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German Pages 776 [780] Year 2001
Ende und Vollendung Eschatologische Perspektiven im Mittelalter
W DE
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Miscellanea Mediaevalia Veröffentlichungen des Thomas-Instituts der Universität zu Köln Herausgegeben von Jan A. Aertsen
Band 29
Ende und Vollendung Eschatologische Perspektiven im Mittelalter
Walter de Gruyter · Berlin · New York 2002
Ende und Vollendung Eschatologische Perspektiven im Mittelalter
Herausgegeben von Jan A. Aertsen und Martin Pickavé mit einem Beitrag zur Geschichte des Thomas-Instituts der Universität zu Köln anläßlich des 50. Jahrestages der Institutsgründung
Walter de Gruyter · Berlin · New York 2002
Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme
Ende und Vollendung : eschatologische Perspektiven im Mittelalter / hrsg. von Jan A. Aertsen und Martin Pickavé. Für den Dr. besorgt von Martin Pickavé. - Berlin ; New York : de Gruyter, 2001 (Miscellanea mediaevalia ; Bd. 29) ISBN 3-11-017214-3
ISSN 0544-4128 © Copyright 2001 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandentwurf: Christopher Schneider, Berlin Satz: Arthur Collignon GmbH, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co GmbH, Göttingen
Vorwort Unter dem Generalthema „Ende und Vollendung. Eschatologische Perspektiven im Mittelalter" fand vom 12. bis 15. September 2000 an der Universität zu Köln die 32. Kölner Mediaevistentagung statt. Etwa 250 Mittelalterforscherinnen und Mittelalterforscher der verschiedensten Disziplinen und aus 17 Ländern folgten dem Aufruf des veranstaltenden Thomas-Instituts, um der Frage nach der Bedeutung eschatologischer Vorstellungen im Mittelalter nachzugehen 1 . Der vorliegende 29. Band der Miscellanea Mediaevalia dokumentiert die Vorträge der insgesamt 12 Tagungssektionen und enthält zudem noch eine Reihe weiterer Beiträge, welche die Thematik ergänzen und weiterführen sollen. Eingeleitet wird der Band jedoch mit einer kleinen Besonderheit: einem Supplement zur Geschichte des Thomas-Instituts. Das vergangene Jahr stand für die Mitarbeiter des Thomas-Instituts nicht nur im Zeichen der auszurichtenden Mediaevistentagung, sondern auch und vor allem im Zeichen des 50-jährigen Jubiläums der Institutsgründung. Obwohl bereits mit der Berufung Josef Kochs im Mai 1948 die Absicht verbunden war, ein Institut zur Erforschung der mittelalterlichen Philosophie an der Kölner Universität einzurichten, ermöglichte erst im Frühjahr 1950 eine hohe finanzielle Zuwendung seitens des amerikanischen Hohen Kommissars für Deutschland zusammen mit den entsprechenden Zusagen der Universität die Anlage einer geeigneten Bibliothek sowie die Aufnahme eigener Forschungstätigkeiten. Dieses Ereignis wurde am 30. Juni 2000 unter Mitwirkung des Rektors der Universität zu Köln, Prof. Dr. Jens Peter Meincke, des Präsidenten der Société internationale pour l'étude de la philosophie médiévale (SIEPM), Prof. Dr. David E. Luscombe (Sheffield), sowie des Altpräsidenten der Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie in Deutschland (AGPD) und ehemaligen Institutsmitarbeiters, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Kluxen (Bonn), mit einer akademischen Feierstunde festlich begangen. Die hier abgedruckten Beiträge von Prof. Dr. Albert Zimmermann, dem ehemaligen Direktor des Instituts, und Jan A. Aertsen, seinem Nachfolger in diesem Amt, wurden bei dieser Gelegenheit vorgetragen. Besonders glücklich sind wir darüber, Herrn Prof. Dr. Erich Meuthen, Herrn Kluxen und Herrn Prof. Dr. Andreas Speer für weitere Aufsätze gewonnen zu haben, die aus je unterschiedlichen Aspekten Teile der Institutsgeschichte beleuchten. So können wir in diesem Band auch eine kleine Institutsgeschichte vorlegen. Wenn 1
Cf. M. Pickavé, Ende und Vollendung. Eschatologische Perspektiven im Mittelalter. Tagungsbericht über die 32. Kölner Mediaevistentagung vom 12. bis 15. September 2000, in: Bulletin de philosophie médiévale 42 (2000), 1 6 3 - 1 7 0 .
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Vorwort
dies in einem Band geschieht, der die Akten einer Mediaevistentagung enthält, ist dies kein Zufall. Bereits im ersten Jahr des Thomas-Instituts und nur einen Tag, nachdem der Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen dem neugegründeten Institut seinen Segen gegeben hatte, fand vom 11. —13. Oktober 1950 die 1. Kölner Mediaevistentagung statt. Das vergangene Jahr kannte demnach ein Doppeljubiläum, galt es doch auch ein halbes Jahrhundert Kölner Mediaevistentagungen zu feiern. Daß diese sich im Laufe der Jahre und trotz gelegentlicher Schwierigkeiten zu einer festen Größe in der akademischen Landschaft entwickelt haben, darf getrost als Erfolg gelten. Den Rednern der Feierstunde sei an dieser Stelle herzlichst für ihr Mitwirken gedankt. Dem Verlag Walter de Gruyter gebührt ein großer Dank für die Unterstützung bei der Ausrichtung der Feier. Die 39 Beiträge, die der vorliegende Band zum Thema der 32. Mediaevistentagung enthält, wurden in 10 Themenkreisen zusammengefaßt. Beginnend mit allgemeineren Aufsätzen zur eschatologischen Orientierung der mittelalterlichen Geisteswelt, behandelt der Band in einer Reihe von Beiträgen die historischpolitische Dimension von eschatologischen Vorstellungen und Motiven. Wie in den zurückliegenden Tagungsakten sind auch die Kunstwissenschaften und die Philosophie wieder umfangreich vertreten. Trotz des mit dem Jahrtausendwechsel verbundenen Interesses an eschatologischen Themen stellte gerade die Untersuchung der Bedeutung eschatologischer Szenarien in der mittelalterlichen Philosophie ein Forschungsdesiderat dar. Daneben enthält der Band mehrere Aufsätze zu speziellen Autoren, die eschatologische Vorstellungen im Mittelalter in besonderem Maße geprägt haben: Joachim von Fiore, Petrus Johannis Olivi und — in einem von den beiden erstgenannten gewiß verschiedenen Sinn — Thomas von Aquin. Im Rückblick auf die vergangene Kölner Mediaevistentagung gilt es an dieser Stelle Dank zu sagen für vielfältige Unterstützung, die unsere Tagung auch im vergangenen Jahr erfahren hat. An erster Stelle möchten wir den verschiedenen Organisationen danken, die durch ihre finanzielle Förderung die Voraussetzungen für ein interdisziplinäres und internationales Gespräch zuallererst geschaffen haben. Namentlich sind hier die Deutsche Forschungsgemeinschaft, das Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen sowie die Otto Wolff-Stiftung zu nennen. Auch im Namen aller Teilnehmer sagen wir für die Unterstützung, durch die es uns möglich war, die 32. Kölner Mediaevistentagung in dem geplanten Rahmen stattfinden zu lassen, unseren aufrichtigen Dank! Herzlich gedankt sei ferner der Prorektorin der Kölner Universität Prof. Dr. Ursula Frost, die in Vertretung des Rektors Prof. Dr. Jens Peter Meincke gemäß einer alten Tradition die Teilnehmer der Mediaevistentagung zu einem abendlichen Empfang in den Alten Senatssaal der Universität zu Köln bat. Ein Dank gilt in diesem Zusammenhang auch allen Mitarbeitern der Universität zu Köln, deren Hilfe wir stets großzügig in Anspruch nehmen durften. Die Sektion „Eschatologische Motive in Kunst und Liturgie" konnte — in Wiederaufnahme
Vorwort
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eines älteren Brauches — im Schnütgen-Museum für mittelalterliche Kunst stattfinden; dessen Direktorin Frau Dr. Hiltrud Westermann-Angerhausen möchten wir auch an dieser Stelle für die erwiesene Gastfreundschaft herzlich danken. Die Organisation und die Durchführung der 32. Kölner Mediaevistentagung lagen wie gewohnt in den Händen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Thomas-Instituts. Dies gilt auch für die redaktionellen Arbeiten an dem vorliegenden Miscellanea-Band. Ohne die tatkräftige Unterstützung von Petra Abendt und den studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts wäre eine rasche Drucklegung nicht möglich gewesen. Unser besonderer Dank gilt vor allem Sabine Folger, Caroline Gaus und Lydia Wegener. Sabine Folger zeichnet zudem für das Register verantwortlich. Allen Mitarbeitern sei für ihren engagierten Einsatz und für ihre vielfache Unterstützung besonders herzlich gedankt. Schließlich möchten wir dem Verlag Walter de Gruyter unseren besonderen Dank aussprechen, namentlich Frau Dr. Gertrud Grünkorn und Frau Grit Müller, die eine zügige Publikation des nun vorliegenden 29. Bandes der Miscellanea Mediaevalia ermöglicht und den Band in der gewohnt aufmerksamen Weise verlegerisch betreut haben. Köln, im Juli 2001
Jan A. Aertsen Martin Pickavé
Inhaltsverzeichnis
J A N A . AERTSEN -
M A R T I N PICKAVÉ
Vorwort
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50 Jahre Thomas-Institut (Köln), Das Thomas-Institut. Vor- und Gründungsgeschichte WOLFGANG KLUXEN (Bonn), 50 Jahre Thomas-Institut: Erinnerung an die Anfänge ALBERT ZIMMERMANN (Köln), Staunen, vertrauen, lernen — Student am Thomas-Institut ANDREAS SPEER (Würzburg), 50 Jahre Kölner Mediaevistentagungen: ein Überblick J A N A . AERTSEN (Köln), Fröhliche Wissenschaft: Wahrheit im Mittelalter ERICH MEUTHEN
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Ende und Vollendung. Eschatologische Perspektiven im Mittelalter J A N A . AERTSEN
(Köln),
Einleitung
69 I. Eschatologische Orientierungen
(Chicago), The Apocalyptic Imagination in the Middle Ages ALOIS M. H A A S (Zürich), Mystische Eschatologie. Ein Durchblick CARLOS STEEL (Leuven), Abraham und Odysseus. Christliche und neuplatonische Eschatologie IRENE LEICHT (Karlsruhe), Präsentische Eschatologie als Utopie in Marguerite Poretes „Spiegel der einfachen Seelen" BERNARD M C G I N N
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χ Jos
Inhaltsverzeichnis D E C O R T E (Leuven), Geschichte und Eschatologie. Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das mittelalterliche Leben
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II. Das Jahr 1000 (Sofia), Der mittelalterliche Apokalyptismus und der Mythos vom Jahre 1000 A N N A - D O R O T H E E VON D E N B R I N C K E N (Köln), Abendländischer Chiliasmus um 1000? Zur Rezeption unserer christlichen Ära T Z O T C H O BOIADJIEV
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179
III. Endzeiterwartungen und ihre politische Dimension (Bayreuth), Der Arabersturm, die Endkaiser-Weissagung der Christen und die Λ/öMf-Erwartung der Muslime TILMAN STRUVE (Köln), Endzeiterwartungen als Symptom politisch-sozialer Krisen im Mittelalter FRIEDRICH N I E W Ö H N E R (Wolfenbüttel), „Terror in die Herzen aller Könige!" Vom Ende der weltlichen Welt im Jahre 1210 bei Moses ben Maimón B O D O HECHELHAMMER (Darmstadt), Zur Verwendung eschatologischer Motive in der politischen Korrespondenz Kaiser Friedrichs II. zur Zeit seines Kreuzzuges ROBERTO LAMBERTINI (Macerata), Ende oder Vollendung. Interpretazioni escatologiche del conflitto tra Secolari e Mendicanti alla metà del XIII secolo F R A N C I S C O BERTELLONI (Buenos Aires), Casus imminens ed escatologia del potere politico nel „De ecclesiastica potestate" di Egidio Romano HANNES MÖHRING
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IV. Eschatologische Motive in Kunst und Liturgie (Köln), „Dies irae". Zu einer mittelalterlichen Sequenz PETER K U R M A N N (Fribourg), Zur Vorstellung des Himmlischen Jerusalem und zu den eschatologischen Perspektiven in der Kunst des Mittelalters
ALEX STOCK
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292
Inhaltsverzeichnis
(Dresden), Eschatologische Motive in mittelalterlichen Portalprogrammen SILKE TAMMEN (Hamburg), Schluß und Genese eines Buches im Zeichen der Apokalypse: Medien der Offenbarung und Lehre auf dem letzten Blatt der Bible moralisée (Codex 1179 der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien) JOHANNES ZAHLTEN (Braunschweig), Das Ende und der Anfang. Zum Zusammenhang von Weltaltermodellen, menschlichem Lebensalter und Sechstagewerk in der mittelalterlichen Kunst
XI
B R U N O BOERNER
301
321
348
V. Philosophie und Eschatologie (Utrecht), Realized Eschatology or Philosophical Idealism: The Case of Eriugena's "Periphyseon" HENRYK ANZULEWICZ (Bonn) — CATERINA R I G O (Jerusalem/Bonn), Reductio ad esse divinum. Zur Vollendung des Menschen nach Albertus Magnus W O U T E R G O R I S (Köln), Die Vergegenwärtigung des Heils. Thomas von Aquin und die Folgezeit K A R L - H E R M A N N KANDLER (Freiberg), „Anima beata vel homo glorificatus possit progredì in aliquam naturalem cognitionem" Bemerkungen zu eschatologischen Gedanken des Dietrich von Freiberg, vor allem zu seinem Traktat „De dotibus corporum gloriosorum" D O M I N I K PERLER (Basel), Gibt es eine Erinnerung nach dem Tod? Zur methodischen Funktion der post mortem-Argumentation in der spätmittelalterlichen Erkenntnistheorie G Ü N T H E R M E N S C H I N G (Hannover), Das Ende und der Wille Gottes. Teleologie und Eschatologie bei Wilhelm von Ockham WILLEMIEN O T T E N
373 388 417
434
448 465
VI. Joachim von Fiore und sein Einfluß (Berlin), Die Stellung Joachims von Fiore in seiner Zeit. Trinitätsverständnis und Gegenwartsbestimmung
K U R T - V I C T O R SELGE
481
(Heidelberg), Zukunftshoffnung, Zukunftserwartung, Zukunftsbeschreibung im 12. und 13. Jahrhundert. Der Dritte Status des Joachim von Fiore im Kontext SABINE SCHMOLINSKY (Hamburg), Prophezeite Geschichte und früher Joachitismus in Deutschland. Zur Apokalypsendeutung des Alexander Minorità ELISABETH REINHARDT - JOSEP-IGNASI SARANYANA (Pamplona), Joachim von Fiore und sein vermeintlicher Einfluß auf Hispanoamerika im 16. Jahrhundert
J Ü R G E N MIETHKE
504 525 545
VII. Thomas von Aquin o. p. (Fribourg), « Dieu conduit choses vers leur fin ». Providence et gouvernement divin chez Thomas d'Aquin RUDI TE VELDE (Amsterdam), Christian Eschatology and the End of Time according to Thomas Aquinas (Summa contra Gentiles IV, c. 97) WILLIAM J. HOYE (Münster), Die eschatologische Vereinigung des Menschen mit Gott als Wahrnehmung der Wahrheit nach Thomas von Aquin WILHELM M E T Z (Freiburg), Das Weltgericht bei Dante in Differenz zu Thomas von Aquin . . . .
JEAN-PIERRE TORRELL
561 595 605 626
VIII. Petrus Johannis Olivi (Boston), Private Apocalypse: Spiritual Gnosis in Saint John Cassian and Peter John Olivi W A R R E N LEWIS (Indianapolis), Freude, Freude! Die Wiederentdeckung der Freude im 13. Jahrhundert: Olivis „Lectura super Apocalipsim" als Blick auf die Endzeit A N N E DAVENPORT
641 657
IX. Johannes XXII. und der Streit um die visio beatifica (Tours), Apports à la réflexion sur les fins dernières lors de la controverse de la vision béatifique déclenchée par Jean XXII VOLKER LEPPIN (Jena), Vom Sinn des Jüngsten Gerichts. Beobachtungen zur Lehre von der vitto bei Johannes XXII. und Ockham CHRISTIAN TROTTMANN
687 705
Inhaltsverzeichnis
XIII
X. Tod und Vollendung im Spätmittelalter (Regensburg), Von der meditatio mortis zur ars moriendi. Das Problem des Todes im Denken des Jean Gerson VILÉM HEROLD (Prag), Philosophische Grundlagen der Eschatologie im Hussitismus
721
Namenregister
745
ROLF SCHÖNBERGER
735
50 Jahre Thomas-Institut
Das Thomas-Institut. Vor- und Gründungsgeschichte ERICH MEUTHEN
(Köln)
Die neue Kölner Universität von 1919 legitimierte sich keineswegs mit dem Rückgriff auf die von der mittelalterlichen Gründung angebotene Tradition. Im Gegenteil: Sie suchte sich in ausgesprochener Weise als „neuartig" zu profilieren 1 . Gleichwohl und gerade deshalb mußte dann natürlich auch das Für und Wider einer Anknüpfung an die alte Universität zur Sprache kommen. Diese zeichnete sich durch den im katholischen Bereich kaum je bestrittenen Rang ihrer theologischen Fakultät aus, dem freilich das allgemeine Renommee denn doch nicht immer entsprach. Geschichtlich wie seinem Selbstverständnis nach gründete solcher Rang in der theologisch-philosophischen Verwurzelung der mittelalterlichen Scholastik, die sich in Köln mit den Namen ihrer ganz „Großen" — Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Duns Scotus — verband 2 . Doch einer innerhalb der neuen Universität anzusiedelnden theologischen Fakultät, die an die ältere erinnert hätte, begegnete man im Umfeld von 1919 mit deutlicher Zurückhaltung, wenngleich einer Äußerung Konrad Adenauers zufolge allgemeine Ubereinstimmung bestünde, „daß zu einer universitas litterarum auch eine theologische Fakultät gehöre" 3 . Das nicht immer religions- und erst recht nicht kirchenfreundliche Klima in Intellektuellenkreisen jener Jahre braucht diese Distanzierung noch nicht bewirkt zu haben; es hätte ja auch eine entgegengesetzte Re-Aktion provozieren können, und wie sich zeigen wird, gab es diese in der Tat. Die Gesamtsituation war indessen recht komplex. Ausgerechnet der Kölner Erzbischof Karl Joseph Schulte widersetzte sich der Gründung einer theologischen Fakultät, damit der Bonner Fakultät kein Eintrag geschehe. Doch schlug er eine Professur für Religionswissenschaft in der Philosophischen Fakul-
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B. Heimbüchel, „Neuartige Universitas". Zur Geschichte der Kölner Hochschulidee im 19. und 20.Jahrhundert, in: Geschichte in Köln 23 (1988), 2 4 7 - 2 6 5 ; id., in: Kölner Universitätsgeschichte (künftig: K U G ) II, Köln - Wien 1988, 2 7 2 - 3 3 5 (zum Begriff „neuartige universitas": 272 und 335); id., Von der Handelshochschule zur Universität zu Köln, in: Handelsakademie — Handelshochschule. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät (Studien zur Geschichte der Universität zu Köln 9), Köln - Wien 1 9 9 0 , 1 2 3 - 1 4 2 ; hier 135 zur einschlägigen Denkschrift von 1915: „Der Gedanke einer neuartigen universitas' war geboren." K U G I, Köln - Wien 1988, 581, 6 1 2 und 615 sub voàbus-, u. a. zur Traditionspflege der drei Genannten, die in Köln am stärksten dem heiligen Thomas, nicht Albert galt, cf. etwa 1 7 8 - 1 8 1 , 435 sq. etc. K U G II, 563 — 573 zur Diskussion um die Theologische Fakultät; das Zitat: 563.
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Erich Meuthen
tät vor, sowie ein der scholastischen Philosophie gewidmetes Fortbildungsinstitut für Geistliche außerhalb des Universitätsstudiums4. Religionswissenschaftliche Themen nahmen innerhalb der Lehrveranstaltungen jener frühen Jahre der neuen Kölner Universität, wie genaueres Zusehen lehrt, einen bemerkenswerten Raum ein 5 . Ihrem Selbstverständnis nach spiegelten auch sie eben jene „Neuartigkeit", die man seitens der Universität als Kölner Spe2Ìfikum ansah. Angeboten wurden sie u. a. von Bonner Professoren, was in Köln zu Mißstimmung führte, auch wegen der Honorierung. Der Kölner Rektor bat Kardinal Schulte daher um Empfehlung einer für diese Lehrveranstaltungen geeigneten Persönlichkeit außerhalb dieses Kreises. Als solche benannte Schulte für das Sommersemester 1924 den kirchlicherseits geförderten Nachwuchstheologen Josef Koch 6 , den er 1921 zur wissenschaftlichen Fortbildung nach Rom geschickt hatte und der mit der Einrichtung der von Schulte geplanten Albertus-Magnus-Akademie beauftragt war, die von diesem 1931 in ein dann zu Bonn domiziliertes Albertus-Magnus-Institut zur Besorgung einer kritischen Gesamtausgabe Alberts umgewandelt wurde 7 . Koch verließ Köln jedoch schon Ende 1924, um sich in Breslau mit einer Arbeit über den Scholastiker Durandus de S. Porciano (um 1275 — 1334) zu habilitieren, dessen wissenschaftlicher Erschließung Kochs römischer Aufenthalt gedient hatte 8 . Der „neuen" Universitätskonzeption entsprechend verstand sich das Kölner Philosophieangebot 9 als Realisierung eines modernen Studium generale und wurde sogleich durch drei Lehrstühle ausgezeichnet. Dabei wurde jedoch mit Nachdruck der geschichtliche Aspekt gepflegt; eines der drei Ordinariate sollte betont philosophiegeschichtlich ausgerichtet sein. Bei der ersten Besetzung mit Robert Saitschick, Max Scheler und Hans Driesch entsprach dem zumindest einigermaßen allerdings nur der Letztgenannte, der eine Geschichte des Vitalismus geschrieben hatte. Als er schon nach einem Jahr 1921 ein Angebot aus Leipzig annahm, war er es denn auch, der den Kölnern die Anknüpfung an die antik-mittelalterliche Tradition empfahl. Die Mehrheit der Fakultät votierte, ihrem „kulturwissenschaftlichen" Konzept folgend, freilich für Theodor Litt, obwohl Driesch den durch Arbeiten über den mittelalterlichen Aristotelismus und über Albertus Magnus hervorgetretenen Artur Schneider nannte. So aber auch das Kuratorium der Universität, das bei allen Lehrstuhlbesetzungen das letzte Wort hatte und sich mit sieben gegen zwei Stimmen bei einer Enthaltung für das Minoritätsvotum der Fakultät entschied, das Schneider an die erste Stelle gesetzt hatte. Als Wunsch nach einem „systematischen" Gegengewicht ist die 4 5 6
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K U G II, 564. K U G II, 565 und 576 sq. K U G II, 568. Zur Person cf. u. a. Universitätsarchiv Köln (künftig: UAK) 357/1: nachgelassene Personalakte. Lexikon für Theologie und Kirche (künftig: LThK) I, Freiburg 3 1993, 339. Diese wie auch die weiteren Angaben zur Person vor allem nach einem um 1950 verfaßten Lebensrückblick in UAK 357/1. Das folgende nach K U G II, 4 7 0 - 4 7 6 („Philosophie").
Das Thomas-Institut. Vor- und Gründungsgeschichte
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1925 nach dem Ausscheiden Saitschicks erfolgte Berufung von Nicolai Hartmann anzusehen, der aber 1931 nach Berlin wechselte. Bezeichnend ist jedoch, daß ihm Heinz Heimsoeth folgte, der Hartmanns ontologische Fragestellung auf die philosophiegeschichtliche Forschung übertrug. Schneider löste in keiner Weise die Erwartungen ein, die sich an seine Berufung nach Köln geknüpft hatten 10 . 1903/1906 war er mit einem zweibändigen Werk über „Die Psychologie Alberts des Großen" bekannt geworden, dem 1915 eine kleinere Studie über „Die abendländische Spekulation des 12. Jahrhunderts in ihrem Verhältnis zur aristotelischen und jüdisch-arabischen Philosophie" gefolgt war, und der sich 1921 eine zweibändige Arbeit über „Die Erkenntnislehre des Johannes Eriugena im Rahmen ihrer metaphysischen und anthropologischen Voraussetzungen" anschloß. Schneider hatte auch schon akademische Erfolge verbucht; denn zuvor hatte er bereits Lehrstühle in Freiburg (wo er der Doktorvater Martin Heideggers war), Straßburg und Frankfurt innegehabt. Seine gegenwartspraktischen Interessen, wie sie 1910 in seiner Schrift „Zur Hochschulbildung der Volksschullehrer" zum Ausdruck kamen, der Rang, den Psychologie und Pädagogik bei ihm einnahmen, die offensichtlich gut in das „neuartige" Kölner Interessenspektrum paßten, machten ihn mit solcher Kombination der skizzierten Kölner Tendenzen, wie es scheint, hier recht empfehlenswert. Doch nur noch Schmales und Belangloses werden Schneiders Kölner Jahre zeitigen. Mit seiner Emeritierung 1942 kam die Stelle dann faktisch in Fortfall, nachdem schon Scheler beim Wechsel an die Universität Frankfurt 1928 keinen Nachfolger erhalten hatte. Somit ergab sich 1945 für die Neuplanung der philosophischen Studien eine insgesamt ziemlich offene Situation. Freilich meldeten sich auch die unterschiedlichen Tendenzen und Positionen der früheren Jahrzehnte zurück. Hinzu kam die aktuelle Erfahrung mit System und Ideologie des Nationalsozialismus, die zu verstärktem Rückgriff auf die antik-christliche, „abendländische" Tradition veranlaßte, eine Tradition, die, wenn hinreichend gestärkt, solcherart Fehlentwicklungen, wie man meinte, würde verhindern können. In diese, durchaus positiv als „restaurativ" bezeichneten Bestrebungen, wie sie in der Kölner Universität von dem ersten Nachkriegsrektor, dem Gräzisten Joseph Kroll, vertreten wurden 11 , gehört universitätspolitisch sicher auch die Gründung des Thomas-Instituts hinein, ohne sich natürlich allein von hier aus, zumal wissenschaftsgeschichtlich, verstehen zu lassen. Die Initiative scheint von dem damaligen Stadtdechanten Robert Grosche 12 ausgegangen zu sein. Er hatte in den ersten Jahren der neuen Universität als 10
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In dem einschlägigen Standardwerk von E. Coreth/W M. Neidl/G. Pfligersdorffer (eds.), Christliche Philosophie im katholischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts I —III, Graz etc. 1 9 8 7 1990 (künftig: CPKD), wird sein Name nicht genannt. Mit wenigen knappen Daten in: Deutsche Biographische Enzyklopädie (künftig: DBE) IX (1998), 50. KUG II, 6 0 4 - 6 1 1 ; zum Begriff „Restauration": 607 sq. Zur Person siehe R. Merkelbach in: Neue Deutsche Biographie (künftig: NDB) XIII (1982), 72 sq. Das Historische Archiv des Erzbistums Köln. Ubersicht über seine Geschichte, Aufgaben und Bestände (Studien zur Kölner Kirchengeschichte 31), Siegburg 1998, 353 sq. (Nachlaß, Literatur). Dazu auch F. W. Bautz, Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon II (1990), 357 sq.
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Erich Meuthen
Studentenseelsorger gewirkt und wurde 1922 katholischer Universitätsprediger13. Seit 1941 Pfarrer in der Stadt, zunächst an Maria Himmelfahrt, seit 1945 in St. Gereon, 1944 Domkapitular, politisch tätig als Stadtverordneter der CDU, in höchstem Maße künstlerisch interessiert und beim Wiederaufbau der kriegszerstörten Kölner Kirchen engagiert, nahm er nach Kriegsende unverzüglich Kontakt mit Joseph Kroll auf, den die Amerikaner auf Vorschlag des von ihnen wiedereingesetzten Oberbürgermeisters Adenauer zum „Universitätspräsidenten" erklärt hatten 14 . Grosche trug ihm vor, es sei von höchster Priorität, den durch die Emeritierung Schneiders vor einigen Jahren freigewordenen Lehrstuhl für Philosophie einem Vertreter der scholastischen Philosophie anzuvertrauen. Das sei „die Universität" — so Grosche in seinem späteren Bericht über das Gespräch mit Kroll 15 — , „wenn sie irgendeine Kontinuität mit der alten Kölner Universität — wie die Führung von deren Siegel bekunde - aufrecht erhalten wolle, sich selber schuldig". Als in Betracht zu ziehende Kandidaten nannte Grosche den damals in Wien lehrenden Alois Dempf 16 und Romano Guardini, der 1939 in Berlin zwangsemeritiert worden war 17 . Auf Krolls Anfrage bei Dempf erteilte dieser ihm allerdings eine Absage, und auch Guardini beschied schon die Einladung zu einem Gastvortrag in Köln gleicherweise negativ, war also für Köln nicht zu gewinnen. Die Sache blieb nun offenbar einige Zeit unerledigt liegen. Als Stadtverordneter der CDU (übrigens neben der späteren nordrhein-westfälischen Kultusministerin Christine Teusch) Mitglied des sich am 7. Mai 1946 konstituierenden Kuratoriums der Universität18 geworden, reichte Grosche in dieser Funktion 19 am 27. Mai 1946 Rektor Kroll und dem Dekan der Philosophischen Fakultät (es war der Historiker Peter Rassow) eine Denkschrift ein, in der er die Notwendigkeit eines Lehrstuhls für scholastische Philosophie innerhalb der Philosophischen Fakultät begründete. Kroll erklärte ihm wenig später indessen: Da der Inhaber der ersten philosophischen Professur (nämlich Heimsoeth) schon mehr die Philosophiegeschichte vertrete, könne er es nicht verantworten, daß auf dem zweiten Lehrstuhl ein Systematiker säße, der eine bestimmte Schule vertrete, anstatt die philosophischen Grunddisziplinen (genannt werden Logik und Psychologie) zu lesen; doch wolle er sich für einen dritten Lehrstuhl einsetzen, der dann der scholastischen Philosophie vorzubehalten sei. Das könne ohne Mehrbelastung des Etats geschehen, da ein anderer, zur Zeit nicht notwendigerweise zu besetzender Lehrstuhl entsprechend umgewandelt werden könne. 13 14 15 16 17
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KUG II, 565. KUG II, 604 sq. UAK 9/597, foil. 1 6 5 - 1 7 1 . S. Battisti, Alois Dempf ( 1 8 9 1 - 1 9 8 2 ) , in: CPKD III, 2 2 6 - 2 3 2 . Th. Schrejäck, Romano Guardini (1885-1960). Sein philosophisches Werk, in: CPKD III, 201 215. KUG III, 49. So, wie auch das hiernach Folgende in Grosches Bericht UAK 9/597 (cf. supra nt. 15).
Das Thomas-Institut. Vor- und Gründungsgeschichte
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Am 29. Juli 1946 stand dann auf der Tagesordnung der Philosophischen Fakultät die „Mitteilung über eine" (wohl durch Grosche veranlaßte) „Anregung der Stadtverordnetenversammlung zur Besetzung des 2. philosophischen Lehrstuhls durch einen Vertreter der mittelalterlichen Philosophie". Die Fakultät wandte dagegen ein, die beiden Lehrstühle müßten ohne derartige Spezialisierung besetzt werden. Sie könnte allerdings zustimmen, wenn ein dritter Lehrstuhl eingerichtet werde 20 . Am 30. Juli erklärte sich das Kuratorium auf Anregung seines Mitgliedes Grosche mit der Schaffung dieses dritten Lehrstuhls einverstanden, ohne daß freilich schon unmittelbar etwas Näheres in die Wege geleitet wurde 21 . Allerdings trat dann sogleich die Personalfrage in den Vordergrund: Wer sollte auf den Lehrstuhl berufen werden? Grosche meinte hierzu, daß es zur Zeit in Deutschland „kaum geeignete Gelehrte" gebe 22 . Daher ging Kroll sofort auf den Wunsch Grosches ein, zunächst einen französischen Scholastiker als Gastprofessor zu gewinnen, und unterrichtete zu diesem Behufe den britischen Universitätsoffizier, der sein Plazet erteilte. Grosche, der vielerlei Kontakte zur katholischen Intelligenz Frankreichs hatte, wie ζ. B. zu Claudel und Congar, wurde von Kroll beauftragt, sich wegen einer Gastvorlesung an den führenden Scholastikforscher Etienne Gilson 23 zu wenden. Gilson lehnte es in seiner Antwort am 26. September indessen ab, zum gegenwärtigen Zeitpunkt nach Köln zu kommen 24 . Es ist unwahrscheinlich, daß Grosche eine solche Fülle an wissenschaftspolitischen Aktivitäten entfaltete, ohne seinerseits höherer Sympathie sicher zu sein. Und so bedürfte es der Nachprüfung, welchen Anteil der Kölner Erzbischof, Kardinal Josef Frings, daran hatte. Wie mir das Historische Archiv des Erzbistums Köln versicherte, geben die Nachlässe von Frings und Grosche, die beide dort verwahrt werden, nichts zu dieser Frage her. Bei der Suche nach dem Wunschkandidaten griff man in Köln offensichtlich recht hoch und mußte dann Enttäuschungen hinnehmen. In diese Situation hinein kehrte, mittellos aus Breslau vertrieben, Josef Koch in seine rheinische Heimat zurück. Er war eng befreundet mit dem zwei Jahre jüngeren Kardinal, den er duzte. Geboren 25 am 2. Mai 1885 als Sohn eines Studienrats in Münstereifel, kam er nach dreijährigem Besuch der Vorschule in Düsseldorf, wohin sein Vater 1885 versetzt worden war, 1894 auf das dortige humanistische Gymnasium. Nach dem Abitur im Jahre 1903 studierte er Theologie, Philosophie und Alte Sprachen 20 21 22
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U A K 285/1 (Fakultätsprotokoll), fol. 529. U A K 332/3, fol. 385. Informative Einführung in die Entwicklung der Forschung: W Kluxen, Die geschichtliche Erforschung der mittelalterlichen Philosophie und die Neuscholastik, in: C P K D II, 3 6 2 - 3 8 9 . A. Maurer, Etienne Gilson ( 1 8 8 4 - 1 9 7 8 ) , in: C P K D II, 5 1 9 - 5 4 5 ; W. Kluxen, Etienne Gilson: Ein neuer Zugang zum „Geist der mittelalterlichen Philosophie", ibid., 3 7 7 - 3 8 3 . Cf. supra nt. 15. Curricula und biographische Berichte in U A K 357/1 (cf. supra nt. 6). Siehe auch M. Schmaus, in: NDB XII (1980), 268 sq.
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Erich Meuthen
in Freiburg i. Br. (1903), Straßburg (1903/4) und Bonn (1904-1907). Als entscheidend für seine wissenschaftliche Entwicklung hat er später die Zeit in Straßburg angesehen, wo ihn vor allem Clemens Baeumker 26 nachhaltig beeindruckte: „Besonders Baeumker verstand es, in mir die Liebe zur Philosophie zu wecken." Des weiteren — so fährt er in einem Curriculum von etwa 1950 fort — verdanke er aus dieser Zeit Theobald Ziegler 27 „eine gründliche Einführung in die kantische Philosophie, die mir für mein Leben wichtig blieb" — eine Mitteilung, die nicht ohne Überraschung ist. In Bonn widmete sich Koch der Theologie. Er nennt später den Dogmatiker Gerhard Esser, den Kirchenhistoriker Schroers und den Patristiker Rauschen, bei denen er am meisten gelernt habe, daneben die Philosophen Dyroff und vor allem Benno Erdmann, sowie die Altphilologen Bücheler, Brinkmann und Solms. Nach der üblichen Ausbildung im Priesterseminar, wo ihn vor allem der Kirchenrechtler Joseph Vogt, späterer erster Bischof der neuen Diözese Aachen, beeindruckte, erhielt er 1908 die Priesterweihe und war sodann über 13 Jahre in Konvikten des Erzbistums Köln tätig: kurzfristig in Rheinbach und Neuss, seit 1914 dann als Präses des erzbischöflichen Konvikts in Münstereifel. Gleichzeitig nahm er das Philosophiestudium in Bonn wieder auf, erweiterte daneben sein Blickfeld auf Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft und wurde 1915 auf Grund einer Dissertation über die Erkenntnislehre von Hermann Schell 28 zum Dr. phil. promoviert. Kardinal Schulte entsprach 1921, wie schon erwähnt, seinem Wunsch nach Freistellung zur Vorbereitung einer akademischen Karriere und sandte ihn zum philosophischen Weiterstudium nach Rom. Hier fand er in Franz Pelster, Philosophieprofessor an der Gregoriana, den Gelehrten, der ihm „die entscheidenden Anregungen und Hilfen" beim Zugang zu dem Forschungsgebiet gab, „dem ich meine Lebensarbeit gewidmet habe, dem Geistesleben des Mittelalters, insbesondere der Zeit vom 13. bis zum 15. Jahrhundert". Die Sinekure als Rektor eines städtischen Altersheims in Köln bot ihm dann Zeit und materielle Grundlage für weitere wissenschaftliche Tätigkeit, die durch Kontaktaufnahme mit der Kölner Universität nun eine neue Richtung erhielt: Er nahm an Seminaren von Schneider und Scheler teil, hielt, wie schon angemerkt, 1924 eine öffentliche Vorlesung und wurde zur Einrichtung der von Schulte ins Werk gesetzten Albertus-Magnus-Akademie herangezogen, die sich indessen finanziell zunächst recht schwierig gestaltete. So folgte er, wie schon gesagt, noch im selben Jahre auf Anregung des damals in Breslau tätigen Scholastikers Bernhard Geyer der Einladung, sich eben dort zu habilitieren. Er erwarb 26
27 28
Letztens S. Kaup, Forscher — Kollege - Freund. Aus der Korrespondenz Clemens Baeumkers an Martin Grabmann, in: Credo ut intelligam. Martin Grabmann zum 50. Todestag, ed. Th. Prügl (Schriften der Universitätsbibliothek Eichstätt 41), St. Ottilien 1999, 7 1 - 1 0 4 ; ead. ibid., 147 sq. Zu seiner philosophiegeschichtlichen Bedeutung: Kluxen, Geschichtliche Erforschung (nt. 22), 369: Neben dem Aristotelismus und Augustinismus die Herausarbeitung des „beständigen Fortwirkens einer platonisch-neuplatonischen Unterströmung". A. Buchenau, in: Kantstudien 24 (1919). Zu diesem jetzt: V. Bertling, Herman Schell (1850-1906), in: CPKD I, 3 6 5 - 3 8 3 .
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zunächst den theologischen Doktortitel mit seiner in Rom erarbeiteten Dissertation über „Durandus de S. Porciano. Untersuchungen zum Streit über die Lehre des hl. Thomas von Aquin um die Wende des 14. Jahrhunderts", der sich schon im Juni 1925 die Habilitation für systematische Theologie mit der Arbeit über „Die Philosophie des Durandus de S. Porciano" anschloß, die das von nun an im Vordergrund stehende Untersuchungsfeld der spätmittelalterlichen Philosophie markierte. Die umfangreichen Kenntnisse, die er sich hierzu erworben hatte, schlugen sich auch in dem 1927 von Geyer fertiggestellten zweiten, neubearbeiteten Teilband des klassischen „Grundrisses der Geschichte der Philosophie" von Friedrich Ueberweg nieder. Er verfaßte nicht nur die entsprechenden Paragraphen über die älteste Thomistenschule und Durandus, sondern stand auch insgesamt redigierend und ergänzend zur Verfügung. Kochs akademische Karriere blieb für 20 Jahre mit der Universität Breslau verbunden. 1928 erhielt er ebendort einen Lehrauftrag für philosophisch-theologische Propädeutik. 1930 wurde er nichtbeamteter außerordentlicher Professor, 1933 persönlicher Ordinarius unter Berufung auf ein Extraordinariat für Fundamentaltheologie. Seit dem Frühjahr 1943 gehörte er einem politischen Widerstandszirkel an. Anfang Februar 1945 mußte er Breslau verlassen. Uber mehrere Zwischenstationen kehrte er ins Rheinland zurück, wo — in Düsseldorf — seine Mutter lebte. Schon im Juni 1946 wurde er als Gastprofessor für mittelalterliche Dogmengeschichte, Dogmatik und Christliche Philosophie an die Universität Bonn berufen und war als solcher dort bis zum Beginn des Sommersemesters 1947 tätig. Zugleich hielt er im Wintersemester 1946/47 an der Universität zu Köln eine einstündige Vorlesung für Hörer aller Fakultäten über „Große Gestalten aus der Geisteswelt des Mittelalters: Albert von Köln Thomas von Aquin — Eckhart von Hochheim — Nikolaus von Cues" 29 . Diese Kölner Gastvorlesungen Kochs werden von den Hörern, aber auch von den Medien und der weiteren akademischen und allgemeingebildeten Öffentlichkeit als „Ereignisse" bezeichnet. Im übrigen gab es seit dem Sommer 1946 Einladungen zu Gastvorlesungen im Ausland, so vom Pontifical Institute of Mediaeval Studies in Toronto 30 , das ihm gar den Eintritt anbot. Wenn Koch so rasch wieder akademisch Fuß faßte, so ist das nicht zuletzt vor dem Hintergrund seines inzwischen eindrucksvoll gewachsenen wissenschaftlichen Ansehens zu verstehen 31 . Die Forschungen über Durandus lenkten zum Thema „Irrtumslisten". Geplant war ein umfassendes Werk über den „Kampf um Theologie und Kirche am Ende des 13. und zu Beginn des M.Jahrhunderts", in dessen Mittelpunkt die damaligen Prozesse gegen häretische Theologen stehen sollten, neben Durandus u. a. Olivi, Ockham und Meister Eckhart. 29 30
31
Universität zu Köln, Verzeichnis der Vorlesungen für das Wintersemester 1946/47, 23. St. D. Dumont, in: LThK VIII ( 3 1999), 417. Die Gründung geht auf Gilson zurück; siehe G. A. McCool, Gilson und Toronto, in: CPKD II, 742 sq. K. Bormann, Vorwort, zu: J. Koch, Kleine Schriften I (Storia e Letteratura 127), Rom 1973,
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Das führte ihn zu eben Eckhart, mit dessen Erschließung der Name Kochs dann schon bald eng verknüpft war. Seit 1934 leitete er die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft getragene Herausgabe seiner lateinischen Werke. Aus der Arbeit an den Quellen gingen maßgebliche Studien über Eckhart hervor 32 . Die Beschäftigung mit ihm führte Koch sodann schon bald zu Nikolaus von Kues. Er übernahm die Edition der Cusanus-Predigten innerhalb der von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Opera omnia 33 , die Bearbeitung des Briefwechsels 34 und des von der Forschung bis dahin unterschätzten Traktats „De coniecturis" 35 . Hinzu wird eine Reihe gewichtiger Cusanus-Studien kommen. Es ist unverkennbar, daß damit zugleich Forschungsschwerpunkte in der deutschen Wissenschaftsgeschichte markiert sind. Andererseits führten ihn Eckhart und Cusanus zu intensiverer Beschäftigung mit dem mittelalterlichen Piatonismus und damit in eine europäische Tradition, der man, wie schon gesagt, angesichts der Katastrophen des letzten Jahrhunderts besondere Bedeutung beimaß. Grosche nutzte den Lehrerfolg und das wachsende Ansehen Kochs am 21. Dezember 1946 zu einem neuen Vorstoß beim Dekan der Philosophischen Fakultät, dem Chemiker Robert Wintgen 36 : „Diese" — nämlich die besagte Kölner — „Vorlesung erfreut sich eines außerordentlichen Zuspruchs seitens der Studenten; der Hörsaal IV ist ständig gefüllt, und die Studenten sind begeistert und rühmen Prof. Koch auch als ausgezeichneten Lehrer." Bezugnehmend auf die günstige Stimmung im Kuratorium griff Grosche aber auch schon weiter aus: Anknüpfend an den „genius loci Kölns" solle (neben dem Lehrstuhl) „zugleich für diesen Bereich der Philosophie wieder eine besondere Forschungsstätte geschaffen werden, wie sie früher die Baeumker-, bzw. Grabmannschule darstellte" 37 . Daß es „nicht bloß mit Rücksicht auf die Tradition, sondern gerade auf die jetzige Geltung unserer Stadt wichtig wäre, diese Stätte nach Köln zu ziehen", brauche nicht weiter betont zu werden. Koch scheine die „gegebene Persönlichkeit für diese Aufgabe zu sein". Er habe einen Ruf nach Toronto, wo 32 33
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36 37
Nachdruck des Wichtigsten, in: Koch, Kleine Schriften (nt. 31), 2 0 1 - 4 5 5 . Grundlegend hierzu u. a. und ganz besonders: J. Koch, Cusanus-Texte I. Predigten 7. Untersuchungen über Datierung, Form, Sprache und Quellen. Kritisches Verzeichnis sämtlicher Predigten (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse Jg. 1941/42, 1. Abhandlung), Heidelberg 1942. Cf. hierzu: E. Meuthen, Die „Acta Cusana". Gegenstand, Gestaltung und Ertrag einer Edition, Cusanus-Studien X (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse Jg. 1994/95), Heidelberg 1994. Erschienen erst postum: Nicolai de Cusa, De coniecturis, ediderunt Iosephus Koch f et Carolus Bormann, Iohanne Gerhardo Senger comité (Opera omnia III), Hamburg 1972. Dazu auch: J. Koch, Die Ars coniecturalis des Nikolaus von Kues (Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Geisteswissenschaften 16), Köln - Opladen 1956; id., Der Sinn des zweiten Hauptwerkes des Nikolaus von Kues „De coniecturis", in: Nicolò da Cusa (Facoltà di Magistero dell' Università di Padova IV), Florenz 1962, 1 0 1 - 1 2 3 . U A K 44/65. Cf hierzu Credo ut intelligam (nt. 26).
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man die Errichtung eines ähnlichen Lehrstuhls plane. Ferner höre man, „daß sich angeblich auch München um ihn bemüht, wo man natürlich gern die Arbeit Prof. Grabmanns fortgesetzt sähe". Schließlich bringt Grosche sich ausdrücklich als Kuratoriumsmitglied ein: Er möchte sich später nicht den Vorwurf machen lassen, nicht alles getan zu haben, „um der Kölner Universität eine solche Persönlichkeit zu sichern". Gleichwohl scheint die Sache dann zunächst mit Zurückhaltung bedacht worden zu sein. Erst am 3. März 1947 regte Rassow seinen Amtsnachfolger Dekan Wintgen an, auf der bevorstehenden Fakultätssitzung am 7. März „die Frage der Fakultät vorzulegen", ob man für Koch nicht „zunächst eine Gastprofessur für Katholische Philosophie einrichten" solle. Koch habe „sein Publikum in diesem Semester mit einem unbestrittenen Erfolg durchgeführt" und sei „ein Forscher von anerkanntem Namen auch über Deutschlands Grenzen hinaus". Rassow war ebenfalls bis zu seiner Berufung nach Köln im Jahre 1940 Professor in Breslau; doch bleibt unklar, wie er zu Koch und zur Errichtung eines Instituts stand. Ehe es aber zur Fakultäts sitzung kam, gelangte am 7. März ein vom 4. März datierendes Schreiben Grosches 38 auf den Tisch von Rektor Kroll, „in Göttingen bestehe die Absicht ..., Koch auf einen besonders einzurichtenden Lehrstuhl für scholastische Philosophie zu berufen". Zunächst habe man „an die Errichtung einer weltanschaulichen Professur" gedacht, auf die man Herrn Prof. Söhngen 39 berufen wollte. Dieser hat sich jedoch inzwischen für München entschieden, und nun will man der Professur einen ähnlichen Charakter geben, wie in Köln angeregt worden ist. Daraus ersehe man, „wie sehr die Kölner Angelegenheit nun drängt". Bezeichnend für die Entwicklung ist, daß Grosche im folgenden das mit dem Lehrstuhl verknüpfte Institut ohne Vorbehalt schon als Selbstverständlichkeit ansieht. Und er fährt fort, die Herren Heimsoeth und Heiss (Psychologe) hätten ihn wissen lassen, „daß sie grundsätzlich" ebenfalls „in Herrn Koch den geeigneten Mann sehen, der das geplante Institut einrichten könnte". Und wieder hebt Grosche die Bedeutung dieses Instituts für die gesamte Kölner Universität hervor: „Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß das Institut unserer Universität gerade auch in Verbindung mit den geplanten großen Editionen (Ekkehart, Albertus-Magnus) ein besonderes Ansehen verleihen würde und helfen könnte, auch jene geistigen und wirtschaftlichen Beziehungen zum Auslande herzustellen, auf die wir gerade im Interesse der Kölner Universität Wert legen müssen." Schließlich bedankt er sich bei Kroll für 38 39
UAK 44/65. Katholischer Fundamentaltheologe, der seit 1937 Professor in Braunsberg war, nun, wie Koch, auf Stellensuche. In Bonn untergekommen, las auch er, wie Koch, als Gast in Köln. Thema: „Die Stellung der Theologie im abendländischen Geistesleben". 1892 geboren, war er erheblich jünger als Koch. Zur Person siehe J. Ratzinger/H. Fries (eds.), Einsicht und Glaube, Gottlieb Söhngen zum 70. Geburtstag, Freiburg 1962. Ob mit ihm eine Alternative zu Koch präsentiert werden sollte, stehe dahin. Die wissenschaftsorganisatorischen Fähigkeiten Kochs mangelten ihm.
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ein kürzliches Referat desselben, das ihn „in der Erkenntnis bestärkt" habe, „daß wir noch viel tun müssen, wenn die Kölner Universität gerade auch in den geisteswissenschaftlichen Bereichen sowohl für Deutschland wie für das Ausland als Stätte der Lehre und insbesondere auch der Forschung Ansehen gewinnen soll". Kroll müsse alles daransetzen, daß „uns schließlich nicht doch Herr Prof. Koch nach Göttingen abwandert". Auch Kroll schien jetzt Eile geboten. Wies er doch Dekan Wintgen durch Notiz auf dem Schreiben Grosches zu unverzüglichem Tätigwerden in der Fakultät an: „Die Liste bitte ich, so vorzubereiten, daß sie in der für den 31. 3. anberaumten Kuratoriumssitzung besprochen werden kann. Vorher müßten den Mitgliedern des Kuratoriums die Namen der Kandidaten mitgeteilt sein." Die Fakultät reagierte ziemlich rasch. Sie befand noch am selben Tage, sie „stehe dem Gedanken der Begründung eines Ordinariats für mittelalterliche Philosophie mit großem Interesse gegenüber, lege aber Wert darauf, daß dieses Ordinariat nicht weltanschaulich oder konfessionell gebunden ist". Zugleich bildete sie eine Kommission, der die Professoren Heimsoeth, Rassow, Clemens Schäfer (mit Koch befreundeter Physiker, der ebenfalls vorher in Breslau lehrte) und eventuell noch Heiss angehören sollten 40 : Auf der Kommissionssitzung, die schon am 14. März stattfand (neben dem Dekan waren Heimsoeth, Rassow und Schäfer anwesend), ging es ausschließlich um den Entwurf einer rufbegründenden Laudatio auf Koch als künftigen Inhaber eines Lehrstuhls für mittelalterliche Philosophie. Der mit ergänzenden Korrekturen versehene, von der Fakultät dann übernommene Entwurf stammt von der Hand Heimsoeths, also des nächsten Fachkollegen. Im üblichen Stile solcher Laudationen stellt sie die wissenschaftliche Bedeutung des Kandidaten und seines bisherigen wissenschaftlichen Opus vor. Über den Charakter und die Ziele des neuen Lehrstuhls findet sich nichts. Die Laudatio legt größten Wert auf die (von Wintgen nachträglich zugefugte) Feststellung, man habe mit der Nomination solange gewartet, bis sich eine für den Lehrstuhl geeignete Persönlichkeit gefunden habe: „Seit Jahren" (!) „liegt es im Aufbauplan der Philosophischen Fakultät der Kölner Universität, erst dann der Errichtung des lang erwünschten Lehrstuhls für Mittelalterliche Philosophie näher zu treten, wenn dafür ein nach allgemeinem Urteil überragender Forscher zur Verfügung stünde. Dieser Zeitpunkt scheint der Fakultät jetzt gekommen." Dient das natürlich auch der Abwehr einer künftigen (und dann auch tatsächlich gestellten) Frage, warum ein Unico-loco-Vorschlag und keine Dreierliste gemacht worden sei, so scheint sich darin andererseits aber gleichfalls eine Reaktion auf Kritik an der bisherigen Zögerlichkeit des Verfahrens zu spiegeln. Sowenig wie auf den Charakter des Lehrstuhls und die darin begründeten Erwartungen an den Inhaber ging die Laudatio zunächst — wie schon gesagt — auf das von ihm zu leitende Institut ein. Offensichtlich von Wintgen formuliert, 40
UAK 285/1, fol. 535.
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dessen Hand den maschinenschriftlichen Text der Laudatio überarbeitet hat, wird der Schilderung der wissenschaftlichen Bedeutung von Josef Koch nun erst nachträglich, allerdings wie es knapper kaum geht, vorausgeschickt: „Schon mehrfach ist an die Philosophische Fakultät der Universität Köln die Anregung herangebracht worden, für die Pflege der Philosophie des Mittelalters Sorge zu tragen schon in Rücksicht auf die Tradition der Kölner Universität, mit deren Namen Meister wie Albertus Magnus, Duns Scotus und Ekkehart verknüpft sind. In Zusammenhang damit wurde neuerdings auch die Errichtung eines Instituts für Erforschung und Herausgabe scholastischer Quellen erörtert. Die Fakultät ist in der glücklichen Lage, für die Leitung dieses Instituts und den entsprechenden Lehrstuhl eine hervorragend geeignete Persönlichkeit vorzuschlagen." Sie genehmigte also am 25. März den Berufungsvorschlag der Kommission, und Dekan Wintgen leitete ihn schon am folgenden Tage dem Rektor zur Behandlung „für die nächste Kuratoriumssitzung" weiter. Diese fand allerdings noch nicht am 31. März statt. Vielmehr wurde der Vorschlag der Fakultät überhaupt erst an diesem Tage den Kuratoriumsmitgliedern zur schriftlichen Gutheißung weitergeleitet und erreichte einige von ihnen dann in den ersten Apriltagen. Grosche beschwerte sich am 6. Mai, daß er davon lediglich gehört, die an das Ministerium weiterzuleitende Laudatio selber aber erst am 2. Mai erhalten habe 41 . Auf diese Ungereimtheiten ist noch zurückzukommen. Hier scheint einiges nicht ganz richtig gelaufen zu sein. Jedenfalls hatte Koch inzwischen die Berufungsvereinbarung über die Göttinger Konditionen unterschrieben. Und so haben auch wir ihm nach Göttingen zu folgen. Was in Köln auf einen schon bemerkten, sich kritisch äußernden Widerstand stieß, nämlich die Charakterisierung des neuen Lehrstuhls als (katholische) Weltanschauungsprofessur, wurde in Göttingen ausdrücklich intendiert 42 . So mit Nachdruck etwa der Göttinger Psychologe Johannes von Allesch in einem Brief an Koch vom 22. Februar 1947, in dem er diesem im Auftrag und als Mitglied der Göttinger Berufungskommission die neuerrichtete Professur anbot: Der Plan zu einer solchen Professur für wissenschaftliche Grundlagen des Katholizismus „oder wie sonst die Formulierung endgültig lauten wird", sei unmittelbar nach dem Einmarsch der Alliierten im Zusammenhang mit dem allgemeinen 41 42
UAK 261/278, fol. 151. In UAK 357/1 (Nachlaß Koch) ist der ganze Komplex „Göttingen" umfassend dokumentiert, nur weniges hingegen im Göttinger Universitätsarchiv (Rek. PA Koch), das mir freundlicherweise Herr Dr. Hunger mitteilte: Urkunden über Ernennung und Endassung. Bemerkenswert ist lediglich die Laudatio der philosophischen Fakultät, Koch stehe „seit seinem ersten Buch über Durand von St. Pourçain in einer Reihe mit Forschern wie Ehrle, Baeumker, Baur und Geyer, die durch den Umfang ihres Wissens, die Weite ihres Blicks, die Gediegenheit ihrer Arbeit und die strenge Wissenschaftlichkeit ihrer Einstellung ... die Geschichte des mittelalterlichen Geistes auf zuverlässige wissenschaftliche Grundlagen gestellt haben". Er sei „fast allseitig in der Ubersicht der geschichtlichen Zusammenhänge. Er verliert niemals das Ganze aus dem Gesicht, auch wo er in minutiöse Einzelheiten eingeht, ... wie er denn auch als vorzüglicher Dozent gerühmt wird".
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Neuaufbau der Göttinger Universität gefaßt worden. Die Sache sei vor dem Hintergrund einer nach dem Kriege stark gewachsenen katholischen Studentenschaft zu sehen, die solches wünsche, wie das auch die inzwischen stärkere Anzahl katholischer Professoren nahelege, als deren Senior er angesehen werde und in deren Auftrag er ebenfalls handle. Allerdings lautete der mit dem neuen Ordinariat verbundene Lehrauftrag offiziell fachbezogener: „für patristische und scholastische Philosophie und Religionsphilosophie". Die Bezeichnung scheint aber nicht für so wichtig gehalten worden zu sein, da der Dekan der Philosophischen Fakultät, der Erziehungswissenschaftler Nohl, es Koch bei der Mitteilung seiner Wahl ausdrücklich freistellte, eventuell auch noch eigene Wünsche zur Umschreibung der Professur einzubringen. In einem weiteren Schreiben an Koch vom 8. März 1947 weist von Allesch im übrigen noch auf „das große Interesse" hin, „das Herr Grimme" (der damalige sozialdemokratische Kultusminister von Niedersachsen) „der Errichtung dieser Professur entgegenbringe", in eben welchem Sinne Grimme sich auch ihm selbst „gegenüber mit sehr warmen Worten geäußert habe". Gleiches — so fährt von Allesch fort — gelte für den derzeitigen Dekan Nohl. Noch stärker an der Errichtung dieser Professur interessiert waren die katholischen Amtsträger, insbesondere der für Göttingen zuständige Diözesanbischof von Hildesheim, Joseph Godehard Machens. Er war es denn auch, durch den Koch mit einem Schreiben vom 15. Februar 1947 erstmals, jedenfalls offiziell, von seiner Göttinger Kandidatur erfuhr, die, wie Machens zu wissen gab, auf die „warme Empfehlung" zurückging, die Kardinal Frings seinem Hildesheimer Amtsbruder hatte zukommen lassen. Nicht zuletzt unter dem Eindruck mehrerer drängender Briefe des Bischofs gab Koch zu erkennen, daß er den Göttinger Ruf annehmen werde. Umgekehrt machte Nohl ihm noch am 26. März 1947, dem Tag des einstimmig gefaßten Beschlusses der Philosophischen Fakultät, entsprechende Mitteilung darüber. Schon am 2. April folgte das ministerielle Lehrstuhlangebot an Koch, das nach den üblichen Verhandlungen zu der bereits erwähnten Berufungsvereinbarung vom 25. April führte, derzufolge Koch den Lehrstuhl am I. Juni zu übernehmen hatte. In einem sehr persönlich gehaltenen Handschreiben gratulierte ihm am 15. Mai auch Kardinal Frings: „Du wirst dort eine neue Jugend beginnen und für das katholische Deutschland eine überaus wichtige Aufgabe zu erfüllen haben." Aufschlußreich für die allgemeine universitätspolitische Bedeutung, die Kochs Wechsel nach Göttingen hatte, ist auch eine mehr en passant hingestreute Notiz von Bischof Machens in einem an Koch gerichteten Brief vom 31. März 1947, in den letzten Tagen sei Adenauer bei ihm gewesen, „der über Ihren Fall außerordentlich gut unterrichtet war". Die Freude währte allerdings nur kurz. Am 25. Januar 1948 teilte Koch zunächst Bischof Machens sowie dem Göttinger Dekan und seinem engsten Fachkollegen Nicolai Hartmann mit, daß er einen Ruf nach Köln angenommen habe. Die Entlassung durch den niedersächsischen Minister Grimme datiert vom II. Juli 1948. Gleichwohl hat Koch im Sommersemester schon nicht mehr in Göttingen gelesen. Als einen der Gründe für den Weggang führte er den Mangel
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an der füir ihn einschlägigen wissenschaftlichen Literatur ins Feld. Er beklagte einmal, daß ein von ihm in Aussicht genommenes Dissertationsvorhaben scheiterte, weil keines der unerläßlichen Quellenwerke in der Göttinger Universitätsbibliothek vorhanden gewesen sei. Schon von Anfang an hatte er Bischof Machens um Hilfe bei der Anschaffung wissenschaftlicher Literatur gebeten. Er bezog sich aber auch auf die schlechten Wohnungsverhältnisse in Göttingen. Wie immer es mit all solchen Mißlichkeiten in Göttingen tatsächlich gestanden haben mag — „klimatisch" bedingt war sein Unmut offensichtlich nicht. An der Universität war er gut „angekommen". Der Historiker Hermann Heimpel hat später einmal bemerkt: „Wir mußten ihn ziehen lassen." Nicht zuletzt scheint es der konzentrierte Kölner Druck auf den Rheinländer Koch gewesen zu sein, dem dieser nur schwer widerstehen konnte, und sicher boten die speziell von Koch entwickelten mediävistischen Forschungsperspektiven am Standort Köln bessere Aussichten als der Versuch einer Einwurzelung in Göttingen. Wichtig für die Akzeptierung des Philosophen Koch in Köln war, daß er nun nicht mehr aus einer theologischen, sondern aus einer philosophischen Fakultät in die Kölner Fakultät kam. Seine Position in Köln — und damit auch die des geplanten Instituts — hatte sich durch das Intermezzo in Göttingen jedenfalls sehr gestärkt. Es belegt im übrigen, ja demonstriert geradezu die Bedeutung, die das „katholische" Element in jenen Jahren allgemein besaß. In einer etwas anderen Richtung als bei dem um wissenschaftliche Quelleneditionen bemühten Mediävisten akzentuiert, findet es sich bei dem vor allem auch künstlerisch und literarisch engagierten Grosche und kennzeichnet damit das weitere Umfeld auch des neugeplanten Mittelalter-Instituts. Doch damit nun wieder zurück zur Kölner Universität. Die Hektik, die sich hier im März 1947 der Berufungssache Koch bemächtigte, blieb zunächst, wie schon notiert wurde, irgendwie stecken. Was war geschehen? Am 22. März legte Grosche dem Kuratoriumsvorsitzenden Oberbürgermeister Pünder eine Denkschrift vor, die neben einem Rückblick auf die Diskussion der letzten Monate noch einmal dartat, um was es ging 43 : Zugleich mit der Berufung von Koch auf den in Aussicht genommenen Lehrstuhl für scholastische Philosophie sei ein Institut für mittelalterliche Philosophie zu beschließen, das wesentlich der Forschung dienen solle. Die Universität Köln könne die von Koch geleitete Eckhart-Ausgabe übernehmen, deren bisheriger Träger (die Deutsche Forschungsgemeinschaft) nicht mehr vorhanden sei, und im Anschluß daran weitere Editionen. Das Institut müsse zu enger Zusammenarbeit im besonderen mit den führenden ausländischen Scholastikforschern kommen. Diese sachlichen Aspekte hätten entscheidend zu sein, nicht die Besetzung der Professur mit einem Katholiken. Grosche trägt damit dem Widerstand Rechnung, der sich inzwischen im Kuratorium hemmend gegen die Gründung des Lehrstuhls wie des Instituts geltend 43
UAK 332/3, fol. 380.
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machte und die der zum Kuratorium gehörende sozialdemokratische Kölner Bürgermeister Görünger am 24. März 1947 in einem Schreiben an Oberbürgermeister Pünder kritisch zu Worte brachte 44 : Es „schwebten Verhandlungen mit dem Ziele, an der Kölner Universität" in der „Philosophischen Fakultät einen neuen Lehrstuhl für katholische (scholastische) Philosophie zu errichten. ... Er soll besetzt werden mit dem Professor der Theologie Josef Koch. ... Prof. Koch ist für Theologie und nicht für Philosophie habilitiert. Er las in Breslau katholische Apologetik, also ein rein theologisches Fachgebiet". Und Görünger fährt fort: „Die Besetzung eines philosophischen Lehrstuhls mit einem Professor der Theologie würde für Köln etwas Neues bedeuten. Es ist darüber hinaus im gesamten Reichsgebiet nicht üblich, an einer Universität ohne katholisch-theologische Fakultät einen Lehrstuhl der Philosophie mit einem katholischen Theologen zu besetzen. Diese Praxis hat ihren guten Grund; denn sie vermeidet die Gefahr einer Konfessionalisierung des philosophischen Fachgebietes. Ich muß mich daher gegen die Schaffung eines Lehrstuhles für katholische Philosophie aussprechen und bitte dringend, einen solchen Plan nicht auszuführen." Wenn es gleichwohl zur Gründung komme, bestehe er darauf, „dass auch ein Lehrstuhl für sozialistische Geisteswissenschaft geschaffen wird". Warum Pünders Antwort bis zum 22. April auf sich warten ließ, ist mit Hinblick auf den zu befürchtenden Göttinger Ruf an Koch nur schwer zu erklären. Pünder erinnert den Mitkurator in seinem Antwortschreiben daran, daß vom Kuratorium auf der Sitzung am 30. Juli letzten Jahres, an der allerdings damals anstelle Görlingers sein Kollege Braubach teilgenommen habe, der Einrichtung des Lehrstuhls für „Mittelalterliche Philosophie" grundsätzlich zugestimmt worden sei, „ohne sich allerdings schon auf eine bestimmte Person festzulegen". Die Besetzung werde auf dem ordnungsgemäßen Wege in Form eines Dreiervorschlags der Fakultät über das Kuratorium erfolgen. Die bisherigen Vorverhandlungen mit Koch dienten allein dem Ziel zu erfahren, ob er den Ruf annehmen werde. Und Pünder schließt: „Einem Antrag auf Errichtung eines Lehrstuhles für sozialistische Geisteswissenschaft steht nichts im Wege." Er verteidigt sich hier offenkundig. Hatte Görünger ihm vieüeicht Unregelmäßigkeiten im Besetzungsverfahren vorgehalten, worauf Pünder nun antwortet, man werde ordnungsgemäß vorgehen, einen „Dreiervorschlag" machen, den die Fakultät dann mit ihrem Votum weiterleiten werde. Dem entsprach der Unicoloco-Vorschlag „Koch" nun gerade nicht. Mögücherweise zogen es die Befürworter des Antrags „Koch" unter solchen Umständen vor, ihn noch kurzfristig auf sich beruhen zu lassen. Grosche zufolge war die neuerüche dilatorische Behandlung der Sache die unmittelbare Ursache dafür, daß Koch den Ruf nach Göttingen annahm. So in dem schon angeführten Schreiben an Pünder vom 6. Mai, in dem er sich beklagt, daß ihn der Vorschlag der Fakultät vom 31. März erst am 2. Mai erreicht habe. 44
UAK 332/3, fol. 385.
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„In der Zwischenzeit hat Herr Prof. Koch, der - wie ich sicher weiß - lieber nach Köln als nach Göttingen gegangen wäre und von Tag zu Tag auf den Kölner Ruf wartete, dem Drängen von Göttingen nachgegeben. Durch diese erwähnte Verzögerung ist uns also eine wertvolle Kraft verloren gegangen und überdies zunächst unser ganzer Plan der Begründung eines Instituts für mittelalterliche Philosophie vereitelt." Der Schuldige an diesem „folgenschweren Versäumnis" müsse dringend ermittelt werden. — Alles deutet darauf hin, daß im Kuratorium doch ein breiterer Widerstand anzunehmen ist. Auf der Kuratoriumssitzung am 24. Juni 1947 kam es dann zum neuen Schlagabtausch. Wie es im Sitzungsprotokoll heißt 45 , „brachte Bürgermeister Görlinger seine Bedenken gegen die Einstellung der Universität zum Ausdruck, die vor den Notwendigkeiten unseres heutigen Lebens die Augen verschließe: Die Stadt Köln, deren Geldbeutel leer sei, könne sich keinen Lehrstuhl für die Mittelalterliche Philosophie leisten, sondern müsse den Erfordernissen unserer Notzeit entsprechend mehr tun, um die Jugend mit den Aufgaben, die ihr in Zukunft erwachsen würden, vertraut zu machen. Dazu gehöre die von ihm bereits vorgeschlagene Einrichtung eines Lehrstuhls für Sozialistische Geisteswissenschaften". Rektor Kroll wandte sich daraufhin gegen den Vorwurf der „Lebensfremdheit", demonstrierte dies freilich nicht am Beispiel der Mittelalterlichen Philosophie, sondern am neuen Lehrstuhl für Politische Wissenschaft. Anders Grosche, der - laut Protokoll — „unter Berufung auf die französischen Vertreter der Scholastischen Wissenschaft Gilson und Maritain die große Bedeutung dieser Richtung der Philosophie für unsere Zeit" erläuterte. Gemeinsam mit Christine Teusch stellte er sodann den Antrag, „namens des Kuratoriums beim Ministerium zu beantragen, unter Hinweis auf das große Interesse einer Besetzung dieses Lehrstuhls, die Berufung von Prof. Koch zu beschleunigen". Dieser Antrag wurde sodann auch genehmigt. Dementsprechend teilte der Oberbürgermeister schon am übernächsten Tage Kultusminister Konen 46 mit, dieser Kuratoriumsbeschluß sei „einstimmig" erfolgt. Er bittet um möglichst rasche Erledigung, da nach seinen Informationen Aussicht bestehe, Koch bereits für das kommende Wintersemester für Köln gewinnen zu können, obwohl er schon nach Göttingen abgereist sei. Abschriften des Schreibens gingen an Grosche und Frau Teusch, die also die aktiven Antragsteller waren. Der Kultusminister wandte sich vor allem aber umgehend an Koch, dem er die besonders lebhafte Unterstützung durch den Oberbürgermeister avisierte 47 . Dementsprechend schrieb Koch am 14. August an Pünder und stellte ihm seine Rückkehr in Aussicht, wenn man ihm eine „behagliche Wohnung" in Köln beschaffe. Die weitere, sich bis gegen Jahresende 1947 hinziehende Korrespondenz ist zunächst schwergewichtig von eben der Wohnungsfrage bestimmt (die 45 46 47
UAK 261/278. UAK 332/3, fol. 149. Dieses Schriftstück sowie die folgenden wieder in UAK 357/1 im Nachlaß Koch.
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wegen der Kriegszerstörungen in der Tat von existentieller Natur sein konnte). Grundsätzliches zum Fach, zum Lehrstuhl, zum vorgesehenen Institut kommt nicht mehr zur Sprache. Der Wechsel nach Köln scheint für Koch von vorneherein festgestanden zu haben. Man möchte wünschen, er hätte die Göttinger früher unterrichtet, als es geschah. Wahrscheinlich aus Nachlässigkeit hatte sich die Düsseldorfer Bürokratie indessen monatelang nicht mehr gemeldet. Ob alle an der Sache Beteiligten immer ganz offen agiert haben, stehe dahin, ist aber wohl auch nicht so wichtig. Die Ernennung zum Kölner Ordinarius erfolgte am 24. Mai 1948; doch nahm Koch die Vorlesungen schon zum Semesterbeginn Anfang Mai auf. Die Lehrveranstaltungen, die er für dieses Semester noch von Göttingen aus nach Köln durchgab, mischten zunächst Gängiges und Exquisites: eine Vorlesung „Geschichte der Philosophie des Mittelalters", Übungen über „Thomas, De ente et essentia" und eine religionsphilosophische Arbeitsgemeinschaft „Pascal, Pensées". Als er erfuhr, daß sich dies teilweise mit dem deckte, was der umstrittene außerplanmäßige Philosophieprofessor Johannes Hessen 48 für dasselbe Semester angekündigt hatte, änderte er auf Anraten des Dekans, des Romanisten Schalk, seine Ankündigung kurzfristig um und bot nun, um Kollisionen zu vermeiden, eine Hauptvorlesung „Logik und Erkenntnistheorie", ein Seminar über Eckharts Sentenzenkommentar und eine „Einführung in die scholastische Philosophie" für Hörer aller Fakultäten an. Im gedruckten Vorlesungsverzeichnis ist die letztgenannte „Einführung" dann aber wieder durch eine „Religionsgeschichtliche Arbeitsgemeinschaft. Lektüre von Bl. Pascal, Pensées. Auswahl von W Kellermann, 1947" ersetzt, obwohl auch Hessen eine Vorlesung „Religionsphilosophie" angekündigt hatte49. Im folgenden Wintersemester 1948/49 setzte er die, offensichtlich erfolgreiche, Pascal-Arbeitsgemeinschaft ebenso fort wie auch die Eckhart-Ubung und bot neben einer dreistündigen Hauptvorlesung „Allgemeine Seinslehre" ein Publikum „Augustinus" an 50 . Sicher nicht unbedacht auch der Schwerpunkt „Religionsphilosophie", wie er ihn sich bereits in Göttingen gewünscht hatte. Noch ehe Koch in Köln ernannt war, vertraute Rektor Kroll ihm die akademische Festrede zum Universitätsgründungstag am 26. Mai 1948 an. Koch wählte als Thema: „Piatonismus im Mittelalter"51. Er markierte damit einen aktuellen Trend in der mittelalterlichen Philosophiegeschichte, von dem schon die Rede war und den er als programmatisch für die künftige Kölner Forschungstätigkeit verstanden wissen wollte. 48
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Chr. Weber, Der Religionsphilosoph Johannes Hessen (1889-1971). Ein Gelehrtenleben zwischen Modernismus und Linkskatholizismus (Beiträge zur Kirchen- und Kulturgeschichte I), Frankfurt etc. 1994. Verzeichnis der akademischen Behörden usw. und der Vorlesungen und Übungen der Universität zu Köln im Sommersemester 1948, 46 sq. Verzeichnis der akademischen Behörden usw. im Wintersemester 1948/49, 54 sq. - Hessen sah sich als kompetenten Augustinisten an. Gedruckt als: Kölner Universitätsreden 4, Krefeld o. J.
Das Thomas-Institut. Vor- und Gründungsgeschichte
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Zügigkeit nun allenthalben. Schon am 26. April beantragte die Fakultät 10.000 Mark zur Anschaffung von Büchern im „neu zu errichtenden Institut für Mittelalterliche Philosophie" 52 . Dekan Schalk prognostizierte bei dem Antrag, auf diese Weise die entsprechenden Lücken in der Literatur zur mittelalterlichen Philosophie und Geistesgeschichte zu füllen, die neue Bibliothek „könnte" darüber hinaus „für das Studium des Mittelalters überhaupt von besonderer Bedeutung werden". Schon am 31. Mai folgte die Beantragung einer „Beihilfe zu wissenschaftlicher Arbeit im Rahmen des Philosophischen Seminars" in Höhe von 6.000 Mark „für die Edidon der Werke Meister Eckharts und des Nikolaus von Kues", die Koch durch das Kultusministerium für das Etatjahr 1948 umgehend bewilligt wurde. In Aussicht stand derselbe Betrag für 1949. Am 1. April 1950 gewährte der amerikanische Hohe Kommissar für Deutschland dann dem Philosophischen Seminar eine Beihilfe in Höhe von 118.550 Mark aus den zur Förderung des Erziehungsprogrammes in Deutschland zur Verfügung stehenden Mitteln, vorläufig für ein Jahr. Sie war für die Aufbauarbeit des in Entwicklung begriffenen neuen Instituts bestimmt. Koch war seit längerem mit dem leitenden Beamten der Educational and Cultural Relation Division, Prof. John O. Riedl, befreundet, durch dessen Vermittlung die hier bewilligten Mittel, sodann weitere bis zum Jahre 1952 zum Ausbau des Instituts bestimmt wurden. Insbesondere zu fördern hatte man auf Wunsch des Spenders „die naturwissenschaftliche Methode und die Philosophie der Naturwissenschaft, Sozialtheorie und die historische Erforschung westeuropäischer Schriften". Ohne Zweifel wird man dahinter kaum jene Zielsetzungen vermuten, derentwegen sich der Gründer und seine Freunde engagiert hatten und wie sie dann auch, nicht zuletzt dank dieser materiellen Grundlage, erfolgreich realisiert werden konnten. Jedenfalls sah man nun auch die materiellen Voraussetzungen als erfüllt an, die es rechtfertigten, die bisher so genannte „Forschungsstelle für besondere philosophische Aufgaben" des Philosophischen Seminars am 10. Oktober 1950 durch den Kultusminister als selbständiges „Thomas-Institut an der Universität (zu) Köln" genehmigen zu lassen. Die vom gleichen Tage datierende Satzung präzisierte dann: „Das Thomas-Institut an der Universität Köln ist ein Forschungsinstitut, das sich der Untersuchung der mittelalterlichen Philosophie in dem Bestreben widmet, die dabei gewonnenen Erkenntnisse für die Probleme unserer Zeit nutzbar zu machen. In Erfüllung dieser Aufgabe sollen durch das Institut kritische Ausgaben von Texten vorbereitet, historische und systematische Untersuchungen, die mit dem Aufgabenbereich des Instituts in Zusammenhang stehen, gefördert, besonders qualifizierte Lehrkräfte zu Kursen und Vorträgen herangezogen werden." Als „Direktor" fungiert der Satzung gemäß der jeweilige „Inhaber des Lehrstuhls für Mittelalterliche Philosophie an der Universität zu Köln". Neben einem „Förderverein" sah die Satzung als Aufsichtsorgan 52
Dies und die nachfolgenden Mitteilungen wieder nach U A K 9/597.
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einen „Verwaltungsrat" vor, dem der Oberbürgermeister, der Rektor, der Verwaltungsdirektor der Universität, der Dekan der Philosophischen Fakultät, der Direktor des Thomas-Instituts und zwei Vertreter des Fördervereins angehören sollten. Mit der Beendigung der amerikanischen Zuschüsse trat 1952 das Land Nordrhein-Westfalen in die volle Trägerschaft des Instituts ein. Kochs Versuch, das von Bernhard Geyer geleitete Albertus-Magnus-Institut enger an die Kölner Neugründung zu binden, mißlang. Auf ein entsprechendes Ansinnen und eine Gesprächsbitte Kochs reagiert Geyer am 31. August 1949 recht barsch, einer solchen Besprechung bedürfe es nicht, da er Kochs „Vorschlag für indiskutabel" halte ... „Zudem ist das neue Institut und der dieses tragende Verein ein so fragwürdiges Gebilde, daß ich die größten Bedenken tragen würde, mein Schicksal mit ihm zu verkoppeln." 53 Vom 11. bis zum 13. Oktober 1950 fand dann die erste Kölner Mediaevistentagung statt. In der Einladung hierzu betonte Koch, daß es sich nicht so sehr um besondere Problemkreise handeln solle, die hier zur Sprache kämen, sondern daß ein Bild von der Vielgestaltigkeit der Forschung erlangt werden müsse. „Die Referate können sich also beziehen auf literargeschichtliche und quellenkritische, philosophische und theologische Probleme, auf Fragen, welche religiöse (insbesondere mystische) und sektiererische Bewegungen oder den Zusammenhang von Scholastik mit Literatur, Kunst und Politik betreffen." Das Institut war nunmehr fest etabliert, nachdem die Vor- und Gründungsgeschichte nicht ohne Turbulenzen verlaufen war.
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UAK 357/1.
50 Jahre Thomas-Institut: Erinnerung an die Anfänge WOLFGANG K L U X E N
(Bonn)
Das Thomas-Institut der Universität zu Köln ist heute eine führende Einrichtung zur Erforschung der Geschichte der mittelalterlichen Philosophie, von internationalem Rang und in Deutschland sicher an die erste Stelle zu setzen. Wenn es im Jahre 2000 fünfzig Jahre besteht, so ist das sicher ein Anlaß zu feiern, aber auch zu einem historischen Rückblick auf den Anfang und auf die Vorgeschichte. Dazu muß man die Akten befragen, wenn man verläßliche Auskunft haben will. Aber man weiß ja, nicht alles ist „aktenkundig", und manches nicht Unwichtige, Persönliches und Atmosphärisches vor allem, mag die persönliche Erinnerung beitragen. Selbstverständlich ist solche Erinnerung lückenhaft, sie ist nicht irrtumsfrei, und sie geschieht in einer subjektiven Perspektive. Unter solchem Vorbehalt gebe ich hier einen Bericht, der gewiß aus Dokumenten und anderen Zeugnissen ergänzt und korrigiert werden kann, aber ich will ganz aus meiner Erinnerung und auch meiner eigenen, naturgemäß begrenzten Sicht der Anfänge des Instituts sprechen.
Der G r ü n d e r : J o s e f Koch Zuerst muß hier vom Gründer des Thomas-Instituts die Rede sein: Josef Koch, der 1948 nach Köln berufen wurde. Das hat eine Vorgeschichte. Sie beginnt früh in der Nachkriegszeit, die nicht nur durch zertrümmerte Städte, Hunger und Not gekennzeichnet war — das weiß man heute noch — sondern auch durch eine geistige Bewegung des Umdenkens, der Neubesinnung und der Rückbesinnung auf die großen abendländischen Traditionen, von denen man heute wenig mehr weiß oder wissen will (oder die man gar als „restaurativ" verleumdet). Bei führenden Kölner Persönlichkeiten entstand so der Wunsch, den sich die damalige Kultusministerin von Nordrhein-Westfalen, Christine Teusch, zu eigen machte, in Köln einen eigenen Lehrstuhl für scholastische Philosophie einzurichten. Diese Richtung war zuvor durch Arthur Schneider vertreten, der von Freiburg nach Köln gekommen, aber gegen Kriegsende verstorben war. Vielleicht stand bei dessen Berufung noch der Gedanke einer „Weltanschauungsprofessur" im Hintergrund, wie ihn der preußische Kulturminister Becker favorisiert hatte. Aber Frau Teusch und ihre Berater wollten jetzt für den neuen Lehrstuhl einen ausgewiesenen Mittelalterforscher gewinnen, der nicht nur eine
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Richtung vertreten, sondern als Forscher in diesem Bereich tätig sein sollte. Eine theologische Fakultät, wo traditionell scholastisches Denken gepflegt wurde, gab es in Köln ja nicht, und die scholastische Forschung sollte nicht fehlen in einer Stadt, in der Albertus Magnus gewirkt, Thomas von Aquin gelernt, Duns Scotus gelehrt und Meister Eckhart gepredigt hatte. Auch andernorts dachte man an Koch, der aus Breslau vertrieben worden war und als Gast in Bonn lehrte, wo ich ihn 1946 kennenlernte und an seinem Cusanus-Seminar teilnahm. So erreichte ihn ein Ruf nach Göttingen, und als man in Düsseldorf sich zögerlich verhielt, nahm er ihn 1947 an. Erst im Jahr darauf kam er dann nach Köln und übernahm den neuen Lehrstuhl, zugleich mit dem Auftrag, ein Institut für scholastische oder mittelalterliche Philosophie zu gründen. Für eine solche Gründung brachte Koch ein beträchtliches wissenschaftliches Kapital mit, nämlich seine maßgebliche Beteiligung an bedeutenden Editionsvorhaben, die der Krieg unterbrochen hatte und die nun wieder aufzunehmen, zum Teil nach gravierenden Verlusten wieder aufzubauen waren. Koch war leitender Herausgeber der Lateinischen Werke Meister Eckharts, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurden. Er war entscheidend beteiligt an den Cusanus-Arbeiten und der Cusanus-Edition der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, deren Mitglied er war (er war auch Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften). Für solche und ähnliche Unternehmen, aber auch für individuelle Arbeiten sollte das Institut sich öffnen, also in erster Linie eine Dienstleistungseinrichtung sein, mit spezialisierter Bibliothek und geeigneter Dokumentation - beispielsweise von Handschriftenfotos und -filmen oder auch Bibliographien —, das Forschungen betreute, aber nicht notwendig deren Träger war. Was Koch dann an finanziellen Mitteln für das Institut erhielt, ist mir nicht erinnerlich. Aber sie müssen, gemessen an heutigen Vorstellungen, unvorstellbar bescheiden, um nicht zu sagen dürftig gewesen sein, und auch für damalige Verhältnisse keineswegs ausreichend. Jedenfalls bekam Koch als Personal einen „Amanuensis", was heute eine halbe studentische Hilfskraft wäre, damals honoriert mit DM 50,— monatlich; und das war's dann. Dieser führte die Inventarlisten, wo Bücher, Möbel und Apparate eingetragen wurden (und die Portokasse: so etwas gab es damals). Nach Auskunft des Inventarverzeichnisses erschöpfte sich die apparative Ausstattung in einer gebrauchten Reiseschreibmaschine, die ein Aufklebezettel als Eigentum des „Instituts für scholastische Philosophie" kennzeichnete; so fand ich es Ende 1949 vor, als ich Kochs „Amanuensis" war. Für die Bücher gab es schon einen Stempel des Instituts. Untergebracht waren sie auf einigen Regalbrettern in Kochs Direktorzimmer im Philosophischen Seminar, wo auch ich meinen Platz hatte, selbstverständlich nur bei Abwesenheit des Chefs zu benutzen. Die wenigen Bücher waren übrigens nicht uninteressant. Die Hauptmasse stammte aus dem Nachlaß von Arthur Schneider und enthielt als voluminöses Prunkstück die 12 Foliobände der Thomas-Ausgabe des Kölner
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Theologen Cosmas Morelles, die 1612 in Antwerpen gedruckt worden ist; dafür waren DM 200,— bezahlt worden. Auffallend war mir ein in rotes Saffianleder gebundenes, mit Goldaufdruck versehenes Exemplar einer Dissertation, die dem hochverehrten Lehrer Arthur Schneider handschriftlich gewidmet war, von ihrem Verfasser Martin Heidegger! Selbstverständlich wurden Neuerscheinungen gekauft, über die jedesmal Koch selbst entschied, und trotz der geringen Zahl ließ sich absehen, daß in Zukunft mehr Raum, für Bücher und Buchbenutzer, allgemein für Forscher und Dokumentation beschafft werden müßte. Natürlich konnte ein Institut auf Dauer nicht mit nur einem Amanuensis auskommen. Zwar war man in der Philosophie nicht verwöhnt; am Seminar gab es nur einen Assistenten (jedoch die Stelle wurde zur Alimentation eines Privatdozenten eingesetzt) und mehrere studentische Hilfskräfte, aber keine Bibliothekarin und schon gar nicht eine Sekretärin oder eine Schreibkraft. Professoren der Philosophie schrieben ihre Briefe und Anträge selbst, notfalls mit der Hand; freilich, bei größeren Manuskripten nahmen sie schon Hilfe in Anspruch, doch meist private. Das Institut sollte hier Erleichterungen schaffen, und wenn man an die technischen Möglichkeiten denkt, die sich schon damals abzeichneten — hier wäre vor allem an die Photographie und ihre Dokumentationsmöglichkeiten beim Umgang mit Handschriften zu denken - , so konnte man sich ausrechnen, was auch personell nötig war, damit das Institut die ihm zugewiesenen Aufgaben erfüllen konnte. Doch der Haushalt der Universität, wie ihn der Landtag zuwies, sah keinesfalls so aus, als könne man aus ihm den finanziellen Anschub erwarten, der für das Institut nötig war. Koch mußte sich nach dem umsehen, was man heute „Drittmittel" nennt. Das tat er mit bedeutendem Erfolg und mit Hilfe eines alten Freundes, John O. Riedl, über dessen wichtige Rolle einiges gesagt werden muß. Die entscheidende Förderung kam nämlich von der amerikanischen Besatzungsmacht, deren oberste Behörde sich damals schon „American High Commission of Germany" nannte, und Riedl hat durch Rat und Tat die wichtige Rolle des Vermittlers wahrgenommen.
A m e r i k a n i s c h e F ö r d e r u n g und ihr V e r m i t t l e r : J o h n O. R i e d l Es gab für die junge Bundesrepublik nicht nur Wirtschaftshilfe, es gab auch amerikanische Hilfe für den geistigen Aufbau, und nicht nur im Sinne der ominösen „re-education". Auch ging es nicht nur um Verbreitung amerikanischer Vorstellungen, sondern eine Anzahl deutscher Gründungen wurden ebenso gefördert, von denen man Beiträge für die gesellschaftliche Orientierung erwartete. Darunter konnte ebenso gut ein Institut für Hauswirtschaft fallen wie eines für philosophische Forschung, auch ein solches mit historischer Ausrichtung, vorausgesetzt, daß es diese mit der allgemeingesellschaftlichen Zielsetzung vermittelte. Dabei beschränkten sich die Amerikaner nicht streng auf ihre Besät-
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zungszone; auch ein Kölner Institut hatte Chancen, wenn es sich entsprechend darbieten konnte. Aber wie konnte es sich darbieten? Damals waren deutsche Professoren noch nicht versierte Antragsteller, und die Mentalität einer amerikanischen Administration war ziemlich unbekannt. Es bedurfte unbedingt eines Fürsprechers, der die wissenschaftliche Bedeutung der zu fördernden Institution und ihrer Arbeit aus eigener Kompetenz verstand und bei der Hohen Behörde das Interesse wecken, die Förderung vertreten und mit persönlichem Gewicht zum Tragen bringen konnte. Das war John O. Riedl. Riedl war Professor der Philosophie an der Marquette University in Milwaukee, selbst auch ein Mittelalterforscher mit besonderem Interesse an den lateinischen Übersetzungen des Maimonides. In den dreißiger Jahren hatte er auf Reisen in Europa Material dazu gesammelt, insbesondere Josef Koch in Breslau besucht und sich mehrere Monate bei ihm aufgehalten. Eine Frucht der Zusammenarbeit war eine erstaunliche Publikation: Die „Errores philosophorum" des Aegidius Romanus, kritisch ediert und eingeleitet von Josef Koch, übersetzt von John O. Riedl, erschienen mitten im Krieg 1944 in Milwaukee. Aus dem Vorwort erfahren wir, daß Koch noch 1941 (!) die letzten Teile des Manuskripts in die USA senden konnte. Wir lesen auch bewegende Worte der Freundschaft und der Sorge um den Freund, die ja höchst begründet war. Es verwundert nicht, daß Riedl nach dem Krieg die Verbindung mit Koch wieder aufnahm, nun als Mitglied der amerikanischen Militärregierung für Deutschland, ca. 1946 — 48 in Berlin, später als „Chief" der „Education Branch" der „American High Commission of Germany" in Frankfurt. Nun konnte er etwas tun, um Koch wieder ein Leben unter „seinen" Büchern — die seinen waren freilich in Breslau geblieben — und für seine Studien zu ermöglichen, wie das im erwähnten Vorwort von 1944 gesagt war. Entscheidend war, daß Koch 1950 für sein Institut einen „grant" bekam, der diesem zuerst für zwei Jahre — später wurden dann noch zwei weitere Förderungsjähre mit etwas weniger Mitteln bewilligt — eine solide Grundlage gab. Immerhin stand eine sechsstellige Summe zur Verfügung, damals für ein geisteswissenschaftliches Institut ein unerhörter Betrag. Es waren Stellen für einen stellvertretenden Direktor vorgesehen, für einen Assistenten, eine Bibliothekarin und eine Sekretärin. Sachmittel gab es unter anderem für Bücheranschaffungen — im ersten Jahr gleich DM 20.000,— —, aber auch für eine fotografische Ausstattung samt Dunkelkammer; schließlich Mittel für Reisen, auch für Reise- oder Forschungsstipendien und endlich für Tagungen. Selbstverständlich mußte die Universität, der am Ende der erhebliche Zuschuß zugute kam, nun auch etwas beitragen: die Räume, deren Ausstattung und die laufenden Kosten, aber auch die Zusage, daß die Einrichtung bei Auslaufen der „grants" in den normalen Haushalt übernommen und in angemessener Weise weitergeführt werden würde. Es muß da Verhandlungen gegeben haben, über deren näheren Inhalt man die Akten befragen muß. Als studentischer Helfer erfuhr man erst die Resultate, sofern sie sich konkret auswirkten, aber das taten sie ganz erheblich.
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A n f ä n g e des T h o m a s - I n s t i t u t s Zum Winter 1949 war ich von Bonn nach Köln gekommen, um bei Koch zu promovieren. Sogleich wurde ich als Handschriftenkundiger für die Kollationierung von Cusanus' „De coniecturis" eingesetzt, natürlich nachdem sich Koch in einer höchst unangenehmen Prüfung von meinen Kenntnissen überzeugt hatte. Dafür erhielt ich sogar ein Honorar der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, und zum Jahresende war ich sein Amanuensis mit doppeltem Gehalt, da Heidelberg weitere Arbeit verlangte und ebenfalls mit monatlichen DM 50,— honorierte. Doch das dauerte nicht lange: Zum 1. April 1950, damals dem Beginn des Haushaltsjahres, änderte sich alles auf der neuen Grundlage, die der amerikanische „grant" gegeben hatte. Zunächst gab es neue Räume, und zwar in einer früheren Sechs-ZimmerWohnung auf der dritten Etage eines für universitäre Institute umfunktionierten Mietshauses, die wir uns zuerst mit den Meteorologen teilen mußten. Es gab drei Räume, den größeren für die Bibliothek, wo auch die Bibliothekarin arbeitete, zwei weitere für Direktor und Assistent, zeitgemäß bescheiden eingerichtet. Erst nach Auszug der Meteorologen kam ein vierter Raum hinzu, so daß Benutzer ungestört arbeiten und Übungen gehalten werden konnten. Die restlichen beiden Räume der Wohnung mußten das Husserl-Archiv aufnehmen. Sie konnten erst sehr viel später dem Thomas-Institut eingeordnet werden, das sich erst nach Jahrzehnten auf die ganze Etage ausdehnte. Aber es ist am gleichen Ort geblieben, und die Adresse steht seit 50 Jahren fest: Universitätsstraße 22. Koch hat nie den Schreibtisch des Direktors benutzt, er arbeitete stets zu Hause. Allerdings wohnte er im gleichen Häuserblock, sozusagen in Sichtkontakt zu seinem Institut. Das Zimmer überließ er seinem Stellvertreter Bernhard Lakebrink, später Ordinarius der Philosophie in Freiburg, damals noch Studienrat in Köln und beurlaubt — das Institut bestellte für die Schule einen Vertreter —, um seine Habilitationsschrift fertigzustellen. Das war seine Hauptaufgabe, und er hat sie eingelöst mit dem Buch „Hegels dialektische Ontologie und die thomistische Analektik" (1955). Für das Institut hatte er vor allem die monatlichen Berichte abzufassen, die von den Amerikanern verlangt wurden. Als Assistent war Bruno Decker angestellt, später Ordinarius der Theologie in Mainz und bereits 1961 verstorben. Er kam aus Berlin, von wo aus er noch in Breslau bei Koch promoviert hatte, mit einer bedeutenden Arbeit zur mittelalterlichen Prophetielehre. Ihm als einem „echten" Mediävisten wurde die Sorge um die fotografische Dokumentation der zu erforschenden Handschriften anvertraut, für die er viel reisen mußte. Seine gelehrte Kompetenz kann man an seiner kritischen Edition von Thomas' „Expositio super librum Boethii de trinitate" (1954) absehen. Auch er war nicht ständig im Institut, so daß das Assistentenzimmer mein Reich wurde, von dem aus ich vor allem die Bücheranschaffungen, aber auch die organisatorischen Aufgaben vornahm, die bei Veranstaltungen anfielen. Dabei schrieb ich meine Dissertation zu den lateinischen Übersetzungen des Maimonides, für die ich auf Wunsch von John O. Riedl dessen Material-
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Sammlungen verwertete; ohne diese Vorarbeiten hätte ich bei den damaligen Zeitverhältnissen diese Arbeit, deren literargeschichtüche Ergebnisse 1954 veröffentlicht wurden, gar nicht schreiben können. Als Curiosum will ich noch vermerken, daß ich, damals noch Student, als „Sekretär" eingestellt wurde; auf dem amerikanischen Stellenplan war dies das kleinste Gehalt (immerhin mit DM200,— das Doppelte vom Salär einer wissenschaftlichen Hilfskraft), und Koch kam nicht auf den Gedanken, daß mit „secretary" eine Sekretärin oder eine Schreibkraft gemeint sein könnte! Koch hatte an weitere Mitarbeiter gedacht, so an seinen letzten Breslauer Schüler Friedrich Hoffmann, der jedoch in Erfurt verbleiben wollte, wo er dann Ordinarius wurde. Auch gab es zeitlich begrenzte Aufträge, aber der ständige Stamm bestand aus Lakebrink, Decker und mir. Wir blieben auch dazugerechnet, als Decker für eine Zeit nach Rom, ich für anderthalb Jahre nach Löwen ging. Mit uns fanden die ersten Besprechungen statt, u. a. über das Konzept der Bibliothek. Natürlich blieb der Schwerpunkt die Mittelalterforschung, aber der amerikanischen Forderung nach Aktualität glaubte Koch entsprechen zu müssen, indem er die Naturphilosophie in den Plan aufnahm, ließ sich dann aber überzeugen, daß die Sozialphilosophie in weitem Sinne mitberücksichtigt werden müsse. In letzterer Hinsicht waren wir aktueller als die meisten Philosophischen Seminare; wer kannte damals bei uns schon Poppers „Open Society"? Ich ließ mich natürlich beraten, z. B. durch Michael B. Foster aus Oxford, der Gastprofessor für Politische Wissenschaft in Köln war, und es gab Kontakte mit den Kölner Sozialwissenschaftlern. Aber das war lediglich ein Nebenthema. Wichtig war nur, daß unser Institut sich nicht nur als rein historisch gerichtet verstand, sondern allgemein, wie es später im Briefkopf hieß, als „Forschungsinstitut für besondere philosophische Aufgaben". Daß Koch selbst systematisch-philosophische Arbeit hoch schätzte, hatte schon die Einstellung von Bernhard Lakebrink deutlich gemacht, der überhaupt kein Historiker war. Selbstverständlich blieb die historische Arbeit im Zentrum, und Koch faßte den Entschluß, sie interdisziplinär auszuweiten, nämlich durch die Mediaevistentagungen. Dazu brauchte man jedoch einen Namen, und der geeignetste wäre, zumal in Köln, derjenige des Albertus Magnus gewesen. Doch dieser Name war bereits durch das von der Erzdiözese Köln in Bonn eingerichtete AlbertusMagnus-Institut besetzt, das unter Leitung von Bernhard Geyer die kritische Edidon der Werke des Albertus betrieb. Koch hat eine Zeit lang den Gedanken erwogen, sein eigenes Institut mit diesem zu vereinigen, auch schon mit dem Erzbischof Kardinal Frings darüber gesprochen. Aber das scheiterte am Widerspruch Geyers, der darin so etwas wie eine „feindliche Übernahme" sah, die er privat sarkastisch kommentierte. Da beide starke, ja kantige Persönlichkeiten waren, wäre eine gemeinsame Leitung nicht möglich gewesen, obwohl sie sich wissenschaftlich gegenseitig unvermindert hoch schätzten. Das letztere kann ich anekdotisch illustrieren: Als ich 1949 Geyer, bei dem ich Methode gelernt hatte, meine Absicht mitteilte, zur philosophischen Promotion zu Koch zu gehen, warnte er mich vorsichtig, Koch sei ein allzu scharfer Kritiker, jedenfalls schärfer
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als er. Bei Koch dagegen war ich sofort als Schüler von Geyer willkommen, der ja ein schärferer Kritiker sei als er! In Wahrheit habe ich von beiden nie Schärfe, sondern stets wohlwollende Förderung erfahren, obwohl natürlich richtig ist, daß sie in Sachen wissenschaftlicher Qualität unerbittlich waren. Welchen Namen sollte man also für das schon tätige Institut wählen? Ich sehe noch die Szene vor mir, wo Koch, noch zögerlich und überlegend, den Namen „Thomas-Institut" in die leicht verlegene Runde warf: „Thomas" ohne „Sankt" und ohne „Aquinas", auch ohne Thomismus, daran mußte man sich gewöhnen. Aber den Anwesenden leuchtete es ein, daß der Name „Thomas" nicht notwendig für eine Schulrichtung stand, sondern allgemein für den philosophischen Rang des mittelalterlichen Denkens und für die Offenheit, welche durch die historische Forschung erwiesen wurde. Wenn dies Institut dann Stätte für Arbeiten an Meister Eckhart oder an Nicolaus Cusanus wurde, wie es vorgesehen und durch die Person seines Gründers vertreten wurde, so mußte sich diese allgemeine Bedeutung gegen verkürzende Mißverständnisse in kurzer Frist durchsetzen. So ist es denn auch geschehen, und nicht zuletzt geschah es durch die Mediaevistentagungen. Im Jahre 1950 war die Bezeichnung „Mediaevist" noch nicht so geläufig wie sie es mit dem zunehmenden Erfolg der Kölner Tagungen wurde. Die erste fand schon im Gründungsjahr des Thomas-Instituts statt. Koch hatte selbst die Sprecher angesprochen und eine Liste der Einzuladenden erstellt, die freilich recht zufällig und lückenhaft war; im Jahre darauf war sie weit vollständiger, aber man möchte von heute aus sagen, immer noch im Versuchsstadium. Immerhin gab es einige bedeutende Gelehrte, die nach Köln kamen, und es gab schon internationale Teilnahme. Ich erinnere mich, daß ich Van Steenberghen und Michaud-Quantin vom Bahnhof abgeholt habe. Erst bei der zweiten Tagung gab es ein Rahmenthema, nämlich „Die Vielgestalt des 12. Jahrhunderts", doch erst die vierte über die artes liberales ist im Druck dokumentiert. Bei der relativ kleinen Zahl der Teilnehmer war die Atmosphäre ausgesprochen kollegial, um nicht zu sagen familiär. Meine Aufgabe war die organisatorische Betreuung, einschließlich Beschaffung der Quartiere, der Festlegung der Mahlzeiten, der Unkostenerstattung, und für die abendlichen Zusammenkünfte wurden ein trinkbarer Wein und die von vielen hochgeschätzten Zigarren besorgt (natürlich aus inoffiziellen Mitteln). Das ist heute sicher anders, aber auch damals war es ganz ungewöhnlich. Die wissenschaftliche Gestaltung der Mediaevistentagungen hielt Koch ganz selbst in der Hand. Er führte selbst die Korrespondenz, und er beriet sich mit führenden Gelehrten der einzelnen Fächer, stets auch solchen aus anderen Universitäten. Aus dem recht kleinen Nukleus ist inzwischen ein mächtiger Baum gewachsen, aber solange ich mit der Organisation betraut war — das war bei den ersten zehn Tagungen der Fall — blieb der Kreis, obwohl inzwischen international weit ausgedehnt, überschaubar. Angesichts ihrer Bedeutung verdiente die Entwicklung der Mediaevistentagungen eine eigene Darstellung, und gerade für das erste Jahrzehnt müßte man dafür auf die Akten zurückgreifen.
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Das müßte man auch für die Tagung „Thomas heute" im Frühjahr 1951, zu deren Veranstaltung sich Koch durch die beiden Dominikanerpatres Christmann und Dietsche, wenn auch mit einigen Vorbehalten, gewinnen ließ. Diese waren damals mit der Deutschen Thomas-Ausgabe befaßt, welcher Koch eher kritisch gegenüberstand, wiewohl er sich zu dem Anliegen zustimmend verhielt. Aber die wissenschaftliche Qualität ließ damals für ihn einige Wünsche offen. Obwohl es einige gute Vorträge gab — ich erinnere mich an einen von H. U. von Balthasar — blieb die Tagung ohne Folgen, und Koch hat in diese Richtung keinen Versuch mehr unternommen. Im internen Betrieb des Thomas-Instituts wurde kontinuierlich daran weitergearbeitet, die Bibliothek und die Sammlung von Dokumenten, hauptsächlich Filme von Handschriften, zu vervollständigen. Auch wurde eine Bibliographie erarbeitet, welche als Ausgangspunkt diejenige des Handbuchs von UeberwegGeyer (1928) nahm. Das Konzept des Dienstleistungsunternehmens blieb gewahrt. Später fanden dann die Mitarbeiter der Meister-Eckhart-Ausgabe — hier saß jahrzehntelang P. Heribert Fischer S. J. im Thomas-Institut — so wie jene der Heidelberger Cusanus-Ausgabe nicht nur in den inzwischen vermehrten Räumen einen Arbeitsplatz, sondern auch eine hervorragende Spezialbibliothek, die heute darüber hinaus dem international bedeutsamen Unternehmen der Edition des Averroes Latinus, für das die Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften verantwortlich zeichnet, zugute kommt. Diese Akademie gibt es erst seit 1970; man sieht, daß das Thomas-Institut inzwischen zu den älteren und vorbildlichen Einrichtungen der Wissenschaft zählt. Persönliche Erinnerungen sind einseitig und lückenhaft, dazu nicht gegen Irrtum gefeit: Die meinigen will ich mit diesem Vorbehalt schließen, mit dem ich sie begonnen habe.
Staunen, vertrauen, lernen — Student am Thomas-Institut ALBERT ZIMMERMANN
(Köln)
Auf welche Weise ich von der Gründung des Thomas-Instituts, das aus der zunächst „Forschungsstelle für besondere philosophische Aufgaben" und auch „Institut für scholastische Philosophie" genannten und von Prof. Josef Koch geleiteten Abteilung des Philosophischen Seminars offiziell am 10. Oktober 1950 hervorging, erfahren habe, weiß ich nicht mehr. Wer sich die damalige Situation eines Studenten vor Augen hält, dürfte für diese Gedächtnislücke Verständnis haben. Wie alle Kommilitonen, die ich täglich traf, sei es im Hörsaal, sei es in der „dunklen Mensa", wo man das im Henkelmann von Zuhause mitgebrachte und für 10 Pfennig in einem Wasserbad aufgewärmte Mittagsmahl verzehrte, sei es in der stets überfüllten Straßenbahn, hatte auch mich die Begegnung mit der Wissenschaft in ihren Bann geschlagen. Jeder war stolz darauf, jeden Tag Neues zu lernen. Trotz der vielen Schwierigkeiten, die unseren Alltag begleiteten, sagten wir alle ein optimistisches Ja zu unserem Leben, glücklich darüber, daß man wieder offen, ohne Mißtrauen und ohne Angst miteinander umgehen konnte. Wir dachten zugleich aber sehr pragmatisch an das Ziel eines baldigen Studienabschlusses, der eine berufliche Tätigkeit und damit die ersehnte Unabhängigkeit bringen könnte. Für viele von uns, auch für mich, war dies das Erste Staatsexamen für das Lehramt am Gymnasium. Daß wir uns regelmäßig in Lehrveranstaltungen von Prof. Koch trafen, hing damit zusammen; denn Philosophie mußte jeder Lehramtskandidat studieren, sei es als Unterrichtsfach, sei es als Begleitfach. Die Vorlesungen und Seminare Kochs wurden gern besucht. Er, von stattlicher Gestalt und achtunggebietendem Auftreten, verkörperte in hervorragender Weise die Würde eines akademischen Lehrers, wie wir sie erwarteten. Es sprach sich schnell herum, daß er großes Ansehen als Gelehrter hatte, dessen Forschungen neben Themen der mittelalterlichen Scholastik vor allem Meister Eckhart und Nikolaus von Kues galten. Wir wußten auch, daß er nur mit Mühe Teile des Ertrags seiner wissenschaftlichen Arbeit aus Breslau hatte retten können. Recht bald merkten wir, daß wir durch seine meisterhafte Art, philosophische Probleme verständlich darzulegen, gründlich zu erklären und gegebenenfalls Antworten kritisch zu durchleuchten, bereichert wurden. Ebenso erlebten wir, daß dieser Respekt einflößende Lehrer jeden einzelnen Studenten ernst nahm und daß ihm jeder einzelne wichtig war. Deshalb verdiente und gewann er unser Vertrauen. Dennoch bewegten uns andere Vorgänge viel stärker, als es die Gründung eines der philosophischen Forschung dienenden Instituts war. Im Sommerseme-
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ster 1950 hatte der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Prüfungsamtes zu einer Veranstaltung in den „dunklen", weil fensterlosen Hörsaal unter der Garderobe geladen. Mit beschwörenden Worten warnte er davor, am Studienziel eines Lehramts festzuhalten. Bis heute habe ich im Ohr, wie er ausrief: „Sie werden nie eine Stelle bekommen!" Das ging uns durch den Kopf und darüber sprachen wir miteinander. Für den gelehrten Gesprächsstoff, zu dem Prof. Koch im Semester vorher durch ein Seminar über Thomas von Aquins Schrift „De ente et essentia" und jetzt durch ein Seminar über Probleme der Naturphilosophie sowie die Ankündigung einer Vorlesung über die Gesellschaftsphilosophie des Thomas erheblich beitrug, blieb oft nur ein zweiter Platz. Einiges machte aber auf viele von uns einen starken Eindruck und lenkte die Aufmerksamkeit auf das neue Institut. Jeder junge Mensch, der ein Studium beginnt, erlebt, daß viel Unbekanntes und Unerwartetes auf ihn einstürmt, daß sein Gesichtskreis erweitert und an vielen Stellen sogar durchbrochen wird. Neue Ausblicke wecken um so mehr sein Staunen, je enger und verzerrter die Perspektive war, die sich anzueignen man ihn bislang gelehrt hatte. Die staatlich verordneten Versuche ideologischer Indoktrination lagen damals schon 5 Jahre zurück. Unsere Eltern und viele Lehrer hatten auch stets dafür gesorgt, daß die offiziell vorgeschriebene dreiste Lügnerei nur geringe Wirkung hatte. Die während des Krieges und erst recht danach unverborgene Feigheit, Heuchelei und der Zynismus einst großsprecherischer Funktionäre taten ein übriges, uns gegen jede Art totalitärer Weltanschauung immun zu machen. Wir lehnten auch den konstruierten und einst maßlos aufgebauschten Nationalismus ab. Allerdings waren unabhängig davon unsere Sicht der deutschen Geschichte und unser Selbstverständnis durch ein simples und eingängiges Muster geprägt. Wir hatten von bedeutenden deutschen Denkern, Dichtern und Wissenschaftlern gehört, und wir wußten auch einiges darüber. Den Hintergrund, vor dem wir ihr Wirken sahen, bildete eine nie oder ganz selten in Frage gestellte Auffassung von der europäischen Geistesgeschichte, der gemäß Wissenschaften und Philosophie ihren befreienden und humanen Einfluß erst in der sog. Neuzeit hatten entfalten können. Von Neubeginn, Reform, Revolution war ständig zu lesen, und das wurde verknüpft mit Namen wie Kopernikus, Kepler, Galilei, Newton, Descartes, Leibniz. Als Zeugnisse vollendeten philosophischen Denkens galten die Schriften Kants, Hegels und hin und wieder Nietzsches. Maßgebend war jedenfalls die Ansicht, Bedeutung und Wert der europäischen Geistesgeschichte nach der Zeit der Griechen rührten daher, daß man in der sog. Neuzeit aus einer lange vorherrschenden Finsternis in das helle Licht freien Forschens, aus einem dumpfen Dunkelmännertum in die Erleuchtung durch Aufklärung und Selbstdenkertum gelangt sei. Übrigens wird Schülern das auch heute noch beigebracht, wie ein Blick in gängige Geschichtsbücher zeigt, und auch heute noch kolportieren Medien bei jeder Gelegenheit, dieses Geschichtsbewußtsein sei dem modernen Gebildeten angemessen. Auch handfeste Falschmeldungen werden keineswegs gescheut. Zwar mißtrauten Bürger, die in der Tradition des Rheinlandes verwurzelt sind, immer schon dieser Beurteilung unserer geistigen Vergangen-
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heit. Nicht nur hatten ja die Kathedralen aus dem Mittelalter die barbarischen Zerstörungen der neuesten Epoche der Neuzeit am besten überstanden, sondern man wußte auch, daß Gelehrte und Lehrer wie Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Johannes Duns Scotus, Meister Eckhart — alle mit Köln verbunden — über die Jahrhunderte hinweg in vielen Kreisen des In- und Auslands hoch angesehen waren. Man fragte sich auch verwundert, wieso Europa seine ersten und bis heute angesehensten Universitäten dem so großmäulig „finster" genannten Mittelalter verdankte. Nun machte Prof. Koch uns mit den Gedanken von Gelehrten bekannt, die lange vor der sog. Neuzeit gelebt und gearbeitet hatten, und wir wurden zu einer ersten Lektüre ihrer Schriften angeleitet. Wir kamen manchmal aus dem Staunen nicht heraus: Es ist ja einfach nicht wahr, was man immer wieder verbreitete. Die mittelalterlichen Denker bildeten nicht eine unkritische oder gar blinde Autoritätsgefolgschaft, sie waren keine geisdosen Aristoteles-Verehrer, sie scheuten keineswegs öffentliche wissenschaftliche Disputationen, die sie sogar zu einem wesentlichen Bestandteil des akademischen Unterrichts machten. Albertus Magnus trat Gegnern der Wissenschaft ebenso scharf entgegen wie er unkritische Autoritätsgläubigkeit verurteilte. Thomas von Aquin ermunterte wissenschaftliche Gegner, ihn nicht in dunkeln Winkeln und vor Knaben, sondern öffentlich zu kritisieren. Die — allerdings erst nach meinem Studium — wortreich erhobene Forderung nach herrschaftsfreiem Diskurs, auf den sich mancher unserer Zeitgenossen viel zugute hält, wiederholt nur alte Vorstellungen aus einer angeblich finsteren Zeit. Die Lektüre der Werke mittelalterlicher Gelehrten brachte weitere Überraschungen. Bewunderung weckte die methodische Disziplin, greifbar in der Handhabung der Logik und gleichfalls darin, daß eine Diskussion nur dann ernstgenommen wurde, wenn logische Korrektheit und nicht bloße Mundwerkerei ihren Maßstab bildete. Ferner erfuhren wir, daß etliche als besonders wichtig geltende Einsichten in aller Klarheit dargelegt wurden. So wurde die vielgerühmte Lehre Immanuel Kants über Anfang oder Anfanglosigkeit der Welt nicht nur vorweggenommen, sondern das Problem wurde auch von Bonaventura, Albertus Magnus und Thomas von Aquin viel gründlicher erörtert, wobei die Meinungen übrigens durchaus auseinandergingen. Daß der Mensch seinem Wesen nach frei und zu freier Entscheidung über sein Tun und Lassen berufen ist, wurde ebenso nachdrücklich gelehrt wie ein Grundsatz, den man gern als bedeutende Errungenschaft der Aufklärung ausgibt, nämlich daß sittlich gut handeln heißt: der Vernunft gemäß handeln. Auch die von Martin Heidegger erörterte Grundfrage der Metaphysik, die er Leibniz als erstem zuschrieb, ist schon mittelalterlichen Philosophen geläufig. Liest man doch in einer Schrift des mit Albertus Magnus und Thomas von Aquin persönlich bekannten Magisters Siger von Brabant: „Si autem quaeratur quare est magis aliquid in rerum natura quam nihil... was wortwörtlich der Formulierung bei 1
Siger de Brabantia, Quaestiones in Metaphysicam IV, ed. C. A. Graiff (Philosophes médiévaux I), Louvain 1948, 185,72 sqq. Cf. M. Heidegger, Was ist Metaphysik?, Frankfurt am Main 1943, 1 5 1998, 4 4 sq.; ferner A . Zimmermann, Die ,Grundfrage' in der Metaphysik des Mittelalters, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 47 (1965), 1 4 1 - 1 5 6 , bes. 141 sqq. und 155 sq.
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Leibniz entspricht: „Pourquoi y-a-t-il plutôt quelque chose que rien?" 2 Wer Mathematik studierte und die noch relativ junge Lehre über transfinite Mächtigkeiten kennenlernte, staunte über die Behauptung des Thomas, bis zu seiner Zeit sei die Unmöglichkeit einer aktual unendlichen Vielheit nicht bewiesen worden 3 . Man erhielt auch Einblick in bemerkenswerte Diskussionen über Naturphilosophie und über die zulässigen Methoden empirischer Wissenschaften, bei denen nichts von dem ausgelassen ist, was die in der Zeit unseres Studiums hochangesehene Wissenschaftstheorie Poppers auszeichnet. Einflußreiche englische Gelehrte des 13. Jahrhunderts, so der Bischof Robert Grosseteste und der Mönch Roger Bacon, entwarfen Grundzüge einer allgemeinen Licht- und Kraftfeld-Theorie. Wie genau und kritisch schon damals Gelehrte auch den Alltag beobachteten, zeigt Roger Bacons Klage, viele Arzte seien Stümper und würden von den Apothekern leicht über den Tisch gezogen 4 . Das Staunen vertiefte sich noch. Wir erkannten ja, mit welcher Unkenntnis neuzeitliche, sich aufgeklärt dünkende Philosophen über die Geisteswelt und vor allem über die Philosophie des Mittelalters urteilten. Was sollte man denn davon halten, daß Kant sich nicht scheute, diese Philosophie „Mist" zu nennen, „der bei der Reformation ausgekehrt worden ist", und zu behaupten, erst danach seien „Selbstdenker" aufgetreten, welche „die Wahrheit suchten, wo sie sie fanden" 5 . Was mochte er denn selbst gedacht haben, als er sich von seiner staatlichen Obrigkeit eine Lehrbeschränkung auferlegen ließ und untertänigst Gehorsam versprach? 6 Wie soll man verstehen, daß Hegel der mittelalterlichen Schulphilosophie „leeren Verstand" zuschrieb und meinte: „Die Scholastik ... ist die gänzliche Verwirrung des Verstandes ...", „die gräßüchste Gestalt der Barbarei" 7 . Hatten diese Denker, die der Autoritätsgläubigkeit angeblich so abgeneigt waren, vielleicht doch nur übernommen, was sie bei Voltaire über das Mittelalter lasen: „II ne faut connaître ces temps que pour les mépriser" 8 , oder was Hobbes schrieb, damals im Mittelalter seien Betrüger am Werk gewesen, die aus Herrschsucht finstere Irrtümer in die Welt setzten? 9 2
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G. W. Leibniz, Principes de la nature et de la grâce fondés en raison, in: Die Philosophischen Schriften (ed. C. I. Gerhardt), vol. 6, 602, η. 7. De aeternitate mundi contra murmurantes, Opuscula philosophica (ed. Marietti), η. 310: „Et praeterea adhuc non est demonstrata, quod Deus non possit facere ut sìnt infinita adu. " Cf. F. Getz, Roger Bacon and Medicine: The Paradox of the Forbidden Fruit and the Secret of Long Life, in: J. Hackett (ed.), Roger Bacon and the Sciences. Commemorative Essays (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 57), Leiden - New York - Köln 1997, 3 3 7 364, hier 349 sq. I. Kant, Metaphysikvorlesung nach Pölitz (Akad.-Ausg. XXVIII,2,1), 539. Der Streit der Fakultäten, Vorrede (Akad. Ausg. VII), 10: „so halte ich ... für das Sicherste, hiermit, als Ew. Königl. Maj. getreuester Unterthan, feierlich zu erklären, daß ..." G. F. W Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie II (Theorie-Werkausgabe 19), 199 und 587. Zit. nach L. Varga, Das Schlagwort vom „finsteren Mittelalter", Baden - Wien — Leipzig Brünn 1932, 126. Ibid., 101 sq.
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Josef Koch sorgte durch die Gründung des Thomas-Instituts schon bald für eine weitere und äußerst wertvolle Erfahrung. Wir konnten beobachten, daß die Erforschung des mittelalterlichen Geisteslebens ein Anliegen war, dem Gelehrte aus vielen Nationen nachgingen und das sie zusammenführte. Schnell lernte man auch, daß bei dieser Arbeit Sprachbarrieren überwunden werden mußten; denn ohne Kenntnis von Arbeiten in anderen Sprachen konnte man sich nicht angemessen orientieren. Die allmählich wachsende Bibliothek des Instituts verhalf zu einem ersten Eindruck davon. Die Mediaevistentagungen, die Koch als wichtige Veranstaltung des Thomas-Instituts ins Leben rief und bei deren Vorbereitung viele Jahre sein damaliger Assistent Wolfgang Kluxen sich wesentliche und unvergessene Verdienste erwarb, gaben Gelegenheit, Forscher aus anderen Ländern kennenzulernen. Wir sahen, wie sie miteinander umgingen, wie sie Meinungsverschiedenheiten austrugen und wie dabei die Gemeinsamkeit, die ihrem Interesse an der Erhellung der Vergangenheit und ihrem Ethos als Wissenschaftler entsprang, als etwas ganz und gar Selbstverständliches galt, ebenso die Achtung vor Person und begründeter Meinung des anderen. Dieses Erlebnis stärkte unsere Hoffnung, ein friedliches Zusammenleben und eine friedliche Kooperation der noch vor kurzem so verfeindeten Völker lasse sich nicht nur im Bereich der Wissenschaft erreichen. Ja, manche Begegnungen regten sogar dazu an, sich auszumalen, wie die Europäer, Studenten und Professoren, ungeachtet ihrer Herkunft, ihrer Muttersprache und ihrer Nationalität, damals im Mittelalter gemeinsam für die Wissenschaften und die Institutionen, die diesen dienen, eintraten. Auch unter diesen Gesichtspunkten gewann das Thomas-Institut eine besondere Bedeutung. Da ich nach dem Staatsexamen während der ersten Lehrtätigkeit die wissenschaftliche Arbeit so gut wie möglich fortsetzte, blieb die Verbindung mit dem Thomas-Institut bestehen. So lernte ich auch Prof. Paul Wilpert kennen, der Koch im Jahre 1954 als Direktor des Instituts nachfolgte. Die Bekanntschaft mit diesem Gelehrten war ebenfalls beeindruckend. Er hatte in den Jahren der Nazi-Tyrannei Aufrichtigkeit und Grundsatztreue bewiesen und mußte entsprechende Nachteile erleiden. Nach dem Krieg hatte er tatkräftig am Neuaufbau eines menschenwürdigen Bildungswesens mitgewirkt. Er war ein angesehener Aristoteles-Kenner und hatte wichtige Beiträge über die Rezeption der aristotelischen Intellektlehre durch griechische und mittelalterliche Kommentatoren veröffentlicht. Für den Bestand und die Stellung des Instituts war wichtig, daß es ihm gelang, dieses ganz in der Philosophischen Fakultät zu verankern und die Anerkennung als eines Instituts der Universität zu erwirken, ein Schritt, der auch den Mitarbeitern zugute kam. Wilpert nahm sich, Kochs Bemühungen fortsetzend, besonders der Erschließung der Werke des Nikolaus von Kues an, die ihn auch schon vorher beschäftigt hatte. Durch ihn wurde meine Aufmerksamkeit auf diesen „Landsmann von der Mosel" gelenkt. Das löste erneut ein nicht geringes Staunen aus. Hatte Nikolaus von Kues doch ein Weltbild gelehrt — und zwar vor Kopernikus, Kepler, Galilei und Newton - , das einen Physiklehrer überraschte. Er betonte nicht nur die Bedeutung quantitativer Methoden
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für die Erkenntnis der Wirklichkeit und die Erlangung wahrer Weisheit, sondern entwickelte auch kosmologische Vorstellungen, die kühner waren als vieles, was in der Neuzeit über das Weltall und seine Struktur behauptet wurde. Gewiß — es handelte sich um gedankliche Entwürfe und nicht um „strenge Wissenschaft". Sie lassen ihn jedoch als einen Geistesverwandten der großen Naturforscher bis in unsere Zeit erscheinen. Er kam zum Beispiel dem Ansatz einer relativistischen Kosmologie sehr nahe, als er lehrte, es gebe keinen ruhenden Punkt im Kosmos und jede Bewegung sei daher immer nur als eine relative zu verstehen. Jeder Beobachter, wo auch immer er sich befinden mag, auf der Erde oder der Sonne oder auf einem anderen Stern, meine sich im unbeweglichen Zentrum des Kosmos zu befinden. Kein Punkt im Weltall sei aufgrund seines Bewegungszustandes vor einem anderen ausgezeichnet. Immer erscheine dem jeweiligen Beobachter sein Bezugssystem als das unbewegte. Daher rühre die — auch uns, die wir die relativistische Kosmologie begreifen möchten, nur allzu gut bekannte — Schwierigkeit: „Verschränke also diese verschiedenen Vorstellungen, nach welchen der Mittelpunkt Zenit ist und umgekehrt, dann sieht dein Geist, dem nur die belehrte Unwissenheit dient, daß die Welt und ihre Bewegungen und Gestalt sich nicht erfassen läßt." 10 Paul Wilpert, ein hochgebildeter und ungemein belesener Gelehrter, ein glänzender Redner, fesselnder Lehrer und scharfsinniger Gesprächspartner, hatte kein Verständnis für die Gewohnheit, das Jahrtausend zwischen der Schließung der Schule von Athen (529) und Descartes (* 1596) aus dem philosophischen Erbe Europas auszuklammern. Als Direktor des Thomas-Instituts tat er alles, um durch Forschung und Lehre auch hier in Deutschland zu zeigen, wie haltlos dieses Klischee ist. Nicht zuletzt bemühte er sich, die Studenten vor einer solchen Engstirnigkeit und Kleingeistigkeit zu warnen und zu bewahren. Viele schulden ihm dafür Dank. Der Name „Thomas-Institut" bringt etwas zum Ausdruck, das allen, die hier tätig waren und tätig sind — Studenten, Forscher, Lehrer — als Leitfaden vor Augen steht, so wie es sicherlich Josef Koch und Paul Wilpert meinten. Ein Zeitgenosse des Thomas hatte einmal anläßlich einer Auseinandersetzung über die Eigenart der menschlichen Seele geschrieben, ihm läge mehr daran, die Lehre des Aristoteles darzulegen als daran, zu entscheiden, ob diese wahr sei oder nicht. Das begründete er mit dem Hinweis, er habe ja Philosophie zu lehren und müsse „philosopbiceprocedere"π. Thomas ermahnte ihn: „Das Studium der Philosophie hat nicht zum Ziel herauszufinden, was Menschen meinten, 10
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De docta ignorantia II, c. 11 [n. 161]: „ Complica igituristas diversas imaginatioms, ut sit centrum %enith et e converso, et tunc per intellectum, cui tantum docta servit ignorantia, vides mundum et eius motum atque figuram attingi non posse." Zitiert nach: Nikolaus von Kues, die belehrte Unwissenheit (lat.-dt.), Buch II, übers, und hrsg von P. Wilpert; zweite, verb. Aufl. besorgt von H. G. Senger, Hamburg 1977, 92 sq. Siger de Brabanüa, De anima intellectiva, c. 7, ed. B. Bazán (Philosophes médiévaux XIII), Louvain 1972, 101,7 sqq.: „ . . . quaerendo intentionemphilosophorum in hoc magis quam veritatem, cut»philosophice procedamus. "
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sondern die Wahrheit über die Wirklichkeit." 12 Nun dient das Institut, vor allem durch die großen Editionen, offensichtlich der Erschließung dessen, was Menschen einst gedacht und gelehrt haben. Wer diese Arbeiten verfolgt, weiß, welche Kenntnisse, Sorgfalt und Umsicht sie ständig erfordern. Nie wird dabei aber aus dem Blick verloren, daß unsere Vorgänger, als sie ihre Werke schrieben, die Wahrheit über die Welt und über die Menschen herauszufinden versuchten. Ihnen wird infolgedessen nur gerecht, wer sich selbst nach diesem Maßstab richtet. Diese Einstellung und dieser Geist — so wollten es seine Gründer — sollen das Thomas-Institut prägen und ihm Bedeutung und Gewicht geben.
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Thomas de Aquino, In Aristotelis libros De caelo et mundo 1,1. 22 [n. 229]: „Studiumphilosophiae non est ad hoc, quod sríatur, quid homines sensennt, sed qualiter se habeat Veritas rerum. "
50 Jahre Kölner Mediaevistentagungen: ein Überblick ANDREAS SPEER
(Würzburg)
Wie eng die Kölner Mediaevistentagungen mit der Geschichte des ThomasInstituts zusammenhängen, zeigt bereits die Tatsache, daß die erste Kölner Mediaevistentagung genau einen Tag nach der Genehmigung der „Forschungsstelle für besondere philosophische Aufgaben" des Philosophischen Seminars der Universität zu Köln am 10. Oktober 1950 durch den Kultusminister und der offiziellen Bestätigung als „Thomas-Institut an der Universität (zu) Köln" eröffnet wurde 1 . Die materielle Voraussetzung hierfür bot nicht zuletzt ein am 1. April 1950 vom amerikanischen Hohen Kommissar für Deutschland gewährter erheblicher Förderbetrag, welcher der Aufbauarbeit des seit der Ernennung von Josef Koch zum Ordinarius und Professor für Mittelalterliche Philosophie am 24. Mai 1948 in der Gründungsphase befindlichen neuen Instituts dienen sollte2. Mit der Einladung „zu einer Mediävistentagung in Köln" vom 8. August 1950, der am 20. September 1950 ein zweiter Rundbrief mit dem Tagungsprogramm folgte, verband Josef Koch das Anliegen, den „Gelehrten, die sich der Erforschung der Geisteswelt des Mittelalters widmen", Gelegenheit zu geben, „sich durch Referate über den derzeitigen Stand der Forschung zu unterrichten und in gemeinsamer Aussprache schwebende Probleme zu klären", wie dies in anderen Wissenschaftszweigen bereits üblich sei. „Wir denken", so schreibt Koch später in seinem Rechenschaftsbericht für die Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, „an die Philosophen und Theologen, die Rechtsund Gesellschaftshistoriker, die Germanisten und Romanisten, Kunst- und Musikwissenschaftler", denn „alle bemühen sich um das Verständnis des mittelalterlichen Menschen und Lebens, und so können und müssen alle voneinander lernen" 3 . Die Referate sollten sich daher — so hieß es weiter in der ersten Einladung — „auf literargeschichtliche und quellenkritische, philosophische und theologische Probleme, auf Fragen, welche religiöse (und insbesondere mysti-
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Cf. den vorausgehenden Beitrag von E. Meuthen, Das Thomas-Institut: Vor- und Gründungsgeschichte, 19 sq. Ibid., 18 sq. J. Koch, Das Thomas-Institut. Forschungsstelle für besondere philosophische Aufgaben an der Universität Köln, in: Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Heft 4 (Juli 1955), 8 - 1 4 , hier 12.
50 Jahre Kölner Mediaevistentagungen: ein Überblick
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sehe) und sektiererische Bewegungen oder den Zusammenhang von Scholastik und Mystik, Kunst und Politik betreffen", beziehen. Auf diese Weise verfolgte Koch zugleich das Ziel, die historische Arbeit am Mittelalter — gewissermaßen die Grundlage für das satzungsmäßig festgeschriebene Ziel des neu gegründeten Instituts, die bei der Untersuchung der mittelalterlichen Philosophie gewonnenen Erkenntnisse „für die Probleme unserer Zeit nutzbar zu machen", — interdisziplinär auszuweiten. Koch hatte somit — ganz im Sinne seines Straßburger Lehrers Clemens Baeumker — bereits von Anfang an im Blick, was später nicht ohne Pathos eingefordert wurde: nämlich die historischen Bedingungen der mittelalterlichen Philosophie im Kontext einer Problem- und Ideengeschichte auf angemessene Weise zu berücksichtigen. Damit war die Leitidee klar benannt, der die Kölner Mediaevistentagungen bis heute verpflichtet sind. Ein Gleiches gilt für die erklärte Absicht, daß „bei dieser Gelegenheit eine persönliche Fühlungnahme zwischen den Forschern vor allem wichtig sein dürfte", die ihren sozusagen institutionellen Niederschlag in einem regelmäßigen abendlichen Beisammensein im Dozentenzimmer der Universität fand, bei dem an Wein und — wie noch vorhandene Rechnungsbelege eindrucksvoll zeigen — an guten Zigarren offensichtlich kein Mangel herrschte. Mit der Eröffnung der ersten Mediaevistentagung am 11. Oktober 1950 in Anwesenheit des Kölner Rektors Prof. Dr. Gotthold Bohne war — wie Erich Meuthen am Ende seines Beitrages bemerkt - die nicht ohne Turbulenzen verlaufene Vor- und Gründungsgeschichte des Thomas-Instituts abgeschlossen, das Institut etabliert. So wurde es auch im In- und Ausland zur Kenntnis genommen, besonders in Leuven am dortigen Institut für Philosophie, zu dem sich — dies war vor allem in der Nachkriegszeit von großer Bedeutung — von Anfang an eine lebendige Beziehung entfaltete. Fernand Van Steenberghen schrieb für die „Revue philosophique de Louvain" den ersten Tagungsbericht4 eine Tradition, die sich in den folgenden Jahren fortsetzen sollte und eine wichtige Dokumentationsquelle für die Kölner Mediaevistentagungen darstellt5. Allerdings fehlt für die zweite Kölner Mediaevistentagung ein solcher Bericht 6 . Denn bereits im darauf folgenden Jahr war das Thomas-Institut und damit auch die Mediaevistentagung ernsthaft bedroht. Nachdem im Mai noch eine Tagung „Thomas heute" stattgefunden hatte, die allerdings ohne weitere Folgen blieb 7 , verzögerte sich die Erneuerung des amerikanischen „grant". Ein erhaltener Brief von Josef Koch an John O. Riedl, seinen alten Freund und Leiter der verantwortlichen „Education Branch" der „American High Commission of 4
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Cf. Revue philosophique de Louvain 48 (1950), 5 5 4 - 5 5 6 . Cf. auch F. Van Steenberghen, Introduction à l'étude de la philosophie médiévale (Philosophes médiévaux 18), Louvain — Paris 1974, 1 3 2 - 1 3 4 . Cf. hierzu die tabellarische Ubersicht im Anhang. Cf. Van Steenberghen, Introduction (nt. 4), 134. Cf. hierzu die Beiträge Meuthen, Das Thomas-Institut (nt. 1), 19, und Kluxen, 50 Jahre ThomasInstitut: Erinnerung an die Anfänge, 28; eine kurze Erwähnung dieser Tagung findet sich in der Revue philosophique de Louvain 49 (1951), 292.
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Germany", belegt diese — in Kochs Worten — „historia calamitatum" eindringlich. So haben wir als einziges Zeugnis allein die Erwähnung in Kochs Rechenschaftsbericht aus dem Jahre 1955; allerdings fehlt das genaue Datum der zweiten Tagung, das auch nicht anderweitig ermittelt werden konnte 8 . In Kochs Bericht können wir auch lesen, daß die Kölner Mediaevistentagungen nunmehr ein Rahmenthema erhalten, während für die erste Tagung das Programm nicht auf einen besonderen Problemkreis beschränkt, sondern ein Bild von der Vielgestaltigkeit der Forschung gegeben werden sollte. Für die dritte Tagung, die vom 1. bis 3. Oktober 1952 stattfand, galt das Rahmenthema jedoch nur für den ersten Tag, während für den zweiten Tag „freie Themata" vorgesehen waren. Obgleich ein Tagungsbericht fehlt, so muß die dritte Kölner Mediaevistentagung gleichwohl ein solches Maß an Geschlossenheit hinsichtlich der behandelten Themen erreicht haben, daß Josef Koch sich erstmals dazu entschloß, die Ergebnisse in Form eines Sammelbandes herauszugeben. Dieser erschien bereits im folgenden Jahr unter dem Titel „Humanismus, Mystik und Kunst in der Welt des Mittelalters" als dritter Band der von Koch begründeten „Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters" im Druck und erlebte unter Kochs Nachfolger Paul Wilpert sogar eine zweite Auflage 9 . Von nun an kann man von den Kölner Mediaevistentagungen als von einer fest etablierten Größe innerhalb der philosophischen Mittelalterforschung mit einer weiten Ausstrahlung in andere Disziplinen der Mediävistik sprechen, die bis in das Jahr 1960 im Jahresrhythmus, zunächst Anfang Oktober, sodann ab der zehnten Tagung zumeist in der ersten oder zweiten Septemberwoche, stattfanden. Die vierte bis sechzehnte Mediaevistentagung sind durchgängig, zum Teil ausführlich in der „Revue philosophique de Louvain" dokumentiert 10 . Noch einmal bringt Josef Koch eine Mediaevistentagung zur Publikation: Es ist die sechste im Jahre 1955 und seine letzte, die den artes liberales und der Frage des Übergangs von der antiken Bildung zur Wissenschaft des Mittelalters gewidmet ist». Die Tagung im folgenden Jahr, die erste unter dem neuen Direktor des Thomas-Instituts Paul Wilpert, kehrt die Blickrichtung gleichsam um: „Die Antike aus der Sicht des Mittelalters". Diese Tagung bildet dann auch zusammen mit den drei folgenden Kölner Mediaevistentagungen die Grundlage für den ersten
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Cf. Koch, Das Thomas-Institut (nt. 3), 12. J. Koch (ed.), Humanismus, Mystik und Kunst in der Welt des Mittelalters, Leiden - Köln 1953, zweite unveränderte Aufl. 1959 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 3). Cf. hierzu im folgenden den Anhang. Rätselhaft bleibt eine Bemerkung am Ende des Tagungsberichts Wolfgang Kluxens zur vierten Kölner Mediaevistentagung, wo er davon spricht, daß die fünfte Mediaevistentagung im Oktober 1954 in Würzburg stattfinden solle. Diese fand dann aber tatsächlich unter dem von Kluxen genannten Thema „Augustinus im Mittelalter" wie gehabt in Köln statt. Cf. Revue philosophique de Louvain 51 (1953), 632 sq. J. Koch (ed.), Artes liberales. Von der antiken Bildung zur Wissenschaft des Mittelalters, Leiden — Köln 1959 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 5).
50 Jahre Kölner Mediaevistentagungen: ein Überblick
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Band der „Miscellanea Mediaevalia", der im Jahre 1962 im Druck erschien 12 . Der zweite Band der Miscellanea Mediaevalia „Die Metaphysik im Mittelalter. Ihr Ursprung und ihre Bedeutung" 13 enthält die Tagungsakten des zweiten Internationalen Kongresses für Mittelalterliche Philosophie der Anfang September 1958 in Leuven/Louvain gegründeten Société internationale pour l'Étude de la Philosophie Médiévale (S.I.E.P.M.), des Weltverbandes für mittelalterliche Philosophie 14 . Paul Wilpert hatte diesen bedeutenden internationalen Kongreß vom 31. August bis zum 6. September 1961 in Köln mit großem Erfolg ausgerichtet und wurde zum Vize-Präsidenten der S.I.E.P.M. gewählt, ein Amt, das auch die beiden nachfolgenden Direktoren des Thomas-Instituts bekleiden sollten. Aus diesem Grunde fand die 12. Kölner Mediaevistentagung erst im darauf folgenden Jahr statt. Sie nahm das Thema der 11. Mediaevistentagung wieder auf und führte es weiter. Aus beiden Tagungen ging der dritte Band der Miscellanea Mediaevalia hervor 15 . Von nun an waren die Miscellanea Mediaevalia und die Kölner Mediaevistentagungen fest miteinander verbunden. Auf diese Weise hat Paul Wilpert mit großem Gespür und Geschick ein Markenzeichen für das Thomas-Institut und ein über die Fachgrenzen hinaus bekanntes und bewährtes Forschungsinstrument geschaffen, das zusammen mit den Mediaevistentagungen zu einem festen Bezugspunkt der weit gespannten Aktivitäten und Verantwortlichkeiten des Thomas-Instituts wurde. Zugleich wurden die Kölner Mediaevistentagungen größer. Dies zeigen sowohl die Tagungsberichte als auch die — allerdings nicht mehr vollständig erhaltenen — Teilnehmerverzeichnisse. Zudem richtete sich thematisch nunmehr der Blick vom lateinischen Abendland auch auf die Welt des Orients, auf den jüdischen und arabischen Kulturkreis. War der Kreis der Teilnehmer an den ersten Tagungen noch überschaubar und — obgleich schon international — gewissermaßen handverlesen (d. h. von Koch persönlich und handschriftlich eingeladen) 16 , so verweist die Größe der Tagungen nicht nur auf das wachsende Interesse und die zunehmende Zahl der Mittelalterforscher, sondern auch auf die gewachsene Bedeutung des Thomas-Instituts, die sich darüber hinaus in vielfaltigen Kooperationen mit anderen Forschungsinstituten zeigt. So wird das Thomas-Institut unter Paul Wilpert — zusätzlich zu den durch Josef Koch eingebrachten Editionsprojekten der Werke des Nicolaus Cusanus und der lateinischen Werke Meister Eckharts — Arbeitsstelle des Aristoteles latinus; unter sei-
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P. Wilpert (ed.), Antike und Orient im Mittelalter. Vorträge der Kölner Mediaevistentagungen 1 9 5 6 - 1 9 5 9 , Berlin 1962, zweite neu durchgesehene Auflage Berlin - New York 1971 (Miscellanea Mediaevalia 1). Herausgegeben von P. Wilpert und 1963 im Druck erschienen. Cf. hierzu A. Zimmermann, La fondation de la Société internationale pour l'étude de la philosophie médiévale, in: J. Hamesse/C. Steel (eds.), L'élaboration du vocabulaire philosophiques au moyen âge (Rencontres de Philosophie Médiévale 8), Turnhout 2000, 1 - 9 . P. Wilpert (ed.), Beiträge zum Berufsbewußtsein des mittelalterlichen Menschen, Berlin 1964 (Miscellanea Mediaevalia 3). Cf. Kluxen, 50 Jahre Thomas-Institut (nt. 7), 27.
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nem Nachfolger Albert Zimmermann kommt mit dem Averroes latinus im Rahmen der Averrois opera ein weiteres Forschungsvorhaben in der Verantwortlichkeit der Union académique internationale hinzu. Die notwendige Konsequenz ist der neue Zweijahresturnus, der nach dem unerwarteten Tod von Paul Wilpert unter seinem Nachfolger Albert Zimmermann von der sechzehnten Kölner Mediaevistentagung an sodann den Rhythmus von Tagung und Publikation der Tagungsakten bestimmt. Die Auswahl der Themen ergibt sich zum einen durch die Arbeitsschwerpunkte des ThomasInstituts17, zum anderen aber spiegeln sich in den Themenstellungen aktuelle Fragen der Mediävistik wider. Viele dieser Fragen — beispielhaft genannt sei das Rahmenthema der 19. Mediaevistentagung zu den Auseinandersetzungen an der Pariser Universität im 13. Jahrhundert — werden, wie sich gerade im Rückblick zeigt, in Köln gewissermaßen am Puls der Zeit diskutiert, noch bevor sie die großen Forschungsdebatten bestimmen18. Kennzeichnend ist die Tatsache, daß auf den Kölner Tagungen auch kontroverse Positionen stets in großer Offenheit und ohne Voreingenommenheit vertreten werden konnten. Leider gibt es abgesehen von einer Kurznotiz über die genannte 19. von der 17. bis zur 26. Kölner Mediaevistentagung keinerlei Tagungsberichte; erst von der 27. Tagung an erscheinen diese wieder regelmäßig und ausführlich, nunmehr im „Bulletin de philosophie médiévale"19. Es ist nicht möglich, jede der Mediaevistentagungen der Ära Zimmermann eingehend zu würdigen. Allerdings lassen sich thematische Schwerpunkte erkennen: sei es im Ausgang von Kernbegriffen wie „repraesentatio" oder „mensura", von Fragen des Traditions- und Fortschrittsbewußtseins sowie der Erfassung sozialer Wirklichkeit, oder in Hinblick auf Probleme des Wissens und der Wissensvermittlung. Hinsichtlich der Themenwahl ragt die 20. Tagung heraus, die den „Mächten des Guten und Bösen" gewidmet war. Schließlich verdanken sich einige der Themen denkwürdigen Jubiläen. So bot der 700ste Todestag Alberts des Großen im Jahre 1980 den Anlaß für die 22. Kölner Mediaevistentagung. Die 25. Mediaevistentagung war — fast ist man geneigt zu sagen: selbstverständlich - dem großen Namenspatron des Thomas-Instituts gewidmet, und schließlich feierte die Kölner Universität im Jahre 1988 den 600sten Jahrestag ihrer Gründung, so daß die 26. Kölner Mediaevistentagung den geistigen Wurzeln und der sozialen Wirklichkeit der eigenen Alma mater galt 20 . Nicht 17
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Ein Sonderband der Miscellanea Mediaevalia zum aristotelischen Erbe im arabisch-lateinischen Mittelalter, der Forschungsbeiträge aus dem Thomas-Institut, dem Albertus-Magnus-Institut in Bonn und dem Aristoteles-Latinus-Zentrum in Leuven enthält, unterstreicht diesen wichtigen Aspekt: A. Zimmermann (ed.), Aristotelisches Erbe im arabisch-lateinischen Mittelalter, Berlin - New York 1986 (Miscellanea Mediaevalia 18). Cf. Α. Zimmermann (ed.), Die Auseinandersetzung an der Pariser Universität im 13. Jahrhundert, Berlin - New York 1976 (Miscellanea Mediaevalia 10). Cf. hierzu den tabellarischen Überblick im Anhang. Zu den genauen Daten und den entsprechenden Bänden der Miscellanea Mediaevalia cf. den tabellarischen Uberblick im Anhang.
50 Jahre Kölner Mediaevistentagungen: ein Überblick
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unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle auch der Beitrag von Gudrun VuilleminDiem, die während dieser Zeit die Mehrzahl der Tagungsakten auf denkbar höchstem Niveau für den Druck vorbereitet und auf diese Weise maßgeblich zum Renommée der Miscellanea Mediaevalia beigetragen hat. Die 27. Kölner Mediaevistentagung im September 1990 stand ganz unter dem Eindruck der epochalen politischen Wende in Europa. Zu den bereits seit langem bestehenden, aber stets von der politischen Gesamtsituation abhängigen Kontakten nach Mittel-, Ost- und Südosteuropa kamen nun viele neue hinzu. Die Kölner Mediaevistentagungen der folgenden Jahre boten nicht nur das Forum für den Austausch von Erfahrungen und für ein erstes Kennenlernen, sondern auch für den Aufbau einer substantiellen Zusammenarbeit, die in einigen Fällen zu einer dauerhaften Partnerschaft mit dem Thomas-Institut führte. Dies schlägt sich auch in den folgenden Bänden der Miscellanea Mediaevalia nieder. In diesen Zusammenhang gehört auch der 23. Band der Miscellanea Mediaevalia, welcher der berühmten Erfurter Bibliotheca Amploniana und ihrer Bedeutung im Spannungsfeld von Aristotelismus, Nominalismus und Humanismus gewidmet ist. Dieser ging aus einer Tagung hervor, die unter dem gleichlautenden Rahmenthema vom 22. bis 26. März 1993 im Augustinerkloster zu Erfurt stattfand und vom Thomas-Institut in Zusammenarbeit mit der Erfurter Bibliothek und anderen Erfurter Institutionen durchgeführt wurde 21 . Es zeigte sich aber auch sehr bald, daß der Optimismus eines allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwungs in den neuen Demokratien verfrüht war. Vielmehr bedurfte und bedarf es nach wie vor einer nachhaltigen Unterstützung. Dies gilt im übrigen auch für junge Wissenschaftler aus anderen europäischen und außereuropäischen Ländern, deren Reisebudgets häufig sehr klein sind. So gilt an dieser Stelle auch den Institutionen und Stiftungen Anerkennung und Dank, die es ermöglicht haben, daß das Thomas-Institut als Drehscheibe eines so lebendigen Forschungsaustausches fungieren konnte. Diese Arbeit gilt es auch in der Zukunft fortzusetzen. Auf diese Weise kann zugleich etwas von jener Dankesschuld für die Unterstützung abgetragen werden, die das Institut bei seiner Gründung erfahren hat. Die 28. Kölner Mediaevistentagung vom 8. bis 11. September 1992 nimmt mit der Frage von „ S a e n t i a und ars im Hoch- und Spätmittelalter" eine Thematik wieder auf und führt diese verknüpfend weiter, die sowohl die letzte Tagung Josef Kochs 22 als auch die erste Tagung Albert Zimmermanns 23 bestimmte. 21
22
23
Cf. Α. Speer (ed.), Die Bibliotheca Amploniana. Ihre Bedeutung im Spannungsfeld von Aristotelismus, Nominalismus und Humanismus, Berlin - New York 1995 (Miscellanea Mediaevalia 23). Siehe die 6. Kölner Mediaevistentagung vom 5. bis 8. Oktober 1955 „Die Artes liberales in der Kultur des Mittelalters", veröffentlicht als Band 5 der Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters: cf. supra nt. 11. Siehe die 16. Kölner Mediaevistentagung vom 18. bis 21. September 1968 „Methoden in Wissenschaft und Kunst des Mittelalters", veröffentlicht als Band 7 der Miscellanea Mediaevalia: Methoden in Wissenschaft und Kunst des Mittelalters, ed. A. Zimmermann, Berlin 1970.
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Andreas Speer
Es war zugleich die letzte Mediaevistentagung unter der Leitung von Albert Zimmermann. So wurde der 22. Band der Miscellanea Mediaevalia zugleich im darauffolgenden Jahr zur Festschrift für den scheidenden Direktor des ThomasInstituts 24 , der den Staffelstab nahtlos an Jan A. Aertsen übergab. Die 29. Kölner Mediaevistentagung im September 1994 zum Thema „Individuum und Individualität im Mittelalter", zugleich die erste unter dem neuen Direktor des Thomas-Instituts, sah mit über ca. 300 Teilnehmern die größte Anzahl an Mediävisten, die je aus Anlaß einer Mediaevistentagung nach Köln gekommen war — eine Zahl, die sich auch in den nächsten Jahren nur unwesentlich verminderte. Denn die Mediaevistentagungen sind, wie Jan Aertsen in seinem Dankwort zum Abschluß der 31. Kölner Mediaevistentagung am 11. September 1998 wohl nicht zu Unrecht feststellte, zum derzeit wichtigsten regelmäßigen Treffpunkt in Europa für die philosophische Mittelalterforschung geworden. Dies zeigt auch die durchschnittliche Teilnehmerzahl von 250 Fachkollegen bei den heutigen Mediaevistentagungen. Der damit verbundenen Verantwortung ist sich das Thomas-Institut bewußt und wird die damit verbundene Arbeit sicherlich auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten übernehmen. Zwischen diese beiden Mediaevistentagungen fallt die erneute Übernahme der Verantwortung für einen Weltkongreß für mittelalterliche Philosophie durch das Thomas-Institut, namentlich durch Jan A. Aertsen und Andreas Speer. Mehr als 600 Teilnehmer nahmen an dem zehnten Internationalen Kongreß für Mittelalterliche Philosophie der Société Internationale pour l'Étude de la Philosophie Médiévale, zu deren Präsident Albert Zimmermann 1992 gewählt worden war, teil, der vom 25. bis 30. August 1997 unter dem Generalthema „Was ist Philosophie im Mittelalter?" in Erfurt stattfand 25 . Die Tagungsakten erschienen — wie bereits die Akten des von Paul Wilpert durchgeführten zweiten Internationalen Kongresses in Köln — als Band 27 der Miscellanea Mediaevalia 26 . Auch für die letzten Mediaevistentagungen gilt, daß sie zum einen die gegenwärtige Forschungsdiskussion widerspiegeln, zum anderen von den Forschungsschwerpunkten und Forschungsinteressen am Thomas-Ins ti tut geprägt sind. Diese galten auf vielfaltige Weise dem „Geistesleben im 13. Jahrhundert"; so lautete denn auch das Thema der 31. Mediaevistentagung vom 8. bis 11. September 1998. Diese war zudem mit einem mehrjährigen transatlantischen For24
25
26
Cf. I. Craemer-Ruegenberg/A. Speer (eds.), Säenüa und ars im Hoch- und Spätmittelalter, 2 Halbbde., Berlin - New York 1994 (Miscellanea Mediaevalia 22). Cf. Α. Speer, Qu'est-ce que la philosophie au moyen âge? Bilan philosophique du dixième congrès international de philosophie médiévale tenu à Erfurt du 25 au 30 âout 1997, in: Recherches de Théologie et Philosophie médiévales 65 (1998), 1 3 3 - 1 4 6 . J. A. Aertsen/A. Speer (eds.), Was ist Philosophie im Mittelalter? Akten des X. Internationalen Kongresses für mittelalterliche Philosophie der Société Internationale pour l'Étude de la Philosophie Médiévale vom 25. bis 30. August 1997 in Erfurt, Berlin - New York 1998 (Miscellanea Mediaevalia 26). Auch die Akten des VI. Internationalen Kongresses für mittelalterliche Philosophie der S.I.E.P.M. „Sprache und Erkenntnis im Mittelalter", der vom 29. August bis 3. September 1977 in Bonn stattfand, sind - von Wolfgang Kluxen herausgegeben - in den Miscellanea Mediaevalia als Band 13 (Berlin - New York 1981) erschienen.
50 Jahre Kölner Mediaevistentagungen: ein Überblick
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schungsprojekt verbunden, das unter der Leitung des Thomas-Instituts und des Medieval Institute der University of Notre Dame dem let2ten Viertel des 13. Jahrhunderts galt, das gleichsam im Schlagschatten der Pariser Verurteilungen vom 7. März 1277 steht. Damit kehrt das Thomas-Institut zu seinem Jubiläum in mancherlei Hinsicht an seine Anfange zurück: thematisch, wenn man etwa an die Forschungsinteressen seines Gründers zu philosophischen und theologischen Irrtumslisten denkt 27 , und institutionell mit Blick auf die besonderen deutsch-amerikanischen Beziehungen. Da die Ergebnisse dieses im Rahmen des TransCoop-Programms der Stiftung Deutsch Amerikanisches Akademisches Konzil (German American Academic Council Foundation) geförderten Forschungsvorhabens als Band 28 der Miscellanea Mediaevalia veröffentlicht wurden 28 , erscheint der vorliegende Tagungsband der 32. Kölner Mediaevistentagung, die vom 12. bis 15. September 2000 unter dem Thema „Ende und Vollendung. Eschatologische Perspektiven im Mittelalter" stattfand, als 29. Band dieser Reihe. Obwohl es naheliegen mag, verbieten sich am Ende eines Beitrages, der nicht viel mehr als ein bescheidener Versuch sein kann, die fünfzigjährige Geschichte der Kölner Mediaevistentagungen nachzuzeichnen, eschatologische Motive. Ganz im Gegenteil: Wenn man sich noch einmal vergegenwärtigt, wie fragil die Anfänge sowohl des Thomas-Instituts als auch der Kölner Mediaevistentagungen waren, weit entfernt von aller Nostalgie, die sich heute (wie dies übrigens zumeist der Fall ist) oftmals gerne breit macht, dann ist es nicht unberechtigt, auch die nächsten 50 Jahre durchaus mit Optimismus in Angriff zu nehmen. Dies ist im übrigen schon geschehen, wie nicht zuletzt die Einladung zur 33. Kölner Mediaevistentagung zeigt, die vom 11. bis 13. September 2002 unter dem Thema „Herbst des Mittelalters? Fragen zur Bewertung des 14. und 15. Jahrhunderts" stattfinden wird.
27
28
Siehe insbesondere die im zweiten Band der Kleinen Schriften (Rom 1973) versammelten Beiträge Kochs. J. A. Aertsen/K. Emery, Jr./A. Speer (eds.), Nach der Verurteilung von 1277. Philosophie und Theologie an der Universität von Paris im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts. Studien und Texte (After the Condemnation of 1277. Philosophy and Theology at the University of Paris in the Last Quarter of the Thirteenth Century. Studies and Texts), Berlin - New York 2001 (Miscellanea Mediaevalia 28).
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Andreas Speer
ANHANG Die K ö l n e r M e d i a e v i s t e n t a g u n g e n : Daten, Themen, Dokumentation Tagung Datum
Thema
Tagungsbericht
Tagungsband
1
11. bis 13. Oktober 1950
Revue philosophique de Louvain 48 (1950), 554-556 (F. Van Steenberghen)
2
Der mittelalterliche erste OktoberSymbolismus woche 1951
3
1. bis 3. Oktober 1952
Nikolaus von Kues (sowie freie Themen)
4
30. September bis 2. Oktober 1953
Die geistige Welt des 12. Jahrhunderts
Revue philosophique de Louvain 51 (1953), 6 3 0 - 6 3 3 (W Kluxen)
5
6. bis 8. Oktober 1954
Augustinus im Mittelalter
Revue philosophique de Louvain 52 (1954), 667
6
5. bis 8. Oktober 1955
Die Artes libera- Revue philosophique les in der Kultur de Louvain 53 (1955), des Mittelalters 640-643 (M. Giele)
J. Koch (ed.), Artes liberales. Von der antiken Bildung zur Wissenschaft des Mittelalters, Leiden-Köln 1959 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 5)
7
3. bis 6. Oktober 1956
Die Antike aus der Sicht des Mittelalters
P. Wilpert (ed.), Antike und Orient im Mittelalter. Vorträge der Kölner Mediaevistentagungen 1956-1959, Berlin 1962, zweite neu durchgesehene Auflage Berlin - New York 1971 (Miscellanea Mediaevalia 1)
8
9. bis 12. Oktober 1957
Orient und Okzi- Revue philosophique dent im Mittelalter de Louvain 55 (1957), 540-552 (M. Giele)
Ibid.
9
1. bis 4. Oktober 1958
Die Welt des 14. Jahrhunderts
Ibid.
J. Koch (ed.), Humanismus, Mystik und Kunst in der Welt des Mittelalters, Leiden - Köln 1953, zweite unveränderte Aufl. 1959 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 3)
Revue philosophique de Louvain 54 (1956), 6 5 7 - 6 6 0 (M. Giele)
Revue philosophique de Louvain 56 (1958), 7 0 6 - 7 1 5 (M. Giele)
50 Jahre Kölner Mediaevistentagungen: ein Überblick Tagungsbericht
45
Tagung Datum
Thema
Tagungsband
10
9. bis 12. September 1959
Fides und aucto- Revue philosophique ritas im 13. Jahr- de Louvain 57 (1959), hundert 6 6 5 - 6 7 8 (C. Petraitis)
Ibid.
11
7. bis 10. September 1960
Das Selbstverständ- Revue philosophique nis des Berufs im de Louvain 58 (1960), 589/598-613 13. Jahrhundert (M. Giele)
P. Wilpert (ed.), Beiträge zum Berufsbewußtsein des mittelalterlichen Menschen, Berlin 1964 (Miscellanea Mediaevalia 3)
12
25. bis 27. September 1962
Berufsbewußtsein Revue philosophique und Selbstverständ- de Louvain 60 (1962), nis des spät6 5 7 - 6 6 0 (L. Briquet) mittelalterlichen Menschen
Ibid.
13
15. bis 18. Oktober 1963
Judentum im Mittelalter
14
16. bis 18. September 1965
Universalismus Revue philosophique und Partikularis- de Louvain 63 (1965), mus im Mittelalter 335
P. Wilpert (ed.), Universalismus und Partikularismus im Mittelalter, Berlin 1968 (Miscellanea Mediaevalia 5)
15
22. bis 24. September 1966
Lex und sacramentum im Mittelalter
Revue philosophique de Louvain 64 (1966), 719 sq.
P. Wilpert (ed.), Lex und sacramentum im Mittelalter, Berlin 1969 (Miscellanea Mediaevalia 6)
16
18. bis 21. September 1968
Methoden in Wis- Revue philosophique senschaft und de Louvain 66 (1968), Kunst des Mittel- 374 alters
A. Zimmermann (ed.), Methoden in Wissenschaft und Kunst des Mittelalters, Berlin 1970 (Miscellanea Mediaevalia 7)
17
9. bis 12. September 1970
Der Begiff der repraesentaüo im Mittelalter - Stellvertretung, Symbol, Bild, Zeichen
A. Zimmermann (ed.), Der Begiff der repraesentatio im Mittelalter - Stellvertretung, Symbol, Bild, Zeichen, Berlin - New York 1971 (Miscellanea Mediaevalia 8)
18
30. August Traditionsbewußtbis 2. Sepsein und Forttember 1972 schrittsbewußtsein im späten Mittelalter - Antiqui und Moderni
A. Zimmermann (ed.), Antiqui und Moderni. Traditionsbewußtsein und Fortschrittsbewußtsein im späten Mittelalter, Berlin New York 1974 (Miscellanea Mediaevalia 9)
19
11. bis 14. September 1974
A. Zimmermann (ed.), Die Auseinandersetzung an der Pariser Universität im 13. Jahrhundert, Berlin - New York 1976 (Miscellanea Mediaevalia 10)
P. Wilpert (ed.), Judentum im Revue philosophique Mittelalter. Beiträge zum de Louvain 61 (1963), 672-681 (W P. Eckert) jüdisch-christlichen Gespräch, Berlin 1966 (Miscellanea Mediaevalia 4)
Die Auseinander- Revue philosophique set^ung an der Pari- de Louvain 72 (1974), ser Universität im 647 13. Jahrhundert
46
Andreas Speer Tagungsbericht
Tagungsband
Tagung Datum
Thema
20
1. bis 4. September 1976
Die Mächte des Guten und Bösen. Vorstellungen im 12. und 13. Jahrhundert über ihr Wirken in der Heilsgeschichte
Α. Zimmermann (ed.), Die Mächte des Guten und Bösen. Vorstellungen im 12. und 13. Jahrhundert über ihr Wirken in der Heilsgeschichte, Berlin — New York 1977 (Miscellanea Mediaevalia 11)
21
6. bis 9. September 1978
Kategorien ^ur Erfassung socialer Strukturen
A. Zimmermann (ed.), Soziale Ordnungen im Selbstverständnis des Mittelalters, 2 Halbbde., Berlin - New York 1979 (Miscellanea Mediaevalia 12)
22
3. bis 6. September 1980
Albert der Große, seine Zeit, sein Werk, seine Wirkung
A. Zimmermann (ed.), Albert der Große: seine Zeit, sein Werk, seine Wirkung, Berlin New York 1981 (Miscellanea Mediaevalia 14)
23
8. bis 11. September 1982
Mensura. Maß, Messen, Maßverhältnisse im Mittelalter
A. Zimmermann (ed.), Maß, Zahl, Zahlensymbolik im Mittelalter, 2 Halbbde., Berlin - New York 1983 (Miscellanea Mediaevalia 16)
24
11. bis 14. September 1984
Orientalische Kultur und europäisches Mittelalter
A. Zimmermann/I. CraemerRuegenberg (eds.), Orientalische Kultur und europäisches Mittelalter, Berlin - New York 1985 (Miscellanea Mediaevalia 17)
25
16. bis 19. September 1986
Thomas von Aquin - sein Leben, sein Werk und seine Zeit in der neuesten Forschung
A. Zimmermann (ed.), Thomas von Aquin: Werk und Wirkung im Licht neuerer Forschungen, Berlin - New York 1988 (Miscellanea Mediaevalia 19)
26
6. bis 9. September 1988
Die Kölner Universität im Mittelalter. Vorgeschichte — Gründungsphase — Folgezeit
A. Zimmermann (ed.), Die Kölner Universität im Mittelalter. Geistige Wurzeln und soziale Wirklichkeit, Berlin - New York 1989 (Miscellanea Mediaevalia 20)
27
11. bis 14. September 1990
Mensch und Natur im Mittelalter
Bulletin de philosophie médiévale 32 (1990), 2 2 2 - 2 2 6 (Α. Speer)
A. Zimmermann/A. Speer (eds.), Mensch und Natur im Mittelalter, 2 Halbbde., Berlin New York 1991/2 (Miscellanea Mediaevalia 21)
28
8. bis 11. September 1992
Scientia und ars im Hoch- und Spätmittelalter
Bulletin de philosophie médiévale 34 (1992), 2 3 5 - 2 3 8 (Α. Speer)
I. Craemer-Ruegenberg/A. Speer (eds.), Säentia und ars im Hochund Spätmittelalter, 2 Halbbde., Berlin - New York 1994 (Miscellanea Mediaevalia 22)
50 Jahre Kölner Mediaevistentagungen: ein Überblick
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Tagung Datum
Thema
Tagungsbericht
Tagungsband
29
13. bis 16. September 1994
Individuum und Individualität im Mittelalter
Bulletin de philosophie médiévale 36 (1994), 1 9 9 - 2 0 5 (Α. Speer)
J. A. Aertsen/A. Speer (eds.), Individuum und Individualität im Mittelalter, Berlin - New York 1996 (Miscellanea Mediaevalia 24)
30
10. bis 13. September 1996
Raum und Raum- Bulletin de philosophie vorstellungen im médiévale 38 (1996), Mittelalter 1 5 3 - 1 6 0 (Α. Speer)
J. A. Aertsen/A. Speer (eds.), Raum und Raumvorstellungen im Mittelalter, Berlin - New York 1998 (Miscellanea Mediaevalia 25)
31
8. bis 11. September 1998
Geistesleben im 13. Jahrhundert Neue Perspektiven
J. A. Aertsen/A. Speer (eds.), Geistesleben im 13. Jahrhundert, Berlin - New York 2001 (Miscellanea Mediaevalia 27)
32
12. bis 15. September 2000
Ende und VollBulletin de philosophie endung. Eschatolo- médiévale 42 (2000), gische Perspektiven 1 6 3 - 1 7 0 (M. Pickavé) im Mittelalter
Bulletin de philosophie médiévale 40 (1998), 9 1 - 9 9 (A. Speer)
J. A. Aertsen/M. Pickavé (eds.), Ende und Vollendung. Eschatologische Perspektiven im Mittelalter, Berlin - New York 2002 (Miscellanea Mediaevalia 29)
Fröhliche Wissenschaft: Wahrheit im Mittelalter J A N A . AERTSEN
(Köln)
I. E i n l e i t u n g (1) Darf ich Sie bitten, sich in Gedanken in das Jahr 1270 zu versetzen? An der Universität von Paris findet, wie immer in der Adventszeit, eine Sonderdisputation statt. Im Gegensatz zu den regulären Disputationen, bei denen der Magister die quaestio festsetzte und fortgeschrittene Studenten sie zu diskutieren hatten, wird jetzt die Frage von der Zuhörerschaft bestimmt und der Magister hat sie zu lösen. Solch eine Disputation konnte also „von jedem möglichen" Gegenstand (de quolibet) handeln. Wir besitzen eine reportatio, eine kurze Niederschrift dieser sog. „quaestio quodlibetalis"x. Die dem Magister vorgelegte Frage lautet: „Ist Wahrheit stärker als der Wein, der König und die Frau?" Ganz originell ist die Fragestellung nicht: sie ist, wie der Magister in seiner Antwort bemerkt, dem apokryphen Bibelbuch Esra (III, c. 3 — 4) entnommen 2 . Im Text werden Argumente vorgeführt, welche die Trümpfe der letzten drei Kandidaten ausspielen. Der Wein scheint stärker zu sein, weil er den Menschen am meisten verändert. Wir wissen: in vino Veritas. Der König scheint stärker zu sein, weil er den Menschen zu demjenigen bewegen kann, was das Schwerste ist, nämlich sich der Todesgefahr auszusetzen. Aber dann scheint a fortiori die Frau stärker zu sein, weil sie auch Könige beherrscht 3 . Der Magister, der die quaestio zu lösen hat, ist der Namensgeber unseres Instituts, Thomas von Aquin. Unerschütterlich, wie immer, erwidert er, daß die vier genannten Sachen an sich nicht miteinander vergleichbar sind, weil sie nicht zu einer Gattung gehören 4 . Trotzdem versucht er, der Frage einen positiven
1
2
3
4
Thomas von Aquin, Quaestiones de Quolibet XII, q. 13, a. 1 (ed. Leonina vol. XXV/2, Rom 1996, 4 1 4 - 4 1 5 ) . Für die Datierung dieser Disputation, cf. J. P. Torreil, Magister Thomas. Leben und Werk des Thomas von Aquin, Freiburg 1995, 2 2 3 - 2 2 4 . Ibid. (ed. Leonina, 414): „Dicendum quod hec est questio proposita iuuenibus dissoluenda in Esdra." Für eine deutsche Übersetzung der Geschichte in Esra III, c. 3 - 4, cf. E. Weidinger, Die Apokryphen. Verborgene Bücher der Bibel, Würzburg 1992, 3 5 2 - 3 5 6 . Ibid.: „Et uidetur quod liinum, quia inmutat maxime hominem. — Item, quod rex, quia pellit hominem ad id quod est difftállimum, salicet ad hoc quod se exponat homo periculo mortis. - Item, quod mulier, quia dominatur etìam regibus. " Ibid. (ed. Leonina, 415): „Säendum igitur quod, si consideremus ista quatuor secundum se, sälicet uinum, regem et mulierem et ueritatem, non sunt comparabilia, quia non sunt unius generis. "
Fröhliche Wissenschaft: Wahrheit im Mittelalter
49
Sinn abzugewinnen, und in diesem Versuch bewährt er sich als ein Meister der Distinktion. Wenn Wein, Frau, König und Wahrheit in bezug auf eine Wirkung betrachtet werden, in der sie zusammenkommen {concurrunt), lassen sie sich miteinander vergleichen. Nach Thomas gibt es eine solche gemeinsame Wirkung, die er mit dem Terminus bezeichnet, mit dem die Macht des Weins beschrieben wurde: „die Veränderung des Menschen". Das den Menschen Verändernde kann körperlich, sinnlich oder geistig sein. Im körperlichen Bereich ist der Wein am stärksten, auf der Ebene der sinnlichen Strebung die Frau. Im geistigen Bereich ist wieder zwischen dem Praktischen und dem Betrachtenden (speculativum) zu unterscheiden. Im praktisch-politischen Bereich ist der König am mächtigsten, auf theoretischem Gebiet die Wahrheit5. Jeder der vier Kandidaten ist also auf dem ihm eigentümlichen Gebiet der Stärkere. Es besteht jedoch eine hierarchische Ordnung zwischen den verschiedenen Ebenen. Die körperlichen Kräfte sind den sinnlichen untergeordnet, die sinnlichen den geistigen, und im letzten Bereich ist das Praktische dem Betrachtenden untergeordnet. So kann Thomas schließen: „Deshalb ist im absoluten Sinne (simpliäter) die Wahrheit würdiger, erhabener und stärker."6 Die Scholastik ist eine eminent argumentative Form des Philosophierens, die wenig Raum für Heiterkeit bietet. Aber hier begegnen wir der mittelalterlichen Fassung einer nach Form und Inhalt „fröhlichen Wissenschaft". Der Terminus könnte als Anachronismus erscheinen, weil er gewöhnlich mit Friedrich Nietzsche, der 1882 „Die fröhliche Wissenschaft" veröffentlichte, verbunden wird. Unangemessen (oder wenigstens anachronistisch) ist der Ausdruck jedoch nicht, weil sein Ursprung mittelalterlich ist; er ist eine Schöpfung der höfischen Kultur der Troubadoure7. Im Jahre 1323, dem Jahre der Heiligsprechung des Thomas, wird in Toulouse das „Konsistorium der Fröhlichen Wissenschaft" gegründet. Dieser Verein will die Tradition der höfischen Kultur weiterpflegen, ist aber in Wirklichkeit eine institutionelle Umformung jener Tradition. Das Konsistorium beschließt, akademische Grade zu verleihen. Es werden Prüfungs5
6
7
Ibid.: „Tarnen, si considerenturper comparaßonem ad atiquem effectum, concurrunt in unum, et siepossunt comparan. Hic autem effectus in quem concurrunt et conueniunt et possunt, est inmutatio cordis humani. Quid ergo inter ista magis inmutet cor hominis, uidendum est. Sciendum est igitur quod inmutatiuum hominis quoddam est corporale, et aliud est animale; et hoc est duplex, scilicet sensibile et intelligibile; intelligibile etiam est duplex, sälicet practicum et speculatiuum. Inter ea autem que pertinent ad inmutatiua naturaliter secundum dispositionem corporis habet excellenciam uinum, quod ,faàt per talenta loqui'; inter ea que pertinent ad inmutandum appetitum sensitiuum, excellentius est delectatio, precìpue άπα uenerea, et sie mulier est fortior; item in pracüas et in rebus humants que potest homo facere, maximam potestatem habet rex; in speculatiuis summum etpotentìssimum est uentas. " Ibid.: „Nunc autem uires corporales subiduntur uiribus animalibus, uires animales intellectualibus, et inter intellectuales practice speculatiuis, et ideo simplirìter ueritas dignior est et excellentior et fortior. " Cf. (auch für das Folgende) den inhaltsreichen Aufsatz von T. Borsche, Vom romantischen Traum einer fröhlichen Wissenschaft. Nostradamus, Nietzsche und die Inquisition, in: Nietzsche-Studien 23 (1994), 175-199.
