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German Pages [199] Year 2021
Norbert Dietka
Ernst Jünger Vom Weltkrieg zum Weltfrieden
Die Genese eines Sinneswandels
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Norbert Dietka
Ernst Jünger Vom Weltkrieg zum Weltfrieden Die Genese eines Sinneswandels
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Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978–3–412–52260–5
Für Siegfried Olms
Inhalt
Vorwort zu dieser Ausgabe ....................................................................
9
1. Einleitung ........................................................................................ 11 2. Eine Kriegskarriere mit Nachwirkungen............................................. In Stahlgewittern, 1920 ........................................................................... Der Kampf als inneres Erlebnis, 1922 ....................................................... Sturm, 1923 .......................................................................................... Das Wäldchen 125, 1924/25 .................................................................... Feuer und Blut, 1925 ..............................................................................
19 20 25 30 33 37
3. Der nationalistische Skribent ............................................................ Das abenteuerliche Herz, 1. Fassung, 1929 ................................................ Die totale Mobilmachung, 1930 ............................................................... Der Arbeiter, 1932 ................................................................................. Rezension des Essays „Der Arbeiter“ post festum........................................
42 50 57 61 70
4. Subtile Gegnerschaft........................................................................ Blätter und Steine, 1934 .......................................................................... Dalmatinischer Aufenthalt ...................................................................... Lob der Vokale ...................................................................................... Die Staub-Dämonen .............................................................................. Sizilischer Brief an den Mann im Mond .................................................... Feuer und Bewegung.............................................................................. Über den Schmerz ................................................................................. Afrikanische Spiele, 1936 ........................................................................ Das abenteuerliche Herz. Zweite Fassung, 1938 ......................................... Auf den Marmor-Klippen, 1939...............................................................
103 106 107 108 110 111 114 115 126 133 140
5. Der Friedensschreiber ...................................................................... Gärten und Straßen, 1942 ....................................................................... Strahlungen, 1949 .................................................................................. Der Friede, 1945 .................................................................................... Abschriften der „Briefe an die Freunde“, 1946............................................ Jahre der Okkupation, 1958.....................................................................
149 149 151 160 170 178
8
Inhalt
6. Schlusswort ..................................................................................... 183 Siglenverzeichnis.................................................................................. 188 Literaturverzeichnis .............................................................................. 190 Personenverzeichnis............................................................................. 195
Vorwort zu dieser Ausgabe
Sieben Jahre nach meiner Dissertation über die disparate Ernst-Jünger-Rezeption nach 19451 legte ich 1994 mit einer kleinen Schrift, erschienen beim Bad Honnefer Schulbuchverlag E. Keimer, nach. Sie trug den etwas (zu) anmaßenden Titel „Ernst Jünger – vom Weltkrieg zum Weltfrieden. Biographie und Werkübersicht 1895–1945“. Die Verifikation dieser etwas (zu) vielversprechenden These fiel dann ziemlich unbefriedigend aus, zuvorderst inhaltlich-konzeptionell betrachtet (die Evidenz der Wandlung vom nihilistischen Bellizisten zum christlich motivierten Friedensverfechter sollte allein durch kurze Buchreferate geleistet werden). Auch formal blieb einiges zu wünschen übrig – dieses allein dem damaligen Layouter anzulasten, wäre wohlfeil, denn letztlich liegt die Verantwortung für Inhalt und Gestaltung des Textes beim Autor selbst, der hier aber durch Nachlässigkeit ein gravierendes Versäumnis eingestehen muss. Dass mein essayistischer Versuch über Ernst Jüngers „Damaskuserlebnis“ – das realiter wohl eher ein beschwerlicher, lang andauernder Wandlungsprozess gewesen ist – noch auf einer restriktiven Quellenlage basierte, dürfte dennoch nicht als hinreichender Grund für ein mageres Ergebnis herhalten. Allerdings kann man heute – als Jünger am 17.2.1998 stirbt, geht der gesamte Nachlass an das Literaturarchiv in Marbach am Neckar – auf ein inzwischen sorgfältig geordnetes Material zurückgreifen, das Einsicht in die Manuskripte Jüngers sowie in den äußerst umfangreichen Briefwechsel mit namhaften Zeitgenossen gewährt, mit dem sich in toto die oben indizierte These viel präziser und weitaus differenzierter untermauern lässt. Hinzu kommt bezüglich der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Jünger’schen Œuvres ein mittlerweile recht komfortabler Forschungsstand, nicht zuletzt die beiden veritablen JüngerBiographien von Helmuth Kiesel und Heimo Schwilk (beide 2007 erschienen). Wie sehr ein Defizit eine gründliche Forschung zu erschweren vermag, ließe sich exemplarisch an der mangelhaften Verfügbarkeit der frühen politisch motivierten Publikationen Jüngers (1919–1933) demonstrieren – erst 2001 lag die gesamte politische Publizistik, ergo 144 Einzelbeträge, herausgegeben und kommentiert von Sven Olaf Berggötz, vor. Zuvor musste man – orientiert an den ersten Zusammenstellungen, jene von Hans Peter des Coudres aus dem Jahre 19602 sowie
1 Norbert Dietka: Ernst Jünger nach 1945. Das Jünger-Bild der bundesdeutschen Kritik (1945 bis 1985). Frankfurt am Main/Bern/New York/Paris: Verlag Peter Lang, 1987. 2 Siehe Hans Peter des Coudres: Bibliographie der Werke Ernst Jüngers. In: Philobiblon. Jg. IV/3, September 1960, S. 254–260.
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Vorwort zu dieser Ausgabe
jene von Hans-Peter Schwarz, 1962 erschienen3 – mit mühsamen Rekrutierungen aus diversen Archiven vorliebnehmen, bis 1995 die erste, systematisch gebündelte Auswahl an „Abschriften“ in einer ideologiekritischen Publikation vorlag.4 Nachdem ich meine Publikationen „Ernst Jüngers Entwurf von der ,Herrschaft und Gestalt des Arbeiters‘“ (2016) und „Ernst Jünger und die bildende Kunst“ (2017) im Würzburger Verlag Königshausen & Neumann veröffentlicht habe, fühle ich mich ausreichend motiviert, meine kleine Schrift von 1994 einer gründlichen Revision zu unterziehen. Dabei möchte ich grosso modo meine Konzeption von 1994 beibehalten, aber den Inhalt en détail dem aktuellen Forschungsstand angleichen. Da ich lediglich den Wandlungsprozess Jüngers mittels seiner Texte verifizieren möchte, habe ich mich auf die frühe Schaffensphase Jüngers beschränkt, ergo auf seine Texte beginnend mit den „Stahlgewittern“ bis hin zu den Tagebuchaufzeichnungen der Sammlung „Strahlungen“. Nach 1945 zeigt Jünger ein wertkonservatives Verhalten, was ihn allerdings nicht daran hinderte, zu zeitkritischen Themen (siehe „Der Waldgang“, „Der gordische Knoten“, „Der Weltstaat“ oder sein Engagement für den Aussöhnungsprozess mit Frankreich) politisch Stellung zu beziehen. Norbert Dietka
3 Siehe Hans-Peter Schwarz: Der konservative Anarchist. Politik und Zeitkritik Ernst Jüngers. Freiburg im Breisgau: Verlag Rombach, 1962, S. 309–315. 4 Die Autoren intendierten offenbar eine Generalabrechnung: Jüngers „zentrale Motive“ seien: „antidiskursive Haltung, Verachtung von Vernunft, Humanität und Demokratie, Vorbereitung der ,deutschen‘, ,nationalen‘ ,nationalistischen Revolution‘, ,neuer Nationalismus‘, eine wiederholt bekräftigte Nähe seiner politischen Optionen zum Nationalsozialismus.“ Bruno W. Reimann/Renate Haßel: Ein Ernst-Jünger-Brevier. Jüngers politische Publizistik 1920 bis 1930. Analyse und Dokumentation. Marburg: BdWi-Verlag, 1995, S. 17.
1. Einleitung
Es sei zugegeben, daß das Œuvre auf den ersten Blick starke innere Widersprüche aufweist, und nur einem geduldigen und aufmerksamen Leser wird sich die geistige Entwicklung des Autors deutlich erschließen. (Gaetano Migneco1 )
Pauschal bilanziert gilt immer noch das Resümee: Es ist leicht, gegen Ernst Jünger zu sein. Für ihn zu sein, birgt immer noch ein Risiko! Nicht ohne Argumentationsgeschick lassen sich seine Stärken und seine Schwächen herausstellen: Da präsentiert ein Autor mit unverhohlenem Stolz sein ganz privates „Verdun“ in einer prächtig edierten Gesamtausgabe seiner Werke: „In Stahlgewittern“ (1920), „Der Kampf als inneres Erlebnis“ (1922), „Das Wäldchen 125“ (1924 bzw. 1925), „Feuer und Blut“ (1925), „Die totale Mobilmachung“ (1930) und „Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt“ (1932). Dass diese programmatisch erscheinenden Titel völlig unkommentiert neben eher „harmlosen“, weniger verfänglichen, wie den beiden eher kontemplativ anmutenden Fassungen des „Abenteuerlichen Herzens“ (1929 und 1938), stehen, lässt sich auf den ersten Blick nur mit einer stabilen Unvoreingenommenheit akzeptieren. Denn der Urheber des zunächst uneinheitlich und widersprüchlich erscheinenden Œuvres ist in seinem Denken und Schreiben erstaunlich stringent. Auf ihn trifft zu, was er selbst einmal von Blaise Pascal übernahm: „Jeder Autor hat einen Sinn, in welchem alle entgegengesetzten Stellen sich vertragen, oder er hat überhaupt gar keinen Sinn.“ (BS, 14) Der 2008 verstorbene Schriftsteller Horst Bingel brachte das Streitobjekt Jünger im legendären Protestjahr 1968 auf den Punkt: „Was ist das für ein Autor, Ernst Jünger? Fällt sein Name, so beginnt die deutsche Schizophrenie.“2 Dieses Verdikt ließe sich heute nicht mehr ohne Einschränkung verifizieren. Größere Debatten, gar von der Dimension der Angriffe in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre3 oder die verbalen Attacken anlässlich der Goethepreisvergabe 1982,4 sind längst Zeitgeschichte. Kleine atavistisch aufflammende Scharmützel erinnern vielleicht
1 Gaetano Migneco: Besuch bei Ernst Jünger. In: Farbige Säume. Ernst Jünger zum siebzigsten Geburtstag. Stuttgart: Ernst Klett Verlag, 1965, S. 50. 2 Horst Bingel: Ernst Jünger: Fakten. In: Streit-Zeit-Schrift. VI, 2, September 1968, S. 5. 3 Siehe Norbert Dietka: Ernst Jünger nach 1945. Das Jünger-Bild der bundesdeutschen Kritik (1945 bis 1985). Frankfurt am Main/Bern/New York/Paris: Verlag Peter Lang, 1987, S. 58–82. 4 Siehe ebd. S. 302–315.
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Einleitung
noch daran, wie okkasionell pauschale Vorurteile wieder mobil gemacht werden, wenn ein Lokalredakteur einer Wochenzeitung – vielleicht in Kohärenz mit der Rot-Grünen-Landeshoheit? – altes Geschütz gegen einen hochdekorierten (Pour le Mérite und Bundesverdienstkreuz) Immoralisten in Stellung zu bringen versucht. Dieser selbsternannte Moralist urteilt ex cathedra: „Ehrungen haben Vorbildcharakter, denn damit wird vorbildliches Verhalten ausgezeichnet.“ Und rhetorisch: „Vorbild für was, Vorbild für wen?“5 Mehr Gewicht hat allerdings eine Generalabrechnung, die subtil daherkommt und den Eindruck einer seriösen wissenschaftlichen Ermittlung vorgibt: „Die ganze Welt ein Garten? Flora und Fauna in Ernst Jüngers schriftlichem Nachlass“, so der Titel des 2018 veröffentlichten Buches. Die Autorin ist die Ernst-Jünger-Stipendiatin Sibylle Benninghoff-Lühl, ihr Dank geht an den (Grünen) Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg.6 Die mit reichlich Bildmaterial ausgestattete Arbeit verfolgt eine eindeutige Stigmatisierung. Benninghoff-Lühl schreibt: Menschen seien wie Pflanzen. […] Dieses Konstrukt der Welt als Garten ist ausgesprochen nationalsozialistisch orientiert, insofern es die Idee der Welt als einem Garten als Spiegel eines wie auch immer gearteten 1000-jährigen Reich wiedergibt. Walter Schoenichen postulierte 1939, dass das ganze deutsche Land ein Garten sein solle.7
Zu ihrer dekuvrierenden Konzeption passt dann auch die Suggestion, Ernst Jünger sei Mitglieder der NSDAP gewesen8 und habe als „nationalsozialistischer Hauptmann“ in Paris Dienst getan9 und als „Akteur der offiziellen NS-Propaganda“ fungiert.10 Die negative Inanspruchnahme Jüngers von Susanne Klengel hingegen ist durchaus sachlicher Natur, wenn sie Jünger wenig schmeichelhaft die Sonderrolle als „Schattenexistenz“ für den lateinamerikanischen Schriftsteller Roberto Bolaño einräumt: „Der deutsche Autor ist […] nicht nur eine unter vielen inszenierten Figuren und literarischen Anspielungen in Roberto Bolaños Werk – vielmehr bildet er die zentrale ästhetische Referenz.“11 Die Pro- und Kontrastreitigkeiten enthalten nicht selten verdeckt oder ganz offenkundig politische bzw. ideologische Positionsabgleiche unterschiedlicher Couleur, die literarische Werturteile mitunter unterminieren oder gar desavouieren. 5 Roland Reck: „Er tat noch drei Schritte.“ In: Kontext. Wochenzeitung. Ausgabe 163, 14.5.2014. 6 Vgl. Sibylle Benninghoff-Lühl: Die ganze Welt ein Garten? Flora und Fauna in Ernst Jüngers schriftlichem Nachlass. Berlin: Kulturverlag Kadmos, 2018, S. 212. 7 Ebd. S. 91. 8 Siehe ebd. S. 56. 9 Vgl. ebd. S. 148. 10 Vgl. ebd. S. 130. 11 Susanne Klengel: Jünger Bolaño. Die erschreckende Schönheit des Ornaments: Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2019, S. 25.
Einleitung
Dass Jüngers Texte oft lediglich Vehikelfunktion übernehmen, ist nicht von der Hand zu weisen. Allerdings spricht für den Autor und dessen Werk, dass sich Gegnerschaft und Fürsprache nicht eindeutigen Lagern – die sich identifizierende Konservative auf der einen, die Vertreter der Ideologiekritik auf der anderen Seite – zuordnen lassen; das weist auf Differenzierungen, Nuancierungen, aber auch auf literaturkritische Souveränität hin. Wer sich auf ihn einlässt, auf den „Kaltnadelradierer“ einer unverwechselbaren Prosa oder auf den metaphysischen Diagnostiker und zeitgeschichtlichen Reflektanten, kann ihn mit Gewinn lesen – in summa liest sich seine in über siebzig Jahren erprobte Gedankenprosa als zeitgeschichtliches Dokument ersten Ranges. Dass Jünger darüber hinaus auch als anspruchsvoller Erzähler zu überzeugen weiß, wird daneben gelegentlich übersehen. Ernst Jünger, ein deutscher Louis Ferdinand Céline? Über die Qualität von Jüngers zeitdiagnostischem Denken und, brisanter noch, über die nie ganz auszulotende Wirkungsgeschichte mag, wer will, viel Verwerfliches anzumerken haben. Manche Leser sind bereit, großzügig über sein „Altes Testament“ (Str, 166), ergo über sein heroisches und äußerst umstrittenes Frühwerk, hinwegzusehen, es als entschuldbare zeitgeschichtliche Verfehlung zu betrachten und sich lediglich dem sogenannten Spätwerk zuzuwenden. Mindestens der Vollständigkeit halber muss man aber auch das ganz spezifische Phänomen Jünger zu erfassen und es in seinem sehr speziellen Kontext zu beleuchten versuchen, um vielleicht zur selben Erkenntnis zu gelangen, die Eugen Gottlob Winkler einmal pointiert so verfasste: Jünger kann nicht widerlegt, sondern nur überwunden werden. Es wäre müßig, sich kritisch mit seinen Gedanken auseinanderzusetzen. Man fände keine Beweisstücke, die, wenn sie vorgebracht würden, sich unbedingt stichhaltig zeigten. Jüngers Gedankenwelt ist der Raum einer subjektiven Erfahrung, in deren glühender Denkatmosphäre sich jeder objektive Einwurf sogleich verzehrte […]. Es bleibt nur eins: eine glatte Ablehnung mit der schlichten Unbedingtheit eines anderen Lebensgefühls. […] Im Andersgläubigen, als dem absoluten Fremdling, stellt sich für Jünger auch der einzige ernsthafte Gegner dar. Nichtverstehen ist gefährlicher als Kritik. Zwischen der Verschiedenheit zweier Erfahrungen kann es kein Streitgespräch geben.12
Das starke biographische Interesse an Jünger (Paul Noack, 1998; Heimo Schwilk und Helmuth Kiesel, 2007, Jörg Magenau, 2012 und andere) könnte angesichts der zahlreichen Selbstauskünfte Jüngers leicht paradox erscheinen, hat der Biograph in eigener Sache doch ein umfangreiches Tagebuchwerk hinterlassen – allein sechs Bände seiner achtzehnbändigen Gesamtwerkausgabe enthalten (nicht eingerechnet die vier Supplement-Bände) Tagebuchaufzeichnungen, abgesehen davon liefern 12 Eugen Gottlob Winkler: Gestalten und Probleme. Leipzig-Markkleeberg: Karl Rauch Verlag, 1937, S. 99 f.
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Einleitung
im essayistischen Werk zahlreiche Skizzen aus den Tagebüchern Grundstoff für metaphysische Betrachtungen und Deutungen. Der Band 9, „Das abenteuerliche Herz“, geht im Großen und Ganzen aus Tagebuchnotizen hervor. Doch Jüngers Selbstauskünfte dienen der Selbststilisierung.13 Der schier unermüdliche Monolog ist über weite Strecken eine Arbeit am Selbstbild als Autor. Sich buchstäblich an der lebensgeschichtlichen Textmontage zu orientieren, hieße, Jüngers Selbststilisierung aufzusitzen und an der Legendenbildung mitzuweben. Zwar gibt es in der Zielsetzung Parallelen zu Arno Schmidt, doch die Unterschiede in der Methode sind gravierend. Schmidt verstand es, in einer Art Vorwärtsverteidigung dem Leser Sand in die Augen zu streuen, indem er mit „akribischer“, geradezu „voyeuristischer Detailversessenheit“ biographisches Material ausbreitet.14 Jünger hingegen geizt mit Intimitäten; seine Selbstauskünfte unterliegen einem selektiven Prinzip, das nur zulässt, was der Legendenbildung dient. Über Jüngers Wandlungen ist im Laufe der Jahrzehnte viel spekuliert worden – zur sogenannten „Stunde Null“ etwa befleißigten sich vor allem christlichreligiös motivierte Rezensenten, einen durchs Bibelstudium geläuterten Schriftsteller vorzustellen. Karl Heinz Bohrer untersuchte in seiner Habilitationsschrift 1977/78 über das Frühwerk Jüngers den allmählichen Wandel von einer aggressivdezisionistischen zu einer konservativ-symbolischen Behandlung des zeitgeschichtlichen Materials: „Im Blick auf die Unterschiede zwischen radikalem Frühwerk und konservativem Spätwerk […] darf man sagen, daß die symbolische Enthistorisierung in dem Maße fortschreitet, wie das Wortfeld ,Schrecken‘ als Schlüsselwort epochaler Wahrnehmung abnimmt.“15 Bohrer liefert in seinem bahnbrechenden Werk zentrale Einsichten, die den Umschwung Jüngers vom Apologeten des Weltkrieges zum Apologeten des Weltfriedens plausibel beschreiben. Heidelberg ist Ernst Jüngers Geburtsort, der später noch einmal im Zusammenhang mit einer Pro-forma-Immatrikulation eine Rolle spielt. Aufgewachsen ist Jünger im Sprach- und Kulturraum Hannover – Intermezzi gab es im sächsischen Schwarzenberg bzw. Schneeberg, in Braunschweig, Rehburg, Wunstorf und Hameln. Der 1895 Geborene ist das erste Kind des Handels- und Gerichtschemikers und Apothekers Dr. Ernst Georg Jünger und dessen Ehefrau Karoline, geborene Lampl. Jüngers Eltern sind wohlhabend, entstammen bürgerlichen Familien, deren Lebensstandard sie fortführen, sogar noch verbessern können. Ihre fünf Kinder – zwei sterben im frühen Kindesalter – wachsen offenbar in guten Verhältnissen auf.
13 Siehe z. B. die Arbeit von Joana van de Löcht: Aufzeichnungen aus dem Malstrom. Die Genese der „Strahlungen“ aus Jüngers privaten Tagebüchern (1939–1958). Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 2018. 14 Siehe Holger A. Pausch: Arno Schmidt. Berlin: Colloquium Verlag, 1992, S. 16. 15 Karl Heinz Bohrer: Die Ästhetik des Schreckens. Die pessimistische Romantik und Ernst Jüngers Frühwerk. München/Wien: Carl Hanser Verlag, 1978, S. 75.
Einleitung
Sie erhalten die Chance einer sehr guten Schulbildung. Der Vater wird als tolerant und gesprächsbereit, die Mutter als liebevoll und warmherzig beschrieben; außerdem gibt es Dienstpersonal im Hause, auch einen Gärtner, der mit den Brüdern Ernst und Friedrich Georg Jünger in einem freundschaftlichen Verhältnis steht. Dennoch hat die scheinbare Unbeschwertheit zumindest für den ältesten Sohn eine gravierende Schattenseite: das Trauma Schule. Man ist versucht, die häufigen Schulwechsel nicht als Folge, sondern als Ursache für Jüngers abgrundtiefe Abneigung anzusehen. Dagegen sprechen eindeutig die klugen, vorwiegend pädagogisch begründeten Maßnahmen der Eltern, für die die Optimierung des Bildungsauftrags ganz im Vordergrund gestanden zu haben scheint – scheinbar ohne nachhaltige Wirkung auf den Degout ihres Ältesten. Der Sohn trat die Flucht in die Phantasie an. Es sind die Abenteuer von Karl May, James Fenimore Cooper, Daniel Defoe, Miguel de Cervantes und von Tausendundeine Nacht, in die sich der Tagträumer rettete. Diese Stoffe mögen sich bei Jünger zu einer Idée fixe verdichtet haben, zumindest zu der Absicht, bei Gelegenheit der „bürgerlichen Zwangsjacke“ zu entkommen. 1913, also im Alter von achtzehn Jahren,16 meldete sich Jünger in Verdun bei der französischen Fremdenlegion mit dem Wunsch, in Afrika eingesetzt zu werden. In der erst 1936 veröffentlichten Erzählung „Afrikanische Spiele“ schildert Jünger Motive – neben der Flucht vor dem Schulalltag ist es die Langeweile – und Hergang dieses letztlich verunglückten Abenteuers.17 Der lebenslang engvertraute „Lieblingsbruder“ Friedrich Georg, manchen Lesern bekannt als Lyriker, Essayist und Erzähler, hat in seinen Erinnerungsbüchern „Grüne Zweige“ (1951) und „Spiegel der Jahre“ (1958) seine Perspektive der frühen Jahre geschildert. Verstreut finden sich Anmerkungen und Episoden zu diesem Zeitabschnitt auch bei Ernst Jünger, implizit in „Das abenteuerliche Herz. Aufzeichnungen bei Tag und Nacht“ (1929), „Subtile Jagden“ (1967), „Annäherungen. Drogen und Rausch“ (1970) und explizit, ergo literarisch verarbeitet, in „Die Zwille“ (1973). Die Erlebnisschilderungen der Brüder beziehen sich fast immer auf das Familienleben im Elternhaus; sie nehmen dort ihren Ausgangspunkt, thematisieren oder assoziieren ihr Generalthema.
16 Jünger verfälscht später dieses Alter um zwei Jahre. Siehe Ernst Jünger: Afrikanische Spiele. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt, 1936, S. 11. Diese Angabe wird von einigen Biographen ungeprüft übernommen. Armin Mohler will dies aber nicht (mehr) kolportieren. Siehe Armin Mohler: Lieber Chef … Briefe an Ernst Jünger 1947–1961. Hg. von Erik Lehnert. Schnellroda: Verlag Antaios, 2016, S. 197. 17 In der Distanz zu diesem Ereignis zeigte sich bei Jünger eine gewisse Ernüchterung, der er in einem Gedicht Ausdruck verlieh. Siehe Ernst Jünger. Leben und Werk in Bildern und Texten. Hg. und kommentiert von Heimo Schwilk. Stuttgart: Klett-Cotta, 2010 (Neuausgabe), S. 36.
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Einleitung
Ernst scheint in seiner Jugend relativ kontaktarm gewesen zu sein. Die oftmals kolportierten Mitgliedschaften beim „Wandervogel“ oder im Ruderclub resp. „Rowdy-Klub“ können diesen Mangel nicht kaschieren. Die ausgeprägten „Tagträumereien“ ließen sich als Kompensationsversuche erklären, die ihn schließlich in die Fremdenlegion treiben. Mit ausschlaggebend mag die „Erwartungslast“ des Erstgeborenen neben dem starken, selbstbewussten Vater gewesen sein. Dem Vater wird eine naturwissenschaftlich-rationalistische Haltung nachgesagt, auch ein Hang zum Sarkasmus.18 Die Mutter – in ihrer ausgleichenden Rolle gewissermaßen das charakterliche Pendant zum Ehemann – wird in den spärlichen Beschreibungen nicht deutlich; sie ist schlichtweg unterrepräsentiert. Gesprächspartner haben dieses Manko oft angesprochen. Ernst Jünger antwortete Gertud Fussenegger 1985 in einem Interview: Vielleicht liegt es daran, daß mein Vater viel mehr Stoff gegeben hat zum Anekdotischen. Ich vergleiche ihn manchmal mit den rationalen Helden in Turgenjews „Väter und Söhne“. Aber die Mutter – die gehört mehr zur Natur. Über sie zu sprechen wäre so, als wenn man darüber spräche, daß man Atem und Herzschlag hat. Sie ist bedeutend mehr, sie erscheint mir auch oft in den Träumen, in meiner Traumwelt ist sie immer da – in ungebrochener Präsenz. Überdies verdankt man ja der Mutter die Sprache. Meine Mutter hat vorzügliches Deutsch gesprochen, und das ist ja die allerbeste Mitgift, die man einem Kinde geben kann.19
Das Thema „Frauen“ berührt bei Jünger Tabuzonen.20 Heiner Müller will bei seinem Besuch in Wilflingen 1988 sogar eine Angst vor Frauen festgestellt haben.21 Allerdings finden sich in den Tagebüchern liebe- und respektvolle Eintragungen unter den Chiffren „Perpetua“ (Gretha von Jeinsen, Jüngers erste Frau, mit der er von 1925 bis zu ihrem Tod 1960 verheiratet war) und „Stierlein“ (Jüngers zweite Frau Dr. Liselotte Lohrer, mit der er seit 1962 bis zu seinem Tod verheiratet war), die auf eher partnerschaftliche Beziehungen schließen lassen. Auch lassen Jüngers außereheliche Aktivitäten – hier seinen Lebenswandel in dem Pariser Besatzungszeitraum betreffend22 – vermuten, dass Jünger vielmehr von Gewissensbissen
18 Siehe Friedrich Georg Jünger: Spiegel der Jahre. Erinnerungen. München: Carl Hanser Verlag, 1958, S. 246. 19 Gertrud Fussenegger: Der schöpferische Augenblick – ein Kurzschluß. In: Die Presse, 30./31.3.1985. 20 Siehe André Müller: Ja, gut. André Müller spricht mit dem Dichter Ernst Jünger. In: Die Zeit, 8.12.1989. 21 Siehe Heiner Müller: Krieg ohne Schlacht. Leben in zwei Diktaturen. Köln: Verlag Kiepenheuer & Witsch, 1992, S. 278. 22 Siehe Joana van de Löcht: Aufzeichnungen aus dem Malstrom. Die Genese der „Strahlungen“ aus Ernst Jüngers privaten Tagebüchern (1939–1958). Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 2018, S. 297–301.
Einleitung
geplagt und im Konflikt mit den christlich-ethischen Konventionen stand und nicht mit der Furcht vor dem anderen Geschlecht kämpfen musste. Die Überbetonung des Männlichen in Jüngers Romanen, Erzählungen und vor allem in seinen frühen Tagebüchern ist wesentlich auf seine Diskurs-Besessenheit zurückzuführen. Im Kreis des Militärs fand Jünger die ersten außerfamiliären Gesprächspartner, die, um einen Jünger’schen Aphorismus zu verwenden, es wert waren, dass man ihnen widersprach (BS, 227). Den Gesprächen „unter Männern“ waren die kontinuierlichen Gespräche mit dem Vater vorausgegangen.23 Eine kausale Beziehung zwischen den Tischgesprächen mit dem Vater und der Diskursmanier, die das gesamte Werk durchziehen, ist denkbar. „Ich glaube überhaupt“, so Ernst Jünger in einem Brief an den Bruder, „daß im Gespräch unsere bedeutendste Leistung liegt; leider läßt sie keine Denkmäler zurück wie die Literatur oder die Malerei.“ (Sch, 71) Solche Passagen fallen durch eine unverwechselbare Diktion auf, an der nicht jeder Geschmack findet; der Mediävist und Germanist Peter Wapnewski etwa störte sich an dem „allzu hoch angesetzten Ton“.24 Die Autorität des Vaters bleibt bei Ernst Jünger unangefochten, wie überhaupt die Bejahung der patriarchalischen Familienhierarchie. Nirgendwo findet sich in den Veröffentlichungen eine Textstelle, die Abweichungen oder gar Brüche in dieser Haltung erkennen ließe. Ernst Jünger hat sich offenbar nicht nur der väterlichen Autorität gebeugt, sondern sich darüber hinaus weitgehend mit dem Vater identifiziert. Auch dessen naturwissenschaftliche Neigungen haben sich auf den Sohn ausgewirkt: 1908 bekam Ernst seinen ersten Natursammelkasten. Die entfachte Sammelleidenschaft riss nicht mehr ab. Jüngers „Subtile Jagden“ sind legendär. 1986 wurde in Stuttgart erstmalig der „Ernst-Jünger-Preis für Entomologie“ des Landes Baden-Württemberg an einen namhaften Entomologen vergeben. Mit dem Vater erlebte der Fünfzehnjährige 1910 auch das Erscheinen des Kometen Halley. Im Kometenjahr 1987, also im Greisenalter von 92, würdigte der Autor diese Duplizität mit dem Tagebuchtitel „Zwei Mal Halley“ en détail mit einer für Jünger typischen Retrospektive: Wieviel Zeit muß verfließen, ehe man den eigenen Vater versteht. Wenn ich an ihn zurückdenke, um den wir damals vor unserem Haus standen […][,] will es mir scheinen, daß er einerseits typisch die Epoche vertrat, in der er lebte, sich andererseits von ihr kritisch distanzierte und zudem archaische Züge besaß. […] Das Bild ist zugleich archaisch: die Familie bei der Betrachtung eines ungewöhnlichen Zeichens am Himmel; ein Rest von Ehrfurcht läßt sich nicht abweisen. (ZH, 24 f.)
23 Siehe Friedrich Georg Jünger: Spiegel der Jahre. Erinnerungen. München: Carl Hanser Verlag, 1958, S. 245. 24 Vgl. Peter Wapnewski: Ernst Jünger oder Der allzu hoch angesetzte Ton. In: Die Zeit, 8.11.1974.
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Einleitung
Nicht ohne innere Bewegtheit schildert Ernst Jünger die Entgegennahme der elterlichen Papiere, die ihm erst jetzt, nach dem Fall der innerdeutschen Grenze, zugänglich gemacht worden sind.25
25 Siehe Ernst Jünger: Aus den Tagebüchern 1992. In: Sinn und Form. Jg. 45. H. 1, Januar/Februar 1993, S. 26.
2. Eine Kriegskarriere mit Nachwirkungen
Für Jünger ist der Krieg kein Mittel: Er ist ein Zweck. (Jorge Luis Borges1 ) Für mich hat es über zehn Jahre gewährt, bis ich den Ersten Weltkrieg verdaut hatte. Das ließe sich auch so ausdrücken, daß der Vater überwunden werden muß – überwunden freilich durch Arbeit, nicht durch Kritik, und immer mit Respekt. (Ernst Jünger im Gespräch mit Curt Hohoff2 )
Jüngers erstes großes Abenteuer in der französischen Fremdenlegion findet seinen literarischen Ausdruck in der 23 Jahre später veröffentlichten Romanerzählung „Afrikanische Spiele“ (1936) – ein erstes Manuskript mit dem Titel „Die letzte sentimentale Reise oder die Schule der Anarchie“ blieb in der Schublade.3 Dass der heimlich getürmte Abenteurer, noch im zarten Alter der Adoleszenz, vorzeitig und ohne das ersehnte Erlebnis aus dem fernen Afrika zurückkam, muss einer Demütigung gleichgekommen sein. Sein Vater hatte alle diplomatische Kunst aufgewendet, um den Fahnenflüchtigen der Verantwortung zu entziehen, und ihn heimgeholt. Nicht einmal die väterliche Strenge erwartete den Rückkehrer, nur das lapidare Versprechen wurde ihm abgenommen, erst das Abitur zu bestehen, um dann zum Lohn eine Expedition zum Kilimandscharo antreten zu dürfen. Es kam anders. Die Reifeprüfung wurde im August 1914 in Form eines Notabiturs vorgezogen, somit entfiel das Reisegeschenk. Verhinderten die militärischen Zwänge der Fremdenlegion das selbstgewählte Abenteuer, sollte es wenig später innerhalb der Kasernenmauern und auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges gelingen: Als Kriegsfreiwilliger und späterer Stoßtruppführer in den Kreidegräben der Champagne. In dem 1922 publizierten Essay „Der Kampf als inneres Erlebnis“ versucht Jünger, seine Weltkriegserfahrungen zu abstrahieren und zu ästhetisieren. Dieser „Rechtfertigungsversuch“4 stellt noch kein Programm dar, sondern lediglich das Bemühen,
1 Jorge Luis Borges: Ein ewiger Traum. Essays. München: Carl Hanser Verlag, 2010, S. 52. 2 Curt Hohoff : Gegen die Zeit. Theologie. Literatur. Politik. Stuttgart: Ernst Klett Verlag, 1970, S. 97. 3 Vgl. Karl O. Paetel: Ernst Jünger. Die Wandlung eines deutschen Dichters und Patrioten. New York City: Verlag Friedrich Krause, 1946, S. 21. 4 Vgl. Fritz Arnold: Welt im Wort. Aufsätze und Rezensionen. München/Wien: Carl Hanser Verlag, 1987, S. 137.
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Tagebuchaufzeichnungen in eine Synopse zu überführen. Eine erste Prosa mit dem Titel „Sturm“ erscheint vom 11.4. bis 27.4.1923 als sechzehnteilige Novelle im „Hannoverschen Kurier“. Eigentlicher Ausgangspunkt des literarischen Schaffens, die „literarische Urmasse“,5 aus der Jünger nicht nur zahlreiche Fassungen erarbeitet,6 sondern auch zwei eigenständige Tagebuchprodukte hervorbringt, nennt Jünger martialisch „In Stahlgewittern“. Zwei weitere Texte sind vertiefende Bearbeitungen jenes „Rechenschaftsberichts“,7 erstens das Kapitel „Englische Vorstöße“ (Juni bis August 1918), 1924 veröffentlicht unter dem Titel „Das Wäldchen 125. Eine Chronik aus den Grabenkämpfen“; zweitens das Kapitel „Die große Schlacht“ (Märzoffensive 1918), 1925 herausgegeben als „Feuer und Blut. Ein kleiner Ausschnitt aus der großen Schlacht“. Die Untertitel verweisen auf zwei Themenschwerpunkte, die Jünger beschäftigen: Stellungskrieg auf der einen und Materialschlacht auf der anderen Seite. Die Publikationen sind schon deutlich von einer programmatischen Tendenz geprägt.8
In Stahlgewittern, 1920 La perfection de la civilisation serait de combiner tous les plaisirs délicats du XIXe siècle avec la présence plus fréquente du danger. (Stendhal-Zitat in St, 60)
Ohne Initiative des Vaters wäre Ernst Jünger wahrscheinlich nie Schriftsteller geworden. Dieser war es, auf dessen Geheiß der fleißige Kriegstagebuchschreiber seine Notate nach dem Krieg überarbeitete und im Eigenverlag – teils unter dem Namen des Hausgärtners Robert Meier – 1920 in Leisnig/Sachsen (seit 1919 Wohnort der Eltern) herausgab. Die rar gewordene Erstausgabe ist im Vergleich
5 Der Text der fünfzehn Hefte, die Jünger für seine Notizen verwendet, erschien auch als „Originaltext“: Ernst Jünger: Kriegstagebuch 1914–1918. Hg. von Helmuth Kiesel. Stuttgart: Klett-Cotta, 2010. 6 Dem Leser wurden 2013 die verschiedenen „Fassungen“ systematisiert zugänglich gemacht: Ernst Jünger. In Stahlgewittern. Historisch-kritische Ausgabe. Band 1 und Band 2 (Variantenverzeichnis und Materialien. Fassungsvergleich und Variantenverzeichnis von Luisa Wallenwein). Hg. von Helmuth Kiesel. Stuttgart: Klett-Cotta, 2010. 7 Vgl. Fritz Arnold: Welt im Wort. Aufsätze und Rezensionen. München/Wien: Carl Hanser Verlag, 1987, S. 137. 8 2016 in einem Sammelband gebündelt veröffentlicht: Ernst Jünger. Krieg als inneres Erlebnis. Schriften zum Ersten Weltkrieg. Hg. von Helmuth Kiesel. Unter Mitarbeit von Friederike Tebben. Stuttgart: Klett-Cotta, 2016.
In Stahlgewittern, 1920
zur zweiten Ausgabe von 1922 (weitere Bearbeitungen erfolgen 1924, 1934, 1935, 1961 und 19789 ) weder ein einheitliches noch stilistisch erhebliches Buch. Widersprechende Absichten durchkreuzen und verfilzen sich zu einem unansehnlichen Gewirr, und von der Sprache Jüngers, deren Lob so beständig gesprochen wird, ist noch kaum etwas zu spüren. Der Stil ist platt oder ungeschickt, abgegriffen oder überladen, und es gibt in der Tat Stellen, die unter das Niveau des guten Primaneraufsatzes sinken.10
Die Chance der Veröffentlichung seiner Kriegsdiarien in dem renommierten Berliner Verlag E. S. Mittler & Sohn muss bei Jünger den Ausschlag gegeben haben, den Urtext mit Sorgfalt und Akribie zu überarbeiten. Der Qualitätssprung gründet in der gewandelten Intention: Nicht mehr die sachliche Schilderung des Gedachten, sondern die sachliche Schilderung des Beobachteten ist bezweckt.11 Genau genommen destilliert Jünger aus der „Rohfassung“ ein authentisches Erlebnis heraus. Jüngers erster Beruf ist der des Offiziers. Er war Soldat von Anbeginn des Weltkrieges und blieb es über die Kriegsdauer hinaus. Hoch dekoriert mit dem Ritterkreuz des Hausordens von Hohenzollern und mit dem Pour le Mérite, der höchsten zu verleihenden Auszeichnung, verließ Jünger erst 1923 die Reichswehr, der er nach dem Krieg neben Einsätzen für die innere Sicherheit, z. B. bei Militäreinsätzen gegen Schmuggler, als Mitarbeiter an Ausbildungsvorschriften zur Verfügung stand. Jünger erinnert sich: „Ich habe dort mitgearbeitet, und zwar am Abschnitt ,Zug und Gruppe‘ der Gefechtsvorschrift für die Infanterie. […] Namen wie ,Schützenreihe‘, ,Schützenkette‘ und ,Schützenrudel‘ gehen auf mich zurück.“ (SV3, 214 f.) Dazu bediente man sich gern der praktischen Erfahrungen eines erfolgreichen Stoßtruppführers. Jüngers Karriere in der Reichswehr hatte, wie bei vielen anderen auch, mit der euphorischen Kriegsbegeisterung begonnen,12 die er kurz nach dem Krieg auf die unmissverständliche Formel brachte: „Eine Massensuggestion“ (St, X). Manche Zweifel oder gar defätistischen Äußerungen sind im Laufe der Jahre von Jünger protokolliert worden („Wann hat dieser Scheißkrieg ein Ende?“), aber sie veranlassten ihn zu keiner Zeit, seine wohlwollende Haltung gegenüber dem Militär zu überdenken. Angesichts der ungeheuren Grausamkeiten in den durch den Einsatz
9 Vgl. Ernst Jünger. In Stahlgewittern. Historisch-kritische Ausgabe. Variantenverzeichnis und Materialien. Hg. von Helmuth Kiesel. Stuttgart: Klett-Cotta, 2013, S. 93. 10 Gerhard Loose: Ernst Jünger. Gestalt und Werk. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 1957, S. 28. 11 Siehe ebd. S. 29. 12 Jüngers persönliche Aufzeichnungen zur Mobilmachung 1914 werden wiedergegeben bei Wulf Dieter Müller: Ernst Jünger. Ein Leben im Umbruch der Zeit. Berlin: Junker und Dünnhaupt Verlag, 1934, S. 16–21.
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moderner Technik möglich gewordenen Materialschlachten kehrte so mancher als überzeugter Kriegsgegner heim. Jünger hingegen, der sie so authentisch wie kein Zweiter in der Literatur festgehalten hat – und das irritiert aus heutiger Sicht an diesem Schriftsteller am meisten –, treibt diesen Widerspruch auf die Spitze. Derjenige, der das brutalste Bild des Weltkrieges nachzeichnet, wird dessen vorderster Apologet. Der Jünger der ersten Nachkriegsjahre war noch ganz an seine Kriegserlebnisse gefesselt; als Offizier einer stark geschrumpften Militärinstitution begann er zu schreiben. Die aggressive Lebensphilosophie, die schon deutlich aus den Kriegstagebüchern und dem Essayband „Der Kampf als inneres Erlebnis“ spricht, beschwört einen fanatischen Militärfundamentalismus, der passagenweise selbst bei manchem eingefleischten Militaristen Verwunderung ausgelöst haben muss. Dem zum Antipoden erklärten Henri Barbusse wird an einer Stelle auf das Entschiedenste widersprochen: „Nein, der Krieg ist kein materieller Vorgang, es sind höhere Wirklichkeiten, denen er unterworfen ist.“ (Wä, IX) Jüngers heroisch-wahnwitzige Affirmation sucht seinesgleichen: „Was ist erhabener, als hundert Männern voranzuschreiten in den Tod?“ (St, 24 f.) „Und wenn zehn vom Dutzend gefallen waren, die letzten zwei fanden sich mit tödlicher Sicherheit am ersten Ruheabend beim Becher, brachten den toten Kameraden ein stilles Glas und besprachen scherzend die gemeinsamen Erlebnisse. Den überstandenen Gefahren ein Landsknechtslachen, den künftigen ein Schluck aus voller Flasche, ob Tod und Teufel dazu grinsten, wenn nur der Wein gut war. So war von je rechter Kriegsbrauch.“ (St, 127) Die von Jünger oft paraphrasierte Metapher „Blutdurst“ vermittelt Jüngers rauschartigen Erregungszustand: „Ich kochte vor einem mir jetzt unbegreiflichen Grimm. Der übermächtige Wunsch zu töten, beflügelte meine Schritte. Die Wut entpreßte mir bittere Tränen.“ (St, 227) Jüngers Voluntarismus, den strenge Ordnungsbegriffe kennzeichnen, der aber auch anarchistische, dandyhafte Züge trägt, entstammt einem Menschen, der sich einerseits ganz dem Pathos eines preußischen Offiziers verschrieben hatte, aber andererseits hochsensibel die Brutalität auf den Schlachtfeldern registrierte. Ein Zynismus war die Folge, der nicht vollends durchschlug, sich vielmehr ungetrübt neben der korrekten Dienstmanier auswirkte. Es gab Grenzsituationen, in denen der pflichtbewusste Offizier an sich selbst appellieren musste: „Warum hältst du noch immer aus, du und deine Braven? Kein Vorgesetzter sieht dich. Und doch beobachtet dich jemand. Dir selbst vielleicht unbewußt, wirkt der moralische Mensch in dir und bannt dich durch zwei mächtige Faktoren am Platze: die Pflicht und die Ehre.“ (St, 162) Oder er stellte eine signifikante Differenz heraus: „Ich habe stets den Feigling bemitleidet, dem die Schlacht zu einer Reihe höllischer Qualen wurde, die der Mutige in gesteigerter Lebenskraft nur als eine Kette aufregender Ereignisse betrachtete.“ (St, 142 f.) In zynischen Passagen denunzierte Jünger sogar die eigenen Lobreden auf Ritterlichkeit, Disziplin und Gehorsam durch geschmacklose Vergleiche: „In die Zwickmühle geratene Englän-
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der versuchten, über freies Feld zu entkommen und wurden niedergeschossen wie bei einer Treibjagd.“ (St, 209) Oder: „Mein erstes Opfer war ein Engländer, den ich auf 150 Meter zwischen zwei Deutschen herausschoß. Er klappte wie ein Messer zusammen und blieb liegen.“ (St, 231) Die eigentlich literarische Besonderheit bilden suggestive, beinahe zwanghafte Szenenbeschreibungen, die diesem Autor Bewunderung, aber auch Abscheu einbrachten. Beispielhaft einige Bruchstücke aus der „Ikonographie des Schreckens“: Ich glaube einen Vergleich gefunden zu haben, der das besondere Gefühl dieser Lage, in der ich wie jeder andere Soldat dieses Krieges so oft gewesen bin, recht gut trifft: Man stelle sich vor, ganz fest an einen Pfahl gebunden und dabei von einem Kerl, der einen schweren Hammer schwingt, ständig bedroht zu sein. Bald ist der Hammer zum Schwunge zurückgezogen, bald saust er vor, daß er fast den Schädel berührt, dann wieder trifft er den Pfahl, daß die Splitter fliegen (St, 73).
Oder: Bald kamen wir an der Stelle vorbei, wo es eingeschlagen hatte, die Getroffenen waren schon fortgeschafft. Blutige Zeug- und Fleischfetzen hingen rings um den Einschlag an den Gebüschen – ein sonderbarer, beklemmender Anblick, der mich an den rotrückigen Würger denken ließ, der seine Beute auf Dornensträucher spießt. (St, 17 f.)
Und: „Auf den Gesichtern der Toten hatte sich das feine gelbe Ziegelmehl niedergeschlagen und gab ihnen das starre Aussehen von Wachsmasken.“ (St, 123) Jüngers Irrationalismus verabsolutiert und ontologisiert das Kriegserlebnis, stellt die Ratio unter das Primat des Gefühls: Sein Fazit des Krieges ist einerseits nationalistisch-chauvinistisch, andererseits melancholisch-fatalistisch: Vier Jahre der Entwicklung inmitten einer zum Sterben bestimmten Generation, in Höhlen, verqualmten Gräben und blitzenden Trichterfeldern verbracht, nur von den kargen Freuden des Landknechts durchschossen […]. Und aus allen Opfern war […] die Idee des Vaterlandes immer reiner und glänzender herausgeschmolzen. Das war der bleibende Gewinn des Spiels, das so oft um den vollen Einsatz gegangen war: die Nation war für mich nicht mehr ein leerer, von Symbolen verschleierter Begriff – wie hätte es auch anders sein können, wo ich so viele dafür hatte sterben sehen […]. So nahm ich […] gerade aus dieser vierjährigen Schule der Gewalt, aus allen Rasereien der Materialschlacht die Erkenntnis mit, daß das Leben nur durch den Einsatz für eine Idee seinen tieferen Sinn erhält, und daß es Ideale gibt, denen gegenüber das Leben des Einzelnen und selbst des Volkes keine Rolle spielt. […] In allen Feuern und Stichflammen gehärtet, konnten wir aus einer Schmiede des Charakters vor unser Leben treten […], vor alles, was das Schicksal verbarg. […] Denn alle diese großen und feierlichen Ideen blühen aus einem Gefühl heraus, das im Blute liegt und das nicht zu erzwingen ist. Im kalten Licht des Verstandes wird alles zweckmäßig, verächtlich und fahl. Uns war es noch vergönnt, in den unsichtbaren Strahlen großer Gefühle zu leben, das bleibt uns unschätzbarer Gewinn. (St, 281f.)
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Leutnant Jünger mochte nach dem Krieg noch einige Scharten auszuwetzen haben. Seine Elogen auf die „geduldigen, eisenbeladenen Tagelöhner des Todes“ (St, VIII), die nach einem sieglosen Krieg auf den Schlachtfeldern oder als bedauerte, gar unbeachtete „Frontschweine“ – „Ihr seid nicht umsonst gefallen“ (St, XI) – ins abgewirtschaftete Vaterland zurückkehrten, waren die Antwort auf eine kollektiv verstandene Demütigung. Die aus Landserperspektive unverschuldete Niederlage sollte martialisch und nationalistisch überhöht, letztlich in einen metaphysischen Sieg umgemünzt werden: Ein trotziges Jetzt-erst-recht als Ehrenrettungsversuch auf verlorenem Posten. Mit gesteigerter Aggressivität entwarf er das Feindbild des „Zivilistenschweins“. Jüngers Demokratie-Degout, der in dem Ausspruch gipfelt: „Ich hasse die Demokratie wie die Pest“ (Wä, 74), ging mit seiner romantizistischen Sinnsuche eine gefährliche Verbindung ein. Unbemerkt fusionierte die Sinnsuche als Reflex auf die Kriegserlebnisse mit feindbildfixierten Ressentiments. Dieses frühe Textmaterial gab der Rezeption Rätsel auf. Jüngers eigenwilliger, mit surrealen und expressiven Partien durchsetzter Realismus stellt kalte, mitleidlose, äußerst authentische Vorgangsbeschreibungen unvermittelt neben extrem subjektivistische Introspektionen. Dazu bemerkt Hans-Peter Schwarz: „Die mikroskopische Beobachtung der Feinstruktur des eigenen Daseins erfolgte […] nicht aus psychologischer Neugier, sondern um Einblicke in den vollen Sinn der Zeit zu gewinnen.“13 Jüngers an Hybris grenzendes Selbstbewusstsein, fixiert in provokanten amoralischen Aussagen, wird durch den von Karl Heinz Bohrer fruchtbar gemachten Chok-Begriff Walter Benjamins erklärt. Nach Bohrers Deutung kommt eine ästhetische Wahrnehmungsvariante textgestalterisch zur Anwendung, die letztendlich die psychologische Verarbeitung des Kriegsschrecknisse bezweckt, was er an Jüngers Tagebuch- und Prosatexten verifiziert. Mit weniger exegetischem Aufwand experimentieren spekulative psychoanalytische Textdeutungsversuche, indem sie vermeintliche Prädispositionen diagnostizieren. Allzu durchsichtig hat man vonseiten der Ideologiekritik mit Hilfe des psychoanalytischen Instrumentariums eine simplifizierende Typisierung vorgenommen.14 Die Eckpunkte des Urteilsspektrums bilden so ungleiche Verdikte wie die Unterstellung präfaschistischer Phantasma-
13 Hans-Peter Schwarz: Der konservative Anarchist. Politik und Zeitkritik Ernst Jüngers. Freiburg im Breisgau: Verlag Rombach, 1962, S. 53. 14 Siehe z. B. Johannes Volmert: Ernst Jünger, „In Stahlgewittern“. München: Wilhelm Fink Verlag, 1985: „Alle Schrecken des Krieges, Schlachtendonner und Stahlgewitter, die mit Visionen von einem klassischen Weltendrama inszeniert werden, erregen die Phantasie des Kriegers und Erzählers nur als Sinnbilder seines nach außen gekehrten ,vulkanischen‘ Inneren, als Symbole seines Unbewußten, seines eruptiven Es.“ S. 104. Oder Klaus Theweleit: Männerphantasien. 1. Frauen, Fluten, Körper, Geschichte. 2. Männerkörper. Zur Psychoanalyse des weißen Terrors. Frankfurt am Main: Stromfeld/Roter Stern, 1986. Theweleit benutzt Jünger als Kronzeuge seiner fragwürdigen Theorie von der „Triebstruktur“ der „Nicht-zu-Ende-Geborenen“.
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gorien auf der einen Seite und Elogen namhafter Schriftstellerkollegen auf der anderen. Sie reichen von „Der Mann, der das schreibt, ist ein Kranker“ (Jørgen Knudsen15 ) bis Le livre d’Ernst Jünger sur la guerre de 14, „Orages d’acier“, est incontestablement le plus beau livre de guerre que j’aie lu; d’une bonne foi, d’une véracité, d’une honnêteté parfaites. Je regrette beaucoup de n’en avoir pas eu connaissance encore (et de cet autre que je lisais à Sidi-bou-Said: „Routes et Jardin“) avant de recevoir sa visite, rue Vanneau (dont il fait mention dans ce dernier livre). Je lui aurais parlé tout différement. (André Gide16 )
Jorge Luis Borges wollte 1982 während seines kurzen Deutschlandaufenthalts allein den Autor der „Stahlgewitter“ besuchen. Horst Mühleisen berichtet von Borges’ Urteil über Jüngers Erstling: „Dieses Buch […] enthalte noch elementare Gefühle, es sei große Dichtung – gleichsam wie ein Naturereignis – deshalb könne man sie nie kritisieren“.17
Der Kampf als inneres Erlebnis, 1922 In seiner Weltkriegspublikation „Der Kampf als inneres Erlebnis“ (1922) verteidigt Ernst Jünger sein Kriegserlebnis gegen die Anderen. Den „Legionen Spießbürgern“ (KiE, 86) wird hier mit überschwänglichem Pathos eine Lektion erteilt; auch um die noch frischen Erfahrungen wie unter einem Wiederholungszwang wachzuhalten, zu konservieren. Ursprünglich hatte Jünger lediglich „einen Querschnitt durch das seelische Erlebnis des Frontsoldaten in ganz persönlicher Fassung“ (KiE1, XI) geben wollen, nun aber, so im Vorwort der zweiten Auflage von 1926, intendiert Jünger einen ideologischen Nexus. Noch ist kein explizit politisches Programm formuliert, aber das Reflexionsmaterial erhält seine wegweisende Ausrichtung. Das Kapitel „Untereinander“ kann schon exemplarisch gelesen werden. Dieses vereint melancholische Retrospektive, schwülstige Kriegsromantik und von Emotion beherrschte Konklusion. Der Versuch, das Kriegserlebnis zu verabsolutieren, gewährt Einblicke in die „Gesamtverfassung“ des Autors. Noch ganz befangen von dem Kollektiverlebnis („Vielleicht wird es einmal heißen: Wer nicht vor 1914 gelebt hat, weiß nicht, was Leben heißt“, KiE, 81) sucht Jünger das Einzigartige seines Erlebnisses zu dokumentieren; situationsbezogen am konkreten Beispiel („Wir flüstern, als
15 Jørgen Knudsen: Alles scheint zu stimmen. In: Streit-Zeit-Schrift. VI, 2, September 1968, S. 78. 16 Zit. n. Gerhard Nebel: Ernst Jünger. Abenteuer des Geistes. Wuppertal: Im Marées-Verlag, MCMIL, S. 45. 17 Horst Mühleisen: Zur Entstehungsgeschichte von Ernst Jüngers Werk „In Stahlgewittern“. In: Aus dem Antiquariat. Nr. 10, 1985, S. 377.
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ob wir einen Mord verabredeten“, KiE, 82) oder als ein übergreifendes Gesamtbild, wenn Jünger in einer Fin-de-Siècle-Manier über ein weltgeschichtliches Ereignis orakelt: „Wir stehen an einer Weltenwende, vielleicht der ungeheuersten, die je hereinbrach.“ (KiE, ebd.) Es bleibt dem selbsternannten Chronisten vorbehalten, die Zeichen der Zeit zu deuten, daher die Distanz zum „Fußvolk“, zu den einfachen Mannschaften, die im Unverständnis sich in defätistischen Äußerungen ergehen: „Sie sind Materialisten“ oder „Sie sind Egoisten, und das ist gut so.“ (KiE, 85) Die Widersprüche aber werden von einem schon auf Unterscheidung angelegten Patriotismus verdeckt, da ist dann von der „deutschen Seele“ oder vom „deutschen Gemüt“ die Rede, auch wird eine typisch „deutsche Lyrik“ ausfindig gemacht (KiE, 88). Dagegen werden die bürgerlichen Denker Ernst Haeckel und Carl Sternberg demonstrativ verworfen (KiE, 82) und die wahren Gegner angeprangert: Was sind die Versammlungen der Spitzen der Nation in Beratungen und Parlamenten anders als große Schlagwort-Bombardements, Ideologenkongresse? Was ist die Presse anders als ein rasselndes Hammerwerk, das unser Hirn mit Schlagworten zertrümmert und Denken, kostbarsten Besitz, standardisiert, sozialisiert und proletarisiert? GedankenNotzucht frechster Art, von Legionen Spießbürgern jeder Färbung beim Morgenkaffee masochistisch ausgekostet? (KiE, 86)
Mit lehrhaftem Bemühen und höhnischem Gestus wurden abgelauschte und eigens konstruierte Gesprächsstoffe zusammengetragen – elitär und wehmütig schaut der sich treu gebliebene Leutnant auf seine geistige und emotionale Kriegshinterlassenschaft. Einzelbegriffe bilden die Strophenüberschriften zum ästhetischen Loblied des Nietzscheepigonen auf die „neuen Menschen“, die „Sturmponiere“, die „Auslese Mitteleuropas“ (KiE, 74). Die Metapher „Blut“: Mit Oswald Spenglers Geschichtsmorphologie rätselt der Tatmensch Jünger über das vermeintliche Urverhältnis, das der Krieger im „Blutdurst“ wiederherzustellen vermöge: „[…] ist Blut geflossen […], so sinken die Nebel vor seinen Augen“ (KiE, 9 f.). Jenes „Urerlebnis“, „das Tierische auf dem Grunde seines Seins“ (KiE, 7), nehme trotz kulturgeschichtlicher Entwicklung wieder von ihm Besitz. Jüngers „Biologismus“ begnügt sich mit der Suggestivkraft des Situativen: „Sich auf den Gegner stürzen, ihn packen, wie es das Blut verlangt, ohne Waffe, im Taumel, mit wildem Griff der Faust. So ist es von je gewesen.“ (KiE, 9) Das Phänomen „Grauen“: „Das Grauen ist in unserer Vorstellung unlöslich mit dem Tode verflochten“ (KiE, 13). „Es ist das erste Wetterleuchten der Vernunft, Vorstufe der Religion.“ (KiE, 11) Basierend auf solchen anthropologischen Spekulationen stellt Jünger die Ambivalenz seiner traumatischen Erlebnisse heraus: die Lust am und den Abscheu vorm Grauen. „Durchdringendes Grauen“ (KiE, 16) vermittelt Jünger durch eine makabre Erzählung eines „alten Kriegers“ (KiE, 17):
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Im Beginn des Krieges stürmten wir ein Haus, das eine Wirtschaft gewesen. Wir drangen in den verbarrikadierten Keller und rangen im Dunkel mit tierischer Erbitterung, während über uns das Haus schon brannte. Plötzlich, wohl durch die Glut des Feuers ausgelöst, setzte oben das automatische Spiel eines Orchestrions ein. Ich werde nie vergessen, wie sich in das Gebrüll der Kämpfer und das Röcheln der Sterbenden das unbekümmerte Geschmetter einer Tanzmusik mischte. (KiE, 17 f.)
Die dämonische Ortsbegehung „Der Graben“: Jüngers Grabenkämpfer, jene „prächtigen“, „bunten“, und „geschmeidigen Raubtiere“ (KiE, 32, 55, 74), finden sich vereint im Zwangskollektiv des Heeres – der einzigen Masse, die nicht lächerlich wirke (KiE, 56). Im Kampf gingen sie ihrem angestammten Handwerk nach (KiE, 25); dies sei das unausweichliche, stets wiederkehrende, naturgesetzlich verankerte Paradigma des tödlichen Kampfes: „Begegneten sich zwei Trupps von solchen Kämpfern in den schmalen Gängen der flammenden Wüste, so prallte Verkörperung des rücksichtslosesten Willens zweier Völker zusammen.“ (KiE, 28) Der biologistische Funktionsbegriff „Eros“: Jüngers Entgrenzungsphantasien leugnen die Grenzen der Übertragbarkeit, indem sie die Quelle des Liebesaktes mit der Quelle des Vernichtungsaktes verfälschen, ergo den Eros mit der Destruktion vertauschen. Schrill und hysterisch tobt sich der Aktionsmensch am Reiz des Äußersten aus. Ziel ist die virtuelle Ausnutzung des Möglichen; Mittel ist der Krieg als Austragungsort des zwanghaften Entfesselungsaktes. Die Metaphorik ist eindeutig: „Hinein in die Brandung des Fleisches, tausend Gurgeln haben, dem Phallus schimmernde Tempel errichten.“ (KiE, 31) Jüngers rhetorische Frage weist auf die Tendenz hin: „Denn was ist das Verständnis des Hirnes gegen das des Herzens?“ (KiE, 35) Der denunziatorische Abgrenzungsbegriff „Pazifismus“: Jüngers sozialdarwinistische Losung ist total: „Leben heißt töten.“ (KiE, 38) Der Pazifist könne dieses eherne Naturgesetz nicht leugnen. Die Primärtugend „Mut“: Die Überzeugung für die Sache sei ausschlaggebend für den Mut: „Gewiß wird der Kampf durch seine Sache geheiligt; mehr noch wird eine Sache durch den Kampf geheiligt.“ (KiE, 47) Jüngers Heroisierungsversuch „Landsknechte“: Ihre Motive: Abenteuer, Lust am Grauen (KiE, 59) und Lust am Untergang (KiE, 60 f.). Die Kehrseite des Ausnahmezustandes „Kontraste“: Durch die Kontrastierung der wesensfremden Sphären Militär gegenüber ziviler Privatheit suggeriert Jünger den Dualismus der zwei Welten: Barbarei und friedvolle Beschaulichkeit des Zivilen. Das räumliche und zeitliche Nebeneinander intensiviert Jüngers Lebensgefühl. Der Barbar kann auch der Flaneur sein, ohne zu vergessen, wofür sein Herz schlägt: Wenn er beim feindlichen Liebchen dem Kriege eine Stunde stiehlt (KiE, 69) oder übermütig, aber auch abwegig assoziiert: „Ich lebe, noch lebe ich. Ich tauche meine
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Blicke in die Augen vorüberschreitender Mädchen, flüchtig und eindringlich wie Pistolenschuß und freue mich, wenn sie lächeln müssen.“ (KiE, 67) Die Zustandsbeschreibungen im Abschnitt „Feuer“ sind mythologisierend: „Ein Nebel, der in uns liegt und zu solchen Stunden über den unruhigen Gewässern der Seele sein rätselhaftes Wesen treibt. Nicht Angst […][,] sondern ein unbekanntes Reich, in das die Grenzen unseres Empfindens sich schmelzen.“ (KiE, 72) Jüngers Irrationalismus vom Mythos des Krieges kennt nur die schicksalhafte Einwilligung des Einzelnen in die Entscheidung des Weltgesetzes: „Nicht wofür wir kämpfen ist das Wesentliche, sondern wie wir kämpfen. Dem Ziel entgegen, bis wir siegen oder bleiben. Das Kämpfertum, der Einsatz der Person und sei es für die allerkleinste Idee wiegt schwerer als alles Grübeln über Gut und Böse. […] Zuletzt wird doch der Wertvollste, der, der sie verdient, Eroberer der Welt. Darüber entscheide das Weltgesetz“ (KiE, 76). Das Phänomen „Angst“ als Gegenspieler der Mutes: „Das Ungewisse ist das Entsetzliche“ (KiE, 98), dessen Überwindung bestätigt das Prinzip: „Den Gegner achten, aber ihn bekämpfen, nicht als Menschen, sondern als reines Prinzip; für seine Idee einstehen mit allen Mitteln des Geistes und der Gewalt“ (KiE, 96). Die Achtung des Gegners ist ein Wesensmerkmal der Jünger’schen Kriegsästhetik: „Vom Feinde“. Jüngers affirmative Triebtheorie kommt nicht ohne komplementäres Äquivalent aus: „Doch wenn wir aufeinanderprallen im Gewölk von Feuer und Qualm, dann werden wir eins, dann sind wir zwei Teile von einer Kraft, zu einem Körper verschmolzen.“ (KiE, 108) „Vorm Kampf “. Das Crescendo von Jüngers heroischem Patriotismus wird begleitet von der Fürsprache der totalen Indienstnahme. Diese klingt futuristisch: „Die Maschine ist die in Stahl gegossene Intelligenz eines Volkes.“ (KiE, 114) „Das Heer: Menschen, Tiere und Maschinen, zu einer Waffe geschmiedet.“ (KiE, ebd.) Sie klingt antiaufklärerisch und ontologisch: Die Werkzeuge werden vollkommener, der Mensch bleibt der alte. Er wird immer zivilisierter, das heißt organisierter und rollt dabei stets um dieselbe Achse. Beim Nachgraben stößt man jedesmal auf dieselben Wurzeln. Beim Zusammenschluß von Menschen zu Völkern entsteht durch Teilung der Funktionen des einzelnen auf die Gesamtheit ein höchst verwickelter Körper in riesigen Ausmaßen denselben Lebensbedingungen unterworfen wie der einzelne. Die Organe dieses Körpers entwickeln sich seinen Bedürfnissen gemäß. Je weiter sich ein Volk vom Ursprünglichen entfernt, desto verschiedenartiger gestalten sich seine Bedürfnisse. Jedes Bedürfnis ist eine Fessel, ist die kleine Münze in die sich die starken, ursprünglichen Formen des Lebens zerschlagen. (KiE, 114 f.)
Und sie klingt heroisch: „Hinter allem steckt der Mensch. […] Er ist das gefährlichste, blutdürstigste und zielbewußteste Wesen“ (KiE, 114). Ferner ist sie reduktionistisch und instrumentalistisch: „Alle Vielheit der Formen vereinfacht sich zu seinem Sinn: dem Kampf. Der Körper des Volkes legt seine gesamte Kraft in einen
Der Kampf als inneres Erlebnis, 1922
Ausdruck: das Heer. Das fließt hier vorbei, der Wille zum Leben, der Wille zum Kampf und zur Macht, und sei es um den Preis des Lebens selbst.“ (KiE, 116) Jüngers stark vom Fühlen beherrschte Denken in den jungen Jahren muss im Zusammenhang mit den allgemeinen Befindlichkeiten der Nachkriegszeit gesehen werden. Die Auseinandersetzung mit Friedrich Nietzsche,18 Maurice Barrès,19 Georges Sorel20 und natürlich immer wieder Oswald Spengler21 fällt in diese Lebensphase, aber auch die Lektüre von Dämologien (Sch, 68 f.). Der Expressionismus, dem Jünger kurzzeitig anhing, erfuhr bei ihm bald eine eigentümlich kalte Prägung. Sein „eisgekühlter Expressionismus“, findet Peter Heller, sei nicht wie der alte Expressionismus, „hitzig, tobend, ekstatisch, wütend in seinem Hohn, panisch in seiner Angst, speiend in seinem Ekel, sondern wirkt als kalte Hitze, kalkulierter Exzeß, distanzierte Intensität“; eher handele es sich um eine „Synthese aus Expressionismus und Sachlichkeit“.22 Das in ein heroisches Erlebnis umdefinierte Kriegstrauma durfte sich nicht verzehren, sollte mit ideengeschichtlichem Material angereichert, stabilisiert und abgesichert werden. Die vom Schlachtfeld herübergerettete Auffassung vom „Krieg als Vater aller Dinge“ mündete in eine gegenaufklärerische Denkhaltung: Zusammengewürfelt aus Postromantik, italo-faschistischem Futurismus, chauvinistischem Nationalismus und faschistoider Ästhetik. Dem Kulturpessimismus, den Jünger mit Spengler teilte, stellte er als rettende Werte die preußischen Tugenden Dienstwilligkeit, Opfer- bzw. Leidensbereitschaft und Gehorsam zur Seite. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Jüngers Ressentiment gegen jedes andere Denken abgeschottet. Entsprechend seiner Verachtung des Literaturbetriebes (Wä, 61, 115, 153, 184, 230), beschränkte sich Jünger ganz auf die nicht-literarische Produktion. Die Aufbereitung und Überhöhung des Kriegserlebnisses zum politischen Programm hatte Vorrang. Zur Fiktion fehlte ihm offensichtlich sowohl die Distanz als auch die schriftstellerische Souveränität. Noch trat der imaginierende Schriftsteller in Jünger zugunsten des programmatischen Tagebucherzählers und Essayisten zurück. Die spätexpressionistische Erzählung „Sturm“ bleibt somit ein Intermezzo.
18 Siehe auch Karl Heinz Bohrer: Die Ästhetik des Schreckens. Die pessimistische Romantik und Ernst Jüngers Frühwerk. München/Wien: Carl Hanser Verlag, 1978, S. 116–118. 19 Siehe ebd. S. 119–121. 20 Siehe ebd. S. 121 f. 21 Siehe ebd. S. 124 f. 22 Vgl. Peter Heller: Eisgekühlter Expressionismus. In: Merkur. Jg. 9. H. 1, November 1955, S. 1095.
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Sturm, 1923 Leutnant Sturm, Titelheld der Erzählung, weist Merkmale eines Jünger’schen Selbstporträts auf. Der prosaverfassende Frontkämpfer entstammt wie Jünger einer norddeutschen Stadt (Stu, 21) und hat ein Zoologiestudium in Heidelberg absolviert (Stu, 17) – auch Jünger hatte sich vor dem Kriegsdienst 1914 pro forma in die Matrikel der Heidelberger Universität eingeschrieben.23 Außerdem wird gerne auf die Doppelidentität von heroischem Tat- und kontemplativen Betrachtungsmenschen aufmerksam gemacht (Stu, 17, 31). Monolog und Dialog beherrschen die Rahmenhandlung. Im Vordergrund steht die Zugführer-Trinität Sturm, Döhring und Hugersdorff, deren Charaktere im Verlauf des Frontaufenthaltes beschrieben werden. In den Gefechtspausen liest Sturm den freundschaftlich verbundenen Offizierskameraden aus seinen Aufzeichnungen vor, die ihrerseits auf das Vorgetragene im anschließenden Gespräch Bezug nehmen. Jüngers Subprotagonisten, ebenfalls militärischer Herkunft, sind Dandys, beobachtende und reflektierende Flaneure, die die Anschauungen des Autors wiedergeben. Erzählt wird fragmentarisch – vielleicht hatte Jünger ursprünglich geplant, ein „Dekameron des Unterstandes“ zu verfassen (Stu, 61). Von den acht Kapiteln sind drei den Textvorträgen Sturms vorbehalten (Stu, 35, 62, 67). Ausgewählte, typische Szenen des Kriegsalltags bilden das lose Handlungsgeflecht. Mit dem Wiedereintritt in die Kampfhandlungen bricht die Erzählung jäh ab. Sturm findet im feindlichen Feuer den Tod. Jünger entlehnt sein Grundmotiv dem „Rechtfertigungsversuch“ „Der Kampf als inneres Erlebnis“. Wie dort ist auch hier „der Krieg der Vater aller Dinge“. Als Einschnitt in das gesellschaftliche Leben ermöglicht dieser angesichts der andauernden Todesbedrohung, das Lebensgefühl des Einzelnen zu steigern. „Im Grunde erlebt jeder seinen eigenen Krieg.“ (Stu, 30) Im Zentrum zu stehen, nicht wie die anderen an der Peripherie, ist ihm wichtig: „Wir haben uns eingeordnet in die Bewegung eines großen, notwendigen Geschehens, oft steht unsere eigene Bewegung, das, was wir Freiheit oder Persönlichkeit nennen, dazu im Widerspruch.“ (Stu, 40) Vor diesem Hintergrund erscheinen für Jünger die Dinge in einem anderen Licht. Der Krieg, dem Jünger metaphysische Bedeutung zumisst („unfaßbare Weltvernunft“, Stu, 24), hat den Menschen verändert, seine Sicht auf die Dinge beeinflusst und die Dinge selbst gewandelt. Der Seismograph Jünger, mit der Fähigkeit ausgestattet, „vom Geschehen der Zeit abstrahieren“ zu können (Stu, 17) – in einem Brief an den Bruder Friedrich Georg vom August 1922 heißt es: „Ich glaube, ein Gefühl für Sätze zu besitzen, die ex cathedra gesprochen sind“ (Sch, 69) –, registriert die Anzeichen für eine Wandlung und stellt darüber historisierende Spekulationen
23 „Hans Sturm“ ist auch ein Pseudonym, unter dem Jünger in der Zeitschrift „Arminius“ Teile aus dem Tagebuch „Das abenteuerliche Herz. Aufzeichnungen bei Tag und Nacht“ abdrucken ließ.
Sturm, 1923
an. Etwa über den Staat: „Heute gilt einer längst nicht mehr [als] das, was er an sich wert ist, sondern nur das, war er in bezug auf den Staat wert ist. Durch diese systematische Ausschaltung einer ganzen Reihe an sich sehr bedeutender Werte werden Menschen erzeugt, die allein gar nicht mehr lebensfähig sind.“ (Stu, 10 f.) Über das Militär: „Heute standen sich in dem gehirnpotenzierten Kriegsakademiker und dem als Ersatzreservisten eingezogenen Fabrikarbeiter zwei fremde Welten gegenüber.“ (Stu, 27) Und über Militär und Staat (später wird Jünger von der „totalen Mobilmachung“ sprechen): „Man mußte allerdings zugeben, daß heute die Verhältnisse anders waren als früher. Schon die Entfernungen machten jede engere Fühlung unmöglich. Und auch hier machte sich geltend, daß nicht mehr ein Organ des Staates, sondern der Staat als Ganzes im Kampfe stand.“ (Stu, 28) Auch beschäftigen den Reflektanten Widersprüche: „War ein größerer Gegensatz denkbar als zwischen einem Menschen, der sich liebevoll in Zustände versenkte, in denen das noch flüssige Leben sich um winzige Kerne ballte, und einem, der kaltblütig auf höchstentwickelte Wesen schoß?“ (Stu, 25) Oder: „,Da schießt sich nun einer aus Angst vorm Tode tot. Und andere haben sich totgeschossen, weil sie nicht als Freiwillige angenommen wurden. Ich verstehe das nicht.‘“ (Stu, 9) Aber Jünger scheint nicht aus seiner Haut zu können. Die vollkommen internalisierte Kriegsethik bejahte ganz, was die Vernunft hätte verneinen müssen – „Im Kampf war er tapfer, nicht aus einem Übermaß an Begeisterung oder Überzeugung, sondern aus einem feinen Ehrgefühl, das die leiseste Anwandlung von Feigheit als etwas Unsauberes von sich wies.“ (Stu, 17) Sie schuf eine Haltung, die alle sich aufdrängenden Widersprüche zu entschärfen versucht, eine „seltsame Mischung von Gebundenheit und Freiheit“ (Stu, 38), die Möglichkeit der „freie[n] Entfaltung der Persönlichkeit inmitten der straffsten Bindung, die man sich denken kann“ (Stu, 40). Die bei Jünger diagnostizierte Attitüde einer décadence (Rainer Gruenter über Jüngers Dandyismus24 ) pflegte auch einen eigenwilligen Eskapismus: Die Literatur bot „die Flucht aus der Zeit“ (Stu, 17); Juvenal (Decimus Lunius Luvenalis), François Rabelais, Li-tai-pe, Honoré de Balzac und Joris-Karl Huysmans waren die Garanten für die „Freude am Duft des Bösen aus den Urwäldern der Kraft“ (Stu, 15). Eine abwegige Parallelität könnte auch als dandyistische Provokation verstanden werden, nämlich wenn Jünger die sexuelle Spannung mit der Spannung vor dem Sturmangriff gleichsetzt (Stu, 64 f.). Das fundamentale Ereignis Krieg weitet sich auf sämtliche Lebensbereiche aus: „Er wußte, daß Auge Blitz, nicht Spiegel, Auftreten Angriff, Sprache Vergewaltigung sein muß, um Menschen zu beeindrucken.“ (Stu, 67 f.)
24 Siehe Rainer Gruenter: Formen des Dandysmus [sic!]. Eine problemgeschichtliche Studie. In: Euphorion. H. 46, 1952, S. 170–201.
