarte homosexuelle Umwerbungen und derbe heterosexuelle Werbungsaktivitäten.

Dem voraufgegangenen Vergleich einer hetero- und homosexuellen Liebeswerbung soll noch der Verweis auf eine erotische Stimulierung durch manuelle Berührungen zwischen einer Frau und einem Mann bzw. zwischen zwei Männern angeschlossen werden. Sie legen dar, daß eine übereinstimmende eroti-

Abb. 199 Hetäre und Liebhaber vor dem Kuß. Trinkschale, Innenbild; 510-500 v.Chr. New York Metropolitan Museum of Art 07.286.50.

sche Aussage beispielsweise auch von Szenen ausgeht, in denen der Liebhaber die Brust (Abb. 117, 125, 126, 145) oder die Brustwarze (Abb. 120) einer Partnerin faßt und der Erastes den Penis eines Eromenos befingert (Abb. 167, 168). Die Skala ähnlichen hetero- und homosexuellen Liebesbeginns mag erweitert

Abb. 200 Erastes und Eromenos vor dem Kuß. Trinkschale, Innenbild; um 500 v.Chr. Malibu, The John Paul Getty Museum 85.AE.25.

Erotik als geschlechtliche Kongruenz

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Abb. 201 Heterosexuelles Paar vor dem Kuß. Alabastron; 1. Hälfte 5. Jh. v.Chr. Athen, Kerameikosmuseum.

werden durch die Gegenüberstellung der Hetäre und eines Partners (Abb. 125) mit zwei Symposiasten im Innenbild einer Schale (um 510 v.Chr.) in Bologna.332 Beide Paare schmiegen sich eng aneinander. Die zum Ausdruck gebrachte Liebessehnsucht belegt die Szenen mit der

gleichen erotischen Spannung, allerdings in etwas unterschiedlicher Intensität. So wird das Paar aus Abb. 125 in eindeutigen Liebesberührungen gezeigt. Arme und Beine sind ineinander verschlungen, fast treffen sich die Gesichter zum Kuß, die Brust der Frau ruht in der Hand des Mannes. Moderierter sind die Annäherungen zwischen den Männern der Schale in Bologna: Der Liegende lehnt am rechten Oberschenkel seines Zechgenossen, der mit weit gespreizten Beinen hinter ihm sitzt und seine Hand streichelnd über das Haar des Partners gleiten läßt. Einige Kußdarstellungen (Abb. 197 bis 200) sollen die Reihe der graduellen Übereinstimmungen zwischen hetero- und homosexuellem Liebesbeginn beenden. Die wunderschönen Vasenmalereien von höchst erotischem Sentiment wurden zuvor (s. S. 71, Kap. Kuß) bewußt ausgespart, um erst im Rahmen der folgenden Gegenüberstellung abgebildet zu werden. Die Kußszenen - zwei schließen Frau und Mann zusammen (Abb. 197, 199), zwei verbinden Erastes und Eromenos (Abb. 198, 200) - bedürfen kaum eines weiteren Kommentars, weil die Abbildungen hinreichend bezeugen, daß auch Darstellungen des Küssens, die den Beginn einer intensiven sexuellen Berührung malen, jene erotische Kongruenz der Geschlechter aufs sinnfälligste unterstreichen. Man darf sogar feststellen, daß es bei unvoreingenommener Betrachtung der Kußszenen (Abb. 197-200) von sekundärer Bedeutung ist, ob nun ein hetero- oder homosexuelles Paar dar-

gestellt ist. Die Kompositionen faszinieren mehr durch ihre vollkommene erotische Formensprache als durch das Zitat Hetäre/Freier bzw. Erastes/Eromenos. Diese Beobachtung stützt Abb. 201 mit einem heterosexuellen Paar, das in der Umarmung vor dem Kuß wiedergegeben ist. Es gelang dem Vasenmaler durch seine virtuose Art, subtil Erotisches zu präsentieren, die Neugier der Betrachtung vom Faktischen abzulenken. Manches Anschauen des Bildes wird erst auf den zweiten Blick analysieren, daß die kleinere der beiden Gestalten infolge ihres dünnen Chitons eine Hetäre und kein Eromenos ist. Die auffällige Kongruenz von heteround homosexuellen Liebesvorspielen wurde zuvor ausschließlich an rotfigurigen Vasen aufgezeigt. Ein ähnlicher Nachweis ließe sich bei einer umfassenderen Materialaufnahme sicher auch erbringen für die Denkmälergruppe der zeitlich voraufgehenden schwarzfigurigen Vasen, aus denen hier nur ein Beispiel (Abb. 202) aufgenommen wird. Der Vasenmaler vereint sehr ähnliche Werbeszenen zwischen homo- und heterosexuellen Paaren in einer Darstellungsreihe und überliefert durch diese Bildwahl in eindringlicher Weise die Toleranz seiner Gesellschaft gegenüber den beiden Liebesformen. Diese drückt sich ja zuweilen noch verstärkt aus, wenn die Liebesaktion eines männlichen Paares beim Schenkelverkehr und eine Gruppe aus Mann und Frau beim frontalen Verkehr direkt nebeneinander dargestellt werden. (Abb. 89).

Abb. 202 Homo- und heterosexuelles Liebeswerben. Skyphos; um 540 v.Chr. Paris, Musee du Louvre A 479.

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Erotik und Tier

Bei der erwiesenen Offenheit, mit der in der griechischen Kunst viele Facetten von Sexualität ausformuliert wurden, verwundert es nicht, daß auch das Tier mit seinesgleichen oder mit Vertretern aus den Gattungen «Mensch» und «Mischwesen» in sexuellen Aktivitäten zur Darstellung gelangte. Über die voyeuristisch bedingten, vordergründig erotischen Nuancen derartiger Sujets bedarf es keiner Diskussion.

Tierpaare In Anknüpfung an den letzten Satz wäre folglich nicht über eine «erotische Wirkung» nachzusinnen, die von einem kopulierenden Schweinepaar auf einem Gefäß in Zürich aus der Zeit um 550 v. Chr. oder von einem sich begattenden Eselspaar auf einer Kanne in München aus der Zeit um 430 v. Chr. auf Leserin oder Leser ausgehen könnte, zumal längst Deutungen für diese Szenen vorgeschlagen wurden. Eber und Sau, die sich im Bildzusammenhang mit einem Mann und einer Frau befinden, wurden als ein Lebensbild aus dem landwirtschaftlichen Alltag neben Bauer und Bäuerin interpre-

tiert.333 In dem Esel (vgl. S. 41 ff., Kap. Esel) über dem Maultier meinte man eine Parodie auf die Heilige Hochzeit zwischen einem Götterpaar zu erkennen.334 Sich bespringende Tiere können sicherlich mehr bedeuten als eine oberflächliche Betrachtung meint, gilt es doch stets zu bedenken, daß auch hinter der primär dekorativ anmutenden Tierdarstellung, sei es im Tierfries oder in der Tierkampfgruppe, ein tieferer Sinn verborgen ist: Machtbereiche von Gottheiten, Personifikationen von Abstrakta, Urtriebe der Menscheit, Schutzformeln gegen böse Mächte sind als Bedeutungsschichten anzusprechen.335 Selbstverständlich verraten die Tierbilder auch etwas über die Lebenswelt seines Besitzers. Auch das strapazierte Spielzeug in der Hand eines Kindes dekorieren sie.

Mensch und Tier Die attischen Vasenmalereien Abb. 203 und 205 zeigen einen Mann 336 , der sich von hinten eines Rotwilds bemächtigt, um es zu penetrieren. Weniger erotische als komische Züge liegen über diesen Darstellungen, resultierend aus dem sich über-

Abb. 203 Ein Mann kopuliert mit einer Hirschkuh. Schale, Innenbild; um 560 v.Chr. Theben, Archäologisches Museum 3691.

rascht umwendenden Tier und dem Versuch des Mannes, Reh bzw. Hirschkuh an den Flanken festzuhalten und sein erigiertes Glied in den Körper des unruhigen Tieres zu senken. Außerhalb des mythologischen Stoffes (s. S. 107 ff., Kap. Leda und der Schwan) sind Frauen, die sich mit Tieren vereinigen - dargestellt etwa in den Reliefs von Öllampen - erst seit der römischen Zeit zu finden und dürfen demzufolge hier ausgespart werden. Eine weibliche Gestalt (Abb. 206a), gedeutet als Frau, die ihr Getränk und ihren Körper einem Esel anbietet337, kann meines Erachtens nicht als Beleg für weiblichen Sex mit einem Tier in der griechischen Kunst dienen. Die Nackte, deren reizvoller Körper sich annähernd dreiviertelansichtig präsentiert, lehnt lässig an einer efeubekränzten Spitzamphora und hält in der Linken eine Trinkschale. Gut würde sich die Frau in die Reihe der Hetären beim Rauschfest einfügen (s. S. 56ff., Kap. Hetären). Aber der Thyrsos in ihrer Rechten und der erregte Esel vor ihr, dem sie ihr hübsches Gesicht zuwendet, bestimmen sie als Mänade des dionysischen Bereichs. Diese Lesart unterstützt das Korrespondenzbild Abb. 206b, in dem sich ein

Abb. 204 Ein Satyr bespringt eine Ziege. Trinkschale, Innenbild; um 530 v. Chr. Privatbesitz.

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Erotik und Tier der Stock in ihrer Rechten lassen hoffen, daß die Flucht gelingen wird. Sogar der Samenerguß, der von einem direkt vor ihr knienden Manne stammt und auf den Zehen ihres im Lauf nach vorn gestreckten rechten Fußes niedergeht, vermag die Frau nicht zu irritieren. Die beschriebene Darstellung könnte anregen, eine Gruppe erotischer Bilder zusammenzustellen, die sich durch geistreich-witzige Züge auszeichnen.