50
Jan A. Aertsen
Ordnungen für den Baccalaureus und den Doktor der Fröhlichen Wissenschaft erlassen. „Fröhlich" heißt diese Wissenschaft, weil sie auf die Lust der wahren Erkenntnis, im Sinne einer wohltätigen Weisheit, verweist. Der Begriff hatte eine erstaunliche Wirkungsgeschichte, in deren Verlauf Personen aller Art sich selbst zu Vertretern dieser Wissenschaft promovierten. Der Ausdruck „Fröhliche Wissenschaft" wurde von der Romantik des 18. Jahrhunderts aufgegriffen und dann von Nietzsche übernommen, der den Terminus mit einem neuen Sinngehalt füllt. Philosophen sind weniger zum Lachen geneigt (und geeignet) als zum Fragen. Wir sollen die quaestio quodlibetalis des Thomas natürlich nicht überfordern, aber ich kann doch zwei Bemerkungen nicht unterlassen. Erstens, Thomas spricht — der ihm vorgelegten Fragestellung folgend — von Wahrheit, als sei sie ein konkreter Gegenstand wie Wein, Frau und König. Rein sprachlich ist das bereits nicht der Fall. Wahrheit ist ein abstraktes Substantiv, und was mit dieser ehrwürdigen Vokabel gemeint ist, ist vielleicht in der Umgangssprache klar, aber nicht ohne weiteres auf einer reflexiven Ebene, d. h. in der Sprache der Philosophen. Zweitens, in seiner Antwort sagt Thomas nicht, worin eigentlich die Macht der Wahrheit besteht. Er bezeugt sie mehr, als daß er sie nachweist. Vor dem Hintergrund einer Hierarchie der menschlichen Seelenkräfte, in der die Wahrheit sich auf die höchste Stufe bezieht, scheint ihm die Macht der Wahrheit eine Selbstverständlichkeit zu sein. (2) Wenn etwas in der Philosophie des letzten Jahrhunderts verlorengegangen ist, dann ist es die Uberzeugung von der Macht und vom Sinn der Wahrheit. Diese Wendung hat „der Philosoph mit dem Hammer", Nietzsche, in einem Aphorismus zum Ausdruck gebracht: „ D a s N e u e an unserer jetzigen Stellung zur Philosophie ist eine Uberzeugung, die noch kein Zeitalter hatte: dass wir die Wahrheit nicht haben. Alle f r ü h e r e n Menschen ,haben die Wahrheit': selbst die Skeptiker." 8
Die gemeinsame Wahrheitsüberzeugung des abendländischen Menschen beruht auf einem metaphysischen Glauben, einem versteckten Vorurteil, nämlich daß Gott die Wahrheit ist. In seiner „Fröhlichen Wissenschaft" erkennt Nietzsche an, „dass auch wir E r k e n n e n d e n von heute, wir G o t d o s e n u n d Antimetaphysiker, auch unser Feuer noch von d e m Brande e n t n e h m e n , d e n ein Jahrtausende alter Glaube entzündet hat, jener Christen-Glaube, der auch der Glaube Plato's war, dass G o t t die Wahrheit ist, dass die Wahrheit göttlich ist , . . " 9 . 8
9
F. Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 1, 3, in: Nietzsche, Werke. Kritische Gesamtausgabe V, 1, Berlin — New York 1971, 19. Zu Nietzsches Wahrheitsverständnis: K. Ulmer, Nietzsches Idee der Wahrheit und die Wahrheit der Philosophie, in: Philosophisches Jahrbuch 70 (1962/ 3), 295 - 310; M. Fleischer, Wahrheit und Wahrheitsgrund. Zum Wahrheitsproblem und zu seiner Geschichte, Berlin - New York 1984, 133-190. F. Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, n. 344, in: Nietzsche, Werke. Kritische Gesamtausgabe V, 2, Berlin - New York 1973, 259.
Fröhliche Wissenschaft: Wahrheit im Mittelalter
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Von dem Augenblick an, wo dieser Glaube verneint worden ist, d. h. bei der Nachricht „Gott ist tot", ist die Sonne der Wahrheit erloschen. Aber diese Verdüsterung eröffnet neue Horizonte. Die Folgen „für uns sind, umgekehrt als man vielleicht erwarten könnte, durchaus nicht traurig und verdüsternd, vielmehr wie eine neu schwer zu beschreibende Art von Licht, Glück, Erleichterung, Erheiterung" 1 0 . D a ß wir die Wahrheit nicht haben, ist für Nietzsche eine „fröhliche" Wissenschaft. Nach seiner Diagnose entwerten sich die obersten Werte des bisherigen Menschentums. Die Wahrheit, die das irdisch-sinnliche Leben des Menschen verneinte und verfälschte, verliert ihre unbedingte Verbindlichkeit. Umwertung aller Werte: An die Stelle des Willens zur Wahrheit tritt „der Wille zur Macht". A m Ende des 20. Jahrhunderts ist die Dekonstruktion des Wahrheitsbegriffs vom Postmodernismus ohne das Pathos Nietzsches vollendet worden. Die Zeit der Wahrheit ist vorbei; was übrig bleibt, ist eine Pluralität von Kontexten und Perspektiven, die sich nicht in eine Gesamtheit integrieren lassen, so daß es höchstens noch eine Wahrheit-für-mich geben kann. D e r Verlust der Wahrheit läßt sich durch mehrere Zitate aus der neueren Literatur belegen. „Die Suche nach der Wahrheit ist nicht mehr aktuell." 1 1 Wahrheit ist ein „obsoletes Überbleibsel einer erloschenen theologischen Tradition" 1 2 . „Demontierung der Wahrheit, Wirklichkeit in der postmodernen Welt", heißt der Titel eines Sammelbandes 1 3 . „Ende der Wahrheit?" 1 4 (3) 2 5 0 0 Jahre Philosophie scheinen dazu geführt zu haben, daß Pilatus mit seiner Scheinfrage „Was ist Wahrheit?" (Joh. 18,38) - nicht zufállig nach Nietzsche das einzige Wort des Neuen Testaments, das Wert habe - recht bekommen hat. Ist Wahrheit im neuen Millennium passé? Diese Frage ist der Grund dafür, daß ich heute von der Wahrheit, ihrem Wesen und ihrer Macht, reden möchte. D i e Wahl des Themas entspricht dem Geiste der Satzung des 50-jährigen T h o mas-Instituts. D e r erste Paragraph dieser Satzung lautet: „Das Thomas-Institut an der Universität zu Köln ist ein Forschungsinstitut, das sich der Untersuchung der mittelalterlichen Philosophie in dem Bestreben widmet, die dabei gewonnenen Erkenntnisse für die Probleme unserer Zeit nutzbar zu machen." Mit der Wahl dieser Thematik befinde ich mich auch in guter Gesellschaft. Alle Direktoren des Thomas-Instituts haben sich mit dem T h e m a „Wahrheit" 10 11
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Ibid., n. 343, 256. Eine Aussage von Pierre Gautier, zitiert nach J. Sperna Weiland, De mens in de filosofie van de twintigste eeuw, Amsterdam 1999, 367, der hinzufügt: „Wenn die Suche nach der Wahrheit nicht mehr aktuell ist, dann bedeutet das den Tod der Philosophie." Cf. G. W Remmling, Der Weg in den Zweifel. Studien zur Krise des modernen Denkens, Stuttgart 1975, 13. H. Lawson/L. Appignanesi (eds.), Dismantling Truth, Reality in the Postmodern World, London 1989. A. Kreiner, Ende der Wahrheit? Zum Wahrheitsverständnis in Philosophie und Theologie, Freiburg - Basel - Wien 1991.
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beschäftigt 15 . Paul Wilpert zum Beispiel, dessen Dissertation vom „Problem der WahrheitsSicherung bei Thomas von Aquin" handelte, hat auf dem ersten Weltkongreß der mittelalterlichen Philosophie (Löwen, 1958) eine Rede über „Wissenschaft und Wahrheit im Mittelalter" gehalten, „aus der Überzeugung, daß eine Beschäftigung mit dem Ringen des Mittelalters in diesem Gebiet auch uns für die Problematik der Gegenwart Anregungen zu bieten vermag" 16 . Verwunderlich ist diese intensive Beschäftigung mit dem Thema „Wahrheit" nicht. Es ist im Mittelalter, daß zum ersten Mal in der Philosophiegeschichte Wahrheit, „die Sache des Denkens" (Heidegger) 17 , zum Gegenstand einer systematischen Analyse wird. Mehrere Denker aus der Tradition haben sich gefragt, was es heißen würde, wenn es keine Wahrheit (mehr) gäbe. Als Beispiel nehme ich das Argument Bonaventuras, eines Zeitgenossen des Thomas von Aquin. Das Licht der Wahrheit kennt keinen Untergang. Der Mensch, der dieses verneint, widerspricht sich selbst. Denn wenn es keine Wahrheit gibt, ist es wahr, daß es keine Wahrheit gibt. Also ist etwas wahr, und wenn etwas wahr ist, dann ist wahr, daß es eine Wahrheit gibt (weil etwas nur durch die Wahrheit wahr ist). Wenn es also keine Wahrheit gibt, dann gibt es eine Wahrheit. Bonaventura schließt sein Argument mit einem Hinweis auf die Aussage im Buch Esra (4, 41), welche den Ausgangspunkt der quaestio quodlibetalis des Thomas bildete: „Über alles mächtig ist die Wahrheit." 18 Das ist die Fröhliche Wissenschaft im Mittelalter. Solch ein formales Argument hat Heidegger kritisiert: „Es hat im Wesentlichen nichts zu sagen. Es ist völlig leer und unverbindlich." 19 Dagegen möchte ich ein Doppeltes zu bedenken geben. Das Argument ist nicht völlig unverbindlich. Es zeigt, daß die These des „Endes der Wahrheit" einen Widerspruch zwischen dem explizit Gesetzten und dem implizit Beanspruchten enthält. Bonaventuras Argument, daß es Wahrheit gibt, ist in der Tat formal, aber doch 15
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J.Koch, Die Ars coniecturalis des Nikolaus von Kues, Köln - Opladen 1956, insb. 3 6 - 4 1 ; P. Wilpert, Das Problem der Wahrheitssicherung bei Thomas von Aquin. Ein Beitrag zur Geschichte des Evidenzproblems (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters 30, 3), Münster 1931; A. Zimmermann übersetzte und kommentierte Thomas von Aquins Schrift „Von der Wahrheit": De veritate (Quaestio I) (Philosophische Bibliothek 384), Hamburg 1986. Meine Amsterdamer Antrittsvorlesung hatte zum Gegenstand: Medieval Reflections on Truth: Adaequatio rei et intellectus, Amsterdam 1984. Cf. auch J. A. Aertsen, Wendingen in waarheid: Anselmus van Canterbury, Thomas van Aquino en Vico, in: Tijdschrift voor Filosofie 49 (1987), 1 8 7 - 2 2 9 . P. Wilpert, Wissenschaft und Wahrheit im Mittelalter, in: L'homme et son destin (Actes du premier Congrès international de Philosophie Médiévale 1958), Louvain - Paris 1960, 5 1 - 6 9 ; 52. M. Heidegger, Hegel und die Griechen, in: Wegmarken, Frankfurt am Main 1967, 272. Bonaventura, In Hexaemeron IX,1 (Opera omnia V, Quaracchi 1891, 349): „ L u x animae ventas est; haec lux nesät occasum. Ita enim forüter irradiai super animam, ut etiam non possit cogitan non esse nei exprimi, quin homo sibi contradicat: quia, si Veritas non est, verum est, veritatem non esse: ergo aliquid est verum; et si aliquid est verum, verum est, veritatem esse: ergo si Veritas non est, Veritas est. Super omnia enim praevalet Veritas, ut diritur in Esdra. " M. Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik (Gesamtausgabe II, 29/30), Frankfurt am Main 1983, 27.
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nicht ein „leerer Trick". Es bringt zum Bewußtsein, daß wir immer innerhalb des Horizontes der Wahrheit denken und bietet deshalb einen guten Ausgangspunkt für inhaltliche Überlegungen: Was ist Wahrheit? In meinem Yortrag werde ich drei Gestalten des mittelalterlichen Wahrheitsdenkens vorstellen, Anselm von Canterbury, Thomas von Aquin und Nikolaus von Kues, um auch die Verschiedenheit der Wahrheitsannäherungen in diesem Zeitalter zu zeigen. II. Anselm von C a n t e r b u r y Die erste systematische Abhandlung über Wahrheit in der abendländischen Philosophiegeschichte ist der Dialog „De veritate", den der Benediktiner Mönch Anselm von Canterbury ca. 1080/5 verfaßte 20 . Man könnte sich fragen, warum gerade im Mittelalter Wahrheit zum Gegenstand einer systematischen Analyse wurde. Ohne Zweifel hängt diese Tatsache mit dem christlichen Hintergrund dieses Denkens zusammen. Die Wahrheitsfrage könnte die Annäherung an die mittelalterliche Philosophie illustrieren, welche Etienne Gilson, der eigentliche Gründer der philosophischen Mittelalterforschung, inauguriert hat. In seinem berühmten Buch „Der Geist der mittelalterlichen Philosophie" versucht er zu zeigen, daß das Christentum dem philosophischen Denken nicht geschadet, sondern dieses vielmehr fruchtbar beeinflußt und erneuert hat 21 . Er vertritt die These, die mittelalterliche Philosophie habe unter dem Impuls des Christentums das antike Denken transformiert. Gilson erwähnt die Wahrheitsproblematik nicht, aber sie könnte als Beleg für seine These dienen. Aufschlußreich dafür ist die Art und Weise, wie in Anselms Schrift die Wahrheitsfrage angesprochen wird. Der Schüler beginnt den Dialog mit einer Bemerkung, die sofort zum Kern des Problems führt: „Da wir glauben, daß Gott die Wahrheit ist und [da] wir sagen, daß Wahrheit in vielem anderen ist, möchte ich wissen, ob wir, wo immer von Wahrheit gesprochen wird, gestehen müssen, daß sie Gott sei." 22 20
Ich zitiere Anselms Schrift gemäß der zweisprachigen Ausgabe von F. S. Schmitt: Anselm von Canterbury, D e veritate, Über die Wahrheit, Stuttgart 1966. Anselms Wahrheitsbegriff hat neuerdings viel Beachtung gefunden. Cf. Κ. Flasch, Z u m Begriff der Wahrheit bei Anselm von Canterbury, in: Philosophisches Jahrbuch 72 (1965), 3 2 2 - 3 5 2 ; M. McCord Adams, Saint Anselm's theory of truth, in: Documenti e Studi sulla tradizione filosofica medievale I, 2 (1990), 3 5 3 - 3 7 2 ; M. Dreyer, Veritas — Rectitudo — Iustitia. Grundbegriffe ethischer Reflexion bei Anselm von Canterbury, in: Recherches de Théologie et Philosophie Médiévales 64 (1997), 6 7 - 8 5 ; M. E n ders, Wahrheit und Notwendigkeit. Die Theorie der Wahrheit bei Anselm von Canterbury im Gesamtzusammenhang seines Denkens und unter besonderer Berücksichtigung seiner antiken Quellen (Aristoteles, Cicero, Augustinus, Boethius), Leiden - Boston - Köln 1999.
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E. Gilson, L'esprit de la philosophie médiévale, Erstausg. Paris 1932; deutsche Ubers.: D e r Geist der mittelalterlichen Philosophie, Wien 1950. Anselm von Canterbury, D e veritate c. 1 (ed. Schmitt, 36): „Quoniam Deum veritatem esse credimus, et veritatem in multis aliis didmus esse, vellem scire, an ubicumque Veritas diätur, Deum earn esse fateri debeamus. "
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Der Ausgangspunkt ist zweifach: eine Glaubensaussage und eine allgemeine Erfahrungstatsache. „Gott ist Wahrheit" (Joh 14,6), aber was beinhaltet diese Identität? Wie ist diese Wahrheit auf die vielen Erscheinungsformen der Wahrheit bezogen? Ist jede Wahrheit Gott? Innerhalb des christlichen Denkens erhält die Wahrheitsfrage einen eigentümlichen Sinn: Wie verhalten sich die vielen Wahrheitsformen zu der einen (göttlichen) Wahrheit? Um diese Frage beantworten zu können, muß zuerst das Wesen der Wahrheit bestimmt werden. Was ist eigentlich Wahrheit? Das ist eine Aufgabe, die durch die natürliche Vernunft zu lösen ist. Anselm geht in seiner Schrift sola ratione vor. Der Schüler sagt zum Lehrer: „Ich erwarte von dir, eine Definition der Wahrheit zu erfahren." Der Lehrer [Anselm] nimmt diese Herausforderung an, nicht ohne die Originalität seines Vorgehens zu betonen: „Ich erinnere mich nicht, eine Definition der Wahrheit gefunden zu haben; aber lassen wir, wenn du willst, untersuchen was Wahrheit ist, im Durchgang durch die verschiedenen Dinge, von denen wir sagen, daß in ihnen Wahrheit ist." 23
Diese Untersuchung beginnt im Kapitel 2 mit der Wahrheit der Aussage (imuntiatio), weil wir - das war im Mittelalter nicht anders als heute — „von ihr häufiger sagen, sie sei wahr oder falsch". Eine (bejahende) Aussage ist wahr, wenn sie anzeigt, daß ist, was (in Wirklichkeit) ist. Diese korrespondenztheoretische Bestimmung der Wahrheit ist Aristoteles entnommen, aber Anselm geht einen Schritt weiter. Er fragt zunächst nach dem inneren Ziel und Zweck der Aussage: „Wozu ist sie gemacht oder geschaffen?" Der Zielsinn der Aussage ist anzuzeigen, daß ist, was ist; das ist, was sie anzeigen soll (debet), das ist sie ihrem Wesen schuldig 24 . Aufgrund dieses Sollensanspruchs kann Anselm jetzt den Übergang zu dem im ganzen Dialog zentralen Begriff der rectitude (am besten mit „Rechtheit" zu übersetzen) 25 vollziehen. Wenn die Aussage anzeigt, was sie soll, dann zeigt sie in der rechten Weise an. Ebenso ist, wenn die Aussage anzeigt, daß ist, was ist, die Aussage wahr. Daraus folgt, daß für die Aussage „die Wahrheit nichts anderes als die Rechtheit ist" 26 . Die Aussage ist nicht der einzige Ort der Wahrheit. Anselm untersucht nacheinander die Wahrheit des Denkens (Kap. 3), des Willens (Kap. 4), der Handlung (Kap. 5), der Sinne (Kap. 6), der Wesenheit der Dinge (Kap. 7) — „eine Wahrheit, die nur wenige bedenken" 27 —, und schließlich die „höchste Wahrheit" 23
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Ibid.: „Non memini me invertisse definiüonem veritatis; sed si vis quaeramusper rerum diversitates, in quibus veritatem dirímus esse, quid sit Veritas. " Ibid., c. 2 (ed. Schmitt, 40): „Ad quid farta est aßirmatio? Ad significandum esse quod est. Hoc ergo debet. Certum est. Cum ergo significai esse quod est\ significai quod debet. " Zu dieser Ubersetzung, cf. Enders, Wahrheit und Notwendigkeit (nt. 20), 131 - 1 3 3 . Anselm von Canterbury, De veritate c. 2 (ed. Schmitt, 40): „Cum ergo significai esse quod est, recta est significado ... Item cum significai esse quod est, vera est significatio. Vére et recta et vera est, cum significat esse quod est ... Ergo non est tili aliud ventas quam rectitudo." Ibid., c. 9 (ed. Schmitt, 66): „Omnes enim de ventate significationis loquuntur; veritatem vero, quae est in rerum essentia, paurí considérant. "
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(Kap. 10). Bloß diese Aufzählung zeigt bereits einen auffallenden Zug der Schrift Anselms, nämlich sein integrales Wahrheitsverständnis. Der Ort der Wahrheit ist nicht auf die Aussage und das theoretische Denken beschränkt. Die Vielförmigkeit der Wahrheit bei Anselm ist unverkennbar durch den biblischen, insbesondere den johanneischen Wahrheitsbegriff bestimmt. Wenn er die Handlung {actio) als einen Ort der Wahrheit lokalisiert, verweist er ausdrücklich auf das Johannes-Evangelium (3,21), wo vom „Tun" der Wahrheit die Rede ist 28 . Nachdem die verschiedenen Orte, in denen von Wahrheit gesprochen wird, durchlaufen worden sind, kann Anselm das Wesen der Wahrheit definitorisch bestimmen (Kap. 11: „De definitione veritatis"). In der vorangehenden Untersuchung hat sich gezeigt, daß Wahrheit — in welchem Ort sie auch zu finden ist — immer eine Art von „Rechtheit" ist, gemäß der etwas tut, was es tun soll, oder etwas ist, was es sein soll. „Rechtheit" ist demnach der Schlüsselterminus in Anselms Wahrheitsdefinition. „Wahrheit ist die mit dem Geist allein erfaßbare Rechtheit (rectitude mente sola perceptibilis)." Die Hinzufügung „mit dem Geist allein erfaßbar" hat den Sinn, die veritative Rechtheit von der Geradheit, die stoffliche Dinge, z. B. ein Stab, besitzen, zu unterscheiden 29 . Der erste Ertrag der Schrift Anselms ist die neue Definition der Wahrheit. Zu bemerken sei, daß die anselmische „Rechtheit" von der „Richtigkeit" verschieden ist, die nach Heidegger das gesamte abendländische Wahrheitsdenken bestimmt30. „Richtigkeit" besagt die „Ubereinstimmung" einer Aussage mit ihrem Gegenstand, die anselmische „Rechtheit" dagegen die innere Übereinstimmung einer Sache mit ihrem Wesen; dann entspricht sie ihrem Ziel und ist, was sie sein soll. Wahrheit steht bei Anselm in einer teleologischen und ethischen Perspektive. Wahrheit ist Rechtheit; Rechtheit ist auch Gerechtigkeit. Was das Spezifische ist, was den gemeinsamen Oberbegriff „Rechtheit" zur „Gerechtigkeit" macht, untersucht Anselm im nächsten (12.) Kapitel, das „von der Definition der Gerechtigkeit" handelt. Die Tatsache, daß im Dialog „De veritate" die Definition der Gerechtigkeit im engen Zusammenhang mit dem Wahrheitsbegriff diskutiert wird, ist ein weiterer Beleg dafür, daß die ganze Schrift ein Wahrheitsethos durchzieht. Im Schlußkapitel (13.) kommt Anselm auf die am Beginn des Dialogs gestellte Frage zurück. Ist nur eine einzige Wahrheit in allen Erscheinungsformen der Wahrheit oder gibt es mehrere Wahrheiten, wie es mehrere Dinge sind, in denen Wahrheit ist? Anselm legt dar, daß das Sein der Wahrheit keineswegs von den kontingenten Trägern von Wahrheit (der Aussage, dem Willen, der Handlung usw.) abhängig ist. Es ist nicht so, daß die Wahrheit erst dann zu sein beginnt, wenn die Aussage anzeigt, daß ist, was ist. Vielmehr ist die Aussage dann gemäß 28 29 30
Ibid., c. 5 (ed. Schmitt, 48). Ibid., c. 11 (ed. Schmitt, 74). M. Heidegger, Parmenides (Gesamtausgabe II, 54), Frankfurt a. Main 1982, 73: „Im Sinne dieser Umgrenzung des Wesens der Wahrheit als Richtigkeit denkt das gesamte abendländische Denken von Piaton bis zu Nietzsche."
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der Wahrheit, die immer ist. Es gibt nur eine einzige Wahrheit in allem, „die höchste durch sich bestehende Wahrheit". In der Sicht Anselms haben wir nicht die Wahrheit, sondern hat die Wahrheit uns. Nur in uneigentlichem Sinne (improprie) redet man von der Wahrheit „dieses oder jenes Dinges" 31 . Im Schlußkapitel wird klar, daß Anselms Hauptanliegen in seiner Schrift die Transzendenz der Wahrheit ist, allerdings um den Preis ihrer Immanenz. Vor allem dieser Punkt würde weitere Reflexionen über die Wahrheitsfrage hervorrufen.
III. T h o m a s von A q u i n Auch die zweite Gestalt, der wir uns zuwenden, Thomas von Aquin, hat eine Schrift mit dem Titel „De veritate" verfaßt 32 . Sie ist der schriftliche Niederschlag der Disputationen, welche er während seiner ersten Pariser Professur (1256 — 59) veranstaltete. Vier wichtige Ergebnisse seiner Darstellung möchte ich andeuten33. (1) Die erste quaestio fragt: „Was ist Wahrheit?" Thomas' Annäherung an diese Frage ist von der anselmischen verschieden. Er untersucht die Möglichkeitsbedingungen der Was-Frage: Was setzen wir voraus, wenn wir fragen, was etwas ist? Thomas führt eine Analyse (resolutio) unserer Denkinhalte durch. Auf diese Weise scheint er sich von der Wahrheitsfrage zu entfernen, aber das Uberraschende seiner Analyse besteht darin, daß er gerade durch diese Auflösung den grundlegenden Charakter des Wahrseins zeigt. Die erste Einsicht, zu der Thomas in „De veritate" gelangt, ist die der Transzendentaütät des Wahren. Was heißt das? Transzendentalien sind die ersten Begriffe des Verstandes, die in jedem Erkannten miterfaßt sind. Sie heißen die „Ubersteigenden", nicht weil sie „transzendent", d. h. jenseits des Seins, sind, sondern weil sie die „Allgemeinsten" sind und deshalb die kategorialen Seinsweisen übersteigen. Transcendentia, wie das Wahre, sind allen Dingen gemeinsam; „wahr" ist eine Eigenschaft, die jedem Seienden zukommt. Thomas will mit dem Gedanken der Transzendentaütät der 31
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Anselm von Canterbury, De veritate c. 13 (ed. Schmitt, 94 — 96): „Una igitur et eadem est omnium rectitudo ... Improprie ,huius vel illius rei' esse diätur, quoniam illa non in ipsis rebus aut ex ipsis aut per ipsis, in quibus esse diätur, habet suum esse ...: ita summa ventas per se subsistens nullius rei ist; sed cum aliquid secundum illam est, tunc eius diätur ventas vel rectitudo. " Der Text findet sich in der Leonina-Ausgabe der Opera omnia des Thomas vol. XXII, Rom 1970. A. Zimmermann besorgte eine deutsche Ubersetzung mit Einleitung (cf. supra nt. 15). Zu Thomas' Wahrheitsbegriff besteht eine umfangreiche Literatur. Ich erwähne: G. Pöltner, ,Veritas est adaequatio intellectus et rei'. Der Gesprächsbeitrag des Thomas von Aquin zum Problem der Ubereinstimmung, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 37 (1983), 563 — 576; Aertsen, Medieval Reflections on Truth (nt. 15); J. F. Wippel, Truth in Thomas Aquinas, in: The Review of Metaphysics 43 (1989), 2 9 5 - 3 2 6 ; 5 4 3 - 5 6 7 ; J. A. Aertsen, Truth as Transcendental in Thomas Aquinas, in: Topoi 11 (1992), 1 5 9 - 1 7 1 ; G. Schulz, Veritas est adaequatio intellectus et rei. Untersuchungen zur Wahrheitslehre des Thomas von Aquin und zur Kritik Kants an einem überlieferten Wahrheitsbegriff, Leiden-New York—Köln 1993.
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Wahrheit eine ursprüngliche Offenheit freilegen, die für jeden Wahrheitsvollzug eine Bedingung ist. Die Lehre von den Transzendentalien betrachte ich als wesentlich für die Einsicht in die philosophische Dimension des mittelalterlichen Denkens 34 . Die Transzendentalität des Wahren ist an sich kein neuer Gedanke, keine Originalidee des Thomas. Sie wurde bereits in der ersten Darstellung der Transzendentalienlehre bei Philipp dem Kanzler (etwa 30 Jahre vor Thomas) zum Ausdruck gebracht 35 . Dennoch gibt es wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Denkern mit Bezug auf die Stellung des Wahren. Philipp betrachtet „wahr" als eine Eigenschaft, die dem Seienden in sich zukommt. Es schließt, so sagt er explizit, keine Beziehung zum Verstand ein 36 ; sonst würde das Wahre vom menschlichen Erkennen abhängig. Für Thomas jedoch zählt das Wahre zu den relationalen Transzendentalien: Es kommt jedem Seienden in seiner Hinordnung auf etwas Anderes zu, es drückt die Ubereinstimmung des Seienden mit dem Intellekt aus, die Intelligibilität der Dinge 37 . Philosophisch wichtig in seiner Lehre ist der Gedanke, daß „das Seiende" und „der Geist" nicht zu einander entgegengesetzten Bereichen gehören, sondern „konvenieren". Das eigentlich Neue und Originelle in der Darstellung des Thomas besteht darin, daß er die Transzendentalität des Wahren in Beziehung zum menschlichen Verstand versteht. In seiner Ableitung der Transzendentalien kommt die Sonderstellung des Menschen im Kosmos zum Ausdruck, weil in der Bestimmung „wahr" die Beziehung zu einem Seienden mitgedacht wird, das durch seinen Geist eine universale Reichweite hat. Das transzendentale Wahre schließt bei Thomas die Weltoffenheit des Menschen ein 38 . (2) Nach der Darlegung der Transzendentalität der Wahrheit sucht Thomas eine Antwort auf die Frage, was sie ist. Er erörtert eine Reihe von Definitionen aus verschiedenen Traditionen. Sie besitzen alle eine gewisse Gültigkeit, weil Wahrheit sich auf mehrere Weisen definieren läßt. Thomas gliedert die überlieferten Definitionen in drei Gruppen. Erstens wird Wahrheit definiert „gemäß dem, was dem Sinngehalt von Wahrheit voraufgeht" und die Grundlage des Wahren ist, nämlich das Sein der Dinge. Hier passen rein ontologische Definitionen, wie die des Augustin: „das Wahre ist das, was ist". Zweitens wird Wahrheit definiert „gemäß dem, worin der Sinngehalt des Wahren seine vollendete Form erreicht". 34
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Cf. J. A. Aertsen, Gibt es eine mittelalterliche Philosophie?, in: Philosophisches Jahrbuch 102 (1995), 161 - 1 7 6 ; id., Medieval Philosophy and the Transcendentals. The Case of Thomas Aquinas, Leiden-New Y o r k - K ö l n 1996, insb. 4 3 4 - 4 3 8 . Philipp der Kanzler, Summa de bono, prol. (ed. N. Wicki, Bern 1985, 4): „ Communissima autem hec sunt: ens, unum, verum, bonum. " Ibid., q. 2 (ed. Wicki, 13): „ Verum enim diatur sine respectu ad intellectum." Thomas von Aquin, De veritate 1, 1 (ed. Leonina, 5): „ Convenientiam vero entis ad intellectum exprimit hoc nomen verum. " Cf. Aertsen, Medieval Philosophy and the Transcendentals (nt. 34), 2 5 6 - 2 6 2 .
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In diese zweite Gruppe ordnet Thomas die Bestimmung „adaequatio rei et intellectus" („Angleichung des Dinges und des Verstandes"), die wahrscheinlich auf arabische Denker zurückgeht. Drittens wird Wahrheit definiert gemäß der ihr folgenden Wirkung, der Erkenntnis. Wahrheit heißt hier Manifestation 39 . In dieser dreifachen Gliederung zeigt sich die komplexe Struktur der Wahrheit: sie ist einerseits Grundlage, transzendentale Voraussetzung der Wahrheit im formalen Sinne, andererseits ihre Wirkung 40 . Wahrheit ist mehrdeutig, aber es gibt doch eine Definition, welche Thomas deutlich bevorzugt und in den nächsten Artikeln von „De veritate" fast ausschließlich verwendet: die Bestimmung der Wahrheit als „Angleichung (adaequatio) des Dinges und des Verstandes" 41 . Diese Formel wird häufig als die mittelalterliche Wahrheitsdefinition betrachtet, jedoch zu Unrecht. In Anselms Schrift wird sie überhaupt nicht erwähnt, bei den Zeitgenossen des Thomas spielt sie eine nur untergeordnete Rolle. Erst bei ihm wird sie zu der maßgeblichen Definition. Warum gilt der Vorzug des Thomas der adaequatio-Formel? Der Grund dafür ist wohl, daß in dieser Bestimmung die Relata, die Seiendheit des Dinges und der Verstand, nicht gesondert, sondern gerade in ihrem gegenseitigen Bezug genommen werden. Diese Definition wird dem relationalen Charakter der Wahrheit am meisten gerecht. Offensichtlich hat Thomas damit etwas Richtiges getroffen, denn im „Handbuch philosophischer Grundbegriffe" heißt es: „Alle Versuche einer Bestimmung des Wahrheitsbegriffs haben ... die klassische adaequatio-Formel der Wahrheit ... zum Ausgangs- und Bezugspunkt." 42 (3) Es gibt Wahrheit in den Dingen; Wahrheit wird auch vom Verstand gesagt. Was ist der primäre Ort der Wahrheit? In De veritate 1, 2 fragt Thomas: „Findet sich Wahrheit ursprünglicher im Verstand als in den Dingen?" In seiner Beantwortung der Frage entwickelt Thomas den Gedanken der Analogie des Wahren; dieses Prädikat wird gemäß einer Ordnung von mehrerem ausgesagt 43 . Die analoge Prädikation hält die Mitte zwischen Univozität und Thomas von Aquin, De veritate 1, 1 (ed. Leonina, 6): „Secundum hoc ergo ventas sive verum tripliríter invenitur diffiniri. Uno modo secundum illud quod praecedit rationem veritatis et in quo verum fundatur ... Alto modo diffinitur secundum id in quo formaliter ratio veri perfiàtur ... Tertio modo diffinitur verum secundum effectum consequentem." Thomas schreibt die Definition „adaequatio rei et intellectus" dem jüdischen Denker Isaak Israeli zu, aber sie läßt sich in dessen Werken nicht finden. Cf. J. T. Mückle, Isaac Israeli's Definition of Truth, in: Archives d'Histoire Doctrinale et Littéraire du Moyen Age 8 (1933), 5 — 8. Eine mögliche Quelle ist Avicenna, Liber de Philosophia prima sive Scientia divina I, 8 (ed. S. van Riet, Louvain - Leiden 1977, 55): „Veritas ... intelligitur dispositio dictionis vel intellectus qui significai dispositionem in re exteriore cum est ei aequalis. " « Cf. H. Krings, Was ist Wahrheit?, in: Philosophisches Jahrbuch 90 (1983), 2 0 - 3 1 . 4 1 Cf. zu dieser Definition, C. Kann, Wahrheit als adaequatio. Bedeutung, Deutung, Klassifikation, in: Recherches de Théologie et Philosophie Médiévales 66 (1999), 2 0 9 - 2 2 4 . 4 2 L. B. Puntel, „Wahrheit", in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe II, München 1974, 1651. 4 3 Thomas von Aquin, De veritate 1, 2 (ed. Leonina, 9): „ . . . cum verum dicatur per prius et posterius de pluribus. " 39
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Äquivozität: das Prädikat wird weder auf eindeutige Weise noch auf ganz verschiedene Weisen ausgesagt, sondern gemäß einem Verhältnis von Früher und Später, d. h. in Bezug auf Eines, das an erster Stelle den Sinngehalt des Prädikats besitzt. Die klassische Anwendung der Analogielehre bezieht sich auf den Begriff „Seiendes". Das Neue bei Thomas besteht darin, daß er die Analogie auf das Prädikat „wahr" anwendet, um so das Verhältnis zwischen der Seinswahrheit und der Verstandeswahrheit zu bestimmen. Zur Klärung dieses Verhältnisses betont Thomas eine wichtige Eigentümlichkeit der Analogie. Das Verhältnis von Früher und Später ist nicht ohne weiteres mit dem Verhältnis von Ursache und Wirkung identisch. In der analogen Prädikation kommt der ursprüngliche Sinngehalt nicht notwendig demjenigen zu, was die Ursache des Anderen ist. „Gesund" beispielsweise — seit Aristoteles das Standardbeispiel für „Analogie" — sagen wir von einer Arznei aus, weil sie die Gesundheit bewirkt. Dennoch besitzt nicht eine Arznei, sondern ein Lebewesen den primären Sinn von Gesundheit. Der ursprüngliche Sinn des analogen Prädikats kommt demjenigen zu, in dem der Sinngehalt des Prädikats vollendet, vollkommen enthalten ist 44 . Was heißt das für das Prädikat „wahr"? Wahrheit ist der Endterminus des Erkenntnisprozesses, bezeichnet die Vollkommenheit der Erkenntnis. Erkennen ist ein Prozeß der Assimilation, der vollendet ist, wenn das Bild des Erkannten im Erkennenden ist. Der Erkenntnisvorgang kommt zum Ende, wenn der Mensch sich den Gegenstand angeeignet hat. Wahrheit ist eine Angleichung, die durch den Verstand und im Verstand verwirklicht wird. Wahrheit findet sich deshalb ursprünglich im Verstand. Erst in zweiter Linie wird „wahr" von den Dingen ausgesagt, nämlich insofern sie in Beziehung zum Verstand stehen 45 . In dieser Hinsicht ist ein Vergleich zwischen Thomas von Aquin und Martin Heidegger aufschlußreich. Beide Denker sind der Meinung, daß Wahrheit in einem primären und in einem sekundären Sinn ausgesagt wird, deuten jedoch dieses Verhältnis ganz verschieden. Für Heidegger ist der ursprüngliche Sinngehalt der Wahrheit die Unverborgenheit des Seins, welche die Wahrheit der Aussage ermöglicht. Die letztere Wahrheit, d. h. die Richtigkeit, ist etwas „Abkünftiges" 46 . Für Thomas dagegen ist Wahrheit nicht ursprünglich im Seienden, obwohl dessen Intelligibilität die Grundlage oder Ursache der Wahrheit ist, sondern in demjenigen, in dem der Sinngehalt der Wahrheit vollendet wird. Die Bezie44
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Ibid.: „Dicendum quod non oportet in Ulis quae dicuntur per prius et per posterius de multis, quod illud prius reäpiat praedicationem communis quod est ut causa aiiorum, sed illud in quo est primo ratio illius communis completa, sicut Sanum per prius diätur de animali, in quo primo perfecta ratio sanitaßs invenitur, quamvis mediana dicatur sana ut effectiva sanitatis: et ideo, cum verum dicatur per prius et posterius de pluribus, oportet quod de ilio per prius dicatur in quo primo invenitur completa ratio veritatis. " Ibid.: „Complementum autem cuiuslibet motus vel operationis est in suo termino. Motus autem cognitìvae virtutis terminatur ad animam, — oportet enim quod cognitum sit in cognoscente per modum cognoscentis ... Res autem non dicitur vera nisi secundum quod est intellectui adacquata, unde per posterius invenitur verum in rebus, per prius autem in intellectu. " M. Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 1972 (12. Aufl.), 214-230.
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hung der Übereinstimmung wird im Verstand vollendet; deshalb ist der Verstand der primäre Ort der Wahrheit. Wahrheit erfordert menschliche Tätigkeit. Sie ist das Ziel, das Gut, auf das der Mensch als geistiges-vernünftiges Wesen hingeordnet ist, und bezeichnet die Vollendung des Menschen 47 . Weil die Erlangung des Ziels immer mit Freude verbunden ist, ist das Erkennen der Wahrheit eine „fröhliche Wissenschaft" im thomasischen Sinne. (4) In De veritate 1, 4 stellt Thomas die Frage, welche die Schrift Anselms dominiert: „Gibt es nur eine einzige Wahrheit, durch die alles wahr ist?" Die Antwort des Thomas ist differenzierter als diejenige Anselms. Wahrheit findet sich im eigentlichen Sinne {proprie) im menschlichen oder göttlichen Verstand; im göttlichen in erster Linie {primo), im menschlichen Verstand in zweiter Linie (.secundario)48. Auch eine menschliche Wahrheit ist Wahrheit im eigentlichen Sinne. Gott ist die Wahrheit, aber das heißt nicht, daß jede Wahrheit göttlich ist. Die Macht der Wahrheit zeigt sich in ihrem unbedingten Geltungsanspruch; sie gilt ohne Ansehen der Person. Einen schönen Beleg dafür gibt Thomas in seinem Kommentar zum Buch lob. Das Streitgespräch zwischen lob und Gott deutet er nach dem Modell einer mittelalterlichen Disputation. Aber, so fragt er sich, ist eine solche Disputation nicht unangemessen, da Gott doch weit über den Menschen erhaben ist? Nein, Wahrheit ändert sich nicht wegen der Verschiedenheit der Personen. Wenn jemand die Wahrheit spricht, kann er deshalb nicht besiegt werden, mit wem er auch disputiert 49 .
IV. N i k o l a u s von K u e s „Das Wahre ist das Ganze", sagt Hegel in der Vorrede zur „Phänomenologie des Geistes" 50 . Sein Anspruch ist es, allen Wahrheitsgehalt in der Geschichte des Denkens in das absolute System der Wissenschaft zu integrieren. Ein sol47
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Cf. Thomas von Aquin, De malo 9, 1 (ed. Leonina vol. XXIII, Rom 1982, 210): „Est enim homini naturale quod appetat cognitionem ueritatis, quia per hoc perfidiar eius intelkctus." Siehe insbesondere seine Aussagen in Summa contra Gentiles I, 1: „ Oportet igitur ultimum finem universi esse bonum intelkctus. Hoc autem est ventas. Oportet igitur veritatem esse ultimum finem totius universi. " Thomas von Aquin, De veritate 1, 4 (ed. Leonina, 13): „Veritasproprie inveniturin intellectu humano vel divino, sicut sanitas in animali: in rebus autem aliis invenitur Veritas per relationem ad intellectum, sicut et sanitas didtur de quibusdam aliis in quantum sunt effectiva vel conservativa sanitatis antmalis. Est ergo Veritas in intellectu divino quidem primo et proprie, in intelleäu vero humano proprie quidem sed secundario, in rebus autem improprie et secundario, quia nomisi per respectum ad alteram duarum veritatum." Thomas von Aquin, Expositio super lob c. 13 (ed. Leonina vol. XXVI, Rom 1965, 87): „Vtdebatur autem disputatio hominis ad Deum esse indebita propter excellentiam qua Deus hominem excellit sed considerandum est quod Veritas ex diversitate personarum non variatur, unde cum aliquis veritatem loquitur vina non potest cum quocumque disputet. " Hegels Sämtliche Werke II (hrsg. v. H. Glockner, Stuttgart 1927, 24).
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ches Unternehmen setzt ein „absolutes Wissen" voraus; aber ist jenes Wissen menschlichem Denken vollziehbar?51 Hier stoßen wir auf einen Grund für den modernen Argwohn gegen „Wahrheit". Sie ist eine menschliche Aufgabe, hat aber als Wahrheit einen unbedingten Geltungsanspruch. Jene Unbedingtheit steht mit einer Pluralität der Wahrheitsformen auf gespanntem Fuße und scheint unvermeidlich zur Intoleranz, ja zum Totalitarismus zu führen. Gerade vor dem Hintergrund dieses Vorwurfs der Moderne möchte ich auf eine dritte mittelalterliche Gestalt hinweisen, Nikolaus von Kues, mit dem das Thomas-Institut seit seiner Gründung durch die Edition seiner Werke verbunden ist. Bei ihm finden wir eine höchst bemerkenswerte Analyse des Verhältnisses zwischen der Absolutheit und Vielheit der Wahrheit. (1) Cusanus' Denken hat seinen Sitz im Leben. 1453, in dem Jahr, in dem Konstantinopel von den Türken erobert wurde, schrieb er „De pace fidei" („Uber den Frieden im Glauben") 52 . Die Berichte über die schlimmen Grausamkeiten, die im Namen der Religion dort begangen wurden, bewegten Cusanus zur Abfassung der Schrift. Der Prolog spielt sich im Himmel ab. Ein Bote berichtet im Rat der Himmlischen von dem Elend auf Erden. Der Erzengel bittet den König der Könige um Hilfe mit den Worten: Du hast dich den verschiedenen Nationen auf unterschiedliche Weise durch Propheten und Lehrer offenbart. Aber jede Nation hängt so sehr am ihr Eigentümlichen, daß sie ihre Wahrheit als die exklusive betrachtet. Daraus entstehen Streitigkeiten und Eifersucht. Dennoch kann kein Geschöpf den Gedanken deiner Unendlichkeit begreifen, da es zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen kein Verhältnis gibt 53 . Darauf schildert Nikolaus eine großartige Vision: In Jerusalem (nicht: Rom!) werden sich Vertreter der verschiedenen Religionen treffen, um eine gemeinsame Grundlage zu suchen und so einen ewigen Frieden zu stiften. Ziel der „Konkordanz" ist „eine Religion (una religio) bei Verschiedenheit ihrer Vollzugsweisen (in diversitate rituum)"5A.
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Cf. E. Coreth, Zur Einführung: Wahrheit in Einheit und Vielheit, in: id. (ed.), Wahrheit in Einheit und Vielheit, Düsseldorf 1987, 1 1 - 2 7 . Nikolaus von Kues, De pace fidei (Opera omnia VII, ed. R. Klibansky u. H. Bascour, Hamburg 1970). Deutsche Übersetzung von R. Haubst, De pace fidei (Der Friede im Glauben), Trier 1982. Zu dieser Schrift: M. de Gandillac, ,Una religio in rituum varietate', in: R. Haubst (ed.), Nikolaus von Kues als Promotor der Ökumene (Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanusgesellschaft 9), Mainz 1971; R. Haubst (ed.), Der Friede unter den Religionen nach Nikolaus von Kues (Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanusgesellschaft 16), Mainz 1984. Nikolaus von Kues, De pace fidei cap. 1, η. 4 (ed. Klibansky/Bascour, 6): „ Variis autem nationibus vanos prophetas et magistros misisti, et alios uno, alios alio tempore. Habet autem hoc humana terrena condtrío quod longa consuetudo, quae in naturam transisse acäpitur, pro ventate defenditur. Sic eveniunt non parvae dissentiones . . . " N. 5 (7) : „Nec potest matura infinitatis tuae conceptum comprehendere, cum finiti ad infinitum nulla sit proportio. " Ibid., η. 6 (ed. Klibansky/Bascour, 7); cap. 19, η. 68 (62-63).
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Die Überlegungen des Cusanus in „De pace fidei" gehen aus seinem philosophischen Grundgedanken hervor, daß die Wahrheit in ihrer Genauigkeit unerreichbar ist. Daraus folgt, daß die menschliche Erkenntnis ein „belehrtes Nichtwissen" (docta ignorantid) ist — so der Titel seines ersten philosophischen Hauptwerkes. Daraus folgt auch, daß alle uns Menschen möglichen positiven Aussagen über etwas Wahres „Mutmaßungen" sind - das ist der Titel seines zweiten Hauptwerkes „De coniecturis". Die konjekturale Erkenntnis ist für Cusanus nicht etwas Vorläufiges, das mittels Verifikation durch eine endgültige Gewißheit ersetzt werden könnte. Sie hat einen permanenten Charakter, weil „die Erfassung des Wahren sich stets vermehren, aber nie ausschöpfen läßt"55. Das Bewußtsein der Unzureichendheit der Erkenntnis ist eine Bedingung für die Aufgeschlossenheit gegenüber der Wahrheit. (2) Betrachten wir die Schrift „De coniecturis" noch etwas näher56. Der menschliche Geist erkennt nach Cusanus nur dann mit Genauigkeit, wenn er mit einem Gegenstand zu tun hat, der die „Ausfaltung" {explicatif)) der eigenen Kraft darstellt57. In Analogie zur Erkenntnis Gottes, der alle Dinge genau erkennt, weil sie von ihm geschaffen worden sind, erkennt der Mensch wie ein „zweiter Gott" (alter Deus) dasjenige, was er selbst hervorgebracht hat, d. h. die mathematischen Gegenstände58. Wohl als erster im Mittelalter betont Cusanus die schöpferische Tätigkeit des menschlichen Geistes als eine Bedingung für genaue Wahrheitserkenntnis. Im 18. Jahrhundert wurde dieser Gedanke von Giambattista Vico zum Ausdruck gebracht in dem Satz: „ Verum et factum convertuntur:"59 Der Satz belegt eine Umformung der mittelalterlichen Transzenden55
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Nikolaus von Kues, De coniecturis prol., n. 2 (ed. und übers, von J. Koch u. W Happ, Hamburg 1971, 2 - 4 ) : „Quoniam autem in prioribus ,Doctae ignorantiae' libellis multo quidem altius limpidiusque quam ego ipse nisu meo praeásionem veritatis inattingibilem intuitus es, consequens est omnem humanam veri positivam assertionem esse coniecturam. Non enim exhauribitis est adauctio apprehensionis veri. " Zum cusanischen Wahrheitsverständnis in „De coniecturis": Koch, Die Ars coniecturalis (nt. 15); N. Herold, Menschliche Perspektive und Wahrheit. Zur Deutung der Subjektivität in den philosophischen Schriften des Nikolaus von Kues, Münster 1975; H. Meinhardt, Exaktheit und Mutmaßungscharakter der Erkenntnis, in: K. Jacobi (ed.), Nikolaus von Kues. Einführung in sein philosophisches Denken, München 1979, 101-120; C. L. Miller, Nicholas of Cusa's On Conjectures (De coniecturis), in: G. Christianson/Th. M. Izbicki (eds.), Nicholas of Cusa in Search of God and Wisdom, Leiden etc. 1991, 119-140; I. Bocken, Concordantia et Differentia. Tolerantie en Waarheid volgens Nicolaus Cusanus (1401-1464), in: Bijdragen 57 (1996), 4 0 - 6 1 . Nikolaus von Kues, De coniecturis I, 1, n.5 (ed. Koch/Happ, 6 - 8 ) . Cf. Th. van Veithoven, Gottesschau und menschliche Kreativität. Studien zur Erkenntnislehre des Nikolaus von Kues, Leiden 1977, 159 - 1 6 6 ; K. Bormann, Nikolaus von Kues: „Der Mensch als zweiter Gott" (Trierer Cusanus Lecture 5), Trier 1999. Giambattista Vico, Liber metaphysicus (De antiquissima Italorum sapientia über primus) I, 1 (ed. und übers. S. Otto u. H. Viechtbauer, München 1979, 34): „Latinis,verum' et jartum' reciprocantur, seu, ut Scholarum vulgus loquitur, convertuntur. " Zu Vicos These: V. Rüfener, Ens et verum convertuntur, Factum et verum convertuntur. Zur Problematik mittelalterlicher und neuzeitlicher Ontologie, in: Philosophisches Jahrbuch 60 (1950), 406-437; K. Löwith, Vicos Grundsatz: verum et factum convertuntur. Seine theologische Prämisse und deren säkulare Konsequenzen, Heidelberg 1968; Aertsen, Medieval Philosophy and the Transcendentals (nt. 34), 274-278.
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talienlehre. Das Wahre ist nicht mit dem „Seienden" vertauschbar, sondern mit dem „Gemachten". Der Mensch sieht nur dasjenige ein, was er selbst gemacht hat; auch für Vico bezieht sich diese Produktivität auf die mathematische Welt. Kriterium der Wahrheit ist nicht das cartesische „Cogito", sondern die konstruktive Tätigkeit des Verstandes. Alle menschliche Erkenntnis, die nicht mathematische Gegenstände betrifft, ist nach Cusanus eine coniectura. Um zu verdeutlichen, was er mit diesem Begriff meint, greife ich das Beispiel auf, das er für den konjekturalen Charakter der menschlichen Erkenntnis anführt. Nikolaus referiert eine Begegnung des Kardinals Julian, dem er die Schrift „De coniecturis" gewidmet hat, mit dem Papst. „Wenn du das Antlit2 ... des Papstes Eugen IV. vor dir siehst, dann bildest du davon eine bejahende Feststellung, die du für genau (exakt) entsprechend dem Gesichtssinn hältst." 60
Der Kardinal bildet ein Wahrnehmungsurteil: „Ich sehe das Antlitz des Papstes", eine positive Feststellung, aber trotzdem nach Nikolaus eine Konjektur, und zwar aus zwei Gründen. „Sobald du dich aber der Wurzel zuwendest, aus der die Unterscheidungsfähigkeit der Sinne herausfließt - ich meine der ratio —, dann verstehst du, daß der Gesichtssinn an der Unterscheidungskraft in einer Andersheit, die einem sinnlichen Organ entspricht, teilhat." 61
Die Feststellung „Ich sehe das Antlitz des Papstes" enthält ein Moment der Unterscheidung. Nicht der Gesichtssinn ist jedoch der Grund der Unterscheidungskraft (vis discretiva), sondern die ratio. Der Sinn hat daran in Andersheit (alteritas) teil, weil dasjenige, was in einem Anderen ist, darin auf die Weise des Anderen ist. Es gibt noch eine weitere Beschränkung, eine zweite alteritas, die einen Abfall von der Exaktheit bedeutet und die positive Feststellung zu einer Mutmaßung macht. „ D u betrachtest das Antlitz, nicht wie es ist, sondern in der Andersheit gemäß deinem Sehwinkel ( a n g u l u m tui oculi), der von dem aller anderen Menschen unterschieden ist." 6 2
Die Feststellung „Ich sehe das Antlitz des Papstes" enthält ein perspektivisches Moment. Was ich sehe, sehe ich von meiner Perspektive her, d. h. beschränkt und partiell. 60
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Nikolaus von Kues, De coniecturis I, 11, n. 57 (ed. Koch/Happ, 64): „Nam dum tu, pater, clarissimis tuis oculis fadem ponüfids summi, sanctissimi domini nostri Eugenii papae quarti, coram conspids, de ipsa posißvam assertionem condpis, quam praerísam secundum oculum affirmas. " Ibid.: „Dum autem ad radicem illam, unde discretio sensus emanat, te convertis — ad rationem dico —, intelligis sensum visus participare vim discretivam in attentate organice contracta. " Ibid. (64-66): „Ob quam causam defectum casus apraedsione intueris, quoniam faàem ipsam non, uti est, sed in attentate secundum angulum tui oculi, ab omnibus viventium oculis differentem, contemplaras. "
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Aus dem Beispiel schließt Nikolaus eine Art von Definition der coniectura. „Daher ist die Mutmaßung eine bejahende Feststellung, die in Andersheit an der Wahrheit, wie sie ist, teilhat." 63 Die menschliche Konjektur ist eine wahre Behauptung, hat an der Wahrheit teil. Sie erreicht jedoch die Wahrheit nicht so, wie sie ist; sie hat in Andersheit an der Wahrheit teil. Alteritas steht Einheit gegenüber. Eigentümlich für das cusanische Wahrheitsverständnis ist die enge Verbindung mit dem Denken der Einheit. Im Beispiel des Cusanus bestimmen zwei „Andersheiten" die Einsicht in den konjekturalen Charakter (nicht nur der sinnhaften Erkenntnis, sondern) der menschlichen Erkenntnis überhaupt. Die erstere Andersheit ergibt sich aus der Reflexion des Geistes auf sich selbst, die hier nur kurz angedeutet werden kann64. Die sinnenhafte Erkenntnis setzt die Ordnung der ratio voraus, die rationale Erkenntnis den intellectus, der das Gegensätzliche zusammendenkt, und die intellektuelle Erkenntnis die absolute Einheit, Gott, die in ihrer Einfachheit alles eingefaltet in sich enthält. Die drei ersten Regionen schließen im Vergleich zur höchsten Einheit in sich steigerndem Maße Andersheit ein. Die menschliche Erkenntnis, intellektuell, rational oder sinnenhaft, steht immer in der Spannung von Einheit und Andersheit, bleibt eine Approximation an die absolute Wahrheit und deshalb eine Konjektur. Die zweite „Andersheit" in Cusanus' Beispiel betrifft die beschränkte Perspektive des Einzelnen, die immer durch neue Konjekturen vertieft werden kann. Der Dienst, den Menschen einander erweisen können, besteht darin, daß jeder Einzelne das von seiner eigenen Perspektive her Gesehene und Gedachte anderen mitteilt. Durch eine dialogische Kommunikation wird die begrenzte Sicht der Wahrheit erweitert. Durch einen grundsätzlich unabschließbaren Dialog „wächst die Erkenntnis des Geliebten und wird die Süße der Freude angeheizt" 65 . Das ist der Sinn der fröhlichen Wissenschaft im Mittelalter. * * *
In meinem Vortrag habe ich versucht, wesentliche Aspekte des mittelalterlichen Wahrheitsdenkens in Erinnerung zu bringen: den ethischen Aspekt bei Anselm: Wahrheit hat einen Sollensanspruch; den metaphysischen Aspekt bei Thomas: die Transzendentalität des Wahren als Bedingung für wahre Erkenntnis, eine Transzendentalität, welche den Menschen einbezieht; den erkenntniskriti-
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Ibid. (ed. Koch/Happ, 66): „ Coniectura igitur est positiva assertio, in attentate verìtatem, uti est, participons. " Cf. Koch, Die Ars coniecturalis (nt. 15), 1 6 - 2 5 . Nikolaus von Kues, De visione Dei cap. 25, η. 117 (Opera omnia VI, ed. A. D. Riemann, Hamburg 2000, 88): „Révélant sibi mutuo secreta sua amoris pieni spiritus et augetur ex hoc cognitio amati et desiderium ad ipsum et gaudii dulcedo inardesät. " Die zitierte Aussage betont die Bedeutung des Dialogs für die religiöse Erkenntnis. Zu seiner allgemeinen Bedeutung cf. Van Veithoven, Gottesschau und menschliche Kreativität (nt. 58), 7 2 - 7 4 .
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sehen Aspekt bei Nikolaus: Wahrheit ist in ihrer Genauigkeit für den Menschen unerreichbar. Erinnerung ist eine vitale Dimension des Menschseins: Ein Mensch ohne Gedächtnis entbehrt jeder Orientierung. Was ich in Erinnerung bringen wollte, war nicht museales Wissen, das inzwischen obsolet geworden ist, sondern waren Grunddimensionen der Wahrheit, auf welche der Mensch in seinem Leben und Denken immer intentional gerichtet ist. In-Erinnerung-bringen ist deshalb auch ein Dienst an der Wahrheit. Dieser Dienst bleibt für das Thomas-Institut eine Hauptaufgabe in den nächsten fünfzig Jahren. Mit einem Dienst an der Wahrheit ist uns letztendlich mehr gedient als mit einer Wahrheit, die uns dient 66 .
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Cf. J. Maritain, Distinguer pour unir ou les degrés du savoir, Paris 1932, 9 - 1 0 . Ich möchte meinen Kollegen Dr. H. G. Senger und Prof. Dr. A. Speer fur ihre kritischen Bemerkungen zu einer ersten Fassung dieses Vortrages sehr herzlich danken.
Ende und Vollendung. Eschatologische Perspektiven im Mittelalter
Einleitung J A N A . AERTSEN
(Köln)
Das Thema der 32. Kölner Mediaevistentagung, „Ende und Vollendung. Eschatologische Perspektiven im Mittelalter", wurde gewissermaßen aus aktuellem Anlaß, der ein breites Medieninteresse auslösenden Jahrtausendwende, gewählt. Dennoch ging es den Veranstaltern im Millenniumjahr um etwas mehr als eine Bezugnahme auf die Aktualität. Es sei deshalb angebracht, in der Einleitung einige allgemeine Bemerkungen zu dem Sinn und der Bedeutung des Zentralthemas zu machen.
I. Im letzten Bibelbuch, der Apokalypse, heißt es, daß ein Engel aus dem Himmel herabkam, der bei dem, der in alle Ewigkeit lebt, schwor: „Es wird keine Zeit mehr sein" (10,6), denn in den Tagen, wenn der siebte Engel seine Posaune bläst, wird auch das Geheimnis Gottes vollendet sein. Ende der Zeit, Ende der Welt: Wie ist das zu denken? Es ist bemerkenswert, daß ein Philosoph wie Immanuel Kant sich in einer seiner letzten Abhandlungen, „Das Ende aller Dinge" (1794), mit dieser Frage beschäftigt 1 . Der Gedanke eines Endes der Dinge, der „unter allen vernünftelnden Völkern zu allen Zeiten ... angetroffen wird", läßt sich nach Kant auf dreifache Weise vorstellen. Es könne erstens ein „natürliches" Ende gedacht werden; „natürlich" heißt hier: „was nach Gesetzen einer gewissen Ordnung ... notwendig folgt". Das natürliche Ende versteht Kant ganz im Geiste der Aufklärung als die innerweltliche Vollendung des Menschengeschlechts nach den Gesetzen der moralischen Ordnung. Die Gründung des Reiches Gottes auf Erden besteht im moralischen Fortschritt zu einem Ende, in dem die Vernunftwesen „dem Endzweck ihres Daseins gemäß" sind. Aber das Ende der Dinge kann, so Kant, auch anders gedacht werden. Dem „Natürlichen" sei das „Nichtnatürliche" entgegengesetzt, „welches entweder das Übernatürliche oder das Widernatürliche sein kann". Und so seien, außer dem natürlichen Ende, ein übernatürliches und ein widernatürliches vorstellbar. 1
Das Ende aller Dinge, in: Kants Werke (Akademie-Ausgabe) Bd. VIII, Berlin - Leipzig 1923, 325-339.
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Das „übernatürliche" Ende, das Kant mit dem soeben zitierten Text aus der Apokalypse einleitet, ist dem Autor der „Kritik der reinen Vernunft" völlig fremd geblieben. Er deutet dieses als das „mystische" Ende, wo der Mensch lieber „schwärmt" — eine der schlimmsten Invektiven des kantischen Vokabulars — als sich, wie es einem intellektuellen Bewohner einer Sinnenwelt geziemt, innerhalb der Grenzen dieser eingeschränkt zu halten. Das „widernatürliche" oder „verkehrte" Ende aller Dinge kann durch den Menschen selbst herbeigeführt werden, sofern dieser den Endzweck mißversteht. Die Vorstellung einer apokalyptischen Katastrophe darf uns vertraut sein, das gilt jedoch nicht für ihre Ausarbeitung bei Kant. Das Christentum habe wesentlich etwas Liebenswürdiges an sich, nämlich „die liberale Denkungsart". Wenn es seine moralische Liebenswürdigkeit einbüßt, d. h. nach Kant, wenn die Vernunftreligion durch den autoritativen Kirchenglauben verdrängt würde, dann müßte die Abneigung gegen das Christentum zur „herrschenden Denkart" werden, „und der Antichrist würde sein ... Regiment anfangen". Alsdann aber würde, so beschließt Kant seine Abhandlung, „das (verkehrte) Ende aller Dinge in moralischer Rücksicht eintreten". Der Grund, warum ich Kants Schrift hier kurz referiert habe, ist nicht so sehr seine aufklärerische Umdeutung (und Abflachung) des abendländischen Endzeitbewußtseins als vielmehr die dreifache Gliederung seiner Darstellung. Sie ermöglicht es, schärfer die Eigenart der mittelalterlichen Eschatologie zu sehen 2 . Die drei Vorstellungen, welche Kant voneinander trennt, die des „natürlichen", des „mystischen" und des „verkehrten" Endes, sind im Mittelalter real miteinander verknüpft. Das Ende aller Dinge umfaßt das Kommen des Antichrist als Zeichen des nahen Weltendes und die Vollendung der innerweltlichen Zielstrebigkeit, welche zugleich eine Transposition des Zeitlichen in die Teilhabe am Ewigen ist. Den Zusammenhang zwischen Ende und Vollendung hat Meister Eckhart in seiner Auslegung des biblischen Terminus „Fülle der Zeit" (Gal. 4,4) treffend formuliert. „Fülle der Zeit" besagt zweierlei. „Dann ist ein Ding ,νοΙΓ, wenn es in seinem Ende ist, so wie der Tag voll ist in seinem Abend. So also ist die Zeit voll, wenn alle Zeit von dir fällt." In der Fülle der Zeit läßt man alles Zeitliche hinter sich. Der Terminus besagt zweitens, daß „die Zeit in ihr Ende kommt, das heißt: in die Ewigkeit; denn dort hat alle Zeit ein Ende, denn dort gibt es weder Vor noch Nach. Da ist alles das gegenwärtig und neu, was da ist". Die Fülle der Zeit ist das Nun der Ewigkeit 3 .
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Cf. J. Pieper, Über das Ende der Zeit. Eine geschichtsphilosophische Meditation, München 1950, 126. Meister Eckhart, Predigt 24, Deutsche Werke I, Stuttgart 1958, 4 2 2 - 4 2 3 (Übers. 5 2 5 - 5 2 6 ) . Cf. zum Thema der „Fülle der Zeit" als dem bewegenden Moüv einer mystischen Eschatologie den Beitrag von Alois M. Haas zu diesem Band.
Einleitung
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II. Die vorangehende Betrachtung über „Ende" und „Vollendung" veranlaßt eine terminologische Bemerkung mit Bezug auf das andere Element im Titel des Bandes, den Ausdruck „Eschatologie". Seit Petrus Lombardus bildet der Traktat über „die letzten Dinge", für welche im 17. Jahrhundert der Terminus „Eschatologie" geprägt worden ist, den Abschluß der Gesamtdarstellung der christlichen Theologie. Das schlechthin Letzte, von dem die Sentenzenkommentare handeln, sind die Auferstehung der Toten, das Weltgericht, das die Wiederkunft Christi, des Richters, voraussetzt, und das ewige Leben bzw. die ewige Verwerfung. Das „übernatürliche" Ende bezieht sich sowohl auf die endgültige Vollendung des Menschen, die Lehre von der Glückseligkeit, wie auf die Erneuerung des ganzen Kosmos — „Ich schaute einen neuen Himmel und eine neue Erde", heißt es in Apoc. 21,1. „Eschatologie" im Titel des Bandes beschränkt sich jedoch nicht auf die letztgültigen eschata, die in der systematischen Theologie dargestellt werden, sondern ist weiter zu fassen. Sie bezieht auch Vorstellungen der innergeschichtlichen Endzeit ein, die in der Forschung manchmal gesondert als „Apokalyptik" bezeichnet werden. Die Herausgeber haben nicht versucht, eine strenge Definition aufzulegen; der Leser wird bemerken, daß manche Autoren die Terminologie in einem etwas verschiedenen Sinn verwenden. Wir betrachten dies nicht als einen Nachteil {„non est curandum de nominibus"), wenn es darum geht, die Fülle der „eschatologischen" Orientierung im Mittelalter auszubreiten4. Gerade in diesem Zeitalter zeigte, wie Bernard McGinn in seinem Beitrag darstellt, die „apokalyptische Imagination" eine besondere Schöpfungskraft und entwickelte eine Reihe von neuen Gestalten. Zu diesen Innovationen zählen der Glaube an die messianische Gestalt eines kommenden Endkaisers und die Vision eines bevorstehenden tertius status mundi, des Zeitalters des Geistes, bei Joachim von Fiore (ca. 1135 — 1202), dessen Vorstellungen vom bedeutendsten apokalyptischen Denker des 13. Jahrhunderts, dem Franziskaner Petrus Johannes Olivi (12481297), weitergeführt wurden. In den verschiedenen Sektionen des vorliegenden Bandes werden alle diese Themen angesprochen.
III. Die Lehre von den letzten Dingen ist mehr als ein Schlußkapitel in der systematischen Theologie. Die Ausgangsthese der Mediaevistentagung lautete: Für 4
Cf. die terminologischen Bemerkungen von R. Landes, Lest the Millennium be fulfilled: Apocalyptic Expectations and the Pattern of Western Chronography 1 0 0 - 8 0 0 CE, in: W Verbeke/ D. Verhelst/A. Welkenhuysen (eds.), The Use and Abuse of Eschatology in the Middle Ages, Leuven 1988, 2 0 5 - 2 0 8 ; Β. McGinn, Visions of the End. Apocalyptic Traditions in the Middle Ages, New York 2 1998, X V I - X V I I I ; B. McGinn/J. J. Collins/S. J. Stein (eds.), The Encyclopedia of Apocalypticism I, New York 1998, General Introduction, VIII.
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das Verständnis des Menschen und der Welt ist im Mittelalter, im Unterschied zu anderen Perioden, die eschatologische Perspektive konstitutiv. Ziel des Bandes ist es, durch die in den Kölner Mediaevistentagungen immer angestrebte Interdisziplinarität der Forschungsbeiträge diese eschatologische Orientierung in ihrer Vielschichtigkeit zu zeigen. Sie läßt sich konkret in der Literatur (hier denken wir natürlich an Dantes großartige Vision) und in der bildenden Kunst ablesen — nicht verwunderlich, wenn man den vorrangig bildhaften Charakter der biblischen Aussagen bedenkt. Eigentümlich für das Mittelalter ist auch die Historisierung des Eschaton. Die Dimension des „Zukommenden" bestimmt das Geschichtsdenken und Zeitverständnis. Aber inwieweit ist die eschatologische Perspektive für die Philosophie - die einen Schwerpunkt der Mediaevistentagung bildet - relevant? Diese Frage, die in der Vorbereitung der Tagung öfter gestellt wurde, ist nicht so leicht zu beantworten. Im allgemeinen kann man sagen, daß in Darstellungen über die Eigenart der mittelalterlichen Philosophie das Ursprungsdenken dieser Periode viel stärker berücksichtigt worden ist als die Idee des Endes. Mittelalterliche Denker, so wird betont, haben unter dem Einfluß der Schöpfungsidee die metaphysische Seins frage durch ihre Reflexionen über den Ursprung der Welt aus dem Nichts erneuert. Die radikale Kontingenz der Welt berührt das Sein der Dinge selbst 5 . Zu wenig ist jedoch bisher in der Forschung das Denken des Endes gewürdigt worden. Unterschiedliche Denker wie Johannes Scotus Eriugena, Bonaventura, Thomas von Aquin und Meister Eckhart versuchen, Anfang und Ende zusammenzudenken. Sie verstehen die Dynamik der Wirklichkeit nicht gemäß der heute üblichen Symbolik als eine gerade Linie, sondern als eine Kreisbewegung (ärculatio), in der Ursprung und Ziel identisch sind 6 . Das Kreislaufmotiv ist der neuplatonischen Philosophie, insbesondere Proklos, entnommen, wird aber eschatologisch mit einer Aussage aus der Apokalypse (1,8 und 22,8) begründet: „Ich bin das Alpha und das Omega." 7
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E. Gilson, L'esprit de la philosophie médiévale, Paris 2 1948, 66 — 67: „Cette contingence radicale imprime au monde qu'elle frappe un caractère de nouveauté métaphysique très important et dont la nature apparaît à plein lorsqu'on pose le problème de son origine." Cf. A. Zimmermann, Die Grundfrage der Metaphysik des Mittelalters, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 47 (1965), 1 4 1 - 1 5 6 . Cf. E. Jeauneau, The Neoplatonic Themes of Processio and Reditus in Eriugena, in: Dionysius 15 (1991), 3 - 2 9 ; A. Speer, ,Principalissimum fundamentum'. Die Stellung des Guten und das Metaphysikverständnis Bonaventuras, in: W Goris (ed.), Die Metaphysik und das Gute. Aufsätze zu ihrem Verhältnis in Antike und Mittelalter Jan A. Aertsen zu Ehren, Leuven 1999, 105 — 138; M. Seckler, Das Heil in der Geschichte, München 1964; J. A. Aertsen, Natur, Mensch und der Kreislauf der Dinge bei Thomas von Aquin, in: A. Zimmermann/A. Speer (eds.), Mensch und Natur im Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 21), Berlin - New York 1 9 9 1 , 1 4 3 - 1 6 0 ; W. Goris, Einheit als Prinzip und Ziel. Versuch über die Einheitsmetaphysik des Opus tripartitum Meister Eckharts, Leiden - New York - Köln 1997, 2 5 2 - 2 8 7 . Vom Spannungsverhältnis zwischen der neuplatonischen und der christlichen Eschatologie handelt der Beitrag von Carlos Steel zu diesem Band.
Einleitung
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Die Bedeutung der Eschatologie für die mittelalterliche Ontologie und Anthropologie — der Mensch hat ja als Wanderer {„homo viator") einen Sonderstatus — ist in manchen Hinsichten noch erklärungsbedürftig. Daß jedoch die eschatologische Perspektive für das Denken des Mittelalters wichtiger war, als neuzeitliche „Theologen der Hoffnung" für wahr halten, dafür bietet der vorliegende Band mehrere Anhaltspunkte. Exemplarisch sind hier Beispiele aus zwei verschiedenen philosophischen Bereichen vorzubringen. Was die Erkenntnistheorie betrifft, sind die Auseinandersetzungen des Johannes Duns Scotus aufschlußreich. In seinem Hauptwerk, der „Ordinatio", stellt er die Frage nach dem ersten adäquaten Objekt des Verstandes, d. h. dem Objekt, das dem Vermögen als solchem angemessen ist. Das scheint eine technische, scholastische Frage zu sein, die aber in Wirklichkeit die Möglichkeiten und Grenzen der menschlichen Vernunfterkenntnis betrifft. Scotus kritisiert die Auffassung des Thomas von Aquin, das erste Objekt des Verstandes sei die Wesenheit der stofflichen Seienden. Scotus findet es unbegreiflich, daß ein Theologe diese Auffassung vertritt, weil sie der christlichen Eschatologie widerspricht. Der Glaube lehrt, daß der menschliche Verstand im Jenseits Gott sehen wird, wie er in sich selbst ist. Die Gottesschau ist demnach die Erkenntnis einer unstofflichen Wesenheit. Aber ein Vermögen kann, wenn es dasselbe bleibt, nicht etwas aktuell erkennen, das nicht unter seinem ersten Objekt enthalten ist 8 . Aber Scotus' Kritik ist nicht nur theologisch motiviert; sie wird mit einer philosophischen Kritik verbunden. In der Antwort auf die Frage nach dem ersten Gegenstand des Verstandes muß man zwischen der Natur des Vermögens und seinem heutigen (heilsgeschichtlichen) Zustand (status) unterscheiden. Thomas beachtet diesen Unterschied nicht und geht von der falschen Voraussetzung aus, dem menschlichen Verstand entspreche seiner Natur nach die Wesenheit des stofflichen Seienden. Scotus führt mehrere Argumente dafür an, daß der adäquate Gegenstand des Verstandes seiner Natur nach das Seiende im allgemeinen ist, mag auch pro statu isto der menschliche Verstand von den sinnenhaften Vorstellungsbildern abhängig sein 9 . Aber entscheidend ist nicht dasjenige, was in einem Sonderzustand das Erste ist. Wir sagen z. B. auch nicht, der erste Gegenstand des Sehvermögens sei dasjenige, was man bei Kerzenlicht sieht. In den Ausführungen des Scotus kommt die viatorische Beschaffenheit des Menschen klar zum Ausdruck. Einen anderen Aspekt der Bedeutung eines Denkens „vom Ende her" für erkenntnistheoretische Fragen erschließt der Beitrag von Dominik Perler zu diesem Band. Anhand einer Debatte zwischen Duns Scotus und Wilhelm von Ock8
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Duns Scotus, Ordinatio I, d. 3, pars 1, q. 3, n. 113 (Opera omnia, ed. Vaticana III, 70): „Contra.• istud non potest sustineri a theologo, quia intelkctus, exsistem eadem potenüa naturaliter, cognoscet per se quiditatem substantiae immaterialis, sicut patet secundum fidem de anima beata. Potentia autem manens eadem non potest habere artum àrea aliquid quod non continetur sub suo primo obiecto." Ibid., nn. 1 1 5 - 1 1 9 (ed. Vaticana III, 7 1 - 7 3 ) . Cf. L. Honnefelder, Ens inquantum ens. Der Begriff des Seienden als solchen als Gegenstand der Metaphysik nach der Lehre des Johannes Duns Scotus, Münster 1979, 6 3 - 7 1 .
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ham über die Möglichkeit einer Erinnerung nach dem Tod zeigt er die wichtige methodische Funktion der „post mortem -Perspektive". Sie erlaubte es den mittelalterlichen Autoren, ein Szenario zu entwerfen, das eine ähnliche Funktion hatte wie die Gedankenexperimente in den gegenwärtigen analytischen Diskussionen. Dieses Szenario diente einer Fokussierung auf Problemaspekte, wie das Verhältnis von intellektueller und wahrnehmender Seele, „die kaum sichtbar werden, wenn Erkenntnisprozesse nur unter natürlichen (sprich: diesseitigen) Bedingungen betrachtet werden, die aber für das Verständnis dieser Prozesse in hohem Maße relevant sind". Der Bereich, wo die mittelalterliche Eschatologie in einen offenen Konflikt mit der philosophischen Tradition gerät, ist ohne Zweifel die Kosmologie10. Der Gegensatz wird historisch greifbar in der Pariser Verurteilung von 1277, die wie kaum ein anderes Ereignis in der philosophischen Mediävistik der letzten Jahrzehnte zum Prüfstein für das Selbstverständnis der Philosophie im Mittelalter geworden ist 11 . Einer der vom Bischof von Paris verurteilten Sätze (These 186) lautet: „Der Himmel steht niemals still, weil das Werden der niederen Dinge, welches das Ziel der Himmelsbewegung ist, niemals aufhören soll." 12 Gemäß der aristotelischen Kosmologie (De caelo II, c. 1, 283 b 26 sqq.) wird die Kreisbewegung des Himmels und der durch diese ausgelöste Zyklus des Werdens und Vergehens der Dinge immer andauern. Die Auffassung der Philosophen ist aber, so stellt Thomas von Aquin in seinem Sentenzenkommentar fest, „nicht mit unserem Glauben vereinbar". Als erstes Argument contra führt er den Text aus der Apokalypse (10,6) an: „Es wird keine Zeit mehr sein." Wenn es keine Zeit gibt, gibt es auch keine Himmelsbewegung, da sie die Ursache der Zeit ist 13 . Thomas erkennt an, daß die eschatologische Anschauung der Endlichkeit der kosmischen Bewegung nicht durch die Vernunft zu begründen ist, er versucht jedoch zu zeigen, daß es nicht unmöglich oder unangemessen ist, daß die Himmelsbewegung aufhören wird 14 . Eine seiner Überlegungen greift einen Gedanken aus dem 1277 verurteilten Satz auf, daß nämlich das Ziel der Himmelsbewegung das Werden der niederen Dinge sei. Man muß es vermeiden, so legt er dar, das Ziel der Himmelsbewegung zu niedrig zu setzen, denn das Ziel muß dasjenige, was zum Ziel führt, übersteigen. Deshalb muß man nicht behaupten, das Werden der niederen Dinge sei das Ziel 10
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Cf. T. Gregory, L'escatologia cristiana nel]' aristotelismo latino del XIII secolo, in: Ricerche di storia religiosa 1 (1954/7), 1 0 8 - 1 1 9 . Cf. J. A. Aertsen/A. Speer (eds.), Was ist Philosophie im Mittelalter? (Miscellanea Mediaevalia 26), Berlin - New York 1998, X. D. Piché, La condamnation parisienne de 1277, Nouvelle édition du texte latin, traduction, introduction et commentaire, Paris 1999, 136: „Quod celum nunquam quiesät, quia generatiti infemrum, que est finis motus celi, cessare non debet. " Thomas von Aquin, In IV Sent. d. 43, a. 2, q. 2. Cf. auch seine Ausführungen in De potentia q. 5, a. 5 und Summa contra Gentiles IV, 97. Summa contra Gentiles IV, 97: „Non debet autem impossibile videri quod motus caeli cesset."
Einleitung
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der Himmelsbewegung, da der Himmel überragender als diese Dinge ist. Das Werden der niederen Dinge ist eine Wirkung der Himmelskörper, die auf ein weiteres Ziel hingeordnet ist, nämlich auf den Dienst am Menschen (ministerium humanuni), der als rationale Seele edler ist als jede körperliche Natur15. Die Himmelsbewegung besteht hauptsächlich um der Hervorbringung des Menschen willen. Doch kann das Ziel nicht in der Vermehrung der Seelen ins Unendliche bestehen, da das Unendliche dem Sinngehalt eines Zieles widerspricht. „Demnach folgt nichts Unangemessenes daraus, wenn wir annehmen, daß die Himmelsbewegung aufhört, wenn eine bestimmte Anzahl von Menschen erreicht ist", das heißt, wenn die Zahl der Auserwählten vollständig ist16. Auffallend in Thomas' Überlegungen ist die Stellung, die dem Menschen als Vollender des Kosmos zuerteilt wird. Er deutet von der Perspektive des eschatologischen Endes her die kosmische Teleologie anthropozentrisch um.
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De potentia q. 5, a. 5: „In hac consideratione tria oportet vitare ... Secundum est, ut nonponatur motus caeli esse propter aliquid vilius; nam cum finis sit unde ratio sumitur, oportet finem praeeminere his quae sunt ad finem ... Unde non potest did, quod generatio istorum inferiorum sit finis motus caeli, etsi sit effectus vel terminum, quia et caelum his inferioribus praeeminet, et motus motibus et mutañonibus eorum ... Alio modo potest poni motus caeli aliquid extra caelum, ad quid pervenitur per motum caeli, quo cessante illud potest remanere ... Ponimus enim quod motus caeli est propter implendum numerum electorum. " Den Ausdruck „ministerium humanum" verwendet Thomas in In IV Sent. d. 43, a. 2, q. 2. Summa contra Gentiles IV, 97. Cf. den Beitrag von Rudi te Velde zu diesem Band.
I. Eschatologische Orientierungen
The Apocalyptic Imagination in the Middle Ages BERNARD M C G I N N
(Chicago)
In recent years it has become customary to stress the role of the creative imagination in the history of apocalypticism. As John Collins puts it: "The apocalyptic revolution is a revolution in the imagination. It entails a challenge to view the world in a way that is radically different from the common perception." 1 As long ago as 1931 the posthumous commentary on the Apocalypse by D. H. Lawrence recognized that the only way to appreciate why this book he hated so much had such power and influence was to grasp that it worked by way of symbols whose power "was not logical but emotional". Lawrence argued that the procession of images and symbols in apocalyptic literature was an expression of "the desire ... to achieve a consummation of a certain state of consciousness, to fulfill a certain state of feeling-awareness" 2 . Lawrence was right. The impact of apocalypticism in the Middle Ages, evident not only in preaching and theology, but also in art and literature3, indeed, in the whole range of medieval culture, cannot be appreciated unless we recognize the potency of the apocalyptic imagination. In order to understand the basic dynamics of how the apocalyptic imagination functioned in the medieval period, it will be necessary to take a long range view, that is, to consider how the fundamental structure of Christian views about the end, created in the New Testament and in the early patristic period, set the stage upon which the medieval masters of the apocalyptic imagination scripted their innovative and dramatic scenarios of the end. Obviously, the examples presented will have to be selective, but a judicious sampling of the large evidence may be able to give us some sense of the inner workings of the medieval apocalyptic imagination. We need to begin with the central apocalyptic claim of Christianity: Jesus of Nazareth is the messiah who ushers in the last days. The acceptance of that claim (whether first advanced by Jesus himself, or by his followers) depends 1
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J. Collins, The Apocalyptic Imagination. An Introduction to the Jewish Matrix of Christianity, New York 1984, 215. D. H. Lawrence, Apocalypse, New York 1931, 7 6 - 7 7 . Cf. R. Emmerson/R. Herzman, The Apocalyptic Imagination in Medieval Literature, Philadelphia 1992; R. Emmerson, Apocalyptic Themes and Imagery in Medieval and Renaissance Literature, in: B. McGinn (ed.), The Encyclopedia of Apocalypticism. Vol. 2. Apocalypticism in Western History and Culture, New York 1998, 402—441; and L. Seidel, Apocalypse and Apocalypticism in Western Medieval Art, in: ibid., 4 6 7 - 5 0 6 .
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upon the previous development of the image of the messiah of the endtime put forward in pre-Christian Judaism, especially in the apocalyptic texts of the late Second Temple Period (c. 300 BCE to 70 CE). Belief in a coming messiah, a ruler anointed by God to lead his people into a final age of earthly felicity, was one of the most important contributions of ancient Judaism to subsequent religious history. However much the notion of "God's anointed" - king, priest, or prophet — is rooted in pre-exilic Judaism, it was when the incipient messianism of the Hebrew Bible's hopes for a future Davidic ruler were combined with the apocalyptic view of history created in the last centuries BCE that messianism became a force with a future, not only for Jews, but also for Christians4. Messianic predictions were fueled by opposition to ruling powers hostile to Judaism, especially Hellenistic kings and Roman generals and emperors. As found in the Qumran texts (such as llQMelch), and in other Second Temple literature, for example, the Psalms of Solomon, the Similitudes of Enoch, 2 Baruch, and 4 Ezra, the hoped-for deliverer began to take on a heavenly status, though without losing his function as the ruler over a new aeon of earthly peace and plenty. Late Second Temple Jewish apocalypticism was the springboard from which the messianic impulse was launched into the history of the contentious twins born out of the destruction of the Second Temple: Rabbinic Judaism and Early Christianity5. The first groups of Jews who came to accept Jesus, the prophet from Galilee, as messiah of the end time, certainly counted as belonging to the broad spectrum of competing versions of Jewish belief of the time. Even after the destruction of the Second Temple in 70 CE, the members of the "Jesus-movement" continued to claim to be the verus Israel, at the same time that they were absorbing more and more Gentile converts6. Scholarship of recent decades has come to recognize that the sibling rivalry of early Christianity and Rabbinic Judaism is essential to understanding the development of these two related traditions during the centuries after the fall of Jerusalem 7 . Messianism was central to the Jesus movement from the start. "The beginning of the gospel of Jesus Christ [i. e., anointed one]" as written by Mark, opens with the scene of John's preaching and his baptism of Jesus. "On coming up 4
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For Jewish messianism, cf. J. Collins, The Scepter and the Star: The Messiahs of the Dead Sea Scrolls and Other Ancient literature, New York 1995; and J. Vanderkam, Messianism and Apocalypticism, in: J. Collins (ed.), The Encyclopedia of Apocalypticism. Vol. 1. The Origins of Apocalypticism in Judaism and Christianity, New York 1998, 1 9 3 - 2 2 8 . On the history of Jewish messianism, cf. G. Scholem, The Messianic Idea in Judaism and Other Essays in Jewish Spirituality, New York 1971. A recent critique of Scholem's view of the relation of mysticism and messianism can be found in M. Idei, Messianic Mystics, New Haven 1998, whose first chapter reviews the historiography on Jewish messianism. Cf. M. Simon, Virus Israel·. A Study of the Relations between Christians and Jews in the Roman Empire ( 1 3 5 - 4 2 5 ) , Oxford 1986. Cf. R. Stark, The Rise of Christianity, San Francisco 1997; D. Boyarín, Dying for God. Martyrdom and the Making of Christianity and Judaism, Stanford 1999.
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out of the water he [Jesus] saw the heavens being torn open and the Spirit, like a dove descending upon him. And a voice came from the heavens: 'You are my beloved son; with you I am well pleased'" (Mk. 1:10 — 11). This is a new form of messianic anointing, one later confirmed by Jesus's resurrection from the dead as the messiah who initiates a new age in history. Thus, Christianity is a messianic religion par excellence. My point in reviewing this well-known material is only to set the stage for investigating how the dynamics of apocalyptic messianism worked in Christianity, at least in its classic forms during the patristic and medieval periods. The special problem faced by Christianity, crudely put, is this: "What happens to apocalyptic messianism when the messiah has come but ordinary history still goes on?" Rabbinic Judaism looks forward to a messiah or messiahs to come; Christianity awaits the return of a messiah whose first coming in the now distant past is the center of its confession of faith. This situation reflects the distinctively Christian view of the relation between Christ and time that Oscar Cullmann captured in the famous phrase, "already, but not yet", that is, the messiah has indeed come, but he is also still on the way 8 . In order to understand some of the effects of what it means to have a messiah who has both come and is still on the way, it is helpful to note at the outset two important implications of Jesus's "already but not yet" messiahship. The advent of the messiah was originally expected to mark the destruction of all evil, but the interim between Jesus's two comings was marked by an ongoing struggle between good and evil. Indeed, Christians soon became convinced that there would be growing opposition to Jesus's redemptive achievement on the part not only of institutions, but also of a demonically inspired "anti-messiah", or Antichrist, as he was called in Christianity9. Second, granted that there can be only one real messiah in Christianity, the temporal delay before the second coming and the growth of opposition and persecution allowed for the possibility that Jesus as messiah could employ an assisting cast of "quasi-messiahs" to share in his eschatological activity in finally overcoming the forces of evil. While anti-messiah beliefs accompanied the earliest confessions of Jesus as messiah, the creation of apocalyptic quasi-messiahs was only realized in the Middle Ages. In order to understand how belief in the historical messiah, Jesus Christ, shaped the later development of the coming anti-messiah and quasi-messiahs, we can distinguish three essential dimensions of the messianic activity of Jesus as God's anointed in the last days: Christ saves; Christ rules; Christ judges. Each of these aspects of the messianic job-description had a role to play in the subsequent developments of the apocalyptic scenario in the patristic and medieval periods. 8
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Cf. O. Cullmann, Christ and Time. The Primitive Christian Conception of Time and History, London 1962, especially 1 4 4 - 1 4 8 . For a review of the Antichrist legend, cf. Β. McGinn, Antichrist. Two Thousand Years of the Human Fascination with Evil, New York 2000.
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Theology of the redemption was already well developed in the Pauline letters, the earliest surviving Christian documents. In Romans 4:23 — 25, for example, Paul says: "All have sinned and are deprived of the glory of God. They are justified freely by his grace through the redemption in Christ Jesus, whom God set forth as an expiation, through faith, by his blood . . . " Thus, the new aeon of redemption begins with Christ's death and resurrection. This final age was understood in a fundamentally apocalyptic way by Paul and most of the first Christians. Transformed apocalyptic motifs are strong in the apostle's letters and texts like the gospel of Mark. In these writings the "not yet" of "already but not yet" was conceived of as a brief interlude before the triumphant return of the glorified Jesus from heaven. Writing to the church at Thessalonika about 50 CE, Paul expressed his faith that his own generation would see the event: "We tell you this, on the word of the Lord, that we who are alive, who are left until the coming of the Lord, will surely not precede those who have fallen asleep" (1 Thess. 4:15). Nevertheless, within a generation, other understandings of history emerged in the Jesus movement. The author of Luke and Acts fitted his double account of the life of Christ and the development of the early church into the structure of secular history, thus creating a concept of salvation history that placed Jesus at the center of time and that potentially, at least, was open to an indefinite postponement of Christ's return 10 . Later, non-apocalyptic theologies of history, such as those created by Eusebius and Augustine in the fourth and fifth centuries, took their cue from this perspective. Christ as messiah is not just the once and for all redeemer, he is also the anointed ruler over the earth. But how is his rule to be understood? From the end of the first century, it is clear that there were disagreements over how to interpret "the kingdom of God" that had been so important a part of Jesus's preaching. Such divergences continue down to our own day. After a generation or more during which New Testament interpreters argued for a radically deeschatologized interpretation of Jesus's message about the kingdom 11 , there has lately been a return, at least in Anglo-American scholarship, to something like Albert Schweitzer's view of Jesus as a prophet of the apocalyptic restoration of Israel 12 . Two texts of the late first century reflect the ongoing disagreement about the nature of Christ's rulership. In the gospel ascribed to John the beloved disciple, Jesus tells Pontius Pilate during the interrogation before his death, "My kingdom does not belong to this world" (Jn. 18:36). But in the Apocalypse written by the wandering Christian prophet John (later confused with the beloved disciple), we find the prediction of Christ's imminent return as the "Rider 10 11
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H. Conzelmann, The Theology of St. Luke, New York 1960. This tendency was represented by such New Testament scholars as R. Bultmanri, E. Käsemann, and N. Perrin, to mention but a few. Cf., e. g, E. Sanders, Jesus and Judaism, Philadelphia 1985; D. Allison, Jesus of Nazareth. Millenarian Prophet, Minneapolis 1998; B. Ehrman, Jesus. Apocalyptic Prophet of the New Millennium, Oxford 1999.
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on the White Horse" to defeat the forces of evil (read Rome) then persecuting the church (Apoc. 19:11—21). This victory is to be followed by a thousand-year earthly reign of the triumphant Christ and the resurrected martyrs — "those who had been beheaded for their witness to Jesus" (Apoc. 20:1 — 6). John's prophecy of the thousand-year kingdom has remained a bone of contention in Christianity down to the dawning third millennium 13 . Most early Christians, including such important church leaders as Justin Martyr and Irenaeus of Lyon in the second century, took it literally — Christ would return to enjoy a thousand-year earthly rule before the end. From the late second century CE, however, strong reaction against such literalism caused the Apocalypse to be rejected by many believers. It was only the creation of a spiritual reading of the text and its millennial prediction, initiated by Origen in the third century and completed in Latin Christianity in the fourth century by Tyconius and Augustine of Hippo, that enabled John's revelation to become a part of the official canon of scripture 14 . Augustine's reading of Christ's thousand-year reign is a fully immanent and presentisi one — the kingdom described in Apocalypse 20 is really the church in which Christ is inwardly ruling in the hearts of the saints 15 . The authority of Augustine and the other spiritualizing commentators on the Apocalypse effectively ruled out any literal readings of chapter 20 for almost another millennium. This, however, did not mean the end of all hopes in some form of coming better age before the end, a time of earthly felicity for the church and christianitas (i. e., "Messiah-land"), as the medieval West came to speak of itself by about the year 800 CE. These forms of "quasi-millennia", as we may call them, did not involve the physical reign of the Returning Jesus. That too was precluded by the orthodox rejection of early Christian literal apocalypticism. But they did invite the development of what I have called quasimessiahs, that is, end-time leaders who would be assistants and/or surrogates for what was originally understood as Christ's own earthly rule. The third dimension of Christ's function as the "already but not yet" messiah is his activity as judge. The concept of a definitive judgment separating the good from the evil was found in many religions of the ancient world, not least among the apocalyptic circles in Second Temple Judaism 16 . However, the concept of what came to be called the Last Judgment, or Doomsday, was more important to Christians than any other group in the religious world of the Roman Empire 13
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For an introduction to patristic and medieval views of the millennium, cf. R. Lerner, Millennialism, in: McGinn (ed.), Encyclopedia (nt. 3), 3 2 6 - 6 0 . On patristic millenialism, cf. Β. Daley, The Hope of the Early Church. A Handbook of Patristic Eschatology, Cambridge 1991; C. Hill, Regnum Caelorum. Patterns of Future Hope in Early Christianity, Oxford 1992. For an introduction to the interpretation of John's Apocalypse, cf. Β. McGinn, Revelation, in: R. Alter/F. Kermode (eds.), The Literary Guide to the Bible, Cambridge MA 1987, 5 2 3 - 5 4 1 . Augustine, De civitate dei, 20.7 and 9 (CCSL 48, Turnhout 1955, 7 0 6 - 7 1 2 and 7 1 5 - 7 1 9 ) . For an overview of Christian views of the Last Judgment, cf. Β. McGinn, The Last Judgment in Christian Tradition, in: id. (ed.), Encyclopedia (nt. 3), 3 6 1 - 4 0 1 .
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of the early centuries CE. Paul proclaimed the coming judgment often in his letters (e.g., 1 Thess. 1:10, Rom. 2 : 5 - 1 1 , 1 Cor. 15:22-28, 2 Cor. 5:10). Two important narratives in the New Testament describe the Final Assize in detail: the judgment scene found in the apocalyptic discourse ascribed to Jesus in the gospel of Matthew (Mt. 25:31—46), and the judgment that comes after the millennial reign of Christ found in Apocalypse 20:11 —15. That judgment would come was a given; when judgment would come remained a question. The orthodox tradition emphasized those passages in the New Testament that insisted that no one could know the time of the last things and Doomsday: "It is not for you to know the times or the seasons that the Father has established by his own authority", Christ warned his disciples as he departed for heaven in Acts 1:7 (cf. Mt. 24:36). But even such an anti-apocalyptic thinker as Augustine insisted on the physical reality of the resurrection of the dead and the coming judgment. Medieval society lived under the shadow of the judging Christ, as can be observed by anyone who enters the great churches of medieval and renaissance Europe with their numerous portrayals of Doomsday. Christ's role as redeemer, ruler, and final judge could not be superseded, but this did not preclude the possibility that it could be shared in during the interim time between the "already" and the "not yet". Indeed, the longer the interim became, the more the possibility presented itself to give important persons, offices, and events eschatological significance by incorporating them in some way into the great scenario of the endtime. This is where the apocalyptic imagination shows its true potency. If we consider the eschaton as a great drama whose leading role of messiah and whose basic acts were laid down in the Bible and early Christianity, what is striking about the history of apocalypticism in the Middle Ages is the way in which new subsidiary roles and scenes come to be inserted into the overall scenario, most often as a response to unexpected and/or threatening events of world-historical significance. Within the framework of the teleology of the Christian view of history, culminating in the ultimate decision between good and evil, major changes and new developments are given transcendental validation by making a place for them at the end. It is to these imaginative creations that I turn in the second part of this essay. Apocalypticism has always been characterized by an intricate mixture of optimism and pessimism. In the basic Christian scenario of the end the optimistic pole is represented by belief in Christ's terrestrial victory over the forces of evil, the coming resurrection of the saints, and the earthly millennium. The pessimistic pole centers on the imminent persecution by Antichrist, the fearful signs and upheavels that presage the end of the world, and the Last Judgment separating the sheep from the goats. During the medieval centuries, the apocalyptic imagination added many new details and further refinements to the gloomy side of this scenario, but I would argue there were no essentially new creations. When it comes to the optimistic side of the drama of the end, however, medieval apocalypticism did produce new creations, that is, players and acts for which
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there was no scriptural precedent. A brief examination of both the negative and the positive aspects of what the prophet John spoke of as "What must soon come to pass" (Apoc. 1:1: "quae oportet fieri cito") will flesh out this claim. The first act in the traditional picture of the end centered on the career of Antichrist, a fearful shadow cast across history. Both Judaism and Islam have anti-messiah figures, but none of these plays as significant a role as Antichrist has done in Christianity. The reason is rooted in the logic of Christianity's belief in Jesus as the God-man, the epitome of all goodness and justice. Absolute human goodness symbolically calls forth its reverse: the image of complete human evil. From the apocalyptic perspective, the messiah's work will not be complete until he has confronted and overcome ultimate malice in human form. Christ requires Antichrist, not only to fulfill the symbolism inherent in Christian belief, but also to complete in the church, that is, in his body on earth, the messianic victory over evil. Jewish apocalyptic texts had a series of anti-messianic figures, the most famous of which, Daniel's eschatological image of the persecuting Antiochus IV as the "little horn" (Dan. 7:8, 2 0 - 2 2 ) and "evil king" (Dan. 11:21-45), had considerable influence on the New Testament passages that served as the basis for the Antichrist legend. Although the term antichristos is not found before the Johannine epistles of c. 100 or later, and the portrayals of Antichrist in other places in the New Testament are scattered symbolizations (e. g , the Abomination of Desolation, the Man of Sin, the Seven-Headed Beast), from early on in Christianity a powerful "Antichristology" developed as the reverse image of emerging high Christology. In Irenaeus's "Adversus Haereses" (c. 180) and his pupil Hippolytus's treatise "De Antichristo" (c. 200) we already have the main lines of the Antichrist legend that were to be filled in over the centuries. The ultimate contest between Christ and Antichrist is really no contest, or rather, it is actually a batde between Antichrist and the church. If we look at the most noted medieval account of Antichrist, the "Epistola de Antichristo", composed by the French abbot, Adso of Montier-en-Der, about 950, we get a good idea of the role of the anti-messiah in testing the reality and depth of the church's belief 17 . According to the abbot, in order to prove the sincerity of their acceptance of redemption, Christians are called to live as Christ did. "Any layman, cleric, or monk", says Adso, "who lives in a way contrary to justice, who attacks the rule of his order of life, and blasphemes the good, he is an Antichrist, a minister of Satan." 18 Antichrist, therefore, is multiple and always present within the church; but he is also a single individual to come, the summation of 17
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D. Verfielst (ed.), Adso Dervensis. De Ortu et Tempore Antichristi (CCCM 45), Turnhout 1976. For an English translation and study, cf. Β. McGinn, Apocalyptic Spirituality (Classics of Western Spirituality), New York 1979, 8 1 - 9 6 . Epistola de Antichristo, 22: "Quicumque enim, siue laicus, siue canonicus, siue etiam monachus, contra iusticiam uiuit et ordinis sui regulam impugnai et quod bonum est blasphemat [Rom. 14:16], Antichnstus est, minister satane est. "
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all religious deceit and tyrannical persecution. Imitation of Christ, for Adso, involves not only following the requirements of one's station in life, but also willingness to undergo suffering and death as a way of fully participating in the Savior's redemptive action. Early Christians had held up the ideal of martyrdom as the most perfect form of imitatio Christi. Antichrist traditions were in part a substitute for this ideal in their projection of a final age of widespread martyrdom under the persecuting Son of Perdition. This was the ultimate test of the authenticity of one's Christian confession that all believers needed to keep in mind to guarantee the sincerity of their faith 19 . Tracts like Adso's "Epistola" and its successors in word and image are filled with gory descriptions of the martyrdom of the faithful20. They owed much of their popularity to the way in which they provided a model for living apocalyptically — that is, "in the shadow of the Second Coming" — in an era when predictions of the time of the end were ruled out, but the hold of the eschaton on popular religious imagination was still central. The career of the persecuting emperor Nero, particularly the legend that saw him returning from the dead to complete his savage attack on believers, helped shape the biblical and early Christian view of Antichrist (cf. Apoc. 13 and 17:6 —14) 21 . The urge to identify other noted persecutors as Antichrist, or at least his immediate predecessor, remained strong in the patristic and medieval periods, and influenced further developments in Antichrist traditions22. Nevertheless, the major force impelling the growth of the legend was rooted in the desire to work out a full reverse symbolization in which the decisive events of Christ's life would be perversely imitated by the anti-messiah of the last days. Christ's death, resurrection, ascension, and sending of the Holy Spirit upon his disciples at Pentecost were the major saving mysteries, or sacramenta, of the Christian account of salvation. Centuries of Christian apocalyptic tradition worked out a parodie scenario of these events for Antichrist. I f we look, for example, at the illustrated life of Antichrist found in the Nuremberg Blockbook from about 1465 we can see the summation of this development23. Here we see Antichrist pretending to die and then being resurrected under the watchful 19
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On the role o f martyrdom in Adso's "Epistola", cf. 25, 2 7 - 2 8 . The importance o f apocalyptic martyrdom in Adso's text has been noted by C. Carozzi, Apocalypse et salut dans le christianisme ancien et médiévale, Paris 1996, 24 — 25. The emphasis on apocalyptic martyrdom is evident, for example, in the illustrations to Adso's "Epistola" contained in Herrard of Hohenburg's "Hortus Deliciarum" o f the late twelfth century, as well as in the descriptions of the sufferings o f the faithful under Antichrist in the apocalyptic sections o f Mechthild of Magdeburg's "Das fließende Licht der Gottheit" (c. 1 2 6 0 - 8 0 ) . On the latter, consult Β. McGinn, To the Scandal of Men Women Are Prophesying. Female Seers of the High Middle Ages, in: C. Kleinhenz/F. LeMoine (eds.), Fearful Hope. Approaching the New Millennium, Madison 1999, 6 9 - 7 4 . For the role o f the Nero legend in Antichrist traditions, cf. McGinn, Antichrist (nt. 9), 4 5 - 5 2 . A good medieval example can be found in the career of the emperor Frederick II; cf. McGinn, Antichrist (nt. 9), 1 5 2 - 1 5 7 . Cf. H. Musper, Der Antichrist und die fünfzehn Zeichen, Munich 1970.
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eye o f demons (based on Apoc. 13:3). Reversing Christ's procedure, he next has the devil send false pentecostal flames on his followers (based on Apoc. 13:13). Finally, in a great dénouement whose earliest textual witness is found in Hildegard o f Bingen 2 4 , Antichrist attempts to prove his divinity by ascending to heaven from the Mount o f Olives, only to be cast down to the depths o f hell (2 Thess. 2:8 is the scriptural basis). T h e Nuremberg version o f the life o f Antichrist also contains a pictorial rendition o f another text testifying to how the apocalyptic imagination sought to give greater detail to the pessimistic aspects o f the scenario o f the end. In the apocalyptic discourse in Matthew, Jesus provides a response to the disciples' request, "Tell us, when is this going to happen, and what sign will there be o f your coming and o f the end o f the world?" (Mt 24:3). This list, as well as a variety o f other signs o f imminent doom culled from biblical texts, the Sibylline verses, and other sources, formed a significant, if confusing, resource for later apocalyptic thinkers. The "Signa praecedentia judicii diem", often called the Fifteen Signs o f Doomsday, one o f the most popular o f all medieval apocalyptic texts, attempted to bring some order to this confusing plethora o f signs by giving a day-by-day rendition o f the fearful events lying between Antichrist's destruction and the end o f the world. Like many products o f the apocalyptic imagination, it had a long development. Based on the possibly fifth-century Apocalypse o f Thomas that listed seven signs organized according to the final week o f the world, early medieval speculation about the signs produced the " U r f o r m " o f the fifteen signs in Ireland in the tenth-century text called the "Psalter of the Quatrains" (Saltair na Rann) 2 5 . As later taken up by such authors as Peter Damian, Peter Comestor, and Jacobus de Voragine in "Legenda Aurea", the Fifteen Signs became an apocalyptic best seller 26 . In a brief essay it is not possible to suggest how rich and varied were the medieval developments regarding the Last Judgment itself, however much these portrayals in word, verse, and image remained tied to the biblical basis found in Matthew and the Apocalypse. The attempt to understand the final act o f history, the consummation o f the entire spatio-temporal realm, involved not only dealing with a host o f underlying theological questions, as we can see from scholastic treatments, such as those o f Peter Lombard and Thomas Aquinas, but also the impetus to incorporate pictorial details not present in scripture that were nevertheless well suited to emphasize the symbolic necessity o f judgment. 24
A. Derolez/P. Dronke (eds.), Hildegardis Bingensis. Liber Divinorum Operum (CCCM 92), Turnhout 1996, 3.10.36; and the discussion in McGinn, Antichrist (nt. 9), 1 2 8 - 1 3 2 . Antichrist's ability to fly (or at least to pretend to fly), probably based on the Simon Magus legend, is attested to as early as the Pseudo-Hippolytus " D e consummatione" of c. 400 (cf. McGinn, Antichrist [nt. 9], 71 - 7 4 ) . Jerome's "Commentarius in Danielem" 11:45 is the earliest witness associating Antichrist's destruction with the Mount o f Olives (McGinn, Antichrist [nt. 9], 75).
25
There is no full translation o f this Irish survey o f "Heilsgeschichte". For a partial version and comments, cf. J. Carey, King of Mysteries. Early Irish Religious Writings, Dublin 1998, 9 7 - 1 2 4 . The best account remains W Heist, The Fifteen Signs before Doomsday, East Lansing 1952.
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Among the most evident of these, found in a host of medieval portrayals of Doomsday, was the motif of the weighing of souls 27 . Christ's definitive sentence separating the sheep from the goats is a joyous event for the former, but final disaster for the latter. The early Christians seem generally to have taken a positive attitude toward coming judgment as the vindication of their hopes and sufferings. The shift to a more foreboding sense of Doomsday is evident from the time of the peace of the church as lukewarm Christians were taught to fear that they too were in danger of being relegated to the side of the goats. This gloom deepened throughout the Middle Ages, though medieval folk never totally lost the sense that throwing oneself on Christ's mercy was the surest way to avoid his stern judgment. Anselm of Canterbury's lugubrious "Meditation to Arouse Fear" rings the changes on the terror that the thought of coming judgment brings. But to the question, "Who will deliver me out of the hands of God?", Anselm's response is the insistence that the Christ who judges is also the Christ who redeems: "It is he himself, he himself is Jesus. The same is my Judge between whose hands I tremble. Take heart sinner and do not despair. Hope in him whom you fear, flee to him from whom you have fled."28 While the negative, or pessimistic, aspects of the apocalyptic scenario have exercised a particular fascination over the centuries, we must not forget that other elements of the apocalyptic drama have held out the promise of better things to come, both on this earth in a millennial or quasi-millennial period of peace and plenty, and transcendentally in the everlasting joy of heaven. Although the weight of theological authority during the Middle Ages ruled out a return to literal millennialism until late in fourteenth century, there was a surprising number of "quasi-millennia" involving "quasi-messiahs" who shared in Christ's messianic roles of redeemer, ruler, and judge throughout the whole medieval era. It is in these optimistic aspects of the picture of the last days that the medieval apocalyptic imagination showed its greatest creativity and produced its most interesting innovations. Much of apocalypticism's imaginative appeal rests in the way in which it gives transcendental meaning to history. During the Middle Ages, major historical changes, upheavals, and crises were not regarded as accidents by the apocalyptically-minded, but as parts of a grand divine scheme whose meaning would become clear at the end of time. If the goal of the whole historical process is the definitive triumph of good over evil, then every chapter in the struggle 27
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The weighing of good and evil deeds after death was an important part of ancient Egyptian religion. The earliest appearance of an explicit reference to an angel weighing souls in judgment is found in the Jewish text, the Testament of Abraham, chap. 13 (c. 100 CE), which exists in several Christianized versions. For the development of the motif, cf. L. Kretzenbacher, Die Seelenwaage: Zur religiösen Idee vom Jenseitsgericht auf der Schicksalswaage in Hochreligionen, Bildkunst und Volksglaube, Klagenfurt 1958. Anselm, Meditation 1, using the translation of Β. Ward in: The Prayers and Meditations of St. Anselm, Harmondsworth 1973, 224.
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between good and evil participates in and will be fully realized at the time of the last events. This is true not only of individual moral decisions (Are we part of Christ's body, or of the body of Antichrist?), but also of larger developments in the history of Christendom. The teleological imperative of Christian apocalypticism expresses itself in what I have called both "a-priori" and "a-posteriori" ways 29 . In the former, believers use the already-established apocalyptic scenario as a template for understanding current events, searching for the signs of the times that will fulfill the inherited model. The a-posteriori mode, as we see it applied to the optimistic aspects of the drama of the end, accounts for more of the creativity of medieval apocalypticism. In this form of application, the believer reacts to important religious and political developments by incorporating them into a revised apocalyptic scenario, thus validating these events by making a place for them at the end. This a-posteriori function helps explain the creation of quasi-messiahs ruling over quasi-millennial periods in medieval views of the end. The three major forms of these quasi-messiahs, revealingly enough, developed over the course of the entire medieval period. The legend of the Last World Emperor was a creation of the seventh century CE, though its role in apocalypticism lasted down to our own time. The viri spirituales, first imagined by Joachim of Fiore in the late twelfth century, fascinated religious orders through the seventeenth century. Finally, the figure of the pastor angelicus, the Angelic Pope of the last days, which also first appeared in Joachim of Fiore (though it did not attain its canonic form until around 1300 CE), was also powerful for at least four centuries. In early Christianity, as seen in John's Apocalypse, Rome was the great persecutor, the realm of the Beast with the Seven Heads whose mysterious number is 666 (Apoc. 13:8). By the second and third centuries, however, many Christians were attempting to work out a compromise with Rome as a legitimate worldly power "ordained by God" (cf. Rom. 13:1—3). In the fourth century, Constantine's conversion to Christianity introduced an even more decisive change. The persecutor suddenly had become "The Most Christian Emperor", an event of such importance that it called out for apocalyptic validation. The confirmation process was begun with Eusebius in the early fourth century, who used messianic texts from the Old Testament as prophecies of the Christian Roman Empire and who spoke of Constantine as a unique "friend" of the Logos made flesh 30 . But if the Christian Roman emperors began to receive a quasi-messianic status from the time of Constantine's conversion, it took another unexpected event to project this status into the endtime. This was the rise of Islam and the threat it posed to Rome and the Christian view of history. 29
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On the a-priori and a-posteriori applications of apocalypticism, cf. Β. McGinn, Visions of the End. Apocalyptic Traditions in the Middle Ages, New York 1998, 3 3 - 3 5 . On Eusebius's use of messianic texts to express Constantine's rule as a form of realized eschatology, cf. G. Chestnut, The First Christian Historians. Eusebius, Socrates, Sozomen, Theodoret and Evagrius, Paris 1977, 1 5 6 - 1 6 6 .
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The "Revelationes" purportedly given to the third-century martyr bishop Methodius were actually composed in Iraq in Syriac about 690 C E 3 1 . Soon translated into Greek, Latin, and later into a host o f languages o f East and West, the "Revelationes Methodii" remained one o f the most widely-read apocalyptic texts for a thousand years. In these "Revelationes" we find for the first time the most potent o f the quasi-messiahs o f Christian apocalypticism, the Last Roman Emperor. T h e anonymous author projected Rome's current crisis under the onslaught o f Islam, as well as its messianic destiny, into the last days by a brilliant expansion o f the apocalyptic scenario. According to his account, the rise o f Islam was a part o f God's eternal plan and had been revealed to Methodius more than three centuries before the Hegira. The "sons o f Ishmael" were a scourge sent from God to punish the sinful. " T h e Lord God will give them the power to conquer the land o f the Christians, not because he loves them, but because o f the sin and iniquity committed by the Christians." 32 After a suitable cleansing, however, Rome-Byzantium will fulfill its messianic role as the Last Empire o f the prophecy o f Daniel 2. Methodius predicts: "Immediately then trial and tribulation will come upon them [i. e., the Ishmaelites] and the king o f the Greeks, i. e., the Romans, will come out against them in great anger , . . " 3 3 T h e Final Emperor is a vengeful quasi-messiah, a proleptic judge o f the wicked, but also, like Christ, a millennial ruler, if one o f brief duration. Methodius continues: " T h e indignation and the fury o f the king o f the Romans will blaze forth against all those who deny the Lord Jesus Christ. Then the earth will sit in peace and there will be great peace and tranquillity upon the earth such as has never been nor ever will be any more, since it is the final peace at the end o f time . , . " 3 4 Though the reign predicted for the Last Emperor is relatively brief in Methodius's "Revelationes", later medieval texts expand it to as much as one hundred and ten years o f peace and prosperity 35 .
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Critical editions of both the Syriac original and the Greek and Latin versions can be found in G. Reinink (ed.), Die Syrische Apokalypse des Pseudo-Methodius, Leuven 1993, 2 vols.; and W. Aerts/G. Kortekaas (eds.), Die Apokalypse des Pseudo-Methodius. Die ältesten griechischen und lateinischen Ubersetzungen, Leuven 1998, 2 vols. For an introduction to this text, cf. McGinn, Antichrist (nt. 9), 8 9 - 9 4 , and the literature cited there. Revelationes 11.5 (ed. cit. [nt. 31], 1 3 9 - 1 4 1 ) : "Sic etenim filios Ishmael, non quod eos diligat dominus Deus, dabit eis potentiam banc, ut obteneant terram chnstianorum, sed propter peccatum et iniquitatem, quae ab eis commititur. " Ibid. 13.11 (175): "Tunc subito insurgent super eos tribulatio et angustia, et exiliet super eos rex Gregorum, sive Romanorum, in furore magno ..." Ibid. 13.15 (179): " E t omnes indignatio et furor regis Romanorum super eos, qui abnegaverunt dominum nostrum Iesum Christum, exardesrít et sedebit terra in pace. Et erit pax et tranquillitas magna super terra, qualis nondum est facta, sed ñeque fiet similis illa eo quod novissima est et in fine saeculorum." The hundred-and-ten year reign can be found in the popular "Sibilla Tiburtina", on which cf. E. Sackur, Sibyllinische Texte und Forschungen, Halle 1898, 185. On the medieval Sibylline tradition, consult B. McGinn, Teste David cum Sibylla·. The Significance o f the Sibylline Tradition in the Middle Ages, in: J. Kirshner/S. Wemple (eds.), Women o f the Medieval World. Essays in Honor of John H. Mundy, Oxford 1985, 7 - 3 5 .
The Apocalyptic Imagination in the Middle Ages
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The rule of the Last Emperor is a form of pre-Antichrist quasi-millennium. In keeping with the inherent logic of Christian messianism, the Last Roman Emperor is a limited messiah who owes whatever power he has to his function as a representative of Christ — an apocalyptic vicarius Christi. This is demonstrated by the fact that he has no power over Antichrist. After reigning in Jerusalem for seven-and-a-half years, when he hears that the Son of Perdition has arisen, "... he will ascend Golgotha upon which the wood o f the Holy Cross is fixed, in the place where the Lord underwent death for us. The king will take the crown from his head and place it on the Cross and stretching out his hands to heaven will hand over the kingdom o f the Christians to G o d the Father ... W h e n the Cross has been lifted up on high to heaven, the king of the Romans will direcdy give up his spirit. Then every principality and power will be destroyed so that the Son o f Perdition may be manifest , . . " 3 6
The remainder of the scenario of the end in the "Revelationes" is traditional. Antichrist will reign for three-and-a-half years, inflicting the worst of all persecutions. When he is at the height of his power he will be destroyed by "the breath of the mouth [of] the Lord Jesus", as predicted in 2 Thessalonians 2:8 37 . Then, "the sign of the Son of Man will appear in the heavens" (Mt. 24:30), that is, the Cross, the instrument of redemption that had been taken up into heaven, will return as the sign of judgment. Christ will come to separate the sheep from the goats and end the course of history. There are many later versions of the legend of the Last Roman Emperor 38 . Numerous historical figures, from the Salian Henry IV, through Philip Augustus, Frederick II, Charles VI and Charles VIII of France, down to the Habsburg Charles V, were hailed as Last Emperor by enthusiastic apocalyptic scribes and publicists39. But the imposing figure of the Last Emperor, whose final claimant was the Ethiopian ruler Haile Selassie who died as recently as 1975, was not the only form of quasi-messiah invented in the Middle Ages. Two other types also witness to the power of the apocalyptic imagination to respond to history by creating new roles in the endtime scenario.
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Revelationes 1 4 . 2 - 6 (ed. cit. [nt. 31], 1 8 7 - 9 1 ) : "[2] ... ascendit rex Romanorum sursum in Golgatha, in quo confixum est lignum sanctae crurís, in quo loco pro nobis Dominus mortem sustenuit. [3] Et tollit rex coronam de capite suo et ponet earn super crucem et expandit manus suas in caelum et tradet regnum christianorum Deo et patri [cf. 1 Cor. 15:24] ... [6] Et cumque exaltabitur crux in caelum sursum, etiam tradet continuo spiritum suum Romanorum rex. Tunc distruetur omnemprinàpatum etpotestatem [1 Cor. 15:24], ut appareat filius perditionis. " Some accounts, e. g., Adso, depute the slaying of Antichrist to the archangel Michael, acting as Christ's agent. For a recent survey of the history of the Last Emperor, cf. H. Möhring, Der Weltkaiser der Endzeit. Entstehung, Wandel und Wirkung einer tausendjährigen Weissagung, Stuttgart 2000. For late medieval and early modern developments of the Last Emperor, cf. M. Reeves, The Influence of Prophecy. A Study in Joachimism, Notre Dame 1993, Part Three.
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The fertile mind of the Calabrian abbot, Joachim of Fiore (c. 1135 — 1202), was second to none in apocalyptic creativity40. Joachim's vision of an imminent tertius status mundi, the time ascribed to the Holy Spirit, is a quasi-millennial era of contemplative perfection on earth. It too involves expectation of quasi-messianic figures and groups who will share in the redemptive and ruling aspects of Christ's messiahship. Many factors went into the creation of Joachim's new version of the apocalyptic scenario, among them a sense of mounting foreboding in the face of Islamic counterattacks under Saladin against crusading Christianity, as well as the contemporary growth of heresy. This led the abbot to the conviction that the biblical prophecies were about to be fulfilled in the onslaught of the final Antichrist of this age, figured in the seventh head of the Dragon of Apocalypse 12 41 . But the abbot of Fiore was more optimistic than pessimistic. The present age, the second status ascribed to the Son, did not mark the end of time. It was to be succeeded by the Spirit-filled contemplative third status in which the reformist and monastic core of Joachim's apocalyptic outlook finds its full expression. For the Calabrian abbot it was the growth of the monastic life which was central to history's progress. Important as the Cistercian reform of monasticism had been, it was about to be superseded by two new forms of monastic life, two groups of what he called viri spirituales, whose prayer and preaching would succor and support the faithful in the imminent persecution of Antichrist at the time of transition to the third status. He spoke of them in dark prophetic terms in his central work, the "Expositio super Apocalypsim", as follows: "An order will arise which seems new but is not. Clad in black garments and girt with a belt f r o m above, they will increase and their fame will be spread abroad. In the spirit of Elijah they will preach the faith and defend it until the consummation of the world. There will also be an order o f hermits imitating the angels' life. Their life will be like a fire burning in love and zeal for G o d to consume thisdes and thorns , . . " 4 2
By the fourth decade of the thirteenth century, Joachim's prediction regarding the world-historical significance of two orders of viri spirituales had been seized upon first by Franciscans and then by some Dominican apocalyptic thinkers. 40
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For an account of Joachim, cf. Β. McGinn, The Calabrian Abbot. Joachim of Fiore in the History of Western Thought, New York 1985. More recent literature can be found in the journal Florensia (1987—), published by the Centra Internazionale di Studi Gioachimiti. On Joachim's view of Antichrist and his imminence, cf. R. Lernet, Antichrists and Antichrist in Joachim of Fiore, in: Speculum 60 (1985), 5 5 3 - 7 0 ; and McGinn, Antichrist (nt. 9), 1 3 5 - 1 4 2 . Expositio in Apocalypsim, Venice 1527, f. 175v: "Surget enim ordo qui videtur nouus et non est. Induti nigris vestibus et accincti desuper %ona. Hi crescent et fama eorum diuulgabitur. Et praedicabunt fidem quam et defendent usque ad mundi consumptionem in spiritu Helye. Qui erìt ordo heremitarum emulantium vitam angelorum. Quorum vita erit quasi ignis ardens in amore et %e/o dei, ad comburendum tribuios et spinas (hoc est) ad consumendum et extinguendumpernitiosam vitampravorum ..." For more on Joachim's view of the vin spirituales, cf. McGinn, The Calabrian Abbot (nt. 40), 152—157.
T h e Apocalyptic Imagination in the Middle Ages
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T h i s f o r m o f o p t i m i s t i c m i l l e n a r i a n q u a s i - m e s s i a h s h i p h a d a significant, if always c o n t e n t i o u s , role in t h e later M i d d l e A g e s a n d t h e early m o d e r n F i n a l l y , a n d b r i e f l y . J o a c h i m ' s v i e w o f t h e tertius status, in o n e o f t h e illustrations f o u n d in his " L i b e r
figurarum"44,
period43.
especially as w e
find
as well as in a f e w
places in his treatises, s e e m s to h a v e envisaged a central role f o r a m o n a s t i c p a p a l leader in t h e c o n t e m p l a t i v e c h u r c h o f t h e future. I n his " L i b e r d e
con-
cordia", speaking o f the c o m i n g forty-second generation in w h i c h the third
status
will b e realized, h e says: " I n this g e n e r a t i o n first o f all t h e g e n e r a l t r i b u l a t i o n will b e c o m p l e t e d a n d t h e w h e a t carefully p u r g e d o f all tares, t h e n a n e w l e a d e r will a s c e n d f r o m B a b y l o n , n a m e l y a universal p o n t i f f o f t h e N e w J e r u s a l e m , t h a t is, o f H o l y M o t h e r t h e c h u r c h . H i s t y p e is f o u n d w r i t t e n in t h e A p o c a l y p s e : Ί saw a n angel a s c e n d i n g f r o m t h e rising o f t h e s u n h a v i n g t h e sign o f t h e living G o d ' ( A p o c . 7:2) . . . H e will a s c e n d n o t b y s p e e d o f f o o t n o r c h a n g e o f place, b u t b e c a u s e full f r e e d o m t o r e n e w t h e C h r i s t i a n religion a n d t o p r e a c h t h e w o r d will b e given t o h i m . T h e L o r d o f h o s t s will already b e g i n t o reign o v e r t h e w h o l e e a r t h . " 4 5 A m o r e c o m p l e t e p i c t u r e o f this p a p a l q u a s i - m e s s i a h , as well as t h e o f t e n u s e d t o d e s c r i b e h i m , t h e pastor
term
angelicus, d i d n o t e m e r g e u n t i l a r o u n d
the
year 1300 in the "Vaticinia d e s u m m i s pontificibus" a n d the " L i b e r de Flore". I n s o m e v e r s i o n s a s u c c e s s i o n o f h o l y p o p e s o f t h e l a s t d a y s is p r e d i c t e d . I h a v e elsewhere d e s c r i b e d in m o r e detail h o w t h e creation o f t h e l e g e n d o f t h e Angelic P o p e c a n b e s e e n as a n a p o c a l y p t i c r e a c t i o n t o t h e r i s e o f t h e r e f o r m e d p a p a c y in the eleventh a n d t w e l f t h centuries a n d t h e failure o f the p o p e s o f the thirt e e n t h a n d f o u r t e e n t h centuries to i m p l e m e n t m e a n i n g f u l spiritual H e r e I only allude to this fascinating
figure
reform46.
to underline t h e creativity o f
medieval apocalyptic imagination's w a y o f dealing w i t h the optimistic side
the of
t h e d r a m a o f t h e last days.
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For more on the viri spirituales, cf. Reeves, Influence (nt. 39), Part Two; and B. McGinn, Apocalyptic Traditions and Spiritual Identity in Thirteenth-century Religious Life, in: E. Elder (ed.), The Roots of the Modern Christian Tradition, Kalamazoo 1984, 1—26. This figura is the Utopian diagram entided "Dispositio novi ordinis pertinens ad terdum statum ad instar supernas Hierosylim", on which cf. L. Tondelli/M. Reeves/B. Hirsch-Reich (eds.), Il Libro delle figure dell'Abate Gioachino da Fiore, Turin 1953. For a study, cf. M. Reeves/B. Hirsch-Reich, The Figurae of Joachim of Fiore, Oxford 1972, 2 3 2 - 2 4 8 ; and McGinn, T h e Calabrian Abbot (nt. 40), 1 1 3 - 1 1 5 . E. Daniel (ed.), Abbot Joachim of Fiore, l i b e r de Concordia Noui ac Veteris Testamenti, Philadelphia 1983, Book 4, Pt. 1, Ch. 45 (402): "In qua, uidelicet, generationsperadaprius tribulationegenerali et purgato diligenter tritico ab uniuersis %i%aniis, ascendet quasi nouus dux de Babilone, uniuersalis sdlicet pontifex noue ierusalem, hoc est sande matris ecclesie; in cuius tipo scriptum est in Apocalypsi: 'Vidi angelum ascendentsm ab ortu sotis, habentem signum dei uiui'; ... Ascendet autem non gressu pedum aut immutatione locorum, sed quia dabitur ei plena libertas ad inouandam christianam religionem et ad praedicandum uerium dei, indpiente iam regnare domino exerdtuum super omen terram. " Cf. Β. McGinn, Angel Pope and Papal Antichrist, in: Church History 47 (1978), 1 5 5 - 1 7 3 ; and Pastor Angelicus: Apocalyptic Myth and Political Hope in the Fourteenth Century, in: Santi e Santità nel Secolo XIV, Perugia 1989, 221 - 2 5 1 . Cf. also Reeves, Influence (nt. 39).
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Bernard McGinn
Despite the fact that Christianity had to confront the paradox of a messiah who had already come but not yet ended history as we know it, apocalyptic messianism remained a powerful force in medieval Christendom. One could even say that it was precisely because Christians of the Middle Ages had to deal with this paradox that their apocalypticism was so creative, at least within the parameters allowed them by the fundamental confession that Jesus of Nazareth is the Christ, the messiah anointed by God. While there was general agreement in the medieval era concerning Christ's redeeming, ruling, and judging activities, since the sixteenth century there has been disagreement among Christians about whether he will have a future earthly rule or not. Even today millions of Fundamentalist Christians continue to adhere to a literal understanding of Christ's coming millennial rule, while this view is rejected by mainline denominations. During the post-medieval centuries, the fascinating figure of the anti-messiah, or Antichrist, has also remained strong in popular belief. The various quasimessiahs created in the Middle Ages, however, once so potent in theology and in popular imagination, have generally faded from the scene, perhaps for good. But since I am neither "a prophet nor of the company of the prophets", as Amos once said (Am. 7:14), I think it is unwise to put any definitive limits to the forms that the apocalyptic imagination may take in the dawning new millennium.
Mystische Eschatologie. Ein Durchblick ALOIS
M.
HAAS
(Zürich)
Es besteht grosse Wahrscheinlichkeit, dass das von der Mystik Gemeinte deswegen mit dem Eschaton der Geschichte inkompatibel ist, weil Eschatologie als die Rede von den Vier Letzten Dingen - Tod, Gericht, Himmel, Hölle — das, was Mystik intendiert, schon im Ansatz zu verhindern und unmöglich zu machen scheint. Diese sieht die Erfüllung von Heils- und Glücksvorstellungen in einem Augenblick — jetzt und jederzeit — als Durchbruch durch die Erfahrungsmuster von Raum und Zeit. Die Eschatologie dagegen rechnet mit dem langsamen oder rasanten Verrinnen von Zeit und damit mit dem geschichtlichen Ablauf, der in einer ungewissen Zukunft bringen wird, wovon die Heiligen Schriften berichten: Das ,Ende der Zeit' als deren ,Fülle' in Tod und Gericht. Zahlreich sind im Verlauf der jahrhundertelangen kritischen Rezeption mystischer Erfahrungsmodelle die Gründe, mit denen die Mystik als ein unerlaubter Modus der Verkürzung und Beschleunigung von Zeitabläufen (Emil Brunner, Karl Barths Invektive gegen die „frommen Unverschämtheiten" der Mystiker!), ja der gewaltsamen und eigenmächtigen Durchbrechung gottgegebener geschichtlicher Strukturen attackiert und in Frage gestellt wurde 1 . Denn Mystik wird vorab als eine intentionale und immer auch wieder verwirklichte Aufhebung der geschichtlichen Dimension der Erfahrung gedeutet: Wer Gott bis zur Einswerdung mit Ihm erfährt und erfahren will, muss im sich steigernden Mass dieser Vereinigung die Sensibilität für eine geschichtlich-zeitlich sich entfaltende Endzeitverheissung verlieren, da alles Zukünftige als Ausstand und gar als Verhinderung der jetzt und nur jetzt erfahrbaren ewigen Gegenwart Gottes 2 empfunden werden muss. Das Verhältnis von ,Zeit' und ,Fülle der Zeit' ist paradox. Denn in der mystischen Erfahrung verliert die Zeit ihren Charakter beweglicher Dehnbarkeit; sie gewinnt die gegenteilige Qualität einer jähen Beschleunigung
1
Cf. dazu E. Topitsch, Heil und Zeit. Ein Kapitel zur Weltanschauungsanalyse, Tübingen 1990, 41 sqq., wo indischen, buddhistischen, griechischen, neuplatonischen und schliesslich auch christlichen Eskapismen aus einer ,,realistische[n] Geisteshaltung" (ibid., 127) heraus widersprochen wird. Dass aber eine literarisch aktualisierte Eschatologie durchaus auch höchst aktivistisch getönte zeitkritische Töne äussern kann, zeigt H. D. Rauh, Eschatologie und Geschichte im 12. Jahrhundert. Antichrist-Typologie als Medium der Gegenwartskritik, in: W. Verbeke/D. Verhelst/A. Welkenhuysen (eds.), The Use and Abuse of Eschatology in the Middle Ages, Leuven 1988, 3 3 3 - 3 5 8 .
2
P. Helm, Eternal God. A Study of God without Time, Oxford 1988; B. Leftow, Time and Eternity, Ithaca - London 1991.
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und einer intensiv einsetzenden Selbstaufhebung und damit die überraschend unheimliche Möglichkeit eines Selbstüberstiegs, so dass darin Heils-Zeit als eine Anschauungsform aktueller Ewigkeit zum Ereignis wird. Das, was das Evangelium die ,Fülle der Zeiten' nennt, wird Ereignis, das Zeit im Wortsinn aufhebt. Und damit ist das Paradox der Zeit, die im Kern ihr Gegenteil — Ewigkeit — ist, voll: Zeit ist gleichzeitig vorläufig und ihre beschleunigte Selbstüberwindung! Unter diesem Aspekt gehört die Mystik durchaus in eine von Kay Kirchmann 3 und Reinhart Koselleck 4 inaugurierte und entworfene Geschichte der „Denaturalisierung der Zeiterfahrung", die auch apokalyptische Haltungen auszeichnet. Denn auch die Zeit des Apokalyptikers ist gedrängt, weil er sich dauernd am Ende der Zeiten wähnt. Diese Denaturalisierung der Zeit gehört zu jenen „Beschleunigungskriterien" und mentalen Techniken der „Zeitverkürzung", die Koselleck schon vorneuzeitlich „in den apokalyptischen Texten der jüdischchristlichen Tradition" findet. Es ist ihm Recht zu geben, wenn er hierbei eine Kongruenz zwischen religiöser Erfahrung und apokalyptischem Deutungshorizont wahrnimmt, implizit also eine grosse Nähe zwischen Apokalyptik und Mystik voraussetzt: „Die Zeitverkürzung spielt in den apokalyptischen Texten der jüdisch-christlichen Tradition eine immer wieder aktivierte Rolle. Man mag die Zeitverkürzung als einen Begriff religiöser Erfahrung definieren, seinen Sinn bezieht er aber aus der Erwartung. In christlicher Erwartung ist die Zeitverkürzung eine Gnade Gottes, der die Seinen vor dem Weltende nicht so lange leiden lassen will (Mark. 13,20, Matth. 24,22). Das Ende soll eher herbeikommen, als es sowieso eintreten muß. Der Maßstab dieser Verkürzung ist die für die Zukunft vorgegebene Aufhebung der Zeit selber." 5 Aber auch die zwei weiteren (neben der Zeitverkürzung) von Koselleck genannten, vorneuzeitlichen Beschleunigungskriterien — die Verzögerung des Zeitendes (die sog. Parusieverzögerung) und der Chiliasmus mit seiner Utopie eines tausendjährigen Friedensreiches — haben ihre unschwer erkennbaren Bezüge zur Mystik. Die durch die Parusieverzögerung enttäuschte Erwartungshaltung im frühen Christentum konnte zu einer Form der Zeitentwertung und gleichzeidg der Verinnerlichung der Zeiterfahrung führen, die im Rekurs auf Petrus 3,8, wonach ein Tag vor dem Herrn wie tausend Jahre ist und tausend Jahre wie ein Tag, die Zeit im Blick auf die göttliche Zeidosigkeit radikal entwertete. An diesem Punkt ist auf die entscheidende Umdeutung des christlichen Millenarismus hinzuweisen, die Augustinus vorgenommen hat: „In den zweiundzwanzig Büchern des Gottesstaates legt Augustin das geistige Fundament für das Heilige Römische Reich des Mittelalters, das von Konstantin bis in die 3
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K. Kirchmann, Verdichtung, Weltverlust und Zeitdruck. Grundzüge einer Theorie der Interdependenzen von Medien, Zeit und Geschwindigkeit im neuzeitlichen Zivilisationsprozess, Opladen 1998, 263 sqq. R. Koselleck, Zeitschichten. Studien zur Historik. Mit einem Beitrag von Hans-Georg Gadamer, Frankfurt a. M. 2000, 153 sqq. Ibid., 169.
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deutsche Kaiserzeit reicht. Die eschatologische Hoffnung auf das Reich, die sich in der Christenheit seit der Johanneischen Apokalypse nur als Chiliasmus äußern kann, verliert ihre letzte Stoßkraft und wird von Augustin in das System der Kirche gebannt. Denn im Gegensatz zu den älteren Kirchenvätern bekämpft Augustin den Chiliasmus nicht, sondern er deutet den Chiliasmus so um, daß er seine eschatologische Spannkraft verliert. Der augustinische Chiliasmus trägt das Antlitz der Kirche, und dies ist nur möglich, weil Augustin die Grundrichtung des Chiliasmus umkehrt. Das chiliastische Reich wird allgemein als zukünftig gedacht. Aber eben diese Zukünftigkeit des tausendjährigen Reiches kehrt Augustin um: nach seiner Meinung verfehlt der zukünftige Chiliasmus den Sinn der Johanneischen Offenbarung. Denn Jetzt schon ist die Kirche das Reich Christi und das Himmelsreich' [R. Frick, Die Geschichte des Reich Gottes-Gedankens in der alten Kirche bis zu Orígenes und Augustin, Gießen 1928, 138 sq.]. Das tausendjährige Reich der Apokalypse ist die Zeit der Herrschaft der Kirche. Das Reich Gottes ist in der Kirche vorgezeichnet und verwirklicht: Unterdessen da der Teufel tausend Jahre gebunden ist, herrschen die Heiligen mit Christus auch tausend Jahre, eben diese tausend Jahre ohne Zweifel, die auch ebenso zu verstehen sind, nämlich von der gegenwärtigen Zeit der ersten Ankunft Christi' [Gottesstaat XX, 9], Damit ist die Hoffnung auf das tausendjährige Reich endgültig aus der Kirche verdrängt und wird fortan die Sache von Sekten. An die Stelle der allgemeinen Eschatologie tritt die individuelle Eschatologie." 6 Kein Zweifel, dass mit einer solchen Verengung der apokalyptischen Perspektive die individuelle Seele zum Austragungsort der Begegnung zwischen Mensch und Gott werden muss. Damit hat natürlich die Mystik ihre grosse Chance im Christentum, die sie seit Augustinus auch wahrnimmt. Auch die Verzögerung des Wiederkommens Christi auf den Wolken konnte als eine göttliche Gnade gedeutet werden, die noch im Entzug der Verheissung auf eigenartige Weise Erfüllung gewährte. Schliesslich ist auch der Chiliasmus — in dessen Zentrum steht das nach der Johannesapokalypse (20, 4 — 6) gewährte Millenium des Friedens, bevor das Ende der Zeit eintritt — durch mancherlei Fäden an mystische Vorstellungen gebunden, in denen endzeitlich der ewige Sabbath durch die Befriedung der gesamten Menschheit hergestellt wird 7 , so dass man von einer eigentlichen millenaristischen oder chiliastisch gestimmten Mystik reden kann 8 , welche den Vereinigungs- und Vergottungsgedanken
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J. Taubes, Abendländische Eschatologie. Mit einem Anhang, Stuttgart 1963, München 1991, 79 sq. Cf. auch W. Kamiah, Christentum und Geschichtlichkeit. Untersuchungen zur Entstehung des Christentums und zu Augustins „Bürgerschaft Gottes", zweite, neubearbeitete und ergänzte Auflage, Stuttgart - Köln 1951, 155 sqq.; K. Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Zur Kritik der Geschichtsphilosophie (1949/53) (Karl Löwith, Sämtliche Schriften 2), Stuttgart 1983, 173 sqq.
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R. E. Lerner, The Medieval Return to the Thousand-Year Sabbath, in: R. K. Emmerson/ B. McGinn (eds.), The Apocalypse in the Middle Ages, Ithaca - London 1992, 5 1 - 7 1 . Β. McGinn, Apocalypticism in the Western Tradition, Great Yarmouth 1993, insbesondere die Aufsätze IX—XI; dazu die wichtigen Studien in: Β. McGinn (ed.), The Encyclopedia of Apocalypticism. Vol. 2: Apocalypticism in Western History and Culture, New York 1998 (insbesondere die Überblicke von McGinn).
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mit geschichtstheologischen Überlegungen über die Vier Letzten Dinge 9 oder gar die Endzeit kombiniert. So lässt sich von eigentlichen ,,Schnittpunkt[en] von Apokalyptik und Mystik" 10 sprechen — eine Redeweise, in der die auf die teleologisch-vertikale Zeitstruktur abhebende Intention sowohl der Apokalyptik wie auch der Mystik zur Vergleichs- und Identifikationsbasis wird 11 .
I. Für Christen ist die Zeit — dies das Fazit unserer bisherigen Überlegung ein Problem. Das wird spätestens dann sichtbar, wenn man ihren Umgang mit der Zeitverschwendung im kritischen Licht ihres konstitutiv apokalyptisch gestimmten Sündenbewusstseins beurteilt. Schon im ahd. Lorscher Beichtformular aus dem Ende des 9. Jahrhunderts wird %tiforlâ%ano (wörtlich: „vertane Zeit[en]") als eine Art Zubehör der Hauptsünde acedia, der religiös-sittlichen Trägheit, verurteilt. Unter anderem „stellt die Sünde der acedia ... einen Verstoß gegen die Verpflichtung des Christen dar, sein Leben, und das heißt ja nichts anderes als die ihm zubemessene Zeit, auf Gott hin auszurichten" 12 . In der im 10. Jahrhundert im Frauenstift Essen niedergeschriebenen sog. altsächsischen Beichte wird Zeitverschwendung ebenfalls — wie in anderen Beichten — als Sünde genannt: Ik iuhu ... minero gitîdjo farlâtanero (Ich bekenne das Verschwenden meiner Zeit). Leicht kann solche Zeitverschwendung durch den Hinweis auf die Nichteinhaltung der Gebetszeiten oder durch unzeitgemässes Essen und Trinken konkretisiert werden, dominant ist aber in jedem Fall „das Bewußtsein, daß es innerhalb der Lebenszeit eine zeitliche Ordnung für das Handeln gibt, daß also, um die Lebenszeit zu erfüllter Zeit zu machen, das richtige Handeln auch zur rechten Zeit zu geschehen hat" 13 . Mit anderen Worten: Christen sind 9
Wenn L. M. Bermejo S. J., Light Beyond Light. The Risen Christ and the Transfiguration of Man, Anand — Gujarat India 1985, 1, sein Befremden über die mittelalterliche Redeweise von den Vier Letzten Dingen äussert („One of the most deplorable expressions ever used in theology and spirituality is undoubtedly the ,Last Things'. This is certainly a misnomer, if ever there was one ... We are not primarily concerned about things - first or last - but rather about living persons and personal events."), dann unterschätzt er aus der Perspektive eines modernen Personalismus die Macht eines apokalyptischen Diskurses. Cf. S. D. O'Leary, Arguing the Apocalypse. A Theory of Millenial Rhetoric, New York - Oxford 1994, 10, 61.
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B. McGinn, Die Mystik im Abendland. Bd. 2: Entfaltung, Freiburg u.a. 1996, 520. Cf. Β. McGinn, ibid., Bd. 1: Ursprünge, Freiburg u. a. 1994, 2 9 - 4 6 , wo die antike jüdische apokalyptische Tradition in ihrem Bezug zu einer Entstehung der christlichen Mystik vorgestellt wird. Im Folgenden integriere ich meinen jüngst erschienenen, hier umgearbeiteten Beitrag zum Thema ,Fülle der Zeit', cf. Α. M. Haas, Fülle der Zeit, in: U. Fink/A. Schindler (eds.), Zeitstruktur und Apokalyptik. Interdisziplinäre Betrachtungen zur Jahrtausendwende, Zürich 1999, 105 — 121. T. Ehlert, Lebenszeit und Heil: Zwei Beispiele für Zeiterfahrung in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters, in: id. (ed.), Zeitkonzeptionen, Zeiterfahrung, Zeitmessung. Stationen ihres Wandels vom Mittelalter bis zur Moderne, Paderborn 1997, 256 - 273, hier 263 sq. Ibid., 265.
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darauf verpflichtet, „daß sie, um des im Jenseits angesiedelten Heils teilhaftig zu werden, die diesseitige Lebenszeit nicht verschwenden, sondern sie richtig einteilen und dadurch im Sinne der christlichen Lehre sinnerfüllt und das heißt ausgerichtet auf die Ewigkeit leben" 14 . Bis weit in die Neuzeit hinein (und im Kontext moderner Lebenswirklichkeit noch einmal nachdrücklicher) kann — selbst dann, wenn die Deutung des menschlichen Lebens nicht mehr durchaus im Sinn der althochdeutschen Beichtformulare allein auf das ewige Leben ausgerichtet sein wird — die (aus Langeweile, Nichtstun oder Musse) nicht organisierte und darum ungefüllte Zeit als eine Form der Anfechtung empfunden werden. Dass Zeit Geld und preisgegebene Zeit ein Verlustgeschäft ist, wird heute noch in profan-unbewusster Rückerinnerung an die christliche Verpflichtung zur Nutzung der Zeit jedem Kind eingebläut. Grund dieses Zeitstresses, dem die Christen unterworfen sind, ist — wie gesagt - die apokalyptisch imprägnierte christliche Zeitauffassung selbst, die in vielerlei Hinsicht — schon bei Jesus Christus selbst 15 und im ganzen Urchristentum 16 - äusserst komplex und schwierig zu beurteilen ist. Zunächst kommt einem Christen sofort Eph 5, 16 in den Sinn, wo Paulus den Ephesern sagt: „Nutzt die Zeit; denn diese Tage sind böse." Suggestiver als in der modischen Blässe der Einheitsübersetzung müsste es heissen: „Kauft die Zeit aus!" 17 Es geht um eine heilszeitlich geforderte Ökonomie der Zeit. Die Stimmung, die sich in einer solchen Forderung ausspricht, ist die einer Verfalls- oder Endzeit, in der sich die bösen Mächte zur einzigartigen Bedrohung für die um eine sorgsame und ,weise' Lebensführung bemühten Christen steigern. Angesprochen ist die „gegenwärtige Bedrängnis" von 1 Kor 7, 26. „Weise sein und die Zeit,auskaufen' heißt demnach: inmitten der vom Bösen beherrschten Tage die Zeit so ausnützen, daß sie, die ja Gottes Entscheidungszeit ist, auch als solche und also als gute und rettende erscheine. Die Zeit auskaufen meint, sie in dem, was sie ist: Gottes uns im Evangelium angebotene Heilssituation, ausnützen und aufkaufen. Solches tun heißt, existentiell weise sein." 18 Man fühlt sich hineingerückt in die Zeit gesteigerter Naherwartung des Heils, das in Jesus Christus an sich ja schon da (gewesen) ist. Mit anderen Worten: Es mischen sich in dieser Haltung zwei Zeitaspekte, ein Schon und ein Noch-Nicht. Das letzte kann als eschatologische Haltung bestimmt werden, in der sich die unmittelbare Naherwartung der Parusie des wiederkommenden Christus 19 artikuliert, das erste dokumentiert die
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Ibid., 267. Cf. E. Fuchs, Das Zeitverständnis Jesu, in: id., Zur Frage nach dem historischen Jesus, Tübingen 2 1965, 3 0 4 - 3 7 6 ; J. Mouroux, Eine Theologie der Zeit, Freiburg i. Br. 1965, 9 3 - 1 9 7 . H. Weder, Gegenwart und Gottesherrschaft. Überlegungen zum Zeitverständnis bei Jesus und im frühen Christentum, Neukirchen — Vluyn 1993. Meinem Zürcher Kollegen Prof. Dr. Hans Weder danke ich für verschiedene bibliographische Hinweise. H. Schlier, Der Brief an die Epheser. Ein Kommentar, Düsseldorf 2 1958, 243. Ibid., 244. O. Cullmann, Vorträge und Aufsätze 1 9 2 5 - 1 9 6 2 , 3 0 3 - 4 6 5 (die Aufsätze zur Eschatologieproblematik im Neuen Testament).
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Tatsache, dass mit d e m L e b e n und Sterben v o n Jesus Christus die Zeit zu ihrer Fülle g e k o m m e n ist, weil h i n f o r t E r l ö s u n g als eine im G e k o m m e n s e i n des Messias schon geschehene w a h r z u n e h m e n ist. D e m Verständnis der christlichen G e s c h i c h t s k o n z e p t i o n ist mithin „eine . . . innere G r e n z e " eingeschrieben: „Offenbarungsgeschichte gibt es christlich gesehen auf Christus hin und bis zum Sterben und Auferstehen Christi; mit dieser ,Fülle der Zeit' ist, wie das Evangelium selbst es ausspricht und christliche Geschichtsbetrachtung es stets mitvollzog, auch das Ende der (Geschichts-)Zeit grundsätzlich erreicht; die Naherwartung des Weltendes war eine richtige und in ihrer A r t plausible Ubersetzung dieser Tatsache in die Zeitdimension; eine theologisch relevante Entwicklung über Christi Sterben und Auferstehen hinaus galt — wenn wir vorerst von der verheißenen Bekehrung Israels absehen — als innerlich sinnwidrig; mit der Auffahrt des Sohnes zum Vater, seinem Thronen zur Rechten Gottes ist das Ende gegenwärtig gesetzt, und alles noch Folgende kann nur die Kundtat dieses Endes und sein Sichdurchsetzen in der geschichtlichen Zeit sein." 20 D i e altchristlichen bis weit ins Mittelalter hineinreichenden Periodisierungen der Weltgeschichte tragen diesem Sachverhalt durch die ihnen allen gemeinsame Fesüegung Rechnung, „daß mit Christus das letzte Zeitalter — gewöhnlich v o n sieben, die v o n A d a m über N o e u n d A b r a h a m , Moses, D a v i d zu den P r o p h e t e n usf. reichen — a n g e b r o c h e n ist" 2 1 . D i e daraus sich ergebende „ S p a n n u n g zwischen ,schon' und ,noch n i c h t ' " 2 2 situiert die historische „Christustat" 2 3 als eine einmalige Heilshandlung in der Fülle der Zeit: H i n f o r t b e s t i m m t die n o c h abzuleistende Zeit „die letzte Stunde" (1 J o h 2 , 1 8 ) 2 4 , w i e i m m e r deren D a u e r (die m a n nicht kennen kann) im genaueren sich darstellen mag ( A p g 1, 7). D a m i t drängt sich der entscheidende A u s druck f ü r dieses Heilsgeschehen in Jesus Christus als Jetzt u n d Augenblick des sichtbar g e w o r d e n e n Heils und als „Fülle der Zeiten" (Gal 4, 4; E p h 1, 1 0 ) 2 5 20
H. U. von Balthasar, Das Ganze im Fragment. Aspekte der Geschichtstheologie, Einsiedeln 136 sq. Ibid., 137. Cf. J. Ratzinger, Die Geschichtstheologie des Heiligen Bonaventura, St. Ottilien 1952 [ 2 1992], 1 6 - 3 1 . O. Cullmann, Heil als Geschichte. Heilsgeschichtliche Existenz im Neuen Testament, Tübingen 2 1967, 22. Id., Christus und die Zeit. Die urchristliche Zeit- und Geschichtsauffassung, Zürich 3 1962, 107 sqq. H. Schlier, Das Ende der Zeit, in: id., Das Ende der Zeit. Exegetische Aufsätze und Vorträge III, Freiburg 1971, 6 7 - 8 4 , hier 68. Cf. J. Ernst, Pleroma und Pleroma Christi. Geschichte und Deutung eines Begriffs der pauünischen Antilegomena, Regensburg 1970, bes. 69 sq.; J. Baumgarten, Paulus und die Apokalyptik. Die Auslegung apokalyptischer Uberlieferungen in den echten Paulusbriefen, Neukirchen — Vluyn 1975, öfter; Schlier, Brief an die Epheser (nt. 17), 63 sq., 9 6 - 9 9 , 175sq., 193 sq., 201; id., Der Brief an die Galater, Göttingen 1949,137 sq.; A. Oepke, Der Brief des Paulus an die Galater, Leipzig 1937, 73 sq.; K. Mittring, Das Christusgeheimnis. Eine Einführung in den Epheserbrief, Berlin 1936, 17 sqq.; H. Asmussen, Theologisch-kirchliche Erwägungen zum Galaterbrief, München 1935, 130 sqq.; H. Lietzmann, An die Galater, Tübingen 1923, 25; D. Lührmann, Der Brief an die Galater, Zürich 2 1988, 68 sqq.; J. Rohde, Der Brief des Paulus an die Galater, Berlin 1989, 171 sq.; W Barclay, Brief an die Galater. Brief an die Epheser, Neukirchen - Vluyn 5 1994, 44 sq., 141 sq. 2 1990,
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auf 2 6 . Mit anderen Worten: Das Christentum lebt hinfort nicht mehr im Rahmen einer horizontal-linearen Zeitkonzeption — die sich nach einem heute auch nicht mehr ganz taufrischen „geschichtstheologische(n) Topos" 2 7 absetzen liesse gegen eine heidnisch-mythische, zyklisch organisierte Zeit —, sondern es handelt sich im Grunde, wie Hans Urs von Balthasar es formuliert hat, um eine vertikale Zeit, die nach der Himmelfahrt sich als das eigentliche Ziel der horizontalen Offenbarungszeit entpuppt hat. Radikal formuliert kann gesagt werden, dass „die horizontale alttestamentliche Zeit ... nur Einübung in das endgültige Zeitverhältnis und Zeitverständnis der Person Jesu Christi [sei], der in seinem irdischen Leben die absolute Norm für die Weltzeit aufstellt: in seinem Verhältnis zum Vater ..., und somit zum Kairos des Vaters, zur , S tunde' schlechthin: Sterben und Auferstehen, worin das (vertikale) Zeit-Maß für alle menschlichen vertikalen wie horizontalen Zeitverhältnisse und Zeitverständnisse gestiftet ist" 2 8 . Dass eine solche Zeit- und Geschichtskonzeption mit ihrer Privilegierung einer von Gott selber vertikal in Szene gesetzten Zeitenfülle für die Wahrnehmungsweise einer damit nicht rechnenden Profangeschichte Probleme bringt, liegt auf der Hand. Das Pathos des Fortschritts, das bis vor kurzem unser Denken und Sinnen inspiriert und strapaziert hat, hätte sich eigentlich „nur angesichts der Anwesenheit (parousia) des Letzten und Absoluten, des Eschatons der Geschichte vollziehen [dürfen], dem gegenüber kein Aufstieg auch nur zu einer Approximation, geschweige denn zu einem Ein- und Überholen werden kann" 29 . Aber auch eine rein von Menschen inszenierte, in sublimierenden Regulationen gegen durchbrechende Triebenergien vorgehende ,Erziehung des Menschengeschlechts'
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A. Grabner-Haider, Paraklese und Eschatologie bei Paulus. Mensch und Welt im Anspruch der Zukunft Gottes, Münster 2 1968, 59: „Wenn auch die Herren-Zeit als Nähe noch ausstehend ist, so ist sie doch schon zur Erfahrung für Welt und Menschen geworden. Aus dieser Erfahrung eröffnet sich der neue Welthorizont. Die Zeitfülle ist nämlich da (Gal 4, 4), die Enden der Äonen sind angekommen (1 Kor 10, 11), die Verheißung des Heilstages (Is 49, 8) ist jetzt da und zum endzeitlichen Nyn geworden (2 Kor 6, 2). Jetzt ist die Gottesgerechtigkeit offenbar geworden (Röm 3, 21) und im jetzigen Augenblick hat Gott seine endzeitliche Rechtsordnung aufgezeigt (Röm 3, 26). In einem bestimmten Sinn ist also dieser Tag schon da, denn ,neue Schöpfung' ist schon geworden (2 Kor 5, 17; Gal 6, 15). In welcher Weise aber hat sich dieser Tag des Herrn schon eröffnet in das anfanghafte Jetzt? Paulus antwortet in 2 Kor 5, 17: ,Ist einer in Christus, so ist da neue Schöpfung'. Auf Christus und seine Heilstat werden wir also gewiesen, wo das Zukünftige in die Gegenwart schon hereinsteht. Im Christusgeschehen sind der Kyrios und sein Tag in der Geschichte begegnet. In dieser Spannung zwischen dem Herrentag, der noch aussteht, der aber anfanghaft schon in die Welt hereinsteht, bewegt sich die ganze Verkündigung des Apostels."
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Von Balthasar, Das Ganze (nt. 20), 132. Ibid., 137. Ähnlich id., Weltgeschichte und Heilsgeschichte, in: L. Reinisch (ed.), Das Spiel mit der Apokalypse. Über die letzten Tage der Menschheit, Freiburg i. Br. 1984, 100 — 115, hier 108-112. H. U. von Balthasar, Theologie der Geschichte. Neue Fassung, Einsiedeln 1959, 102; zu Hans Urs von Balthasars Geschichtstheologie cf. A. Peelman, Hans Urs von Balthasar et la Théologie de l'Histoire, Bern 1978.
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findet in dieser christlichen Anschauung erfüllter Zeit einen dauernden Widerspruch, da sich das innergeschichtlich gewordene Absolutum der Menschwerdung Gottes gegenüber profaner Weltgeschichte und ihren Entwicklungsabsichten — als deren unvordenkliche Uberwindung — sperrig verhält und bis zum Ende der Zeit so verhalten muss. Es gibt in der Zeit keinen konvergierenden Ausgleich zwischen Welt- und Reich-Gottes-Geschichte, das — scheint mir — hat Karl Löwith in seinem epochalen Werk über „Weltgeschichte und Heilsgeschehen" mit aller Deutlichkeit gezeigt 30 . Es gibt immer wieder - gedachte oder reale — Situationen, in denen der vertikale Charakter der göttlich erfüllten Zeit sich gegen den profanen Zeitstrom energisch artikuliert — dies allerdings meist nur in Einzelnen, deren Erfahrungen allerdings Vorbildcharakter für die Menschheit haben dürften. Es ist nun naheliegend, bei solchen Voraussetzungen nach mystischen Anschauungen zu suchen, die der christlich geforderten ,Fülle der Zeit' zu entsprechen versuchen, und zu schauen, was sie allenfalls als vertikal orientierte Lebensformen im Denksystem eines Christen haben bedeuten können. Es besteht kein Zweifel, dass es seit frühester christlicher Vergangenheit die Mystiker gewesen sind, die versuchten, der apokalyptisch orientierten Lebensform der erfüllten Zeit Rechnung zu tragen, da in ihrem Leben die Ewigkeitsdimension — vermittelt über die vitale Einsicht in die heilsgeschichtlich erfüllte Zeit — als vertikal einbrechende die alles entscheidende Rolle spielte. Dass dabei „die [platonische] ontologische Zeitdifferenz zwischen Ewigkeit und Zeit" 3 1 eine nicht unwichtige Rolle spielte, soll uns nicht befremden, da im frühen christlichen Zeitverständnis eine puristisch auf Christus hin orientierte Zeitvorstellung schon von den Anfängen her im Blick auf die antik vorgegebenen Zeitmodelle gar keine reale Möglichkeit darstellte. Es handelt sich in jedem Fall um komplexe — mythisch, apokalyptisch, eschatologisch und ontologisch angereicherte — Zeitmodelle. Wichtig ist dabei bloss, ob in den verschiedenen Verkleidungen und Denkformen ursprünglich Christliches zum Tragen kommt. Ich möchte im Folgenden in vier Schritten vorgehen: Indem ich die Thematik der ,Fülle der Zeit' als das bewegende Motiv einer apokalyptisch-mystisch gestimmten Existenzweise ins Zentrum meiner Betrachtungen rücke, bemühe ich mich, Persönlichkeiten der christlichen Spiritualitätsgeschichte wahrzunehmen, welche diesem Schema theoretisch oder praktisch entsprechen. Ich betrachte 1. Bernhard von Clairvaux, 2. Joachim von Fiore, 3. Bonaventura und 4. Meister
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Löwith, Weltgeschichte (nt. 6), 435 sqq. W Kamiah, Christentum und Geschichtlichkeit. Untersuchungen zur Entstehung des Christentums und zu Augustins ,Bürgerschaft Gottes', Zweite, neubearbeitete und ergänzte Auflage, Stuttgart - Köln 1951, hat aber immer wieder eine „Vergeschichtlichung der christlichen Gemeinde" (80) gegenüber einer grundsätzlichen „Ungeschichtlichkeit des .Himmelreichs', an der „die Kirche immer festgehalten" (ibid.) hat, sichtbar zu machen versucht. I. U. Dalferth, Gedeutete Gegenwart. Zur Wahrnehmung Gottes in den Erfahrungen der Zeit, Tübingen 1997, 2 5 0 - 2 5 9 .
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Eckhart. Es liegt mir daran, an diesen als exemplarisch geltenden Figuren jenes Moment sichtbar zu machen, das Apokalyptik und Mystik zueinander in ein spannungsvolles Miteinander treten lässt.
II. Bei den christlichen Mystikern ist es ganz selbstverständlich, dass es die Menschwerdung Jesu Christi war, die zu Erfahrungen der ,Fülle der Zeit' anregte. Bernhard von Clairvaux stellt diesen Bezug in seiner ersten Adventspredigt mit allem gewünschten Nachdruck heraus: „Nun ist es aber an der Zeit, auch die Zeit selbst zu betrachten, in der der Erlöser kam. Er kam nämlich ... nicht am Beginn der Zeit, nicht in der Mitte, sondern am Ende. Und nicht unpassend ist es so geschehen, sondern wahrhaft weise hat die göttliche Weisheit es so festgelegt, daß sie dann Hilfe brachte, als es besonders nötig war; sie kannte ja an den Söhnen Adams die Neigung zur Undankbarkeit. Und wirklich brach schon der Abend herein; der Tag hatte sich geneigt, und die Sonne der Gerechtigkeit hatte sich beinahe zum Untergang gesenkt, so daß nur noch ein ganz geringer Schimmer von ihr und kaum mehr Wärme auf Erden war. Auch das Licht der Erkenntnis Gottes war schon ganz schwach, die Bosheit nahm überhand, und das Feuer der Liebe war erkaltet. Kein Engel kam mehr vom Himmel, kein Prophet erhob seine Stimme; sie waren müde und gleichsam von Hoffnungslosigkeit übermannt, denn allzu groß war die Härte und Verstocktheit der Menschen. ,Ich aber', sprach der Sohn, ,habe damals gesagt: Siehe, ich komme.' (Ps 39, 8) In der Tat, ,als tiefes Schweigen alles umfing und die Nacht in ihrem Lauf den Weg vollendete, kam dein allmächtiges Wort, o Herr, vom Königsthron.' (Weish 18, 14 sq.) Auch der Apostel sah dies und sagte: ,Als die Fülle der Zeit gekommen war, sandte Gott seinen Sohn.' (Gal 4, 4) Ohne Zweifel hatte die Fülle und der Uberfluß an zeitlichen Gütern die himmlischen schwinden und vergessen lassen. Darum kam zur rechten Zeit die Ewigkeit, als die Zeitlichkeit alles beherrschte. Denn - um von anderen zu schweigen - selbst der zeitliche Friede war zu jener Zeit so, daß auf den Befehl eines einzigen Menschen der ganze Erdkreis aufgezeichnet wurde. — Nun kennt ihr die Person des Kommenden und beide Orte: von wo und wohin er gekommen ist; auch den Anlaß und die Zeit habt ihr erfahren. Eines fehlt noch, nämlich der Weg, auf dem er kommt. Auch dieser muß genau erforscht werden, damit wir dem Kommenden so, wie es seiner Würde entspricht, begegnen können. Doch wie er einmal sichtbar im Fleisch gekommen ist, um mitten in der Welt Heil zu wirken, so kommt er täglich im Geist und unsichtbar, um die Seele jedes einzelnen zu retten ... Du brauchst, o Mensch, nicht Meere zu überqueren; es ist nicht nötig, Wolken zu durchdringen oder Berge zu übersteigen. Kein weiter Weg, sage ich, wird dir gezeigt: Geh nur in dich und begegne dort deinem Gott!" 32 An diesem Text sind folgende Punkte bedenkenswert: Bernhard redet aus dem Horizont der Endzeit heraus. Die ,Fülle der Zeit' geschieht in der Neige, 32
Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke, lateinisch-deutsch, VII, Innsbruck 1996, Predigten zum Kirchenjahr, Zur Ankunft des Herrn, Erste Predigt, 9 sq., 7 1 , 1 7 - 7 3 , 2 2 .
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am Abend der Zeit, im sechsten Zeitalter, in dem man sich mit dem Gefühl, dass die Welt unaufhörlich altert {mundus senescit), auch im 12. Jahrhundert noch abzufinden hatte. Die Inkarnation — ein vertikal einbrechendes göttliches Heilsgeschehen — wird als ein rettender Einbruch der Ewigkeit in die marode, alles beherrschende Zeit geschildert. Die diesem Geschehen konforme Haltung besteht in einer wachen Wahrnehmung des täglichen Kommens des Geistes; der fleischlichen Ankunft des Herrn korrespondiert eine geistige. Und die Haltung gegenüber dieser geistigen Ankunft, die täglich geschieht, ist die eines endzeitlich angeregten In-sich-Gehens, die einer persönlichen conversio und „Zerknirschung des Herzens". Damit stehen wir mitten in einer Entwicklung, welche das Phänomen der Zeit unter den Prämissen seiner möglichen Überschreitung auf die Ewigkeit hin zu fassen versucht hat. Voraussetzung dafür ist die Ansicht, dass die Zeit nicht ein Gehalt der Aussenwelt, sondern der Seele ist 33 . Und Ursprung dieser im Christentum weithin vertretenen Ansicht ist die Zeitspekulation Augustins 34 , der im elften Buch seiner „Confessiones" „die Zeit ausschließlich in der Seele" ansiedelt 35 . Es ist ganz klar, dass bei einer solchen Konstellation im frühen Christentum das Heilsereignis in Jesus Christus nicht bloss ein ,äusseres' Ereignis der Geschichte bleiben konnte — das ist es als plenum tempusìb auch —, sondern dass es in irgendeiner Form auch und vor allem im Innern der Seele als unaufhörlich unternommene Inszenierung der Menschwerdung wiederholt werden musste. Während also durch das ganze Mittelalter hindurch die Inkarnation als ein „événement sans fin"37 in tausend narrativ, liturgisch und rituellprozessual immer wieder vorgeführten Varianten reproduziert wurde, fand dasselbe Ereignis begleitend dazu und in Erinnerung an (Orígenes und) Augustin ebensoviele innerliche Reprisen, deren Bewertung letztlich höher als der äusserliche Erinnerungs- und Kultakt stehen musste. Das Thema ,Mystik und Geschichtlichkeit'38 (= Zeit) drängt sich dann mit aller Macht auf, wenn es darum geht, die Rolle der heilsgeschichtlich signalisierten ,Fülle der Zeit' auf der inneren Bühne der Seele — dem „Gegenstück der Selbstgegenwart Gottes" 39 — zu inszenieren. 33 34
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J. Guitton, Le temps et l'éternité chez Plotin et Saint Augustin, Paris 4 1971. R. Sorabji, Time, Creation and the Continuum. Theories in Antiquity and the Early Middle Ages, Ithaca N. Y. 1983, 1 6 3 - 1 7 3 ; F.-W von Herrmann, Augustinus und die phänomenologische Frage nach der Zeit, Frankfurt a. M. 1992; K. Flasch, Was ist Zeit? Augustinus von Hippo. Das Elfte Buch der Confessiones, Frankfurt a. M. 1993; U. R. Jeck, Aristoteles contra Augustinum (Bochumer Studien zur Philosophie 21), Amsterdam 1994; W Beierwaltes, Agostino e il Neoplatonismo Cristiano, Milano 1995; R. Corradini, Zeit und Text. Studien zum tempus-Begnft des Augustinus, Wien - München 1997. Jeck, Aristoteles (nt. 34), 421, nt. 65. Cf. die paulinischen und augustinischen Vorgaben bei Corradini, Zeit und Text (nt. 34), 106 und 116 (mit Stellen- und literaturangaben). A. Boureau, L'événement sans fin. Récit et christianisme au Moyen Age, Paris 1993. H. Helbling, Saeculum Humanum. Ansätze zu einem Versuch über spätmittelalterliches Geschichtsdenken, Napoli 1958, 5 1 - 7 4 . Cf. Corradini, Zeit und Text (nt. 34), 106.
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III. Exemplarische Gestalt und Vordenker aller chiliastisch-millenaristischen Denkentwürfe im Mittelalter war die machtvolle Geschichtstheologie 40 Joachims von Fiore (ca. 1135 —1202) 41 . Er hat eine nach dem triadischen Muster der Dreifaltigkeit entwickelte, in sich verfügte Drei-Status-Lehre vorgelegt, in welcher der erste Status — das Reich des Vaters und des Gesetzes — im ordo conjugatorum von Adam her 63 Generationen bis zu Christus umfasst; der zweite Status — das Reich des Sohnes und der Gnade — reicht — ebenfalls über 63 Generationen — als ordo clericorum vom alttestamentlichen Hosea bis zum Heiligen Benedikt und wird seine Vollendung in der kommenden Zeit erlangen; und der dritte Status — das Reich des Heiligen Geistes und noch höherer Gnade —
erstreckt sich als ordo monachorum
(oder sogar ordo heremitarum)
vom Heiligen
Benedikt hinein in das Ende der Zeit. Es liegt auf der Hand, dass die ersten beiden Zeitalter das Alte und das Neue Testament versinnbilden, während das dritte Zeitalter die Synthese des monastischen Ideals und der millenaristischen Hoffnung darstellt 42 . Im Grunde ist die ganze hier entwickelte Geschichtstheologie aus der Frage nach der richtigen Deutung der Heiligen Schrift, d. h. nach dem Verhältnis des Buchstabens zum Geist, erwachsen. Joachim zeigt uns in seinen Berichten über seine eigenen Bemühungen um das rechte Verständnis des Alten und Neuen Testaments mit aller Deutlichkeit, dass der Pilgergang durch die Wüste des Buchstabens für den spiritualis intelkctus absolut notwendig ist. Erst danach wird dem schier Verzweifelten die echt geistliche Einsicht in die drei status gegeben. Im Gegensatz zu späteren neuzeitlichen Verballhornungen dieses triadischen Schemas ist zu beachten, dass sich im Grunde in den Uberlegungen Joachims über die Geschichte zwei verschiedene — ein duales und ein 40
41 42
M. Reeves, The Influence of Prophecy in the Later Middle Ages. A Study in Joachimism, Oxford 1969; cf. dazu McGinn, Apocalypticism (nt. 8), II, 276-286; id., The Calabrian Abbot. Joachim of Fiore in the History of Western Thought, New York - London 1985; A. Williams (ed.), Prophecy and Millenarianism. Essays in Honour of Mar jorie Reeves, Burnt Hill 1980, besonders Aufsatz 7: Β. McGinn, Symbolism in the Thought of Joachim of Fiore, 143-164. M. Reeves, Joachim of Fiore and the Prophetic Future, London 1976. W. Kamiah, Apokalypse und Geschichtstheologie. Die mittelalterliche Auslegung der Apokalypse vor Joachim von Fiore (Historische Studien 285), Berlin 1935 [repr. Vaduz 1965], 115-129; C. Carozzi/H. Taviani-Carozzi, La fin des temps. Terreurs et prophétie au Moyen Âge, Préface de G. Duby, Paris 1982, 222. Cf. auch Helbling, Saeculum Humanum (nt. 38), 1 5 - 4 7 ; B. Töpfer, Das kommende Reich des Friedens. Zur Entwicklung chiliastischer Zukunftshoffnungen im Hochmittelalter (Forschungen zur Mittelalterlichen Geschichte 11), Berlin 1964, 4 8 - 1 0 3 ; R. Manselü, Il tempo escatologico (secoli XII-XIII), in: Le temps chrétien de la fin de l'Antiquité au Moyen Âge. IlIe-XIIIe siècles (Colloques Internationaux du Centre National de la Recherche Scientifique 604), Paris 1984, 542-549; K. Ruh, Geschichte der abendländischen Mystik. Bd. 2: Frauenmystik und franziskanische Mystik der Frühzeit, München 1993, 461 —463; C. Carozzi, Weltuntergang und Seelenheil. Apokalyptische Visionen im Mittelalter, Frankfurt a. M. 1996, 119-135; B. Brentjes, Der Mythos vom Dritten Reich. Drei Jahrtausende Sehnsucht nach Erlösung, Hannover 1997, 2 7 - 3 8 ; E. R. Daniel, Exodus and Exile. Joachim's of Fiore Apocalyptic Scenario, in: C. Walker Bynum/P. Freedman (eds.), Last Things. Death and the Apocalypse in the Middle Ages, Philadelphia 1999, 124-139, 306-313.
