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German Pages 251 [256] Year 1994
Entwicklungspolitik Band 3: Außenwirtschaftliche Aspekte des Entwicklungsprozesses
Von
Werner Lachmann, Ph.D. ο. Professor für Volkswirtschaftslehre
R. Oldenbourg Verlag München Wien
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Lachmann, Werner: Entwicklungspolitik / von Werner Lachmann. - München ; Wien : Oldenbourg. Bd. 3. Außenwirtschaftliche Aspekte des Entwicklungsprozesses. - 1994 ISBN 3 - 4 8 6 - 2 2 9 4 9 - 4
© 1994 R. Oldenbourg Verlag GmbH, München Das Werk außerhalb lässig und filmungen
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Gesamtherstellung: Grafik + Druck, München
ISBN 3-486-22949-4
Inhaltsverzeichnis Seite Vorwort Kapitel 1: Wachstumseffekte des Außenhandels ("Cany-Over-Problem") 1.1 Außenhandel und Entwicklung 1.2 Der mögliche Entwicklungsbeitrag von Primärgüterexporten 1.3 Möglichkeiten und Grenzen einer Politik der Importsubstitution 1.3.1 Begründung fur eine Importsubstitutionspolitik 1.3.2 Erfolgsbedingungen einer Importsubstitutionspolitik 1.3.3 Instrumente einer Politik der Importsubstitution 1.3.4 Auswirkungen einer Politik der Importsubstitution 1.4 Möglichkeiten und Grenzen einer Exportförderungspolitik 1.4.1 Begründung einer Politik der Exportförderung 1.4.2 Voraussetzungen einer erfolgreichen Exportförderungspolitik 1.4.3 Instrumente der Exportförderung 1.4.4 Auswirkungen und Ergebnisse einer Politik der Exportdiversifizierung 1.4.5 Exportförderung durch Ferntourismus? 1.5 Außenhandel zwischen Entwicklungsländern (Collective Self-Reliance) 1.6 Exportförderung versus Importsubstitution: Alternative oder wirtschaftspolitische Ergänzung 1.7 Handel und Entwicklung - der empirische Befund
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Inhaltsverzeichnis
1.7.1 Empirische Studien zur Relevanz des Außenhandels 1.7.2 Fallbeispiele einer Importsubstitutionspolitik 1.7.3 Länderbeispiele zur Exportförderungspolitik Kapitel 2: Stabilisierung der Exporterlöse 2.1 Probleme schwankender Exporterlöse 2.1.1 Theoretische Analyse der Ursachen fur die Exportinstabilität 2.1.2 Preis- versus Erlösinstabilität: Die unterschiedlichen Auswirkungen von Angebotsund Nachfrageschwankungen 2.1.3 Folgen der Exporterlösinstabilitäten 2.2 Internationale Rohstoffabkommen als Mittel zur Preisstabilisierung 2.3 Stabilisierung durch kompensatorische Finanzierung 2.4 Stabilisierung und Wachstum: Gibt es eine Korrelation? 2.5 Das internationale Zinnabkommen - eine kritische Würdigung
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Kapitel 3: Das Problem der realen Austauschverhältnisse 3.1 Das Konzept der "terms oftrade" 3.2 Terms of trade-Entwicklungen in einem einfachen Makromodell 3.3 Die Prebisch-Singer-These 3.4 Das Verelendungswachstum 3.5 Möglichkeiten und Grenzen von Maßnahmen zur Verbesserung der terms of trade für Entwicklungsländer 3.5.1 Verstetigung durch Preiskartelle 3.5.2 Das Ziel der Preisindexierung
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Kapitel 4: Zur Neuordnung der Weltwirtschaft (Nord-Süd-Dialog) 4.1 Probleme gegenwärtiger internationaler Wirtschaftsbeziehungen
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Inhaltsverzeichnis
4.2 Zustand der bestehenden Welthandelsordnung 4.3 Die Entstehung des Nord-Süd-Konflikts: Historischer Überblick 4.4 Forderungen der Entwicklungsländer im Rahmen des Nord-Süd-Dialogs 4.5 Vorschläge der Nord-Süd-Kommission 4.6 Einige kritische Bemerkungen zu den Forderungen nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung 4.7 Alternative Konzepte zur Neuordnung der Weltwirtschaft 4.7.1 Das liberale Konzept 4.7.2 Das Konzept einer Sozialen Weltmarktwirtschaft 4.8 Das Problem der transnationalen Konzerne Kapitel 5: Integrationsbemühungen in der Dritten Welt 5.1 Integration und Handel: Theoretische Aspekte 5.2 Ursachen für das Scheitern der Integrationsbemühungen in der Dritten Welt - wirtschaftspolitische Überlegungen 5.3 Beispiele regionaler Integrationen von Entwicklungsländern 5.4 Die Europäische Gemeinschaft - ein Vorbild für die Integration der Staaten der Dritten Welt? Kapitel 6: Das Verschuldungsproblem der Dritten Welt 6.1 Das Verschuldungsmuster im Entwicklungsprozeß 6.2 Indikatoren und das Ausmaß der externen Verschuldung 6.3 Ursachen der Verschuldungskrise 6.4 Folgen der hohen Auslandsverschuldung 6.5 Lösungsvorschläge zur Überwindimg des Verschuldungsproblems der Dritten Welt 6.6 Ordnungspolitische Überlegungen zur Lösung des Schuldenproblems 6.7 Exkurs: Folgen der Anpassungsmaßnahmen Sach- und Personenregister
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Inhaltsübersicht der Bände I, II und IV
Band I (Grundlagen) Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel
1: Entwicklungsländer - was ist das? 2: Indikatoren der Entwicklung 3: Dogmengeschichtlicher Überblick der Entwicklungstheorien 4: Historische Erfahrungen der Industriestaaten - von Europa lernen? 5: Die Koordination des Wachstumsprozesses 6: Verteilung und Entwicklung 7: Außenhandelstheorie und Entwicklung 8: Handelspolitik in Industrie- und Entwicklungsländern 9: Entwicklungsstrategien
Band II (Binnenwirtschaftliche Aspekte der Entwicklung) Kapitel 1: Das Problem des Bevölkerungswachstums Kapitel 2: Der Arbeitsmarkt in Entwicklungsländern Kapitel 3: Das Problem der Kapitalknappheit Kapitel 4: Determinanten der Ersparnisbildung Kapitel 5: Das Problem unzureichender Finanzmärkte Kapitel 6: Landwirtschaft und Industrie im Entwicklungsprozeß Kapitel 7: Das Motivationsproblem Kapitel 8: Wettbewerb und Wettbewerbspolitik Kapitel 9: Die Steuerstruktur im Entwicklungsprozeß Kapitel 10: Stabilisierungspolitik Kapitel 11: Bildungspolitik Kapitel 12: Gesundheitspolitik Kapitel 13: Sozialpolitik Kapitel 14: Umwelt und Entwicklung
Bank IV (Entwicklungshilfe) Kapitel 1: Warum Entwicklunghilfe? Kapitel 2: Möglichkeiten und Grenzen der Handelshilfe Kapitel 3: Das Problem der Ressourcenlücke Kapitel 4: Die öffentliche Entwicklungshilfe Kapitel 5: Träger der öffentlichen Entwicklungshilfe Kapitel 6: Gesamtwirtschaftliche Projektevaluierung Kapitel 7: Der Entwicklungsbeitrag der privaten Hilfe Kapitel 8: Entwicklungshilfe - tödliche Hilfe?
Abkürzungen verwendeter Fachzeitschriften und Lexika
AER BNL EDCC EJ F&E FRStL HdWW HOPE IFO-S IMF-SP JComMSt JDevE JDevR JDevSt JEDev JEDynC JEI JEL JEPer JMCB JMonE JPE JPKE KuK ORDO QJE WBER WBRO WD WE WiSt WWA ZfW ZWS
American Economic Review Banca Nazionale del Lavoro, Quarterly Review Economic Development and Cultural Change Economic Journal Finanzierung und Entwicklung Federal Reserve of St. Louis, Review Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften History of Political Economy IFO-Studien International Monetary Fund Staff Papers Journal of Common Market Studies Journal of Development Economics Journal of Development Research Journal of Development Studies Journal of Economic Development Journal of Economic Dynamics and Control Journal of Economic Issues Journal of Economic Literature Journal of Economic Perspectives Journal of Money, Credit and Banking Journal of Monetary Economics Journal of Political Economy Journal of Post Keynesian Economics Kredit und Kapital ORDO-Jahrbuch Quarterly Journal of Economics World Bank Economic Review World Bank Research Observer World Development World Economy Wirtschaftswissenschaftliches Studium Weltwirtschaftliches Archiv Zeitschrift fur Wirtschaftspolitik Zeitschrift fur Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
Vorwort
Im ersten Band der "Entwicklungspolitik (Grundlagen)" befinden sich bereits einige grundlegende Aussagen zu den entwicklungspolitischen Konsequenzen einer Integration der Entwicklungsländer in den Weltmarkt. Auch Entwicklungsländer bilden keine in sich geschlossene Wirtschaft, die isoliert und abgeschüttet von den Ereignissen auf den Weltmärkten funktioniert. Ihr Entwicklungsprozeß hängt von weltwirtschaftlichen Einflüssen und Schocks ab. Diese Einflüsse können positiv oder negativ wirken, wobei dies wiederum in hohem Maße von der verfolgten nationalen Wirtschaftspolitik abhängt. Im zweiten Band beschäftigen wir uns vornehmlich mit den binnenwirtschaftlichen Problemen der Entwicklungsländer, aktuelle außenwirtschaftliche Probleme, wie beispielsweise das der Verschuldungsfrage, sind vernachlässigt worden. In diesem dritten Band werden wir uns nun ausschließlich den außenwirtschaftlichen Aspekten widmen. Zuerst wird die Frage aufgeworfen, inwieweit der Außenhandel Wachstumsimpulse fur die Binnenwirtschaft geben kann. Hierbei muß zuerst zwischen den Auswirkungen von Primärgüterexporten und den Exporten von verarbeiteten Produkten unterschieden werden. Viele Entwicklungsländer sind immer noch vornehmlich Exporteure von mineralischen oder pflanzlichen Rohstoffen. Es muß gefragt werden, inwieweit durch eine Forcierung dieser Exporte die wirtschaftliche Entwicklung gefördert werden kann. Exporte von Industriegütern setzen eine Industrialisierung voraus, wobei diese Industrialisierung mit Blick auf eine Eroberung von hohen Weltmarktanteilen durchgeführt werden kann, oder mit Zielrichtung auf eine Verdrängung der Importe von Industrieprodukten. Wir werden überprüfen, wo die Strategien einer Industrialisierung mit Hilfe einer Importsubstitution oder einer Exportförderung Vor- und Nachteile haben, wir werden auch auf die Voraussetzungen dieser beiden Strategien eingehen und deren Instrumente diskutieren. Ein weiteres außenwirtschaftliches Problem der Entwicklungsländer stellt sich in der Stabilisierung der Exporterlöse dar. Deren Ursachen müssen überprüft und die vorgeschlagenen Mittel auf ihre Zielkonformität überprüft werden. In diesem Zusammenhang ist auch das Problem der realen Austauschverhältnisse zu behandeln. Insbesondere in der Prebisch-Singer-These wird die Behauptung
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Vorwort
aufgestellt, daß sich die Terms of Trade fur die Entwicklungsländer säkular verschlechtern. Möglichkeiten und Grenzen der Verbesserung der Terms of Trade müssen dabei erörtert werden. In den siebziger Jahren wurden von den Entwicklungsländern Forderungen zur Neuordnung der Weltwirtschaftsbeziehungen erhoben. Auf die gegenwärtigen Probleme einer Neuordnung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen muß eingegangen und die einzelnen Forderungen der Entwicklungsländer müssen diskutiert werden. Zu fragen ist auch, ob es alternative Konzepte zur Verbesserung der internationalen Wohlfahrt gibt. Entwicklungsländer furchten durch die Integration in die Weltmärkte eine gewisse Abhängigkeit von den Industrieländern. Die Industrieländer werden als dominierende Ökonomien angesehen, die den Entwicklungsländern keine eigenen Entwicklungsmöglichkeiten erlauben. Der Wettbewerbsvorsprung der Firmen der Industriestaaten kann von den Firmen der Entwicklungsländer nicht leicht eingeholt werden. Daher ist vorgeschlagen worden, daß die Entwicklungsländer eigene Integrationsräume schaffen, um das Exportieren zu lernen. Man erhofft sich durch einen stärkeren Süd-Süd-Handel die Schaffung von integrierten Wirtschaftsräumen, die einen gemeinsamen Wohlfahrtsgewinn ermöglichen, wobei die Europäische Gemeinschaft oft als Vorbild dient. Möglichkeiten und Ursachen des Scheiterns solcher Integrationsbemühungen der Staaten der Dritten Welt werden dann aufgezeigt. Ein wichtiges internationales Problem wird in der Auslandsverschuldung vieler Staaten der Dritten Welt gesehen. Zwar ist die aktuelle Gefahrdung des internationalen Finanzsystems anscheinend gebannt, die Folgeerscheinungen des Verschuldungsproblems wirken jedoch in den Ländern der Dritten Welt nach. Bei der Behandlung des Verschuldungsproblems muß überprüft werden, inwieweit zu Beginn einer wirtschaftlichen Entwicklung eine höhere Außenverschuldung notwendig ist. Indikatoren zur Bewertung des Ausmaßes der externen Verschuldung müssen hergeleitet werden und eine Ursachenanalyse der Verschuldungskrise durchgeführt werden. Überprüft werden müssen mögliche Strategien zur Überwindung dieser Krise. Ebenso ist eine Analyse der Maßnahmen des internationalen Währungsfonds nötig. Ordnungspolitische Überlegungen zur Überwindung der Verschuldungskrise schließen den Argumentationsbogen dieses Bandes ab.
Vorwort
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Im vierten Band wird dann auf die Instrumente, Strategien, Möglichkeiten und Grenzen der Entwicklungshilfe eingegangen werden. Ohne die Hilfe meiner wissenschaftlichen Mitarbeiter hätte dieser Band nicht so schnell erscheinen können. Ich danke ihnen deshalb für die Diskussionen, die Hilfe bei der Datensuche, usw. Insbesondere möchte ich den Herren Dr. Rickes aus Mainz und Dr. Reichel aus Nürnberg danken. Herrn Dr. Rickes danke ich besonders für die Erstellung der Schaubilder, Herr Dr. Reichel hat das Sachverzeichnis erstellt. Dank gebührt auch Frau Ingrid Khetia, Mainz, die die erste Version des Manuskriptes zuverlässig tippte. Last but not least muß ich meiner Familie Dank abstatten, die wiederum manche Stunde auf ihren Vater verzichten mußte und die Alternativkosten zu tragen hatte, ohne dafür den Nutzen zu haben, den der Verfasser bei der Fertigstellung eines Werkes und der Durchdringung der damit verbundenen Fragestellungen hatte. Frau Birgit Eitel und Frau Claudia Zapp lasen Korrektur, auch ihnen gilt mein Dank.
Kapitel 1 Wachstumseffekte des Außenhandels ("Carry-Over"-Problem)
Die außenwirtschaftliche Verflechtung der Entwicklungsländer ist im allgemeinen eng. Zwar gibt es einige wenige Länder, deren Außenhandelsanteil am Sozialprodukt minimal ist (Nordkorea, Kuba, Burma/Myanmar), die überwiegende Mehrheit ist jedoch eng mit dem Welthandel verflochten, was in einer durchschnittlichen Exportquote von ca. 20-30% zum Ausdruck kommt. Dieser Wert unterscheidet sich von den Exportanteilen der wichtigsten Industrieländer nicht signifikant. Die Länder Afrikas südlich der Sahara übertreffen mit einem durchschnittlichen Anteil der Exporte am BIP von 28% (1991) die durchschnittliche Exportquote der OECD-Staaten, die bei 19% liegt. Kleinere Länder weisen naturgemäß höhere Exportquoten auf als große Staaten (Jamaika: 64%; Indien: 9%; Belgien: 77%; USA: 11%). In den letzten 200 Jahren sind die Exporte generell stärker gewachsen als die Bruttoinlandsprodukte. Bei vielen Ländern ist überdies die Exportstruktur noch entscheidend vom kolonialen Erbe geprägt, so daß die unübersehbaren wirtschaftlichen Schwierigkeiten einer Reihe von Ländern unmittelbar mit den in der Kolonialzeit angebahnten Außenwirtschaftsbeziehungen in Verbindung gebracht werden. Im Gegensatz zur politischen Diskussion, die dem Außenhandel oftmals entwicklungshemmende Wirkungen unterstellt, wird in der Nationalökonomie meist auf die wohlfahrtssteigernden Effekte der Einbindung eines Landes in die internationale Arbeitsteilung hingewiesen. Diese unterschiedliche Sichtweise verlangt nach einer eingehenden Analyse, die sowohl theoretisch fundiert als auch durch empirische Untersuchungen abgesichert sein sollte.
1.1 Außenhandel und Entwicklung Die Vorstellung, den Außenhandel als Motor wirtschaftlichen Wachstums zu sehen, ist schon alt. Sie geht zumindest auf Adam Smith zurück. Während des 20. Jahrhunderts geriet sie allerdings oft in Vergessenheit oder wurde unpopulär. Die meisten Entwicklungsländer strebten eine Industrialisierung mit Hilfe einer Protektionspolitik an. Erst Ende der 80er Jahre wurde die Bedeutung des Außenhandels fur die wirtschaftliche Entwicklung wieder stärker erkannt.
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Kapitell:
Wachstumseffekte des Außenhandels
In der theoretischen Literatur werden die folgenden positiven Einflüsse des Außenhandels auf die Wirtschaft der Entwicklungsländer genannt1: - Wohlfahrtsgewinne durch eine optimale Ressourcenallokation gemäß dem Theorem der komparativen Kostenvorteile, - Ausnutzung von Skalenerträgen und verbesserte Kapazitätsauslastung, - Modernisierung der vorhandenen Technologie durch Technologietransfers, - Erhöhung einheimischer Ersparnisse wegen der höheren marginalen Sparquote im Exportsektor, - Zunahme der Realkapitalbildung durch verstärkte ausländische Direktinvestitionen, - Steigerung des Volkseinkommens über verschiedene Akzelerator- und Multiplikatoreffekte, dadurch - Anstieg der binnenländischen Beschäftigungshöhe. Die einheimischen Märkte selbst größerer Entwicklungsländer sind vergleichsweise klein. Bei Industriewaren ist beispielsweise der belgische Markt größer als der Indiens, und Brasiliens einheimischer Markt für Industriewaren beträgt nur ein Sechstel des deutschen Marktes. Eine Öffnung ftir den Weltmarkt kann somit zu einer besseren Auslastung vorhandener Kapazitäten fuhren. Der internationale Wettbewerb ermöglicht außerdem Effizienzgewinne. Selbst wenn in Entwicklungsländern die optimale Betriebsgröße erreicht werden kann, ist nicht gesichert, daß ausreichender Wettbewerb herrscht. Wegen des kleinen Marktes existieren oft Monopole und Oligopole, die hinter hohen Zollmauern ein "ruhiges Leben" führen. Eine Öffnung für den Weltmarkt führt dann zu mehr Wettbewerb. "Zuckerbrot und Peitsche" der Weltmärkte führen ferner auch zur schnelleren Adaption neuer Technologien. Schließlich sind durch Exporte höhere Einkommen zu erwarten, die zu einem Anstieg inländischer Ersparnisse führen 1 Vgl. z.B. B. BALASSA, The Importance of Trade for Developing Countries, BNL 163 (Dezember 1983), S. 437 - 469.
Kapitell:
Wachstumseffekte des Außenhandels
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können, ein Effekt, der bereits frühzeitig von Maizels2 erkannt worden ist. Eine verstärkte Außenhandelsorientierung fuhrt auch zu einer Verbesserung der Leistungsbilanz und damit zu einer höheren Attraktivität für ausländische Direktinvestitionen. Die langfristigen Entwicklungseffekte des Außenhandels können jedoch unterschiedlich sein, wenn seine Verknüpfung mit der restlichen Binnenwirtschaft genauer analysiert wird: Der Exportsektor kann ein entwicklungsfördernder Sektor sein (leading sector), er kann sich isoliert vom Binnenmarkt entwickeln (autonomer Sektor ohne Entwicklungseffekte), er kann als ausgleichender Sektor dienen - wenn Überkapazitäten entstanden sind und daher Produktionsüberschüsse exportiert werden müssen (vent for surplus-Theorie) - und schließlich auch entwicklungshemmend wirken (wie es die Dependenztheorie unterstellt). Als Wachstumsmotor dient der Exportsektor nur dann, wenn er ausreichende Verkettungseffekte mit den übrigen Sektoren aufweist. Betreffen die Verknüpfungs- oder Verkettungseffekte die Output-Verwendung, spricht man von Vorwärtsverknüpfiingen (forward linkages). Beziehen sie sich auf die Inputbeschaffung, nennt man sie Rückwärtsverknüpfung (backward linkages). Der gesamte Mechanismus der Übertragung der Außenhandelseffekte auf die Gesamtwirtschaft wird oftmals als "Carry-over"-Problem bezeichnet. Insbesondere der Nobelpreisträger W. Arthur Lewis hat (in seiner Rede anläßlich der Verleihung des Nobelpreises 1979) die Bedeutung des Außenhandelssektors für das Wachstum der Entwicklungsländer hervorgehoben: "The growth rate of world trade in primary products over the period of 1873 to 1913 was 0.87 times the growth rate of industrial production in the developed countries; and just about the same relationship, about 0.87, also ruled in the two decades to 1973. ... We need no elaborate statistical proof that trade depends on prosperity in the industrial countries"3. Wegen der Vernachlässigung jeglicher Preiseffekte ist dieses Ergebnis statistisch umstritten. Lewis weist außerdem darauf hin, daß der Einfluß des Außenhandels 2
A. MAIZELS, Exports and Economic Growth of Developing Countries, Cambridge, 1968. Vgl. :W. A. LEWIS, The Slowing-down of the Engine of Growth, AER 70:4 (September 1980), S. 555 - 564; hier: S. 556.
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Kapitell:
Wachstumseffekte des Außenhandels
mit der Zeit abnehme. Wegen des Nachfragerückganges seitens der Industrieländer müßten Alternativen gesucht werden, die er im verstärkten Außenhandel zwischen den Entwicklungsländern sieht. Prebisch, Myrdal und Nurkse legten die intellektuellen Grundsteine fur eine darauf basierende Politik der Importsubstitution, da sie schon in den 50er Jahren auf diese historische Entwicklung hinwiesen. Kravis 4 untersuchte ebenfalls die These vom Außenhandel als einer "Lokomotive der Entwicklung". Nach seinen Ergebnissen zeigten Länder, die im 19. Jahrhundert erfolgreich waren, kaum Ansätze eines exportdominierenden Wachstums. Die weniger erfolgreichen Länder der Peripherie erlebten dagegen eine hohe Expansion ihrer Exporte, insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ohne daß es zu Wachstumseffekten im Sinn einer Industrialisierung kam. So folgert er: "A more warranted metapher that would be more generally applicable would be to describe trade expansion as a handmaiden of successful growth rather than as an autonomous engine of growth" (S. 850). "Carry-over"-Effekte blieben demnach oftmals aus. Der Außenhandelssektor war nicht immer der fuhrende Sektor. Oft war er ein autonomer Sektor, der nur schwach mit den übrigen Sektoren verknüpft war. Als Erklärung hierfür werden meist folgende Gründe angeführt: - Die Exportgüterproduktion erfordert nur in geringem Umfang inländische Vorprodukte, wodurch es zu keinen für den Entwicklungsprozeß ausreichenden Rückwärtsverknüpfungen kommt. - Der bekannte Enklaven-Charakter des modernen, für den Export produzierenden Sektors fuhrt zu keiner Interaktion zwischen dem binnenwirtschaftlich und dem außenwirtschaftlich dominierten Bereich. - Die eingesetzten modernen, in den Industrieländern entwickelten Technologien sind für den traditionellen Bereich der Entwicklungsländer nicht anwendbar. Die modernen, kapitalintensiven Produktionsverfahren erlauben daher keine inter4
I. B. KRAVIS, Trade as the Handmaiden of Growth: Similarities between the Nineteenth and Twentieth Centuries, EJ 80:4 (Dezember 1970), S. 850 - 872.
Kapitell:
Wachstumseffekte des Außenhandels
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sektorale Technologieübertragung. Da kaum qualifizierte inländische Arbeitskräfte benötigt werden, kommt es zu keiner Bildung von Humankapital in Form einer Förderung handwerklichen oder agrartechnischen Könnens. - Der Aufbau der Exportgüterindustrien hat selten zu einem Ausbau einer entwicklungsfördernden Infrastruktur geführt. Ohne sie ist aber kaum mit den notwendigen Verknüpfungseffekten zu rechnen. Ein florierender Export muß deshalb nicht unbedingt einen Entwicklungsprozeß initiieren. Der Exportsektor muß jedoch auch nicht als autonomer Sektor gelten, wenn von ihm keine direkten entwicklungspolitischen Impulse ausgehen. Der Export kann als Ventil der Überschußproduktion angesehen werden und wirkt dann als ausgleichender Sektor. Seine wesentliche Aufgabe wäre also indirekter Art, da er für den Absatz desjenigen Teils der Produktion sorgen muß, der auf dem Binnenmarkt nicht abgesetzt werden kann. Nur so können steigende Skalenerträge der Massenproduktion ausgenutzt werden. Außerdem werden dadurch Deviseneinnahmen ermöglicht, die der Finanzierung notwendiger Importe dienen können. Entwicklungshemmend ist der Exportsektor, wenn er die Entstehung dualer Strukturen verstärkt und sich negativ auf die inländische Einkommensverteilung auswirkt. Bei gleichbleibender Verteilung und freiwilligem Tausch dürften allerdings keine negativen Wohlfahrtseffekte zu erwarten sein. Nun muß untersucht werden, wie eine den Außenhandel berücksichtigende Entwicklungsstrategie aussehen könnte. Drei Möglichkeiten bieten sich hier an: - Entwicklungsförderung durch Primärgüterexporte - eine Strategie der Exportdiversifizierung - eine Strategie der Importsubstitution
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Kapitel 1: Wachstumseffekte des Α ußenhandels
1.2 Der mögliche Entwicklungsbeitrag von Primärgüterexporten Primärgüterexporte können eine ausgleichende Funktion übernehmen, wenn dadurch Deviseneinnahmen generiert werden. Es ist weiterhin zu überprüfen, ob sich zusätzlich direkte Entwicklungseffekte ergeben oder ob nur die indirekten Effekte der Devisenbeschaffung bleiben, mit denen allerdings die zur Industrialisierung notwendigen Kapitalimporte ermöglicht werden. Beim Ausbau des Exportsektors zum "leading sector" ist eine Exportdiversifizierungsstrategie vonnöten, da hierbei nicht die Deviseneinnahmen im Vordergrund stehen, sondern die beabsichtigte Industrialisierung und die Überwindung der einseitigen Abhängigkeit von Primärgüterexporten durch ein breit gefächeltes, am Weltmarkt ausgerichtetes Angebot von Exportgütern. Zuerst sollen nun die Möglichkeiten und Grenzen der Förderung von Primärgüterexporten diskutiert werden. Im 19. Jahrhundert hatte die Weltnachfrage nach Primärgütern stärker zugenommen als die nach Industriegütern. Länder wie die USA, Kanada, Australien, Neuseeland oder Schweden konnten aus der starken Expansion der Weltnachfrage nach Primärgütern Wachstumsimpulse erhalten. Dieser historische Hintergrund würde für eine verstärkte Konzentration der Entwicklungsländer auf Primärgüterexporte sprechen, wenn sich nicht die Weltnachfragestruktur zwischenzeitlich geändert hätte. Die heutigen Gegebenheiten sind jedoch andere. Die Weltnachfrage nach Primärgütern weist eine nur noch geringe Einkommenselastizität auf, die erheblich unter der nach Industriegütern liegt. Die Landwirtschaft kann deshalb kaum zu einem leading sector im Sinne einer "Unbalanced Growth"-Strategie werden (vgl. Band 1, Kap. 9.2). Neben den geringen Einkommens- und Preiselastizitäten der Weltnachfrage nach Primärgütern beobachten wir dort auch geringe Verkettungseffekte mit dem Rest der Wirtschaft. Die Produktionsnachfrage wirkt nicht humankapitalschaffend, landwirtschaftliche Rohstoffe können mengenmäßig ohne besondere Qualitätsanforderungen durch die vorherrschenden Faktorkombinationen des traditionellen Sektors erhöht werden, wobei Produktivitätssteigerungen kaum zu erwarten sind. Ahnliches gilt für die Produktion mineralischer Rohstoffe. Ohne weiteren Einsatz einheimischer Fachkräfte kann deren Produktion ausgeweitet werden. Die Pro-
Kapitel 1: Wachstumseffekte
des Α ußenhandels
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duktionserhöhung fuhrt zu keinen externen Effekten in Form eines höheren Qualifikationsniveaus der einheimischen Arbeitskräfte. Nur in den Ländern, in denen unternehmerische Fähigkeiten und handwerkliches Können gefördert werden und es zu Wanderbewegungen durch Produktivitätsunterschiede der Arbeitskräfte kommt, sind entwicklungsfördernde Auswirkungen auf die Gesamtgesellschaft zu erwarten. Im Bereich mineralischer Rohstoffe wirkt der geringe einheimische Vorleistungsanteil zusätzlich erschwerend. Management sowie Reparaturarbeiten werden von ausländischen Experten zur Verfugung gestellt. Deshalb sind Rückwärtsverkettungen (backward linkages) kaum vorzufinden. Ein indirekter, fördernder Effekt wäre höchstens dann zu erwarten, wenn die im Exportgütersektor erwirtschafteten Einkommen verstärkt für die inländische Güternachfrage verwendet und die Ersparnisse zur einheimischen Kapitalbildung beitragen würden. Solche Nachfrage- und Kapazitätseffekte könnten stimulierend auf die wirtschaftliche Entwicklung wirken. Beobachtet wird dagegen oftmals ein Anstieg der Nachfrage nach ausländischen Gütern aufgrund des Demonstrationseffektes der Lebensweise ausländischer Arbeiter, so daß diese indirekten Entwicklungseffekte gering bleiben. Da überdies die Infrastruktur nur bis zum notwendigen Maß ausgebaut wird, wird der moderne, für den Export produzierende Sektor kaum mit dem traditionellen verknüpft. Verkettungseffekte bleiben aus, der Außenhandelssektor wird zum autonomen Sektor. Die beobachteten Effekte sind jedoch von Produkt zu Produkt und von Land zu Land unterschiedlich. Deshalb sind die empirischen Ergebnisse nicht eindeutig.5 In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß die Landwirtschaft mehr im Sinne einer "Balanced Growth"-Strategie ausgebaut werden sollte. Wirtschaftliches Wachstum ohne eine simultane Entwicklung des Landwirtschaftssektors ist kaum möglich. Die Einkommen des Landwirtschaftssektors dienen als Nachfrage nach handwerklicher Produktion. Die Produktion der Landwirtschaft sollte jedoch nicht nur exportorientiert sein, sondern möglichst hohe Entwicklungsimpulse für
5 Vgl. J. RIEDEL, Trade as the Engine of Growth in Developing Countries Revisited EJ 94 (373), März 1984, S. 56-73.
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Kapitel 1: Wachstumseffekte des Atißenhandels
das Entwicklungsland selbst geben. Die Konzentration der Handelsausrichtung auf Rohstoffe kann zu einer Verschlechterung der Terms of Trade fuhren.6 Bei der Diskussion über den möglichen Entwicklungsbeitrag von Primärgüterexporten spielt die Erfahrung der Ölländer eine besondere Rolle. In diesem Zusammenhang wird auf das Problem der "holländischen Krankheit" ("dutch disease") hingewiesen.7 Probleme der "dutch disease" tauchen auf, wenn das Land einen Aufschwung durch eine günstige Ressourcenausstattung erfährt, der langfristig der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes aber zum Nachteil gerät. Bereits im 16. Jahrhundert hatte bekanntlich der hohe Goldimport aus den spanischen Kolonien der spanischen Industrie geschadet. Zwar ist die Theorie der "dutch disease" fur Industrieländer entwickelt worden, sie ist aber auch für Erdöl exportierende Entwicklungsländer anwendbar. Erdölfunde in Kamerun wurden so beispielsweise nicht zu Entwicklungszwecken genutzt. Ahnliches gilt fur den Erdölreichtum Nigerias. Es kam lediglich zu Lohnerhöhungen, die aber nur sektorspezifisch waren und die zu internen Verwerfungen führten. Eine Subventionierung der benachteiligten Sektoren, die die Folgen des Ressourcenbooms hätte abmildern können, scheiterte an administrativen Unzulänglichkeiten.8 In den letzten 20 Jahren wurde eine Abnahme der Nachfrage nach Rohstoffen (Waren bzw. Commodities) aus den Entwicklungsländern festgestellt. Dadurch erfuhren insbesondere afrikanische und lateinamerikanische Staaten eine Stagnation ihrer Exporte, während die asiatischen Länder höhere Wachstumsraten ihrer Wirtschaft verzeichnen konnten. Dieses höhere Wachstum in Asien läßt sich auf den hohen Anteil der Industriegüter am Export zurückfuhren.9 Aus ökonomisch einsichtigen Gründen, beruhend auf der die Wirtschaftsstruktur verändernden Wirkungsweise des technischen Fortschritts, ist langfristig mit
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Vgl. M. BLEANSKY, Liberalization and the Terms of Trade of Developing Countries: A Cause for Concern?, WE 16:4 (Juli 1993); S. 453 - 466. 7 Die Erdgasfunde in Groningen senkten in den 70er Jahren die Wettbewerbsfähigkeit der holländischen Wirtschaft. 8 Vgl. bspw. N. C. BENJAMIN, S. DEVARAYAN/R. J. WEINER, The "Dutch Disease" in a Developing Country, Oil Reserves in Cameroon, JDevE 30:1 (1991), S. 71 - 92. 9 Vgl. Μ. Ε. BOND, An Economic Study of Primary Commodity Exports from Developing Country Regions to the World, SP 34:2 (Juni 1987), S. 191 - 227; auch: Μ. ESWARAN/A. KOTWAL, Export led Development. Primary vs. industrial exports, JDevE 41:1 (Juni 1993), S. 163 - 172.
Kapitell:
Wachstumseffekte
des Außenhandels
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abnehmenden relativen Preisen für Rohstoffe zu rechnen.10 Länder, die verstärkt nur Rohstoffe auf dem Weltmarkt anbieten, "leiden" überdies unter schwankenden Exporterlösen. Im allgemeinen weisen die Strukturalisten darauf hin, daß die geringe und unelastische Nachfrage nach Rohstoffen mit zu einer ungleichen Entwicklung zwischen Nord und Süd beigetragen hat. 11 Allerdings können die Marktteilnehmer mittlerweile auch durch Kauf und Verkauf auf den Terminmärkten für Rohstoffe starke Erlösschwankungen weitgehend vermeiden. Obgleich es einigen Ländern gelungen ist, hohes Wirtschaftswachstum und eine stärkere Differenzierung ihrer Angebotspalette zu erreichen und dennoch in einem stärkeren Maße von Primärgüterexporten abhängig zu sein, zeigt die Erfahrung der erfolgreichen Länder, daß sie auch ihren Industriesektor gefördert haben. Es gibt kein Beispiel, in welchem ein Land ein hohes Pro-Kopf-Einkommen erreicht hat und in seiner wirtschaftspolitischen Ausrichtung auf Primärgüterexporte setzte. Die wirtschaftspolitische Entscheidung des optimalen "Policy mix" hängt dabei von den jeweiligen Besonderheiten des Landes ab. Die Tatsache, daß einige Länder wirtschaftlichen Fortschritt durch Förderung des Primärgüterbereiches erreichten, bedeutet nicht, daß dieses Mittel für alle Länder und alle Primärgüter für alle Zeiten gilt.12 Eine erfolgreiche Transformation von einem Rohstoffe exportierenden Land zu einem Industriegüter produzierenden Land setzt eine Wirtschaftspolitik voraus, die die Renten aus dem Rohstoffbereich im Land reinvestiert. Dabei müssen die Anreize so gesetzt werden, daß Ausländer bereit sind, ihre Gewinne in der einheimischen Wirtschaft zu reinvestieren. Die Renten auf Rohstoffe sollten zwar abgeschöpft werden, jedoch ohne die Anreize zu zerstören, weiter im Rohstoffsektor zu investieren. Erfolgreiche Länder haben dabei in Infrastruktur, Ausbildung, Forschung und Entwicklung und in solchen Sektoren investiert, die den Rohstoffsektor unterstützten. Gleichzeitig hat man eine Diversifizierung der ökonomischen Basis 10 Vgl. auch D. DIAKOS ΑWAS/P. L. SCAMDIZZO, Trends in the Terms of Trade of Primary Commidities, 1900 - 1982, The Controversy and Its Origins, EDCC 39:2 (Januar 1991), S. 231 -264. 11 Vgl. Α. K. DUTT, Inelastic Demand for Southern Goods, International Demonstration Effects and Uneven Development, JDevE 29:1 (Juli 1988), S. 111 - 122. 12 Vgl. S. R. Lewis, Primary Exporting Countries, in: Η. Chenery/ Τ. Ν. Srinivasan (Hrsg.), Handbook of Development Economics, Bd. 2, Amsterdam, New York 1988, S. 1541 - 1600.
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Kapitell: Wachstumseffekte des Außenhandels
angestrebt. Erfolgreiche Länder haben ihre Währung nicht überbewertet, sie waren bereit, Abwertungen vorzunehmen und haben Reserven akkumuliert, um den Wachstumsprozeß zu stabilisieren. Obgleich diese Länder den Industriesektor mit protektionistischen Maßnahmen schützten, war die effektive Protektion moderat. Diese Mischstrategien erlaubten es jenen Ländern, ein hohes Wachtum des BSP zu erreichen, den Strukturwandel in der Produktion zu forcieren, eine Erhöhung ihrer Exporteinnahmen fur Industrieprodukte zu erreichen und dennoch einen hohen Anteil an Rohstoffexporten aufeuweisen. Botswana kann als ein solch erfolgreiches Land bezeichnet werden. Als es 1966 in die Unabhängigkeit entlassen wurde, war es eines der ärmsten Länder der Welt, eine Infrastruktur war praktisch nicht vorhanden. Das Land von der Größe Frankreichs hatte damals nur 5 km befestigte Straßen. Durch einen geschickten Policy mix ist es Botswana aber gelungen, von 1965 - 1985 Wachstumsraten des BIP von 12 % jahresdurchschnittlich zu erreichen, wobei das PKE um 8,3 % anstieg. Damit gehört Botswana zu den erfolgreichsten Ländern der Welt. Der Rohstoffbereich wurde ausgedehnt (Diamanten, Kupfer-Nickel-Projekt), das Land integrierte sich in die südafrikanische Zollunion und forcierte den Aufbau der Infrastruktur. Während es 1965 in Botswana beispielsweise nur ein Schlachthaus gab und der Staatshaushalt große Budgetdefizite, die von Großbritannien gedeckt wurden, aufwies, ist das Land heute in der Lage, auch Produkte der Leichtindustrie zu exportieren und eine Infrastruktur aufzubauen, die dem Wachstumsprozeß langfristig zugute kommt. Staaten, die den Rohstoffsektor zu stark besteuerten und die eine überbewertete Währung aufwiesen, blieben hingegen weiterhin in hohem Maße abhängig von Primärgüterexporten. Die Erfahrung erfolgreicher Entwicklungsländer scheint darauf hinzuweisen, daß der Primärgütersektor in einem optimalen Policy mix als ausgleichender Sektor entwicklungspolitisch genutzt werden kann.
Kapitel 1: Wachstumseffekte des Außenhandels
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1.3 Möglichkeiten und Grenzen einer Politik der Importsubstitution Während der Anfangsphase der Industrialisierung wächst der Importbedarf von Kapitalgütem schneller als das Volkseinkommen und die Exporterlöse. Die begrenzte Verfügbarkeit über Devisen kann daher zu einem Entwicklungsengpaß werden. Den Entwicklungsländern stellt sich das Problem, wie Devisen gespart oder zusätzlich erwirtschaftet werden können. Hierüber entbrannte eine langanhaltende entwicklungspolitische Diskussion. Auf der einen Seite wurde vorgeschlagen, daß sich die Entwicklungsländer auf jene Sektoren konzentrieren sollten, bei denen der Importanteil hoch liegt. Durch ein Verdrängen dieser Importe könnten Devisen eingespart und zugleich eine lohnende Nachfrage signalisiert werden. Möglicherweise existieren dort Sektoren, von denen direkte Wachstumseffekte ausgehen. Auf der anderen Seite wurde vorgeschlagen, daß sie ihre komparativen Vorteile wahrzunehmen suchen sollten, indem sie in jene Sektoren investierten, die hohe und stabile Exporterlöse garantierten (Nutzung langfristiger komparativer Kostenvorteile). Bevor dieses Problem behandelt wird, soll ein kurzer Blick auf die historische Entwicklung der Wirtschaften der Industrieländer geworfen werden. Zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert wurde von den absolutistischen Staaten in Europa eine merkantilistische Wirtschaftspolitik betrieben. Dazu gehörten insbesondere solche Maßnahmen, die wir heute einer Politik der Importsubstitution zurechnen. Neben einer aktiven Gewerbe- und Handelspolitik wurde eine aktive Außenhandelspolitik mit dem Ziel betrieben, Deviseneinnahmen zu erwirtschaften. Die Besteuerung importierter Fertigwaren (Importzölle) und eine Subventionierung des Exports von Fertigwaren gehörten zu solchen Maßnahmen. Der Export von Rohstoffen hingegen wurde besteuert, während Rohstoffe selbst ins Land zollfrei eingeführt wurden. Diese Politik wurde während der Zeit des Colbertismus in Frankreich bzw. der Zeit des Kameralismus in den deutschen Ländern verfochten. Diese merkantilistische Politik legte die Grundlage für die im 18. Jahrhundert auf dem europäischen Kontinent stattfindende industrielle Revolution als Imitation der britischen Entwicklung. Johann Joachim Becher, seit 1663 Professor für Medizin an der Universität Mainz und Leibarzt des Großen Kurfürsten, forderte z.B. in jener Zeit einen "Reichsmerkantilismus". Er trat für eine staatliche
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Lenkung der Binnen- und Außenwirtschaft ein. Die deutschen Kameralisten hatten übrigens auch einen großen Einfluß auf Friedrich den Großen. In Frankreich und in England konzentrierten sich die merkantilistischen Programme auf das Jahrhundert von 1660 bis 1760. Die Jahre vor der Restauration bis 1714 wurde in England das Zeitalter der kommerziellen und finanziellen Revolution genannt. Während die Industrie vom Einfluß der Gilden und staatlichen Einflüsse befreit wurde, finden wir eine ausgeprägte Regulierung des Handels, insbesondere des Außenhandels vor. Gesetze wurden erlassen, die den Transport englischer Waren auf ausländischen Schiffen untersagten. Der Handel zwischen den englischen Kolonien mußte auf englischen Schiffen, die zudem noch in England gebaut worden sein mußten (Transport mittels holländischer Schiffe wurde verboten), mit englischen Offizieren und Mannschaften abgewickelt werden. Viele Handelsgüter (Zucker, Baumwolle, Stoffe, Holz) durften überhaupt nicht mehr auf fremden Schiffen transportiert werden. Während dieser Importsubstitutionsphase stiegen die Exporte des Vereinigten Königreichs von 6 Mio Pfund Sterling (1660) auf 15 Mio Pfund Sterling im Jahre 1700. Die Importe stiegen von 4 Mio Pfund Sterling im Jahre 1700 auf 5 Mio Pfund Sterling im Jahre 1760. Aufgrund dieser geschichtlichen Erfahrung darf es nicht wundem, wenn Entwicklungsländer heute ebenfalls Importsubstitutionspolitiken verfolgen, um ihre Wettbewerbsposition zu verbessern und ihren Wohlstand zu erhöhen.
1.3.1 Begründung für eine Importsubstitutionspolitik Viele Entwicklungsländer sind hoch verschuldet und haben kaum Möglichkeiten, weitere Kredite, insbesondere private Kredite von Banken, aufzunehmen. Von einer Politik der Importsubstitution erwartet man eine Entlastung der Zahlungsbilanz sowie durch einen Ersatz der Importe durch selbst erzeugte Produkte eine Förderung der für den Binnenmarkt produzierenden Sektoren. Ausländische Firmen haben Marktlücken ja bereits aufgespürt. Wenn jene Märkte nun vom Inland beliefert und als fuhrende Sektoren ausgebaut werden, erhofft man sich einen Wachstumseffekt. Es werden also zwei Ziele verfolgt: nachhaltige direkte Entwicklungseffekte und eine verbesserte Devisenposition.
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Insbesondere die lateinamerikanischen Staaten verfolgten eine solche Industrialisierungspolitik, die aufgrund ihrer wirtschaftspolitischen Erfahrung auch verständlich war. Während des ersten Weltkrieges wurden die lateinamerikanischen Länder nämlich plötzlich von ihren Importen abgeschnitten und während der Weltwirtschaftskrise war es ihnen zudem kaum möglich, ihre Exporte auf dem Weltmarkt abzusetzen. Eine verstärkte Importsubstitutionspolitik sollte diese Abhängigkeit lockern. Die sinkenden terms of trade für Primärprodukte und schwankende Exporterlöse dienten zusätzlich als Argumente für die Implementierung einer solchen Politik, wobei zusätzlich die Industrialisierungserfolge der Sowjetunion als vorbildhaft angesehen wurden.
1.3.2 Erfolgsbedingungen einer Importsubstitutionspolitik Zunächst stellt die Größe des Binnenmarktes ein wesentliches Kriterium für den Erfolg einer Politik der Importsubstitution dar. Der Binnenmarkt muß groß genug sein, die Möglichkeiten zunehmender Skalenerträge zu nutzen. Ein großes Land mit wohlhabenden Einwohnern vermag die hierzu notwendige Nachfrage zu entfalten. Aber auch die Infrastruktur muß hinreichend entwickelt sein, da die Größe des Landes allein nicht ausreicht, was am Beispiel Indiens verdeutlicht werden kann. Eine Massenproduktion ist auch dann nicht durchfuhrbar, wenn die mangelnden Verkehrsverbindungen eine Erschließung des Hinterlandes nicht zulassen. Für den Binnenmarkt muß die Produktion mit einfachen technischen Mitteln betrieben werden können. Deshalb dürfen keine allzuhohen Ansprüche der Käufer vorliegen. Auch das Anspruchsniveau an die Arbeitskräfte muß der Komplexität der Produktionsverfahren angemessen sein. Knappes Risikokapital und fehlende unternehmerische Talente sprechen ebenfalls für eine Importsubstitutionspolitik, da sich auf heimischem Boden Investitionsmöglichkeiten leichter ausschöpfen lassen als auf wettbewerbsstarken Auslandsmärkten. Auch die Unternehmensgröße spielt dabei eine bestimmte Rolle, denn Klein- und Mittelbetriebe sind meist nicht in der Lage, die hohen Erschließungskosten für ausländische Märkte aufzubringen. Wenn die Gewinnmöglichkeiten auf dem Binnenmarkt höher veranschlagt werden als im Welthandel, werden Unternehmen verstärkt den heimischen Markt beliefern. Diese Erlös-Kosten-Relationen lassen sich allerdings wirtschafts-
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politisch beeinflussen. Sollen langfristige, dynamische komparative Vorteile realisiert werden, bietet sich ebenfalls eine Politik der Importsubstitution an. Allerdings darf diese nicht zu lange durchgeführt werden, da sonst die Gefahr besteht, daß der Anschluß an den Weltmarkt verloren geht. Auch die politischen Risiken dürfen nicht übersehen werden, da die potentiellen Abnehmerländer ihre Märkte für die Produkte der Entwicklungsländer schließen können. Hinreichende Erfahrungen mit Selbstbeschränkungsabkommen (Welttextilabkommen, Multifaserabkommen) liegen vor. Bei einer importsubstituierenden Industrialisierungsstrategie finden wir einen erschlossenen Binnenmarkt vor, der nur durch Importrestriktionen für inländische Produzenten erschlossen werden muß. Eine solche Politik fuhrt zu einem Verlust kurzfristiger Effizienzgewinne in der Hoffnung auf eine Realisierung langfristiger Wachstumsvorteile. In diesem Zusammenhang sei an das Erziehungszollargument von Friedrich List erinnert, der zur Herstellung einer fairen internationalen Wettbewerbslage für die deutschen Länder einen Zollschutz verfochten hat. Dieser Erziehungszoll sollte einer aufstrebenden jungen Industrie vorübergehend zur Konkurrenzfähigkeit gegenüber ausländischen Unternehmen verhelfen und sie zur Wettbewerbsreife erziehen. Bis zur Erlangung dieser Wettbewerbsreife werden die einheimischen Unternehmen durch Zölle geschützt. Die Anwendung von Erziehungszöllen ist in der Wirtschaftstheorie teilweise strittig, da die Übergänge vom Erziehungszoll zum Schutzzoll fließend sind. Auch können Subventionen die gleiche Aufgabe ohne direkte Behinderung des Handels erfüllen. Allerdings werden die Entwicklungsländer die finanziellen Mittel für Subventionen kaum aufbringen können, während ein Zoll Budgeteinnahmen erbringt. Den meisten Entwicklungsländern, die eine Politik der Importsubstitution betrieben haben, ist es nicht gelungen, ihre Zahlungsbilanz- und Arbeitslosigkeitsprobleme zu mildern. Wegen der für die Industrialisierung notwendigen Importe von Kapitalgütern ist die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Warenaustausch mit dem Ausland aber noch gewachsen. Oft wurde die Nachfrage nicht richtig eingeschätzt oder die Marktenge führte zur Schaffung von Überkapazitäten, die zu einer Verschwendung knapper Ressourcen führten. In diesem Zusammenhang wäre auf die Industrialisierungsstrategie Japans hinzuweisen. Das Ministerium für Industrie und Außenhandel (MITI) setzte sich in der Nachkriegsphase in Japan
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das Ziel, einen exzessiven bzw. ruinösen Wettbewerb zu vermeiden. So wurde beispielsweise darauf geachtet, daß die Zahl der konkurrierenden Firmen auch der Marktgröße entsprach.13 Einigen Entwicklungsländern ist eine Importsubstitutionspolitik fiir den Agrarbereich zu empfehlen, da z.T. beträchtliche Devisen für den Import von Nahrungsmitteln aufgewendet werden müssen. Eine verstärkte Förderung des Agrarbereiches als Ausgleich für die historische Vernachlässigung könnte beträchtliche EntwicklungsefFekte auslösen und dadurch Devisen für die Industrialisierung freisetzen. Generell sollte die Industrialisierung in den Entwicklungsländern stufenweise erfolgen. In einer ersten Stufe sollte mit der Produktion einfacher Produktionsmittel (Zement, Papier, Kunstdünger) begonnen werden. In einer zweiten Stufe sollten Konsum-güter mit hoher Nachfrage hinzukommen. Erst in der dritten Stufe können dann langlebige Konsumgüter und hochwertige Produktionsmittel erstellt werden. Welche Instrumente einer solchen Politik der Importsubstitution stehen nun aber dem Wirtschaftspolitiker zu Verfugung?
1.3.3 Instrumente einer Politik der Importsubstitution Ziel aller Maßnahmen muß die Verbesserung der internen Einkommensrelationen der mit dem Ausland konkurrierenden Sektoren sein, damit die Rentabilität der importsubstituierenden Unternehmen verbessert wird. Dabei können sowohl außenwirtschaftliche als auch rein binnenwirtschaftliche Maßnahmen die ErlösKosten-Relation beeinflussen. In der Regel werden im Rahmen einer Strategie der Importsubstitution die Importe beschränkt. Diese Politik wird implementiert durch die Einführung von Einfuhrzöllen, -steuern, -abgaben sowie Einfuhrkontingenten und anderen nicht-tarifären Handelshemmnissen. Zu den nicht-tarifaren Maßnahmen gehören zunächst Importkontingente, die wert- oder mengenmäßige Höchstgrenzen vorgeben, sowie GesundheitsvorVgl. bspw. die Ausführungen in J. WEISS, Japan's Post-War Protection Policy: Some Implications for Less-Developed Countries. JDevSt 22:2 (Januar 1988).
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schriflen, Verpackungs- und Standardisierungsbestimmungen und Zollformalitäten. Ziel ist die Verbesserung der Wettbewerbssituation inländischer Unternehmen. Zu den außenwirtschaftlichen Maßnahmen gehören auch die währungspolitischen, wie beispielsweise multiple Wechselkurse, mit Hilfe derer importsubstituierende Unternehmen gefördert werden sollen. Entwicklungsländer können aber auch durch fiskalpolitische Maßnahmen (direkte und indirekte Subventionen) eine Importsubstitutionspolitik forcieren. Zu solchen Maßnahmen gehören Steuervergünstigungen oder verbilligte Kredite und andere Zugangserleichterungen zu Inputs. Eine häufig verwendete Maßnahme liegt in der Einführung eines Zolls. Nach der Vorstellung des Erziehungszolls hat sich der vorübergehende Verzicht auf Vorteile der internationalen Arbeitsteilung gelohnt, wenn nach erfolgter Anpassung die betreffende Volkswirtschaft mittelfristig eine höhere Güterversorgung erreicht als ihr ohne Einfuhrung des Schutzzolls möglich gewesen wäre. Die Auswirkungen von Zöllen und Importkontingenten sind in der Literatur hinreichend diskutiert worden. 14 Durch einen Zoll ergeben sich die folgenden Effekte:
14 Vgl. W. M. CORDEN, Trade Policy and Economic Weifare. Oxford 1974, sowie K. ROSE, Theorie der Außenwirtschaft, München 1989, 10. Auflage.
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Abb. 1.1 Die möglichen Auswirkungen eines Schutzzolls
- Konsumeffekt (JK): Wegen der Preiserhöhung von Ρ auf R (der Zollsatz beträgt PR) ergibt sich ein Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage mit den dazugehörigen Nutzenausfällen (Verlust an Konsumentenrente). - Produktionseffekt (GH): Die Preiserhöhung erlaubt den inländischen Produzenten, ihre Produktion auszudehnen, da der inländische Preis OR jetzt über dem elastischen Weltmarktpreis PO hegt. Damit können die Firmen entlang ihrer Grenzkostenkurve eine höhere Produktion realisieren und absetzen. - Budgeteffekt (ABED): In dieser Höhe erzielt die Regierung Zolleinnahmen, die sie zur Förderung des Entwicklungsprozesses einsetzen kann.
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- Verteilungseffekt (RACP): Die inländische Produzentenrente erhöht sich. Auf der anderen Seite ist ein Verlust der Konsumentenrente in Höhe von BEF feststellbar. - Zusätzliche Produktionskosten (ADC): Hierdurch wird die (statische!) Ineffizienz des höheren Zolls deutlich. Bei diesen Effekten handelt es sich um die rein statischen Effekte. Entwicklungspolitisch ist Vorsicht geboten; sie dürfen nicht überbewertet werden. Als sich die japanische Regierung zur Industrialisierung entschloß, hat sie auf kurzfristige statische komparative Vorteile verzichtet, um langfristige komparative Vorteile in Industrien mit hohen Einkommenselastizitäten der Nachfrage zu erreichen, in welchen der technische Fortschritt hoch und mit hoher und steigender Arbeitsproduktivität zu rechnen war. Statt eines Zolls könnten ähnliche Effekte durch Mengenkontingentierungen erreicht werden. In diesem Fall würden allerdings die Budgeteffekte ausfallen, wenn die Regierung die Lizenzen zur Einfuhr der Menge HJ nicht auf dem freien Markt versteigert. Kontingente haben aber den Nachteil, daß sie Unternehmen, Regionen und Branchen willkürlich diskriminieren. Die Ungewißheit der Unternehmen, ob sie die notwendigen Einfuhrlizenzen erwerben können, erschwert dann deren Investitionsplanung. Eine enge Kooperation der Industrieverbände mit der Regierung, wie in Japan und Korea üblich, kann dieses Problem allerdings deutlich vermindern. Das soeben diskutierte Modell gilt nur für den Ein-Güter-Fall. Bei mehreren Gütern kann man das Maß der tatsächlichen Protektion durch den effektiven Zoll ermitteln. Der Zoll wird hierbei auf die inländische Wertschöpfung bezogen, d.h. es muß bei der Berechnung auch der Zoll fur die Inputs berücksichtigt werden. Je kleiner der Anteil der Wertschöpfung ist, bezogen auf den Preis des Produktes, desto höher ist der effektive Schutz vor der Auslandskonkurrenz.
Exkurs: Der Begriff des effektiven Zolls Der Effektivzoll ist eine reale zollbedingte Änderung der inländischen Wertschöpfung durch Einführung eines nominalen Zolls. Mit dem Effektivzoll mißt
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man die reale Zollbelastung fur das Ausland bzw. den realen Zollschutz für das Inland. Der Schutzeffekts des Zolls kann dabei auch negativ sein: Werden ausländische Vorprodukte durch einen Zoll belastet, können sich die Absatzchancen für die Inlandsprodukte verschlechtern, so daß die inländische Wertschöpfung sinkt und der Effektivzoll negativ wird. Beispiel: Für die US-amerikanische Computerindustrie wurde nachgewiesen, daß ein Zoll auf japanische Mikroprozessoren ihre Produktionskosten verteuerte und dadurch die Absatzchancen auf dem Weltmarkt so stark beeinträchtigte, daß das Gesamtergebnis des Zolls für die amerikanische Volkswirtschaft negativ war. 15 Formal läßt sich der effektive Zollschutz wie folgt ermitteln: EZ A = (Z A -aZ B )AVA, mit EZA ZA Z]3 WA α
Effektivzoll des Gutes A Nominalzoll des Gutes A Nominalzoll der Vorleistung Β Inländische Wertschöpfung beim Gute A Anteil des Zwischenprodukts (Vorleistung) am Gesamtwert des Gutes A,
wodurch α + W A = 1 gelten muß. Betrage die Wertschöpfung in der Computerindustrie (Gut A) 40, die Vorleistung (Gut B) 60, so bedeutet ein Zoll für Computer (ZA) von 20% bei einem Zoll auf Vorleistungen (Zß) von 30% einen Effektivzoll von 5%. Je höher die ausländische Wertschöpfüng und der Zoll auf Vorleistungen sind, desto geringer ist der effektive Zollschutz! Wird der Zoll für importierte Vorleistungen auf Zß = 0% gesenkt, beläuft sich der Effektivzoll auf EZA = 50%. Empirische Untersuchungen bestätigen, daß die Rate der effektiven Protektion höher oder geringer sein kann als der nominelle Zollsatz. Letzteres bedeutet, daß die Produzenten über die Vorleistungen eine hohe Zollbelastung tragen, so daß die Vorteile, die ihnen durch die Schutzzölle auf ihre eigenen Produkte gewährt werden, wieder verlorengehen. 15
Vgl. Κ. H. THIELMANN, Aussenwirtschaft, 2. erw. Auflage 1991, S. 25.
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Die mangelhafte Kenntnis der Zollwirkungen, die möglichen Rückwirkungen auf andere Sektoren (die Landwirtschaft als Verbraucher industrieller Produkte), die Schwierigkeiten, einen einmal gewährten Zollschutz wieder zurückzunehmen, die Benachteiligung der inländischen Verbraucher und die Tatsache, daß Zölle sich nur gegen die ausländische Konkurrenz richten und damit inländische Ungleichgewichte hervorrufen, sprechen gegen eine zu starke Verwendung von Zöllen zur Forcierung der industriellen Entwicklung. Auch Subventionen können die Industrialisierung der Entwicklungsländer fördern. In diesem Zusammenhang ist, analog zum effektiven Zollschutz, die effektive Subventionierung entscheidend.16 Gespaltene Wechselkurse wirken ähnlich wie selektive Zölle. Die Ausfuhr bestimmter Güter soll gefördert und der Import der nicht als essentiell angesehenen Güter gedrosselt werden. Während bei Importkontingenten der Preis seine Lenkungsfunktion nicht ausüben kann, bleibt sie bei nicht-prohibitiven Zöllen und multiplen Wechselkursen erhalten. Weil es keine gesamtwirtschaftlichen, objektiven Beurteilungskriterien zur Bestimmung der Wechselkursdifferenzierungen gibt, können dadurch wirtschaftliche Fehlentwicklungen eingeleitet oder unterstützt werden. Vom wirtschaftstheoretischen Standpunkt her gesehen sind fiskalpolitische Maßnahmen vorzuziehen. Gegen sie läßt sich einwenden, daß die Entwicklungsländer die hohen fiskalischen Kosten nicht ohne weiteres aufzubringen vermögen. Außerdem muß auf die negativen Auswirkungen auf die Motivation der in-ländischen Produzenten (rentenabsichernde Gesellschaft: rentseeking society) geachtet werden.
1.3.4 Auswirkungen einer Politik der Importsubstitution Zunächst soll noch auf die Frage eingegangen werden, wie sich eine Politik der Importsubstitution messen läßt. Es bestehen zwei Möglichkeiten: Jede Produktionssteigerung von Gütern, die mit Importen konkurrieren, könnte als eine solche Politik aufgefaßt werden. Meist geht man aber vom Importgehaltskonzept aus: Das Absinken des Importanteils am inländischen Verbrauch zeigt dann eine erfolgreiche Importsubstitution an. Erfolgreiche Importsubstitution setzt dann Vgl. B. BALASSA, Development Strategies in Semi-Industrial Economies, Baltimore 1982.
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voraus, daß die inländische Produktion eines Gutes stärker wächst als seine Importe. Dann hat sich die Angebotsstruktur zugunsten der heimischen Produktion verschoben. Ein hoher Zollschutz gibt allerdings auch Anreize für Schmuggelaktivitäten. Auf die dadurch entstehenden Probleme soll hier aber nicht eingegangen werden. Wirtschaftspolitisch müssen die Allokations- und Wachstumseffekte der Importsubstitution unterschieden werden. Bei den Allokationseffekten muß dabei noch zwischen den inter- und intrasektoralen Auswirkungen differenziert werden. Konzentriert der Staat seine Förderungsmaßnahmen auf einen Sektor (bspw. eine bestimmte Industrie), dann wird zwangsläufig der andere Sektor (bspw. die Landwirtschaft) vernachlässigt. Dies kann die Investitionstätigkeit in der Landwirtschaft hemmen und gesamtwirtschaftlich ungünstige Produktionsstrukturen fördern. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß viele Entwicklungsländer deshalb auf Nahrungsmittelimporte angewiesen sind, was ihre Devisenbilanz belastet. Zu Allokationsverzerrungen intrasektoraler Art kann es kommen, wenn die Produktionsstruktur nicht mehr mit der Struktur der Wertgrenzprodukte in Einklang steht. Die folgenden Verzerrungen können beobachtet werden: - Die Branchenstruktur wird konsumgüterlastig. - Es ergeben sich Verzerrungen zu Lasten der Exportfähigkeit. Wenn Unternehmen gezwungen werden, inländische Ressourcen zu verwenden, die qualitätsmäßig mit den ausländischen nicht mithalten können, ergeben sich zusätzliche Nachteile. Oftmals erhalten Firmen ihre Importlizenzen nicht rechtzeitig. Dadurch werden wiederum die Exporte der Entwicklungsländer eingeschränkt. - Die Struktur der Faktorintensitäten kann verzerrt werden. Der in den Entwicklungsländern reichlich vorhandene Input Arbeit wird zu wenig, der relativ knappe Input Sachkapital übermäßig genutzt. Die Zollstruktur verbilligt die Einfuhr von Investitionsgütern, die die Unternehmer weniger als die Gesellschaft kosten. Die übermäßige Sachkapitalintensivierung fuhrt zu einer nicht optimalen Nutzung des Arbeitskräftepotentials. Werden die Lizenzen zusätzlich proportional zu den vor-
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handenen Sachkapazitäten verteilt, kann es trotz Unterauslastung der Unternehmen zu Erweiterungsinvestitionen kommen. Wachstumswirkungen durch eine Importsubstitutionspolitik ergeben sich, wenn folgende Voraussetzungen gegeben sind: - Die geringe effektive Binnennachfrage stellt ein Wachstumshindernis dar. - Verkettungsefifekte sind in ausreichender Intensität vorhanden. - Es existieren hohe externe und interne (versteckte) Ersparnisse. - Die Förderung erfolgt in den einzelnen Phasen derart, daß komparative Vorteile genutzt werden. Unter folgenden Voraussetzungen ergeben sich auch negative Auswirkungen auf das Wachstum17: - Die Landwirtschaft kann wegen der verschlechterten internen Einkommensrelationen ihr Produktionspotential nicht mehr voll ausschöpfen. - Sollte es bei fortschreitender Importsubstitution notwendig sein, komplementäre Erzeugnisse fur die Produktion zu importieren und sollte deren Anteil überproportional steigen, können Zahlungsbilanzschwierigkeiten auftreten, so daß sich konjunkturelle Schwankungen wegen der defizitären Zahlungsbilanzsituation ergeben. - Der mangelnde Preis- und Qualitätswettbewerb fuhrt zu Quasi-Monopolen und in deren Folge zu einer Erlahmung des Leistungsstrebens der Unternehmer. - Die Diskriminierung der Landwirtschaft kann zu sinkenden Sparquoten fuhren, da das Sparpotential in diesem Sektor überdurchschnittlich hoch liegt. Die Erfahrungen der Entwicklungsländer mit der Importsubstitutionspolitik sind äußerst unterschiedlich. In einer ersten Phase, in der handwerkliche Fähigkeiten in industrielle Produktionsformen umgewandelt wurden, ergeben sich meist 17
Vgl. J. DÖNGES, Außenwirtschafts- und Entwicklungspolitik. Berlin et al. 1981, S. 51.
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verstärkt Wachstumsimpulse. Das Ziel, die Importsubstitution auch im Produktionsmittel· und Investitionsbereich zu forcieren, haben nur einige größere Länder (und dies mit enormer ausländischer Verschuldung) erreicht (Brasilien, Mexiko, Spanien, das ehemalige Jugoslawien). In anderen Ländern (Türkei, Ägypten, Argentinien, Indien) blieben die erhofften Erfolge aus. Wegen ständiger Devisenprobleme, die aus der durch die Importsubstitution resultierenden geminderten Exportfähigkeit folgen, kam es immer wieder zu Engpässen und konjunkturellen Schwankungen. Zu den Ländern, die ihre komparativen Vorteile gezielt nutzen konnten, gehören Südkorea und Taiwan. Sie haben eine rationale Importsubstitution betrieben, ohne ihren Landwirtschaftssektor zu gefährden.
1.4 Möglichkeiten und Grenzen einer Exportforderungspolitik Die Alternative zur Importsubstitutionspolitik stellt die Exportförderungspolitik dar, die in einer forcierten Diversifizierung der Exporte gesehen wird. Als Industrialisierungsstrategie soll sie die Produktion von Fertigwaren und Industrieerzeugnissen fördern. Der Ausbau von Primärgüterexporten fällt nicht unter eine Strategie der Exportförderung.
1.4.1 Begründung einer Politik der Exportförderung Viele Entwicklungsländer, die sich durch eine exportorientierte Politik in die internationale Arbeitsteilung integrierten, haben beachtliche Entwicklungserfolge erzielt, die weitaus eindrucksvoller sind als die Entwicklungserfolge jener Länder, die eine Politik der Importsubstitution verfolgten.18 18
Vgl. insbesondere B. BALASSA, The Importance of Trade for Developing Countries, BNL 163 (Dezember 1987), S. 437 - 470; A. O. KRUEGER, The Relationships between Trade, Employment and Development, in: The State of Development Economics. Progress and Perspectives, G. RANIS/T. P. SCHULTZ (Hrsg.), Oxford 1987, S. 357 - 383; ebenfalls: J. B. DÖNGES, Die Entwicklungsländer in der internationalen Arbeitsteilung - Chancen und Hemmnisse, in: Der Welthandel morgen. Konsequenzen für entwickelte und unterentwickelte Länder, Μ. BOHNET et al., Dräger-Stiftung (Hrsg.), Bd. 8, Bonn 1984, S . l l - 34; auch: E. S. EL-SHAGI, Die Konsequenzen für Entwicklungsländer aus ihrer weltwirtschaftlichen Integration, in: Dräger-Stiftung, Bd. 8, op. cit., S 71 - 116; B. BALASSA, Outward Orientation, in Η. CHENERY/T. Ν. SRINIVASAN (Hrsg.), Handbook of Development Economics, Bd 2, Amsterdam, New York, 1989, S. 1645 - 1689; auch: R. DORNBUSCH, The Case for Trade Liberalization in Developing Countries, JEPer 6:1 (Winter 1992), S. 69 - 85; kritisch dazu: D. RODRIK, The Limits of Trade Policy Reform in Developing Countries, JEPer 6:1 (Winter 1992), S. 87 - 105.
