Erasmus von Rotterdam: Ausgewählte Schriften IV. 3534741307, 9783534741304


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Titel
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Inhalt
Einleitung
De libero arbitrio διατpιβή sive collatio. Gespräch oder Unterredung über den freien Willen
Hyperaspistes diatribae adversus servum arbitrium Martini Lutheri. Liber primus. Erstes Buch der Unterredung ›Hyperaspistes‹ gegen den ›Unfreien Willen‹ Martin Luthers
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Erasmus von Rotterdam: Ausgewählte Schriften IV.
 3534741307, 9783534741304

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ERASMUS VON ROTTERDAM

AUSGEWÄHLTE SCHRIFTEN

A CHT BÄNDE LATEINISCH UND DEUTSCH

HERA USGEGEBEN VON WERNER WELZIG

VIERTER BA ND

ERASMUS VON ROTTERDAM

DE LIBERO ARBITRIO MATPIBH SIVE COLLATIO GESPRÄCH ODER UNTERREDUNG ÜBER DEN FREIEN WILLEN

HYPERASPISTES DIATRIBAE ADVERSUS SERVUM ARBITRIUM MARTINI LUTHER!. LIBER PRIMUS. ERSTES BUCH DER UNTERREDUNG >HYPERASPISTES< GEGEN DEN >UNFREIEN WILLEN< MARTIN LUTHERS

übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von

WINFRIED LESOWSKY

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Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Veiwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in Und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Die Herausgabe dieses Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WEG ermöglicht 4., unveränderte Auflage 2016 (unveränderter Nachdruck der Sonderausgabe 1995,

basierend auf der r. Auflage 1969) © 1969 Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-darmstadt.de ISBN 978-3-534-26 778-1 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF) 978-3-534-74130-4

INHALT Einleitung

VII

8LotTpLß1j

De libero arbitrio

sive collatio. Gespräch

oder Unterredung über den freien Willen

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1

Hyperaspistes diatribae adversus servum arbitrium Martini Lutheri. Liber primus. Erstes Buch der Unter­ redung >Hyperaspistes< gegen den >Unfreien Willen< Martin Luthers .

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197

EINLEITUNG I Das Werk >De libero arbitrio.6.IATPIBH sive collatio< erschien Anfang September 1524 bei J. Frohen in Basel1, im gleichen Monat außerdem in Antwerpen bei M. Hille­ nius und in Köln bei Hero Alopecius. Daneben verzeichnet die >Bibliotheca Erasmiana< zwei Ausgaben im Oktober 1524 (Antwerpen bei M. Hillenius und Straßburg bei J. Knobluchus), für dasselbe Jahr noch eine weitere in Köln (bei Hero Alopecius), für Jänner 1525 eine in Wien (bei J. Singrenius) sowie schließlich undatierte Ausgaben (eine in Basel bei J. Bebelius sowie zwei ohne Angabe der Druckerei, vielleicht Nürnberg bei Petreius und Krakau bei Vietor). Von der Vorgeschichte dieser Schrift, die den Streit des Erasmus mit Luther einleitet, sollen hier nur die wichtig­ sten Züge skizziert werden, da diese Frage schon oft er­ schöpfend dargestellt wurde2• Ende 1516 wurde Erasmus von Spalatin, dem Sekretär des sächsischen Kurfürsten, beiläufig mitgeteilt, daß er ihn im Auftrage eines Augustinermönches, der ein Bewunderer des Erasmus sei, aufmerksam machen solle, daß er bei seiner Erklärung des Römerbriefes den Begriff der „iustitia" nicht gut erfaßt und die Erbsünde zu wenig berücksichtigt 1 Vgl. Bibliotheca Erasmiana (Gent 1893), 20; J. Walter, De libero arbitrio 81cx-rp1ß� sive collatio, 2. Aufl., (Leipzig 1935), XIIIff. 1 Die wichtigste Quelle, auf der alle Darstellungen des Streites fußen, ist der Briefwechsel des Erasmus. Für den vorliegenden Band kommen hauptsächlich die Briefe aus den Jahren 1517 bis 1527 in Frage, also die Bände III-VI der Ausgabe P. S. Allens. Ausführliche Darstellungen bieten: A. Freitag, Einleitung zu Luthers De servo arbitrio, WA XVIII, 551ff.; K. Zickendraht, Der Streit zwischen Erasmus und Luther über die Willensfreiheit (Leipzig 1909), l ff.; K. A. Meissinger, Erasmus von Rotterdam, 2. Aufl. (Berlin 1948), 244ff.; J. Huizinga, Europäischer Humanismus: Erasmus, Rowohlts Deutsche Enzyklopädie Nr. 78 (Hamburg 1958), 124ff. u. 142ff.; P. Smith, Erasmus, 2. Aufl. (New York/London 1962), 32off.; R. Newald, Erasmus Roterodamus (Freiburg 1947), 235ff.

VIII

Einleitung

habe; die Lektüre Augustins würde ihn eines Besseren belehren3• Der Mönch war der damals weiteren Kreisen noch unbekannte Wittenberger Professor Martin Luther. Erasmus scheint die Sache bald vergessen zu haben, doch handelt es sich um die erste nachweisbare Berührung der beiden. Luthers Thesenanschlag hat keinen Niederschlag in den Briefen des Erasmus gefunden. Erst 1518 äußert sich Erasmus darüber sehr zustimmend, meint aber, es sei eher Sache der Fürsten, gegen die Herrschaft des Papstes etwas zu unternehmen, die aber hätten mit dem Papst gemeinsame Interessen4• Am 28. März 1519 wendet sich Luther brieflich direkt an Erasmus und sucht ihn für seine Sache zu gewinnen und zu einer öffentlichen Erklärung in diesem Sinne zu bewegen 5• Die hier begegnenden Lobsprüche stehen in auffälligem Gegensatz zu Äußerungen über Eras­ mus in einem Brief vom 1. März 1517 an Johann Lang6• Erasmus konnte gerade das nicht leisten, was Luther von ihm verlangte: eine öffentliche Stellungnahme zu seinen Gunsten. Zutiefst scheut er davor zurück, sich zu engagie­ ren. Er betont, er kenne Luther nicht, seine Schriften seien ihm nur oberflächlich bekannt. Er warnt vor leichtfertiger Verurteilung, man müsse eher belehren als verdammen7• Gleichzeitig redet er dem Verleger Frohen die Herausgabe von Luthers Schriften aus8• Den oben erwähnten Brief Luthers beantwortet er am 30. Mai 15199: Er unterstreicht die ungünstige Rückwirkung von Luthers Werken auf die Pflege der „bonae litterae", vor allem in Löwen, und meint, durch gewinnende Bescheidenheit werde man mehr er­ reichen als durch Ungestüm. Ganz anders äußert er sich

1

Allen II, 416ff. 'Erasmus an Johann Lang, Allen III, 409f. 1 Allen III, 517ff. 1 WA Briefe I, 90: „humana praevalent in eo plus quam divina" ... „Ego tarnen hoc iudicium vehementer celo". 7 Zum Beispiel Erasmus an Friedrich den Weisen, 14. April 1519, Allen III, 529ff. 'Allen III, 590 u. IV,XXIX. 'Allen III,6o5ff.

Einleitung

IX

in einem Brief vom selben Tag an Johann Lang: „Gerade die Besten haben Freude an Luthers Freimut10." Die Feindschaft der Universität Löwen gegen Erasmus wird um dieseZeit so arg, daß dieser sich an denPapst umSchutz wendet (August r5r9)11• Nochmals gelingt eine Versöhnung, aber bald darauf wird ein Brief des Erasmus an Kardinal Al­ brecht von Mainz12 durch Indiskretion veröffentlicht, der von den konservativen Kreisen gegen ihn verwertet wird, während etwa gleichzeitig die Löwener Universität sich zu einem Zentrum des Kampfes gegen Luther entwickelt13. Die vermittelnde Stellung, die sich Erasmus selbst zuge­ dacht hat, erweist sich als immer unhaltbarer. Am 9.Sep­ tember 1520 schreibt er an Gerard Geldenhauer: „Sie stre­ ben danach ... , das Sprachstudium und die ,bonae litterae' ganz auszurotten" und dann: „Ich mische mich in diese Tragödie nicht ein, obwohl ein Bistum für mich bereit wäre, falls ich gegen Luther schreiben wollte"14• Hier hört man erstmals von den Versuchen kirchlicher Kreise, Erasmus zum Kampf gegen Luther zu bewegen. Tatsächlich versuchen beide Seiten, Erasmus für sich zu gewinnen. Papst und Kaiser15, aber auch Hutten18 und andere werben um ihn17• Gleichzeitig wird seine Position in Löwen unhaltbar, und er übersiedelt nach Basel, um sich die geistige Unabhängigkeit zu sichern, die er für seine Arbeit braucht. Wenn Erasmus aber damit gerechnet hatte, sich in Basel aus dem immer schärfer werdenden Kampf eher her­ aushalten zu können, hatte er sich gründlich getäuscht. Sein Ansehen war zu groß, als daß eine der beiden Par­ teien auf seine Mitarbeit verzichten wollte. Der Kampf um ein Engagement des Erasmus wird auf allen Ebenen und 10

Allen III,6o9. Allen IV,52ff. 11 All en IV,99ff. 11 Huizinga, a.a.O„ l29f. 1' Allen IV,339f. u Huizinga, a.a.O„ 131. 11 All en IV,38oft'. 1 7 Huizinga, a.a.O„ l3d. 11

X

Einleitung

mit allen Mitteln wie Bitte, Drohung, Verleumdung, In­ diskretion und Publikation von Privatbriefen geführt. All­ mählich beginnt Erasmus einzusehen, daß seine Stellung zwischen den Parteien unmöglich geworden ist. So erwähnt er im April 1522 einen Entwurf zu einer Schrift gegen Luther18. Das Konzept wird aber sehr bald wieder beiseite gelegt. Im zweiten Halbjahr 1522 rafft Erasmus sich zu einem Vermittlungsversuch bei Papst Hadrian VI., mit dem er befreundet war, auf19• Der Papst geht zwar auf

dessen Absichten einer friedlichen Bekehrung ein20, sein

Tod aber verhindert die Ausführung des Planes. Nun kann sich Erasmus der Aufforderung, gegen Luther zu schreiben, nicht mehr entziehen. Huttens Angriff in der >Expostula­ tioDia­ tribe< eine Schrift des Bischofs Fisher von Rochester be­ nützt. Erasmus wendet sich in der >Diatribe< nicht nur gegen Luther, sondern auch gegen Karlstadt. Dadurch ist es ihm möglich, auf Differenzen der Reformatoren in der Frage des freien Willens hinzuweisen, gegenüber der geschlossenen Phalanx der orthodoxen Lehrer. Ob eine Kompromittierung Luthers durch Gleichstellung mit dem Orlamünder „Schwär­ mer" beabsichtigt war34, wird sich kaum beweisen lassen. Luther selbst hat die Spitzen gegen Karlstadt nicht be­ merkt35. Als äußere Form hatte Erasmus ursprünglich die Dialog­ form gewählt und zu konzipieren begonnen, war aber dann davon abgekommen36• Vielleicht ist der letzte Rest davon die Stelle, wo er die Einwände der Gegner in scharfem Hin und Her widerlegt37• In ihrer endgültigen Form stellt die >Diatribe< eine wissenschaftliche Abhandlung dar, aller­ dings nicht in der Art eines trockenen Traktats, sondern in lebendiger polemischer Zuspitzung, dadurch eine Er­ widerung herausfordernd. In diesem Sinne ist wohl der zweite Titel, >collatio

Assertio< gegebene Deutung der Schriftstellen als falsch

nach. In III c wird eine Nachlese von Schriftstellen gehal­ ten, die den freien Willen auszuschließen scheinen, doch wird diese Annahme durch Exegese widerlegt. Teil IV bietet die Zusammenfassung, in der Erasmus nach einer zwischen den extremen Theologenmeinungen vermittelnden Ansicht sucht. Dabei gesteht er den Neue­ rern zu, daß sie von berechtigter Kritik an Mißständen aus­ gehen, die Leugnung der Willensfreiheit jedoch wieder andere Nachteile mit sich bringe. Nur eine vermittelnde Stellung­ nahme, die auf den Synergismus von Gnade und Willens­ freiheit hinausläuft, könne die Schwierigkeiten beheben. Das Verhältnis von Gnade und Freiheit stellt sich Eras­ mus folgendermaßen vor: Sein Ausgangspunk� liegt in der Gotteslehre. Sosehr er vor festen Behauptungen über das sittliche Vermögen des Menschen nach dem Sündenfall warnt, muß doch jedenfalls an der Güte und Gerechtigkeit Gottes festgehalten werden. Vernünftigen Wesen gegen­ über setzt Gott seinen an sich allmächtigen Willen nicht immer ohne Schranke durch. Der Mensch widersetzt sich sehr oft dem ihm bekanntgegebenen Willen Gottes (volun-

XIV

Einleitung

tas signi). Trotzdem wirkt Gott auch in allen nach Ver· nunfturteil und freiem Entschluß gesetzten Handlungen mit, denn wie er als „causa principalis" auch in allen „causae secundariae" wirkt, so ist er auch „causa principalis" in allen freien Handlungen. Diese Mitwirkung nennt Erasmus nach dem Sprachgebrauch der Scholastik „influxus natu­ ralis". In diesem ontologischen Sinn ist jede Handlung gut, ihre sittliche Bestimmtheit dagegen ist auf den Willen zurückzuführen. Dem Einwand, daß auf Grund der All­ wissenheit und Allmacht Gottes auch die Sünde von Gott gewollt ist, hält er die Unterscheidung von Vorherwissen und Vorherbestimmen einer Handlung entgegen, gibt aber dann zu, daß der Einwand aliquo modo richtig ist, z.B. zur Bestrafung früherer Sünden eines Menschen. Der Untersuchung der sittlichen Kräfte des Menschen schickt Erasmus seine Definition des freien Willens voraus: Er sei die Fähigkeit des menschlichen Wollens, durch die sich der Mensch dem, was zum ewigen Heil führt, zuwenden oder davon abkehren könne. Durch diese Definition geht Erasmus einer Auseinandersetzung mit den scholastischen Richtungen aus dem Weg. Auf Grund des Schriftbeweises werden dann folgende Grundsätze festgestellt: 1.

Der Mensch ist eine sittliche Persönlichkeit. Der

Mensch handelt, nicht Gott im Menschen. Die Entschei­ dung für das Gute ist nicht nur möglich, sondern sogar leicht. Nur so ist Mahnung, Warnung, Gebot und Drohung Gottes sinnvoll. 2.

Die Schrift lehrt eine Vergeltung im Jenseits. Gottes

Gerechtigkeit schließt aus, daß der Mensch ohne freien Willen für gute Taten belohnt, für Sünden bestraft wird. Allein diese klaren Grundsätze werden im folgenden etwas gemildert: Verstand und Wille des Menschen sind seit der Sünde Adams geschwächt, was sich in einer „proclivitas ad malum" auswirkt. Zwar gibt es „semina honesti", die den Menschen zur Erkenntnis Gottes und zu einer natürlichen Sittlichkeit führen, doch können alle natürlichen Hand­ lungen nicht zum ewigen Heil führen, die Gnade muß hinzutreten.

Einleitung

XV

Im Schlußteil stellt Erasmus nochmals die Bedingungen zusammen, die eine Lösung der Streitfrage erfüllen muß, um für ihn annehmbar zu sein: 1.

Dem freien Willen ist einiges zuzuschreiben, das meiste

aber der Gnade. 2.

Es gibt gute Werke, aber der Mensch darf sich darauf

nichts einbilden. 3. Es gibt ein Verdienst, aber man verdankt es Gott. 4. Gott muß vom Vorwurf der Grausamkeit und Unge­

rechtigkeit frei bleiben. Vom Menschen muß die Verzweif­ lung genommen werden, damit er zum sittlichen Streben an­ gespornt werde. Nicht uninteressant ist die psychologische Theorie des Erasmus über die Genese von Luthers Ablehnung des freien Willens und der Werke38: Um die Gnade herauszu­ stellen, habe Luther die Erbsünde und die aus ihr folgende Verderbnis des Menschen übertrieben. Das habe zu einer Überbetonung der Werke und Verdienste auf der Gegen­ seite geführt, was Luther wieder veranlaßt habe, nun auch das ursprünglich behauptete Minimum an freiem Willen zu leugnen. Seine Vorliebe für Übertreibung und Paradoxa hätten ein übriges getansD. Bald nach Erscheinen wurde die >Diatribe< von Cochlaeus und Emser ins Deutsche übersetzt40• Eine weitere Über­ tragung stammt von Altdorff41• Cochlaeus verwendete auch lange Zitate aus der >Diatribe< sowie aus dem >Hy­ peraspistes< in seinen Schriften gegen Luther42. Die un­ mittelbare Wirkung der >Diatribe< auf die Zeitgenossen scheint nach Zeugnissen aus beiden Lagern nicht gering gewesen zu sein, wobei manchen die Milde in der Beurtei­ lung Luthers auffiel43. IV 13, 16, unten S. 183 und S. 189ff. IV 15, unten S. 185ff. •0Zickendraht, a. a.O., 51; vgl. Anm. 12 zum Hyperaspistes. u Eyne Vergleychung, odder zu samen haltung der Sprüche vom 38

31

Freyen Willen ... durch N. Herman von Altdorff ynss Teutsch ge­ bracht (1526). '2 A. Flitner, Erasmus im Urteil seiner Nachwelt (Tübingen 1952), 47 .a Zickendraht, a.a.O., 51f.; Allen V, 6o7.



XVI

Einleitung

Von den Anhängern Luthers urteilte Melanchthon nicht ungünstig. Er versprach Erasmus auch brieflich eine scho­ nende Antwort Luthers44• Erasmus reagierte darauf mit hef­ tigen Vorwürfen über Melanchthons Übergang ins gegne­ rische Lager. Er bat ihn auch, Luther nicht an einer trotzi­ gen Antwort zu hindern, da man sonst Einigkeit zwischen beiden vermuten könnte46• Was Luther anlangt, so war ihm die >Diatribe< nach der Lektüre von kaum zwei Bogen wider­ wärtig". Er wollte daher zunächst überhaupt nicht ant­ worten, mußte sich aber dann den Bitten seiner Partei­ gänger fügen47• Allerdings verschob auch Luther die Ab­ fassung der Gegenschrift immer wieder. Bezeugt ist die Arbeit daran ab 28. September 152548• Da Luther sich sehr beeilt hat, dürfte er zwischen dem

II.

und 18. November

1525 damit fertig geworden sein. Ende Dezember 1525 war die Schrift ausgedruckt. Sie wurde sogleich von Justus Jonas ins Deutsche übersetzt49. Soweit die Hauptgedanken der lutherischen Schrift für das Verständnis des >Hyperaspistes< von Bedeutung sind, werden sie im folgenden kurz skizziert. Luther wählt für seine Erwiderung eine augustinische Wendung50 als Titel: >De servo arbitrioDe libero arbitrio ßIATPIBH

sive collatio per Desiderium Erasmum RoterodamumHyperaspistes diatribae adver­ sus servum arbitrium Martini Lutheri< erschien 1526 in Basel bei

J.

Froben57• Weitere Ausgaben erfolgten noch

1526:

zweimal in Antwerpen bei M. Hillenius, noch einmal in 67

Vgl. Zickendraht, a.a.O„ 156ff.

XXII

Einleitung

Basel bei Frohen, einmal in Krakau bei H. Vietor, zwei­ mal in Paris bei P. Vidovaeus57•. Der zweite Teil erschien am 1. September 1527 in Basel bei J. Frohen, im gleichen Jahr erfolgte zweimal ein Nach­ druck. 1528 kam das Werk in Antwerpen heraus57h. Bis Ende 1526 war Luthers >De servo arbitrio< schon zehnmal gedruckt (in Wittenberg, Augsburg, Straßburg, Nürnberg) und fand eine entsprechende Verbreitung58• Erasmus war zunächst empört, daß er die Schrift so spät erhielt; beinahe hätte er bei der Frankfurter Buchmesse das Feld den Gegnern völlig überlassen müssen59• Im letzten Augenblick bekam er jedoch das Buch aus Leipzig zuge­ schickt. Erasmus behauptet, nur zehn Tage Zeit für die Lektüre von Luthers Schrift, die Verfassung der Replik und deren Druck und Korrektur gehabt zu haben. Ihr erster Teil war am 20. Februar 1526 fertiggestellt. Erasmus schickte ein Exemplar des >Hyperaspistes I< an den Kurfürsten Johann von Sachsen und beschwerte sich im Begleitschreiben über Luthers Buch 00• Der Kurfürst sandte diesen Brief an Luther weiter und erbat sich dessen Rat für eine Antwort, die dann entsprechend ablehnend ausfiel. Inzwischen hatte Erasmus selbst an Luther ge­ schrieben und Vorwürfe gemacht61, daß er die Zurückhal­ tung seiner >Diatribe< mit grundlosen Beschimpfungen lohne. Vor allem weist Erasmus die Zweifel an der Auf­ richtigkeit seines Christenglaubens zurück. Positiv äußerte sich Herzog Georg von Sachsen über die Schrift62• Erasmus wurde gerade um diese Zeit in neue Polemiken verwickelt, so daß sein Interesse an der Fortsetzung des >Hyperaspistes< erlahmte. Andererseits wurde er vom eng­ lischen und sächsischen Hofe gedrängt, auch Emser forBibliotheca Erasmiana , 109f. Erasmiana, 110. A XVIIl,597ff.; Zickendraht, a.a.O., 155ff. Siehe unten S. 199. Allen VI, 268 ff. Allen VI,306f. Durch Simon Pistorius; Allen VI,317f.