Satyr und Tier Mehrere schwarzfigurige Vasenmalereien zeigen einen Satyrn beim Bespringen eines Tieres. K. J. Dover340 nennt Penetrierungen von Pferden, Mauleseln und Hirschen. Abb. 207 zeigt eine solche Gruppe zwischen zwei großen ornamentalen Augenformen, und Abb. 208 gibt das kopulierende Satyr-Tier-Paar zwischen einem Satyrn und einer Mänade wieder. Vor dem Symplegma aus Satyr

und Ziege in Abb. 204 kniet noch ein weiterer Satyr, der zu der Ziege aufblickt und mit dem rechten Arm gestikuliert. Sein Kopf wirkt stilistisch jünger als der seines Genossen. Dieser wendet sich frontalansichtig dem Betracher zu und erinnert dadurch an den sich mit der Spitzamphora befriedigenden Satyrn (Abb. 53). Allerdings nimmt letzterer durch seine mehr charakterisierende Gesichtsgestaltung positiver für sich ein als der Satyr in Abb. 204, der in dämonischer Fratzenhaftigkeit aus dem Bild schaut. In beiden Vasenmalereien (Abb. 53, 204) scheint mir das Gesicht des sexuell agierenden Satyrn expressiver zu sein als der geschlechtliche Akt. Die Bedeutung dieser Bilder ist schwierig zu umschreiben. J. Boardman erklärt: «Und zeigen die Satyrn sich gelegentlich einmal als Sodomiten - wenn der Maulesel des Dionysos sie etwa dazu verführt —, dann ist es nur das Zugeständnis an die natürliche, tierische Hälfte ihres Wesens. »341 Hinzuzufügen ist, daß diese Szenen, genau wie

Abb. 205 Ein Mann versucht ein Reh zu penetrieren. Lekythos; um 530 v.Chr. München, Privatsammlung.

Satyr von hinten an eine Mänade heranmacht. Die Frau in Abb. 206a ist also nicht realistisch als weibliches Wesen zu deuten, das sexuelle Lust auf den Esel verspürte. Der Szene läßt sich auch keineswegs zwingend entnehmen, daß die Frau das Tier zur «Weinprobe» bittet. Es handelt sich ganz einfach um ein typisch erregtes Thiasos-Tier, das hier in der Motivverbindung zur Mänade gezeigt wird (Abb. 206a), so wie die entsprechende Gefäßseite den üblichen lüsternen Thiasos-Satyrn neben einer Mänade bereithält (Abb. 206b). C. Jones338 spricht desgleichen von einer Mänade in den betreffenden Vasenbildern, aber behält die wirklichkeitsbezogene Deutung bei, daß die Mänade ihren Körper dem Esel anbiete. Feststellen läßt sich: Eine erotische Wirkung geht sicher von der Komposition in Abb. 206 a aus, aber sie beruht nicht auf einer wie auch immer zu konstruierenden Verbindung zwischen Mänade bzw. Frau und Tier, sondern resultiert aus dem Gegensatz von schöngliedriger Mänade und erregtem Esel. Eine andersgeartete Begebenheit zwischen Frau und Esel fügt sich in diesen Kontext. Im Außenbild einer schwarzfigurigen Schale339 rennt eine aufgeregte Frau vor einem sie in sexueller Absicht verfolgenden Esel davon. Der beherzte Gesichtsausdruck der Bedrängten und

Abb. 206a Mänade und Esel. Skyphos; 520-500 v.Chr. Neapel, Museo Nazionale R. P. 27669.

Abb. 206b Ein Satyr bedrängt eine Mänade. Korrespondenzbild zu Abb. 206a.

Satyr und Tier die oben besprochenen (s. S. 115, Kap. Tierpaare; S. 115f., Kap. Mensch und Tier), auf jeden Fall über einen bloßen Dekorationswert hinausgehen. Sie haben humorvolle und satirische Teilwirkungen, denen sich vorbehaltlich ein erotischer Reiz zugesellen kann. Vielleicht darf man sie als verschlüsselte Bejahung der sexuellen Ausnahmesituation werten.

Abb. 207 Ein Satyr verkehrt mit einem Rehbock. Kyathos; um 520 v. Chr. London, British Museum 1865.11.

Abb. 208 Ein Satyr kopuliert mit einer Eselin. Amphora; um 560 v. Chr. Athen, Nationalmuseum 12479.

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Erotik und Tod

Dieser Überschrift folgen, entgegen möglichen Erwartungen, keine Ausführungen zur Nekrophilie, jener für den psychisch gesunden Menschen schwer verständlichen sexuellen Verbindung mit einem Toten, die als Abartigkeit der Liebe bei H. Licht erwähnt wird.342 Das letzte Kapitel zur Erotik in der Kunst Griechenlands wird zeigen: Mehr oder minder greifbare Erotika prägen nicht nur die Realität des Lebens und den Phantasiebereich von Religion bzw. Mythos, sondern Erotisches läßt sich auch in der Welt des Todes nachzeichnen, die hauptsächlich durch Relikte aus dem Grabkult faßbar ist.

Grabreliefs In archaischer Zeit setzten die Athener ein schmales hohes Monument auf den

Grabhügel der Verstorbenen. Ein Relief des Toten konnte diese sphingen- oder palmettenbekrönte Stele zieren. Im 5. Jh. v. Chr. verringerte sich zunächst die große Zahl der Grabmäler, wahrscheinlich infolge eines Gesetzes, um die Aufwendigkeit privater Totenfeiern zu unterbinden. Gegen Ende des 5. vorchristlichen Jahrhunderts gab es wieder mehr Grabreliefs. Während der beiden Jahrhunderte der klassischen Epoche veränderten die attischen Grabmäler ihr Aussehen. Im 5. vorchristlichen Jahrhundert erschienen auf dem niedrigeren, hochrechteckigen Feld üblicherweise eine oder zwei reliefierte Figuren, umgeben von einem tempelähnlichen Bau aus zwei seitlichen Begrenzungspfeilern und einem Giebel. Im 4. Jh. v. Chr. wurden sehr häufig Gruppen wiedergegeben, die sich im Laufe der Zeit immer plastischer vor ihrem Hintergrund abhoben, bis sie gegen Ende des 4. vorchristlichen Jahrhunderts hausartig von der sie rah-

Abb. 209 Sitzende Frau, Abschied nehmend. Grabrelief. H. 1,32 m; um 360 v.Chr. Hannover, Kestner-Museum Inv. 1964,15.

menden Architektur umfangen wurden. Allgemeinhin deutet man die Reliefgestalten als die verstorbene Person. Sie kann allein, aber auch zusammen mit einem oder mit mehreren trauernden Hinterbliebenen dargestellt sein. 317 v. Chr. beendete ein Gesetz des Demetrios von Phaleron die beschriebene Ausstattung der Gräber. Fortan bezeichneten einfache Säulen oder Tische den Verbleib des Toten.343 Diese allgemeinen Hinweise zum Grabrelief mögen einen Rückblick auf die Stele des jungen Mannes in Abb. 5 anregen. Sie wurde ja in anderem Zusammenhang herangezogen, um ein erotisches Gewandmotiv zu dokumentieren (s. S. 11 ff., Kap. Erotik und Gewand). Im Kontext dieses Kapitels zu Erotik und Tod verdeutlicht Abb. 5 anschaulich, daß gedämpfte Erotik auch für das Erinnerungsmal an einen Toten selbstverständlich ist. Die Grabstelen mit Frauenbildern be-

Abb. 210 Gelageszene. Grabrelief; 510-500 v.Chr. Kos, Archäologisches Museum 29.

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Grabreliefs

Abb. 211 Trauernde Frau. Lekythos; 420-400 v.Chr. Madrid, Museo Arqueolögico Nacional 11.192.

legen den gleichen Sachverhalt, wie das Detail (Abb. 209) eines fragmentarisch erhaltenen Grabreliefs zeigt. Hinter der Sitzenden, die mit einem Händedruck Abschied von einer vor ihr stehenden Frau nimmt, ist noch der Kopf einer anderen stehenden Figur sichtbar. Das ins Profil gedrehte Gesicht der Verstorbenen wirkt keineswegs todesgezeichnet, sondern anmutig und schön wie das einer Göttin. Seine Ebenmäßigkeit läßt verstehen, daß sich die Athener am Grabmal von Verwandten oder Freunden daran erinnerten, wie die Verstorbenen im Leben waren. Die Frau des Reliefs in Abb. 209 ist bekleidet. Ihre vollen Brüste zeichnen sich unter dem Chiton ab. Mit Grazie zieht ihre linke Hand das Himation über die linke Schulter. Setzt man eine Facette des Erotischen gleich mit dem Reiz körperlicher Schönheit, die sich in Anmut unaufdringlich zur Schau stellt, dann darf die Frau zu den stummen erotischen Bildern zählen, wie die durch Hand-

Abb. 212 Stehende Frau neben einem Wollkorb. Lekythos; um 470 v. Chr. New York, Norbert Schimmel Collection.

schlag und Blickkontakt verbundenen Paare auf reliefierten Grabvasen aus Marmor.344 Nur eine direkte erotische Darstellung aus dem Bereich des griechischen Grabkults ist mir bekannt. Sie stammt jedoch nicht aus zentralem griechischem Gebiet, sondern führt in den Osten zu einem ionischen Grabrelief345 (Abb. 210), das wahrscheinlich den Sockel eines pfeilerförmigen Grabmals schmückte. Leider ist das Stück stark beschädigt. Seine Komposition muß von sinnlicher Wirkung gewesen sein. Auf einer Kline schmiegt sich eine nackte Hetäre rücklings in den Schoß eines Mannes. Beide liegen ausgestreckt. Die Frau ist aufsichtig reliefiert. Rechter Arm, rechte Brust, Bauch mit Nabel und Leistenfugen bis zum Schamdreieck sind erkennbar. Ein schmales, gefälteltes Gewandstück fiel von der linken Schulter zwischen den Brüsten auf die linke Hüfte herab. Die Hetäre ist so zu ergänzen, daß sie beide

Arme um den Hals ihres Partners legte und ihren Kopf weit zu ihm nach rechts drehte, denn ihr Haar rieselt in langen dichten Strähnen über ihre Schultern bis zum Ruhebett hinab. Vom Mann auf der Kline sind nur der rechte Arm und eine Leier in seiner Hand erhalten. Ein stehender Flötenspieler begrenzt die linke Seite des Reliefs. Auf dem Boden vor dem Ruhebett liegt ein Mann, dessen sexuelle Erregung durch eine Erektion verdeutlicht wird. Er stützt sich auf seine linke Körperseite. Das rechte Bein preßt er gegen die Knie eines neben ihm hockenden Knaben, der sich über ihn beugt. Die rechte Hand des Liegenden faßt einen länglichen, senkrechten Wulst, der vielleicht den Teil einer Leier angibt. Nichts spricht dafür, ihn als Schlange oder als das ebenfalls erigierte Glied des Knaben aufzufassen. Sicher ablesbar ist, daß der Jüngling neben dem Liegenden kniet, um diesem mit beiden nach vorn gestreckten Händen aufzuhelfen.