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Auch die Außenwirtschaftstheorie betont, daß Arbeitsteilung und Spezialisierung, die Handel implizieren, gesamtwirtschaftlich von Vorteil sind. Wegen des verschärften Wettbewerbs kommt es zur Effizienzsteigerung bei der inländischen Produktion. Größere Realeinkommenserhöhungen sind möglich, weil der außenwirtschaftlich bedingte Strukturwandel den technischen Fortschritt beschleunigt. Eine größere Geldwertstabilität bei hohem Beschäftigungsgrad ist erreichbar, weil monopolistische und oligopolistische Machtpositionen auf den Güter- und Faktormärkten vermieden werden und damit die Preisflexibilität zunimmt. Manchmal wird jedoch auch behauptet, daß diese Vorteile nur von Industrieländern ausgeschöpft werden. Für Entwicklungsländer sei die Eingliederung in die Weltwirtschaft überwiegend mit Nachteilen verbunden. Insbesondere die Dependenztheoretiker unterstreichen diese Position. Die primärgüterlastige Exportstruktur der Entwicklungsländer macht sie abhängig von Schwankungen der Weltmarktpreise.19 Die natürliche Ausstattung mit Ressourcen erlaubt i. a. keine hinreichende Diversifizierung der Angebotspalette, so daß die Exporteinnahmen vom Export weniger Güter abhängen. Um eine Stabilisierung der Exporterlöse zu erreichen und um den technischen Fortschritt zu fördern, wird wegen des Versagens einer überzogenen Politik der Importsubstitution verstärkt auf die Notwendigkeit der Integration des Landes in die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung hingewiesen. Vorreiter einer industriebestimmten Exportexpansion waren (vernachlässigen wir Japan) Hongkong, Singapur, Korea und Taiwan, die scherzhaft auch als "Viererbande" oder "die vier kleinen Tiger" bezeichnet werden. Ihr Anteil an der Industriewarenausfuhr aller Entwicklungsländer (low and middle-income countries) beläuft sich nach den Daten aus dem Weltentwicklungsbericht 1991 fur das Jahr 1989 auf 39,1%. Der wirtschaftliche Erfolg dieser kleinen asiatischen Staaten fand bald Nachahmer. Inzwischen haben rd. 40 Entwicklungsländer ein signifikantes Exportpotential entwickelt. In der Frühphase der Weltmarktöffiiung nutzten diese Länder ihre komparativen Vorteile bei arbeitsintensiven Produkten (Textilien, Bekleidung). Zunehmend 19 Die Bedeutung der Weltmarkteinflüsse als Determinanten der Exportleistung eines Landes wird allerdings oft überschätzt. Vgl. P. ATHUKORALA, An Analysis of Demand and Supply Factors in Agricultural Exports from Developing Asian Countries, in: WWA, 127:4 (1991), S. 764-791.
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ergeben sich heute aber auch Exportchancen bei dauerhaften Konsumgütern mittlerer Qualität, bei einfachen Investitionsgütern, standardisierten Zwischenprodukten und Halbfabrikaten. Zwar ist gelegentlich behauptet worden, daß sich nicht alle Entwicklungsländer in den Weltmarkt integrieren können, daß die Exporte des einen zu Lasten der Exporte des anderen gehen. Man spricht von einem "Exportpessimismus", wobei allerdings die Vorstellung herrscht, daß der internationale Handel ein Nullsummenspiel sei, bei dem wenige Länder auf Kosten vieler anderer gewönnen. Der internationale Handel ist aber ein "Spiel mit positivem Gewinnausgang". Alle Länder gewinnen durch eine verstärkte Außenhandelsorientierung, sowohl die Entwicklungs- als auch die Industrieländer. Die Verteilung der Handelsgewinne kann aber durchaus unterschiedlich sein. Überspitzt läßt sich formulieren, daß man eine "Gleichheit in der Armut" aber "keine Gleichheit in der Entwicklung durch Handel" beobachten kann.
1.4.2 Voraussetzungen einer erfolgreichen Exportförderungspolitik Um den Exportsektor zu einem bedeutenden Sektor zu entwickeln, müssen die industriellen Ausfuhren zunehmen. Daher müssen die Entwicklungsländer solche Produktionszweige fördern, bei denen sie - langfristig - einen Wettbewerbsvorteil haben. Dieser kann bspw. bei rohstoffintensiven Gütern vorliegen, wenn sich die Rohstoffintensität auf ein Produkt bezieht, bei dem das Entwicklungsland ein Verfiigbarkeitsmonopol besitzt. Auch Transportkostenersparnisse können bei transportintensiven Produkten vorliegen. Nach dem Neofaktorproportionentheorem sollen sich die Entwicklungsländer dort spezialisieren, wo sie wegen der reichlichen Faktorausstattung komparative Vorteile aufweisen. Das Neofaktorproportionentheorem gibt jedoch keine Auskunft darüber, welcher Sektor zu fördern ist. Aus der Kapitaltheorie ist bekannt, daß Faktorintensitäten umschlagen können (Reswitching-Kontroverse).20 So kann die Rangfolge der Faktorintensitäten, bezogen auf die relativen Preise in den Entwicklungsländern, von denen der Industrieländer abweichen, da verschiedene Technologien in den einzelnen Ländern zur Verfugung stehen. Bei hohen Löhnen kann es beispielsweise sinnvoll sein, in den Industrieländern arbeitssparend und in den 20
Zur Reswitching-Kontroverse vgl die Beiträge in: G.C. HARCOURT/N.F. LAING (Hrsg.), Capital and Growth, Penguin Modern Economic Readings, Harmondsworth 1971; ebenso G. C. HARCOURT, Some Cambridge Controversies in the Theory of Capital, Cambridge 1972.
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Entwicklungsländern kapitalsparend zu produzieren. So produziert die Landwirtschaft in den Industrieländern (verglichen mit dem industriellen Sektor) relativ kapitalintensiv, in den Entwicklungsländern aber relativ arbeitsintensiv. Ungelernte Arbeitskräfte wurden in den reichen Ländern durch Maschinen ersetzt. Die Spezialisierungsvorschrift des Faktorproportionentheorems ist daher nicht ohne weiteres anwendbar.
Kapital
Abb. 1.2 Möglicher Umschlag der Faktorintensitäten
Ist der Preis des Kapitals relativ hoch und der der Arbeit relativ niedrig, so läßt sich das Faktorpreisverhältnis durch AB ausdrücken. Die Landwirtschaft (Xj) produziere dann relativ arbeitsintensiv (L) verglichen mit der Industrie (X2), die im Punkt Η produziert. Haben wir jedoch hohe Löhne und relativ niedrige Preise für Kapitalgüter (Preisrelation DE), dann produziert die Landwirtschaft (Xj) kapitalintensiver als die Industrie (X2), die im Punkt G produziert. Die erste Situation käme den Gegebenheiten in den Entwicklungsländern nahe, die zweite entspricht mehr der Realität in den Industrieländern. Es kommt zweimal zu einem Umschlag der Faktorintensitäten, nämlich in den Punkten Sj und S2. Das
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Faktorproportionentheorem kann also die Frage nach der sektoralen Spezialisierung nicht unbedingt beantworten. Außerdem sind Nachfrageaspekte zu berücksichtigen. In vielen Entwicklungsländern werden arbeitsintensive Produkte relativ intensiver nachgefragt als in Industrieländern. Auch von daher kann eine inverse Spezialisierung möglich werden. Die Qualität der Erzeugnisse muß ebenfalls berücksichtigt werden. Arbeitsintensiv hergestellte Produkte können in den Staaten der Dritten Welt von minderer Qualität sein, so daß sie auf den Märkten der Industrieländer kaum konkurrenzfähig sind. Eine Spezialisierung auf solche arbeitsintensiven Produkte würde eine Schwächung der Exportchancen bewirken. Mit einer verstärkten Ausrichtung auf die Produktion von Exportgütern sollte ein Land beginnen, wenn die Inlandsmärkte relativ klein sind und die Industrialisierung schnell an Wachstumsgrenzen stößt. Dies erklärt, daß viele kleine Entwicklungsländer eine Exportdiversifizierung verfolgt haben. Durch die Eroberung ausländischer Märkte konnten die Wachstumsgrenzen hinausgeschoben werden. Eine erfolgreiche Exportorientierung verlangt aber auch wagemutige Unternehmer und qualitätsbewußte Arbeitnehmer sowie eine leistungsfähige Außenhandelsinfrastruktur. Die internationale Nachfrage nach den heimischen Erzeugnissen muß ebenfalls gesichert sein. Erreicht werden kann eine stärkere Expansion des Exportsektors, wenn die Gewinnspannen im Außenhandelsgeschäft netto höher liegen als im Inlandsgeschäft. Hierin liegen nun die Möglichkeiten einer rationalen Wirtschaftspolitik mit der Zielrichtung der Exportförderung.
1.4.3 Instrumente der Exportförderung Unter einer außenorientierten Industrialisierungsstrategie (kurz Exportförderung genannt) wird die Förderung wettbewerbsfähiger und entwicklungsfördernder Sektoren verstanden. Es soll jedoch keine Exportverzerrung geschaffen werden, die wiederum der Logik der optimalen Allokation knapper Ressourcen widersprechen würde.21 Bei den wirtschaftspolitischen Instrumenten zur Export21 Vgl. dazu auch die Ausführungen in J. S. HOGENDORN, Economic Development, Cambridge et al., 1992, insbesondere das Kapital Export Promotion Strategy, S. 486 ff.
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Kapitel 1: Wachstumseffekte des Außenhandels
förderung können wiederum zwei Gruppen unterschieden werden: außenwirtschaftliche und fiskalische Instrumente. In beiden Fällen kann die Regierung versuchen, entweder auf die Kostenstruktur oder auf die Erträge aus dem Exportgeschäft Einfluß zu nehmen.22 Direkte Kostennachteile des Exportsektors gegenüber der einheimischen Produktion können durch zollfreie Einfuhren von Inputs oder über Erstattungen der Einfuhrzölle ausgeglichen werden. Aber auch die Gründung von Freihandelsgebieten in einem Entwicklungsland (Export Promoting Zones) eröffiiet Möglichkeiten für eine Exportförderung. Der Export muß dem Unternehmen Gewinne ermöglichen, was auch durch offene Subventionen geschehen kann. Oft werden ausländische Unternehmen angeworben, weil man ihnen gewinnträchtige Exportgeschäfte zutraut und sie ausreichende Kenntnisse bezüglich der Absatzmöglichkeiten ihrer Produkte auf dem Weltmarkt besitzen. Solche offenen Subventionsmaßnahmen können aus Abschreibungserleichterungen bestehen, die jedoch die Verwendung kapitalintensiver Techniken fördern, wodurch wiederum Verzerrungseffekte bei der Produktionsstruktur hervorgerufen werden können. Zusätzliche Lohnsubventionierungen könnten hier aber kompensierend wirken. Bei der Exportsubventionierung muß zwischen Politiken unterschieden werden, die Verzerrungen korrigieren sollen und solchen, die Verzerrungen begründen. Besteht die Politik darin, die Anreizeffekte zu neutralisieren, so daß der Produzent auf dem heimischen und dem internationalen Markt den gleichen Preis erhält, dann würde dies ein kompliziertes System differenzierter Subventionen erfordern, was in die Nähe einer Protektionspolitik führen kann. Exportsubventionen können auch zu Verzerrungen gegenüber nicht handelbaren Gütern fuhren. Es ist zudem schwierig, die Höhe der notwendigen Kompensationen an die Exporteure zu errechnen, die notwendig sind, um Verzerrungen zu neutralisieren. Die Einführung neuer Verzerrungen wirkt nicht gegen die politischen und ökonomischen Zwänge, die die Ursachen des Entwicklungsproblems darstellen. Probleme ergeben sich, weil eine aktive Exportförderungspolitik eine stärkere Kontrolle der ökonomischen Aktivitäten durch die Regierung beinhaltet.
22
Vgl. J. DÖNGES op. cit. sowie B. FITZGERALD/T. MONSON, Preferential Credit and Insurance as Means to Promote Exports, WBRO 4:1 (Januar 1989), S. 89 - 114.
Kapitell:
Wachstumseffekte des Außenhandels
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Die Subventionierung von Exporten kann außenwirtschaftliche Komplikationen hervorrufen. So werfen die Industrie- den Entwicklungsländern vielfach Preisdumping vor. Nach dem Regelwerk des GATT sind Subventionen nur dann statthaft, wenn sie kompensierenden Charakter haben. Im Zuge von Zollsenkungen müßten solche Subventionen dann ebenfalls reduziert werden. Während der Tokio-Runde des GATT hat man sich darauf geeinigt, bei Entwicklungsländern Exportsubventionen als nicht die internationale Wettbewerbsfähigkeit störend anzusehen, weil die Wettbewerbsfähigkeit einheimischer Unternehmer dadurch nicht wesentlich verbessert wird. Exportsubventionen der Entwicklungsländer wird ein kompensierender Charakter unterstellt. Sie sind daher mit der internationalen Handelsordnung vereinbar.23 Eigene Exportaktivitäten, wie die Veranstaltung von Fachmessen oder die Beratung bei der Beschaffung von Marktinformationen durch die Gründung von Exportbüros, stellen ebenfalls Exportförderungsleistungen des Staates dar. Durch diese teilweise Übernahme von Erschließungskosten der Auslandsmärkte durch die Regierungen werden den Unternehmen der Entwicklungsländer Kosten erspart. Sie erhalten Marktinformationen zu günstigen Bedingungen. Dadurch soll den Unternehmen der Entwicklungsländer ein Eindringen in die Auslandsmärkte erleichtert werden. Wegen der geringen Mittel, die sie fur diese Dienste einsetzen können (Budget und Personalbestand sind stark limitiert), dürften die Unternehmen der Industrieländer durch diese Aktionen kaum in Bedrängnis gebracht werden. Eine Importliberalisierung, die mit Wechselkursanpassungen verbunden ist, ist allerdings kompensierenden Exportsubventionen vorzuziehen, denn Exportsubventionen stehen oftmals verstärkt unter dem Druck von Gegenmaßnahmen der Handelspartner. Im GATT fehlen klare Vereinbarungen bzgl. einheimischer Subventionen, was große Unsicherheiten für den Außenhandel und Friktionen zwischen den Handelspartnern verursacht. Das GATT unterscheidet darüber hinaus zwischen Export- und inländischen Subventionen und zwischen Rohstoffen und Nicht-Rohstoffen. Art. 16,1 verpflichtet einen Unterzeichnerstaat, die anderen Staaten zu unterrichten, wenn Vgl. C.-H. NAM, Export-Promoting Subsidies, Countervailing Threats and the General Agreement on Tariffs and Trade, WBER 1:4 (September 1987), S. 727 - 743.
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eine Subvention im Außenhandel, sei es fur Exporte oder für Importe, gewährt wird. Da Exportsubventionen zu Lasten der Handelspartner gehen, sind sie Industrieländern generell verboten. Anders liegen die Dinge bei den Entwicklungsländern. Hier werden Exportsubventionen immer dann vermutet, wenn der einheimische Preis höher liegt als der Exportpreis (Art. 16,4). Die Regelungen des GATT wurden 1980 durch den Subventionscode spezifiziert. Code Art. 14,2 erlaubt Entwicklungsländern Maßnahmen, ihre industriellen Exporte zu fördern. Sie sind aber verpflichtet, diese Subventionen zu reduzieren, wenn sie ihr Ziel, die inländische Industrie zu fördern, erreicht haben. Exportsubventionen dürfen den Handel anderer Vertragsstaaten nicht schädigen (Code Art. 14,3)24 Die Regierungen der Entwicklungsländer geben ihren Exporteuren oftmals auch besondere Kredite (Exportkredite) oder ermöglichen günstige Exportversicherungen. Begründet werden solche Praktiken durch Kapitalmarktversagen in diesen Ländern, denn Exporteure sind oft kaum in der Lage, wegen des schwer abschätzbaren Risikos private Kredite zu erhalten. Die ökonomischen Begründungen für die Gewährung von Exportkrediten und Exportkreditversicherungen können hinterfragt werden. Bei Verzerrungen zwischen privaten und gesellschaftlichen Kosten und Nutzen können theoretisch Subventionen angebracht sein. Empirische Studien stützen dieses Argument jedoch nicht in jedem Fall. Bei Kapitalmarktversagen ist es prinzipiell ohnehin vorteilhaft, die Unvollkommenheiten des Kapitalmarktes abzubauen und nicht die Symptome durch Vorzugskredite zu lindern. Inwieweit solche Kredite den Export gefördert haben, ist kaum bestimmbar, da oftmals nur 10% der Exporte und weniger über Exportkredite abgesichert werden.25 Auch mit Hilfe von Freihandelszonen können Exporte gefördert werden. Bei der Schafiung von Freihandelsgebieten wird nur ein Teil des Landes in die Weltwirtschaft integriert. Für den Rest des Landes bleiben die Importbeschränkungen Details und Informationen über die Strafzölle finden sich bei NAM, op. cit., er weist darauf hin, daß die USA in der ersten Hälfte der 80er Jahre 171 Strafzölle initiiert haben, 64% davon waren gegen Entwicklungsländer gerichtet. Insbesondere im Stahlbereich, bei Metallprodukten und Textilien wurden Strafzölle initiiert. 25 Der Beitrag von FITZGERALD und MONSON (op. cit.) bringt Beispiele für Kolumbien, Hongkong, Indien, Korea, Sri Lanka, Türkei und Venezuela.
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bestehen, während in der Freihandelszone (FTZ = Free Trade Zone) weder Zölle noch indirekte Steuern erhoben werden. Devisentransaktionen werden unbürokratisch abgewickelt und die Infrastruktur entspricht meist internationalem Standard. Oft verzichten Entwicklungsländer für eine Anfangsphase von fünf bis zehn Jahren auch auf die Erhebung von Steuern.26 Eine erste derartige FTZ wurde 1958 in Irland unter dem Namen "Shannon Industrial Free Zone" errichtet. Von hier traten die FTZ einen ungeahnten Siegeszug über Indien, Korea, Malaysia, Singapur, Sri Lanka, die Philippinen, Taiwan und China sowie einige afrikanische und lateinamerikanische Staaten an. Bereits 1975 existierten 75 FTZ in 39 Ländern mit 725.000 Beschäftigten, wobei das Schwergewicht bei den asiatischen Ländern lag (48 FTZ mit 420.000 Beschäftigten in 11 Entwicklungsländern). Südkorea beschäftigte 1975 ca. 112.250, Singapur 105.000 und Taiwan 62.150 Personen in ihren FTZ. Allerdings sollten auch die Kosten von FTZ für Entwicklungsländer nicht unterschätzt werden. Nach Gründung einer FTZ stehen dem Rest des Landes zunächst weniger Ressourcen zur Verfügung. Die erhoffte Ausbildung und Weiterbildung von einheimischen Arbeitskräften findet überdies kaum statt, da von ausländischen Konzernen ungelernte Arbeitnehmer in jungen Jahren bevorzugt werden, die späteren Kosten der Frühinvalidität aber vom Entwicklungsland getragen werden müssen. Aufstiegsmöglichkeiten für die einheimische Bevölkerung sind oftmals nicht gegeben. Auch ein "learning by doing" ist für viele Beschäftigte der Entwicklungsländer kaum möglich. Die einstmals mit viel Enthusiasmus aufgenommenen FTZ werden seit einiger Zeit kritisch hinterfragt. Ihr Nutzen scheint begrenzt zu sein, keinesfalls sind sie der Motor der wirtschaftlichen Entwicklung. Für Staaten am Anfang ihrer industriellen Entwicklung können FTZ hilfreich sein, überschüssige Arbeitskräfte zu absorbieren. Bei fortschreitender industrieller Entwicklung läßt jedoch das Interesse an FTZ meist nach, wie man am Beispiel Taiwan und Korea feststellen kann. 27 Es wird darauf hingewiesen, daß die 26
Vgl. L. YOUNG, Unemployment and the Optimal Export-Processing Zone, JDevE 37:1/2 (November 1991), S. 369 - 385.. 27 Vgl. P. G. WARR, Export Processing Zones. The Economics of Enclave Manufacturing, WBRO 4:1 (Januar 1989), S. 65 - 88, in welchem vier FTZ untersucht werden, nämlich in Indonesien die Djakarta Export Processing Zone, in Korea die Masan Free Export Zone, in
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Vereinfachung der Zollformalitäten, die Abschaffung bestimmter Exportregeln und die Verbesserung der industriellen Infrastruktur auch fur die gesamte Wirtschaft eines Landes erreicht werden könnte. Ferner kann eine gradualistische Öffnung der Wirtschaft für den Welthandel mit Hilfe von FTZ hilfreich sein, um plötzliche strukturelle Probleme, wie sie beim sofortigen Übergang zum Freihandel auftreten würden zu mildern.28 Klare und konstante Wirtschaftspolitiken attrahieren ebenfalls ausländische Investoren. Dies kann sowohl innerhalb als auch außerhalb der FTZ erreicht werden. Bei einer offeneren Außenhandelspolitik könnte ausländisches Kapital attrahiert werden, das dann nicht nur in diesen Zonen, die Enklaven darstellen, sondern im gesamten Staatsgebiet entwicklungsfördernd wirken könnte.
1.4.4 Auswirkungen und Ergebnisse einer Politik der Exportdiversifizierung Ein Aufheben der gegen den Export gerichteten Verzerrungen mit dem Ziel unverzerrter Preise führt zur besseren Einschätzung der Knappheiten bei der Produktion. Studien zeigen, daß exportorientierte Länder arbeitsintensive Produkte produzieren und damit ihre Arbeitslosigkeit bzw. Unterbeschäftigung senken. 29 Ebenfalls beobachtet man eine Verbesserung der Einkommensverteilung. Durch die Schaffung vieler Arbeitsplätze können auch weniger ausgebildete Arbeiter ein höheres Einkommen erzielen. Dieser positive Effekt tritt bei einer Konzentration auf Ölexporte und mineralische oder pflanzliche Rohstoffe jedoch kaum ein. In offenen Volkswirtschaften finden wir einen stärkeren Preis- und Qualitätswettbewerb als in geschlossenen Volkswirtschaften. Dadurch kommt es zu einer intensiveren Arbeitsteilung und größeren Spezialisierung, die betriebsinterne Effizienzsteigerungen bewirken. Binnenwirtschaftliche Oligopole und Monopole Malaysia die Penang Free Trade Zone und in den Philippinen die Bataan Export Processing Zone. Alle vier FTZ hatten 1982 zusammen 90.000 Beschäftigte. 28 Vgl. A. A. LIGTHELM/A. WILSENACH, Special Economic Zones as an Instrument to Stimulate Export Production and Economic Growth within South Africa, in: DSA 9:4, (September 1992), S. 397 - 410. 29 Für Taiwan und Korea ist dies von N. FUJITA/W. E. JAMES, "Export Oriented Growth of Output and Employment in Taiwan and Korea, 1973/74 - 1983/84", WWA 126:4 (1990), S. 737 - 753 nachgewiesen worden. Die Strategie Taiwans, dabei mehr auf mittelständische Unternehmen und leichte Industrie zu setzen, war dabei vorteilhafter als die Koreas, das verstärkt auf Schwerindustrie setzte.
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sowie existierende Kartelle werden geschwächt. Die zunehmende Spezialisierung fuhrt auch dazu, zunehmende Skalenerträge der Produktion besser auszunutzen. Ebenfalls läßt sich ausländisches Kapital leichter attrahieren, wenn die wirtschaftlichen Aktivitäten in Bereichen, in denen Entwicklungsländer statische oder dynamische komparative Vorteile aufweisen, forciert werden. Vermutlich wird der volks-wirtschaftliche Auslastungsgrad steigen, da die Nachfrage zunimmt und die Deviseneinnahmen es erlauben, notwendige Rohstoffe, Kapitalgüter, Energie und Zwischenprodukte in ausreichendem Maße zu importieren. Hohe Exporteinnahmen verbessern darüber hinaus die Kreditwürdigkeit des Entwicklungs-landes und erhöhen die Flexibilität gegenüber externen Schocks. Eine Exportdiversifizierungspolitik kann jedoch auch gesamtwirtschaftliche Kosten verursachen. Während der Übergangsphase können bisher geschützte Branchen Verluste erleiden, so daß eingesetztes Kapital nicht mehr ausreichend verzinst werden kann. Die dadurch möglichen Betriebsaufgaben gefährden zusätzlich Arbeitsplätze. Diese Kosten sind aber nur temporärer Art und das Resultat einer bisher verfehlten Wirtschaftspolitik. Ein zu abruptes Öffiien der heimischen Wirtschaft gegenüber dem Weltmarkt kann jedoch schwere Anpassungskrisen zur Folge haben und die Konjunktur des Landes für die Schwankungen der Weltkonjunktur anfälliger machen. Negative Effekte für das Wachstum ergeben sich auch, wenn wegen des Demonstrationseffektes der Gegenwartskonsum ansteigt und dies zu Lasten der Spameigung und damit der Investitionen geht. Empirische Studien bestätigen, daß offene Volkswirtschaften ein höheres Wirtschaftswachstum und eine raschere Industrialisierung erreichten. Während der Phase der Exportdiversifizierung beobachtet man größere Wachstumsraten als während der Phase der Importsubstitution. Allerdings sind die Daten oft nicht sehr zuverlässig. Es muß erwähnt werden, daß auch die Struktur der Exporte für die Effektivität der Wirtschaftspolitik entscheidend ist. Ebenso wird verschiedentlich darauf hingewiesen, daß nur solche Entwicklungsländer eine Exportorientierung verfolgen können, die schon einen bestimmten Reifegrad erreicht haben. 30
Vgl. bspw. S. DODARO, Comparative Advantage, Trade and Growth: Export Led Growth Revisited, WD 19:9 (September 1991), S. 1153 - 1165.
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1.4.5 Exportförderung durch Ferntourismus? Eine wirtschaftspolitisch interessante Möglichkeit der Exportorientierung besteht darin, in Entwicklungsländern leistungsfähige Fremdenverkehrsindustrien (Ferntourismus) aufzubauen, um die wachsende Tourismusnachfrage der Industrieländer wirtschaftlich besser nutzen zu können. Eine hohe Einkommenselastizität der Touristiknachfrage kann dann Wachstumschancen eröffiien. Auf der Suche nach neuen Feldern für die wirtschaftliche Entwicklung bei zunehmenden weltweiten Interessengegensätzen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern gewinnt der Tourismus zunehmende Bedeutung. Empirische Untersuchungen verstärken den Eindruck, daß der Tourismus im Vergleich zur verarbeitenden Industrie relativ arbeitsintensiv produziert und nur in geringem Maße fur Rationalisierungsinvestitionen anfallig ist. Entwicklungsländer werden daher auch langfristig Lohnkostenvorteile nutzen können. Kritisch ist aber auch zu bemerken, daß Entwicklungsländer im Tourismusbereich hohe Vorleistungen zu erbringen haben, insbesondere bei der Bereitstellung von Nahrungs- und Genußmitteln und im Bereich des Fahrzeug- und Wegebaues. Der Anteil des Tourismus an den Deviseneinnahmen der Entwicklungsländer ist darüber hinaus meist geringer als erwartet.31 Hohe Devisenausgaben sind insbesondere am Anfang notwendig, um die grundlegende Infrastruktur aufzubauen. Die Tourismusnachfrage in Industrieländern wird aber aller Voraussicht nach weiter ansteigen. Sie hat sich gegenüber Inflations- und Währungsdruck, politischen Instabilitäten, Arbeitslosigkeit und Einschränkungen der Realkaufkraft als resistent erwiesen, so daß mit weiteren Steigerungsraten gerechnet werden kann. So wurden beispielsweise für 1985 Gesamteinnahmen von 105 Mrd. US$ geschätzt. Für das gleiche Jahr wurde geschätzt, daß es 325 Mio Reisen gegeben hat. 32
3 1 Für Gambia wird zum Beispiel geschätzt, daß 23% der Aufwendungen eines Touristen im Lande verbleiben. Vgl. P. U. C. DIEKE, Tourism in The Gambia: Some Issues in Development Policy, WD 21:1 (Februar 1993), S. 277 - 289; hier: S. 282. 32 Vgl. G. P. LEE, Tourism as a Factor in Development Cooperation. Tourism Management, 1987, S. 1 - 19.
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Die prognostizierten Wachstumsraten betragen etwa 8% jährlich. Insbesondere für einige kleine Entwicklungsländer ist der Ferntourismus damit eine wichtige Möglichkeit, Devisen zu erwirtschaften.
Tabelle 1.1 Die Bedeutung des Tourismus fur die Leistungsbilanz33
Land
Jamaica Bahamas Barbados Dom. Rep. Mexiko Spanien Griechenland
Einnahmen Einnahmen Anteil an den Anteil an den in Mio. US$ Exporteinnahmen in Mio. US$ Exporteinnahmen (1985) (1964) in % (1964) in % (1985) 48 14 406 37 54,3 863 61 14,1 23 286 (1984) 35 3,2 371 (1984) 27 6,5 2930 10 704 38 8080 918 42 21 14 1418 29 91 -
Für einige Entwicklungsländer kann dieser Dienstleistungsexport - durch erwartete Sekundäreffekte - durchaus wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen sowie einen Anstieg der Beschäftigung, ein höheres Produktionsvolumen und höhere Deviseneinnahmen ermöglichen. Die entwicklungspolitische Bedeutung hängt aber letztlich von den "Verkettungseffekten" ab. Rückwärtsverkettungen können im Bankenbereich, bei Versicherungen, öffentlichen Versorgungsleistungen sowie Wäschereien vermutet werden. Für die Inseln der Karibik scheint der Tourismus als Wachstumsmotor zu dienen, da sein Anteil an den Exporteinnahmen steigt. Andere Primärgüter verlieren dagegen zunehmend an Bedeutung, wie Zucker und der Bergbau. Für viele Staaten, deren Entwicklungsmöglichkeiten durch Zahlungsbilanzprobleme beschränkt werden, helfen Deviseneinnahmen aus dem Tourismusgeschäft, diese Beschränkung zu lockern. Investitionen und der Import lebensnotwendiger Güter werden ermöglicht. Die Struktur der Tourismusnachfrage ist allerdings labil, da hohe 33 Quelle: J. A. ROSENSWEIG, Elasticities of Substitution in Carribean Tourism, JDevE 29:1 (Juli 1988), S. 89 - 100, hier. S. 90.
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Substitutionselastizitäten nachgewiesen werden konnten. Die Nachfrage nach Tourismusleistungen reagiert heftig auf Preis- und Wechselkursänderungen. Auch politische Unruhen haben Umlenkungen der Tourismusströme zur Folge. Eine zu hohe Abhängigkeit vom Tourismusgeschäft kann deshalb zu instabilen Exporterlösen fuhren. Am Beispiel des kleinen afrikanischen Landes Gambia sollen die Möglichkeiten des Tourismus verdeutlicht werden. Gambia besteht aus einem schmalen 350 km langen Streifen zu beiden Seiten des Flusses Gambia und ist landmäßig von Senegal umschlossen. 1989 hatte das Land 848.000 Einwohner und weist mit einer Bevölkerungsdichte von 73 Einwohnern pro Quadratkilometer eine für Afrika hohe Bevölkerungsdichte auf. 1965 haben lediglich 300 Touristen Gambia besucht, 1978/79 bereits 26.000 und 1990/91 101.500. Gambia hat bis 1990/91 eine Bettenkapazität von 5.000 aufgebaut. Ca. 10 % des BSP stammen mittlerweile aus dem Tourismusgeschäft.34 Die Deviseneinnahmen betrugen 1989 25 Mio. US$, der Touristik-Sektor hat 7.000 Menschen beschäftigt, wozu noch ca. 3.000 Menschen im informellen Sektor kommen. Damit ist der Tourismus der zweitwichtigste Exportsektor Gambias geworden. Der Tourismus ist vereinzelt als "Manna vom Himmel" bezeichnet worden, mit dessen Hilfe die ökonomischen Schwierigkeiten der Entwicklungsländer gelöst werden könnten. Zweifelsohne erbringt der Tourismus Deviseneinnahmen sowie Budgeteinnahmen des Staates, schafft regionale Entwicklungsimpulse und fuhrt zu höherer Beschäftigung und höherem Einkommen. Dennoch muß beachtet werden, daß das Tourismusgeschäft oft saisonal geprägt ist. Auch fur Gambia umfaßt die Touristik-Saison lediglich die Monate November bis April. Der internationale Touristik-Markt weist einen hohen Wettbewerb auf, er ist preisintensiv und verlangt einen hohen Grad an Dienstleistungen, die die Touristen zufriedenstellen. Touristen sind keine "Price-taker", viele Länder bieten ähnliche Attraktionen an. Zusätzlich darf nicht übersehen werden, daß vom Tourismus auch negative soziokulturelle Impulse ausgehen können. Preissteigerungen im Nahrungsmittelbereich können inflationär wirken, gewachsene soziale Strukturen sind gefährdet und Veränderungen der Sitten, Gebräuche und Lebensgewohnheiten werden 34
Vgl. P.U.C. DIEKE, op. cit., S. 278 ff.
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eintreten. Als Folge des Tourismus findet man einen Anstieg der Bettel- und Trinkgeldmentalität, eine Kommerzialisierung der Gastfreundschaft und Kunst sowie zunehmende Umweltbelastungen. Kritische Studien weisen daraufhin, daß der Ferntourismus kapitalintensiv ist und deshalb geringe arbeitsmarktpolitische Wirkungen aufweist. Die Investitionskosten seien in Tunesien in dieser Branche doppelt so hoch wie in der Industrie. Bemängelt wird zusätzlich, daß die Arbeitsplätze oft nur saisonaler Natur sind. Oft subventionieren die Regierungen der Entwicklungsländer die Rentabilität ausländischer Investitionen durch die Bereitstellung von kostengünstigen Infrastrukturleistungen. Ausländische Investoren erhalten oftmals Steuerbefreiungen und zusätzliche Subventionen, so daß "die Afrikaner die Ferien der privilegierten Europäer bezahlen". Ein Ausweitung der Tourismusindustrie kann auch die agrarische Selbstversorgung zerstören, da die dynamischen jungen Arbeitskräfte in die Städte abwandern. Dadurch wird die Bewirtschaftung des Landes vernachlässigt. Oft vorhandene Wasserknappheiten tauchen als ökologisches Problem auf. In Malta verbraucht ein Tourist immerhin 50 1 Wasser pro Tag, obgleich Malta das gesamte Wasser importieren muß. Die Zerstörung der Ökologie zerstört wiederum die Grundlage des Femtourismus. Die Betonierung erschließungswürdiger Strände, Verschmutzungen und Verschleiß lassen langfristig negative Auswirkungen vermuten, so daß die Tourismuseinnahmen langfristig stagnieren können. Ein Tourismusboom kann deshalb zu dualistischen Strukturen fuhren, weil andere Sektoren vernachlässigt werden. Der Zustrom von Touristen kann dann zu einer Existenzfrage werden, weil Tourismuskonzerne verstärkt in die Lage versetzt werden, die ökonomischen Bedingungen zu diktieren. Eigene Touristikprogramme des jeweiligen Landes sind wegen der hohen Flexibilität der Nachfrage hinsichtlich der Wahl des Ziellandes oft ein riskantes Unterfangen. Trotz Beachtung dieser Probleme vermutet man insgesamt positive wirtschaftliche Effekte. Die EG und auch einige einzelne Industrieländer bieten deshalb
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Kapitel 1: Wachstumseffekte des Α ußenhandels
Hilfen für den Ausbau des Tourismus an. 35 Diese ExportfÖrderungsmaßnahmen können dabei durchaus im Interesse der Industrieländer sein, weil dadurch der Konkurrenzdruck im Fertigwarenbereich vermindert wird. Empirische Analysen weisen darauf hin, daß die hohen Ressourcen, die insbesondere für Luxushotels aufgewendet werden müssen, nicht immer eingespielt werden. Die Kapazitätsauslastung mancher Hotels ist nicht optimal. Selbst unter Einbeziehung der Rückwärtsverkettungen im Bankenbereich, bei Versicherungen, im Bereich der Wäschereien und weiterer Hilfsleistungen für die Touristen können Zweifel angebracht sein, ob eine Kosten-Nutzen-Rechnung immer positive Ergebnisse aufweist. 36 In der theoretischen Analyse wird zwischen Wohlfahrtseffekten, Auswirkungen auf die Einkommensverteilung, auf das Volkseinkommen und die Beschäftigung unterschieden. In Modellen des allgemeinen Gleichgewichts zeigen sich Wohlfahrtseffekte, wenn die einheimische Währung aufgewertet wird. Eine starke Expansion des Tourismusbereiches kann, analog den Vorstellungen des "dutch disease", zu einer De-Industrialisierung fuhren. Copeland hat in einer theoretischen Analyse Bedingungen aufgezeigt, unter denen die Auswirkungen auf das Entwicklungsland negativ sind.37 Wenn die konsumierten Güter handelbare Güter sind, gibt es geringe Nutzen durch den Tourismus, da es zu einer Umleitung von Importen und Exporten kommt. Damit ein Tourismusboom einen signifikanten Nutzen bringt, müssen die Einwohner durch eine Verbesserung der terms of trade Wohlfahrtseffekte gewinnen. Auch durch Renteneinkünfte wegen des Vorhandenseins natürlicher Sehenswürdigkeiten kann es zu solchen positiven Wohlfahrtseffekten kommen.
1.5 Außenhandel zwischen Entwicklungsländern (Collective Self-Reliance) Für Entwicklungsländer, deren Industrien international nicht voll wettbewerbsfähig sind, wurde, um zunehmende Skalenerträge besser nutzen zu können, Bspw. Art. 97, 98 und 100 von Lome III, wo die Maßnahmen der Tourismusförderung der EG behandelt werden. In dem neueren Abkommen Lome IV sind die Artikel 121 und 122 die Grundlagen für die Tourismusförderung. 36 Vgl. K. CAREY, Tourism Development in LDC, Hotel Capacity Expansion with Reference to Barbados. WD 17:4 (Januar 1989), S. 59 - 67. 37 Vgl. B. R. COPELAND, Tourism, Welfare and De-Industrialisation in a Small Open Economy, Economica 58 (1991), S. 515 - 529.
Kapitell:
Wachstumseffekte des Außenhandels
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eine kollektive Importsubstitutionspolitik vorgeschlagen. Diese sollte bis zur Wettbewerbsreife und Konkurrenzfähigkeit mit den Firmen der Industrieländer beibehalten werden. In der Außenhandelstheorie wird zwischen folgenden grundlegenden Integrationsformen nach der Intensität des Zusammenschlusses unterschieden: - Freihandelszone: Zwischen Mitgliedsländern wird der Handel von Gütern und Dienstleistungen liberalisiert, gegenüber Drittländern können Zölle jedoch autonom erhoben werden. - Zollunion: Alle Mitglieder haben gegenüber den Drittländern einen gemeinsamen Außenzoll. - Gemeinsamer Markt: Neben dem Gütermarkt gibt es auch eine Liberalisierung der Faktormärkte (Faktorwanderungen sind erlaubt). - Wirtschaftsgemeinschaft: Harmonisierung der Wirtschaftspolitik der einzelnen Mitgliedsstaaten auf der Basis eines gemeinsamen Marktes. - Wirtschafts- und Währungsunion: Einführung einer gemeinsamen Währung mit gemeinsamer Geldpolitik und einheitlicher Währungsbehörde. Allen Formen einer Integration ist gemein, daß Dritte diskriminiert werden. Sie verstoßen damit gegen das im GATT festgelegte Prinzip der Meistbegünstigung, sind aber dennoch GATT-konform. Vorgeschlagen wird, daß die Handelshemmnisse gegenüber Dritten später stufenweise wieder abgebaut werden, wobei von einem niedrigen Ausgangszoll ausgegangen wird, um eine zu starke regionale Importsubstitution zu vermeiden. Kernfrage aller Integrationsbemühungen ist die Verteilung der Kosten und Vorteile auf die einzelnen Mitgliedsländer. Deshalb sollten zum Ausgleich Kompensationszahlungen vorgesehen werden. Die mangelnde Kompromißfähigkeit der beteiligten Entwicklungsländer in dieser Frage ist ein Grund fur das Scheitern aller bisherigen Integrationsbemühungen.
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Kapitell:
Wachstumseffekte des Außenhandels
In der Außenhandelstheorie wird bei einer Integration zwischen handelsschaffenden und handelsumlenkenden Effekten unterschieden. Bei der Handelsschaffung kommt es zu einer verstärkten Nachfrage nach Importen aus Mitgliedsländern, wodurch die Faktorallokation im Integrationsgebiet verbessert wird. Bei der Handelsumlenkung wird die Importnachfrage nach den Importen der Drittländer auf die Mitgliedsländer umgeleitet. Hierdurch verschlechtert sich die weltweite Allokation der Güter. Je niedriger die Transportkosten, je besser die Infrastruktur, je höher die Preiselastizitäten der Nachfrage und je stärker die Binnenzollsenkung, desto stärker wird der handelsschaffende Effekt sein. Spezialisierungsvorteile sind am ehesten zu erzielen, wenn die Unternehmen optimale Skalenerträge verwirklichen, die Durchschnittskosten sinken und die Faktorproduktivitäten ansteigen. Ein verstärkter Preiswettbewerb zwischen Entwicklungsländern kann auch X-Ineffizienzen mindern, wobei effizienzsteigernde Maßnahmen einzelner Unternehmen einen Demonstrationseffekt zur Folge haben können. Große gemeinsame Märkte erlauben horizontale und vertikale Spezialisierungen, wobei die Ausschöpfung der Skalenerträge und die intraindustrielle Arbeitsteilung höhere Investitionen hervorrufen müßten. Die Einbuße der handelspolitischen Souveränität und der Wegfall von Zolleinnahmen mit den Folgen fur das Staatsbudget werden als negative Ergebnisse genannt. Eine erfolgreiche Integration müßte aber das Potential für Steuereinnahmen erhöhen. Wenn die Vor- und Nachteile der einzelnen Mitglieder divergieren, kann es zu wirtschaftspolitischen und politischen Krisen kommen. Unterschiedlich hohe Inflationsraten und die Option für weiche Währungen bei festen Wechselkursen verstärken die Probleme der Integration. Bei ungleichen Startbedingungen können die Zollabbauphasen ungleich lang sein. Beim Andenpakt sind deshalb Maßnahmen zugunsten Ekuadors und Boliviens vorgesehen. Die ostafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft führte Abgaben zu Lasten Kenias ein. Falsch wäre es aber, eine ausgeglichene Zahlungsbilanz zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten anzustreben. Eine kollektive Importsubstitutionspolitik könnte Investitionen in benachteiligten Gebieten fördern und deren Infrastruktur verbessern. Im Andenpakt sind sog. Integrationsprojekte vorgesehen, die schwächeren Partnern helfen sollten, industrielle Zentren zu entwickeln.
Kapitel 1: Wachstumseffekte des Α ußenhandels
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Die Integrationsfortschritte solcher Vorhaben blieben im allgemeinen hinter den Erwartungen zurück. Eine Politik des Collective Self-Reliance sollte dazu dienen, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung besser zu erfüllen und den schwächeren Ländern Handelshilfen zu geben. Der Handel mit Grundnahrungsmitteln wurde jedoch in die Liberalisierungsbemühungen nicht einbezogen. Die allgemein ungünstige Infrastruktur läßt einen verstärkten Süd-Süd-Handel zu einem Fernziel werden, das in absehbarer Zeit kaum erreichbar ist. Aus der Außenhandelstheorie ließe sich die Notwendigkeit einer sofortigen Integration in den Weltmarkt ableiten. Marktunvollkommenheiten und weltpolitische Unsicherheiten implizieren demgegenüber eine regionale Integration zwecks Förderung des Süd-Süd-Handels. Entwicklungsländer könnten so auch Güter mit niedrigerer Qualität absetzen. Es wird allerdings immer wieder berichtet, daß in diesen Ländern eine hohe Nachfrage nach teuren Produkten der Industrieländer vorhanden ist, während qualitätsgleiche Produkte aus Nachbarstaaten wegen der befürchteten niedrigen Qualität und vorhandener Rivalität weniger stark nachgefragt werden. 38
1.6 Exportforderung vs. Importsubstitution: Alternative oder wirtschaftspolitische Ergänzung? Oft werden Exportförderungs- und Importsubstitutions-Strategien als Alternativen dargestellt und verstanden. Als eine realistische und erstrebenswerte Alternative zur Exportförderung kann eine alleinige Importsubstitutionspolitik aufgrund des beobachteten Mißerfolges in den lateinamerikanischen Staaten heute nicht mehr angesehen werden. Es stellt sich jedoch die Frage, ob eine Importsubstitutionsstrategie als Basis für eine spätere Exportdiversifizierung dienen kann. Bei der Darstellung des idealtypischen Verlaufs einer Importsubstitutions-Strategie soll in der dritten Phase die Integration in die Weltwirtschaft erfolgen, weil die geförderten Industrien nun in der Lage sind, sich auf dem Weltmarkt zu behaupten. Eine Exportdiversifizierungs-Strategie kann als die letzte Phase einer Handelsstrategie verstanden werden, die mit einer Politik der Importsubstitution begann.
38
Vgl. die Simulationsstudie von R. ERZAN et al., On the Potential for Expanding SouthSouth Trade through the Extension of Mutual Preferences among Developing Countries, WD 16:12 (December 1988), S. 1441 - 1454.
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Kapitel l: Wachstumseffekte des Außenhandels
Eine Importsubstitutionspolitik kann als unerläßliche Voraussetzung für eine geplante Exportdiversifizierung angesehen werden, obwohl gelegentlich auch behauptet wird, daß eine Exportausrichtung auch ohne vorhergehende Importsubstitutionsbemühungen erfolgen kann. Dies kann möglich sein, da Exportgüter nicht unbedingt zu den Gütern gehören müssen, die zur Deckung des Inlandbedarfs bereits importiert wurden. Zahlreiche Produkte der exportorientierten Entwicklungsländer werden speziell für den Export produziert. Die gleichzeitige Produktionsaufnahme für Inland und Ausland begünstigt aber eine effiziente Produktion. Der Inlandsmarkt bietet die Basis für eine kontinuierliche Beschäftigung und dient als Trainingsfeld für den Export (Qualitätssicherung, Wahl optimaler Produktionsprozesse). Die Linder-These besagt, daß ein Export erst dann erfolgreich ist, wenn im Inland zuvor ein Markt aufgebaut wurde.39 Erst wenn die Unternehmen im Inland Erfolg hatten, können sie ihre Absatzgebiete ausdehnen. Die Höhe der Importe signalisiert den Unternehmen in den Entwicklungsländern, daß hier ein lohnender Markt vorliegt. Dann erst werden einheimische Unternehmen tätig. Anschließend können die Entwicklungsländer ihre nun imitierten Produkte an das Ausland verkaufen (dynamischer Schumpeter-Prozeß). Der Technologievorsprung bei vielen Produkten der Industrieländer verschafft ihnen nur ein temporäres Monopol auf dem Markt für diese Produkte. Durch eine Importsubstitutionspolitik, die auch einen wirksamen Wettbewerb fördert, werden diese temporären Monopole wieder abgebaut. Länder der Dritten Welt ahmen oft Produkte der industrialisierten Staaten nach. Dabei muß zwischen einer aktiven und einer passiven Imitation unterschieden werden. Eine passive Imitation liegt vor, wenn Entwicklungsländer die gleichen Güter herstellen können, ohne sie billiger zu produzieren. Bei der aktiven Imitation werden die Güter in Entwicklungsländern billiger oder bei gleichen Kosten mit höherer Qualität hergestellt. Je mehr Entwicklungsländer jene Güter produzieren können, desto schneller werden die temporären Monopole für bestimmte Produkte der Industriestaaten abgebaut, die deshalb immer wieder neue Produkte auf den Markt bringen müssen (Posner-Lorenz-These).
39
Vgl. H.-R. HEMMER, Wirtschaftsprobleme der Entwicklungsländer, München 1988, 2. Auflage, S. 532ff.
Kapitell:
Wachstumseffekte des Außenhandels
53
Erfolgreiche Staaten haben gezeigt, daß eine Politik der Exportdiversifizierung und der Importsubstitution branchenweise nebeneinander betrieben werden kann (Korea, Taiwan). Bei der Auswahl der Branchen und Sektoren für eine Strategie der Importsubstitution muß darauf geachtet werden, daß beim "Spill-Over" die entsprechenden Sektoren auf dem Weltmarkt langfristig konkurrenzfähig sind. Je kleiner aber ein Entwicklungsland, desto begrenzter die Möglichkeit einer reinen Strategie der Importsubstitution, da diese sehr schnell an die Grenzen des heimischen Marktes stößt. Wie soll eine Strategie der Importsubstitution für die einzelnen Sektoren durchgeführt werden? In der Frühphase ist es sinnvoll, eine allseitige Importsubstitutionspolitik zu verfolgen, da nicht bekannt ist, in welchen Branchen komparative Kostenvorteile erzielbar sind. Durch eine breite Industrialisierung lassen sich ebenfalls horizontale und vertikale externe Effekte intemalisieren und "Economies of Scale and Scope" nutzen. Eine breite Basis verringert auch die Abhängigkeit vom Ausland, das durch protektionistische Maßnahmen ausländische Anbieter fernhalten kann. Eine verstärkte Exportorientierung muß ebenso damit rechnen, daß das Inland von den konjunkturellen Schwankungen des Auslandes abhängig wird, da Importe für Industrieländer häufig eine ausgleichende Funktion haben. Bei internen Versorgungsengpässen werden sie verstärkt herangezogen. Diese Argumente gelten jedoch nur für die Frühphase der Importsubstitutionspolitik. Bei Gütern, deren Technik leicht standardisiert werden kann und bei denen die Entwicklungsländer im Laufe der Zeit komparative Kostenvorteile erlangen können, wenn die Qualifikation der Arbeitskräfte mitderen Niveaus den Anforderungen entspricht, mag eine verstärkte Exportförderung angebracht sein. In anderen Branchen hingegen sollte noch eine Politik der Importsubstitution verfolgt werden. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Importsubstitution und Exportförderung sind keine Gegensätze. Sie sind sich ergänzende Strategien, wobei die wichtige wirtschafte- und entwicklungspolitische Frage darin liegt, herauszufinden, in welchen Branchen rechtzeitig von einer Politik der Importsubstitution zu einer Politik der Öffnung für den Weltmarkt umgeschwenkt werden muß. Viele wirtschaftspolitische Probleme entstanden durch eine zu lange Verfolgung einer Politik der Importsubstitution - der richtige Zeitpunkt für den Strategiewechsel wurde oftmals nicht erkannt.
54
Kapitel 1: Wachstumseffekte des Außenhandels
1.7 Handel und Entwicklung - der empirische Befund Generell läßt sich empirisch zeigen, daß außenhandelsorientierte Länder sowohl beim Wachstum als auch bei verteilungspolitischen Zielen besser abgeschnitten haben als solche Länder, die sich auf eine binnenorientierte Politik beschränkten. Der Weltentwicklungsbericht 1987 hat sich intensiv mit den Beziehungen zwischen der Industrialisierung und dem Außenhandel beschäftigt und dabei die Bedeutung des Außenhandels herausgestellt.40 Es wird darin betont, daß sich Markt und Staat bei der Industrialisierung ergänzen. Der Markt benötigt den Staat zum effizienten Funktionieren. Der Staat muß die Spielregeln bzw. den Ordnungsrahmen bestimmen, der die Eigentumsordnung, die Wettbewerbsordnung und die Sozialordnung enthält. Je verläßlicher, eindeutiger und verständlicher die Regeln, desto reibungsloser kann der Wirtschaftsablauf funktionieren. In vielen Entwicklungsländern sind die Wirtschaftsregeln unklar, die Bürokratien schwerfällig und es gibt keine Rechtssicherheit. Insbesondere die institutionellen Regelungen zur Förderung der Industrialisierung und des Exports sind wichtig.41
1.7.1 Empirische Studien zur Relevanz des Außenhandels Im Weltentwicklungsbericht 1987 werden 41 Entwicklungsländer gemäß ihrer Handelsorientierung fur den Zeitraum 1973 - 1985 in vier Gruppen eingeteilt. Zu den stark außenhandelsorientierten Staaten gehören hiernach: Hongkong, Südkorea und Singapur. Zu den mäßig außenwirtschaftsorientierten Entwicklungsländern gehören: Brasilien, Chile, Israel, Malaysia, Thailand, Tunesien, Türkei und Uruguay. Zu den mäßig binnenwirtschaftlich orientierten Entwicklungsländern gehören: Kamerun, Kolumbien, Costa Rica, Elfenbeinküste, El Salvador, Guatemala, Honduras, Indonesien, Kenia, Mexico, Nicaragua, Pakistan, Philippinen, Senegal, Sri Lanka und Jugoslawien.
40
Siehe Weltbank, Weltentwicklungsbericht 1987, Washington D.C. Vgl. G. RANIS, The Role of Institutions in Transition Growth: The East Asian Newly Industrializing Countries, WD 17:9 (September 1989), S. 1443 - 1453.
41
Kapitel 1: Wachstumseffekte des Außenhandels
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Zu den stark binnenwirtschaftlich orientierten Ländern werden gezählt: Argentinien, Bangladesch, Bolivien, Burundi, Dominikanische Republik, Äthiopien, Ghana, Indien, Madagaskar, Nigeria, Peru, Sudan, Tansania und Sambia. Alam stellt in einer Untersuchung auf der Grundlage dieser Klassifizierung fest, daß Staaten mit einer größeren Außenhandelsorientierung makroökonomisch besser abschneiden.42 Die höhere allokative Effizienz, hohes Wachstum der Exporteinnahmen und die Konfrontation mit dem internationalen Wettbewerb ermöglichen ein stärkeres Wachstum. Bemerkenswert ist dabei, daß dieses Wachstum durch Produktivitätserhöhungen erreicht wird und nicht primär durch höhere Kapitalinvestitionen. Problematisch bei allen empirischen Studien ist aber die Feststellung der Kausalitätsrichtung zwischen Wachstum und Außenhandelsorientierung. Eine hohe Korrelation enthält keine Aussage über die Kausalitätsrichtung. Einige Studien kommen zu dem Ergebnis, daß nur Länder mit hohem Wachstum sich eine Exportorientierung leisten können.43 Alam zeigt demgegenüber, daß die Wachstumsraten der Produktivität positiv mit der Außenorientierung und dem Exportwachstum korreliert sind. Zur Erklärung wechselnder Wirtschaftspolitik kann angeführt werden, daß Länder, die weniger wettbewerbsfähig sind, in eine Politik der Abschottung und der Binnenorientierung verfallen. Erkenntnisse der Wachstumstheorie weisen daraufhin, daß zunehmende SkalenefFekte und Humankapital sowie Economies of Scope (Verbundeffekte) wirtschaftliches Wachstum erklären. Die wirtschaftliche Erfahrung der ostasiatischen Wachstumsländer widerspricht diesen Vorstellungen nicht, da viele asiatische Staaten eine stärker außenorientierte Politik als die meisten lateinamerikanischen und afrikanischen Entwicklungsländer verfolgt haben. Die asiatischen Länder hatten im Zeitraum 1976-1991 höhere Wachstumsraten aufzuweisen als die Länder Lateinamerikas oder Afrikas. Das PKE wuchs zwischen 1976 - 1985 jährlich um 3,4% (16 asiatische Länder). Es sank um 0,3% in den 24 Ländern Lateinamerikas, und es sank um 0,4% in den 43 Ländern Afrikas. Die außenhandelsorientierte Wirtschaftspolitik bemüht sich um realistische Wechselkurse, um die Exporte zu fördern. Dadurch wird der Sektor der handel42
Vgl. M. S. ALAM, Trade Orientation and Macroeconomic Performance in LDCs: An Empirical Study, (EDCC) 39:4 (Juli 1991), S. 839 - 848. 43 Vgl. S. DODARO, Comparative Advantage, Trade and Growth: Export-Led Growth Revisited, WD 19:9 (September 1991), S. 1153 - 1165.
56
Kapitell: Wachstumseffekte des Außenhandels
baren Güter gestärkt. Bei der Binnenorientierung finden wir oft eine Überbewertung der heimischen Währung vor, die nicht-handelbare Güter fördert. Eine Außenhandelsorientierung erlaubt die Nutzung externer Kapitalgüter, ohne auf Probleme der Außenverschuldung zu stoßen. Deshalb waren es vorwiegend die binnenorientierten Länder, die Anfang der 80er Jahre in Verschuldungskrisen gerieten. Die Außenorientierung fuhrt auch, wie bereits theoretisch erwartet, zu einem stärkeren technologischen Fortschritt in den Entwicklungsländern.44 In den asiatischen Ländern mit starker Außenwirtschaftsorientierung gab es ebenfalls geringe Preisverzerrungen und ein niedrigeres Preisniveau. Überdies waren die Wechselkurse in Lateinamerika (im Vergleich zu Asien) um 33% überhöht, die afrikanischen Währungen sogar zu 86%. Zusätzlich erfuhren die asiatischen Länder einen höheren Grad an Stabilität der Wechselkurse. Dollar hat errechnet, daß die lateinamerikanischen und afrikanischen Länder durch eine verstärkte Außenhandelsorientierung eine Erhöhung der Wachstumsrate des Pro-Kopf-Einkommens zwischen 1,5 und 2,1% erfahren würden. Das hohe Preisniveau der afrikanischen und asiatischen Länder deutet auf eine starke Protektion und eine Ausrichtung auf den inländischen Markt hin, während ein niedriges Preisniveau auf geringe Protektion und Anreize fur eine WeltmarktÖffnung deutet. Trotz aller methodologischer Probleme kann es deshalb als gesichert angesehen werden, daß Länder, die eine außenorientierte Industrialisierungsstrategie verfolgten, in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung schneller vorangekommen sind als Länder, die sich auf eine Binnenmarktentwicklung ausrichteten. Zum besseren theoretischen Verständnis des Wachstumsprozesses wären mikroökonomische Analysen über die Auswirkungen von Innovationsprozessen, Handelsausrichtung und Wachstum nötig.45 Nunmehr sollen zur Illustration noch einige Fallbeispiele zur Außenhandelspolitik vorgestellt werden.
44
Vgl. D. DOLLAR, Outward-Oriented Developing Economies Really Do Grow More Rapidly: Evidence from 95 LDCs; 1976 - 1985, EDCC 40:3 (April 1992), S. 523 - 544. 45 Vgl. den Übersichtsaufsatz von S. EDWARDS, Openness, Trade Liberalization, and Growth in Developing Countries, JEL 31:1 (September 1993), S. 1385 - 1393.
Kapitell:
Wachstumseffekte des Außenhandels
57
1.7.2 Fallbeispiele zur Importsubstitutionspolitik Kolumbien: Die lateinamerikanischen Entwicklungsländer haben verhältnismäßig früh Strategien der Importsubstitution verfolgt. Ihre einzelnen Entwicklungsideologien verliefen, abgesehen von zeitlichen Verzögerungen, weitgehend parallel. Kolumbien kann deshalb als beispielhaft fur die Entwicklung in Lateinamerika angesehen werden. Der Aufbau des modernen industriellen Sektors in Kolumbien kann, wie bei den meisten lateinamerikanischen Staaten, mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts angesetzt werden. Die Hochkonjunkturphase der 20er Jahre und die Protektion während der Depression der 30er Jahre waren dabei wesentliche auslösende Faktoren. Erst nach dem zweiten Weltkrieg wurde verstärkt eine Importsubstitutionspolitik als Industrialisierungspolitik verfolgt, die erst in den späten 60er Jahren durch eine Politik der Exportförderung und -diversifizierung abgelöst wurde. Für den Zeitraum 1900 - 1970 erhalten wir für Kolumbien im Durchschnitt die folgenden jährlichen Wachstumsraten: Bruttosozialprodukt Arbeitsproduktivität Arbeitskräfte
5,5 - 6,3% 4,0 - 4,7% ca. 1,5%
Der Anteil der Arbeitskräfte im industriellen Sektor lag bis in die 30er Jahre bei 12 - 14v.H., der Prozentsatz der Beschäftigten außerhalb der Landwirtschaft betrug ca. 40% und sank bis 1970 auf 23 - 25%. Das schnelle Wachstum des tertiären Sektors wird hierfür als Ursache angegeben. Der Anteil der Industrie an der Gesamtzahl der Beschäftigten stieg von ca. 3% in den 20er Jahren auf 5 - 6% im Jahre 1970 kontinuierlich an: . Das Handwerk (Cottage Production bis fünf Beschäftigte) hatte dabei einen Anteil zwischen 13 - 14% im Jahre 1925, der bis 1970 auf 8 - 9% der Beschäftigten sank.46
46
Vgl. A. BERRY/F. THOUMY, Import Substitution and Beyond: Colombia, WD 5:1/2 (Januar 1977), S. 89 - 109.
58
Kapitell:
Wachstumseffekte des Außenhandels
15% der Beschäftigten in Industrie und Handwerk produzierten 1925 ca. 11% des BIP, wohingegen 1970 der Anteil von Arbeitnehmern in diesen Sektoren nur noch 14% betrug und sie 17,5% des BIP erwirtschafteten. Die Wachstumsphasen in Kolumbiens Handwerk und Industrie lassen sich in vier Phasen unterteilen: 1900 - 1930: Anfange der Industrialisierung. Der Protektionismus siegt über die Mentalität des Freihandels. Expansion des Eisenbahnnetzes, hohe Wachstumsraten des Kaffee-Exports, hohe Kapitaleinführen (jedoch keine Direktinvestitionen). 1930 - 1945: Wachstum aufgrund hoher Protektion als Folge der weltweiten Depression und des zweiten Weltkrieges. 1945 - 1960: Importorientierte Industrialisierung mittels Importkontrollen, Entwicklung eines komplexen und kapitalintensiven modernen Sektors, hohe ausländische Direktinvestitionen. 1960 - 1975: Verstärkung der Exportbemühungen, weiterhin hohe ausländische Direktinvestitionen. Von 1927 - 1945 konnten 30 - 40% der Variationen der Wachstumsrate durch die Binnennachfrage erklärt werden, von 1945 - 1965 sogar drei Viertel. Der Anteil des Exports wurde von 1968 - 1972 auf 12 - 15% des Wachstums geschätzt. Zahlungsbilanzkrisen ermunterten Kolumbien früh zur verstärkten Exportförderung. Wie alle Länder, die die Industrialisierung über Importsubstitutionen verfolgten, hatte Kolumbien einen gespaltenen Wechselkurs und eine überbewertete Währung. Vom IWF wurde Kolumbien 1967 angehalten, flexible Wechselkurse einzuführen, wodurch eine verstärkte Exportförderung und -diversifizierung erreicht wurde. Die Politik der Importsubstitution war weder ein Fehlschlag noch ein voller Erfolg. Sie führte aber zur Vernachlässigung der Landwirtschaft und zu einer kapitalintensiven Produktionsstruktur und folglich zu verstärkter Arbeitslosigkeit.
Kapitell:
Wachstumseffekte des Außenhandels
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Erst Ende der 60er Jahre registrierte man in Kolumbien einen kleinen Exportboom, der 1970 eine 20 - 30%ige Wachstumsrate aufwies, während das BIP um lediglich 6 - 7% stieg. Die im Endstadium einer Importsubstitutions-Strategie beobachtete Ineffizienz konnte Kolumbien durch relativ rasches Umschwenken zur verstärkten Exportförderung vermeiden. Die Hinwendung zur Exportdiversifizierung führte zu höheren Wachstumsraten und einer ausgeglicheneren Einkommensverteilung, da die Exportindustrien relativ arbeitsintensiv produzierten. Negativ wirkte sich die Abhängigkeit von der Weltkonjunktur aus, die viele kleine Finnen in den Bankrott führte. Die größeren Exporteure Kolumbiens haben dagegen die Rezession besser überstanden. Kolumbien, Unterzeichnerstaat des Andenpaktes, sieht sich einem Zielkonflikt mit der Politik der Importsubstitution des Andenpaktes gegenüber, der eine Beschneidung ausländischer Direktinvestitionen anstrebt. Die gemeinsamen wirtschaftspolitischen Ziele des Andenpaktes standen im Widerspruch zu den nationalen kolumbianischen Zielen, die den ausländischen Konzernen verhältnismäßig große Freiräume einräumten. Neben der Förderung der Exporte legte Kolumbien in letzter Zeit ein hohes Gewicht auf die Entwicklung des landwirtschaftlichen Sektors. Der Andenpakt ist dagegen eine industrielle Wirtschaftsgemeinschaft unter Ausklammerung des Landwirtschaftssektors. Kolumbien erzielte mit den Andenstaaten Zahlungsbilanzüberschüsse, die wegen der Exportförderungspolitik verständlich sind. So betrug der Leistungsbilanzüberschuß 1990 (ohne öffentliche Übertragungen) 406 Mio US-$. 47 Der Andenpakt hat in letzter Zeit eine moderatere Haltung gegenüber ausländischen Direktinvestitionen eingenommen, wenngleich seine Ziele wie z.B. das einer gemeinsamen Währung bis zum Jahr 2000 - nicht erreicht werden wird, weil die einzelnen Länder sich zu unterschiedlich entwickelt haben. Die ausländischen Investitionen konnten durch die veränderte Politik jedoch nicht wesentlich erhöht werden. Auch die Importe sanken von 1980 bis 1990 um durchschnittlich 2,3% pro Jahr. 48 Es bedarf wohl noch einiger Anpassungen, bis Kolumbien seine Wirtschaftspolitik entwicklungsfreundlich gestaltet hat, obwohl in jüngster Zeit weitere Anstrengungen hin zu einer liberalen, weltmarktorientierten Politik erkennbar sind.
47
Vgl. Weltbank, Weltentwicklungsbericht 1992, Washington, D.C., S. 284. 48 Vgl Weltbank, Weltentwicklungsbericht 1992, Washington, D C., S. 276.
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Kapitel 1: Wachstumseffekte des Außenhandeb
Seit den 80er Jahren verfolgt Kolumbien eine bewußte Exportförderungsstrategie. Ziel ist es, die Abhängigkeit vom Kaffeexporterlös zu mindern. Günstig wirkt sich die Tatsache aus, daß Kolumbien mehrere Wirtschaftszentren entwickelte. Die konservativ-liberale Wirtschaftspolitik ließ das vergangene Jahrzehnt nicht zu einem verlorenen (wie bei den meisten anderen Staaten Lateinamerikas) werden. Seit 1990 verfolgt Kolumbien eine Wirtschaftspolitik, die mit den Stichworten "Modernisierung", "Privatisierung" und "Weltmarktliberalisierung" beschrieben werden kann. So hat die Regierung Kolumbiens beschlossen, die Volkswirtschaft zu öffnen, Staatsbetriebe zu privatisieren und das Finanzsystem zu liberalisieren. Das Programm für einen Zollabbau, in dessen Rahmen die Zölle von durchschnittlich 44% im Jahre 1989 auf 15% abgebaut wurden, konnte 3 Jahre früher als geplant abgeschlossen werden. 49
Brasilien: Die Entwicklung Brasiliens ist durch verschiedene Exportzyklen gekennzeichnet: Dem Zucker-Zyklus (etwa 1520 bis Ende des 17. Jahrhunderts), der durch die Konkurrenz der karibischen Kolonien mit Brasilien in den Mutterländern beendet wurde, folgte ein Goldzvklus (etwa ab 1690), dessen Exporte um 1760 einen Höhepunkt erreichten. Der von 1830 bis in die 20er Jahre dieses Jahrhunderts anhaltende Kaffeeboom wurde von einem Gummiboom (1890 - 1910) begleitet, der wiederum durch (in diesem Fall aber asiatische) Konkurrenz und einen entsprechenden Preisverfall ein Ende fand. Entscheidend für die brasilianische Entwicklung in der jüngeren Geschichte war der Kaffee. Das rasante Exportwachstum (1831 - 40: ca. 625.000 Tonnen, 1851 60: ca. 1.640.340 Tonnen, 1881 - 90: 3.097.860 Tonnen) führte dazu, daß um 1940 etwa auf der Hälfte des kultivierten Landes Kaffee angebaut wurde. Zwei Drittel der Agrarproduktion wurden exportiert. Die relativ breit gestreuten Einkommen aus dem Kaffee-Export ließen einen Markt für Konsumgüter des Basisbedarfs und damit auch der Manufakturen entstehen. Exemplarisch kann der Textilbereich genannt werden, dessen Betriebe (1885: 48 Spinnereien mit 3.172 49
Vgl. Weltbank, Jahresbericht 1991, Washington D C., S. 142 und vgl. Weltbank, Jahresbericht 1992, Washington D C., S. 152.