17"

57b Bibliotheca 68 W 69 •o 11 11

Einleitung

XXIII

derte ihn zur Fortsetzung der Schrift auf63• Luther hatte einen Abbittebrief an Heinrich VIII. geschickt64, worauf dieser replizierte und dabei Erasmus in Schutz nahm. Luther beantwortete dieses Schreiben mit der Schrift >Auff des königs zu Engelland lesterschrift titel Martin Luthers AntwortHyperaspistes< zu beenden. Ihn em­ pörte die Art, wie Luther gegen die Schwärmer vorging, ferner Grobheiten gegen den König sowie die Behauptun­ gen, Erasmus sei der eigentliche Verfasser der Schrift des Königs, und die Schrift >De servo arbitrio< sei von Erasmus unüberwunden geblieben. Die Wirkung des >Hyperaspistes II< muß bei seinem Er­ scheinen Anfang September 1527 „im ersten Augenblick eine große gewesen sein"66• Sogar Kaiser Karl V. hat Erasmus' Verdienst um die Kirche rühmend anerkannt und Gunst und Schutz versprochen67. Luther freilich hat auch diese Schrift nicht als Widerlegung gelten lassen 68 und trug sich mit dem Gedanken einer endgültigen Abrechnung mit Erasmus, zu der es aber nicht gekommen ist69•

Justus Jonas

wandte sich unter dem Eindruck der Schrift endgültig von Erasmus ab70• Melanchthon indes empfing von der Lektüre des >Hyperaspistes II< einen nachhaltigen Eindruck71, der ihn wieder mehr von Luther distanzierte; 1528 trat er dann erneut in ein freundschaftliches Verhältnis zu Erasmus72. In seinen späteren Schriften läßt sich der Einfluß des Eras­ mus nachweisen73. 83

Allen VI,445 f. W A Briefe III,562ff . WA XXIII,26ff. 11 Zickendraht, a. a. O., 175· n Allen VII,276f. 68 „Caeterum ad rem ipsam fortiter neglexit respondere", WA Briefe VII,30 (an Nikolaus v. Arnsdorf). H Zickendraht, a. a. 0., 176. 70 Vgl. Luther an J. Jonas,WA Briefe IV,268f. 71 Zickendraht, a.a.O., 176 f. 72 Allen VII,371 ff. 78 Zickendraht, a.a.O., 177; Meissinger,a.a.O., 277; vgl. Melanch­ thon an Erasmus. 12. 5. 15 36: „ . . . in plerisque controuersiis iudicandis u es

XXIV

Einleitung

Erasmus selbst hat noch einmal, im

Jahre

1533, in

seinem Werk >De amabili Ecclesiae concordiaHyperaspistes I< wurde noch 1526 von Hieronymus Emser besorgt75, der zweite Teil blieb bis heute unübersetzt. Trotz der kurzen Abfassungszeit hat >Hyperaspistes I< fast den dreifachen Umfang der >DiatribeDiatribe< nochmals bekräftigt, ist sechsmal so lang wie die >Diatribe< geworden. Auffällig ist zunächst, daß Erasmus hinter dem Buch Luthers dessen Freunde als Anstifter und Helfer vermutet. Da ist die Rede von einem Schmeichler Luthers namens „Wilheyl", der für die Heftigkeit Luthers verantwortlich sein soll. Zickendraht deutet diesen Hinweis auf Wilhelm Nesen76• Der Rechtsgelehrte, dessen Mithilfe erwähnt wird, ist sicher

Justus Jonas77 ,

dem Erasmus wegen der Über­

setzung des lutherischen Werkes zürnte. Schließlich sind als Mithelfer noch der „Patroklus" Luthers und ein „Rhe­ tor" oder „Logodaedalus" genannt. Daß einer davon, wahr­ scheinlich der „Logodaedalus", Melanchthon ist, geht aus dessen eigenen Äußerungen hervor; die Identität des ande­ ren ist unbekannt78• Nach Luthers heftigen persönlichen Angriffen auf Eras­ mus geht nun auch dieser gegen Luther persönlich vor. Vor allem werden die Gründe dargelegt, warum sich Eras­ mus nicht vom göttlichen Recht der Sache Luthers übermeam opinionem ad tuam sententiam libenter adiungo", Allen XI, 323; vgl. ferner Flitner , a.a.O., l4ff. 7' Le Clerc V, 500 B-E. 76 Schirm vnd Schutzbuchlein der Diatriba wider M. Luthers knechtlichen Willen Ins Teutzsch durch Hier. Emser (Leipzig bei M. Lotter 1526). 78 A.a.O., 159; vgl. auch Anm. 23 zum Hyperaspistes. 77 Vgl. Zickendraht, a.a.O., 159· 78 Zickendraht, a.aO., l59f. .

.



Einleitung

XXV

zeugen kann. Erasmus wirft ihm vor, er sei ein durch das Lob seiner Anhänger verblendeter Parteiführer, dulde kei­ nen Widerspruch, maße sich Irrtumslosigkeit an. Er zwei­ felt an Luthers geistiger Gesundheit, an seiner Nüchtern­ heit, ja sogar an seinem Mut gegenüber den Fürsten. Seine Bewegung habe die kirchlichen Machthaber zur Unter­ drückung jeder freien Regung getrieben, die Fortschritte der „bonae litterae" aufgehalten, Freundschaften zerstört, die sittliche Ordnung aufgelöst, das ungebildete Volk in die Diskussion über die schwierigsten theologischen Streitfra­ gen einbezogen, den Bauernaufstand hervorgerufen, den Luther jetzt vergeblich von sich abzuwälzen suche; der Sieg seiner Bewegung werde eine noch blutigere Tyrannei als die der Kirche hervorrufen. Natürlich werden auch die Streitigkeiten der Reformatoren untereinander aufgezeigt, vor allem Luthers divergierende Urteile über Karlstadt. Demgegenüber verwahrt sich Erasmus gegen Luthers Angriffe auf seine Gläubigkeit und betont besonders stark seine Kirchlichkeit. Was nun die Streitfrage anlangt, so deckt Erasmus mit logischer Schärfe Luthers Widersprüche auf. Er weist ihm Unklarheiten im Gebrauch der scholastischen Distinktio­ nen nach 79 und verwahrt sich gegen die gehässigen Schluß­ folgerungen Luthers. Der Opportunismus, der schon in der >Diatribe< eine große Rolle spielt, wird neuerlich ausführ­ lich dargelegt. Gegenüber der von Luther behaupteten Klarheit der Schrift weist Erasmus auf die Textvarianten, die Widersprüche innerhalb der Schrift und ihrer Exegeten

hin. In diesen Stellen zeigt Erasmus die ganze Meisterschaft des kritischen Gelehrten, in der er Luther zweifellos über­ legen war. 79 Über das Verhältnis des Erasmus zur Scholastik, mit der er von seinem Pariser Aufenthalt vertraut war, vgl. Newald, a. a.O., 24f., vor allem aber Chr. Dolfen, Die Stellung des Erasmus von Rotterdam zur scholastischen Methode (Osnabrück 1936), 94: „Es läßt sich somit nicht leugnen, daß Erasmus nicht wenige scholastische Autoren kannte. Die nachgewiesenen Stellen sind um so wertvoller, als sie zeigen, daß er scholastisches Rüstzeug zu gebrauchen verstand, wenn es der Gegen· stand erforderte."

XXVI

Einleitung

Die Willensfreiheit selbst wird nun speziell als kirchliches Dogma verteidigt. Sonst wird zum Thema kaum etwas Neues gesagt. Erasmus gibt übrigens eine gewisse Unklar­ heit seiner >Diatribe< zu, erklärt sie aber damit, daß er seine Definition des freien Willens möglichst weit gefaßt habe; manche Behauptungen habe er bloß als Finten zur Bloßstellung des Gegners benützt. Der zweite Teil des >Hyperaspistes< ist noch weitschweifi­ ger, ohne daß wesentliche Gesichtspunkte neu auftauchen. Zu den bereits genannten Freunden, die Luther unterstützt

haben sollen, tritt nun noch ein „Thrasybulus" (=Konrad)

hinzu, mit dem nach Auffassung Zickendrahts80 Konrad Pellikan gemeint sein dürfte. Neu verwendet sind unzählige Väterzitate, besonders aus Chrysostomus, den Erasmus damals gerade ediert hatte. Ähnlich wie im ersten Teil werden die Unklarheiten und

Widersprüche Luthers ausgebeutet, mit dem Scharfsinn des hervorragenden Philologen erfolgt die kritische Be­ handlung und Interpretation der zitierten Texte. Der Hauptvorwurf, der gegen Luther erhoben wird, ist Übertreibung und ungerechtfertigte Verallgemeinerung: „Lutherus nusquam recedit ab extremis81.'' Die natürliche Gotteserkenntnis, die sittlichen Vorschriften und die Heils­ erwartung der heidnischen Philosophen, besonders des Seneca, werden hervorgehoben; diese hätten nicht aus Ruhmsucht gehandelt, sondern Gott die Ehre gegeben. Gott bediene sich eben oft der natürlichen Kräfte zur Gestaltung des übernatürlichen. Auch im sittlichen Leben sei nicht der plötzliche Wechsel von Alt zu Neu die Regel, die Bekehrung des Paulus sei eine Ausnahme. Die Wiedergeburt sei tropologisch zu verstehen, es gebe einen sittlichen Reifungsprozeß. Ebenso sei die scharfe Trennung von Gottesreich und Satansreich zu verwerfen, dazwischen gebe es die „nutantes" und „incipientes", so wie es zwischen Gut und Böse ein „medium" gebe. Mangel an Gottesliebe 80

11

A.a.O., 167. Le Clerc X, 1462 B.

Einleitung

XXVII

sei noch kein Gotteshaß, Mangel an Nächstenliebe noch nicht Totschlag. Bei vielen sittlichen Verfehlungen spiele Unwissenheit eine Rolle und nicht böser Wille; Erbsünde sei Schwachheit und nicht Bosheit. Im Schlußteil gelangt dann das pädagogische und pasto­ rale Interesse sowie die Milde, die den späten Erasmus aus­ zeichnen, vollends zum Durchbruch: wegen der Frage der Willensfreiheit brauche man den christlichen Frieden nicht zu stören. Der Prediger werde von Fall zu Fall die eine Seite betonen müssen, gegen pelagianische Tendenzen die Abhängigkeit von der Gnade, gegen manichäische die Ver­ antwortlichkeit. Auf jeden Fall sei festzuhalten, daß Gott der Geber alles Guten, die Seligkeit der Gnade Werk, die Verdammnis der Sünde Vergeltung ist. Für die Einstellung der Kirchen zu dem Werk gilt das bereits zur >Diatribe< Gesagte. Vom >Hyperaspistes< bringt dieser Band nur den ersten Teil. Diese Wahl ist um so leichter zu vertreten, als der >Hyperaspistes II< die Gedanken der beiden früheren Schrif­ ten lediglich breiter und weitschweifiger ausführt, ohne zur Sache wesentlich Neues zu bringen. Die vollständige Lektüre des >Hyperaspistes I< hingegen läßt auch erkennen, wie Erasmus unter dem frischen Eindruck der lutherischen Schrift in aller Eile seine Erwiderung konzipiert hat und sich dies bis in den Stil der Schrift auswirkt82• Neuere Übersetzungen ins Deutsche fehlen bis heute, die hier vorliegende ist die erste seit 1526. Der lateinische Text fußt auf dem der Leidener Ausgabe, X, l249ff.

III Die Beurteilung der theologischen Auseinandersetzung des Erasmus war für Jahrhunderte durch die Autorität Luthers negativ gefärbt. Erst seit etwa 1900 beginnt sich 81 In neuester Zeit wurde von O.J. Mehl der erste Teil der Schrift als „höchst spannend" bezeichnet und ihm viele persönliche Aufschlüsse über Erasmus zugeschrieben (O.J. Mehl, Erasmus' Streitschrift gegen

XXVIII

Einleitung

ein Wandel anzubahnen. Emotional bedingte Urteile wei­ chen einer nüchternen kritischen Betrachtung, die, wie es scheint, dem Humanisten größere Gerechtigkeit widerfah­ ren läßt83. K. A. Meissinger84 hebt das Verdienst P. Kal­ koffs85 und J. Huizingas um ein gerechteres Erasmusbild hervor; sein eigenes Buch ist den genannten Werken an die Seite zu stellen. Wer die Streitschriften aufmerksam studiert, wird er­ kennen, wie trotz aller charakterlichen Mängel, die keines­ wegs geleugnet werden sollen, die Position des Erasmus sich aus seinem ganzen Wesen und Wirken ergibt. Zunächst muß festgehalten werden, daß sein Interesse am Problem des freien Willens gering war. Die Stellungnahme gegen Luther wird ihm von außen aufgedrängt, was nicht heißt, daß er nicht mit allem Fleiß und Scharfsinn seine Thesen vertreten hätte. Aber eine Herzensangelegenheit - wie für Luther - war ihm die Sache nicht. Ferner wird man sagen können, daß Erasmus bei all seiner Kritik an der Scholastik deren Grundvoraussetzung der Möglichkeit einer rationalen Durchdringung der Offenbarung bejaht86, womit ein grund­ sätzlicher Optimismus in bezug auf die Möglichkeiten der menschlichen Natur bereits gegeben ist. Dem widerspricht nicht, daß er im einzelnen gegen die Scholastik polemisiert, kannte er doch wohl nur die oft spitzfindigen, langweiligen und z. T. wirklicher Frömmigkeit entbehrenden Erörte­ rungen der spätscholastischen Abschreiber und Epigonen näher und nicht die Originalwerke der großen Meister. Ohne Zweifel war Erasmus für eine Reform der Kirche87, Luther: Hyperaspistes, in: Zeitschr. f. Religions- u. Geistesgeschichte, Bd. XII, 196o, 144). 81 Vgl. Mehl, a.a.O., 145: „Wir sind über 400 Jahre von jener Zeit entfernt und können deshalb objektiver und gerechter über diese Dinge urteilen." "'A.a.O., 348ff. 85 Besonders P. Kalkoff, Erasmus, Luther und Friedrich der Weise, Schriften des Vereins f. Reformationsgeschichte XXXVII, 1 (Leipzig 1919). M Vgl. Walter, a.a.O., XXXf. 87 Vor allem war er wie Luther von der Notwendigkeit einer Reform

Einleitung

XXIX

aber die beginnende Reformation nahm für ihn sehr bald den Charakter des Umsturzes an. Erasmus stellte sich die Reform als Rückkehr zur Einfachheit der alten Kirche vor. In diesem Programm hatte die Pflege der „bonae litterae" einen hervorragenden Platz. Dazu gehörte vor allem eine kritische Befassung mit den Texten der Heiligen Schrift und der Kirchenväter. Damit hat Erasmus - das haben seine Gegner aus dem katholischen Lager schon richtig ge­ sehen - die Reformation vorbereiten geholfen. Als sie dann kam, hat er sie in mancher Hinsicht begrüßt, mußte aber allmählich feststellen, daß sie seinen Vorstellungen durchaus nicht entsprach. Er hat dazu eine Zeitlang ge­ braucht, woraus seine widersprechenden Stellungnahmen zur lutherischen Bewegung erklärlich sind. Seine schließ­ lich klare Ablehnung läßt sich nicht mit dem Gegensatz der Generationen erklären88• Die beiden Männer konnten einander nicht verstehen, weil sie von völlig verschiedenen Positionen ausgingens9• Die Frage der Willensfreiheit ist für Erasmus ein Teilproblem der Gotteslehre (wie ist Gottes Güte und Gerechtigkeit vereinbar ?90), Luther geht von seiner persönlichen Erfahrung der Unfähigkeit zum Guten aus, sein Determinismus ist ein anthropologischer Ansatz. Diese Erfahrung sowie sein mystisches Rechtfertigungs­ erlebnis werden von ihm verallgemeinert und mit Hilfe der Exegese der Schrift, besonders der Paulusbriefe, unter­ mauert. Daß bei der dogmatischen Formulierung seiner Lehre das Paradox eine bedeutende Rolle spielt, konnte er um so leichter in Kauf nehmen, als die Vernunft ja ohne­

hin zur völlig verderbten Natur des Menschen gehört und deshalb in der Theologie keine Rolle spielen kann. Erasmus kann Luther hier nicht folgen und wirft ihm daher Gewalt­ samkeit, Übertreibung und Vorliebe für Paradoxien vor. der Frömmigkeit überzeugt, vgl. J. Boisset, Erasme et Luther. Libre ou serf-arbitre? (Paris 1962), 9. 88 Vgl. aber W.K. Ferguson, Erasmi Opuscula (The Hague 1933), 305. 81 „ Verschiedene religiöse Grundüberzeugungen ..• Der Graben war zu tief" (We.rne.r, a. a.O., 63). 90 Vgl. Walter, a.a.O., XXXIlf.; Meissinger, a. a.O., 323.

XXX

Einleitung

Erasmus konnte aber auch die praktischen Folgerungen sehen, die manche aus Luthers Lehre zogen: Lähmung des sittlichen Strebens91, Intoleranz, die Schwärmer- und die Bauernbewegung, Unfriede, Zwist und Krieg. Er war zu­ tiefst überzeugt, daß Gott den Frieden wolle, die Zwietracht aber das Werk Satans sei. Daher hatte er bei seiner Aus­ einandersetzung mit Luther

immer wieder die Absicht

auszugleichen, zu versöhnen, eine mittlere Linie zu finden. So möchte er sogar Luthers Determinismus als eine päd­ agogisch-pastorale Theorie gelten lassen92, um den Hochmut des Menschen zu brechen, als dogmatische Aussage aber mußte er sie ablehnen. Die Polemik war eigentlich ohne Ergebnis, weil die Voraussetzungen zu disparat waren. Die Gegner trennten sich, ohne daß einer den anderen über­ zeugt hätte93• Gerade durch sein Eintreten für den Ausgleich, für Frie­ den und Versöhnung blieb jedoch Erasmus auch für das katholische Lager verdächtig. Er, der von allen umworben worden war, hat schließlich alle enttäuscht. Es gehört zur tiefen Tragik dieses Mannes, daß in seinen letzten Lebens­ jahren die Anfeindungen aus beiden Lagern nicht ver­ stummen wollten und seine Einsamkeit, die er durch rast­ lose Publikationstätigkeit auszufüllen trachtete, immer grö­ ßer wurde.

11 Die praktische Frömmigkeit war ein Hauptpunkt der „devotio modema", in deren Geist er im Kloster Steyn und im College Montaigu in Paris lebte, vgl. Dolfen, a.a.O., 41. 12 V gl. Walter, a.a.O., XXXIII. ta V gl. Zickendraht, a.a.O., 178; ähnlich Werner, a.a.O., 63,64.

DE LIBERO ARBITRIO AIATPIBH SIVE COLLATIO PER DESIDERIUM ERASMUM ROTERODAMUM

GESPRÄCH ODER UNTERREDUNG ÜBER DEN FREIEN WILLEN VON DESIDERIUS ERASMUS AUS ROTTERDAM

In nornine Iesu. DE LIBERO ARBITRIO AIATPIBH SIVE COLLATIO PER DESIDERIUM ERASMUM ROTERODAMUM. Ia

I.

Inter difficultates, quae non paucae occurrunt in

divinis literis, vix ullus labyrinthus inexplicabilior quarn de libero arbitrio. Narn haec rnateria iarn olirn philosophorurn, deinde theologorurn etiarn, turn veterurn, turn recentiurn ingenia rnirurn in rnodurn exercuit, sed rnaiore, sicut opinor, negotio quarn fructu. Nuper autern renovata est per Carol­ stadiurn et Ecciurn, sed rnoderatiore conflictatione; mox autem vehementius exagitata per Martinurn Lutherum, cuius exstat de libero arbitrio assertio. Cui tametsi iam non ab uno responsurn est, tarnen, quando ita visum est amicis,

Im Namen Jesu GESPRÄCH1 ODER UNTERREDUNG2 ÜBER DEN FREIEN WILLEN VON DESIDERIUS ERASMUS AUS ROTTERDAM Ia

1.

Unter den Schwierigkeiten, die in großer Zahl in

der Heiligen Schrift auftauchen, ist kaum ein anderer Irr­ garten schwerer zu durchdringen als der über den freien Willen. Diese Frage hat schon im Altertum die Geister der Philosophen 3, hierauf auch der Theologen 4, sowohl der al):en als auch der neuen, in erstaunlichem Maß beschäftigt, je­ doch mit mehr Aufwand, wie ich glaube, als Ergebnis. Jüngst aber wurde die Frage wieder aufgeworfen durch Karlstadt und Eck5, aber in einer ziemlich maßvollen Aus­ einandersetzung. Bald aber wurde sie heftiger gestellt durch Martin Luther, von dem eine >Behauptung über den freien WillenAssertio omnium articulorum M. Lutheri per bullam Leonis X. novissimam damnato­ rum< rv'Yittenberg 1520, WA VIl,91 ff.). Darin werden die 41 verurteil­ ten Sätze neuerlich begründet. Da es sich um 41 Artikel handelt, spricht Erasmus gelegentlich von „assertiones", so II b 8, S. 89 . Vom freien Willen handelt der 36. Artikel, gestreift wird die Frage auch im 31. und 32. Artikel. 7 Erasmus denkt wohl an die >Assertionis Lutheranae confutati0< des John Fisher, Bischofs von Rochester (Antwerpen bei M. Hillenius, 1523), die er in der Diatribe benützt hat (vgl. Ein!. S. XII). 1

De libero arbitrio

4

experiar et ipse, num ex nostra quoque conflictatiuncula veritas reddi possit dilucidior. Ia

2.

Hie scio quosdam protinus obturatis auribus recla­

maturos: "Avw

7tO"t"1Xµ&v !

Erasmus audet cum Luthero

congredi, hoc est cum elephanto musca? Ad quos placandos, si tantillum silentii licebit impetrare, nihil aliud praefabor in praesentia quam id, quod res est, me numquam iurasse in verba Lutheri. Proinde nemini videri debebat indignum, sicubi palam dissentirem ab illo, nimirum, ut nihil aliud, homo ab homine; tantum abest, ut nefas sit de illius aliquo dogmate ambigere, multo minus, si quis veritatis eliciendae studio moderata disputatione cum illo congrediatur. Certe Lutherum ipsum non arbitror indigne laturum, sicubi quis ab ipso dissentiat, cum ipse sibi permittat non solum ab omnium ecclesiae doctorum, verum etiam ab omnium gymnasiorum, conciliorum, pontificum decretis appellare; quod cum ipse palam et ingenue profiteatur, mihi non .. 6,2; Adagia l,III,15. 10 Im Jahre 1519 gegenüber Eck und am Reichstag zu Worms (1521) äußerte Luther Zweitei an der Autorität des Konzils. 8

1

6

De libero arbitrio

Res sine conviciis agetur, sive quia sie magis decet Christia­ nos, sive quia sie certius invenitur veritas, quae saepenu­ mero nimium altercando amittitur. Ia 4. Equidem non ignorabam, quam non essem ad hanc appositus palaestram: certe vix alius quisquam minus exer­ citatus, ut qui semper arcano quodam naturae sensu abhorruerim a pugnis, eoque semper habui prius in liberio­ ribus Musarum campis ludere, quam ferro comminus congredi. Et adeo non delector assertionibus, ut facile in Scepticorum sententiam pedibus discessurus sim, ubicum­ que per divinarum scripturarum inviolabilem auctoritatem et ecclesiae decreta liceat, quibus meum sensum ubique libens submitto, sive assequor, quod praescribit, sive non assequor. Atq\Je hoc ingenium mihi malo, quam quo video quosdam esse praeditos, ut impotenter addicti sententiae nihil ferant, quod ab ea discrepet, sed quicquid legunt in scripturis, detorquent ad assertionem opinionis, cui se semel manciparunt, sicuti iuvenes, qui puellam amant immoderatius, quocumque se vertunt, imaginantur se videre, quod amant; immo, ut, quod est similius, conferam, quemadmodum inter eos, inter quos incruduit pugna, quicquid forte ad manum est, sive cantharus sit, sive discus, in telum vertitur. Apud sie affectos, quod obsecro potest esse sincerum iudicium? Aut quis ex huiusmodi dispu­ tationibus fructus, nisi ut uterque ab altero consputus discedat? Semper autem erunt quam plurimi tales, quales describit Petrus apostolus, ,indocti et instabiles, qui depra­ vant scripturas ad suam ipsorum perditionem'.

Über den freien Willen

7

Sache soll ohne Schmähungen betrieben werden, weil es so für Christen ziemlicher ist und die Wahrheit andererseits auf diese Weise sicherer gefunden wird, die häufig durch zu heftiges Streiten verlorengeht. I a 4. Ich jedenfalls wußte gar wohl, wie wenig ich für einen solchen Ringkampf geeignet bin: Sicherlich ist kaum ein anderer weniger geübt als ich, der ich immer durch eine geheimnisvolle natürliche Scheu vor Kämpfen zurückge­ schreckt bin und es daher immer vorgezogen habe, in den freieren Gefilden der Musen zu spielen, als mit dem Schwert Mann gegen Mann zu kämpfen. Daher habe ich so wenig Freude an festen Behauptungen, daß ich leicht geneigt bin, mich auf die Seite der Skeptiker zu schlagen, wo immer es durch die unverletzliche Autorität der Heiligen Schrift und die Entscheidungen der Kirche erlaubt ist, denen ich meine Überzeugung überall gerne unterwerfe, ob ich nun verstehe, was sie vorschreibt, oder ob ich es nicht verstehe. Und ich ziehe diese Geisteshaltung für meine Person derjenigen vor, mit der ich einige ausgestattet sehe, so daß sie, leidenschaft­ lich einer Meinung ergeben, nichts dulden, was von dieser abweicht, sondern, was immer sie in der Heiligen Schrift lesen, zur Bestätigung ihrer vorgefaßten Meinung ummo­ deln, der sie sich einmal ergeben haben, wie Jünglinge, welche ein Mädchen über die Maßen lieben, sich einbilden, wohin immer sie sich wenden, zu sehen, was sie lieben. Oder vielmehr, um einen besseren Vergleich zu gebrauchen, wie unter denen, zwischen denen der Kampf heftig geworden ist, was immer zufällig zur Hand ist, ob es nun ein Humpen oder ein Teller ist, sich in ein Geschoß verwandelt. Kann es, bitte, bei einer solchen Einstellung ein objektives Urteil geben? Oder was kommt bei Auseinandersetzungen dieser Art heraus, außer daß ein jeder vom anderen beschimpft

hinweggeht? Immer aber werden sehr viele so sein, wie der Apostel Petrus sie beschreibt, „Menschen ohne Bildung und Festigkeit, die die Schriften zu ihrem eigenen Verderben

verdrehen" 11• 11 2

Petr 3, 16.