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triadisches — Deutungsmuster verbinden und ineinander verschränken 43 . Da sind zunächst zwei Testamente und zwei ihnen zugeordnete Personen — una ingenita, alia genita — ; der Weidauf kulminiert im Ersten und Zweiten Kommen Christi. Zwei Völker — der populus Judaicus und der populus Gentiiis — korrespondieren mit den beiden Zeiträumen. Wenn aber die Herabkunft des Geistes hinzugefugt wird, kann das Deutungsmuster triadisch werden: Joachim nennt es Alpha, während er das duale Muster Omega nennt. Herrscht Alpha vor, dann werden die Zeitalter — einander überlappend — in drei gegliedert: Von Adam zu Christus, von Hosea bis zu ,diesen Zeiten', von Benedikt bis zur consummatio seculi. Gilt dagegen Omega, dann sind nur zwei Zeitalter festzulegen: Von Adam zu Christus und von Hosea bis zur consummatio seculiA4 Gewiss, schon diese zahlenmystischen Kombinationen45, zu denen weitere hinzugefügt werden müssten, können zusammen mit vielen anderen symbolisch-figuralen Strukturen in einem gewissen Sinn als mystisch bezeichnet werden, da sie die der Schöpfung tiefinnerliche Gottesgegenwart signalisieren. Wenn aber von Mystik im eigentlichen Sinn die Rede sein soll, dann ist mit aller Deutlichkeit zu betonen, dass der dritte status, den Joachim entwirft, gewissermassen die Utopie einer mystisch lebenden und kooperierenden Gesellschaft darstellt, auch wenn er damit nicht den Topos von der ,Fülle der Zeit' verbindet. Darauf hat Bernhard Töpfer mit einigem Nachdruck hingewiesen 46 . Im dritten Status verleiht der Heilige Geist eine unmittelbare und volle Erkenntnis der göttlichen Wahrheit, wie sie im Sinne einer Propädeutik in der Hl. Schrift niedergelegt ist. Und zwar geschieht dies noch im Lauf dieser irdischen Geschichte: Den lebenden viri spirituales wird diese abundantia spiritus geschenkt, so dass ihnen alle mysteria des Christentums nuda und aperta — ohne Vermitdung des Buchstabens der Schrift — offenstehen. Durch diese vollkommene Wahrheitserkenntnis, die auch gelehrt-scholastischer Vermitdung entbehren kann, werden schliesslich auch alle Widerstände seitens der Glaubens feinde gebrochen, und eine vollkommene Ordnung kann Raum greifen. Die Uberwindung des Buchstabenglaubens dokumentiert sich mit aller Deutlichkeit in dem, was Joachim als evangelium aeternum bezeichnet. Dieses kann nicht durch Studium und gelehrte Auseinandersetzung erlangt werden, sondern nur „durch eine unmittelbare Erleuchtung der Menschen" 47 . Der Vorrang der mystisch-kontemplativen Erleuchtung macht „die Ablehnung alles Äußerlich-Symbolhaften, alles Figürlichen" 48 zur Grundlage des dritten Zeitalters. Das hat Folgen für die Sakramentslehre: Die Sakramente werden in diesem Zeitalter nicht mehr als symboli43 44 45
46 47 48
Fürs folgende cf. Reeves, Influence (nt. 40), 18 sqq.; McGinn, Symbolism (nt. 40), 161 sqq. Cf. die kritischen Bemerkungen Daniels, Exodus (nt. 42), zu Reeves' Ansichten. Darauf, wie sehr Zahlenmystik in eschatologischen Situationen eine Rolle spielt, weist hin: N. Campion, The Great Year. Astrology, Milleniarism and History in the Western Tradition, London 1994, Index 685 ,mysticism'. Töpfer, Das kommende Reich (nt. 42), 52 sqq. Ibid., 56. Ibid., 57.
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sehe Riten vollzogen werden können. Die Frömmigkeitshaltung dokumentiert sich dann in einer rein kontemplativen Haltung: Der dritte Status ist identisch mit der 7. aetas, die ihrerseits konform ist mit dem 7. Tag der Weltschöpfung, wo Gott ruhte. Es muss uns hier nicht kümmern, was für Folgen diese stark kontemplative Konzeption vom dritten Status für die sozial-kirchlichen Institutionen gehabt haben kann 49 . Wichtig ist in diesem Zusammenhang bloss die Chargierung aller schrift- und liturgiegestützten Spiritualität ins Kontemplativ-Mystische. Aber noch wesentlicher scheint mir die autobiographische Grundlegung all dieser Vorstellungen, die Joachim in seinen Schriften vorzunehmen für wichtig befindet. Hier ist der Schnittpunkt von Apokalyptik und Mystik in der Lebendigkeit einer spirituellen Entwicklung zu fassen. Zu nennen ist die Ostervision, welche dem Kalabreser charismatisch durch den intellectus spiritualis die Harmonie von Altem und Neuem Testament einsichtig macht, und es folgt die Pfingstvision, in der ihm durch das Bild des zehnsaitigen Psalters das Geheimnis der Dreifaltigkeit eröffnet wurde. Es sind diese Visionen - und wohl noch eine Anzahl anderer - gewissermassen existentielle Erfahrungsberichte, welche das dritte Zeitalter exemplarisch im Lehrer beginnen lassen, der die Belehrung über den Geschichtsverlauf auch vorgebracht hat. So erfüllt Joachim mit dem mystischen Erfahrungspotential seines Lebens die Wahrheit seiner Lehre! 50
IV. Wer sich mit den grossen Geschichtstheologien des 13.Jahrhunderts, z.B. derjenigen des Bonaventura, befasst, merkt bald, dass bei ihm eine erstaunliche Umdeutung der bernhardischen Formel ,Christus Ende der Zeiten' geschieht. In seinem „Breviloquium" formuliert er dies folgendermassen: „Bei der Ankunft des Gottessohnes wird von der Fülle der Zeiten geredet, nicht als ob damit die Zeit zu Ende ginge, sondern weil die zeitlichen Geheimnisse zu ihrer Fülle gelangen. Christus durfte nicht am Anfang der Zeiten kommen, weil seine Ankunft dann übereilt gewesen wäre. Aber ebensowenig durfte er sie bis ans letzte Ende verschieben, weil es dann zu spät gewesen wäre. Es ziemte sich vielmehr, daß der Heiland in der Mitte zwischen der Zeit der Krankheit und der Zeit des Gerichtes die Zeit der Heilung brachte. Es ziemte sich, daß der Mitder manchen seiner Glieder voranging, manchen folgte." 51
In dieser Aussage wird eine gegenüber seinen früheren Ansichten neue Festlegung getroffen: Die ,Fülle der Zeit', in der Christus gekommen ist, ist gleich49 50
51
Ibid., 5 9 - 6 3 . Cf. dazu McGinn, Mystik im Abendland (nt. 10), Bd. 2, 5 1 6 sq. Dazu die Texte in: id., Apocalyptic Spirituality, New York 1979, 9 7 - 1 4 8 ; id., Visions of the End. Apocalyptic Traditions in the Middle Ages, New York 1998, 1 2 6 - 1 4 1 ; Gioacchino da Fiore, Sull'Apocalisse, a cura di A. Tagliapietra, Milano 1994; F. d'Elia, Gioacchino da Fiore. Un maestro della civilità europea. Antologia die testi gioachimiti, Soveria Mannelli 1991. Breviloquium IV, 4; cf. ferner VI, 4; zitiert nach Ratzinger, Geschichtstheologie (nt. 21), 1 1 1 sq.
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zeitig die ,Mitte der Zeit'. Diese Ansicht wird mit der ursprünglich in eine andere Richtung konzipierten einer Mittlerschaft Christi kombiniert, und alles zusammen begründet eine Denkstruktur, in deren Zentrum die Mitte und das Mittlere stehen, was für Bonaventura typisch sein dürfte 52 . Der Gedanke hat zunächst vor allem eine „Enteschatologisierung" im Sinne Martin Werners 53 begünstigt. Als aber gegen Ende von Bonaventuras Universitätstätigkeit auch bei ihm endzeitliche Denkformen wieder dominanter wurden und er als Generalmagister des Franziskanerordens (1257 — 1274) das Unmögliche versuchte, nämlich zwischen der Front radikaler Joachimiten und der Lehre Joachims, die so sehr zum Erfolg des Ordens beigetragen hatte, zu vermitteln, musste die Vorstellung zugunsten jener eines wirklich nahe bevorstehenden Endes im Wiederkommen Christi zurückgestellt werden 54 . In all diesen Vorstellungen — sowohl in der Konzeption Christi als des Endes der Zeiten als auch in der Wahrnehmung Jesu als des die Mitte der Zeit durchwaltenden Mittlers — ist die Ankunft des Sohnes als die „Erfüllung der mystena temporalia", als „das Sichlösen einer Spannung", „welche die irdische Zeit darstellt, oder als die Lösung eines Rätsels, das sie aufgibt", zu verstehen, „und zwar vollzieht sie sich in einem ganz bestimmten Augenblick innerhalb der Menschheitsentwicklung, zu Beginn des sechsten Zeitalters, da die Welt reif ist zu der Gegenwart Christi" 55 . Diese zeitliche Fixierung der Menschwerdung, die objektiv heilsgeschichtlich orientiert ist und bleibt, wird aber immer wieder in der Kirchengeschichte durch mystische Modelle aufgehoben und radikalisiert, welche die Heils- und Unheilsgeschichte in das Innere des Menschen, in seine Geistnatur, verlagern. Es ist dies eine Fortsetzung und mystische Radikalisierung des von Augustin begonnenen Wegs nach Innen, wo die menschliche Geistigkeit zum Ort des menschlichen Selbstüberstiegs in Gott konzipiert wurde. Im Rahmen einer solchen Verinnerlichungsthematik darf nun das Beispiel Meister Eckharts mit seiner Auffassung von der ,Fülle der Zeit' in unserer Betrachtung gerade wegen ihrer grundsätzlich argumentierenden Radikalität nicht fehlen.
V. Bei Eckhart, der die Geburt des Gottessohnes nicht mehr schlicht — ob als ,Fülle' oder ,Mitte der Zeit' — in die Menschheitsgeschichte eingeordnet sieht, stellt sich das ganze Problem der Zeitenfülle in Christus ganz anders. Zwar ist sie auch ihm „der Berührungspunkt von ewigem Sein und Zeitlichkeit" 56 , aber 52 53 54
55 56
Cf. ibid., 1 1 1 - 1 1 3 . M. Werner, Die Entstehung des christlichen Dogmas, Bern - Tübingen 1941. Cf. Ratzinger, Geschichtstheologie (nt. 21), 1 1 7 - 1 2 0 ; zum Verhältnis zwischen Joachim und Bonaventura cf. McGinn, The Calabrian Abbot (nt. 40), 2 1 3 - 2 1 9 . Helbüng, Saeculum Humanum (nt. 38), 71 sq. Ibid., 72.
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sie ist die Möglichkeit, ja tiefste Wirklichkeit, die dem Menschen gegeben ist, überhaupt, und 2war in einem zeitlich-geschichtlich nicht festlegbaren Sinn. Bei ihm hat sich wie bei keinem christlichen Mystiker immer wieder das Problem gestellt, ob sich denn seine Anschauung des unvordenklichen Vereintseins des Menschen mit Gott nicht einer fundamentalen Identitätsphilosophie verdanke, deren ethisches Merkmal ein geistiges Austreten aus der Zeit in eine usurpierte Ewigkeit, ein Sich-Herausstehlen aus der sozialen und mitmenschlichen Verantwortung und mithin eine Form subtilen Egoismus' 5 7 ist. Dass der Vorwurf sinnlos ist und leicht entkräftet werden kann, braucht hier nicht zu interessieren. Aber am Beispiel Meister Eckharts lässt sich eine besonders radikale Wahrnehmung der ,Fülle der Zeit' im Horizont eines Denkens ermitteln, das von der Feststellung der äusserlich angekommenen Heilszeit her die Forderung einer inneren, seelischen Zeitenfülle stellt, die dann durchaus ihren Austrag auf das Handeln in der äusseren Zeit haben wird. Meister Eckhart behandelt die ,Fülle der Zeit' im Zusammenhang mit seinen Überlegungen zu Zeit und Ewigkeit; der Topos steht also im Zentrum seiner Mysdk und Apokalyptik nahezu ineins setzenden, mystischen Aufhebung der Zeit. Die Seelenvermögen des Menschen, Vernunft und Wille, bieten ihm die Möglichkeit, die Ewigkeitsdimension mitsamt jener der Zeit in der Seele anzusiedeln: beide Seelenkräfte würkent obe tqt (DW 2, 305, 9) und sind gotes geskhte ... undgotes sippe (DW 5, 1 1 , 7 sqq.). Wer wahrnimmt, dass er mit seiner Seelenspitze in die Ewigkeit hineinreicht, der integriert in sich die Kategorien von Raum und Zeit, so wie Gott in seiner Ewigkeit alle räumliche und zeitliche Erstreckung integral in Gleichräumlichkeit und -zeitigkeit zusammenfasst: Im Denken vermag der Mensch mitten im Winter eine Rose zu erdenken oder sich räumlich von hier in die Heilige Stadt Jerusalem zu versetzen (DW 151, 10 sq. und D W 2, 305, 2 sqq.). In der in ihm im Seelenfunken gegenwärtigen Ewigkeit kondensieren sich die Zeitdimensionen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einem werk mit gote (DW 261, 2 sqq.), in dem die Jahrtausende vor und nach der jetzigen Gegenwart einen einzigen Wirkzusammenhang bilden. Die Zeitüberlegenheit der Seele und deren Hineinreichen in die Ewigkeitsdimension Gottes ist zwar identisch mit ihrer innersten, gnadenhaft von Gott ermöglichten Wirklichkeit, aber sie muss mittels vielerlei asketischer Abstraktionsbewegungen unterstützt und gefördert werden. Stichworte für diese Abstraktion sind Gelassenheit', Abgeschiedenheit', ,Ledigkeit', ,Freiheit' und ,Grundtotsein' — alles Synonyme einer noch den letzten smak der φ und ein spitze der φ und ein ende der φ, also das NÛ, ausschaltenden Haltung (DW 3, 170, 1 sqq.). Wenn die kleinstdenkbare Zeiteinheit, das ,Nun', eliminiert ist, dann ist die Geistnatur des Menschen zu sich selber gekommen. Und das ist das einzige, das Meister Eckhart am Menschen interessiert. Da er umgekehrt im Kontext seiner Analogielehre weiss,
57
Zu diesen Anwürfen an die Mystik cf. Α. M. Haas, Meister Eckharts Auffassung von Zeit und Ewigkeit, in: id., Geistliches Mittelalter, Freiburg (Schweiz) 1984, 3 3 9 - 3 6 9 , besonders 340. Ahnliches trägt neuerdings wieder vor Topitsch, Heil und Zeit (nt. 1), 72 u. ö.
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dass der Mensch von sich her ein reines Nichts ist, das seine lebendige Gegenwart einzig im göttlichen Seinszustrom in jedem Nun seiner Existenz von Gott her empfangt, das also von sich selber her reiner Ausstand von Sein ist, ist Seinsbesitz als je neuer Seinsempfang nur in der unaufhörlich aktuell wirksamen göttlichen Ewigkeit denkbar. Umgekehrt entwickelt Eckhart ein eigentliches Pathos des Neuen und der Neuigkeiten: Er selber verkündigt in seinem Schrifttum nova et rara (LW 1, 149, 1, n. 2); Altes gibt es nur unter der Rücksicht des Neuen (DW 5, 61, 1); aber das Neue steht dem Ursprung näher als das Alte; ein in der Frucht sich alljährlich erneuernder Baum steht dem göttlichen vrsprung, der die Liebe selbst ist, am nächsten (DW 3, 76, 1 sqq.). Das nunc aeternitatis — das Jetzt der Ewigkeit' — ist das verum nunc, utpote impartitile, fixum, immobile (LW 4, 160, 12 sqq.), das vom Zwang der Gegenwart befreit und - gegen jeden Anschein eines unbeweglichen Ewigkeitsbegriffs — die Kräfte des Neuen im Menschen frei macht. Wenn der Augenblick, darin Gott den ersten Menschen erschuf, und jener, darin der letzte Mensch vergeht, und jener, in dem Eckhart spricht, zu einem Nun zusammen vereint werden, dann vermag der Mensch, in dem solches geschieht, wie der Gralskönig vor dem Gral nie mehr zu alten (DW 1, 35, 1 sq.). Eckhart verbindet mit der Idee eines solchen alterslosen Menschen die platonisch-paulinische Vorstellung eines inneren, neuen, himmlischen und ewig jungen edlen Menschen (DW 5, 109, 18 sqq.), der — einer Türangel vergleichbar — das Türbrett (d. h. den äussern Menschen) hin- und herschwingen lässt, selber aber unbewegelich stehen bleibt (DW 5, 422, 7 sqq.). Und das Paradox ergibt sich, dass ein solcher Mensch nibt niuwes von künftigen dingen empfangen kann, wan er wonet in einem nû alle φ niuwe âne underlâ^ (DW 1, 35, 1 sq.). Was ist es nun, das dieses Paradox bewirkt, wonach für den ,neuen' Menschen aus der Perspektive der Zukunft nichts Neues mehr zu erwarten ist, er dagegen unaufhörlich neu in einem einzigen, dauerhaften Nun seinen Aufenthalt findet? Wie schon gesagt, in der Geistseele ist diu φ in einem gegenwertigen nû (DW 1, 166, 5); der Seelentag versammelt in sich alle denkbaren Zeiten und Dinge der Schöpfung, so dass Eckhart sagen kann: mîn sêle ist alsjune, als dô si geschaffen wart, jâ, und noch viljünger (DW 2, 305, 6 sq.). Der Seelentag ist identisch mit Gottes Tag: Dà ist go tes tac, dà diu sêle stât in dem tage der êwicheit in einem wesenlîchen nû (DW 1, 166, 8 sq.). Grund dieses in der Seele erfahrbaren wesenlîchen nû ist dieplenitudo temporis, die vüllede der φ, nach Gal 4, 4, oder genauer: die gnadenhaft gewährte Gottesgeburt im Menschen. Natürlich rekurriert Eckhart immer wieder auf das in Jesus Christus geschehene Heilsereignis. Aber zahlreich sind die Stellen, an denen er als dessen Anreger mit Angelus Silesius sachgemäss ähnlich versichert: „In dir muss G o t t geboren werden. Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren Und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren." 5 8 58
Johannes Angelus Silesius (Johannes Scheffler), Cherubinischer Wandersmann oder Geistreiche Sinn- und Schlußreime, ed. Louise Gnädinger, Zürich 1986, I, 61. Cf. dazu Eckhart DW (= Deutsche Werke, 5 Bände, Stuttgart, mit Band-, Seiten- und Zeilenzahl; LW = Lateinische
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Fülle d e r Z e i t — heilsgeschichtlich einmalig in Jesus Christus u n d m e n s c h h e i t lich u n e n d l i c h sich r e p e t i e r e n d — ist „Fülle als Ü b e r w i n d u n g der Z e i t " 5 9 , in der die Seele d a n k d e n in ihr w i r k s a m e n ewigkeitlich orientierten Seelenkräften alles Z e i t l i c h - K r e a t u r h a f t e u n d Mannigfaltige h i n t e r u n d u n t e r sich lässt. Sie gelangt in der G o t t e s g e b u r t i m nú der êwicheit (Pr. 38, D W 2, 231, 10; L 408, 12 sqq.) zur eigentlichen Fülle der E r k e n n t n i s des göttlichen R e i c h t u m s in wife âne wife und breite âne breite ( D W 2, 232, 6; L 408, 25). E c k h a r t entwickelt d e n G e d a n k e n f o l g e n d e r m a s s en: „Sant Paulus sprichet ,in der viillede der φ sante got sînen sun'. Sant Augustinus sprìchet, wa% dà sì, vüllede der φ: »da niemer φ enist, dà ist, viillede der φ«. Danne ist der tac vol, als des tages niemer enist. ist ein nôtwârheit alliu φ muo% da abe sin, dà sich disiu geburt hebet, wan niht enist, da\ dise geburt also sére hinder als φ und créature. Da% ist ein gewissiu wârheit, daφ got noch die sêle von nature niht berüeren enmac. Möhte diu séle von φ berüeret werden, si enwaere niht sêle, und möhte got von φ berüeret werden, er enwaere niht got. Waere aber, da\ φ die sêle berüeren möhte, so enmöhte got niemer in ir geborn werden, und si enmöhte niemer in gote geborn werden. Dà got geborn sol werden in der sêle, dà muo\ alliu φ abegevallen sin, oder si muo£ der φ entvallen sin mit willen oder mit begerunge. — Ein ander sin von , vüllede der φ': der die kunst haete und die maht, da% er die φ und alle^ daζ in der φ in sehs tûsentjâren te geschach und da% noch geschehen sol bi% an da% ende, her wider gediehen künde in ein gegenwertic nû, da% waere , vüllede der φ'. Da% ist da\ nû ¿1er êwicheit, dà diu sêle in gote alliu dine niuwe und vrisch und gegenwertic bekennet und in der lust, als diu ich ie^uo gegenwertic hân. Ich las niuwelîche in einem buoche — der e^gegründen künde! —, da^got die werlt ie^uo machet als an dem êrsten tage, dò er die werlt geschuof. Hie ist got riche, und da·.ζ ist gotes riche. Diu sêle, in der got sol geborn werden, der muo\ diu φ entvallen, und si muo¡ζ der φ entvallen und sol sich üftragen und sol stân in einem tnkaffenne in disenrichtuomgotes: dà ist wîte âne wíte und breite âne breite; dà bekennet diu sêle alliu dine und bekennet sie dà volkomen. — Die meister, die dà beschribent, wie wit der himel si, da^ waere unglouplich ^e sprechenne: diu minste krajt, diu in miner sêle ist, diu ist witer dan der wite himel; ich geswige der vernünfticheit: diu ist wît âne wite. In dem houbete der sêle, in vernünflicheit, in der bin ich als nähe der stat über tûsent mile jensit des mers als der stat, dà ich ie^uo inné stân. In dirre wite und in disemrichtuomegotes dà bekennet diu sêle, aldâ entvellet ir niht, und dà enist si nihtes wartende." Sankt Paulus spricht: ,In der Fülle der Zeit sandte Gott seinen Sohn' (Gal 4, 4). Sankt Augustinus erklärt, was ,Fülle der Zeit' sei: »Wo es nimmermehr Zeit gibt, da ist,Fülle der Zeit'«. Dann ist der Tag voll, wenn vom Tage nichts mehr übrigbleibt. Es ist notwendig wahr: Alle Zeit muß dort weg sein, wo diese Geburt anhebt, denn nichts gibt es, was diese Geburt so sehr behindert wie Zeit und Kreatur. Es ist eine gesicherte Wahrheit, daß Zeit weder Gott noch die Seele von Natur aus zu berühren vermag. Könnte die Seele von der Zeit berührt werden, sie wäre nicht Seele; und könnte Gott von der Zeit berührt werden, er wäre nicht Gott. Wäre es aber so, daß die Zeit die Seele berühren könnte, so könnte Gott nimmermehr in ihr geboren werden, und sie
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Werke, ibid.) 2, 98, 5 sqq. und A. M. Haas, Christus ist alles. Die Christusmystik des Angelus Silesius, in: id., Gott Leiden Gott Lieben. Zur volkssprachlichen Mystik im Mittelalter, Frankfurt a. M. 1986, 295-319, 480-484, hier 301. Meister Eckhart, Predigt 38, DW 2, 227-245; N. Largier, Meister Eckhart, Werke I und II, Frankfurt a. M. 1993, I, 999-1004, hier 999 (hinfort L mit Seiten- und Zeilenzahl).
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könnte nimmermehr in Gott geboren werden. Wo Gott in der Seele geboren werden soll, da muß alle Zeit abgefallen, oder sie muß der Zeit entfallen sein mit Willen oder mit Begehren. - Ein anderer Sinn von ,Fülle der Zeit': Wer die Kunst besäße und die Macht, daß er die Zeit und alles, was in der Zeit in sechstausend Jahren je geschah und was noch geschehen wird bis an das Ende, heranziehen könnte in ein gegenwärtiges Nun, das wäre ,Fülle der Zeit'. Das ist das Nun der Ewigkeit, in dem die Seele alle Dinge in Gott neu und frisch und gegenwärtig erkennt und in der (gleichen) Lust, wie (ich diejenigen Dinge erkenne,) die ich im Augenblick jetzt gegenwärtig vor mir habe. Ich las neulich in einem Buch — wer's doch ergründen könnte! - , daß Gott die Welt jet^t mache wie am ersten Tage, da er die Welt erschuf. Hierin ist Gott reich, und das ist Gottes Reich. Die Seele, in der Gott geboren werden soll, der muß die Zeit und sie muß der Zeit entfallen, und sie muß sich aufschwingen und verharren in einem Anstarren dieses Reichtums Gottes: da ist Weite ohne Weite und Breite ohne Breite; da erkennt die Seele alle Dinge und erkennt sie da in Vollkommenheit. — Die Meister schreiben (zwar), es sei unglaubwürdig, wenn man aussage, wie weit der Himmel sei; die geringste Kraft aber, die es in meiner Seele gibt, die ist weiter als der weite Himmel, ganz zu schweigen von der Vernunft: die ist weit ohne Weite. Im Haupte der Seele, in der Vernunft, in der bin ich in einer Stätte über tausend Meilen jenseits des Meeres ebenso nahe wie der Stelle, auf der ich jetzt stehe. In dieser Weite und in diesem Reichtum Gottes erkennt die Seele, da entfallt ihr nichts, und da schaut sie nach nichts mehr aus." 60 Neuheit, Frischheit, Gegenwärtigkeit, Unsterblichkeit, Unendlichkeit, all diese Bestimmungen Gottes werden in dieser Geburt Gottes in der Seele zu Bestimmungen der Seele selber. Zeittypologisch drängen sich in solchen Überlegungen mit einer gewissen Selbstverständlichkeit die minimalsten Zeiteinheiten hervor, das Nun oder der punct der φ61 oder der ougenblic. Ausgehend vom Fiat der Gottesmutter Maria wird der heilsgeschichtliche Augenblick als Zeitmoment konzipiert, in dem die Vereinigung der göttlichen mit der menschlichen Natur in Jesus Christus oder die Menschwerdung Christi im Schoss der Jungfrau zusammen zu sehen ist mit dem Einzug Gottes in die Seele des Menschen. D e r heilsgeschichtliche Augenblick — etwa im Fiat Mariens — ist auch der blitzhaft einbrechende Durchbruch Gottes zu den Menschen insgesamt, da jeder eigenschaftslose Mensch die Menschheit im Ganzen verkörpert: H^ ist ein blic, bereitenne unde in gie^enne. Wenne diu nâtûre ûf ir hoehsteζ kumet, sô gît got gnâde: in deme selben punten, sô der geist bereit ist, sô gêt got in âne âfRiehen und âne betten62. Eckhart schliesst sich an eine auf Piaton zurückzubeziehende Tradition an, die über die Neuplatoniker zu Augustinus (mit seiner Vorliebe für den ictus) und ins gesamte Christentum gelangt. D i e mystische Erleuchtung ist bloss rara hora, parva mora (Bernhard von Clairvaux) gewährt. Bei Meister Eckhart geht aber diese Vorliebe für den mystischen Augenblick weit über die Auffassungen der älteren und neueren Kontemplationsmystik hinaus: E r privilegiert ihn, weil er
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DW 2, 2 3 0 , 4 - 2 3 3 , 4 (Übers. 6 7 9 - 6 8 0 ) ; L 407, 32 sqq. Cf. Haas, Christus (nt. 58), 353, nt. 44. Meister Eckhart, ed. F. Pfeiffer, Göttingen 4 1924, 27, 35 sqq.
Mystische Eschatologie. Ein Durchblick
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fur ihn das Vehikel der Zeitüberschreitung in einem fortdauernden Sinne darstellt: Als kleinstmögliche Zeiteinheit ist das Nun oder der Augenblick das kategoriale Nichts zwischen zwei Jetztmomenten und damit der Durchbruch in die Ewigkeitsdimension des Seelen- und Gottestags, erfüllte Zeit als .Weite ohne Weite, Breite ohne Breite' oder als,Wüste' und ,Abgrund' Gottes. Der Gedanke ist zu kombinieren — es ist schon gesagt worden — mit dem des Leer- und Freiwerdens. Erst die Leere — und sie ist nach Eckhart ohne irgendwelche Meditations- oder Kontemplationstechniken anzustreben — ist die adäquate Voraussetzung der frei einsetzenden Gottesgeburt im Menschen und der ebenso frei erfolgenden Rückgeburt Gottes in Gott aus dem Menschen. Eckharts Ewigkeitsdimension ist ohne jede Statik zu denken; sie ist reine Dynamik. Denn Got ist ein got der gegenwerticheit. Wie er dich vindet, also nimet er und empfaehet dich, niht, wa% dû gewesen sîst, sunder wa% dû ie^unt bist (DW 5, 234, 5 sqq.). Damit ist der unaufhörliche Akt der göttlichen creatio continua gemeint, der das platonische Exaiphnes — „das glückhafte Ereignis der philosophischen Existenz" 63 - zum je neu sich artikulierenden gewürhe der göttlichen Seinsvermitdung an den Menschen und der Vereinigung mit ihm durchschaubar macht. Damit ist das ganze Thema der Gottesgeburt, die incarnatio, gebunden an den nicht beendbaren, ewigkeitlich sich vollziehenden Schöpfungsakt, an die creatio. Im Grunde sind creatio und incarnatio unter dem Aspekt der göttlichen Ewigkeit, die sich im Menschen als unvordenkliche Gegenwärtigkeit des vünkeltns bezeugt, eins und unauflösbar identisch. Nochmals ist aber ein nicht unwichtiger Hinweis zu geben auf die Weise, wie sich Eckhart diese unvordenklich als Zusammenhang von creatio und incarnatio gegebene Einheit des Menschen mit Gott im irdischen Pilgerstand des Menschen denkt. Hierin ist Meister Eckhart Realist. Ohne were und gewerbe in der φ vermag der Mensch nicht zu Gott zu gelangen; andererseits muss diese Mittelbarkeit zum ewigen Glück durch eine zweite ergänzt werden: blô% sîn des selben. Wan dar umbe sin wir gesetzt in die φ, da^ wir von Etlichem vernünftigen gewerbe gote naeher und glîcher werden. Da% meinte ouch sant Paulus, dô er sprach: ,loeset die φ, die tage sint übel'. ,Die φ loesen' ist, da% man âne underl⣠mit vernünfticheit äfgä in got, niht nach bildeltcher underscheidenheit (Unterschiedlichkeit bildlicher Vorstellungen), mer: mit vernünftiger lebelîcher wârheit (DW 3, 485, 11 sqq.). Tägliche Arbeit - ζ. B. Martha mit ihren Bemühungen um den bei ihr und ihrer Schwester zu Besuch weilenden Jesus — aus einem wohlgeübten Seelengrund ist mindestens ebenso wertvoll wie alle mystische Beschauung: da% φΐίώ werk — als Arbeit des Alltags — ist als edel als dehein vüegen in got (DW 3, 488, 8 sq.). ,Fülle der Zeit' ist damit für Eckhart letztlich Zeit auch des Alltags, der zeitlichen Werke. Dass diese in einer Weise vollzogen werden, welche das Vereinigtsein des wipfelîns der Seele mit Gott nicht stört, liegt daran, dass die spontan-unendliche Gegenwärtigkeit Gottes im Seelengrund ein weseliche£ werk erst ermöglicht. Ohne Sein kein Tun, agere sequitur 63
Piaton, 7. Brief, 341 c, zitiert bei W. Beierwaltes, Exaiphnes oder: Paradoxie des Augenblicks, in: Philosophisches Jahrbuch 74 (1967), 2 7 1 - 2 8 3 .
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Alois M. Haas
esse. Wenn man eine typologische Bestimmung des Apokalyptikers und Mystikers liefern möchte, dann lebt der Apokalyptiker aus dem ,Bald' heraus, der Mystiker aber lebt im Jetzt'. VI. Ich komme zum Schluss: Der biblische Terminus ,Fülle der Zeit' von Gal 4, 4 hat sich als anregendes Vehikel christlicher Zeitspekulation erwiesen, in der Apokalyptik und Mystik zu spannungsvoller und je nach Autor verschiedener Begegnung gelangen. Sicher ist: die Vorstellung einer erfüllten Zeit steigert die Dringlichkeit des Lebens und des Zeitverlaufs des Christen, in den er eingespannt ist, so dass Zeit in einem ganz grundsätzlichen Sinn zur Endzeit wird. In dem Masse aber, als die Zeitenfülle heilsgeschichtlich in den Topos einer ,Mitte der Zeit' rückt, weil die Parusie ausgeblieben ist, ist der Weg frei zu einer gewissermassen existentialen Deutung. Die ,Fülle der Zeit' wird zur erfüllten Zeit jedes Christenlebens, zur erfahrbaren Gegenwart der Ewigkeit in der Zeit. Die Fülle der Zeit verwirklicht sich so - wie es Eckhart gezeigt hat — als ein unaufhebbares Paradox, das Ewigkeit in der Zeit, mithin das ,Ganze im Fragment' 64 , wahrzunehmen ermöglicht. Dies zu akzeptieren, ist auch dem Mystiker abverlangt, der nur zu oft in der Erfahrung der ,Nacht' die Paradoxie einer Erfahrung in Nicht-Erfahrung machen muss. Dieser Resignation aufs Paradoxe hin haben sich die Christen zu beugen; die Möglichkeit, Alles im Teil und das Ganze im Fragment des Lebens erfahren zu dürfen, ist reich genug.
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Cf. Von Balthasar, Das Ganze (nt. 20).
Abraham und Odysseus. Christliche und neuplatonische Eschatologie 1 CARLOS STEEL
(Leuven)
I.
Die Figur des Odysseus wurde seit der Antike auf vielfältige Weise rezipiert, sowohl positiv als auch negativ 2 . Man kann in ihm den rücksichtslosen, klugen Strategen sehen, der niemals aufgibt und immer bekommt, was er will. Wenn er auch lange Zeit von seiner treuen Penelope getrennt war, so geschah dies nicht immer mit Arger und Kummer. War es nicht charmant, einige Zeit mit der hübschen Kalypso zu verbringen oder mit Nausikaa am schönen Strand? Man kann ihn aber auch als den Helden bewundern, der gegen alle Schwierigkeiten sein Lebensziel erreicht. So haben die Stoiker ihn, wie auch Herakles, allegorisiert als einen moralischen Helden, der alle Tugenden hat und vor allem die 3 Klugheit, die φρόνησις . Besonders wichtig für die spätere Rezeption aber war die neuplatonische Deutung der homerischen Sage4. Im Neuplatonismus steht die Figur des Odysseus für die Heimkehr der Seele nach allen Irrwegen durch die Verlockungen der sinnlichen Werdewelt (das ist die Bedeutung des tiefen Meeres und seiner Wellen) zu ihrem intelligiblen Ursprung. Für Proklos ist Ithaka „der mystische Hafen der Seele" und das lange Wandern über das Meer eine epistemologische Reise von der Wahrnehmung über die Vorstellung, die Meinung, die diskursive Rationalität hin zum intellektuellen Leben 5 . Sehr berühmt ist Plotins Verwendung des Themas in seiner Frühschrift „Über die 1
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Dieser Beitrag wurde ursprünglich als Abendvortrag konzipiert, wie der Argumentationsgang und die rhetorische Struktur zeigen. Mein Dank gilt Herrn Prof. Dr. Andreas Speer (Würzburg) für viele anregende Gespräche über das Thema und seine Hilfe bei der Redaktion des deutschen Textes. Vielen Dank auch an Martin Pickavé für die gründliche Revision desselben. Zur Rezeption des Odysseus-Motivs cf. inter multos W. B. Stanford, The Ulysses Theme. A Study in the Adaptability of a Traditional Hero, 2nd edition, Oxford 1968 und P. Boitani, The Shadow of Ulysses: Figures of a Myth, Oxford 1994. Über Odysseus als ethischen Helden in der Stoa cf. Stanford, Ulysses Theme (nt. 2), ch. IX („Ulysses among Alexandrians and Stoics"), 121: „Through their ingenuous use of allegorical interpretations the Odyssey became a kind of Stoic Pilgrim's Progress. Special emphasis was laid on Odysseus's courage, resourcefulness, endurance, and piety, as displayed in his wandering and home-coming." Zur neuplatonischen Deutung des Odysseus cf. J. Pépin, The Platonic and Christian Ulysses, in: D. O'Meara (ed.), Neoplatonism and Christian Thought, Albany N. Y. 1982, 3 - 1 8 . Cf. Proklos, In Parm. V, col. 1025,1-37 (als Auslegung der πλάνη in Parm. 136 e2).
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Schönheit". „So laßt uns fliehen in die geliebte Heimat!", sagt Plotin mit Homers Worten. „Und worin besteht diese Flucht und wie geht sie vor sich? Wir werden in See stechen wie Odysseus von der Zauberin Kirke oder von Kalypso, wie der Dichter sagt, und verbindet damit, so meine ich, einen geheimen Sinn: er wars nicht zufrieden zu bleiben obgleich er die Lust hatte die man mit Augen sieht und der Fülle wahrnehmbarer Schönheit genoß. Dort nämlich ist unser Vaterland (πατρίς), von wo (οθεν) wir gekommen sind, und dort ist unser Vater." 6 Dem Trieb, der uns in die Unendlichkeit der wahrnehmbaren Dinge jagt und darin niemals zum Ende kommt, stellt Plotin die Rückkehr zu unserer ewigen Bestimmung gegenüber. In dieser „Be-kehrung" finden wir auch uns selbst wieder. „Sowenig ein Sohn wenn er im Wahnwitz außer sich selbst ist den Vater kennen wird; wer aber sich selbst kennt, der weiß auch woher er stammt." 7 Der Weg des verlorenen Sohnes zurück zu seinem Vater, seine conversio oder Bekehrung, ist also auch eine Heimkehr zu seinem wahren Selbst. Darum ist die zirkuläre Bewegung die wesentliche Bewegung des Intellekts und der rationalen Seele, wie Dionysius der Areopagit sagt, nicht die gerade Bewegung, die uns zu den Dingen außer uns in einen endlosen Progreß treibt (obwohl wir wegen der Sorge um unseren Leib manchmal zum Kompromiß einer Spiralbewegung genötigt werden) 8 .
II. Aus der biblischen Tradition kennen wir jedoch ein Bild einer anderen Reise. Es ist keine Heimkehr in ein verlorenes Land. Man weiß gar nicht, wo man ankommen wird. Man verläßt alles nur mit der einen Sicherheit, daß man niemals zurückkehren wird. Die Reise geht ins ganz Unbekannte. Die Figur dieses homo viator ist Abraham, der alles in seiner Heimat verläßt und in die Fremde geht, hoffend, das unsichtbare Land zu finden, das Gott ihm versprochen hat. Abraham ist der Vater aller Glaubenden, die gehen, ohne zu wissen wohin: „exit nesciens quo iret" (Heb. 11,8). Wenn Odysseus durch Sehnsucht weitergetrieben wird, so werden Abraham und alle Propheten durch die Hoffnung auf das Neue geführt, auf das Heil, das kommen wird. Sie sind also, wie in dem bekannten Passus im Hebräerbrief gesagt wird: „peregrini et hospites super terram — Pilger und Fremdlinge auf Erden". „Denn die so reden, geben zu erkennen, daß sie eine Heimat suchen. Hätten sie nun jene gemeint, aus der sie ausgezogen waren, so hätten sie ja Gelegenheit gehabt zurückzukehren. Nun aber verlangen sie nach
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Cf. Plotin I, 6, 8, 1 5 - 2 3 (Übers. R. Harder). Das Zitat stammt aus der Ilias (2, 14; 9, 27), jedoch, wie Harder bemerkt, „gedacht ist aber schon an Odysseus": cf. Odyssee 10, 269. Cf. VI, 9, 7, 3 2 - 3 4 (Übers. R. Harder); V, 1, 1. Cf. De div. nom. IV, 9 (ed. Suchla, 153, 10-16): „Ψυχής δέ κίνησίς έστι κυκλική μέν ή εις έαυτήν είσοδος άπό τιον εξω και των νοερών αυτής δυνάμεων ή ένοειδής συνέλιξις."
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einer besseren, nämlich der himmlischen." 9 Odysseus kannte keine Hoffnung, sondern nur Nostalgie, Heimweh, Sehnsucht, auch wenn er manchmal eine längere Zeit auf einer schönen Insel blieb. Er wollte sein Eigentum zurück, seine Frau, sein Haus, seinen Sohn, seinen Hund, er verlangte zurückzukehren. Die biblische Hoffnung dagegen macht Menschen zu einem ganz anderen, neuen Leben fähig, das sie sich gar nicht vorstellen können. Sehr schön bringt dies Deuterojesaja zum Ausdruck: „So spricht Jahwe: Gedenket nicht an das Frühere, und des Vergangenen achtet nicht! Siehe, ich wirke ein Neues, jetzt sproßt es, merkt ihr es nicht?" (43,16 — 18). „So schroff hatte" — wie Gerhard von Rad bemerkt — „bisher noch kein Prophet den Anbruch des Eschaton markiert und ihn von dem bisherigen Geschichtswalten Jahwehs abgerückt." 10 Von der altheiligen Jahweh-Uberlieferung über den Exodus aus Ägypten muß man sich jetzt abwenden: Etwas Neues wird anfangen. Und so radikal wird auch Jesus sprechen: „Bekehrt euch, denn das Reich Gottes ist nahe" (Mt. 3,2). Wie scharf auch Odysseus und Abraham, die Figur der Sehnsucht und die der Hoffnung, einander gegenüberstehen, schon früh haben die christlichen Denker versucht, die Eschatologie vom neuplatonischen Modell des Kreislaufs her zu verstehen 11 . Das „himmlische Vaterland", zu dem wir als viatores unterwegs sind, ist Gottes Ewigkeit, woraus wir in der Schöpfung hervorgekommen sind. Ziel unseres Lebens ist die Rückkehr zum Vater, der auch unser Schöpfer ist. (Ist das nicht auch die defere Bedeutung der Parabel vom verlorenen Sohn?) Was am Ende der Zeit kommt, das eschaton, war schon immer da, Gottes ewige Präsenz, obwohl wir durch die Sünde aus ihr gefallen sind. Gott der Erlöser ist auch der Schöpfer. Er ist „Alpha und Omega", wie es in der Apokalypse (1,8 u. 21,6) steht. Sagte nicht auch Jesus selbst: „Exivi apatre et Herum relinquo et vado ad patrem — ich bin ausgegangen vom Vater und in die Welt gekommen. Ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater." 12 Durch ihn können auch wir zum Vater zurückkehren, wo er eine Wohnstätte bereitet hat. So ist es nicht verwunderlich, daß die christlichen Denker in dem neuplatonischen exitus-reditusSchema das geeignete Modell gefunden haben, um ihre Proto-Eschatologie zu denken. Dieser Kreis von Schöpfung und Wiederkehr erfährt durch den Kreis von Sünde und Erlösung durch die Gnade eine Komplikation, aber auch eine defere Bedeutung. Den tiefsten Sinn bekommt dieser natürliche und heilsgeschichtliche Kreislauf aber, wenn er mit der ewigen árculatio in den Hervorbringungen der Trinität verknüpft wird. In der mittelalterlichen Philosophie finden wir sehr viele Beispiele dieses christlich-neuplatonischen Kreislaufdenkens:
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Hebr. 11,13 — 14: „... qui enim haec dicunt, significant sepatriam inquirere. Et si quidem meminissent de qua exierunt, habebant utique tempus revertendi ..., nunc autem meliorem appetunt, idest caelestem. " G. von Rad, Theologie des Alten Testamentes, Bd. II. Die Theologie der prophetischen Überlieferungen Israels, München 1965, 258. Für die christliche Deutung des Odysseus cf. das bekannte Buch von H. Rahner, Griechische Mythen in christlicher Deutung, Zürich 1945, 414-486. Joh. 16,28.
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Johannes Scottus Eriugena 13 , Albertus Magnus 14 , Thomas von Aquin 15 , Meister Eckhart 16 . Bekanntermaßen greift Thomas von Aquin mit Bezug auf die Struktur seiner „Summa Theologiae" auf das exitus-reditus-Schema zurück. Dennoch hat Thomas nach dem Urteil von Marie-Dominique Chenu dabei niemals den christlichen Sinn der Eschatologie aus den Augen verloren: „Le plan de saint Thomas manifeste clairement qu'il demeure maître du schème platonicien au moment même qu'il l'utilise." 17 Aber ist das wirklich so? Kann man dieses neuplatonische Schema so unschuldig benutzen?
III. Seit der Reformation hat sich in der Tat eine Gegenbewegung gebildet, die versucht, die authentisch christliche Eschatologie von den vielen Schichten des Neuplatonismus zu befreien und so den ursprünglichen Sinn der christlichen Hoffnung wiederzugewinnen. Luther hat das scholastische Verständnis der Hoffnung stark kritisiert, weil dieses die christliche Hoffnung zu sehr von dem Modell einer allgemein menschlichen Hoffnung her versteht 18 . Diese spes hominum „gründet auf dem gegenwärtig Verfügbaren und erwartet von der ungewissen Zukunft die Fortführung der vorhandenen Anfänge. Sie erfüllt damit nur eine negative, absichernde Funktion, versetzt nicht in eine neue Zukunft, sondern hofft auf Bewahrung" des Vorhandenen. Demgegenüber steht die christliche Hoffnung: diese geht „nicht von den gegenwärtigen Möglichkeiten des Menschen aus, sondern richtet sich allein auf die Zukunft Gottes". Die spes christianorum, deren Typus Abraham darstellt, hält sich allein an die Verheißungen Gottes, ohne eine greifbare Garantie: darum ist sie eine spes afßrmativa. Das „Reich Gottes" ist ja auch nicht die intelligible Welt, aus der die Seele gefallen ist, sondern das am Ende der Zeit kommende Reich der Gerechtigkeit, und die „Welt", aus der wir ausziehen müssen, steht nicht für die sinnliche Welt. 13
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Cf. W. Beierwaltes, Eriugena. Grundzüge seines Denkens, Frankfurt am Main 1994; E. Jeauneau, The Neoplatonic Themes of Processici and Reditus in Eriugena, in: Dionysius 15 (1991), 3 — 29. Cf. H. Anzulewicz, Die Denkstruktur des Albertus Magnus, in: J. Hamesse/C. Steel (eds.), L'élaboration du vocabulaire philosophique au Moyen Age, Turnhout 2000, 3 6 9 - 3 9 6 . Cf. J. A. Aertsen, Nature and Creature. Thomas Aquinas's Way of Thought (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 21), Leiden 1988, 4 0 - 4 5 ; 2 6 3 - 2 6 9 ; id., Natur, Mensch und der Kreislauf der Dinge bei Thomas von Aquin, in: A. Zimmermann/A. Speer (eds.), Mensch und Natur im Mittelalter (Miscellanea Medievalia 21), Berlin - New York 1991, 143 — 160. Cf. W Goris, Einheit als Prinzip und Ziel. Versuch über die Einheitsmetaphysik des Opus tripartitum Meister Eckharts (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 59), Leiden 1997, 2 5 2 - 2 8 7 . M.-D. Chenu, Introduction à l'étude de Saint Thomas d'Aquin, Montreal - Paris 1950, 271. H.-G. Link, art .Hoffnung' in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 3 (1974), col. 1 1 6 1 1162 mit Verweis auf R. Schwarz, Fides, spes und caritas beim jungen Luther, Berlin 1962, bes. 316 sqq.
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Wenn die Propheten und insbesondere Jesus uns zu einer Bekehrung (convenio) aufrufen, ist diese nicht neuplatonisch zu verstehen als eine Rückwendung der Seele aus der Äußerlichkeit zu sich selbst, um im Innersten zu ihrem Ursprung zurückzukehren (έπιστροφή, redì tus)19, sondern als ein Aufruf zu einer anderen Existenz in dieser Welt in Hingabe an die unsichere Zukunft Gottes. Die christliche Eschatologie erhält demnach ihren revolutionären und auch ethisch-politischen Sinn zurück, der, wie man sagt, im neuplatonischen Modell ganz verlorengegangen ist. Auf die verschiedenen Versuche einer Wiederentdeckung der ursprünglichen christlichen Eschatologie im letzten Jahrhundert, vor allem in der deutschen evangelischen Theologie (man denke an Rudolf Bultmann und an Jürgen Moltmann), brauche ich hier nicht näher eingehen. Denn diese Philo-Theologie der Hoffnung ist mittlerweile — auch in den vielen säkularisierten Versionen - zum dominierenden Diskurs geworden und zwar so sehr, daß ein neuplatonisches Kreislaufdenken schon von vornherein im Verdacht eines nostalgisch konservativen heimatsuchenden Denkens steht. Wer könnte noch mit dem RenaissanceDichter du Beilay jenen Menschen preisen, der wie Odysseus nach einer schönen Reise in sein Dorf zurückgekehrt ist: „Heureux celui qui comme Ulysse a fait un beau voyage et puis est retourné plein d'usage et raison vivre entre ses parents le reste de son âge ..." Wer wagte es noch zu sagen: „Quand reverraije, hélas, de mon petit village fumer la cheminée, et en quelle saison reverrai-je le clos de ma pauvre maison, qui m'est une province, et beaucoup davantage ...?" Ist das nicht alles gefahrliches, narzißtisches Heimatdenken? Unser Paradigma scheint jetzt definitiv das des Migranten zu sein, immer unterwegs zu neuen Ländern — was wir durch immer exotischere Reiseziele zu imitieren versuchen. Auch in der zeitgenössischen Philosophie hat Odysseus keinen guten Namen mehr. Für Emanuel Lévinas ist er die Figur des totalitären Identitätsdenkens, das den „Anderen" ausschaltet oder zum „Selben" „re-duziert". Die ganze abendländische Philosophie, so meint Lévinas, kann als eine Odyssee verstanden werden. „L'itinéraire de la philosophie reste celui d'Ulysse dont l'aventure dans le monde n'a été qu'un retour à son île natale - une complaisance dans le Même, une méconnaissance de l'Autre." 20 Dem „Mythos des Odysseus, der nach Ithaka zurückkehrt", stellt er „die Geschichte von Abraham, der sein Vaterland für immer verläßt für ein unbekanntes Land, und der seinem Diener verbietet, sei-
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Zur neuplatonischen und christlichen cotiversio cf. P. Aubin, Le problème de la „conversion", Paris 1963, 6 0 - 6 3 . Cf. E. Lévinas, Humanisme de l'autre homme, Montpellier 1972, 40. Cf. auch Totalité et Infini. Essai sur l'extériorité, Den Haag 1971, XV: „La pensée reste enfermé en elle-même, malgré toutes ses aventures, en fin de ompte, purement imaginaires ou parcourus comme Ulysse, pour retourner chez soi"; 151: „II vient de la maison et y retourne, mouvement de l'Odyssée où l'aventure courue dans le monde n'est que l'accident d'un retour"; 75: „la métaphysique comme une odyssée". Cf. auch die negative Wertung des Odysseus in: M. Horkheimer/Th. Adorno, Dialektik der Aufklärung (Th. W. Adorno - Gesammelte Schriften 3), Frankfurt 1997, 6 1 - 9 9 .
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nen Sohn zu diesem Ausgangspunkt zurückzubringen", gegenüber 2 1 . Ironisierend merkt Lévinas in „Autrement qu'être" an, daß es doch wohl typisch ist, daß es ein H u n d ist und kein Mensch, der Odysseus wiedererkennt, w e n n er nach vielen Jahren incognito nach Ithaka k o m m t 2 2 . Ein Hund! E s ist fast so, als ob die Rückkehr in die Heimat, zum Ursprung, nicht etwas typisch Menschliches ist, sondern etwas Animalisches, das wir auch mit den anderen Tieren gemein haben.
IV. In diesem Beitrag versuche ich dennoch zu zeigen, daß das neuplatonische Modell geeignet ist, die christliche Eschatologie philosophisch zu denken, w e n n auch mit einer wichtigen Modifikation, die wir gerade den mittelalterlichen D e n kern verdanken. Es ist sicher historisch-exegetisch richtig, den ursprünglichen Sinn der christlichen Eschatologie von einem neuplatonischen Schema zu befreien. Die Heilserwartung der ersten Christen war nicht platonisch-dualistisch, sondern eschatologisch-apokalyptisch: E n d e der Zeiten, letzter K a m p f , AntiChrist, Wiederkehr des Menschensohnes, Auferstehung und Gericht. Aber schon f r ü h waren die christlichen D e n k e r darum bemüht, die eschatologisch-messianischen Vorstellungen neu zu interpretieren, vor allem als sich herausstellte, daß die Endzeit und die Wiederkehr immer weiter ausblieben. Diese „Entmythologisierung der Eschatologie" beginnt schon im N e u e n Testament, wie R. Bultmann am Beispiel des Johannes gezeigt hat 2 3 . In diesem immer neuen Versuch einer Hermeneutik war und bleibt die Konfrontation mit der neuplatonischen Philosophie der έ π ι σ τ ρ ο φ ή unausweichlich. Das gilt in einem höheren Maße, w e n n man die mythologische Rede von den Eingriffen Gottes in die Geschichte nicht m e h r akzeptieren kann. Was sind dann die möglichen Alternativen eines Verständnisses eines E n d e s der Zeit? Die von Bultmann inspirierte Existenztheologie? Aber auch diese ist neuplatonisch zu deuten 2 4 . Eine neue Apokalyptik: das E n d e der Welt als eine ökologische Katastrophe? O d e r eine Reduktion des escha-
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Cf. E. Lévinas, En découvrant l'existence avec Husserl et Heidegger, Paris 1988,191: „Au mythe d'Ulysse retournant à Ithaque, nous voudrions opposer l'histoire d'Abraham quittant à jamais sa patrie pour une terre encore inconnue et interdisant à son serviteur de ramener même son fils à ce point de départ." E. Lévinas, Autrement qu'être ou au-delà de l'essence, Dordrecht 1988, 100: „Le moi incarné peut s'affirmer amicalement dans son conatus et joie. C'est un chien qui reconnaît comme sien Ulysse venant prendre possession de son bien" (man achte auf das Wortspiel: chien, sien, bien). Und weiter spricht er über „une identité dont la signifiance échappe au flair animal". Mit Dank an meinen Leuvener Kollegen Rudi Visker, der mich auf diesen Text hingewiesen hat. Neben dem bekannten Werk „Geschichte und Eschatologie" (Tübingen 21964) bleibt für mich noch immer der kleine Band „Jesus Christus und die Mythologie" (Hamburg 1958) die beste Einführung. Cf. H.Jonas, Gnosis und spätantiker Geist, 2. Ausg., Göttingen 1954.
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ton auf eine innerweltliche Heilserwartung: das Reich Gottes als die Erwartung einer immer besseren Welt mit Frieden und Gerechtigkeit? Auch wenn wir jetzt von allen marxistischen Heilsspekulationen befreit sind, so herrscht noch immer ein naives moralisierendes Fortschrittsdenken vor, das uns glauben macht, daß die nächsten Generationen es immer besser haben werden. Alle alten Themen des Fortschrittsdenkens der Aufklärung klingen wieder an, leider ohne jede spekulative kultur- und geschichtsphilosophische Tiefe. Denn die großen Erzählungen stehen uns Postmodernen ja nicht mehr zu. Was bleibt, sind nur noch die kleinen Verbesserungen an Lebensqualität. Doch dieses jetzt populäre Fortschrittsdenken ist sicherlich eine noch größere Verfälschung der christlichen Eschatologie als die mittelalterliche, neuplatonisch inspirierte Deutung. Wir vergessen ja allzu gern, daß die Eschatologie immer auch mit einer Apokalyptik einhergeht. Die ganze Welt und alles, was wir in der Geschichte tun und so wichtig finden, wird vergehen 25 . Das Heil wird nicht in, sondern außerhalb der Geschichte kommen. Was für einen Sinn hat dann aber diese Geschichte, wenn sie ihr Ziel nicht in sich selbst findet? Gerade in der Frage der Bewertung der Geschichte wird die Konfrontation von christlicher und neuplatonischer Eschatologie besonders fruchtbar. Wie Augustin sehr zutreffend angemerkt hat — dabei war er selbst vom Neuplatonismus fasziniert - , ist der Bezug auf die Geschichte eine wesentliche Charakteristik der christlichen Religion: „Huius religionis sectandae caput est historia etpropheüa dispensations temporalis divinae providentiae pro salute generis humani in aeternam vitam reformandi atque reparandi."26 Diese Geschichte wird als Heilsgeschichte verstanden, das bedeutet, daß alles Geschehen „prophetisch" interpretiert wird als gelenkt von der göttlichen Vorsehung für das Heil des Menschen, d. h. für seine Rückführung in das ewige Leben. Bei diesem Ziel kehrt die Geschichte wieder in die Ewigkeit zurück, woraus sie bei der Schöpfung und dem Sündenfall getreten war. Wir finden hier den neuplatonischen exitus-redkus-Gedanken wieder, wenn auch mit einer wichtigen Transformation: Während im Neuplatonismus die doppelte Bewegung von exitus und reditus eine ewige metaphysische Struktur ist, wird diese im christlichen Verständnis historisiert 27 . — Versuchen wir nun, ausgehend von Proklos, dem systematischsten Denker des antiken Neuplatonismus, diese Umformung besser zu verstehen. 25
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Wir hören nicht gern, so Josef Pieper in seinem anregenden Essay „Über das Ende der Zeit" (München 1950, 68 sqq.), daß alles, was wir in der Geschichte aufbauen, auf eine Apokalyptik hinausläuft. Zu sagen, daß das innergeschichtliche Ende einen katastrophischen Charakter bestet, bedeutet aber, daß kein Ziel, das wir hier setzen, identisch ist mit der Verwirklichung des Sinnes. Augustin, De vera religione VII, 13. Dieser Text Augustine wird — mit Recht — oft zitiert, um das „Wesen des Christentums" zu charakterisieren. Cf. H. de Lubac, Catholicisme. Les aspects sociaux du dogme, 4. ed., Paris 1947, 1 1 0 — 116. Cf. Chenu, Introduction (nt. 17), 263: „Ainsi est rompu le paradoxe apparent de l'insertion et de l'exposition d'une histoire sainte dans une représentation de l'univers qui, originellement, éliminait toute histoire."
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V. Zunächst sei bemerkt, daß für Proklos die metaphysische Dynamik der Wirklichkeit nicht dyadisch (Hervorgang und Rückkehr), sondern triadisch strukturiert ist: Verharren (μονή), Hervorgang (πρόοδος) und Rückkehr (έπιστροφή) 28 . Alles, was verursacht ist, präexistiert in einer gewissen Weise bereits in der fruchtbaren Kraft seiner Ursache, die ursprünglich ist, was jenes auf sekundäre Weise ist. Insofern es mit seiner Ursache identisch und mit ihr vereint ist, „bleibt" das Verursachte in ihr, ohne für sich Existenz zu besitzen. „Wenn sich aber das Verursachte darauf beschränkte, unbeweglich zu bleiben, ohne hervorzugehen, dann unterscheidet es sich in keiner Weise von seiner Ursache und es wird aus der unbeweglichen Ursache kein neues Sein entstehen." 29 Nur durch den Hervorgang beginnt es für sich als ein Seiendes zu existieren, das formal von seiner Ursache verschieden ist. Der Hervorgang, der sich gemäß einer Unähnlichkeit vollzieht, bewirkt also die Existenz des Verursachten außerhalb seiner Ursache. Wenn daher ein Seiendes nicht vollständig in sich bleiben kann — sonst würde nämlich nichts entstehen —, dann ist genauso ausgeschlossen, daß es ins Unendliche hervorgeht. Denn ohne Beziehung zu seiner Ursache würde ein Seiendes seine ganze Existenz verlieren. Dieser Rückbezug des Seienden auf die Ursache ist gerade das, was Proklos die „Rückkehr" des Seienden nennt: „Alles, was aus etwas hervorgeht, kehrt gemäß seinem Sein in das zurück, aus dem es hervorgeht." Wenn der Hervorgang die Existenz eines Seienden bewirkt, dann verleiht ihm die Rückkehr seine Vollkommenheit 30 . Was anderes könnte das Ziel des Trachtens eines jeden Dinges sein, als was auch die Ursache seines Seins ist? „Woraus nämlich Jeglichem das Sein zukommt, daraus kommt ihm auch das Gut-sein zu; auf das hin zielt das Streben zuerst. Woraufhin aber als erstes das Streben zielt, daraufhin zielt der Rückgang" (prop. 34). In der Rückwendung zu seiner Ursache findet jedes Ding also sein Ziel, insofern es die Ursache ist, die das Gutsein des Verursachten begründet. Der Endpunkt der Rückkehr fällt daher immer mit dem Ursprung des Hervorgangs zusammen. Obgleich es uns vorkommt, als sei jedes Verlangen ein Gerichtetsein auf Zukünftiges, auf einen neuen Zustand, den wir noch nicht erlangt haben, so ist es eigentlich immer eine Rückbewegung, eine Wiederkehr zum Anfang, worin wir immer schon waren. Denn in der Rückkehr versucht ein Seiendes vollkommen
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Meine Darstellung von Proklos' Lehre basiert vor allem auf den Propositionen 2 9 - 3 9 der „Elementado Theologica". Cf. auch W. Beierwaltes, Proklos. Grundzüge seiner Metaphysik, Frankfurt am Main 1980 (woraus auch einige Ubersetzungen genommen sind) und meine Beiträge, L'Un et Le Bien. Les raisons d'une identification dans la tradition néoplatonicienne, in: Revue des sciences philosophiques et théologiques 73 (1989), 6 9 - 8 5 ; Conversion et constitution de soi selon Proclus, in: A. Charles-Saget (ed.), Retour, repentir et constitution de soi, Paris 1998, 161-175. Proklos, Elementado Theologica, prop. 30. Cf. ibid., prop. 31. So bezeichnet Damaskios den Hervorgang als ,,ούσιοποιόν" und die Rückwendung als ,,τελειοποιόν".
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zu seinem Ursprung zurückzukommen; es trachtet danach, jede Verschiedenheit, die zwischen ihm und seiner Ursache ist, zu beseitigen und seine Vereinigung mit ihr zu genießen. Weil das Ende alles Trachtens mit dem Ursprung allen Seins identisch ist, formen Hervorgehen und Rückkehren eine einzige zyklische Bewegung: „ Omne procedetti ab aliquo et conuersum circularem habet operationem. " 31 Die Rückkehr scheint den Unterschied zwischen dem Verursachten und seiner Ursache auszulöschen und somit den Hervorgang aufzuheben. Sowenig es jedoch einen Hervorgang ins Unendliche ohne eine Rückkehr gibt, sowenig gibt es jemals eine vollständige Rückkehr. Sonst würde das Verursachte nicht mehr formal als für sich seiend bestehen. Wie der Philosoph Damaskios darlegt, ist die Rückkehr nie eine bloße Korrektur (έπανόρθωσις) oder eine Aufhebung, die den Hervorgang rückgängig macht 32 . Die drei „Bewegungen" charakterisieren zugleich das Seiende in seiner Beziehung zu seiner Ursache. So kommt es zu dem berühmten triadischen Gesetz, demgemäß jedes Seiende zugleich ewig in seiner Ursache verharrt, aus ihr hervorgeht und zu ihr zurückkehrt. Dieser ganze Prozeß hat also keine zeitliche Bedeutung. In alle Ewigkeit kommt alles aus dem Einen hervor und kehrt — durch alle Zwischenstufen, durch die es auch hervorgeht — zu seinem Ursprung zurück. Auch die sinnliche Welt besteht als ganze ewig ohne Anfang oder Ende in der Zeit. Nur in diesem sublunaren Bereich finden wir das Entstehen und Vergehen der Dinge und die Werdeprozesse in der Zeit; hier gibt es auch Geschichte mit Krieg und Frieden, Weltreichen, die kommen und gehen, mit technischen und wirtschaftlichen Entwicklungen, und das endlich variierte Leben eines jeden individuellen Menschen. Sicher, auch all diese Prozesse und Ereignisse werden von der göttlichen Providenz geleitet, aber diese kosmische Providenz spielt für Plotin keine heilsgeschichtliche Rolle, sondern nur eine Funktion in der Theodizee als Garant der Gerechtigkeit, wobei ein jedes Übel auch seine Strafe erhält. In diesem ewigen metaphysischen System ist die menschliche Seele der große Wanderer, der sich auf allen Niveaus befindet und sich mit allen identifizieren kann 33 . Sie kommt aus dem Intelligiblen in die sinnliche Welt und hat Sorge für den Leib. Ihre eigentliche Bestimmung aber liegt — so weit, wie ihr das möglich ist — in der Flucht aus dieser Welt. Nur im Fall der menschlichen Seele hat das exitus-reditusSchema eine zeitliche Bedeutung. Die Seele hat Erfahrungen in der Zeit und findet ihre Bestimmung nach dem Tod gemäß dieser Erfahrungen. Für die Neuplatoniker hat die Geschichte also keine metaphysische Bedeutung, nur einen moralischen Sinn in einer (stoisch interpretierten) Providenz. 31
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Cf. ibid., prop. 33 (lat. Zitat nach der Übersetzung von Wilhelm von Moerbeke): „Παν τό προϊόν άπό τίνος και επιστρέφον κυκλικήν εχει τήν ένέργειαν." Cf. Damaskios, De principiis, II, 1 5 - 1 6 : „Was ist sie anderes, könnte man sagen, als eine Rückkehr dessen, was in Richtung auf seinen Erzeuger hervorgegangen ist? Sie ist dem Hervorgang entgegengesetzt und ist sozusagen eine gewisse Korrektur und Auflösung." Cf. H.-R. Schwyzer, Die zweifache Sicht in der Philosophie Plotins, in: Museum Helveticum 1 (1944), 96: „Die Seele ist die grosse Reisende in der Welt ..."; und W. R. Inge, Plotinus, Oxford 1929, 21: „the human soul is a wanderer among worlds ..."
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VI. In der biblischen Tradition ist gerade die Geschichte der Ort der göttlichen Providenz. Hier geschieht Heil und Unheil nicht in einer notwendigen Ordnung, sondern in der Kontingenz historischer Erfahrungen: in der Auserwählung von Individuen und eines ganzen Volkes oder seiner Verfluchung, in der Sendung von Propheten und Königen, aber auch feindlicher Armeen zur Bestrafung, in der Erweckung des Zyrus, um das Volk zurückzusenden. Schließlich hat Gott in Jesus seinen eigenen Sohn an einen ganz bestimmten Ort und zu einem bestimmten Zeitpunkt gesandt, und nur durch den Glauben an ihn vermögen wir zu Gott aus unserer Sündhaftigkeit zurückzukehren. „Le Verbe incarné du chrétien n'est pas le Logos créateur de l'émanatisme plotinien; il reste l'objet d'une histoire, alors que Plotin évinçait le temps comme une souillure." 34 Wie ist es aber möglich, diese singularia und diese Historie in eine Theologie zu integrieren, die doch wie jede Wissenschaft Universalität und Notwendigkeit beabsichtigt, fragte sich Thomas am Anfang der „Summa" 35 . Paradoxerweise ist es gerade das neuplatonische Schema der ärculatio, das es ihm möglich macht, die Heilsgeschichte (oikonomia) in einer Theologie zu denken. Wenn ja die àrculatioBewegung selbst historisiert wird, sind exitus und reditus nicht mehr simultane ewige Momente, konstitutiv für alle Seienden. Der exitus bzw. die processio beginnt mit der Schöpfung in der Zeit; dies ist auch der Anfang der menschlichen Geschichte a creatione mundi\ und der reditus wird nun verstanden als ein Prozeß, der uns zum Ziel führt, wenn die ganze Schöpfung im Menschen zu Gott zurückkehrt und die Zeit aufhört. Auf diese Weise bekommt die menschliche Geschichte, in der Gott selbst Mensch wird, ihren Sinn in dem Zirkel von Schöpfung und Wiederkehr. Durch diese radikal historisierende Interpretation der rìrculatio bleiben die christlichen Autoren „maître du schème platonicien", wie ich an einigen Beispielen zeigen will. Beginnen wir mit einem der radikalsten Neuplatoniker des Mittelalters, Johannes Scottus Eriugena. Der Grundgedanke der Naturphilosophie, die er in seinem „Periphyseon" entfaltet, ist bekannt. Anfang und Ursache aller Dinge ist die göttliche Natur, die alles schafft, ohne selbst geschaffen zu sein. Aus dieser Natur kommt die schaffende, doch geschaffene Natur hervor, die primordialen Ursachen oder ewigen Wesensformen, durch die die raum-zeitliche Welt in einer Vielfalt individueller Formen entsteht. Die ganze geschaffene Natur, die selbst nichts mehr zu schaffen vermag, kehrt zu ihrer Ursache durch dieselben Vermittlungen zurück, durch die sie auch hervorgekommen ist. Ziel der ganzen Bewegung ist also wieder die göttliche Natur, die durch nichts geschaffen ist, aber auch selber nicht mehr schafft, weil alles in seine erste Ursache heimgekehrt ist. Die Bewegung von der schaffenden Natur durch die geschaffene zur nicht 34 35
Chenu, Introduction (nt. 17), 271. Cf. Thomas von Aquin, Summa Theologiae I, q. 1, a. 2 ad 2.
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schaffenden Natur ist ein fast natürlicher Vorgang. „Denn alles, was aus ihr hervorgegangen ist, kehrt durch wunderbare Wiedergeburt zu ihr zurück, und in ihr kommt alles zur Ruhe; darum wird von ihr gesagt, daß sie nichts schafft, weil weiter nichts von ihr ausfließt. Denn was soll sie schaffen, wenn sie selbst alles in allem sein wird und in allem nur als sie selbst erscheinen wird?" 36 Eriugena vergleicht diese Kreislaufbewegung der Natur gern mit einem Wasserstrom, der aus einer Quelle fließt und zu dieser zurückfließt. Das Bild der Quelle ist sicher nicht neu. Es wird in neuplatonischen Texten (insbesondere bei Plotin) oft verwendet, um die emanatio aller Dinge aus der ersten Ursache zu verdeutlichen. Aber Eriugena läßt in seinem Bild den Strom auch zur Quelle zurückfließen, unsichtbar mittels unterirdischer Wasserströme durch Poren in der Erde, wie er aus den antiken meteorologischen Theorien lernte: „Aus der Quelle geht ja der Fluß ursprünglich hervor und das zuerst aus der Quelle dringende Wasser ergießt sich auch durch das längste Strombett ohne Unterbrechung abwärts. So ergießt sich die göttliche Güte zuerst in den primordialen Ursachen. Durch die letzteren strömt es sodann auf geheimnisvolle Weise in deren Wirkungen nach den ihnen entsprechenden Ordnungen des Alls, indem sich das Höhere zum Niedrigeren ergießt und wiederum durch die geheimsten Poren der Natur auf verborgenem Wege zur Quelle zurückkehrt." 37 Im letzten Buch des „Periphyseon" behandelt Eriugena diese Rückkehr der ganzen Natur zu ihrem Ursprung am Ende der Zeiten und im besonderen die Auferstehung des Menschen. Es ist auffallend, wie sehr er auch hier diese Eschatologie als einen natürlichen Vorgang beschreibt: „ Omnia adprinäpium naturali lege cogente redeunt. " 3 8 Das zeigt sich auch an den vielen Beispielen aus der physischen Welt, die alle einen Rückgang (recursus) in Zeit und Raum belegen, sowie am täglichen Kreis der Sonne, dem Kreis des Mondes und an anderen astronomischen Zyklen. Aber auch im sublunaren Bereich finden wir viele Zyklen: z. B. bei den Elementen den Kreislauf der Luft von Wärme zur Kälte und zurück oder den Kreislauf des Wassers, Ebbe und Flut, usw. Auch die Pflanzen haben ihre Existenz in einem Kreislauf. Beobachten wir nicht Zeiten, 36
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Iohannes Scottus Eriugena, Periphyseon V (ed. Migne PL 122, 1019B): „Cum enim omnia, quae ab ipsa per generationem processerunt, mirabili quadam et ineffabili regeneratione reversura sint ad earn, et in ea omnia erunt quieta, quoniam u¡tenus nihil ab ea per generationem proßuet, nihil dicitur creare. Quid enim creabit, dum ipsa omnia in omnibus fuerit, et in nullo nisi ipsa apparebit?" Ich benutze die Übersetzung von Ludwig Noack (Hamburg 1983). Ibid., III, 632C (ed. E.Jeauneau, CCCM 163, 21,564—570): „Siquidem exfonte totumflumenprincipaliter manat et per eius alueum aqua quae primo surgit in fonte, in quantamcunque longitudinem protendatur, semper ac sine ulla intermissione diffunditur. Sic Suina bonitas et essentia ... primo in primordiales causas defluunt, et eas esse faciunt, deinde per primordiales causas in earum effectus ineffabili modo per conuenientes sibi universitatis ordines decurrunt, per superiora semper ad inferiora profluentia, iterumque per secretissimos naturae poros occultissimo meatu ad fontem suum redeunt." Das Bild von der Quelle, die von unterirdischen Gewässern gefüllt wird, erscheint auch in einer Randnote zu 653A (50,68 — 70): „Siquidem non ubi fons apparet, ibi aqua incipit esse, sed aliunde per occultos poros sensibusque infinitos longe ante manat, priusquam in fonte appareat. " Ibid., V, 868C; cf. auch I, 499B: „Ex uno fonte manant inque earn naturali ambitu redeunt. "
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zu denen sie Knospen, Blüten, Blätter und Früchte hervorbringen? Und auch alle Tiere haben Lebenszyklen. Um es kurz zu sagen, es gibt kein lebendes Wesen, „welches nicht zum Anfang seiner Bewegung zurückkehrt". „Denn das Ende der ganzen Bewegung ist ihr Anfang, und sie endigt mit keinem anderen Ausgang als mit ihrem Anfang, von welchem die Bewegung ausgeht und zu welchem sie immer zurückzukehren strebt, um darin zu verharren und zu ruhen. Und das gilt nicht nur für gewisse Teile der Welt, Planeten, Tiere, Elemente, Pflanzen, sondern auch von der Welt als ganzer. Denn ihr Ziel ist zugleich ihr Anfang, dem sie zustrebt, um in dem wiedergefundenen Ursprung zu ruhen ..." 3 9 In dieser Perspektive ist die von Gott versprochene Auferstehung am Ende der Zeiten gar nicht so außerordentlich oder wunderbar, sondern die Kulmination eines natürlichen Prozesses (recursio in statum naturalem40) — oder besser gesagt, der gesamte Kreislauf der Natur ist ein erstaunliches Wunder. Wie ja die ganze sinnliche Welt mit ihrer Vielfalt an Lebensformen mittels der intelügiblen Ursachen aus der einen göttlichen Natur hervorgeht und dann wieder aus den Gestalten in Zeit und Raum durch die ersten Ursachen zu Gott zurückkehrt, so und viel mehr kehrt die ganze menschliche Natur zu ihrem Ursprung zurück: der Leib wird Seele, die Seele wird Geist, und alles wird Gott. „Denn wenn Gott Prinzip aller Dinge ist und alle zu ihm hinstreben, wie wäre es zu verwundern, wenn man auch von der menschlichen Natur, die ja besonders nach dem Bild und Gleichnis des einen gemeinsamen Prinzips aller Dinge geschaffen ist, annimmt und einsieht, daß sie dahin zurückkehren werde, woher sie ausgegangen ist." 41 In diesem Sinne müssen alle biblischen Vorstellungen vom Ende der Dinge (wie die Auferstehung der Toten, die Wiederkehr Christi und das Letzte Gericht) verstanden werden: als eine Beschreibung dieser universellen Rückkehr aller Dinge. Die „historische" Rolle Christi in diesem Erlösungsprozeß wird von Eriugena vor allem im kosmologischen Sinne gedeutet. Durch seine Menschwerdung und Auferstehung bringt Christus die ganze raum-zeitliche Natur zurück zu ihren primordialen Ursachen und endlich zu Gott 42 . Die Auferstehung des Menschen ist nur ein Sonderfall dieses allgemeinen reditus in pristinum statum. Dem Schüler fällt es jedoch schwer, diese These anzunehmen, und er wagt es — nach vielen Seiten im Dialog —, seine Bedenken zu formulieren: „Ich verstehe noch nicht recht klar, wie Du nicht nur die Auferstehung der menschlichen Natur behauptest, sondern auch aller sinnlichen Dinge, welche in
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Ibid., V, 866C: „Finis enim totius motus est prinàpium sui; non enim ut alio fine terminator, nisi suo principio, a quo incipit moveri, et ad quod redire semper appétit ut in eo desinai atque quiescat..." Ibid., V, 979D. Ibid., V, 817C: „Si enim omnium rerum ... Deus prinàpium est et ipsum appetunb quid mirum, si de humana natura, quae spedaliter ad imaginem et principium unius et communis omnium principa facta est, et credatur et intelligatur quod illud reversura sit unde profecía est. " Die jüngste Konferenz der „Society for the Promotion of Eriugenan Studies" in Dublin Maynooth (2000) war dem Thema „History and Eschatology" gewidmet. Viele Forscher haben hervorgehoben, daß Eriugena der Heilsgeschichte (und dem Historischen überhaupt) sehr wenig Interesse schenkt.
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dieser Welt einbegriffen werden." Aber der Lehrer wundert sich noch viel mehr darüber, daß sein Schüler noch immer nicht versteht! 43 Man könnte also meinen, daß Eriugena das eigentliche Anliegen der christlichen Eschatologie ganz und gar an eine neuplatonische Metaphysik der Natur opfert. Aber in einem sehr wichtigen Punkt weicht Eriugena (wie auch seine griechischen Autoritäten Dionysius und Maximus) radikal vom Neuplatonismus ab: der ganze metaphysische Kreislauf wird historisiert. Das Hervorgehen der schaffenden Natur in ihre Wirkungen beginnt mit dem Anfang der Zeit, und die Rückkehr ist am Ende der Zeit zu situieren. Nicht nur ist die Welt in der Zeit entstanden, sie wird auch am Ende vergehen und alle Zeit und aller Raum wird aufhören zu bestehen — wie es auch am Anfang war. Wie Eriugena sagt: „Die kirchliche Lehre glaubt fest, daß der eine und allmächtige Gott, der der Welt Materie und Form gegeben hat, wenn er das wollte, ihr auch ein Ende geben wird, wenn er so entscheidet." 44 Und er zitiert viele Male aus der Bibel, daß „Himmel und Erde vergehen werden (caelum et terra transibunt·, caelum et terra peribunt)". Dieses Vergehen {perire) bedeutet aber keine Vernichtung der Welt, sondern ihren Ubergang (transites) in ihren ursprünglichen Status in Gott: „Non aliud esse mundo ¡perire' quam in causas redire et in melius mutari. " 4 5 In der Tat, die sinnlichen Dinge haben eine bessere Existenz, wenn sie in ihrer Ursache außerhalb von Zeit und Raum existieren, und sie werden endgültig in diesen Zustand zurückkehren am Ende der Zeit. Processio und reditus sind für Eriugena nicht länger die ewigen Bewegungen, die zugleich die Seinsdynamik konstituieren wie bei Proklos, sondern Bewegungen am Anfang und am Ende der Naturgeschichte. Auffallend ist auch, wie die μονή der neuplatonischen Triade an das Ende der Zirkelbewegung gesetzt wird. Sie wird jetzt nicht mehr im Sinn eines „Beharrens", sondern eines „Zur-RuheKommens" nach einem langen mühsamen Prozeß verstanden. Wenn alles wieder zu Gott gelangt ist, wird es in Gott ruhen: „Appetit ut in eo desinai atque quiescat. " 4 6 In diesem letzten Ausdruck klingen die berühmten Worte Augustins an: „Inrequietum est cor nostrum donee requiescat in te. " Was bei Augustin bestimmend war für den menschlichen Geist, wird von Eriugena als Leitmotiv des ganzen Naturprozesses verwendet 47 . Auch alle späteren mittelalterlichen Autoren werden das exit us- reditus -Schema in diesem Sinne historisieren (obwohl sie stärker 43
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Ibid., V, 906C: „Adhuc tarnen haesito, quoniam non tarn clare contemplar, quomodo non solum humanae naturae resurrectionem, verum etiam omnium rerum sensìbilium uideris asserere." Darauf antwortet der Magister: „Mirari non desino, cur tarn frequenter e talibus haesitas ..." Ibid., V, 890D. Ibid., V, 21, 898C; cf. V, 8, 879A: „Inferiora a superioribus absorbentur non ut non sìnt, sed ut in eisplus salventur et subsistant et unum sint"\ V, 8, 876B: „Quomodo enim potest perire, quod in melius probatur redire?" Cf. nt. 39. Eriugena folgt in dieser Transformation des Neuplatonismus Maximus Confessor. Zu Maximus cf. I. P. Sheldon-Williams in: A. H. Armstrong (ed.), The Cambridge History of Later Greek and Early Medieval Philosophy, Cambridge 1970, 4 9 2 - 5 0 5 . Cf. auch Albertus Magnus, Super Dionysium de caelesri hierarchia, prol. (ed. Colon., vol. 36,1, 1,32-34).
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als Eriugena an einem literarischen Sinn der Lehre von den letzten Dingen festhalten). Damit werden wir aber mit einer schwierigen Frage konfrontiert: Was ist der Sinn dieses ganzen Kreislaufs von Gott zu Gott? Warum sollte denn überhaupt die Vielfalt aus dem Einen hervorgehen, die Zeit aus der Ewigkeit, wenn es nur darum geht, endlich wieder zurückzukehren? Ist der Zirkel nicht umsonst, wenn das Ende nur der Anfang ist? Hier stellt sich die Frage nach der Geschichte und ihrem Sinn, die niemals in dieser Weise im Neuplatonismus gestellt werden konnte. Sicher, auch Plotin fragt, warum es überhaupt eine Vielfalt gibt. Warum ist nicht alles das Eine geblieben? Aber diese Vielfalt, auch die ganze sinnliche Welt, wird niemals aufhören zu bestehen. Es ist die ewige Entfaltung des Einen und die ewige Rückkehr zu diesem. In der christlichen Interpretation aber wird die Frage nach dem Warum der Entfaltung in Raum und Zeit und der Vielheit der individuellen Formen viel dringlicher, da ja die ganze Vielfalt einmal wieder verschwinden wird. In der Natur ist der Kreislauf evident und im Grunde auch kein Problem — wie auch Thomas des öfteren bemerkt: „In generation! est quaedam ärculatio: homo generai hominem."48 Aber kann man diesen Kreisgedanken auf die ganze Schöpfung und ihren Sinn übertragen? Und findet der Mensch als Individuum seinen Lebenssinn in diesem Kreis? Ist denn unser ganzes Leben, mit allem, was wir darin zu realisieren versuchen, als Individuum oder Gemeinschaft, nicht umsonst, in vanum, wenn das Ziel dem Anfang gleich ist?
VII. Eine merkwürdige, neuplatonisch inspirierte Betrachtung über die Rolle des Menschen in dem exitus- reditus - Krei s lau f finden wir im Traktat „De intellectu et intelligibili" des Albertus Magnus, dem wohl persönlichsten philosophischen Werk Alberts. Das Schlußkapitel handelt von der Zurückfuhrung der Seele zum göttlichen Seienden — „De reductione animae in esse divinum secundum ultimum statum peifectionis eius". „Es ist", so sagt Albertus, „ein Wunder über alle Wunder und das Beste aller guten Dinge, zu betrachten, wie die erste Ursache in ihrer Gutheit und Generosität die Seele des Menschen zu sich zurückführt." 49 In seiner Argumentation geht Albert zunächst von einem typisch neuplatonischen hierarchischen Prinzip aus: In der Natur vollbringt niemals das Höhere etwas wegen des Niedrigen, Schlechteren („ nihil est propter vilius"). Wenn dieses Prinzip aber stimmt, so kann man sich fragen, warum dann die Formen aller Dinge aus dem Licht der ersten Ursache und aus den Intelligenzen in die Materie eingegangen 48
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Cf. In II Sent., d. 20, q. 2, a. 3: „Sicut dirít Phitosophus in II De Gemratione, in generatione est quaedam drculatio, quae tarnen non redit in idem numero, sed ad idem speríe: homo enim generai hominem, non Socrates Socratem." Cf. Aertsen, Nature and Creature (nt. 15), 105 — 107. De intellectu et intelligibili II, c. 12 (ed. Borgnet, voi. 9, 520): „Est autem hoc quoddam omnibus mirabitibus mirabitius, et omnibus bonis melius, advertere de bonitate et largitate causae primae in reducendo ad se animam hominis. "
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sind, obwohl sie doch eine viel bessere Existenz in Gott und in diesen Intelligenzen hatten. Diese Formen strömen nicht in die Materie, damit sie in der Materie existieren können („propter esse quod habent in materia"'), obwohl die Materie danach strebt, um diese Formen als etwas Göttliches in sich zu haben. Man kann auch nicht sagen, daß diese Formen deswegen ausfließen, um in den niedrigeren Wirkungen die „Freigiebigkeit ihrer Quelle" (largitas suae fontalitatis) zu zeigen. Es ist ja, wie man aus Aristoteles' Ethik (IV, 4) lernen kann, gar kein Zeichen von Freigiebigkeit (magnificentia), wenn man seinen Besitz in schlechten, niedrigen Dingen verzehrt. Der einzige Grund, warum die ganze sensible und materielle Welt aus Gott hervorgegangen ist, kann also nur sein, daß die Formen durch ihre Vermittlung in der Materie und durch ihre raum-zeitliche Existenz etwas Göttliches hervorbringen und zu göttlichen Wirkungen beitragen. Es ist die menschliche Geistseele, die der primäre Nutznießer dieses Hervorganges ist und auch der Vermittler ihrer Rückkehr. In der Vielfalt ihrer individuellen Differenzen, wie sie in dieser Welt erscheinen, können die Formen niemals das göttliche Sein vervollkommnen: sie müssen zuerst von der Materie abgesondert werden. Wer kann so etwas machen, fragt sich Albert. Nicht eine kosmische Intelligenz wie die Beweger der Himmelssphären, weil hier die Formen als abgesonderte bestehen. Also ist es notwendig, daß etwas Derartiges per intellectum hominis geschieht, „durch den Intellekt des Menschen", der auch Vermögen und Organe dazu bekommen hat, damit er die göttlichen Formen von der Materie empfangen kann. Durch den Prozeß der abstraktiven Erkenntnis kommen die materiellen Formen wieder auf das Niveau des Intellekts, und durch die Erleuchtung des göttlichen Intellekts bekommen sie wieder ihren göttlichen Status. Wenn sie in diesen Seinsmodus zurückgebracht worden sind, verleihen sie auch der menschlichen Intellektseele ein göttliches Sein und eine göttliche Aktivität 50 . Eine Seele, die in diesen Zustand gelangt ist, bedarf der Organe und der körperlichen Materie nicht länger, weil sie im göttlichen Sein besteht: „stat igitur substantiata et formata in esse divino. " Das ist genau, was die Philosophen die höchste Vollkommenheit des Menschen nennen: ein hinfälliges Vorzeichen (caducum) eines anderen ewigen Lebens 51 . Daneben gibt es auch noch die moralische Vollkommenheit in einem Leben der Tugenden. In dieser Charakterisierung der perfectio naturalis, die der Mensch erlangen kann, secundum intellectum, als Geist in der Betrachtung, folgt Albert Aristoteles, der am Ende der „Nikomachischen Ethik" andeutet, wie der Mensch in der Betrachtung eine göttliche Existenz bekommt. Besonders auffallend ist aber, daß Albert dieser höchsten menschlichen Aktivität auch einen metaphysischen 50 51
Ibid.: „Ifftur sie redueta [forma] conferí esse divinum et operationem divinum." Uber die Bedeutung des schwierigen Ausdrucks „caducum aiterius et immortali's vitae" cf. Ζ. Kaluza, Gerson critique d'Albert le Grand, in der ihm gewidmeten Festschrift: F. Cheneval (ed.), Albert le Grand et sa réception au moyen âge, Fribourg 1998 [= Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 45, 1/2 (1998)], 1 6 9 - 2 0 5 , hier 1 8 6 - 1 9 3 . Ich folge ihm aber nicht in seiner Interpretation, daß caducus hier „chute" („Fall aus dem ewigen Leben") bedeutet.
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Sinn zuschreibt. Der ganze Hervorgang der Formen aus den Intelligenzen in die Materie wird aus der Perspektive der Vollkommenheit des menschlichen Intellekts begründet. Dieser ist mit körperlichen Organen und Vermögen ausgerüstet, um durch die Aufnahme der göttlichen Formen selbst „zum göttlichen Sein zurückgebracht zu werden". Ohne den menschlichen Intellekt in seiner „Verkörperung" könnte die materielle Welt niemals zum Begriff kommen und so zu ihrem göttlichen Sein zurückgeführt werden. Und zugleich ist ja auch die materielle Welt notwendig, um unseren Geist zu Gott zurückzuführen. Man könnte also sagen, daß der ganze Sinn dieser circulatio vom processus aus Gott und vom reditus zu Gott die Vergeistigung und so die Vergöttlichung des gesamten Universums ist. Wie Thomas von Aquin es so treffend formulierte: „Das Ziel des ganzen Universums ist, die Wahrheit zu erkennen" 52 , und der Mensch spielt in diesem Geschehen eine wesentliche Rolle, weil ihm ja der ordo universi interiorisiert wird. Darum ist das Ziel dieses Prozesses nicht ohne weiteres eine Rückkehr zum Anfang (was den Hervorgang ungeschehen machen würde), sondern, wie man mit Hegel sagen könnte, „das Resultat, das in sich Zurückgekehrte" 53 . Viel weiter können Philosophen in der Suche nach dem Sinn des Kreislaufs von Hervorgang und Rückkehr wohl nicht gehen als zu der Einsicht, daß ihr eigenes Denken und Begreifen schon der Sinn ist. Vielleicht ist dies schon eine Uberforderung der Philosophie. Wenn dies aber die christlich-neuplatonische Eschatologie wäre, hätte der Neuplatonismus sicher gewonnen. Deswegen versteht man auch, daß Theologen wie Jean Gerson am Ende des Mittelalters große Probleme hatten mit dieser Lehre des magister Albertus54. Auch in der nächsten Generation der deutschen Dominikaner finden wir eine typisch neuplatonische Deutung der Rückkehr. Für Dietrich von Freiberg sind Hervorgang und Rückkehr im Intellekt keine verschiedenen Bewegungsrichtungen, wie es bei den anderen Geschöpfen der Fall ist. Es hat darum auch keinen Sinn, im Verhältnis des Intellekts zu Gott einen Unterschied zwischen Gott als causa efficiens und Gott als causa finalis zu machen. Der Kreis von emanatio und reditus ist im Intellekt immer schon geschlossen 55 . Wie Dietrich schreibt (und Proklos könnte ihm wohl zustimmen): „Der Intellekt kommt nicht erst aus Gott hervor, um nachher in einer anderen Hinsicht oder Wirkung zu ihm zurückzu52
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Thomas von Aquin, Summa contra Gentiles I, 1 : „ Oportet igitur verìtatem esse ultimum finem totius universi." Darum findet die menschliche Seele ihre Vollkommenheit darin, daß sie durch die Erkenntnis die Ordnung der Welt in sich aufnimmt. Cf. Avicenna, De philosophia prima IX, 7 (ed. van Riet, 510, 72 — 73): „Dico quod sua perfectio animae ratiomlis est ut fiat saeculum intelligibile, et describatur in ea forma totius et ordo intellectus in toto. " Cf. in Anlehnung an Avicenna auch Thomas von Aquin, Quaest. disp. de veritate q. 2, a. 2 (ed. Leon., vol. 22, 1 0 2 - 1 3 3 ) ; q. 20, a. 3 (79-82). G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Vorrede (Gesammelte Werke 9, Hamburg 1980, 20): „Das Resultat ist nur darum dasselbe, was der Anfang, weil der Anfang Zweck ist; ... weil es das Resultat, das in sich Zurückgekehrte [ist]." Cf. Kaluza, Gerson critique (nt. 51). Cf. Κ. Flasch, „Converti ut imago" - Rückkehr als Bild. Eine Studie zur Theorie des Intellekts bei Dietrich von Freiberg und Meister Eckhart, in: Cheneval (ed.), Albert le Grand (nt. 51), 1 3 0 - 1 5 0 , insb. 136 sqq.
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kehren, sondern es geschieht in ein und demselben einfachen Denkakt, der sein Wesen ist. Darin unterscheiden sich dieser Hervorgang und diese Zurückkehr von Hervorgang und Zurückkehr der anderen Dinge. Diese kommen nämlich unter einem Aspekt, nämlich in der Konstitution ihrer Substanz, aus ihrem Prinzip hervor als aus einer effizienten Ursache, sie kehren aber zurück zu diesem selben Prinzip (als zu einer Zielursache) durch ihre eigenen Wirkungen, die unterschieden sind von ihrer Substanz." 56 Wie Kurt Flasch bemerkt, sind für Dietrich Wirk- und Zielursächlichkeit „äußerliche Kategorien, die vom Leben des Intellekts fernzuhalten sind". Im intellektuellen Bereich gibt es keine Bedürfnisse, keine Zeitlichkeit, die unser Tätigsein und unsere Existenz voneinander trennt. Sicherlich, Menschen sind keine reinen Intellekte, sondern Lebewesen in der Zeit, die immer auf eine Zukunft hin planend und sorgend handeln, auf Suche nach einem Sinn. Wenn wir uns aber mit unserem tätigen Intellekt, unserem verborgenen Seelengrund, identifizieren können, in dem wir immer mit Gott verbunden sind, dann finden wir eine Seligkeit außerhalb der Zeitlichkeit und des Kreises von Ursachen und Wirkungen. Im ewigen Hervorgang und der Rückkehr des Intellekts hat unsere Frage, ob der Kreis umsonst sei, gar keinen Sinn! Für einen Menschen, der so etwas begriffen hat, bedeutet Rückkehr, daß er, wie Eckhart sagt, das werde, „was er immer war und auch jetzt ist" 57 . Wie sehr die neuplatonische Intellektlehre der Mystik Eckharts zugrunde liegt, ist oft diskutiert worden, und in dieser Debatte verwendet man gern die Opposition von Natur und Gnade als Argument für den christlichen Charakter dieser Mystik 58 . Wenn man aber, wie Dietrich und Eckhart, den Kreislauf des Hervorgangs und der Rückkehr neuplatonisch als ein ewiges Geschehen interpretiert, hat der Unterschied Natur/Gnade, wenn er überhaupt gemacht wird, wenig Bedeutung. Die Rede von Gnade hat christlich-theologisch nur Sinn, wenn man die Eschatologie (heils)geschichtlich versteht, wie ich — wiederum ausgehend von Albert — nachzuweisen versuche. VII. Wir finden ja bei Albert auch eine theologische Antwort, die es möglich macht, den Sinn des Kreises viel tiefer zu verstehen. In seinem Kommentar zu 56
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De visione beatifica, I, 5 (6) (ed. Mojsisch, zitiert nach Flasch, Rückkehr [nt. 55], 136-137): „Non enim primo ab ipso procedit et postea alio respecta seu operatione in ipsum convertitur, sed eadem simplici inteüectione, quae est essentia eius. In quo etiam d i f f e r t talis emanatio et conversio ab emanatione et conversione aliarum rerum, quae secundum unum modum, srílicet quantum ad constitutionem suae substantiae, émanant a suo principio tamquam a causa effirìente, convertuntur autem in idem suum principium tamquam in finem per suas proprias operationes différentes a substantia sua. " Meister Eckhart, Predigt 52 (ed. G. Steer, in: Lectura Eckhardi, Stuttgart 1998, 178, 22-23): „In dem durchbrechenn [steht hier dem „Ausfließen" gegenüber] ... bin [ich\, da% ich was und da% ich blîben sol nû und iemermê"\ zitiert in Flasch, Rückkehr (nt. 55), 141. Zur Frage, wie sehr die neuplatonische Intellektlehre die „Mystik" Eckharts beeinflußt hat, cf. Flasch, Rückkehr (nt. 55), 142-143 (in Diskussion mit N. Largier).
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den Werken des hl. Dionysius nimmt Albert als Leitmotiv einen bekannten Satz aus dem Prolog zum Buch Prediger über den Kreislauf aller Dinge auf: „Zu dem Ort, wo die Flüsse entspringen, kehren sie zurück, um wieder zu entspringen {ad locum unde exeunt, flumina revertuntur ut iterum fluant I, 7)." Der Prediger will damit auf die vanitas, die Vergeblichkeit aller Dinge, weisen: es gibt „nichts Neues unter der Sonne", alles kommt einmal zu seinem Anfang zurück, auch die Sonne selbst: „Die Sonne geht auf, und die Sonne geht unter und eilt zurück an ihren Ort, wo sie wieder aufgeht {oritur sol et ocádit et ad locum suum reuertitur ibique renascens gyratper meridiem I, 5)." Albert versteht diesen Satz über den Kreislauf der Flüsse aber nicht im Sinne der vanitas rerum, wonach dasselbe immer wieder geschieht, sondern er findet hierin eine Beschreibung der immer reicheren Fruchtbarkeit der Gnade. „Alle Ströme fließen in das Meer", das heißt: in die Unendlichkeit der Gutheit und der Weisheit Gottes, und doch strömt das göttliche Meer nicht über {redundat). Wie es sich auch durch die emanatio nicht vermindert, so wird es durch den Rückfluß {recursus) auch nicht überfließen. Gottes Vollkommenheit kann ja nicht zunehmen oder abnehmen. Die Ströme kommen zum Meer zurück, „damit sie wieder strömen können {ut iterum fluant)". In der Tat, durch die Wirkung der Gnade scheint das Strombett mit einem viel stärkeren Fließen als zuvor in das Niedrige überzuströmen59. Alberts Schüler Thomas von Aquin stellt denselben Text aus dem Buch Prediger dem dritten Buch seines Sentenzenkommentars, das dem Heilsmysterium der Menschwerdung und seinen reichen Früchten für die ganze Menschheit gewidmet ist, im Prolog als Motto voran. Die Ströme, so sagt Thomas, sind die verschiedenen natürlichen Gaben, die Gott seinen Schöpfungen verleiht, wie Sein, Leben, Denken. Der locus, aus dem diese Ströme fließen, ist Gott selbst. Die vielen Ströme aus dem einen Gott sind in den verschiedenen Kreaturen unterschieden: Einige haben nur Sein, andere auch Leben oder Wahrnehmung, andere sogar Denken. Im Menschen dagegen kommen alle diese Ströme der Natur auf eine gewisse Weise zusammen {quodammodo congregantur). Der Mensch ist ja der Horizont {horizon) und das Bindeglied zwischen der geistlichen und der körperlichen Welt und hat somit an den Vollkommenheiten beider Bereiche teil60. Thomas ist in diesem Prolog — vermittels der dem „Periphyseon" entnommenen Scholien in der Pariser Dionysius-Uberlieferung — wahrscheinlich auch von Eriugena beeinflußt. Wie Eriugena schon bemerkte, ist im Menschen die ganze Schöpfung Inbegriffen, und durch den Menschen kommt alles zu Gott 59
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Albertus Magnus, Super Dionysium de caelesti hierarchia, prol. (ed. Colon., vol. 36,1, 2,12-19): „,Omnia flumina intrant in mare', ιdestin immensitatem divinai sapientiae et bonitatis,, et mare non redundat', quia sicut emanando non défiât, ita nec in recursu superabundat ..., — ,ut iterum fluant', quia sic per gratiarum actionem alveus fortiori quam prius fluxu redundare videtur in subdita. " Thomas von Aquin, In III Sent., prologus (ed. M. F. Moos, 2): „Ista flumina in aliis creaturis inveniuntur distincta; sed in homine quodammodo omnia congregantur. Homo enim est quasi horizon et conflnium spiritualis et corporalis naturae, ut, quasi medium inter utrasque, utrasque bonitates participet et corporales et spirituaks." Cf. J.-P. Torrell, Initiation à saint Thomas d'Aquin, Fribourg - Paris 1993, 2 2 3 228; G. Verbeke, Man as a , Fron tier' according to Thomas Aquinas, in: G. Verbeke/D. Verhelst (eds.), Aquinas and Problems of his Time, Leuven - Den Haag 1976, 195-223.
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zurück 61 . Aber viel mehr als Eriugena betont Thomas den theologischen Sinn dieser Rückkehr. Wenn die menschliche Natur mit Gott im Mysterium der Inkarnation vereinigt wird, werden auch alle Flüsse der natürlichen Güter in ihren Ursprung zurückkehren (reflexa redierunt). Aber dieser refluxus ist nicht das Ende. Die Ströme kommen zurück, „damit sie wiederum strömen können (ut iterum fluant)". Mit diesem Bild, so Thomas, deutet der Prediger Kohelet die Frucht der Inkarnation für die Menschen an. Derselbe Gott, der die natürlichen Güter in die Schöpfung einfließen ließ, ist, wenn alle diese Ströme durch die Annahme der menschlichen Natur gewissermaßen in ihn zurückgeströmt sind, nicht mehr Gott allein, sondern er ist Gott und Mensch geworden; und so gibt er den Menschen Ströme von Gnade im Überfluß 62 . Wie es bei Jesus Sirach heißt: „Benedirtio illius quasi fluvius inundabit — Seine Segnungen haben wie ein Fluß alles bewässert (Sir. 39, 27[22])." Es scheint also, daß für Thomas der Gott am Ende des reditus nicht ganz derselbe ist wie der Gott am Anfang des exitus: Er hat die menschliche Natur angenommen und darin die ganze Schöpfung zu sich gebracht. Darum ist in der Heilsgeschichte — im Gegenteil zur neuplatonischen Metaphysik - der Unterschied zwischen prìndpium und finis wesentlich. Als Ursprung des exitus rerum ist Gott der Schöpfer der ganzen Natur und all ihrer natürlichen Vollkommenheiten 63 . Aber als Ziel der Rückkehr ist Gott nicht mehr Prinzip der Natur, sondern Quelle aller Gnade und Heil für den Menschen, der versucht zurückzukehren. Für Thomas besteht ja zwischen Gnade und Rückkehr ein wesentliches Band wie auch andererseits zwischen Natur und Hervorgang. Alle Gnade ist dazu gegeben, daß der Mensch zu Gott zurückgeführt wird: „ Gratia ad hoc ordinatur ut homo reducatur in deum."M Darum ist auch der zweite Teil der „Summa Theologiae", der vom reditus handelt, schon ein Traktat über die Gnade. Die moderne Kontroverse über die Stellung des dritten Teils — über die Christologie — im Aufbau der Summa ist die Folge eines Mißverständnisses bezüglich Thomas' Begriff der Gnade 65 . Es gibt für Thomas keinen natürlichen reditus zu Gott. 61
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Cf. C. Steel, La création de l'univers dans l'homme selon Jean Scot Erigène, in: Ch. Wenin (ed.), L'homme et son univers au Moyen Âge, Louvain-la-Neuve 1986, 2 0 5 - 2 1 1 . Thomas von Aquin, In III Sent., prologus (2): „Ipse enim Deus qui naturalìa bona influxerat, reversis quodammodo omnibus per assumptionem humanae naturae in ipsum, non iam Deus tantummodo, sed Deus et homo, hominibus fluenta graúarum abundanter influxit. " Cf. In I Sent., d. 14, q. 2, a. 2 (ed. Mandonnet, 325): „In exitu creaturarum a primo prinrìpio attenditur quaedam àrculatio vel regiratio, eo quod omnia revertuntur sicut in finem in id a quo sicut principio prodierunt. Et ideo oportet ut per eadem quibus est exitus a principio, et reditus in finem attendatur. " Bei dieser drculatio gibt es doch einen großen Unterschied: Der exitus „attenditur secundum dona naturalia, in quibus subsistimus", der reditus geschieht „secundum dona gratiae". Cf. auch Bonaventura, In I Sent., d. 37, q. 1, a. 3 (ed. Quaracchi, vol. 1, 648): „Quidam est effectus, secundum quam comparatur res ad Deum per modum exeuntis; et hi omnes continentur sub modo naturae, extenso nomine. Quidam per modum redeuntis: et hic est effectus gratiae inchoatae vel consummatae" (Text zitiert von Schillebeeckx, cf. nt. 65). Summa Theologiae I —II, q. I l i , a. 1. Cf. E. Schillebeeckx, De sacramentóle heilseconomie, Antwerpen 1952, 1 - 1 8 . Zur Interpretation der Struktur der Summa, cf. Torrell, Initiation (nt. 60), 2 1 9 - 2 2 8 ; W Metz, Die Architektonik der Summa Theologiae des Thomas von Aquin. Zur Gesamtsicht des thomasischen Gedankens (Paradeigmata 18), Hamburg 1998.
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Paradox formuliert: Gemäß der Ordnung der Natur (secundum ordinem naturae) ist die Gnade notwendig für die Heimkehr des Menschen 66 . Denn die menschliche Natur ist geschaffen, um ein Endziel zu erreichen, das über sie hinausreicht. Nur wenn Gott den Menschen frei und aus Gnade zu seinem eigenen Leben zuläßt und gottförmig macht, kann dieser Gott sehen, wie er ist. Der natürliche Zyklus homo generai hominem wird hier durchbrochen: „homo generai hominem, ut deus fiat. "
Vili. Daß für Thomas die Gnade (heils)geschichtlich verstanden werden muß, ergibt sich auch aus dem Unterschied, den er zwischen der allgemeinen Liebe (dilectio communis') und der besonderen Liebe (dilectio specialis) Gottes macht. Als Schöpfer hat Gott allen Dingen gegenüber eine allgemeine Liebe, wodurch er sie auf ihr natürliches Gut hin ausrichtet: dies ist, was die Philosophen die göttliche πρόνοια nennen. Für die vernunftbegabten Wesen aber hat Gott eine ganz besondere personale Liebe, durch die er sie „jenseits der Bedingung der Natur zur Teilhabe am göttlichen Gut zieht (supra conditionem naturae trahit ad participationem divini boni)". Nur in diesem besonderen Sinn kann man von Gott eigentlich sagen, daß er liebt und einen Bund mit der Schöpfung eingeht. Er will nämlich für die Schöpfung das ewige Gut, das er selber ist 67 . Die Rückkehr des Menschen zu Gott ist also kein natürliches metaphysisches Geschehen wie die ewige Konversion des Intellekts, von der Dietrich von Freiberg spricht. Für Thomas muß die Rückkehr als ein Heimbringen verstanden werden, ein trahere, Gottes „Ziehen" des Menschen. In dieser Perspektive müssen wir die Sendung (missio) des Sohnes und des heiligen Geistes aus Gottes Ewigkeit in die Zeit (processio temporalis) verstehen (was streng von der ewigen processio der Personen der Trinität zu unterscheiden ist). In dieser Sendung tritt Gott in ein reales Verhältnis mit der Schöpfung, die er liebt und zu sich heimbringen will. Das ist nicht so, wenn wir Gott nur als Schöpfer betrachten: während die Geschöpfe ein reales Verhältnis zu ihrem Ursprung haben, ist das Verhältnis in Gott selbst nur secundum rationem68. Der Begriff der „Sendung" impliziert aber, wie Thomas zeigt, ein doppeltes reales Verhältnis: „zu demjenigen, von wem man gesandt wird, und zu demjenigen, zu wem man gesandt wird" 69 . In der Sendung des Sohnes und des Geistes tritt Gott also in die Zeit und die Geschichte ein: 66
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Cf. Super Boetium de Trinitate q. 6, a. 4 ad 5 (ed. Leon., vol. 50, 193—195): „quamuis homo naturaliter inclinetur in finem ultimum, non potest naturaliter illam consequi, set solum per gratiam. " Cf. Summa Theologiae I — II, q. 110, a. 1 : „Et secundum hanc dilectionem diätur alìquem diligere simpliäter: quia secundum hanc dilectionem vult Deus simpliáter creaturae bonum aeternum, quod est ipse. " Cf. Ibid., I, q. 6, a. 2 ad 1 : „Relatio qua aliquid de deo diätur relative ad creaturas, non est realiter in deo, sed in creatura; in deo vero secundum rationem." Cf. ferner I, q. 13, a. 7. Cf. Ibid., I, q. 43, a. 1 : „In ratione missionis duo importantur quorum unum est habitudo missi ad eum a quo mittitur, aliud est habitudo missi ad terminum ad quem mittitur. "
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„beginnt er in der Zeit zu existieren". Diese Sendung geschieht aus keinem anderen Grund, als um die vernunftbegabten Wesen zu Gott zurückzubringen 70 . Denn Gott kam in die Welt, damit wir selbst Zugang zu Gott haben können (venit in mundum ut per ipsum habeamus accessum ad Deum). Die Sendung ist also der besondere Modus, worin Gott die vernunftbegabten Wesen liebt: Er ist in ihnen nicht nur in allgemeiner Weise anwesend als Seinsgrund in allen Seienden, die an seiner Gutheit teilnehmen können, sondern in einer besonderen Weise, als von den Menschen (und Engeln) gekannt und geliebt 71 . Aus dieser Sendung folgen alle Gaben der Gnade, die es dem Menschen möglich machen müssen, zu Gott zu gelangen. Durch das Thema der missto und der revocatio kommt die ganze Heilsgeschichte (Israel, Jesu Leben und Tod sowie die Kirche, die diese Sendung weiterfuhrt) in das metaphysische exit us-ra/«"«j- S c h e m a des Neuplatonismus hinein und gibt diesem eine neue Bedeutung. Wie wir gesehen haben, gründet Thomas seine theologische Synthese auf den neuplatonischen circulatio-Gedanken: „ Oportet ut per eadem quibus est exitus a principio et reditus infinem attendatur."12 Derselbe Gott ist Ursprung und Ziel und seine ewige trinitarische Bewegung ist sowohl die ratio productionis der Schöpfung als auch ihre ratio redeundi in finem. Doch als Theologe macht Thomas einen Unterschied, der dem Neuplatonismus fremd ist. Während der Hervorgang aller Dinge aus dem Prinzip geschieht modo naturae, kann sich die Rückkehr nur gratia gratam faciente et gloria vollziehen. Die Rückkehr ist kein natürlicher Prozeß, sondern geschieht durch Gnade und das freie Handeln des Menschen, der sein Ziel zu erreichen versucht. Diese Bemerkungen über Gnade haben nicht nur einen theologischen Sinn: sie zeigen den absoluten Wert des Individuums in seiner Freiheit und Auserwählung und den ewigen Ernst der kontingenten Geschichte 73 . Das Individuum kommt mit seiner persönlichen Lebensgeschichte 70
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Cf. In I Sent., d. 15, q. 2 ad 3: „Missio fit ad revocandum rationalem creaturam in Deum." Hierzu bereits Albertus Magnus, In I Sent., d. 14, a. 3 ad 3 (ed. Borgnet, vol. 25, 339): „Uterque [Filius et Spiritus sanctus] mittitur ad rationalis creaturae reductionem et sanrtiftcationem" Cf. Thomas von Aquin, Summa Theologiae I, q. 43, a. 3: „Est enim unus communis modus quo deus est in omnibus rebus per essentiam, potentiam et praesentiam, sicut causa in effectibus partiäpantibus bonitatem ipsius. Super istum modum autem communem, est unus speàalis, qui convenit creaturae rationali, in qua Deus diätur esse sicut cognitum in cognoscente et amatum in amante. " Cf. den in nt. 60 zitierten Text. In „Nature and Creatore" (cf. supra nt. 15) schreibt Aertsen: „The whole of God's work of grace is interpreted by Thomas in terms of the motif of circulation, since the principle and the end of the universe are identical" (373). Dazu möchte ich bemerken, daß die ärculatio nicht als ganzes als „a work of grace" zu verstehen ist, weil die Schöpfung der Natur kein Gnadenprozeß ist. Nur in der Rückkehr - und nur für die vernunftbegabten Wesen - spielt die Gnade eine wesentliche Rolle. Darum ist das Ziel der Rückkehr nicht schlechthin identisch mit dem Prinzip der Schöpfung. Cf. R. te Velde, ,Deelgenoot van de goddeüjke natour'. Genade en participatie bij Thomas van Aquino, in: Tijdschrift voor Filosofie 55 (1993), 607-633. Auch Eriugena, der zu zeigen versucht, daß man den reditus aller Dinge als einen natürlichen Prozeß verstehen muß, bei dem alles zu seinem Ursprung zurückkehrt, gesteht der Gnade eine wesentliche Rolle in diesem Prozeß zu. Er unterscheidet nämlich zwischen einem allgemeinen reditus - per naturam — und einem individualisierten reditus specialis für die vernünftigen Wesen, der deificatio — per gratiam — für die Glückseligen. Am Ende der Zeit werden alle Menschen,
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und der besonderen Weise seines moralischen Handelns (wovon der zweite Teil der Summa handelt) in Gottes Ewigkeit, jenseits des Kreislaufs vom Gleichen zum Gleichen, der die naturalia kennzeichnet 74 .
IX. Viele Tage konnte ich keinen geeigneten Schluß für diesen Vortrag finden. Am Abend vor der Tagung ging ich ganz verzweifelt ins Wohnzimmer und sah mit meiner Frau im Fernsehen noch einen Film, der gerade lief: „The Perfect Circle" 75 . Die Szenen auf dem Bildschirm waren alles andere als vollkommen: die Belagerung Sarajevos, Bombardierungen, verlorene Kinder ohne Eltern, Suche und Streit um Essen, Tote und Verletzte, Feuer und Schnee. Eines der Kinder, das gar nichts von all den Kanonen hörte, machte, wo immer es konnte, Zeichnungen. Es zeichnete stets langsam vollkommene Kreise: „the perfect circle". Dann dachte ich an meinen Abendvortrag über die circulatio. Wir kommen in diese Welt und ihre Geschichte und gehen wieder aus ihr heraus. Was hat das alles für einen Sinn, diese unendliche Geschichte von Kriegen und Wiederaufbau, Essen suchen und wieder Verhungern. Liegt nicht unser eigentliches Wesen außerhalb der Zeit — nicht wie hier in einem Hin- und Herlaufen, links und rechts, gerade und krumm, sondern in dem Kreis, wo Ende und Anfang auf ewig zusammenkommen: „the perfect circle". Schon jetzt können wir zu dieser Ewigkeit aufsteigen, wenn wir in uns Gottes Bild, unseren ewigen Intellekt, wiederfinden. Das christliche Denken ist immer von diesem neuplatonischen Denkmodell fasziniert gewesen. Für die Christen kann ja die Geschichte ihren Sinn nicht innerhalb der Geschichte erreichen. Das Ende der Geschichte und der Sinn alles Geschehens ist ein Ziel außerhalb der Zeit, so wie eigentlich auch die Schöpfung sowohl die Guten wie die Schlechten, die Gläubigen wie die Ungläubigen, auferstehen in der ursprünglichen Würde der menschlichen Natur, wie auch alle anderen Dinge zu ihrem ewigen Wesen zurückkehren werden. Die Guten aber werden zur Gottesschau gerufen, die Schlechten hingegen werden von Gott entfernt bleiben und von ihren schlechten Vorstellungen gequält. Die Glückseligen erlangen niemals eine vollkommene Gottesschau - so etwas ist einer endlichen Natur unmöglich - , aber sie erlangen entsprechend ihrem frei gewollten Leben und Gottes gnadenvoller Erwählung verschiedene Stufen der „Theophanie". Für Eriugena ist also der reditus nicht nur eine restauraüo pnstinae naturae, er ist auch ein Einführen des Menschen in Gottes Ewigkeit, wo er zuvor nicht war. Die ethische Qualität eines individuellen, kontingenten Lebens bekommt so einen absoluten Wert. In diesem Sinne führt auch die Geschichte in die Ewigkeit hinein. Hier sehen wir ebenfalls, daß der Zirkel der Natur durchbrochen wird. Zur Rolle der Gnade bei der Auferstehung cf. Periphyseon V, 898D sqq., 980CD, 983B („una omnibus communis natura, diversa autem gratia"). 74
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Im Gegensatz zu Flaschs Auffassung in seiner Interpretation von Dietrich von Freiberg (cf. nt. 55) ist die Spannung zwischen Prinzip und Ziel kein Zeichen der „Dingmäßigkeit", sondern eine Charakteristik der vernunftbegabten Wesen. Bosnisch-Französischer Film von Ademir Kenovic, 1997.
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ein unzeitlicher Akt ist. Hier liegt der Ansatz, um die Eschatologie neuplatonisch als eine Transposition des Zeitlichen in das Ewige zu denken. Diese Deutung der Eschatologie befreit uns von vielen Formen apokalyptischer Mythologie und von revolutionären Modellen, in denen das Heil in der Geschichte gesucht wird. Zugleich aber droht hier das Risiko einer Entwertung der Geschichte und allen Handelns in der Zeit. Was ist denn der Sinn des ganzen Kreises? Wie aber gezeigt wurde, haben die christlichen Denker des Mittelalters eine wesentliche Modifikation in das neuplatonische Modell der àrculatio gebracht, weil sie es historisiert haben und ihm einen Sinn gegeben haben, der den Zirkel als Hervorgang des Selben zum Selben durchbricht, wobei die persönliche Existenz des Menschen in seinem ethischen Handeln in Gottes Ewigkeit kommt und so einen absoluten Wert hat (im Guten oder im Bösen). Wir sind ausgegangen von zwei Typen von Reisenden: Odysseus und Abraham. Zum einen der unendliche Kreis der Wiederkehr, zum anderen die unendliche Reise in das Unbekannte. In dem Gesandten steht uns ein Bild einer anderen Reise zur Verfügung. Dieser geht aus seinem Vaterland in das Unbekannte zur Rettung des Anderen. Er sucht, was verloren ist, und versucht es „heim" zu bringen. Er geht ins Unbekannte, wie Abraham, aber hat doch ein „Vaterland", in das er zurückkehren soll. Diese Heimfährung ist keine narzißtische Odyssee des Selben zum Selben, so wie es Lévinas der Philosophie vorwirft, sie ist ein reales Verhältnis zum Anderen in der Zeit.
Präsentische Eschatologie als Utopie in Marguerite Poretes „Spiegel der einfachen Seelen" IRENE L E I C H T
(Karlsruhe)
„So geht's zu unter der Sonne. Ich habe mal von einem Weibe namens Margarete gehört, das in fernen Zeiten lebte; die Frau, sie glaubte, ihre Seele sei völlig von Gott aufgesogen. Sie konnte also nicht mehr sündigen, weil Gott selber ihre Taten lenkte. Wie man berichtet, war sie eine hochachtbare Person, obschon man sie in Paris wegen anstößiger Häresie verbrannt hat. Es gab noch andere. Sie alle behaupteten, so in Gott aufgegangen zu sein, dass jede ihrer Gesten, jeder Schritt, jedes Wort ein Ausfluss göttlichen Willens sei. Wenn sie tränken, trinke Gott durch ihre Lippen. Wenn sie vergewaltigten, lenke Gott durch Tollheit ihr Geschlecht. Wenn sie töteten, erhebe Gott ihre Schwerter zum Stoß. Nun, sag selbst, kannst du dir eine süßere Entäußerung deines Ichs vorstellen? Der Mensch gibt in allem seinen Launen nach und bleibt doch rein wie ein Kind, denn man ist ja nur ein Werkzeug Gottes." 1 Diese kritischen Worte richtet der Graf Farias de Saxe an Jean, den Protagonisten des Romans „Eine Messe für die Stadt Arras" von Andrzej Szczypiorski, 1971 erstmals in Warschau erschienen. Farias erinnert in diesem Redeeinschub an Marguerite Porete, die aufgrund ihres Werkes „Der Spiegel der einfachen Seelen" am 1. Juni 1310 in Paris auf dem Scheiterhaufen hingerichtet wurde 2 . Im selben Atemzug nennt er auch andere Leute, die deutlich als die so genannten Brüder und Schwestern des freien Geistes identifizierbar sind, mit denen Marguerite oft in Verbindung ge-
1 2
A. Szczypiorski, Eine Messe für die Stadt Arras, Zürich 1991, 105. Kritische Ausgabe: P. Verdeyen (ed.), Marguerite Porete, Le Mirouer des simples ames, édité par R. Guarnieri/Margaretae Porete Speculum simplicium animarum, cura et studio P. Verdeyen (Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis LXIX), Turnhout 1986. Teilweise ist der ältere lateinische Text zuverlässiger als das um 1500 entstandene französische Manuskript. Ich benutze im Folgenden die deutsche Ubersetzung, ohne Abweichungen eigens kenntlich zu machen: L. Gnädinger (ed.), Margareta Porete, Der Spiegel der einfachen Seelen. Aus dem Altfranzösischen übertragen und mit einem Nachwort und Anmerkungen, Zürich - München 1987 (zitiert als „Spiegel", mit Kapitelnummer und Seitenzahl). Ergänzende Zitate aus der kritischen Ausgabe werden mit „Mirouer", Seiten- und Zeilenzahl angegeben. Als Einführung und für weitere Literatur cf. I. Leicht, Marguerite Porete — eine fromme Intellektuelle und die Inquisition (Freiburger Theologische Studien 163), Freiburg 1999 und darüber hinaus B. McGinn, Die Mystik im Abendland III: Blüte. Männer und Frauen der neuen Mystik ( 1 2 0 0 - 1 3 5 0 ) , Freiburg etc., 1999, 4 3 1 - 4 6 5 .
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bracht wurde und wird 3 . Anhand dieser Beispiele veranschaulicht Farias die höchst problematische libertinistische und auch quietistische Einstellung, die Jean davon abzuhalten droht, mit allen Mitteln ein weiteres Fortschreiten des Massenwahns zu verhindern, von dem Arras im 15. Jahrhundert heimgesucht wurde und der sich in grausamen Hinrichtungen von Ketzern, Hexen und Juden Ausdruck verschaffte. Diese Geschichte gibt Anlass zu grundsätzlichen Fragen. Ist Gott ein „Gott mit einem Wolfsrachen und mit messerscharfen Reißzähnen", dem die Einwohner von Arras auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind, dem sie damit aber auch all ihre Sünden aufbürden, wie es Farias de Saxe Jean unterstellt4? Gegenüber Jeans fatalistischer Einstellung „Gott ist es, der unsere Taten lenkt" appelliert Farias verzweifelt an die eigene Verantwortung: „Er hat uns Verstand, einen Willen und Gottesfurcht gegeben." 5 Wie verhalten sich göttliches Wirken und menschliches Tun zueinander? Kann und soll der Mensch durch sein Handeln zu seiner eigenen und der Welt Vollendung beitragen, oder ist es das Beste, wenn er bereits im Hier und Jetzt alles Kreatürliche ablegt, sich gleichsam auflöst, damit Gott alles in allem sei? Schließen sich beide Einstellungen unweigerlich gegenseitig aus? Marguerite Porete wird durch Szczypiorski eindeutig der Fraktion derer zugerechnet, die für die Auflösung des Ichs plädieren. In ihrem „Spiegel", einem Dialog zwischen Liebe, Vernunft, Seele und anderen Personifikationen, behauptet die Liebe von einer freien Seele: „Sie nämlich verweilt und wird in dieses Mehr des überewigen Friedens verwandelt, ohne dass man sie noch aufzufinden vermöchte." 6 Ausgehend von diesem Zitat will ich mich dem eschatologischen Denken der Marguerite Porete annähern. Die Seele, von der Marguerites Buch handelt, ist eine freie, von Liebe erfüllte Seele. Was als endzeitliches Glück erhofft wird, erfährt sie schon in ihrem gegenwärtigen Leben. Diese grundlegende Perspektive präsentischer Eschatologie soll im ersten Kapitel aufgezeigt werden. Dem Verweilen im göttlichen Frieden ging ein langer Weg voraus. Seine Stationen bzw. der Prozess der Verwandlung werden Inhalt des zweiten Kapitels sein. Dass Marguerite auch Ansätze geschichtlichen Denkens aufweist und einen eschatologischen Vorbehalt formuliert, ist Thema des dritten Kapitels. Die Lehre von der völligen Auflösung der freien Seele bis zur Unauffindbarkeit hat meines Erachtens damit zu tun, dass die historische Person Marguerite Porete keinen Ort in Kirche und Gesellschaft gefunden hat. Deshalb wird die Utopie für sie zum Ermöglichungsgrund eines freien Lebens. Das hat nichts mit Verantwortungslosigkeit zu tun, wie es der obige literarische Textauszug nahe legt. 3
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Es gibt jedoch keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Marguerite und den Gruppen der Freigeister; cf. Leicht, Marguerite Porete (nt. 2), 401 - 4 2 3 . Cf. Szczypiorski, Messe (nt. 1), 106 sq. Ibid., 105. Spiegel, 52, 87. Die Hauptrednerinnen heißen im altfranzösischen Text „L'Ame", „Amour" bzw. „La Dame Amour" und „Raison". Mit letzterer ist der Verstand gemeint, der sich diskursiver und schlussfolgernder Verfahren bedient.
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Eher ließ die Zeit um 1300 der intellektuellen Begine keine andere Wahl als die radikale Infragestellung alles Bestehenden, um von hier aus, gleichsam „jenseits des Seins", eine Möglichkeit zu finden, frei zu leben. Diese These will ich im vierten Kapitel ausführen.
I. Die G e g e n w ä r t i g k e i t des F r i e d e n s als g r u n d l e g e n d e P e r s p e k t i v e Wer in den „Spiegel" schaut, begegnet darin einer einfachen, freien, nackten, zu nichts gewordenen, selbstvergessenen Seele. Sie wird von der reinen Liebe bewohnt und als solche in Marguerites Buch beispielhaft vorgestellt7. Der Blick in diesen „Spiegel" veranlasst die Betrachtenden, das eigene Aussehen zu überprüfen bzw. sich zu verschönern. Er lädt dazu ein, sich selbst immer mehr der freien Beispielseele anzugleichen. Bei Marguerites Buch handelt es sich jedoch nicht nur um einen exemplarischen „Spiegel". Er ist zugleich ein faktisches speculum, das eben spekulativ die Beziehung zwischen Gott und der Seele darzustellen versucht. Neben diesen zwei Typen der mittelalterlichen Spiegelliteratur gibt es noch die zwei weiteren der prognostischen und phantastischen „Spiegel", die zeigen, was sein wird bzw. was in der dichterischen Phantasie existiert8. Letztlich beinhaltet Marguerites Buch auch diese beiden Dimensionen, denn es stellt sich die Frage, ob es die Seele, die der „Spiegel" vorstellt, realistischerweise überhaupt geben kann, ob sie nicht nur als zukünftige denkbar oder gleichsam ein Phantasieprodukt ist. Marguerites Mystik ist derjenigen des Meister Eckhart in mehrfacher Hinsicht vergleichbar9. Sie ist sub speäe aeternitatis formuliert. In Jesus Christus als dem exemplar schlechthin wurden alle Menschen miterschaffen. In seinem Leiden und Sterben wurde der durch Sünde und Tod zum Ausdruck kommende unüberbrückbare Abstand zwischen Gott und Mensch ein für allemal aufgehoben. Mit 7
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Cf. bereits den Anfang, Spiegel, 1, 17: „Ihr alle zusammen [...], höret nun von allerlei Wunderwirkungen der reinen Liebe, der edlen Liebe, der hohen Liebe einer frei gewordenen Seele, und wie der heilige Geist auf sie sein Segel aufgesetzt hat, ganz so wie auf sein Schiff!" Zu den anderen Adjektiven der freien Seele cf. Leicht, Marguerite Porete (nt. 2), 237. Cf. H. Grabes, Speculum, Mirror und Looking-Glass. Kontinuität und Originalität der Spiegelmetapher in den Buchtiteln des Mittelalters und der englischen Literatur des 13. bis U.Jahrhunderts, Tübingen 1973, 3 8 - 6 4 . Hierzu gibt es inzwischen einige Literatur; cf. die Angaben bei Leicht, Marguerite Porete (nt. 2), 3 0 - 3 4 . Eckhart hat den „Spiegel" entweder bei seinem Paris-Aufenthalt 1302/03 durch die Vermittlung des Gottfried von Fontaines, der ein positives Gutachten zum „Spiegel" verfasst hat, oder bei seinem Aufenthalt 1 3 1 1 - 1 3 1 3 durch dominikanische Mitbrüder erhalten. Mit großer Sicherheit hat er den „Spiegel" benutzt; cf. McGinn, Mystik (nt. 2), 436. Zur Frage der nur schwer zu eruierenden Quellen des „Spiegel" cf. ibid. 432, nt. 240 und Leicht, Marguerite Porete (nt. 2), 1 6 8 - 1 7 0 . Der hier zugrunde liegende Mystikbegriff orientiert sich an den verschiedenen Untersuchungen in: A. M. Haas, Mystik als Aussage. Erfahrungs-, Denk- und Redeformen christlicher Mystik, Frankfurt a. M. 1996.
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seinem Geist begabt, besteht für jeden Menschen die Möglichkeit, im eigenen Leben die durch ihn erwirkte Versöhnung nachzuvollziehen und damit zu ratifizieren, was in der Perspektive Gottes bereits geschehen ist 10 . Gott „kennt keine Zeit" heißt es im „Spiegel" lapidar11. Das Ziel, das die freie Seele des „Spiegel" bereits erreicht zu haben vorgibt, ist die Rückkehr in den Zustand, wo sie war, bevor sie war 12 . Ganz offensichtlich liegt hier das neuplatonische Modell des Ausgangs aus und der Rückkehr zu Gott zugrunde13. An ihrem Aufenthaltsort erlebt die freie Seele Frieden und Freude 14 . In gewisser Weise ist die Voraus10
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Eine einschlägige Stelle zur Christologie findet sich zu Beginn: Spiegel, 5, 21 sq., dann vor allem Kap. 94 sqq.; cf. zu diesem Thema weiter Leicht, Marguerite Porete (nt. 2), 186-197 und McGinn, Mystik (nt. 2), 457-459. Zahlreiche Stellen im „Spiegel" sprechen von der Präexistenz der Seele (cf. 35, 68; 43, 77 etc.). In 50, 85 heißt es zum Beispiel, die Seele habe „die Prägung durch das wahre Urbild erhalten" (Mirouer, 148, 6: vray exemplairs). Spiegel, 69, 107 (Mirouer 194, 18 sq.: qui n'a point de temps). Cf. e. g. 135, 208: „Sie selbst [die Seele] ist ohne Sein, da wo sie war, bevor sie war. Und darum hat sie das, was sie hat, von Gott. Und durch die Umwandlung ist sie das, was Gott ist, in jenem Punkt, in dem sie war, bevor sie war, bevor sie aus der Güte Gottes ausgeflossen ist"; auch 95, 143; 107, 156 etc. Die Seele erreicht das dadurch, dass sie Gott ihren eigenen freien Willen ganz zurückgibt. An diesem Punkt existiert dann nur noch Gott. Cf. ibid. 91, 139: „Aus sich selbst wird er [Gott] in der selben Güte ihr [der Seele] gegenüber sein, wie er war, bevor sie war, als er ihr seine Güte erwies und sie zu einer Herrin machte. Das geschah durch den freien Willen, den er von ihr ohne die Zustimmung der Seele nicht wieder zurückbekommen kann. Jetzt hat er ihn wieder ohne irgend ein Warum im selben Punkt, in dem er ihn hatte, bevor sie Herrin war." Cf. e. g. W Beierwaltes, Dionysius Areopagites - ein christlicher Proklos?, in: id., Piatonismus im Christentum (Philosophische Abhandlungen 73), Frankfurt a. M. 1998, 4 4 - 8 4 , hier 65 sqq. Das Kreislaufmodell, das Marguerites Lehre zugrunde liegt, zeigt sich beispielsweise hier (Spiegel, 95, 143): „[...] das letzte Stück ihres Weges. Das letzte stimmt mit dem ersten überein, da das mittlere nicht davon wegführt. Da sie [die Seele] nun ihren Lauf vollendet hat, ist es richtig, dass sie sich nun ausruht." Augustinus bietet sich hier als Vergleich an. Cf. Ch. Müller, Der ewige Sabbat. Die eschatologische Ruhe als Zielpunkt der Heimkehr zu Gott, in: N. Fischer/ C. Mayer (eds.), Die Confessiones des Augustinus von Hippo. Einführung und Interpretationen zu den dreizehn Büchern, Freiburg etc. 1998, 603-652. Das plotinische Schema der conversio und formatto ergänzt Augustinus um die creatio, „wodurch der Akt des formenden Rückbezugs der geistigen Schöpfung zu Gott nicht als automatisch-ontologische Emanation, sondern als personaler gnadenhafter Akt Gottes verstanden und von der Freiheitsgeschichte der Geistwesen her interpretiert wird" (ibid. 618). Cf. auch Spiegel, 110, 161: „Dies ist die Vollendung ihrer Pilgerschaft (Mirouer, 300, 30: l'acomplissement de son pehrinagé) und das wieder zu nichts Werden in der Rückkehr durch die Rückgabe ihres Wollens"; cf. auch 111, 162; 118, 173 etc. Ibid., 28, 58: „Eine solche Seele [...] schwimmt im Meer der Freude, das ist in dem aus der Gottheit ausfließenden und ausströmenden Meer der Wonnen. Doch empfindet sie dabei nicht irgendwelche Freude, denn sie selbst ist Freude." Bedenkt man, dass die Freude als Erfüllung der theologischen Tugend der Hoffnung gilt, die bei Marguerite kaum eine Roñe spielt, ist das ein eindrückliches Beispiel für die präsentische Eschatologie des „Spiegel". Die Stellen, die Ruhe und Frieden der freien Seele ausdrücken, sind Legion. Cf. Formulierungen wie „Entkommen bin ich aus eurer (der Tugend) Gewalt, in Frieden verbleibe ich nun" (6, 23); „Ihr [der Seele] Denken ist an einen friedvollen Ort versetzt, nämlich in die Dreieinigkeit" (16, 44); „Das bedeutet, dass, was immer ihr [der Seele] zustoßen mag, sie nichts unternehme, das dem vollkommenen Frieden ihres Geistes entgegenstünde" (29, 58 sq.); „Diese Seele liebt in der lieblichen Gegend des Uber-Friedens (Mirouer, 152, 14: oultre-paix)" (52, 87); auch 24, 54 sq.; 72, 110 etc.
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Setzung dafür, d o r t h i n zu gelangen, — w i e d e r u m neuplatonisch geprägt — die Ü b e r w i n d u n g der „ G r o b s t o f f l i c h k e i t des L e i b e s " 1 5 . In d e m Zustand der Vollendung, in d e m die freie Seele sich befindet, spielen freilich die vorletzten bzw. g e s c h a f f e n e n D i n g e keine Rolle m e h r 1 6 . A b e r auch das, was m a n h e r k ö m m licherweise der Eschatologie als der Lehre v o n den letzten D i n g e n zuweist, interessiert die Seele n i c h t 1 7 . V i e l m e h r w e r d e n im „Spiegel" Zeit und Ewigkeit transzendiert. D i e freie Seele ruht, wie o b e n zitiert, „im M e h r des überewigen Friedens". Solche u n d andere übersteigerte F o r m u l i e r u n g e n scheinen p s e u d o dionysischer H e r k u n f t zu sein 1 8 . G o t t ist v o l l k o m m e n e s Sein, reine Liebe, m e h r als alles, unbegreiflich, nichts. D i e Seele ist b o d e n l o s abgründig, in einem kreatürlichen u n d ethischen Sinn nichts und weniger als nichts, die S u m m e aller Schlechtigkeit 1 9 . D i e U b e r w i n d u n g des radikalen Gegensatzes zwischen beiden 15
Auch hierzu gibt es zahlreiche Belege. Cf. e. g. ibid., 32, 64: „Der Leib ist zu grobstofflich (Mirouer, 108, 42: k corps est trop gros), um von den Angelegenheiten des Geistes sprechen zu können." Die freie, zu nichts gewordene Seele hat sich soweit aufgelöst, dass sie sogar eine visio beatifica für sich beansprucht, die keinem Leib je zuteil wurde (cf. ibid., 33, 65). „Eine solche Kreatur [...] ist mit dem göttlichen Leben besser bekleidet [...], als sie es mit ihrem eigenen Geist ist, der bei der Erschaffung in ihren Leib gegeben wurde. Und so ist der Leib mit dem ihm zugehörigen Geist besser bekleidet, als der Geist mit dem ihm zugehörigen Leib. Denn die Grobstofflichkeit des Leibes ist nun ausgezogen, und er ist verfeinert durch göttliches Einwirken. So fühlt sich eine solche Seele wohler in der milden Gegend des Nichtbekannten, da wo sie Hebt, als sie in ihrem eigenen Leib sich fühlt, dem sie doch Lebendigkeit verleiht. Eine solche Wirkung hat die Freiheit der Liebe" (65,104). Das erinnert an Plotin: „Nicht das Geistige ist ,im' Körperlichen, sondern das Körperliche ,im' Geistigen [...]. Das geistige Sein muss absolut gesetzt und das körperliche dazu in Relation gesehen werden" (cf. Ch. Tornau, Plotin. Enneaden VI 4 - 5 [22 — 23]. Ein Kommentar [Beiträge zur Altertumskunde 113], Stuttgart— Leipzig 1998, 501).
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In Spiegel, 75, 115 erklärt die Seele, „dass niemand die göttlichen Dinge schauen kann, so lange er sich in zeitliche Angelegenheiten einmischt und sich um sie bekümmert, das heißt um eine geringere Sache als Gott". Cf. auch E. Gössmann, Die Geschichte und Lehre der Mystikerin Marguerite Porete (gest. 1310), in: H. Häring/K.-J. Kuschel (eds.), Gegenentwürfe. 24 Lebensläufe für eine andere Theologie, München — Zürich 1988, 6 9 - 7 9 , hier 77sqq: „Das Befreitsein vom Vor-Letzten". Cf. e. g. Spiegel, 9, 26: „Wer diese frei gewordenen, in Sicherheit gebrachten und friedvollen Seelen fragte, ob sie im Reinigungsfeuer sich aufhalten wollten, antworteten sie mit Nein; ob sie in diesem Leben ihres Heils gewiss sein wollten, antworteten sie mit Nein; ob sie im Paradies sein wollten, antworteten sie mit Nein"; 13, 38: eine freie Seele macht „sich nichts aus Schmach oder Ehre, aus Armut oder aus Reichtum, aus Wohlbehagen oder aus Missbehagen, aus Liebe oder aus Hass, aus der Hölle oder aus dem Paradies" etc. Ich kann an dieser Stelle den Beweis nicht im Einzelnen erbringen. Die generelle Nähe des „Spiegel" zum Neuplatonismus müsste unbedingt genauer untersucht werden. Cf. zum Beispiel die Aufsätze zu Dionysius von Beierwaltes in: id., Piatonismus (nt. 13). Superlativische Formulierungen, zahlreiche Wortzusammensetzungen mit „Uber", Ansätze einer apophaüschen Theologie (cf. e. g. Spiegel, 94, 142: „Die Sprache eines solchen Lebens aus dem göttlichen Leben ist im Schweigen der göttlichen Liebe einbeschlossen."), Äußerungen über die Hierarchien der Engel (ibid. e. g. 106, 154 sq.) wären mögliche Vergleichspunkte. Cf. vor allem auch den esoterischen Charakter und die Formulierungen des Nichtwissens, Nichterkennens etc. in der mystischen Theologie des Pseudo-Dionysius und entsprechende Stellen im „Spiegel". Cf. zur Gotteslehre und zur Anthropologie mit zahlreichen Belegen und mit Verweisen vor allem auf Meister Eckhart Leicht, Marguerite Porete (nt. 2), 200-295.
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geschieht allein durch die reine Liebe oder G ü t e des „Fernnahen" {Loingprés), durch den dreifaltigen G o t t , in dem die Gegensätze zusammenfallen. Sein W i r ken bedingt, dass die G e g e n w a r t des Friedens grundlegende Perspektive im „Spiegel" sein kann 2 0 .
II. D e r W e g ins L a n d d e r F r e i h e i t D i e Beispielseele des „Spiegel" befindet sich im Land der Freiheit, das der neuplatonischen und augustinischen patria entspricht 2 1 . Sie musste einen langen Weg zurücklegen, u m dorthin zu gelangen. Dieser besteht zum einen aus sieben Stufen bzw. Seinsweisen und zum anderen aus drei mystischen Toden, aus denen jeweils eine neue Lebensweise h e r v o r g e h t 2 2 . Die Seele muss zunächst der Sünde, dann der Natur und schließlich dem Geist absterben, um ein göttliches Leben führen zu k ö n n e n 2 3 . Im G r u n d e g e n o m m e n dürfte sie nur noch nach dem ersten Tod, im Leben der Gnade, Seele heißen, nach dem Tod der Natur müsste sie Geist und nach dem Tod des Geistes müsste sie „Reine, Himmlische, Braut des Friedens" genannt w e r d e n 2 4 . Das erinnert unter anderem an die plotinischen Hypostasen, die dem unerreichbaren „Einen" untergeordnet sind: Geist und Seele 2 5 . D i e Seele des „Spiegel", die alle drei Tode gestorben ist, lebt in der Henosis. Sie ist durch die Gerechtigkeit der Liebe selbst zur Liebe g e w o r d e n 2 6 . 20 21
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Da2u im Besonderen ibid., 263 sqq. und McGinn, Mystik (nt. 2), 446-453. Cf. den Beginn des Anhangs des „Spiegel" (Kapitel 123-139): „Ich will einige Betrachtungen mitteilen für die Verirrten, die nach dem Weg ins Land der Freiheit fragen" (123, 186). Das Land, in dem die freie Seele sich aufhält, wird folgendermaßen beschrieben: „dass jener, welcher da ist, wo diese Seele ist, aus Ihm, in Ihm und durch Ihn ist, ohne von jemandem etwas zu nehmen" (67, 105). 80, 123: „Die Seele hat durch göttliches Licht das Wesen des Landes, wo sie hingehören soll, erspäht, und das Meer durchfahren"; auch 86, 132 etc. Zur patria im Neuplatonismus und bei Augustinus cf. zum Beispiel W. Beierwaltes, Deus est esse - esse est Deus. Die onto-theologische Grundfrage als aristotelisch-neuplatonische Denkstruktur, in: id., Piatonismus und Idealismus (Philosophische Abhandlungen 40), Frankfurt a. M. 1972, 5 — 82, hier 36: „Das unwandelbare Sein ist das Ziel des Denk- und Lebensweges; es ist patria. Zwischen uns und ihm, dem Vaterland (Heimat), liegt das ,Meer dieser Welt' " und ibid., nt. 45: „patria ist auch Metapher für Gott als ontologischen Zielgrund alles Seienden, der Ort, in den alles strebt, der die ,Ruhe' selbst ist." Cf. zum Sieben-Stufen-Schema im „Spiegel" Leicht, Marguerite Porete (nt. 2), 173-179 und zur mors-mystica-\jtbxt ibid., 186 — 197. Cf. Spiegel, 54, 89-64, 103. Diese Kapitel bilden im Übrigen das formale und das inhaltliche Zentrum des „Spiegel". Cf. ibid., 72, 111 sq. und 74, 114. Cf. zu Plotin U. R. Pérez Paoli, Der plotinische Begriff von „Hypostasis" und die augustinische Bestimmung Gottes als Subiectum (Cassiacum LXI), Würzburg 1990, 1 - 2 8 und Plotin, Uber Ewigkeit und Zeit (Enneade III, 7), übers., eing. und komm. v. W. Beierwaltes, Frankfurt a. M. 1967, 1 1 - 3 4 und 50-61. „Nun ist diese Seele im Zustand des ursprünglichen Seins, das ihr Sein ist. Und somit hat sie die Drei gelassen und aus zweien eins gemacht. [...] Diese Eins ergibt sich, wenn die Seele in jene einfache Gottheit zurückgekehrt ist, die ein einziges im Genießen verströmtes Sein ist, ohne Empfindung in vollständigem Wissen über allem Denken" (138, 210). Für diese Henosis
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Neben diesem neuplatonischen Einschlag ist aber auch das ausdrücklich augustinische Erbe unverkennbar. Bei Augustinus und Marguerite handelt es sich im Prinzip um eine Willensmystik, um die Vereinigung des göttlichen und des menschlichen Willens bzw. genauer um die Aufgabe des Eigenwillens und die Durchsetzung des göttlichen Willens 27 . Daneben fallt die herausragende Bedeutung auf, die der Haltung der Demut zugeschrieben wird. Sie forderte Augustinus als Gegenmittel gegen die superbia der Platonici, und sie ist auch die „Tochter der göttlichen Majestät", die Marguerite allen anderen Haltungen vorzieht 28 . Im Übrigen geht es in Ubereinstimmung mit Meister Eckhart im „Spiegel" nicht nur um eine Aufgabe des Eigenwillens. Auch das Vermögen des Geistes, die Erkenntnis, die noch höher eingeschätzt wird als der Wille, kann das göttliche Eine nicht erfassen. Nur der Prozess des radikalen zu nichts Werdens, des Nichthabens, Nichtwollens und Nichtwissens, führt zur Einheit mit dem Göttlichen und damit in das Land der Freiheit von allem Kreatürlichen. Das „Etwas" in der Seele, das im Vorgang des Lassens freigelegt wird, ist Garant der Möglichkeit einer unio mystica, die im „Spiegel" als bleibend gedacht ist 29 .
III. A n s ä t z e g e s c h i c h t l i c h e n D e n k e n s Nach dem bislang Gesagten könnte der Eindruck entstanden sein, der „Spiegel" vernachlässige völlig die eschatologische Spannung zwischen dem Schon und Noch-Nicht christlicher Erlösung. Dem widerspricht aber aufs Deutlichste die Beschreibung der letzten der sieben Seinsweisen: „Die siebente Stufe aber behält die Liebe in sich, um sie uns in der ewigen Glorie zu gewähren. Davon erlangen wir keine Kenntnis, bis unsere Seele den Körper verlassen hat." 30 Wenn auch nicht von einer Wiederkunft Christi oder anderen apokalyptischen Ereignissen gesprochen wird, so ist dennoch eine Grenze dessen markiert, was an gibt es auch viele Bilder wie dasjenige vom Wachs, das die Form des Siegels annimmt (50, 85), vom Eisen, das vom Feuer umkleidet ist (52, 87), vom Fluss, der in das Meer zurückfließt (82, 127) etc. Wichtig ist dabei zu betonen, dass die Gnade Gottes dies bewirkt. So spricht die Liebe: „Ich bin Gott durch die göttliche Natur, und diese Seele ist es durch die Gerechtigkeit der Liebe" (21, 51); cf. auch 43, 78 etc. Zur Henosis bei Plotin und in der christlichen Mystik cf. e. g. W Beierwaltes, Denken des Einen. Studien zur neuplatonischen Philosophie und ihrer Wirkungsgeschichte, Frankfurt a. M. 1985, 1 2 3 - 1 5 4 . 27
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Cf. D. Hattrup, Die Mystik von Cassiacum und Ostia, in: Fischer/Mayer (eds.), Confessiones (nt. 13), 3 8 9 - 4 4 3 , hier: 4 1 8 sq. Die vielfachen Anklänge des „Spiegel" an Augustinus kann ich hier nicht darstellen. Cf. e. g. Spiegel, 8 8 , 1 3 4 sqq. und zu Augustinus' Uberwindung der neuplatonischen Anthropologie mit Hilfe des Paulus: K. Ruhstorfer, Die Platoniker und Paulus. Augustine neue Sicht auf das Denken, Wollen und Tun der Wahrheit, in: Fischer/Mayer (eds.), Confessiones (nt. 13), 283-341. Cf. Leicht, Marguerite Potete (nt. 2), 2 1 6 - 2 9 5 , mit vielen Belegen, auch in Bezug auf Vergleichspunkte mit Eckharts Denken. Spiegel, 118, 1 7 6 sq.
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diesseitiger Vollendung erfahren werden kann. Da solch ein ausdrücklicher eschatologischer Vorbehalt jedoch nur an sehr wenigen Stellen formuliert wird, wirkt das wie ein bloßes Zugeständnis, um einer theologischen Selbstverständlichkeit Genüge zu tun. Aber auch der höchste im Diesseits erreichbare Zustand ist kein bleibender. Im Rückgriff auf die Perikope von der Verklärung Jesu, die als Vorwegnahme der nachösterlichen Auferstehungsherrlichkeit verstanden werden kann, ist die Seele auf der sechsten Stufe „frei geworden von allem und rein und verklärt" 31 . Dieser Zustand ist dadurch gekennzeichnet, dass nur noch Gott sich selbst in dieser Seele sieht. Hier wird deutlich, dass Gott das eigentliche Subjekt der Mystik ist. Die Schöpfung ist Ausfluss des sich verströmenden Guten, das Gott selbst ist. Gott als vollkommenes Sein, das reines Wirken ist, hat immer sich selbst als das höchste Gut zum Ziel und will nichts anderes als sich selbst. Entsprechend sieht er die geschaffene Seele nicht als Kreatur, sondern er sieht sich selbst in dieser Kreatur 32 . Dieser Zustand auf der sechsten Stufe jedoch währt immer nur für sehr kurze Zeit. Gott, der Fernnahe, wird hier wie ein Blitz erfahren und deshalb auch so genannt 33 . Er lässt seine eigene Herrlichkeit aufstrahlen; die Zeit wird für die Ewigkeit aufgerissen. Das aber geht so blitzartig und schnell vonstatten, dass es die Seele nur an der Wirkung dieses Ereignisses erkennen kann 34 . Neben der durch die sechste Stufe eingeführten Differenzierung zwischen einer freien und einer verklärten Seele, die ein spannungsreiches Zugleich der göttlichen Perspektive einer bleibenden Einheit und eines transitorischen Charakters der mystischen unto begründet, gibt es noch andere Elemente im Leben und Werk der Marguerite Porete, die darauf hinweisen, dass es in ihrer Theologie nicht um einen einfachen geschichtslosen Regress der Seele in den Urzustand 31 32
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Ibid., 118, 176. Zur Berg- bzw. Tabormetapher cf. 54, 90; 65, 103; 75, 115; 98, 146 etc. Ein einschlägiger Redebeitrag der Liebe über die verklärte Seele mag hier genügen: „Ihr Wille ist unser, denn er ist aus der Gnade in die Vollkommenheit der Tugendwerke und von den Tugenden in die Liebe und von der Liebe ins Nichts und vom Nichts in die Klarheit Gottes versunken. Sie sieht sich mit den Augen seiner Majestät, die sie an eben diesem Punkt durch sich verklärt hat. Und daher ist sie so in sie versetzt, dass sie weder sich noch ihn [Gott] sieht. Und darum sieht er sich in seiner göttlichen Güte ganz allein" (ibid., 91, 139). Cf. e. g. ibid., 58, 95: „Doch weil man auf der fünften Stufe, von der dieses Buch redet, da wo die Seele bleibt nach dem Wirken des hinreißenden Fernnahen — nach der Art seines Eröffnens und des schnellen Schließens nennen wir es Blitz — keinerlei Willen hat, vermag niemand sich vorzustellen, was für einen Frieden, einen Frieden über allen Frieden, die Seele empfängt, wenn er es nicht selbst erfahren hat. [...] Dieser Fernnahe, den wir Blitz nennen nach der Art des Auftuns und schnellen Wiederschließens, packt die Seele auf der fünften Stufe und versetzt sie in die sechste so lange, als sein Wirken dauert und anhält: So lange ist sie umgewandelt. Doch nur kurz dauert für sie der Zustand der sechsten Stufe [...]. Und dies ist nicht zu verwundern, denn das Wirken des Blitzes bedeutet das Aufscheinen der Herrlichkeit der Seele. In keiner Kreatur vermag dies lange anzuhalten, nur gerade im Zeitraum seines Niederfahrens." Cf. auch ibid., 61, 99 sq. 97, 144 sqq. formuliert, dass der von sich selbst befreite Mensch sich göttlicherweise im Paradies befindet, „ohne dort zu sein", „weil das Innere frei ist von allem Kreatürlichen".
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geht 35 . Die wichtigste Stelle, die das belegt, mutet zum einen gnostisch an. Zum anderen jedoch wird deutlich, dass es eine bleibende Lücke gibt: „Denn all jene, die vom Vater gepflanzt, in diese Welt gekommen sind, sind vom Vollkommenen zum Unvollkommenen herabgestiegen, um zu etwas Vollkommenerem zu gelangen. Hier aber bleibt die Wunde offen, damit jene geheilt würden, die ohne ihr Wissen verletzt wurden." 36 Der „Spiegel" vertritt einen Spiritualismus, der sowohl für das Verständnis von Geschichte als auch für das Bild von Kirche bedeutsam ist. Zweimal zitiert Marguerite das Jesuswort nach Johannes 14, 12: „Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen, und er wird noch größere vollbringen." 37 Damit wehrt sie einem statischen Denken, das sich nur rückwärts am Leben und der theologischen Bedeutung des historischen Jesus orientiert. Stattdessen reklamiert sie einen Geistbesitz, der geschichtlich Vergangenes als auch für die Gegenwart möglich denkt und der darüber hinaus Neues und bislang Unbekanntes zuzulassen in der Lage ist 38 . Durch den Geist entsteht eine geschichtliche Dynamik. Individuelle und universale Geschichte können so eine ganz eigene Dignität bekommen. Dieses Denken schlägt sich bei Marguerite vor allem in ihrem Kirchenbegriff nieder. Sie unterscheidet eine Heilige Kirche, die große (Saínete Eglise la Grant), und eine Heilige Kirche, die kleine (Saínete Eglise la Petite). Diese ist von der kurzschlüssigen Vernunft geleitet, jene von der Liebe 39 . Sie entspricht in etwa der augustinischen ecclesia ab Abel, die unsichtbar ist und sich aus der Gemeinschaft der Glaubenden, Hoffenden und Liebenden zusammensetzt 40 . Marguerite
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Auch McGinn, Mystik (nt. 2), 464 sq., hat dieses spannungsreiche Nebeneinander von Bleibendem und Plötzlichem beobachtet. Dazu cf. auch Beierwaltes, Dionysius Areopagites (nt. 13), 80-84. Marguerite redet im Übrigen einem positiven Umgang mit der Schöpfung das Wort (cf. Spiegel, 17, 45 sq.). Da die Seele sich nicht im adamitischen Unschuldszustand befindet, kümmert sie sich auch um das, dessen sie im Augenblick bedarf (cf. ibid., 9, 27). Ibid., 117, 169. Das geschichtliche Denken zeigt sich an dieser Stelle daran, dass es darum geht, zu etwas Vollkommenerem (Mirouer, 316, 81: a plus parfait) zu gelangen. Die Rede von der offenen Wunde wird mit dem Kreuz Jesu Christi in Verbindung gebracht, das immer noch getragen werden muss (cf. auch ibid., 94, 143: „Die Strafe bleibt, da aber Jesus Christus sie auf sich nahm, ist es gewiss richtig, wenn sie auch uns bleibt. Die wahren Unschuldigen haben niemals recht, so tut man ihnen denn auch niemals unrecht."). Cf. ibid., 94, 142 sq. (ein fur das eschatologische Denken insgesamt wichtiges Kapitel, wo es um die Herbeiführung des ersten Tages geht) und 113, 163 sq. Cf. ibid., 77, 117: „Ist er [Gott] denn nun nicht mehr der gleiche und im Geben ebenso großzügig, wie er es war?" Die Antwort auf die Frage, die im Blick auf das Handeln Gottes an Maria Magdalena, Petrus und Johannes den Evangelisten gestellt wird, lautet: Doch! Zu Marguerites Kirchenlehre cf. Leicht, Marguerite Porete (nt. 2), 397-401. Cf. A. E. Passenier, Heilige Kerk-de-Kleine in de Spiegel van Marguerite Porete, in: D. van Paasen/A. Passenier (eds.), Op zoek naar vrouwen in de ketterij en sekte: een bronnenonderzoek, Kampen 1993, 95 — 115. Bekanntlich gehen ja in Augustinus' Gottesstaat ävitas Dei und Kirche nicht konform! Auch hier würde sich ein genauerer Vergleich lohnen. Zu Augustinus' eschatologischem Denken in den Confessiones cf. Ch. Müller, Der ewige Sabbat (nt. 13).
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formuliert nicht, dass diese Geistkirche in einem geschichtlichen Pro2ess die kleine K i r c h e ablöst. Vielmehr behauptet sie nur, dass freie Seelen v o n der kleinen K i r c h e nicht erkannt werden. D e r Bedeutungsüberhang der großen Heiligen Kirche steht außer F r a g e 4 1 . Vermutlich ist Marguerite Porete zu pessimistisch, u m einen Fortschritt hin zu m e h r Erkenntnis und Liebe innerhalb der Geschichte und damit auch der Kirche als einem g e s c h a f f e n e n D i n g zu erh o f f e n 4 2 . A b e r der Umstand, dass zusammen mit ihr einem dem SpiritualenMilieu entstammenden Begarden der Prozess gemacht wurde, der in seinen Äußerungen eindeutig auf J o a c h i m v o n Fiore und Petrus v o n Johannis Olivi rekurriert, lässt es doch nicht ganz unwahrscheinlich erscheinen, dass Marguerites Kirchenlehre die Vorstellung einer ecclesia spiritualis zumindest indirekt diesen D e n k e r n verdankt 4 3 .
IV. D i e U t o p i e als E r m ö g l i c h u n g s g r u n d e i n e s f r e i e n L e b e n s : ein h i s t o r i s c h e r
Erklärungsversuch
D i e mystische T h e o l o g i e der Marguerite Porete lässt viele Interpretationen zu 4 4 . D i e Spannung christlicher Existenz, in dieser Welt nicht v o n dieser Welt zu sein, scheint bei ihr einseitig zugunsten des letzten Pols aufgelöst 4 5 . Meines Erachtens hängt das damit zusammen, dass sie „in dieser Welt" kaum Möglichkeiten der Entfaltung hatte.
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Cf. Spiegel, 134, 207: „Eine solche Seele [...] befindet sich auf der höchsten Stufe der Vollkommenheit und in der nächsten Nähe zum Fernnahen, wenn die Heilige Kirche an ihrer Lebensweise kein Beispiel nimmt. [...] Sie ist so weit weg vom Wirken der Tugenden, dass sie deren Sprache nicht zu verstehen vermöchte. Doch sind die Werke der Tugenden alle innen in einer solchen Seele einbeschlossen, sie gehorchen ihr ohne Widerrede. Durch ihre Klausur aber kann sie die Heilige Kirche nicht erkennen. Die Heilige Kirche lobt besonders die Furcht Gottes, denn die heilige Furcht Gottes ist eine der Gaben des Heiligen Geistes. Aber dennoch würde die Furcht Gottes den Zustand der Freiheit zerstören, wenn sie sich in diesem Stadium einmischen könnte. Vollkommene Freiheit kennt eben keinerlei Warum." Während hier die kleine Heilige Kirche beschrieben ist, heißt es von den freien Seelen zum Beispiel, sie seien „in eigentlichem Sinne Heilige Kirche genannt. Sie tragen und belehren und ernähren die ganze Heilige Kirche" (ibid., 43, 76). Cf. ibid., 19, 48: „Die Heilige Kirche könnte sie [die freie Seele] nur dann vollkommen kennen, wenn die Heilige Kirche in ihren Seelen wäre. Doch kein geschaffenes Ding (Mirouer, 76, 40 sq.: nulle chouse creee) hat Zutritt zu ihren Seelen, außer einzig Gott allein." Cf. Leicht, Marguerite Porete (nt. 2), 395-401, sowie zu Petrus von Johannis Olivi und Joachim von Fiore weitere Beiträge in diesem Sammelband. Nach McGinn, Mysük (nt. 2), 445, erinnert der „Spiegel" an eines der gnostischen Evangelien des 2. Jahrhunderts. Dem stehen aber die Aussagen entgegen, die den Aufstieg der Seele, der ohnehin mehr einem Abstieg gleicht, ganz der Gnade Gottes verdankt sein lassen. E.g. Spiegel, 128, 196: „Und die Wahrheit sagte mir, dass keiner dahin aufsteigen wird, außer einzig der, der herabgestiegen war, nämlich der Sohn Gottes selbst. Das ist so zu verstehen, dass niemand dorthin aufzusteigen vermag, als nur jene, die Gottes Söhne durch die göttliche Gnade sind." Haas, Mystik als Aussage (nt. 9), 69, definiert diese Doppelbestimmung als Inhalt von Mystik.
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In einer französischen Chronik, die in einer kurzen Notiz vom gegen sie geführten Inquisitionsprozess berichtet, -wird Marguerite Porete als „beguine clergesse" bezeichnet 46 . Doch eine „Klerikerin" im Sinne einer Intellektuellen konnte sie in damaliger Zeit nicht sein. Vor allem der kurz nach ihrer Hinrichtung verfasste Beschluss des Konzils von Vienne wirkt wie eine nachträgliche Bestätigung von Marguerites Verurteilung. Es heißt dort: „Gewisse Frauen, die man gemeinhin Beginen nennt, können nicht als Ordensfrauen betrachtet werden [...]. Nun aber ist uns in durchaus glaubwürdigen Denkschriften berichtet worden, dass einige von ihnen, als wären sie von Geistesverwirrung getrieben, über die Heiligste Dreifaltigkeit und über die göttliche Wesenheit diskutieren und sich verbreiten und dass sie über die Glaubensartikel und die Sakramente der Kirche dem katholischen Glauben widersprechende Meinungen ausstreuen. In diesen Dingen täuschen sie viele einfache Leute und führen sie in die verschiedensten Irrtümer." 47 Marguerite wird im gegen sie geführten Prozess vorgeworfen, ihr Buch trotz seiner bereits erfolgten Verurteilung an einfache Leute weitergegeben zu haben 48 . Außerdem tut sie im „Spiegel" nichts anderes, als über die Heiligste Dreifaltigkeit und die göttliche Wesenheit zu diskutieren. Und das, obwohl es das ausdrückliche Verbot theologischer Lehre von Frauen gibt (cf. 1 Kor 14, 34 sq. und 1 Tim 2, 11 sq.) und obwohl doch selbst ein fortschrittlicher Theologe wie Meister Eckhart vermeintliche Geschlechterdifferenzen festschreibt: „Wenn die Seele sich abwärts wendet, dann heißt sie Frau; wenn man jedoch Gott in sich selbst erkennt und Gott daheim sucht, dann ist die Seele der Mann [...]. Dann ist die Seele der Mann, wenn sie ohne Vermittlung einfaltig in Gott dringt. Wenn sie aber irgendwie nach draußen lugt, dann ist sie Frau." 49 Ist es demnach überhaupt denkbar, dass eine Frau sich ohne Vermittlung Gott zukehren kann? Muss sie nicht ihre eigene Existenzweise verleugnen, sich gleichsam auflösen, zu nichts werden, um ihrer eigenen Berufung als Intellektuelle gemäß leben zu können? Freilich: auch Eckhart lehrt die Abgeschiedenheit als höchste Tugend. Auch ihm wurde der Platz in der damaligen Kirche streitig gemacht. Aber er ist glimpflicher davongekommen, weil die Rahmenbedingungen für ihn als Ordensmann und studierten Theologen günstiger waren. Mir scheint, Marguerite Porete hatte mit ihren theologischen Interessen und ihrer Intellektualität faktisch keinen Ort in der Kirche und Gesellschaft ihrer Zeit. Ihr „Spiegel" gibt Hinweise auf ihre Situation der Isolation und Ortlosig-
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Cf. P. Verdeyen, Le procès d'inquisition contre Marguerite Porete et Guiard de Cressonessart ( 1 3 0 9 - 1 3 1 0 ) , in: Revue d'histoire ecclésiastique 81 (1986), 4 7 - 9 4 , hier 91. Zitiert nach J. Leder, Vienne (Geschichte der ökumenischen Konzilien V i l i , ed. G. Dumeige und H. Bacht), Mainz 1965, 214 sq. Cf. zu anderen Zeugnissen der Beginenverfolgung Leicht, Marguerite Porete (nt. 2), 4 0 1 - 4 2 3 . Cf. Verdeyen, Procès (nt. 46), 82. Meister Eckhart, Die deutschen Werke, ed. und übersetzt von J. Quint, Bde. I —III und V, Stuttgart 1958 sqq., hier I, Pr. 20 a, 507 sq.
Präsentische Eschatologie als Utopie
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keit 50 . Und ihre Theologie ist ein durchgängiger Versuch, diese realen Bedingungen zu transzendieren, um jenseits gesetzter Grenzen einen Ort zu finden. Dieser Ort existiert lediglich als Utopie. Faktisch gibt es nirgendwo einen Ort. Zurecht unterscheidet Farias de Saxe in seiner kurzen Erzählung zwischen Marguerite und den so genannten Freigeistern. Marguerite vertritt keinen amoralischen Libertinismus. Im Gegenteil: Der „Spiegel" enthält zahlreiche ethische Implikationen 51 . Dennoch wird aus der Perspektive Gottes eine Unsündlichkeit der freien Seele bzw. ihr restloses Aufgehen in Gott formuliert 52 . Wie würde Marguerite auf die Forderung des Farias reagieren, den eigenen Verstand und Willen einzusetzen? Sie würde diese Seelenkräfte auf keinen Fall leugnen. Aber sie würde vermutlich sagen, dass sich der Verstand erst voll entfaltet, wenn er durch Gott erleuchtet ist, und dass der Wille dann erst bei sich selbst ist, wenn er mit dem Göttlichen eins geworden ist. Präsentische Eschatologie als Utopie? Es ist weniger eine Frage, ob es tatsächlich Seelen gibt, denen es geschenkt ist, sich schon hier und jetzt im „Mehr des überewigen Friedens" aufzuhalten. Entscheidend scheint mir, dass damit ein Ort beschrieben ist, der Halt verspricht, wenn die Seele ansonsten ort- und heimatlos bleiben müsste. Der Lehre des „Spiegel" zufolge ist auch der ordose Gott auf solche zu nichts gewordenen Seelen angewiesen: „Gott hat keinen Ort mehr, wo er seine Güte unterbringen könnte, wenn er sie nicht in mich legt. Er hat auch keine Unterkunft, die ihm gemäß ist, er findet auch keinen Ort, wo er sich ganz hinbringen könnte, außer in mir." 53
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Cf. Spiegel, 11, 30: Die freie Seele ist „ein Phönix, der allein bleibt"; 81, 125: „Nun hat die Seele ihren richtigen Namen vom Nichts, in dem sie verbleibt. Und da sie nichts ist, macht sie sich aus nichts etwas, weder aus ihren Nächsten noch aus Gott. Denn sie ist so winzig, dass sie sich selbst nicht aufzufinden vermag"; 82, 127: „Und wenn sie nun so in allen Richtungen frei ist, dann verliert sie ihren Namen" etc. Eine Hoffnung findet sich am Schluss des Buches (139, 211): „Es kommt wohl manchmal vor, dass man in dem einen und selben Königreich keine zwei Kreaturen von selbem Geist auffinden könnte. Wenn es aber geschieht, dass zwei solche Kreaturen sich finden, so eröffnet sich die eine der anderen [...]." Ibid., 25, 56: „Denn sie [die freie Seele] ist ganz in sich allein durch die Tugend der Demut. Und sie ist mit allem verbunden durch die Freigebigkeit der vollkommenen Liebe, und ganz allein in Gott durch das Vorhaben der Edlen Liebe"; 43, 78: „Diese Seele hat seit langer Zeit erkannt und gewusst, dass es keinen höheren Sinn gibt als Maßhalten, keinen größeren Reichtum als Genügsamkeit und keine größere Kraft als die Liebe"; 79, 122: „Mitleid und Entgegenkommen sind durch eine solche Seele nicht verabschiedet, bieten sich dazu Zeit und Gelegenheit" etc. Cf. ibid., 89, 136: „Diese Seele hat aus der Freigebigkeit ihres Adels alles verschenkt durch das Einwirken der Dreieinigkeit. In die Dreieinigkeit hat diese Seele ihren nackten Willen eingepflanzt, so dass sie nicht sündigen kann, wenn sie sich nicht daraus ausreißt." Dabei ist aber auch klar: „Gott hasst jede Sünde" (ibid., 107, 156). Spiegel, 117, 166.
Geschichte und Eschatologie. Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das mittelalterliche Leben Jos
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(Leuven)
„Betrachte die Herde, die an dir vorüberweidet", — so beginnt das zweite Stück „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben" (1874) der „Unzeitgemäßen Betrachtungen". Das Tier „springt umher, frißt, ruht, verdaut, springt wieder, vom Morgen bis zur Nacht und von Tage zu Tage", und es weiß nicht, was Gestern und was Heute ist — so schildert es Friedrich Nietzsche — und gerade hierin liegt sein Glück: Es vergißt alles sofort. Deshalb ist das Tier weder schwermütig noch überdrüssig — also immer glücklich. Dies tut dem Menschen leid, weil er sich einerseits seines Menschentums vor dem Tiere brüstet, andererseits jedoch eifersüchtig auf das Glück des Tieres blickt. „Der Mensch fragt wohl einmal das Tier: Warum redest du mir nicht von deinem Glücke und siehst mich nur an? Das Tier will auch antworten und sagen: Das kommt daher, daß ich immer gleich vergesse, was ich sagen wollte — da vergaß es aber auch schon diese Antwort und schwieg: so daß der Mensch sich darob verwunderte." 1 Nietzsche führt hier einen gemeinverständlichen Gedanken ein. Je weniger man von seiner Vergangenheit geplagt wird, desto freier und glücklicher lebt man. Je weniger man über seine Vergangenheit weiß, desto spontaner und ungehemmter kann man leben. In dieser Hinsicht stellen das Kind und das Tier den Gipfel des Glücks dar. Der Erwachsene dagegen ist in seinem Gange beschwert durch die große und immer größere Last des Vergangenen wie durch eine unsichtbare und dunkle Bürde. Sein Dasein ist im Grunde ein nie zu vollendendes Imperfektum. Der Mensch lebt historisch, das Tier lebt unhistorisch — so Nietzsche 2 . Ungefähr denselben Gedanken trifft man auch häufig als ein von manchen Zeitgenossen gegen das mittelalterliche Geschichtsverständnis gehegtes Vorurteil an. Die Menschen im Mittelalter, so lautet dieses Vorurteil, lebten wie das Kind oder das Tier: in einer geschlossenen und von naiven Vorstellungen und kind1
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F. Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen, Zweites Stück: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, c. 1 (Friedrich Nietzsche, Werke, ed. Karl Schlechta, München 1958, vol. I, 211). Cf. ibid., 2 1 1 - 2 1 2 .