Kapitell:
Wachstumseffekte des Außenhandels
61
Arbeitern, 1915: 240 Betriebe mit 82.257 Arbeitern) 1914 85% des heimischen Bedarfs decken konnten. Bekleidung, Schuhe und Nahrungsmittelverarbeitung machten 1914 zwei Drittel der industriellen Produktion aus. Wenngleich seit etwa 1840 sporadisch tarifäre Protektionsmaßnahmen und Abwertungen gegenüber dem britischen Pfund vorgenommen wurden, war für das Wachstum der verarbeitenden Industrie (1911 - 1920: ca 4%, 1920 - 29: ca. 3%) wohl das Wachstum des heimischen Marktes aufgrund des Kaffeebooms entscheidender. Dadurch waren Kapitalgüterimporte möglich, die zur Expansion der Industriekapazität führten. 1928 machte Kaffee drei Viertel der gesamten Exporterlöse aus, die insgesamt auf 12,5% des BIP gestiegen waren. Die dominierende Position auf dem Kaffeeweltmarkt konnte aber nicht gehalten werden. Die Konkurrenz anderer Länder, eigener Produktionsanstieg und die große Depression führten zu einem Preisverfall. Einerseits folgten hieraus erstmalig planvolle Marktinterventionen (Preisstützung), andererseits, aufgrund des Sinkens der Importkapazität, wurde eine Politik der Devisenbewirtschaftung eingeführt. Ende der 30er Jahre verbesserte sich die Devisenlage und Kapitalgüterimporte waren wieder möglich. Maschinenbau und Metallverarbeitung erhöhten von 1929 bis 1939 ihren Anteil an der Gesamtproduktion der verarbeitenden Industrie von 10% auf 18%, wobei die Leichtindustrie dominierte. Als Folge des zweiten Weltkrieges waren die Kapazitäten ausgelastet. Das verarbeitende Gewerbe wuchs zwischen 1939 und 1945 um 5,2%. 1945 - 1957 folgte dann ein unbeschränkter Importboom, der die Devisenreserven aufzehrte.50 Ab 1947 wurde eine bewußte Importsubstitutionspolitik für nicht-dauerhafte Konsumgüter verfolgt, die sich aber erst nach 1953 in hohen Zollmauern niederschlug.51 Die Politik betraf vor allem die Substitution von Vorprodukten, Kapitalgütern und Automobilen. Mit unterschiedlicher Intensität wurden folgende Maßnahmen angewandt: 50
Daten über Brasiliens Wirtschaftspolitik finden sich in: R. WEISSKOPF, The Growth and Decline of Import Substitution in Brazil - Revisited, WD 8 (1980), S. 647 - 675. 51 Vgl. Forschungsberichte des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Band 82, F. FODERS, Handelspolitik und weltwirtschaftliche Integration von Entwicklungsländern Das Beispiel Argentiniens, Brasiliens und Jamaikas, Köln 1987, S. 58.
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Kapitel I: Wachstumseffekte
des Außenhandels
- Unterschiedlich rigide Handhabung von Importlizenzen: {Competitive Importe wurden stark eingeschränkt, während der Import von Zwischenprodukten und Anlagen weniger restriktiv gehandhabt wurde. - Überbewertung der Währung, um den Import von Anlagen zu begünstigen. Andererseits bedeutete dies aber eine Besteuerung des Agrarexports. - Gestaffelte tarifäre Protektion: sehr hohe Zölle auf den Import von Konsumgütern. Zwischenprodukte und insbesondere Kapitalgüterimporte hingegen wurden mit niedrigeren Zöllen belegt. - Hohe staatliche Investitionen im Bereich der Infrastruktur, verstärkte Gründung von Staatsbetrieben in Schlüsselbereichen der Schwerindustrie (Bergbau/Eisenerz, Stahl, Petroleum). - Inflation und damit Einkommensumverteilungen zugunsten der Gewinne. Zwischen 1949 und 1959 stieg die Wertschöpfung pro Industriearbeiter um 90% und der durchschnittliche Reallohn um 26%, während die Lohnquote um 18% sank. - Bei Vernachlässigung des Agrarsektors stieg die Produktion der verarbeitenden Industrie zwischen 1947 und 1962 um ca. 10% und das BIP wuchs um ca. 6%. Die Produktionsstruktur zeigte bis 1963 einen Anstieg des Anteils der Metallverarbeitung (Maschinenbau) an der verarbeitenden Industrie auf 37%, des Chemiesektors auf 15%, während der Bereich Textil/Nahrungsmittel auf 25% zurückfiel. Der Importanteil bei den Zwischenprodukten sank von 26% (1949) auf 9% (1962). Im gleichen Zeitraum sank der Importanteil bei Kapitalgütern von 59% auf 13%. Diese Protektionspolitik hatte ihren Preis: Die Kosten wurden für 1987 auf etwa 8 - 10% des BIP geschätzt, wobei amerikanische Unternehmen als Vergleichmaßstab dienten. Ab 1964 erfolgte eine Industrialisierungspolitik, Exporte wurden ab 1968 verstärkt gefördert, seit 1979 wurde ihre Förderung dann wieder abgebaut. Um die Inflation einzudämmen, wurde das Staatsdefizit reduziert und zwecks Exportförderung ein anpassungsfähiger Wechselkurs (Crawling peg) eingeführt. Durch die Abschaffung der meisten Exportsteuern sowie durch Vorzugskredite und Steueranreize sollten Exporte gefördert werden. Der bis 1967 anhaltenden Wachstumskrise folgte 1968 - 1973 ein neuer Wachstumsspurt mit Realwachs-
Kapitell:
Wachstumseffekte des Außenhandels
63
tumsraten des BIP von 11% p.a., die von 1973 bis 1977 bei jährlich 7,7% gehalten werden konnten. Wenngleich das Wachstum des Industriesektors das des Agrarbereichs überstieg, erholte sich dieser jedoch und wuchs in den Jahren 1968 - 1977 um durchschnittlich 5,8% p.a. Wirtschaftspolitische Maßnahmen, wie Exportsteuern, Überbewertung der Währung, Höchstpreise fur Nahrungsmittel und Düngemittelsubventionen wurden seit 1964 abgebaut. 1977 machte die Importproduktion 37% des BIP aus, der Agrarsektor erbrachte 12,2%. Die Investitionsquote lag in den 70er Jahren bei etwa 25%, die Sparquote stieg auf 21% des BIP. Mit der stärkeren Außenorientierung der Wirtschaft wurde eine stärkere vertikale Verkettung der Ökonomie erreicht. Während zwischen 1947 und 1967 der Export/BIP-Quotient sank, kehrte sich der Trend ab 1964 um. Zwischen 1965 und 1976 stieg die Handelsquote (Export plus Import/BIP) von 16% auf 25%. 1976 machten die stark ansteigenden Exporte der verarbeitenden Industrie 30% der gesamten Exporte aus. Neue Exportprodukte, wie Soja und Eisenerz, trugen 17% bzw. 10% an Exporten bei. Der Anteil der Primärgüter am Export sank von 89% in 1960 auf 36% in 1976, was mit einer Diversifizierung der Absatzmärkte verbunden war. Die Politik der Importsubstitution führte generell zur Verschuldung, zu Budgetdefiziten und Inflation. Nach wie vor spielt der öffentliche Sektor, in dem eine enorme Korruption vorherrscht (Absetzung des Präsidenten Collor de Mello wegen Bestechlichkeit), eine große Rolle. Die im Entwicklungsprozeß aufgebauten Produktionsstrukturen folgten der heimischen Nachfrage und damit der extrem ungleichen Einkommensverteilung. Brasilien weist eine protektionistische Zollstruktur auf. Nur während der Liberalisierungsphase der sechziger Jahre gab es eine geringfügige Reduzierung.52 Bei non-kompetitiven Importen lag der Zoll meist bei 37 %. Bei Luxusgütern waren Zollsätze von 100 % üblich, mit Höchstsätzen von 400 %. Bei kompetitiven Importen lagen die Zölle zwischen 16 % und 70 %. Für den EfFektivzoll werden negative Werte festgestellt, d.h. die inländische Wertschöpfimg lag unter52 Vgl. F. FODERS: Handelspolitik und weltwirtschaftliche Integration von Entwicklungsländern. Das Beispiel Argentiniens, Brasiliens und Jamaikas, Köln 1987 (Forschungsberichte des Bundesministeriums fur wirtschaftliche Zusammenarbeit, Bd. 92), S. 60 ff.
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Kapitel 1: Wachstumseffekte des Außenhandels
halb der Weltmarktpreise. Neben den rohstoffabhängigen Sektoren wurden Bereiche wie Büro- und Haushaltsgeräte, Traktoren, Fahrzeuge und Fahrzeugteile von der bestehenden Protektionsstruktur benachteiligt. Zum Zollschutz kommen noch non-tariffare Hemmnisse wie Bardepotpflichten, Einfuhrlizenzen, die jährliche Importpläne erfordern und Vorschriften, wonach Waren, die auf brasilianischen Schiffen transportiert werden, nur durch brasilianische Versicherungen versichert werden dürfen. Verstärkt spielen im Außenhandel Brasiliens Kompensationsgeschäfte (Gegengeschäfte) eine Rolle, wobei Brasilien aktive bilaterale Handelspolitiken verfolgte. Ebenso wurden "offset"-Verträge zwischen brasilianischen Unternehmen und solchen aus Industrieländern vom Staat forciert. So wurden beispielsweise kleinere Flugzeuge vom staatlichen FlugzeugbauUnternehmen EMBRAER in die USA exportiert. Die Folgen einer solchen Politik der Importsubstitution blieben nicht aus. Nach temporären Wachstumschüben im Binnenmarkt hat sich in den 80er Jahren die ökonomische Situation nach Ausbruch der Schuldenkrise wieder verschlechtert. Inflationssteigerungen und Exportrückgänge waren zu verzeichnen. So sank die durchschnittliche Wachstumsrate der Exporte von 9,3% (1965-1980) auf 4,0% (1980-90) ab und die durchschnittliche Wachstumsrate der Importe wurde sogar negativ: 1965-1980: 8,2%; 1980-1990: -0,3%. 53 Gleichwohl haben erste wirtschaftspolitische Reformen gegen Ende der 80er Jahre - vor allem durch eine verstärkte Privatisierung und Deregulierung der Wirtschaft - zu einer leichten Verbesserung der ökonomischen Situation beigetragen. Allerdings sind auch schon wieder Anzeichen von neuen ökonomischen Problemen zu erkennen, weil der weltweite Protektionismus eher eine zunehmende Tendenz aufweist. (So fuhrt z.B. die EG ab 1993 eine Mengenregulierung für die Bananeneinfuhr in die EGStaaten ein.) Brasilien gehört jedoch wie Kolumbien zu einer Gruppe von lateinamerikanischen Ländern, die sich in letzter Zeit zunehmend zu grundlegenden und institutionellen Veränderungen bekannt haben. So wurden die meisten nichttarifären Importbeschränkungen abgeschafft, und die durchschnittlichen Importzölle sollen von 32,2% im Jahre 1990 auf 14,3% im Juli 1993 reduziert werden. 54
53
Vgl. Weltbank, Weltentwicklungsbericht 1992, Washington, DC., S. 277. Vgl. Weltbank, Jahresbericht 1991, Washington, DC., S. 140 - 142, und vgl. Weltbank, Jahresbericht 1992, Washington, D C., S. 152. 54
Kapitell: Wachstumseffekte des Außenhandels
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Indien: Auch in Indien, welches 1947 seine Unabhängigkeit von Großbritanien erlangte, war in den ersten Jahrzehnten nach Verwirklichung der Autonomie eine Politik der Importsubstitution vorherrschend. Die Industrialisierungsstrategie Indiens basierte auf importsubstituierenden Maßnahmen, die sich in einer Vielzahl von Regulierungen des einheimischen Marktes äußerten. In elf Sektoren, die über 50% des Output des industriellen Sektors produzierten, wurden folgende, wesentliche Ergebnisse erzielt: - Einige große Unternehmen konnten sich am Markt durchsetzen, während viele mittelständische Unternehmen vom Markt verdrängt wurden. - Für die meisten Produkte wurden die economies of scale nicht ausgenutzt. - Die geschützten Industrien hatten im Jahre 1982 Gewinne von 20,8% des gesamten eingesetzten Kapitals. (Im Vergleich dazu hatten ähnliche Unternehmen in Korea nur eine Gesamtkapitalrendite von 3,5%). - Die Rate der technischen Innovationen war im Zeitraum von 1966 bis 1980 sehr gering. Die Faktorproduktivität fiel in diesem Zeitraum um 1% pro Jahr. Weitere Ergebnisse dieser Politik waren absinkende Exporte dieser Industrien sowie ein stagnierender Anteil am Sozialprodukt seit 1978. Andere nicht quantifizierbare Kosten der in Indien praktizierten Importsubstitutionspolitik sind hohe Transaktionskosten durch die ineffiziente Verwaltung, das Entstehen von unproduktiven "rent-seeking"-Aktivitäten sowie die durch die kaum vorhersehbare Wirtschaftspolitik entstandenen Risikokosten. Die Wirtschaftspolitk wurde in Indien zu Beginn der 80er Jahre wesentlich reformiert. Die Ziele der vor allem binnenwirtschaftlichen Reformen waren höhere Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Industrie, um damit die Armut zu lindern und Arbeitsplätze zu schaffen. Der Siebte Wirtschaftsplan für den Zeitraum 1985/90 war auf diese Ziele direkt zugeschnitten. Insgesamt sah er eine Fortsetzung des mit dem Sechsten Wirtschaftplan erreichten Wachstums vor und zielte damit auf eine reales Wachstum von 5% pro Jahr ab. Im Agrarbereich räumte er der Fertigstellung von Bewässerungsprojekten höchste Priorität ein; für
66
Kapitell:
Wachstumseffekte
des Außenhandels
die Industrie strebte er vor allem eine Verbesserung der Produktivität an. Der Plan betonte die Notwendigkeit, das Lebensmittelangebot zu erhöhen und die Preise niedrig zu halten, um die Realeinkommen der Armen zu sichern und Beschäftigung und Produktivität zu steigern. Ein weiterer Schwerpunkt des Plans sind die erwähnten Kursänderungen der Wirtschaftspolitik. Anders als die vorangegangenen Pläne forderte der Siebte Wirtschaftsplan eine größere Rolle für den privaten Sektor und sah Anreize fur private Industrieinvestitionen vor. Nach den im Rahmen des Sechsten Wirtschaftsplans ergriffenen Maßnahmen (z.B. vereinfachte Vergabe von Lizenzen, die zu einer steigenden Zahl von neuen mittelständischen Anbietern führte) sah der Siebente Wirtschaftsplan auch Maßnahmen zur Lockerung der Investitionskontrolle und zur Einfuhrung größerer Flexibilität in der Preisgestaltung vor. Er trat auch für eine weitere Handelsliberalisierung ein und betonte die Notwendigkeit einer Exportfbrderungspolitik. In Übereinstimmung mit diesem Plan erfolgten verschiedene wichtige Inititativen zur Reformierung von Handel, Industrie und öffentlichen Finanzen, bspw. durch die Liberalisierung der Einfuhren hochtechnologischer Erzeugnisse. Gemeinschaftsunternehmen mit ausländischer Beteiligung werden nunmehr ebenfalls gefördert. Die Regierung unterstützt die Ausfuhr durch Vereinfachung der Verfahrensvorschriften, Verringerung der Ausfuhrsteuern und Erleichterung der Terminsicherung von Deviseneinnahmen. Hervorzuheben bleibt, daß die im Juni 1991 eingesetzte neue indische Regierung einen weiteren umfangreichen Maßnahmenkatalog verabschiedet und teilweise schon umgesetzt hat. Eine Abwertung der Rupie gegenüber dem US-$ um 22%, ein Abbau von quantitativen Handelsbeschränkungen wie auch die Senkung einiger Zölle sind nur Beispiele schon durchgeführter Reformen.55 Allerdings können die jüngsten religiös bedingten Unruhen den Reformbemühungen auch wieder entgegenwirken, so daß abzuwarten bleibt, ob in Indien der Reformkurs durchgehalten wird.
55
Vgl. Weltbank, Jahresbericht 1992, Washington, D.C., S. 136 - 138.
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Tunesien:56 Das seit dem 20. März 1956 unabhängige Tunesien ist mit seinen ca. 8,4 Mio. Einwohnern das kleinste Land des Maghreb. Es bildet kulturell und geschichtlich einen wichtigen Brückenkopf nach Europa, die günstige Lage macht das Land zu einem wichtigen Verbindungsglied zwischen Nordafrika und Europa. Vor Tunesiens Unabhängigkeit bestand der Staatssektor nur aus dem Telefonund Postsystem, Wäldern und einigen Krankenhäusern und ähnlichen Institutionen. Die industriellen Aktivitäten in Tunesien waren gering, da französische Exporte, die freien Zugang zu Tunesien hatten, keine industrielle Entwicklung erlaubten. Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit gab es in Tunesien 290 Industriebetriebe, die mehr als 50 Personen beschäftigten, wovon Europäer 257 besaßen. In einer ersten Phase von 1956 - 61 begann Tunesien eine Tunisifizierung der Administration. Es folgte bis 1969 eine Kollektivierung, die dazu führte, daß fast die gesamte Ökonomie in staatlich kontrollierte Kooperativen verwandelt wurde. Bis 1969 war fast jede denkbare ökonomische Aktivität vom Staat kontrolliert, einschließlich der Schuhputzer und Straßenhausierer. Die Nationalisierung europäischer Unternehmen und Farmen führte zu einem weiteren Anstieg des Staatssektors, der als Entwicklungspol massiv gefördert wurde. Budgetprobleme führten zu einer relativen Liberalisierung von 1970 - 73. Die Erhöhung der Ölpreise erlaubte es der Regierung 1973 wieder, den Staatssektor weiter auszudehnen. 1977 betrugen die Investitionen der Staatsbetriebe 14,1 % des BIP und ca. 47 % der Bruttoinvestitionen. Die Zunahme der Staatsaktivitäten brachte drei großen Gruppen Vorteile: - den Beschäftigten der staatlichen Betriebe, - den Kunden, - der staatlichen Bürokratie. Informationen zum Wandlungsprozeß Tunesiens findet man in: Μ. K. NABLI/J. B. NUGENT (Hrsg.), The New Institutional Economics and Development. Theory and Applications to Tunisia, Amsterdam et al. 1989 sowie I. W. ZARTMANN, Tunisia. The Political Economy of Reform. Boulder und London 1991; statistische Daten finden sich in: Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Länderbericht Tunesien 1992, Wiesbaden 1993.
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So haben Arbeitnehmer in Staatsbetrieben gesicherte Arbeitsplätze sowie höhere Löhne und Sozialleistungen. Der tunesische Staatssektor arbeitet dabei kapitalnteniver als der Rest der Ökonomie und hat dennoch eine niedrige Arbeitsprodukivität. Diese niedrige Produktivität fuhrt dazu, daß die Realzinsen fur das aufgeendete Kapital nicht erwirtschaftet werden können. Eine hohe ausländische Kreditaufnahme war deshalb in der Vergangenheit notwendig, Überkapazitäten und Monopolbildung wurden gefördert und trugen zur außenwirtschaftlichen Abschottung bei. Im Gegensatz zum privaten Sektor sind die Schulden öffentlicher Unternehmen höher als ihre Reserven und ihr Kapital, ohne Hoffnung, Gewinne zu erwirtschaften. Die gesellschaftlichen Kosten werden durch Subventionierungen öffentlicher Güter verschleiert: Nahrungsmittel, öffentlicher Transport, Mieten. Der Bau von Sozialwohnungen dient als Maßnahme, die Masse der Bevölkerung ruhig zu halten, während die Bürokratie Macht und pekuniäre Ressourcen zu ihren Gunsten ausnutzt. Eine solche Politik mußte ökonomisch scheitern. Die Bonanza-Tage kommen zu einem Ende, der Wettbewerb zwischen den einzelnen Interessengruppen fuhrt dann zu einem Wettbewerb in der Vermeidung der Konsequenzen einer notwendigen Austeritätspolitik. Die schwächeren Gruppen, die während der Periode der Prosperität am wenigsten gewannen, haben während der Anpassungsphase die größten Opfer zu bringen, die meist die Bürokratie verschont. Tunesien führte deshalb eine Politik der vorsichtigen Sozialisierung durch, wobei zwischen dem privaten Sektor, dem kollektiven Sektor und staatlichen Unternehmen unterschieden wurde. Allerdings konnten sich private Firmen in Tunesien schlecht entwickeln, da es keinen entwickelten Kapitalmarkt gab. Behindert wurde die Wirtschaft insbesondere durch Preiskontrollen, die in fünffacher Weise durchgeführt wurden: - Festpreise: Die Regierung hat für Grundnahrungsmittel, Energie, Verkehrsleistungen und medizinische Dienstleistungen feste Preise vorgegeben. - Autorisierte Preise: Firmen konnten hierbei Preise nur erhöhen, wenn sie den Behörden eine Steigerung ihrer Kosten nachwiesen. Die Genehmigung von Preiserhöhungen hat oft mehrere Jahre gedauert.
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- Eigenpreissetzung: Eine vorherige Genehmigung der Bürokratie war nicht notwendig. Bis 1982 galt dieses Preisregime hauptsächlich fur den Verteilungssektor, seit 1982 wurde auch die Verarbeitende Industrie einbezogen. - Kontrollierte freie Preise: Hierbei konnten die Firmen ihre Preise festsetzen, ohne vorher ihre Kalkulation einzureichen, wobei die Bürokratie Preisänderungen nach Überprüfung des Falles vornehmen konnte. - Freie Preise: Für einige landwirtschaftliche Produkte gab es freie Marktpreise in kleinem Rahmen. Die Preise waren generell für alle Waren festgelegt, wobei Qualitätsunterschiede nicht berücksichtigt wurden. Industrieinvestitionen mußten ebenfalls von der Bürokratie genehmigt werden. Das Preissystem führte zu Anreizen, Kosten nachzuweisen und Verkäufe zu unterfakturieren. Die tunesische Gesellschaft befindet sich in vielfacher Weise nun in einem Umbruch. Am 7. November 1987 wurde der greise Staatspräsident Habib Bourguiba aufgrund eines ärztlichen Gutachtens abgesetzt und der neue Staatspräsident Zine al-Abidine Ben Ali wurde neues Staatsoberhaupt. Dieser Machtwechsel leitete eine vorsichtige Öffnung in Richtung demokratischer und marktwirtschaftlicher Reformen ein. Demokratische Mitwirkungsmöglichkeiten sind gegeben, soweit die Machtbasis der herrschenden Elite davon nicht betroffen wird, wobei einige gesellschaftliche Gruppen die Demokratisierung stärker voranzutreiben wünschen. Seit Mitte der achtziger Jahre hat Tunesien auch mit einer Strukturanpassung begonnen: Reform des staatlichen Finanzwesens, Preis- und Importliberalisierung, Umstrukturierung der Staatsunternehmen, Steuerreform. Weltbank und IWF haben seit 1986 mit Strukturanpassungsprogrammen die Ziele der Regierung unterstützt. Bis 1994 soll die Umstrukturierung der tunesischen Wirtschaft zu einer marktwirtschaftlichen und exportorientierten abgeschlossen sein. Seit 1985 findet eine graduelle Preisliberalisierung statt. 1985 wurden 95 % der Produzentenpreise staatlich kontrolliert. Bis Ende 1991 sind ungefähr 82 % der Industriegüter liberalisiert worden; Ende dieses Jahres ist die Liberalisierung auf 95 % ausgedehnt worden. Staatliche Unternehmen werden in größerem Maße
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privatisiert. Tunesien befindet sich, ausgehend von einer stark bürokratisch gelenkten Wirtschaft, auf dem Weg zu einer marktwirtschaftlich orientierten Ordnung. Verknüpft mit den Strukturanpassungsdarlehen des IWF war der Wille zu einer stärkeren handelspolitischen Öffnung. Schon im Jahre 1987 wurden die Zölle gesenkt, beispielsweise auf ein Maximum von 41 %. Importe werden verstärkt liberalisiert. Ende 1992 waren 90 % der Importe liberlisiert; für 1993 war eine freie Konvertibilität der Landeswährung vorgesehen. Die tunesische Wirtschaft wird allerdings, um international wettbewerbsfähig zu bleiben, großen strukturellen Belastungen ausgesetzt. Mitte der achtziger Jahre erlebte Tunesien eine starke Verschlechtung seiner Terms of Trade, eine Abnahme der Öleinnahmen und eine Verschärfung des außenwirtschaftlichen Ungleichgewichts, das zu weiteren Strukturanpassungen zwang. Von diesem Einbruch hat sich der Außenhandel Tunesiens mittlerweile allerdings erholt. Die Golfkrise hat beim Export keine besonderen Einbrüche aufkommen lassen. Eine vorteilhafte Investitionsgesetzgebung für exportorientierte Betriebe und die Liberalisierung des Außenhandels mit einem vereinfachten Einfuhrverfahren halfen, den Deckungsgrad auf 70 % zu erhöhen. Eine Einfuhrabschwächimg 1991 war Golfkrieg-bedingt. Rekordernten führten zu einer Entlastung der Importe. Hauptträger des Exportwachstums sind die exportorientierten verarbeitenden Industrien (Textil, Elektrotechnik, Chemie). Der Anteil der Textilbranche am Exportvolumen betrug 1991 38,7 %. Die Verschuldung Tunesiens hat sich 1992 auf 6,9 Mrd. TD erhöht, was einer Verschuldungsrate von 50,1 % des BSP entspricht. Der Schuldendienst betrug 1992 1,2 Mrd. DT (Schuldendienstrate von 22,2 %). Tunesien hat einen hervorragenden Ruf hinsichtlich Bonität und Zahlungsmoral. Seit 1987 befindet sich Tunesien in einem Aufbruch in Richtung Demokratie und wirtschaftlicher Außenorientierung. Die wirtschaftliche Außenorientierung soll Energien freisetzen zur wirtschaftlichen Entwicklung und die Initiative des privaten Sektors fördern. Das dadurch entstandene Klima wirkt entwicklungsfördernd, was sich im großen Vertrauen zeigt, das das Ausland der tunesischen Entwicklung entgegenbringt. Tunesien meint es ernst mit der wirtschaftlichen
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Öffnung und bereitet sich auf die internationale Konkurrenz vor. In der Presse wird klar die Position der Marktwirtschaft unterstützt. Entwicklungsfördernd wirkt das in Tunesien beobachtete "harmoniebezogene Denken". Die Eliten versuchen, einen Konsens in der Wirtschaftspolitik zu gestalten. Die konjunkturelle Entwicklung hat sich ebenfalls stabilisiert, Tourismuseinnahmen sichern die wirtschaftliche Entwicklung von der Außenhandelsilanke ab. In offiziellen Verlautbarungen wird verstärkt eine marktwirtschaftliche Wirtschaftpolitik propagiert und die außenwirtschaftliche Öffnung weiter vorangetrieben.
1.7.3 Länderbeispiele zur Exportförderungspolitik Korea (Südkorea): Korea hat neben Taiwan, Hongkong und Singapur eine bewußte Exportdiversifizierung verfolgt. Hohe Wachstumsraten des BIP und eine rasche Industrialisierung wurden erreicht. 1961 betrug das PKE Koreas 86 US$ (USA. 2885 $), 1991 lag es bei 6.330 $ (USA: 22.240 $). In den letzten 30 Jahren gelang es Korea, im Durchschnitt um ca. 8% real zu wachsen. Damit gehört es zu den erfolgreichsten Wirtschaftsnationen der Welt, das neben Hongkong und Singapur zu den OECD-Staaten aufgeschlossen hat bzw. in Kürze aufschließen wird. Die erreichten Wachstumsraten sind jedoch nicht mit Politiken des Freihandels erreicht worden, da der koreanische Staat Exporte massiv gefördert hat. Anfanglich wurde eine Politik der Importsubstitution verfolgt, die selektiv für bestimmte Wirtschaftszweige selbst während der exportorientierten Phase weiterverfolgt wurde. 57 Bis in die frühen 60er Jahre verfolgte Korea eine Importsubstitutionspolitik für traditionelle Konsumgüter. In den 70er Jahren begann eine solche bei Kapitalgütern und technologie-mtensiven Produkten. Nachdem die Marktmöglichkeiten 57 Zur Wirtschaftspolitik Koreas siehe: L. E. WESTPHAL, The Republic of Korea's Experience with Export-led Industrial Development, WD 6 (1978), S. 347 - 382; ders. et al., Republic of Korea, WD 12:5/6 (Mai/Juni 1984), S. 505 - 533; eine empirische Analyse findet sich in J. JERGER und Μ. PIAZOLO, Bestimmungsfaktoren des Wirtschaftswachstums in erfolgreichen Entwicklungsländern: Eine Fallstudie für Südkorea, Ifo-S 38:1 (1992), S. 1 - 26.
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ausgeschöpft waren, begann Korea eine Strategie der Exportförderung. Exporteure profitierten von zollfreien Einfuhren der Inputs und von einer Umsatzsteuerbefreiung. Primärgüterexporte wurden dagegen weniger stark gefördert als die Produkte der verarbeitenden Industrie. Effiziente Sektoren wurden bevorzugt, während ineffiziente weiterhin mit Maßnahmen der Importsubstitution geschützt wurden. Neben dem zollfreien Zugang zu Inputs und der Befreiung von indirekten Steuern erhielt der Exportsektor bei öffentlichen Gütern günstige Tarife für Fracht, Strom und Wasser sowie eine 50%ige Steuerbefreiung für Gewinne aus Exportgeschäften. Exporteure erhielten zusätzlich einen schnellen Zugang zu subventionierten kurzund mittelfristigen Krediten. Anreize kamen auch durch einen Export-ImportLink: Importlizenzen für begehrte Güter wurden nach Exportleistungen gestaffelt. Neue Firmen, deren Produkte Importe verdrängen konnten, wurden gefördert, so daß sie sofort mit Produktionsaufiiahme exportieren konnten. Anreize für die Landwirtschaft und die weniger effizienten Sektoren blieben erhalten. Die Regierung versuchte, die Anreize für den Binnenmarkt und den Export in gleicher Höhe zu halten, wobei die Anreize auch für Zwischenprodukte gegeben wurden, um erhöhte Importe zu vermeiden. Korea konnte zwischen 1960 und 1975 Wachtumsraten der Exporte von fast 30% p.a. erreichen, wobei der industrielle Sektor für fast 40% der Wachstumsrate der Exporte und des BIP verantwortlich war. In den 80er Jahren wuchsen die Exporte p.a. um 12,2%. Da Korea traditionsgemäß eine gut ausgebildete Arbeiterschaft besaß, konnten die hier liegenden komparativen Vorteile voll genutzt werden. Dementsprechend hoch war auch der Beschäftigungseffekt. Die Regierungsmaßnahmen waren flexibel gestaltet, dem Präsidenten wurde monatlich über die Exportlage Bericht erstattet, so daß Regierungsmaßnahmen den Firmen sehr kurzfristig wirtschaftlich helfen konnten, ihre Exportziele zu erreichen. Die Exporte haben sich als Motor des Wachstums und wegen der hohen Arbeitsintensität auch als beschäftigungswirksam herausgestellt. Die Auswirkungen auf die Einkommensverteilung wurden ebenfalls positiv bewertet. Auch die Auslandsinvestitionen, die 40% der Gesamtinvestitionen ausmachten, förderten das Wachstum. Allerdings muß auch auf einige negative Folgen des rapiden Wachstums hingewiesen werden. So sind in Korea industrielle Großprojekte ohne Be-
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achtung ihrer Umweltkosten durchgeführt worden, was zum Teil erhebliche Umweltbelastungen verursachte. Der niedrige Kapitalkoeffizient (2,4) erlaubte einen hohen Beschäftigungseffekt. Korea war in der Lage, trotz erfolgreicher Exportanreize eine optimale Allokation der Ressourcen zu erreichen, indem es die Preise in die Nähe der Weltmarktpreise rückte. Institutionelle Maßnahmen, wie die 1964 gegründete "Korean Trade Promotion Corporation" oder die seit 1962 zwischen den Exporten und der Regierung festgelegten Exportziele, die im großen und ganzen eingehalten werden konnten, förderten die wirtschaftliche Entwicklung. Die Regierung war ständig über die wirtschaftliche Lage informiert und konnte kurzfristig helfen, wenn die Zielerreichung gefährdet war. Ohne die vielen staatlichen Exportanreize wären die phänomenalen Exportleistungen Koreas kaum möglich geworden. Diese Politik des "Entwicklungsmerkantilismus" führte Ende der 70er Jahre zu zunehmenden Anpassungsproblemen.58 Im Vergleich zu Taiwan hat Korea wegen seiner stärkeren Ausrichtung auf die Schwerindustrie im Beschäftigungsbereich in der letzten Dekade ungünstiger abgeschnitten als Taiwan. Während der gesamten 80er Jahre waren die Wachstumsraten sehr hoch und der Anteil der Bevölkerung, der unter der Armutsgrenze lebt, sank auf unter 20%. Auch wurden erste Erfolge gegen die Umweltverschmutzung durch Förderung privater Initiativen erzielt. Die Importe Koreas sind zum größten Teil Erdölimporte, deren Preisschwankungen bzw. zusätzliche Kostenbelastungen durch einen Erdölpreis-Stabilisierungsfonds aufgefangen werden sollen. Durch die Erdölpreissteigerungen zu Beginn der 80er Jahre verzeichnete Korea ein Zahlungsbilanzdefizit und eine relativ hohe Inflationsrate, konnte aber dennoch in der zweiten Hälfte der 80er Jahre ein wieder hohes Wachstum vorweisen. Insgesamt hat sich Korea als eine "robuste" Volkswirtschaft gezeigt, die trotz Kostensteigerungen der Inputs noch eine beachtliche Entwicklung vorweist.
58 Vgl. Y. C. PARK, Development Lessons from Asia: The Role of Government in South Korea and Taiwan, AER, Pap 80:2 (Mai 1990), S. 118 - 121.
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Taiwan: Im Gegensatz zu Korea, wo der Staat massiv und interventionistisch in den Wirtschaftsprozeß mit Hilfe der Industriepolitik eingriff und die Untemehmenskonzentration förderte (schon 1977 haben die dreißig größten Konzerne 25 % der Beschäftigung umfaßt), hat die Wirtschaftspolitik der taiwanesischen Regierung mehr den privaten Sektor unterstützt. Maßnahmen zur Erhöhung der Sparquote, zum Abbau des Handelsbilanzdefizits, eine konservative Fiskal- und Geldpolitik und eine Entwicklungsphilosophie, die kleinere und mittlere Unternehmen unterstützte, waren das Ziel der Wirtschaftspolitik. Die taiwanesischen Planer konnten nicht wie die koreanischen über die Kreditvergabe bestimmen und hohe Budgets fur die Entwicklung zur Verfügung stellen. Auch wegen der negativen Erfahrungen auf dem Festland hatte die politische Führung das Ziel, die Konzentration wirtschaftlicher Macht zu verhindern. In Taiwan werden Exportprodukte von KMUs (Klein- und Mittelunternehmen) hergestellt. 30 % der Industrieproduktion entfallt auf diese Finnen. In der Schuhindustrie Taiwans wurden im Jahre 1976 60 % der Wertschöpfung in Firmen erwirtschaftet, die weniger als 300 Beschäftigte hatten; für Korea betrug dieser Anteil damals 7 %. Die anderen Ausgangsbedingungen machten für Taiwan andere Exportförderungsmaßnahmen notwendig.59 Es ist interessant, daß die vier ostasiatischen "Tiger" mit unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Maßnahmen ihre Exporte förderten und damit einen Wachstumsprozeß erreicht haben. Die mehr auf Importsubstitution ausgerichteten Länder Lateinamerikas sind dagegen wirtschaftlich zurückgefallen.60 Die Erfahrungen Taiwans und Koreas lehren, daß Regierungen, wenn sie einmal interventionistisch tätig sind, sich schwer tun, sich wieder aus dem wirtschaftlichen Prozeß zurückzuziehen. Dennoch läßt sich die Schlußfolgerung ziehen, daß die starke staatliche Unterstützung der Exportorientierung die Entwicklung in
59
Für Hintergrundinformationen vgl.: J.C.H. FEI, G. RANIS und S.W.Y. KUO, Growth with Equity. The Taiwan Case, New York et al. 1979; G. RANIS (Hrsg.), Taiwan. From Developing to Mature Economy, Boulder et al. 1992; P.W. KUZNETS, An East Asian Model of Economic Development: Japan, Taiwan, and South-Korea, EDCC 36:3, Sup. (April 1988), S. 11-43. 60 Vgl. C.-y LIN, East Asia and Latin America as Contrasting Models, EDCC 36:3, Sup. (April 1988), S. S153 - S197.
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der gleichen Weise initiiert hat wie die merkantilistischen Politiken in Europa zu einem Aufschließen an die Suprematiemacht Großbritannien führte. Die taiwanesische Entwicklung selbst läßt sich in fünf Phasen einteilen: - Vor 1953: Zunächst japanische Besetzung und Forcierung der Agrarentwicklung, Aufbau agrarnaher Industrien. - 1953 - 1961: Importsubstitutionsphase: Versorgung des heimischen Marktes mit Konsumgütern des Basisbedarfs; überwiegend Exporte traditioneller Exportprodukte (Reis, Zucker). - 1961 - 1974: Erste Exportsubstitutionsphase: Die traditionellen Exporte wurden nach und nach durch diversifizierte verarbeitete Produkte substituiert, die zuvor in der Importsubstitutionsphase fur den heimischen Markt produziert wurden. - 1974 - 1979: Zweite Import- und Exportsubstitutionsphase. Ab etwa 1973 wurde, binnenmarktorientiert, der Ausbau der Schwerindustrie vorangetrieben. Seit 1977 wurden kapitalintensive Produkte exportiert. Der geringe Erfolg hat sich als wirtschaftlich günstig herausgestellt. Daher - ab 1980: Verstärkte Exportdiversifizierung mit primärer Ausrichtung auf die Leichtindustrie. Taiwan war seit 1895 in japanischer Hand. Die Japaner bemühten sich um Erschließung, Entwicklung und Kommerzialisierung des Agrarsektors, um das japanische Nahrungsmitteldefizit zu kompensieren. Die Erschließung der Anbauflächen war um 1920 beendet und bereits 1942 wurden zwei Drittel der Anbauflächen bewässert. Weitere Produktionssteigerungen wurden durch Hochleistungssorten, Kunstdüngereinsatz und landwirtschaftliche Beratung erzielt. Ein ehrgeiziges Infrastrukturprogramm sollte die Verschiffung der Nahrungsmittel nach Japan erleichtern. Der Aufbau einer agramahen Chemie- und Nahrungsmittelindustrie diente der Bereitstellung notwendiger Vorprodukte (z.B. Kunstdünger) und erleichterte andererseits den Abtransport der Agrarprodukte (z.B. Zuckerraffinerien). In der Boomphase von 1920 - 1929 stieg die Agrarproduktion jährlich um 5,1%, der
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Export (50% Zucker, 25% Reis, 10% andere Nahrungsmittel) verachtfachte sich zwischen 1900 und 1939, wobei 90 - 95% nach Japan gingen. 1940 wurden 75% der Reisproduktion vermarktet. Die unmittelbar nach den Kriegswirren einsetzende Agrarreform war für die taiwanesische Entwicklung wichtig und stärkte die Agrarbasis (Land-demPflüger-Gesetze). Das Rückgrat der taiwanesischen Landwirtschaft bestand aus eigenverantwortlich wirtschaftenden Eigentümer-Bauern. Während die Umverteilung fur Produktions- und Investitionsanreize sorgte - verstärkt auch durch mehr oder weniger deutlichen Produktionsdruck staatlicher Organisationen gewährleisteten andere Maßnahmen (Reorganisation des Bauernverbandes, Naturaltausch Kunstdünger gegen Reis zu ungünstigen terms of trade, Bodensteuer, staatliche Vermarktungsmonopole) den Transfer des agrarischen Überschusses in den Staatshaushalt. Vom Agrarwachstum zum Industriewachstum: Von etwa 1953 - 1961 war die Entwicklungspolitik darauf ausgerichtet, den heimischen Markt mit nicht-dauerhaften Konsumgütem zu versorgen. Die traditionellen Exporte (Reis, Zucker) dienten, neben amerikanischer Aufbauhilfe, zur Finanzierung der Industrialisierungsbasis. Das gesamtwirtschaftliche Wachstum wurde in dieser Zeit sowohl von der Landwirtschaft (Grundnahrungsmittel und tropische Produkte) wie auch von der alten Leichtindustrie (Nahrungsmittel, Textilien) getragen. Dazu kam der Aufbau von der Landwirtschaft vorgelagerten Industrien, wie z.B. seit Mitte der 50er Jahre auch der Landmaschinenproduktion. Bezugspunkt für diese Phase der Importsubstitution waren die eigenen agrarischen Ressourcen und die daraus resultierenden Binnenmarkteffekte. Wichtigste Instrumente der Importsubstitution waren Importkontingente, Importlizenzen und Devisenbewirtschaftung. Außerdem wurden hohe Zollmauern errichtet und die einheimische Währung überbewertet. Vom Binnenmarktwachstum zum Exportwachstum: Ende der 50er Jahre stieß die Importsubstitution an ihre Grenzen. Die Wachstumsraten waren rückläufig und die Wirtschaftspolitik wurde auf Exportförderung umgestellt. Der taiwanesische Dollar wurde ab 1957 abgewertet, bis 1961 der Wechselkurs vereinheitlicht wurde. Seit 1959 wurden Zölle und Importkontrollen schrittweise reduziert. Wie in Korea wurden nunmehr gezielte Exportförderungsmaßnahmen in Gang gesetzt, von denen die wichtigsten Zoll- und Steuemachlässe für die Exportindustrien,
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Zinssubventionen sowie 1965 die Einführung freier Produktionszonen waren. Ein starkes Exportwachstum setzte ein, das zusätzlich durch die alten Leichtindustrien (Textilien) getragen wurde. Hinzu kamen industrielle Produkte der neuen Leichtindustrien (elektrische und elektronische Konsumgüter, Spielzeug). Die Kombination billiger Arbeitskräfte mit einfacher Verarbeitungstechnologie machte Taiwan in diesen Bereichen international konkurrenzfähig. Eine Liberalisierung des Außenhandels läßt sich nur für jene Bereiche ausmachen, in denen Taiwan international konkurrenzfähig war. Importkontrollen blieben bestehen: Die Zölle für Zwischenprodukte und Investitionsgüter blieben hoch; einige Zölle wurden noch erhöht. Bis 1980 betrugen die Zölle auf Rohstoffe 0 - 10%, auf Halbfabrikate 15 - 20%, auf Konsumgüter 45 - 50%, auf Investitionsgüter 10 - 15%. Zusätzlich gab es nicht-tarifäre Beschränkungen. Durch dieses System der Marktabschottung einerseits und der Exportförderung andererseits wurde erreicht, daß die Exportprodukte auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig blieben und der heimische Markt durch hohe Monopolpreise geschützt war. Für den heimischen Bedarf begann ca. 1973 eine zweite Phase der Exportsubstitution. Zusätzlich zur alten Schwerindustrie (Agrarinputs, Baustoffe) wurde der Aufbau neuer Schwerindustrien in den Bereichen Petrochemie, Eisen und Stahl, Kernenergie und Schiffbau vorangetrieben. Hohe Reallohnsteigerungen ab 1975 waren dafür verantwortlich, daß ab 1977 zunehmend auch kapitalintensive, langlebige Produkte der Schwerindustrie aus den Bereichen Metall-, Fahrzeugund Maschinenbau exportiert werden konnten.61 In der letzten Dekade hat Taiwan die arbeitsintensive Leichtindustrie gefördert. Dennoch hat sich die durchschnittliche Wachstumsrate des Exports leicht abgeschwächt. Lag sie im Zeitraum 1965-80 durchschnittlich noch bei 18,9%, so sank sie im Zeitraum 1980-90 auf 12,1%. Gleichwohl sind solche Wachstumsraten im internationalen Vergleich sehr hoch. Auch blieben im Zeitraum 1980-90 die Leistungsbilanzüberschüsse unverändert hoch, da auch das durchschnittliche Wachstum der Importe von 15,1% (1965-80) auf 10,1% (1980-90)
61
Vgl. T. C. CHOU, The Pattern of Strategy of Industrialization in Taiwan: Specialization and Offsetting Policy, The Developing Economies 23 (1985), S. 138 - 157; O. MENZEL, In der Nachfolge Europas. Autozentrierte Entwicklung in den ostasiatischen Schwellenländern Südkorea und Taiwan. München 1985; L.G. Reynolds: Economic Growth in the Third World, 1850 - 1980, New Haven, London 1985, S. 166 - 173.
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sank. 62 Die ökonomische Situation ist deshalb in Taiwan unverändert als sehr positiv zu bezeichnen. Auch hier scheint sich die bewußte Weltmarktorientierung ausgezahlt zu haben.
Malaysia: Malaysia war bis zum Jahr 1963 eine britische Kolonie, die in ihre Unabhängigkeit "gut entwickelt" - wie es der Weltentwicklungsbericht 1992 formuliert - entlassen wurde. Die Wirtschaftspolitik des Landes war in den 60er Jahren exportorientiert. Malaysia konnte mit seinen Exportgütern Gummi und Palmöl beachtliche wirtschaftliche Erfolge erzielen. Eine funktionierende Verwaltung war ebenso vorhanden wie demokratische politische Institutionen. In den Jahren nach der Unabhängigkeit entstanden Spannungen zwischen den unterschiedlichen ethnischen Gruppen. So haben in Malaysia die Bumiputras (im wesentlichen Malayien) einen Bevölkerungsanteil von 55%, die Chinesen einen Anteil von 35% und die Inder einen von 10%. Bis zum Jahre 1977 versuchte das Land in vielen Bereichen63 durch Staatsbetriebe einen wirtschaftlichen Aufschwung herbeizuführen, was allerdings mißlang und damit eine Reform der Politik erforderte. Ab 1977 wurde von Malaysia eine aktive Handelsförderungspolitik betrieben. Ausländische Investitionen wurden nun zugelassen und eine liberale Handelspolitik wurde eingeführt, mit "moderate tariff levels". In einigen bestimmten Bereichen wurden hohe effektive Zölle verlangt, um dort kompetitive Sektoren aufbauen zu können. Allerdings wurden solche Zölle nur in einigen wenigen Sektoren eingeführt - die Diskriminierung ausländischer Güter wurde weitgehend eingestellt. Ebenso benötigten private Unternehmen keine staatliche Erlaubnis zur Ausweitung der Produktion oder der Investitionen mehr. Des weiteren wurden Devisenkontrollen abgeschafft und bei Verstaatlichungen erhielten die Eigentümer eine Kompensation. Auch wurden Verwendungsvorschriften für das Einkommen der Wirtschaftsubjekte aufgehoben, so daß jedermann nun auch ausländische Güter kaufen konnte. 62
Vgl. Weltbank, Weltentwicklungsbericht 1992, Washington, DC., S. 276. Sektoren mit staatlichen Unternehmen waren: Landwirtschafts-, Flugzeug-, Zement-, Bankund Industriesektor. 63
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Aufgrund dieser Politiken erreichte Malaysia in den 80er Jahren im Durchschnitt PKE-Wachstumsraten von 2,9%. Das Wachstum lag Ende der 80er Jahre bei ca. 7-8%. Weitere hohe Wachstumsraten sind zu erwarten, da Malaysia ebenfalls Erdölexporteur ist und nach der Golf-Krise "substantial windfall profits" realisierte. Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Ausfuhren betrug zwischen 1980 und 1992 p.a. 10,9%, wobei der Anteil der Rohstoffe von 93% (1970) auf 39% (1991) reduziert werden konnte. Ebenso konnte in den letzten Jahren der Trend steigender Armut aufgehalten und sogar umgekehrt werden und das Programm der makroökonomischen Stabilisierung und Liberalisierung fortgeführt werden. Malaysia gehört nach den jüngsten Untersuchungen der Weltbank zu den "Rapidly Industrializing Economies", also zu den Ländern, die sich erfolgreich in den Weltmarkt integriert haben und fiir die in der Zukunft enorme Wachstumschancen bestehen.
Kapitel 2 Stabilisierung der Exporterlöse
Entwicklungsländer beklagen häufig ihre schwankenden Exporterlöse, die bei ihnen wirtschaftliche Instabilitäten hervorrufen. Sie bedeuten einen Wohlfahrtsverlust, fuhren zu geringeren Investitionen und Ersparnissen sowie zu einem niedrigeren Wirtschaftswachstum als möglich. Eine Studie der Vereinten Nationen! gab Anlaß zu vielen empirischen Untersuchungen, die allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen. Es muß untersucht werden, welche wirtschaftspolitischen Handlungsnotwendigkeiten sich ergeben. Im Falle schwankender Exporterlöse sollten wirtschaftspolitische Korrekturmaßnahmen ergriffen werden. Dies gilt insbesondere für Länder, die bei ihren Exporten in einem hohen Maße von Rohstoffen abhängig sind.2 Die Korrekturmaßnahmen können an den Ursachen ansetzen oder versuchen, die Symptome zu beseitigen. Bei der Ursachenanalyse kann an der Angebots- oder der Nachfrageseite angesetzt werden. So können Maßnahmen ergriffen werden, die der Landwirtschaft helfen, verstärkt für den Inlandsbedarf zu produzieren, um so die Rohstofflastigkeit der Exporte abzubauen. Auch eine verstärkte Exportdiversifizierung senkt das Risiko schwankender Exporterlöse. Um Konjunkturschwankungen auf der Nachfrageseite einer Volkswirtschaft zu vermindern, bieten sich eine stetige und vorhersehbare Konjunkturpolitik sowie eine liberale Handelspolitik an. In vielen Entwicklungsländern liegen die Voraussetzungen für solche Maßnahmen allerdings nicht vor. Daher werden Kompensationspolitiken vorgeschlagen, die nicht bei den Ursachen, sondern bei den Symptomen ansetzen. Auf UNCTAD-Konferenzen werden internationale Rohstoffabkommen gefordert und kompensatorische Transferregelungen bei Realeinkommensschwankungen angestrebt. Preiskartelle der Produzentenländer nach dem Vorbild der OPEC sollten, so die Vorschläge einiger Entwicklungsländer, von den Nachfragerländem toleriert werden. Bevor wirtschaftspolitische Überlegungen zur Überwindung der
' United Nations Secretariat, Instability in Export Markets of Underdeveloped Countries, New York 1952. 2 Vgl. Η. DICK et al., Stabilization Strategies in Primary Commodity Exporting Countries - A Case Study of Chile, JDevE 15 (1984), S. 47 - 57.
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Kapitel 2: Stabilisierung der Exporterlöse
schwankenden Exporterlöse angestellt werden, müssen die möglichen Ursachen instabiler Exporterlöse ausfindig gemacht werden.
2.1 Probleme schwankender Exporterlöse Bei dem Problem schwankender Exporterlöse handelt es sich um kurzfristige Aspekte der außenwirtschaftlichen Integration der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft. Die langfristigen Probleme werden im folgenden Kapitel besprochen, das sich mit der Frage der terms of trade befaßt. Die schwankenden Exporterlöse können negative Auswirkungen auf Volkseinkommen, Konsum, Investitionen und Ersparnisse haben, möglicherweise auch auf die Steuereinnahmen und die Importkapazität. Es gibt Studien, die zeigen, daß schwankende Exporterlöse negative Wirkungen auf das Wachstum der Entwicklungsländer haben. Aber auch positive Effekte sind theoretisch denkbar.3 Da die fur den Entwicklungsprozeß notwendigen Importe (vor allem Investitionsgüter) nur durch Exporterlöse finanziert werden können, kann ein Rückgang der Exporteinnahmen den Entwicklungs- und Wachstumsprozeß hemmen. Erschwerend kommt hinzu, daß Exporterlösschwankungen kaum vorhersehbar sind und sich dadurch bei der Aufstellung von Entwicklungsplänen ein hohes Maß an Unsicherheit ergibt.
2.1.1 Theoretische Analyse der Ursachen für die Exportinstabilität Auf freien Märkten bestimmen Angebot und Nachfrage simultan Preise und Mengen. Schwankungen auf der Angebots- und Nachfrageseite fuhren dann zu Preisschwankungen, deren Ausmaß durch die Steigungen der Kurven bestimmt wird. Preisänderungen hängen von den Preiselastizitäten des Angebots und der Nachfrage ab. Je niedriger diese Preiselastizitäten, desto stärker die Preisausschläge. 3 Vgl. K. GYIMAH-BREMPONG, Export Instability and Economic Growth in Sub-Saharan Africa, EDCC 39:4 (Juli 1991), S. 815 - 828. Eine negative Korrelation zwischen Exportinstabilitäten und wirtschaftlichem Wachstum findet C. GLEZAKOS, Export Instability and Economic Growth: Α Statistical Verification, EDCC 21 (1973), S. 670 - 678. Eine positive Beziehung findet Ν. V. LAM, Export Instability, Growth and Primary Commodity Concentration, Economia Intemazionale 33:1, (1980), S. 40 -57.
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Preisveränderungen können also durch Angebots- oder Nachfrageänderungen hervorgerufen werden. Angebotsdeterminierte Schwankungen finden sich besonders stark im Agrarbereich (Ernteschwankungen durch Wettereinflüsse), nachfragebedingte Schwankungen finden wir vor allem bei mineralischen Rohstoffen (NE-Metalle). Die folgende Graphik soll den Zusammenhang verdeutlichen:
ρ
X
Abb. 2.1 Auswirkungen von Nachfrageschwankungen bei unterschiedlichen Angebotselastizitäten
Eine autonome Verschiebung der Nachfragekurve von D Q D Q nach D j D j fuhrt bei preisunelastischer Nachfrage entlang der Kurve S^ zu einem starken Preisanstieg von P 0 auf P i ^ Langfristig ergibt sich jedoch ein geringerer Preisanstieg, nämlich von P 0 auf P ^ da die Preiselastizität des Angebots langfristig größer ist als kurzfristig. Hohe langfristige Preiselastizitäten des Angebots bei niedrigen kurzfristigen finden wir vor allem auf Agrarmärkten der Entwicklungsländer, denn bei der Produktion vieler tropischer Agrarprodukte vergeht ein längerer
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Zeitraum zwischen der Investitionsentscheidung und der Verfügbarkeit neuer Produkte. Bei vielen Agrarinvestitionen werden lange Ausreifüngszeiten beobachtet: Ein Kaffeestrauch bringt frühestens fünf Jahre nach der Pflanzung die ersten Erträge, der maximale Ertrag ist nach zehn bis zwölf Jahren zu erwarten. Beim Kakao beträgt die Ausreifungszeit vier bis sechs Jahre und beim Tee drei bis fünf Jahre. Kurzfristig läßt sich die Produktion dieser landwirtschaftlichen Rohstoffe kaum ausdehnen. Deshalb sind die langfristigen Reaktionen im allgemeinen erheblich stärker als die kurzfristigen Mengenreaktionen. Ähnliches gilt für viele mineralische Rohstoffe. Wegen des hohen Fixkostenanteils und niedriger variabler Kosten lohnt es sich, die Produktion auch bei Preisverfall vorerst fortzusetzen. Die Schließung und Wiedereröffnung von Abbaustätten aber ist mit hohen Kosten verbunden. Finnen bemühen sich deshalb um eine stetige Produktion, wobei Lagerhaltungen in Kauf genommen werden. Die kurzfristige Haltbarkeit tropischer Produkte und die hohen Lagerungskosten mineralischer Rohstoffe erlauben aber nur in geringem Maße eine Verstetigung des Angebots durch Einlagerung oder Haldenbildung. Aus den niedrigen Produktionselastizitäten folgt eine niedrige kurzfristige Angebotselastizität. Da die langfristige Angebotselastizität über der kurzfristigen liegt, ergeben sich leicht die aus der Mikroökonomie bekannten Schwankungen, die auch als "cobweb" Theorem bekannt sind. Der Sachverhalt läßt sich wie folgt graphisch veranschaulichen:
Kapitel 2: Stabilisierung der Exporterlöse
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Abb. 2.2 Fluktuationen bei niedriger kurzer aber höherer langfristiger Angebotselastizität
Die kurzfristige, unelastische Angebotskurve sei durch S ^ gekennzeichnet, die langfristige Angebotskurve durch SL. Das Ausgangsgleichgewicht sei durch X 0 ,P 0 vorgegeben. Eine Veränderung der Nachfrage verschiebt die Nachfragekurve nach rechts und läßt den Preis von P 0 auf P] ansteigen. Aufgrund dieser Preiserhöhung fällen die einzelnen Anbieter, unabhängig voneinander, Produktionsentscheidungen aufgrund ihrer Preiserwartungen nach ihren Angebotsplänen SK, die zu einer Ausdehnung der Produktion von X 0 auf X] fuhren. Diese Menge ist jedoch kurzfristig nur zu einem Preis P2 absetzbar. Anfanglich ergeben sich geringe Mengenänderungen, langfristig steigt das Angebot jedoch auf X2, wenn die Anbieter ihre Pläne nach S^ ausrichten. Die produzierte Menge X2 ist wiederum Anlaß zu einer Preissenkung (langfristig herrscht dort ein Angebotsüberschuß vor), die zum Preis P3 fuhrt. Längerfristig wird nun die Produktion auf X3 reduziert, die zu einem Preis P4 absetzbar ist. Dieser Prozeß wiederholt sich mehrmals, bis das langfristige Gleichgewicht in P n ,X n erreicht ist. Können
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Anbieter den neuen Gleichgewichtspreis nicht korrekt prognostizieren, ergeben sich unter den genannten Voraussetzungen Preis-, Mengen- und Erlösschwankungen. Je nach dem Verhältnis der Elastizitäten von Angebot und Nachfrage liegt ein stabiler oder explodierender cobweb-Zyklus vor. Immer dann, wenn die Nachfrage preiselastischer auf die Mengenvariationen als das Angebot reagiert, liegt ein stabiler cobweb-Zyklus vor et vice versa. Die Weltnachfrage nach Primärgütern weist eine geringe Preiselastizität auf, die auf starre Verbrauchsgewohnheiten in Industrieländern hinweist. Die Preiselastizität der Kaffeenachfrage lag bspw. nur zwischen -0,1 und -0,2. Abschöpfungssysteme einiger Industrieländer, die Variationen der Weltagrarpreise durch variable Importbelastungen ausgleichen, lassen die Preiselastizität der Nachfrage null werden. Auch der geringe Rohstoffanteil an den Fertigprodukten wirkt in Richtung schwacher Mengenreaktionen. Verschärfend kommt hinzu, daß Mengenschwankungen von den Entwicklungsländern kaum kontrolliert werden können, da in der Agrarproduktion die witterungsbedingten Angebotsschwankungen normal sind und ihnen meist die technischen Möglichkeiten zu einer Kompensation der Witterungseinflüsse fehlen. Die Schwankungen des Agrarangebots sind in Entwicklungsländern wesentlich ausgeprägter als in Industrienationen. Bewässerungssysteme, Möglichkeiten der Futtereinlagerung, die Verwendung von Insektiziden und Lagerungsmöglichkeiten sind schwach entwickelt. Wegen innen- und außenpolitischer Konflikte ist die mineralische Produktion oft krisenanfällig, wodurch sich Weltangebotsschwankungen ergeben, die von den einzelnen Produzenten nicht kontrolliert werden können. Wegen der Abhängigkeit der Rohstoffiiachfrage von der Konjunkturlage der Industrieländer ergeben sich auch hier Veränderungen, die von Entwicklungsländern schlecht beeinflußbar sind. Eintretende Mengen- und Preisänderungen können noch durch Rohstoffspekulationen verstärkt werden. Allerdings sind auch glättende Einflüsse der Spekulation möglich. Nach dem MacBean-Maß4 wurden aus Weltbank-Daten von Dönges Preisinstabilitäten fur ausgewählte Produkte fur zwei verschiedene Zeiträume berechnet, die zur Illustration hier wiedergegeben sind.5 4
Das MacBean-Maß ist ein gewichteter, normierter gleitender Mittelwert, dessen Höhe eine Aussage zur Stärke der Preisschwankungen erlaubt. Je höher der Wert des Indikators, desto größer sind die Preisinstabilitäten.
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Tabelle 2.1 Preisinstabili tät ausgewählter Exportprodukte Produkt Kakao Katiee Tee Reis Zucker Soiabohnen Weizen Baumwolle Jute Sisal Naturkautschuk Bauxit Kupfer Zinn Eisenerz Mangan
Zeitraum 1951-64 Zeitraum 1964-77 18,264 17,554 13160 8,549 7,537 4,4405 17,228 20,552 17,408 28.922 14.457 6,819 12,601 1,765 1^,135 9,105 18,5846 6,087 10,406 19.337 17 556 16,213 0 9,088 20.455 12.945 10,307 4,677 7.688 6,179 8.744 9,427
Die Werte der Tabelle zeigen, daß die Preisfluktuationen von 1964-77 meist höher waren als die in der Periode von 1951-64. So ergab sich z.B. fur Zinn mehr als eine Verdoppelung der Preisschwankungen und fur Bauxit sogar eine Erhöhung von 0 auf über 9. Gleichwohl gibt es auch einige Produkte, bei denen sich die Schwankungen nicht wesentlich veränderten bzw. leicht verminderten. Größere Reduktionen der Preisschwankungen sind allerdings nicht feststellbar. Zu nennen sind hier z.B. die Produkte Kakao und Mangan. MacBeans Untersuchung ist aus statistischen Gründen heftig kritisiert worden. Er konnte in seiner Studie keine Korrelation zwischen Wachstum und Exportinstabilitäten nachweisen. Maizels kritisiert die Annahmen seiner Querschnittsanalyse, insbesondere die unterstellte eindeutige Beziehung zwischen dem Grad der Exportschwankung und Indikatoren der ökonomischen Entwicklung und stellt die Behauptung auf: "None of the regressions presented in this part of the book can be accepted as meaningful, and the author's conclusions are equally suspect!" Kritisiert wird das Fehlen des theoretischen Hintergrundes der empirischen Analysen. Massels versucht, die beobachtete Exportinstabilität mit einigen In5
Vgl. J. B. DÖNGES, Außenwirtschafts- und Entwicklungspolitik, Berlin et al., 1981, S. 68; die Daten stammen aus: World Bank, Commodity Trade and Price Trends, Washington/D.C., August, 1979, Teil IV.
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dikatoren der Wirtschaftsstruktur einzelner Länder in Verbindung zu bringen. Murray unterscheidet bei den Exportschwankungen zwischen Preis- und Mengenschwankungen, wobei er als Ursache Angebots- oder Nachfrageschocks überprüft. Eine theoretische Herleitung der Beziehungen zwischen Exporterlösschwankungen und der wirtschaftspolitischen Entwicklung eines Landes wurde, auf Grundlage eines intertemporalen Optimierungsansatzes mit Hilfe der Kontrolltheorie, zum ersten Mal von Brock vorgelegt.6
2.1.2 Preis- versus Erlösinstabilität: Die unterschiedlichen Auswirkungen von Angebots- und Nachfrageschwankungen Änderungen der Weltmarktnachfrage fuhren zu gleichgerichteten Mengen- und Preisfluktuationen. Ein Nachfragerückgang läßt Preise, Mengen und Erlöse sinken. Die Auswirkungen einer Verschiebung des Weltmarktangebots hingegen sind nicht eindeutig bestimmbar. Nur bei einer Nachfrageelastizität von 1 kompensieren sich Preisänderungen durch gleich hohe gegengerichtete Mengenänderungen, so daß die Erlöse konstant bleiben. Für die Gesamtheit der Entwicklungsländer ist die Weltnachfrage nach den von ihnen produzierten Gütern, insbesondere den Rohstoffen, unelastisch. Angebotsrückgänge werden durch überproportionale Preiserhöhungen zu einem Anstieg der aggregierten Exporterlöse fuhren. Betrachten wir ein einzelnes Entwicklungsland, so sind jedoch auch andere Auswirkungen auf die Erlöse möglich. Für viele Produkte verteilt sich die Weltnachfrage auf viele Entwicklungsländer, die in Konkurrenz zueinander stehen und die daher den Weltmarktpreis als Datum akzeptieren müssen. Während für alle Entwicklungsländer Mengen und Preise sich gegenläufig entwickeln, gilt dies bei Angebotsschwankungen eines einzelnen Landes nicht mehr. Würde in einem Land die Kaffee-Ernte durch Frost 6
Vgl. Α. I. MACBEAN, Export Instability and Economic Development, Cambridge, London 1966; eine ausführliche Kritik dieses Buches befindet sich in: A. MAIZELS, AER 58:3.1 (Juni 1968), S. 575 - 580. Insbesondere die statistischen Unzulänglichkeiten werden von ihm herausgearbeitet; B.F. MASSEL, Export Instability and Economic Structure, AER 60:4 (September 1970), S 618 - 630; D. MURRAY, Export Earnings Instability: Price, Quantity, Supply, Demand?, EDCC 27:1 (Oktober 1978), S. 61 - 73. Er findet insbesondere heraus, daß Mengenschwankungen vorherrschen, die durch Angebotsinstabilitäten hervorgerufen werden. Exportschwankungen sind demzufolge selbstgemacht! Vgl. auch P L. BROCK, Export Instability and the Economic Performance of Developing Countries, JEDynC 15:1 (Januar 1991), S. 129- 147.
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vernichtet, so mag der Weltmarktpreis geringfügig steigen und die Gesamtheit aller Entwicklungsländer mag eine Erhöhung ihrer Exporterlöse erfahren. Das einzelne Land, dessen Kaffee-Ernte vernichtet wurde, erlebt eine zu der Mengenschwankung gleichgerichtete Erlösschwankung. Erst bei einem hohen Anteil dieses Landes am gesamten Weltmarktangebot gilt diese Aussage nicht mehr. Hier können Mengenveränderungen dann invers zu den Preis- und Erlösschwankungen verlaufen. Anders als bei Änderungen des Weltmarktangebots fuhren Verschiebungen der Weltmarktnachfrage zu gleichgerichteten Mengen- und Preisänderungen. Unterschiede zwischen der Gesamtheit aller Entwicklungsländer und einem einzelnen Entwicklungsland ergeben sich nicht mehr. Ein Nachfragerückgang fuhrt dann zu einem Rückgang der Preise, der Mengen und der Erlöse. Diese Ergebnisse können wie folgt graphisch veranschaulicht werden:
ρ
1L s.E
Ρ 2 Ρ,ο
P
Abb. 2.3 Auswirkungen von Nachfrageschwankungen
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SW bezeichne die Weltangebotskurve, D ^ die Weltnachfragekurve und S^L das Angebot des einzelnen Entwicklungslandes. Das Angebot eines individuellen Landes ist hierbei preisunelastischer als das Weltangebot. Eine Verschiebung der Weltnachfragekurve (z.B. von Do nach D j ) fuhrt zu gleichgerichteten Veränderungen der Preise, Mengen und Erlöse (vgl. die schraffierten Flächen) fur das einzelne Land und fur die Gesamtheit aller Entwicklungsländer.
Abb. 2.4 Angebot und Nachfrage auf dem Weltmarkt
Eine Erhöhung des Weltangebots im obigen Schaubild von SQW auf mag einen hohen Preiseffekt haben. Wegen der unelastischen Weltnachfrage kommt es nur zu geringen Mengensteigerungen aber großen Preissenkungen. Der negative Preiseffekt überwiegt den Mengeneffekt, woraus Erlöseinbußen fur alle Entwicklungsländer resultieren.
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Ahnliches gilt bei einer Abnahme des Weltangebots. Die Preise erhöhen sich wegen der unelastischen Nachfrage relativ stärker als die Mengen abnehmen. Es kommt zu einer Erlössteigerung aller Entwicklungsländer.
Ρ
Abb. 2.5 Das Angebot eines einzelnen Entwicklungslandes und sein Anteil an der Weltnachfrage
Anders liegt die Situation für ein einzelnes Entwicklungsland. So mag beispielsweise ein Ernteausfall die Angebotskurve von S2^L auf SJEL verschieben. Wegen der elastischen Nachfrage kommt es nur zu geringen Preiserhöhungen. Der negative Mengeneffekt wird von positiven Preiseffekten nicht kompensiert. Das einzelne Land erleidet eine Erlöseinbuße. Auf der anderen Seite könnte eine gute Ernte zu einer Verschiebung der Angebotskurve nach S3EL fuhren. Die Weltmarktpreise verändern sich wiederum nur geringfügig (Preissenkung).