8

De libero arbitrio

Ia 5. Itaque quod ad sensum meum attinet, fateor de libero arbitrio multa variaque tradi a veteribus, de quibus nondum habeo certam persuasionem, nisi quod arbitror esse aliquam liberi arbitrii vim. Legi quidem Martini Lutheri assertionem, et integer legi, nisi quod illic favorem quendam in illum mihi sumpsi, non aliter, quam cognitor favere solet gravato reo. Et quamquam ille rem omnibus praesidiis magnoque spiritu versat agitque, mihi tarnen, ut ingenue fatear, nondum persuasit. Ia 6. Quod si quis vel ingenii tarditati vel imperitiae velit ascribere, cum hoc non contendam, modo tardioribus etiam permittant vel discendi gratia congredi cum his, quibus dei donum uberius contigit, praesertim cum Luthe­ rus minimum tribuat eruditioni, plurimum spiritui, qui nonnumquam instillat quaedam humilioribus, quae AssertioEcclesia­ sticus< angeführt haben, auf besondere Weise auf jene 17 Vgl. Mt 10,39; Jo12,25. 11 Lk 12,32; für den zweiten Teil vgl. Mt 5,3. 11Jo16,33. '°Mt 28,20. 71 Vgl. Apg 5,41. 71 Phil 4, 13. 71 Sir 15, 16-17.

De libero arbitrio progenitores, tarnen aliqua ratione ad universarn posteri­ tatern Adae pertinet; non pertineret autern, si nulla esset in nobis liberi arbitrii vis. Quarnquarn enirn arbitrii libertas per peeeaturn vulnus aeeepit, non tarnen exstineta est, et quarnquarn eontraxit claudieationern, ut ante gratiarn propensiores sirnus ad rnalurn quarn ad bonurn, tarnen exeisa non est, nisi quod enorrnitas erirninurn et assuetudo peeeandi velut in naturarn versa sie offuseat nonnurnquarn rnentis iudieiurn, sie obruit arbitrii libertatern, ut illud exstineturn, haee penitus adernpta videatur. Ila 9. Porro, quanturn valeat in nobis liberurn arbitriurn post peeeaturn et ante gratiarn, rnire variant et veterurn et reeentiorurn sententiae, durn alius aliud speetat. Qui vita­ bant desperationern ae seeuritatern, sed ad spern et eona­ turn aeuere volebant hornines, plus tribuebant libero arbi­ trio. Pelagius doeuit sernel liberata sanataque per gratiarn horninis voluntate non opus esse nova gratia, sed liberi arbitrii praesidiis pertingi posse ad salutern aeternarn, sie tarnen, ut horninis salus debeatur deo, sine euius gratia voluntas horninis non erat effieaeiter libera ad bonurn; et haee ipsa vis anirni, qua horno eogniturn bonurn arnpleetitur avertens se ab eo, quod diversurn est, benefieiurn est eondi­ toris, qui potuisset pro hornine ranarn produeere. Qui Seoti plaeitis addieti sunt, proniores sunt in favorern liberi arbi­ trii, euius tantarn virn esse eredunt, ut horno nondurn aeeepta gratia, quae peecaturn abolet, naturae viribus

Über den freien Willen

49

Stammeltern zu passen scheint, bezieht sie sich dennoch in ge­ wisser Weise auf die gesamte Nachkommenschaft Adams; sie würde das aber nicht tun, wenn in uns nicht die Kraft des freien Willens wäre. Denn obwohl die Willensfreiheit durch die Sünde eine Verwundung erlitten hat, wurde sie dennoch nicht ausgelöscht, und obwohl sie zu hinken begonnen hat, so daß wir vor Empfang der Gnade geneigter zum Bösen sind als zum Guten, wurde sie dennoch nicht völlig besei­ tigt, es sei denn, daß die Größe der Verbrechen und die Gewohnheit zu sündigen gleichsam zur zweiten Natur ge­ worden sind und bisweilen das Urteil des Verstandes so ver­ dunkeln und die Willensfreiheit so beeinträchtigen, daß jenes ausgelöscht, diese völlig beseitigt zu sein scheint. Ila 9. Wieviel ferner der freie Wille in uns nach der Sünde

und vor Empfang der Gnade vermag, darüber gehen die

Meinungen sowohl der Alten als auch der Neueren erstaun­ lich auseinander, indem der eine das, der andere jenes ins Auge faßt. Diejenigen, welche Verzweiflung und Sicherheit vermieden, aber den Menschen zu Hoffnung und zum Stre­ ben anspornen wollten, legten größeren Nachdruck auf den freien Willen. Pelagius lehrte, daß, wenn einmal das Wollen des Menschen durch die Gnade befreit und geheilt sei, eine neue Gnade nicht notwendig sei, sondern man mit Hilfe des freien Willens das ewige Heil erreichen könne, so zwar, daß das Heil des Menschen Gott verdankt werde, ohne dessen Gnade der Wille des Menschen nicht wirklich frei zum Guten wäre; und gerade dieses Vermögen des Geistes, durch das der Mensch das erkannte Gute ergreift und sich vom Entgegengesetzten abwendet, ist eine Wohltat des Schöpfers, der an Stelle eines Menschen einen Frosch hätte hervorbringen können. Diejenigen, welche der Lehre des Scotus anhängen, beurteilen den freien Willen noch gün­ stiger74, dessen Kraft ihrer Meinung nach so groß sei, daß der Mensch, ohne noch die Gnade empfangen zu haben, die die Sünde tilgt, mit den Kräften der Natur sittlich gute 7' Daß Scotus die Macht des freien Willens noch höher eingeschätzt habe als Pelagius, ist ein Irrtum des Erasmus.

De libero arbitrio

50

exercere posset opera moraliter, ut vocant, bona, quibus non de condigno, sed de congruo promereantur gratiam gratum facientem; sie enim illi loquuntur. Ila

10.

Ab his alii ex diametro, quod aiunt, dissentientes

contendunt omnia illa opera quantumvis moraliter bona fuisse deo detestabilia non minus quam scelerate facta, quod genus sunt adulterium et homicidium, quod non proficis­ cerentur ex fide et caritate in deum. Horum opinio videtur inclementior, praesertim cum philosophi quidam, ut ha­ buerunt aliquam de deo cognitionem, ita fieri potuit, ut fiduciam quoque nonnullam et caritatem habuerint erga deum nec omnia fecerint ob inanem gloriam, sed amore virtutis et honesti, quod docent amplectendum non ob aliud, nisi quia honestum est. Nam qui pro salute patriae semet obicit periculis ob inanem gloriam, facit opus ex genere bonum, an moraliter bonum, nescio. Sanctus Augu­ stinus et qui hunc sequuntur, considerantes, quanta sit pernicies verae pietatis hominem fidere suis viribus, pro­ pensiores sunt in favorem gratiae, quam ubique Paulus inculcat. Eoque negat hominem obnoxium peccato posse

Über den freien Willen

Werke75 - wie sie es nennen - verrichten könne, durch welche sie nicht anspruchsmäßig, wohl aber billigerweise die angenehm machende Gnade verdienen; so nämlich drücken sich jene aus7&. II a

10.

Andere, die zu der Meinung dieser in, wie man

sagt, diametralem Gegensatz stehen, behaupten, daß alle jene Werke, mögen sie moralisch noch so gut sein, für Gott nicht weniger verabscheuungswürdig seien als verbreche­ rische Handlungen - wie z.B. Ehebruch und Mord -, weil sie nicht aus Glauben und Liebe zu Gott hervorgehen77• Das Urteil dieser Leute scheint zu streng zu sein, zumal manche Philosophen sowohl eine gewisse Erkenntnis Gottes besessen haben als auch dahin gekommen sind, auch einigen Glauben und Liebe zu Gott zu haben und nicht alles nur aus leerer Ruhmsucht zu tun, sondern aus Liebe zur Tugend und zum sittlich Guten, das man nach ihrer Lehre aus keinem anderen Grund hochhalten muß, als weil es sittlich gut ist. Denn derjenige, der zur Rettung des Vaterlandes sich aus leerer Ruhmsucht Gefahren aussetzt, vollbringt zwar eine „äußerlich" gute Tat, ob sie auch sittlich gut ist, weiß ich nicht78. Der heilige Augustinus und die ihm folgen, waren in Anbetracht dessen, wie verderblich es für die wahre Frömmigkeit ist, wenn der Mensch auf die eigenen Kräfte vertraut, eher geneigt, die Bedeutung der Gnade zu betonen, die Paulus überall einschärft79. Und daher verwirft er die Meinung, daß der Mensch, der der Sünde verfallen ist, sich 76 Die Scholastiker unterscheiden bei guten Werken je nach der Ge­ sinnung, der sie entspringen: ein „opus moraliter bonum" ist eine gute Handlung, die aus einer guten Gesinnung heraus gesetzt wird; fehlt die gute Gesinnung, kann die gute Tat nur als „ex genere bonum" be­ zeichnet werden. 71 Ein „meritum de condigno" verleiht vollen Anspruch auf gött­ liche Belohnung und ist ohne Gnade unmöglich; dem „meritum de congruo" fehlt zwar diese Vollkommenheit, aber billigerweise muß Gott auch dieses Verdienst belohnen, weil der schwache Mensch bis zur Grenze seiner Leistungsfähigkeit gegangen ist. 77 Erasmus charakterisiert II a 12, S. 57ff., die Meinungen dieser Theologengruppen näher. 78 Vgl. Anm. 75. 71Röm 2,14ff.

De libero arbitrio

sese reftectere ad vitae correctionem aut quicquam posse facere, quod conferat ad salutem, nisi gratuito dei dono stimuletur divinitus, ut velit ea, quae conducunt ad vitam aeternam; hanc gratiam alii praevenientem vocant, Augu­ stinus operantem. Nam et fides, quae ianua est salutis, gratuitum dei donum est. Huic additam caritatem per uberius donum spiritus appellat gratiam cooperantem, quod semper adsit conantibus, donec assequantur, quod expe­ tunt, sed ita tarnen, ut cum simul idem opus operentur liberum arbitrium et gratia, gratia tarnen dux sit operis, non comes, quamquam hanc quoque sententiam dividunt quidam dicentes: Si consideres opus iuxta naturam suam, potiorem causam esse voluntatem hominis, sin iuxta quod promeretur, gratiam esse potiorem.

Porro fides, quae

praestat, ut velimus salutifera, et caritas, quae praestat, ne frustra velimus, non tarn tempore distincta sunt quam natura; possunt tarnen utraque temporariis accessibus augeri. II a

11.

Itaque cum gratia significet beneficium gratis

datum, tres aut, si mavis, quatuor gratias ponere licebit. Unam natura insitam et per peccatum vitiatam, ut dixi­ mus, non exstinctam, quam quidam vocant inftuxum naturalem. Haec omnium communis manet etiam perse­ verantibus in peccato; liberum est enim illis loqui, tacere, sedere, surgere, sublevare pauperem, legere libros sacros, audire contionem, sie tarnen, ut ista secundum opinionem quorundam nihil conducant ad vitam aeternam. Nec de-

Über den freien Willen

53

selbst zur Besserung des Lebens wenden könne oder etwas tun könne, was zum Heil beiträgt, es sei denn, daß er durch das unverdiente Geschenk Gottes von Gott her angetrieben wird, das zu wollen, was zum ewigen Leben führt; diese Gnade nennen andere die „zuvorkommende", Augustinus die „wirkende". Denn auch der Glaube, welcher die Ein­ gangstür zum Heil ist, ist ein unverdientes Geschenk Got­ tes. Wenn durch ein reicheres Geschenk des Geistes zum Glauben noch Liebe hinzugefügt wird, nennt er sie die „mitwirkende" Gnade, weil sie denen, die sich bemühen, immer beistehe, bis sie erreicht haben, was sie wünschen, allerdings so, daß, obwohl ·der freie Wille und die Gnade zugleich dasselbe Werk wirken, die Gnade dennoch Führe­ rin zum Werk, nicht nur Begleiterin ist, obwohl einiges0 auch diesen Satz zerlegen, indem sie sagen: Wenn man die Handlung ihrer Natur nach betrachtet, sei die wichtigere Ursache der Wille des Menschen, wenn aber hinsichtlich ihrer Verdienstlichkeit, sei die Gnade wichtiger. Ferner sind der Glaube, der bewirkt, daß wir Heilbringendes wol­ len, und die Liebe, welche bewirkt, daß wir nicht vergeblich wollen, nicht so sehr der Zeit nach als ihrer Natur nach unterschieden; dennoch können beide mit der Zeit wachsen und verstärkt werden. Ila

11.

Wenn daher das Wort „Gnade" eine unverdiente

Wohltat bedeutet, kann man drei oder, wenn man lieber will, vier Arten von Gnade unterscheiden: Erstens eine von Natur angeborene und, wie wir gesagt haben, durch die Sünde verletzte, aber nicht ausgelöschte, die manche die „natürliche Einwirkung" nennen81• Diese, die allen gemein­ sam ist, bleibt auch bei jenen, die in der Sünde verharren; es steht nämlich jenen frei zu sprechen, zu schweigen, zu sitzen, aufzustehen, einen Armen zu unterstützen, heilige Bücher zu lesen, eine Predigt zu hören, so allerdings, daß diese Dinge nach der Meinung einiger keineswegs zum ewi­ gen Leben führen. Dennoch fehlen die nicht, welche angeDie Schule des Scotus. „Influxus naturalis" oder „influentia communis" ist die allge­ meine Mitwirkung Gottes bei allen Handlungen der Geschöpfe. 80

81

De libero arbitrio

54

sunt tarnen, qui considerata immensa dei bonitate dicant hactenus

hominem

proficere

huiusmodi

benefactis,

ut

praeparetur ad gratiam ac dei misericordiam erga se provo­ cet, quamquam sunt, qui negent haec etiam fieri posse sine gratia peculiari. Haec gratia, quoniam est omnium com­ munis, non dicitur gratia, cum re vera sit, quemadmodum maiora miracula quotidie deus edit gignendis rebus, con­ servandis et gubemandis, quam, si sanaret leprosum aut liberaret daemoniacum. Et tarnen haec ideo non vocantur miracula, quod ex aequo quotidie praestantur omnibus. Altera est gratia peculiaris, qua deus ex sua misericordia peccatorem nihil promeritum stimulat ad resipiscentiam, sie tarnen, ut nondum infundat gratiam illam supremam, quae abolet peccatum ac deo gratum facit hominem. ltaque peccator adiutus secunda gratia, quam diximus operantem, displicet sibi; tametsi nondum exuit affectum peccandi, tarnen eleemosynis, precibus, intentus sacris studiis, audien­ dis contionibus, interpellandis piis hominibus, ut pro se deum orent, aliisque factis moraliter, ut vocant, bonis summae illius gratiae velut candidatum quendam agit. Existimant autem gratiam, quam nunc secundam facimus, per dei bonitatem nulli mortalium deesse, quod divina benignitas singulis in hac vita suppeditet idoneas occasio­ nes, per quas possit resipiscere, si quod reliquum est in ipsorum arbitrio pro viribus accommodent ad opem numi­ nis velut invitantis, non compellentis ad meliora. Hoc autem putant esse in nostro arbitrio, ut voluntatem no­ stram applicemus ad gratiam aut avertamus ab ea, quemad­ modum in nobis est ad illatum lumen aperire oculos ac

Über den freien Willen

55

sichts der unendlichen Güte Gottes sagen, daß der Mensch durch Wohltaten dieser Art so weit komme, daß er für die

Gnade vorbereitet werde und das Erbarmen Gottes gegen

sich hervorrufe, obwohl es Leute gibt, welche leugnen, daß auch das ohne eine „besondere" Gnade geschehen könne.

Weil jene Gnade allen gemeinsam ist, wird sie nicht Gnade

genannt, obwohl sie es tatsächlich ist, wirkt doch Gott auf

diese Weise täglich größere Wunder durch die Erschaffung, Bewahrung und Lenkung der Dinge, als wenn er einen

Aussätzigen heilte oder einen Besessenen befreite. Und den­

noch werden diese Dinge nicht Wunder genannt, weil sie

allen in gleichem Maß täglich gewährt werden. Die zweite ist die „besondere" Gnade, durch welche Gott auf Grund seines Erbarmens den Sünder ohne eigenes Verdienst zur

Besserung anstachelt, so jedoch, daß er noch nicht jene

höchste Gnade eingießt, welche die Sünde tilgt und den

Menschen Gott angenehm macht. Daher mißfällt der Sün­

der, der von der zweiten Gnade, die wir die „wirkende"

genannt haben, unterstützt wird, sich selbst; wenn er auch

noch nicht die Liebe zur Sünde abgelegt hat, erwirbt er

dennoch durch Almosen, Gebet, durch eifrige fromme Übungen, durch Anhören von Predigten, durch Aufforde­

rung an fromme Menschen, für ihn zu Gott zu beten, und

durch andere, wie man sagt, „sittlich gute" Handlungen

gleichsam einen gewissen Anspruch auf jene höchste Gnade.

Man glaubt aber, daß die Gnade, die wir jetzt als die zweite

bezeichnet haben, infolge der Güte Gottes keinem der

Sterblichen fehlt82, weil die göttliche Güte jedem einzelnen

in diesem Leben geeignete Gelegenheiten zur Besserung

schaffe, wenn er das, was von seinem Willen übrig ist, nach

Kräften zur Unterstützung der Gottheit verwendet, die

gleichsam zum Besseren einlädt, aber nicht zwingt. Das

aber liegt nach dieser Meinung in unserem Belieben, unseren

Willen der Gnade zuzuwenden oder uns von ihr abzuwen­

den, wie es bei uns steht, wenn ein Licht hereingebracht 11 E rasmus nennt im >Hyperaspistes II< die Schrift >De vocatione omnium gentium< als Quelle (ll,19; PL 51,7o6). Fisher vertritt die· selbe Ansicht.

De libero arbitrio

rursum claudere. Quoniam autem immensa dei caritas erga genus humanum non patitur hominem frustrari etiam illa gratia, quam gratum facientem vocant, si totis viribus eam ambierit, fit, ut nemo peccator debeat esse securus, nemo rursus debeat desperare, fit item illud, ut nemo pereat, nisi suo vitio. Est igitur gratia naturalis, est gratia exstimu­ lans, licet imperfecta, est gratia, quae voluntatem reddit efficacem, quam cooperantem diximus, quae quod coep­ tum est provehit, est gratia, quae perducit usque ad finem. Ras tres putant eandem esse gratiam, licet ab iis, quae operantur in nobis, diversis cognominibus appellentur. Prima exstimulat, secunda provehit, tertia consummat. Ila

12.

Ergo, qui longissime fugiunt a Pelagio, pluri­

mum tribuunt gratiae, libero arbitrio pene nihil nec tarnen in totum tollunt: negant hominem posse velle bonum sine gratia peculiari, negant posse incipere, negant posse pro­ gredi, negant posse perficere sine principali perpetuoque gratiae divinae praesidio. Horum sententia satis videtur probabilis, quod relinquat homini studium et conatum et tarnen non relinquit, quod suis ascribat viribus. Sed durior est istorum opinio, qui contendunt liberum arbitrium ad nihil valere nisi ad peccandum, solam gratiam in nobis operari bonum opus non per liberum arbitrium aut cum libero arbitrio, sed in libero arbitrio, ut nostra voluntas hie nihilo plus agat, quam agit cera, dum manu plastae fingitur

Über den freien Willen

57

wird, davor die Augen zu öffnen und andererseits zu schlie­ ßen. Weil aber die unermeßliche Liebe Gottes gegen das menschliche Geschlecht nicht duldet, daß der Mensch an jener Gnade, die man die „angenehm machende" nennt, enttäuscht wird, wenn er sie mit ganzen Kräften erstrebt, so kommt es, daß sich kein Sünder sicher fühlen darf, andererseits niemand verzweifeln darf, ebenso gilt aber auch das, daß niemand zugrunde geht außer durch seine eigene Schuld. Es gibt also eine natürliche Gnade, es gibt eine anspornende Gnade, die allerdings unvollkommen ist, es gibt eine Gnade, welche den Willen wirksam macht, die wir die „mitwirkende" nennen, die vorantreibt, was be­ gonnen hat, und es gibt eine Gnade, welche bis zum Ziel führt. Man glaubt, daß diese drei dieselbe Gnade seien, mögen sie auch nach dem, was sie in uns wirken, mit ver­ schiedenen Namen bezeichnet werden. Die erste spornt an, die zweite entwickelt, die dritte vollendet. IIa

12.

Daher führen diejenigen, die am weitesten von

Pelagius entfernt sind, das meiste auf die Gnade zurück, auf den freien Willen beinahe nichts, ohne ihn völlig zu beseitigen: Sie leugnen, daß der Mensch etwas Gutes wollen könne ohne „besondere" Gnade, sie leugnen, daß er be­ ginnen könne, sie leugnen, daß er Fortschritte machen könne, sie leugnen, daß er vollenden könne ohne eine grundlegende und dauernde Hilfe der göttlichen Gnade. Die Meinung dieser Leute scheint ziemlich wahrscheinlich, weil sie dem Menschen Streben und Bemühen beläßt und doch nichts beläßt, was er seinen eigenen Kräften zuschrei­ ben könnte83• Aber härter ist das Urteil derer84, welche behaupten, der freie Wille sei zu nichts fähig außer zum Sündigen85, die Gnade allein wirke in uns das gute Werk, nicht durch den freien Willen oder mit dem freien Willen, sondern am freien Willen, so daß unser Wille hier nicht mehr tue, als das Wachs tut, wenn es durch die Hand des 11 Erasmus schreibt Hyp., unten S. 619, 643, diese Ansicht Augustinus undThomas zu, die allerdings in dieser Frage ziemlich verschieden denken. " Die Meinung Karlstadts. 0 Vgl. Augustinus, De spir. et lit. 3, 5; PL 44, 203.

De libero arbitrio

in quamcumque visum est artifici speciem. Hi mihi sie fugere videntur meritorum et operum humanorum fidu­ ciam, ut praeter casam, quod dici solet. Durissima videtur omnium sententia, qui dicunt liberum arbitrium inane nomen esse nec quicquam valere aut valuisse vel in angelis vel in Adam vel in nobis nec ante gratiam nec post gratiam, sed deum tarn mala quam bona operari in nobis, omniaque, quae fiunt, esse merae necessitatis. Itaque cum his duabus postremis mihi potissimum erit conßictatio. II a 13. Haec paulo loquacius nobis repetita sunt, quo lector imperitior, nam crassulis scribimus crassuli, reli­ quam argumentationem facilius percipiat, eoque locum ex Ecclesiastico primum retulimus, quo originem ac vim liberi arbitrii planissime videatur depingere. Nunc expeditiore cursu reliqua scripturarum testimonia persequemur. Id faciemus, si prius admonuerimus hunc locum secus haberi in editione Aldina, quam hodie habeat ecclesiasticus usus Latinorum. Non enim in Graecis additur: conservabunt te, quamquam eandem particulam nec Augustinus addit ali­ quoties adducens hunc locum, et pro

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scriptum opinor

7tOL!fjGIXL.