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haften Auffassungen erfüllten Welt. Im Mittelalter hat man keine eigentliche Idee von „Geschichte". Natürlich wußte man um Tatsachen, die in der Vergangenheit stattgefunden hatten. Aber diese Information war mit einer Menge Lücken, Phantasie und Legende gespickt. Außerdem war man damals nicht imstande, die geschichtlichen Quellen mit der nötigen kritischen Distanz zu untersuchen, damit man so historische Wahrheit von Erdichtetem trennen konnte. Selbstverständlich und a fortiori war man nicht imstande, ursächliche Beziehungen zwischen vergangenen und heutigen Ereignissen festzustellen. Die mittelalterlichen Geschichtsschreiber zielten nicht darauf, einen Kausalzusammenhang zwischen geschichtlichen Tatsachen aufzuweisen. In dieser Hinsicht gab es also auch keine eigentliche „Geschichtswissenschaft" im Mittelalter. Schließlich und vor allem kann von Geschichte im Mittelalter schon deshalb nicht die Rede sein, weil man die Ereignisse immer auf dem Hintergrund einer göttlichen Vorsehung deutet, und also natürliche und übernatürliche Dinge heillos verwirrt. Man glaubt an übernatürliche, kraftvoll in die Geschichte eingreifende Wesen und mißt jedem Faktum eine besondere eschatologische Bedeutung zu. Vor allem diese Grenzüberschreitung vom sinnlichen in den übersinnlichen Bereich und zurück, diese unablässige eschatologische Deutung aller geschichtlichen Tatsachen macht ein wissenschaftliches Geschichtsverständnis - wie wir dies heutzutage verstehen — ganz unmöglich. Man sollte dieses Vorurteil nicht unterschätzen. Denn zu den oben genannten Zeitgenossen gehören herausragende Philosophen 3 sowie tonangebende Historiker, wobei letztgenannte die mittelalterliche Historiographie wenn möglich noch vernichtender kritisieren als die Philosophen — aber darüber sowie über die Rezeptionsgeschichte der mittelalterlichen Historiographie wollen wir hier nicht weiter sprechen4. Wir möchten vielmehr dieses Vorurteil abbauen, um so ein wirkliches Verständnis vom Wesen der mittelalterlichen Geschichtsauffassung und Geschichtsschreibung zu ermöglichen bzw. zu erlangen. Dazu werden wir im ersten Teil unseres Beitrags einige Allgemeinheiten bezüglich mittelalterlicher Auffassungen von „Wissenschaft", „Erkenntnis" und „Wahrheit" kurz in Erinnerung bringen; im zweiten Teil - unter dem Titel „Vom Nutzen und Nachteil
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Cf. Michel Foucault: Für ihn kann wirkliche Geschichte erst zusammen mit dem Begriff der Kontingenz richtig aufgefaßt werden, also nachdem man jede Idee von (göttlicher oder anderer) Vorsehung oder von Plan in der Geschichte aufgegeben hat, — denn Vorsehung oder Plan brauchen nur Zeit zur Aktualisierung, keine Geschichte. Die Idee Geschichte ist am engsten mit der der Zufälligkeit verknüpft: Das was (geschehen) ist, hätte nicht oder auch anders sein können. Darum kann erst seit 1800 von Geschichte die Rede sein: M. Foucault, Les mots et les choses. Une archéologie des sciences humaines (Bibliothèque des sciences humaines), Paris 1966, 2 3 0 - 2 3 1 , 233, 2 6 2 - 2 6 5 , 3 2 3 - 3 5 4 . Einige kurze Hinweise findet man in J. Decorte, Sapientia: between superbia and vanitas, in: St. Brown (ed.), Meeting of the Minds. The Relations between Medieval and Classical Modern European Philosophy. Acts of the International Colloquium held at Boston College, June 1 4 - 1 6 , 1996 organized by the S.I.E.P.M. (Rencontres de la Philosophie médiévale 7), Turnhout 1998, 481 bes. η. 7.
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der Historie für das mittelalterliche Leben" — werden wir dann diese Einsichten auf Geschichtswissenschaft, geschichtliche Erkenntnis und geschichtliche Wahrheit anwenden. 1. W i s s e n s c h a f t l i c h e E r k e n n t n i s und W a h r h e i t Die Begriffe von Wissenschaft, Erkenntnis und Wahrheit wollen wir anhand dreier Merkmale näher erläutern: Nämlich anhand der These, alle wissenschaftliche Erkenntnis und Wahrheit habe im Mittelalter einen finalistischen oder teleologischen, einen symbolischen und schließlich einen praktisch-existenziellen Charakter. 1. Mit dem finalistischen Charakter der Wahrheit möchten wir andeuten, daß in dem von der aristotelischen Teleologie geprägten mittelalterlich-christlichen Universum Erkenntnis eines Seienden immer Erkenntnis des Wesens dieses Seienden ist. Man erkennt das Wesen dadurch, daß man die Form dieses Seienden kennt, und zwar in seiner vollständigsten Aktualisierung, in seiner vollkommensten Gestalt. Diese vollkommene Gestalt der Form ist der einem jeglichen Seienden inhärente Endzweck desselben. Jede die sich selbst vervollkommnende Form erfassende Wesensdefinition eines Seienden enthält also notwendigerweise einen Verweis auf den Endzweck desselben. Erst aus der Perspektive der letzten Phase eines Prozesses können die ihr vorangehenden Phasen einsichtig werden. Das heißt: Jede Erkenntnis ist Erkenntnis der Formal- und Finalursache. 2. Mit dem symbolischen Charakter der Wahrheit wollen wir angeben, daß für das mittelalterliche Wissen alles Seiende ein Zeichen (signum) ist: Nicht nur die Worte in einem Text, sondern auch alle Dinge in der Natur. Die gesamte Schöpfung ist ein Text: Das Buch der Natur. Einige Ausführungen über Hugo von Sankt-Viktor und die Kunst, richtig zu lesen, über similitudo dissimilis, über Bonaventura und seine trinitarische Lesung der Schöpfung 5 , über die thomasische Unterscheidung zwischen Zweck des Entstehens {generatio) und Zweck des Seins {esse) eines Seienden 6 , und über die Struktur alles Wissens als einer Suche nach dem Unsichtbaren in den sichtbaren Dingen wären hier am Platz und könnten das Gesagte weiter erläutern. Hieraus entnehmen wir, daß alles wissenschaftliche Unternehmen — dem Römerbrief 1:20 gemäß — eine Suche nach 5
Cf. Bonaventura, Itinerarium mentis in Deum II, c. 3, 6, 9, 12; W. Schmidt-Biggemann, Philosophia perennis. Historische Umrisse abendländischer Spiritualität in Antike, Mittelalter und Früher Neuzeit, Frankfurt a. M. 1998, 3 6 - 3 7 : „Hier ist nun der Sinn der gegenwärtigen Welt ganz auf ihre Zeichenfunküon für die Schöpfung zugespitzt. Nicht das Wahrgenommene als es selbst ist interessant, sondern es ist im Wahrgenommenen die Spur Gottes sichtbar, die Schönheit und die Proportionalität, das Exempel des Exemplarischen, das Zeichen seiner idealen Herkunft. Die bloße Sinnenerkenntnis ist ein blindes, sinnloses Phantasma."
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Cf. Thomas von Aquin, Summa contra Gentiles III, c. 26.
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den invisibilia hinter den visibilia ist 7 , daß alles Wissen also von folgender Struktur geprägt ist: „Für S (wissendes Subjekt) ist jedes sichtbare χ Zeichen eines unsichtbaren y." 3. Mit dem praktisch-existenziellen Charakter sei angegeben, daß alle Wahrheit neben einem buchstäblichen, historischen, objektiven und theoretischen Sinn fast immer auch eine praktische und existenzielle Bedeutung hat. Kurz gesagt, alle theoretische und objektive Wahrheit irgendeiner Spekulation muß letztendlich dem Menschen helfen, Gott zu erreichen, und gewinnt sich so einen praktischen Gehalt. Wahrheit wird damit zu einer existenziellen Erfahrung oder zu einem Ereignis; vor allem biblische Geschichten sind erst recht wahr, wenn sie sich in meinem eigenen Leben ereignen, bewahrheiten. 4. Aus dieser Charakterisierung der symbolischen Struktur des Wissens gehen auch unmittelbar zwei mögliche Formen der Entartung oder Entgleisung des Wissens hervor. Zuerst kann man, verblendet von dem überwältigenden Eindruck des unmittelbar Sichtbaren, sich von diesem faszinieren lassen und nicht mehr weiter nach dem unsichtbaren y suchen, also bei dem sichtbaren χ stehenbleiben. In diesem Falle vernachlässigt man den Zeichencharakter des x, läßt man die Transzendenz des x, d. h. sein Vermögen, über sich selbst hinaus auf etwas anderes zu verweisen, unbeachtet. Man ist der Häftling seiner eigenen Sinnlichkeit und bleibt an den Äußerlichkeiten der sinnlichen Dinge kleben 8 . Diesen Zustand des „Wissens" nennt man im Mittelalter vanitas: vana curiositas mundi. Zweitens kann man, auf der Spur des Unsichtbaren und von ihm überwältigt, sich von diesem so sehr faszinieren lassen, daß man das Unsichtbare als etwas Sichtbares behandelt und auf das Unsichtbare die kategorialen Begriffe und Verhaltungen der menschlichen ratio anwendet: so als wäre das Unsichtbare etwas Sichtbares. In diesem Falle überschätzt die menschliche ratio ihre eigenen Möglichkeiten und macht sich der Sünde des Hochmuts schuldig9. Diesen Zustand des „Wissens" nennt man im Mittelalter daher: (impia) superbia. In keinem Falle kommt eigentliche Erkenntnis, Wissenschaft, Wahrheit zustande. Im ersten Falle erreicht die menschliche Vernunft ihr Ziel nicht, im letzteren Falle schießt sie übermütig über das Ziel hinaus. Im ersten Falle verkennt sie die Anwesenheit einer Transzendenz, im letzteren verkennt sie die Transzendenz des Transzen-
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In der schönen Formel von Schmidt-Biggemann, Philosophia perennis (nt. 5), 11: „Das Sichtbare wird nie nur als es selbst verstanden, sondern es ist stets durchsichtig, ein vergängliches Gleichnis anderer Welten." O b man aber imstande ist, dieses Phänomen durch eine Verweisung auf Begriffe wie „intellektuelle Phantasie" und auf eine Geschichte der Phantasie genügend zu erklären, scheint uns allerdings mehr als zweifelhaft (ibid., 23-48). Cf. Thomas von Aquin, Summa contra Gentiles III, c. 44 (ed. Leon. XIV, 115 a); ibid., II, c. 33 (ed. Leon. XIII, 346 b); id., Quaestiones disputatae de malo, qu. 9, art. 1 (ed. Leon. XXIII, 210b, 105-108). Cf. id., Summa theologiae IIa Ilae, qu. 162, art. 1 (ed. Leon. X, 310a); ibid., art. 2, 5, 6, 7; ibid., Ia Ilae, qu. 84, art. 2; id., Summa contra Gentiles III, c. 63.
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denten. Im ersten Falle vernachlässigt sie die Transzendenz des Geschaffenen, im letzteren vernichtet sie den transzendenten Charakter dieser Transzendenz. Den Mittelweg zwischen dieser Scylla der vanitas und der Charybdis der superbia nennt man im Mittelalter: Den Weg der Weisheit 10 (sapientia). 2. Vom N u t z e n und N a c h t e i l der H i s t o r i e für das m i t t e l a l t e r l i c h e L e b e n Erläutern wir jetzt nacheinander diese drei Ergebnisse, d. h. den theologischen, symbolischen und praktisch-existenziellen Charakter aller Wahrheit, am Beispiel unseres Themas von Geschichtsschreibung und Eschatologie. Wie hinreichend bekannt ist, wettert Nietzsche in der zweiten der „Unzeitgemäßen Betrachtungen" gegen die historische Bildung und akademische Geschichtswissenschaft seiner Zeitgenossen. Schon im programmatischen Vorwort kündigt er an, daß die Menschen „Historie brauchen, aber anders als sie der verwöhnte Müßiggänger im Garten des Wissens braucht". Wir brauchen Historie „zum Leben und zur Tat, nicht zur bequemen Abkehr vom Leben und von der Tat, oder gar zur Beschönigung des selbstsüchtigen Lebens und der feigen und schlechten Tat" 11 . Nietzsche will also der Historie dienen, aber nur soweit die Historie dem Leben dient. Dazu stellt er zwei Thesen auf: 1. ein Übermaß an Geschichte kann dem Leben schaden; 2. das Leben braucht das Historische (also eine Vergangenheit) ebenso wie das Unhistorische (also das Vergessen oder Umstellen dieser Vergangenheit), um sich zu entfalten 12 . Hieraus erhellt, daß Geschichte als Kraft im Dienste des Lebens nie Wissenschaft sein soll, sondern sich den Bedürfnissen des lebendigen Menschen entsprechend zu drei Arten von Geschichtsschreibung gestalten sollte. Denn dem im Leben tätigen und strebenden Menschen entspricht die monumentalische Geschichtsschreibung, dem das Leben bewahrenden und verehrenden Menschen die antiquarische, und dem im Leben leidenden und der Befreiung bedürftigen Menschen die kritische 13 . Untersuchen wir jetzt 10
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Auch hier weichen wir in unserer Charakterisierung beträchtlich von der von Schmidt-Biggemann, Philosophia perennis (nt. 5), 6 4 6 - 6 5 6 , gegebenen Beschreibung ab. Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen (nt. 1), Vorwort, 209, 210, 213. Cf. ibid., c. 1, 214. Ibid., c. 2, 219: „In dreierlei Hinsicht gehört die Historie dem Lebendigen: Sie gehört ihm als dem Tätigen und Strebenden, ihm als dem Bewahrenden und Verehrenden, ihm als dem Leidenden und der Befreiung Bedürftigen. Dieser Dreiheit von Beziehungen entspricht eine Dreiheit von Arten der Historie: Sofern es erlaubt ist, eine .monumentalische', eine ,antiquarische' und eine ,kritische' A r t der Historie zu unterscheiden." Ibid., c. 4, 2 3 0 - 2 3 1 : „Dies sind die Dienste, welche die Historie dem Leben zu leisten vermag; jeder Mensch und jedes Volk braucht je nach seinen Zielen, Kräften und Nöten eine gewisse Kenntnis der Vergangenheit, bald als monumentalische, bald als antiquarische, bald als kritische Historie: Aber nicht wie eine Schar von reinen, dem Leben nur zusehenden Denkern, nicht wie wissensgierige, durch Wissen allein zu befriedigende einzelne, denen Vermehrung der Erkenntnis das Ziel selbst ist, sondern immer nur zum Zweck des Lebens und also auch unter der Herrschaft und obersten Führung dieses
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also, ob und in welchem Maße Nietzsches dreiteilige, dem Leben dienende Geschichtsschreibung auch für die mittelalterliche Geschichtsschreibung zutrifft — d. h. sich mit dem finalistischen, symbolischen und praktisch-existenziellen Charakter des geschichtlichen Wissens verknüpfen läßt. 1. Erläutern wir zuerst den Gedanken, das Wesen der Geschichte bestehe in ihrem Zweck. Die berühmten Geschichtsschreiber der Antike, von Thukydides bis zu Livius, Sallust und Tacitus, haben alle einen ausgesprochenen Zweck vor Augen, wenn sie Geschichte schreiben. Entsetzt von dem Sittenverfall, in den die eigene Zeit versunken scheint, wollen sie allesamt die ältere „gesündere" sowie die heutige „erkrankte" und „korrupte" Geschichte ihres eigenen Volkes beschreiben. Sie machen sich damit zur Aufgabe, die Größe der Vergangenheit ins rechte Licht zu rücken, damit sie die exemplarischen Persönlichkeiten und Tatsachen aus dieser großartigen Vergangenheit als Heilmittel für die Gegenwart und Zukunft darstellen können. Geschichte als Lehrerin des Lebens: historia als maestra vitae — worin man deutlich die monumentalische Geschichtsschreibung Nietzsches wiedererkennt. Mittelalterliche Geschichtsschreiber verstärken dieses Schema noch, denn sie wollen einen doppelten Verfall bekämpfen. Neben dem konkreten historischen und vornehmlich ethisch-politischen Verfall der gegenwärtigen Zeit gibt es noch einen viel schlimmeren Verfall der ganzen Menschheit: Die Erbsünde. Beide Arten von Verfall sind in der Heiligen Schrift verwurzelt14: Das Buch Genesis erzählt uns von Adams Sündenfall, verspricht der Menschheit aber auch Erlösung und Glück; das Buch Daniel erzählt vom Traum des Königs Nebukadnezar und der vom Propheten Daniel gegebenen Erklärung der vier Weltreiche oder Imperia15. Dem mittelalterlichen Verständnis nach ist Moses der erste Geschichtsschreiber und Verfasser des Pentateuchs: Er erzählt vom Sündenfall (Gen.), leitet sein Volk aber zugleich aus der ägyptischen Sklaverei heraus und gibt der Menschheit das Mittel zum Heil, d. h. die Zehn Gebote. Die fünf Bücher (Gen., Ex., Lev., Num., Deut.) enthalten also die Geschichte der (ersten) Menschheit und ihr Schicksal: Erlösung durch Nachleben des Gesetzes. Das Wesen der Geschichte ist also ihr Endziel: Erlösung vom Sündenfall. Geschichtsschreibung muß also wesentlich und buchstäblich als remedium peccati, als Heilmittel gegen die Sünde und gegen den Sündenfall, aufgefaßt werden. Was übrigens für den Pentateuch gilt (die fünf Bücher erzählen die Geschichte der
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Zweckes. Daß dies die natürliche Beziehung einer Zeit, einer Kultur, eines Volkes zur Historie ist - hervorgerufen durch Hunger, reguliert durch den Grad des Bedürfnisses, in Schranken gehalten durch die innewohnende plastische Kraft - daß die Kenntnis der Vergangenheit zu allen Zeiten nur im Dienste der Zukunft und Gegenwart begehrt ist, nicht zur Schwächung der Gegenwart, nicht zur Entwurzelung einer lebenskräftigen Zukunft: Das alles ist einfach, wie die Wahrheit einfach ist, und überzeugt sofort auch den, der dafür nicht erst den historischen Beweis sich führen läßt." Cf. Schmidt-Biggemann, Philosophia perennis (nt. 5), 521 — 524. Cf. Dan. 2 : 3 1 - 3 5 und 3 7 - 4 5 ; Schmidt-Biggemann, Philosophia perennis (nt. 5), 620-625.
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alten Menschheit und ihrer Erlösung aus Ägypten durch den Dekalog), gilt für die Bibel insgesamt: sie erzählt die Heilsgeschichte der ganzen Menschheit von Alpha bis Omega, von Genesis bis Apokalypse, und ihrer Erlösung durch die Gesetze des Alten und Neuen Testaments. Das Ziel, der Endzweck der Geschichte konstituiert deren Wesen. Die heutigen Ereignisse werden erst aus der Perspektive des Endzwecks einsichtig. Damit ist der finalistische Charakter aller Geschichtsschreibung gewährleistet, und man versteht auch, warum alle Interpretation von geschichtlichen Tatsachen in dem Begreifen ihrer eschatologischen Bedeutung liegt 16 . 2. Daraus erhellt auch der symbolische Charakter der mittelalterlichen Geschichte und Geschichtsschreibung. Der Historiograph ist mit einer heiligen Aufgabe betraut: die von Moses angefangene Arbeit fortzusetzen. Der Verfasser schreibt natürlich ad instrucüonemposteritatis, zum Unterricht der kommenden Generationen; auch will er durch Schilderung von exempla der Erziehung der jüngeren Generation nützen. Vor allem aber gilt: Die historische Erzählung soll, anhand der durch die Bibel ermöglichten Deutung des geschichtlichen Geschehens, die Menschheit gründlich über ihren Ursprung und Endzweck informieren und dadurch ihre Erlösung zustande bringen. Der Geschichtsschreiber macht es sich zur heiligen Aufgabe, hinter den Peripetien der Geschichte die verborgene Bedeutung der geschichtlichen Tatsachen im Rahmen des göttlichen Heilsplanes nachzuweisen. Geschlechter kommen und gehen17; hinter den Launen des Glücks aber und hinter der das Leben von Individuen und Staaten kennzeichnenden Unbeständigkeit steckt der unveränderliche göttliche ordo, der feste Plan der göttlichen Heilsordnung. Die Vorfälle und Akzidenzen der menschlichen Geschichte sind alle ebenso viele Ereignisse auf dem Schauplatz der kosmischen, d. h. göttlichen, Aktivität. Die Heldentaten {res gestae) sind Taten Gottes {gesta Dei). Die Aufgabe des Geschichtsschreibers besteht darin, aus dem Zeitlichen das Ewige, aus dem Sichtbaren {visibilio) das Unsichtbare {invisibilia), aus dem Sinnlichen das Intelligible ins Licht zu rücken 18 . Das vernimmt man 16 17 18
Cf. ibid., 525-532, 533-538. Eccles. 2:4: „Generatio praeterit et generatiti advenit; terra autem in aeternum stat." Cf. Rom. 1:20; Cassiodorus, Insütuüones, I, c. 17 (ed. R. A. B. Mynors, Oxford 1937, 55): „Qui cum res ecclesiasticas référant, et vicissitudines accidentes per tempora diversa describant, necesse est ut sensus legentium rebus caelestibus semper erudìant, quando nihil adfortuitos casus, nihil ad deorum potestates infirmas, ut gentiles fecerunt, sed arbitrio Creatoris applicare veraáter universa contendunt. " Otto von Freising, Chronica sive Historia duabus civitatibus IV, prol. (ed. A. Hofmeister [MGH. SS in us. schol.], Hannover - Leipzig 1912, 180): „Nullum iam esse sapientum puto, qui Dei facta non consideret, considerata non stupeat ac per visibilia ad invisibilia non mittatur. " Johannes von Salisbury, Historia pontificalis, prol. (ed. M. Chibnall, London — Edinburgh — Paris — Melbourne - Toronto - New York 1956, 3) „Horum uero omnium uniformis intentio est, sátu digna referre, ut per ea que facta sunt conspiäuntur invisibilia Dei, et quasi propositis exemplis premii velpene, reddant homines in timore Domìni et cultu iustitie cautions. Hiis enim incognitis, merito seipsum dicitur irridere, quisquís diurne pagine vel prudentie mundane sibiperitiam uendicat. Nam, ut ait ethnicus, aliena vita nobis magistra est, et qui ignarus estpreteritorum, quasi cecus in futurorum prorumpit euentus. "
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bis in die Titel der Werke selbst. So schrieben Salvianus von Marseille „De gubernatione Dei libri II", Guibert von Nogent „Gesta Dei per Francos" (also nicht „Gesta Francorum") und Otto von Freising „Chronica mundi sive liber de duobus civitatibus" (mit überdeutlicher Anspielung auf die zwei eschatologischen Gemeinschaften Augustine). Der Geschichtsschreiber muß also nicht nur über alle erwähnenswerten Ereignisse (digna memoria) aus der Vergangenheit Buch führen. Er muß vor allem hinter und unter dem Auf und Ab der oberflächlichen Geschichte diese größere Geschichte entdecken, die auf mysteriöse Weise die Menschheitsgeschichte umfaßt. Es ist also äußerst wichtig, alle diese Ereignisse festzuhalten, denn eben das kleinste Detail könnte eine schwerwiegende Bedeutung haben. Hier finden wir das „antiquarische Merkmal" der mittelalterlichen Geschichtsschreibung wieder. Nichts geschieht sinnlos oder vergebens, alles ist wichtig. Er muß in den Ereignissen der Menschheitsgeschichte die unsichtbare Bedeutung derselben im göttlichen Heilsplan freilegen — also in der Anwesenheit des Anwesenden die Anwesenheit des Abwesenden aufzeigen. Der theologisch — prophetisch — eschatologische Charakter der mittelalterlichen Geschichtsschreibung ist ihr wahres Wesen selbst. Was Godefroid Kurth über Gregor von Tours sagt, gilt für alle mittelalterlichen Geschichtsschreiber: „Rien de plus naturel que le surnaturel." 19 Daraus geht hervor, daß die mittelalterlichen Geschichtsschreiber fast ausnahmslos Kleriker sind. Natürlich, so könnte jemand einwenden, weder das Volk noch die meisten Adligen verstanden die Kunst des Schreibens, nur Geistliche und vornehmlich Mönche konnten schreiben. Aber dieses unbestreitbare Faktum erklärt dennoch nicht, warum alle mittelalterliche Geschichtsschreibung einen theologisch-eschatologischen Charakter haben soll. Uns scheint es vielmehr so zu sein, daß ein wesentliches Verstehen von Geschichte im Mittelalter einem eschatologisch-theologischen Begreifen derselben gleichkommt. Das ist der wahre Grund, warum man im Mittelalter fast ausschließlich Ordens- oder Weltgeistliche unter den Historikern antrifft: In der Geschichtsschreibung braucht man wissenschaftliche Kenntnis um den Sinn, die Bedeutung und den Zweck der Geschichte; d. h. Bibelkenntnis und theologische Ausbildung sind dabei gefordert, ja unentbehrlich. Jetzt sind wir auch imstande, die beiden weiter oben erwähnten Entgleisungen des historischen Wissens am Beispiel der Geschichtsschreibung kurz zu erläutern. Die Gefahr der antiquarischen Historie, sagt Nietzsche, besteht in einer Entartung im Augenblicke selbst, in dem das frische Leben der Gegenwart diese Historie nicht mehr beseelt und begeistert 20 . Dieser Gedanke bringt uns selbstverständlich zu den mittelalterlichen Annalisten. Der Annalist schreibt alles auf, ohne Unterschied und Jahr für Jahr; er bekümmert sich auf keinerlei Weise um die heilshistorische Deutung der Ereignisse, er sammelt sie nur. 19
20
G. Kurth, De l'autorité de Grégoire de Tours, in: Etudes franques II, Paris — Bruxelles 1919, 122. Cf. Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen (nt. 1), c. 3, 228.
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Damit sei aber nicht gesagt, alle Annalisten sündigten durch Eitelkeit (vanitas). Im Gegenteil, und wie schon gesagt, die Annalen und Chroniken sind die notwendige Grundlage für alle weitere Geschichtsschreibung. Den Tatsachen gegenüber behält man die benötigte Distanz und Nüchternheit. Rodolphus Glaber unterstreicht die Unentbehrlichkeit von Annalen und Chroniken für den Historiker und bedauert, daß man nicht mehr Sachen aufgeschrieben hat, „die, hätte man sie nur aufgeschrieben, allen Menschen sehr nützlich und jedem eine großartige Belehrung in Weisheit und Vorsicht gewesen wären" 21 . Die vana curiositas kommt erst aufs Tapet, wenn der Annalist oder der Chronikschreiber sich wegen Grenzüberschreitung versündigt. So beschwert sich Gervasius von Canterbury wegen der Verführung der meisten Chronikschreiber, sich als Historiker zu benehmen: Sie erliegen offensichtlich der Versuchung, astronomische, meteorologische oder militärische Ereignisse ihrer eigenen Zeit im Rahmen einer Endzeitvoraussage zu deuten 22 . Diese eschatologisch-theologische Deutung der Ereignisse bietet nur der Verfasser der historia, und hierin hat er eine ungeheuerlich schwere, gründliche Bibelkenntnis und theologischen Sachverstand voraussetzende Aufgabe. Darum ist eine nicht ausgeführte historia, d. h. Annalen oder eine einfache Chronik, viel besser als eine schlecht ausgeführte. Die Anstrengungen der Annalisten, historia zu betreiben, sind alle eitel, umsonst {vanum, frustra). Sie ziehen die invisibilia hinter den visibilia nicht vollständig, nicht genügend, nicht adäquat in den Blick. Von superbia dagegen ist die Rede, wenn man dieselben invisibilia auf Kategorien des menschlichen Verstandes zurückführt. Dies geschieht in allerlei Berechnungen der Endzeit, wobei man die Generationen zählt und anhand eines solchen Kalküls die Wiederkunft des Herrn vorauszusagen hofft. Augustin, Beda Venerabiiis23 — der Begründer der mittelalterlichen Wissenschaft der Chronologie — und alle großen Theologen nach ihnen werden jede Form von Chiliasmus oder Millenarismus verurteilen. Die sechs Epochen von je tausend Jahren sind ungleich, und das Ende der sechsten Epoche könnte ebensogut auf den Anfang wie auf das Ende dieser aetas fallen. Letztendlich kennt nur der Herr selbst Tag und Stunde. Jede Spekulation über den genauen Augenblick des Jüngsten Tages ist von Übel. Wir brauchen nicht zu spekulieren oder zu kalkulieren, wir brauchen nur dafür zu sorgen, daß wir an jedem Moment des Tages bereit sind, den Herrn zu empfangen, wenn er kommt. Joachim von Fiore 24 , Alexander Minorità, Petrus Johannis Olivi und viele andere mit ihnen verneinten 21
22
23 24
Rodolphus Glaber, Historiarum 1. V, ed. and transi, by J. France (Oxford Medieval Texts), Oxford 1989, b. I, c. 1, 2. Cf. Gervasius von Canterbury, Chronicon, in: W. Stubbs (ed.), The Historical Works of Gervase of Canterbury, 2 vol., London 1879, I, 84; M. Mostert, De geschiedenes, in: M. Stoffers (ed.), De middeleeuwse ideeënwereld 1000 — 1300 (Middeleeuwse studies en bronnen 63), Hilversum 1994, 303; B. Lacroix, L'historien au moyen âge (Conférences Albert-le-Grand 1966), Montréal Paris 1971, 4 0 - 4 1 , n. 65. Cf. Schmidt-Biggemann, Philosophia perennis (nt. 5), 5 9 3 - 6 0 1 . Cf. ibid., 6 0 2 - 6 1 9 .
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also, daß es einen verborgenen ordo und eine verborgene Bedeutung gibt, nämlich den göttlichen ordo, oder sie sprachen diesem ordo zumindest seine transzendente Verborgenheit ab, indem sie diesen ordo bis auf die Ebene eines Gegenstandes menschlicher Wissenschaft zurückfuhren wollten. Sie nahmen damit der transzendenten Ordnung ihre Transzendenz und versündigten sich dadurch in Hochmut: Sie wußten ebenso pünktlich wie Gott selbst um Tag und Stunde der Wiederkunft. 3. Aus dem Vorhergehenden folgt letztlich die praktisch-existenzielle Bedeutung der Geschichtsschreibung, d. h. Nutzen und Nachteil der Historie für das mittelalterliche Leben. Nietzsche läßt wissen, daß „der Mensch, neben der monumentalischen und antiquarischen Art, die Vergangenheit zu betrachten, oft genug eine dritte Art nötig hat, die kritische", und zwar wiederum im Dienste des Lebens. Dabei ist es nicht die Gerechtigkeit, die zu Gericht sitzt, so Nietzsche, sondern das Leben allein, „jene dunkle, treibende, unersättlich sich selbst begehrende Macht". Der in einem solchen Gerichte vom Leben gesprochene Spruch lautet immer: „Alles, was entsteht, ist wert, daß es zugrunde geht." 25 Diese Art von kritischer, dem Leben dienender Geschichtsschreibung findet man auch bei den mittelalterlichen Historiographen, vor allem in den Prologen ihrer Werke. Des öfteren liest man dort, daß die Verfasser sich selbst das Etikett „alt" zusprechen: Sie sind mehr als 50, ja mehr als 60 Jahre alt (also nach mittelalterlichen Maßstäben ungeheuerlich alt), wenn sie die ihnen wichtig erscheinenden Ereignisse zu Papier bringen. Oftmals auch haben sie eine aktive Karriere als geistiger Ratgeber, als Theologe, als Arzt im Dienste einer wichtigen Persönlichkeit wie eines Königs oder eines Kaisers beendet (z. B. Alcuin). Ihrem Herrn sind sie treu und jahrzehntelang überallhin gefolgt: In seiner politischen Karriere, auf militärischen Expeditionen, auf Kreuzzügen, im Krieg usw. Nur eines hat die Geschichte ihnen beigebracht: Enttäuschung. Sie begreifen die Eitelkeit aller irdischen Dinge wie kein anderer. Sie verstehen die Vergänglichkeit von Macht und Ruhm und sehen ein, daß das wahre Glück nicht im Diesseits dieser unserer historischen Welt zu finden sein kann. Ihnen ist ganz klar geworden, wie sehr Gott alles geplant hat, und wie gut er dies getan hat. Ihre Resignation der Geschichte gegenüber führt uns zum „Prediger" zurück: Generationen kommen, Generationen gehen, aber die Erde bleibt bestehen; alles ist Eitelkeit. Geschichte betreiben wird also zu einem Lehrgang in Bescheidenheit, Gelassenheit, Loslösung vom Drang nach Ehre, Ruhm, Macht und Reichtum. In einer dergleichen abständlichen Betrachtung der eitlen Menschengeschichte auf dem Hintergrund einer kosmischen Heilsgeschichte vollzieht sich eine subjektive Heilserfahrung, die die uns in der Eschatologie versprochene objektive Heilserfahrung verstärkt und gleichzeitig auch von dieser verstärkt wird. Auf diese Weise lehrt die Geschichte uns nicht nur, den Sinn der Ereignisse zu entdecken; sie trägt überdies als Erkenntnis aktiv dazu bei, dem Historio25
Cf. Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen (nt. 1), c. 4, 229.
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graphen sowie seinen Lesern das menschliche Glück und das ewige Heil zu bewahren. Diese Erfahrung des „umsonst", der Nichtigkeit der Geschichte, wie vom „Prediger" beschrieben 26 , will der Geschichtsschreiber seinen Lesern nicht nur mitteilen, sondern dadurch auch nachvollziehen lassen. Hier sieht man also den praktisch-existenziellen Wert der geschichtlichen Wahrheit. Die Geschichte erzählt uns nicht nur „über" die Heilsgeschichte, ihre Peripetien und Wirkungen. Durch eine gewisse Art von Erzählen wird die Heilsgeschichte selbst in uns wirkungsvoll, gerade in dieser Erzählung, und bewahrt dem Geschichtsschreiber und seinen Lesern das Heil. Zum Schluß nur zwei Bemerkungen: Erstens hoffen wir genügend gezeigt und belegt zu haben, daß und wie die mittelalterlichen Menschen ein Verstehen von Geschichte hatten, ich hoffe also, das am Anfang erwähnte Vorurteil widerlegt zu haben. In ihrer Geschichtsschreibung findet man Elemente, die der von Nietzsche angeführten monumentalischen, antiquarischen und kritischen Historiographie ähnlich sind. Man könnte also diese mittelalterliche Geschichtsschreibung als eine dem Leben dienende kennzeichnen, obwohl diesem Ausdruck natürlich keine vitalistische (wie bei Nietzsche), sondern nur eine heilshistorische Bezeichnung beizumessen wäre. Selbstverständlich, und wie auch Nietzsche bemerkt, ist solche „dem Leben dienende" Historiographie alles andere als eine wissenschaftliche Geschichtsschreibung — wie wir heute diesen Begriff aufzufassen gewohnt sind. Zweitens: Nietzsche gibt in seiner zweiten „unzeitgemäßen Betrachtung" fünf Nachteile der wissenschaftlichen Historie für das Leben an. Von der mittelalterlichen Perspektive her erscheinen sowohl die moderne als auch die postmoderne Geschichtsschreibung als nur zwei Formen der oben erwähnten Entartungen der echten historia. Wenn Foucault recht hat und Geschichte erst um etwa 1800 geboren wird, dann kann, was dort entstanden ist, dem mittelalterlichen Menschen nur als großartig blasphemische superbia erscheinen. Ob es sich nun um Formen des Evolutionismus, Historizismus, Hegelianismus, Marxismus, Spenglerianismus usw. handelt, allen diesen Auffassungen von Geschichte ist dieses eine gemeinsam: Sie brüsten sich alle, aus den historisch bestimmten Prozessen der Vergangenheit und Gegenwart die historisch bestimmten Konturen der Zukunft voraussagen zu können. Die wissenschaftliche Erklärung betrifft das Notwendige und das Allgemeine, nicht das Zufällige und das Besondere. Die wissenschaftliche Erklärung der Geschichte befaßt sich mit den allgemeinen Strukturen und Gesetzen, denen der historische Prozeß unterworfen ist. Alles andere sind romantische Erzählungen über Individuen und ihre Projekte und Gefühle, die als solche — wie schön und interessant sie im übrigen auch sein mögen — aus der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung herausfallen. Seit dem Zweiten Weltkrieg aber haben auch diese großen und groben allgemeinen Strukturen und Gesetze (Lyotards „grands discours") ihre Glaubwürdig26
Eccles. 1:1—4: „Vanitas vanitatum, et omnia vanitas. Quid habet amptius homo de universo labore suo quo laborat sub sole? Generatio praeterit et generatio advenit; terra autem in aeternum stat."
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keit verloren. Unsere Geschichtsschreibung hat sich geändert und ist „petite histoire" geworden - unter dem Einfluß der französischen „Ecole des Annales" (man bemerke das Wort „Annales"!). Die postmoderne Geschichtsschreibung findet keine allgemeine(n) Linie(n) mehr in der Geschichte, sondern betont so viel wie möglich deren Kontingenz, Brüche, Arbitrarität und Irrationalität27. Lucien Febvre, Marc Bloch, George Duby, Fernand Braudel, Emmanuel Le Roy Ladurie, Jacques Le Goff, Philippe Ariès usw. konzentrieren sich auf die sogenannten „réalités du sol", auf das Leben des kleinen Mannes. Da es keine große Geschichte mehr gibt, ist ein kleiner Bauer aus dem völlig unbekannten Pyrenäendorf Montaillou als Gegenstand der Geschichtsschreibung ebenso interessant wie die traditionellen Könige, Kaiser und Päpste. Die postmoderne Historiographie wird von den visibilia geblendet und ist nicht länger imstande — methodisch — weiter zu sehen als diese visibilia. Sie würde daher in den Augen des mittelalterlichen Menschen nur als vanitas erscheinen können. Aus all dem Vorhergesagten ergibt sich, daß Nietzsche recht hat, wenn er behauptete, zwischen unserem und dem mittelalterlichen Zeitalter habe das verhängnisvolle Ereignis der modernen Wissenschaft stattgefunden; dadurch hat sich das Wesen der Geschichtsschreibung grundsätzlich und unumkehrbar geändert. Es ergibt sich ebenfalls, daß man vielleicht aus gutem Grunde annehmen könnte, jede Geschichtsschreibung erzähle uns ebenso gut über die Zeit, „worin" sie geschrieben wurde, wie über die Zeit, „worüber" sie schreibt.
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Cf. auch M. Foucault, Archéologie du savoir (Bibliothèque des Idées), Paris 1977. Vor allem setzt er sich darin gegen den anthropologischen oder anthropomorphischen Gehalt jeder Ideengeschichte (histoire des idées) oder Beschreibung einer „épistémè" ab: Man solle sich ohnehin von jedem historico-transzendentalen Subjekt verabschieden.
II. Das Jahr 1000
Der mittelalterliche Apokalyptismus und der Mythos vom Jahre 1000 TZOTCHO BOIADJIEV
(Sofia)
I.
Das europäische Mittelalter ist zweifelsohne die Zeit der großen Angst. Die natürliche menschliche Furcht vor den Naturkataklysmen und den sozialen Katastrophen, vor Überschwemmungen und Erdbeben, Krankheits- und Hungerepidemien, vor feindlichen Uberfällen und Heuschreckeneinbrüchen wird stark multipliziert durch das Hineinstellen jedes einzelnen Ereignisses in ein universelles Szenario, das unabänderlich mit der Zerstörung und dem Untergang der von den Menschen bewohnten Welt beendet wird. In diesem Szenario ist jedes konkrete Geschehnis weit bedeutungsvoller und vernichtender als seine direkte ,physische' Wirkung. Es wird unweigerlich auch als ein Zeichen für die sich nähernde Vollendung der Zeiten gedeutet, als ein mehr oder weniger klarer Hinweis darauf, daß die Welt unabwendbar ihrem Untergang entgegeneilt. Der Schrecken vor dem Ende der ganzen Schöpfung schärft den Blick und das Denken der Menschen jener Zeit in bezug auf jedes Zeichen, das den Tag und die Stunde des unvermeidlichen Geschehens vorhersagen zu können scheint. Die eschatologische Perspektive bereichert den symbolischen Kode der Ereignisse und der Erscheinungen, die ohnehin nicht in ihrer reinen „Dinglichkeit" aufgenommen und gedeutet werden, sondern in ihrem Zeichencharakter, in ihrer Tauglichkeit, die Elemente der Sinnfülle der göttlichen Vorsehung auszudrücken. Im „Wald der Symbole" (Le Goff) bekommen besonders die „Gegenstände" einen hohen Wert, die in sich selbst die Potenz haben, die Idee der Vervollkommnung und der Vollendung und — soweit es eben um das geschaffene und vergängliche Seiende geht — die der Beendigung und des Ubergangs ins Nichtsein darzustellen. Die Zahlen sind eine wichtige Komponente im mittelalterlichen Symbolverständnis. Sie erweisen sich als angemessen speziell für die eschatologischen Spekulationen, insofern die Zahlenreihe gewisse Grenzen aufweist, so daß die Vermutung naheüegt, die Welt höre auf zu existieren, wenn eine streng festgestellte Zahl von Jahren vergangen ist. Die Zahl vereinfacht weitestgehend den exegetischen Kode, und die apokalyptischen Erwartungen scheinen ungehindert ihren Stützpunkt in der ersten größeren Zeitgrenze finden zu können — im Jahr 1000 nach der Geburt (oder der Passion) des Erlösers. Daß die Zahl 1000 diese
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Tzotcho Boiadjiev
Gren2e sei, daran hatten die gebildeten Menschen des Mittelalters keinen Zweifel. Eintausend ist das volle Quadrat der Zehn — schreibt Augustinus im „Gottesstaat"1 — , sie drückt das Sein in seinem ganzen Umfang, also in seiner Vollkommenheit aus. Deswegen wird durch die Zahl 1000 die Gesamtheit alles Seienden dargestellt. Bei einer solchen Einstellung scheint aber die mittelalterliche Gesellschaft mit dem Herankommen des Jahres 1000 die konkreten Konturen des in der Heiligen Schrift, hauptsächlich im zwanzigsten Kapitel der Offenbarung des heiligen Johannes 2 , verkündeten Untergangs der von uns bewohnten Welt erblicken zu müssen. Man könnte annehmen, daß die unmittelbare Vision vom Ende die dramatischen Obertöne im Leben der Zeitgenossen gesteigert, einen mächtigen Ausbruch der Reue und Niedergeschlagenheit hervorgerufen, eine allgemeine Absage von irdischen Gütern, eine demonstrative Wohltätigkeit, einen massenhaften Ansturm der Menschen aus allen Ständen auf die Klöster, eine gespannte Aufmerksamkeit auf die Zeichen, einen Geiz in bezug auf die letzten bleibenden Tage stimuliert hätte.
II. Umso erstaunlicher ist das Schweigen der zeitgenössischen Quellen über diese vermeintliche Angst vor dem Jahre 1000. Hier seien nur ganz kurz die den Historikern seit langem sehr gut bekannten Tatsachen erwähnt 3 . In den Annalen 4 , in den Chroniken 5 , in den Viten der bedeutenden Männer, in den Mirakel1
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Aurelius Augustinus, De civitate dei XX, 7, ed. B. Dombart/A. Kalb (CC SL 48), Turnhout 1955, 710. H. Focillon, L'An Mil, Paris 1952, 42, bemerkt, daß weder in den Evangelien noch in den Apostelbriefen das Ende der Welt mit einem gewissen Datum in Verbindung gebracht wird, daß also der Text der Offenbarung das einzige millenaristische Zeugnis im Neuen Testament ist. Doch in unserem Fall kann selbstverständlich das juristische Prinzip testis utius, testis nullus keinen Gültigkeitsanspruch erheben. Denn der Text der Heiligen Schrift ist in jedem, selbst im kleinsten Detail wahr (ja die Wahrheit selbst), und jeder Hinweis hat darum einen absoluten Wert. Cf. Fr. Plaine, Les prétendues terreurs de l'An Mil, in: Revue des questions historiques 13 (1873), 145 — 164; H. von Eicken, Die Legende von der Erwartung des Weltunterganges und der Wiederkehr Christi im Jahre 1000, in: Forschungen zur deutschen Geschichte 23 (1883), 301—318; J. Roy, Formation de la légende de l'an mil, Paris 1885; P. Orsi, L'anno mille, in: Rivista storica italiana IV 1, Turin 1887, 1 - 56; F. Lot, Le mythe des terreurs de l'An Mille, in: Recueil des travaux historiques, t. 1, Genf - Paris 1968, 3 9 8 - 4 1 4 ; E. Pognon, L'an mille, Paris 1947; Focillon, L'An Mil (nt. 2); G. Duby, L'An MU, Paris 1967; D. Le Blevec, L'An Mil, Paris 1976; D. Milo, L'An Mil: un problème d'historiographie moderne, in: History and Theory: Studies in the Philosophy of History 27 (1988), 2 6 1 - 2 8 1 . Cf. Annales Beneventani, ed. G. H. Pertz (MGH SS, III), Hannover 1839, 1 7 3 - 1 8 5 ; Annales S. Pauli Virdunensis, ed. G. H. Pertz (MGH SS, XVI), Hannover 1859, 5 0 0 - 5 0 2 . Cf. Chronicon Novaliciense, ed. L . C . Bethmann (MGH SS, VII), Hannover 1846, 7 3 - 1 3 3 ; Thietmar von Merseburg, Chronicon, ed. W. Trillmich (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters IX), Darmstadt 4 1970; Adémar von Chabannes, Chronicon, ed. J. Chavanon (Collection de textes pour servir à l'étude et à l'enseignement de l'histoire 20), Paris 1897, 1-211.
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Sammlungen6 aus dem späten 10. Jahrhundert ist kein einziger eindeutiger Hinweis darauf zu finden, daß apokalyptische Erwartungen mit dem kommenden Ende des Jahrtausends in Verbindung gebracht wurden. Der berühmte Abbo von Fleury (945-1004) erzählt zwar von einer im Pariser Dom gehaltenen Predigt, nach der der Untergang der Welt mit dem tausendsten Jahr zusammenfallen solle, und daß er sich daraufhin verpflichtet gefühlt habe, Zitate aus den Evangelien, aus der Offenbarung des heiligen Johannes und aus dem Buch des Propheten Daniel anzuführen, um diese Behauptung zu widerlegen7. Doch dieses Ereignis fällt in die Zeit seiner Jugend, also in die Zeit um die Mitte des Jahrhunderts, wo natürlich ein solcher Bezug auf etwas, das erst eine Generation später passieren sollte, nur ganz abstrakt und aus der Ferne auf die Zuhörer wirken konnte. Bald danach wurde er gezwungen, schriftlich einige Lothringer Kleriker zu widerlegen, die anhand der Komputistik errechnet hatten, „daß die Welt unfehlbar in dem Jahre zu Grunde gehen würde, in welchem die Verkündigung Mariä und der heilige Freitag, d. h. also die Fleischwerdung und der Todestag des Erlösers, auf einen Tag fallen" 8 . Es handelt sich jedoch nicht um das Jahr 1000, sondern um 970, und der zukünftige Abt hatte es nicht besonders schwer zu zeigen, daß ein derartiges Zusammentreffen schon oftmals (zuletzt im Jahre 908) stattgefunden habe, ohne daß dies zum Untergang der Schöpfung geführt habe. In den von Johannes von Tritheim bearbeiteten Annalen des Klosters Hirsau wird von einem Thüringer Eremiten namens Bernhard bezeugt, daß dieser das baldige Ende der Welt gepredigt habe {diem jam jam imminere dicebat extremum, et mundum in brevi consummandum) und einige der Anwesenden seinen Worten Glauben geschenkt, andere aber sie als wahnsinnig und arrogant verspottet hätten (alii vero ut hominem vel cerebro destructum, vel arrogantiaplenum irridebant)9. Hier hört man übrigens kein Wort über das Jahr 1000. Der letzte Tag scheint unmittelbar bevorzustehen in der Zeit des Kaisers Otto I. und des Abtes Siger IX., also um 960. Wie im oben angeführten Fall wäre die Verkündigung des Untergangs der Welt nach vierzig Jahren kaum von Bedeutung für die principes regni, die - als schon reife Männer — den Termin des Jahrtausendendes zu erreichen nicht hoffen konnten. Eine Anspielung auf das Jahr 1000 als mögliche Grenze dieser Welt scheint jedoch in der Chronik des Raoul Glaber vorzukommen. Als einige gebildete Männer gebeten werden, das unerhörte Zusammenströmen von Pilgern nach Jerusalem zu erklären, vermuten sie, dies sei ein Zeichen für das baldige Erscheinen des Antichrist, das „um das Ende dieses Jahrhunderts" (circa finem saeculi 6
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Les Miracles de Saint-Benoit, écrits par Adrevald, Aimoin, André, Raoul Tortaire et Hugues de Sainte-Marie, moines de Fleury. Réun. et pubi, pour la Soc. de l'hist. de France par E. de Certain, Paris 1858. Abbo von Fleury, Apologeticus, ed. Migne PL 139, 471 sq. Ibid. Johannes von Tritheim, Annales Hirsaugienses, t. 1, Typus monasterii S. Galli 1690, 102 sq.
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istins) zu erwarten sei. Diese Vermutung haben sie jedoch — fügt der Verfasser hinzu — „ganz vorsichtig" (satis caute) gemacht 10 , und es ist selbstverständlich noch dazu unklar, inwieweit das Ende des Jahrhunderts hier in einem streng chronologischen Sinne gemeint ist. Denn — wie bekannt 11 — benennt das Wort saeculum nicht unbedingt eine Frist von hundert Jahren, sondern jeden größeren temporalen Abschnitt, der den beständigen Zustand des menschlichen oder des kosmischen Seins charakterisiert oder selbst das Ganze des geschaffenen Seienden, das sich zwischen einem schwer festzustellenden Anfang und einer unklaren und unbestimmten Zukunft erstreckt. Übrigens sieht das von dem Cluniazensischen Mönch gezeichnete Bild seiner Zeit keineswegs finsterer aus als das für dieses literarische Genre Übliche. In der Chronik lesen wir zwar von allerlei Missetaten, vom Tode einiger Großer dieser Welt (des Papstes Benedikt VIII., des französischen Königs Robert II., des Magisters Fulbert von Chartres), von der schrecklichen Hungersnot unmittelbar vor dem tausendsten Jahre seit der Passio Christi, doch diese in gewissem Sinne konventionelle lamentatio wird gleich durch eine Apotheose der Wiedergeburt der Natur und der religiösen Frömmigkeit ins Gleichgewicht gesetzt 12 . In dieser fast idyllischen Beschreibung fehlt selbst die kleinste Anspielung auf den nahen Untergang. Keine apokalyptischen Erwartungen verfinstern ihre helle und heitere Tonalität. In ihr ist, ganz im Gegenteil, die Zeit in die Richtung einer gewitterlosen und hoffnungsvollen Zukunft „ausgedehnt". Der Chronist ist ja ein Mönch, und er wird sich selbstverständlich verpflichtet fühlen, den Leser auf den möglichen Verfall der Sitten in einer Zeit des Lebensglücks aufmerksam zu machen 13 , doch er wird diese Gefahr eher mit der „ewigen" Menschenschwäche als mit dem eigenartigen „Grenzzustand" der gegenwärtigen Epoche verbinden. Jedenfalls deutet Raoul Glaber — ähnlich wie auch sein Zeitgenosse Thietmar von Merseburg 14 — das Jahr 1000 nicht als „Weltdämmerung", sondern eher als einen „strahlenden Morgen". Selbst in einem ausgesprochen apokalyptischen Werk wie dem 954 geschriebenen „Libellus de Antichristo" gesteht der Verfasser, Adso von Montier-en-Der, offenherzig, daß ihm selbst die Zahl der Jahre, die zwischen dem Verhängnis des Antichrist und dem Tage des Jüngsten Gerichtes vergehen werden, unbekannt sei, und daß auch kein anderer diese Zahl kenne, denn die Frist wisse nur Gott, der sie noch vor den Zeiten festgelegt habe 15 .
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Raoul Glaber, Historiae sui temporis IV, 6, ed. Migne PL 142, 681 sq. Cf. Α. Borst, Lebensformen des Mittelalters, Frankfurt a. M. - Berlin 1973, 49. Raoul Glaber, Historiae IV, 5 (678 sq.). Cf. W. Otten, Eindtijdwachting of toekomstvisie?, in: Groniek. Historisch Tydschrift 13 (1998), 139 — 153; ead., Eindtijdreflecties van een monastiek historicus: de visie van Rodulfus Glaber op het jaar 1000 na Chr., in: Th. Clemens/W. Otten/G. Rouwhorst (eds.), Het einde nabij?, Nijmegen 1999, 1 2 5 - 1 3 6 . Thietmar von Merseburg, Chronicon VI, 1 (242). Adso von Montier-en-Der, Libellus de Antichristo, ed. Migne PL 101, 1298.
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Kein äußerliches Zeichen deutet darauf hin, daß die Gesellschaft das Ende der Weit erwartet. Der Lauf des Lebens erscheint erstaunlich alltäglich und trivial. Zwischen 950 und 1000 zählt man allein in Frankreich 112 bedeutende Bauten. Acht davon werden in den letzten fünf Jahren des Jahrtausends fertiggestellt: Notre-Dame in Etampes, Saint-Frambourg in Senlis, Saint-Flour (996), Ahun in Limoges, Villeneuve-les-Avignon (997), Notre-Dame in Carcassonne, Neauphlele-Vieux, Saint-Gervais und Protais in Mende (999)16. Der junge Kaiser Otto III. verfolgt unablässig seine ehrgeizigen Pläne. Gerbert von Aurillac wird unter dem Namen Silvester zum Papst erhoben, was an die große Zeit des ersten Silvester, d. h. an die Zeit des Kaisers Konstantin, erinnern sollte. Heribert wird zum Kölner Erzbischof ordiniert, und das Ereignis wird prachtvoll gefeiert ... am 24. Dezember 999 17 . Zahlreiche Zeugnisse aus Piémont, der Toscana, der Lombardei usw. sprechen von einem intensiven Handels- und Wirtschaftsleben 18 . Man bemerkt das langsame, aber deutliche Wiederaufleben der Kultur 19 . In den Klosterbibliotheken werden eifrig Manuskripte gesammelt und kopiert 20 . Die Fragen, die die Konzile im letzten Jahrzehnt vor dem Jahre 1000 beschäftigen, sind fast ausschließlich materiellen Charakters: der Widerstand gegen die Räuber, das Konkubinat, das Fleischessen, die Ehe zwischen dem französischen König Robert und seiner Kusine Berta (die 998 vom Konzil in Rom vorgeschriebene siebenjährige Buße wäre ja sinnlos, wenn der Untergang der Welt in weniger als zwei Jahren erwartet würde) 21 . In keiner der zwischen 970 und 1000 veröffentlichten ca. 150 päpstlichen Bullen ist auch nur ein einziges Wort über das „schreckliche" Jahr zu finden22. In einer Urkunde für das Kloster Lorsch von 998 wird zwar gesagt, daß sie „von jetzt ab bis an das Ende der Welt" gelten solle, und daß das Geschriebene „vor Gott und seinem zukünftigen schrecklichen Gericht" bestätigt sei, doch keinesfalls wird angedeutet, daß dieses Gericht in zwei Jahren stattfinden werde. Wenn einige Zeilen danach Papst Gregor V. seine Nachfolger erwähnt, „so möchte dieser Plural geradezu ein indirekter Gegenbeweis gegen die Annahme sein, daß er das Gericht Gottes auf das Jahr 1000 erwartet habe" 23 . Die in Schenkungsurkunden vorkommende Formel appropinquante etenim mundi termino et ruinis crescentibus scheint nichts mehr als eine der standardisierten Einfuhrungsformeln zu sein, durch die im Mittelalter jedes schriftliche Dokument „eröffnet" wird. Sie ist zum ersten Mal von einem scnptor namens Marculfus im 7. Jahrhundert gebraucht, dann besonders in Aquitanien im 9. Jahrhundert und 16 17
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Cf. Lot, Le mythe (nt. 3), 405. Lantpertus, Vita Heriberti 6, ed. G. H. Pertz (MGH SS, IV), Hannover 1851, 739-753, hier 741: „Non fuit similis laetitia in Coloniensium populo." Cf. Orsi, L'anno mille (nt. 3), 23. Cf. Duby, L'An Mil (nt. 3), 10. Cf. Orsi, L'anno mille (nt. 3), 30. Ibid., 18sq. Cf. Lot, Le mythe (nt. 3), 405; Focillon, L'An Mil (nt. 2), 54. Cf. Von Eicken, Legende (nt. 3), 309.
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in Burgund in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts verbreitet24. Paradoxerweise verschwindet jedoch diese Formel gerade um die Jahrtausendwende25, um erst nach dem Verstreichen des fatalen Datums wieder aufzutauchen26. Jedenfalls ist selbst bei dem Gebrauch dieser Formel nirgendwo ein konkreter Hinweis auf das Jahr 1000 zu treffen. Es wird viel eher an die persönliche Todesstunde und an die allgemeine Vergänglichkeit des Menschseins als an das herankommende Ende des Jahrtausends gedacht27.
III. Das Bemerkenswerte an allen diesen und — übrigens erstaunlich wenigen — ähnlichen Episoden ist ihre emotionale Neutralität, die Unfähigkeit der überspringenden Funken, den Brand einer allumfassenden Diskussion zu entfachen, eine intellektuelle Gleichgültigkeit, die freilich bei einer tatsächlichen Angst vor dem Jahre 1000 undenkbar wäre. Selbst wenn wir den Koeffizienten der Konventionalität, der literarischen Stilisierung28, der die zu grellen Farben des Lebens im Mittelalter zu mildern pflegt, in Rechnung stellen, so werden wir immer noch eine erstaunliche Gleichmütigkeit des gebildeten Klerus und auch der einfachen Laien um die Wende des Jahrtausends feststellen. Diese Tatsache verlangt selbstverständlich eine Erklärung. Der Kulturhistoriker hat ja das Recht, der scheinbar „verpaßten" Möglichkeit einer vollständigen Exploitation der während des ganzen Mittelalters lebendigen und funktionellen eschatologischen Einstellung sorgfältig nachzugehen29. 24 25
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Roy, Formation (nt. 3), 188 sqq. Cf. Lot, Le mythe (nt. 3), 407: „On cesse de l'employer parce que celui des scribes du monastère qui affectionnait cette formule est mort ou a changé d'emploi - et que son successeur préfère d'autres formules." Die anderen gebrauchten Formeln sind: „pro remedio animae meae, pro aeternae mercedis retribuitone, ad aeternae recompensationispremium" etc. (Von Eicken, Legende [nt. 3], 308). So e. g. in den Schenkungsurkunden für die Abtei Lézat aus den Jahren 1030 und 1048. Cf. Roy, Formation (nt. 3), 188 sqq. Die Einfuhrungsformel in der Schenkungsurkunde der Herzogin Godilda für die Abtei Echternach (erste Hälfte des 10. Jahrhunderts) lautet: „Humani generis termino appropinquante non incerta ruinis crescentibus secundumpresens finiendum (finienda?) demonstrantur judiàa, undique unicuique mortalium eternitatis via attentius premeditanda est, per quam regnum et gaudium consequatur eternum" (Von Eicken, Legende [nt. 3], 308). Die übliche Ausdruckweise in den Urkunden der Kathedralkirche NotreDame in Nimes zur gleichen Zeit ist die folgende: „ Timeo casum humane fragilitatis ne me repentina mors subripiat et laqueus crudelitatis involvat... " (ibid., 310). Die Konventionalität der Ausdruckweise spielt im Mittelalter eine beachtliche Rolle. Es ist also bei der interpretativen Rekonstruktion immer die „Durchlässigkeit" der Sprache für gewisse Themen mit in Betracht zu ziehen. Cf. Tz. Boiadjiev, Die Renaissance des 12. Jahrhunderts: die Natur und der Mensch, Sofia 1991, 32 sqq. (bulg). Mir fallt es schwer, der These Focillons (L'An Mil [nt. 2], 63) zuzustimmen, nach der es die Kirche war, die die latenten Ängste vor dem Jahr 1000 gedämpft hat. Denn es ist nicht klar zu sehen, wozu sie das hätte unternehmen sollen. Und auf welche Weise sollte sie ihr Vorhaben verwirklicht haben? Durch Predigt? Oder durch Verbot? Wer aber an den unmittelbar kommenden Weltuntergang offenherzig glaubt, der würde kaum solche Sanktionen in acht nehmen. Und
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Hier spielt an erster Stelle zweifelsohne jene „allgemein verbreitete Gleichgültigkeit in bezug auf die Zeit", von der Marc Bloch spricht 30 , eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Die ungebildete Masse der Bevölkerung, die „schweigende Mehrheit" (A. Gourevitch), lebt ja überhaupt außerhalb des Modus der geschichtlichen Zeit. Ihr Lebensrhythmus folgt eher der Wiederholbarkeit der Naturzyklen als dem Universalsujet der Weltgeschichte. Die eschatologische Perspektive ist selbstverständlich eine wichtige Komponente ihrer Weltanschauung, doch in den meisten Fällen bestimmt sie das Menschenleben nur ganz bedingt und entfernt. Die Anwesenheit der Natur ist noch zu unmittelbar und zu brutal, um die Orientierung des Lebens nach den weiteren und abstrakteren Sinnhorizonten zu erlauben. Das Verbinden der apokalyptischen Prophezeiungen mit konkreten Daten hat offensichtlich keine besonderen Chancen in einer Zeit, in der sehr wenige Leute ihre eigene Existenz auf der Skala der universellen Geschichte zu lokalisieren imstande sind. Zudem scheint die eschatologische Erwartung dort gemildert zu sein, wo der stete Wechsel zwischen Tod und Wiedergeburt der Natur eher die Idee der ewigen Wiederkehr als die des unwiederbringlichen Ubergangs ins Nichtsein einflößt. Diese Vorstellung ist freilich durch die entsprechenden Texte der Heiligen Schrift oder der Kirchenväter zu korrigieren, doch eine solche Berichtigung setzt eine Bildungsstufe voraus, die prinzipiell der überwiegenden Mehrheit der Menschen im frühen Mittelalter unerreichbar war. Die millenaristische Grundeinstellung wird durch Lesen und Rechnen formiert. Sie kann also die Einstellung der gebildeten Elite sein, d. h. solcher Leute, die den Text der Heiligen Schrift und die Werke der kirchlichen Autoritäten einigermaßen gut kennen. Doch eben fur solche Leute muß die genaue Datierung des Weltunterganges auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen. Denn der maßgebende Text aus dem zwanzigsten Kapitel der Offenbarung ist gar nicht völlig klar und verlangt nach einer Deutung. Zuerst ist der Ausdruck „tausend Jahre" kaum buchstäblich zu verstehen. Gemäß der literarischen Konvention der Zeit bedeutet er eher eine große, aber unbestimmte Zahl von Jahren 31 . Dabei ist diese Zahl — in der Perspektive von Gottes Allmacht — völlig bedingt, insofern vor unserem Herrn ein Tag wie tausend Jahre ist und tausend Jahre wie ein Tag (2 Petr. 3, 8). Deswegen warnt auch der berüchtigte Beatus von Liebana, dessen in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts geschriebenes exegetisches Werk über die Offenbarung des Johannes den Ausgangspunkt für eine
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dann, wo sind die Häresien auf einer millenaristischen Basis? Wann soll die Kirche mit vollem Erfolg solche Glaubensverirrungen nicht nur überwunden, sondern auch „verheimlicht" haben, und zwar so, daß wir kein einziges Wort darüber hören? Wenn es solche Häresien aber doch gegeben hat, warum wird keiner dafür gelobt, sie besiegt zu haben, warum wird der Triumph des wahren Glaubens nicht gepriesen? Nein, es ist viel vernünftiger, einfach zu gestehen, daß im späten 10. Jahrhundert keine Angst vor dem Jahre 1000 herrschte, und zu versuchen, diese unbestreitbare Abwesenheit zu erklären. Cf. M. Bloch, La société féodale, t. 1, Paris 1968, 119. Cf. Pognon, L'an mille (nt. 3), IX.
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Reihe ähnlicher Kommentare darstellt, speziell vor jedem Versuch, das im Bibeltext erwähnte Datum buchstäblich zu nehmen. Beatus bemerkt zwar, daß von der Erschaffung der Welt bis zum heutigen Tage 5986 Jahre vergangen sind, daß also bis zum Ende des „sechsten Alters" nur 14 Jahre verbleiben, doch gleich danach fugt er hinzu, daß der letzte Tag keiner menschlichen Rechnung unterliegt, denn, obwohl es sicher ist, daß die Welt im Zeitraum von 6000 Jahren untergehen soll, so ist, ob diese Zahl erfüllt oder verkürzt wird, nicht uns, sondern nur Gott bekannt 32 . Dabei ist hier „eintausend" nicht eine genaue Bestimmung der Jahreszahl, sondern ein bedingter Ausdruck, der eine vervollkommnete Ganzheit bezeichnet. Deswegen dürfen wir nicht auf die Leute hören, die behaupten, von der Geburt Christi bis zum Tag des Jüngsten Gerichts würden eintausend Jahre vergehen, und so den Irrtum des Häretikers Kerinthos wiederholen 33 . Im Kommentar des Beatus wird die numerologische Eschatologie mit dem Jahre 6000 in Verbindung gebracht. Diese herkömmliche Auffassung, von Schriftstellern wie ζ. B. Laktanz 34 vertreten und in einem subtilen Werk des Hilarianus 35 bestätigt, gründet sich — wie leicht zu bemerken ist — auf die Idee von den sechs Altern, die das konkrete Menschenleben, aber auch das Leben der geschaffenen Welt bestimmen. Eine solche Berechnung ist jedoch gar nicht leicht durchzuführen. Es ist zum ersten schwer, den Anfangspunkt der Zeitrechnung festzustellen. Denn wann genau wurde die Welt geschaffen? Wann hat die Zeit zu laufen begonnen, deren Vollendung in sechstausend Jahren bemessen ist? Nach Hieronymus wurde unsere Welt im Jahre 5198 erschaffen. Im 8. Jahrhundert weist aber Beda auf ein ganz anderes Datum hin: den 18. März 3952 36 . Im frühen Mittelalter fehlt noch ein einheitliches System zur Berechnung der Kalenderzeit: das Weltalter wird gemäß eines wenigstens doppelten Standards bestimmt — entweder von der Erschaffung der Welt oder von der Fleischwerdung des Wortes her 37 . In den verschiedenen Gebieten gelten noch dazu allerlei lokale Zeitrechnungen, die ihren Anfang bei irgendeinem konkreten Ereignis haben — bei einem Naturkataklysmus, bei der Erhebung einer Herrscherdynastie usw.38.
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Beatus von Liebana, In Apocalipsin IV (7, 4), ed. H. A. Sanders, Rom 1930. Ibid., XI (20, 3). Cf. Laktanz, De vita beata VII, 14. Hilarianus, Libellus de mundi duratione, ed. Migne PL 13, 1097 — 1106. Cf. Borst, Lebensformen (nt. 11), 48. Hier sei der sehr wichtige, ja für die Bestätigung der in diesem Aufsatz verteidigten These entscheidende Nachweis Anna-Dorothee von den Brinckens erwähnt, daß die christliche Ara sich sehr langsam etabliert hat und eigentlich erst um die Mitte des 11. Jahrhunderts — im Rahmen des wachsenden Universalitätsanspruchs — gemeingebräuchlich wurde. Cf. den Beitrag von Anna-Dorothee von den Brincken in diesem Band; ferner: ead., Historische Chronologie des Abendlandes. Kalenderreformen und Jahrtausendrechnungen, Stuttgart - Berlin - Köln 2000, 80 sqq. So wird e. g. in Spanien zur Zeit des Beatus die Zeit nach der sogenannten „spanischen Ära" berechnet, wobei als Anfangspunkt das Jahr (38 v. Chr.) der Eroberung Spaniens von den Westgoten dient.
Der mittelalterliche Apokalyptismus und der Mythos vom Jahre 1000
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Selbst die Analogisierung der Geschichte mit dem Lebensalter des Menschen blockiert auf eine paradoxe Weise die Möglichkeit der Berechnung des letzten Tages, zumal die einzelnen Lebensperioden offensichtlich nicht gleichdauernd sind. So wären wir nur imstande, den letzten Abschnitt der Weltgeschichte sicher abzumessen, wenn alle vorhergehenden fünf Perioden analog genau 1000 Jahre gedauert hätten. Da dies aber bekanntlich nicht der Fall ist, so sollen auch unsere Bemühungen, den Tag des Jüngsten Gerichtes zu berechnen, sinn- und erfolglos bleiben. Charakteristischerweise kommt diese Warnung eben von einem Autor wie Beda, der sich mit Zeitberechnung so intensiv beschäftigt hat 39 . Bis hierher handelte es sich sozusagen um „technologische" Schwierigkeiten bei der Datierung der Vollendung der Zeiten. Doch selbst wenn diese irgendwie überwindbar wären, so kommt die metaphysische Unmöglichkeit noch hinzu, den Tag zu berechnen, der den Zeidauf gänzlich beenden wird. Denn mit dem Herankommen dieses Tages wird die Ordnung der Zeit selbst umgewandelt und zerstört. Die Ereignisse der letzten Tage — mahnt in seinem Schreiben an den englischen König /Ethelberth Papst Gregor der Große —, die Gewitter und die Kriege, die Pest und der Hunger, die katastrophalen Erdbeben usw., werden contra temporum ordinem stattfinden 40 . Das muß so sein, weil im metaphysischen Sinne der letzte Tag etwas mehr als die anderen Tage des Erdkalenders ist. Wie der erste, d. h. der Tag der Erschaffung der Welt, ist auch der letzte Tag aus der Reihe der Zeiten herausgerissen; er ist kein Datum unter anderen Daten, kein Zeitabschnitt unter anderen, dem ontologisch gleichwertige Zeiten vorausgegangen sind und folgen werden. Er bezeichnet die Grenze des in der Zeit Seienden, doch die Grenze ist unbedingt mehr als das von ihr Umfaßte. Dieser Tag ist der Übergang der Zeit in die Ewigkeit, er ist „jetzt", was nicht mehr Zeit ist, weil ihm kein „morgen" folgt, genauso wie der Anfang der Welt keine Zeit ist, weil es vor ihm kein „gestern" gegeben hat. Der letzte Tag kann folglich dem Maß der durch ihn selbst bestimmten Zeit nicht unterstellt werden, er ist also durch die Zahl der Tage oder Jahre der Existenz der Schöpfung nicht zu berechnen. Er wird zweifellos herankommen, weil das in der Heiligen Schrift verkündet ist, doch seine Ankunft wird außerhalb der Zeitordnung liegen. Die Berechnung des letzten Tages ist auch durch den besonderen Status der Zukunft festgelegt. Gemessen oder berechnet kann ja nur eine an sich seiende Zeit werden. Wenn wir Augustinus Glauben schenken (und die augustinische These bestimmt die „gelehrte" Zeitauffassung des frühen Mittelalters), so gibt es keine Vergangenheit an sich, keine Gegenwart an sich und keine Zukunft an sich, sondern nur die Gegenwart der Vergangenheit, die Gegenwart der Gegenwart und die Gegenwart der Zukunft 41 . Das soll bedeuten, daß die Zeit — genauso wie alles Seiende — aus der Perspektive ihres göttlichen Ursprungs heraus 39 40 41
Beda Venerabiiis, De temporum ratione 67, ed. Migne PL 90, 5 7 1 - 5 7 3 . Gregor der Große, Epistolae XI 66, ed. Migne PL 77, 1203. Aurelius Augustinus, Confessiones XI, 20 (26), ed. L. Verheijen (CCSL 27), Turnhout 1981, 206 sq.
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zu bewerten ist. Wenn also die Vergangenheit gemessen wird, so ist dieses Vorhaben durchaus gerechtfertigt, denn, obschon ihrem Sein nach die Vergangenheit unbedingt vom Horizont der Ewigkeit aufzufassen ist, obschon sie nur insofern als existent zu denken ist, als Gott ihrer gedenkt, so ist sie dennoch auch als empirische Tatsache verwirklicht. Diese empirische Verwirklichung, die Faktizität des Geschehenen läßt sich berechnen, ohne daß die Berechnung eine Aggression gegen das Andenken Gottes bedeutet. Der empirische Status der Zukunft kann jedoch durch den paradoxen Ausdruck „schon-aber-noch-nicht" ausgesagt werden. Das Zukünftige ist ja seiend, insoweit es in der Vorsehung Gottes schon vorhanden ist. Es ist aber noch nicht in die empirische Zeitreihe eingeführt. Die Zukunft ist immer noch aus der meßbaren natürlichen Ordnung der Zeiten ausgeschlossen. Sie berechnen zu wollen heißt, auf die Entzifferung der göttlichen Vorsehung Anspruch zu erheben, was der Sünde des Hochmutes entsprechen würde. Nicht umsonst versucht Abbo von Fleury die Vorhersagen seiner Opponenten zu neutralisieren durch die Behauptung, daß das Bevorstehende tatsächlich schon eingetreten sei 42 . Ihrer prospektiven Komputistik stellt er die einzig sinnvolle retrospektive gegenüber. Immer wenn wir die Zeit messen, tun wir dies mit Hilfe der bereits vergangenen Zeiten 43 , insofern nur sie restlos in die der menschlichen Berechnung unterliegende temporale Ordnung eingeschlossen werden können. Was die Zeiten betrifft, die erst später kommen werden, so ist ihr „Maß" einzig der verborgene Entschluß Gottes. Deswegen kann man nur ganz vorsichtige Aussagen über die Zukunft machen, mag sie auch genau nach dem unveränderlichen natürlichen Zeidauf gemessen scheinen. In der Reihe dieser Überlegungen hebt Augustinus besonders seine Zurückhaltung in bezug auf die Berechnung des Tages des Jüngsten Gerichts hervor, „der um das Ende unseres Jahrhunderts erwartet wird". Diese Zurückhaltung ist von der Abwesenheit eines genauen Nachweises bei den Propheten über die Zahl der Jahre von der Schöpfung bis zum Weltuntergang diktiert, aber auch von den Worten Christi: „Es gebührt euch nicht, die Zeiten oder die Jahre 44 zu wissen, die der Vater in seiner Macht bestimmt hat" (Act. 1, 7), und auch: „Von dem Tage aber und von der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater" (Mt. 24, 36). Der erste der oben zitierten Sätze beinhaltet zwei wichtige Andeutungen. Der Ausdruck „die Zeiten oder die Jahre" (und nicht „den Tag oder die Stunde") führt auf den Gedanken, daß das Ende der Welt gar nicht bevorsteht, daß es weder bald eintreffen wird noch auf einen genau festgelegten Zeitabschnitt zu beziehen ist. Andererseits sind in der lateinischen Version des Textes durch das Wort tempora zwei Wörter der griechischen Fassung wiedergegeben — chronos und kairos. Wenn aber als chronos die einfache Zeitspanne, die
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Cf. supra nt. 7 Cf. Aurelius Augustinus, Epistolae III, 197, 1, ed. Migne PL 33, 899. In der Luther-Ubersetzung ist jedoch mit „Zeiten oder Stunden" der Ausdruck tempora vel momenta aus der Vulgata wiedergegeben.
Der mittelalterliche Apokalyptismus und der Mythos vom Jahre 1000
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Zeit als der an sich selbst inhaltsfreie Schoß aller Geschehnisse zu bezeichnen ist, so ist unter kairos die mit konkreten Ereignissen überfüllte, exakte Wertzeichen tragende Zeit zu verstehen. Kairos ist nicht die gleichmäßig verlaufende und darum genau meßbare Zeit, sondern die, die mit größtmöglicher Klarheit als für ein bestimmtes Geschehnis geeignet oder nicht geeignet gekennzeichnet werden kann. Es ist also unangemessen, den letzten Tag in den Rahmen der leeren, der rein „chronologischen" Zeit hineinzustellen. Der letzte Tag ist kairos, er ist der Höhepunkt einer für die Wiederkehr Christi geeigneten Zeit. Eben deshalb kann er nicht berechnet werden. Er ist nur an den ihn vorzeichnenden Ereignissen erkennbar. Das unwiderlegbare Vorzeichen ist gemäß Augustinus das im Matthäus-Evangelium gesagte: „Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen" (Mt. 24, 14). Da aber gut bekannt ist, daß es bis heute noch zahlreiche nicht evangeüsierte Völker gibt, und daß viele Erdräume überhaupt unzugänglich sind, so ist — so lautet der Schlußsatz dieses klassischen „antimillenaristischen" Opus — das Ende der Welt erst in der unübersehbaren Zukunft zu erwarten45. In bezug auf den Tag des Jüngsten Gerichts ist jede Komputistik hilflos, da nur die gleichmäßig fließende, also die Zeit der Natur, berechenbar ist. Jener Tag ist jedoch in eine andere temporale Ordnung eingeschlossen, in eine Ordnung mit abwechslungsreicher Dynamik, die gemäß der Vorsehung Gottes geändert werden kann. Die Möglichkeit der Verkürzung der letzten Zeiten ist praktisch unbegrenzt, so daß das Ende in jedem nächsten Augenblick herantreten kann 46 . Deswegen sollen wir immer — wie der Knecht in der evangelischen Parabel (Mt. 4, 48; Lk. 12, 45) — die Wiederkehr unseres Herrn wach erwarten, ohne die genaue Stunde zu wissen 47 . Denn es steht geschrieben: „Es wird aber des Herrn Tag kommen wie ein Dieb; dann werden die Himmel zergehen mit großem Krachen; die Elemente aber werden vor Hitze schmelzen, und die Erde und die Werke, die darauf sind, werden ihr Urteil finden" (2 Petr. 3, 10). Das ganze europäische Mittelalter — im Verlaufe mehrerer Jahrhunderte — ist fest davon überzeugt, daß die Welt schon sehr alt ist, daß die heutige Generation im „letzten Alter" lebt, daß die Erscheinung des Antichrist noch in unserem Jahrhundert stattfinden wird, daß das Ende der Schöpfung unmittelbar bevorsteht. Die Offenbarung des heiligen Johannes kündet von etwas, „was in Kürze geschehen soll" (Apk. 1, 1), von einem Ereignis, dessen Zeit nahe ist (Apk. 1, 3). Man muß wissen, belehrt im 3. Jahrhundert Ciprian seine Adressaten, daß der Tag sinkt und der Untergang der Welt, d. h. die Zeit des Antichrist, sich nähert48. Im „Liber ad Demetrianum" sind die dunklen Farben noch dichter. 45 4i%ya) abschaffe — d. h. alle Christen und Juden zum Islam bekehre — und das Geld in solcher Menge fließen lasse, bis es niemand mehr annehme. In anderen Überlieferungen heißt es, dass Jesus den Daggäl töten und der Welt völligen Frieden bringen werde. Was das Verhältnis Jesu zum Mahdi betrifft, so nahm man auf sunnitischer Seite meistens an, dass Jesus erst nach dem Tod des Mahdi erscheinen werde. Teilweise aber glaubte man, dass beide gleichzeitig aufträten und der Mahdi den Daggäl auf Jesu Befehl hin töte oder umgekehrt Jesus den Mahdi im Kampf gegen den Da^gäl unterstütze. Letzteres gilt vor allem für die Schiiten. Manche Sunniten waren dagegen der Meinung, der Mahdi sei mit Jesus zu identifizieren, es gebe also keinen anderen Mahdi als ihn. Andere wie der berühmte sunnitische Traditionarier al-Buhärl (gest. 870), der die Überlieferung über den Qahtäni in seine Sammlung von Traditionen aufnahm, lehnten die Mahdi-Vorstellung überhaupt ab. Obwohl im Koran vom Mahdi keine Rede ist, blieb die Mahdi-Vorstellung über das Mittelalter hinweg bis in unsere Gegenwart hinein populär: Immer wieder kam es in der islamischen Geschichte zu Aufständen, die durch selbst ernannte Mahdis ausgelöst wurden 40 . Nur ausnahmsweise jedoch gelangen dauerhafte Reichsgründungen — wie vor allem im Falle der Fätimiden, deren politischer Aufstieg zu Anfang des 10. Jahrhunderts im Magreb begann und mit der 969 erfolgten Eroberung von Ägypten, das sie 200 Jahre lang beherrschten, den Höhepunkt erreichte 41 . Erstaunlicherweise haben die vielen Misserfolge der Mii/Wz-Prätendenten der immer wieder neu gehegten Hoffnung auf die Verbesserung der Verhältnisse durch den Auftritt des Mahdi nichts anhaben können. Die Gründe dafür bleiben zu klären.
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Zur Jesus-Erwartung der Muslime cf. zusammenfassend ibid., 372 sq. und 387 sq. Ibid., 3 9 5 - 4 1 4 . Zum Aufstieg der Fätimiden cf. F. Dachraoui, Le Califat Fatimide an Maghreb (296 - 365 H./ 9 0 9 - 9 7 5 Je.). Histoire Politique et Institutions, Tunis 1981; H. Halm, Das Reich des Mahdi. Der Aufstieg der Fätimiden ( 8 7 5 - 9 7 3 ) , München 1991.
Endzeiterwartungen als Symptom politisch-sozialer Krisen im Mittelalter TILMAN STRUVE
(Köln)
Die Epoche des Investiturstreites, das ausgehende 11. und beginnende 12. Jahrhundert, bezeichnet den wohl einschneidendsten Wandel in der Geschichte des abendländischen Mittelalters1. Die Auseinandersetzungen zwischen den beiden höchsten Repräsentanten der Christenheit, Kaiser und Papst, die zu bürgerkriegsartigen Zuständen vor allem im deutschen Reichsgebiet führten, aber auch die sich in deren Gefolge abzeichnenden sozialen Spannungen ließen bereits bei den Zeitgenossen den Eindruck einer defgreifenden Krise aufkommen. So erschien einem schwäbischen Historiographen in den achtziger Jahren des 11. Jahrhunderts die Phase des Investiturstreits als ein von Zwietracht im Reich beherrschter Zeitabschnitt — als ávilis discordiae tempestas2. Aus dem zeitlichen Abstand von einem halben Jahrhundert kennzeichnete ein Betrachter im fernen Brabant den Streit zwischen Gregor VII. und Heinrich IV. als eine zerstörerische Krankheit 3 , welche ihre lähmende Wirkung von dem regnum und sacerdotium symbolisierenden Haupt auf den gesamten Körper der Christenheit ausgebreitet habe. Um die Mitte des 12. Jahrhunderts schließlich wurde die nunmehr eindeutig auf die Problematik der Bischofseinsetzung bezogene Auseinandersetzung als eine digladialis seditio gewertet, in deren Folge das Reich auf allen Ebenen in zwei sich gegenseitig befehdende Lager zerfallen sei 4 . Der Umstand, daß nicht wenige der Kommentare zu den Ereignissen des Investiturstreites erst Jahrzehnte später abgegeben wurden, läßt die nachhaltige Erschütterung der Zeitgenossen erahnen. Als Ursache der zeitgenössischen Wirren wurden je nach politischem Standort die Entführung des unmündigen Thronfolgers 1062 zu
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Cf. T. Struve, Die Wende des 11. Jahrhunderts. Symptome eines Epochenwandels im Spiegel der Geschichtsschreibung, in: Historisches Jahrbuch 112 (1992), 3 2 4 - 3 6 5 ; italienische Ubersetzung auf der Grundlage des am Istituto storico italo-germanico in Trento gehaltenen Vortrage: Le trasformazioni dell' XI secolo alla luce della storiografia del tempo, in: C. Violante/J. Fried (eds.), Il secolo XI: una svolta? (Annali dell' Istituto storico italo-germanico. Quaderno 35), Bologna 1993, 4 1 - 7 2 . Annales Augustani ad a. 1065, ed. G. H. Pertz (MGH SS 3, Hannover 1839), 128, 11. Zum Verfasser cf. W Wattenbach/W. Holtzmann, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Die Zeit der Sachsen und Salier 2, Neuausgabe von F.-J. Schmale, Darmstadt 1967, 535 sq. Chronicon Affligemense c. 1, ed. G. H. Pertz (MGH SS 9, Hannover 1851), 407, 2 2 - 2 6 . Laurentius von Lüttich, Gesta episcoporum Virdunensium c. 9, ed. G. Waitz (MGH SS 10, Hannover 1852), 495, 4 0 - 4 9 6 , 8.
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Kaiserswerth 5 bzw. die Verhängung des Kirchenbanns über Heinrich IV. durch den Papst 6 benannt. Von einem oberdeutschen Gregorianer wurde hingegen der Verdacht geäußert, die Bischöfe im königlichen Lager hätten aufgrund ihrer zu militärischer Konfrontation neigenden Haltung die Zwietracht in Reich und Kirche zu verantworten 7 . Früh schon regten sich auf Seiten des salischen Königtums Stimmen, welche in der Person Gregors VII. den Urheber künftiger perturbato9, erkennen wollten. Für die Zeitgenossen nahmen die nach der Installierung eines Gegenkönigtums entbrennenden Kämpfe die Gestalt eines Reich und Volk spaltenden Bürgerkrieges an, dessen Begleitumstände: Mord, Verwüstung, Brand und Plünderung, unter denen besonders die pauperes zu leiden hatten, nicht nur in Sachsen wortreich beklagt wurden 9 . Auch in Süddeutschland erhob sich die Klage, das römische Reich werde bereits im siebenten Jahr von einem avile bellum, ja von einem Schisma, heimgesucht, und indem die einen dem Papst, die anderen Heinrich IV. anhingen, würde das gesamte Reich in Mitleidenschaft gezogen 10 . Uber die unmittelbaren materiellen Auswirkungen hinaus besaßen die Folgen des Streits jedoch noch eine andere Dimension. Ubereinstimmend konstatierten die Zeitgenossen einen erschreckenden Verfall sittlicher Grundwerte: Nirgends mehr seien verwandtschaftliche Bindungen, Treue und Freundschaft, Gehorsam, Gottesfurcht oder Ehrerbietung gegenüber den Menschen anzutreffen. Nur noch selten seien Zucht, Schamgefühl und Wahrheitsliebe zu finden, während die Lüge die Welt regiere 11 . Göttliche und menschliche Satzun-
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Frutolf von Michelsberg, Chronica ad a. 1056, edd. F.-J. Schmale/I. Schmale-Ott (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 15, Darmstadt 1972), 72; Liber de unitate ecclesiae conservanda 11,33, ed. W Schwenkenbecher (MGH Libelli de lite 2, Hannover 1892), 258, 3 4 - 2 5 9 , 4. Cf. J. F. Böhmer, Regesta Imperii 111,2. Die Regesten des Kaiserreiches unter Heinrich IV 1056 (1050)-1106, neubearbeitet von T. Struve, 1. Lieferung, Köln - Wien 1984, 103 sq. n. 252. Bonizo, Ad amicum VIII, ed. E. Dümmler (MGH Libelli de lite 1, Hannover 1891), 609, 1 2 - 1 3 . Berthold von Reichenau, Annales ad a. 1079, ed. G. H. Pertz (MGH SS 5, Hannover 1844), 322, 1 0 - 1 4 . Bereits in den ersten Jahren des Konflikts meinte ein seiner Haltung nach dem königlichen Lager zuzurechnender Eichstätter Domherr vor einem Pontifikat Hildebrand - Gregors VII. warnen zu sollen (Anonymus Haserensis c. 37, ed. L. Bethmann [MGH SS 7, Hannover 1846], 265; Neuedition von St. Weinfurter [Eichstätter Studien N. F. 24], Regensburg 1987, 64 sq.). Er fügte der Papst Leo IX. zugeschriebenen Vision den Kommentar hinzu: „Que prophetìa quam uera fuerit, plus equo iam, proh dolor, et bono in nostris calamitatibus apparuit." Zur Datierung auf 1078 cf. Weinfurter, Einleitung, 15 sq. Cf. weiter Benzo von Alba, Ad Heinricum IV,35 (6) (nt. 61), 404, 1 8 - 1 9 ; Petrus Crassus, Defensio c. 7 (nt. 65), 446, 2 7 - 2 8 . Bruno, De bello Saxonico c. 108, ed. H.-E. Lohmann (MGH Deutsches Mittelalter 2, Leipzig 1937), 98, 3 5 - 9 9 , 4. Spaltung des Reiches: ibid. 98, 3 - 5 . Bernold von St. Blasien, Chronicon ad a. 1083, ed. G. H. Pertz (MGH SS 5, Hannover 1844), 439, 9 - 1 1 . Berthold, Annales ad a. 1077 (nt. 7), 294, 1 9 - 2 6 : „Nulla propinquitatum natura, non amiátiarum fiduría, non debitae subiectionis oboedientia, nullus dipini timoris sive amorìs respectus, non fidei pactum, non iustitiae debitum, nullius honor vel reverentia personae, nec fere quicquid Jas et ius divinum semper in suis statutis Contimit, sua lege et ordine dispensatoriae saltem consuetudinis observantia vel imaginatum constiterat; set a minimo ad usque maximum cuncti avaritiae sollertissime et indifferenter, nec divina nec humana
Endzeiterwartungen als Symptom politisch-sozialer Krisen im Mittelalter
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gen hätten keinen Bestand, vielmehr gebärde sich jeder als sein eigener Richter und Vogt 12 . Vor allem aber werde zwischen Heiligem und Profanem kein Unterschied mehr gemacht, mit der Folge, daß allerorten Kirchen und Kirchengut von Ubergriffen betroffen würden 1 3 . Was hier von einem geistlichen Betrachter so wortreich beschworen wurde, waren in seinen Augen nichts anderes als Manifestationen der avaritiaXA. Die Fülle der Laster veranlaßte einen anderen Zeitgenossen zu dem Ausruf: „omnia commixta sunt"15 Was die Menschen aber am meisten beunruhigte, war die Tatsache, daß die Übel in einem bisher nicht gekannten Maß — ultra modum — überhand nahmen 1 6 . Angesichts der geschilderten Zustände stellte sich bei nicht wenigen der Eindruck einer allgemeinen Verwirrung, einer confusio temporumxl, ein. Negative Erscheinungen wie die Zunahme der Sündhaftigkeit in der Welt, die Ausbreitung der Lüge oder eben auch die mit Begriffen wie confusio oder perturbatio bezeichnete Störung der natürlichen Ordnung waren nicht nur Indikatoren einer krisenhaften Entwicklung der Gesellschaft; für die christlich-mittelalterliche Anschauung hatten sie stets auch einen eschatologischen Bezug 1 8 . Es ist daher nicht überraschend, wenn die Ereignisse des Investiturstreites von zeitgenössischen Autoren in Bildern eines endzeitlichen Szenariums geschildert wurden. So reagierte der Geschichtsschreiber Lampert von Hersfeld auf die vom salischen König verfügte Absetzung Gregors VII. unter Anspielung auf die Apokalypse mit der Feststellung, nunmehr sei Satan aus seinem Kerker befreit
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attendentes, studuerant. Disciplina nusquam, pudor revera preüosus, ventas rarissima erat, mendaäorum myriades ubicumque regnabant." Dem korrespondierte auf königlicher Seite die Gegenwartsanalyse des Augsburger Annalisten: „nulla timoris Domini respectio, nulla ministris Domini erat reverentia; gratuito quisque reprobus erat, et ... alius aliumper rapinam, per invidiam ocrìdtt" — mit Erwähnung weiterer Beispiele sittlicher Verkommenheit (Annales Augustani ad a. 1092 [nt. 2], 134, 2 - 4 ) . Berthold, Annales ad a. 1077 (nt. 7), 299, 5 - 7 : „Dimnaepariter ut et seculares legum constitutiones nec nominabantur saltern his diebus, set unusquisque, prout poterat, ita se iudice et correctore vicütabat" Die Ausbreitung des Eigennutzes unter den Zeitgenossen beklagte der Augsburger Annalist: „sua quique quaerentes, non quae Dei sunt asseyantes" (Annales Augustani ad a. 1098 [nt. 2], 135, 12 — 13). Berthold, Annales ad a. 1078 (nt. 7), 313, 19 — 27 — mit drastischer Ausmalung der weiteren Folgen. Berthold, Annales ad a. 1077 (nt. 7), 294, 2 4 - 2 5 . Zur Ausgestaltung des mittelalterlichen Lasterkatalogs cf. H. Fichtenau, Askese und Laster in der Anschauung des Mittelalters, Wien 1948, 90 sqq. Zur Charakterisierung der avantia als Grundübel in der Zeit des Investiturstreites cf. P. Classen, Eschatologische Ideen und Armutsbewegungen im 11. und 12. Jahrhundert, in: Povertà e richezza nella spiritualità dei secoli XI e XII. Convegni del Centro di studi sulla spiritualità medievale V i l i (L'Accademia Tudertina Todi 1969), 127-162, zit. nach: id., Ausgewählte Aufsätze (Vorträge und Forschungen 28), Sigmaringen 1983, 307 — 326, hier 313. Annales Augustani ad a. 1092 (nt. 2), 134, 4. Berthold, Annales ad a. 1077 (nt. 7), 294, 28. Annales Augustani ad a. 1091 (nt. 2), 133, 51; cf. bereits zu 1076, ibid. 129, 6: „promiscua omnia sunt confusa"·, ähnlich auch Petrus Crassus, Defensio c. 4 (nt. 65), 439, 3 1 - 3 2 : „janctae ecclesiae totiusque regni confusio"·, ibid. c. 7 p. 446, 27 — 28: „perturbatio regni"·, sowie Translatio Servatii c. 55 (nt. 20), 114, 2 8 - 2 9 . Cf. hierzu E. Bernheim, Mittelalterliche Zeitanschauungen in ihrem Einfluß auf Politik und Geschichtsschreibung, Tübingen 1918, 79.
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und kämpfe nicht nur mit leiblichen, sondern auch mit geistigen Waffen gegen den Frieden der Kirche 19 . In Niederlothringen erlebte ein Mönch des ServatiusKlosters zu Maastricht den Investiturstreit unter dem Aspekt einer völligen Verkehrung der bestehenden Sozialordnung, welche er der Einwirkung des entfesselten Satans zuschrieb: Bislang gültige Standesgrenzen würden überschritten, Kleriker wollten zu Laien, Knechte zu Herren werden, so daß schließlich keiner mehr in seinem angestammten Stand verbleibe20. Vor diesem Hintergrund erschienen ihm die letztlich auf die Abdankung des legitimen Herrschers zielenden Angriffe der Gregorianer auf Heinrich IV., den christus Domini, als Gipfel der Perversion: „confusa est omnis ecclesìa, conturbata est et terra universa/"21 Im „Annolied" schließlich fanden die Kämpfe des Investiturstreits einen literarischen Niederschlag, der in seinen bewegenden Bildern apokalyptische Ausmaße annahm: ríche allí% bikerte sin gewêfine in sin eigin inâdere mit siginufilîcher ceswe vbirwant i£ sich selbe, da% dì gidouftin lîchamin vmbigravin ci rnrfìn lâgin, rì âse den bellindin, den grâwin walthundin "22 Endzeitliche Spekulationen hat es in der einem „magischen Weltbild"23 verpflichteten Anschauung des Mittelalters stets - wenn auch in unterschiedlicher Intensität — gegeben. Aufgrund seiner christlich-biblischen Prägung war dem mittelalterlichen Geschichtsbild eine durch das Jüngste Gericht bezeichnete, auf
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Lampert von Hersfeld, Annales ad a. 1076, ed. O. Holder-Egger (MGH SS rer. Germ. [38], Hannover - Leipzig 1894), 263, 1 6 - 1 8 : „Iam etiim solutus carcere suo Satanas non solum corporali, sed et spirituali armatura obpugnabatpacem ecclesiasticam"·, cf. Apoc. 20,7. Zum Autor T. Struve, Lampert von Hersfeld. Persönlichkeit und Weltbild eines Geschichtsschreibers am Beginn des Investiturstreits, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 20 (1970), 32-142, hier 122. Jocundus, Translatio s. Servatii c. 55, ed. R. Köpke (MGH SS 12, Hannover 1856), 114, 2 3 - 2 6 : „Quia vero peccatis populi exigentibus potentium synagogas iam dudum intrant Satanas, et sibi eos subdidit volúntate et acúone, universos transferri permisit Deus in alios, srílicet clericos in laicos, servos in dominos, alia in alia, ita ut nemo in suo proposito atque decreto maneat ..." Ibid. 114, 1 8 - 2 9 . Das Anno-Lied Str. 40, ed. W. Bulst = Diplomatischer Abdruck der Editio princeps von Martin Opitz von 1639 (Editiones Heidelbergenses 2, Heidelberg 3 1974), 44,13-20; in der mit Übersetzung und Kommentar versehenen Ausgabe von E. Nellmann, Stuttgart 1975, 52 sqq. Neilmanns Versuch, die Schilderung des Annoliedes auf den lokalen Konflikt des Sachsenkrieges zu beziehen (ibid. 114), erscheint wenig überzeugend. Zu den teilweise über Annos Lebenszeit hinausgreifenden zeitgeschichtlichen Bezügen des Annoliedes cf. D. Knab, Das Annolied (Hermaea. Germanistische Forschungen N. F. 11), Tübingen 1962, 25 sqq. So J. Fried, Endzeiterwartung um die Jahrtausendwende, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 45 (1989), 381 - 4 7 3 , hier 393.
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das Ende gerichtete eschatologische Perspektive24 eigentümlich. War doch das Ziel aller irdischen Geschichte letztlich deren Aufhebung in der Ewigkeit. Insofern war der von der Abfolge der sechs Weltalter bestimmten mittelalterlichen Vorstellung der Gedanke der alternden, dem Ende zutreibenden Welt 25 durchaus geläufig. Seit dem 10. Jahrhundert ist zudem ein sich deutlich artikulierendes Gefühl der Zeitgenossen für die Endlichkeit der Zeit: sowohl der individuellen Lebenszeit, als auch der irdischen Geschichte überhaupt, zu beobachten. Reformerische Bestrebungen in Richtung auf eine Intensivierung von Buße und Askese erhielten hiervon ihren Antrieb. Zwar war aufgrund patristischer Exegese eine unmittelbare Erwartung des Weltendes nicht aktuell. Nach der für das Mittelalter verbindlichen Interpretation Augustins 26 war dessen genauer Zeitpunkt den Menschen verborgen — und konnte deshalb eigentlich auch nicht berechnet werden. Dennoch hat es nicht an Versuchen gefehlt, aus dem jeweiligen Zeitgeschehen Anhaltspunkte für das erwartete Weltende zu gewinnen. Andererseits verlangten häufig auch die Erfahrungen der Gegenwart nach eingehenderer Deutung. Unter dem Einfluß des apokalyptischen Schrifttums, insbesondere der ins Abendland gelangenden Sibyllinischen Prophezeiungen 27 , erhielten derartige Bestrebungen weiteren Auftrieb. Schon frühzeitig hatten der vor dem Ende aller Zeiten erwartete Friedensfürst wie auch sein Gegenspieler, der Antichrist, eine „Historisierung" 28 erfahren, indem man sie bald auf diese, bald auf jene zeitgenössische Persönlichkeit zu beziehen pflegte. Damit wurde das endzeitliche Geschehen in die jeweilige Gegenwart verlagert. Apokalyptische Zeichen konnten somit gleichsam als „Modell der Gegenwartsanalyse" 29 dienen. Die sich aus einer derartigen Sicht ergebenden Konsequenzen für die Gegenwart sind freilich erst allmählich ins Bewußtsein der Zeitgenossen gelangt. Zeiten
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Cf. H.-W. Goetz, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im hohen Mittelalter (Orbis mediaevalis - Vorstellungswelten des Mittelalters 1), Berlin 1999, 92; id., Endzeiterwartung und Endzeitvorstellung im Rahmen des Geschichtsbildes des frühen 12. Jahrhunderts, in: The Use and Abuse of Eschatology in the Middle Ages (Mediaevalia Lovaniensia 1,15), Leuven 1988, 3 0 6 - 3 3 2 , bes. 329 sqq.; sowie R. K. Emmerson, Antichrist in the Middle Ages, Seattle 1981, 14 sqq. Uber die Verflechtung von Eschatologie und Geschichtsschreibung M. Haeusler, Das Ende der Geschichte in der mittelalterlichen Weltchronistik (Archiv für Kulturgeschichte. Beiheft 13), Köln - Wien 1980.
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Cf. E. Wadstein, Die eschatologische Ideengruppe: Antichrist - Weltsabbat - Weltende und Weltgericht in den Hauptmomenten ihrer christlich-mittelalterlichen Gesamtentwicklung, Leipzig 1896, 8 sqq.; G. Miccoli, Chiesa Gregoriana, Firenze 1966, 301 sqq. Aurelius Augustinus, De civitate Dei 20,19, edd. Β. Dombart/A. Kalb (Corpus Christianorum 48, Turnhout 1955), 730 sqq. Zu Augustins Kritik an den sog. Chiliasten cf. Bernheim, Zeitanschauungen (nt. 18), 67 sq. Cf. E. Sackur, Sibyllinische Texte und Forschungen, Halle 1898, mit Edition der einschlägigen Texte; umfassender Uberblick über Entstehung und Verbreitung nunmehr bei H. Möhring, Der Weltkaiser der Endzeit (Mittelalter-Forschungen 3), Stuttgart 2000, 17 sqq., 321 sqq. Bernheim, Zeitanschauungen (nt. 18), 69 sq., 73 sq.; cf. auch H. D. Rauh, Das Bild des Antichrist im Mittelalter (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters N. F. 9), Münster 1973, 2 1979, 18. Fried, Endzeiterwartung (nt. 23), 388.
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krisenhafter Entwicklungen haben zweifellos zu einer Beschleunigung 3 0 dieses Prozesses beigetragen. S o verlieh gerade die Beispiellosigkeit des K o n f l i k t s zwischen salischem K ö n i g t u m und Papsttum den eschatologischen Spekulationen eine bislang nicht gekannte Aktualität. N o c h unberührt v o n dem g r o ß e n Konflikt, scheint die Zeitgenossen bereits u m die Mitte des 1 1 . Jahrhunderts eine tiefe Verunsicherung erfaßt zu haben, in deren Folge verstärkt eschatologische Bezüge zum Zeitgeschehen hergestellt wurden. Besonders eindringlich fand die Stimmung v o m nahenden Ende der Welt bei Petrus Damiani, dem Eremiten und unermüdlichen V o r k ä m p f e r der K i r c h e n r e f o r m , einen Niederschlag: Im Vergleich zur unermeßlichen Fülle der Zeit bei G o t t entfalle auf die Phase der irdischen Geschichte v o n der S c h ö p f u n g bis zum Jüngsten Gericht lediglich eine kurze Zeitspanne — ein tantillum tempus31. Warnend erhob der R e f o r m e r seine Stimme angesichts der unaufhaltsam ihrem Ende zutreibenden Welt. Untrüglich seien die Vorzeichen ihres baldigen Untergangs: Verfall der kirchlichen Disziplin, Geringschätzung des Priesterstandes, Mißachtung der kanonischen Satzungen, Uberhandnahme v o n Raub, Diebstahl, Meineid, Kuppelei und Gotteslästerung 3 2 . Selbst die Natur versage dem Menschen den gewohnten Dienst: D i e Erde verweigere die Ernte, Wasser und L u f t seien v o n Unfruchtbarkeit befallen und brächten weder Fische n o c h V ö g e l mehr h e r v o r 3 3 . D i e Menschen aber w ü r d e n v o r Entfaltung ihrer vollen Lebens-
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Den Einfluß des politischen und sozialen Umfelds auf die Entstehung endzeitlicher Erwartungen hat bereits Wadstein, Eschatologische Ideengruppe (nt. 25), 8 sq. betont; besonders fur die Zeit nach der Jahrtausendwende wird eine Ausrichtung des eschatologischen Interesses auf die Verhältnisse der Gegenwart (ibid. 81 sq.) festgestellt. N. Cohn, The Pursuit of the Millennium, London 1957, deutsche Ubersetzung aufgrund der erweiterten Ausgabe von 1970 von E. Thorsch: Das neue irdische Paradies, Reinbeck 1988, hat etwas überspitzt das Aufkommen eschatologischer Strömungen als Reaktion auf die Zunahme „revolutionärer" Bestrebungen in der Gesellschaft des hohen und späten Mittelalters (52 sqq.) zu erklären versucht. Auf den Einfluß krisenhafter Entwicklungen des Zeitgeschehens verweisen auch P. J. Alexander, Medieval Apocalypses as Historical Sources, in: The American Historical Review 73 (1968), 997-1018, hier 1017; sowie zuletzt Goetz, Geschichtsschreibung (nt. 24), 238; mit Bezug auf die Zeit der Kirchenreform und des Investiturstreites auch Classen, Eschatologische Ideen (nt. 14), 313, 319, sowie Rauh, Bild des Antichrist (nt. 28), 8. Petrus Damiani, ep. 92, ed. K. Reindel (MGH Die Briefe der deutschen Kaiserzeit 4/3, München 1989), 15, 11-15. Zum Stellenwert der Eschatologie im Denken Petrus Damianis cf. O. Capitani, San Pier Damiani e l'istituto eremitico, in: L'eremitismo in occidente nei secoli XI e XII (Pubblicazioni dell' Università cattolica del sacro cuore 3. ser., 4), Milano 1965, 122-163, hier 129 nt. 14 bis. - Betonung der Kürze der vergänglichen Zeit: ibid. 15, 10—11. Auf den Aspekt der Endlichkeit irdischen Lebens verweist besonders Fried, Endzeiterwartung (nt. 23), 447. Petrus Damiani, ep. 48, ed. K. Reindel (MGH Die Briefe der deutschen Kaiserzeit 4/2, München 1988), 54, 5 - 1 4 . Petrus Damiani, ep. 165, ed. K. Reindel (MGH Die Briefe der deutschen Kaiserzeit 4/4, München 1993), 227, 15 — 24: „ Tellus enim genitalibus effeta humoribus, quodammodo invita aratrum tolerat, dum ferre fructus suis cultoribus negat... Aqua etiam nicbilominus sterilitatem patitur, ut tarn piscator retibus impendium deneget, dum inopis capturae quaestus duns per elementum liquidum laboribus non respondet. Nec te, aer olim fecunde, praeteream, qui nunc, dum diversis tendicularum argumentis in volucrum capitoné non
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kraft von einem vorzeitigen Tode hinweggerafft 34 . Es sind in der Tat tempora periculosaÌS, wie mit einem Zitat des Apostels Paulus unterstrichen wird. Für den Mönch und Asketen war damit die Nichtigkeit irdischer Ämter und Würden wie überhaupt aller weltlichen Güter evident 36 . Angesichts dieser Endzeitperspektive schien für Petrus Damiani allein die römische Kirche noch Rückhalt zu bieten 37 , woraus sich für ihn folgerichtig die Notwendigkeit zu deren Reform ergab. Als weiteres Zeugnis einer offenbar in allen Schichten der Bevölkerung verbreiteten Endzeiterwartung sei auf jene spektakuläre Pilgerfahrt verwiesen, die 1064/65 von einer Reihe deutscher Bischöfe und (vorwiegend) bayerischer Großer unter der Führung Gunthers von Bamberg nach Jerusalem unternommen wurde 38 . Wenn auch politische Spannungen im Reich als Motiv nicht ganz auszuschließen sind, so dürften eschatologische Spekulationen den eigentlichen Anlaß für das Unternehmen gebildet haben. Aus glaubhafter, wenn auch erst dem ^ . J a h r hundert angehörender Quelle wird nämlich überliefert, daß für 1065 das Weltende erwartet wurde, da der Ostertag dieses Jahres auf einen 27. März fiel, an welchem nach volkstümlicher Tradition die Auferstehung Christi erfolgt sein sollte 39 . Daß derartige Anzeichen von Weltuntergangsstimmung nicht nur ein
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provenís, nimirum aucupes casso labore frustrates ad exerrítium rurale remittis ..." Unfruchtbarkeit von Erde und Wasser erwähnt Benzo von Alba, Ad Heinricum V,1 (nt. 61), 440, 8 - 1 4 unter den auf den Tod Heinrichs III. verweisenden Vorzeichen. Zum Versagen der Elemente als Vorzeichen des Weltendes cf. Bernheim, Zeitanschauungen (nt. 18), 89. Petrus Damiani, ep. 165 (nt. 33), 228, 17 — 19: „ C u m itaque mundus praeäpitem et iamiam proünus prae oculis imminentem sui cursus minetur occasum, homines etiam cotidie immaturo praeventi rapiantur interitu"; weiter ausgeführt ibid. 228, 7 — 16. Massensterben und plötzliche Todesfälle gehören nach Bernheim, Zeitanschauungen (nt. 18), 90 gleichfalls zu den Begleiterscheinungen der Endzeit. Petrus Damiani, ep. 48 (nt. 32), 54, 1 9 - 2 5 ; cf. 2. Tim. 3 , 1 - 5 . Petrus Damiani, ep. 12, ed. K. Reindel (MGH Die Briefe der deutschen Kaiserzeit 4/1, München 1983), 140, 1 3 - 1 5 . Petrus Damiani, ep. 48 (nt. 32), 57, 9 - 1 2 . Zur Bedeutung der römischen Kirche und innerhalb derselben besonders der Laterankirche ibid. 55, 1 — 11. Uber Quellen und Literatur cf. Böhmer/Struve, Regesta Imperii 111,2 (nt. 5), 155 sq. n. 351. Vita Altmanni episcopi Pataviensis c. 3, ed. W. Wattenbach (MGH SS 12, Hannover 1856), 230, 5 — 7: „Eo tempore multi nobiles ibant lerosolimam, invisere sepulchrum Domini, quadam vulgari opinione decepti, quasi instaret dies iudiäi, eo quod pascha ilio anno evenisset sexto Kaiend. Aprilis, quo scribitur resurredio Christi . . . " Uber die Vita cf. Wattenbach/F.-J. Schmale, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vom Tode Kaiser Heinrichs V. bis zum Ende des Interregnum 1, Darmstadt 1976, 194 sq. Einer dem letzten Drittel des 10. Jahrhunderts entstammenden Nachricht zufolge gab es in der Tat Spekulationen bezüglich des Weltendes, wenn Mariae Verkündigung (25. März) auf einen Karfreitag - und dementsprechend Ostern auf den 27. März - falle (Abbo von Fleury, Liber apologeticus, ed. J. P. Migne PL 139, 472 A); dies traf für das Jahr 1065 zu. Wie der Kontext erkennen läßt, hatten derartige Spekulationen offenbar einen computistischen Hintergrund (cf. Classen, Eschatologische Ideen [nt. 14], 313 nt. 22). Irrtümlich bezieht Fried, Endzeiterwartung (nt. 23), 465 das Datum des 27. März auf den Annuntiationstag. Die Inanspruchnahme der von Rodulfus Glaber, Historiae IV,6 (ed. M. Prou, Paris 1886, 109 = IV,21 in der Neuedition mit englischer Ubersetzung von J. France, Oxford 1989, 204) überlieferten Prophezeiung vom Nahen des Antichrist und des Weltendes für die Jerusalemfahrt des Jahres 1065 durch Reindel, Die Briefe des Petrus Damiani (nt. 36), 201 nt. 7 ist nachweislich falsch, da dieser Gewährsmann bereits um 1047 gestorben ist. Die Nachricht dürfte vielmehr auf die
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Hirngespinst weniger Intellektueller oder ein Phantasiegebilde des unverständigen Volkes waren, beweist die beträchtliche Aufregung, welche die Lehre Bischof Rainers von Florenz von der Geburt des Antichrist in den achtziger Jahren des 11. Jahrhunderts hervorgerufen hatte. Besorgt hatten kaisertreue Bischöfe der Kirchenprovinz Ravenna bei ihm angefragt, ob er tatsächlich derartiges in Umlauf gesetzt habe: Groß sei die durch ein solches Gerücht ausgelöste Unruhe, indem diese Ankündigung bei den einen Bewunderung, bei den anderen hingegen Aufregung und Anstoß erregt habe. Und sie verliehen ihrer Verwunderung darüber Ausdruck, daß er etwas verkünde, was eigentlich keinem Menschen zu wissen gestattet sei 40 . Selbst wenn es sich bei den Äußerungen Rainers von Florenz lediglich um eine „theologische Lehrmeinung ohne schärfere aktuelle Spitze" 41 gehandelt haben sollte, so zeugt die Tatsache, daß noch zwei Jahrzehnte später darüber auf einer päpstlichen Synode eine Disputation stattfand 42 , für die ungebrochene Aktualität des Gegenstandes. Dies war das geistige Umfeld, vor dem die Zeitgenossen die Ereignisse des Investiturstreites erlebten und deuteten. Wie aber sah es auf der Seite der am Geschehen Beteiligten aus? Von Gregor VII. ist bekannt, daß er stark von eschatologischen Vorstellungen geprägt war. Von Beginn seines Pontifikats an stand sein Denken und Handeln unter dem Zeichen eines unablässigen Ringens mit den Mächten des Bösen, insbesondere mit dessen apokalyptischem Vorreiter, dem Antichrist 43 . Sein Eintreten für die Kirchenreform wie auch die hieraus
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Pilgerfahrt von 1033 zu beziehen sein. Vielleicht ist auch die Datierung eines von Arnulf von Mailand, Liber gestorum recentium 111,16, ed. C. Zey (MGH SS rer. Germ. 67, Hannover 1994), 191 zum Ostertag eines nicht näher bezeichneten Jahres berichteten Erdbebens in Italien durch den Augsburger Annalisten auf den 27. März 1065 ([nt. 2], 128, 5) vor dem Hintergrund derartiger Spekulationen zu sehen (cf. G. Meyer von Knonau, Jahrbücher des deutschen Reiches unter Heinrich IV. und Heinrich V Bd. 1, Leipzig 1890, 393 nt. 53). Für eine zumindest teilweise eschatologische Motivation der Jerusalemfahrt haben sich ausgesprochen Wadstein, Eschatologische Ideengruppe (nt. 25), 23 sq.; Erdmann, Endkaiserglaube (nt. 40), 385; Classen, Eschatologische Ideen (nt. 14), 316 sq.; zuletzt Fried, Endzeiterwartung (nt. 23), 465 sq. Schreiben der Bischöfe der Kirchenprovinz Ravenna, ed. H. Hoffmann, Die Briefmuster des Vallicellianus Β 63 aus der Zeit Paschalis' II., in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 19 (1963), 140 sqq. n. 5, hier 140 sq. Cf. C. Erdmann, Endkaiserglaube und Kreuzzugsgedanke im 11. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 51 (1932), 384-414, bes. 386 sqq. mit Datierung in den Zeitraum 1086-1095. Erdmann, Endkaiserglaube (nt. 40), 393. Zur Synode Paschalis' II. von 1106 in Florenz cf. Liber pontificalis 2, ed. L. Duchesne, Paris 2 1955, 299, 5 - 8 . Cf. Ph. Jaffé/S. Löwenfeld, Regesta pontificum Romanorum 1, Leipzig 2 1885, 726 n. 6091. Cf. Κ. J. Benz, Eschatologie und Politik bei Gregor VII., in: La riforma gregoriana e l'Europa (Studi Gregoriani 14), Roma 1991, 1 - 2 0 ; erweiterte Fassung unter dem Titel: Eschatologisches Gedankengut bei Gregor VII., in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 97 (1986), 1—35; sowie T. Struve, Gregor VII. und Heinrich IV. Stationen einer Auseinandersetzung, in: La riforma gregoriana e l'Europa (cf. supra), 2 9 - 6 0 , hier 56 sq. Zur Würdigung seiner Persönlichkeit cf. W. Goez, Zur Persönlichkeit Gregors VII., in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 73 (1978), 193-216; R. Schieffer, Gregor VII. - Ein Versuch über die historische Größe, in: Historisches Jahrbuch 97/98 (1978), 87-107; zuletzt H. E. J. Cowdrey, Pope Gregory VII 1073-1085, Oxford 1998, bes. 530 sqq.
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resultierende Konfrontation mit dem salischen Königtum erhielten deshalb stets eine über den unmittelbaren Anlaß hinausweisende eschatologische Dimension. Simonisten galten ihm als Wegbereiter des Antichrist und Spießgesellen des „alten Feindes" 44 , des Teufels. Irdische Könige und andere weltliche Herrschaftsträger, die ihre persönliche Ehre und materiellen Gewinn dem Gesetz Gottes vorzögen, betrachtete er schlechthin als membra Antichristi45. Nachdem der Konflikt mit Heinrich IV. durch die auf der Fastensynode 1076 verhängten päpstlichen Sanktionen einen ersten Höhepunkt erreicht hatte und sich Anhänger und Gegner des Königs zu formieren begannen, erfuhr die eschatologische Deutung des Zeitgeschehens bei Gregor VII. weiteren Auftrieb. Die Gegenwart erlebte er nunmehr als periculosum tetnpus, in welchem der Antichrist bereits in seinen Gliedern zu wirken begonnen habe 46 . An seine Anhänger im Reich richtete er die Aufforderung, alles zu unternehmen, um den gebannten König der Hand des Teufels zu entreißen und zur Buße zu bewegen 47 . Die im weiteren Verlauf des Investiturstreites geführten Auseinandersetzungen wertete Gregor VII. als geistigen Kampf der membra diaboli mit den membra Christi48. Eine Welle eschatologischer Assoziationen löste die Synode von Brixen 1080 aus, — dieser conventus sathanf49, auf welchem ein förmliches Absetzungsverfahren gegen Gregor VII. eingeleitet und Wibert von Ravenna als (Gegen)papst nominiert worden war. Wibert galt ihm hinfort nicht nur als Erzketzer, sondern geradezu als Personifikation des Antichrist 50 . Den an der Brixener Versammlung beteiligten Bischöfen
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Das Register Gregors VII., ed. E. Caspar (MGH Epp. sei. 2, Berlin 1920-1923), 1,11 p. 18, 16 — 17: „precursores antichristi et antiqui hostis satellites'''. Gregor VII., Reg. IV,2 (nt. 44), 2 9 5 , 1 0 - 1 7 . Cf. zur Stelle Ch. Schneider, Prophetisches Sacerdotium und heilsgeschichtliches Regnum im Dialog 1073-1077 (Münstersche Mittelalter-Schriften 9), München 1972, 192 sq.; sowie Benz, Eschatologisches Gedankengut (nt. 43), 27. Gregor VII., Reg. IV,1 (nt. 44), 289, 3 1 - 2 9 0 , 1 - nach 2. Tim. 3,1 vielleicht in Anlehnung an Gregor den Großen, Moralia 29,15 (Corpus Christianorum 143 B, Turnhout 1985), 1443 sq. Zur Gregor-Stelle cf. die Bemerkungen von Benz, Eschatologisches Gedankengut (nt. 43), 25 nt. 179. Gregor VII., Reg. IV,1 (nt. 44), 290, 2 7 - 2 9 1 , 4. Cf. Schneider, Prophetisches Sacerdotium (nt. 45), 197; Benz, Eschatologisches Gedankengut (nt. 43), 25 sq. Gregor VII., Reg. IX,3 (nt. 44), 575, 6 - 1 3 - zur Charakterisierung der nach dem Tode des Gegenkönigs Rudolf von Rheinfelden eingetretenen Situation (wohl von März 1081). In einem Schreiben vom Juli 1080 sprach Gregor VII. davon, daß der Teufel seine membra mobilisiere, um Unruhe in die römische Kirche zu tragen (Reg. VIII,5 [nt. 44], 523, 14-16). Noch am Ende seines Pontifikats bekannte Gregor VII., das von ihm verfolgte Ziel einer Erhöhung der Kirche sei vom „alten Feind" hintertrieben worden, der seine membra gegen den Papst bewaffnet habe, um alles ins Gegenteil zu verkehren (EC 46 = EV 54 [nt. 57], 574 bzw. 132). Gregor VII., Reg. VIII,5 (nt. 44), 522, 33. Zum Hintergrund cf. Meyer von Knonau, Jahrbücher 3, Leipzig 1900, 284sqq.; sowie Struve, Gregor VII. (nt. 43), 49 sq. mit nt. 115 mit weiterer Literatur. Zur Bedeutung cf. Benz, Eschatologisches Gedankengut (nt. 43), 16. Gregor VII., Reg. VIII,5 (nt. 44), 522, 32. Cf. Erdmann, Endkaiserglaube (nt. 40), 386. Demgegenüber bestreitet Benz, Eschatologisches Gedankengut (nt. 43), 15 sqq. im Sinne einer Gregor VII. unterstellten theologisch-eschatologischen Deutung der Zeitgeschichte eine „direkte Identifizierung mit dem Antichrist" (16). Hierbei wird freilich der Unterschied zwischen der Bezeichnung einer Person der Zeitgeschichte als Antichrist und dem Antichrist der Apokalypse
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aber, jenen satana disàpuli, kündigte er den baldigen Untergang an 5 1 , ebenso wie er zuvor schon an Ostern Heinrich IV. den Tod prophezeit hatte, sollte dieser sich nicht innerhalb einer bestimmten Frist zur Buße herbeilassen 52 . Die Tatsache, daß sich Gregor VII. hier auf die Ebene populärer Weissagungen begab, unterstreicht auf anschauliche Weise, wie sehr sein Denken von eschatologischen Motiven bestimmt war. Umso größer war freilich die Genugtuung auf königlicher Seite, als mit dem Tod des Gegenkönigs Rudolf von Rheinfelden offenbar wurde, daß sich diese Prophezeiung nicht nur nicht bewahrheitet, sondern sich geradezu in ihr Gegenteil verkehrt hatte 53 . In den auf 1080 folgenden Jahren, in denen sich die Lage Gregors VII. immer mehr zuspitzte, war sein Denken stärker als zuvor von endzeitlichen Assoziationen beherrscht. In seinen Mahnschreiben an die ihm noch verbliebene Anhängerschaft verglich er die gegenwärtige Erschütterung der Kirche mit dem Wüten eines Tyrannen und forderte in einem verzweifelten Appell dazu auf, zur Verteidigung der Gerechtigkeit selbst Verfolgung und Tod auf sich zu nehmen, damit mit Gottes Hilfe der „alte Feind" bezwungen würde 54 . Mit dem Tyrannen war freilich niemand anderes als Heinrich IV. gemeint 55 , der damit in der Rolle eines antichristlichen Verfolgers gesehen wurde. Die letztlich aus der Uberhebung gegenüber Gott, aus superbia, hervorgegangene tyrannische Herrschaft aber war ein Merkmal der Herrschaft des Teufels selbst 56 . Indem Gregor VII. angesichts zunehmender Verfolgung
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(Kamiah, Apokalypse, 125 nt. 29) zu wenig beachtet. Zur begrifflichen Unterscheidung zwischen Apokalyptik und Eschatologie klärend Emmerson, Antichrist (nt. 24), 13 sq. Es ist vielleicht kein Zufall, daß es Gregor VII. offensichtlich vermieden hat, Heinrich IV. selbst - im Unterschied zum Gegenpapst Wibert-Clemens (III.) - als Antichrist zu bezeichnen. Den Gegensatz zwischen Anhängern Christi und den Gliedern des Antichrist betont auch B. McGinn, Visions of the End, New York 1979, 95. - Zur mittelalterlichen Antichristvorstellung cf. W. Kamiah, Apokalypse und Geschichtstheologie (Historische Studien 285), Berlin 1935, bes. 10 sqq.; sowie Wadstein, Eschatologische Ideengruppe (nt. 25), 152; Rauh, Bild des Antichrist (nt. 28), 3 sqq.; Emmerson, Antichrist (nt. 24), 62 sqq. Gregor VII., Reg. VHI,5 (nt. 44), 523, 10; cf. ibid. 521, 33: „salane disàpuli". Überliefert von Bonizo, Ad amicum IX (nt. 6), 616, 21—24, den Gesta Romanae ecclesiae 1,7 (MGH Libelli de lite 2, Hannover 1892), 371 sq. und Sigebert von Gembloux, Chronica ad a. 1080 (nt. 53), 364. Cf. Meyer von Knonau, Jahrbücher 3 (nt. 49), 257 sq.; J. Vogel, Gregor VII. und Heinrich IV nach Canossa (Arbeiten zur Frühmittelalterforschung 9), Berlin - New York 1983, 195 sq.; sowie Struve, Gregor VII. (nt. 43), 49. Sigebert von Gembloux, Chronica ad a. 1080, ed. L. C. Bethmann (MGH SS 6, Hannover 1844), 364. Diese Falsch-Prophezeiung Gregors VII. hatte in der Voraussage des Todes Heinrichs IV. durch die sog. Kumäische Sibylle (cf. infra p. 222) eine Parallele; cf. Erdmann, Endkaiserglaube (nt. 40), 401 sq. Gregor VII., Reg. IX,21 (nt. 44), 602, 3 1 - 3 6 . In Reg. VIII,9 sprach Gregor VII. von der „rabies tyrannies persecutionis" (ibid. 527, 27-28). Zur Betonung der Leidensbereitschaft durch Gregor VII. cf. Benz, Eschatologisches Gedankengut (nt. 43), 20 sqq. Gregor VII., Reg. IX,35 a (nt. 44), 627, 32. Cf. Struve, Gregor VII. (nt. 43), 49. Zum Auftreten des Antichrist in der Gestalt des Tyrannen cf. Emmerson, Antichrist (nt. 24), 90 sqq. Augustinus, De civitate Dei 14,11 (nt. 26), 431 sqq. Cf. Bernheim, Zeitanschauungen (nt. 18), 16 sq., 46 sqq.; nunmehr auch W. Stürner, Peccatum und Potestas (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 11), Sigmaringen 1987, 71.
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der Kirche bei den Gläubigen einen Mangel an Opferbereitschaft beklagte 57 unter Anspielung auf das Apostelwort, daß in dem Maße, wie der Unglaube in der Welt zunehme, die caritas erkalte (Mt. 24,12), verlieh er diesem Befund einen über eine unverbindliche Gegenwartsklage hinausgehenden eschatologischen Stellenwert. Bis zum Ende seines Pontifikats hat Gregor VII. an dieser eschatologischen Ausrichtung seines Denkens festgehalten. In einem wohl aus dem Exil zu Salerno stammenden Schreiben hat er noch einmal bekannt, daß sein ganzes Streben darauf gerichtet gewesen sei, der Kirche — auch gegen den Widerstand teuflischer Mächte — zu ihrem früheren Ansehen, und das bedeutete für ihn vor allem: zu ihrer Freiheit, zu verhelfen 58 . Zu Recht hat man in der eschatologischen Ausrichtung seiner Glaubenshaltung die Ursache für die Kompromißlosigkeit Gregors VII. in der Auseinandersetzung mit Heinrich IV. erkannt 59 . Schwieriger ist es, die Einschätzung des salischen Königtums zu den Auseinandersetzungen des Investiturstreites zu ermitteln, da keine direkten Äußerungen aus dem Umkreis Heinrichs IV. überliefert sind. Lediglich in einer Urkunde vom Beginn der neunziger Jahre wurde — wenn auch in unspezifischer Weise — das Bild vom drohenden Zusammenbruch des Staatswesens in den gegenwärtigen periculosa tempora heraufbeschworen 60 . Ersatzweise wird deshalb auf Urteile von Zeitgenossen zurückgegriffen, die ihrer Haltung nach eindeutig dem königlichen Lager zuzurechnen sind. So war etwa Benzo von Alba, einer der entschiedensten Parteigänger des salischen Königtums in Reichsitalien, vom nahenden Weltende überzeugt: In der alternden Welt kündige sich der finis seculi an 61 . Wie Petrus Damiani verwies er in diesem Zusammenhang auf das den weltgeschichtlichen Verlauf spiegelnde vorzeitige Altern der Menschen. Auslösendes Moment für diese Einschätzung war das Schisma von 1062, in dessen Gefolge es zu heftigen Auseinandersetzungen kam, in welche Benzo durch seine Unterstützung des vom deutschen Hofe erhobenen Kandidaten, Cadalus von Parma (Honorius II.), 57
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Gregor VII., Epistolae Collectae (EC) 23, ed. Ph. Jaffé (Bibliotheca rerum Germanicarum 2, Berlin 1865), 549 = Epistolae Vagantes (EV) 51, ed. H. E. J. Cowdrey, Oxford 1972, 122. Cf. Benz, Eschatologisches Gedankengut (nt. 43), 12 sqq. Gregor VII., EC 46 = EV 54 (nt. 57), 574 bzw. 132. Cf. Struve, Gregor VII. (nt. 43), 56 sq.; Benz, Eschatologisches Gedankengut (nt. 43), 29 sqq. Cf. Benz, Eschatologisches Gedankengut (nt. 43), 15. DH. IV. 421 von 1091 für die Bürger der Stadt Mantua, ed. D. von Gladiss/A. Gawlik (MGH DD 6, Hannover 1 9 4 1 - 1 9 7 8 ) , 563 sq.: „Preclarum quippe Romani decus imperii statusque rei publice miseram ac detestabilem his maximepericulosis temporibus ruinampateretur ..." (563, 2 6 - 2 7 ) ; verfaßt von dem für seine Vorliebe für Bibelzitate bekannten ersten Notar des italienischen Kanzlers Oger von Ivrea, Oger A (cf. Einleitung, LXXXsq.). Benzo von Alba, Ad Heinricum IV. imperatorem VI, narr. ed. H. Seyffert (MGH SS rer. Germ 65, Hannover 1996), 522, 9 - 1 0 : „Silicernius est mundus, finem clamat seculi. / Ante tempus senectutis homines sunt vetuli..." Hinweis auf das vorzeitige Ende der Welt ibid. III, 2: „ruit mundus, periclitatur ecclesia ante tempus finiuntur sécula" (276, 1—2); Uberhandnahme des Lasters in der Welt ibid. Dedic.: „instant dies novissimi; super harenam maris eruntperdidissimi" (84, 1 2 - 1 4 ) . Kennzeichnung des Zeitgeschehens als „antichristiana tempora" (ibid. IV,35 [6], p. 406, 10). Zu Benzo von Alba cf. T. Struve, Kaisertum und Romgedanke in salischer Zeit, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 44 (1988), 4 2 4 - 4 5 4 , hier 437 sqq. mit der älteren Literatur.
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persönlich verwickelt war. Angesichts der als endzeitliches Geschehen stilisierten Verhältnisse in Italien erging an den als Reichsregenten fungierenden Erzbischof Adalbert von Hamburg-Bremen der Hilferuf: „Succurre ... pereunti mundo. " 6 2 Für Benzo von Alba war dies das Vorspiel zu den unter eschatologischen Vorzeichen erlebten Kämpfen Heinrichs IV. während der achtziger Jahre des 11. Jahrhunderts in Italien63. Besonders wurden freilich die durch den deutschen Thronstreit ausgelösten Kämpfe als confusio größten Ausmaßes gewertet: König habe sich gegen König, Stamm gegen Stamm, Bischof gegen Bischof, Volk gegen Volk erhoben, — so kommentierte der anonyme Verfasser einer im Reichskloster Hersfeld entstandenen Streitschrift für Heinrich IV. das Zeitgeschehen64. Für einen anderen Gefolgsmann Heinrichs IV. in Italien, der die Position des salischen Königtums unter Rückgriff auf römischrechtliche Satzungen zu verteidigen suchte, bestand die Ursache gegenwärtiger confusio dagegen in einer eklatanten Mißachtung sowohl kirchlicher als auch weltlicher Gesetze durch den Papst65. Auch im königlichen Lager meinte man, ein Anwachsen der Sünden66 als Symptom für das nahende Ende der Welt ausmachen zu können. Als Gipfel moralischer Verkommenheit wurde jedoch der Abfall des jungen Königssohnes Konrad empfunden, der sich mit Unterstützung gregorianischer Kreise Reichsitaliens — diabolico instinctu — gegen seinen eigenen Vater gewandt hatte67, — ein Verhalten, das unter Verweis auf Mt. 18,7 als scandalum qualifiziert wurde. Hier offenbarte sich in der Tat ein auf die periculosa tempora des endzeitlichen Geschehens verweisendes Überhandnehmen des Unrechts und ein Erkalten der Nächstenliebe68. Angesichts des offenkundigen Mangels an Tugenden wie Treue, Gerech62
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Benzo von Alba, Ad Heinricum 111,2 (nt. 61), 276, 3 - 4 . Cf. Böhmer/Struve, Regesta Imperii 111,2 (nt. 5), 141 n. 319. Zum Hintergrund cf. Meyer von Knonau, Jahrbücher 1 (nt. 39), 361; zum Schisma des Cadalus Regesta Imperii 111,2 p. 92 sq. η. 227 mit weiterer Literatur. - Es geht im vorliegenden Zusammenhang nicht um die Frage der Glaubwürdigkeit des von Benzo überlieferten Briefes (cf. hierzu die Bermerkungen in Regesta Imperii 111,2 p. 134 η. 306), sondern allein um die Kennzeichnung des subjektiven Empfindens dieses Zeitgenossen. Cf. zum Hintergrund T. Struve, Mathilde von Tuszien-Canossa und Heinrich IV., in: Historisches Jahrbuch 115 (1995), 4 1 - 8 4 , bes. 54 sqq.; sowie id., Kaisertum (nt. 61), 443sqq. Liber de unitale ecclesiae conservanda 11,11 (nt. 5), 222, 1 5 - 1 6 ; ebenso ibid. 1,7 p. 193, 3 4 - 3 9 . Petrus Crassus, Defensio Heinrici IV. regis c. 4, ed. L. von Heinemann (MGH Libelli de lite 1, Hannover 1891), 439, 1 9 - 2 2 . Bezeichnung der Arglist Hüdebrand-Gregors VII. als Ursache der perturbatio regni ibid. c. 7 p. 446, 2 6 - 2 8 . Zur Bedeutung cf. T. Struve, Die Salier und das römische Recht (Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz. Abhandlungen der Geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse 1999 Nr. 5), Stuttgart 1999, 44 sqq.; zum Namen des Verfassers ibid. 67 sq. Benzo von Alba, Ad Heinricum 1,22 (nt. 61), 162, 9 - unter Bezugnahme auf Ps. 39,13. Überhandnahme derperdidissimi ibid. Dedic. p. 84, 1 3 - 1 4 . Cf. Bernheim, Zeitanschauungen (nt. 18), 79. Annales Augustani ad a. 1093 (nt. 2), 134, 1 0 - 1 3 . Cf. Meyer von Knonau, Jahrbücher 4, Leipzig 1903, 391 sqq. So die Zeitdiagnose des Herfelder Mönches Ekkebert, Vita sancii Haimeradi presbiteri c. 1, ed. R. Köpke (MGH SS 10, Hannover 1852), 599, 1 0 - 1 2 : „adversum quos (sc. nos) tarn finis seculi evigilavit, quos invenerunt periculosa tempora, in quibus babundavit iniquitas et rejrixit karitas . . . " — unter Bezugnahme auf Mt. 24,12 (in der Edition nicht nachgewiesen). Zur zeitgeschichtlichen Perspek-
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tigkeit und Wahrheit in der gegenwärtigen Gesellschaft wurde mit Blick auf den zugrundeliegenden Menschentypus geradezu von einer Abirrung der Natur 69 gesprochen. Man meinte auch die Vorzeichen des nahenden Unheils zu kennen: Kometen 70 , Blutregen71, Aufruhr der Elemente72. Auch die Gewährsleute auf königlicher Seite ließen keinen Zweifel daran, daß die von ihnen beklagten Zustände letztlich als Vorausdeutungen oder Anzeichen des endzeitlichen Geschehens zu verstehen seien. Die dem Zeitgeschehen zugemessene apokalyptische Dimension trat besonders dort zutage, wo bei der Deutung aktueller Begebenheiten auf die biblische Schilderung der Entfesselung Satans (Apoc. 20,7) Bezug genommen wurde 73 . Erst recht schreckte man vor einer Gleichsetzung Gregors VII. mit dem Antichrist nicht zurück. Etwas verschlüsselt sprach noch der anonyme Hersfelder Mönch mit Bezug auf Gregor VII. von dem „törichten Hirten", der die ihm anvertraute Herde ins Verderben führt (Zach. 11,15 — 17), — und meinte damit den Antichrist74. Da der Papst seiner Auffassung nach die Einheit der Kirche gespalten und damit zu erkennen gegeben habe, daß er Christus leugne, habe er sich gleichsam auf eine Ebene mit dem Antichrist begeben75, von welchem verkündet werde, „daß er kommt und schon in der Welt ist". Weniger bedenklich waren hier italienische Stimmen, die Gregor VII. ohne Rücksicht auf sein geistliches Amt als „Mönch aus der Synagoge des Satans"76, als membrum diaboli und neuen Antichrist77 bezeichneten. Für Benzo von Alba, der diesen Papst mit hemmungslosem Haß verfolgte, war HildebrandGregor die bis ans Ende aller Zeiten gültige Personifikation des Antichrist
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tive cf. T. Struve, Hersfeld, Hasungen und die Vita Haimeradi, in: Archiv für Kulturgeschichte 51 (1969), 2 1 0 - 2 3 3 , hier 224 sq. Petrus Crassus, Defensio c. 1 (nt. 65), 434, 2 7 - 3 1 . Cf. Struve, Wende (nt. 1), 330. Annales Augustani ad a. 1066 (nt. 2), 128, 1 5 - 1 7 — gewertet als Vorausdeutung auf den Thronstreit in Deutschland. Von gregorianischer Seite Bernold, Chronicon ad a. 1091 (nt. 10), 453, 2 9 - 3 3 mit der Deutung als Ankündigung von „aliquid nom in regno". Benzo von Alba, Ad Heinricum VI, narr. (nt. 61), 524, 1 —3. - Zur Deutung derartiger Naturerscheinungen als Vorzeichen des Antichrist cf. Bernheim, Zeitanschauungen (nt. 18), 84 sqq. Cf. Liber de unitate ecclesiae 11,33 (nt. 5), 259, 1 - 6 - mit Bezug auf den Raub von Kaiserswerth; Jocundus, Translatio Servatdi c. 55 (nt. 20), 114, 2 3 - 2 4 — über die sozialen Folgen des Investiturstreites; Sigebert von Gembloux, Epistola Leodicensium adversus Paschalem papam c. 6, ed. E. Sackur (MGH Libelli de Ute 2, Hannover 1892), 457, 2 4 - 2 6 ; ibid. c. 8 p. 460, 1 4 15 - bezüglich der Bedrängnis der Lütticher Kirche. Liber de unitate ecclesiae 11,25 (nt. 5), 247, 1 5 - 2 3 . Charakterisierung Gregors VII. als einen „qui nullius fere est literatoriae eruditionis vel säenüae" (ibid. 247, 1 7 - 1 8 ) . Ibid. 1,14 (nt. 5), 207, 1 3 - 2 2 mit Bezugnahme auf 1. loh. 4,3. In einem weiteren Verweis auf Gregor VII. wird betont, daß derjenige, der durch falschen Gebrauch der Väterschriften die Partei der Schismatiker und Häretiker unterstützt, zu recht als Antichrist zu betrachten sei (ibid. 11,6 p. 217, 3 0 - 3 4 ) . Petrus Crassus, Defensio c. 1 (nt. 65), 434, 37; cf. Apoc. 3,9. Benzo von Alba, Ad Heinricum 11,3 (nt. 61), 204, 2 1 - 2 2 : „novus anüchristellus"·, ibid. VI, narr, p. 524, 15: „antichristus". Zusammen mit Alexander II. und der Pataria wird Hildebrand-Gregor VII. unter die Anhänger des Antichrist gezählt (ibid. V,1 p. 446, 1), und gemeinsam mit Alexander II. als „doppelköpfiger Antichrist" (ibid. 111,18 p. 522, 17) bezeichnet.
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schlechthin, der die gesamte Welt in Verwirrung versetze 78 . Dieser Abgesandte der Unterwelt (infernus) habe die Erde, die Meere und selbst die heiligen Stätten verwirrt. Den König, der doch Zuflucht aller Menschen sein sollte, hat er anzugreifen gewagt: Er hat ihn mit Kämpfen aller Art überzogen und ihm in Gestalt eines Gegenkönigs ein Götzenbild entgegengestellt 79 . Es war wohl kein Zufall und wirft ein Licht auf die Stimmung am deutschen Hofe, wenn Gregor VIL in einer nach Einnahme der Leostadt im Sommer 1083 in Rom ausgestellten Urkunde Heinrichs IV. als perturbator orbis80 bezeichnet wurde. In weitgehender Übereinstimmung wurde die Epoche des Investiturstreites von den Zeitgenossen unter dem Aspekt der perturbatio oder confusio erlebt und damit unmißverständlich dem endzeitlichen Geschehen zugeordnet. Mit confusio wurde ein Zustand umschrieben, der das Gegenteil der von Augustinus durch Frieden (pax) charakterisierten göttlichen Weltordnung [tranquilinas ordinis) bedeutete: Er verwies damit auf das die civitas diaboli symbolisierende Babylon, auf die „Stadt der Verwirrung" 81 . Aus den Reaktionen der Zeitgenossen kann freilich nicht unmittelbar auf eine Naherwartung des Weltendes geschlossen werden. Man wird vielmehr davon ausgehen dürfen, daß letztere eher die Ausnahme bildete. Immerhin läßt die Bemerkung eines Hagiographen im Hessischen, die sich allmählich nähernde Wiederkehr Christi beginne bereits einen Schatten auf den Glanz gegenwärtiger Heiliger (luminaria celi) zu werfen 82 , erkennen, daß bei einzelnen Zeitgenossen die Erwartung des Weltendes nicht völlig außerhalb der Realität lag. Nicht zuletzt dürfte auch die Kreuzzugsbewegung von endzeitlichen Erwartungen eine zusätzliche Motivation erfahren haben 83 . Die Ravennater Bischöfe freilich haben Rainer von Florenz Unkenntnis bzw. Mißdeutung der 78
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Benzo von Alba, Ad. Heinricum VI,6 (nt. 61), 562,10; ibid. 560, 1 4 - 1 5 : „et in finem seculorum pnmus antichristus est; / Omnium herrorum caput a Behemoth foetus est." Zur Deutung Behemots (lob. 40,10) als Satan durch die Kirchenväter cf. A. Deissler, Lexikon für Theologie und Kirche 2, Freiburg 2 1958, col. 125. Benzo von Alba, Ad Heinricum IV,35 (6) (nt. 61), 404, 1 8 - 4 0 6 , 3. DH. IV. 351 vom 22. Juni 1083 zugunsten der erzbischöflichen Kirche zu Hamburg-Bremen (nt. 60), 464, 8. Augustinus, De civitate Dei 16,4 (nt. 26), 504, 2 1 - 2 4 ; cf. ibid. 18,41 p. 637, 70; 18,51 p. 649, 5 - 6 . Kennzeichnung des Friedens als „tranquillitas ordinis": ibid. 19,13 p. 679, 10—11. Cf. hierzu Bernheim, Zeitanschauungen (nt. 18), 29 sqq., 42 sq. Vita Haimeradi c. 1 (nt. 67), 599, 5 - 7 : „quanto finis seculi appropinquai, quanto veri solis (sc. Christi) adventus viänius imminet, tanto splendor horum celi luminarium mundo subdurítur, ut iam pene nullus electorum superesse credatur ..." Cf. hierzu auch supra p. 218 sq. Cf. Ekkehard von Aura, Chronica Rez. I ad a. 1099, edd. F.-J. Schmale/I. Schmale-Ott (nt. 5), 132, 1 1 - 1 7 mit Verweis auf die das Weltende ankündigenden initia dolorum (Mt. 24,7) mit Himmelserscheinungen (Apoc. 13,13): „Tempore Heinrià IIII. Romani et Alexii Constantinopolitaniprinäpis iuxta presagium evangelicum surrexit undique gens contra gentem et regnum adversus regnum, et terrçmotus magni erant per loca et pestilenti( et fames terroresque de c(lo et signa magna, et quia iam in omnes gentes evangelica tuba iusti iudiäs adventum preconabatur, ecce etiam totum ärcumquaque mundum signa prophetata portendentem universalis ecclesia contemplatur." Cf. C. Erdmann, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens (Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte 6), Stuttgart 1935, 279. Cf. jedoch auch die Jerusalemfahrt des Jahres 1065 (supra p. 213 mit nt. 39) und die von Benzo von Alba umgedeutete Sibyllenweissagung (infra p. 224 mit nt. 101).
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Heiligen Schrift bezüglich seiner Lehre vom Antichrist vorgeworfen. Angesichts der Tatsache, daß das Kaisertum — und das konnte nach Lage der Dinge nur dasjenige Heinrichs IV. sein — in nahezu allen civitates Italiens Anerkennung finde und auch Rom uneingeschränkt auf dessen Seite stehe, sei es geradezu absurd, von einer discessio zu sprechen, welche nach den Worten des Apostels Paulus dem Kommen des Antichrist vorausgehe84. Diesem Befund leiste es auch keinen Abbruch, wenn eine Minderheit der Römer einen „Pseudopapst" erhoben habe 85 — gemeint ist aus der Perspektive der sich hiermit als kaisertreu zu erkennen gebenden Bischöfe offenbar einer der Nachfolger Gregors VII., Viktor III. oder Urban II. Vielmehr sei der Bestand des Romanum imperium Garant dafür, daß die Zeit des Antichrist noch nicht gekommen sei. Doch hat bereits Petrus Damiani mit seiner Begrüßung Heinrichs III. als Friedenskaiser, der angesichts des nahenden Weltendes das aureum saeculum erneuern würde, zu erkennen gegeben, daß ihm an einer konkreten Fixierung der Endzeit offenbar weniger gelegen war 86 . Auch Gregor VII. hat es vermieden, durch die Identifizierung Heinrichs IV. mit dem Antichrist einer Naherwartung Vorschub zu leisten. Seine Bemerkung, je näher die Zeit des Antichristen rücke, desto mehr versuche dieser, die christliche Religion auszulöschen87, läßt deutlich erkennen, daß seiner Uberzeugung nach die Endzeit noch nicht angebrochen war. Wenn schließlich der Bearbeiter der sog. Tiburtinischen Sibylle vom Ende des 11. Jahrhunderts mit Heinrich IV., dem rex salicus de Baiowaria, zwar die endzeitlichen Plagen beginnen ließ, ihn andererseits aber nicht als unmittelbaren Vorläufer des Endkaisers einreihte88, dann ist daraus zu entnehmen, daß auch er keinesfalls 84
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Schreiben der Bischöfe (nt. 40), 142. Nicht eine discessio, sondern vielmehr eine accessio sei gegenwärtig festzustellen (ibid. 141). Cf. zur Interpretation Erdmann, Endkaiserglaube (nt. 40), 393 sq. Schreiben der Bischöfe (nt. 40), 142. Zum Hinweis auf den Pseudopapst cf. Erdmann, Endkaiserglaube (nt. 40), 391. Petrus Damiani, ep. 20 (nt. 39), 200, 4 - 2 0 1 , 1: „Laetentur ergo caeli, exultet terra (Ps. 95,11), quia in rege suo vere Christus regnare cognosátur, et sub ipso iam saeculifine aureum David saeculum renovatur" Cf. H. P. Laqua, Traditionen und Leitbilder bei dem Ravennater Reformer Petrus Damiani (Münstersche Mittelalter-Schriften 30), München 1976, 288 sqq.; Struve, Kaisertum (nt. 61), 430 sq. Gregor VII., EC 46 = EV 54 (nt. 57), 574 bzw. 132/4. Cf. Benz, Eschatologisches Gedankengut (nt. 43), 31. Der Text der als „Kumäische Sibylle" bezeichneten Weissagung wurde ediert von Erdmann, Endkaiserglaube (nt. 40), 396-398, die erwähnte Stelle ibid. 398. Zur Datierung cf. Erdmann, 402 auf die Zeitspanne zwischen 1084 und 1096; ihm folgend Rauh, Bild des Antichrist (nt. 28), 143 sq.; während sich P. J. Alexander, The Diffusion of Byzantine Apocalypses in the Medieval West and the Beginnings of Joachimism, in: Prophecy and Millenarianism. Essays in Honor of M. Reeves, Essex 1980, 53-106, hier 68 sqq. für die Jahre nach 1088 ausgesprochen hat. Hiervon abweichend möchte neuerdings Möhring, Weltkaiser (nt. 27), 149 sqq., der im Text einen konkreten Hinweis auf Heinrich III. vermißt und eine Identifizierung des rex salicus de Baiowaria mit Heinrich IV. bestreitet, die Entstehung der Cumaea mit wenig überzeugenden Argumenten in die Zeit Konrads II., d. h. zwischen 1024 und 1039, zurückverlegen. Die Erwähnung eines erfolgreichen Romzuges und die insgesamt positive Würdigung der Regierung des rex in A nomen lassen freilich durchaus eine Deutung auf Heinrich III. zu. Der von Möhring, 153 als Gegenargument angeführte Zusatz „degenere Langobardorum", der sich, wie der Vergleich mit der Vorlage (Sackur, Sibyllinische Texte [nt. 27], 184) unschwer erkennen läßt, ursprünglich auf
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mit einem unmittelbar bevorstehenden Weltende rechnete. Sein Hinweis auf Gefangennahme und Tötung des zeitgenössischen Königs (Heinrich IV.) besaß vielmehr den Charakter einer politischen Prophetie89 für die unmittelbare Zukunft und ist keinesfalls als Ankündigung des Endes aller Zeiten zu verstehen. Eine entschiedene Absage erfuhr die Aktualisierung des Antichrist durch den Augustinerchorherrn Gerhoch von Reichersberg. Aus zeitlichem Abstand von fast einem Jahrhundert erschien ihm der Investiturstreit unverkennbar als apokalyptische Zeit: In seinem Schema einer dreifachen Verfolgung der Kirche repräsentierte der Konflikt die Zeit der dritten Verfolgung90. Diese äußerte sich vor allem in der als Hauptübel der Zeit gebrandmarkten Simonie. Unter der Herrschaft Heinrichs IV. habe die Simonie, der auf ethischer Seite das Laster der avaritia gegenübergestellt wurde, ihre höchste Entfaltung erlangt91. Im Rahmen der für Gerhoch von Reichersberg charakteristischen typologischen Deutung der Geschichte entsprach die Begünstigung der Simonie durch den salischen König der Errichtung des Zeusbildes im Tempel zu Jerusalem durch den Seleukidenherrscher Antiochus Epiphanes (f 167 v. Chr.)92. Heinrich IV. wurde der Vorwurf gemacht, er habe sich durch sein widersetzliches Verhalten nicht nur von der christlichen Gemeinschaft entfernt, sondern habe geradezu eine andere Kirche errichten wollen 93 . Infolge der durch die Erhebung eines Gegen-
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einen alius rex per Β nomine, der 100 Jahre regieren wird, bezogen hat, ist vom Bearbeiter der Tiburtina an seiner Stelle belassen worden — und scheidet daher als Beweis aus. Vor allem aber wird in Möhrings Argumentation die Frage nach der Notwendigkeit einer Neuredaktion der Tiburtina ausgeblendet. Wie der Hinweis auf magnum malum et contentio in der Cumaea (398) nahelegt, dürften die Zeitumstände des Investiturstreites, auf den im übrigen bereits unter Konrad II. durch Erwähnung eines angeblich göttlichen Simonieverbots verwiesen wird, der eigentliche Anlaß für eine Aktualisierung der Tiburtina gewesen sein; andernfalls wäre eine derartige Bemerkung unmotiviert. Insofern besteht kein Anlaß, von der Interpretation Erdmanns abzuweichen. Erdmann, Endkaiserglaube (nt. 40), 403. Rauh, Bild des Antichrist (nt. 28), 144 wertet die Apokalyptik der Cumaea als „ornamentale Verhüllung" einer politischen Flugschrift. Für Alexander, Diffusion (nt. 88), 71 ist die Neuredaktion der Tiburtina ein Zeugnis politischer Propaganda. Gerhoch von Reichersberg, De investigatione Antichristi 1,16, ed. E. Sackur (MGH Libelli de lite 3, Hannover 1897), 322 sq. Für das Verständnis der Schrift grundlegend P. Classen, Gerhoch von Reichersberg, Wiesbaden 1960, 222 sqq.; id., Eschatologische Ideen (nt. 14), 321 sqq.; cf. auch E. Meuthen, Kirche und Heilsgeschichte bei Gerhoh von Reichersberg (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 6), Leiden - Köln 1959, bes. 139 sqq.; sowie Rauh, Bild des Antichrist (nt. 28), 416 sqq.; McGinn, Visions (nt. 50), 99 sq. Gerhoch von Reichersberg, De investigatione Antichristi 1,16 (nt. 89), 323, 5 - 1 6 . Den simonistischen Machenschaften werden im folgenden die durch die sächsische Propaganda verbreiteten Greuelgeschichten über angebliche Ausschweifungen Heinrichs IV. gegenübergestellt. Cf. Rauh, Bild des Antichrist (nt. 28), 455 sqq. Zur Entsprechung von Simonie und avaritia Classen, Eschatologische Ideen (nt. 14), 313, 322. Gerhoch von Reichersberg, De investigatione Antichristi 1,15 (nt. 90), 321 sq. Nach patristischer Tradition galt Antiochus als Typus des Antichrist schlechthin (Hieronymus, De Antichristo in Danielem [IV], 11,21 sqq. [Corpus Christianorum 75 A, Turnhout 1964], 914 sqq.). Cf. Classen, Gerhoch (nt. 90), 226; Rauh, Bild des Antichrist (nt. 28), 457. Gerhoch von Reichersberg, De investigatione Antichristi 1,19 (nt. 90), 328, 10.
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papstes verursachten Spaltung der Kirche und des daraus resultierenden Bürgerkrieges habe er sich vom Ideal eines wahren Königs entfernt und sei zum Tyrannen 94 geworden. Durch die von Heinrich IV. heraufbeschworene Zwietracht zwischen sacerdotium und regnum, durch die von ihm begünstigte Simonie, aber auch durch die von Gregor VII. im Abwehrkampf gegen das salische Königtum geförderte römische Habsucht, so Gerhochs Fazit, habe sich die Prophezeiung von der Entfesselung Satans (Apoc. 20,7) bereits erfüllt 95 . Und er wußte diesen Tatbestand auch zeitlich genauer zu bestimmen: Tausend Jahre nach der Passion Christi seien schon vergangen 96 . Geflissentlich hat jedoch auch Gerhoch von Reichersberg jede Identifizierung Heinrichs IV. mit dem Antichrist vermieden: Nicht Heinrich IV. selbst, sondern der durch ihn herbeigeführte Zustand in der Kirche entspreche dem auf das Ende verweisenden „Greuel der Verwüstung" (Mt. 24,15) 97 . In diesem Sinne hat Gerhoch von Reichersberg mehrere im geschichtlichen Verlauf aufeinander folgende antichristi von dem Antichrist der Endzeit unterschieden 98 . Ging es ihm doch vor allem darum zu erweisen, daß die biblischen Prophezeiungen vom Kommen des Antichrist bereits durch die Kirchengeschichte erfüllt seien und das Ende auch ohne Erscheinen eines leiblichen Antichrist naht 99 . Trotz der verbreiteten Neigung zur Beschwörung eines endzeitlichen Szenariums bleibt festzuhalten, daß das Zeitgeschehen hier zwar als Auftakt des Endgeschehens, aber eben doch nicht als dieses selbst betrachtet wurde. Daneben gibt es aber auch Beispiele dafür, wie die eschatologische Perspektive durch94 95
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Ibid. 1,19 (nt. 90), 328, 1 4 - 1 5 ; wiederholt ibid. 1,20 p. 330, 1; cf. 1,21 p. 331, 28. Gerhoch von Reichersberg, De investigatione Antichristi 1,19 (nt. 90), 328, 2 6 - 2 9 : „Ex eo tempore a multis fidelibus ac prudentibus impletum atque implen ceptum creditur, quod in apocalipsi Iohannis sie prophetatum est: Cum consummati fuerìnt milk anni, solvetur sathanas de carcere suo et exibit et seducet gentes multas, quae sunt super 1111 ángulos terrae Gog et Magog (Apoc. 20,7)." - Zwietracht zwischen regnum und sacerdotium: ibid. 326, 3 7 - 3 9 , Ausbreitung der römischen Habsucht: ibid. 329, 1 1 - 1 8 . Schärfer noch wurde die sich von der Kurie über den ganzen Leib der Kirche ausbreitende avaricia nova als das die Zeit prägende Laster in De quarta vigilia noctis ([nt. 99], 509 sq.) herausgestellt. Cf. Classen, Gerhoch (nt. 90), 228. Ibid. 1,19 (nt. 90), 328, 34—36: „At eo tempore, quo diabolusper ... regem Hainncum quasi solutus, immo vere solutus tyranni^are cepit, iam mille anni a dominica passione transierant ..." Da jedoch gemäß biblischer Prophezeiung dem Wirken Satans lediglich ein modicum tempus zugebilligt sei, seien bereits 70 Jahre verstrichen (ibid. 329, 2 3 - 2 7 ) . Cf. Classen, Gerhoch (nt. 90), 227. Ebenso Rauh, Bild des Antichrist (nt. 28), 458 mit dem Zusatz, Heinrich IV. sei freilich dessen „ausgeprägteste Verkörperung". Gerhoch von Reichersberg, De investigatione Antichristi praef. I (nt. 90), 308, 15. Cf. Meuthen, Kirche und Heilsgeschichte (nt. 89), 141 sqq.; Rauh, Bild des Antichrist (nt. 28), 428 sq. Gerhoch von Reichersberg, De investigatione Antichristi praef. I (nt. 90), 308, 3 - 6 : „Totus vero sermo noster ad hoc tendit, ut demonstret preterita ecclestae et inimicorum eius contra earn gesta sujfiäentia esse ad impletionem scripturarum de Antichristo loquentium, etiam si non veniat talis bestia, qualis vulgo estimatur venturus Antichristus ..." Cf. Classen, Gerhoch (nt. 90), 229; Rauh, Bild des Antichrist (nt. 28), 449 sqq., der gegenüber Classen jedoch betont, daß der Antichrist durchaus noch zu erwarten sei, wenngleich die Kirche die meisten Angriffe seiner Glieder bereits überstanden habe. Erst in der späten Schrift De quarta vigilia noctis (MGH Libelli de lite 3, 503 - 525) sei die eschatologische Sicht der Gegenwart voll zum Durchbruch gekommen (ibid. 429, 467 sqq.).
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b r o c h e n w e r d e n konnte. S o w a r L a m p e r t v o n Hersfeld bei seiner Darstellung der Geschichte Heinrichs IV. geradezu besessen v o n d e m G e d a n k e n , das E n d e der u n v e r k e n n b a r S p u r e n des Verfalls zeigenden W e l t k ö n n e nur durch die W a h l eines n e u e n K ö n i g s aufgehalten w e r d e n 1 0 0 . V o n einem entgegengesetzten politischen S t a n d p u n k t aus erwartete B e n z o v o n A l b a in U m d e u t u n g einer geläufigen Sibyllenweissagung gerade v o m salischen K ö n i g die B e g r ü n d u n g eines bis ans E n d e der Welt f o r t b e s t e h e n d e n universellen Kaisertums. W ä h r e n d nämlich der v o n der Tiburtinischen Sibylle prophezeite Friedenskaiser am E n d e der Zeiten a m Heiligen G r a b e der H e r r s c h a f t entsagen würde, sollte Heinrich IV. nach der Vertreibung der N o r m a n n e n aus Süditalien und der E r o b e r u n g v o n Byzanz feierlich in Jerusalem einziehen, u m daselbst g e k r ö n t zu w e r d e n 1 0 1 . D i e Einn a h m e R o m s durch die D e u t s c h e n i m Frühjahr 1 0 8 4 und die anschließende K a i s e r k r ö n u n g Heinrichs IV. feierte B e n z o im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophetie emphatisch als Beginn eines neuen Zeitalters — als novum seculum102. D i e unter endzeitlichem A s p e k t g e w o n n e n e n zeitgeschichtlichen E r f a h r u n g e n g a b e n hier den A n s t o ß f ü r das Verlangen nach V e r ä n d e r u n g der bestehenden Verhältnisse. D i e zahlreichen A n s p i e l u n g e n auf das Weltende, die w i e d e r h o l t e n Verweise auf den Antichrist lassen eine i m Vergleich zu f r ü h e r e n J a h r h u n d e r t e n deutliche Z u n a h m e endzeitlicher E r w a r t u n g e n erkennen. Angesichts der außergewöhn-
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Lampert von Hersfeld, Annales ad a. 1076 (nt. 19), 278, 19 — 23: „Proinde tantarum calamitatum unicum ac singulare superesse remedium, ut quantorìus, amoto eo (sc. Heinrico), alius rex crearetur, qui tamdiu términos suos evaganti licentiae frena iniceret et mundi vacillantis ruinam subiectis humeris sustentant." Cf. Struve, Lampert von Hersfeld (nt. 19), 136 sq. Benzo von Alba, Ad Heinricum 1,15 (nt. 60), 144, 1 - 7 : „Adhuc enim longa sibi (se. Heinrico) restât via, sicut Sibylle testaturprophetia. Nam ordinatis et in statum prìstinum collocatis Apulia sàlicet atque Calabria videbit eum Bi%as (= der legendäre Gründer von Byzanz) coronatum in sua patria. Deinceps eritegressio eius usque adurbem Solimorum (= Jerusalem) et salutato sepulchro ceterisque dominiäs sanetuariis coronabitur ad laudem et gloriam viventis in sécula seculorum." Cf. demgegenüber die Tiburtinische Sibylle (nt. 27), 186: „rex Romanorum ... veniet Jerusalem, et ibi deposito capitis diademate et omni habitu regali relinquet regnum christianorum Deo patri et Iesu Christo filio eius." Cf. Erdmann, Endkaiserglaube (nt. 40), 405 sqq. mit Verweis auf den sich hier artikulierenden Kreuzzugsgedanken; Struve, Kaisertum (nt. 61), 444 sqq.; sowie McGinn, Visions (nt. 50), 90 sq.; zuletzt Möhring, Weltkaiser (nt. 27), 157 sqq. Möhring verkennt jedoch die Intentionen Benzos von Alba, wenn er — ähnlich wie schon Sackur, Sibyllinische Texte (nt. 27), 146 — von einer von demselben „überlieferten" Sibylle im Sinne eines in sich geschlossenen Textes spricht. Hatte doch Benzos Verweis auf die Sibylle allein die Funktion, die Stellung Heinrichs IV. auf phantastische Weise zu überhöhen. Zu diesem Zweck griff er Elemente der ihm geläufigen Weissagungsliteratur auf, um sie im Sinne der Heinrich IV. zugedachten Rolle als End- und Friedenskaiser umzugestalten. Die eschatologische Ausrichtung der sibyllinischen Weissagung erfuhr hierbei eine Umgestaltung in Richtung auf eine politische Prophetie. Insofern ist Benzos Text weniger als eigenständige „Sibylle", sondern vielmehr als freie, stellenweise höchst eigenwillige Bearbeitung der von ihm herangezogenen Sibyllenweissagungen zu betrachten. Für den hier behandelten Zusammenhang ist dieser Aspekt freilich ohne Belang. Benzo von Alba, Ad Heinricum VI,4 (nt. 60), 550, 15: „fecistis novam Romam atque novum seculum." Cf. zum Hintergrund Meyer von Knonau, Jahrbücher 3, Leipzig 1900, 526 sqq., 534; sowie Struve, Kaisertum (nt. 61), 449.
Endzeiterwartungen als Symptom politisch-sozialer Krisen im Mittelalter
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liehen Begleitumstände des Investiturstreites erfuhr das untergründig stets vorhandene eschatologische Bewußtsein einen deutlichen Schub. Intensiver als in früheren Zeiten wurden die Ereignisse der Gegenwart unter endzeitlichem Aspekt erlebt: zwar noch nicht als das Ende selbst, wohl aber als untrügliche Vorausdeutungen auf dasselbe. Es ginge freilich zu weit, wollte man von diesem Befund auf eine verbreitete Weltuntergangsstimmung im ausgehenden 11. Jahrhundert schließen. Doch läßt sich dahinter immerhin eine tiefe Verunsicherung der Zeitgenossen ausmachen; denn die Auseinandersetzungen des Investiturstreites hatten die Menschen nicht nur materiell in Gestalt von Krieg und Plünderung getroffen. Schwerer noch wog, daß dadurch die tradierten Ordnungen in Reich und Kirche infragegestellt schienen. Und schlimmer noch: Für den einzelnen Gläubigen bedeutete die infolge einer überzogenen Simoniediskussion bis in die letzte Pfarrkirche hineingetragene Spaltung der Kirche ein Schwinden an Heilsgewißheit. Wer konnte sich noch darauf verlassen, daß die von einem simonistischen oder auch nur der Simonie verdächtigten Priester gespendeten Sakramente auch tatsächlich wirksam sein würden? Es ist daher nicht verwunderlich, wenn angesichts dieser in der Tat existentiellen Bedrohung das Bedürfnis nach Standortbestimmung103 innerhalb des heilsgeschichtlichen Verlaufs — denn um nichts anderes handelte es sich bei den Spekulationen um das Weltende — wuchs. Es ist bemerkenswert, daß es sich bei den angeführten Zeugnissen in der Regel nicht um gelehrte Traktate, sondern um mehr oder weniger spontane Reaktionen auf Vorgänge der Zeitgeschichte gehandelt hat. Neben der quantitativen Zunahme der Zeugnisse ist jedoch auch eine qualitative Veränderung zu verzeichnen: In der Einstellung der Menschen gegenüber der von ihnen erlebten Geschichte, ja gegenüber der Zeit selbst, hat sich etwas gewandelt. Noch zu Beginn des Jahrhunderts bot das aktuelle Geschehen offenbar keinerlei Anlaß zu irgendeiner eschatologischen Deutung. Bei der Schilderung des Slawenaufstandes von 1018 hielt es ein sächsischer Chronist für angebracht, darauf hinzuweisen, keiner müsse wegen eines derardgen Unglücks verzweifeln oder gar meinen, der Jüngste Tag stehe bevor; denn davon könne gemäß der Lehre des Apostels Paulus vor dem Abfalle und dem unheilvollen Erscheinen des Antichrist — ante dissensionem (anstelle discessionem) et Antichrist! execrabilem adventum — keine Rede sein 104 . In der von Parteikämpfen aufgewühlten Epoche des Investiturstreites ließ man hingegen keine Gelegenheit aus, die Ereignisse der Gegenwart bezüglich ihrer heilsgeschichtlichen Bedeutung zu hinterfragen. Die Intensität eschatologischer Spekulationen ist somit ein Indiz für die krisenhafte Zuspitzung der Verhältnisse im ausgehenden 11. Jahrhundert. Dies war das geistige 103
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Diesen Aspekt betonen Classen, Eschatologische Ideen (nt. 14), 309; Emmerson, Antichrist (nt. 24), 67 mit Hervorhebung eines zunehmenden Verlangens nach Aktualisierung der Schrift; sowie mit Einschränkungen Goetz, Geschichtsschreibung (nt. 24), 238. Thietmar von Merseburg, Chronicon VIII,6, ed. R. Holtzmann (MGH SS n. s. 9, Berlin 1935), 500, 2 - 6 mit Verweis auf 2. Thess. 2 , 1 - 3 . In Cod. 2 (Kgl. Bibliothek Brüssel), einer durch Korveier Interpolationen erweiterten Abschrift, wurde anstelle von „dissensionem" ergänzt „discessionem Romani imperii" (ibid. 501, 5).
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Klima, in welchem eschatologische Anspielungen als Waffe in der politischen Auseinandersetzung von beiden Seiten instrumentalisiert werden konnten. Die Eschatologie wurde damit selbst zu einem Moment der Zeitkritik105. Die tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Zeichen bedurften jedoch einer genauen Prüfung. Aus der Beunruhigung der Zeitgenossen entsprang, wie Johannes Fried kürzlich bemerkt hat, ein Antrieb zur Nachforschung 106 , zur Scheidung von Wahrem und Unwahrem. Die Uberhandnahme krisenhafter Erscheinungen hatte für die Zeitgenossen freilich auch einen positiven Aspekt. Gemäß biblischer Prophezeiung eröffnete das sich durch eine Zunahme des Bösen ankündigende Ende doch den Horizont einer neuen, besseren Welt 107 . In diesem Sinne wurden in der volkstümlichen Sibyllenweissagung im Anschluß an das Jüngste Gericht eine neue Erde und ein neuer Himmel von ewiger Dauer verheißen 108 . Aus den Begleitumständen einer alternden, sich dem Untergang nähernden Welt meinte man, geradezu die Berechtigung für Neuerungen ableiten zu können 109 , wie ein oberdeutscher Zeitzeuge mit Blick auf die Kreuzzugsbewegung bemerkte. Die Zunahme des Bösen konnte andererseits jedoch auch zu einer Mobilisierung der Abwehrkräfte in der gegenwärtigen Welt beitragen. Die Verlautbarungen Gregors VII. legen von diesem Bemühen beredtes Zeugnis ab. Ja, man hielt es jetzt für geboten, darauf hinzuweisen, daß zeitgenössische scandala für den Fortgang des heilsgeschichtlichen Verlaufs geradezu unverzichtbar seien 110 . In dieser Haltung fand jene „evolutionäre Gegenwartsdeutung", von der Amos Funkenstein gesprochen hat, ihren Ausdruck, welche das Zeitgeschehen unter dem Aspekt einer ,,letzte(n) Phase in der allmählichen Verwirklichung des göttlichen Heilsplanes" 111 begriff. Wenn hier auch nur eine begrenzte Zahl von Stimmen angeführt werden konnte, so vereinigen sie sich doch, nimmt man nur alle zusammen, zu einem Chor, der in den Wirren der Gegenwart die Schrecken des dies irae vorausahnte und damit gleichsam auf seismographische Weise etwas von der Erschütterung der Zeitgenossen des ausgehenden 11. Jahrhunderts angesichts tiefgreifender Veränderungen im politisch-gesellschaftlichen Umfeld spüren läßt. 105 106
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Cf. Classen, Eschatologische Ideen (nt. 14), 325; Rauh, Bild des Antichrist (nt. 28), 18. Uber den Zusammenhang zwischen Apokalyptik und (moderner) Wissenschaft cf. jetzt die Studie von J. Fried, Aufstieg aus dem Untergang. Apokalyptisches Denken und die Entstehung der modernen Naturwissenschaft im Mittelalter, München 2001. Apoc. 21,1 über das himmlische Jerusalem. Hierauf verweist auch Augustinus, De civitate Dei 20,16 (nt. 26), 726 sq. Cf. Miccoli, Chiesa gregoriana (nt. 25), 302. Tiburtinische Sibylle (nt. 27), 187: „Et erit cçlum novum et terra nova et utraque in perpetuitate manebunt..." - nach Apoc. 21,1. Cf. Ekkehard von Aura, Chronica Rez. I ad a. 1099 (nt. 83), 130, 2 6 - 2 7 , der von einer „novitas ... iam senescenti et prope intereunti mundo pernecessaria" zur Rechtfertigung des 1. Kreuzzuges, an dem er selbst teilgenommen hatte, sprach. Cf. Annales Augustani ad a. 1093 (nt. 2), 134, 1 3 - 1 4 im Anschluß an die Erwähnung der Erhebung des Kaisersohnes Konrad: „Necesse est enim ut veniant scandala, vae autem Uli per quem venient" - nach Mt. 18,7. Cf. zur Sache supra p. 218 mit nt. 67. A. Funkenstein, Heilsplan und natürliche Entwicklung, München 1965, 59.