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Kapitel 2: Stabilisierung der Exporterlöse
Wegen der großen Mengenausweitung kann das einzelne Entwicklungsland jedoch Exporterlösgewinne verzeichnen. Der Zusammenhang zwischen Preis- und Mengenänderungen kann Aufschluß darüber geben, ob die Instabilität durch Nachfrage- oder Angebotsschwankungen verursacht wurde. Sind Mengen und Preise positiv korreliert, dann hegt eine unstetige Nachfrage vor. Sind Mengen und Preise jedoch negativ miteinander korreliert, dann ist davon auszugehen, daß Angebotsschwankungen dominierten und Ursache für die beobachteten Erlösschwankungen waren. Die Elastizität der ausländischen Nachfrage wird dabei von der Bedeutung des Landes als Anbieter eines bestimmten Produktes in der Welt abhängen. Die Exporterlöse eines Landes hängen auch von der Einkommenselastizität der heimischen Nachfrage ab. Die Preiselastizität der Nachfrage nach einem Gut ist nicht konstant. Oberhalb des Gleichgewichtspreises mag sie unelastisch und unterhalb des Gleichgewichtspreises elastisch sein. Eine Verknappung des Angebots kann dann zu Preis- und Erlösschwankungen fuhren. Eine Ausweitung des Angebots hätte aber geringe Preissenkungen zur Folge, wodurch es ebenfalls zu Erlössteigerungen käme. Auch dies läßt sich graphisch veranschaulichen.
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Abb. 2.6 Exporterlöse bei Verknappung und Erhöhung des Angebots
Es muß empirisch geprüft werden, ob Angebots- oder Nachfrageschwankungen fur die Schwankungen der Exporterlöse ursächlich sind. Die empirischen Aussagen hierzu sind nicht einheitlich. Auch muß eine Exportkonzentration auf wenige Güter nicht unbedingt zu Exporterlösfluktuationen fuhren. Die Art des exportierten Gutes und die strukturellen Merkmale der Entwicklungsländer sind entscheidend. So muß zwischen Nahrungsmittelexporteuren und Exporteuren von mineralischen Rohstoffen unterschieden werden. Ebenso ist der relative Anteil des Landes an den Weltexporten von Bedeutung. Eine stärkere Diversifizierung fuhrt zu geringeren Exportinstabilitäten. Bei Nahrungsmitteln ergaben sich stärkere Angebotsschwankungen, während bei den mineralischen Rohstoffen Nachfrageschwankungen dominierten. Die wesentlichen Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:7 7
Vgl. G. BIRD, The International Monetary System and the Less-Developed Countries. London 1982, S. 36 - 40.
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Kapitel 2: Stabilisierung der Exporterlöse
Bei kleinen, nahrungsmittelexportierenden Ländern dominieren einheimische Angebotsfluktuationen (Zucker aus Mauritius). Die Mengen- und Erlösinstabilitäten sind größer als die Preisinstabilitäten. Für kleine, mineralische Rohstoffe exportierende Länder sind Preis- und Exportinstabilitäten höher als die Mengeninstabilitäten (Kupfer aus Zypern). Große, nahningsmittelexportierende Länder (Kakao aus Ghana, Kaffee aus Brasilien, Reis aus Burma) erfahren weniger instabile Exporterlöse im Vergleich zu den Preis- und Mengenvariationen, da Mengen und Preise negativ korreliert sind. Bei großen, mineralische Rohstoffe exportierenden Ländern (Kupfer aus Chile oder Gummi aus Malaysia) hängen die relativen Preis-, Mengen- und Erlösinstabilitäten von der Elastizität der Angebotskurve ab. Preise und Mengen sind nicht negativ miteinander korreliert. Die empirischen Ergebnisse bestätigen im großen und ganzen die Ergebnisse der vorher durchgeführten graphischen Analysen für bestimmte Produktgruppen.
2.1.3 Folgen der Exporterlösinstabilitäten Starke Preisvariationen verstärken wirtschaftliche Fehlentwicklungen. Es ist nun zu fragen, warum Exporterlösfluktuationen sich ebenfalls nachteilig auswirken. Negative Folgen von Preisinstabilitäten können sich daraus ergeben, daß - die Vorteile eines größeren Exportüberschusses die nachteiligen Wirkungen eines verstärkten Defizits nicht zu kompensieren vermögen, - Exporterlöserhöhungen sich sogar nachteilig auf die wirtschaftliche Situation des Entwicklungslandes auswirken, - die Instabilität zur Verunsicherung der Wirtschaftssubjekte fuhrt und damit negative Folgen für die Entwicklung eines Entwicklungslandes hat. Diese Argumente müssen im einzelnen diskutiert werden.
Kapitel 2: Stabilisierung der Exporterlöse
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Ein temporäres Absinken der Exporterlöse wirkt über den Multiplikator negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung. Da die meisten Entwicklungsländer nur geringe Devisenvorräte haben, kann ein plötzlicher Einbruch bei den Exporterlösen zum Abbruch von Entwicklungsprojekten zwingen. Notwendige Einfuhren sind dann durch den Erlösausfall gefährdet. Wegen fehlender Stabilisierungsmöglichkeiten werden die negativen Folgen in Entwicklungsländern größer sein als die der Nachfrage(Export)-Ausfälle in den Industrieländern, denn die Anpassungsflexibilitäten im Entwicklungsland hegen im allgemeinen niedriger als in Industrieländern. Es läßt sich allerdings fragen, ob Entwicklungsländer überraschende, zusätzliche Exporteinnahmen nicht "stillegen" können, um sie in Zeiten von Einnahmerückgängen zu aktivieren. Diese Möglichkeit ist aber mehr von theoretischer Bedeutung, wie die Praxis der Wirtschaftspolitik der Industriestaaten (mißlungenes deficit spending) zeigt.8 Überraschende Exporterlösgewinne können zu einer expansiven Geld- und Fiskalpolitik verleiten, deren Korrektur sich dann langfristig als schwierig und teuer herausstellen wird. Mit Überschüssen sind im allgemeinen auch erhöhte Steuereinnahmen verbunden. Zusätzlich können Preisinstabilitäten wegen Ratchet-Effekten negativ auf die langfristige Exportnachfrage wirken, da in Zeiten hoher Preise die Kunden nach Alternativen Ausschau halten werden und es bei wieder sinkenden Preisen unwahrscheinlich ist, daß die alte Nachfragestruktur wieder realisiert werden kann. Die Unsicherheit bei der Erlössituation erschwert außerdem den Übergang von der Subsistenzwirtschaft zur marktbedienenden Agrarwirtschaft. Jedoch kommt es auf die Art der Instabilitäten an. Regelmäßige und geringe Preisausschläge werden weniger Gewicht haben als unregelmäßig und plötzlich auftretende hohe Preisschwankungen. Verschiedentlich ist versucht worden, den Einfluß der Exportinstabilitäten auf das Wachstum oder die Höhe der Investitionen in den Entwicklungsländern zu bestimmen. Die Ergebnisse sind nicht eindeutig. Während einige Länder unter der Erlösfluktuation gelitten haben, scheinen andere davon kaum betroffen gewesen zu sein. Folgende Überlegungen werden in diesem Zusammenhang angestellt: 8 J. A. SCHUMPETER hat einmal den Satz geprägt, daß sich eher ein Mops einen Vorrat an Würstchen anlegt, bevor ein Politiker zusätzliche Einnahmen für den Notfall zurücklegt.
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Kapitel 2: Stabilisierung der Exporterlöse
Das Ausmaß der wirtschaftlichen Folgen hängt von der Höhe des Ausgabenmultiplikators ab. In Ländern, in denen die Regierung in der Lage war, den Einfluß der Exporte durch wirtschaftspolitische Maßnahmen zu konterkarieren, werden die Ausschläge aufgrund schwankender Exporterlöse geringer ausfallen als in solchen Ländern, in denen solche Maßnahmen nicht möglich waren. Je leichter es einem Entwicklungsland fiel, im Falle gesunkener Exporterlöse die Höhe der Importe zu senken, ohne den Entwicklungsprozeß zu gefährden und je leichter es für ein Entwicklungsland war, sich in diesem Fall international zu verschulden, desto geringer sind die makroökonomischen Auswirkungen von Exportinstabilitäten. Für die binnenwirtschaftliche Stabilisierung spielt auch die Wechselkurspolitik eine wesentliche Rolle. So können gesunkene Weltmarktpreise durch eine Abwertung aufgefangen werden. Für Schwarzafrika hat Gyimah-Brempong festgestellt, daß Exportinstabilitäten das Wachstum negativ beeinflussen.9 Mit Hilfe einer neoklassischen Wachstumsgleichung, in welcher das Exportwachstum und seine Instabilität als zusätzliche erklärende Variable aufgenommen wurden, wurden Daten aus 34 schwarzafrikanischen Ländern mit Hilfe einer Regressionsanalyse für den Zeitraum 1960 - 1986 untersucht. Die neoklassische Wachstumsgleichung erlaubt es dabei, die Auswirkungen der Exporterlösinstabilitäten auf das wirtschaftliche Wachstum von anderen Effekten zu isolieren. Es muß aber auch auf die für die wirtschaftliche Entwicklung positiven Entwicklungen hingewiesen werden. Preis- und auch Erlösveränderungen zeigen Änderungen auf den Märkten an, auch können sie Hinweise geben, in welchen Sektoren in der Zukunft langfristig komparative dynamische Vorteile zu erwarten sind. Darüberhinaus haben Änderungen der Preise eine Signalfunktion, sind ein Knappheitsmesser, unterstützen Strukturanpassungen, verteilen die wirtschaftlichen Ergebnisse entsprechend der dafür erbrachten Leistung und lassen die Ressourcen in ihre besten Verwendungen fließen (Allokationsfunktion). Starke Schwankungen der Erlöse und Preise sind meist auf nicht diversifizierte Produktionsstrukturen zurückzuführen. Eine ursachenadäquate Wirtschaftspolitik sollte deshalb nicht versuchen, Einfluß auf die Preisbildung zu nehmen, sondern den Aufbau einer wettbewerbsfähigen, diversifizierten Wirtschaftsstruktur fördern. 7
Vgl. K. G Y I M A H - B R E M P O N G , op. cit., S. 8 1 5 - 828.
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2.2 Internationale Rohstoffabkommen als Mittel zur Preisstabilisierung Da viele Entwicklungsländer einen großen Teil ihrer Deviseneriöse aus dem Verkauf von Rohstoffen erzielen, fordern sie internationale Abkommen mit dem Ziel einer Stabilisierung der Rohstoffpreise. Dabei waren (und sind) folgende Möglichkeiten im Gespräch:10 - multilaterale Liefer- und Abnahmeabkommen, - Regulierung des Gesamtangebots durch Exportkontingentierungen, - unmittelbare Einwirkungen auf Angebot und Nachfrage über Ausgleichslager (buffer stocks). Diskutieren wir diese Vorschläge im einzelnen: Multilaterale Liefer- und Abnahmeabkommen Bei multilateralen Liefer- und Abnahmeabkommen verpflichten sich die rohstoffexportierenden Entwicklungsländer, im voraus vereinbarte Mengen bestimmter Rohstoffe zu einem ebenfalls vorher festgesetzten Höchstpreis zu liefern (sofern der tatsächliche Weltmarktpreis über diesem Höchstpreis liegen würde). Im Gegenzug verpflichten sich Industrieländer, diese vereinbarten Rohstoffmengen auch abzukaufen und zwar zu einem im vorhinein festgesetzten Mindestpreis, sofern der Weltmarktpreis unter den Mindestpreis sinkt. Innerhalb der dadurch festgelegten Bandbreite zwischen Mindest- und Höchstpreis können die Preise frei schwanken. In einer Skizze läßt sich das Verfahren wie folgt darstellen:
10
Vgl. hierzu auch J. B. DÖNGES, op. cit., S. 71ff.
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Kapitel 2: Stabilisierung der Exporterlöse
Abb. 2.7 Multilaterales Liefer- und Abnahmeabkommen
Die kontraktierte Menge sei OX, der Höchstpreis pH und der Mindestpreis pM Ist die Nachfragekurve durch DD gegeben, so ergibt sich bei einer Angebotskurve SS ein Einkommenstransfer der Industrie- an die Entwicklungsländer (gestrichelte Fläche in der Graphik unterhalb von pM). Liegt die Nachfragekurve bei D'D', ergibt sich ein umgekehrter Effekt: die Exporteure subventionieren die Importeure (gestrichelte Fläche in der Graphik oberhalb von pH), in diesem Fall wären die Industrieländer Gewinner solcher Vereinbarungen. Rechnen die Vertragsparteien mit einem hohen Gleichgewichtspreis, dann kämen die Importländer (meistens Industrieländer) schnell in die Transferzahlungszone. Bei niedrigem Gleichgewichtspreis ist der Sachverhalt umgekehrt. Komplikationen ergeben sich, wenn der festgelegte Preiskorridor stets über oder unter dem Gleichgewichtspreis liegt. In diesem Falle wären nur die Höchst- bzw. Mindest-
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preise relevant. Die Importländer müßten trotz fehlender Nachfrage weiterhin kaufen und die Exportländer können bei fehlendem Angebot weiter verkaufen. Ein solcher Zustand läßt sich langfristig nicht aufrechterhalten. Zum Preiskorridor müßten dann zusätzliche Export- und Importquoten für die einzelnen Länder festgelegt werden, wobei es schwierig sein wird, solche Quoten objektiv zu begründen. Eine Festschreibung historischer Größen kommt einer Bestrafung dynamischer Firmen und Länder gleich und würde den technischen Fortschritt und auch die wirtschaftliche Entwicklung sowie den Wettbewerb um effiziente Produktionsverfahren hemmen. Exportkontingentierungen: Bei Exportkontingentierungen wollen die Anbieter mit Hilfe von Exportbeschränkungen das WeltrohstofFangebot steuern. Hierfür sind zwei Möglichkeiten denkbar: Durch Verhandlungen können Preisspannen vorgegeben werden. Die Anbieter verpflichten sich, bei einem Überangebot die Exportmengen zu reduzieren und bei einer Übernachfrage die Exportmengen aufzustocken. Regelungen dieser Art finden sich im internationalen Zuckerabkommen und Kaffeeabkommen. Es ließen sich auch Mengenkontingente festlegen, wobei sich dann der jeweilige Preis auf dem Markt einpendeln würde. Solche Mengenkontingente wurden bisher aber nicht eingeführt. Die Funktionsfahigkeit solcher Abkommen hängt entscheidend davon ab, ob alle wichtigen Erzeugerländer beitreten. Außenseiter, die diesem Kartell nicht beitreten, könnten Nutznießer werden (Trittbrettfahrer). Die Funktionsfähigkeit solcher Abkommen wird erhöht, wenn auch die wichtigsten Importländer dem Abkommen beitreten, um das Außenseiterproblem zu reduzieren. Mengen und Preise müßten einigermaßen korrekt prognostiziert werden, damit solche Abkommen langfristig bestehen können. Allerdings wäre dann zu fragen, ob die Abkommen in diesem Fall notwendig wären.
100
Kapitel 2: Stabilisierung der Exporterlöse
Ausgleichslager (buffer stock-Abkommen): Bei Vereinbarungen über Ausgleichslager beeinflußt eine zentrale Institution Angebot und Nachfrage eines Rohstoffs. Das internationale Zinnabkommen (1954 - 1977), das internationale Kakaoabkommen (1973 - 1980) oder das internationale Kautschukabkommen (1979 - bis heute gültig11) sind Anwendungsbeispiele solcher Abkommen. Die Wirkungsweise läßt sich wie folgt erläutern:
Abb. 2.8 Angebots- und Nachfragefunktionen bei Ausgleichslagerabkommen
pH bzw. pM sollen die vereinbarten Höchst- und Mindestpreise darstellen. Sobald der Gleichgewichtspreis eine der Bandbreiten erreicht hat, muß die 11
Vgl. BMZ, Journalisten-Handbuch Entwicklungspolitik, 1993, Bonn 1992, S. 270.
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Ausgleichslagerbehörde intervenieren. Die Rohstoffiiachfrage ist am unteren und das Rohstoffangebot am oberen Interventionspunkt vollkommen preiselastisch. Inwieweit Ausgleichslager Preise zu stabilisieren vermögen, hängt von ihrer finanziellen Ausstattung ab. Je begrenzter die Mittel, desto geringer die Leistungsfähigkeit, gegen Markttendenzen zu intervenieren. So brach das Zinnabkommen zusammen, weil die vorgegebenen 23.000 Tonnen Zinn nicht ausreichten, den ansteigenden Weltmarktpreis künstlich niedrig zu halten. Solange Angebots- und Nachfrageschwankungen nur vorübergehender Natur sind, ließe sich eine solche Lagerhaltungspolitik erfolgreich betreiben. Schwieriger ist das nicht lösbare Problem der Trendfestlegung. Es ist wirtschaftlich kaum möglich, einen Preis unter- oder oberhalb des langfristigen Gleichgewichtspreises durchzusetzen. Erwähnt werden müssen auch die Kosten der Lagerhaltung (Lagerhaltungstechnik) und der Einfluß destabilisierender Spekulationen. Weltmarktpreise scheren immer wieder aus vereinbarten Bandbreiten aus. Um mögliche Trends einzufangen, sind gleitende Interventionspunkte vorgeschlagen worden, um solche Abkommen robuster zu gestalten. Dennoch bleibt das Prognose- und Außenseiterproblem kaum lösbar. Da die meisten Rohstoffabkommen die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllten und an der mangelnden Finanzierung scheiterten, hat das UNCTADSekretariat ein "integriertes Rohstoffprogramm" vorgeschlagen. Nach diesem Plan, der auf dem berühmten Keynes-Plan von 1942 basierte12, soll ein System von 18 internationalen Ausgleichslagem für folgende agrarische, mineralische und industrielle Rohstoffe gebildet werden: Baumwolle, Hartfaser, Jute, Kaffee, Kakao, Kautschuk, Kupfer, Tee, Zinn, Zucker, Aluminium, Bananen, Eisenerz, Phosphate, Palmöl, Sojabohnen, Fleisch und Mangan. Ein gemeinsamer Fonds soll die Finanzierung dieser Lager übernehmen. Man hoffte, daß sich die Märkte unterschiedlich entwickeln. Wenn der Fonds zur Intervention auf einem Markt Mittel benötigt, werden auf einem anderen Markt vielleicht Lagerbestände verkauft, so daß sich insgesamt ein geringerer Finanzierungsbedaif ergibt. Bei dieser Finanzierung spricht man vom ersten Fenster. Außerdem sollen Mittel für Forschung, Entwicklung und für Maßnahmen besserer Vermarktung sowie zur Diversifizierung der Rohstoffe zur Verfügung gestellt werden (zweites Fenster). In der öffentlichen Diskussion werden diese 18 Rohstoffe oft Nairobi-Rohstoffe genannt, weil sie auf der 4. UNCTAD-Konferenz von Nairobi (1976) diskutiert 12 Dieser Plan ist posthum 1974 im Journal of International Economics veröffentlicht worden.
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wurden. Bei diesen Kernrohstoffen bestreiten die Entwicklungsländer als Gruppe den größten Teil des Weltexports. Bei Kaffee, Kakao und Naturkautschuk sind die Entwicklungsländer die einzigen Anbieter. Über zwei Drittel der Exporterlöse dieser Länder stammen aus dem Verkauf dieser Kemstoffe, wobei Länder wie Chile, Sambia, Sri Lanka, Uganda und Zaire besonders betroffen sind. Auch hier gehört es zu den Erfolgsbedingungen, daß sich alle wichtigen Exportund Importländer beteiligen und ausreichende Mittel zur Verfugung gestellt werden. Die Bandbreite müßte unverzüglich an feststellbare Trends angepaßt werden, wobei wiederum eine Intervention gegen die Marktkräfte auf Dauer keinen Erfolg haben wird. Auswirkungen der Preisstabilisierung.· Bei allen Formen der Stabilisierung sollen zum Zwecke der Erlösstabilisierung die Preise auf konstantem Niveau gehalten werden. Hiergegen ist einzuwenden, daß nicht jede Preisstabilisierung mit einer Erlösstabilisierung einhergeht. So folgt bei angebotsbedingten Schwankungen aus einer Preisstabilisierung eine verstärkte Erlösfluktuation. Außerdem ist zu hinterfragen, ob die Preisstabilisierung nur eine zeitliche Glättung langfristig konstanter Einnahmen bedeutet oder ob eine Niveauvariation der Erlöse möglich ist. 13 Zwischen dem Stabilisierungsziel und dem erreichbaren Erlösniveau kann sich ein Zielkonflikt ergeben. Sind Preisschwankungen angebotsbedingt, dann können bei erfolgreicher Stabilisierung die Erlöse steigen, obgleich eine Zunahme der Instabilität der Exporterlöse zu erwarten ist. Der Sachverhalt läßt sich mit Hilfe von Angebots- und Nachfragekurven analysieren.
13
Vgl. zum folgenden auch J. B. DÖNGES, op. cit., S. 81ff.
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Abb. 2.9 Angebotsdeterminierte Schwankungen der Preise und Niveauauswirkungen
Bei frei schwankenden Preisen erzielen die Exporteure bei den Preisen P j und P2 mulitpliziert mit den jeweiligen Mengen X j und X2 folgende Erlöse, die durch graphische Flächen repräsentiert werden können. (F+G+H) bzw. (B+C+D+F+G) Im Falle der Stabilisierung der Preise auf einem mittleren Niveau belaufen sich die Gesamterlöse (pM multipliziert mit den jeweiligen Mengen X ^ und X ^ j ) für die Exporteure auf: (C+F) bzw. (C+D+E+F+G+H)
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Kapitel 2: Stabilisierung der Exporterlöse
Die Differenz zu den nicht preisstabilisierten Erlösen ergibt sich als: (C+E) - (B+G). Diese Differenz ergibt sich durch die Subtraktion der Flächen (F+G+H) sowie (B+C+D+F+G) von der Fläche (C+F+C+F+D+G+H+E). Je preisunelastischer Rohstoffangebot und -nachfrage, desto höher die Wahrscheinlichkeit, daß die Fläche (C+E) die Fläche (B+G) übersteigt. Durch die Stabilisierung der Preise können dann die Erlöseinnahmen zunehmen.
Abb. 2.10 Nachfragedeterminierte Preisschwankungen und Niveauauswirkungen
Anders verhält es sich bei nachfragebedingten Preisschwankungen. Eine erfolgreiche Preisstabilisierung fuhrt zwar zu einer Erlösstabilisierung, kann aber insgesamt Erlöseinbußen bringen. Ohne Preisstabilisierung ergeben sich die folgenden Gesamterlöse (Pj · X j + P2 X2):
Kapitel 2: Stabilisierung der Exporterlöse
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(D+E) + (B+C+D+E+F+G) Im Falle der Preisstabilisierung entsprechen die Erlöse dem doppelten Betrag von (C+D+E+F) bzw. 2 · (pSt · x S t ^ Als Differenz ergibt sich die Fläche (B+G) - (C+F), deren Wert positiv ist. Gemeinsame Interessen von Industrie- und Entwicklungsländern tun sich jetzt auf, da eine Stabilisierung verminderte Importausgaben beinhaltet, die jedoch verstetigt werden können. (Es werden geringere Exporte realisiert.) Die algebraischen Beispiele sind als Vereinfachungen der Realität zu verstehen, da aus Vereinfachungsgründen lineare Angebots- und Nachfragekurven verwendet und additive Verschiebungen unterstellt wurden. Eine erfolgreiche Preisstabilisierung hat nicht nur Auswirkungen auf das Niveau der Erlöse, sondern auch auf die Wohlfahrt der Weltgemeinschaft sowie der beteiligten Länder. Wohlfahrtsgewinne der Exportländer liegen vor, wenn die Produzentenrente bei Stabilisierung der Preise höher ist als bei Stabilisierungsverzicht. Für Importländer ergibt sich bei höherer Konsumentenrente ein Wohlfahrtsgewinn. Auch dieser Tatbestand soll mit Hilfe folgender Schaubilder erläutert werden. Unter der Annahme linearer Funktionen und additiver Verschiebungen können bei angebotsbedingten Schwankungen die Exportländer Gewinner und die Importländer Verlierer werden. Bei nachfragebedingten Schwankungen verhält es sich umgekehrt.
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Kapitel 2: Stabilisierung der Exporterlöse
Abb. 2.11 Wohlfahrtseffekte bei angebotsbedingten Preisschwankungen
In der Hausse ergibt sich in obigem Schaubild bei einer Angebotsschwankung eine zusätzliche Produzentenrente für die Entwicklungsländer von (C+D+E), bei einer Baisse ein Abzug von A. Da (C+D+E) Α übersteigt, steigt das Wohlfahrtsniveau dieser Länder im Zyklus an. Die Importländer stellen sich schlechter, da sie die Konsumentenrente (C+D) verlieren und bei einer Preisdämpfung (A+B) gewinnen.
Kapitel 2: Stabilisierung der Exporterlöse
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Abb. 2.12 Wohlfahitseffekte bei nachfragebedingten Preisschwankungen
Bei nachfragebedingten Schwankungen gewinnen die Rohstoffländer in der rezessiven Phase die Produzentenrente (D+E) und verlieren im Boom (A+B). Für die Importländer ergibt sich im Zyklus analog ein Wohlfahrtsverlust an Konsumentenrente von D und ein höherer Exportgewinn von (A+B+C). Soweit Entwicklungsländer Nettoexporteure von Rohstoffen sind, deren Preise aufgrund von Angebotsinstabilitäten schwanken, können sie ihre Wohlfahrt durch eine erfolgreiche Preisstabilisierung erhöhen. Bei Nachfrageinstabilitäten wäre eine Preisstabilisierung wohlfahrtstheoretisch jedoch nicht zu empfehlen. Beim Ziel der Erlösstabilisierung verhalten sich die Optionen gegensätzlich. Möglichkeiten, Grenzen und weltwirtschaftliche Konsequenzen solcher Eingriffe in den Marktmechanismus müssen untersucht werden. Die Erfahrungen der Wirtschaftsgeschichte zeigt, daß internationalen Rohstoffabkommen kaum
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Kapitel 2: Stabilisierung der Exporterlöse
dauerhafter Erfolg beschieden war. Verbraucher und Anbieter haben unterschiedliche Interessen: Während die Verbraucher niedrige Preise anstreben, wünschen die Produzenten höhere Preise.14 Die Entwicklungsländer versuchen, dieses Dilemma zu vertuschen, indem sie von "gerechten" und "angemessenen" Preisen sprechen, während die Ökonomik bekanntlich Gleichgewichtspreise anstrebt. Die von diesen Ländern gewünschten Eingriffe fuhren dazu, daß der Preis seine Lenkungsfunktion verliert und Gütermangel oder Überproduktion entsteht. Wie bereits erwähnt, läßt sich das Prognoseproblem ebenfalls nicht lösen, denn trotz verfeinerter ökonometrischer Methoden läßt sich der Preistrend langfristig nicht voraussagen. Für die meisten Rohstoffe gibt es überdies Substitutionsmöglichkeiten, so daß Preiserhöhungen, die über eine Verstetigung hinausgehen, zu langfristigen Nachfrageverlusten fuhren. Vernachlässigt werden oft auch die Kosten zur Finanzierung der Ausgleichslager. Ressourcen hierfür könnten alternativ effizienter verwendet werden. Bei vielen Rohstoffen liegen Angebotsinstabilitäten vor, so daß hohe Erlösschwankungen mit der Folge von Beschäftigungsschwankungen zu erwarten sind. In einer Studie des Kaffeemarktes von Kenia wurde festgestellt, daß der Wachstumsgewinn des Beitritts zum internationalen Kaffeeabkommen gering war. 15 Eine Untersuchung der "Caisse de Stabilisation" der Elfenbeinküste fuhrt zu ähnlichen Ergebnissen. Die Stabilisierung war technologieschädigend. In Zeiten hoher Einnahmen wurden öffentliche Mittel verschwendet. Die Stabilisierung demotivierte Investitionen und senkte die Risikobereitschaft.16 Eine Studie des Kupfermarktes kommt zu dem Ergebnis, daß eine Preisstabilisierung keinen Transfer vom Norden in den Süden hervorruft.17 Auch auf Verteilungsprobleme,
14 W. SCHUG kritisiert, daß die internationalen Rohstoffabkommen für die Verbraucherländer von agrarischen und mineralischen Rohstoffen keine Verstetigung und Verminderung der Preissteigerung erreichten. Marktinterventionen werden einseitig zur Sicherung von Mindestpreisen verwendet, so daß die Verbraucherländer an solchen Abkommen kaum Interesse haben dürften. Vgl. W. SCHUG, Die Bedeutung von internationalen Rohstoffabkommen für die Verbraucherländer von agrarischen und mineralischen Rohstoffen. ORDO 34 (1983), S. 169 191. 15 Vgl. G MCMAHON, Does a Small Developing Country Benefit from International Commodity Agreements? The Case of Coffee and Kenya, EDCC 35:2 (Januar 1987), S. 409 423. 16 Vgl. Ν. Β. RIDLER, The "Caisse de Stabilisation" in the Coffee Sector of the Ivory Coast, WD 16:12 (Dezember 1988), S. 1521 -1526. 17 Vgl. A. J. HUGHES HALLETT, Commodity Market Stabilization and "North-SouthIncome Transfers": An Empirical Investigation, JDevE 24:2 (Dezember 1986), S. 293 - 316.
Kapitel 2: Stabilisierung der Exporterlöse
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die durch eine Stabilisierung der Preise in Entwicklungsländern hervorgerufen werden, muß hingewiesen werden.
2.3 Stabilisierung durch kompensatorische Finanzierung Die behandelten Preisstabilisierungskonzepte leiden unter dem Prognoseproblem und den unsicheren Erlös- und Wohlfahrtseffekten. Statt Rohstoffpreisfluktuationen zu vermindern, sollen Exporterlösdefizite ausgeglichen werden. Dafür bieten sich zwei Möglichkeiten an: Für einzelne Rohstoffe kann es zwischen Entwicklungs- und Industrieländern Preiskompensationsabkommen geben, oder Exporterlösschwankungen werden durch Ausgleichszahlungen kompensiert. Der Vorteil beider Varianten liegt darin, daß nicht in die freie Preisbildung eingegriffen und dennoch das Ziel der Verstetigung der Exporterlöse erreicht wird. Preiskompensationsabkommen: Bei Preiskompensationsabkommen handelt es sich um ein Finanzierungsprinzip, das sich an normalen Handelsmengen und Standardpreisen orientiert, die zwischen Entwicklungs- und Industrieländern ausgehandelt werden. Liegt der Weltmarktpreis unter dem Standardpreis, zahlen die Industrieländer den Entwicklungsländern die Differenz. Preiskompensationsabkommen ähneln den internationalen Liefer- und Abnahmeabkommen. Liegen die vereinbarten Standardpreise über den Gleichgewichtspreisen, können diese Abkommen zu einem Vehikel öffentlicher Entwicklungshilfe werden. Nutznießer solcher Abkommen wären dann Entwicklungsländer, in denen viele Preise stark schwanken. Ordnungspolitisch ist es allerdings bedenklich, Entwicklungshilfe vom Ausmaß der Preiserlösschwankungen abhängig zu machen, weil dann keine konstante Wirtschaftspolitik durchgeführt werden kann. Bei kräftiger Angebotsausweitung und folglich sinkenden Gleichgewichtspreisen träte eine Kompensation selbst bei Erlössteigerungen ein. Mögliche Erlösminderungen können dann überkompensiert werden. Systeme der kompensatorischen Finanzierung Bei der kompensatorischen Finanzierung (Ausgleichsfinanzierung) werden sowohl die Preisfluktuationen als auch die Mengenfluktuationen berücksichtigt. Ein
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Entwicklungsland kann bei Ausgleichsfinanzierung ein Darlehen in Anspruch nehmen oder einen Transfer beantragen, wenn die Exporterlöse unter ein vereinbartes Niveau fallen. Das Darlehen wird zurückgezahlt, wenn die Einnahmen über ein Referenzniveau ansteigen. Bei Transfers entfällt eine Rückzahlungspflicht. Zwei Systeme dieser Art wurden bereits realisiert. So ermöglicht der IWF den Entwicklungsländern zusätzliche Sonderziehungsrechte unter bestimmten Voraussetzungen. Die STABEX-Regelung der Lome-Abkommen regelt eine solche Kompensierung zwischen den AKP-Staaten und der EG. Während das IWF-System die gesamten Exporterlöse umfasst, werden im STABEX nur die Erlösschwankungen von 49 (Lom6 IV) land- und forstwirtschaftlichen Produkten ausgeglichen. Beiden Systemen ist gemeinsam, daß sie ein Entwicklungshilfeelement enthalten, da Kredite zinsverbilligt zur Verfugung gestellt werden. STABEX enthält heute nur Zuschüsse, fur mineralische Produkte gibt es eine eigene SYSMIN-Regelung. Weitere Probleme können entstehen, wenn ein Entwicklungsland die Ausgleichsentschädigung auch dann erhält, wenn es durch eine falsche Wirtschaftspolitik (Verstaatlichung) den Exporterlösausfall selbst verschuldet hat. Wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen werden dann im Nachhinein honoriert. Zinsbegünstigte Darlehen und Zuschüsse können zudem in finanzpolitischer Konkurrenz zur Entwicklungshilfe stehen, so daß Entwicklungshilfeleistungen reduziert werden. Bei der kompensatorischen Finanzierung handelt es sich im Unterschied zur Kapitalhilfe um eine Liquiditätshilfe. Weitergehende Pläne der kompensatorischen Finanzierung zielen auf eine Stabilisierung der Importkapazität (income terms of trade), also der realen Exporterlöse, was von der UNCTAD angestrebt wird. Des weiteren ist sowohl für die Preiskompensationsabkommen als auch für Systeme der kompensatorischen Finanzierung zu hinterfragen, ob solche Abkommen als staatliche Aufgabe angesehen werden müssen. So haben gerade die Terminmärkte für mineralische Rohstoffe und auch für agrarische Produkte zu einer besseren Kalkulation der erwarteten Erlöse beigetragen und die Risiken von Preisschwankungen auf Banken oder andere private Investoren abgewälzt. Marktkräfte und Marktinnovationen wirken nicht per se destabilisierend, im Gegenteil wirkt eine Förderung dieser oft stabilisierend auf die jeweiligen Märkte.
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Die STABEX-Regelung im Rahmen der Lome-Verträge Bei den Lome-Verträgen handelt es sich im wesentlichen um Wirtschafts- und Finanzierungsabkommen, die zwischen der EG und den AKP-Staaten abgeschlossen werden. Bei den AKP-Staaten handelt es sich dabei um 69 Länder, die früher Kolonien der europäischen Staaten waren. 46 Staaten aus Afrika, 15 aus der Karibik und 8 aus dem pazifischen Raum gehören zu dieser Gruppe. 32 Länder der AKP-Gnippe gehören zu den ärmsten Entwicklungsländern. Das erste Lome-Abkommen, das das Yaounde-Abkommen ablöste, wurde am 28.02.1975 in der Hauptstadt Togos unterzeichnet und ist am 01.04.1975 in Kraft getreten. Lom£ IV, das gegenwärtig gültige Abkommen, wurde am 15. Dezember 1989 in Lom0 unterzeichnet und gilt fur zehn Jahre (bis zum Jahre 2000), wobei die Finanzierung allerdings erst fur fünf Jahre festgelegt wurde (zwei getrennte Finanzprotokolle mit Laufzeiten von jeweils 5 Jahren gehören zum Vertrag). Das erste Finanzprotokoll (1990-95) hat ein Volumen von 12 Mrd. ECU, wovon 10,8 Mrd. ECU auf den 7. Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) entfallen, aus dem auch STABEX finanziert wird. Das in den Verträgen festgelegte STABEX (Art. 186 - 212) läßt sich am besten als eine Art Versicherung "gegen schlechte Jahre" interpretieren. Ursprünglich sollten die Erlöse von 29 Produkten stabilisiert werden; Lom6 ΠΙ enthielt bereits 40 und Lome IV schließlich 49 agrarische Erzeugnisse. Durch STABEX sollen die Deviseneinnahmen fur die AKP-Staaten verstetigt werden. In Lomö I waren dafür 375 Mio ECU, fur Lome II 550 Mio ECU, fur Lome III 929 Mio ECU und fur Lom6 IV 1,5 Mrd. ECU veranschlagt. Die gegenwärtige STABEX-Regelung sieht folgendes vor: Die EG verpflichtet sich, Schwankungen der Exporterlöse der AKP-Staaten durch Ausgleichstransfers zu kompensieren. Die Schwankungen der Exporterlöse können sowohl durch Preis- als auch durch Mengenfluktuationen ausgelöst worden sein. Die finanziellen Ausgleichszahlungen sollen die Folgen der Exporterlösschwankungen glätten. Es werden also nur die Symptome schwankender Exporterlöse bekämpft. Eine solche Politik wirkt nur neutralisierend, beseitigt aber nicht die Ursachen der Fluktuationen.
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Kapitel 2: Stabilisierung der Exporterlöse
Was sind die Voraussetzungen fur den Transferanspruch nach STABEX? Die STABEX-Regelung findet nur dann Anwendung, wenn die Erlöse aus dem Export eines bestimmten Produktes am Gesamterlös aller Exporte eines Landes mindestens 5% ausmachen (Abhängigkeitsschwelle). Sie ist die zugrundeliegende Voraussetzung für die Anwendung des STABEX, wobei für weniger entwickelte Länder die Abhängigkeitsschwelle auf 1% gesenkt werden kann. Für jedes Produkt und für jedes AKP-Land werden jährliche Referenzniveaus ermittelt, die dem Durchschnitt der Exporterlöse der vergangenen vier Jahre entsprechen. Wenn die Exporterlöse in einem bestimmten Jahr um 5% niedriger liegen, dann kann das vom Einkommensverlust betroffene AKP-Land einen Finanztransfer bei der EG beantragen (Auslösungsschwelle). Die Referenzperiode im STABEX des Lome IV beträgt sechs Jahre, wobei der höchste und niedrigste Exporterlös bei der Durchschnittsbildung vernachlässigt wird. Das AKP-Land muß die gesamten Erlöseinbußen bei einem Produkt ermitteln. Es wird nicht nur der Handel mit den EG-Staaten berücksichtigt, sondern neuerdings die gesamten Exporteinnahmen des betreffenden Gutes. Einnahmeverluste dürfen allerdings nicht gezielt herbeigeführt worden sein. Ferner dürfen die Staaten keine diskriminierende Politik gegenüber der EG verfolgen. STABEX kompensiert auch nur tatsächliche Verluste. Erwartete Verluste sind demgegenüber nicht ausgleichsberechtigt. Transferanträge sind unzulässig, wenn der Rückgang der Erlöse auf diskriminierender Handelspolitik beruht und selbst verschuldet wurde. Über die Verwendung der Mittel entscheidet das AKP-Land eigenständig. STABEX wurde oftmals als historisches Abkommen gefeiert. Man fürchtete aber gleichzeitig, die Finanzmittel würden nicht ausreichen und der Spielraum der Märkte würde eingeengt. In den Allokationsmechanismus des Marktes wurde allerdings nicht eingegriffen. Wirtschaftspolitisch konnten so kontinuierliche Devisenzuflüsse ermöglicht werden. Kritiker des Systems bemängeln die fehlende Zweckbindung der finanziellen Mittel und den fehlenden Anreiz, eine stärkere Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur anzustreben. Man fürchtet eine Überbeanspruchung, da sich das System
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nicht selbst finanziert. Die neutralisierende Politik könnte auch dazu fuhren, daß notwendige ordnungspolitische Änderungen nicht durchgeführt werden. Oftmals wird auch behauptet, daß die Auswirkungen des STABEX gering, wenn nicht bedeutungslos waren. Es wird kritisiert, daß STABEX die Produktionsstruktur negativ beeinflußt, da die Weiterverarbeitung der begünstigten Erzeugnisse nicht gefördert wird. Dem häufig geäußerten Wunsch, die Exporterlöse real zu stabilisieren, wurde auch in Lome IV nicht entsprochen, da die EG der Meinung war, Inflation werde am besten regional bekämpft. Erstmalig wurden in Lome II zusätzliche Mittel für den Bereich mineralischer Ressourcen zur Verfugung gestellt. Für SYSMIN-Maßnahmen stehen aus dem 7. EEF 480 Mio ECU zur Verfugung. Bei einem Störfall (Katastrophen, Preisstürze) können Vorhaben und Programme der AKP-Staaten zur Rehabilitierung von Bergbauunternehmen und zu Zwecken der Diversifizierung damit finanziert werden, die den negativen Auswirkungen dieser Störungen entgegenwirken sollen. Eine kurze Gegenüberstellung von STABEX und dem IWF-System soll die Erörterungen abrunden: Beim IWF kann jedes Mitgliedsland Anträge stellen, STABEX beschränkt sich auf AKP-Staaten. Der IWF stabilisiert die Gesamterlöse eines Landes, STABEX die einzelnen Erlöse aus den berechtigten Erzeugnissen. Der IWF kompensiert die Differenz zwischen Bezugsniveau und den tatsächlichen Erlösen bis zur Höhe von 50% der Landesquote beim Fonds und berechnet Ziehungsgebühren. Innerhalb von fünf Jahren müssen die Staaten ihre Kredite zurückzahlen. STABEX hingegen gibt Zuschüsse. Die Gegenüberstellung zeigt, daß die Entwicklungshilfekomponente bei STABEX höher liegt als beim IWF. Angemerkt werden muß aber, daß der IWF keine Entwicklungshilfeinstitution ist, sondern nur helfen soll, Zahlungsbilanzschwierigkeiten zu überwinden.
2.4 Stabilisierung und Wachstum: Gibt es eine Korrelation? Chile ist in hohem Maße bei seinen Exporterlösen vom Kupferexport abhängig gewesen. In den sechziger und siebziger Jahren lag diese Abhängigkeit teilweise bei 70 %. Im November 1991 sank der Weltkupferpreis (in US$) an der Londoner Metallbörse um 25 % gegenüber dem Durchschnitt des Jahres 1980.
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Kapitel 2: Stabilisierung der Exporterlöse
Da die Währungsbehörden in Chile eine feste Parität zwischen dem chilenischen Peso und dem US$ aufrechterhielten, sanken die Exportpreise in chilenischer Währung um den gleichen Prozentsatz. Dieser Preisverfall hat zum Niedergang des chilenischen BIP von ca. 3 % beigetragen. Als weiteres Beispiel fur die wirtschaftlichen Folgen eines Landes durch Schocks auf den internationalen Märkten sei Sri Lanka angeführt. Sri Lanka erfuhr während der ersten Ölkrise (1973 - 1974) eine Erhöhung der Ölpreise um 300%, der Reispreis stieg um 100%, die Preise anderer Importe um ca. 15%. Die Weltmarktpreise fur das Exportgut Tee hingegen fielen um 10%, die Gummipreise sogar um 20%. Sri Lanka mußte in den Folgejahren einen Rückgang seines BSP von 20% bis 25% erdulden. Für diesen Rückgang waren allerdings nicht nur die gesunkenen Exporterlöse entscheidend. Es ist aber zu fragen, welche generellen Auswirkungen Erlösfluktuationen auf das potentielle Wachstum der Entwicklungsländer haben. Die empirischen Ergebnisse hierzu sind widersprüchlich.18 Im allgemeinen wird argumentiert, daß Unsicherheiten, die aus erratischen Einnahmefluktuationen resultieren, das Niveau der ökonomischen Aktivitäten senken. Eine interne Glättung der Konjunktur seitens der Regierungen bindet Ressourcen, die anderweitig produktiv eingesetzt werden können. Ein Entwicklungsland müßte entweder Ausgleichslager oder höhere Devisenreserven halten. Hängen vom Außenhandel auch die Staatseinnahmen ab, kommt es zu weiteren destabilisierenden Einflüssen auf die Wirtschaft, die durch Defizitfinanzierung zusätzliche Zahlungsbilanzprobleme aufwirft. MacBean fand heraus, daß Exportinstabilitäten keinen Einfluß auf das Wachstum in Entwicklungsländern hätten. Die Industrieländer seien zudem stärker vom Export abhängig als Staaten der Dritten Welt. Das Verhältnis der Abhängigkeit ermittelte er als 52,7%:46,6%. Dieses Ergebnis von MacBean wurde von Kenen und Voivodas in einer größeren Studie bestätigt.19 Demgegenüber fand Glezakos20, daß die Instabilitäten der 18
Vgl. L. STEIN, Export Instability and Development: Α Review of Some Findings, BNL 122 (September 1977), S. 279 - 290. 19 Vgl. P. B. KENEN/C. S. VOIVODAS, Export Instability and Economic Growth, Kyklos 25:4(1972), S. 791 -804. 20 C. GLEZAKOS, Export Instability and Economic Growth. Α Statistical Verification, EDCC (Juli 1973), S. 670 - 678.
Kapitel 2: Stabilisierung der Exporterlöse
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Exporterlöse für Entwicklungsländer verheerende Folgen für das Wachstum haben. Knudsen und Pames 21 argumentieren unter der Annahme der permanenten Einkommenshypothese, daß die Exportinstabilität wachstumsfördernd sei, da die Konsumquote zurückgehe. In Einzeluntersuchungen fand MacBean heraus, daß in Uganda, Tansania und Puerto Rico keine negativen Einflüsse zu entdecken waren. In Pakistan und Chile dagegen waren geringe Einflüsse auf die Wachstumsraten feststellbar. Er formulierte die These, daß im allgmeinen keine negativen Auswirkungen der Exportinstabilitäten auf das Wachstum der Entwicklungsländer zu erwarten seien. Für individuelle Länder können die Ergebnisse anders aussehen. Begründet werden die empirischen Ergebnisse damit, daß der Exportsektor fur viele Entwicklungsländer nur einen modernen Sektor darstelle, der mit dem Rest der Wirtschaft nicht verknüpft sei (neutraler Sektor). Demzufolge können vom Exportsektor keine negativen Impulse ausgehen. Die Exporterlösschwankungen können sich gar nicht auf die Binnenwirtschaft auswirken. Lachieri22 kommt in einer umfangreichen empirischen Untersuchung zu folgenden differenzierten Ergebnissen: - Der Grad der Instabilität der Exporterlöse nahm in den beiden Perioden 1950 1961 und 1961 - 1972 für Entwicklungsländer nicht ab! - Für Industrieländer sank der Grad der Instabilität, der in der zweiten Periode ca. die Hälfte der Instabilitäten der Entwicklungsländer ausmachte. - In beiden Perioden hatten ein Fünftel der Entwicklungsländer Exporterlösschwankungen zwischen +/- 16% und +/- 60%, ein Niveau, das von den Industrieländern nicht erreicht wurde. - Eine hohe Korrelation zwischen dem Grad der Instabilität und a) der Größe des Landes, gemessen am BSP, b) der Höhe der Exporte, c) dem Entwicklungsniveau (PKE) und der Wachstumsrate des BSP wurde für die Jahre 1961 - 1972 für Entwicklungsländer festgestellt. Eine höhere Exportinstabilität wurde für kleinere Länder, Länder mit niedrigen Exporten sowie für weniger entwickelte Länder mit einer niedrigen Wachstumsrate festgestellt. 21
O. KNUDSEN/A. PARNES, Trade, Instability and Economic Development, Lexington 1975. 22 Ε. LACHIERI, Export Instability and Economic Growth: A Re-Appraisal, BNL 125 (Juni 1978), S. 135 - 152.
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Kapitel 2: Stabilisierung der Exporterlöse
- Zwischen dem Grad der Instabilität der Exporterlöse und den Wachstumsraten der Exporte sowie den Investitionen wurden für Entwicklungsländer keine signifikanten Korrelationen festgestellt. Exporterlösfluktuationen sind demnach ein ökonomisches Phänomen, das hauptsächlich ärmere Staaten trifft und fur diese Länder stark negative Auswirkungen auf das Wachstum hat. Es handelt sich hierbei aber um eine statistische Betrachtung, die keine Auskunft über die Wirkungsweise der Instabilitäten gibt. Im Detail müßte der Transmissionsmechanismus der Instabilitäten offengelegt werden. Es muß gefragt werden, wieso es zu dieser "Bremsfunktion" der Instabilität kommt. Da zu vermuten ist, daß weniger die Höhe, sondern mehr die Struktur der Investitionen eine Rolle spielt, müßte demzufolge untersucht werden, wie die einzelnen Investitionen finanziert werden und wie hoch ihr Importgehalt ist. Ferner müßte die Frage untersucht werden, inwieweit Exportfluktuationen zu Veränderungen der Importstruktur fuhren. Auch auf die Verzögerungsstrukturen (lags) müßte intensiver eingegangen werden.23 Lam hat sogar nachweisen wollen, daß Exportinstabilitäten und Exportwachstum hoch positiv miteinander korreliert sind, was er anhand der wirtschaftlichen Entwicklung der Staaten des westlichen Pazifik untersucht. Er folgert daraus jedoch eine umgekehrte Kausalitätsrichtung: "This oberserved relationship ... appears to imply that overall stability in merchandise proceeds could be a matter of greater concern to LDCs as it apparently indicates poor export, and hence economic, growth performance." (S. 112). Ihm ist jedoch in seiner Untersuchung ein methodischer Fehler unterlaufen. Den Instabilitätsindex definiert er als Standardabweichung, die mit Hilfe des Mittelwertes normalisiert wurde. Ein Instabilitätsindex muß aber so gewählt werden, daß der Trend keine Rolle spielt. Da er ihn nicht herausrechnete, fuhren quadrierte Abweichungen vom Trend zu überproportional ansteigenden Instabilitäten. So ist es nicht verwunderlich, daß Hongkong, Korea und Taiwan, Länder mit hohem Wachstum und steigenden Export23 Die Frage nach der Korrelation zwischen den Exportinstabilitäten und dem Entwicklungspfad ist in letzter Zeit verstärkt untersucht worden. Vgl. Ν. V. LAM, Export Instability, Expansion and Market Concentration: A Methodological Interpretation, JDevE 7:1 (März 1980), S. 99 - 116; C. MORAN, Export Fluctuations and Economic Growth: An Empirical Analysis, JDevE 12:1/2 (February/April 1983), S. 195 - 218; G. TAN, Export Instability, Export Growth and GDP Growth, JDevE 12:1/2 (1983), S. 219 - 228; C. GLEZAKOS, Instability and the Growth of Exports. A Misinterpretation of the Evidence from the Western Pacific Countries, JDevE 12 (1983), S. 229 - 236; G. FEDER, On Exports and Economic Growth, JDevE 12:1/2 (Februar/April 1983), S. 59 - 74; P. L. BROCK, Export Instability and the Economic Performance of Developing Countries, JEDynC 15:1 (Januar 1991), S. 128 - 147.
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einnahmen, in der Lam-Studie an die Spitze der instabilen Länder treten. Von daher sind seine empirischen Ergebnisse und Schlußfolgerungen anzuzweifeln. Kürzlich hat Moran in einer empirischen Analyse die Beziehungen zwischen der Exportfluktuation und dem wirtschaftlichen Wachstum erneut untersucht. Er kommt dagegen zu dem Ergebnis, daß die Exportinstabilitäten keinen Einfluß auf das Wachstum unterentwickelter Volkswirtschaften haben. Seine von ihm vorgetragenen Ergebnisse halten der Überprüfung auch dann stand, wenn verschiedene Definitionen der Exportinstabilitäten verwendet werden. Allerdings ändern sich die Ergebnisse, wenn eine unterschiedliche Zeiteinteilung erfolgt. Wird zwischen der Periode 1954 - 1966 und 1966 -1975 unterschieden, dann fallt auf, daß in der ersten Periode eine negative Korrelation zwischen der Variabilität der Exporterlöse und den Wachstumsraten gesichert ist. Dies gilt in der zweiten Periode nicht mehr. Auch verhalten sich Mengen- und Preisänderungen unterschiedlich. Moran zeigt, daß Preisänderungen einen negativen Einfluß auf das Wachstum der Entwicklungsländer haben. Der negative Effekt in der ersten Subperiode erklärt sich daraus, daß Mengen- und Preiseffekte in jener Zeit in die gleiche Richtung gingen. In der zweiten Subperiode hingegen laufen die Effekte entgegengesetzt und gleichen sich somit aus, so daß keine nennenswerten makroökonomischen Auswirkungen beobachtet werden konnten.24 In einem stochastischen "optimal control"-Ansatz hat Brock in einem Maximierungsmodell mit risikoaversen Agenten die intertemporalen Auswirkungen von Instabilitäten auf Konsum, Ersparnisse und Investitionen untersucht. Er zeigt, daß Exportschwankungen Investitionen und Kapitalstock negativ beeinflussen. Der marginale Kapitalkoeffizient ist mit dem Maß der Exportschwankung ebenfalls negativ korreliert. Die Ergebnisse von Knudsen und Parnes resultieren aus der Rolle des Einkommenrisikos als Beeinflussungsfaktor der Exportschwankungen auf Ersparnisse. Die Ergebnisse Morans erklären sich aus der Betonung des Kapitalrisikos, so daß Exportschwankungen negativ mit der Sparquote korreliert sind. Nicht die Beziehungen zwischen Exportschwankungen und Wachstum, sondern zwischen Exporterlösschwankungen und der Höhe des Volkseinkommens ist entscheidend. Damit bestätigt Brock Ergebnisse von Lachieri, dessen Arbeit er wohl nicht kennt.
24 Um welche Art von Angebots- bzw. Nachfrageschwankungen handelt es sich demzufolge hierbei?
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Der Frage, welche Bedeutung die ökonomische Entwicklung auf die beobachteten Exporterlösinstabilitäten hat, geht Mullor-Sebastian in ihrer Untersuchung über die Bedeutung des Grades der ökonomischen Entwicklung auf die Exporterlösinstabilität nach. 25 In ihrer Studie wird die Exporterlösinstabilität in Beziehung gesetzt zur Theorie des Produktzyklus und mit den Vorstellungen der komparativen Kostenvorteile verbunden. Die Exporterlösschwankungen werden dahingehend erklärt, daß über den Lebenszyklus von Produkten hinweg die Entwicklungsländer zuerst Residualanbieter sind. Im Laufe ihrer industriellen Entwicklung und Etablierung auf den Märkten sinkt der Instabilitätsgrad. Industriestaaten haben bei Wachstumsprodukten einen komparativen Vorteil, Entwicklungsländer bei den sogenannten reifen Produkten. Erst wenn der Vorsprung gegenüber den Industriestaaten in der Produktion der Güter abgebaut wurde und sie in der Lage sind, über Marketing- und Dienstleistungen ihr Produkt weltweit anzubieten, verbessern sich ihre Wettbewerbschancen. Je geringer der Entwicklungsstand eines Landes, desto stärker muß es standardisierte Produkte anbieten, wodurch sich die Exporteinnahmenschwankungen erklären. Die empirische Analyse bestärkt die Vermutung, daß die Entwicklungsländer als Residualanbieter auftreten. Die Exporterlösschwankungen erklären sich in ihrer Analyse aus der Nachfrageseite. Mullor-Sebastian untersucht ihre These am Fasermarkt. Natürliche Rohfasem (Baumwolle und Wolle) gelten als Agrarprodukte und werden traditionell hauptsächlich von Entwicklungsländern angeboten. Synthetische Fasern gelten als Produkte der chemischen Industrie und werden als Wachstumsprodukte gedeutet. Bei natürlichen Fasern beobachtetet man einen hohen Wettbewerb, der synthetische Fasermarkt ist oligopolistisch geprägt. Beide Faserarten dienen dem gleichen Konsum, was hohe Substitutionsmöglichkeiten eröffnet. Empirisch wird anhand von fünf Ländergruppen ihre These untermauert: Die am wenigsten entwickelten Entwicklungsländer bieten nur Rohfasern an (Guatemala, Pakistan, Paraguay, Sudan); Länder, die sich schon auf dem Weg der Entwicklung befinden, bieten zusätzlich synthetische Fasern an (Argentinien, Brasilien, Ägypten, Mexiko, Peru, Thailand, Türkei). In einer dritten Gruppe werden die Schwellenländer Korea und Taiwan zusammengefaßt. Die vierte Gruppe bilden Exporteure synthetischer Fasern (Australien, Deutsch25
Vgl. A. MULLOR-SEBASTIAN, A new Approach to the Relationship between Exportinstability and Economic Development, EDCC 36:2 (Januar 1988), S. 217 - 236.
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land, Italien, Japan, Niederlande, Vereinigtes Königreich, USA). Eine fünfte Gruppe bilden Industrieländer, wie Australien und USA, die zusätzlich zu den synthetischen Produkten auch natürliche Fasern anbieten. Die letzte Gruppe gilt als Untergruppe der Gruppe IV. Mullor-Sebastian kann ihre Vermutung erhärten, daß Entwicklungsländer und Industriestaaten nicht in gleicher Weise von Exporterlösinstabilitäten erfaßt werden. Länder, die ihr Angebot diversifizieren, können anfanglich Instabilitäten erfahren, wenn sie nicht sofort ihre Exporte der reifen Produkte vorantreiben. Langfristig nehmen die Exporterlösinstabilitäten ab, wenn sich das Land auf den internationalen Märkten behauptet hat. Mit ihrer Studie widerspricht sie der allgemeinen Annahme, daß die Exporterlösinstabilitäten von Industrieprodukten für Entwicklungs- und Industriestaaten gleich sind und daß die Exporteure aller Entwicklungsländer gleiche Instabilitätsgrade aufweisen. Exporterlösinstabilitäten sind für einzelne Gruppen in einzelnen Ländern unterschiedlich, in Abhängigkeit vom erreichten Industrialisierungsgrad. Hewitt26 arbeitet in seinem Artikel über die Wirkungen des STABEX-Abkommens heraus, daß Rohstoffabkommen nur begrenzt geeignet sind, die Exporterlöse zu stabilisieren. Durch die einseitige Förderung bestimmter Produkte wird die binnenländische Produktion der Entwicklungsländer verzerrt, die handelsverzerrenden bzw. -umlenkenden Effekte verstärkt und das relativ hohe Zuschußelement beim STABEX-System, das nicht an einen Armutsindikator gebunden ist, bewirkt, daß auch den AKP-Staaten nicht wirkungsvoll geholfen werden konnte.
2.5 Das internationale Zinnabkommen - eine kritische Würdigung Das internationale Zinnabkommen (IZA) ist eines der langlebigsten Rohstoffabkommen gewesen.27 Es wurde zwischen einigen osteuropäischen Ländern und allen wichtigen, nichtkommunistischen Produzenten- und Konsumentenländern geschlossen. Nur die USA waren nicht Mitglied. Seit 1956 war es in Kraft, wobei 26
Vgl. A. P. HEWITT, "STABEX and Commodity Export Compensation Schemes: Prosoects for Globalisation", in: WD 15:5 (May 1987), S. 617-631. 27 Vgl. G. W. SMITH/G. R. SCHINK, The International Tin Agreement: A Reassessment, EJ 680 (Dezember 1976), S. 715 - 728; ebenfalls: R. W. ANDERSON/C. L. GILBERT, Commodity Agreements and Commodity Markets: Lessons from Tin, EJ 98 (März 1988), S. 1 - 15.
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Kapitel 2: Stabilisierung der Exporterlöse
es sechs Folgeabkommen gab. Am 24. Oktober 1985 brach es schließlich mit einem Schuldenstand von 300 Mio Pfund Sterling zusammen. Die ersten vier Fünf-Jahresabkommen lassen eine positive Bewertung des Abkommens zu. Smith und Schink erklären den Erfolg wie folgt: 1) Für die geringen Preisfluktuationen waren in erster Linie die strategischen Reserven der USA entscheidend, die außerhalb des IZA marktregulierend eingesetzt wurden. Das IZA selbst hat hingegen die Preisfluktuationen nur in geringem Maß reduzieren können. 2) Solange es unbedeutend war, hatte das IZA Bestand. Die USA hielten 1960 360.000 Tonnen Zinn auf Lager. Sie strebten einen Vieijahresvorrat an, da Zinn in den USA nicht gefördert wurde. Das IZA dagegen hatte nur Ausgleichslager in Höhe von max. 15.000 Tonnen. Meist waren die Reserven aber geringer als 1.000 Tonnen. Von 1959 - 1974 verkauften die USA 120.000 Tonnen, die sie in geringen Mengen von 20.000 bis 25.000 Tonnen jährlich auf den Markt brachten und damit 15% des Weltverbrauchs abdeckten. Die jährlichen stetigen Zinnabgaben sind durch das Bemühen zu erklären, die Zinnproduzenten nicht zu verärgern. Der Konflikt zwischen Verbraucher- und Produzentenländern konnte durch dieses Verhalten der amerikanischen Regierung lange Zeit neutralisiert werden. 3) Die Weltnachfrage nach Zinn stieg kontinuierlich an. Von 1960 mit einem Verbrauch von 160.000 Tonnen stieg sie 1976 auf 202.400 Tonnen an. Dieser Aufwärtstrend, verbunden mit den Verkäufen der USA, erlaubte das Bestehen des IZA für einen längeren Zeitraum. In den Jahren des größten Nachfragebooms (1964, 1966, 1974) waren die Ausgleichslager leer. Nur von 1957 - 1960 wurden den Produzenten Exportquoten zugeteilt, weil in jener Zeit die UdSSR große Mengen Zinn auf den westlichen Märkten verkauften. Die Zinnregelung des IZA sah vor, daß der zuständige Manager fur die Zinnbevorratung bei Preisen außerhalb der vereinbarten Bandbreite kaufen bzw. verkaufen mußte. Das Band selbst war in drei Bereiche untergliedert. Im obersten und im unteren Drittel konnte der Manager verkaufen bzw. kaufen, während er für das mittlere Drittel die Zustimmung eines sog. Zinnrates benötigte.
Kapitel 2: Stabilisierung der Exporterlöse
121
Die Reserven der USA hatten während der ersten vier Abkommen also die Glättung verursacht und nicht die kaum vorhandenen Reserven des bufferstocks, die für eine notwendige Stabilisierung viel zu gering gewesen waren. Hätte das IZA eine Stabilisierung durchführen müssen, wären Läger von mehr als 100.000 Tonnen Zinn notwendig gewesen, das Vierfache der vorgesehenen Menge und ein Mehrfaches der tatsächlichen Vorräte. 1976 kam es zu einem Einbruch bei der weltweiten Nachfrage nach Zinn. Während der elf Jahre des fünften und sechsten IZA sank der Konsum (bspw. zwischen 1981 und 1985) um 14%. Die abnehmende Konsumnachfrage war das Ergebnis von SubstitutionsefFekten und dem geringen weltweiten Industriewachstum. Die Mitglieder erhöhten während dieser Zeit aber ihre Produktion. Das IZA versuchte, als Monopolist an überhöhten Preisen festzuhalten, was schließlich zum Kollaps des IZA im Oktober 1985 führte. Da die finanziellen Mittel zum Aufkauf von Zinn nicht ausreichten, versuchten die Verantwortlichen, auf Terminmärkte auszuweichen. Auf diesen Terminmärkten übernahm das IZA nur Zinsen und Gebühren, die Lagerkosten wurden damit auf die Privaten abgewälzt. Dadurch erschienen die Vorräte (Lagerhaltung) nicht in der Bilanz des IZA, da Private die Lager hielten. Die zu kontrollierende Menge konnte also erhöht werden. Allerdings führte dies dann langfristig zur Zahlungsunfähigkeit, weil auf den Terminmärkten die Preise für Zinn fielen und der erhöhte Vorrat dadurch mehr und mehr an Wert verlor. Der Zinnmarkt zeigt eindrucksvoll, daß es nicht ratsam erscheint, langfristig staatlicherseits gegen Preistrends zu intervenieren, selbst wenn eine internationale Koordination sichergestellt ist. Das Prognoseproblem, das Finanzierungsproblem, die Möglichkeit spekulativer Attacken, dies spricht für eine marktwirtschaftliche Koordination und private glättende Spekulation und gegen ein international abgestimmtes Eingreifen im Rahmen von bufferstock-Vereinbarungen.
Kapitel 3 Das Problem der realen Austauschverhältnisse
Obgleich die Außenhandelstheorie zu dem Ergebnis kommt, daß eine internationale Arbeitsteilung die Wohlfahrt aller Beteiligten erhöht, kann diese Aussage nicht dahingehend interpretiert werden, daß alle Nationen immer im gleichen Ausmaß von den Früchten der internationalen Arbeitsteilung profitieren müssen. So mag der Grad der Monopolisierung auf den Gütermärkten in den Industrieländern höher liegen als in den Entwicklungsländern, die Wettbewerbsintensität auf den Arbeitsmärkten in den Industrieländern mag niedriger sein als in den Entwicklungsländern. Auch die Einkommenselastizität der Weltnachfrage für Primärgüter, die noch den größten Anteil an den Exporten vieler ärmerer Länder ausmacht, ist niedriger als die Nachfrageelastizität der Industriegüter, so daß es zu abnehmenden "terms of trade" der Entwicklungsländer kommen kann. Bevor wir das Problem der sich verschlechternden Austauschverhältnisse diskutieren, müssen wir aber zunächst den Begriff "terms of trade" untersuchen.
3.1 Das Konzept der "terms of trade" Das reale Austauschverhältnis von Gütern und Dienstleistungen im Außenhandel (terms of trade) kann auf verschiedene Weise definiert werden. Die zwei gebräuchlisten terms of trade-Konzepte sind die "commodity terms of trade" und die "income terms of trade". Unter den commodity terms of trade versteht man das Verhältnis des Index der Exportgüterpreise zum Index der Importgüterpreise: ctot = Ρχ/Ριη Der Kehrwert der commodity terms oftrade wird oftmals als "net barter terms of trade" bezeichnet. Die commodity terms of trade sind fur die Bewertung internationaler realer Austauschverhältnisse allerdings die gebräuchlichere Größe. Um die Importkapazität eines Landes auszudrücken, bedient man sich der income terms of trade. Bei diesem Konzept werden nicht nur die Exportgüterpreise, sondern auch die Exportmengen berücksichtigt. Sinken die Export-
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Kapitel 3: Das Problem der realen Austauschverhältnisse
güterpreise, so kann die dadurch gesunkene Importkapazität durch eine größere Verkaufsmenge kompensiert werden. Man erhält den income terms of tradeIndex, indem man den commodity terms of trade-Index mit dem Exportmengenindex multipliziert. itot = (ΡχΌχ)/Ρ m Die Exporterlöse werden also den Importpreisen gegenübergestellt. Bei ausgeglichener Leistungsbilanz entspricht eine Veränderung der income terms of trade c.p. der Veränderung der Menge der Importe. Commodity terms of trade können demzufolge sinken, während die income terms of trade steigen, da eine Mengenerhöhung den Wert der Exporte stärker erhöhen kann als eine Exportpreissenkung ihn vermindert. Die o.g. terms of trade-Konzepte bezogen sich allein auf den Austausch von Gütern und Dienstleistungen. Bei hohen Produktivitätssteigerungsraten ist es aber möglich, daß das eingesetzte Faktorbündel zum Kauf einer bestimmten Menge Importe kleiner geworden ist, als es dem Ausdruck der commodity terms of trade entspricht. Werden auch die Produktivitätsänderungen des Auslandes berücksichtigt, müssen wir auf die faktoralen Austauschverhältnisse zurückgreifen. Sie geben an, inwieweit ein inländisches Faktorbündel im Zeitablauf mehr oder weniger ausländische Faktorbündel erwerben kann. Hierbei wird zwischen zweiseitigen (doppelten) faktoralen Austauschverhältnissen (double factoral terms of trade), bei denen die inländischen und die ausländischen Produktivitätsfortschritte berücksichtigt werden, und den einseitigen faktoralen Austauschverhältnissen (single factoral terms of trade), die nur die Produktivitätsveränderung des Exportsektors einbeziehen, unterschieden. Da diese Meßziffern jedoch schwierig zu ermitteln sind, sind sie mehr von theoretischem als von praktischem Interesse. Sehen wir uns im folgenden nun den zeitlichen Verlauf der ctot an. Wenn wir die commodity terms of trade des Jahres 1987 mit dem Index 100 festsetzen, so erhalten wir für einige Länder bzw. Ländergruppen die folgenden Entwicklungen:
Kapitel 3: Das Problem der realen Austauschverhältnisse
Tabelle 3.1 Commodity terms of trade ausgewählter Länder (1987 = 100)1 Land/Ländergruppe Länder mit niedrigem Einkommen Länder mit mittlerem Einkommen darunter: Länder der oberen Einkommenskategorie darunter Länder der mittleren Einkommenskategorie Afrika süd. der Sahara Ostasien u. Pazifik Südasien Europa, Zentralasien Naher Osten und Nordafrika Lateinamerika/Karibik Nigeria Mauritius Sierra Leone Türkei Algerien Mexiko Brasilien Kolumbien Paraguay Bolivien Indien Sri Lanka Deutschland (West) Schweiz Japan 1
ctot 1985
ctot 1991
106
94
109
103
117
105
109 107 96 97 94 129
103 87 108 86 108 95
111 167 83 106 82 174 133 92 140 108 167 96 103 82 86 71
105 82 104 116 108 95 100 119 84 117 73 100 87 95 96 99
Quelle, Weltbank, Weltentwicklungsbericht 1993, Tab. 14.