Ila 14. Quemadmodum igitur in paradiso proposuerat electionem vitae ac mortis: Si parueritis praecepto meo, vivetis, sin minus, moriemini; cavete malum, eligite, quod

Über den freien Willen

59

Künstlers geformt wird, in welche Gestalt auch immer es dem Künstler gut scheint. Diese scheinen mir vor dem Ver­ trauen auf die menschlichen Verdienste und Werke so sehr

zu fliehen, daß sie an der Hütte vorbeilaufen86, wie man

zu sagen pflegt. Am allerhärtesten aber scheint das Urteil derer87 zu sein, welche sagen, der freie Wille sei eine leere Bezeichnung und vermöge nichts und habe nichts vermocht, weder in den Engeln noch in Adam noch in uns, weder vor noch nach Empfang der Gnade, sondern Gott wirke in uns sowohl das Böse als auch das Gute, und alles, was geschehe, geschehe aus reiner Notwendigkeit. Daher werde ich mich hauptsächlich mit diesen beiden letzten Ansichten ausein­ anderzusetzen haben. Ila 13. Wir haben das ein wenig ausführlicher wiederge­ geben, damit der unerfahrene Leser - denn wir Laien schreiben für Laien - die übrige Beweisführung leichter verstehe, und daher haben wir die Stelle aus dem >Ecclesia­ sticus< als erste angeführt, in welcher er den Ursprung und die Kraft des freien Willens am klarsten zu beschreiben scheint. Nun werden wir die übrigen Zeugnisse der Schrift flotter durchgehen. Das werden wir tun, wenn wir zuvor daran erinnert haben, daß die Stelle in der Aldina88 anders lautet, als der kirchliche Gebrauch der Lateiner sie heute hat. Bei den Griechen wird nämlich nicht hinzuge­ fügt: „Sie werden dich bewahren", obwohl auch Augustinus dieselbe Wendul'lg nicht hinzufügt, der diese Stelle etliche Male anführt88, und ich glaube, daß

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von

geschrieben wurde.

Ila 14. Wie Gott also im Paradies die Wahl zwischen Leben und Tod vorgelegt hatte: „Wenn ihr meinem Gebot gehorcht, werdet ihr leben, wenn nicht, werdet ihr sterben; hütet euch vor dem Bösen, wählt, was gut ist90", ebenso 81

Vgl. Terenz, Phormio 768: „ita fugias, ne praeter casam"; Adagia

1, V,3. 87

Luthers Ansicht, vgl. Hyp., unten S. 643, WA VII, 146. Ausgabe der griechischen Septuaginta, Venedig 1518. "Z.B. De grat. et lib. arb. 2, 3; PL 44, 883. 18 Vgl. Gn 2, 17 und Dt 30, 19. 81

60

De Jibero arbitrio

bonum est, itidem Genesis cap. 4 (6-7) deus loquitur Caim: ,Quare iratus es et cur concidit facies tua? Nonne si bene egeris, recipies, sin autem male, statim in foribus peccatum tuum aderit? Sed sub te erit appetitus eius et tu domina­ beris illius'. Proponit praemium, si velit eligere, quod pium est, proponit paenam, si malit sequi diversum. Et ostendit animi motus ad turpia vinci posse nec afferre necessitatem peccandi. Cum his locis congruit, quod dominus loquitur ad Mosen: ,Posui ante faciem tuam viam vitae et viam mortis. Elige, quod bonum est, et incede cum eo'. Quid poterat apertius dici? Deus ostendit, quid bonum, quid malum, ostendit utriusque diversa praemia, mortem et vitam, eli­ gendi

libertatem

relinquit

homini.

Ridicule

siquidem

diceretur: elige, cui non adesset potestas semet huc et illuc applicandi, perinde quasi quis in bivio consistenti dicat: Vides duplicem viam, utram voles ingreditor, cum altera tantum pateret. Rursum Deuteronomii cap.

30 (15-19):

,Considera, quod hodie proposuerim in conspectu tuo vitam et bonum et e contrario mortem et malum, ut diligas dominum, deum tuum, et ambules in viis eius et custodias mandata illius et caerimonias atque iudicia et vivas atque multiplicet te benedicatque tibi in terra, ad quam ingre­ deris possidendam. Si autem aversum fuerit cor tuum et audire nolueris atque errore deceptus

adoraveris

deos

alienos t:t servieris eis, praedico tibi hodie, quod pereas et parvo tempore moreris in terra, ad quam J ordanetransmisso ingredieris possidendam. Testes invoco hodie caelum et terram, quod proposuerim vobis vitam et mortem, bene­ dictionem et maledictionem. Elige ergo vitam, ut et tu

Über den freien Willen

61

spricht er Gn 4,6-7 zu Kain: „Warum bist du zornig und schaust so düster vor dich hin? Wirst du den Blick nicht frei erheben, wenn du gut gehandelt hast, wenn aber böse, wird deine Sünde nicht vor der Tür lauern? Aber in deiner Gewalt wird ihr Streben sein und du wirst über sie herr­ schen." Er stellt Belohnung in Aussicht, wenn er wählen sollte, was fromm ist, er stellt Strafe in Aussicht, wenn er vorziehen sollte, dem Gegenteil zu folgen. Und er zeigt, daß die bösen Leidenschaften der Seele besiegt werden können und keinen Zwang zum Sündigen mit sich bringen. Mit diesen Stellen stimmt überein, was der Herr zu Moses sagt: „Ich habe vor dein Angesicht gestellt den Weg des Lebens und den Weg des Todes. Wähle, was gut ist, und schreite mit ihm einher91." Konnte es noch klarer gesagt werden? Gott zeigt, was gut, was böse, er zeigt die ver­ schiedenen Belohnungen für beides, Tod und Leben, er überläßt die Freiheit der Wahl dem Menschen. Lächerlich, wenn zu einem gesagt würde: „Wähle", der nicht die Macht besäße, sich hierhin und dorthin zu wenden, ganz wie man zu einem, der an einem Scheideweg haltmacht, sagte: „Du siehst zwei Wege, beschreite, welchen von beiden du willst", während nur einer von beiden gangbar wäre. Wiederum Dt 30,15-19: „Siehe, heute lege ich dir Leben und Glück, Tod und Unglück vor, damit du den Herrn, deinen Gott liebst, auf seinen Wegen wandelst und seine Gebote, Sat­ zungen und Anordnungen beobachtest. Dann wirst du am Leben bleiben und dich mehren und der Herr wird dich segnen in dem Lande, in das du ziehst, um es in Besitz zu nehmen. Wenn dein Herz sich abwendet und du nicht ge­ horchst, wenn du dich verführen läßt, fremde Götter anzu­ beten und ihnen zu dienen, so versichere ich dir heute schon, daß ihr zugrunde gehen werdet. Dann werdet ihr nicht lange in dem Lande leben, in das ihr über den

Jordan

hin­

überziehen wollt, um es in Besitz zu nehmen. Ich rufe heute Himmel und Erde gegen euch als Zeugen an: Leben und Tod, Segen und Fluch habe ich dir vorgelegt. So wähle denn 11

Vielleicht Anspielung auf Dt 30, 19.

De libero arbitrio

vivas et semen tuum'. Hie rursus audis proponendi verbum, audis eligendi verbum, audis avertendi verbum, quae intempestive dicerentur, si voluntas hominis non esset libera ad bonum, sed tantum ad malum. Alioqui perinde fuerit, ac si quis homini sie alligato, ut non possit brachium nisi in laevum porrigere, diceret: Ecce habes ad dextram vinum optimum, habes ad laevam toxicum, utro velis, porrige manum. Ha 15. Nec dissonat ab his, quod apud Esaiam loquitur idem dominus: ,Si volueritis et audieritis me, quae bona sunt terrae comedetis; si vero nolueritis neque audieritis me, gladius vos consumet'. Si non est homini ullo pacto libera voluntas ad bonum aut si, ut quidam aiunt, nec ad bonum nec ad malum, quid sibi volunt haec verba: ,si volueritis, si nolueritis'? Magis hie congruebat: si voluero, si noluero. Atque huiusmodi multa cum peccatoribus

dicantur, non video, quomodo vitari possit, quin his quo­ que tribuamus voluntatem aliquo modo liberam ad elec­ tionem boni, nisi malumus hanc cogitationem aut animi motum dicere quam voluntatem, quod voluntas certa sit et ex iudicio nascatur. Sie autem loquitur apud eundem pro­ phetam cap. 21 (12): ,Si quaeritis, quaerite; convertimini et

venite.' Quorsum attinet hortari, ut convertantur et veniant, qui nulla ex parte suae potestatis sunt? Nonne perinde fuerit, ac si quis dicat vinculis astricto, quem nolit solvere:

Move te isthinc, veni ac sequere me? Item apud eundem prophetam cap. 45 (20) : ,Congregamini et venite'. Et: ,Con­ vertimini ad me et salvi eritis omnes fines terrae'. Rursum cap. 52 (1-2): ,Consurge, consurge, excutere de pulvere,

Über den freien Willen das Leben, damit du am Leben bleibest, du und deine Nach­ kommen!" Hier hört man wieder das Wort „vorlegen", man hört das Wort „wählen", man hört das Wort „sich ab­ wenden", die alle unpassend gesagt würden, wenn der Wille des Menschen nicht frei zum Guten wäre, sondern nur zum Bösen92• Sonst wäre es genau so, wie wenn jemand einem Menschen, der so gefesselt ist, daß er seinen Arm nur nach links ausstrecken kann, sagte: Siehe, du hast zur Rechten besten Wein, du hast zur Linken Gift, strecke die Hand aus, nach welcher Seite du willst. Ha 15. Und damit stimmt völlig überein, was bei Isaias derselbe Herr sagt: „Gebt ihr willig Gehör, so sollt ihr genießen das Beste im Land. Doch weigert ihr euch und trotzt, so wird euch fressen das Schwert93." Wenn der Mensch unter keinen Umständen einen freien Willen zum Guten oder wie einige sagen, weder

zum

Guten noch zum

Bösen besitzt, was bedeuten folgende Worte: „Wenn ihr willig seid, wenn ihr euch weigert"? Hier hätte eher gepaßt: wenn ich will, wenn ich nicht will. Und weil den Sündern viel Derartiges gesagt wird, sehe ich nicht ein, wie man vermeiden könnte, daß wir auch diesen einen zur Wahl des Guten irgendwie freien Willen zuteilen, wenn wir nicht vorziehen, diesen als Überlegung oder Gemütsbewegung zu bezeichnen, statt als Willen, weil der Wille fest ist und aus einem Verstandesurteil entsteht. So aber spricht Gott bei demselben Propheten Is 21,12: „Wenn ihr fragen wollt, fragt; kehret um und kommt wieder." Was nützt es zu ermahnen, es sollten diejenigen umkehren und wiederkom­ men, die in keinem Stück Entscheidungsgewalt über sich haben? Wäre das nicht genau so, wie wenn jemand zu einem in Fesseln Geschlagenen, den er nicht losbinden will, sagte: Bewege dich von dort weg, komm und folge mir? Des­ gleichen bei demselben Propheten Is 45,20: „Sammelt euch! tretet herzu!" Und: „Her zu mir! Laßt euch retten, all ihr Enden der Erde94!" Wiederum Is 52,1 f.: „Auf, auf, schüttle

Gegen Karlstadt gerichtet. Is 1,19f. N Is 45,22.

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De libero arbitrio

solve vincula colli tui'. Itidem Hieremias cap. 15 (19): ,Si converteris, convertam te, et si separaveris pretiosum a vili, quasi os meum eris'. Cum ait: ,separaveris', libertatem indi­ cat eligendi. Evidentius etiam Zacharias et arbitrii liberi conatum indicat et gratiam conanti paratam: ,Convertimini', inquit, ,ad me, ait dominus exercituum, et convertar ad vos, dicit dominus'. Ezechielis cap. 18(21) sie loquitur deus: ,Si impius egerit paenitentiam ab omnibus peccatis, quae operatus est, et fecerit iudicium' etc. Ac mox: ,Omnium iniquitatum eius, quas operatus est, non recordabor'. Item: ,Si autem averterit se iustus a iustitia sua et fecerit iniqui­ tatem'. In hoc capite toties repetitur: averterit se, fecit, operatus est, in bonam partem et in malam. Et ubi sunt, qui negant hominem quicquam agere, sed pati tantum ab operante gratia? ,Proicite', inquit, ,a vobis omnes iniqui­ tates'. Et: ,Quare moriemini, domus Israel? Nolo mortem peccatoris, revertimini et venite'. Deplorat pius dominus mortem populi sui, quam ipse operatur in illis? Si ille non vult mortem, utique nostrae voluntati imputandum, si perimus. Ceterum quid imputes illi, qui nihil potest agere neque boni neque mali? His, qui nullo modo suae voluntatis compotes sunt, frustra canit hanc cantionem psaltes ille

Über den freien Willen den Staub von dir ab, löse dir deines Halses Fesseln." Desgleichen Jr 15,19: „Wenn du anderen Sinnes wirst, so darfst du aufs neue mir dienen. Wenn nur Rechtes du von Verkehrtem trennst, so darfst du wieder sprechen in mei­ nem Auftrag." Indem er sagt: „trennst", zeigt er die Frei­ heit der Wahl an. Klarer zeigt auch Zacharias sowohl das Streben als auch die Gnade an, die für den, der strebt, bereit ist: „Bekehrt euch zu mir- Spruch des Herrn der Heerscharen-, so werde auch ich mich wieder zu euch kehren, spricht der Herr95." Ez 18,21 spricht der Herr folgendermaßen: „Wenn aber der Gottlose von all seinen Sünden, die er begangen hat, sich bekehrt und Gerechtig­ keit übt usw." Und bald darauf: „Alle seine Missetaten, die er begangen hat, sollen ihm nicht angerechnet werden96." Ebenso: „Wenn sich aber der Gerechte von seiner Gerech­ tigkeit abwendet und Frevel verübt97." In diesem Kapitel wird so oft wiederholt: „sich abwendet, begangen hat, ver­ übt hat", nach der guten und der bösen Seite. Und wo sind die, die leugnen, daß der Mensch irgendetwas tue, son­ dern behaupten, daß er nur von der wirkenden Gnade etwas erleide98? „Werft von euch", sagt er, „alle Sünden99". Und: „Warum wollt ihr denn sterben, Haus Israel100? Ich

will nicht

kommt101."

den Tod des Sünders,

kehrt um

und

Beklagt der gnädige Herr den Tod seines

Volkes, den er selbst an jenen bewirkt hat? Wenn jener den Tod nicht will, ist es auf jeden Fall unserem Willen zuzuschreiben, wenn wir zugrunde gehen. Was könnte man übrigens dem anrechnen, der weder etwas Gutes noch etwas Böses zu tun vermag102? Für diejenigen, die auf keinen Fall Herren ihres Willens sind, mystische 16

Zach 1,3. Ez 18,22. 17 Ez 18,24. 98 Gegen Karlstadt gerichtet. 11 Ez 18,31. 100 Ez 33,II. 101 Vgl. Ez 33,n. 102 Gegen Luther gerichtet. 18

singt jener

Psalmist vergeblich folgenden Gesang: „Das

De libero arbitrio

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mysticus: ,Declina a malo et fac bonum, inquire pacem et persequere eam'. Ha 16. Sed quorsum attinet huius generis aliquot recen­ sere loca, cum tota divina scriptura plena sit huiusmodi hortamentis: ,Convertimini in toto corde vestro; converta­ tur vir a via sua mala; praevaricatores, redite ad cor'; et: ,Convertatur unusquisque a via sua mala, et paenitebit me mali, quod cogitavi facere eis propter malitiam studiorum eorum'; et: ,Si non audieritis me, ut ambuletis in lege mea', cum fere nihil aliud sonet scriptura quam conversionem, quam studium, quam conatum ad meliora? Haec omnia frigeant oportet semel inducta necessitate vel benefaciendi vel male. Neque minus frigebunt illae tot pollicitationes, tot minae, tot expostulationes, tot exprobrationes, tot obtestationes, tot benedictiones ac maledictiones factae ad eos, qui se verterunt ad meliora aut qui converti recusarunt. ,Quacunque hora ingemuerit peccator. Video, quod populus iste durae cervicis sit. Popule meus, quid feci?' Item: ,Iudicia mea proiecerunt'. Et: ,Si populus meus audisset me, Israel si in viis meis ambulasset. Qui vult videre dies bonos, prohibeat linguam suam a malo'. Cum audis: ,qui vult', audis

Über den freien Willen Böse meide! Das Gute tu! Trachte nach Frieden! Jage ihm nach103!" II a 16. Aber was nützt es, eine Anzahl Stellen dieser Art zu prüfen, während die ganze Heilige Schrift voll von derartigen Aufforderungen ist: „Von ganzem Herzen be­ kehrt euch104 ; es wende der Mensch sich ab von seinem bösen Weg105; nehmt es zu Herzen, ihr Abtrünnigen106!"; und: „Ein jeder lasse von seinem schlechten Wandel101; dann ließe ich mich des Unheils gereuen, das ich ihnen wegen ihrer bösen Werke anzutun gedenke108"; und: „Wenn ihr nicht auf mich hört und nicht nach der Weisung wan­ delt, die ich euch gegeben habe109", während die Schrift beinahe nichts anderes sagt als Umkehr, Eifer, Versuch, sich zu bessern? Das alles muß sinnlos sein, wenn man einmal die Notwendigkeit, gut oder böse zu handeln, ein­ geführt hat. Und nicht weniger sinnlos werden jene zahl­ reichen Versprechen, Drohungen, Vorhaltungen, Vorwürfe, Beschwörungen, Segenssprüche und Verfluchungen sein, die an die ergangen sind, welche sich zum Besseren bekehr­ ten oder sich weigerten, sich zu bekehren. „In der Stunde, in der der Sünder aufseufzt110• Ich habe dieses Volk beob­ achtet, ... es ist ein halsstarriges Volk111• Mein Volk, was habe ich dir angetan112?" Ebenso: „Sie verachteten meine Gebote113." Und: „Ach wenn doch mein Volk auf mich hören wollte, wenn meine Wege Israel einhielt114• Wer gute Tage sehen will, halte seine Zunge vom Bösen frei115." Wenn man hört: „Wer ... will", hört man den freien 1oa

Ps 34, i5. Joel 2,12. 1oa Jon 3,8. 181 Is 46,8. 101 Jon 3,8. 108 Jr 26,3; vgl. Jon 3,_,. lot Jr 26,4. uoygl. Ez 18,21. u1 Ex 32,9. UI Mich 6,3. lllEz 20,13. n• Ps 81,14. 115 Ps 34,13 f. lOI

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De libero arbitrio

liberam voluntatem. Haec cum nusquam non occurrant, nonne statim succurrit lectori: Quid polliceris ex conditione, quod in tua unius voluntate situm est? Quid expostulas, cum quicquid a me fit seu boni seu mali, tu geras in me velim nolim? Quid exprobras, cum in me non sit tueri, quod dederas, nec excludere malum, quod immittis? Quid ob­ testaris, cum totum ex te pendeat et res ex tua geratur sententia? Quid benedicis, quasi functus sim meo officio, cum tuum sit, quicquid gestum est? Quid maledicis, cum necessitate peccarim? Quorsum autem attinent tot examina praeceptorum, si non est cuiquam ullo pacto in manu servare, quod praeceptum est? Sunt enim, qui negant ho­ minem quantumvis iustificatum dono fidei et caritatis ullum dei praeceptum implere posse, sed omnia bona opera, quoniam in came fiunt, ad damnationem profectura fuisse, ni deus ob meritum fidei ignosceret illa per suam miseri­ cordiam. Ha 17. Atqui sermo, quem per Mosen loquitur dominus Deutero. cap. trigesimo (11-14), declarat non solum in nobis situm, quod praecipitur, verum etiam in proclivi, cum ait: ,Mandatum hoc, quod ego praecipio tibi hodie, non supra te est neque procul positum nec in caelo situm, ut possis dicere: Quis nostrum valet ad caelum ascendere, ut deferat illud ad nos, ut audiamus atque opere compleamus? neque trans mare positum, ut causeris et dicas: Quis e nobis poterit mare transire et illud ad nos usque deferre, ut possimus audire, quod praeceptum est? sed iuxta est sermo valde in ore tuo et in corde tuo, ut facias illum'. Et tarnen

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Willen. Weil solche Ausdrücke überall begegnen, muß da nicht dem Leser sofort einfallen: Was versprichst du unter einer Bedingung, was einzig an deinem Willen gelegen ist? Was machst du Vorhaltungen, während du alles, was von mir Gutes oder Böses getan wird, in mir bewirkst, mag ich wollen oder nicht? Was machst du Vorwürfe, während es nicht an mir liegt zu bewahren, was du wünschst, noch auch das Böse auszuschließen, das du in mich hineinlegst? Was beschwörst du, während alles von dir abhängt, und das Geschehen sich nach deinem Willen vollzieht? Was segnest du, wie wenn ich meine Pflicht getan hätte, wäh­ rend es dein Werk ist, was immer geschehen ist? Was fluchst du, während ich aus Notwendigkeit gesündigt habe? Was aber haben die zahlreichen Prüfungen der Gebote für einen Sinn, wenn es niemandem in irgendeiner Hinsicht möglich ist, in seiner Hand zu bewahren, was geboten wurde? Es gibt nämlich Leute, die leugnen, daß der Mensch, mag er auch noch so sehr durch das Geschenk des Glaubens und der Liebe gerechtfertigt sein, irgendein Gebot Gottes erfüllen kann, sondern daß alle guten Werke, da sie ja im Fleische geschehen, zur Verdammnis führen würden118, wenn nicht Gott sie wegen des Verdienstes des Glaubens durch seine Barmherzigkeit verziehe. Ila 17. Und doch erklärt das Wort, das Gott durch Moses Dt 30,11-14 spricht, daß das, was geboten wird, nicht nur in unsere Hand gelegt ist, sondern sogar leicht ist, wenn er sagt: „Dieses Gesetz, das ich dir heute gebe, ist für dich nicht zu schwer und nicht unerreichbar, es ist nicht im Himmel, daß du sagen müßtest: Wer wird für uns in den Himmel hinaufsteigen, um es zu holen und zu ver­ künden, damit wir es erfüllen können? Es ist auch nicht jenseits des Meeres, daß du sagen müßtest: Wer wird für uns über das Meer fahren, um es zu holen und zu verkünden, damit wir es befolgen können? Nein, ganz nahe ist dir das Gesetz. In deinen Mund und in dein Herz ist es gelegt, so daß du es befolgen kannst." Und dennoch spricht er dort 111 Gegen Luther gerichtet.

De libero arbitrio

illic loquitur de praecepto omnium maximo, ,ut revertaris ad dominum, deum tuum, in toto corde tuo et in tota anima tua'. Et quid sibi vult hoc: ,si tarnen audieris, si custodieris, si revertaris', si nihil horum ullo pacto situm est in nostra potestate? Non adnitar in huiusmodi recitandis esse copio­ sus, cum utriusque testamenti libri talibus undique referti sint, ut qui talia studet conquirere, nihil aliud quam, quod dici solet, per mare quaerat aquas. Itaque bona sacrae scripturae pars, ut dixi, videbitur frigere, si ultimam aut penultimam opinionem receperis. Ila 18. Reperiuntur autem in divinis libris quaedam loca, quae contingentiam ac mutabilitatem etiam quandam deo tribuere videntur. Quod genus est illud, quod legimus Hieremiae cap.