„Terror in die Herzen aller Könige!" Vom Ende der weltlichen Welt im Jahre 1210 nach Mose ben Maimón FRIEDRICH N I E W Ö H N E R
(Wolfenbüttel)
I. V o r w o r t Im Jahr 1172 schrieb Mose ben Maimón (Maimonides) auf Arabisch an die Juden im Jemen einen Sendbrief („Iggeret Teman"), in dem folgender Satz stand: „Nach dieser Berechnungsmethode erfolgt die Wiedereinsetzung des Prophetentums in Israel im Jahre 4970 nach Erschaffung der Welt." Der Kontext, in dem dieser Satz steht, macht deutlich, was unter „Wiedereinsetzung des Prophetentums" zu verstehen ist: das Kommen des Messias. Als in Israel im Jahre 5745 (= 1985) dieser Brief auf Englisch erschien, fehlte dieser eine Satz1. Das kann kein Zufall gewesen sein, denn der Übersetzer war Abraham Halkin, der 1952 in New York das arabische Original des Sendschreibens mit drei hebräischen Versionen ediert hatte — in diesen Texten findet sich der Satz ebenso wie in der der Edition beigefugten englischen Ubersetzung von Boaz Cohen 2 . (Er ist ebenso in der von Shlomo Goldman englisch kommentierten hebräischen Ausgabe, New York 1950, zu finden.)3 Warum verschwand dieser eine Satz in Israel? Ich werde im folgenden erstens die provozierende Anstößigkeit dieser eschatologischen Vorhersage auf das Jahr 1210 deutlich machen, um dann zweitens zu zeigen, weshalb diese Prophezeiung im Jahre 1172 dennoch richtig und notwendig war. 1
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Crisis and Leadership: Epistles of Maimonides. Texts translated and notes by Abraham Halkin. Discussions by David Hartman, Philadelphia - New York - Jerusalem 5745/1985, 9 1 - 2 0 7 : The Epistle to Yemen ( 9 3 - 1 3 1 engl. Ubersetzung). Moses Maimonides Episde to Yemen. The Arabic Original and the three Hebrew Versions. Edited from Manuscripts with Introduction and Notes by Abraham S. Halkin and English Translation by Boaz Cohen, New York 1952. Eng. Übersetzung I - X X . - Das arabische Original dieser Ausgabe hat Sylvia Powels-Niami ihrer neuen deutschen Ubersetzung des JemenBriefs zugrunde gelegt. Die Ubersetzung wird mit einem Nachwort von Friedrich Niewöhner im Parerga-Verlag in Düsseldorf erscheinen in der von Christoph Schulte herausgegebenen Reihe „Jüdische Geistesgeschichte". — Die erste deutsche Ubersetzung des Jemen-Briefes findet sich bei A. Geiger, Moses ben Maimón, Breslau 1850, 28 - 37. - Die Ubersetzungen im Text stammen von mir, der Koran wird zitiert nach R. Paret, Der Koran, Stuttgart 1979. Mose ben Maimón, Iggeret Teman (Hebräisch). Hrsg. mit einer Einleitung und Anmerkungen von Shlomo Goldman, New York 1950.
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II. Der R a t i o n a l i s t Die provozierende Anstößigkeit der Prophezeiung begründe ich nicht mit systematischen Hinweisen, sondern mit einem Text von Maimonides selbst, der etwa 8 Jahre nach dem Jemen-Brief geschrieben ist, wobei davon ausgegangen werden muß, daß Maimonides seine Ansichten über Vorhersagen vom Kommen des Messias in dieser Zeit nicht geändert hat. Ich beziehe mich auf den 11. und 12. Abschnitt der „Hilchot Melachim" (Vorschriften über die Einsetzung von Königen) im 14. Buch der „Mischne Torah". Der 11. Abschnitt beginnt so: „Der gesalbte König wird einst auftreten und das Königtum Davids in seiner vormaligen Macht wiederherstellen." Es folgt dann — das ist für meinen Zusammenhang später wichtig — eine ausführliche Paraphrase der Bileamperikope in Numeri 22 — 24. Maimonides zitiert Numeri 24,17 — 19: „Ich sehe ihn (gemeint ist David), doch nicht schon jetzt, ich schaue ihn (gemeint ist der Messias), aber noch nicht nahe. Es geht auf ein Stern aus Jakob (gemeint ist David), und es erhebt sich ein Zepter aus Israel (das ist der König Messias)." Es folgen weitere Schriftbeweise über das Kommen des Messias — eine Zeit für dessen Ankunft wird aber nicht vorhergesagt, ganz im Gegenteil: „Man soll keine Berechnungen über die Endfristen anstellen (...), sondern soll auf die Erfüllung harren." Maimonides unterstreicht diesen Satz durch: „Die Weisen haben die Verwünschung ausgesprochen, der Geist derer, die die Endfristen zu berechnen suchen, möge verhauchen." Das ist eine eindeutige Absage an alle Endzeitspekulationen. Selbst Spekulationen über das, was dem Kommen des Messias vorangehen könnte z. B. der Krieg zwischen Gog und Magog — verbietet sich Maimonides: „Von allen diesen und ähnlichen Dingen weiß niemand genau, wie sie sich zutragen werden." Mit allen diesen Dingen solle man sich nicht beschäftigen, denn sie gehörten nicht „zum Wesen der Glaubenslehre", auch führten sie nicht zu Gottesfurcht oder zu Gottesliebe. Jegliche Diskussion darüber, wann und wie die Endzeit kommt, ist sinnlos, überflüssig und sogar verwerflich, denn das, was nicht zu Gottesliebe führt, ist schädlich. Jeder Gedanke an das Kommen des Messias und die Endzeit ist darum also überflüssig. Dennoch weiß Maimonides viel darüber, denn er sagt in der „Mischne Torah" mit großer Gewißheit: „Laß es dir nicht in den Sinn kommen, daß es dem gesalbten König (Messias) obliegt, Zeichen und Wunder zu wirken, daß er etwa neue Dinge in der Welt hervorrufen oder die Toten zum Leben erwecken wird und dergleichen mehr. So verhält es sich keineswegs." 4 Woher weiß Maimonides das, was gibt ihm die Gewißheit? Auf diese Frage kann jetzt nicht eingegangen werden. Hier wollte ich nur zeigen, daß nach Maimonides' eigener Meinung jede Berechnung und Spekulation über die Endzeit falsch sein muß. Als Maimonides den Jemen-Brief verfaßte, lag schon sein „Kommentar
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R. Mosche ben Maimón, Die Sendung des Gesalbten, in: M. Zobel, Gottes Gesalbter. Der Messias und die messianische Zeit in Talmud und Midrasch, Berlin 1938, 181 — 187.
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zur Mischna" vor (1165), in welchem er die 13 Grundlehren (Ikkarim) des Judentums formuliert hat. Die 12. Grundlehre lautet: „Die 12. Grundlehre betrifft die Tage des Messias. Das heißt, es ist zu glauben und für wahr zu halten, daß er kommen wird." 5 Und dann verweist Maimonides wieder auf b. Sanhédrin 97 b: „Verhauchen soll der Geist derer, die die Endzeit berechnen." Maimonides hat also schon vor der Zeit des Jemen-Briefes so über das Kommen des Messias gedacht, wie er es später in der „Mischne Torah" ausbreitete. Umso dringender ist darum die Frage: Warum hat er 1172 trotzdem den Jemeniten das Kommen des Messias präzise für das Jahr 1210 versprochen? Warum gerade 1210?
III. Der S p e k u l a n t Die Zahl 1210 kommt folgendermaßen zustande: Der Prophet Bileam sagt in Num. 23 Vers 23 b: „Zur rechten Zeit (hebr. kä'et) wird Jakob und Israel gesagt, welche Wunder Gott tut." Bileam sagte diese Worte im 38. Jahr nach dem Auszug der Israeliten aus Ägypten. Dieser hatte im Jahr 2448 nach Erschaffung der Welt stattgefunden. „Im 38. Jahr" bedeutet genau: 37 Jahre nach dem Auszug aus Ägypten. Addiert man also zu dem Jahr 2448 noch 37 Jahre hinzu, dann kommt man zu dem Jahr 2485. Nun gibt es nach der jüdischen Tradition zwei Erlösungen: die erste war der Auszug der Israeliten aus Ägypten, die zweite wird das Kommen des Messias sein. Da Bileam von der rechten Zeit ('#) spricht, müssen die prophetischen Worte, so Maimonides, „einen verschlüsselten Hinweis auf den Zeitpunkt der Wiedereinsetzung des Prophetentums enthalten. Es wird dies der Fall sein nach einer Zeitperiode, die derjenigen äquivalent ist, welche von den 6 Tagen der Schöpfung bis zur Zeit Bileams vergangen ist." Bileams Spruch im Jahre 2485 muß demnach so verstanden werden, daß nach weiteren 2485 Jahren die zweite Erlösung kommen wird. 2485 plus weitere 2485 Jahre ergeben das Jahr 4970 nach Erschaffung der Welt. In diesem Jahr soll „die Wiedereinsetzung des Prophetentums" erfolgen. Maimonides sagt in aller Deutlichkeit, was dieses bedeutet: „Es besteht kein Zweifel, daß die Wiedereinsetzung des Prophetentums zu den Zeichen gehört, die den Beginn der messianischen Ära ankündigen." Das ist zwar vorsichtig ausgedrückt, doch der Leser versteht: der Messias wird im Jahre 4970 kommen, das heißt nach christlicher Rechnung im Jahre 1210. Das war keine Vorhersage auf eine entfernte Zukunft, sondern es war mehr eine Naherwartung. Maimonides war 37 Jahre alt, als er den Jemen-Brief schrieb, das Kommen des Messias erwartete er in 38 Jahren, d. h. während der Möglichkeit seiner eigenen Lebensspanne. Maimonides riskierte also viel, er wagte gewissermaßen alles — warum?
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Cf. Mose ben Maimón, Führer der Unschlüssigen. Übersetzung und Kommentar von Adolf Weiss. Mit einer Einleitung von Johann Maier, Bd. 1 (Philosophische Bibliothek 184 a), Hamburg 1972, X L - X L V I I I .
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IV. Der J e m e n in A u f r u h r Maimonides schrieb den Brief in den Jemen, weil er von dort von Jacob ben Nathanel al-Fajumi um Hilfe und Anleitung gebeten worden war, wie sich die jemenitischen Juden zu verhalten hätten in einer politisch-religiösen Situation, mit der sie selbst nicht mehr fertig wurden. Im Jemen herrschten unbeschreibliche Zustände: die Juden wurden zur Konversion zum Islam gedrängt von einer muslimischen Endzeitbewegung unter dem Schiiten 'Abd al-Nabi' ibn Mahdi, der — das nur als Nebenbemerkung — damit gegen den weisen Sultan Saladin in Ägypten revoltierte, unter dessen Schutz Maimonides lebte. Hinzu kam noch, daß unter den jemenitischen Juden selbst ein Mann auftrat - sein Name ist nicht überliefert — der von sich behauptete, er sei der erwartete Messias. Gerade diese doppelte Belastung machte die Lage prekär, denn die Juden im Jemen mußten glauben, „daß der Aufstieg (des falschen Messias) dem des Ibn Mahdi gleiche, dessen Augenzeugen sie geworden sind". Verwickelt wurde die Situation weiter noch dadurch, daß nicht nur Juden zum Islam konvertierten, sondern der falsche Messias auch Anhänger unter den Muslimen fand (so Maimonides in seinem — späteren — Brief an die südfranzösischen Rabbiner 6 ). War nicht gerade dieses in der ohnehin nicht mehr durchschaubaren politisch-religiösen Situation ein Zeichen für die Legitimität des Mannes, der für sich die MessiasWürde in Anspruch nahm? Maimonides sah sich also vor eine doppelte Aufgabe gestellt: er mußte einerseits den jemenitischen Juden Argumente liefern, die ihnen ermöglichten, den muslimischen Forderungen des Ibn Mahdi zu entgegnen und so diese abweisen zu können; er mußte andererseits zeigen, daß die jüdischen Forderungen des selbsternannten Messias unbedingt falsch sein mußten (obwohl sein Erfolg ihn zu legitimieren schien). Nur durch die Lösung dieser doppelten Aufgabe konnte die jüdische Gemeinde in arabia felix vor Auflösung, Verfall und Untergang bewahrt werden. Die Aufgabe des Maimonides war also nicht, eine „dogmatisch" korrekte Aussage über den Glauben an den Messias zu formulieren, sondern es ging um die Rettung einer Glaubensgemeinschaft — um die Möglichkeit des Fortbestehens der Juden im Exil unter schwersten Bedingungen. Maimonides war mit solchen extremen Lebensbedingungen vertraut, hatte er doch selbst seit 1160 einige Jahre in Fez unter den Almohaden gelebt, war dort auch selbst mit Forderungen zur Konversion zum Islam konfrontiert worden. (War er vielleicht selbst eine Zeitlang zum Schein Muslim gewesen?) In Fez hatte der junge Maimonides ein offenes Sendschreiben über „Die Heiligung des Namens" geschrieben, worin er seine Glaubensgenossen aufforderte, ein Land,
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Cf. The correspondence between the Rabbis of Southern France and Maimonides about astrology. Edited by Alexander Marx, in: Hebrew Union College Annual 3 (1926), 3 1 1 - 3 5 8 ; Additions and corrections, in: ibid. 4 (1927), 4 9 3 - 4 9 4 . - Engl. Ubersetzung von Ralph Lerner: Maimonides' Letter on Astrology, in: R. Lerner/M. Mahdi (eds.), Medieval Political Philosophy. A Sourcebook, New York 1963, 2 2 7 - 2 3 6 .
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in dem man nicht ungestört sein Judentum praktizieren könne, zu verlassen und in ein Land zu ziehen, in dem man ohne Furcht die Forderungen des GlaubensGesetzes erfüllen könne 7 . Warum gibt er den Jemeniten nicht auch diesen Rat? V. Der K o r a n als V o r b i l d Gleich zu Beginn des Jemen-Briefes verweist Maimonides auf die Verfolgung der Juden unter den Berbern im Maghreb — und somit auf seine eigenen Erfahrungen. Aber nun folgt nicht, man solle solch ein Land verlassen und in ein freies Land auswandern, sondern Maimonides sagt, solche Verfolgungen seien „ohne Zweifel die Geburtswehen des Messias", die das Kommen des Messias ankündigten (im arabischen Text stehen die hebräischen Worte für „Geburtswehen des Messias" aus b. Sanhédrin 97 a —98 b). „Gott selbst bedauert in seinem Buch diejenigen, die sie mit eigenen Augen sehen müssen, mit folgenden Worten: Ach, wer wird am Leben bleiben, wenn Gott das tun wird?" Da diese Worte der Schlußperikope der Bileam-Prophezeiung entnommen sind (Num. 24,23), weiß der Leser sofort, worüber Maimonides schreiben wird: die derzeitigen Juden-Verfolgungen müssen als „messianische Geburtswehen" mit der Rede Bileams in Verbindung gebracht werden — die Rede wird sein vom Kommen des Messias. Das, was Maimonides im folgenden sagen wird, bezeichnet er als „wahre echte Religion, die uns vom Herrn aller Propheten offenbart worden ist". Das ist eine eigenartige Wendung: „Herr aller Propheten" - sayyid dschamï ' an-nabiyin, gemeint ist Moses. Normaler Weise wird Moses als mosche rabbênû bezeichnet, „Moses unser Lehrer". Herr aller Propheten heißt hier: Moses ist auch der Herr aller „nachfolgenden Propheten", seien sie nun jüdisch oder muslimisch. Der jemenitische Messias und Ibn Mahdi werden im folgenden an dem gemessen werden, was Moses offenbart hat. Darum schreibt Maimonides auch folgende erstaunliche Sätze: „Meine Freunde in der Diaspora, ihr müßt euch gegenseitig unterstützen, die Alteren sollen die Jugend leiten und die Führer die Massen. Gewinnt die Zustimmung eurer Gemeinschaft zu der Wahrheit, die unumstößlich und unabänderlich ist, (und findet die Zustimmung) zu folgenden Postulaten des wahren Glaubens, die niemals falsch sind: ,Gott ist einer in einem einzigartigen Sinne und Moses ist sein Prophet und sein Sprecher, er ist der größte und vollkommenste aller Propheten'."
Das ist ein eigenartiges Glaubensbekenntnis (in der Ubersetzung von Shlomo Goldman wird „Postulat" mit „Ikkar", Glaubensartikel, übersetzt): nach dem 7
Der hebräische Text — das arabische Original ist verschollen - in: M. D. Rabinowitz, 'Iggrot Ha-Rambam, Tel Aviv 1951. - Engl. Ubersetzung von Abraham Halkin, in: Crisis and Leadership (nt. 1), 1 3 - 9 0 : The Epistle on Martyrdom ( 1 6 - 3 4 engl. Übersetzung). - Cf. H. Soloveitchik, Maimonides' 'Iggeret Ha-Shemad: Law and Rhetoric, in: L. Landman (ed.), Rabbi Joseph H. Lookstein Memorial Volume, New York 1980, 2 8 1 - 3 1 9 . - Soloveitchik nennt diesen Brief „a propagandist tract" (306).
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Bekenntnis zur Einheit Gottes folgt sofort der Hinweis auf das Prophetentum des Moses. Dieser Doppelgrundsatz ist genau dem islamischen Glaubensbekenntnis, der schahäda, nachempfunden, die auch zweigliedrig ist: 1. Glied: „Es ist kein Gott außer Gott — lä iläh illä Allah"; 2. Glied: „Und Muhammad ist der Gesandte Gottes — wa Muhammad rasitiAlläh" Der „Ikkar" des Maimonides soll also so verstanden werden: „Es ist kein Gott außer Gott und Moses ist sein Gesandter" (cf. Koran, Sure 4,136: „Glaubet an Gott und seinen Gesandten!"). Doch dann fügt Maimonides noch etwas hinzu: Moses ist „der Sprecher Gottes, er ist der größte und vollkommenste aller Propheten". Für „Sprecher Gottes" wählt Maimonides im arabischen Text „kalim alläh", was eigentlich heißt „der von Gott Angesprochene" — es ist der in der islamischen Tradition gebräuchliche Beiname des Moses im Anschluß an Koran, Sure 7,144. Und wenn Maimonides auch noch hinzufügt, Moses sei „der größte und vollkommenste aller Propheten", dann will das sagen: nicht Muhammad, sondern Moses ist das „Siegel der Propheten" 8 . Maimonides bezieht sich hier auf den Koran, und er wollte genau so, wie ich dargelegt habe, verstanden werden, denn die nächsten Sätze lauten: „Moses ist die Kenntnis von Gott gewährt worden, welche niemals einem anderen Propheten vor ihm gewährt worden ist, noch wird sie in Zukunft (einem Propheten) gewährt werden. (...) Die Torah wird niemals überflüssig und überholt sein, niemals vergrößert oder verkürzet werden." Das Glaubensbekenntnis, das Maimonides den jemenitischen Juden empfiehlt, ist also genaugenommen dreigliedrig. Es wird gefordert der Glaube 1) an einen Gott, 2) an Moses, Gottes Gesandten, 3) an die Torah. Dieses „Glaubensbekenntnis" entspricht in seiner Einfachheit exakt dem islamischen Glaubensbekenntnis in Sure 4,136: „Glaubet an Gott und an seinen Gesandten, und an das Buch, das er auf ihn herabgesandt hat." Wenn Muslime im Jemen die Juden mit Sure 4,136 auffordern, zum Islam überzutreten und die schahäda zu sprechen, können diese in der Disputation gelassen antworten, auch sie glaubten an Gott, seinen Gesandten und die ihm offenbarte Schrift — nur sei diese viel älter als der Koran, und es wäre ihnen ja auch zusätzlich mitgeteilt worden, nach Moses könne auch in Zukunft kein Prophet wie Moses, auch nicht unter den heidnischen Völkern (umot), erstehen. Dieses Glaubensbekenntnis ist eine deutliche Akkomodation des Maimonides an die muslimische schahäda, speziell formuliert für die Situation der Juden im Jemen.
V I . D e r innere Sinn Es braucht hier nicht auf jeden Schriftbeweis eingegangen zu werden, den Maimonides im folgenden zur Stützung seiner These vom baldigen Kommen des Messias heranzieht, jedoch verdient die Methode, mit der Maimonides vor8
Sure 33,40. - Cf. zu dieser Bezeichnung C. Colpe, Das Siegel der Propheten, Berlin 1990.
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geht, besondere Beachtung. Zuerst stellt er fest, daß „Ähnlichkeiten" zwischen der Scharia und der Torah bestehen, so daß ein Ungebildeter beide Gesetze für identisch halten könne. Nach diesem erstaunlichen Zugeständnis an Koran und Scharia kommt aber sofort die Einschränkung: man müsse „die Geheimnisse der Offenbarungsschriften und den inneren Sinn unseres Gesetzes" kennen, um die Offenbarung des Moses recht zu verstehen. Für „Geheimnisse" wählen die hebräischen Ubersetzungen das Wort „sod" (Geheimnis), für den „inneren Sinn" das Wort „setär" (ebenso Geheimnis). Das sieht wie ein im Hebräischen üblicher Parallelismus aus. Im arabischen Original wählte Maimonides für „Geheimnis" das Wort „sarirä", für den „inneren Sinn" jedoch „al-bätin". Fünfmal in dichter Folge benutzt Maimonides den Ausdruck „al-bätin" 9 . Ein arabischsprechender Gelehrter in der Mitte des 12. Jahrhunderts verband mit diesem Begriff aber nicht einfach „Geheimnis", sondern eine spezielle Methode der Schriftinterpretation der islamischen Gnosis, wie sie besonders von den nach ihr benannten, zu den Ismaeliten gehörenden schiitischen Batiniten zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele im 12. Jahrhundert eingesetzt wurde. Muhammad al-Ghazäll (gest. 1111) hat eine große Streitschrift gegen die Batiniten verfaßt („Fadä'ih albätinlya") 10 und ist auch ausführlich in seiner Autobiographie „Erretter aus dem Irrtum" auf diese Methode der Schriftauslegung eingegangen 11 . Doch auch die Juden waren vertraut mit den schiitischen Ismaeliten. In der um 1148 entstandenen Schrift „Eschkol ha-kofer" des Jehuda Hadassi spricht dieser von den neuen Lehren der „Religion des Haschisch", womit die geheimen Lehren der heute sogenannten „Assassinen" gemeint sind, eine Gruppe von Gefolgsleuten des Hasan-i-Sabbäh (des „Alten vom Berge") 12 . Gerade gegen diese Fanatiker hatte al-Ghazäll seine Batiniten-Schrift geschrieben. Ihr Zentrum war der Alamut, wo sie 1164, kurz vor den Unruhen im Jemen, Hassan II. für den wiedererwarteten Imam erklärten. Auch hier war damit die Endzeit angebrochen 13 . 9
10
11
12 13
Shlomo Pines hat nachgewiesen, daß diese Passage des Jemen-Briefes von Judah Halevi's „Kuzari" beeinflußt worden ist: Parallels between the „Kuzari" and the non-philosophical treatises of Maimonides, in: id., Shl'ite Terms and Conceptions in the „Kuzari", in: id., Studies in the History of Jewish Thought. Ed. by Warren Zev Harvey and Moshe Idei (The Collected Works of Shlomo Pines V), Jerusalem 1997, 3 0 2 - 3 0 5 . Fadä'ih al-bätinlya, ed. A. Badawî, Kairo 1883/1964 (Nachdruck Kuweit o.J.). - Deutsch: Streitschrift des Gazali gegen die Bäfinijja-Sekte von Ignaz Goldziher. Veröffentlichungen der de Goeje-Stiftung No. 3, Leiden 1916. Abü-Hämid Muhammad al-Ghazäll, Der Erretter aus dem Irrtum. al-Munqid min ad-daläl. Aus dem Arabischen übersetzt von 'Abd-Elsamad 'Abd-Eljamld Elschazll (Philosophische Bibliothek 389), Hamburg 1988, 3 0 - 4 0 . - Cf. F. Griffel, Apostasie und Toleranz im Islam. Die Entwicklung zu al-Gazälls Urteil gegen die Philosophie und die Reaktionen der Philosophen (Islamic Philosophy, Theology and Science. Texts and Studies XL), Leiden/Boston/Köln 2000, 2 5 3 303. J. Hadassi, Eschkol ha-Kofer, Eupatoria 1836, fol. 41 a. Cf. F. Niewöhner, Veritas sive Varietas. Lessings Toleranzparabel und das Buch Von den drei Betrügern, Heidelberg 1988, 2 5 1 - 2 5 3 .
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Friedrich Niewöhner
Die schiitisch-ismaelitischen Theologen unterschieden sich von den Sunniten durch die Betonung einer verborgenen inneren Lehre (al-bätin) in den Offenbarungsschriften. Während viele sunnitische Religionsgelehrte des 12. Jahrhunderts jegliche übertragene Bedeutung selbst wörtlich unverständlicher Passagen im Koran ablehnten und damit jede allegorische Interpretation der Offenbarung verboten, behaupteten die Batiniten, der Wortlaut der Offenbarung sei nur eine äußere Hülle, hinter der sich eine ebenso bedeutsame innere Lehre verberge. Wenn Maimonides in seinem Brief von dem „inneren Sinn unseres Gesetzes" — bawätin schan'atina — spricht, von der „tieferen Wahrheit und Weisheit der Torah", von dem „tieferen Sinn der Gebote und Verbote", dann bedient er sich damit des ismaelitischen Sprachgebrauchs des Ibn Mahdi. Maimonides versucht, Ibn Mahdi mit dessen eigenen Waffen zu schlagen. Lag nämlich in der dem Koran zeitlich vorausgehenden Torah ein innerer Sinn, dann kann jetzt festgestellt werden: „Aber jene Gesetzesreligionen, die sich mit unserer vergleichen wollen, enthalten Dinge, die keine verborgene innere Bedeutung haben, sondern sie sind nur Nachahmungen, Vortäuschungen und Kopien". Ist die batinitische Schriftauslegung aber nur eine Imitation der jüdischen, „um dieser gleich zu sein", dann werden die Nachahmer und Imitatoren „zum Objekt der Lächerlichkeit und des Gespötts", wie Maimonides sagt. Das Judentum als das eigentliche und ursprüngliche Batinitentum darzustellen, ist ein geschickter Schachzug von Maimonides, denn nun erscheint das Neue und Faszinierende an der schiitischen Lehre von dem inneren Sinn der Offenbarungsschriften als lächerliche Nachäffung. Die Argumente Ibn Mahdis zählen nicht mehr, es bleibt dabei: Moses ist der Herr aller Propheten, auch der, die nach ihm auftreten. Maimonides wählte die batinitische Terminologie aber nicht nur, um geschickt gegen Ibn Mahdi argumentieren zu können, er benutzte sie auch, um von dem Adressaten, Jacob ben Nathanel al-Fajumi, richtig verstanden zu werden. Denn dieser war wahrscheinlich selbst auch von ismaelitischen kosmologischen Ideen stark beeinflußt gewesen, wie der von seinem Vater um 1165 geschriebene Traktat „Bustan al-uqul" zeigt 14 . Man nimmt sogar an, daß dieser Zugang zu den esoterischen Büchern der Ismaeliten gehabt hat 15 . Bätin heißt aber nicht nur der innere Sinn im Gegensatz zu dem äußeren Wortlaut (aphir), sondern bätin bedeutet auch „geheim". Denn das Wissen des 14
Nathanel b. al-Fayyumi, The Bustan al-ukul by Nathanael ibn al-Fayyumi. Edited and translated from an unique manuscript in the Library o f Columbia University by D. Levine, New York 1908.
15
Cf. S. Pines, Nathanaël ben al-Fayyumi et la théologie Ismaélienne, in: id., Studies in the History o f Jewish Thought (nt. 9), 3 1 7 - 3 3 4 . Cf. auch R. Kiener, Jewish Isma'ilism in Twelfth Century Yemen, in: The Jewish Quarterly Review 7 4 (1984), 2 4 9 - 266. - A m Ende des Jemen-Briefes sagt Maimonides in seiner Auf2ählung v o n Männern, die sich fälschlicherweise als den Messias ausgegeben haben, v o n einem dieser getöteten Betrüger meinten seine Anhänger bis heute, er lebe „in der Verhüllung". Maimonides gebraucht für „Verhüllen" das arabische Vetb ghâba (Substantiv ghayba). Dieses ist der terminus technicus der Schiiten, wenn sie sagen, ihr Imam, der später als Mahdi wiederkehren werde, lebe zur Zeit „in der Verhüllung".
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inneren Sinnes darf nicht der gemeinen Masse, 'ämm, mitgeteilt werden, weil diese Menschen den inneren Sinn nicht verstehen können und deshalb verleitet werden, ihn zu mißbrauchen. Darum betont Maimonides, nachdem er das Kommen des Messias für das Jahr 1210 vorausgesagt hat: „Die messianische Zeit ist uns als wahr überliefert worden, nachdem wir davor gewarnt wurden und nachdem uns ausdrücklich verboten wurde, sie öffentlich zu verbreiten, damit die Menschen nicht wegen der langen Wartezeit enttäuscht sind." Der Jemen-Brief, seine Terminologie wie sein Inhalt, wird erst ganz verständlich, wenn man berücksichtigt, daß er wegen seines Adressaten wie seines muslimischen Gegners in der Art eines ismaelitisch-banititischen Sendschreibens verfaßt worden ist. Der Brief gibt sich aus als eine geheime Mitteilung über den inneren Sinn der Rede des Bileam über das Kommen des Messias. (In Klammern nur sei vermerkt: Wenn auch nur ein einziges Mal in allen seinen Schriften, so gibt Maimonides doch zu erkennen, daß er sich im ismaelitischen Schrifttum auskennt. Denn im „Führer der Unschlüssigen" II, 25 spricht er von der gefährlichen Interpretation der Wunder durch die ahl-bätin min al-isläm, von denjenigen Muslimen also, die nach dem inneren Sinn suchen. Ahl al-bätin wurde im 12. Jahrhundert als Bezeichnung für die Ismaeliten verwendet.) 16 VII. Ö f f e n t l i c h k e i t Und dennoch ist es kein geheimes Sendschreiben: In den ersten Seiten des Briefes, die in Hebräisch geschrieben sind, schreibt Maimonides nämlich, warum er nun ins Arabische überwechseln wolle: „Damit alle Menschen, auch Frauen und Kinder, den Brief gemeinsam eifrig lesen. Es ziemt sich, daß alle Mitglieder eurer Gemeinde uneingeschränkt den Inhalt des Briefes verstehen." Damit auch die einfachen Leute im Jemen, deren Umgangssprache das Arabische war, den Brief verstehen konnten, schrieb Maimonides auf Arabisch. In dem arabischen Teil wiederholt Maimonides: „Und nun, meine Brüder, ist es notwendig, daß ihr alle zuhört, worauf ich euch aufmerksam mache. Bringt es auch euren Kindern und Frauen bei. Die Alteren sollen die Jungen unterrichten und die Anführer das einfache Volk ( 'ämm)." Man soll darüber öffentliche Versammlungen abhalten. Wie ist die Differenz zu erklären: einerseits gibt sich der Brief als geheimes Sendschreiben über den inneren Sinn von Prophetenworten, den die Menge nicht wissen darf — andererseits fordert Maimonides, daß selbst die ungebildeten Frauen und Kinder den Inhalt hören sollen, und zwar in öffentlichen Versammlungen. Die Erklärung dieser Diskrepanz macht auch die wirkliche Absicht des Schreibens deutlich. Am Ende des Briefes schreibt Maimonides, bei der Abfassung des Schreibens seien ihm Zweifel gekommen, ob es richtig wäre, solche Dinge, wie sie in dem Brief stehen, überhaupt zu schreiben. Er 16
Cf. S. Pines, Points of similarity between Isma'ill and Jewish Mediaeval Doctrines, in: id., Shi'ite Terms and Conceptions (nt. 9), 294 - 297.
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habe es dennoch getan, denn „das öffentliche Wohl" habe Vorrang. Und da es um das öffentliche Wohl gehe, müsse der Brief in privaten wie „öffentlichen Versammlungen" verlesen werden. Wenn der Adressat dies tue, werde er zu einem „öffentlichen Wohltäter". V I I I . Der P o l i t i k e r Maimonides hat diesen Brief also nicht zur Erbauung des Adressaten geschrieben, sondern um das „öffentliche Wohl" der Juden im Jemen zu retten. Dieses stand auf dem Spiel, d. h. die Existenz der jüdischen Gemeinde im Jemen, die Existenz eines ganzen Volkes gewissermaßen. Den Verführungen und Versprechungen des Ibn Mahdi wie des selbsternannten Messias konnte Maimonides nur dadurch begegnen, daß er den tiefsten und innersten Sinn der Torah enthüllte, der alle Versprechungen und Verführungen überbot: das baldige Kommen des Messias. Dieses Geheimnis mußte aber allen Juden im Jemen mitgeteilt werden, um das öffentliche Wohl zu retten. Nur auf diese Weise konnte Maimonides zum Ziel kommen. Da es um das öffentliche Wohl geht, kann der JemenBrief also als ein politisches Sendschreiben bezeichnet werden. Er ist in erster Linie nicht an den klugen Jacob ben Nathanel al-Fajumi gerichtet, sondern an die dumme Menge, die sich von falschen messianischen Voraussagen blenden läßt. Maimonides sah in den alten israelitischen Propheten Philosophenkönige und Stifter eines Staates, nicht nur Lehrer, sondern auch Leiter. Ein Prophet war für ihn immer zugleich auch Philosoph und Staatsmann. Maimonides tritt im Jemen-Brief als Prophet auf, der das exakte Kommen des Messias voraussagt. Er tut das hier auch als Leiter und Staatsmann, als Politiker. Die Vorhersage war eine politische Notwendigkeit. Ob Maimonides selbst an sie glaubte oder nicht, ist unwichtig. Es gilt allein, daß sie für die Situation im Jemen 1172 notwendig war zur Erhaltung der jüdischen Gemeinde. Auch das Datum (1210) erklärt sich aus dieser Notwendigkeit: die Juden konnten nur durch eine Naherwartung motiviert werden, an dem Glauben ihrer Väter festzuhalten. Ein Datum, das ihre eigenen Lebenserwartungen weit überschritten hätte, wäre für sie in ihrer Situation um 1172 kein zwingendes Argument gewesen. Maimonides schreibt den Brief aber nicht als ein einfacher Politiker, sondern als ein Politiker und Prophet mit göttlichem Auftrag: Maimonides diskutiert nämlich lange den Vers Deuteronomium 18,15, in dem Moses sagt: „Einen Propheten wie mich wird dir dein Gott erwecken aus deiner Mitte und aus deinen Brüdern, dem sollt ihr gehorchen". In der Polemik der Muslime gegen die Juden wurde dieser Vers gerne und oft auf Muhammad angewendet: er sei der dort versprochene Prophet. Maimonides weist das strikt zurück und dann kommt eine höchst merkwürdige Passage: „Als G o t t uns verbot diese Dinge (Zukunftsdeutung, Astrologie, Wahrsagerei) zu praktizieren, sagte er (...): ,Du aber, (Israel), wirst die (zukünftigen Ereignisse) von
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e i n e m P r o p h e t e n e r f a h r e n , d e n w i r dir s e n d e n w e r d e n . E r w i r d euch mitteilen, w a s g e s c h e h e n w i r d , er spricht die W a h r h e i t u n d lügt nicht. V o n i h m w e r d e t ihr z u k ü n f tiges W i s s e n erlangen, u n d z w a r o h n e Wahrsagerei, A s t r o l o g i e u n d A h n l i c h e m ' . G o t t h a t auch . . . "
Die Sätze von „Du aber" bis „und Ahnlichem" sind eine direkte Rede Gottes an Israel. Diese Rede steht aber nicht in der Torah, sondern Maimonides legt sie Gott selbst in den Mund als Interpretation des Verses Deut. 18,15: „Einen Propheten wie mich wird dir dein Gott erwecken." Die Übersetzer hat die Rede Gottes in der 1. Person Plural („wir") so gestört, daß sie dieses in die 1. Person Singular („ich") übertragen haben. Doch das göttliche „wir" sollte beibehalten werden, denn Maimonides ahmt an dieser Stelle wiederum den Koran nach, in dem Gott oft in der 1. Person Plural redet. Aber nicht nur darum ist diese Passage merkwürdig: Maimonides läßt Gott etwas sagen, was nicht in der Schrift steht — und es also ungewiß ist, ob Gott so etwas gesagt hat. Dieses eigenartige Szenarium kann nur einen einzigen Sinn haben: Maimonides will diesen wenigen Worten göttliche Autorität verleihen. Was sagen diese Worte: Israel wird die zukünftigen Ereignisse von einem Propheten erfahren, wie ich einer bin — kamönii
Da Maimonides kurz darauf selbst die zukünftigen Ereignisse präzise voraussagt, bedeuten die Worte mit göttlicher Autorität: Maimonides ist der mit Moses zu vergleichende Prophet. Gott selbst hat darauf hingewiesen. Maimonides ist der Nachfolger des Moses, nicht Muhammad. Die prophetische Vorhersage des Maimonides auf das Jahr 1210 ist von Gott gewissermaßen autorisiert worden. Vor dieser Autorität müssen alle anderen Argumente verstummen. Maimonides treibt hier ein gewagtes, aber politisch notwendiges Spiel. Ist das nicht als Anmaßung und Hybris zu bezeichnen? Es kann auf diese Frage nur eine Antwort geben: Dem Philosophen und Politiker ist jedes Mittel recht, um die Gemeinde im Jemen vor dem Untergang zu retten. Je zerrütteter die Lage, umso höher muß das Argument sein. Dieses lautet in dem politischen Sendschreiben an den Jemen: der Messias wird bald kommen; ich, Mose ben Maimón, der Nachfolger des Moses, bin von Gott beauftragt worden, dieses für 1210 zu verkünden. Wortwahl und Stil des Jemen-Briefes zeigen zwingend, daß diese Vorhersage nicht ein Einschub von fremder Hand ist, wie angenommen wurde, sondern daß Maimonides selbst es war, der den Messias ankündigte. Nicht, weil er daran glaubte, wohl aber, weil es notwendig war. Maimonides schrieb in dem JemenBrief nicht das Wahre, sondern das in dieser Situation Richtige. Und darum ist das Sendschreiben als ein politisches zu bezeichnen 17 . Es gibt einen zeitgenössischen Bericht über die Herrschaft des 'Abd al-Nabi' ibn Mahdi im Jemen, geschrieben von Najd ad-Din 'Umärah al-Hakaml 18 . In 17 18
Cf. zu diesem Komplex H. Meier, Warum Politische Philosophie?, Stuttgart/Weimar 2000. Yaman. Its early mediaeval History by Najm ad-Din 'Omärah al-Ilakami. Hrsg. und ins Engl, übersetzt von Henry Cassels Kay, London 1892. Zu 'Abd al-Nabi' ibn Mahdi speziell 1 2 9 - 1 3 4 (engl. Übersetzung) und 9 6 - 1 0 0 der arabischen Paginierung (arabisches Original).
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diesem muslimischen Bericht wird der brutale Terror des Ibn Mahdi genau beschrieben. Am Schluß dieses Berichtes — von der Maimonides-Forschung bis jetzt noch nicht ausgewertet — heißt es: „Und was den Glauben derer betrifft, die Ibn Mahdi folgten, so brachten sie ihm einen Respekt entgegen, der größer war als der, den man gewöhnlich den Propheten zollt." Es waren Muslime und Juden, die Ibn Mahdi mehr verehrten als die Propheten. Diese Verehrung konnte nur gebrochen werden durch einen Mann, der von sich sagte, er sei noch größer als Ibn Mahdi, da er der von Gott vorhergesagte Nachfolger des Moses sei. Um sich als dieser zu legitimieren, mußte Maimonides genau das tun, was in der Torah von diesem Nachfolger des Moses gesagt worden war: er mußte die zukünftigen Ereignisse vorhersagen 19 . Maimonides gewann sein gewagtes Spiel, denn die Jemeniten glaubten ihm und blieben dem Glauben ihrer Väter treu. Die Gemeinde fiel nicht auseinander. Der falsche Messias wurde als Betrüger endarvt und hingerichtet. Auch Ibn Mahdi konnte seine Herrschaft nicht mehr lange halten, denn die Kunde vom baldigen Kommen des Messias mußte, so Maimonides, „Terror in die Herzen aller Könige" pflanzen. 1173 übernahm Saladins Bruder Türänschäh die Herrschaft im Jemen. Die Geburtswehen des Messias waren vorbei. Von seinem Kommen wurde nicht mehr weiter geredet, denn man brauchte ihn jetzt nicht mehr. Trotz der Voraussage auf das Jahr 1210, die bekanntlich nicht in Erfüllung ging, wird Mose ben Maimón im Jemen bis heute wie ein zweiter Moses verehrt 20 .
19
20
Die lesenswerteste Studie zum Jemen-Brief schrieb: R. Lerner, Maimonides' Empire of Light. Popular Enlightenment in an Age of Belief, Chicago/London 2000, 1 4 - 2 7 : Winged Words to Yemen. Maimonides' „Epistle to Yemen" (R. Lerner). 9 9 - 1 3 2 : Moses Maimonides: „Epistle to Yemen" (1172). Translated by Joel L. Kraemer. Von Kraemer cf. auch: J. L. Kraemer, On Maimonides' Messianic Posture, in: I. Twersky (ed.), Studies in Medieval Jewish History and Literature, vol. 2, Cambridge/Mass. 1984, 1 0 9 - 1 4 2 . Cf. S. D. Goitein, From the Land of Sheba. Tales of the Jews of Yemen. Collected and Edited by S. D. Goitein, New York 1947, 8 1 - 8 4 . - Zum hohen Ansehen des Maimonides im Jemen cf. auch E. Brauer, Ethnologie der Jemenitischen Juden (Kulturgeschichtliche Bibliothek 7), Heidelberg 1934, 31.
Zur Verwendung eschatologischer Motive in der politischen Korrespondenz Kaiser Friedrichs II. zur Zeit seines Kreuzzuges B O D O HECHELHAMMER (Darmstadt)
I.
Seit d e m A u f r u f Papst Urbans II. ( 1 0 8 8 - 1 0 9 9 ) zur B e f r e i u n g Jerusalems am 27. N o v e m b e r 1 0 9 5 w a r die K r e u z z u g s b e w e g u n g eine Zeit verstärkter eschatologischer Erwartungen, in der entsprechende christliche Weissagungen und P r o phetien sowohl f ü r die Motivation der Teilnehmer als auch in der Kreuzzugspolitik der Initiatoren eine bedeutende Rolle spielten 1 . D e r Z u s a m m e n h a n g zwischen einem K r e u z z u g nach J e r u s a l e m und endzeitlichen Perspektiven blieb bis in die f r ü h e Neuzeit bestehen und umschrieb meist ein v o m Endkaiser angeführtes U n t e r n e h m e n , in dessen Verlauf die heiligste Stätte der Christenheit aus den Händen der Ungläubigen befreit w u r d e 2 . W a r e n alleine schon mit d e m N a m e n Jerusalem, mit seiner irdischen Existenz, f ü r den mittelalterlichen Christen Heilsh o f f n u n g e n v e r b u n d e n , w u r d e insbesondere durch seine biblische Präsentationsf o r m , v o r allem die des himmlischen Jerusalems, der Befreiung dieser Stadt eine exponierte Funktion in den Endzeitvisionen und -Weissagungen zugewiesen 3 .
1
Cf. R. Röhricht, Die Kreuzpredigten gegen den Islam, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 6 (1884), 550-572; id., Sagenhaftes und Mythisches aus der Geschichte der Kreuzzüge, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 23 (1891), 412-421; C. Erdmann, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens (Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte 6), Stuttgart 1935; S. Runciman, A History of the Crusades, vol. 1, Cambridge 1951, 113-115; A. Dupront, La spiritualité des croisés et des pèlerins d'après les sources de la première croisade, in: Pellegrinaggi e culto dei santi in Europa fino alla Ia crociata (Convegni del Centro di studi sulla spiritualità medievale 4), Todi 1963, 449-483; M. Reeves, The Influence of Prophecy in the Later Middle Ages. A Study in Joachimism, Oxford 1969; E. O. Blake, The Formation of the Crusade Idea, in: Journal of Ecclesiastical History 21 (1970), 1 1 - 3 1 ; H. E. Mayer, Geschichte der Kreuzzüge, 7. Aufl., Stuttgart 1989, 1 3 - 4 0 ; S. Schein, Die Kreuzzüge als volkstümlich-messianische Bewegung, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 47 (1991), 119-138; H.-D. Kahl, Crusade Eschatology as Seen by St. Bernard in the Years 1146 to 1148, in: M. Gervers (ed.), The Second Crusade and the Cistercians, New York 1992, 35 — 47; C. Carozzi, Weltuntergang und Seelenheil. Apokalyptische Visionen im Mittelalter, Frankfurt a. M. 1996, 103-111.
2
Cf. M. Reeves, History and Eschatology: Medieval and Early Protestant Thought in some English and Scottish Writings, in: Medievalia et Humanística 4 (1973), 99-123. Cf. G.Jázai, Jerusalem, Himmlisches, in: Lexikon der christlichen Ikonographie 2 (1970), 394-399; R. K. Emmerson, Antichrist in the Middle Ages. A Study of Medieval Apocalypticism,
3
240
Bodo Hechelhammer
Auch die Kreuzzüge in den ersten Dekaden des 13. Jahrhunderts fanden in einer Periode erhöhter eschatologischer und messianischer Hoffnungen und Befürchtungen statt. Papst Innozenz III. ( 1 1 9 8 - 1 2 1 6 ) verkündete — ganz im Sinne seines eschatologischen Zeitverständnisses - bei seinem Kreuzzugsaufruf im Frühjahr 1213, daß von der in Deutung der Offenbarung des Johannes (Apk 13,18) andauernden Herrschaftszeit von 666 Jahren, des mit dem apokalyptischen Tier gleichzusetzenden Mohammed, fast 600 Jahre bereits vergangen waren 4 . Beeinflußt zeigten sich auch die unterschiedlichsten Bewegungen, wie der Kinderkreuzzug von 1212, der päpstlich organisierte Fünfte Kreuzzug (1217 — 1221) und der Kreuzzug Friedrichs II. (1228/1229) 5 . Dieses zeigt sich u. a. daran, daß Chronisten bei der Schilderung der Kreuzzugsthematik Endprophetien einarbeiteten, wie bei Oliver von Paderborn (j- 1227), Jakob von Vitry (f 1240), Alberich von Troisfontaines (f nach 1252), einem anonymen Berichter aus Tours oder bei Roger von Wendover (f 1236) 6 .
II. Vor diesem Hintergrund betrachtet, scheint es kein Zufall, daß auch in der politischen Korrespondenz Friedrichs II. (1194—1250) — der erstmals im Juli 1215 anläßlich seiner Königskrönung zu Aachen öffentlich das Kreuz nahm, einen Kreuzzug gelobte und wie kein König bzw. Kaiser vor und nach ihm mit der Kreuzzugsthematik verbunden war — zur Zeit seines Kreuzzuges (1227 mißglückter Aufbruch, 1228 — 1229) eschatologisch-apokalyptische und messia-
4
5
6
Art and Literature, Manchester 1981, 89 — 91; O. Böcher, Himmlisches Jerusalem, in: Lexikon fur Theologie und Kirche3 5 (1996), 129 sq. Cf. H. Roscher, Papst Innocenz III. und die Kreuzzüge (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 21), Göttingen 1969, 288-291; H. M. Schaller, Endzeit-Erwartung und Antichrist-Vorstellungen in der Politik des 13. Jahrhunderts, in: FS für H. Heimpel, Bd. 2 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 36, 2), Göttingen 1972, 924-947, hier: 931; S. Schmolinsky, Der Apokalypsenkommentar des Alexander Minorità. Zur frühen Rezeption Joachims von Fiore in Deutschland (MGH Studien und Texte 3), Hannover 1991, 53, 6 3 - 6 5 . Zum Kinderkreuzzug cf. G.Miccoli, La crociata dei fanciulli del 1212, in: Studi Medievali 3 (1961), 407-443; P. Reads, The Children's Crusade of 1212, in: Journal of modem history 3 (1977), 279 — 323; U. Gäbler, Der „Kinderkreuzzug" vom Jahre 1212, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 28 (1978), 1 - 1 4 . Zum Fünften Kreuzzug cf. J. P. Donavan, Pelagius and the Fifth Crusade, Philadelphia 1950, 86; P. Pelliot, Mélanges sur l'époque des Croisades, in: Mémoires de l'Institut national de France, tom. 44,1, Paris 1960, 7 7 - 8 5 ; J. M. Powell, Anatomy of a crusade 1218-1221, Philadelphia 1986, 178 sq. Alberich von Troisfontaines, Chronica, ed. P. Scheffer-Boichorst, in: MGH SS 23, Hannover 1874, 910-912; Chronicon S. Martini Turonensi, ed. O. Holder-Egger, in: MGH SS 26, Hannover 1882, 467 sq.; Oliver von Paderborn, Historia Damiatina, in: Die Schriften des Kölner Domscholasters, späteren Bischofs von Paderbon und Kardinalbischofs von S. Sabina, ed. H. Hoogeweg (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 202), Tübingen 1894, 161-282, hier: 231; Jacques de Vitry, Lettres, ed. R. B. C. Huygens, Leiden 1960, 150-151; Roger von Wendover, Liber qui dicitur Flores Historiarum, ed. H. G. Hewlett (Rerum Britannicarum Medii Aevi Scriptores 84, 2), London 1887, 369 sq.
Eschatologische Motive in der politischen Korrespondenz Friedrichs II.
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nische Motive zu greifen sind 7 . Auch dürfte die zweite öffentliche Kreuznahme Friedrichs II. — welche am Tage seiner Kaiserkrönung am 22. November 1220 stattfand — zu einer Zunahme des Interesses an den weitverbreiteten EndkaiserWeissagungen, nach denen der Endkaiser nach Jerusalem zog, unter den Zeitgenossen geführt und diese in eine entsprechende Erwartungshaltung versetzt haben 8 . Wie sehr Friedrich II. im Umfeld seines Kreuzzuges bzw. seiner Kreuzzugsvorbereitungen mit eschatologischem Gedankengut in Verbindung gebracht wurde, läßt sich daran erkennen, daß in Gedichten, in Annalen und in Chroniken, aber auch in der politischen Korrespondenz, entsprechende Prophezeiungen mit ihm als Protagonisten rezipiert wurden. Bereits unmittelbar nach seinem Aachener Kreuzzugsgelübde wurde an seine Person im „Wälschen Gast" des Klerikers Thomasin von Zerclaere vom Winter 1215 — 1216 die Hoffnung geknüpft, daß durch den Staufer, als dem dritten das Kreuz nehmenden Friedrich, die Befreiung des Heiligen Landes realisiert werde 9 . Während der Expedition gegen das ägyptische Damietta tauchten, nach deren zeitweiliger Eroberung am 5. November 1219, angeblich aus dem Arabischen übersetzte Prophetien im Lager der Kreuzfahrer auf, deren bedeutsamste die „Prophetie de Hannan, fils d'Isaac" war. Nach einer Version sollten zwei Könige erscheinen, einer aus dem Westen und einer aus dem Osten, wobei der erste, der mit Friedrich II. identifiziert wurde, Jerusalem aus den Händen der Sarazenen befreien würde. Noch deutlicher erscheint der Bezug zu seiner Person in einer weiteren Variante, wonach der erwartete große westliche König aus Kalabrien stammte 10 . Auch nach dem Scheitern des Fünften Kreuzzuges wurde 7
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Zu den Kreuzzugsversprechen Friedrichs II. cf. T. C. van Cleve, The Crusade of Frederick II, in: K. H. Setton (ed.), A History of the Crusades, vol. 2, Madison - London 2 1969, 430-437; W. Stiirner, Kreuzzugsgelübde und Herrschaftssicherung. Friedrich II. und das Papsttum im letzten Pontifikatsjahr Innozenz' III., in: H. Mordek (ed.), Papsttum, Kirche und Recht im Mittelalter. FS für H. Fuhrmann zum 65. Geburtstag, Tübingen 1991, 303-315; R. Hiestand, Friedrich II. und der Kreuzzug, in: A. Esch/N. Kamp (eds.), Friedrich II.: Tagung des Deutschen Historischen Instituts in Rom im Gedenkjahr 1994 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 85), Tübingen 1996, 128-149, hier: 128-136. Cf. H. Möhring, Der Weltkaiser der Endzeit. Entstehung, Wandel und Wirkung einer tausendjährigen Weissagung (Mittelalter-Forschungen 3), Stuttgart 2000, 197, 321-325. Thomasin von Zerclaere, Der welsche Gast, ed. F. W. von Kries, Bd. 1 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 425, 1), Göppingen 1984, 376 sqq.; cf. F. Kampers, Kaiserprophetien und Kaisersagen im Mittelalter. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Kaiseridee (Historische Abhandlungen 8), München 1895, 102; id., Die deutsche Kaiseridee in Prophetie und Sage, München 1896, 76 sq.; B. Töpfer, Das kommende Reich des Friedens. Zur Entwicklung chiliastischer Zukunftshoffnungen im Hochmittelalter (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 11), Berlin 1964, 164, n. 49; E. J. F. Ruff, Der Wälsche Gast des Thomasin von Zerklaere. Untersuchungen zu Gehalt und Bedeutung einer mittelalterlichen Morallehre, Erlangen 1982; Möhring, Weltkaiser (nt. 8), 239 sq. Von dieser Weissagung existieren verschiedene Fassungen. Neben der Version, die bei Oliver von Paderborn und bei Jakob von Vitry erscheint, sind noch eine von Hunain ibn Ishaq verfaßte sowie eine unter dem Namen filius Agap bekannte Variante erhalten. Cf. Oliver von Paderborn, Historia Damiatina (nt. 6), 231; Jacques de Vitry, Lettres (nt. 6), 150-151; Möhring, Weltkaiser
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das Kreuzzugsversprechen Kaiser Friedrichs II. weiterhin in einer Atmosphäre eschatologischer Spannung wahrgenommen. Als auf der Kreuzzugsversammlung zu Ferentino im März des Jahres 1223 ein neuer Termin für den Kreuzzug unter der Führung Friedrichs II. von den Großen des Orients und Okzidents beschlossen und in der Christenheit publiziert wurde, reagierte im Sommer desselben Jahres der Patriarch Nikolaus von Alexandria auf die neuen Kreuzzugspläne und wandte sich an Papst Honorius III. (1216 — 1227). Dabei äußerte Nikolaus die Erwartungshaltung der ägyptischen Christen, welche die Ankunft Friedrichs II. ersehnen würden wie seinerzeit die von Christi 11 . Schließlich verknüpften die Zeitgenossen mit dem Kreuzzug Friedrichs II. — vor allem nach seiner Wiedergewinnung Jerusalems 1229 — messianische Hoffnungen an den Kaiser. Deutlich erkennbar wird dies am sogenannten Toledo-Brief — in dem die Vernichtung bzw. die Bekehrung der Muslime nach dem Tode des maximus imperator verheißen wurde - oder etwa daran, daß Heinrich von Avranches den Staufer als neuen David pries oder Markward von Ried sogar Friedrich II. mit Jesus verglich 12 . Eschatologisches Gedankengut wurde aber nicht alleine von außen an Friedrich II. herangetragen und — auf einer transzendenten Ebene — mit seiner Kaiserwürde verknüpft. Er selbst instrumentalisierte einzelne eschatologischmessianische Erwartungen, das heißt, er verwandte endzeitliche Aspekte zur Motivierung politischer Handlungen; vor allem in seiner politischen Korrespondenz, in der Zeit zwischen seinem ersten Kreuzzugsaufbruch 1227 und der Wiedergewinnung Jerusalems 1229. Im folgenden möchte ich anhand zweier Beispiele illustrieren, in welcher Weise und aus welchen Motiven der Staufer apokalyptische Erwartungen und Vorstellungen in den Argumentationsstil seiner Briefe hat einfließen lassen: An seinem großen Rundschreiben vom 6. Dezember 1227 sowie seinem Kreuzzugsmanifest vom 18. März 1229.
III. Betrachten wir zunächst das erste Schreiben. Kaiser Friedrich II. wurde nach seinem mißlungenen Kreuzzugsaufbruch im Herbst 1227 - er konnte wegen einer Seuche in seinem Heer die Uberfahrt nicht antreten — nur wenige Wochen
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(nt. 8), 1 8 5 - 1 9 3 ; R.Röhricht (ed.), Quinti belli sacri scriptores minores (Publications de la Société de l'Orient Latin, Série historique 2), Genf 1879, 205 — 213; Schaller, Endzeit-Erwartung (nt. 4), 931; C. S. F. Burnett, An Apocryphal Letter from the Arabic Philosopher al-Kindi to Theodore, Frederick II's Astrologer, Concerning Gog and Magog, the Enclosed Nations, and the Scourge of the Mongols, in: Viator 15 (1984), 1 5 1 - 1 6 7 . Epistolae saeculi XIII e regestis pontificum Romanorum selectae per G. H. Pertz, C. Rodenberg (eds.), MGH Epp. saec. X I I I , torn. 1, Berlin 1883, 162 sq., η. 233: „Sicutì sancii ante adventum Christi expectabant redemptionem et liberationem a Christo salvatore, ita expectamus adventum filii vestri imperatoris ..." Continuado Scotorum, ed. W. Wattenbach, in: M G H SS 9, Hannover 1851, 625: „Ierusalem gaude, nomen Domini venerare. Magnifica laude: pis ut dicam tibi quare? Rex quia magnificus Iesus olim, nunc
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später, am 29. September und wiederholt am 18. November, von Papst Gregor IX. (1227 — 1241) exkommuniziert 13 . Der Staufer reagierte am 6. Dezember 1227 mit seiner Rechtfertigungsschrift „In admirationem vertimur" auf den Kirchenbann ebenso wie auf die gegen ihn erhobenen päpstlichen Vorwürfe und wandte sich an die europäischen Könige, die Fürsten und die Städte des Reiches14. Darin schilderte er seine vielfältigen Bemühungen um den Kreuzzug, versuchte, die Gründe, die zu seiner Exkommunikation geführt haben sollen, zu entkräften und bestätigte seinen Entschluß, trotz allem im kommenden Jahr sein Gelübde erfüllen zu wollen. Von dieser Schrift existieren heute Ausfertigungen an die Kreuzfahrer von Asti, Imola, Siena, Verona sowie an Dietrich II. von Wied, den Erzbischof von Trier (1212—1242)15. In Auszügen gelangte das Rundschreiben in die chronikalischen Werke Burchards von Ursberg (f nach 1230), Richards von San Germano (j· 1244), Rogers von Wendover sowie — in einer angeblichen Ausfertigung für König Heinrich III. von England (1216 — 1272) - von Matthaeus von Paris (f 1259)16. In der historischen Literatur wird bis heute — beispielsweise von Eduard Winkelmann 1889 über Otto Vehse 1929 bis zu Wolfgang Stürner im Jahre 2000 — immer wieder der ruhige, zurückhaltende sowie betont sachlich gehaltene Stil des Manifests hervorgehoben und in den Vordergrund gestellt17. Ob-
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Fridericus, promptus uterquepati, sunt iti te magnificanti"·, cf. E. Winkelmann, Drei Gedichte Heinrichs von Avranches an Kaiser Friedrich II., in: Forschungen zur Deutschen Geschichte 18 (1878), 482 — 492; Schaller, Endzeit-Erwartung (nt. 4), 932; R. Grauert, Meister Johann von Toledo, in: Sitzungsberichte der königlich bayrischen Akademie der Wissenschaften, Philos.-philol. und hist. Kl. (1901), München 1902, 111-325, hier: 165-173; Möhring, Weltkaiser (nt. 8), 197sq. M G H Epp. saec. XIII 1 (nt. 11), 2 8 1 - 2 8 5 , n. 368; cf. J. Feiten, Papst Gregor IX., Freiburg i. Br. 1886, 63 sqq.; E. Winkelmann, Kaiser Friedrich II., Bd. 2: 1228-1233 (Jahrbücher der deutschen Geschichte 21), Leipzig 1897 (Nachdruck Darmstadt 1963), 23 sq.; E. Vodola, Excommunication in the Middle Ages, Berkeley - Los Angeles - London 1982, 82 sqq.; W. Stürner, Friedrich II., Bd. 2: Der Kaiser 1220-1250, Darmstadt 2000, 130-139. L. Weiland (ed.), Constitutiones et acta publica imperatorum et regum inde ab a. MCXCVIII usque ad a. MCCLXXII (1198-1272), M G H Const. 2, Berlin 1896, 148-156, n. 116; Regesta Imperii V. Die Regesten des Kaiserreiches unter Philipp, Otto IV., Friedrich II., Heinrich (VII.), Conrad IV., Heinrich Raspe, Wilhelm und Richard. 1198-1272. Nach der Neubearbeitung und dem Nachlasse J. F. Böhmer's neu herausgegeben und ergänzt von J. Ficker und E. Winkelmann, Bde. 1 - 3 , Innsbruck 1881-1901 (Nachdruck Hüdesheim 1971), n. 1715. J.-L.-A. HuiHard-Bréholles (ed.), Historia diplomatica Friderici secundi sive Constitutiones, privilegia, mandata, instrumenta quae supersunt istius imperatoris et filiorum eius. Accedunt epistolae paparum et documenta varia, torn. I - V I , Paris 1852-1861 (Nachdruck Turin 1963) [= HB], Bd. III, 3 6 - 4 8 ; M G H Const. 2 (nt. 14), 148, η. 116. Burchard von Ursberg, Chronik, eds. O. Holder-Egger/B. von Simson, M G H SS rer. Germ. 16, Hannover - Leipzig 1916, 122-124; Richard von San Germano, Chronica, ed. C. A. Garufi, Muratori 2 7, 2, Bologna 1936-1938, 148 sq.; Roger von Wendover, Flores Historiarum (nt. 6), 344—346; Matthaeus Parisiensis, Chronica maiora, ed. H. R. Luard, Rerum Britannicarum Medii Aevi Scriptores 57, 3, London 1875, 151. Cf. E. Winkelmann, Kaiser Friedrich II., Bd. 1: 1218-1228 (Jahrbücher der deutschen Geschichte 21), Leipzig 1889 (Nachdruck Darmstadt 1962), 339-341; O. Vehse, Die amtliche Propaganda in der Staatskunst Kaiser Friedrichs II., München 1929, 18; Stürner, Friedrich II. (nt. 13), 136.
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wohl Friedrich II. darin die einzelnen Anklagepunkte des Papstes detailliert und Punkt für Punkt zu entkräften versuchte, bediente er sich zugleich mit stilistischen Mitteln auch der eschatologischen Dimension. In einem herben Kontrast gegenüber seinem weiteren Stil steht der Beginn. Bevor er den päpstlichen Argumenten sachlich entgegentrat, beschwor Friedrich II. in der Arenga der kaiserlichen Enzyklika dramaturgisch geschickt, in düsteren Farben, ein Endzeitszenario, welches eindeutig daraufhindeutete, daß die letzte Zeit unmittelbar bevorstehen würde, wenn nicht sogar bereits schon angebrochen war. So schilderte der Kaiser, daß: „... nicht nur ein Volk sich gegen ein Volk erhebt, und nicht ein Reich einem anderen Reich droht, nicht Pest und Hunger die Herzen der Lebendigen mit Schrecken erfüllen, sondern die Nächstenliebe selbst, durch die Himmel und Erde gelenkt wird, nicht alleine in den Bächen, sondern selbst in der Quelle getrübt zu sein scheint, und das Römische Reich, welches durch die göttliche Vorsehung zur Verteidigung des christlichen Glaubens bestimmt ist, nicht von irgendwelchen Unbedeutenden, sondern von denen, die es verehrt und sich als (Kirchen-)Väter gewählt hat, selbst ernsthaft gefährdet wird" 18 . An den gesamten Erdkreis gerichtet skizzierte Friedrich verschiedene Motive christlicher Endzeitweissagungen — beispielsweise der Tiburtinischen Sibylle oder des Ps.-Methodios —, daß sich ein Volk gegen ein Volk erhebt {gens contragentem insurgit), ein Reich einem anderen Reich droht (regnum regno minatur), sich Pest und Hunger (pestis et fames) verbreiten sowie - hinsichtlich der christlichen Wassersymbolik - neben den Bächen selbst die Quelle der christlichen Nächstenliebe (caritas) versiegt; also Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit auf Erden Einzug erhalten 19 . Unterschwellig, aber dennoch sehr eindringlich, führte der Staufer seinen Zeitgenossen vor Augen, daß durch die entstandenen politischen Spannungen zwischen Kaiser und Papst das gesamte Römische Reich in seinen Grundfesten schwer gefährdet werde {graviter infestatur). Mit dieser Metapher charakterisierte der Kaiser eine seit Jahrhunderten verbreitete Allegorie, nach der sich, aufgrund der Kongruenz von Römischem und Christlichem Reich, nach dem Ende des Imperium Romanum der Antichrist offen zu erkennen geben werde 20 . Zwangsläufig mußte dieses entworfene Bild bei den Zeitgenossen eschatologische Ängste schüren. Es wurden markante Vorzeichen, welche als Vorboten der Endzeit galten, heraufbeschworen und förmlich eine Erwartungs18
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MGH Const. 2 (nt. 14), 148 sq., n. 116: „Non enim solum gens contra gentem insurgit, non regnum regno minatur, non pestis et fames tantummodo corda viventium premisso terrore conturbant, set ipsa caritas, qua celum et terra regitur, non tantum in rivulis, set videtur in fonte turbati, dum Romanum Imperium ad defensionem Christiane fidei divinis provisionibus deputatum, non a quibuslibet infimis, set ab ipsis, quos honoravit et sibi preposuit, patribus graviter infestatur. " Zur mittelalterlich-lateinischen Sibylle von Tibur und der Weissagung des Ps.-Methodius mit den entsprechenden Literaturhinweisen cf. zuletzt Möhring, Weltkaiser (nt. 8), 1 7 - 1 0 4 , 3 2 1 - 3 5 9 . Dan 2, 3 1 - 4 5 ; Apk 13, 1 - 1 8 ; cf. J. Adamek, Vom römischen Endreich der mittelalterlichen Bibelerklärung. Diss, phil., München 1938, 2 6 - 3 1 ; D. Flusser, The Four Empires in the Fourth Sibyl and the Book of Daniel, in: Israel Oriental Studies 2 (1972), 1 4 8 - 1 7 5 ; Möhring, Weltkaiser (nt. 8), 17.
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haltung evoziert, die Friedrich II. — in apokalyptischer Sicht — als den letzten Kaiser erscheinen ließ. Allerdings ging die kaiserliche Kanzlei in der dramaturgischen Verwendung eschatologischer Elemente sehr differenziert vor und änderte, je nach Empfängerkreis, dabei die Nuancierung der Rhetorik. In den Ausfertigungen an die italienischen Kommunen verband Friedrich II. in Anlehnung an 1 Kor 10, 11 rhetorisch die Auswirkungen des Kampfes zwischen Kaiser und Papst deutlich mit der endzeitlichen Erwartung. So wurde der oben geschilderten Textpassage die Aussage des Kaisers vorangestellt: „Wir sind es, auf die das Ende der Welt zukommt, da die Menschenliebe nicht nur in den Zweigen, sondern auch in den Wurzeln zu erkalten scheint." 21 Demnach leitete Kaiser Friedrich II. sein Rechtfertigungsschreiben in der Uberzeugung des nahen Weltenendes ein, was unlängst von Hannes Möhring bestritten wurde 22 . Dagegen fand in der Fassung an den Trierer Erzbischof — auf die sich Möhring bei seiner Argumentation alleine bezog — eine nicht unbedeutende Veränderung durch die Voranstellung von „forte" Verwendung, wodurch die eschatologische Gesamtaussage entscheidend abgeändert wurde und an Schärfe verlor: „Vielleicht sind wir es, auf die das Ende der Welt zukommt ,.." 2 3 Demzufolge wäre Friedrich II. unsicher gewesen, ob er bereits am Ende der Zeiten stehen würde, und wäre im Jahre 1228 nicht im Gefühl zu seinem Kreuzzug aufgebrochen, der letzte Kaiser gewesen zu sein. Ein weiterer Unterschied in den Textversionen, mit der nicht unwesentlichen Folge einer jeweils unterschiedlich gewichteten eschatologischen Aussage, liegt bei der Passage über die Existenzbedrohung des Römischen Reiches vor. In der Version an die italienischen Kommunen wurde die Vorstellung einer bereits existierenden Gefahr evoziert: „... und das Römische Reich [ac Romanum Imperium) ... wird schwer bedroht {graviter infestatur)" 24. Dagegen klang dieser Punkt in dem Schreiben an den Erzbischof von Trier noch weitaus weniger nach Endgültigkeit, forderte vielmehr zu noch möglichen Gegenmaßnahmen auf: „... solange bis das Römische Reich (dum Romanum Imperium) ... schwer bedroht wird [graviter infestatur)"25. Bevor wir uns der Frage nach den Hintergründen für die differenzierte Verwendung eschatologischer Motive zur Zeit des Kreuzzuges Kaiser Friedrichs II. widmen, wenden wir uns zunächst dem zweiten Schreiben zu. 21
HB III (nt. 15), 37: „Summus nos ad quos devenerunt secuhrum fines, cum non tantum in ramis, sed in radiäbus etiam videatur caritas refrigere. "
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Zur Deutung von Friedrichs II. Auffassung vom nahen Weltenende cf. Schaller, Endzeit-Erwartung (nt. 4), 30; dagegen Möhring, Weltkaiser (nt. 8), 212.
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MGH Const. 2 (nt. 14), 148, n. 116: „Forte nos sumus, ad quos devenerunt seculorum fines, cum non tantum in ramis, set in radiríbus etiam wdeatur caritas refrigere. " HB III (nt. 15), 37: „... ac Romanum Imperium adfidei Christiane defensionem divinisprovisionibus deputatum non a quibuslibet infimis, sed ab ipsis quos honorarat et sibiproposuitpatribus graviter infestatur. " MGH Const. 2 (nt. 14), 148, n. 116: „... dum Romanum Imperium ad defensionem Christiane fidei divinis provisionibus deputatum, non a quibuslibet infimis, sed ab ipsis, quos honoravit et sibi preposuit, patribus graviter infestatur. "
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IV. Wie in der Rechtfertigungsschrift „In admirationem vertimur" differieren wesentliche eschatologische bzw. messianische Aussagen auch in der bekannten kaiserlichen Jerusalem-Enzyklika Friedrichs II. „Letentur in domino" vom 18. März 122926. Kaiser Friedrich II. resümierte darin ausfuhrlich den Verlauf seines Kreuzzuges, die Krise seiner Exkommunikation bis zum feierlichen Einzug nach Jerusalem, betonte sein Vertrauen zu Gott sowie zu Christus und hob das göttliche Erbarmen und die Wundertätigkeit hervor, durch die das Kreuzfahrerheer das Heilige Grab wiedergewinnen konnte. Auch von diesem Kreuzzugsmanifest existieren verschiedene Exemplare, die sich in zwei unterschiedliche Fassungen einteilen lassen. Dabei stimmt die an den Papst adressierte und in den Registern Gregors IX. erhaltene Abschrift mit den Ausgaben an seine Getreuen und Freunde {fidelibus amiâs suis) bzw. an die Grafen, Barone, Ritter und Edlen (comitibus; baronibus, militibus ceterisque nobilibus) sowie an den Bischof von Hildesheim weitgehend überein 27 . Doch die durch Roger von Wendover überlieferte Fassung an den englischen König Heinrich III. unterscheidet sich von den oben genannten im Schlußabschnitt. Entgegen den anderen Fassungen enthält die des Mönchs von St. Albans erstmals den Bezug Friedrichs II. zum Hause David. In Anlehnung an die prophetischen Äußerungen des Zacharias (Lk 1, 68 — 79) ist die pathetische Aufnahme der Idee vom Davidkönigtum zu greifen: „... er, der gebenedeit ist in Ewigkeit, ... hat uns als Horn des Heils im Hause seines Vaters David errichtet." 28 In seiner „Chronica sive Flores Historiarum" stellte Roger von Wendover einige Kapitel zuvor seinem Bericht über den Aufenthalt Friedrichs II. in Palästina ebenfalls eine prophetische Ankündigung des Zacharias (Lk 1, 77) voran. Nach dieser erwartete das gesamte in Akkon versammelte Kreuzfahrerheer im September 1228, daß durch den ankommenden Kaiser nun „Israel Heil widerfahren werde" 29 . Roger wird diese Formulierung m. E. in Kenntnis des kaiserlichen Schreibens an König Heinrich III. von England bewußt vorangestellt haben, um den Kreuzzug Friedrichs II. als gottgewolltes Unternehmen erscheinen zu lassen und die Rückeroberung Jerusalems als heilsgeschichtlichen Höhepunkt rhetorisch vorzubereiten. Die zum Ausdruck gebrachte Hoffnung auf den Heils26
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Eduard Winkelmann machte bereits darauf aufmerksam, daß die Ausfertigungen des Rundschreibens nicht alle in Jerusalem geschrieben sein konnten, sondern erst wenige Tage später von Akkon aus versandt wurden. Cf. Winkelmann, Kaiser Friedrich II. (nt. 13), 125, n. 1. M G H Const. 2 (nt. 14), 162 sq., n. 122; HB III (nt. 15), 93 sqq.; Reg. Imp. (nt. 14), n. 1738. Roger von Wendover, Flores Historiarum (nt. 6), 368: „... quod ille, qui est benedictus in sécula, visitavit etfecit redemptionem, plebi suae, et exerit nobis cornu salutis in domo David puen sunt"·, cf. E. Kantorowicz, Friedrich der Zweite. Ergänzungsband, Berlin 1931 (Nachdruck Düsseldorf — München 1963), 73 sq.; H. M. Schaller, Die Kaiseridee Friedrichs II., in: J. Fleckenstein (ed.), Probleme um Friedrich II. (Vorträge und Forschungen 16), Sigmaringen 1974, 109-134, hier: 117 sq.; id., Endzeit-Erwartung (nt. 4), 931 sq. Roger von Wendover, Flores Historiarum (nt. 6), 350: „... in adventu ipsius, sperantes quodpereum fierent salus in Israel".
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bringer wurde schließlich durch die Wiedergewinnung Jerusalems bestätigt. Friedrich II. fungierte als Intercessor, der, ähnlich wie Moses oder Elija, zwischen Gott und den Menschen trat und vermittelte, sowohl in der Abwehr von Strafen als auch in dem Erwirken von Heil30. Obwohl berechtigte Zweifel an der exakten Übernahme des ursprünglichen Textes der staufischen Kanzlei bei Roger von Wendover bestehen, dürfte der Bezug David —Friedrich II. dem kaiserlichen Diktat entstammen. Dafür spricht die ebenfalls sich auf die ZachariasAussagen (Lk 1, 77) gründende Auffassung seiner Interzessorfunktion, welche bei Friedrich II. in einer Passage zu Anfang seines Manifests — die in allen Textfassungen identisch ist — erscheint. Darin heißt es, daß „... jetzt der Tag gekommen ist, an dem die wahren Christen ihr Heil von ihrem Herrn und Gott empfangen, damit der Erdkreis erfahre und begreife, daß er es ist und kein anderer, der das Heil seiner Diener wirkt, wann und wie er will" 31 . Hatten die milites Christi zum Zeitpunkt seiner Landung im Heiligen Land zunächst nur die Hoffnung auf Heilsbringung durch den Kaiser, wurden sie nach der Wiedergewinnung Jerusalems darin bestätigt, denn durch Friedrich II. empfingen die Christen nun ihr göttliches Heil. Auch im Kontext des Krönungsaktes Friedrichs II. — dem sogenannten Unter-der-Krone-Gehen — in der Grabeskirche zu Jerusalem vom 18. März 1228 weist sein Manifest „Letentur in domino" in den beiden Fassungen unterschiedliche eschatologische Bedeutungstiefen auf. In den Schreiben an den Papst und an die Getreuen im Reich schilderte der Staufer wie folgt den Hergang: „... und trugen wir am folgenden Sonntag zu Ehre und Ruhm des höchsten Königs dort die Krone" 32 . Nach dieser Uberlieferung wäre sicher — worauf bereits Hans Eberhard Mayer ausführlich hingewiesen hat und deshalb an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden muß —, daß Friedrich II. in Jerusalem unter der Kaiserkrone ging (coronam ibi portavimus)33. Dagegen vermitteln die Schilderungen an den englischen König sehr wohl, daß es sich um die Krone von Jerusalem und um ein Krönungszeremoniell in der Grabeskirche handelte. Entscheidend ist an dieser Stelle nicht, ob und wie man im Abendland den Terminus portare coronam verfassungsrechtlich interpretierte, sondern, daß in der bei Roger von Wendover überlieferten Version das Bild einer Krönung in Jerusalem entworfen wurde: 30
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Cf. J. Scharbert, Heilsmittler im Alten Testament und im Alten Orient, Freiburg i. Br. 1964, 8 1 - 9 9 ; K. Wessel, Elias, in: Reallexikon für Antike und Christentum 4 (1959), 1 1 4 1 - 1 1 6 3 ; A. Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 1997, 1 2 4 - 1 2 6 . MGH Const. 2 (nt. 14), 162, n. 122: „... nunc quidem dies illa salutaris advenit in qua veri christicok salutare suum acrípiunt a Domino Deo suo, ut cognoscat et intelligat orbis terrarum quod ipse est et non alius qui servorum suorum salutem quando vult et quomodo mit operatur"·, HB III (nt. 15), 94. MGH Const. 2 (nt. 14), 166, n. 122: „... ac sequenü die dominico coronam ibi portavimus ad honorem etgloriam summi regis." Cf. H. E. Mayer, Das Pontifikale von Tyrus und die Krönung der lateinischen Könige von Jerusalem. Zugleich ein Beitrag zur Forschung über Herrschaftszeichen und Staatssymbolik, in: Dumbarton Oaks Papers 21 (1967), 1 4 1 - 2 3 2 , hier: 2 0 0 - 2 1 0 .
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Kaiser Friedrich II. empfing durch göttlichen Willen eine Krone in Jerusalem. Vor diesem Hintergrund kann der Krönungsakt in der Grabeskirche für die Zeitgenossen als Zeichen verstanden worden sein, daß Friedrich II. mit dem Endkaiser idendsch war. Das Modv der Krönung statt der Abdankungen in Jerusalem war seit dem 9. Jahrhundert bekannt und wurde beispielsweise in der „Epistola Methodii", einer Version des Antichrist-Traktats von Adso von Montier-en-Der (f 992), oder in der Sibylle des Benzo von Alba (f um 1090) thematisiert 34 . Nachdem Kaiser Friedrich II. das Heilige Land im Mai 1229 verlassen hatte, segelte er nach Sizilien zurück. Dort schlug er in kürzester Zeit die päpstlichen Schlüsselsoldaten — Papst Gregor IX. hatte die Abwesenheit des Staufers genutzt, um in dessen Königreich einzufallen — und erreichte am 18. bzw. 23. Juli 1230 durch den Friedensvertrag von San Germano/Ceprano einen Ausgleich mit dem Papsttum 35 . Diese Einigung ebnete schließlich den Weg für die Lösung Friedrichs II. von der Exkommunikation, welche am 28. August erfolgte 36 . Erst als Gregor IX. erneut den Bannfluch über Friedrich II. am 20. März 1239 aussprach, wurde in der kaiserlichen Kanzlei auf Schreckensmotive der Endzeit zurückgegriffen und publiziert. Die in der Folgezeit immer heftiger geführte propagandistische Auseinandersetzung zwischen Kaiser- und Papsttum führte beispielsweise dazu, daß Friedrich II. im Juli 1239 in seinem wohl als Flugschrift verbreiteten Rundschreiben „In exordio nascentis", von dem ebenfalls unterschiedliche Fassungen existieren, die päpstlichen Anschuldigungen wiederum unter Verwendung eschatologischer Motive zurückwies37.
V. In den hier betrachteten Beispielen haben wir als Charakteristikum gefunden, daß die kaiserliche Kanzlei Friedrichs II. im Umgang mit eschatologischem Gedankengut differenziert auf den jeweiligen Empfängerkreis einging. Während man in den Ausfertigungen der kaiserlichen Rechtfertigungsschrift vom 6. Dezember 34
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Cf. C. Erdmann, Endkaiserglaube und Kreuzzugsgedanke im 11. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 51 (1932), 3 8 4 - 4 1 4 ; Möhring, Weltkaiser (nt. 8), 2 1 - 1 7 5 , 197. Cf. Κ. Hampe, Die Aktenstücke zum Frieden von S. Germano, in: MGH Epp. sei. 4, Berlin 1926, 50 sq., n. 16; Stürner, Friedrich II. (nt. 13), 1 8 1 - 1 8 9 . Richard von San Germano, Chronica (nt. 16), 171; cf. Hampe, Aktenstücke (nt. 35), 77 sqq., n. 19. Reg. Imp. (nt. 14), n. 2434; H B V / 1 (nt. 15), 3 0 8 - 3 1 2 ; cf. F. Graefe, Die Publizistik in der letzten Epoche Kaiser Friedrichs II. Ein Beitrag zur Geschichte der Jahre 1 2 3 9 - 1 2 5 0 (Heidelberger Abhandlungen zur mitderen und neueren Geschichte 24), Heidelberg 1909, 4 1 - 4 7 ; Vehse, Amtliche Propaganda (nt. 17), 71 sqq.; Schaller, Endzeit-Erwartung (nt. 4), 936; P. Segl, Die Feindbilder in der politischen Propaganda Friedrichs II. und seiner Gegner, in: F. Bosbach (ed.), Feindbilder. Die Darstellung des Gegners in der politischen Publizistik des Mittelalters und der Neuzeit, Köln - Weimar - Wien 1992, 4 1 - 7 1 , hier: 4 6 - 4 8 ; Möhring, Weltkaiser (nt. 8), 210.
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1227, an die italienischen Adressaten, intensiver mit endzeitlichen Aspekten arbeitete, wurde in der Jerusalem-Enzyklika vom 18. März 1229, bei den Empfängern außerhalb des Herrschaftsgebietes Friedrichs II., die messianische Davidsnähe angesprochen. Gegenüber den Adressaten im regnum Theutonicum oder an der päpstlichen Kurie wurde auf eine Verwendung entsprechender Motive verzichtet. Gegenüber der Kurie, aber auch gegenüber seinen Parteigängern, wie dem Trierer Erzbischof, mußte sich Friedrich II. offenkundig nicht entsprechender Elemente wie in Mittel- und Oberitalien oder in England bedienen. Der Kreuzzug bot ihm einen geeigneten heilsgeschichtlichen Rahmen, um durch die eigene Publizistik die Öffentlichkeit in eine für seine politischen Absichten günstige eschatologische Erregung zu versetzen. Politisches Ziel war es dabei, ein Einlenken des Papstes, das heißt eine Absolution seines Kirchenbanns, zu erzielen. Der evozierten Exegese des nach Jerusalem fahrenden Endkaisers und des Davidkönigtums folgten gleichsam Interpretationsstrukturen, die auf den vorherrschenden politischen Konflikt zwischen Kaiser und Papst lenkten, um diesen moralisch zu disqualifizieren und heilsgeschichtlich zu kriminalisieren. Immer wieder hatte sich Friedrich II. im Verlauf seines Kreuzzuges — vom Zeitpunkt der Exkommunikation im September 1227 bis zur Wiedergewinnung Jerusalems im Februar 1229 — bemüht, zu einem Ausgleich mit Gregor IX. zu gelangen 38 . Aus diesem Grunde wurde m. E. sowohl auf das Schüren apokalyptischer Ängste als auch auf das Inszenieren messianischer Heilserwartungen in der politischen Korrespondenz zurückgegriffen. Die Verwendung eschatologischer Motive bei Kaiser Friedrich II. zwischen 1227 und 1229 stellte eine Reaktion auf seine erste Exkommunikation dar — gleiches galt anfänglich auch für die Jahre nach seiner zweiten Bannung von 1239 — und war nicht immanenter Ausdruck seiner Uberzeugung, er wäre der Endkaiser oder er würde am Ende aller Zeiten stehen.
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HB III (nt. 15), 45sq., 83sq., 92; Reg. Imp. (nt. 14), n. 1715, 1732x, 1736a.
Ende oder Vollendung. Interpretazioni escatologiche del conflitto tra Secolari e Mendicanti alla metà del XIII secolo* ROBERTO LAMBERTINI
(Macerata)
1. Il B e t t e l o r d e n s t r e i t in p r o s p e t t i v a escatologica „Hoc autem scito, quod in novissimis diebus instabunt tempora periculosa; erunt homines seipsos amantes ,.." 1 Queste parole dell'apostolo Paolo racchiuse nella seconda lettera a Timoteo (3, 1—2) sono notissime; tra gli studiosi del pensiero medievale non è certo sconosciuto che Guglielmo di Sant'Amore le utili2za nel contesto di uno dei suoi più nod attacchi nei confronti degli Ordini mendicanti. Seguendo la falsariga della descrizione degli ipocriti nemici della Chiesa inserita in questa epistola paolina, egli la adatta ai suoi avversari, fino ad accusarli di essere gli antesignani dell'Anticristo2. Ma cosa intende propriamente Guglielmo con questa accusa? Siamo di fronte ad un fanatico visionario, trascinato da un'esaltata interpretazione della Scrittura? Quello che sappiamo di lui, del convinto difensore dell'ordine costituito di fronte alle novità ecclesiologiche del suo tempo, ci suggerisce piuttosto il contrario 3 .1 tratti del profeta apocalittico sembrano semmai attagliarsi ad uno dei suoi avversari, a quel Gerardo da Borgo San Donnino la cui condanna papale fu fortemente suggerita dalle denunce àtWuniversitas ma¡¡}-
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Per ragioni di spazio i rimandi sono stati ridotti al minimo necessario. Un grazie sincero ai proff. C. Dolcini e J. Miethke per l'aiuto e l'incoraggiamento. Alla memoria di Isabella Zamboni, che già conosce i segreti degli ultimi tempi, questo lavoro è dedicato. 2 Tim. 3, 1 - 8 , Biblia Sacra iuxta vulgatam versionem, ree. R. Weber, editio minor, Stuttgart 1984 3 , 1 8 3 8 - 1 8 3 9 . Guilelmus de Sancto Amore, De periculis novissimorum temporum, I, ed. M. Bierbaum, in: id., Bettelorden und Weltgeistlichkeit an der Universität Paris, Münster i. W 1920, 5. Si veda la ricostruzione, in verità assai unilaterale, della sua personalità storica in più di uno scritto di M.-M. Dufeil, p. es.: Un universitaire parisien réactionnaire vers 1250: Guillaume de Saint-Amour, in: Enseignement et vie intellectuelle ( I X e - X V I e siècles), Actes du 95e Congrès National des Sociétés Savantes. Reims 1970, I, Paris 1975, 2 3 9 - 2 7 4 ; id., Guillaume de SaintAmour et la polémique universitaire Parisienne 1 2 5 0 - 1 2 5 9 , Paris 1972; id., Signification historique de la querelle des Mendiants: Ils sont le progrès au 13 e siècle, e id., Gulielmus de Sancto Amore, Opera Omnia (1252 — 1270), in: A. Zimmermann (ed.), Die Auseinandersetzungen an der Pariser Universität im 13. Jahrhundert (Miscellanea Medievalia 10), Berlin - New York 1976, rispettivamente alle 9 5 - 1 0 5 e 2 1 3 - 2 1 9 .
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strorum parigina4. O non dobbiamo piuttosto pensare che si tratti di un mero uso strumentale, di un espediente retorico come un altro per dar maggior persuasività alla propria requisitoria contro l'affermazione di Predicatori e Minori? In questo senso si è mosso nel 1964 Peter McKeon, suggerendo di vedere nel noto libello del maestro secolare niente di più che una parodia di concezioni gioachimitiche, che non rivelerebbe le più profonde convinzioni dell'autore, il quale — in verità — non riterrebbe affatto di essere di fronte alla fine dei tempi, ma si limiterebbe a schernire gli scritti degli avversari, ribaltandone, per così dire, il segno 5 . Senza voler considerare definitivamente chiusa la questione6, è possibile proporre una pista interpretativa nella quale non sia necessario attribuire aprioristicamente una sorta di consapevole „falsa coscienza" a Guglielmo di Sant'Amore, come se questi in verità non facesse altro che fingere di credere di essere di fronte ai segni degli ultimi tempi. Dal momento che è lo stesso maestro secolare a parlare esplicitamente di „dies novissimi", si tenterà piuttosto di considerare la tensione escatologica come un orizzonte condiviso dai partecipanti al dibattito, all'interno del quale, in primo luogo, l'opzione „gioachimitica" — sempre che se ne possa dare una caratterizzazione unitaria — non è che una delle scelte possibili ed, in secondo luogo, sono diversi gli usi e le funzioni dell'annuncio dell'imminente fine della storia7. 4
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A proposito di queste vicende si ricordano in particolare la classica ricostruzione in H. Denifle, Das Evangelium aeternum und die Commission zu Anagni, in: Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte des Mittelalters I (1885), 4 9 - 1 4 2 ; cf. J. Miethke, Papst, Ortsbischof und Universität in den Pariser Theologenprozessen des 13. Jahrhunderts, in: Zimmermann (ed.), Auseinandersetzungen (nt. 3), 5 3 - 9 4 , in part. 7 0 - 7 5 ; B.Töpfer, Das kommende Reich des Friedens. Zur Entwicklung chiüastischer Zukunftshoffnungen im Hochmittelalter, Berlin 1964, 1 2 6 - 1 3 1 ; ma anche il recente contributo di E. H. Weber, L'affaire de l'évangile éternel et ses fructueux échos chez s. Bonaventure, in: J. Jolivet/Z. Kaluza/A. De Libera (eds.), Lectionum Varietates. Hommage à Paul Vignaux, Paris 1991, 6 7 - 8 3 ; efficaci le pagine di D. Burr, Olivi's Peaceable Kingdom. A Reading of the Apocalypse Commentary, Philadelphia 1993, 1 4 - 2 1 . P. R. McKeon, The status of the University of Paris as parens sdentiarum·. an episode in the development of its autonomy, in: Speculum 39 (1964), 6 5 1 - 6 7 5 ; in particolare 670: „Read outside of its total context, the De periculis has often fallen victim to the too prevalent tendency to over-emphasize the importance of Millenialism in the Middle Ages, with the result that its meaning and significance are prone to be overlooked. In fact, the prophetic element here appears to be only a rhetorical device, from which one may properly draw no conclusion as to the beliefs of the authors, for the De periculis is a Parody on Joachim and the Joachites (...) The parody runs throughout: in the De periculis the signs cited by Joachim as evidence of the last days, and the date 1260, have been taken over from the Joachites but differently interpreted. (...) But the mendicants usurpations in the church are not here the indication and preparation of Armageddon." Si vedano però i testi qui citati alle nt. 22, 29, 44. Concordando in questo con R. Lerner, Il refrigerio dei santi. Gioacchino da Fiore e l'escatologia medievale, Roma 1995, in part. 60, nt. 90. Sulla pluralità dei possibili usi del discorso escatologico fa leva un utilissimo volume quale W Verbeke/D. Verhelst/A. Welkenhuysen (eds.), The Use and Abuse of Eschatology in the Middle Ages, Leuven 1988, per quanto la dimensione valutativa insita nella distinzione tra ,uso' ed ,abuso' possa risultare problematica in prospettiva storica. Si vedano a questo proposito anche le osservazioni di G. Ruggieri, Introduzione, Escatologia e Cristianità, in: id. (ed.), La cattura della fine. Variazioni dell'escatologia in regime di cristianità, Genova 1992, VII — XXXI.
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2. L ' e s c a t o l o g i a c o m e „ l i n g u a g g i o " Nel sottotitolo stesso di questa Mediaevistentagung, „Eschatologische Perspektiven im Mittelalter", è racchiuso il suggerimento che questo breve contributo intende sviluppare: .prospettiva', intesa come particolare orientamento dello sguardo, è un termine che coglie in modo felice la circostanza per la quale è possibile vedere nell'escatologia uno specifico modo di cogliere gli eventi, connesso con un specifico patrimonio linguistico, inteso in senso lato come un insieme di concetti, metafore, stilemi argomentativi al quale attingono gli autori. In questo senso, l'adozione di una prospettiva escatologica significa anche l'appropriazione di un linguaggio specifico 8 , attraverso il quale, almeno nel caso degli autori medievali, la sensazione di essere collocati „negli ultimi tempi" proietta gli eventi storici su di uno scenario particolare, la cui dinamica essenziale è in certo senso già nota, in quanto rivelata nei testi dell'Antico ed in particolare del Nuovo Testamento che appunto annunciano la fine. Uno dei tratti di quella che è stata chiamata „escatologia apocalittica" è infatti quello di presentare gli eventi caratterizzanti la fine come un susseguirsi di fatti ineluttabile, predeterminato, di fronte al quale al singolo è lasciata però la scelta decisiva tra il bene ed il male, se unirsi agli eletti, anche se perseguitati, o tradire aderendo alle forze del Male. In questa prospettiva, l'escatologia apocalittica, con la rivelazione del „luogo" dell' „oggi" nella trama degli ultimi eventi, unisce sempre sguardo sul futuro ed analisi del presente, assumendo non di rado i tratti dell'esortazione morale, più o meno implicita 9 . Nel momento in cui vengono descritti con l'ausilio di questa strumentazione, gli avvenimenti oggetto dell'attenzione vengono caricati di un senso ulteriore e trasfigurati, per così dire, in tappe del processo che porterà all'estremo compimento della Storia. Nelle osservazioni che seguono, quindi, verranno considerati come segni dell'adozione di una interpretazione escatologica del conflitto tra Secolari e Mendicanti non le semplici occorrenze della caratterizzazione degli avversari come „figli di Satana" e neppure come „servi dell'Anticristo", ma le espressioni che denotano una „collocazione escatologica" del presente; gli stessi riferimenti all'Anticristo verranno considerati rilevanti nella misura in cui essi si connettono esplicitamente ad espressioni che manifestamente rimandano agli „ultimi tempi" ed alla persuasione che il proprio presente possa essere letto attraverso i patrimoni linguistici- concettuali di interpretazione degli ultimi snodi del divenire storico. Difficile sarebbe, come ovvio, sondare la „sincerità" di tali richiami, ma è in compenso certo che, verifi8
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Su questo uso del termine „linguaggio" si veda, tra i tanti, il lavoro di G. Todeschini, Linguaggi teologici e linguaggi amministrativi: le logiche sacre del discorso economico fra V i l i e X secolo, in: Quaderni storici 102 (1999), 5 9 7 - 6 1 6 ; cf. anche id., Il prezzo della salvezza. Lessici medievali del pensiero economico, Roma 1994; focalizzato sulle teorie politiche A. Black, Political Languages in Later Mediaeval Europe, in: D. Wood (ed.), The Church and Sovereignty c. 5 9 0 - 1 9 1 8 . Essays in Honour of Michael Wilks, London - New York 1991, 3 1 3 - 3 2 8 . Si vedano a questo proposito le illuminanti pagine di B. McGinn, The Calabrian Abbot, Joachim of Fiore in the History of Western Thought, New York 1985, 5 1 - 7 3 .
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candosi in tali casi l'utilizzo di un linguaggio, l'inserimento in un universo di discorso, spesso l'intenzione del singolo autore è come superata dalla „logica oggettiva" del dibattito in corso. Ciò non toglie, d'altra parte, che sia possibile cogliere come l'adozione di una prospettiva escatologica possa avvenire con implicazioni assai differenziate.
3. Un o r i z z o n t e e s c a t o l o g i c o c o n d i v i s o Quando si pensa ad un testo carico di suggestioni apocalittiche che sia in connessione con la disputa parigina tra Secolari e Mendicanti, il riferimento che viene più immediato è quello al „Liber introductorius in Evangelium Aeternum" di Gerardo di Borgo San Donnino 10 . Quest'opera non fu, infatti, solamente uno degli oggetti della disputa, ma in un qualche modo proponeva essa stessa un'interpretazione in senso escatologico del rapporto tra clero secolare e nuovi ordini 11 . E ' noto infatti come tra le proposizioni presenti nell'elenco degli errori denunciate dai dottori parigini alcune riguardino il ruolo veniva attribuito a ordini religiosi facilmente identificabili con i Mendicanti nel contesto della chiesa degli ultimi tempi, avvertiti oramai come prossimi; non solo quella lista, compilata con intenti tutt'altro che benevoli, ma anche il protocollo della commissione di Anagni — che si ritiene più equilibrato — mette in risalto le implicazioni ecclesiologiche della posizione di Gerardo 12 . Bisogna tuttavia ribadire che questa tendenza non fu per nulla limitata ad un solo autore, che sarebbe stato presto soggetto ad una censura papale ed anche ad un duro procedimento disciplinare da parte del suo Ordine; né, tantomeno, spunti analoghi sono da limitare a quell'ambiente che spesso è stato definito del „gioachimismo francescano" 13 . Già prima dello scoppio della controversia parigina non erano mancate opere in cui il ruolo dei Mendicanti nella Chiesa era stato presentato sotto un segno escatologico: tra i Francescani basti il rimando ad Alessandro Minorità 14 , mentre 10 11
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Denifle, Evangelium aeternum (nt. 4), 4 9 - 1 4 2 . Si veda, per esempio H. Denifle/E. Chatelain (eds.), Chartularium universitatis Parisiensis, I, Paris 1899, (rist. Bruxelles 1964) nn. 243, 272; il testo più accurato in E. Benz, Joachim-Studien II, Die Exzerptsätze der Pariser Professoren aus dem Evangelium Aeternum, in: Zeitschrift zur Kirchengeschichte 51 (1932), 4 1 4 - 4 5 5 , edizione a 4 1 5 - 4 2 6 , in part. η. VII, 417: „Septimus quod nullus simpliáter idoneus est ad instruendum homines de spintualibus, nisi illi qui nudis pedibus incedunt. " Cf. Denifle, Evangelium aeternum (nt. 4), 115: „Hue usque verba Joachim et fratns Girardi. Ex prenotatis videtur, quod iste novas et falsas opiniones confingat, et hoc maxime vane glorie causa, id est, ut exaltet huiusmodi ordinem incredibiliter et intempestive super alios ordines, immo super totam ecclesiam. " Utilizza questa categoria D. Berg, L'impero degli Svevi e il gioachimismo francescano, in: O. Capitani/J. Miethke (eds.), L'attesa della fine dei tempi nel Medioevo, Bologna 1990, 133-167; grande spazio al rapporto tra idee giachimite e francescanesimo in Töpfer, Das kommende Reich (nt. 4), 104-257; interessanti riflessioni in D. Burr, Mendicant Readings of the Apocalypse, in: R. K. Emmerson/B. McGinn (eds.), The Apocalypse in the Middle Ages, Ithaca - London 1992, 8 9 - 1 0 2 . Cf. S. Schmolinsky, Der Apokalypsenkommentar des Alexander Minorità. Zur frühen Rezeption Joachims von Fiore in Deutschland, Hannover 1991, in part. 116-121, ma anche ead., „Multifa-
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in circoli domenicani vicini Ugo di Santo Caro non si è esitato ad inserire nel commento all'Apocalisse il riferimento agli scontri tra Secolari e Mendicanti sul diritto a predicare 15 . Ma anche a livello più propriamente „ufficiale" non sono mancati spunti analoghi, come è il caso della circolare emanata congiuntamente dal Maestro generale dei Predicatori e dal Ministro generale dei Minori nel 1255, dove si ritrova un riferimento facilmente decifrabile a quella che si potrebbe chiamare la „missione escatologica" dei due Ordini, la cui venuta è posta esplicitamente „in fine seculorum"16. Né si può limitare la portata di questo spunto ad una influenza di Giovanni da Parma, che ha goduto fama di persona sensibile ai temi escatologici e partecipe dell'attenzione a Gioacchino viva in ambiente francescano 17 , dal momento che l'altro firmatario, Umberto di Romans, ha manifestato di condividere la medesima prospettiva in una lettera inviata personalmente ai suoi confratelli, qualche mese dopo, in cui non fa mistero della propria persuasione di trovarsi nella „novìssima hora"18. D'altra parte, il medesimo Bonaventura, che di lì a qualche anno sarebbe stato uno dei protagonisti della deposizione di Giovanni da Parma ed anche del processo iniziato dall'Ordine nei suoi confronti, non rifuggiva dal richiamo degli ultimi tempi per giustificare la posizione dei Minori nella Chiesa. Infatti, di fronte a Guglielmo di Sant'Amore che evidenziava polemicamente — contro l'ideale mendicante della povertà — la valorizzazione canonistica della dotazione economica delle chiese, nelle sue „Quaestiones de perfectione evangelica" (1255) Bonaventura non rifuggiva dall'argomentare che quelle disposizioni tradizionali avevano avuto sì la loro giustificazione nel tempo intermedio della Chiesa, ma
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riis vaticiniis iam usque ad fastidium repleti sumus?" Deutsche Franziskaner des 13. Jahrhunderts im Umgang mit joachitischen Ideen, in: Wissenschaft und Weisheit 50 (1987), 164—175. R. E. Lerner, Poverty, Preaching and Eschatology in the Revelation Commentaries of „Hugh of St. Cher", in: K. Walsh/D. Wood (eds.), The Bible in the Medieval World. Essays in Memory of Beryl Smalley, Oxford 1995, 1 5 7 - 1 8 9 , in part. 1 7 4 - 1 7 5 . Litterae enciclicae magistrorum generalium Ordinis praedicatorum ab anno 1223 usque ad annum 1376, ed. Β.-M. Reichert, Monumenta Ordinis Fratrum Praedicatorum, V, Romae etc. 1900, 25: „Salvator saeculi, qui amat animas et neminem vult perire ... novissime diebus istis in fine seculorum duos nostros ordines in ministerium saluta, prout indubitanter creditur, susàtavit, vocans ad eos viros non paucos et ditans eos donis celestibus, per que non solum suam, sed aliorum ejficaciterpossint operali salutem verbo pariter et exemplo. Hi sunt, ut ad gloriam dei loquamur non nostram, duo magia luminaria, que lumine celesti sedentes in tenebris et umbra mortis ubique terrarum illuminant et illustrant"", 26: „Hit sunt duo testes Christi, qui sacas amictí iam predicant et testimonium perhibent peritati. Hit sunt Ule due stelle luride, que secundum Sibillinum vaticinium habentes speäem quatuor animalium in diebus novissimis nomen agni voäferant in directione humilitatis et voluntaria paupertate. " Per la fonte di questo riferimento al vaticinio della Sibilla Eritrea, cf. Β. McGinn, Teste David cum Sibylla: The Significance of the Sibylline Tradition in the Middle Ages, in: J. Kirshner/S. Wemple (eds.), Women of the Medieval World, Essays in Honour of J. H. Mundy, Oxford 1 9 8 5 , 7 - 3 5 ; ora in: id., Apocalipticism in the Western Tradition, Aldershot 1994, IV, in part. 3 3 - 3 4 . Su questo aspetto della personalità di Giovanni si vedano le penetranti pagine di Burr, Olivi's Peaceable Kingdom (nt. 4), 7 - 1 4 . Chartularium Universitatis Parisiensis (nt. 11), I, n. 273, 313: „Jam novissimi temporis hora videtur instare novissima, in qua reprobis facultas dabitur seviendi, inferetur persecutio justis et in electis persecutorum rabies exardescet. "
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che ora, giunta la fine, si doveva rinnovare la purezza delle origini19. Nella sua risposta, Guglielmo non si lasciava sfuggire l'occasione per denunciare questa posizione come fortemente inficiata dall'errore di Gioacchino 20 . Come si accennava in apertura, Guglielmo di Sant'Amore, pur attaccando alcune posizioni di Gioacchino, non si astiene dal presentare la penetrazione degli Ordini mendicanti con pesanti toni apocalittici. Il titolo del trattato che poi fruttò al maestro secolare la censura e l'esilio già è significativo: „De periculis novissimorum temporum". Non solo, ma la caratterizzazione dei nuovi Ordini mendicanti, considerati come intrusi nell'ordinamento ecclesiastico, è compiuta meticolosamente sulla falsariga di uno dei brani neotestamentari che descrivono gli „homines seipsos amantes" che affliggeranno la Chiesa negli ultimi tempi. L'ipocrisia, la vanità, l'ambiguo rapporto con le donne, sono tutti elementi che la seconda lettera a Timoteo attribuisce ai cattivi profeti, e che Guglielmo rimprovera a quelli che sono a suo giudizio i messaggeri dell'Anticristo21. Guglielmo insiste pure sull'imminenza degli ultimi tempi, ribadendo con forza che i pericoli escatologici non vanno relegati in un lontano futuro, ma sono già presenti in quel momento storico22. A ben vedere, seppur con segni valutativi completamente diversi, le prospettive finiscono per convergere: i nuovi ordini incarnano il mutamento che prelude alla fine dei tempi. La proiezione su di uno scenario apocalittico è quindi un patrimonio comune, e così poco appannaggio di un singolo gruppo tra quelli coinvolti nel conflitto, che Guglielmo, insieme con altri, prima dell'identificazione dell'autore del „Liber introductorius", mostra di ritenere — erroneamente — che l'opera provenga dall'ambiente domenicano 23 .
4. La p e r s i s t e n z a d e l l ' o r i z z o n t e e s c a t o l o g i c o d o p o le c o n d a n n e di G e r a r d o e di G u g l i e l m o E' stato fatto notare che la tempesta scatenatasi attorno al „Liber introductorius" e la condanna di Guglielmo hanno contribuito ad attenuare, all'interno 19
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Bonaventura a Balneoregio, Quaestio reportata de mendicitate cum annotationibus Gulielmi de S. Amore, in: Collationes in Hexaemeron et bonaventuriana quaedam selecta, ed. F. Delorme, Ad Claras Aquas 1934, 352-353: „Similiter dico quod primitiva Ecclesia fuit in maxima paupertate per voluntatem Dei, deinde medio tempore ditata Sancto Spiritu operante, sed in fine revolabit (0 ad a, sdlicet Ecclesia in quibusdam erit in maxima paupertate. " Ibid.: „Vide periculosum verbum et suspidone non carens, quod didt Ecclesiam redituram in quibusdam Ordinibus ad pristinam paupertatem. Hoc enim sapit sententiam Ioachim." Guilelmus de Sancto Amore, De periculis novissimorum temporum, I I - I I I (nt. 2), 6 - 1 6 . Cf. la ricostruzione di questa immagine dei falsi religiosi in P. R. Szittya, The Andfraternal Tradition in Medieval Literature, Princeton N.J. 1986, 11 — 61; per la discussione tra Guglielmo e Bonaventura, R. Lambertini, Apologia e crescita dell'identità francescana, 1255-1279, Roma 1990, 11-24, 7 6 - 7 8 . Guilelmus de Sancto Amore, De periculis novissimorum temporum, Vili (nt. 2), 23: „Sextum signum est, quoniam appropinquante consummations saeculi surgent in ecclesia quidam predicatores commendantes semetipsos ..." Cf. McKeon, Status (nt. 5), 660-661, n. 51.
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della polemica tra Secolari e Mendicanti, il riferimento alla dimensione escatologica 24 . Gerardo d'Abbeville, per esempio, imposta in modo assai diverso il suo attacco al concetto di povertà francescana, facendo leva piuttosto sulle difficoltà teoriche della soluzione proposta dai Minori 25 . Questo giudizio, tuttavia, non può essere assolutizzato, perché l'orizzonte escatologico del dibattito tra Secolari e Mendicanti è ben lontano dal dissolversi. Così, Bonaventura o un suo seguace, nel suo scritto sul diritto dei frati a predicare, che si data a dopo il 1259 26 , non farà a meno di sottolineare che i nuovi annunciatori della Parola agiscono „negli ultimi giorni", che egli definisce, riecheggiando - non so quanto volutamente — Guglielmo, „tempora periculosa"21. Un atteggiamento simile si può cogliere anche nella prima parte dello scritto, probabilmente di ispirazione bonaventuriana, intitolato „Determinationes quaestionum", dove la difesa ad oltranza delle scelte insediative e pastorali dei Minori non va disgiunta dalla consapevolezza di essere oramai giunti al limitare della storia 28 . Del resto, Guglielmo di Sant'Amore, ormai ridotto all'esilio, componendo le sue „Collectiones" con le quale sperava probabilmente di riconquistare l'attenzione del papato, dedica una lunga distinctio al paziente elenco dei 50 signa che consentono di identificare gli pseudoprofeti che si diffonderanno all'avvicinarsi della fine, ammantandosi di ipocrisia e perseguitando i difensori della Chiesa 29 . 24 25 26
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Berg, L'impero (nt. 13), in part. 162-163. Sulla posizione di Gerardo d'Abbeville cf. Lambertini, Apologia (nt. 21), 6 5 - 7 8 . Si tende soprattutto ad evidenziare il permanere della tensione escatologica nell'immagine di Francesco proposta da Bonaventura, cf. p. es. Berg, L'impero (nt. 13), 162 — 164; ma si vedano testi come „Quare fratres minores praedicent et confessiones audiant", in: Bonaventura a Balneoregio, Opera Omnia Vili, Ad Claras Aquas 1898, 374-385. Cf. Β. Distelbrink, Bonaventurae Scripta authentica Dubia vel Spuria critice recensita, Roma 1975, 5 1 - 5 2 . 1 . Brady, The Writings of Saint Bonaventure regarding the Franciscan Order, in: Miscellanea francescana 75 (1977), 107-108. Bonaventura de Balneoregio, Quare fratres minores praedicent et confessiones audiant (nt. 26), 376: „Praedictis ergo de causis in his novissimis temporibus — de quibus praedixit Apostolus, quod instabunt tempora periculosa ... providit Sedes apostolica ad obviandum praefatis periculis aliquod remedium subventìonis animabuspereuntibus, quod divina ordinatione quosdam Religiosorum Ordines instituit, qui offiào praedicationis et confessionis sibi commisso subveniant indigentìaepopulorum et insuffiàentiae clericorum ..." Determinationes quaestionum circa regulam fratrum minorum in: Bonaventura, Opera Omnia Vili (nt. 26), 337 — 374, in part. 339: „Sedes apostolica ... vidais, in his novissimis temporibus, iuxta Apostolum, instare tempora periculosa, et laxatis evengelicae praedicationis retibus in capturam, tantos influxisse pisces hominum ad fidei professionem, quod rete fidei sdnditur ... et episcopi, negotiis exterioribus dediti, spiritualibus intendere nequeunt, et pauà sunt pastores in ecclesiis personaliter residentes, sed vicariis et mercenariis committunt oves sive animas regencias, in quorum plurimis inveniuntur defectus imperitiae et inhonestae vitae ... vocavit nos in auditorium tam cleri quam populi . . . " La prima parte di questo trattato, la cui autenticità è stata posta radicalmente in discussione, viene comunque datata 1266 — 1268, cf. Distelbrink, Bonaventurae Scripta (nt. 26), 3 4 - 3 5 ; cf. anche L. Pellegrini, Insediamenti francescani nell'Italia del Duecento, Roma 1984, 123-153. Gulielmus de Sancto Amore, Collectiones catholicae et canonicae scripturae, d. IV, in: id., Opera omnia, Constantiae 1632, 335 — 475; in particolare 355: „Per hoc autem cognosci possunt dicti pseudo esse disàpuli Antichristi, qui similiter ut magis dedpere et tandem saevire valeat in fideles Christi, sanctitatem simul et sapientiam obstentabit. Und Apoc. 13 dicit Ioannes de ilio, Et vidi aliam bestiam ascendentem de terra, et habebat cornua duo similia Agni, et loquebatur ut Draco"·, più avanti (412), nel contesto di un richiamo alle profezie di Ildegarda di Bingen, gli avversari sono detti „preambuli et precusores Antichristi".
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Questa sensibilità n o n era peculiare al solo G u g l i e l m o e quindi n o n p u ò essere ridotta ad idiosincrasie individuali, se il francescano G i o v a n n i Peckham, f u t u r o arcivescovo di Canterbury, qualche a n n o d o p o (attorno al 1 2 7 0 ) , pur premett e n d o alla sua trattazione una dichiarazione di „scetticismo" nei c o n f r o n t i di tali speculazioni, dedica un intero capitolo del suo „Tractatus pauperis" alla c o n f u tazione dei 5 0 signa
di G u g l i e l m o 3 0 . Peckham si p r o d u c e in un v e r o e p r o p r i o
ribaltamento delle accuse del maestro secolare, sforzandosi di mostrare, misurandosi anche c o n le supposte p r o f e z i e anti-mendicand di Ildegarda di B i n g e n 3 1 , che i veri precursori dell'Anticristo n o n s o n o i frati Minori, m a piuttosto i l o r o avversari, ai quali si attaglierebbero in m o d o ben più calzante le caratteristiche degli p s e u d o p r o f e t i individuate dallo stesso G u g l i e l m o 3 2 . A i Francescani è piuttosto attribuita la f u n z i o n e di resistere zW exercitus
Antichristì33,
cosicché
finiscono
p e r svolgere un i m p o r t a n t e r u o l o escatologico, n o n tanto, però, c o m e portatori di u n r i n n o v a m e n t o radicale, quanto c o m e difensori dell' ordine stabilitosi c o n
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II „Tractatus pauperis" è edito in modo disperso: i capitoli I-VI si trovano in A. Van Den Wyngaert, Tractatus pauperis a fratte Johanne de Pecham, O. F. M., archiepiscopo Cantuariensi, conscriptos, Paris 1925; i capitoli VII —IX sono editi in F.-M. Delorme, Trois chapitres de Jean Peckham pour la défense des ordres mendiants, in: Studi francescani 29 (1932), 5 4 - 6 2 e 1 6 4 193; i capitoli X e XVI, insieme ad estratti degli altri, si trovano in C. L. Kingsford/A. G. Little/F. Tocco, Fratris Iohannis Pecham quondam archiepiscopi Cantuariensis tractatus tres de paupertate, Aberdeen 1910, 2 1 - 9 0 ; i capitoli X I - X I V sono editi in F.-M. Delorme, Quatte chapitres inédits de Jean de Pecham, O. F. M., sur la perfection religieuse et autres états de perfection, in: Collectanea francescana 14 (1944), 84-120; il capitolo XV si trova in appendice a id., Fr. Richardi de MediaviUa quaestio disputata de privilegio Martini papae IV, nunc primo edita, Quaracchi 1925, 7 5 - 8 8 . La sezione escatologica è il cap. XVI. Sulla figura di Peckham, cf. D. L. Douie, Archbishop Peckham, Oxford 1952. Johannes Peckham, Tractatus pauperis, XVI (nt. 30), 76: „Prophetias Hyldegardis non multumpondero, sed magis eos arguo qui mulieris doctrìnam in ecclesias introducimi, quam apostolus docere in ecclesia non permittit ... Intellexit enim humants generis inimicus ex pluribus scripturarum oraculis religiones pauperum susrítandas divinitus in ecclesiarum relevationem, sicut etiam prescivit Christi adventum et alia plurima in scripturis predicta. Vokns igitur facere religiones istas omnibus odiosas, peritati, quam vel ex scripturis vel angelis revelantibus didicerat, plures immiscuit falsitates et nequitias, et per istam Hyldegardim quae et alios errores docuit, Hyldegardianis heretiàs ipsìus diaboliprocuratoribus, et sanctorum persecutoribus, promulgavit"·, cf. Κ. Kerby-Fulton, Hildegard of Bingen and Anti-mendicant Propaganda, in: Traditio 43 (1987), 386-399, in part. 390; nella polemica antimendicante Ildegarda era stata utilizzata già da Matteo Paris: Matthaeus Parisiensis, Chronica majora, IV (1240-7), ed. H. R. Luard, London 1877 (rist. an. Wiesbaden 1964), 280: „Hi jam sunt, qui in sumptuosis et diatim ampliatis aedifiäis et celsis muralibus thesauros exponunt impretiabiles, paupertatis limites et basim suae professionis juxta prophetiam Hildegardis Alamanniae, impudenter transgredientes. " A questo proposito cf. W. R. Thomson, The Image of the Mendicants in the Chronicles of Matthew Paris, in: Archivum franciscanum historicum 70 (1977), 3 - 3 4 . Sarebbe ozioso ripetere le argomentazioni in dettaglio; sia sufficiente l'esempio in cui Peckham identifica gli avversari in coloro che criticano la scelta religiosa, cf. Johannes Peckham, Tractatus pauperis, XVI (nt. 30), 69: „Ad celestia se constringunt itinera qui servant ex voto Christi Consilia. Quos igitur tales cernimus impugnare, certum est ad Antichristì malitiam aditum preparare. " Ibid., 74: „ Antichristi igitur precursores et disàpuli non tarn erunt pauperes quam pauperum impugnatores. Aliquos tarnen Dominus homines sanctos contra antichristì exeràtum consecrabit: de quibus Apoc. 6 [sic; potius 11,3] ,Prophetabunt diebus mille ducentis Ix amicti sacas'. "
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l'alleanza tra Minori e Chiesa romana, nel quale anche i mutamenti sono comunque garantiti dall'autorità papale 34 . Recentemente si è dibattuto della paternità del „Liber de Antichristo et eius ministris", (databile alla metà degli anni '60 del XIII secolo) in particolare dopo che Michel-Marie Dufeil ha proposto di attribuirlo, piuttosto che a Guglielmo di Sant'Amore, al suo seguace Nicola di Lisieux. Robert Lerner ha avanzato forti perplessità nei confronti di questa tesi 35 . Al presente proposito, piuttosto che giudicare se le differenze di tono tra quest'opera e quelle di sicura paternità del portavoce dei maestri secolari siano sufficienti a dubitare dell'identità dell'autore, è rilevante notare che i precursori dell'Anticristo, in questo testo, sono ancora una volta, senza possibilità di equivoco, gli Ordini mendicanti, dal momento che agli avversari, descritti come predicatori, viene rimproverato di infrangere la costituzione n. 13 del IV Concilio Laternanense „Ne nimia religionum diversitas" 36 . Se, come ha dimostrato Lerner, in questo scritto è facilmente riconoscibile una polemica contro il gioachimismo 37 , ciò nondimeno permane la tensione escatologica, confermandosi l'intento di voler smascherare nei Mendicanti non soltanto gli avversari dell'ortodossia, ma i veri e propri servi dell'Anticristo, la cui comparsa preannuncia la fine38. Per il breve lasso di tempo che si estende, grosso modo, da metà degli anni Cinquanta alla fine degli anni Sessanta del Duecento, è quindi possibile fare riferimento ad significativo gruppo di testi che testimoniano della diffusione della tendenza ad interpretare in senso escatologico le prime fasi del Bettelordenstreit. Si tratta di una tendenza, come si è argomentato, comune a figure dalla personalità ben differenziata e che si estende in modo per così dire trasversale agli schieramenti che la storiografia è solita individuare, coinvolgendo rappresen-
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Ibid., 68: „De horum ìgitur numero esse videntur qui quìbusdam statutis olim necessariis, mutatione vero modernorum temporum necessario commutatìs, sic tarnen [sunt] innitentes, ut nec apostolirís adquiescant diffinitionibus, ipso apostolico contrario modo ex causis contrariis providente·, nec viros sanctos per hoc vereantur mendadter diffamare, nec cessentprelatos simplidores theologice doctrine ignaros, ubi possint, falsis allegationibus pro viribus inclinare. " Dufeil, Guillaume de Saint-Amour (nt. 3), 329-331; cf. Lerner, Refrigerio (nt. 6), 3 8 - 3 9 . Liber de Anticristo et eius ministris, in: E. Martène/U. Durand, Veterum scriptorum...collectio, Paris 1724-1733 (rist. an. New York 1968), IX, 1293, 1297: „Contra hancpseudopraedicatorum in diversitate habituum venturam multitudinem, et sub pietatis hypocrisi occultantem, quondam sollirìte provisum fuerat ab ecclesia in conrílio generali, extra de religiosis domibus, ut episcopis sint subjertae, Ne nimia, ubi dirítur: Ne nimia religionum diversitas gravem in ecclesia Dei confusionem inducat,firmiterprohibemusne quis de cetero novam religionem inveniat sed quicumque ad religionem transiré voluerit, unam de approbates assumat. Sed quia omnia oportet impleri quae prophetae et apostoli praedixerunt de temporibus ultimis, istud salubre statutum a tantis patribus in condilo generali elaboratum, diu in ecclesia non potuit observari. " Si noti qui il ritornare dell'idea dell'inaluttabilità degli eventi. Per la costituzione lateranense cf. Conciliorum Oecumenicorum Decreta, eds. G. Alberigo e. a., Bologna 3 1973, 242. Ibid., 1323 e sqq.; cf. Lerner, Refrigerio (nt. 6), 38. Cf. per esempio ibid., 1343: „De apparenñ sanctitate exploratorum antichristi, qui eius fadem praecedent, didtur Apocal. 9 sub figura locustarum: Super capita eorum tamquam coronae aureae similes auro ... Unde sibi arrogabunt vitam apostolicam mysterio iniquitatis operante... ", dove risulta evidente il riferimento alla rivendicazione, da parte dei Mendicanti, di rinnovare la vita apostolica.
Interpretazioni escatologiche del conflitto tra Secolari e Mendicanti
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tanti di spicco dei Secolari ma anche dei Mendicanti, mentre, tra i Minori, ne risultano partecipi sia Francescani che si considerano „rigoristi", sia „moderati". Da questo punto di vista, quindi, il fatto che per esempio, un Pietro di Giovanni Olivi mostri la tendenza a collocare lo scontro polemico parigino all'inizio di una serie di macchinazioni che preludono alla venuta dell'Anticristo, attenua di gran lunga la sua originalità per assumere tratti ben più tradizionali, come di eredità di patrimonio condiviso 39 . Peculiare al pensatore della Linguadoca, piuttosto, sarà la tendenza a fare della disputa tra Secolari e Mendicanti soltanto il primo episodio di una escalation di azioni degli agenti dell'Anticristo che vedrà, in seguito, l'attacco domenicano all'ideale francescano di povertà e poi, al culmine, la disputa, tutta interna all'Ordine minoritico, sul nesso tra usus pauper e voto 40 .
5. E n d e u n d V o l l e n d u n g : d u e p o s s i b i l i v a r i a n t i del d i s c o r s o e s c a t o l o g i c o „Quid est huiusmodi novitatum introductioì" Con opportunità Luigi Pellegrini ha utilizzato questo quesito di un anonimo premonstratense tedesco, che così commenta il diffondersi di Predicatori e Minori nel Magdeburgo, quale titolo di un suo volume dedicato al diffondersi degli Ordini mendicanti 41 . Noi potremmo considerare che questa domanda stesse alle spalle di chi ha chiesto all'escatologia apocalittica il senso dell'apparire e dell'affermarsi dei nuovi Ordini, in particolare dei Predicatori e dei Minori, sulla scena della Cristianità medievale. Potremmo osservare che taluni esponenti degli Ordini mendicanti, riconoscendo nella novità uno dei tratti caratterizzanti delle loro congregazioni, hanno inteso questo loro avvento come un segno degli ultimi tempi, nel senso che la ripresa dell'esperienza apostolica, che stava all'origine della loro speciale vocazione, significava 39
Petrus Iohannis Olivi, Quaestiones de perfectione evangelica, 8, in: J. Schlageter, Das Heil der Armen und das Verderben der Reichen, Werl i. W 1989, 152: „Secundo attendenda est Antichrist! tentatio et eius destructio ... Si quis autem huius tentationisprincipales artículos inspiceret, inveniret eos iam in mundo seminatos, et quod unus de principalibus est vilipensio altissime paupertatis"\ cf. R. Lambertini, La difesa dell'ordine francescano di fronte alle critiche dei secolari in Olivi, in: A. Boureau/ S. Piron (eds.), Pierre de Jean Olivi (1248-1298). Pensée scolastique, dissidence spirituelle et société, Paris 1999, 193-205; sugli aspetti generali dell'escatologia Oliviana si possono vedere R. Manselli, La terza età, „Babylon" e l'Anticristo mistico (a proposito di Pietro di Giovanni Olivi), ora in: id., Da Gioacchino da Fiore a Cristoforo Colombo, ed. P. Vian, Roma 1997, 155-183; E. Pásztor, L'escatologia gioachimitica nel francescanesimo: Pietro di Giovanni Olivi, in: Capitani/Miethke (eds.), L'attesa (nt. 13), 169-193; più articolato Burr, Olivi's Peaceable Kingdom (nt. 4), 7 5 - 1 9 7 ; recentissimo P. Vian, Tempo escatologico e tempo della Chiesa: Pietro di Giovanni Olivi e i suoi censori, in: Sentimento del tempo e periodizzazione della storia nel Medioevo. Atti del XXXVI Convegno storico internazionale, Todi, 1 0 - 1 2 ottobre 1999, Spoleto 2000, 137-183, in particolare sui dibattiti parigini, 148.
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Petrus Iohannis Olivi, Tractatus de usu paupere, ed. D. Burr, Firenze-Perth 1992, 8 9 - 9 0 . L. Lemmens, Testimonia minora saeculi XIII de S. Francisco Assisiensi, Ad Claras Aquas 1926, 1 8 - 1 9 ; cf. L. Pellegrini, „Che sono queste novità?". Le religiones novae in Italia meridionale (secoli XIII e XIV), Napoli 2000.
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una sorta di compiersi del ciclo, un ritorno alle origini che prelude alla fine. L'alfa e l'omega si ricongiungono sul limitare del secolo. Le nuove presenze ecclesiali sono giustificate dal loro collocarsi in questi „ultimi tempi" e ne risultano, nello stesso tempo, i portatori. Questa visione della conclusione della storia, che pur tanta preoccupazione ha sollevato in quanto pareva minacciare la funzione dell'autorità ecclesiastica, assume una connotazione positiva: il nuovo porta la fine in quanto si ricongiunge con l'origine. Anche se in un pensatore come Olivi questa missione dei francescani poteva assumere i toni drammatici (peraltro assai usuali nella tradizione apocalittica) della persecuzione, in quanto gli eletti avrebbero trionfato solamente attraverso la sopportazione delle sofferenze, resta comunque fermo che, in questa prospettiva, agli sconvolgimenti finali è indissolubilmente legato il raggiungimento di una pienezza, in una parola, il compimento della Storia, che è anche storia della Salvezza. Dopo aver ripetutamente sottolineato che Guglielmo di Sant'Amore condivide la prospettiva escatologica come chiave interpretativa della crisi in cui è coinvolto, è però necessario, a questo punto, evidenziare come la sua ripresa del discorso escatologico assuma una valenza diversa. E' evidente che il suo rifiuto di riconoscere una legittimità alla novità costituita dagli Ordini mendicanti si inscrive in una concezione in cui i mutamenti di un ordinamento ecclesiastico considerato rivelato nel Nuovo Testamento e quindi intangibile sono unicamente segni della dissoluzione. L'avanzata degli Ordini mendicanti è sintomo della fine intesa come corruzione dell'ordine divino. A ragione Robert Lerner ha evidenziato che, nel „Liber de Antichristo", si ritrova una fortissima polemica nei confronti dell'idea secondo la quale, nell'Apocalisse, sarebbe annunciata un'era di pace e di prosperità susseguente la venuta e la sconfitta dell'Anticristo 42 . Al di là della tradizione di sospetto nei confronti del millenarismo, la necessità, per Guglielmo, di anticipare il periodo di pace a prima dell'avvento dell'Anticristo sta tutta nel fatto che, nella sua visione, la pace è quella garantita dalla Chiesa nelle sue forme tradizionali. La pace è nell'ordine esistente, mentre la fine serpeggia in ogni sconvolgimento dei fondamenti ecclesiologici. Riprendendo una riflessione suggerita a suo tempo da Cari Schmitt, si potrebbe affermare che la Chiesa — più che l'Impero, come accade negli autori richiamati da Schmitt — svolge la funzione del katechon paolino (2 Tess. 2, 7), di quella misteriosa forza che „trattiene" l'Anticristo e ritarda il manifestarsi della sua furia disgregatrice 43 . In questo modo diviene comprensibile, forse, anche l'insistenza di Guglielmo sulla possibilità di bloccare il pericolo costituito dai Mendicanti attraverso oppor42 43
Lerner, Refrigerio (nt. 6), 39. Si vedano per esempio le indicazioni di Schmitt nella polemica condotta contro Peterson, Politische Theologie II, Die Legende von der Erledigung jeder Politischen Theologie, Berlin 3 1990, in part. 61, 81 sqq.; sulla presenza di questo tema in Der Nomos der Erde cf. C. Dolcini, Pensiero politico medievale e nichilismo contemporaneo, in: Studi medievali 3 a serie, 38 (1997), 3 9 7 - 4 2 1 , in part. 3 9 9 - 4 0 2 , cf. J. Moltmann, Das Kommen Gottes. Christliche Eschatologie, Gütersloh 1995, 191; G. Meuter, „Der Katechon". Zu Carl Schmitts fundamentalistischer Kritik der Zeit, Berlin 1994.
Interpretazioni escatologiche del conflitto tra Secolari e Mendicanti
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tune contromisure che salvaguardino l'integrità della gerarchia ecclesiastica. Questo tratto inconsueto per il discorso escatologico, per il quale — come è stato autorevolmente osservato — gli eventi degli ultimi tempi si compiono secondo una sequenza ineluttabile, si spiega forse con la persuasione che la Chiesa ha il compito di „ritardare" il più possibile l'irruzione dell'Anticristo nella storia: in effetti Guglielmo stesso parla solamente della possibilità di „rimandare" la fine resistendo all'infiltrazione degli pseudoprofeti, non del definitivo superamento della dinamica escatologica 44 . La fine non si carica, per il leader dei Secolari, di alcuna connotazione positiva, foss'anche nella versione tragica dell'ultima, durissima prova degli eletti, ma si risolve nel trionfo del caos. Di fronte a questo orizzonte, non è assurdo unirsi alla preghiera di Tertulliano, che il giudizio venga posticipato 45 . Se più di una volta si è colto, da parte degli studiosi, che l'utilizzo del discorso escatologico può assumere una funzione di relativizzazione e quindi anche di critica della realtà presente, e quindi anche della istituzione ecclesiale, nel caso di Guglielmo invece, questo patrimonio viene mobilitato a difesa di un ordine che si sente minacciato 46 . Né deve stupire che sia simile - tutto sommato — l'atteggiamento di un francescano come Peckham, il quale, cambiando di segno alle accuse contenute nelle „Collectiones" di Guglielmo, non esce veramente dalla sua prospettiva, ma finisce per presentare i Minori non tanto come novità, quanto come elementi di un ordine (quello della signoria papale sulla Chiesa) minacciato dalle rivendicazioni del clero secolare 47 . Semplificando un poco i termini della questione, si potrebbe quindi proporre di vedere, nel contesto dell'interpretazione dei dibattiti parigini tra Secolari e Mendicanti, non tanto lo scontro tra una concezione escatologica ed una che non lo è, quanto piuttosto il confrontarsi di due modalità di utilizzo del discorso escatologico, che implicano in sé anche due diversi modi di percepire il senso del „nuovo" e di concepire la fine della Storia 48 . Da una parte, gli ultimi tempi sono visti sotto la chiave dell'irrompere del caos, dall'altra invece sotto il segno del rinnovamento. Forse poche coppie concettuali esprimono quel contrasto come quella proposta nel titolo di questo convegno: da una parte la fine, dall'altra il compimento. Ende oder Vollendung. 44
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Gulielmus de Sancto Amore, De periculis novissimorum temporum (nt. 2), 27: „Sic ergo apparet, quod praedicta perioda repelli poterunt ad tempus, si praelati viriliter duxerint resistendum." Cf. McGinn, Calabrian Abbot (nt. 9), 59, η. 43. Per esempio da Ruggieri, Introduzione (nt. 7), X X I X - X X X . Per una caratterizzazione più complessiva dell'atteggiamento di Peckham nei confronti delle questioni escatologiche, cf. R. Lambertini, La povertà pensata. Evoluzione storica della definizione dell'identità minoritica da Bonaventura ad Ockham, Modena 2000, 8 1 - 1 0 8 . Coglie questa duplice possibilità Moltmann, Kommen Gottes (nt. 43), 207 a proposito di una escatologia analoga a quella di Guglielmo di Sant'Amore: „Weiß sich die Kirche selbst schon als das tausendjährige Reich Christi, dann kann es nichts zwischen ihrer Gegenwart und der jenseitigen Zukunft der himmlischen Ewigkeit geben. (...) Diese Jenseitseschatologie, die sich seit Augustin im Westen immer wieder durchsetzt, stammt nicht aus dem Erlahmen des Chiliasmus, sondern aus seiner kirchlichen Okkupation."
Casus imminens ed escatologia del potere politico nel „De ecclesiastica potestate" di Egidio Romano FRANCISCO BERTELLONI
(Buenos Aires)
1. I n t r o d u z i o n e : il p r e l u d i o t o m i s t a Fra i numerosi problemi posti dall' esegesi del pensiero politico di Tommaso d'Aquino v'è quello di determinare con esattezza i rapporti fra i poteri spirituale e temporale. Dal pensiero politico tomista infatti non risulta chiaro se i rapporti siano (1) di un'autonomia assoluta, derivata dalla simultanea dipendenza da Dio di ambedue i poteri 1 , (2) di un'autonomia relativa, che consente l'intervento del potere spirituale nell'ambito temporale 2 o (3) di una subordinazione del potere temporale al potere spirituale3, sicché ogni autonomia sembra ridotta al nulla. Dopo Tommaso, la scelta di qualsiasi delle tre suddette posizioni portava con sé il diventare epigono di un maestro già affermato. E possibile che gli autori medioevali che lessero i testi politici di Tommaso abbiano trovato nella sua autorità un motivo sufficiente per privilegiare qualsiasi delle tre suddette tesi. Infatti, mentre il trattato „De regia potestate et papali" di Giovanni da Parigi4 accentuava la tesi della autonomia fra ambedue i poteri, al contrario il trattato „De ecclesiastica potestate" di Egidio Romano 5 accentuava la tesi della subordinazione totale del potere temporale al potere spirituale. Appunto perciò il trattato di Egidio viene di solito presentato dagli storici del pensiero politico medioevale come l'opera di chi ha sfruttato al massimo il debole equilibrio di poteri suggerito dai testi di Tommaso, allo scopo di costruire 1
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Tommaso d'Aquino, In II Sent., dist. 44, q. 2, art. 2: „Potistas spiritualis et saecularìs utraque deduàtur a potestate divina et ideo in tantum saecularìs potestas est sub spirituali in quantum est ei a Deo supposita, sàlicet in bis quae ad salutem animae pertinent ...In his autem quae ad bonum àmie pertinent, est magis obediendum potestati saeculari quam spirituali. " Summa Theologiae, Ilallae, q. 60, art. 6, ad 3um: „Potestas saecularìs subditur spirituali sicut corpus animae ...et ideo non est usurpatum iudiàum si spiritualis potestas se intromittit de temporalibus quantum ad ea, in quibus subditur ei saecularìs potestas vel quae ei a saeculari potestate relinquuntur." De regimine principum ad regem Cypri, ed. R. M. Spiazzi, Torino 1954, 275: „Sic enim ei, ad quem finis ultimi cura pertinet, subdi debent illì, ad quos pertinet cura antecedentium finium, et eius imperio dirigi. " Cf. F. Bleienstein (ed.), Johannes Quidort von Paris. Uber königliche und päpstliche Gewalt (De regia potestate et papali). Textkritische Edition mit deutscher Übersetzung (Frankfurter Studien zur Wissenschaft von der Politik 4), Stuttgart 1969. Cf. R. Scholz (ed.), Aegidius Romanus. De ecclesiastica potestate, Leipzig 1928 (Repr. Aalen 1961).
Casus imminens ed escatologia del potere politico
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una teoria politica che può essere caratterizzata come un portare a compimento, in prospettiva ierocratica, le idee politiche di Tommaso 6 . Ci sono comunque delle differenze notevoli fra le vie percorse da Tommaso e da Egidio per costruire le loro rispettive teorie politiche. Nel suo „De regimine principum" Tommaso procede in modo conseguente con la sua solita condotta filosofica, muove cioè dai fenomeni che non rendono ragione di se stessi per mostrare poi la necessità di cercarne una fondamentazione filosofica sufficiente. Fedele a questa condotta, nel „De regimine principum" Tommaso prende l'avvio dalla tipologia di un fenomeno — il potere temporale —, poi ne fa palese l'insufficienza a portare a compimento gli ultimi fini dell'uomo, e chiude infine la sua argomentazione mostrando la necessità che ci sia anche un secondo potere — il potere spirituale — che possa assumere il compito che eccede le facoltà del potere temporale, e cioè portare a compimento i fini ultimi dell'uomo 7 . Egidio invece non muove dalla tipologia del potere temporale, bensì dal potere spirituale, la cui esistenza e legittimità, secondo lui, vengono giustificate dalla teologia perché sono un dato della rivelazione. A ciò si aggiunge il fatto dell'esistenza del potere temporale, che Egidio interpreta pure come un dato della teologia rivelata: „duo sunt gladii, unus spiritualis et alter temporalis, ut potest patere ex sententia evangelii. "8 Muovendo da questi due dati Egidio procede a spiegare in termini filosofici i rapporti fra il potere spirituale ed il temporale, chiudendo il trattato con una determinazione della natura ontologica di ogni potere, sopratutto del potere spirituale. Insomma, il „De ecclesiastica potestate" muove dal dato dell'esistenza del gladio spirituale come sede di tutto il potere, secondo ciò che la teologia trasmette attraverso il testo di Matteo 16, 19. Poi spiega perchè, sebbene tutto il potere si concentri nel potere spirituale, esiste pure il potere temporale. Dopo presenta i rapporti fra ambedue i poteri. E infine chiude la sua argomentazione con una ontologia del potere spirituale equivalente ad una ontologia del potere assoluto. Mentre Tommaso aveva proceduto dall' inferiore al superiore per spiegare perché l'esistenza del potere temporale richieda l'esistenza pure del potere spirituale, Egidio procede dal superiore all'inferiore e spiega perché, nonostante l'esistenza del potere spirituale in cui si concentra tutto il potere, sia conveniente che esista anche il potere temporale. E chiaro che, al di là del suo scopo teorico, 6
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Cf. J. Miethke, Politische Theorien im Mittelalter, in: H.-J. lieber (ed.), Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart, Bonn 1991, 88. Tommaso d'Aquino, De regimine principum (nt. 3), 274 sq.: „Sed quia homo vivendo secundum virtutem ad ulterioremfinemordinatur, qui consìstit in fruitione divina, ... oportet eumdemfinemesse multitudinis humanae qui est hominis unius. Non est ergo ultimus finis multitudinis congregatae vivere secundum virtutem, sed per virtuosam vitam pervenire ad jruitionem divinam ... Sic enim et, ad quem finis ultimi cura pertinet, subdi debent illi, ad quos pertinet cura antecedentiumfinium,et eius imperio dirigi ..." Egidio Romano, De ecclesiastica potestate (nt. 5), 12 sq.: „Si ergo duo sunt gladii, unus spiritualis et alter temporalis, ut potest patere ex sententia evangelii: Ecce gladii duo hic, ubi statim subiungit dominus: Satis est, quia hii duo gladii sujficiunt in ecclesia, oportet hos duos gladios, has duas auctoritates et potestates a Deo esse; quia, ut dirtum est, non est potestas nisi a Deo. "
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Francisco Bertelloni
il programma politico del „De ecclesiatica potestate" trova la sua giustificazione storica nel conflitto fra il regno di Francia ed il Papato, cioè nello sforzo di distruggere ogni pretesa di autonomia del potere temporale rappresentato in quel conflitto dal regno francese 9 .
2. La s t r u t t u r a di m e d i a z i o n i n e l l a r e a l t à p o l i t i c a e la n e c e s s i t à di u n o r d i n e f r a i p o t e r i All'inizio del trattato Egidio si serve di un testo di Dionigi Pseudoareopagita 10 per mostrare che in tutta la realtà ha luogo una riduzione dell'inferiore al superiore attraverso intermediari. In seguito applica questa riduzione anche ai rapporti di subordinazione delle cose temporali al gladio spirituale. Perciò, conclude, il temporale non é subordinato alla Ecclesia in modo diretto e immediato, ma attraverso intermediari. E importante tener conto del fatto che il riferimento di Egidio al testo dello Pseudoareopagita non ha lo scopo di fondare la subordinazione di natìones et regna alla Ecclesia — subordinazione già legittimata dal testo di Matteo, 16, 19. Il problema di Egidio é soprattutto mostrare con concetti teorici e filosofici, in primo luogo, il modo secondo il quale la Chiesa è sopra nationes et regna, in secondo luogo, i rapporti metafisici fra i due poteri che derivano da quel modo, e, in terzo luogo, la natura ontologica di ogni potere. Egidio conclude il suo discorso coll'affermare che il gladio temporale deve ordinarsi al spirituale nello stesso modo in cui l'inferiore è ordinato al superiore 11 , cioè secondo la struttura metafisica della mediazione graduale. Ciononostante, ed anche se la subordinazione ha luogo mediate, la subordinazione si definisce come una reductio, cioè come una totale dipendenza del potere temporale da quello spirituale. Insomma, la mediazione non diminuisce né rende minore la reductio. Anzi, il linguaggio utilizzato da Egidio per esprimere quel rapporto permette di afferrare il carattere radicale di quella subordinazione: „Gladius ... temporalis ... reducendus est per spirituale™.
3. P e r c h é d u e p o t e r i , se u n o s o l o s e m b r a s u f f i c i e n t e ? Dato che il gladio temporale é subordinato allo spirituale secondo il radicale modo della reductio, sorge la domanda: come giustificare l'esistenza del gladio 9
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Cf. R. Scholz, Die Publizistik zur Zeit Philipps des Schönen und Bonifaz' VIII, Stuttgart 1903 (Repr. Amsterdam 1962), 32 sqq. Egidio Romano, D e ecclesiastica potestate (nt. 5), 12: „Possumus enim ex ordine universi hoc liquido declarare, quod super gentes et regna sit ecclesia constituía. Nam secundum Dionysius in D e Angelica Ierarchia lex divinitatis est infima in suprema per media reducere. Hoc ergo requirit ordo universi, ut infima in suprema per media reducere. " Ibid., 13: „Gladius ergo temporalis tamquam inferior reducendus est per spiritualem tamquam per superiorem, et unus ordinandus est sub alio tamquam inferior sub superiori. " Ibid.
Casus imminens
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temporale se questo — benché attraverso le istanze di mediazione — è totalmente ridotto al gladio spirituale? Se il Papa possiede un assoluto dominio sull'ambito temporale, che senso ha mantenere l'esistenza del gladio temporale? Secondo la formulazione egidiana: se il potere spirituale si estende ad omnia, non sarebbe sufficiente la esistenza di soltanto un gladio? 13 Egidio elenca i motivi che giustificano l'esistenza del gladio temporale, ma dà particolare rilievo a quello che giudica come il più importante. Se non ci fossero altri argomenti, scrive, questo solo basterebbe 14 . Egidio svolge la sua argomentazione sulla base dell'analogia fra il modo in cui Dio governa il mondo ed il modo in cui lo governa il gladio spirituale. In virtù della Sua onnipotenza, tutto ció che Dio può fare con la creatura può farlo anche senza la creatura: può riscaldare senza fuoco, può raffreddare senza acqua, può salvare i naufraghi senza legni 15 . Ma, oltre la sua onnipotenza, Dio è benigno in modo sovrabbondante ed in virtù della sua benignità comunica alle creature la sua propria dignità 16 , sicché pure queste - e non soltanto Lui — hanno la capacità di agire causalmente nel mondo. Dunque, benché in virtù della sua onnipotenza Dio possa agire nel mondo senza quelle cause seconde, in virtù della sua benignità agisce nella realtà attraverso le cause seconde. Nello stesso modo in cui Dio agisce attraverso le creature, il gladio spirituale si serve del gladio temporale per governare la Chiesa e per compiere atti di governo che, se fossero compiuti direttamente dal gladio spirituale, non sarebbero tanto adeguati e convenientemente riusciti come se messi in pratica attraverso il gladio temporale. Quest'ultimo, dunque, non è superfluo; anzi, esso contribuisce a meglio governare gli uomini. Perciò, anche se il gladio spirituale si estenda ad omnia e può dunque governare tutta la realtà direttamente, deve dedicarsi alla parte migliore di essa (= magna nobilia). È dunque preferibile che, oltre il gladio spirituale — che può tutto —, ci sia pure il gladio temporale 17 . Egidio torna a servirsi di una analogia, questa volta per avviare il suo disegno della ontologia del potere assoluto implicito nella potestas simpliäter del gladio 13
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Ibid., 112: „...
quia cum potestas spiritualis extendat se ad omnia et iudìcet omnia, non solum animas, sed edam corpora et res exteriores, videtur, quod unus solus gladius suffiriat"\ 129: „... que sit necessitasponendi materialem gladium in ecclesia, cum dictum sit, quod spiritualis gladius cuntía potest. " Ibid., 137: „... quod si nulla esset alia causa ... hec ... causa ... est satis sufficiens." Ibid., 131: „... quicquidpotest Deus cum creatura, potest sine creatura ... Posset entm Deus cakfacere sine igne, infrigidare sine aqua, salvare transfretantes et transeúntes mare sine Ugno ..." Ibid.: „... superior vult inferioribus suam dignitatem communicare ...; ut non essent supervacua opera sapiencie sue, voluit dignitatem suam communicare creaturis, et voluit, quod creature sue haberent acciones proprias et virtutes proprias et essent cause rerum ..." Ibid., 113: „Sed quando duepotestates ita se habent, quod una se extendit ad omnia, videlicet ad magis nobilia et ad minus nobilia, sed ut liberius vacare possit circa magis nobilia, instituitur secunda potestas que speäaliter vacet area minus nobilia, oportet tunc potestatem institutam ad vacandum area minus nobilia esse sub potestate altera, et oportet earn esse institutam per alteram et habere quod habet ex commissione alterius potestatis. Sic est in proposito. Nam potestas spiritualis extendit se ad spiritualia tamquam ad mags nobilia, et ad corporalia tamquam minus nobilia ... [ergo] bonum fuit instituere secundam potestatem que speäaliter preesset rebus corporalibus, ad hoc, quod spiritualis potestas arca spiritualia liberius vacare posset. Potestas ergo spiritualis est potestas generalis et extensa, cum non solum ad spiritualia, sed ad corporalia se extendat. "
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spirituale. Nella generazione del cavallo, ad esempio, operano insieme due potestates·. unapotestas celestis o potestasgeneralis ed u n a p o t e s t a s p a r t i c u l a r i s é presente nel seme del cavallo. Benché la potestas partìcularis agisca insieme alla potestas celestis nella generazione del cavallo, la potestas partìcularis sarebbe incapace di generarlo se la virtus presente nel seme non fosse stata ricevuta dalla virtus presente nella potestas celestis19. Sebbene il cavallo sia generato dal cavallo, in termini assoluti, cioè simplirìter, il cavallo è generato dalla potestas celestis. Egidio considera questa situazione analoga a quella dei rapporti fra ambedue le potestates per concludere che la subordinazione del gladio temporale a quello spirituale ha luogo in triplice prospettiva: si trova sotto di esso, è istituito da esso e agisce per commissìonem di esso 20 . La giurisdizione universale della potestas spiritualis ammette la esistenza della potestas temporalis, ma come potere inferiore ad essa ed istituita da essa per ottimare il proprio compito di governo. Questa formulazione rende manifesto che la natura di ogni gladio può essere caratterizzata movendo dal suddetto rapporto: il gladio temporale è inferiore allo spirituale, dal quale viene istituito allo scopo di svolgere una funzione determinata.
4. L ' e s i s t e n z a del g l a d i o t e m p o r a l e non d i m i n u i s c e il p i e n o p o t e r e del g l a d i o s p i r i t u a l e Egidio insiste sull'apparente paradosso implicito nell'esistenza di due potestates, le cui giurisdizioni vengono svolte allo stesso tempo sullo stesso oggetto. Da una parte il potere del gladio spirituale si estende ad omnia. Dall'altra il gladio temporale non è superfluo, perché gode di una giurisdizione legittima nell'ordine temporale. Egidio risolve il paradosso mediante la distinzione fra la essenza del potere ed il modo di esercitarlo. La proposizione che afferma che la potestas temporalis ha una giurisdizione legittima, perché è stata istituita per agevolare la piena dedizione della potestas spiritualis al governo dei magna nobiltà, concerne soltanto il modo di esercitare il potere, che si presenta diversamente in ognuno dei due gladi e quindi viene esercitato da essi anche in una maniera diversa. Appunto perciò questa proposizione non può modificare il contenuto della proposizione riguardante l'essenza dei poteri, secondo la quale il potere del gladio temporale è derivato dal potere del gladio spirituale che può tutto e si estende ad omnia. 18
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Egidio non adopera il termine potestas partìcularis, ma soltanto potestas. Ho aggiunto partìcularis per distinguere più chiaramente questa potestas da quella generalis. Ibid.: „... ut sì ad generadonem equi fadt celestis potestas tamquam potestas generalis et potestas que est in equo vel in semine equi, oportet, quod hec sit sub illa et bec sit instituía per illam, quia non esset virtus in semine equi ad producendum equum, nisi hoc baberet a virtute celesti ... quia virtus que est in semine equi non agent ad generadonem equi, nisi hoc ageret in virtute celi ..." Ibid., 114: „Potestas itaque terrena est sub spirituali et instituta per spiritualem et agit ex institudone spiritualis potestatis. "
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Egidio scarta assolutamente la possibilità che il gladio spirituale possa fare con il gladio temporale ciò che non potrebbe senza di esso 21 Se fosse così, esisterebbe nelle cose inferiori un potere che mancherebbe nelle superiori 22 . Ciò non soltanto diminuirebbe il pieno potere del gladio spirituale, ma sarebbe pure in contraddizione con il fatto che alla Chiesa furono affidati, allo stesso tempo, i due poteri 23 . Nello stesso modo in cui Dio, senza servirsi delle cause seconde, può produrre gli stessi effetti che produce servendosi di esse, così il gladio spirituale, senza mediazione del gladio temporale, può produrre gli stessi effetti che produce colla mediazione del gladio temporale. Gli argomenti precedenti creano uno spazio per il simultaneo esercizio di ambedue i gladi, il che è necessario per migliorare il modo di esercizio del potere, non però il potere in se stesso, dato che questo è, nella sua essenza, lo stesso potere tanto nell'esercizio immediato quanto nell'esercizio mediato del gladio spirituale. La non convenienza dell'esercizio diretto del gladio temporale da parte del gladio spirituale 24 e la conseguente mediazione del gladio temporale non diminuiscono dunque in modo qualitativo il potere del gladio spirituale. Ciò ci permette di dedurre tre proposizioni centrali che vengono ora enunziate in ordine di importanza decrescente nel discorso politico di Egidio: (a) tutto ciò che il gladio spirituale può fare con il gladio temporale può farlo anche senza il gladio temporale; (b) il fondamento dell'esistenza del gladio temporale come potestas non superflua non risiede nel fatto che il gladio spirituale possa fare col temporale ciò che non potrebbe fare senza di esso; (c) l'esistenza del gladio temporale come potestas non superflua trova la sua giustificazione nel fatto che, in situazioni di normalità, esso può fare nella realtà in modo diverso e più conveniente ciò che il gladio spirituale può fare nella stessa realtà direttamente e simpliciter. Un esame di queste proposizioni mostra che le due prime, (a) e (b), presentano una situazione essenzialmente inalterabile, riguardante la natura ontologica dei poteri ed i suoi mutui rapporti, i quali non possono subire dei mutamenti che diminuiscano la plenitudo potestatis del gladio spirituale. Orbene, mentre le proposizioni (a) e (b) presentano una situazione essenziale ed ontologicamente irrevocabile, la proposizione (c) presenta invece una situazione riguardante il modo accidentale di esercizio dei poteri, sulla cui essenza ed inalterabilità — non sul modo di esercitarli — si esprimono le proposizioni (a) e (b). Egidio presenta la situazione esposta dalla proposizione (c) (= l'esercizio congiunto del potere di ambedue i gladi) come situazione compatibile e non contradittoria con la situazione esposta dalle proposizioni (a) e (b) (= tutto ciò che il 21 22
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Ibid., 129. Ibid., 135: „ . . . quia aliqua potestas potest esse in inferioribus que non est in superioribus nec a superioribus ..." Ibid.: „ . . . quia utrumque gladium habet ecclesia et utramque potestatem, sibique simul terreni et cekstis iura imperii sunt commissa, extra quam non est salus ..." Ibid.: „Nob est decern quod habeat earn [». e. execucionem materialis gladit\ immediatam. "
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gladio spirituale può fare col gladio temporale può farlo anche senza il gladio temporale). Questa compatibilità non implica — né potrebbe mai implicare — la necessità della proposizione (c), ma soltanto la sua convenienza. Per quanto conveniente e non necessaria, la proposizione (c) è soltanto accidentale, dato che riguarda esclusivamente il modo di esercizio del potere. Egidio suggerisce di continuo che la convenienza implicita nella situazione di „cogoverno" referita dalla proposizione (c) è la situazione normale di governo: nonostante il suo carattere di situazione non necessaria ed accidentale, è sempre meglio - perchè è conveniente — che in casi di normalità ambedue i gladi esercitino il governo, a patto però che questo cogoverno non venga inteso come una situazione essenzialmente migliore in riferimento allo stesso potere, la cui natura viene formulata dalle proposizioni (a) e (b). La situazione di cogoverno è una situazione migliore soltanto per quanto riguarda il modo di governo eseguito dal suddetto potere in situazioni di normalità. La convenienza del cogoverno di ambedue i gladi in situazioni di normalità costituisce dunque soltanto una regola modale dell'esercizio dei poteri, nella misura in cui il cogoverno è soltanto un modo possibile, non una regola essenziale dell'esercizio del potere. Perciò il cogoverno — proposizione (c) —, in quanto regola modale e possibile, può subire delle alterazioni provenienti da una regola o principio essenziale riguardante lo stesso potere — proposizioni (a) e (b).
5. Il casus imminens o v v e r o la c a d u c i t à d e l l a g i u r i s d i z i o n e del g l a d i o t e m p o r a l e Una domanda s'impone: quando e perché può venire alterata la situazione (c) di cogoverno normale di ambedue spade? Egidio formula immediatamente la risposta: quando irrompe il casus imminens25. Il casus imminens costituisce l'idea centrale del sistema politico del „De ecclesiastica potestate". Egidio muove dal casus imminens per precisare il contenuto teorico ed i rapporti fra i diversi elementi del trattato. Il casus imminens è equivalente ad una situazione straordinaria, ad un caso eccezionale in cui, nel medesimo momento in cui si verifica la caducità della giurisdizione del gladio temporale, ogni potere viene ricondotto alla sua origine, cioè al gladio spirituale. Quest'ultimo, che per ragioni di convenienza in situazioni di normalità è dedito a governare i magna nobiltà, cioè soltanto le cose spirituali, in caso di eccezione deve governare anche le cose temporali. Ciò equivale all'alterazione della modalità, non dell'essenza del potere. Perciò, in questa situazione di eccezionalità non ha luogo nessun'alterazione qualitativa o diminuzione essenziale del potere del gladio spirituale. Anzi, nel pensiero poli25
Ibid., 145 sq.: „Nam quia spirituali! gladius est tarn excellens et tarn excellentia sunt sibi commissa, ut liberius possit eis vacare, adiunctus est sibi secundus gladius, ex cuius adiuncàone in nullo diminuta est eius iurisdictio et plenitudo potestatìs ipsius sed ad quandam decenciam hoc est factum, ut qui ordinatur ad magna, nisi casus immineat, non se intromittat per se ipsum et immediate de parvis. "
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tico di Egidio il caso di eccezione compie la funzione precisa di permettere ed agevolare la manifestazione del potere del gladio spirituale in tutta la sua pienezza. Il caso di eccezione può essere caratterizzato come il compimento del passaggio dall'esercizio normale del potere mediate al suo esercizio straordinario immediate. In termini più teorici lo si potrebbe definire come la situazione in cui irrompe nella realtà il pieno contenuto concettuale delle proposizioni essenziali (a) e (b) che sostituisce e neutralizza il contenuto concettuale della proposizione modale (c). In altre parole: nel caso di eccezione il contenuto concettuale del posse omnia proprio del gladio spirituale coincide coll'esercizio concreto ed effettivo del posse omnia. Così, nel caso di eccezione si fa palese nella realtà la totalità concettuale del posse omnia·, più in concreto: irrompe nella realtà e raggiunge il suo apice di effettività la plenitudo potestatis papale. Il pensiero politico di Egidio si sviluppa come un ampio tessuto di rapporti teorici fra la situazione di normalità — il cui prototipo è formulato dalla proposizione (c) — ed il caso di eccezione — il cui prototipo è costituito dal rendersi attuale, effettiva e concreta la totalità dei poteri attribuiti al gladio spirituale dalle proposizioni (a) e (b). Egidio svolge e sfrutta al massimo questi nessi concettuali allo scopo di riuscire a formulare una tipizzazione teorico-filosofica della plenitudo potestatis. Per giustificare il „cogoverno" di ambedue spade nei casi di normalità Egidio si era servito del modello di un Dio, la cui benignità concedeva un certo potere causale alle creature, in modo di intervenire nel mondo attraverso le cause seconde 26 . Ora, invece, presenta la sua argomentazione sul caso di eccezione ed i suoi rapporti col caso di normalità servendosi del modello di un Dio onnipotente, la cui causalità sul mondo viene esercitata direttamente, senza le cause seconde. Perciò scandisce la sua argomentazione in tre momenti. In primo luogo espone la doppia legge secondo la quale Dio governa gli agenti dell'universo. Poi stabilisce un'analogia fra questa doppia legge ed il doppio modo secondo il quale il Papa governa la Chiesa. E infine trasforma il modo d'intervento immediate di Dio nell' universo in analogo modello del governo del Papa nella Chiesa. Non è difficile cogliere come Egidio, nel far uso di questo modello, utilizzi delle strutture di origine teologica, ma che egli riformula filosoficamente, cioè in termini rigorosamente concettuali.
6. Il casus imminens
ed il p o t e r e a s s o l u t o di Dio
Egidio descrive la peculiare natura del casus imminens mediante il suo confronto colla natura delle situazioni di normalità. In virtù di una legge comune di governo del mondo, Dio distribuisce la sua virtù ad ogni creatura, concede ad 26
Cf. supra, nt. 16.
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ognuna una forza propria e non ostacola l'operazione di nessuna, anzi, Egli permette che ogni cosa segua la sua propria legge in modo conseguente alla sua propria virtus21. In conformità a questa legge comune Dio non fa eccezioni. Nello stesso modo, quando il Papa governa la Chiesa secondo la legge comune, procede uniformemente di fronte ad ogni membro della Chiesa 28 , conserva ognuno nel suo stato e non impedisce la funzione di nessuno di loro 2 9 , perciò il Papa non interviene negli affari temporali, i quali spettano ai poteri specificamente temporali 30 . Ma le cose o gli agenti naturali possono dipendere da Dio anche in un altro modo, cioè secondo una legge speciale 31 , giacché Dio possiede un tale dominio universale sul mondo naturale che con il suo potere può fare che il fuoco non riscaldi o che l'acqua non bagni 32 . Nello stesso modo il Papa possiede il dominio sulle cose temporali 33 , e benché secondo la legge comune — che egli osserva in situazioni di normalità — non intervenga nelle cose temporali, può farlo, — come lo fa Dio — in caso che accada in esse qualcosa che richieda il suo intervento diretto in temporalìbus34. Questo intervento significherà — come accade nel caso in cui Dio interviene al di là della legge comune — agire al di fuori dello svolgimento normale dei fatti 35 .
7. T i p o l o g i a d e l casus imminens a t t r a v e r s o la t r a s f o r m a z i o n e di c i ò c h e è t e m p o r a l e in s p i r i t u a l e Egidio procede ad esaminare le cause che potrebbero giustificare l'intervento del potere ecclesiastico in temporalìbus. Fa menzione di certi casi che — sebbene in situazioni normali richiamino il Papa all'osservanza della lex communis e della giurisdizione dei poteri temporali —, possono però trasformarsi in situazioni eccezionali che obbligano il Papa ad intervenire negli affari temporali, non attra-
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Ibid., 150: „Sic enim videmus in naturalìbus, quod aliqua fiunt secundum comunem legem gubernaàonis rerum ... Secundum quidem comunem legem gubernaàonis mundi potest Deus assimilari ... cuidam universali agenü. Quod universale agens omnibus rebus suas virtutes tribuit et nullam rem in sua acäone impedii, sed omnes res proprios cursus agere sinit. " Ibid., 152: „Statt ergo censendum est de Deo, prout secundum legem comunem gubernat totum mundum, sic edam censendum est de vicario Dei, prout secundum comunem legem totam ecclesiamgubernat ..." Ibid., 155: „ . . . summus pontifex ... secundum legem comunem gubernat ecclesiam et ad omnia uniformiter se habet, quia omnia in suo statu conservât ... nullum in suo affido impedii ..." Ibid., 156: „Secundum ... legem comunem non intromittet se Papa de temporalìbus ..." Ibid., 150: „Sic enim videmus in naturalibus quod aliqua fiunt... secundum divinam dispensaàonem et Dei providenäam speäalem ..." Ibid., 156: „Nam sicut Deus habet universale dominium in omnibus rebus naturalibus, secundum quod dominiumfacereposset, quod ignis non comburerei et aqua non madejaceret..." Ibid., 156 sq. Ibid., 156: „ . . . secundum speäalem legem [intromittet se]..."; ibid: „ . . . nisi aliud spedale in talibus [rebus temporalìbus] occurrat..." Ibid., 161.
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verso i poteri da lui istituiti per l'esercizio normale del governo, ma in modo immediato ed eccezionale in virtù della cosiddetta iurisdiccio immediata et executorial. Egidio tenta di risolvere qui due problemi teorici. Il primo: come mai le cose temporali, che in virtù della loro natura temporale sono subordinate in modo immediato al gladio temporale, possono trasformarsi in giurisdizione immediata del gladio spirituale?37 Il secondo: quali sono i casi in cui ha luogo tale trasformazione? Per risolvere il primo problema Egidio fa menzione di diversi casi che possono essere considerati in modo omogeneo sotto uno stesso principio comune: in questi casi le cose temporali possono venire chiamate spirituali38. In altre parole, Egidio sostiene che in caso di eccezione ha luogo una certa trasmutazione della natura delle cose temporali, che in situazioni di normalità si trovano sotto la giurisdizione del gladio temporale. A causa di questa trasformazione di ciò che è temporale in spirituale il Papa interviene nelle cose temporali. Il secondo problema suona così: quando e perchè viene giustificato l'intervento papale in temporalibus} Egidio è categorico quando deve procedere a tale giustificazione: la trasmutazione si verifica quando le cose spirituali insite nelle temporali sono mal governate dal gladio temporale, cioè quando questo commette degli errori riguardo allo spirituale implicito nelle cose temporali sulle quali esercita il suo governo 39 . In questi casi ha luogo una usurpazione così grande delle cose temporali da parte del gladio temporale che esse significheranno un male per l'anima, che deve quindi essere sottoposto alla correzione del gladio spirituale40. In somma, la giustificazione dell'intervento immediato del gladio spirituale nel temporale risiede nella dimensione spirituale coinvolta o implicita nel temporale.
8. T i p o l o g i a del casus imminens a t t r a v e r s o la d e f i n i z i o n e d e l l a plenitude potestatis in t e r m i n i di c a u s a l i t à Sul finire del trattato, la definizione propria della potestas ad omnia41 del Papa si identifica con la plenitudo potestatis. Questa viene definita come una potestas in spiritualibus et in temporalibus. Fino qui Egidio ha parlato della plenitudo potestatis 36
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Ibid., 180: „Feàmus auíem mencionem de iurisdicàone immediata et executoria, quia iurisdicàonem superiorem etprìmanam semper et directe super temporalibus habet ecclesia". Ibid., 179: „... ipsa temporalia secundum se et immediate ordinantur ad corpus ...ex mandato tamen domini [spectat adpotestatem ecclesiasticam excercere temporalem iurisdicàonem]." Ibid., 180: „In hiis ergo casibus ipsa temporalia possunt din spiritualia. " Ibid.: „... prout ex insipienría nostra spiritualiter delinquimus àrea ea [/. e. temporalia] ..." Ibid.: „Sed iudex spiritualis et ecclesiasticus habebit huiusmodi iurisdiccionem, ne ipsa temporalis indebite accepta et inuste usurpata inférant malum animabus nostris et spiritibus nostris. " Ibid., 112: „Quia cum potestas spiritualis extendat se ad omnia et iudicet omnia, non solum animas, sed edam corpora et res exteriores. "
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soltanto in termini eclesiologici o canonici, come di una giurisdizione assoluta. In seguito, per arrivare ad una definizione concettuale rigorosa e precisa, che riesca ad esprimere tutta la portata teorica della giurisdizione ad omnia del Papa, Egidio si serve di un concetto filosofico: la causalità. Ora si domanda: quid est plenitude potestatis} Innanzitutto egli formula la sua definizione di plenitudo potestatis in modo positivo: c'è plenitudo potestatis nell'agente che può fare senza cause seconde tutto ciò che può fare per mezzo delle cause seconde 42 . Il fondamento di questa proposizione riposa sul fatto che in quell'agente c'è un potere in cui si concentra tutto il potere. Dopodiché definisce la plenitudo potestatis in modo negativo: è privo di plenitudo potestatis l'agente che non può fare senza cause seconde ciò che può fare con esse 43 . Il fondamento di questa proposizione sta nel fatto che in quell'agente non c'è il potere in cui è concentrato tutto il potere. Paradigma della plenitudo potestatis è il potere divino: in ipso Deo est plenitudo potestatis. Dio può fare senza cause seconde tutto ciò che può fare per mezzo di esse, giacché in Dio è concentrato il potere di ogni agente. Benché regolarmente Dio produca il cavallo mediante il cavallo e l'uomo mediante l'uomo, quando creò il mondo fece il cavallo senza un cavallo precedente e l'uomo senza un uomo precedente. Il fatto che Dio possa tutto senza cause seconde significa che può tutto nello stesso modo in cui esercita la sua onnipotenza attraverso il miracolo, cioè quando supera il corso comune della natura e le sue leggi per agire in modo straordinario, benché nei casi di normalità Dio permetta che le cause seconde agiscano secondo la loro particolare regolarità e legalità 44 .
9. T i p o l o g i a del casus imminens a t t r a v e r s o la c a d u c i t à dell'ordine istituzionale della Chiesa Per rendere ancora più evidente la plenitudo potestatis come momento d'irruzione e di manifestazione della totalità del potere papale, Egidio introduce un'analogia fra teologia e politica, cioè fra l'agire di Dio a livello teologico e l'agire del Papa a livello ecclesiologico-istituzionale. Benché Dio normalmente permetta che le cause seconde agiscano seconde le loro leggi, il modello del potere di Dio non è il Suo agire attraverso la natura, 42
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Ibid., 190: „... plenitudo potestatis est in aliquo agente, quando illud agens potest sine causa secunda, quicquid potest cum causa secunda. " Ibid.: „Quod si agens aliquod non habet tale posse, consequens est, quod non habeat plenum posse, quia non habet posse in quo reservatur omne posse. " Ibid., 190 sq.: „In ipso autem Deo est plenitudo potestatis, quìa quicquid potest cum causa secunda, potest sine causa secunda, ita quod posse omnium agendum reservatur in primo agente, sdlicet in Deo. Nam in producdone mundiproduxit hominem sine homine precedente et equum sine equo precedente; nunc autem produdt equum mediante equo, sed si vellet et quando vellet sine semine ...Et quamvis omnia possit, ipse tarnen sic administrai res, ut eas proprios cursus agere sinat. Fadt enim Deus aliquando miraculum vel edam miracula, ut agat preter comunem cursum nature et non agat secundum comunes leges nature inditas. "
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ma il miracolo, l'espressione massima dell'onnipotenza divina. Il miracolo è quell'agire di Dio sul mondo che neutralizza l'azione delle cause seconde. In questo caso, Dio produce un effetto in modo diretto ed immediato, e lo fa senza servirsi di nessuna causa che non sia il carattere assoluto del Suo potere. Perciò il miracolo costituisce il momento di manifestazione più compiuta della pienezza del potere di Dio. Egidio non identifica il Papa con Dio, ma soltanto la forma ed il modo dell' agire del Papa col modo e la forma dell' agire di Dio. Cosi, come Dio ha un potere assoluto nel mondo e può agire sulla realtà in modo diretto e senza cause seconde, pure il Papa ha un potere assoluto nella Chiesa e può agire direttamente su di essa senza tener conto delle sue istituzioni 45 . Benché in situazioni di normalità e regolarità egli governi la Chiesa — compreso il gladio temporale — secondo le istituzioni e le leggi che lui stesso ha istituito, il Papa ha pure il potere di sospendere leggi ed istituzioni e di agire a prescindere da esse e senza rispettare i loro diritti, perchè in lui è concentrato il potere di tutti gli agenti della Chiesa 46 .
10. Il p a r a d o s s o n a s c o s t o d i e t r o i r a p p o r t i f r a i m o d i di s u b o r d i n a z i o n e mediate e immediate Il „De ecclesiastica potestate" può essere inteso come un'indagine filosoficoconcettuale intorno fondamentalmente a tre elementi: (1) le caratteristiche ontologiche del modo di subordinazione mediate dei poteri inferiori al gladio spirituale; (2) le ragioni che motivano il passaggio al modo di subordinazione immediate·, (3) il casus imminens come il culmine del processo di passaggio dal primo al secondo modo di subordinazione. L'argomentazione del trattato, dunque, progredisce gradualmente dall'affermazione iniziale della subordinazione di gentes et regna alla ecclesia attraverso momenti di mediazione per concludere nella tesi secondo cui la natura del potere politico si fa palese in tutta la sua pienezza, non quando ha luogo il modo di subordinazione per media, bensì quando si verifica la caducità, il crollo o la perdita di vigore delle istanze di mediazione che operano in ambedue i poli di subordinazione, e cioè quando l'irruzione del casus imminens esige che tale subordinazione avvenga in modo diretto. L'irruzione del casus imminens fa palese il sottile paradosso nascosto sotto la struttura teorica del trattato: mentre la normalità e la regolarità proprie del si45
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Ibid., 191: „Posset enim \summus pontifex\ providere cuicumque ecclesie sine elecäone capituli, quod faäendo ageret non secundum leges comunes inditas, sed secundum plenitudinem potestañs. " Ibid., 192: „ . . . summus pontifex ... secundum has leges debet ecclesiam gubernare ... Ex causa tarnen rarìonabili potest preter istas comunes leges sine aliis agentibus agere, quia posse omnium agendum reservatur in ipso, ut sit in ipso omne posse omnium agenàum in ecclesia et ut ex hoc dicatur, quod in eo potestatis residtt plenitudo. "
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stema delle cause seconde (cioè del sistema dei mediatori rappresentati dalle istituzioni della Chiesa), è espressione di un ordine la cui natura alterabile mostra il suo carattere accidentale, l'eccezionalità insita nel casus imminens consente l'entrata nel sistema di un potere puro ed assoluto che è invece espressione di un ordine la cui natura inalterabile mostra il suo carattere essenziale e perciò ontologicamente irrevocabile. In altre parole e con assoluta semplicità: mentre la regolarità e la normalità sono espressioni di un ordine alterabile e perciò accidentale, l'eccezionalità è invece espressione di un ordine inalterabile e perciò essenziale. La realtà si mostra dunque nella sua essenziale verità non appena irrompe il casus imminens. L'esame tanto dei due modi di subordinazione, mediate e immediate, quanto delle possibilità implicite in ognuno di loro, apre la strada verso una definizione concettuale dello spazio proprio del potere politico all'interno di ognuno dei suddetti modi. Considerato in questa prospettiva, il trattato costituisce innanzitutto un tentativo di definizione teorica delle condizioni di possibilità della manifestazione dell'essenza del potere spirituale quale potere politico straordinario nel modo della subordinazione immediate in occasione del casus imminens. In questa situazione eccezionale, caratterizzata dall'inefficacia dei poteri distribuiti in modo discendente (dall'alto al basso), questi poteri delegati si ripiegano verso la loro origine e vi si concentrano, momentaneamente sospesi e sostituiti dal potere assoluto del Papa. Il casus imminens — come lettura esegetico-interpretativa della condotta del potere originario riguardo i poteri che ne derivano — è utilizzato da Egidio come situazione estrema che mette alla prova la realtà politica in modo da spingerla a mostrarsi nella sua vera natura, ancora nascosta nella forma di subordinazione mediata propria delle situazioni di normalità. Perciò il casus imminens funge come concetto operativo che mostra ciò che è nascosto nell'ordine istituzionale della Chiesa e fa palese l'elemento ultimo a cui viene ridotta la realtà politica: il potere puro e totale.