125
126
Kapitel 3: Das Problem der realen Austauschverhältnisse
Ein Blick auf die Daten zeigt, daß die These sinkender realer Austauschrelationen der Entwicklungsländer in der jüngsten Vergangenheit für viele, aber nicht für alle Länder zu beobachten ist. Seit dem Abfall der Erdölpreise hat es insbesondere eine Verschiebung der terms of trade zu Ungunsten der erdölexportierenden Staaten gegeben. Die commodity terms of trade sind jedoch nur ein bedingt tauglicher Maßstab, um die durch den Handel bedingte Änderung der Kaufkraft (als Importkapazität) zu beurteilen, da sie nicht mit einer Verschlechterung der income terms of trade gleichgesetzt werden dürfen. Ein Blick auf die Entwicklung der Importkapazitäten der Entwicklungsländer verdeutlicht dies.
Tabelle 3.2 Importkapazität der Entwicklungsländer (1970 = 100)2 Ländergruppe Entwicklungsländer ohne Erdölexporteure Alle Entwicklungsländer Erdölexporteure Am wenigsten entwickelte Länder Sonstige Länder Industrieländer
itot 1960 59
itot 1970 100
itot 1975 113
itot 1978 148
58
100
176
204
54 70
100 100
318 108
201 128
59 42
100 100
108 121
128 150
Aus Tab. 3.2 wird deutlich, daß die income terms of trade tendenziell gestiegen sind und somit wachsende Impoitkapazitäten entstanden sind. Die Importkapazitäten der Entwicklungsländer ohne ölexportierende Staaten haben sich im Durchschnitt von 1960 bis 1978 auf das Zweieinhalbfache erhöht. Die Industrieländer waren sogar in der Lage, ihre Importkapazität auf das Dreieinhalbfache zu erhöhen. Bei sinkenden commodity terms of trade konnten einige Entwicklungs-
2 Quelle: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Herausforderung von Aussen, Jahresgutachten 1979/80, Stuttgart, Mainz, 1979, S. 176.
Kapitel 3: Das Problem der realen Austauschverhältnisse
127
länder mittels kräftiger Ausweitungen ihrer Exportmengen ihre income terms of trade deutlich verbessern. Für einige ausgewählte Länder soll die unterschiedliche Entwicklung der ctot und der itot in der Periode 1970 bis 1987 (1980 = 100) nun noch einmal getrennt veranschaulicht werden3:
Kolumbien
Im Falle Kolumbiens haben wir es mit langfristig nahezu konstanten ctot zu tun. Die itot sind allerdings im Trend angestiegen. Dies ist auf die relativ erfolgreiche kolumbianische Strategie der Exportförderung zurückzufuhren. Zum einen konnte so die Abhängigkeit von einigen wenigen Exportprodukten (Kaffee) abgebaut, zum anderen durch das wenig diskriminierende Außenhandelsregime die exportierten Mengen deudich gesteigert werden. Kolumbiens Beispiel zeigt auch, daß Rohstoffexporteure nicht notwendigerweise mit ungünstigen ctot konfrontiert sein müssen.
3
R. REICHEL, Markt oder Moral?, Frankfurt, 1994, S. 94 - 96.
Kapitel 3: Das Problem der reakn Austauschverhältnisse
Nigeria
70
75
80 CToT
85
WS, IToT
Der weitgehend parallele Verlauf der ctot und der itot spiegelt die Erdölpreisentwicklung wider und zeigt, daß es Nigeria in der Zeit fallender Ölpreise nicht gelungen ist, über Mengensteigerungen die itot zu verbessern, geschweige denn die Exportbasis zu verbreitern. Die ineffiziente Verwendung der Öleinnahmen bewirkte darüberhinaus in der zweiten Hälfte der 80er Jahre eine explosionsartig ansteigende Verschuldung und stürzte die nigerianische Wirtschaft in eine tiefe Rezession.
Kapitel 3: Das Problem der realen Austauschverhältnisse
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Bangladesch 3001
70
75
80 CToT
85
Η IToT
Nahezu konstante ctot und itot zeigt Bangladesch, obwohl das Land noch immer zu den vorwiegend Rohstoffe exportierenden Ländern gehört. Erklärt werden kann diese relativ günstige Entwicklung vor allem mit (wenn auch größenordnungsmäßig bescheidenen) Erfolgen bei der Etablierung einer textilverarbeitenden Industrie, die durchaus Exporterfolge aufweisen kann.
130
Kapitel 3: Das Problem der realen Austauschverhältnisse
Thailand 200
70
75
80 CToT
85
E U IToT
Die thailändische Erfahrung gleicht tendenziell der Erfahrung anderer südostasiatischer Entwicklungsländer wie Taiwan oder Korea, die ebenfalls bei sinkenden ctot stark steigende itot zu verzeichnen hatten. Auslöser dieser Entwicklung war in diesen Fällen eine enorme Steigerung der Außenhandelsverflechtung, verbunden mit wirksamer Exportdiversifizierung und einer Umstellung des Exportgütersortiments auf Güter der verarbeitenden Industrie.
3.2 Terms of trade-Entwicklungen in einem einfachen Makromodell Mit Hilfe eines einfachen theoretischen Modells soll nun die These von der Verschlechterung der Austauschverhältnisse systematisch analysiert werden.4 Hierbei wird von zwei Ländern ausgegangen, die sich vollständig spezialisiert Vgl. hierzu: H. HESSE/H. SAUTTER, Entwicklungstheorie und -politik, Bd. 1: Entwicklungstheorie, Tübingen/Düsseldorf 1977, S. 78 ff.
4
Kapitel 3: Das Problem der realen Austauschverhältnisse
131
haben und miteinander Handel treiben. Land Α produziere Gut 1 und Land Β produziere Gut 2. Das Gut 2 des Landes Β gelte als numeraire. Für die Volkseinkommen erhalten wir demzufolge: (1)
YA = XlP
(2)
Y B = X2
m i t p = pi/p 2
Die Ressourcen beider Länder seien vorgegeben, so daß ihr Produktionspotential konstant bleibt. Die Nachfrage nach den einzelnen Gütern sei durch die Höhe des Volkseinkommens und die relativen Preisverhältnisse bestimmt. Dadurch erhalten wir die folgenden Importnachfrageiunktionen: (3)
NA 2 = NA 2 (P,YA)
(4)
Νβ^ΝΒ^,ΥΒ)
Unter der Voraussetzung einer ausgeglichenen Zahlungsbilanz für beide Länder ergibt sich die Bedingung: (5)
NA 2 = N B 1 P
Wir erhalten unter Beachtung der anderen Gleichungen dann den Ausdruck (6)
N A 2 (P,XIP) = NB1(P,X2>P
Unterstellen wir nun wie Hesse/Sautter, daß sich die Produktionsmengen in beiden Ländern aufgrund des technischen Fortschritts erhöhen, muß Gleichung (6) total differenziert werden. Wir erhalten (7) 3N A 2 /3p · dp + dN A 2 /S(Xi.p) · (pdXi+Xidp) = = (SNßVöp dp + 5NB , /ÖX 2 dX2) · ρ + Nßl-dp
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Kapitel 3: Das Problem der realen Austauschverhaltnisse
Wir definieren nun die folgenden Elastizitäten: - Importelastizität des Landes Β in bezug auf ρ als ηβ - Einkommenselastizität der Importnachfrage des Landes Β als ευ - Importelastizität des Landes Α in bezug auf ρ als ηΑ - Einkommenselastizität der Importnachfrage des Landes Α als ε a Nach Ausklammerung und Lösung für dp/p erhalten war den folgenden Ausdruck: (8) dp/p = (eßWB - εΑ\νΑ)/(ηΑ + ba - ηβ - !) wobei w a und wq die Wachstumsraten der Produktion (Volkseinkommen) des Landes Α bzw. Β angeben (dXj/X] bzw. dX2/X2)· Aus Gleichung (8) wird deutlich, daß die commodity terms of trade von den einzelnen Preis- und Einkommenselastizitäten der Importnachfrage und den Wachstumsraten beider Länder abhängen. Sei nun Land Α ein Entwicklungsland und Land Β ein Industrieland, so ist eine Verschlechterung der terms of trade durch ein negatives (dp/p) darstellbar. Da nun η a > 0 sowie ηβ < 0 und s a > 1, können wir folgern, daß der Nenner positiv ist. Das Vorzeichen der Änderung der terms of trade hängt dann allein vom Vorzeichen des Zählers ab. C .p. vergrößert sich die Wahrscheinlichkeit fallender terms of trade, wenn - die Wachstumsrate des BSP des Entwicklungslands hoch ist, - die Wachstumsrate des BSP des Industrielands niedrig ist, - die Einkommenselastizität der Importnachfrage des Entwicklungslands hoch ist, - die Einkommenselastizität der Importnachfrage des Industrielands niedrig ist. Bekanntlich ist die Importnachfrage der Entwicklungsländer für Industrieprodukte hoch, da sie zur Fortfuhrung ihres Entwicklungs- und Industrialisierungsprozesses
Kapitel 3: Das Problem der realen Αustauschverhältnisse
133
Kapitalimporte aus den Industrieländern benötigen. Diese haben ihrerseits jedoch Substitutionsmöglichkeiten. Auch die Wachstumsraten der Entwicklungsländer waren hoch, so daß aufgrund dieser einfachen Formel die negative Entwicklung realer Austauschverhältnisse für Entwicklungsländer erklärt werden kann.
3.3 Die Prebisch-Singer-These Die in Außenhandelsmodellen meist unterstellte vollständige Konkurrenz muß generell hinterfragt werden, da die Märkte in Entwicklungs- und Industrieländern diesem Modellfall selten entsprechen. Der Monopolisierungsgrad auf den Industriegütermärkten der reichen Länder liegt (z.B. durch monopolistische Konkurrenz) höher als in den Entwicklungsländern. Wegen der größeren Heterogenität der Industriegüter im Vergleich zu den Primärgütern ist bei ihnen auch mit einer geringeren Wettbewerbstiefe zu rechnen als bei den Märkten fur Rohstoffe. Außerdem weisen die Arbeitnehmer in Industrieländern einen höheren Organisationsgrad auf als in den Entwicklungsländern. Diese Fakten können zu der folgenden, ursprünglich von Prebisch und Singer vertretenen These fuhren: Die Produktivitätsfortschritte der Entwicklungsländer, die im Primärgüterbereich anfallen (quantitative Ausweitung), werden beim Export in Form von Preissenkungen an die Industrieländer weitergegeben. In diesen werden jedoch die Produktivitätsfortschritte internalisiert (qualitative Auswirkung), d.h. sie werden in Form höherer Faktorentgelte an die Arbeitnehmer der Industrieländer weitergegeben. Dies fuhrt zu einer Verschlechterung der terms of trade für Entwicklungsländer. Daraus wurde der Schluß gezogen, daß eine Eingliederung der ärmeren Staaten in die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung nachteilige Folgen haben wird. Die Bausteine der Prebisch-Singer-These sind die folgenden: 1) Die Einkommenselastizität der Nachfrage nach Primärgütern (Exporte der Entwicklungsländer) ist vergleichsweise niedrig, insbesondere für Produkte wie Rohrzucker, Reis, Kaffee, Kakao, Baumwolle, Jute, Sisal, Tee, Zinnerz und Zinn.
134
Kapitel 3: Das Problem der realen Austauschverhältnisse
2) Die Einkommenselastizität der Nachfrage nach Industrieprodukten (Exporte der IL) ist vergleichsweise hoch, d.h. bei wachsendem Einkommen nimmt der Anteil des Einkommens zu, der fur Industriegüterimporte aufgewendet wird. 3) Der Wettbewerbsgrad auf den Gütermärkten liegt fur Produkte der Entwicklungsländer höher als für Produkte der Industrieländer. Der unterschiedliche Homogenitätssgrad der Güter, der bei Rohstoffen hoch hegt, ist hierfür verantwortlich. 4) Der Wettbewerbsgrad auf den Arbeitsmärkten in den Entwicklungsländern ist höher als bei denen der Industrieländer wegen des stärkeren Einflusses ihrer Gewerkschaften. Seine These untermauerte Prebisch empirisch durch die stetige Verringerung der "net barter terms of trade" Englands, die er für den Zeitraum zwischen 1876/80 1946/47 untersuchte. Der empirische Teil der These von Prebisch ist aber oft kritisiert worden. Insbesondere folgende Einwände werden vorgebracht: 1) Qualitätsverbesserungen der gehandelten Güter werden in den Preisindices nicht berücksichtigt. 2) Die über einen längeren Zeitraum erfolgte Änderung der Gewichtung in den Export- und Importgüterbündeln ist unzureichend erfaßt worden. 3) Transportkosten wurden nur bei Importgüterpreisen erfaßt. Der Rückgang der Seetransportkosten ging rechnerisch in die Verringerung der net barter terms of trade Englands ein. 4) Die britische Außenhandelsstruktur hat Prebisch als repräsentativ für die Außenhandelsstruktur der Entwicklungsländer angesehen. Der Exportstruktur Großbritanniens würde dann die Importstruktur der Entwicklungsländer entsprechen, deren Exportstruktur wiederum der britischen Importstruktur. Dies trifft für den betrachteten Zeitraum aber nicht generell zu. Unter den Nahrungsmittelimporten Großbritanniens dominierten in diesem Zeitraum Getreide und an zweiter Stelle Milchprodukte. Die Entwicklungsländer sind jedoch keine Exporteure von Milchprodukten oder Getreide. Nur aus Argentinien wurde Getreide importiert (abgesehen von geringen Reisimporten aus anderen Entwicklungs-
Kapitel 3: Das Problem der realen Austauschverhältnisse
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ländera). Kaffee, ein wichtiges Exportgut der Entwicklungsländer zu jener Zeit, wurde als Folge der britischen Konsumgewohnheiten nur in geringem Umfang von Großbritannien importiert. 5) Die Industrieländer sind nicht nur Exporteure von Industrieerzeugnissen. Einige haben einen hohen Anteil von Agrarexporten (Dänemark, Neuseeland). Entwicklungsländer exportieren nicht nur Rohstoffe. Die heterogenen Export- und Importstrukturen müssen bei beiden Ländergruppen berücksichtigt werden. 6) Die Durchschnittsbildung fur alle Entwicklungsländer ist eine unzulässige Verallgemeinerung. Einige Länder konnten ihre ctot verbessern, während andere eine Verschlechterung erfuhren. Die Entwicklung der englischen net barter terms of trade kann daher nicht als Beleg für die langfristige Verschlechterung der realen Austauschverhältnisse der Entwicklungsländer angesehen werden. Eine allgemeine Überprüfung der terms of trade-Entwicklung belegt diese These ebenfalls nicht. Seit dem Ende der 1870er Jahre verschlechterten sich die ctot bis 1929/33. Bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges verbesserten sie sich wieder, wobei sich während des Koreakrieges 1951 ein Höhepunkt ergab. Während der 60er Jahre sind sie kaum gesunken. Erst seit Mitte der 80er Jahre kann wieder eine Verschlechterung beobachtet werden. Die These der Verschlechterung der terms of trade muß deshalb differenzierter untersucht werden. Viele Publikationen beziehen sich oftmals nur auf alle Entwicklungsländer und basieren damit auf Durchschnittswerten. Durchaus dramatische Entwicklungen in einzelnen Ländern dieser Gruppe können so nicht erkannt werden. Generelle Verzerrungen ergeben sich auch durch die stark von den Gleichgewichtswechselkursen abweichenden tatsächlichen Wechselkurse und aus der Wahl des Basisjahres. Wird 1951 als Basisjahr festgelegt, dann läßt sich eine Verschlechterung der tot ohne weiteres feststellen, da in diesem Jahr aufgrund der Korea-Krise ein historischer Höchststand der Rohstoflpreise zu verzeichnen war. Sakar und Singer verallgemeinerten ihre These daraufhin insoweit, daß die Entwicklungsländer auch mit ihren Industrieexporten fallende ctot aufweisen. Singer wehrt sich immer noch gegen eine "Außenorientierung" der Entwicklungsländer und spricht sich fur eine neue Strategie einer Industrialisierung durch
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Kapitel 3: Das Problem der realen Austauschverhältnisse
Importsubstitution aus. Nicht nur die Importsubstitution sei an schlechten Rahmenbedingungen gescheitert, auch eine Außenorientierung habe nicht die gewünschten Erfolge gebracht. Allerdings sind die Ergebnisse der Sakar-SingerUntersuchung methodologisch und statistisch kritisiert worden.5 Powell kommt zu dem Ergebnis, daß die commodity terms of trade stationär blieben, wobei es in diesem Jahrhundert drei Einbrüche gab. Vor diesen Einbrüchen sind Booms zu beobachten, die dann (unter das vorherige Gleichgewicht) überkomgiert wurden. Nichterdölexportierende Entwicklungsländer hatten in etwa stationäre terms of trade. Eine erneute Langfiristanalyse fur die Jahre 1900 bis 1988 durch Ardeni und Wright ergab allerdings wiederum eine Bestätigung der Hypothese tendenziell sinkender ctot der Entwicklungsländer.6 Grilli und Yang wiederum unterscheiden zwischen verschiedenen Rohstoffen und den Gesamtexporten der Entwicklungsländer. Die Entwicklungen der ctot waren unterschiedlich. Für alle Primärprodukte ergab sich von 1900 - 1986 eine jährliche, durchschnittliche Abnahme der tot von 0,5 %, erheblich geringer als in der Analyse von Prebisch. Eine Abnahme der relativen Preise von Primärprodukten bedeutet nicht gleichzeitig eine Verschlechterung der net barter terms of trade von Entwicklungsländern. Ein Sinken der relativen Preise von Nicht-Öl-Primärgütern ist verbunden mit einem Rückgang von 0,28 % der net barter terms of trade der nicht-Öl-exportierenden Entwicklungsländer.7 Eigentlich darf eine Abnahme der ctot nicht überraschen. Sie wird begründet durch die Art des technischen Fortschritts. Bei Industrieprodukten geht der technische Fortschritt in die Qualität der Erzeugnisse, bei Rohstoffen wirkt der technische Fortschritt auf die Quantität. Ein Preisverfall für Rohstoffe ist damit unvermeidlich. Selbst die Industriestaaten versuchen, diesen Verfall im Bereich der Landwirtschaft durch 5
Vgl. P. ATHUKORALA, Manufactured Exports from Developing Countries and their Terms of Trade: A Reexamination of the SAKAR-SINGER-Results, WD 21:10 (Oktober 1993), S. 1607- 1613. 6 A. POWELL, Commodity and Developing Country Terms of Trade: What Does the LongRun Terms of Trade show? EJ 101 (November 1991), S. 1485 - 1496. Vgl. auch: P. G. ARDENI/B. WRIGHT, The Prebisch-Singer Hypothesis: A Reappraisal Independent of Stationary Hypotheses, EJ 102 (Juli 1992), S. 803 - 812. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen D. DIAKOSAWAS/P. SCANDIZZO, Trends in the Terms of Trade of Primary Commodities, 1900 - 1982: The Controversy and its Origins, in: EDCC 39:2 (Januar 1991), S. 231 264. Dort findet sich auch eine Übersicht über existierende Studien zum Problem der realen Austauschverhältnisse. 7 Vgl. E R. GRILLI/M.C. YANG, Primary Commodity Prices, Manufactured Goods Prices, and the Terms of Trade of Developing Countries: What the Long Run shows, WBER 2:1 (Januar 1988), S. 1 - 47.
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wirtschaftspolitische Maßnahmen auszureichen. Ein sinnvoller Vergleich der Austauschrelationen müßte auf die income terms of trade bzw. auf die faktoralen Austauschverhältnisse ausgerichtet sein. Sinkende tot sind nicht automatisch mit Wohlfahrtsverlusten gleichzusetzen. Veränderungen der Nachfrage- und Angebotsbedingungen müssen berücksichtigt werden. Ein Wachstumsprozeß im Inland fuhrt zur steigenden Importnachfrage, wodurch sich tendenziell die ctot verschlechtern. Geht diese Verschlechterung nicht mit einer entsprechenden Exportmengenexpansion einher, sind Wohlfahrtsverluste die Folge. Die Daten der Entwicklung der tot belegen die von Prebisch aufgestellte These nicht generell. Besonders auffällig ist die Entwicklung der tot in Korea. Dort sind die commodity terms of trade nahezu konstant geblieben, während die income terms of trade um das 16-fache angestiegen sind, was mit einer Erhöhung des Exportmengenindex von 15 im Jahre 1970 auf 248 im Jahre 1987 gleichzusetzen ist.8 Korea ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, daß mit verstärkten Exportanstrengungen die Außenhandelsposition eines Landes verbessert werden kann. Sri Lanka war es demgegenüber nicht gelungen, den Verfall seiner relativen Exportpreise durch größere Exporterfolge wettzumachen. Es ist zu vermuten, daß die Entwicklung der tot auch von der Politik der Entwicklungsländer abhängt, insbesondere ihrer Außenhandelspolitik. Sind die Entwicklungsländer in der Lage, ihre Exportstruktur zu diversifizieren, so daß Produkte mit langfristigen Wachstumschancen verstärkt in die Angebotspalette aufgenommen werden können, muß der negative Trend nicht eintreten. Die income terms of trade, die die Kaufkraft der Exporte beschreiben und damit die Importkapazitäten darstellen, zeigen in jüngster Zeit einen zunehmenden Trend. Schwierig ist die Lage jedoch für die Länder südlich der Sahara. Obgleich in den 70er Jahren noch ansteigend, sanken die income terms of trade in den 80er Jahren in dieser Region ab. Die dadurch reduzierten Importkapazitäten verstärkten Hungerkrisen und behinderten die Diversifizierung der Industriestruktur.
3.4 Das Verelendungswachstum Bhagwati stellte die These auf, daß aufgrund eines florierenden Außenhandels, der vom raschen Wachstum der Produktion eines Sektors im Entwicklungsland herrührt, die Entwicklungsländer eine Verschlechterung ihrer commodity terms of 8 United Nations, Handbook of international trade and Development Statistics 1988, New York, 1989, S. 547.
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Kapitel 3: Das Problem der realen Austauschverhältnisse
trade erfahren. Der positive Wachstumseffekt wird durch die Verschlechterung der commodity terms of trade überkompensiert, so daß die Entwicklungsländer sich "zu Tode wachsen" (Verelendungswachstum). Zur Illustration diene das folgende Schaubild:
Industriegüter
Rohstoffe
Abb. 3.1 Wohlfahrtsmindernde WachstumsefFekte
Die These des Verelendungswachstums unterstellt, daß das betrachtete Land bei einem bestimmten Produkt einen hohen Marktanteil hat. Damit beeinflußt seine Produktionsmenge die Weltmarktpreise. Der Tee- oder Juteexport Indiens möge als Beispiel dienen. Wenn das Land nun im Zuge seiner wirtschaftlichen Entwicklung die Produktion seiner Rohstoffe stärker ausdehnt als die Produktion
Kapitel 3: Das Problem der realen Austauschverhältnisse
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seiner Industriewaren, und wenn gleichzeitig auf dem Weltmarkt ein Überangebot an diesen Rohstoffen besteht, kann die wachstumsbedingte Ausweitung der Rohstoffproduktion zu einer derartigen Verschlechterung der commodity terms of trade fuhren, daß das Entwicklungsland eine niedrigere IndifFerenzkurve erreicht (hier: C2) als zu Beginn der Wachstumsphase (Cj). Diese These konnte empirisch nicht bestätigt werden. Dies kann wirtschaftspolitisch durch die vielen Exportkontrollen und -lizenzen erklärt werden, mit denen die Entwicklungsländer eine Verschlechterung ihrer commodity terms of trade verhindern wollen. In den meisten Entwicklungsländern wurde darüberhinaus meist eine Importsubstitutionspolitik als Industrialisierungsstrategie verfolgt, was mit einer Diskriminierung des Exports von Rohstoffen einherging. Vornehmlich lateinamerikanische Länder zogen eine solche Politik vor. Deshalb ist Bhagwatis Verelendungswachstum mehr von theoretischem als empirischem Interessse. Wie können Entwicklungsländer nun ihre Importkapazität steigern? Sie können versuchen, verstärkt untereinander Handel zu treiben, soweit dies ökonomisch sinnvoll ist. Da wegen des niedrigen PKE die Rohstoffnachfrage der Bevölkerung höher liegt als in Industrieländern, wäre eine Milderung des strukturellen Problems denkbar. Ein zweiter Ansatz ergibt sich durch Interventionen auf Weltrohstoffinärkten. Nach dem Vorbild der OPEC könnte man versuchen, die Weltrohstoffpreise über das vorhandene Marktniveau heben. In diesem Zusammenhang werden auch Forderungen nach einer Indexierung der Rohstoffpreise erhoben, womit wir uns im nächsten Abschnitt beschäftigen.
3.5 Möglichkeiten und Grenzen von Mafinahmen zur Verbesserung der terms of trade fur Entwicklungsländer
Preiskartelle und Preisindexierung können für Entwicklungsländer eine Möglichkeit darstellen, die Verschlechterung ihrer tot aufzuhalten.9
9
Vgl. auch J. B. DÖNGES, Außenwirtschafts- und Entwicklungspolitik, Berlin et al., 1981, S. 92ff
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Kapitel 3: Das Problem der realen Austauschverhältnisse
3.5.1 Verstetigung durch Preiskartelle Über Preiskartelle sollen entweder Erlöse, Gewinne oder staatliche Steuereinnahmen aus Rohstoffexporten maximiert werden. Je nach wirtschaftspolitischem Ziel ergeben sich daraus unterschiedliche Implikationen iur die Preisfestsetzung. Wird der freie Weltmarktpreis als Vergleich genommen, ergeben sich die folgenden Möglichkeiten:
Abb. 3.2 Preisimplikationen unterschiedlicher Maximierungsstrategien
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Mit Hilfe von weltwirtschaftlichen Angebots- und Nachfragekurven können folgende Preissetzungs-Alternativen dargestellt werden: 1) Der freie Weltmarktpreis hegt bei P i , was einer gehandelten Menge von X\ entspricht. In diesem Fall sind Angebot und Nachfrage ausgeglichen, es kommt zur Markträumung. Der Preis liegt also auf seinem niedrigsten Niveau, wobei Anbieter und Nachfrager ihre gewünschten Pläne realisieren. 2) Bei einer Erlösmaximierung ergibt sich der Preis P2 mit der dazu korrespondierenden Umsatzmenge X2. In diesem Fall muß der Grenzerlös den Wert null annehmen. 3) Bei Gewinnmaximierung in einem Kollektivmonopol ergibt sich der Preis P3 mit der dazu entsprechenden Menge X3. Gewinnmaximierung impliziert eine Maximierung der Grenzproduktivität des im Rohstoffexport investierten Kapitals: Grenzkosten und Grenzerlöse müssen gleich hoch sein. Preistheoretisch betrachtet handelt es sich hierbei um den Cournot-Fall. 4) Wollen die Kartellmitglieder die Steuereinnahmen aus den Rohstoffexporten maximieren, können sie eine gemeinsame Handelsgesellschaft gründen, die als Monopsonist gegenüber den Rohstoffproduzenten und als Monopolist auf dem Weltmarkt agiert. In diesem Fall ergibt sich der Preis P4 mit dem Expoitangebot X4. Ähnlich wie beim Monopol werden die Grenzerlöse den Grenzkosten gleichgesetzt, wobei die Grenzkostenkurve sich nach oben verlagert, weil pro zusätzlich erzeugter Menge eine Steuer entrichtet werden muß. Aus dem Schaubild läßt sich ersehen, daß bei wirksamem Wettbewerb die Preise am niedrigsten und das Versorgungsniveau für die Verbraucher am höchsten ist. Am geringsten sind die angebotenen Mengen bei Steuereinnahmenmaximierung, bei der zugleich der Preis ein höchstmögliches Maß erreicht. Welche Maximierungsstrategie sollten die Entwicklungsländer aber nun vorziehen? Diese Länder werden dann ein Umsatzmaximierungsziel anstreben, wenn sie eine überbewertete Währung haben, weil Kostenaspekte bei der Gewinnmaximierung keine wesentliche Rolle spielen, sondern vielmehr die durch die überbewertete Währung überhöhten Inlandspreise das Verhalten der Anbieter prägen. Länder mit Zahlungsbilanzproblemen werden den Cournot'schen Punkt anstreben, wäh-
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rend Länder, bei denen die Produktion in den Händen von transnationalen Konzernen liegt, das Steuereinnahmenmaximierungsziel verfolgen werden. Die OPEC-Staaten haben vor der Nationalisierung der Rohstofförderung das Steuermaximierungsziel angestrebt. Um ein erfolgreiches Preiskartell zu bilden, müssen u.a. die folgenden Bedingungen erfüllt sein: - Die Kartellmitglieder müssen einen hohen Anteil an den Weltexporten haben, bei nicht-regenerierbaren Rohstoffen auch am Weltvorkommen. - Eine mittelfristig preisunelastische Weltnachfrage des betreffenden Rohstoffes ist notwendig. - Eine niedrige Substitutionselastizität ist erforderlich, damit die Nachfrager nicht auf andere Rohstoffe ausweichen können. Viele agrarische Rohstoffe können relativ leicht substituiert werden. - Von Bedeutung sind auch niedrige Preiselastizitäten des Rohstoffangebots von Nicht-Kartellmitgliedern. Andernfalls ergibt sich das Außenseiterproblem der Kartellierung, das langfristig jedes Kartell sprengen kann. Zum Preiskartell muß unbedingt ein Mengenkartell, eine Mengenabsprache hinzukommen. Eine erfolgreiche Preiskartellierung benötigt die Erfüllung aller genannten Voraussetzungen. Nur dann ist die Preiselastizität der Nachfrage nach dem Produkt des Kartells kleiner als 1. Es ist auch darauf zu achten, daß die Kartellmitglieder gegenüber Retorsionsmaßnahmen nicht verwundbar sein dürfen. Die genannten Erfolgsbedingungen waren beim OPEC-Kartell zum Teil gegeben. Ca. 70% der Welterdölreserven befänden sich im OPEC-Raum. Für die Kartellbildung war auch die gemeinsame arabische kulturelle Herkunft hilfreich sowie die gemeinsame Gegnerschaft gegenüber Israel. Aber auch das OPEC-Kartell war langfristig nicht erfolgreich. Den erdölreichen aber bevölkerungsarmen Mitgliedstaaten am persischen Golf (Saudi-Arabien, Kuwait, Vereinigte Arabische Emirate), die wegen der begrenz-
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ten Absorptionsfähigkeit der Devisenüberschüsse zu einem gemäßigten Preisverhalten neigten, stehen Länder mit kleineren Ölvorkommen, aber hoher Bevölkerungsdichte (Algerien, Indonesien, Irak, Iran, Nigeria, Venezuela) gegenüber, die möglichst hohe Preise anstrebten. Libyen unterstützte aus machtpolitischen Gründen die Position der Höchstpreisländer. Dies war eine "interne" Gefahr für das Fortbestehen eines erfolgreichen OPEC-Kartells. Letztendlich zerfiel dieses Kartell in den letzten Jahren zusehends. Seit dem Irak/Iran-Krieg und seit dem Golfkrieg werden die Absprachen kaum noch eingehalten. Die in die Kriege involvierten Länder müssen über erhöhte Erdölausfuhren Finanzmittel zur Kompensation ihrer Schäden erwirtschaften. Geschädigt wurde das OPEC-Kartell auch durch die im Zuge der Wirtschaftskrise der 80er Jahre verringerte Welterdölnachfrage. Das Auftauchen von neuen Anbietern (Großbritannien, Norwegen, Mexiko) sowie die verstärkten Einsparungsanstrengungen und die Entwicklung von Substituten halfen, die Erdölabhängigkeit der Industrieländer abzubauen. Solche Faktoren können als "äußere" Gefahr bezeichnet werden und den internen Konflikt der Kartellmitglieder verstärken. Im Gegensatz zum Erdöl ist die Kartellierfahigkeit bei anderen mineralischen und agrarischen Rohstoffen gering. Folgende Gründe werden genannt: 1) Die Weltnachfrage ist preiselastisch und die Produkte gehen ohne substantielle Be- oder Verarbeitung in den Export (Endverbrauch). Die Produkte sind daher von Natur aus sehr homogen. 2) Exportquoten können ohne Mitwirkung der Industrieländer (Verbraucherstaaten) kaum durchgesetzt werden. 3) Wegen guter Substitutionsmöglichkeiten existiert eine starke Konkurrenz von synthetischen Produkten (bspw. fur Naturkautschuk, Fasern, Laubholz usw.). 4) Bei mineralischen Produkten können Industrieländer ihre Eigenproduktion erheblich steigern, was langfristig hohe Angebotselastizitäten hervorruft. 5) Auch die Wiederverwendung von Abfallprodukten (Recycling), die bspw. bei Kupfer sehr hoch ist, fuhrt mittelfristig zu einem preiselastischeren Weltangebot.
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6) Kupfer, Kobalt, Mangan und Nickel können im Meeresbergbau erschlossen werden. Exportbeschränkungen der Kartellmitglieder würden somit unwirksam. Daher fordern Entwicklungsländer eine Kontrolle über den Meeresbergbau durch die Vereinten Nationen, wo sie in der Hauptversammlung die Mehrheit haben. 7) Bei Vorliegen von Kuppelproduktionen lassen sich die Absatzmengen nur in konzertierten Aktionen beschränken. 8) Bedeutende Erzeugerländer handeln oft nach unterschiedlichen wirtschaftlichen und politischen Maximen. Die Produktionskosten können dabei unterschiedlich sein, wie auch der Entwicklungsstand einzelner Entwicklungsländer. Bei einem Preiskartell für Chrom müßten z.B. die folgenden Länder teilnehmen: Südafrika, Simbabwe, die Türkei, die Philippinen und die GUS. Bei Kobalt müßten die folgenden Länder beteiligt werden: Zaire, Sambia, Kanada, Australien. Ein Kartell der Wolframproduzenten käme ohne Kanada, Bolivien, Australien, Peru und Thailand nicht zustande. Bei Blei müßten sich folgende Länder beteiligen: Kanada, Australien, Mexiko und Peru. Beim Mangan, fur dessen Verwendung es bei der Stahlerzeugung noch keine Substitutionsmöglichkeiten gibt, müßten die Interessen der folgenden Länder in Einklang gebracht werden: Brasilien, Gabun, Indien, Südafrika und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Selbst wenn eine prinzipielle Einigung hinsichtlich der Kartellierung möglich wäre, bleibt die Frage nach der Überwachung der Produktionseinschränkungen. Eine supranationale Behörde mit Vollzugsgewalt läßt sich kaum einrichten. Selbst den OPEC-Staaten war dies nicht gelungen! Länder mit niedrigen Produktionskosten werden tendenziell ein geringeres Interesse an Angebotsbeschränkungen haben, da sie eine Beschränkung ihrer Chancen zur Marktausweitung hinnehmen müßten. Grenzanbieter werden sich demgegenüber umgekehrt verhalten. Eine Quantifizierung der einzelnen Angebotselastizitäten ist allerdings kaum möglich. Theoretisch wäre es möglich, daß die Preisangebots- und Preisnachfrageelastizitäten niedrig sind, so daß sich eine Kartellierung kurzfristig lohnt. Dieser Erfolg ginge jedoch zu Lasten späterer Jahre. Wegen der geringen Kartellierungsfähigkeit versucht man deshalb, das Preissteigerungsziel über andere Programme zu erreichen. Zu nennen wäre hier das integrierte Rohstofiprogramm. Die
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bekannten Erfahrungen der EG-Agrarmarktordnung könnten sich dann weltweit wiederholen. Es ist mit hohen Produktionsüberschüssen zu rechnen, deren Vernichtung hohe finanzielle und soziale Kosten verursachen.10 Die These von der Nutzlosigkeit einer Kartellierung ist von Spraos kritisiert worden. 11 Dabei geht er von einem einfachen Kartellverhalten aus, wie in dem folgenden Schaubild deutlich wird:
Abb. 3.3 Kartellbildung mit Eintrittsabschreckung
10 Die Entwicklungshilfe der EG betrug 1980 halb so viel wie die Milchsubventionen der EG, in: BMZ: Spiegel der Presse 17/91, S. 518f. 11 J. SPRAOS, On the Commodity Power of Less-Developed Countries, JPKE 6:4 (Sommer 1984), S. 605 -613.
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Kapitel 3: Das Problem der realen Austauschverhältnisse
Spraos unterstellt die typischen Nachfrage- und Grenzkostenkurven und das Ziel einer Gewinnmaximierung. Optimales Verhalten beim Couraot'schen Punkt fuhrt zu einem Preis PM mit der Menge QM Bei vollständiger Konkurrenz liegt der Preis bei P c mit dem Versorgungsniveau Qc- In der Literatur wird darauf hingewiesen, daß die Grenzkosten der Konkurrenz (MCR) eine obere Schranke für den Kartellpreis bilden. Somit haben die Kartellmitglieder nur beschränkte Möglichkeiten, ihren Preis zu erhöhen. Spraos fuhrt nun an, daß ein Kartell der Entwicklungsländer wohl in der Lage ist, den Preis über MCR ZU setzen. Dazu müßte es eine Einsatzreserve bilden, um beim Auftauchen eines Konkurrenten den Preis unter MCR ZU drücken. Diese Strategie ließe sich auch mit bewußt gehaltenen Überkapazitäten durchführen. Überkapazitäten und Eingreifreserven wären eine ständige Bedrohnung für einen möglichen Konkurrenten. Dieser könnte seine Fixkosten bei einem evtl. Markteintritt nicht mehr erwirtschaften. Da das Kartell in der Lage ist, den Preis unterhalb der Grenzkosten der Konkurrenz kurzfristig festzulegen, droht dem potentiellen Konkurrenten der finanzielle Kollaps. Die Kosten, die für die Newcomer entstehen, werden auch als sunk costs oder "verlorene" Kosten bezeichnet, da in diesem Fall ein solcher Wettbewerb Ressourcen verschwendet. Seien die Kosten der Eintrittsbehinderung mit α bezeichnet, so ist es möglich, eine Grenzkostenkurve einzuzeichnen, die nach unten versetzt wird. Wir erhalten einen modifizierten Cournot'schen Punkt C1. Für das Kartell ergibt sich dann der Preis P s mit der Produktionsmenge Q s . α bezeichne in diesem Zusammenhang die totalen Kosten dieser Drohstrategie, die sich aus a(Qt-Q) ergeben, wobei Qt den Output unter Beachtung der potentiellen Konkurrenz und Q den tatsächlichen Output darstellen. Die Grenzkosten der Strategie betragen dann -α. Das negative Vorzeichen ist gerechtfertigt, da die Gesamtkosten der Strategie abnehmen, wenn die Produktion sich auf das Drohkapazitätsniveau hin bewegt (Qt). Es besteht nun die Möglichkeit, diese Kartellstrategie (P$, QJJ) mit der beschränkten Preisstrategie (der Preis ist gleich MCR mit der Menge Qt) zu vergleichen. Wir erhalten durch diese eintrittsbedrohende Strategie einen zusätzlichen Gewinn, wenn die Fläche, die durch die Punkte VWXYZ eingegrenzt
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ist, 12 minus den Kosten der Strategie (Verbindimg der Punkte VXYZ) positiv ist. Die Nettoerhöhung des Gewinns beträgt dann VWX. Spraos weist damit theoretisch nach, daß M C r nicht die obere Preisgrenze für das Kartell darstellt. Dennoch spielt die potentielle Konkurrenz eine Rolle, da sie das Kartell hindert, den Monopolpreis Pm zu realisieren. In welchem Maße der Monopolpreis verfehlt wird, hängt von den Kosten der Strategie der Eintrittssperre (entry deterrence) ab.
3.5.2 Das Ziel der Preisindexierung Eine neue Variante zur Steigerung der Rohstofferlöse stellt die geforderte Preisindexierung dar. Die Befürworter einer Indexierung verweisen auf die säkulare Verschlechterung der terms of trade bei der Primärproduktion. Das Absinken der Rohstoffpreise im Vergleich zu den Preisen industrieller Güter soll durch solche Indexierungsabkommen verhindert werden. Die Forderung der Entwicklungsländer nach einer Preisindexierung stützt sich auf die These, daß die gemeinsame Interessenlage armer und reicher Staaten zu einer international abgestimmten Preispolitik bei Rohstoffen zwinge. Gerade bei nichtreproduzierbaren mineralischen Rohstoffen glauben die Entwicklungsländer, hohe Exporterlöse erzielen zu müssen, um entwicklungspolitische Maßnahmen in anderen Wirtschaftsbereichen zur Sicherung ihrer wirtschaftlichen Existenzfähigkeit durchführen zu können. Für die Finanzierung ihres Entwicklungsprozesses muß deshalb ein weiteres Auseinanderklaffen der Preise für Industriegüter und Rohstoffe vermieden werden. Die Entwicklungsländer heben auch den internationalen Verteilungseffekt der Indexierung hervor. Den ordnungspolitischen Einwänden der Industrieländer halten sie entgegen, daß die Indexierung in vielen Industrieländern ein anerkanntes Instrument der internen Wirtschaftspolitik sei, um die Diskriminierung bestimmter Gruppen zu vermeiden, bzw. Kaufkraftverlusten und negativen Verteilungswirkungen entgegenzuwirken.
12 Die Fläche VWXYZ gleicht der Kostenersparnis (QtYZQo minus aufgegebener Einnahmen (QsVU-QtWU).
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Der Preisindexierung können folgende ökonomische Einwände entgegengehalten werden: 1) Eine Überproduktion und deren Beseitigung verursacht budgetäre, soziale und allokative Kosten. Insbesondere muß die Verschwendung knapper Ressourcen bemängelt werden. 2) Höhere Rohstoffpreise sind kein Anreiz zu einer Verarbeitung der Rohstoffe in den Entwicklungsländern selbst. Sie verbleiben mit ihrer Produktionsstruktur bei einer niedrigen Verarbeitungsstufe. 3) Rohstoffarme Entwicklungsländer müßten bei einer solchen Regelung nicht nur für die Waren der Industriestaaten, sondern auch für die Rohstoffimporte aus anderen Entwicklungsländern höhere Preise zahlen, was deren commodity terms of trade weiter verschlechtert und die Entwicklungsfähigkeit hemmt. 4) Die rohstoffreichen Industrieländer müßten aus solchen Abkommen ausgeklammert werden, da sie nicht in den Genuß zusätzlicher Ressourcen kommen sollten. 5) Rohstoffanne Industrieländer könnten Zuflucht zur verstärkten Protektion suchen. Die Gewerkschaften in diesen Ländern werden kaum dazu bereit sein, die indexbedingten Steigerungen der Rohstoffimporte von den Lohnerhöhungen abzuziehen. Eine kostenniveauneutrale Lohnpolitik erscheint kaum möglich. 6) Eine Indexierung schadet vornehmlich den Ländern der Vierten Welt. In den Genuß kommen Industrie- und Schwellenländer. 7) Gegen eine generelle Bindung der Rohstoffpreise an die Industriegüterpreise spricht auch die Tatsache, daß es innerhalb der Rohstoffe und auch innerhalb der Industriegüter sehr unterschiedliche Preisentwicklungen gegeben hat. Die Indexierung bedürfte eines speziellen und detaillierten Mechanismus. Außerdem bleibt das Prognoseproblem bestehen. 8) Die internationalen Rohstofimärkte wären überfordert, einen Ressourcentransfer in Nord-Süd-Richtung zu bewerkstelligen und sie würden damit Aufgaben übernehmen, die eigentlich in den Bereich der Entwicklungshilfe gehören.
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Da die vorgeschlagenen internationalen Maßnahmen zur Verbesserung der terms of trade der Entwicklungsländer kaum Erfolg hatten und ihre internationale Solidarität gering ist, muß geprüft werden, ob es nicht durch nationale Maßnahmen möglich ist, die terms of trade eines Landes zu verbessern. In diesem Zusammenhang wäre an die Differenzierung der Angebotspalette zu erinnern. Eine weitere rein nationale Strategie besteht in der Exportbesteuerung von Rohstoffen. 13 Mit Hilfe der Monopolanalyse ließe sich eine optimale Exportsteuer ermitteln. Unter der einschränkenden Annahme eines Monopols ergibt sich die optimale Exportsteuer als Τ* = 1/η χ · Die optimale Exportsteuer wird also durch die Nachfrageelastizität des Exports (η χ ) bestimmt. Dem Ergebnis liegen die folgenden Annahmen zugrunde: 1) Die Zahlungsbilanz ist ausgeglichen, was durch flexible Wechselkurse erreicht wird (Exporte = Importe). 2) Es sind keine Retorsionsannahmen seitens des Auslandes zu erwarten, weil das betreffende Land klein und unbedeutend ist. 3) Bei vollständiger Konkurrenz muß die Regierung eingreifen, um ein Monopol durchzusetzen. 4) Es gibt keinerlei Externalitäten. Die Angebotskurve bestimmt sich aus den gesellschaftlichen Grenzkosten der Exporte. 5) Die Steuereinnahmen werden fur Importe ausgegeben, um keinen Effekt auf die Angebotskurve für Exportgüter auszuüben, da sonst vermehrt Exportgüter im Inland nachgefragt werden. 6) Die Einkommensverteilung wird durch die Verteilung der Importgüter nicht verändert. 7) Es wird nur die Wohlfahrt des betreffenden Landes betrachtet, Auswirkungen auf die Weltwohlfahrt werden ignoriert. 13
W. M. CORDEN, Trade Policy and Economic Weifare, Oxford 1978, S. 160 ff.
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Kapitel 3: Das Problem der realen Austauschverhältnisse
Durch eine geschickte Exportsteuerpolitik ist es einem kleinen Land, das keine Retorsionsmöglichkeiten zu erwarten hat, möglich, seine realen Austauschverhältnisse zu verbessern. Das folgende Schaubild möge diesen Sachverhalt erläutern:
Abb. 3.4 Wohlfahrtsgewinne durch Exportsteuem Das Ausmaß des Wohlfahrtsgewinns durch eine Exportsteuer hängt von der Elastizität des heimischen Angebots ab. Je höher diese Elastizität, umso größer ist der mögliche Wohlfahrtsgewinn.14 Im Punkte C beträgt die Nachfrage14 Aus dem Schaubild wird deutlich: Je flacher die Angebotskurve, desto geringer der Wohlfahrtsverlust.
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elastizität OB/CE. Sie ermittelt sich aus dem Preis (Durchschnittserlös) dividiert durch die Differenz des Durchschnittserlöses mit dem Grenzerlös.15 Je steiler die Angebotskurve, desto größer ist der terms of trade-Gewinn. Im Schaubild läßt sich der Gewinn wie folgt darstellen: Nach der Erhebung der Exportsteuer verbleibt eine Exportmenge von OF. Da sich die terms of trade verbessert haben, steigt der Wohlfahrtsgewinn um die Fläche BHCK. Gleichzeitig werden die Exporte um FL reduziert. Die Kosten für diese Exporte (ausgedrückt in der Produktion der nicht importierten Güter) wären FEGL, während die totalen Einnahmen aus Exporten FKGL gewesen wären. Insgesamt ergibt sich ein Verlust von EKG. Der Gesamtgewinn setzt sich nun aus der Differenz der Flächen BHKC und EKG zusammen. Allerdings sind auch einer Strategie der Exportbesteuerung nicht nur positive Wirkungen auf die Binnenkonjunktur zuzuschreiben. So kann ein Rückgang der ausländischen Exporte auch zu einem Rückgang der inländischen Produktion fuhren, wenn die Exporte überwiegend Vorleistungscharakter haben. Auch sind i.d.R. Retorsionsmaßnahmen zu erwarten, die insgesamt den Handel des betreffenden Landes einschränken können und somit eher wachstumshemmend wirken. So zeigte auch die empirische Analyse in Kapitel 1 dieses Bandes, daß wirtschaftlich erfolgreiche Länder i.d.R. sehr wenig Staatseinnahmen durch Steuern auf den Außenhandel erzielen, in vielen unterentwickelten Ländern diese Einnahmeart aber die dominierende Einnahmequelle ist.
15
η = - (dX/X)/(dP/P) oder - (dX/X)(P/dP). Ε/Χ = Ρ = D, dE/dX = (PdX + XdP)/dX = M, Μ = D + X(dP/dX), η = D/(D - M), d.h. die Elastizität ist der Quotient zwischen dem Durchschnitt und der Differenz zwischen Durchschnitt und Grenzwert.
Kapitel 4 Zur Neuordnung der Weltwirtschaft (Nord-Süd-Dialog)
Mit Hilfe von Wachstumsstrategien dauert der Ausgleich von Einkommensunterschieden zwischen Ländern mit hohen Einkommensdifferenzen sehr lange. Ein Land mit einem PKE von 3.200.- DM und einer Wachstumsrate von 2,5% wird von einem Land mit einem PKE von 400.- DM und einer Wachstumsrate von 3,5% erst nach 215 Jahren eingeholt, wenn beide Staaten ein PKE von 634.000 DM haben werden. Erst nach 182 Jahren wird die absolute Differenz in der Einkommensentwicklung nicht mehr weiter steigen. Die Entwicklungsländer können nicht so lange warten. Sie fordern deshalb zusätzliche Einkommens- und Vermögenstransfers, einen größeren Anteil an der Industrieproduktion und - dies insbesondere sehr vehement in den 70er Jahren - eine gerechtere Weltwiitschaftsordnung, die bei genauem Hinsehen einen hohen Anteil planwirtschaftlicher Elemente aufweist. Teilweise behaupten sie, daß die alte Weltwirtschaftsordnung dem Kolonialismus ähnele und als Neo-Kolonialismus bezeichnet werden müsse. Hingewiesen wird auch darauf, daß in der gegenwärtigen Weltwirtschaft eine klare Handelsordnung fehlt, somit eher von einer "Unordnung" als von einer Ordnung der Weltwirtschaft die Rede sein kann.
4.1 Probleme gegenwärtiger internationaler Wirtschaftsbeziehungen Die gegenwärtige Krise der Weltwirtschaft hat mehrere Gründe, die ζ. Τ bis in die 70er Jahre zurückreichen: - Der Zusammenbruch des internationalen Währungssystems von Bretton Woods mit der Folge der Abnahme der Leitwährungsfunktion des Dollars und der Führungsqualität der amerikanischen Wirtschaftspolitik. - Die Gründung der OPEC und ihre Preispolitik, die in den 70er Jahren für alle Volkswirtschaften dieser Welt einen neuen Datenkranz setzte. - Der Versuch einiger Entwicklungsländer - nach dem Vorbild der OPEC - fur Rohstoffe ähnliche Verbesserungen ihrer terms of trade durchzusetzen.
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Kapitel 4: Zur Neuordnung der Weltwirtschaft (NordSüd-Dialog)
- Die Unfähigkeit der meisten Industrieländer, ihre eigenen Volkswirtschaften auf einem Wachstumspfad mit Vollbeschäftigung und niedriger Inflation zu halten. - Stagnation der Liberalisierungsbemühungen im Welthandel und bei den neu aufkommenden wirtschaftlichen Integrationen von regionalen Gruppen. - Verschärfung der Interessengegensätze im Welthandel mit erneuter Zuflucht zu nationalistischen Wirtschaftspraktiken, um der eigenen Volkswirtschaft zu Lasten der Weltgemeinschaft zu helfen (beggar-thy-neighbour-policies). Es kam zu einer Zunahme protektionistischer Maßnahmen, auch und insbesondere in den Industrieländern. - Viele Fehlschläge beim Versuch des Abbaus des großen Wohlstandsgefälles zwischen dem wohlhabenden Norden und dem armen Süden. - Hoher Ressourcenbedarf beim Aufbau und der Integration der ehemals sozialistischen Staaten. - Eine gewisse Unsicherheit bei den Überlegungen für eine Weltwirtschaftsordnung: Das Versagen der Entwicklungshilfe und des planwirtschaftlichen Ansatzes wurde zwar eingesehen, eine marktwirtschaftliche Alternative wurde jedoch nur rudimentär (und meist nur verbal) vertreten. Im Grunde genommen fehlte ein ordnungspolitisches Leitbild für die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen sowie die Entwicklungsbemühungen der Weltgemeinschaft. - Zunehmende Politisierung der wirtschaftlichen Beziehungen. Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg wird oft als Blütezeit der liberalen Weltwirtschaft bezeichnet (Belle Epoque). Die Weltwirtschaftsordnung der Belle Epoque entstand nicht aufgrund eines theoretischen Entwurfs, sondern war durch die kaum bestrittene Führung der britischen Währung und Wirtschaft bedingt.1 Großbritannien konnte damals aufgrund seiner wirtschaftspolitischen Stärke der Welt seine Ordnungselemente aufprägen. Dies geschah nicht durch Gewalt, sondern (nach der Niederlage Napoleons) bis zum Ersten Weltkrieg dadurch, daß die 1 Vgl. W. FISCHER, Die Ordnung der Weltwirtschaft vor dem ersten Weltkrieg: Die Funktion von europäischem Recht, zwischenstaatlichen Verträgen und Goldstandard beim Ausbau des internationalen Wirtschaftsverkehrs, ZWS 95:4 (1975), S. 289 - 304.
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meisten Länder Englands Führung bereitwillig folgten, ein ähnliches Wirtschaftssystem übernahmen und die Dienste Englands als Weltbankier und wichtigster Kapitalgeber in Anspruch nahmen. Es war folglich die Pax Britannica, die, durch wirtschaftliche und militärische Überlegenheit entstanden, das Gedeihen der Weltwirtschaft vor dem Ersten Weltkrieg ermöglichte und die wesentlichen Institutionen und Regeln für ihr Funktionieren schuf. Die anderen Großmächte in Europa sowie Japan und die USA bildeten damals zusammen mit Großbritannien den Kern dieses liberalen weltwirtschaftlichen Systems. Erst als die Rivalitäten der Länder untereinander nicht mehr in der Balance gehalten werden konnten und sie miteinander Kriege führten, brach auch das auf Kooperation der europäischen Volkswirtschaften unter britischer Führung beruhende System der Weltwirtschaft zusammen. Ähnliches läßt sich auch für die Weltwirtschaftsordnung aufzeigen, die nach dem Zweiten Weltkrieg unter amerikanischer Führung geschaffen wurde. Heute ist die amerikanische Wirtschaft nicht mehr unbestrittenes Vorbild, dem die anderen Länder in ihrer Wirtschaftsordnung und -politik nacheifern. Die amerikanische Wirtschaftspolitik verletzt heute selbst wichtige ordnungspolitische Prinzipien. Andere Staaten, die binnenwirtschaftlich ein marktwirtschaftliches System praktizieren, verfolgen heute einen Außenwirtschaftsprotektionismus. Die Spielregeln des GATT werden (sie sind machtpolitisch nicht durchsetzbar und hängen von freiwilliger Einhaltung ab) nur insoweit eingehalten, als sie dem betreffenden Land Vorteile bringen. Viele Bereiche, wie bspw. der der Dienstleistungen oder des Technologietransfers sind im GATT immer noch nicht geregelt. Außerdem läßt sich die Behauptung aufstellen, daß das GATT mit seinen Regeln heute mehr die Ausnahme darstellt als die Regel.2 Da ein freier Wettbewerb die Schwächeren benachteiligt, wirkt die vorherrschende weltwirtschaftliche Handelsunordnung zu Lasten der Entwicklungsländer und zugunsten der Industrieländer. Die Entwicklungsländer haben keine Startchancengleichheit bei der Weltmarktintegration. Der Ordnungsrahmen der in schwere Unordnung geratenen Verfassung der Weltwirtschaft bedarf durch politische Anstrengungen eines neuen rechtlichen Rahmens, wobei ein Weg einge2
Vgl. H. WERNER, Das GATT heute: Die Ausnahme als Regel, in: Beihefte zur Konjunkturpolitik, Heft 34, Die Neuordnung des GATT, Regeln flir den weltwirtschaftlichen Strukturwandel und Technologietransfer, Berlin 1987, S. 43 ff
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schlagen werden müßte, der von einer "Privatrechtsgesellschaft" (Franz Böhm) weg hin zu einer Gesellschaft mit mehr ordnenden Eingriffen des Staates gekennzeichnet ist. Der Versuch, eine internationale Ordnung zu ihren Gunsten durchzusetzen, wurde von den Entwicklungsländern durch die "Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten" unternommen, die am 12.12.1974 von den Vereinten Nationen als Resolution verabschiedet wurde. Schon am Ol. Mai 1974 war von den Vereinten Nationen ein Aktionsprogramm (Resolution 3202) beschlossen worden. Einige der dort genannten Forderungen der Entwicklungsländer sollen später diskutiert werden. Vorher soll jedoch der Ist- und Sollzustand der Weltwirtschaftsordnung untersucht werden.
4.2 Zustand der bestehenden Welthandelsordnung Zunächst sollen die Grundzüge des allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) dargestellt werden.3 Im Jahre 1945 wurden von den USA Vorschläge zur Ausweitung des Welthandels und zur Verbesserung der Beschäftigungslage ausgearbeitet. Diese Vorschläge wurden kurze Zeit später in die sog. "Havanna-Charta" aufgenommen, mit denen die Vereinten Nationen versuchten, die durch die Weltwirtschaftskrise und den zweiten Weltkrieg nachhaltig zerstörten internationalen Wirtschaftsbeziehungen wieder zu aktivieren. Diese Charta sah die Schaffung einer "internationalen Handelsorganisation" (ITO = International Trade Organisation) vor. Diese sollte für den internationalen Handel die Funktionen ausüben, die dem Internationalen Währungsfonds (IMF = International Monetary Fund) fur die Weltwährungsordnung und der Weltbankgruppe fur die Finanzierung des Wiederaufbaus nach dem Kriege und die Unterstützung der Entwicklungshilfebemühungen der Entwicklungsländer zugewiesen worden war. Der ITO sollten weitgehende und von den Mitgliedsstaaten teilweise unabhängige (supranationale) Rechte zum Ausbau des internationalen Handels mit dem Ziel einer stärkeren 3 Vgl. Η. H. GLISMANN et al., Weltwirtschaftslehre. Eine problemorientierte Einführung, München 1992 (dtv 4331).
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Integration der Staaten in die Weltgemeinschaft übertragen werden. Obgleich die USA die ITO initiierte, wurde sie vom amerikanischen Kongreß nicht ratifiziert und im Jahre 1950 zu Fall gebracht. Der handelspolitische Teil der "Havanna-Charta" wurde aber schon 1947 im Vorgriff auf das Inkrafttreten der ITO von 23 Staaten unterzeichnet. Er sollte eine Interimslösung bis zum Inkrafttreten der Havanna-Charta darstellen. Die Vertragsparteien einigten sich in einem Protokoll auf eine vorläufige Anwendimg des "Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens". Dieses Abkommen, dem die Bundesrepublik Deutschland 1951 beitrat, wurde 1966 ergänzt durch Bestimmungen über "Handel und Entwicklung" (Teil IV des GATT). Gegenwärtig gehören dem GATT 108 Mitglieder an, davon sind 78 Entwicklungsländer. Die Ziele des GATT sind: - die Erhöhung des Lebensstandards, - die Verwirklichung der Vollbeschäftigung, - ein hohes und ständig steigendes Niveau des Realeinkommens und der wirksamen gesellschaftlichen Nachfrage, - die volle Erschließung der Ressourcen der Welt sowie - die Steigerung der Produktion und den Austausch von Waren. Diese Aufzählung in der Präambel des GATT kann als eine blumige Umschreibung dafür bezeichnet werden, daß sich "die Vertragspartner alles Gute wünschen". Sie kann kaum als eine Aufstellung wirtschaftspolitischer Leitsätze angesehen werden. Drei Grundprinzipien bilden den Kern des GATT: - das Prinzip der Gegenseitigkeit (Reziprozität),
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- das Prinzip der Liberalisierung (Abbau von Zöllen und anderen Handelsschranken), - das Prinzip der Nichtdiskriminierung. Alle drei Prinzipien werden ebenfalls in der Präambel genannt. Im Prinzip der Gegenseitigkeit kommt zum Ausdruck, daß alle Staaten, denen von anderen GATT-Ländera handelspolitische Vergünstigungen eingeräumt werden, gleichwertige Gegenleistungen erbringen sollen. Das Prinzip der Liberalisierung besagt, daß keine Vertragspartei im Handel mit GATT-Mitgliedern neue Zölle und mengenmäßige Verbote und Beschränkungen erlassen oder alte beibehalten darf.4 Die wichtigste Ausprägung des Diskriminierungsverbots ist das sog. Prinzip der Meistbegünstigung des Art. I des GATT-Vertrages. Es bezieht sich auf Zölle und sonstige steuerähnliche Belastungen bei Ein- und Ausfuhren und besagt, daß alle Vorteile und Vergünstigungen, die ein Mitgliedsstaat einem anderen Land für eine Ware gewährt, "unverzüglich und bedingungslos" auf alle gleichartigen Produkte aus anderen Mitgliedstaaten anzuwenden sind. Daraus läßt sich folgern, daß die von einem Land angewandten Zollsätze und Steuerbelastungen gegenüber allen GATT-Ländern die gleiche Höhe haben müssen. Ausnahmen sind nur für Zollunionen und Freihandelszonen vorgesehen sowie für die Gruppe der Entwicklungsländer. In mehreren, mehljährigen Verhandlungsrunden wurde versucht, einen weltweiten Abbau der Handelsschranken zu erreichen. Sieben internationale Handelsrunden wurden bisher erfolgreich durchgeführt, die gegenwärtige Uruguay-Runde befindet sich im letzten Verhandlungsstadium. Generell leidet das GATT unter zahlreichen Ausnahmen. So gibt es beispielsweise die Möglichkeit, Anti-dumping-Zölle zu erheben. Ordnungspolitisch kritisch kann auch die generelle Ausklammerung der Entwicklungsländer aus wesentlichen GATT-Bestimmungen bewertet werden. Ausnahmen sind normalerweise dazu da, Verträge lebensnah zu gestalten und die zwischenstaatlichen Beziehungen nicht allzu starren Regelmechanismen zu unterwerfen. Ausnahmen bedrohen aber die Qualität von Verträgen. Im GATT gibt es zwei große Aus4
Ausnahmen sind vorgesehen: Handelsbeschränkungen sind zulässig zum Schutz der Zahlungsbilanz und zugunsten von Landwirtschaft und Fischerei.
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nahmebereiche: Die Entwicklungsländer (ehemalige Kolonien der Industrieländer) und die Zollunionen bzw. Freihandelszonen. Kritisch erwähnt werden müssen auch der Agrarbereich und die textilfaserbezogenen Welthandelsabkommen. 1966 wurde der Vertragstext des GATT um Teil IV erweitert. Ziel dieser Erweiterung war die Erhöhung der Ausfuhrerlöse der Entwicklungsländer, die Stabilisierung der Preise für Rohstoffe auf einem angemessenen Niveau und ein verbesserter Zugang zu den Märkten der Industrieländer für Fertigerzeugnisse. Die Industrieländer erwarteten von den Entwicklungsländern für erbrachte Zollsenkungen keine Gegenleistung, auch keine Beseitigung von nicht-tarifaren Handelshemmnissen. Im Prinzip wurden damit die Zölle gegenüber Entwicklungsländern abgeschafft. Die dadurch gewährten Präferenzen sind jedoch unvollkommen und in ihrer Wirkung diskriminierend. Der Idealtypus von Zollpräferenzen würde vorsehen, daß alle Industrie- allen Entwicklungsländern auf alle Produkte volle Zollfreiheit gewähren. In Wirklichkeit gewährt jedes Industrieland (die EG als Handelsblock!) peu ä peu seine eigenen höchst unvollkommenen Präferenzen, wobei nicht einmal alle Entwicklungsländer eingeschlossen sind. Die Zollpräferenzen der EG gelten uneingeschränkt nur für jene Produkte, bei denen die Entwicklungsländer kaum exportfähig sind. Zollfreiheit wird außerdem nur innerhalb gewisser Einfuhrgrenzen (Plafonds) gewährt, an denen jedes Entwicklungsland nur einen bestimmten Anteil haben darf (Puffer). Die Zollpräferenzen stellen sich heute mehr als Handelshemmnis denn als Maßnahme der Handelsliberalisierung dar. Zu bedenken ist auch, daß sowohl die Exporteure in den Entwicklungsländern als auch die Importeure der Industrieländer einen hohen Aufwand an zusätzlicher administrativer Arbeit haben, um die sich jährlich ändernden komplizierten Regelungen zu verstehen und anzuwenden. Oft läßt sich erst im nachhinein feststellen, wann das Maß an zollbegünstigten Einfuhren bei einem bestimmten Produkt überschritten ist und die Zollfreiheit somit aufgehoben ist, was ein zusätzliches Unsicherheitselement darstellt. Die Exporteure der Entwicklungsländer müssen notfalls mit Nachverzollungen rechnen. Die Ausgestaltung der Zollpräferenzen im einzelnen ist ebenfalls diskriminierend. Dies gilt auch für die EG. Zahlreiche Entwicklungsländer genossen schon vor der
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Einführung von Zollpräferenzen eine Präferenzbehandlung durch die EG, wie die 18 afrikanischen Länder, mit denen sie im Jahre 1963 unter Mißachtung des Diskriminierungsverbotes im GATT ein Präferenzabkommen abschloß (JaundeAbkommen). Die damit der EG assoziierten afrikanischen Staaten engagierten sich gegen eine Ausweitung der Präferenzen auf andere Entwicklungsländer. Sie durchschauten, daß sie die künstliche Bevorzugung (Protektion) verlieren, wenn andere Entwicklungsländer daran ebenfalls teilhaben. Unter der Ausweitung der AKP-Präferenzen leiden heute vor allem die lateinamerikanischen Länder. Auch die Gründung einer Zollunion oder Freihandelszone ist wirtschaftspolitisch problematisch. Solche Zusammenschlüsse weisen auf der einen Seite Merkmale der Liberalisierung, auf der anderen Seite aber auch der Protektion auf. Liberalisiert wird zwischen Mitgliedsländern der Zollunion, wodurch eine regionale Umverteilung der Produktion von den innerhalb der Union weniger wettbewerbsfähigen Standorten zu den wettbewerbsfähigeren stattfindet. In diesen Bereichen kann der Preis fur die Verbraucher innerhalb der Union sinken und das Güterangebot kann in allen Mitgliedsländern ansteigen. Im Gleichschritt mit der unionsintemen Verlagerung der Standorte zu den kostengünstiger produzierenden Regionen findet eine Zunahme des innergemeinschaftlichen Handels statt (Handelsschaffung"). Sie resultiert aus internen Standortvorteilen und den ebenfalls internen Auswirkungen steigenden Verbrauchs aufgrund sinkender Preise. Der Abschließungseffekt der Zollunion weist Merkmale der Protektion auf. Der Import eines Unionlandes aus Drittländern wird nach Schaffung der Zollunion sinken, wenn vor der Gründung der Zollunion der Angebotspreis der Drittländer zuzüglich Zoll unter und nach der Zollunion über dem Angebotspreis der Partnerländer liegt ("Handelsumlenkung). Übersteigt die Handelsumlenkung die Handelsschaffung, wirkt die Zollunion wohlfahrtsmindernd, was nicht im Einklang mit der Präambel des GATT steht. Verstoßen wird zudem gegen das Gebot der Nichtdiskriminierung. Im Jahre 1961 kam unter der Ägide des GATT das sog. kurzfristige Baumwolltextilabkommen zustande. Es sollte nur kurzfristig gelten und die Anpassungsprobleme der Textilproduzenten in den Industrienationen verringern, da Niedriglohnländer große Erfolge bei der Durchdringung der Märkte der Industriestaaten mit Baumwolltextilien hatten. Im Jahre 1974 wurde dieser Vertrag in ein Multi-
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faser-Abkommen (MFA) überfuhrt, das jetzt neben Baumwolltextilien auch den Handel mit Textilien aus Wolle, Kunstfasern und synthetischen Fasern umfaßte. Selbstverständlich wurden Absichtserklärungen formuliert, den Handel mit Textilien zu liberalisieren. Trotzdem sind neue Restriktionen im Textilhandel aber unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Das MFA soll de facto dazu dienen, das Wachstum der Textileinführen der Industrieländer aus Niedriglohnländern zu begrenzen, was im Gesetzestext "ordnen" genannt wird. Das GATT könnte eine ideale Welthandelsordnung darstellen, da es eine hohe Rechtssicherheit im internationalen Warenaustausch schaffen könnte. Allerdings ist ein unübersehbarer Unterschied zwischen dem ursprünglichen Anspruch und der Realität des GATT festzustellen. Die Ausnahmen haben in den letzten Jahren beträchtlich zugenommen, wobei die Zunahme der Protektion ironischerweise in die Zeit der 7. GATT-Runde fiel, die eine weitere Liberalisierung des Welthandels zum Ziel hatte. Die Entwicklungsländer bringen erhebliche Bedenken gegen die bestehende Welthandelsordnung vor, da ihrer Meinung nach das GATT zum einseitigen Vorteil der Industriestaaten wirke. Den GATT-Vertrag, wie auch die Liberalisierungsvereinbarungen im Rahmen des GATT, nutzen in erster Linie die Industrieländer im Handel untereinander, bei denen ihr gegenseitiges Exportinteresse besonders hoch ist (Reziprozität). Die Produktionsbereiche, bei denen die Entwicklungs- den Industrieländern relativ überlegen waren, blieben entgegen den GATT-Grundsätzen von der Liberalisierung ausgeschlossen. Die Industrieländer haben sogar willkürlich neue nicht-tarifäre Handelsschranken (Kontingente, Importverbote) gegenüber Einfuhren aus der Dritten Welt errichtet. Im Jahre 1964 wurde die Welthandels- und Entwicklungskonferenz (United Nations Conference on Trade and Development = UNCTAD) als selbständiges Organ der Vollversammlung der Vereinten Nationen errichtet. Heute gehören ihr 171 Mitglieder an. Die Bundesrepublik Deutschland trat 1965 bei. Die Aufgaben der UNCTAD stimmen weitgehend mit denen des GATT überein. Beiden geht es um die Förderung des internationalen Handels mit dem Ziel einer Beschleunigung des wirtschaftlichen Wachstums. UNCTAD und GATT konnten deshalb in Genf ein gemeinsames internationales Handelszentrum (ITC - International Trade Center) errichten. Die UNCTAD artikuliert sich vornehmlich im Bereich der Entwicklungshilfe, der Währungspolitik und des Handels mit Halb- und Fertig-
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waren sowie im Bereich des Technologietransfers. Sie kann im Gegensatz zum GATT auf kein geschriebenes Recht mit Vorschriften über den internationalen Handel zurückgreifen, sondern stellt eine sich ständig fortentwickelnde, regelmäßig wiederkehrende Versammlung von politischen Vertretern aller Länder dar, die Änderungen der Welthandelsordnimg anstreben.5
4.3 Die Entstehung des Nord-Süd-Konflikts: Historischer Überblick Das weltpolitische Kräftefeld wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges durch den sich zuspitzenden Konflikt zwischen Ost und West bestimmt, wobei die Entwicklungsländer zunächst keine eigenständige Rolle spielten.6 Die afrikanischen Länder wurden zu Beginn ihrer Selbständigkeit von den europäischen Staaten nur als Einflußregion angesehen, geopolitische Überlegungen spielten fur das Verhalten der Industriestaaten gegenüber den Staaten der Dritten Welt die ausschlaggebende Rolle. Eine entwicklungspolitische Konzeption für eine Einbindung in die Weltwirtschaft wurde von ihnen nicht entwickelt. Die Entwicklungsländer haben, anfänglich durch verschiedene Einzelforderungen, schließlich die Initiative ergriffen und eine Art ordnungspolitische Verfassung (Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten des Staates) 1974 in den Vereinten Nationen (VN) durchgesetzt. Die Industrieländer reagierten darauf mit einer hinhaltenden Taktik. Zu Beginn der 50er Jahre engagierten sich nur wenige Staaten materiell zugunsten der Entwicklungsländer. Erst Ende der 50er Jahre setzte die staatliche Entwicklungshilfepolitik ein, die, geprägt vom Erfolg des Marshall-Plans in Europa, davon ausging, daß es Aufgabe der Entwicklungshilfe sei, lediglich einen vorübergehenden Mangel an Sachkapital überwinden zu helfen. Nach Überwindung dieses Mangels erwartete man einen selbständig ablaufenden wirtschaftlichen Prozeß. Die Aufwendungen der Entwicklungshilfe überstiegen bei weitem die Leistungen der Marshallplanhilfe. Allein in den letzten zwölf Jahren (1980 - 1991) wurden im Rahmen der Entwicklungshilfe von den OECD-Ländern 450,6 Mrd. US$ zur 5 Eine Zusammenfassung der Entwicklung und der Aufgaben der UNCTAD, verbunden mit einer kritischen Beurteilung gibt M. TIMMLER, Was UNCTAD ist und sein könnte, in: Ludwig-Erhard-Stiftung (Hrsg.), Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 33, September 1987, S. 55 - 60. 6 Vgl. J. R. LANGHAMMER/B. STECHER, Der Nord-Süd-Konflikt. Würzburg/Wien 1980.