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Der seltsam anmutende Charakter einer Landschaft, in die der Mensch mit seiner Kriegstechnik nachhaltig eingegriffen hat, löst bei Leutnant Sturm trotz vorhandenem Widerwillen Faszination aus (Stu, 20 ff.). Daneben mögen die eingehenden Naturbeobachtungen auch für Zerstreuung vom mürbemachenden Kriegsdienst gesorgt haben. In der Erzählung füllen sie bedingt die Ruhepausen aus: „Die Flora des Landes hatte sich seltsam verändert, seitdem nicht mehr die Sense darüberging. […] Und auch die Tierwelt machte die Verwandlung mit.“ (Stu, 22) Die Überleitung in die zeitdiagnostische Konklusion ist für den leidenschaftlichen Reflektanten typisch: „Das alles hatte der Mensch gemacht. In seiner Seele ging eine Wandlung vor, und die Landschaft bekam ein neues Gesicht.“ (Stu, 23) Am 31.8.1923 nahm Jünger seinen Abschied von der Reichswehr und ging von Hannover zu einem Studium der Zoologie und Philosophie nach Leipzig. Jünger hörte Vorlesungen bei den Professoren Hans Driesch und Felix Krüger, Letzterer versuchte, ihn zu einer wissenschaftlichen Laufbahn zu überreden. Einen freundschaftlichen Kontakt pflegte er zu dem Privatdozenten Hugo Fischer, eine skurrile Persönlichkeit, die auch im Kontext der Entstehungsgeschichte von Jüngers Großessay „Der Arbeiter“ genannt wird.25 Für Jünger schien aber die Politik wichtiger zu sein als die Wissenschaft. Für eine kurze Zeit (1923/24) übernahm er die Landesführung Sachsen des Freikorps Roßbach – „Bei Roßbach hatte ich Lehrgeld bezahlt.“ (JdO, 254) Arnolt Bronnen berichtet, Hitler habe, durch Jüngers Publikationen aufmerksam geworden, den Verfasser dieser Schriften in Leipzig besucht – „Jünger hatte ihn herauskomplimentiert, ihm war der Mann zu laut und plebejisch gewesen.“26 Dagegen behauptet Armin Mohler, die geplante Begegnung in Leipzig im Juni 1926 sei nicht zustande gekommen, Hitler habe wegen einer Änderung seines Reiseweges im letzten Moment absagen müssen (Sch, 85).27 Zwischenzeitlich – von Februar bis April 1925 – hielt der „Studiosus cand. Zool., Ltn. a. d.“ sich im Rahmen seines Zoologiestudiums mit der Schwester Johanna Hermine (Hanna) am Aquarium der Zoologischen Station Neapel auf (AH1, 76–92); im August 1925 heiratete er Gretha von Jeinsen und im Mai 1926 wurde der erste Sohn Ernst (Ernstel) geboren. Zwischen September 1925 und März 1926 lagen erste publizistische Tätigkeiten, die Jünger als federführender Mitarbeiter bei dem Organ „Die Standarte“, einer Sonderbeilage des „Stahlhelms“, verfolgte, dessen
25 Siehe Heiko Christians: Hugo Fischer. Arbeits- und Denkgemeinschaft mit Ernst Jünger. In: Matthias Schöning (Hg.): Ernst-Jünger-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart/Weimar: Verlag J. B. Metzler, 2014, S. 361 ff. 26 Arnolt Bronnen: Arnolt Bronnen gibt zu Protokoll. Beiträge zur Geschichte des modernen Schriftstellers. Hamburg: Rowohlt Verlag, 1954, S. 190. 27 In einem Interview behauptete Jünger später, er habe für Hitler keine Zeit gehabt. Siehe Antonio Gnoli. Franco Volpi: Ernst Jünger. Die kommenden Titanen. Gespräche. Wien/Leipzig: Karolinger, 2002, S. 26. Offenbar wieder einer von Jüngers „gepflegten Irrtümern“.
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Tenor das Engagement für die kommenden Jahre kennzeichnete: „Beiträge zur geistigen Vertiefung des Frontgedankens. […] Wochenzeitschrift des Bundes der Frontsoldaten“. Im Mai 1926 brach Jünger sein im Oktober begonnenes Studium ab, um sich ganz als freier Schriftsteller zu betätigen.
Das Wäldchen 125, 1924/25 Das Publikationsjahr 1925 lässt sich mit gleich zwei Kriegstagebüchern belegen, wobei das erste, „Das Wäldchen 125“, schon im Herbst 1924 ausgeliefert wird, aber wie das folgende, „Feuer und Blut“, das Erscheinungsdatum von 1925 trägt. Vordergründig bezieht sich der Tagebuchessay „Das Wäldchen 125“ auf einen Ausschnitt der „Stahlgewitter“ („Englische Vorstöße“, St, 250–266), die letzten Gefechte im Sommer 1918 kurz vor der deutschen Niederlage. Der Kampf um das „Wäldchen 125“, einen strategisch unbedeutenden Fleck auf der Generalstabskarte, hat für Jünger die Bedeutung eines „örtlichen Symbols der Macht“ (Wä, XI, 228). Es geht hier nicht um nachgereichte, ausformulierte Tagebuchreminiszenzen, sondern in erster Linie um eine gezielte Auswertung des Erlebten und vor allem des Reflektierten. „Das Wäldchen 125“ ist ein Vademecum für den Frontliebhaber, eine mit Pathos und Sendungsbewusstsein verfasste programmatische Erbauungsschrift für die kommende Kriegsgeneration. Das hinreichend von Jünger beschworene Kriegserlebnis, mit dem Prädikat des Selbsterlittenen versehen, dauerkonserviert und instrumentalisiert, hat Zweck und Ziel: Ich glaube, das Erlebnis dieser Zeit wird manche Fäden wieder anknüpfen, die zerrissen waren. Wir brauchen die bewußte, selbstverständliche männliche Kraft […]. Und vor allem Verwirklichung des Gedankens, daß das Vaterland ist wie die Luft, in der wir alle atmen. […] wir haben wieder Dichter nötig wie Eichendorff und Schenkendorf […]. Das, was ein Teil der deutschen Jugend vor dem Kriege aus einer unbewußten Sehnsucht, aber aus eigner Kraft heraus begonnen hat, muß fortgesetzt werden: Wanderungen ins Land, in kleinen Verbänden, die auf die Kameradschaft gegründet sind. (Wä, 132 f.)
Und: Die Zeiten der Aufklärung sind vorbei, der Krieg vollendet ihren Untergang, er wirft uns mit Notwendigkeit auf das Gefühl zurück. […] Der behördlich wohlgeregelte Patriotismus ebensowohl wie die Kräfte, die sich ihm gegenüberstellen, müssen von einem dämonisch aus allen Schichten auflodernden Glauben an Volk und Vaterland verschlungen, jeder anders Fühlende muß mit dem Brandmal des Ketzers behaftet und ausgerottet werden. Wir können gar nicht national, ja nationalistisch ge nug sein. (Wä, 185)
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Und: „Uns ere Linie ist klar, wir wollen wieder Verbindung mit Blut, Boden und Gefühl.“ (Wä, 161) – Dieses Elaborat ist einer Hommage an den 1914 gefallenen Heimatschriftsteller Hermann Löns entnommen (Wä, 151–162). Ein Großteil der historisierenden und teils sehr polemisch, teils äußerst aggressiv vorgetragenen Reflexionen lesen sich wie ein erster Entwurf zur 1930 veröffentlichten Schrift „Die totale Mobilmachung“ oder wie ein Propädeutikum zum essayistischen Hauptwerk „Der Arbeiter“ (1932), wobei Jünger nicht nur philosophiert, sondern, ganz im Metier der Gefechtsvorschriften zu Hause, mit Veränderungsvorschlägen aufwartet. Die Themen sind vielfältig: der „moralische Faktor“ bei Motivationsfragen (Wä, 30 f.), die „wichtigen Aufgaben der modernen Psychologie“ (Wä, 165, 189), Sinn und Bedeutung von Exerzierübungen (Wä, 69 f.), der Tagebucherinnerungswert für zukünftige Kriegstagebuchschreiber (Wä, 59 ff.), der Beruf des Offiziers (Wä, 72 ff.), die prekäre Lage bei Disziplinlosigkeiten (Wä, 180 ff.) – die Jünger in einem fiktiven Brief an den Bruder erörtert (Wä, 179–187) –, das anzustrebende Verhältnis zwischen Soldat und Maschine (Wä, 88 f., 115 ff.) etc. Neben anderen militärwissenschaftlichen Aspekten und Einzelthemen streut Jünger zwischen die erzählenden und referierenden Passagen paradigmatische Spekulationen, die den Zweck verfolgen, den humanistischen Kulturbegriff zu diffamieren (Wä, 115). Mit augurenartiger Gewissheit setzt er das vermeintlich ewige Weltgesetz der aufeinander bezogenen Zweiheit ins Bild, darin das vitale Leben gepriesen und gegen den Abglanz einer vergänglichen Kultur (Wä, 50) ausgespielt wird: Kennen wir denn heute noch den Geist der Jagd in unseren Revieren, in denen sich kein großes und kampfhaftes Tier mehr halten kann? Sie ist ein Sport geworden […]. Vielleicht ist etwas von ihrem Geist in das hohe Spiel übergegangen, in dem noch immer Zufall und Beute das Höchste sind […]. Denn dem wahren Spieler ist nicht der Gewinn das Wesentliche, sondern Einsatz und Wurf, bei dem Verlust und Sieg sich in ein einziges Gefühl zusammendrängen. Er verlangt viel, er will den Triumph des Jägers empfinden und die Angst der Beute zugleich. Wohl dem, der, um solche Gefühle zu erleben, nicht auf das Spiel, diesen flachen Spiegel des Lebens und des Schicksals, angewiesen ist! Bei allen großen Leidenschaften, wo immer Liebe oder Kampf das Blut bewegen, fühlt man sich und den anderen dazu. In diesen Augenblicken des Rausches tritt man in eine höhere Ordnung ein, das Verständnis des Hirns wird durch das des Blutes ersetzt, man erfaßt den Menschen, dem man als Freund oder Feind gegenübersteht, wie ein anderes Ich. (Wä, 108)
Wehmütig überdenkt Jünger den anachronistischen Krieg, „wo die Entscheidung wirklich noch Mann gegen Mann ausgetragen wurde“ (Wä, 232). Mit großer Anteilnahme schildert er die Desinvolture der letzten Ritter des fairen Kampfes, jene todesverachtenden Kampfflieger, die wie Dandys ihrem „eleganten Sport“ (Wä, 79) nachgehen: „Nur in den ihnen unterworfenen Bereichen der Luft ist heute noch der Zweikampf möglich, und damit jene Ritterlichkeit, die unten bei den Massenheeren
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verlorengehen mußte, weil sie immer nur bei den Wenigen zu Hause ist.“ (Wä, 62) Der Dandy vereint alle Distinktionen, mit denen sich Jünger identifizieren kann: Der unausbleibliche Höhepunkt ist eine Dekadenz, oder besser ein Dandytum, das in seltsamem Gegensatz steht zu der furchtbaren Kraft, die es maskiert. Wenn sie in leichten, offenen Röcken, mit weichem Kragen und Schlips […] beisammensitzen, so sprechen sie über Leben und Sterben mit derselben Frivolität, mit der der Kavalier des ancien régime über die Liebe sprach. Diese Achtlosigkeit, die sich solange am Wort berauscht hat, daß nur der einfachste Ausdruck ihr nicht lächerlich erscheint, die sich zu Paradoxen schleift und in Cynismen [sic!] zerspritzt, ist das Resultat jeder großen und lang genossenen Passion. (Wä, 79)
Aber Jünger betreibt keine Donquichotterie, er weiß den fortschreitenden Einfluss der Technik auf seine Weise zu bejahen, utilitaristisch wie auch ästhetisch. Es finden sich zahlreiche Textstellen, die sich unter dem Leitgedanken „Und so ist auch die Maschine gesteigerte Macht“ (Wä, 127) futuristisch deuten lassen (Wä, 7, 19, 43, 79, 122, 151). Euphorisch, widerspruchsfrei und recht naiv schwärmt Jünger vom Einsatz der von Menschen beherrschten Maschinen in der Wirkungssphäre des Militärs (Wä, 118 ff.). Ästhetisch überhöht beschwört er in den Bildern einer sterbenden Epoche die Übereinstimmung von Maschine und Mensch: „Sie [die beneideten Kampfflieger] sehen den Feind vor sich nicht als Kraft, die sich hinter ihrer Wirkung verschleiert, sondern als bewaffnete Einheit aus Maschine und Mensch.“ (Wä, 62) Jüngers Drohungen sind an die Adresse der bürgerlichen Gesellschaft gerichtet – „Diese Zeiten der ruhigen Mieter sind vorbei.“ (Wä, 193) Ihr wird emphatisch entgegengehalten, den Krieg unhinterfragt als Naturgesetz zu begreifen – „Kriege müss e n von Zeit zu Zeit stattfinden, in ihnen spricht sich der Wille der Natur aus“ (Wä, 176). Die Forderung, die gesamte Bevölkerung unter die Kuratel des Militärs zu stellen, ist da nur logische Konsequenz. Deshalb ist eine Diktatur der Generalität auch sein politisches Programm („Daher habe ich auch den Plan, den ich vor dem Kriege hegte, ins Ausland zu gehen, aufgegeben“, Wä, 180): „Die Gliederung aller Deutschen in das große Hundertmillionenreich der Zukunft, das ist ein Ziel, für das es sich wohl zu sterben und jeden Widerstand niederzuschlagen lohnt.“ (Wä, 186) Oder: „Nur im Nationalen liegt unsere Wiedergeburt.“ (Wä, 190) Wie unter einem Fieber, den anfallenden Zweifel ausräumen zu müssen, man könne sich nicht irre machen lassen, fordert Jünger den Schulterschluss aller Deutschen, um der Versuchung der Widersprüche (Wä, 172, 187) zu widerstehen. Der Krieg sei kollektives Erprobungsfeld, hier könne sich beweisen, ob das deutsche Volk fähig sei, „Machtwille, durch Herz, Opferfreudigkeit und Entschlußkraft“ (Wä, 55) leisten zu können. Gelegenheit dazu werde es geben: „Auch an uns wird wieder einmal die Reihe kommen“ (Wä, 178). Oder an anderer Stelle: „Was wären wir ohne diese verwegene und rücksichtslose Nachbarschaft, die uns alle fünfzig Jahre den Rost von den Klingen fegt?“ (KiE, 62) Die Vision der Vereinheitlichung des gesam-
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ten gesellschaftlichen Lebens meint auch dessen Vereinfachung. Mit ihr wünscht sich Jünger aus der unüberschaubaren, mitunter chaotischen Situation des zivilen Alltagslebens zurück in den streng militärisch geordneten Grabenalltag: Im Grunde war ich doch ganz zufrieden, denn obwohl ich ja nie große Sorgen gehabt habe, so habe ich doch nie so sorgenlos gelebt wie im Felde. Alles ist klar und einfach, meine Rechte und Pflichten sind militärisch geregelt, ich brauche kein Geld zu verdienen, Verpflegung wird geliefert, wenn es mir schlecht geht, habe ich tausend Leidensgefährten, und vor allem löst sich unter dem Schatten des Todes jede Frage in eine angenehme Bedeutungslosigkeit auf. (Wä, 6)
Die Textlandschaft weist einige Besonderheiten auf, die nicht neu sind, aber Jüngers Festhalten an bestimmten Vorlieben und Eigenschaften dokumentieren bzw. erhärten. Ernst Jünger ist ein Augenmensch, wie er selbst einmal in einem Gespräch seinen Freunden offenbarte:28 „[…] nichts könnte ihn tiefer treffen, als wenn man seine Augen zerstörte“.29 Das Betrachten, die Gabe, einen „mikroskopischen Ausschnitt“ (Wä, 68) wahrnehmen zu können, erhielt durch die grausigen Bilder des Krieges eine psychologische Dimension: Obwohl der Krieg jetzt schon sehr lange dauert, und ich hunderte, ja tausende von schweren Verwundungen, von sinnlos verrenkten Körpern und ganze Felder voll Leichen gesehen habe, habe ich mich doch an diesen Anblick nie gewöhnen können. Ich muß jedesmal dieselbe Anstrengung machen, um ihn zu überwinden. Wie das geschieht, ist mir selbst nicht ganz klar; es ist ungefähr so, als ob ich einen nahen Gegenstand nicht deutlich sehen möchte und die Augen auf die Ferne einstelle, während ich auf ihn blicke. Es ist die Abstraktion des Soldaten, die schwieriger ist als die des Arztes, weil der Arzt das als Objekt sehen darf, worin der Soldat das eigene Schicksal erblickt. (Wä, 140)
Es ist wohl keine psychologische Sophistik, von diesem Phänomen auf Jüngers Vorliebe für skurrile Situationen zu schließen. Jünger selbst gibt Auskunft: Wenn man lange in diesen Gegenden gelebt hat, die für die Welt vielleicht eine einmalige und nie wiederkehrende Erscheinung darstellen, drängt sich eine tiefe Verbindung auf vom Humor zum Grausigen, die sich beide in Grotesken schneiden und die sich vereint zuweilen auch im Persönlichen offenbaren, in blutigen Zynismen, die in jedem anderen Munde als dem von zum Tode Verurteilten undenkbar wären, aber die für die Kenntnis des Menschen sehr beachtlich sind. (Wä, 216)
28 Siehe Friedrich Hielscher: Fünfzig Jahre unter Deutschen. Hamburg: Rowohlt Verlag, 1954, S. 114. Friedrich Georg Jünger schreibt: „Mein Vater war ein Ohrenmensch, meine Mutter ein Augenmensch, und Ernst hatte die Augen von ihr bekommen.“ Friedrich Georg Jünger: Spiegel der Jahre. Erinnerungen. München: Carl Hanser Verlag, 1958, S. 11. 29 Vgl. Ernst Niekisch: Gewagtes Leben. Begegnungen und Begebnisse. Köln/Berlin: Verlag Kiepenheuer & Witsch, 1958, S. 127.
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Ein Capriccio kann als Anschauungsbeispiel gelesen werden: Gleich vor dem Bahndamm sah ich ein Bild, das trotz seinem Ernst doch recht komisch schien. Ein Artilleriekommando benutzte die helle Nacht, um von einer Bergkuppe das Gras zu mähen, die arbeitenden Leute mit ihren Wagen und Pferden hoben sich wie eine Scherenschnittgruppe vom Himmel ab. Gerade als ich im Tale vorüberkam und mich darüber freute, schlug eine Gruppe leichter Granaten zwischen ihnen ein, und nun waren alle, Pferde und Menschen, wie ein Spuk verschwunden, nur die Umrisse eines umgestürzten Wagens hoben sich noch vom Horizont. (Wä, 82)
Feuer und Blut, 1925 Das schmale Bändchen „Feuer und Blut“ schließt den Zyklus der Erste-WeltkriegsTagebücher ab. Formal lässt sich eine Akzentverschiebung feststellen. Im Tagebuch „In Stahlgewittern“ gliedern noch Überschriften die Aufzeichnungen, in „Das Wäldchen 125“ hingegen werden an deren Stelle schon Kürzel eingesetzt und schließlich in „Feuer und Blut“ nur noch römische Ziffern verwendet. Ort und Zeit werden sekundär, das konkrete Geschehen aus der Verankerung des Kontextes herausgelöst, um die Historisierung der Weltkriegsereignisse voranzutreiben. Das Exemplarische wird wesentlich, es dient der Instrumentalisierung. Die programmatische Ausrichtung wird nicht verschwiegen: „Die Männer, für die ich schreibe, wissen, daß hier nicht von einem persönlichen Schicksal, sondern von einem allgemeinen, und nicht von vergangenen Dingen, sondern von zukünftigen die Rede ist.“ (FB, 7) Im Vorwort zur zweiten Auflage (1926) fasst Jünger sein „nationalistisches Programm“ schon konkreter zusammen: „Vaterlandsliebe, Kameradschaft, Mut und Disziplin werden in ihm [dem neuen Staat] zum Ausdruck gebracht werden, oder mit anderen Worten, er muß national, sozial, wehrhaft und autoritativ gegliedert sein.“ (FB1, 10) Herausgegeben wird dieses Buch bezeichnenderweise in der Reihe „Die Grauen Bücher“ des Stahlhelm-Verlags in Magdeburg; die zweite, veränderte Auflage erscheint 1926 im Frundsberg-Verlag, herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Franz Schauwecker. In der tagebuchartigen Erzählung „Feuer und Blut“ – eine Art „Realerzählung“, nicht fiktiv, nicht diaristisch, nicht essayistisch, sondern eine szenische Bearbeitung eines Ausschnittes aus „In Stahlgewittern“ („Die große Schlacht“, St, 218–250) – beschreibt der monologisierende Erzähler aus seiner Perspektive die Märzoffensive in Nordfrankreich im Kriegsjahr 1918. Der Handlungsverlauf wird nur durch wenige reflektierende Einsprengsel unterbrochen; in diesen paraphrasiert Jünger seine Kriegsmetaphysik: Es ist schön, fest auf dem gewachsenen Boden zu stehen, und in der eigenen kleinen Existenz den Kraftstrom lebendig zu fühlen, den wir Geschichte nennen. Hier strahlt das Gefühl aus der Erde selbst empor und spricht sich in Taten von zwingender Notwendigkeit aus […]. Was sind dagegen jene Mondscheingefühle, die erst über den Umweg des Gehirns gegangen sind? (FB, 21)
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Auch seine Kriegsapologetik ist hier ungebrochen eingegangen, einmal nüchtern den reinen Arbeitscharakter hervorhebend: „Unsere Arbeit heißt töten, und es ist unsere Pflicht, diese Arbeit gut und ganz zu tun“ (FB, 31); andermal in Form von überschwänglichem, romantisierendem Lobgesang („Singen, Beten und Jubeln, Fluchen und Weinen – was wollen wir mehr?“, FB, 53), der mit einer Hommage auf den „Gallier“ Arthur Rimbaud anhebt (FB, 52); oder in der verräterischen Sprache des Unbewussten, in dem nur der Kontext den Autor vom Verdacht freispricht, einen Zeugungs-, nicht einen Vernichtungsakt gepriesen zu haben: Hier sollen neue, bündige Siegel gedrückt werden in das flüssige Wachs der Welt. […] Jeder sieht auf den ersten Blick, daß es keine kleine Sache ist, für die hier gezeugt werden soll, gezeugt durch Feuer und Blut. […] Noch hat es Besinnung, noch ist es wie eine geladene, aber schon gerichtete Batterie. […] Aber bald soll es ausgegeben werden, […] soll es seine feurige Entladung finden. Dann wird es mit dem Fremden in glühender Verschlingung sich berühren, dann muß die Idee in ihrer Verwirklichung zeigen, ob sie jedem vorhandenen Maßstabe gewachsen ist. Dann müssen wir als ihre vergänglichen Träger ihr die blutigen Gassen brechen […]. Ob sie reif genug geworden ist, die ganze Erde zu umfangen […]. Da wird sich erweisen, ob wir zu jenen härtesten Völkern gehören […]. Ob wir zum Todesgange schreiten oder zum Hochzeitgang. (FB, 71 f.)
Metaphorisch wieder an anderer Stelle: „Jeder Einzelne ist geladen und gerichtet, wie die Rohre der Geschütze geladen und gerichtet sind.“ (FB, 105) Oder: „Und wieder setzt der Geist zu einer seiner furchtbaren, sich rhythmisch wiederholenden Geburtswehen an“ (FB, 128). In den ersten beiden Abschnitten sind melancholische Retrospektiven festgehalten, denen sich der tagebuchführende Einzelgänger während eines Spazierganges abseits vom Kompanieleben hingibt; die sich anschließenden vier Abschnitte sind der persönlichen Schilderung des Angriffsgeschehens im Rahmen der Großoffensive vorbehalten. Die Metaphern „Feuer“ und „Blut“ kennzeichnen das eigentliche Thema: „Feuer“ steht für das Material, für die Maschine, deren Einfluss auf den Kriegsverlauf entscheidend wird – „Blut“ steht für den Menschen, der sich nach Jüngers mythologischen Vorstellungen (und in Anlehnung an Oswald Spengler) schicksalhaft einfügt in den naturgesetzlich determinierten Geschichtsverlauf. Intendiert ist eine völlige Kohärenz, die Verschmelzung von „Feuer“ und „Blut“ zu einer gut funktionierenden Megamaschine (die „prächtigen Wallungen des Blutes [und] der kühle wägende Verstand“ – „Das sind zwei Reiche, deren Wirkungen sich seltsam ineinanderweben. Spannung und Besinnung, Explosion und Kompression, dunkles Blut und helles Feuer, das ist der große Motortakt der beseelten Maschinerie einer Schlacht.“ (FB, 141) Am Beispiel der willfährigen Integration des Einzelnen in den exakt verlaufenden Vorgang eines mechanischen Räder- bzw. Uhrwerkes wird dieses eindrucksvoll gestaltet – hier wie ein futuristisches Drama:
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Der Sturmangriff, bei dem der Leutnant seinen Mantel auszieht (FB, 117), ist konsekutiv auf zwei Angriffswellen abgestimmt, dem eigentlichen Vormarsch geht der Artilleriebeschuss voraus: Eine immer kürzere Spanne trennt uns von dem Zeitpunkt 505 , an dem der Kampf der Artillerien beginnen soll. […] Unten werden schon die Minuten gezählt. Jetzt ist es 504 . Streichhölzer flammen auf. Wir müssen sehen, wie der Sekundenzeiger seine letzte Wanderung beginnt. Und jetzt ist es 505 ! Ein flackernder Schein fährt in den Stollenhals, von einem einzigen, nie erlebten Aufbrüllen gefolgt, das in einem Augenblick zu absoluter Stärke anspringt wie der Gang eines riesigen Motors, dessen einzelne Touren nicht mehr zu hören sind. […] Jede Sekunde will die vorhergehende in ihrem glühenden Rachen verschlingen […]. Wir drängen aus dem Stollen heraus […]. Ja, wir sind auch besessen, besessen von dem überwältigenden Willen, der sich in dieser Feuerlandschaft offenbart […]. Jeder brennt darauf, um 940 zum Sturm anzutreten. Um 825 setzen die schweren Minenwerfer ein. […] Nur der kleine Kreis der Uhr an meinem Handgelenk ist noch Wirklichkeit. […] Es gibt nur noch ein wirbelndes System von Kraft, in das Landschaft und Menschen funktional einbezogen sind. Und es gibt einen Zeitpunkt, 940 , an dem dieses System in eine neue Gesetzlichkeit eintreten wird. 940 , das ist die Achse in diesem phantastischen Werk, in dieser rasenden Orgie des Lebens, in der sich der Kampfwille Mitteleuropas manifestiert. Bis dahin spricht der Wille durch Feuer, dann spricht er durch Blut. […] Aber der Zeiger der Uhr rückt ununterbrochen vor. […] Der Sekundenzeiger, dieses kleinste Stückchen Stahl in diesem stählernen Meer, macht seine letzte Tour. […] Und da geschieht es! Die spritzende Wand der schweren Minen ist mit einem Schlage wie weggewischt […]. Jetzt ist die Reihe an uns! […] Schnell, nur schnell, jetzt muß getötet werden! Jetzt gibt es nur eine Erlösung, eine Erfüllung und ein Glück: Das fließende Blut. (FB, 99-113)
Am Ende des Krieges ist die von Jünger begrüßte Abstimmung zwischen Mensch und Maschine abhandengekommen, der wohlgeordnete, dramatische Angriffsablauf ins Stocken geraten: „Der Takt zwischen den Massen und dem Material ist verloren gegangen, die Rüstung zur Fessel geworden.“ (FB, 151) Divinatorisch nimmt Jünger die mythologisch verstandenen „Übergänge“ wahr: „Es gibt im Strome der Zeit, in diesem unaufhörlichem Werden, das uns umgibt, Augenblicke, in denen wir rasten und plötzlich erkennen, daß etwas ge word e n ist.“ (FB, 9) „Man kann es nur fühlen, aber immer wird sich das Gefühl längst vor der Erkenntnis erheben, daß mit der Wandlung des Krieges eine Wandlung überhaupt beginnt.“ (FB, 32, 70) Und: „Man tritt aus der farbigen Welt der Empfindungen in die blassere der Begriffe ein, und wie aus einem tiefen Traume erwacht, sucht man sich wieder im Raume zu orientieren, sich von ihm abzuheben, mit dem man eben noch völlig verschmolzen war.“ (FB, 140) Oder: „Seltsam stoßen hier zwei Reiche zusammen, die sehr verschieden sind und doch denselben Rahmen erfüllen: Das Schicksal und die Kausalität. Hier kann ich schon wieder sagen: ,Wir haben die Straße erreicht‘, aber dort vorn heißt es: ,Wir haben sie umgebracht.‘“ (FB, 188) Jünger beschreibt außerordentliche Bewusstseinszu-
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Eine Kriegskarriere mit Nachwirkungen
stände, die sich zunächst im konkreten Kontext, ergo situationsbezogen, verstehen lassen – ein Beispiel beschreibt die Wandlung, ähnlich der von Dr. Jekyll zu Mr. Hyde: Ich fühle, wie mir das Blut siedend in das Gesicht geschossen ist, wie sich die Zähne aufeinanderpressen, und wie die hellen Tränen unaufhaltsam über das Gesicht hinunterfließen. Die Augen haben schon einen spähenden, zielenden Blick angenommen, und geduckt, wie gefährliche Tiere vor dem Ansprung, hasten wir immer eiliger durch den Raum. (FB, 114)
Aber Jünger begnügt sich nicht mit der Beschreibung solcher „Übergänge“. Was Jünger zu erkennen, besser zu erfühlen glaubt, sind nach seinem Verständnis „erdgeschichtliche“ Veränderungen, die er als Berufener exemplarisch artikuliert.30 Mit dem Begriff des „Gewordenen“ feiert der Futurist Jünger wie Filippo Tommaso Marinetti („Manifest des Futurismus“) ästhetisierend und affirmativ die „Ankunft“ des neuen Funktionszusammenhangs: „Ja, die Maschine ist schön, sie muß schön sein für den, der das Leben in seiner Fülle und Gewaltmäßigkeit liebt.“ (FB, 66) Dieser Zusammenhang wird von Jünger nicht nur in „Einheit von Werkzeug und Arm“ (FB, 128) als Organersatz begrüßt: „Alles ist eintönig, gleichmäßig und grau. Alles ist nüchtern und zweckmäßig wie der Gang einer Maschine, die im Schwunge ist.“ (FB, 66) „Und vor uns, als unsere stärkste Waffe und als Symbol unserer Macht steht die turmhohe Wand aus Feuer und Stahl. Sie ist unser Ebenbild in diesem Augenblick: Ein Ganzes, und doch aus glühenden Atomen zusammengesetzt.“ (FB, 127) Leicht lässt sich Jüngers Engagement als Dienstwilligkeit für eine revanchistische Politik interpretieren, insbesondere die Emphase und Ausschließlichkeit, mit denen er vorging. Sich mit diesem Urteil anzufreunden, gibt Jünger in seinen feuilletonistischen Arbeiten der zwanziger Jahre hinreichend Anlass. Liest man aber Jüngers Texte nicht ausschließlich ideologiekritisch, ergo genuin aus heutiger Anschauung, sondern vielmehr als ein Zeitdokument, kann man ex post vielleicht nachvollziehen, wie ein nicht geringer Teil der Erste-Weltkriegs-Veteranen ihr traumatisches Erlebnis verarbeitet haben bzw. – wie man exemplarisch bei Jünger erfahren kann – durch einen gesteigerten Nationalismus zu kompensieren versuchten. Offenbar
30 Helmuth Kiesel hat in einem Sammelband über „Deutsche Offiziere“ diese Feststellung bekräftigt. Er schreibt in Relation zu Henri Barbusse: „Jünger hingegen spricht immer im eigenen Namen und wird für alle Taten und Gedanken, für Rühmliches und Unrühmliches, vom Rezipienten persönlich haftbar gemacht.“ Helmuth Kiesel: Anmerkungen zum Charakter von Ernst Jüngers Kriegstagebuch „In Stahlgewittern“. In: Galili Shahar (Hg.): Deutsche Offiziere. Militarismus und die Akteure der Gewalt. Göttingen: Wallstein Verlag, 2016, S. 94.
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hat der Erste Weltkrieg in toto einen Mentalitätswandel evoziert, den Helmuth Lethen (nicht ganz ohne die philosophische Anthropologie Helmuth Plessners) in seiner „Verhaltenslehre der Kälte“ auch explizit bei Jünger diagnostizierte.31 Jünger besticht durch seine eigentümliche Wahrnehmung, durch seine Fähigkeit, beobachtete Vorgänge scheinbar unbeteiligt zu registrieren und seine Eindrücke mit unbestechlicher Authentizität wiederzugeben. Dass er sich in den Jahren der Weimarer Republik auf einem Irrweg befand, ist nicht zu leugnen, aber durch diesen verstehen wir erst dessen verhängnisvolle Implikationen, die nicht nur eine fragile Demokratie beschädigt haben, sondern auch eine stabile jederzeit gefährden können.
31 Siehe Helmut Lethen: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. Edition Suhrkamp 1884. Neue Folge Band 884, 1994, S. 187–215.
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3. Der nationalistische Skribent
Was Ernst Jünger dartut, der inzwischen ein tüchtiger Kriegsberichterstatter geworden ist, emsig, betriebsam und hopphopp, ist geistig dünn, unterernährt und um so mehr von gestern, als es sich von morgen zu sein gibt. (Kurt Tucholsky, 19301 ) Daß er schreiben kann, erst das macht ihn gefährlich. Seinen Gaben nach gehört er zu uns [...]. (Klaus Mann, 19302 )
Die junge Weimarer Republik in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre erfreute sich einer relativen Prosperität, deren jähes Ende erst mit dem „Schwarzen Freitag“ des New Yorker Börsenkrachs 1929 kam. Die äußerst entbehrungsreichen Nachkriegsjahre schienen halbwegs überwunden; das republikanische Deutschland hatte seine existenzgefährdenden Anfangsjahre erstaunlich gut verkraftet. Just in dieser Phase der Konsolidierung fiel Jüngers politisches Engagement gegen den nunmehr gefestigten Weimarer Staat. Zunächst an der Pleiße, dann ab Juli 1927 an der Spree, galt bis in die dreißiger Jahre, genau bis zur Machtergreifung durch die Nationalsozialisten im Januar 1933, sein ganzes Streben und Schaffen der von ihm mitgetragenen „nationalrevolutionären Bewegung“, die nicht immer eindeutig zu „adressieren“ war.3 Ernst Jünger war nicht nur einer ihrer glaubwürdigsten und geachtetsten Sprecher, sondern darüber hinaus einer ihrer Wortführer, für manche gar ein Spiritus Rector der außerparlamentarisch agierenden „konservativen Revolution“ (Armin Mohler). Der politische Kurs der Massenorganisation des Stahlhelms („Wir sind kein Bund aufgeregter junger Männer!“) und das revolutionäre Engagement ihres hauseigenen Organs „Die Standarte“ wurde zunehmend divergent, sodass als vorläufige Lösung eine relative Eigenständigkeit verabredet wurde. Ernst Jünger trat zusätzlich als Herausgeber in Erscheinung. Zwar ist die Nähe zu den Magdeburger Stahlhelmern, wie der geänderte Titel „Standarte“ anzeigt, noch vorhanden, aber die politische Akzentuierung wurde schon deutlich, denn das mit Helmut Franke, Franz Schauwecker und Wilhelm Kleinau zu verantwortende Publikationsorgan 1 Kurt Tucholsky: Schloß Gripsholm. Auswahl 1930 bis 1932. Berlin: Verlag Volk und Welt, 1985, S. 317. 2 Zit. n. Helmuth Kiesel: Ernst Jünger. Die Biographie. München: Siedler Verlag, 2007, S. 302. 3 Siehe beispielsweise Kurt Hiller: Linke Leute von rechts. In: Die Weltbühne. Berlin. Jg. 28. Nr. 31, 1932, S. 153–158.
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war als „Wochenschrift des neuen Nationalismus“ indiziert. Im Gegensatz zu „Die Standarte“, in der Jünger noch überwiegend auf Themen seiner Weltkriegspublikationen rekurrierte, verfolgte er hier auch politische Themen, „die Bewegung“ unmittelbar betreffend. Der Weltkriegschronist und -reflektant wendete sich somit vermehrt dem politischen Tagesgeschäft zu. Neben dem sachbezogenen Aufsatz dominiert das politische Pamphlet (z. B. „Schließt euch zusammen!“, Standarte, 3.6.1926). Was im April 1926 mit der „Standarte“ im Magdeburger StahlhelmVerlag begann, war schon im August desselben Jahres mit einem Eklat beendet worden. Der Stahlhelmbund trennte sich endgültig von diesen politisch unberechenbaren Verbündeten. Aus dem Bedürfnis nach Unabhängigkeit, Neubeginn und finanzieller Solidität – von nun an unter der Dauerägide des Sponsors Kapitän (Hermann) Ehrhardt – wurde die „Kampfschrift für deutsche Nationalisten: Arminius“ (München) aus der Taufe gehoben. Neben Helmut Franke zeichnete Wilhelm Weiß als Mitherausgeber diese im Selbstverlag im November 1926 erstmalig edierte Publikation, die im Mai 1927 wieder eingestellt wurde. Mit „Arminius“ findet sich die couragierteste journalistische Tätigkeit Jüngers zum weitgefächerten Themenkomplex des politischen Feuilletons. Neben Rezension und tendenziellem Aufsatz – zahlreiche gelten der kritischen Auseinandersetzung mit den Stahlhelmern – stehen Vorabdrucke aus einem 1929 veröffentlichten Buch „Das abenteuerliche Herz“, verfasst unter dem Pseudonym Hans Sturm. Mit deutlichem politischem Abschwung übernahm Ernst Jünger mit Werner Laß von Oktober 1927 bis März 1928 die Herausgabe der in Berlin publizierten Programmschrift „Der Vormarsch. Blätter der nationalistischen Jugend“. Beide Herausgeber übernahmen später, für die Zeit von Januar 1930 bis Juli 1931, „Die Kommenden. Überbündische Wochenschrift der deutschen Jugend“ (Flarchheim). Damit erlosch anderthalb Jahre vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten diese Form der programmatischen Tätigkeit Jüngers. Zahleiche politisch-ideologische Aufsätze, Rezensionen einschlägiger Veröffentlichungen, Vorabdrucke bzw. Nachträge zu eigenen Publikationen finden sich in den verschiedenen Periodika.4 Jüngers damalige Reputation, die sich von seinen Miteditoren und Kampfgefährten abhob, gestattete ihm nicht nur im politisch nahestehenden Lager einige Aufsätze unterzubringen, sondern auch das feindliche Lager bot ihm ein Forum für eine kritische Auseinandersetzung. Somit war Jünger nicht nur Gastautor beim „Völkischen Beobachter“, auch in der von Leopold Schwarzschild herausgegebenen Publikation „Das Tagebuch“ konnte Jünger mit seinem Gastbeitrag „,Nationalismus‘ und Nationalismus“5 (21.9.1929) seine politische 4 Gesammelt in: Ernst Jünger: Politische Publizistik 1919 bis 1933. Hg., kommentiert und mit einem Nachwort von Sven Olaf Berggötz. Stuttgart: Klett-Cotta, 2001. 2013 erschien eine 2., durchgesehene Auflage. 5 Siehe ebd. S. 501–509.
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Haltung einem größeren Publikum näherbringen. Hervorzuheben ist allerdings Jüngers Mitarbeit in Ernst Niekischs „Widerstands-Verlag“ (Berlin). In dieser „Zeitschrift für nationalrevolutionäre Politik“ wurden mit auffallender Kontinuität, von 1927 bis 1933, Beiträge von Jünger lanciert. Einen anderen publizistischen Schwerpunkt bilden die Herausgaben von meist großformatigen Bild- und Textbänden bzw. Aufsatzsammlungen „nationalrevolutionären“ Inhalts: die zweibändige „Reihe deutscher Schriften“: „Der Aufmarsch“, die Ernst Jünger in der Eigenschaft als Herausgeber mit seinem Vorwort versieht (der erste Band „Der feurige Weg“ ist von Franz Schauwecker, der zweite Band trägt den Titel „Aufmarsch des Nationalismus“ und wurde vom Bruder Friedrich Georg Jünger verfasst), erschienen 1926; und: „Krieg und Krieger“, 1930, hierin enthalten, neben Jüngers Vorwort, sein Beitrag „Die totale Mobilmachung“. Die übrigen Sammlungen sind Erinnerungsbücher, beigesteuert zur sogenannten Kriegsliteraturwelle oder verstanden als Beiträge mit zeitgeschichtlichem Tenor: „Die Unvergessenen“, 1928, „Der Kampf um das Reich“, 1929; „Das Antlitz des Weltkrieges“, 1930; „Hier spricht der Feind“, 1931 (unter dem Pseudonym Richard Junior herausgegebener Schlussband zum Band „Das Antlitz des Weltkrieges“); „Luftfahrt ist not!“, 1930. Jünger selbst hat seine journalistischen Beiträge nicht in seine zwei Gesamtwerkausgaben (die erste zehnbändige erschien von 1960 bis 1965; die zweite achtzehnbändige von 1978 bis 1983 bzw. 1999 bis 2003) mitaufgenommen. Für viele Kritiker bestand daher kein Anlass, sich mit ihnen dezidiert auseinanderzusetzen.6 Inzwischen aber liegt die von Sven Olaf Berggötz besorgte Arbeit über Jüngers gesamte politische Publizistik, in chronologischer Reihenfolge und hinreichend kommentiert, in zweiter Auflage vor,7 sodass sich der interessierte Leser heute genauestens informieren kann und nicht mehr auf Zitate Dritter angewiesen ist und somit in die Lage versetzt wird, sich selbst einen Überblick zu verschaffen. Eine widerspruchsfreie Haltung Jüngers im Laufe seiner Aktionsjahre 1925 bis in die ersten dreißiger Jahre hinein lässt sich allerdings nicht nachweisen. Die Stoßrichtung seiner Politik als „Fortsetzung des Krieges mit veränderten Mitteln“ (Carl 6 Ausnahmen sind die Untersuchungen des Germanisten Gerhard Loose: Ernst Jünger. Gestalt und Werk. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 1957, S. 351–376; sowie des Politologen Hans-Peter Schwarz: Der konservative Anarchist. Politik und Zeitkritik Ernst Jüngers. Freiburg im Breisgau: Verlag Rombach, 1962, S. 95–197. Natürlich nahmen die ersten Bibliographen Hans Peter des Coudres und später Horst Mühleisen die feuilletonistischen Arbeiten Jüngers in ihren Jünger-Bibliographien auf: Hans Peter des Coudres: Bibliographie der Werke Ernst Jüngers. In: Philobiblon. Jg. IV/3, September 1960, S. 255–260, sowie Bibliographie der Werke Ernst Jüngers. Stuttgart: Ernst Klett Verlag, 1970, S. 50–56, und: Horst Mühleisen: Bibliographie der Werke Ernst Jüngers. Stuttgart: J. G. Cotta’sche Buchhandlung, 1985 (Bd. 43) und 1996 (Bd. 47), unter „Beiträge in Festschriften, Sammelwerken und Periodica“. 7 Siehe S. 43, Anm. 4.
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von Clausewitz) aber war eindeutig: Dem demokratischen Staat im Besonderen und dem Liberalismus im Allgemeinen den Garaus zu machen. Die nahestehenden Massenorganisationen gingen zunehmend auf Legalitätskurs, so der Stahlhelm und die NSDAP, Jünger focht hingegen in kleineren Zirkeln „nationalrevolutionärer Autoren“8 – nach Armin Mohler gehörte Jünger zu den „herausragenden, kategoriensprengenden Autoren“9 –, die unbeirrt sektiererische Pfade beschritten, außerhalb konventioneller Usancen. Jünger propagierte eine „Jugendbewegung der Tat“10 sowie einen „Nationalismus der Tat“,11 der einen „nationalen, sozialen, wehrhaften und autoritativ gegliederten Staat“ zum Ziel habe,12 dessen Idee in „alle Bünde hineingetragen und [für den] ein Kreis von Vertrauensmänner gebildet werden“ müsse, „denn nur in diesen Bünden deuteten sich in Deutschland die modernen Gebilde der Gefolgschaften an, die berufen sind, zunächst den Staate im Staate und dann den neuen Staat selbst zu verkörpern.“13 In seinem Aufsatz „Vom Geiste“14 wird eine genuin irrationale, wissenschaftsfeindliche, ganz vom Vitalismus beherrschte Weltanschauung in Form von unüberbrückbaren Gegensätzen („Gefühl“ kontra „Bewusstsein“) deutlich; und hinsichtlich der politischen Eindeutigkeit lässt Jünger keine Zweifel aufkommen: Hinter dieser ganzen feinen, dünnen und unfruchtbaren Geschäftigkeit im lebensarmen Raum [gemeint ist die bürgerliche Gesellschaft] steht schon das Schwert, das alle Diskussionen beendet und dessen Schärfe sich durch keine Theorien mildern läßt. Während in allen Beratungszimmern des Intellekts noch gemessen, gewogen und geklügelt wird, pocht unten schon die gepanzerte Faust gewaltig gegen das Tor, und mit einem Schlage sind die schwierigsten Probleme gelöst. Das Leben wertet die ungebrochene Kraft des letzten Barbarenvolkes höher als die Summe der Arbeit des freien Geistes. Und das Leben hat recht.15
Nach den Willensbekundungen der Verfechter dieser „nihilistischen Revolution“, ihrem Wesen nach ein „konsequenter Dynamismus“,16 sollte mit entschiedenem Nachdruck beschleunigt und vollendet werden, was zwangsläufig auf Selbstvernich-
8 Siehe Armin Mohler: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932. Ein Handbuch. Graz/Stuttgart: Leopold Stocker Verlag, 1999, S. 331 f. 9 Vgl. ebd. S. 457 f. 10 Vgl. Ernst Jünger: Politische Publizistik 1919 bis 1933. Hg., kommentiert und mit einem Nachwort von Sven Olaf Berggötz. Stuttgart: Klett-Cotta, 2001, S. 246–250. 11 Vgl. ebd. S. 250–257. 12 Vgl. ebd. S. 251. 13 Vgl. ebd. 14 Siehe ebd. S. 320–325. 15 Ebd. S. 325. 16 Vgl. Hermann Rauschning: Die Revolution des Nihilismus. Kulisse und Wirklichkeit im Dritten Reich. Zürich/New York: Europa Verlag, 1938, S. 95.
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tung hinauslaufe. In Alfred Kubins pessimistischer Vision „Die andere Seite“ (1909) war für Ernst Jünger auf vorbildliche Weise der unaufhaltbare Verfall der bürgerlichen Gesellschaft vorgezeichnet. Im Werk „Das abenteuerliche Herz“ (1929) deutet Jünger diese Nachtseite verschlüsselt an: „In Zeiten der Krankheit, der Niederlage, werden die Gifte zum Medikament“ (AH1, 197). Unverschlüsseltes hingegen findet sich in seinem Großessay „Der Arbeiter“ (1932): „Die beste Antwort auf den Hochverrat des Geistes gegen das Leben ist der Hochverrat des Geistes gegen den ,Geist‘; und es gehört zu den hohen und grausamen Genüssen unserer Zeit, an dieser Sprengarbeit beteiligt zu sein.“ (Arb, 43) Und unverblümt teleologisch formuliert an Carl Schmitt im Anbahnungszeitraum ihres Briefwechsels: „Der Rang eines Geistes wird heute durch sein Verhältnis zur Rüstung bestimmt. Ihnen [Carl Schmitt] ist eine besondere kriegstechnische Erfindung gelungen: eine Mine, die lautlos explodiert. Man sieht wie durch Zauberei die Trümmer zusammensinken; und die Zerstörung ist bereits geschehen, ehe sie ruchbar wird.“ (BW CS, 7) Außer Frage für einen „konservativen Anarchisten“ (Hans-Peter Schwarz), die Regeln der politischen Praxis gründlich zu missachten, die geprägt sind von Strategie, Kalkül und letztendlich auch von der Bereitschaft zum Kompromiss. Die Nähe Jüngers zum italienischen Futurismus ist nicht leicht von der Hand zu weisen,17 die denkerischen Einflüsse Friedrich Nietzsches und Oswald Spenglers dürften allerdings auf der Hand liegen.18 Die von Sendungsbewusstsein durchdrungenen Herolde des „heroischen Realismus“ (KK, 152) predigten die Gegenaufklärung, Nietzsches Loblied vom Amor Fati, jene „Liebe zur Welt wie sie ist, mit ihrem ewigen Wechsel von Geburt und Vernichtung […]. Zur Welt, wie sie immer war und immer sein wird.“19 In Zarathustra-Paraphrasen verkündet Jünger die „Erziehung eines bestimmten Menschenschlages“: „Es liegt hier die Möglichkeit vor, einen Stamm von Beamten, Offizieren, Kapitänen und sonstigen Funktionären von Grund auf zu schaffen, der alle Kennzeichen eines Ordens trägt, wie er einheitlicher und geformter nicht gedacht werden kann.“ (Arb, 295) Der direkte Einfluss der „nationalrevolutionären Bewegung“ auf die politischen Geschehnisse ist gering – die Unterstützung der Landvolkbewegung während der Unruhen von November 1928 bis September 1929 in Schleswig-Holstein stellt eine Ausnahme dar. Der Führungsanspruch dieser antiparlamentarisch operierenden Sammelbewegung wurde zu keiner Zeit eingelöst. Die schreibenden Hauptvertre-
17 Siehe Reinhard Brenneke: Militanter Modernismus. Vergleichende Studien zum Frühwerk Ernst Jüngers. Stuttgart: J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag, 1992, S. 152–249. 18 Siehe Norbert Dietka: Ernst Jüngers Entwurf von der „Herrschaft und Gestalt des Arbeiters“. Philologischer Versuch einer Annäherung. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2016. 19 Armin Mohler: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932. Ein Handbuch. Graz/Stuttgart: Leopold Stocker Verlag, 1999, S. 125.
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ter sind das geblieben, was man ihnen oft vorwarf: Frontliteraten. Der indirekte Einfluss dagegen ist schwer auszumachen. Es hat aufgrund der ideologischen Affinität natürlich Kontakte zum Nationalsozialismus gegeben, vor allem mit dem „linken Flügel“ um Otto Strasser. Man weiß, dass sich Jünger und Hitler ihre Bücher mit Widmungen zusendeten. Jünger legte seine differenzierende Haltung 1927 in seinem Aufsatz „Nationalismus und Nationalsozialismus“ in der Zeitschrift „Arminius“ dar.20 Als großes rednerisches Talent mochte für Jünger Adolf Hitler noch durchgehen, aber als Anwärter auf den Posten einer „zentralen Führerschaft“ kam er für ihn wohl nicht infrage.21 Der NSDAP waren im Falle eines Sieges lediglich gewerkschaftliche Aufgaben zugestanden – mit ihrem taktischen Manöver bezüglich der schleswig-holsteinischen Ausschreitungen war der Bruch mit ihnen für viele Nationalrevolutionäre gegeben. Ein von Hitler 1927 angebotenes Reichstagsmandat soll, nach Aussage von Karl O. Paetel, Jünger mit abschätzigem Kommentar ausgeschlagen haben: „[Er] halte das Schreiben eines einzigen guten Verses für verdienstvoller als 60 000 Trottel zu vertreten.“22 Dieser Degout lässt sich unschwer auf Jüngers Vorstellung von einer „exemplarischen Existenz“ zurückführen, einem elitären Selbstbewusstsein, das er für sich in Anspruch nahm. Damit war die Differenz begründet. Ernst Niekisch, der Jünger das beste Zeugnis ausstellte, trägt zur Klärung bei: „Der pöbelhafte Geist der Bewegung vor allen Dingen war es, der ihn abstieß. Jüngers aristokratischer Instinkt war von überzarter Feinheit.“23 Persönliche Begegnungen haben stattgefunden, Arnolt Bronnen, der „Botenjunge“ Goebbels’, so Friedrich Hielscher,24 hatte sie gelegentlich arrangiert. Episodenhaft werden diese Zusammenkünfte in Berlin in zahlreichen Biographien der Zeitgenossen geschildert.25 Das Resultat spricht für Ernst Jünger, der spätere Jünger-Kritiker Arnolt Bronnen formuliert es exemplarisch: „Vor allem Ernst Jünger verstand es, Goebbels vor unseren Augen so einschrumpfen zu lassen, daß schon damals der Ausdruck ,Schrumpfgermane‘ geprägt wurde.“26
20 Siehe Ernst Jünger: Politische Publizistik 1919 bis 1933. Hg., kommentiert und mit einem Nachwort von Sven Olaf Berggötz. Stuttgart: Klett-Cotta, 2001, S. 317–320. 21 Jünger schrieb, ein Führer, nach seiner Fasson, habe „es nicht nötig, mit volksrednerischen Mitteln zu arbeiten.“ Vgl. ebd. S. 347. 22 Karl O. Paetel: Ernst Jünger. Weg und Wirkung. Eine Einführung. Stuttgart: Ernst Klett Verlag, 1948, S. 89. 23 Ernst Niekisch: Gewagtes Leben. Begegnungen und Begebnisse. Köln. Berlin: Verlag Kiepenheuer & Witsch, 1958, S. 189. 24 Vgl. Friedrich Hielscher: Fünfzig Jahre unter Deutschen. Hamburg: Rowohlt Verlag, 1954, S. 115. 25 Detailliert berichten: Ernst Niekisch, Ernst von Salomon, Friedrich Hielscher, Arnolt Bronnen, Friedrich Georg Jünger. 26 Arnolt Bronnen: Arnolt Bronnen gibt zu Protokoll. Beiträge zur Geschichte des modernen Schriftstellers. Hamburg: Rowohlt Verlag, 1954, S. 248.
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Jünger hatte temporär offenbar das Etikett, ein „Judenfreund“ zu sein,27 abzuwehren, indem er allerdings dieses offensichtlich unliebsame Stigma durch einen verbalen Gegenbeweis zu überbieten bzw. zu kompensieren versuchte. Rhetorisch fragt er: „Was aber bedeutet die Ameisenarbeit des maßlos überschätzten liberalistischen Assimilationsjudentums?“28 Um im hohen Maße prätentiös und despektierlich eine vermeintlich unumstößliche Differenz zu deklarieren: Mögen sie [die Juden] soviel Bücher schreiben, daß ganz Deutschland in eine große Bibliothek verwandelt wird – es ist ebenso gewiß, daß „ein Wörtlein“ sie zu fällen vermag, wie es gewiß ist, daß ihnen, und wenn sie tausend Jahre arbeiten würden, nicht eine einzige Strophe im Geiste Hölderlins gelingen wird.29
In seinem in den „Süddeutschen Monatsheften“ (September 1930) erschienenen Aufsatz „Über Nationalismus und Judenfrage“ forciert Jünger noch einmal seine rassistische Segregation: „Die Erkenntnis und Verwirklichung der eigentümlichen deutschen Gestalt scheidet die Gestalt des Juden ebenso sichtbar und deutlich von sich ab, wie das klare und unbewegte Wasser das Öl als eine besondere Schicht sichtbar macht.“30 Dann versprüht sein Verdikt schon exekutorische Warnsignale: Im gleichen Maße jedoch, in dem der deutsche Wille an Schärfe und Gestalt gewinnt, wird für den Juden auch der leiseste Wahn, in Deutschland Deutscher sein zu können, unvollziehbarer werden, und er wird sich vor seiner letzten Alternative sehen, die lautet: in Deutschland entweder Jude zu sein oder nicht zu sein.31
Solche Äußerungen aus Jüngers Feder sind die absolute Ausnahme geblieben, sie lassen sich nicht rechtfertigen oder relativieren, wie es Ernst von Salomon versuchte: „Die ganze Bewegung war antisemitisch, in den verschiedensten Abstufungen.“32 Vier Aufsätze Jüngers über „Grundlagen des Nationalismus“ erschienen 1927 im Stahlhelm-Jahrbuch (Bund der Frontsoldaten): „Das Blut“ – „Der Wille“ – „Der Charakter“ – „Der Geist“;33 sie können allerdings noch nicht als eine umfassende
27 Vgl. Ernst Jünger: Politische Publizistik 1919 bis 1933. Hg., kommentiert und mit einem Nachwort von Sven Olaf Berggötz. Stuttgart: Klett-Cotta, 2001, S. 543. 28 Ebd. S. 545. 29 Ebd. 30 Ebd. S. 592. 31 Ebd. 32 Ernst von Salomon: Der Fragebogen. Hamburg: Rowohlt Verlag, S. 1951, S. 131. 33 Ernst Jünger: Politische Publizistik 1919 bis 1933. Hg., kommentiert und mit einem Nachwort von Sven Olaf Berggötz. Stuttgart: Klett-Cotta, 2001. „Das Blut“, S. 191–196; „Der Wille“, S. 198–203; „Der Charakter“, S. 207–212 (diese drei Aufsätze erschienen 1926 vereinzelt in den Heften der „Standarte“); „Vom Geiste“, S. 320–325 (dieser Aufsatz erschien 1927 in der Zeitschrift „Widerstand“).
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Theorie verstanden werden – wenn gleichsam einige Jahre später der Großessay „Der Arbeiter“ (1932) diesen Anspruch hätte erfüllen können. Jüngers Hingabe zum reinen Aktionismus hatte sich inzwischen verbraucht, die inneren Widerstände gegen die andauernden Verhältnisse vermehrten sich. Ein zynischer Kommentar Jüngers, protokolliert von Ernst von Salomon, wird schon für den Zeitraum um den Dezennienwechsel symptomatisch gewesen sein: „Ich habe mir einen erhöhten S-tandort [sic!] ausgesucht, von dem aus ich beobachte, wie sich die Wanzen gegenseitig auffressen.“34 Neben dem Fluchtmotiv – „ihn treibt es, den unmittelbaren Entscheidungen auszuweichen; er will nur registrierender Beobachter – oder, wenn man so will, ,Kriegsberichterstatter‘ – sein“35 – trat Resignation: Gerade dies, das Ausweichen vor der Verantwortung dort, wo sie ernsthaft zu werden beginnt und das Billige der Erfolge, die heute zu ernten sind, hat mich die politische Tätigkeit sehr bald als unanständig empfinden lassen. […] Man kann sich heute nicht in Gesellschaft um Deutschland bemühen; man muß es einsam tun wie ein Mensch, der mit seinem Buschmesser im Urwald Bresche schlägt, und den nur die Hoffnung erhält, daß irgendwo im Dickicht andere an der gleichen Arbeit sind. (AH1, 152 f.)
Retrospektiv könnte man diese „Kurskorrektur“ als ein „Lob der Inkonsequenz“ (Leszek Kolakowski) ansehen.
34 Zit. n. Ernst von Salomon: Der Fragebogen. Hamburg: Rowohlt Verlag, 1951, S. 297. 35 Ernst Niekisch: Gewagtes Leben. Begegnungen und Begebnisse. Köln/Berlin: Verlag Kiepenheuer & Witsch, 1958, S. 191.
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Das abenteuerliche Herz, 1. Fassung, 1929 Berlin glich einem bewegten Meer, dessen unterirdische Strömungen Schwärme von Raubfischen und Verfolgten mit sich trugen. Die politische Aktivität der verschiedenen Parteien, der Freischaren, der Jungmannen aus dem nationalistischen wie dem kommunistischen Lager, der Reichswehr, der Juden – sie war überall zu spüren, in den Salons des Westens, den Büros der Presse, in den unzähligen Dachkammern der Millionenstadt, in denen sich die Jugend beider Lager versammelte, bis zu den Kneipen im Osten und Norden, wo sich allabendlich erhitzte Diskussionen an den Schanktischen abspielten und in Schlägereien ausarteten, die der Tagesordnung angehörten. (Gretha von Jeinsen36 )
Das erste „zivile“ Buch, das Jünger schrieb, kam 1929 auf den Buchmarkt. Dieser nahm es kaum zur Kenntnis, denn es wurde nur in wenigen Exemplaren verkauft („Wie ich höre, finden sie seit langem mit erstaunlicher Regelmäßigkeit ihre fünfzehn Leser im Vierteljahr“, AH2, 7). In den Militärkreisen, in denen Jünger bis dato fast ausschließlich rezipiert wurde, muss jener kontemplativ anmutende Titel abgeschreckt oder irritiert haben. Aber dem damaligen Leser hätte auffallen können, dass sich hier kein gewandelter Schriftsteller präsentierte, sondern dass Jünger lediglich seine schon in den Kriegstagebüchern gezeigte Neigung stärker herausstrich. Dennoch, dieses kleine im Berliner Frundsberg-Verlag herausgegebene Prosabändchen hätte von seiner Anlage her Jünger neue Leser zuführen können. „Das abenteuerliche Herz. Aufzeichnungen bei Tag und Nacht“ – bibliographisch korrekt: erste Fassung, denn 1938 veröffentlichte Jünger eine zweite – schmückte eine vorangestellte Sentenz Hamanns als Leitgedanke: „Den Samen von allem, was ich im Sinne habe, finde ich allenthalben.“ Lose zusammengefügt finden sich insgesamt 25 Texte in unterschiedlicher Länge, denen lediglich Ortsnamen, überwiegend die Wohnorte Jüngers in Berlin und Leipzig, sowie die Aufenthaltsorte Leisnig, Neapel, Zinnowitz und Paris – die erste zivile Reise nach Frankreich unternimmt er 1927 – vorangestellt werden. In dieser Sammlung stehen Beiträge zur Zeitdiagnostik neben phänomenologischen Betrachtungen, tendenzieller Kommentar neben „zeitloser“ Studie. Es sind vorzugsweise metaphysische Reflexionen, kritische Retrospektiven und Reminiszenzen sowie Traumnotate und Lektüreberichte, die einmal Zeitfragen berühren und oder diese transzendieren. 36 Gretha von Jeinsen: Silhouetten. Eigenwillige Betrachtungen. Pfullingen: Verlag Günther Neske, 1955, S. 96 f.
Das abenteuerliche Herz, 1. Fassung, 1929
Der zeitdiagnostische Kommentar wird von Jüngers Unbehagen am Zustand der „absoluten Zivilisation“ (AH1, 88) – ein Oswald-Spengler-Gedanke – diktiert, im Bewusstsein der „Heimatlosigkeit inmitten einer engen, durch Erziehung und bürgerliche Gewohnheiten mit mancherlei Stoffblenden künstlich verspannten Welt.“ (AH1, 61) Auf zahlreichen Streifzügen durch die Großstadt verdichtet sich das Urteil des Flaneurs: „[…] die großen Lebensräume sind wie Treibhäuser durch luftdichte, gläserne Mauern verwahrt.“ (AH1, 92 f.) Sein Resümee: „So lebt der einzelne inmitten der Millionenstädte der Zeit in einer eisigen Isolation.“ (AH1, 215) Jüngers Reflex auf den Status quo ist keine Flucht in die Metaphysik; vielmehr neigt er dezisiv zu einer geistigen Mobilmachung: „Es kommt darauf an, wollen und glauben zu können, ganz abgesehen von den Inhalten, die sich dieses Wollen und Glauben gibt.“ (AH1, 180) Der Autor hat seinen Leser ganz nah vor Augen, wenn er im Folgenden suggeriert: Schon dein Abscheu gegen diese Zänkereien unserer Väter mit unseren Großvätern und gegen jede mögliche Art ihrer Lösung verrät, daß es nicht Antworten, sondern schärfere Fragestellungen, nicht Fahnen, sondern Kämpfer, nicht Ordnungen, sondern Aufstände, nicht Systeme, sondern Menschen sind, deren du bedürftig bist. (AH1, 181)
Jüngers Konklusionen sind dann programmatisch verfasst: Unsere Hoffnung ruht in den jungen Leuten, die an Temperaturerhöhung leiden, weil in ihnen der grüne Eiter des Ekels frißt […]. Sie ruht im Aufstand, der sich der Herrschaft der Gemütlichkeit entgegenstellt, und der der Waffen einer gegen die Welt der Formen gerichteten Zerstörung, des Spre ngstof fe s bedarf, damit der Lebensraum leergefegt werde für eine neue Hierarchie. (AH1, 222 f.)
Jüngers Weltsicht37 ist metaphysisch, im ersten Textteil finden sich zentrale Aussagen: Ich habe dieses Gefühl, als ob ein aufmerksam beobachtender Punkt aus exzentrischen Fernen das geheimnisvolle Getriebe kontrollierte und registrierte, selbst in den verworrensten Augenblicken nur selten verloren. Ja, es schien mir oft, als ob in sehr menschlichen Augenblicken, etwa denen der Angst, dort oben etwas vorginge, was ungefähr einem mokanten Lächeln verglichen werden könnte. Aber auch andere Zeichen – Trauer, Rührung, Stolz, glaubte ich zuweilen gleich Signalen einer inneren Optik an jenem Fixpunkt zu erkennen, den ich als ein zweites, feineres und unpersönliches Bewußtsein bezeichnen möchte. Von dort aus gesehen, wird das Leben von noch etwas anderem als von Gedanken, Empfindungen und Gefühlen begleitet, seine Werte werden gleichsam noch einmal gewertet, ähnlich wie ein bereits gewogenes Metall trotzdem von einer besonderen Instanz einen zweiten Stempel erhält. (AH1, 5 f.)
37 Siehe Gisbert Kranz: Ernst Jüngers symbolische Weltschau. Düsseldorf: Pädagogischer Verlag Schwann, 1968.
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Daher verbirgt sich für Jünger, dem intuitiv Erkennenden, neben der Wirklichkeit der Erscheinungen im zeitlichen Kontinuum noch eine andere, eine geheimnisvolle, eine in Kontingenz erfassbare Wirklichkeit. Aber Jünger ist kein Phantast, gehört nicht zu den naiven Träumern, denen er sich so offenkundig verbunden fühlt (AH1, 17 f.); auch ist er kein gedankenloser Abenteurer und zeitentrückter Schwärmer (AH1, 18 f.), der das Spirituelle oder Okkulte um seiner selbst willen aufsucht. Jünger ist ein Irrrationalist, der im vollen Bewusstsein der Anwendung des Irrationalen auf gesellschaftliche Prozesse nach konkreten Lösungen sucht. Er war schon in den „Stahlgewittern“ bestrebt, alle Widersprüche mittels einer höheren Vernunft miteinander zu versöhnen. Vielleicht war zu keiner Zeit eine Angst vor einer radikalen Zäsur, die sich einer kritischen Bestandsaufnahme hätte anschließen müssen, vorhanden. Aber das Festhalten an der Verabsolutierung der Kriegserfahrung – sehr wahrscheinlich emotional und rational an eine tiefe Loyalität dem Militär gegenüber gebunden – prädisponierte seine andauernde Reflexion über Gebühr. Es fehlt jedenfalls die Souveränität, die jene Zeitkritiker des Dadaismus oder jene des Surrealismus gezeigt haben angesichts der eindimensionalen Entwicklung in der Moderne. Jüngers Rekurse – es lassen sich sogar Romantizismus nachweisen (z. B. in seinen Reminiszenzen an das mittelalterliche Hameln oder Schwarzenberg, dort lebte Jünger 1912/13 bzw. 1902 und 1904, AH1, 25 ff.) – hatten den „magischen Realismus“ zur Folge. Sein Herzstück im „Abenteuerlichen Herzen“ ist ein paradigmatisches Bekenntnis: „Meine Überzeugung, daß alles, was uns auf der Tagseite des Lebens an reifen Früchten zufällt, sich auf der Nachtseite bildete, habe ich durch die eigene Erfahrung oft bestätigt gefunden.“ (AH1, 69) Mit dieser Anschauung vermag er der Zeit, von ihm als „Schicksalszeit“ empfunden, zu begegnen. Der „magische Nullpunkt“ ist eine intuitive Antizipation eines vermeintlich unausweichlichen Phänomens, das Jünger mit großer Gewissheit prognostiziert: „Alle Menschen und Dinge dieser Zeit drängen einem magischen Nullpunkt zu. Ihn passieren, heißt der Flamme eines neuen Lebens ausgeliefert zu sein; ihn passiert zu haben, ein Teil der Flamme zu sein.“ (AH1, 156) Und an anderer Stelle: „Wir marschieren seit langem einem magischen Nullpunkt zu, über den nur der hinwegkommen wird, der über andere, unsichtbarere Kraftquellen verfügt.“ (AH1, 189) Jüngers starkes Bedürfnis nach Diskontinuität hat zwei Seiten: politisch soll sie überwunden, durch eine verlässliche Kontinuität abgelöst werden; künstlerisch ist sie Triebfeder für ein kreatives Schreiben. Diese beiden gegenläufigen Richtungen sind noch schwer auseinanderzuhalten. Die eine verfolgt ein kollektives Interesse, will die Realität eines diktatorischen Staates erzwingen, die andere sucht Distanzierungen, will einer tendenziellen Profanität entsagen und sieht die größte Gefahr darin, dass das Leben etwas Gewöhnliches sein könnte (AH1, 20). In beiden Richtungen kommt Jüngers antibürgerlicher Reflex zum Ausdruck, die Unvereinbarkeit wird noch geleugnet, die „exemplarische Existenz“ ganz in den Dienst der „Bewegung“ gestellt. Der „magische Realismus“ fusioniert mit dem „heroischen Realismus“! Das Motto der
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letzten Ansprache „,Dies alles gibt es also‘“ (AH1, 262) sucht die Herzen der bündischen Jugend für eine „totale Mobilmachung“ zu erweichen und ihr moralisches Rüstzeug für eine Idee zu geben. Jüngers Bemühen um Steigerung der Wahrnehmungsfähigkeit ist ein weiteres Hauptthema. Beseelt vom Wunsch, sich einer metaphysisch verstandenen Realität zu öffnen, über die „Schlüssel zu allen Erlebnissen“ zu verfügen, sind ihm Rausch, Schlaf und Tod (AH1, 77) geeignete Offenbarungszustände. Sehen können, heißt für ihn, erkennen können, eine ahnende Gewissheit zu erlangen, den apokalyptischen Zustand in den Metropolen des Fortschritts auszuloten: Die Geometrie der Vernunft verschleiert ein diabolisches Mosaik, das sich zuweilen erschreckend belebt; wir erfreuen uns einer furchtbaren Sicherheit. Unser Weg führt durch eine Landschaft, die die Wissenschaft immer enger mit ihren Kulissen verstellt – jede ihrer Großtaten macht ihn zwangsläufiger, und über sein Ende kann kein Zweifel sein. Nicht mehr zweifeln können, selbst der Schattenseite des Glaubens nicht mehr teilhaftig sein: das ist erst der volle Zustand der Gnadelosigkeit, der Zustand des Kältetodes, in dem selbst die Verwesung, dieser letzte dunkle Hauch des Lebens, sich verloren hat. Daher haftet den Erscheinungen und Menschen der absoluten Zivilisation auch etwas seltsam Konserviertes an, sie erinnern an jene Mumienköpfe, die mit polierten metallischen Masken überzogen sind. (AH1, 87 f.)
Jüngers Träume sind Alpdrücke, die ob ihres rätselvollen Inhalts für ihn erzählenswert sind; sie zu denken, heißt für ihn, „[…] unter ihrem Bildwerk den geheimen Sinn aufspüren, der sowohl der Nacht wie dem Tage zugrunde liegt.“ (AH1, 212 f.) Im Traum kehren die noch stark vorhandenen Kriegserlebnisse zurück; und mittels der gesteigerten Wahrnehmungsfähigkeit verdichten sie sich zu einer Metapher, die nuanciert, verschiedene Abstufungen der Wahrnehmung zulässt und letztlich in eindrucksvoller Weise die Nähe zum Tode dokumentiert: Ich glaube, daß folgendes Bild das E nts e tz e n besonders treffend zum Ausdruck bringt: Es gibt eine Art von sehr dünnem und großflächigem Blech, mittels dessen man an kleinen Theatern den Donner vorzutäuschen pflegt. Sehr viele solcher Bleche, noch dünner und klangfähiger, denke ich mir in regelmäßigen Abständen übereinander angebracht, gleich Blättern eines Buches, die jedoch nicht gepreßt liegen, sondern durch irgendeine Vorrichtung voneinander entfernt gehalten werden. Auf das oberste Blatt dieses gewaltigen Stoßes hebe ich dich empor, und sowie das Gewicht deines Körpers es berührt, reißt es krachend entzwei. Du stürzt, und stürzt auf das zweite Blatt, das ebenfalls, und mit heftigerem Knalle, zerbirst. Der Sturz trifft auf das dritte, vierte und fünfte Blatt und so fort, und die Steigerung der Fallgeschwindigkeit läßt die Detonationen in einer Beschleunigung aufeinander folgen, die den Eindruck eines an Tempo und Heftigkeit ununterbrochen verstärkten Trommelwirbels erweckt. Immer noch rasender werden Fall und Wirbel, in einen mächtig rollenden Donner sich verwandeln, bis endlich ein einziger, fürchterlicher Lärm die Grenzen des Bewußtseins sprengt. So pflegt das Entsetzen den Menschen zu vergewaltigen – das Entsetzen, das etwas ganz anderes ist als das Grauen, die Angst oder die Furcht. Eher ist es schon dem Grausen verwandt, das das Gesicht der Gorgo mit
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gesträubtem Haar und zum Schrei geöffnetem Mund erkennt, während das Grauen das Unheimliche mehr ahnt als sieht, aber gerade deshalb von ihm mit mächtigerem Griffe gefesselt wird. Die Furcht ist noch von der Grenze entfernt und darf mit der Hoffnung Zwiesprache halten, und der Schreck – ja, der Schreck ist das, was empfunden wird, wenn das oberste Blatt zerreißt. Und dann, im tödlichen Sturze, steigern sich die grellen Paukenschläge und roten Glühlichter der Schreckempfindungen bis zum Entsetzlichen. Ahnst du, was vorgeht in jenem Raume, den wir vielleicht eines Tages durchstürzen werden, und der sich zwischen der Erkenntnis des Unterganges und dem Untergange erstreckt? (AH1, 10 f.)
Bei Träumen interessieren Jünger die Übergänge: Das Erwachen, das Erwachen im Traum (AH1, 87) oder der Traum im Traum (AH1, 115–118) sind ihm bedeutend, wie der „urplötzliche Übergang“ vom Sturmangriff in Ruhe (AH1, 167) oder der Augenblick, wo Tod und Leben „die Plätze wechseln“ (AH1, 204) oder wo Jünger „in einer scheinbar toten Landschaft den Gegner zum Leben erwachen sah“ (AH1, 205), wo er das Schockerlebnis als eine Qualität des gesteigerten Bewusstseins erlebte: „E r w a che n u nd Tapfe rke it, das könnte auf unseren Fahnen stehen.“ (AH1, 93) Die „Zeiten des Übergangs“ halten ihm ein stimulierendes Narkotikum bereit (AH1, 141 f.). Eine andere Wahrnehmungsvariante ist die „Stereoskopie“, die er wie folgt definiert: „Stereoskopisch wahrnehmen heißt […], ein und demselben Gegenstande gleichzeitig zwei Sinnesqualitäten abgewinnen, und zwar – dies ist das Wesentliche – durch ein einziges Sinnesorgan.“ (AH1, 98) Jüngers „Abenteuerliches Herz“ ist auch ein Erinnerungsbuch, aber mit einem besonderen Anspruch verknüpft. Im Bewusstsein, ein exemplarisches Leben zu führen, werden persönliche Eigenschaften, Neigungen und Erfahrungen mit bestimmten, nicht rein zufälligen Stoffen und Themen in Beziehung gesetzt. Sie besitzen unhinterfragt weitreichende Gültigkeit für den Autor, der eine bestimmte Literatur oder eine bestimmte bildende Kunst auf sich persönlich bezieht: das besondere Verhältnis zum Werk „À rebours“ von Joris-Karl Huysmans (AH1, 7); das realitätskonterkarierende Lesevergnügen von „Das Leben und die Ansichten Tristram Shandys“ von Laurence Sterne (AH1, 14 f.); Marquis de Sades „La Philosophie dans le boudoir“ in einem Essay über das Böse (AH1, 233 ff.); die bewunderte Bildwelt des „Sammetbrueghel“ (AH1, 54 ff.); eine Unterscheidung favorisiert die Anarchie, verwirft den Kommunismus (AH1, 234 ff.); vielfach werden lobend erwähnt die Autoren Dante Alighieri, Ludovico Ariosto, Miguel Cervantes, Emanuel Swedenborg, Stendhal (Marie-Henri Beyle) und weitere namhafte französische Autoren des 19. Jahrhunderts. Darüber hinaus erinnern Lektüreerlebnisse an Fluchtmöglichkeiten aus dem gehassten Schulalltag (AH1, 25); es sind Marginalien zu Schlüsselerlebnissen Jüngers: „Der Dreißigjährige kann sich nicht entschließen, die Unverfrorenheit des Sechzehnjährigen [richtig wäre: des Achtzehnjährigen, siehe S. 15, Anm. 16] zu mißbilligen, die auf die Tätigkeit von zwei Dutzend Schulmeistern verzichtete und sich über Nacht eine eindringlichere Schule verschrieb.“ (Ebd.) Wie dieses Thema sind weitere
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Themen hier schon skizziert, die später noch in einzelnen Werken aufgegriffen und ausgearbeitet werden: „Afrikanische Spiele“, 1936; ferner „Lob der Vokale“ (AH1, 107–110), 1934; „Sizilischer Brief an den Mann im Mond“ (AH1, 109 f.), 1930/34; „Annäherungen. Drogen und Rausch“ (AH1, 196 f.), 1970; und „Subtile Jagden“ (AH1, 177 ff.), 1967. Das abenteuerliche Herz Jüngers schlägt für einen heroischen Geist, der von allen Lektionen die des „ewigen Naturgesetzes“ am besten gelernt hat – in nuce der Text „Zinnowitz“ (AH1, 149–156) –; er kann das Schlachtfeld nicht vergessen und nimmt unter Zwang es überall mit hin: Aber was in den feurigen Traumlandschaften des Krieges gültig war, das ist auch in der Wachheit des modernen Lebens nicht tot. Wir schreiten über gläsernen Böden dahin und ununterbrochen steigen die Träume zu uns empor, sie fassen unsere Städte wie steinerne Insen ein und dringen auch in die kältesten ihrer Bezirke vor. Nichts ist wirklich und doch ist alles Ausdruck der Wirklichkeit. (AH1, 213)
Die Phänomene sind dem reflektierenden Betrachter, dem betrachtenden Reflektanten, Entitäten einer vom Schicksal bestimmten Zeit (Oswald Spengler). Der Flaneur wusste die Bekanntschaft mit den Desperados der Metropole Berlin zu schätzen, sich aber auch ihrer zu entledigen; der Aura der Technik hingegen konnte er nur bedingt widerstehen. Das folgende Beispiel zeigt die Stringenz zwischen der Impression und der sich anschließenden Konklusion Jüngers, aus der er programmatischen Profit schlägt: Gestern noch, bei einem nächtlichen Spaziergang durch entlegene Straßen des östlichen Viertels, in dem ich wohne, bot sich ein einsames und finster heroisches Bild. Ein vergittertes Kellerfenster öffnete den Blick einen Maschinenraum, in dem ohne jede menschliche Wartung ein ungeheures Schwungrad um die Achse pfiff. Während ein warmer, öliger Dunst von innen heraus durch das Fenster trieb, wurde das Ohr durch den prachtvollen Gang einer sicheren, gesteuerten Energie fasziniert, der sich ganz leise wie auf den Sohlen des Panthers des Sinnes bemächtigte, begleitet von einem feinen Knistern, wie es aus dem schwarzen Fell der Katzen springt, und vom pfeifenden Summen des Stahles in der Luft – dies alles ein wenig einschläfernd und sehr aufreizend zugleich. Und hier empfand ich wieder, was man hinter dem Triebwerk des Flugzeuges empfindet, wenn die Faust den Gashebel nach vorn stößt und das schreckliche Gebrüll der Kraft, die der Erde entfliehen will, sich erhebt […]. Es ist die kalte, niemals zu sättigende Wut, ein sehr modernes Gefühl, das im Spiel mit der Materie schon den Reiz gefährlicherer Spiele ahnt, und der ich wünsche, daß sie noch recht lange nach ihren eigentlichen Symbolen auf der Suche sei. (AH1, 223 f.)