18 (8, 10):

,Si paenitentiam egerit gens illa

a malo suo, quod locutus sum adversus eam, agam et ego paenitentiam super malo, quod cogitavi, ut facerem ei; si fecerit malum in oculis meis et non audierit vocem meam, et ego paenitentiam agam super bono, quod locutus sum, ut facerem ei'. Neque vero nescimus hie scripturam sacram hominum more loqui, quod et alias non raro facit, cum in deum nulla cadat mutabilitas. Sed ex irato propitius fieri dicitur, cum nos ad meliora resipiscentes dignatur sua gratia; rursus ex propitio iratus, cum ad deteriora relapsos

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von dem allergrößten Gebot, „daß du aus ganzem Herzen und aus ganzer Seele wieder zum Herrn, deinem Gott, zurückkehrst117". Und was soll das alles bedeuten: „Wenn du dennoch gehorchst, wenn du befolgst, wenn du zurück­ kehrst118", wenn nichts davon in irgendeiner Hinsicht in unserer Macht liegt? Ich werde mich nicht bemühen, bei der Anführung derartiger Stellen ausführlich zu sein, da die Bücher beider Testamente überall mit derartigen Stellen angestopft sind, so daß der, welcher solche Stellen zu sam­ meln bestrebt ist, nichts anderes tut als, wie man zu sagen pflegt, im Meer nach Wasser sucht119• Daher wird ein guter Teil der Heiligen Schrift, wie gesagt, sinnlos zu sein schei­ nen, wenn man die letzte oder vorletzte Meinung an­ nimmt120. II a

18.

Es finden sich aber in der Heiligen Schrift auch

manche Stellen, die Gott eine „Nichtnotwendigkeit121" und auch eine gewisse Veränderlichkeit zuzuteilen scheinen. Die­ ser Art ist jenes Wort, das wir Jn8,8.rn lesen: „Doch bekehrt dieses Volk sich von seiner Bosheit, um deretwillen ich ihm gedroht, so lasse ich mich das Unheil gereuen, das ich ihm anzutun gedachte ... Tut es aber, was böse ist in meinen Augen, indem es auf meine Stimme nicht hört, dann lasse ich mich das Gute gereuen, das ich ihm zu erweisen dachte." Aber wir wissen ganz genau, daß hier die Heilige Schrift nach Menschenweise redet, was sie auch sonst nicht selten tut, obwohl auf Gott keine Veränderlichkeit zutrifft. Son­ dern man sagt, daß er seinen Zorn abgelegt habe und gnädig werde, wenn er uns, falls wir zur besseren Einsicht kommen, seiner Gnade würdigt; umgekehrt sagt man, er entziehe die Gnade und werde zornig, wenn er die zum 117

Dt 30, 10. 118 Dt 30,8-10. 119 Vgl. „in mare aquas fundere" (Ovid, Trist. V,6,44). 120 Die letzte ist die Ansicht Luthers, die vorletzte die Karlstadts; vgl. lla 12, S. 57. 111 Was von Gott ausgesagt wird, muß sich mit innerer Notwendig­ keit aus Gottes Wesen ableiten lassen. „Contingentia" ist das Gegenteil von „necessitas" und kann von Gott nicht ausgesagt werden. Stellen, die eine „contingentia" in Gott nahelegen, bedürfen einer Auslegung.

72

De libero arbitrio

punit et affiigit. Rursum 4. Regum capite vigesimo (1) audit Ezechias: ,Morieris tu et non vives'. Ac mox post lacrimas audit per eundem prophetam: ,Audivi orationem tuam et vidi lacrimas tuas et conservavi te' etc. Itidem secundo Regum cap. duodecimo (10) David per Nathan audit a domino: ,Non recedet gladius de domo tua usque in sempiternum' etc. Mox ubi dixerat: ,Peccavi domino', audit mitiorem sententiam: ,Dominus quoque transtulit peccatum tuum, non morieris'. In his atque huiusmodi locis quemadmodum tropus sermonis excludit mutabilitatem a deo, ita vitari non potest, quin intelligamus in nobis esse voluntatem huc et illuc flexilem, quae si necessitate flectitur ad malum, cur imputatur peccatum? Si necessitate flectitur ad bonum, cur deus ex irato fit propitius, cum nihilo plus illic debeatur nobis gratiae? II b 1. Atque hactenus quidem ex vetere testamento, de quo fortasse causetur aliquis, nisi haec essent ex eorum genere, quae non solum obliterata non sunt per lucem evangelicam, verum etiam plus vigoris acceperunt. Venia­ mus igitur ad novi testamenti libros. Ac primum occurrit locus ex evangelio, quo Christus deplorans excidium urbis Hierosolymorum ita loquitur: ,Hierusalem, Hierusalem, quae occidis prophetas et lapidas eos, qui missi sunt ad te, quoties volui congregare te, quemadmodum gallina congre­ gat pullos suos sub alas suas, et noluisti?' Si cuncta fiunt necessitate, nonne merito Hierosolyma poterat respondere deploranti domino: Quid inanibus lacrimis te maceras? Si

Über den freien Willen

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Schlechteren Abgeglittenen straft und heimsucht. Wieder­ um 4 Kg

20,1

hört Ezechias: „Du wirst sterben und nicht

mehr genesen." Und bald nach seinen Reuetränen hört er durch den Mund desselben Propheten: „Ich habe dein Gebet gehört und deine Tränen gesehen. So will ich dich

denn wieder gesund werden lassen usw.122" Ebenso hört Sm 12,10 David durch den Mund des Nathan vom Herrn: „So soll nun das Schwert niemals von deinem Hause

2

weichen usw." Sobald er aber gesagt hatte: „Ich habe gegen den Herrn gesündigt", hört er den milderen Spruch: „So hat auch der Herr dir deine Sünde vergeben. Du wirst nicht sterben123.'' Wie in diesen und ähnlichen Stellen die bildliche Redeweise die Annahme einer Veränderlichkeit Gottes ausschließt, so kann man nicht vermeiden, daß wir erkennen, daß es in uns einen Willen gibt, der sich hierhin und dorthin wenden kann; wenn dieser sich mit Notwendig­ keit dem Bösen zukehrt, warum wird eine Sünde angerech­ net? Wenn er mit Notwendigkeit zum Guten gelenkt wird, warum legt Gott den Zorn ab und wird gnädig, da wir dann ebensowenig Anspruch auf Gnade haben ? Ilb

1.

So weit aus dem Alten Testament, worüber sich

vielleicht einer beschweren könnte, wenn diese Stellen nicht von der Art wären, daß sie durch das Licht des Evangeliums nicht nur nicht aufgehoben wurden, sondern sogar mehr Beweiskraft erhalten haben. Kommen wir also zu den Büchern des Neuen Testamentes! Und zuerst begegnet einem die Stelle aus dem Evangelium, in der Christus die Zerstörung der Stadt Jerusalem beweint und folgender­ maßen spricht: „Jerusalem, Jerusalem, du mordest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind! Wie oft wollte ich dich sammeln, wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel sammelt, aber du hast nicht gewollt124.'' Wenn alles mit Notwendigkeit geschieht, hätte nicht Jeru­ salem mit Recht dem klagenden Herrn antworten können: Was quälst du dich mit unnützen Tränen ab? Wenn du 1114 Kg 20,5. 111 2 Sm 12, 13. lHMt 23,37.

74

De Jibero arbitrio

tu nolebas nos auscultare prophetis, cur eos misisti? Cur nobis imputas, quod tua voluntate, nostra necessitate fac­ tum est? Tu volebas nos congregare et idem in nobis nole­ bas, cum hoc ipsum operatus sis in nobis, quod noluerimus. Atqui in verbis domini non accusatur in Iudaeis necessitas, sed prava ac rebellis voluntas: ,Ego volui congregare, tu noluisti'. Rursus alibi: ,Si vis ad vitam ingredi, serva man­ data'. Qua fronte diceretur: ,si vis', cui voluntas libera non est? Item: ,Si vis perfectus esse, vade et vende' etc. Item Lucae nono (23): ,Si quis vult post me venire, abneget semet ipsum et tollat crucem suam et sequatur me'. In praecepto tarn difficili tarnen audis mentionem voluntatis nostrae. Ac mox: ,Qui enim voluerit animam suam salvam facere, perdet eam'. Nonne frigent omnia praeclara prae­ cepta Christi, si nihil tribuitur humanae voluntati? ,Ego autem dico vobis, Ego autem dico vobis' etc. Et: ,Si diligitis me, mandata mea servate'. Quanta apud Ioannem inculcatio mandatorum? Quam male coniunctio: ,si', congruit merae necessitati? ,Si manseritis in me et verba mea in vobis manserint. Si vis perfectus esse'. Ilb 2. Iam ubi toties est operum bonorum et malorum mentio, ubi mentio mercedis, ibi non intelligo, quo pacto locus sit merae necessitati. Neque natura neque necessitas habet meritum. Sie autem dominus noster Iesus loquitur Matth. quinto (12): ,Gaudete et exsultate, quia merces

Über den freien Willen

75

nicht wolltest, daß wir auf die Propheten hören, warum hast du sie gesandt? Warum rechnest du uns an, was durch deinen Willen, durch unsere Notwendigkeit geschehen ist? Du wolltest uns sammeln und dasselbe wolltest du in uns nicht, weil du gerade das in uns bewirkt hast, daß wir nicht wollten. Und doch wird in den Worten des Herrn an den Juden nicht die Notwendigkeit angeklagt, sondern ihr ver­ kehrter und aufrührerischer Wille: „Ich wollte sammeln, du wolltest nicht." Wiederum anderswo: „Willst du aber zum Leben eingehen, so halte die Gebote125,'' Mit welcher Frechheit würde gesagt werden: „Wenn du willst" zu einem, der keinen freien Willen besitzt? Ebenso: „Willst du voll­ kommen sein, so geh hin, verkaufe usw.128" Ebenso Lk 9,23: „Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich, und so folge er mir." Obwohl dieses Gebot so schwer ist, hört man dennoch darin die Erwähnung unseres Willens. Und dann: „Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren127.'' Sind nicht alle bekannten Gebote Christi sinnlos, wenn dem menschlichen Willen keine Wirk­ samkeit zugetraut wird? „Ich aber sage euch, Ich aber sage euch usw.128" Und: „Wenn ihr mich liebt, so haltet meine Gebote129." Wie nachdrücklich ist das Einprägen der Ge­ bote bei Johannes! Wie schlecht verträgt sich die Kon­ junktion „wenn" mit reiner Notwendigkeit: „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben130.'' „Wenn du vollkommen sein willstl31,'' Ilb 2. Wo so oft von guten und bösen Werken die Rede ist, wo von Lohn, sehe ich nicht ein, wie dort noch Raum wäre für reine Notwendigkeit. Weder die Natur noch die Notwendigkeit haben ein Verdienst. So aber spricht unser Herr Jesus Mt 5,12: „Freuet euch und frohlockt; denn U6Mt 19,1 7. 1• Mt 19,21. 117 Lk 9,24. 111 M t 5,22,28 und öfter. lH J o 14,15. uo Jo 15,7. 111 M t 19,21.

De libero arbitrio vestra copiosa est in caelis'. Quid sibi vult parabola de operariis conductis in vineam? An operarii sunt, qui nihil operantur? Datur denarius ex pacto velut operae prae­ mium. Dicet aliquis: Merces dicitur, quod a deo quodam­ modo debetur, qui suam fidem obstrinxit homini, si credi­ derit promissis ipsius. Atqui hoc ipsum: credere, opus est, in quo nonnulla functio est liberi arbitrii, cum sese applicat ad credendum aut avertit. Cur collaudatur servus, qui domini sortem sua auxerat industria, cur damnatur ignavus et cessator, si nihil ibi nostrum est? Rursum cap. vigesimo­ quinto

(35, 36),

cum invitat omnes ad consortium aetemi

regni, non commemorat necessitatem, sed ipsorum bene­ facta: ,Dedistis cibum, dedistis potum, collegistis hospitem, vestistis nudum' etc. Rursus haedis, qui a sinistris sunt, exprobrat non necessitatem, sed

voluntariam operum

omissionem: ,Vidistis esurientem', data est benefaciendi occasio, ,non dedistis cibum' etc. Iam nonne omnes evange­ licae quoque literae plenae sunt exhortationibus: ,Venite ad me, qui onerati estis, vigilate, orate, petite, quaerite, pul­ sate, videte, cavete'? Quid sibi volunt tot parabolae ,de custodiendo verbo dei, de occurendo sponso, de noctumo

Über den freien Willen

77

groß ist euer Lohn im Himmel." Was bedeutet das Gleich­ nis von den für den Weinberg gedungenen Arbeitern132? Oder sind die etwa Arbeiter, die nichts arbeiten? Es wird ver­ einbarungsgemäß ein Denar als Belohnung für die Arbeit gegeben. Da wird einer sagen: Lohn wird genannt, was von Gott gewissermaßen geschuldet wird, der dem Men­ schen seine Treue verbürgt hat, wenn er seinen Verheißun­ gen glaubt. Und doch ist gerade das Glauben notwendig, in dem der freie Wille einige Bedeutung hat, indem er sich dem Glauben zuwendet oder sich von ihm abwendet. War­ um wird der Knecht belobt, der das Kapital seines Herrn durch eigenen Fleiß vermehrt hatte133, warum wird der Faule und der Säumige verdammt, wenn dabei nichts unser Werk ist? Wiederum Mt 25,35-36, wenn Christus alle zur Gemeinschaft des ewigen Reiches einlädt, erwähnt er nicht die Notwendigkeit, sondern ihre Wohltaten: „Ihr habt mir zu essen gegeben, ihr habt mir zu trinken gegeben, ihr habt mich beherbergt, ihr habt mich bekleidet usw." Wiederum wirft er den Böcken, die zur Linken stehen, nicht die Not­ wendigkeit vor, sondern die willentliche Unterlassung von Werken: „Ihr habt mich hungern gesehen" - es wurde die Gelegenheit zur Wohltat gegeben! - „ihr habt mir nicht zu essen gegeben usw.134" Sind nicht auch beinahe alle Schriften

des

Evangeliums

voll

von

Aufforderungen:

„Kommt zu mir alle, die ihr beladen seid135; seid wach­ sam136, betet137, bittet, suchet, klopft an138, seht zu, nehmt euch in acht139?" Was bedeuten die zahlreichen Gleich­ nisse „vom Befolgen des Wortes Gottes140, vom Bräutigam, dem wir entgegenlaufen sollen141, vom nächtlichen Schatzui

Mt 20, 1-16. lll Vgl. Mt 25,14-30. 1" Vgl. Mt 25,42. llliMt 11,28. 111 Mt 24,42. 11'1 Mt 5,44. lllMt 7,7. lll:Mk 8,15. 1'° Mt 13,1-23; vgl. Lk 11,28. u 1 Mt 25,1-13.

De libero arbitrio

suffossore, de domo fundanda super petram'? Nimirum ad studium, ad conatum, ad industriam nos excitant, ne pereamus negligentes dei gratiam. Haec aut frigida videntur aut supervacanea, si cuncta referantur ad necessitatem. Idem dicendum est de minis evangelicis: ,Vae vobis, scribae, vae vobis, hypocritae, vae tibi, Corozaim!' Frigebunt et exprobrationes illae: ,0 generatio incredula et perversa, quamdiu ero vobiscum, quamdiu vos patiar, serpentes, pro­ genies viperarum, quomodo fugietis a iudicio gehennae? Ex fructibus', inquit dominus, ,eorum cognoscetis eos'. Fructus opera dicit, ea nostra vocat; at ea nostra non sunt, si cuncta geruntur necessitate. Orat in cruce: ,Pater, ignosce illis, quia nesciunt, quid faciunt'. Quanto iustius excusasset eos, quia non est illis libera voluntas nec possunt, si velint, aliter facere! Rursus Ioannes: ,Dedit eis potestatem filios dei fieri, his, qui credunt in nomine ipsius'. Quomodo datur potestas, ut filii dei fiant, qui nondum sunt, si nostrae voluntatis nulla est libertas? Cum quidam offensi verbis domini discessissent ab eo, dixit proximis discipulis: ,Num­ quid et vos vultis abire?' Si illi non discesserant sua sponte, sed necessitate, cur ceteros interrogat, num et ipsi velint?

Über den freien Willen

79

gräber142, vom Bauen des Hauses auf Felsgrund143?" Ohne Zweifel rufen sie uns zum Streben, zum Versuch, zum Fleiß auf, damit wir nicht zugrunde gehen, weil wir uns um die Gnade Gottes nicht kümmern. Dies erscheint entweder als sinnlos oder als überflüssig, wenn alles auf Notwendigkeit zurückgeführt würde. Dasselbe ist von den Drohungen des Evangeliums zu sagen: „Weh euch, ihr Schriftgelehrten, weh euch, ihr Heuchler144, weh dir, Korozain14ö.'' Sinnlos werden auch folgende Vorwürfe sein: „0 ungläubiges und verkehrtes Geschlecht! Wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange euch noch ertragen146? Ihr Schlangen- und Nat­ terngezücht, wie wollt ihr der Verurteilung zur Hölle ent­ rinnen147?" „An ihren Früchten", sagt der Herr, „sollt ihr sie erkennen1411". Früchte nennt er die Werke, diese be­ zeichnet er als u n s e r e Werke; aber sie sind nicht unsere, wenn alles durch Notwendigkeit geschieht. Er betet am Kreuz: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun149!" Wieviel gerechter hätte er sie entschuldigt, daß sie keinen freien Willen haben und nicht anders handeln können, auch wenn sie wollten! Wiederum Johannes: „Er gab ihnen die Macht, Kinder Gottes zu werden. Denen, die da glauben an seinen Namen150.'' Wie wird Macht gegeben, daß die Kinder Gottes werden, die es noch nicht sind, wenn unser Wille keine Freiheit besitzt? Als einige, über die Worte des Herrn empört, ihn verließen, sagte er seinen nächsten Jüngern: „Wollt etwa auch ihr weggehen151?" Wenn jene nicht aus freien Stücken weggegangen waren, sondern aus Notwendigkeit, warum fragt er die übrigen, ob auch sie gehen wollten? m

Anspielung auf Mt 13,44.

H•Mt 7,24f. 1" Mt 23,13ff. HI Mt n,21. HIMk 9,19. 167 Mt 23,33. WMt 7,16. HILk 23,34.

111Jo1,12.

m Jo 6,68.

80

De libero arbitrio

II b 3. Sed non erimus molesti leetori reeensendis huius­

modi locis omnibus, quorum ut non est numerus, ita sua sponte facile euique oeeurrunt. Dispieiamus, an et apud Paulum, strenuum assertorem gratiae et perpetuum ex­ pugnatorem operum legis, reperire lieeat, quod statuat liberum arbitrium. Atque in primis oeeurrit loeus in epistola ad Romanos eap. seeundo (4): ,An divitias', inquit, ,bonitatis eius et patientiae et longanimitatis eontemnis? An ignoras, quod benignitas dei ad paenitentiam te addueit?' Quomodo imputatur eontemptus praeeepti, ubi non est libera volun­ tas? Aut quomodo deus invitat ad paenitentiam, qui auetor est impaenitentiae? Aut quomodo iusta est dam­ natio, ubi iudex eogit ad malefieium? Et tarnen Paulus paulo ante dixerat: ,Seimus enim, quoniam iudieium dei est seeundum veritatem in eos, qui talia agunt'. Audis aetionem, audis iudieium seeundum veritatem. Ubi mera neeessitas? Ubi voluntas nihil aliud quam patiens? Vide vero, eui malum illorum imputet Paulus: ,Seeundum autem duritiem tuam et impaenitens eor thesaurizas tibi iram in die irae et revelationis iusti iudieii dei, qui reddet unieuique seeun­ dum opera eius'. Et hie audis iustum dei iudieium, audis opera digna supplieio. Quod si deus sua tantum bona opera, quae per nos operatur, imputaret nobis ad gloriam et honorem et immortalitatem, plausibilis esset benignitas (quamquam et hie admiseet apostolus: ,seeundum patien­ tiam boni operis', et rursum: ,quaerentibus vitam aeternam'). Ceterum qua iustitia infligitur ira, indignatio, tribulatio,

Über den freien Willen

81

Ilb 3. Aber wir werden dem Leser nicht lästig fallen durch die Anführung aller derartigen Stellen, die einerseits zahllos sind, andererseits einem jeden leicht von selbst begegnen. Wir wollen Ausschau halten, ob man auch bei Paulus, dem wackeren Verteidiger der Gnade und Kämpfer gegen die Werke des Gesetzes, finden kann, was den freien Willen festlegt. Und in erster Linie begegnet die Stelle Röm 2,4: „Oder mißachtest du", sagt er, „den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut? Weißt du nicht, daß Gottes Güte dich zur Umkehr bringen will?" Wieso wird Verachtung des Gebotes vorgeworfen, wo es keinen freien Willen gibt? Oder wieso lädt Gott zur Umkehr ein, der der Urheber der Unbußfertigkeit ist? Oder wieso ist die Ver­ dammung gerecht, wo der Richter zur bösen Tat zwingt? Und doch hatte Paulus kurz vorher gesagt: „Wir wissen aber, daß Gottes Gericht gemäß der Wahrheit über die ergeht, die solches tunlli2," Man hört „tun", man hört „Gericht gemäß der Wahrheit". Wo ist die reine Notwendig­ keit? Wo der Wille, der ausschließlich leidetlli3? Siehe aber, wem Paulus deren Übeltat anrechnet: „Aber mit deinem Starrsinn und deinem unbußfertigen Herzen häufst du dir Zorn auf für den Tag des Zornes und der Offen­ barung des gerechten Gerichtes Gottes. Er wird einem jeden nach seinen Werken vergelten1"." Auch hier hört man „gerechtes Gericht Gottes", hört man „Werke, der Strafe würdig". Wenn nun Gott nur seine eigenen guten Werke, die er durch uns wirkt, uns zum Ruhm und zur Ehre und Unsterblichkeit anrechnete, wäre seine Güte einleuchtend (obwohl auch hier der Apostel hinzufügt: „denen, die in guten Werken ausharren", und wieder­ um: „denen, die nach dem ewigen Leben trachtenl&li"). Was ist das übrigens für eine Gerechtigkeit, durch die Zorn, Empörung, Drangsal, Not gegen einen Menschen gerichtet werden, wie wenn er Böses wirkte, der doch 111Röm 2,2. 111 Gegen Luther und Karlstadt gerichtet. 1HRöm 2,5f. 1615Röm 2,7.