Erotik und Tod

120 Grabbeigaben Erotisches in Todesnähe begegnete nicht nur auf den zuvor behandelten Grabreliefs (Abb. 5, 209, 210), sondern ebenfalls bei diversen schon erörterten Denkmälern, die als Grabbeigaben verwendet wurden wie die Lekythos in Abb. 188. Derartige Vasen, in diesem Fall mit dem Relief einer Danae, wurden im Totenkult verwendet. Die Präsentation dieser Zeusgeliebten bzw. anderer göttlicher, heroischer oder sterblicher Frauen darf auch als Sinnbild verstanden werden für das ersehnte Glück, das die Lebenden nach dem Tod erhoffen.346 Auch die zarten Bilder, die attische Vasenmaler in der zweiten Hälfte des 5. Jhs. v.Chr. an Gefäße des Grabkults zauberten, bieten reiches Material an Frauendarstellungen mit erotischem Fluidum. Die sitzende junge Frau (Abb. 211) erinnert in ihrer Ausstrahlung an die Verstorbene des Grabreliefs in Abb. 209. Von moderierter erotischer Wirkung ist auch die Stehende (Abb. 212), deren Brüste sich unter ihrem schönfließenden Gewand reizvoll abzeichnen. Die beiden Frauengestalten (Abb. 211, 212) befinden sich auf weißgrundigen Lekythen. Das sind repräsentative Totengeschenke. Man füllte sie nicht mehr gänzlich mit Duftöl, so wie es mit den kleineren, zeitlich vorausgehenden Lekythen geschah, die der Tote ebenfalls erhielt. Der Leichnam wurde ja nicht nur mit kostbarem Balsam behandelt, sondern während seiner Aufbahrung auch noch mit Salbfläschchen beschenkt, die dann teilweise

als Grabbeigabe unter die Erde gelangten oder auf dem Grab verblieben. Salbgefäße gehören bekanntlich zu den kanonischen Totengaben.347

Weibliche Todesdämonen Die unterschwellig erotischen Züge in der Darstellungswelt des Todes treten in vergleichbarer Verschwommenheit bei Sirene und Sphinx auf, die in einem Teil ihres Wesens als weibliche Todesdämonen348 anzusprechen sind. Diese komplexe Thematik kann hier nicht detailliert erörtert werden. Den Sirenen, Mischwesen aus Frau und Vogel, haften seit jeher uralte erotische Elemente an, nämlich das Betörende ihres Gesanges und ihrer Gestalt. Und die Sphinx, Mischwesen aus Frau und geflügeltem Löwen, stürzt sich zuweilen in einer Art über männliche Wesen, daß man sie nicht als todbringend, sondern voll sexueller Begierde rezipiert. Es wäre lohnend, Dekorationen mit Sirenen und Sphingen nach diesen Komponenten einer erotischen Aussage zu befragen. G. Koch-Harnack wies darauf hin, daß in der hellenistischen Literatur die wollüstige Natur der Sirenen und der Sphingen zu Vergleichen mit weiblichen Menschenwesen, speziell Hetären, benutzt wurde.349 Sie erwähnt ferner eine spätarchaische Trinkschale350, an der dargestellt ist, wie eine Sphinx mehrere Knaben überfällt, die erschreckt auseinanderlaufen. Einer kann nicht fliehen, weil die Sphinx über ihm hockt und ihn unter den Achseln festhält. Die

Sphinx lächelt. Sie ist dem Knaben so nahe, daß sich ihre Geschlechtsteile berühren müßten. Das Bild erweckt nicht den Anschein, das Mischwesen wolle in seiner Eigenschaft als Todesdämonin den Knaben töten, sondern die Aktion sieht eher nach sexueller, vergewaltigender Annäherung aus. G. Koch-Harnack, deren Beschreibung ich hier teilweise übernahm, spricht treffend von «erotischer Dämonie». Der zuvor aufgegriffene Deutungsstrang bestätigt sich durch eine Vasenscherbe aus der Zeit um 500 v. Chr.351 Diese zeigt eine stattliche, nach rechts gerichtete Sphinx mit starr bestimmendem Gesichtsausdruck, die über einem Jüngling hockt. Sie läßt sich in sexuell-erotischer Absicht auffassen. Ähnliches, wenn auch nicht ganz so prägnant, gilt für eine um 480 v. Chr. gemalte Gruppe an einer Vase.352 Hier erkennt man eine sich leicht aufbäumende Sphinx, die mit ihren Vorderpranken einen Oberarm und einen Oberschenkel des vor ihr zusammenbrechenden Mannes packt. Die systematische Erfassung der Sirenen und Sphingen wird eine stattliche Reihe von erotisch nuancierten Exemplaren ergeben. Umfangreiches Material machen allein schon jene tönernen Gefäße aus hellenistischer Zeit aus, die in Form von Sphingen gebildet sind. Gefällige Eleganz und sinnliche Züge charakterisieren sie, wenngleich die Stücke durch ihre reizvolle pastellartige Bemalung nach heutigem Verständnis manchmal in die Nähe einer süßlichen Devotionalienkunst geraten.353

121

Schlußbemerkungen

Systematische Grabungen und Zufallsfunde bewahrten nur eine Auswahl von Zeugnissen der antiken griechischen Kultur. Aber diese begrenzte Hinterlassenschaft genügt, um sie kontinuierlich zu erforschen. Stets offenbart sich, daß ein Studium der griechischen Kunst auch die Einbeziehung der erotisch-sexuell geprägten Denkmäler erfordert, von dem hier nur ein Teil diskutiert und abgebildet werden konnte, so daß es förderlich ist, wenn die Schlußbemerkungen noch einige Belege in Abbildungen einbeziehen. Von Einzelfiguren - seien es sterbliche Frauen und Männer oder unsterbliche Göttinnen und Götter - geht häufig eine versteckte bis klare erotische Wirkung aus. Die betreffende Gestalt mag nackt, teilweise bekleidet oder gänzlich gewandet sein. Auf dem uralten Wechselspiel von Nacktheit und Verhüllung beruhen die raffiniertesten erotischen Nuancierungen. Die sinnlich auffälligsten Gewandanordnungen sind beim Mann ein bogenförmig unter dem Genital entlanggeführtes Himation, bei der Frau ein die Brust teilweise oder ganz entblößt lassendes Gewand. Bestimmte Bewegungsmotive und Kopfhaltungen der Protagonisten einer Darstellung dienen zur Erotisierung. Die Beobachtung, daß die erotische Ausstrahlung in den Schöpfungen von der klassischen bis zur hellenistischen Epoche zunimmt, bestätigte sich hier eklatant an wenigen erörterten Göttinnen- bzw. Frauenstatuen. Sie ließe sich allenthalben für andere Denkmälergruppen nachweisen. Die hellenistischen Künstler greifen die idealisierenden Züge der Klassik wieder auf, kombinieren sie in vollendeter Weise mit einer subtilen Naturbeobachtung und fügen gekonnt preziöse Details hinzu. Aus einer Mischung stilistisch und formal unterschiedlicher Zitate gelingen ihnen äußert sinnliche Darstellungen. Augenfälligste, auf subtilsten Sinnenreiz abzielende, erotischste Gewanddrapierung wird mittels jener hauchdünn wiedergegebenen Stoffbahnen erreicht, die so wirken, als passe sich nasses Gewebe jedem Teil des Körpers an. Dieser

Abb. 213 Satyrn bei sexuellen Aktivitäten zwischen Sphingen. Trinkschale, Außenbild; um 500 v. Chr. Berlin, Antikenmuseum (Charlottenburg), Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz 19644.

«nasse Stil» erlebt, seit seinem frühesten Auftreten im letzten Viertel des 5. vorchristlichen Jahrhunderts bis in hellenistische Zeit und darüber hinaus zahlreiche sensuelle Abwandlungen. Die Entwick-

lung der Erotika von der Klassik bis zum Hellenismus, in der vorliegenden Untersuchung ausschnitthaft am Aphroditebild dargelegt, müßte sich im Rahmen einer umfassenderen Studie auf andere Sujets

Abb. 214 Liebeswerbungen zwischen Hetären und Männern. Trinkschale, Außenbild; 490-480 v. Chr. New York, Metropolitan Museum of Art 12.231.1. Das Innenbild der Trinkschale: hier Abb. 117.

122

Abb. 215 Ariadne. Römische Kopie nach hellenistischer Schöpfung. Ehemals Wilton House.

Abb. 216 Gelagerter Hermaphrodit. Römische Kopie nach hellenistischer Schöpfung. Polster und Gewandteile im 17. Jh. ergänzt durch G. L. Bernini. Paris, Musee du Louvre MA 231.