Jünger reist 1927 nach Frankreich und 1937 nach Paris. Folgt man den Angaben der Reisetagebücher, ergibt sich für den Zeitraum bis 1938 folgende Reisetätigkeit, die erwähnenswert ist, da sie über die Entwicklung des schriftstellerischen Selbstverständnisses Auskunft geben kann: 1929 mit den Brüdern Hans und Friedrich Georg
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nach Sizilien („Aus der goldenen Muschel“); 1931 Balearen; 1932 mit dem Bruder Friedrich Georg nach Dalmatien („Dalmatinischer Aufenthalt“); 1935 mit Hugo Fischer nach Norwegen („Myrdun“); 1936 nach Brasilien („Atlantische Fahrt“); und 1938 mit dem Bruder Friedrich Georg nach Rhodos („Ein Inselfrühling“).38 Der Jünger-Biograph Gerhard Loose, den Reistagebüchern des „Abenteurers“ besonders zugetan, schreibt: Jünger zieht es in die Regionen alten kulturellen Erbes und in den Raum der ungebrochenen Elemente. In den Reisebeschreibungen fehlen daher […] die Länder der Mitte, besonders auch Deutschland. […] Stark ist der Drang, der Werkstättenlandschaft des Arbeiters, in der ratio und voluntas herrschen, zu entgehen und zurückzukehren ins „Kinder- und Märchenland“.39
Die ersten zehn Jahre Autorenschaft waren von den Weltkriegserfahrungen beherrscht. In der ersten Hälfte schrieb sich Ernst Jünger ausschließlich die tiefsitzenden Erlebnisse von der Seele. Gefühlslage, Haltung bzw. schriftstellerisches Selbstverständnis fanden ihre direkte Ausdruckform im Tagebuch und im Aufsatz. Daneben entwickelte sich im Zuge der Distanzierung, einem Vorgang des emotionalen Verarbeitungsprozesses, die an Manieriertheit grenzende Arbeit an der Form und der Sprache. Die Option fiel auf den Essay, ein adäquates Medium für den leidenschaftlichen Reflektanten und den ebenso leidenschaftlichen Sprachkünstler. Der „Meister der kleinen Form“, wie Axel Eggebrecht Jünger kritisch-wertschätzend charakterisiert,40 verlor in der zweiten Hälfte die Lust an der puren Reproduktion des Weltkriegserlebnisses. Die großen zeitkritischen Sachthemen traten in den Vordergrund, ohne dass Jünger auf den Habitus der Gefechtsverordnungen verzichtete – wie der Essay „Feuer und Bewegung oder Kriegerische Mathematik“ (BS, 86–98) hinreichend belegt. Die ersten Jahre der dritten Dekade standen eindeutig in der Einflusssphäre des gewichtigsten Buches Jüngers, der Vision von der „Herrschaft und Gestalt“ des „Vierten Standes“: „Der Arbeiter“ (Entstehung: Oktober 1930 bis Herbst 1932). Der Zeitdiagnostiker hatte sich vom Tagesgeschäft des debattierenden Feuilletons weitgehend freigemacht und schickte sich an, vom solipsistischen Beobachterposten aus „Die veränderte Welt“41 begrifflich zu erfassen. Von erhöhter Warte aus und im Bewusstsein einer epochalen Zeitenwende eröffnete Jünger 1930
38 Ausgewertet bei Jan Robert Weber: Ästhetik der Entschleunigung. Ernst Jüngers Reisetagebücher (1934–1969). Berlin: Matthes & Seitz, 2011. 39 Gerhard Loose: Ernst Jünger. Gestalt und Werk. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 1957, S. 232. 40 Vgl. Axel Eggebrecht: Weltliteratur. Ein Überblick. Hamburg: Springer, 1948, S. 328. 41 Edmund Schultz (Hg.): Die veränderte Welt. Eine Bilderfibel unserer Zeit. Mit einer Einleitung von Ernst Jünger. Breslau: Wilhelm Gottlieb Korn Verlag, 1933.
Die totale Mobilmachung, 1930
im Kreis exponierter Mitstreiter42 , vereint unter dem martialischen Titel „Krieg und Krieger“, die Diskussion mit seinem Essay zu seinem Funktionsbegriff „Die totale Mobilmachung“.
Die totale Mobilmachung, 1930 Freibeuter vom Fach haben das Wort. Ihr Horizont ist flammend, aber sehr eng. (Walter Benjamin43 )
Im Vorwort werden die Zielrichtung des „deutschen Nationalismus“ und gleichermaßen der Stand der Entwicklung deutlich gekennzeichnet. Verloren sei der „Anteil sowohl am Idealismus der Großväter als auch am Realismus der Väter“. Es sei nicht mehr die Auseinandersetzung mit dem Liberalismus vorgesehen, sondern man wolle sich mit dem „heroischen Realismus“ (Werner Best, KK, 152) der deutschen Jugend zuwenden und sich ferner an diejenigen richten, „die noch ein Vaterland kennen, das Deutschland heißt“. Im Folgenden einige Stichworte und Thesen des neun Kapitel umfassenden und neunzehn Seiten starken Beitrags des Herausgebers Ernst Jünger: 1. Der Krieg sei ein Naturgesetz, den feuerspeienden Vulkanen gleich, von Zeit zu Zeit müsse mit Eruptionen gerechnet werden. Jüngers Intention: Daten sammeln, „die den letzten Krieg […] unterscheiden von anderen Kriegen“ (TM, 11). 2. Im letzten Weltkrieg hätten sich Krieg und Fortschritt durchdrungen, dies gelte auch für den Bürgerkrieg; Weltkrieg und Weltrevolution seien eng miteinander verflochten, seien „zwei Seiten eines Ereignisses von kosmischer Art, in vielen Beziehungen voneinander abhängig, sowohl was ihre Entstehung als was ihren Ausbruch anbetrifft.“ (Ebd.) Der Fortschritt sei ein vager Begriff, dessen eigentliche Bedeutung im Verborgenen liege. Jünger verwirft ihn aber nicht gänzlich: Soviel ist jedoch sicher, daß nur eine Kraft von kultischer Art, nur ein Gl aub e auf die Kühnheit verfallen konnte, die Perspektive der Zweckmäßigkeit bis ins Unendliche auszuziehen. Und wer möchte denn auch bezweifeln, daß der Fortschritt die große Volkskirche des 19. Jahrhunderts ist, – die einzige, die sich wirklicher Autorität und kritiklosen Glaubens zu erfreuen hat? (TM, 12 f.)
42 Wilhelm von Schramm – Friedrich Georg Jünger – Albrecht Erich Günther – Ernst von Salomon – Friedrich Hielscher – Werner Best – und Gerhard Günther. 43 Walter Benjamin: Theorien des deutschen Faschismus. Zu der Sammelschrift „Krieg und Krieger“, Hg. von Ernst Jünger. In: Das Argument. Jg. 6. 1964. H. 3. 6. Auflage, Mai 1973, S. 135.
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3. Der „moralische Faktor“ liege im Verhältnis des „einzelnen Partners zum Fortschritt“ (TM, 13). Die Geschichte kenne die partielle Mobilmachung, in der Epoche des Absolutismus wie noch zur Zeit der konstitutionellen Monarchien. Der Rekrutierungsmodus habe eine Wandlung durchlaufen, vom „Vorrecht des Berufssoldaten“ sei er übergegangen zur „Aufgabe aller Waffenfähigen“ (TM, 14). Die Finanzierung des Führens von Kriegen verlange heute die Bereitstellung sämtlicher verfügbarer Ressourcen an Material und Mensch. Die Kriegshandlung habe sich zu einem „gigantischen“ Arbeitsprozess ausgeweitet. Fazit: „In dieser absoluten Erfassung der potentiellen Energie […] deutet sich der Anbruch des Zeitalters des vierten Standes vielleicht am sinnfälligsten an […] – es ist eine Rüstung bis innerste Mark, bis in den feinsten Lebensnerv erforderlich.“ (Ebd.) Weltweit ließen sich Tendenzen zur „totalen Mobilmachung“ (TM, 15) ausfindig machen und ihr Fortschritt sei unausweichlich. „Die totale Mobilmachung wird weit weniger vollzogen, als sie sich selbst vollzieht, sie ist in Krieg und Frieden der Ausdruck des geheimnisvollen und zwingenden Anspruches, dem dieses Leben im Zeitalter der Massen und Maschinen uns unterwirft.“ (TM, 15 f.) 4. Die Erfassung der gesamten Technologie und ihre Konzentration auf einen komplexen Arbeitsprozess, dessen Monotonie „an den präzisen Arbeitsgang einer mit Blut gespeisten Turbine“ erinnere (TM, 16), sei bereits Realität. Die „technische Seite der totalen Mobilmachung“ sei aber nicht die entscheidende, vielmehr entscheide die „B e re it s chaf t zur Mobilmachung“ (ebd.). Der tiefere Grund für den Krieg liege außerhalb des Zweck- oder Sinngedankens, vielmehr sei seine Erscheinung von „kultischem Rang“. Die adäquate Ansprache zeige sich in der „Tendenz der großen Parolen“, „sie erinnern an die bunten Lappen, mit denen dem Wild bei der Treibjagd die Richtung auf die Gewehre gegeben wird.“ (TM, 17) Der Krieg erscheint für Jünger als „unbestechlicher Prüfstein“, als „Automatismus im Sinne der Darwinschen Theorien von der Auslese der Tüchtigsten“ (ebd.). Schon im letzten Krieg sei der Grad der Befähigung zur „totalen Mobilmachung“ ausschlaggebend gewesen. Deutschland habe scheitern müssen, weil es „große Gebiete seiner Kraft der totalen Mobilmachung entzog“ (TM, 18). 5. Neben der wissenschaftlichen Definition ließe sich die sprachliche Genauigkeit auch durch „den Gebrauch der Worte in ihrer einmaligen, ganz und gar nicht abstrakten Eigentümlichkeit“ (TM, 19) erzielen. Die „Propaganda für einen modernen Krieg“ müsse sich, um erfolgreich „die erste Welle der Erregung auszulösen,“ einer „symbolischen Bedeutung“ des Anlasses sicher sein (ebd.). Den Mittelmächten sei es versagt geblieben, die „Mobilisation der Substanz“ zu erreichen (TM, 20). Ihren führenden Schichten habe es an einem Verhältnis zu ihren „Massen als auch zu den tieferen Gewalten“ gemangelt (ebd.). Unstreitig sei, dass die „,civilisation‘ [sic!] dem Fortschritt inniger verbunden ist als die ,Kultur‘ […]. Die ,Kultur‘ ist nicht propagandistisch auszumünzen“ (TM, 21). Die deutsche Malaise schildert Jünger wie folgt:
Die totale Mobilmachung, 1930
Wir sehen […], daß es teils in romantischen und idealistischen, teils in rationalistischen und materialistischen Räumen nach jenen Zeichen und Bildern sucht, die der kämpfende Mensch an seine Fahnen zu heften sich bestrebt. Aber die Gültigkeit, die in diesen Räumen wohnt, die teils der Vergangenheit, teils einem dem deutschen Genius fremden Lebenskreise angehören, reicht nicht aus, dem Einsatz der Menschen und Maschinen den letzten Grad an Entschlossenheit zu sichern, die der furchtbare Waffengang gegen eine ganze Welt notwendig macht. (Ebd.)
Die Bereitschaft der Kriegsjugend von 1914 – „so glühend, so begeistert, so begierig nach dem Tod, wie es in unserer Geschichte kaum eine andere Jugend gegeben hat“ (ebd.) – habe Vorbildfunktion. „Wie erst, wenn sie bereits Richtung, Bewußtsein, Gestalt besessen hätte?“ (TM, 22) 6. Der Erfolg der „totalen Mobilmachung“ bemesse sich daran, inwieweit sie in Übereinstimmung zur „höheren Mobilmachung“, der eine eigene Gesetzmäßigkeit zugrunde liege, gebracht werden könne: „Je einheitlicher und tiefer […] der Krieg von vornherein die Summe aller Kräfte für sich in Anspruch zu nehmen versteht, desto sicherer und unbeirrbarer wird er in seinem Verlaufe sein.“ (Ebd.) In Frankreich sei die Lage günstiger gewesen: Henri Barbusse, an sich ein ausgesprochener Gegner des Krieges, sah doch keine andere Möglichkeit, seinen Ideen zu entsprechen, als d i e s e n Krieg zunächst zu bejahen, da er sich in seinem Bewußtsein als ein Kampf des Fortschrittes, der Zivilisation, der Humanität, ja des Friedens selbst gegen ein all diesem widerstrebendes Element spiegelte. „Der Krieg muß im Bauche Deutschlands getötet werden.“ (Ebd.)
7. „Deutschland verlor den Krieg, indem es stärkeren Anteil am westlichen Raum, indem es die Zivilisation, die Freiheit und den Frieden im Sinne der Barbusse gewann.“ (TM, 25) Und: „Das geheime Urmeter der Zivilisation wird zu Paris bewahrt, und wer es anerkennt, der wird gemessen, anstatt daß er die Maße gibt.“ (TM, 26) Eine völlige Besitzergreifung des „Fremden“ könne aber nur oberflächlich gelingen und nur dann zum Sieg führen, wenn ein Volk ganz Oberfläche geworden ist, wenn die letzten seiner Dämonen gestorben sind. Dennoch, und dies ist unser Glaube, gehört die deutsche Sprache den Ursprachen an, und als Ursprache flößt sie der zivilisatorischen Sphäre, der Welt der Gesittung, ein unüberwindbares Mißtrauen ein. (Ebd.)
Oder wie Jünger an anderer Stelle schreibt: „Wir besitzen in der Welt den Ruf, daß wir Kathedralen zu zerstören imstande sind.“ (AH1, 153) 8. Der Weltkrieg habe die Verhältnisse grundlegend verändert. Der nivellierende Siegeszug des „Fortschritt[s]“ sei weltweit evident. „Die Abstraktheit, also die Grausamkeit aller menschlichen Verhältnisse nimmt ununterbrochen zu. Der Patriotismus wird durch einen modernen, stark mit Bewußtseinselementen
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durchsetzten Nationalismus abgelöst.“ (TM, 27) Und: „An vielen Stellen ist die humanitäre Maske fast abgetragen, dafür tritt ein halb grotesker, halb barbarischer Fetischismus der Maschine, ein naiver Kultus der Technik hervor […]. Gleichzeitig nimmt die Schätzung der Massen zu“ (ebd.). Und: „Kapitalismus und Sozialismus sind […] Gegensätze von untergeordneter Art, sie sind zwei Sekten der großen Kirche des Fortschrittes, die sich hier vertragen und dort in erbittertem Kampfe stehen.“ (Ebd.) Den „Unbekannten Soldaten“ „symbolisiert das westliche Bewußtsein zum eigentlichen Paladin der Zivilisation.“ (Ebd.) 9. Die Gefallenen des letzten Krieges stehen für Jünger in einem mythologischen Bedeutungszusammenhang: Sie leben unter uns und überlieferten, indem sie ein absolutes Maß des menschlichen Vermögens hinterließen, als Erbe ein neues Gewissen und einen festen Pol der Verantwortung. Kein anderes Zeichen dieser Zeit ist mehr zu begrüßen, als daß die deutsche Jugend sich der symbolischen Erscheinung des Frontsoldaten als ihrem Vorbilde zuzuwenden beginnt. (TM, 29)
Die eigentlichen Zusammenhänge seien jenseits der „lackierten Fassaden der Zivilisation“ zu finden: In den Tiefen des Kraters besitzt der Krieg einen Sinn, den keine Rechenkunst zu zwingen vermag. Diesen erahnte der Jubel der Freiwilligen, in dem die Stimme des deutschen Dämons gewaltig zum Ausbruch kam, und in der sich der Überdruß an den alten Werten mit der unbewußten Sehnsucht nach einem neuen Leben verband. (Ebd.)
Deutschland habe den Krieg gegen Europa verloren. Ein zukünftiges Deutschland müsse sich gegen Europa entscheiden, wolle es sich dessen Einflusssphäre entziehen. Es müsse sich auf seine eigenen Werte beziehen: Da wo die Dialektik der Kriegsziele von Bedeutung ist, begegnete der deutsche Mensch einer stärkeren Macht: er begegnete sich selbst. So war dieser Krieg ihm zugleich und vor allem das Mittel, sich selbst zu verwirklichen. Und daher muß die neue Rüstung, in der wir bereits seit langem begriffen sind, eine Mobilmachung des Deutschen sein, – und nichts außerdem. (TM, 30)
Der Arbeiter, 1932
Der Arbeiter, 1932 Ich habe versucht, unsere Wirklichkeit so zu schildern, als ob sie einem Menschen vom Monde, der jemals weder ein Automobil gesehen noch eine Seite der modernen Literatur gelesen hat, zu erklären sei, und überlasse es Ihrem Urteil, inwiefern dieser Versuch gelungen ist. (Ernst Jünger im Rundfunkgespräch44 )
Wenige Monate vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten erschien Ernst Jüngers essayistisches Hauptwerk „Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt“ in der Hanseatischen Verlagsanstalt Hamburg.45 Dieser dreihundert Seiten umfassende Essay vereint in nuce alles bisherige Denken Jüngers, insbesondere wird hier die programmatische Intention der „totalen Mobilmachung“ (1930) fortgesetzt; und nicht zuletzt fließen zahlreiche Aspekte seiner politischen Publizistik mit ein. Jüngers zeitkritische Bestandsaufnahme und der Deutungsversuch eines kommenden neuen Zeitalters durch die „Gestalt des Arbeiters“ basiert auf der Philosophie Friedrich Nietzsches sowie auf Kernaussagen Oswald Spenglers und sorgte schon vor seiner Veröffentlichung für Furore – ein im Hamburger Sender ausgestrahltes Rundfunkzwiegespräch zwischen dem Autor und Gerhard Günther erhöhte zweifelsohne die intendierte Publizität.46 Es ist erstaunlich, dass gerade in dieser Zeit das publizistische Echo auffällig differenziert und beinahe wunschgemäß „jenseits der Parteiungen“ (Arb, 9), ergo uneinheitlich, ausfiel. Es mag aus heutiger Sicht verwundern, dass sich trotz seiner ideologischen Nähe gerade die Nationalsozialisten diesem opus magnum versperrten. Der Musik- und Theaterkritiker Thilo von Trotha sprach wohl pro domo: „Obwohl ein Teil der Ergebnisse seiner Betrachtungen […] zutreffend sind [sic!], sind die Vorauss e tz u nge n der Betrachtungen alle falsch. […] weil sie aus der Gedankenkonstruktion eines lebensfremd gewordenen
44 Zit. n. Karl O. Paetel: Ernst Jünger in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1962, S. 51. 45 Ursprünglich sollte der Text unter dem Titel „[Der] Angriffsbefehl“ erscheinen. Dies habe Ernst Jünger in einem Brief an Edmund Schultz (26.12.1930) mitgeteilt. Vgl. Andrea Benedetti: Die Rezeption des Arbeiters bei Delio Cantimori und Julius Evola. In: Natalia Żarska/Gerald Diesener/Wojciech Kunicki (Hg.): Ernst Jünger – eine Bilanz. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2010, S. 358, Anm. 2. 46 1932 erschienen drei Auflagen und zahlreiche Vorabdrucke in diversen Zeitschriften. Siehe Norbert Dietka: Ernst Jüngers Entwurf von der „Herrschaft und Gestalt des Arbeiters“. Philologischer Versuch einer Annäherung. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2016, S. 60 f., Anm. 259.
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Menschen stammen“.47 Eine gedankliche Nähe wurde somit zum Zeitpunkt der ersten Rezeption gerade von den Vertretern des Nationalsozialismus gar nicht gesehen. Hier war Skepsis anzutreffen, wurde mitunter schroffe Ablehnung laut. Jünger konstatierte ex post, dass man ihn von offizieller Seite in die „Zone der Kopfschüsse“ vorgerückt sah (Arb, 315); allerdings lässt sich diese krude Annotation nicht verifizieren.48 Man wird in diesem Kreis mehr empfunden als streng rational begriffen haben, dass sich Jüngers Apologetik für eine „Revolution sans phrase“ von einer mit rassischen Blut- und Bodenidealen gekennzeichneten wesentlich unterschied. Immerhin gab es auch Leser, die erst nach der Lektüre des „Arbeiters“ Hitlers „Mein Kampf “ richtig verstanden haben wollten.49 Symptomatisch für die uneinheitliche, beinahe beliebige Rezeption ist, dass sogar der Trotzkist Karl Radek mit Jüngers Entwurf von der „Herrschaft des Arbeiters“ etwas anfangen konnte.50 Auch der Nationalbolschewist Ernst Niekisch begrüßte überschwänglich die „seltsame Parallelität zu marxistischen Grundanschauungen“, die er in Jüngers Deutungen entdeckt zu haben glaubte.51 Andere Rezensenten, ob Fürsprecher oder Gegner,52 hatten Schwierigkeiten mit der Heuristik des schwer zugänglichen Gedankengebäudes und nicht zuletzt mit der eigentümlichen Begrifflichkeit, mit der Jünger zu Werke ging – an der der Jünger-Vertraute Hugo Fischer mitgefeilt haben soll;53 auch gesteht Jünger, dass er die Idee von der „Gestalt“ Leopold Ziegler verdanke.54 Jüngers 47 Thilo von Trotha: Das endlose dialektische Gespräch. In: Völkischer Beobachter. Zweites Beiblatt. 296. Ausgabe, 22.10.1932. Helmuth Kiesel ergänzt diese parteiinterne Rezension: „Eine ausführlichere und noch schärfere Verurteilung des Arbeiters findet sich in dem 1933 mit parteiamtlicher Empfehlung erschienenen Buch Der völkische Gedanke in Vergangenheit und Zukunft des Ministerialbeamten und NSDAP-Mitglieds Max Robert Gerstenhauer, Leipzig 1933, S. 2–4 sowie 74.“ Helmuth Kiesel: Ernst Jüngers Arbeiter – Eine Programmschrift der „heroischen Moderne“. In: Thomas Bantle/Alexander Pschera/Peter Trawny (Hg.): Jünger Debatte. Band 2, 2019, S. 137, Anm. 50. 48 Diese Kolportage gehört sehr wahrscheinlich ebenfalls zu den „gepflegten Irrtümern“ Ernst Jüngers. Ebenso fehlt (noch) der Nachweis für die Behauptung (siehe Heimo Schwilk: Ernst Jünger. Ein Jahrhundertleben. München: Piper Verlag, 2007, S. 361), Jünger habe wegen des Ausschlusses jüdischer Kameraden aus dem Traditionsverband des Füsilier-Regiments mit seinem Austritt reagiert. 49 Siehe Marie Braun: Rückblick auf mein Leben. Heidelberg: F. H. Kerle Verlag, 1950, S. 293 f. 50 Siehe Leo Radeks Rede: Leo Schlageter, der Wanderer ins Nichts. In: Hermann Weber (Hg.): Der deutsche Kommunismus. Dokumente. Köln/Berlin, 1964. 51 Vgl. Ernst Niekisch: Widerstand. Ausgewählte Aufsätze für sozialistische und nationalrevolutionäre Politik hg. und eingeleitet von Uwe Sauermann. Krefeld: Sinus-Verlag, 1982, S. 162. 52 Siehe Norbert Dietka: Ernst Jüngers Entwurf von der „Herrschaft und Gestalt des Arbeiters“. Philologischer Versuch einer Annäherung. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2016, S. 171–203 (zeitnahe Rezensionen). Die Rezeption post festum (ergo nach 1945) wird an Beispielen thematisiert (siehe auch Inhaltsverzeichnis!). 53 Siehe Heiko Christians: Hugo Fischer. Arbeitsgemeinschaft mit Ernst Jünger. In: Matthias Schöning (Hg.): Ernst-Jünger-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart. Weimar: Verlag J. B. Metzler, 2014, S. 361–364. 54 Siehe Ernst Jünger: Prognosen. München: Bernd Klüser, 1993, S. 13.
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Darstellungsmethode basiert nicht auf der wissenschaftlich exakten Beweisführung, vielmehr „sieht“ er die Dinge und „erahnt“ deren Zusammenhänge (z. B. „das Auge begreift“, Arb, 188; seine Ausführungen zur „Stereoskopie“ sollen Auskunft über seine Perspektive geben, Arb, 65; gelegentlich leiht Jünger der Figur Ahasver den Blick eines Fremden auf der Wanderung durch eine Terra incognita, Arb, 98, 104, 106, 137, 286); dass dabei Widersprüche „übersehen“ werden, dürfte nicht verwundern. Im Übrigen gestattet die Form des Essays dem Schriftsteller „Freizügigkeiten“, die für wissenschaftliche Abhandlungen inopportun wären. Jünger selbst räumt ein: Alle diese Begriffe sind notabene zum Begreifen da. Es kommt uns auf sie nicht an. Sie mögen ohne weiteres vergessen oder beiseite gestellt werden, nachdem sie als Arbeitsgrößen zur Erfassung einer bestimmten Wirklichkeit, die trotz und jenseits jedes Begriffes besteht, benutzt worden sind. Auch ist diese Wirklichkeit durchaus von ihrer Beschreibung zu unterscheiden; der Leser hat durch die Beschreibung wie durch ein optisches System hindurchzusehen. (Arb, 309)
Ein wesentlicher Grund für die Nichtexaktheit der Jünger’schen Analyse ist trotzdem ein anderer, nämlich seine eigentümliche und letztlich unmissverständliche Intention: die Zeitanalyse schrieb nicht der völlig distanzierte Analytiker und Seismograph, sondern, wie bislang in allen Schriften, der mit heißem Herzen und mit dem Willen zur unbedingten Bejahung Prognostizierende. Denn Jüngers Verheißungen von der planetarischen „Gestalt des Arbeiters“ sollten auch „jenseits der Vorurteile als eine wirkende Größe“ (Arb, 9) verstanden werden. Formal besteht der Essay aus zwei Teilen, etwa ein Drittel des Textumfanges entfällt auf den ersten Teil, zwei Drittel auf den zweiten Teil; achtzig Einzelkapitel sind sechzehn Einzelüberschriften zugeordnet; ein Epilog fasst thesenartig die achtzig Kapitel zu einer Gesamtübersicht zusammen. Der Text der ersten Ausgabe wurde in den weiteren Auflagen nicht verändert.55 Deshalb kann man z. B. auch aus der KlettCotta-Ausgabe (Cotta’s Bibliothek der Moderne) von 1982 zitieren und damit dem Anspruch Jüngers („vor allem aus Gründen der Dokumentation“, Arb, 8) Folge leisten. Dies ist insofern erwähnenswert, als Jünger mit der Arbeit an einzelnen Fassungen nicht nur um stilistische Vollkommenheit, sondern auch um die „historisierende Entschärfung“ (sine ira et studio) seines frühen Œuvres bemüht war – Siegfried Lenz sprach einmal in diesem Zusammenhang ironisch von „Gepäckerleichterung“.56 Das Datum unter dem Vorwort insinuiert ein bedeutsames Ereignis:
55 Siehe hierzu Helmuth Kiesel: Ernst Jünger. Die Biographie. München: Siedler Verlag, 2007, S. 385. 56 Siehe Siegfried Lenz: Gepäckerleichterung. Ernst Jünger zum 70. Geburtstag. In: Siegfried Lenz: Beziehungen. Ansichten und Bekenntnisse zur Literatur. Hamburg: Hoffmann und Campe Verlag, 1970, S. 143–149.
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„Berlin, den 14. Juli 1932“ (Arb, 9). An anderer Stelle heißt es: „Ohne Zweifel übertrifft dieses Ereignis, dessen wahrer Umfang sich noch gar nicht ermessen läßt, an Bedeutung nicht nur die Französischen Revolution, sondern sogar die Deutschen Reformation.“ (Arb, 158) Hilfreiche Ergänzungen zum Textverständnis sind Jüngers „Maxima – Minima. Adnoten zum ,Arbeiter‘“ (1963) und sein Essay „Typus. Name. Gestalt“ (1964).57 Berlin, 5.9.1932. Für Oswald Spengler, der im Anschluß an die Deutsche Abrüstung die ersten neuen Waffen geschmiedete (Ernst Jünger an Oswalt Spengler58 )
Jüngers realutopischer Entwurf vom totalen Staat (er wird auch expressis verbis kurz skizziert, Arb, 258–260), in dem sich ein neues „Menschentum“ im Typus des Arbeiters verwirklicht haben werde, schließt das Ende der Geschichte mit ein (Hegel). Gänzlich durch das atemberaubende Tempo der technischen Entwicklung bedingt, werde die marode bürgerliche Gesellschaft, die „liberale Demokratie“ des 19. Jahrhunderts, den sich verschärfenden Anforderungen der von der Technik beherrschten Lebensräume nicht mehr gerecht. Für Jünger hat der Erste Weltkrieg die entscheidende Wende herbeigeführt und einen irreversiblen Prozess eingeleitet, der dem anachronistischen Gesellschaftsprinzip den Weg in die historische Sackgasse gewiesen habe. „Der Weltkrieg wurde nicht nur zwischen zwei Gruppen von Nationen, sondern auch zwischen zwei Zeitaltern ausgetragen, und in diesem Sinne gibt es sowohl Sieger als Besiegte bei uns zuland.“ (Arb, 57) In den Hinterlassenschaften einer zerfallenen Ära sieht Jünger die aufkeimende Frucht für einen radikalen Neubeginn von planetarischem Ausmaß. „Denn nicht darauf kommt es an, daß eine neue politische oder soziale Schicht die Macht ergreift, sondern darauf, daß ein neues, allen großen historischen Gestalten ebenbürtiges Menschentum den Machtraum sinnvoll erfüllt.“ (Arb, 67) Die neue Gestalt, die sich weltweite Einflusssphäre verschaffe und alles Überkommene in ihren Grundfesten zu erschüttern in der Lage sei, gebe sich nur vermittelt, indirekt zu erkennen, sie sei der „Prägestempel“; die sichtbare „Prägung“ hingegen sei der Typus (Arb, 242). Nach Jüngers metaphysischem Verständnis hat die Gestalt „typenbildende Kraft“, Goethes Urpflanze ähnlich, nach ihm sei es verfehlt, „den Arbeiter als den Übermenschen zu sehen oder als platonische Idee“ (Arb, 321). Eine metaphysische
57 Siehe auch Sigfrid Bein: Der Arbeiter. Typus – Name – Gestalt. In: Wandlung und Wiederkehr. Festschrift zum 70. Geburtstag Ernst Jüngers. Hg. von Heinz Ludwig Arnold. Aachen: Verlag Text und Kritik Dr. Rudolf Georgi, 1965, S. 107–116. 58 Siehe Jürgen Naeher: Oswald Spengler. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt von Jürgen Naeher. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1984, S. 117.
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Gewissheit prägt somit die selektive Feineinstellung des Beobachtenden: „Alle diese Vorgänge sind nur zu deuten, wenn man hinter ihnen die Herrschaft der Gestalt errät, die sich den Sinn des Typus, also des Arbeiters, dienstbar macht.“ (Arb, 145) Die eigentlich revolutionäre Kraft gehe von der Technik aus. Mit ihrem accelerando verlaufenden Entwicklungstempo sei sie längst in ein entscheidendes Stadium geraten, wo sie den Menschen ihr „unausweichbares Entweder-Oder“ (Arb, 166) diktiere. Es leuchtet ein, daß sich in diesem sehr präzis, sehr konstruktiv gewordenen Raum mit seinen Uhren und Meßapparaten das einmalige und individuelle Erlebnis durch das eindeutige und typische ersetzt. Das Unbekannte, das Geheimnisvolle, der Zauber, die Mannigfaltigkeit dieses Lebens liegt in seiner abgeschlossenen Totalität, und man nimmt an dieser Welt teil, insofern man in sie eingezogen ist, nicht aber, insofern man ihr gegenübersteht. (Arb, 147)
Der Einbezug in die neuen Ereignisse – nach der Phase des Weltkrieges schließe sich die Phase der „Weltrevolution“ an (Arb, 160) – geschehe durch unbedingte Affirmation, sie zu leugnen hieße, sich blind zu stellen, das Heranwachsen einer neuen „Herrenschicht“ (Arb, 68) zu ignorieren: „Es gibt keinen Ausweg, kein Seitwärts und Rückwärts; es gilt vielmehr, die Wucht und die Geschwindigkeit der Prozesse zu steigern, in denen wir begriffen sind.“ (Arb, 203) Jüngers ästhetisches Modell vom neuen Arbeitsmenschen sucht seine Entsprechung im Bereich der naturwissenschaftlichen Sachlichkeit. Das letztgültige Argument bietet ihm das Gegenständliche: „Aber die Empfindungen des Herzens und die Systeme des Geistes sind widerlegbar, während ein Gegenstand unwiderlegbar ist – und ein solcher Gegenstand ist das Maschinengewehr.“ (Arb, 110) Fasziniert ist er von den technischen Phänomenen, von ihrer „Eindeutigkeit“ (Arb, 134), ihrer „Perfektion“ (Arb, 180), ihrer „größeren Übersichtlichkeit“ (Arb, 174), ihrer „begrenzten Totalität“ (Arb, 171) und von ihren „notwendigen Ordnungen“ (Arb, 170). Vom neuen Typus der Arbeiters, von der metaphysischen Gestalt durch die Technik zur Beherrschung des imperialen Raumes bestimmt, wird die völlige Kohärenz begrüßt, die Förderung der „sachlichen Zusammenhänge“ (Arb, 127), die Allgegenwart des Arbeitscharakters, was einem „Schwund der Individualität“ (Arb, 138) gleichkommt: „maskenhafte Starrheit des Gesichtes“ (Arb, 122); „Der Blick ist ruhig und fixiert, geschult an der Betrachtung von Gegenständen, die in Zuständen hoher Geschwindigkeit zu erfassen sind“ (Arb, 112 f.); Benutzung einer Sprache, die „hinter der Maske eines strengen Rationalismus“ auftritt, „ihre Zeichen und Symbole sind einleuchtend durch ihre bloße Existenz“ (Arb, 168), die Symbole selbst sind „Ausdruck einer Bewegungssprache, so der Flügel, die Welle, die Schraube, das Rad“ (Arb, 243), die „Sprache der Agitation“ weicht einer „Befehlssprache“ (Arb, 292), die „Anwendung einer präzisen, eindeutigen Sprache, eines mathematischen Tatsachenstils“, ein „Höchstmaß von deskriptiver
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Genauigkeit“ (Arb, 276); und eine „Arbeitsuniform“ (Arb, 125); weitere Indikatoren sind: Die metallische Bildung seiner Physiognomie [des neuen Arbeitertypus], seine Vorliebe für mathematische Strukturen, sein Mangel an seelischer Differenzierung und endlich seine Gesundheit entsprechen sehr wenig den Vorstellungen, wie man sie sich von den Trägern der schöpferischen Kraft gebildet hat. (Arb, 229)
Besondere Schärfe verleiht der raffiniert herausgearbeitete Gegensatz zum Bürgerlichen – dessen vermeintliche „Scheinherrschaft“ einer „geistigen Konstruktion“ (Arb, 284), die Jünger mit seinem futuristischen Angriff des Konkreten (das Vertauschen des bürgerlichen Romans durch das Kursbuch, Arb, 147) ein für alle Mal zu beenden trachtet. Seine Denunziation, jener „Hochverrat des Geistes gegen den ,Geist‘“ (Arb, 43), gilt somit dem eigentlichen Antipoden, dem Bürger und dessen eigentümlichen Wertesystem (Vernunft, Kultur, Ethik/Moral, etc.), dessen vermeintlicher Verleugnung des Elementaren („Bedürfnis nach Sicherheit“, welches das „Gefährliche“ leugne, um somit den „Lebensraum […] abzudichten“, Arb, 19). „Das Elementarische drängt sich ihm vielmehr aus einer ganz anderen Sphäre als aus der seiner eigentlichen Stärke auf “ (Arb, 21). Jünger unterstellt der bürgerlichen Gesellschaft sogar eine „weibliche Gesinnung“ (Arb, 24), denunziert die „Ausübungen der bürgerlichen Rechte“ (Arb, 101) und prangert den „Kultus des Individuums“ an (Arb, 141). Staatspolitische Konklusionen scheinen ihm dann logisch konsequent: „Ein Zustand, der als Symbol des Ewigen Friedens anzusehen ist, wird niemals durch einen Gesellschaftsvertrag zwischen Staaten garantiert, sondern allein durch den Staat von unbestreitbarem und imperialem Rang, in dem ,Imperium et libertas‘ [Niccolò Machiavelli] sich vereint.“ (Arb, 199) Ein Teil der gegnerischen Prinzipien wird unter dem „Heroismus Realismus“ (Werner Best) subsumiert, einhergehend mit zynischen Äußerungen, die eine deutliche Sprache des Ressentiments sprechen; z. B. in den Ausführungen zur „heiteren Anarchie“, jene „heißere Liebe“ und „schrecklichere Unbarmherzigkeit“ jenes neuen Menschenschlages, welcher „sich mit Lust in die Luft zu sprengen vermag und […] in diesem Akte noch eine Bestätigung der Ordnung erblickt.“ (Arb, 36 f.) Die heroischen Züge finden ihr Äquivalent in der Technik, auf dessen Elementarsprache sich der neue Arbeitertypus verstehe (Arb, 168). Gekoppelt ist dieses „neue“ Selbstverständnis mit den wertkonservativen Sekundärtugenden, den Sozialisationsrelikten des vergangenen Weltkrieges. Sie befriedigen die Wunschvorstellung, einmal wieder „die Führung eines Lebens im großen Stile und nach großen Maßstäben möglich“ zu machen (Arb, 201). Ein „gefährliches Leben“, für Jünger natürlich das einzig Anzustrebende, müsse sein: „Je zynischer, spartanischer, preußischer oder bolschewistischer […] das Leben geführt werden kann, desto besser wird es sein.“ (Arb, 210 f.) Jüngers Vorbilder sind Konkretionen seiner „organischen Konstruktion“: „Erscheinungen
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wie der deutsche Ritterorden, die preußische Armee, die Societas Jesu sind Vorbilder, und es ist zu beachten, daß Soldaten, Priestern, Gelehrten und Künstlern zur Armut ein natürliches Verhältnis gegeben ist.“ (Arb, 211) Neben der Verachtung alles Bürgerlichen gehört ein weiteres Element zum Jünger’schen Verfahren, es ist der Dezisionismus, bei Jünger im Besonderen: der Kampf.59 „Nur so, aus dem Bewußtsein einer kriegerischen Haltung heraus, ist es möglich, den Dingen, die uns umgeben, den Wert zuzuteilen, der ihnen gebührt.“ (Arb, 96) Oder: „Verstehen wir uns recht: nicht auf wirtschaftliche Neutralität kommt es an, nicht darauf, daß der Geist von allen wirtschaftlichen Kämpfen abgewendet wird, sondern im Gegenteil darauf, daß diesen Kämpfen die höchste Schärfe verliehen wird.“ (Arb, 30) In der gedanklichen Nähe zu Carl Schmitt gibt Jünger die dezisionistische Stoßrichtung preis: […] die Frage, um die es sich hier allein handelt, ist die, ob es einen Punkt gibt, an dem Macht und Recht identisch sind – wobei der Akzent durchaus auf beiden Worten zu ruhen hat. Denn erst dann ist es möglich, daß über Krieg und Frieden nicht mehr geredet, sondern autoritativ entschieden wird. (Arb, 192)
Jüngers apodiktisch prognostizierter werktätiger Prototyp, an dem er rassespezifische Qualitätsmerkmale eruiert (Arb, 212), sei als partieller Bestandteil eines totalen Staates seiner bürgerlichen Freiheit beraubt und habe diese gegen den „Arbeitsanspruch“ (Arb, 67) einzutauschen. Er werde dem Funktionskorrelat des Befehls- und Gehorsamszwanges unterstehen (Arb, 95) und wisse sich den Idealen des Mutes, der Bereitschaft und des Opferwillens (Arb, 153) sowie einem „Höchstmaß an Aktion bei einem Mindestmaß an Warum und Wofür“ (Arb, 111) verpflichtet und gehöre einem „Menschentum“ an, „das widerspruchsloser, eindeutiger, entschiedener in Dienst gestellt werden kann.“ (Arb, 243 f.) Der Einbruch des Staates in die „private Sphäre“ (Arb, 107) sei dann bereits vollzogen, wenn der „Träger eines neuen Staates“ (Arb, 27) aus dem Hort der „lächerlichen“, „zählbaren Menge der Individuen“ ausgeschert sei und sich, in „ameisenartigen Kolonnen“ marschierend, in einer „Bewegung oder einer Gefolgschaft“ (Arb, 101 f.) eingereiht habe. Außerdem habe sich dann sein Verhältnis zum Tode gewandelt: „Seine Kampfkraft ist kein individueller, sondern ein funktionaler Wert; man fällt nicht mehr, sondern man fällt aus“ (Arb, 111), somit sei „das Sterben einfacher geworden“ (Arb, 148) und jeder sei „durchaus ersetzbar“ (Arb, 151). Der Einzelne werde „Kriegsmann, aus der Masse wird das Heer“ (Arb, 28), eine adäquate Konfiguration für das angestrebte Staatsgebilde, in dem der „Wille zur Bildung heeresartiger Ordnungen“
59 Siehe auch Christian Graf von Krockow: Die Entscheidung. Eine Untersuchung über Ernst Jünger, Carl Schmitt, Martin Heidegger. Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag, 1958, S. 44–54.
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(Arb, 301) ein nicht zu leugnendes Phänomen sei. Jünger verortet seine „Revolution sans phrase“ historiographisch: Nur die „deutschen Frontsoldaten als Träger einer echten Gestalt“ (Arb, 39) seien in der Lage, die „deutsche Revolution“ zu vollenden, da sie prädestiniert seien, auf bürgerliche Charakteristika zu verzichten (Arb, 14 ff., 124 f., 265). Jüngers ästhetisch formulierte Diktatur (er selber räumt eine Diktatur als „Übergangsform“ ein, Arb, 151) des totalen Arbeits- und Lebensstils, seine „Metaphysik der Arbeitswelt“, die nach diesem Verständnis keine gesellschaftlichen Bereiche aussparen kann (im Besonderen äußert sich Jünger zur Wirtschaft, Kunst, Architektur und zu den Medien), zeichnet, ausgehend von einem Status Nascendi, eine Pyramide der Entwicklungsstadien auf. Es sind Planschritte auf dem Wege einer Gesamtdeformation des Individuums, schlechterdings einer Zoologisierung der menschlichen Gesellschaft, Bausteine zu jenen „typischen Bildungen“, mit jener „Eindeutigkeit von Bildungen kristallischer Art“ (Arb, 242), um die „Spannung zwischen Natur und Zivilisation, zwischen organischer und mechanischer Welt“ lösen zu können (Arb, 227). Vielleicht hat Jünger mit seinem geschichtsphilosophischen Entwurf einen originellen Lösungsvorschlag zur Überwindung der herrschenden Aporie beizusteuern versucht, eine hybride Attitüde, sämtliche Widersprüche mit einem Schlag aus der Welt zu schaffen, de facto aber formuliert seine futuristische Vision einen absoluten Machtanspruch: eine nivellierte Konfiguration durch Kohärenz von Technik und Mensch. Jüngers Patentrezeptur basiert auf einem Scheindiskurs, denn dem Demiurgen sind alle (re)definierten Mittel nur Mittel zum Zweck der Durchführung einer „Arbeitsmobilmachung“ (Arb, 302). Die Aufgabe der Totalen Mobilmachung ist die Verwandlung des Lebens in Energie, wie sie sich in Wirtschaft, Technik und Verkehr im Schwirren der Räder oder auf dem Schlachtfelde als Feuer und Bewegung offenbart. Sie bezieht sich also auf die Potenz des Lebens, während die Gestaltung das Sein zum Ausdruck bringt und sich damit nicht einer Bewegungs-, sondern einer Formensprache zu bedienen hat. (Arb, 220)
Das Ziel heißt „Meisterung der Welt“, der „Träger eines neuen Menschentums“ (Arb, 89) soll sie vollziehen, als Erfüllender und Bestandteil des „Arbeitsplans“ (Arb, 282–285). In der sogenannten „Arbeitsdemokratie“ (Arb, 268 f., 284 f.) ist die „liberale Demokratie“ schon hinreichend diskreditiert und die Vollendung des „Arbeitsstaates“ vorbereitet. Die Zeichen des Überganges deuten sich in der „Werkstättenlandschaft“ des industriellen Zeitalters an, die „Landschaft wird konstruktiver und gefährlicher, kälter und glühender“, wie Jünger sagt (Arb, 173), und im Zuge der „Monopolisierung der Technik […] als unverhülltes Machtmittel“ (Arb, 196) würden sich die „Planlandschaften“ der Gestalt des Arbeiters konstituiert haben. Im Folgenden der von Ernst Jünger vorskizzierte Verlaufsplan der Entwicklungsstufen:
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Während auf der untersten Stufe der Rangordnung die Gestalt des Arbeiters als gleichsam blinder Wille, als planetarische Funktion den Einzelnen ergreift und sich unterordnet, stellt sie ihn auf der zweiten Stufe als Träger des speziellen Arbeitscharakters in eine Mannigfaltigkeit von planmäßigen Konstruktionen ein. Auf der letzten und höchsten Stufe jedoch erscheint der Einzelne, indem er unmittelbar zum totalen Arbeitscharakter in Beziehung steht. (Arb, 154)
Und: Die Mobilmachung der Materie durch die Gestalt des Arbeiters, wie sie als Technik erscheint, ist also in ihrer letzten und höchsten Stufe noch ebenso wenig sichtbar geworden wie bei der ihr parallel laufenden Mobilmachung des Menschen durch dieselbe Gestalt. Diese letzte Stufe besteht in der Verwirklichung des totalen Arbeitscharakters, die hier als Totalität des technischen Raumes, dort als Totalität des Typus erscheint. Diese beiden Phasen sind in ihrem Eintritt aufeinander angewiesen – dies macht sich bemerkbar, indem einerseits der Typus der ihm eigentümlichen Mittel zu seiner Wirksamkeit bedarf, andererseits aber sich in diesen Mitteln eine Sprache verbirgt, die nur durch den Typus gesprochen werden kann. Die Annäherung an diese Einheit drückt sich aus in der Verschmelzung des Unterschiedes zwischen organischer und mechanischer Welt; ihr Symbol ist die organische Konstruktion.60 (Arb, 177)
Weiter: Wir befinden uns heute in der zweiten Phase der Anwendung von Machtmitteln technischer Art, nachdem sich in der ersten die Vernichtung der letzten Reste des ständischen Kriegertums vollzogen hat. Diese zweite Phase zeichnet sich durch die Konzeption und die Durchführung großer Pläne aus. (Arb, 199)
Und: Für die zweite, aktive, Stufe des Typus, in der sich der spezielle Arbeitscharakter repräsentiert, stellt sich der Eintritt in die abgeschlossene Formenwelt dar als der Übergang aus der Planlandschaft in eine Landschaft, in der eine tiefere Sicherheit zum Ausdruck kommt, als sie die reine Rüstung zu verleihen vermag. Es ist dies derselbe Übergang, der vom Experiment zur Erfahrung führt, das heißt: zu einer Methodik von instinktiver Art. (Arb, 245)
60 Aufschluss zum näheren Verständnis gibt Thomas Pekar: ,Organische Konstruktion‘. Ernst Jüngers Idee einer Symbiose von Mensch und Maschine. In: Friedrich Strack (Hg.): Titan Technik. Ernst und Friedrich Georg Jünger über das technische Zeitalter. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2000, S. 99–117.
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Und zuletzt: Schon das Wort Plan deutet an, daß es sich hier um eine veränderliche Landschaft handelt – dieser Tatsache entspricht die Veränderlichkeit der Mittel und die Ausprägung einer neuen Rasse […]. Ebenso haftet den drei Kennzeichen des Planes, der Abgeschlossenheit, Geschmeidigkeit und Rüstung, kein endgültiger, sondern ein Konzentrations- und Aufmarschcharakter61 an. (Arb, 305)
Rezension des Essays „Der Arbeiter“ post festum Der Weg führt über die Technik hinaus. (Ernst Jünger am 22.10.1967 an Gerhard Nebel, BW GN, 437)
Eine Auseinandersetzung mit dem Denken Jüngers bis 1932 – streng genommen muss man den Aufsatz „Über den Schmerz“ mit hinzunehmen, den Jünger in der Textsammlung „Blätter und Steine“ 1934 erstveröffentlicht – ist zwangsläufig eine Auseinandersetzung im Kontext einer fatalen Ideengeschichte. Es kann kaum verwundern, dass Jüngers heute skurril anmutende These im damaligen politischen Wirrwarr der Weimarer Endzeit, angesichts der wirtschaftlichen Misere und der damit einhergehenden überbordenden politischen Gesamtsituation, nicht unbedingt von vorherein als abwegig wahrgenommen wurde und somit zumindest in intellektuell aufgeschlossenen Kreisen rezipiert wurde. In der „Neuen Rundschau“ z. B. erschien eine Auseinandersetzung mit Jüngers „Arbeiter“, die symptomatisch genannt werden kann, da sie durchaus kontrovers ausgetragen wurde.62 In toto aber lässt sich keine wirkmächtige Rezeption des „Arbeiters“ konstatieren. Wären die Nationalsozialisten integre Zeitgenossen gewesen – was sie aufgrund ihrer ideologischen und vor allem charakterlichen Disposition nie hätten sein können –; hätten sie es verstanden, den politischen Vorzeigepublizisten Ernst Jünger mit seinem Entwurf von der „Herrschaft und Gestalt des Arbeiters“ (1932) – immerhin lässt sich partielle Gedankennähe attestieren – in ihr hybrides Ideenkonglomerat, das eine kollektive Idiolatrie intendierte, zu inkorporieren, wäre er erledigt gewesen! Ein Lob von dieser falschen Seite hätte ihn für alle Zeiten diskreditiert. Es bleibt bislang reine Spekulation, ob Jünger – vielleicht schon aus Gründen der Eitelkeit –
61 Siehe hierzu auch S. 61, Anm. 45. 62 In der Neuen Rundschau (Berlin und Leipzig). Jg. XLIV. H. 4, April 1933. Es erschienen Beiträge von Kurt Heuser, Franz von Unruh und Richard Fritz Behrendt. Siehe auch Norbert Dietka: Ernst Jüngers Entwurf von der „Herrschaft und Gestalt des Arbeiters“. Philologischer Versuch einer Annäherung. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2016, S. 175–180. Hier findet sich noch ein Überblick zur zeitnahen „Arbeiter“-Rezeption. Siehe ebd. S. 171–200.
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je gefährdet gewesen war, vom kollektiven Sog der sogenannten „braunen Bewegung“ im Zuge ihrer „Machtergreifung“ erfasst zu werden. Berührungspunkte im ideologischen Vorfeld gab es reichlich. Da Jünger vonseiten der Unterhändler des NS-Ideologen Alfred Rosenberg aber keine Avancen erhielt und stattdessen vielmehr harsche Kritik erntete,63 kam er erst gar nicht in die Versuchung, sich auszumalen, welche Rolle er im NS-Regime hätte spielen können, wie seine Funktion als ideologischer Mitstreiter, eingereiht in die Phalanx der kollektiven „Volksbeglücker“, hätte aussehen können. Zwar gibt es Belege der Distanzierung – Ablehnung eines Reichstagsmandats für die NSDAP sowie die Weigerung, der „Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste“ beizutreten64 –; allerdings ließen diese sich nicht unerheblich als Reaktion auf eine 1933 durchgeführte Hausdurchsuchung der Gestapo verbuchen.65 Weshalb sollte sich Jünger auch für diesen „neuen Staat“ engagieren, wenn dieser selbst gegen Widersacher im nationalistischen Umfeld – in concreto gegen „Nationalbolschewisten“,66 zu denen Jünger wohl von den Nationalsozialisten gerechnet wurde – dezisiv konsequent vorging? Souverän denkende Zeitgenossen erkannten schon frühzeitig, dass der federführende Mitstreiter für eine „Konservative Revolution“ (Mohler) – in kleinen nationalistischen Zirkeln publizierend – lediglich die Lust genoss, sich am irrwitzig anmutenden Hyperradikalismus zu delektieren, statt realpolitische Ziele zu verfolgen. Dieser sich elitär gerierende Sonderling gefiel sich offenbar in der Rolle eines Grand Provocateurs, ohne je die Absicht verfolgt zu haben, sich einer vulgären Massenbewegung anzuschließen, geschweige für diese zweckdienliche Schreibaufgaben zu verrichten. Jünger dürfte, obwohl er die disparate Zeitstimmung adäquat aufgreift, lediglich jenseits des Mainstreams operiert haben, nie ernsthaft an einer praxisorientierten Arbeit interessiert gewesen sein. Derjenige, der sich mit so viel Verve in die Debatten warf, muss schon bald, als sich Mitgedachtes am Horizont abzuzeichnen begann, eingesehen haben, selbst für die eigene Prognostik persönlich nicht mehr eintreten zu können. Verspürte der nationalistisch Involvierte plötzlich
63 Thilo von Trotha: Das endlose dialektische Gespräch. In: Völkischer Beobachter. Nr. 296, 22.10.1932. 64 Vgl. Joseph Wulf : Literatur und Dichtung im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Ausgabe, 1966, S. 37. 65 Am 12.4.1933 führte die Gestapo bei Jünger diese Hausdurchsuchung durch. Siehe Helmuth Kiesel: Ernst Jünger. Die Biographie. München: Siedler Verlag, 2007, S. 409. Ernst Jünger schildert dieses Ereignis retrospektiv: Siehe Ernst Jünger: Jahre der Okkupation. Stuttgart: Ernst Klett Verlag, 1958, S. 138. Ein Ausdruck der Empörung findet man bei Jüngers Ehefrau Gretha von Jeinsen: Silhouetten. Eigenwillige Betrachtungen. Pfullingen: Verlag Günther Neske, 1955, S. 140 f. 66 Einen engeren Konnex verfolgt der Aufsatz „,Der Arbeiter‘ und seine nationalbolschewistischen Implikationen“ von Jan Robert Weber. In: Andrea Benedetti/Lutz Hagestedt (Hg.): Totalität als Faszination. Systematisierung des Heterogenen im Werk Ernst Jüngers. Berlin/Boston: Walter de Gruyter (Verlag), 2018, S. 435–464.
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– da eigenes Denken im Anderen Gestalt annahm – Angst vor der eigenen Courage? Retrospektiv betrachtet könnte man Jünger für sein Ideen-Konvolut67 einer gewissen Mitverantwortung zeihen, gar ob seiner publizistischen Agitation eine Mitschuld am NS-Desaster anlasten.68 Es ist wohl kaum von der Hand zu weisen, dass er temporär an der Zerschlagung der Weimarer Republik zumindest in statu nascendi eifrig mitgewirkt hat, indem er innerhalb eines radikal-nationalistischen Zirkels69 affirmative Propagandaschriften emittierte.70 Gleichschaltung / Freude herrscht im Dritten Reich, / Hitler schaltet alles gleich. / Listig fragt man sich zuweilen: / Wird man dem Geschick enteilen? / Und wie stellt nach einem Jahr / Sich die dunkle Lage dar? (Ernst Jünger am 10.5.193371 )
Es ist nicht überliefert, wie Jünger ganz persönlich auf das Debakel vom „30. Januar 1933“ reagiert hat72 – seine Krise aber dürfte nicht unmittelbar darauf rekurrieren.
67 Siehe Ernst Jünger. Politische Publizistik 1919 bis 1933. Hg. von Sven Olaf Berggötz. Stuttgart: Klett-Cotta, 2001, S. 843–854. 68 In einem Brief teilt Joseph Breitbach Ernst Jünger mit, dass es in Frankreich Listen von deutschen „intellektuellen Kriegsverbrechern“ gebe, auf der auch Jünger figuriere. Breitbach führt Jüngers Widmung an Adolf Hitler an (die in einem Widmungsexemplar von „Blut und Feuer“ auftauche) und indiziert weitere Gründe: „[...] und zwar wegen eines grossen Teils Ihrer politisch-philosophischen Veröffentlichungen bis zum ,Arbeiter‘ inclusive.“ Vgl. Breitbach an Jünger, 17.10.1951. In: JüngerDebatte 2017. Ernst Jünger und das Judentum. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 2017, S. 174. 69 Siehe Armin Mohler: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932. Ein Handbuch. 5. Auflage. Graz/Stuttgart: Leopold Stocker Verlag, 1999, S. 294 f. 70 Helmuth Kiesel schreibt: „Der deutsch-französische Schriftsteller Joseph Breitbach, mit dem Jünger später freundschaftlichen Kontakt hatte, schrieb ihm am 19. November 1951, er müsse sich doch fragen lassen, ob er damals angesichts der ,Fehlwirkung‘ seiner Ideen sich nicht hätte veranlaßt fühlen müssen, Hitler eine ,eklatante, der ganzen Nation, und nicht nur den Eingeweihten hörbare Absage‘ zu erteilen.“ Helmuth Kiesel: Ernst Jünger. Die Biographie. München: Siedler Verlag, 2007, S. 425. 71 Ernst Jünger: Sämtliche Werke. Späte Arbeiten. Verstreutes. Aus dem Nachlass. Vierter SupplementBand. Band 22, S. 688. 72 Siehe ebd. S. 407 f. Siehe auch Heimo Schwilk: Ernst Jünger. Ein Jahrhundertleben. München: Piper Verlag, 2007, S. 356. Die Briefwechsel mit Friedrich Hielscher und Alfred Kubin geben darüber keine Auskunft. Der Briefwechsel mit Ernst Jüngers Bruder Friedrich Georg Jünger harrt noch einer Veröffentlichung. Allerdings verteidigte Ernst Jünger noch 1933 in einem Streitgespräch mit Paul Adams im Deutschlandsender vehement das „agonale Prinzip“, denn der Mensch sei nicht auf Frieden angelegt. Siehe Carl Schmitt: Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916–1969. Hg. von Günter Maschke. Berlin: Duncker & Humblot, 1995, S. 138.
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Seine zunächst abwartende Haltung angesichts der „Fülle von Umwandlungen“73 – die Jünger auch als Bestätigung seiner Prophetie vom kommenden „neuen Menschentypus“ verbucht haben mag – wollte er offenbar in aller Stille, in selbstverordneter „Anonymität“ (SV3, 376), aufmerksam verfolgen. An den Bruder Friedrich Georg Jünger schrieb er: „Wenn man den Ereignissen mit einem gewissen Gefühl der Nicht-Beteiligung beiwohnt, so doch nur wie ein Schauspieler, der in den ersten Akten noch unbeschäftigt ist und wartet, bis das Stichwort fällt, das auch ihn zum Handeln zwingt.“74 In den Folgejahren pflegte Jünger trotz der zunehmend antizivilisatorischen Transgressionen des NS-Regimes seinen Attentismus beharrlich. Allerdings lassen sich zahlreiche Indikatoren seines Bemühens um Integrität ausfindig machen, bis er mit der Veröffentlichung seines Widerstands-Romans „Auf den Marmor-Klippen“ (1939) zum „Retour offensif “75 überging und unmissverständlich Stellung bezog. Schon 1934 ließ Jünger in seiner Essaysammlung „Blätter und Steine“ seinen Degout gegen die herrschenden Verhältnisse in seinem „Epigrammatischen Anhang“ anklingen: „Die schlechte Rasse wird daran erkannt, daß sie sich durch den Vergleich mit anderen zu erhöhen, andere durch den Vergleich mit sich selbst zu erniedrigen sucht.“ (BS, 220) Oder: „Eine neue Technik der Gewaltanwendung kann als eingeführt gelten, wenn sie an ihren Installateuren erprobt worden ist.“ (BS, 221) Jünger hatte aber zuvor schon bei seiner Ablehnung der Berufung in die „Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste“ klar zum Ausdruck gebracht,76 was er von prätentiösen Anwandlungen hielt, wenn er auf einen Passus des 59. Kapitels seines Essays „Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt“ (1932) verweist: Wir leben in einer Welt, die auf der einen Seite durchaus einer Werkstätte, auf der anderen durchaus einem Museum gleicht. Der Unterschied zwischen den Ansprüchen, die diese beiden Landschaften stellen, ist der, daß niemand gezwungen ist, in einer Werkstätte mehr als eben eine Werkstätte zu sehen, während in der musealen Landschaft eine Erbauungsstimmung herrscht, die groteske Formen angenommen hat. (Arb, 206)77
Als eindeutigen Beleg für seinen Rückzug könnte man seinen Weggang aus der Metropole Berlin deuten, die Verlegung des Wohnsitzes am 13.12.1933 in das Provinznest Goslar spräche dann für sich. Im Dezember 1936 weicht Jünger noch weiter
73 Vgl. Ernst Jünger: Untergang oder neue Ordnung? In: Ernst Jünger: Politische Publizistik 1919 bis 1933. Hg. von Sven Olaf Berggötz. Stuttgart: Klett-Cotta, 2001, S. 644. 74 Zit. n. Helmuth Kiesel: Ernst Jünger. Die Biographie. Stuttgart: Klett-Cotta, 2007, S. 421. 75 Vgl. ebd. S. 417. 76 Siehe S. 71, Anm. 64. 77 Als die „Junge Mannschaft“ (Beilage des „Völkischen Beobachters“) am 6./7.5.1934 einen Auszug aus seiner Publikation „Das abenteuerliche Herz. Aufzeichnungen bei Tag und Nacht“ (1929) ohne Genehmigung des Autors abdruckte, protestierte Jünger energisch. Siehe BW CS, S. 27 f.
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vom Zentrum der Machthaber nach Überlingen an den Bodensee ins „Weinberghaus“ aus, um schließlich im April 1939 wieder in heimatliche Gefilde vorzurücken, nämlich in die „Herbst-Klarwetter-Klause“ nach Kirchhorst bei Hannover. Signifikant dürfte Jüngers Bonmot („Ich habe mir einen erhöhten S-tandort [sic!] ausgesucht, von dem aus ich beobachte, wie sich die Wanzen gegenseitig auffressen.“) sein, das der ihm nahestehende Autor Ernst von Salomon festhielt. Voran schickt er ein nachvollziehbares Verdikt: Nun mußte es tief in der Natur Ernst Jüngers begründet sein, daß er vom ersten Künder eines neuen und elementar geistigen Nationalismus zu dessen erstem Überwinder wurde. Sein Buch „Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt“ erschien just zu einem Zeitpunkt, als die Bemühungen um den Einbau eines mehr oder weniger treuherzigen Sozialismus in die Begriffswelt der Nation noch in vollem Schwange waren, und seine Aufzeichnungen in „Das abenteuerliche Herz“ eröffneten geradezu im Gegensatz zu einer eben erst erwachten biologischen Traum- und Zauberwelt den Ausblick in magische Bezirke ganz anderer und sehr eigenwilliger Art.78
Dokumentiert sind aber auch zwei Fälle, in denen Jünger für arg in Bedrängnis Geratene Partei ergreift. Mit einem Leumundszeugnis verwendet er sich für den Maler Rudolf Schlichter, der aus Zensurgründen von der Reichskulturkammer existentiell bedrängt wurde. (BW RS, 12 und 16 f.) Im anderen Fall brachte Jünger für den Biologen Fritz Merkenschlager ein Gutachten bei, denn dieser hatte mit seiner „Rassenlehre“ ein Sakrileg begangen – für Jünger eine Gelegenheit, seine Position den offiziellen Stellen gegenüber noch einmal zu erhärten: Herr Dr. Merkenschlager ist mir durch seine Veröffentlichungen über die Rassenfrage bekannt. […] Den besonderen Wert seiner Rassenauffassung erblicke ich darin, daß sie die Mannigfaltigkeit der in unserem Volkskörper ruhenden Anlagen betont und die geheimen Beziehungen bloßlegt, die die Eigenart der Rassen zu den Formen der menschlichen Aktivität besitzt […]. Diese Anschauungen bewegen sich auf der Linie der besten deutschen Tradition, wie sie in den Ideen Herders und seines Schülers Klemm vorgezeichnet ist (BW FH, 510 f.).
Auf ein drittes Ereignis macht der spätere Sekretär Jüngers aufmerksam. Armin Mohler hält fest: „Gespräch um 1933 über Greuel im Columbiakeller, wo CS [Carl Schmitt] entgegnet, eine einzige solche Tat wiege mehr als tausend Jahre Geschwätz.“79 Im Hause Jüngers mag man sich dessen sinistrer Invektive erinnert haben, denn auch im Briefwechsel Jünger/Schmitt wird noch einmal darauf
78 Ernst von Salomon: Der Fragebogen. Hamburg: Rowohlt Verlag, 1951, S. 296. 79 Armin Mohler: Ravensburger Tagebuch. Meine Jahre mit Ernst Jünger 1949/50. Wien/Leipzig: Karolinger Verlag, 1999, S. 29.
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rekurriert. (BW CS, 247) Carl Schmitt reagiert auf Jüngers Kritik mit einem abschneidenden Reflex: „Gut. Capisco et obmutesco.“ (BW CS, 248) Jüngers Wandlung vom „bellizistischen Nationalisten“ (Leo Strauss) zum konservativen Fürsprecher eines „Weltfriedens“ dürfte inzwischen unstrittig sein. Seine Textkonvolute aber – seine schrille „politische Publizistik“ aus den zwanziger und frühen dreißiger Jahren sowie sein kriegsbejahendes Tagebuchwerk „In Stahlgewittern. Aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers“, ferner die „Auskoppelungen“ „Feuer und Blut. Ein kleiner Ausschnitt aus einer großen Schlacht“ und „Das Wäldchen 125. Eine Chronik aus den Grabenkämpfen“ und vor allem sein mehrgliederiges Essaywerk zum „Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt“ („Der Kampf als inneres Erlebnis“, „Die Totale Mobilmachung“ und „Über den Schmerz“) aus demselben Zeitraum – sind unauslöschlich in der Welt, dem aufmerksamen Rezipienten jederzeit zugänglich und für einen motivierten Interessenten möglicher Anlass für eine kritische Bestandsaufnahme. Rezeptionsergebnisse – das chronologische Literaturverzeichnis suggeriert mitunter vorschnell eine gewisse Interdependenz der Resultate – linear zu verfolgen, ihre Produktionen auf Essenz und Differenz zu ventilieren, würde dazu verpflichten, am Ende doch die Vielzahl der Einzelevokationen wissenschaftstheoretischen Prämissen und methodischen Vorlieben zuzuordnen. Verlockend wäre deshalb, sogleich eine ideologische bzw. ideologiekritische, ergo eine determinierende Zuordnung zu favorisieren und es dem Betrachter, ergo dem Rezipienten der Rezeptionen, zu überlassen, Kongruenzen und Divergenzen auszumachen. Ist die zeitnahe Rezension (recensio), die im Rahmen des Feuilletons mit ihrer Präsentation erster Urteile über Kunstprodukte fällt, nicht zuletzt auch einem Markt verpflichtet, dürfte die Rezeption (receptio) eines Werkes, die in Form eines längeren Aufsatzes oder eines Essays oder eines wissenschaftlichen Buchprojektes angelegt ist, zuvorderst wissenschaftlichen Kriterien verpflichtet sein (vorzugsweise der Rezeptions- resp. Wirkungsästhetik, wie sie die „Konstanzer Schule“ vorschlug). Der Arbeiter lebt nun seit anderthalb Jahrzehnten und bewegt sich von selbst fort, in einer Art, über die Sie keine Macht mehr haben. (Armin Mohler am 13.10.1947 an Ernst Jünger80 )
Bewertungen von Textaussagen müssen mittels Transparenz sowie durch Plausibilität bestechen, sie sind den Urteilen vorzuziehen, die sich lediglich in Mitteilungen von Leseeindrücken erschöpfen. Marie Baum hatte in ihrem „Rückblick auf mein
80 Armin Mohler: Lieber Chef … Briefe an Ernst Jünger 1947–1961. Schnellroda: Verlag Antaios, 2016, S. 29. Wie ein roter Faden ziehen sich die Bemerkungen Mohlers zum „Arbeiter“ durch den Briefwechsel mit Ernst Jünger. Siehe vorzugsweise S. 75, 244, 310, 313, 332, 459, 488 und 509.
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Leben“ festgehalten, dass sie Hitlers Gesinnungsschrift „Mein Kampf “ erst richtig verstanden habe, nachdem sie Jüngers „Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt“ gelesen habe,81 und damit ohne Frage auch eine soziologisch relevante Zeitzeugenbekundung evoziert. Aber ganz so einfach ist die Sache nicht, wenn eine Studie, auf eine profunde Wissensgrundlage gestellt, gewichtige Konnexionen ventiliert, wie das der französische Soziologe Pierre Bourdieu in seiner Beschäftigung mit Martin Heideggers „politischen Ontologie“ gezeigt hat.82 In beinahe gutachtlicher Manier und durchaus relativierend83 klopft Bourdieu Affinitäten zwischen dem „Seins“Philosophen und dem Schriftsteller der „konservativen Revolution“84 ab. Jüngers Essay verortet er in nuce nicht anders als Heidegger selbst: „,Der Arbeiter‘ gehört in die Phase des ,aktiven Nihilismus‘ (Nietzsche).“85 Auch wird der Soziologe konkret, wenn er eine kritische Exegese des Großessays von 1932 in Angriff nimmt: Der „Typus des Arbeiters“ […] hat mit dem in allen Farben das [recte: des] Klassenrassismus gezeichneten wirklichen Arbeiter nicht das Geringste zu tun; sein Reich ist die „organische Konstruktion“, die mit der mechanischen Masse nichts gemein hat. Analytisch ist dieser nebulösen Mythologie kaum beizukommen: Orientiert am Schema der „konservativen Revolution“, verwirklicht sie die concilatio oppositorum und ermöglicht so, alles zugleich zu besitzen: die preußische Disziplin und den individuellen Verdienst, den Autoritarismus und den Populismus, das Mechanisch-Maschinelle und den ritterlichen Heroismus, die Arbeitsteilung und die organische Ganzheit. Der Arbeiter, ein Held der Moderne gleichsam, vor ihm der „Arbeitsraum“ […], steht in unmittelbarem Kontakt mit dem Elementaren […] und vermag dergestalt zu einem „einheitlichen Leben“ zu
81 Vgl. Marie Baum: Rückblick auf mein Leben. Heidelberg: F. H. Kerle Verlag, 1950, S. 293 ff. Sie wertete, ohne groß zu hinterfragen: „Den ersten Schritt zum Verständnis [Hitlers Schrift ,Mein Kampf ‘] verdanke ich Ernst Jünger, dessen Buch ,Der Arbeiter, Herrschaft und Gestalt‘ mir zeigte, welch seltsame Irrwege diese Jugend ging. Ernst Jünger, dessen Formulierungen dem frühen Nationalsozialismus die geistigen Waffen geliefert haben, sprach eine formal zugängliche Sprache: der Mensch verzichtet auf seine von Gott verliehene geistige und sittliche Freiheit, er will nicht mehr Einzelkraft sein, sondern Typus, der nur als Teil im Gesamt des Staates seine Bedeutung erhält.“ Ebd. S. 293 f. 82 Pierre Bourdieu: Die politische Ontologie Martin Heideggers. Edition Suhrkamp 1514. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1988. 83 Vgl. ebd. S. 14. Martin Heidegger urteilt über Ernst Jünger dezidiert: „Jünger ist ein Erkenner, aber nirgends ein Denker.“ Martin Heidegger: Zu Ernst Jünger. Gesamtausgabe. IV. Abteilung: Hinweise und Aufzeichnungen. Bd. 90. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 2014, S. 263. 84 Bourdieu schreibt, dass der Begriff „konservativer Revolutionär“ (vgl. S. 38, Anm. 47) erstmalig 1927 bei Hugo von Hofmannsthal auftauche; Armin Mohler fand ihn bei Thomas Mann schon 1922 (vgl. Armin Mohler: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932. Ein Handbuch [1950]. 5. Auflage. Graz/Stuttgart: Leopold Stocker Verlag, 1999, S. 191). 85 Pierre Bourdieu: Die politische Ontologie Martin Heideggers. Edition Suhrkamp 1514. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1988, S. 53. Siehe auch Martin Heidegger: Zu Ernst Jünger. Gesamtausgabe. IV. Abteilung: Hinweise und Aufzeichnungen. Bd. 90. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 2014, S. 87 und 90 ff.
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gelangen. Durch keine Kultur korrumpiert, steht er in Lebensverhältnissen, die – wie das Schlachtfeld auch – ebenso Individuum und Masse wie sozialen „Rang“ in Frage stellen. Und er bietet die Technik auf – ein neutrales Mittel. Das alles prädestiniert ihn zur Durchsetzung einer neuen sozialen Ordnung militärischen Typs, einer kümmerlichen preußischen Variante der heroischen Technokratie freilich nur, von der Marinetti und die italienischen Futuristen einst träumten. […] Letzten Endes lautet der Lösungsvorschlag hier, das Übel durch das Übel zu bekämpfen und zu heilen, in der Technik und dem reinen Geschöpf der Technik, dem im totalitären Staat mit sich selbst versöhnten Arbeiter, die Grundlage der Herrschaft über die Technik auszumachen. […] Wie im mythischen Denken löst sich die bis zum Äußersten getriebene Spannung durch die vollständige Umkehrung des Pro und Contra. Es ist die gleiche magische Logik der Vereinigung der Gegensätze, die inmitten dieser extremistischen Randgruppe der konservativen Revolutionäre in das Denken des Führers mündet, der Grenze dessen, was dieser, als Vereinigung von Heldenkult und Massenbewegung, angeblich überwindet.86
Klemens von Klemperer hatte einst gemutmaßt, dass man Ernst Jünger „vielleicht einen deutschen T. E. Lawrence nennen“ könne;87 Margret Boveri jedenfalls will zumindest „Gleichzeitigkeit im Denken“ dieser beiden Figuren der Zeitgeschichte festgestellt haben.88 Sie spekuliert: „Wäre ,The Mint‘ [auf Anweisung des Autors erst posthum veröffentlicht] Anfang der dreißiger Jahre erschienen, dann hätte die Welt […] einen Mann kennengelernt, der wie eine Illustration zu Ernst Jüngers ,Der Arbeiter‘ (1932) wirkt.“89 Sie behauptet: „Was Jünger über ,die Ablösung des bürgerlichen Individuums durch den Typus des Arbeiters‘ theoretisch postuliert, wird von Lawrence vorgelebt.“90 Boveri macht ihre Entdeckung an Phänomenen fest, die beide Autoren ästhetisieren: Jünger begrüße „die kommende Herrschaft der Arbeitstracht“; Lawrence betone die „,spirituelle‘ Bedeutung des Overalls“; für Jünger erhalte die Arbeit „,kultischen Rang‘“; Lawrence spreche „mehrmals von worship (anbetende Verehrung) für die Maschine und den technischen Ingenieur“; beide „liebten den Rausch der Geschwindigkeit“.91 Eine weitere Parallele betrifft die Affirmation von Konformität: das „Ideal der Mannschaft, daß sie wie Bienenzellen gleichartig und einander angepaßt seien“ (Lawrence) – unter Inkaufnahme des Verlustes von Individualität. Die Elaborate beider Häretiker sind natürlich durch die abschreckenden Erfahrungen mit dem NS-Regime und dem UdSSR-Kommunismus
86 Pierre Bourdieu: Die politische Ontologie Martin Heideggers. Edition Suhrkamp 1514. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1988, S. 44 f. 87 Vgl. Karl Heinz Bohrer: Die Ästhetik des Schreckens. Die pessimistische Romantik und Ernst Jüngers Frühwerk. München. Wien: Carl Hanser Verlag, 1978, S. 519 f. 88 Vgl. Margret Boveri: Der Arbeiter und der Prägestock. Über die Gleichzeitigkeit im Denken von E. Jünger und T. E. Lawrence. In: FAZ, 26.3.1955. 89 Ebd. 90 Ebd. 91 Vgl. ebd.