11. C o n c l u s i o n e : t i p o l o g i a del casus imminens c o m e e s c a t o l o g i a del p o t e r e a s s o l u t o Egidio presenta il casus imminens come la manifestazione più piena del potere. Da questa prospettiva il casus imminens può essere anche considerato come lo zenit del potere politico o, meglio ancora, come il suo momento escatologico. Questo rendersi manifesto in modo pieno del potere politico è escatologico perché costituisce il momento culminante di un processo che muove dalla subordinazione per media di gentes et regna alla Chiesa e che finisce nella subordinazione immediate. In questo senso il nucleo del pensiero politico di Egidio raggiunge la sua espressione più precisa quando riesce a chiarire in modo concettuale e filosofico il passaggio dalla subordinazione per media delle gentes et naüones sotto YEcclesia al modo di subordinazione immediata specifica del casus imminens. Non
Casus imminens ed escatologia del potere politico
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appena irrompe il casus imminens ci troviamo di fronte alla situazione che mette a nudo i tre aspetti più rilevanti della teoria politica egidiana: (1) l'essenza di ogni potere coinvolto nel rapporto di subordinazione, (2) il carattere totale ed essenziale del potere del gladio spirituale; e (3) il carattere derivato ed accidentale del cogoverno di ambedue le spade. L'iter teorico che porta dal primo al secondo modo di subordinazione non è altro che lo sforzo per definire in termini rigorosamente concettuali l'escatologia del potere politico assoluto. In prospettiva teologica il discorso escatologico è un discorso sulle realtà ultime dal punto di vista della loro realizzazione temporale, ma anteriori dal punto di vista della fondazione. Da una parte, cioè, il momento escatologico s'identifica con una situazione ultima, dall'altra questa stessa situazione escatologica è sempre precedente, dato che soltanto dopo la sua realizzazione si intendono pienamente le situazioni preescatologiche. In questo senso il discorso escatologico è un discorso sulle cose ultime, ma su quelle più originarie. Il momento escatologico si presenta dunque come una situazione nuova e qualitativamente diversa delle situazioni preescatologiche, sicché che ciò che è reso evidente e palese dal momento escatologico può essere capito ed inteso come già presente nelle situazioni preescatologiche soltanto quando irrompe lo stesso momento escatologico. In somma, e per dirla nei termini della teoria politica di Egidio: il carattere derivato e secondario del sistema istituzionale della Chiesa si esprime soltanto dopo la irruzione del casus imminens, in cui si rende manifesta senza riserve la pienezza del potere del gladio spirituale. Il momento escatologico è pure una situazione eccezionale e perciò irrepetibile, la cui irruzione manifesta la caducità del processo preescatologico precedente e la nascita di una altra e nuova realtà. Questa nuova situazione equivale ad un progresso qualitativo tanto dal punto di vista della manifestazione di ciò che la realtà veramente è quanto dal punto di vista della nostra conoscenza della realtà. Nel momento escatologico la realtà si rende manifesta in sua vera natura, di modo che, soltanto allora possiamo percepire che ogni momento preescatologico si mostra essenzialmente subordinato alla situazione escatologica. In modo analogo, nel casus imminens si manifesta il potere politico nella sua vera natura ontologica come causa causarum, cioè come causa dalla quale dipendono ed alla quale si subordinano i momenti anteriori coinvolti nella subordinazione mediate. Anche al di sotto del discorso politico di Egidio scorre un discorso su quelle realtà che sono ultime perchè sono situate cronologicamente alla fine, ma che sono prime perchè costituiscono le basi a partire dalle quali vengono intese le altre realtà. Nell'ordine della politica egidiana il momento escatologico è l'ordine basilare che permette di capire gli altri fenomeni politici. Per Egidio non si comprende la plenitudo potestatis alla luce dell'ordine ecclesiologico-istituzionale, ma è il contrario: l'ordine istituzionale si può comprendere e legittimare solo alla luce del carattere escatologico della plenitudo potestatis papale.
IV. Eschatologische Motive in Kunst und Liturgie
,Dies irae". Zu einer mittelalterlichen Sequenz ALEX STOCK
(Köln)
Venimus ad eum hymnum, qui uno omnium consensu sacrae poeseos summum decus et ecclesiae latinae keimelion estpretiosissimum" — „Wir kommen nun zu jenem Hymnus, der nach allgemeiner Ansicht die höchste Zierde der religiösen Poesie und das kostbarste Kleinod der lateinischen Kirche ist". Mit diesen Worten rühmt im Jahre 1855 der deutsche Hymnologe H.A. Daniel die lateinische Sequenz der katholischen Totenmesse1. „Die Sequenz Dies irae ... ist wahrscheinlich das repräsentativste, kulturell folgenreichste und darum berühmteste Gedicht des lateinischen Mittelalters" 2 , „the most majestic of medieval sequences" 3 heißt es hundert Jahre später. Zu seinem Rang im kulturellen Gedächtnis hat gleicherweise der Gebrauch im gregorianischen Gesang der Totenmesse wie die hochkulturelle Geschichte der im 16. Jahrhundert einsetzenden Requiemvertonungen (von J.-B. Lully, J. Haydn, W. A. Mozart bis H. Berlioz, G. Verdi, Β. Britten, G. Ligeti) beigetragen 4 . Aber es ist nicht nur der Klang; auch der Text hat die Rezeption angeregt. Im Jahre 1840 sind 70 Übersetzungen in deutscher, im Jahre 1957 über 150 in englischer Sprache nachzuweisen 5 ; noch 1989 hat W Hildesheimer eine neue Übersetzung mit der ökologischen Kapuzinerpredigt eines Ungläubigen anläßlich von Mozarts Requiem verbunden 6 . H. Blumenbergs belesener Philosophie des Buches („Die Lesbarkeit der Welt") steht als Motto eine Strophe des „Dies irae" voran: „Liber scriptus proferetur, / In quo totum continetur, / Unde mundus iudicetur. " 7 „Auch losgelöst von der Musik und seinem angestammten liturgischen Platz fand das Gedicht eine so weite Verbreitung, daß man es zum übernationalen Bestand der literarischen Kultur Europas rechnen muß." 8 1
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3
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6 7 8
Cf. Η. Α. Daniel, Thesaurus Hymnologicus II, Leipzig 1855, 112, zit. nach G. M. Dreves, Das Dies irae, in: Stimmen aus Maria Laach 42 (1892), 5 1 2 - 5 2 9 , 512. F. Rädle, Dies irae, in: H. Becker (ed.), Im Angesicht des Todes. Ein interdisziplinäres Kompendium, Bd. 1, St. Ottilien 1987, 3 3 1 - 3 4 0 , 334. F.J. E. Raby, A History of Christian-Latin Poetry from the Beginnings to the Close of the Middle Ages, Oxford 1953, 443. Zur musikalischen Wirkungsgeschichte cf. M. C. Hilferty, The Domine Jesu Christe, Libera me and Dies Irae of the Requiem (Diss.), Washington D. C. 1973, 2 5 8 - 2 6 4 ; K. Vellekoop, Dies Ire Dies Illa. Studien zur Frühgeschichte einer Sequenz, Bilthoven 1978, 239 — 242. Cf. F. G. Lisco, Dies irae, Hymnus auf das Weltgericht, Berlin 1840; J.Julian, A Dictionary of Hymnology, New York 1957, Bd. 1, 300. Cf. W. Hildesheimer, Klage und Anklage, Frankfurt a. M. 1989, 3 9 - 6 4 . H. Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt a. M. 1981, 5. Rädle, Dies irae (nt. 2), 334.
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Alex Stock
All dessen ungeachtet wurde das „Dies irae" kirchlicherseits im Zuge der Liturgiereform des II. Vaticanums 1969 aus dem liturgischen Formular des Requiems entfernt 9 . Ein einschlägiges Handbuch gibt dazu die Auskunft, die neue Meßliturgie von Allerseelen lasse „den österlichen Sinn des christlichen Sterbens deutlich werden, wie es die Liturgiekonstitution (81) gefordert hatte. Aus dieser Rücksicht hat man auch auf die ... Sequenz ,Dies irae' und andere Texte verzichtet, in denen die Angst vor einem schrecklichen Gericht Gottes die Leuchtkraft des Auferstehungsglaubens verdunkelt hat." 10 Der Passus der Liturgiekonstitution lautet: „Der Ritus der Exsequien soll deutlicher den österlichen Sinn des christlichen Todes ausdrücken." In J. A. Jungmanns maßgebendem Kommentar zeigt sich die mentalitätsgeschichtliche Dimension des liturgischen Entscheids: „Am überlieferten Totengottesdienst hat die Liturgische Bewegung schon früh den düsteren Ton bemängelt. Er entstammt einer Zeit, die den Tod nicht mehr im frühchristlichen Licht der Auferstehungshoffnung zu sehen gewohnt war." 11 Als prominentester Repräsentant eines Todesdenkens (seil, des finster-mittelalterlichen), hinter das man in ein frühzeitliches Licht zurückzukehren suchte, hatte das „Dies irae" keinen Platz mehr in der öffentlichen Liturgie, so bedeutsam es im allgemeinen Gedächtnis der europäischen Kultur auch sein mochte. Diese kirchliche Einschätzung hängt aber vielleicht gerade zusammen mit einem besonderen kulturellen Erfolg, den das „Dies irae" zu verzeichnen hatte. Als literarisches Ingredienz von Goethes Faust gelangte es in den Kernbereich des klassischen Bildungskanons. Es ist die berühmte Dom-Szene in der Tragödie erstem Teil 12 . Die Orgel und der Chorgesang des „Dies irae" grundieren ein Gespräch zwischen Gretchen und dem Bösen Geist, der eben Verse des lateinischen Gesangs zur Einflüsterung des bösen Gewissens nutzt und die Seele der eh schon geängstigten Frau zur schieren Verzweiflung treibt. „Quid sum miser tunc dicturus? — Nachbarin! Euer Fläschchen! - Sie fallt in Ohnmacht." In der Inszenierung, die Goethes Drama dem bildungsbürgerlichen Bewußtsein einprägte, färbte sich der kirchliche Gesang zum Medium teuflischer Beängstigung der Seele. Das maligne Spiel mit den liturgischen Zitaten, das Gretchen die Seele zusammenschnürt, überträgt sich im Bildungsgang unter der Hand auf die Sequenz als solche und ganze. So empfunden, konnte sie kaum Bestand haben, als es auch in der Reform der katholischen Liturgie darum ging, die vom kirchlichen System induzierte Angst zu mindern. Die römische Liturgieregulierung war schon 1570 mit der reichhaltigen Sequenzenproduktion des Mittelalters ungnädig verfahren. Von den 4 (5) verbliebenen wurde vierhundert Jahre danach mit dem „Dies irae" eine weitere gestrichen. Das hochgepriesene Kleinod be-
9 10 11
12
Cf. Α. Heinz, Art. Dies irae, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 3, 219. A. Adam/R. Berger, Pastoralliturgisches Handlexikon, Freiburg i. Br. 1980, 15. Das zweite Vatikanische Konzil I (Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Erg. Band), Freiburg i. Br. 1966, 74. Cf. Goethes Werke (Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, ed. E. Trunz) 3, Hamburg 1957 3 ,120 sq.
,Dies irae". Zu einer mittelalterlichen Sequenz
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findet sich also nun im hymnologischen Depot, wo man es in aller Ruhe betrachten kann 13 . Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der Liturgie, daß sie Texte der Vergangenheit über den Kontext ihrer Entstehung hinaus im Gebrauch hält, sie nicht als Dokumente einer zu rekonstruierenden Historie, sondern als Elemente einer zu praktizierenden Frömmigkeit ansieht. Insofern ist es ein mediaevistisches Ereignis besonderer Art, wenn etwa ein halbes Jahrtausend nach dem offiziell chronographischen Ende des Mittelalters ein Stück Mittelalter als definitiv mittelalterlich, d. h. als nicht mehr zu praktizieren erklärt wird. Eine solche Zäsur versetzt den, den sie media in vita getroffen hat, in eschatologische Turbulenzen, die in eine hermeneutische Herausforderung zu übersetzen sind. Die semantische Analyse gerät in dieser Lage zwangsläufig zur theologischen Prüfung der Geltung eines in seiner spezifischen Eschatologie kirchenamtlich invalidierten Textes.
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Tag des Zornes, Tag der Zähren, wirst die Welt durch Brand zerstören, wie Sibyll und David lehren.
Quantus tremor est futuras, Quando iudex est venturus, Cuneta stricte discussurus!
Welch ein Schrecken wird entstehen, wenn wir Jesum kommen sehen, streng zu richten, was geschehen.
Tuba mirum spargens sonum Per sepulcra regionum, Coget omnes ante thronum.
Laut wird die Posaun erklingen, mächtig durch die Gräber dringen, alle vor den Richter zwingen.
13
Zusammenfassende Betrachtungen/Untersuchungen des „Dies irae" finden sich in: Ch. Clair, Le Dies Irae. Histoire, Traduction, Commentaire, Paris 1881; Ν. Gihr, Die Sequenzen des römischen Messbuches dogmatisch und aszetisch erklärt, Freiburg i. Br. 1887; A. Schulte, Die Hymnen des Breviers nebst den Sequenzen, Paderborn 1925, 2 3 2 - 2 3 8 ; H. Leclercq, Art. Dies irae, in: Dictionnaire d'archéologie chrétienne et liturgie 4, 1, 8 1 9 - 8 2 1 ; F. Ermini, II „Dies irae", Genève 1928; D. B. Capelle, Le „Dies irae", chant d'espérance, in: Les Questions liturgiques et paroissiales 22 (1937), 2 1 7 - 2 2 4 ; A. Blaschka, „Dies ire". Der Sang vom Weltgericht in neuer Schau, in: Mémoires de la Société Royale des Lettres et des Sciences de Bohême (1937), Prag 1938, 3 - 3 0 ; Raby, History (nt. 3), 4 4 3 - 4 5 2 ; J. Szôvérffy. Die Annalen der lateinischen Hymnendichtung II, Berlin 1965, 2 2 0 - 2 2 4 ; Hilferty, Domine (nt. 4), 2 5 3 - 2 9 5 ; Vellekoop, Dies ire (nt. 4) (Lit!); Rädle, Dies irae (nt. 2); F. Wagner, Dies irae, dies illa. Eine Sequenz der Totenmesse, in: Cistercienser Chronik 105 (1998), 4 2 1 - 4 2 9 .
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Alex Stock
Mors stupebit et natura, Cum resurget creatura, ludicanti responsura.
Tod und Schöpfung werden beben, wenn die Toten sich erheben, Antwort im Gericht zu geben.
Uber scriptus proferetur, In quo totum continetur, Unde mundus iudicetur.
Und ein Buch wird aufgeschlagen, treu darin ist eingetragen, jede Schuld aus Erdentagen.
Judex ergo cum censebit, Quidquid latet apparebit, Nil inultum remanebit.
Sitzt der Herr dann, um zu richten, wird sich das Verborgne lichten, nichts kann vor der Strafe flüchten.
Quid sum miser tunc dicturus, Quem patronum rogaturus, Cum vix iustus sit securusì
Ach was werd ich Armer sagen, wen zum Schutze mir erfragen, wenn Gerechte selbst verzagen?
Rex tremendae maiestatis, Quis salvandos salvas gratis, Salva me, fins pietatis.
König schrecklicher Gewalten, frei ist deiner Gnade Schalten, Gnadenquell laß Gnade walten!
Recordare, Jesu pie, Quod sum causa tuae viae, Ne me perdas ilia die.
Denke, Jesu, der Beschwerden, die du trugst für mich auf Erden, laß mich nicht zuschanden werden.
Quaerens me sedisti lassus, Redemise crucem passus; Tantus labor non sit cassus.
Hast gesucht mich unverdrossen, und am Kreuz dein Blut vergossen, es sei nicht umsonst geflossen!
Juste iudex ultionis, Donum Jac remissionis, Ante diem rationis
Deinem Zorne zu entrinnen, laß Verzeihung mich gewinnen, eh ich scheiden muß von hinnen!
Ingemisco tamquam reus, Culpa rubet vultus meus; Supplicanti parce, Deus.
Seufzend steh ich, schuldbefangen, rot vor Scham sind Stirn und Wangen; laß, o Gott, mich Gnad erlangen!
Qui Mariam absolvisti Et latronem exaudisti, Mihi quoque spem dedisti.
Der du einst vergabst Marien, und dem Schächer hast verziehen, hast auch Hoffnung mir verliehen.
Preces meae non sunt dignae, Sed tu, bonus, jac benigne, Ne perenni cremer igne
Doch nicht würdig ist mein Flehen; Gnade laß für Recht ergehen, und der Hölle mich entgehen!
Inter oves locum praesta Et ab haedis me sequestra, Statuens in parte dextra.
Fern den Böcken, im Geleite deiner Schäflein, Herr, bereite Platz mir auf der rechten Seite.
Conjutatis maledictis, Flammis acribus addictis, Voca me cum benedictis.
Wenn voll Schmach, die böse waren, dann verdammt zur Hölle fahren, ruf mich mit der Guten Scharen!
.Dies irae". Zu einer mittelalterlichen Sequenz
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Oro supplex et acclinis, Cor contritum quasi cinis: Gere curam mei finis.
Mit zerknirschtem Herzen wende, Gott, zu dir ich meine Hände, steh mir bei am letzten Ende! *
Lacrimosa dies illa, Qua resurget ex favilla Judicandus homo reus:
Tränentag voll Angst und Beben! Wenn vom Tod der Mensch zum Leben kehrt und naht dem Richterthrone.
Huic ergo parce, Deus. Pie Iesu Domine, Dona eis requiem. Amen.
Herr, ihn gnädig dann verschone! Jesu, guter Heiland du, schenke allen ewge Ruh! Amen.
*
(Initium u n d lateinischer T e x t nach
( D e u t s c h e U b e r s e t z u n g nach G e b e t - u n d
L i b e r usualis missae et o f f i c i i p r o
G e s a n g b u c h f ü r das E r z b i s t u m K ö l n , K ö l n
dominicis et festis c u m cantu
1 9 4 9 , Nr. 3 3 6 )
Gregoriano, Roma 1957, 1 8 1 0 - 1 8 1 3 )
Im allgemeinen kirchlichen Gebrauch ist das „Dies irae" in seiner heutigen Form erst seit dem Missale Romanum Pius V. von 1570. Der Text begegnet seit der Mitte des 13. Jahrhunderts in italienischen Meßbüchern und Brevieren vor allem franziskanischer Provenienz, was dazu veranlaßt hat, Thomas von Celano (f nach 1250), den Biographen des Hl. Franz v. Assisi, als Autor anzunehmen; mehr als ein relativ spätes (Ende des 14. Jh.) „diäturferisse" läßt sich dafür freilich nicht ausmachen14. Als liturgischer Kontext erscheint in den frühen Quellen die Totenliturgie, auf die die beiden letzten Strophen (18 u. 19) ausdrücklich Bezug nehmen, indem sie für den {„Huic ergo parce, Deus") bzw. die {„Dona eis requiem") Toten beten. Eben diese totenliturgische Ausrichtung erfolgt jedoch in einem Teil der Sequenz, der durch metrische (die beiden letzten Strophen sind nicht wie die vorangehenden dreizeilig, sondern nur zweizeilig gereimt) und grammatische (Bezug auf die 3. Person Sing./Plur. statt Selbstbezug in der 1. Person Sing, in den Strophen 7 — 17) Besonderheiten abgesetzt ist. Die bis ins Ende des 12. Jahrhunderts zurückreichende Vorgeschichte der heutigen Sequenz belegt einen bis zur Strophe 17 {„gere curam mei finis") reichenden selbständigen Text ebenso wie ein gesondertes Vorkommen der Schlußverse („Lacrimosa ..."; „Pie Iesu ..."). In seiner frühesten, aus einem neapolitanischen Manuskript (Ende des 12. Jh.) stammenden Fassung fehlt außerdem die 11. Strophe der späteren römischen Sequenz. Die ersten 17 Strophen bilden ein Reimgebet, in dem ein 14
Zur Frage der Textgeschichte und der Autorschaft cf. außer der nt. 13 angegebenen Literatur Analecta Hymnica 54, 2 6 9 - 2 7 5 ; Dreves, Dies irae (nt. 1); A. Gastoué, Sur les origines du „Dies irae", in: Etudes Franciscaines 20 (1908), 3 9 9 - 4 0 5 ; Κ. Blume, Dies irae, Tropus zum „Libera", dann Sequenz, in: Cäcilienvereinsorgan 49 (1913), 5 5 - 6 4 ; M. Inguanez, II „Dies irae" in un codice del secolo XII, in: Miscellanea 9 (1931), 5 - 1 1 ; F. Ermini, Il poeta da „Dies irae", in: id., Medio Evo Latino, Modena 1938, 2 7 7 - 2 8 5 .
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einzelner Lebender eine Betrachtung über das Jüngste Gericht anstellt. Ob dieses Gebet ursprünglich für die private Devotion oder als Sequenz für den 1. Adventssonntag (dessen Evangelium von der Wiederkunft Christi Lk 21, 25 — 33 dies nahelegen konnte) gedacht war, muß offen bleiben. Der Versuch, es als Tropierung des motivlich verwandten Responsoriums „Libera me Domine" aus dem Totenoffizium bzw. der „Absolutio ad tumbam" zu interpretieren, hat keine Zustimmung gefunden. Es hat den Anschein, daß erst durch Hinzufügung der Fürbittstrophen 18 und 19 ein ursprünglich eigenständiges Gebet in die Totenliturgie eingebettet wurde. Das die Strophen 1 - 1 7 der Sequenz umfassende Reimgebet kann somit als kohärenter Text gelesen werden; die überlieferungsgeschichtlich wie thematisch ausscherende Strophe 11 bleibt bei der nachfolgenden Interpretation unberücksichtigt. Die innere Grammatik des Textes legt eine Zweiteilung nahe. Die Strophen 1 — 5 entwerfen ein Szenarium des Jüngsten Gerichts. Mit der 6. Strophe beginnt der Beter in der 1. Pers. Sing, zu sprechen und hält diese Rede — eben mit Ausnahme der Strophe 11 — bis zum Ende der 17. Strophe („gere curam mei finis") durch. Im grammatischen Verlauf zeichnet sich der innere Vorgang der Einbildungskraft des Beters ab. Die Imagination des Weltgerichts bezieht den Betrachter ein, nötigt ihn zur Reflexion seiner eigenen Stellung in der entworfenen Vorstellung, bewegt ihn zur Selbstbeteiligung am imaginierten Bild. Die Sequenz setzt wie mit einem Posaunenstoß ein: „Dies irae, dies illa. " Ein Tag wird ausgerufen, ein künftiger, der letzte, jüngste. Das Ende der Welt wird antizipiert. Die sich einstellende Imagination ist die eines Weltenbrandes: „Solvet saeclum in favilla. " Favilla ist die glühende Asche. Der Kosmos verglüht. Anders als in den Tagen des Noe ist es keine Überschwemmung, durch die die Welt zugrunde geht, sondern eine Feuersbrunst. Von woher steigt dem Beter diese Schreckensvision auf? „Teste David cum Sibylla." Denkt man bei dem Zeugnis Davids an den Psalter, so wird man nicht recht fündig; Verweise auf Ps 50, 3 oder 102, 26 sq. bleiben zu vage. Vielleicht soll der Name David auch nur für das alttestamentliche Zeugnis überhaupt stehen wie der der Sibylle für das der heidnischen Literatur. Wörtlich schließt die 1. Strophe der Sequenz an den Vulgatatext von Zeph (Soph) 1, 15 sqq. (cf. 3, 8) an, wo vom Tag des Gerichts die Rede ist, das der Herr über Juda und Jerusalem abhält: „Dies irae, dies illa, dies tribulationis et angustiae ... in die irae Domini; in igne %eli eins devorabitur omnis terra" („Ein Tag des Zorns ist jener Tag; ein Tag der Drangsal und Angst ... am Zornestag des Herrn, wenn vom Feuer seines Eifers die ganze Erde verzehrt wird"). Dem Propheten Zephanja ist es der Zorn Gottes über die zynische Hybris der Führungsschicht seines Volkes, die unausrottbare politische und religiöse Korruption. Im Feuer manifestiert sich die Empörung Gottes darüber, daß die von ihm erwählte Menschenschar ihn und seinen Ruf zur Gerechtigkeit so schamlos mißachtet. Im Buch des Propheten ist die Glut dieses Gerichtstags ein Fegfeuer, das die Stadt reinigt von Unrecht, Betrügerei und stolzer Überheblichkeit und sie wieder zu Ruhm und Ehren bringt (Zeph 3, 11 —20).
.Dies irae". Zu einer mittelalterlichen Sequenz
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Weil unter dem Namen David höchstens, wenn man ihn als Chiffre alttestamentlicher Prophetie überhaupt nimmt, ein erkennbarer Bezug zum Weltgericht im Feuer sich herstellen läßt, hat eine alte Version der Sequenz David durch Petrus ersetzt: „ Teste Petro et Sibylla", was eine der ersten deutschen Ubersetzungen, die von Andreas Gryphius (1659), übernommen hat: „Wie Sibyll und Petrus lehren." Bei Petrus, hier verstanden als Autor des 2. Petrusbriefes, ist jene Verbindung von Gericht und Glut greifbarer. Der Petrus dieses Briefes sieht im neuen Gottesvolk der christlichen Gemeinde, an die er sich wendet, eine dem Jerusalem des Zephanja durchaus vergleichbare Korruption eingetreten. Und wie jener Prophet sieht auch er die Sache so zum äußersten getrieben, daß er den Tag Gottes heraufbeschwört, an dem „die Himmel im Feuer sich auflösen werden und die Elemente in der Gluthitze zerschmelzen" (2 Petr 3, 12; cf. 3, 10). Das durch diese kosmische Brandkatastrophe anvisierte Heil ist aber nun nicht mehr ein durch Gottes Recht religiös-moralisch erneuertes Jerusalem, sondern „ein neuer Himmel und eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt" (2 Petr 3, 13). Der biblischen Prophetie wird mit dem Namen der Sibylle heidnische an die Seite gestellt. Wenn mit diesem Namen nicht nur das Genus jener griechischrömischen Seherinnen aufgerufen werden soll, so ist wohl am ehesten an einen Text aus den Sibyllinischen Orakeln zu denken, der, von Augustinus überliefert, dem Mittelalter bekannt war. Es ist die berühmte Stelle De civitate Dei XVIII, 23, in der Augustinus ein lateinisches Akrostichon des griechischen „IHCOYC XPEICTOC OEOY YIOC COTHP" („Jesus Christus Gottes Sohn Erlöser") mitteilt und zwar als eine der erythräischen Sibylle zugeschriebene Prophetie. Es ist ein Gedicht von der Erscheinung des „ewigen Königs" zum Gericht. In der Beschreibung der damit einhergehenden kosmischen Katastrophe spielt auch das Feuer eine zentrale Rolle: „Exuret terras ignis pontumque polumque" („Es verbrennt das Feuer die Erde, das Meer und das Himmelsgewölbe") 15 . Was in den Visionen der Johannesapokalypse und des matthäischen Weltgerichts sich in eine Folge von Katastrophen auseinanderlegt, wird im „Dies irae" auf die eine des Weltenbrandes zusammengezogen. Aber dieses schreckliche Ende der Weltgeschichte wird nicht als natürliche Konsequenz eines kosmischen Prozesses (wie es aus heutiger astrophysikalischer Sicht erscheinen könnte) oder (wie der Kommentar des Dichters W Hildesheimer es nahelegt 16 ) als Resultat der ökologischen Degeneration des Menschengeschlechts gesehen. Es erscheint in seinem Schrecken als Zorn des göttlichen Richters. Es ist der „Tag des Zornes", des „Zornes des Lammes", von dem die Geheime Offenbarung des Johannes (Apk 6, 16 sq.) spricht.
15
16
Deutsche Übers, in: Des Heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat III, übers, v. A. Schröder (Bibliothek der Kirchenväter 28), München 1916, 123-127. Cf. nt. 6.
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Bereits an dieser Stelle könnte ein heute real existierender Markionitismus, für den sich Jesu Gott der reinen Liebe von dem (alttestamentlichen?) Gott der Gerechtigkeit und des Gerichtes säuberlich trennt, geneigt sein, sich von dieser mittelalterlichen Sequenz zu verabschieden: Vom Zorn Gottes, gar von dem Jesu, sollte nicht mehr die Rede sein. Freilich bleibt — vom Verdacht markionitischer Häresie einmal abgesehen — zu fragen, ob das Liebesethos, in dem wir Gott wie uns selbst allen Zorn untersagen, nur der schöne Mantel einer Apathie gegenüber dem auch post Christum natum et crucifixum ohne Ende zum Himmel schreienden Unrecht ist, Unempfindlichkeit gegenüber der zynischen Verletzung göttlich verbriefter Menschenrechte hier und an allen Enden 17 . Die 1. Strophe der Sequenz ist nicht die letzte, aber doch das Tor, durch das man jedenfalls hindurch muß. Der Auftritt des Richters bedeutet eine Erschütterung der Welt (Strophe 2: „Quantus tremor est futurus"). Die abgelaufene Weltgeschichte war nicht schon das Weltgericht. Alles ist noch einmal strikt zu sichten. „ Cuneta stricte discussurus. " „Streng zu prüfen alle Klagen" hat A. W. Schlegel übersetzt 18 , worin jedenfalls anklingt, daß es vor diesem Gericht auch eine Klageerhebung aus dem Menschengeschlecht gibt (cf. Apk 6, 9 sqq.). Wenn alle betroffen sind, haben alle zu erscheinen, auch die Toten. Um sie aus dem Schlaf im Totenreich zu wecken, erschallt die Posaune, die, ältere militärische und kultische Signalfunktionen verbindend, nach der Schrift (cf. Apk 8, 2 - 1 1 , 15; 1 Kor 15, 52; 1 Thess 4, 16; Mt 24, 31) und auch nach der Sibylle (Augustinus, De civitate Dei XVIII, 23: „Sed tuba tum sonitum tristem demittet ab alto") zum eschatologischen Instrument schlechthin geworden ist. Auferstehung der Toten ist hier nicht schon die ewige Seligkeit, sondern die Bedingung der Möglichkeit eines universalen Gerichts. Tod und Natur, als Gewalthaber des Menschengeschlechts vorgestellt, werden durch diese unerwartete Vorladung einer ihnen doch längst anheimgefallenen Kreatur in Erstaunen versetzt: „Mors stupebit et natura, / Cum resurget creatura, / Judicanti responsura." Es ist die Verantwortlichkeit („responsura") dieser dem Schoß der Natur entsprungenen Kreatur „Mensch", die es nicht gestattet, den vom Tod verfügten Aktenschluß einfach hinzunehmen. Die als Verantwortlichkeit im Universum der Weltgeschichte verstandene Freiheit konstituiert ein Verhältnis zum Schöpfer der Welt, das den Tod als letzte Instanz nicht akzeptiert. „Und ich sah die Toten, die großen und die kleinen vor dem Throne stehen, und es wurden Bücher geöffnet; und ein anderes Buch wurde geöffnet, das des Lebens. Und die Toten wurden gerichtet auf Grund dessen, was in den Büchern geschrieben war, nach ihren Werken" (Apk 20, 12). Auf diesen Vers der Johannesoffenbarung bezieht sich die 5. Strophe der Sequenz: „Liber scriptus proferetur, / In quo totum continetur, / Unde mundus iudicetur. " Die vielerlei Bücher der biblischen 17
18
Zum Thema cf. Laktanz, Vom Zorne Gottes (De ira dei liber), ed. H. Kraft/A. Wlosok, Darmstadt 1983. Cf. Lisco, Dies irae (nt. 5), col. 13, n. VII.
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Vision werden auf ein einziges reduziert, „unde mundus iudicetur". Vermutlich ist hier der vermittelnde Kommentar, den Augustinus dem biblischen Text gibt, in Anschlag zu bringen: „Er sagt also, es seien aufgetan worden Bücher und ein Buch; welcher Art aber dieses Buch sei, gibt er deutlich zu erkennen: ,das Buch des Lebens jedes einzelnen'. Demnach hat man unter den an erster Stelle genannten Büchern die heiligen Bücher zu verstehen, die alten und die neuen; an ihrer Hand soll dargetan werden, welche Gebote Gott zur Befolgung gegeben; an der Hand des Buches dagegen, das jedes einzelnen Lebensbuch ist, soll sich zeigen, was davon jeder befolgt oder nicht befolgt hat." 19 „Der Lateiner hat zwingender als der Apokalyptiker das Bild des Prozesses vor Augen: den Richter, der auf der einen Seite die Gesetzbücher hat, auf der anderen Seite die Akten des Tatbestands, die Protokolle." 20 Von dieser prozessualen Duplizität der Bücher — Gesetz und Protokoll — bleibt in der Sequenz nur noch das eine, der „Uber vitae uniuscuiusque". Die Vorstellung eines Weltbuchs, einer protokollarischen Aufzeichnung alles gelebten Lebens sprengt freilich auch die bereitwilligste eschatologische Phantasie. Schon Augustinus hat das surreale Phantasma auf seinen existentiellen Kern hin allegorisiert: „An ein sinnfälliges Buch ist dabei natürlich nicht zu denken; es müßte ja von unfaßbarer Größe oder Länge sein, und welche Zeit würde es in Anspruch nehmen, ein Buch zu lesen, worin das ganze Leben gar aller Menschen verzeichnet ist! ... Es ist sonach darunter eine Art Gotteskraft zu verstehen, durch die bewirkt wird, daß alle Werke, die guten wie die bösen, jedem einzelnen ins Gedächtnis gerufen und von jedem mit dem Auge des Geistes in wunderbarer Schnelligkeit geschaut werden, so daß das Wissen das Gewissen anschuldigt oder entschuldigt und so mit einem Schlag über alle und jeden einzelnen das Gericht ergeht. Diese Gotteskraft also wird hier Buch genannt; die Rückerinnerung durch ihre Einwirkung ist gleichsam ein Lesen in ihr." 21 Das Buch ist zu verstehen als eine vis divina, die einen Prozeß der memoria auslöst. Der Lebenslauf schießt vor dem Auge des Geistes in der Schnelligkeit eines Augenblicks {„in ictu oculi") zu einem Lebensbild zusammen. Und diese Bestandsaufnahme ist zugleich auch schon Urteilsfindung, Wissen und Gewissen in einem. „Durch die Erinnerung wird jeder sein eigener Richter, liest in sich sowohl das Buch des Gesetzes als auch die Chronik seiner Handlungen. Die Memoria ist das Gericht." 22 Der göttliche Richter gibt nur den Anstoß zu diesem ganz ins innere Tribunal jedes einzelnen verlegten Prozeß. Die 6. Strophe faßt diese Essenz des Gerichts als Ende allen Versteckspiels zusammen: „Quidquid latet apparebit" — „Was latent war, kommt an den Tag". Und fügt, weil Judikative und Exekutive bei diesem Jüngsten Gericht in einer Hand liegen, hinzu: „Nil inultum remanebit" — „Nichts bleibt ungestraft zurück". 19 20 21 22
Augustinus, De civitate Dei Blumenberg, Lesbarkeit (nt. Augustinus, De civitate Dei Blumenberg, Lesbarkeit (nt.
X X , 14; deutsche Übers, nach nt. 15, 299. 7), 30. X X , 14; deutsche Übers, nach nt. 15, 300. 7), 30.
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Hier könnte das Gedicht auf das Gericht zu Ende sein. Die Verhandlung ist geschlossen, das Bild des Jüngsten Tags steht eindrücklich vor Augen. Im Duktus der Sequenz beginnt es aber nun erst eigentlich. Der Beter befragt das Bild, das da in seinem objektiven Schrecken vor Augen gestellt ist, indem er sich als davon persönlich Betroffenen einbezieht. Er projiziert sich in jene Zukunftsvision hinein: „Quid sum miser tunc dicturus?" — Was werde ich, zur Lebensrechenschaft aufgerufen, sagen, ich Armer („miser")? Das scheint dem betenden Subjekt nach dem Durchgang der ersten Strophen schon klar zu sein; die Bilanz der memoria ist im eigenen Fall nicht rosig. Was tun, „cum vix iustus sit securus?" Er zählt sich nicht zu den Heiligen und Gerechten. „Und wenn der Gerechte kaum gerettet wird {et si iustus vix salvabitur), wo wird der Gotdose und Sünder zu sehen sein?" (1 Petr 4, 18). Er ist sich seiner nicht sicher, aber er gibt sich nicht verloren. Er sieht sich, wie es hilfsbedürftige Menschen im Mittelalter wie in der Antike zu tun pflegten, nach einem Schutzpatron um, der die Hand über ihn hält und Fürsprache für ihn einlegt: „Quem patronum rogaturus?" Die Anrufung der Heiligen galt in der mittelalterlichen Frömmigkeit der Wahrnehmung ihres Patronats. Die Ikonographie der abendländischen Kunst hat seit dem 12./ 13. Jahrhundert dieses Moment der Heiligen-Interzession in das Elementarprogramm der Weltgerichtsbilder aufgenommen, indem es die „Deesis" (Maria und Johannes d. Täufer als Fürbitter) in das Gerichtsszenarium integrierte. Der Beter der Sequenz nimmt diese Möglichkeit nicht wahr, er sieht oder nimmt sich jedenfalls keinen Anwalt. Er faßt den Richter selbst ins Auge, sieht und spricht sich in ihn hinein: „Rex tremendae maiestatis, / Qui salvandos salvas gratis, / Salva me, fons pietatis. " Der König in schreckenerregender Majestät, wie er nach den ersten Strophen vor Augen steht, wird selber zur einzigen Zuflucht. Hinter dem Zorn, auf seinem Grund muß noch etwas anderes sein. Darauf spricht die Seele den Richter an, sie bestürmt ihn mit dem Namen, der in der mittelalterlichen Literatur (z. B. in den Mysterienspielen) geradezu sein Eigenname ist,,Salvator'·. „qui salvandos salvas ..., salva me." „Erlöse mich, Erlöser." Aus welchem Grund? Um Deines Namens willen! „ Cum autem benignitas et humanitas apparuit Salvatoris nostri Dei: non ex operibus iustitiae, quae fecimus nos, sed secundum suam misericordiam salvos nos fecit" — „Erschienen ist die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Erlösers. Nicht wegen der Werke der Gerechtigkeit, die wir getan, sondern nach seinem Erbarmen hat er uns erlöst" (Tit 3, 4 sq.). Das ist der Grundton der paulinischen Soteriologie: gratis, nicht um der Werke willen, sondern gratia, aus Gnade. Der Salvator ist der „Quell des Erbarmens". Möglicherweise hat der Autor ein Passionsbild vor Augen, das gewöhnlich als „Fons pietatis" bezeichnet wird: der gekreuzigte Christus oder der Schmerzensmann, aus dessen Seite das erlösende Blut fließt23. Der scheint dem Beter auch in der Glut des Jüngsten Tages nicht versiegt. 23
Cf. Α. Thomas, Art. Brunnen, in: Lexikon der christlichen Ikonographie 1, 330 - 336; W Mersmann, Art. Schmerzensmann, in: Lexikon der christlichen Ikonographie 4, 87 — 95; M.-B. Wadell, Fons pietatis. Eine ikonographische Studie, Göteborg 1969.
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Der Fons pietatis ist eine Person. So fährt die 9. Strophe weiter: „Jesu pie" — „Gütiger Jesus". Und als ob der Richter auf dem Thron in seinem Zorn auf die verkommene Welt vergessen hätte, woher er kommt, erinnert ihn der Beter an seinen Weg und an die Absicht dieses Weges: „Recordare, Jesu pie, / Quod sum causa tuae viae, / ne me perdas illa die. " Er vermißt sich zu sagen, er, der miser, sei doch der Grund des Weges Jesu; Grund genug zur misericordia, damit er nicht zugrunde gehe am Ende. Und als ob solche Heilswegserinnerung zu allgemein wäre, geht er ins Detail. Die 10. Strophe erinnert an die Arbeit und Mühe dieses Weges, die doch nicht umsonst sein sollte: „ Tantus labor non sit cassus. " Die Erlösungsmühsal der Passion („Redemisti crucem passus") liegt ja am Tage. Das Rätsel der 1. Zeile („Quaerens me sedisti lassus") löst sich, wenn man die Auslegung hinzuzieht, die Augustinus der Geschichte von der Samariterin am Jakobsbrunnen gegeben hat, an jener Stelle, wo es heißt: „Jesus nun, von der Reise müde geworden, setzte sich an den Brunnen" (Joh 4, 6). Augustinus appliziert, über den samaritanischen Kontext weit hinaus, den Vers gleich an den Leser: „Deinetwegen ist Jesus ermüdet von der Reise" (In Joh. Ev. XV, 6) und: „So also wird Jesus schwach und müde von der Reise. Seine Reise ist das Fleisch, das er für uns angenommen hat" (In Joh Ev. XV, 7). Im müde von der Reise am Jakobsbrunnen sitzenden Jesus erblickt der allegorisierende Kirchenvater ein Bild der Inkarnation, der damit gegebenen Schwäche, der „Ermüdung im Fleische" (In Joh Ev. XV, 7) 24 . Diese Reise der Inkarnation aber ist eine Suche; „denn der Menschensohn ist gekommen, um das Verlorene zu suchen und zu retten" (Lk 19,10). Dazu rechnet sich der Beter der Sequenz: „Quarens me sedisti lassus." Menschwerdung und Passion sollten nicht vergebliche Liebesmühe sein. Der Beter erinnert den Richter an seinen Weg, an den Weg des Heilands im Evangelium. Im Lukasevangelium erzählt Jesus „etlichen, die sich zutrauten, gerecht zu sein und die übrigen verachteten" (Lk 18, 9), das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner, das der selbstgerechten Großtuerei den Zöllner gegenüberstellt, „der stand von ferne und wollte nicht einmal seine Augen zum Himmel erheben, sondern er schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig" (18, 13). Zu ihm stellt sich, schamrot und seufzend über die nicht zu verhehlende Schuld, der Beter der Sequenz. „Ingemisco tamquam reus. / Culpa ruhet vultus meus: / Supplicanti parce Deus. " — Ging jener nicht gerechtfertigt nach Hause (18, 14)? Die Schrift, nach der gerichtet werden soll, ist auch ein Buch der Präzedenzfalle: „Qui Mariam absolvisti . . . " Die Maria, von deren Freispruch hier die Rede ist, kann nur die große Sünderin sein, die Jesus im Hause des Pharisäers Simon die Füße salbt (Lk 7, 36 — 50); bei Lukas eine anonyme Person, wird sie im Mittelalter mit der Maria von Magdala identifiziert. „Ihre vielen Sünden sind ihr vergeben, weil sie viel geliebt hat" (7, 47), und „Dein Glaube hat dich gerettet; 24
Zitate nach: Des Heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus Vorträge über das Johannesevangelium I, übers, v. Th. Specht (Bibliothek der Kirchenväter 8), München 1913, 255 sq.
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gehe hin in Frieden" (7, 50). Nicht die Werke der Vergangenheit sind ausschlaggebend, sondern die Liebe und der Glaube an den Erlöser jetzt. Der Frau wird ein Mann als Fall an die Seite gestellt, der Hure ein Räuber („et latronem exaudisti"). Es ist der Schächer am Kreuz, der sich zu seiner eigenen Schuld und zur Schuldlosigkeit Jesu bekennt, zu ihm seine Zuflucht nimmt: „Gedenke meiner" und die Verheißung erhält: „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein" (Lk 23, 43). Wie sollte bei solchen im Evangelium festgehaltenen Vorentscheidungen der eigene Fall ein hoffnungsloser sein? Er weiß: „Preces meae non sunt dignae." In dem „non sunt dignae" klingt, wenn auch ohne weitere Ausführung, eine weitere lukanische Stelle an: „iam non sum dignus pocarifilius tuus. " „Vater, ich habe gesündigt vor dem Himmel und vor dir. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen" (Lk 15, 21). Es ist die Paradegeschichte der göttlichen Barmherzigkeit, das Gleichnis vom Verlorenen Sohn, das den auf gerechtem Gericht über Gute und Böse bestehenden Pharisäern (Lk 15, 1 sq.) die Rettung der Verlorenen als Ziel des Weges Jesu zu vermitteln sucht. Wie (in Strophe 8) der Salvator auf das salvare, so wird hier der Gute auf die Güte angesprochen, wie es der Herr im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg sagt, „weil ich gütig bin" (Mt 20, 15): „... tu bonusfac benigne." Der Schlußvers dieser Strophe „neperenni cremer igne" lenkt die eschatologische Phantasie auf das matthäische Gerichtsszenarium, das in den beiden Folgestrophen sich weiter entfaltet. Wie der Hirte, der die Schafe von den Böcken scheidet, erscheint Mt 25, 31—46 der wiederkommende Menschensohn als Völkerhirt, der die versammelte Menschheit nach Gut und Böse sortiert, rechts und links, zum ewigen Leben und zur ewigen Strafe, zum Reich des Vaters und zum Feuer des Teufels. Das Richtmaß ist der Richter selbst. Der ahnungslosen Menschheit geht erst jetzt auf, daß sie in ihrem ethischen Verhalten ihn getroffen hat. Das tätige Erbarmen den bedürftigen Mitmenschen gegenüber oder die unbarmherzige Verschlossenheit sind das klare und einzige Kriterium der Weltendabrechnung. Denen, die alles noch in der Hand haben, wird unmißverständlich kundgetan: das Jüngste Gericht, das über ewiges Leben und ewigen Tod entscheidet, erfolgt nach den Werken, den Werken der Barmherzigkeit. Das matthäische Weltgericht ist eine Predigt an die Lebenden, dem Phantasma der Zukunft alsbald den Rücken zu kehren und zu Werken tätiger Liebe zu schreiten. Der Beter der Sequenz folgt der bildrhetorischen Logik des Matthäus, die ja Heil und Verderben konsequent in die Hand des tätigen Menschen legt, nicht. Statt handelnd die Voraussetzung dafür zu schaffen, daß er nicht auf die Seite der Böcke gerät, betet er, bittet den Richter: „Et ab haedis me sequestra, / Statuens in parte dextra" — „Scheide mich von den Böcken, / Stelle mich auf die rechte Seite". „Voca me cum benedictis", als ob der Richter nicht riefe, die längst schon gesegnet sind, es nur noch nicht wissen. Bittet der Beter um die wirksame Gnade guter Werke jetzt noch, oder hofft er, obwohl er weiß, daß die Werke der Barmherzigkeit nicht ausreichen werden, auf die rechte Seite zu gelangen? Hofft er selber auf ein letztes Werk der Barmherzigkeit?
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Er steht nicht da wie ein strahlender Wohltäter, der nun endlich den verdienten Lohn für die lebenslang verborgene Caritas erhält, sondern kniet zerknirscht und beschämt: „Oro supplex et acclinis." „Das Herz zerrieben, fast Asche" — „Cor contritum", das erinnert an den Psalm 50 (51), der vom rechten Opfer handelt: „Cor contritum et humiliatum non despides" (V 19; cf. Jes 57, 15) — „Ein zerbrochenes, zerschlagenes Herz wirst du nicht verachten". Daß der Richter ein solches Herzensopfer jenseits aller Taten („fast Asche") nicht verachten wird, ist die letzte Hoffnung des Beters. Nichts hat er in der Hand und überstellt die Sorge um sein Ende dem, der Gericht hält: „gere curam mei finis. " Daß geistliche Obrigkeiten, Volksprediger, Beichtväter, Katecheten, statt das Jüngste Gericht selber zu fürchten, es dazu gebraucht haben, andere in Furcht und Schrecken zu halten, ist leider wahr. Wer aber das „Dies irae" schlankweg als Paradigma einer solchen Schreckenspastoral klassifiziert und deshalb eliminiert, hat seine grammatische und logische Struktur vielleicht doch nicht genau genug angesehen. „Littérature un peu conventionelle" hat D. B. Capelle über den ersten Teil der Sequenz gesagt, „nicht mehr als die besonders erfolgreiche Variante eines im Mittelalter beliebten Themas", „das seine Popularität zweifellos vor allem dem seelsorgerlichen Bekehrungseifer verdankt" 25 . Wie dem auch sei, was in den ersten sechs Strophen vor Augen gestellt wird, ist im Duktus der Sequenz nur das öffentliche Szenarium, in dem die Stimme eines einzelnen (1. Pers. Sing.) sich bewegt. Im Gang der Rede, des Gebets entwickelt sich eine Apologia pro vita sua höchst eigener Art, die die Hl. Schrift zum Repertoire argumentativer Selbstreflexion macht. Sie wischt den existentiellen Schrecken definitiven Heilsverlustes nicht um eines österlich-freudigen Christenglaubens vom Tisch, sondern arbeitet sich durch ihn durch. Dabei geraten biblische Motivkomplexe und Theologumena unterschiedlicher Provenienz in ein dialektisches Verhältnis zueinander. Gegen die Matthäus entnommene, aus der Johannesapokalypse angereicherte kirchliche Basiseschatologie, die, bei Licht besehen, ja ein christologisch pointiertes Gericht nach den Werken vorsieht, wird die Geltung der pauünischen Rechtfertigung aus Gnade auch für den Moment des Jüngsten Gerichts noch festgehalten. Deren kerygmatische Abstraktion aber wird überführt in die Erinnerung einzelner, dem Evangelium entnommener Geschichten, denen die Absicht des Weges Jesu zur Rettung des Verlorenen abzulesen ist. Daß diese zum eschatologischen Argument herbeizitierten Geschichten überwiegend aus dem lukanischen Sondergut stammen, zeigt die Intuition des im Raum der Schrift denkenden Autors. Was die Eschatologie dieser Sequenz auszeichnet, ist gerade nicht die Simplifizierung hoher biblischer Gedanken zu einem mittelalterlichen Schauergemälde, sondern eine durch ein Fugato begrenzter biblischer Konzepte herbeigeführte Differenzierung. Das Moderne daran ist der Ernst der Subjektivität, die emotionale Intensität, in der ein einzelner, zur letzten Verantwortung gerufen, sein Leben mit Hilfe der Schrift im Angesicht Christi durchspricht. 25
Capelle, Dies irae (nt. 13), 220.
Zur Vorstellung des Himmlischen Jerusalem und zu den eschatologischen Perspektiven in der Kunst des Mittelalters PETER KURMANN
(Fribourg)
Die Metapher des Himmlischen Jerusalem verdeutlicht die zentrale Rolle, welche die Kirche in der Heilsgeschichte einnimmt. Da sie als corpus mjsticum Christi bereits auf Erden die ewige Seligkeit garantiert, führt sie als alleinige Heilsvermitderin jeden einzelnen Gläubigen auf den eschatologischen Endpunkt hin, den Eintritt ins ewige Leben. Letzteres hat die mittelalterliche Kunst in vielfältiger Weise dargestellt. Entsprechend den gängigen, auf Bibelstellen des Alten und des Neuen Testaments beruhenden Sinnbildern, gab es folgende Grundtypen, die ewige Seligkeit vor Augen zu führen 1 . Einmal war dies der Paradiesgarten, wie ihn etwa das berühmte Gemälde auf der unteren Hälfte der Mitteltafel vom Genter Altar vertritt2. Zweitens konnte das Himmlische Jerusalem anhand einer kreisförmigen Komposition vor Augen geführt werden. Diese Darstellungsart ging von der Apokalypse von Valenciennes (entstanden im 1. Viertel des 9. Jahrhunderts) aus und lehnte sich an die alte Tradition der kreisförmigen Wiedergabe des Kosmos an. Gleichermaßen dürfte sie auch inspiriert sein von der Grabesrotunde Christi in Jerusalem, die in karolingischen Miniaturen manchmal aus ineinandergefügten konzentrischen Kreisen besteht. So schildert beispielsweise eine Miniatur aus dem frühen 10. Jahrhundert (Paris, Bibl. nat., nouv. acq. lat. 1132, f. 33r) die Himmelsstadt als 12 konzentrisch ineinandergefügte Kreise, deren Mittelpunkt das Lamm Gottes bildet3. Über ihm findet sich im Wortlaut das Zitat aus Ap 21,23: „et àvitas non eget sole nec luna, nam claritas Dei inluminavit earn et lucerna eius est agnus. " Darunter, zwischen den Figuren des hl. Johannes und eines Engels lesen wir: „ubi angelus Domini ostendit sancto Johanni sanctam Hierusalem novam descendentem de caelo, habentem claritatem Dei", eine Paraphrase von Ap 21,10 und 11. In den vier Himmelsrichtungen 1
2 3
Den Verzicht auf ein vollständiges Zitieren auch nur der neuesten einschlägigen Literatur rechtferügt der essayhafte Charakter des vorliegenden Beitrags. Eine Zusammenfassung und vorzügliche Materialsammlung bietet zum Folgenden: M. L. Gatti Perer (ed.), La Gerusalemme celeste. „La dimora di Dio con gli uomini" (Ap 21,3), Immagini della Gerusalemme celeste dal III al XIV secolo (Catalogo della mostra, Milano, Università Cattolica del S. Cuore 1983), Milano 1983. Dazu zusammenfassend zuletzt J. Delumeau, Que reste-t-il du paradis?, Paris 2000, 19 sqq. Gatti Perer (ed.), Gerusalemme celeste (nt. 1), 157 sq., η. 18 (mit Abb.).
Zur Vorstellung des Himmlischen Jerusalem
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stehen die Stadttore nach Ap 21,12, jeweils zu dritt vereint, deren verschiedene Farben die kostbaren Materialien nach Ap 21,21 wiedergeben. Trotz der abstrakten Grundform wird hier eine konkrete Vorstellung der heiligen Stadt in ein Bild umgesetzt, von dem einige Einzelheiten textkonform wiedergegeben sind. Grundsätzlich noch näher am Text steht die Bildgestaltung, mit welcher jeweils die Illustrationen des Apokalypsenkommentars des Beatus de Liébana (2. Hälfte des 8. Jahrhunderts) eingeleitet wurden. So wird etwa auf f. 222v in ms. 644 der Pierpont Morgan Library in New York (Mitte des 10. Jahrhunderts) die Himmelsstadt quadratisch wiedergegeben4, und zwar textkonform als Stadtmauer mit Zinnen (Ap 21,12; 21,15 — 17) sowie mit 24 Türmen (wovon der Text nicht spricht). Auf jeder Seite stehen wieder je drei Tore (Ap 21,21) und in jedem Tor ein Apostel (was auf Ap 21,12—14 anspielt). Jeder Apostel wird von einem Kreis überragt, der einen inschriftlich identifizierten Edelstein darstellt (Ap 21, 19 u. 20). Das Gotteslamm im Zentrum trägt ein Kreuz (Ap 5 und 6), rechts davon hält der hl. Johannes das offene Buch, und links befindet sich der Engel mit dem Meßstab, der die Stadt ausmißt (Ap 21,15-17). Wie lange gerade dieses Schema lebendig blieb, vermag eine Miniatur aus dem 13. Jahrhundert zu zeigen (Cambridge, Trinity College Library, ms. R. 16.2 [C. M. A. 524], f. 25r)5. Die mozarabische Architektur des Beatus-Kommentars ist hier in die Stilsprache der Gotik umgesetzt worden, aber die Grundkomposition bleibt unverändert erhalten. Eine vierte Bildtradition vertritt die Trierer Apokalypse aus dem 1. Viertel des 9. Jahrhunderts (Trier, Stadtbibliothek, cod. 31). Sie zeigt die heilige Stadt stets als Anhäufung pseudoperspektivisch wiedergegebener Türme, in deren Mitte sich ein paar andere Gebäude befinden. Diese Stadtabbreviatur wird immer durch die Szene begleitet, in welcher der Engel dem hl. Johannes das Himmlische Jerusalem zeigt (Ap 21,10). Stets erhebt sich die Stadt auf einem hohen Sockel: wohl ein Hinweis auf die fundamenta von Ap 21,196. In der Gotik kann diese Art der Verbildlichung die Form einer Burg (Eton, Eton College Library, ms. Eton 177, f. 55v) 7 oder eines Tabernakels (Dublin, Trinity College Library, ms. K.4.31, f. 27r) 8 annehmen. Natürlich haben sich diese verschiedenen Bildtypen gelegentlich vermischt, oder sie wurden mit zusätzlichen Inhalten versehen. Ein prägnantes Beispiel für die Typenvermischung ist das Fresko von San Pietro al Monte in Civate (um 1100)9. Inmitten des Mauergevierts, geschmückt mit Edelsteinen und versehen mit den zwölf Toren, thront Christus auf einem Globus (unter ihm das Lamm), und er hält die Meßlatte des Engels selber in der Hand. Das Paradies-Thema wird durch die großen Bäume und das Wasser — Jons vitae — eingeführt, das 4 5 6 7 8 9
Ibid., Ibid., Ibid., Ibid., Ibid., Ibid.,
151 sq., n. 6 (mit Abb.). 155 sq., n. 15 (mit Abb.). 162sq., n. 2 4 - 2 6 (mit Abb.). 165, n. 30 (mit Abb.). 245, n. 169 (mit Abb.). 148 sq.; zuletzt Y. Christe, L'apocalypse de Jean, Paris 1996, 108 sqq.
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Peter Kurmann
unter den Füßen Christi hervorströmt und sich, in vier Ströme aufteilend, kaskadenförmig über die Stadtmauer ergießt (Ap 22, 1 und 2). Eine ikonographische Erweiterung des Themas weist das Fresko am Vierungsgewölbe des Doms von Braunschweig aus der Zeit um 1220/30 auf 10 . Die ganze Gewölbefläche wird zu je einem Viertel von der Geburt Christi zusammen mit der Darbringung im Tempel, den drei Marien vor dem leeren Grab, dem Gang nach Emmaus sowie vom Pfingstbild ausgefüllt. Das Ganze, umgeben von der zinnenbewehrten Mauer des Himmlischen Jerusalem mit 12 Toren (darin je ein Apostel), ruft eindringlich in Erinnerung, daß das Ziel der gesamten, hier nur in wenigen Ausschnitten gezeigten Heilsgeschichte der Eintritt in das ewige Leben ist. Mit den hier kurz erwähnten verschiedenen Typen der bildlichen Umsetzung von eschatologischen Perspektiven im Zusammenhang mit der Darstellung des Himmlischen Jerusalem ist aber das Thema noch keineswegs erschöpft. Seit dem Erscheinen von Sedlmayrs Buch „Die Entstehung der Kathedrale" 11 wird immer wieder behauptet, die großen Bischofskirchen der französischen Frühund Hochgotik sowie die mit ihnen typologisch und stilgeschichtlich zusammenhängenden großen Sakralbauwerke Gesamteuropas stellten das Himmlische Jerusalem abbildlich dar. Es handelt sich also nicht um den theologisch-liturgischen Topos, nach welchem jedes geweihte Kirchengebäude das Himmlische Jerusalem symbolisiert, sondern vielmehr um eine ikonologische Erklärung eines herausragenden kunsthistorischen Phänomens der abendländischen Kunstentwicklung im Mittelalter. Nach Sedlmayr ergäbe die Summe aller spezifischen Formen einer gotischen Kathedrale das konkret gemeinte Bild der apokalyptischen Himmelsstadt. Es erübrigt sich in unserem Zusammenhang, auf die von Sedlmayr vorgebrachten Kriterien im einzelnen einzugehen, etwa den Eindruck des „Kristallinen", den die gotische Architektur hervorrufe, das „Baldachinsystem", aus dem die Wände des Innenraums zusammengesetzt seien, die Gestaltung der Obergeschosse, die über den Pfeilern angeblich zu „schweben" scheinen, und dergleichen mehr. Diese Thesen erweisen sich bei näherem Zusehen als Kunstgeschichtsklitterung, die weder einer fachkundigen Quelleninterpretation noch einer seriösen Formenanalyse standhalten. Neulich hat Wilhelm Schlink ihre Herkunft aus dem von neo-romantischen Utopien geprägten Milieu konservativer Intellektueller der 1920er Jahre klar und eindeutig aufgedeckt 12 . Man wird Schlink in allem und jedem Recht geben, sofern seine Kritik Sedlmayrs ikonologische Interpretation der Bauformen betrifft. Er schüttet aber gleichsam das Kind mit dem Bade aus, wenn er der Kathedrale jede Möglichkeit abspricht, das Himmlische Jerusalem abzubilden. Wenn sie es tut, so geschieht dies weder auf10
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T. Stangier, Wand- und Gewölbemalereien in Chor, Vierung und südlichem Querarm der ehemaligen Stiftskirche St. Blasius und Johannes, in: J. Luckhardt/F. Niehoff (eds.), Heinrich der Löwe und seine Zeit (Katalog der Ausstellung Braunschweig 1995), Bd. 1, München 1995, 201 sq. (n. D 28). H. Sedlmayr, Die Entstehung der Kathedrale, Zürich 1950 (Nachdruck Graz 1976). W Schlink, The Gothic Cathedral as Heavenly Jerusalem: A Fiction in German Art History, in: Jewish Art 23/24 (1997/98), 2 7 5 - 2 8 5 .
Zur Vorstellung des Himmlischen Jerusalem
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grund der Beschaffenheit ihres Architektursystems noch anhand des Zusammenspiels all ihrer Einzelformen, aber wie jede andere Kirche auch konnte die gotische Kathedrale Bildelemente in sich aufnehmen, welche die allgemein akzeptierte Symbolik des Kirchengebäudes als Himmlisches Jerusalem verdeutlichen und unter Umständen sogar konkret illustrieren. So stellt beispielsweise der schreinartige Vorbau der Fassade an der Kathedrale von Exeter (ca. 1330 — 80) mit seinen zahlreichen Figuren von Propheten, alttestamentlichen Königen und Aposteln das Himmlische Jerusalem dar (Abb. 1), zwischen dessen Zinnen Engel erscheinen 13 (Abb. 2). Dank der als Eingang zur ewigen Stadt verbildlichten Fassade der Kathedrale erweist sich letztere insgesamt als Himmlisches Jerusalem. Daß Bischof Grandisson auf der rechten Seite des Hauptportals in der Mauerdicke der Fassade seine eigene Gedächtniskapelle anlegen ließ, in der er 1369 dann auch begraben wurde 1 4 , verdeutlich diese Sinngebung, wollte er sich doch offensichtlich als Stifter auf eine ganz besondere Weise in dieses Abbild des Himmlischen Jerusalem — und zwar an dessen Eingang (!) — integrieren. Ebenso sinnfällig wird dieses Thema an der Fassade der Abteikirche von Bath aus dem frühen 16. Jahrhundert vorgeführt (Abb. 3). Hier erscheint der himmlische Hofstaat oben am Giebel mit Christus, umgeben von zahlreichen Engeln. Zu ihm führt an jedem der beiden Strebepfeiler eine zwischen je 6 Aposteln angebrachte Jakobsleiter, an der zahlreiche Engel hinaufklettern 15 . Ferner steht in den Tabernakeln des Strebewerks von Chor und Langhaus der Kathedrale von Reims (1211—ca. 1300) ein Reigen riesiger Engels figuren, der die Bibelworte (Is 62,2 und Ap 21,12) illustriert, nach welchen Wächter (bzw. Engel) die Mauern und Tore des Himmlischen Jerusalem bewachen 16 (Abb. 4). Mag es sich hier auch um Einzelfälle bildlicher Konkretisierung der allgemeinen Symbolik handeln, die zu einem schönen Teil auf spezielle Absichten seitens der Auftraggeber zurückgehen 17 , so darf man die systematische An13
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Zwar ist das Ganze zu erheblichen Teilen mehrfach erneuert worden, ganz besonders im Bereich der Zinnen-Engel, aber der Anlage nach darf das Ensemble insgesamt als original gelten. Cf. J. Allan/S. Blaylock, The West Front I. The Structural History o f the West Front, in: F. Kelly (ed.), Medieval Art and Architecture at Exeter Cathedral (The British Archaeological Association Conference Transactions 11, 1985), Leeds 1991, 9 4 - 1 1 5 ; A. Henry, The West Front III. The Iconography o f the West Front, in: ibid., 134 - 1 4 6 . Ν. Pevsner/P. Metcalf, The Cathedrals of England, Southern England, Harmondsworth 1985, 110. C. Heck, L'échelle céleste dans l'art du moyen âge, Paris 1997, 216. Dieses figürliche Ensemble wurde im 19. Jahrhundert und danach weitgehend erneuert, sein Bestand geht aber auf das Spätmittelalter zurück: cf. J. Carter, Some Account of The Abbey Church of Bath (Society o f Antiquaries o f London), London 1798, 6 und Taf. III sowie VI. P. Kurmann, Le couronnement de la Vierge du grand portail de la cathédrale de Reims: clef du système iconographique de la cathédrale des sacres, in: Y. Christe (ed.), D e l'art comme mystagogie. Iconographie du Jugement dernier et des fins dernières à l'époque gothique (Civilisation médiévale 3), Poitiers 1996, 9 5 - 1 0 4 . Dies gilt ebenso für die Fassade der Kathedrale von Exeter als für diejenige der Abteikirche in Bath. Auftraggeber der letzteren war Bischof Olivier King, der in einer Vision Engel auf der Himmelsleiter auf- und absteigen sah, in deren Nähe sich ein gekrönter Olivenbaum befand,
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wendung großer Glasflächen als integrierender Bestandteil der gotischen Architektur generell im eschatologischen Sinne deuten. Wie zahlreiche Texte aus dem Mittelalter belegen, wurde Glas wegen seiner den Edelsteinen vergleichbaren Eigenschaften der Farbigkeit und Lichtdurchläßigkeit als Bausubstanz betrachtet, die den selbstleuchtenden Wänden der apokalyptischen Himmelsstadt nahekommt 18 . Wenn zur Zeit der hohen und späten Gotik der Kirchenbau formal in erster Linie als Träger der leuchtenden Glasbilder konzipiert wird, so darf die gotische Kathedrale, die allein schon wegen ihrer unerhörten Dimensionen, aber auch aufgrund ihres künstlerischen Anspruchs dem Ideal dieser Architektur am stärksten entspricht, tatsächlich als Verbildlichung des Himmlischen Jerusalem verstanden werden. Aber nicht die Bauformen machen die Kathedrale zum Abbild der Himmelsstadt, sondern ihre riesigen Farbfenster 19 . Dabei spielt deren stilistische, motivische und ikonographische Entwicklung in der Zeit seit dem späten 12. Jahrhundert und dem Ende des Mittelalters grundsätzlich eine untergeordnete Rolle. Ausschlaggebend für unsere Betrachtungsweise ist die Tatsache, daß es sich stets um große, häufig riesige Maßwerkfenster handelt, die alle zusammen genommen in der Ansicht des Innenraums den Eindruck selbstleuchtender „Wände" hervorrufen 20 . Ebenfalls wird man die gegen 1260 einsetzende generelle Architektonisierung der gotischen Bildkünste in eschatologischem Sinne deuten dürfen. Zumindest für den Bereich der Glasmalerei, aus dem wahrscheinlich in dieser Hinsicht die frühesten Anstöße kamen, dürfte diese Hypothese eine grundsätzliche Gültigkeit beanspruchen 21 . Warum, so muß man fragen, werden seit der Zeit kurz nach der Mitte des 13. Jahrhunderts bis zum Ende des Mittelalters sehr häufig einzelne Figuren und Szenen der Heilsgeschichte von baldachinartigen Architekturkompositionen eingefaßt, die der zeichnerischen Darstellung von einzelnen Bau-
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ein Wortspiel auf den Namen des Bischofs. Diese Vision soll ihn zum Neubau der Kirche veranlaßt haben (Carter, Account [nt. 15], 6). Nachweise in H. Westermann-Angerhausen, Glasmalerei und Himmelslicht - Metapher, Farbe, Stoff, in: ead. e. a. (eds.), Himmelslicht. Europäische Glasmalerei im Jahrhundert des Kölner Dombaus (1248-1349) (Katalog der Ausstellung Schnütgen-Museum Köln 1998), Köln 1998, 95-102. Es wäre zu überprüfen, ob die von mittelalterlichen Theologen gelegentlich vorgeschlagene, allerdings von der Kirche nie sanktionierte Meinung, die Toten würden nach ihrer Wiederauferstehung einen gläsernen oder zumindest transluziden Leib erhalten, auf die generelle Wertschätzung der transparenten Stofflichkeit des Glases zurückgeht. Zum „gläsernen Leib" der von den Toten Wiederauferstandenen cf. die Belege bei C. W Bynum, The Resurrection of the Body in Western Christianity, 2 0 0 - 1 3 3 6 (Lectures on the History of Religions 15), New York 1995, 140 sq., 210, 269, 313, 335 sqq.; ferner Β. Boerner, Par caritas par meritum. Studien zur Theologie des gotischen Weltgerichtsportals in Frankreich - am Beispiel des mitderen Westeingangs von Notre-Dame in Paris (Scrinium Friburgense 7), Freiburg/Schweiz 1998, 245. Wie stark die „Lichtästhetik" der gotischen Architektur seit deren Anfängen liturgisch bedingt ist, hat Andres Speer eindrücklich dargelegt: A. Speer, Lux mirabilis et continua. Anmerkungen zum Verhältnis von mittelalterlicher Lichtspekulation und gotischer Glaskunst, in: WestermannAngerhausen e. a. (eds.), Glasmalerei und Himmelslicht (nt. 18), 8 9 - 9 4 . P. Kurmann, „Architektur in Architektur": der gläserne Bauriß der Gotik, in: ibid., 3 5 - 4 3 .
Zur Vorstellung des Himmlischen Jerusalem
297
teilen großer gotischer, „kathedralhafter" Kirchen ähnlich sind (Abb. 5 und 6)? Die Antwort liegt auf der Hand. Im Sinne einer Redundanz fangt die gotische Kirche an, sich als Chiffre für das Himmlische Jerusalem in ihren Bildern selber darzustellen. Dazu reicht der Baldachin, meist von einem Wimperg und Fialen, beziehungsweise von Türmchen bekrönt, als einzelnes, aber typisches Element der späteren hochgotischen Architektur, des sogenannten „style rayonnant", völlig aus. Der halb realistisch, halb illusionistisch dargestellte Baldachin legt in der Tat eine eschatologische Interpretation nahe. Häufig wird er mit kleinen Engeln bevölkert und ist farblich von silberner oder goldener Kostbarkeit. So wie am Braunschweiger Vierungsgewölbe wichtigste Ereignisse des Lebens und der Zeit nach der Auferstehung Christi von den Mauern des Himmlischen Jerusalem umschlossen werden, so können in der Malerei ab ca. 1260 sämtliche Ereignisse und Figuren der Heilsgeschichte von Architekturabbreviaturen eingerahmt werden. Als partes pro toto versinnbildlichen diese die einzigartige Rolle, welche die vermittels baukünstlerischer Motive visualisierte Kirche als Heilsbringerin spielt. Es liegt in der Logik der hier kurz umrissenen Entwicklung der Bildersprache, daß in spätmittelalterlichen Darstellungen des Jüngsten Gerichts die Seligen in ein Paradies eintreten, dessen Tor als aufwendig gestaltetes Portal einer gotischen, „kathedralhaften" Kirche wiedergegeben wird 22 .
22
Als Beispiele seien genannt: Stefan Lochner, Weltgericht, um 1435: cf. F. G. Zehnder, Kat.Nr. 44, in: id. (ed.), Stefan Lochner, Meister zu Köln (Kat. Ausstellung Wallraf-Richartz-Museum Köln 1993), Köln 1993, 3 1 8 - 3 1 9 (mit Abb.); Hans Memling, Triptychon des Jüngsten Gerichts in der Danziger Marienkirche (1467/71): cf: D. De Vos, Hans Memling, The Complete Works, London 1994, 8 2 - 8 9 , Abb. auf 82. Bezeichnenderweise kann das als gotisches Kirchenportal wiedergegebene Tor des Himmlischen Jerusalem, durch welches die Seligen prozessionsartig hineinziehen, durch ein komplettes Kirchengebäude ersetzt werden, wie z. B. auf der Tafel des Jüngsten Gerichts in Diest (entstanden zwischen 1420 und 1450): cf. Zehnder (ed.), Stefan Lochner, 72 und Abb. auf 68.
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Peter K u r m a n n
2) Kxercr, K a t h e d r a l e , Westfassade, Detail des Z i n n e n k r a n z e s mit E n g e l n
Zur Vorstellung des Himmlischen Jerusalem
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101 102 103 104 105
106
Alexander Minorità, Expositio, 416, 1 2 - 4 1 7 , 11, Zitat 417, 2 und 11. Alexander Minorità, Expositio, 420, 1 4 - 4 2 1 , 28. Alexander Minorità, Expositio, 427, 2 3 - 4 2 8 , 1. Alexander Minorità, Expositio, 442, 1 5 - 4 4 3 , 1, Zitate 442, 17, 1 8 - 2 0 , 2 6 - 4 4 3 , 1. Alexander Minorità, Expositio, 288, 6 - 2 8 9 , 5. Cf. Schmolinsky, Apokalypsenkommentar (nt. 99), 40, 5 2 - 5 4 , 111, passim. Alexander Minorità, Expositio, 430, 2 3 - 4 3 1 , 4, Zitate 431, 1 - 4 .
Prophezeite Geschichte und früher Joachitismus in Deutschland
539
Kirchenherrschaft. Da nun aber die Zahl des Tieres, 666, auf 1249 verwies, schrieb er im Sommer 1249 einen Nachtrag, der nur in der Handschrift Β überliefert ist 107 und eine zweite — methodisch ja nicht verwerfliche — Deutung des Tieres aus dem Meer in Ape 13,2—10 auf den „Tjrannus Fredericus qui modo regnavit" enthält 108 . Wiewohl dem blasphemischen Tier nach Ape 13,5 nur dreieinhalb Jahre Zeit für seine Taten gegeben sind und Friedrich bereits vier Jahre (seit dem Konzil von Lyon im Juni und Juli 1245) abgesetzt ist, hält Alexander die „praedicatio" in der Kirche für nicht unmittelbar gefährdet 109 . Die Aktualität des Gegenstandes veranlaßt ihn jedoch, leider nicht näher bezeichnete, teils joachitische oder joachitisch anmutende Prophezeiungen zu mustern und ihre Kompatibilität mit seinen Theorien zu prüfen: seiner Auffassung nach sei der Antichrist noch nicht geboren und auch nicht mit dem deutschen König zu identifizieren, noch 1260 zu erwarten; den Sarazenen werde es nicht gelingen, den christlichen Kult zu unterdrücken, dazu sei die päpstliche und bischöfliche Herrschaft zu gut gesichert bis zum Ende des Millennium „a tempore Constantiniinw. Einen letzten Blick gestattet Alexander auf seine Lebensform, und dies ist mit der radikalsten Neuerung verknüpft, die sein Kommentar bisheriger Apokalypsenexegese gegenüber aufzuweisen hat: mit den Worten des Psalms 121,8 nennt er die „Minores" seine Brüder, die „Praedicatores" seine „proximi"nx, die beide zu gleicher Zeit auf der Ebene der Auslegung das neue Jerusalem bedeuten. (Um) 1242, bei seiner Bearbeitung des ursprünglichen Kommentars von 1235 112 , war sein wesentlicher, ihm gleichfalls offenbarter Erkenntnisfortschritt gewesen, daß das neue Jerusalem in Ape 21 und 22 bereits vor dem Jüngsten Tag erbaut gewesen sein müsse: „[...] quae tarnen ante diem novissimum est bonis operibus aedificanda, quia post diem iudiríi ,veniet nox, in qua nemo potest operan '" (nach Io 9,4). „Sciendum, quod electi, quos dicemus [das werden die beiden Bettelorden der Franziskaner und Dominikaner sein] per dvitatem Jherusalem designates esse, eam ante diem iudidi aedificabunt [...]. Quod absque omni ambiguitate ante diem novissimum necesse
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1,1 112
In einer Handschrift (D) wurde der Nachtrag herausgeschnitten: Alexander Minorità, Expositio, 507, 3 0 - 3 3 . Alexander Minorità, Expositio, 507, 3 - 5 0 9 , 2. Cf. Schmolinsky, Apokalypsenkommentar (nt. 99), 38 sq., 112 sq. A. Sommerlechner, Stupor mundi? Kaiser Friedrich II. und die mittelalterliche Geschichtsschreibung (Publikationen des Historischen Instituts beim Osterreichischen Kulturinstitut in Rom 1/11), Wien 1999, 196 sq., 221, 409 nt. 1010 (passim zu anderen Stellen zu Friedrich II.); allerdings, soweit erkennbar (Alexanders Kommentar fehlt im 487 sqq. angehängten Quellenkatalog), auf dem Forschungsstand von H. Grundmann (Uber den ApokalypsenKommentar des Minoriten Alexander, zuerst in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 45 [1928], 7 1 3 - 7 2 3 ) und D. Berg (cf. supra nt. 54). Alexander Minorità, Expositio, 508, 1 - 8 . Alexander Minorità, Expositio, 509, 2 - 2 2 . Cf. Schmolinsky, Apokalypsenkommentar (nt. 99), 73, 113. So im Nachtrag von 1249: Alexander Minorità, Expositio, 510, 23 sq. Cf. Schmolinsky, Apokalypsenkommentar (nt. 99), 3 3 - 3 8 .
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Sabine Schmolinsky
est fieri."113 Das absolut Jenseitige erscheint so über das Zeitenende hinweg rückgezogen in die irdische Zeitlichkeit und wird kenntlich gemacht: „Per istam avitatem designantur fratres Minores, qui secundum historiam vitam apostolorum imitantur, et Praedicatores, qui apostolum Paulum in praedicatione sequuntur. Isti omnes Jherusalem vocantur, quia ad visionempads aeternae iam tendunt."iu Diesen und anderen Äußerungen Alexanders sowie den von ihm für erhellend gehaltenen Zitaten 115 zufolge zeichnen sich die beiden Orden durch ihre vita apostolica116 und ihre Predigt 117 aus. Rivalität dem brüderlichen Orden der Do113
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Alexander Minorità, Expositio, 467, 1 9 - 2 1 , 2 6 - 2 8 ; 468, 4sq. (zu Ape 21,9 ohne eine andere Auslegung zuvor). Die bona opera unter anderem waren zu Ape 20,6 den Menschen, „[...] qui videntpaene omnia impkta, quae praedicta fuerunt [...]", zur Vorbereitung auf das Jüngste Gericht empfohlen. Alexander Minorità, Expositio, 450, 1 4 - 1 7 . Alexander Minorità, Expositio, 469, 1 1 - 1 6 (cf. 510, 2 3 - 2 5 ) . Letzteres ist auf dem Hintergrund einer Bestimmung Isidors (Etymologiae VIII, 1,6; cf. W. M. Lindsay [ed.], Isidori Hispalensis episcopi Etymologiarum sive originum libri XX, Vol. 1, Oxford 1911, repr. 1987) zu verstehen: „[...] Hierusalempads visio interpretatur", die sich auf den künftigen Namen der Kirche bezieht. Alexander konterkariert damit eine der Grundstrukturen von Ape 21 sq., das himmlische Jerusalem als nicht irgendwie präexistent aufzufassen, und er verstärkt die Aussagen des Johannes, die die Zugehörigkeit zur eschatologischen Stadt mit ethischen Kategorien verbinden; cf. P. Söllner, Jerusalem, die hochgebaute Stadt. Eschatologisches und Himmlisches Jerusalem im Frühjudentum und im frühen Christentum (TANZ. Texte und Arbeiten zum neutestamentüchen Zeitalter 25), Tübingen - Basel 1998,188-261, hier 192, 242sq., 260. Expositio, 454, 5 - 8 , als Einschub am Ende der Auslegung von Ape 20,8: „Nos vero, secundum quod nobis revelatum est, dvitatem dilectam didmus esse ordinem fratrum Minorum et Praedicatorum. In qua dvitate adiuvat unus frater alium [...]." Cf. Schmolinsky, Apokalypsenkommentar (nt. 99), 36; id., Ordensprophetie nach Joachim von Fiore? Franziskaner und Dominikaner im Apokalypsenkommentar des Alexander Minorità, in: J. A. Aertsen/A. Speer (eds.), Geistesleben im 13. Jahrhundert (Miscellanea Mediaevalia 27), Berlin - New York 2000, 321-332. Die von Alexander (um) 1242 inserierten Exzerpte aus dem joachitischen Kommentar „Super Hieremiam" charakterisieren die kommenden Orden unter anderem als doctores, prophetae und praedicatores (Expositio, 493, 5—495, 4), als prophetae die Exzerpte aus Schriften Hildegards von Bingen, wie sie im von Gebeno von Eberbach kompilierten „Speculum futurorum temporum" (1220) Alexander vorgelegen haben dürften (Expositio, 495, 6 — 23). Cf. Schmolinsky, Apokalypsenkommentar (nt. 99), 40. H.-J. Schmidt, Geschichte und Prophetie. Rezeption der Texte Hildegards von Bingen im 13. Jahrhundert, in: A. Haverkamp (ed.), Hildegard von Bingen in ihrem historischen Umfeld. Internationaler wissenschaftlicher Kongreß zum 900jährigen Jubiläum, 13.-19. September 1998, Bingen am Rhein - Mainz 2000, 489 - 517, hier 498-504, zu Alexander 506: Allerdings ist der Minoritenorden am Aufbau des neuen Jerusalem beteiligt, nicht des Millennium, in dem Alexander Geschichte seit der Konstantinischen Wende sich ereignen weiß, und dieser zitiert weder Joachim von Fiore (sondern Ps.-Joachim), noch beschäftigt er sich mit Joachims Trinitätsauffassung — unter anderem deswegen kann Alexanders Exegese nicht einfach als „eine Weiterentwicklung dessen [...], was der kalabresische Abt konzipiert hatte [.··]", eingeschätzt werden. Cf. Roest, Reading the Book (nt. 39), 164sq., 184. Alexander Minorità, Expositio, 454, 12—15: „Ista dvitas habet scripta in fundamentis nomina XII apostolorum, quia iamdicti fratres magis proprie ceteris hominibus operibus et verbis vitam et doctrinam apostolorum imitantur" (zu Ape 20,8 am Ende der Auslegung eingefügt); ähnlich 474, 1 5 - 1 9 (zu Ape 21,13). Alexander Minorità, Expositio, 435, 9 - 1 3 : „Verbum Domini, quod mortuos in peccatis exdtat, a Jherusalem, de qua dicemus, magis exivit iam in tributa annis, quam umquam sit auditum in tanto temporis spatio ab initio saeculi" (zu Ape 20,5 am Ende der Auslegung eingefügt). Cf. Schmolinsky, Apokalypsenkommentar (nt. 99), 37.
Prophezeite Geschichte und früher Joachitismus in Deutschland minikaner gegenüber ist A l e x a n d e r fremd: „/# qua civitate
adiuvat
unus frater
541 alium,
ut sit civitas firma secundum Salomonem, qui ait:,Frater, qui adiuvatur afratre, est tamquam dvitas jortis.'" — oder formuliert er (um) 1 2 4 2 , was nicht m e h r ist, aber sein s o l l t e 1 1 8 ? Alexanders Textteile zu den beiden O r d e n und insbesondere deren G r ü n d e r n sowie seine Rezeption ihm zeitgenössischer (franziskanischer) Schriften zu analysieren, überstiege den R a h m e n der gegenwärtigen Fragestellung, zumal es eine genaue Lektüre der stark erweiterten Fassung in der Handschrift C einschließlich einer Untersuchung ihres Verhältnisses zur Chronik des A l b e r t v o n Stade e r f o r d e r t e 1 1 9 . Im nüchternen Ton des Exegeten baut A l e x a n d e r höchst kontroverse (Ordens-) T h e m e n seiner Zeit in seine Auslegung ein: D a ß Johannes keinen Tempel in der heiligen Stadt sah ( A p e 2 1 , 2 2 ) , löst sich historisch darin auf, daß die Minoriten anfangs keine K i r c h e n besaßen. „Sed postea
habituri erant ecclesias. [...] non tarnen in tantum ornatas, ut a populo possen t appellari templa sive templum [...]."120 Vielleicht ist auch Alexanders Status als laicus auf diesem Hintergrund zu sehen: Falls seine Selbstbeschreibung „indign[us] ¿Z/ÍT[us]" im P r o l o g 1 2 1 nicht auf einen Laien, sondern auf einen minoritischen Laienbruder verweist, so w a r er ein ungewöhnlicher laicus, der sich a u f g r u n d seiner durch seinen A p o k a l y p s e n k o m m e n t a r bewiesenen B i l d u n g 1 2 2 nicht eindeutig in die Struktur der — v o r allem in N o r d d e u t s c h l a n d 1 2 3 - f r ü h e n B r ü d e r g r u p p e n fügte. (Um) 1 2 4 2 , als A l e x a n d e r d e m O r d e n beigetreten gewesen sein muß, d ü r f t e diese Aussage p r o vokativer als 1 2 3 5 geklungen haben — falls er sich zu dieser Zeit als Laienbruder 118
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Alexander Minorità, Expositio, 454, 8 - 1 0 (cf. supra nt. 114); wiederholt zu Ape 21,10: „Quod iamdictifratres duorum ordinumper unam rívitatempossint designan, ostendit rex Salomon [...]" (Expositio, 470, 10 — 14). Cf. M. Schlosser, Lucerna in caliginoso loco. Aspekte des Prophetie-Begriffes in der scholastischen Theologie (Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der Mittelalterlichen Theologie und Philosophie, Ν. E 43), Paderborn etc. 2000, 243; zu Alexanders Ordensprophetie 240. Cf. Schmolinsky, Apokalypsenkommentar (nt. 99), 4 7 - 5 1 . Alexander Minorità, Expositio, 489, 15-23, Zitat 18, 21 sq. In einem Einschub in der gekürzten Fassung W (cf. Schmolinsky, Apokalypsenkommentar [nt. 99], 31 sq., 46) werden „tempia dotata praebendis vel aliis stipendüs" sowie andererseits Almosen verhandelt (Expositio, 489, 1 - 9 ) . Alexander Minorità, Expositio, 7, 1. Cf. Schmolinsky, Apokalypsenkommentar (nt. 99), 27 sq. Alexander hebt als Merkmale eines Laien nicht nur das Fehlen von Weihegraden sondern auch das einer Ausbildung in den Artes liberales hervor: „Quod supra dictum est de laico, intelligatur esse homo nullius sacri ordinis nullaque liberali arte instruetus" (Expositio, 11, 12—14). Zuvor hat er in der Auslegung von Ape 1,3 litterati vel clerirì den nur hörenden laid gegenübergestellt (ibid., 10-12). Cf. Schmolinsky, Apokalypsenkommentar (nt. 99), 28, bes. nt. 85. Alexander läßt sich keiner Niederlassung zuordnen, dürfte jedoch mit Albert von Stade in Kontakt gestanden haben; cf. Schmolinsky, Apokalypsenkommentar (nt. 99), 2 5 - 2 7 . Cf. G. Maeck, Vom Benediktinerabt zum Minderbruder. Studien zur Geschichtsschreibung Alberts von Stade, in: Wissenschaft und Weisheit 63 (2000), 86-135, bes. 87, 98, 117 sq., 126, 131 sq., 134 sq.; A. Mindermann, Zur Geschichte des Stader Franziskanerklosters St. Johannis, in: ibid., 61 — 85, hier 75 (älterer Forschungsstand); D. Berg (ed.), Spuren franziskanischer Geschichte. Chronologischer Abriß der Geschichte der Sächsischen Franziskanerprovinzen von ihren Anfangen bis zur Gegenwart. Bearb. von B. Schmies, K. Rakemann (Saxonia Franciscana, Sonderband), Werl 1999.
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Sabine Schmolinsky
bezeichnen wollte —, denn durch die Entwicklung des Ordens in England und Frankreich hatten Einfluß und Bedeutung der gelehrten Klerikerbrüder rasch zugenommen, bis der Generalminister Haymo von Faversham ( 1 2 4 0 - 1 2 4 4 ) Zulassung und Tätigkeiten der Laienbrüder sogar ausdrücklich beschränkte; sein Nachfolger Crescentius von Jesi (1244—1247) setzte sein Werk fort 1 2 4 . Im Angesicht der Endzeit entfällt jedoch offensichtlich die Notwendigkeit ordensinterner oder -externer Differenzierungen. Die Aussage des Engels am Schluß der Vision des Johannes: „ t e m p u s enim prope est" (Ape 22,10) ergänzt Alexander zu der Handlungsaufforderung: „in quo oporteat acquirere fratres"125. Was bleibt nun wirklich eschatologisch, was wirklich prophetisch an der apokalyptischen Prophetie, wenn sogar das neue Jerusalem dem historischen Diskurs unterworfen werden kann? Das Ende des Millennium und das Jüngste Gericht stehen als gewiß zukünftige Ereignisse außer Frage, auch der Antichrist, wiewohl Alexander dies nur indirekt erkennen läßt, indem er „falsche" Auslegungen auf ihn kritisiert, nicht jedoch sein Kommen an sich verwirft 1 2 6 . Eine eschatologische Perspektivierung ist der „Expositio" nicht abzusprechen, zumal die quasi logisch erarbeitete Notwendigkeit eines baldigen Beginns der Endzeit sie verschärft; die visionär geschauten Bilder der Prophetie sind dieses Gehaltes jedoch im Zuge dessen, daß sie erklärbar wurden, verlustig gegangen. Alexander faßt den Apokalyptiker Johannes als einen Propheten von Geschichte, nicht nur als einen Propheten vom Ende der Geschichte auf; die Apokalypse wird in diesem Sinne historisiert 127 , zu einem Significane für geschichtliche Personen und Ereignisse gedeutet. Die Fülle der Geschichte im Neuen
124
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N. Küster OFMCap, Franziskus und sein Predigerorden, in: Wissenschaft und Weisheit 60 (1997), 2 3 - 6 4 , hier 3 5 - 4 3 , 5 9 - 6 1 . Unter diesem Aspekt gewinnt auch eine Aussage innerhalb der joachitischen Ordensprophetien in Alexanders Exzerpten aus dem Kommentar „Super Hieremiam" an Aktualität: „ [ . . . ] ad obedientiam clericos et laicos indifferenter admissos [ . . . ] " (Expositio, 494, 11 sq.). Alexander Minorità, Expositio, 503, 3. Alexander Minorità, Expositio, 110, 4 - 1 3 , cf. 94, 2 - 4 , 225, 9 - 1 4 , passim. „Präteritisierung" könnte als ein für dieses Verfahren geeigneter Begriff erscheinen, würde er nicht für die frühneuzeitlich, besonders protestantisch, vorhandeneVorstellung einer vollständigen Erfüllung der apokalyptischen Prophetie in ihr nahe gelegenen Zeiträumen (e. g. bis zu Konstantin dem Großen) bzw. die vor allem calvinistische Beschränkung der prognostischen Reichweite der Danielprophetie verwendet. Cf. Α. Seifert, Von der heiligen zur philosophischen Geschichte. Die Rationalisierung der universalhistorischen Erkenntnis im Zeitalter der Aufklärung, in: Archiv für Kulturgeschichte 68 (1986), 8 1 - 1 1 7 , hier 9 9 - 1 0 3 . Id., Der Rückzug der biblischen Prophetie von der neueren Geschichte. Studien zur Geschichte der Reichstheologie des frühneuzeitlichen deutschen Protestantismus (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 31), Köln - Wien 1990, 3 - 5, 8 sq., 17: Seifert spricht - im Kontext der eschatologischen Wertung zeitgeschichtlicher Erfahrung — nur von „ähnlichen exegetischen Resultaten" „der mittelalterlichen Ausleger"; die protestantische „Präteritisierung der Apokalypse" (150 - 1 6 4 ) grenzt er, mit Bezug auf Alexander Minorità, von der „,historischen Schule' des Mittelalters" ab (152). Cf. zuletzt, unter Rückgriff auf Seiferts Schriften, H. Zedelmaier, Die Marginalisierung der Historia sacra in der frühen Neuzeit, in: Storia della Storiografia 35 (1999), 1 5 - 2 6 , hier 21 sq.
Prophezeite Geschichte und früher Joachitismus in Deutschland
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Testament erscheint beträchtlich erweitert: analog zum Alten Testament enthält es neben den geschichtlichen Büchern eine Prophetie, deren Erfülltsein nun erkennbar geworden ist, so wie die alttestamentlichen Prophetien im Neuen Testament als erfüllt erschienen 128 . Ohne daß Alexander dies eigens bedacht zu haben scheint, kann unter dem Aspekt seines Apokalypsenverständnisses die Bibel universalhistorischen Ansprüchen gerecht werden 129 . Geschichte im Sinn einer Geschichtserzählung zu erzeugen, ist allerdings nicht seine Absicht; die Aneinanderfügung von Geschichtsexzerpten über Personen hat nicht historiographische Kohärenz zum Ziel. Kohärenz entsteht auf einer anderen Ebene, indem er zeigt, um wieviel zwingender prophezeite Geschichte im Vergleich zu nur historiographisch „verbürgter" erscheinen kann. Eben diese Rahmensetzung, die nicht nur Exegese ermöglicht, sondern vor allem Geschichte einschließlich der eigenen, zeitgenössischen auf ihren Ort im göttlichen Plan hin transparent macht, sollte Alexander Minorità auch als Geschichtstheologen im Umfeld von Joachim von Fiore — sowie der mendikantischen Apokalypsenexegese — betrachten lassen 130 . Dennoch dürften Alexanders historische Interessen nicht unerheblich gewesen sein, wie sich zudem am Eigengut der Handschrift C 1 3 1 ablesen läßt. Sie spiegeln sich in der gegenwärtigen geschichtswissenschaftlichen Forschung zur sächsischen Chronistik und Annaüstik, in deren Geflecht sein Werk aufgrund von Zitaten und Exzerpten eine Rolle spielt 132 , mindestens im Fall der „Sächsischen Weltchronik" sogar als deren erster Rezipient 133 . Hat also der historische Diskurs den prophetischen außer Kraft gesetzt? Alexanders Apokalypsenverständnis zufolge ist dies zwangsläufig der Fall, je mehr historische Zeit nach des Johannes Vision zur Zeit Domitians vergangen ist und weiter vergeht, je mehr prospektive Geschehensansage zu historiographischer Retrospektion wird. Hinzu kommt, daß Alexander den besonderen Zielpunkt 128
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Alexander betont den Aspekt der Prophetie durch Christus im Neuen Testament: „Non est tempus Christianorum sine prophetia, sicut Judaei dicunt, sed Dominus noster Jesus Christus, qui est auctor novi Testamenti\ est propheta eius. Unde prophetìa ista vocatur apokalipsis Jesu Christi ..." (Expositio, 278, 1 5 - 1 9 ) . Alexanders Auslegung selbst kann nicht eine „weltgeschichtliche" genannt werden, wie Wachtel (cf. supra nt. 39) es tut, da sie erst nach der Passion Christi einsetzt. Nicht eingesehen werden konnte: R. Savigni, Salvezza individuale e fine del mondo, in: C. Tugnoli (ed.), La speranza di salvezza. Storia e antropologia della fine del mondo. Atti del corso di aggiornamento per il personale docente, ottobre - dicembre 1993, Trento 1994, 6 1 - 9 0 , der den ekklesiologischen Aspekt des Millennium bei Alexander betont; cf. Medioevo latino 16 (1995), 387. Lerner, Medieval Return (nt. 34), 5 1 - 7 1 , hier 60sq. Für erste Hinweise cf. Schmolinsky, Apokalypsenkommentar (nt. 99), 47 sq. Cf. Κ. Naß, Die Reichschronik des Annalista Saxo und die sächsische Geschichtsschreibung im 12. Jahrhundert (MGH. Schriften 41), Hannover 1996, 319, 322, 422 sq. Cf. M. Menzel, Die Sächsische Weltchronik. Quellen und Stoffauswahl (Vorträge und Forschungen, Sonderband 34), Sigmaringen 1985, 181 sq. J. Wolf, Die Sächsische Weltchronik im Spiegel ihrer Handschriften. Uberlieferung, Textentwicklung, Rezeption (Münstersche Mittelalter-Schriften 75), München 1997, 145, 202 sq., passim (mit Irrtümern bezüglich Alexanders und der „Expositio").
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Sabine Schmolinsky
der apokalyptischen Prophetie: Vollendung — bezeichnet im neuen Jerusalem — in Gestalt des mendikantischen Lebens als in Teilen irdisch antizipiert annimmt, und das bedeutet in der Konsequenz: Vollendung kann schon in der Gegenwart beginnen und in einzelnen Aspekten oder besonderen Beispielen dem Ende vorausgehen.
Joachim von Fiore und sein vermeintlicher Einfluß auf Hispanoamerika im 16. Jahrhundert ELISABETH REINHARDT — JOSEP-IGNASI SARANYANA
(Pamplona)
1. E i n l e i t u n g : S t a n d der F o r s c h u n g a) Die historisch-theologischen Thesen des Joachim von Fiore Zunächst geht es uns um eine möglichst genaue Präzisierung der wichtigsten Thesen des Abtes Joachim zu dem Thema, das hier behandelt werden soll, das heißt, bezüglich der eschatologischen Perspektive der Kirche in tems und der christlichen Utopien. Unseres Erachtens weist der Joachimismus vier wesentliche Merkmale auf 1 : die Interpretierung der profanen Geschichte als historia salutis-, eine konkordistische Exegese des Alten und Neuen Testaments; die Einteilung der Geschichte in drei status, die — wie es scheint — biunivok jeder göttlichen Person appropriiert werden, obgleich der letzte dem Sohn und dem Heiligen Geist „gemein" ist; ein neues und vollständiges, spirituelles Schriftverständnis, „evangelium aeternum" genannt, während des dritten status. Diesen vier Merkmalen hat die Historiographie ein fünftes beigefügt, das uns sehr diskussionsbedürftig erscheint, nämlich die Forderung einer neuen Heilsökonomie, ohne Zeichen und Figuren, die vor dem Eschaton oder dem Ende der Geschichte eingeführt werden soll (oder bereits eingeführt ist). Es scheint ein gewisses Einverständnis unter den Forschern — insbesondere unter jenen aus dem theologischen Bereich — darüber zu bestehen, daß Joachim die ersten vier Thesen vertritt 2 . Dagegen besteht eine bemerkenswerte Diskus-
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Um nur einen Spezialisten zu nennen: E. Russo, Breve storia filosofica. Alla luce della natura del triadico simbolo, Roma 1967, 4 7 0 - 5 5 9 . A m interessantesten ist gerade das Kapitel über den Abt Joachim. Cf. außerdem: R. Manselli, Il secolo XII: religione popolare ed eresia, Roma 1983, 3 6 6 - 3 6 7 . Cf. H. Mottu, La manifestation de l'Esprit selon Joachim de Flore. Herméneutique et théologie de l'histoire d'après le „Traité sur les Quattre Evangiles", Neuchâtel-Paris 1974; C. Baraut, Joachim de Flore, in: Dictionnaire de spiritualité [= DSp] 8 (1974), 1 1 8 1 - 1 1 8 3 ; G. Di Napoli, La teologia trinitaria di Gioacchino da Fiore, in: Divinitas 23 (1979), 2 1 8 - 3 1 2 ; id., L'Ecclesiologia di Gioacchino da Fiore, in: Doctor Communis 32 (1979), 3 0 2 - 3 2 6 ; id., Gioacchino da Fiore, Teologia e cristologia, in: Aquinas 23 (1980), 1 - 5 1 ; E. Vilanova, Historia de la Teologia Cristiana, III, Barcelona 1984, 3 6 6 - 3 7 3 .
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sion über das fünfte Merkmal, das mit seltener Einstimmigkeit von den aus der Geschichtswissenschaft kommenden Mediävisten vertreten wird 3 . Gehen wir näher auf die Bedeutung der ersten vier Merkmale ein. Das erste Merkmal ist zugleich ein Wesenszug der Geschichtstheologie in ihren ersten Entwicklungsphasen, das heißt, bei Augustinus selbst und bei denen, die ihm mehr wörtlich und direkt folgen 4 . Nach Augustinus, in seinem Werk „De civitate Dei", trägt die Geschichte dadurch zur Heilsgeschichte bei, daß sie in einem uns unbekannten Maß die himmlische Stadt zum Wachsen bringt. Die genaue Beziehung zwischen beiden Städten ist in keinem Buch der Schrift festgelegt. Dagegen ist sich die Patristik des goldenen Zeitalters darüber einig, daß — nach O f f 6, 9 —11 — die Geschichte aufhört sobald die „Rekrutierung" des Volkes der Heiligen beendet ist, wenn die Errichtung der Stadt Gottes vollendet ist, wenn die Zahl der Erwählten vollständig ist. Es ist klar, daß das Auserwähltsein oder die Heiligkeit im Lauf des Erdenlebens erreicht wird, und genau in diesem Sinn ist die weltliche Stadt in der himmlischen impliziert. Die Gleichnisse des Evangeliums, besonders das des Weizens und des Unkrautes (Mt 13, 24 — 30; 36 — 43) weisen häufig auf dieses Thema hin. Die Geschichtstheologie will daher keine theologische Deutung der menschlichen Geschichte bieten, sondern lediglich auf den eschatologischen Sinn dieser Geschichte hinweisen. Dagegen versucht die Säkularisierung der Geschichtstheologie, die menschliche Geschichte von der himmlischen Stadt her zu deuten. In diesem Sinn steht diese säkularisierte Geschichtstheologie der von der Aufklärung vertretenen Geschichtsphilosophie sehr nahe. Im Rahmen der säkularisierten Geschichtstheologie ist das Millennium der Apokalypse des Apostels Johannes leicht als konkrete Epoche der irdischen Geschichte zu verstehen, und nicht — wie Johannes darstellen wollte — als endgültige Situation der vor dem Endgericht bereits Erlösten. Unseres Erachtens kann man, wenn man das erste Merkmal der joachimischen Lehre nach dem echten Verständnis des Augustinus interpretiert, die Klippe des vermeintlich fünften Merkmals des Joachimismus umgehen, das — wie bereits erwähnt — die Historiker ins Feld führen. Daher vertreten wir die Meinung, daß der wahre Joachim von Fiore keinen Raum für einen Millenarismus läßt, wie wir bereits an anderer Stelle gezeigt haben 5 . Das zweite Merkmal, die konkordistische Exegese des Alten und Neuen Testaments, ist in der einschlägigen Literatur bereits ausführlich behandelt worden, besonders seit der Habilitationsschrift Joseph Ratzingers 6 , die frühere For3
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Zur Stellungnahme der Historiographie, die hier kritisiert wird, cf. J. I. Saranyana, Sobre el „milenarismo" de Joaquín de Fiore en su interpretación del Apocalipsis, in: Florensia 1 3 / 1 4 (1999-2000), 3 5 1 - 3 6 3 . Cf. H.-I. Marrou, Théologie de l'histoire, Paris 1968, passim. Cf. Saranyana, Sobre el „milenarismo" (nt. 3); ebenfalls: Cf. auch den Beitrag von K.-V. Selge in diesem Band. J. Ratzinger, Die Geschichtstheologie des Heiligen Bonaventura, München - Zürich 1959; in einer späteren, italienischen Ausgabe (San Bonaventura: la teologia della storia, Firenze 1991) ist die neuere Literatur zum Thema berücksichtigt.
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schungsarbeiten, vor allem von evangelischer Seite 7 , in Betracht zieht. Später hat sich die Literatur bedeutend erweitert 8 , weshalb es nicht nötig ist, weiter darauf einzugehen. Was die biunivoke Appropriierung der drei weltgeschichtlichen status an die Personen der Trinität betrifft, möchten wir nur bemerken, daß Joachim keine Trennung dieser drei Weltzeitalter vertritt 9 . Die Behauptung eines exklusiven und separaten Eingriffs jeder göttlichen Person in die jeweiligen geschichtlichen status würde bedeuten, daß die drei göttlichen Personen nicht ein Gott sind, sondern als drei Götter walten. Das war gerade die große Diskussion im Rahmen des vierten Laterankonzils von 1215, die das Dekret „Damnamus ergo" veranlaßte, das Joachim als Tritheisten verurteilte, indem es ihm das Opusculum „De unitate seu essentia Trinitatis" zuschrieb, wo Petrus Lombardus als Quaternarist beschuldigt wird 1 0 . Die historische Kritik hat es später als ziemlich wahrscheinlich erwiesen, daß „De unitate" Joachim fälschlich zugeschrieben worden war 1 1 . Dem steht nicht entgegen, daß Zeitgenossen wie die Konzilsväter und die folgende Generation wie Thomas von Aquin, Bonaventura und andere die joachimische Autorschaft des „De unitate" unkritisch annahmen 12 . Was schließlich das vierte Merkmal, das evangelium aeternum betrifft, ergibt sich aus einer aufmerksamen Lektüre der Synoptiker und vor allem des Johannesevangeliums, daß nach dem Pfingstereignis die Kirche ein volleres Verständnis der Offenbarung erreicht hat, deren Mittelpunkt Christus ist. Erst einige Zeit nach dem Tod Joachims, um 1240, als der Joachimismus schon konstituiert war, wagte es Gerardo de Borgo San Donnino, in einer äußerst radikalisierten
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Cf. H. Grundmann, Studien über Joachim von Floris (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 32), Leipzig 1927; id., Neue Forschungen über Joachim von Fiore (Münstersche Forschungen 1), Marburg 1950; E. Benz, Ecclesia spiritualist Kirchenidee und Geschichtstheologie der franziskanischen Reformation, Stuttgart 1934; A. Dempf, Sacrum Imperium·. Geschichts- und Staatsphilosophie des Mittelalters und der politischen Renaissance, Darmstadt 1927 (eine spätere Ausgabe: München 3 1962).
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Cf. O. González de Cardedal, Misterio trinitario y existencia humana. Estudio teológico en torno a San Buenaventura, Madrid 1966; J. I. Saranyana, Joaquín de Fiore y Tomás de Aquino. Historia doctrinal de una polémica, Pamplona 1979; W. Schachten, Ordo Salutis. Das Gesetz als Weise der Heilsvermittlung. Zur Kritik des Hl. Thomas von Aquin an Joachim von Fiore, Münster 1980. Cf. u. a. A. Blank, Das Modell der drei weltgeschichtlichen status in Joachim von Fiores „Concordia veteris ac novi testamenti", in: Florensia 8/9 (1994-1995), 1 1 1 - 1 2 7 . Cf. DS 8 0 3 - 8 0 6 ; E.Reinhardt, Contenidos teológicos del Damnamus ergo. Santo Tomás vs. Joaquín de Fiore, in: Florensia 13/14 (1999-2000), 3 3 9 - 3 5 0 . Cf. Saranyana, Joaquín de Fiore y Tomás de Aquino (nt. 8), 31—32; Reinhardt, Contenidos teológicos del Damnamus ergo (nt. 10). Bekannt ist das Fehlen eines kritisch-historischen Verständnisses im Hochmittelalter. Diesbezüglich sei darauf hingewiesen, daß Thomas von Aquin selbst die ihm von Papst Urban IV. zur Beurteilung übergebenen griechischen Vätertexte, die im „Libellus de processione Spiritus Sancti et de fide trinitatis contra errores Graecorum" erscheinen, als echt betrachtete. Obwohl diese patristischen Textstellen (großenteils falsch und erfunden) Thomas verblüfften, zeigte er sich sehr abwägend bei der Behandlung der Texte und merkte bei der Abfassung seines Berichts „Contra errores Graecorum ad Urbanum IV P. M." die Täuschung nicht.
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Auslegung der Theologie des Florensers, die Hauptwerke Joachims von Fiore als das neue „ewige Evangelium" darzustellen. Vom Standpunkt der katholischen Lehre her weisen die Ausführungen des Abts von Fiore über ein neues und volles spirituelles Verständnis der Schrift keinerlei Schwierigkeit auf, solange man seine Worte nicht im Sinn einer kommenden neuen Offenbarung interpretiert, die anders und komplementär sei zu der uns in Christus gegebenen. Es ist nicht dasselbe, von einer „neuen Offenbarung" zu sprechen oder von einem tieferen — sogar von einem neuen — Verständnis13.
b) Joachim vs. Joachimismus Der von der Romantik der zweiten Generation eingeführten Methodologie gemäß wagen wir es, zwischen Joachim und dem Joachimismus zu unterscheiden oder, um eine klassischere Terminologie anzuwenden, zwischen dem „Joachim der Geschichte" und dem „Joachim der Gemeinde". Vom ersten, historischtheologisch gesehen, haben wir soeben gesprochen. Uber den zweiten, über den so viel geschrieben worden ist 14 , gilt es einiges klarzustellen im Hinblick auf eine leichtere historiographische Diskussion. Zweifellos hat ein Sektor des Franziskanismus gewisse Textstellen Joachims über Off 11, 3, wo Johannes die beiden Zeugen vorstellt, die in Sack gekleidet 1260 Tage lang prophezeien werden, so interpretiert, als ob der Florenser diese Worte ausdrücklich auf den hl. Franziskus von Assisi und den hl. Dominikus von Guzmán, die Gründer der beiden ersten Bettelorden, bezogen verstanden hätte. Dies veranlaßte eine etwas einseitige Lektüre mit einer für die franziskanische Sache vorteilhaften Exegese des Abtes von Fiore, und setzte schließlich die Fratizellenbewegung in Gang, deren Entwicklungsgeschichte von den Anfängen um 1230 bis zur formellen Verurteilung durch Johannes XXII. im Jahr 1318 sich als ziemlich kompliziert erweist 15 .
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Cf. II. Vatikanisches Konzil, Dei Verbum, Nr. 4; CoeD, 973 4 - 7 . Zur historischen Frage, cf. Β. McGinn, Joachim of Fiore's Tertius Status: Some Theological Appraisals, in: L'Età dello Spirito e la fine dei tempi in Gioacchino da Fiore e nel gioachimismo medievale, Atti del I Congresso Internazionale di studi gioachimiti, ed. A. Crocco, Centro di Studi Gioachimiti, San Giovanni in Fiore 1988, 222 (der Autor kritisiert das maßlose Streben der neueren Historiographie, jede ternarische Interpretierung der Geschichte als joachimisch zu betrachten). Ein charakteristischer Vertreter der von McGinn kritisierten Position ist wohl Henri de Lubac in seinem bekannten Werk, La postérité spirituelle de Joachim de Flore, I, Paris 1979. Cf. M. Reeves, The Influence of Prophecy in the Later Middle Ages. A Study in Joachimism, Notre Dame - London 1993. Die Studie enthält die einschlägige Literatur zum Thema, sowie auch eine Liste der spurischen Werke Joachims. Cf. Β. McGinn, The State of Apocalyptic Studies, in: Proceedings. Reports, Abstracts and Round Table Introductions, 19th International Congress of Historical Sciences, University of Oslo (Department of History), Oslo 2000, 74—77; R. Rusconi, Eschatological Movements and Messianism in the West (13th-early 16th Centuries), in: ibid., 81.
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Kompliziert ist ebenfalls die historische Diskussion über die Ergebnisse der zweiten Kommission von Anagni, die Papst Alexander IV. 1256 einberufen hatte. Die Akten dieser Kommission bieten dem Historiker die kontextualisierte Interpretation des Abtes Joachim um die Mitte des 13. Jahrhunderts, und zwar gerade was die Lehre der drei status betrifft, noch konkreter, über die Möglichkeit eines neuen Gesetzes, das sich von dem von Christus eingeführten Gesetz unterscheidet. Das Protokoll von Anagni, seinerzeit von Heinrich Denifle veröffentlicht, bietet mehrere praktische Beispiele für die Lektüre der Schriften Joachims seitens der vom Papst einberufenen Kardinäle 16 . Thomas von Aquin, um einen berühmten Fall zu nennen, verlagert die ganze Diskussion über den Joachimismus auf diesen Bereich, nämlich die Möglichkeit eines neuen Gesetzes. Dies ist das zweite Mal, daß Thomas sich mit der Joachim-Frage beschäftigt. Das erste Mal, im Kommentar zum zweiten Dekretal, hatte er die joachimische Trinitätslehre und Christologie diskutiert. Jetzt befaßt er sich mit der Ekklesiologie 17 . In beiden Fällen kritisiert Thomas von Aquin nicht die echte Lehre Joachims, sondern den Joachimismus, wie es auch bei der Kommission von Anagni der Fall ist. Die beiden genannten Beispiele (die Polemik über das Testament des heiligen Franziskus und die Fratizellen, zu der zuerst Bonaventura in seiner „Legenda maior" (1262) und später Johannes X X I I . scharf Stellung nahmen, und die Diskussion über die Möglichkeit einer lex novissima) mögen genügen, um die Dynamik des Joachimismus zu begreifen. Seit dieser neuartigen Lektüre der Schriften des Florensers wuchs die Zahl der Anhänger einer heterodoxen Strömung, die sich als Alternative zur christlichen Orthodoxie verstand (unter „Orthodoxie" verstehen wir die Thesen der großen katholischen Tradition und unter „heterodox" die Thesen jener, die diese Tradition zu verändern suchten). In dieser Arbeit gehen wir jedoch nicht auf die komplexe Diskussion über die christliche Armut ein, die die spätmittelalterliche Christenheit so sehr erregte und über die unzählige Seiten geschrieben worden sind 18 . 16
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H. Denifle, Das Evangelium Aeternum und die Commission zu Anagni, in: Archiv für Literaturund Kirchengeschichte des Mittelalters I (1885), 99 - 1 6 4 . Wie bekannt, wurde die Entscheidung von Anagni später mit gewisser Feierlichkeit vom Provinzialkonzil zu Arles 1263 ratifiziert, wo auch die gesamte Lektüre Joachims verboten wurde, vermutlich aus Gründen der Klugheit. Von diesem Zeitpunkt an wiederholt die akademische Theologie als Gemeinplatz den Verdacht der Heterodoxie bei Joachim. Cf. J. I. Saranyana, La crisis de la „Edad del Espíritu Santo" (Santo Tomás vs. Joaquín de Fiore), in: A. Zimmermann (ed.), Soziale Ordnungen im Selbstverständnis des Mittelalters (Miscellanea Mediaevalia 12), Berlin 1979, 1 0 6 - 1 2 1 ; id., Joaquín de Fiore y Tomás de Aquino (nt. 8), 1 1 9 150; Y.-D. Gélinas, La critique de Thomas d'Aquin sur l'exégèse de Joachim de Flore, in: Atti del Congresso Internazionale „Tommaso d'Aquino nel suo settimo centenario", Napoli 1975, I, 268 — 376; Schachten, Ordo Salutis. (nt. 8); L. Bianchi, Cum linea subducta damnavit·. a proposito di Tommaso d'Aquino e Gioacchino da Fiore, in: Florensia 12 (1998), 1 5 1 - 1 5 5 . Eine interessante Monographie über den spätmittelalterlichen und Renaissance-Joachimismus und sein Eindringen in den konventualen Franziskanismus: S. da Campagnola, L'angelo del sesto sigillo e l'alter Chrìstus. Genesi e sviluppo di due temi francescani nei secoli X I I I - X I V , Roma 1971.
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2. Zur v e r m e i n t l i c h e n Ü b e r t r a g u n g des s p ä t m i t t e l a l t e r l i c h e n J o a c h i m i s m u s n a c h A m e r i k a Seit der gründlichen Erforschung der Zeitspanne zwischen dem Tod des hl. Franziskus von Assisi und der Zensur der Fratizellen ist die Entwicklungsgeschichte des Joachimismus des 13. und 14. Jahrhunderts gut bekannt. Wir haben bereits einige Aspekte wie die Armut und die lex novissima erwähnt. Daneben sind die Biographien des hl. Franziskus nicht zu übersehen, die während des Generalats des Johannes von Parma und Bonaventuras 19 entstanden, noch auch die apokalyptischen Interpretationen, die nach dem Konzil von Vienne (1311 — 1312) aufkamen, besonders bei Petrus Johannes Olivi, Raimundus Lullus, Arnald von Villanova usw. Die genannten Strömungen übten einen bedeutenden Einfluß auf einige Sektoren des Franziskanerordens aus, die zu einem gewissen Rigorismus neigten und wehmütig an frühere Zeiten zurückdachten. Diese Züge lassen sich besonders in einer späteren, zwischen 1385 und 1399 entstandenen Schrift von Bartholomäus D e Rinonico (auch Bartholomäus von Pisa genannt) mit dem Titel „De conformitate vitae beati Francisci ad vitam Domini Iesu" bemerken 20 . Wir erwähnen dieses Werk, weil es in der spanischen Franziskanerprovinz vom hl. Gabriel (eine reformierte und observante Provinz), aus der die zwölf „Apostel" Neuspaniens kamen, häufig gelesen wurde. Zweifellos, denn die Texte sind nicht diskutierbar, stützt sich Bartholomäus von Pisa auf einige aus joachimistischen Kreisen stammende Werke 21 , wie zum Beispiel die „Expositio Ieremiae", das „Oraculum Cyrilli", und die „Legenda Beati Francisci" des Thomas von Celano. Diese Texte, die von den nach Amerika gezogenen observanten Franziskanern gelesen wurden, und andere, in dem bekannten „Libro de las profecías" von Christoph Kolumbus 2 2 vorkommende Zitate haben einige Historiker veranlaßt,
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Über den Ursprung der Biographien und Lebensbeschreibungen des hl. Franziskus, cf. J. A. Guerra (ed.), San Francisco de Asís. Escritos - Biografías - Documentos de la época, 4 a edición revisada, Madrid 1991. Eine Ausgabe in zwei Bänden wurde von „Analecta Franciscana", Quaracchi 1906—1912, veröffentlicht. In dieser Schrift, die innerhalb des Franziskanerordens stark verbreitet wurde, obwohl sie keine offizielle Geschichte des Ordens ist, versucht Bartholomäus zu beweisen, daß der hl. Franziskus sich so vollkommen mit Christus identifiziert hatte, daß er tatsächlich zu einem, dem Paulus-Gedanken entsprechenden, alter Christus wurde. Es ist eine merkwürdige und interessante Schrift, aus der man noch heute spirituelle Werte schöpfen kann. Cf. J. De Dieu, Barthélémy de Pise, in: DSp 1 (1937), 1 2 6 8 - 1 2 6 9 . Cf. J. I. Saranyana/A. de Zaballa, Joaquín de Fiore y América, Pamplona 2 1995, 1. Kapitel: „Los ideales religiosos de los doce Apóstoles de México". Cf. die neue spanische Ausgabe von J. F. Valverde (ed.), Cristóbal Colón: Libro de las profecías, Madrid 1992. Eine zweisprachige Ausgabe (Originalsprache/Englisch) mit ausführlicher Einleitung ist ebenfalls vor einigen Jahren erschienen: D. C. West/A. Kling, The „Libro de las profecías" o f Christopher Columbus, Gainesville 1991. Die kritische Ausgabe wurde von R. Rus-
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eine klar joachimistische Inspiration der zwölf „Apostel" Neuspaniens zu folgern 23 . Eine weitere, mögliche Brücke zwischen Joachimiten und Observanten, außer Bartholomäus von Pisa, könnte nach Meinung mancher Historiker der katatonische Franziskaner Francese de Eiximenis gewesen sein 24 . Was auch immer der Uberlieferungsstrang einiger Ideen von den joachimistischen Kreisen zu den observanten Franziskanern gewesen sein mag, es ist unseres Erachtens wichtig hervorzuheben, daß die Einflüsse dieser pseudojoachimitischen und Fratizellen-Kreise nichts anderes als vereinzelte Lobsprüche auf Franziskus von Assisi und die Anfänge des Franziskanerordens waren, durchaus verständlich bei eifrigen Religiösen, die von einer starken Zuneigung zu ihrem Gründer bewegt waren. Im Grunde war es nichts anderes als eine Idealisierung des Heiligen, ohne besondere Transzendenz. Aus dieser Sublimierung kann man unseres Erachtens keine theologisch-dogmatischen Schlüsse über die Struktur der Kirche, einen intrahistorischen Millenarismus oder einen eventuellen prophetisch-reformistischen Auftrag der Franziskaner ziehen 25 . Jedenfalls wäre es
coni vorbereitet: Cristoforo Colombo, Lettere e scritti (1495-1506), I: Libro de las Profecías (Nuova raccolta colombiana V i l i ) , Roma 1994. Rusconi hatte sich schon früher mit diesem Thema beschäftigt in dem Artikel: Cristoforo Colombo e Gioacchino da Fiore, in: Florensia 7 (1993), 95 — 108. Dieser Autor vertritt die Meinung, daß Kolumbus die joachimischen Schriften aus zweiter Hand zitierte, und zwar nach den Werken von Peter d'Ailly, die 1483 gedruckt worden waren. Man sollte nicht vergessen, daß Kolumbus — abgesehen von den möglichen Quellen, die er benutzte - sich in den Kontext spätmittelalterlicher Prophezeiungen zu stellen versuchte, die das unmittelbare Erscheinen eines Propheten-Königs vorhersagten, der Jerusalem für die Christen erobern sollte. Um Ferdinand dem Katholischen zu schmeicheln, machte Kolumbus keinen Hehl daraus, diese spätmittelalterlichen Weissagungen, die schon vorher auf andere Könige des Hauses Barcelona bezogen worden waren, auf den „Katholischen König" anzuwenden. 23
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Cf. zum Beispiel: J. L. Phelan, El reino milenario de los franciscanos en el Nuevo Mundo, traducción castellana, UNAM, México 1972 (das englische Original ist von 1956); M. Bataillon, Erasmo y España, spanische Ubersetzung, México 1979, Anhang (die französische Originalausgabe von 1937 ist bedeutend weniger interessant als die spanische); J. A. Maravall, Utopía y reformismo en la España de los Austrias, Madrid 1982 (das zweite Kapitel, das direkt dieses Thema behandelt, wurde erstmals 1948 veröffentlicht); G. Baudot, Utopía e historia en México. Los primeros cronistas de la civilización mexicana (1520-1569), spanische Ubersetzung, Madrid 1983 (die französische Originalausgabe ist von 1977); etc. Diese Verbindung hat Alain Milhou studiert: El concepto de „destrucción" en el evangelismo milenario franciscano, in: P. Castañeda (ed.), Actas del II Congreso Internacional sobre los franciscanos en el Nuevo Mundo (siglo XVI), Madrid 1988, 3 0 3 - 3 0 4 , 3 0 6 - 3 0 7 und 3 0 8 - 3 1 4 . Milhou hatte sich schon vorher mit dieser Frage beschäftigt: Colón y su mentalidad mesiánica en el ambiente franciscanista español (Cuadernos Colombinos), Valladolid 1983, 123, 138 — 139, 185, 3 8 4 - 3 8 5 . K. Reinhardt schreibt ebenfalls Eiximenis den Kreisen den Spiritualen zu: Die Biblischen Autoren Spaniens bis zum Konzil von Trient, in: Repertorio de Historia de las Ciencias eclesiásticas en España 5 (1976), 139. Cf. E. E. Sylvest, Motives of Franciscan Mission Theory in Sixteenth Century New Spain Province of The Holy Gospel, Washington D. C. 1975; L. Gómez Cañedo, Evangelización y conquista. Experiencia franciscana en Hispanoamérica, México 1977; id., Aspectos de la misión franciscana en América, in: Castañeda (ed.), Actas (nt. 24), 441 - 472; id., Milenarismo y utopía en la evangelización de América, in: J. I. Saranyana (ed.), Evangelización y Teología en América,
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nichts welter als eine eschatologische Darstellung des heiligen Franziskus, die in den späteren pseudojoachimitischen Schriften nach der erwähnten Korrektur durch Bonaventura und Johannes XXII. lebendig geblieben war. Abgesehen davon steht die Frage der Wege, auf denen diese Einflüsse in die kastilische Observanz gelangen konnten, weiter zur Diskussion, wobei Bartholomäus von Pisa und die spanische Ubersetzung des „Llibre dels àngels" von Francese de Eiximenis nicht auszuschließen sind. Vom historisch-positiven Standpunkt aus und als Schlußfolgerung der vorstehenden Ausführungen besteht kein Zweifel, daß in den Reihen der observanten Franziskaner das Gedächtnis Joachims von Fiore lebendig war und daß viele Minoriten in gutem Glauben annahmen, daß der Abt von Fiore die außergewöhnlichen Tugenden des hl. Franziskus und die den Franziskanern in der Kirche zustehende Evangeliums-Mission prophezeit habe. Deshalb scheint es uns durchaus folgerichtig, daß in der dreifachen Serie von Abbildungen aus dem Leben des heiligen Franziskus, die in Cuzco, Ocopa und Santiago de Chile zu sehen sind26, die durch die joachimische Tradition untrennbar verbundenen fünf Gestalten erscheinen: die Sibylle von Eritrea (die das prophetische Charisma symbolisiert), der Evangelist Johannes (Autor der Apokalypse), Joachim von Fiore, der hl. Franziskus von Assisi und der hl. Bonaventura (der die auf Franziskus angewandte Bezeichnung des alter Christus akzeptiert).
siglo XVI. X Simposio Internacional de Teología, Pamplona 1990, 1 3 9 9 - 1 4 1 0 ; M.AndrésMartín, Pensamiento teológico y vivencia religiosa en la reforma española (1400-1600), in: R. García-Villoslada (ed.), Historia de la Iglesia en España III/2, Madrid 1980, 2 6 9 - 3 7 1 ; id., Contenido y transcripción de la Obediencia e Instrucción, in: Congreso de Franciscanos extremeños en el Nuevo Mundo. Actas y Estudios, Monasterio de Santa María de Guadalupe 1986; id., La espiritualidad de los Doce en Extremadura y en Nueva España, in: ibid., 365 — 393; id., En torno a las últimas interpretaciones de la primitiva acción evangelizadora franciscana en México, in: Saranyana (ed.), Evangelización, 1 3 4 5 - 1 3 7 0 ; id., Nuevo planteamiento de la Utopía franciscana en México, in: Extremadura en la evangelización del Nuevo Mundo. Actas y Estudios, Madrid 1990, 2 6 9 - 2 7 0 . Einige Autoren geben einen gewissen joachimistischen Einfluß zu, finden jedoch die Äußerungen von Phelan und Baudot übertrieben: E. C. Frost, El milenarismo franciscano en México y el Profeta Daniel, in: Historia Mexicana 26 (1976), 3 - 2 8 ; id., ¿Milenarismo mitigado o imaginario?, in: Memorias del Simposio de Historiografía mexicanista, México 1990, 7 3 - 8 5 ; P. Gonzalbo, Rez. zu Teología profética americana, in: Historia Mexicana 165 (1992), 1 2 9 - 1 3 3 . Milhou vertritt seit 1994 eine mitdere Stellung zwischen jenen, welche die „Zwölf" als „illuminierte" Religiösen (Joachimiten oder Millenaristen) betrachten und jenen, welche sie als gute, eifrige und von ihren Idealen begeisterte Minoriten ansehen (persönliche Mitteilung von Herrn Prof. Alain Milhou an die Autoren dieser Arbeit, gemäß Brief vom 4. 10. 94). Einen neuesten historiographischen Überblick zu dieser Polemik findet man in folgendem Artikel: A. de Zaballa, La discusión conceptual sobre el milenarismo y mesianismo en Latinoamérica, in: Anuario de Historia de la Iglesia Χ (2001), 3 5 3 - 3 6 2 . 26
Zu dieser Bilderserie, cf. J. De Mesa/T. Gisbert, Historia de la pintura cuzqueña, Lima 1982, 217 — 218; S. Sebastián, El barroco iberoamericano. Mensaje iconográfico, Madrid 1990, Kap. IX, passim. Eine theologische Bearbeitung der drei Serien, cf. Saranyana/Zaballa, Joaquín de Fiore y América (nt. 21), Kap. V, passim.
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3. S c h l u ß f o l g e r u n g e n 2 7 Wir haben uns hauptsächlich mit drei Fragen beschäftigt: die wichtigsten theologischen Thesen des Abtes Joachim über die Geschichte; die Entwicklung vom joachimischen Einfluß zum Joachimismus sowie das spätere Eindringen joachimitischer Thesen in die franziskanische Observanz von Kastilien; und schließlich die historiographische Debatte über die joachimitische „Ansteckung" der Minoritengruppe, die nach Amerika zog. Nach Neuspanien, konkret in die Täler Zentralmexikos, gelangten erstmals drei Franziskaner innerhalb der ersten Expedition von Hernán Cortés, unter denen der Laienbruder Pedro de Gante, wahrscheinlich mit Karl V. verwandt, erwähnenswert ist. Pedro ist jedoch unproblematisch, weil von ihm nur ein Teil seiner Korrespondenz mit Karl V. erhalten ist und weil man weiß, daß er hauptsächlich erzieherisch tätig war, nämlich im Colegio de San José in Mexiko, wo er den Eingeborenen die Anfänge der Schulbildung und handwerkliche Arbeiten beibrachte. Dagegen richtet sich der Blick der gesamten historiographischen Kritik auf die erste große Reisegruppe von Franziskanern, die unter ihrem Oberen, Fray Martín de Valencia (f 1534) in Neuspanien ankam und aus zwölf Minoriten aus der Provinz vom hl. Gabriel bestand. Problematisch ist dabei die „Instrucción" und die „Obediencia", die Martin de Valencia vom Generalminister, Fray Francisco de los Angeles, erhalten hatte und die nach Meinung einiger Historiker (Phelan, Maravall, Bataillon und Baudot, unter anderen) einen joachimitischen oder joachimistischen Einschlag gehabt haben sollen. Außerdem erfuhr Fray Martín de Valencia mystische Gnadenerweise in der Form von drei „Visionen" über die Entwicklung der Mission in Asien, vor allem in China. Diese Visionen wurden später von Jerónimo de Mendieta (f 1604), einem der bedeutendsten franziskanischen Chronisten seiner Zeit, im dritten Buch seiner „Historia eclesiástica indiana" aufgezeichnet. Dabei ist zu beachten, daß in diesen vermeintlichen oder wirklichen Visionen Spanien schlecht davonkommt im Vergleich zu China, und zwar so sehr, daß Martin de Valencia den glühenden Wunsch hatte, Amerika zu verlassen und sich auf dem Seeweg nach China zu begeben. Dasselbe ist in der „Monarquía indiana" des Juan de Torquemada (f 1624) bezeugt, eines späteren und bedeutenden franziskanischen Chronisten, der wahrscheinlich von Mendieta abhängig war. Jeder Amerikanist, der in den beiden genannten Chroniken nachschlägt - von denen moderne Ausgaben zur Verfügung stehen (BAE und Ediciones Porrúa) — wird feststellen können, daß die amerikanischen Eingeborenen im Vergleich zu den Chinesen sehr negativ dargestellt werden. Die Amerikaner sind nach diesen Visionen häßlich, triefäugig und träge bei der Arbeit, während die 27
Zu den Ausführungen utopías, milenarismos en América Latina I: Frankfurt a. M. 1999,
in diesem Abschnitt ist vor allem interessant: A. de Zaballa, Joaquinismos, y mesianismos en la América colonial, in: J. I. Saranyana (ed.), Teología Desde los orígenes a la Guerra de Sucesión ( 1 4 9 3 - 1 7 1 5 ) , Madrid 613-687.
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Chinesen schön, anmutig und fleißig sind. Die Frage ist nun, ob eine so wenig idealistische Sicht der amerikanischen Welt mit einer millenaristischen Anschauung vereinbar ist, dergemäß die christianisierte aztekische Kultur als Wiege der neuen reformierten Kirche — ohne Flecken und Falten — die dekadente europäische Kirche verwandeln soll. Es ist wahr, daß andere Minoriten der ersten neuspanischen Evangelisierung wie Toribio de Benavente (Motolinia) und Bernardino de Sahagún sich in ihren ersten Chroniken und Schriften in Lobsprüchen über die mittelamerikanischen Eingeborenen ergehen. Dabei darf man jedoch nicht übersehen, wie bald sie ihre Meinung ändern sollten und daß sich das Urteil Bernardos von Sahagún ab 1556 beträchtlich erhärtete, als sich unter den anfangs konvertierten Eingeborenen die ersten Keime von religiösem Synkretismus und Kryptopaganismus zeigten. Dasselbe könnte man bezüglich der südlichen Hemisphäre sagen, wenn man die wichtigsten Chroniken jener eroberten Länder liest, insbesondere die berühmte „Historia natural y moral de las Indias", und „De procuranda indorum salute", die beide aus der Feder des genialen Jesuitenmissionars José de Acosta (f 1600) stammen. Gehen wir jedoch zurück auf die sogenannten „Patentes" 2 8 , die Fray Martín de Valencia von seinem Generalobern erhalten hatte, nämlich die „Instrucción" und die „Obediencia" aus dem Jahr 1523, die sowohl Mendieta als auch Torquemada reproduzieren. In der „Instrucción" gibt der Generalobere acht Anweisungen: er entsende zwölf Brüder, weil Christus zwölf Apostel als Begleiter erwählt hatte. (Wie bekannt, waren ursprünglich dreizehn vorgesehen, jedoch einer von ihnen sagte ab, so daß zwölf übrigblieben.) Unseres Erachtens hat diese Zahl keinen kabbalistischen Hintergrund; dies anzunehmen, wäre lächerlich, denn Frömmigkeit und evangelischer Geist sind auf jeden Fall von dem für die jüdische mittelalterliche Kabbalistik typischen Zahlenkult zu unterscheiden. Die zweite Anweisung bezieht sich auf die Einhaltung der „Regel" der Observanz, unter Vermeidung von Extremismen, „die gefährliche Irrtümer nach sich ziehen (los cuales traen peligrosos errores)". Auch hier sehen wir kein verdächtiges Symptom, sondern ganz im Gegenteil, einen Hinweis, von Rigorismen abzusehen, zu denen bekanntlich die Fratizellen geneigt waren. Die dritte Anweisung legte fest, daß die neue „Custodia del Santo Evangelio" (die neuspanische Provinz) direkt vom Ordensgeneral abhänge, wie es im Orden üblich sei. (Wie man sieht, eine römische Zentralisierung.) Die Anweisungen vier bis sieben beziehen sich auf verschiedene Vorgehensweisen, um vakante Stellen in der Leitung und Organisation der Missionen zu besetzen. Die achte Anweisung erinnert an den hl. Franziskus, der sich immer durch Gehorsam auszeichnete, und bestimmt die apostolische Freiheit als Richtlinie, gegen eine legalistische oder zu sehr an den Wortsinn gebundene Stellung, unseres Erachtens eine weise Empfehlung an-
28
Damit sind die Patentes litterae gemeint, die der Ordensobere den Religiösen übergab als Ermächtigung zur Reise und Neugründung, ein Dokument, das im weltlichen Bereich mit dem Diploma (;regiurn) vergleichbar ist.
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gesichts neuer und unbekannter Umstände, in denen sich die Brüder eventuell vorfinden könnten 29 . Gehen wir schließlich auf die „Obediencia" ein, die Fray Martín de Valencia einige Tage später übergeben wurde, und zwar am 30. Oktober 152330. In ihr werden die Namen der dreizehn Brüder genannt, der zwölf und ihres Vorstehers, von denen einer, wie bereits erwähnt, absagte. In demselben Text finden sich einige beachtenswerte Ausführungen eschatologischer Art. An erster Stelle bezieht sich die „Obediencia" auf die Gründung des Franziskanerordens aus Gottes Vorsehung, „um den drohenden Zerfall der Kirche zu verhindern (para impedir la caída que amenazaba la Iglesia)". Offensichtlich handelt es sich um eine Anspielung auf den hl. Franziskus, der in einer Vision betrachtete, wie der teilweise zerstörte Tempel der Kirche von den Franziskanern materiell wieder aufgebaut wurde. Trotz allem — und es ist wichtig, dies vor Augen zu halten — sieht der Generalobere darin keine exklusive Aufgabe der Franziskaner, sondern bemerkt, daß sie zwar ihnen, aber „unter vielen anderen Menschen (entre muchas otras personas)" anvertraut worden sei. An zweiter Stelle bemerkt die „Obediencia": „Wenn der Tag sich gegen die elfte Stunde neigt, werdet ihr vom Familienvater in seinen Weinberg gerufen, nicht gegen Bezahlung wie andere, sondern als wirkliche Kinder eines so großen Vaters." 31 Das ist ein direkter Hinweis auf das Gleichnis des Evangeliums (Mt 20, 1 - 1 6 ) , vom Generaloberen auf die Brüder angewandt, die sich demnächst nach Neuspanien begeben sollten. Die wirkliche Intention des Ordensoberen darf dabei nicht durch einen apokalyptischen Anschein verdreht werden. Wie bekannt, geht das historische Interpretationsmodell der „fünf" Rufe des Gleichnisses auf Gregor den Großen zurück und wurde später von Bonaventura erweitert 32 . Die elfte Stunde bedeutet in diesem Schema die Zeitspanne von 29
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Zur Analyse der Instrucción und der Obediencia, cf. Saranyana/Zaballa, Joaquín de Fiore y América (nt. 21), 3 2 - 3 7 , mit literaturangaben; auch L. Gómez Cañedo, Pioneros de la Cruz en México. Fray Toribio de Motolinia y sus compañeros, Madrid 1988, 5 9 - 6 4 . Der Text ist bei Jerónimo Mendieta, Historia eclesiástica indiana III, Kap. 11 (BAE 260, 1 2 4 126) zu finden. „Cuando el día va declinando a la hora undécima, sois llamados vosotros del Padre de las compañas, para que vais [sic] a su viña, no alquilados por algún precio, como otros, sino como verdaderos hijos de tan gran Padre." Cf. Bonaventura di Bagnoreggio, De Regno Dei scripto in parabolis evangelicis, n. 37 (Opera omnia [Quaracchi], V, 549 ab). Desgleichen in beiden Versionen seines Kommentars zum biblischen Hexaëmeron: In Hexaëmeron, XV, 19 (Q. V, 400 b - 4 0 1 a), und im Paralleltext Visio III, col III (ed. Delorme, 174-175). Wie bekannt, sind die beiden Versionen Bonaventuras des Hexaemeron-Kommentars stark verschieden. Die Version von Delorme ist viel kürzer als die der Herausgeber von Quaracchi. Welche auch immer die Lösung dieses Enigmas sei (Interpolation oder Kürzung), der Bezug auf das Gleichnis des Evangeliums findet sich in beiden Texten. Ist die Interpolation joachimistischer Herkunft und der Originaltext die kürzere Version, sieht man, daß der Gebrauch der Parabel der joachimistischen Polemik fernsteht. Der Textvergleich läßt uns vermuten, daß es sich eher um Einschiebungen durch Fratizellen-Kreise handelt, die die Autorität Bonaventuras in der durch die Spiritualen entfachten Polemik in Anspruch nehmen wollten, als um Kürzungen.
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Christus an, die gleichzeitig ein universaler Aufruf zur Buße ist. Kein besonderes Anzeichen eines joachimitischen Einschlags fällt an einer solchen Geschichtsinterpretation auf; sie beweist lediglich, daß der Doctor Serapbicus bei den Observanten hoch geschätzt war. (Mit dieser Feststellung meinen wir, daß es vermutlich Bonaventura war, der dem Gleichnis einen sensus accomodates im Hinblick auf die Aufgabe der Minoriten gab und diese Auslegung in den Franziskanerorden einführte.) Letztlich kann man diesen „Evangelismus" ohne weiteres als legitim bezeichnen, und er bereitet uns von der katholischen Tradition her keine Schwierigkeit. Dieser Tradition entsprechend ist die elfte Stunde jene Etappe, die von Christus bis zum Ende der Welt verläuft und in der die Heiden zum Christentum gerufen sind, wie Jesus Christus bei der Erläuterung des Gleichnisses ausdrücklich erklärt. Zuletzt und an dritter Stelle fügt der Generalobere hinzu: „Euch, meinen Kindern, da schon das Ende dieser alternden Welt naht, rufe ich unwürdiger Vater zu und bewege euren Willen und fache ihn an, damit ihr die Schwadron des Hohen Königs verteidigt." 33 Das ist ein klarer Hinweis auf die novissima aetas und vielleicht auch auf die Privatoffenbarungen des Fray Martín de Valencia, die ihm zwölf Jahre vorher bei der Meditation des Psalmes 58 [59] zuteil geworden waren. Martin de Valencia hatte, wie bereits erwähnt, eine außergewöhnliche Gabe in seiner Fähigkeit zur visionären Schau. Als er noch im Konvent „del Hoyo" in der Provinz vom hl. Gabriel in Spanien weilte, hatte er bereits Privatoffenbarungen, und er erhielt weitere in Neuspanien, als er im Geist das unendliche China schaute. In Bezug auf die ihm in Spanien zuteil gewordenen Offenbarungen bezeugt Martin de Valencia selbst, daß er wegen der Bekehrung der Ungläubigen sehr zu leiden hatte, als er den Psalmvers „ Convertentur ad vesperas, et famem patientur ut canes" (Ps 58 [59], 7) meditierte. Torquemada berichtet darüber: „Und er sagte, mit sich selbst redend: Wann wird diese Prophezeiung in Erfüllung gehen? Wann wird jener Abend sein? Wird es mir wohl zuteil werden, diese Bekehrungen zu sehen? Denn wir sind schon am Vorabend und am Ende unserer Tage und im letzten Zeitalter der Welt ... Plötzlich schaute er im Geist unzählige Seelen Ungläubiger, die sich zum Glauben bekehrten und herbeieilten, um die heilige Taufe zu empfangen." 34 Es ist wichtig, mit Torquemada darauf hinzu33
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„A vosotros, pues, oh hijos míos, doy voces yo, indigno padre, acercándose ya el último fin del siglo que se va envejeciendo y vuestras voluntades muevo y despierto para que defendáis el Escuadrón del Alto Rey." Das Wort „siglo" in diesem Zusammenhang geht sehr wahrscheinlich auf Paulus zurück, der „in hoc saeculo" mit „in saeculo futuro" (Eph 1, 21) vergleicht, oder von „sapiens in hoc saeculo" (I Kor 3, 18) spricht; die griechische Entsprechung von saeculum ist in beiden Fällen aion\ von Luther - etwa zur selben Zeit wie dieser spanische Text - werden diese biblischen Ausdrücke als „auf dieser Welt" bzw. „in dieser Welt" übersetzt. „Y decía, hablando consigo mismo: ¿Cuándo se cumplirá esta profecía? ¿Cuándo será esta tarde? ¿No sería yo digno de ver este convertimiento? Pues ya estamos en las vísperas y fin de nuestros días, y en la última edad del mundo ... Vio súbitamente en espíritu muchas ánimas de infieles, en gran número, que se convertían a la fe, y venían como desaladas a recibir el santo bautismo." Juan de Torquemada, Monarquía indiana, XV, Kap. 6 (Porrúa III, 9). Was den „letzten Tag oder das letzte Zeitalter" betrifft, cf. Heb. 10, 25.37.
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weisen, daß zwölf Jahre vergingen, bis Fray Martín von seinem General den Ruf nach Amerika erhielt. Auch diese mehr oder weniger eschatologischen Überlegungen des Franziskanergenerals scheinen keine spezielle Bedeutung zu haben. Es ist durchaus möglich, daß er sich dabei auf die Visionen von Fray Martín bezieht, aber es könnte sich ebenso um eine Bemerkung über die Mission der Kirche und, innerhalb dieser, des Franziskanerordens handeln, in vollkommenem Einklang mit dem Missionsauftrag Christi am Ende des Matthäusevangeliums (Mt 28, 20), der fast wörtlich wiedergegeben wird. Aus den bisherigen Ausführungen läßt sich unseres Erachtens der Schluß ziehen, daß die mehr oder weniger eschatologischen Elemente, die in den franziskanischen Chroniken der zweiten Hälfte des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts im Zusammenhang mit den „Zwölf Aposteln" Mexikos erscheinen, keinen besonderen Einfluß der pseudojoachimitischen Thesen aufweisen. Dasselbe läßt sich von der Bilderserie der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts behaupten, die sich im damaligen Vizekönigtum von Peru befindet. Die Sublimierung der Gestalt des heiligen Franziskus und der von den Franziskanern zu erfüllenden Mission in der Geschichte — die mit dem Auftrag des nachösterlichen Christus vollkommen übereinstimmt - ist durchaus verständlich und entschuldbar, wenn man die liebevolle Verehrung dieser Franziskanerbrüder für ihren Gründer und für die Gründungszeit des Ordens betrachtet. Zweifellos stammen einige dieser Idealisierungen aus pseudojoachimitischen Kreisen, doch die observanten Franziskaner verstanden sie, innerhalb eines Kontextes der Begeisterung und des religiösen Eifers, in einem strikt poetischen Sinn, ohne jegliche theologisch-dogmatische Bedeutung, und noch weniger hatten sie die Absicht, damit gegen die hierarchische römische Kirche zu polemisieren.
VII. Thomas von Aquin
«Dieu conduit toutes choses vers leur fin» Providence et gouvernement divin chez Thomas d'Aquin J E A N - P I E R R E TORRELL O.
p. (Fribourg)
Le titre de cette étude reproduit une citation de saint Thomas dont on retrouvera ici toute une série d'équivalents1. On rencontre régulièrement cette affirmation chaque fois qu'il est question de la providence ou du gouvernement divin: « Orienter l'agir des choses vers leur fin c'est les gouverner. Dans la providence de sa sagesse Dieu accorde aux choses direction et gouvernement.» 2 Thème chrétien par excellence, la providence est généralement traitée dans le discours homilétique d'un point de vue intimiste et piétiste; au contraire, Thomas situe sa réflexion au cœur de l'histoire de la philosophie et des plus profondes considérations métaphysiques et ne craint pas d'assurer que « tous les grands penseurs ou à peu près ont traité de cette question, et que pour cette raison il faut examiner leurs diverses positions afin d'éviter leurs erreurs et se tenir dans la voie de la vérité» 3 . Certes! sa réflexion est celle d'un théologien, qui tient cette vérité de la révélation et qui fait souvent appel à l'Écriture pour confirmer ses résultats4, mais il n'en reste pas moins conduit par le souci d'établir la cohérence rationnelle de sa foi. On ne sera donc pas étonné de constater que tous ses exposés comportent un rappel éclairant, et parfois très circonstancié, des positions en présence. On peut observer cependant que la longueur de ces rappels varie au fur et à mesure du développement de sa pensée. Relativement succinct dans le «Commentaire des Sentences », l'exposé de la doctrine prend beaucoup plus d'importance dans le «De veritate» et revêt même une ampleur considérable dans la «Somme contre les Gentils », dont on perçoit le retentissement dans le « Super Job », avant 1
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Summa contra Gentiles [= SCG] III 64, n° 2387: «Movet igitur Deus omnia adfines suos»\ cf. Super lob 5, 8 (ed. léon., t. 36, Roma 1965, 140—141): « Omnia quae in terra fiunt sunt propter finem. » SCG III 64, n° 2394: « Ordinare autem actiones aliquarum rerum adfinem, est gubernare ipsa. Deus igitur per suae sapiential providentiam rebus gubernationem et regimen praestat»\ cf. ibid., n° 2387: « Nihil est autem aliud regere et gubernare per providentiam quam movere per intellectum aliqua ad finem. » Sent. I d. 39 q. 2 a. 2. Sent. Ill d. 25 q. 1 a. 2 ad 2: « . . . Deum esse simpliäter non est articulus, sed Deum esse sicut fides supponit, scilicet habentem curam de omnibus, remunerantem et punientem... »; De veritate q. 14 a. 9 ad 8; Summa Theologiae [= ST] IIa Ilae q. 1 a. 8 ad 1: « . . . multa per fidem tenemus quae naturali ratione investigare philosophi non potuerunt, puta ärca providentiam eius et omnipotentiam, et quod ipse solus sit colendus. Quae omnia continentur sub articulo unitatis Dei. »
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de prendre sa forme définitive, plus condensée et autrement répartie, dans la « Somme de théologie ». Dans tous les cas, le rappel de l'histoire de ces opinions n'a rien de purement documentaire et encore moins d'anecdotique; c'est l'occasion de s'en démarquer et de mieux mettre en lumière la foi chrétienne. Le cadre limité de cette contribution ne permet pas de suivre l'auteur de très près dans le développement de sa pensée. Il faut évidemment rappeler certains antécédents et tirer parti des lieux parallèles, mais il nous a paru préférable de nous en tenir à l'exposé synthétique de la Somme, non seulement plus bref et plus clair que les précédents, mais aussi plus au point quant à l'élaboration doctrinale5. Sans nous interdire de le compléter par des éléments empruntés ailleurs, nous ne chercherons pas non plus à reconstruire à nouveaux frais cet exposé qui est suffisamment rigoureux par lui-même; nous tenterons plutôt d'introduire à son exacte intelligence en montrant les grandes thèses qui y sont impliquées et qui ressortent déjà de l'ordre même selon lequel les différents thèmes sont abordés. D'une façon générale, le plan suivi par un auteur est déjà chargé d'intelligibilité; cela se vérifie particulièrement chez Thomas d'Aquin. On rencontre donc tout d'abord le thème classique de la «convenance»: en quel sens peut-on parler de providence à propos de Dieu? C'est du même coup l'occasion de proposer, sinon une définition au strict sens du terme, du moins une description par comparaison avec les notions voisines que sont art et prudence, prédestination et gouvernement. Cette première approche conduit aussitôt à l'examen des diverses opinions en présence: soit qu'elles nient l'existence même d'une providence, soit qu'elles en restreignent indûment la portée, c'est l'occasion de souligner fortement l'universalité de la providence. Cette première considération est d'une importance décisive, mais les deux suivantes ne le sont pas moins: Thomas montre d'abord que la providence s'exerce de façon immédiate à l'égard de tous les êtres, et, ensuite, que sa certitude absolue ne leur impose pourtant aucune nécessité. La plupart des grands sujets ayant ainsi été traités, nous pourrons alors passer plus brièvement à la prédestination et, enfin, au gouvernement divin 6 . 5
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ST la q. 2 2 - 2 3 ; q. 1 0 3 - 1 0 9 ; voici les autres passages parallèles essentiels: Sent. I d. 3 9 - 4 0 ; De ver. q. 5 - 6 ; SCG III 6 4 - 1 6 3 ; cf. encore De substantiis separatis, chap. 1 3 - 1 5 , mais aussi le «Super l o b » . - Depuis l'époque où Cajetan et Sylvestre de Ferrare l'ont interprétée différemment, l'évolution de Thomas concernant sa doctrine de la providence a souvent été étudiée; on peut voir un bref status quaestionis dans W. Ysaac, The Certitude of Providence in St. Thomas, in: The M o d e m Schoolman 38 (1961), 3 0 5 - 3 2 1 . On a pu remarquer à juste titre que « l a recherche récente semble observer un silence inquiet [sur la théologie de la providence] » (J.-Y. Lacoste, Providence, in: Dictionnaire critique de théologie, Paris 1998, 1950); de fait, si l'on excepte les travaux très anciens comme l'article de R. Garrigou-Lagrange, La Providence selon la théologie, in: Dictionnaire de théologie catholique 13/1 (1936), 985 — 1023 (où la lecture de Thomas est gauchie par l'introduction de l'exégèse postérieure de l'école thomiste), ou les commentaires continus dans les diverses traductions de la « S o m m e de théologie», on ne trouve que peu d'exposés d'ensemble sur ce thème chez Thomas d'Aquin. Signalons cependant: J. P. Rock, Divine Providence in St. Thomas Aquinas, in: F.J. Adelmann (ed.), The Quest for the Absolute, Boston - The Hague 1966, 6 7 - 1 0 3 ;
«Dieu conduit toutes choses vers leur fin»
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En conclusion de cette brève entrée en matière, on nous permettra d'ajouter un mot d'avertissement pour prévenir un étonnement possible: à regret, mais délibérément, nous avons dû laisser hors de notre considération toute tentative de comparaison de la doctrine de Thomas avec celle d'autres théologiens, soit contemporains, soit postérieurs. A moins d'accorder à ces autres témoins autant d'attention que nous allons en consacrer à notre auteur, on ne saurait sans injustice à leur égard les mesurer à lui. Cette brève contribution à un colloque ne saurait se substituer au grand livre qu'il faudrait écrire pour cela7.
1. A r t et p r u d e n c e , analogies de la p r o v i d e n c e Si nous exceptons une mention plutôt rapide8, le premier passage en date où Thomas traite explicitement de la providence se trouve dans une question du «Commentaire des Sentences» consacrée à la science en Dieu. Il s'y demande si la providence relève de la science, ainsi que l'assure Boèce, ou de la toutepuissance, ainsi qu'on peut le déduire de l'Écriture, ou bien de la volonté, comme le dit Jean Damascène; il s'interroge encore sur les rapports que la providence entretient avec la dispositio ou le fatum9. Dans cette première tentative, Thomas va privilégier la comparaison avec l'ars divina·, puisque Dieu a des choses une science qu'on peut qualifier de pratique, on doit pouvoir la comparer à celle d'un artisan. Or, quand il doit réaliser une œuvre donnée, l'artisan considère d'abord la fin qu'il se propose (une maison à bâtir), ensuite la disposition des
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H. Jorissen, Schöpfung und Heil: Theologiegeschichtliche Perspektiven zum Vorsehungsglauben nach Thomas von Aquin, in: T. Schneider/L. Ullrich (eds.), Vorsehung und Handeln Gottes (Quaestiones disputatae 115), Freiburg - Basel - Wien 1988, 9 4 - 1 0 8 ; V. Aubin, Introduction, in: Thomas d'Aquin, Somme contre les Gentils, l i v r e III, La Providence, Paris 1999, 7 - 4 2 . Pour l'étude du commentaire de Job, on verra: M. D. Yaffe, Interpretative Essay, in: Thomas Aquinas, The Literal Exposition on Job, A Scriptural Commentary concerning Providence, transi. A. Damico, Atlanta 1988, 1 - 6 5 ; D. Chardonnens, L'homme sous le regard de la providence, Providence de Dieu et condition humaine selon l'Exposition littérale sur le Livre de Job de Thomas d'Aquin (Bibliothèque thomiste 50), Paris 1997. On retrouvera en leur lieu les études spécialisées, mais on peut encore mentionner ici l'étude plus générale de O. H. Pesch, Theologische Überlegungen zur "Vorsehung Gottes' im Blick auf gegenwärtige natur- und humanwissenschaftliche Erkenntnisse, in: F. Böckle/F.-X. Kaufmann/K. Rahner/B. Welte (eds.), Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft, Teilbd. 4, Freiburg - Basel - Wien 2 1982, 74— 104, qui s'efforce d'actualiser cette doctrine. Les essais comparatifs que nous avons pu lire sont souvent trop rapides pour faire vraiment progresser la question; pour ne citer qu'un seul exemple pourtant estimable, on pourra s'en apercevoir avec H. Davies, The Vigilant God. Providence in the Thought of Augustine, Aquinas, Calvin and Barth, New York 1992. Sent. I d. 35 q. 1 a. 5 exp. textus. Disons-le au passage, nous ne reviendrons pas sur cette question du fatum-, mais Thomas, lui, ne l'oublie pas et en parle plusieurs fois (notamment ST la q. 116 a. 1 - 4; SCG III 93) où il écarte l'idée d'une fatalité qui s'imposerait à l'homme pour ne retenir que l'immutabilité de la providence expliquée dans le sens que nous allons voir; on pourra se reporter à cette question pour avoir connaissance des lieux parallèles.
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diverses parties entre elles et en vue de la fin poursuivie (le plan détaillé de la maison), enfin ce qu'il faut mettre en œuvre ou au contraire éliminer pour parvenir à cette fin (construire une maison habitable). Si l'on ne considère les choses que du seul point de vue de la connaissance et sans prendre encore en compte leur réalisation, l'ensemble de cette considération reçoit le nom de « science »: elle met en évidence la fin et ce qui est ordonné à la fin. Mais si l'on considère la chose à réaliser du point de vue de son organisation, on pourra parler de « disposition »: la disposition signifie en effet un certain ordre et, dans notre cas, la genèse de cet ordre. Mais si l'on envisage maintenant ce même ensemble du point de vue de ce qui est mis en œuvre pour atteindre la fin, on pourra parler de «providence»: est «provident» (providus), celui qui conjecture comme il convient de ce qui peut favoriser la fin ou au contraire lui faire obstacle. Il en va de même pour Dieu: on parle de « science » selon qu'il se connaît lui-même et connaît ce qu'il fait; on parle de «disposition» en raison de la double ordination ou orientation {ordo) qu'il introduit dans les choses: d'abord celle des choses entre elles, selon qu'elles s'aident mutuellement à atteindre la fin dernière; ensuite celle de l'univers tout entier à Dieu lui-même, ainsi que l'explique Aristote qui donne l'exemple de l'organisation d'une armée, dont les divers éléments sont au service de la fin poursuivie par le général en chef. On parlera de «providence» pour signifier ce que Dieu fait lorsqu'il accorde aux choses ainsi ordonnées ce qui conserve cet ordre et qu'il en écarte le désordre 10 . Quant au rapport de ces trois grandeurs avec les divers attributs divins, on peut les préciser à partir du même exemple de l'artisan. Si l'on ne considère les choses que du seul point de vue de leur connaissance, disposition et providence ne relèvent que de la science. Mais suivant que l'on envisage l'œuvre avec le propos de la réaliser, la volonté se joint alors à la science. Et si l'on en vient à la réalisation elle-même, alors la puissance qui opère se joint elle-même à la volonté et à la science. Quand il s'agit de Dieu, il est clair que science et volonté sont éternelles, mais que le passage aux créatures nous fait entrer dans le temps: on parle alors de «gouvernement» pour désigner l'exécution du plan de la providence 1 1 . Aussi élaboré soit-il, cet essai de définir la providence à partir de la forme conçue par l'artisan pour guider l'œuvre qu'il veut exécuter ne satisfait pas longtemps son auteur. On s'en aperçoit au fait que lorsqu'il reprend le sujet trois ou quatre ans plus tard 12 , il abandonne cette première comparaison en faveur d'une nouvelle où il met en avant l'analogie de la prudence, dont il traite avec le même luxe de détails. Il faut le suivre d'asse2 près dans son raisonnement, car ce sera désormais pour lui un acquis. Puisque nous ne pouvons nous faire une idée des
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Sent. I d. 39 q. 2 a. 1. Sent. I d. 39 q. 2 a. 1 ad 1; nous pouvons laisser hors de notre considération les réponses aux objections où le même exemple de l'artisan est mis à contribution pour expliquer notamment les rapports entre providence et fatum (ad 5). Dans l'année scolaire 1256 — 1257: De veritate q. 5 a. 1.
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choses divines que d'après les réalités humaines que nous connaissons, expliquet-il, si nous voulons savoir comment parler de providence à propos de Dieu, il faut savoir ce que signifie la providence chez les hommes. Selon Cicéron, la providence est une partie de la prudence, celle où elle trouve son achèvement, alors que la mémoire et l'intelligence n'en sont que des parties préparatoires13. Or, selon le Philosophe 14 , la prudence est «la juste règle de l'agir» {recta ratio agibilium), mais pour comprendre cela il faut savoir qu'il y a une différence entre « agir » et « faire ». On parle de « faire » quand il y a une production: les choses à fabriquer (Jactibilia) sont extérieures à l'agent (un tabouret, une maison), et leur « juste règle » (recta ratio factibilium), c'est l'art, c'est-à-dire la forme intellectuelle préalablement conçue par l'ardsan; au contraire, les réalités qui font l'objet de l'agir (agibilia) ne sortent pas de l'agent, elles le perfectionnent intérieurement (ainsi de l'exercice des vertus), leur «juste règle» est donc la prudence. Mais la prudence elle-même a pour fonction principale de diriger l'agir dans les choses qui se rapportent à la fin poursuivie: on dit de quelqu'un qu'il est prudent quand il est de bon conseil, et le conseil ne regarde pas directement la fin, mais les réalités qui se rapportent à la fin. Or la fin de notre agir préexiste en nous de deux façons. D'abord par la connaissance naturelle de la fin, connaissance qui relève de l'intelligence comme capacité d'intuition (intellectus); intériorisée de la sorte, la fin devient ainsi le principe aussi bien de notre connaissance spéculative que de notre faire (dans le domaine de l'opérable, en effet, les principes ce sont les fins). Ensuite, la fin préexiste encore en nous selon l'affectivité, et c'est ainsi que les fins de l'agir se trouvent en nous par les vertus morales, vertus par lesquelles l'homme se trouve incliné à bien vivre; c'est pour ainsi dire la fin prochaine de l'agir. Par rapport à la fin, nous sommes donc qualifiés d'une manière semblable dans les deux domaines: quant à la connaissance, par le conseil ou délibération; quant à l'appétit, par l'élection; et dans ces deux choses nous sommes dirigés par la prudence. Celle-ci requiert donc et la connaissance intuitive de la fin et les vertus morales par lesquelles l'affectivité est elle-même droitement ordonnée à l'égard de la fin; c'est pourquoi le prudent doit aussi être vertueux. On le sait, en effet, lorsque plusieurs puissances et actes de l'âme sont concernés, ils sont disposés selon un certain ordre et il est habituel que ce qui vient en premier se retrouve aussi dans ce qui suit; c'est ainsi que dans la prudence se trouvent incluses et la volonté qui porte directement sur la fin et la connaissance de la fin15. A la lumière de ce qui vient d'être dit, on pourra comprendre la place de la providence par rapport aux autres attributs de Dieu. La science se rapporte 13
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Cicéron, D e inventione II, c. LUI, n. 160; Thomas explique à sa suite que c'est grâce à la mémoire du passé et à l'intelligence du présent que nous pouvons conjecturer l'avenir et les mesures à prendre (J>rovidendis)\ cf. surtout S T l i a Ilae q. 49. Aristote, Éthique à Nicomaque VI, 4 (1140 b 4 et 20). O n trouvera quelques compléments à ce sujet chez M. C. Donadío Maggi de Gandolfi, Providencia y prudencia, in: Doctor communis 50 (1997), 2 4 7 - 2 5 7 .
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indistinctement à la connaissance de la fin et à la connaissance de ce qui se rapporte à la fin: par sa science, en effet, Dieu se connaît lui-même et connaît les créatures. Mais la providence appartient seulement à la connaissance des choses qui se rapportent à la fin selon qu'elles sont ordonnées à cette fin; et c'est pourquoi si, en Dieu, la providence inclut science et volonté, elle se trouve pourtant essentiellement dans la connaissance, non spéculative mais pratique. Quant à la puissance, elle est exécutive de la providence; il s'ensuit que l'acte de la puissance présuppose l'acte de la providence comme celui d'une puissance directrice, et donc que la providence n'inclut pas la puissance comme elle inclut la volonté. Le développement se poursuit dans les réponses aux objections de cet article et l'on y trouvera diverses précisions concernant le rapport de la providence aux idées divines et au fatum (ad 1) ou à la loi éternelle (ad 6 et ad 7), ou encore à la science pratique (ad 9). Le changement de perspective par rapport à la première approche du « Commentaire des Sentences » y ressort avec beaucoup de netteté. Puisqu'il est question de l'ordre qui existe dans les choses, Thomas propose de le considérer selon un double point de vue: selon qu'elles s'originent à leur principe ou selon qu'elles sont ordonnées à leur fin. Selon le premier point de vue, on parle de «disposition»: les choses sont en effet disposées selon divers degrés par Dieu qui, à la manière d'un artisan, échelonne diversement les différentes parties de son œuvre; la disposition semble donc relever de l'art divin. Mais la providence diffère de l'une et de l'autre, car elle a trait à l'ordre des choses suivant qu'elles sont ordonnées vers leur fin: « On parle donc de l'art divin quand il s'agit de la production des choses, de la disposition quand il est question de l'ordre même des choses produites, de la providence quand on veut exprimer leur ordre à la fin. Et puisqu'on infère de l'ordre de l'œuvre à partir de la fin même de l'œuvre, il faut conclure que l'ordre à la fin est plus proche de la fin elle-même que ne l'est l'ordre des parties entre elles et qu'il en est pour ainsi dire la cause. C'est ainsi que la providence est en quelque sorte la cause de la disposition et c'est pourquoi l'acte même de la disposition est fréquemment attribué à la providence. Et donc, bien que la providence ne soit pas identique à l'art divin, qui concerne la production des choses, ni à la disposition qui a trait à l'ordre des choses entre elles, il ne s'ensuit pas qu'elle n'appartienne pas à la connaissance pratique.» 16
Le changement de perspective est manifeste: Thomas s'est aperçu que la comparaison prise de la forme conçue par l'artisan {ars divina) est sans doute utile pour expliquer la création des choses, mais que cette analogie avec l'activité transitive se révèle insuffisante quand il s'agit de rendre compte du soin que Dieu prend de sa création: l'analogie avec l'activité immanente de la prudence lui paraît désormais plus adéquate. Quand il revient sur le sujet dans la « Somme de théologie », il n'est plus du tout question de l'art, mais seulement de la prudence et nous retrouverons plusieurs allusions au long développement du «De 16
De veritate q. 5 a. 1 ad 9.
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veritate» 17 . Comme dans les textes précédents, Thomas reste préoccupé dans la Somme de la manière dont la providence se rapporte à la science et à la volonté divines; aussi, après avoir traité séparément ce qui relève de l'une et de l'autre, il en vient à ce qui met en œuvre simultanément l'intelligence et la volonté: « C'est le cas de la providence qui concerne tous les êtres, alors que la prédestination et la réprobation concernent seulement les personnes humaines et spécialement leur salut éternel. » 1 8 Thomas s'efforce en premier lieu de justifier la nécessité de parler d'une providence en Dieu. Dans cette intention, il souligne donc que tout le bien qui se trouve dans les choses a été créé par Dieu, et que ce bien ne réside pas seulement dans la substance des choses, mais aussi dans leur orientation vers leur fin, et plus spécifiquement vers leur fin ultime, qui est Dieu lui-même. Ce bien qu'est l'ordination des choses créées vers leur fin est lui-même créé par Dieu, et puisque nous savons par ailleurs que Dieu est la cause des choses par son intellect et que la « raison » {ratio) de chacun de ses effets préexiste en lui, il est donc nécessaire que se trouve aussi dans la pensée divine l'idée de ce bien qu'est l'ordination des choses vers leur fin. C'est cette « raison » {ratio) des choses à ordonner vers leur fin qui est proprement la providence 19 . 17
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19
Notons que ni l'une ni l'autre des deux analogies ne se retrouvent dans la «Summa contra Gentiles », et pas davantage dans le « Super Job », qui ne contient qu'une seule allusion au rapprochement prudentia - Providentia. Ysaac, Certitude (nt. 5), 311, qui a bien vu l'importance du passage de l'art à la prudence pour la compréhension de la providence, se trompe quand il assure que l'analogie de l'art est reprise assez fréquemment dans le Contra Gentiles; ce n'est vrai que pour le gouvernement divin, non pour la providence. ST la q. 22 prol.; l'auteur ne s'attardera pas dans le corps de l'ardcle sur cette mise en œuvre de la science et de la volonté dans la providence, mais il est très clair dans l'ad 3 de l'a. 1: « L a providence est bien dans l'intelligence divine, mais elle présuppose la volonté de la fin; personne en effet ne saurait prescrire ce qu'il faut faire en vue d'une fin, s'il n'a d'abord voulu la fin. C'est pourquoi la prudence elle-même présuppose les vertus morales par lesquelles l'appétit s'oriente vers le bien.» ST la q. 22 a. 1: «Ratio autem ordinandorum in finem proprie Providentia est.» - Les familiers de Thomas d'Aquin connaissent bien la difficulté de traduire correctement le terme « ratio»; Cyrille Michon l'a dit naguère: « Raúo ... véhicule toutes les nuances de logos et peut servir à désigner la nature d'une chose ou d'une qualité, la signification d'un nom, la définition, l'aspect, la notion (en un sens objectif), le plan rationnel, etc.» L'ensemble des cas où ce mot est ici udlisé pour définir la providence nous conduit habituellement à écarter le mot « idée », afin de ne pas laisser entendre que Thomas parle de la providence comme il parle des idées divines, qui sont l'essence divine comme participable (cf. la q. 15); pour éviter les équivoques, nous le transcrirons le plus souvent par «raison», en priant le lecteur de se souvenir de la polyvalence du terme. Il est important toutefois d'éviter les mots comportant le préfixe « pré » (prédétermination, cela va de soi, mais aussi préconception) dont la nuance d'antériorité temporelle fait bon marché de l'éternel présent de Dieu, que Thomas écarte à la suite de Boèce (Sent. I d. 38 q. 1 a. 5; De veritate q. 2 a. 12: « magis proprie diäturProvidentia quam praevidentia»). A notre connaissance, Thomas n'a employé ce genre de mots dans ce contexte qu'en un seul endroit (SCG III 94, n° 2694: praemeditatío, praemeditari), mais pour qualifier une providence humaine, parlant de meditatio seulement quand il s'agit de Dieu (on verra ici la note éclairante de M.-J. Congar, Praedeterminare et Praedeterminatio chez saint Thomas, in: Revue des sciences philosophiques et théologiques 23 [1934], 3 6 3 - 3 7 1 ) . Dans le souci d'éviter tout anthropomorphisme, on aimerait également faire l'écono-
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Nous le savons déjà, la providence est la partie principale de la prudence et il appartient en propre à la prudence d'ordonner les moyens à leur fin: s'il s'agit de se diriger soi-même, on dit de quelqu'un qu'il est prudent s'il ordonne droitement ses actes en fonction de la fin de sa vie; s'il s'agit de diriger d'autres personnes, des sujets, dans une famille, une cité ou un royaume, on parle alors du «serviteur fidèle et avisé (prudens) que le Seigneur a placé à la tête de sa famille». La prudence ou providence ne peut convenir à Dieu que selon ce deuxième point de vue; le premier ne saurait lui être attribué, car rien en lui n'a besoin d'être orienté vers la fin, puisqu'il est lui-même la fin ultime 20 . Ce qu'on appelle en lui providence, c'est donc l'idée de l'ordination des choses vers leur fin (ratio ordinis rerum in finem)\ c'est cela que veut exprimer la définition de Boèce: « la providence c'est l'idée divine elle-même qui, située en celui qui est le principe souverain de toutes choses, les dispose toutes. » Cette disposition dont parle Boèce est aussi bien l'idée {ratio) de l'ordination des choses vers leur fin que celle de l'ordre des parties entre elles 21 . La comparaison de la prudence préférée à celle de l'art pour comprendre la providence a donc permis de mettre en évidence qu'il s'agit d'une activité immanente, intérieure à Dieu lui-même. Mais Thomas doit revenir sur ce point face à une objection qui conteste cette réalité intradivine de la providence pour la raison que la providence étant le soin que Dieu prend de ses créatures doit être forcément une réalité située dans le temps; or tout ce qui est en Dieu ne peut être qu'éternel. Face à cette difficulté, Thomas distingue deux aspects dans le soin que Dieu prend de ses créatures: la conception divine de l'ordre lui-même (ratio ordinis), c'est elle que nous appelons providence ou disposition, et l'exécution de cet ordre (executio ordinis), c'est cela que nous appelons «gouvernement» (gubernatio). Si le plan divin de la providence est évidemment immanent et éternel, la réalisation extérieure de ce plan par le gouvernement divin se déroule bien dans le temps 22 . Cette même distinction revient quelques pages plus loin et nous la retrouverons bientôt; Thomas, qui la faisait déjà brièvement dès les Sentences 23 , ne se lasse pas de la répéter; à titre simplement indicatif citons encore cet autre texte, très clair lui aussi sur le caractère immanent de la providence: «La providence ne se trouve pas dans les choses régies par elle, c'est plutôt comme une conception qui réside dans l'intelligence du 'proviseur' (quaedam ratio in intellectu pro-
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mie du «plan» de la providence, qui comporte lui aussi l'idée d'une antériorité temporelle et qui a en outre le désavantage de réintroduire la notion d'ars dont nous venons de voir que Thomas l'écarté au profit de la prudence; mais il est bien difficile de s'en passer totalement. ST la q. 22 a. 1 ; l'ad 1 de cet article revient plus longuement sur la façon dont on peut dire que la prudence peut convenir à Dieu: non quant à la délibération, mais bien quant à la certitude qui en résulte et qui permet l'exécution. A. M. S. Boethius, Philosophiae Consolatio IV 6, 9, ed. L. Bieler (CCSL 94), Turnhout 1957, 79: «prouidentia est ipsa illa diuina ratio in summo omnium prinápe constituía quae cuneta disponit. » ST la q. 22 a. 1 ad 2. Sent. I d. 39 q. 2 a. 1 ad 1 : « ipsa executio providential, gubernatio didtur. »
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visons) ... Quant à l'exécution de la providence qu'on appelle 'gouvernement' {gubernatio), si elle se trouve passivement dans les choses gouvernées, elle réside activement dans le gouvernant. » 24
2. U n i v e r s a l i t é de la p r o v i d e n c e C'est ici que nous rencontrons les diverses opinions philosophiques par rapport auxquelles Thomas prend position. Son petit résumé n'est pas à vrai dire entièrement original, car il dépend d'au moins trois auteurs, dont on retrouve clairement la trace dans ses exposés: saint Augustin - comme si souvent lorsqu'il s'agit de savoir ce qu'ont pensé les anciens — qui discute longuement dans «La Cité de Dieu» diverses théories sur le déterminisme astral 25 ; Némésius d'Émèse (qu'il connaît sous le nom de Grégoire de Nysse), dont le «De natura hominis» s'achève par deux chapitres sur la providence 26 ; Maïmonide enfin, qui dresse un ample tableau des cinq positions en présence avant d'exposer la sienne propre 27 . D'après Thomas, certains auteurs ont affirmé qu'il n'existait aucune espèce de providence, mais que toutes choses arrivaient par hasard; c'était la position de Démocrite et des épicuriens, assure-t-il. Selon l'exposé des Sentences qui mentionne ici en outre «presque tous les anciens naturalistes» 28 , cette position s'explique par le fait que ces penseurs niaient l'existence d'une cause efficiente et ne reconnaissaient que celle d'une cause matérielle. Plus explicite, le passage parallèle du «De veritate» souligne que la lacune se trouve plutôt dans la méconnaissance de la causalité finale. « Puisque parler de providence c'est évoquer l'orientation vers une fin, il s'ensuit que nier l'existence d'une cause finale c'est aussi nier celle d'une providence. » 29 Thomas place cette réflexion sous le patronage d'Averroès 30 et continue en rappelant qu'il y a eu dans l'antiquité deux types de négateurs de la causalité finale. Les uns, qu'on vient de mentionner, ne reconnaissant que la seule causalité matérielle, niaient qu'il y ait une cause agente
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ST la q. 23 a. 2. Augustin, Cité de Dieu V i-ix, introd. et trad, de G. Bardy et G. Combés (Bibliothèque augustinienne 33), Paris 1959, 644-688. Némésius d'Émèse, De Natura hominis, Traduction de Burgundio de Pise, ed. G. Verbeke et J. R. Moncho, Leiden 1975, chap. 4 1 - 4 2 , 152 - 1 7 0 ; on verra aussi l'Introduction, LXII-LXXXV, chap. 3: « Destin, providence et liberté ». Cf. Le Guide des égarés. Traité de théologie et de philosophie par Moïse ben Maïmoun dit Maïmonide III 1 7 - 1 8 et 51, trad. S. Münk, Paris 1856, réimpr. 1960, 115-141 et 433-451. Ce sont les philosophes présocratiques, que Thomas rappelle encore sous le même nom à'antiqui naturala dans la SCG III 2 et 64, n° 1877 et 2396; la source directe de Thomas semble bien être Némésius, De Natura hominis, chap. 42, 160-161. De veritate q. 5 a. 2: « Providentia respicit ordinem ad finem, et ideo quicumque causamfinalemnegant oportet quod negent per consequens promdentiam ...» Cf. Aristotelis opera cum Averrois commentariis, Venetiis 1572—1574, réimpr. 1962, t. IV, texte 75, 75 K-M.