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Verfügung gestellt,7 während die Marshallplanhilfe bis 1951 nur 12,4 US$ ausmachte. Die Versäumnisse der Industrieländer, den Entwicklungsländern Entwicklungsmöglichkeiten durch Handelsbeziehungen zu eröffnen, werden schon bei der Konzeption des GATT deutlich. Der Handel der Industriestaaten untereinander hatte Vorrang. Handelshemmnisse zum Schutz der heimischen Produktion sind ausdrücklich fur landwirtschaftliche Erzeugnisse zugelassen. Durch den Agrarprotektionismus der Industrieländer und über Garantiepreise bei ausgeschalteter Importkonkurrenz entsteht ein Anreiz zur Überproduktion, der sporadisch auf dem Weltmarkt abgestoßen wird. Die Agrargüter werden dabei auf das niedrige Weltmarktpreisniveau heruntersubventioniert: Negative AngebotsefFekte in den Entwicklungsländern bleiben nicht aus. In den frühen 60er Jahren hatte sich Uruguay als direkt betroffener Staat mit zahlreichen Klagen über den Agrarprotektionismus der Industrieländer an das GATT gewandt und stieß auf Ablehnung oder Nichtbefassung. Die Entwicklungsländer stellten in der Folgezeit verstärkt programmatische Grundsatzforderungen auf, die im Abschnitt 4.4. ausfuhrlich diskutiert werden sollen. Die Industrieländer reagierten darauf hinhaltend und zerlegten die Forderungen der Entwicklungsländer in technisch-organisatorische Detailfragen (case by case). Hierdurch gelang es ihnen, die Forderungen zu entschärfen, wobei sich gerade der Handelsbereich für eine derartige Taktik eignete.8 Das westdeutsche Außenhandelsverzeichnis umfaßte bereits 1973 über 8600 Warenpositionen, die jährlich erweitert wurden und somit einer zeitraubenden Einzelfallprüfung von Forderungen der Entwicklungsländer reichlich Nahrung gaben. Insbesondere beim Rohstoffliandel übten die Industrieländer eine gravierende Hinhaltetaktik und Passivität aus. Das GATT sah sich bis in die 60er Jahre nicht veranlaßt, über Rohstoffabkommen, Preisstabilisierung oder Exporterlösstabilisierung nachzudenken. Erst als die UNCTAD sich als tonangebendes Interessenorgan der Entwicklungsländer abzeichnete, änderte sich diese passive Haltung. Die UNCTAD erlangte sogar die Verantwortlichkeit fur den Rohstoffbereich. Die Heterogenität 7
Vgl.: Weltbank, Weltentwicklungsberichte, Washington, D.C., verschiedene Jahrgänge. Die unterschiedlichen Strategien der IL und EL in den Nord-Süd-Verhandlungen sowie auch deren wenige Gemeinsamkeiten können sowohl spieltheoretisch, als auch mit der Theorie der Politik (NPÖ) sowie der Theorie der Kooperation erklärt werden. Vgl. dazu R. CHAKRABORTY, "Der Nord-Süd-Konflikt als Problem der Konsensfindung bei konfligierenden Zielen", in: Konjunkturpolitik 37:5 (1991), S. 296-315. 8
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der Entwicklungsländer erlaubte aber keine sofortige Blockbildung. Die erste Konferenz der Blockfreien 1955 in Bandung (Indonesien) brachte denn auch scharfe Widersprüche unter ihnen zutage. Junge Entwicklungsländer waren oft ideologische Rivalen und entwickelten zunehmend Visionen politischer Art statt operationale ökonomische Programme, die im Rahmen eines pragmatischen Kompromisses Grundlage von Verhandlungen mit den Industriestaaten hätten sein können. Nach der Entkolonialisierung Afrikas stieg die Zahl der Mitglieder in den VN beträchtlich an. Dank des Prinzips "ein Land, eine Stimme" konnten die Entwicklungsländer ihre zahlenmäßige Überlegenheit in vielen Resolutionen gegenüber den Industrieländern ausspielen. Wegen dieser zahlenmäßigen Überlegenheit verlagerten die Industrieländer die Entscheidungsprozesse auf andere Institutionen, in welchen die Entwicklungsländer zwar vertreten waren, in welchen jedoch das wirtschaftliche Gewicht der Industrieländer bei den Abstimmungen durchschlug: So ζ. B. in der Weltbankgruppe und beim IWF, wo die Stimmen nach Wirtschaftskraft gewichtet sind. Erste programmatische Ziele wurden von den Vollversammlung der VN 1961 in Gestalt der ersten Entwicklungsdekade (1960 - 1970) formuliert. Während dieser Dekade sollten die Entwicklungsländer einen Sozialproduktzuwachs von real mindestens 5% erreichen und die Industrieländer einen Nettokapitaltransfer (öffentliche Entwicklungshilfe sowie private Direktinvestitionen) von jährlich 1% ihres BSP an die Empfangerstaaten leisten. Die UNCTAD strebte dabei einen Leistungsautomatismus an.9 In den 60er Jahren setzte sich die Auffassung durch, daß die Staaten der Dritten Welt mit einer dauerhaften Handelslücke konfrontiert sind. Bei unterdurchschnittlichem Exportwachstum würden die Kapitalgüter-Importe zunehmen, die selbst wiederum notwendig seien, um das Entwicklungsdekadenziel zu erreichen. Eine neue Handelspolitik wurde gefordert. Die USA nahmen die Position des GATT mit den Prinzipien der Meistbegünstigung und Reziprozität ein, die Franzosen kamen den Entwicklungsländern mit den Vorstellungen von geordneten internationalen Märkten und bevorzugten Handelsbeziehungen in bestimmten Ländergruppen entgegen. Die erste Welthandels- und Entwicklungskon9
Dieser Gedanke ist im Brandt-Bericht als Entwicklungssteuer und Entwicklungsabgabe neu aufgegriffen worden.
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ferenz brachte eine politische Verhärtung bei den Positionen der einzelnen Ländergruppen. Immerhin gab die 1964 in Genf abgehaltene Konferenz fur das GATT Impulse, das die Sonderbehandlung der Entwicklungsländer in sein Regelwerk aufnahm. Auch das 1 %-Ziel wurde dort als entwicklungspolitische Leitlinie eingeführt. Die Resolutionen der UNCTAD haben jedoch nur empfehlenden Charakter und sind fur die Industriestaaten nicht bindend. Auf und nach der zweiten Welthandels- und Entwicklungskonferenz 1968 in Neu Delhi begehrten die Entwicklingsländer als "Gruppe der 77" auf. Allerdings geriet die UNCTAD früh in eine Krise, da ihre Resolutionen von den Industrieländern nicht als Grundlage für ihr entwicklungspolitisches Handeln akzeptiert wurden. Die sozialistischen Staaten fühlten sich zudem nicht angesprochen und wiesen auf die alleinige koloniale Verantwortung der westlichen Staaten hin. Sie unterstützten alle Forderungen der Entwicklungsländer an die Adresse der westlichen Industriestaaten, ohne selbst Entwicklungshilfeleistungen in größerem Rahmen zu erbringen. Auch die verstärkte Tätigkeit der Weltbankgruppe und des IWF konnte das Problem nicht beheben. Die Entwicklungsländer kritisierten diese Bretton-Woods-Institutionen sogar pauschal als Agenturen der Industrieländer. Die politischen Einwände bezogen sich vor allem auf die Kreditpolitik der Weltbank, die aus der Sicht mancher Entwicklungsländer zu wenig an gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen orientiert war. 10 Seit 1970 verschärfte sich die Auseinandersetzung, was ursächlich auf den Fehlschlag der ersten Entwicklungsdekade zurückgeführt werden kann. Obwohl das PKE beider Ländergruppen (Entwicklungs- und Industrieländer) gleich stark anstieg, vergrößerte sich die Lücke zwischen gefordertem und verwirklichtem Kapitalstrom in der ersten Entwicklungsdekade um das Fünffache. Die Entwicklungsländer versuchten daraufhin, die Industrieländer unter Zahlungsdruck zu stellen, was mit Hilfe des postulierten 0,7%-Ziels (öffentliche Entwicklungshilfe bezogen auf das BIP) angestrebt wurde. Die besonders unterentwickelten Länder (least developed countries) erhielten sog. "soft loans" zu besonders günstigen Bedingungen (genannt IDA-Bedingungen). Durch Sondermaßnahmen der Industrielän-
10 Tansania zweifelte an, ob den EL mit der Politik der Weltbank gedient sei. Die Weltbank hatte allerdings zuvor einen Finanzierungsantrag für die Tansania-Sambia-Eisenbahn abgelehnt.
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der konnten die Entwicklungsländer jedoch nicht befriedigt werden. Seit Beginn der 70er Jahre wird eine Wachstumsschwäche in den Industrieländern festgestellt, die zu einer Verschärfung von Zahlungsbilanz- und Schuldenproblemen in den Entwicklungsländern führte. 1973 brach zusätzlich das Bretton-WoodsSystem mit seinen grundsätzlich festen Wechselkursen zusammen . Auch der Dollar verlor an Einfluß. Seine Funktionen als internationales Zahlungsmittel und Reservewährung wurden in den 70er Jahren zunehmend in Frage gestellt. Die Erfolge des OPEC-Kartells förderten die Verhärtung im Nord-Süd-Konflikt. Ihre Preispolitik erlaubte einer kleinen Gruppe von Staaten einen ungeahnten Anstieg der Exporteinnahmen und des materiellen Wohlstands. Die OPEC konnte ihre Ziele dabei durch eine aggressive Preispolitik erreichen. Die Entwicklungsländer hofften, ebenfalls durch erhöhte Preise ihrer Rohstoffe den Entwicklungsprozeß zu forcieren. Somit entwickelten sich Forderungen hinsichtlich einer internationalisierten Rohstoffpolitik im Rahmen einer neuen Weltwirtschaftsordnung. Zuerst wurde ein Kartellansatz vorgeschlagen, dann wurde ein "integriertes Rohstoffprogramm" gefordert. Auf der UNCTAD V-Konferenz in Manila im Jahre 1979 einigte man sich auf den Abbau nicht-tarifarer Handelshemmnisse. Auf der UNCTAD VII-Konferenz in Genf 1987 wurde erstmals ein einheitliches Schlußdokument verabschiedet, das die Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer bei Strukturanpassungen und unterstützende Außenbeiträge der Industrieländer und der multilateralen Organisation hervorhebt. Ökonomische Sachüberlegungen gewannen in der Diskussion nunmehr einen stärkeren Raum. Die bislang letzte UNCTAD Konferenz fand im Februar 1992 in Cartagena (Kolumbien) statt. Auf dieser UNCTAD VIII Konferenz wurde die Bedeutung des Handels, neuer Technologien und der Dienstleistungen für die Entwicklung der Entwicklungsländer hervorgehoben.11 Ein intensiver Dialog zwischen Industrie- und Entwicklungsländern wird gefordert. Beide Ländergruppen sollten ihren Handel untereinader mittels eines wirksamen Wettbewerbs forcieren. Dafür werden auch als Voraussetzung wirtschaftspolitische Strukturanpassungen in den Entwicklungsländern gefordert und sogar die Grenzen bürokratischer Gestaltungsmöglichkeiten erkannt. So findet man z.B. folgende Passage:12
11 Vgl. UNCTAD VIII. Analytical report by the UNCTAD secretariat to the Conference, Ed. United Nations, New York 1992. 12 Ebenda, S. 98.
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" One of the reasons most often mentioned by users for this marked tendency away from "universal norms and standards" is that the pace of technological and managerial innovation is such that large bureaucracies cannot provide standards soon enough for the industry to use them." Insgesamt betrachtet kann UNCTAD VIII als eine Weiterentwicklung der Beschlüsse von UNCTAD VII angesehen werden, denn auch hier werden die Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer und die unterstützenden Außenbeiträge der Industrieländer und der multilateralen Organisationen hervorgehoben. Ein kurzer Überblick über den Inhalt der einzelnen UNCTAD-Konferenzen sei zur Information angefugt: 13 UNCTAD I (Genf 1964) forderte einen verbindlichen Netto-Kapitaltransfer der Industrieländer in Höhe von 1 % ihres BSP bzw. von 0,7 % des BSP an öffentlicher Entwicklungshilfe. UNCTAD II (Neu Delhi 1968) forderte ein "allgemeines System von Zollpräferenzen". UNCTAD III (Santiago de Chile 1972) führte zu einer Ausweitung der Vertretung der Entwicklungsländer im IWF. Die ärmeren Staaten mit Strukturproblemen erhielten eine Sonderbehandlung bei der Entwicklungszusammenarbeit. UNCTAD IV (Nairobi 1976) verabschiedete ein "Integriertes Rohstoffabkommen", was zu einer Neuordnung der internationalen Rohstoffinärkte fuhren sollte. Diese Konferenz war geprägt durch die Folgen der OPEC-Ölpreiserhöhungen. UNCTAD V (Manila 1979) forderte den Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse. UNCTAD VI (Belgrad 1983) brachte keine besonderen Ergebnisse. Diese Konferenz litt unter der weltweiten Rezession, die nur einen verbalen Schlagabtausch ermöglichte. 13
Vgl. BMZ, Journalisten-Handbuch Entwicklungspolitik 1993, Bonn 1992.
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UNCTAD VII (Genf 1987) erreichte ein Konsens-Schlußdokument, das die Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer und die sie unterstützenden Entwicklungshilfebeiträge der Industriestaaten und multilateralen Organisationen in gleicher Weise betonte. UNCTAD VIII (Cartagena (Kolumbien) 1992) war die erste Konferenz nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. Die Staatengruppenstrukturen lösten sich auf und ermöglichten eine offenere Diskussion mit zunehmender Konvergenz in verschiedenen Grundauffassungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Betont wurde die marktwirtschaftliche Orientierung, "Good Governance", die Bedeutung der guten Regierungsfiihrung und die internationale Kooperation. Die Industriestaaten forderten von den Entwicklungsländern höhere Eigenanstrengungen. Die Entwicklungsländer erwarteten verbesserte Handelsmöglichkeiten von den Industrieländern. Die alten Forderungen nach höheren Preisen fur ihre Rohstoffexporte wurden ebenso erhoben wie höhere Finanzleistungen und ein forcierter Schuldenerlaß.
4.4 Forderungen der Entwicklungsländer im Rahmen des Nord-Süd-Dialogs Die Forderungen der Entwicklungsländer beruhen im wesentlichen auf zwei Argumenten: - Die Industriestaaten müssen einen Ausgleich für die Schäden leisten, die sie durch die Ausbeutung der Entwicklungsländer während der Kolonialzeit und durch fortwährende ungerechte Handelsbeziehungen in den Entwicklungsländern angerichtet haben. - Voraussetzung fur eine wirtschaftliche Partnerschaft und Gleichberechtigung zwischen armen und reichen Ländern ist die Verpflichtung der Reichen, den Armen bei ihrem Entwicklungsprozeß mit realen Ressourcenübertragungen zu helfen. Im allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Bereich forderten die Entwicklungsländer u.a.:
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- die Anerkennung als vollwertige und gleichberechtigte Partner der internationalen Gemeinschaft, - die Anerkennung des Rechts jedes Staates auf seinen eigenen wirtschaftlichen Weg sowie - den Abbau protektionistischer Maßnahmen, die Abschaffung von tarifären und nicht-tarifären Handelshemmnissen und den freien Zugang zu den Märkten der Industrieländer für Halb- und Fertigwaren aus Entwicklungsländern. Die 1974 zum ersten Mal systematisch vor den VN erhobenen Forderungen der Entwicklungsländer wurden in folgende Punkte untergliedert: - Rohstoffe, Primärgüter, Nahrungsmittel, - Vorschläge zur Organisation des Welthandels, - Forderungen hinsichtlich des Transportwesens und der Versicherungsleistungen, - Forderungen hinsichtlich der Industrialisierung, - Forderungen bzgl. eines angestrebten Technologietransfers, - Kontrolle transnationaler Unternehmen, - monetäre Forderungen der Entwicklungsländer. Die Staaten der Dritten Welt streben die vollen Hoheitsrechte über ihre natürlichen Ressourcen an, wobei ihnen die Industriestaaten bei der Gewinnung und Vermarktung zur Hilfe verpflichtet sein sollen. Die Industrieländer sollen für einen reibungslosen Marktprozeß und stetiges Wachstum sorgen. Produzentenkartelle und Verbesserungen der terms of trade der Entwicklungsländer sollen von den Industrienationen gefördert werden. Allgemein werden "angemessene und gerechte Preise" gefordert (just and equitable prices). Die Industrieländer werden aufgefordert, für eine Umkehr des stagnierenden Trends der Rohstoffpreise der Entwicklungsländer Sorge zu tragen und den Anteil von natürlichen Rohstoffen im Vergleich zu den synthetischen zu erhöhen.
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Bezüglich der Nahrungsmittel sollen alle notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, um den Entwicklungsländern zu helfen, ihre Landreserven besser zu nutzen, der Versalzung und Versteppung des Landes entgegenzuwirken sowie die Luft- und Wasserverschmutzung zurückzudrängen. Die Industrieländer haben dafür Sorge zu tragen, daß die Länder der Dritten Welt eine ausreichende Menge an Nahrungsmitteln einfuhren können, ohne dabei ihre Devisenreserven in Anspruch zu nehmen oder eine Verschlechterung ihrer Zahlungsbilanz hinzunehmen. Die Industrieländer sollen den Entwicklungsländern notwendige Inputs (wie Kunstdünger) zu Sonderbedingungen bereitstellen und Lagerkapazitäten aufbauen. Nahrungsmittelexpoite der armen Nationen sollen allgemein gefördert werden. Die Entwicklungsländer fordern einen besseren Zugang zu den Märkten der Industrieländer, Handelshemmnisse sollen progressiv abgebaut werden. Die Stabilisierung der Preise über Rohstoffabkommen und die Schaffung eines integrierten Rohstoffprogramms werden erwartet. Den Entwicklungsländern soll ein bestimmter Marktanteil bei ihren Produkten gesichert werden, mit denen sie auf den Märkten der Industriestaaten miteinander konkurrieren. Zölle und Abgaben der Industriestaaten sollen an die Entwicklungsländer erstattet werden. Das allgemeine Präferenzsystem des GATT soll fur alle Staaten der Dritten Welt verbessert werden. Zusätzlich werden Rohstoffausgleichslager gefordert, die von den Industriestaaten zu finanzieren sind. Investitionen zur Herstellung synthetischer Substitute sollen verboten werden, so daß die Nachfrage nach natürlichen Rohstoffen der Entwicklungsländer gefördert wird. Da das Transportwesen und das Versicherungsgeschäft in den Händen der Industrieländer konzentriert ist, fordern die Entwicklungsländer einen gerechten Anteil (bspw. an der Weltschiffstonnage) und eine weltweite Senkung der Frachtraten, um ihre Exporte und Importe zu verbilligen. Angestrebt wird auch eine Reduzierung der Versicherungsprämien und eine Hilfe der Industriestaaten zum Aufbau eines eigenen leistungsfähigen Versicherungswesens. Sonderhilfen werden für Entwicklungsländer ohne Zugang zum Meer (LLC: land locked countries) und Inselstaaten verlangt. Die Industrieländer und die internationalen Finanzierungsinstitute werden aufgefordert, vorrangig das Ziel der Industrialisierung der Entwicklungsländer zu unterstützen. Industrieprojekte, die eine verstärkte Exportdiversifizierung zum
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Ziel haben und solche, die eine verstärkte Verarbeitung heimischer Rohstoffe ermöglichen, sollen bevorzugt gefördert werden. Die Berufsschulausbildung (vocational training) und die Ausbildung von Verwaltungsfachleuten (management development) sollen ebenfalls von den Industrieländern unterstützt werden. Für das Jahr 2000 strebte die UNIDO für die Entwicklungsländer einen Anteil an der weltweiten Industrieproduktion von 20% an. Die "Gruppe der 77" übertraf diese Forderung mit dem Ziel eines 25%-igen Anteils an der Industrieproduktion. Offensichtlich sind diese Ziele überzogen, da die weltweite Inflation, die verbreitete Arbeitslosigkeit, die allgemeine Rohstoffpreisentwicklung und die Preispolitik der OPEC neue Daten setzten, die das Wachstumstempo in Industrie- und Entwicklungsländern verlangsamten. Außerdem ist zu bezweifeln, daß solche fixierten Wachstumsziele überhaupt erreicht werden können, da wirtschaftliches Wachstum nicht geplant werden kann. Es können nur die Wachstumsvoraussetzungen verbessert werden. Kritisch soll bereits hier vermerkt werden, daß die Entwicklungsländer beim Streben nach einer raschen Industrialisierung möglicherweise die sozioökonomischen Nachteile, die damit verbunden sind, stärker berücksichtigen müssen. Angesichts der verbreiteten Arbeitslosigkeit, der unausgewogenen Regionalstruktur und der extrem ungleichen Einkommensverteilung in der Dritten Welt spricht manches fur eine dezentrale, gewerbliche Entwicklung unter Einbeziehung von Klein- und Handwerksbetrieben im Verbund mit einer Förderung des Agrarsektors. Die UNIDO will demgegenüber die Welt-Industriestruktur planen, was zweifelhafte Erfolgsaussichten hat. Bei allen Mängeln, die der Marktmechanismus hat, hat er sich als Instrument der Koordinierung von Produktions- und Investitionsentscheidungen doch noch am besten bewährt. Entwicklungs- und Industrieländer sollten sich deshalb stärker auf die Behebung bestehender Mängel konzentrieren und durch flankierende Maßnahmen dem Aufbau der Industriestruktur helfen, anstatt die Lenkungsfunktion des Preismechanismus durch Regierungsdekrete einschränken zu wollen. Die Nachfrageentwicklung einzelner Branchen und Produktgruppen läßt sich kaum langfristig prognostizieren. Länder mit marktwirt-
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schaftlicher Ordnungsstruktur können zudem ihren privaten Unternehmen keine verbindliche Verhaltensweise mit Zwangscharakter vorschreiben.14 Die Entwicklungsländer verlangen einen international rechtlich akzeptierten Rahmen für einen Technologietransfer; die Industrieländer werden aufgefordert, den Entwicklungsländern moderne Technologien zu Vorzugsbedingungen zur Verfugung zu stellen, wobei diese Technologien von den Industrieländern der gesellschaftlichen Situation in den Entwicklungsländern angepaßt werden müssen. Auch das Patentrecht soll zugunsten der Entwicklungsländer geändert werden, um den Mißbrauch der Patentinhaber zu verhindern, die Patente oft nicht freigeben bzw. hohe Gebühren verlangen. Für energieeinsparende Maßnahmen und fur die Konservierung der Nutzung natürlicher Ressourcen sollen die Industrie- den Entwicklungsländern verstärkt Technologien zum Nulltarif zur Verfugung stellen. Hingewiesen sei hierbei auf den Zielkonflikt zwischen Produktivität und Arbeitslosigkeit: Verbilligte kapitalintensive Technologien erhöhen das Arbeitslosenproblem der armen Länder. Auch für das wirtschaftliche Verhalten transnationaler Unternehmen sollen international garantierte Regeln ausgearbeitet werden, wobei gefordert wird, daß sich diese Konzerne nicht in die inneren Angelegenheiten der Entwicklungsländer mischen dürfen und die allgemeine Wirtschaftspolitik des Gastlandes unterstützen sollen. Gewinne der transnationalen Unternehmen müssen im Gastland neu investiert werden. Ein Transfer in das Mutterland muß den Interessen des Gastlandes untergeordnet werden. Die Entwicklungsländer forderten Maßnahmen zum Kampf gegen die Inflation in den Industrieländern, um einen Inflationsimport zu verhindern. Insbesondere die Fluktuation von Wechselkursen soll beseitigt werden. Der Realwert der Devisenreserven der Entwicklungsländer soll durch Maßnahmen der Industrieländer erhalten bleiben. Außerdem fordern die Staaten der Dritten Welt größere Mitspracherechte in den Gremien von Weltbank und IWF.
Vgl. "Auf dem Weg zu einer neuen Weltwirtschaftsordnung" (wissenschaftliche Schriftenreihe des Bundesministeriums fur wirtschaftliche Zusammenarbeit), Stuttgart 1978; dort insbesondere die Stellungnahme zu UNIDO II. Verwiesen sei auch auf J. N. BHAGWATI (Hrsg.), The New International Economic Order: The North-South-Debate, Cambridge, Mass./London 1977 sowie B. KEBSCHULL (Hrsg.), Die neue Weltwirtschaftsordnung, Hamburg 1977.
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Eine hinreichende und geordnete Schaffung zusätzlicher Liquidität wird über eine Erhöhung der Sonderziehungsrechte gefordert, die den Entwicklungsländern zur Finanzierung ihrer Entwicklung bereitgestellt werden sollen (Project "Link"). Der Nettorealtransfer von den Industrie- zu den Entwicklungsländern soll erhöht werden und eine gleiche Verteilung des Stimmrechts nach dem Muster der Vereinten Nationen angestrebt werden. Dringliche Maßnahmen zur Minderung der Verschuldung sollen über einen Schuldenerlaß, Stundung, Zinssubventionierung und Neuverhandlungen über die Rückzahlungstermine erreicht werden. Die internationalen Finanzinstitutionen sollen ihre Geschäftspolitik stärker auf die Notwendigkeiten der Entwicklungsländer ausrichten, wobei LLDC, LLC, MSAC (most seriously affected countries) Kredite zu Sonderkonditionen erhalten sollen.
4.5 Vorschläge der Nord-Süd-Kommission 1978 begann unter Leitung von Willy Brandt eine unabhängige Kommission fur internationale Entwicklungsfragen (Nord-Süd-Kommission) einen Bericht zu erarbeiten, der 1980 unter dem Titel "Das Überleben sichern - gemeinsame Interessen der Industrie- und Entwicklungsländer" erschien. 15 Dieser Bericht versucht auf ca. 300 Seiten (deutsche Fassung 316 Seiten) alle Fragen der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Nord und Süd zu diskutieren. Dabei darf nicht überraschen, daß manche Vorschläge ein wenig oberflächlich bleiben. Die Betonung in diesem Bericht liegt auf dem gemeinsamen Interesse von Industrieund Entwicklungsländern an einem friedlichen Ausgleich der Welteinkommensverteilung. Der Bericht versucht die wesentlichen Fragen, die zur Überwindung des Nord-Süd-Gefalles behandelt werden müssen, aufzugreifen und Lösungsmöglichkeiten darzustellen. Kritisiert werden kann, daß dieser Bericht oft nicht überzeugend ein Interesse des Nordens fur viele dieser Vorschläge begründen kann.
15 Nord-Süd-Kommission: Das Überleben sichern, gemeinsame Interessen der Industrie- und Entwicklungsländer, mit einer Einleitung des Vorsitzenden W. BRANDT, Köln 1980. Originaltitel: North-South: Α Programme for Survival; siehe auch: Friedrich Ebert-Stiftung (Hrsg.): Unfähig zum Überleben? Reaktionen auf den Brandt-Report, Frankfurt 1983; ebenso: Hilfe in der Weltkrise. Ein Sofortprogramm. Der 2. Bericht der Nord-Süd-Kommission (herausgegeben und eingeleitet von Willy Brandt), Reinbeck 1983 (rororo aktuell). Englischer Titel: Common Crisis North-South: Cooperation for World Recovery, London 1983.
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Im einzelnen wird u.a. vorgeschlagen: Ein Aktionsprogramm muß aufgestellt werden, das Sofortmaßnahmen und langfristige Maßnahmen so zusammenfaßt, daß den Annutsgürteln Afrikas und Asiens schnell geholfen wird. Regionale Programme fur die Nutzung von Wasser und Boden, Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge und zur Ausrottung von Krankheiten, wie Flußblindheit, Malaria, Schlafkrankheit und Bilharziose werden gefordert, ebenso AufForstungsprojekte und die verstärkte Entwicklung der Sonnenenergie. Die Unterstützung der Industrialisierung der Entwicklungsländer und eine Verbesserung der Investitionen im Verkehrswesen und anderen Bereichen der Infrastruktur wird angemahnt. Zusätzliche Finanzhilfen von mindestens 4 Mrd. US$ pro Jahr als Zuschüsse oder Sonderzuwendungen werden gefordert. Massenhunger und Unterernährung sollen über eine Reform der Landwirtschaft, ein internationales Nahrungssicherungsprogramm und erhöhte Nahrungsmittelhilfe beseitigt werden. Der Handel mit Lebensmitteln und anderen Agrarprodukten soll zwischen Nord und Süd liberalisiert werden, um zur Stabilisierung der Nahrungsmittelversorgung beizutragen. Internationale landwirtschaftliche Forschungsinstitute sollen verstärkt regional mit Entwicklungsländern zusammenarbeiten. Das hohe Bevölkerungswachstum in diesen Ländern macht einen verstärkten Kampf gegen Hunger, Krankheit, Unterernährung und Analphabetentum dringlich. Ein ausreichendes Gleichgewicht zwischen Bevölkerung und Ressourcen soll angestrebt und Familienplanung frei zugänglich werden. Ökologische Fragen werden ebenfalls aufgegriffen. Zu den Aufgaben des Südens gehört es, landeseigene technologische Fähigkeiten zu stärken und eine regionale Zusammenarbeit zu forcieren. So wird vorgeschlagen, daß sich die Entwicklungsländer größere Handelspräferenzen gewähren. Entwicklungsländer mit Kapitalüberschüssen sollten ebenfalls in anderen Entwicklungsländern investieren. Gefordert werden internationale RohstofFabkommen zwischen Erzeugern und Verbrauchern und erweiterte Fazilitäten für die kompensatorische Finanzierung. Der systematische Abbau der hohen Abhängigkeit von immer knapper werdenden Energiequelle η soll in Angriff genommen werden. Die internationalen Finanzorganisationen sollen mehr Mittel zur Verfugung stellen, um neue Energiequellen
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zu erschließen. Zu Recht wird der weltweite Protektionismus angeprangert. Investitionsregeln fur transnationale Unternehmen werden aufgestellt und eine neue Weltwährungsordnung vorgeschlagen, in welcher Sonderziehungsrechte den Entwicklungsländern stärker zugute kommen sollen (link). Die Überschußländer sollen eine größere Verantwortung für den Zahlungsbilanzausgleich übernehmen und die Entwicklungsfinanzierung muß auf selbständige Füße, d.h. auf Träger in den Entwicklungsländern gestellt werden. Ein gewaltiger Kapitaltransfer in die armen Länder ist notwendig, um Projekte und Programme zur Milderung der Armut und Steigerung der Nahrungsmittelproduktion durchzufuhren. Gefordert wird eine automatische Mittelaufbringung durch internationale Abgaben, z.B. auf den internationalen Handel, Waffenherstellung, internationaler Tourismus oder den Gemeinschaftsbesitz der Menschheit (Rohstoffe auf dem Meeresgrund). Politische Auflagen multilateraler Finanzierungsinstitutionen sollen vermieden und zunehmende Mittel über regionale Kanäle gespeist werden, wobei eine beträchtliche Erhöhimg der Programmkredite gefordert wird. Dafür sollen die Quoten im IWF um 100% aufgestockt werden. Für Schuldnerländer wird eine höhere Beteiligung am Entscheidungsprozeß und Management des IWF gefordert. Ein sorgfaltiges Studium des Berichts zeigt, daß viele Forderungen ein wenig unkritisch von den Entwicklungsländern übernommen werden. Die Industrieländer reagierten pragmatisch vorsichtig auf diesen Bericht, größere wirtschaftliche Auswirkungen sind nicht eingetreten. Überdies werden ordnungs'politische Aspekte fast vollständig vernachlässigt. So ist zwar aus ordnungspolitischer Perspektive zu begrüßen, daß eine Automatik (z.B.: regelmäßige Steuereinnahmen) für die Mittelbeschafiung der Entwicklungshilfe vorgeschlagen wird. 16 Allerdings sind die vorgeschlagenen Finanzierungsformen weitgehend nicht ordnungskonform ausgestaltet. Prinzipien wie Leistungs- und Bedürfnisgerechtigkeit sowie stabilitätspolitische Ziele werden bei der Besteuerung des internationalen Handels, bei der Abschöpfung der Gewinne von Unternehmen, die Bodenschätze außerhalb der exklusiven Wirtschaftszonen der Staaten fördern, bei der Finanzierung mit Hilfe von Sonderziehungsrechten, 16 Vgl. R. SCHINKE, Ordnungspolitische Aspekte einiger Vorschläge der Brandt-Kommission zur Entwicklungshilfe", in: Ordnungspolitische Fragen zum Nord-Süd-Konflikt, Hrsg.: U. E. SIMONIS (Schriften des Vereins für Socialpolitik, Neue Folge Bd. 129), S. 319-343, hier S. 329.
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durch Goldverkäufe des IWF und der Verwendung von Tilgungs- und Zinszahlungen der Entwicklungsländer für die Transfers an die Entwicklungsländer kaum beachtet. So kann z.B. eine Erhöhung der Weltgeldmenge durch verstärkte Ausgabe von Sonderziehungsrechten zu weltweit inflationären Tendenzen fuhren und damit stabilitätspolitischen Zielen zuwiderlaufen. Auch die Verwendung der Transfers fur den Ausgleich der Zahlungsbilanzen, die Kompensation der Preisschwankungen von Rohstoffen, die Refinanzierung von Exportkrediten der Unternehmen aus Entwicklungsländern und die Deckung laufender Kosten von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln ist ordnungspolitisch bedenklich. Denn die Ressourcen werden zur Kompensation der Ergebnisse von Marktprozessen eingesetzt, nicht aber zur (Re)-Vitalisierung wettbewerbsfähiger Marktstrukturen und zur Förderung der Diversifikation der Wirtschaftsstruktur.17 Ebenso kann aus ordnungspolitischer Sicht die Gründung eines Weltentwicklungsfonds nicht befürwortet werden, da nach dem Prinzip "jedes Land hat eine Stimme" die Mittelaufbringung und -Verteilung geregelt werden sollte. Eine solche Regelung wird zu erheblichen Forderungen nach Fondserhöhungen führen und zu einem verschwenderischen Umgang mit den Finanzierungsmitteln verleiten.18
4.6 Einige kritische Bemerkungen zu den Forderungen nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung Die Forderungen der Entwicklungsländer können in reale und monetäre unterteilt werden. Generell ist kritisch anzumerken, daß die Entwicklungsländer einen weltplanwirtschaftlichen Ansatz verfolgten. Ein zu starkes Gewicht wurde auf Verteilungsfragen und ein zu geringes auf Fragen der Motivation, der Wirtschafts- und Handelspolitik und des Aufbaus von Produktionskapazitäten gelegt. Oft wird ökonomischer Sachverstand vermißt. Es wird beispielsweise nicht darüber nachgedacht, welche Auswirkungen es hat, wenn Ressourcen der Industriestaaten den Entwicklungsländern (ohne Auflagen!) zu Sonderkonditionen zur Verfügung gestellt werden.
17 18
Vgl. ebenda, S. 335ff. Vgl. ebenda, S. 338f.
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Im folgenden Abschnitt wollen wir uns nunmehr kritisch mit den monetären Forderungen der Entwicklungsländer auseinandersetzen. Soweit Forderungen gegenüber dem IWF betroffen sind, muß daran erinnert werden, daß der IWF als Währungsbehörde konzipiert ist und keine Entwicklungsbankfiinktionen übernehmen sollte. Die im Mai 1974 auf der VN-Sonderkonferenz über Rohstoffragen verabschiedeten Forderungen, die im Dezember 1980 auf der 35. Vollversammlung in ähnlicher Version ohne Abstimmung verabschiedet wurden, lassen sich kurz in folgenden Punkten zusammenfassen: - Liberalisierung und Erweiterung der offiziellen Kreditfazilitäten, - gleichmäßige Überwachung der Zahlungsbilanzpolitik von Überschuß- und Defizitländern mit dem Ziel möglichst stabiler Wechselkurse, - kollektive Schaffung neuer internationaler Liquidität in Übereinstimmung mit den Erfordernissen einer expandierenden Weltwirtschaft, - Entwicklung der Sonderziehungsrechte zum fuhrenden Weltreservemittel und ihre Verbindung mit der Entwicklungshilfe (link), - adäquate Beteiligung der Entwicklungsländer an den Entscheidungsprozessen beim IWF. Es ist zu fragen, warum sich die Industriestaaten gegen diese Forderungen wehren. Um dies zu verstehen, ist es notwendig, die Ursachen der Zahlungsbilanzkrisen der Entwicklungsländer zu untersuchen. Es ist zweifelhaft, ob der Einsatz währungspolitischer Instrumente die richtige Therapie zur Überwindung der Probleme der Entwicklungsländer ist. Was sind die Ursachen der Zahlungsbilanzdefizite? Das Leistungsbilanzdefizit liegt in der Produktionsstruktur der Entwicklungsländer begründet, die diese Länder kaum in die Lage versetzt, die eigene Bevölkerung zu versorgen. Fortgeschrittenere Staaten haben zwar eigene Ressourcen, ihnen fehlen aber Devisen, um die notwendigen Importe für einen eigenständigen Entwicklungsprozeß zu
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finanzieren. Ausländische Finanzmittel stellen somit den einzigen Ausweg dar. Hier handelt es sich um die klassische Entwicklungshilfe, die die Domäne der Weltbank und ihrer Tochterorganisationen ist. Aus ordnungspolitischen Gründen sollte die Trennung der weltweiten, wirtschaftspolitischen Aufgaben zwischen Weltbank und IWF beibehalten werden, damit beide Organisationen langfristig effizient arbeiten. Eine Vermischung der Aufgabenteilung, wie sie heute verstärkt zu beobachten ist, ist ordnungspolitisch abzulehnen, weil Gestaltungsmacht und Kompetenz eindeutig und klar voneinander abgegrenzt werden sollten. Regierungen der Entwicklungs- und der Industrieländer haben ihre wirtschaftspolitischen Instrumente oft so gehandhabt, daß die Nachfrage inflationär wirkte, was zu Importsteigerungen fühlte. Die daraus resultierenden Leistungsbilanzdefizite müssen finanziert werden. Bei mangelnden Reserven dient der IWF als letzte Quelle internationaler Liquidität. Seine Mittelvergabe kann deshalb nur unter Auflagen geschehen, die zu einer stabilitätsorientierten Wirtschaftspolitik zurückfuhren, um die Ursachen des Leistungsbilanzdefizits zu bekämpfen. Die Auflagen zur Ursachenbekämpfung werden "Konditionalität" genannt. Nur für kurzfristige, konjunkturell bedingte Defizite und ihre Finanzierung ist der IWF zuständig. Für die traditionelle, multinationale Entwicklungshilfe hingegen zeichnet die Weltbank verantwortlich. Die Forderungen der Entwicklungsländer würden deshalb zu Strukturveränderungen der beiden Weltinstitutionen fuhren. Die Debatte ist ferner dadurch gekennzeichnet, daß die eine Gruppe die Forderungen der jeweils anderen oftmals pauschal ablehnt. So empfinden Entwicklungsländer Auflagen als Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten und Industrieländer argumentieren, daß ein Eingehen auf die monetären Forderungen der Entwicklungsländer zu einer unkontrollierten Verwendung und Verschwendung internationaler Liquidität fuhrt und eine weltweite Inflation hervorruft. 19 Ordnungspolitisch ist es nicht wünschenswert, Kreditnehmer über die Konditionen der Kredite abstimmen zu lassen, weil durch die fehlende Verantwortung fur den Umgang mit den Krediten die Ressourcen nicht unbedingt in produktive Bereiche gelenkt werden. Deswegen können die Forderungen der Entwicklungsländer nach einem größeren Mitspracherecht nicht ohne weiteres unterstützt werSo ist z.B. von den Monetaristen das Weltangebot an Liquidität als Inilationsursache erkannt worden. Vgl. z.B. A.C. HARBERGER, A Primer on Inflation. JMCB 10:4 (November 1978), S. 505 -521.
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den. Um die bisher finanziell gesunde Position der Weltbank zu garantieren, muß weiterhin eine solide Kreditpolitik verfolgt werden. Sonderziehungsrechte verlieren an Glaubwürdigkeit und Wert, wenn ihre Höhe von den Schuldnern bestimmt wird, wodurch ihre Erhöhung keinen realen Hilfseffekt mehr hat (kein Realtransfer). Weiterhin lassen sich noch folgende Kritikpunkte auffuhren: Die Vorschläge und Forderungen der Entwicklungsländer sind meist äußerst globaler Natur. Schwierigkeiten bestehen bei ihrer Operationalisierung. Den Zielen können die Industrieländer zustimmen, ihre Durchführung ist aber oft widersprüchlich formuliert, ökonomische Gesetzmäßigkeiten bleiben dabei außer Betracht. Man gewinnt den Eindruck, daß die im Rahmen einer neuen Weltwirtschaftsordnung aufgestellten Forderungen wirtschaftswissenschaftliche Reflektion vermissen lassen. Kaum wird eine adäquate Ursachenanalyse ordnungspolitischer Voraussetzungen zur Schaffung von Wohlstand durchgeführt. Das Schwergewicht liegt auf Umverteilungsforderungen, die nur im Interesse der herrschenden Eliten hegen. Das Wissen darüber, wie wirtschaftlicher Reichtum geschaffen wird und wie wirtschaftliche Beziehungen friedensstiftend geordnet werden müssen, ist abhanden gekommen. Mit Hinweis auf die katastrophale Armut in der Dritten Welt, die wirksam bekämpft werden muß, werden unverantwortliche Forderungen erhoben, die die Bedürftigkeit und Armut erhöhen und die kulturelle Würde der Menschen in der Dritten Welt verletzen. Obgleich die Forderungen von den eigenen Eliten der Dritten Welt unterstützt werden, müssen sie als Kulturkolonialismus angesehen werden. So darf es nicht überraschen, daß sich vereinzelt Kritiker aus der Dritten Welt von diesen Forderungen distanzieren. 20 Von eigenem Versagen der Wirtschaftspolitik, die oft von sozialistischen Beratern der Industriestaaten unterstützt wurde, ist kaum die Rede. Schuldzuweisungen werden nur gegenüber den Industriestaaten erhoben, die allerdings nicht ganz unschuldig sind am entwicklungspolitischen Versagen der Eliten der Dritten Welt.
20
Vgl. C. RANGEL, Der Westen und die Dritte Welt. Von falschen Schuldkomplexen zu echter Verantwortung, München 1985 oder A. KABOU: Weder arm noch ohnmächtig. Eine Streitschrift gegen schwarze Eliten und weiße Helfer, Basel 1993.
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Vergebens sucht man nach Eigeninitiativen, wie Vorschlägen zu einer Umverteilung des Vermögens, insbesondere des Vermögens an Grund und Boden in den Entwicklungsländer. Auch Bemerkungen zum Bevölkerungsproblem sind äußerst selten. Im allgemeinen wird eine weltweite Umverteilung von reichen Staaten an arme Staaten gefordert. Wesentlich wäre es aber, den ärmsten Menschen der armen Staaten zu helfen, und nicht deren Regierungen. Sinnvoller wäre also eine Umverteilung der Ressourcen von reichen Individuen an arme Individuen. Es bleibt auch zu hinterfragen, ob in der Diskussion die wirklichen Ursachen der Armut erkannt worden sind. Nicht umsonst wird Entwicklungshilfe als eine Subventionierung der Reichen der armen Länder durch die Armen der reichen Länder bezeichnet. Da das Eigentum an Grund und Boden den größten Teil des Produktiwermögens in den Entwicklungsländern ausmacht, muß die Notwendigkeit einer Bodenreform betont werden, wenn das Problem der ungleichen Einkommens- und Vermögensverteilung angegangen werden soll. Bemängelt werden müssen auch die enormen Rüstungsausgaben der Entwicklungsländer, die in den Dokumenten des Brandt-Berichts kaum erwähnt werden. So stieg der Anteil der Dritten Welt an den weltweiten Militärausgaben von 8,3% im Jahre 1960 auf 18,1% im Jahre 1980 (137 Mrd. US$) und hat sich bis 1990 auf einen Anteil von 13,9% an den gesamten erfaßten Militärausgaben der Weltgemeinschaft reduziert, was einem Volumen von 123 Mrd. US-$ entspricht.21 Viele Entwicklungsländer haben einen großen bzw. den größten Teil ihrer Ausgaben fur Militärausgaben verwendet. Für alle erfaßten Länder im Human Development Report werden höhere Militärausgaben als Sozialausgaben festgestellt. Das Verhältnis von Militär- zu den Sozialausgaben in einigen ausgewählten Ländern ist in der folgenden Tabelle zu ersehen.22
21 22
Quelle: UNDP, Human Development Report 1992, New York 1992, S. 85. Quelle: ebenda, S. 87.
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Tabelle 4.1 Verhältnis der Militärausgaben zu den Sozialausgaben 1990 Militärausgaben in % der Sozialausgaben, Länder mit hohen Militärausgaben Irak 511 Somalia 500 318 Nicaragua Oman 268 239 Pakistan Syrien 204 144 Bolivien
Militärausgaben in % der Sozialausgaben, Länder mit niedrigen Militärausgaben 4 Costa Rica 5 Mauritius 8 Mexiko 9 Jamaika 13 Ghana 16 Botswana Algerien 18
Vervollständigt wird das Bild, wenn man die Relation Soldaten/Lehrer betrachtet, die in Tabelle 4.2 für einige Länder dargestellt ist.
Tabelle 4.2 Verhältnis von Soldaten zu Lehrern 1987 - 89 Anteil der Soldaten in % der Lehrer, Länder mit höchsten Militärausgaben Irak 625 Somalia 591 Äthiopien 416 Nicaragua 350 Syrien 302 Mauretanien 300 Vietnam 291 Singapur 280 UAR269 Zypern 260
Anteil der Soldaten in % der Lehrer, Länder mit niedrigen Militärausgaben Costa Rica 0 Kenia 8 Ghana 9 Jamaika 10 Elfenbeinküste 14 Indonesien 15 Sri Lanka 15 Trinidad 15 Mexiko 17 Zaire 17
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Angesichts dieses Mißverhältnisses in vielen Ländern könnte eine kollektive Vereinbarung über die Sicherheit der Grenzen helfen, Verteidigungsausgaben einzusparen, die dann zur Entwicklung der Infrastruktur genutzt werden können. Auf die meisten speziellen Forderungen der Entwicklungsländer wurde oben eingegangen. Eine generelle Verwirklichung ihrer Vorschläge fuhrt zur Gefahr einer international bürokratisierten Wirtschaft. Da die nationalen Planwirtschaften ökonomisch nicht überzeugen konnten, ist dies fur eine internationale Planwirtschaft erst recht zu vermuten. Die Entwicklungsländer brauchen mehr Mut zu einer marktwirtschaftlichen Ordnung, was in einzelnen Ländern bereits ja auch verwirklicht wurde. Eine Alternative zur neuen Weltwirtschaftsordnung wäre darüberhinaus eine Ausweitung der Sozialen Marktwirtschaft auf Weltebene.
4.7 Alternative Konzepte zur Neuordnung der Weltwirtschaft Die Diskussion über eine neue Ordnung der Weltwirtschaft ist hauptsächlich von Vorstößen der Entwicklungsländer beherrscht worden. Die Industriestaaten haben bislang meist nur "defensiv-pragmatisch" reagiert, da ihnen anscheinend ein ordnungspolitisches Konzept fehlt, das sie den Forderungen des Südens gegenüberstellen könnten. Eine Übertragung des ordnungspolitischen Leitbildes der Bundesrepublik Deutschland auf Weltebene könnte ein solches Konzept sein. Der Vorschlag einer "Sozialen Weltmarktwirtschaft" könnte die erstarrten Fronten des Nord-Süd-Dialogs lockern. Sowohl Industrie- als auch Entwicklungsländer könnten diesem Ordnungskonzept zustimmen, wenn das soziale Element (in Form eines internationalen Finanzausgleichs) berücksichtigt wird. Hierdurch könnte ein Interessenausgleich stattfinden. Zunächst soll aber auf das liberale Konzept kurz eingegangen werden.
4.7.1 Das liberale Konzept P.T. Bauer weist darauf hin, daß Maßnahmen der Entwicklungshilfe und andere Bevorzugungen der Entwicklungsländer ihrer Entwicklung hinderlich seien.23 In 23
Vgl. P. T. BAUER, Equality, the Third World, and Economic Delusion, London 1981, ders: Reality and Rhetoric. Studies in the Economics of Development, Cambridge (Mass.) 1984; ders: The Development Frontier, London et al. 1991.
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Entwicklungsländern ergäbe sich nur eine Rentner-Mentalität, die entwicklungshemmend wirke. Auch Hayek hat einmal provozierend geäußert, daß ein Land, das sich nicht selbst ernähren kann, aus der internationalen Weltgemeinschaft ausscheiden muß, da es ein Unding ist, daß die Weltgemeinschaft fur Länder, die bewußt eine falsche Wirtschaftspolitik betreiben, geradezustehen hat. Aus ethischen Gründen wird diese radikale, liberale Lösung allerdings abgelehnt, wenngleich einige ökonomische Argumente zutreffen. Überdies gibt es auch ökonomische Argumente gegen eine per se freie Marktkoordination. Märkte können versagen und selbst liberale Ökonomen befürworten eine staatlich eingesetzte Wettbewerbsordnung. Auch ist eine Überwindung der großen Diskrepanzen in der internationalen Einkommens- und Vermögensverteilung wohl nur mit Hilfe einer vernünftig ausgestalteten internationalen, sozialen Marktwirtschaft möglich.
4.7.2 Das Konzept einer Sozialen Weltmarktwirtschaft Zum Wesen einer Sozialen Marktwirtschaft gehören im allgemeinen drei Elemente: Die marktwirtschaftliche Ressourcenallokation basierend auf einer für alle gültigen Wettbewerbsordnung, die Sicherung monetärer Stabilität und die Glättung von Marktschwankungen sowie die Herstellung der Startchancengerechtigkeit und der Verteilungsgerechtigkeit. Die Sozialpolitik ist ein unerläßlicher Bestandteil jeder Sozialen Marktwirtschaft, wobei das Subsidiaritätsprinzip gelten soll, d.h. unter der Beachtung der möglichen Selbsthilfe, die Vorrang hat, soll geholfen werden. Auch dieses ordnungspolitische Prinzip muß in der Neuen Weltwirtschaftsordnung (NWWO) verankert werden. Die Verwirklichung einer Sozialen Marktwirtschaft auf Weltebene zeigt indes ein grundsätzliches Problem auf. Die Soziale Marktwirtschaft auf Länderebene kann wegen des bestehenden staatlichen Machtmonopols aufrechterhalten werden. 24 Dieses Machtmonopol fehlt jedoch im Weltmaßstab. Weder gibt es eine Weltregierung, noch ein Weltkartellamt. Ist die Übertragung der Sozialen Marktwirtschaft auf Weltebene daher zum Scheitern verurteilt?
24
Vgl. H. SAUTTER, "Soziale Marktwirtschaft" als Ordnungsprinzip für die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Entwicklungs- und Industrieländern, in: O. ISSING (Hrsg.), Zukunftsprobleme der Sozialen Marktwirtschaft, Berlin 1981, S. 633 - 650.
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Um diese Frage zu klären, soll auf die drei bereits genannten Elemente einer Sozialen Weltmarktwirtschaft im einzelnen eingegangen werden. Eine optimale Ressourcenallokation setzt den Abbau von Import- und Exportbeschränkungen voraus Nur der Erziehungszoll bildet eine Ausnahme, wenn es wegen Verwaltungsengpässen und fehlender Ressourcen nicht durch Subventionen möglich ist, den Aufbau einer Industrialisierung zu fördern. Gegen private Wirtschaftsmacht und deren Mißbrauch hilft nur eine weltweite Wettbewerbspolitik, in die auch der Agrarmarkt eingeschlossen werden muß. Eine Eigentumssicherung für Direktinvestitionen ist ebenfalls nötig. Die Entwicklungsländer können nicht höhere Investitionen von transnationalen Konzernen fordern und zugleich das nationale Recht der Enteignung dieser Konzerne betonen. ("Mausefallenländer") Ein stabiles Währungssystem erfordert die Unterscheidung zwischen dem Währungs- und dem Verteilungsziel. Schwankungen von Exporterlösen können durch eine IWF-Ausgleichsfinanzierung geglättet werden, sind aber nur wirksam mit einer Diversifikation der Wirtschaftstruktur in den Entwicklungsländern zu bekämpfen. Eine Verstetigung der Produzentenpreise muß national erreicht werden, um die optimale Ressourcenallokation nicht zu gefährden. Eine Übertragung der Startchancen- und Verteilungsgerechtigkeit auf Weltebene erscheint problematisch. Hauptargument gegen eine internationale Verteilungsordnung im Sinne eines Abbaus der Ungleichheit ist das Anreizproblem. Es stellt sich die Frage, ob dadurch Eigenanstrengungen nicht gelähmt werden. Auch das Abhängigkeitsproblem und die Beantwortung der Frage, ob es überhaupt Möglichkeiten gibt, die Hilfsbedürftigen zu erreichen, müssen erörtert werden. Bei der Entwicklungshilfe muß daher zwischen zwei Funktionen unterschieden werden: Der Verbesserung der Startchancen und der reinen Sozialpolitik. Eine Förderung der landwirtschaftlichen Produktion, die Verbesserung der Trinkwasserversorgung und die Erfüllung anderer Grundbedürfiiisse können als produktiver Konsum zu den Investitionen gerechnet werden. Sie verbessern sicherlich die Startchancen. Ein Zurechnen zur Sozialpolitik wäre aber ebenfalls möglich. So wäre es denkbar, jedem Erdenbürger ein Mindestmaß an Grundbedürfnissen zu garantieren, das durch ein weltweites Lebensmittelprogramm, das allokationsneutral konzipiert werden muß, erreicht werden könnte. In dieser Dis-
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kussion wird oft auf die Rechte hingewiesen, die ein Weltbürger von Natur aus hat, so etwa auch das Recht zur Befriedigung seiner Grundbedürfiiisse. Die wirtschaftspolitische Operationalisierung solcher Rechte ist jedoch äußerst schwierig.25 Problematisch ist jedoch die Finanzierung einer solchen internationalen Sozialpolitik. Wechselnde politische und ökonomische Prioritäten und Gegebenheiten fuhren bei den jährlichen Haushaltsentscheidungen zu einem unstetigen Mittelaufkommen für die Dritte Welt. Die freiwilligen Spenden der Entwicklungshilfe müßten in eine stetige Verpflichtung umgewandelt werden können. Zuweisungen aus den öffentlichen Haushalten gemäß einem bestimmten vorgegebenen Schlüssel wären ein erster Schritt zu einer Verstetigung der Mittelaufwendung internationaler Sozialprogramme (Entwicklungshilfe) und damit ein Schritt in Richtung eines internationalen Finanzausgleichs, wie er auch bei regionalen Zusammenschlüssen im Interesse einer marktwirtschaftlichen Ressourcenallokation notwendig wird. 26 Die positiven Entwicklungsimpulse der Einfuhrung einer Sozialen Marktwirtschaft in den Entwicklungsländer und auf Weltebene werden auch in Studien des HWWA, der DSE und der GTZ herausgearbeitet.27 Dort findet man z.B. folgendes Zitat von Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack über die Übertragbarkeit der Sozialen Marktwirtschaft auf Entwicklungsländer:28 "Ein starkes Argument für die Brauchbarkeit der Marktwirtschaft in Entwicklungsländern kann man daraus ableiten, daß sich unabhängig vom Reifegrad der Volkswirtschaft in allen Ländern die gleichen Grundprobleme des Wirtschaftens 25 Dies gilt auch für die nationale Sozialpolitik. Verwiesen wird bspw. auf Α. M. OKUN, Equality and Efficiency. The Big Tradeoff, Washington, D.C. 1975. 26 Vgl j j WIESEBACH, Aspekte eines künftigen Systems internationaler Entwicklungsfinanzierung, in: H.-B. SCHAFER (Hrsg.), Gefährdete Weltfinanzen. Verschuldungsproblematik und internationale Finanzpolitik, Bonn 1980, S. 161 - 178. 27 Vgl. z.B. K. FASBENDER/M. HOLTHUS/E. THIEL (Hrsg.), Elemente der Sozialen Marktwirtschaft, wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen - Transformationsmöglichkeiten, Hamburg 1991; siehe auch: A. SCHLARB (Hrsg.), Die Bedeutung der Ordnungspolitik für den wirtschaftlichen Anpassungsprozeß in Entwicklungsländern, Baden-Baden 1990. 28 Vgl. K. FASBENDER, Überlegungen zur Übertragbarkeit der Sozialen Marktwirtschaft, in: ders., M. HOLTHUS/E. THIEL (Hrsg.), Elemente der Sozialen Marktwirtschaft, wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen - Transformationsmöglichkeiten, Hamburg 1991, S. 292.
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stellen. Stets geht es um die allgemeine ökonomische Aufgabe, die Knappheit aller Güter des menschlichen Bedarfs zu vermindern;... Die Brauchbarkeit der Marktwirtschaft für Entwicklungsländer läßt sich ferner mit dem Nachweis ihrer ausgeprägten wirtschaftlichen und sozialen Mobilisierungsfunktion begründen. Ein wesentlicher Effekt ist die Auflösung traditioneller wachstumshemmender Sozialstrukturen... Ein weiteres Argument für die Marktwirtschaft in Entwicklungsländern ist der Erfahrungstatbestand, daß funktionsfähige Märkte eine wichtige Voraussetzung verbesserter Informationsvermittlung für wirtschaftliche und technologische Kenntnisse sind."
4.8 Das Problem der transnationalen Konzerne Internationaler Technologietransfer wird im allgemeinen am effizientesten durch transnationale Unternehmen (TNU) bewerkstelligt, da sich diese im Gegensatz zur zwischenstaatlichen Entwicklungshilfe primär an Rentabilitätskriterien orientieren. Gerade ihnen wird aber wird oftmals vorgeworfen, daß sie Entwicklungsländer ausbeuten und damit einen sinnvollen Entwicklungsprozeß aufhalten oder sogar verhindern. Eine Einzelkritik an verschiedenen Handlungen der TNU ist berechtigt, eine generelle Kritik an ihnen aber sicherlich nicht. Nicht alle TNUs verhalten sich so, daß sie die Entwicklungspläne der Gaststaaten behindern. Viele Konzerne geben auch positive wirtschaftliche Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung. Das Gros der direkten Investitionen in Entwicklungsländern wird von den TNUs der Industriestaaten durchgeführt. Seit Beginn der 80er Jahre investieren aber auch TNUs aus Argentinien, Brasilien, Kolumbien, Hongkong, Indien, Südkorea, Peru, den Philippinen, Singapur, Taiwan und den OPEC-Staaten in den ärmsten Staaten der Dritten Welt. Das Hauptargument gegen die TNUs ist sicherlich ihre wirtschaftliche Kraft, die insbesondere deutlich wird, wenn man sie mit dem ökonomischen Potential einzelner Länder vergleicht. So war die Produktion von Exxon und General Motors größer als das Volkseinkommen der Türkei, Argentiniens oder Jugoslawiens.
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Der Umsatz von IBM war 1976 weltweit höher als das Volkseinkommen Thailands. Auch in der heutigen Zeit sind die Umsätze bedeutender Unternehmen erheblich größer als das Volkseinkommen vieler Entwicklungsländer.29 So hatte z.B. die Daimler Benz-AG im Jahr 1991 einen Umsatz von 95.010 Mio. DM, die Deutsche Bank sogar ein Geschäftsvolumen von 453.800 Mio DM, während arme Entwicklungsländer wie Bhutan nur ein Volkseinkommen im Jahr 1990 von 280 Mio. US-$, Sri Lanka 7.250 Mio. US-$ und Haiti z.B. 2.760 Mio. US-$ aufwiesen.30 Es ist also verständlich, daß diese Unternehmen in Verhandlungen mit den Regierungen der Entwicklungsländer eine starke Position einnehmen können. Dennoch ist zu fragen, welche Vor- und Nachteile die wirtschaftlichen Aktivitäten der TNUs in den Entwicklungsländern haben können. Zu den Vorteilen zählt, daß TNUs den Entwicklungsländern bei der externen Finanzierung notwendiger Investitionen helfen. Sparlücke und Zahlungsbilanzdefizite können durch Investitionen der TNUs überwunden werden, so daß der Entwicklungsprozeß leichter finanzierbar ist. Mit Hilfe der TNUs ist es ebenfalls möglich, besondere Dienstleistungen oder spezialisierte Güter, die für die einheimische Produktion notwendig sind, zu erhalten. Standardbeispiele, die genannt werden, sind Unterwasseringenieursysteme für das OfF-Shore-Ölbohren oder die sonst nicht aufbaubaren Computer-Kapazitäten, um Stärke und Gewicht für einzelne Komponenten eines Staudamms zu berechnen und zu entwerfen. Viele Projekte der nationalen Entwicklungsplanung wären ohne Hilfe der TNUs in Entwicklungsländern nicht durchführbar. Auf der Aktivseite muß, wie bereits angesprochen, auch die Bereitstellung ausländischer Technologie verbucht werden. TNUs haben die Möglichkeit, vorhandene Technologien den Verhältnissen in Entwicklungsländern anzupassen und durch Produkt- und Prozeßinnovationen neue Inventionen in diesen Ländern einzuführen. Zusätzlich werden Management und Unternehmerleistungen, die in armen Ländern ein knapper Produktionsfaktor sind, zur Verfugung gestellt. Es muß bei dem Vergleich von Umsatz und Volkseinkommen darauf hingewiesen werden, daß dieser Vergleich nur eine grobe Tendenz aufzeigen soll. Eigentlich müßte der Bruttoproduktionswert mit den Umsätzen verglichen werden, oder die Umsätze um Vorleistungen und Abschreibungen vermindert werden und dann mit dem Volkseinkommen verglichen werden. Solche Daten liegen jedoch nicht vor. 30 Die Daten sind dem Weltentwicklungsbericht 1992 und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung entnommen.