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depraviert, dennoch, so Margret Boveri, seien „beide Bücher heute noch aktuell“.92 Bei ihrer kritischen Bilanzierung moniert sie Umweltunverträglichkeiten, die vor allem Jünger damals noch nicht im Auge hatte („[…] wo die Urkräfte des Organischen von den Wirkkräften des Fabrizierten zu unterscheiden wären“93 ). Boveri urteilt: „Bei allem Ahnungsvermögen für die Macht des Unberechenbaren steckte in diesen Feinden des Fortschrittsglaubens damals doch ein Glaube an rationale Logik, die ihr Gefühl für die Kreatur, sei es Mensch, Tier, Pflanze oder Humus, beeinträchtigte.“94 Sie räumt aber ein, dass im Werk von Lawrence die „geschundene Kreatur den Hauptteil“ einnehme. Auch konstatiert sie Widersprüche in der Person Lawrence’, sodass sie am Ende ihrer Ausführungen festhalten muss: „In seiner Gestalt als ,ungekrönter König Arabiens‘ war er geradezu die Antithese zu Jüngers Gestalt vom ,Arbeiter‘.“95 Um das Spektrum der Rezeption des Großessays „Der Arbeiter“ ein wenig auszuleuchten, bietet es sich an, die aktuellen Anlässe aufzugreifen, an denen sich die Revisionen dieses umstrittenen Elaborats festmachen lassen. Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ließ eine Atmosphäre, die von Schuldzuweisungen beherrscht wurde,96 (noch) keine (relativ) sachliche Debatte zu. Die erste Nachkriegsrezeption fand definitiv erst im Zuge der Herausgabe der zehnbändigen Werkausgabe (1960–1965) statt (Band 6. Essays II. Der Arbeiter. 1964). Anlass zur Stellungnahme in Form von „produktiver Rezeption“ (Hans Robert Jauß) geben mitunter auch publizistische Ereignisse, wie im Falle der Veröffentlichung von Karl Heinz Bohrers Habilitationsschrift „Die Ästhetik des Schreckens“, 1978 im Hanser-Verlag erschienen. Ein weiteres Ereignis war 1982 durch die Verleihung des Goethepreises der Stadt Frankfurt am Main an Ernst Jünger gegeben, dem
92 Vgl. ebd. Sie schreibt: „Gerade daß sie, aus so großer räumlicher, zeitlicher, persönlicher Distanz in ihrem Denken aufeinandertreffend, sich gegenseitig bestätigen, stellt uns vor die Aufgabe, darüber nachzudenken, was heute für uns noch Gültigkeit [hat] und wo die Fehler im damaligen Denken dieser Männer liegen.“ Ebd. 93 Vgl. ebd. 94 Ebd. 95 Ebd. 96 Die jüngst veröffentlichten Briefe Victor Klemperers, u. a. am 20.6.1946 an Otto Vossler, vermitteln erneut den Eindruck, wie aufgeladen die emotionale Stimmungslage war. Was Viktor Klemperer dem Sohn Karl Vosslers vorhält, muss noch heute jeden Zeitreflektanten berühren: „Um es sogleich zu sagen: ich kann keinen Buchstaben des inkriminierten Satzes [,Denn man konnte unter Hitler auf keinem geisteswissenschaftlichen Katheder bleiben[,] ohne die Wahrheit zu verraten.‘] zurücknehmen, ich kann es nicht – es liegt ein durch nichts zu verschleiernder oder gar abzuwaschender corporativer Verrat der Wahrheit vor.“ Victor Klemperer: Da riss ich den Judenstern herunter. In: FAZ, 3.6.2017, S. 18. Siehe auch Norbert Dietka: Ernst Jünger nach 1945. Das Jünger-Bild der bundesdeutschen Kritik (1945 bis 1985). Frankfurt am Main/Bern/New York/Paris: Verlag Peter Lang, 1987, S. 58–82.
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wiederum zumeist ideologiekritische Besprechungen folgten.97 Eine Zäsur lässt sich außerdem post mortem registrieren; nach dem Tod Jüngers (17.2.1998) kann eine rege Rezeptionstätigkeit registriert werden, die bis dato anhält und auch stets – gewissermaßen en détail – Jüngers „Arbeiter“ einschließt. Revisionen von der Jünger nahestehenden Kritik lassen sich in den frühen sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts unschwer als genuine Verteidigungs- und en détail als Rechtfertigungsschriften indizieren. Curt Hohoff reduziert Jüngers „Arbeiter“ auf eine „Lagebeschreibung“, deren visionäres Potential heute verifiziert werden könne: Jünger dürfe „[…] 1963, mit höhnischem Triumph, ausrufen: ,Inzwischen proklamieren die Inder die totale Mobilmachung.‘“98 Die Werkrezeption des „Arbeiter“-Essays – „der wohl sein bedeutendster philosophischer Beitrag“ sei99 ; so konstatiert der Kritiker Sigfrid Bein – habe erhebliche „Mißverständnisse“ verursacht;100 seines Erachtens müsse der Text im Kontext des Nihilismus (in Anlehnung an Martin Heidegger spricht Bein vom „aktiven Nihilismus“) gesehen werden – etwas pleonastisch wird Friedrich Nietzsche kolportiert, „daß der Nihilismus die notwendige Vorstufe zu dessen Überwindung“ sei.101 Jünger habe die Technik als entscheidende „neue Seinsmacht“ erkannt, den „neuen Typus“ entdeckt und dessen „Gestalt“ prophezeit.102 Von einem ganz anderen Kaliber ist dagegen die Revision des „Arbeiters“ von Nicolaus Sombart. Eingangs seines spektakulären Aufsatzes präsentiert er – rhetorisch geschickt eingefädelt – eine Trouvaille, nämlich mit Jüngers „Arbeiter“ ein „Originaldokument“ gefunden zu haben, mit dem sich der verhängnisvolle Teilabschnitt deutscher Geschichte als „Formel des Mißerfolges extrapolieren ließe.“103 Jünger, den er pejorativ als „Mystagoge“ charakterisiert, habe damit eine „Zusammenschau von technischer Welterschließung, Planungsnotwen-
97 Zwei Arbeiten können exemplarisch genannt werden. Eine explizite Rezension von: Heinz-Dieter Kittsteiner/Helmut Lethen: „Jetzt zieht Leutnant Jünger seinen Mantel aus.“ Überlegungen zur „Ästhetik des Schreckens“. In: Berliner Hefte 11, Mai 1979, S. 20–50. Und eine eher indirekte Bezugnahme durch: Rüdiger Hentschel: Exekution der Moderne. Zu E. Jüngers „Der Arbeiter“ und G. Deleuze/F. Guattaris „Anti-Ödipus“. In: Horst Kurnitzky (Hg.): Notizbuch. Psychoanalyse und Theorie der Gesellschaft. Berlin: Medusa Verlag Wölk + Schmid, 1979, S. 53–77. 98 Curt Hohoff : Kriegszustand in der technischen Welt. Das Buch, das Jünger die meisten Feinde machte. In: Die Welt der Literatur. Jg. 1. Nr. 8, 25.6.1964, S. 245. Hohoff schreibt: „Jünger hatte den Typus ,gesehen‘ und in surrealer Verfremdung, antidemokratisch kokettierend, hingestellt.“ Ebd. 99 Vgl. Sigfrid Bein: Der Arbeiter. Ernst Jüngers Beitrag zur Deutung unseres Zeitalters. In: Welt und Wort. Jg. 19, 1964, S. 171. 100 Vgl. ebd. 101 Vgl. ebd. 102 Siehe ebd. S. 172. 103 Vgl. Nicolaus Sombart: Ernst Jünger: Der Arbeiter. Zur Neuauflage 1964. In: Nicolaus Sombart: Nachdenken über Deutschland. Vom Historismus zur Psychoanalyse. München: Piper, 1987, S. 145.
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digkeiten [Jüngers Hypothesen hierzu werden von Sombart durchaus gelobt104 ] und Totalitarismus in einem Umstrukturierungsprozeß der gesellschaftlichen Verhältnisse in ihrer Gesamtheit“105 vorgelegt. In einem kleinen Exkurs106 rekurriert der Bilanzierende auf die deutsche Malaise, kennzeichnet die spezifischen Ursachen für eine Velleität des deutschen Bürgertums mit dem Resultat, dass diesem Bürgertum ein „dynastische[r] Militärstaat aufgezwungen“ worden und der Soldat zum „dominierenden Typus“ avanciert sei. Sombart skizziert die folgenschwere Zäsur durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg mit ihren fatalen Begleiterscheinungen: die aufoktroyierte Demokratie mit wenig innerdeutscher Gegenliebe (Sombart spricht von „wesensfremde[r] Lebensordnung“107 ) und die Virulenz diverser Insinuationen; eine Gemengelage, an der „Jüngers Arbeiter seinen politischen Koeffizienten“ erhalten habe, den historischen Augenblick nämlich, in dem sich der innerdeutsche Konflikt zwischen „Bürger“ und „Soldat“ ins weltpolitisch-welthistorische [sic!] ausgeweitet hatte, die Niederlage des „Soldaten“ zu einer nationalen Schande, – der Staat des „Bürgers“ zu einer schamlosen Usurpation, zur Fremdherrschaft geworden war. […] Es handelte sich nicht mehr um eine interne Abrechnung zwischen Brüdern, sondern um die Revanche eines Volkes in planetarischen Dimensionen.108
Sombart macht auch auf eine wunde Stelle aufmerksam: Jünger habe bei seinem Vorgehen „Aus-drei-mach-eins“109 – gemeint ist wohl die von Jünger favorisierte Trinität aus „Technologie, Deutschtum und Anti-Bürgerlichkeit“110 – zentral auf eine vermeintliche Insuffizienz abgehoben, dass nämlich dem Deutschen „,im Innersten jedes Verhältnis zur individuellen Freiheit‘“ fehle111 – ein Prokrustesbett für einen autoritären Führerstaat? Sombarts Fazit: „Jünger hat nur formuliert, was die Mehrzahl des Volkes dunkel glaubte. […] Wir wissen, daß der Chiliasmus in Zeiten der Not floriert und schließlich alle Geschichtsphilosophie auf der Bemühung beruht, eine Niederlage in einen Sieg umzuwandeln.“112 Mit seiner Arbeit über „Die Ästhetik des Schreckens“ hat Karl Heinz Bohrer der Jünger-Rezeption eine neue Perspektive eröffnet, die mit einem Schlag die
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Siehe ebd. S. 149. Ebd. S. 150. Siehe ebd. S. 154 f. Vgl. ebd. S. 155. Ebd. Vgl. ebd. S. 152. Vgl. ebd. S. 158. Vgl. ebd. S. 153. Ebd. S. 161.
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ideologischen Verdächtigungen in einem anderen Licht erscheinen ließen.113 Denn Jüngers Frühwerk könne ein Beispiel geben, dass sich der „Schrecken als eine Kategorie der ästhetischen Wahrnehmung im Kontext der dezisionistisch gewordenen modernen Kunst und Literatur“114 veranschlagen lasse. Position bezieht Bohrer in seiner Habilitationsschrift gegen ideologische Interpretationen der Texte Jüngers;115 insbesondere macht Bohrer aber Front gegen die deutungshoheitliche Rezeption der zeitgenössischen Ideologiekritik.116 Bohrers eigentliches Bestreben ist, Jünger genuin literarisch zu veranschlagen, was letztlich – das betrifft naheliegend die frühe Textproduktion Jüngers, ergo dessen signifikant nationalistische Phase – eine Entpolitisierung des Œuvres intendiert. Die politische Publizistik Jüngers wird bei der Textanalyse beinahe völlig ausgespart; im Vordergrund steht in erster Linie die poetologische Divergenz der beiden Fassungen des „Abenteuerlichen Herzens“ (Jüngers Prosa-Veröffentlichungen von 1929 und 1938). Bohrer unterscheidet sukzessiv verlaufende wahrnehmungsästhetische Kategorien bei Jünger: zunächst den durch den Ersten Weltkrieg bedingten117 „plötzlichen Wahrnehmungs-,Schrecken‘“ – dann die „Zunahme des „symbolisch-allegorischen Schreckbildes“ – und schließlich den „fortgeschrittenen Symbolismus“.118 Um den gegenaufklärerischen Stand-
113 Karl Heinz Bohrers „hermeneutische Absicht“ bezieht sich explizit auf das Frühwerk Ernst Jüngers: „[…] weil sich hier das kardinale Problem des Widerspruchs vom Ästhetischen zum Moralischen nicht mehr im Rahmen jener […] geistesgeschichtlichen Tradition stellt, sondern als die moderne Spannung partieller Regression und unverstellter Wahrnehmungsintensität“ nachweisen lasse. Karl Heinz Bohrer: Die Ästhetik des Schreckens. Die pessimistische Romantik und Ernst Jüngers Frühwerk. München: Carl Hanser Verlag, 1978, S. 76. 114 Vgl. ebd. S. 9. Sein Projekt kennzeichnet er wie folgt: „Es ist eine solche Nomenklatur zu wählen, die den ,dezisionistischen‘ Charakter von Kunst nicht vornehmlich als moralische oder politische Verfehlung diskutiert, sondern in ihm ein genuines Problem des ästhetisch gewordenen, modernen Bewußtseins erkennt. Ernst Jüngers Frühwerk […] ist einer der letzten Versuche gewesen, dem Begriff der Vernunft durch die pure Anschauung des Schönen aufzukündigen. Es wird zu zeigen sein, inwiefern dieser Versuch wider die Vernunft kein Sekundärvorgang ist im Schatten ideologischer Gewährsleute und theoretischer Vermittler, sondern als ein von anderen Determinanten her zu begreifender, autonomer Akt ästhetischer Wahrnehmung“. Ebd. S. 19. 115 In persona von Helmut Kaiser: Mythos, Rausch und Reaktion. Der Weg Gottfried Benns und Ernst Jüngers. Berlin: Aufbau-Verlag, 1962. Siehe Karl Heinz Bohrer: Die Ästhetik des Schreckens. Die pessimistische Romantik und Ernst Jüngers Frühwerk. München: Carl Hanser Verlag, 1978, z. B. S. 432 f. 116 Siehe ebd. S. 70, 140 f., 369, 406 ff., 489, 491, 613 (Anm. 502). 117 Bohrer meint: „Es ist nicht zu weit gegangen, wenn man feststellt, daß sich in Jüngers Erlebnis des Grauens im Kriege die von der Decadence formulierte ästhetische Erfahrung als letzte Steigerung ausgedrückt hat.“ Ebd. S. 89. Und: „Das ,Grauen‘ Jüngers ist das Grauen einer mörderischen Sekunde. Gewissermaßen in einem noch vortheoretischen Feld wird hier durch die ,dezisionistische‘ Form der Wahrnehmung ein gedanklicher Dezisionismus vorweggenommen.“ Ebd. S. 151. Siehe auch ebd. S. 149. 118 Vgl. ebd. S. 448.
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ort des eigenwilligen Perspektivismus Jüngers zu untermauern, zieht Bohrer einschlägige Garanten heran: den jungen Hugo von Hofmannsthal, E. T. A. Hoffmann und Thomas Mann sowie E. A. Poe, Charles Baudelaire, Oskar Wilde, Marquis de Sade und nicht zuletzt die zeitgenössischen Autoren des frühen französischen Surrealismus Louis Aragon und André Breton.119 Darüber hinaus prüft Bohrer Affinitäten zu Georges Sorels „Réflexions sur la Violence“, zu Joris-Karl Huysmans’ „À rebours“ und zu Maurice Barrès’ „Du Sang, de la Volupté et de la Mort“. Dass in diesem Kontext selbstverständlich auch die Denker-Giganten Friedrich Nietzsche und Oswald Spengler gewichtet werden – Erstgenannter stärker, Letzterer mit weniger Einfluss – dürfte sich von selbst verstehen. Bohrers ehrgeiziges Projekt will den umstrittenen Autor der Nachkriegszeit entlasten, ihn von ungerechtfertigten Verdächtigungen und falschen ideologischen Inanspruchnahmen befreien. Das wird insbesondere deutlich, wenn Bohrer den Essay „Über den Schmerz“ (1934) und vor allem Jüngers Großessay von der „Herrschaft und Gestalt des Arbeiters“ (1932) rezipiert. Seine Interpretation zum Essay „Über den Schmerz“ rekurriert wieder einmal auf Jüngers Erste-Weltkriegs-Erfahrung:120 Der „Schmerz“ bezeichnet […] eine phänomenologisch gewonnene, anthropologische Ansicht vom Zustand und der zukünftigen Entwicklung des Menschen, den die überkommenen Wertdefinitionen, gemeint sind hier vornehmlich jene, die dem Positivismus, der Aufklärung und den ihnen nachfolgenden modernen theologischen und politischen Bestimmungen entstammen, nicht mehr erfassen. […] Es ist folgerichtig, daß er die Evidenz seiner im „Schmerz“-Begriff gefundenen Wahrheit über die soziale und historische Verfaßtheit des modernen Menschen an eben jenen ästhetischen Dokumenten erläutert, die schon der Wahrnehmungs-Ästhetik zentrale Motive lieferten: an Bildern von Bosch und Breughel.121
Der gängigen Meinung, den „Arbeiter“ eine programmatische Schrift zu nennen, würde Karl Heinz Bohrer dezidiert widersprechen, gemäß seiner These ist es „kein politisches Buch“.122 Die von Jünger insinuierte „Revolution“ (die schon in der Datierung seines Vorwortes suggeriert wird) will Bohrer lediglich mit Jüngers Idee von einem „zweiten Bewußtsein“ verknüpft sehen.123 Bohrer meint: „Hinter den beanspruchten proletarischen Termini des ,Arbeiters‘ und seiner ,Herrschaft‘ wird die Topologie einer literarischen Utopie erkennbar, vergleichbar mit den
119 Siehe ebd. zu Letzteren S. 359–410. 120 Bohrer notiert: „Man wird bei der Genese des Jüngerschen ,Schmerz‘-Begriffs ähnlich wie bei der Entwicklung der Erfahrung des ,Schreckens‘ die Kriegserfahrung des Autors reflektieren müssen. Schmerz war die fundierende Wahrnehmung des Krieges.“ Ebd. S. 414. 121 Ebd. S. 457. 122 Vgl. ebd. S. 470. 123 Siehe ebd. S. 471 f.
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phantastischen Räumen in Kubins Roman ,Die andere Seite‘.“124 Diese „Utopie“ indiziert Bohrer wegen ihres „pessimistischen Charakter[s]“ – welcher schon durch ein fehlendes „Glücksversprechen“ gegeben sei – als „negative Utopie“.125 Auch die Nähe zur „phantastischen Science fiction“ will Bohrer erkennen, wenn Jünger in seinem Essay über die „planetarische Dimension“ seines Herrschaftsanspruches philosophiert.126 Die oftmals realpolitischen Implikationen des Essays werden von Bohrer argumentativ relativiert: „Die beste Staatsform ist diejenige, welche die Besten zur Herrschaft bringt.“ [Bohrer zitiert hier Othmar Spann: Der wahre Staat. Vorlesungen über Abbruch und Neubau der Gesellschaft, 1923.] Sie begründet sich „symbolisch“ durch „geistige Gültigkeit“ und unterscheidet hierarchisch nach Ständen Machtnähe und Machtentfernung. Solche Kategorien lassen sich auch für Jüngers Abhandlung in Anspruch nehmen. Dennoch lenken Analogien mit anderen theoriefeindlichen, jedoch an realpolitischen und an nationalökonomischen Debatten noch beteiligten Entwürfen von dem Entscheidenden ab: Jüngers Perspektivismus auf „erstaunliche Dinge“, die „außerhalb der Vergleichsmöglichkeit“ liegen, auf die „planetarische Herrschaft“, den „totalen Raum“ verweist das Gemeinte in den Bereich des literarisch Phantastischen, ideologisch in den Bereich der negativen Utopie des „Schmerzens“.127
Ein Jünger „entlastendes“ Indiz, ein Indikator für Jüngers genuin literarisch zu veranschlagendes Gedankenspiel, greift das Phänomen der „Maske“ auf, das Jünger selbst in seinem „Arbeiter“-Essay thematisiert hat (Arb, 122): „Die ,Maske‘ hebt jede sozial relevante Distinktion auf und verwandelt den Typus zu einem Fabelwesen“.128 Jüngers eigentlichster Verdienst liege, so der Autor, in der Rolle des „Seismographen“, des „,Warners‘ und ,Propheten‘“.129 Bohrers spektakuläre These von einer exemplarisch verifizierbaren „Ästhetik des Schreckens“ mag durch seine akribisch betriebene und stringent geführte Argumentation – sogar die Auguren der Kritischen Theorie, Horkheimer/Adorno, werden unterstützend herangezogen130 –, auch wegen der gelegentlichen Seitenhiebe auf die politisch-methodisch konnotierte Ideologiekritik, Widerspruch provoziert haben. Zwei Repliken lassen sich anführen, die den von Bohrer vermeintlich wissenschaftlich angestrebten Rehabilitierungsversuch Jüngers nicht unkommentiert
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Ebd. S. 474. Vgl. ebd. S. 475. Vgl. ebd. S. 482. Ebd. S. 486. Ebd. S. 482. Vgl. ebd. S. 491. Siehe ebd. S. 472 f. Die letzte Fußnote zitiert den Philosophen Herbert Marcuse, um die eigene Aussage zu bekräftigen. Siehe ebd. S. 493, Anm. 162.
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goutieren wollten. Offensichtlich liegt für Rüdiger Hentschel ein Sakrileg vor, wenn der Philosoph Gilles Deleuze und der Psychoanalytiker Félix Guattari in ihrem Opus „Anti-Ödipus“ positiv auf Ernst Jüngers „Arbeiter“ rekurrieren.131 Die explizit materialistisch orientierte Rezension von Heinz-Dieter Kittsteiner und Helmut Lethen zu Karl Heinz Bohrers Buch „Die Ästhetik des Schreckens“ verteidigt ihre Position gegen die „,ideologiefreien Textzentren‘“.132 Unisono machen diese Kritiker außerdem eine Schwäche am Status quo der Ideologiekritik aus133 – offenbar gibt Bohrers Arbeit Anlass, diese zu konstatieren. Das Autorenduo der „Berliner Hefte“, das gemäß ihrem ideologischen Selbstverständnis mit dem Jargon des Materialismus134 und der Psychoanalyse135 operiert, ist durchaus bereit, die von Bohrer herausgearbeitete „Wahrnehmungsschärfe“ Jüngers anzuerkennen, allerdings mit der Intention, sie dann zu desavouieren: Das Ausmaß der physischen Zerstörung des Ersten Weltkrieges kann von Jünger derart „authentisch“ erschlossen werden, weil sein Blick keine moralische Zensur zuläßt. […] Der Schriftsteller Jünger vermag diese „Terminologie des Grauens“ nur zu entwickeln, weil er sich bewußt in die Tradition des europäischen Ästhetizismus stellt, in die Tradition des poète maudit und derer, die im 19. Jahrhundert in den Randzonen der bürgerlichen Gesellschaft, in Kriminalität und Wahnsinn die unalltäglichen Bilder der Freiheit suchten.136
131 Siehe Rüdiger Hentschel: Exekution der Moderne. Zu E. Jüngers „Arbeiter“ und G. Deleuze/F. Guttaris „Anti-Ödipus“. In: Horst Jurnitzky (Hg.): Notizbuch. Psychoanalyse und Theorie der Gesellschaft. Berlin: Medusa Verlag Wölk + Schmid, 1979, S. 53. 132 Vgl. Heinz-Dieter Kittsteiner/Helmut Lethen: „Jetzt zieht Leutnant Jünger seinen Mantel aus.“ Überlegungen zur „Ästhetik des Schreckens“. In: Berliner Hefte 11, Mai 1979, S. 49. 133 Kittsteiner/Lethen mutmaßen nach der „philosophischen Wende zum Neukantianismus“ eine Parallele zur „allgemeinen kulturellen Neuorientierung“: „Hier und jetzt dagegen scheint das stolze Schiff des ,wissenschaftlichen Materialismus‘ im Untergang begriffen zu sein.“ Ebd. S. 20. Rüdiger Hentschel moniert: „Heute dient eine ästhetische Rehabilitation Jüngers dazu, der in Krise geratenen Ideologiekritik den letzten Stoß zu versetzen.“ Rüdiger Hentschel: Exekution der Moderne. Zu E. Jüngers „Arbeiter“ und G. Deleuze/F. Guttaris „Anti-Ödipus“. In: Horst Jurnitzky (Hg.): Notizbuch. Psychoanalyse und Theorie der Gesellschaft. Berlin: Medusa Verlag Wölk + Schmid, 1979, S. 55. 134 Ein kleiner, ideenspezifischer Exkurs „prüft“ Textaussagen der „Politischen Romantik“ von Carl Schmitt, um die Engführung der Jünger’schen zeitgeschichtlichen Reflexion (19. und frühes 20. Jahrhundert) herauszustellen. Siehe Heinz-Dieter Kittsteiner/Helmut Lethen: „Jetzt zieht der Leutnant Jünger seinen Mantel aus.“ Überlegungen zur „Ästhetik des Schreckens“. In: Berliner Hefte 11, Mai 1979, S. 28–32. 135 Freuds Thesen zur „Triebstruktur“ kommen bezugnehmend auf Textstellen aus dem Œuvre Jüngers zur Anwendung. Siehe ebd. S. 39–43. 136 Ebd. S. 27.
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Jüngers „heroischer Realismus“, sein determinierender Relativismus,137 verfehle das eigentlich zu Verifizierende: „Jünger irrt. Hinter allem steckt nicht ,der Mensch‘, sondern das Kapitalverhältnis.“138 Und im Übergang von „Freud zu Marx“ ein abschießendes Fazit: „Die widersprüchlichen Normen von Kulturarbeit und dem Ausleben-Können (oder -Müssen) von Destruktionstrieben, sobald der Staat das Kommando [hier haben die Autoren natürlich den Ersten Weltkrieg vor Augen] dazu gibt, zeigen nur die Realität der kapitalistischen Gesellschaft.“139 In erster Linie setzt sich Rüdiger Hentschel in seiner Parallelbetrachtung „Arbeiter“/„Anti-Ödipus“, wie der Titel schon indiziert, mit der Moderne auseinander; anlässlich eines vermeintlichen Wiedererstarrens einer „Kulturrevolution“ – die „Kulturkritik“ fühle sich dem „Klassenkampf “ inzwischen überlegen140 – kehrten mit dem „Arbeiter“ Jüngers, „als ,Schizos“‘, analog zu Nietzsches „Krieger“, die „,wilden freien schweifenden Menschen‘“ zurück.141 Hentschel präzisiert: Ihre übermenschliche, genauer: ihre überbürgerliche Qualität, die ein Jenseits von „gut oder böse, schön oder häßlich, richtig oder falsch“ (Arb) suggeriert, will glauben machen, die Negativität des bloß antibürgerlichen Protestes sei schon in Richtung neuer Positivität überwunden. Tatsächlich jedoch rücken bloß bürgerliche und antibürgerliche Existenz zu einer gespannten Gleichzeitigkeit zusammen. Die Leiden an der bürgerlichen Existenz, die diese als Schein der Kritik aussetzen müßten, werden heroisch affirmiert. […] Jünger ist wieder modern. Vom „totalen Ideologieverdacht“ befreit, ist er zum authentischen Diagnostiker der Epoche […] avanciert.142
Und bezugnehmend auf die angedeutete Parallele: Zeigt Jünger die (nationalbolschewistische) Ordnung des Anarchismus, so zeigen Deleuze/Guattari den Anarchismus der Ordnung. Die Faszination von der Identität zwischen Chaos und Ordnung ist ihnen gemeinsam. Im „Höllenlärm“ […], „Dröhnen und Brummen“ […] der Wunschmaschinen143 kehrt Jüngers militarisierte Produktion wieder.144
137 „Der heroische Blick starrt dem Un-Sinn der Welt ins Gesicht. Zugleich zieht er aus der ,Haltung‘ [für die Autoren als ein essentielles Urteil auf Jünger gemünzt], die er dabei bewahrt, einen Sinn für sich selbst. Der Anblick des Grauens wird zum Anknüpfungspunkt ästhetischer Sensationen.“ Ebd. S. 33. 138 Ebd. S. 32. 139 Ebd. S. 48. 140 Siehe Rüdiger Hentschel: Exekution der Moderne. Zu E. Jüngers „Arbeiter“ und G. Deleuze/F. Guttaris „Anti-Ödipus“. In: Horst Jurnitzky (Hg.): Notizbuch. Psychoanalyse und Theorie der Gesellschaft. Berlin: Medusa Verlag Wölk + Schmid, 1979, S. 54 f. 141 Vgl. ebd. S. 54. 142 Ebd. S. 54 f. 143 Dieser Terminus gehört zu den Usancen psychoanalytisch unterstellter Prädispositionen. Siehe auch ebd. S. 63 ff. 144 Ebd. S. 63.
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Und: Umstandslos wird die vielfältige Isolation des gesellschaftlich Einzelnen in die intensivere Vergesellschaftung umgebogen. Und so wundert es nicht, wenn wir in der „Werkstättenlandschaft“ (Jünger) oder im „Zeitalter der Partialobjekte, der Bausteine und Reste“ (Deleuze/Guattari) auch keinen Frauen begegnen. Konkreter noch als das Geschlechterverhältnis sollen die einsamen Exstasen [recte: Ekstasen] des katatonen, organlosen Körpers sein, denn sie machen total mobil.145
Der Wirbel146 um die Verleihung des Goethepreises 1982 an Ernst Jünger schlug sich in zahlreichen Retrospektiven der Tagespresse nieder; insbesondere die politische Indignation der Stadtparlamentarier aus der Partei „Die Grünen“, materialisiert durch eine vielbeachtete Zitatensammlung aus dem Œuvre des ewig Umstrittenen, veranlasste die Medien, sich erneut mit diesem einmaligen Fall der Urteilsgeschichte zu beschäftigen. Nicht nur das Ereignis der spektakulären Preisverleihung bot 1982 den Kritikern Gelegenheit, über Werk und Person Jüngers nachzudenken, denn auch das fünfzigjährige Buchjubiläum der Publikation „Der Arbeiter“ (1932) gab Anlass zu einer aktuellen Bestandsaufnahme. Analog der Idee von Günther Rühle, „Bücher, die das Jahrhundert bewegten“ zu präsentieren, mit der Prämisse „Zeitanalysen“,147 ventiliert Otto Schulmeister das umstrittenen Opus mit dem Ergebnis: „,Der Arbeiter‘ gehört zu den Schlüsselbüchern der Verwirrungszeit, aber ein Buch, das in seinen Irrtümern, perspektivischen Verzerrungen, in der Verführungskraft der Prosa dem Leser im Widerspruch noch mehr gibt als tausend Seiten sonstiger Zustimmung und Kopfnickens.“148 Klaus Vondung nimmt in 145 Ebd. S. 75. 146 Siehe Norbert Dietka: Ernst Jünger nach 1945. Das Jünger-Bild der bundesdeutschen Kritik (1945 bis 1985). Frankfurt am Main/Bern/New York/Paris: Verlag Peter Lang, 1987, S. 302–315. Siehe auch: „Ein Bruderschaftstrinken mit dem Tod“. Der 87jährige Schriftsteller über Geschichte, Politik und die Bundesrepublik. In: Der Spiegel. Jg. 36. Nr. 33, 16.8.1982, S. 154–163. Und außerdem die Dokumentation zur Verleihung des Goethepreises der Stadt Frankfurt an Ernst Jünger. In: Blätter für deutsche und internationale Politik. Köln: Pahl-Rugenstein Verlag, 9’82, S. 1143–1150. Und: Frank Benseler/Hans Heinz Holz/Walter Boehlich: Der Fall Jünger und die „Wende“. In: Blätter für deutsche und internationale Politik. Köln: Pahl-Rugenstein Verlag, 10’82, S. 1236–1249. Siehe auch: Lutz Hagestedt: Ambivalenz des Ruhmes. Ernst Jüngers Autorenschaft im Zeichen des Goethepreises. In: Lutz Hagestedt (Hg.): Ernst Jünger. Politik – Mythos – Kunst. Berlin/New York: Walter de Gruyter, 2004, S. 167–179. 147 Siehe Günther Rühle (Hg.): Bücher, die das Jahrhundert bewegten. Zeitanalysen – wieder gelesen. München/Zürich: R. Piper Verlag, 1978. In diesem Band ist mit aufgenommen: Gerd-Klaus Kaltenbrunner: Die konservative Apokalypse. Ernst Jünger: „Der Arbeiter“ (1932). Vgl. ebd. S. 124–131. Sein Verdikt: „Sein Buch über den Arbeiter dürfte sich füglicher als jenes andere, erbärmliche Machwerk einen ,Mythus des zwanzigsten Jahrhunderts‘ nennen.“ Ebd. S. 130. 148 Otto Schulmeister: Horchen am deutschen Abgrund. Nach 50 Jahren Ernst Jüngers „Arbeiter“ wieder gelesen. In: Die Presse, 1.9.1982, S. 5.
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seinem Aufsatz explizit Bezug auf das Goethepreis-Spektakel um Jünger, notiert auch die Einschätzung Armin Mohlers, der den „Arbeiter“ als „Jahrhundertbuch“ indizierte.149 Nach einem kurzen Referat der Kernaussage des Essays folgt sein Urteil: Doch Jüngers Deutung der Beobachtungen und die Konsequenzen, die er aus ihnen zieht, machen nicht nur die Beobachtungen wertlos, sondern sind auch selbst ohne Wert. […] Jüngers Zukunftsbild bietet keine substantiellen Maßstäbe für eine politische Ordnung, allenfalls Kategorien einer Schlachtordnung für die „Kampflandschaft“ der Übergangszeit und einer militärischen Hierarchie für den Endzustand des „Arbeitsstaats“.150
Und sein Resümee: „,Der Arbeiter‘ nach fünfzig Jahren – ein immer noch gültiger Wegweiser aus den Problemen unserer Epoche? Nein, so wenig wie 1932. Allenfalls ein Lehrbeispiel für die geistigen Verwirrungen der Zeit, und eine Warnung davor, heute ähnlichen zu verfallen.“151 Mit gleichem Tenor, aber demonstrativ perhorreszierend (ver)urteilt auch Jürgen Manthey Jüngers Schrift aus den frühen dreißiger Jahren: „Das Buch verkündet und verherrlicht die Vernichtung des Menschen durch sie.“152 Weniger emotional, stärker den zeitgeschichtlichen Kontext aufgreifend, fällt Uwe-K. Ketelsens „Arbeiter“-Lektüre aus.153 Zunächst schlägt dieser den Essay154 Jüngers der „umfassenden Wertediskussion“ in der Weimarer Republik zu,155 liest ihn „als den Entwurf eines ästhetischen faschistischen Modernitätskonzepts“156 und präzisiert: „[…] Jüngers Arbeiter ist […] als eine Phantasmagorie eines Literaten – eines modernen Literaten – zu begreifen, die der Erfahrung einer rapiden Beschleunigung des historischen Prozesses entsprungen ist.“157 Das auf Jünger gemünzte Stigma des Faschismus begründet Ketelsen mit spezifischen Indikatoren wie folgt:
149 Vgl. Klaus Vondung: Ernst Jüngers „Der Arbeiter“ – nach fünfzig Jahren. Faschistisches Weltbild oder gültige Zeitdiagnose? In: Frankfurter Hefte, 10/1982, S. 11. 150 Ebd. S. 13. 151 Ebd. S. 14. 152 Jürgen Manthey: Fabrik und Mausoleum. Ernst Jüngers „Der Arbeiter“ heute gelesen. In: Frankfurter Rundschau, 14.4.1984. 153 Der Aufsatz erschien schon 1990. In: Helmut Brachert (Hg.): Kultur. Bestimmungen im 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, S. 219–254. 154 Meines Erachtens verkennt Ketelsen den Stellenwert der wissenschaftlichen Methodik bei dieser literarischen Gattung. Jünger darf hier m. E. frei und auch unsystematisch seine Gedanken zu seinem Thema ausbreiten. Siehe gleich zu Beginn dessen Ausführungen zur Struktur des Jünger’schen Essays: Uwe-K. Ketelsen: Ernst Jüngers Der Arbeiter. Ein faschistisches Modernitätskonzept. In: Uwe-K. Ketelsen: Literatur und Drittes Reich. Schernfeld: SH-Verlag, 1992, S. 258 f. 155 Vgl. ebd. S. 258. 156 Vgl. ebd. S. 259. 157 Vgl. ebd. S. 261 f.
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Diese Nähe von (schöner?) Form und Gewalt scheint – vor allem auch, wo diese nicht unmittelbar thematisch wird – faschistischer Ästhetik eine Tendenz zur Gewaltsamkeit auch der Form zu geben, zur Monumentalität, zur Symmetrie, zur Glätte der Oberfläche, zur alle[r] Bewegung einfrierenden Statik. In diesem Sinne ist der Jüngersche Arbeiter auch oder vielleicht sogar in erster Linie ein faschistisches Kunstwerk!158
Ketelsen folgert logisch konsequent: Jüngers Phantasmagorie der Weltepoche des Arbeiters wird durch ordnungspolitische Vorstellungen charakteristisch gekennzeichnet; diese erscheinen durch zwei Momente besonders bestimmt: durch ihren Formalismus und durch ihre Militarisierung. Die Jüngerschen Ordnungsvorstellungen basieren […] auf Statik: Ordnung ist (wie ihre Manifestation, die „Gestalt“), Geschichte gibt allenfalls eine[n] „dynamischen Kommentar“ dazu.159
Peter Koslowski dagegen, der Ernst Jünger großes Verständnis entgegenbringt, begegnet seiner Meinung nach einem „Metaphysiker und Gnostiker“, einem „metaphysischen Dichter“.160 Sein Urteil zum „Arbeiter“: Jüngers Arbeiter ist kein politisches Buch im engeren Sinn, sondern eine geschichtsphilosophische und mythische Anthropologie des Typus des Zeitalters. Sie ist zugleich Kulturtheorie und Metaphysik der Totalen Mobilmachung. […] Jüngers konservativer Modernismus oder modernistischer Konservatismus ist eine antiutopische Utopie, ist der Entwurf eines Menschentypus, eines heldischen Typus, der fähig wäre, die Macht der Moderne zu beherrschen, ohne im Niemandsland der Utopie angesiedelt zu sein.161
In einer größeren Monographie zu Jünger,162 erstellt von Martin Meyer, wird nicht nur eine sorgfältige Textanalyse des „Arbeiters“ geboten, sondern auch ein kon-
158 Ebd. S. 264. Auch am Sprachstil Jüngers macht Ketelsen seine These fest, Jüngers vermeintliches Bemühen, den Autor in seinem Text verschwinden zu lassen. Siehe ebd. S. 264–267. Außerdem sei Jüngers „wichtigste Sorge“, nicht in den „Malstrom der Geschichte zu geraten“ – ist hiermit der Jünger’sche Solipsismus angesprochen? Vgl. ebd. S. 268. 159 Ebd. S. 278. 160 Vgl. Peter Koslowski: Der Mythos der Moderne. Die dichterische Philosophie Ernst Jüngers. München: Wilhelm Fink Verlag, 1991, S. 66. 161 Ebd. S. 65. 162 Ein erster Versuch, umfassend und detailliert, das gesamte Werk Jüngers zu ventilieren. Erst danach werden Werkanalysen bzw. Biographien vergleichbaren Ausmaßes veröffentlicht: 1998 Paul Noacks Jünger-Biographie, erschienen im Berliner Alexander Fest Verlag. Und 2007 erschienen die Jünger-Biographien von Helmuth Kiesel im Münchener Siedler Verlag und von Heimo Schwilk im Münchener Piper Verlag.
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textgebundener Exkurs über den Begriff der „Arbeit“.163 Man könnte beinahe mutmaßen, dass der Autor dieses Exkurses bei Jünger eine gewisse Insuffizienz zu kompensieren versucht: „Arbeit“ ist mehr als Arbeit. Es ist leicht zu sehen, wie der Begriff alle herkömmlichen Bedeutungen hinter sich läßt und von keinem Oppositionsbegriff mehr gehemmt scheint. Zur Herkunft dieses Prozesses teilt Jünger noch wenig mit, und eine Schwäche des Buches ist der einschneidende Mangel an historischen Evidenzen.164
Weitere Schwächen werden im Verdikt vermerkt: „Dennoch bleibt diffus, wie er [Ernst Jünger] sich den Übergang von der liberalen Demokratie zum Arbeitsstaat vorstellt, der nicht durch die Wunder der natürlichen Entelechie, sondern durch das widerständigere Medium der Historie zustande kommen muß.“165 Und grundsätzlich: Hätte Jünger nur die Funktionsanalyse des modernen Menschen als des „Arbeiters“ gegeben, an der Originalität der Theorie wäre nicht vorbeizusehen. Aber im Maß, da er ihm die sinnfördernde Herrschaft über die Welt zuschreibt, kippt alles ins Geschichtsphilosophische. Nicht bei der phänomenalen Erfassung und ihren „Negationen“ darf verweilen, wer einem „Typus“ doch auch das Letztmögliche zutraut: eine zweite Weltschöpfung.166
Rolf-Peter Sieferle, der in seinem Aufsatz Jüngers Denken empathisch zeitgeschichtlich verortet,167 nennt Jüngers „Arbeiter“-Opus eine „romantisch-konservative Zivilisationskritik“168 und kennzeichnet den „revolutionären Nationalismus“, in dem Jünger temporär inkorporiert war, als „eine im Grunde literarische Angelegenheit“.169 Aktuell, ergo in einem Rückblick nach fast sechzig Jahren, kann Sieferle bezüglich der Jünger’schen Reflexionsleistung zweierlei feststellen:
163 Siehe Martin Meyer: Ernst Jünger. München: Hanser Verlag, 1990, S. 177–199. Chronologisch verortet werden: Tommaso Campanella, S. 177 f.; Louis-Sébastien Mercier, S. 178; Francis Bacon, ebd.; Adam Müller, ebd.; Ferdinand Lassalle, S. 179; Thomas Carlyle, S. 180; Karl Marx, S. 180 f.; Wladimir Iljitsch Lenin, S. 181; Leo Trotzki, S. 181 f.; Georges Sorel, S. 183 ff.; Filippo-Tommaso Marinetti, ebd.; Oswald Spengler, S. 189 ff.; Friedrich Nietzsche, S. 193 f.; Max Scheler, S. 195; Max Weber, S. 196 ff.; Carl Schmitt, S. 199 f. 164 Ebd. S. 171. 165 Ebd. S. 207. 166 Ebd. S. 208 f. 167 Siehe Rolf-Peter Sieferle: Ernst Jüngers Versuch einer heroischen Überwindung der Technikkritik. In: Günter Figal/Rolf-Peter Sieferle (Hg.): Selbstverständnisse der Moderne. Formationen der Philosophie, Politik, Theologie und Ökonomie. Stuttgart: J. B. Metzlersche Verlagsanstalt, 1991, S. 133–173. 168 Vgl. ebd. S. 142. 169 Vgl. ebd. S. 159.
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Blickt man aus einem Abstand von fast sechzig Jahren auf den „Arbeiter“ zurück, so scheint zweierlei bemerkenswert: Die Konsequenz, mit der ein vernichtendes Schicksal bejaht wird, sowie die konkrete Vision dessen, was da kommen soll. Ersteres zielt auf eine wissende Überwindung der Kulturkritik mithilfe einer apokalyptischen Argumentationsfigur: Die „Zerstörung“ wird als „Vorgriff “ auf ein Absolutes gesehen, das notwendig am Horizont erscheint. Jünger scheint in dieser Sicht den Charakter eines sich neu bildenden Modus der sozialen Synthesis zu wittern: Die Ablösung der Normintegration durch die Systemintegration. […] Der Rückgriff auf die apokalyptische Gewißheit eines guten Ausgangs erleichtert diesen Ballastabwurf und erzeugt eine Beschreibung, die in der Kälte ihrer Diktion, im Heroismus ihrer Radikalität und in der hohen Distanz ihrer Position noch heute nachvollziehbar macht, wie erfrischend sie gegenüber dem kulturkritischen Lamento der zwanziger Jahre gewirkt haben muß. […] Die neue Ordnung der Gestalt des Arbeiters erscheint als ein Kristallgitter, das aus festen, harten, d. h. in der Materialschlacht gehärteten Elementen besteht. Dieses Humanmaterial ist homogen, standardisiert, massenhaft, fest, einfach und spröde. […] Die Figur des „Arbeiters“ […], der mit Kälte und Präzision zunächst mittels der mobilisierenden Technik die Alte Welt in Stücke haut [hier sieht Rolf-Peter Sieferle eine Parallele zu Karl Marx, S. 162], um am Ende in eine kristalline civitas solis einzugehen, hatte von daher eine enorme zeitgenössische Plausibilität. […] Heute erscheint uns der „Arbeiter“ als überholter Typus, als überzeichnetes Symbol einer bestimmten Phase der Modernisierung. Im Mittelpunkt des symbolischen Feldes der Gegenwartskultur steht nicht das Kristall, sondern etwas Weiches, Amorphes, Zähes, Resilientes. […] Es hat eine Emergenz von Systemeigenschaften stattgefunden […]. Diese martialische Figur ist heute schlichtweg unverständlich geworden.170
In seiner Habilitationsschrift über den „Philosophischen Extremismus zwischen den Weltkriegen“ nimmt Norbert Bolz auch Ernst Jünger mit seinem 1932 erschienenen Essay in die Zeitzeugenschaft auf.171 Bolz eröffnet metaphorisch: „Der Angriff auf den schönen Schein ist das Reversbild heroischer Sachlichkeit. Ernst Jünger hat ihr im ,Arbeiter‘ eine zeitparadigmatische Form gegeben.“172 Jüngers zeitkritische Kommentare, die er auch programmatisch mit dem Futuristen Filippo Tommaso Marinetti in Verbindung bringt,173 stellt Bolz ins Posthistoire und will sie somit 170 Ebd. S. 171 ff. 171 Neben Theodor W. Adorno, Walter Benjamin, Gottfried Benn, Ernst Bloch, Martin Heidegger, Georg Lukács, Carl Schmitt und Max Weber. Vgl. Norbert Bolz: Auszug aus der entzauberten Welt. Philosophischer Extremismus zwischen den Weltkriegen. München: Wilhelm Fink Verlag, 1989. 172 Ebd. S. 161. 173 Siehe auch: „Spengler folgend, hat Jünger die Entropie der absoluten Zivilisation, den Kältetod der bürgerlichen Gesellschaft beschrieben“. Ebd. S. 168. Vermeintlich mit einer signifikanten Einschränkung: „Indem Jünger die Verdinglichung radikalisiert und zugleich den Warencharakter verschleiert, verklärt er den Arbeiter zur mythischen Gestalt.“ Ebd. S. 163. Und marxistisch gedacht: „In Jüngers Kult des Arbeiters verstellt der starre Blick auf die neuen Maschinen die Einsicht in die Produktionsverhältnisse. Diese phantasmagorische Verschleierung manifestiert sich objektiv darin, daß das Proletariat von der Vergnügungsindustrie auf dem Niveau des Kunden vexiert wird, das die Selbstentfremdung als Genuß einübt. Kult des Arbeiters und Artistik sind die extrem entgegengesetzten Versuche, aus der Warenwelt zu fliehen.“ Ebd. S. 165, Anm. 87.
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in der Zeit des „Letzten Menschen“ (Max Weber) veranschlagt sehen, different zu Nietzsches „Übermenschen“. Er schreibt: „Der Arbeiter [sic!] hat sich nicht als Übermensch [sic!] erwiesen, sondern als der Letzte [sic!], dessen ,Banausenarbeit‘, auf der Suche nach dem dauerhaften Glück, der Katastrophe zutreibt.“174 Er präzisiert: „Hinter der Formation der Masse zum faschistischen Ornament, unter der nihilistischen Oberfläche der großen Städte hat Jünger die Gestalt gesucht, die nach dem Ende des Menschen den frigiden stählernen Ordnungen Sinn verleiht.“175 Und resümierend: „Doch je mehr die posthistorische Welt die Züge des Letzten Menschen [sic!] zeigte, hat sich Jünger dem ,Waldgang‘ verschrieben und die Spielräume ,asketischer Eliten‘ ausgelotet, die dem Posthistoire trotzen.“176 Mit anderer Intention – das Bild vom Prokrustesbett drängt sich hier unweigerlich auf – rückt Harro Segeberg dem Hauptwerk Jüngers zu Leibe. Er wirbt für ein neues Verständnis des „Arbeiters“, will am Arbeits-Begriff drei hierarchische Schritte vollziehen: „Arbeit“ „als Massenerfahrung ,passiver Formung‘“177 – „die Binnenperspektive eines ,aktiven Typus‘“178 – und die Frage „nach den Möglichkeiten für den ,Eintritt des letzten und höchsten Repräsentanten‘ des Arbeitszeitalters, des sog. ,totalen‘ Arbeitscharakters“.179 Arbeit wird demnach nicht nur verrichtet, sondern explizit auch, eben durch die „Gestalt des Arbeiters“, repräsentiert. „Mittel und Ziel“ stimmen dabei überein.180 Segeberg spricht in diesem Zusammenhang von einer „Mensch/Maschine-Symbiose“, die eine „,reine‘ Funktionalität einer völlig in sich ruhenden Zweck/Mittel-Schöpfung erkennen“ lasse.181 Dadurch erhält Jüngers „organische Konstruktion“ eine positive Funktion: Jünger entfalte in seinem „Arbeiter“ das Modell einer in sich rückläufigen utopischen Regression, in der Technik gerade in ihrer Eigenschaft als bis zur Vollkommenheit entgrenzte Mittelverwendung ihre eigene Dynamik wieder stillstellt. Denn, Technik meint bei Jünger keineswegs […] die ins Unendliche fortgesetzte Entwicklung einer sich selbst überlassenen Technik, sondern im
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Ebd. S. 168. Ebd. Ebd. S. 169. Vgl. Harro Segeberg: Technikverwachsen. Zur Konstruktion des „Arbeiters“ bei Ernst Jünger. In: Der Deutschunterricht. Jg. 46. H. 3, 1994, S. 43. Siehe auch Harro Segeberg: Über Krieg und Technik im Frühwerk Jüngers. In: Der Deutschunterricht. H. 5, 1989, S. 20–27. Außerdem siehe Harro Segeberg: Regressive Modernisierung. Kriegserlebnis und Moderne-Kritik in Ernst Jüngers Frühwerk. In: Harro Segeberg (Hg.): Vom Wert der Arbeit. Zur literarischen Konstitution des Wertkomplexes „Arbeit“ in der deutschen Literatur (1770–1930). Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 1991, S. 337–378. Vgl. Harro Segeberg: Technikverwachsen. Zur Konstruktion des „Arbeiters“ bei Ernst Jünger. In: Der Deutschunterricht. Jg. 46. H. 3, 1994, S. 43. Ebd. S. 47. Vgl. ebd. S. 45. Vgl. ebd.
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Gegenteil die „Konstanz der Mittel“-Herstellung dort, wo deren zieladäquate Verwendung die „Absichtslosigkeit […] organischen Wachstums“ erreicht hat.182
Auch intendiere Jünger bei seiner Zeitdiagnose keinen „,totalitären‘ Staat“; sein „,Arbeiter‘-Staat ließe sich […] beschreiben als Gefüge wechselseitig verbundener Zweck/Mittel-Gemeinschaften, die jeweils in sich und untereinander nach dem Muster einer organisch-autoritären ,technischen‘ ,Arbeits-Demokratie‘ organisiert und vernetzt sind.“183 In ihr regiere „der am jeweiligen ,Arbeits‘-Ziel orientierte ,Sachzwang‘ und sonst nichts mehr.“184 Jüngers Schrift von der „Totalen Mobilmachung“ (1930) ist für Segeberg offenbar alles andere als eine Programmschrift, in ihr artikuliere sich die Aufforderung, im Konzert der global player mithalten zu können. Es vollziehe sich in erster Linie „lediglich eine Anpassung der politischen Institutionen an die Geltungsansprüche einer weltweit operierenden Wirtschaft und Technik und damit […] an die Universalität eines die ,Nationalstaaten […] alten Stils‘ einschmelzenden ,Arbeiter‘-Typus.“185 Vielleicht lässt sich in der Jünger-Rezeption nach 1945 zum Zeitpunkt des hundertjährigen Geburtstagsjubiläums (29.3.1995),186 spätestens nach dem Tod Jüngers (17.2.1998),187 eine Zäsur verzeichnen. Offenbar hat eine Historisierung dieser außergewöhnlichen Erscheinung der jüngsten Zeit- bzw. Literaturgeschichte stattgefunden, sich der dauerhaft ideologisierende Antagonismus inzwischen verbraucht. In seinem „Arbeiter“-Aufsatz zum hundertsten Geburtstag Jüngers stellt Michael Großheim einen Autor der Moderne vor, den er zuvorderst vom Zeitgenossen Ludwig Klages abzusetzen sucht: Während [Ludwig] Klages dem modernen Menschen, der mit Hilfe des „Mordwerkzeuges Technik“ die ganze Erde verwüstet, den naturnahen Urmenschen als eine Art Vorbild gegenüberstellt, läßt Jünger keinerlei Auswege gelten. Er plädiert für einen „heroischen Realismus“, der auf sentimentale Illusionen verzichtet und sich der Wucht und Geschwindigkeit der Prozesse gewachsen zeigt.188
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Ebd. S. 44 f. Ebd. S. 47 f. Vgl. ebd. S. 48. Ebd. Siehe Norbert Dietka: Urteile zu Ernst Jünger im ausgehenden 20. Jahrhundert. In: Les Carnets. Le discours sur le héros en Europe au début du XXe siècle, N°5 – 2005, S. 173 ff. 187 Siehe ebd. S. 188 ff. 188 Michael Großheim: Ernst Jünger und die Moderne. Adnoten zum „Arbeiter“. In: Günter Figal/Heimo Schwilk (Hg.): Magie der Heiterkeit. Ernst Jünger zum Hundertsten. Stuttgart: Klett-Cotta, 1995, S. 149.
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Und: „Statt sich im Vergangenen zu verorten, greift er die mächtigen Impulse der Moderne auf, die fortschreitende Entortung, aber zugleich auch fortschreitende Machtentfaltung versprechen.“189 Jüngers „Fortschritt“ sei aber realiter kein Fortschritt, sondern lediglich eine Oberfläche, darunter bleibe, wie Jünger das selbst formulierte, der Mensch „nackt und roh wie die Menschen des Waldes und der Steppe“.190 Großheim bilanziert am Ende seiner „Adnoten zum ,Arbeiter‘“: Die Entdeckung dieser [ergo der Oberfläche und der Tiefe] Simultaneität des Entgegengesetzten ist die wichtigste Erkenntnis, die sich in Jüngers Denken Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre entwickelt. Während sich in den ersten Aufsätzen noch eine klare Dualität beobachten läßt, die mit ebenso klaren Wertungen verbunden ist, weicht die übersichtliche Interpretation der Moderne in den Folgejahren zunehmend einer dialektischen Auffassung. Den Höhepunkt dieser Entwicklung markiert Der Arbeiter.191
In seiner Habilitationsschrift thematisiert Thomas Rohkrämer die Ambivalenz des Fortschritts, wie er sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts an den Aussagen exponierter Zeitzeugen – ausgewählt sind u. a. Walter Rathenau, Ludwig Klages und Ernst Jünger – dokumentieren lässt. Im vorletzten Kapitel der umfangreichen Publikation nimmt Rohkrämer auch Bezug auf Jüngers „Arbeiter“.192 Politisch sei Jüngers Position nicht klar festzulegen. Die Unbestimmtheit aber sei ein „zentraler Bestandteil von Jüngers Überzeugung.“193 Wie auch Großheim greift Rohkrämer Jüngers signifikante Differenz auf: Die politische Form war für ihn [Ernst Jünger] ein oberflächliches Phänomen auf der Ebene der Erscheinungen gegenüber der entscheidenden Tiefenstruktur einer zunehmenden nationalen und internationalen Planung. […] Die Nation und im letzten die Welt werde nur dann zu einer neuen Ordnung finden, wenn sie mit allen ihren Bestandteilen (Natur, Mensch und Maschine) zu einem technischen System zusammenfinde.194
Jüngers Lösungsvorschläge, die er in seiner Auseinandersetzung mit der Moderne anbietet, zeige aber nach Rohkrämer einige Schwächen auf: Von dem zunächst ambivalenten und unsicheren Versuch, seinen Frieden mit der Technik zu schließen, gelangte Jünger allmählich zu einer Position, die von der Technik die Lösung aller Probleme erwartete. Weil sein Versuch scheiterte, der Technik einen sinnvollen Platz
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Ebd. S. 153. Vgl. ebd. S. 162. Natürlich zeigt sich hier wieder der Nietzsche-Epigone Jünger par excellence. Ebd. S. 163 f. Siehe Thomas Rohkrämer: Eine andere Moderne? Zivilisationskritik, Natur und Technik in Deutschland 1880–1933. Paderborn: Ferdinand Schöningh, 1999, S. 323–338. 193 Vgl. ebd. S. 329. 194 Ebd.
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in der bestehenden Gesellschaft zuzuweisen, bemühte sich Jünger schließlich, aus der Logik von Technik heraus eine neue Gesellschaft zu entwerfen. […] Der Kritiker des Fortschrittsglauben[s] verdrängte schließlich zivilisationskritische Einwände gegen eine uneingeschränkte Technikgläubigkeit, verfiel einem technizistischen Glauben in „the one best way“ und verkündete seine eigene Version von Geschichtsoptimismus. […] Um eine homogene Ordnung in der modernen Welt zu etablieren, war Ernst Jünger schließlich bereit, die Freiheit des Individuums zu opfern. […] Für eine Zukunft, in welcher der „Arbeiter“ die Welt „im Monumentalstile“ gestalten werde, war Ernst Jünger kein Opfer zu groß. […] In Jüngers Geschichtsphilosophie kamen die Elemente Abenteuer und Ordnung auf einer Zeitschiene zusammen, aber beide konnten nicht zugleich Wirklichkeit werden.195
Bei ihrer kritischen Revision des „Arbeiters“ formuliert Marianne Wünsch eingangs ihre These: Jüngers Arbeiter von 1932 ist eine nachträgliche Antwort auf den Sinn des Krieges, wobei sein utopischer Gesellschaftsentwurf zugleich die für ihn wie für die gesamte Rechte ideologisch inakzeptablen Kriegsfolgen, Revolution und Republik, eliminiert. Im Gegensatz zur alten Rechten träumt Jünger und mit ihm die neue Rechte nicht von konservativer Restauration, sondern von einem eher revolutionären Wandel zu einer neuartigen politischen Ordnung, die, wie alle faschismusnahen Bewegungen der Epoche, durchaus nicht nur reaktionär ist, sondern auch bewußt modernistische Elemente in sich aufnimmt.196
Wünsch analysiert nun die eigentümliche Performanz anhand ausgewählter Begriffe bzw. Phänomene, um die ideologische Ausrichtung des Jünger’schen Elaborats zu charakterisieren: „Individualismus“ – „kapitalistisches Wirtschaftssystem“ – „Rechtsstaatlichkeit“ bzw. „Demokratie“ – „Bedürfnis nach Sicherheit“ – „spezifische Konzeption des Staates“ – „Legitimation von Krieg als Defensivkrieg“; und sie prüft darüber hinaus das Verständnis der Termini „weibliche Gesinnung“ und „undeutsch“.197 Signifikant für ihre Textkritik, die auch explizit eine Sprachkritik beinhaltet, dürfte sein, dass Marianne Wünsch verschiedene „Nullpositionen“ und „Leerformeln“ indiziert. Ungeklärt findet sie, dass Jünger nicht reflektiere, für welche „Ideen“ er gekämpft habe;198 oder wer nun in seinem „Arbeitsstaat“ realiter herrschen werde;199 oder wie sich die „Kompatibilität von ,Ordnung‘ und
195 Ebd. S. 335 f. 196 Marianne Wünsch: Ernst Jüngers Der Arbeiter. Grundpositionen und Probleme. In: Lutz Hagestedt (Hg.): Ernst Jünger. Politik – Mythos – Kunst. Berlin/New York: Walter de Gruyter, 2004, S. 461. 197 Vgl. ebd. S. 462 ff. 198 Vgl. ebd. S. 460. 199 Vgl. ebd. S. 467 f.
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,Anarchie‘“ denken lasse;200 oder sie sieht eine „Leerformel“, wenn es „um das ,Schicksal von Völkern‘, um die ,Zukunft der Welt‘“ gehe.201 Im Grunde gehe es Jünger nur um die „Militarisierung des Staates“ (deshalb spiele die „totale Mobilmachung“ eine herausragende Rolle und außerdem sei symptomatisch vom „Angriff des Typus gegen die Wertungen der Masse und des Individuums“ die Rede202 ); und nicht zuletzt proklamiere Jünger eine „neue Rasse“.203 Bezugnehmend auf Jüngers „Staatsutopie“ greift Wünsch zwei Aspekte auf: Die „Rolle der Technik“204 und die Idee von der „heiteren Anarchie“.205 Außerdem sei ihr schleierhaft, wie sich Jünger die „Neutralisierung von Oppositionen“ denke, wenn er seinen „Typus“ mit dem Widerspruch „Individuum vs. Masse“, seinen „heroischen Realismus“ mit „Idealismus vs. Materialismus“ und seine Idee von der „Arbeitsdemokratie“ mit „Ordnung vs. Anarchie“ konfrontiere.206 Wenn Wünsch auf Jüngers „Lexemkombination der ,organischen Konstruktion‘“ rekurriert, will sie einen weiteren Beleg für eine „alogische Paradoxie“,207 eine weitere „Opposition“ – nämlich „,organisch‘ vs. ,mechanisch‘“ – gefunden haben, der sie Jüngers „Zentralbegriff des ,Typus‘“ gegenüberstellt – der Begriff von der „Mechanik“ desavouiere schließlich die „Evolutionstheorie“ Charles Darwins.208 Sprachtheoretisch kritisiert Wünsch weiterhin, dass Jünger in seinem „Arbeiter“-Entwurf das Postulat einer „neuen Sprache“ („linguistic turn“) ausgerufen habe, um damit erneut Jüngers Opus, zumindest partiell, ad absurdum zu führen.209 Benjamin Bühler, der sich mit „kybernetischer
200 Vgl. ebd. S. 470. 201 Vgl. ebd. S. 460. 202 Zit. n. ebd. S. 468. Vgl. auch Ernst Jünger: Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt, 1932, S. 256. 203 Vgl. Marianne Wünsch: Ernst Jüngers Der Arbeiter. Grundpositionen und Probleme. In: Lutz Hagestedt (Hg.): Ernst Jünger. Politik – Mythos – Kunst. Berlin/New York: Walter de Gruyter, 2004, S. 469. 204 Vgl. ebd. 205 Vgl. ebd. S. 470. 206 Vgl. ebd. S. 472. 207 Vgl. ebd. 208 Vgl. ebd. S. 473. 209 Bei ihren sprachanalytischen Betrachtungen zeigt sich m. E. eine Unverhältnismäßigkeit. Jünger ist wohlweislich kein genuiner Wissenschaftler, sein Essay „durchspielt“ gedankliche Möglichkeiten zum Zeitgeschehen eines engagierten Literaten, die nicht zwingend wissenschaftlichen Standards genügen müssen. Wenn Jünger schreibt: „Wo aber eine andere Sprache gesprochen wird, ist die Debatte geschlossen, und es beginnt die Aktion“ (Zit. n. ebd.), dann will er lediglich zum Ausdruck bringen, dass er einen „Paradigmenwechsel“ ausfindig gemacht habe. Seiner Meinung nach verstehe sich nunmehr (oder eher zukünftig) jeder Zeitgenosse als selbstbewusster Arbeiter. Dieser verfüge – Jünger insinuiert wahrnehmbare Anzeichen – über einen eigenen, einen anderen, ergo einen neuen Stil (dem Jünger einen vermeintlich obsoleten gegenüberstellt). Diesen neuen Stil erachtet er für angemessen, eben für zeitgemäß.
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Anthropologie“ beschäftigt und zeigen will, „wie Leben funktioniert“,210 hat bei Ernst Jünger „funktionalistische Phantasmen“211 eruiert und kann als Resultat notieren: Über rhetorische Operationen erzeugen Jüngers Texte Steuereinheiten, die sich durch klare Struktur von steuernder Instanz, gesteuertem Objekt und Ziel auszeichnen und die auch die propagandistische Strategie des Textes fundieren. Jünger inszenierte sich nicht nur als Diagnostiker der Moderne, er inszenierte sich auch als ein Prophet, der allerdings die „neue Wirklichkeit“ nicht vorhersagt, sondern versucht, sie herbeizuführen, indem er sie „sichtbar“ macht. Wie der Essay Über den Schmerz die Wirkung eines „Geschosses mit verzögerter Wirkung“ entfalten sollte, so auch der Arbeiter: Der Typus des Arbeiters und die Idee eines Arbeiterstaates sind rhetorisch erzeugte Phantasmen, fiktive Entwürfe eines Zieles, welche rückwirkend die Veränderungen zur Realisierung dieses Ziels organisieren und strukturieren sollen.212
In seiner Arbeit über „Karl Marx, Ernst Jünger und der Untergang des Selbst“ versucht Johan Tralau die Logik Ernst Jüngers zu ermitteln. Bezugnehmend auf den Zentralbegriff „Technik“ stellt er eine nicht unwesentliche Positionsverschiebung fest, die sich dialektisch verorten lasse. Noch in den Kriegstagebüchern behauptet Jünger (These): „Die Technik triumphiert […], daß der Mensch sich Artefakte geschaffen habe, dann aber seine Herrschaft über sie verloren habe und ihnen statt dessen unterworfen worden sei.“213 Dann zeichne sich ein Wandel ab (Antithese): Jünger schreibt: „Wir wollen nicht nur erdulden, […] wir wollen gestalten […]. Das kann nur geschehen, wenn unser Wille sich im Material zum Ausdruck bringt.“214 Tralau folgert: „Hier geht es ausdrücklich darum, die Macht über die Maschinen zu ergreifen und sie zu beherrschen.“215 Und schließlich erscheine die „Gestalt des Arbeiters“ (Synthese): Der Arbeitermensch soll […] weder verstanden werden als jemand, der sich der Maschine unterwirft, noch als jemand, der sich ihrer bemächtigt: vielmehr wird gesagt, beide Perspektiven würden obsolet, wenn die geschichtsmetaphysisch stilisierte Gestalt des Arbeiters den Menschen und die Technik ebenso wie die Natur mobilisiert.216
210 Vgl. Benjamin Bühler: Lebende Körper. Biologisches und anthropologisches Wissen bei Rilke, Döblin und Jünger. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2004, S. 9. 211 Vgl. ebd. S. 255. 212 Ebd. S. 291. 213 Johan Tralau: Menschendämmerung. Karl Marx, Ernst Jünger und der Untergang des Selbst. Freiburg/München: Verlag Karl Alber, 2005, S. 138 f. Diese Publikation erschien 2002 in Schweden und wurde von Klaus-Jürgen Liedtke ins Deutsche übertragen. 214 Zit. n. ebd. S. 139. 215 Ebd. S. 140. 216 Ebd.
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Auch deckt Tralau einen Widerspruch auf, wenn er Jüngers Metaphorik in den Essays „Der Arbeiter“ (1932) und „Über den Schmerz“ (1934) miteinander vergleicht. Tralau schlussfolgert zunächst, dass der […] Arbeitermensch offenbar eins geworden [ist] mit seiner Arbeit: er kann sich nicht „kritisch“ von seiner Umwelt absondern. […] Die Technik hat Subjekt und Objekt vereint und verflochten, so daß sie weder mental noch faktisch als selbständige Erscheinungen betrachtet oder auch nur aufgefaßt werden können.217
Dann greift er eine Textstelle aus dem „Schmerz“-Essay auf, in der Jünger reflektiere, dass es „Haltungen“ gebe, „die den Menschen befähigen, sich auf sehr bedeutende Art von dem Raume abzusetzen, in dem der Schmerz als unumschränkter Gebieter regiert“, das heiße, dass der Mensch „den Leib, als einen Gegenstand zu behandeln vermag.“218 Um schließlich den Widerspruch festzustellen: „Ist aber der eigene Körper selbstverständlich, kann das Gefühl von Entfernung und Abgrenzung nicht existieren, das Jünger im Aufsatz über den Schmerz dem Arbeiter zuzuschreiben scheint. […] Einerseits wird gesagt, die Nähe verschwinde, andererseits der Abstand“.219 Diesen Widerspruch „löst“ Tralau aber, ein wenig sophistisch, mit dem Begriff der Metonymie auf: Daß der Arbeitermensch seinen schmerzenden Körper aus der Entfernung betrachtet, impliziert dann, daß der Schmerz entlegen oder unwichtig ist, der Körper selbst aber selbstverständlich eins mit ihm. Zwei Aspekte ein und derselben Erscheinung werden also mit zwei unterschiedlichen und widersprüchlichen Metaphern ausgedrückt, der des Abstands und der Nähe.220
Tralau kommt zum Schluss: Jüngers Mythologie ruht […] auf einer ästhetisierenden Strategie: zum einen werden […] mehrere Sphären miteinander in einer Gedankenfigur vermischt, deren Reiz wir als ästhetisch empfinden. Zum anderen wird ein ästhetisierender Effekt aber auch dadurch erzielt, daß Jünger die Welt als fremd darstellt. […] Die technische Entwicklung hatte zum Nihilismus geführt; aber durch ihre Steigerung zur totalen Herrschaft konnte der Arbeitermensch seine Entfremdung ihr gegenüber überwinden und sich mit ihr in einem sinnstiftenden mythologischen Zusammenhang vereinen.221
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Ebd. S. 108 f. Zit. n. ebd. S. 120. Ebd. S. 122. Ebd. S. 123. Ebd. S. 143.
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Auch eine tragische Paradoxie wird abschließend noch vermerkt: „Aber die Einheit der Gegensätze geht eben daraus hervor, daß der neue Mensch keine solchen mehr begreifen kann, wenn er erst gelernt hat, die vollkommene Unfreiheit als seine ,Freiheit‘ zu begreifen.“222 Daniel Morat, der über das „Konservative Denken bei Martin Heidegger, Ernst Jünger und Friedrich Georg Jünger“ gearbeitet hat, macht in seinem „Arbeiter“Referat auch ethisch-moralische Konklusionen geltend. Einmal akzentuiert er im Essay Jüngers unter dem Gliederungspunkt „Innerhalb der Arbeitswelt tritt der Freiheitsanspruch als Arbeitsanspruch auf “ die Textzeile „Freiheit des Täters“ (Zeile 12/13, Seite 57 in der Erstausgabe), um dann eine „Mittäterschaft“ zu insinuieren, wenn auch eine Relativierung angehängt wird. Morat schreibt: An dieser Formulierung […] wird bereits deutlich, dass der heroische Realismus tatsächlich als Freibrief für die Tat verstanden werden kann, und es lässt sich mit einigem Recht argumentieren, dass er auch so verstanden worden ist. Er war Ausdruck jener „Mentalität der Dissoziation“, die in der entsubjektivierenden Destruktionserfahrung des Ersten Weltkriegs ihren Ursprung hatte und in der affektiven Leere der Täter des Zweiten Weltkriegs ihre Fortsetzung fand. In Jüngers eigener Logik bestand die ultimative Erfüllung des heroischen Realismus aber vor allen Dingen in der „Synthese von Täter und Opfer im Selbstopfer“.223
Ein weiteres Verdikt betrifft das Verhältnis Autor/Text, es will die Affirmation brandmarken: Jünger wurde zum Propheten und apokalyptischen Mahner, der sein eigenes Erleuchtungserlebnis weiterzugeben versuchte. […] Das „Neue zu sehen und sich zu beteiligen“ […] gehörte untrennbar zusammen. […] Der Aufforderungscharakter des „Arbeiters“ lag also nicht allein der Propagierung des heroischen Realismus und dem Nihilismus des Übergangs begründet, sondern auch in der Textform der „apokalyptischen Rede“, weshalb im doppelten Sinn von Jüngers „Metaphysik des apokalyptischen Aktivismus“ gesprochen werden kann.224
Im Jahre 2007 erschienen zwei umfangreiche, aber grundverschiedene Ernst-JüngerBiographien mit unterschiedlichem Tenor. In den Textabschnitten zur „Arbeiter“Publikation lässt sich beim Biographen Heimo Schwilk durchweg Affirmation bescheinigen; die Arbeit von Helmuth Kiesel dagegen ist lediglich begrenzt affirmativ, d. h. hier lassen sich Einschränkungen im Positivurteil und auch Rela-
222 Ebd. S. 145. 223 Daniel Morat: Von der Tat zur Gelassenheit. Konservatives Denken bei Martin Heidegger, Ernst Jünger und Friedrich Georg Jünger 1920–1960. Göttingen: Wallstein Verlag, 2007, S. 92 f. 224 Ebd. S. 99 f.
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tivierungsversuche notieren. Für Heimo Schwilk feiere Jünger „den Sonderweg als historisches Kapital, als Merkzeichen einer Auserwähltheit, die sich mit dem Weltgeist in Übereinstimmung weiß.“225 Helmuth Kiesel, der mit literaturwissenschaftlichen Standards operiert, verweist zunächst auf eruierte Aspekte zu dieser „vielschichtigen Schrift“226 mit dem Hinweis: Bei alldem darf aber nicht übersehen werden, daß der Arbeiter das Werk nicht eines wissenschaftlichen […] Autors ist. Er verfährt hochgradig intuitionistisch und konstruktivistisch, und er entwickelt seine programmatisch akzentuierte Theorie der zivilisatorischen Entwicklung […] im emphatischen Ton der Dichtung.227
Das Verdikt lässt konnotativ, aber auch denotativ eine wohlkalkulierte Differenzierung erkennen: Der Arbeiter plädierte für einen autoritären, vielleicht totalitären Staat. Mit keinem Wort aber warb er für die völlig unrechtmäßige, willkürliche und terroristische Herrschaft einer nationalsozialistischen oder bolschewistischen Verbrecherclique. […] Es geht im Arbeiter nicht um die Herrschaft einer „Rasse“ (im nationalsozialistischen Sinn) oder „Klasse“ (im bolschewistischen Sinn), sondern um die Erschließung der Welt in ihrer „Fülle“ und um die Herbeiführung eines Zustands, in dem Arbeit nicht als Entfremdung empfunden wird und deswegen „Dienst“ und „Gehorsam“ und „Freiheit“ identisch sind. […] Jüngers Arbeiter und Brechts Maßnahme sind sehr unterschiedliche Werke. Sie stimmen aber darin überein, daß sie zur Beseitigung der epochalen Not und im Interesse des Aufbaus einer vermeintlich besseren Welt ein totales Wissen reklamieren und totale Mittel empfehlen.228
Mit dem Geschichts- und Religionsphilosophen Leopold Ziegler bringt Tim Kölling einen vermeintlichen Vordenker Jüngers ins Spiel – dessen Publikation „Gestaltwandel der Götter“ (1920) sei als „Schlüsseltext“ für das Verständnis des „Arbeiters“
225 Heimo Schwilk: Ernst Jünger. Ein Jahrhundertleben: München: Piper Verlag, 2007, S. 353. Auch zitiert Schwilk ein vermeintliches Urteil der NS-Presse – dem Autor habe man mit „Kopfschüssen“ gedroht –, welches leider nicht belegt ist bzw. gar nicht belegt werden kann. Vgl. ebd. S. 356. 226 Sie stammen von Thomas Pekar. „Der Arbeiter“ sei: „ein visionär-prophezeiender Text, der […] ein ,fertiges‘ Bild der Welt“ entwerfe; „ein politisches Manifest, welches eine als richtig erkannte Staatsform, den autoritär-imperialen Staat propagiert“; „der Versuch einer sozialen Technik-Analyse, die bestimmte ,neue‘ weltweite Tendenzen“ benenne; „der Entwurf einer ästhetischen Theorie, die es unternimmt, die Rolle der Kunst, ja der Wahrnehmung überhaupt in dieser schrecklich-schönen neuen Welt zu bestimmen“; „und schließlich ist der Arbeiter ein philosophischer Traktat, der […] eine neue ,Metaphysik‘ zu geben“ versuche. Vgl. Helmuth Kiesel: Ernst Jünger. Die Biographie. München: Siedler Verlag, 2007, S. 385. 227 Ebd. 228 Ebd. S. 397 f.