De libero arbitrio

angustia homini velut operanti malum, qui nihil operatur sponte, sed omnia facit necessitate? Ilb 4. Iam qui consistunt illae Pauli collationes de currentibus in stadio, de brabeo, de corona, si nihil est tri­ buendum nostro conatui? Ad Corinth. cap. nono (24, 25): ,An nescitis, quod hi, qui in stadio currunt, omnes quidem currunt, sed unus accipit brabeum? Sie currite, ut com­ prehendatis' etc. Ac mox: ,Et illi quidem, ut corruptibilem coronam accipiant, nos autem incorruptam'. Corona non datur, nisi certantibus, et praemii loco datur, tamquam hunc honorem promeritis. Rursum ad Timotheum prima cap. sexto (12): ,Certa', inquit, ,bonum certamen fidei, apprehende vitam aetemam'. Ubi certamen est, ibi conatus est voluntarius, ibi periculum est, ne, si cesses, perdas praemium. Non itidem fit, ubi mera necessitate eveniunt omnia. Rursum ad eundem epistolae secundae cap. secundo (5): ,Nam et qui certat in agone, non coronatur, nisi qui legi­ time certaverit'. Ac paulo superius: ,Labora sicut bonus miles Christi'. Meminit et agricolae laborantis. Certanti datur corona, militanti salarium, agricola fructum percipit. Item eiusdem epistolae cap. quarto

(7, 8):

,Bonum', inquit, ,cer­

tamen certavi, cursum consummavi. In reliquum reposita est mihi corona iustitiae, quam reddet mihi dominus in illa die, iustus iudex'. Mihi düficile videtur certamen, coronam, iustum iudicem, reddendi, certandi verbum coniungere cum omnium rerum mera necessitate, cum voluntate nihil agente, sed tantum patiente. II b 5. Iacobus item hominum peccata non tribuit neces­ sitati ac deo in nobis operanti, sed ipsorum depravatae con-

Über den freien Willen

nichts nach seinem Willen wirkt, sondern alles mit Not­ wendigkeit tut? II b 4. Wie können dann jene Vergleiche des Paulus von den Läufern in der Rennbahn, vom Siegespreis, vom Kranz bestehen, wenn unserem Bemühen keine Wirkung zu­ kommt? 1 Kor9,24-25: „Wißt ihr nicht, daß die Läufer in der Rennbahn zwar alle laufen, aber nur einer den Sieges­ preis gewinnt? Laufet also, daß ihr ihn erlanget usw." Und bald darauf: „Und jene (tun es), um einen vergäng­ lichen Kranz zu gewinnen, wir aber, um einen unvergäng­ lichen." Der Kranz wird nur den Wettkämpfern gegeben, und er wird als Belohnung verliehen, da sie gleichsam diese Ehrung verdient haben. Wiederum sagt er 1 Tim 6,12: „Kämpfe den guten Kampf des Glaubens. Ergreife das ewige Leben". Wo Kampf ist, dort ist willentliches Streben, dort ist Gefahr, die Belohnung zu verlieren, wenn man nachläßt. Nicht so geht es, wo alles aus reiner Notwendig­ keit geschieht. Wiederum 2 Tim 2,5: „Auch wer im Ring­ kampf auftritt, erhält nur dann den Siegeskranz, wenn er ordnungsgemäß kämpft." Und kurz vorher: „Strenge dich an als tüchtiger Streiter Christi156." Er gedenkt auch des arbeitenden Bauern157• Dem Wettkämpfer wird der Kranz gegeben, dem Soldaten der Sold, der Bauer erntet die Frucht158. Desgleichen sagt er 2 Tim 4,7-8: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet ... Nun liegt für mich die Krone der Gerechtigkeit bereit. Der Herr, der gerechte Richter, wird sie mir an jenem Tage geben." Mir scheint es schwer, die Worte „Kampf", „Krone", „ge­ rechter Richter", „geben", „kämpfen" zu vereinbaren mit der reinen Notwendigkeit allen Geschehens, mit einem Willen, der nichts tut, sondern nur leidet159• II b 5. Jakobus führt desgleichen die Sünden der Men­ schen nicht auf eine Notwendigkeit und den in uns wirken1M 2 Tim 2,3. „Labora" scheint so richtiger übersetzt als bei Rösch: „Leide mit". 167 2 Tim 2,6. 1151 Vgl. 1 Kor 9,7. U1 G egen Luther und Karlstadt gerichtet.

De libero arbitrio

cupiscentiae. ,Deus', inquit, ,neminem tentat, sed unus­ quisque tentatur a concupiscentia sua abstractus et illectus; deinde concupiscentia, cum conceperit, parit peccatum'. Malefacta hominum Paulus vocat opera carnis, non opera

dei, videlicet hoc appellans carnem, quod Iacobus vocat concupiscentiam. Et in Actis audit Ananias: ,Cur tentavit

Satanas cor tuum?' Paulus item ad Ephes. cap. secundo (2) mala opera tribuit spiritui huius aeris, qui operatur in filiis diffidentiae. ,Quae communicatio Christo cum Belial? Aut facite', inquit, ,arborem bonam et fructus eius bonos, aut facite arborem malam et fructus eius similiter malos'. Qua igitur fronte quidam deo, quo nihil potest esse melius, tribuunt fructus pessimos? Quamquam autem humana con­ cupiscentia sollicitatur a Satana aut rebus extrariis aut alioqui per occasionem rei, quae est in homine, tarnen sollicitatio non affert peccandi necessitatem, si velimus obniti implorato divino praesidio, quemadmodum spiritus Christi provocans nos ad bene agendum non affert necessi­ tatem, sed apern. Consentit cum Jacobo Ecclesiasticus cap.

15 (21):

,Nemini mandavit deus impie agere et nemini dedit

spatium peccandi'. At qui cogit, plus facit, quam si mandet. Sed evidentius est, quod scribit Paulus

2.

ad Timoth. se­

cundo (21 ): ,Si quis ergo se emundaverit ab istis, erit vas in honorem'. Quomodo emundat se, qui nihil agit omnino? Scio hie subesse tropum, sed in praesentia mihi satis est,

Über den freien Willen den Gott zurück, sondern auf ihre eigene verkehrte Begehr­ lichkeit. Er sagt: „Gott versucht niemand. Vielmehr wird jeder, der versucht wird, von der eigenen Begehrlichkeit gereizt und gelockt; hat dann die Begehrlichkeit emp­ fangen, so gebiert sie die Sünde160.'' Die Untaten der Menschen nennt Paulus Werke des Fleisches 161, nicht Werke Gottes, wobei er natürlich mit dem Ausdruck „Fleisch" bezeichnet, was J akobus die Begehrlichkeit nennt. Und in der Apostelgeschichte hört Ananias: „Warum hat

der Satan von deinem Herzen Besitz genommen 162?" Pau­

lus führt Eph 2,2 die bösen Werke auf den Geist dieser Luft zurück, der in den Kindern des Ungehorsams wirkt. „Wie stimmen Christus und Belial zusammen163? Erklärt ihr den Baum für gut, müßt ihr auch seine Früchte für gut halten, oder erklärt ihr den Baum für schlecht, so müßt ihr auch seine Frucht für schlecht halten1".'' Mit welcher Frechheit also führen einige die schlechtesten Früchte auf Gott zurück, der doch das absolut Gute ist? Ob­ wohl aber die menschliche Begehrlichkeit vom

Satan

entweder durch äußere Dinge oder

einen

auch durch

im Innern des Menschen gelegenen Ansatzpunkt erregt wird, bringt doch die Reizung nicht die Notwendigkeit zu sündigen mit sich, wenn wir dagegen ankämpfen wollen unter Anrufung der göttlichen Hilfe, wie der Geist Christi, der uns zum guten Handeln aufruft, nicht Zwang, sondern Hilfe bringt. Mit Jakobus stimmt Sir 15,21 überein: „Kei­ nem gibt Gott Befehl zu freveln, keinem die Erlaubnis zu sündigen." Aber wer zwingt, tut mehr, als wenn er nur befiehlt. Noch einleuchtender ist, was Paulus 2 Tim 2,21 schreibt: „Wer sich mit solchen Leuten nicht einläßt, wird zu einem Gefäß, das eine ehrenvolle Bestimmung hat." Wie kann sich der reinhalten (

=

sich nicht einlassen), der über­

haupt nichts tut? Ich weiß, daß hier eine bildliche Redeweise HO Jak I, 13-15. 181 Gal 5,19. HIApg 5,3. 113 2 Kor 6, 15. 1"Mt 12,33.

De libero arbitrio

86

quod hie sermo multum dissonat ab his, qui volunt omnia tribuere merae necessitati. Concinit huic illud 1. Ioan. 5: ,Omnis, qui habet hanc spem in eo, sanctificat se, sicut et ille sanctus est'. Admittam hie tropum, si vicissim illi nobis in aliis locis permittent tropi praesidium. Et tarnen nimis impudens fuerit tropus, si quis interpretetur: sanctificat se, id est velit nolit sanctificatur a deo. ,Abiciamus', inquit Paulus, ,opera tenebrarum'. Et: ,Exspoliantes veterem homi­ nem cum actibus suis'. Quomodo iubemur abicere et exuere, si nihil agimus? Item ad Ro. 7 (18): ,Nam velle adiacet mihi, perficere autem bonum non invenio'. Hie Paulus videtur fateri esse in hominis potestate velle, quod bonum est; atqui hoc ipsum velle benefacere bonum est opus, alioqui nec velle malum erit in malis. Ceterum extra controversiam est voluisse occidere malum esse. Ilb 6. Rursum 1. ad Cor. 14 (32): ,Spiritus', inquit, ,prophetarum prophetis subiectus est'. Si quos agit spiritus sanctus, sie agit, ut sit illis liberum, si velint, obticescere, multo magis hominis voluntas ex sese sui iuris est. Nam hi, quos agit spiritus phanaticus, nec tacere possunt, si velint, et saepe non intelligunt ipsi, quid loquantur. Eodem perti­ net

illud,

quod

admonet Timotheum:

,Noli negligere

gratiam, quae in te est'. Declarat enim in nobis esse avertere animum a gratia data. Item alibi: ,Et gratia eius in me

Über den freien Willen

vorliegt, aber für den Augenblick genügt es mir, daß dieses Wort denen gewaltig widerspricht, die alles der reinen Notwendigkeit zuteilen wollen. Damit stimmt jenes Wort 1 Jo 5165 überein: „Jeder, der diese Hoffnung auf ihn setzt,

heiligt sich, wie er heilig ist." Ich möchte hier bildliche Redeweise zugestehen, wenn dagegen jene uns die Annahme bildlicher Redeweise an anderen Stellen gestatteten. Und doch wäre es eine allzu unverschämte bildliche Redeweise, wenn jemand auslegte: er heiligt sich, d. h. er wird, mag er wollen oder nicht, von Gott geheiligt. „So laßt uns ablegen", sagt Paulus, „die Werke der Finsternis166.'' Und: „Habt ihr doch den alten Menschen samt seinen Taten ausgezogen167.'' Wieso befiehlt man uns, abzulegen und auszuziehen, wenn wir nichts tun? Desgleichen Röm 7 ,18: „Der Wille zum Guten ist zwar da, aber es fehlt am Voll­ bringen." Hier scheint Paulus zu bekennen, es liege in der Macht des Menschen zu wollen, was gut ist; und doch ist ge­ rade dieses Gutes-tun-wollen ein gutes Werk, sonst wird auch nicht das Böses-wollen zu den bösen Werken gehören. Übri­ gens steht außer Streit, daß töten zu wollen etwas Böses ist. II b 6. Wiederum sagt er 1 Kor 14,32: „Der Geist der Pro­ pheten ist den Propheten untertan.'' Wenn der Heilige Geist irgendwelche Leute antreibt, treibt er so an, daß es jenen freisteht zu verstummen, wenn sie wollten; viel eher gehorcht der Wille des Menschen aus sich heraus seinem eigenen Gesetz. Denn die, die von einem fanatischen Geist getrieben werden,

können auch dann nicht schweigen,

wenn sie wollten, und oft verstehen sie selbst nicht, was sie sprechen. Eben darauf bezieht sich das, woran

er

Timotheus erinnert: „Laß die Gnadengabe in dir nicht brach liegen168.'' Denn er erklärt, es liege bei uns, das Herz von der angebotenen Gnade abzuwenden. Ebenso anders­ wo: „Seine Gnade ist in mir nicht unwirksam gewesen188.'' 111

Die Stelle findet sich 1 Jo 3,3.

Röm 13, 12. Kol 3,9. 11• 1 Tim 4, 14. 111 1 Kor 15, 10.

111

117

88

De libero arbitrio

vacua non fuit'. Significat se non defuisse gratiae divinae. Quomodo non defuit, qui nihil egit? Petrus epist. 2. cap. 1

(5): ,Vos autem', inquit,

,omnem curam subinferentes mini­

strate in fide vestra virtutem' etc. Ac mox: ,Quapropter, fratres, magis satagite, ut per bona opera certam vocatio­ nem vestram et electionem faciatis'. Vult nostram solli­ citudinem iungi gratiae divinae, ut per gradus virtutum perveniamus ad perfectionem. Ilb 7. Sed iamdudum vereor, ne cui videar in his con­ gerendis immodicus, cum nusquam non occurrant in divinis voluminibus. Cum enim scribat Paulus secunda ad Timo­ theum cap. tertio (16): ,Omnis enim scriptura divinitus inspirata utilis est ad docendum, ad arguendum, ad corri­ piendum, ad erudiendum' etc., nihil horum videtur habere locum, ubi mera et inevitabili necessitate geruntur omnia. Quorsum pertinent tot encomia sanctorum apud Eccle­ siasticum cap. quadragesimoquarto et sequentibus aliquot, si nihil debetur industriae nostrae? Quid sibi vult ubique laudata oboedientia, si ad bona et simul mala opera tale sumus instrumentum deo, quale securis est fabro? Ilb 8. At tale instrumentum sumus omnes, si verum est dogma Vuyclevi, omnia et ante gratiam et post gratiam, bona pariter ac mala, quin et media, mera necessitate geri, quam sententiam approbat Lutherus. Quod ne quis a me confictum causetur, ipsius verba subscribam ex assertioni­ bus: ,Unde', inquit, ,et hunc articulum necesse est revocare. Male enim dixi, quod liberum arbitrium ante gratiam sit res de solo titulo, sed simpliciter debui dicere: Liberum

Über den freien Willen

Er gibt zu verstehen, daß er sich der göttlichen Gnade nicht versagt hat. Wieso hat der sich nicht versagt, der doch nichts getan hat? Petrus sagt 2 Petr 1,5: „Deswegen wendet allen Fleiß an und betätigt in eurem Glauben die sittliche Tatkraft usw." Und bald darauf: „Brüder, be­ strebt euch darum um so mehr, daß ihr eure Berufung und Erwählung durch gute Werke sicherstellt170." Er will, daß unser Streben sich mit der göttlichen Gnade verbindet, damit wir über die Stufen der Tugend zur Vollendung gelangen. Ilb 7. Aber schon lange fürchte ich, jemandem in der Anführung dieser Texte maßlos zu erscheinen, da sie einem ja überall in der Heiligen Schrift begegnen. Während nämlich Paulus

2

Tim 3,16 schreibt: „Denn jede von Gott eingege­

bene Schrift dient zur Belehrung, Widerlegung, Zurecht­ weisung und zur Erziehung usw.", scheint nichts davon Platz zu haben, wo alles aus reiner und unausweichlicher Notwendigkeit geschieht. Worauf beziehen sich die zahl­ reichen Lobpreisungen der Heiligen in Sir 44 und in etlichen folgenden Kapiteln, wenn unser Eifer nicht verdienstlich ist? Was soll der überall gelobte Gehorsam, wenn wir für Gott zu den guten und in gleicher Weise zu den bösen Werken nur ein solches Werkzeug sind, wie die Axt für den Zimmermann17I? Ilb 8. Aber ein solches Werkzeug sind wir alle, wenn der Lehrsatz des Wiclif wahr ist, daß alles sowohl vor als auch nach Empfang der Gnade, Gutes in gleicher Weise wie Böses, und auch was dazwischen liegt, aus reiner Notwendig­ keit geschieht, eine Meinung, die Luther billigt. Damit sich niemand darüber beschwert, daß dies von mir erfunden sei, will ich seine eigenen Worte aus den >Behauptungen< an­ führen. Er sagt: „Daher ist es notwendig, auch diesen Artikel zu widerrufen. Denn ich habe mich unpassend aus­ gedrückt, daß der freie Wille vor Empfang der Gnade eine Sache der bloßen Bezeichnung sei; sondern ich hätte einfach 110 2 in

Petr

1, 10.

Vgl. WA XVIII,699.

De libero arbitrio

arbitrium est figmentum in rebus seu titulus sine re, quia nulli est in manu quippiam cogitare mali aut boni, sed omnia, ut Vuyclevi articulus Constantiae condemnatus recte docet, de necessitate absolute eveniunt'. Hactenus Lutheri verba recitavimus. Multa loca prudens praetereo, quae sunt in Actis et in Apocalypsi, ne molestus sim lectori. Haec tarn multa non sine causa moverunt eruditos ac sanctos viros, ne in totum tollerent liberum arbitrium. Tantum abest, ut spiritu Satanae fuerint instigati sibique damnationem accersierint fidentes operibus suis. III a 1. Nunc tempus est, ut ex adverso recenseamus aliquot scripturarum testimonia, quae videntur prorsus tollere liberum arbitrium. Ea sane nonnulla sunt obvia no­ bis in sacris voluminibus, sed in his duo praecipua sunt ac ceteris evidentiora, quorum utrumque sie tractat Paulus apostolus, ut prima specie nihil omnino tribuere videatur vel operibus nostris vel liberi arbitrii viribus. Alter locus est Exodi cap. 9 (12, 16) et tractatur a Paulo epistolae ad Romanos cap. nono (14sq): ,Induravitque dominus cor Pharaonis et non audivit eos'. Et rursus: ,Idcirco autem posui te, ut ostendam in te fortitudinem meam et narretur nomen meum in omni terra'. Paulus sie explicat adducens similem locum, qui est Exodi trigesimosecundo: ,Mosi enim dixit: Miserebor, cuicumque misereor, et commiserabor, quemcumque commiseror. Igitur non volentis neque cur­ rentis, sed miserentis est dei'. Alter est apud Malachiam

Über den freien Willen

sagen sollen: Der freie Wille ist etwas der Wirklichkeit Angedichtetes oder eine bloße Bezeichnung ohne sachliche Grundlage, weil es niemand in der Hand hat, irgendetwas Böses oder Gutes auszudenken, sondern alles, wie der in Konstanz verworfene Satz des Wiclif richtig lehrt, absolut mit Notwendigkeit geschieht172.'' So weit haben wir die Worte Luthers zitiert. Viele Stellen, die in der Apostel­ geschichte und in der Apokalypse stehen, übergehe ich klugerweise, um dem Leser nicht lästig zu fallen. Diese so zahlreichen Stellen haben nicht ohne Grund gelehrte und heilige Männer bewogen, den freien Willen nicht gänzlich zu beseitigen. Keine Rede davon, daß sie vom Geist Satans angetrieben173 gewesen wären und die Verdammnis auf sich herabgerufen hätten, indem sie auf ihre Werke ver­ trauten. III a 1. Jetzt ist es Zeit, von der anderen Seite eine Anzahl von Zeugnissen der Schrift zu durchdenken, welche den freien Willen geradezu auszuschließen scheinen. Der­ artige Zeugnisse begegnen uns gewiß einige in der Heiligen Schrift, aber darunter sind zwei besonders wichtig und einleuchtender als die übrigen, die der Apostel Paulus so behandelt, daß er dem ersten Anschein nach unseren Wer­ ken oder den Kräften des freien Willens überhaupt nichts zuzutrauen scheint. Die eine Stelle ist Ex 9,12,16 und wird von Paulus Röm 9,14ff. behandelt: „Doch der Herr ver­ härtete das Herz des Pharao, und hörte nicht auf sie." Und wiederum: „Doch ich ließ dich absichtlich am Leben, um dich meine Macht fühlen zu lassen, und damit man meinen Namen preist auf der ganzen Erde." Paulus gibt folgende Erklärung, wobei er eine ähnliche Stelle heranzieht, die Ex 33,19 steht174: „Denn er sagte zu Moses: Ich werde gnädig sein, wem ich gnädig sein will, und ich werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarmen will. Somit kommt es nicht auf das eigene Wollen oder Laufen an, sondern auf Gottes Erbarmen." Die andere Stelle steht Mal 1,2,3 und WA VIl,146; Luther schreibt im letzten Satz „absoluta". 171 WA VII, 145. m Die Kapitelangabe im Iat. Text ist falsch. 171

De libero arbitrio

cap. primo (2, 3), et tractatur apud Paulum cap. nono (n-13): ,Nonne frater erat Jacob, dicit dominus? Et dilexi Jacob, Esau autem odio habui'. Paulus sie explicat: ,Cum enim nondum nati essent aut aliquid boni egissent aut mali, ut secundum electionem propositum dei maneret, non ex operibus, sed ex vocante dictum est ei, quia maior serviet minori, sicut scriptum est: Jacob dilexi, Esau autem odio habui'. Illa

2.

Quoniam autem absurdum videtur, ut deus, qui

non solum iustus est, verum etiam bonus, indurasse dicatur cor hominis, ut per illius malitiam suam illustraret poten­ tiam, Origenes libro m:pt ocpy_&v tertio sie explicat nodum, ut fateatur occasionem indurationis datam a deo, culpam tarnen in Pharaonem reiciat, qui sua malitia factus sit obstinatior per haec, per quae debebat ad paenitentiam adduci; quemadmodum ex eodem imbre terra culta produ­ cit fructum optimum, inculta spinas ac tribolos, et quemad­ modum ex eodem sole cera liquescit, limus durescit, ita lenitas dei, quae tolerat peccantem, alios adducit ad paenitentiam, alios reddit obstinatiores in malitia. Misere­ tur ergo eorum, qui dei bonitatem agnoscentes resipiscunt. Indurantur autem, qui dilati ad paenitentiam neglecta dei bonitate proficiunt ad deteriora. Tropum autem, quo dicitur fecisse, qui dedit occasionem, probat primum ex consuetudine sermonis popularis, quo vulgo pater dicit filio: Ego te perdidi, quod errantem non statim punierit. Illa

3.

Usus est simili tropo Esaias cap.

63 (17):

,Quare

Über den freien Willen

93

wird bei Paulus Röm 9,n-13 behandelt: „Ist nicht Esau der Bruder Jakobs175? - Spruch des Herrn -. Aber ich liebte den Jakob und haßte den Esau." Paulus erklärt folgendermaßen: „Noch waren die Kinder nicht geboren und hatten weder Gutes noch Böses getan. Damit nun der freigewählte Ratschluß Gottes bestehen bleibe, den nicht Werke, sondern der Berufende bestimmen, ward Rebekka gesagt: ,Der Ältere wird dem Jüngeren dienstbar !;ein.' So steht auch geschrieben: ,Jakob habe ich geliebt, Esau ge­ haßt.'" lila

2.

Weil es aber als unsinnig erscheint, daß Gott, der

nicht nur gerecht, sondern auch gut ist, das Herz des Men­ schen verhärtet haben soll, um durch dessen Bosheit seine Macht zu erweisen, erklärt Origenes im dritten Buch >Über die UrsprüngeHebräischen UntersuchungenSprüchen< anführt, hätte man eine riesige Menge von überallher sammeln können, aber sie würde eher zur Häufung dienen als zum Sieg. Solche Art von Beweisen pflegen die Redelehrer mitten in die Schlacht zu werfen. Die meisten sind nämlich derartig, daß sie bei An­ wendung einer passenden Auslegung entweder auf seiten des freien Willens zu stehen oder gegen den freien Willen zu streiten imstande sind. III b 8. Für ein „achilleisches und treffsicheres Geschoß286" hält Luther, was Christus Jo 15,5 sagt: „Ohne mich könnt ihr nichts tun." Und doch kann man darauf meiner Mei­ nung nach auf mehrere Weisen antworten. Zunächst sagt man im Volksmund „nichts tun" von einem, der das nicht erreicht, was er anstrebt, und doch machte häufig der, der strebt, in irgendeiner Richtung Fortschritte. In diesem Sinn ist es sehr wahr, daß wir ohne Christus nichts tun können; er spricht nämlich dort von der Frucht des Evan­ geliums, die nur denen zuteil wird, die am Weinstock bleiben, der Christus Jesus ist. In der gleichen bildlichen Redeweise sagte Paulus: „Da kommt es weder auf den an, der pflanzt, noch auf den, der begießt, sondern auf Gott, der das Wachstum gibt287." Was von ganz geringer Bedeutung und an sich unnütz ist, nennt er „nichts"288• Desgleichen

1 Kor 13,2: „Hätte ich aber die Liebe nicht, so wäre ich nichts." Und dann: „Nichts nützt mir289." Wiederum Röm

4,17: „Er ruft das, was nicht ist, ins Dasein." Wiederum aus Osee nennt er das verachtete und verworfene Volk ein 2" Vgl. Adagia 1, VII,41. Luther greift den Ausdruck W A XVIII, 748 a uf. Vgl. WA VIl,142. 287 l Kor 3,7. 188Vgl. Fisher, a.a.O., 553. 281 l Kor 13,3; vgl. Fisher, a.a.O., 554.