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Durch TNUs können auch Kontakte zu Bankengruppen, Märkten, Angebots- und Nachfragelinien im Ausland angebahnt werden, die Entwicklungsländern sonst nicht zugänglich wären. Die wirtschaftlichen Aktivitäten der TNUs erhöhen auch die Steuereinnahmen und das BIP der Gastländer. Je nach vorwärts oder rückwärts gelagerten Verkettungseffekten kann es zu Nachfrage- und Arbeitsmarkteffekten durch die wirtschaftliche Aktivität der TNUs kommen. Die Aktivitäten der TNUs in Entwicklungsländern bringen aber nicht nur Vorteile mit sich, sondern können auch Kosten verursachen. Folgende kritische Einwände werden genannt: Durch TNUs kann die technologische Abhängigkeit vom Ausland erhöht werden. Es mag im Interesse einer Muttergesellschaft liegen, Informationen über Produktionsgeheimnisse, Patente oder anderes technisches Know-how den Tochtergesellschaften zu verweigern, um eine potentielle Konkurrenz unmöglich zu machen. So hat Coca Cola es beispielsweise vorgezogen, Indien zu verlassen, anstatt ihr Mischgeheimnis mit lokalen Produzenten zu teilen. Die Tätigkeit der TNUs kann auch zu einer industriellen und technologischen Konzentration fuhren und das Entstehen eines örtlichen Unternehmertums behindern. Dies kann den Dualismus der Wirtschaftsstruktur der Entwicklungsländer verfestigen. TNUs mögen vielleicht auch Produkte einfuhren, die für diese Länder nicht sinnvoll sind, oder sie produzieren so kapitalintensiv, so daß ihre Produktion nur wenige - dafür aber hoch qualifizierte - Arbeiter benötigt. Durch den kapitalintensiven technischen Fortschritt kann die Arbeitslosigkeit in Entwicklungsländern ansteigen und gravierende soziale Probleme erzeugen. Die wirtschaftlichen Aktivitäten der TNUs können auch die Ungleichheit der Einkommensverteilung verstärken. Ihre Arbeiter erzielen meist höhere Löhne als die Arbeiter einheimischer Firmen. Dadurch werden die schon wohlhabenden Arbeiter, die vielleicht eine gute Ausbildung genossen haben, bei der Einstellung bevorzugt. TNUs wird ferner vorgeworfen, Steuern zu hinterziehen, da sie Investitionskosten zu hoch und (interne) Preise zu niedrig ansetzen. Die Tochtergesellschaften beziehen von den Muttergesellschaften Produkte zu überhöhten Preisen, während die Produkte, die das Tochterunternehmen an die Muttergesellschaft liefert, zu
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niedrigen Preisen fakturiert werden. Durch diese Technik lassen sich interne Gewinne in das Mutterland transferieren, ohne den Fiskus der Entwicklungsländer steuerlich partizipieren zu lassen. TNUs können von ihren Tochtergesellschaften auch verlangen, Vorprodukte und notwendige Produktionsfaktoren vom Mutter-Unternehmen zu kaufen, wodurch lokale Unternehmen in ihren Entwicklungsmöglichkeiten behindert werden. TNUs können ihren Gastländern auch Zahlungsbilanzprobleme aufbürden, wenn sie Gewinne oder Gebühren an die Muttergesellschaft überweisen. Die abfließenden Devisen können dann höher sein als die während der Investitionsphase zugeflossenen Finanzmittel. Negativ vermerkt wird ebenso der mögliche Einfluß der TNUs auf die Wirtschaftspolitik der Gastländer. Oft kommt es zu überhöhter Protektion, zu Steuerkonzessionen an die TNUs, zu Subventionen und zur verbilligten Bereitstellung von Infrastrukturmaßnahmen. Einheimische Facharbeiter werden der Binnenwirtschaft durch höhere Löhne entzogen, was negative Auswirkungen auf die binnenländischen Finnen hat, so daß der Entwicklungsprozeß, der von einheimischen Fachkräften und Unternehmen getragen wird, gefährdet ist. TNUs haben auch die Möglichkeit, lokale Märkte finanziell anzuzapfen, wodurch für die Entwicklungsländer ebenfalls hohe finanzielle Opportunitätskosten entstehen. Schwierigkeiten entstehen immer dann, wenn die TNUs ihre wirtschaftspolitischen Entscheidungen im Sinne der Muttergesellschaft treffen und nicht auf die Wirtschaftspolitik und Entwicklungsmöglichkeiten der Gastländer eingehen, was allerdings nicht ihr Grundauftrag ist. Nutzen und Kosten abzuwägen fallt jedoch schwer, da es primär auf den Einzelfall ankommt. Falsch ist es jedoch, die wirtschaftlichen Aktivitäten der TNUs in den Entwicklungsländern generell zu verteufeln. Oft ist ihr Fehlverhalten das Ergebnis einer falschen Wirtschaftspolitik des Gastlandes, insbesondere der protektionistischen und inflationistischen Rahmenbedingungen. Generell ist zu vermerken, daß eine auf Entwicklung ausgerichtete Wirtschaftspolitik den TNUs Möglichkeiten der wirtschaftlichen Gewinne bietet, die zu Verkettungseffekten in den Gastländern fuhren können, wodurch der Industrialisierungsprozeß beschleunigt werden kann, ohne daß für das Entwicklungsland ein zu hohes finanzielles Risiko entsteht.
Kapitel 5 Integrationsbemühungen in der Dritten Welt
Die recht ernüchternden Erfahrungen1 praktizierter Wirtschaftsintegrationen vieler Entwicklungsländer-Regionen stehen in einem merkwürdigen Gegensatz zur außenwirtschaftlichen Integrationstheorie, die die WohlfahrtsefFekte einer Zollunion und die möglichen Entwicklungseffekte einer Protektionsunion herausstellt^ Wie bereits im Kapitel 1 kurz angesprochen, eröffnen sich den Entwicklungsländern mehrere Möglichkeiten, regionale Integrationen durchzuführen. Die loseste Form der Intergration ist dabei die Freihandelzone, bei der es zu einem Zollabbau zwischen den Mitgliedsländern, nicht aber zu einem gemeinsamen Außenzoll kommt. Freihandelszonen sind deshalb eine eher instabile Form der Integration, da es regelmäßig zu Umgehungsversuchen kommt (Importe durch die Länder mit den niedrigesten Außenzöllen). Dies wiederum erfordert bürokratische Kontrollmechanismen (Ursprungszeugnisse). Stabiler ist demgegenüber eine Zollunion mit einem einheitlichen Außenzoll. Sie erfordert aber meist komplizierte Harmonisierungsverhandlungen bei der Festlegung der Außenzölle. Je nach der heimischen Industriestruktur werden die Mitgliedsländer unterschiedliche Liberalisierungsgrade anstreben. Die beiden höchsten Formen der Integration, der gemeinsame Markt (Liberalisierung der Faktormärkte) und die Wirtschaftsgemeinschaft (Harmonisierung der Wirtschaftspolitik der Mitglieder) sind in Entwicklungsländern noch kaum erprobt worden, da sie noch höhere Anforderungen an die Konvergenz der Mitglieder stellen. Viele Entwicklungsländer erwarteten von einer stärkeren wirtschaftlichen Integration eine Beschleunigung ihres Entwicklungsprozesses. Ermutigt durch die europäische Integration und deren Erfolg in den 60er Jahren entstand mancherorts sogar eine regelrechte Integrationseuphorie. Während nationale Industrialisierungsbemühungen mit Hilfe einer Politik der Importsubstitution überwiegend scheiterten, hoffte man, bei einer Überwindung der nationalen Marktenge durch eine gemeinsame Importsubstitution eine Industrialisierung in Gang setzen zu 1 Vgl. Abschnitt 5.3. 2 Vgl. W. LACHMANN, Stockende Integrationsbemühungen in der Dritten Welt. Einige wirtschaftspolitische Anfragen, in: W. LACHMANN (Hrsg.), Andenpakt und Europäische Gemeinschaft, Frankfurt et al. 1990, S. 17 - 25.
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KapitelS: Integrationsbemühungen in der Dritten Welt
können (collective self-reliance). Durch intraregionalen Zollabbau, Markterweiterung und Wettbewerbsintensivierung würde eine regional effiziente Produktion angeregt. Ein gemeinsamer Außenschutz könnte darüber hinaus die Wettbewerbsvorteile der Industrieländer ausgleichen, die eine Industrialisierung der Entwicklungsländer erschwerten. Auch hier erfolgte wiederum eine Rückbesinnung auf das Erziehungszollargument von Friedrich List.3
5.1 Integration und Handel: Theoretische Aspekte In der Außenhandelstheorie werden die Wirkungen einer Integration mit einfachen Modellen dargestellt. Die "orthodoxe Integrationstheorie" unterscheidet hierbei handelsschaffende und handelsumlenkende Effekte. Handelsschafiung bedeutet deshalb Wohlfahrtssteigerung, weil bei Freihandel innerhalb der Gemeinschaft die ineffiziente heimische Produktion durch die effiziente Produktion eines Unionslandes ersetzt wird. Handelsumlenkung ergibt sich aus dem gemeinsamen Außenschutz, der Weltmarktimporte durch interregionale (möglicherweise auch ineffiziente) Produktion substituiert. Der Versuch, von den einfachen "Zwei Güter/drei Länder-Modellen" (ohne Faktorbewegungen) fortzukommen, führte dann zu komplexeren Modellen, in welchen generelle Vorteile einer Integration nicht mehr herzuleiten waren.4 So wurde die komparativ-statische Integrationstheorie beispielsweise dahingehend kritisiert, daß ihre Annahmen für eine Betrachtung von Entwicklungsprozessen unzureichend seien. Durch eine Vergrößerung des Marktes ist es insbesondere für kleinere Volkswirtschaften möglich, die Vorteile zunehmender Skalenerträge und damit sinkender Durchschnittskosten zu nutzen, da bei kleineren Märkten die Nachfrage oft nur ausreicht, die Produktion eines Anbieters aufzunehmen. Ein großer Markt könnte folglich zu einer Wettbewerbsintensivierung beitragen und monopolistische Angebotsstrukturen überwinden. Zum Funktionieren größerer Märkte müssen die notwendigen infrastrukturellen Bedingungen vorliegen. Ohne diese praktische Integrationsmöglichkeit der Märkte, d.h. bei fast prohibitiven Transport- und Informationskosten und starken 3
Vgl. dessen ausführliche Diskussion in: W. LACHMANN, Entwicklungspolitik I, Kapitel 4. Vgl. V. NIENHAUS, Integration Theory and Problems of Integration Policy in the Third World, Intereconomics 22 (1987), S 41 - 48. 4
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kulturellen Gegensätzen, wird es kaum zu einer Anbindung einzelner Märkte an die Partnerländer kommen. Daher sehen einige Integrationsabkommen (wie der Andenpakt) gemeinsame Entwicklungsprogramme vor. Neben den Skaleneffekten sollen durch eine Protektionsunion dynamische externe Effekte erreicht werden, insbesondere solche technologischer Ait (Lerneffekte) und marktmäßige externe Effekte (verflechtungsbedingte Produktions- und einkommensbedingte Nachfrageeffekte). Je höher der gemeinsame Außenzoll und je größer die Mobilität der Produktionsfaktoren, desto stärker werden die handelsumlenkenden Effekte sein. Es besteht dabei jedoch immer die Gefahr, daß die Protektionsunion einen Dauerzollschutz durchführt und somit den Aufbau nicht-wettbewerbsfähiger Produktionsstrukturen fördert. Obwohl eine solche regionale Integration als Vorstufe einer Integration aller Staaten dieser Erde möglich ist, scheinen die positiven Effekte in der Praxis auszubleiben. Die meisten Integrationsbemühungen der Länder der Dritten Welt blieben ohne rechten Erfolg. Einige Integrationsabkommen, wie ζ. B. die ostafrikanische Wirtschaftsunion, brachen sogar schon nach relativ kurzer Zeit wieder auseinander.
5.2 Ursachen für das Scheitern der Integrationsbemühungen in der Dritten Welt - wirtschaftspolitische Überlegungen Die meisten Integrationsbemühungen scheitern an der ungleichen Verteilung von Kosten und Nutzen der Integration. Nutznießer der Wirtschaftskooperationen sind in der Regel die stärker entwickelten und bereits schon industrialisierten Staaten einer Gemeinschaft. Die Einigung Italiens verstärkte im Norden das wirtschaftliche Wachstum, während der Süden des Landes wegen der frühen Einigung in seinen Industrialisierungsbemühungen zurückgeworfen wurde. In der mittelamerikanischen Freihandelszone schien El Salvador der Gewinner zu sein, was zu politischen Spannungen innerhalb der Freihandelszone führte. Die ostafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft zerbrach deshalb, weil Kenia als relativ fortgeschrittenes Land den größten Nutzen hatte, so daß sich die politischen Spannungen mit Tansania verschärften.5 Innerhalb der lateinamerikanischen 5
Vgl. J. B. DÖNGES, Außenwirtschafts- und Entwicklungspolitik, Berlin et al., 1981.
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Freihandelszone fühlten sich die weniger entwickelten Staaten der Andenregion gegenüber den größeren Schwellenländern Argentinien, Brasilien und Mexiko benachteiligt, was schließlich zur Gründung eines zusätzlichen Regionalpaktes (Andenpakt) führte. Da Integration meist als Mittel zur Steigerung nationaler Wohlfahrt und nationalen Wachstums verstanden wird, werden Integrationsbemühungen nur so lange mitgetragen, wie der Nutzen für das einzelne Land sichtbar wird und unmittelbar zu Buche schlägt. Die einzelnen Entwicklungsländer haben jedoch unterschiedliche makroökonomische Ziele. Die Zusammenhänge zwischen dem Integrationsziel und den nationalen wirtschaftspolitischen Zielen sollen deshalb etwas ausführlicher erörtert werden.6 Dem Beschäftigungsziel kann eine Integration nur dann dienen, wenn durch sie nationale Ressourcen besser genutzt werden. Viele Entwicklungsländer leiden unter Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit. Spannungen ergeben sich insbesondere, wenn einzelne Unionsstaaten komparative Vorteile aufweisen. Sind Wanderbewegungen von Arbeitskräften nicht möglich, kann sich die Arbeitslosigkeit in einem Land verschärfen, wenn aufgrund der nun verfügbaren preiswerteren Güter eine Wohlfahrtssteigerung eintritt. Die schwächeren Staaten werden deshalb versuchen, den Integrationsprozeß zu hemmen, wenn keine integrierten regionalen Industrialisierungspolitiken vereinbart werden. Das Mittel zum Schutz der heimischen Industrien besteht oftmals in nicht-tarifären Handelshemmnissen, versteckten Subventionen (ζ. B. bei den Energiepreisen) sowie in Wechselkursmanipulationen. Eine unkoordinierte Geldpolitik der Unionsländer kann ebenfalls den Integrationsprozeß bremsen, wie das Beispiel der EG zeigt. Unterschiedliche nationale Geldpolitiken führen zu unterschiedlichen Inflationsraten, die wiederum den Handel zwischen den Ländern beeinflussen. Ein Land, das eine restriktive Geldpolitik verfolgt und seinen Geldwert stabil hält, wird größere Exportchancen haben, als ein Land, welches dem Ziel einer stabilen Währung eine geringe Priorität beimißt. Die stärkere Währung wird über die schwächeren dominieren 6 Vgl. W. LACHMANN, Stockende Integrationsbemühungen in der Dritten Welt. Einige wirtschaftspolitische Anfragen, op. cit..
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und damit andere Staaten zwingen, die geldpolitischen Vorstellungen des währungsstarken Landes zu übernehmen, was wiederum zu politischen Spannungen fuhren kann. Das Außenhandelsgleichgewicht als nationales Ziel kann nicht nur aufgrund unterschiedlicher Geldpolitiken, sondern auch aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen im Rahmen der nationalen Finanzpolitik und durchgeführter sozialpolitischer Maßnahmen gestört werden. Ungleichgewichte der Zahlungsbilanzen sind allerdings selbstverständlich und kein Grund der Beunruhigung, solange es innerhalb der Gemeinschaft zu einem Ausgleich der Zahlungsbilanzen kommt. Die unterschiedliche Exportstruktur zum Rest der Welt muß dabei beachtet werden. Länder, die eine konsequente Stabilitätspolitik verfolgen und in ihren Industrialisierungsbemühungen vorangekommen sind, werden mit einem Außenhandelsüberschuß im innergemeinschaftlichen Waren- und Dienstleistungsverkehr rechnen können. Daraus folgen Konflikte zwischen dem nationalen Ziel einer verbesserten Zahlungsbilanzsituation und dem gemeinschaftlichen Integrationsziel. Um die Integration nicht durch die Handelsverluste der weniger entwickelten Länder zu gefährden, müssen Kompensationszahlungen geleistet werden. Solche Kompensationszahlungen werden jedoch den entgangenen Nutzen einer stärkeren Industrialisierung kaum aufwiegen können. Die durch die Integration benachteiligten und zurückgefallenen Regionen werden dann auch hinsichtlich ihrer Humankapitalbildung und ihrer Beschäftigungslage zurückfallen. Statt fiskalischer Kompensationen werden deshalb verstärkt andere Instrumente vorgeschlagen.7 In einigen Integrationsabkommen ist beispielsweise festgelegt worden, daß weniger entwickelte Länder ihre Zollsenkungen zeitlich gestaffelt vornehmen können, also über einen längeren Zeitraum noch einen höheren Zollschutz genießen. Abkommen zur gemeinsamen Industrialisierungsplanung sehen vor, daß benachteiligte Regionen einen Handelsvorteil aufbauen. Daher dürfen auch höhere Subventionen geleistet werden, um mögliche Standortnachteile a b zugleichen. Der Erreichimg eines nationalen Verteilungsziels kann die Wirtschaftsintegration dadurch entgegenwirken, daß sich durch die Kapitalintensivierung in der Industrie 7
Vgl. P. ROBSON, Economics of International Integration, London, 1980.
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die ökonomischen Disparitäten verschärfen. So kann es zu einer Verschlechterung der Einkommensverteilung zwischen dem städtischen und dem ländlichen Raum kommen. Auch innerhalb der industriellen Zentren wird sich die Herausbildung einer modernen Elite (Arbeiteraristokratie) zu Lasten der Massenbeschäftigung und damit zu Lasten von Massenkaufkraft und -nachfrage auswirken. Eine regionale Integration der Entwicklungsländer eröffnet auch den transnationalen Unternehmen Gewinnchancen. Ihr Interesse an der Integration dieser Länder beruht darauf, daß größere Märkte fur die steigende Konsumgüternachfrage durch Markterweiterung und Skaleneffekte besser genutzt werden können. Transnationale Unternehmen versuchen insbesondere Konsumgüter des gehobenen Bedarfs zu produzieren. Sie werden ihre Präsenz auf dem integrierten Markt sichern und verstärken wollen, zumal der hohe Außenzollschutz und die geringe Wettbewerbsintensität gegenüber dem Rest der Welt Monopolgewinne versprechen. Insoweit können die transnationalen Unternehmen Nutznießer von Integrationen der Entwicklungsländer werden. Zusammenfassend kann damit, auch bezogen auf das nationale Entwicklungsund Wachstumsziel, festgehalten werden, daß die Vorteile der Integration und der verstärkten regionalen Arbeitsteilung den wirtschaftlich fortgeschritteneren Staaten zufallen. Gerade jene Länder, die einer stärkeren Förderung bedürfen, sind meist Verlierer der Handelsintegrationen. Wiederum sind Kompensationen notwendig. Der am wenigsten entwickelte Partner bestimmt daher den Fortschritt der Handelsliberalisierung und Integrationsbemühungen. Balassa8 hat daher vorgeschlagen, gemeinsame Integrationsprojekte vorzusehen, damit jedes Entwicklungsland aus der Integration einen Nutzen ziehen kann. Dabei wird unterstellt, daß die primären, nationalen Ziele Wachstum und Entwicklung sind. Im politischen Prozeß wird man übereinkommen, jedem Land einen Industriezweig zu sichern, der dann den gemeinsamen Markt beliefert. Allerdings wird es im politischen Prozeß schwierig sein, vorhandene dynamische komparative Vorteile zu finden und die einzelnen Länder auf bestimmte Industriezweige festzulegen. Jede Regierung wird mindestens einen Industriezweig für sich beanspruchen. Sollte ein anderes Mitgliedsland in der Lage sein, diese Güter kostengünstiger zu produzieren als in dem Land, das durch den politischen 8 Vgl. B. BALASSA, Types of Economic Integration, in: F. MACHLUP (Hrsg.), Economic Integration - Worldwide, Regional, Sectoral. London et al., 1976, S. 17-31.
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Prozeß diesen Industriezweig ausgehandelt hat, sind Allokations- und Effizienzverluste die notwendige Folge. Solche gemeinsamen Entwicklungsplanungen sind dementsprechend meist gescheitert. Sollten Länder durch intensive Subventionsund Förderungspolitiken eigene Industriezentren entwickeln wollen, sind auch fiskalische Spannungen zu erwarten, da solche Maßnahmen schnell an Finanzierungsgrenzen stoßen. Nach distributions- und allokationspolitischen Aspekten wäre ein Finanzausgleich zwischen den Mitgliedstaaten mit Hilfe von Zahlungen an die benachteiligten Länder angebracht. Länder mit hohen Integrationsgewinnen leisten Transfers an Länder mit niedrigen Integrationsgewinnen. Mit diesen Finanzmitteln können die benachteiligten Staaten ihre nationale Industrialisierung vorantreiben. Transfers dieser Art vermeiden Verzerrungseffekte. Unter der Voraussetzung, daß diese Mittel wachstumsfördernd eingesetzt werden, sind langfristige dynamische Wohlfahrtsgewinne möglich. Inwieweit diese Maßnahmen politisch praktikabel sind, ist wegen möglicher MitnahmeefFekte und dem Anreiz, die wirtschaftliche Situation des Landes nicht zu stark zu verbesseren, um weiter Ausgleichszahlungen zu erhalten, umstritten. Ein interessanter Vorschlag für eine Zollverrechnungsunion, der auf Elkan zurückgeht, wurde von Nienhaus wieder in die Debatte geworfen.9 Er zeigt, daß auch für wirtschaftlich schwächere Länder eine Integration positive Auswirkungen hat, wenn die nationalen Schutzzölle der einzelnen Mitgliedsländer erhalten bleiben, das importierende Land aber Zertifikate ausstellen kann, die zur Bezahlung der Zollabgaben verwendet werden können. Auf einer Börse werden dann die jeweiligen Zertifikate gehandelt, so daß es zu Transfers in Abhängigkeit von den Zahlungsbilanzsituationen einzelner Länder kommt. In einer solchen Zollverrechnungsunion erhält der Importeur eines Mitgliedslandes fur den Import von Waren aus Mitgliedsländern - eine Zollveranlagung über einen bestimmten Betrag, der bis zu einem bestimmten Zeitraum zu zahlen ist und 9
Vgl. V. NIENHAUS, Defizite der außenwirtschaftlichen Integrationstheorie und Probleme der Integrationspolitik in der Dritten Welt, List-Fonim 14 (1988), S. 202 - 221; der ursprüngliche Vorschlag wird abgehandelt in P. G. ELKAN, How to beat backwash - The Case for Customs-Drawback Unions, in: EJ 75 (1965), S. 44ff; ders., Blueprint for an Area of Quantitatively and Structurally Balanced Free Trade, in: JComMSt 5, (1966-67), S. 1 - 12.
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- ein Zollzertifikat, das diesen Betrag (einschließlich der Laufzeit) angibt. Die einzelnen Zollverwaltungen verpflichten sich, Zollzertifikate der anderen Länder als Zahlungsmittel zu akzeptieren. Landeseigene Zertifikate werden von der eigenen Zollverwaltung nicht anerkannt. Zollzertifikate werden nach Herkunftsländern ausgestellt. Hat nun ein Unternehmen des Landes X ein Tochterunternehmen im Land Y, dann kann es diesem Unternehmen Zollzertifikate zur Verfugung stellen, so daß hierdurch Importzölle bezahlt werden können. Im Idealfall eines bilateralen Ausgleichs werden die Importeure keinen Zoll zu zahlen haben. Jede Abweichung vom Handelsbilanzgleichgewicht innerhalb der Integrationsgemeinschaft fuhrt dann zu kompensierenden Zollzahlungen. Diese Zollzertifikate können auch auf einer Börse versteigert werden. Da die Zollverwaltungen diese Zertifikate nur bis zur Höhe der zu leistenden Zollschuld anerkennen (Erstattungen sind ausgeschlossen), haben auf einer Börse Zollzertifikate einen hohen Wert, wenn es sich um ein Land mit niedrigen Exporten handelt. Länder mit einem Handelsbilanzüberschuß erhalten auf ihre Zollzertifikate an den Börsen dagegen einen geringeren Preis. Durch einen solchen Mechanismus werden Signale für eine Umkehr von Handelsströmen und einen Abbau von Ungleichgewichten gesetzt, die man bei den üblichen Freihandelszonen und Zollunionen nicht vorfindet. Dennoch gibt es kaum verzerrende Eingriffe seitens des Staates in den Wirtschaftsprozeß. Lediglich die Menge der gehandelten Zertifikate müßte von einer staatlichen Behörde gesteuert und kontrolliert werden. Dafür müßte eine politisch unabhängige Behörde eingesetzt werden, weil anderenfalls die Menge der gehandelten Zertifikate zum Politikparameter werden und damit versteckt protektionistischen Maßnahmen Vorschub geleistet werden könnte. Wäre allerdings die Zollzertifikatsbehörde politisch weitgehend unabhängig und primär dem Ziel des Erreichens des außenwirtschaftlichen Gleichgewichtes verpflichtet, könnten in der Tat außenwirtschaftliche Ungleichgewichte geglättet werden. Allerdings würde eine solche Lösung eine Entmachtung der Außenwirtschaftspolitik eines Landes bedeuten und hätte damit nur geringe Realisierungschancen.
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Der Erfolg einer jeden wirtschaftlichen Integration hängt in hohem Maße von der politischen Unterstützung ab. Eine Wirtschaftsintegration ist allerdings kein Mittel, um eigene Probleme, die man durch das Aufschieben notwendiger ökonomischer Reformen bekommen hat, auf andere Länder der Region abzuwälzen. Werden von der herrschenden Elite durch die Integration ökonomische Nachteile erwartet, läßt sich vermuten, daß sie die Integrationsbemühungen behindern wird. Um den politischen Willen zur Integration zu stärken und soziale und politische Spannungen abzubauen, müssen alle Bevölkerungsschichten von der Integration einen Vorteil erwarten: Politiker, Gewerkschaften, Bürokraten und die einfachen Schichten der Bevölkerung. Um negativen Auswirkungen zu entgehen, wäre zu prüfen, ob beispielsweise Mechanismen einer soeben diskutierten Zollverrechnungsunion operationalisierbar sind. Ein Land, das sich in einem solchen Fall zur Integration entschließt, kann dann auf keinen Fall schlechter gestellt werden als ohne Integration. Die nationalen Zölle können beibehalten werden, und für die Wirtschaftssubjekte bestehen Anreize, in jenen Ländern verstärkt zu kaufen, die im Integrationsverbund Handelsbilanzdefizite aufweisen.
5.3. Beispiele regionaler Integrationen von Entwicklungsländern Anhand einiger ausgewählter Integrationsvorhaben sollen nun die empirischen Erfahrungen mit solchen Abkommen illustriert werden. Wegen der Vielzahl bereits realisierter Regionalpakte beschränken wir uns auf eine repräsentative Auswahl aus den drei Kontinenten Afrika, Lateinamerika und Asien. Afrikanische Integrationsbestrebungen Eines der bekanntesten Beispiele regionaler Integration in Afrika ist die ostafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft EAEC (East African Economic Community), die bereits 1967, also einige Jahre nach der Unabhängigkeit von den Ländern Uganda, Tansania und Kenia gegründet wurde. Ziel war die Errichtung eines gemeinsamen Marktes. Dieses hochgesteckte Ziel konnte jedoch nicht erreicht werden, obwohl in der Anfangsphase des Abkommens zwischen den beteiligten Ländern volle Konvertibilität der Währungen und zunächst ein unbeschränkter Kapitalverkehr aufrechterhalten wurde. Wechselkursänderungen zum US$ er-
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folgten im Gleichschritt. Die Einheit währte jedoch nicht lange. Zu unterschiedlich war die Wirtschaftspolitik, die in Tansania nach der Arusha-Deklaration einem planwirtschaftlich-interventionistischen Kurs (afrikanischer Sozialismus) folgte, während in Kenia eine mehr marktwirtschaftlich orientierte Politik betrieben wurde. Massive Kapitalabflüsse aus Tansania, insbesondere im Zuge der Nationalisierungswelle um 1970 führten schon bald zu Restriktionen im Zahlungsverkehr. Aufgrund der höheren tansanischen Inflationsrate nahmen auch die WechselkursVerzerrungen immer mehr zu. So war zwar der Kurs des tansanischen wie auch des kenianischen Schillings zum US$ von 1967 bis 1974 mit 7,14:1 festgelegt, die Devisenschwarzmarktzuschläge (bezogen auf den US$) fur die tansanische Währung lagen jedoch 1974 um ca. 50% über den Zuschlägen fur die kenianische Währung.10 Politische Schwierigkeiten, insbesondere nach den wiederholten Militärputschen in Uganda kamen hinzu und führten zusammen mit dem wirtschaftspolitischen Kurswechsel in Uganda, der bereits ab 1969 stattgefunden hatte ("Ugandisierung" der Wirtschaft, zunehmender Interventionismus) zu Zerwürfhissen innerhalb der Staatengemeinschaft. Im Juli 1977 brach der Zusammenschluß auseinander. Mitte der 70er Jahre kam es in Westafrika zur Gründung der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten ECOWAS (Economic Community of West African States). Sie umfasst 16 Mitgliedsländer, die teils aus dem frankophonen Afrika, teils aus dem vormals englisch beherrschten Gebiet kommen. Angestrebt wurde zunächst die Schaffung einer Zollunion, die später zur Währungsunion ausgebaut werden sollte. Bereits in der Gründungsphase waren die Schwierigkeiten unübersehbar. Der Entwicklungsstand der Länder war äußerst unterschiedlich, wobei das Pro-Kopf-Einkommen der damaligen Elfenbeinküste mit 610 US$ das PKE Obervoltas (110 US$) n um ein Mehrfaches überstieg. Auch gehörten die Länder unterschiedlichen Währungsgebieten an. Während die ehemals französischen Kolonien meist zur CFA-Zone gehörten, besaßen Ghana, Nigeria und Sierra Leone jeweils eigene Währungen. Noch ausgeprägter waren die Unterschiede bei der verfolgten Wirtschaftspolitik. Exportorientierten, relativ marktwirtschaftlich ausgerichteten Ländern wie der 10 11
F. PICK (Ed.), Pick's Currency Yearbook, 1974, S. 312ff. Weltbank, World Development Report 1978, Washington D C., S. 76.
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Elfenbeinküste oder dem Senegal standen interventionistische Regime in Guinea, Ghana und Nigeria gegenüber. Zusätzlich erschwerend wirkte die Doppelmitgliedschaft einiger Länder in konkurrierenden Organisationen wie der MRU (Mano River Union) und der CEAO (Communaute de l'Afrique de l'Ouest), was insbesondere bei der Zollharmonisierung fortwährende Schwierigkeiten verursachte. 12 Auch konnten politische Rivalitäten nicht ausgeräumt werden. Die Integrationserfolge sind dementsprechend mager geblieben. Weder konnte eine Zollunion noch eine Währungs- oder Wirtschaftsunion verwirklicht werden. Da der Außenhandel der Mitgliedsstaaten noch immer stark vom Rohstoffexport in die Industrieländer geprägt ist, konnte auch der innergemeinschaftliche Handel kaum gesteigert werden. Ein noch relativ junges Integrationsvorhaben in Ost- und Südafrika wurde ab 1981 in Gestalt der Preferential Trade Area for Eastern and Southern African States, kurz PTA, aus der Taufe gehoben.' 3 Die Präferenzzone umfasst nach einigen Erweiterungen nunmehr 20 Mitgliedsstaaten und ist eine Integrationsgemeinschaft mit dem Ziel, bis zum Jahr 2000 eine Freihandelszone zu etablieren. Hierzu sollte vordringlich der innergemeinschaftliche Handel ausgebaut werden. Erste Untersuchungen ergeben allerdings, daß den handelsumlenkenden Effekten vor den handelsschaffenden Effekten ein dominierender Einfluß zukommt. Die Maßnahmen zur Beeinflussung der Handelsströme (Zollpräferenzen, ClearingEinrichtungen) sind so ausgestaltet, daß die Wettbewerbsintensität innerhalb der Zone niedrig gehalten wird und bestimmte Branchen aus nationalem Interesse geschützt werden. Diskriminiert werden können aber in der PTA tätige ausländische Unternehmen. Inwieweit eine solche, auf dem List'schen Zollschutzargument basierende Strategie langfristig erfolgreich sein wird, bleibt abzuwarten. Die bisherigen Erfahrungen mit der afrikanischen Industrialisierungspolitik deuten eher auf strukturerhaltende Protektionseffekte. Langhammer14 fuhrt die folgenden Hindernisse für einen langfristigen Erfolg der PTA an: 12
D. NOHLEN (Hrsg.), Lexikon Dritte Welt, 1989, S. 179ff. R. J. LANGHAMMER/R. SCHWEICKERT/D. SPINAGER/V. STÜVEN, Die 'Preferential Trade Area in Eastern and Southern Africa - Ein Einstieg zur ersten großen Freihandelszone in Schwarzafrika?, Forschungsberichte des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit, Band 97, Köln, 1990. 14 Ebenda, S. 4. 13
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1) Da die beteiligten Länder nur ein geringes PKE aufweisen, sind die prognostizierten Integrationsgewinne nur gering. 2) Es bestehen Infrastrukturengpässe (Transportwesen, Kommunikation), die wiederum auf das niedrige Einkommensniveau zurückzuführen sind. 3) Eine mögliche ungleiche Verteilung der Integrationsgewinne könnte die Gemeinschaft zerrütten. 4) Die unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Mitgliedsländer sind wegen der Größe der Vereinigung schwer zu koordinieren. Überdies sind abgestimmte Politiken immer mit einem nationalen Souveränitätsverlust verbunden, der politisch schwer durchsetzbar ist. Da die beteiligten Länder insbesondere auch ordnungspolitische Differenzen aufweisen, wiegt dieses Problem besonders schwer. 5) Die Behinderung der Tätigkeit ausländischer Unternehmen wirkt kontraproduktiv und deutet auf eine tendenziell staatsinterventionistische Strategie. Kriegerische Konflikte wirkten integrationsfeindlich. Erschwert wird die Zusammenarbeit durch konkurrierende Kooperationsmodelle wie SACU (Southern African Customs Union = Zollunion Südliches Afrika) und SADCC (Southern African Development Coordination Conference). PTA und ECOWAS mögen sich zu den beiden regionalen Säulen einer von der OAU anvisierten Gesamtafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft entwickeln, die nach dem "Lagos Plan of Action" für das Jahr 2000 vorgesehen ist. Ob und in welchem Ausmaß die PTA deshalb ein geeignetes Instrument ist, die extreme Rohstoffabhängigkeit der beteiligten Länder abzubauen, ist gegenwärtig schwer zu beurteilen.
Lateinamerikanische Integrationsbetrebungen Das ambitionierteste Integrationsunternehmen in Lateinamerika bestand in der 1960 erfolgten Gründimg der ALALC (Asociaciön Latinoamericana de Libre Comercio), in der englischsprachigen Literatur auch als LAFTA (Latin American
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Free Trade Association) bezeichnet. Mitgliedsländer waren 11 große südamerikanische Staaten, wobei Venezuela erst 1966 und Bolivien erst 1968 beitraten.15 Die ALALC hatte das Ziel, Zölle und sonstige Handelsbeschränkungen bis spätestens 1973 abzubauen. Ebenso wurden Maßnahmen zur Koordination der industriellen Entwicklung sowie zur Abstimmung der gemeinsamen Agrarpolitik vereinbart. Den besonderen Problemen der schwächer entwickelten Mitgliedsländer Bolivien, Ecuador und Paraguay sollte Rechnung getragen werden. Bereits Ende der 60er Jahre war es jedoch absehbar, daß das geplante Integrationstempo nicht durchzuhalten war. Im Protokoll von Caracas vereinbarte man 1969, die Verwirklichung der Freihandelszone bis zum Jahr 1980 aufzuschieben.16 Das Hauptproblem der ALALC war dabei die ungleiche Verteilung der Liberalisierungsvorteile der Partnerländer, ein absehbares Problem, waren doch der Industrialisierungsgrad und das Pro-Kopf-Einkommen innerhalb der Gruppe sehr unterschiedlich. Kompensationszahlungen, die zur Beseitigung der Ungleichgewichte von den stärkeren Ländern hätten gezahlt werden müssen, blieben aus. Differenzen bezüglich der Behandlung ausländischer Direktinvestitionen, langwierige Zollverhandlungen und die Schwerfälligkeit der Organisation selbst waren weitere Integrationshindernisse.17 1980 brach der Pakt zusammen, nachdem bereits 1969 zwei Untergruppierungen, der Andenpakt und die La PlataGruppe entstanden waren. Rechtsnachfolger der ALALC wurde die ALADI (Association Latinoamericano de Integraciön), die im Gegensatz zur Vorgängerorganisation weniger als regionale Präferenzzone, sondern mehr im Sinne bilateraler Handelsabkommen konzipiert war. 18 Zwar erscheint der Abstimmungsbedarf innerhalb der ALADI geringer, im Vergleich zu den 70er Jahren trat aber in den 80er Jahren die im südamerikanischen Vergleich zunehmend unterschiedlicher werdende Wirtschaftspolitik als Integrationshemmnis in den Vordergrund. Als Untergruppe der ALALC hatte sich, wie bereits erwähnt, 1969 der sog. Andenpakt mit den Mitgliedsländern Bolivien, Chile, Kolumbien, Ecuador und 15
D. NOHLEN, Lexikon der Dritten Welt, S. 31. Ebenda. 17 R. J. LANGHAMMER, Regional Integration among Developing Countries, Tübingen, 1990, S. 22. 18 D. NOHLEN, op. cit., S. 30f. 16
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Peru konstituiert. Sein Ziel war primär, die Verletzlichkeit der Region aufgrund der Abhängigkeit von den Primärgüterimporten zu überwinden. Auch sollte ein Gegengewicht zur ökonomischen Dominanz Argentiniens, Mexikos und Brasiliens hergestellt werden. Diese Ziele suchte man durch die Ausweitung industrieller Exporte mit Hilfe sektoraler Förderprogramme zu erreichen. Auch wurde eine Harmonisierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik, die Errichtung eines gemeinsamen Außenzolls und die Schaffung eines regionalen Binnenmarktes angestrebt. Da die damaligen Vorschläge in einem hohen Maße auf dependenztheoretischen Vorstellungen basierten,19 waren auch Beschränkungen der Direktinvestitionen ausländischer Unternehmen vorgesehen. In wichtigen Bereichen waren überhaupt keine ausländischen Direktinvestitionen möglich. Ähnlich wie innerhalb der ALALC kam es auch innerhalb des Andenpaktes zu einer ungleichen Verteilung der Integrationsgewinne. In der Periode 1969 bis 1976 konnten die vier großen Länder Kolumbien, Chile, Peru und (das später hinzugetretene) Venezuela ihre Ausfuhren in den gemeinsamen Wirtschaftsraum beträchtlich steigern, während die kleineren Länder Bolivien und Ecuador die Chancen der Integration kaum nutzen konnten. Von 1976 bis 1982 sank der Anteil Boliviens am innergemeinschaftlichen Handel fast bis zur Bedeutungslosigkeit ab. Auch die gemeinsamen Industrialisierungsprogramme zeigten nicht die erhofften Erfolge. Gegenstand fast permanenten Streits war auch die Zollharmonisierung. Venezuela und Ecuador als Erdölexporteure bestanden auf relativ hohen Zollsätzen, um ihre eigenen Industrien zu schützen. Bolivien dagegen forderte niedrige Zölle, da es gezwungen war, große Mengen am Investitionsgütern fur den Bergbau zu importieren. Chile und Kolumbien waren ebenfalls fur relativ gemäßigte Zölle, da ihr Industrialisierungsgrad bereits vergleichsweise hoch war und diese Länder glaubten, konkurrenzfähig exportieren zu können. Wegen dieser Differenzen und der Implementierung eines liberalen Wirtschaftsprogramms nach dem Putsch durch General Pinochet trat Chile 1976 aus dem Andenpakt aus. Neben dem unterschiedlichen Entwicklungsstand wurde eine wirksame Integration auch durch die unabgestimmte Geldpolitik in den Mitgliedsländern Ebenda, S. 41, sowie F. FODERS, Möglichkeiten der Wiederbelebung der Andenintegration: Ökonomische Bewertung der Pläne der Junta, in: W. LACHMANN (Hrsg.), Andenpakt und Europäische Gemeinschaft, Frankfurt et al.,1990, S. 35ff.
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behindert. Hohe und im Zeitablauf stark und unvorhersehbar schwankende Inflationsraten besonders in Chile, Bolivien und Peru bei interventionistisch verzerrten Wechselkursen machten eine langfristige Kalkulation im Außenhandel nur schwer möglich. Hier zeigen sich Parallelen zur bereits diskutierten Wirtschaftsgemeinschaft in Ostafrika. 1980/81 stürzte der Andenpakt im Zuge der weltweiten Rezession in eine schwere Krise. Erst Ende der 80er Jahre kam es zu einer gewissen Wiederbelebung. Ob die ehrgeizigen Pläne (gemeinsamer Markt bis 1995) verwirklicht werden, ist sehr zweifelhaft. Im mittelamerikanischen Raum wurde 1960 ebenfalls versucht, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum ins Leben zu rufen. Guatemala, El Salvador, Honduras, Nicaragua und (1962) Costa Rica gründeten den sogenannten MCCA (Mercado Comun Centroamericano). Diese Vereinigung hatte sich zum Ziel gesetzt, innerhalb von 5 Jahren eine Zollunion mit einem gemeinsamen Außenzoll zu verwirklichen. Sofort entstanden jedoch Probleme durch zunehmende Ungleichgewichte beim internationalen Handel. Guatemala und El Salvador entwickelten sich zu ständigen Nettoexporteuren. Dies führte bei den drei anderen Ländern zu erheblichen Zahlungbilanzschwierigkeiten. Honduras als das am wenigsten entwickelte Land profitierte kaum von der Regionalintegration. Sein Anteil am Sozialprodukt des Paktes sank von 12,4% im Jahr 1960 auf 11,4% im Jahr 1969 ab. Der Anteil des industriellen Sektors ging gar von 11,6% auf nur noch 9% zurück.20 Hinzu kam, daß Ende der 60er Jahre die Weltmarktpreise fur die Hauptexportprodukte der Mitgliedsländer gefallen waren. Der Krieg zwischen El Salvador und Honduras in Jahr 1969 tat dann ein übriges, um die mittelamerikanische Integrationszone de facto unwirksam werden zu lassen.
Asiatische Integrationsbestrebungen Im Gegensatz zu den Staaten Afrikas und Lateinamerikas, die, wohl auch beeinflusst durch Ideen der "collective self-reliance", schon frühzeitig mit Programmen zur regionalen Integration begannen, stellt sich die Situation in Asien vollständig anders dar. Mit der Ausnahme einiger weniger Länder (Indien, China, 20
P. BENDEL, Artikel "Honduras", in: D. NOHLEN/F. NUSCHELER (Hrsg.), Handbuch der Dritten Welt, 3. Auflage, Band 3, Bonn, 1992, S. 151f..
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Burma/Myanmar, Sri Lanka) verfolgten die Länder Asiens bereits frühzeitig eine exportorientierte Entwicklungsstrategie, die auf eine rasche Integration in den Weltmarkt, aber kaum auf die Schaffung regionaler Handelspakte abzielte. Dies trifft vor allem auf die vier Schwellenländer Ostasiens zu, aber auch Malaysia, Thailand und Indonesien beschritten mit einer gewissen zeithchen Verzögerung diesen Weg. In Südkorea, Taiwan und Indonesien war dabei die Politik der nationalen Industrieerziehung (in den ersten Phasen der Entwicklung) von überragender Bedeutung, was mit regionalen Absprachen und einer Abtretung wirtschaftspolitischer Kompetenzen ohnehin nicht in Einklang zu bringen gewesen wäre. Als einzige regionale Integrationsgemeinschaft von Bedeutung kann deshalb lediglich der ASEAN-Pakt (Association of South-East Asian Nations) identifiziert werden. 1967 gegründet, stellt er einen Zusammenschluß von Indonesien, Malaysia, Philippinen, Singapur und Thailand dar. Ursprünglich ein politischer Zusammenschluß, wurde er erst Mitte der 70er Jahre zu einem Instrument wirtschaftlicher Koordinierung. Die Ziele blieben allerdings verglichen mit den weitreichenden Integrationsplänen insbesondere in Lateinamerika sehr vage, obwohl aus der Sicht der verfolgten stabilitätsorientierten Geldpolitik eine Integration erheblich leichter zu realisieren gewesen wäre als etwa in Lateinamerika. So beschränkt sich die Zusammenarbeit der ASEAN-Staaten auf eine Kooperation in den Bereichen Rohstoffe, Nahrungsmittel und Energie sowie bei gemeinsamen Großprojekten. Zollvergünstigungen sollen den Handel innerhalb der Union stärken. Eine Entfernung von der Strategie weltmarktorientierter Industrialisierung ist aber nicht eingetreten.21 Angesichts des ökonomischen Erfolgs der südostasiatischen Länder ist mit einer Hinwendung zu mehr "collective self-reliance" auch kaum mehr zu rechnen. Im Vergleich zu Lateinamerika und Afrika fallt aber trotzdem auf, daß den enormen Entwicklungsunterschieden innerhalb der Mitgliedsstaaten bereits frühzeitig durch eine weitgehend offene, eher unverbindliche Konzeption Rechnung getragen wurde. Die extremen ordnungspolitischen Unterschiede, die vom "liberalen" Singapur einerseits und dem (zeitweise) hoch protektionistischen Indonesien beschrieben werden, konnten so ohne große Friktionen bewältigt werden. Hier hatten wohl die negativen Erfahrungen mit der Föderation Malaya/ 21
D. NOHLEN, op. cit., S. 59f.
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Singapur, die nach drei Jahren wieder auseinanderbrach, lehrreich gewirkt. Die zukünftige Bedeutung des ASEAN-Paktes liegt deshalb wohl eher im politischen, denn im ökonomischen Bereich.
5.4. Die Europäische Gemeinschaft - ein Vorbild für die Integration der Staaten der Dritten Welt? Von vielen Vertretern der Entwicklungsländer wird die europäische Integration im Rahmen der EG als vorbildhaft herausgestellt. Es ist aber zu fragen, ob die europäischen Erfahrungen unbesehen auf Entwicklungsländer übertragen werden können. Bei der wirtschaftlichen Integration Europas handelte es sich um einen stark politisch determinierten Prozeß, um aus den Erfahrungen der politischen Spannungen und Kriege zu lernen und ein friedliches Nebeneinander der europäischen Staaten zu ermöglichen. Im Vergleich zu den Entwicklungsländern haben sich weitgehend entwickelte europäische Staaten fur einen Integrationsprozeß zur Politischen Union entschieden, um, wirtschaftspolitisch betrachtet, die Wettbewerbsintensität zu fördern und Vorteile von Skaleneffekten des gemeinsamen großen Marktes und einer einheitlichen Währung besser nutzen zu können. Die gemeinsame historische Vergangenheit stellte dabei eine verhältnismäßig große kulturelle Übereinstimmung sicher. Auch ermöglichte die gemeinsame Agrarpolitik einen Interessenausgleich zwischen Frankreich und Deutschland. Auf lange Sicht konnte die "deutsche Gefahr" so entschärft werden, da Deutschland in den europäischen Verbund eingebunden war. Der wirtschaftliche Erfolg der EG beruhte somit auf einem politischen Konsens, der Rücksichtnahme auf Staaten, die die Integration vorsichtiger vorantreiben wollten, sowie auf dem möglichen Interessenausgleich. Die erforderliche Einstimmigkeit bei der Erschließung neuer Integrationsbereiche half, die nationale Identität zu wahren. Der Einigungsprozeß ging langsam, aber relativ stetig vonstatten. Über erfolgreiche Integrationen weniger entwickelter Gebiete gibt es dagegen kaum positive Erfahrungen. Bei Primärprodukten, die oft von den Entwicklungsin die Industrieländer exportiert werden, bietet sich eine Integration nicht an. Wegen fehlender Kaufkraft der Integrationspartner werden die Entwicklungsbemühungen durch die Integration kaum gestärkt. Die Europäische Gemeinschaft
208
Kapitel 5: Integrationsbemühungen in der Dritten Welt
als eine Gemeinschaft industrialisierter Staaten entstand demgegenüber aus einer historischen und politischen Sondersituation, so daß sie kaum als Vorbild für die Integration der Staaten in der Dritten Welt dienen kann. Zunächst sollten die Entwicklungsländer versuchen, über Assoziierungsabkommen ihre Austauschbeziehungen untereinander zu stärken, bevor sie höhere Stufen der Integration wie eine Freihandelszone oder einen gemeinsamen Markt anstreben. Insbesondere die unterschiedliche Industriestruktur erlaubt ein Nacheifern in einem großen Schritt nicht. Die hochentwickelten Staaten haben vor allem Industriegüter anzubieten: LKWs, die Waschmaschinen nach Frankreich liefern, bringen auf dem Rückweg Waschmaschinen nach Deutschland mit. Bei Rohstoffen lohnt sich dagegen kein gegenseitiger Handel. Ein Land wird nicht Kupfer exportieren und gleichzeitig importieren. Von daher gesehen gehört zu einer erfolgreichen Integration eine schon vorhandene Industriestruktur. Ebenfalls muß die Infrastruktur der einzelnen Länder aufeinander abgestimmt sein, so daß ein Güteraustausch bewerkstelligt werden kann. Auch auf die enormen Probleme einer Harmonisierung von Subventionen, Steuern und Abgaben, sozialpolitischen Regelungen usw. muß hingewiesen werden. Im Rahmen des europäischen Prozesses waren hierbei gewaltige bürokratische Anstrengungen notwendig, um nationale Verzerrungen abzubauen. Immerhin hat es in Europa mehr als 30 Jahre gedauert, um die nunmehr sichtbaren Fortschritte in den Integrationsbemühungen zu erreichen. Am Beispiel des Andenpaktes kann gezeigt werden, daß eine zu schnelle Verwirklichung einer hohen Integrationsform zu ökonomischen und politischen Konflikten zwischen den Partnern fuhrt und schließlich die Einhaltung der vereinbarten Regelungen aufgegeben bzw. umgangen wird. Als Reaktion auf wirtschaftliche Wachstumsprobleme wurde 1960 die lateinamerikanische Freihandelszone (ALALC) gegründet, um das bisherige Entwicklungsmodell (importsubstituierende Industrialierung) auf eine breite Basis für die Länder Lateinamerikas zu stellen. Da die ALALC sich nur zu einem lockeren Handelsverbund entwickelte, schlossen sich die Andenstaaten Ende der 60er Jahre zu einer subregionalen Gemeinschaft zusammen, in der sie ihr Ziel, die Intergration zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum, verwirklichen wollten. Seine anspruchsvolle institutionelle Struktur wurde der EG in weiter Hinsicht nachempfunden.
Kapitel 5: Integrationsbemühungen in der Dritten Welt
209
Das Abkommen von Cartagena (Chile, Bolivien, Peru, Ekuador, Kolumbien; Venezuela trat später hinzu) erwies sich mit seinem Schwerpunkt auf IndustrieProgrammen und mit speziellen Maßnahmen für die ärmeren Mitglieder als relativ progressive Integrationsinitiative. (Auch in Zentralamerika und der Karibik entstanden in den sechziger und siebziger Jahren regionale Zusammenschlüsse.) Die Anfangserfolge waren beachtlich. Der intraregionale Handel wuchs beträchtlich. Doch schon bald zeigte sich, daß das Programm zu ehrgeizig war. Da eine zu hohe Stufe der Integration angestrebt worden war, waren hohe Ausgleichszahlungen zwischen den Integrationspartern erforderlich, die deren weitere Integrationsbereitschaft erheblich minderten. 1980/81 stürzte der Andenpakt im Zuge der weltweiten Rezession in eine schwere Krise. Vertragsverletzungen häuften sich und im Jahre 1983 erreichte der intraregionale Handel einen schweren Einbruch. Der Pakt stand vor seiner Auflösung. Erst zum Ende der achtziger Jahre konnten sich die Mitgliedstaaten zu einer Modifizierung ihres Vertragswerkes durchringen und mit einem weniger umfangreichen Regelwerk einen neuen Anlauf unternehmen, der bis 1995 in einen gemeinsamen Markt und schließlich sogar in eine Währungsunion münden soll. Das Änderungsprotokoll zum Vertrag von Cartagena (Deklaration von Quito, Mai 1987) schafft keine Impulse, um den Andenpakt aus der Krise herauszufuhren. Eher entsteht der Eindruck, daß wirtschaftspolitische Anpassungen vermieden werden sollen. Allerdings ist es mit der "Decision 220" ermöglicht worden, ausländische Direktinvestitionen zu attrahieren, während sie mit der alten "Decision 24" sehr restriktiv behandelt wurden, wodurch der Technologietransfer fast unterbunden wurde. Eine stärkere Außenorientierung würde Wachstumschancen eröffnen. Die Wirtschaftspolitik der Andenpaktstaaten sollte einen Liberalisierungs- und Stabilitätskurs verfolgen, ihre Protektion abbauen und die überzogene Binnenorientierung aufgeben, um aus der wirtschaftlichen Krise herauszukommen.22 Für Lateinamerika gelten die achtziger Jahre gemeinhin als verlorene Dekade. Geringe Wachstumsraten, Rückgang des Pro-Kopf-Einkommens, hohe Inflationsraten und die Verschuldungskrise waren die Kennzeichen. Angesichts der schwindenden Bedeutung Lateinamerikas in der heutigen Welt werden regionale 22
Für weitere Informationen zum Andenpakt siehe, W. LACHMANN (Hrsg.) Andenpakt und Europäische Gemeinschaft. Ein Symposion der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der Universidad de los Andes, Bogotä, Frankfurt et al., 1990.
210
Kapitel 5: Integrationsbemühungen in der Dritten Welt
Zusammenschlüsse derzeit als letzte Zukunftschance betrachtet; doch ohne hohe Wachstumsraten bei Investitionen, Produktion und der Schaffung von Arbeitsplätzen werden sich die Lebensverhältnisse fur große Teile der Bevölkerung auch in diesem Jahrzehnt weiter verschlechtern.23 Bei konsequenter Fortfuhrung des eingeschlagenen Reformprozesses können zumindest die größeren lateinamerikanischen Länder im Verlauf der 90er Jahre auf eine Wiederbelebung ihres wirtschaftlichen Wachstums hoffen. Für die meisten kleineren Staaten in dieser Region sind hingegen die gesamtwirtschaftlichen Perspektiven für die 90er Jahre weiterhin relativ ungünstig. Auch wenn der wirtschaftspolitische Reformkurs beibehalten wird und die Modernisierung von Staat und Wirtschaft gelingt, werden zu Beginn des nächsten Jahrtausends immer noch Millionen Lateinamerikaner in absoluter Armut leben.24
23 Vgl. H. KREFT, Ökonomische und politische Kooperation in Lateinamerika: Der Andenpakt, in. Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 43/90, S. 3-15. 24 Vgl. H. SANGMEISTER, Reformpolitik in Lateinamerika. Chancen und Risiken des wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsels, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 39/91, S. 3-17.
Kapitel 6 Das Verschuldungsproblem der Dritten Welt
1993 erreichte die Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer mit über 1700 Mrd. US$ einen historischen Höchststand.1 Ferner stellte die Weltbank in der Ausgabe 1992-93 der "World Debt Tables" fest, daß sich in den vergangenen Jahren auch die Kapitalströme in die Dritte Welt strukturell stark verändert haben, wobei bei Ländern mit mittlerem Einkommen privates Kapital eine wesentlich wichtigere Rolle als in Ländern mit geringem Einkommen spielt. Auch ist in den Ländern mit mittlerem Einkommen nunmehr häufig eine Rückkehr von Fluchtkapital zu registrieren. Daraus ergibt sich ein Wandel von der Schuldenzur Wertpapierfinanzierung sowie eine Abnahme der Bedeutung der Bankenfinanzierung. Über die vergangenen drei Jahre hinweg hat sich der Zustrom privater Gelder im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren in dieser Ländergruppe um 130% erhöht. 1992 wurde ein Volumen von 92 Mrd. US$ erreicht. Beim Ausbruch der Verschuldungskrise im Herbst 1982 stammte ein Drittel der Kredite aller Entwicklungsländer aus öffentlichen Quellen. Der gesamte Schuldenstand ist dabei seit 1982 weiter gestiegen, insbesondere bei den hoch verschuldeten Ländern. Dieser Anstieg war überdies auch relativer Art, da der Schuldenstand bezogen auf das BSP und die Exporteinnahmen zunahm. Die 17 höchstverschuldeten Länder, insbesondere in Lateinamerika, erfuhren unglücklicherweise sogar in den 80er Jahren eine Abnahme ihres PKE und verzeichneten gegen Ende der Periode einen Nettokapitaltransfer von minus 52 Mrd. US$ (Durchschnitt der Jahre 1988 und 1989). Devisenabflüsse in dieser Höhe wirken als Entwicklungsbremsen und stehen im Widerspruch zur ökonomischen These, daß wachsende Nationen Nettokapitalimportländer sind und Industrieländer als reife Länder Kapital exportieren sollten. Zu Beginn der 90er Jahre jedoch erlebte Lateinamerika und der karibische Raum einen starken Zufluß von Privatkapital, welches durch eine verbesserte Wirtschaftspolitik und verschiedene Schuldenreduzierungsvereinbarungen angezogen wurde.2 Auch die Strukturanpassungsprogramme des IWF, die oftmals Importdrosselungen zur Folge hatten, trugen zur Entspannung der Lage bei. 1 Vgl. World Bank, World Debt Tables 1993-94, Washington, D C., 1993. Anmerkung: Die frühere Sowjetunion ist erstmals in den World Debt Tables 1992-93 enthalten und hat zur Steigerung der Höhe der gesamten Verschuldung erheblich beigetragen. 2 Vgl. World Bank, World Debt Tables 1992-93, Washington, D C , 1992.
212
Kapitel 6: Das Verschuldungsproblem der Dritten Welt
Der Rückgang der Importe von Produktionsmitteln und Ersatzteilen beeinflußt jedoch das Wachstum des PKE, da die technologische Lücke zum Ausland größer wird und die Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder sinkt (reduzierte Investitionsgüterimporte). Die Versuche der Industrieländer, den Staaten der Dritten Welt durch Programme mit Auflagen zu helfen, scheint allerdings in eine Sackgasse gefuhrt zu haben. Insbesondere Länder mit sinkenden PKE erfahren abnehmende zukünftige Wachstumschancen, mit negativen Rückwirkungen auf die politischen und sozialen Verhältnisse.
6.1. Das Verschuldungsmuster im EntwicklungsprozeB Eine hohe Verschuldung ist im Grunde genommen nicht beunruhigend. Im Gegenteil, sie kann auch auf eine gesteigerte wirtschaftliche Aktivität hindeuten. So sind beispielsweise einige Großunternehmen in hohem Maße verschuldet, ohne daß man bei ihnen von einer Verschuldungskrise sprechen kann. Diese Unternehmen besitzen als Gegengewicht produktive Aktivposten. Wenn ein Unternehmen expandiert und die eigene Kapitaldecke zu niedrig ist, muß es sich verschulden, um die zur Expansion notwendigen Investitionen tätigen zu können. Ähnlich verhält es sich auch bei den Entwicklungsländern. Alle Länder, die ihren take-off begonnen haben, mußten sich am Anfang verschulden. So war die zweite Generation der europäischen Industrieländer während ihrer Entwicklungsphase auf ausländisches Kapital von Frankreich, Belgien und Großbritannien angewiesen. Ebenso ist es verständlich, daß insbesondere Schwellenländer hoch verschuldet sind, also Länder, die ihren Entwicklungsprozeß begonnen und in hohem Maße mit ausländischem Kapital finanziert haben. Nicht die Verschuldung an sich, sondern die Verwendung der Kredite ist also das entscheidende Kriterium zur Beurteilung der Verschuldungshöhe. Ein Staat, der Kredite fur Konsumzwecke verwendet, wird leicht in eine Schuldenkrise geraten, weil er diese Kredite nicht aus Investitionserträgen bedienen kann. Selbst wenn ausländische Kredite produktiv verwendet werden, reicht dies oft nicht aus, ein Land vor Zahlungsbilanzungleichgewichten zu schützen. Dies kann dann der Fall sein, wenn Investitions- und Entwicklungsprojekte so gestaltet sind, daß erst nach
Kapitel 6: Das Verschuldungsproblem der Dritten Welt
213
Ablauf einer längeren Zeit mit Deviseneinnahmen zu rechnen ist, aber bereits frühzeitig eine Rückzahlungspflicht besteht. Mit anderen Worten: Die Liquiditätsstruktur der Kredite ist von ebenso entscheidender Bedeutung. Kurzfristige Kredite sollten nur für solche Investitionen verwendet werden, die in kurzer Zeit höhere Exporteinnahmen versprechen. Infrastrukturmaßnahmen, die für die Entwicklung unentbehrlich sind, aber erst später eine Rendite erwirtschaften, müssen daher durch langfristige Kredite finanziert werden. Da die Mittel für die Zins- und Rückzahlungen aufgenommener Kredite an das Ausland verdient und transferiert werden müssen, ist es notwendig, die Transformations- und Transferkriterien zu beachten. Das Transformationskriterium besagt, daß Kredite nicht zum Konsum, sondern zur Erhöhung der einheimischen Produktion genutzt werden sollen. Je eher die Wirtschaftspolitik sicherstellt, daß Kredite effizient verwendet werden, umso leichter ist das Transformationskriterium erfüllbar. Werden durch die getätigten Investitionen konkurrenz- und exportfähige Erzeugnisse hergestellt, dann können die angestiegenen Exporte zukünftige Devisen erwirtschaften, um Amortisations- und Zinszahlungen zu finanzieren: Auch das Transferkriterium ist dann erfüllt. Man unterscheidet also zwischen den folgenden Kriterien: Transformations- oder Effizienzkriterium: Die zusätzliche Produktion muß die Kredit-, Zins- und Amortisationskosten decken. Transferkriterium: Durch die zusätzliche Produktion müssen Devisen erwirtschaftet werden, um die Kredite in ausländischer Währung bedienen zu können. Liquiditätskriterium: Zu jedem Zeitpunkt muß das Transferkriterium erfüllt sein. Ein modellmäßiger Ablauf von Verschuldung und Wachstum eines Entwicklungslandes ergibt folgenden stilisierten Verlauf:
214
Kapitel 6: Das Venchuldungsproblem der Dritten Welt
Das Entwicklungsland hat zu Beginn des Entwicklungsprozesses niedrige Ersparnisse, die Investitionen müssen teilweise extern finanziert werden. Demzufolge wird die Auslandsverschuldung überproportional hoch sein. In diesem Stadium sind hohe Leistungsbilanzdefizite zu beobachten. In einer zweiten Phase wird (nur) der Schuldendienst extern finanziert. Die Exporte steigen und die Verschuldungsrate sinkt. Die Auslandsverschuldung nimmt nur noch unterproportional zu und die Leistungsbilanz verbessert sich. In einer dritten Phase werden sowohl die Investitionen als auch die Zinsen und die Rückzahlungen durch heimisches Sparen finanziert, so daß eine weitere Auslandsverschuldung nicht mehr unbedingt notwendig ist. Die Höhe der Auslandsverschuldung kann dann stabilisiert bzw. sogar abgebaut werden. Während dieser Phase beobachtet man Leistungsbilanzüberschüsse. Graphisch läßt sich dieses Muster wie folgt darstellen:
Verschuldung
Phase I
Phase II
Phase III überschuB
Defizit
Leistungsbilanz
Abb. 6.1 Verschuldungsmuster im Entwicklungsprozeß
Kapitel 6: Das Verschuldungsproblem der Dritten Welt
215
Die Voraussetzungen für eine Verschuldung ohne spätere Rückzahlungsprobleme liegen daher in hohem Wachstum, hoher marginaler Sparneigung, (um weitere Investitionen zu finanzieren), produktiven Investitionen (um dem Effizienzkriterium zu genügen), der Transferierbarkeit von Zins- und Rückzahlungen, und in einer Exportorientierung, so daß die Transfer- und Liquiditätskriterien erfüllt werden können. Dieses "natürliche Verschuldungsschema" eines sich entwickelnden Landes kann sich nur dann herausbilden, d.h. Phase III wird nur unter der Voraussetzung erreicht, wenn die Außenwirtschaftspolitik der Industriestaaten es den Entwicklungsländern in dieser Phase auch ermöglicht, durch erhöhte Exporte nicht nur die Tilgung, sondern auch die anfallenden Zinsen über Exporte zu erwirtschaften. Industrieländer leisten also einen wichtigen Entwicklungsbeitrag, wenn sie positive Leistungsbilanzen der Entwicklungsländer zulassen. Durch die zeitlich gestaffelte wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Staaten ist zu erwarten, daß einige Entwicklungsländer mit den Industrieländern noch negative, die schon weiterentwickelten Länder positive Leistungsbilanzen aufweisen. Demzufolge werden die Industrieländer mit den sich entwickelnden Länder positive Leistungsbilanzen und mit den Schwellenländern, die ihre Schulden zurückzahlen müssen, negative Leistungsbilanzen verzeichnen müssen.
6.2 Indikatoren und das Ausmaß der externen Verschuldung Die Verschuldung aller Entwicklungsländer wird, wie bereits erwähnt, für 1993 auf über 1700 Mrd. US$ geschätzt.3 1955 lag die Gesamtverschuldung noch bei 7 Mrd. US$. Sie stieg bis zum Jahre 1970 auf 77 Mrd. US$ und bis 1975 auf 179 Mrd. US$ an. Zwischen 1975 und 1980 verdreifachte sich die Auslandsverschuldung auf 636 Mrd. US$. Seit 1980 ist es wiederum nochmals zu einer Verdoppelung der Auslandsverschuldung gekommen. Die "Verschuldungskrise" der 80er Jahre hat ihre strukturelle Grundlage aber in dem enormen Schuldenzuwachs während der zweiten Hälfte der 70er Jahre. Den Verlauf der Gesamtverschuldung in den entscheidenden 80er Jahren zeigt das folgende Schaubild:
3
Vgl. World Bank, World Debt Tables 1993-94, Washington, D C., 1993.
216
Kapitel 6: Das Verschuldungsproblem der Dritten Welt
G e s a m t v e r e c h u l d u n g in Mrd. U S - $
1600|
1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 Jahr •
offiz. Quellen
V 7 \ priv. Quellen
SS
IWF-Kredite
KS
ES) kurzfr. Schulden
andere L ä n d e r ·
·) S c h ä t z u n g e n der W e l t b a n k für n i c h t b e r i c h t e n d e Länder.
Abb. 6.2 Gesamtverschuldung in den 80er Jahren
Wie sich diese Verschuldung auf die verschiedenen Regionen aufteilt, zeigt folgendes Schaubild:
Kapitel 6: Das Verschuldungsproblem der Dritten Welt
Schuldenstand in Mrd. U S - $ 500 ι
1983
1984
1985
1986
1987
1988
1989
1990
Jahr H l Lateinamerika
Nordafrika/mittl. Ο.