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zu lesen.229 Jünger hat insofern diesen Konnex bestätigt, als er post festum verrät, dass er den Begriff „Gestaltwandel“ Leopold Ziegler zu verdanken habe.230 Kölling kann mit Hilfe der Philosophie Zieglers „den Gegensatz des Mechanischen und Organischen“ – ein Bezugspunkt auf Jünger paradox erscheinendes Begriffspaar von der „organischen Konstruktion“ – „in einer letztlich metaphysischen Deutung des Weltganzen als ,Arbeit‘“231 auflösen und auf eine neue Perspektive verweisen: „Fortan zeigt sich, daß die Deutung der Welt als sämtliche Phänomene des organischen Lebens umfassende Maschine aus sich selbst heraus auf eine Deutung der Welt als Organismus hinausläuft, die die Gesetze der Mechanik gleichsam nicht aus-, sondern einschließt.“232 Dadurch werde „die mechanistische Auffassung des Seins als Bewegung durch die organische Auffassung des Seins als Gestalt ersetzt.“233 Aber Kölling macht auch auf ein Missverständnis aufmerksam: Die Freiheit des Menschen erfüllt sich für Jünger darin, Teil einer „organischen Konstruktion“ zu werden, also einem Naturzusammenhang sich einzugliedern, in dem die strenge Notwendigkeit der Gestalt herrscht. Für Ziegler hingegen erfüllt sich die Gestalt – als vom Menschen in schöpferischer Freiheit der mechanistischen Perspektive entgegengesetzter „Wert“ – erst in der Transzendenz auch der organischen Perspektive. Für Jüngers magischen Geschichtspantheismus ist die Gestalt in der Geschichte unmittelbar positiv verwirklicht, so daß die „Revolution“ zum Mittel der „Wiederherstellung“ werden kann. Für Ziegler hingegen, dessen Grundgedanke von Jünger angeeignet und […] mißverstanden worden ist, hat nicht die Geschichte, sondern nur der Mensch selbst kraft seines Geistes teil an der Gestalt.234
Mario Bosincu verfolgt mit seiner Arbeit „Über die Wende Ernst Jüngers“ die Absicht, den Nachweis zu erbringen, dass Ernst Jünger mit seinem „Arbeiter“-Buch genuine politische Propaganda betrieben habe, um die „Deutschen in die Rolle der Sklaven eines imperialistischen und technisierten Machtstaates hineinzuzwingen.“235 Zur Bekräftigung seiner These zitiert er die Referenzquelle Herbert Marcuse: „Jünger’s book […] is the prototype of the National Socialist union between mythology and technology.“236 Darüber hinaus ist Bosincus ideologiekritische
229 Vgl. Timo Kölling: Leopold Ziegler. Eine Schlüsselfigur im Umkreis des Denkens von Ernst Jünger und Friedrich Georg Jünger: Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2009, S. 73. 230 Vgl. Ernst Jünger: Prognosen. München: Bernt Klüser, 1993, S. 13. 231 Vgl. Timo Kölling: Leopold Ziegler. Eine Schlüsselfigur im Umkreis des Denkens von Ernst Jünger und Friedrich Georg Jünger: Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2009, S. 87. 232 Ebd. 233 Vgl. ebd. 234 Ebd. S. 97 f. 235 Vgl. Mario Bosincu: Autorschaft als Widerstand gegen die Moderne. Über die Wende Ernst Jüngers. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2013, S. 125. 236 Zit. n. ebd.
Rezension des Essays „Der Arbeiter“ post festum
Argumentation durch internationale Jünger-Kritik fundiert.237 Auch hat der Autor die Rezeptionsgeschichte dieses umstrittenen Jünger-Textes akribisch sondiert238 und neben der Affinität zu Friedrich Nietzsche und Oswald Spengler die nicht unerhebliche Analogie zu Sorels „Réflexions sur la violence“ hergestellt.239 Jüngers politisches Engagement, insbesondere die intendierte Anwendung eines Mythologen – Bosincu markiert den „Übergang von der Demagogie zur Psychagogie, die Anschauung des Politikers als meneur des foules“240 – sei in Opposition zum Marxismus zu betrachten. So habe Jünger versucht, mit einer Bezugnahme auf die „Gedanken- und Bildertradition des deutschen Nihilismus“, „die Linkskräfte als eine sich verachtenswert um die Erreichung wirtschaftlicher Ziele bemühende Bewegung zu diskreditieren“.241 Eine gute Gesamtschau – Struktur (in Anlehnung an Thomas Pekar), Inhalt und Rezeptionsgeschichte – liefert Jürgen Brokoff mit seinem Aufsatz zum „Arbeiter. Herrschaft und Gestalt“ im „Ernst-Jünger-Handbuch“ des Metzler-Verlages. Brokoff hebt bezüglich der „Teilhabe“ Jüngers, der seine „eigene Gegenwart in apokalyptischer Zuspitzung als Zeit der Wende und katastrophale Umwälzung“ begriffen habe, zwei Aspekte hervor: Jüngers Text trete „mit dem visionären Anspruch auf, zu den ,Wenigen‘ […] zu gehören, die die Zeitenwende erkannt und sichtbar gemacht haben.“242 Und: Außerdem sei Jüngers „Teilhabe“ „von einer Rhetorik der Enthüllung (griech. apokálypsis) bestimmt […]: Der ,Einbruch elementarer Mächte‘ und die ,Ablösung des bürgerlichen Individuums durch den Typus des Arbeiters‘ […] finden primär auf geistigem Gebiet statt.“243 Karl Heinz Bohrers Idee der „Plötzlichkeit“ macht sich auch Brokoff zu eigen, wenn er schreibt: „Die (An)Erkenntnis der Gestalthaftigkeit der eigenen Existenz ist an den zeitlichen Modus des ,Augenblick[s]‘ […] gebunden.“244 Brokoff hält Jüngers Schrift „Die totale Mobilmachung“ für nicht militärisch intendiert;245 dagegen sieht er aber im Bereich der Ästhetik Übereinstimmungen mit dem NS-Staat.246 Dass Jüngers „Arbeiter“ heute noch zu provozieren vermag, vermerkt der Autor am
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Auch Jüngers Relativierungsversuche post festum werden als solche entlarvt. Siehe S. 119, Anm. 262. Siehe ebd. S. 95 f. Vgl. ebd. S. 97–101. Vgl. ebd. S. 78. Vgl. ebd. S. 94. Vgl. Jürgen Brokoff : Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt (1932). In: Matthias Schöning (Hg.): Ernst-Jünger-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart/Weimar: Verlag J. B. Metzler, 2014, S. 107. Vgl. ebd. Ebd. S. 108. Siehe ebd. S. 110. Diese Einschätzung muss man nicht teilen. Jünger hat m. E. bei seinem Aufruf zur Mobilmachung sehr wohl auch militärisch gedacht. Diese kleine Schrift könnte man m. E. auch als nationalistische Programmschrift verstehen. Siehe ebd. S. 113.
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Der nationalistische Skribent
Schluss: „Den stärksten Gegenwartsbezug hält Jüngers Anthropologie des neuen Menschen bereit, der seine individuellen Züge mehr und mehr verliert und sich in organisch-technische Verbünde bzw. sozialtechnologische Netzwerke eingegliedert sieht.“247 Jünger war offenbar auch gewillt, neben der Ummünzung der Weltkriegsniederlage in einen Sieg eine „Umcodierung in eine Art ‚anthropologischen Etappensieg‘“ vorzunehmen (Julia Encke: Augenblick der Gefahr. Der Krieg und die Sinne. 19141934. München: Wilhelm Fink Verlag, 2006, S. 9). Siehe: Der gefährliche Augenblick. Eine Sammlung von Bildern und Berichten. Hg. von Ferdinand Buchholtz. Mit einer Einleitung von Ernst Jünger. Berlin: Junker und Dünnhaupt Verlag, 1931. Sowie: Edmund Schultz/Ernst Jünger: Die veränderte Welt. Eine Bilderfibel unserer Zeit. Breslau: Wilh. Gottl. Korn Verlag, 1933.
247 Ebd. S. 115.
4. Subtile Gegnerschaft
Der Nationalsozialismus brachte die umfassendste Gegenauslese in Fluß: man mußte in seiner Substanz morsch und moralisch angeknackt sein, um in die herrschende Schicht Aufnahme finden zu können. (Ernst Niekisch1 )
Obwohl in den letzten Jahren zahlreiche Briefwechsel mit Jünger erschienen sind,2 kann insbesondere für den Zeitraum 1933 bis in die frühen vierziger Jahre hinein noch kein differenziertes und widerspruchsfreies Bild Jüngers erstellt werden. Auch fehlt noch der umfangreiche Briefwechsel mit dem Bruder Friedrich Georg Jünger, der sicherlich noch manchen aufschlussreichen Aspekt liefern könnte; allerdings müsste hier miteingerechnet werden, dass prekäre Briefe nicht nur an den Bruder, sondern auch an Ernst Niekisch angesichts der zu kalkulierenden Bedrohung durch den rabiat operierenden NS-Staat vernichtet worden sind. Jünger sträubte sich zwar ob der Avancen öffentlicher Stellen und der durchaus einhelligen Affirmation zahlreicher Medienorgane, dennoch erschienen seine Publikationen unbehindert3 – 1941 erschien sogar noch eine Auflage seines „Arbeiter“-Essays – und seine Textsammlung „Blätter und Steine“ (1934) lässt noch keinen wirklichen Bruch im Denken erkennen. Ganz im Gegenteil, die Erstveröffentlichung des Essays „Über den Schmerz“ (1934) konnte den Verdacht aufkommen lassen, der „Erfinder“ der „Totalen Mobilmachung“ sei gewillt, seinen 1930 eingeschlagenen Kurs emphatisch fortzusetzen. Aber es finden sich, wie schon angesprochen, weitere Indizien, die eher Anhaltspunkte für einen Rückzug geben können. Jüngers zurückziehendes Verhalten, das sich schon Ende der zwanziger Jahre abzuzeichnen beginnt,4 verstärkt sich im Laufe der nationalsozialistischen Diktatur, wie beispielsweise der auffällig
1 Ernst Niekisch: Das Reich der niederen Dämonen. Berlin: Rütten & Loening, 1957, S. 171. 2 BW mit: Alfred Kubin (1975), Rudolf Schlichter (1997), Carl Schmitt (1999), Gerhard Nebel (2003), Friedrich Hielscher (2005), Gottfried Benn (2006), Stefan Andres (2007), Martin Heidegger (2008), Margret Boveri (2008), Alfred Bäumler (2008), Hans Grimm (2009), Albert Renger-Patzsch (2010), Armin Mohler (2016) und Joseph Wulf (2019). 3 Daneben werden Auszüge aus den Kriegsbüchern für den Schulunterricht erstellt. Siehe: Deutsche Dichtung der Gegenwart in Schulausgaben. Ein Wegweiser von Paul Rentwig und Heinrich K. Roeder. Bamberg: Buchners Verlag („Der Krieger“ [Auswahl] im Diesterweg Verlag; „Feuer und Blut“ im Reclam Verlag; „Der Krieg als inneres Erlebnis“ im Verlag Velhagen & Klasing), S. 52 f. 4 Der Zenit seiner politischen Publizistik ist längst überschritten; nur noch einige Aufsätze veröffentlicht Jünger in der nationalbolschewistischen Zeitschrift „Widerstand“ (hg. von Ernst Niekisch). Siehe
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ästhetische Eskapismus in den Reisetagbüchern hinreichend belegen kann.5 Einige erhaltene Briefe verschleiern aber eher die wahren Motive für Jüngers Rückzug, als dass sie Aufklärung geben. An Carl Schmitt schrieb Jünger am 13.12.1933: Ich habe mich in Goslar bereits etwas eingelebt und bin damit beschäftigt, eine neue Art der Bewegung, nämlich die des Schi-Laufens zu entdecken. Es ist vielleicht die Fortbewegung, bei der man dem Winde am nächsten kommt, und das lautlose Gleiten über lange, geneigte Hänge in der Abenddämmerung bereitet eine Art von gespensterischer [sic!] Lust. Es kommt mir so vor, als ob ich hier besser arbeite, auf jeden Fall bin ich der alleinige Herr über meine Zeit. (BW CS, 19)
Die Zeilen an den Bruder Friedrich Georg Jünger, datiert vom 8.7.1934, mögen schon völlig unter dem Eindruck des „Röhm-Putsches“ gestanden haben: Man munkelt unter meinen Bekannten, daß ich mich auf ein totes Gleis begeben hätte, nichts mehr zu sagen wisse, mich wiederhole, kurzum erledigt sei. Dazu ist zu bemerken, daß die Leute einem nichts schwerer verzeihen, als die eigene Erbärmlichkeit. Ich habe längst die Hoffnung aufgegeben, mit ihnen jemals d’accord zu sein. Dafür wird es für uns Zeit, daß wir unter unseren Freunden furchtbare Musterung halten: dies will ich mit Dir in Leisnig [Wohnort der Eltern] vor allem absprechen.6
Die Ermordung Ernst Röhms durch seine ehemaligen Kombattanten dürfte auch bei Jünger die letzte Klarheit über den wahren Charakter der neuen Herren im neuen Deutschen Reich gebracht haben. Arnolt Bronnen berichtete, bei einem zufälligen Treffen mit Ernst Jünger auf Helgoland habe er Jünger, durch die Ereignisse des 30.6. bedingt, „noch sehr präokkupiert“ angetroffen. Jüngers Voraussage Hitler betreffend teilte sich Bronnen so mit: „Jetzt ist es mir klar, daß dieser Mann nur in einem Meer von Blut abtreten wird.“7 Der Freund Carl Schmitt hingegen hatte dem Regime, insbesondere seinem Führer Adolf Hitler, den Rücken gestärkt, indem er mit einem rechtswissenschaftlichen Aufsatz „Der Führer schützt das Recht (1934)“8 das brutale Vorgehen gegen die einstigen Gefährten zu legitimieren versuchte. Jünger griff später dieses Ereignis wieder auf: „Ich kam damals von
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Ernst Jünger: Politische Publizistik 1919 bis 1933. Hg., kommentiert und mit einem Nachwort von Sven Olaf Berggötz. Stuttgart: Klett-Cotta, 2001, S. 538–660. Siehe auch Jan Robert Weber: Ästhetik der Entschleunigung. Ernst Jüngers Reisetagebücher (1934–1960). Berlin: Matthes & Seitz, 2011. Zit. n. Ernst Jünger. Leben und Werk in Bildern und Texten. Hg. und kommentiert von Heimo Schwilk. Stuttgart: Klett-Cotta, 2010 (Neuausgabe), S. 143. Zit. n. Arnolt Bronnen: Arnolt Bronnen gibt zu Protokoll. Beiträge zur Geschichte des modernen Schriftstellers. Hamburg: Rowohlt Verlag, 1954, S. 308. Vgl. Carl Schmitt: Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Gent – Versailles 1923–1939. Berlin: Duncker & Humblot, 2014, S. 227–232.
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Helgoland; als wir an seinem Haus am Fichteberg vorbeigingen, fragte ich ihn, ob er schon ein Maschinengewehr im Keller installiert habe – er quittierte den Scherz mit einem verwunderten Blick.“ (SV3, 574) An Eindeutigkeit fehlte es auch dem Bruder gegenüber nicht. Am 11.11.1934 schrieb er unter dem Druck der Selbstvergewisserung: Das revolutionäre Stadium, in das wir eingetreten sind, kann nur durch tiefere Kräfte bestanden werden, als durch die rhetorischen, literarischen oder ideologischen – es prüft uns in der Substanz. Man muß jetzt das Blatt aufdecken und zeigen, wer man ist. In einem Zustand des üblen Spukes und des Betruges wird der Gedanke rein dadurch gefährlich, daß er richtig ist, und Geister, die das rechte Maß besitzen, wirken wie Spiegel, in denen sich die Nichtigkeit der Schattenwelt enthüllt. Ein logischer Gedanke, ein reines Metron, eine edle Tat, ja selbst die Nichtbeteiligung am Niedrigen – das sind heute Dinge, die sich erheben wie drohende Waffen, die um so schärfer wirken, je weniger man sie auf die Zeit bezieht.9
In seinem Geburtstagsgruß an Alfred Töpfer – „Ausgehend vom Brümmerhof “ (1974) – kommt Jünger noch einmal, bezugnehmend auf ein Treffen mit Ernst Niekisch im Jahre 1935, auf die Jahre im „Dritten Reich“ zurück. Auf dem Wege nach Norwegen mit dem Freund Hugo Fischer (von dieser Reise berichtet das Tagebuch „Myrdun. Briefe aus Norwegen“, 1943) unterbrach Jünger seine Reise, um mit den Gegnern des Regimes – neben Niekisch und einigen seiner engen Gefolgsleute der Zeitschrift „Widerstand“ waren der Zeichner A. Paul Weber und der Bruder Friedrich Georg Jünger anwesend – über die momentane Situation zu diskutieren. Hauptthema der Retrospektive ist die politische Gestalt Ernst Niekisch. Den „Abstecher“ zum Brümmerhof in die Lüneburger Heide begründet Jünger wie folgt: „In den Zeiten, in denen die Meinung verflacht oder gar verstummt, lohnt es sich, weit zu reisen, um Partner zu finden, die noch denken können und damit nicht hinter dem Berg halten.“10 Auch Jüngers Bruder Friedrich Georg hat sich regimefeindlich geäußert, unmissverständlich in seiner Elegie „Der Mohn“: „[…] Mohnsaft, du stillst uns den Schmerz. Wer lehrt uns das Nied’re vergessen? / Schärfer als Feuer und Stahl kränkt uns das Niedere doch. / Wirft es zur Herrschaft sich auf, befiehlt es, so fliehen die Musen.“11 Den folgenden Publikationen „Afrikanische Spiele“ (1936) und „Das abenteuerliche Herz. Figuren und Capriccios. Zweite Fassung“ (1938) fehlt jeder Bezug zur aktuellen Situation, sie sind der Zeit entrückt. Demzufolge konnte Jünger mit
9 Zit. n. Ernst Jünger. Leben und Werk in Bildern und Texten. Hg. und kommentiert von Heimo Schwilk. Stuttgart: Klett-Cotta, 2010 (Neuausgabe), S. 144. 10 Ernst Jünger: Sämtliche Werke. Zweite Abteilung. Essays VIII. Band 14. Ad hoc, Stuttgart: Klett-Cotta, 1978, S. 102. 11 Friedrich Georg Jünger: Gedichte. Berlin: Widerstands-Verlag, 1935, S. 60.
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seiner Erzählung „Auf den Marmor-Klippen“, die 1939 erschien, die Öffentlichkeit überraschen. Nicht Abgrenzung wie in den ersten dreißiger Jahren, sondern offener Affront gegen das herrschende System ist hier unschwer aus den Zeilen herauszulesen. Der Renegat, einstiger Mitstreiter der „Mauretanier“, hatte hier eine neue Position bezogen; hinzuzufügen ist allerdings, dass sich kein leicht auszugrenzender Kritiker artikuliert hatte, sondern eine öffentlich hoch geachtete Persönlichkeit. Wobei auch ins Gewicht fiel, dass der wiedereingerückte Hauptmann in der Wehrmacht persönlichen Schutz genoss.
Blätter und Steine, 1934 Nein, das Wirkliche ist ebenso zauberhaft, wie das Zauberhafte wirklich ist. (BS, Siz, 121) Was not tut, ist eine neue Topographie. (BS, Siz, 111)
Unter dem Begriffspaar „Blätter und Steine“ – an Adalbert Stifter mag Jünger bei der Namensgebung gedacht haben – werden 1934 in der Hanseatischen Verlagsanstalt Hamburg sieben literarische bzw. essayistische Texte veröffentlicht, Jüngers erste Anstalten zu einer Gesamtausgabe ihm wichtig erscheinender Einzelwerke. Jünger konnte wohl mit gutem Grund Pascals Sentenz über die sinnmachende Widersprüchlichkeit vor seine weitgefächerte Textsammlung stellen (BS, 13). Die Themenschwerpunkte zeigen die Bandbreite und zugleich die Vorlieben des Autors: das Reisetagbuch mit Aufzeichnungen der „Subtilen Jagd“ und die sprachphilosophischen Spekulationen über die Vokale stehen einer von futuristischer Ästhetik geprägten Essayistik gegenüber: der „Dalmatinische Aufenthalt“ (Juni/Juli 1932), „Lob der Vokale“ und „Über den Schmerz“. Die hinzugenommenen Texte sind Wiederveröffentlichungen: „Feuer und Bewegung“ (1930), „Die Staub-Dämonen“ (1931), „Sizilischer Brief an den Mann im Mond“ (1939) und „Die Totale Mobilmachung“ (1930). Mit leicht prätentiösen Ausführungen über die Stilistik und mit motivischen Erläuterungen zu den einzelnen Beiträgen präsentiert sich Jünger im Eingangskapitel „An den Leser“. Hier wird die Zuordnung präzisiert: „Der Titel erklärt sich aus stilistischen Gründen; der ,Sizilische Brief ‘ dürfte als ein Blatt, ,Feuer und Bewegung‘ als ein Stein zu betrachten sein.“ (BS, 7) Auf derselben Seite findet sich ein mehrdeutiger Hinweis auf das aktuelle Zeitgeschehen: das Bemühen um eine erste Gesamtwerkausgabe könne, „ehe die Entwicklung der Dinge andersartige Ansprüche stellt“, vereitelt werden (ebd.). Der Band schließt mit einem „Epigram-
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matischen Anhang“, 100 ausgewählte Aphorismen, von denen 21 bei der 2. Auflage, 1942, durch politisch weniger verfängliche ausgetauscht werden. Gezielte Aussprüche sind sicher in NS-Parteikreisen als Kritik am System verbucht worden (SV3, 235 f.) wie: „Die falschen Propheten werden durch übertriebenes Lob zum Platzen gebracht.“ (BS, 1934, 224) Oder: „Die Masse ist ihr eigener Tyrann.“ (BS, 218). In einem wiederveröffentlichten Aphorismus gibt sich ironisch, vielleicht auch gemäß seinem schriftstellerischen Selbstverständnis, der Dandy zu erkennen: „Wer sich selbst kommentiert, geht unter sein Niveau.“ (BS, 1934, 226 und 1942, 228) Dalmatinischer Aufenthalt Dieser Reisebericht enthält Skizzen und kleine Studien von einer im Sommer 1932 mit dem Bruder Friedrich Georg Jünger (dessen Verarbeitung liegt in der Erzählung „Dalmatinische Nacht“, 1950, vor) unternommenen Balkanreise, genauer, zu der dem Festland vorgelagerten Insel Korčula. Jüngers Tagebücher sind wie üblich in diesem modernen Genre „gereinigte“ Notate; er selbst umschreibt metaphorisch sein Verfahren: „Zum Tagebuch: die kurzen, kleinen Notizen sind oft trocken wie Tee in Krümeln; die Abschrift ist das heiße Wasser, das ihr Aroma erschließen soll.“ (Str, 254) Vor dem Leser werden Naturbeobachtungen und metaphysische Reflexionen ausgebreitet, die auf den Wanderungen durch die Inselflora und -fauna (die Wanderung zum Gipfel, zu den Schakalen und Wildeseln, BS, Dal, 38) akribisch eingefangen oder auf den Plätzen des autochthonen Insellebens zum Zwecke der Gedankenzerstreuung (BS, Dal, 33) notiert werden. Jüngers Reisebeschreibungen suchen bewusst das „Gefühl der Zeitlosigkeit“ (BS, Dal, 34) zu steigern, die ungefähren Orts- und Zeitangaben verstärken den Eindruck des zeitlichen Entrücktseins. Die Erinnerung, von gelegentlichen zeitgeschichtlichen Einlassungen abgesehen, gilt den „überzeitlichen“ Phänomenen – Carl von Linné, Jan van Huysum, Jakob Philipp Fallmerayer, Thomas De Quincey, Joris-Karl Huysmans, Stendhal (Marie-Henri Beyle), Barthold Heinrich Brockes, Albrecht Dürer, Friedrich Hölderlin und Johann Wolfgang von Goethe werden genannt. Erwähnenswert sind die Spekulationen über „Zisterne“ und „Quelle“ der südlichen bzw. nördlichen Hemisphäre am Ende seiner Aufzeichnungen (BS, Dal, 43 f.) – ein Beispiel für typische Jünger’sche Konklusionen (eine Unterscheidung zwischen Ost und West thematisiert der Essay „Der gordische Knoten“, 1953). Im Zentrum aber stehen die Naturbeschreibungen, die den Meister der subtilen Darstellungskunst erkennen lassen; an einem „unscheinbaren und kränklichen Pfirsichstämmchen“ macht der Entomologe eine Entdeckung: Zunächst fiel mir ein großer, schwarzer Geselle auf, dessen wie poliertes Eisen schimmernde Flügeldecken mit zahlreichen kreideweißen Schuppen gemustert waren, und in dem ich einen alten Bekannten wiederfand. […] Ein kleiner, unten glänzend kupferroter, oben
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matt bronzefarbiger Verwandter saß wie erstarrt an dem verwitterten Stamm; nur das elektrische Zittern der zierlichen Fühlhörner verriet, welches Leben in ihm war. Äußerst beweglich dagegen wie eine schönfarbige Fliege spielte in den obersten, wipfeldürren Zweigen eine flüchtige, grün und golden schimmernde Art, die auf ihren Flügeldecken, wie durch einen Münzstempel eingeprägt, sechs dukatenfarbige Grübchen trug. (BS, Dal, 22 f.)
Oder in den „zauberhaften Gärten“: Große Rosenkäfer funkelten in diesem Gewirr in feurig goldenen, erzgrünen und veilchenfarbigen Spielarten von einer metallischen Durchsichtigkeit, die an gläserne Lasuren erinnerte. Zuweilen fielen sammetgelbe, mit schwarzen Augenflecken geschmückte Hornissen oder stahlblaue Hummeln in die Blütenpolster ein. An offenen Stellen sonnte sich der Scheltopusik, eine große, glänzend laubfarbige Schleiche, die beim leisesten Geräusch raschelnd in den Büschen verschwand. Einmal, dichter am Meer, bekam ich auch die schönste der europäischen Schlangen zu Gesicht, die zierliche Leoparden-Natter, die auf mahagonibrauner Grundfarbe blutrote, schwarz gesäumte Makel trägt. (BS, Dal, 25)
Und bei den „Steinen“: Die hohen Geröllhalden konnte man als das unerschöpfliche Archiv eines Bestrebens betrachten, alle Arten der Rundung darzustellen, die denkbar sind. Sehr selten stießen wir jedoch unter den unzähligen scheibenförmigen, ovalen und zylindrischen Schliffen auf die reine Kugelform. In manche Stücke waren äußerst zierlich versteinerte Nummuliten eingekieselt, die man bei uns zu Lande auch Münzsteine nennt. Andere waren von den Gängen der Bohrmuschel wie von Flintenschlüssen durchquert. (BS, Dal, 28)
Lob der Vokale12 Der Essay über die fünf Vokale13 entspringt Jünger’scher Privatphilosophie über die Sprache, später, 1949, wird unter dem Titel „Geheimnisse der Sprache“ der Essay „Sprache und Körperbau“ (1947) hinzugenommen. Diese Thematik findet ihren Fortgang in den Kompendien „Autor und Autorschaft“ (1984) und in dem Martin Heidegger gewidmeten Bändchen „Federbälle“ (1969). Zur Herausgabe von „Lob der Vokale“ offenbart Jünger dem Leser: „Diese Arbeit, von der ich mich nur ungern trenne, entstand in wenigen, sehr ruhigen Nächten; sie eröffnet einige Geheimnisse der Sprache, die sicher bereits von manchem geahnt, aber noch von niemandem beschrieben sind.“ (BS, 9) Jüngers spekulativer Versuch schließt im
12 In der Ausgabe von 1942 wird der Essay mit dem Satz „Die folgende Betrachtung soll den Vokalen gewidmet sein“ eröffnet. Auch unterscheiden sich die Texte inhaltlich ein wenig. 13 Erschien auch 1937 als Sonderdruck in der Mainzer Albert-Eggebrecht-Presse und später, 1954, im Züricher Verlag der Arche.
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weitesten Sinne morphologische Betrachtungen ein (die Vokale seien das „eigentliche Fleisch der Worte und Sprachen“, hingegen verkörperten die Konsonanten das „festere Knochengerüst“, BS, LdV, 47). Unterstellt wird eine Hierarchie: „Die Konsonanten dürfen wir […] als Zeichen betrachten, in denen der besondere Umstand, die Art und Weise, kurzum das Veränderliche zum Ausdruck kommt.“ (BS, LdV, 52) Und: „Worauf aber mag der höhere Rang des Vokals beruhen, der hier so deutlich wird?, – denn es ist das sicherste Kennzeichen des höheren Ranges, daß eine Kraft durch ihre Ruhe meh r als eine andere durch ihre Bewegung wirkt.“ (BS, LdV, 57) Jünger’schem Denken ist die Suche nach den „Wurzeln“ gemäß, sie ist auch in diesem Kontext nur allzu naheliegend. Seine Assoziationen basieren nicht auf freien Gedankenäußerungen, sondern finden ihren Beleg für ihre Richtigkeit argumentativ in der Vergewisserung über den archaischen Zusammenhang. Den vermeintlich „logischen“ Widersprüchen begegnet Jünger mit sophistischer Raffinesse: Das U ist der Laut des mehr als logischen Grundes, der Wurzel, des Ursprunges und der feierlichen Dunkelheit. […] In diesem Zusammenhange sei bemerkt, daß unser Ohr das Wort Unt i efe für eine seichte Stelle als sprachlichen Fehlgriff empfindet; es ist dies ein einleuchtendes Beispiel dafür, daß ein Wort, das völlig nach den Gesetzen der Sprachlogik gebildet ist, gegen das geheimere Gesetz der Lautmagie verstoßen kann. (BS, LdV, 81 f.)
Jünger gibt, angeregt durch Arthur Rimbaud (BS, LdV, 72), den Vokalen farbliche Entsprechungen und ordnet sie bestimmten Intonationsmustern zu, z. B.: „Das A ist vielmehr der eigentlich väterliche Laut, das höchste und königliche Zeichen der Paternität. […] Die Farbe, die wir für das A wählen würden, müßte der Purpur sein […]. Als Ausruf kündet das volle A den höchsten Grad der Bewunderung an, im Lachen die hohe, joviale Heiterkeit.“ (BS, LdV, 73 f.) Oder: Das O ist der Laute der Aristokratie […]. Unter den Farben scheint ihm die gelbe, unter den Metallen das Gold zugeordnet […]. Endlich tritt der dem O innewohnende Gegensatz zwischen hoch und tief auch im Gelächter hervor; das Lachen auf O birgt einen vorwiegend überlegenen, höhnischen, aber auch trotzigen Klang. Während das O als Ausruf nach oben gerichtet ist, klingt es als Spott- und Hohngelächter in entgegengesetzter Richtung herab. (BS, LdV, 74 f.)
Seine Spekulationen bzw. Assoziationen zu den Vokalen in der Zusammenfassung: „Das A bedeutet die Höhe und Weite, das O die Höhe und Tiefe, das E das Leere und das Erhabene, das I das Leben und die Verwesung, das U die Zeugung und den Tod. Im A rufen wir die Macht, im O das Licht, im E den Geist, im I das Fleisch und im U die mütterliche Erde an.“ BS, LdV, 84)
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Die Staub-Dämonen Jüngers langjährige freundschaftliche Beziehung zu dem österreichischen Zeichner, Illustrator und Schriftsteller Alfred Kubin ist verbrieft. In dem selbstständig herausgegebenen Band „Eine Begegnung“ (197514 ) wird die von Jünger im Januar 1929 initiierte und bis in das Jahr 1952 reichende Korrespondenz dokumentiert. In seiner Kontaktaufnahme nahm Jünger Bezug auf ein Gedicht, das er dem Künstler zu dessen Bild „Der Mensch“ (1902) eigens verfasst und ihm 1921 zugesendet hatte. Die Zeilen lauten: Traum, hirndurchglüht, wird Vision, Krystall, / Urfrage Sein zu Wahnsinn, Katarakt: / Aufrechter Mensch; geschleudert in das All, / Orkan im Haar, bleich, einsam, nackt. // Ausschnitt endloser Kurve dämmert Welt, / Absturz in Dunkel, transzendenter Schwung, / Aufschrei das Leben, jäh aus Nichts geschnellt, / Ein Rampenlicht zu irrem Zirkussprung. (BW AK, 13)
Der mit gegenseitiger Hochachtung geführte Gedankenaustausch schloss die Übersendung von Büchern und Zeichenmappen mit ein. Darüber hinaus hatte eine persönliche Begegnung in Zwickledt, dem Wohnort des „Einsiedlers“ Kubin (BW AK, 48), im November 1937 stattgefunden. Die Hommage an den Expressionisten Alfred Kubin, die Bedeutung seiner „symbolischen Bildersprache“ (BS, SD, 100) hervorhebend, veröffentlichte Jünger unter dem Titel „Alfred Kubins Werk“ 1931 in den „Hamburger Nachrichten“, 1933 dann im „Widerstand“ – in demselben Organ kam 1929 seine Rezension zu Kubins Roman „Die andere Seite“ zum Abdruck. Für den Rezensenten hatte das gesamte Werk, ergo das erzählerische sowie das graphische, eine zentrale Bedeutung, die im Untertitel des wiederabgedruckten Aufsatzes, jetzt mit dem neuen Titel „Die Staub-Dämonen“, anklingt: „Eine Studie zum Untergang der bürgerlichen Welt“ (BS, SD, 99). Ganz offensichtlich wähnte sich Jünger in engster Verbundenheit mit Kubin. Angesichts der „verwirrenden Mannigfaltigkeit der Stilarten“ (ebd.) – vorzugsweise sich „abstrakten mit b e g r i f f l i che n Mitteln“ bedienend (BS, SD, 100) – schien Kubin für Jünger eine Ausnahmeerscheinung gewesen zu sein: Hier fällt unter den Zeitgenossen die Gestalt A lf re d Kubi ns ins Auge, in dessen graphischem Werk der Einbruch der zerstörenden Mächte in den überkommenen Raum sich d e sha lb mit besonderer Deutlichkeit widerspiegelt, weil er mit symbolischen, den reinen Zeiterscheinungen übergeordneten Mitteln geschildert wird. Die unmittelbare Wirkung ist um so stärker, als sie auf Beschreibung beruht, […] die nicht etwa als eine Übersetzung des Wortes durch den Zeichenstift aufzufassen ist, sondern die aus der tieferliegenden Zone einer unmittelbaren Einsicht schöpft. (Ebd.)
14 Eine Sonderausgabe erscheint schon 1971 im Biberacher Verlag Karl Thomae.
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Jüngers primäre Rezeption zeigt seine Wahlverwandtschaft zum Œuvre Kubins: Der erste Eindruck, den die Betrachtung eines solchen Blattes erregt, ruft einen gewissen Taumel, eine Störung des inneren Gleichgewichtes hervor, die in der Wahrnehmung begründet liegt, daß hier die gewohnte Ordnung, das Gefüge unserer Welt in seiner Festigkeit getroffen ist. […] Endlich aber sind die Dinge zweideutig geworden; sie rufen beim ersten Anblick die Frage hervor, inwiefern ihnen noch zu trauen ist. Leben und Tod, Gesicht und Maske, Traum und Wirklichkeit fließen seltsam ineinander ein; das Bewegliche scheint erstarrt und das Starre irgendwie beweglich zu sein. (BS, SD, 100 f.)
Das Lob galt der „instinktiven Sicherheit“, mit der Kubin die „Symbolik der einzelnen Gegenstände“ zeichnerisch darzustellen in der Lage sei, einer „bedeutsame[n] Fähigkeit, Vorgänge unserer Zeit durch Mittel zur Anschauung zu bringen, die nicht dem zeitlichen Bestande entnommen sind.“ (BS, SD, 101 f.) Jüngers resümierendes Verdikt: Wenn einst die mannigfaltigen Vorgänge, in denen sich der Untergang der Welt des 19. Jahrhunderts vollzieht und vollzog, und deren tätige und leidende Teilnehmer wir gewesen sind, innerhalb anderer Ordnungen in Vergessenheit geraten sein werden, wird das Werk Alfred Kubins als einer jener Schlüssel bestehen, die verborgenere, geheimere Räume erschließen als der historische Bericht. Es stellt eine Chronik dar, als deren Quellen das Knistern im Gebälk, die Risse im Mauerwerk und die Fäden der Spinngewebe zu betrachten sind. (BS, SD, 106)
Sizilischer Brief an den Mann im Mond Jüngers „Sizilischer Brief an den Mann im Mond“ hat seinen Ursprung in den Schluchten des Monte Gallo. Die Situationsbeschreibung verrät einen starken Beweggrund, ausgelöst auf der Sizilienreise im Frühjahr 1929:15 Die rotbraune Erde der Gärten war noch feucht vom Tau, und unter den Zitronenbäumen standen die roten und gelben Blüten des sarazenischen Frühlings, einem Muster gleich, wie es der Morgenländer in seine Teppiche webt. Dort, wo die letzten Blätter der Opuntie nackt und neugierig über die rötlichen Mauern spähten, schlossen sich die Bergtristen an, überragt von Felsen, und von den gelben Stauden der Wolfsmilch überflammt. Dann führte der Weg durch ein schmal eingeschnittenes Tal aus kahlem Gestein. Ich weiß nicht, und will auch nicht versuchen, es zu beschreiben, wie mir inmitten dieser elementaren Landschaft plötzlich die Einsicht auftauchte, daß ein Tal wie dieses mit seiner steinernen Sprache den Wanderer eindringlicher ergreift, als es einer reinen Landschaft möglich sein könnte, oder daß, anders gesprochen, eine solche Landschaft über tiefere Kräfte verfügt. […] es war unzweifelhaft, daß dieses Tal seinen Dämon besaß. Gerade jetzt, noch im
15 Siehe auch Ernst Jünger: Ein Inselfrühling. Zürich: Die Arche, 1948, S. 49–69. Mit von der Partie waren die Brüder Friedrich Georg und Hans Otto Jünger.
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Taumel dieser Entdeckung, fiel mein Blick auf Deine schon sehr bleiche Scheibe, die dicht über dem Höhenkamme, und wohl nur aus der Tiefe heraus, noch am Himmel zu sehen war. Und da stand in einer seltsam blitzhaften Geburt das Bild des Mannes im Mond wieder auf. (BS, Siz, 119 ff.)
Eindrucksvoll schildert Jünger seine durch einen einschneidenden Augenblick – gleich einem Kairos – gewonnene Einsicht, die er wie eine Loslösung aus einer starken Umklammerung erfahren habe: Denn zum ersten Male hob sich hier ein quälender Zwiespalt auf, den ich, Urenkel eines idealistischen, Enkel eines romantischen und Sohn eines materialistischen Geschlechtes bislang für unlösbar gehalten hatte. Dies geschah nicht etwas so, daß sich ein EntwederOder in ein Sowohl-Als-Auch verwandelte. Nein, das Wirkliche ist ebenso zauberhaft, wie das Zauberhafte wirklich ist. (BS, Siz, 121)
Wie schon 1929 im „Abenteuerlichen Herzen“ (AH1, 5 f.), also ein Jahr, bevor der „Brief an den Mann im Mond“ erstmalig veröffentlicht wurde,16 bekennt sich Ernst Jünger hier zu einer genuin metaphysischen Weltsicht. Gisbert Kranz hat das Charakteristische dieses Denkens festgehalten: Für Jünger wie für den Platonismus ist nicht das Sichtbare, Materielle, Vergängliche die eigentliche Wirklichkeit, sondern das Unsichtbare, Geistige und Ewige. […] Der Wert der sichtbaren, vergänglichen Welt besteht nur darin, daß sie auf die unsichtbare, ewige Welt hinweist, daß sie Abglanz, Abbild, Symbol der höheren Wirklichkeit ist.17
Und: Der Neuplatonismus neigt dazu, das irdische Leben uns fern zu rücken und aus ungeheurem Abstand zu betrachten. Diese Tendenz wird verstärkt durch die Verbindung mit mythischer Weltdeutung, wie sie sich schon bei Platon und Plotin, dann auch bei Ernst Jünger findet. Der Schwerpunkt der Mythen liegt im Kosmischen, nicht in der Menschenwelt. Der Mensch erscheint im Mythos nicht als Persönlichkeit, sondern als Glied der Gemeinschaft, die der Natur eingeordnet ist. Nicht das Individuum ist wichtig, sondern der Typus; nicht das einmalige Ereignis, sondern die Wiederkehr des Gleichen.18
Der bewusste Zweifler Jünger sucht „jenseits der Grenzen der Klarheit nach dem Wunderbaren“ (BS, Siz, 110), nach den Symbolen des Verborgenen. (Ebd.) Oder: „Das Licht scheint bei Tage verborgener als in der Nacht.“ (Ebd.) Und schließlich:
16 Sizilianischer [sic!] Brief an den Mann im Mond. In: Mondstein. Magische Geschichten. 20 Novellen. Mit einem Vorwort von Franz Schauwecker. Berlin: Frundsberg-Verlag, 1930, S. 7–21. 17 Gisbert Kranz: Ernst Jüngers Weltsicht: Düsseldorf. Pädagogischer Verlag Schwann, 1968, S. 246. 18 Ebd. S. 247.
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„Kommt es doch nicht darauf an, daß die Lösung, sondern daß das Rätsel gesehen wird.“ (BS, Siz, 112) Annäherungen verschaffe der „stereoskopische Blick, der die Dinge in ihrer geheimeren, ruhenderen Körperlichkeit erfaßt“ (BS, Siz, 118) – Jüngers poetologische Anstrengung für einen „magischen Realismus“. Durch den Versuch der extremen Distanzgewinnung wird eine ganz andere Sicht auf die Dinge erwartet. Intendiert ist eine Steigerung des Erkenntnisgewinns durch ein Wahrnehmungsverfahren, das sehend und reflektierend verfährt, zugleich rational und metaphysisch den einzelnen Betrachtungsgegenstand zu erfassen versucht.19 Jünger spricht von der Sicht auf die „Muster“, die aus weiter Ferne dem Betrachter zugänglich sind, ohne die einzelnen zeiträumlichen Schichten differenzieren zu müssen (BS, Siz, 117 f.). Seine mit Pathos geführte Ansprache an den „Mitwisser der nächtlichen Geheimnisse“ (BS, Siz, 107) setzt ein Kaleidoskop von Reminiszenzen, Retrospektiven und Reflexionen in Bewegung, die mitunter von romantischer Wehmut beherrscht werden, sodass seine Attitüde von der kalten, unbeteiligten Sicht auf die Dinge von emotionsgeladenen Rückschauen konterkariert werden. Die autobiographischen Rückblenden gehen auf die Kindheit oder auf den Ersten Weltkrieg zurück. In seiner neun Kapitel umfassenden Gedankenprosa zelebriert der dezisionistische Gedankenspieler sein archaisches Denken als Leidenschaft wider die fade gewordene Realität: „Die Sprache hat uns die Dinge zu sehr verachten gelehrt. Die großen Worte sind wie das Gradnetz, das sich über eine Landkarte spannt. Aber ist eine einzige Faust voll Erde nicht mehr als eine ganze Welt, die auf der Landkarte steht?“ (BS, Siz, 108) Der vorherrschende Wunsch begehrt nach Grenzsituationen: Rausch: „So möchte man auch den Verstandesrausch in seiner äußersten Maßlosigkeit nicht missen, weil in j e d e n der Triumphe des Lebens ein Absolutes eingeschlossen, weil die Aufklärung tiefer als Aufklärung, – weil auch in ihr ein Funke des ewigen Lichtes und ein Schatten der ewigen Finsternis verborgen ist“ (BS, Siz, 109 f.); Transzendenz: „Gern weilt der Gedanke an jener Grenze, an der die Zahl in das Zeichen verfließt, gern kreist er um die beiden symbolischen Pole des Unendlichen, das Atom und den Stern, und er liebt es, Beute zu machen auf dem Schlachtfelde der unendlichen Möglichkeiten“ (BS, Siz, 110); Gefahr: „[…] und wer die Gefahr liebt, der liebt es, sich zu verantworten. Dessen Wunsch ist es, schärfer angegriffen zu werden, damit er sich schärfer verantworten kann“ (ebd.); Gefahrenzone: „Glücklich ist die Einfalt, die die gegabelten Wege des Zweifalls nicht kennt, doch ein wilderes und männlicheres Glück blüht am Rande der Abgründe auf.“ (BS, Siz, 111) Die romantische Selbststilisierung des Einsamen, auch des Waldgängers (BS,
19 Siehe hierzu Jürgen Rausch: Ernst Jüngers Optik. In: Merkur, 4.1950, S. 1069–1085. Siehe auch: Timo Kölling: Leopold Ziegler. Eine Schlüsselfigur im Umkreis des Denkens von Ernst Jünger und Friedrich Georg Jünger. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2009, S. 55–58.
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Siz, 112) – 1951 widmete sich Jünger in seinem Essay „Der Waldgang“ ausführlich dieser Wunschfigur –, gilt der Abkehr von der profanen Realität; gefeiert wird der „entschiedenste Triumph des Seins über die Existenz.“ (BS, Siz, 113) Trotz des antizivilisatorischen Grundzuges im „Brief an den Mann im Mond“ verzichtet der romantische Träumer nicht auf sein futuristisches Bekenntnis: „Die Versuche der Wissenschaft, mit fremden Gestirnen in Verbindung zu treten, sind ein bedeutungsvoller Zug dieser Zeit. Nicht nur an dem Bestreben selbst, sondern auch an seinen technischen Methoden entzückt eine seltsame Mischung von Nüchternheit und Phantasie.“ (BS, Siz, 116) Zum Zeitpunkt der Entstehung des „Arbeiters“ wäre es geradezu verwunderlich gewesen, einen völlig realitätsfremden Mystiker anzutreffen, entrückt von allen zeitrelevanten Gegebenheiten. Vielmehr begegnet man im „Sizilischen Brief an den Mann im Mond“ einem Diagnostiker, der, obwohl durch Distanzsuche um metaphysische Einschmelzung aller Widersprüche bemüht, aber noch nicht die angestrebte Souveränität gegenüber seiner Zeit gefunden hat. Ästhetische Äußerungen lesen sich auch verräterisch: „Süßes und gefährliches Opium der Geschwindigkeit!“ (Ebd.) Feuer und Bewegung Der mit in die Sammlung „Blätter und Steine“ aufgenommene Aufsatz „Feuer und Bewegung“, erstmalig unter dem Titel „Kriegerische Mathematik“ in Ernst Niekischs Zeitschrift „Widerstand“ 1930 erschienen,20 könnte als das Reflexionskonzentrat des Gefechtsvorschriftenverfassers21 bezeichnet werden. In einer Synopse zum Verlauf der kriegstechnischen Entwicklung während des Ersten Weltkrieges wird das umgekehrt proportionale Verhältnis von „Feuer“ und „Bewegung“ problematisiert, jenes kriegszeitlich ungelöste Phänomen, dass ein Höchstmaß an eingesetzter Feuerkraft ein Mindestmaß an Bewegungsfähigkeit nach sich zog. Jüngers Folgerung ist eine logische Konsequenz: „So mußten auch, nachdem die Herstellung von Feuer durch Maschinen ihre letzte Möglichkeit erreicht hatte, Maschinen zur Herstellung von B e we g u ng erfunden werden.“ (BS, FuB, 96) Die von Jünger mit militärtechnischem Sachverstand beleuchtete „andere Seite des Lebens“ 20 Ernst Jünger: Kriegerische Mathematik. In: Widerstand. Zeitschrift für nationalrevolutionäre Politik. Berlin. Jg. 5, H. 9, 1930, S. 267–273. Dieser Aufsatz erschien auch unter dem Titel „Krieg und Technik“ im Sammelwerk: Das Antlitz des Weltkrieges. Fronterlebnisse deutscher Soldaten. Hg. von Ernst Jünger. Berlin: Neufeld & Henius Verlag, 1930, S. 222–237. Ein Jahr später erschien er wieder mit dem ursprünglichen Titel „Kriegerische Mathematik“ in der Publikation von Götz Otto Stoffregen (Hg.): Aufstand. Querschnitt durch den revolutionären Nationalismus. Berlin: BrunnenVerlag (Willi Bischoff), 1931, S. 99–111. 21 Jünger war schließlich nach dem Ersten Weltkrieg Mitarbeiter an der Ausbildungsvorschrift für die Infanterie. Siehe Ernst Jünger. Politische Publizistik 1919 bis 1933. Hg. von Sven Olaf Berggötz. Stuttgart: Klett-Cotta, 2001, S. 669 (Über Angriffsgeschwindigkeit).
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(BS, FuB, 87), also die des Krieges, steht in enger Verbindung mit seinen deklaratorischen Aussagen über die „totale Mobilmachung“ und mit seinen Visionen über den „Herrschaftsanspruch des Arbeiters“: Die Schlacht bedient sich nicht nur in steigendem Maße der Maschine, sondern sie wird auch als Ganzes von dem Geiste durchsetzt, der die Maschinen schafft. […] Unter diesem Winkel gesehen, erscheint der Weltkrieg als ein riesenhaftes Fragment, zu dem jeder der neuen Industriestaaten seinen Beitrag lieferte. Sein fragmentarischer Charakter beruht darin, daß die Technik wohl die überlieferten Formen des Krieges zerstören konnte, daß sie jedoch aus sich selbst heraus ein neues Bild des Krieges nur anzudeuten, nicht aber zu verwirklichen imstande war. (BS, FuB, 98)
Über den Schmerz Die Essays „Über den Schmerz“ und „Die totale Mobilmachung“ gehören in die direkte Einflusssphäre des Hauptwerks „Der Arbeiter“. In einem Zweijahresrhythmus, also 1930, 1932 und 1934, sind diese Publikationen veröffentlicht worden. Thematisch bilden die eigenständigen Texte Teile eines Themenkomplexes. Nach der Emphase für eine „totale Mobilmachung“ konnte Jünger mit seiner Divination von einem neuen Zeitalter des „Arbeiters“ nachlegen und, konzeptionell verstanden, einen nicht unerheblichen Aspekt hinzufügen. Gemäß dem Begriff der Algodizee (Peter Sloterdijk) versucht Jünger, indem er ein gewandeltes Verhältnis zum Schmerz unterstellt, dieses für seine gesellschaftspolitische Vision zu veranschlagen. Im Zuge des Nivellierungsprozesses, bedingt durch den sprunghaft angestiegenen Einfluss der Maschine, fehle eine entscheidende anthropologische Größe, die Jünger auch aus eigener Erfahrung mit ins Spiel bringt. Seinen gedanklichen Exerzitien gehen vorgeblich reine Beobachtungen voraus, die sich wie selbstverständlich auf metaphysische Annahmen stützen. Es kommt wohl nicht von ungefähr, wenn Jünger dem Einzelnen ein gestörtes Verhältnis zum Schmerz unterstellt, welches nun durch seine Explikation einer gründlichen Revision bedürfe. Im Folgenden zur Übersicht einige Stichworte und Zitationen zu dem sechzehn Kapitel umfassenden Essay: 1. Jüngers Fragestellung lautet: „[W]elche Rolle spielt der Schmerz innerhalb jener neuen, sich in ihren Lebensäußerungen eben erst abhebenden Rasse, die wir als den Arb e ite r bezeichneten?“ (BS, ÜS, 155) Sie basiert auf den Spekulationen, dass der Schmerz die „stärkste Prüfung innerhalb jener Kette von Prüfungen, die man als das Leben zu bezeichnen pflegt“ (BS, ÜS, 154), sei; dass er einen Schlüssel zum Innersten und zur Welt biete; und dass er Zugang zu den Quellen der Macht ermögliche. Sein Motto: „Nenne mir Dein Verhältnis zum Schmerz, und ich will Dir sagen, wer Du bist!“ (BS, ÜS, 155) 2. Der Einzelne sei bestrebt, den Schmerz als zufällig, nicht als notwendig zu erachten. „Bringt man jedoch die der Betrachtung des Gegenstandes angemessene
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Kälte auf, jenen unbeteiligten Blick, […] so fühlt man bald, daß dem Schmerze ein sicherer und unausweichlicher Zugriff innewohnt. Nichts ist uns gewisser und vorherbestimmter als eben der Schmerz“ (BS, ÜS, 156). Gleichnisse für die „Umstellung und Einkreisung des Lebens durch den Schmerz“ (BS, ÜS, 157) könnten die Bilder von Hieronymus Bosch, Pieter Brueghel d. J. und Lucas Cranach d. Ä. geben. Jünger lobt den aktuellen Bezug: Eins der Motive, die häufig wiederkehren, besteht in einem rollenden Zelt, aus dessen Öffnung ein großes, blitzendes Messer ragt. Der Anblick solcher Maschinen ruft eine besondere Art des Schreckens hervor; sie sind Symbole des mechanisch verkleideten Angriffs, der kälter und unersättlicher ist als jeder andere. (Ebd.)
3. Der Schmerz erkenne keine Wertordnung an, denn: „Wie gleichgültig ist es dem Keime des Verderbens, ob er einen Strohhalm oder ein geniales Gehirn zerstört.“ (BS, ÜS, 159) Außerdem könne sich der Mensch dem Schmerz nicht entziehen. Die Einflussnahme des Schmerzes sei unabhängig vom Menschen existenzbestimmend. In Zeiten, die wir als ungewöhnliche zu bezeichnen pflegen, tritt die Wahllosigkeit der Bedrohung bedeutend sichtbarer hervor. […] In demselben Maße, in dem die Bedrohung sich steigert, dringt auch der Zweifel an der Gültigkeit unserer Werte auf uns ein. Wo der Geist alles in Frage gestellt sieht, neigt er einer katastrophalen Auffassung der Dinge zu. (Ebd.)
Jünger nennt verschiedene „geistige“ Reaktionen auf den Schmerz durch den Schmerz: den „Hang zur Untergangsstimmung“ (BS, ÜS, 159 f.), es beginne, „die Geschichtsbetrachtung die Möglichkeiten des vollkommenen Unterganges zu untersuchen“ (BS, ÜS, 160) – hier hat Jünger sicher an Oswald Spenglers Opus „Der Untergang des Abendlandes“ gedacht; die Neigung zu wehmütigen Rückschauen (wie im Märchen von der „Me ss i ngst a dt“, ebd.); „[a]uch das Auge der Erkenntnis wird durch unsere geheimsten Wünsche und Ängste getrübt“ (BS, ÜS, 161); und schließlich die Ahnung des Bevorstehenden durch Antizipation, die zum einen darin bestehe, sich mit dem Schmerz vertraut zu machen, und zum anderen, sich gegen ihn abzuschotten, „denn der Anblick des unentrinnbaren und seinen Wertordnungen unzugänglichen Schmerzes läßt das Auge des Menschen nach Räumen ausspähen, in denen Schutz und Sicherheit gegeben sind.“ (BS, ÜS, 162) 4. Das Verhältnis zum Schmerz beginne sich zu ändern. Das vernunftbedingte Vorurteil vom Schmerz nehme ab. Von den zukünftigen Menschen fehle aber noch die genaue Vorstellung, Nietzsches „Letzter Mensch“ aber gehöre der Geschichte an. Jünger umschreibt die Lage: Wir befinden uns in dem Zustande von Wanderern, die lange Zeit über einen gefrorenen See marschierten, dessen Spiegel sich bei veränderter Temperatur in große Schollen
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aufzulösen beginnt. Die Oberfläche der allgemeinen Begriffe beginnt brüchig zu werden, und die Tiefe des Elementes, das immer vorhanden war, schimmert dunkel durch die Risse und Fugen hindurch. (BS, ÜS, 163)
Die Errungenschaften des Fortschritts fänden nicht mehr die ihnen bislang entgegengebrachte Anerkennung. Die Negation des Schmerzes, verstärkt durch die Erfahrung des Weltkrieges, habe eine „seltsame Mischung von Barbarei und Humanität“ (BS, ÜS, 164) hervorgebracht. Die oben umschriebene Lage, so könnte man folgern, fände ihre Bestätigung in den auffindbaren Widersprüchen: „extremer Pazifismus“ kontra „ungeheuerliche Steigerung der Rüstungen“, „Luxusgefängnisse“ kontra „Quartiere der Arbeitslosigkeit“ und dergleichen mehr (ebd.). 5. Für Jünger gebe es eine Berechtigung für eine Wehmut nach dem 19. Jahrhundert, „wenn man die persönliche Freiheit und den Grad, in dem dem Einzelnen der Schmerz ferngehalten wird, zum Maßstabe nimmt.“ (BS, ÜS, 165) Er präzisiert seine Zustandsbeobachtungen bzw. -reflexionen und konstatiert: ein hohes Maß an Sicherheit, die Staaten befänden sich „in einem Zustande verhältnismäßiger Sättigung“ (ebd.); nach dem Sieg des Dritten Standes zeichne sich die „innere Politik […] durch einen hohen Grad von Berechenbarkeit aus“ (ebd.); für den „breite[n] Zustand der Sicherheit“ macht Jünger die „Verwandlung der Dinge in allgemeine Begriffe“ (ebd.) verantwortlich; auch „die Bre ite der Anteilnahme am Genusse und an den Gütern ist eine Zeichen der Prosperität“, symbolisch nennt er die „großen Cafés“ – „die eigentlichen Paläste der Demokratie“ (BS, ÜS, 166). „Hier verspürt man sehr gut das traumhafte, schmerzlose und seltsam aufgelöste Wohlbehagen, das die Luft narkotisch erfüllt.“ (BS, ÜS, 166 f.) 6. Jünger behauptet eine „Ökonomie“, jene „List des Schmerzes“, und mutmaßt: Die künstliche Abschnürung von den Elementarkräften vermag zwar die groben Berührungen zu verhindern und die Schlagschatten zu bannen, nicht aber das zerstreute Licht, mit dem der Schmerz dafür den Raum zu erfüllen beginnt. […] So ist die Langeweile nichts anderes als die Auflösung des Schmerzes in der Zeit. (BS, ÜS, 168)
Jünger führt weitere Formen des „unsichtbaren Einflusses“ an: den „Seelenschmerz“, dazugehörig „die Stimmung eines dumpfen Mißtrauens“ (ebd.); eine besondere Form, schrecklicher als die genannten, sieht er dort gegeben, wo der Schmerz „die Quellen der Z e ug u ng erreicht“ (BS, ÜS, 169), er folgert: „[…] die Höhe des Ranges und die Tiefe des Schmerzes stehen in unmittelbarem Zusammenhang. Jede Zufriedenheit ist hier verdächtig, denn unter der Herrschaft der allgemeinen Begriffe kann niemand zufrieden sein, der ein Verhältnis zu den Dingen besitzt.“ Und: „Im Schmerze des bedeutenden Einzelnen spiegelt sich am eindringlichsten der Verrat, den der Geist gegen das Lebensgesetz begeht.“ (Ebd.) Neben der „räumlichen Ökonomie“, in der „der Schmerz zugunsten eines durchschnittlichen Behagens nach den Rändern abgeschoben wird“ (BS, ÜS, 170), kennt Jünger auch
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die „zeitliche Ökonomie“, „die darin besteht, daß die Summe des nicht in Anspruch genommenen Schmerzes sich zu einem unsichtbaren Kapital anhäuft, das sich um Zins und Zinseszins vermehrt.“ (Ebd.) 7. Die „Wertung des Schmerzes“ unterliege Wandlungen. Jünger qualifiziert eine Haltung zum Schmerz, mit der der Mensch ihn bestehen könne, anstatt ihm auszuweichen, es gebe „offenbar Haltungen, die den Menschen befähigen, sich auf bedeutende Art von dem Raume abzusetzen, in dem der Schmerz als unumschränkter Gebieter regiert.“ (BS, ÜS, 171) Diese Möglichkeit sei mit einem Verfahren gekoppelt, das eine „Kommandohöhe“ voraussetze, „von der aus der Leib [behandelt wie ein Gegenstand] als ein Vorposten betrachtet werden kann, den man gewissermaßen aus großer Entfernung im Kampf einzusetzen und aufzuopfern vermag.“ (Ebd.) Jünger unterscheidet durch die verschiedenartigen Verhältnisse zum Schmerz die „heroische“ und „kultische Welt“ von der „Welt der Empfindsamkeit“ und führt aus: „Während es dort nämlich […] den Schmerz abzudrängen und das Leben von ihm auszuschließen, gilt es hier, ihn einzuschließen und das Leben so einzurichten, daß er jederzeit auf die Begegnung mit ihm gerüstet ist.“ (Ebd.) Jüngers Logik zielt letztlich darauf ab, wie sich die Verhältnisse zur Macht gestalte: Das Geheimnis der modernen Empfindsamkeit beruht nun darin, daß sie einer Welt entspricht, in der der Leib mit dem Werte selbst identisch ist. Aus dieser Feststellung erklärt sich ohne weiteres das Verhältnis dieser Welt zum Schmerze als zu einer vor allem zu vermeidenden Macht, denn hier trifft der Schmerz den Leib nicht etwa als einen Vorposten, sondern er trifft ihn als die Hauptmacht und als den wesentlichen Kern des Lebens selbst. (BS, ÜS, 172)
8. Jünger nimmt eine Zäsur vor (unterstellt werden darf das Datum der Veröffentlichung, nämlich 1934): „Heute dürfen wir wohl bereits sagen, daß die Welt des sich selbst genießenden und sich selbst beklagenden Einzelnen hinter uns liegt, und daß ihre Wertungen […] an allen entscheidenden Punkten geschlagen oder durch ihre eigenen Folgen widerlegt worden sind.“ (Ebd.) Aber er bemerkt zugleich relativierend und präzisierend: „[D]ie Anstrengung des Willens“ reiche nicht aus, „denn es handelt sich hier um eine rein seinsmäßige Überlegenheit.“ (BS, ÜS, 173) Und er führt weiter aus: „[…] die Rasse ist existent und wird an ihren Wirkungen erkannt. Ebenso setzt ein totaler Staat das Dasein zumindestens [sic!] eines einzigen totalen Menschen voraus“ (ebd.). Anhand eines Beispiels setzt Jünger den Maßstab für die „totale Mobilmachung“, schon als „Arbeiter“ unter der Begrifflichkeit „organischen Konstruktionen“ hinreichend beschrieben, fest: Vor kurzem ging die Nachricht über einen neuen Torpedo durch die Zeitungen […]. Das Erstaunliche an dieser Waffe liegt darin, daß sie nicht mehr durch mechanische, sondern durch menschliche Kraft gesteuert wird, und zwar durch einen Steuermann, der in eine kleine Zelle eingeschlossen ist, und den man zugleich als ein technisches Glied und als die eigentliche Intelligenz des Geschosses betrachten kann. (BS, ÜS, 173 f.)
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9. Wenig originell hält Jünger fest: Nicht Worte, sondern Taten verändern. Ein Rekurs auf seinen „Arbeiter“ erinnert an die „Verwandlung des Individuums in den Typus oder den Arbeiter“, die sich, betrachtet am „Maßstab des Schmerzes“, als „Operation“ vollziehe, „durch welche die Zone der Empfindsamkeit aus dem Leben herausgeschnitten wird“ (BS, ÜS, 175). Gemeint sind Angriffe auf die persönliche Freiheit (ebd.) und die allgemeine Bildung (BS, ÜS, 176). Jüngers reproduzierte kulturpessimistische Aussagen – am Beispiel der „Verneinung der f re ie n Fors chu ng“ – stehen unter dem Leitgedanken seiner „totalen Mobilmachung“: „Die freie Forschung aber ist ganz unmöglich innerhalb eines Zustandes, als dessen wesentliches Gesetz das der Rüstung begriffen werden muß“ (ebd.). Die Beschneidung des Wissens bedarf nach Jünger einer „obersten Entscheidung“, dass es an dieser noch mangele, wird erklärt: „[…] wäre sie zweifellos vorhanden, so entfiele auch das Gefühl des Schmerzes, das uns durch den Eingriff in das Wissen noch bereitet wird.“ (BS, ÜS, 177) Als Anzeichen für einen Paradigmenwechsel vermerkt Jünger den Kampf des „Willens zur Selbstbehauptung“ gegen die „Herrschaft der abstrakten Vernunft“ – als prägnantes Beispiel dient ihm „die Niedermetzelung der breiten, beziehungslosen Intelligenzschicht durch die russische Revolution“ (ebd.). Tendenziell sei zu beobachten, dass, im „Stadium des Experimentes“, die „Züchtigung eines Typus im Vordergrund steht“ (ebd.), eine allgemein verstandene „Spezialisierung“ in den Lehr- und Ausbildungsbereichen, die aber nur sinnvoll sei, „wenn der Staat als Träger des totalen Arbeitscharakters erscheint.“ (BS, ÜS, 178) Jünger diagnostiziert einen „Hang zur Disziplin“ und definiert: „Als Disziplin bezeichneten wir die Form, durch die der Mensch die Berührung mit dem Schmerze aufrechterhält.“ (BS, ÜS, 179) Ein adäquates ästhetisches Erscheinungsbild wird mitgeliefert: „Das disziplinierte Gesicht […] ist geschlossen; es besitzt einen festen Blickpunkt und ist im hohen Maße einseitig, gegenständlich und starr.“ (Ebd.) 10. „Das veränderte Verhältnis zum Schmerz wird […] auch an den Gliederungen“ sichtbar (BS, ÜS, 180). Eine bedeutende Rolle spiele die Uniform, sie umschließe „einen Rüstungscharakter, einen Anspruch, gegen den Angriff des Schmerzes in besonderer Weise gepanzert zu sein.“ (Ebd.) Die Konfiguration der „disziplinierten Gliederung“ bei Aufmärschen beschreibt Jünger aus der Flugzeugperspektive: „[…] so sieht man in der Tiefe die regelmäßigen Vierecke und Menschensäulen, magische Figuren, deren innerster Sinn auf die Beschwörung des Schmerzes gerichtet ist.“ (Ebd.) Jünger prophezeit nicht nur eine Beziehung der „Bauweise zum Kampfstil“, „sondern daß auch die Schlachtordnung sich aus dem Massenstil des Zeitalters der allgemeinen Wehrpflicht wieder zu höchst präzisen Gliederungen entwickelt wird.“ (BS, ÜS, 181) Daneben weist er auf einen vermeintlich vorhandenen Ausdruck des „unverhüllten Rüstungs- und Verteidigungscharakters“ (ebd.) hin: Inmitten der Bankenviertel verberge sich der „Kern der Sicherheit“, dort könne man „einen Einblick in den niederen Bereich, in dem der Schmerz als eine Funktion des Gel-
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des erscheint“, gewinnen (BS, ÜS, 182). Es folgt eine für Jünger aufschlussreiche Parallelität: Eines der Kennzeichen der Verwandtschaft zwischen dem beziehungslosen Geld und der beziehungslosen Masse besteht darin, daß beide vor dem wirklichen Angriff des Schmerzes nicht nur Schutz n i cht gewährleisten, sondern daß sie im Gegenteil, sowie die Verhältnisse sich der elementaren Zone nähern, das Verderben mit magischer Kraft auf sich ziehen. (BS, ÜS, 182 f.)
Jünger definiert „Masse“ als „allgemeinen Begriff “ und greift auf persönliche Erfahrungen zurück, um ihre Unterlegenheit gegenüber der „kleinsten Ordnungszelle“ zu demonstrieren: Im März 1921 wohnte ich dem Zusammenstoße einer dreiköpfigen Maschinengewehrbedienung und einem Demonstrationszug von vielleicht fünftausend Teilnehmern bei, der eine Minute nach dem Feuerbefehl spurlos von der Bildfläche verschwunden war. Dieser Anblick hatte etwas Zauberhaftes; er rief jenes tiefe Gefühl der Heiterkeit hervor, von dem man bei der Entlarvung eines niederen Dämons unwiderstehlich ergriffen wird. […] Einen ganz ähnlichen Eindruck hatte ich, als ich mich, um Straßenstudien zu machen, im Winter 1932 auf dem Berliner Bülowplatz begeben hatte, der im Zusammenhange mit den politischen Ereignissen der Schauplatz größerer Zusammenstöße war. Hier wurde die Begegnung zwischen der Masse und der organischen Konstruktion besonders sichtbar in der Erscheinung eines Panzerwagens der Polizei, der auf dem Alexanderplatz ein vor Wut kochendes Menschenmeer durchschnitt. Diesem konkreten Mittel gegenüber befand sich die Masse in einer rein moralischen Position; sie brach in Pfuirufe aus. (BS, ÜS, 183 f.)
Weitere wesenhafte Unterscheidungen werden vorgenommen: zum „Lumpenproletariat“, dessen Vorzüge im Mangel an „moralischer Wertung“ und im anderen Verhältnis zum Schmerz bzw. zum „Elementaren“ liege: „Die Masse tötet mechanisch, sie zerreißt und zerstampft; das Lumpenproletariat dagegen ist mit den Genüssen der Folter vertraut“ (BS, ÜS, 184); zum „Partisan“, indem dessen subversive Praxis umrissen wird, mit einer wesentlichen Einschränkung: „[…] der Partisan ist zwar eine Figur der elementaren, nicht aber der heroischen Welt“ (BS, ÜS, 186) – in prinzipiell ähnlicher Weise unterscheidet Jünger später in seinem Roman „Eumeswil“ (1977) zwischen dem „Anarchisten“ und dem „Anarchen“, mit dem Letztgenannten identifizierte sich der Autor. Die wehr- bzw. waffenlose Masse, von Ernst Jünger stigmatisiert mit den Vokabeln „Sinnlosigkeit“, „Sorglosigkeit“, „Schrankenlosigkeit“, neige „zur Unterlassung aller Vorsichtsmaßregeln, die, wie etwa das Ausstellen von Vorposten, für jede disziplinierte Gliederung selbstverständlich sind.“ (BS, ÜS, 187) Hieran schließen sich, mit dem Blick hinüber zum französischen Nachbarn, Gedanken zur „Technik der Massenbehandlung“ an; mit dem Resümee: „Wir stehen heute […] bereits mitten in der Bildung neuer, disziplinierter Gliederungen, die […] die eigentlich politische Zone weit überragt.“ (BS,
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ÜS, 188) Der affirmative Zeitdiagnostiker stellt dann ohne Umschweife fest: Es dürfe nicht die wichtige Veränderung übersehen werden, „die darin besteht, daß diesen Massen nur noch e ine Freiheit, nämlich die der Zustimmung geblieben ist. [….] Dies aber bedeutet nichts anderes als die Verwandlung der Masse aus einer moralischen Größe in einen Gegenstand.“ (BS, ÜS, 189) 11. Der determinierte Massentyp, gekennzeichnet als „gegenständlicher Charakter“, werde ausgezeichnet durch die Befähigung zur „unmittelbaren und selbstverständlichen“ Schmerzerfahrung; wesentlich sei, „daß das Gefühl der Nähe, das Gefühl des nicht symbolischen, sondern in sich selbst begründeten Wertes verschwindet, und daß dafür die Bewegung der lebendigen Einheiten aus großer Entfernung geleitet wird.“ (Ebd.) Jüngers futuristische Ästhetik des „unbeteiligten Betrachtens“ erfasst bezeichnenderweise die „Heereskörper wie lebendige Maschinen“ (BS, ÜS, 190) und sieht die „Vergegenständlichung des Lebens“ dadurch gegeben, „daß das Leben sich von sich selbst abzusetzen […], daß es zu opfern vermag.“ (Ebd.) Jener Vorgang, der „Vergegenständlichung des Einzelnen und seiner Gliederungen“, wird als „gutes Zeichen“ ausgegeben. (BS, ÜS, 191) Der eigentliche, für Jünger sinnmachende Faktor, „eine dritte und kältere Ordnung“, sei durch die Technik selbst vorgegeben: „Die Te chni k ist uns ere Unifor m.“ (Ebd.) 12. Hier tritt Jüngers Kernintention zutage: die denkbar effizienteste, d. h. entschlossenste Vorbereitung auf einen Krieg als Artikulation eines Macht- bzw. Herrschaftsanspruchs, de facto die Überwindung der partiellen durch eine totale Mobilmachung. In einem kriegsgeschichtlichen sowie kriegstechnischen Exkurs, hier angelehnt an die Ausführungen von „Feuer und Bewegung“, wird der Aspekt der Maschine gewichtet. Eine Fußnote gibt Aufschluss: „ Das ,Pathos der Distanz‘ ist nicht ein Kennzeichen der Ma cht, sondern des Willens zur Macht.“ (BS, ÜS, 192) Und im Haupttext: „Der hohe Sinn des Feldherrn erblickt die Dinge unberührt von den Ausstrahlungen des Schmerzes und der Leidenschaft.“ (Ebd.) Am Modell des Flottenkampfes werden von einem „adäquaten Geist“, nämlich Ernst Jünger, beispielhaft die „Elemente solcher Ordnungen“ (BS, ÜS, 193) beschrieben und entsprechend favorisiert: als „schwimmende Vorposten der großen Herrschaft, gepanzerte Zellen, in denen sich der Machtanspruch auf engstem Raume verdichtete.“ (BS, ÜS, 194) Und konsequent weitergedacht: „Wir haben hier einen jener Räume vor uns, in denen der Mensch den Untergang als ein totales Ereignis anerkennt, und die letzte Sorge besteht nicht darin, ihm zu entrinnen, sondern darin, daß er mit wehender Flagge geschieht.“ (Ebd.) Das konkrete Bild dieser „Ordnungen“ dient ihm als Transfer auf alle relevanten Waffengattungen: Die Steigerung der Beweglichkeit im Gefecht, die der technische Geist durch die Konstruktion neuartiger und feinerer Machtmittel erstrebt, verheißt nicht nur das Wiederaufleben der strategischen Operation, sondern sie kündet auch das Auftreten eines härteren und unangreifbareren soldatischen Typus an. (BS, ÜS, 196)
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Nach Jüngers Vorstellungen würden im Kontext einer alles umfassenden kriegsvorbereitenden Mobilität Armee, Waffen und Kämpfer „in zunehmendem Maße an gegenständlichem Charakter“ (ebd.) gewinnen. In Abgrenzung zum sogenannten Popularitätskrieg, getragen vom kollektiven „Hassgefühl“, wird dem sogenannten „Kabinettskrieg“ das Wort gesprochen, dessen Vorteil es sei, der „moralischen Zone“ entrückt zu sein (BS, ÜS, 197). Und letztlich: Die Entscheidung über Krieg und Frieden ist das höchste Regal. Als solches setzt sie eine Armee voraus, die als das Instrument eines fürstlichen Willens gehandhabt zu werden vermag. Dieses Verhältnis ist vorstellbar nur in einem Raume, in dem es Dinge gibt, die wichtiger sind als der Schmerz, und in dem man weiß, das [sic!] „ewig leben“ nur im Angesichte des Todes möglich ist. (Ebd.)
13. Hier blickt der Betrachter auf das Alltagsphänomen des Schmerzes, auf die „Kennzeichen der sachlichen Revolution“ (BS, ÜS, 198), auf das stille, unwidersprochene Einverständnis des Menschen zu den Opfern, „die der technische Vorgang einfordert“ (BS, ÜS, 199). Ein Beispiel: „Die Opfer des Verkehrs fallen jahraus, jahrein; sie haben eine Ziffer erreicht, die die Verluste eines blutigen Krieges übersteigt.“ (BS, ÜS, 198 f.) Als Gewährsmann des „konservativen Denkens“ wird Otto von Bismarck genannt, als ein Vertreter der „Anschauung, daß der Schmerz zu den unvermeidlichen Erscheinungen der Weltordnung gehört“ (BS, ÜS, 199). 14. Auch stellt Jünger zeitkritische Betrachtungen über moderne Kommunikationsmedien an – Überlegungen aus dem „Arbeiter“ (die Photographie sei eine Waffe, BS, ÜS, 202) oder aus dem Aufsatz „Krieg und Lichtbild“22 werden mit herangezogen. Der neue, sich herausbildende Typus verfüge über ein „,zweites‘ Bewußsein“: Dieses zweite und kältere Bewußtsein deutet sich an in der sich immer schärfer entwickelnden Fähigkeit, sich selbst als Objekt zu sehen. […] Weit aufschlußreicher jedoch sind die Sy mb ol e, die das zweite Bewußtsein aus sich heraus zu stellen sucht. Wir arbeiten nicht nur […] mit künstlichen Gliedern, sondern wir stehen auch mitten im Aufbau seltsamer Bereiche, in denen durch die Anwendung künstlicher Sinnesorgane ein hoher Grad der typischen Übereinstimmung geschaffen wird. Diese Tatsache aber steht mit der Vergegenständlichung unseres Weltbildes, und damit mit unserem Verhältnis zum Schmerz in engem Zusammenhang. (BS, ÜS, 200 f.) Zunächst das signifikante Medium Photographie: „Die Aufnahme steht außerhalb der Zone der Empfindsamkeit. Es haftet ihr ein teleskopischer Charakter an; […] eine ganz neue Art der präzisen, sachlichen Schilderung.“ (BS, ÜS, 201) Und: „Die
22 Ernst Jünger (Hg.): Das Antlitz des Weltkrieges. Fronterlebnisse deutscher Soldaten. Berlin: Neufeld & Henius Verlag, 1930, S. 9–11.