De libero arbitrio

Simili figura dictum est in Psalmis: ,Ego sum vermis et non homo'. Alioqui si quis urgeat hac voce: ,nihil', ne peccare quidem licebit sine Christo (nam Christum hie opinor dici gratiam eius) nisi confugiant ad illud iam explosum, peccatum esse nihil. Et hoc in aliquo sensu verum est, quandoquidem nec sumus nec vivimus nec movemur sine Christo. Atqui isti donant nonnumquam liberum arbitrium absque gratia valere ad peccandum. Donarat hoc Lutherus ipse in principio suae assertionis. III c

1.

Eodem pertinet, quod ait Ioannes Baptista: ,Non

potest homo accipere quicquam, nisi fuerit ei datum de caelo', nec ideo consequitur nullam esse vim aut usum liberi arbitrii. Quod ignis calefacit, e caelo venit, quod nos iuxta naturae sensum expetimus utilia et refugimus noxia, e caelo est, quod post lapsum impellitur voluntas ad meliora studia, e caelo est, quod lacrimis, eleemosynis, precibus assequimur gratiam, quae nos deo gratos reddit, e caelo est. Nec interim nihil agit nostra voluntas, quamquam non assecutura, quod conatur, nisi adiutrice gratia; sed quo­ niam minimum hoc est, quod per nos agitur, totum deo transcribitur, quemadmodum navita, qui navim in portum deduxit e gravi tempestate incolumem, non dicit: Ego servavi navim, sed: Deus servavit, et tarnen illius ars et industria non fuit otiosa. Similiter agricola convehens uberem proventum ex agris in horrea non dicit: Ego dedi

Uber den freien Willen

13 7

„Nicht-Volk"290• In gleicher Weise wurde in den Psalmen gesagt: „Doch ich -, ein Wurm bin ich, nicht mehr ein Mensch291." Sonst wird es, wenn jemand den Ausdruck „nichts" pressen wollte, ohne Christus nicht einmal mög­ lich sein zu sündigen (denn ich glaube, daß mit „Christus" hier seine Gnade gemeint ist292), wenn man nicht zu jener schon verworfenen Meinung Zuflucht nimmt, die Sünde sei nichts. Auch das ist in einem gewissen Sinn wahr, weil wir ohne Christus weder sind noch leben noch uns bewegen. Und doch geben jene manchmal zu, daß der freie Wille ohne Gnade zum Sündigen imstande sei. Das hatte Luther selbst am Beginn seiner >Festen Behauptung< zugegeben293• III c

1.

Auf dasselbe bezieht sich, was Johannes der Täu­

fer sagt: „Kein Mensch kann etwas in Empfang nehmen, wenn es ihm nicht vom Himmel gegeben wird294", doch folgt daraus noch nicht, daß es kein Vermögen und keinen Gebrauch des freien Willens gibt. Daß das Feuer wärmt, kommt vom Himmel, daß wir unserem natürlichen Gefühl gemäß das Nützliche anstreben und das Schädliche meiden, kommt vom Himmel, daß nach dem Fall der Wille zu besseren Anstrengungen angetrieben wird, kommt vom Himmel, daß wir durch Tränen, Almosen und Gebete die Gnade erlangen, welche uns Gott angenehm macht, kommt vom Himmel. Und keineswegs ist inzwischen unser Wille untätig, obwohl er nur mit Hilfe der Gnade erreichen wird, wonach er strebt; aber weil das ganz wenig ist, was durch uns getan wird, wird das Ganze Gott zugeschrieben, wie der Seemann, der sein Schiff aus einem schweren Sturm unver­ sehrt in den Hafen geführt hat, nicht sagt: Ich habe das Schiff gerettet, sondern: Gott hat es gerettet, und doch war seine Kunst und seine Anstrengung nicht müßig295; ähnlich sagt ein Bauer, der reiche Ernte von den Feldern in die uoos 1,9. 111Ps 22,7. Fisher, a.a.O., 554. ••• WA VII,142. '" Jo 3,27. 211Vgl. Origenes, Ile:pt cip)(. III,I,18; PG n,292. 292 Vgl.

De libero arbitrio

tarn copiosam annonam, sed: Deus dedit. Et tarnen inte­ rim quis dicat agricolam nihil egisse ad proventum fru­ gum? Sie et vulgo loquuntur: Deus dedit tibi pulchros liberos, cum ad hos gignendos non defuerit opera patris, et: Deus restituit me sanitati, cum nonnihil adiuvarit medicus, quemadmodum dicimus: Rex devicit hostes, cum tarnen duces et milites navarint bonam operam. Nihil provenit absque caelesti pluvia et tarnen terra bona produ­ cit fructum, terra mala nihil affert boni fructus. Sed quo­ niam humana opera nihil efficit, nisi accesserit favor di­ vinus, summa tribuitur divino beneficio: ,Nisi dominus aedificaverit domum, in vanum laborant, qui aedificant eam. Nisi dominus custodierit civitatem, frustra vigilat, qui custodit eam'. Nec tarnen interim in aedificando cessat cura fabrorum nec in custodiendo vigilantia excubitorum. III c

2.

Iam: ,Non enim vos estis, qui loquimini, sed

spiritus patris vestri, qui loquitur in vobis'. Prima specie videtur tollere liberum arbitrium, sed re vera adimit nobis sollicitudinem anxiam praemeditandi, quid simus dicturi in negotio Christi; alioqui peccarent contionatores, qui se studio praeparant ad sacram contionem. Nec omnibus hoc exspectandum, si quando discipulis rudibus spiritus infu­ dit, quod dicerent, quemadmodum infudit et linguarum donum. Et si quando infudit, tarnen in dicendo voluntas eorum consentiebat afflatui spiritus simulque agebat cum

Über den freien Willen

139

Scheunen führt, nicht: Ich gab so reichliche Ernte, sondern: Gott gab sie. Und doch, wer könnte inzwischen sagen, daß der Bauer zur Getreideernte nichts beigetragen habe296? So sagt man auch im Volksmunde: Gott gab dir schöne Kinder, während doch zu ihrer Zeugung die Anstrengung des Vaters nicht fehlte, und: Gott gab mir die Gesundheit wieder, während doch der Arzt einiges beigetragen hat, wie wir auch sagen: Der König hat die Feinde besiegt, während sich doch Anführer und Soldaten tüchtig ange­ strengt haben. Nichts wächst ohne den Regen vorn Him­ mel, und doch bringt der gute Boden Ertrag hervor, der schlechte Boden aber bringt keine gute Frucht. Aber weil menschliche Anstrengung nichts ausrichtet, wenn nicht die Gunst Gottes hinzukommt, wird das Ganze der göttlichen Wohltat zugeschrieben: „Baut der Herr nicht das Haus, so rnühn sich umsonst, die dran bauen . . . Hütet der Herr nicht die Stadt, so wacht vergeblich der Wächter297." Und doch hört inzwischen weder beim Bauen die Sorgfalt der Zimmerleute auf, noch beim Bewachen die Wachsamkeit der Wächter298• III c

2.

Dann: „Denn nicht ihr seid es, die da reden, son­

dern der Geist eures Vaters redet durch euch299." Dem ersten Anschein nach scheint dies den freien Willen zu be­ seitigen, aber in Wirklichkeit nimmt es uns die ängstliche Sorge, im voraus zu bedenken, was wir in der Sache Christi sagen werden; sonst würden die Prediger sündigen, die sich mit Eifer für die heilige Predigt vorbereiten. Auch dürfen nicht alle darauf warten, ob der Geist etwa den ungebildeten

J üngern eingegossen hat, was sie sagen sollen,

wie er auch die Gabe des Zungenredens eingegossen hat. Auch wenn er einmal eingegossen hat, so stimmte während des Redens ihr Wille dem Anhauch des Geistes zu und han­ delte zusammen mit dem Handelnden. Auch das gehört j a llHVgl. Origenes, Ile:pt cipx. IIl,l,18; PG 11,292. Ps 127,1. H8Vgl. Origenes, Ile:pt cipx. III,l,18; PG 11,289; Fisher, a.a.O., 576f. 1"Mt 10,20. 297

De libero arbitrio

agente. Atque hoc sane est liberi arbitrii, nisi forte reci­ piemus sie deum locutum per os apostolorum, quemadmo­ dum loquebatur Balaamo per os asinae. III c 3. Sed magis urget, quod est apud Ioannem 6 (44):

,Nemo potest venire ad me, nisi pater meus traxerit eum'. Trahendi verbum videtur sonare necessitatem et excludere voluntatis libertatem. Verum hie tractus non est violentus, sed facit, ut velis, quod tarnen potes nolle; quemadmodum ostendimus puero malum et accurrit, ostendimus ovi ra­ mum salicis virentem et sequitur, ita deus pulsat animum nostrum sua gratia et volentes amplectimur. Sie acci­ piendum et illud, quod habetur apud eundem cap. 14

(6):

,Nemo venit ad patrem nisi per me'. Sicut pater glorificat filium, filius patrem, ita pater trahit ad filium, filius ad patrem. Sie autem trahimur, ut mox volentes curramus. Sie legis in Cantico: ,Trahe me post te, curremus' etc. III c 4. Ex Paulinis item epistolis aliquot loca colligi

possunt, quae videntur omnem liberi arbitrii vim subver­ tere, quod genus est illud

2.

Corinth.

3 (5):

,Non quod

sufficientes simus cogitare aliquid a nobis quasi ex nobis, sed omnis nostra sufficientia ex deo est'. Verum hie duobus modis succurri potest libero arbitrio. Primum enim quidam orthodoxi patres tres gradus faciunt operis humani: pri­ mus est cogitare, secundus velle, tertius perficere. Atque in primo quidem ac tertio nullum locum tribuunt libero arbitrio quicquam operandi. Animus enim a sola gratia

Über den freien Willen

zum freien Willen, wenn wir nicht annehmen wollen, daß Gott durch den Mund der Apostel so gesprochen habe, wie er zu Balaam sprach durch den Mund einer Eselin300• IIIc 3. Aber zwingender ist, was Jo 6,44 steht: „Niemand kann zu mir kommen, wenn der Vater ... ihn nicht zieht." Das Wort „ziehen" scheint Zwang anzuzeigen und die Frei­ heit des Willens auszuschließen. Aber dieses Ziehen ist nicht gewaltsam, sondern bewirkt, daß du willst, was du dennoch abzulehnen imstande bist. Wie wir einem Kind einen Apfel zeigen und es herzuläuft, und wie wir einem Schaf einen grünen Weidenzweig zeigen und es läuft hinter uns her3(11, so gibt Gott mit seiner Gnade unserem Herzen einen Anstoß, und wir nehmen ihn willig auf. So ist auch das zu verstehen, was sich bei demselben Jo 14,6 findet: „Niemand kommt zum Vater als durch mich." So wie der Vater den Sohn verherrlicht, der Sohn den Vater, so zieht der Vater die Menschen zum Sohn, der Sohn zum Vater. Wir werden aber so gezogen, daß wir bald freiwillig laufen. So liest man im Hohenlied: „Ziehe mich zu dir! Wir wollen uns eilen usw. 302" IIIc 4. Ebenso kann man aus den Paulusbriefen eine An­ zahl Stellen sammeln, die jede Wirksamkeit des freien Wil­ lens zu zerstören scheinen, wie z.B. jenes Wort

2

Kor 3,5:

„Nicht durch eigene Kraft können wir etwas von uns den­ ken, als ob es aus uns käme; all unsere Fähigkeit kommt von Gott." Aber hier kann man auf zweierlei Weise dem freien Willen zu Hilfe kommen. Zunächst nämlich stellen einige rechtgläubige Väter303 drei Schritte menschlichen Handelns fest: der erste ist das Denken, der zweite das Wollen, der dritte die Ausführung. Und beim ersten und dritten Schritt gestehen sie dem freien Willen keine Mög­ lichkeit zu, etwas zu wirken. Denn das Herz wird einzig

300Nm 22,28ff. 801

Vgl. Augustinus, Tract. in Jo 26,5; PL 35, 16o9; Fisher, a.a.O.,

598.

ao2

HI 1,4. Vgl. Bernhard PL 182, 1026. aoa

v.

Clairvaux, Tract. de grat. et lib. arb. 14,46;

De libero arbitrio impellitur, ut cogitet bonum, et a sola gratia peragitur, ut perficiat, quod cogitavit. Ceterum in medio, hoc est in consensu simul agit gratia et humana voluntas, sie tarnen, ut principalis causa sit gratia, minus principalis nostra voluntas. Quoniam autem summa rei tribuitur illi, qui totum contulit ad perficiendum, non est, quod homo ex bono opere sibi quicquam asserat, cum hoc ipsum, ut possit consentire et cooperari gratiae divinae, dei munus sit. Deinde haec praepositio: ,ex', sonat originem ac fontem eoque Paulus distincte refert ,a nobis quasi ex nobis, &.rp'

eotU't"WV

WHYPERASPISTES< DES DESIDERIUS ERASMUS GEGEN DEN >UNFREIEN WILLEN< MARTIN LUTHERS

ERASMUS ROTERODAMUS LECTORI S. D. Prodiit Servum Arbitrium, titulo Martini Lutheri, sed elaboratum a multis, multo tempore, (nam ante annum liber excudi coeperat, ut narrabant, qui praedicabant se vidisse paginas aliquot) summaque cura, quod ipsa res indicat. Liber mihi sero redditus est, idque casu: nam ipsi celabant, ut saltem ad menses aliquot triumphum agerent, non solum addicti Luthero, verum etiam ambobus ini­ mici, mihi quidem ob bonas litteras, illi vero ob improbata dogmata. Temporis spatium, quod dari poterat turn rele­ gendae Diatribae, turn perlegendo Lutheri libro, non tarn prolixo, quam .loquaci, turn responsioni meae, non erat longius diebus decem, et redditus est jam defesso, atque adeo etiamnum satagenti in absolvendis iis, quae para­ bantur in mercatum proximum. Ejus rei certissimi testes surrt Basileae, si quis mihi diffidit. Et tarnen quoniam sensi, quam insolenter jam turn ad odorem hujus libri quidam exsultare coeperint, visum est aliquam responsionis partem, hisce nundinis Francfordiensibus, quamvis tumultuariam edere,

quo

moderatius

ageretur

istis

triumphus

ante

victoriam. Respondimus autem ad eam partem, qua pugnat cum Praefatione meae Diatribes, reliqua daturi per otium elucubratiora. Aliquoties capitum Lutheranae Disputa-

ERASMUS AUS ROTTERDAM GRÜSST DEN LESERl Erschienen ist >Der unfreie WilleAdversus armatum virum Cokleum< (1523): „Vilheyllus Nissenus", WA Xl,295,485, und in der >Antwort auf des Königs von England Lästerschrift< (1527), WA XXIII,30. " Eine nicht näher bestimmbare Kontroverse. 15 Edward Lee (t 1544), seit 1517 in Löwen, Angriffe gegen das >Novum Instrumentum< des Erasmus, später Schriften gegen Erasmus, dann gegen Luther, zuletzt Erzbischof von York. 11 Vgl. Einl. S. X.

210

Hyperaspistes diatribae liber primus

Numine geri, itaque decreveram spectator esse tuae tra­ goediae, sie apud me cogitans juxta Gamalielis sententiam, si Deus haec movet, non est meum resistere, sin aliunde ortum est quod agitur, sua sponte dissipabitur. In Actis Apostolorum legimus: ,Caeterorum nemo audebat se illis conjungere'. Simili religione abstinebam a vestro negotio. Verum ubi Principibus diutius excusare non possem, et opprimerer invidia falsissimaque suspicione, scripsi Dia­ tribam, sed ita temperato stylo, ut tu non posses optare disputationem civiliorem, ac Pharisaeis quibusdam visus sim tecum non decertare, sed colludere, qui sie dentes et ungues continuerim. Certe putabam me abunde vitasse, ne tibi debacchandi convitiis ansa data videretur. Quaedam in tua assertione dicta odiosius, prudens dissimulavi: quoniam nisi te laeso tractari non poterant. Ubi ad morum comparationem ventum esset, declino locum invidiosum, malens vitare offensam, quam servire commodo causae meae. Quodam loco nominatim etiam depello suspicionem abs te, cum ita scribo: ,Non haec proprie in Lutherum dixerim, quem de facie non novi', etc. Et vide quam con­ sentiant vestra judicia. Philippus Melanchthon huc scripsit meam Diatribam aequissimis animis acceptam Wittern-

Erstes Buch der Unterredung >Hyperaspistes
DiatribeBehauptungIndex expurgatorius Hispanicus et Romanus< in der katholischen Kirche verboten (Le Clerc X, 1843 E). ao Wahrscheinlich ist das Schimpfen gegen Luthers Gegner und be­ sonders den Papst gemeint (WA VII,146ff.). 81 Vgl. Diatribe 1 b 7, oben S. 31. 81 Vgl. Ein!. S. XVI. Die Stelle lautet: „Quod ad 3tor:-rptß�v De libero u

212

Hyperaspistes diatribae liber primus

bergae. Et adjecit, iniquissimum sibi videri, si non liceret in Ecclesia suam cuique sententiam dicere. At tu respon­ dens, sie arte stylum temperas, ut in alios forte scripseris clamosius, in neminem hostilius aut amarulentius: id quod vanissimum videri patiar, nisi mox omnibus perspicuum fecero. Meam disputationem, Diatribam et collationem appello: quo titulo quid esse potest modestius? Ipse non pronuntio, cum verser in argumento, quod in integrum aut in dubium disputando revocare fas non erat. Congressurus tecum, depono Caesaris, Pontificum, Conciliorum, Acade­ miarum, et veterum Orthodoxorum auctoritatem, qua te poteram urgere, etiamsi argumentis fuissem inferior. Ex tuis legibus quamvis iniquis tecum consero manus, nec te tarnen appello quemadmodum tu me. Habet enim ipsa compellatio quiddam contentiosum et contumax. Nec tua solius argumenta tracto, ut non proprie tecum, imo ne tecum quidem certare viderer, sed cum tua assertione. Non video quid potueris optare civilius. Usque adeone non pateris quenquam contra tua placita hiscere? Atqui huc soles omnes provocare, ut tecum manus consererent. Et ubi est illud quod admonet Petrus, ,Parati semper ad satisfactionem omni poscenti vos rationem, de ea quae in vobis est spe, sed cum modestia et timore'. Et Paulus vult

Erstes Buch der Unterredung >Hyperaspistes
Behauptung< zu streiten scheine. Ich sehe nicht, was du Höflicheres wünschen konntest. Duldest du etwa so wenig, daß jemand gegen deine Lehrsätze den Mund auftut? Und doch pflegst du alle herauszufordern, mit dir handgemein zu werden. Und wo bleibt, wozu Petrus auf­ fordert: „Seid stets bereit, mit Sanftmut, Ehrfurcht und gutem Gewissen jedem Antwort zu geben, der von euch Rechenschaft verlangt über die Hoffnung, die euch bearbitrio attinet, aequissimis animis hie accepta est. Tyrannis enim fuerit vetare quenquam in Ecclesia sententiam de religione dicere ... Perplacuit tua moderatio ... Proinde pollicetur se in respondendo pari vsurum moderatione" (Allen V, 555). aa Vgl. Diatribe 1 a l, oben S. 3. 14 Vgl. Diatribe 1 b l, oben S. 21. 15 „Venerabili viro Domino Erasmo Roterodamo..." , WA XVIII,

6oo.

214

Hyperaspistes diatribae liber primus

Episcopum esse 8�8ixx·nx6v, non 7tA�X't'1jV. Quod si ego parum erudite disputassem, debebas illud Pauli meminisse: ,Sapientibus et insipientibus debitor sum'. Qui tibi fuerant juratissimi, audent in te ferrum stringere, nec a convitiis temperantes: et Erasmum moderatissime disputantem ferre non potes? Ego mordicus tenui meam modestiam, quam sciebam mihi futuram invidiae: hanc cum tua laude, cumque causae, quam agis, utilitate, poteras ac debebas imitari.

Scilicet

pervicit

tuam

patientiam

quorundam

exsultatio, mihi decernentium triumphum, te victum esse jactantium. Quos tu mihi triumphos narras? Hie tantum erat de mea Diatriba silentium, ut mihi propemodum exciderit scripsisse. Semper solus esse volui, nihilque pejus odi quam juratos et factiosos. Sed ad tuum libellum, velut ex insidiis subito provolantem, Deum immortalem, quae fuit tuorum exsultatio, quam gloriosas voces sparserunt: Habet Erasmus quod agat, habet malum calculo gravius, aliaque vehementer Euangelica. Verum nec tui calami amarulentia, nec hujusmodi vocum petulantia me perpulit, quo minus in hac Apologia rationem potius adhiberem in consilium quam affectus. In dictis nonnunquam animi motus praecurrunt rationem; in scriptis nihil tribuendum est affectibus: nec spectandum est quid turn sie affecto videatur esse rectum, sed quid perpetuo rectum videri possit. Quanquam hie, ut vere dicam, levissima pugna fuit

Erstes Buch der Unterredung >Hyperaspistes
DiatribeHyperaspistes
Hyperaspistes
Hyperaspistes
Hyperaspistes
Diatribe< aufmerk­ sam liest. Daher frage ich dich, o Luther, immer wieder, was haben mit dieser Sache zu tun deine zahlreichen Schmä­ hungen, zahlreichen Verleumdungen, zahlreichen Beleidi­ gungen, zahlreichen Beschimpfungen, zahlreichen Verwün­ schungen, daß ich in der Heiligen Schrift die Freiheit der Skeptiker115 wünsche, daß ich mich nicht darum kümmere, ob ich verstehe oder nicht verstehe, was die Schrift oder die Kirche vorschreibt116, und daß meine Worte nicht anders klingen, als daß es mir gleichgültig sei, was immer von irgendeinem irgendwo geglaubt wird, wenn nur der Friede der Welt erhalten bleibe, und es erlaubt sei, wegen der Gefahr für Leben, Nachrede, Besitz und Ansehen jenen nachzuahmen, der gesagt hat: „Sie sagen, ich sage; sie leugnen, ich leugne117", und daß ich die christlichen Dog­ men nicht besser behandle als die Meinungen der Philo­

sophen118, und daß aus meinen Worten nichts anderes klar hervorgehe, als daß ich im Herzen einen Lukian oder irgend­ ein anderes Schwein aus der Herde Epikurs nähre119, der, weil er selbst nicht glaubt, daß es Gott gibt, heimlich alle auslacht, die glauben und bekennen; und du sagst anders­ wo, daß ich dir nach dem gewaltigen Rausch eines Epikur rieche und nichts anderes atme als den gottesleugnerischen Lukian120• Und mit diesen gewaltigen Schmähungen nicht m Vgl. Diatribe 1 a 4, oben S. 7. 111 Vgl. Diatribe 1 a 4, oben S. 7. 117 WA XVIII,6o5; vgl. Terenz, Eun. 251f. 118 Vgl. Diatribe 1 a 1, oben S. 3. lllWA XVIIl,6o5; vgl. Horaz, Ep. l,4,16. 110WA XVIII,6o9.