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et ne pouvaient donc reconnaître non plus l'existence d'une fin, puisque la fin n'exerce sa causalité que selon qu'elle meut l'agent lui-même. D'autres (et ici Thomas pense à Empédocle et à Pythagore 31 ) reconnaissaient sans doute l'existence d'une cause efficiente, mais ne disaient rien de la cause finale. Ainsi selon les uns et les autres toutes choses provenaient de la nécessité des causes précédentes, soit matérielles, soit efficientes. La deuxième erreur que Thomas se propose de combattre admet certes l'existence d'une providence, mais pour certaines choses seulement, pas pour toutes. D'après lui, les penseurs qui soutiennent cette position se répartissent en deux catégories; selon les premiers, la providence de Dieu ne s'étend qu'aux choses incorruptibles; quant aux choses corruptibles la providence prend soin non des individus, mais seulement des espèces, car sous ce rapport elles sont incorruptibles. Selon l'exposé des Sentences cette position serait imputée à Aristote, bien que, assure l'auteur, on ne la trouve pas en toutes lettres chez le Stagirite 32 , quoique Averroès la soutienne expressément 33 . Il dit en effet qu'il ne convient pas à la divine bonté de se soucier des singuliers sinon dans la mesure où ils participent à la nature commune. Thomas attribue à ces auteurs l'expression d'Éliphaz dans le Livre de J o b (22, 14) qui dit en parlant de Dieu: «Les nuées sont pour lui un voile opaque . . . Il ne voit pas ce qui nous arrive.» Cette position, remarque-t-il, exclut expressément la possibilité pour Dieu de juger les œuvres des hommes 3 4 . Tout en partageant cette opinion que Dieu ne s'occupe pas des êtres corruptibles, d'autres auteurs ont cependant traité à part les personnes humaines, «à cause de la splendeur de l'Intelligence dont elles participent». C'est le cas de Maïmonide, que Thomas mentionne explicitement, et au sujet duquel il est plus prolixe dans son «Commentaire des Sentences». La raison de cette exception, explique-t-il, est que la nature humaine n'a pas d'existence en dehors des individus; si l'individu humain n'est pas délaissé par la providence qui s'occupe des espèces, ce n'est cependant qu'au niveau de l'espèce en sa totalité que se vérifie la justice de la providence divine, car ce n'est que là que la somme des biens et des maux est équivalente à celle des mérites 35 . Cette explication ne satisfait pas 31 32
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Selon Sent. II d. 1 q. 1 a. 1; cf. Aristote, Métaphysique I, 4 et 5, 985 a 2 sqq. et 986 a 33. La SCG III 75, n° 2516, fait la même remarque (on verra la note érudite de P. Marc sur ce passage); il est probable que Thomas fasse ici allusion à ce qu'il aura lu chez Némésius d'Émèse, De Natura hominis, chap. 42, 161, qui attribue effectivement cette opinion à Aristote; Maïmonide, que Thomas connaît aussi très bien, fait de même, cf. Guide des égarés III 17, 1 1 6 - 1 1 9 . Quant à la pensée d'Aristote lui-même, on pourra voir A. P. Bos, Providentia divina; The Theme of Divine Pronoia in Plato and Aristode, Assen 1976, 21 - 2 7 . Pour Averroès on verra: Aristotelis opera cum Averrois commentariis, Venetiis 1572—1574, réimpression 1962, t. VIII, texte 52, 337 M. Pour la discussion plus poussée de cette position d'Averroès, rapprochée de celle d'Avicenne, on verra le Super lob 22,12sqq., avec le commentaire de Chardonnens, L'homme (nt. 6), 1 0 9 - 1 1 7 . Maïmonide (qui n'est pas très loin ici d'un passage dubitatif d'Aristote, Éthique à Nicomaque X 9, 1178 a 22 — 32) tient en outre que la providence ne s'occupe pas de manière égale de chaque individu: elle protège les uns plus que les autres à la mesure de leur plus ou moins grande perfection; on trouve sa position personnelle dans le Guide des égarés III 1 7 - 1 8 , 129 -
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Thomas, car si Dieu a, comme il l'a montré, une connaissance égale des singuliers aussi bien que des universels et s'il lui revient en sa suprême bonté de diriger toutes choses vers leur fin, il n'est pas convenant que sa providence ne s'étende pas à toutes choses et même aux singuliers, et pas seulement en raison du fait qu'ils sont pour ainsi dire les lieux où se réalise l'espèce. En outre, cette position de Maïmonide est explicitement contraire à l'enseignement du Seigneur selon lequel pas un passereau ne tombe à terre à l'insu du Père céleste (Matth. 10, 29). Beaucoup plus développé, l'exposé des Sentences énumère encore toute une série d'autres opinions 3 6 , mais dans la Somme, Thomas a choisi de n'y revenir que plus loin et oppose sur-le-champ une fin catégorique de non-recevoir à ces théories: « Il est nécessaire de dire que toutes choses sont soumises à la divine providence, pas seulement en général, mais aussi en particulier. Et en voici la preuve. Étant donné que tout agent agit pour une fin, l'orientation des effets à leur fin doit s'étendre aussi loin que s'étend la causalité du premier agent. S'il arrive que, dans les effets d'un agent quelconque, survienne quelque chose qui ne soit pas ordonné à la fin, la raison en est que cet effet procède de quelque autre cause, qui échappe à l'intention de l'agent. Mais la causalité de Dieu, premier agent, s'étend à tous les êtres, non seulement quant à leurs principes spécifiques, mais encore quant à leurs principes individuels, non seulement quant aux êtres incorruptibles mais aussi quant aux êtres corruptibles. Il est donc nécessaire que tout ce qui a l'être, d'une manière ou d'une autre, soit ordonné par Dieu à sa fin, selon le mot de l'Apôtre (Rom. 13, 1): 'Tout ce qui vient de Dieu est ordonné par lui'. Étant donné, comme on vient de le montrer, que la providence de Dieu n'est rien d'autre que la raison divine de l'orientation des choses vers leur fin, il est nécessaire que, dans la mesure même où elles participent à l'être, toutes choses soient soumises à la divine providence. Pareillement, on a aussi montré, que Dieu connaît toutes choses, universelles et particulières; et puisque sa connaissance des choses est comparable à celle qu'un artisan a de son œuvre, il est nécessaire que toutes choses soient soumises à l'ordre qu'il a voulu, de même que les œuvres d'un artisan sont soumises à l'ordre de son art.» 37 141, à quoi on ajoutera le chap. III 51, 4 3 3 - 4 5 1 , où achève de se révéler le caractère elitiste de sa conception; on verra à ce sujet C. Touati, Les deux théories de Maïmonide sur la providence, in: S. Stein/R. Loewe (eds.), Studies in Jewish Religious and Intellectual History, Presented to Alexander Altmann ..., University, Alabama, 1979, 331-343; M. Ruben-Hayoun, Maïmonide (Que sais-je? 2378), Paris 1987, 5 0 - 6 2 . On pourra voir aussi la comparaison établie entre Maïmonide et Thomas par A. Wohlmann, Thomas d'Aquin et Maïmonide. Un dialogue exemplaire, Paris 1982, 228-250; Chardonnens, L'homme (nt. 6), 38 — 46, a lui aussi souligné tout ce que Thomas doit à Maïmonide dans son «Super lob». D'un propos un peu plus large, puisqu'il introduit Avicenne dans le débat, on peut signaler: D. B. Burrell, Knowing the Unknowable God: Ibn-Sina, Maimonides, Aquinas, Notre Dame 1986, 71 - 1 0 8 ; du même auteur, nous n'avons pu consulter: Maimonides, Aquinas and Gersonides on Providence and Evil, in: Religious Studies 20 (1984), 335-351. 36
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On a pu dresser à partir des divers exposés de Thomas et de ses sources une typologie de neuf positions différentes concernant le destin et la providence; on verra ce relevé dans Thomas d'Aquin, Somme contre les Gentils III 93, 558, note 108 par V. Aubin. ST la q. 22 a. 2; on remarquera que la comparaison avec l'artisan s'applique ici à la science divine, non à la providence.
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Ce texte est trop général pour rendre compte à lui seul de tous les problèmes soulevés par les diverses théories qui viennent d'être évoquées. Mais on peut du moins noter qu'il énonce d'emblée les grands thèmes aussi bien que les principes de solution auxquels on fera sans cesse appel. Et tout d'abord, puisqu'il s'agit du thème principal de cet exposé, et pour n'avoir pas besoin d'y revenir, comment comprendre cette orientation de toutes choses vers leur fin? En résumant outrageusement une démarche qui, dans la « Somme contre les Gentils », s'étend sur plusieurs dizaines de chapitres (SCG III 2 — 63), on peut dire que, en partant du principe que tout agent agit pour une fin et qu'il agit conformément à ce qu'il est, Thomas montre par une élaboration soigneusement menée que Dieu créateur laisse dans les êtres quelque chose de sa ressemblance; cela même les anime d'une tension vers lui qui les pousse à retrouver en son principe la perfection de cette ressemblance; c'est là leur fin, c'est là leur bien. S'il s'agit d'êtres non connaissants, cette orientation se réalise de façon inconsciente: l'agent premier a placé en eux l'appétit inné de leur propre perfection et ils tendent vers leur fin à la manière d'une flèche dirigée par l'archer vers son but; c'est ainsi que pour Thomas le mouvement ordonné de l'univers démontre l'existence d'une intelligence à l'œuvre dans le monde et donc d'un Dieu provident. S'il s'agit d'êtres intelligents, cette orientation devient consciente: par le moyen de formes intentionnellement présentes dans son esprit, une telle créature capable de connaissance et d'amour peut se diriger vers son bien connu et librement aimé, jusqu'à ce qu'elle parvienne à la vision même de Dieu, sa fin ultime. « Il est ainsi clair», conclut Thomas, «que les substances intellectuelles atteignent leur bonheur véritable par la vision divine, dans laquelle absolument tous les désirs se trouvent apaisés et dans laquelle se trouvent réunis à pleine suffisance tous les biens qui, selon Aristote, sont requis à la béatitude. » 3 8 En second lieu, il importe de bien saisir que si Dieu peut exercer une providence absolument universelle sur tous les êtres, c'est parce qu'il est le créateur de tous les êtres et du tout de l'être et qu'il connaît toutes choses jusque dans leur plus infime détail, puisque c'est précisément la science pratique qu'il en a qui est l'origine même de leur être. Cette idée de science pratique est capitale pour la suite de tout ce que Thomas dira de la providence, car elle est seule capable de rendre compte de la manière dont la providence s'étend jusqu'aux choses les plus infimes (ce qui précisément faisait reculer Maïmonide): «L'intellect divin ne tire pas sa connaissance des choses, comme le nôtre, c'est bien plutôt sa connaissance qui est la cause des choses ... Et ainsi la connaissance qu'il a des autres choses correspond au mode de la connaissance pratique. O r la connaissance pratique n'est parfaite que si elle parvient jusqu'aux singuliers, car la fin de la connais-
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SCG III 63, n° 2382; la démarche intellectuelle que nous venons de résumer a été magistralement décrite par Aubin, Introduction (nt. 6), 7 — 32; cf. ST Ha Ilae q. 4 a. 2 ad 3: « Veritas prima, quae est fidei obiectum, est finis omnium desideriorum et actionum nostrarum. »
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sance pratique est l'opération qui s'achève dans les singuliers. La connaissance que Dieu a des autres choses s'étend donc jusqu'aux singuliers. » 39 Partout sous-jacente chaque fois qu'il est question de providence, cette solution générale commande explicitement les réponses aux diverses difficultés soulevées dans la problématique de cet article de la Somme. La première objection arguait en effet de la certitude de la providence divine pour souligner que la nécessité qu'elle imposerait aux choses exclurait l'existence du hasard et de la fortune, qui sont pourtant bien attestés par l'expérience commune. Cette objection, remarque Thomas, ne tient pas compte du fait qu'il en va autrement de la cause universelle et d'une cause particulière: l'ordre voulu par une cause particulière peut être perturbé par l'intervention d'une autre cause particulière et donc quelque chose peut échapper à cet ordre; mais puisque toutes les causes particulières sont elles-mêmes soumises à la cause universelle, il est impossible que quelque effet que ce soit échappe à l'ordre voulu par la cause universelle. Si l'on peut parler de hasard ou d'événement fortuit, ce n'est que dans la mesure où un effet donné échappe à l'ordre prévu par une cause particulière; par rapport à l'ordre établi par la cause universelle, auquel rien ne peut échapper, il ne s'agit plus d'un événement fortuit mais d'un événement prévu (provisum). On peut penser à l'exemple évoqué par Aristote de ces deux esclaves qui se rencontrent en un lieu donné, « par hasard » selon leur point de vue, mais intentionnellement du point de vue de leur maître, qui les avait envoyés en ce lieu à l'insu l'un de l'autre40. Tout aussi évident que le précédent, le problème suivant est pourtant plus délicat: une sage providence se doit d'exclure tout mal ou toute défaillance dans le domaine qu'elle régit; or nous voyons qu'il y a beaucoup de maux dans les choses; on est donc obligé de dire ou bien que Dieu ne peut pas l'empêcher et alors il n'est pas tout-puissant, ou bien qu'il ne prend pas soin de toutes choses. Une nouvelle fois, Thomas fait appel à sa distinction entre particulier et universel: un « proviseur » particulier exclut autant qu'il le peut tout défaut du domaine confié à sa charge; le «proviseur» universel au contraire peut permettre l'existence de quelque défaut dans un cas particulier afin de ne pas faire obstacle au bien du tout. Corruption et défaut dans les choses de la nature peuvent aller contre leur nature particulière, mais elles entrent pourtant dans l'intention de la nature universelle puisque la défaillance de l'une peut servir au bien d'une autre
39
S C G I 65, n° 535; II 24, n° 1006; la question de la connaissance des singuliers est traité dans toute son ampleur dans le D e veritate q. 2; son lien avec la doctrine de la providence a été remarquablement mis en valeur par S.-Th. Bonino, in: Thomas d'Aquin, D e la vérité Question 2 (La science en Dieu), Introduction (Vestigia 17), Fribourg - Paris 1996, 4 2 - 1 3 4 ; l'auteur remarque encore à juste atre que l'existence de Dieu et celle de sa providence constituent les deux premiers credibilia auxquels se ramène la nécessité de la foi salutaire (cf. 132—135); on peut voir aussi J.-P. Torrell, Le savoir théologique chez saint Thomas, in: id., Recherches thomasiennes (Bibliothèque thomiste 52), Paris 2000, 1 4 2 - 1 4 4 .
40
S T la q. 22 a. 2 ad 1; Thomas reprend le même exemple à la q. 116 a. 1.
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et même au bien de tout l'univers, puisque suivant l'adage bien connu, la corruption de l'un entraîne la génération de l'autre (corruptio unius est generatio alterius)41 ; de fait, c'est ainsi que se conserve l'espèce. Étant donné que Dieu est l'universel proviseur de l'être en sa totalité (universalis provisor totius entis), il appartient à sa providence de permettre l'existence de défaillances en certaines choses particulières, afin de ne pas faire obstacle au bien de l'univers entier. Si en effet tous les maux étaient empêchés, beaucoup de biens disparaîtraient de l'univers: ainsi, sans la mort d'autres animaux, la vie du lion ne serait pas possible; de même la patience des martyrs, sans la persécution de leurs tyrans. C'est ce qui permet à Augustin d'assurer que «Dieu, qui est tout-puissant, ne laisserait jamais un mal quelconque exister dans ses œuvres, s'il n'était assez puissant et bon pour faire sortir le bien du mal lui-même.» 42 Ce même principe majeur de la théodicée augustinienne, sans doute universellement admis dans la tradition médiévale, permet à Thomas de résoudre l'objection tirée du problème du mal. Prenant un peu de recul, il ajoute en pensant à ces deux premières difficultés, qu'à son avis, l'existence du hasard et du mal dans le monde sont les deux raisons qui ont conduit les auteurs qu'il a mentionnés en début d'article à soustraire les choses corruptibles à l'emprise de la providence, car c'est évidemment parmi elles que l'on rencontre l'un et l'autre 43 . Cette réponse ne solutionne évidemment pas tous les problèmes posés par l'existence du mal dans le monde, mais nous ne pouvons que renvoyer ici à des exposés plus développés 44 . L'inventaire des difficultés auquel se livre notre auteur le conduit alors à évoquer la question de la nécessité éventuelle que la providence imposerait au cours du monde et des choses humaines, mais puisqu'il en traite expressément plus loin, il vaudra mieux réserver l'examen de cette question pour un paragraphe suivant. Nous ferons de même pour le cas spécial des créatures rationnelles. Si nous suivons le droit fil de l'exposé thomasien il faut examiner maintenant la manière dont la providence s'exerce directement sur tous les êtres. 41 42
43
44
Cf. Aristote, Physique III 8, 208 a 10. Augustin, Enchiridion iii 11 ; viii 27: « (Dieu) a jugé meilleur de tirer le bien du mal que de ne permettre l'existence d'aucun mal»; cf. xxviii 104. C'était aussi l'argumentation du Ps.-Denys, Les noms divins IV 33, passage sur lequel Thomas s'étend longuement: cf. D e divinis nominibus IV, lect. 23, ed. Marietti, T u r i n - R o m e 1950, n° 5 9 3 - 5 9 7 ; cf. encore S T la q. 2 a. 3 ad 1; q. 48 a. 2 et q. 49 a. 2. O n se souviendra cependant que le voisinage entre Denys et Augustin s'accompagne de différences notables quant à la manière dont ils utilisent cette argumentation, cf. R. Schenk, Die Gnade vollendeter Endlichkeit. Zur transzendentaltheologischen Auslegung der thomanischen Anthropologie (Freiburger theologische Studien 153), Freiburg - Basel - Wien 1989, 2 8 1 - 2 8 3 . S T Ia q. 22 a. 2 ad 2; même remarque in: S C G III 71, n° 2477; de fait, c'est à cette expérience commune que faisait aussi appel Maïmonide, Le Guide des égarés III 16, 109 — 111; cf. Super lob, Prol., 3, 5 5 - 6 0 : « c e qui semble le plus s'opposer à la providence de Dieu à l'égard des réalités humaines, c'est l'affliction des justes. » Cf. par ex. S T la q. 48—49; D e malo q. 1; S C G III 71; le «Super l o b » est aussi un lieu privilégié pour cette réflexion sur le mal, cf. Chardonnens, L'homme (nt. 6), chap. IV, 1 1 9 - 1 7 8 .
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3. I m m é d i a t e t é de la p r o v i d e n c e Parmi les diverses difficultés qui concernent l'opportunité d'une providence de Dieu sur toutes choses, une des plus graves se prend de l'immédiateté de l'action divine: ne met-elle pas en danger l'existence même d'une causalité créée? Thomas introduit le problème par un rappel de la définition qu'il s'est donnée: il relève de la providence de conduire les choses à leur fin; or la fin de toute chose c'est sa bonté et sa perfection; mais c'est précisément ce qui est accompli par chaque cause pour son effet propre; chaque cause efficiente se trouve donc ainsi être la cause des effets de la providence. Si donc Dieu pourvoyait à tout en conduisant lui-même de façon immédiate toutes choses vers leur fin, cela reviendrait à supprimer tous les intermédiaires que sont les causes secondes 45 . Si elle était fondée l'objection serait très sérieuse, car elle entraînerait des conséquences de première importance pour la vision thomasienne du monde; Thomas commence donc par rappeler l'opportune distinction déjà mise en œuvre: «Il faut distinguer deux aspects dans la notion de providence: la raison même de l'ordination des choses vers leur fin (ratio ordinis) et la réalisation de cette ordination {executio huius ordinis) qu'on appelle gouvernement. Quant au premier aspect, Dieu pourvoit à toutes choses de façon immédiate, car il a dans sa pensée la raison {ratio) de tous les êtres, même les plus infimes; il a préposé toutes les causes à tous leurs effets et leur a donné la capacité (virtus) de produire ces effets. Il faut donc qu'il ait eu [en sa pensée] la raison {ratio) de l'ordination de tous ces effets [à leur fin]. Quant au second aspect, la divine providence utilise certains intermédiaires, car elle gouverne les êtres inférieurs par l'entremise des supérieurs; ce n'est pas défaut de puissance, mais bien surabondance de bonté, afin de communiquer même aux créatures la dignité d'être cause. » 46
L'importance pratique de cette distinction entre les deux plans où se vérifie l'action de la providence n'échappe pas au lecteur. La notion d'un gouvernement hiérarchique de l'univers est certes fortement soulignée, mais plus encore le fait que l'immédiateté de la présence et de l'action de Dieu à sa création ne supprime pas l'existence et la consistance d'une causalité créée. En outre, lorsque cette causalité est celle de créatures rationnelles, la mise en œuvre de leur prudence personnelle joue à son plan le rôle d'un relais de la providence. Il est clair que nous sommes ici à la source de grandes thèses thomasiennes bien connues, mais puisqu'il parle prioritairement de la providence et non du gouvernement divin, Thomas ne s'attarde pas sur ce dernier aspect; il assure qu'il vise ici Platon qui mettait en cause cette immédiateté de l'action divine:
45 46
ST la q. 22 a. 3 arg. 2. ST la q. 22 a. 3; c'est une argumentation qu'on retrouve in: SCG III 70, n° 2465: « (L'existence de causes secondes) ne provient pas d'une insuffisance de la puissance divine, mais de l'immensité de sa bonté, qui lui fit vouloir communiquer sa ressemblance aux choses, non seulement quant au fait d'être, mais encore quant au fait d'être cause d'autres choses. »
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«Ce que nous venons de dire exclut l'opinion de Platon, rapportée par Grégoire de Nysse [= Némésius d'Émèse], qui postulait l'existence d'une triple providence 47 . La première, celle du Dieu suprême, pourvoit en premier lieu et principalement aux choses spirituelles, et, par conséquent au monde tout entier en ce qui concerne les genres, les espèces et les causes universelles. La seconde providence pourvoit aux réalités individuelles dans le monde de la génération et de la corruption; Platon l'attribue aux dieux qui parcourent les cieux, c'est-à-dire aux substances séparées qui meuvent les corps célestes de façon circulaire. Quant à la troisième providence, elle s'occupe des choses humaines; il l'attribuait aux 'démons' que, selon saint Augustin, les platoniciens plaçaient comme intermédiaires entre nous et les dieux. » 4 8 Il importe peu pour nous que cette théorie ne vienne pas directement de Platon, mais d'un de ses disciples inconnu 49 ; il nous suffit de vérifier la justesse de l'intuition selon laquelle la doctrine de la providence se situe à un carrefour de la pensée et qu'elle oblige à prendre position par rapport à toute une série d'opinions fort diverses. Sans qu'il soit besoin d'y insister beaucoup, on reconnaît ici la thèse absolument centrale selon laquelle Dieu est présent partout et en toutes choses, non pas comme une partie de leur essence, ni comme un accident, mais bien comme l'agent est présent là où il agit: « Etant donné que Dieu est l'être même par son essence (ipsum esse per suam essentiam), il faut donc que l'être créé (esse creatum) soit son effet propre, comme brûler est l'effet propre du feu. Et cet effet, Dieu le cause non seulement au moment où les choses commencent à exister, mais aussi longtemps qu'elles subsistent dans l'être, à la façon dont la lumière est causée dans l'air par le soleil et qui demeure aussi longtemps que l'air est illuminé. Aussi longtemps donc qu'une chose possède l'être, il faut que Dieu lui soit présent, et cela conformément à la manière dont elle possède l'être. Or l'être est dans chaque chose ce qu'il y a de plus intime et de plus profondément inhérent, puisqu'il joue à l'égard de tout ce qui est en elle le rôle de forme ... Il faut donc en conclure que Dieu est en toutes choses et de la façon la plus intime.» 50 Cette thèse de l'omniprésence divine à la création ne doit évidemment pas être comprise dans le sens d'un panthéisme grossier que Thomas écarte avec la plus grande force dès qu'il le rencontre 51 ; s'il ne craint pas d'assurer que Dieu 47 48 49
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51
Cf. Némésius d'Émèse, De Natura hominis, chap. 42, 1 5 9 - 1 6 0 . ST la q. 22 a. 3; cf. Augustin, La Cité de Dieu V i l i xiv; IX i. Selon les éditeurs de Némésius (Introduction, L X X I I I - L X X I V ) , la doctrine qu'il met sous le nom de Platon correspond à celle d'un platonicien inconnu du début du Ile s. de notre ère; pour Platon lui-même, on pourra voir Bos, Providentia (nt. 32), 1 8 - 2 0 . Quand il revient sur cette opinion imputée à Platon, Thomas fait remarquer que lui-même ne refuse pas que la providence puisse s'exécuter par des intermédiaires, mais bien qu'il y ait une triple providence; cf. ST la q. 103 a. 6 ad 1. ST la q. 8 a. 1; Thomas réutilise cette métaphore du soleil qui maintient l'air illuminé aussi longtemps qu'il brille dans son traité du gouvernement divin pour illustrer la manière dont Dieu maintient dans l'être les choses qu'il a créées; action permanente qui ne saurait cesser sans que les créatures ne retombent au néant (cf. la q. 104). Il est probable que Thomas se souvienne ici d'Augustin qui avait déjà utilisée cette métaphore pour expliquer la présence de Dieu à l'âme du juste, cf. De Genesi ad litteram VIII xii, 2 5 - 2 6 . Cf. ST la q. 3 a. 8.
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se trouve en toutes choses, c'est à la manière dont on peut le dire d'une réalité spirituelle; les choses ne contiennent pas Dieu, c'est l'inverse qui est vrai: «les choses spirituelles contiennent ce dans quoi elles sont; ainsi l'âme contient le corps. Dieu est donc dans les choses, lui aussi, comme contenant les choses.» 52 Précieuse pour le caractère immanent de la providence, cette précision permet aussi de vérifier la correspondance totale des diverses affirmations de ce traité: «Cela fait partie de l'idée même de science et de volonté que l'objet connu se trouve dans le connaissant et l'objet voulu dans le voulant; il s'ensuit donc que selon la science et la volonté [la providence met en œuvre les deux, on s'en souvient], les choses sont en Dieu beaucoup plus que Dieu dans les choses.» 53 Ceci étant acquis, Thomas peut alors avancer la thèse qui est sous-jacente à son enseignement sur l'immédiateté de la providence: «Dieu est en tout par sa puissance, parce que tout lui est soumis; il est en tout par sa présence, parce que tout est à découvert et comme à nu devant ses yeux; il est en tout par son essence, parce qu'il est présent à tout comme cause universelle de l'être. » 5 4 4. C e r t i t u d e de la p r o v i d e n c e , n é c e s s i t é et c o n t i n g e n c e Le dernier grand sujet à examiner n'est pas le moins fondamental; la certitude de la providence divine n'impose-t-elle pas aux choses sa propre nécessité qui serait destructrice de toute contingence, et par conséquent de toute liberté? Divers arguments convergent en problématique de cette dernière question pour assurer qu'il en est bien ainsi, mais Denys assure le contraire: ce n'est pas le rôle de la providence divine de détruire la nature; or il existe effectivement des choses contingentes dans la nature; la providence n'entraîne donc pas une nécessité telle qu'elle exclurait la contingence 55 . 52 53 54
55
ST la q. 8 a. 1 ad 2. ST la q. 8 a. 3 ad 3. ST la q. 8 a. 3; il faut lire dans cet article la façon dont ces trois mots écartent autant d'erreurs opposées: « puissance » vise celle des manichéens, qui prétendaient soustraire les choses corporelles et visibles à l'influence du Dieu bon pour les soumettre au dieu mauvais qui lui fait face dans leur système; «présence» veut écarter celle d'Averroès et d'autres qui, tout en admettant que tout est soumis à la puissance divine, prétendaient qu'elle ne s'occupe pas des ces humbles réalités matérielles (cf. la q. 22 a. 2); «essence» rectifie la position d'Avicenne qui, tout en admettant la divine providence sur toutes choses, niait que la création ait été effectuée sans intermédiaires (cf. la q. 45 a. 5). Une fois de plus, la thèse est à la croisée des chemins. ST la q. 22 a. 4 sed contra; cf. Ps. Denys, Les noms divins IV 33 (voir le texte ci après, nt. 96); Thomas avait déjà rencontré la question des rapports entre nécessité et providence, mais en sens inverse: puisque selon Aristote « il n'est pas possible de délibérer sur les choses qui arrivent nécessairement» (Ethique à Nicomaque VI, 5, 1 1 4 0 a 35), le nécessaire échapperait à la providence comme il échappe à la prudence; tout ne serait donc pas soumis à l'action de la providence. - Thomas rappelle ici la situarion radicalement différente de l'homme et de Dieu vis-àvis de la création et ce qui en résulte dans la manière dont s'exerce leur providence respective. L'homme n'est pas le créateur de la nature; dans les œuvres de son art ou de sa vertu, il ne peut rien faire d'autre qu'utiliser la nature, la faire servir aux buts qu'il se propose; c'est pourquoi
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Selon Thomas, et contrairement à ce que disent « certains » (ce sont les stoïciens qui sont ici visés 56 ), «la providence divine impose à certaines choses la nécessité, mais non pas à toutes ». Il explique donc qu'avec la bonté divine ellemême, fin extrinsèque ultime de l'univers, il existe une autre fin, interne au monde et subordonnée à la première, dont la perfection requiert qu'il y ait dans l'univers divers degrés d'être, degrés qu'il revient à la providence de produire: « Elle a donc mis en place des causes nécessaires afin que certains effets arrivent nécessairement; alors que pour d'autres, elle a mis en place des causes contingentes afin que ces effets arrivent de façon contingente suivant la condition même de leurs causes prochaines.» 57 Cette explication de la diversité intramondaine répond donc en même temps à l'objection selon laquelle l'existence d'une providence imposerait aux choses sa propre nécessité. C'est l'action même de la providence qui fait que son effet arrive non pas n'importe comment, mais bien qu'il arrive avec une modalité précise, soit contingente, soit nécessaire: «C'est pourquoi arrive donc de façon infaillible et nécessaire ce que la providence a disposé devoir arriver infailliblement et nécessairement, alors qu'arrive de façon contingente ce qui selon la raison {ratio) de la divine providence doit arriver de façon contingente. » 5 8 Malgré les apparences, cette argumentation n'a rien d'une tautologie; elle tire sa validité d'une conception du rapport de Dieu au monde tout a fait raisonnée: l'action divine à l'œuvre dans ce monde n'est pas celle d'une cause parmi d'autres, mais bien celle d'une cause transcendante qui confère à
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57
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la providence humaine ne peut s'étendre aux choses qui arrivent nécessairement par l'effet de la nature. Au contraire, puisque Dieu est l'auteur même de la nature, ces mêmes choses sont soumises à sa providence. C'est faute d'avoir vu cela que Démocrite et les anciens naturalistes ont été conduits à soustraire à la providence le cours naturel des choses et à l'attribuer à la nécessité de la matière; cf. ST l a q. 22 a. 2 ad 3; il y sans doute ici une réminiscence de Némésius, De Natura hominis, 160—161, qui demande: « Q u o r u m enim nullum est conditor, quis utique erit provisor?» ST l a q. 22 a. 4; cf. Némésius, De Natura hominis, 160; Thomas a déjà parlé plusieurs fois des stoïciens et de leur conception du fatum opposée à celle de la providence dans la SCG III 73, n° 2493; 84, n° 2592; 85, n° 2614; 95, n° 2717 et 2721. ST la q. 22 a. 4; cf. déjà q. 19 a. 8: « C e n'est pas parce que leurs causes prochaines sont contingentes que les effets voulus par Dieu arrivent de façon contingente; c'est bien plutôt parce que Dieu a voulu qu'ils arrivent de façon contingente qu'il leur a ménagé des causes contingentes. » ST la q. 22 a. 4 ad 1 ; pour mieux se faire comprendre, Thomas ne craint pas de s'exprimer ailleurs de façon paradoxale, SCG III 94, n° 2697: Il n'est pas suffisant de dire d'une chose future qu'elle surviendra si Dieu l'a prévue, il vaut mieux dire qu'elle arrivera de la manière dont Dieu l'a prévue: « Or il a prévu qu'elle arriverait de façon contingente; il en résulte donc infailliblement qu'elle arrivera de façon contingente et non pas nécessaire. » Cette formulation est sans doute préférable à celle qu'on trouve quelques pages auparavant où Thomas semblait attribuer contingence ou nécessité aux seules causes prochaines, cf. SCG III 72, n° 2480. En fait, nous touchons ici un point où l'évolution de Thomas est nettement perceptible: en un premier temps (Sent. I d. 38 q. 1 a. 5), il semblait se satisfaire de cette explication par les causes prochaines; mais il la déclare lui-même insuffisante quelques années plus tard (De ventate q. 2 a. 12); ce n'est que plus tard encore qu'il parvient à la solution définitive, De veritate q. 23 a. 5: «Noη dirímus quod aliqui divinorum effectuum sint contingentes solummodo propter contingentiam causarum secundarum, sed magis propter dispositionem divinae voluntatis quae talem ordinem rebus providit. »
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toutes les autres causes leur efficience propre. C'est une des thèses les plus constantes et les plus chères au Maître d'Aquin: loin de porter atteinte au caractère propre de la causalité créée, la volonté divine lui donne d'être ce qu'elle est: « Il faut bien c o m p r e n d r e que la volonté divine se trouve en dehors de tout l'univers créé et qu'elle agit c o m m e une cause qui d o n n e tout l'être et toutes ses modalités (uelut causa quedar.η profundem totum ens et omnes eius differenáas). Les modalités de l'être sont le possible et le nécessaire, et c'est p o u r q u o i nécessité et contingence dans les choses trouvent leur origine dans la volonté divine elle-même, tout c o m m e leur distinction se prend de leurs causes prochaines. C'est ainsi que p o u r les effets qu'il a voulu être nécessairement (Dieu) a disposé des causes nécessaires, et p o u r ceux qu'il a voulu être contingents il a disposé des causes agissant de façon contingente, [c'està-dire] p o u v a n t défaillir. Les effets sont dits soit contingents soit nécessaires selon la condition de leurs causes, bien que tous [effets ou causes] dépendent de la volonté divine c o m m e de la cause première qui transcende l'ordre de la nécessité c o m m e de la contingence. C'est précisément cela q u ' o n ne peut pas dire de la volonté humaine ni d'aucune autre cause, car toute autre cause rentre sous la catégorie de la nécessité ou de la contingence, et c'est pourquoi il faut soit que la cause puisse défaillir, soit que son effet ne puisse être contingent, mais bien nécessaire. La volonté divine est certes indéfectible, mais tous ses effets ne sont pas p o u r autant nécessaires; certains sont contingents. » 5 9
Ce principe absolument général, qui s'applique à tout l'univers de la causalité créée, reçoit évidemment sa particularisation lorsqu'il s'agit des personnes libres. La volonté divine ne meut pas les êtres libres indépendamment de leur liberté; c'est elle au contraire qui leur donne d'agir librement. Ce sujet est introduit par une objection qui met en cause l'existence de la providence en partant de la révélation elle-même; la Bible dit en effet que « Dieu, après avoir créé l'homme, l'a remis aux mains de son conseil» (Sir. 15, 14); cela vaut particulièrement des méchants dont il est dit: «Il les a abandonnés selon le désir de leur cœur» (Ps. 80, 13). Selon l'exégèse que fait Thomas de ces textes bibliques, dire que Dieu a remis l'homme aux mains de son conseil ne signifie nullement qu'il serait exclu de l'action de la providence, mais bien plutôt que Dieu n'a pas figé l'agir de l'homme dans un déterminisme semblable à celui des choses de la nature. Alors 59
Expositio libri Peryermenias I 14 (éd. léon. 1*1, Roma 1989, 78, 438-461); cf. aussi QuodMbet XII q. 3 a. 1 [4] ad 1 ; ST 1 a q. 22 a. 4 ad 3: « Et considerandum est quod necessarium et conüngens proprie consequuntur ens in quantum huiusmodi. Unde modus contingentiae et necessitatis cadit sub provisione Dei, qui est universalis provisor totius entis, non autem sub provisione aliquorum particularium provisorum. » A la suite de Β. Lonergan, Grace and Freedom. Operative Grace on the Thought of Thomas Aquinas, London - New York 1971 (trad, allemande: Gnade und Freiheit, Innsbruck 1998, 109-112), et à juste titre, Β. McGinn, The Development of the Thought of Thomas Aquinas on the Reconciliation of Divine Providence and Contingent Action, in: The Thomist 39 (1975), 741-752, a souligné l'importance du texte du «Peryermenias» pour comprendre l'évolution de la pensée de Thomas, mais il ne faut pas omettre de remarquer avec lui que les textes de la SCG III 94 et de la ST la q. 22 a. 4 ad 3 sont antérieurs de quelques années; en fait, il le dit aussi, Thomas a déjà effectué sa percée dès 1259, dans le De veritate q. 23 a. 5.
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que ces dernières n'ont pas la capacité de se mouvoir par elles-mêmes et qu'elles doivent être mues par d'autres qui les dirigent vers leur fin, les créatures rationnelles sont capables de se diriger d'elles-mêmes vers leur propre fin, grâce à leur libre arbitre qui leur permet de délibérer (consiliantur) et de choisir; c'est donc tout à fait à propos que le texte souligne: «aux mains de son conseil» {constili). Mais puisque l'acte même du libre arbitre se ramène à Dieu comme à sa cause, il est nécessaire que les choses qui s'accomplissent par le libre arbitre soient soumises à la divine providence, puisque la providence de l'homme se trouve contenue sous la providence de Dieu, comme la cause particulière l'est sous la cause universelle. A l'égard des justes, on peut même dire que la providence de Dieu s'exerce de façon plus excellente qu'à l'égard des pécheurs, dans la mesure où elle ne permet même pas qu'il leur arrive quoi que ce soit qui pourrait empêcher leur salut final, puisque «pour ceux qui aiment Dieu, toutes choses concourent à leur bien» (Rom. 8, 28). Quant aux méchants, on dit que Dieu les abandonne du fait qu'il ne les retire pas du péché; mais on se gardera d'en conclure qu'ils sont totalement exclus de l'action de sa providence; car si c'était le cas ils retomberaient dans le néant, alors que c'est par elle qu'ils sont conservés dans l'être. C'est sans doute faute d'avoir compris que Dieu lui-même est la source de la liberté de l'homme que Cicéron excluait de la providence les choses humaines qui font l'objet d'une délibération 60 : « D i e u meut la volonté (humaine) de façon immuable en raison de l'efficacité de sa motion qui ne peut être mise en échec {que dtficere non potest). Mais du côté de la volonté mue, qui se trouve en situation d'indifférence à l'égard de diverses choses {indifferenter se habet ad diuersa), il n'en résulte aucune nécessité, et la liberté demeure (intacte). D e même en toutes choses la providence divine est infailliblement à l'œuvre, et cependant les causes contingentes produisent leurs effets de façon contingente, puisque Dieu meut toutes choses d'une façon proportionnée à leur mode propre. » 6 1
A l'opposé de l'opinion précédente qui voudrait soustraire les actes libres à l'action de la providence, Thomas examine encore un autre verset de l'Écriture selon lequel «Dieu ne se met pas en peine des bœufs» (1 Cor. 9, 9). Ce sont des versets semblables, remarque-t-il, qui ont pu conduire Maïmonide à réserver les soins de la providence aux personnes humaines; mais il faut plutôt compren60
61
ST la q. 22 a. 2 ad 4; cf. Cicéron, De fato 17, 40 (d'après Augustin, La Cité de Dieu V ix 2); revenant ailleurs sur cette question, Thomas considère la position de Cicéron comme « frivole »: « Cum enim divinae providentiae non solum subdantur effectus, sed etiam causae et modi essendi ... non sequitur quod, si omnia divina Providentia aguntur, quod nihil sit in nobis. Sic enim sunt a Deo provisa ut per nos libere fiant..» Si l'on exceptait les actes libres de l'influence de la providence, souligne encore Thomas, à plus forte raison faudrait-il en exclure les choses corporelles, ce qui reviendrait à éliminer totalement la providence: «Et sic Maliter nulla eritProvidentia» (SCG III 90, n° 2654). De malo q. 6 a. un. ad 3 (ed. léon., t. 23, Roma 1982, 150, 502 sqq.); comme il va de soi, cette question est surtout traitée à propos de la prédestination puisque c'est là qu'elle se pose avec la plus grande acuité, cf. ST la q. 23 a. 6; Sent. I d. 40 q. 3; De veritate q. 6 a. 3; Quodlibet XI q. 3 a. un. [3]; XII q. 3 a. 2 [5],
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dre qu'il y a un régime spécial de la providence à l'égard des créatures rationnelles qui ont la maîtrise de leurs actes grâce au libre arbitre, et auxquelles on peut imputer leurs actes à mérite ou à démérite de façon à entraîner récompense ou sanction. Sens qui bien évidemment ne s'applique pas aux animaux sans raison 62 .
5. L e c a s s p é c i a l d e s c r é a t u r e s r a t i o n n e l l e s : la p r é d e s t i n a t i o n La notion d'une providence universelle et immédiate à l'égard de tous les êtres étant désormais mise en place, il faut préciser comment elle s'exerce à l'égard des personnes humaines. Comme il l'a fait précédemment pour la providence en général, Thomas s'emploie d'abord à montrer qu'il est convenant d'attribuer à Dieu un soin spécial des créatures rationnelles. La notion d'une ordination à leur fin reste déterminante, mais un nouvel élément est ici introduit puisque nous apprenons que la fin vers laquelle Dieu ordonne les choses créées est double: l'une, proportionnée à la nature créée, peut être atteinte par les seules forces de sa nature 63 ; l'autre, par contre, dépasse la mesure et les forces de toute nature créée, car c'est la vie éternelle qui consiste dans la vision de Dieu. Et donc, puisqu'il s'agit d'un but auquel l'homme ne peut parvenir par la seule force de sa nature, il faut qu'un autre l'y porte — à la manière dont l'archer envoie la flèche vers la cible, dit Thomas. L'image de la flèche est certes déficiente et il ne faut pas la presser, mais on peut en retenir une suggestion: capable de la vie éternelle (capax vitae aeternaé), la créature rationnelle est conduite jusqu'à elle comme si elle y était «envoyée» par Dieu 6 4 . Thomas, théologien, n'a pas à prouver cela puisqu'il le tient de la révélation. C'est donc, explique-t-il, l'idée éternelle de cet « envoi » (transmissionis ratio) qui se trouve en Dieu, tout comme s'y trouve aussi l'idée de l'ordination de toutes choses vers leur fin que nous 62 63
64
ST la q. 22 a. 2 ad 5. Thomas ne s'étend pas davantage ici ni ailleurs sur l'existence ou la non-existence de cette fin naturelle; il ne l'isole que par hypothèse; dans sa perspective, rien ne permet de penser que l'homme ait jamais eu à se diriger vers une fin qui n'aurait pas été surnaturelle dès son premier instant; cf. notre étude à paraître: Nature et grâce chez Thomas d'Aquin, in: Revue Thomiste 101 (2001). L'image de la flèche, ici utilisée, est plus souvent mise à contribution quand il s'agit d'expliquer la finalité à l'œuvre dans les êtres dépourvus d'intelligence, qui suppose justement l'existence d'une intelligence qui a fixé cette fin et donné les moyens de l'accomplir. L'auteur fait remarquer que, même en ce cas, aucune violence n'est imposée aux êtres car Dieu agit au sein même de leur nature (la q. 103 a. 1 ad 1 et ad 3); ce ne sera pas outrepasser son intendon que de supposer qu'à plus forte raison, s'il s'agit d'une personne humaine, comme dans le cas de la prédestination, l'intervention divine s'accomplit dans le respect de sa nature. Thomas d'ailleurs explicite sa pensée au traité du gouvernement divin: q. 105 a. 3 et 4. — Comme le remarque D. Burrell, Freedom and Creation in Three Traditions, Notre Dame 1993, 1 2 3 - 1 2 8 , on peut se demander si Thomas eût choisi ce terme de «prédestination» s'il ne l'avait reçu d'Augustin, étant donné que le préfixe réintroduit la nuance d'antériorité temporelle qu'il entend exclure de sa conception de la providence.
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appelons « providence ». Étant donné par ailleurs que l'idée d'une chose à réaliser existe dans l'esprit de son auteur, cette chose possède en lui une espèce de préexistence; il s'ensuit que l'idée de cet «envoi» de la créature rationnelle vers la vie éternelle est appelée «prédestination», car destinare en latin a le sens de «destiner à», envoyer. Ainsi, à considérer ses objets, il est clair que la prédestination est un aspect de la providence 65 . Ce premier éclaircissement est suivi d'un second qui achève de préciser les rapports entre trois termes étroitement liés. Il s'agit de savoir si la prédestination effectue, « m e t » ( p o n a t ) quelque chose dans le prédestiné. Cette nouvelle question découle logiquement de la précédente; en effet, l'incapacité de la nature à atteindre par elle-même cette fin surnaturelle appelle le don par Dieu d'un moyen qui lui permettra d'y parvenir; par ce raisonnement Thomas établira plus tard la nécessité de la grâce 66 . Dans notre contexte, la question est cruciale, car si la seule existence de la prédestination en Dieu devait entraîner une modification dans le prédestiné, cela ferait équivaloir prédestination et prédétermination et, de toute évidence, la même chose s'appliquerait à la réprobation; il est donc de première importance de dissocier les deux termes. Thomas est très ferme sur ce point: la prédestination n'est pas quelque chose dans les prédestinés, mais seulement dans celui qui prédestine. En effet, on vient de le dire, la prédestination est une part de la providence; or la providence ne se trouve pas dans les choses «pourvues» (provisis), elle en est seulement la raison dans la pensée de celui qui pourvoit. Par contre, l'exécution de la providence qu'on appelle «gouvernement» est susceptible d'une double considération: à titre passif, elle se trouve dans les gouvernés; à titre actif, elle se trouve dans le gouvernant. Pareillement, la prédestination est une certaine conception (ratio) de l'ordination de certains au salut éternel, qui se trouve dans la pensée divine. Quant à la mise à exécution de cette conception, elle se trouve à titre actif en Dieu, à titre passif dans les prédestinés. Cette mise à exécution, ce n'est rien d'autre que l'appel des hommes au salut et leur glorification, selon ce que dit l'Apôtre aux Romains (8, 30): «Ceux qu'il a prédestinés, il les a aussi appelés; et ceux qu'il a appelés ... il les a aussi glorifiés. » 6 7 Dans le commentaire de ce verset de l'épître aux Romains, Thomas écarte résolument toute idée d'une prédestination qui serait causée par les mérites de la créature; l'initiative est tout entière du côté de Dieu 68 . Dans la Somme, il 65
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ST la q. 23 a. 1 ; cet aspect « second » de la prédestination par rapport à la providence ressort avec encore plus de force dans le « Contra Gentiles » où cette doctrine n'intervient que dans le dernier des cent chapitres consacrés au gouvernement divin: SCG III 163; cette position singulière a aussi été remarquée par Chardonnens, L'homme (nt. 6), 52 nt. 1, qui souligne qu'elle est partagée par le « Super lob », qui se signale lui aussi par la rareté du vocabulaire de la prédestination si on le compare à la « Somme » ou aux « Sentences ». Cf. ST l a Ilae q. 109. ST la q. 23 a. 2. Cf. In Rom. 8, 30, lect. 6, n° 7 0 3 - 7 0 6 ; cf. J.-P. Torrell, Saint Thomas d'Aquin, Maître spirituel (Vestigia 19), Paris - Fribourg 1996, 1 8 6 - 1 9 2 .
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explique aussi très clairement que ce n'est pas seulement la vie éternelle qui est l'objet de la prédestination, mais bien tous les dons qui permettront de l'atteindre 69 . Thomas met ici en application le précieux principe de solution énoncé ailleurs selon lequel Dieu ne veut pas ceci « à cause de » cela (aucune nécessité de s'impose à Dieu), mais il veut que ceci soit «pour que» cela soit aussi (« Vult hoc esse propter hoc, sed non propter hoc vult hoc»)70. Autrement dit, la fin ultime de la prédestination par laquelle Dieu destine et conduit les personnes humaines vers leur glorification, comporte aussi le don des moyens qui leur permettront d'y parvenir 71 . Comment alors comprendre que tous ne parviennent pas à cette fin? La réponse à cette question suppose qu'on a présente à l'esprit la conception de la providence; Thomas le répète: comme la prédestination, la réprobation est une part de la providence. Or l'existence de la providence n'empêche pas qu'il y ait maux et défauts dans les créatures qui lui sont soumises; c'est donc que la providence les a permis. Quand il s'agit des personnes humaines, la providence, qui les dirige vers la vie éternelle, permet aussi que certaines ne parviennent pas à cette fin; c'est cela, dit notre auteur, qu'on appelle « réprouver ». La différence de vocabulaire n'est pas sans portée: quand il s'agit de prédestination, c'est Dieu qui par sa providence « destine » au salut éternel; quand il s'agit de réprobation, ce sont les personnes elles-mêmes qui « échappent » à cette fin, qui en défaillent (ideficiunt). La réprobation ne désigne pourtant pas la simple prescience de Dieu; comme la providence, elle suppose un certain rapport à la volonté qu'on peut exprimer ainsi: à la manière dont la prédestination inclut la «volonté de conférer» la grâce et la gloire, de même la réprobation inclut la «volonté de permettre» que quelqu'un tombe dans le péché et la volonté d'infliger la peine correspondante à ce péché 72 . Ces deux aspects de la volonté divine ne sont évidemment pas sur le même plan: si la volonté de punir la faute est positive, celle de la tolérer n'est que «permissive»; permission qui est elle-même incluse dans la liberté dont Dieu a doté sa créature. Quant au rapport à la causalité divine qui s'y exerce, le parallèle entre prédestination et réprobation est donc plus apparent que réel. La prédestination est bien la cause de la gloire dans la vie future qu'attendent les prédestinés, comme elle l'est aussi de la grâce qu'ils perçoivent dans cette vie. La réprobation, quant à elle, si elle est bien la cause de la peine éternelle qui sera infligée dans la vie future, n'est en aucune manière la cause de ce qui se passe en cette vie, à savoir 69 70 71
72
ST la q. 23 a. 5. ST la q. 19 a. 5. On pense immédiatement à la grâce, mais la perspective de Thomas est certainement beaucoup plus large; l'incarnation du Verbe et l'œuvre rédemptrice du Christ Jésus rentrent sans aucun doute dans la catégorie de ces «moyens» mis par Dieu à la disposition de l'humanité sauvée. Rien n'en est détaillé ici, car nous sommes encore au niveau de l'immanence divine, mais la chose sera discrètement annoncée au moment où Thomas commencera à parler de la manière dont le gouvernement divin s'exécute dans le monde par le biais des causes secondes (voir plus loin, nt. 97). ST la q. 23 a. 3.
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le péché; l'abandon par Dieu étant lui-même provoqué par le péché. Le péché lui-même provient du libre arbitre du réprouvé, qui est alors abandonné par la grâce. C'est ainsi que se vérifie le mot du prophète: ((Perditio tua, Israël, ex tey> (Os. 13, 9) 73 . Il ne nous appartient pas d'entrer ici plus avant dans la manière dont Thomas rend compte du concours de la liberté humaine avec la grâce divine; en particulier dans le cas où le péché conduit à l'échec telle personne particulière 74 . On sait assez que la littérature sur le sujet est des plus abondantes et que cette difficile question est rendue plus délicate encore par la propre évolution du Maître d'Aquin. Il nous suffit de rappeler la façon dont il souligne que, même en ce cas-là, Dieu ne cesse pas de conduire toutes choses à leur fin. En fait, il n'a pas d'autre réponse que celle qu'il a proposée concernant l'existence du mal en général: l'infinie bonté de Dieu ne peut être reflétée que moyennant une infinie diversité des degrés d'être et c'est pour maintenir cette multiformité que Dieu permet la survenue de certains maux afin de ne pas empêcher une multitude de biens; il en va de même dans le monde des hommes et de leur prédestination ou réprobation: « Il faut considérer le genre humain tout entier comme nous avons considéré l'univers entier des choses. Dieu a donc voulu que, parmi les hommes, il y en ait certains, les prédestinés, qui représentent sa bonté sous la forme de la miséricorde qui pardonne, et qu'il y en ait d'autres, les réprouvés, qui représentent cette même bonté sous la forme de la justice qui punit. Voilà la raison pour laquelle Dieu en choisit certains alors qu'il en réprouve d'autres. [Thomas trouve cette explication en deux versets de S. Paul qu'il cite in extenso: Rom. 9, 2 2 et 2 Tim. 2, 20; il continue alors:] Pourquoi Dieu a-t-il choisi ceux-là pour la gloire et pourquoi ceux-là pour la réprobation, on ne peut en assigner d'autre cause que la volonté divine. C'est pourquoi Augustin disait: 'Pourquoi attire-t-il celui-ci et pas celui-là? Veille à ne pas juger si tu ne veux pas te tromper'. » 7 5
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ST la q. 23 a. 3 ad 2. La réflexion de Thomas - comme toute pensée chrétienne d'ailleurs - se meut entre deux butoirs: d'une part, il faut si l'on peut ainsi dire mettre Dieu à l'abri de toute responsabilité dans le péché, l'exonérer de tout mal: «Malum culpae quod pnvat ordinem ad bonum divinum, Deus nullo modo vult» (ST la q. 19 a. 9); d'autre part, il faut situer l'origine du mal moral de façon à ne pas remonter à un premier principe qui serait un Dieu du mal (comme le répète fréquemment Thomas à propos des manichéens, cf. SCG III 71, n° 2477; Sent I d. 39 q. 2 a. 2, etc.); ce commencement, Thomas le place dans le fait que la créature étant tirée du néant a la possibilité de défaillir: «Est enim (voluntas)possibilis ad defectum ex hoc quod ex nihilo est... hoc tamen quod est ex nihilo esse non habet ab alio, sed a se; unde secundum hoc non habet causam aliam; et ideo defectus qui sequitur ex ea secundum quod ex nihilo est, non oportet quod in ultenorem causam reducatur» (Sent. II d. 37 q. 2 a. 1 ad 2; cf. Sent. I d. 42 q. 2 a. 1 ad 3; SCG III 10, n° 1940; 71, n° 2478; De malo q. 1 a. 3 ad 6). L'explication est classique depuis Augustin, Cité de Dieu XII vi-vii, et on la retrouve aussi bien chez Boèce, Consolatio philosophiae V, prose 2, 90, que chez Anselme, De libertate arbitrii, c. I, ed. F. S. Schmitt, Edinburgh 1946, 207 - 208. Pour l'approche métaphysique de la question chez Thomas et les auteurs postérieurs, renvoyons simplement à A. de Murait, L'enjeu de la philosophie médiévale. Études thomistes, scotistes, occamiennes et grégoriennes (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 24), Leiden 1991, 273 — 351. ST la q. 23 a. 5 ad 3.
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L'argument d'autorité se conjugue ici à une volonté de respecter le mystère de la volonté divine; Thomas tente pourtant d'en donner une illustration: la matière première est parfaitement uniforme et identique partout; pourquoi telle partie recevra-t-elle la forme de l'élément «terre», et pourquoi telle autre celle du « feu », ou encore celle des diverses espèces d'êtres de la nature? On ne peut en assigner d'autre raison que la volonté du créateur, un peu à la manière dont la volonté de l'artisan place ici telle pierre et là telle autre dans le même mur, bien qu'il faille nécessairement diverses pierres pour faire un mur. Ailleurs, comme saint Paul, Thomas fera appel à l'image du potier qui, d'une même glaise molle, tire toutes sortes de vases pour des usages de luxe ou pour d'autres tout à fait ordinaires 76 . Bien qu'il soit assez lointain, le parallèle explicatif n'est pas sans portée; on en retiendra surtout la pointe: la seule explication valable se trouve dans le libre choix de Dieu. Mais une objection évidente surgit alors: si l'on considère comme acquis que ni la prédesdnation ni la réprobation ne résultent de mérites ou de démérites antécédents, comment ne pas accuser Dieu d'injustice puisqu'il traite si différemment des personnes égales par ailleurs? L'image de la liberté de l'artisan fournit déjà sa réponse et Thomas la développe aussi dans le commentaire à l'épître aux Romains, mais ce n'est qu'une comparaison; même si elle en revient à la libre initiative divine, la Somme propose une réponse plus élaborée: «Dieu ne commet aucune injustice s'il accorde un traitement inégal à des personnes qui ne sont pas inégales entre elles. Ce serait aller contre la justice si l'effet de la prédestination était un dû et non pas une grâce. Quand il s'agit de grâce, pourvu qu'on ne retire à personne ce qui lui est dû, on peut donner à son gré plus ou moins à qui l'on veut, sans porter atteinte à la justice. C'est ce que dit le père de famille (Matth. 20, 14): 'Prends ce qui te revient et va-t-en ... Ne m'est-il pas permis de faire ce que je veux?'» 7 7
Un lecteur moderne parlerait peut-être ici de l'arbitraire divin; ce ne sera pas verser dans l'apologétique de rappeler que, de façon constante, Thomas parle au contraire de la providence et de la prédestination comme d'une œuvre qui met en jeu la sagesse et l'amour de Dieu. Il avait jusqu'ici parlé de la transcendance de la cause première dont il a souligné l'irréductibilité aux dimensions de la simple causalité créée. Ceci n'est pas contradictoire à cela et l'on ne saurait reprocher à un théologien de reconnaître à un moment donné de sa démarche qu'il n'a pas d'explication à donner à ce qui lui échappe, car cela demeure caché dans l'abîme insondable de la divinité78. 76 77 78
In Rom. 9, 20 sqq., lect. 4, n° 7 8 8 - 7 9 2 . ST la q. 23 a. 5 ad 3. II n'est peut-être pas inutile de remarquer au passage que nous retrouvons ici un problème plus général, qui se repose chaque fois qu'il est question d'un commencement absolu; qu'il s'agisse de la création du monde, de l'existence de Dieu ou de la venue à la grâce, vient un moment où il faut quitter l'ordre créé pour aboutir à la cause première, moment qu'Aristote a mis en évidence dans l'Éthique à Eudème VII, 14 (1248 a 2 7 - 3 2 ) pour rendre compte de la bonne ou de la mauvaise fortune, et dont il ne craint pas de dire qu'il est « supérieur à la raison » (ce
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6. P r o v i d e n c e et g o u v e r n e m e n t divin Pour nous conformer aux options thomasiennes nous n'avons considéré jusqu'ici providence et prédestination que dans leur ratio immanente à la pensée divine. Il était impossible de faire totalement abstraction de leur répercussion dans le monde créé, mais Thomas a soigneusement veillé à les distinguer de leur exécution par le gouvernement divin. C'est donc à cette nouvelle considération qu'il faut en venir maintenant, mais il faut pour cela quitter le traité de Dieu, sauter le traité de la création et celui de la distinction des êtres, avant de retrouver cette question qui suppose évidemment l'existence des créatures à gouverner. Étant donné cependant le parallélisme des questions traitées, il est inévitable de retrouver les mêmes problèmes et donc les mêmes solutions; cela nous permettra de les traiter plus brièvement et de ne retenir que les compléments éventuels, appelés justement par le passage au plan temporel. En une première approche il s'agit d'établir l'existence du gouvernement divin; une double voie se trouve ici mise en œuvre: la première procède par inférence et conclut à l'existence de ce gouvernement à partir de l'ordre et de la finalité que l'on peut constater dans l'univers79; alors que la seconde, plus déductive, considère d'abord l'existence de la bonté divine à laquelle il faut attribuer la création des choses: il ne serait pas convenant que cette suprême bonté ne conduise pas son œuvre à sa perfection; « or la perfection dernière de tout être réside dans l'obtention de sa fin; donc, de même que la bonté divine a produit les choses dans l'être, de même encore elle les conduit à leur fin: gouverner c'est précisément cela» 80 . Il faut prendre garde à ne pas concevoir
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qui ne veut pas dire «irrationnel»). Thomas s'en est souvenu pour expliquer la venue à la grâce (ST l a Ilae q. 109 a. 2 et ad 1), mais aussi pour montrer, dans un petit écrit peu connu, que la providence est antérieure à tous les actes de l'homme: De sortibus, c. 4 (ed. léon., t. 43, Roma 1976, 2 3 4 - 2 3 5 , 1 9 4 - 2 9 1 ) ; cf. Th. Deman, Le Liber De bona fortuna dans la théologie de S. Thomas d'Aquin, in: Revue des sciences philosophiques et théologiques 17 (1928), 38 — 58; C. Fabro, Le Liber de bona fortuna de Y Ethique à Eudème d'Aristote et la dialectique de la divine Providence chez saint Thomas, in: Revue thomiste 88 (1988), 5 5 6 - 5 7 2 . Pour les problèmes de critique textuelle posés par ce texte, on verra R.-A. Gauthier in: S. Thomas d'Aquin, Somme contre les Gentils (Philosophie européenne), Introduction, Paris 1993, 8 0 - 8 3 . O. H. Pesch, Thomas von Aquin. Grenze und Grosse mittelalterlicher Theologie, Mainz 3 1995, 145 — 165 (trad, française: 179 — 206), a mis en évidence les difficultés que pouvait faire cette doctrine à un esprit moderne, mais il n'est pas dans notre propos d'en traiter ici. Cet argument téléologique peut être mal entendu et il est souvent vicié par une utilisation naïve qui néglige les ressources de la correction analogique; à défaut de pouvoir nous étendre ici, renvoyons à J.-H. Nicolas, L'univers ordonné à Dieu par Dieu, in: Revue thomiste 91 (1991), 357 — 376, qui met en garde contre les pièges de la téléologie; on peut voir aussi Aubin, Introduction (nt. 6), 1 9 - 2 2 , qui met bien les choses au point à propos du «Contra Gentiles». ST l a q. 103 a. 1; les solutions de cet article font allusion à la manière différente dont les êtres atteignent leur fin, suivant qu'il s'agit de créatures qui se meuvent vers elle librement (nous y reviendrons), ou au contraire de créatures qui obéissent à une nécessité naturelle: cette dernière «manifeste clairement qu'une intelligence gouverne le monde» (ad 1) et «démontre le gouvernement de la divine providence» (ad 3).
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cette ordination vers la fin comme celle d'une impulsion purement extérieure; elle implique que celui qui gouverne maintienne dans l'être les créatures qu'il oriente ainsi. Faute de cette action intérieure permanente, elles ne pourraient que retomber dans le néant 81 . Le second moment de la démarche veut montrer où se trouve et en quoi consiste la fin poursuivie par ce gouvernement du monde. Il ne manque pas de bons arguments en faveur d'une fin immanente au monde lui-même (par exemple la tranquillitas ordinis par laquelle Augustin définit la paix) 82 . Cela n'est pas contestable: l'ordre de l'univers est déjà une fin en elle-même, mais cela ne peut pas être la fin ultime, car ce bien est lui-même ordonné à une autre fin qui lui est extérieure, et qui ne peut se trouver qu'en dehors de tout l'ordre du créé (extra totum ordinem universi)·, puisque la fin répond au commencement et puisque nous savons que Dieu, créateur du monde, en est le principe extrinsèque, il faut en conclure qu'il est aussi la fin de toutes choses et donc que cette fin est un bien extrinsèque à l'univers. Cette conclusion suppose la foi en la création du monde, mais elle peut aussi s'établir par la raison: il est manifeste en effet que tout bien a valeur de fin et il est clair aussi que la fin d'une chose particulière ne peut être qu'un bien particulier; seule la fin universelle de tous les êtres est un bien universel. Mais le bien universel est ce qui est bon par soi et par essence, c'est-à-dire qu'il doit s'identifier à l'essence même de la bonté; alors que le bien particulier n'est bon que par sa participation à cette bonté. « Or il est clair que dans l'univers entier des créatures il n'en est pas une qui ne soit bonne par participation; il faut donc que ce bien qui est la fin dernière de l'univers tout entier soit en dehors de l'univers lui-même. » 8 3 Cette fin extrinsèque n'est pourtant pas quelque chose à produire, une œuvre à réaliser transitivement, mais une réalité à acquérir, à posséder, fût-ce à l'état représenté, car toute chose tend à participer au bien et à s'assimiler à lui selon sa capacité 84 . Cette brève indication reprend une doctrine constante: la ressemblance avec Dieu est la fin dernière de tous les êtres, et particulièrement des créatures rationnelles. Le théologien peut s'appuyer sur le récit de la création de l'homme « à l'image et à la ressemblance de Dieu » dans la Genèse, mais on peut aussi montrer cela en raison aristotélicienne: «Tout agent agit en vue d'une fin, sans quoi il ne résulterait de son action pas plus une chose qu'une autre, si ce n'est par hasard. Or, si on les prend comme tels, la fin
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ST la q. 103 a. 1 ad 2; Thomas revient plus amplement sur ce thème dans la q. 104. Pour la façon dont la perfection et l'ordre de l'univers constituent une fin en elle-même, on pourra voir J. H. Wright, The Order of the Universe in the Theology of St. Thomas Aquinas (Analecta Gregoriana), Roma 1957, 8 4 - 8 6 , qui explique que c'est à la fois une fin à réaliser, par la convergence des contributions individuelles {finis ejfiriendus), mais aussi une fin à communiquer (finis communicandus), en ce sens que c'est un bien commun qui se reverse sur ses parties. ST la q. 103 a. 2. ST la q. 103 a. 2 ad 2: « bonum extrinsecum a tota universo est finis gubemationis rerum sicut habitum et repraesentatum: quia ad hoc unaquaeque res tendit, ut partidpet ipsum, et assimiletur quantum potest »; comme le dit ailleurs Thomas (SCG I 29, n° 274), l'assimilation exprime un mouvement vers la similitude: « Assimilatio motum ad similitudinem didt. »
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de l'agent est la même que celle du patient, bien que de façon différente; car c'est une seule et même chose que l'agent entend communiquer et que le patient entend recevoir. Cela étant, il y a des agents qui, en même temps, agissent et pâtissent; ce sont des agents imparfaits; et à ceux-là il convient que, même en agissant, ils souhaitent acquérir quelque chose. Mais Dieu, premier agent, est le seul à ne pas agir en vue d'acquérir quelque bien que ce soit; le seul motif de son action est de communiquer sa propre perfection, c'est-à-dire sa bonté. A l'inverse, chaque créature vise par son agir à atteindre sa propre perfection, qui consiste en une similitude de la perfection et de la bonté divine; c'est ainsi que la bonté de Dieu est la fin ultime de toutes choses. » 85
Pour expliciter quelque peu l'argumentation concise qui veut que la fin de l'agent et celle du patient soit la même, on peut rappeler l'axiome bien connu selon lequel tout agent agit conformément à ce qu'il est (omne agens agit simile sibi); on peut donc dire que l'agent est la fin de son propre effet, puisque celuici tend à ressembler à son agent. L'homme engendre l'homme, disait Aristote; ce qui veut dire que la forme de l'engendré qui est la fin de la génération est spécifiquement la même que la forme du géniteur qui se trouve à l'origine de la génération 86 . Si nous transposons cette observation aux dimensions de l'univers, cela signifie que Dieu est la fin de toutes choses, parce qu'il en est aussi le premier agent; c'est ainsi que toutes choses cherchent, comme leur ultime fin, à devenir semblables à Dieu 87 . On retrouve ici en positif la constatation par laquelle s'ouvrait le status quaestionis des opinions sur la providence: la causalité finale de Dieu a la même universalité que sa causalité créatrice. Elle est toutefois enrichie par un appel à la causalité exemplaire, elle aussi très opératoire dans toute cette doctrine: «Tout ce qui se trouve en nous vient de Dieu et lui est rapporté comme à sa cause efficiente et comme à sa cause exemplaire: à sa cause efficiente, puisque c'est par la puissance active de Dieu que tout s'accomplit en nous; à sa cause exemplaire, puisque tout ce qui en nous est de Dieu, imite Dieu d'une certaine manière. » 88
Quand il doit être plus précis, Thomas ne craint pas d'assurer que cette ressemblance de la créature à Dieu et l'imitation qui en découle sont en fait ressemblance et imitation de la Trinité puisque toute la création porte la trace et le vestige, et même, quand il s'agit des personnes humaines, l'image de la Trinité89. Nous ne saurions nous attarder ici sur cet aspect; si nous reprenons 85
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ST la q. 44 a. 4; l'ad 1 insiste: «Agere propter indigentiam non est nisi agentis imperfecti, quod natum est agere et pati. Sed hoc Deo non competit. Et ideo ipse solus est maxime liberatisi quia non agit propter suam utilitatem, sed solum propter suam bonitatem. » Aristote, Physique II 7 (198 a 25 — 26 et b 3 - 4 ) , avec le commentaire de Thomas: ibid., lect. 11, η 242 et 246. SCG III 19, n° 2005: « Agens igitur dirìtur esse finis effectus inquantum effectus tendit in similitudinem agentis: unde'formageneranti! estfinisgenerationis'. Sed Deus ita estfinis rerum quod est etiam prìmum agens earum. Omnia igitur intendunt, sicut ultimum finem, Deo assimilari. » SCG IV 21, n° 3576. ST la q. 45 a. 7; q. 93 a. 6; SCG IV 26, n° 3631 -3633; De potentia q. 9 a. 9; cf. Torteli, Saint Thomas (nt. 68), 7 5 - 8 6 .
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l'exposé sur le gouvernement du monde, il va de soi pour notre auteur que l'univers doit être gouverné par un être unique. La chose est aisée à établir si l'on met en œuvre la convertibilité des transcendantaux: le bien que tous recherchent ne peut être qu'unique car sans unité il n'y a pas d'être; de là vient que celui qui gouverne la multitude recherche l'unité et la paix; mais la cause propre de l'unité ne peut être que l'un; si l'on transpose cela au plan de l'univers la conclusion ne peut que s'ensuivre 90 . Mais il ne s'ensuit pas pour autant que de cet agent unique doive résulter un effet unique; il faut au contraire introduire ici quelques distinctions. En effet, on peut juger de toute action à partir de sa fin, car c'est justement par l'opération que l'on parvient à la fin. Or, on vient de le voir, la fin du gouvernement du monde c'est le bien essentiel auquel toutes choses s'efforcent de participer et de s'assimiler. L'effet du gouvernement du monde peut donc se prendre selon un triple point de vue. — Tout d'abord du point de vue de la fin elle-même; sous cet aspect, il ne peut y avoir qu'un seul effet du gouvernement du monde: l'assimilation au souverain bien. — En second lieu, on peut considérer cet effet du point de vue des moyens par lesquels la créature est conduite à cette assimilation à Dieu. Dans ce cas, il y a deux effets généraux de ce gouvernement, car la créature est assimilée à Dieu de deux manières: d'une part, en ce sens qu'elle est bonne à la manière dont Dieu luimême est bon; d'autre part, elle est bonne encore en ce sens qu'elle a la capacité de mouvoir d'autres créatures à la bonté, à la manière dont Dieu lui-même cause la bonté des êtres. C'est ainsi qu'il y a deux effets du gouvernement: la conservation des choses dans le bien et leur motion vers le bien 9 1 . — En troisième lieu, si l'on considère l'effet du gouvernement, non plus en général, mais en particulier, ces effets sont pour nous innombrables - puisque Dieu conduit chaque créature à sa perfection par les voies qui lui sont propres 9 2 . Ainsi qu'on pouvait s'y attendre, Thomas soulève à propos du gouvernement divin la même question qu'il a déjà traitée à propos de la providence: tous les êtres sont soumis au gouvernement divin. La démarche qui l'établit est ellemême très proche; sa clarté mérite cependant d'être connue: «Il appartient à Dieu de gouverner le monde pour la raison même qu'il en est la cause; car celui qui produit une chose doit aussi la mener à sa perfection, ce qui est le rôle propre du gouvernement. Or, nous l'avons dit, Dieu n'est pas la cause particulière d'un unique genre, mais bien la cause universelle de tout l'être. C'est pourquoi, de même que rien ne peut exister qui ne soit créé par Dieu, de même rien ne peut être qui ne soit soumis à son gouvernement. On peut encore montrer cela à partir de l'idée de la fin poursuivie. Un gouvernement donné s'étend en effet aussi loin que se situe la fin qu'il poursuit. Or, nous
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S T la q. 103 a. 3. Ces deux effets sont en fait parties intégrantes de l'ordre de l'univers car les choses sont ordonnées entre elles selon ce double point de vue: suivant que l'une est meilleure que l'autre et suivant que l'une est mue par l'autre vers sa fin: S T la q. 103 a. 4, ad 1. S T la q. 103 a. 4.
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l'avons vu, la fin d u g o u v e r n e m e n t divin c'est la b o n t é divine elle-même; n o u s s a v o n s aussi qu'il n'y a rien d a n s le m o n d e qui ne p u i s s e être o r d o n n é à la b o n t é divine c o m m e à sa fin; il est d o n c i m p o s s i b l e q u e quelque être que ce soit é c h a p p e au g o u v e r n e m e n t divin. » 9 3 C e t e x t e s ' a c h è v e p a r le r a p p e l d e s t h é o r i e s q u i v o u l a i e n t e x c l u r e l e s c h o s e s c o r r u p t i b l e s , l e s s i n g u l i e r s o u m ê m e l e s c h o s e s h u m a i n e s d u g o u v e r n e m e n t div i n ; s a n s t r o p d e d é t o u r s , T h o m a s l e s j u g e n o n f o n d é e s . S'il r e v i e n t b r i è v e m e n t s u r la q u e s t i o n d u h a s a r d , c e n ' e s t q u e p o u r r a p p e l e r q u e m ê m e l e s é v é n e m e n t s f o r t u i t s n ' é c h a p p e n t p a s à l a r é g u l a t i o n d e la c a u s e s u p é r i e u r e 9 4 . I l s ' é t e n d p l u s l o n g u e m e n t s u r l a m a n i è r e d o n t la m o t i o n v e r s l a fin s ' e x é c u t e
différemment
s e l o n la diversité d e s créatures: « S e l o n le plan unique (secundum unam artem) du g o u v e r n e m e n t de D i e u , les c h o s e s s o n t g o u v e r n é e s diversement, c o n f o r m é m e n t à leur diversité m ê m e . Certaines agissent de leur p r o p r e m o u v e m e n t par nature, car elles o n t la maîtrise d e leurs actes; elles s o n t g o u v e r n é e s par D i e u , n o n seulement parce qu'elles s o n t m u e s par la m o t i o n intérieure de D i e u lui-même, mais e n c o r e p a r c e qu'il les incite au bien et les d é t o u r n e d u mal p a r ses p r é c e p t e s o u ses d é f e n s e s , par ses r é c o m p e n s e s o u ses peines. C e n'est pas d e cette manière q u e s o n t g o u v e r n é e s les créatures irrationnelles qui s o n t seulem e n t m u e s [par d'autres] et qui ne se m e u v e n t p a s [ d ' e l l e s - m ê m e s ] . » 9 5 C e t t e m i s e a u p o i n t n e f a i t q u e r e p r e n d r e c e q u i a d é j à é t é d i t à p r o p o s d e la p r é d e s t i n a t i o n e t T h o m a s l a r é p è t e s o u v e n t 9 6 ; c e q u i e s t ici n o u v e a u c ' e s t la p r é c i s i o n d u r ô l e j o u é p a r la l o i : r é v é l é e o u n a t u r e l l e , la l o i e s t le p r i n c i p e e x t e r n e p a r l e q u e l D i e u c o n t i n u e à g o u v e r n e r la p e r s o n n e h u m a i n e e n l ' i n s t r u i s a n t ; l ' a u t r e p r i n c i p e , i n t e r n e à l a p e r s o n n e e l l e - m ê m e , e s t l a g r â c e p a r l a q u e l l e D i e u la s o u t i e n t e t l a s u r é l è v e à l a h a u t e u r d e la fin à l a q u e l l e elle e s t p r é d e s t i n é e 9 7 .
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Ce
ST la q. 103 a. 5; le thème est repris à l'a. 7. S T la q. 103 a. 5 ad 1; cf. encore a. 7 ad 2. ST la q. 103 a. 5 ad 2. Cf. ici même ad 3: la créature rationnelle se gouverne elle-même, car elle est « domina sui actus»·, le thème est beaucoup plus amplement développé à la q. 105 a. 3 et 4, où Thomas explique la manière dont Dieu agit sur l'intelligence et la volonté de l'homme selon leur propre nature, c'est-à-dire sans les violenter. Comme on le sait, il s'agit d'un thème dionysien (De divinis nominibus IV § 33, et le commentaire de Thomas, lect. 23, n° 596), que Thomas utilise explicitement comme Denys dans le contexte de la providence, Sent. I d. 39 q. 2 a. 2: « Cum igitur Providentias non sit destruere ordimm rerum, expletur tffectus providentiae in rebus secundum convenientiam rei prout nata est consequifinem.Sicut enim diät Dionysius ... non est providentiae naturas rei destruere sed salvare ... »; cf. S T la q. 48 a. 2 ad 3; De rationibus fidei 7. Le parallèle entre loi et grâce est clairement indiqué dans S T la Ilae q. 90, Prol., qui introduit le traité de la loi (q. 90 — 108) et celui de la grâce (q. 109-114); c'est la loi naturelle que Thomas met en rapport explicite avec la providence (q. 91 a. 1 - 2 ) . Ce «prolongement» de la providence par la loi et la grâce était déjà très amplement traité dans la Somme contre les Gentils (cf. S C G III 113 — 146: la loi; 1 4 7 - 1 6 3 : la grâce); ainsi que l'a bien remarqué Aubin, Introduction (nt. 6), 37 — 39, c'est un des cas où Thomas effectue sur lui-même un progrès que l'on peut constater sur le manuscrit autographe de l'œuvre en passant de la rédaction initiale à la rédaction finale, progrès qui, au lieu de souligner la responsabilité de l'homme face à Dieu conçu comme un juge plus ou moins extérieur, met en avant la participation de l'homme à la providence de Dieu.
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n'est pas le lieu de développer davantage, mais cela suffit à faire comprendre que la façon dont Thomas se représente l'universalité du gouvernement divin n'a rien de naïf ou d'irraisonné; loin de contrarier la liberté de la personne humaine ou de se substituer à elle, la providence divine lui fournit les moyens d'être « pour elle-même et pour les autres sa propre providence » 98 . Il en va de même pour l'immédiateté dont il traite aussitôt: s'il est vrai qu'on peut parler d'immédiateté du gouvernement quant au «plan» de la providence elle-même, il ne faut pas hésiter à parler de causes intermédiaires à propos de son exécution: « Étant donné que le gouvernement doit conduire les choses gouvernées à leur perfection, un gouvernement sera d'autant meilleur qu'il communiquera une plus grande perfection aux choses gouvernées. Si quelqu'un est bon, il sera plus parfait pour lui d'être cause de bonté pour les autres que de l'être seulement pour soi. Voilà pourquoi Dieu gouverne les êtres de telle façon qu'il donne à certains de jouer eux-mêmes le rôle de causes dans son gouvernement — à la manière dont un maître fait de ses disciples non seulement des savants, mais aussi des docteurs. » "
Ici encore, nous retrouvons un thème cher à notre auteur, car il est essentiel à sa vision du monde créé; tout en affirmant avec force que Dieu agit en tout être agissant, il n'en maintient pas moins avec une égale vigueur que cette action permanente de Dieu ne s'exerce pas au détriment des causes secondes, mais que celles-ci conservent leur action propre 100 . L'action de Dieu dans les choses ne rend pas superflue l'opération des causes secondes, car les deux agents n'agissent pas sur le même plan et la cause seconde se subordonne à la cause première 101 . Thomas résume cette omniprésence de Dieu à l'agir créé dans une formule synthétique qui ne laisse rien échapper: «Dieu ne donne pas seulement leurs formes aux choses, mais il les conserve dans l'être, les applique à l'action et il est la fin de toutes leurs opérations. » 102 Pour la manière dont s'intériorise dans l'homme cette orientation de la loi, renvoyons à J.-P. Torrell, art. Thomas d'Aquin, in: M. Canto-Sperber (ed.), Dictionnaire d'Éthique et de Philosophie morale, Paris 1996, 1521 - 1 5 2 2 ; on pourra voir aussi R. Bruch, Das sittliche Naturgesetz als Gottes- und Menschenwerk bei Thomas von Aquin, Zeitschrift für katholische Theologie 109 (1987), 294-311. 98 ST Ia Ilae q. 91 a. 2: «Inter cetera autem rationalis creatura excellentiori quodammodo divinaeprovidentiae subiacet, inquantum et ipsafitprovidentiae particeps, sibi ipsi et aliis providens»; cf. SCG III 113, n° 2873, plus explicite encore sur ce point. Cet aspect a été très bien mis en valeur par Aubin, Introduction (nt. 6), 3 7 - 4 0 . 99 ST la q. 103 a. 6. îoo g f j a q 105 a. 5: «Sic intelligendum est Deum operati in rebus, quod tarnen ipsae respropriam habeant operationem. » 101 ST Ia q. 105 a. 5 ad 1 et ad 2; cf. SCG III 70, n° 2466: «Il est clair qu'un même effet n'est pas attribué à sa cause naturelle et à Dieu, comme si une partie était de Dieu et l'autre partie de l'agent naturel; il est tout entier de l'un et de l'autre (totus ab utroque), mais de façon différente. Un peu à la façon dont un même effet est attribué tout entier à l'instrument et tout entier à la cause principale ». La comparaison de l'instrument doit être utilisée cum grano salis-, en tant que telle la cause instrumentale ne jouit d'aucune liberté, à l'inverse de la cause seconde. 102 s t j a q 105 a. 5 ad 3; en parallèle à ces pages de la «Somme de Théologie», plus condensées, il faut lire la «Somme contre les Gentils» (III 6 4 - 6 9 ) où Thomas défend la consistance de la
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Parvenu à ce point de notre démarche, nous ne saurions continuer à suivre Thomas sans être entraîné beaucoup plus loin que ne le permettent les limites de cette étude. En fait, on ne tarde pas à s'en apercevoir, l'ordination de toutes choses à leur fin sous la conduite de la providence et du gouvernement divin, correspond très exactement à l'itinéraire décrit par la «Somme de théologie». Selon cet itinéraire, qu'on a pris l'habitude de caractériser par le double mouvement de «sortie» et de «retour» (exitus — reditus), l'homme et l'univers viennent de Dieu et retournent à lui. Alors que providence et prédestination relèvent d'un moment «antérieur» à ce double mouvement et concernent la présence de l'univers en Dieu, les traités de la création du monde et des diverses créatures parlent de la «sortie» de Dieu, tandis que celui du gouvernement divin — qui vient immédiatement après et termine la Première partie de la Somme —, commence précisément à décrire le mouvement du « retour » vers Dieu. Ce mouvement de retour se déploie dans la Deuxième et la Troisième Parties, qui traitent de la forme que prend ce retour chez la personne humaine. On comprend ainsi qu'avant d'entrer dans le détail de sa construction, Thomas a voulu rappeler les grands principes qui seront désormais sous-jacents à ses élaborations postérieures. Ce sont ces principes qu'il nous reste à rassembler et à mettre en évidence.
7. C o n c l u s i o n s 1. La façon dont Thomas d'Aquin parle de la providence est bien faite pour surprendre un lecteur non prévenu. Loin de se complaire en de pieuses considérations sur le soin attentionné que Dieu prend de chaque créature, il la voit d'abord comme une qualité de la divinité elle-même qui se rattache directement à la science et à la volonté de Dieu. La providence est la ratio intradivine par laquelle toutes choses sont ordonnées à leur fin, un peu à la façon dont la prudence humaine conçoit le déroulement d'une action envisagée. Comme la prudence ou d'autres vertus en l'homme, la providence en Dieu est donc une réalité immanente qui se consomme à l'intérieur du sujet, non une action transitive qui poserait quelque chose dans l'existence. 2. La première qualité de la providence est son universalité. En soulignant cet aspect, Thomas prend position contre toute une série de penseurs qui, de l'antiquité à son époque, ont cru pouvoir nier l'existence même d'une providence en attribuant l'ordonnance de l'univers au hasard ou à la nécessité, ou bien ont cherché à la restreindre en la limitant à la direction des êtres incorruptibles et causalité créée contre l'occasionalisme des théologiens maures, allant jusqu'à dire dans une formule célèbre deux fois répétée: «Detrahere ergo perfectioni creaturarum est detrahere perfectioni dìvinae virtutis»·, «Detrahere ergo actionej-proprias rebus est divinae bonitati derogare» (c. 69, n° 2445, 2446). On peut voir aussi: G. Anawati, Saint Thomas d'Aquin et les penseurs arabes: les loquentes in lege maurorum et leur philosophie de la nature, in: Studi tomistici 18 (1982), 1 5 5 - 1 7 1 (à partir de la p. 163 pour la providence).
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en excluant de son action soit certaines réalités (les êtres matériels ou corruptibles), soit son caractère personnel en la réservant à la permanence des espèces, soit encore en soustrayant les actes humains à son influence. Pour Thomas, au contraire, rien de ce qui a l'être ne peut échapper à la providence. 3. La seconde grande caractéristique de la providence est son immédiateté. A la suite de Némésius d'Emèse, Thomas prend ici position contre un auteur platonicien inconnu qui envisageait une triple forme de providence, dont la deuxième et la troisième relevaient de dieux intermédiaires ou de «démons». Pour le Maître d'Aquin c'est impossible, car Dieu a dans sa pensée l'idée de tous les êtres, même les plus infimes, et c'est lui qui donne à chaque cause la vertu de produire ses effets; il faut donc qu'il y ait dans sa pensée la préconception de l'ordre de chacune de ces réalités à leur fin. Cela n'exclut pas la possibilité de causes secondes, car c'est bien la providence qui les institue, mais elles n'entrent en jeu qu'au niveau de l'exécution du plan de la providence, c'est-à-dire du gouvernement divin. 4. L'universalité et l'immédiateté de la providence s'accompagnent d'une troisième qualité, sa certitude: ce que Dieu «pourvoit» comme devant arriver s'accomplit infailliblement. Cela n'entraîne cependant aucun déterminisme au niveau de ses effets, car Dieu n'agit pas à la manière d'une cause intramondaine. Il ménage des causes nécessaires pour les effets nécessaires, comme il prépose aussi des causes contingentes pour les effets contingents, mais il est au-delà de la différence entre nécessaire et contingent et laisse les causes prochaines à leur jeu propre. Ainsi, la nécessité qui régit les choses de la nature permet de conclure à l'existence d'une intelligence qui fixe leur cours, mais qui n'impose en aucune manière une inexorable fatalité aux créatures humaines, car elle est aussi la source de leur liberté. 5. Pour les créatures humaines précisément, la providence revêt une forme spéciale qui reçoit le nom de prédestination. Comme la providence dont elle est une partie, elle relève de l'intelligence et de la volonté divines et elle trouve son accomplissement dans l'immanence la plus totale. La différence entre prédestination et providence se prend du fait que cette dernière concerne absolument toutes les créatures, qu'elles soient matérielles, animales, rationnelles ou purement spirituelles, alors que la prédestination ne concerne que les créatures rationnelles et spirituelles. Fruit d'un amour particulier de Dieu à leur égard, elle leur propose une fin surnaturelle qui consiste dans la communion à l'intimité même de Dieu qui « pourvoit » sa créature du moyen, la grâce, qui lui permettra de l'atteindre. 6. Avec le gouvernement du monde nous quittons le niveau de l'immanence divine et celui de l'éternité pour entrer dans le temps de la réalisation concrète du «plan» de la providence. Selon le langage de Thomas, c'est le passage de la ratio de l'ordination de toutes choses vers leur fin à Γexecutio de cette ordination avec toutes les vicissitudes qui affectent le cours de ce monde. Mais alors que la providence en général rejoint absolument tous les êtres de façon immédiate, le gouvernement divin, lui, se sert aussi de causes secondes et donc promeut et
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atteint sa fin au travers d'intermédiaires divers. Cela reste néanmoins dans l'ordre général de la providence, car elle ne perd en rien ses qualités d'universalité et d'immédiateté: Dieu ne cesse pas d'être toujours présent à toutes choses qui tiennent de lui la vie, le mouvement et l'être; c'est toujours lui qui donne aux êtres non seulement d'être bons comme lui-même est bon, mais encore d'être à leur tour causes de bonté pour d'autres êtres, qui seront ainsi à leur niveau, pour eux-mêmes et pour d'autres, comme autant de réalisations particulières de la providence. 7. L'existence d'une providence unique et immédiate qui règle le cours de ce monde jusqu'en ses moindres détails sans intervenir par la contrainte dans son déroulement est une vérité que Thomas tient de sa foi et il n'hésite pas à citer la Bible à l'appui de ses raisonnements; mais il estime aussi qu'il s'agit d'une vérité accessible à la raison qui se situe au carrefour d'un certain nombre d'autres grandes vérités ou thèses métaphysiques qu'il fait intervenir constamment. La plus fondamentale est que Dieu est le créateur de l'univers: Dieu est provident du fait même qu'il est créateur. Créateur, non pas par une nécessité de nature de type émanatiste, mais librement et par amour, par son intelligence et sa volonté; de telle sorte qu'il a des êtres la science pratique qu'un artisan a de ses œuvres: elles sont parce qu'il les connaît. Créateur de tous les êtres et du tout de l'être, il est ainsi universellement et immédiatement présent à tout être de la façon la plus immédiate, car rien n'est plus intime aux êtres que le fait même d'être. Cette universalité absolue de l'action créatrice de Dieu suffit par ellemême à expliquer l'orientation de toutes choses vers Dieu lui-même comme leur fin unique. A l'universalité de la causalité efficiente correspond en effet l'universalité de sa causalité finale et de sa causalité exemplaire, car cette fin à laquelle aspirent tous les êtres n'est pas pour eux un objet à poser dans l'existence, mais une forme à s'assimiler en tendant de toutes les forces de leur nature à la perfection de la forme dont les a dotés leur créateur. Varié à l'infini, cet accomplissement de tout être vers quoi le conduit la providence revêt sa forme privilégiée dans la personne humaine, seule créature que Dieu a voulue pour elle-même et qu'il a faite à son image et ressemblance.
Christian Eschatology and the End of Time according to Thomas Aquinas (Summa contra Gentiles IV, c. 97) RUDI TE VELDE
(Amsterdam)
1. I n t r o d u c t i o n : the b e g i n n i n g of the w o r l d The narrative of creation in the first book of the Bible opens with the wellknown words "in the beginning", when God created heaven and earth. It tells the story about how everything started with God, about how God was present at the beginning of the world, as He is present now and will be present in the future. The "in the beginning" of the Bible should not be taken, in my view, in the literal sense of a well-determined starting point in time, but in the sense of the permanent and ever present beginning of historical time in which the Jewish people experience the guiding presence of God through his revelation. The Bible bears witness to a specific historical experience. The God of the Bible is a God of history, who reveals himself in human historical life in order to orientate this life towards a future to which He commits himself. History becomes a history of salvation, in which people live out of a promise of a future in which the historical existence as such will come to its end and final fulfillment. The "in the beginning" of creation, draws, in my view, its meaning from this religious experience of a divine presence in history which began with creation. In the Christian tradition the opening phrase of Genesis was understood as denoting a kind of temporal beginning of the universe, before which there had been nothing. According to Thomas Aquinas, the phrase "in the beginning" can be explained as meaning "in the beginning of time" 1 . Time began together with the creation of the earth and the heaven. This implies that the created world has a beginning of its duration. But the ancient philosophers had seemed to say something quite different. The common view of Greek philosophy seemed to be that the physical universe has always existed and that time itself is without a beginning and without an end 2 . The conflict between the biblical, religious worldview of Christianity and the Greek philosophical account of the natural universe led to the medieval debate on the eternity of the world. The debate was mainly concerned with the issue of creation and the beginning of time. The 1 2
Cf. Thomas Aquinas, Summa Theologiae I, q. 46, a. 3. Cf. for instance R. Sorabji, Time, Creation and the Continuum, London 1983, part III.
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question of the end of time, which is spoken of in the last book of the Bible, does not seem to have played a role in the debate. But the question of the beginning of the world's duration and its end can be regarded as two sides of the same coin. The possibility of an end of time meets similar difficulties from a conceptual point of view as that of the beginning of time. In both cases temporal expressions like beginning and end are applied, not to something which exists in time, but to time and temporal existence itself. For instance, a historical or physical event has a certain location and duration in time; it began at a certain point in time and it will have an end in time. The temporality of an event, its finite duration, is expressed through an encompassing framework of time by means of which the duration is measured. But what if this framework of time itself has a finite duration? Is a final moment of time conceivable, if it is not a final moment in relation to an enduring framework but the end of the time-measuring framework itself? In this paper I propose to discuss the idea of the temporality of time, in particular from the perspective of the end of time. I will focus on the view of Thomas Aquinas, as he offers, in the last chapter of the "Summa contra Gentiles", a fascinating interpretation of the Christian eschatological view of the end of this historical world, when "time shall be no longer", as it is written in the Apocalypse (10,6). 2. The t e m p o r a l i t y of time from the p e r s p e c t i v e of C h r i s t i a n faith According to Christian faith, the temporal duration of the world is finite from both sides, a parte ante and a parte post. The world in which we live our temporal and historical life began with creation and shall end after the Day of Judgement when a new heaven and a new earth will be created. Aquinas was convinced that the Christian view concerning the beginning of creation could not be demonstrated by reason. What reason can do is show that the opposite position of the eternity of the world is not necessary, and that the temporal beginning of the world is, seen from a philosophical perspective, at least a possibility. It would therefore not be against reason to accept and believe the Christian truth on this issue. That the world is in fact created in the beginning of time is, however, an article of faith3. Its truth has to be accepted on the basis of revelation. From the perspective of reason, an eternally created world is possible. Being created and a beginningless duration do not necessarily exclude each other, since the philosophical notion of creation is neutral with respect to time. It merely entails the absolute dependency of the whole of reality on a first principle. But in its full and complete meaning, "creation" is a word of faith and includes the temporal beginning of the world. 3
Cf. Summa Theologiae I, q. 46, a. 2: "Dicendum quod mundum non semper fuisse, sola fide tenetur, et demonstrative probari non potest. "
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In most studies dedicated to the subject o f the eternity o f the world, the Christian teaching concerning the temporal beginning is taken for granted. It is especially the argumentative side of the debate, which has evoked the interest of scholars 4 . I would like to take a different approach and start by discussing the religious meaning o f the Christian view concerning the beginning of creation and the consequences it has for the medieval understanding o f temporal existence and historicity. In Aquinas' view, the fact that the world has a beginning is known only by revelation. It should be noted that revelation is for Aquinas not simply an additional source o f factual information about the world. As a statement the meaning of which is disclosed by divine revelation, the beginning of the world is not just a factual truth about something that happened many years ago. One might say that its truth is part of the symbolic-religious worldview of Christian faith. It is not an empirical statement about the physical universe nor an a priori truth, which necessarily follows from the concept o f a world as the totality o f finite beings; it is rather a statement whose meaning is associated with the message o f salvation, which is the very substance o f revelation. Revelation, I would say, enables man to see, through the eyes o f faith, the meaning o f human life on earth, as seen from the perspective o f God, and how God's providential plan is carried out through history. In the light of God's revelation the temporal existence of mankind on earth receives the specific character o f a singular history which began with creation and which will end with the last judgement. The fact o f revelation, o f God revealing himself as the final truth of human life, gives historical existence in time a definite orientation towards a future in which this truth will be finally and completely disclosed. Aquinas speaks of the vision of God {visto Dei) which we expect in the future, after this life. This future is not a future in time but a future in which the state of present life will be transformed into the final state of glory {status gloriai). The expression "being in the state o f present life" {in statu praesentis vitae), and similar expressions used by Aquinas, like "in hac vita" and "in statu viae", are specific temporal expressions in which human existence in time, with a past, a present and a future, is contrasted with an eschatological future. The eschatological future is the future of historical life as such. Human beings live their temporal life in the expectation o f a future life "after death", which is a life in the full presence of God. Now, it does not make sense to ask when this future will take place, since it is the future o f temporal existence as such. It is not a future o f what will happen within the domain of human history on earth. It is the future of the presence of God's glory, o f which Aquinas would say that it is already present as an object of faith and hope, but that at the same time it does not yet exist. This 4
For instance the extensive study o f R. C. Dales, Medieval Discussions o f the Eternity of the World (Brill's Studies in Intellectual History 18), Leiden - New York - Kobenhavn - Köln 1990. Cf. also J. B. M. Wissink (ed.), The Eternity of the World. In the Thought o f Thomas Aquinas and his Contemporaries (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 27), Leiden - New York - Kobenhavn - Köln 1990.
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unity of 'already' and 'not yet' characterizes the typical Christian understanding of eschatological time. If the eschatological future is contrasted with the state of present life and represents the ever present and still hidden future of present life, perhaps the beginning of temporal life on earth should be interpreted in the same way. In this sense the beginning of creation is not simply the moment at which the clock of time starts to tick; it is not a beginning which is in some way continuous with the time of the present life, something which has taken place in the distant past. But it is the ever-present past of creation. The temporal life on earth has the character of a singular history, which has a beginning and an end. And the physical world is included within this singular history of salvation and has itself the character of a singular event. From the perspective of Christian faith, the world is not an everlasting and permanent cosmos, but it is "this world", a temporary constellation which looks forward to or is in expectation of the world to come. The beginning of the world is for Aquinas, so to say, not a matter of fact, but a matter of faith. He refers to Gregory who speaks of a prophecy about the past when Moses wrote the first sentence of Genesis, in which the newness of creation is stated5. A prophecy about the past is like looking back to the beginning of temporal existence of man on earth, an existence which by God's revelation has received the character of a history of salvation, a history which apparently began with God and which will be brought by God to its eschatological fulfillment. Aquinas rejects decisively any attempt to prove the non-eternity of the world by rational arguments. In his view, even if the conclusion is true, any attempt to provide necessary reasons for it will lead to sophistical arguments. And one should not assent to a truth of faith on the basis of weak and sophistical arguments, since this would expose Christian faith to derision on the part of nonbelievers6. Christian religion would lose its credibility if it were to found its beliefs on sophistical and pseudo-scientific arguments. Aquinas presents two arguments as to why the issue of the beginning of the world cannot be decided from the point of view of reason. The first argument is derived from Maimonides: it says that whatever is solely dependent on divine will cannot be demonstrated by necessary reasons. The will of God concerning creatures is a free will, and is not bound by any necessity. The only way to know how God's will is determined with respect to the temporal condition of the world is by revelation, which is accepted by faith 7 . In Aquinas' view, God could have willed the world to exist from all eternity. That God actually has willed the opposite is, however, not without reason. Aquinas sees this as fitting, since the fact that the world has not always existed makes more 5 6 7
Summa Theologiae I, q. 46, a. 2, sed contra. Ibid. a. 2. Ibid.: " Voluntas enim Dei rations investigan non potest\ nisi area ea quae absolute necesse est Deum velie: ... Potest autem voluntas divina homini manifestari per revelationem, cui fides innititur."
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clearly manifest that the world depends on an agent that acts by free will, and that it does not proceed from the divine principle according to natural necessity. The "in the beginning", therefore, emphasÌ2es the Christian distinction between the eternal God and the temporal creation. The second reason why the temporal beginning of the world cannot be demonstrated follows from the very nature of demonstration and demonstrative knowledge. Any demonstration proceeds from the essence of a thing. But the essence, considered as such, abstracts from the here and now. One cannot therefore demonstrate that the world or any part of the world, considered in its species, has not always existed 8 . Singular existence in time and space falls outside the scope of demonstration. It is an interesting argument, especially because it suggests that the world not only consists of singular events in time and space but also is itself a singular event, which happens to exist. The beginning of world is an object of faith, not one of demonstration or science. It is part of the religious-symbolic world view of Christian faith, the meaning of which only can be perceived from within, from the perspective of faith, in the light of which the temporal duration of the world is experienced as somehow engaged in the divine economy of salvation. This becomes especially clear from Aquinas' treatment of the Christian eschatological view concerning the end of time. Here he proceeds in a similar way as he does with respect to the temporal beginning of creation. Philosophy cannot prove that the duration of the world is finite and will come to an end. Greek philosophy and cosmology even seem to state the opposite: time, movement, the natural circle of generation and corruption will go on forever. Aquinas intends to show that the eschatological view of Christianity, especially the resurrection of the bodies and their glorification at the end of time, is not contrary to reason. In his interpretation of Christian eschatology he argues that the Christian claim that time will come to an end is not in contradiction with the principles of Aristotelian cosmology and its concept of cosmic time. Of course, one cannot rationally prove on the basis of Aristotle's natural philosophy that the cosmos is part of a singular history with a beginning and an end, but by using Aristotelian cosmology as a guideline one can make the Christian eschatological view understandable and even quite plausible.
3. T h e end of c o s m i c t i m e One should look now at the text in which Aquinas discusses the Christian view on the end of time and of temporal existence on earth. It is the last chapter of the last book of the "Summa contra Gentiles" (IV, c. 97). The chapter 8
Ibid.: " Demonstrations enim principium est quod quid est. Unumquodque autem, secundum rationem suae speäei, abstrahlt ab hic et nunc ... Unde demonstran non potest quod homo, aut caelum, aut lapis non semper fuit."
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discusses the state of the world after the Judgment Day (de statu mundi post iudicium). What will happen to the physical world when human history is brought to its final end? Aquinas starts from the anthropocentric principle that the whole of corporeal nature somehow exists for the sake of man. Nature does not have its end in itself, but is, in the order of divine providence, subject to the dominion of man. It is therefore thought to be fitting that, when human nature has attained its final and definitive character, the corporeal creation will be transformed in order to be in harmony with the state of the men who are then, as it were, established in God's glory. As men will then be incorruptible, the visible world will be divested of its state of generation and corruption 9 . This is what St. Paul seems to intend when he says "creation itself shall be delivered from the slavery of corruption into the liberty of the glory of the children of God" 10 . Like all eschatological statements in the Bible this one is very hard to understand. But Aquinas takes this saying of St. Paul quite seriously. To be liberated from corruption means that there is no longer generation, no longer the cycle of life and death. The consequence is that, since the process of generation and corruption on earth depends on the movement of the heavens, the movement of the heavens must also come to a stop. And since time is inseparably linked with the circular motion of the heavenly bodies, even time will cease to be. As it is said in the Apocalypse: "time shall be no longer". Aquinas' description of the final state of the world should not be regarded as science fiction. It is not meant to be pure speculation about what might happen to the physical universe in the remote future. His main intention is to show that the Christian eschatological view about the end of this world is not impossible from the point of view of what natural philosophy teaches us about the structure and the dynamics of the cosmos. So we can see Aquinas arguing that it is not impossible that the movement of the heavens should come to a stop 11 . It is possible because the movement of the heavenly bodies is not natural in the sense that they are inclined to their movement by an inner active principle. The sun and the stars are moved not by some natural, inner force, but, according to Aristotle, by an intellectual principle, the Unmoved Mover. But in Aquinas' view an intelligent being must possess a will. There is no intellect without a will. This means that the heavenly bodies are moved by a will, that is, by the command of a personal being, which acts for the sake of some purpose 12 . Now, what can the purpose of the motion of the heavens be? Their purpose cannot 9
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Summa contra Gentiles IV, c. 97: "Quia vero omnia corporalia facta sunt quodammodo propter hominem ..., tunc etiam totius creaturae corporeae conveniens est ut status immutetur, ut congruat statuì hominum qui tunc erunt. Et, quia tunc homines incorruptibiles erunt, a tota creatura corporali tolletur generationis et corruptions status. " St. Paul, Letter to the Romans 8, 21. Summa contra Gentiles IV, c. 97: "Non debet autem impossibile videri quod motus caeli cesset." Ibid.: "Prìndpium autem illius motus est aliquis intellectus ... Movetur igitur caelum sicut ea quae a volúntate moventur: voluntas autem movetpropterfinem. " That intellectual substances must have a will as principle of movement is argued for in Summa contra Gentiles II, c. 47.
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consist in the movement itself, since movement always tends to something else in which the movement comes to rest. And neither does their purpose consist in bringing their potency to actuality, since a body that moves in a circle always remains a potency to the next place on the circle. So the potency of the heavenly bodies can never be entirely reduced to act. According to Aquinas the motion of the heavens is ordered to an end which can be described as becoming like God with respect to being a cause of things 13 . The heavenly bodies move in order to cause and sustain the process of generation and corruption on earth, and in doing this they obtain a certain likeness of God who brings everything into being. What Aquinas is saying here is that the heavenly bodies are assigned a role in the divine work of creation. Their task in creation is to cause and sustain the generation of new organic life. In this way they serve the general purpose of nature in its process of generation, which is to achieve a perpetuity in things by which they approach a certain likeness of God's eternal being 14 . In Aquinas' view, God's purpose in his work of creation and the purpose of nature in its work of generation are to some extent quite similar: nature seeks perpetuity of the species by means of generation and in this nature serves God's purpose of creation, which is to communicate a likeness of his goodness as perfect as possible. Now, if the heavenly bodies move in order to cause and prolong the life-cycle of generation and corruption, is it then conceivable that one day the cosmic machinery will have fulfilled its goal and come to a standstill? In so far as the new generated life is corruptible, the process of generation must go on indefinitely. But, according to Aquinas, the whole of corporeal nature is ordered to man as to its end 15 . The form of the human being is the most perfect and ultimate form nature can produce. It is a form in which matter is reduced to its highest possible actuality. The rational soul of man even surpasses the corporeal dimension of natural generation, since it is not only forma corporis but also it subsists in itself in virtue of its spiritual character. The human soul cannot be produced by natural causes; it receives its existence directly from God through an act of creation 16 . But even when the human soul is immediately created by God and is through this the most god-like of all creatures, man does not stand outside nature. The human soul, although it is incorruptible, still requires a 13
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Ibid.: "Finis motus caelestis est... assimilati Deo in causando. " Cf. especially Summa contra Gentiles III, c. 21, where it is argued that every creature seeks to attain a likeness of God's goodness, not only in so far as it is good in itself, but even in so far as it is the cause of the goodness of something else. According this principle the heavenly bodies fulfill a special role in the divine government (gubernatio) in so far as they are the cause of generation and corruption in the sublunar realm of nature. Ibid.: "Sicut igitur finis naturae in generatione non est reducere materiam de potentia in actum, sed aliquid quod ad hoc consequitur, scilicet perpetuitas rerum, per quam ad divinam similitudinem accedunt. " Ibid.: "Omnia autem generabilia et corruptibilia quae causanturper motum caeli, ad hominem ordinantur quodammodo sicut in finem." Ibid.: " . . . forma hominis, sälicet anima rationalis, immediate areatur a Deo. " Cf. Summa contra Gentiles II, c. 87.
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corporeal and corruptible body, which must be generated by nature. This brings Aquinas to the conclusion that the heavens enact their life-generating motion especially for the purpose of generating human beings, since in co-operating in the creation of man they accomplish most perfectly a divine likeness. Now because human beings have an incorruptible soul, newly generated human life will not perish by natural corruption. Human life, unlike animal life, transcends the natural cycle of birth and death, in which each individual is subordinate to the life of the species. The destination of man lies outside the cycle of generation and corruption. In virtue of their incorruptible soul human beings are capable of an eternal life of everlasting bliss in the presence of God. Now, Aquinas states that the multiplication of human souls to infinity cannot be a possible end, for infinity is contrary to the notion of end. The purpose of the movement of the heavens cannot be to produce an infinite number of human beings, since this simply cannot be realized. If one considers why the heavenly bodies move, Aquinas finds it not unreasonable to hold the view that the motion of the heavens will cease when a certain number of human souls have been generated and established in the final state of glory 17 . When this is the case, the task of the life-generating cosmic machinery is, as it were, completed. But when the heavens no longer move and consequently the process of generation and corruption has come to an end, time will no longer exist. In Aquinas' view the end of cosmic motion and of time does not mean that the physical creation will disappear altogether. That part of the physical world which has a natural aptitude for incorruptible existence, like the heavenly bodies and the elements, will not perish, but will continue to exist because of the unchanging divine goodness. God created all things in order that they might be 18 . He wants things to be and to be forever as a permanent expression of his goodness. So the substance of the physical world will remain, but without the intrinsic corruptible parts like plants, animals, and the mixed bodies. In the incorruptible and timeless world to come there can be no place for plants and animal life, since their life is essentially not sustainable. But the substance of the visible world and its incorruptible parts, the heavens and the stars, the seas and the mountains, will remain and will be invested by the splendor of God's glory in order to become adjusted to the state of glory of mankind. The theological meaning of this is, as I understand it, that even the substance of the corporeal nature will finally be saved and admitted to God's world as a consequence of the essential corporeality of glorified man. The consequence of the Christian belief in the resurrection of the body is that even the physical universe will share in the final kingdom of God. According to Christian eschatology, time belongs to this corruptible world, which will pass, and does not belong to the new world to come. Generation 17
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Ibid.: "Non autem potest esse finis multipticatio animarum in infinitum, quia infinitum contrariatur rationi finis. Nihil igitur inconveniens sequitur si, certo numero hominum completo, ponamus motum caeli desistere. " Ibid.: "Creavit enim res ut essent."
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and corruption characterize this world. And the process of generation will not go on forever, as corruption and death will be finally eliminated from the corporeal world. For Aristotle this would be quite unthinkable. In his view, it is through generation that nature aims at perpetual existence. The only way for nature to achieve a permanent duration is through the endless repetition of the cycle of birth and death, which is caused by the circular motion of the heavens. In the Aristotelian view, the sublunary world of temporal existence is assimilated to divine eternity through the circular motion of the heavens. Seen from this perspective, things must be saved from the negative impact of time, that is from age and decrepitude. In order to overcome death and final loss of being nature requires constant renewal and perpetual repetition. One might therefore say that physical time, the time of nature in contrast to historical time, has no real future, since nature, in order to survive, must constantly return to its starting-point. Nature repeats itself endlessly. From the Aristotelian point of view, the cosmic machinery must go on forever in order to prevent nature from disintegration. Now, the cosmos is moved by the First Mover who is the ultimate principle on which the cosmos and the whole of nature depend. The First Mover moves the heavenly bodies by attraction, like an object of love and desire. The heavenly bodies move through a desire to attain the full actuality of the first principle. And it is through their never-ending circular motion that they reach out for that divine unchangeable actuality. Aquinas accepts, to a certain degree, this cosmological theory as part of true philosophy. Even for him the perfect circular motion of the heavenly bodies is somehow an image of the divine eternity which in its complete actuality subsists in itself. But the essential difference is that, in Aquinas' view, the whole cosmic machinery is created by an act of the divine will as part of a plan in which the corporeal nature exists for the sake of man. And Aquinas formulates even this anthropological turn of Aristotelian cosmology by means of Aristotelian principles. For instance, Aquinas argues that nature in its generation aims at the most perfect form in which matter receives its ultimate actuality. And the most perfect of all natural forms to which nature tends is the human soul. Man is the most perfect product of nature. The consequence of this anthropological orientation of the cosmos is that cosmic time comes to share in the character of historical time which underlies the history of salvation. Cosmic time contributes in preparing the world for the ultimate presence of God's glory. In my view, this is the most surprising and interesting feature of Aquinas' eschatological reinterpretation of the Aristotelian cosmology. The principal purpose of the life-generating cosmic machinery is to produce a certain amount of human beings, since in the generation of men the heavenly bodies act in a most divine-like manner, that is, they co-operate in the divine act of creation. The cosmic time is the time during which life is generated, especially human personal life, which is promised a future beyond death and after "the present life". As each individual human being is destined to an eternal
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life of glory, in the generation of man the infinite cyclic time of nature is, as it were, broken open into a finite historical time which is orientated to a future beyond time. And even the substance of the corporeal world will share in this eschatological future 19 . 4. C o n c l u s i o n We have seen how Aquinas in a very ingenious way adapts and transforms the Aristotelian cosmology in his interpretation of Christian eschatology. Aristotle's view of the cosmic time and the heavenly motion is restricted to "this world", which corresponds to the state of the present life. After Judgement Day the state of this world will be transformed into a new state of incorruptibility which fits the incorruptible state of man. The end of time is therefore not the end of visible creation. The appearance of the world as it now is will cease to be, but the substance will remain. For God, according to Aquinas, created all things, not so that they perish but that they might be, and one may add, might be forever. So the created world is intended by God to exist forever, not however in its temporal and corruptible state.
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Ibid.: "Quia igitur creatura corporalis finaliter disponeturper congruentiam ad hominis statum, homines autem non solum a corruptione liberabuntur, sed etiam gloria induentur, oportebit quod etiam creatura corporalis quamdam claritatis glonam suo modo consequatur. "
Die eschatologische Vereinigung des Menschen mit Gott als Wahrnehmung der Wahrheit nach Thomas von Aquin WILLIAM J . H O Y E
(Münster)
1. G o t t e s e r k e n n t n i s als E n d z i e l des m e n s c h l i c h e n L e b e n s Die Sorgfáltigkeit, mit der Thomas von Aquin die Frage nach der eschatologischen Vereinigung des Menschen mit Gott behandelt, spiegelt die Wichtigkeit und Schwierigkeit der Frage wider, besonders wenn man bedenkt, daß die christliche Glaubenslehre eine Antwort bereits zuvor festgelegt hatte. Im Jahre 1241 nämlich verurteilte der Bischof von Paris, Wilhelm von Auvergne, mit der Unterstützung namhafter Theologieprofessoren die These, daß im endgültigen Zustand des ewigen Lebens das göttliche Wesen in sich (divina essentia in sé) nicht gesehen werde 1 . Damit war es nunmehr den orthodoxen Theologen vorgegeben, daß man in diesem Kontext von der göttlichen essentia zu sprechen hatte: Nicht bloß Vermittlungen, sondern Gott selbst in seinem Wesen werde geschaut. Die Verwendung des Wortes essentia brachte allerdings neue Probleme mit sich, zumal essentia eine forma ist und leicht dazu verleitet, die Schau Gottes ivisio Dei) formalistisch aufzufassen, wie es tatsächlich in der Scholastik seit dem Tod des Thomas von Aquin bis zum heutigen Tag üblich geworden ist. Thomas selbst scheint das weniger problematische Wort substantia zu bevorzugen. Da das Wesen Gottes mit seinem Sein identisch ist, sind „Substanz" und „Wesen" austauschbar. Noch besser erfaßt wird das Gemeinte von dem deutschen Wort „Wirklichkeit". Worauf es ankommt, ist jedenfalls, daß die göttliche Wirklichkeit selbst sich mit dem Menschen im ewigen Leben vereinigt ohne Vermittlung einer anderen, wie auch immer gearteten Wirklichkeit. Die Unmittelbarkeit der endgültigen Gottesbeziehung wurde somit dogmatisch festgelegt. Die Glaubenssprache darf also nicht mehr, wie in den vorausgehenden Jahrhunderten, das Wesen der eschatologischen Gottesbeziehung für Gotteserscheinungen, Theophanien, apparitiones, ostensiones, condescentiones, lucubrationes, fulgor dipinae essentiae u. ä. halten. Aus einer Vermittiung dieser Art, d. h. aus einem medium quo, wurde daraufhin ein medium sub quo gemacht. Diese Umdeutung vollzog Albert der 1
Cf. W J. Hoye, Gotteserkenntnis per essentiam im 13. Jahrhundert, in: A. Zimmermann (ed.), Die Auseinandersetzungen an der Pariser Universität im XIII. Jahrhundert (Miscellanea Mediaevalia 10), Berlin - New York 1976, 2 6 9 - 2 8 4 , hier: 270; C. Trottmann, La vision béatifique des disputes scolastiques à sa définition par Benoît XII (Bibliothèque des Ecoles Françaises d'Athènes et de Rome 289), Rom 1995, bes. 1 1 5 - 2 0 8 , mit ausführlicher Bibliographie.
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Große und bescherte uns den heute noch gültigen Begriff lumen gloriae2, was seinerseits wiederum neue Fragen aufwarf. Einem Thomas von Aquin genügt es natürlich nicht, bei der Glaubenslehre stehenzubleiben. Streng betrachtet, legt das Lehramt zunächst lediglich eine Sprachregelung fest. Zu sagen, daß Gott selbst nicht gesehen werde, bemerkt der Aquinat, sei eine unpassende Art zu reden („inconvenienter dicitur")3. Vielmehr bemüht er sich, nachzuweisen, daß diese Lehre auch von der Vernunft verantwortet wird. Seine eigene Auseinandersetzung bringt zur Geltung, daß eine Gegenposition nicht nur häretisch, sondern schlichtweg falsch ist: „Eine solche Position hebt die wahre Glückseligkeit eines rationalen Geschöpfes auf und widerspricht der autoritativen Aussage der Heiligen Schrift", folgert er. „Von daher muß sie als falsch und häretisch verworfen werden." 4 Es ist „dem Glauben fremd und [liegt] auch außerhalb des Verstandes" 5 . Er zeigt, daß strenges philosophisches Denken in dasselbe Ergebnis mündet wie der Offenbarungsglaube. So fordert die lehramtliche Klärung eines theologischen Streites ein vertieftes Nachdenken heraus. Die theologische Arbeit eines Thomas von Aquin nimmt die Form eines Versuches an, diese Lehre zu verstehen 6 . „Dem Glauben gemäß muß jedes vernunftbegabte Geschöpf, das seine Glückseligkeit erlangt, Gott durch dessen Wesen sehen. Jetzt aber ist es notwendig, die Weise, wie Gott durch sein Wesen gesehen wird, zu bedenken und zu verstehen." 7 Diese Zusammenführung von Glauben und Denken vollzieht Thomas, indem er einen Ansatz zugrunde legt, den er von Aristoteles übernimmt, nämlich die 2
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Cf. Ν. Wicki, Die Lehre von der himmlischen Seligkeit in der mittelalterlichen Scholastik von Petrus Lombardus bis Thomas von Aquin, Fribourg 1954, 156: „Aus dem medium quo, dem objektiven Erkenntnismittel, ist ein subjektives medium sub quo geworden. Albert der Große hat mit dieser Umdeutung einen der wichtigsten theologischen Erkenntnisfortschritte in der mittelalterlichen Scholastik vollzogen." Cf. auch H. F. Dondaine, Le corpus Dionysien de l'Université de Paris au XIII e siècle, Rom 1953, 127; Trottmann, Vision béatifique (nt. 1), 2 9 5 - 3 0 2 , bes. 3 0 1 - 3 0 2 . Cf. Summa theologiae, I, q. 12, a. 1 c: „Quidam posuerunt quod nullus intellectus creatus essentiam Dei videre potest. Sed hoc inconvenìenter dicitur. " Summa contra gentiles, III, c. 54: „Ex his autem et sìmilibus rationibus aliqui moti sunt adponendum quod divina substantia nunquam ab aliquo intellectu creato videtur. Quae quidem positio et veram creaturae rationales beatitudinem tollit, quae non potest esse nisi in visione divinae substantiae, ut ostensum est; et auctoritati sacrae scripturae contradicit, ut ex superioribus patet. Unde tanquam falsa et haeretica abiiríenda est" (Ubers, v. Κ. Allgaier [Darmstadt, 1990]). De veritate, q. 8, a. 1 c: „Circa banc quaestionem quidam erraverunt, dicentes, Deum per essentiam a nullo unquam intellectu creato videri posse, attendentes distantiam quae est inter divinam essentiam et intellectum creatum. Sed haec positio sustineri non potest, cum sit haeretica. " Summa theologiae, I, q. 12, a. 1 c. Cf. typischerweise Quaestiones quodlibetales, VII, q. 1, a. 1 c: „Dtcendum, quod absque dubio tenendum est, quod divina essentia in patria immediate ab intellectu glorificato videatur. Ad cuius evidentiam sdendum est, quod [ . . . ] . " Trottmann, Vision béatifique (nt. 1), 196: „Une décision des autorités ecclésiastiques ayant précisé le donné de foi, les théologiens, doivent en penser l'accord avec la raison." De veritate, q. 8, a. 1 c: „ Unde oportet secundum fidem, ut omnis creatura rationalis quae ad beatitudinem pervenit, per essentiam Deum videat. Sed oportet nunc considerare et intelligere quis sit modus videndi Deum per essentiam. "
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Perspektive des Endziels, d. h. des Zieles aller Ziele, welches Glückseligkeit heißt 8 . Aristoteles selbst führt diesen Ansatz bis hin zur Lehre, daß die Glückseligkeit in einem Bewußtseinsakt besteht, und zwar, so Thomas, in der Erkenntnis des höchsten Gegenstandes. Dieser ist für Thomas Gott selbst. Außerdem findet eine solche Erkenntnis seiner Ansicht nach eindeudg nicht im Leben statt, sondern notwendigerweise nach dem Tod {„post mortem"'*). Bevor er diese These darstellt, widmet Thomas sich der näherliegenden Frage, ob der Mensch sich selbst unmittelbar erkennen kann. Obwohl er sich selbst sicherlich am nächsten, ja mit sich eins ist, vermag der Mensch nach Thomas von vornherein sich selbst durch sich selbst nicht zu erkennen 10 . Infolgedessen kommt Gott allein die Möglichkeit zu, durch sich selbst erkannt zu werden. Es ist Thomas offenbar ein Anliegen, aufzuweisen, daß der Glaube und die Philosophie sich weitgehend einig sind, ja auch die Verstehensschwierigkeiten miteinander teilen 11 . Um vorzuführen, daß das Ziel des menschlichen Lebens in einer Gotteserkenntnis besteht, macht Thomas zwei Durchgänge: Zum einen argumentiert er direkt und zum anderen indirekt. In beiden Fällen gelangt er zu einer Position, die er für sowohl christlich als auch aristotelisch hält. „Daher ist auf dem Wege der Induktion ersichtlich, was oben durch Vernunftgründe erwiesen wurde, daß die letzte Glückseligkeit des Menschen nur in der Betrachtung Gottes besteht." 12 Damit treibt er mit Unterstützung des christlichen Glaubens das Vernunftdenken der Philosophie weiter als Aristoteles. Durch Anwendung eines von Aristoteles selbst vorausgesetzten Prinzips geht er über den Philosophen hinaus, um eine Offenbarungslehre mit der Vernunft zu fundieren. Da ein naturgegebenes Verlangen nicht umsonst sein kann, so erklärt Thomas in Übereinstimmung mit Aristoteles, muß die Wahrnehmung der göttlichen Wirklichkeit möglich sein 13 . Und eben eine solche Wahrnehmung wird uns in der Bibel versprochen 14 . Also lehren sowohl die Vernunft als auch die biblische Offenbarung dasselbe. Berücksichtigt man die Entwicklungsstadien des Men8
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Cf. Trottmann, Vision béatifique (nt. 1), 3 0 9 - 3 1 2 (Kapitel: „Originalité de la problématique de saint Thomas: Le désir naturel de voir Dieu"). Summa contra gentiles, III, c. 49. Ibid., c. 48: „post ham vitam". Summa theologiae, I, q. 12, a. 11 c: „Impossibile est animae hominis secundum hanc vitam viventis, essentiam Dei videre. " Summa contra gentiles, III, c. 46. Dies lehrt Thomas gegen die Aussage des Augustinus: „seipsam per seipsam novit". „Ex his enim verbis", stellt Thomas fest, „videtur quod mens nostra se per seipsam intelligat, et intelligendo se, intelligat substantias separatas: quod est contra praeostensa. Inquirere ergo oportet quomodo anima nostra per seipsam intelligat se. " In IV Sent., d. 49, q. 2, a. 1 c: „Statt secundum fidemponimusfinem ultimum humanae vitae esse visionem Dei; ita philosophi posuerunt ultimam hominis feliätatem esse intelligere substantias separatas a materia secundum esse; et ideo arca hanc quaestionem eadem difficultas et diversitas invenitur apud philosophos et apud theologos." Summa contra gentiles, III, c. 37. Summa contra gentiles, III, c. 51: „Cum autem impossibile sit naturale desiderium esse inane, quodquidem esset si non esset possibile pervenire ad divinam substanHam intelligendam, quod naturaliter omnes mentes desiderant; necesse est dicere quodpossibile sit substantiam Dei videriper intellectum, et a substantiis intellectualibus separatis, et ab animabus nostris. " Summa contra gentiles, III, c. 51: „Haec igitur visto immediata Dei repromittitur nobis in scriptum."
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sehen, ist die Gottesschau ein natürliches Phänomen, d. h. es ist natürlich, daß es nach dem Tod eine Gottesschau gibt 1 5 . Nachdem er in Kapitel 25 des dritten Buches der „Summa contra gentiles" eine lange Reihe von reinen Vernunftargumenten dafür angeführt hat, daß Gotteserkenntnis das letzte Ziel menschlichen Lebens ist, schließt Thomas ab mit der aus der Feder eines Heiligen für manche befremdenden Bemerkung, daß die Evangelien von Matthäus und Johannes dasselbe lehren und daß Aristoteles mit dieser Lehre übereinstimme 16 . In seinem Sentenzenkommentar kommt Thomas nach einer eingehenden kritischen Auseinandersetzung zum selben Schluß, daß nämlich sowohl Christen wie auch Philosophen überzeugt sein müssen, daß eine Wahrnehmung Gottes bzw. einer rein geistigen Wirklichkeit vorkommen muß 1 7 . Nach dieser scheinbar abschließenden Feststellung in der „Summa contra gentiles" werden weitere denkbare Positionen bezüglich des letzten Zieles im einzelnen erörtert. A m Ende einer umfangreichen Durcharbeitung von nicht weniger als zwölf Kapiteln resümiert Thomas das Ergebnis mit folgenden Worten: „Wenn also die letzte Glückseligkeit des Menschen nicht in den äußeren Dingen besteht, die man Glücksgüter nennt; nicht im Körper-Guten; nicht im Guten der Seele, insofern es sich auf den sinnlichen Bereich bezieht, nicht insofern es sich auf den geistigen (intellectivam) Bereich, dieser sich aber auf den Akt der sittlichen Tugenden oder jene geistigen Fähigkeiten (intellectuales) bezieht, die eine praktische Tätigkeit (actionem) betreffen, nämlich Kunst und Klugheit: so bleibt übrig, daß die letzte Glückseligkeit des Menschen in der Betrachtung der Wahrheit (in contemplatione veritatis) liegt."18 Aber auch dieses Ergebnis stellt Thomas nicht zufrieden, ist der Begriff der Wahrheitsbetrachtung doch mehrdeutig. Damit ist das akribische Nachfragen 15
De veritate, q. 13, a. 1, ad 1: „Cognoscere Deum contingit multiplidter: scilicet per essentiam suam, et per res sensibiles, aut etiam per ejfectus intelligibiles. Similiter etiam distinguendum est de eo quod est homini naturale. Uni enim et eidem rei est aliquid secundum naturam et contra naturam, secundum etus status diversos; eo quod non est eadem natura rei dum est in fieri, et dum est in perfecto esse, ut didt Rabbi Moyses; sicut quantitas completa est naturalis homini cum ad aetatem pervenerit perfedam, et alia huiusmodi, esset autem contra naturam puero, si in petfeda quantitate nasceretur. Sic igitur dicendum est, quod intelligentiae humanae secundum quemlibet statum est naturale aliquo modo cognoscere Deum; sed in sui prinripio, sdlicet in statu viae, est naturale ei quod cognoscat Deum per creaturas sensibiles. Est autem ei naturale quod perveniat ad cognoscendum Deum per seipsum in sui consummatione, id est in statu patriae. Et sic si in statu viae elevetur ad hoc quod cognoscat Deum secundum statum patriae, hoc erit contra naturam, sicut esset contra naturam quod puer mox natus haberet barbam. " Ubernatürlich ist es dennoch, weil die Kräfte des Menschen es nicht herbeiführen können. De veritate, q. 14, a. 2 c: „Aliud est bonum hominis naturae humanae proportionem excedens, quia ad ipsum obtinendum vires naturales non suffidunt, nec etiam ad cognoscendum vel desiderandum; sed ex sola divina liberalitate homini repromittitur. [...] Et hoc est vita aeterna."
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Summa contra gentiles, III, c. 5: „ H t m est quod didtur Matth. 5: ,Beati mundo corde, quoniam ipsi Deum videbunt'. Et loan. 17: ,Haec est vita aeterna, ut cognoscant te, Deum verum'. Huic etiam sententiae Aristoteles in ultimo Ethicorum, concordat, ubi ultimam hominis felicitatem didt esse speculatìvam, quantum ad speculationem optimi speculabilis. " In IV Sent., d. 49, q. 2, a. 1 c: „ Unde oportet ponere secundum nos, quod intellectus noster quandoque perveniat ad videndam essentiam divinam, et secundum philosophos quod perveniat ad videndam essentiam substantiarum separatarum." Summa contra gentiles, III, c. 37.
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also keineswegs abgeschlossen. Wie muß eine solche Erkenntnis näher bestimmt werden? „Es bleibt noch zu untersuchen", konstatiert er, „wie dies geschehen kann." 19 2. Die e i n z i g m ö g l i c h e A r t der G o t t e s e r k e n n t n i s : W a h r n e h m u n g der W a h r h e i t s e l b s t Um allmählich die einzig mögliche Art der Wahrheitserkenntnis in den Blick zu bekommen, geht Thomas besonders in der „Summa contra gentiles" einen auffallend langen wie peniblen Weg. Dabei ist er keineswegs nur bestrebt, philosophische Positionen hinter sich zu bringen; auch wissenschaftlich bewiesene Erkenntnis wird als mögliche Art ausgeräumt. Nachdem jede andere Art der Erkenntnis ausgeschlossen worden ist, bleibt nur noch jene Wahrheitswahrnehmung übrig, die das Göttliche betrachtet. Daraus zieht der Heilige das Fazit: „Es ist aber nicht möglich, daß die letzte Glückseligkeit des Menschen in derjenigen Betrachtung bestehe, die der Erkenntnis der Prinzipien entspricht: diese ist als die am meisten allgemeine höchst unvollkommen, da sie die Erkenntnis der Dinge [nur] potentiell umfaßt; und sie ist das Prinzip, nicht das Ziel menschlicher Bemühung, erwächst uns von Natur, nicht zufolge der Bemühung um die Wahrheit. [Es ist] auch nicht [die Betrachtung] gemäß den Wissenschaften, die von den untersten Dingen handeln: denn die Glückseligkeit muß in der Verstandestätigkeit bestehen, die sich auf das edelste Erkennbare bezieht. Übrig bleibt also, daß die letzte Glückseligkeit des Menschen in der Betrachtung der Wahrheit im Sinne der Betrachtung des Göttlichen besteht." 20
Damit ist Thomas aber noch immer nicht am Ende seiner Erforschung. Nachdem die Frage nach dem erfüllenden Glück ihn bis zum Lebensvollzug der Erkenntnis und insbesondere einer Gotteserkenntnis geführt hat, fragt er nunmehr genauer nach der Art der Gotteserkenntnis. Seine Untersuchungen ergeben, daß diese unter anderem nicht in derjenigen Gotteserkenntnis bestehen kann, die in den theoretischen Wissenschaften vorkommt, und ebensowenig in einer durch den christlichen Glauben erlangten Gotteserkenntnis. Kurzum: Solange er noch am Leben bleibt, ist gar keine Gotteserkenntnis imstande, den Menschen zu erfüllen. Am Ende seiner Untersuchungen listet Thomas die Alternativen auf: „Wenn also die letzte menschliche Glückseligkeit [...] nicht in einer Gotteserkenntnis besteht, durch welche Gott gemeinsam von allen oder mehreren gemäß einer unsicheren Meinung erkannt wird, noch weiterhin in einer Gotteserkenntnis, durch welche er auf dem Wege eines Beweisverfahrens in den betrachtenden Wissenschaften erkannt wird, auch nicht in einer Gottes19 20
In IV Sent., d. 49, q. 2, a. 1 c: „Quomodo autempossit hoc acädere, restât investigandum." Summa contra gentiles, III, c. 37. Der Abschnitt endet mit dem schwer zu übersetzenden Satz: „Relinquitur igitur quod in contemplatione sapientiae ultima hominis feliätas consistât, secundum divinorum considerationem. "
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erkenntnis, in welcher er durch den Glauben erkannt wird, — es ist aber nicht möglich, in diesem Leben zu einer höheren Erkenntnis Gottes zu gelangen", argumentiert Thomas fortan, „doch muß in irgendeiner Gotteserkenntnis die letzte Glückseligkeit bestehen [...] — : dann ist es unmöglich, daß in diesem Leben die äußerste Glückseligkeit des Menschen sei." 21 Das naturgegebene Verlangen nach einem Endziel fordert mehr, als in diesem Leben möglich ist. Selbst Gott vermag die erforderliche Gotteserkenntnis nicht vor dem Tode herbeizuführen. Die einzige Gotteserkenntnis, die dem Menschen ausreichend entsprechen kann, ist diejenige, die dadurch zustande kommt, daß die Wirklichkeit Gottes sich unmittelbar mit dem menschlichen Bewußtsein vereinigt, so daß Gott und Mensch „irgendwie im Bewußtseinsakt eins werden" 22 . Das ist es, was die Glaubenslehre als Gotteserkenntnis durch das Wesen ( p e r essentiam) Gottes bezeichnet. An diesem Punkt setzt die intellektuelle Originalität des Thomas von Aquin an 23 . Thomas hat seine reife Lehre über die eschatologische visto durch die göttliche Substanz in der „Summa contra gentiles" folgendermaßen skizziert: „Weil nämlich die Vervollkommnung des Verstandes das Wahre {veruni) ist, besteht innerhalb der Gattung des geistig Erkennbaren wohl dasjenige Erkennbare als Form allein (ut forma tantum), das die Wahrheit selbst (veritas ipsa) ist. Dies kommt allein Gott zu, denn weil das Wahre auf das Sein folgt, ist dasjenige allein seine Wahrheit (sua veritas), das sein Sein (suum esse) ist." 24 Nach Thomas gründet Erkennbarkeit nicht auf der Wahrheit der Dinge, sondern auf deren Sein: „Das Sein einer Realität, nicht deren Wahrheit, verursacht die Wahrheit des Verstandes." 25 Eine reine forma entbehrt des Seins und ist deshalb unerkennbar, wenngleich gerade die forma der Inhalt von Erkenntnis sein möge. Alles andere außer Gott existiert in Form einer Wirklichkeit, d. h. als etwas, dem Wirklichkeit zukommt. Das bedeutet, daß bei ihnen ihre forma immer von etwas getragen wird und in der Regel nicht allein vorkommt; sollte sie, statt durch Abstraktion, in Wirklichkeit getrennt existieren, wäre sie zwar eine forma allein (z. B. das Weiße 21 22 23
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Summa contra gentiles, III, c. 48. De ventate, q. 8, a. 1 : „ Oportet aliquo modo in intelligendo unum fieri. " In der Thomasforschung hört man für gewöhnlich an dieser Stelle auf. Das ist bedauerlicherweise auch der Fall in der ungemein umfangreichen Studie von Trottmann (cf. supra nt. 1). Summa contra gentiles, III, c. 51: „Cum enim intellectus peifectio sit verum, illud intelligibile erit ut forma tantum in genere intelligibilium quod est veritas ipsa. Quod convenit soli Deo: nam, cum verum sequatur ad esse, illud tantum sua veritas est quod est suum esse, quod est proprium soli Deo. " Compendium theologiae, I, c. 105: „Ad hoc igitur quod ipse Deus per essentiam cognoscatur, oportet quod ipse Deus fiat forma intellectus ipsum cognoscentis, et coniungatur ei non ad unam naturam consütuendam, sed sicut species intelligibilis intelligenti. Ipse enim sicut est suum esse, ita est sua Veritas, quae est forma intellectus. " Summa theologiae, I, q. 16, a. 1, ad 3: „Esse rei, non Veritas eius, causat veritatem intellectus. " In I Sent., d. 19, q. 5, a. 1, sol: „ Cum autem in re sit quidditas ejus et suum esse, Veritas fundatur in esse rei magis quam in quidditate, sicut et nomen entis ab esse imponitur; et in ipsa operatione intellectus acapientis esse rei sicut est per quamdam similationem ad ipsum, completur relatio adaequaHonis, in qua consistit ratio veritatis. "
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an sich, die Gerechtigkeit an sich usw.), nicht aber eine Wirklichkeit und deshalb außerstande, auf das Bewußtsein einzuwirken. „Anderes selbständig bestehendes geistig Erkennbares also ist nicht als reine Form in der Gattung des geistig Erkennbaren, sondern als etwas, das die Form an einem Träger hat: denn ein jedes davon ist ein Wahres, nicht die Wahrheit, so wie es auch eine Wirklichkeit (ens) ist, nicht aber die Wirklichkeit selbst ( i p s u m esse). Es ist also offenbar, daß das göttliche Wesen zum geschaffenen Verstand in Beziehung gesetzt werden kann als geistiges Erkenntnisbild (j-pedes intelligibilis), durch das er erkennt; dies trifft nicht für das Wesen irgendeiner anderen [von der Materialität] getrennten Substanz zu." 26 U m einen Zugang zu erhalten zu dem, was T h o m a s als Wahrnehmung Gottes versteht, m u ß man diese Einzigartigkeit G o t t e s im Blick haben. Eine solche Vereinigung (als Bewußtseinsakt) ist aber v o n einer ontologischen Vereinigung (als Daseinsakt) zu unterscheiden, denn widrigenfalls liefe es darauf hinaus, daß das menschliche Bewußtsein und G o t t eine neue Wirklichkeit bilden würden. „Trotzdem kann das göttliche Wesen nicht Form eines anderen Dinges sein im Sinne eines natürlichen Seins: denn es würde folgen, daß es in der Verbindung mit einem anderen zugleich eine einzige Natur begründete; dies kann nicht sein, weil in seiner Natur das göttliche Wesen in sich vollkommen ist. Das geistige Erkenntnisbild (speáes intelligibilis) aber, das mit dem Verstand vereinigt ist, begründet keine Natur, sondern bringt ihn zur Verwirklichung der Erkenntnis: dies widerstreitet der Vollkommenheit des göttlichen Wesens nicht." 27 Ich wiederhole den entscheidenden Aspekt: „Dies ist das Einmalige des göttlichen Wesens: daß es sich mit einem menschlichen Bewußtsein direkt vereinigen kann, da das Wesen Gottes sein Sein ist — was auf keine andere F o r m zutrifft." 2 8 A l s reine Verwirklichung [actus purus) v e r m a g G o t t sich mit einem Bewußtsein zu vereinigen derart, daß er das Bewußtsein bestimmt 2 9 . In allen 26
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Summa contra gentiles, III, c. 51: „Alia igitur intelligibilia subsistentia sunt non ut pura forma in genere intelligibilium, sed ut formant in subiecto aliquo habentes: est enim unumquodque eorum verum, non peritas; sicut et est ens, non autem ipsum esse. " Summa contra gentiles, III, c. 51: „Manifestum est igitur quod essentia divina potest comparan ad intellectum creatum ut speáes intelligibilis qua intelligit quod non contingit de essentia alicuius alterius substantiae separatae. Nec tamen potest esse forma alterius rei secundum esse naturale: sequeretur enim quod, simul cum alio iuncta, constitueret unam naturam; quod esse non potest, cum essentia divina in se perfecta sit in sui natura. Speáes autem intelligibilis, unita intellectui, non constituit aliquam naturam, sed perfidi ipsum ad intelligendum: quod perfectioni divinae essentiae non répugnât. " Compendium theologiae, I, c. 9: „Est autem hoc singulare divinae essentiae, ut eipossit intellectus uniri absque omni similitudine, quia et ipsa divina essentia est ejus esse, quod nulli aliiformae competit. " De ventate, q. 8, a. 1 c: „Res enim per se subsistens non potest esse alicuius materiae forma, si in ea aliquid de materia inveniatur, sicut lapis non potest esse alicuius materiae forma; sed res per se subsistens quae materia caret, potest esse forma materiae, sicut de anima patet. Et similiter quodammodo essentia divina, quae est actus purus, quamvis habeat esse omnino distìnctum ab intellectu, efficitur tamen ei utforma in intelligendo. Et ideo diàt magister in II, dist. 2, Sententiarum, quod unio corporis ad animam rationalem est quoddam exemplum beatae unionis rationalis spiritus ad Deum. "
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anderen Fällen, d. h. bei allen Wirklichkeiten, die aus Verwirklichung und Möglichkeit bestehen, muß eine Vermittlung stattfinden, die den Erkenntnisakt bestimmt und verwirklicht 30 . Bei jedem anderen Gegenstand außer Gott, einschließlich der getrennten Substanzen, würde Erkenntnis per essentiam bedeuten, daß das Erkannte selbst in das Sein des Erkennenden schlechthin aufgehen, d. h. zu einem Akzidens des Subjekts werden würde. Die Besonderheit Gottes rührt aber nicht daher, daß Gott, wie beispielsweise Karl Rahner meint, irgendeinem „Vorgriff" des Bewußtseins entspräche oder analog dem Erkennen des allgemeinen Begriffs im konkreten Falle mit bewußt würde, sondern vielmehr daher, daß er der Grund der Erkennbarkeit des einzelnen ist. Gerade als der universale Seinsgrund aller Dinge vereinigt sich Gott mit dem menschlichen Geist; diese Einsicht formuliert Thomas in einem bislang unbeachteten Text: „Das göttliche Wesen ist nicht etwas Allgemeines im Sein, denn es ist von allen anderen Dingen distinkt, sondern nur im Verursachen. [...] Das durch sich subsistierende Sein ist die Ursache allen Seins, das in einem anderen aufgenommenen ist. Und aus diesem Grund ist das göttliche Wesen etwas Erkennbares, das den Geist bestimmen kann." 31 Mit anderen Worten: Die Bedingung der Möglichkeit der Gottesschau liegt eigentlich nicht in der göttlichen Wahrheit, sondern in der göttlichen Wirklichkeit. Anders ausgedrückt: Gott ist kein Bewußtseinsinhalt der visio. Die Transzendenz Gottes wird im übrigen dadurch keineswegs vermindert. Eine Beziehung zu Gott kann bestehen, ohne daß die absolute Unvergleichbarkeit Gottes angetastet wird. Trotz der unendlichen Differenz kann es in einem gewissen Sinne doch eine Entsprechung zum Transzendenten geben 32 , ohne dabei Gottes Unbegreiflichkeit zu relativieren. Karl Rahner hat diesen Zustand („die höchste Aktualität der Erkenntnis" 33 ) zutreffend artikuliert: „Die Gnade und die visio beatifica können also nur aufgefaßt werden als die Ermöglichung und der Vollzug der radikal nahen Gegebenheit des heiligen Geheimnisses streng als 30
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Summa theologiae, I, q. 12, a. 2, ad 3: „Divina essentia estipsum esse. Unde, sicut aliae formae intelligibiles quae non sunt suum esse, uniuntur intelkctui secundum aliquod esse quo informant ipsum intellectum et faäunt ipsum in actu; ita dipina essentia unitur intelkctui creato ut intellectum in actu, per seipsam fattens intellectum in actu. " Quaestiones quodlibetales, VII, q. 1, a. 1, ad 1: „Essentia divina non est quid generale in essendo, cum sit ab omnibus aliis distincta, sed solum in causando; quia id quod est per se, est causa eorum quae per se non sunt. Unde esse per se subsistens est causa omnis esse in alio recepti. Et ita [!] essentia divina est intelligibile quod potest determinare intellectum. " De veritate, q. 8, a. 1, ad 6: „Proportio, proprie loquendo, nihil est aliud quam habitudo quantitatis ad quantitatem, sicut quod est aequalis una alteri, vel tripla; et exinde translatum est nomen proportionis, ut habitudo cuiuslibet rei ad rem alteram proportio nominetur; sicut didtur materia esse proportionata formae inquantum se habet ad formam ut materia eius, non considerata aliqua habitudine quantitatis. Et similiter intellectus creatus estproportionatus ad videndam divinam essentiam, inquantum se habet ad ipsam quodammodo ut ad formam intelligibilem; quamvis secundum quantitatem virtutis nulla possit esse proportio, propter distantiam infinitam. " K. Rahner, Über den Begriff des Geheimnisses in der katholischen Theologie, in: id., Schriften zur Theologie, Bd. 4, Einsiedeln 1962, 77.
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eines solchen." 34 Im endgültigen Zustand der visto teilt Gott sich selbst unmittelbar mit, d. h. als „die endgültige Gültigkeit und absolute Nähe des bleibenden Geheimnisses" 35 . 3. Die V e r w i r k l i c h u n g der W a h r n e h m u n g der g ö t t l i c h e n S u b s t a n z : Das lumen gloriae Um die thomistische Einsicht nachzuvollziehen, ist ein Verständnis dafür unverzichtbar, wie das „Herrlichkeitslicht" (lumen gloriae) aufgefaßt wird. Dabei muß insbesondere die Lehre in der siebten „Quaestio quodlibetalis" Berücksichtigung finden, was meines Wissens bislang in der Thomasforschung unterblieben ist. Uber den zu Lebzeiten des Thomas neugeprägten Begriff lumen gloriae muß man sich eigentlich wundern. Wie bereits gesagt, definiert Thomas das lumen gloriae als ein medium sub quo. Es ist aber nicht ein Akt, d. h. eine Verwirklichung, sondern eine Disposition, mit einem Habitus vergleichbar 36 . Ein Habitus ist weder ein Vermögen noch ein Akt. So betrachtet, beleuchtet es also nicht wie ein Licht bzw. wie das Bewußtseinslicht; als Licht ist es nur in dem Sinne zu bezeichnen, in dem sich die Schöpfung als eine Beleuchtung bezeichnen läßt. Was leistet dann das Herrlichkeitslicht? Gott ist ja zum einen bereits an sich absolut erkennbar. Zum anderen hat der Mensch schon von sich aus eine gewisse Beziehung zu Gott, sonst gäbe es nicht Religion und das Streben nach Gott. Allein: Er ist nicht imstande, die Wahrheit selbst zu erkennen 37 . Die Verwirklichung des Zustands ist nach Thomas übernatürlich: „Was auch immer die Grenzen der Natur eines Dinges überschreitet, kann ihm nur durch die Tätigkeit eines anderen zukommen. [...] Also ist es unmöglich, daß ein geschaffener Verstand zur Schau der göttlichen Substanz gelange, es sei denn durch die Tätigkeit Gottes, der jedes Geschöpf überragt." 38 Soll Gott sich mit 34 35 36
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Ibid., 7 6 - 7 7 . Ibid., 58. Summa theologiae, I, q. 12, a. 5, ad 1: „Lumen creatum est necessarìum ad videndum Dei essentiam, non quod per hoc lumen Dei essentia intelligibilis fiat, quae secundum se intelligibilis est, sed ad hoc quod intellectus fiat potens ad intelligendum, per modum quo potentia fit potentior ad operandum per habitum, sicut etiam et lumen corporale necessarìum est in visu exteriori, inquantum farít medium transparens in actu, ut possit moveri a colore." Compendium theologiae, I, c. 105: „Necesse est autem quod omne quod consequitur aliquam formam, consequatur dispositionem aliquam ad formam illam. Intellectus autem noster non est ex ipsa sua natura in ultima dispositione existens respectu formae illius quae est Veritas, quia sic a prinrìpio ipsam assequeretur. Oportet igitur quod cum earn consequitur, aliqua dispositione de novo addita elevetur, quam diämus gloriae lumen: quo quidem intellectus noster a Deo peifiätur, qui solus secundum suam naturam hancpropriam formam habet, sicut nec dispositio caloris ad formam ignis potest esse nisi ab igne: et de hoc lumine in Psal. xxxv, 10, dirítur: in lumine tuo videbimus lumen." Summa contra gentiles, III, c. 52: „jQuidquid excedit limites alicuius naturae, non potest sibi advenire nisi per actionem alterius: sicut aqua non tendit sursum nisi ab aliquo alio mota. Videre autem Dei substantiam transcendit limites omnis naturae creatae [...]. Impossibile est ergo perveniri ab aliquo intellectu creato ad visionem divinae substantiae nisi per actionem Dei, qui omnem creaturam transcendit." In IV Sent., d. 49,
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einem menschlichen Bewußtsein vereinigen, muß eine Wirkung von ihm ausgehen39. Da nun erkannt zu werden bedeutet, gewissermaßen forma des erkennenden Bewußtseins zu sein40, muß eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm vorliegen41 , soll Gott eine forma eines erschaffenen Bewußtseins sein. Bei Gott selbst ist dies zwar nicht nötig, weil sein Bewußtsein und sein Wesen identisch sind, doch beim Menschen muß demzufolge „etwas in ihm in der Weise einer Disposition vorhanden sein"42. Die eigentliche Frage ist nicht, ob das menschliche Bewußtsein von Gott beeinflußt werden muß, sondern in welcher Weise dies geschieht. Wie wirkt das lumen gloriae als medium sub quoi Die thomistische Antwort zu dieser Frage mag überraschen. Weiter als in seinen Hauptwerken treibt er seine Fragestellungen in der siebten „Quaestio quodlibetalis", wobei er zu der Schlußfolgerung kommt, daß das lumen gloriae nicht mehr leisten muß, als zu ermöglichen, daß das natürliche Bewußtseinslicht, der sogenannte intellectus agens, auch im Jenseits wirkt. Mehr als dies ist ihm zufolge nicht nötig, um die Wesensschau Gottes zu verwirklichen. Eine Ähnlichkeit im Sinne eines medium quo schließt er aus, da Gott selbst auf eine solche Weise nie vermittelt werden könnte. Die Stellungnahme lautet: „Da alles, was in einem anderen empfangen wird, in der Weise des Empfangenden empfangen wird, ist es unmöglich, daß eine Ähnlichkeit des
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q. 2, a. 6 c: „Haec autem dispositio non potest esse naturalis alicui creato intellectui; ultima enim dispositio ad format» secundum eamdem rationem redpitur in perfectibili et forma ipsa; ita quod si unum est naturale, et aliud; quia perfectibile per ultimam dispositionem ad formam contingit ipsam formam. Forma autem quae est divina essentia, omnem facultatem et capadtatem naturalem excedit. Potentia enim et proprius ejus actus semper accipiuntur in eodem genere; unde potentia et actus dividunt quodlibet genus entis, ut patet in 3 Physic.; et ideo facultas sive potentia creaturae non se extendit nisi ad sui generis formam: et sic essentia divina, quae est extra omne genus, excedit naturalem facultatem cujuslibet intellectus creati; et ideo dispositio ultima quae est ad unionem intellectus cum tali essentia, excedit omnem facultatem naturae; unde non potest esse naturalis, sed supra naturam; et is ta dispositio est lumen gloriae." Summa contra gentiles, III, c. 52: „Forma alicuius propria non fit alterius nisi eo agente: agens enim fadt sibi simile inquantum formam suam alteri communicat. leidere autem substantiam Dei impossibile est nisi ipsa divina essentia sit forma intellectus qua intelligit, ut probatum est. Impossibile est igitur quod aliqua substantia creata ad illam visionem perveniat nisi per actionem divinam." In IV Sent., d. 49, q. 2, a. 6 c: „Ad hoc quod intellectus Deum per essentiam videat, oportet quod essentia divina uniatur intellectui nostro quodammodo ut forma intelligibilis. " Summa contra gentiles, III, c. 53: „Impossibile est igitur quod ipsa essentia fiat intelligibilis forma alicuius intellectus creati, nisi per hoc quod aliquam divinam similitudinem intellectus creatus partidpat. Haec igitur divinae similitudinis participatio necessaria est ad hoc quod Dei substantia videatur. " In IV Sent., d. 49, q. 2, a. 6 c: „Forma autem non conjungitur petfectibili nisi quando perfectibile habet dispositiones quibus efficitur susceptivum talis formae; sicut corpus non unitur animae nisi quando in corpore sunt dispositiones convenientes ad animam suscipiendam. Unde oportet ad hoc quod intellectus uniatur essentiae divinae modo praedicto, quod sit in eo aliquidper modum dispositionis, praeparans ipsum ad unionem praedictam; et hoc est lumen quo intellectus perficitur ad videndum Deum per essentiam divinam. " Ibid., a. 7 c: „Ad hoc quod creatura rationalis sit beata per visionem Dei in essentia sua, oportet quod in hanc visionem sit potens per aliquam dispositionem sibi inhaerentem, quam dicimus esse lumen gloriae. " De veritate, q. 10, a. 11 c: „ Oportet, si Deus per essentiam videri debeat, quod per nullam spedem creatam videatur: sed ipsa eius essentia fiat intelligibilis forma intellectus eum videntis, quod fieri non potest nisi ad hoc intellectus creatus per lumen gloriae disponatur. Et sic in videndo Deum per essentiam, per dispositionem infusi luminis pertingit mens ad terminum viae, qui est gloria. "
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göttlichen Wesens in einem e r s c h a f f e n e n Bewußtsein e m p f a n g e n wird, die es v o l l k o m m e n in jeder i h m z u k o m m e n d e n Hinsicht repräsentiert. W ü r d e also das göttliche Wesen durch eine solche Ähnlichkeit v o n uns gesehen, w ü r d e n wir nicht das göttliche W e s e n unmittelbar, sondern einen Schatten v o n ihm sehen." 4 3 Nicht direkt, s o n d e r n durch ein V e r f a h r e n der Elimination gelangt T h o m a s zu der A n n a h m e eines medium sub quo als einzige n o c h verbleibende Möglichkeit: „ D a s e r s c h a f f e n e Bewußtsein wird durch das Herrlichkeitslicht aktualisiert, u m das göttliche W e s e n zu sehen; und dies g e n ü g t . " 4 4 Was ist also erforderlich? T h o m a s antwortet: daß das Licht des intellectus agens „auch jetzt" wirksam ist: „Es w i r d nur n o t w e n d i g sein, u m den Intellekt i n s o f e r n zu v e r v o l l k o m m n e n , daß das Licht des wirkenden Intellekts ( i n t e l l e c t u s agentis) auch jetzt in K r a f t ist ( v a l e t ) . " 4 5 D i e Beleuchtung geht v o n diesem aus. D i e v o n T h o m a s häufig a n g e f ü h r t e Formulierung aus d e m Buch der Psalmen (36 [35], 10) bringt die Situation exakt z u m A u s d r u c k : „In deinem Licht schauen sie das Licht." Diese M e t a p h e r hilft, zu begreifen, daß in diesem Fall das medium quo, d. h. die species intelligibilis, welche sonst in einem Erkenntnisakt z u s a m m e n mit d e m Licht einen unentbehrlichen Bestandteil darstellt, sinnlos ist. W e n n es sich u m die Wirklichkeit G o t t e s handelt, ist jedes weitere M e d i u m eigentlich nicht einmal denkbar; das Licht, das die Erkenntnis ermöglicht, ist selbst der Inhalt der Erkenntnis. Alles andere Sichtbare hingegen braucht Licht und eine
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Quaestiones quodlibetales, VII, q. 1, a. 1 c: „Non est ibi medium secundum [= medium quo], sdlicet aliqua spedes essentiae divinae intelkctum informans: quia quando aliquid videtur immediate per speciem suam, oportet quod species illa repraesentet rem illam secundum completum esse suae spedei; alias non diceretur res illa immediate videri, sed quaedam umbra eius; sicut si similitudo lucis in oculo fieret per modum colons, qui est lux obumbrata. Cum autem omne quod recipitur in aliquo, recipiatur in eo per modum recipientis, impossibile est in intellectu creato similitudinem divinae essentiae redpi, quae earn perfecte secundum totam suam rationem repraesentet. Unde siperaliquam similitudinem talem essentia divina a nobis videretur, immediate non videremus essentiam divinam, sed quamdam umbram eius." Cf. Summa theologiae, I, q. 12, a. 5, ad 2: „Ad videndam Dei essentiam requiritur aliqua similitudo ex parte visivae potentiae, sdlicet lumen gloriae, confortans intelkctum ad videndum Deum. " Quaestiones quodlibetales, VII, q. 1, a. 1, ad 2: „Intellectus creatus fit in actu ad videndum divinam essentiam per lumen gloriae; et hoc sufßdt. " Quaestiones quodlibetales, VII, q. 1, a. 1 c: „Restât ergo quod solum primum medium erit in ilia visione, sdlicet lumen gloriae, quo intellectus perfidetur ad videndam essentiam divinam; de quo in Psalm, xxxv, 10: in lumine tuo videbimus lumen. Hoc autem lumen non est necessarium ad hoc quodfadat intelligibile in potentia esse intelligibile in actu, ad quod est nobis necessarium lumen intellectus agentis: quia ipsa divina essentia, cum sit a materia separata, est per se actu intelligibilis; sed erit necessarium tantum ad petfidendum intelledum, ad quod etiam nunc lumen intellectus agentis valet. Praedictum autem lumen gloriae suffidenter perfidet intelkctum ad videndum divinam essentiam, eo quod ipsa essentia divina Maliter lux intelligibilis est. Unde lumen gloriae ab ea in intelkctum descendens fadt hoc respectu divinae essentiae in intellectu quod fadt respectu aliorum intelligibilium, quae non sunt lux tantum, sed species rei intellectae simul, et lumen; sicut si lux sensibilis per se existeret, ad eius visionem sufficeret lumen oculum perfidens sine aliqua similitudine.''1 Summa contra gentiles, III, c. 53: „Aristoteles·, in III De anima, intelledum agentem lud assimilai, ex eo quod intellectus agens fadt intelligibilia in actu, sicut lux fadt quodammodo visibilia actu. Ilia igitur dispositio qua intellectus creatus ad intellectualem divinae substantiae visionem extollitur, congnie lux gloriae didtur: non propter hoc quod fadat intelligibile in actu, sicut lux intellectus agentis; sed per hoc quod fadt intelkctum potentem actu intelligere. "
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speäes, also ein medium sub quo und ein medium quo, um gesehen zu werden. „Das göttliche Wesen aber ist nichts als Licht, und deshalb ist keine andere species als das Licht selbst notwendig, um es zu sehen." 46 Allein das lumen gloriae repräsentiert also die notwendige Ähnlichkeit (similitudo) bzw. forma intelligibilis41. Von daher versteht es sich von selbst, daß die eschatologische Vollendung durch ein Staunen gekennzeichnet ist.
4. D a s S t a u n e n Die Wahrnehmung der göttlichen Wirklichkeit darf nicht so gedeutet werden, als impliziere sie einen statischen Zustand, denn die Wahrnehmung der göttlichen Ursache aller Dinge hebt das spezifisch menschliche Staunen nicht auf. Den gegenteiligen Eindruck könnte man von der Tatsache bekommen, daß das im jetzigen Leben unerfüllbare Verlangen nach Gott vom Staunen entzündet und getragen wird. Nach Thomas von Aquin gründet nämlich die eschatologische Gottesschau auf dieses Verlangen und dessen notwendige Erfüllbarkeit. Wenn das Verlangen erfüllt wird, so kann man fragen, wie kann es dann überhaupt ein Staunen geben? Thomas erarbeitet folgende Analyse: „Die letzte Vervollkommnung eines denkenden Geschöpfes besteht in Gott, da er der Urgrund des Seins (principium essendi) ist. [...] Denn im Menschen gibt es ein naturhaftes Verlangen, den Grund zu erkennen, weil er dessen Wirkung erkennt. Daraus entsteht in ihm ein Staunen. Wenn von daher die Vernunft des rationalen Geschöpfes den ersten Grund der Realitäten {primar» causam rerum) nicht erreichen könnte, würde das Verlangen seiner Natur sinnlos bleiben. Deshalb muß zugestanden werden, daß die Glücklichen das Wesen Gottes schauen werden." 48
Das Verlangen muß also notwendigerweise nach diesem Leben erfüllt werden: „Das natürliche Verlangen des Menschen ist erfüllbar, aber nicht in diesem Leben. Also muß es nach diesem Leben erfüllt werden." 49 Wenn das Verlangen Erfüllung erfährt, warum staunt man dann noch? Das religiös relevante Staunen in diesem Leben erklärt der Aquinat in Anlehnung an Aristoteles als eine Reaktion auf eine spezifisch menschliche Weise der Begegnung mit der Wirklichkeit. Diese repräsentiert für Thomas den Anfang der gläubigen Gottesbeziehung. Die Gottesbeziehung setzt nach ihm dort an, wo der Mensch die Wirklichkeit derart betrachtet, daß er einen Allgemeinbegriff 46
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Quaestiones quodlibetales, VII, q. 1, a. 1, ad 4: „ Vtsibilia non sunt lux tantum; et ideo oportet, ad hoc quod visus determinetur ad ea, quod non solum sit ibi lumen, sed etiam speríes rei visae. Essenúa autem divina est pure lux; et ideo non requirit aliquam aliarn speciem quam ipsum lumen, ut videatur. " Cf. Summa contra gentiles, III, c. 53. Summa theologiae, I, q. 12, a. 1 c. Summa contra gentiles, III, c. 48: „Impossibile est naturale desidenum esse inane: natura enim nihilfaät frustra. Esset autem inane desiderium naturae si nunquam posset implerì. Est igitur implebile desidenum naturale hominis. Non autem in hac vita, ut ostensum est. Oportet igitur quod impleatur post hanc vitam. Est igitur feliätas ultima hominis post hanc vitam. "
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einer Wirklichkeit als solchen zusammen mit einem Allgemeinbegriff des Guten erlangt. „Sofern die rationale Natur den allgemeinen Begriff des Guten sowie den der Wirklichkeit kennt (cognosät universalem boni et entis rationem), hat sie eine direkte Beziehung zu dem umfassenden Ursprung der Wirklichkeit (universale essendi principium)."50 Eben diese Wahrnehmung löst das Staunen aus. Dies ist nichts anderes als ein Verlangen nach Erkenntnis, und zwar nach Erkenntnis dessen, was sich durch die Wahrnehmung indirekt als Grund des Erkannten zeigt. „Von jeder erkannten Wirkung", argumentiert Thomas, „verlangt der Mensch von Natur aus, die Ursache zu wissen." 51 Daraus entsteht ein Staunen: „Denn im Menschen gibt es ein naturhaftes Verlangen, die Ursache zu wissen, wenn er eine Wirkung erblickt. Daraus entsteht ein Staunen in den Menschen." 52 Mit anderen Worten: Staunen kommt da vor, wo eine Wirkung als solche sichtbar, deren Ursache aber noch verborgen ist 53 . Auf Gott bezieht sich das Staunen, wenn es sich um die erste Ursache schlechthin handelt 54 . Dies ist gegeben, wenn es sich um Wirklichkeiten, d. h. um das Allgemeinste, handelt. Gott allein nämlich ist der Grund von Wirklichkeit. „Der menschliche Verstand erkennt das allgemeine Seiende (ens universale). Er verlangt also von Natur aus, dessen Ursache zu erkennen, welche allein Gott ist." 55 Solche Ursächlichkeit darf allerdings wohlgemerkt nicht im Sinne einer Wirkursache gedacht werden, denn diese Kategorie muß im gegenwärtigen Zusammenhang gegenstandslos bleiben, zumal eine Wirkursache selbst nur als eine Wirklichkeit denkbar ist. Vielmehr kommt die Gottesbezogenheit auf folgende Weise zustande: Alle menschliche Erkenntnis richtet sich ausnahmslos auf eine oder mehrere Wirklichkeiten, und diese Wirklichkeiten treten immer in Gestalt von verwirklichten Möglichkeiten auf. Die zweifache Dimension des Konkreten, d. h. Washeit {forma) und Dasein (esse), kennzeichnet all unsere Erfahrungen und Erkenntnisse. Mit anderen Worten: Wirklichkeiten werden von uns immer als Möglichkeiten, d. h. als formae, erfaßt, welche Wirklichkeit (esse) haben. (Diese zweifache Grundstruktur zeigt sich im übrigen in der suggestiven Tatsache, daß unsere Sprache die Form von Sätzen annimmt, d. h. aus der Verbindung von
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Summa theologiae, II - II, q. 2, a. 3: „Natura autem rationalis, inquantum cognoscit universalem boni et entis rationem, habet immediatum ordinem ad universale essendiprinäpium." Summa contra gentiles, III, c. 25: „Cuiuslibet effectus cogniti naturaliter homo säre causam desiderat." Summa theologiae, I, q. 12, a. 1 c: „Inest enim homini naturale desiderium cognoscendi causam, cum intuetur effectum; et ex hoc admiratio in hominibus consurgit. " Summa theologiae, I, q. 105, a. 7 c. Cf. ibid., I I - I I , q. 180, a. 3, ad 3: „Admiratio autem consurgit, cum effectus sunt manifesti et causa occulta. " Summa contra gentiles, III, c. 25: „Naturaliter inest omnibus hominibus desiderium cognoscendi causas eorum quae videntur: unde propter admirationem eorum quae videbantur, quorum causae latebant, homines primo philosophari coeperunt, invenientes autem causam quiescebant. Nec sistit inquisitio quousque perveniatur ad primam causam: et tunc perfecte nos säre arbitramur quando primam causam cognosämus. Desiderat igitur homo naturaliter cognoscere primam causam quasi ultimum finem. Prima autem omnium causa Deus est. Est igitur ultimus finis hominis cognoscere Deum. " Summa contra gentiles, III, c. 25, n. 12: „Intellectus autem humanus cognosät ens universale. Desiderat igitur naturaliter cognoscere causam eius, quae solum Deus est. "
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Subjekten [Möglichkeiten] und Verben [Verwirklichungen] besteht.) Daraus ergibt sich jedoch, daß wir (d. h. jeder, der die Umgangssprache verwendet) von einer Wirklichkeit wissen, die ihre eigene Wirklichkeit ist, d. h. bei der die Differenz von Möglichkeit und Wirklichkeit aufgehoben ist. Sobald wir etwas als eine Wirklichkeit erfassen, wissen wir von der Wirklichkeit überhaupt, an welcher diese einzelne Wirklichkeit teilnimmt. Um Thomas zu zitieren: „Die den erschaffenen Dingen innewohnende Wirklichkeit kann nur als von der göttlichen Wirklichkeit abgeleitet [deduc tum) verstanden werden." 56 An dieser Schnittstelle ortet Thomas seine Antwort auf die Frage, warum es notwendig ist, zu glauben. Am Ereignis des Staunens setzt Glauben an; man läßt sich auf die Zugkraft des Staunens ein. Glauben ist also das persönliche Vertrauen auf das durch die Erfahrung der Wirklichkeit geweckte Staunen. In der „Summa theologiae" begründet Thomas die Notwendigkeit des Glaubens anhand der Tatsache, daß dem Menschen Erkenntnis von Wirklichkeiten eigen ist. Wenngleich auch alle anderen Wesen faktisch mit Wirklichkeiten zu tun haben, zeichnet es den Menschen aus, Wirklichkeiten gerade als Wirklichkeiten begegnen zu können, d. h. nicht nur in der Wirklichkeit zu leben, sondern sie bewußt zu er-leben. Indem er „Wirklichkeit" denkt, transzendiert der Mensch die Welt der Wirklichkeiten, unter denen er sich vorfindet. Mit anderen Worten: Thomas gründet die Notwendigkeit des Glaubens auf nichts anderes als den Bewußtseinsvorgang des Abstrahierens. Dies ist der Kontext, in dem sich Glauben als eine Notwendigkeit zeigt — und nicht bloß als ein Angebot —, vorausgesetzt lediglich, daß der Mensch nach Erfüllung, Glück, Endgültigkeit verlangt. Die fundamentale Gottesbeziehung wird also weder durch den Glauben erst begründet, noch schließt sie ihn aus. Glauben ist demnach nicht erforderlich, um überhaupt in Beziehung zu Gott zu treten, sondern erhält den Charakter einer Notwendigkeit für Thomas erst, wenn die Gottesbeziehung eschatologisch betrachtet wird 57 . In bezug auf die Gottesschau charakterisiert Thomas die Situation, indem er zwischen Wesenserkenntnis und Unbegreiflichkeit unterscheidet: Gott selbst werde zwar in seinem Wesen gesehen, dabei dennoch nicht begriffen. Das menschliche Wesen ist durch seine Hinordnung auf die göttliche Unbegreiflichkeit bestimmt. So beschreibt Karl Rahner den Menschen als dasjenige Wesen, „das auf das Geheimnis als solches hingeordnet ist, so daß diese Hinordnung 56
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De potentia, q. 3, a. 5, ad 1: „Licet causa prima, quae Deus est, non intret essentiam rerum creatarum, tarnen esse, quod rebus creatis inest, non potest intelligi nisi ut deductum ab esse divino. " Cf. Summa theologiae, I, q. 1, a. 5 c; II —II, q. 2, a. 5. In der Zukunftsorientiertheit, und nicht etwa in Gott oder Christus, geschweige denn in der Kirche, liegt das Spezifische der übernatürlichen Tugend des Glaubens im Unterschied zum Glauben im allgemeinen. Cf. ibid., q. 4, a. 1 c; a. 7 c. Ausführlicher: W.J. Hoye, Der Wirklichkeitsbegriff als Grund der Notwendigkeit des Glaubens nach Thomas von Aquin, in: R. Tyorinoja/A. I. Lehtinen/D. Follesdal (eds.), Knowledge and the Sciences in Medieval Philosophy (Proceedings of the Eighth International Congress of Medieval Philosophy [S.I.E.P.M.]), Bd. 3 (Annals of the Finnish Society for Missiology and Ecumenics 55), Helsinki 1990, 4 0 9 - 4 1 6 .