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Photographie ist […] ein Ausdruck der uns eigentümlichen, und zwar einer sehr grausamen Weise zu sehen. Letzten Endes liegt hier eine Form des bösen Blickes, eine Art von magischer Besitzergreifung vor.“ (BS, ÜS, 202) Nun das signifikante Medium Film, in dem „ein außerordentlicher Grad von kalter Grausamkeit zum Ausdruck kommt“: […] das wilde Gelächter, das die Filmgroteske hervorruft, die lediglich aus einer Häufung von schmerzlichen und bösartigen Zwischenfällen besteht. […] die Neigung zur mathematischen Figur, wie sie etwa durch die Begleitung und Unterbrechung der Handlung durch maschinelle Vorgänge hervorgerufen wird. […] das Reich der Masken, Marionetten, Puppen und Reklamefiguren – ein Reich, in dem künstliche Lebewesen sich beim Klange von Stimmen bewegen, […] der überraschende Synchronismus, der zwischen die Spiegelung höchst behaglicher Zustände die Aufnahme eines Krieges oder eine Katastrophe einschaltet (BS, ÜS, 204).
Und zuletzt: „Am Verhalten der Zuschauer fällt auf, daß sich ihre Teilnahme schweigend vollzieht; und dieses Schweigen ist weit abstrakter und grausamer als die wilde Wut, wie man sie in den südlichen Arenen beobachten kann“ (BS, ÜS, 204 f.). Weiter das signifikante Medium Rundfunk: „Wir nähern uns Zuständen, in denen eine Nachricht, eine Warnung, eine Androhung in wenigen Minuten jedes Bewußtsein erreicht haben muß. Hinter dem Vergnügungscharakter der totalen Mittel […] verbergen sich besondere Formen der Disziplin.“ (BS, ÜS, 205) Im Detail erwähnt Jünger einige Begleiterscheinungen, den „Werkzeug[en] […] unserer Eigenart“ (BS, ÜS, 201) zu eigen – Objektcharakter; Reproduzierbarkeit, die damit verbundene relative Unabhängigkeit von Zeit und Raum (BS, ÜS, 203) –, und schlussfolgert: Dies alles sind Anzeichen, die auf einen großen Abstand hindeuten, und es erhebt sich die Frage, ob diesem zweiten Bewußtsein […] denn auch ein Zentrum gegeben ist, von dem aus sich die wachsende Versteinerung des Lebens in einem tieferen Sinne rechtfertigen läßt. […] Mit der fortschreitenden Vergegenständlichung wächst das Maß an Schmerz, das ertragen werden kann. (BS, ÜS, 203 f.)
15. Die von Jünger wahrgenommenen Erscheinungen seien nach seiner Einschätzung weniger „technische Vorgänge“ als vielmehr Phänomene einer „neuen Lebensart“. Erst der Übergriff des „instrumentalen Charakters“ auf den „menschlichen Körper“ („der menschliche Körper als Instrument“, BS, ÜS, 206 f.), darstellbar am Sport, wo der Wettkampf durch den „e xa kte n Me ßvorg ang“ entschieden werde, sei wesentlich. Denn: „Entscheidend ist […] die Anwesenheit des zweiten Bewußtseins, das die Abnahme der Leistung mit dem Meßbande, der Stoppuhr, dem elektrischen Strom oder der photographischen Linse vollzieht.“ (BS, ÜS, 206) Symbolisch bringe so „sich der Gesamtgeist der Zeit […] zum Ausdruck“ (BS, ÜS, 207). Jünger modifiziert seine Ästhetik am konkreten Beispiel des „arbeitenden Sportlers“: „Das neue Gesicht […]; es ist seelenlos, wie aus Metall gearbeitet
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oder aus besonderen Hölzern geschnitzt, und es besitzt ohne Zweifel eine echte Beziehung zur Photographie. Es ist eins der Gesichter, in denen der Typus oder die Rasse des Arbeiters sich zum Ausdruck bringt.“ (Ebd.) Ohne eigentliche Zweckmäßigkeit und weit abgerückt von der „Zone der Empfindsamkeit“ zeige sich die „Galvanisierung des menschlichen Umrisses“: „Dieses Fleisch, durch den Willen mit einer so peinlichen Sorgfalt diszipliniert und uniformiert, ruft irgendwie die Vorstellung hervor, daß es gegen die Verletzung gleichgültiger geworden ist.“ (BS, ÜS, 208) Darüber hinaus ahnt Jünger „Einbrüche in die erotische Zone“; vermerkt positiv, dass sich innerhalb der Psychologie das „exakte Meßverfahren aus sich herauszustellen beginnt“; und weist auf den Bereich der Medizin hin, in dem „der Körper zum Gegenstand geworden ist.“ (BS, ÜS, 209) 16. Hier bilanziert Jünger seine Beobachtungen und Reflexionen zum vermeintlich veränderten Verhältnis zum Schmerz: „Wir befinden uns in einem Zustande, in dem wir noch fähig sind, den Ve rlust zu sehen; wir empfinden noch die Vernichtung des Wertes, die Verflachung und Vereinfachung der Welt.“ (BS, ÜS, 210) Seine Prophetie für das Jahr 2000: „Dann wird wohl die letzte Substanz des modernen, das heißt des kopernikanischen Zeitalters entschwunden sein.“ (Ebd.) Die 1930 geforderte „Mobilmachung des Deutschen“ endete mit den Schlussworten „und nichts außerdem“ (TM, 30); 1934 wird in einem vergleichbaren Zusammenhang ein Fragezeichen angehängt: Heute sehen wir die Täler und Ebenen von Heerlagern, Aufmärschen und Übungen erfüllt. Wir sehen die Staaten drohender und gerüsteter als je, in jeder Einzelheit auf Machtentfaltung gerichtet […]. Bei diesem Anblick erhebt sich die Frage, ob wir hier der Eröffnung jenes Schauspieles beiwohnen, in dem das Leben als der Wille zur Macht auftritt, und als n i cht s außerdem? (BS, ÜS, 210 f.)
Jüngers Spekulationen basieren auf einer metaphysischen Voraussetzung der vermeintlich unausweichlichen Vorgänge, bezeichnenderweise als „letzte, […] sehr merkwürdigen Phase des Nihilismus“ (BS, ÜS, 212) prognostiziert. Die Einsicht in solche Vorgänge, glaubt Jünger, goutiert der Mensch mit „Verantwortung“ und „hoher Bereitschaft“ (BS, ÜS, 211); der Bezugspunkt wird noch einmal präzisiert: D i e Macht muß groß sein, die ihn [den Menschen] Anforderungen zu unterwerfen vermag, wie man sie an eine Maschine stellt. Dennoch wird der Blick vergebens nach Anhöhen suchen, die dem reinen Ordnungs- und Rüstungsvorgange überlegen und jedem Zweifel entzogen sind. Zweifellos ist vielmehr die Einebnung der alten Kulte, die Zeugungsunfähigkeit der Kulturen und das dürftige Mittelmaß, das die Akteure kennzeichnet. […] Man begreift, warum man in einer so instrumentalen Zeit den Staat nicht als das umfassendste Instrument, sondern als eine kultische Größe erkennen möchte, und warum die Technik und das Ethos auf eine so wunderliche Weise gleichbedeutend geworden sind. (BS, ÜS, 211 f.)
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Der Mensch bejahe lediglich, was ihn „schon völlig durchdrungen“ hat (wieder ein Oswald-Spengler-Gedanke, nämlich: das Schicksal betreffend): „Und niemals bestanden günstigere Voraussetzungen für das dem reinen Willen überlegene Zauberwort [hier geht Jünger über Friedrich Nietzsche hinaus], das der Tugend der Ameisen […] ihren Sinn verleiht.“ (BS, ÜS, 212 f.) Und abschließend: „Innerhalb einer solchen Lage aber ist der Schmerz der einzige Maßstab, der sichere Aufschlüsse verspricht.“ (BS, ÜS, 213) […] was mich im alltäglichen Leben oft wie Ballast beschwert, gibt mir im Sturm Schwerkraft und fördert die Bewegung im gefährlichen Raum. Meine Lage bessert sich bei zunehmender Unsicherheit. (Ernst Jünger in einem Brief an Friedrich Lindemann, 29.10.193523 )
Prüft man Jüngers Textkonvolut der „Blätter und Steine“ hinsichtlich der Kontinuität seiner unrühmlichen Nachkriegsevokationen, kann man insofern einen Bruch konstatieren, als man feststellen muss, dass hier schon ein Großteil den vom Kriegserlebnis abgekehrten Naturbetrachter und kontemplativen Metaphysiker erkennen lässt. Die mitaufgenommenen Aufsätze „Feuer und Bewegung“ und vor allem der (über)akzentuierte „anthropologische“ Aspekt des Schmerzes für ein äußerst fragwürdiges Mobilisierungsverfahren lassen sich noch vollends einer verirrten futuristischen Phantasmagorie zurechnen. Realiter aber hatte sich Jünger, so lässt sich biographisch unschwer ermitteln, schon längst vom politischen Mainstream entfernt. Hatte sich Jünger 1933 nach Goslar abgesetzt, zog er nun, 1936, weiter an den südwestlichen Rand des Deutschen Reiches, nämlich an den Bodensee, ins „Weinberghaus“ in die Nähe von Überlingen. In einem Brief an Ernst Niekisch teilt er seine Motive mit: Als besonderer Vorzug wäre die Lage an der Südseite zu nennen; in Goslar wohnte ich am Nordhange. Ferner wurde mir dort der Betrieb der Durchreisenden zu bunt; hier bin ich weitab von den großen Linien und auch entfernter vom Ort. Während meines Aufenthaltes habe ich noch mit niemanden gesprochen, kaum in die Zeitung gesehen, kein Radio gehört. Arbeit habe ich für so lange Zeit im Kopf, daß ich jede Belagerung und Aushungerung in geistigen Dingen zu überstehen vermag. Ich bin da völlig autark.24
Ernst Jüngers Opposition gegen das herrschende Regime schien ungebrochen, sie mag sich sogar verstärkt haben. An den Bruder Friedrich Georg Jünger notiert er 9.11.1936: „Zu meiner Belustigung lese ich in den Zeitungen, daß ich mich 23 Zit. n. Ernst Jünger. Leben und Werk in Bildern und Texten. Hg. und kommentiert von Heimo Schwilk. Stuttgart: Klett-Cotta, 2010 (Neuausgabe), S. 146. 24 Ebd. S. 151.
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am Treffen der sogenannten Kriegsdichter beteiligte. Auch wenn man sich in Türmen aus Erz verschlösse, würde man den Ausdünstungen des Niederträchtigen nicht entgehen.“25 Eine andere Verwunderung teilte Jünger am 15.7.1936 dem Siedlinghausener Landarzt Dr. Franz Schranz in einem Postskriptum mit: „Aus mir unerfindlichen Gründen geht durch die Presse die Nachricht, dass ich ,in den Zeltlagern der H. J. [Hitlerjugend]‘ Vorträge halte. Ich kann diese Irreführung leider nur meinen Bekannten gegenüber berichtigen. Sapienti sat.“26 Die offiziellen Stellen schienen ein Doppelspiel mit Jünger zu treiben. Auf der einen Seite wurden seine Werke, insbesondere die Kriegsbücher, gelobt und durften erscheinen – natürlich, weil sie gut ins politische Kalkül passten –, auf der anderen Seite wurde Jünger, wie ein Schreiben an die Abteilung Schrifttum vom 11.9.1936 belegt,27 argwöhnisch beobachtet. Ein Grund für dieses doppelbödige Verfahren mögen Jüngers freundschaftliche Beziehungen zum dem Regimefeind Ernst Niekisch gewesen sein.
Afrikanische Spiele, 1936 In die Fremdenlegion ging ich, halb aus überschüssiger Kraft und halb aus Melancholie. (Ernst Jünger zu Albert von Schirnding28 ) La barbarie nous vaut mieux que la platitude[...]. (Théophile-Gautier-Zitat aus AH1, 195 und AS, 224) „Man erlebt alles, und man erlebt auch das Gegenteil.“ (AS, 212)
In seinem Nachwort zu den „Afrikanischen Spielen“ vermittelt der temporäre Fremdenlegionär ein Stimmungsbild zum Status quo, an dessen Realisierung er zumindest als affirmativer Visionär einen gewissen Anteil verbuchen dürfte und nun, paradoxerweise, ins solipsistische Passiv geraten ist: 25 Ebd. S. 146. 26 Zit. n. Norbert Dietka: Der Siedlinghauser Kreis. Carl Schmitt, Konrad Weiß, Josef Pieper und Friedrich Georg Jünger treffen auf Gleichgesinnte. Berlin: Duncker & Humblot, 2020, S. 110. 27 Ernst Jünger. Leben und Werk in Bildern und Texten. Hg. und kommentiert von Heimo Schwilk. Stuttgart: Klett-Cotta, 2010 (Neuausgabe), S. 147. 28 Albert von Schirnding: Jugend, gestern. Jahre – Tage – Stunden. München: Verlag C. H. Beck textura, 2015, S. 120. Entgegen purer Reminiszenz unterstellt Natalia Żarska eine spezifische Reaktion Jüngers auf seine Situation im „Dritten Reich“. Siehe Natalia Żarska: Die Rezeption der Romantik in den Afrikanischen Spielen Ernst Jüngers. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2020.
Afrikanische Spiele, 1936
Der einzelne lebte heute unter veränderten Bedingungen, und es scheint mir ein lohnendes Gegenstück, ihn aufzusuchen, wo er sich als Punkt im Koordinatensystem der Totalen Mobilmachung bewegt – etwa hoch über nächtlichen Wolken schwebend während des einsamen Absprunges in ein von Grund auf feindliches Reich. (AS, 220)
Konkret bezugnehmend auf sein gescheitertes Abenteuer von 1913, greift Jünger eine Anmerkung von Oswald Spengler „zu unserem Thema“ auf, „wie man sie unter Auguren schätzt.“ (AS, 221) Vielleicht meint er eine Stelle im 1933 erschienenen Buch „Jahre der Entscheidung“, die auch auf Jüngers Wagnis hinweisen könnte: […] einer, dessen wilde Seele im Treibhaus der Zivilisation nicht atmen konnte und in gewagten Kolonialunternehmungen, unter Piraten, in der Fremdenlegion sich an Gefahren zu sättigen versuchte, bis er hier plötzlich ein großes Ziel vor Augen sieht? Mit solchen Naturen bereitet die Geschichte ihre großen Überraschungen vor.29
Jüngers Roman erschien 1936 in der Hanseatischen Verlagsanstalt und 1937 als 7. Band der Deutschen Hausbücherei. In der Publikation für die Mitglieder der Jahresreihe wurde ein Faksimile aus Jüngers Reisetagebuch (Brasilienreise von 1936) sowie für die neu herangeführte Leserschaft ein biographischer Abriss beigefügt. Ein verwendeter Topos steht Pars pro Toto: „Tat und Schrifttum Ernst Jüngers entspringen demselben Geiste kriegerischer Männlichkeit.“ (AS, Anhang). Die eigentliche Erzählung umfasst 219 Seiten und ist in 29 Abschnitte unterteilt. Jüngers zweite Erzählung „Afrikanische Spiele“ – vorausgesetzt, man lässt die Novelle „Sturm“ von 1923 als erste gelten – innerhalb eines recht umfangreichen Essay- und Tagebuchwerkes belegt eindeutig die vorhandene Priorität. Jünger hat beides, Diskurs und Erzählung, miteinander zu vereinbaren versucht, vorrangig in den Romanen „Heliopolis“ (1949) und „Eumeswil“ (1977), leider aber zulasten des Erzählerischen. Es liegt im Selbstverständnis begründet, vielleicht mehr sogar am Charakter des Autors, an die erste Stelle die Reflexion zu setzen; gefährdet aber ist ein Schreibunternehmen dann, wenn innerhalb des imaginierten Stoffes der eigentliche Diskurs übergewichtig zum Tragen kommt, d. h. zum Zwecke des Gedankentransports die wissens- bzw. meinungsfixierten Monologe oder fingierten Dialoge zu viel Raum beanspruchen. Die philosophische Intention müsste nicht zwangsläufig zu kurz kommen, das zeigen die paradigmatischen Erzählungen von Albert Camus und Jean-Paul Sartre. Es gibt vielleicht einen Vorstoß mit den Erzählungen „Besuch auf Godenholm“ (1952) und „Aladins Problem“ (1983), denen zwar philosophische Absichten zugrunde liegen, die aber nicht mit monologüberfrachteten Passagen die Erzählstruktur über Gebühr beanspruchen. Letztlich
29 Oswald Spengler: Jahre der Entscheidung. Erster Teil. München: C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, 1933, S. 164.
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aber müssen auch diese Versuche als gescheitert angesehen werden, da ein schier unüberwindbarer Hermetismus die Rezeption der Texte erschwert, wenn nicht gänzlich vereitelt. Dass Jünger trotzdem zu erzählen versteht, stellte er leider viel zu selten unter Beweis, wie mit den hervorragenden Erzählungen „Ortners Erzählung“ (1949), „Gläserne Bienen“ (1957) und „Eine gefährliche Begegnung“ (1985). Allerdings steht für eine unbestreitbare Erzählkunst des prädisponierten Essayisten und Diaristen der sich eng am Biographischen orientierende Roman „Afrikanische Spiele“, der mit einer sprachlichen Leichtigkeit und erzählerischen Dichte verfasst worden ist, die innerhalb des Jünger’schen Œuvres einzigartig ist. Aus der zeitlichen Distanz schildert Jünger aus der Perspektive seines Protagonisten Herbert Berger (Bergjé) sein Scheitern in der Fremdenlegion und damit die Entzauberung des Abenteuers schlechthin. Den Auftakt bestreiten die Introspektionen des Sechzehnjährigen – später macht er sich, um seine Aufnahme in die Fremdenlegion nicht zu gefährden, zwei Jahr älter (AS, 51), damit stimmt das Alter mit dem des ehemalige Fremdlegionärs Ernst Jünger überein –, der seinen Willen gegen seine inneren Widerstände zu behaupten versucht. Sein Ziel ist es, sich von Schule und Elternhaus abzusetzen, um auf eigene Faust in die französische Fremdenlegion zu gelangen. Die Lösung wird an einem Bild veranschaulicht: Wenn man, des Springens ungewohnt, auf einem hohen Sprungbrette steht, fühlt man sehr deutlich den Unterschied zwischen einem, der hinunter möchte[,] und einem anderen, der sich dagegen sträubt. Wenn der Versuch, sich selbst am Kragen zu nehmen und hinunterzuwerfen, mißglückt, stellt sich ein anderer Ausweg ein. Er besteht darin, daß man sich überlistet, indem man den Körper am äußersten Rande des Brettes solange ins Schwanken bringt, bis man sich plötzlich zum Absprunge gezwungen sieht. (AS, 9)
Ein selbstgestelltes Ultimatum soll den „Absprung“ erzwingen, es besteht darin, das gesamte Schulgeld für die Vorbereitungen, einschließlich des Kaufs eines Revolvers und für die Anreise zum Rekrutierungsbüro nach Verdun, zweckzuentfremden. Eine weitere Überlistung erfolgt dann in Verdun, wo Berger den Rest des Geldes in die Kanalisation wirft, um erneut seinen Willen gegen die Macht des Zweifels durchzusetzen (AS, 47). Auf dem schicksalhaften Weg in die verheißungsvolle fremde Welt fehlt es nicht an Warnungen. In Verdun, kurz vor der Kontaktaufnahme Bergers mit dem Rekrutierungsbüro, redet ein nach Auskunft befragter Polizist dem Ausreißer ins Gewissen; später im Marseiller Fort St. Jean unternimmt der väterliche Militärarzt Dr. Goupil den ergebnislosen Versuch, den Jungen von seinen verstiegenen Plänen abzubringen. Goupil ist es später auch zu verdanken, dass der Vater informiert wird und letztlich das Abenteuer ein gütliches Ende nimmt. Berger trifft auf seltsame Typen, auf tragische Gestalten oder kriminell Vorbelastete – „das Unterfutter der menschlichen Gesellschaft“ (AS, 99) –, denen er nach der geglückten Aufnahme in die Legion unentrinnbar ausgeliefert ist. Dass eine Zwangsgemeinschaft nach eigenen Gesetzen funktioniert und dass man der unausweichlichen
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Willkür nur durch eine schützende Hand eines wohlwollenden Gefährten entgehen kann, sofern man sich nicht selbst durchzusetzen versteht, zählt schon bald zu den neuen Erfahrungen. Beistand findet der schutzbedürftige Berger bei einem Kameraden namens Charles Benoît, dem in der Erzählung eine Schlüsselrolle zukommt. Benoît stellt sich als erfahrener Legionsveteran vor, Mitte Zwanzig, Asienkenntnisse und im Besitz von Drogenerlebnissen, die auf den ins Vertrauen gezogenen Unbedarften einen großen Eindruck machen. Diesen mit schwärmerischen Avancen überhäuften, glänzenden Erzähler, der „ohne weiteres als öffentlicher Erzähler in einem arabischen Kaffeehaus“ (AS, 192) hätte bestehen können, gab es wirklich, er hieß Karl Rickert und traf sich vierzig Jahre später wieder mit Jünger, auch hat er seine Erinnerungen in einem Brief an Jünger festgehalten (Sch, 42–50). Von Verdun aus gelangen Berger und seine Mitrekrutierten per Bahn nach Marseille zur Musterung und Einsatzortbestimmung. Von dort aus geht es mit dem Schiff an die algerische Nordküste Afrikas. Nach kurzem Zwischenaufenthalt in Fort Ste. Thérèse, in Oran, werden die Neuankömmlinge auf zwei Stationen, Berger und Benoît auf eine „graue Kaserne“ (AS, 133) nach Sidi Bel Abbès, umverteilt. Nach zweiwöchigem Kasernenaufenthalt unternehmen beide, wie zahlreiche Deserteure vor ihnen auch, den Versuch, sich von der Legion abzusetzen. Schon am nächsten Morgen finden sie sich, aufgestöbert durch die Mithilfe der einheimischen Bevölkerung, in den Händen der Militärpolizei wieder und werden in Arrest gesteckt. Nach dreiwöchigem Legionsaufenthalt kehrt Berger, ausgelöst durch das Engagement des Vaters, nach Hause. Weder Vorwurf noch Maßregelung trüben das Verhältnis zwischen Vater und Sohn. Der „Alte“ verhält sich klug taktierend wie ein Schachspieler, mit pädagogischem Geschick erweckt er sogar den Eindruck, als sei er ein „Mitverschworener“ (AS, 166) und habe volles Verständnis für die Eskapaden seines Schützlings. Dieses extraordinäre Ereignis wird auch coram publico gebracht: Bad Rehburg, 16. November. D e r Pr imane r a ls Fre md e n l eg i onär. Der Unterprimaner Jü nge r, ein Sohn des Bergwerksbesitzers Dr. phil. Jünger hierselbst, hat sich für die französischen Fremdenlegion anwerben lassen und befindet sich bereits auf dem Wege über Marseille nach Afrika. Der Vater des Bedauernswerten hat sich an das Auswärtige Amt in Berlin um Hilfe gewandt. Die deutsche Botschaft ist angewiesen, sich mit der französischen Regierung wegen der Freilassung des Jünger in Verbindung zu setzen. (Zeitungsausschnitt vom 16.11.191330 )
Das Handlungsgefüge des Romans liefert das authentische Erlebnis Jüngers von vor 23 Jahren, Abweichungen sind gegeben, will man nur die Fluchtbeschreibung von Karl Rickert zum Vergleich hinzuziehen; inwieweit das erste, zurückgehaltene Ma-
30 Zit. n. Ernst Jünger. Leben und Werk in Bildern und Texten. Hg. und kommentiert von Heimo Schwilk. Stuttgart: Klett-Cotta, 2010 (Neuausgabe), S. 33.
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nuskript „Die letzte Reise oder Die Schule der Anarchie“31 hier Eingang gefunden hat, bleibt dahingestellt. Der Entwicklungsroman „Afrikanische Spiele“ – ein zweiter entsteht später, 1973, mit „Die Zwille“ – kann unter dem Aspekt des Abenteuers gelesen werden, das der Erzähler an einer Stelle mit der Suche „nach dem eigentlichen und ursprünglichen Leben“ (AS, 152 f.) charakterisiert. Dargestellt wird das Unterfangen, die enge Umklammerung des Alltäglichen durch das Nichtalltägliche zu überwinden. Auf dem Weg liegen überwindbare Prüfungen der Einsamkeit, der Angst und des Zweifels; die letztgültige Prüfung aber, angesichts der Erkenntnis der Ausweglosigkeit, besteht darin, das Scheitern des Versuches zu bestehen. Nicht ohne Ironie erfährt der suchende Abenteurer, dass sich die gehassten Schulalltagsrituale noch um ein Vielfaches an Stupidität überbieten lassen. In eindrucksvoller Weise schildert Berjé den auf gehorsames Repeat angelegten Kasernenalltag als ein tägliches Dacapo aus Formalausbildung, Marsch, verordnetem Mittagsschlaf, Abendunterricht, Putz- und Flickstunde (AS, 156 f.). Der Konfrontation mit dem Unerwarteten, die schmerzhafte Erfahrung, dass das Abenteuerversprechen nicht einzulösen ist, gehen kleine Schritte der Entmystifizierung voraus. Vom ersten Stückchen Afrika, einem Steinhaufen, erwartet der Explorator Hinweise auf eine Terra incognita: „Ich erwartete in der Tat etwas Besonderes […][,] vielleicht etwa, daß plötzlich aus irgendeinem seiner Löcher und Winkel eine goldene Schlange ihre Ringe entfaltete.“ (AS, 124) Als der aufgegriffene Berjé, von den Feldjägern eskortiert, die umgekehrte Richtung des Fluchtweges in die Kaserne antritt, muss er ernüchternd feststellen, dass der bei Nachtlicht gemutmaßte „wilde Busch“ bei Tage gesehen nicht mehr als den Anblick eines großen Artischockenfeldes hergibt (AS, 189). Für eine dritte Entzauberung sorgte ein „Haufen von glühenden Kohlen“, von einer hohen Klippe als Abfallprodukt einer kleinen Werkstatt auf den Strand geworfen, den der Heimreisende mit der Oberfläche einer Muschelbank verwechselte (AS, 211). Die Visionen, entsprungen den kindlich-jugendlichen Phantasmagorien – „so zu leben, wie man es an den Tieren und Pflanzen sieht“ (AS, 96) –, zeigen deutlich, dass sie lediglich ihr gedankliches Eigenleben fristen und mit der vorfindbaren Realität eines durchkolonisierten Französisch-Westafrika nicht das Geringste gemein haben. Als Berjé in seiner Arrestzelle einsitzt, sind seine „romantischen Vorstellungen“ (AS, 196) vom „altertümlichen Verließe [sic!]“ (AS, 97) verflogen. In dem Augenblick, wo erstmalig die Chance für die Realisierung des eigentlichen Abenteuers gegeben ist, stellt sich lähmendes Herzklopfen ein: „Es war fast, als ob das Herz sich selbständig gemacht hätte […]. Ich erteilte mir den Befehl, nun aufzubrechen, aber ich merkte, daß ich davor zurückschreckte wie vor einem dunklen Hindernis.“ (AS, 131) Das Schlusswort ist geprägt von
31 Vgl. Karl O. Paetel: Ernst Jünger in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Dargestellt von Karl O. Paetel. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1962, S. 12.
Afrikanische Spiele, 1936
Läuterung: „,Willkürlich leben kann jeder‘, lautet ein bekanntes Wort; richtiger ist, daß willkürlich niemand leben kann.“ (AS, 219) Jünger selbst hatte damals nach seinem Abenteuer sein Resümee in Versform gebracht, die letzten Zeilen des Gedichts lauten: „So rauh der süßen Schwärmerei entrissen, / Wird eins mir klar: ’s ist hier wie dort beschissen.“32 Jüngers Roman schildert die Flucht, deren ursprüngliches Motiv im Dunklen bleibt, denn die angegebenen Motive „Heimweh“ nach dem geheimnisvollen Afrika (AS, 7) oder pure „Langeweile“ (AS, 10) dürften wohl letztendlich nicht den entscheidenden Ausschlag für ein solches einschlägiges Unternehmen gegeben haben. Vorgestellt wird ein Heranwachsender, aus gutem, bürgerlichem Haus stammend, ohne Vorstrafen oder sonstige Auffälligkeiten, die leicht erwartungsgemäß für Fremdenlegionäre Hintergründe darstellen. Ausgestattet ist der Gymnasiast mit einer überdurchschnittlichen Phantasiebegabung, zu der sich, gewissermaßen als Garant für eine Selbstsuggestion, eine ebenso herausragende Fähigkeit zur Willensanstrengung gesellt. Eine jugendliche Hybris ist unverkennbar vorhanden, der Erzähler spricht von einem „starken Hange zur Selbstherrlichkeit“ (AS, 21). Dezidiert werden verschiedene Methoden der Selbstüberwindung vorgestellt, die in der Regel aus selbstkreierten Mutproben bestehen. Die spektakulärste erinnert an Russisches Roulette: Es bestand darin, daß ich die geladene Waffe an die Brust setzte und den Abzug langsam bis zum Druckpunkt zurückspielte. Mit gespannter Aufmerksamkeit sah ich den Hahn steigen, bis er in Feuerstellung stand, indes der Druck am Daumen sich verminderte wie bei einer Waage, die ihr Gleichgewicht gefunden hat. (AS, 35)
Für das psychische Gleichgewicht des Einzelgängers sorgt eine Traumgestalt namens „Dorothea“, in einem Rekurs auf die frühe Kindheit wird ihre „Entdeckung“ bekannt gegeben (AS, 25–34). Mit dem Verschwinden ihres Bildes geht ein Lebensabschnitt zu Ende: „In dieser Nacht sah ich Dorothea zum letztenmal [sic!]; die Zeit der Kindheit war vorbei.“ (AS, 218) Berjé betreibt Selbst- bzw. Grenzerfahrung und bringt sich damit in seinem psychologischen Entwicklungsprozess einen gewaltigen Schritt voran. Indem er ausreißt in die verheißungsvolle Fremde, um seinen Traum zu realisieren, kommt er, je weiter er sich räumlich entfernt, einem unbewussten Ziel immer näher. Der Traum misslingt, indem dieser an der Realität zerschellt; der Träumende aber hat sich damit von ihm befreit und sich seinem eigentlichen Ziel näher gebracht: „Dies war, freilich ohne daß ich es recht wußte, mein eigentliches Thema, das ich zu lösen versuchte – die Führung des Lebens aus eigener Kraft und auf ungebahntem Weg.“ (AS, 127)
32 Zit. n. Ernst Jünger. Leben und Werk in Bildern und Texten. Hg. und kommentiert von Heimo Schwilk. Stuttgart: Klett-Cotta, 2010 (Neuausgabe), S. 36.
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In seinen überarbeiteten Werken – der Kenner spricht von „Fassungen“33 – vermeidet Jünger provokante Formulierungen, das Bemühen um Befreiung vom zeitgeschichtlichen Kolorit ist vorherrschendes Revisionskriterium. Dem Bruder Friedrich Georg Jünger werden die Motive für das akribische Unternehmen erläutert: Gestern [23.4.1935] habe ich die Bearbeitung des „Wäldchens 125“ abgeschlossen; ich darf damit zufrieden sein. Ich habe auf diese Weise den ersten Teil des Jahres damit zugebracht, meine Autorenschaft nach rückwärts auszubauen, damit kein Satz hinter mir bleibt, dem ich nicht zustimmen kann. Es handelt sich dabei im Grunde um die Herausschälung des Kernes, der mir immer deutlich war, den sichtbar zu machen aber meine Mittel inzwischen gewachsen sind. Als ich aus dem Kriege zurückkam, fand ich eine Reihe von Worten vor, die man zunächst auf Treu und Glauben übernehmen mußte, deren zweifelhafter Charakter mich jedoch immer stärker beunruhigte. Nicht zuletzt hat die Pöbelherrschaft, die sich auch der Sprache bemächtigt, jene Vorliebe für alles Schlechte, Billige, Abgestandene und Künstlich-Gesteigerte, mir Sinn und Verantwortung geschärft. Es gibt auch heute gute Dinge, die man nicht mehr aussprechen darf. Wenn ich noch einige Jahre an der Arbeit bleiben kann, so wird es mir gelingen, ein geschlossenes Opus zu präsentieren, und ich gedenke nicht, mich mit einer Zeit, in der die Fetzen fliegen, zu entschuldigen. Auch muß man wissen, daß die Demokratie dort am bösartigsten ist, wo sie Beifall zollt.34
Der eigenmächtig und diffamierend verwendete Demokratiebegriff zielt auf die wenig geliebten NS-Gazetten ab. Mehrfach sind bittere Seitenhiebe auf den gesamten NS-Literaturbetrieb und seine völkische Erbauungsliteratur bei Jünger zu finden. Es gehört zu den Eigentümlichkeiten dieses Autors, keiner literarischen Fraktion anzugehören, weder der der fanatisch überzeugten oder karrieresüchtigen, opportunen „Blut-und-Boden-Literaten“ noch der der nach innen emigrierten Schriftsteller. Der Solipsist verweilt zwischen allen Fronten, peinlichst darauf bedacht, seine literarische Integrität, allen tendenziellen Anwandlungen zum Trotz, zu bewahren.
33 Siehe Eva Dempewolf : Blut und Tinte. Eine Interpretation der verschiedenen Fassungen von Ernst Jüngers Kriegstagebüchern vor dem politischen Hintergrund der Jahre 1920 bis 1980. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 1992, S. 198 f. und 274 ff. 34 Zit. n. Ernst Jünger. Leben und Werk in Bildern und Texten. Hg. und kommentiert von Heimo Schwilk. Stuttgart: Klett-Cotta, 2010 (Neuausgabe), S. 146.
Das abenteuerliche Herz. Zweite Fassung, 1938
Das abenteuerliche Herz. Zweite Fassung, 1938 Das Auge muß, und sei es auch nur für die Spanne eines Aufschlages, die Kraft bewahren, die Werke der Erde wie am ersten Tage zu sehen, das heißt, in ihrer göttlichen Pracht. (AH2, 109)
Die Gründe für eine weitreichende Neugestaltung der Sammlung „Das abenteuerliche Herz“ werden wieder dem Bruder Friedrich Georg erstanvertraut: Deine Anmerkungen zum „Abenteuerlichen Herz“ kamen mir gelegen, da ich Ende Januar mit der Arbeit, die ich freilich nach Belieben fortsetzen könnte, abschließe. Im Manuskript sind viele Stücke, die noch stärker sind. […] Vor allem lege ich Wert darauf, daß das Ganze einen imperialen Zug besitzt, und dieser liegt in den Atomen, nicht aber in den Sujets. Ich glaube, die Nivellierung hier um einen entscheidenden Schritt weiterzutreiben, durch den die Welt zugleich einfacher und wunderbarer erscheint. Es handelt sich dabei um die vollkommene Präsenz und Einheit des Geistes bei Tag und Nacht, im Wachen und im Traum, in allen Grenzen und Entfernungen, in allen Zuständen der Illusion und der Materie. Ich glaube, daß mir das am Modell gelungen ist, was wohl nur auf diese abbreviatorische Weise möglich war, denn sonst hätten Bibliotheken nicht genügt. Ich möchte die Prosa in einer neuen Potenz handhaben und sie bis an die Grenzen der Zauberei vortreiben. In diesem Überlinger Jahr habe ich wieder eine gute Entfernung zurückgelegt und glaube in Bezirke eingedrungen zu sein, die vor mir noch keiner gesehen hat. Ich werde jetzt behutsamer weiterschreiten, weniger aus Gründen der Sicherheit als aus solchen der Perfektion.35
Das Ergebnis liegt 1938 mit der zweiten Fassung des „Abenteuerlichen Herzens. Figuren und Capriccios“, im Hausverlag der Hanseatischen Verlagsanstalt erschienen, vor. Eine Zitation aus der ersten Fassung wird der Hamann-Sentenz nachgestellt: „Dies alles gibt es also“ (AH1, 262). Diese siebzig Einzelstücke (63 davon mit eigenem Titel; sieben sind als Nachträge zu einigen Stücken ausgewiesen) umfassende Prosa kann als Fortsetzung des Gesamtwerkprojektes angesehen werden. In ihr gehen einige Stücke der ersten Fassung gänzlich oder stark überarbeitet ein; eine Vielzahl neuer werden mitaufgenommen. Von den knapp 263 Seiten der Erstausgabe von 1929 sind 220 Seiten radikal umgearbeitet worden.36 Als Orientierung können die beigefügten Ortsangaben dienen, die Wohnorte Goslar und Überlingen, die Zwischenaufenthalte auf den letzten Auslandsreisen; sie kennzeichnen neu hinzugefügte Beiträge. Gemäß der oben angegebenen Bearbeitungsmaxime werden
35 Ebd. S. 156. 36 Vgl. Gerhard Loose: Ernst Jünger. Gestalt und Werk. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 1957, S. 60.
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bei der Durchsicht die Verfahren der Reduktion, der Tilgung der privaten, allzu persönlichen Äußerungen und vor allem der Ausmerzung des Tendenziellen angewendet. Aus der noch „unentschiedenen“ Form der fiktiven „Aufzeichnungen bei Tag und Nacht“ ist die reine Prosaform der „Figuren und Capriccios“ entstanden. Jüngers gesamte Prosa ist von Reflexion beherrscht; demzufolge könnte man von einer Reflexionsprosa37 sprechen, geprägt durch eine Sprache, die „wie ausgeglüht von den Anstrengungen des Bewußtseins und des Willens“38 erscheint. Eigentlicher Impetus ist sein metaphysisches Interesse, wobei die Sprache zugleich Medium und Gegenstand der metaphysischen Betrachtung ist. Ein damit verknüpftes Wesensmerkmal der Textgestaltung, alle Formen und Varianten miteinbezogen,39 betrifft die Vorliebe zum Essay. Man könnte schlechterdings auch einige „Figuren“ oder „Capriccios“ als kleine Essays bezeichnen. Der kleine Essay „Zur Kristallographie“40 kann einen Eindruck von Jüngers neuplatonischer Weltsicht vermitteln, die Dinge gemäß einem genuin metaphysisch verstandenen „Sensualismus“ wahrzunehmen: Es scheint mir, daß ich während der letzten Jahre gerade in bezug [sic!] auf jenen Kunstgriff der Sprache, der das Wort erhellt und durchsichtig macht, manches gelernt habe. Ihn vor allem halte ich für geeignet, einen Zwiespalt zu lösen, der uns oft heftig ergreift – den Zwiespalt, der zwischen der Oberfläche und der Tiefe des Lebens besteht. Oft scheint uns der Sinn der Tiefe darin zu liegen, die Oberfläche zu erzeugen, die regenbogenfarbige Haut der Welt, deren Anblick uns brennend bewegt. Dann wiederum scheint dieses bunte Muster uns nur aus Zeichen und Buchstaben gefügt, durch welche die Tiefe zu uns von ihren Geheimnissen spricht. So packt uns, ob wir draußen oder drinnen leben, der Schmerz dessen an, der, wohin er sich wende, sich von herrlichen Gütern abwendet. Unruhe befällt uns während der strengen Genüsse der Einsamkeit wie an den festlich gedeckten Tafeln der Welt. Die durchsichtige Bildung nun ist die, an der unserem Blick Tiefe und Oberfläche zugleich einleuchten. Sie ist am Kristall zu beobachten, den man als ein Wesen beschreiben könnte, das sowohl innere Oberfläche zu bilden, als seine Tiefe nach außen zu kehren vermag. Ich möchte nun den Verdacht aussprechen, ob nicht die Welt im großen und kleinen [sic!] überhaupt nach dem Muster der Kristalle gebildet sei – doch so, daß unser Auge sie nur selten in dieser Eigenschaft durchdringt? Es gibt geheime Zeichen, die darauf hinweisen – wohl jeder hat einmal gespürt, wie in bedeutenden Augenblicken Menschen und Dinge sich aufhellten, und das vielleicht in einem Maße, daß ihn ein Gefühl des Schwindels, ja des Schauders ergriff. Dies ist in der Gegenwart des Todes der Fall, aber jede andere bedeutende Macht, wie etwa die Schönheit, bringt solche Wirkung hervor – im besonderen [sic!] schreibt man sie der Wahrheit zu. So ist […] die Erfassung der Urpflanze nichts anderes als die Wahrnehmung des eigentlich kristallischen 37 Rainer Gruenter überschrieb treffend seine Rezension zu „Gläserne Bienen“ mit dem Verdikt „Reflexions-Epik“. Siehe Neue Deutsche Hefte. H. 41, 12/1957, S. 840. 38 Vgl. Robert Dvorak: Die Sprache Ernst Jüngers. In: Deutsche Beiträge. Jg. 3. H. 2, 1949, S. 158. 39 Siehe Bruno Berger: Der Essay. Form und Geschichte. Bern und München, 1964. 40 Helmut Lethen verfolgt „Jüngers Fall ins Kristall“. Siehe Helmut Lethen: Verhaltenslehre der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1994, S. 187–198.
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Charakters im günstigen Augenblick. Ebenso werden in einem Gespräch über Dinge, die uns im Innersten berühren, die Stimmen durchsichtig; wir begreifen unseren Partner durch die Übereinkunst der Worte hindurch in einem anderen, entscheidenden Sinn. Darüber hinaus dürfen wir Punkte vermuten, an denen diese Art der Einsicht nicht durch Zustände der ungewöhnlichen Erhebung vermittelt wird, sondern zum angemessenen Bestand eines herrlichen Lebens gehört. Was nun die Verwendung des Wortes in diesem Sinne betrifft, so kommt ihr zustatten, daß auch die Sprache Tiefe und Oberfläche besitzt. Wir verfügen über zahllose Wendungen, denen sowohl eine handgreifliche als auch eine sehr verborgene Bedeutung innewohnt, und was in der Welt des Auges die Durchsichtigkeit, das ist hier die geheime Konsonanz. Auch in den Figuren, vor allem im Vergleich, liegt viel, was den Trug der Gegensätze überbrückt. […] Aber immer ist vom Autor zu verlangen, daß ihm die Dinge nicht vereinzelt erscheinen, nicht treibend und zufällig – ihm ist das Wort verliehen, damit es an das Ein und Alles gerichtet wird. (AH2, 9 ff.)
Ein weiteres typisches Beispiel liefert ein metaphysischer Aspekt im vorangehenden Essay „Die Kiesgrube“: […] Als Form dieses Mannigfaltigen schwebt mir eine jener Vertiefungen vor, wie man sie auf Alpengängen zuweilen in ausgetrockneten Bachbetten erblickt. Wir finden da grobe Stücke, geschliffene Kiesel, blinkende Splitter und Sand – ein buntes Geröll, wie es der Strudel im Frühling und Herbst aus den oberen Schichten zu Tale trug. Hin und wieder greifen wir ein Fundstück mit der Hand und wenden es vor den Augen hin und her – vielleicht einen Bergkristall, vielleicht ein zerbrochenes Schneckenhaus, an dem uns der Bau der inneren Spindel überrascht, oder einen mondblassen Tropfsteinzacken aus den unbekannten Höhlen, in denen die Fledermaus ihre lautlosen Kreise beschreibt. Hier ist die Heimat der Capriccios, nächtlicher Scherze, die der Geist ohne Regung wie in einer einsamen Loge, doch nicht ohne Gefährdung genießt. Doch gibt es auch runde Granite, die in den Gletschermühlen geschliffen sind, an Punkten hoher Aussicht, an denen die Welt ein wenig kleiner, aber auch klarer und regelmäßiger, wie auf gestochenen Landkarten erscheint, denn die hohe Ordnung ist im Mannigfaltigen wie in einem Vexierbild versteckt. Das sind erstaunliche Rätsel – mit wachsender Entfernung nähern wir uns der Auflösung. […]. (AH2, 8 f.)
In den Stücken „Der stereoskopische Genuß“ („Stereoskopisch wahrnehmen heißt, ein und demselben Tone gleichzeitig zwei Sinnesqualitäten abgewinnen, und zwar durch ein einziges Sinnesorgan“, AH2, 31 f.), „Der Hauptschlüssel“ (schon im AH1 enthalten) und „Der kombinatorische Schluß“ finden sich weitere wahrnehmungsästhetische Ausführungen. Zum besseren Verständnis des intendiert metaphysischen Verfahrens der „Annäherung“, des „günstigen Augenblicks“, hat Gisbert Kranz beigetragen: Viele Einzelzüge, verschiedenen Dingen in der Contemplatio abgelauscht, mischen sich in der Imaginatio mit Bildern aus dem Unterbewußtsein. Die Dunkelheit von Rausch und Traum steigert die erfahrene Wirklichkeit, indem sie das Zufällige und Besondere ausscheidet und das Notwendige und Allgemeine hervortreten läßt. So nähert sich das
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Bild, das der Dichter von der Wirklichkeit gewann, in der Visio dem Urbild. Beginnt der Dichter nun, das innerlich geschaute Urbild durch Symbole mitzuteilen, so wird er der Individualisierung nicht ganz entraten können. Doch unterscheiden sich die von ihm geschaffenen Bilder von den Dingen in der Natur durch einen höheren Grad typischer Prägung: Darum lassen sie das Urbild eher aufleuchten als die Naturdinge.41
Die einzelnen Bestandteile des „Abenteuerlichen Herzens“ folgen keinem Ordnungsprinzip, sind nicht chronologisch, lokal oder thematisch zusammengefasst, denn Jünger legte Wert darauf, wie oben im Briefdokument erwähnt wird, „daß das Ganze einen imperialen Zug besitzt, und dieser liegt in den Atomen, nicht aber in den Sujets.“ So sind Spekulationen über die Farben – der Versuch einer Farbsymbolik – zwischen Traumnotaten, Beobachtungsskizzen und Reflexionen eingestreut und nicht wie möglich zusammengefasst: „Rot und Grün“, „Die rote Farbe“, „Die blaue Farbe“. Die Themenauswahl ist beliebig vorgenommen, eher kontingent, genauer: sie entspricht der Mentalität des Autors. Die eher profanen, oft allzu selbstverständlichen Stoffe und Begebenheiten sind für den Autor Anlass zur Betrachtung und Reflexion, festgehalten in „Figuren“ und „Capriccios“, aufgenommen auf den naturkundlichen Streifzügen, den „subtilen Jagden“, oder entstanden auf den einsamen Gängen des Flaneurs, aber auch angeregt durch die Gespräche mit dem Bruder Friedrich Georg Jünger (AH2, 89, 108). Andere Stücke hingegen nehmen sich wie Adnoten zum Hauptwerk „Der Arbeiter“ aus, z. B. „In den Kaufläden, 1“; „Das Lied der Maschine“; „Fortunas Unkraut“; „Aus den Zeitungen“ (einschließlich des „Nachtrags“); „Skrupulanten und Posaunisten“; „In den Museen“; „Der Überfluß“; „In den Kaufläden, 2“; und „Der schwarze Sey“. Jünger hat aber auch Erinnerungsstücke mitaufgenommen, prägnante persönliche Erlebnisse sind tagebuchartig, z. B. den kindlichen Synkretismus berührend, festgehalten, wie in „Die Phosphorfliege“: Auch ich erinnere mich noch sehr gut an meine ersten metaphysischen Vorstellungen; eine von ihnen bestand darin, daß ich die Erwachsenen für Schauspieler hielt, die sich, sowie sie unter sich wären, mit ganz anderen Dingen beschäftigten. So hielt ich auch die Schule für eine von ihnen erfundene Vorspiegelung. Einmal, als ich andere ältere Kinder mit Tornistern an mir vorbeikommen sah, begann ich doch zu zweifeln, dachte mir dann aber sogleich: „Die sind nur hier vorbeigeschickt, damit ich das glauben soll; hinter der nächsten Ecke werfen sie dann die Tornister fort.“ (AH2, 102 f.)
Aber diese biographischen Einsprengsel dienen lediglich als Motive für Reflexionen, ebenso die Reisetagebuchnotizen, denen sinnfällige Details entnommen sind, wie
41 Gisbert Kranz: Ernst Jüngers symbolische Weltschau. Düsseldorf: Pädagogischer Verlag Schwann, 1968, S. 70 f.
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in „Balearische Gänge“, um die Begegnungen, die „Erschrecken“ oder „eine Art von Schwindel“ hervorzurufen vermögen, einmal mehr herauszustreichen (AH2, 165). Neben diesen zum Zwecke der metaphysischen Schau erzielten Erregungszuständen übt sich der Betrachter in Kälte,42 dafür stehen die zahlreichen „Capriccios“, mal als Traum, wie in „Violette Endivien“, mal als Assoziation oder als merkwürdige Begebenheit, wie „Der Strandgang“ (übernommen aus der ersten Fassung) oder „An der Abzucht“. Auch findet sich das Capriccio in Traumhandlungen eingeflochten, wie in „Der Hippopotamus“. Im Vordergrund aber stehen Jüngers Traumnotate bzw. Traumreflexionen (z. B. „Die Aprikosen“ oder „Flugträume“); als typisches Beispiel sei eine vexierbildliche Verwandlung mit dem Titel „Blaue Nattern“ vorgestellt, mit der Ortsangabe Berlin, Osthafen, einem früheren Wohnort Jüngers: Ich schritt eine staubige, langweilige Straße entlang, die sich durch eine hügelige Wiesenlandschaft zog. Plötzlich glitt eine herrliche, stahlgrau und distelblau gemusterte Natter an mir vorbei, und obwohl ich das Gefühl hatte, sie aufnehmen zu müssen, ließ ich es zu, daß sie im dichten Grase verschwand. Dieser Vorgang wiederholte sich, nur wurden die Schlangen immer matter, unansehnlicher und farbloser; die letzten lagen sogar tot und schon ganz von Staub überzogen auf dem Weg. Bald danach fand ich einen Haufen von Geldscheinen in der Pfütze verstreut. Ich las sorgfältig jeden einzelnen auf, säuberte ihn vom Schmutz und steckte ihn ein. (AH2, 22)
Den Anschauungsunterricht, sowie die Lehre vom Prinzip des Vexierbildes (AH, 135), erteilt Jüngers traumgestaltlicher Lehrmeister „Nigromontanus“, dessen Wappentier die Schlange ist (AH2, 134). Auf ihn geht die Kenntnis von der „Schleife“ zurück, ein Schlüssel zur gnostischen Welt: Unter der Schleife verstand er eine höhere Art, sich den empirischen Verhältnissen zu entziehen. So beachtete er die Welt als einen Saal mit vielen Türen, die j e d e r benützt, und mit anderen, die nur wenigen sichtbar sind. […] Sie gleichen Fugen im groben Bau der Welt, die nur das feinste Vermögen zu durchgleiten vermag, und alle, die sie je durchschritten, erkennen sich an Zeichen von geheimer Art. (AH2, 36)
Als schicksalhafter Einschnitt wird die Trennung vom „Nigromontanus“, dem Befürworter der sinnlichen Wahrnehmung (AH2, 134), vermerkt: „Statt bei meinen Studien zu verweilen, trat ich bei den Mauretaniern ein, diesen subalternen Polytechnikern der Macht.“ (AH2, 38) In Jüngers symbolhafter Erzählung „Auf
42 „Die kalte persona erhebt Anspruch auf Wahrnehmungsschärfe; er prägt ihren gesamten Habitus.“ Helmuth Lethen: Verhaltenslehre der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1994, S. 187. Jünger schreibt: „Das Eis war einer unserer großen Lehrmeister, wie es der Winter noch heute ist. Er hat unseren ökonomischen, technischen, moralischen Stil bestimmt.“ (ZM, 198).
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den Marmor-Klippen“ (1939) wird diese Lebensphase, die unschwer ein persönliches Eingeständnis verschlüsselt zum Ausdruck bringt, als „Irrtum“ (MK, 30) verbucht. Den Auftakt des „Abenteuerlichen Herzens. Zweite Fassung“ bildet „Die Tigerlilie“, ein hervorragendes Exempel der exakten Beobachtung und der sublimen Assoziation – Gerhard Loose hat sie eingehend untersucht.43 Ein anderes Stück im Zentrum des Buches heißt „Die Zinnia“, das eine exakte Beobachtung einer Pflanze zum Ausgangspunkt nimmt; dann aber auf Vergleiche abzielt, die einer anderen Fachdisziplin entlehnt sind. Diese Assoziationen sind dem naturwissenschaftlich vorbelasteten Schriftsteller Medium für eine gesteigerte Künstlichkeit, die den Gegenstand in die Atmosphäre eines Labors versetzt: „So scheinen ihre Blüten aus voneinander sehr entfernten Stoffen geschnitten und geprägt; aus Elfenbein, aus feinen Häuten, aus Sammet oder aus gegossenem Erz.“ (AH2, 106) Oder: „Den tiefsten Eindruck rufen diese Blumen dort hervor, wo sie die Farben glühender Metalle nachahmen“ (AH2, 107). Beispiele für eine hohe Sensibilität der Sinnesorgane, Auge und Ohr, setzen den Schlusspunkt des „Abenteuerlichen Herzens“. Dem Sensiblen ist es vergönnt, die geheimnisvolle Stimme des Fischhändlers zu vernehmen (AH2, 225 f.); ihm ist die Entdeckung vorbehalten, dass es „für das Auge ein Echo gibt“ (AH2, 224). Neben einer Vielzahl von Spekulationen, vorzugsweise die Geschichte betreffend („Historia in nuce: Die Ergänzung“; „Historia in nuce: Der verlorene Posten“; „Historia in nuce: Das Glücksrad“); oder die Metaphysik (z. B. „An der Zollstation“) oder die Sprache (z. B. „Mut und Übermut“), findet sich ein Beitrag „Zur Désinvolture“ – Rainer Gruenter hat diese zentrale Kategorie in seiner problemgeschichtlichen Studie über den Dandyismus ausführlich am Beispiel Jüngers erörtert.44 Die Ausführungen Jüngers lassen sich wie eine Selbststilisierung lesen: „Die Désinvolture ist Wuchs und freie Gabe, und als solche dem Glück oder der Zauberei weit eher als dem Willen verwandt.“ (AH2, 125) Oder: „Die Désinvolture als die unwiderstehliche Anmut der Macht ist eine besondere Form der Heiterkeit […]. Die Heiterkeit gehört zu den gewaltigen Waffen, über die der Mensch verfügt – er trägt sie als eine göttliche Rüstung, in der er selbst die Schrecken der Vernichtung zu bestehen vermag“ (AH2, 126) – es finden sich im „Abenteuerlichen Herzen“ auch Beispiele, wie mittels der „Ästhetik des Schreckens“ der Versuch der Bewältigung von einschneidenden Erlebnissen thematisiert wird (wie „Anschaulicher Skeptizismus“ oder „Das Rotschwänzchen“).
43 Siehe Gerhard Loose: Die Tigerlilie. Ein Beitrag zur Symbolik in Ernst Jüngers Buch vom „Abenteuerlichen Herzen“. In: Euphorion. H. 46, 1952, S. 202–216. 44 Siehe Rainer Gruenter: Formen des Dandysmus [sic!]. Eine problemgeschichtliche Studie über Ernst Jünger. In: Euphorion. H. 46, 1952, S. 170–201.
Das abenteuerliche Herz. Zweite Fassung, 1938
Metaphysisch motiviert hat eine Hinwendung zum symbolischen Ausdruck stattgefunden, der sich schon weitgehend im „Abenteuerlichen Herzen“ manifestiert hat. Natürlich hat Jünger damit eine Möglichkeit geschaffen, sich „versteckt“ auch politisch äußern zu können. Trotz des Versuchs der Distanzierung zum Zeitgeschehen findet man Textstellen, die eine gewisse Inkonsequenz verraten, wo Jünger auf drängende Zeitphänomene – in der neuen Manier des symbolischen Ausdrucks – Bezug nimmt. Nicht nur die Figur des „Oberförsters“ wird eingeführt (AH2, 54–58); auch die Raskolnikow-Rezeption Jüngers (AH2, 95–100) macht deutlich, dass der einstige Verfechter eines „heroischen Realismus“, nunmehr Verfechter eines „magischen Realismus“, das gefährliche Stadium des Nihilismus längst erkannt hat: „Die Herrschaft des Gemeinen ist dann am drückendsten, wenn sie sich der Formen des Rechten und Billigen bedient.“ (AH2, 96) Zwei Monate vor der Übersiedlung aus dem Überlingischen „Weinberghaus“ in die Kirchhorster „Herbst-Klarwetter-Klause“ – ab April 1939 Jüngers neues Domizil in der Nähe Hannovers – beginnt Jünger mit der Anfertigung seiner Erzählung „Auf den Marmor-Klippen“. Im Juli ist das Manuskript fertiggestellt, die Durchsicht erfolgt im September beim Heer, veröffentlicht wird es dann im Herbst bei der Hanseatischen Verlagsanstalt in Hamburg. Mit dem Wechsel nach Kirchhorst ist Jünger, ohne auf die Vorliebe der Zurückgezogenheit verzichten zu müssen, wieder an einen Ort des lebhafteren städtischen Geschehens gezogen, ohne allerdings spürbar davon Gebrauch zu machen. Legt man die Tagebucheintragungen zugrunde, dann verließ Jünger bis zum Dienstantritt nur zum Spaziergang in das ländliche Umfeld oder ins nahegelegene Burgdorf seine Mansarde im ehemaligen Pfarrhaus, der „Eremitenklause“. Jünger selbst begründet seine Rückkehr ins heimatliche Niedersachsen mit der Arbeit an den „Marmor-Klippen“: „Vor allem war es die Rücksicht auf die Arbeit, die in unserem Norden leichter gedeiht, was mich bewog, zurückzukehren – ich meine aber damit mehr das reine Pensum als die Konzentration.“45 Vom ersten Tag an, ergo am Vorabend des Zweiten Weltkrieges, wird, für die Veröffentlichung vorgesehen, Tagebuch geführt – insgesamt drei einzelne Publikationen werden später, 1963, als Tagebuchtrilogie unter dem Generaltitel „Strahlungen I/II“ zusammengefasst. Das erste Tagebuch des Zweiten Weltkrieges erscheint 1942 im Berliner Verlag Mittler & Sohn mit dem Titel „Gärten und Straßen“. Es enthält die Eintragungen für den Zeitraum vom 3.4.1939 bis zum 24.7.1940. Es folgen die Aufzeichnungen „Strahlungen“, aufgenommen am 18.2.1941, beendet am 11.4.1945. Dieses Opus magnum – enthalten sind die vier zeiträumlichen Abschnitte „Das erste Pariser Tagebuch“, „Kaukasische Aufzeichnungen“, „Das zweite Pariser Tagebuch“ und die „Kirchhorster Blätter“ – erscheint 1949 im Tübinger Heliopolis-Verlag.
45 Aus einem Brief vom 11.5.1939 an Ursula Litzmann. Zit. n. Ernst Jünger. Leben und Werk in Bildern und Texten. Hg. und kommentiert von Heimo Schwilk. Stuttgart: Klett-Cotta, 1988, S. 160.
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Das letzte Tagebuchdrittel liefert „Jahre der Okkupation“, Jünger nennt es auch „Die Hütte im Weinberg“ (JdO, 7), das den Zeitraum vom 11.4.1945 bis 2.12.1948 abdeckt. Dieses erst 1958 erschienene Tagebuchwerk wird vom Stuttgarter Ernst Klett Verlag, dem neuen Hausverlag (später Klett-Cotta), herausgegeben.
Auf den Marmor-Klippen, 1939 Dreieinig sind das Wort, die Freiheit und der Geist. (MK, 76) Was ich erstrebe, das ist die Prosa ohne Schwingung und ohne Drehung, von großer Festigkeit. Die Sätze müssen, wie Fechter in die Arena, in das Bewußtsein ziehen. (GS, 44) Das Buch ist offen, unabgeschlossen; es setzt sich in den Ereignissen fort. (Str, 79)
Mit der Erzählung „Auf den Marmor-Klippen“ hat Jünger sein sprachliches Meisterwerk vorgelegt. Zahlreiche Passagen auf den ersten fünfzig Tagebuchseiten von „Gärten und Straßen“ geben Auskunft darüber, dass großer Wert auf die sprachliche Gestaltung gelegt wurde. Neben vereinzelten sekundären Hinweisen (der Arbeitstitel hieß „Schlangenkönigin“, GS, 5; oder: „Modelle zu den Marmorklippen: der Felsenhang beim Leuchtturm von Mondello“, GS, 13) gewährt der Autor Einblicke in seine „Sprachwerkstatt“: Die Arbeit schreitet langsam vor, weil ich mir Mühe gebe, den Text vollkommen und in jedem Satze durchzustechen, obgleich vielleicht der Eindruck derselbe bliebe, wenn ich manchen Abschnitt flüchtiger behandelte. Leider fehlt mir dazu die Nonchalance. Das Flüchtige bereitet mir eher doppelt Mühe, weil ich es auf die bereits perfekten Stellen noch auftrage. (GS, 37 f.)
Es ist fraglich, ob Jünger aus Gründen des persönlichen Schutzes für seine intendierte Kritik an der menschenverachtenden Praxis des nationalsozialistischen Regimes eines solchen Manierismus überhaupt bedurfte, oder ob dieser vielmehr dem Ehrgeiz und damit der Zeugnisgebung des nunmehr perfekten Stilisten galt. Jedenfalls war es nicht nur für Jünger ein Wagnis (in einem Brief äußert der damalige Lektor Paul Weinreich die Begleitumstände der Publikation, SV3, 235 ff.), diesen politisch hoch brisanten Text einer scharfrichterlichen NS-Minorität entge-
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genzuhalten. Die kritische Botschaft ist leicht zu entschlüsseln, obwohl Figuren, Ort, Zeit und Handlung stark verfremdet sind, sodass der Text sogar, kurioserweise, als „Handschlüssel-Unterlage im Abwehr-Funkverkehr in Frankreich und Nordafrika“ (SV3, 290) eingesetzt werden konnte. Über den tatsächlichen Rang dieses Sprachkunstwerkes gehen allerdings die Meinungen der Kritik weit auseinander.46 Den Sätzen, rhythmisch nach Metrik durchkomponiert, fehlt es an lesefreundlicher Redundanz; mitunter wirkt das beinahe auf jeder Seite demonstrativ verwendete Partikel „so“ äußerst prätentiös – eine diesbezügliche Replik findet sich in den „Strahlungen“ (Str, 591 f.), sie gilt dem Kritiker Hans Näf. Jünger selbst bezeichnet die „Marmor-Klippen“ als ein „Capriccio“ (GS, 16) – das verweist auf das „Abenteuerliche Herz“ von 1938, auf das dieses ausgewachsene „Capriccio“ inhaltlich zurückgeht bzw. partiell schon vorweggenommen ist, wie in dem Stück „Der Oberförster“ (AH2, 53–58). Offizielle Verlautbarungen zu den „Marmor-Klippen“ wurden vonseiten der NS-Machthaber nicht abgegeben; intern könnte es eine Diskussion gegen Jünger gegeben haben. Aus einem Brief des ehemaligen SS-Gruppenführers und ab November 1942 „Reichsbevollmächtigten“ im besetzten Dänemark, Werner Best, geht hervor, dass es entschlossene Gegner gegeben haben soll: „In der Partei […] mehrten sich die Vorstöße von Funktionären […], welche forderten, daß gegen Ernst Jünger vorgegangen werden solle wegen seines Buches ,Auf den Marmorklippen‘, das ein antinationalsozialistischer ,Schlüsselroman‘ und für die Partei gefährlich sei.“ (SV3, 233) Aber die schützende Hand Hitlers – „,Dem Jünger geschieht nichts‘“ (SV3, 577) – über den eigenmächtigen, ungezügelten Autor verhinderte einen offenen Affront. Immerhin konnten bis Oktober 1943 etwa 67.000 Exemplare den Verlag verlassen, und erst mit der Papierrationalisierung wurde die Verbreitung eingeschränkt (SV3, 237). Im bürgerlichen Lager, besonders unter den theologisch Orientierten, mag man die „Marmor-Klippen“ als eine ethisch-moralische Abrechnung mit den „Paladinen des Teufels“ verstanden haben, die sich mit der Botschaft
46 Einige Rezensionen aus den Jahre 1939 bis 1945 hat Helmuth Kiesel gesammelt. Siehe Ernst Jünger: Auf den Marmorklippen. Mit Materialien zu Entstehung, Rezeptionen und Debatte. Hg. von Helmuth Kiesel. Stuttgart: Klett-Cotta, 2017, S. 184–286. Darüber hinaus hat Kiesel auch einige prominente Verlautbarungen nach 1945 notiert. Siehe ebd. S. 287–315. Siehe auch Nicolai Riedel: ErnstJünger-Bibliographie. Wissenschaftliche und essayistische Beiträge zu seinem Werk (1928–2002). Stuttgart/Weimar: Verlag J. B. Metzler, S. 288–295. Zu Jüngers Sprache können weitere Rezensionen genannt werden: Positive Stimmen sind die von Wolfgang Hilligen: Maßbild und Klang. Eine Studie zur Sprache Ernst Jüngers. In: Sammlung. Jg. 8. H. 9, 1953, S. 442–449. Und Gerhard Friedrich: Ernst Jünger ,Auf den Marmorklippen‘. In: Der Deutschunterricht. Jg. 16. H. 2, Juni 1964, S. 41–52. Eher kritische bis negative Einschätzungen finden sind bei: Eduard Lachmann: Die Sprache der Marmorklippen. Ein Beitrag zu Ernst Jüngers Stil. In: Wirkendes Wort. Jg. 4. H. 2, 1953/54, S. 91–101. Und Joachim Stave: Mythos oder Form. Bemerkungen zu Ernst Jüngers Buch „Auf den Marmorklippen“. In: Sammlung 3. H. 5, 1948, S. 269–280.
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von der Apokalypse vollziehe. Bevor die Brüder nach dem Inferno das Land an der Marina Richtung Alta Plana verlassen, übergeben sie das von den Schindern abgeschlagene Haupt des Fürsten an die Christen. Bei der Errichtung des neuen Domes wird die in einer Amphore aufbewahrte Reliquie mit in den Grundstein gegeben (MK, 155 f.). Eine Trouvaille kann vielleicht – natürlich nicht repräsentativ und leider auch nicht ordnungsgemäß autorisiert – einen Eindruck vermitteln, wie Jüngers Publikation von 1939 in theologischen Kreisen aufgenommen wurde: Abschrift eines Briefes – gefunden in einem antiquarisch erworbenen Exemplar von: Ernst Jünger: „Auf den Marmor-Klippen“: Lieber Gerhard Krause!47 18. April 1940 Vorerst unsere Glückwünsche zum „Herrn Leutnant“! Wir haben uns für Sie und die Theologie über die Achselstücke sehr gefreut. Wir hoffen, daß Sie gute Kameraden auch in diesem neuen Rock gefunden haben. Und nun ein Wort der Deutung zu dem Buche, das der Herr Leutnant mit seinem Burschen im Bunker gelesen haben. „Auf den Marmorklippen“ von Ernst Jünger ist […] ein apokalyptisches Buch, und darum reichen die Urteile vom trunkenen Lob bis zum giftigen Abscheu. Jochen Finckensteins Bruder, den ich bei Jochens Einführung am 31.3. in Woldenburg [Kreis Regenwalde/Provinz Pommern] kennen lernte, pries es begeistert als „das“ Buch und war davon ebenso entzückt wie Ihre Excellenz [recte: Exzellenz] die Frau Gouvernörin [recte: Gouverneurin], die es unseren Stettiner Freunden zu deren silberner Hochzeit geschenkt hatte. Von diesem Fest nahmen wir es uns mit und erlebten bald an uns selbst die Spannweite der Urteilsmöglichkeiten. Die Schwärmer hoben zu allen Zeiten (und also nicht nur in den „Umbruchszeiten“ und „Wehen“) die Apokalypse in den siebten Himmel, während Luther sie in die Elbe werfen wollte. Und wenn Sie in einem weiteren Briefe an Ulla mein Urteil „apokalyptisch“ verwarfen, da das Buch nichts vom Wort Gottes wüßte, dann könnte ich mit Luther fragen, wo „das Wort“ in der Apokalypse Johannis sei. Und doch sind beide Bücher nicht ohne Das [sic!] Wort! Oder hört man nichts, wenn ein Mann wie Ernst Jünger solch ein Buch jetzt schreiben kann? Und preisen es seine Lobredner nur um seiner dichterischen Schönheiten willen? Und warum regen sich seine Gegner so sichtlich darüber auf? Apokalypsen entstehen immer, wenn die gewohnten Ordnungen in einer Kultur zerbrechen. Und wenn der „Teufel die Grundsuppe rührt“ – wie Luther oft sagte – dann gibt es immer Leute, die aus dem nach oben gekommenen Kaffeesatz „weissagen“ wollen. Das hat zu allen Zeiten eine Flut von Apokalypsen niederer Art hervorgerufen. Die tieferen Apokalyptiker aber schauen mit Erschrecken die von den Kulturfassaden meist völlig verdeckten Grundgesetze dieser Welt nach ihrer dämonischen Tiefe. Und dieser Blick ist dem „In Stahlgewittern“ einst frisch-fröhlich jagenden Jünger nun widerfahren. Er läßt sich nun auch nicht mehr einfangen durch den „Schein von Ordnung“, unter dem die Anarchie ihren getarnten Angriff auf alle Humanität vorträgt, denn ihr wahres Wesen ist in der Schinderscheune offenbar geworden. Der Rausch des Elementaren[,] der den sehr männlich betonten Jünger von einst erfüllt hatte[,] ist einer grausigen Ernüchterung gewichen, als sein Träger einem anderen Trunkenen desselben Rauschs begegnete. Und –
47 Vielleicht an Prof. Dr. Gerhard Krause (1912–1982), Theologe an der Universität Bonn (1962–1977)?
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Spenglerisch gesprochen – Blut und Geist treten auseinander und sagen sich Kampf an. Heißt es nicht bei Jünger so, daß die Gewalt am Geist zerbrechen werde? Aber nur am Geist? Warum wird das geistschöne Totenhaupt des ermordeten Grafen in das Fundament des neuen Domes eingebaut? Und warum sollen Theologen bei dem Neuaufbau mitwirken, von denen man früher vor lauter Stahlgewittern nichts zu sehen bekommen hatte? So werden die Grundgesetze einer im Zerbruch [sic!] als dämonisch geladen offenbar gewordenen Welt richtig gesehen. Das ist auch in der Apo[kalypse] Joh[annis] der Fall. Und wie hier geschieht die Schau in phantastischen Bildern. Wie bei Joh[annes] wird aber auch hier kein Aufbau gezeigt. Wie wird die neue Welt im Nordland aussehen? Eine Verheißung ist der naturgelehrte Mönch, das unschuldige Kind, das die Kreatur zu Hilfe rufen kann, der „Frieden des Vaterhauses“, in den der apokalyptische Flüchtling einzieht. Und wenn es bei Johannes heißt: [„]Hier ist Geduld und Glaube der Heiligen[!“], so entspricht dem bei Jünger der Glaube an den Geist. Auch das haben beide gemeinsam, daß sie aus der Rolle des Zuschauers nicht heraustreten. Ihre Sendung scheint allein daraus zu bestehen, die Grundgesetze zu offenbaren und vor der Verzweiflung zu bewahren, „weil schon leise durch die Lande waltet ein geheimes Bauen“ ([Franz Emanuel August] Geibel). Es ist menschlich interessant und ergreifend wie zeitgeschichtlich bedeutsam, daß ein stahlgewittriger Mann am Rande des Abgrundes erschrickt vor der in der eigenen Brust genährten Dämonie des Elementaren. Wundersam ist es, daß er im Elementaren in einem echten religiösen Erlebnis die erlöste und harmonische Schöpfung erfährt. Als er von dem Mönch vor die kleine Wegerichtstaude geführt wird, da wird „die Lust zu leben und die Lust zu sterben eins“. Johannes weiß um den, der auch die seufzende Kreatur erlösen kann zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Anscheinend weiß auch Jünger um Ihn, wenn er auch Seinen Namen nicht nennt. Aber weisen das Kind und die Schlangen und das Vaterhaus nicht auf Ihn hin? Ich hoffe nun, daß diese kurzen Andeutungen mein überliefertes Urteil etwas plastischer gemacht haben. Es würde sich vielleicht lohnen, diesen Zusammenhängen weiter nachzugehen. Aber erstens habe ich das Buch nicht mehr, seitdem ich es vor 8 Wochen gelesen habe, und zweitens habe ich infolge Vertretung von Kröslin keine Zeit dazu! Ob Sie im Bunker noch Zeit und Muße haben, um eine kleine Studie über das Apokalyptische in unserer Zeit zu schreiben? Dann müßten Sie auch das letzte Buch Ihres Freundes Ernst Wiechert beachten. Auch hier zerbricht eine Welt, und der Held flüchtet in irgendeinen Frieden romantischer Bilder. Das Buch enthält sehr viel mehr Positives als Jünger[s], und man könnte vielleicht einen Weg daraus ahnen. Aber was jetzt auf seinen Blättern zu lesen steht, ist nicht die Erlösung des „einfachen Lebens“; denn wer kann sich diesen Luxus einer Insel in einer weltfernen Landschaft leisten? Ist nicht die arme Frau des Helden viel weiter auf dem richtigen Wege vorangekommen. Sie hat gelernt, wenigstens einfach zu sterben. Hier ist noch demütiges, menschliches Leben und mit ihrem Tode gibt sie noch Verantwortung. Der Held aber flieht vor der personalen Verantwortung um einer buddhistischen Rettung seines lieben Ich[s] willen. Auch die erhabene Szene des Verzichts auf das junge Mädchen – die häßlich genug auf dem Hintergrund der unmöglichen Ehe des alten Majors mit der blutjungen Gattin gezeichnet wird – ist nur buddhistisch. Und der Ich-Dämon vergiftet dazu noch die Landschaft. Die ist nämlich ganz ähnlich empfunden und geschildert wie es einst die berühmte Agnes Günther in ihrer Heiligen und dem Narren [„Die Heilige und ihr Narr“] tat. Der eindeutige symbolische Beweis für diesen Mangel an personaler Verantwortung ist das Fündlein [sic!] dieses von einem christlichen Pastor in das neue Leben geschickten
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Einsiedlers, statt Gott „das Gesetz“ zu gewinnen. Und dabei merkt er gar nicht, daß ein Gesetz einen der setzt, in sich schließt! An Wiechert wäre auch zu studieren, daß alle apokalyptische Literatur durchzogen ist von Ressentiments. Wiechert ist ein Dichter, und darum ist in seiner Seele Agape [die Liebe Gottes zu den Menschen; auch Nächstenliebe]; denn wie sollte er sonst das Wesen von Menschen und Dingen auffangen können. Aber dieser Dichter ist ständig bedroht von einem übermächtigen Ich. Und er hat von ihm sich ebenso wenig befreien können wie sein Thomas [von Aquin]. Und doch sind beide zu lieben. Was nicht ausschließt, daß man zuweilen einen richtigen Zorn über beide haben kann. Doch genug der Literatur! Gott und die Dämonen schreiben eben die Bücher mit Blut in unserer Zeit, und wir vermögen noch nicht zu lesen. Nur hier und da trifft uns ein Wort, das wir verstehen. Mehr brauchen wir wohl auch nicht, und ich bin dankbar, daß ich seiner Zeit nicht Systematiker geworden bin, sonst käme man jetzt in die Verzweiflung. […]
Die Erzählung ist in dreißig szenische Abschnitte gegliedert, die sich auf 157 Seiten erstrecken. Erzählt wird aus einer involvierten Ich-Perspektive, retrospektiv, daher die Verwendung des Präteritums. Der berichtende namenlose Held ist unverwechselbar der Autor selbst, ihm zur Seite gestellt die Figur Otho, ebenfalls unverwechselbar der Bruder Friedrich Georg Jünger. Der Handlungsort ist imaginiert und setzt sich eklektisch aus den verschiedenen Landschaftsfacetten zusammen, die sich Jünger auf seinen Reisen oder Spaziergängen eingeprägt haben. Wie oben schon erwähnt, stand Mondello (Sizilienreise 1929) für die „Marmor-Klippen“ Modell. Jünger nennt weitere Modelle in seinem Tagebuch: Sodann der Gang von Korfu nach Kanoni, das Rodinotal auf Rhodos [Rhodosreise 1938], der Blick vom Kloster Suttomonte hinüber nach Corcula [Dalmatienreise 1932], der Feldweg von der Gletschermühle nach Sipplingen am Bodensee [Nähe des Wohnortes Überlingen 1936–1939]. Die Falken- und Eulennester in den steilen Wänden des Durchstichs von Korinth. Die Akropolis [vielleicht 1938 auf dem Wege nach Rhodos], die Art, in der in Rio [de Janeiro] die Felsen aus dem Boden schießen, so daß man an Orchideen und Schlangen denkt [Brasilienreise 1936]. (GS, 13)
Der Zeitraum der Handlung wird in ein früheres Jahrhundert verlegt; gemäß der Nomenklaturen (Personen und Requisiten) wäre das 17. oder 18. Jahrhundert denkbar (immerhin werden neben den üblichen mittelalterlichen Jagdutensilien schon Flinten verwendet, MK, 114). Zum Handlungsmilieu gehören zunächst die Autochthonen, die Hirten und Weinbauern der Campagna bzw. der Weingärten an der Großen Marina; daneben, aus den naheliegenden Wäldern das Gesindel der Vaganten-Heimat, namentlich: die „niedrigen Jäger“ oder „Scharen von Förstern“, die „Feuer-Würmer“, das „Lemurenvolk“ oder die „Schinder“; zuletzt, mehr als Staffage, die Bevölkerungsgruppen aus den angrenzenden Städten, zu denen auch die „Mauretanier“ gehören. Fernab der Schauplätze liegen Burgund und die Alta Plana.