Schlußbemerkungen und Denkmälergattungen ausdehnen. Zu zeigen wäre beispielsweise, daß auch Bildfindungen um Artemis, Nike (Abb. 217), Ariadne (Abb. 215) verhaltene Erotik beinhalten. Bestimmte Vorlieben für «Schlüpfriges» lassen sich in der archaischen und vorklassischen Epoche in der Welt der Satyrn des dionysischen Bereichs ausmachen (Abb. 213). Im fortgeschrittenen Hellenismus verströmen Hermaphroditos (Abb. 216) und Leda (Abb. 191, 194) eine eklatante Laszivität. Sie manifestiert sich in der quellenden Körperlichkeit des Zwitterwesens und dem erregend Befremdlichen einer sexuellen Verbindung des Tieres mit der Frau. Als durchgängiges Charakteristikum des griechischen Kunstschaffens konnte gedämpfte Sinnlichkeit in allen hier behandelten Themenkreisen festgestellt werden. Es lag der Autorin sehr daran, auch diese im breiten Spektrum der Erotika anzusiedeln. Sie sind ein entscheidendes Äquivalent zu den direkten Darstellungen von Liebesvorspiel und Geschlechtsakt hetero- und homosexueller Paare bzw. Gruppen, die in vielfältigen Variationen bildlebendig werden. Die sexuelle Vereinigung von Gottheiten in Menschengestalt gelangt nicht zur Darstellung. Wesen der mythologischen Zwischenwelt, wie die Satyrn, kommen beim Geschlechtsakt mit ihren Gefährtinnen in der Bildkunst vor. In mehreren Teilkapiteln konnte gezeigt werden, daß Körperpräsentation, Tanzstimulierung, Werbungsverhalten und Liebesvorspiel (Abb. 214), die der sexuellen Vereinigung vorausgehen, nicht weniger erotisches Fluidum freisetzen als die sehr direkt wiedergegebenen, realistisch oder mythologisch zu lesenden Koitusszenen (Abb. 218). Ein Rückblick auf die erotisch-sexuellen Interaktionen von Satyrn und Frauen offenbart folgende Entwicklung: Während die weiblichen Wesen der schwarzfigurigen Vasenmalerei des 6. vorchristlichen Jahrhunderts mehr oder minder den sie begehrenden Satyrn ausgeliefert sind, widersetzen sich ihre jüngeren Schwestern in der rotfigurigen Vasenmalerei des 5. Jhs. v.Chr. auffallend häufig den sexhungrigen Gesellen, die durch ihr aussichtsloses Werben gemäß moderner Sehweise als enttäuschte, bemitleidenswerte, manchmal sogar komische Gestalten rezipiert werden. Vermutlich spiegeln die betreffenden Satyr-Feindinnen die einherschwärmenden Teilnehmerinnen dionysischer Feste, an denen sich Frauen, enthusiasmiert durch die Gottheit, zeitweilig von ihren sozial und

Schlußbemerkungen

123

Abb. 217 Nike, ihre Sandale lösend. Relief von der Balustrade des Niketempels; Ende 5. Jh. v. Chr. Athen, Akropolismuseum. Männer beim Koitus a tergo. Trinkschale, Außenbild; 490-480 v. Chr. New York, Shelly White and Leon Levy Collection.

geschlechtsspezifisch bedingten Zwängen zu befreien vermochten. Bei der Darstellung zweigeschlechtlieber Liebesakte, die ohne mythologisehen Bezug sind, treten entstehungszeit-

lieh erklärbare Veränderungen auf. Die schwarzfigurigen Szenen scheinen häufiger in den Grenzraum zwischen Religion bzw. Mythos und Realität zu führen als die rotfigurigen. Letztere haben zuwei-

Abb. 218 Hetären und

len, infolge der Individualcharakteristik ihrer Personen und der exponierten AnOrdnung der Liebespaare im Bildareal, einen Aussagewert, der über die sexuelle Thematik hinausgeht und Aufschlüsse

Abb. 219a-d Männerpaare beim Liebeswerben. Trinkschale, Außenbilder; um 510 v. Chr. Malibu, The John Paul Getty Museum 82.AE.53.

Schlußbemerkungen

124

Abb. 220 Phallosvogelreiterin. Trinkschale, Innenbild; um 500 v.Chr. Rom, Villa Giulia 57912.

über die Gesellschaft im archaischen und klassischen Athen ermöglicht. Auch auf detailmotivische Abwandlungen ist hinzuweisen. So fällt insbesondere auf, daß die gängigen Liebesstellungen des Schwarzfigurigen, sowohl der Geschlechtsakt bei annähernd aufrechtem Stand beider Partner als auch die Vereinigung, die an akrobatisches Springen erinnert, im Rotfigurigen nur ausnahmsweise zu finden sind. Frontale und dorsale Liebes Vereinigungen gibt es, mit jeweiligen Differenzierungen, gleichermaßen auf schwarzfigurigen und rotfigurigen Vasen. Die Symplegmata durchlaufen ikonographische Stationen. Eine Entwicklung der Bildfindungen des «schwarzfigurigen älteren» Liebesaktes zu dem «rotfigurig jüngeren» läßt sich despektierlich als Schlagwortkette umschreiben. Man verläßt «die Leichtigkeit der archaischen Liebeserfüllung mit humorvollen Einsprengseln» und kommt «zum Potenzbeweis der klassischen Liebesübung mit gesellschaftspolitisch relevanten Spurenelementen». Mit narrativer Expressivität nutzen die Gefäßmaler ihre Vorstellungen von den Mänaden aus dem Umfeld des Dionysos und den Hetären aus der Welt der Sympo-

siasten, setzen sie meisterhaft um ins Abbild vom schönen weiblichen Körper, beherrschen das erotische Motivrepertoire von verhaltener Bewegung bis zu rauschhafter Aktion der Frauen. In entsprechender sinnlicher Signifikanz vermögen sie den männlichen Körper zu gestalten. Es stellte sich heraus, daß die bildimmanent gewordenen Liebesaktivitäten der heterosexuellen Paare vor dem eigentlichen Geschlechtsverkehr denen der homosexuellen Paare (Abb. 219) in verwandten Situationen bezüglich des erotischen Timbres recht ähnlich sind. Für die Entwicklung der Bildfindungen der homosexuellen Zweiergruppe von der schwarzfigurigen zur rotfigurigen Vasenmalerei läßt sich eine Steigerung von zeichenhaft-plakativer zu feiner psychologisierender Charakterisierung von Erastes und Eromenos bezüglich Personendarstellung und Paarbeziehung beobachten. Bei der Offenheit, mit der allgemeinhin die verschiedenartigen sexuellen Betätigungen wiedergegeben werden, verwundert es, daß zwar Schenkelverkehr, selten aber drastische Formen des Liebesvorspiels zwischen Männern bzw. Analverkehr zwischen Männern zur Abbil-

dung gelangt sind, da ja beide Arten des Sexualakts bei zweigeschlechtlichen Liebespaaren dargestellt werden. Auffällig ist ferner, daß auch der Schenkelverkehr, wie er zwischen Männern gezeigt wird, in denkbarer Parallele zwischen Frau und Mann in den Bildwerken nicht vorkommt. Aus dem Mangel an diesbezüglich nicht erhaltenen oder tatsächlich nicht ausgeführten Dekorationen kann selbstverständlich nicht geschlossen werden, die betreffenden sexuellen Praktiken habe es im antiken Griechland nicht gegeben. Man wird die Befunde unter dem Gesichtspunkt der idealen päderastischen Liebesvorstellung und der garantierten vaginalen oder analen Verfügbarkeit der Prostituierten zu interpretieren haben. Eine umfassendere Behandlung der Vasenmalereien mit erotischen Themen müßte selbstverständlich alle Beischriften zu den Bildern aufarbeiten und nach erotischen Inhalten sichten. Beobachtungen zur Selbstbefriedigung bei Frauen und Männern offenbarten, daß die abgebildeten Aktivitäten zur sexuellen Entspannung ohne zwingende erotische Wirkung bleiben. Sie werden allenfalls dann als erotische Signale rezipiert, wenn sie sich im Bildzusammenhang mit körperlicher Schönheit oder paarbedingten geschlechtlichen Betätigungen vergesellschaften. Es konnte gezeigt werden, daß die künstlichen Nachbildungen des männlichen Gliedes, die in der Lebenswirklichkeit existierten, in den Vasenmalereien aber ausschließlich Tanzrequisiten meinen, als Stimulanzien zu deuten sind,

Abb. 221 Phallosvogel und Satyr. Skyphos; 1. Hälfte 5. Jh. v.Chr. Privatbesitz.

Schlußbemerkungen die Prostituierte bei ihren Vorführungen im Rahmen des Trinkgelages einsetzten. Bei den wenigen Darstellungen mit Tieren, die für eine Befragung auf sinnliche Komponenten auswertbar sind, schält sich heraus, wie gleichberechtigt Humorvolles oder Satirisches neben Sexuell-Erotischem stehen kann. Das phantastische Tier «Phallosvogel» (Abb. 220, 221) ist von höchst erotischer Symbolträchtigkeit.354 Die hier nur sehr knapp gestreiften erotischen Sagenstoffe legen dar, daß die Liebesthemen zwar einen umfangreichen Teil des Mythos bilden aber von einer verhaltenen Erotik geprägt sind. Die zuvor schon angesprochenen Hermaphroditen- und Leda-Darstellungen grenzen sich durch ihre Laszivität aus.