I
I Südasien
Abb. 6.3 Auslandsschulden der Entwicklungsländer nach Regionen
217
218
Kapitel 6: Das Verschuldungsproblem der Dritten Welt
Der prozentuale Anteil der einzelnen Regionen an der Gesamtverschuldung (1993) beträgt fur Afrika (südlich der Sahara) 11,7%, für Ostasien/Ozeanien 19,3%, für Europa 19,8%, für Lateinamerika und die Karibik 29,9%, für NordAfrika und den Mittleren Osten 11,4% und für Südasien 8,0%.4 Der Teil der Auslandsschulden, der auf öffentliche Gläubiger entfällt, hat sich insgesamt in allen Ländergruppen in den letzten Jahren ausgeweitet. Die Verschuldung gegenüber den Geschäftsbanken ist demgegenüber seit 1987 rückläufig. Erst im Jahr 1992 kündigte sich eine partielle Trendwende an. Zwar ist weiterhin die Region Afrika (südlich der Sahara) fast ausschließlich auf offizielle Mittel angewiesen, jedoch haben der ostasiatische und der pazifische Raum wegen ihrer Kreditwürdigkeit einen besseren Zugang zu den wesüichen Finanzmärkten.5 1990 mußten 140,527 Mrd. US$ der Auslandsschuld (einschließlich Zinsen) zurückgezahlt werden, was insgesamt 21,1% der Exporterlöse ausmachte. Bei den aufgeführten Zahlen handelt es sich allerdings um die Bruttoverschuldung. Für eine genaue Analyse sind aber Statistiken auf Nettobasis notwendig, die z.Zt. nur unvollständig vorliegen. Um die Verschuldungssituation eines Landes einschätzen zu können, müssen auch dessen Kapitalexporte einbezogen werden (Kapitalflucht). Einige Entwicklungsländer haben interessanterweise mehr Kapital im Ausland angelegt als ihre internationale Verschuldung beträgt. Die hohe Kapitalflucht erklärt sich aus den überbewerteten Wechselkursen, die einen Umtausch heimischer Währung in US-Dollar attraktiv machte. Die hohen Zinsen im Ausland verstärkten die Tendenz, "Kapital in Industrieländern zu investieren." Insbesondere für Lateinamerika wurde eine hohe Kapitalflucht festgestellt. Ihr Ausmaß erläutert die folgende Tabelle:6
4
World Bank, World Debt Tables 1993-94, op. cit.. Vgl. World Bank, World Debt Tables 1990-91, Washington, D C., 1990 und vgl. World Bank, World Debt Tables 1992-93, Washington, D C , 1992. 6 Die Zahlen stammen aus: J. BULOW/K. ROGOFF, Cleaning up Third World Debt Without Getting Taken to the Cleaners, JEPer 4:1 (Winter 1990), S. 31 - 42; hier: S. 37. 5
Kapitel 6: Das Verschuldungsproblem der Dritten Welt
219
Tabelle 6.1 Daten zur Kapitalflucht
Land
Argentinien Bolivien Brasilien Kolumbien Ecuador Mexiko Philippinen Venezuela Nigeria Chile
Fluchtkapital in % Höhe des Fluchtder langfristigen, kapitals in Mrd. US$ staatlich garantierten im Jahr 1987 Auslandsschulden 111 46 178 2 46 31 103 7 115 7 114 84 188 23 240 58 136 20 17 2
Zudem erhebt sich die Frage, ob nicht die Bürger der Entwicklungsländer erst einmal selbst fur ihre Staatsschulden einzutreten haben, bevor die Steuerzahler in den Industrieländern diese Schulden übernehmen, wobei noch hinzugefugt werden muß, daß die Entwicklungsländer genügend Realvermögen besitzen, um ihre Schulden begleichen zu können. Gegen solche "Direktinvestitionen" bestehen jedoch politische Bedenken. Die absoluten Zahlen der Verschuldung sind auch deshalb nicht besonders aussagekräftig, da die Verschuldung zu anderen wirtschaftlichen Daten in Beziehung gesetzt werden muß. Folgende Verschuldungsindikatoren werden am häufigsten verwendet: Die Auslandsverschuldung kann auf die Bevölkerungszahl bezogen werden. Dadurch wird zwischen großen und kleinen Ländern unterschieden. Sie kann aber auch zum wirtschaftlichen Leistungspotential eines Landes ins Verhältnis gesetzt werden. Setzt man die Auslandsverschuldung in Beziehung zum BIP, so stellt man für die Jahre von 1977 bis 1986 eine Erhöhung des Anteils der Verschuldung
220
Kapitel 6: Das Verschuldungsproblem der Dritten Welt
am BIP von 25% auf 50% fest. Dies bedeutet, daß die Auslandsverschuldung wesendich schneller gestiegen ist als das aggregierte Sozialprodukt. Da die Auslandsverschuldung in Devisen zurückgezahlt werden muß, ist es sinnvoll, die Schulden auf die Jahresexporte der Entwicklungsländer zu beziehen. Während 1978 die Gesamtverschuldung 133,5% der Exporterlöse ausmachte, betrug sie 1986 schon 241,3%. Diese Zahl ist bis 1990 auf 183,1% zurückgegangen. Schon Mitte der 70er Jahre überstieg die Verschuldung die Exporteinnahmen aus Güter- und Dienstleistungen, deren Wachstum mit dem der neu aufgenommenen Kredite nicht Schritt halten konnte. Wie hoch die Gesamtverschuldung in Relation zu den erwarteten Exporterlösen der einzelnen Regionen ist, zeigt folgendes Schaubild:
400
Verschuldung/Exporte in % —
1983
1984
1985
1986
1987
1988
1989
Jahr Afrika südl. d. Sah.
β
Ostasien
H Z ] Europa
1990
Kapitel 6: Das Verschuldungsproblem der Dritten Welt
400
221
Verschuldung/Exporte in %
1983
1984
1985
1986
1987
1988
1989
1990
Jahr Lateinamerika
E M I Nordafrika/mittl. Ο.
I
I Südasien
Abb. 6.4 Die Auslandsschulden der Entwicklungsländer im Vergleich zum Export von Gütern und Diensten nach Regionen
Allerdings reicht auch dieser Indikator nicht zur Beschreibung der Verschuldungsproblematik aus, da die genannte zeitliche Struktur der Rückzahlung nicht berücksichtigt wird. Die Schuldendienstquote gibt an, wieviel Prozent der Jahresexporte fur Tilgung und Zinsen aufgewendet werden müssen. Sie stieg von 13,5% im Jahre 1980 auf 25,9% im Jahre 1986 an, um bis 1992 auf 18,7% zu sinken, wobei die reine Zinsquote von 7,2% im Jahre 1980 auf 12,2% im Jahre 1986 anstieg. Im Jahre 1990 betrug die Zinsquote lediglich 7,8%.7 Für die einzelnen Regionen stellt sich die Schuldendienstquote wie folgt dar:
7
V g l . W o r l d B a n k , W o r l d D e b t Tables 1 9 9 3 - 9 4 , V o l . I, Washington, D C , 1 9 9 3 , S. 1 7 0 .
222
Kapitel 6: Das Verschuldungsproblem der Dritten Welt
Schuldendienstquote in %
1983
1984
1985
1986
1987
1988
1989
1990
Jahr Afrika siidl. d. Sah.
1 W Ostasien
I
I Europa
Schuldendienstquote in %
1983
1984
1985
1986
1987
1988
1989
1990
Jahr I H Lateinamerika
K S Nordafrika/mittl. O.
[
J Südasien
Abb. 6.5 Schuldendienstquoten der Entwicklungsländer nach Regionen
Kapitel 6: Das Verschutdungsproblem der Dritten Welt
223
Die Entwicklungsländer, die überwiegend Primärgüter exportieren, sind erheblich höher verschuldet als jene, die auch Industriegüter auf dem Weltmarkt anbieten. Die Verschuldungsquote der Länder, die hauptsächlich landwirtschaftliche Primärgüter ausführen, betrug 1993 335% der Exporteinnahmen, die der Länder mit mineralischen Rohstoffen 275% der Exporterlöse, während die Verschuldungsquote der Industriegüter exportierenden Entwicklungsländer nur 66,4% betrug. Die 15 am stärksten verschuldeten Staaten hatten 1993 eine Verschuldungsquote von 238,3% der Exporterlöse, die Länder südlich der Sahara (ohne Nigeria und Südafrika) kamen auf eine Verschuldungsquote von 369,6%. Eine ähnliche Struktur findet sich auch bei der Schuldendienstquote. Die Länder mit agrarischen Rohstoffexporten weisen eine Schuldendienstquote von 33,4% und jene mit mineralischen Rohstoffen von 21,2% auf, während die Länder, die Industrieprodukte exportieren, nur eine Schuldendienstquote von 10,6% haben. Die 15 am stärksten verschuldeten Staaten hatten 1993 eine Schuldendienstquote von 34,9%, die Länder südlich der Sahara (ohne Südafrika und Nigeria) von 22,9%. 8 Die Länder Lateinamerikas und Schwarzafrikas sind in einem erheblich stärkeren Maße von der Verschuldungsproblematik betroffen als die aufstrebenden Länder Asiens, wobei ihre Schuldenstruktur unterschiedlich ist. In den 70er Jahren erfolgte eine Verschiebung in der Kreditgeberstruktur. Vor der Ölpreisexplosion lag der Bankenanteil an der Entwicklungsländer-Finanzierung bei ca. 50%. Dieser Anteil stieg auf 65%. Bei den Hauptschuldnerländern Lateinamerikas stieg der Anteil der privaten Kredite sogar auf 70%, während er in den armen Ländern Afrikas von 32% im Jahre 1973 auf 20% im Jahre 1986 sank. In Lateinamerika haben sich insbesondere die amerikanischen Banken stark engagiert, die demzufolge von dem Moratorium Mexikos vom August 1982 in hohem Ausmaß betroffen waren.
8
Internationaler Währungsfonds, World Economic Outlook 1992, Washington D.C., 1992, S. 162ff.
224
Kapitel 6: Das Verschuldungsproblem der Dritten Welt
6.3 Ursachen der Verschuldungskrise Generell muß zwischen der entwicklungspolitisch notwendigen Verschuldung und der Verschuldungskrise unterschieden werden. Die eigentliche Ursache der Verschuldungskrise der Dritten Welt liegt nicht in der Notwendigkeit externe Kredite aufzunehmen, sondern in der Verwendung der Kredite für unproduktive Vorhaben. Funktionierende Finanzmärkte in den Entwicklungsländern würden durch ihre Finanzintermediation Risiko-, Losgrößen- und regionale Transformationen von monetären Ersparnissen ermöglichen, so daß das bestehende Sparpotential eines Landes bestmöglich genutzt würde. Eine steigende Investitionsnachfrage fuhrt zu hohen Realzinsen, die sich wiederum auf die interne Ersparniswirkung positiv auswirken. Die beträchtliche Devisen- und Kapitalhilfe, die die Entwicklungsländer im Rahmen der finanziellen Zusammenarbeit erhielten (Entwicklungshilfe), führte aber demgegenüber dazu, daß sie die Notwendigkeit des Aufbaues ihres Finanzsektors nicht beachteten. So blieb es bei rudimentären Finanzmärkten in der Dritten Welt und die Abhängigkeit von ausländischen Kapitalzuflüssen konnte nicht abgebaut werden.9 Während ferner in den 60er Jahren, vor allem in den Staaten Lateinamerikas, noch umfangreiche Direktinvestitionen Kapital und technisches know-how zur Verfügung stellten, führte die beginnende politische Abneigung gegen ausländische Direktinvestitionen (beeinflußt durch die Dependenztheorien) und deren allmähliche Behinderung dazu, daß sie zunehmend höhere finanzielle Mittel in der Form von Krediten aufnehmen mußten. Die Festlegung auf eine Strategie der Importsubstitution ist ein weiterer Grund für die hohe Verschuldung der Entwicklungsländer. Durch eine Substitution bisheriger Importe durch heimische Produktion sollten zwar Devisen eingespart werden, der Aufbau solcher Produktionskapazitäten benötigte aber in hohem Maße Kapitalgüter, die die Länder wiederum importieren mußten. Zu Beginn einer Politik der Industrialisierung auf Grundlage einer Importsubstitutionsstrategie besteht deshalb immer ein hoher Devisenbedarf. Die Entstehung der Verschuldungskrise wurde auch dadurch begünstigt, daß Mitte der 70er Jahre hohe konditionsfreie Kredite zur Verfügung standen. Die 9
Vgl. Band 2, Kap. 5 (Das Problem unzureichende Finanzmärkte).
Kapitel 6: Das Verschuldungsproblem der Dritten Welt
225
Banken, die wegen des Petrodollar-Überhangs Anlagemöglichkeiten suchten, verlagerten das Wechselkurs-, Zins- und Liquiditätsrisiko jedoch auf die Schuldner, was sich in kurzen Laufzeiten und variablen Zinsen niederschlug. Die erste Ölpreiskrise führte nämlich, da das Recycling der Petrodollars durch die westlichen Banken und nicht mittels OPEC-Direktinvestitionen stattfand, zu einer Liquiditätsschwemme auf dem Weltkapitalmarkt. Kredite standen zu günstigen Konditionen zur Verfügung, weil die Banken nach Anlagemöglichkeiten in einer weltweit rezessiven Konjunkturphase der Weltkonjunktur suchten. Die reichliche Geldversorgung wiederum führte zu hoher Inflation und negativen Realzinsen für viele Entwicklungsländer. Beschleunigt wurde die Weltinflation u.a. auch durch eine expansive Fiskalpolitik der Industriestaaten (insbesondere: der USA). Während der zweiten Ölpreiskrise kam es zu einem Umschwung in der amerikanischen Wirtschaftspolitik. Um das hohe Haushalts- und Zahlungsbilanzdefizit zu finanzieren, stiegen die amerikanischen Zinsen durch eine restriktive Geldpolitik und eine weiterhin expansive Fiskalpolitik an, was zu einem Anstieg des Dollarkurses führte. Die Entwicklungsländer erlebten daraufhin eine beispiellose Zunahme ihrer realen Zinsverpflichtungen. Die monetaristisch inspirierte Stabilisierungspolitik verursachte eine weltweite Rezession, die einen Verfall der Rohstoffpreise und sinkende Exporterlöse der Dritten Welt nach sich zog. Die Industriestaaten wiederum versuchten, ihre Zahlungsbilanz mit Hilfe protektionistischer Maßnahmen zu sanieren. Alle diese externen Faktoren brachten die instabile Verschuldungssituation der Entwicklungsländer schlagartig ans Tageslicht. Im Spätsommer 1982 kam dann die Verschuldungskrise durch das Mexiko-Moratorium offen zum Ausbruch. Auch die Banken waren an der Entstehung der Krise ursächlich beteiligt. Ihre Kredite waren zu hoch und sie wurden sorglos gegeben. Es muß zugestanden werden, daß es in den 70er Jahren keine zuverlässigen Verschuldungsindikatoren gab. Sie vertrauten auf die staatlichen Garantien und darauf, daß Staaten nicht zahlungsunfähig werden. Selbst die Zinsen auf mexikanische Obligationen stiegen erst kurz vor dem Moratorium an. Das Recycling der Petrodollars wurde in den 70er Jahren offiziell gelobt: Die staatliche Entwicklungshilfe wurde entlastet, OPEC-Gelder konnten angelegt werden, Entwicklungsländer erhielten konditionsfreie Kredite.
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Verschärft wurde die Krise durch nervöse Reaktionen der Banken. Insbesondere kleinere Banken zogen sich bei Krediten zurück. Bei den Neuverhandlungen waren oft bis zu 360 Banken involviert. Vereinzelt hofften Banken, aus den Zugeständnissen einiger Großbanken ihre Kredite zu retten. Kürzere Laufzeiten führten dann schnell wieder zu neuen Problemen. Zu den externen Ursachen der Verschuldung kamen die internen Faktoren: Die Rentabilität der mit Krediten finanzierten Investitionen war meist zu niedrig. Eine lasche Geldpolitik, bedingt durch überhöhte Staatsausgaben (oftmals Rüstungsausgaben), und der dadurch zunehmende Vertrauensverlust der Bürger der Dritten Welt in die eigene Währung und Wirtschaftspolitik verschärften das Verschuldungsproblem. Sie werden von den meisten Autoren als die wesentlichen Ursachen fur die Verschuldungskrise angesehen.10 Die RückZahlungsunfähigkeit der Schuldnerländer führte zu einer Politik der Prolongation der Kredite, einemTeufelskreis, den weder die Zentralbanken noch die Bankenaufsichtsbehörden rechtzeitig erkannten. Aufgrund der rechtlichen Vorschriften in den Vereinigten Staaten mußten Kredite, die über sechs Monate nicht bedient wurden, abgeschrieben werden. Da viele Banken in den USA mit einem Mehrfachen ihres Eigenkapitals in Lateinamerika engagiert waren, führte die Einstellung der Bedienung der Kredite die Welt an den Rand eines Finanzkollapses. Es war daher das Ziel der amerikanischen Regierung und ihrer Banken, einen Zusammenbruch ihres Finanzsystems zu vermeiden. Statt aber ursachenadäquat das Verschuldungsproblem anzugehen, wurde mittels Hinhaltetaktiken zunächst das Verschuldungsproblem gestreckt. Gegen Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre haben sich die Verschuldungsprobleme vieler Entwicklungsländer glücklicherweise abgeschwächt. Dies ist zum einen auf die Bildung eines Sekundärmarktes, auf dem die Schulden mit Abschlag gehandelt werden, zum anderen auf die strengere Konditionierung der Kredite und auf marktwirtschaftlich orientierte Reformen in den Entwicklungsländern zurückzuführen.
10 Eine ausführliche Darstellung der Schuldenkrise und ihrer Probleme und Folgen findet sich in: J. S. HOGENDORN, Economic Development, New York, 1992 (Harper Collins), 2. Auflage, S. 196-219.
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6.4 Folgen der hohen Auslandsverschuldung Die hohe Verschuldung der Entwicklungsländer führte dazu, daß ihre Kreditwürdigkeit sank. Einerseits bestanden hohe RückZahlungsverpflichtungen, andererseits waren insbesondere die Banken nicht bereit, weitere Kredite zu gewähren. Eine Leistungsbilanzsanierung war notwendig, die meist durch eine Reduzierung von Importen erreicht wurde. Dies hatte folgende Auswirkungen: Auf bislang konsumtiv verwendetetes Einkommen mußte verzichtet werden, was in sozialpolitischer Hinsicht bei der in den Entwicklungsländern weit verbreiteten Armut bedenklich erscheint. Die Armen haben zwar von der hohen Staatsverschuldung teilweise profitiert, sie haben aber in einem weitaus höheren Maße die Anpassungslasten zu tragen. Dies hatte soziale Unruhen und politische Instabilitäten zur Folge. Die Reduzierung der Importe führte aber auch zum Absinken der Investitionsquoten, wodurch der Kapitalstock in den Entwicklungsländern schneller veraltete. Hierdurch wurde die Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder in Frage gestellt und damit auch der langfristige Schuldendienst gefährdet. Wegen fehlender Importe von Investitionsgütern mußten Entwicklungsprojekte gestoppt werden, was zu weiteren Wachstums- und Entwicklungsverlusten und einem damit einhergehenden Anstieg von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung führte. Die Entwicklungsländer hatten und haben also mit schwerwiegenden verteilungs- und wachstumspolitischen Folgen ihrer Verschuldung zu kämpfen. Auf die Anpassungsmaßnahmen, die sozialpolitisch oftmals kaum tragbar sind, werden wir in einem gesonderten Beitrag eingehen (Abschnitt 6.6). Vorher sollen aber einige Lösungsvorschläge diskutiert werden.
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6.5 Lösungsvorschläge zur Überwindung des Verschuldungsproblems der Dritten Welt Häuser11 hat auf das erfolglose Intervenieren von Keynes im Hinblick auf die hohen Reparationsforderungen der Alliierten gegenüber Deutschland nach dem Ersten. Weltkrieg hingewiesen. Er stellt Vergleiche mit der Situation der heutigen Entwicklungsländer an und bringt die Lehren der politischen Ökonomie auf die folgende Formel: Überforderten Schuldnerländern bleiben nur drei Möglichkeiten: - Sie erliegen ihrer Last und verarmen. - Sie rebellieren gegen diese Last und werden mißliebige Störenfriede der internationalen Völkergemeinschaft. - Sie verstehen es, sich weiter Kredite zu verschaffen, mit deren Hilfe sie ihre bestehenden Schulden prolongieren. Häuser schließt mit dem Fazit: Die Gläubiger können das Unmögliche nicht erzwingen. Eine langfristige Politik zur Lösung des Verschuldungsproblems muß daher auch von der Tatsache ausgehen, daß es den Schuldnerländern nicht so sehr am Stabilisierungswillen mangelt, sondern das Hauptproblem in der Stabilisierungsfähigkeit eines Entwicklungslandes liegt.12 Körner weist darauf hin, daß Umstrukturierungsprogramme fur die Schuldnerländer durch Programme eines "institution building" ergänzt werden müssen. Nur so seien entscheidende Schritte zur Lösung der Verschuldungsproblematik möglich. Häufig wird auch, insbesondere von kirchlicher Seite, ein Schuldenerlaß fur Entwicklungsländer gefordert. Wie ist ein solcher Schuldenerlaß ökonomisch zu bewerten? Ein totaler Schuldenerlaß beseitigt nicht das Grundübel der hohen 11 Vgl. K. HÄUSER, Keynes und die Schuldenkrise, in: W. FILC/L. HÜBL/R. POHL (Hrsg.), Herausforderungen der Wirtschaftspolitik (Festschrift fur Claus Köhler), Berlin 1988, S. 233 246. 12 Vgl. H. KÖRNER, Interne Ursachen der Verschuldungsproblematik. Interessen, Strukturdefizite und Politikversagen in Entwicklungsländern, in: W. FILC et al. (Hrsg.), Herausforderungen der Wirtschaftspolitik (Festschrift für Claus Köhler), Berlin 1988, S. 247 - 259.
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Auslandsverschuldung, nämlich eine verfehlte Wirtschafts- und Währungspolitik, die Direktinvestitionen einschränkt und wegen hoher Inflationsraten zu Kapitalflucht Veranlassung gibt. Ein durch Erlaß schuldenfrei gewordenes Land wird nach einiger Zeit wiederum eine hohe Verschuldung aufweisen. Ein einfacher Schuldenerlaß hat überdies negative Anreizeffekte fur andere Schuldner zur Folge. Länder, die ihre Schulden zurückzahlen, fühlen sich benachteiligt. Somit bestehen Anreize, die Schulden ebenfalls nicht mehr zu bedienen. Auch die Kreditwürdigkeit solcher Länder, denen ihre Schulden erlassen wurden, wird leiden. Sinnvoller sind partielle Schuldenerlasse mit Auflagen. Ordnungs- und währungspolitische sowie demokratische Auflagen mit dem Ziel, die Ursachen der Verschuldungskrise zu beseitigen, müssen als Bedingung für einen Schuldenerlaß gesehen werden. Der partielle Schuldenerlaß kann dann als Belohnung für eine geänderte Wirtschaftspolitik dienen. Die Verschuldungsprobleme lassen sich nur durch eine Stärkung der Wirtschaftskraft der Schuldnerländer meistern, so daß der Schuldendienst aus eigener Kraft geleistet werden kann. Dadurch werden sich auch neue attraktive Investitionschancen eröffnen. Wichtigste Voraussetzung zur Erreichung dieses Ziels ist eine Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft der Schuldnerländer. Konkurrenzfähigkeit gegenüber ausländischen Anbietern ermöglicht es, Devisen zu sparen, die andernfalls für Importe ausgegeben werden müßten und zusätzlich Devisen durch Mehrexporte zu erwirtschaften. Solche Erfolge setzen nicht nur eine Korrektur der in den Problemländem extrem binnenmarktorientierten Handelspolitik voraus, sondern machen auch eine Abkehr der Protektionspolitik der Industrieländer notwendig. Die Entwicklungsländer müssen ihre hohen Budgetdefizite abbauen, die zu hohen Inflationsraten führten und damit die relativen Güter- und Faktorpreise verzerrten, die inländische Spartätigkeit verminderten und zur Kapitalflucht Anlaß gaben. Die verfehlte Wechselkurspolitik führte zu einem überhöhten Außenwert der Währung und damit zu einer Unterauslastung vorhandener Produktionsmöglichkeiten, die die gesamtwirtschaftliche Wachstumsdynamik hemmte. Partielle Maßnahmen sind zur Überwindung der Verschuldungskrise jedoch nicht ausreichend. Benötigt wird ein gesamtwirtschaftliches Reformprogramm. das auf eine Stabilisierung und Umstrukturierung der Wirtschaft der Entwicklungsländer abzielt.
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Notwendig ist es aber auch, die sozialen Kosten der Anpassung gering zu halten und rasch die gesamtwirtschaftliche Produktivität zu erhöhen.13 Viele Länder haben zwar ihre Leistungsbilanzdefizite abbauen können und dabei insbesondere dadurch Erfolge erzielt, indem sie ihre Importe drastisch senkten. Dies kann jedoch zu einer Abnahme des Wachstums und der Konkurrenzfähigkeit fuhren. Insbesondere die Länder Lateinamerikas haben ihre Leistungsbilanzprobleme durch Importdrosselungen lösen wollen, mußten aber dafür kurzfristig Wachstumseinbußen hinnehmen. Allerdings hat diese harte Stabilisierungspolitik mittlerweile, folgt man den Zahlen der World Debt Tables, im Jahr 1992 zu einem starken Zufluß an Privatkapital gefuhrt und zeigt somit erste Erfolge. Auch eine einseitige Exportförderung reicht zur Überwindung des Problems nicht aus. Eine Verminderung der staatlichen Dominanz im Wirtschaftsablauf und ein Abbau der Preisverzerrungen, um die binnenwirtschaftlichen Ungleichgewichte zu reduzieren, müssen angestrebt werden. Den Industrieländern kommt ebenfalls eine Verantwortung bei der Überwindung der Schuldenkrise zu. Der Abbau ihres Protektionismus ist gefordert. Man kann nicht in einer Welt leben, die im Kapitalverkehr immer internationalistischer, im Handelsverkehr immer nationalistischer wird. In Zeiten der Massenarbeitslosigkeit wird zwar oft protektionistischen Versuchungen nachgegeben, die ungelösten sozialen Probleme des Strukturwandels können aber nur eine kurze Zeit verlagert werden. Der Agrarprotektionismus der Industrieländer gegenüber Importen von Zucker und Fleisch führte nach Untersuchungen der Weltbank zwischen 1979 und 1981 in den lateinamerikanischen Staaten zu durchschnittlichen jährlichen Exportminderungen von 6,8 Mrd. US$, wobei diese Verluste stark auf Argentinien, Brasilien, die Dominikanische Republik und Mexiko konzentriert waren. Dieser Betrag hätte ausgereicht, um im Jahre 1981 etwa 45% des gesamten lateinamerikanischen Zinsendienstes zu finanzieren, wobei die Wohlfahrtsverluste der Agrarexporteurländer unberücksichtigt bleiben.
13 Vgl. auch die Aufsätze in: Dräger-Stiftung (Hrsg.), Die internationale Verschuldungskrise. Ursachen, Auswirkungen, Lösungsperspektiven. Baden-Baden, 1987 (Nomos-Verlag).
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Anfänglich hat der IWF das Verschuldungsproblem durch eine Umstrukturierung der Schuldenfristen lösen wollen. Dieser Ansatz reicht jedoch kaum aus. Auch ein Absenken des Konsums mit der notwendigen Aufschiebung von Entwicklungszielen wird das Schuldenproblem nicht lösen. Wichtig ist die konsequente Durchführung einer marktwirtschaftlich ausgerichteten Wirtschaftspolitik. Die damit verbundenen Strukturprobleme während des Übergangs sollten durch neue Kredite überbrückt werden. Cassier' 4 führt sechs Thesen zur Schuldenproblematik und Entwicklungshilfe an: 1) Ein Schuldenerlaß, ungebundene Kapitalhilfe und Zuschüsse eignen sich nur für die ärmsten Länder, die aus eigener Kraft keine Möglichkeit sehen, der Schuldenkrise zu entwachsen. Bei den meisten Schuldnerländem sind sinnvolle Auflagen und Kontrollen des Mitteleinsatzes eine wirksame Hilfe zur Überwindung des Schuldenproblems. 2) Die Geberländer müssen sich vor dem Samariter-Dilemma hüten. Hilfeleistungen können in ihrer Art, Dauer und Intensität Formen annehmen, die den Hilfsbedürftigen letztendlich daran hindern, sich selbst zu helfen. Staaten werden so von Dauerhilfe abhängig wie ein Drogensüchtiger von seiner Droge. Erfolgreiche Entwicklungshilfe sollte die eigenen Kräfte und Fähigkeiten des Hilfeempfängers fördern und verbessern. 3) Bei den Entwicklungshilfebemühungen darf man nicht nur auf Verteilungsgerechtigkeit abzielen. Es ist notwendig, die Menge des verteilbaren Sozialprodukts zu erhöhen. Es genügt nicht zu wissen, wie man Äpfel pflückt und verteilen kann; man muß auch etwas darüber wissen, daß zuerst einmal Äpfelbäume gepflanzt werden müssen, bevor man ans Pflücken und Verteilen gehen kann. 4) Die Entwicklungshilfe sollte in einem verstärkten Maße als Ausbildungshilfe vergeben werden. Die Ausgaben pro Schüler für Erziehung und Ausbildung sind in den Industrieländern stärker gestiegen als in den Entwicklungsländern. Diese Differenz sollte reduziert und der Wissenstransfer verstärkt werden.
14 Vgl. S. C. CASSIER, Das Verschuldungsproblem der Dritten Welt und die Entwicklungshilfe, List-Forum, 15:1 (1989), S. 26 - 39.
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5) Ohne Maßnahmen zur Verlangsamung des Bevölkerungswachstums läuft die Entwicklungshilfe Gefahr, ein Faß ohne Boden zu werden. 6) Hilfreich wären internationale Abkommen zur Begrenzung des Waffenexports. Bürgerkriege und Aufstände, die mit importierten Waffen bestritten werden, lähmen die wirtschaftliche Entwicklung und behindern die Versorgung der Bevölkerung. Peter Nunnenkamp15 hat betont, daß es zur Wiedererlangung der internationalen Kreditwürdigkeit notwendig ist, daß Entwicklungsländer ohne weitere Verzögerung eine konsistente und vertrauensschaffende Wirtschaftsreform in Kraft setzen müssen, damit die Gläubigerbanken wieder Kredite zur Verfugung stellen. Hierbei kann die Assistenz des IWF hilfreich sein, da abgestimmte Reformschritte meist mit einem externen Mittelzufluß (Zahlungsbilanzkredite) verbunden werden. Allerdings ist der IWF wegen der hohen sozialen Belastungen der ärmeren Schichten der Bevölkerung in den Entwicklungsländern mit seinen Anpassungsprogrammen in ein schlechtes Licht geraten. Zwar betont die Institution, daß die einzelnen Instrumente der Anpassungsmaßnahmen nicht von ihm diktiert würden, daß auf die Sozialverträglichkeit der Reformen geachtet werde und daß die Entwicklungsländer letztendlich selbst entscheiden, welche Ausgaben gekürzt werden. 16 Im politischen Prozeß sind es aber leider die Armen, die sich gegen Sparmaßnahmen am wenigsten wehren können und die dann die Hauptlast der Anpassung zu tragen haben. Der IWF verweist ferner darauf, daß viele Regierungen der Schuldnerländer sich nicht an den Maßnahmenkatalog halten. Solche Fälle treten vor allem dann auf, wenn zugesagte Kredittranchen bereits ausgezahlt worden sind und mangelnde Reformfortschritte nicht mehr sanktioniert werden können. Generell wird dem IWF vorgeworfen, daß er mehr am Gläubigerschutz interessiert sei als an sozialverträglichen Anpassungsmaßnahmen. Unter Beschüß stehen auch die stereotypen Maßnahmen, die immer aufgrund gleicher ökonomischer Modellvorstellungen erarbeitet würden und die länderspezifischen Besonder' 5 Vgl. P. NUNNENKAMP, Die Rolle der Regierungen in Schuldner- und Gläubigerländern bei der Überwindung von Verschuldungsproblemen in der Dritten Welt. ZWS 107:2 (1987), S. 225 - 242. In vielen Entwicklungsländern werden immer noch Kürzungen der Sozialbudgets Kürzungen des Militärbudgets vorgezogen.
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heiten nur unzureichend Rechnung tragen würden. Ein flexibler Einsatz wirtschaftspolitischer Instrumente durch die Entwicklungsländer würde so verhindert. Neuerdings wird einem Schuldnerland oft eine zweifache Konditionalität, eine Stufenkonditionalität. auferlegt. Das Ausgangsziel ist dabei eine Verbesserung der Zahlungsbilanzsituation. Die Instrumentenziele (Abbau der Subventionen, Reduzierung des Budgetdefizits, Abwertung, Aufhebung der gespaltenen Wechselkurse usw.) sollten von der Regierung des Entwicklungslandes vorgeschlagen werden. Nur wenn das Zahlungsbilanzziel (weitgehend ausgeglichene Zahlungsbilanz) nicht durch die freigewählten Maßnahmen der Regierung erreicht wird, muß es auch Auflagen hinsichtlich der Instrumente der durchzuführenden Anpassungsmaßnahmen akzeptieren. Eine solche Stufenkonditionalität setzt eine genaue Ursachenanalyse im Land voraus, um festzustellen, ob die Zielverfehlung vom Entwicklungsland verantwortet werden muß! Maßnahmen des IWF bergen aber makroökonomische Probleme. Eine Reduzierung der staatlichen Ausgaben und die notwendige Absenkung der heimischen Absorption führen zu einer Reduzierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und damit zu einer Abnahme des Volkseinkommens sowie einer Verringerung der Beschäftigungshöhe. Der IWF sollte also bei seiner Therapie nicht nur von der Nachfrageseite ausgehen, vielmehr muß er auch die Angebotsseite stärker in seine Strategieüberlegungen einbeziehen. Die Auflagen waren bisher zu stark nachfrageorientiert - mit äußerst negativen sozialen Folgen für die ärmeren Bevölkerungsschichten. Weiterhin muß zwischen kurz- und langfristigen Auswirkungen der Anpassungsprogramme unterschieden werden. Kurzfristig werden die Anpassungsprogramme meist zu Lasten der ärmeren Schichten in Entwicklungsländern gehen. Langfristig müssen sie aber zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation fuhren. Eine wirtschaftspolitische Abwägung stößt dabei auf das Problem der sozialen Diskontrate der Armen, also die Mindereinschätzung zukünftigen Konsums seitens der ärmeren Schichten der Entwicklungsländer, die im Vergleich zu den anderen Bevölkerungsschichten sehr hoch ist, so daß der Gegenwartskonsum vorgezogen wird. Umstritten ist, ob die Maßnahmen des IWF zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation führen. Gelegentlich wird eingewandt, daß sich eine im Rahmen von Anpassungsauflagen geforderte
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Erhöhung der Agrarpreise negativ auf Produktion und Beschäftigung auswirken könnte. Der IWF fordert auch einen Abbau der öffentlichen Leistungen, wobei die produktive Funktion des öffentlichen Sektors nicht immer voll gewürdigt wird. Basierend auf keynesianisch geprägten Modellen haben Staatsausgaben nur eine nachfrageaugmentierende Funktion, in einigen Ansätzen auch eine sozialpolitische. Es wird übersehen, daß - mit Ausnahme reiner Transferzahlungen! - der Staat auch als Anbieter auftritt. Um zu überprüfen, ob eine Erhöhung der Staatsausgaben inflationär wirkt, müssen sowohl die Angebots- als auch die Nachfrageeffekte der Staatsausgaben in Betracht gezogen werden. Nur, wenn der Nachfrageeffekt den Angebotseffekt übersteigt, wirkt eine Erhöhung der Staatsausgaben inflationär.17 In den Auseinandersetzungen zwischen den Entwicklungsländern und dem IWF spielen auch politische Probleme eine große Rolle. Auf der einen Seite mag die internationale Behörde den Regierungen der Schuldnerländer gegenüber der eigenen Bevölkerung als Sündenbock dienen. Es ist ja nicht die eigene Regierung, die der Bevölkerung des Landes diese und jene schmerzhafte Maßnahme zumutet, sondern der IWF, der dadurch bei der Bevölkerung in Mißkredit gebracht wird. Politisch mag daher ein Ressentiment gegenüber dem IWF opportun sein. Auf der anderen Seite darf nicht übersehen werden, daß Regierungen manchmal zu bestimmten Anpassungsmaßnahmen gezwungen werden müssen, was politischen Widerstand der Entwicklungsländer hervorruft. Der IWF ist für die meisten Schuldnerstaaten die allerletzte Liquiditätshilfe, der Ausweg bei gescheiterter Wirtschaftspolitik. So ist es zu erklären, daß sich viele lateinamerikanische Staaten hoch bei privaten Banken verschuldeteten, die bei der Kreditvergabe keine wirtschaftspolitischen Auflagen machten. Deshalb haben sich die Regierungen der Entwicklungsländer oft erst im allerletzten Moment, also im Grunde genommen zu spät, an den IWF gewandt. Dann kommen Anpassungsmaßnahmen zu spät und wirken einschneidender auf die gesellschaftliche Entwicklung. Eine Verbesserung der IWF-Auflagenpolitik und mehr positive Demonstrationsfälle
W. LACHMANN, Beschäftigungswirkungen und Inflation bei produktiven Staatsausgaben, in: WISU - Das Wirtschaftsstudium, Heft 7/93, S. 619 - 623.
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würde es manchen Regierungen der Dritten Welt erleichtern, sich rechtzeitig um finanzielle Hilfe und Beratung beim IWF zu bemühen. An dieser Stelle sei nochmals erwähnt, daß die Industrieländer durch ihre Protektions- und Agrarpolitik den Anpassungsprozeß der Entwicklungsländer erschweren und ihre Exportbemühungen vereiteln. Die Haltung der Industriestaaten müßte Verständnis aufbringen für die Schwierigkeiten, wirtschaftspolitische Anpassungsmaßnahmen auch politisch durchzusetzen. In jüngster Zeit versucht der IWF, die Effizienz und Sozialverträglichkeit seiner Programme zu überprüfen. Die Laufzeit der Kredite ist verlängert worden (von einem Jahr auf drei bis fünf Jahre), da Anpassungsmaßnahmen bis zu ihrer wirtschaftspolitischen Wirksamkeit Zeit benötigen. Dieser Zeitaspekt war bisher oft vernachlässigt worden. Bei der Implementierung von Strukturanpassungsmaßnahmen haben auch die Industriestaaten eine wirtschaftspolitische Verantwortung. Im Interesse eines funktionierenden Welthandels sollten sie daher sozialpolitische Abfederungsmaßnahmen der Entwicklungsländer mitfinanzieren. Länder, die bereit sind, wirtschaftspolitische Auflagen zur Effizienzsteigerung und zum Abbau des Zahlungsbilanzdefizits zu ergreifen, sollten solche Transfers erhalten. Damit wäre die sozialpolitische Flanke abgesichert, so daß langfristig das Verschuldungsproblem ohne gravierende Verarmungsprozesse gelöst werden könnte. Da sich insbesondere die kurzfristigen Anpassungsmaßnahmen meist sofort sozialpolitisch negativ auswirken, die langfristigen positiven Auswirkungen auf Wachstum und sozialen Ausgleich jedoch Zeit benötigen, sollten kurzfristige sozialpolitische Kosten teilweise von den Industrieländern mitgetragen werden. Zur Lösung der Verschuldungsproblematik sind auch Umschuldungsmaßnahmen im Gespräch, wobei die Aktiva abdiskontiert werden. Man spricht von einer debt conversion oder debt conversion and capitalization (DCC). Die Intention dieses Konzepts besteht darin, daß man in ausländischer Währung (meist US$) bestehende Schulden in Schulden heimischer Währung überfuhrt.18 Ein solcher "Swap" benötigt Käufer und Verkäufer und wird nur mit einem höheren Diskont Eine theoretische Analyse der Verhaltensweisen bei diesen swaps findet sich in B. ARMENDARIZ DE AGHION, Analytical Issues on LCD Debt: A Survey, WE 16:4 (Juli 1993), S. 467 - 482; siehe auch: S. GRIFFITH-JONES, Conversion of Official Bilateral Debt: The Opportunities and the Issues, Weltbank, Annual Conference on Development Economics 1992, S. 383 - 402; ebenso: J. EATON, Sovereign Debt: A Primer, WBER 7:2 (Mai 1993), S. 137 172.
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(Abschlag) durchgeführt. Die Nachfrage nach solchen abdiskontierten Schuldtiteln kann entweder von Inländern kommen, die Devisen besitzen, oder von Ausländern, die in einem bestimmten Land investieren wollen. Die Vorteile liegen darin, daß der Gläubiger nicht mehr im Entwicklungsland "gefangen" ist und seine Schuld somit veräußern kann. Das Land selbst kann seine ausländischen Schulden reduzieren und vermehrt ausländische Direktinvestitionen erhalten. Auch Fluchtkapital kann so attrahiert werden. Die Reduzierung von Zins- und Amortisationszahlungen wird zwar durch spätere Gewinntransfers bei den ausländischen Direktinvestitionen erkauft, kurzfristig wird das Problem einer drohenden Liquiditätskrise aber entschärft. Gegen solche "Swaps" ließe sich einwenden, daß nur Banken, die ihre Aktiva schon abgeschrieben haben, an solchen Programmen partizipieren werden. Probleme entstehen dann durch Möglichkeiten, eine Rente zu erhalten, wenn bestimmte Banken an solchen DCC nicht teilnehmen, um dann anschließend ihre volle Forderung getilgt zu bekommen. Um dieses zu vermeiden, sollte der Staat die Konversion der Schuld Uber den Markt stattfinden lassen. Banken, die ihre Schulden mit Verlust verkaufen müßten, werden jedoch kaum willens sein, einem solchen Schuldnerland neue Kredite zu gewähren. Es gibt schon vereinzelt Märkte, auf denen Schulden der Entwicklungsländer gehandelt werden. Vereinzelt wird hierfür auch eine Weltinstitution gefordert.19 Beispiele solcher Swaps gibt es u.a. fur Argentinien, Mexiko, die Philippinen und Chile. Wegen der scharfen Regulierung war, mit Ausnahme eines Programms in Chile, kaum ein Erfolg zu beobachten. In Chile konnte mehr als eine Mrd. US$ getilgt werden, ohne daß es irgendwelche Probleme größerer Art gegeben hätte. Nur wenn die ökonomischen Voraussetzungen eines Entwicklungslandes günstig sind, wird eine Möglichkeit von DCC gegeben sein. Sie sind kein Substitut fur eine verfehlte Wirtschaftspolitik, sondern nur das Komplement zu einer Politik, die an den Ursachen der Überschuldung ansetzt.20 Damit Entwicklungsländer aus der Schuldenkrise herauswachsen können, benötigen sie neue Finanzmittel. Diese Mittel werden die Banken aber nicht ohne 19 Vgl. Ρ. Β. KENEN, Organizing Debt Relief: The Need for a New Institution, JEPer 4:1 (Winter 1980), S. 7 - 18. 20 Vgl. P.-G. SCHMIDT, Debt Equity Swaps: Konzeption, Anwendung und Probleme, KuK 22:2 (1989), S. 296 - 322; auch: E. HELPMAN, The Simple Analytics of Debt-Equity Swaps. AER 79:3 (Juni 1989), S. 440 - 451.
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Bedingungen zur Verfugung stellen, da man nicht "gutes Geld dem schlechten Geld hinterherwirft". Wie kann das Problem gelöst werden? Bevor wir einen langfristig orientierten, ordnungspolitischen Lösungsansatz vorstellen, ist es hilfreich, die Erfahrungen mit zwei bislang implementierten, internationalen Entschuldungsprogrammen, dem Baker- sowie dem Brady-Plan, auszuwerten. Der vom damaligen amerikanischen Finanzminister Baker im Jahr 1985 initiierte Plan versuchte, neben einer mittelfristigen, indirekten Entlastung der Schuldnerländer, vor allem eine Zerrüttung des amerikanischen Geschäftsbankensystems zu verhindern. Er war primär auf die Sicherung der Zahlungsfähigkeit der Schuldnerländer ausgerichtet und umfasste drei Elemente:21 a) Wiederherstellung des Wirtschaftswachstums in den Ländern der Dritten Welt, da dieses im Zuge der zweiten Ölpreiskrise und der Rezession in den Industrieländern stark zurückgegangen war. Strukturanpassungsprogramme sollten hierbei ebenso helfen, wie ein verstärktes Engagement multinationaler Unternehmen. b) Unterstützung der Strukturanpassungsprogramme durch Weltbankkredite; Garantien der Rückzahlung privater Kredite durch die Weltbank. c) Neue Kredite der Privatbanken für die wichtigsten Schuldnerländer. Während die Punkte a) und b) zumindest teilweise in die Wege geleitet werden konnten, war es den privaten Banken nicht möglich, in nennenswertem Umfang Neukredite zur Verfugung zu stellen. Problematisch am Baker-Plan war weiterhin die Konzentration auf (vor allem) lateinamerikanische Großschuldner, ohne einen integrierten Lösungsansatz fur die Gesamtheit der hochverschuldeten Länder zu bieten. Der Brady-Plan von 1989 basierte auf dem Baker-Plan, modifizierte ihn aber durch ein weiteres Element. Schuldenhöhe und Schuldendienst sollten durch einen partiellen Forderungsverzicht reduziert werden. Die Notwendigkeit eines solchen Vorgehens war in den Jahren 1985 bis 1987, in denen die Schulden21
F. NUSCHELER, Lern- und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik, 3. Auflage, Bonn, 1991, S. 160f.
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belastung kulminierte, offensichtlich geworden. Insbesondere beinhaltete der Brady-Plan: a) eine ausgiebige Nutzung von Schuldenkonversionsprogrammen (den bereits erwähnten DCC) unter Mitwirkung der Weltbank, die notwendige Mittel dafür bereitstellen sollte, b) Reduktion der Zinssätze auf laufende Kredite, verbunden mit Garantien der Zinszahlungen durch IWF und Weltbank, c) neue kommerzielle Kredite. Da langfristige Strukturanpassungsprogramme in vielen Ländern bereits angelaufen waren und auch erste Erfolge gezeigt hatten, konnten die Entlastungen im Rahmen der Brady-Initiative nunmehr voll wirksam werden. Unterstützt wurden Umschuldungen im Rahmen dieses Plans ferner durch bilaterale Schuldenerlasse, die nunmehr auch weniger "populären" Schuldnern zugute kamen. Eine Reihe lateinamerikanischer Länder profitierte von der Brady-Initiative. So konnte dadurch die Schuldenlast Mexikos, Chiles und (in jüngster Zeit) Argentiniens deutlich reduziert werden. Unabdingbar fur den Erfolg war allerdings in allen drei Ländern eine Änderung der Wirtschaftspolitik, die in Chile Mitte der 80er Jahre, in Mexiko Ende der 80er Jahre und in Argentinien Anfang der 90er Jahre erfolgte. Die Wirkungsweise des Brady-Plans soll durch das 1. Abkommen mit Mexiko vom 15. Sept. 1989 erläutert werden:22 Das Abkommen umfasste Privatkredite in Höhe von 52,7 Mrd. US$, die 1983/84 und 1986/87 umgeschuldet worden waren; einige "debt-equity-swaps" und Schuldenerlasse reduzierten den Betrag auf 48,9 Mrd. US$, wovon 3 Mrd. US$ von Banken gehalten wurden, die dem mexikanischen Staat gehörten. Die Gläubigerbanken wurden mit folgenden Optionen konfrontiert:
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Vgl. z.B. S. CLAESSENS/S. VAN WUNBERGEN, Secondary Market Prices and Mexico's Brady Deal, QJE 108:4 (November 1993), S. 965 - 982; siehe auch H. UNAL et al., The Brady Plan, 1989 Mexican Debt Reduction Agreement and Bank Stock Returns in the United States and Japan, JMCB 25:3.1 (August 1993), S. 410 - 429.
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A) Abdiskontierung der Altschulden um 35%, wobei der Zinssatz der reduzierten Obligationen mit 13/16 über LIBOR (London Interbank Offered Rate, Zinssatz fur 6-Monats-Papiere) beibehalten wurde. B) Austausch der Bonds bei gleichem Nominalwert, versehen mit einem Zinssatz von 6,25%. C) Neue Kredite mit LIBOR plus 13/16 mit einer Laufzeit von 15 Jahren und 7 Freijahren. Die neuen Kredite mußten 25% der Altschulden betragen, wobei 7% mit Ratifizierung des Abkommens und je 6% während der Jahre 1990, 1991 und 1992 fallig wurden. Der Kreditbetrag wurde durch Zerobonds, deren Höhe bei Fälligkeit dem Nominalwert glich, abgesichert. Durch einen Fonds, der vom IWF, der Weltbank, den USA, Japan und Mexiko zur Verfügung gestellt wurde, sind die Zinszahlungen für 18 Monate garantiert worden. Dazu gab es noch Regelungen, die die Rückzahlung von Öleinnahmen und dem ölpreis abhängig machten. Bis Januar 1990 hatten sich die Banken über eine Teilnahme an diesem Programm zu entscheiden. Die Banken wählten wie folgt: 46,7% Option Β (Bonds mit reduzierten Zinssätzen), 38,2% Option Α (Bond-Diskontierung) und 9,4% Option C (Neukredite). Trotz des relativen Erfolgs des Brady-Plans ist eine solche Strategie aber langfristig nicht ausreichend, um das Entstehen einer neuen Schuldenkrise zu verhindern. Da die Entwicklungsländer noch lange Zeit auf externe Finanzmittel zurückgreifen werden müssen, ist eine ordnungspolitische Umorientierung, die die Mittelvergabe und die Mittelverwendung besser koppelt, nötig.
6.6 Ordnungspolitische Überlegungen zur Lösung des Schuldenproblems Ein ordnungspolitischer Ansatz zur Überwindung des Schuldenproblems in der Dritten Welt muß zwischen dem Altschuldenproblem und der Notwendigkeit, neue Mittel zur Verfügung zu stellen, unterscheiden. Das Altschuldenproblem kann man als vorerst gelöst bezeichnen. Durch Umschuldungsmaßnahmen, partiellen Schuldenerlaß usw. konnte die latente Gefahr eines Zusammenbruchs des internationalen Finanzsystems vermieden werden. Allein dadurch werden den
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Entwicklungsländern aber keine neuen Mittel zur Verfugung gestellt, die zum Aufbau der Infra- und Industriestruktur sowie zur Finanzierung sozialpolitischer Maßnahmen unabdingbar sind. Um aus der Schuldenkrise herauszuwachsen, sind dringend neue Kreditzusagen notwendig (fresh money), die jedoch wegen der schlechten Performance nicht zu erhalten sind. Dennoch muß den Entwicklungsländern bei der Überwindung ihrer Wirtschaftsprobleme geholfen werden. Um nicht alte Fehler zu wiederholen, muß die unterschiedliche Verwendung der Kredite berücksichtigt werden. Je nach Verwendung sind andere Konditionen aufzuerlegen. Entwicklungsländer benötigen Ressourcen fur sozialpolitische Maßnahmen und zum Aufbau von Infrastruktur und Industriekapazitäten. Nach dem Prinzip der Subsidiarität wäre es eine Aufgabe der Industrieländer, den Staaten der Dritten Welt in ihrer jetzigen wirtschaftspolitischen Situation bei der Finanzierung ihrer sozialen Ausgaben zu helfen. Sozialpolitische Maßnahmen sollten daher von den Industrieländern teilfinanziert werden.23 Die Mittelverwendung muß strikt überwacht werden. Entwicklungsländer benötigen weiterhin Mittel zum Ausbau der Infrastruktur. Bei solchen Investitionen werden die Erträge erst in späterer Zeit anfallen. Deshalb sind zinsgünstige Kredite notwendig. Hierbei kann wie bisher die Weltbank die Hauptrolle als Kreditgeber übernehmen. Auch die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit von Entwicklungs- und Industrieländern kann in diesem Bereich, bei besserer Mikroplanung, fortgeführt werden. Der Aufbau von Industriestrukturen ist jedoch keine genuine Aufgabe der Regierungen der Entwicklungsländer. Sie sollten vielmehr ein solches Investitionsklima schaffen, daß ausländische Finnen dort investieren. Die Scheu vor Auslandsinvestitionen hat es bisher verhindert, von dieser Möglichkeit verstärkt Gebrauch zu machen, obwohl bei Direktinvestitionen keine Gefahr einer Schuldenkrise entsteht. Das Risiko trägt der ausländische Investor. Sein knowhow, seine Finanzkraft, seine Kenntnis der internationalen Märkte kann Entwicklungsländern zur Verfugung gestellt werden, die dadurch auch der Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung besser Herr werden können. Staaten, die 23 Verwiesen sei auf das Food Stamps Scheme von Sri Lanka (Vgl. Band I, Abschnitt 5.3.2.). Dieses Programm könnte auch als Vorbild für den internationalen Mitteltransfer dienen.
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ihre Industriekapazität verbessern wollten, sollten dies verstärkt mit Hilfe von ausländischen Direktinvestitionen durchführen. Auf solche Weise wird die Leistungskraft des Landes steigen und die Zahlungsbilanz ausgeglichener werden. Dies ermöglicht den Kreditgebern, den Entwicklungsländern neue Mittel zur Verfügung zu stellen. Die erhöhte Leistungskraft wird diesen Ländern dann auch Möglichkeiten eröffnen, ihr Altschuldenproblem schneller in den Griff zu bekommen. Viele Entwicklungsländer versuchen, durch eine Zunahme der Exporte ihrer Primärproduktion die notwendigen Devisen für die Schuldentilgung zu erwirtschaften. Dies geht oft zu Lasten der Umwelt. Die Protektionspolitik der Industriestaaten verschärft diesen Konflikt. Es wäre deshalb bei der Strukturanpassung sinnvoll, in der Dritten Welt die Chance für ökologische Reformen zu nutzen. Umweltaspekte bei den Energiepreisen, bei der Aufteilung der Staatsausgaben und der Privatisierung sollten berücksichtigt werden. IWF und Weltbank sollten eine umweltverträgliche Strukturanpassungspolitik durchführen soweit sie auf die Regierungen in den Entwicklungsländern einwirken können. Dies erfordert aber auch eine tiefgreifende Strukturanpassung des Nordens. Der herrschende Protektionismus gegenüber verarbeiteten Gütern der Entwicklungsländer verewigt den Raubbau an Rohstoffen im Süden, deren Länder um jeden Preis Devisen erwirtschaften müssen. Viele Länder befürchten, die Umweltdiskussion lasse nur neue grüne Handelsbarrieren (neuer Protektionismus) entstehen und leiste einem Mißbrauch handelspolitischer Sanktionsmöglichkeiten Vorschub. Durch vertrauensbildende Selbstverpflichtungen des Nordens können diese Ängste entkräftet werden.24
6.7 Exkurs: Folgen der AnpassungsmaBnahmen In der Literatur werden oftmals negative soziale Folgen der Anpassungsprogramme diskutiert. So wird vielfach darauf hingewiesen, daß die ländlichen und die städtischen Armen unterschiedlich von solchen Anpassungsmaßnahmen betroffen werden. Gleichzeitig wird aber auch betont, daß es schwierig ist, die
24
Vgl. auch: R. GERSTER, Verschuldung und Umwelt - ökologische Aspekte der Schuldenkrise in Entwicklungsländern. Aussenwirtschaft 47:2 (1992), S. 227 - 252.
242
Kapitel 6: Das Verschuldungsproblem der Dritten Welt
Problemgruppe der Armen einwandfrei zu identifizieren, da es sich bei den Armen um eine heterogene Gruppe handelt. Bei den Folgen der Anpassungsmaßnahmen müssen folgende Probleme behandelt werden: - Die Auswirkungen der Strukturanpassung auf Wachstum und Verteilung des Volkseinkommens. - Die Frage, wer Gewinner und Verlierer der Anpassungsbemühungen sind. - Die Frage, inwieweit die absolut Armen von den Anpassungsmaßnahmen betroffen werden. Die generellen Auswirkungen auf Wachstum und Verteilung sind unsicher. Die Anpassungsmaßnahmen wurden jedoch primär durchgeführt, um langfristig neue Wachstumsmöglichkeiten zu schaffen. Allerdings hegen noch kaum Langzeitinformationen vor, da die Anpassungsprogramme zum größten Teil noch jüngeren Datums sind. Die kurzfristigen sozialen Probleme sind zwar bekannt, während die mittelfristigen und langfristigen Auswirkungen, die vermutlich in einer höheren Wettbewerbsfähigkeit hegen, noch nicht abzuschätzen sind. Was die Gewinner und Verlierer betrifft, scheinen die Mittelklasse und vor allem die Armen Verlierer solcher Anpassungsbemühungen zu sein. Diese Gruppen sind es auch, die sich gegen die verordneten Anpassungsprogramme wenden. Wie werden die Armen von den Anpassungsmaßnahmen betroffen? Meist handelt es sich um Preisänderungen, die die Ärmsten verkraften müssen. So werden z.B. häufig Nahrungsmittelsubventionen gestrichen oder verringert. Die Strukturanpassungen können aber auch auf die Beschäftigung der Armen einwirken, insbesondere für solche, die im öffentlichen Sektor beschäftigt sind, da die meisten Anpassungsmaßnahmen eine Reduzierung des öffentlichen Sektors erfordern. Dadurch bedingt ist auch mit geringeren Lohneinkünften zu rechnen. Überwiegend werden auch andere Transferleistungen (kostenlose Bildung und Medizin) an sozial Schwache zurückgeführt, so daß die Armen auch unter diesen Anpassungsmaßnahmen besonders zu leiden haben.
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Deshalb wird der Staat oft aufgefordert, den Armen direkt zu helfen, entweder durch indirekte Hilfen (Transfers) und Lohnsubventionen oder durch direkte Hilfen, wie die Verteilung von Nahrungsmitteln. Solche Subventionen sind aber nur dann hilfreich, wenn bestimmte Nahrungsmittel nur von den Armen, nicht aber von den wohlhabenden Haushalten gekauft werden können. Alle indirekten Hilfen leiden darunter, daß es auch wohlhabende Haushalte gibt, die von solchen Subventionen Gebrauch machen, und daß es arme Haushalte gibt, die evtl. von den Subventionen nicht erreicht werden. Die direkten Hilfen leiden oft darunter, daß die Destinatare der Förderung nicht erreicht werden, weil die Verteilungskriterien oftmals nicht bekannt sind bzw. gar keine objektiven Kriterien existieren. Verwiesen sei aber auf die fair-price-shops in Indien, in welchen die nur von den Unterklassen konsumierten Güter verbilligt angeboten werden. Ein großes Problem liegt immer auch darin, daß der Schutz der Armen die Wirksamkeit der strukturellen Anpassung nicht behindern darf. 25 Die oben abgeleiteten Folgerungen der Anpassungsprogramme werden auch durch eine Reihe von empirischen Untersuchungen bestätigt. So wurden in ökonometrischen Studien der Weltbank folgende Ergebnisse bezüglich der Anpassungsprogramme berichtet. In einer Studie von David E. Sahn und Alexander Sarris werden für die Sub-Sahara-Afrika-Zone folgende Wirkungen von strukturellen Anpassungsprogrammen herausgearbeitet: Zunächst wird konstatiert, daß die Richtung und das Niveau der Veränderungen der Realeinkommen nach implementierten Strukturanpassungsprogrammen durch eine Vielzahl von Faktoren wie z.B. das Einkommen, die Struktur der Ausgaben und relative Preisänderungen überlagert werden. In dieser Studie wird weiterhin herausgearbeitet, daß es schwierig ist, die Wirkungen der Anpassungsprogramme auf die ländlichen Armen herauszuarbeiten. Dies ist darin begründet, daß die Wohlfahrt der Armen und auch die Gruppe der Armen - nur schwer zu bestimmen bzw. zu messen sind. Es werden lediglich regionale Unterschiede herausgearbeitet. So hat z.B. in Ghana eine ökonomisch entwicklungskonforme, strukturelle Anpassimg stattge-
25 vgl. dazu auch: P. GLEWWE/D. DE TRAY, The Poor in Latin America during Adjustment: A Case Study of Peru. EDCC 40:1 (Oktober 1991), S. 27 - 54.
244
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fluiden. Die Armen - auch auf dem Lande - haben von den strukturellen Maßnahmen profitiert.26 Von Bourguignon, de Melo und Suwa wurden die Verteilungseffekte der Anpassungsprogramme für zwei theoretische Volkswirtschaften untersucht, die zum einen einer "durchschnittlichen" afrikanischen Volkswirtschaft und zum anderen einer "durchschnittlichen" Volkswirtschaft in Lateinamerika ähneln sollen. Es wird in dieser Studie herausgearbeitet, daß für unterschiedliche Volkswirtschaften andere Anpassungsprogramme benötigt werden, um die Zielgruppe der Armen zu erreichen. Im wesentlichen lassen sich die Ergebnisse der Studie in drei Aspekten zusammenfassen. Erstens werden die Verteilungskonflikte hervorgehoben, die durch die Anpassungsprogramme hervorgerufen werden. Zweitens werden die Umverteilungswirkungen der Anpassungsprogramme kritisiert, da diese oft von Niedrigeinkommensbeziehern zu höheren Einkommensbeziehern umverteilen. Als drittes, wesentliches Resultat wird herausgestellt, daß die beste Verteilungspolitik durch eine Handelsförderung und Steuerreformen erreicht werden kann, da bei solchen Politiken die AllokationsefSzienz der betrachteten Volkswirtschaften verbessert wird. 27 Auch in einer Reihe von Veröffentlichungen in der Zeitschrift World Development werden die Anpassungsmaßnahmen untersucht. So untersucht z.B. Paus 28 die Erfolge bzw. Mißerfolge der Anpassungspolitiken in Peru. In ihrer Studie arbeitet Paus heraus, daß die Probleme z.T. mit nicht urachenadäquaten Politiken bekämpft wurden. So wurde z.B. die Rezession der 80er Jahre in Peru, die nach ihrer Meinung auf eine unzureichende Nachfrage zurückzufuhren war, mit höheren Löhnen, speziellen Programmen zur Einkommenserhöhung und einer Politik der "Dedollarization" bekämpft. Die Maßnahmen griffen nicht, da z.B. viele Preise vom Staat kontrolliert wurden und nicht die Nachfrage erhöht wurde. Es wurde nur an den Symptomen kuriert, aber keine ursachenadäquaten Reformen wie z.B. die Aufhebung der Preisbindungen vorgenommen. In vielen weiteren Studien in der Zeitschrift World Development, die z.T. von den gleichen 26
Vgl. D. E. SAHN/A. SARRIS, Stnictural Adjustment and the Welfare of Rural Smallholders: A Comparative Analysis from Subsaharan Africa, WBER 5:2 (Mai 1991), S. 259 289, hier S. 282. 27 Vgl. F BOURGUIGNON/J. DE MELO/A. SUWA, Distributional Effects of Adjustment Policies: Simulations for Archetype Economies in Africa and Latin America, WBER 5:2 (Mai 1991), S. 339 - 366, hier S. 359ff. 28 E. A. PAUS, Adjustment and Development in Latin America: The Failure of Peruvian Heterodoxy, 1985 - 1990. WD 19:5 (Mai 1991), S. 411 - 434.
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Autoren durchgeführt werden 29 , werden die Verteilungswirkungen der Anpassungsprogramme untersucht. Insbesondere Sahn30 arbeitet die sozialen Folgen heraus. Die öffentlichen Ausgaben werden aber dann so gekürzt, daß es in der Regel nicht nur zu kurzfristigen Verteilungskonflikten kommt. Durch Kürzung der Bildungsausgaben entstehen langfristige Folgen für Wachstum und Entfaltungsmöglichkeiten der Armen. In vielen Ländern werden solche Verteilungsprobleme festgestellt. Lediglich für Kenia wird eine erfolgreiche Anpassungspolitik seit 1975 konstatiert. De Groot 31 arbeitet heraus, daß in Kenia die Anpassungsprogramme des IWF in der ersten Hälfte der 80er Jahre zu einem Anstieg des realen Wechselkurses und zu einer Verbesserung der Außenhandelsposition geführt haben. Nach 1986 kam es allerdings durch politische Unruhen wieder zu ökonomischen und gesellschaftspolitischen Krisen, die die Außenhandelspositionen verschlechterten und auch in näherer Zukunft muß wieder eine verschlechterte ökonomische Situation für Kenia erwartet werden. Fassen wir zusammen: Anpassungsprogramme für die hoch verschuldeten und armen Länder haben immer Vor- und Nachteile. Auf der einen Seite forcieren sie die ökonomische Entwicklung der Staaten, auf der anderen entstehen durch sie oft Verteilungskonflikte zwischen Armen und Reichen. Die Anpassungsmaßnahmen sind dafür allerdings nur indirekt verantwortlich, denn die Regierungen in den Entwicklungsländern bestimmen letztendlich, welche Arten von öffentlichen Ausgaben reduziert und welche ausgeweitet werden. IWF und Weltbank sollten deshalb ihre Politik überprüfen und sozialpolitischen Maßnahmen mehr Beachtung zu schenken.32
29
So untersuchen z.B. BOURGUIGNON, DE MELO und MORRISON Armut und Einkommensverteilung während der Anpassung in: WD (November 1991), S. 1485 - 1508. Des weiteren erstellen sie ebenfalls in der November-Ausgabe ein Modell zur Beurteilung der Anpassungsprogramme, S. 1527 - 1544. 30 D. E. SAHN, Public Expenditures in Sub-Saharan Africa during a Period of Economic Reforms, WD, 20:5 (Mai 1992), S. 673 - 693. 31 A. W. DE GROOT, Adjustment Policies and the Real Exchange Rate in Kenya since 1975. WD 19:10 (Oktober 1991), S. 1399 - 1408. 32 Vgl. auch, F. STEWART, The Many Faces of Adjustment, in: WD 19:12, (Dezember 1992), S. 1847- 1864.
Sach- und Personenregister
Agrarprotektionismus 230,235 AKP-Länder l l l f . ALALC 202f. Allokationsverzerrungen 31 f. Andenpakt 203f. Angebotsschwankungen 88ff. Anpassungsprogramme, strukturelle 227,232ff., 241fF. ASEAN 206f. Ausgleichslager 97ff. Auslandsverschuldung, Stand und Indikatoren 211 ff. Außenhandelorientierung, verschiedener Länder 54ff. Baker-Plan 237 Balanced Growth-Strategie 17 Bauer, P. T. 182f. Bhagwati, J. 137 Binnennachfrage 32 Brady-Plan 237ff. Bretton-Woods-System 153 Cobweb-Theorem 84ff. Collective Self- Reliance 48ff. Debt Conversion-Programme 235ff. Direktinvestitionen 186,224 Dualismus 188 EAEC 199f. ECOWAS 200f. Effizienzgewinne 12 EG-Agrarmarktordnung 145 Einkommensverteilung 188,195f., 244 Erhard, L. 185f. Erziehungszoll 24 Europäische Gemeinschaft 207ff.
248
Sach- und Personenregister
Export, als leading sector 13ί, 16 als autonomer Sektor 13f. als ausgleichender Sektor 15 Exportbesteuerung 149ff. Exportdiversifiziening 15, 34,43 Exporterlösschwankungen 81ff.,95ff., 115ff. Exportförderung 15f., 33ff. Exportkontingentierungen 99ff. Exportkredite 40 Exportstruktur 11 Exportsubventionierung 38 Faktorintensität 31 Faktorintensität, umschlagende Finanzausgleich 197 Freihandel 71 Freihandelszonen 40ff. GATT 155ff. Gemeinsamer Markt Havanna-Charta 157 Hayek, F. Α. ν. 183 Höchstpreise 100 Holländische Krankheit
35f.
49,191
18
Imitation, aktive und passive 52 Importkontingente 25 Importliberalisierung 39f. Importsubstitutionspolitik 15,21 ff., 181 f. Importsubstitutionspolitik, kollektive 50f. International Trade Organisation 156fF. Internationaler Währungsfonds 110,113,177ff, 21 Iff. Keynes, J. Μ. 228 Komparative Kostenvorteile 21, 34 Konsumentenrente 105 Korea-Krise 135 Kravis, I. B. 14 Kredite, konditionsfreie 224f. Kuppelprodukte 144
LAFTA 202f. Lewis, W. A. 13 Linder-These 52 List, F. 192 Marshall-Plan 162ff. MCCA 205 Merkantilismus 2If., 73 Mindestpreise 100 Müller-Armack, A. 185ff. Multifaserabkommen 24,160f. Nachfrageschwankungen 88ff. Nahrungsmittelsubventionen 242 Neofaktorproportionentheorem 35f. Neo-Kolonialismus 153 Nicht-tarifäre Handelhemmnisse 64 Nord-Süd-Dialog 168ff„ 182 Nord-Süd-Kommission 173 OECD-Entwicklungshilfe 162f. Ölkrise 114, 225 OPEC 81, 142f„ 153, 186,225 Posner-Lorenz-These 52 Prebisch-Singer-These 133ff. Preisdumping 39 Preiselastizität, der Nachfrage nach Rohstoffen Preisindexierung 139 Preisinstabilität 86ff., 94ff Preiskartelle 139ff. Preiskompensationsabkommen 109 Produzentenrente 106 PTA 201 f. Reziprozität 157,161, 164 Rohstoffabkommen, internationale Rohstoffe, mineralische 83f. Schuldendienstquote 22 Iff. Schuldenerlaß 228f.
97ff.
250
Sach- und Personenregister
Schumpeter-Prozeß 52 Sekundärmarkt 226 Skaleneffekte 55 Smith, A. 11 Sozialpolitik 184ff. Sparlücke 187 STABEX llOfT., 119 Stufenkonditionalität 233 Swaps 235 SYSMIN 110,113 Terms of Trade, commodity tot 123ff. income tot 124ff, 137 factoral tot 124 net barter tot 123,134 Tokio-Runde 39 Tourismus 44ff. Transnationale Konzerne 186ff. Transportkosten 134 Überbewertung, der Währung 56 UNCTAD 161ff. UNCTAD, Konferenzen 81, 101, 167f. UNIDO 171 Uruguay-Runde 158 Vent for Surplus-These 13 Verbundeffekte 55 Verelendungswachstum 137ff. Verschuldungsmuster 212ff. Wechselkurse, multiple 26, 30 Wechselkurspolitik 229 Welttextilabkommen 24,160f. Wettbewerb, auf Güter- und Faktormärkten Wirtschaftsgemeinschaft 49,191 Wirtschafts- und Währungsunion 49 Zinnabkommen, internationales Zolleffekte 26ff. Zoll, effektiver 28ff.
119ff.
134
Sach- und Personenregister
Zollpräferenzen 159f. Zollunion 49 Zollverrechnungsunion 197ff.
2 51
=
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