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contentus, etiam figuram rhetoricam adhibes: ,Scis', in­ quiens, ,quid hie premam'. Hie tibi praesto sunt illae tuae hyperbolae, sine quibus nihil scribis. Sophistis, (sie enim vocas Theologos) ubique tribuis summam impietatem, et me facis tarn impie scribentem, ut ab impiis fuerim denti­ bus dilacerandus, nisi tu eos tua pietate revocasses. Perinde quasi dicas, basiliscum nec ab aliis venenis tolerari. Deinde cum me toties facias Lucianum &Oe:ov, qui dicam in corde meo: Non est Deus, cum me facias Epicuri de grege porcum, quasi credam aut nullum esse Deum, aut si quis est, ei non esse curae res mortalium, haec, inquam, cum impingas, quibus ne fingi quidem quicquam potest atrocius, tarnen addis hyperbolam, me scire, quid hie premas. Hie erat locus in te debacchandi, si calami tui petulantiam imitari vellem. Nihil erat opus tarn impudentibus commentis. Poteram ex aliorum sententiis aperire quod monstrum tu celes in corde, et quem spiritum tua scripta nobis inhalent. Etenim si tibi jus facis quidlibet in me jaculari vel ex tuorum veredariorum delationibus, vel ex fratrum litteris, vel ex animi tui divinatione, quanto justius ego possem idem ex Caesaris ac Pontificum diplomatibus, ex gravium

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Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament< (1525), WA XVIII,67ff. 151 Die „Schwärmer", bes. Karlstadt, Münzer, Zwilling, verwarfen die Kindertaufe und propagierten z. T. die neuerliche Taufe der Er­ wachsenen. Es sind dies Vorläufer der eigentlichen Wiedertäufer. 152 Gegenüber den „Schwärmern", bes. Münzer und Karlstadt, rief Luther zum Studium der alten Sprachen auf: >An die Ratherren aller Städte deutsches Lands< (1524), WA XV,9ff. Schon 1523 hatte er auf die Bedeutung der klassischen Studien hingewiesen, vgl. WA Xl,455.

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abs te defensas. Cum tractetis omnes rem Scripturae, si ea nihil habet obscuritatis, cur inter vos tarn male convenit? Nec est quod hie miseros Sophistas exagites: docet hoc Augustinus, obscuritatem alias proficisci ex ignoratione seu ambiguitate vocum, alias ex ipsa natura rei, nonnun­ quam ex tropis et allegoriis, interdum ex locis inter se pugnantibus, quod ad sermonis speciem attinet. Et causam adfert, quare Deus hanc obscuritatem in sacris Volumini­ bus residere voluerit. In loco de peccato in Spiritum Sanc turn nunquam remittendo, negas quicquam esse obscuri­ tatis.

At Augustinus fatetur se semper vitasse hujus

difficillimae quaestionis molestiam, et tarnen cum tractet eam accurate, non sibi fidit, sed suspendit sententiam. Breviter, an sibi satisfecerit nescio, mihi non satisfecit. ,Verba sunt', ut ais, ,clarissima, peccatum irremissibile': sed doce quae sit illa blasphemia in Patrem aut Filium, cui promittitur remissio, quae in Spiritum Sanctum, cui nega­ tur. An contumelia Patris et Filii non pertinet ad Spiritum Sanctum? Deinde, quod est illud seculum futurum, in quo videntur condonari quaedam peccata? Vide quanta sit in clarissimis verbis obscuritas. Quae non torquet Augustinus,

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Diatribe< so deutlich und klar gelehrt habe, daß diese Ausdrucksweise sich nicht widerspreche, wenn einer das Ganze eines guten Werkes der göttlichen Gnade zuschreibe und doch behaupte, daß der Wille des Menschen zu seinem kleinen Teil etwas tue251• Obwohl du ferner schon lange solchen Unsinn daherredest, daß auch ich mich deiner geschämt habe, fügst du dennoch einen abschließenden Ausruf hinzu und spendest dir selbst Beüall, zugleich Schauspieler und Beifallspender: „Aber so", sagst du, „ist ein Geist zu reden gezwungen, der sich 148WA XVIIl,613; vgl. Mt 12,32; Lk 12,10. Vgl. Phil 4, 13. uovgl. WA XVIIl,6'4. u1zum Beispiel Diatribe IV 8,9, oben S. 171ff. 1"

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cogitur mens sibi ipsi non constans, in rebus pietatis incerta et imperita'. Quid superest, nisi ut tibi Dei nomen usurpes,

posteaquam

tarn

asseveranter

pronuntias

de

mente aliena? Toties inculcas inconstantiam, cum nondum potueris vel unum locum evincere, in quo mihi non con­ stem: et si id fecisses, nihil aliud probasses, quam hoc usu venisse Erasmo, quod accidit Augustino et Hieronymo. Nam nusquam errare, nihil nescire, nullius dicti poenitere, tibi Stoico et Gnostico peculiare est. Sed age die qui tibi constas, qui cum mihi tribuas summam imperitiam veri, tarnen impingis peccatum irremissibile? At nemo per imperitiam labens, tenetur isto crimine: nam et Paulus blasphemus fuit adversus Euangelium, sed quoniam igno­ rans fecit, misericordiam consequutus est. Ab hoc igitur crimine me mea liberat imperitia: sed tibi metuendum est qui nihil nescis, ne in hoc crimen incurras, dum fortiter rescindis Ecclesiae placita, nihilque non asseris. Rursus qui convenit, ut cum nihil sciam, tarnen tecum sentiens, in gratiam Principum diversa defendam? Vis me videri pessimum, qui sciens, verum impugnem metu Principum: at eundem vis videri veri ignorantissimum. Sie tu vir constantissime ignem aquae misces, et impotenti omnia calumniandi libidine, dum nunc huic nunc illi cupiditati obsequeris, pugnantia loqueris. Quoties excusas animum

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Diatribe< lauten folgendermaßen: „Ich hätte mittlere Geister gerne davon überzeugt, in Auseinandersetzungen dieser Art nicht so hartnäckig zu streiten. Gelehrten mit begabtem und ge­ übtem Geist rate ich nicht von einer maßvollen und ehr­ fürchtigen Forschung ab, doch nicht weiter als nötig ist258.'' Scheint dir etwa das geradezu unerträglich ? Aber wie oft weist Hilarius, wenn er über die Geheimnisse der Heiligen Dreifaltigkeit disputieren will, den Vorwurf der Gottlosig­ keit zurück, weil er es wage, sich mit Dingen, die über die Kräfte des menschlichen Geistes gehen, mit mensch­ lichen Worten zu befassen259 ? Und ganz ähnlich spricht Augustinus in der Vorrede zu den Büchern mit demselben Titel280, und Athanasius, wenn er sich anschickt, gegen die Arianer zu disputieren261• Stelle mir doch endlich zusam­ men, welche Spitzfindigkeiten aus Philosophen diejenigen zu dieser Frage zusammentragen, denen der Scharfsinn des Scotus gefällt, und behaupte, daß man über dieselben Dinge so vor einem gemischten Publikum sprechen müsse, wie jene sprechen. Und doch jagst du hier wieder auf Grund 167 Vgl. Diatribe 1 a 8, oben S. 13. 1118 Diatribe 1 a 6, oben S. II. Der zweite Satz ist kein wörtliches Zitat, doch vgl. 1 a II, oben S. 21. 251Hilarius, De trin. 1,6; PL 10,29. 110 Augustinus, De trin. praef. I,2,4; l,3,6; PL 42,822{. 111 Athanasius, Or. contr. Arianos, PG 26,12f.

Hyperaspistes diatribae liber primus rursus ex tua Rhetorica, cujus inscitiam praetexis, quo magis despicabilem reddas meam Diatribam, hyperbolen et epitasin venaris ex collatione Sophistarum, de quibus cum pessime sentias, id quod tui libri declarant, tarnen eos propemodum incipis praedicare in odium mei, adeo ut quae tua vafrities est, credam futurum, ut quemadmodum non injusto quidem illo, sed immodice saevo libello in rusticos, utcunque placasti Principum indignationem, ita debac­ chando in me, recolligas reconciliesque tibi Theologorum animos, quos interim tarnen non alio nomine dignaris quam Sophistarum. Imo jam agnoscere mihi videor tela quaedam, quae ex Lei, Latomi, Stunicaeque libris depromta in me torseris: ,Sophistae', inquis, ,sane melius hie dialecticantur, quando rhetoricari nesciunt, qui liberum arbitrium aggressi definiunt omnes quaestiones ejus: An sit, quid sit, quid faciat, quomodo habeat', etc. Aequum, Luthere, postulas, ut in libello, quem adversus animi sententiam suscepi, et in quo vix totos octo dies collocavi, qui quidem sumtus mihi visus est immodicus, quemque in hoc, ut dixi, potissi­ mum scripseram, ut ostenderem me non idem sentire quod tu: quicquid est quaestionum apud Sophistas, de prae­ destinatione, de voluntate, de praescientia Dei, de bono opere, de meritis humanis, in unam disputationem con­

verrerem. Id si conatus fuissem, quomodo conspuisses

sophisticantem Erasmum ? Sed quid egissem illis Sophista-

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Diatribe< verächtlicher zu machen, nach Übertreibung und Spannung durch den Vergleich mit den Sophisten, über die du zwar ganz schlecht denkst, was deine Bücher erklären, die du aber mir zum Nachteil beinahe so zu rühmen beginnst, daß ich - und das ist deine Frech­ heit - glaube, es werde dazu kommen, daß du genauso, wie du durch jenes zwar nicht ungerechte, aber maßlos grausame Büchlein gegen die Bauern262 so gut wie möglich die Empörung der Fürsten besänftigt hast, durch Toben gegen mich auch die Theologen wiedergewinnst und mit dir versöhnst, die du doch inzwischen mit keinem anderen Namen beehrst als dem der Sophisten. Ja, ich vermeine schon gewisse Anwürfe zu erkennen, die du aus den Büchern des Lee, Latomus und Stunica263 herbeigeholt haben und gegen mich schleudern dürftest. „Die Sophisten", sagst du, „denken hier natürlich logischer, weil sie keine Ahnung von der Rhetorik haben, die in der Behandlung des freien Willens alle seine Probleme definieren: Ob es ihn gibt, was er

ist, was er tut, wie er sich verhält usw. 264" Deine Forderung, o Luther, ist billig, daß ich in dem Büchlein, das ich gegen die Neigung meines Herzens unternommen habe, und auf das ich kaum acht volle Tage verwendet habe, was mir als ein maßloser Aufwand erschienen ist, und das ich, wie ich sagte, hauptsächlich deswegen geschrieben habe, um zu zeigen, daß ich nicht deiner Meinung bin, alles, was es an Fragen bei den Sophisten gibt, über die Vorherbestimmung, den Willen, das Vorauswissen Gottes, das gute Werk, die menschlichen Verdienste, zu einer einzigen Erörterung hätte zusammenfassen sollen. Wenn ich das versucht hätte, wie hättest du den Erasmus begeifert als einen, der Sophistik ••Vgl. Anm. 81. - Zu Lee vgl. Anm. 25. Jakobus Latomus (t 1544), Professor in Löwen, bekämpfte das von Erasmus geförderte „Collegium trilingue"; Schriften gegen Erasmus und Luther. Diego Lopez Stunica (f 1530), Mitarbeiter an der Complutensischen Polyglotte, später in Rom, Schriften gegen Erasmus. -WA XVIIl,615.

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rum argutiis, etiamsi maxime callerem, quas tu pili non facis ? Et tarnen quod me scribis nihil aliud agere in Dia­ triba, quam an sit liberum arbitrium, similis verecundiae est, qua, ut partim ostendi, sed post evidentius ostensurus sum, multa alia non ex re, sed ex causae tuae commodo in me jacularis. Relege meam Diatribam, et perfricta fronte aude negare, quod illic definiam liberum arbitrium, quod distinctis gratiarum generibus, digestis variis opinionibus, ostendam cum quibus opinionibus mihi potissimum con­ gredi fuerit propositum: deinde quousque velim hanc tractari materiam, postremo quod illic declarem, in qua animi parte potissimum sit liberum arbitrium, et quid possit ante gratiam, et quid agat cum agente in nobis gratia, et quomodo se habeat erga Deum, et laudem boni operis, aliaque permulta. 1 nunc et jacta me nihil aliud attulisse ad disputationem, nisi tantum hoc, an sit liberum arbitrium. Imo notari merebar potius, qui transiliens septa propositae disputationis, excurram usque ad Adam non­ dum lapsum, et ipsum Deum, attingens nonnihil de ne­ cessaria illius et voluntate et actione. Quanquam hoc loco

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Diatribe< nichts anderes als: ob es einen freien Willen gebe2", so zeugt das von gleichem Zartgefühl, mit dem du, wie ich z. T. schon gezeigt habe, aber nachher klarer zu zeigen beabsichtige, viele andere Anwürfe nicht aus sachlichen Gründen, son­ dern zum Vorteil deiner Sache gegen mich erhebst. Lies meine >Diatribe< nochmals durch und wage mit durch­ triebener Frechheit zu leugnen, daß ich dort den freien Willen definiere286, daß ich nach Unterscheidung der Arten der Gnade287 , nach Darlegung der verschiedenen Meinun­ gen 288 zeige, mit welchen Meinungen in erster Linie zu streiten meine Absicht war289; ferner, wieweit ich diese Materie behandelt sehen möchte270, schließlich, daß ich dort erkläre, in welchem Teil der Seele sich der freie Wille hauptsächlich befindet271, und was er vor Empfang der Gnade vermag272, und was er wirkt zusammen mit der in uns wirkenden Gnade273, und wie er sich gegen Gott ver­ hält27', und das Lob des guten Werkes275, und sehr viel anderes. Gehe nun und wirf mir vor, daß ich nichts anderes zur Erörterung beigetragen habe als bloß das, ob es einen freien Willen gibt. Vielmehr hätte ich eher gerügt zu wer­ den verdient, weil ich, die Zäune der vorgenommenen Erörterung überspringend, einen Exkurs bis zu Adam vor dem Fall mache und zu Gott selbst, indem ich einiges über seinen notwendigen Willen und sein notwendiges Handeln H6 Vgl. WA XVIIl,615. •Vgl. Diatribe 1b 10, oben S. 37. 117 Vgl. Diatribe II a u, oben S. 53ff. sea Vgl. Diatribe II a 12, oben S. 57ff. 18' Vgl. Diatribe II a 12, oben S. 59. l'IO Vgl. Diatribe 1a 3, oben S. 5. m Vgl. Diatribe III b 4, oben S. 129. 172 Vgl. die Bemerkung über die Philosophen, Diatribe II a 5, oben

s. 43ff.

173 Zum Beispiel Diatribe IV 7, oben S. 171. 17& Vgl. bes. Diatribe IV 10, oben S. 17sff. 17& Vgl. Diatribe III c 13, oben S. 157.

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aut ego fallor, aut tu tibi parum constas. Sie enim dicis: ,Urgebo igitur hoc libello te et Sophistas omnes, donec liberi arbitrii vires et opera mihi definiatis'. At paulo ante dicebas, omnes de libero arbitrio quaestiones a Sophistis fuisse definitas. Quid exigis ab illis, quod fateris ab illis abunde factum? Cur me negas fecisse, quod ipsa Diatriba clamitat me fecisse copiosius quam tu praescribis? Et hie incandescit spiritus tuus, teque polliceris adacturum me ad poenitentiam editae Diatribes. Isthuc, Luthere, prae­ standum erat, non toties jactandum: ne fiat quod ajunt Graeci, 7tpo T'lj.; vb,"Yj.; eyxwµLov. Nam hac tota priore libri tui parte, quaeso, quid aliud quam triumphas, insultas victo, ostentas trophaea, canis paeana, cum nondum ad aciem nostram perveneris. Moxque post hanc egregiam pollici­ tationem, velut aggressurus rem, doces nos Dei praescien­ tiam Deique voluntatem non minus incommutabilem esse, quam sit ipse Deus, nec illo imprudente aut nolente quic­ quam omnino rerum accidere: neque enim praescientiam illius falli posse, nec voluntatem impediri, quemadmodum fit in nobis, nec opere perfecto desinere illius voluntatem,

quemadmodum homini, posteaquam exstructa est domus, voluntas struendi desiit, cum opus maneat. Sunt ista retrusa mysteria quae nos doces? Quis ista, qui vel sex paginas legerit in Theologia, nescit, aut quis tarn insanus qui neget? Sed interim non distinguis voluntatem signi et

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Diatribe< speziell gegen dich geschrieben hätte? Das verspricht der Titel nicht, und das Werk selbst sagt es anders, aber du hattest WA XVIIl, 620 und Jr Klgl 4,1,5 . WA XVIII,621. 801Vgl. Anm. 92,98,153,159,226,339,343,3 5 5 zur Diatribe. aoa Vgl. Anm. 262 zur Diatribe. aoa Vgl. Anm. 80,348 zur Diatribe. -Vgl. 1 b 7, oben S. 31ff. 209 Vgl.

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aut fingebas potius, quo justius videreris in me debacchari. Hinc est quod in disputatione semel atque iterum mecum expostulas, quod falso nomine te traducam, quasi locum hunc: ,Extende manum tuam', sie fueris interpretatus, ,id est, gratia extendet', etc. Atqui haec Carolstadius respondit Eccio, cujus verba sunt in prima responsione: ,Gratia enim agit manum, et extendit'. Rursus in tertia responsione: ,Satis enim dixi, quod gratia extendit manum consilii nostri ad bonum'. Rursum in eadem: ,Caritas omnia credit, omnia sperat', etc. sie interpretatur: ,Gratia facit nos patientes, credulos, et operatores'. I nunc, et querere te falso traduci. Idem mihi satis procaciter impingit Franciscus Lambertus, et impostorem appellat in Commentariis, quos scripsit in Osee, quasi talia mendacia confingam in fratres. Scripseram quaedam esse vera, quae tarnen aut non essent inculcanda popularibus auribus, aut non quibuslibet verbis essent efferenda. Veluti cum quidam Sophistae sie nugantur: ,Deus est ubique'. Hoc concesso, inferunt, ,Ergo est ibi', et nominant locum, quem ego prae verecundia non ausus sum nominare, et pono antrum scarabei, tu suspicaris de cloaca, quanquam hoc nihil ad rem. Hie mecum sentis, et fateris esse rectum quod moneo, de rebus divinis religiose sobrieque loquendum: nec satis esse vera dicere, nisi dicas et circumspecte, castisque verbis. Et tarnen hie quoque

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Diatribe< erscheinen320?" Ich antworte, was ich schon früher geantwortet habe, du hast uns gezwungen, über diese Dinge zu disputieren, der du diese Frage aus den Universitäten in die Saufgelage gezerrt hast; und ich disputiere anders als du, und dis­ putiere, ohne zu zweifeln, vielmehr verteidige ich gegen dein Dogma die Partei, an der zu zweifeln nicht fromm ist, an der aber festzuhalten und die zu beachten, gottesfürchtig a11

Vgl. Diatribe 1 a 9, oben S. 15· Vgl. Diatribe 1 a 9, oben S. 15ff. 318 Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520), WA VII, 12ff. 319WA XVIll,617; vgl. Diatribe II a 12, oben S. 59. HO WA XVIII,622. an

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ac religiosum. Jam cum fatearis referre, quibus verbis Scripturae veritas tractetur apud populum, ut interim largiar, verum esse quod doces, tu ipse judica, quid fructus adferant ad pietatem, qui sie clamant apud rudern plebe­ culam: Nullum est liberum arbitrium, voluntas nostra nihil agit, sed Deus operatur in nobis et bona et mala. Novi quosdam qui ex Thoma caeterisque, atque adeo ex Juve­ nale depingebant apud promiscuam multitudinem omnia libidinum genera. Hi non reprehenduntur, quod falsa do­ ceant, sed quod vera sine fructu, quoniam intempestive. Hoc certe ad tuos pertinet, neque enim de te proprie scripsi. Ad eosdem pertinet, quod adjicio de tribus Diis, hoc a#cuµ.cx cum Petrus Aliacensis, assentientibus Theologis, putet in aliquo sensu verum esse, tarnen apud populum magno cum offendiculo diceretur, inter eruditos nihil habet offensae, quibus cognitum est Dei vocabulum, non semper sonare divinam essentiam, sed accipi nonnunquam pro Persona: ut cum dicimus: Deus gignit Deum, et Jesum esse Filium Dei. Nihil enim aliud intelligunt docti, quam esse tres Personas, in quarum unamquanque competat Dei vocabu­ lum. Neque prorsus negat Aliacensis posse dici tres omni­ potentes, ac tres aetemos, et si negaret, consequitur tarnen ex his quae concessit, posse dici tres Deos, licet non simpli­ citer. Quemadmodum enim juxta Dialecticam non est absurdum dicere, tres sapientes una sapientia, tres bonos eadem bonitate, tres omnipotentes eadem omnipotentia, tres esse sed eadem essentia, tres volentes eadem voluntate, ita non arbitror impium dicere, tres Deos eadem Deitate.

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Diatribe< dagegen geschrieben. Und wenn dich meine Höflichkeit so sehr verletzt, weil ich zum Zweck der Auseinandersetzung angenommen habe, es sei in irgendeinem Sinn wahr, wobei ich mich begnügte, es ein Paradox zu nennen, verwende Ausdrücke und Urteile anderer, die deinen Paradoxen widersprechen. Sie liegen nämlich bereit. Dort wirst du nicht skeptische Zweideutigkeiten finden, die du ver­ wünschst, sondern rein stoische Behauptungen, an denen du deine Freude hast. Nur soll es mir nicht zum Nachteil gereichen, daß ich schwierige Angelegenheiten höflich mit sanfteren Worten behandelt habe, damit kein Aufruhr er­ regt werde, da sich die Lage mehr als genug zugespitzt hat, und damit die Wahrheit sicherer aufleuchte. Und lächerlicherweise befiehlst du mir als erstem zu schweigen, obwohl durch dich das Problem schon öffentlich aufge­ worfen worden ist, dessen Lösung, für die du kämpfst, in gefährlicher Weise dem Volk zu Gehör gebracht wird. Aber das wurmt dich, daß ich gewagt habe, deine geliebte Mei­ nung anzutasten, anders als du wolltest. Mit Begeisterung dafür beginnst du vorzeitig, uns die Notwendigkeit aller m WA XVIII,633. 411WA XVIII,634.

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incipis nobis probare rerum omnium necessitatem, assu­ mens veluti tuo jure, quod nondum evicisti, videlicet nos nihil operari, sed solum Deum operari in nobis et bona et mala, et tarnen mox duos facis Deos, qui vicissim insideant voluntati nostrae, agantque quo velint. Et sie distinguis necessitatem coactionis et immutabilitatis, quasi nos ista confuderimus. Quod ais hominem peccato captivum, non posse suis viribus voluntatem suam ad bonum flectere, nisi affletur gratiae sibilo: fatemur et nos, praesertim si de flexu efficaci sentias. Caeterum illud mihi tecum non convenit, quod ais, hominem, in quo operatur gratia, non posse sese avertere a gratia, quemadmodum qui in Sole est, non posset occludere oculos. Alioqui cur arguuntur apud Paulum, qui semel illuminati, gustato dono coelesti, ac participes facti Sancti Spiritus, prolapsi sunt ad malitiam? Nec similitudo tua probat nostram voluntatem omnino nihil agere. Nam jumentum regitur quidem a sessore, tarnen obtemperans illi, agit aliquid cum illo. Nonnun­ quam obnititur freno, calcitrat, resistit, interim et excutit sessorem, non quod Deus possit excuti, sed quod offensus inobedientia nostra, relinquat nos nostris cupiditatibus. Porro illud e Psalmis, ,Ut jumentum factus sum apud te, et ego semper tecum', legerant et illi, quibus non placet ista

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