125 Gedämpfte Sinnlichkeit liegt über zahlreichen Denkmälern aus dem Bereich des Todes, wenn Frauen und Männer in der Vollkommenheit ihrer jugendlichen Schönheit auf Stelen oder an Gefäßen erscheinen, die im Totenkult verwendet werden. Direkt Erotisches findet sich auf einem singulären Grabrelief. Versteckt verrät sich Erotik im Ambiente der weiblichen Todesdämonen Sirene und Sphinx. Die vorgelegte Untersuchung enthält mehr indirekte als direkte Erotika. Diese Berücksichtigung eines breiten Darstellungsspektrums, die das immense Bildrepertoire des Phallischen einbezog und sowohl Bilder einer verschlüsselten, passiven als auch einer vordergründig agierenden Erotik in all ihren Gegensätzen

und Parallelen beinhaltete, war unbedingt erforderlich, um den Reichtum an erotischen Facetten als einen der Wesenszüge in der griechischen Kunst aufzuzeigen. «Dass der weibliche Akt mit erhobenen Armen besonders wirkungsvoll ist, weiss jeder Akademiker», schreibt P. Hartwig 1893.355 Die Verfasserin benutzt das Zitat provokant in der Hoffnung auf seine apotropäische Kraft gegen Vorwürfe, persönlichkeitsbedingte Sehweise habe sie bei der sachlichen Bearbeitung der Erotik in der Kunst Griechenland beeinträchtigt und verweist prophylaktisch entschuldigend auf Worte, die der Ninon de Lenclos zugeschrieben wurden: «II faut encore plus d'esprit pour illustrer l'amour que le faire».356

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Anhang

Anhang

Die Untersuchung «Erotik in der Kunst Griechenlands» ist eine überarbeitete und beträchtlich erweiterte Behandlung des 1988 erschienenen Sonderheftes von ANTIKE WELT mit gleichem Titel. Auf diesen früheren Beitrag wird nicht verwiesen, um den Anmerkungsteil möglichst gering zu halten. Eine Abbildungskonkordanz (s. Seite 136) ist einbezogen. Die Autorin dankt für Bereitstellung und Publikationserlaubnis hinzugekommener Fotos J. Floren (Münster), P. Gercke (Kassel), K. Hamma (Malibu) und dem Philipp von Zabern Verlag. Ihr Dank gilt ferner J. Koehnen (Münster) für bibliographische Hinweise, G. Störmann (Münster) für die Fertigung der Abbildungen nach veröffentlichten Vorlagen und J. Willeitner (Mainz) für die Realisation des vorliegenden Bandes.

Abkürzungen: Abkürzungen und Zitierweise entsprechen weitgehend den Richtlinien des Deutschen Archäologischen Instituts, AA (Archäologischer Anzeiger) 1991, 699-711. Außerdem gelten folgende Abkürzungen: Boardman, SVA: J. Boardman, Schwarzfigurige Vasen aus Athen. Ein Handbuch. Kulturgeschichte der antiken Welt Bd. l (1977). Boardman, RVA: J. Boardman, Rotfigurige Vasen aus Athen. Ein Handbuch. Die archaische Zeit. Kulturgeschichte der antiken Welt Bd. 4 (1981). Boardman / La Rocca: J. Boardman / E. La Rocca, Eros in Griechenland (1976). Dover: K.J. Dover, Homosexualität in der griechischen Antike (1983). Glossarium Eroticum: G. Vorberg, Glossarium Eroticum (1932). Johns: C. Johns, Sex or Symbol. Erotic Images of Greece and Rome (1982). Keuls: E. C. Keuls, The Reign of the Phallus (1985). Misdrachi-Capon: R. Misdrachi-Capon, Eros Grec. Amour des Dieux et des Hommes. Katalog zur Ausstellung vom 6. 11.1989-5.2.1990 in Paris, Galeries Nationales du Grand Palais (1989). Peschel: I. Peschel, Die Hetäre bei Symposion und Komos in der attisch-rotfigurigen Vasenmalerei des 6.-4. Jahrh. v.Chr. (1987). Heinsberg: C. Reinsberg, Ehe, Hetärentum und Knabenliebe im antiken Griechenland. Beck's Archäologische Bibliothek (1989). Sutton: F. Sutton, The Interaction between Men and Women. Portrayed on Attic Red-figure Pottery (1981).

Anmerkungen 1

P. FRISCHAUER, Vom Paradies bis Pompeji. Knaurs Sittengeschichte der Welt I (1968) 141 ff. (Kap. 6 Die Griechen); D. MOUNTFIELD, Erotische Kunst der Antike (1982); D. M. KLINGER, Erotische Kunst der Antike/ Erotic Art in Antiquity Bd. 7 (1983); R. TAN-

NAHILL, Kulturgeschichte der Erotik (1983) = Sex in History (1980). 2 MISDRACHI-CAPON. 3 Die Verfasserin bittet um Nachsicht, daß nur eine Auswahl in den Vorbemerkungen berücksichtigt wurde. Anmerkungen und Literaturauswahl enthalten zusätzliche Verweise. i W. A. KRENKEL, Zur Prosographie der antiken Pornographie, Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock 19 (1970) Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe, H. 8, 615 ff. 5 LIMC III (1986) 850 ff. s. v. Eros (A. Hermany, H. Cassimatis, R. Vollkommer). 6 Grundlegend: BOARDMAN SVA; DERS. RVA; I. SCHEIBLER, Griechische Töpferkunst. Herstellung, Handel und Gebrauch der antiken Tongefaße. Beck's Archäologische Bibliothek (1983). 7 A. D. TRENDALL, The Red-Figured Vases of Lucania, Campania and Sicily I-II (1967) mit Ergänzungsbänden (1. Supplement 1970, 2. 1973, 3. 1983); A. D. TRENDALL / A. CAMBITOÖLOU, The Red-Figured Vases of Apulia l (1978), 2 (1982) mit Ergänzungsband (1. Supplement 1983). 8 DOVER 8. 9 Zum Kouros: G. M. A. RICHTER, Kouroi. Archaic Greek Youths (31970); J. BOARDMAN, Griechische Plastik. Die archaische Zeit. Ein Handbuch (1981) 24ff.; P. KARAKATSANIS, Studien zu archaischen Kolossalwerken (1986) passim; W. FUCHS / J. FLOREN, Griechische Plastik. Handbuch der Archäologie Bd. l: Die geometrische und archaische Plastik (1987) 86 ff.; W. MARTINI, Die archaische Plastik der Griechen (1990) 69 ff. 112 ff. 173 ff. 10 S. F. SCHRÖDER, Römische Bacchusbilder in der Tradition des Apollon Lykeios. Studien zur Bildformulierung und Bildbedeutung in späthellenistisch-römischer Zeit (1989) 55. 11 Im folgenden zitiert nach E. POCHMARSKI, Das Bild des Dionysos in der Rundplastik der klassischen Zeit Griechenlands (1974) 14 f. 12 J. FINK, Der bildschöne Jüngling. Wandlung eines klassischen Ideals (1963) 15; SCHRÖDER (Anm. 10) 21. 13 Vgl. exemplarisch: M. FUCHS, Römische Idealplastik. Glyptothek München. Katalog der Skulpturen (Hrsg. K. VIERNEISEL) Bd. 6 (1992) 86 ff. Abb. 68 ff. 14 W. HORNBOSTEL, «Ein Bild hoher Schönheit», in: Antidoron Jürgen Thimme (1983) 101 ff. mit umfassender Literaturangabe zum Hermaphroditen in Anm. 2; ferner: O. J. BRENDEL, The Scope and Temperament of Erotic Art in the Greco-Roman World (1970) 32ff.; LIMC V (1990) 268 ff. s. v. Hermaphroditos (A. AJOOTIAN); A. RAEHS, Zur Ikonographie des Hermaphroditen: Begriff und Problem von Hermaphroditismus und Androgynie in der Kunst (1990). 15 A. PEKRIDOU-GORECKI, Mode im antiken Griechenland. Textile Fertigung und Kleidung. Beck's Archäologische Bibliothek (1989) mit weiterführender Literatur; ferner: G. LOSFELD, Essai sur le costume grec (1991). 16 O. M. A. RICHTER, Korai. Archaic Greek Maidens (1968); L. A. SCHNEIDER, Zur sozialen Bedeutung der archaischen Korenstatuen (1975); BOARDMAN (Anm. 9); FUCHS / FLOREN

(Anm. 9) 34 f. 93 ff.; MARTINI (Anm. 9) 77 ff. 99 ff. 123 ff. 17 E. KIRSTEN / W. KRAIKER, Griechenlandkunde (41962) 562; S. M. SHERWIN-WHITE, Ancient Cos. An historical study from the Dorian settlement to the Imperial period. Hypomnemata. Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben 51 (1978) 242; E. MELAS (Hrsg.), Die griechischen Inseln, Kos (71984) 234. 18 P. KARANASTASSIS, Untersuchungen zur kaiserzeitlichen Plastik in Griechenland. I. Kopien, Varianten und Umbildungen nach AphroditeTypen des 5. Jhs. v.Chr., AM 101 (1986) 207 ff.; M. BRINKE, Kopienkritische und typologische Untersuchungen zur statuarischen Überlieferung der Aphrodite Typus Louvre Neapel (1991). 19 KARANASTASSIS (Anm. 18). 20 BRINKE (Anm. 18). 21 Grundlegende übergreifende Untersuchungen: LIMC II (1984) 2 ff. s. v. Aphrodite (A. DELIVORRIAS); W. NEUMER-PFAU, Studien zur Ikonographie und gesellschaftspolitischen Funktion hellenistischer Aphrodite-Statuen (1982). Einzeldarstellungen: Anm. 37. 22 C. BLINKENBERG, Knidia. Beiträge zur Kenntnis der Praxitelischen Aphrodite (1933); LIMC (Anm. 21) Nr. 391-408; L. CLOSUIT, L'Aphrodite de Cnide (1978); E. BERGER/B. MÜLLERHUBER/ L. THOMMEN, Der Entwurf des Künstlers. Bildhauerkanon in der Antike und Neuzeit. Ausstellungskatalog Basel (1992) 140 ff. 23 BLINKENBERG (Anm. 22) 15. 24 R. BERGH, Hospitalstidende 45 (1908) (zitiert nach BLINKENBERG [Anm. 22]) 20. 25 NEUMER-PFAU (Anm. 21) 118ff., besonders 129-133; LIMC (Anm. 21) Nr. 1018-1043. 26 Dazu zusammenfassend: NEUMER-PFAU (Anm.