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Jüngers Degout mit gezieltem Gegenwartsbezug entfaltet sich in einem hintergründigen Figurenspiel, angereichert mit entlehnten Begrifflichkeiten wie aus dem Grimm’schen Wörterbuch (Altan, Eidam, Gäuchen, Meintat, Professen, Piketts, Wingerts-Bauern etc.), dessen Kalkül aber erst in der Handlung von Gegnerschaft, Verbundenheit und Opportunismus, zwischen Tier (Lanzenottern bei dem Marmorklippen oder Meute von Bluthunden beim Angriff auf „Köppels-Bleek“) und Mensch, zwischen Einzelnen und der Masse und zwischen den Gegensätzen von „hoch“ und „tief “ bzw. dem höheren und niedrigeren Rang aufgeht. Im Zentrum stehen die Bewohner der „Rauten-Klause“, der Ich-Erzähler und dessen Bruder Otho, nebst Erio, dem Sohn des Protagonisten, sowie die zwielichtige „Altmutter“ Lampusa. Im nachbarschaftlichen Umfeld agieren der verbündete, ortskundige „Arnaute“ Belovar und der Freund und Lehrmeister Pater Lampros, mit dem Tarnnamen „Phyllobius“. Mit „leise[r] Neigung“ (MK, 107) fühlt man sich dem „Mauretanier“ Braquemart verbunden, dem „reine[n] Techniker der Macht“ (MK, 112) vom Schlage der „Tigerjäger“ (MK, 102) oder dem „konkreten Träumer“ (MK, 103); ferner sympathisiert man mit dem jungen Fürst von Sunmyra, dem „edle[n] Geist, der die gerechte Ordnung kannte“ (MK, 112). Die rüde Gegnerschaft, das mordende „Waldgelicht“, wird angeführt vom alten Herrn der Mauretanier (MK, 28), dem Oberförster, einer Schreckensgestalt von „fürchterliche[r] Jovialität“ (MK, 132). Der opportunistische Part kommt Biedenhorn, dem Führer der Söldner (MK, 52), zu. Eine schicksalhafte Rolle hingegen spielt der verschollene Fortunio, eine Figur aus dem „Abenteuerlichen Herzen“, dort ein abtrünniger Adept des Oberförsters (AH2, 54), hier ein guter Kenner des Reiches der Gegner (MK, 56). Am Rande der Marmorklippen an der Großen Marina leben die Brüder „in großer Eingezogenheit“ (MK, 12) in der „Rauten-Klause“ und gehen ihren botanischen Studien nach. Die Forschungsarbeit ist aufeinander abgestimmt: oben in der „Eremiten-Klause“ befindet sich das Herbarium des Ich-Erzählers, parterre verwaltet Otho die Bibliothek. Mit zur Hausgemeinschaft gehören der kleine Erio, der auf wundersame Weise mit Lanzenottern vertraut ist, und die fürs leibliche Wohl sorgende Lampusa. Freundschaftlich verbunden fühlt man sich Belovar, einem Kräuterkundigen, der ein wachsames Auge auf die Klause wirft. Einen besonderen Rang nimmt Pater Lampros ein, den die Brüder wertschätzend einen „Träumer hinter Klostermauern“ (MK, 74) nennen. „Die Nähe des guten Lehrers gibt uns ein, was wir im Grunde wollen, und sie befähigt uns, wir selbst zu sein. Daher lebt uns das edle Vorbild tief im Herzen, weil wir an ihm erahnen, weß wir fähig sind.“ (MK, 76) Vorausgegangen sind Kriegsjahre gegen Alta Plana im Dienst der „Vater-Heimat hoch im Norden“ bei den Purpur-Reitern und die Zeit bei den Mauretaniern, zu denen man inzwischen Distanz hergestellt hat. Zu den Mauretaniern gehört auch der machtbesessene Oberförster, mit dem die Brüder gelegentlich in geselliger Atmosphäre zusammentreffen. Aber die Stabilität in der
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Marina ist bedroht; es kündigt sich der Niedergang mit den Vorboten des Unheils an und damit die Stunde des Oberförsters und seines „Waldgelichtes“: „Zuweilen […] verspürten wir den Hauch versteckter Müdigkeit und Anarchie.“ (MK, 34) – „So ging der Kern von roher Ehre, der die Gewalt gemildert hatte, verloren; und die reine Untat blieb bestehen.“ (MK, 42) – „[U]nd daß die Schwäche ganz offensichtlich wurde, in der das Recht sich gegenüber der Anarchie befand.“ (MK, 44) Einen ersten Kulminationspunkt erreichen die Streitigkeiten „um den Spruch der Totenrichter“ im Zuge der Feierlichkeiten des „klassischen Eburnums“ (MK, 49): „Es drangen nämlich mit den Bünden auch die Blutrache-Fehden der Campagna in die Städte ein. Wie eine Seuche, die noch unberührten Boden findet, so schwoll auch hier der Haß gewaltig an.“ (Ebd.) Ausschreitungen gegen Minderheiten sind die Folge (MK, 49 f.), begleitet von einer selbstentlarvenden Sprache der Menschenverachtung (MK, 50), intoniert von „großen Sängern“ (ebd.) der „Haß- und Rachejamben“ (MK, 51), denn: „Tief ist der Haß, der in den niederen Herzen dem schönen gegenüber brennt.“ (MK, 54) Mit stoischem Gleichmut halten die Brüder angesichts der Bedrohung an ihrem Metier fest: „Indes die Untat im Lande wie ein Pilzgeflecht im morschen Holze wucherte, versenkten wir uns immer tiefer in das Mysterium der Blumen“ (MK, 76). Trost finden beide auch durch den Besitz des „Spiegel Nigromontans“ (MK, 81 f.), mit dem sie imstande sind, eine große Feuerkraft zu entfachen, um sich gegebenenfalls, wie im Feueropfer des Peregrinus Proteus (MK, 83), aus der Affäre ziehen zu können: „Es würde durch eine Flamme, die weder Rauch noch niedere Röte zeige, in Reiche, die jenseits der Zerstörung liegen, überführt.“ (MK, 82) Auf einer Exkursion in das „Innere des Fillerhornes“ (MK, 89), auf der Suche nach dem „roten Waldvögelein“ (nach Carl von Linné: Blume namens Rubra), entdeckten die Brüder auf der Rodung von „Köppels-Bleek“ die Vernichtungsstätte des Oberförsters: Über dem dunklen Tore war am Giebel-Felde ein Schädel festgenagelt, der dort im fahlen Lichte die Zähne bleckte und mit Grinsen zum Eintritt aufzufordern schien. Wie eine Kette im Kleinod endet, so schloß in ihm ein schmaler Giebelfries, der wie aus braunen Spinnen gebildet schien. Doch gleich errieten wir, daß er aus Menschen-Händen an die Mauer geheftet war. […] Auch an den Bäumen […] bleichten die Totenköpfe […]. Das Innere der Scheune lag fast im Dunkel, und wir erkannten […] eine Schinderbank mit aufgespannter Haut. (MK, 94 f.)
In der „letzten Phase des Ringens um die Marina“ (MK, 104) tauchen der Mauretanier Braquemart und der junge Fürst von Sunmyra in der „Rauten-Klause“ auf, um sich von den Brüdern über die aktuelle Lage informieren zu lassen. Aus unterschiedlichen Motiven wollen die beiden gegen den Oberförster vorgehen. Als dann auf Veranlassung des Paters Lampros der Ich-Erzähler mit Belovar und seinen „Hähnen“, sowie einer Meute von Bluthunden, nach dem Fürsten Ausschau halten, finden sie Braquemart und den jungen Fürsten auf „Köppels-Bleek“, hingerichtet
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von den Schergen des Oberförsters. Die Handlung schließt nach einer wilden Verfolgungsjagd mit einem Inferno, dem sich die Brüder durch den Weggang nach Alta Plana entziehen können. Einen eindeutigen Bezug zum Zeitgeschehen (hier gewissermaßen auch antizipierend) hat Jünger selbst eingeschränkt; es sei zu vermeiden, „daß die Erzählung rein allegorischen Charakter gewinnt“ (GS, 7) – bei der Verwendung von Symbolen ist natürlich mehr Spielraum für die Interpretation gegeben.48 Biographische Bezüge gehen mit zeitgeschichtlichen einher. Allein durch die Charakterbeschreibung des „späten Nihilisten“ Braquemart (MK, 106) findet sich eine nuancierte Abgrenzung zu den „Mauretaniern“ (auch MK, 28–33, 62, 75 f.), den einstigen „nationalrevolutionären“ Weggefährten. Unter verschiedenen Merkmalen wird die Desinvolture hervorgehoben, deren es Braquemart ermangele (MK, 107). Aber der Abgrenzungsversuch lässt Wohlwollen, sogar offene Sympathie erkennen. Der eigentliche Angriff gilt dem Nationalsozialismus; man könnte diesen nach Jünger’schem Verständnis als eine extreme Variante des Mauretaniertums oder als eine Fraktion innerhalb des Mauretanier-Ordens bezeichnen, so sind die Unterschiede zwischen dem Oberförster und Braquemart lediglich graduell. Braquemart war der Meinung, daß es auf Erden seit Anbeginn zwei Rassen gebe, die Herren und Knechte, und daß im Lauf der Zeiten zwischen ihnen Vermischung eingetreten sei. In dieser Hinsicht war er ein Schüler vom alten Pulverkopf [Friedrich Nietzsche] und forderte wie dieser die neue Sonderung. (MK, 102)
Jünger prangert den Typus von „Mauretaniern“ an, der beabsichtige, „die Marina mit wilden Bestien zu bevölkern“ (MK, 106), personifiziert durch den Oberförster und seinen Handlanger bzw. Erfüllungsgehilfen. Nach der detaillierten Charakterbeschreibung zu urteilen, könnte Hermann Göring als Vorbild gedient haben; der Name Adolf Hitler dagegen wird an anderer Stelle mit „Kniébolo“ codiert (GS, 22). Weitere Anspielungen sind signifikant: der Novemberpogrom von 1938; die Praktiken der Nürnberger Hetzpresse „Der Stürmer“ von Julius Streicher; die nazistischen Aufmarschrituale bei den Reichsparteitagen in Nürnberg etc. (MK, 49 ff.). Einem anderen Typus fühlen sich die Jünger-Brüder verbunden, dem des dekadenten (MK, 104) Fürsten von Sunmyra, der sich trotz des unausweichlichen Unterganges der Verantwortung stellt: „Und dennoch schien es wunderbar, daß dieser müde Träumer sich berufen fühlte, Schutz zu gewähren – so drängen die Schwächsten und die Reinsten sich zu den ehernen Gewichten dieser Welt.“ (Ebd.) Am Bild des hingerichteten Fürsten entfaltet Jünger seine „Ästhetik des Schreckens“: „Dem jungen Fürsten war nun das Haar gebleicht, doch fand ich seine
48 Siehe Hansjörg Schelle: Ernst Jüngers „Marmor-Klippen“. Eine kritische Interpretation. Leiden: E. J. Brill, 1970.
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Züge noch edler und von jener höchsten, sublimen Schönheit, die nur das Leid erzeugt.“ (MK, 135 f.) Dieser Anblick löst beim Ich-Erzähler starke Gefühle aus: „Ich fühlte […] die Tränen mir in die Augen schießen – doch jene Tränen, in welchen mit der Trauer uns herrlich die Begeisterung ergreift.“ (MK, 136) Und später: „Ich sah das Bild in der Erstarrung, und ohne zu wissen, wie lange ich vor ihm weilte – wie außerhalb der Zeit. Zugleich verfiel ich in ein waches Träumen, in dem ich die Nähe der Gefahr vergaß.“ (MK, 137) Jüngers inszenierte „Ästhetik des Schreckens“ ist seinem „anthropologischen“ Dualismus (schwach – stark, hoch – tief usw.), analog seinem elitären bzw. heroischen Selbstverständnis, zugeordnet: „[…] nur die Höchsten […] dringen bis in den Sitz des Schreckens ein“ (MK, 96 f.). Seiner elitären Ethik folgend richtet sich die Entscheidung gegen das „Niederste und Unterste“ (MK, 44); es ist die Entscheidung des „Edle[n]“ (MK, 136), des Einzelnen, der sich qua „reine[r] Geistesmacht“ (MK, 75) der aufkommenden „Naturkatastrophe“ widersetzt. „Hier aber galt es das hohe Leben, die Freiheit und die Menschen-Würde selbst.“ (MK, 109) Aus „Scham“ (MK, 97) über die verrohte Zeit des diabolischen „Waldgelichtes“ und im Besitz eines ausgeprägten, vorbildlichen Charakters („Wie aber, wenn die Schwachen das Gesetz verkennen, und so in der Verblendung mit eigener Hand die Riegel öffnen, die zu ihrem Schutze geschlossen sind?“, MK, 62), wenden sich die Brüder, vereint im Bunde mit den letzten Aufrechten (Vertreter der Kirche: Pater Lampros; des untergegangenen Adels: der junge Fürst von Sunmyra; der Abtrünnigen: in Gestalt des verschollenen Fortunios), von allem profanen Leben ab. Ihre Alternative ist das kontemplative Leben; ihr Credo könnte lauten: „retour á la nature“. Jüngers zeitkritische Erzählung „Auf den Marmor-Klippen“ enthält somit in erster Linie keine politische Replik, vielmehr kann sie Zeugnis von einem elitär verstandenen Bewusstsein geben, dessen Bezugssystem außerhalb des Konkreten zu finden ist, nämlich in der Bestätigung der ewigen, vom menschlichen Einfluss zu abstrahierenden Wahrheiten sub specie aeternitatis. Der Anteil metaphysischer Betrachtungen ist daher symptomatisch (MK, 8, 25 ff., 38, 72). Die Welt hat nach Jünger ein eigenes Verständnis vom Lauf der Dinge, verborgen im Schicksal, dem zu entrinnen nicht möglich ist. Das humane Defizit wird wieder ausgeglichen und im Gedanken des Heilsversprechens liegt für den Ich-Erzähler die Lösung des Übels. Zugleich wirft dieses Versprechen seinen Schatten auf die kommenden Weltkriegsjahre und damit auch auf Jüngers „Friedensschrift“: Es war doch schließlich kein Zufall und kein Abenteuer, daß der Alte [Oberförster] mit dem Lemuren-Volke aus dem Wälder-Dunkel herauszutreten begann und Wirksamkeit entfaltete. Gelichter dieser Art ward früher gleich Gaudieben abgefertigt, und sein Erstarken deutete auf tiefe Veränderungen in der Ordnung, in der Gesundheit, ja, im Heile des Volkes hin. Hier galt es anzusetzen, und daher taten Ordner not und neue Theologen, denen das Übel von den Erscheinungen bis in die feinsten Wurzeln deutlich war (MK, 109).
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Überhaupt muß ich meine Leser bitten, meine Autorenschaft als Ganzes zu nehmen, in dem zwar Epochen, nicht aber Widersprüche zu unterscheiden sind. Ich möchte nicht zu denen gehören, die heute nicht mehr an das erinnert werden wollen, was sie gestern gewesen sind. (Ernst Jünger im ersten „Ersten Brief an die Freunde“, 15.7.19461 )
Gärten und Straßen, 1942 Ende August 1939 wurde Jünger als Hauptmann zur Wehrmacht eingezogen und nach einem Offizierslehrgang, Einsätzen im Abschnitt des Westwalls am Oberrhein bei Greffern und im Osten des besetzten Frankreichs, 1941 nach Paris zum Stab des Militärbefehlshabers Frankreich Otto von Stülpnagel versetzt. Jüngers militärisches Engagement zeichnete sich jetzt auffällig durch das Nichtmilitärische aus, bezeichnenderweise erhält der Pour-le-Mérite-Träger des Ersten Weltkrieges das Eiserne Kreuz zweiter Klasse für die Bergung eines Verwundeten. Selbstverständlich verzichtet der überzeugte Soldat und Antipazifist Jünger nicht auf affirmative Äußerungen2 (er spricht weiterhin von der „Urkraft des Kämpfers“, verbunden mit einem hermetischen Verdikt: „Das gilt natürlich nur für Menschen, die wissen, um was es auf dieser Erde geht“, GS, 159), aber letztlich sind folgende Bekenntnisse eher Attitüden, mit denen er lediglich noch zu kokettieren versucht: „Es geht mir fast wie 1914, wo ich befürchtete, nichts mehr von den Gefechten abzubekommen.“ (GS, 125) Oder: „,Danke, gut, Herr General. Darf man denn hoffen, daß man noch ins Feuer kommt?‘“ (GS, 136) Jüngers geistige Wandlung zum Wertkonservativen hin ist unübersehbar; seine „neuen“ Anschauungen stehen relativierend neben den alten: „Nun ist wohl kaum zu hoffen, daß dieser Feldzug für uns noch einen scharfen Einsatz bringt, und wenn ich das auch als Soldat bedaure, begrüße ich es für die
1 Zit. n. Karl O. Paetel: Ernst Jünger. Weg und Wirkung. Eine Einführung. Stuttgart: Verlag von Ernst Klett, 1949, S. 105. 2 Das „Bedürfnis“ nach einer Revanche auf die zwangsvorordneten Einbußen bezüglich der deutschen Erste-Weltkrieg-Niederlage mag vielleicht auch bei Jünger vorhanden gewesen sein. Zumindest lässt sich bei seiner Ehefrau Gretha eine solches nachweisen, das sehr wahrscheinlich auch Ernst Jünger teilen konnte. Siehe Ingeborg Villinger: Gretha Jünger. Die unsichtbare Frau. Stuttgart: Klett-Cotta, 2020, S. 214 ff. und S. 220 f.
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Leidenden.“ (GS, 178) Für sich nimmt Jünger inzwischen die selbstverpflichtende Aufgabe des Autors in Anspruch; die heroische Gebärde scheint lediglich zum Dekor avanciert: An gewissen Scheidewegen unserer Jugend könnten uns Bellona und Athene erscheinen – die eine mit dem Versprechen, uns die Kunst zu lehren, wie man zwanzig Regimenter ins Treffen führt, so daß sie zur Schlacht zur Stelle sind, während die andere uns die Gabe verhieße, zwanzig Worte so zu fügen, daß ein vollkommener Satz durch sie gebildet wird. Es könnte sein, daß wir den zweiten Lorbeer wählen, der seltener und unsichtbarer am Felshang blüht. (GS, 161)
In einem Brief vom 24.3.1940 an Manfred Schwarz bekennt Jünger seine Haltung: „Mein Ehrgeiz, soweit er sich auf militärische Dinge richtet, ich heute erloschen; und damit lebe ich in einem Zustand der Selbstgenügsamkeit.“3 Jünger scheint sich ganz der stoischen Ethik – die Ausführungen zur Boethius-Rezeption sind bezeichnend (GS, 94 ff.) – verschrieben zu haben, sicher auch aus Gründen des Selbstschutzes in einer lebensbedrohenden Zeit. Die eigentliche Grenzziehung gehört zu einer lebensphilosophischen Ökonomie: „Das Absolutum kam auch darin zum Ausdruck, daß ich zum erstenmal [sic!] im Leben fühlte, daß mein Hunger nach Bildern gesättigt war. Ja, mehr als das – ich hatte mehr gesehen, als ich wollte“ (GS, 188). Bewahren, Erhalten, Versöhnen stehen im Vordergrund des soldatischen Engagements: „Heute ergriff mich eine Ahnung von diesen Kathedralen als Werken, als Lebenswerken, fern von den toten Maßen der musealen Welt. Auch wirkte der Gedanke mit, daß diese Kirche meinem Schutze unterstand; ich drückte sie, als ob sie ganz klein geworden wäre, an meine Brust.“ (GS, 153) Den Distanzkurs zum Regime hält Jünger aufrecht, das Angebot, einen Auslandsposten zu übernehmen (Joachim von Ribbentrop hatte auf Schloss Fuschl bei Salzburg exponierte Publizisten eingeladen) lehnt Ernst Jünger ab; seinen „Marmor-Klippen“-Bekenntnissen fügt er an seinem 45. Geburtstag provokant hinzu, am offenen Fenster den 73. Psalm rezitiert zu haben (GS, 105).4
3 Zit. n. Ernst Jünger. Leben und Werk in Bildern und Texten. Hg. und kommentiert von Heimo Schwilk. Stuttgart: Klett-Cotta, 2010 (Neuausgabe), S. 162. 4 Der Wortlaut: „Denn ich ereiferte mich über die Ruhmredigen, als ich sah, dass es den Gottlosen gut ging“ (Vers 3); „Darum fällt ihnen der Pöbel zu und läuft ihnen zu in Haufen Wasser“ (Vers 10); „Ja, du stellst sie auf schlüpfrigen Grund und stürzest sie zu Boden“ (Vers 19). In: wikipedia.com/wiki/Gärten_und_Straßen. Dazu Jünger in „Strahlungen“: „Es dauerte ein Jahr, bis diese Arabeske zur allgemeinen Kenntnis kam, dann machte der Minister für Volksaufklärung [Joseph Goebbels] die Neuauflage von ihrer Streichung abhängig. Da ich ablehnte, kamen die ,Gärten und Straßen‘ auf den Index“ (Str, 15).
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Strahlungen, 1949 Bewege mich heute zwischen Offizieren wie damals unter Zoologen im Neapolitanischen Aquario. Wie nehmen zwei ganz verschiedene Seiten ein und derselben Sache wahr. (Str, 122) Im Bette erst in den Tagebüchern von Léon Bloy gelesen, dann weiter im Prediger. (Str, 176) Die Wahrheit, das Verhältnis zum Echten und Unverfälschten, gleicht für mich einem Weibe, dessen Erkenntnis mich allen anderen gegenüber zu Impotenz verdammt. (Str, 362) Widerlicher Kerl. Träumt meine Träume! (Theodor W. Adorno5 )
Das erst 1949 erschienene Tagebuch „Strahlungen“ muss unter der Prämisse Zeitdokument anders gelesen werden als das im Kriegsjahr 1942 herausgegebene Buch „Gärten und Straßen“. In den vier Nachkriegsjahren hatte Jünger Gelegenheit, die eine oder andere Formulierung zu überdenken, konnte bestimmte Aussagen, die im „Dritten Reich“ nicht durchgegangen wären, falls man ihm überhaupt noch eine Publikationserlaubnis gewährt hätte, hinzufügen – allerdings wird diese verzögerte Herausgabe mit dem folgenden Tagebuch „Jahre der Okkupation“ (1958) noch um sechs „Reifejahre“ überboten. Der Wunsch nach gegenwartsbezogenen Einmischungen war dem Bedürfnis nach Zeitferne gewichen. Bestimmte Züge in den veröffentlichten „Gärten und Straßen“-Diarien, z. B. die unübersehbare Hinwendung zum Christentum, werden stärker ausgebaut. Das Bibelstudium rückt sogar in den Vordergrund der Aufzeichnungen (über 50 explizite Nennungen auf den 648 Tagebuchseiten), die Beschäftigung mit dem französischen Autor der katholischen Erneuerung, Léon Bloy, erhält für den „gewandelten“ Autor zentrale Bedeutung – zahlreiche Rezeptionshinweise gehen auf diesen Autor zurück, der eindeutig vor anderen rangiert.6 Daneben wird, allerdings mit spürbar gewandeltem Ton, auf
5 Zit. n. Joachim Kaiser: Erlebte Literatur. Vom „Doktor Faustus“ zum „Fettfleck“. Deutsche Schriftsteller in unserer Zeit. München. Zürich: R. Piper, 1988, S. 76. 6 Jünger wird später auch Membre d’Honneur de La Société des Études bloyennes (vgl. SV5, 127).
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die politischen Verhältnisse Bezug genommen. Zum Beispiel: „Ideengeschichtlich ist dieser zweite Weltkrieg vom ersten völlig unterschieden; er ist wahrscheinlich die größte Auseinandersetzung über die Willensfreiheit, die es seit den Perserkriegen gegeben hat.“ (Str, 239) Mit dem Vokabular der „Marmor-Klippen“ (z. B. mit dem durchgängig verwendeten Ausdruck „Schinderhütte“) schafft sich der Autor Distanz zu den aktuellen Verhältnissen, eine bevorzugte Methode, die für den wertkonservativen Autor zumindest für die späten dreißiger und ganzen vierziger Jahre symptomatisch ist. Erst mit der zeitdiagnostischen Schrift „Über die Linie“ (1950) kehrt Jünger an seinen angestammten Platz als Zeitanalytiker und -prognostiker zurück. Das gesamte Schaffen der fünfziger Jahre, genau genommen bis zum Erscheinen des Essays „Der Weltstaat“ (1960), steht unter dem Eindruck eines zeitgeschichtlichen Bewertungsversuchs, der wieder altes Engagements verrät; im Zentrum natürlich der Essay „An der Zeitmauer“ (1958), der vom Autor selbst neben den „Arbeiter“ gerückt wird.7 Mit den „Strahlungen“ stellt sich Jünger als „Seismograph“ vor, der auf affirmative Zeitaussagen verzichtet – lediglich die Bestätigung – wenn auch selektiv – seiner „Arbeiter“-Prognosen wird registriert (Str, 149, 283, 316 f., 364, 391). Vielmehr beherrschen Kritik und Verachtung gegenüber den „nihilistischen Tendenzen“, verursacht durch die nationalsozialistischen Protagonisten „Kniébolo“ (Adolf Hitler), „Grandgoschier“ (Joseph Goebbels), „Schinderhannes“ (Heinrich Himmler) – vom Gegenspieler „Cellaris“ (Ernst Niekisch) ist auch die Rede –, die Aufzeichnungen des unkriegerischen Kriegstagebuches. Jüngers zeitanalytische Aussagen werden historisierend abstrahiert. Der Verlust an Ethik und Moral wird als Zeitphänomen angesehen, sinnbildlich mit den Rückfällen ins Barbarische von „Schiffbrüchigen“ (Str, 7–10., 607 f.) gleichgesetzt. Selbst das so verehrte Ethos des Soldatischen nimmt angesichts der „Potenzierung des Leidens“ Schaden: „Ein Ekel ergreift mich dann vor den Uniformen, den Schulterstücken, den Orden, dem Wein, den Waffen, deren Glanz ich so geliebt. Das alte Rittertum ist tot“ (Str, 250). Jüngers „geistige[r] Beitrag zum zweiten Weltkrieg“ (Str, 12) kann grosso modo als Versuch angesehen werden, sich als Individuum in einer inhumanen Zeit zu behaupten. Sein Bibelstudium und der auffällige Quietismus sind Bemühungen, sich ethisch-moralisch unbeschadet über die Zeit zu retten: Drei gute Vorsätze. Als ersten „mäßig leben“, denn fast alle Schwierigkeiten in meinem Leben beruhten auf Verstößen gegen das Maß. Zweitens: immer ein Auge für die Unglücklichen. […] Endlich will ich das Sinnen auf individuelle Rettung verbannen im Wirbel der Katastrophen, die möglich sind. Es ist viel wertvoller, daß man sich würdig verhält. (Str, 251)
7 Signifikant, dass in der Ausgabe „Sämtlichen Werke“, Band 8 (1981), der Essay „Der Arbeiter“ neben dem Essay „An der Zeitmauer“ auftaucht.
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Physische Bedrohungen hat es wohl nicht gegeben, der aufgetauchte Brief des Präsidenten des Volksgerichtshofes Roland Freisler an die Kanzlei des Führers, an den Reichsleiter Martin Bormann, konnte bislang einer Echtheitsprüfung nicht standhalten.8 Dass Jünger den NS-Parteioberen allerdings schon lange ein Dorn im Auge war, bezeugt allein die Anordnung von Joseph Goebbels, anlässlich des fünfzigsten Geburtstagsjubiläums, ergo zum 29.3.1945, keine öffentliche Würdigung zuzulassen (Str, 618). Das konnte Jünger letztlich nur recht sein, bezieht man dieses Faktum auf die nach 1945 einsetzende, unerbittlich geführte Jünger-Debatte.9 Schließlich wird im August 1944 die Entlassung Jüngers aus der Wehrmacht verfügt (Str, 562), sodass Jünger nunmehr bis zum Ende des Krieges dem „Volkssturm“ in seiner Heimatstadt Kirchhorst zur Verfügung stand. Vom Sommer 1941 bis Sommer 1944 wohnte Jünger im Pariser Hotel „Raphael“, ganz nahe bei seinem Dienstbüro im „Majestic“, ebenfalls ein berühmtes Hotel im Zentrum von Paris. Unterbrochen wurde der verhältnismäßig ruhige Stabsdienst (u. a. war er für die Briefzensur zuständig und schrieb privatim eine Denkschrift über die deutschen Geiselerschießungen10 ) durch eine dreimonatige Inspektionsreise an den südlichen Abschnitt der Ostfront; ein diesbezüglicher Bericht vom Oktober 1942 bis Februar 1943 geht zwischen den „Pariser Tagebüchern“ in die „Kaukasischen Aufzeichnungen“ ein. Es ist keine Frage, dass Jünger mit seinem Pariser Dienstort überaus zufrieden war. An Friedrich Georg Jünger schrieb er am 12.6.1941: Inzwischen liegen wieder drei Marschtage, die recht anstrengend waren, hinter uns. Wie ich dir wohl schon schrieb, begegnete ich in Paris dem Grafen [Clemens von] Podewils. Ich fand ihn sehr angenehm, und wir unterhielten uns gut. Ich traf ihn inmitten eines Kreises von intelligenten Offizieren an, deren Mittelpunkt der Oberst [Hans] Speidel, Chef des Stabes beim Oberbefehlshaber von Frankreich, ist. Der Eindruck, den ich dort erhielt, bestätigte mir meine Theorie von der Bildung sehr kleiner geistiger Eliten in unserer Zeit.11
In einem Brief an den Vertrauten Carl Schmitt im August desselben Jahres findet sich eine sehr persönliche Hommage an die französische Hauptstadt:
8 Horst Mühleisen hatte diesen publik gemacht. Siehe Horst Mühleisen: Im Segelboot über das Bermuda-Dreieck. Ernst Jüngers Gefährdungen: Ein neues Dokument der Nazi-Zeit. In: Rheinischer Merkur/Christ und Welt, 25.1.1986. Siehe auch SV5, S. 92–95. 9 Siehe Norbert Dietka: Ernst Jünger nach 1945. Das Jünger-Bild der bundesdeutschen Kritik (1945 bis 1985). Frankfurt am Main/Bern/New York/Paris: Verlag Peter Lang, 1987, S. 58–82. 10 Siehe Ernst Jünger: Zur Geiselfrage. Schilderung der Fälle und ihre Auswirkungen. Hg. von Sven Olaf Berggötz. Stuttgart: Klett-Cotta, 2011. 11 Zit. n. Ernst Jünger. Leben und Werk in Bildern und Texten. Hg. und kommentiert von Heimo Schwilk. Stuttgart: Klett-Cotta, 2010 (Neuausgabe), S. 166.
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In Paris lebt doch noch etwas von unzerstörbarer Substanz; manches an Menschen und Dingen tritt gerade in diesen Wochen und Monaten in bedeutenderer Schönheit, fast schmerzhaft hervor. Es ist die einzige Stadt, zu der ich ein Verhältnis besitze wie zu einer Frau. Sie erhielt sich auch auf weibliche Art, indem sie keinen Widerstand leistete.12
An Hans Speidel, dem späteren Chef einer Heeresgruppe unter Generalfeldmarschall Erwin Rommel, wie Carl Schmitt ein enger Vertrauter Jüngers,13 schrieb er: Diese Stadt ist wie ein Altwasser inmitten der Wirbel der Zeit, und ich verdanke ihr nicht nur eine ungemeine Ausbeute an Einsichten, sondern auch einen für den musischen Menschen unschätzbaren Gewinn an Heiterkeit. Ich will damit nicht sagen, daß man hier fern von der Geschichte lebt; im Gegenteil halte ich den Ausspruch [Antoine Comte de] Rivarols,14 daß in Paris das Schicksal stärker wirkt als anderswo, auch heute noch für zutreffend. Ich merke das an mir selbst und meinen Begegnungen. Daher nehme ich die Zeit auch wahr, um festzuhalten, was mir aufgefallen ist.15
Und zuletzt an Horst Grüninger: Hier ist es immer noch schön. Ich arbeite an meinen Dingen weiter, ohne mich viel um anderes zu kümmern, denn ich meine, daß ein so gewaltiger und öder Kasten wie das Majestic die Existenz eines einzigen musischen Menschen tragen können muß, auch wenn er schwer in diese Sardinenbüchse paßt. Que diable ai-je à faire dans cette galère?16
Über den eigentlich militärischen Dienst erfährt der Leser recht wenig, auch das ist eine Besonderheit, zieht man die Aufzeichnungen z. B. der „Stahlgewitter“ von 1920 vergleichend heran. Im militärisch besetzten Paris scheint der (Mit-)Okkupant Jünger, ermöglicht durch das Wohlwollen seiner militärischen Förderer, in äußerst privilegierter Weise seinen Wünschen und Neigungen nachgegangen zu sein: Pflege seiner Passion der „subtilen Jagden“ sowie Streifzüge durch die einschlägigen Pariser Stadtviertel und Vororte, ausgiebige Besuche bei den Antiquaren, Kontakte zu namhaften Künstlern, unter ihnen die berühmtesten, wie Pablo Picasso und Georges Braque. Für sich genommen, fügten sich die lebhaften Begegnungen mit den französischen Literaten
12 Ebd. S. 167. 13 Siehe auch Dieter Krüger: Hans Speidel und Ernst Jünger. Freundschaft und Geschichtspolitik im Zeichen der Weltkriege. Paderborn: Ferdinand Schöningh, 2016. 14 Den Jünger auch übersetzt hat. Siehe Ernst Jünger: Rivarol. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 1956. 15 Zit. n. Ernst Jünger. Leben und Werk in Bildern und Texten. Hg. und kommentiert von Heimo Schwilk. Stuttgart: Klett-Cotta, 2010 (Neuausgabe), S. 167. 16 Ebd. S. 168.
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und Intellektuellen zu einer umfangreichen Liste der später angeprangerten Kollaborateure, unter ihnen Sacha Guitry, Henry de Montherlant, Marcel Jouhandeau, Paul Léautaud17 und Jean Schlumberger.18 Auch solche schillernden Figuren wie Pierre Eugène Drieu la Rochelle und Louis-Ferdinand Céline (im Tagebuch mit dem Pseudonym „Merline“ kodiert) sind aufgelistet. Außerdem schienen tonangebende Pariser Salons dem gerngesehenen Gast offen gestanden zu haben. Vorzugsweise kann der Salon von Florence Gould (im Tagebuch auch „Lady Orpington“) genannt werden. Auch hatte Jünger mehrfach Gelegenheit, Jean Cocteau zu treffen. Selbstverständlich ist, dass Jünger auch zur deutschen Prominenz Kontakt aufnimmt: Ernst Wilhelm Nay, Friedrich Sieburg, Carlo Schmid, Arno Breker und nicht zuletzt Carl Schmitt waren willkommene Gesprächspartner. Aus Sicht Jüngers könnten die Treffen im Salon „George V.“ – innerhalb der „Georgsrunde“ – einen Höhepunkt des geistigen Lebens dargestellt haben. An ihnen beteiligten sich Hans Speidel, Friedrich Sieburg, Horst Grüninger, Clemens von Podewils und Gerhard Nebel, darüber hinaus auch hohe Offiziere des Generalstabes. Gerhard Nebel gibt hierzu eine persönliche Einschätzung: Diese Abende sind Höhepunkte meiner Pariser Zeit gewesen, nicht nur, weil mich jeder Kontakt mit der im Rausch erst sich in ihrer ganzen Fülle entfaltenden mächtigen Gestalt des Capitano [Ernst Jünger] beglückt, sondern auch, weil ich dabei immer wieder erfahre, daß die wirkliche deutsche Bildung der Zersetzung durch die Despotie getrotzt hat, und daß die Zahl meiner Landsleute, die Recht und Menschenwürde achten und sich als Europäer fühlen, immer noch groß ist. Wenn es zum Tyrannenmord kommt, wird man der „Georgsrunde“, die nicht nur Intellektuelle, sondern auch sogenannte „hochgestellte Persönlichkeiten“ umfaßt, einen bedeutenden Anteil an der Erhebung zuerkennen müssen.19
In seiner Retrospektive erwähnt auch Friedrich Sieburg den ernsthaften Charakter des geführten Diskurses, der sicher auch in der „Georgsrunde“ vorherrschte: „Die Diskussion beherrscht das Feld, nicht das Bekenntnis; die Unterhaltung weist den Menschen aus, nicht die Herzensergießung. Es ist somit kein Zufall, daß ich mit
17 Den Jünger auch übersetzt hat. Siehe Paul Léautaud in Memoriam. Übersetzung und Nachwort von Ernst Jünger. Stuttgart: Klett-Cotta, 1978. 18 Jean Schlumberger gehörte auch zum literarischen Korps der Résistance; verkehrte auch mit Jünger in Paris, fand aber nach dem Zweiten Weltkrieg kritische Worte, die sinngemäß den Tenor von Thomas Mann entsprachen, wenn dieser Jünger einen „Wegbereiter des Barbarismus“ nannte. Siehe Jean Schlumberger: Le Cas Jünger. In: Terre des Hommes, 10.11.1945. Siehe auch Jean Schlumberger. Versuch einer Klarstellung (1945). In: Jünger Debatte 1. Hg. von Thomas Bantle, Alexander Pschera und Detlev Schöttker. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 2017, 165–182. 19 Gerhard Nebel: Bei den nördlichen Hesperiden. Tagebuch aus dem Jahre 1942. Wuppertal: MaréesVerlag, 1948, S. 143.
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Jünger in Paris Berührung fand, auf einem Boden also, auf dem der Mensch sich offenbaren kann, ohne von sich zu sprechen.“20 Jüngers Engagement bezüglich der Widerstandsbewegung des 20. Juli 1944, der er offenbar nahegestanden hat, muss wohl differenzierend, wenn nicht gar relativierend eingeschätzt werden. Einerseits liegt seine Schrift „Der Friede“ vor, die er bereits im Winter 1941/42 (Str, 76, 368) vorzubereiten beginnt, ergo ein ganz persönlicher Beitrag für die Zeit nach der früh eingeschätzten Kapitulation der NSDiktatur. Andererseits hegte er große Bedenken gegenüber dem politischen Nutzen eines Attentates gegen den „Führer“: „Wenn Kniébolo fällt, so wird die Hydra einen neuen Kopf bilden.“ (Str, 497) Oder: „Ich war der Überzeugung, daß ohne einen [Lucius Cornelius] Sulla [Felix] jeder Angriff auf die plebiszitäre Demokratie notwendig zur weiteren Stärkung des Niederen führen mußte, wie es denn auch geschah und weiterhin geschieht.“ (Str, 13) Die eigentlichen Gründe für seine Skepsis werden erst in der Friedensschrift deutlich: „Die Logik der reinen Gewalt muß sich vollenden, damit die höhere Logik des Bundes sichtbar werden kann.“ (Fr, 34) Jene „Logik der Gewalt“ liest sich in den „Strahlungen“ wie eine Chronik des Schreckens, mit der sich der „Meisterdenker des modernen Zynismus, bei dem kalte Pose und empfindliche Wahrnehmung sich nicht gegenseitig ausschließen“,21 als geeigneter Chronist vorstellt: „Dann wieder der Gedanke, ob es nicht doch vielleicht gut wäre, die Schreckensstätten aufzusuchen, als Zeuge, um zu sehen und festzuhalten, welcher Art die Täter und die Opfer sind.“ (Str, 22422 ) Jünger wurde zur Aufsicht an einer Erschießung eines Fahnenflüchtigen eingeteilt und schickte voraus: „Auch will ich mir gestehen, daß ein Akt von höherer Neugier den Ausschlag gab. Ich sah schon viele sterben, doch keinen im bestimmten Augenblick.“ (Str, 39) Die Nachrichten von den systematisch vorgenommenen Massenvernichtungen überstiegen aber das Fassungsvermögen: Leider brachten Gespräche der üblichen Art eine Verstimmung in mir hervor. So erzählte der General Müller23 von den ungeheuerlichen Schandtaten des Sicherheitsdienstes nach der Eroberung von Kiew. Auch wurden wieder die Giftgastunnels erwähnt, in die mit Juden besetzte Züge einfahren. (Str, 250) 20 Friedrich Sieburg: Nur für Leser. Jahre und Bücher. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1955, S. 396. 21 Vgl. Peter Sloterdijk: Kritik der zynischen Vernunft. Bd. 2. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1983, S. 817. 22 Das „Versäumnis“ nehmen ihm noch heute manche Kritiker übel. Peter Trawny wird zitiert: „Während des Zweiten Weltkriegs wiederum hätte Jünger […] in seiner Aufgabe als historischer Zeuge versagt, insbesondere, was die Judenvernichtung betrifft, als er sich an der russischen Front weigerte, ein Vernichtungslager zu besichtigen.“ Zit n. Julien Hevier/Alexander Pschera: Jünger und Frankreich – eine gefährliche Begegnung? Ein Pariser Gespräch. Mit 60 Briefen von Ernst Jünger an Julien Hervier. Berlin: Matthes & Seitz, 2012, S. 50. 23 Der Name ist leider nicht zu verifizieren. Kommt hier Ludwig Müller (General der Infanterie) infrage?
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Und an anderer Stelle: Abends Essen mit dem Präsidenten [Max Hattinger], der mir über Konzentrationslager im Rheinlande aus dem Jahre 1933 berichtete, mit vielen Einzelheiten aus der Schinderwelt. Dort pflegte einer dieser Kannibalen die tödlichen Auspeitschungen, die bei ihm an der Tagesordnung waren, mit dem Scherze anzukündigen: „Jetzt wollen wir mal die Nierchen bloßlegen.“ Ich fühle leider, daß die Kenntnis solcher Dinge auf mein Verhältnis, zwar nicht zum Vaterlande, wohl aber zu den Deutschen einzuwirken beginnt. (Str, 398)
Gelegentlich wird vonseiten der Ideologiekritik Jünger ein intendiertes Schweigen,24 gar ein Weghalluzinieren der Realität – von einem „Verleugnungsmechanismus des Gedächtnisses“ war einmal die Rede25 – unterstellt. Eine bestimmte Textstelle schien für Jan Philipp Reemtsma signifikant: Sonntag, bei klarem Frost. Auch liegt ein wenig Schnee. Ich ging am Morgen im Wald spazieren und gedachte beim Anblick der leichten, reinen Decke des wunderlichen Verses, den Perpetua [Jüngers damalige Ehefrau Gretha von Jeinsen] in unserer Leipziger Mansarde einst im Erwachen vor sich hinmurmelte: „Es schneet der Wind das Ärgste zu – –“ Die Bilder im Wald waren ein wenig heiterer. […]. (Str, 216)
Reemtsma griff diese Szene auf und interpretierte: „Der Text […] deckt zu, was in der Wirklichkeit der Schnee zudeckt: Das Ärgste. […] Es dürfte sich um das handeln, was in so vielen Berichten aus den Winterkriegen vorkommt, zugewehte Leichen. Und da hier kein Schlachtfeld ist, sind es vermutlich erschossene Zivilisten, Kriegsgefangene.“26 Im Archiv liegt die „Auflösung“ des Eintrages: Dabei kam mir in den Sinn, wie ich sie [Gretha von Jeinsen] eigentlich in ihrer Begabung so wenig unterstützt habe. Zwar wirkte ich stark auf sie durch Anwesenheit, nicht aber durch liebevolles Eingehen. Unsere Nächsten sind Goldminen, doch dingen [recte: dringen] wir nicht in ihre Adern an [recte: ein]. Das ist unser ewiger Fehler, und eines Tages, wenn es zu spät ist, bleibt nur die Reue zurück. Doch will ich hier gerade, wo das Menschenleben so wohlfeil scheint, mich fest entschließen, es als unschätzbar anzusehen. Und das bei jedem, mit dem das Schicksal mich zusammenführt. Ich muß in diesen Dingen zur Praxis übergehen.27
24 Siehe Hannes Heer: Das Schweigen des Hauptmanns Jünger. Ernst Jüngers Reise an die Kaukasusfront 1942/43. In: Hannes Heer: Vom Verschwinden der Täter. Der Vernichtungskrieg fand statt, aber keiner war dabei. Berlin: Aufbau-Verlag, 2004, S. 139–169. 25 Siehe Joana van de Löcht: Aufzeichnungen aus dem Malstrom. Die Genese der „Strahlungen“ aus Ernst Jüngers privaten Tagebüchern (1939–1958). Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 2018, S. 178. 26 Zit. n. ebd. 27 Zit. n. ebd. S. 179.
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Allerdings scheint Jünger gelegentlich mit der Attitüde einer „Ästhetik des Schreckens“ kokettiert zu haben: „Übrigens bemerkte ich, daß diese Feuerbrünste einen vereinzelten Zug von Schönheit hervorbringen, indem durch den Absturz der Kirchtürme die Kronen, die sie faßten, deutlicher hervortreten.“ (Str, 500) Ein anderes Beispiel hat inzwischen Furore gemacht: Alarme, Überfliegungen. Vom hohen Dache des Raphael sah ich zwei Mal in der Richtung von St. Germain gewaltige Sprengwolken aufsteigen, während Geschwader in großer Höhe davonflogen. Es handelt sich um Angriffe auf die Flußbrücken. Die Art und Aufeinanderfolge der gegen den Nachschub gerichteten Maßnahmen deutet auf einen feinen Kopf. Beim zweiten Male, bei Sonnenuntergang, hielt ich ein Glas Burgunder, in dem Erdbeeren schwammen, in der Hand. Die Stadt mit ihren roten Türmen und Kuppeln lag in gewaltiger Schönheit, gleich einem Blütenkelche, der zu tödlicher Befruchtung überflogen wird. (Str, 522)
Hiermit gab Jünger wieder einmal Anlass zur Spekulation, die wiederum auf ein Neues zu widerlegen war.28 Zahlreiche Vermerke und Schilderungen zeigen Jüngers persönliche Betroffenheit gegen über dem Schicksal der Juden (Str, 136, 144, 174 f., 309, 338, 433 ff.);29 eine ganz persönliche Begegnung lässt Schamgefühl erkennen: In der Rue Royale begegnete ich zum ersten Mal in meinem Leben dem gelben Stern, getragen von drei Mädchen, die Arm in Arm an mir vorbeikamen. Diese Abzeichen wurden gestern ausgegeben; übrigens mußten die Empfänger einen Punkt von ihrer Kleiderkarte dafür abliefern. Am Nachmittage sah ich den Stern dann häufiger. Ich halte derartiges, auch innerhalb der persönlichen Geschichte, für ein Datum, das einschneidet. Auch bleibt ein solcher Anblick nicht ohne Rückwirkung – so genierte es mich sogleich, daß ich mich in Uniform befand. (Str, 125)
Einen herben, nie ganz überwundenen Einschnitt in Jüngers Leben hat der Tod des Sohnes Ernst (Ernstel) verursacht, vorausgegangen war eine beinahe abenteuerliche Rettungsaktion (Str, 478 ff., 499 f.)30 Im gesamten Tagebuchwerk Jüngers – eingeschlossen die Bände von „Siebzig verweht“ – finden sich Schmerzbekundungen und
28 Siehe Patrick Pfaff : „Vor beliebigen Interpretationen ist im Laufe seiner Rezeption kein Text gefeit“. Über Tobias Wimbauers Lesart der „Burgunderszene“ Ernst Jüngers. In: Andrea Benedetti/Lutz Hagestedt (Hg.): Totalität als Faszination. Systematisierung des Heterogenen im Werk Ernst Jüngers. Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2018, S. 271–319. 29 Siehe Joana van de Löcht: Aufzeichnungen aus dem Malstrom. Die Genese der „Strahlungen“ aus Ernst Jüngers privaten Tagebüchern (1939–1958). Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 2018, S. 232–240. 30 Siehe auch Gretha von Jeinsen: Die Palette. Tagebuchblätter und Briefe. Hamburg: Hans Dulk Verlag, 1949. S. 76–132.
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Erinnerungsnotizen. Ernstel war wegen systemfeindlicher Äußerungen denunziert worden, musste dafür einsitzen und erhielt Frontbewährung. Am 12.1.1945 notiert Jünger: Ernstel ist tot, gefallen, mein gutes Kind, schon seit dem 29. November des vorigen Jahres tot! […] Er fiel durch Kopfschuß bei einer Spähtrupp-Begegnung im Marmorgebirge von Carrara in Mittelitalien […]. Der gute Junge. Von Kind auf war es sein Bestreben, es dem Vater nachzutun. Nun hat er es gleich beim ersten Male besser gemacht, ging so unendlich über ihn hinaus. (Str, 609)
Jünger teilt auf seine Weise den unüberwindbaren Verlust mit. Charakteristisch in diesem Zusammenhang ist die Wiedergabe eines Traumfragments der Ehefrau „Perpetua“, das die tiefe Erschütterung veranschaulicht: Während ich von dem toten Vater [dieser starb 1943 im Alter von 74 Jahren, während sich Jünger an der Ostfront aufhielt] häufig und sinnvoll träume, bleibt es ganz dunkel um den Sohn. Es scheint um seinen Tod noch etwas Ungelöstes, Unversöhntes zu wittern, noch etwas Friedloses. Perpetua hatte in der verwichenen Nacht den ersten deutlichen Traum von ihm. Sie war in einem Krankenhause und traf ihn auf dem Gange; er erschrak bei ihrem Anblicke. Er war schon sehr schwach und starb in ihren Armen; sie hörte, wie der Todesschweiß plätscherte. Solche Gesichte sind stets bedeutend; jede Erscheinung von Toten ist ja auch objektiv. Sie lebten in uns und leben in uns fort. (Str, 611)
Die psychischen Belastungen – mögen es die zugetragenen Berichte von den im Osten verübten Gräueltaten sein oder die permanente Angst vor Bombenangriffen, denen die Familie ausgesetzt sein konnte, oder das Gefühl der Ohnmacht, als Einzelner gegen die brutale Willkür des NS-Regimes nichts ausrichten zu können – sind nicht spurlos an Jünger vorbeigegangen. Notiert werden die wechselnden emotionalen Zustände als „Verstimmungen“, „Angst“, „Melancholie“ und „Depressionen“ – bislang nicht gewährte Introspektionen, die auf eine psychisch angeschlagene Konstitution schließen lassen.31 Stabilität sucht Jünger daher weltanschaulich (die zunehmende Beschäftigung mit der Stoa ist nicht zu übersehen, z. B. Str, 526, 541), also kognitiv, zu erreichen – der Kontakt mit Werner Höll im besetzten Paris gibt zumindest partiell Zeugnis über Jüngers instabile Seelenverfassung.32 Unbehagen muss auch die gesellschaftliche Rolle, die Jünger aufgrund divergierender Publikationen zukam (zum einen die Noch-Rezeption seines heroischen Frühwerks, zum
31 Auch verrät Jünger Anzeichen von Larmoyanz, wenn er einen „Opfertausch“ suggeriert: „Die Lage des Deutschen ist jetzt ganz ähnlich, wie die der Juden innerhalb Deutschlands war.“ (Str, 637 f.) 32 Siehe Norbert Dietka: Ernst Jünger und die bildende Kunst. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, S. 59–66.
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anderen die aktuelle Lektüre seiner „Marmor-Klippen“-Bekenntnisse), ausgelöst haben: Übrigens habe ich den Eindruck, daß mein Opus, soweit es vorliegt, ein Foyer bildet, auf dem sehr verschiedene Kräfte, sowohl Generationen als auch Parteiungen, sich treffen und ausgleichen. Das leuchtet schon an den ungemeinen Unterschieden meines Bekanntenkreises ein, in dem ich mir zuweilen wie ein Menageriedirektor vorkomme. (Str, 317)
Nach der Kapitulation 1945 spaltete sich die Jünger-Rezeption in Anklage und Verteidigung, die Gegner bezichtigten ihn der Mitverantwortung an der Entstehung des „Dritten Reiches“ (die Rede war von „Präfaschismus“), die Befürworter hingegen ermittelten akribisch durch geschickte Exegesen den zum Christentum Konvertierten.33 Auf die scharfen Angriffe reagierte Jünger – der von den Alliierten von 1945 bis 1949 mit Publikationsverbot belegt war – gemäß seinem schriftstellerischen Selbstverständnis mit einer selbstbehauptenden Sentenz: „Nach dem Erdbeben schlägt man auf die Seismographen ein. Man kann jedoch die Barometer nicht für die Taifune büßen lassen, wenn man nicht zu den Primitiven zählen will.“ (Str, 9)
Der Friede, 1945 So bin ich stammes- und lehensmäßig gesehen Welfe, während meine Staatsauffassung preußisch ist. Zugleich gehöre ich zur deutschen Nation und bin in meiner Bildung Europäer, ja Weltbürger. (Str, 498) Ein jeder war mitschuldig, und es gibt keinen, der nicht der Heilung bedürfte [...]. (Fr, 66)
Jüngers Traktat „Der Friede“ konnte den Leser nicht sonderlich verwundern, kam doch hier logisch konsequent gedacht zum Ausdruck, was sich bei Jünger in den Jahren der NS-Diktatur angesammelt hatte. Schon in dem Kriegstagebuch „Gärten und Straßen“ ist vom „Gut des Friedens“ (GS, 170) die Rede; im Vorwort zu 33 Vereinzelt wird heute wieder versucht, Ernst Jünger für das Christentum bzw. für den Katholizismus zu veranschlagen; zuvorderst von Alexander Pschera (seit 2015 Vorsitzender der Ernst und Friedrich Georg Jünger Gesellschaft e. V. sowie Gründer und Hg. von Réaction. Almanach europäischen Denkens) und Rainer Waßner (siehe dessen Publikation Die letzte Instanz. Religion und Transzendenz in Ernst Jüngers Frühwerk. Nordhausen: Verlag Traugott Bautz, 2015).
Der Friede, 1945
„Strahlungen“ kann Jünger offener sprechen: „Die Planung der Schrift fällt vielmehr zusammen mit der größten Ausdehnung der deutschen Front. Ihr Zweck war rein persönlich; sie sollte meiner Ausbildung dienen – gewissermaßen als ,Übung in der Gerechtigkeit‘.“ (Str, 13) An anderer Stelle rubriziert er seine Studie: „Diese Schrift stellt in meiner Arbeit einen Wendepunkt dar, gewissermaßen einen freien Anschluß an die der Schöpfung innewohnende Rangordnung der Moral.“ (Str, 377) Maßgebliche Freunde, darunter einige Spitzen der in Frankreich wirkenden Generalität – auch Erwin Rommel soll den Text gelesen haben, „bevor er sein Ultimatum absandte“ (Str, 13, Fr, 84 f.) –, verfolgten den Werdegang der Schrift bzw. kannten den genauen Wortlaut und befürworteten die Kernaussagen (Str, 81, 448, 453 f., 538 f.), unter ihnen der Widerständler Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg (Str, 425). Außerdem soll Jünger in der Pariser „Georgsrunde“ seinen „Entwurf eines Aufrufs an die europäische Jugend mit dem Ziele eines gerechten Friedens und die Bestrafung der am Kriege Schuldigen“ vorgetragen haben.34 Der lange vor Kriegsende fertiggestellte Aufruf wurde in einem Tresor im Hotel „Majestic“ vor gefährlichen Zugriffen gesichert. Jünger wollte eine vorzeitige Verbreitung unbedingt verhindern: Der „Aufruf “ kann nur bei einer Konstellation erscheinen, die zeitlich nicht zu berechnen ist. Sollte er früher beendet werden, so will ich ihn solange gärtnerisch durchgehen, bis die Stunde gekommen ist. Ich bin da ganz einsam, indem ich weder auf dieser noch auf der Gegenseite auf Freundschaft rechnen kann. (Str, 383)
Ganz unbegründet waren Jüngers Vorsichtsmaßnahmen sicher nicht, denn nicht grundlos wird die Gestapo 1942 im Kirchhorster Wohnhaus eine Hausdurchsuchung vorgenommen haben (Fr, 82). Eine ordentliche Drucklegung – Alfred Toepfer hatte das Manuskript von Paris nach Hamburg gebracht und dem Verleger Jüngers, Benno Ziegler, übergeben – wurde nach dem Krieg allerdings von den Alliierten durch eine Zensur vereitelt, sodass lediglich eine notdürftige, subversive Verbreitung (hand- oder maschinengeschriebene, hektographierte oder photokopierte Vervielfältigungen) vorgenommen werden konnten.35 1945 erschien Jüngers
34 Siehe Nachwort von Karl F. Baedeker und Manfred Michler (Fr, 80 f.). Die Aussage stützen sich auf Angaben von Hans Speidel. Siehe auch Hans Speidel: Briefe aus Paris und dem Kaukasus. In: Freundschaftliche Begegnungen. Festschrift für Ernst Jünger zum 60. Geburtstag. Hg. von Armin Mohler. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 1955, S. 181–195. Und Hans Speidel: Aus unserer Zeit. Erinnerungen. Berlin. Frankfurt am Main. Wien: Propyläen Verlag, 1977, S. 109–112. 35 Siehe Hans Peter des Coudres: Zur Geschichte der ersten Drucke der Friedensschrift. In: Farbige Säume. Ernst Jünger zum siebzigsten Geburtstag. Stuttgart: Ernst Klett Verlag, 1965, S, 116–123. Auskunft gibt auch Ernst Jünger in seinen „Briefen an die Freunde“. Siehe Piet Tommissen (Hg.): Ernst Jünger: Briefe an die Freunde (1946). In: Fünfzehnte Etappe, Herbst 2000, S. 137–153. Siehe auch SV5, S. 115 f.
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„Friedenschrift“ als Manuskript gedruckt im Bergisch Gladbacher Heider-Verlag; es folgte 1945/46 eine Veröffentlichung aus Marburg („illegaler Marburger Druck“); weitere Publikationen schlossen sich an: 1946 im Amsterdamer Erasmus-Verlag (mit einer Vorbemerkung von R. v. Rossum bzw. Wolfgang Frommel) in der Reihe „Die Argonauten“;36 1948 im Düsseldorf-Benrather Verlag Tischler & Schäffer, unter: „Die Aussprache. Blätter eines dem Abendland und der Wahrheit verpflichteten Kreises“ (hg. von Manfred Michler) – im gleichen Jahr folgte hier eine zweite Ausgabe –; 1949 im Züricher Verlag der Arche (zusammengestellt von Karl Friedrich Baedeker und bearbeitet von Manfred Michler); und im selben Jahr in der Wiener Amandus-Edition, Schriftenreihe „Symposion“. Jüngers Schrift vom Frieden hat natürlich Appellcharakter, das deutet schon der Untertitel „Ein Wort an die Jugend Europas. Ein Wort an die Jugend der Welt“ an – gewidmet ist sie dem gefallenen Sohn Ernstel. Der hier vorgestellten Fassung ist ein Geleitwort vorangestellt, in dem Jünger neben seinem Sohn eine zweite Person hervorhebt: „Besonders gedenke ich des Generals Heinrich von Stülpnagel, des ritterlichen Mannes, unter dessen Schutze die Schrift entstand.“ (Fr, 5) Inhaltlich systematisch aufgebaut, gliedert sich der knapp achtzig Seiten umfassende Text in zwei Hauptteile und 25 Kapitel; dem ersten Teil, „Die Saat“, ist ein Spinoza-Zitat vorangestellt; dem zweiten, „Die Frucht“, ein Wort Walter Schubarts. Das Tagebuch verrät: Vormittags beendete ich im Majestic den ersten Teil des Aufrufs, der den Titel „Das Opfer“ [später durch „Die Saat“ ersetzt] trägt. Zufällig im Spinoza blätternd, entdeckte ich ein Motto für diesen Teil, und zwar im 44. Lehrsatz der Ethik: „Der Haß, welcher durch Liebe gänzlich besiegt wird, geht in Liebe über; und die Liebe ist dann stärker, als wenn ihr der Haß nicht vorausgegangen wäre.“ (Str, 415 f.)
Und: [Constantin] Cramer [von Laue] machte mich aufmerksam auf ein Buch von Walter Schubart mit dem Titel „Europa und die Seele des Ostens“ […]. In den Auszügen fand ich auch das Motto für den zweiten Teil des Aufrufes – ich wußte wohl, daß mir in diesen Tagen ein Wort zufliegen würde, um den Inhalt zu kennzeichnen. (Str, 442)
Der Wortlaut: „Nicht im Gleichmaß der bürgerlichen Welt, sondern im apokalyptischen Donner werden Religionen wiedergeboren.“ (Fr, 28) Im Folgenden einige Kernaussagen des „Aufrufs“ analog der zugrundeliegenden Struktur:
36 Mit einer roten Bauchbinde mit der Aufschrift: „Waarom verschijnt dit boek in Nederland?“
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Erster Teil: 1. „Man darf wohl sagen, daß dieser Krieg das erste allgemeine Werk der Menschheit gewesen ist. Der Friede, der ihn beendet, muß das zweite sein.“ (Fr, 8) Das heißt für Jünger in einem „Heilswort“ ausgedrückt: „Der Krieg muß für a l l e Frucht bringen.“ (ebd.) 2. „Die wahre Frucht […] aus dem gemeinsamen Gut des Menschen“ (Fr, 9) gehe nach Jünger aus den zahlreichen Opfern hervor; nach seinem Verständnis seien sie das „gute Korn“ (Fr, 11), sie bildeten den „Grundstock zum neuen Bau der Welt“ (Fr, 9). 3. „Die Zeit liegt auf den Schwachen, den Schuldlosen mit eisernem Gewicht.“ (Fr, 12) Den Zweiten Weltkrieg charakterisiert Jünger als „Weltbürgerkrieg“ (Fr, 13) – er spricht auch vom „Bruderkriege“ (Fr, 15) –, in dem es nicht um den Schutz der Grenzen gegangen sei, sondern um einen Glaubenskampf für „Ideen und reine Lehren“ (Fr, 14). Den eigentlichen Kriegsgrund, Überfall deutscher Truppen auf Polen sowie die NS-Maxime vom „neuen Lebensraum“, spricht Jünger nicht an; allerdings greift er den barbarischen Charakter des Krieges auf, aber ohne den Urheber und dessen Motive zu erörtern: „Auf weiten Ebenen und Feldern wetteiferten die Schrecken der Elemente mit einer mörderischen Technik und einer unerschütterlichen Grausamkeit. Es gab Bereiche, in denen man sich vernichtete wie Ungeziefer“ (ebd.). Wer wen vernichtete und aus welchen Motiven, lässt er unerwähnt. Auch erinnern manche Ausführungen an sein heroisches Elaborat aus der Nachkriegszeit des Ersten Weltkrieges: Da habe es viele – insbesondere „für die echten und reinen Herzen[s]“ – gegeben, „denen der Tod auf freiem Felde, im ehrlichen Gefechte, die einzige, die schönste Lösung schien.“ (Fr, 15) 4. „Im Treibhaus der Kriege und Bürgerkriege trugen die großen Theorien des vorigen Jahrhunderts Früchte, indem sie sich zur Praxis wendeten.“ (Fr, 16). In der Sprache seiner „Marmor-Klippen“ nimmt Jünger Bezug auf jene „Praxis“ der „Schinderhütten“ und „Schädelstätten“, verbunden mit einem ethischen Verdikt: Aus dieser Landschaft des Leidens ragen dunkel die Namen der großen Residenzen des Mordes, an denen man in der letzten und äußersten Verblendung versuchte, ganze Völkerschaften, ganze Rassen, ganze Stände auszurotten, und wo die bleierne Tyrannis im Bunde mit der Technik endlose Bluthochzeiten feierte. […] hier bleiben nur Trauer und Demut, denn die Schändung war derart, daß sie das ganze menschliche Geschlecht berührte, und keiner sich der Mitschuld entziehen kann. (Fr, 21)
Und: „Das wird für ferne Zeiten der Schandfleck unseres Jahrhunderts bleiben, und keinen wird man achten können, dem Herz und Auge fehlten für das, was dort geschah.“ (Fr, 17) 5. Jünger greift auf seinen „Schmerz“-Essay (1934) zurück und verleiht dem Leiden aller Opfer einen metaphysischen Sinn. Der Mensch steige in das streng geordnete „Reich der Schmerzen“ herab:
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Hier sucht er die Brunnen des Lebens auf, und wie die Quellen in Seen und dann in Meere münden, so sammeln sich die Leiden in großen Gefäßen von reinerer Gestalt. Ganz ähnlich wie für die Gedanken ein Bewußtsein, so gibt es auch für die Schmerzen Formen, in denen sie sinnvoll werden und sich in tieferer Bedeutung vereinigen. (Fr, 23)
Weiterhin ist auch vom „Schmerz des Geistigen“ die Rede. Hier mag Jünger einzelne Gesprächspartner der „Georgsrunde“ vor Augen gehabt haben, die sich gemäß ihrem elitären Selbstverständnis nicht scheuten, die ihnen zugewiesene Pflicht zu erfüllen, sich aber angesichts der Umkehrung aller tradierten Werte – Jünger spricht vom „Verlust an altem Erbe, an überliefertem und wohlgeformtem Gute“ (Fr, 24) – gekränkt fühlten, mitansehen zu müssen, wie „das Niedere sich zur Herrschaft hob.“ (Fr, 23) Jener „Schmerz des Geistigen“ habe gesehen, „wie alte und neue Schuld sich mischten, wie Recht und Unrecht sich so unentwirrbar verteilten, daß nur die Reinigung durch Feuerflammen blieb.“ (Fr, 25) Auch sah er eher und klarer, wie der Sinn der hohen Pflichten des Menschen sich verkehrte, wie Arbeit und Wissenschaften sich zum Dienst des Todes wandelten, […] die Lehrer statt vorzuleuchten in den Kindern das Gottesbild zerstörten und Ärzte, statt zu heilen, die Schwachen verstümmelten, die Kranken töteten. (Fr, 24)
Besonders akzentuiert wird außerdem das Leiden der Mütter (Fr, 25). 6. In Anlehnung an seinen „Arbeiter“-Entwurf (1932) stellt Jünger beide Weltkriege unter das Signum des „Arbeitscharakters“; dieser habe den Völkern Prägung gegeben und ihre Unterschiede überdeckt (Fr, 26). Jüngers spekulative Konklusion: „So handelt es sich nicht mehr um die Ziele von Nationen, es handelt sich um das Ziel des Krieges selbst. Aus diesem Grunde schnitt das Leiden auch tiefer ein“ (ebd.). Die Bedeutung des Opfers, vormals durch den „Unbekannten Soldaten“ auf die jeweilige Nation beschränkt, sei heute über die Grenzen hinaus wirksam: Die Mannigfaltigkeit der Fronten verhüllte den Tätern und den Leidenden die E i n he it des großen Werkes, in dessen Bann sie wirkten – doch wird sie durch ihre Zeugung, durch ihre Verwandlung zum Opfer offenbar. So wurden sie fallend zum guten Korne, das vielfach fruchten wird. (Fr, 27)
Zweiter Teil: 1. Auf der Basis der „klaren Waffenentscheidung“ müsse dieser Krieg von allen gewonnen werden (Fr, 28): „Die Waffen müssen Raum zur Entscheidung schaffen, Raum für den geistigen Entwurf. In diesem Sinne ist es für die Menschen besser, länger zu leiden, als Teile des Ganges aufzuschieben, um zurückzukehren zur alten Welt.“ (Fr, 29)
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2. Jünger widerspricht einem „Gewaltfrieden“ (ebd.): Es läuft der Zug des großen Werdens, das Walten des Weltgeists, auf Festigung hinaus. Wir dürfen hoffen, daß der Friede […] von größerer Dauer, von höherem Segen sein wird als jener, der den ersten Weltkrieg besiegelte. […] Die neue Bildung von Imperien […] läuft auf Synthese, auf Zusammenschluß hinaus. (Fr, 31)
3. Jünger geht der rhetorischen Frage nach, was das Zeichen des gewonnenen Krieges sei: „[…] der Sieg ist daran zu erkennen, daß durch ihn das Vaterland größer und mächtiger wird.“ (Ebd.) Denn „die alten Grenzen müssen fallen durch neue Bünde, und neue, größere Reiche müssen die Völker einigen. Das ist der einzige Weg, auf dem der Bruderzwist gerecht und mit Gewinn für jeden beendet werden kann.“ (Fr, 32) Weiter: „[…] der Friede muß unverbrüchlich gesichert sein.“ (Fr, 33) Und: „[…] die Kräfte, die sich in tödlichem Widerspiel verzehrten, müssen sich zu neuer Ordnung, zu neuem Leben vereinigen.“ (Ebd.) 4. Jünger warnt: „[…] der Friede führt sie [die Völker] entweder höherer Ordnung oder wachsender Vernichtung zu.“ (Fr, 34) Und er manifestiert eine entscheidende Differenz: „Der Krieg wird gegeneinander entschieden, der Friede will miteinander gewonnen sein.“ (Fr, 35) 5. Der letzte Krieg habe erstmalig, unter dem alles beherrschenden Einfluss der Technik (des „geformten Wissens“, des „geformten Willens“), den gesamten Erdball miteinbezogen. Dieses Novum dränge die Menschengeschichte zu „planetarischer Ordnung“ (Fr, 36). Mit der Konsequenz: „Vor allem aber ist es ein Zeichen des auf Einheit zielenden Geistes, daß der Me ns ch trotz seiner Grenzen und Sonderungen neue Gestalt gewinnt.“ (Fr, 37) 6. Jünger zeigt „Symptome“ des Anachronistischen auf: Es zeige sich, „daß das technische Instrumentarium den Staaten […] unangemessen geworden ist. Der Zuwachs an Menschen und Energien drängt auf Sprengung des alten Rahmens hin.“ Außerdem: „Nicht minder ist der Verkehr auf größeren Kreislauf angelegt.“ (Fr, 38) „Das gilt vor allem für Europa, das reich an altem Erbe ist und das in vielfacher Zerklüftung die Last erlebter und erlittener Geschichte trägt.“ (Fr, 39) Jünger fordert: „Europa muß Partner werden der großen Imperien, die auf dem Planeten sich bilden und ihre endgültige Form anstreben. Es muß teilnehmen an der höheren Freiheit, die dort bereits dem Raum und der ererbten Enge gegenüber gewonnen ist.“ (Ebd.) 7. Aber die Einsicht in die Notwendigkeit sei für den Frieden nicht ausreichend, sondern die Erfahrung, die den Menschen belehre, müsse sich auswirken. (Fr, 40) In einem kleinen historischen Exkurs nennt Jünger Beispiele des Scheiterns (Fr, 40–44), mit dem Fazit bezugnehmend auf den Frieden von Versailles: „So ging es diesem Frieden wie allen Werken, in denen zu wenig Herz und allzuviel Verstand regiert: es strahlte kein Segen von ihm aus, und auch die Sieger wurden seiner nach kurzem Jubel kaum jemals froh.“ (Fr, 42)
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8. Hier artikuliert Jünger (hinter)fragwürdige Einschätzungen, wenn er behauptet, noch 1940 sei zu einer „Abwendung des Äußersten Gelegenheit“ gewesen. (Fr, 44) Damit suggeriert er eine andere Kriegsstrategie (als ginge es damals den Kriegsführenden lediglich darum, die Schmach von Versailles zu tilgen) und verschweigt die eigentliche Intention der eigentlichen Machthaber im „Dritten Reich“, die einen Weltkrieg entfacht hatten, um Weltherrschaft anzustreben. Weiter behauptet Jünger, dieser Krieg sei „seiner Gestalt nach kein Eroberungs-, sondern ein Einigungskrieg“ gewesen. (Ebd.) Allerdings kann er feststellen: „Wie damals vom Völkerbund, so sprach man jetzt vom Neuen Europa, das doch im Grunde nur die imperiale Verkleidung eines kämpfenden Nationalstaates war, nicht aber ein auf gleichen Rechten und Pflichten begründeter Bund.“ (Fr, 45) Auch wird hier augenscheinlich, dass Jünger, wohl aus naheliegenden Gründen, die Perspektive auf Frankreich verengt – an dieser Stelle kein Wort zum „Unternehmen Barbarossa“, kein Hinweis auf den Konnex „Wannseekonferenz“ und Holocaust. Lediglich: „Besonders betrüblich war es, daß das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich sich verschlechterte.“ (Ebd.) Frankreich habe ein „spärliches Maß an Widerstand“ gezeigt (ebd.); beim ehemaligen Erzfeind konstatiert er eine veränderte Haltung zum Nationalstaat; disparat dazu sei in Deutschland der „nationale Stoff noch nicht verzehrt“ (Fr, 46) gewesen. Etwas euphemistisch dann die sophistische Quintessenz: Und darin liegt der Grund verborgen, aus dem das Ringen sich erneute [sic!] und nun in seine eigentliche Fragestellung einzumünden schien. Er liegt darin, daß Deutschland den Eroberungskrieg, den es in seiner Eigenschaft als Nationalstaat führte, verlieren mußte […]. Es kommt nun darauf an, daß es zusammen mit allen anderen den Krieg in seiner Eigenschaft als Einheitskrieg gewinnt. (Ebd.)
9. Jünger befürchtet: „Wenn diese [neue Ordnung] nicht in einem neuen vereinten Leben nach höherem Gesetze zum Ausdruck kommen wird, und wenn statt dessen die Leidenschaften den Frieden trüben, dann wiederholt sich das Schauspiel, in dem wir leben, in wütenderer Form.“ (Fr, 47) Jünger glaubt: „Es ist der rote Stoff des Menschen, der sich im Weltbild widerspiegelt, so wie die innere Ordnung im äußeren Frieden sichtbar wird. Daher muß Heilung zunächst im Geist erfolgen, und nur der Friede kann Segen bringen, dem die Bezähmung der Leidenschaften vorausgegangen ist.“ (Fr, 48) Jüngers Maxime zur Behandlung der Schuldigen: „Vernunft und Kenntnis des Ganzen“ müssten regieren (ebd.), Recht und Unrecht unterscheidbar sein (Fr, 49). Und: „Der Wille, Recht zu schaffen, muß auf Ordnung, muß auf Gesundung gerichtet sein.“ (Ebd.) Außerdem: „Der Kläger kann nicht zugleich Richter sein. […] es können die Übeltaten ihre Sühne nur vor Gerichten finden, in denen nicht der Haß das Urteil lenkt.“ (Fr, 50) 10. „Die Sühne gehört zu den Voraussetzungen des neuen Bundes; der Einigung geht Reinigung voraus.“ (Fr, 51) Jünger ordnet den Zielen des Friedens „drei Fragen erster Ordnung“ zu, die der Friede zu beantworten habe. Es seien die Fragen des
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Raumes, des Rechtes und der neuen Ordnung (Fr, 52 f.). Zum Raum: Expansive Mächte – Jünger legitimiert ihre Ansprüche als „Naturrechte“ – müssten ihre Forderungen auf „höherer Ebene“ befriedigen, „nicht durch Eroberungen, sondern durch Bündnis, durch Vertrag.“ (Fr, 52) Zum Recht: „Ebenso wie der Anspruch, am Raum und an den Gütern der Erde in gerechter Weise teilzuhaben, begründet ist, so auch der Anspruch, daß die Rechte, die Freiheit und die Würde des Menschen geachtet werden […]. Es kann kein Friede dauern[,] als der, der zwischen freien Völkern geschlossen ist.“ (Fr, 53) Zur neuen Ordnung: Sie liege für Jünger in der Verwirklichung „der Lebensformen des Arbeiters“ (ebd.). Er schlussfolgert: „In dieser Hinsicht sind die Völker sich sehr ähnlich geworden und gleichen sich täglich an, insofern die totale Mobilmachung, in die sie eingetreten sind, demselben großen Rhythmus unterliegt.“ (Ebd.) Geradezu schlitzohrig verwendet Jünger – auf seine „Gestalt des Arbeiters“ rekurrierend – geschickt seinen sehr fragwürdigen Terminus von der „totalen Mobilmachung“ (vormals für eine ultimative Kriegsvorbereitung ventiliert), dieses Mal mit diametralen Vorzeichen: „Der Friede ist dann gelungen, wenn die Kräfte, die der totalen Mobilmachung gewidmet waren, zur Schöpfung freiwerden.“ (Fr, 54) 11. Der Schwerpunkt der Raumordnung liege in Europa (Fr, 55). Zur Gründung brächten die Völker ihre Besitztümer als Mitgift ein (Fr, 56). Historische Persönlichkeiten, die sich um die politische Einigung auf europäischem Boden verdient gemacht hätten, werden als Beispiele angeführt: Otto von Bismarck und Camillo Benso von Cavour, Oliver Cromwell und Kardinal Richelieu; auch werden einige Staatengebilde wegen ihrer Vorbildfunktion angeführt: die Schweiz, die Vereinigten Staaten von Amerika, die Sowjetunion und das Britische Imperium (ebd.). Denn: „Es handelt sich bei dieser Gründung Europas darum, einem Raume, den die geschichtliche Entwicklung gliederte, geopolitische Einheit zu verleihen.“ (Fr, 56 f.) 12. In einer Verfassung für ein einheitliches Europa müssten, unter der Wahrung der „Eigenart“ jedes seiner Mitglieder (Fr, 57 f.), zwei „oberste Prinzipien“ zum Ausdruck kommen: Das Prinzip der „Einheit“ und das Prinzip der „Mannigfaltigkeit“ (F, 57). „In dieser Verbindung werden sich zugleich die beiden großen Richtungen versöhnen, die die Demokratie in unserer Zeit gewonnen hat, und zwar im autoritären und im liberalen Staat.“ (Fr, 58) Denn: Die Formen des autoritären Ordnungsstaates sind dort am Platze, wo Menschen und Dinge technisch organisierbar sind. Dagegen muß Freiheit walten, wo tieferes Wachstum herrscht. So bildet die Natur die Muschel: mit harter, strahlig ausgeprägter Schale und zartem Inneren, in dem die Perlen verborgen sind. In dieser Unterscheidung liegt die Wohlfahrt der Staaten und das Glück der einzelnen. Einheitlich zu organisieren ist alles, was die Technik, die Industrie, die Wirtschaft, den Verkehr, den Handel, das Maß und die Verteidigung betrifft. (Ebd.)