21) 124 f. E. SIMON, Götter- und Heroenstatuen des früheren Hellenismus, Gymnasium 84 (1977) 355. 28 NEUMER-PFAU (Anm. 21). » NEUMER-PFAU (Anm. 21) 118 ff. 129-133. 30 NEUMER-PFAU (Anm. 21) 157ff.; LIMC (Anm. 21) Nr. 667-687. 31 Die Entstehungszeit des Originals ist umstritten. NEUMER-PFAU (Anm. 21) 159. 32 W. LEPIK-KOPACZYNSKA, Apelles, der berühmteste Maler der Antike (1962). 33 G. SÄFLUND, Aphrodite Kallipygos. Acta Universitatis Stockholmiensis. Stockholm Studies in Classical Archaeology (1963); NEUMERPFAU (Anm. 21) 237 ff. 34 Kopf und andere Teile der Statue sind ergänzt. NEUMER-PFAU (Anm. 21) 237. 35 Umfangreiches Abbildungsmaterial: R. GiNOUVES, Balaneutike. Recherches sur le bain dans I'antiquite (1962). 36 CVA München (4) Taf. 161-164. 37 Literaturauswahl: LIMC (Anm. 21); NEUMERPFAU (Anm. 21); BLINKENBERG (Anm. 22); CLOSUIT (Anm. 22); R. LULLIES, Die kauernde Aphrodite (1954); SÄFLUND (Anm. 33); ferner: E. SIMON, Die Geburt der Aphrodite (1959); DIES., Die Götter der Griechen (1969) 229ff.; G. GRIGSON, The Goddess of Love (1976); D. M. BRINKERHOFF, Hellenistic Statues of Aphrodite (1978); P. FRIEDRICH, The Meaning of Aphrodite (1978); K. SCHEFOLD, Die Göttersage in der klassischen und hellenistischen Kunst (1981) 75 ff. (Die Geburt 27

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Anmerkungen der Aphrodite); H. H. VON PRITTWITZ, Der Wandel der Aphrodite. Archäologische Studien zu weiblichen halbbekleideten Statuen des späten Hellenismus (1984); A. PASQUIER, La Venus de Milo et les Aphrodites du Louvre (1985); NEUMER-PFAU (Anm. 21); DIES., Die nackte Liebesgöttin, in: Visible Religion. Annual for Religious Iconographie 4/5 (1985/86), 205ff.; KARANASTASSIS (Anm. 18); J. FLEMBERG, Venus Armata (1991); BRINKE (Anm. 18). 38 H. P. LAUBSCHER, Hellenistische Tempelkultbilder (1960) 51 ff. 39 E. LANGLOTZ, Aphrodite in den Gärten (l954); A. DELIVORRIAS, Das Original der Aphrodite Olympias, AM 93, 1979ff.; LIMC (Anm. 21) Nr. 819-841. "O M. E. CARR SOLES: Aphrodite at Corinth: A Study of the Sculptural types (1976) 25 mit Anm. 6. 41 S. BÖHM, Die nackte Göttin. Zu Ikonographie und Deutung unbekleideter weiblicher Figuren in der frühgriechischen Kunst (1990), passim bes. 123 ff. « J. MARCADE, Eros Kalos (1962) 96; W. FAUTH, Aphrodite Parakyptusa (1967) 43 ff.; W. BURKERT, Homo Necans. Interpretationen altgriechischer Opferriten und Mythen (1972) 75; DERS., Griechische Religion der archaischen und klassichen Epoche (1977) 239; BOARDMAN / LA ROCCA 94f.; GRIGSON (Anm. 37) 117 f.; B. WAGNER, Die Frau in der frühgriechischen Gesellschaft (1982) 245 ff. mit Anm. 268-319 (Zusammenstellung der einschlägigen Literatur); KEULS 156. 43 HERODOT (Historien I, 199). 44 GRIGSON (Anm. 37) 111 ff.; gegenteilige Ansichten wurden jüngst zusammengestellt: FLEMBERG (Anm. 37) 14. 45 GRIGSON (Anm. 37) 120. 122. 46 H. PRÜCKNER, Die lokrischen Tonreliefs (1968) bes. 29. 52-55. 62. 87. "7 V. KARAGEORGHIS, Kition (1976) 153 ff. 48 HERODOT (Historien I, 105) setzt Aphrodite Urania mit Astarte, der Herrin des Tempels von Askalon, gleich; F. MUTHMANN, Der Granatapfel. Symbol des Lebens in der alten Welt (1982) 38; A. HERMARY, Divinites Chypriotes I (1982) 167; F. O. HVIDBERG-HANSEN, UniAshtarte and Tanit-Iuno Caelestis. Two Phoenician Goddesses of Fertility Reconsidered from Recent Archaeological Discoveries, in: A. BoNANNO (Hrsg.), Archaeology and Fertility Cult in the Ancient Mediterranean. The University of Malta, 2-5 September 1985 (1986) 179. « KARAGEORGHIS (Anm. 47) 146 Abb. 75. 50 J. KARAGEORGHIS, La grande deesse de Chypre et son culte (1977) 170ff. Taf. 27a. 51 Nach der von ATHENAIOS um 192 v. Chr. überlieferten Sage (Athenaios, Deipn. III 84 C); Bildbelege: MUTHMANN (Anm. 48) 35 ff. Abb. 24. 25. Vgl. die schöne Schilderung eines Aphroditegartens durch SAPPHO auf Lebos (Sappho Frgt. 5/6 LP): Apfelbäume standen dort, Rosenbüsche und süßes Aniskraut; durch blühende Wiesen rauschten kühle Bäche unter den herabhängenden Zweigen hindurch; von den Altären stieg duftender Weihrauch auf; übernommen aus PRÜCKNER (Anm. 46) 63. 52 BURKERT, Griechische Religion (Anm. 42) 238; H. KENNER Das Phänomen der verkehrten Welt in der griechisch-römischen Antike (1970) 111; WAGNER (Anm. 42) 266. 53 Vgl. A. DIERICHS, Zu einer zyprischen Schale, Boreas 12 (1989) 9 ff. 5" Literaturauswahl: LIMC III (1986) 414 ff. s. v. Dionysos (A. VENERI); BURKERT, Griechische Religion (Anm. 42); POCHMARSKI (Anm. 11); SIMON, Die Götter der Griechen (Anm. 37) 269 ff.; M. PISCHELT, Dionysos in der griechischen Vasenmalerei (1949); H. JEANMAIRE, Dionysos (1951); K. KERENYI, Die Herkunft der Dionysosreligion nach dem heutigen Stand

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der Forschung (1956); E. CHRISTOPOULOMORTOJA, Darstellungen des Dionysos in der schwarzfigurigen Vasenmalerei (1964); K. KERENYI, Dionysos, Urbild des unzerstörbaren Lebens (1976); P. McGiNTY, Interpretation and Dionysos (1978); C. HOUSER, Dionysos and his Circle. Ancient through Modern (1979); F. GAUGH, Dionysos in Greek Vase Painting, The Greek Vase (1983); T. H. CARPENTER, Dionysian Imagery in Archaic Greek Art (1985); W. DASZEWSKI, Dionysos der Erlöser (1985); F. W. HAMDORF, Dionysos Bacchus. Kult und Verwandlungen des Gottes (1986); A. SCHÖNE, Studien zur Ikonographie des dionysischen Thiasos im 6. und 5. Jh. v.Chr. (1987); V. J. HUTCHINSON, The Cult of Dionysos/Bacchus in the Graeco-Roman world: new light from archaeological studies, JRA 4 (1991) 222. F. G. VON PAPEN, Der Thyrsos in der griechischen und römischen Literatur und Kunst (1905). BOARDMAN, RVA 65. Athen, Nationalmuseum, Inv. Nr. 7670a; W. ZÜCHNER, Griechische Klappspiegel (1942) Taf. 3 unten. LIMC III (1986) 1050ff. s. v. Ariadne (M. L. BERHARD / W. A. DASZEWSKI). Literaturauswahl zur Heiligen Hochzeit: BURKERT, Griechische Religion (Anm. 42) 176 ff.; WAONER (Anm. 42) 260 ff.; A. B. COOK, Zeus. A Study in Ancient Religion III, 2 (1940) 1025 ff.; K. KERENYI, Zeus und Hera, Urbild des Vaters, der Gattin und der Frau (1972) 81 ff.; M. CREMER, Hieros Gamos im Orient und in Griechenland, ZPE 48 (1982) 283ff.; H-G. BUCHHOLZ, Symbol des gemeinsamen Mantels, Jdl 102 (1987) 20; BÖHM (Anm. 41) 92 f.; A. DIERICHS, Liebeswerbung auf Knidos und frühgriechische Paarbilder, in: Mousikos Aner. Festschrift für Max Wegner zum 90. Geburtstag, hrsg. von O. BREHM und S. KLIE (1992) 100 ff. mit Anm. 71 ff. Literaturauswahl (Anm. 54). München, Staatliche Antikensammlungen, Museum Antiker Kleinkunst, Inv. 2418: CVA München (5) Taf. 219,2; Würzburg, Martin von Wagner-Museum, L 427.: E. LANGLOTZ, Griechische Vasen in Würzburg (1932) Taf. 115,427; Würzburg, Martin von Wagner-Museum, L 264: LANGLOTZ a.O. Taf. 66,246; Privatsammlung: E. L. DIEFENTHAL, Metairie (Louisiana, USA); H. SHAPIRO (Hrsg.), Art, Myth and Culture. Greek Vases from Southern Collections (1981) 42 f. Nr. 13 mit Abb. S. KAEMPF-DIMITRIADOU, Die Liebe der Götter in der attischen Kunst des 5. Jahrhunderts v.Chr. (1979) 30f. Kat. Nr. 305 Taf. 22,1.2. Oxford, Ashmolean Museum, Inv. Nr. 1925. 140. LIMC (Anm. 54) Nr. 326 mit Abb. Paris, Musee du Louvre, CP 10634. LIMC (Anm. 54) Nr. 300 mit Abb. New York, Metropolitan Museum of Art, Inv. Nr. 14.136. LIMC (Anm. 54) Nr. 328 mit Abb. Würzburg, Martin von Wagner-Museum, L 265: LANGLOTZ (Anm. 61) Taf. 73. E. SIMON u.a., Führer durch die Antikenabteilung des Martin von Wagner-Museums der Universität Würzburg (1975) 112. München, Staatliche Antikensammlungen, Museum antiker Kleinkunst Inv. 2344: E. SIMON, Die griechischen Vasen (1976) 103 f. Abb. 120. 124; BOARDMAN, RVA 103 f. Abb. 132,1; CVA München (4) Taf. 200,1. 202,1.2; New York, Metropolitan Museum of Art Inv. Nr. 06.1152: G. M. A. RICHTER, RedFigured Athenian Vases in the Metropolitan Museum of Art (1936) Nr. 55 Taf. 57; Kunsthandel: Sotheby's Katalog 23.5.1988 Nr. 286 (Farbabb.). Tübingen, Antikensammlung des archäologischen Instituts der Universität S./10 1343: CVA Tübingen (4) Taf. 25, l; Deutung der Frau

als Amymone (a.O. 60); Datierung: 440/430 v. Chr. Würzburg, Martin von Wagner-Museum, L 211: LANGLOTZ (Anm. 61) Taf. 41,211; Datierung: 500/490 v. Chr. 7 ' University of Mississippi, Cultural Center 77.3.58.: SHAPIRO (Anm. 61) 48 f. Nr. 16; Datierung: 510/500 v.Chr. 72 GettyMusJ 15 (1987) 162 Nr. 11. 73 Beobachtungen, die jenseits der erotischen Thematik liegen, seien erlaubt. Die Bildfindung unterscheidet sich von Vergleichsbeispielen mit verwandten «Beschleichungsszenen» durch die Kombination von Polster (Lager, auf dem die Mänade ruht) und Felsen (Barriere, die den Satyrn von der Frau trennt), wodurch der Vasenmaler Zitate aus dem Symposionsambiente des Innenraums und der Thiasoswelt in der Landschaft verbindet. - Bezüglich der stimmigen Restaurierung der Schalenfragmente bleibt zu fragen, ob die Haltung bzw. das Teilstück des rechten Frauenbeins am Tondorand so verstellbar ist und ob das waagerecht unter dem Felsen vorragende Stück des Frauengewandes derartig drapiert gewesen sein kann. 74 Ursprünglich waren allerdings die Namensbeischriften Chorillos und Paidia zu lesen, die jetzt verblaßt sind. SIMON (Anm. 67) 147. 75 SCHÖNE (Anm. 54) bes. 133 ff. ™ S. KAROUZOU, The Amasis Painter (1956). ~n A. RUMPF, Chalkidische Vasen (1972); SIMON (Anm. 68) 62 ff.; J. KECK, Studien zur Rezeption fremder Einflüsse in der chalkidischen Keramik. Ein Beitrag zur Lokalisierungsfrage (1988). 78 J. M. HEMELRIJK, Caeretan Hydriae (1984). 79 Die Verfasserin plant, das betreffende Material aus mehreren griechischen Kunstlandschaften diesbezüglich auszuwerten. 80 I. KOULEIMANE-BOCOTOPOULOU, Chalkai Korinthiourgeis Prochoi (1975) 138-145. 155 bis 166 Taf. 51a-b. 81 Neapel, Museo Nazionale di Napoli 81329 (H 2615). J. C. HOPPIN, A Handbook of RedFigured Vases I (1919) 186 Nr. 3. 82 New York, Metropolitan Museum of Art, Inv. Nr. 26.49 BOARDMAN, SVA Abb. 50. 83 F. LISSARAGUE, The Sexual Life of Satyrs, in: Before Sexuality. The Construction of Erotic Experience ift the Ancient Greek World, hrsg. von D. M. HALPERIN / J. J. WINKLER / F. I. ZEITLIN (1990) 57 (Terpekelos = «he who gives pleasure to his shaft»; Psolas comes from psolos, the erect penis with the foreskin retraced; Dophios [formed from the Greek dephesthai,tomasturbate]). (Terpekelos = «er, der seinem Stamm Vergnügen bereitet»; Psolas leitet sich her von psolos, dem erigierten Penis mit zurückgeschobener Vorhaut; Dophios [abgeleitet vom griechischen dephesthai, masturbieren.]) w DOVER 91. 85 Vgl. L. GIULIANI, in: Euphronios der Maler. Katalog zur Ausstellung in Paris, Musee du Louvre vom 18.9.-31.12.1990, und Berlin, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz Berlin-Dahlem vom 20.3.-26.5.1991 (1991) 254. 86 A. D. TRENDALL / T. B. L. WEBSTER, Illustrations of Greek Drama (1971) Taf. 2,2; J. BOARDMAN / J. GRIFFIN / O. MURRAY (Hrsg.), The Oxford History of the Classical World (1986) Abb. S. 172; vgl. ferner F. BROMMER, Satyrspiele (21959); H. D. BLUME, Einführung in das antike Theaterwesen (1984) passim. 87 Es handelt sich um ein Detail an der bekannten Satyrspielvase, die auch unter dem Namen Pronomos-Krater (nach dem dargestellten Flötenspieler Pronomos) benannt ist. Der Volutenkrater zeigt Mitwirkende an einem Satyrspiel des Demetrios mit dem Titel «Omphale». ^ LISSARAGUE (Anm. 83) 53 ff. 70

Anhang

128 Zur Definition vgl. H. HOFFMANN, Ybrin orthianknodälon, in: Antidoron. Festschrift für Jürgen Thimme zum 65. Geburtstag am 26. September 1982, hrsg. von D. METZLER / B. OTTO / C. MÜLLER-WIRTH (1983) 69 Anm. 20. Sie lassen sich finden über die in Anm. 54 verzeichnete Spezialliteratur zum Themenkreis des Dionysos. London, British Museum B 378: BOARDMAN, SVA209Abb. 321 (Datierung: um530v. Chr.). HOFFMANN (Anm. 89) 61 ff. J. D. BEAZLEY, ABV 505,1; Beazley bezieht sich auf die Lekythos Athen 9690. Vgl. H. METZGER, Recherches sur l'imagerie athenienne. Publications de la Bibliotheque Salomon Reinach Bd. 2 (1965) 49 ff. Taf. 26,1-3; DOVER B 370. RE XIX,2 (1938) 1681 ff. s. v. Phallos (H. HERTER). Vgl. Anm. 86. JOHNS 58 Abb. 43; 66 Abb. 49; Jacques Schulmann, Amsterdam, Verkaufskatalog 233 (1986) 14 Nr. 31 f. Vgl. F. JOHANSEN, En ostgraesk parfumeflaske fra 6. arh. f. kr., MeddelesGlypKob 33 (1976) 85 ff. ; D. A. AMYX, Corinthian Vase Painting of the Archaic Period (1983) Bd. 2, 517 f. Phalloi (Aidoion-Vases) . Neufunde von fragmentierten Phallosgefäßen: Ergon 37 (1990) 1 18 f. Abb. 166; Ergon 38 (1991) 97 Abb. 15. L. DEUBNER, Attische Feste (21956) 136 Anm. 3 Taf. 22 Abb. 1.2; BOARDMAN / GRIFFIN / MURRAY (Anm. 86) 265; KEULS 78 Abb. 71; CARPENTER (Anm. 54) 89 f. Taf. 22. K» J. D. BEAZLEY, Der Berliner Maler (1930) 13 Abb. 3 (Datierung: spätarchaisch). 101 \y WEBER, Die ägyptisch-griechischen Terrakotten (1914) Taf. 13, 139a.b. 102 Zu den Dionysien: RE XIX,2 (1938) 1673 ff. s. v. Phallophorie (H. HERTER); DERS. a. O. 1681 ff. s. v. Phallos; DEUBNER (Anm. 99) 134 ff.; BURKERT, Homo Necans (Anm. 42) 82 ff. ; BURKERT, Griechische Religion (Anm. 42) 171; KEULS 78 f. Übernommen aus: J.-C. SOURNIA u.a., Illustrierte Geschichte der Medizin Bd. l (1980), G. BAISSETTE, Die Medizin bei den Griechen 186 f. ; Titel der Originalausgabe: Histoire de la Mediane, de la Pharmacie, de la Dentaire et de l'Art Veterinaire (1978). ARISTOPH. Ach. 236-279. DEUBNER (Anm. 99) 136. Die Schriften des Clemens von Alexandria, eines Christen, der im 2. Jahrhundert lebte, sind eine reiche Fundgrube für verlorene griechische Texte. Vgl. Clement of Alexandria. Übersetzung G. W. BUTTERWORTH. The Loeb Classical Library (1953) Kap. 2, S. 78. HERTER (Anm. 102) 1678. Zu den Haloa: DEUBNER (Anm. 99) 60 ff.; HERTER (Anm. 102) 1713. Das belegt ein einzelner tönerner Phallos (London, British Museum: Gern Nr. 555) aus einer chiotischen Keramikwerkstatt, dessen Bemalung (Ornamente, Auge) recht gut erhalten ist: JOHNS 66 Abb. 49 (Datierung: 610/600 v. Chr.). Vgl. noch eine Vasenscherbe, auf der das Einpflanzen zweier Tonphalloi abzulesen ist. Glossarium Eroticum 482. Zu den Adonisfeierlichkeiten: LIMC I (1981) 222 ff. s. v. Adonis (B. SERVAIS-SOYEZ); M. DETIENNE, Les jardins d'Adonis (1972). Englische Ausgabe: The Gardens of Adonis (1977); K. SCHEFOLD, Die Göttersage in der klassischen und hellenistischen Kunst (1981) 281. G. LÜCKEN / K. ZIMMERMANN, Die griechische Vase (1967) 451 ff. Taf. 26 (A. GREIFENHAGEN, Neuerwerbungen der Staatlichen Museen Berlin: Rotfigurige Vasen). KEULS 82.