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Und: „Freiheit dagegen hat zu walten im Mannigfaltigen – dort, wo die Völker und Menschen verschieden sind.“ (Fr, 59) Das heißt für Jünger auf eine Formel gebracht: „Europa kann Vaterland werden, doch bleiben viele Mutterländer, bleibt manche Heimat in seinem Raum.“ (Ebd.) 13. Der rational geschlossene „Rechtsvertrag“ müsse zugleich auch ein „he i l ige r Vertrag“ sein. „Und nur auf diese Weise ist die tiefste Quelle des Übels zu erreichen, die aus dem Nihilismus springt.“ (Fr, 60) Jünger formuliert weiter eine vermeintlich entscheidende Bedingung: „So werden wir trotz aller Gerichte und Verträge tiefer in die Vernichtung schreiten, wenn die Wandlung eine humanitäre bleibt und nicht von einer theologischen begleitet wird.“ (Fr, 62) Und er äußert sich zuversichtlich: Deutschland halte „starke Reserven“ bereit: „Sie werden sich offenbaren, wenn die Technokraten abdanken. Es wird erscheinen, was an Geist, an Adel, an Wahrheit und Güte in diesem Volk lebendig ist.“ (Fr, 63) Außerdem: „So wird auch der Anteil sichtbar werden, der Frankreich an jeder friedlichen Einigung zufallen muß.“ (Fr, 63 f.) Für eine „Wendung zur Sache“ könne der „Brite das glücklichste Temperament“ besitzen, wie es vortrefflich Washington Irving in seinem Skizzenbuch unter dem Titel „John Bull“ [wohlmeinende Cartoon-Figur eines stockkonservativen Engländers] gezeichnet hat. Daher ruht auch in vielem, was die kühle Vernunft und den gesunden Sinn betrifft, die Hoffnung bei seinem Land. Dies ist vor allem auf lange, ruhige Entwicklung angewiesen und daher kann nur ein Friede, der einigt, ihm von Vorteil sein. Auch wird sich seine traditionelle Politik insofern ändern oder transponieren, als sie nunmehr auf Einheit an Stelle der Verschiedenheit der Nationen Europas angewiesen ist, da nicht mehr das Gleichgewicht von Völkern, sondern von Kontinenten und Imperien die Ordnung der Welt erhält. (Fr, 64 f.)
Darüber hinaus spekuliert Jünger, ausgehend von einem geeinigten Kontinent Europa, über dessen gewichtiges Verhältnis zu anderen Imperien. (Fr, 65 f.) 14. Jünger appelliert: „Wenn die Bekämpfung des Nihilismus gelingen soll, so muß sie sich in der Brust des einzelnen vollziehen.“ (Fr, 66) Der Mensch bedürfe einer metaphysischen Stärkung, analog zum Wachstum der Technik (Fr, 67). „Und hier beginnt das weite, unausgebaute Feld der Neuen Theologie, als erster Wissenschaft, als Kenntnis der tiefsten Gründe und der höchsten Ordnung, nach der die Welt geschaffen ist.“ (Ebd.) Denn: „Immer ist ja der Staat auf Glauben angewiesen, wenn er nicht in kurzer Zeit verfallen oder sich in Feuer verwandeln will.“ (Fr, 68) 15. Um den anstehenden Aufgaben gerecht zu werden, bedürften die Kirchen der Erneuerung (Fr, 70) – ein Zurück zum liberalen Staat wird von Jünger ausgeschlossen (Fr, 69). Er konstatiert: „Der Mensch von heute w i l l glauben […]. Doch ist er ein rationales Wesen, das es zunächst auf rationale Weise zum Heil zu wenden gilt.“ (Fr, 70 f.) Demzufolge: „Es müssen vielmehr der Theologie als oberster der
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Wissenschaften nicht nur die besten Herzen, sondern auch die besten Köpfe, die feinsten Geister zuströmen“ (Fr, 71). 16. Jünger begrüßt zwar die „Mannigfaltigkeit von Kirchen“, Staatskirche für Europa könne aber nur die christliche sein (Fr, 72). Zentrale Bedeutung erhalte die Heilige Schrift (Fr, 73) – hier finden Jüngers jüngste Bibellektüren, von denen oft in den letzten Kriegstagebüchern die Rede ist, ihren Niederschlag. 17. Nach Vorstellung Jüngers „kann der Friedensvertrag nicht lediglich die Formen einer staats- und völkerrechtlichen Verfassung tragen, in der Rechts-, Raumund Ordnungsfragen ausgeglichen werden, sondern er muß zugleich in einer Synodalverfassung Frucht bringen.“ (Fr, 74) Jünger greift auch den Gedanken einer Ökumene auf: „Die Reformation bedarf der Kirche, so wie die Kirche der Reformation bedarf. Es müssen die Ströme, die in getrennten Betten flossen, sich wiedervereinigen.“ (Fr, 75) 18. „Es zeichnet den gerechten Frieden aus, daß er den Sinn der Zeit erfüllt. Ihn gilt es zu verwirklichen, politisch, geistig, kultisch“ (ebd.). Jünger warnt vor einer scheinbaren Beendigung des Krieges (Fr, 76), die den nihilistischen Kräften, letztlich dem Willen zur „Totalvernichtung“ (Fr, 77) Vorschub leiste. Deshalb: „Der Friede ist nur zu wünschen, wenn sich alles zu ihm vereinigt, was menschlich noch Rang und Würde hat.“ (Fr, 76) 19. Hier artikuliert Jünger seine Bedenken, schärft aber auch seinen Appell: Es bleibt die Frage, was denn der einzelne zum Frieden beitragen kann. Sie stellt sich um so dringender, als heute der einzelne den Rang, der ihm verliehen ist, leicht unterschätzt. Das Wüten der Elemente läßt ihn an seiner Kraft verzagen […]. Indem er auf den Willen verzichtet, macht er sich hilflos und damit untertan der Furcht und jenen starken Dämonen, deren Macht im Widerspiel von Haß und Schrecken begründet liegt. […] die Verantwortung des einzelnen ist ungeheuer groß, und niemand kann sie ihm abnehmen. […] Sodann vermag er heute mehr als jemals Gutes zu tun. […] Die echte Macht erkennt man an dem Schutze, den sie verleiht. […] Zum Frieden genügt nicht, daß man den Krieg nicht will. Der echte Friede setzt Mut voraus, der den des Krieges noch übertrifft; er ist ein Ausdruck geistiger Arbeit, geistiger Macht. Sie wird erworben, wenn man das rote Feuer in sich selbst zu löschen und sich zunächst im Eigenen vom Haß und seiner Spaltung zu lösen weiß. […] Der eigentliche Kampf, in dem wir stehen, spielt sich ja immer deutlicher zwischen den Mächten der Vernichtung und den Mächten des Lebens ab. (Fr, 77 ff.)
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Abschriften der „Briefe an die Freunde“, 194637 Erster Rundbrief, 15. Juli 1946 Es ist mir nicht immer möglich, auch wertvolle Briefe persönlich zu beantworten. Doch sollen diese Zeilen bestätigen, daß ich die Wünsche, die Fragen, die Anregungen empfing. Den Inhalt meines Grußes bitte ich, nur Freunden zu vermitteln – nicht etwa, weil es sich um Geheimnisse handelt, sondern weil er nur ihnen sinnvoll ist. Ein großer Teil der Fragen gilt der Friedensschrift. Den Bitten um Exemplare kann ich nicht entsprechen, da ich nur im Besitz der Handschrift bin. Die Ausgaben und Auflagen, die umlaufen, führen sich auf einige Durchschläge, die ich verschenkte, zurück. Nachdem die kleine Schrift „Der Friede“ sich ein Jahr lang von Hand zu Hand verbreitete, führt sie nun zu massiven Auseinandersetzungen, und zwar meist Angriffen, in der Öffentlichkeit. Fast jede meiner Arbeiten hatte ihr besonderes Schicksal, nahm ihren eigenen Weg. An dieser erstaunte mich weniger die Wirkung als die Art, in der sie sich durchsetzte. Der einzelne war also imstande, ohne Maschinen, ohne Drucker, ohne Presse, ohne Propaganda, ohne politische Unterstützung Ideen schneller und gründlicher zu verbreiten, als andere[,] die im vollen Genusse dieser Mittel sind. Ich fand hier praktisch bestätigt, daß die Ideen sich Organe schaffen und andererseits die größte Fülle von Organen nicht Gedanken ersetzen kann. Diese Erfahrung war mir wichtig, nicht nur persönlich, sondern in Hinsicht auf das Verhältnis von Freiheit und Technik überhaupt. Bei diesem Rückblick möchte ich all den Unbekannten danken, die sich zu Anwälten der Schrift gemacht haben. Vor 1945 kam das Verdienst der strikten Geheimhaltung hinzu. Ich sehe aus meinem Pariser Tagebüchern, daß ich zum ersten Male im Winter 1941/42 die Grundgedanken des „Friedens“ im „Raphael“ einem kleinen Kreise von Hörern entwickelte, von denen viele dann als Opfer des Krieges oder des Bürgerkrieges gefallen sind. Doch leben auch einige. Im Februar 1945 schenkte ich dem Führer einer Panzer-Abteilung [Manfred Schwarz], der bei mir im Quartier lag, einen der Durchschläge. Er ließ ihn vervielfältigen und streute die Abschriften im Lande aus. Von ihm stammen die Fassungen, die ohne Vorwort umlaufen.
37 An wen die drei Rundbriefe von Jünger adressiert waren, ist schwer zu ermitteln. Sicher gehört Karl O. Paetel dazu, Auszüge aus zwei Briefen hat er zitiert: Ernst Jünger in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Dargestellt von Karl O. Paetel. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1962, S. 101 f. (aus dem 1. Brief an die Freunde), S. 114 (aus dem 2. Brief an die Freunde). Im Marbacher Literaturarchiv lassen sich weitere Adressaten ausfindig machen: Max Bense, Hans Peter des Coudres und Samuel Dickinson Stirk. Die hier wiedergegebenen drei Briefe sind zit. n. Piet Tommissen. In: Fünfzehnte Etappe. Hg. von Günter Maschke/Heinz-Theo Homann. Bonn, 2000, S. 139–149. Kleine Schreibfehler wurden dabei beseitigt; auch einige Anmerkungen hinzugefügt.
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Dann machten sich Zahllose an die Abschrift: junge Arbeiter und Soldaten in den Gefangenenlagern, Gruppen von Studenten und Studentinnen, Welt- und Ordensgeistliche, kleine Schreibmaschinistinnen, die mit vielen in einem Raum zusammengedrängt, Stunden der Nachtruhe opferten. Es kamen englische, französische, amerikanische Soldaten und Offiziere mit Übersetzungen; es kamen mir hand- und maschinengeschriebene, hektographierte und photokopierte, ja selbst gedruckte Ausgaben zu Gesicht. Ich hörte, daß man die Schrift in marokkanischen, schottischen und kanadischen Gefangenenlagern, in Oxford, an Bischofssitzen, in einer Gruppe bretonischer Flüchtlinge und in den Verstecken politisch Verfolgter besprach. Wenn ein dänischer Kirchenminister, der Leiter einer polnischen Kriegsschule, ein englischer Marineoffizier, ein junger Franzose, der die „Falaises de Marbre“ mit seinen Freunden im Maquis gelesen hatte – wenn diese in ein und derselben Woche kamen, dann nehme ich das als Zeichen, daß etwas in der Schrift lebendig ist, das Grenzen zerstört. Und gerne nehme ich Mitkämpfer, Helfer bei diesem Werk an. Noch eine andere Einsicht verdanke ich der Friedensschrift: Sie trug mir zum ersten Mal Angriffe ein. Es ist merkwürdig [oder nur dem Zeitgeist geschuldet], daß andere meiner Arbeiten, wie etwa die „Totale Mobilmachung“, die 1930 erschien, mir uneingeschränkte und ungeteilte Zustimmung einbrachten. Ich hatte mit ihr eines der Grundprinzipien der Zeit berührt und durfte daher wohl sagen, als ich sie 1934 in meine „Blätter und Steine“ übernahm, daß die Schrift „bereits in das Allgemeinbewußtsein übergegangen ist.“ [BS, 11] Ich meinte das freilich nicht ganz so billig, wie Geister, die einzig in Parteizusammenhängen denken, es heute auslegen. So fühlte ich meine Konzeption auch dann bestätigt, als Roosevelt 1944 für Amerika in Anspruch nahm, daß ihm „die größte totale Mobilmachung der Welt gelungen sei“. Die zweite Fassung der „Totalen Mobilmachung“, eben die von 1934, hat mit dem „Frieden“ und auch mit der „Gestalt des Arbeiters“ die Beziehung auf planetarische Verhältnisse gemein. Überhaupt muß ich meine Leser bitten, meine Autorschaft als Ganzes zu nehmen, in dem zwar Epochen, nicht aber Widersprüche zu unterscheiden sind. Ich möchte nicht zu jenen Zahllosen gehören, die heute nicht mehr an das erinnert werden wollen, was sie gestern gewesen sind. Wenn ich mich dem Gedanken des Friedens zuwende, so deshalb, weil ich fühle, daß die Stunde trotz allem dafür reif geworden ist, und daß ich der Sache dienen kann. Ich rechne es mir nicht minder zur Ehre an, daß ich, als ich das Vaterland in ungerechten Ketten sah, mich dem Gedanken und Plänen der Rüstung zuwandte. Im Augenblick, in dem ich erkannte, daß sich Verbrecher zu Anwälten der guten Sache machen wollten, wandte ich mich auch gegen sie. Ich darf in Anspruch nehmen, daß ich, obwohl ich im Lande blieb, mich weiterhin den Tyrannen gezeigt habe. Das war nicht nur dem Volke und seinen Zwingherren, es war auch im Ausland bekannt. Ein Aufsatz, wie ihn Francis [Stuart] Campbell im
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Juli 1944 im „American Mercury“ über die „Marmor-Klippen“ schrieb,38 hätte zu einem Dutzend von Todesurteilen genügt. Es leuchtet ein, daß das gerade den Intelligenzen, die versagten, ein Dorn im Auge ist. Dahin gehören die Angriffe derer, die sich an mir dafür zu rächen versuchen, daß sie „Heil Hitler“ gesagt haben, oder die einfach eines Alibis bedürftig sind. Sie werden damit nur den Unterschied beleuchten, der mich von ihnen trennt. Die Steine, die in meinen Garten geworfen werden, sind Prüfsteine. Sie werden zertrümmern, was irden ist und werden zum Tönen bringen wie eine Glocke, was aus Erz gegossen ist. Die Schützen lassen im Ziel erklingen, was nicht in ihrer Absicht lag. Ich sehe gerne, daß man sich an mir mißt. Ein Wort noch zu allen, die mir ihre Hilfe anbieten: Ich bin in einer Lage, in der man Hilfe wohl brauchen kann. Doch können Freunde auch schädigen. Besondere Zurückhaltung erwarte ich von jenen, die im Besitze von Reproduktionsmitteln, von Zeitungen, Zeitschriften, Verlagen, Korrespondenzen sind. Was meine Gegner betrifft, so besteht keine Gefahr, daß man sie mit mir identifiziert. Dagegen ist mir mit wohlgemeinten, aber auf unzureichendes Material gestützten oder stilistisch mangelhaften Erörterungen nicht gedient. Auslassungen wie die von Jean Schlumberger in „Terre des Hommes“39 gleichen denen jener Philosemiten, die ihre jüdischen Freunde zu unterstützen glaubten, indem sie sie mit Schmutzkübeln abspülten. Wer heute die Deutschen in Bausch und Bogen ablehnt, von dem erwarte ich auch für mich keine Ausnahme. Und wer von mir nur Halbes zu sagen weiß, tut besser, wenn er schweigt. Auch bitte ich, von einer Anteilnahme abzusehen, etwa im Stile von „Wie tragisch, daß Sie nun zum Schweigen verurteilt sind.“ Es ist mir bekannt, daß die Autoren heute als eine Art von Krämern betrachtet werden, die sich dadurch in Frage stellen lassen, daß ihren Büchern in den Läden das Asyl entzogen wird. Es scheint auch, daß die Autoren diese Wertung annehmen. So lassen mich die Bibliothekare des Rheinlandes wissen, daß sie meine Bücher aus ihren Regalen verbannt haben, in die sie vielleicht gerade Spinoza wieder aufnahmen. Solange die jungen Deutschen diese Bücher noch mit der Hand schreiben, sind solche Maßnahmen begrüßenswert. Und sollte das nicht mehr der Fall sein, so ist es belanglos, ob die Schmöker in den Bibliotheken verstauben oder nicht. Keiner ist Autor, der nicht wie Chateaubriand auf einer einsamen Insel dasselbe denken und schreiben würde wie in Paris, oder der, wenn er die Feder niederlegt, nicht fühlte, was Goethe meinte mit den Worten: „Doch im Innern ist’s getan“ [aus „Wilhelm Tischbeins Idyllen“]. Ich bitte daher auch, nicht für mich bei jenen Gewaltigen zu antichambrieren, die heute über Papier und Druckerschwärze gebieten, um dort etwa den Nachweis
38 An Anti-Nazi Allegory. In: American Mercury. New York, Juli 1944, S. 79–81. 39 Les cas Jünger. Essai de misse au point. In: Terre des Hommes. Paris. Jg. 1. Nr. 7, 10.11.1945, S. 1.
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zu führen, daß mein Wesen der Welt der Fragebogen und Kartotheken angemessen sei. Ich habe dergleichen stets verachtet und verachte es auch heut. Es hat mir genügt, daß ich mich mit den Kämpfern und Geistern ersten Ranges verstand. „Wenn wir beide zu entscheiden hätten, so könnten heute Abend die Lichter brennen; und es würde Friede sein.“ [„Wir beide (…) würden den Frieden an diesem Nachmittag abhandeln. Am Abend könnten die Menschen die Lichter anzünden.“ (Str, 139)] Das sagte mir [am 22.7.] 1942 Pablo Picasso. Ganz Ähnliches sprach auch der noble Anarchist [Erich] Mühsam zu mir, den man dann schauerlich ermordete. Dergleichen Worte verwahre ich nicht minder als die hohen Orden aus dem Krieg. Das Wissen um den Krieg und jenes um den Frieden stehen überhaupt in tiefem Zusammenhang. Junge Holländer der Untergrundbewegung druckten meine Amazonasreise und meine neuen Arbeiten zur Etymologie.40 Ihre Belohnung besteht darin, daß sie die Exemplare ihren Freunden zum Geschenk machten. Mit den ersten Briefen, die wieder über die Grenzen kamen, teilten Bekannte und Unbekannte aus Zürich, aus Paris, New York und London mir mit, daß sie in meinem Sinne am Werke sind. Es soll dies nicht heißen, daß ich ungefährdet bin. Ich habe von Anfang an Probleme unseres Jahrhunderts angefaßt und kenne die Gefahr, die damit verbunden ist. Der Friede ist jetzt sein brennendstes; und ungeheure Interessen, aber auch Gegeninteressen verbinden sich mit ihm. Daher birgt die Beschäftigung mit ihm Gefahren, die nicht geringer als die des Krieges sind. Im Augenblick, in dem ich mitten im Kriege auf eine weiße, erste Seite das Wort „Der Friede“ schrieb, empfand ich, daß dieses mich mit einem schauerlicheren Tode bedrohte, als je ein Schlachtfeld ihn mir eröffnete. Im Ersten Weltkrieg fielen meine Freunde durch Geschosse, im Zweiten war das nur das Los des Glücklichen. Die anderen verdarben in den Kerkern, starben durch Henkers Hand. Ich glaube, daß heute durch hohe Intelligenz und großen Mut ein Friede ohne Sklaven gesichert werden kann. An diesem Ziele und auf der vielleicht ganz schmalen Plattform, auf der dafür gestritten wird, erkennen sich die noblen, furchtlosen Geister in aller Welt. Wer sich berufen fühlt, der stehe hier seinen Mann. Zweiter Rundbrief, 8. August 1946 Wie ich von vielen Seiten höre, hat der „Brief an die Freunde“ blitzartig die Runde gemacht. Das spricht für meine Ansicht, daß eine Feder in der rechten Hand der kombinierten Anstrengung der Rotationspressen und ihrer Funktionäre überlegen ist.
40 Diese Angaben konnten nicht verifiziert werden.
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Die wachsende Presse-Kampagne, insbesondere gegen die unveröffentlichte Friedensschrift, läßt es wünschenswert erscheinen, auf diesem Wege auch fernerhin die gröbsten Irrtümer zu berichtigen und jene Leser zu dokumentieren, die auf ein sachliches Urteil noch Wert legen. Man hat den Eindruck, daß die Wirkung einer einheitlich gerichteten PressePropaganda sich stark verringert hat. Das Dritte Reich hat auch hier das Kapitel an Leichtgläubigkeit erschöpft. Die Zuschriften des „Unbekannten Berliner Lesers“ zeigen mir, daß die Fähigkeit, zwischen und hinter den Zeilen zu lesen, erfreuliche Fortschritte macht. Auch hat die Popularisierung der materialistischen Geschichtsauffassung das Gute, daß sich selbst harmloseren Gemütern verhältnismäßig rasch der ökonomische Hintergrund enthüllt. Was mich betrifft, so rechne ich diese überraschende Geschäftigkeit zu den Geburtswehen der Friedensschrift, die sich durch ihre eigene Schwerkraft den Weg bahnt, an dem auch ihre Gegner mitwirken. Zu den Anwürfen, an denen es in keinem der Pamphlete fehlt, gehört auch jener, daß die Friedensschrift eine „Herausforderung Rußlands“ sei.41 Ganz abgesehen davon, daß ein Privatmann ein ungeheures Reich gar nicht herausfordern kann, verdanke ich der preußischen Schule, durch die ich gegangen bin, eine genaue Kenntnis vom Wert der Deutsch-Russischen Beziehungen. Und diese Kenntnis ist unabhängig von der politischen Konjunktur. So sprach ich mich 1934, mitten im Dritten Reich, im „Widerstand“ von [Ernst] Niekisch für unbedingte Freundschaft mit Rußland aus, in einem Aufsatz,42 der noch 1940 den Anlaß zu Hausdurchsuchungen und Beschlagnahme von Briefwechseln durch die Staatspolizei bildete. Natürlich muß eine solche Freundschaft auf Gegenseitigkeit beruhen. Ich lese ferner, daß ich „mich zu den Männern des 20. Juli zu zählen gerühmt habe“. So dumm bin ich nun wieder nicht. Ich hege zwar vor diesen Männern, die ich zum großen Teil persönlich kannte, die höchste Achtung und stand nicht an, mich zu gefährden, indem ich ihnen meine Friedensschrift als außenpolitische Mitgift zur Verfügung stellte, obwohl ich ihre Konzeptionen nicht geteilt habe. Das wird begreifen, wer meine Zeichnung des Fürsten Sunmyra [MK] kennt. Zu welchen Berührungen es im Einzelnen gekommen ist, dies auszuführen, mag Zeiten vorbehalten bleiben, in denen Argumente zur Sache wieder gültig sind. Die
41 Neben dem schärfsten Kritiker-Triumvirat, Kurt Hiller, Paul Rilla und Wolfgang Weyrauch, führte der Marxist Wolfgang Harich gegen Jünger und dessen „Friedensschrift“ das Wort. Siehe Norbert Dietka: Ernst Jünger nach 1945. Das Jünger-Bild der bundesdeutschen Kritik (1945 bis 1985). Frankfurt am Main/Bern/New York/Paris: Verlag Peter Lang, 1987, S. 70 ff. 42 Jünger meint sehr wahrscheinlich den Aufsatz „Ein neuer Bericht aus dem Land der Planwirtschaft“. (Rezension zu Franz Kramer: Das rote Imperium. München: Kösel & Pustet, 1933) In: Widerstand, September 1933. Siehe Ernst Jünger: Politische Publizistik 1919 bis 1933. Hg., kommentiert und mit einem Nachwort von Sven Olaf Berggötz. Stuttgart: Klett-Cotta, 2001, S. 652–659.
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Wahrheit hat zwar einen langsameren Schritt als die Erfindung, doch wird sie auch ohne mein Zutun ans Licht kommen. So schreibt mir soeben [Hans] Speidel, der Generalstabschef von [Erwin] Rommel: „Ich überarbeite gerade meine RommelBiographie, in der ich auch Ihren Besuch im Hauptquartier und den tiefen Eindruck Ihrer Friedensschrift auf den Marshall erwähnt habe.“43 Ich glaube also, daß ich das Urteil über meine Rolle in jenen Zusammenhängen getrost den Männern überlassen darf, die damals ihr Leben und mehr noch als das aufs Spiel setzten. Auch mögen meine Freunde mir glauben, daß ich darüber mich Besuchern vom Schlage [Didier] Raguenets bestimmt nicht mitteile.44 Was die Auswirkungen von „Auf den Marmor-Klippen“ während des Krieges insbesondere in den angelsächsischen Ländern betrifft, so verweise ich auf das Buch von Karl O. Paetel, das darüber in diesem Jahr im Verlag Friedrich Krause, New York City, erschienen ist.45 Mit sichtlich denunziatorischem Behagen bringt eines der Pamphlete der „Täglichen Rundschau“ vom 28. Juli [1946] die Nachricht, daß in Marburg von der amerikanischen Militär-Regierung eine Geheimdruckerei ausgehoben worden sei, von der aus ein Bannführer der Hitlerjugend die Schrift „Der Friede“ massenhaft verbreitet [habe].46 Die Tatsache war mir seit Monaten bekannt, und zwar durch den Besuch eines amerikanischen Professors Knoll, der mir ein Exemplar dieses Nachdruckes mitbrachte. An diesem Produkt mißbilligte ich nicht nur die Ungesetzlichkeit der Herstellung, sondern auch das Fehlen des Vorwortes [„Geleit“ (Fr, 5 f.)] und starke Verstümmelungen im Text. Insofern der „Friede“ an Hunderten mir unbekannten Stellen abgeschrieben wird, ist mathematisch sicher, daß sich auch ehemalige Parteigenossen damit beschäftigen. Da tun sie endlich etwas Vernünftiges. An gleicher Stelle finde ich den Hinweis, daß ein ähnliches, vorangegangenes Elaborat seinem Verfasser anonyme Drohbriefe einbrachte. Sollte das der Fall sein, so wären derartige Geschmacklosigkeiten durchaus nicht in meinem Sinn. Obwohl ich von niemanden erwarte, daß er sich meinetwegen exponiert, mich auch von jeher allein am stärksten fühlte, vertragen meine Angelegenheiten, daß man sie mit
43 Siehe Hans Speidel: Invasion 1944. Ein Beitrag zu Rommels und des Reiches Schicksal. Tübingen/Stuttgart: Rainer Wunderlich Verlag, 1949, S. 85. 44 Siehe Didier Raguenet: Ernst Juenger à Kirchhorst. In: Terre des Hommes. Jg. 1. Nr. 7, 10.11.1945, S. 6. 45 Vgl. Karl O. Paetel: Ernst Jünger. Die Wandlung eines deutschen Dichters und Patrioten. New York City: Verlag Friedrich Krause, 1946. 46 Vgl. Wolfgang Harich: Und noch einmal: Ernst Jünger. In: Tägliche Rundschau. Nr. 173, 28.7.1946. Siehe auch Norbert Dietka: Ernst Jünger nach 1945. Das Jünger-Bild der bundesdeutschen Kritik (1945 bis 1985). Frankfurt am Main/Bern/New York/Paris: Verlag Peter Lang, 1987, S. 75.
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Namen deckt. Vor allem sind mir Illegalitäten zuwider; sie liefern der Verleumdung nur zu erwünschten Stoff. Zusammenhängend damit möchte ich kurz auf die zahlreichen Anfragen nach dem Stand meiner persönlichen Freiheit eingehen. Die Sicherheit eines Menschen ruht in ihm selbst. Doch darf ich das Verhalten der Militärbehörden nicht nur als korrekt bezeichnen, sondern auch als zu den Haussuchungen, Polizeischikanen und Bespitzelungen der letzten Jahre wohltätig abstechend. Noch günstiger wird das Urteil, wenn man nicht nur die zahlreichen und böswilligen Denunziationen der lieben Landsleute, sondern auch die Unübersichtlichkeit der innerdeutschen Verhältnisse bedenkt. Darüber hinaus habe ich unter meinen Besuchern eine Reihe von Engländern kennen gelernt, deren Begegnung mich lehrte, daß Ritterlichkeit, Gerechtigkeit und Wohlwollen noch keineswegs aus der Welt verschwunden sind.47 Der Glaube daran ließ mich nie im Stich. Dritter Rundbrief, 1. September 1946 Wie ich höre, sollen die Auftraggeber mit dem Erfolge der gegen mich geführten Presse-Kampagne nicht recht zufrieden sein. Die „spontane“ Volksentrüstung, die man zu erzielen hoffte, ist nicht nur ausgeblieben, sondern es hat auch an deutlichen Beweisen der Mißbilligung nicht gefehlt. Wenn man die ungeheure Übermacht an Geld, Einfluß und Mitteln bedenkt, die gegen einen Einzelnen gerichtet wurde, so ist das Ergebnis jämmerlich genug. Es scheint, daß man jetzt auf die Dörfer gehen und die Provinzpresse aufwiegeln will. Inzwischen erscheinen auch meine Freunde auf dem Plan. Freilich sind sie in ihrer Meinungsäußerung beschränkt, auch fehlt es an massiven Einschüchterungsversuchen nicht. Doch sehe ich, daß ich mich auf ihre Erfindungsgabe verlassen kann. Das Dritte Reich hat doch die Reaktion der plumpen Unterdrückung gegenüber bedeutend geschärft. Den Anregungen setze ich noch im Einzelnen hinzu: Der erste Grundsatz heißt „strikte Legalität“. In diesem Rahmen freilich erwarte ich Mut. Der zweite Grundsatz ist der der Beschränkung auf geistige Mittel: gerade in dieser Hinsicht wünsche ich, daß der Unterschied zwischen meinen Freunden und meinen Gegnern deutlich wird. Der dritte Grundsatz ist der der Handarbeit. Der Wert der Vervielfältigung wächst in dem Maße, in dem auf technische Methoden verzichtet wird. Ein einziges, mit der Hand geschriebenes Exemplar von „Auf den Marmor-Klippen“ kann eine gedruckte Auflage aufwiegen. In dieser Art organischer Erzeugung und Verbreitung liegt der mächtige Fortschritt der Friedensschrift begründet, der meine Gegner bestürzt. Es handelt sich hier um eine
47 Jünger könnte auch an Stephen Spender gedacht haben. Siehe Stephen Spender: Deutschland in Ruinen. Ein Bericht. Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch Verlag, 1998, S. 239–256.
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in Permanenz erhobene Produktion. Die Abschrift eines Buches ist eine Handlung, die seinen Kauf unendlich überwiegt. Dem wird man auf die Dauer nicht gewachsen sein. Auch die Vorlesung ist auf die kleinste organische Gemeinschaft zu beschränken, auf enge Freundeskreise, auf die Familie. Die Viertelstunde, die zwei Menschen mir auf diese Weise widmen, ist wichtiger als ein Vortrag im Rundfunk, dem Hunderttausende zuhören. In Zeiten, in denen man mich besonders gefährdet weiß, stärkt mich ein tägliches, kurzes Gedenken – die Zitierung eines Spruches, die Besprechung einer Stelle, die einleuchtet. Dabei will ich betonen, daß ich hinter meinem Opus als Ganzem stehe und nicht von Teilen abrücke. Das Verhältnis von Schriften wie etwa der „Totalen Mobilmachung“ oder „Der Arbeiter“ zu anderen wie „Gärten und Straßen“ gleicht dem vom Alten und Neuen Testament [Str, 166] – erst ihre Zuordnung schafft die Dimensionen, innerhalb deren ich begriffen werden will. Vor allem keine Gegenangriffe, denn es ist wichtig, daß der gegen mich gerichtete Schlag ins Leere fällt. Die fieberhaften Anstrengungen, eine Beziehung zwischen mir und Hitler zu konstruieren, zeigen die Schwäche der Konstrukteure auf. Wie damals, so kreisen auch heute ihre Gedanken um jenen Mann. Die Autorenschaft betrachten sie als eine Art Pfründewesen, dessen Besetzung bald diese, bald jene Partei verfolgt. Ihr Sinnen und Trachten geht darauf, wie man „einander das Handwerk legt“. Das ist das Niveau von literarischen Tagelöhnern, die ihr Brotherr an der Leine der täglichen Kündigung hält. Dem entspricht auch die dumpfe, stets drohende Gehässigkeit, die diese Prosaisten auszeichnet. Sie mag die kleinen Literaturbeamten schrecken, die seit Jahren zittern, daß man ihnen das Papier entzieht. Die Art, besonders der stupide Ernst, mit dem man hintereinander her ist und sich verteidigt, übertrifft noch die Gleichschaltung des Dritten Reiches, auch stößt man auf den gleichen Personenkreis. Das fordert einen Aristophanes heraus. Neugierig bin ich, ob es den vereinten Kräften, mich zum Kirchenvater des Dritten Reiches zu machen, gelingen wird. Was nun, wenn sie mir etwa nachweisen, daß ich jeden Morgen mit Hitler frühstückte? Sie werden dann einen positiven Zug an Hitler entdeckt haben! Darauf läuft nämlich ihre Gesamtanstrengung hinaus. Sie wissen nicht, wie ungemein wichtig es für sie und ihr Bestehen ist, daß man den Mythos des deutschen Soldaten und den von Hitler trennt. Ich überlasse es meinen Lesern, diese Perspektive zu verfolgen, die sie vielleicht an seltsame Orte führt. In einem der Pamphlete lese ich, daß ich die Zeiten des Dritten Reichs behaglich überstand. Was die Gemütsruhe betrifft, so will ich dem Schreiber nicht durchaus widersprechen, und ihm gleichzeitig aus meiner zum Hausgebrauch bestimmten Maximen-Sammlung ein Sprüchlein nennen, das mir auch heute noch wertvoll ist: „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker, / Und was mich umbringt, macht mich ungeheuer stark.“ Wer das weiß, übersteht nicht nur das Dritte Reich.
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Jahre der Okkupation, 1958 Da steigen andere Signale auf. Nun verliert sich die Furcht und der Haß; das ungetrübte Bild des Menschen tritt hervor. Die Welt der Mörder, der grimmigen Rächer, der blinden Massen und Landpfleger versinkt im Dunkel; ein großes Licht wirft seinen Schein voraus. (JdO, 182) Wer das Gericht sucht, wird es nur in seinem Inneren finden, dort wird die Sanktion erteilt. (JdO, 6448 )
Hatte Jünger sich für die Herausgabe seiner Kriegstagebuchaufzeichnungen (Februar 1941 bis April 1945) geschlagene vier Jahre Zeit gelassen, so übertraf der „Inkubationszeitraum“ seiner Nachkriegsnotate (anschlusskonform vom 11.4.1945 bis Dezember 1948) „Jahre der Okkupation“ – die der ehemalige Pariser Okkupant jetzt als Okkupierter empfand, von einer Befreiung vom Faschismus mochte er wohl nicht reden49 – um mehr als das Doppelte an Zeitdeputat, denn das Tagebuch (Jünger nannte es auch „Die Hütte im Weinberg“) erschien erst 1958; zwei Drittel umfassen die „Auflösungsmonate“ im „Schicksalsjahr“ 1945; ein Drittel verteilt sich auf die entbehrungsreichen Folgejahre 1946, 1947 und 1948. Der Tagebuchreflektant kennzeichnet diesen Zeitraum metaphorisch: „Ein gutes Beispiel der Katastrophe gibt der Katarakt – auch was ihr Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit betrifft.“ (JdO, 5) Jünger rubriziert diese Jahre ganz privatim: die „Jahre der Okkupation“ seien auch Jahre der Beschäftigung, der Fruchtbarkeit gewesen (JdO, 7 f.). Es ist nicht überraschend festzustellen, dass sich dieses Buch stimmungsmäßig von den Vorgängertagebüchern unterscheidet; aber wenn sich hier auch stellenweise eine nachvollziehbare Niedergeschlagenheit bemerkbar macht, überwiegt der gewohnt sachliche Referenzton eines reflektierenden Autors, der sich durchaus realistisch der besonderen Lage bewusst war: „Die Meinung war, daß wir noch gut davongekommen sind.“ (JdO, 15) Neben den üblichen Eintragungen, gelegentlich zu neuen Projekten (betreffend die anstehenden Publikationen: „Atlantische Fahrt“;
48 Siehe hierzu Augustinus von Hippo: „Noli foras ire in te redi, in interiore homine habitat veritas.“ Zit. n. Edmund Husserl: Cartesianische Meditationen und Pariser Vorträge. Haag: Martinus Nijhoff, 1963, S. 183. 49 Jünger hätte dann auch als signifikantes Auftaktdatum für sein Tagebuch den 8.5.1945 wählen können, vielleicht sogar müssen und wäre dann nicht, wie hier geschehen, einer „ereigniskaschierenden“ Kontinuität gefolgt.
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„Sprache und Körperbau. Ein Versuch“ – beide 1947; „Heliopolis. Rückblick auf eine Stadt“, 1949; und „Rivarol“, 1956 – auch Vorarbeiten zu der Weiterführung der „Abenteuerlichen Herzen“, zu „Sgraffiti“, 1960, können hier schon wahrgenommen werden), finden sich situationsbedingte Äußerungen zu zwangsläufigen Unverträglichkeiten, denen Jünger in seinem eingeschränkten Kirchhorster Lebensraum ausgesetzt war.50 Bezüglich der Aufarbeitung der Ereignisse der letzten Jahre zeigt Jünger mit ersten, teils selbstkritischen Aussagen Verantwortung für seine eigene Zeitgenossenschaft. Seine Reminiszenzen bieten partiell sehr persönliche Einblicke in die Abläufe der militärischen Administration im besetzten Paris; auch bezüglich der Briefzensur, die dem damaligen Hauptmann oblag (JdO, 50 ff.): „Es war ein Posten, an dem mir ganz deutlich wurde, daß wir in einen Abschnitt gekommen sind, an dem wir es nicht recht machen können, weder nach oben noch nach unten, weder nach außen noch in der eigenen Brust.“ (JdO, 52) Insbesondere die Beziehung zu Heinrich und Otto von Stülpnagel (JdO, 175–182) findet Aufnahme, auch um die persönliche Haltung zum Hitler-Attentat ein wenig zu ventilieren: „Die Probe auf das Exempel gab der 20. Juli 1944; nun mußte Blut fließen, sei es das der anderen oder das eigene. Wahrscheinlich wäre die Sache auch so verloren gewesen, aber wer weiß, welche Kräfte das Blut befreit hätte?“ (JdO, 180) Daneben kann der Leser schon frühzeitig Charakterstudien zur NS-Nomenklatura dem Tagebuchelaborat entnehmen: Zuvorderst schildert Jünger auch seine Begegnungen mit dem Propagandaminister Joseph Goebbels, dem er einige Male im Haus des Verlegers Ernst Rowohlt, in der Berliner Heilbronner Straße, begegnet war (JdO, 34–39); auch die schillernde Erscheinung des SS-Chefs Heinrich Himmler wird von Jünger unter die Lupe genommen (JdO, 60, 67 ff.); nicht zuletzt aber liegt sein Hauptaugenmerk auf der Zentralfigur des NS-Regimes, auf Adolf Hitler. Hierzu einige Kostproben: „Ich hatte den Eindruck, daß dieser Mann, ähnlich wie Mussolini, seit langem nur noch als Marionette von anderen Händen, anderen Kräften bewegt wurde.“ (JdO, 29) Und: „An Hitler haben sich gerade die Klugen getäuscht. Er hatte das bleiche, unausgesprochene Gesicht der Lunarischen. Er zog Kräfte aus dem Unbestimmten, sammelte und reflektierte sie wie ein Hohlspiegel; er war ein Traumfänger.“ (JdO, 247) Oder in seinem Exkurs „Provokation und Replik“: „Das Urteil wandelte sich etwa von: ,Der Mann hat recht‘ [die Replik bezieht sich wohl auf das VersaillerDiktat, der auch Jünger zustimmen konnte] zu ,Der Mann ist lächerlich‘, und ,Der Mann wird unheimlich.‘“ (JdO, 252 f.) Und schließlich: „Er [Adolf Hitler] ist auch weniger an seiner Begabung gescheitert als an seinem Temperament, seiner unersättlichen Gier.“ (JdO, 253) Aufschlussreich sind auch Jüngers Ausführungen zu
50 Siehe hierzu auch Wilhelm Rosenkranz: Die andere Seite. Begegnungen mit Ernst Jünger in Kirchhorst. Hg. von Thomas Baumert. Hagen: Eisenhut Verlag, 2014.
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den erlittenen Hausdurchsuchungen, die jeweils mit äußerst verlustreichen Materialvernichtungen (Briefe, Manuskripte) einhergingen. Die NS-Staatsmacht hatte Jünger nicht nur wegen des inkriminierten Freundes Ernst Niekisch beargwöhnt, sondern ihn auch verdächtigt, einen konspirativen Kontakt zu Erich Mühsam zu unterhalten. Diese gezielten Repressalien gaben letztlich den Ausschlag dafür, dass Jünger Berlin verließ und nach Goslar übersiedelte (JdO, 137–142). Darüber hinaus wartet Jünger mit geschichtswissenschaftlichen und zeitgeschichtlichen Spekulationen auf, die nicht zuletzt auch seine eigenen tendenzverdächtigten Beiträge ins rechte Licht zu rücken beabsichtigen. Er greift verständlicherweise ein aktuelles Thema auf, wenn er sich eingehend mit der ultimativen, „bedingungslosen Kapitulation“ (unconditional surrender) auseinandersetzt. Sie sei „das Gegenstück zum totalen Krieg; der äußersten Anstrengung“ folge ein „gänzliches Nichthandeln.“ (JdO, 111) In diesem Kontext bleibt allerdings unerwähnt, dass Jünger selbst 1930 die „totale Mobilmachung“ („die neue Rüstung“ müsse „eine Mobilmachung des Deutschen sein, – und nichts außerdem“, KK, 30) forderte, die logisch konsequent auch, wie erlebt (Joseph Goebbels am 18.2.1943: „Wollt Ihr den totalen Krieg?“), in einen „totalen Krieg“ mündet.51 Wenn Jünger nun behauptet, er sei nicht der „Erfinder“, sondern der „Entdecker“ der „totalen Mobilmachung“ (JdO, 296), dann müsste man ihm einen Sophismus unterstellen, der eine Schuldzuweisung abzuwehren versucht, um eine potentielle Mitverantwortung zu leugnen. Zu hinterfragen sind auch Jüngers durchsichtige Relativierungsversuche, wenn er seine mit Nietzscheanischen und Spenglerischen Manifestationen gerüsteten programmatischen Texte von einst neu zu veranschlagen und sie dadurch umzumünzen versucht: Hitler hätte seine politischen Denkvorschläge „zum Ausstieg aus dem nationalstaatlichen und Parteidenken […] nutzen können“, denn sein „Arbeiter“ schildere unter anderem die zugleich nachholende und vorbereitende, jedoch nur Geburtshilfe leistende Aufgabe der beiden großen Prinzipien des Nationalismus und des Sozialismus für die endgültige Struktur der neuen Staaten, insbesondere des Weltimperiums, an dessen Bildung Kräfte und Gegenkräfte mitwirken und dem uns inzwischen der zweite Weltkrieg sichtbar genährt hat. (JdO, 255)
51 Überhaupt verliert Jünger, der auch Clausewitz bemüht, kein Wort über die Legitimität, geschweige von der Legalität, dieses Zweiten Weltkrieges. Carl Schmitt stellt in seinem Aufsatz „Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff [1937/38]“ fest: „Entscheidend ist, daß zur Totalität eines Krieges vor allem seine Gerechtigkeit gehört. Ohne sie wäre jeder Totalitätsanspruch ebenso eine leere Prätention, wie umgekehrt der gerechte Krieg großen Stils heute von selbst der totale Krieg ist.“ In: Carl Schmitt: Frieden oder Pazifismus? Arbeiten zum Völkerrecht und zur internationalen Politik 1924–1978. Hg., mit Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Günter Maschke. Berlin: Duncker & Humblot, 2005, S. 519. Und: Carl Schmitt: Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz „Nullum crimen, nulla poena sine lege“. Hg., mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Helmut Quaritsch. Berlin: Duncker & Humblot, 1994.
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Sein Buch „Auf den Marmor-Klippen“ (1939), dem er eine Parallele zum „Arbeiter“ bescheinigt, passe zwar in den „Rahmen“ der „Vorgänge in Deutschland“, sei aber „speziell nicht auf sie zugeschnitten.“ Deshalb sei es auch keine „Tendenzschrift“. (Ebd.) Widersprechen möchte man Jünger auch, wenn er indirekt auf seinen im „Arbeiter“ zugespitzten Antagonismus rekurriert und damit ins Fahrwasser der marxistischen Faschismustheorie (Krise des Monopolkapitalismus52 ) gerät: „Zur bürgerlichen Reaktion gehört der Faschismus, wenigstens in seinen Anfängen. Der Bürger sieht, daß seine Klasse in einem großen Reiche ausgerottet wird und daß im eigenen Lande Kräfte auftreten, die das billigen und anstreben. Er sieht das ihm zugedachte Schicksal voraus.“ (JdO, 136) Hingegen wird hier auch die eigentliche Machtfrage unterschlagen und ebenso das Phänomen der „Ästhetisierung der Politik“, das Walter Benjamin, funktional auf den Krieg bezogen, ins Spiel bringt.53 Dass Ernst Jünger an den verorteten Maßnahmen, wenn auch nicht immer dem eigenen Antrieb folgend, mitgewirkt hat, belegt folgendes Dokument: Ziemlich genau zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Krieges versammelte sich in Berlin ein Kreis, um alten Erinnerungen nachzuhängen. Bis tief in die Nacht saß man zusammen: Ernst Jünger, der gerade seinen siebzigsten Geburtstag hinter sich gebracht hatte, Karl Silex, einer der alten Journalisten, die aus der Epoche Stresemanns über die Zeit Hitlers in die Ära Adenauers hineinragten, dann der aus dem Exil heimgekehrte Ernst Josef Aufricht, der legendäre Chef des Schiffbauerdamm-Theaters und in mancher Hinsicht der Entdecker Brechts, sowie einige Freunde. In vorgerückter Stunde erzählte Silex von der Zeit, die er mit Jünger zusammen in einem amerikanischen Internierungslager verbracht hatte. „Wissen Sie noch“, fragte er Jünger, „wie alle entrüstet die Zumutung ablehnten, sich freiwillig einem Intelligenz-Test zu unterziehen? Wir beiden waren die einzigen, die bereitwillig darauf eingingen.“ Dann berichtete er, wie Jünger dazu bemerkt habe, nun erfahre er wenigstens einmal, wie es mit seinem Scharfsinn bestellt sei. Jünger hatte die Einzelheiten der Begebenheit vergessen und hörte eher überrascht zu, als Silex von den Reden erzählte, die sie am Ende des Tests aus dem Stegreif hatten halten müssen. Jünger war die Aufgabe gestellt worden, sich in die Lage eines deutschen Offiziers zu versetzen, der in den letzten Tagen des Krieges seiner Truppe mitzuteilen hat, daß die Wehrmacht kapituliert habe und der Krieg zu Ende sei; die Einheit gehe – zwar entwaffnet, aber unter dem Kommando ihrer Offiziere – geordnet in die Gefangenschaft. […] „Dazu brauche ich keine Minute“, habe Jünger geantwortet und unverzüglich angehoben: “Kameraden! Das Reich ist besiegt, Hitler ist tot. Das Oberkommando der Wehrmacht hat bedingungslos kapituliert. Der Krieg ist zu Ende.“ Doch dann habe er fortgefahren, daß dies kein Augenblick der Verzweiflung sein dürfe, denn mit der Niederlage sei auch die Gewaltherrschaft von der Bühne abgetreten. Andererseits sei das Ende des Krieges aber auch kein Anlaß zur Freude. Mit dem Zerbrechen des Regimes sei auch das alte Deutschland untergegangen,
52 Siehe auch Stanley Payne: Geschichte des Faschismus. Aufstieg und Fall einer europäischen Bewegung. Berlin: Propyläen Verlag, 2001. 53 Siehe Walter Benjamin: Illuminationen. Ausgewählte Schriften. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1955, S. 175.
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Der Friedensschreiber
und nie werde es wiederkehren; Erleichterung und Schmerz seien untrennbar ineinander vermischt. Dann, verallgemeinernd: „Kein Untergang ist ein Gegenstand von Freude.“ Zum Schluß, ganz knapp: „In dieser Lage gibt es nur eines – Würde und Haltung.“54
54 Wolf Jobst Siedler: Abschied von Preußen. Berlin: Siedler-Verlag, 1992, S. 17 f.
6. Schlusswort
Aber als Nachgeborene, die nicht wissen können, wie sie sich unter Bedingungen der politischen Diktatur verhalten hätten, tun wir gut daran, uns in der moralischen Bewertung von Handlungen und Unterlassungen während der Nazi-Zeit zurückzuhalten. (Jürgen Habermas1 ) Als der Staat auf der Erde eine Ausnahme, als er insulär oder im Sinne des Ursprungs einzigartig war, waren Kriegsheere unnötig, ja lagen außerhalb der Vorstellung. Dasselbe muß dort eintreten, wo der Staat im finalen Sinne einzigartig wird. Dann könnte der menschliche Organismus als das eigentlich Humane, vom Zwang der Organisation befreit, reiner hervortreten. (Ernst Jünger, 19602 )
Der Autor Ernst Jünger, ein außergewöhnlicher Stilist3 und einer der prägnantesten Formulierer, aber auch einer der umstrittensten Reflektanten der deutschen Literatur des letzten Jahrhunderts, hat sich, wie gezeigt werden konnte, vom Bellizisten zum Friedensverfechter entwickelt – sehr wahrscheinlich aus Einsicht in die Notwendigkeit und vielleicht auch zwangsläufig angesichts der bleiernen Verhältnisse in der (Fast-)Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Unschwer ist feststellbar, dass die Texte des einst affirmativen Kriegsautors der zwanziger und noch frühen dreißiger Jahre ihre von Aggressivität begleitete ideologische Ausschließlichkeit verloren haben. Ohne radikal die politische Seite gewechselt zu haben, hat sich bei ihm nachweislich eine Wandlung vollzogen; eine Wandlung, die auch einer Humanisierung im Ausdruck und Denken gleichkommt. Dabei ist seine grundsätzliche Position – seine stringente mythische Weltbetrachtung in Anlehnung an den Neuplatonismus sowie seine unverwechselbare neusachliche Ausdrucks-
1 Jürgen Habermas: Heidegger – Werk und Weltanschauung. In: Victor Farías: Heidegger und der Nationalsozialismus. Mit einem Vorwort von Jürgen Habermas. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 1989, S. 12. 2 Ernst Jünger: Der Weltstaat. Organismus und Organisation. Stuttgart: Ernst Klett Verlag, 1960, S. 75. 3 Von keinem Geringeren als Bertolt Brecht soll der Ausspruch stammen: „Laßt mir den Jünger in Ruhe. Ich bewundere und respektiere sein Deutsch!“ Überliefert durch den Bühnenbildner Teo Otto. Zit. n. Joachim Kaiser: Erlebte Literatur. Vom „Doktor Faustus“ zum „Fettfleck“. Deutsche Schriftsteller in unserer Zeit. München/Zürich: R. Piper, 1988, S. 76.
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Schlusswort
bzw. Schreibweise – nicht verlorengegangen. Stets hat dieser streitbare Autor authentisch und mit großem persönlichem Engagement seiner Kriegserlebnisse wie kaum ein Zweiter vor einer interessierten Leserschaft ausgebreitet. Das hat nicht immer Anklang gefunden. Helmuth Kiesel resümiert hierzu zutreffend: „Jünger […] spricht immer im eigenen Namen und wird für alle Taten und Gedanken, für Rühmliches und Unrühmliches, vom Rezipienten persönlich haftbar gemacht.“4 Stark involviert in die hitzigen Debatten seiner Zeit, ist es nur begreiflich, dass seine Textproduktionen aus dieser Phase vom Programmatischen beherrscht und die eher literarischen Stoffe dabei zurückgedrängt wurden. Nach seinem Abschied von der Reichswehr war Jünger stark eingebunden in die streng planmäßig verlaufenden Abläufe des publizistischen Tagesgeschäfts. Vielleicht muss man, um den Autor Jünger vollends würdigen zu können, ihm eine längere „Reifezeit“, mehr Zeit für die schriftstellerische Selbstverwirklichung, in Rechnung stellen. Ernst Jünger ist, obwohl er relativ früh zu schreiben begann, doch relativ spät „freier“, unabhängiger Schriftsteller geworden. Die ersten Versuche mit „Sturm“ (1923) und „Das abenteuerliche Herz. Aufzeichnungen bei Tag und Nacht“ (1929) können eher als Willensbekundungen, als literarische Versuche, allenfalls als Ansätze eines literarischen Schaffens angesehen werden. Die große sprachliche Begabung war in den ersten zehn Jahren seines Wirkens beinahe gänzlich in den Dienst der militär-revanchistischen bzw. nationalrevolutionären Bewegung gestellt worden. Lässt man den Entwicklungsaspekt beiseite, könnte man auch von einer verhinderten literarischen Chance sprechen, die schon viel früher von Jünger hätte genutzt werden können. Die Gründe dafür, mögen sie lebensumständlicher oder mentalitätsgeschichtlicher Natur sein, gehen aus den zahlreichen Kriegstagebüchern, den Aufsätzen und Essays hervor – Jünger hatte schließlich, wie viele andere auch, primär mental ein übergroßes Kriegstrauma zu verarbeiten. Der nationalistische Publizist hatte es offensichtlich nicht leicht, sich aus einer kollektiven Umklammerung zu lösen und seinen eigenen Weg zu gehen. In den zwanziger Jahren wird Jünger an eine radikale Abkehr vom nationalrevolutionären Umfeld, das ihn als einen gewichtigen Mitstreiter „okkupierte“, auch nicht gedacht haben, wäre sie doch mit einer Einbuße an freundschaftlichen bzw. sozialen Beziehungen verbunden gewesen. Eine Distanzierung gelingt eigentümlicherweise erst, als sich die von ihm mitbeeinflusste Ideologie (final eine Diktatur) in der Praxis auszuwirken beginnt. Als Datum könnte 1934 genannt werden, sicherlich könnte die Ermordung Ernst Röhms einen letzten Ausschlag gegeben haben. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatten die letzten noch unentschlossenen Skeptiker verstanden, welchen Kurs die
4 Helmuth Kiesel: Anmerkungen zum Charakter von Ernst Jüngers Kriegsbuch „In Stahlgewittern“. In: Galili Shahar (Hg.): Deutsche Offiziere. Militarismus und die Akteure der Gewalt. Göttingen: Wallstein Verlag, 2016, S. 94.
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neuen Herren des „Tausendjährigen Reiches“ einschlagen würden. Spätestens jetzt war auch bei Jünger eine klare Kurskorrektur erkennbar. Auch lässt sich unterstellen, dass die Nürnberger Rassengesetze vom 15. September 1935 und vor allem die Pogromnacht vom 9. November 1938 bei Jünger Wirkung hinterlassen haben. Ohne sich von früheren Texten mit ihren teils fatalen begrifflichen Implikationen zu distanzieren oder sich selbstkritisch zu eigenen Aussagen zu befragen, wendete sich der Solipsist Jünger stärker literarischen Themen zu. Das ist mehr als eine neue Gewichtung innerhalb der Textproduktion und viel mehr als eine thematische Akzentverschiebung, die sich textgenetisch nachweisen lässt: 1936 der Roman „Afrikanische Spiele“; 1938 der erste stilistisch ausgereifte Prosaband, mit dem der Autor noch heute in erster Linie in Verbindung gebracht wird: „Das abenteuerliche Herz. Figuren und Capriccios“; und 1939 die erste Erzählung auf weltliterarischem Niveau: „Auf den Marmor-Klippen“. Leider wurden aber just zu diesem Zeitpunkt, für viele Leser irritierend oder gar äußerst fragwürdig, seine essayistisch eruierten zeitgeschichtlichen Phänomene für eine „neue“ Diagnostik, in concreto nun für Jüngers wertkonservatives Verständnis in Anspruch genommen bzw. umgemünzt. Befremdlich ist es, wenn man Jüngers Begriffskonstruktionen von der „totalen Mobilmachung“ oder seine futuristische Prophetie von der „Gestalt des Arbeiters“ in späteren Schriften wieder angewendet findet, dann leider sophistisch mit anderen Vorzeichen versehen. „Der Friede“, so verkündete Jünger post festum in seinen gegenwartsrelevanten Empfehlungen für die zweite Nachkriegszeit, sei „dann gelungen, wenn die Kräfte, die der totalen Mobilmachung gewidmet waren, zur Schöpfung freiwerden. Damit wird das heroische Zeitalter des Arbeiters sich vollenden, das auch das revolutionäre war.“ (Fr, 54 f.) Hier wurde unterschlagen, dass die „totale Mobilmachung“ vorher, ergo noch 1934, für eine intendierte Kriegsvorbereitung vorgesehen war; und sein „Arbeiter“-Entwurf für dessen „Herrschaft und Gestalt“ in erster Linie keine neutrale Zeitanalyse, sondern vielmehr ein eigenwilliger kontextueller Beitrag für autoritative Konzeptideen gewesen war. Ebenso wurde das von Jünger instrumentalisierte Verhältnis zum Schmerz später im Kontext seines Friedens-Appells konträr veranschlagt (Fr, 23 f.). Während der Weimarer Republik gehörte Ernst Jünger zu den jungkonservativen Denkern, die sich in dezisiver Opposition zur ersten Demokratie in Deutschland in Stellung brachten. Wie Jünger in seinem Großessay „Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt“ darlegte, war die Moderne aus vielerlei Gründen abzulehnen, die Technik hingegen müsse absolut bejaht werden, um überhaupt einen Machtanspruch geltend machen zu können. War Jünger in seinen ersten Nachkriegsjahren mitunter auch ein provozierender Nationalist („Die beste Antwort auf den Hochverrat des Geistes gegen das Leben ist der Hochverrat des Geistes gegen den ,Geist‘; und es gehört zu den hohen und grausamen Genüssen unserer Zeit, an dieser Sprengarbeit beteiligt zu sein.“ Arb, 43) und auch ein erklärter Feind der Weimarer Republik („Ich hasse die Demokratie wie die
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Pest“, Wä, 74), so trug er nach 1945 eine demonstrative Gelassenheit zur Schau5 und signalisierte damit gleichsam eine wenig überzeugende Distanzierung zum Resultat eines fatal verlaufenden Zeitgeschehens. Der Historiker Joseph Wulf, der zu Jünger ein gutes Verhältnis pflegte, ihn vielleicht deshalb mit unangenehmen Fragen konfrontieren konnte, evozierte wider Erwarten Jüngers ablehnende Haltung bezüglich einer Auskunft über die miterlebten Jahre in der NS-Diktatur. Wulf schrieb ihm am 10.1.1965: „Ich lese Ihre eigenen Schriften wie die Poesie eines Rimbaud oder Valéry, finde darin aber nichts von der beklemmenden und abgründigen Realität der Hitler-Ära, in der sich die Philosophen und Dichter wie kleine, naive und unwissende Kinder benahmen. Auf Ihre Antwort bin ich höchst gespannt.“ (BW JW, 47) Jünger antwortet am 14.1.1965 äußerst sparsam, um nicht zu sagen betont ausweichend: „Die Beantwortung Ihrer Fragen müßte Bücher füllen; es mag Ihnen genügen, daß ich in Beurteilung der Schandtaten mit Ihnen einig bin.“ (BW JW, 48) Wulf aber ließ nicht locker, zeigte seine Enttäuschung und vor allem sein Unverständnis über Jüngers Reaktion: „Ich fragte bei Ihnen an, warum in ,Pourquoi Hitler?‘ nichts Neues sein sollte. […] Aber trotzdem kann ich weiter nicht verstehen, warum Sie heute über Hitler nichts zu sagen haben.“ (ebd.) Auch in seinem Antwortschreiben, vom 8.2.1965, gab Jünger sich wiederum wortkarg und lieferte lediglich Ausflüchte: […] ich hatte mit dem Schlußband meiner Ausgabe und neuen Arbeiten zu tun. Das ist übrigens auch einer der Gründe, aus denen ich „für Hitler keine Zeit habe“. Ich habe den Eindruck, meine Zeit fruchtbarer anzuwenden, wenn ich mich mit zukünftigen Dingen, wie etwa dem Weltstaat, beschäftige. (BW JW, 49f.)
Diese offensichtliche Verweigerungshaltung kam sicher nicht von ungefähr; die Motive hierfür mögen mannigfaltig gewesen sein, das Phänomen aber, generationsspezifisch ausgelegt, wird unschwer naheliegende Schuld-, Scham- und letztendlich auch Ohnmachtsgefühle unterstellen lassen, die nicht selten symptomatische Sprachlosigkeit bewirkten – eine Blockadehaltung, die niemanden befriedigen konnte. Wie Jünger privatim damit umgegangen war, verschweigt sein Œuvre – vielleicht wird man hierzu noch Einiges in den noch ausstehenden Briefpublikationen zutage fördern. Jünger kann heute ein wertkonservativer Autor von internationalem Rang genannt werden. An seinem Werk sind sämtliche zeitrelevanten Einflüsse und Strömungen des 20. Jahrhunderts abzulesen bzw. haben sich in ihm niedergeschlagen. Daher bietet es für eine literaturwissenschaftliche sowie zeit- und geistesgeschichtliche Betrachtung einen hervorragenden Untersuchungsgegenstand. Außerdem
5 Siehe Daniel Morat: Von der Tat zur Gelassenheit. Konservatives Denken bei Martin Heidegger, Ernst Jünger und Friedrich Georg Jünger 1920–1960. Göttingen: Wallstein Verlag, 2007.
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sind seine Texte auch Belegstücke, die zu einer Rekonstruktion, d. h. zum näheren Verständnis von Zeit- und Geistesgeschichte beitragen können. Inwieweit seine späteren Diagnosen und Visionen – hier könnte man schon mit dem noch nicht gänzlich ausgeloteten Essay „An der Zeitmauer“ (1959) beginnen6 – Gültigkeit besitzen, bleibt der weiteren Rezeption vorbehalten. Positiv zu bewerten ist, dass Jünger heute wieder stärker, auch unter neuen, und vor allem nicht ausschließlich unter ideologiekritischen Gesichtspunkten, rezipiert wird.
6 Siehe beispielsweise Günter Figal: Risse in der Zeitmauer. In: Günter Figal/Georg Knapp (Hg.): Autorenschaft. Zeit. Jünger-Studien. Bd. 4. Erschienen in der Tübinger Phänomenologischen Bibliothek Attempto, 2010, S. 98–109. Siehe auch Beträge zum Themenbereich „Prognosen“. In: Günter Figal/Georg Knapp (Hg.): Prognosen. Jünger-Studien. Bd. 1. Erschienen in der Tübinger Phänomenologischen Bibliothek Attempto, 2001.
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Siglenverzeichnis
AH1 AH2 Arb AS BS, 1934 BS, 1942 BS, Dal BS, FuB BS, LdV BS, SD BS, Siz BS, ÜS BW AK BW CS BW FH BW GN BW JW BW RS FB
Das abenteuerliche Herz. Aufzeichnungen bei Tag und Nacht. Berlin: FrundsbergVerlag, 1929. Das abenteuerliche Herz. Figuren und Capriccios. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt, 1938. Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt. Cotta’s Bibliothek der Moderne. Stuttgart: Klett-Cotta, 1982. Afrikanische Spiele. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt. Deutsche Hausbücherei Hamburg. Einmalige Ausgabe. Band 7 der 21. Jahresreihe, 1936. Blätter und Steine. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt, 1934. Blätter und Steine. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt, 1934/1942. Dalmatinischer Aufenthalt. In: Blätter und Steine. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt, 1934. Feuer und Bewegung. Kriegerische Mathematik. In: Blätter und Steine. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt, 1934. Lob der Vokale. Dem Genius der Sprache. In: Blätter und Steine. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt, 1934. Die Staubdämonen. Eine Studie zum Untergange der bürgerlichen Welt. In: Blätter und Steine. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt, 1934. Sizilischer Brief an den Mann im Mond. In: Blätter und Steine. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt, 1934. Über den Schmerz. In: Blätter und Steine. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt, 1934. Ernst Jünger/Alfred Kubin: Eine Begegnung. Frankfurt am Main. Berlin. Wien: Propyläen Verlag, 1975. Ernst Jünger/Carl Schmitt: Briefe 1939–1983. Hg., kommentiert und mit einem Nachwort von Helmuth Kiesel. Stuttgart: Klett-Cotta, 1999. Ernst Jünger/Friedrich Hielscher: Briefe 1927–1985. Hg., kommentiert und mit einem Nachwort von Ina Schmidt und Stefan Breuer. Stuttgart: Klett-Cotta, 2005. Ernst Jünger/Gerhard Nebel. Briefe 1938–1974. Hg., kommentiert und mit einem Nachwort von Ulrich Fröschle und Michael Neumann. Stuttgart: Klett-Cotta, 2003. Ernst Jünger/Joseph Wulf: Der Briefwechsel 1962–1974. Hg. von Anja Keith/Detlev Schöttker. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 2019. Ernst Jünger/Rudolf Schlichter: Briefe 1935–1955. Hg., kommentiert und mit einem Nachwort von Dirk Heißerer. Stuttgart: Klett-Cotta, 1997. Feuer und Blut. Ein kleiner Ausschnitt aus einer großen Schlacht. Magdeburg: Stahlhelm-Verlag, 1925.
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Personenverzeichnis
A Adorno, Theodor W. 83, 151 Aragon, Louis 82 Ariosto, Ludovico 54 Aristophanes 177 Aufricht, Ernst Josef 181 B Baedeker, Karl Friedrich 162 Balzac, Honoré de 31 Barbusse, Henri 22, 59 Barrès, Maurice 29, 82 Baudelaire, Charles 82 Baum, Marie 75 Bein, Sigfrid, 79 Benjamin, Walter 24, 57, 181 Benninghoff-Lühl, Sibylle 12 Berggötz, Sven Olaf 9, 44 Best, Werner 57, 66, 141 Bingel, Horst 11 Bismarck, Otto von 122, 167 Bloy, Léon 151 Boethius 150 Bohrer, Karl Heinz 14, 24, 78, 80–84, 101 Bolaño, Roberto 12 Bolz, Norbert 90 Borges, Jorge Luis 19, 25 Bormann, Martin 153 Bosch, Hieronimus 82, 116 Bosincu, Mario 100 f. Bourdieu, Pierre 76 Boveri, Margret 77 f. Braque, Georges 154 Brecht, Bertolt 99 Breker, Arno 155 Breton, André 82
Brockes, Heinrich 107 Brokoff, Jürgen 101 Breughel, Pieter d. J. 54, 82, 116 Bronnen, Arnolt 32, 47, 104 Bühler, Benjamin 95 C Campbell, Francis Stuart 171 Camus, Albert 127 Cavour, Camillo Benso von 167 Céline, Louis Ferdinand 13, 155 Cervantes, Miguel de 15, 54 Chateaubriand, François-René 172 Clausewitz, Carl von 45 Cocteau, Jean 155 Cooper, James Fenimore 15 Coudres, Peter de 9 Cramer von Laue, Constantin 162 Cranach, Lucas d. Ä. 116 Cromwell, Oliver 167 D Dante Alighieri 54 Darwin, Charles 95 Defoe, Daniel 15 Deleuze, Gilles 84 ff. Driesch, Hans 32 Drieu la Rochelle, Pierre Eugène Dürer, Albrecht 107 E Eggebrecht, Axel 56 Ehrhardt, Hermann 43 Eichendorff, Joseph von 33 Encke, Julia 102
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F Fallmerayer, Jakob Philipp 107 Fischer, Hugo 32, 56, 62, 105 Franke, Helmut 42 f. Freisler, Roland 153 Freud, Sigmund 85 Frommel, Wolfgang 162 Fussenegger, Gertud 16 G Gautier, Théophile 126 Geibel, Franz Emanuel August 143 Gide, André 25 Goebbels, Joseph 47, 152 f., 179 f. Goethe, Johann Wolfgang von 64, 107, 172 Göring, Hermann 147 Gould, Florence 155 Großheim, Michael 92 f. Gruenter, Rainer 31 Grüninger, Horst 154 f. Guattari, Félix 84 ff. Guitry, Sacha 155 Günther, Agnes 143 Günther, Gerhard 61 H Habermas, Jürgen 183 Haeckel, Ernst 26 Hamann, Johann Georg 50, 133 Hattinger, Max 157 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 64 Heidegger, Martin 76, 79, 98, 108 Heller, Peter 29 Hentschel, Rüdiger 84 f. Herder, Johann Gottfried 74 Hielscher, Friedrich 47 Himmler, Heinrich 152, 179 Hitler, Adolf 32, 47, 62, 76, 104, 141, 147, 152, 177, 179, 181, 186 Hofmannsthal, Hugo von 82
Hoffmann, E. T. A. 82 Hohoff, Curt 19, 79 Hölderlin, Friedrich 48, 107 Höll, Werner 159 Horkheimer, Max 83 Huysmans, Joris-Karl 31, 54, 82, 107 Huysum, Jan van 107 J Jauß, Hans Robert 78 Jeinsen, Gretha von 16, 32, 50, 157 Jouhandeau, Marcel 155 Jünger, Ernst (Ernstel) 32, 158 f., 162 Jünger, Ernst Georg 14, 129 Jünger, Friedrich Georg 15, 30, 44, 55 f., 73, 98, 103 ff., 107, 125, 132 f., 136, 144, 153 Jünger, Hans 55 Jünger, Johanna Hermine 32 Jünger, Karoline 14 Juvenal 31 K Kardinal Richelieu 167 Ketelsen, Uwe-K. 87 f. Kiesel, Helmuth 9, 13, 98 f., 184 Kittsteiner, Heinz-Dieter 84 Klages, Ludwig 92 f. Kleinau, Wilhelm 42 Klemm 74 Klemperer, Klemens von 77 Klengel, Susanne 12 Klett, Ernst 140 Knudsen, Jørgen 25 Kolakowski, Leszek 49 Kölling, Tim 99 f. Koslowski, Peter 88 Kranz, Gisbert 112, 135 Krause, Gerhard 142 Krüger, Felix 32 Kubin, Alfred 46, 83, 110 f.
Personenverzeichnis
L Laß, Werner 43 Lawrence, Thomas Edward 77 f. Léautaud, Paul 155 Lenz, Siegfried 63 Lethen, Helmuth 41, 84 Lindemann, Friedrich 125 Linné, Carl von 107, 146 Li-tai-pe 31 Loher, Liselotte 16 Löns, Hermann 34 Loose, Gerhard 56, 138 Luther, Martin 142 M Machiavelli, Niccolò 66 Magenau, Jörg 13 Mann, Klaus 42 Mann Thomas 82 Manthey, Jürgen 87 Marcuse, Herbert 100 Marinetti, Filippo Tommaso 40, 90 Marx, Karl 85, 90, 96 May, Karl 15 Meier, Robert 20 Meyer, Martin 88 Merkenschlager, Fritz 74 Michler, Manfred 162 Migneco, Gaetano 11 Mohler, Armin 32, 42, 45, 71, 74 f., 87 Montherlant, Henry de 155 Morat, Daniel 98 Mühleisen, Horst 25 Mühsam, Erich 173, 180 Müller, Heiner 16 Müller, Ludwig? 156 Mussolini, Benito 179 N Näf, Hans 141 Nay, Ernst Wilhelm
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Nebel, Gerhard 70, 155 Niekisch, Ernst 44, 47, 62, 103, 105, 114, 125 f., 152, 174, 180 Nietzsche, Friedrich 29, 46, 61, 79, 82, 85, 91, 101, 116, 125, 147 Noack, Paul 13 P Paetel, Karl O. 47, 175 Pascal, Blaise 11, 106 Pekar, Thomas 101 Picasso, Pablo 154, 173 Platon 112 Plessner, Helmuth 41 Plotin 112 Podewils, Clemens von 153, 155 Poe, E. A. 82 Q Quincey, Thomas De
107
R Rabelais, François 31 Radeck, Karl 62 Raguenet, Didier 175 Rathenau, Walter 93 Reemtsma, Jan Philipp 157 Ribbentrop, Joachim von 150 Rickert, Karl 129 Rimbaud, Arthur 38, 109, 186 Rivarol, Antoine Comte de 154 Rohkrämer, Thomas 93 Röhm, Ernst 104, 184 Rommel, Erwin 154, 161, 175 Roosevelt, Franklin D. 171 Rosenberg, Alfred 71 Rowohlt, Ernst 179 Rühle, Günther 86 S Sade, Marquis de 54, 82 Salomon, Ernst von 48 f., 74
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Personenverzeichnis
Sartre, Jean-Paul 127 Schauwecker, Franz 37, 42, 44 Schenkendorf, Maximilian von 33 Schirnding, Albert von 126 Schlichter, Rudolf 74 Schlumberger, Jean 155, 172 Schmid, Carlo 155 Schmidt, Arno 14 Schmitt, Carl 46, 67, 74 f., 104, 153 ff. Schoenichen, Walter 12 Schranz, Franz 126 Schubart, Walter 162 Schulenburg, Fritz-Dietlof Graf von 161 Schulmeister, Otto 86 Schwarz, Hans-Peter 10, 24, 46 Schwarz, Manfred 150, 170 Schwarzschild, Leopold 43 Schwilk, Heimo 9, 13, 98 f. Segeberg, Harro 91 f. Sieburg, Friedrich 155 Sieferle, Rolf-Peter 89 f. Silex, Karl 181 Sloterdijk, Peter 115 Sombart, Nicolaus 79 f. Sorel, Georges 29, 82, 101 Spann, Othmar 83 Speidel, Hans 153 ff., 175 Spengler, Oswald 26, 29, 38, 46, 51, 55, 61, 64, 82, 101, 116, 125, 127 Stendhal 20, 54, 107 Sternberg, Carl 26 Sterne, Laurence 54 Stifter, Adalbert 106 Spinoza 162, 172
Strasser, Otto 47 Strauss, Leo 75 Streicher, Julius 147 Stülpnagel, Heinrich von 162, 179 Stülpnagel, Otto von 149, 179 Sulla, Lucius Cornelius 156 Swedenborg, Emanuel 54 T Thomas von Aquin 144 Töpfer, Alfred 105, 161 Tralau, Johan 96 f. Trotha, Thilo von 61 Tucholsky, Kurt 42 V Valéry, Paul 186 Vondung, Klaus 86 W Wapnewski, Peter 17 Washington Irving 168 Weber, A. Paul 105 Weber, Max 91 Weinreich, Paul 140 Weiß, Wilhelm 43 Wiechert, Ernst 143 f. Wilde, Oskar 82 Winkler, Eugen Gottlob 13 Wulf, Joseph 186 Wünsch, Marianne 94 f. Z Ziegler, Benno 161 Ziegler, Leopold 62, 99 f.