"4 Exemplarisch: Samos XV 26 Abb. 11 mit Anm. 92. 115 Zum Karystiosweihgeschenk: J. MARCADE, Eros Kalos (1962) 85; J. DUCAT, Guide de Delos (31983) 209 Nr. 81. 116 Die mit der Choregie betraute Persönlichkeit, der Chorege, trug die Verantwortung für die Theaterauffilhrungen. BLUME (Anm. 86) 30ff.; zu weiteren choregischen Denkmälern in Phallosform: E. BUSCHOR, Ein choregisches Denkmal, AM 53 (1928) 92 ff. 117 Nahe dem Karystiosweihgeschenk fanden sich weitere Zeugnisse, die in Zusammenhang mit den monumentalen Steinphalloi zu sehen sind. Es handelt sich um drei Phallosfragmente aus weißem Marmor und die Scherbe eines tönernen Bechers, in deren unterer Reliefzone ein Phallos mit «Bocksbeinen» zu erkennen ist. L. BIZZARD / G. LEROUX, Fouilles de Delos, BCH 31 (1907) 500 f. Abb. 17. "8 Zum Phallosvogel: HERTER (Anm. 102) 1723 ff.; G. DEVEREUX, Self-Blinding of Oidipous in Sophokles: Oidipous Tyrannos, JHS 93 (1973) 42ff.; DOVER 119; KEULS 76f. 119 Vgl. ferner die Vasenbilder: B. GRAEF / E. LANGLOTZ, Die antiken Vasen von der Akropolis II (1933) Taf. 44,573; C. BERARD, Une nouvelle Pelike du peintre de Geras, AntK 9 (1966) 93 ff. Abb. 22; Delos X Taf. 4,28; CVA Bonn (1) Taf. 27,1; vgl. hier noch Abb. 220, 221. 12 ° Oxford, Ashmolean Museum 1971.866: J. H. OAKLEY, The Phiale Painter (1990) 94 f. Taf. 143 (Datierung: 440-435 v. Chr.). 121 Brüssel, Musees Royaux d'Art et d'Histoire Inv. A 723: CVA Brüssel, Musee Cinquantenaire (2) III I c Taf. 11,Id. 122 Vgl. BURKERT, Griechische Religion (Anm. 42) 171; E. SIMON, Festivals of Attica. An Archaeological Commentary (1983) 101 f.; W. PARKE, Athenische Feste (1987) 150. 123 H. HOFFMANN (Why did the Greeks need imagery? An Anthropological Approach to the study of Greek Vase Painting, Hephaistos 8 [1988] 148) stellt sie überzeugend in einen weiteren Sinnzusammenhang « . . . the cock symbol can be said to convey the two primary components of the Greek macho, or ultra-potency - he - manism in other words - these being military valour and phallism. It works like this warrior - courage / cock = manhood / phallos - erotism» [«. . . das Hahnsymbol kann so verstanden werden, daß es die beiden elementaren Komponenten des griechischen Macho oder Überpotenz, Er-Besessenheit in anderen Worten, vermittelt; diese sind militärische Tapferkeit und Überbetonung des Phallos. Sie werden so faßbar: Krieg - Mut / Hahn = Männlichkeit / Phallos - Erotik».]. 124 Exemplarisch: Berlin, Pergamonmuseum F 2307: R. BLATTNER, Eine unbekannte Schale des Antiphonmalers, AA (1968) 648 Abb. 11 = CVA Berlin DDR (1) Taf. 11 (Datierung: um 490 v. Chr.); London, British Museum E 167: L. G. ELDRIDGE, An unpublished Calpis, AJA 21 (1917) 40 Abb. 3 (Datierung: um 500 v. Chr.). Eine Abb. des von A. Furtwängler erwähnten Schildzeichens (drei durch drei Flügel verbundene Phalloi) auf einem Gefaßfrgt. mit der Darstellung von Kämpferpaaren ließ sich nicht auffinden. A. FURTWÄNGLER, Beschreibung der Vasensammlung im Antiquarium (1885) 503 f. 125 G. VORBERG (Glossarium Eroticum 131) bildet das Stück ab zur Worterklärung von CUNNUS = weibliche Scham; die phantasiereiche Bildunterschrift lautet «ein geflügelter Phallus und drei Cunni - (Parisurteil?)». 12 « KEULS 141 Abb. 122f.; H. RÜFEL, Das Kind in der griechischen Kunst. Von der minoischmykenischen Zeit bis zum Hellenismus (1984) passim; DIES., Kinderleben auf klassischen Vasen (1984) passim.

'27 Boston, Museum of Fine Arts 98.882: L. D. CASKEY / J. D. BEAZLEY, Attic Vase Paintings in the Museum of Fine Arts, Boston III (1963) Taf. 82 (Datierung: um 480 v. Chr.). 128 PLIN. nat. bis. 36.24. 129 Zu der von Plinius beschriebenen Ringergruppe aus Silen und Hermaphrodit: P. GERCKE, Pergami Symplegma des Kephisodot?, in: Kanon. Festschrift Ernst Berger zum 60. Geburtstag am 26. Februar 1988 gewidmet, hrsg. von M. SCHMIDT (1988) 232 ff. »o Vgl. DOVER 74f.; die Vasenbilder des 4. Jhs. v. Chr., bei denen die Frauenkörper wiederum weiß gehöht sind, stellen eine gesonderte Materialgruppe dar und werden hier nicht berücksichtigt. »i BOARDMAN, SVA 40ff. 259 (weitere Literaturangaben); H. C. EBERTSHÄUSER / M. WALTZ, Antiken I. Vasen - Bronzen - Terrakotten des klassischen Altertums (1981) 71; S. MAYEREMMERLING, Erzählende Darstellungen auf «Tyrrhenischen» Amphoren (1982); zum Verhältnis von Haupt- und Nebenfriesen auf tyrrhenischen Vasen: G. KOCH-HARNACK, Knabenliebe und Tiergeschenke. Ihre Bedeutung im päderastischen Erziehungssystem Athens (1983) 217. 132 Grundlegend: M. BLECH, Studien zum Kranz bei den Griechen (1982). 133 G. KOCH-HARNACK, Erotische Symbole. Lotosblüte und gemeinsamer Mantel auf antiken Vasen (1989) 138. 171 ff. 134 H.-G. BUCHHOLZ, Symbol des gemeinsamen Mantels, Jdl (1987) 46 Nr. 111. »5 KOCH-HARNACK (Anm. 133) 136 ff. 136 Weitere tyrrhenische Vasen mit Liebesszenen heterosexueller Paare: München, Staatliche Antikensammlungen, Museum antiker Kleinkunst 1432: CVA München (7) Taf. 316ff.; Kopenhagen, Nationalmuseum Inv. Chr. VIII 323: CVA Kopenhagen, Nationalmuseum (3) IIIH Taf. 101, l a.b.; E. SIMON, The KurashikiNinagawa Museum (1982) 49 Nr. 22. Vgl. ferner MAYER-EMMERLINO (Anm. 131) 152 ff. (homo- und heterosexuelle Szenen). In diesem Zusammenhang sei noch auf eine tyrrhenische Amphora verwiesen, die im Schulterfries eine ungewöhnliche Szene für die betreffende Gefäßmalerei zeigt: Ein heterosexuelles Paar steht einander zugewandt zwischen Hähnen. Die Frau scheint den erigierten Penis des Partner zu befingern (Ars Antiqua. Auktion 2 [1960] Taf. 52, 132); E. GRABOW, Hahnbilder auf Griechischen Vasen. Magisterarbeit Münster (1989) 136 Nr. 76 mit Abb. 137 Auswahl: Leipzig, Antikenmuseum der KarlMarx-Universität T 3362: CVA Leipzig (2) Taf. 32,1.2; Leipzig, Antikenmuseum der KarlMarx-Universität T 3359: CVA Leipzig (2) Taf. 31,1.2; Würzburg, Martin von WagnerMuseum L 401: LANGLOTZ (Anm. 61) Taf. 112; Florenz, Museo Archeologico: J. MARCADE, Ars et Amor. Die Erotik in der Kunst. Die Griechen (1978) Abb. S. 104f.; Alt Ägina II l (1982) 46 Nr. 236 Inv. 509; 237 Mus. 1956 Taf. 18 (W. FELTEN). - Vgl. ferner die erotische Gruppe auf einer Kanne: Kopenhagen, Nationalmuseum Inv. 8385: CVA Kopenhagen Nationalmuseum (3) Taf. 123,1 (Kanne). 138 Rom, Vatikanische Sammlungen o. Inv. Nr. J. D. BEAZLEY / F. MAGI, La Raccolta Benedetto Guglielmi nel Museo Gregoriano Etrusco, I Ceramica (1939) Taf. 20,64. 21,64. 139 Boston, Museum of Fine Arts Inv. Nr. 95.62: CVA Boston (2) Taf. 72,1-3. D. v. BOTHMER, Elbows Out, RA 1969 Bd. l, 3ff. Abb. 8. 9. 140 BOARDMAN, SVA 216: «Die Griechen benutzten dieses Schema, um Aktion - Laufen oder Fliegen - darzustellen, wobei Arme und Beine in Form eines Hakenkreuzwirbels abgeknickt sind; die Darstellungsweise ist höchst wirkungsvoll - auch wenn sie anatomisch falsch ist, zumal die meisten frühen Beispiele zeigen,

Anmerkungen daß die Läufer jeweils ihre rechten (oder linken) Arme und Beine gleichzeitig vorwärts bewegen.» Weitere Literatur zum «Knielauf» a. O. 262. 141 E. HOFSTETTER, Sirenen im archaischen und klassischen Griechenland (1990). 142 Einführend zum Tierfries: SIMON, Die Götter der Griechen (Anm. 37) 169 ff. ; BOARDMAN, SVA 213. 222; H. DEMISCH, Die Sphinx. Geschichte ihrer Darstellung von den Anfangen bis zur Gegenwart (1977) 81. 143 Vgl. die annähernd identische Paarbildung an einem Skyphos in Rom. P. MINGAZZINI, Vasi della Collezione Castellani (1930) 308 Nr. 584 Taf. 89,2. 144 Exemplarisch: Kotyle aus Stratia (Kerkyra). H. W. CATLING, ARepLond 106 (1986) 55 Fig. 72. 145 DEMISCH (Anm. 142); P. MÜLLER, Löwen und Mischwesen in der archaischen griechischen Kunst. Eine Untersuchung über ihre Bedeutung (1978) 56 ff. 158 ff. und passim. i*6 Berlin, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz Inv. 1798: DOVER 74 B 634 mit Abb.; REINSBERG 108 f. Abb. 57 (Datierung 540-530 v. Chr.). i47 Vgl. zu diesem durchaus verbreiteten Motiv exemplarisch: CVA Frankfurt (2) Taf. 55,3; BOARDMAN, ARV Abb. 84. i