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zu den Konstitutiven dieses Wesens sowohl in seiner natürlichen Verfaßtheit wie in seiner übernatürlichen Erhöhtheit gehört" 58 . Die seiner Natur eigentümliche Struktur bleibt zwangsläufig auch im Jenseits bestehen. Das ist eine Anwendung des allgemeingültigen thomistischen Prinzips, daß nämlich weder die Gnade noch die Herrlichkeit die Natur des Menschen verletzt: „Die Herrlichkeit vollendet die Natur, zerstört sie aber nicht. Deshalb wird eine Unvollkommenheit, die zur Natur gehört, durch das Glorienlicht nicht behoben. [...] Von daher fehlt dem erschaffenen Intellekt die Möglichkeit des umfassenden Begriffs. Und demzufolge kann er auch nicht durch das Herrlichkeitslicht zum Begriff ( c o m p r e hensionem) gebracht werden." 59 Die eschatologische Vollendung des Menschen bedeutet also nicht „die Aufhebung der transzendentalen Notwendigkeit [...], daß Gott das heilige Geheimnis wesenhaft ist" 60 . Demzufolge kann die Gottesschau nicht langweilig werden, weil das Staunen bleibt. „Nichts, das mit Bewunderung (cum admiratione) betrachtet wird, kann überdrüssig machen: denn solange es Bewunderung erregt, bewegt es das Verlangen. Die göttliche Substanz aber wird von jedem geschaffenen Verstand immer mit Bewunderung geschaut, denn kein geschaffener Verstand begreift (comprehendat) sie. Also ist es unmöglich, daß die geistige Substanz dieser Schau überdrüssig wird." 61 Das Staunen über die Wirklichkeit und das damit eingeschlossene Verlangen, die Wirklichkeit selbst zu erfassen, hört in der visto nicht auf, obwohl der Urgrund der Wirklichkeit unmittelbar gesehen wird. Die individuellen Unterschiede zwischen den einzelnen Menschen werden von der individuellen Befaßtheit ihres Verlangens bedingt. Auch für die übernatürliche Liebe (caritas) gilt das eschatologische Prinzip, daß in der Glückseligkeit das individuelle Verlangen unterschiedliche Gegebenheiten bestimmt. Dementsprechend kann man sagen, daß der eine Mensch Gott vollkommener schaut als der andere. „Von denen, die Gott durch sein Wesen sehen, wird der eine ihn vollkommener als der andere sehen. [...] Dies wird daher rühren, daß der Intellekt des einen eine größere Kraft oder größeres Vermögen, Gott zu sehen, haben wird als der des anderen. [...] Derjenige wird mehr an dem Glorienlicht teilhaben, der mehr Liebe hat, weil da mehr Liebe ist, wo mehr Verlangen ist. Und das Verlangen macht den Verlangenden gewissermaßen fähig und bereit, das Ersehnte zu
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Rahner, Begriff des Geheimnisses (nt. 33), 68. In IV Sent., d. 49, q. 2, a. 3, ad 8: „Gionaperfidi naturarti, et non destruit; et ideo impeifectionem, quae est de ratione naturae, lumen gloriae non tollit, sicut hoc quod est ex nihilo esse; ex hoc autern ipso intellectus creatus defiät a possibilitate comprehensionis; et ideo necper lumen gloriae ad comprehensionem pervenire potest. " Summa theologiae, I, q. 86, a. 2, ad 1: „In futuro autem tolletur defectus intellectus nostri per gloriam, et tunc ipsum Deum in sua essentia Mere poterìmus, tarnen absque comprehensione, " Rahner, Begriff des Geheimnisses (nt. 33), 75. Cf. 77, 83. Es ist für Rahner eine grundlegende Lehre, „daß Gott das Geheimnis ist und ewig bleibt, daß dieses Geheimnis in der aus Gnade verheißenen Vollendung des Menschen nicht aufhört, sondern endgültig und unverdrängbar aufgeht". Id., Geheimnis. II. Theologisch, in: H. Fries (ed.), Handbuch theologischer Grundbegriffe, I, München 1962, 449. Summa contra gentiles, III, c. 62.
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empfangen."62 So läßt sich erklären, wie es denkbar ist, daß das naturgegebene Verlangen (desiderium naturale) erfüllt wird, während das individuell entwickelte Verlangen noch das Phänomen des Staunens zuläßt63.
5. Die B e r ü h r u n g s s t e l l e G o t t e s mit dem m e n s c h l i c h e n B e w u ß t s e i n : Die forma intelligibilis Schließlich stellt sich die Frage, wie dann die thomistische Lehre über die forma intelligibilis in der Gottesanschauung zu verstehen ist. Bereits nach dem Tod des Thomas setzte eine Interpretationstradition ein64, die bis in die heutige Zeit anhält. Diese nimmt an, daß nach Thomas Gott an die Stelle einer species impressa (bzw. manchmal einer species expressa) tritt. Ein angesehener, einflußreicher Vertreter dieser Auffassung ist Karl Rahner, der seine Thomasdeutung zum maßgeblichen Drehpunkt seiner eigenen Theologie gemacht hat. Rahner ist der Uberzeugung, daß „die mittelalterliche Theologie in ihrer Ontologie der visio beatifica in eindeutig klarer Weise die Lehre entwickelt [habe], daß die Visio nur durch eine Selbstmitteilung des göttlichen Wesens streng als solchen an die Kreatur zustande kommen kann und diese ontologische Selbstmitteilung Gottes in der Weise einer formalen Kausalität die ontologische Voraussetzung jener Nähe und Unmittelbarkeit ist, welche der visio beatifica als einem bewußten Vorgang zukommt"65. Er spricht mit aller Deutlichkeit von dem „übernatürlichen Formalobjekt", wobei unter einem Formalobjekt der Inhalt, d. h. der Gegenstand einer Erkenntnis, gemeint ist, und zwar betrachtet als Er62
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Summa theologiae, I, q. 12, a. 6 c: „ Videntium Deumper essentiam unus alioperfedius eum videbit. Quod quidem non eût per aliquam Dei similitudinem petfectiorem in uno quam in alio, cum illa visio non sit futura per aliquam similitudinem, ut ostensum est. Sed hoc eritper hoc, quod intellectus unius habebit matorem virtutem seu facultatem ad videndum Deum, quam alterius. Facultas autem videndi Deum non competit intellectui creato secundum suam naturam, sed per lumen gloriae, quod intellectum in quadam deiformitate constituit [...]. Unde intellectus plus partidpans de lumine gloriae, perfedius Deum videbit. Plus autem participabit de lumine gloriae, qui plus habet de cantate, quia ubi est maior caritas, ibi est maius desiderium; et desiderium quodammodo fadt desiderantem aptum et paratum ad susceptionem desiderati. Unde qui plus habebit de caritate, perfedius Deum videbit, et beatior erit." In IV Sent., d. 49, q. 2, a. 1, ad 2: „Ad cognitionem autem duo concurrunt; et cognoscens, et quo cognosätur. Visio autem ilia qua Deum per essentiam videbimus, est eadem cum visione qua Deus se videt, ex parte ejus quo videtur: quia sicut ipse se videt per essentiam suam, ita et nos videbimus; sed ex parte cognoscentis invenitur diversitas quae est inter intellectum divinum et nostrum. In cognoscendo autem, id quod cognosdtur sequitur formam qua cognosdmus; quia per formam lapidis videmus lapidem; sed efficada in cognoscendo sequitur virtutem cognoscentis; sicut qui habet visum fortem, acutius videt; et ideo in illa visione nos idem videbimus quod Deus videt, sdlicet essentiam suam, sed non ita efficadter. " Summa theologiae, I, q. 12, a. 8, ad 4: „Naturale desiderium rationalis creaturae est ad sdendum omnia ilia quae pertinent ad perfedionem intellectus; et haec sunt spedes et genera rerum, et rationes earum, quae in Deo videbit quilibet videns essentiam divinam. Cognoscere autem alia singularìa, et cogitata et fada eorum, non est de perfedione intellectus creaü, nec ad hoc eius naturale desiderium tendit, nec iterum cognoscere ilia quae nondum sunt, sed fieri a Deo possunt. Si tamen solus Deus videretur, qui est fons et principium totius esse et veritatis, ita repleret naturale desiderium sdendi, quod nihil aliud quaereretur, et beatus esset. " Cf. Hoye, Gotteserkenntnis (nt. 1), 282-284. Rahner, Begriff des Geheimnisses (nt. 33), 90.
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kenntnisgegenstand. In dem Unterschied zwischen effizienter und formaler Kausalität besteht für Rahner der wesentliche Unterschied zwischen dem Natürlichen und dem Ubernatürlichen: „Alle streng übernatürlichen Wirklichkeiten, die wir kennen (hypostatische Union, Visio beatifica und übernatürliche Begnadigung) kommen darin überein, daß in ihnen ein Verhältnis Gottes zu einem Geschöpf ausgesagt wird, das nicht das einer effizienten Ursächlichkeit ist (eines Aus-der-Ursache-//«rö«.f-stellens), das also unter das einer formalen Ursächlichkeit fallen muß (eines In-den-Grund [forma]-Hineinnehm&ns)." 66 Welche Tragweite diese Ansicht für Rahners ganze Theologie hat, wird an Bemerkungen wie der folgenden ersichtlich: „In diesem Unterschied zwischen effizienter und quasiformaler Ursächlichkeit Gottes ist der wesentliche und radikale Unterschied zwischen der Natur und dem Übernatürlichen eindeutig begründet. Es ist dies an sich auch leicht einzusehen [...]. Übernatürliche Wirklichkeit und Wirklichkeit durch eine Selbstmitteilung Gottes, die nicht effizienter, sondern quasiformaler Art ist, sind identische Begriffe." 6 7 Auf Grund dieses Gedankens ist Rahner zu seiner bahnbrechenden Lehre über die Trinität, vor allem hinsichtlich der Unterscheidung zwischen der „ökonomischen" und der „immanenten" Trinität, gelangt 68 . Dementsprechend ist es keine Haarspalterei oder Detailarbeit, wenn ich nun behaupte, daß Thomas bei Rahners Deutung wesentlich mißverstanden worden ist. Es stimmt nicht, daß „nach Thomas in der unmittelbaren Gottesschau das Wesen Gottes selbst die species (impressa) im geschaffenen Geist vertritt" 6 9 . In Wirklichkeit hat der Aquinat nicht gemeint, „Gottes Sein selber trete an die Stelle einer geschaffenen species des endlichen Geistes" 7 0 . Rahner hat seine
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Id., Schriften zur Theologie, Bd. 1, Einsiedeln 1954, 3 5 7 - 3 5 8 . Id., Begriff des Geheimnisses (nt. 33), 91. Ohne Offenbarung wäre die formale Ursächlichkeit uns nicht bekannt: „Und eine solche formale Ursächlichkeit Gottes (einer trinitarischen Hypostase, seines Seins) ist uns im natürlichen Bereich (d. h. in einer Erkenntnis, die [...] Gott immer nur als Wirkursache erreicht) nicht bekannt und so in ihrer Tatsächlichkeit (und damit auch in seiner Möglichkeit) ohne Offenbarung nicht feststellbar." Id., Schriften 1 (nt. 66), 3 5 7 - 3 5 8 .
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K. Rahner, Der dreifaltige Gott als transzendenter Urgrund der Heilsgeschichte, in: Mysterium Salutis. Grundriß Heilsgeschichtlicher Dogmatik, II, Einsiedeln 1967, 3 3 6 - 3 3 7 , nt. 31: „Wenn man die klassische Ontologie der mittelalterlichen Theologie von der visio beatifica auf die doch unbestreitbare Schau der göttlichen Personen als solcher anwendet, so kann man logisch für die visio diese These nicht bestreiten (und dann auch nicht mehr für die Rechtfertigungsgnade als das ontologische Substrat und den formalen Anfang der unmittelbaren Gottesschau). Eine unmittelbare Schau der göttlichen Personen, die also nicht vermittelt gedacht werden darf durch eine geschaffene ,species impressa', sondern nur durch die realontologische Wirklichkeit des Geschauten an sich selbst, das sich in einer quasiformalen Ursächlichkeit seinshafter Art dem Schauenden als ontologische Bedingung der Möglichkeit der formellen Erkenntnis mitteilt, bedeutet notwendig eine realontologische Beziehung des Schauenden zu je den geschauten Personen als solchen in ihrer realen Eigentümlichkeit. Darauf hat vielleicht die mittelalterliche Theologie nicht genügend reflektiert. Aber es liegt absolut in der Konsequenz ihres theologischen Ansatzes für die visio." Cf. ibid., 338, nt. 34; id., Begriff des Geheimnisses (nt. 33), 9 4 - 9 7 .
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Id., Schriften 1 (nt. 66), 355. Ibid., 356.
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Interpretation noch genauer formuliert in seiner Dissertation „Geist in Welt", in der er annimmt, „daß nach Thomas die seinsmäßige Anwesenheit Gottes als des absoluten Seins im Erkennen zur Schau Gottes genügt (unter Voraussetzung des lumen gloriae), so daß das absolute Sein Gottes selber species intelligibilis impressa für seine unmittelbare Erfassung ist" 71 . Im letzten Nebensatz liegt der Fehler, denn species intelligibilis impressa hat Thomas weder geschrieben noch gemeint. Nach Thomas selbst ist Gott als forma intelligibilis zu bezeichnen, nicht weil er wirklich als eine species intelligibilis fungiert oder an deren Stelle wirklich tritt, sondern weil und insofern seine Rolle hinsichtlich der Gotteserfahrung analog (secundum proportìonalitatem) zur Funktion einer forma ist; er ist wie eine Form (ut forma) bzw. gleichsam eine Form [quasi forma intellectus)72. „Quasiformal" ist nicht, wie Rahner es sieht, ein Hinweis auf die extraordinäre Art von Erkenntnisinhalt (etwa „transzendental"). Der Begriffforma bezieht sich in diesem Kontext gar nicht auf das Erkenntnisprinzip, sondern auf das Seinsprinzip (in der Korrelation forma/materia). Dies lehrt Thomas ausdrücklich an mehreren Stellen. Im früh verfaßten Sentenzenkommentar erklärt er unzweideutig, daß es sich nur um einen Vergleich mit einer forma intelligibilis handelt: „Es darf nicht so verstanden werden, als wäre das göttliche Wesen eine wirkliche Form unseres Intellekts", beteuert er, „sondern die Beziehung des göttlichen Wesens zu unserem Intellekt ist wie die Beziehung der Form zur Materie." 73 Ferner findet sich in der Schrift „Uber die Wahrheit" eine reifere Darstellung derselben Lehre: „Es ist aber nicht notwendig, daß das göttliche Wesen selbst eine Form des Intellekts wird, sondern daß es sich zu diesem in der Weise einer Form verhält. Wie aus der Form, die ein Teil einer Realität ist, und der Materie eine existierende Realität hervorgebracht wird, so wird, wenn auch in anderer Weise, aus dem göttlichen Wesen und dem erschaffenen Intellekt eins im Erkennen, während der Intellekt begreift und das göttliche Wesen durch sich selbst begriffen wird." 74
Wenn Thomas also in bezug auf Gott von einer forma intellectus spricht, hat er nicht den Inhalt eines Bewußtseinsakts im Sinne, sondern die ontologische, seinsmäßige forma, die sich mit Materie vereinigt, wobei das Bewußtsein als die 71
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Id., Geist in Welt. Zur Metaphysik der endlichen Erkenntnis bei Thomas von Aquin, 2. Aufl. Überarb. u. ergänzt von J. B. Metz, München 1957, 100. In IV Sent., d. 49, q. 2, a. 1, ad 8: „In visione qua Deus per essentiam videbitur, ipsa diwna essentia erit quasi forma intellectus quae intelligit; nec oportet quod efßciant unum secundum esse simpliäter, sed solum quod fiat unum quantum pertinet ad actum intelligendi. " In IV Sent., d. 49, q. 2, a. 1, sol: „Quod quidem non debet intelligi quasi divina essentia sit vera forma intellectus nostri; vel quia ex ea et intellectu nostro effiäatur unum simpliäter, sicut in naturalibus ex forma et materia naturati: sed quia proportio essentiae divinae ad intellectum nostrum est sicut proportio formae ad materiam. " De ventate, q. 8, a. 1 c: „ Non autem oportet quod ipsa divina essentiafiatformaintellectus ipsius, sed quod se habeat ad ipsum ut forma; ut sicut ex forma, quae est pars rei, et materia efßätur unum ens actu, ita licet dissimili modo, ex essentia divina et intellectu creato fiat unum in intelligendo, dum intellectus intelligit, et essentia dipina per seipsam intelligitur. "
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Materie gilt. A b e r hier wiederum, wohlgemerkt, will T h o m a s nicht behaupten, daß G o t t eine solche ontologische F o r m wirklich sei (denn dann wäre der Mensch aufgehoben), sondern lediglich daß er sich mit einer solchen F o r m vergleichen ließe 7 5 . D a ß es keine Entsprechung geben kann zwischen dem U n endlichen und einem endlichen G e s c h ö p f — wie gegen die Möglichkeit einer Gotteserkenntnis häufig eingewendet wird —, räumt T h o m a s ein; es genügt ihm, festzustellen, daß es durchaus eine Entsprechung einer Entsprechung ( p r o p o r t i o nalitas quae est similitudo proportionum) geben kann 7 6 . W i e er das meint, präzisiert er an dieser Stelle: „Immer wenn zwei Dinge in einem Empfanger empfangen werden, von denen das eine vollkommener ist als das andere, ist das Verhältnis des vollkommeneren zum weniger vollkommenen Ding wie das Verhältnis der Form zu dem, was sie vollenden kann [...]. Da also ein erschaffener Intellekt, der sich in einer erschaffenen Substanz befindet, unvollkommener als das in ihr existierende göttliche Wesen ist, wird das göttliche Wesen mit dem Intellekt gewissermaßen wie eine Form in Beziehung gebracht." 77 Texte wie diesen hat die bisherige Thomasinterpretation meines Wissens nicht beachtet. Diese A r t Erkenntnis ist es, die der Erkenntnisweise Gottes am meisten ähnelt, und zwar, genau gesehen, im Hinblick auf die genetische Struktur aller Erkenntnisinhalte. Mit dieser Ansicht schließt folgende Analyse ab: „Ein jedes Ding strebt nach Ähnlichkeit mit Gott als dem ihm eigenen Ziel. Das also, wodurch ein jedes Ding am meisten Gott verähnlicht wird, ist sein letztes Ziel. Das geistige Geschöpf aber wird Gott am meisten dadurch verähnlicht, daß es geistig {intellectualis) ist: denn es hat diese Ähnlichkeit den übrigen Geschöpfen voraus, und diese schließt alle anderen [Ähnlichkeiten] ein (includit). In der Gattung dieser Ähnlichkeit aber wird es Gott ähnlicher, insofern es aktuell erkennt, als insofern es habituell oder potentiell erkennt, denn Gott erkennt immer aktuell [...]. Darin, daß es aktuell erkennt {intelligit actu), wird es Gott am ähnlichsten, insofern es Gott selbst
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De veritate, q. 8, a. 1, ad 5: „Forma qua intelledus videntis Deum per essentiam videt Deum, est ipsa essentia divina; non tarnen sequitur quod sit forma quae est pars rei in essendo; sed quod se habeat hoc modo in intelligendo sicut forma quae est pars rei in essendo. " In IV Sent., d. 49, q. 2, a. 1, ad 6: „Quamvis finiti ad infinitum non possit esse proportio, quia excessus infiniti supra finitum non est determinatus; potest tarnen esse inter ea proportionalitas quae est similitudo proportionum; [...] et tunc non oportet esseproportionem inter cognoscentem et cognitum, sedproportionalitatem tantum; ut scilicet sicut se habet cognoscens ad cognoscendum, ita se habeat cognoscibile ad hoc quod cognoscatur; et talis proportionalitas suffirít ad hoc quod infinitum cognoscatur a finito, et e converso." De veritate, q. 8, a. 1 c: „Quandocumque in aliquo receptibili recipiuntur duo quorum unum est altero perfectius, proportio perfections ad minus perfedum est sicut proportio formae ad suum per)edibile [...]. Et ideo, cum intellectus creatus, qui inest substantiae creatae, sit imperfertior divina essentia in eo existente, comparabitur divina essentia ad illum intelledum quodammodo ut forma." Ahnlich: In IV Sent., d. 49, q. 2, a. 1, sol.: „Quandocumque enim aliqua duo, quorum unum est perfectius altero, redpiuntur in eodem receptibili, proportio unius duorum ad alterum, sàlicet magis perfect! ad minus petfedum, est sicut proportio formae ad materiam; [...] et ita cum in anima redpiatur vis intellediva, et ipsa essentia divina inhabit ans, licet non per eumdem modum, essentia divina se habebit ad intelledum sicut forma ad materiam. "
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erkennt (intellìgìt ipsum Deum)·. denn Gott selbst erkennt alles andere, insofern er sich erkennt." 78
Die Ähnlichkeit mit Gott bezieht Thomas mithin nicht auf den Erkenntnisinhalt, sondern auf die Erkenntnisweise. So verstanden ist das göttliche Wesen zugleich der Gegenstand der seligmachenden Erkenntnis (quod videtur) und das Wie {quo videtur)79. Worauf es bei dieser Erkenntnisweise ankommt, ist gleichsam die Richtung der Entstehung der Erkenntnis. Während Menschen im jetzigen Zustand Wirklichkeiten erkennen und in diesen gewissermaßen die Wirklichkeit selbst, verhält es sich bei Gott genau umgekehrt: Er erkennt sein Wesen, die Wirklichkeit selbst (ipsum esse), und darin die Einzelwirklichkeiten. „Gemäß dieser (unmittelbaren) Schau aber werden wir Gott im höchsten Maße verähnlicht und haben an seiner Seligkeit teil", schreibt Thomas und führt dann die Begründung an: „Denn Gott selbst erkennt durch sein Wesen seine Substanz, und darin besteht seine Glückseligkeit. [...] Am Tische Gottes also essen und trinken jene, die dieselbe Glückseligkeit genießen, in der Gott glückselig ist, da sie ihn auf jene Weise schauen, auf die er sich selbst schaut."80 Der höchste Akt des Menschen ist aktuell vollzogene Erkenntnis, und zwar von derjenigen Art, die der Erkenntnisweise Gottes ähnelt; und diese besteht darin, daß man Gott selbst und von da aus — gewissermaßen abgeleitet — alles andere erkennt. Durch die Vermitdung des Bewußtseins, das die Ziele aller einzelnen Tätigkeiten auf das Endziel richtet, ist „das Endziel des gesamten Menschen samt all seiner Tätigkeiten und Ver-
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Summa contra gentiles, III, c. 25: „ Unumquodque tendit in divinam similitudinem sicut in proprium finem. Illud igitur per quod unumquodque maxime Deo assimilatur, est ultimus finis eius. Deo autem assimilatur maxime creatura intellectualis per hoc quod intellectualis est: hanc enim similitudinem habet prae ceteris creaturis, et baec includit omnes alias. In genere autem huius similitudinis magis assimilatur Deo secundum quod intelligit actu, quam secundum quod intelligit in habitu vel potential quia Deus semper actu intelligens est, ut in primo probatum est. Et in hoc quod intelligit actu, maxime assimilatur Deo secundum quod intelligit ipsum Deum: nam ipse Deus intelligendo se intelligit omnia alia, ut in primo probatum est. Intelligere igitur Deum est ultimus finis omnis intellectualis substantiae. " De veritate, q. 8, a. 1 c: „ Constat entm quod cuiuslibet intellectualis creaturae beatitudo consistit in sua peifectissima operatione. Illud autem quod est supremum in qualihet creatura rationali, est intellectus. Unde oportet quod beatitudo cuiuslibet creaturae rationalis in nobilissima visione intellectus consistât. Nobilitas autem intellectivae visionis est ex nobilitate intellecti; sicut etiam dirítphilosophus in χ ethicorum, quodperfectissima operatio visus, est visus bene dispositi adpulcherrimum eorum quae cadunt sub visu. Si ergo creatura rationalis in sua perfectissima visione non perveniret ad videndum divinam essentiam, beatitudo eius non esset ipse Deus, sed aliquid sub Deo; quod esse non potest: quia ultima perfectio cuiuslibet rei est, quando pertingit ad suum prindpium. Ipse autem Deus immediate omnes creaturas rationales condidit, ut fides vera tenet. " Summa contra gentiles, III, c. 51 : „Divina substantia non potest videriper intellectum altqua spede creata. Unde oportet, si Dei essentia videatur, quod per ipsammet essentiam divinam intellectus ipsam videat ut sit in tali visione divina essentia et quod videtur, et quo videtur. " Cf. In IV Sent., d. 49, q. 2, a. 1 c: „ Conjungitur intellectui nostro utforma, ut ipsa sit quod intelligitur, et qua intelligitur. " Summa contra gentiles, III, c. 51: „Secundum autem hanc visionem maxime Deo assimilamur, et eius beatitudinis partiripes sumus: nam ipse Deus per suam essentiam suam substantiam intelligit, et haec est eius felidías. [...] Super mensam ergo Dei manducant et bibunt qui eadem jelidíate Jruuntur qua Deus felix est, videntes eum ilio modo quo ipse videt seipsum. "
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langen die Erkenntnis des primären Wahren (primum verum), das Gott ist" 81 . So kommt das Prinzip zur Geltung, das Thomas als ersten Satz seiner Behandlung der Frage nach unserer Gotteserkenntnis in der „Summa theologiae" zugrunde legt: „Da etwas überhaupt erkennbar ist, sofern es wirklich existiert (est in actü), ist Gott am meisten erkennbar, weil er lauter Wirklichkeit (actus purus) ohne jedwede Mischung von Möglichkeit ist." 82 Hat man das Endziel erlangt, dreht sich die genetische Struktur um: nicht, wie jetzt, die Wirklichkeit nur in Form von einzelnen Wirklichkeiten erleben, sondern der Wirklichkeit selbst unvermittelt begegnen. Jetzt nehmen wir nur Wirklichkeiten unmittelbar wahr, dann erfassen wir gewissermaßen die Wirklichkeit selbst und darin alles andere in seiner eigentlichen Wirklichkeit. „Diejenigen, die Gott durch sein Wesen sehen", lehrt Thomas, „werden das, was sie im Wesen Gottes sehen, [...] durch das mit ihrem Bewußtsein vereinigte göttliche Wesen selbst sehen." 83 Die auf Gott gerichtete Aufmerksamkeit lenkt also nicht ab von der Aufmerksamkeit auf anderes 84 , sie intensiviert sie, macht sie wirklicher. Diejenigen Wahrheiten, die die jetzige, beschränkte Weise der Wirklichkeitserfassung darstellen, werden in ihrer Wahrheit gesehen. Diese der Vorstellungskraft unfaßbare Erlebnisweise wird zum Ausdruck gebracht in der paradoxen Redewendung von der Wahrnehmung der Wahrheit.
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Summa contra gentiles, III, c. 25: „Finis igitur intellectus est finis omnium actionum humanarum. Finis autem et bonum intellectus est verum: et per consequens ultimus finis primum verum. Est igitur ulümus finis totius hominis, et omnium operationum et desideriorum eius, cognoscere primum verum, quod est Deus. " Summa theologiae, I, q. 12, a. 1 c: „ Cum unumquodque sit cognosäbile secundum quod est in actu, Deus, qui est actus purus absque omni permixtione potentiae, quantum in se est, maxime cognosäbilis est." Summa theologiae, I, q. 12, a. 9 c: „Videntes Deumper essentiam, ea quae in ipsa essentia Dei vident, non vident per aliquas speáes, sed per ipsam essentiam divinam intellectui eorum unitam. " Cf. In IV Sent., d. 44, q. 2, a. 1, C, ad 4: „Quando unum duorum est ratio alterius, occupatio animae circa unum non impedit nec remittit occupationes ejus àrea aliud; [...] et quia Deus apprehendetur a sanctis ut ratio omnium quae ab ets agentur vel cognoscentur; ideo occupatio eorum àrea sensibilia sentienda, vel quaecumque alia contemplando aut agenda, in nullo impedit divinam contemplationem, nec e converso. "
Das Weltgericht bei Dante in Differenz zu Thomas von Aquin WILHELM METZ
(Freiburg i. Br.)
Dante Alighieri und Thomas von Aquin stellen das Weltgericht und die letzten Dinge' überhaupt auf je eigentümliche Weise dar. Im folgenden sollen nicht die Einzeldifferenzen zwischen Dante und Thomas - die schon wegen der unterschiedlichen literarischen Gattungen ihrer Hauptwerke „Summa Theologiae" und „Divina Commedia" unzählig sind — herausgearbeitet werden, sondern der grundsätzliche Aspekt ist darzulegen, unter dem die letzten Dinge bei Thomas und Dante thematisiert werden. Der erste Teil dieser Untersuchung hebt den christologischen Grundaspekt der thomasischen Eschatologie hervor. Im zweiten Teil soll deutlich werden, warum Dante seine „Divina Commedia" als Ethik versteht. Drittens gilt es, die politische Dimension der „Divina Commedia" in Differenz zu Thomas herauszustellen. I. Bei Thomas von Aquin wird die Eschatologie im Rahmen der Christologie im weiteren Sinne behandelt 1 . Im Vorwort der 2. quaesüo der „Prima Pars" der „Summa Theologiae" (STh) umreißt Thomas die Gesamtthematik seines Hauptwerkes, das er in drei partes gliedert: „... primo tractabimus de Deo; secundo, de motu rationalis creaturae in Deum; tertio, de Christo, qui, secundum quod homo, via est nobis tendendi in Deum." Der Prolog der „Tertia Pars" läßt näher erkennen, daß Christus als salvator im Blick steht. Erörtert wird nämlich in dieser pars erstens das Mysterium der Inkarnation sowie dasjenige, was Christus für das Heil des genus humanum getan und gelitten hat; zweitens werden die heilbringenden Sakramente durchdacht; schließlich ist das Ziel des unsterblichen Lebens darzulegen, das die Menschen in der Auferstehung durch Christus erreichen 2 . Die drei Ab1
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Als einführende Lektüre sei verwiesen auf M. Schmaus, Von den letzten Dingen, Münster 1948; H. Urs v. Balthasar, Eschatologie, in: J. Feiner/J. Trütsch/F. Böckle (eds.), Fragen der Theologie heute, Einsiedeln - Zürich - Köln 1960, 4 0 3 - 4 2 2 ; M. Basse, Certitudo spei. Thomas von Aquins Begründung der Hoffnungsgewißheit und ihre Rezeption bis zum Konzil von Trient als ein Beitrag zur Verhältnisbestimmung von Eschatologie und Rechtfertigungslehre, Göttingen 1993. Den soteriologischen Grundaspekt der „Tertia Pars" der STh arbeitet O. H. Pesch heraus: Thomas von Aquin. Grenze und Größe mittelalterlicher Theologie. Eine Einführung, Mainz 1988. In diesem Band finden sich reichhaltige Literaturangaben zum Thema.
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schnitte der thomasischen Christologie entsprechen den drei Zeit-Modi; erörtern sie doch die gewesene Heilsgeschichte, die gegenwärtigen Sakramente und die zukünftige Auferstehung. In diesen dreien ist das Tun des menschgewordenen Gottessohnes vollständig, welches das eigentliche Thema dieser pars ist. Denn die in der „Tertia Pars" durchdachte Heilsgeschichte bleibt ganz auf die historia Christi gesammelt 3 . Im zentralen Sakrament der Eucharistie ist Christus unter den Gestalten von Brot und Wein leibhaftig gegenwärtig (III, 75). Schließlich ist die Auferstehung Christi die Ursache für die Auferstehung der Toten insgesamt (III, 56 und Suppl., 76, 1). Thomas hat die Eschatologie in seiner STh nicht mehr selber ausgeführt. Der Kompilator dieses letzten Abschnitts der STh hat vornehmlich Texte des thomasischen Sentenzenkommentars verwendet; architektonisch folgt er dem Prolog der „Tertia Pars", wenn er die Auferstehung ins Zentrum der Eschatologie rückt. Im Vorwort der 69. quaestio dieses supplementum der STh wird der Ubergang von der Sakramentenlehre zur Eschatologie so vollzogen: „Postquam enim dictum est de sacramentis quibus homo liberatur a morte culpae, consequenter dicendum est de resurrectione, per quam homo liberatur a morte poenae. " 4 Der Gesamttraktat von der Auferstehung erwägt wiederum ein Dreifaches, nämlich das der Auferstehung Vorangehende, das sie Begleitende und das auf sie Folgende. Zu dem, was unter den letzten Dingen der Auferstehung vorangeht, zählt Thomas den postmortalen Zustand der menschlichen Einzelseele; die vom Leibe getrennte Seele gelangt unmittelbar nach dem Tode an den ihr gebührenden Ort (Suppl., 69). Zu dem der Auferstehung Vorangehenden gehören weiterhin die Fürbitten für die Toten (Suppl., 71), das Gebet der Heiligen in der ewigen Heimat (Suppl., 72), die dem Weltgericht vorangehenden Zeichen (Suppl., 73) und der Weltbrand am Ende der Zeiten (Suppl., 74). Zu dem, was die Auferstehung begleitet, zählt Thomas zumal die Beschaffenheit der ins Leben zurückkehrenden Leiber (Suppl., 80), welche entweder die verklärten Leiber der Seligen (Suppl., 82 — 85) oder die unansehnlichen Leiber der Verdammten sind (Suppl., 86). Was schließlich auf die Auferstehung folgt, ist zum einen das Weltgericht selbst (Suppl., 87 — 90), zum anderen der Zustand der Welt nach dem Gericht (Suppl., 91 sq.) 5 . An der thomasischen Lehre von den le'tzten Dingen ist beachtlich, daß sie ein zweifaches Gericht kennt. Erstens werden alle Seelen unmittelbar nach ihrer 3
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Die historia Christi, die für Thomas die Heilsgeschichte im ausgezeichneten Sinn ist, wird in den quaestiones 27 — 59 der „Tertia Pars" der STh dargestellt und in vier Abschnitte gegliedert: „... primo considerabimus de his quae pertinent ad ingressum eius [d. i. Christi] in mundum; secundo, de his quae pertinent ad processum vitae ipsius in hoc mundo: tertio, de exitu ipsius ab hoc mundo: quarto, de his quae pertinent ad exaltationem ipsius post hanc vitam" (III, 27, Vorwort). Zum Zusammenhang von Sakramentenlehre und Eschatologie siehe H. Boeder, Topologie der Metaphysik, München - Freiburg 1980, 302sq. und W.Metz, Die Architektonik der Summa Theologiae des Thomas von Aquin. Zur Gesamtsicht des thomasischen Gedankens, Hamburg 1998, 187 sq. Cf. auch Summa contra Gentiles IV, c. 96 und 97.
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Trennung vom Leibe, d. i. nach dem Tod des Menschen, gerichtet. Weil sich dieses Gericht während des gegenwärtigen Weltlaufs vollzieht, nennt Thomas es das „iudidum quod inpraesenti tempore agitur" (III, 59, 5). Von diesem Gericht, das über jede Menschenseele einzeln gesprochen wird, wird das iudidum universale unterschieden, welches nach der Auferstehung der Toten alle Menschen öffentlich und gemeinsam betrifft. Beide Gerichte sind, wie im 242. Kapitel des „Tractatus alter" des „Compendium Theologiae" hervorgehoben wird, dem Menschen Christus übergeben 6 . Für ein Gericht ist nach Thomas ein Dreifaches erforderlich: die Macht (J>otestas), die zu Richtenden zwingen zu können; der Eifer (%elus) für die rechte Ordnung aus Liebe zur Gerechtigkeit; die Weisheit (sapientia), nach der das Urteil gefällt wird (III, 59, 1). Auf die Weisheit kommt es im Gerichte hauptsächlich an. „Prima autem duo praeexiguntur ad judidum: sed proprie tertium est secundum quod acdpitur forma judidi quia ipsa ratio judidi est lex sapientiae vel veritatis, secundum quam judicatur" (ibid.). Weil die Weisheit Gottes in besonderer Weise der zweiten Person der Trinität appropriiert wird (ibid.; I, 34, 1, ad 2), wird auch das göttliche Gericht vornehmlich der trinitarischen Person des Sohnes zuerkannt. Der Mensch Christus besitzt demzufolge die iudidaria potestas, die Gerichtsbefugnis über alle Welt, erstlich aufgrund der göttlichen Person, die er selber ,ist' (III, 17, 2), zum anderen aufgrund seiner Dignität, die ihm als Haupt der ganzen Kirche eignet, des weiteren wegen der Fülle seiner heiligmachenden Gnade, die in den Sakramenten zum genus humanum überfließt, und schließlich wegen seiner Verdienste, die er durch sein Leben und Sterben errungen hat (III, 59, 3). Dem Menschen Christus obliegen die beiden Gerichte in ihrer Ganzheit (III, 59, 5)7. Schon das erste postmortale Gericht weist die Seelen verschiedenen Orten zu, der Hölle, dem Purgatorium oder dem Himmel (Suppl., 69). Diese Dreiteilung bestimmt Thomas zu einer Einteilung in fünf Orte weiter. Gesehen auf die endgültige Bestrafung muß der eigentliche Ort der Hölle, an dem die persönliche Schuld verbüßt wird, von demjenigen Ort unterschieden werden, zu dem die Seelen gelangen, die allein mit dem peccatum originale belastet sind; den letzteren Ort nennt Thomas den limbuspuerorum (Suppl., 69, 6). Ebenso wird vom eigentlichen Purgatorium, in dem die Seelen von einem persönlichen Mangel gereinigt werden, der limbus Patrum, der Ruheort der Väter, abgetrennt, in dem bestimmte
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Bei Thomas wird sogar eine Dreiteilung des Gerichts angedeutet. Neben dem Gericht über jede Einzelseele und dem Jüngsten Gericht am Ende der Zeiten gibt es noch ein göttliches Gericht während des menschlichen Lebens (III, 59, 4, 3. Arg.), unter dem die Lebensschicksale des Menschen stehen. Auch dieses Gericht wird in besonderer Weise der zweiten göttlichen Person zugeeignet, mit der der Mensch Christus persönlich vereint ist (III, 59, 4, ad 3). Von zwei Gerichten kann dennoch, nämlich in Bezug auf das postmortale Gericht über die Menschen, gesprochen werden. Zur Gerichtsthematik bei Thomas siehe auch H. Boeder, Die philosophischen Conceptionen der Mittleren Epoche, in: G. Meier (ed.), Das Bauzeug der Geschichte. Aufsätze und Vorträge zur griechischen und mittelalterlichen Philosophie, Würzburg 1994, 3 2 3 - 3 4 3 .
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Seelen allein wegen eines Mangels der menschlichen Natur weilen, bevor sie schließlich das Paradies erreichen (ibid.). Thomas behandelt die Frage, warum es, zusätzlich zum Einzelgericht über jede Seele, überhaupt eines allgemeinen Gerichtes noch bedarf. Einer der fünf Gründe für die Notwendigkeit des iudiàum universale lautet folgendermaßen: Sowohl die guten wie die bösen Werke des Menschen haben Auswirkungen, die sich über die ganze Welt verbreiten und bis ans Ende der Zeiten fortdauern können. „... sicut ex deceptione Am et aliorum seductorum pullulât infedelitas usque ad finem mundi; et usque tunc profiât fides ex praedicaüone Apostolorum" (III, 59, 5). Das umfassende Urteil über die menschlichen Handlungen mit all ihren Folgen kann somit erst am Ende der Zeiten gefallt werden 8 . Das iudiàum universale wird über alles Gute wie Böse der Engel- und Menschenwelt gesprochen; es ist das Urteil in Totalität schlechthin. Es wird über die Menschen in der Ganzheit ihrer natura, weil nach der Auferstehung der Toten, abgehalten und macht die Unterscheidung des Menschengeschlechts in Selige und Verdammte für alle sichtbar. In diesem Gericht werden die Seligen mit besonderen Brautgaben {dotes) und Siegeszeichen (aureola) ausgestattet (SuppL, 95 — 96). Dieses Endgericht ist im Sentenzenkommentar und in den beiden Summen des Aquinaten das abschließende subiectum der ganzen Theologie. II. In Dantes „Divina Commedia" 9 verlagert sich der Akzent vom Jüngsten Gericht am Ende der Zeiten auf das erste postmortale Gericht, nämlich das Einzelgericht über die Seelen, welches unmittelbar nach dem Tod des Menschen gesprochen wird. Der Dichter der „Divina Commedia" begegnet auf seiner siebentägigen Wanderung durch Inferno, Purgatorio und Paradiso jenen Seelen, über die dieses erste Gericht bereits ergangen ist. Das eigentliche Weltgericht wird 8
Alle fünf Gründe, die Thomas für die Notwendigkeit eines iudiàum universale anführt, gehen davon aus, daß das zeitliche Leben des Menschen auch für die Zukunft wirksam bleibt. Was den einzelnen Menschen überlebt, ist erstens sein guter oder schlechter Ruf, den er sich erworben hat; zweitens lebt der Mensch in seinen Kindern gewissermaßen weiter; drittens haben seine Handlungen die schon erwähnten Folgen, die sich bis zum Ende der Zeiten erstrecken können; viertens bleibt der Körper des Menschen als Materie erhalten; fünftens können Dinge, an denen der Mensch besonders gehangen hat, ihn u. U. lange überdauern. — Dem mittleren dieser fünf Gründe kommt offensichtlich der Primat zu, weil die Handlungsfolgen für das Gericht über die Welt von größter Bedeutung sind. Die vier übrigen (schwächeren) Gründe stellen eine bloße Peripherie und Zugabe zu diesem Hauptargument für die Notwendigkeit eines iudicium universale dar.
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Als Literatur zu Dantes „Divina Comedia" sei auf drei Werke hingewiesen: Dante Alighieri: Die göttliche Komödie, übers, v. H. Gmelin. Kommentar 1 . - 3 . Teil., 3 Bde., Stuttgart 1 9 5 4 - 1 9 5 7 ; Dante Alighieri, La divina commedia. Con i commena di T. Cassini, S. A. Barbi e di Α. Momigliano. Testo dalla Società Dantesca Italiana. Introduzione e aggiornamento bibliografico di F. Mazzoni. Inferno; Purgatorio, 2 Bde., Florenz 1 9 7 2 - 7 7 ; A. Vallone, Dante, Mailand 1981.
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zwar an einigen Stellen der „Divina Commedia", ζ. Β. im 6. Gesang des „Inferno" (94 sq.), als noch ausstehend angesprochen. Aber das Gericht über die Einzelseele und seine Gesamtfolge, nämlich die Zuteilung von Strafe und Lohn sowie die Zuweisung der abgeschiedenen Seelen an die Orte, die sie verdient haben, rückt bei Dante darstellungsmäßig ins Zentrum. Die leibliche Auferstehung wird sogar in gewissem Sinn vorweggenommen. Denn die Seelen der „Divina Commedia" sind mit Schattenleibern ausgestattet, die ebenso wahrnehmen wie empfinden können; an ihren Gesichtern vermag der Dichter bisweilen individuelle Personen wiederzuerkennen. Während bei Thomas die Seligen erst nach dem Weltgericht mit ihren Brautgaben und Siegeszeichen verherrlicht werden, findet diese Verherrlichung bei Dante — man denke nur an die Himmelsrose im „Paradiso" (Par. 31,1 sq.) — bereits nach dem ersten Gericht statt. Auf dieses gegenwärtige Gericht, welches jeden Menschen betrifft, sowie er stirbt, und Unzählige getroffen hat, die schon gestorben sind, hat sich bei Dante der Schwerpunkt verschoben. Denn dieses Gericht liegt der „Divina Commedia" zugrunde; innerhalb ihrer befinden wir uns nach dem Gericht. Inferno, Purgatorio und Paradiso werden in der Literatur oft als Jenseitsorte bezeichnet10. Genau besehen ist der Begriff Jenseits' für die „Divina Commedia" unpassend. Wenn wir uns auf die buchstäbliche Ebene des Gedichts begeben, so durchwandert Dante die Hauptgegenden unserer Welt. In dem Walde nahe Florenz, wo er sich verirrt hat und von drei Tieren bedroht wird (Inf. 1, 31 sq.), begegnet ihm Vergil als der Abgesandte Beatrices; mit diesem Führer und Meister steigt Dante durch die Ringterassen der Hölle hinab zum Erdmittelpunkt, dem Straforte Luzifers und der schlimmsten Verräter. Von diesem untersten Punkt der Hölle steigt er in umgekehrter Richtung bis zum Läuterungsberg empor, der auf der anderen Hälfte der Erdkugel, Jerusalem genau gegenüber, gelegen ist; die letzten Stufen des Purgatorio reinigen den Dichter selbst, bis er würdig geworden ist für den „Aufstieg in die Sterne" 11 . Dieser Aufstieg durch die neun Sphären des Sternenhimmels unter der Führung Beatrices läßt den Erwählten zuletzt bis vor das Angesicht des dreieinigen Gottes gelangen. Bei diesem ganzen Wege handelt es sich zwar um Orte, die den Menschen unzugänglich sind, aber es sind keine jenseitigen Orte sensu stricto; befinden sie sich doch alle in und auf unserer Erde sowie in unserem Himmel. In ihrer Unzugänglichkeit bilden diese Orte gleichwohl abgeschiedene Sphären, in denen das untrügliche Urteil der göttlichen Gerechtigkeit bereits manifest ist, welches der noch lebenden Menschenwelt unbekannt ist. Dantes dichterische Vision erhebt den Anspruch, am Urteil Gottes partizipieren und es verkünden zu können; die Kunst, genauer die Dichtung, nimmt den Rang des höchsten
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Dante selbst bezeichnet sie als die Geisterreiche bzw. als das Leben der Geister {„le vite spirituali", Par. 33, 23). Purg. 33, 142 — 145: „Io ritornai dalla santissima onda / Rifatto sì come piante novelle / Rinovellate di novella fronda, / Puro e disposto a salire alle stelle. "
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Wissens ein 12 . Dante besingt seine „Commedia" als ein Werk, „an welchem Himmel und Erde Anteil haben" („0/ quale ha posto mano e ríelo e terra"; Par. 25, 2).
Warum kann Dante, ein Mensch, das Urteil der göttlichen Gerechtigkeit — in einem Gedicht, das er als poema sacro bezeichnet (Par. 25, l ) 1 3 — antizipieren und andere Menschen in die Hölle, das Fegefeuer und den Himmel versetzen, Menschen, die er mit Namen nennt? Wenn auch gesagt werden könnte, daß all dies nur im Medium der dichterischen Fiktion geschähe, so wäre die angesprochene Ungeheuerlichkeit damit noch nicht entschärft 14 ; beansprucht doch dieses Gedicht, heilig und die Wahrheit verkündend zu sein (ibid.). Die Klärung dieser Frage muß auf einer tieferen Ebene erfolgen und von Dantes Vergeltungsidee ausgehen. Diese Vergeltungsidee besagt, daß die Strafe nichts anderes als die Manifestation der Sünde selbst ist, weshalb sie aus der Sünde gefolgert werden kann. Diese Vergeltungsidee, die Dante mit dem Begriff „contrapasso" umschreibt (Inf. 28, 142), kommt an einigen Stellen der „Divina Commedia" plastisch zur Manifestation. Die unentschiedenen Lauen z. B., die weder von der Hölle noch vom Himmel zugelassen werden, müssen einer ständig sich drehenden Fahne folgen (Inf. 3, 52 sq.); die Liebessünder werden von einer Windsbraut wie einst von ihrer Leidenschaft umgetrieben (Inf. 5, 31 sq.), während die Zornmütigen im Styx miteinander raufen (Inf. 7, 112 sq. und 8, 58 sq.) oder die Mörder im Blute baden (Inf. 12, 46 sq.). Die göttliche Gerechtigkeit ist in all diesen Fällen wie eine magische Macht in den Sündern selbst anwesend, deren Strafe in der Fortsetzung des sündigen Tuns besteht, die ihnen jedoch hier — in einer Sphäre, in der alles offenbar geworden ist — zur Qual gereicht 15 . Auch in anderer Form kann die Strafe der Sünde entsprechen. Wenn die Simonisten köpflings begraben werden (Inf. 19, 22 sq.), so paßt dies zu ihrer Sünde; haben sie doch das Oberste zuunterst gekehrt und den irdischen Vorteil dem Dienst am Himmel vorgezogen. Aufs Ganze gesehen gliedert Dante die einzelnen Stufen der Hölle und des Fegefeuers gemäß den Sünden, die er unterschiedlich schwer bewertet. So wird im 11. Gesang des „Inferno" der Plan der Hölle offengelegt. In der oberen 12
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H. Boeder (Topologie der Metaphysik [nt. 4]) gebraucht im Blick auf Michelangelo den Begriff „Die absolute Kunst" bzw. „die Kunst in absoluter Bedeutung" (349 sq.). Dantes „Divina Commedia" könnte als die Dichtung in absoluter Bedeutung charakterisiert werden. Dante gebraucht auch den Begriff „lo sacrato poema" (Par. 23, 62). Erstaunlicherweise läßt Dante in seinem „Paradiso" Thomas von Aquin davor warnen, sich über die Seligkeit oder Verdammnis des Nächsten ein Urteil anmaßen zu wollen (Par. 13, 130 — 142). Die Mahnung des Evangeliums „Richtet nicht" wird zitiert in Par. 20, 133. - H. Rheinfelder begründet in seinen Dante-Studien (Köln - Wien 1975, im Kapitel „Das Selbstverständnis Dantes als politischer Dichter", 1 1 6 - 1 3 6 ) Dantes Kühnheit zum Gericht mit dem göttlichen Auftrage, dessen sich der Dichter bewußt ist und der ihn insbesondere dazu ermutigt, gerade auch die Großen und Mächtigen in die Hölle und das Fegefeuer zu versetzen (133 sq.). Cf. zu diesem Thema die Einleitung der deutschen Ausgabe der Göttlichen Komödie, übers, von F. F. von Falkenhausen, Frankfurt a. M. 1974, Bd. II, 462 sq.
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Hölle werden die Schwachheitssünden gebüßt, in der unteren Hölle hingegen die Bosheitssünden, als da sind Gewalt gegen den Nächsten, gegen sich und gegen Gott. Einen besonderen Bezirk in dieser eigentlichen Hölle bilden die Ubelbuchten (malebolge), in denen die Betrüger aller Art gepeinigt werden. Die Verräter schließlich befinden sich auf dem tiefsten Höllengrund im Mittelpunkt der Erde. An der Schwelle vom 17. zum 18. Gesang des „Purgatorio", also in der Mitte des Gesamtwerks überhaupt 16 , wird die Anordnung des Fegefeuers erklärt. Das Streben nach Bösem, das gegen den Nächsten gerichtet ist und sich in Stolz, Neid und Zorn äußert, ist die größte unter den hier vorkommenden Sünden, die in den unteren Kreisen des Purgatoriums bestraft wird. Die Liebe, die im Suchen und Ergreifen des ewigen Gutes säumig war und als Trägheit bezeichnet wird, büßt im 4. Ringe. Diejenige Liebe hingegen, die in Form von Geiz, Schlemmerei und Wollust unmäßig nach irdischem Gute trachtete, wird in den drei oberen Kreisen gereinigt. Der von Dante dargestellte Himmel ist ebenso reich abgestuft. Die Bahn der ersten drei Planeten Mond, Merkur und Venus wird noch vom Erdschatten berührt. Diejenigen Menschen, die sich unerfüllte Gelübde, eine gewisse Vernachlässigung des Seelenheils aus Ruhm- und Ehrsucht oder eine zu starke sinnliche Liebe zuschulden kommen ließen, bewohnen diese untersten Stufen der Seligkeit. Die drei folgenden Sternenhimmel von Sonne, Mars und Jupiter beherbergen die Lehrer der Theologie und die Ordensgründer, die Gottesstreiter und Märtyrer, schließlich die edlen und gerechten Herrscher. In den drei höchsten Sphären begegnet Dante den Heiligen der Betrachtung (Saturn), dem Siegeszug Christi, zusammen mit Maria, den Aposteln und Heiligen des Neuen und Alten Bundes (Fixsternhimmel), und im Kristallhimmel schaut er die neun Ordnungen der Engel. Im Empyreum, das den ganzen Himmel umschließt, erscheint die Himmelsrose. Zuletzt wird der Anblick der Dreieinigkeit auf die Fürbitte Mariens hin gewährt, die vom heiligen Bernhard erfleht wird. Diese innere Abstufung der drei Geisterreiche Inferno, Purgatorio und Paradiso, die Dante zur Anschauung bringt, unterscheidet sich vom thomasischen Gedanken des Weltgerichts folgendermaßen. Bei Thomas von Aquin ist die caritas das alleinige Kriterium, das für das letzte Gericht über die Seelen von Belang ist. Stirbt ein Mensch in der Todsünde, die die Ordnung des Willens auf das letzte Ziel hin zerstört (I — II, 88, 1), so weist ihn das Urteil des göttlichen Gerichts der Hölle zu. Die reinigenden Strafen des Fegefeuers betreffen die Menschen, die nur läßliche Sünden begangen oder die Buße für ihre Todsünden noch nicht erbracht haben (Compendium Theologiae I, c. 175 und 182). An das 16
Daß die Gesänge 17 und 18 des „Purgatorio" die Mitte der gesamten „Divina Commedia" bilden, wird eingehend erörtert von H. Rheinfelder, Der Zentralgesang des Purgatorio und der ganzen Commedia, in: Dante-Studien (nt. 14), 1 - 2 0 und von R. Imbach/S. Maspoli, Philosophische Lehrgespräche in Dantes ,Commedia', in: K. Jacobi (ed.), Gespräche lesen. Philosophische Dialoge im Mittelalter, Tübingen 1999, 291 - 3 2 2 , 299 sq.
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Ziel der ewigen Seligkeit fuhrt den Menschen allein die virtus (ibid., c. 173), die es jedoch als vera virtus ohne die caritas nicht geben kann (II —II, 23, 7). Wie bei Thomas die caritas aus einer Mitteilung der göttlichen béatitude gedacht wird (II —II, 23, 1), so läßt sich auch die ewige beatitudo der Menschen nur nach dem Maß ihrer caritas abstufen: „Plus autem partiäpabit de lumine gloriae, qui plus habet de caritate" (I, 12, 6). Wie die caritas bzw. ihr Fehlen das Unterscheidungsmerkmal zwischen Seligen und Verdammten ist, so werden auf Liebe und Haß hin die Seligen und Verdammten absolut einander entgegengesetzt: „... sicut in beatis in patria erit perfectissima caritas, ita in damnatis erit perfectissimum odium. Unde sicut sancti gaudebunt de omnibus bonis, ita et mali de omnibus bonis dolebunt" (SuppL, 98, 4). Dieser absoluten Entgegensetzung entspricht die endgültige Unterscheidung der Menschen durch Christus im Gericht. Das von Dante gedichtete Inferno enthält zwar an seinem tiefsten Punkt ebenfalls einen eisigen Ort, an dem jede Liebe erfroren ist (Inf. 34, 11 sq.); auf den etwas höher gelegenen Ringterassen der Hölle gibt es jedoch Seelen, denen Dante sogar mit Verehrung begegnet, wie z. B. der Seele seines Lehrers Brunetto Latini (Inf. 15, 27 sq.). Dieser sagt Dante seine Zukunft voraus und läßt ihm einen väterlichen Rat zukommen. Zuvor wird Dante, in den noch höheren Höllenkreisen, angesichts der Verdammung der beiden Liebenden Francesca und Paolo von Mideid fast überwältigt (Inf. 5, 72). Dantes Veranschaulichung der gestuften Hölle steht zum thomasischen Gedanken, daß es in der Hölle ausschließlich den bösen Willen und den vollendeten Haß gibt (Suppl., 98, 1—2 und 4), in scharfem Kontrast. In dem von Dante dargestellten Purgatorio geht es weniger um die läßlichen Sünden als solche, als vielmehr um die unvollkommene und fehlgeleitete Liebe, die als Liebe reinigungs- und verwandlungsfähig bleibt 17 . Schließlich ist das Paradiso bei Dante, in deutlichem Unterschied zu Thomas, von läßlichen Sünden nicht ganz frei 18 . Die Abstufung der höheren Himmelskreise erfolgt nicht allein nach dem Maß an caritas-, vielmehr nehmen z. B. die edlen Herrscher aufgrund ihrer Gerechtigkeit einen vorzüglichen Rang im Paradiso ein (Par. 20, 37 sq.). Wie Dante die drei Geisterreiche Inferno, Purgatorio und Paradiso durchwandert und auf diesem Wege selber verwandelt wird, so scheinen die drei Bereiche eine Gesamtstufung zu ergeben. Dante läßt der eigentlichen Hölle eine Vorhölle voraufliegen, die eine Burg des Ruhmes enthält, die die Helden und Weisen des Altertums bewohnen (Inf. 4, 67 sq.). Zu diesen gehört Vergil, der 17
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Der Unterschied zwischen Thomas und Dante ließe sich so umschreiben: Bei Thomas büßen im Fegefeuer diejenigen Menschen, bei denen es läßliche Sünden trotz der caritas gibt. Diese Sünden werden durch das Reinigungsfeuer bestraft und aufgehoben. Bei Dante jedoch wird die fehlgeleitete Liebe als solche gereinigt und verwandelt. Die Liebe, von der es im Beschluß der „Commedia" heißt, daß sie „in Gang hält Sonn und Sterne" („move il sole e l'altre stelle"·, Par. 33, 145), umfaßt alle Formen der Liebe und macht den verbindenden Überstieg zwischen den Geisterreichen möglich. Cf. die ersten drei Himmelssphären, auf die der Erdschatten fällt.
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Dantes Führer auch noch im Purgatorio ist und somit die Trennung beider Reiche im wahrsten Sinn des Wortes überbrückt. Die höchsten Kreise des Purgatorio bilden den Übergang zum Paradiso; wird Dante doch im Purgatorio von Beatrice abgeholt. Wenn es in den unteren Sphären des Himmels die noch unvollkommene, die ,verschattete' Liebe gibt, so ist die Trennungslinie zwischen Purgatorio und Paradiso überschreitbar geworden. An die Stelle der absoluten Entgegensetzung zwischen Seligen und Verdammten, die von Thomas gedacht wird, tritt bei Dante ein abgestuftes Urteil über die Seelen. Der gesamte Weg, der in der Verirrung im Walde beginnt und sich im Anblick der göttlichen Dreieinigkeit vollendet, erscheint als Bildungsgeschichte des Dichters, die seinen Lesern zur moralischen Lehre werden soll. In seinem Schreiben an Cangrande della Scala 19 äußert sich Dante über sein eigenes Werk dahingehend, daß es nicht nur eine einfache (wörtliche) Bedeutung habe. Der Sinn der „Commedia" vielmehr, sofern sie allegorisch verstanden wird, „est homo prout merendo et demerendo per arbitrii libertatem est iustitie premiandi etpuniendi obnoxias" (Ep. 8, 34). Des weiteren schreibt Dante, daß seine „Commedia" eine Schrift sei, die zur Disziplin der Moralphilosophie gehöre: „Genus vero philosophie sub quo hic in toto etparteproceditur, est morale negotium, sive ethica" (ibid., 40). Dantes „Divina Commedia" steht daher in einem gewissen Sinn der „Secunda Pars" der STh näher als ihrer „Tertia Pars". Bei Thomas führt der christologische Grundaspekt der „Tertia Pars" über die moralis sdentia der „Secunda Pars" eigentümlich hinaus; denn der in der „Secunda Pars" dargestellte Kosmos der Tugenden hat für die Eschatologie der „Tertia Pars" keine direkte Bewandtnis mehr. Christus der Weltenrichter unterscheidet die zu Richtenden allein nach der caritas. Bei Dante hingegen hat die Tugendlehre eine ebenso direkte wie höchste Bewandtnis für die „Divina Commedia"; deren Darstellung aller Stufen der Geisterreiche und des einen Weges durch alle hindurch (cf. Par. 33, 22 — 24) wird sogar selbst als Moralphilosophie oder Ethik bezeichnet.
III. Der ethische Grundaspekt der „Divina Commedia" 2 0 ist zugleich ein politischer. Die ganze „Divina Commedia" ist von politischen Lehren und Bezugnahmen erfüllt. Es soll im folgenden der Grundgedanke der politischen Philosophie Dantes kurz erläutert werden, um die Dignität der politischen Thematik bei Dante, in Differenz zu Thomas, zu verdeutlichen. 19
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Zitiert wird nach der folgenden Ausgabe: Dante Alighieri: Das Schreiben an Cangrande della Scala, übers., eingel. u. kommentiert v. T. Ricklin, mit einer Vorrede von R. Imbach, Hamburg 1993. In der ganzen „Commedia", die Dante als Ethik verstanden hat, gibt es eine Beunruhigung betreffs der unergründlichen Gnadenwahl Gottes (cf. ζ. Β. Inf. 4, 43; Par. 19, 70 sq.; 20, 67 sq. und 32, 58 sq.), welche Gnadenwahl sich eben ,moralisch' nicht zureichend begründen läßt. Diese Beunruhigung gibt es bei Thomas grundsätzlich nicht.
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Dante hat die systematische Darstellung seiner politischen Philosophie in seinem Werk „De Monarchia" vorgelegt. Die Hauptmotive seiner politischen Lehre stehen jedoch ebenso im Hintergrund der „Divina Commedia" 21 . Dante geht in seiner „Monarchia" von dem Gedanken eines irdischen Endziels des gesamten Menschengeschlechts aus. Dieses eigentümliche Ziel des genus humanum bestimmt Dante als die vollständige Verwirklichung des „möglichen Intellekts" (De Monarchia I, 3, 6 sq.), was ebensoviel besagt wie „größtmögliche Vervollkommnung des Menschen". Diese Vervollkommnung betrifft den theoretischen Verstand, der auf die Betrachtung der Wahrheit bezogen ist, ebenso wie den praktischen Verstand, dessen das Handeln und Hervorbringen bedarf. „... proprium opus humani generis Maliter accepti est actuare semper totam potentiam intellectus possibilis, per prius ad speculandum et secundario propter hoc ad operandum per suam extensionem" (ibid. I, 4,1). Die Voraussetzung dafür, daß dieses menschheitliche Werk der Verwirklichung und Vervollkommnung gelingen kann, ist die pax universalis. Diese pax kann es jedoch nur geben, wenn alle Menschen einer einzigen Universalmonarchie angehören. Diese wiederum besitzt einen mit der allgemeinen Kirche vergleichbaren Rang. Wie die Menschen in der Kirche vom Papst zum Endziel des ewigen Lebens geführt werden, so sollen sie sich im Imperium unter der Anleitung des Kaisers ihrem irdischen Endziel annähern. Die Lehre von den zwei Endzielen des Menschen — die auch als die zwei Glückseligkeiten bezeichnet werden (ibid. III, 15, 8) — stellt eine grundstürzende Verwandlung des teleologischen Denkens des Thomas von Aquin dar, aus der sich weitreichende Konsequenzen ergeben. Weil es die Wissenschaft der Politik mit einem Endziel des genus humanum zu tun hat, vermag sie den Rang einer Ersten Wissenschaft zu behaupten22, die sich nicht mehr aus ihrer Subordination unter die Theologie verstehen läßt. Weil der Kaiser bzw. Universalmonarch das Menschengeschlecht zu dem intellektuellen' Endziel hingeleiten soll, das in Dantes Darstellung neben dem himmlischen Ziel als ein zweites Endziel sui generis erscheint, ist die Autorität des Kaisers nicht als vom Papst abgeleitet zu denken. Etienne Gilson hat in seinem Buch „Dante et la philosophie" 23 zutreffend bemerkt, daß bei Dante bestimmte Attribute der römischen Kirche auf das Imperium übertragen werden, das dadurch zur Gleichrangigkeit mit der Kirche und zur Unabhängigkeit von ihr avanciert; ist doch die Universalmonarchie, die auf die Vervollkommnung aller Menschen angelegt ist, durch Einheit und Allgemeinheit charakterisiert24. Die sakrale Würde, mit der Dante das Amt des 21
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Cf. zu dieser Thematik A. M. Chiavacci Leonardi, La Monarchia di Dante alla luce della Commedia, in: Studi medievali 28 (1977), 1 4 7 - 1 8 3 . Schon im „Convivio" wird die Moralphilosophie, welche Ethik, Ökonomik und Politik umfaßt, als Vollendung des menschlichen Wissens überhaupt charakterisiert: „... la moralitade è belleza de la filosofia" (III, 15, 11). E. Gilson, Dante et la philosophie, Paris 1939, 6. Aufl. 1972; dt: Dante und die Philosophie, übers, v. E. S. von Seckendorff, Freiburg 1953. Ibid., 180 sq. Gilson hebt zutreffend hervor (179): „Par un curieux choc en retour, Dante n'a pu dresser un monarque universel en face du pape universel qu'à la condition de concevoir ce monarque lui-même comme une sorte de pape".
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Universalmonarchen ausstattet, zeigt sich nicht zuletzt an seiner politischen Deutung bestimmter Bibelstellen. So charakterisiert er im 1. Buch der „Monarchia" den allgemeinen Frieden, der dank der Universalmonarchie eintreten soll, als „das Beste" „unter allen Dingen", „die auf unsere Glückseligkeit hingeordnet sind" 25 . Diese Hochschätzung des Friedens wird mit dem Weihnachtsgruß der Engel an die Hirten belegt: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen guten Willens auf Erden" (ibid., 3). Der hier genannte Friede scheint sich jedoch weniger der Menschwerdung Gottes als der Herrschaft des Kaisers Augustus zu verdanken, dessen Befriedung des Reiches einst von dem Dichter Vergil gepriesen wurde. Die gottgewollte Friedensordnung, in der sowohl der römische Papst wie der römische Universalmonarch ihres Amtes walten 26 , ist jedoch durch den Weltherrschaftsanspruch des Papsttums nachhaltig gestört worden. Hinter diesem Anspruch erblickt Dante mitunter die Begierde (cupiditas)21, die im ersten Gesang des „Inferno" allegorisch als Wölfin erscheint (Inf. 1, 49 sq.) und das Gegenwesen zum Frieden schlechthin ist. Sie ist die Quelle, aus der die Entartungen der Staatsverfassungen und zuletzt die Kriege entspringen. Von den Krallen der Begierde, so Dante, wurde die Einheit des Römischen Reiches zerrissen und insbesondere Italien ins Verderben gestürzt. Von allen politischen Übeln ist der päpstliche Weltherrschaftsanspruch das größte, weil er genau das Amt des Kaisers schädigt, welches allein den Kriegen wehren und die pax universalis für das genus humanuni sicherstellen könnte. Der Rang der Politik, der sich aus ihrer Hinordnung auf ein eigentümliches Endziel des Menschengeschlechts ergibt, kommt in der „Divina Commedia" auf mannigfaltige Weise zum Ausdruck. So wird im tiefsten Punkt der Hölle die schwerste Sünde, nämlich der Verrat, bestraft. Neben Judas als dem Verräter des Heilands erscheinen Brutus und Cassius als die Verräter des Gründers des heiligen Weltreichs. Im 18. Gesang des „Purgatorio", wo die Strafe der Trägheit dargestellt wird, werden als Beispiele löblicher Eñe sowohl Marias Gang zu Elisabeth (100) als auch Cäsars Eilmärsche im Kampf um das Imperium (101 sq.) genannt. Und was die neun Sternenkreise des Himmels anbelangt, so erscheinen die heiligen Lehrer der Kirche, wie z. B. Thomas von Aquin und Bonaventura, im vierten Kreise der Sonne; die edlen und gerechten Herrscher jedoch, z. B. König David, Kaiser Trajan oder der Trojaner Ripheus, erblickt Dante in dem noch höheren Sternenkreise des Jupiters. Der Tugend des gerechten Herrschers wird ein allerhöchster Rang zuerkannt, und die Profangeschichte scheint der Heilsgeschichte an Dignität gleichzukommen. Dantes „De Monarchia" und „Divina Commedia" sind nicht nur Werke, die auf dem Hintergrund eines bedrängenden politischen Unheils entstanden sind, 25
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De Monarchia I, 4, 2: „ Unde manifestum est quod pax universalis est optimum eorum que ad nostram beatitudinem ordinantur". Purg. 16, 106 — 108: „Soleva Roma, che Ί buon mondo feo / due soli aver, che tuna e l'altra strada / facean vedere, e del mondo e di Deo. " De Monarchia III, 3, 8.
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sondern sie wollen 2ugleich die Heilung desselben vorbereiten und mit herbeiführen. Schon im ersten Gesang der „Divina Commedia" wird im Bilde eines Rüden der Retter prophezeit, der das heilige Weltreich wiederaufrichten wird (Inf. 1, 101 sq.). Dieser Rüde namens Veltro wird die Wölfin, die für Geiz und Habsucht steht, von Ort zu Ort hetzen und eines bitteren Todes sterben lassen. Das in der „Divina Commedia" dargestellte Gericht über politische Missetäter unterstreicht die einzigartige Bestimmung, die der Politik gegeben ist und deren Verfehlung am schwersten wiegt. In der „Divina Commedia" hat sich, wie oben dargelegt wurde, gegenüber Thomas von Aquin der Akzent vom Weltgericht am Ende der Zeiten auf dasjenige Gericht verlagert, welches Thomas als das iudicium bestimmt, „quod in praesenti tempore agitur" (III, 59, 5). Die drei Geisterreiche Inferno, Purgatorio und Paradiso werden von einem Lebenden gesehen, dessen Gesichte der geschichtlich-politischen Heilung Italiens und ganz Europas zugute kommen sollen. Das Weltgericht am Ende der Zeiten nützt der Weltgeschichte nichts mehr, denn es wird über sie und nach ihr abgehalten. Das von Dante dargestellte Gericht soll jedoch auf die Geschichte heilend zurückwirken. Es stellt zwar das Ende betreffs der Gestorbenen, aber als gedichtetes zugleich einen Anfangs- und Wendepunkt für die noch Lebenden dar. Diese ethisch-politische Grundausrichtung der „Divina Commedia" ist gegenüber der thomasischen Darstellung der letzten Dinge schlechthin neu.
V i l i . Petrus Johannis Olivi
Private Apocalypse: Spiritual Gnosis in Saint John Cassian and Peter John Olivi A N N E A . DAVENPORT
(Cambridge,
MA)
"Thine eyes shall see the king in his beauty: they shall behold the land that is far off." - Isaiah 33.17 "Amors de terra lonhdana, Per vos totz lo cors mi dol." Jaufré Rudel
The purpose of this paper is to call attention to an unexpected yet critical conjunction between Saint John Cassian and Peter John Olivi with regard to Apocalypse 3, 15 — 17: unexpected, because, as Raoul Manselli has pointed out, Olivi does not follow Joachim de Fiore in championing monasticism as such1; critical, because while Olivi appropriates Cassian to help formulate his own controversial view of the Church's seventh age2, Cassian in turn appropriates what the Spirit says to the Seventh Church to help formulate the metaphysical foundations of monastic spirituality. Shordy after John Cassian arrived on the coast of Provence in the early fifth century bearing the wisdom of Egyptian monks shaped by the doctrines of Evagrius Ponticus3, he formalized his spiritual teaching in twenty-four Conferences, dedicated for the most part to various sandifratres on the islands of Lérins and Hyères4. Far from being the straightforward narrative of personal interviews with Egyptian monks that it appears to be, Cassian's "Coniationes" is in reality a highly complex literary construction5. For example, the total number of con1
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Cf. Raoul Manselli, La 'Lectura Super Apocalipsim' di Pietro di Giovanni Olivi (Studi Storici 19-21), Roma 1955, 188sq. As David Burr points out, much of what is condemned in Olivi's "Lectura Super Apocalypsim" by John XXII in 1323 concerns this seventh age. Cf. The Persecution of Peter Olivi (Transactions of the American Philosophical Society, N. S. 66, P. 5), Philadelphia 1976, 8 3 - 8 4 . Cf. S. Marsili, Giovanni Cassiano ed Evagrio Pontico, Dottrina sulla carità e contempla2Ìone, Roma 1936; O. Chadwick, John Cassian, Cambridge, 1950, 2 4 - 3 3 ; J.-Cl. Guy, S. J., Jean Cassien: Vie et doctrine spirituelle, Paris 1961; and B. McGinn, The Foundations of Mysticism: Origins to the Fifth Century, New York 1991. Cf. also A. Guillaumont, Les 'Kephalaia gnostica' d'Evagre le Pontique et l'histoire de l'origénisme chez les grecs et les syriens, Paris 1962. Cf. Jean Cassien, Conférences, ed. Dom E. Pichéry (Sources Chrétiennes 64), 3 vols., Paris 1955, 1958 and 1959. Cassian's dedications are in II, 9 8 - 9 9 , and III, 8 - 9 . On the monastic settlements of Lérins, cf. S. Pricoco, L'isola dei sancii, Roma 1978. Cf. also M. Labrousse, Saint Honorât, fondateur de Lérins et évêque d'Arles (Vie Monastique 31), Bégrolles-en-Mauges 1995. What Guillaumont writes of Evagrius in Kephalaia Gnostica (nt. 3), 36, applies nicely as well to Cassian: "Sa composition n'est pas linéaire, mais plutôt polyphonique."
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ferences, Cassian tells us, is "in mystical correspondence (numero mysüce congruente)" with the number of elders worshipping the Lamb in Revelation IV, 4 6 . Before turning to Olivi's appropriation of Cassian for his "Lectura Super Apocalypsim", we must therefore ask what role Revelation plays in Cassian's teaching on the inner life. Through Cassian, Evagrius's doctrine of apatheia was transplanted to Provence, along with a problematic ideal of Christian Gnosticism rooted in Origen and Clement of Alexandria 7 . The gnostic is "above all a lover of G o d " (Stromateis, VII) who "pays service to God by his constant self-discipline" (Stromateis, VII) until impassibility is reached as a state that transcends effort (Stromateis, IV) 8 . An exceptionally good definition of apatheia is found in Peter Olivi's " D e Perfectione Evangelica": the perfect fervor that allows the soul to adhere exclusively to God is defined by Olivi as love that is not "restrained by any passion or contrary affection" — "a nulla passione vel contraria affecüone retentus"9. Moreover, like Evagrius, Olivi views apatheia as essential to what Bernard McGinn has called an "absorptive concept of union with God" 1 0 . Does this supreme state imply impeccability, as Saint Jerome charged in his 414 — 416 attack on apatheia, linking it not only to Origen's latent paganism but, perhaps more dangerously for Cassian's ministry in Provence, to Pelagius? 11 The answer requires careful examination of Cassian's use of Apocalyptic imagery to explicate the supernatural character of true perfection 12 . To Cassian, the dynamic process that transforms God's servant (symbolized by "Abba Moses" of Cassian's first Conference) into God's friend (symbolized in turn by "Abba Abraham" of the last and 24th Conference) consists of an 6
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Cf. Conférences, III, Conference XXIV, 170 sq.: "Quarta atque uicesima ista contatto abbatis Abraham Christo fauente produàtur, omnium seniorum traditiones atque statuta concludens: qua uestns orationibus consummata Worum uiginti quattuor seniorum, qui in sancta Apocaljpsi coronas suas agno offere dicuntur, numero mystice congruente cunctarum promissionum nostrarum debitis nos credimus absoluendos. " For Evagrius' Origenism, cf. Guillaumont, Kephalaia Gnostica (nt. 3). With regard to Clement of Alexandria, an interesting text to consult is Fénelon's Le Gnostique de Saint Clément d'Alexandrie, ed. P. Paul D u d o n , S. J., Paris 1930, written in 1694 to defend Mme. Guyon against Bossuet. O n impassibility, cf. Evagre le Pontique, Traité Pratique ou le Moine, ed. Α. et C. Guillaumont, Paris 1971, II, 6 4 6 - 6 5 7 , sections 6 3 - 7 0 . Cf. esp. section 68, 653: " T h e perfected person {ho teleios) does not practice abstinence, nor does the apathetic {ho apathes) practice perseverance, since perseverance characterizes someone w h o is still subjected to passions, and abstinence someone w h o is still tormented (by lust)". Peter J o h n Olivi, D e Perfectione Evangelica, ed. A. E m m e n / F . Simonciolì, in: Studi Francescani 60 (1963); Quaestio Prima: "An contemplatio sit melior ex suo genere quam omnis alia actio", 418. Cf. Β. McGinn, Asceticism and Mysticism in Late Antiquity and the Early Middle Ages, in: V. W i m b u s h / R . Valantasis (eds.), Asceticism, N e w York - O x f o r d 1995, 66. For Olivi, cf. D e Perfectione Evangelica (nt. 9): "Si enim amor non essetperfecte liber, a nulla passione vel contraria affectione retentus, non esset perfecte sublimis, nec totaliter mentem propter se Deo adhaere faríens. Si etiam divina intime non penetrant et intra se teneret, certum est quod haec unio non esset perfecta. " Cf. Jerome's Letter 133, ed. I. Hilberg (CSEL 56), Wien 1918, 246; and the prologue to Dialogue against the Pelagians, ed. Migne PL 23, 495 a - 4 9 6 a. Cf. e. g., Conférences, III, Conference XIX, 46: "Rara est ergo etpaudssima dono dei concessapeifectio. "
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eschatological journey in the precise sense that contemplative union with God is reached as a private "end of motion" or "end of time" state where human effort is superseded - a state therefore unsurpassable as such in via, and marked by the key eschatological feature of irreversibility. The twenty-four Conferences that mystically guide the soul into the presence of the Lamb are divided into a first basic series of ten, then into two "Apocalyptic" series of seven 13 . Each of these three series culminates with a Conference that shows how the ascetic is transformed into a gnostic. Conferences Χ, XVII and XXIV thus sequentially reveal the degree of gnosis that corresponds to each of Abraham's three ascetic renouncements 14 . By ascetically forsaking the flesh, the monk acquires spiritual eyes to read Scripture (1st degree of gnosis); by ascetically forsaking the vanity of temporal bonds, he adheres to God's eternal ecclesia spiritualis (2nd degree of gnosis), and finally by eradicating all memory of present visible things, he discovers the living secret of agape and sits at God's table (3rd and final degree of gnosis). Each degree of gnostic insight is exposited by means of Apocalyptic imagery, to suggest, I believe, that genuine gnostic illumination is freely but also irreversibly given by God as a symbolic Apocalyptic "crown" 15 . Gnosis (sdentia spiritalis), which is a new indwelling of Grace, rewards and perfects ascetic service (sdentia actualis)16. Cassian's Apocalyptic imagery is progressively ordered. The Xth Conference, which completes the first series by revealing that perfectly pure prayer {purissima oratio) requires that Genesis 1, 13, be correctly understood to mean that the human soul is immaterial, not that God has human shape, compares the spiritual intelligence of Scripture to witnessing Christ's transfiguration on Mt. Thabor 17 . The eschatological character of this event 18 allows Cassian to implicitly depict the ascetic turned gnostic as initiated into a new intimacy with 13
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For the importance of series of seven in St. John's Revelation, cf. Β. McGinn, Early Apocalypticism, repr. in: id., Apocalypticism in the Western Tradition, Aldershot 1994, I, 22. Cf. Conférences, I, Conference III, 144. As Labrousse points out in Saint Honorât (nt. 4), 113, nt. 39, this allegorical interpretation of Genesis 12, 1, duly found in Hilarius of Aries' account of Honoratus' life ("Vita sancii Honorati episcopi Arelatensis") goes back at least to Philo of Alexandria (De migratione Abraham, I, 1 - 2 ) and is repeated by Ambroise in De Abraham, I, 2, 4. Cf. e. g., Conférences, III, Conference XXIV, 198: "Maiora igitur nobis per conludationem temptationum laudi; contulit praemia benigna erga nos gratia saluatoris, quam si omnem a nobis necessitatem certaminis abstulisset. " On Cassian's (Evagrian) distinction between sdentia adualis and sdentia spirìtalis, cf. Guy, Jean Cassien (nt. 3), 3 8 - 5 6 . Cf. Conférences, II, Conference Χ, 7 5 - 7 8 , and 80. In connection with Cassian's doctrine, cf. also Eucherus of Lérins, Formulae spiritalis intelligentiae (CSEL 31, 26). For the anthropomorphite crisis that rocked Egyptian monasticism and helped trigger the anti-Origenist reaction of 399 that presumably forced Cassian to migrate West, cf. Guillaumont, Kephalaia Gnostica (nt. 3), 5 9 - 6 2 . Cf. on this subject the study by H. Riesenfeld, Jésus transfiguré: l'Arrière-Plan du récit évangélique de la Transfiguration de Notre-Seigneur (Acta Seminarli Neotestamentici Upsaliensis XVI), Kobenhavn 1947.
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the divine that cannot be reversed: once the soul, in pure prayer, beholds God's invisible majesty, a carnal reading of Scripture is permanently transcended. The same discrete but undeniable Apocalyptic reference is found in the culminating lesson of the second series of Conferences, namely in Conference XVII. The ostensible issue is this: should John and his companion keep their promise to return to their monastery in Palestine, or should they break their oath and seek greater perfection in the Egyptian desert? The answer is that oath-taking must be abandoned as a temporal habit keeping the soul tepid and restricting its progress: "perfecti viri nihil absolute debeant definire"19. To become perfect, God's servant must forsake the vanity of earthly entanglements in order to court the Beloved one on one, through a solitary quest in the wilderness. This second transition, which corresponds to Abraham's second renouncement (exi de cognatione tua)20, evokes the Feast of Tabernacles and its rich eschatological allusions 21 . Cassian indeed stages Conference XVII at a symbolic one hundred feet from the cells, in loco remotiore, on mats 22 . In this imaginai ecclesia spiritualis of the desert, what is grasped is the full dereliction of tepid love — of stalling in the effort to unite with God. Awake on their mats in the middle of the night, enflamed with desire for greater perfection, the two young monks understand that social habits (mores) binding them to fellow human beings must not stand in the way of seeking a higher intimacy with the Beloved. They therefore decide to forsake the oath they swore in the Cave of the Nativity 23 , and to remain in the desert for seven years in order to rid themselves of the lukewarm tendency of their heart: "torporem nostri cordis utcumque discusserif2"'. Finally, the XXTVth Conference concludes, as Cassian puts it, "the teachings of all of the elders" by revealing the secret of perfect mortification. Perfect mortification corresponds ascetically to detachment from all transitory phenomena. Allegorically, it coincides with obeying God's call to Abraham to leave his "father's house" ("exi de domopatris tui") - i. e. to sever all ties, Cassian explains, with the demonic father of this world and to embrace instead the Heavenly Father25, 19 20
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Conférences, II, Conference XVII, 248. Genesis, 12, 1, is cited by Cassian in Conférences, I, Conference III, 145: "Quae trìa ut simul petfiríantur etiam Abrahae legimus dominum praecepisse, cum diàt ad sum: exi de terra tua, et de cognitione tua, et de domo patris tui. " Cf. in particular J. Daniélou, La Fête des tabernacles dans l'exegèse patristique, in: Studia patristica I, edd. Κ. Aland/F. L. Cross, Berlin 1957, 2 6 2 - 2 7 9 ; and J. Fleming, From Bonaventure to Bellini, Princeton 1982, 9 0 - 9 4 . Conférences, II, Conference XVII, 250 and 252. Conférences, II, Conference XVII, 252. Perhaps Cassian means to suggest that this oath coincides with "spiritual infancy" and must be superseded in maturity. Conférences, II, Conference XVII, 254. Cf. Conférences, I, Conference III, 146 sq., where Cassian opposes the "father of this world" (based on Ephes., 2, 3; Ezech., 16, 3 and John, 8, 44 "uos expatre diabolo estis") to the Heavenly Father. For the eschatological character of this opposition, cf. e. g. Ch. Fontinoy, Le dualisme dans la Communauté de Qumrân, in: J. Ries (ed.), Gnosticisme et le monde hellénistique, Louvain-la-Neuve 1982, 3 1 1 - 3 1 8 .
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thus becoming "a stranger and pilgrim on this earth" 26 . Gnostically, perfect mortification coincides with the revelation of agape, symbolized by the Song of Songs "in which the mind, transcending all that is visible, is already united with the Word of God through celestial contemplation" 27 . Drawing a deceptively simple parallel between the twenty-four elders of Apocalypse 4, 4, and his own twenty-four conferences, Cassian introduces his culminating lesson by explaining that "if our own twenty-four elders deserve a crown for their accomplishments, they too will prostrate themselves in the dust and offer it to the Lamb" 28 . The point is to vividly depict true Christian perfection as coinciding with the gift of supernatural humility. The monk who not only renounces the flesh, who not only renounces the safety of his community to seek the Beloved in the wilderness, but strives in addition to leave behind every memory of passing things, is rewarded with the gnosis of his supreme ontological nudity and the insight that "when I am weak, then am I strong" 29 . Perfect mortification provides the condition in which the finite soul is illuminated by the ultimate scientia spiritalis, namely its absolute indebtedness to the "author of all good". Cassian captures what we might call the infinite character of this supreme gnosis with a (fixed-point) formula of perpetual self-surrender: in the limit when the soul beholds its radical nudity and indebtedness to God, the more it seeks to pay back this debt, the more it owes: "cui hoc ipso debetur amplius quo magis soluitur"v\ Bound inexhaustibly to God through this self-replenishing love, the soul embraces as its highest perfection the ontological wound of nihilitas that keeps it perpetually in need of God. Negligence (tepor) is thus irradicated by the lover's infinite voluntary dependence on the Beloved, pride is uprooted by the illumination that "uirtus in infirmitate perficitur"^x. Those who "do glorious violence to themselves" for the sake of God's kingdom thus actually sit at God's table and "taste" eternal life: "cibabo te hereditate Jacob patris tui"32. To prepare us for the feast of agape that "concludes the teachings of all the elders", Cassian devotes Conference IV to probing the purpose of the war between flesh and spirit. Abba Daniel, in whom the "grace of humility (humilitatis gratia)" shines with special perfection 33 , explains that the purpose of the warfare between concupiscentia carnis and concupiscentia spiritus is to rescue the human will
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"Imola ego sum in terra, et peregrinas. " Psalms 118, 19, and 38, 13, are cited by Cassian in Conférences, I, Conference III, 147. On this theme, cf. G. Stroumsa, Ascèse et gnose: Aux origines de la spiritualité monastique, in: Revue Thomiste 81 (1981), 557-573. Conférences, I, Conference III, 146. Conférences, III, Conference XXIV, 171. II Cor., 12, 10 is cited by Cassian in Conférences, III, Conference XXIV, 194. Conférences, III, Conference XXIV, 171. II Cor., 12, 9 is cited by Cassian in Conference XXIV; in III, 198. Isaiah, 58, 14, is cited by Cassian in Conférences, III, Conference XXIV, 204. Conférences, I, Conference IV, 167.
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from its lukewarm state (tepidissimus status)34. Left to itself, the human will would complacently remain lukewarm 35 , "seeking to win the goods of eternity without giving up the goods of this world" 36 . The internal war provoked by the competing lusts of flesh and spirit helps to lift the will from its pernicious inertia (paxpernidosa) by confronting it with its infirmity. The incessant back-and-forth opposition between carnal lust and spiritual presumption gives the human will providential time to "work against its fall" — to be both tested (strengthened in zeal) and chastened (purged of pride). As the battle grows more fierce and the spiritual stakes grow higher 37 , the monk realizes that he must continuously petition God for the strength he needs in order to serve Him 38 . Daily combat thus becomes the providential wellspring of humility: "As though experience itself teaches us that if we want to pursue lasting purity of heart, we must study how to obtain the virtue of humility."39 This is why the gravest danger facing the soul in Cassian's doctrine is loss of zeal between the first and third renouncements. Unwilling to give in to carnal vice, the monk who grows tepid after entering the monastic state is equally unwilling to undergo the hardships that lead to true virtue 40 . To emphasize the terrible gravity of succumbing to tepor before true perfection is reached, Cassian appeals to Apocalypse 3, 15 — 17. It is just such a monk, Abba Daniel warns, whom Christ rejects as follows: "I know your works. You are neither cold nor hot. Would that you were cold or hot! But because you are lukewarm (quia tepidus es) I will start to vomit you from my mouth." 41 Scripture, Abba Daniel explains, teaches that there are three states of soul: carnal (cold), animal (lukewarm) and spiritual (hot) 42 . The monk's initial re34
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Cf. Conférences, III, Conference XXIV, 182. This is the phrase that most explicitly connects Conference IV to Conference XXIV. Abba Daniel also speaks of the will's pernicious lethargy: pax pernidosa. Cf. Conférences, I, Conference IV, 172: "Habes ethicpugnam inuisceratam quodammodo corpori nostro dispensations domini procurante ...Et est quodammodo utilis haec pugna nobis dispensations creatoris inserta et ad meltorem nos statum prouocans atque compellans, qua sublata procul dubio pax e contrario pernidosa succederei. " Conférences, I, Conference IV, 181 : "Essemus itaque penitus absque remedio tepidi, utpote non habentes indicem neglegentiae nostrae uel incorpore nostro uel in consrientiis propriis insidentem. " For the roots of the tepor metaphor in Origen, and the extent to which Evagrius adopts it, cf. Guillaumont, Kephalaia Gnostica (nt. 3), 105. Conférences, I, Conference IV, 176: "postremo sic mauult futura consequi bona, utpraesentia non amittat." Cf. in this regard Evagrius, Traité Pratique ou Le Moine (nt. 8), 638 sq.: "The more the soul progresses, the stronger the opponents that follow one another against it." Cassian is explicit about this: "industria nostra nihil sine adiutorio deipraeuakat", cf. Conférences, I, Conference IV, 166. Conférences, I, Conference IV, 180: "docentibus nos quodammodo ipsius rei experimentis, ut si integritatem cordis perpetuo consequi delectamur, humilitatis studeamus uirtutem iugfter obtinere." Conférences, I, Conference IV, 176: "Inter has igitur utrasque concupiscentias animae uoluntas in meditullio quodam uituperabiliore consistens nec uitiorum flagitiis oblectatur nec uirtutum doloribus adquiesdt. " Conférences, I, Conference IV, 176. Conférences, I, Conference IV, 182: "Secundum dφnitionem scripturae tres sunt animarum status, primus carnalis, secundus animalis, tertius spiritalis. " For this tripartite theory in Origen and Evagrius, and
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nouncement of the flesh lifts the soul from the carnal state to the animal state, but "We must strive with great haste to reach the spiritual state as soon as possible, lest we take pride in a purely external renouncement of the world, and, falsely believing that we have reached the highest perfection, relax our efforts and grow slugglish with regard to purifying our soul o f its other vices. For we would otherwise become stalled between the carnal and the spiritual states, incapable of rising higher because of the mistaken conviction that physical separation from the world and its pleasures suffices for perfection. But were we to be found in this lukewarm state, which is the worst o f all ( d e t e r r i m u s ) , we would be vomited out o f the Lord's mouth, as He Himself states: 'Would that you were cold or hot! But you are lukewarm, and I will vomit you f r o m my mouth.'" 4 3
Notice that Cassian has deftly managed to lace Apocalypse 3, 16, with a core Evagrian doctrine, claiming indeed that the soul's three states are so-defined by Scripture: secundum definitionem scripturae. Granted the Scriptural basis in Saint Paul of the triple description of human being as carnal, animal and spiritual44, is there a legitimate reason to superimpose this Pauline doctrine on the three degrees of temperature described by Saint John in connection with the Spirit's warning to the Seventh Church? Epiphanius, in his IVth century treatise against Origen and his disciples, explicitly denounced the imagery of spiritual temperatures as suspect, while Jerome, basing himself on Epiphanius, does not specifically report this imagery in his short list of heretical Origenist theses45. The metaphor of spiritual temperatures thus seems to hover precariously at the limit of orthodoxy, with far-reaching consequences, since it is this inherently problematic passage, along with the rest of Abba Daniel's discussion of the Spirit's warning to the Seventh Church, that Peter John Olivi appropriates for his controversial "Lectura Super Apocalypsim", written circa 1297, shortly before his death in the Franciscan convent of Narbonne46. If Cassian appropriates Apocalypse 3, 15 — 17 to explain the eschatological purpose of the soul's daily battle against sin through the occulted prism of Evagrius' controversial doctrine47, Olivi in turn appropriates Cassian's discussion to promote his own problematic views of the Church's eschatological seventh age. Not only is this citation Olivi's longest continuous citation by any
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for the possible source of the notion of animal state, cf. Guillaumont, Kephalaia Gnostica (nt. 3), 37 sq., and 85, where Origen is accused by one 4th century critic, namely Epiphanus, of holding that: "l'âme {psuche) est ainsi appelée parce qu'elle s'est refroidie en venant d'en haut." Conférences, I, Conference IV, 183. Cassian cites I Cor., 3, 2 — 3; I Cor., 2, 14—15; and Gai., 6, 1 (Conférences, I, Conference IV, 182). Cf. Guillaumont, Kephalaia Gnostica (nt. 3), 8 8 - 9 1 . For Olivi's dates, cf. Burr, Persecution (nt. 2), 17. Note that Cassian also cites Apocalypse 3, 20 to specifically connect the via actualis and the via spiritalis. Cf. Institutions Cénobitiques, ed. J.-Cl. Guy (Sources Chrétiennes 109), Paris 1965, 218.
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single author, including Richard of Saint-Victor and Joachim de Fiore 48 , but it is used for the key purpose of defining the highest, "eschatological" Christian perfection as well as its antithesis, final damnation. Without relinquishing Richard's principle of exegesis that what is meant is the sevenfold purification of the Church by the gifts of the Holy Spirit 49 , Olivi follows Joachim to interpret the seven Churches of Asia as allegories of seven overlapping but nonetheless progressively ordered historical ages of the Church 50 . In Olivi, however, these ages are related in a new dynamic way that has more in common with Cassian's dialectical "warfare" model of spiritual progress than with Joachim's static "concordia" model 51 . As though conjugating these three distinct approaches, Olivi interprets the Church, and the individual soul, to be purified through a dynamic temporal battle between good and evil. Each age puts the soul/church to a specific test that calls for a specific spiritual virtue, which in turn triggers new evils and hardships to be faced, providing new opportunity to develop higher spiritual insight and valor. This spiralling process of purification comes to an end in the seventh age when good and evil are at once radically polarized and internalized. Evil is wholly condensed into the single abominable final figure of the "lukewarm" who must be vomitted from God's mouth, while Goodness is concentrated in the final vir perfectas who is invited as alter Christus to sit at God's table. As Olivi puts it succinctly in his prologue, the seventh church is "named Laodicea, which means either 'vomit' or 'tribe beloved by God' because in its tepid members it is vomitted but in its elect it is supremely loved" 52 . When Olivi first cites Cassian, his ostensible purpose is to bolster Richard of Saint-Victor's exegesis of " Utinam frigidus esses aut calidus". According to Richard, it is better to be cold than lukewarm because the frankly infidel soul will convert to true Justice sooner than the complacent and proud Christian devoid of charity 53 . Recognizing an obvious affinity with Cassian's doctrine, Olivi first cites a passage from Conference IV in which Cassian explicates Apocalyse 3, 17 by appealing to Jeremiah 4, 3: 48
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I thank Warren Lewis for checking this for me, and for permission to cite excerpts from his edition. The whole section of Cassian's Conference IV cited by Olivi occupies approximately two pages in Pichéry's edition, starting on the middle of page 182 Ç'Itaque jestinandum nobis est..,".) and ending in the middle of page 184 Ç'ullam uerbi salutaris admittit"). Cf. Ricardi S. Victoris In Apocalypsim Joannis Libri Septem, ed. Migne PL 196, 689 sq., and 700. Cf. Lectura Super Apocalypsim (henceforth LSA), ed. W Lewis, Peter John Olivi: Prophet of the Year 2000, Diss. Tübingen 1972,154: "Notandum est quod quidquid diátur istis ecclesiis, sic competit et correspondet generalibus statibus ecclesie per eas allegorice figuratis." Cf. Manselli's comment in La Lectura (nt. 1), 188, nt. 6: "Diremo anzi che Olivi realizza rispetto a Giocchino un progresso fondamentale sostiuendo ali staticità del concetto concordistico la dinamicità del concetto di sviluppo." Manselli, however, nowhere discusses Cassian as a possible source of this new dynamic approach. LSA, ed. Lewis, 160: " Unde et congrue vocatur Laodiäe, que interpretatur 'vomitus' vel 'tribus amabilis domini', quia in suis tepidis est vomitus sed in suis eledis est summe dilecta. " Cf. LSA, ed. Lewis, 250; and Richard of Saint Victor, In Apocalipsim Joannis, 758.
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"Thus in the book of Cassian's 'Conferences', in the fourth Conference Abba Daniel says: We have often seen the cold and carnal, i. e. laymen and pagans, accede to spiritual fervor; but the lukewarm and animal, never. We thus read through the mouth of a prophet that God so abominates these that his prescription to spiritual men (spiritualibus viribus) and to doctors is to stop admonishing and instructing them - to cease henceforth from sowing the seed of Life in such sterile and unfruitful ground, full of thorns and weeds. Let them turn away, and devote their efforts to a new earth — which is to say, let them transfer the doctrine of salvation to pagans and laymen, as the Lord says: 'Plow a new earth, and do not sow among thorns.'" 54 By citing Cassian's appeal to Jeremiah 4, 3 in connection with the Seventh Church, Olivi may simply wish to give renewed authority to the standard doctrine that massive conversion of laymen and infidels at the hands of viri spirituelles constitutes a key eschatological sign. However he may also have something at once more metaphysical and more innovative in mind. Altering Abba Daniel's expository order, Olivi immediately after this cites the passage I have already quoted above about "striving with great haste to reach the spiritual state" lest the lukewarm "animal" state be mistaken for the highest Christian perfection 5 5 . This implies (a) that the "lukewarm and animal" of Jeremiah 4, 3 are quite explicitly those who cling inwardly to worldly rewards and substitute the prestige of ecclesiastic status for true Christian perfection, and (b) that the viri spirituales who must plow a new earth are a higher breed of fervent souls who have exerted themselves with perfect diligence for God's kingdom and are characteri2ed by invisible inner excellence. These viri spirituales have conspicuously reached the highest perfection, i. e. they have severed all ties with transitory things and received the gift of supernatural humility: these are presumably the same barefoot viripeifecti whom Olivi describes in his questions on Evangelical Poverty as the small number of elect who are capable of remaining contemplatively united with God in via56. In short, Olivi enlists Cassian to help outline an eschatological confrontation between a doomed ecclesia carnalis addicted to pride, and an everlasting ecclesia spiritualis — invisible instead of visible, internal instead of external, eternal instead of temporal, transplanted to a new earth that is radically inaccessible to the "lukewarm and animal". Conversely, the ecclesia carnalis is characterized by illusion, hypocrisy, and ontological irreality, since indeed it borrows a counterfeit visibility from the elect, even as Antichrist borrows Christ's appearance to subvert God's saints. By invoking Cassian to shed light on what the Spirit says to the Angel of Laodicea, Olivi draws on the special way that Evagrian spirituality privileges purity as the soul's supreme response to Grace. Like Cassian, Olivi depicts the 54 55 56
LSA, ed. Lewis, 250 sq.; cf. Cassian, Conférences, I, Conference IV, 184. LSA, ed. Lewis, 251; Cassian, Conférences, I, Conference IV, 182. Peter Olivi, De Perfectione Evangelica (nt. 9), 438: "Ad tricesimum dicendum quod, licet omnes, qui sunt in via, tint indispositi ad contemplandum Deum secundum modumpatriae, non tarnen omnes sunt secundum modum viae, ut saltern viri perfect!."
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sponsa summa dilecta as the human soul/church who has departed from the sterile land of thorns and vices to enter the pure "land which God shows Abraham" 57 . Noting in his prologue that what the Spirit says to the seven churches applies both to the seven historic ages of the Church and to the "seven virtuous battles of the soul ordered to ascend to perfection", Olivi explains that while the sixth stage of ascent involves being transformed into Christ, the seventh corresponds to the peaceful repose of those who are so transformed: "septimum est transformatorum quieta soporatio"58. Similarly, Cassian's vir spiritualis is so firmly rooted in celestial contemplation that he "no longer feels the body's fragility or physical location" 59 . Both Olivi and Cassian share the same imaginai methods and the same structuring vocabulary to describe the highest Christian perfection as a state of ineffable peace, transcending human effort because God Himself now possesses and is possessed. We should, I believe, recognize in Olivi's supreme vir spiritualis the true gnostic/apathetic of Evagrian doctrine, allegorized as the "new heaven and earth" of the seventh vision 60 . While Olivi does not champion monasticism as such, an undeniable affinity exists between the solitary athlete and "man of desires" promoted in Cassian's Conferences and the "poverello" praying in the wilderness of Mount Verna. Both are enflamed by the desire to adhere to God inseparabiliter and both feel rapturously called to a deserted landscape to seek a more perfect union with God 61 . The key difference, of course, is that Francis in the desert of Mount Verna receives the stigmata: to Olivi, the perfect contemplative must, in addition to puritas cordis and the solitary ecstasy described in Cassian, be "conformed to Christ" in a deeper way before being eschatologically invited to God's supper. The monastic vir perfectus of the fourth age must in the fifth age voluntarily retrace Christ's own itinerary of descent into the world for the sake of others 62 . The challenge is to remain (like Christ) pure among Prostitutes and Publicans while universally disseminating the means of salvation out of compassion. The 57 58 59
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Cf. Cassian's powerful use of this image in Conférences, I, Conference III, 154. Cf. LSA, ed. Lewis, 155 sq. Conférences, I, Conference III, 147: "ut ärcumdatam se fragilitate carnis ac situ corporis supernis et incorporéis intenta non sentiat atque in huiusmodi rapiatur excessus. " For a similar notion in Evagrius, cf. Guillaumont, Kephalaia Gnostica (nt. 3), 39: "l'intellect, progressivement libéré de la matière et du lieu, obtient de nouveau la science essentielle." For a similar oudook on Christian perfection among "Occitan" Cathars, cf. e. g. Ch. Thouzellier, Un traité cathare inédit du début du XHIe siècle, d'après le Liber contra Manicheos de Durand de Huesca (Bibliothèque de la Revue d'histoire ecclésiastique XXXVII), Louvain 1961, 89; reprinted in English translation in: W L. Wakefield/A. P. Evans, Heresies of the High Middle Ages, New York 1969, 500, section VI: "On the New Heaven and the New Earth". Cf. Cassian's description in Conférences, I, Conference III, 140: "Sublimionsprofectus ardore succenjus heremini festinauit penetrare secreta, ut domino, cui inter fratrum turbas positus siüebat inseparabiliter inhaerere, nullo deinceps humano consortio retrahente faälius uniretur. " Cf. LSA, ed. Lewis, 158, where Olivi writes in connection with the 4th Church/age: "Increpatur tamen quia permittebat Iespbelem seducere servos suos ... Solitarii enim et contemplativi negligere soient correctionem aliorum tanquam iudicantes soli sibi esse vacandam. " The spiritual task of the next age is thus "victoriosus descensus" (LSA, ed. Lewis, 160 and 166.)
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few who undergo the special trial of descensus without carnal pollution, remaining humble in heart and poor in spirit, are "clothed in white garments" and are ready for the next stage of ingressus in Christum — characterized by "total configuration and transformation of the soul into Christ" 63 . What Olivi thus defines as the special innovation and higher spirituality of Franciscan mendicancy relative to monasticism centers on internalizing the notion of Redeemer, specifically of the Redeemer's selfless descent into the cosmic realm to retrieve God's lost lambs. Olivi's Apocalyptic defense of his order thus ironically revives, in extremely modified form, a faint but nonetheless audible echo of Evagrius' doctrine of apocatastasis, which Cassian had carefully silenced 64 . We must note, however, that when the seventh age is reached, the special Franciscan descensus into the world and ingressus into Christ fall out of the equation. Since the seventh age corresponds to the repose of God's viri spirituelles, missionary efforts must presumably now be futile. Imitatio Christi takes on a form direcdy assimilable to the Passion and Resurrection. Olivi's Franciscan view of the highest perfection thus coincides with what Cassian describes as the state of perfect mortification and infinite agape in which absorptive union, at least as far as is possible in via, is consummated: " Vivit vero in me Christus"65. If in the seventh age the elect are irreversibly united with God, the opposing demons in whom evil is condensed are just as irreversibly rejected. To explain this, Olivi next cites what Cassian's Abba Daniel says about "inàpiam te emouere ex ore meo". Abba Daniel now specifies that the lukewarm who must be spewed from God's mouth have become lukewarm (noxie tepefactos) after having "already been received in the viscera of God's charity" 66 . Whereas what is cold will warm up in God's mouth, Daniel explains, what has cooled down in spite of being received within the divine heat has therefore become nauseating, so that God not only vomits it from his mouth but cannot even look upon it without horror 67 . This graphic description implies, of course, that the lukewarm are positively "refractory" to God's love, since intimacy with divine charity fails to ignite their fervor. This is indeed what Abba Daniel explains next, contrasting the salutary compunction and self-hatred of the carnal man faced with his sins and horrified by his cold state, to the monk who has allowed his initial fervor to cool down. The sinner will acquire "wings to fly to perfection" whereas the complacent monk is doomed: "rectissimepronuntiatur esse deterior". Bereft of humility and of zeal, homo animalis is neither capable of gaining perfection on his own, nor of benefiting from the admonishments of others. For according to Christ's 63 64
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LSA, ed. Lewis, 168. For the notion of descensus and apocatastasis in Evagrius and Origen, closely connected to I Corinthians, 15, 28 ("God will be all in all") cf. Guillaumont, Kephalaia Gnostica (nt. 3), 39, 8 9 - 9 3 and 3 1 1 - 2 3 . Galatians, 2, 20 is cited by Cassian in Conférences, III, Conference XXIV, 194. LSA, ed. Lewis, 251; Cassian, Conférences, I, Conference IV, 183. LSA, ed. Lewis, 252; Cassian, Conférences, I, Conference IV, 183: "Quod autem semel uitiopeninosi teporis abiectum est, non dicam labiis admouere, sed etiam eminus intueri sine ingenti horrore non possumus. "
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words, he says in his heart "I am rich, with abundant goods, I lack nothing", even though in reality he is miserable and poor. Blind to his nudity, he closes his heart to any salutary word. By shifting Abba Daniel's expository order, i. e. by first citing Cassian's appeal to Jeremiah 4, 3, Olivi has subdy enlisted Cassian's discussion to emphasize the eschatological idea that the abominable "lukewarm" of Apocalypse 3, 1 5 - 1 7 , being refractory to God's love and deaf to God's word, represents what in temporal creation is incurably a-gnostic because unmoved to repentance. The saint's supernatural apatheia, which coincides indeed with infinite repentance, not to mention a providentially negative experience of the flesh, is thus the radical inverse of the demon's pax pernidosa, symbolized by the sterile earth full of thorns that must (a) be left behind, and (b) positively and forcefully ejected by God, much like the "old man" or the "old heaven and earth" destined to pass away. Olivi's next move consists in sharpening Cassian's notion of "refractory" into the more dramatic and irreversible image of apostasy. Olivi completes this "eschatologicalization" of Cassian's doctrine in a very clever way. He subjects it to the test of a new scholastic tool, namely to what John Murdoch has called the new "analytical language" of latitude formarum — the language of the "latitude of forms" 68 . In a standard sed contra section, Olivi raises the following objection: "But it seems that the cold is further away {plus distai) from the hot, and more contrary to it, and more difficult to heat up than is the lukewarm. The lukewarm indeed participates more {plusparticipât) in hot than does cold." 69 Olivi's answer consists in interpreting "lukewarm" in this case to denote an irreversible motion away from charity in order to identify tepor with irremediable apostasy: "It must be said that lukewarm, as it is taken here, does not only indicate a remission of heat corresponding to a mean degree between hot and cold, but in addition to remission, it includes much that is more opposed to the heat of charity than the cold that is contrasted to it, in the way that it is here taken. Indeed just as apostasy from a high rank along with the retention of this rank's visible appearance is more opposed to this high rank than the state of never having attained this high rank simply out of coldness, so it is with the lukewarm with respect to the cold. For lukewarmth as it is here understood includes a real apostasy from a high state or from a great disposition and proximity to one. And just as it is harder to make a live horse out of a dead one than out of the initial matter from which the horse was generated, so it is harder to return the apostate soul to its first perfection than the cold one who has never reached it; and the same is true of broken pottery: it is harder to turn it again into a worthy
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Cf. J. E. Murdoch, The Development of a Critical Temper: New Approaches and Modes of Analysis in Fourteenth-Century Philosophy, Science and Theology, in: S. Wenzel (ed.), Medieval and Renaissance Studies, 1973, Chapel Hill 1978, 5 1 - 7 9 ; id.: Sáentia mediantibus vocibus. Metalinguistic Analysis in Late Medieval Natural Philosophy, in: J. P. Beckmann etc. (eds.), Sprache und Erkenntnis im Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 13/1), Berlin - New York, 1981, 73-106. LSA, ed. Lewis, 253: "Sed videtur quod minus malum sit esse tepidum quam esse frigdum, quìa jrigidum plus distai a calido et plus contranetur ei et difficilius calefit quam tepidum; tepidum etiam plus participât de calido quamfiigidum."
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container than the original clay. Similarly, it is more impossible to turn putrefied wine into good wine than it is [to do this] with the clear juice of the vine." 70
Olivi thus uses familiar examples of physical entropy to bring out the hidden (Evagrian) eschatological dimension of Cassian's text. "Lukewarm" as it is meant by the Spirit addressing the Seventh Church does not simply indicate a mean degree of temperature in the sense of an absolute value, but indicates an absolute divergence from Charity (kinesis), as irreversible as our own second law of Thermodynamics. Moreover as Olivi is careful to note in his prologue, when Christ addresses the angel of Laodicea he significantly identifies Himself as the "principle of God's creation" — "by which is meant both the creation of everything de nichilo and the re-creation of elect through the infusion of grace" 71 . Ultimately, there is an important sense in which saints are God's creatures — and demons are not. The lukewarm soul, symbolic of the case in which primordial negligence has hardened into incurable alienation, designates what cannot be saved, recreated, infused with grace, carried into the New Heaven and Earth. By enlisting images of physical entropy to defend Cassian's discussion of Apocalypse 3, 15 — 17, Olivi emphasizes the key Evagrian doctrine that God's creation will be dramatically purged of "contrary motion" (cooling, darkness) at the end of time. Apostate being, empty of the gratia humilitatis that leads to agape, is bereft of "light and sight (lux et visus)" and therefore embodies the absolute opacity of self-ignorant ignorance. Conversely, the vir perfectos is illuminated by perfect selfreflexive gnosis12·, the very possibility of departing from God has been uprooted from his will and cast away — "vomitted from God's mouth". Olivi's virperfectus, like Cassian's, has acceded to supernatural humility and therefore enjoys the marvelous sweetness of God's yoke: "iugi dominiá mirifica suavitas". Such a soul not only bears its temporal predicament and the assaults of its enemy with patience, but with extreme joy — "non modopatientissime, sed etiam iucundissime"73. My original question concerned the impeccability associated with apatheia. In so far as Olivi's seventh age is a Sabbath of peace, in so far as its viri spirituales are emptied of self and transformed into Christ, illuminated with greater wisdom than previously available in any earlier Church age 74 , we must interpret this ultimate state to signify the ultimate perfection of impeccability. Similarly, in so far as Cassian's virpeifectus is transformed into the Son who "possesses all that belongs to the Father"75, he can only be inseparably rooted in charity and no 70 71
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LSA, ed. Lewis, 253 sq. Cf. LSA, ed. Lewis, 248: "... qui est principium, id est prima causa creature dei et hoc tam creando omnia de nichilo quam recreando electos per infusionem gratie" (Cf. Richard of St. Victor, In Apocalypsim, 757 sq.). Olivi goes on to say: "Sancti enim antonomasice dicuntur creature dei", citing James I, and Ephes. II. LSA, ed. Lewis, 260. Cf. Conférences, III, Conference XXIV, 196. On the condemnation of this Olivian view, cf. Burr, Persecution (nt. 2), 86 sq. John, 16, 15 is cited by Cassian in Conférences, III, Conference XXIV, 201. For the Evagrian root of this, cf. GuiHaumont, Kephalaia Gnostica (nt. 3), 297.
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longer capable of sin. Both theories thus hold that true saints are metaphorically "inhabited" by the Holy Spirit, i. e. that they enjoy some form of "absorptive" union with God in via. Thus when Olivi elsewhere theorizes that the human will becomes capable of acts of grace because it "unites with, absorbs, and is quasi-incorporated into the divine object and quasi-incorporates it", he seems to sketch a process the limit of which coincides logically with both the supreme perfection of the seventh age and with impeccability 76 . Moreover like Evagrius' redeemed logikoi, Olivi's elect seem to fuse not only with God but also singly and collectively in an enigmatic radiance of equals 77 . Each perfect soul is individually a New Jerusalem inhabited by God and illuminated directly by the Holy Spirit, so that the Word of God need no longer be read in material script. The church that is "supremely loved by God" is made up of true gnostics reflecting the indivisible divine Monad — an ecclesia spiritualis of many who have merged into One. Quite ironically, Olivi revives the forbidden image of a seamless celestial pleroma, which Cassian scrupulously avoids 78 . In conclusion, I would like to point out that Olivi's appropriation of Cassian in his "Lectura Super Apocalypsim" raises an important question about the "rigorist" Provençal context in which it was composed. As Antoine Guillaumont has shown, Evagrius' spiritual teaching followed a double trajectory in the East after the condemnation of Origen early in the Vth century. One tradition transmitted a purged and orthodox version of Evagrius' "Gnostica", while a second, clandestine tradition transmitted a heterodox Evagrius increasingly altered over time with heretical gnostic features 79 . I would like to suggest that "Spiritual" Franciscanism and "Occitan" Catharism are similarly related historically, and that Cassian's "Conlationes" must be seen as part of a wider implantation in Provence of Greek influence. Instead of presenting overdy controversial theses, Cassian chose in his "Conlationes" to convey Evagrius's doctrine through vibrant themes and images aimed at cultivating a distinctive spiritual sensibility. The move to replace the term apatheia with the puntas cordis celebrated by Christ in the sermon on the Mount, signals a deeper strategic shift. Instead of captivat76
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Cf. Ft. Petrus Iohannis Olivi O. F. M., Quaestiones super secundum librum Sententiarum, ed. B.Jansen (Quaracchi, 1924), II, Quaestio LVIII, 423: "Sic, ut dicebant, in actus gratìae non potest voluntas, nisi eius virtus et potistas activa sit spiritualiter imbibita et unita et quasi incorporata objecto divino et obiectum divinum ei. " Further discussion is found in my article Peter Olivi in the Shadow of Montségur, in: Vivarium 37 (1999), 1 1 4 - 1 4 2 . LSA, ed. Lewis, 267 sq., and 891 sq. For the same idea, closely connected to the Scriptural "All will be gods", in the Evagrian tradition, cf. Denys Bar Salibi's commentary (dated 1167) in Guillaumont, Kephalaia Gnostica (nt. 3), 297. For the notion of pleroma or henas in Evagrius, cf. his Letter to Melania, cited by Guillaumont in Kephalaia Gnostica (nt. 3), 324. Cf. Guillaumont, Kephalaia Gnostica (nt. 3), 2 5 9 - 3 3 2 , and 3 3 5 - 3 3 7 . On 336, noting the irony of the fact that Evagrius' spiritual teaching came back into the Greek world when the writings of "Saint Isaac the Syrian" were translated into Greek in the IXth century, Guillaumont cites J. Lemaitre to point out that the Byzantine world was "thus able in all peacefulness to drink the forbidden potion of Evagrian mystique".
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ing the mind, Cassian seduces the heart with enthusiasm for chivalrous selfdiscipline80, a distate for swearing oaths81, predilection for voluntary poverty and for the Majesty of a "far off land"82, exacerbated thirst for personal "melhoramentum", and above all a special receptivity to "Joi" as evidence of the superior healing power of "fin amor"83. Typical of this complex spiritual nexus is the Troubadour Arnautz Daniel's "Tot jorn melhur et esméri"84, or Folquet de Lunel's "Cansó" to the Virgin: "No vol ni entendedor Midòns, mas fin amador"85. In Béziers, Olivi's contemporary, the Troubadour Joan Estève, invoked a Cathar to celebrate personal effort in amorous service, and sung the merit of a young "béguine" for keeping alive the ideal of pure love86. These charismatic themes, enfolded in Cassian's twenty-four "Conlationes", blossomed locally and were cross-fertilized by other Levantine currants to help nurture a distinctive spiritual attitude in the region between Marseille and Béziers, Aries and Fontaine de Vaucluse, Barjols and Carcassonne87. Despite irreconcilable doctrinal differences, a shared gustus spiritualis rooted in imitado Christi emerges in the perfectly orthodox sons of Saint Francis, in the ambiguously orthodox Provençal Troubadours whom Francis himself knew and admired, and in the openly heretical peifecti whom the Viscount of Béziers defended against the French Crusaders with his life88. Our own Petrus Provenais, born in Sérignan 80
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Compare in this regard Cassian's promotion of the Pauline image of the Christian miles (Conférences, I, Conference VII, 251 sq.) with Olivi's Miles armatus, extant in both Latin and the Provençal vernacular. Cf. R. Manselli, Spirituali e Beghini in Provenza, Roma 1959, Appendix I, iv, 287-290. As R. Nelli points out in Les Cathares, Paris 1972, 19 sq., Clement of Alexandria held the same negative view of oaths, based on Matthew V, 33 (Stromateis, VII, VIII, 10.) For the heretical character of this position, cf. Wakefield/Evans (eds.), Heresies (nt. 60), 330 and 421. For (rigorist) voluntary poverty in Cassian and its bearing on the land which "God will show Abraham", cf. Conférences, III, Conference XXIV, 194 sq. The same theme (desolation here, Joy there) is prominently developed in the poetry of Jaufré Rudel. Cf. also R. Lavaud/R. Nelli (trad.), Roman Spirituel de Barlaam et Josaphat, Bruges - Paris I960, 1214: "Josaphas s'en vay alegramens e joyozamens en esil". A. Jeanroy gives the following excellent definition of Joy in La Poésie Lyrique des Troubadours, Genève 1973, I, 74: "état d'esprit, créé par l'amour, qui élève l'homme au-dessus de lui-même, et que les plus anciens troubadours avaient dénommé joy." Cf. Anthologie des Troubadours, textes choisis et présentés par P. Bec, Paris 1979, 187: "Everyday, I become better and more pure." Note that "melhoramentum" is a key Cathar term and rite. Cf. Anthologie des Troubadours (nt. 84), 318: "No mere suitor does My Lady want, but a perfect lover." As Pierre Bee notes (321), the four progressive degrees of love according to "fin amor" are: "prejador" (hopeful), "entendedor" (suitor), "fenhedor" (timid lover), and "fin amador" (perfect lover). Cf. G. Azais, Les Troubadours de Béziers, Genève 1973, 65 and 104. Cf. E. Schulze-Busacker, art. Topoi, and E. Miruna Ghil, art. Imagery and Vocabulary, in: F. R. P. Akehurst/J. M. Davis (eds.), A Handbook of the Troubadours, Berkeley - Los Angeles London 1995, resp. 421 - 4 4 0 and 441-466. An anonymous Troubadour poem written c. 1209 compares Raimon-Roger to Christ, who like him "died to buy us back". Cf. Jeanroy, La Poésie Lyrique (nt. 83), 213. Cf. also E. MartinChabot, La Chanson de la croisade albigeoise, 3 vol., Paris 1957-1961.
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Anne A. Davenport
just four years after the defeat of Montségur, was nursed on heroic examples of "entedensa del Be" (Cathar "Occitan" for spiritual gnosis) starting with the legendary holy men of Hyères and Lérins, and with the charismatic Saint Honoratos, monk and bishop, the very prototype of Olivi's ideal Franciscan bishop, not to mention of the angelic pope 89 . The cornerstone of this tacit but stubbornly Evagrian outlook is the conviction that ascetic/gnostic perfection - "Payre sant, dona nos a conoiscer so que to conoyshes e amar so que tu amas" 90 — is the only authentically Christian goal in this lifetime. The passage that Peter John Olivi chose to appropriate from Cassian for his "Lectura Super Apocalypsim" thus exemplifies this process of regional transfer and revival by championing the perfecdy fervent, perfecdy gnostic, impeccable vir perfectos as God's supremely beloved new heaven and earth, who faces tribulation "non tarnen patientissime, sed etiam iucundissime".
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Cf. J. P. Weiss, Honorât, héros antique et saint chrétien, in: Augustinianum 24 (1984), 2 6 5 - 2 8 0 , and Labrousse, Saint Honorât (nt. 4), 5 3 - 5 6 . Cf. also the "Vida de Sant Honorât" composed in Provençal by the Troubadour Raimon Feraut in the late Xlllth century, ed. I. Suwe, Uppsala 1943. With regard to the theme of the angelic pope, cf. Β. McGinn, Pastor Angelicus: Apocalyptic myth and political hope in the XIVth century, in: id., Apocalypticism (nt. 13), VI, 221 - 2 5 1 . "Holy Father, give us to know what you know and to love what you love." From a Xlllth century Cathar prayer recorded in the Registre d'Inquisition de Jacques Fournier ( 1 3 1 8 - 1 3 2 3 ) , ed. J. Duvernoy, Toulouse 1965, II, 461 sq.
Freude, Freude! Die Wiederentdeckung der Freude im 13. Jahrhundert: Olivis „Lectura super Apocalipsim" als Blick auf die Endzeit WARREN LEWIS
(Indianapolis)
1. Kurzer Lebensabriß: Petrus von Johannis Olivi, Franziskaner aus Languedoc, wurde ca. 1248 geboren und starb am 14. März 12981. Olivi zählte zu den intellektuellen Führern der europäischen Christenheit im 13. Jahrhundert, wenn dies auch weder allgemein bekannt noch gewürdigt wurde. Er war offizieller Lesemeister seines Ordens an der Kirche S. Croce in Florenz sowie in Montpellier. Olivi genoß seine theologische und philosophische Ausbildung an der Pariser Universität, obwohl diese ihm nie den Doktortitel verliehen hat. Er verfaßte nicht nur Kommentare zu Petrus Lombardus und zur Hl. Schrift, sondern auch Traktate, quaestiones, Briefe, Predigten und Schriften zu verschiedenen Themen, darunter einige, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden. Seine Schüler verehrten ihn, und als Geistlicher und Seelenführer war er sehr gefragt. Als Franziskanerspirituale übertraf Olivi alle seine Zeitgenossen an Klarheit in der Frage, was usus pauper bedeute. Er war in der Tat jener unbekannte Minderbruder, dessen Beitrag bei der näheren Bestimmung des usus pauper durch Papst Nikolaus III. ausschlaggebend war, obwohl sein Anteil an dieser Definition eher indirekter Art gewesen ist. In seiner reinen Nachfolge des nackten Christus, der sich in Gestalt des Poverello von Assisi offenbart hatte, war er ohnegleichen. Olivis häretische Ansichten sind jedoch das Bemerkenswerteste an seinem Denken und näherer Untersuchung wert. Im Zentrum von Olivis Gedankengut steht seine in der „Lectura super Apocalipsim" 2 vertretene Lehre, daß die Vollkommenheit evangelischer Armut in 1
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Bibliographie zu Olivi: Cf. S. Gieben, Bibliographia Oliviana (1885 — 1967), in: Collectanea Franciscana 38 (1968), 1 6 7 - 1 9 5 ; P. Vian, Pietro di Giovanni Olivi, Scritti scelti ( 1 9 6 7 - 1 9 8 9 ) , Rom 1989, 4 7 - 6 1 ; A. Boureau/S. Piron, Bibliographie 1 9 8 9 - 1 9 9 8 , in: id. (eds.), Pierre de Jean Olivi ( 1 2 4 8 - 1 2 9 8 ) . Pensée scholastique, dissidence spirituelle et société, Paris 1999, 289—299. Biographisches zu Olivi: Cf. D. Burr, The Persecution of Peter Olivi, Philadelphia 1976; id., Olivi's Peaceable Kingdom: A Reading of the Apocalypse Commentary, Philadelphia 1993. Im folgenden abgekürzt als LSA. Warren Lewis, Peter John Olivi, O. F. M. ( 1 2 4 8 - 1 2 9 8 ) : Prophet of the Year 2000: Ecclesiology and Eschatology in the Lectura super apocalipsim (1297). Introduction to a Critical Edition of the Text (Bd. 1); Lectura super apocalipsim (Bd. 2, 3), Diss. Tübingen 1972. Eine englische Ubersetzung mit Einleitung wird demnächst erscheinen: Peter John Olivi ( 1 2 4 8 - 1 2 9 8 ) : Prophet of the Twenty-First Century (2 Bde.), Lanham, Maryland (in Vorbereitung bei Scarecrow Press/ATLA Monograph Series).
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dem christusförmigen Leben des Franz von Assisi wiederhergestellt und reformiert worden sei, nämlich in jenem „zweiten Advent Christi". Eine Folge solcher Ergänzung des christlichen Glaubensbekenntnisses war Olivis Sicht der ecclesia spirìtualis und der Neuheit der eschatologischen nova sponsa. All dies verstand Olivi historisch so, daß er die römische Kirche als die apokalyptische „Hure Babylons" deutete, der die zeitliche und ewige Vernichtung drohe. 2. Olivi als ergebener Katholik und häretischer Franziskaner: Olivis These von der nova sponsa bedeutet, daß eine neue Braut Christi die „verlebte Ehebrecherin", d. h. die Römisch-Katholische Kirche, die er nach der Offenbarung Johannis als die „Hure Babylons" bezeichnete, verdrängen würde. Diese berühmte alte Dame würde bald eschatologisch außer Kraft gesetzt und durch eine neue Kirche der Erwählten ersetzt werden, so wie einst Gott die historische Neuheit der christlichen Kirche als Ersatz für die untreue jüdische Synagoge bestimmt hatte. Trunken vom Blut der Märtyrer, aufgedunsen durch Untreue, schwer an Simonie, betrunken von der Philosophie der Averroisten, würde die Kirche von Petrus und von Rom bald, so glaubte Olivi, ihr eschatologisches Ende finden. Meiner Ansicht nach war Olivi wegen dieser und anderer Auffassungen ein hervorragender Protestant schon vor dem Protestantismus, und dies ist auch der Grund, weshalb er sehr wahrscheinlich das bestgehütete Geheimnis des 13. Jahrhunderts geblieben ist. 3. Olivis Schicksal: Unsere Unvertrautheit mit Olivi rührt teilweise daher, daß die Kirche nach seinem Tode Rache an ihm übte. Wegen seiner häretischen Verbindungen in Narbonne, und besonders wegen Häresien, die sich angeblich in der LSA befanden, dem Buch, an dem er noch auf seinem Sterbebett arbeitete, wurde ein großer Teil von Olivis Schriften durch seine Ordensoberen beschlagnahmt und innerhalb eines Jahres nach seinem Tode unterdrückt. Als sich dann an seinem Grab Wunder ereigneten, wurden seine Gebeine geschändet und verstreut. Zwanzig Jahre später wurde seine LSA als häretisch verurteilt, nicht unzutreffend aus der Sicht der avignonensischen Eurokatholiken des frühen H.Jahrhunderts, denen Johannes XXII. aufgetragen hatte, die Kirche gegen den stärksten Angriff zu verteidigen, der je von einem treuen Sohn an seiner Mutter verübt worden war. Wäre Olivi, der mit 50 starb, 70 Jahre alt geworden, so hätte man ihn wahrscheinlich mit jenen unglückseligen aufsässigen Spiritualen von Montpellier, die sich dem Verbot des Papstes, weiter ihre zerrissenen „Minirock" Armenkleider zu tragen, widersetzten, auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Wäre Olivi mit ihnen geopfert worden, so würde er im letzten Augenblick die Erfüllung seiner schlimmsten Prophezeiungen bestätigt gefunden haben: eine üppige, gespaltene simonistische Kirche, die politische Gefangene im Babylon von Avignon; eine europäisch-christliche Luxuskultur voller Dünkel und trunken vom Wein der Unterdrückung der Schwachen und Niedrigen; eine römisch-katholische Hierarchie, die mit voller Zustimmung der herrschenden franziskanischen Partei über die treulose, befleckte Braut Christi herrschte. Mit seinem letzen Atemzug würde Bruder Olivi durch den verrußten Rauch seines Märtyrertums diese Kirche und
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Gesellschaft angeklagt haben: „Seht, ich habe es vorausgesehen: die Hure Babylons!" Wie konnte jemand, der einen solch vielversprechenden Anfang genommen, ein solches Ende nehmen? Wie konnte ein an der Universität ausgebildeter Intellektueller, ein folgsamer und treuer Katholik, ein erfolgreicher Autor, ein bestechender Prediger, ein vielgefragter Lehrer, ein Franziskaner und Christ sowie ein feinfühliger Praktiker der cura animae, wie konnte ein solcher Mann sich am Lebensende im totalen Widerspruch zu seiner Universität, seinem Orden und seiner Kirche befinden? Wie konnte er theologisch so radikal werden, daß Thomas Altizer, Theologe des „Todes Gottes", in Olivi einen Wegbereiter der modernen radikalen Theologie der Negierung Gottes sieht 3 ? Und wie begegnete nun dieser Außenseiter und Ausgestoßene seinem eigenen Tod? Starb er in atheistischer Verzweiflung, ohne allen Glauben an seine eigene Kirche und ohne jede Hoffnung, was die Zukunft seines Ordens betraf, und ohne jede Liebe zum Christentum? Olivi starb nicht als Märtyrer, sondern in der Ruhe seiner Mönchsklause, umgeben von Menschen, die ihn liebten. Am Lebensende bekannte er sich zu seinem katholischen Glauben, nachdem er soeben ein paar Wochen zuvor seinen Kommentar zur Apokalypse, ein magnum opus vitae, ein letztes großartiges Bekenntnis zur eschatologischen Freude, abgeschlossen hatte. Olivi starb sogar in einem ekstatischen Zustand der joia, jenes angenehmen Befindens von Leib, Seele und Geist, über das die provençalischen Troubadoure schon viele Jahre lieblich gesungen hatten und zu dem der Minnesänger der Armut von Assisi seinen eigenen theologischen Beitrag geliefert hatte. In Olivis geistiger Verarbeitung dieser jota war weder ein eschatologischer Hochklang von neuplatonischer Mystik, noch gnostische oder albigensische Mystik, sondern die heilsgeschichtliche Vorsehung Gottes, die ihm und anderen einfachen armen Leuten himmlische Freude bringen konnte. 4. Olivis eschatologische Freude: Olivi starb knapp zwei Jahre vor Ende des von ihm sogenannten sechsten Kirchenstadiums, kurz vor der Ankunft des siebten — in jenem vorvorletzten Augenblick kurz vor Anbruch der Endzeit. Wie Abt Joachim 100 Jahre zuvor — und wie viele Chiliasten nach Olivi, die sich auf einen bestimmten Zeitpunkt festlegen — las auch Olivi die Offenbarung Johannis mit dem Blick des Historikers. Er glaubte genauestens den historischen Zeitpunkt bestimmen zu können, an dem er sich selbst im göttlich-eschatologischen Fahrplan befand. Ende des Jahres 1297 schrieb Olivi, daß das dritte joachimitische Weltzeitalter des Hl. Geistes in etwa drei Jahren beginnen würde, nämlich im Jahre 1300, oder ganz bestimmt nicht nach 1330. Er glaubte, es würde 700 Jahre dauern, bis zum Jahre 2000 oder kurz danach. Das Endzeitalter der Welt oder der status ecclesie trat auf den Plan als die Erfüllung der göttlich-historischen Strategie, die mit der Schöpfung und der Erwählung Gottes begonnen und sich über das Alte Testament, das Neue Testa3
Private Mitteilung von Thomas Altizer an Warren Lewis.
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ment und die Kirchengeschichte erstreckt hatte. Das angemessene Verhalten der Erwählten gegenüber den Taten göttlicher Erfüllung war die Treue gegenüber dem durch Franziskus wieder geoffenbarten Evangelium und dem intellectus spiritual, jener besonderen Geistesgabe der Endzeit. Zur Ubersicht über die von Olivi vertretenen sieben Stadien der Kirche, und besonders der Endzeit während des sechsten und siebten Stadiums, sei auf die Siebener-Tabelle verwiesen. Da Olivi selbst den joachimitischen Gebrauch der historischen concordia als hermeneutischen Schlüssel betrachtet, kann man ein zusammenhängendes Bild des sechsten und siebten Stadiums gewinnen, indem man die sechsten und siebten Glieder aller Siebener-Gruppen summiert 4 . (Tabelle) 5. Das vorvorletzte Kirchenstadium: Das sechste Stadium, das kraftvoll mit Franziskus von Assisi begonnen hatte und in den letzten Tagen Olivis dem Ende zustrebte, sollte abrupt durch die schlimmen Taten zweier Antichristen, d. h. eines mystisch verborgenen und eines öffentlichen, vollendet werden. Diese Lehre von den zwei Antichristen ist einer der originellsten Beiträge Olivis zur apokalyptischen Hermeneutik 5 . Der mystische Antichrist wirkte schon lange unter Häretikern, schlechten Christen, Moslems und besonders seit der Mitte des 13. Jahrhunderts dort, wo die Lehrer der „sarazenischen Philosophie" (Lateinischer Averroismus) und deren Schüler an der Pariser Universität die von Franziskus wiederhergestellte evangelische Vollkommenheit zu bekämpfen begannen. Olivi erwähnt die Averroisten nicht expressis verbis, jedoch läßt sich aus seinen anderen Schriften und dem Gesamtzusammenhang der LSA leicht schließen, daß er Pariser Theologen wie Wilhelm von St. Amour im Sinn hatte, ja sogar jenen bekannten Pariser Magister mit dem Namen Thomas. Diese Philosophen und Theologen standen nach Olivi alle wegen ihrer Abhängigkeit von denkerischen Zeitströmungen unter dem Einfluß des „sarazenischen Biestes". Olivi identifiziert sie mit den Fröschen der Apokalypse, die aus den drei Mündern des mystischen Antichristen sprangen und von der eschatologischen Flut des großen Euphrates davongetragen wurden, jener Flut, die die apokalyptische Verpestung aus dem Osten brachte 6 . (Der Hl. Thomas war also ein Frosch!) 4
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LSA Prologus, 62: „... et quam ex hoc quod, si omnia prima membra visionum ad invicem conféras et consimiliter omnia secunda et sic de aliis, aperte videbis omnia prima ad idem primum cocorditer referri et consimiliter omnia secunda ad idem secundum, et sic de aliis. Et hoc in tantum quod piena intelligentia eiusdem primi multum clarificatur ex mutua collatìone omnium priorum. Et idem est de omnibus secundis et tertiis, et sic de aliis. " LSA Prologus, 18 etc. und öfter: „ Vél si sextam [se. pugnam} dividas in duas, quarum prima est antichrisß mistiä, sequens vero antichristi proprii, tune illa de Gog non ponitur inter prima Septem capita draconis sed in cauda ipsius." Cf. Burr, The Double Antichrist, in: Peaceable Kingdom (nt. 1), 132-162. In seiner Kritik an Aristoteles und den Pariser Aristotelikern setzte sich Olivi auch mit Thomas und den Thomisten auf vielfaltige Weise auseinander: cf. Burr, Persecution (nt. 1), 2 8 - 3 0 ; O. Bettini, Olivi di fronte ad Aristotele, in: Studi Francescani 55 (1958), 1 7 6 - 1 9 7 . Themen sind dabei ζ. Β. die philosophische Lehre von der Ewigkeit der Welt - D. Burr, The Apocalyptic Element in Olivi's Critique of Aristode, in: Church History 40 (1971), 1 5 - 2 9 ; die Einheit des
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Diese antichristliche Philosophie sowie die von ihr beeinflußten Theologen, Päpste und Mendikanten widersetzten sich im sechsten Stadium der besonderen Offenbarung Gottes, nämlich dem „zweiten Advent Christi". Nach Olivi fanden nicht nur zwei, sondern sogar drei Ankünfte Christi statt: die erste im Fleisch, die zweite im Geiste, die dritte zum Gericht. Der zweite Advent vollzog sich persönlich im Hl. Franziskus und in seinem christusförmigen Leben, der missionarischen Tätigkeit, der Evangeliumsverkündigung und in der stigmatischen Passion und im Tode des seraphischen Mannes 7 . Olivi ist sogar bereit, die Auferstehung und Wiederkunft des Hl. Franziskus zu erwägen 8 . Mit Franziskus war
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Intellekts — E. Bettoni, Le dottrine filosofiche di Pier di Giovanni Olivi, Mailand 1959 und Burr, Persecution (nt. 1), 5 3 - 5 4 ; der Unterschied zwischen tempus und aevum - Burr, Apocalyptic Elements, 6 4 - 6 5 ; die Engellehre - Burr, Apocalyptic Elements, 66; motio localis und die Transsubstantiation — Burr, Persecution (nt. 1), 55 — 61; usus pauper — Olivi, Lectura super Mattheum (Tractatus lOra), D. Burr, Olivi and Franciscan Poverty: The Origins of the Usus Pauper Controversy, Philadelphia 1989, 44; Olivi, Quaestio de voto regulam aliquam profitentis, ed. F. Delorme, in: Antonianum 16 (1941), 131 - 1 6 4 ; M.-Th. D'Alverny, Un Adversaire de St. Thomas: Petrus Johannis Olivi, in: St. Thomas Aquinas, 1274-1974: Commemorative Studies, Toronto 1974, voi. 2., 1 7 9 - 2 1 8 ; Burr, Franciscan Poverty, 4 7 - 5 1 u. 1 4 8 - 1 6 2 . Um die Pariser Magister und besonders Thomas zu tadeln, parodierte Olivi den Apostel Paulus: „Hoc est enim dicta hominum quasi idola veneran, ex quo pericula sectarum et säsmata oriuntur, ita ut quidam dicant: Ego quidem sum Pauli, ego autem Aristotelis, ego vero Thome. " Olivi, Quodlibeta, f. 52v; D. Burr, Petrus Ioannis Olivi and the Philosophers, in: Franciscan Studies 31 (1971), 69; Olivi, Petrus Ioannis Olivi, epistola ad fratrem R, Archivum Franciscanum Historicum 91 (1998), 280, 315. LSA Prologus, 57, 67: „Et hinc est quod in hiis visionibus presentatur trinus Christi adventus: Primus sdlicet in carnem passibilem, mundum redimens et ecclesiam fundans; secundus in spiritum evangelice vite, reformans et perfidens ecclesiam primitus iam fundatam; tertius ad iudidum, glorificans electos cundaque consummans. Licet autem secundus adventus sit in toto decursu ecclesie et etiam in glorificatione sanctorum, nichilominus recte et congrue per quamdam antonomasiam appropriatur tempori sexto ... Unde finis status septimi et finis quinti et finis quinte etatis, id est finis Synagoge reiecte, sibi assimilantur. Unde et in hits tribus terminis didtur Christus iudicaturus." Prologus, 100—102 und bes. das Kapital 10, in dem Olivi seine „Franziskologie" entwickelt: „Secundo eluddat ipsam [sc. obscuritatem scripturae] distinguendo tres fines seu tres Christi adventus in prophetis indistincte involutos. Sicut enim viro distanti a monte magno, duas magnas valles seu planities intra se continente ac per consequens et trino, videtur mons Ule non ut trinus sed tantum ut unus mons, nullis vallibus distinctus, ex quo vero vir ille stat super primum montem videt primam vallem et duos montes vallem illa concludentes; ex quo vero stante in monte secundo seu medio videt duas valles cum montium ipsas includentium trinitate. Sic Iudei, quifuerunt ante primum Christi adventum quasi ante primum montem, non distinxerunt inter primum et postremos, sed sumperunt totum pro uno. Christiani vero sextum statum ecclesie preeuntes distinguunt quidem inter primum et ultimum, tanquam iam positi super primum et tanquam videntes medium spatium conversionis gentium, quod est etfuit inter primum adventum et ultimum. Communiter tamen non distinguunt inter ilium, qui erit in extremo iudido, et inter ilium, qui erit in statu sexto, quando, secundum apostolum, Christus illustratione sui adventus interfidet antichristum. Qui autem statuentur in sexto vel in spiritu vident ipsum, distinguunt ipsum a primo et postremo. Videntque tunc hanc distinctionem in libris prophetids, et etiam in hiis que a Christo et apostolis dieta sunt de finali Christi adventu et de finali statu mundi. Nichilominus mutatio veterum et institutio novorum facta in quolibet predictorum prindpalius dirigitur ad significandum mutationem et renovationem factam vel fiendam in trino Christi adventu prefato, id est in primo statu ecclesie et in sexto et in extremo iudido. Unde et spiritus propheticus prophetarum veteris testamenti ad istos tres prindpalius currit." LSA 4 1 7 - 4 1 8 : „Audivi etiam a viro spirituali [sc. Konrad von Offida] valde fide digno et fratti Leoni confessori et sodo beato Frandsd valde familiari quoddam huic scripture consonum, quod nec assero nec sao nec censeo asserendum, sdlicet quod tam per verba fratris Leonis quam per propriam revelationem sibi factam,
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das urchristliche Evangelium wiederhergestellt. Dies wurde sodann mit dem Ausdruck „usus pauper ", das Armsein mit Christus, verstanden und in „Exiit qui seminai" (1279) definiert. Nun, gegen Ende des sechsten Stadiums, wurde es endzeitlich klar, daß Gott den in der Offenbarung Johannis enthaltenen historischen Verlauf vorhergesehen, vorhergewußt und vorherbestimmt hatte, denn laut Olivi „ist der Hauptsinn der Apokalypse, daß die sieben Visionen der Offenbarung die sieben Stadien der Kirche bedeuten"9. Die nächste Haltestelle des eschatologischen Zuges werde die Ankunft des großen Antichristen und der vorhergesagte Fall Babylons sein. Olivi macht sich Gedanken darüber, wer oder was der große Antichrist sein könnte: ein absoluter Monarch, der vom Teufel selbst unterstützte Führer des dritten Weltreiches, jemand wie Kaiser Friedrich, vielleicht ein Sarazen oder gewiß jemand im Bunde mit den Sarazenen und unterstützt von einer Legion apokalyptischer Gestalten: das Biest, falsche Propheten, mindestens ein falscher oder häretischer Papst sowie zehn irdische Herrscher mit ihren Armeen, die allzugerne über die große und an Sünden reiche Stadt Rom herfallen und sie zerstören würden. Glaubte Olivi, daß es sich beim falschen Papst um den damals herrschenden Bischof von Rom, Bonifaz VIII., handelte? Olivi zieht gewiß eine solche Möglichkeit in Betracht. Auch wußte er, daß sich seit dem Abdanken des papa angelicus, Coelestin V. 10 , alles verschlechtert hatte 11 . Doch kann Olivi sich am Ende
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perceperat Franäscus in illa pressura temptationis babilonice, in qua eius status et regula quasi instar Christi cruäfigetur, resurget gloriosus, ut sicut in vita et in cruäs sßgmatibus est Christo singulariter assimilatus, sie et in resurrecüone Christo assimiletur, necessaria tunc suis diseipulis confirmandi et informandis, sicut Christo resurrectio fuit necessaria apostolis confirmandi et super fundatione et gubernatione future ecclesie informandis. Ut autem resurrectio servi patenti gradu dignitatis distaret a resurrecüone Christi et sue matris, Christus staüm post triduum resurrexit, et mater eius post quadraginta dies resurrexisse diätur a quibusdam non omnino spernendis; iste vero post totum tempus sui ordinis usque ad cruäfixionem ipsius cruä Christi assimilatam et Franrisä stigmaübus presignatam. " LSA Prologus, 5, 55 und das ganze octavum notabile 8, 55 — 68: „Propter quod sàendum quod totum decursum ecclesie ab initio sui usque ad finem eterne glorie describit sub Septem visionibus, in quibus Septem status ecclesie per sui successivum ordinerà distinguuntur et describunter ... Unde etiam probitur quod Septem visiones huius libri referantur ad eosdem septem status ecclesie. " LSA 738: „Dicunt [se. quidam] quod tunc omnes fere discedent ab obedietitìa veri pape et sequentur illum pseudopapam, qui quidem erit pseudo, quia heretìco modo errabit contra veritatem evangelice paupertatis et perfectionis, et quia forte ultra hoc non erit canonice electus sed scismatice introductus. " In einer quaestio und in seinem Brief an Konrad von Offida (14. Sept 1295) tadelte Olivi die italienischen Spiritualen scharf wegen ihres Ungehorsams gegenüber dem Papst. Außerdem verteidigt er die kanonische Entsagung des päpstlichen Throns durch Coelestin V. und die kanonische Wahl Bonifaz' VIII. Cf. L. Öliger, Petrus Iohannis Olivi de renuntiatione papae Coelesdni V quaestio et epistola, in: Archivum Franciscanum Historicum 11 (1918), 3 0 9 - 3 7 3 . Jedoch erwägt Olivi zwei Jahre später, ob der zur Zeit regierende Papst, wenn er auch nicht der Antichristus selbst sei, dann doch vielleicht der häretische Pseudopapst oder der Pseudoprophet oder die imago bestiae sei - LSA 809: „ Unde et quidem putant quod tarn antichristus misücus quam proprius et magnus erit pseudopapa caput pseudoprophetarum et quod per eius et suorum pseudoprophetarum Consilia et cooperationes acquiretur Imperium illi regi, per quem statuetur in suo falso papatu." LSA 6 5 6 - 6 5 7 : „Ex tunc autem omnispersecuüo sui [sc. Franziskus] evangelio status spectat adpersecutiones antichristi et secundum hoc insequenti XLII generatione cepit Parisius persecutio quorundam magistrorum
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nicht entschließen, die apokalyptischen Spielfiguren mit historischen Persönlichkeiten zu identifizieren. Die eine historische Größe, die Olivi namentlich zu identifizieren bereit ist, ist die des eschatologischen Babylons. Die „Hure Babylons", die Stadt, die auf den von Olivi sogar genannten sieben Hügeln Roms sitzt 12 , die das Evangelium Christi in der Gestalt des Franziskus bekämpft, die von weltlichem Reichtum und vom Blut der Märtyrer trunken ist, deren Geldsäcke mit simonistischem Gewinn überfließen, sie ist keine andere als die römische Kirche, der vorrangige Bischofssitz der christlichen Welt, der Thron des Hl. Petrus, eine Kirche, deren hierarchisches Netzwerk an politischer Macht und simonistischem Reichtum in die ganze Welt hinausreicht. Die Gier des babylonischen Roms hat sie zur Vernichtung bestimmt, schrieb Olivi. Ihr Bischof werde zum Häretiker, und sie werde angegriffen, zerstört und verbrannt werden. Schließlich werde sie durch die nova sponsa, die ecclesia spiritualis, die Kirche der Erwählten, d. h. die franziskanische Gefolgschaft und andere, die der evangelischen Armut die Treue gehalten haben, ersetzt werden 13 .
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condemnantium evangelicam mendiätatem ... sic in XLIgenerations cepit ordo evangelicusper totam latinam ecclesiam esse in doctrina jamosus; et in XLII cepitpersecutio seu error dicentium statum religionis esse inferiorem statu seculari clericorum curam animarum habentium, et iterum error dicentium quod habere aliqua in communi est de evangelica petfectione Christi et apostolorum ac per consequens quod nichil tale in communi habere non est de evangelica petfectione. Insurrexerunt etiam alti non modiä contra evangelicam paupertatem errores, contra quos est declaratio seu decretalis domini Nicholai III in eadem generatione edita. In eadem etiam Parisius prodierunt errores philosophic seu potius pagania, qui a doctoribus estimantur magna seminaria secte magni antichrist, sicut et precedentes sunt seminaria et etiam plante errorum mistirí antichristi. Prout vero inchoantur a Christi morte vel ascensione, sic in initio XLI apparuit äräter per tres menses stella cornata valde grandis et stupenda ...In fine autem huius XLII generations contigit novitas electionis Celestini pape et successoris eius et quorundam aliorum nunc ingravescentium. " LSA 848. LSA Prologus, 51 — 52: „ Congruum est ergo quod in fine omnino redeat et assurgat ad ordinem primum, ad quem spedate iure primogeniture et petfectionis maioris et Christo conformions. Ad istum autem reditum valde, quamvis per acàdens, cooperabitur non solum multiplex impetfectio in possessione et dispensatione temporalium ecclesie in pluribus comprobata, sed etiam multiplex enormitas superbie et luxurie et simoniarum et causidicationum et litigiorum et fraudum et rapinarum ex ipsis occasionaliter accepta, ex quibus circa finem quinti temporis a pianta pedis usque ad verticem est fere tota ecclesia infecta et confusa et quai nova Babilon effecta. " LSA 801 — 802: „Nota quod sicut post quattuor ammalia quattuor primos status sanctorum designantia sublimata est generalis sedes romane ecclesie, ... i. e. bestialis caterve, ita ut numero et potestate prevaleat etfere absorbeat sedem Christi, cui localiter et nominaliter est commixta; unde et sic appellatur ecclesia fidelium, sicut et ilia que vere est pergratiam sedes et ecclesia Christi; evidenter apparet omnibus et etim ipsimet tenebrosum, i. e. feda et enormi luxuria et avaritia et simonia et superbia et dolosa negotitione et astutia etfere omni malitia dissipatum et abominandum. Unde et infra vocatur,,Babilon meretrix habens in manu sua poculum aureaum plenum abominatione' [Apoc 17:4-5]." Zu diesem Thema zitiert Olivi gerne den Abt Joachim (LSA 826, 829 — 830): „,Hanc meretricem magnam dixerunt patres catholiä Romam, ...'Et nota quod hec mulier stat hic simul pro romana gente et imperio tarn prout fuit quondam in statu paganismi quam prout postmodum fuit in fide Christi multis tarnen criminibus cum hoc mundo fornicata. ... preäpue tarnen pro isto tempore crimen sue horrendissime luxurie et simonie, pro tempore vero paganismi crimen idolatrie et etiam luxurie, quibus tanquam Omnium Regina et Magistra potavit non solum se sed etiam omnes gentes sibi subiectas. " Ist dies etwa ein Wortspiel Olivis? Der Wahlspruch der damaligen Kirche des Papstes, der Kirche des Hl. Johannes im Lateran, lautet: „Mater et Magistra Ecclesiarum". Nach seiner Teufelsgeschichte von Rom (LSA 832): „... ita ut propter ham unitatem [sc. des blutigen Flusses
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Warren Lewis
Soll man nun laut Olivi die römische Kirche verlassen? Der italienische Flügel der Spiritualen wollte sich eiligst von der Kirche trennen, doch schalt Olivi sie sehr wegen solchem kirchlichen Sektierertum. Selbst zu dem nach Olivi fortgeschrittenen Zeitpunkt in der Entwicklung der Kirche war er keineswegs bereit, sich von der Kirche zu trennen, es sei denn, daß sein Aufenthalt im entfernten Narbonne ihm dort schon die nötige Distanz zu Rom schuf. Geistliche Christen hatten sich seit Franziskus schon geistlich von der ehebrecherischen Kirche getrennt; der Zeitpunkt der körperlichen Trennung werde durch den himmlischen Trompetenschall, kurz vor der Vernichtung der alten Hauptstadt der Verfolgung und Treulosigkeit, angezeigt 14 . 6. Bahnsteig 7: Olivi zeichnet seine eigene Zeit und die Zukunft in den dunkelsten Farben, doch bestürzte ihn das keineswegs, denn das siebte Stadium der Kirche, das Olivi vorhersah, war eine Zeit von solch geistlicher Glückseligkeit und Wonne, daß der Leser jener Stellen, in denen Olivi das siebte Stadium beschreibt, es leicht mit dem Himmel selbst hätte verwechseln können. Man versteht die Vision Olivis am ehesten, wenn man sich einen schnellen Uberblick aufgrund aller sieben Glieder der Siebener-Liste verschafft. (Tabelle) 7. Von 1300 bis ca. 2000: Das siebte Stadium ist eine Zeit jenseits aller Zeit (nach dem Tode des Antichristen und vor dem Ende der Welt), eine Zeit, von der man kaum noch in der Lage ist, das Historische genau zu bestimmen, weil die Erde schon Anteil an der himmlischen Herrlichkeit nimmt und wie die Ewigkeit keine Zeitenfolge mehr besitzt. Das Zeitintervall von etwa 700 Jahren wird relativ kurz sein, wenn man es mit anderen Stadien vergleicht. Olivi wählt die Zahl 700, weil diese Zahl dem Heiligen Geist entspricht, dessen Name auch das siebte Stadium und Dritte Weltzeitalter tragen 15 .
14
15
vom heidnischen Rom bis zum christlichen Rom] dicamus quod iste fluvius iam centum anni sunt inundabit vel fuit sanguineus, sic total continua successio populi romani dicitur esse una gens vel unus populus, ita ut dicamus quod populus romanus fait primo paganus et postea christianus . . . " etc. LSA 858: „Nimis constat quod Roma et gens Romanorum imperabat toti orbi tempore Iohannis et huius visionis et etiam quod per totum tempusplenitudinis gentium [Rom 11:25] usqe ad antichristum seu usque ad tempus istorum decern regum fixit Christus in ea principalem et universalem sedem et potetatem imperii sui super omnes ecclesias et super totum orbem. " Harold Lee und Majorie Reeves haben behauptet: „Nowhere, however, does Olivi identify the Roman Church as such with Babylon ... Olivi draws on Joachim's Exposirio extensively, but Babylon and the Roman Church are never mentioned in the same breath." H. Lee/M. Reeves/G. Silano, Western Mediterranean Prophecy: The School of Joachim of Fiore and the Fourteenth-Century Breviloquium, Toronto 1989, 23. Ich behaupte das Gegenteil! LSA 862 — 63: „Et nota quodprinäpaliter loquitur hic de exitu ab imitatione etparticipatione scelerum eius et etiam ab omni amidtia vel societate ipsius prebente occasionem peccandi ... Secundario autem potet loqui de corporali et locali recessu a terra ipsius pro ilio tempore pro quo est a decern regibus paganis obsidenda et destruenda. Sic enim dicuntur Christiani per angelum moniti fuisse, ut exirent de Iudea et Ierusalem tempore quo fuit a Romanis obsidenda et capienda. " LSA Prologus, 88: „Notandum igitur quod status ecclesie a damnatione Babilonis, i. e. ecclesie carnalis, usque ad finem seculi oportet habere tantum temporis spatium quod totus orbis et totus Israel convertatur ad Christum ... Absit quod tertiusprincipalis status seculi appropriategerens imaginem spiritus sancii sit momentanem aut tanto operi ridiculose et improportionaliter abbreviatus." LSA 9 1 8 - 1 9 : „Secundum hoc autem de sexto millenario restant drriter 700 anni, qui satis congruunt tertio generali statui mundi, qui appropriatur spiritum sancto, qui in suis donis et hoc libro multum describitur septiformis. "
Freude, Freude! Olivis „Lectura super Apocalipsim"
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8. Die Dialektik des Guten und Bösen in der Geschichte: Das siebte Stadium zeichnet sich durch einen solchen himmlischen Frieden aus, daß der Friede (These) Böses von solch riesigen Ausmaßen hervorruft (Antithese), daß Gott selbst zum Endgericht herausgefordert wird und herbeieilt, das Böse zu vernichten und die Erwählten aus ihrer Lage zu befreien (Synthese)16. Der gute alte Hegel war in seinem Denken ganz bestimmt ein hervorragender Olivianer, wie auch eben viele andere es waren: Man möge an das „Ende" denken, das der Nationalsozialismus mit seiner joachitischen Prägung von drei Reichen und dem novus dux gemacht hat, ebenso an die „Vollendung", die die marxistische Einrichtung noch nicht erreicht hat und wahrscheinlich nie erreichen wird. 9. Das Ende der römischen Kirche und die Ankunft der neuen Braut: Dem siebten Stadium — das eng mit dem sechsten verknüpft ist — gebührt der Vorrang über alle ihm vorangehenden Kirchenstadien, selbst dem ersten, in dem Christus und die Apostel wirkten, denn es stellt die Fülle des sechsten Stadiums, welches gleichzeitig das Ende der Kirche und die Erneuerung des Lichtes und der Gnade des Lebens Christi während der Vollendung im Zeitalter des Heiligen Geistes ist, dar. Das siebte Stadium des Neuen Jerusalem darf als „neu" bezeichnet werden wegen seiner Nähe zu der Neuheit, die im sechsten Stadium begann: (1) eine Neuheit der Anschauung der Dreifaltigkeit und der himmlischen Stadt, die in vollendeter Weise durch den intellectus spirituali's sich dem Geiste des Beschauenden einprägt; (2) eine Neuheit an Gnade und Herrlichkeit, d. h. die Stadt Gottes des sechsten und siebten Stadiums, ein Neues an providentieller Kirchengeschichte nach „den ersten fünf Stadien Christi, die der Verwerfung der veralteten Gesetze" sowohl des Moses als auch der römischen Kirche folgen; und (3) eine Neuheit der Kenose Christi — die Selbstmitteilung des menschlichen Christus, der nun zu einer „wunderbaren Neuheit" für die Erwählten wird, ein geistliches Eigentum der Erwählten, mitgeteilt durch den heiligen Franziskus 17 . Wie konnte nun Olivi, ein guter Katholik, der guten Katholiken predigte, das Ende der römischen Kirche prophezeien? Unter seinen Hörern und Lesern
16 17
LSA Prologus, 6 4 - 6 6 . LSA Prologus, 57 und 2 1 - 2 2 , 46: „ . . . quod in sexto tempore ecclesie est revelanda singularisperfectio vite et sapientie Christi et quod vetustas prions temporis est sic universaliter repellenda, ut videatur quoddam novum seculum seu nova ecclesia tunc firmari veteribus iam reiectis, sicut in primo Christi adventu formata est nova ecclesia veteri Synagoge reiecta." LSA 169 — 172: „Sumendo tarnen templum [Apoc 21:22] pro ecclesia susténtala a perfectis [sc. Francisa] quasi a columnis eius ... Sic autem stat in dei ecclesia vel religione vir evangelicus Christo totus configurais ...In huius autem mente tria inscribuntur, sc. excessiva visto vel contemplatio deitatis trium personarum et totius ävitatis seu collegi! sanctorum ... Vocat autem earn novam propter novitatem glorie vel grafie. Unde et precipue significai hic dvitatem beatorum et post hoc illam, que erit in sexto et séptimo statu, et post hoc illam, que reiecta vetustate legalium fuit in primis quinqué statibus Christi, et post hoc universaliter totam ab initio mundi. Tertium, quod sibi inscribitur, est contemplano Christi secundum quod homo et secundum quod redemptor noster et mediator. Diät autem nomen suum esse novum tum propter novitatem sue resurrectionis et glorie, tum quia unio sue deitatis cum humanitate in eadem persona; et universaliter omnia, que in ipso sunt, miram continent et preferunt novitatem."
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Warren Lewis
befanden sich zum Großteil konventuale und spirituale Franziskaner, Mitglieder des Dritten Ordens und andere, die durch Franziskus den Weg zurück zu Christus gefunden hatten. Diese nannte Olivi in seiner LSA durchweg die Erwählten. Olivi sah in den Franziskanern und ihrer Anhängerschaft die Führungsspitze
Tabelle: Olivis siebenfaltiges Muster der sieben Stadien der Kirchengeschichte nach Joachims Prinzip der concordia Zahl Vision in der der Apokalypse Glieder
Apoc 2 —3 die sieben Kirchen Asiens
Stadien der Kirchengeschichte
Beginn
apokalyptische Ordensregel Vorstellung
Geistesgabe oder Ruf
Gründung der primitiven Kirche unter den Juden durch die Apostel
seit der Predigten Christi oder dem Aussenden des Hl. Geistes
Löwe: Amt u. Regelung durch die Pastoren der Bestand der die Prälaten und Kirche Apostel oder das pastorale HirPastoren tenamt
2
Apoc 4 - 7 Prüfung u. Bestätigung seit der Steinigung Ochse: Opferdie sieben Siegel der Kirche durch das Stephans oder der gäbe der MärMärtyrertum Verfolgung der tyrer Kirche unter Nero
Last des Leidens während des kämpfenden, siegreichen Streites
3
Apoc 8 - 1 1 die sieben Posaunen
Auslegung des Glaubens durch die Kirchenväter gegen die Häretiker
seit Konstantin, Papst Silvester u. des Konzils von Nicaea
vernünftiger Mensch: Klarheit der Kirchenväter
Klang der Predigt Herausgeber der oder Gelehrsam- christl. Weisheit keit; die Posaune des Magisteriums
4
Apoc12 die Frau bekleidet mit der Sonne u. ihre Kinder
die Einsiedler des anchoritischen Lebens
seit Abt Antonius u. Paulus des Eremiten oder seit Justinianus
Adler: die Unbefleckte und die Kontemplative
Schönheit der Heiligkeit u. des Lebens der Einsiedler
Befolger des himmlischen Lebens
5
Apoc 1 3 - 1 6 die sieben Schalen
das gemeinsame Leben seit Karl dem von Geistlichen u. Großen Mönchen, die Besitztum innehaben
vier Gestalten: der Hauptstuhl unter der Menge
Eifer des gerechten Zorns zusammen mit dem gemeinsamen Leben
gerechte Eiferer, die fromm u. heilig unter der Regel leben
6
Apoc 1 6 - 1 8 der Fall Babylons u. des falschen Propheten
Erneuerung des ev. Le- seit Franziskus u. bens u. Ausmerzung der Verdammung der Sekte des AntiBabylons christen; Bekehrung von „ganz Israel" und der Heiden; Wiederherstellung der Urkirche
X
Erneuerung des christus förmigen Lebens durch den Hl. Geist
Reformatoren des evangelischen u. kirchlichen Lebens
7
Apoc 2 0 - 2 2 Verdammung des Drachen u. der Verurteilten; Verherrlichung der Erwählten u. der ganzen Welt
Ruhe u. das ehrfürchtige Teilnehmen an der zukünftigen Herrlichkeit
die Ruhe und die Erfrischung des Geistes in Gott; göttliche Herrlichkeit, die die Kirche erfreut und vollendet
Vorgeschmack der Herrlichkeit
seit dem Ende des X Antichristen
Soldaten der christl. Armee; Nachfolger des Kreuzes Christi
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Freude, Freude! Olivis „Lectura super Apocalipsim"
der neuen Kirchenepoche, denn sie folgten — im Gegensatz zur alten Kirche — dem christusförmigen Franziskus. Eine andere Gruppierung bestand (den Franziskanerspiritualen ähnlich) aus Nonnen anderer Klöster, besonders aus charismatischen, freiwillig-armen Schwe-
1. Gabe/Ruf: 2. Gabe/Ruf: pastorales christlicher Hirtenamt Kampf
3. Gabe/Ruf: Auslegung — die Posaune des Lehramtes
4. Gabe/Ruf: Eifer gegen viele Verdämmte
5. Gabe/Ruf: Eifer gegen den menschlichen Unsinn
6. Gabe/Ruf: Eifer gegen das Böse
7. Gabe/Ruf: Eifer gegen verschiedene Untugenden
Schafzucht
gegen die förmli- Fortpflanzen Juden che Zeremonie u. des Glaudas Verständnis bens u. seines der Juden Verständ-
Dummheit der Kindheit
der innere Anfang des Bösen unter den Juden
Geburtshindemis: der Anfang eines schlechten Beispiels
Verteidigen der Schafe
gegen heidnischen Einwurzeln u. Heiden Götzendienst Stärken
unerfahrene Jugend
der äußere Anfang des Bösen unter den Heiden
Blindheit u. SinnWidrigkeit der Götzendiener
Führen der Schafe
Erklären gegen die Unwahrheit der Arianer u. anderer Häretiker
Arianer
wankelmütige Jugend
zunehmende Mittelstufe des Bösen
die Ketzerei
Füttern der Schafe
gegen die Sekte der Sarazenen
Ergänzen
Sarazenen
eigensinniges mittleres Alter
die ständige Mittel- das sarazenische stufe des Bösen Gesetz, das das wahre Gesetz imitiert
Aussuchen und Ausbessern der Schafe
gegen die Reste falscher Christen u. die Sekte der Patariner
Beschauen
Patariner oder Manichäer
vergeßliches hohes Alter
rückgängige Mittel- Laxheit u. Vernachstufe des Bösen lässigung
Reformation der Schafe
gegen die Plage der zwei Antichristen
Aufdrücken u. Versiegeln
Streiter gegen kalte u. gebrechdas ev. Leben liehe Altersu. die Philo- schwäche sophen des Antichristen
Führen und Sammeln der Schafe in einer Schafherde
gegen den eschatologischen G o g
Verherrlichen id.
internes Ende des fehlende SelbstBösen durch die beherrschung Schlechtigkeit von Kirchenmitgliedern
letzte Hoffnungs- externes Ende des losigkeit u. das Bösen durch Vergessen vor äußere Verfolgung dem Tode
hoffnungslose Hingäbe an die Macht des mittäglichen Dämonen
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Zahl Aufbau der Kirche der Glieder
logische Anordnung der sieben Geistesgaben oder Kirchenämter
Logik der sieben Visionen
concordia des En- organische Logik des einer Vision der Visionen und des Anfanges der nächsten
Gleichzeitigkeit der Gaben/Ämter bei Petrus
Ausbildung des göttliehen Gottesdienstes durch Christus und Aufbau der Kirchen unter den Mensehen
sieben Bischöfe der sieben Kirchen; siebenfältige Seelsorge
die sieben Kirchen Asiens als direktes Vorbild der sieben Stadien der Kirchengeschichte
Ende: Christus setzt sich auf den Thron des Vaters
Quelle; Wurzel
Pastor
Verbreitung Christi in die ganze Welt
christliche Armee Offenbarung des Vormit dem Kreuz herwissens u. VorherChristi; siebenbestimmung Gottes faltiger Kampf der durch das Offnen der Märtyrer sieben Siegel; das Leiden Christi, sowie das Mitleiden seiner Anhänger
Anfang: Einrichtung des Throns u. Einsetzung des Lammes auf dem Throne im Himmel Ende: Schweigen im Himmel
von der Quelle Märtyrer eine Wasserleitung mit fünf Ausflüssen; Baumstamm mit fünf Zweigen
Erklärung Christi und des Glaubens
sieben posaunende sieben Engel u. PoAnfang: sieben saunen, göttliche Ge- Posaunen Engel; siebenfalheimnisse offenbart Ende: X tige Predigt der durch Christus, den Kirchenväter Sieger, Schöpfer u. Bewahrer der Kirche während aller Stadien
himmlisches Einsiedlerleben; Abfall der Kirchen im Osten; Verteidigung der röm. Kirche durch den Stuhl Petri u. die Macht des Imperiums
die mit der Sonne bekleidete Frau mit ihren unbefleckten Kindern; das siebenfältige Stadium der Unbefleckten und Kontemplativen
Stiftung des herablassenden Lebens; Eifer für Verbesserung gegen die Laxheit
Ausguß der sieben sieben Schalen des Schalen; siebenfäl- göttlichen Zorns als medizinische Kortiger Eifer nach rektur der Kirche: Verbesserung Verdammung als interne Verbesserung
eine gute Frau, mit der Sonne bekleidet, und ihren von den Predigern des Evangeliums gezeugten Kindern: Einheit der Kirche
Verdammung der Verdammung der äußere Verdammung Hure Babylons; Er- Hure u. des sieben- der Unverbesserlineuerung der Form köpfigen Biestes; chen: Babylon, das u. des Lebens Chri- Hochzeit der neuen Biest, der Pseudoprosti; Umkehr der Ju- Braut u. des Lam- phet, der Drache: den u. Nichtjuden; mes; Verwerfung Einheit der VerKrieg gegen den des babylonischen dammten; eine Antichrist Alten u. siebenschlechte Frau u. ein fache Erneuerung schlechtes Biest der Gestalt Christi Frieden u. Vorgeschmack der Herrlichkeit
endgültige Herrlichkeit der Kirche; siebenförmiger Geschmack der Herrlichkeit
Teich oder See, der die Stadt Gottes bewässert; Zweige mit einer Fülle von Blumen u. Früchten
Kirchenvater u. Bekenner des evangelisehen Lebens
Anfang: X id. Ende: die Ernte des Zornes Gottes
strenger Einsiedler
Anfang: Vollendung der sieben Plagen des göttlichen Zornes Ende: X
Entgegenkommender
condes-censivMS
Anfang: X Ende: Binden des Drachen; allgemeines Gericht; vollkommene Erneuerung der Welt
Ausgießen des Wassers in den Teich oder See; Wachstum der fruchtbaren Zweige; unergiebiges Gestrüpp wird verworfen
letztes Ende; vollAnfang: Binden kommene Verherrli- des Drachen; das chung der Erwählten Jüngste Gericht; u. Vollendung des vollkommene Weltalls Erneuerung der Welt
stilles Genießen der Früchte u. Trinken des Wassers
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Freude, Freude! Olivis „Lectura super Apocalipsim" Zeitdauer der sieben Stadien
die sieben Sakramente
die sieben die sieben Weltzeitalter Schöpfungstage
Übereinstimmung mit den Zeiten vor und während des mosaischen Gesetzes
kurze Zeit der Apostel
Taufe
Erschaffung des Lichtes (Christus, das Licht der Welt)
die Schöpfung; Mord an Abel, Trennung Kains von Seth; Entstehung der Kirche; Mord an Christus; Trennung der Juden von den Christen
2 Vi Epochen bis Verfolgung zum Gesetz, 2Vi Sta- durch die dien der Kirche bis Ägypter zum feierlichen päpstlichen u. kirchlichen Gesetz
Firmament (Geduld u. Standhaftigkeit der Märtyrer)
Sintflut Noahs; Sintflut des Märtyrerblutes, die den Glauben u. die Kirche, wie die Arche Noahs, anhebt
2 Vi Stämme Israels Verfolgung (Ruben, Gad, Vi Ma- durch die nasses) jenseits des Kanaaniter Jordans; das Patriarchat des Ostens (Jerusalem, Antiochien, Alexandrien)
Verwirrung Babels, Ertrinken der Sodomiten, Ägypter u. schismatischen Juden; Bewahrung der wahren Sprache u. des Gottesdienstes unter den Hebräern; Ertrinken von Luxus u. Götzendienst der Heiden; Bekenntnis des einen wahren Glaubens im Hause Petri u. beim Konzil von Nicaea
2 Vi Epochen unter Verfolgung dem Gesetz Moses; durch die Syrer 2Vi Stadien der Kirche unter den patriarchischen Kirchen des Ostens
300 Jahre der KonfirVerfolgung mation Neros bis zur Verfolgung Julians; vom Leiden Christi bis zum Frieden Konstantins
Überlagerung Priester- Erde (die Gläudes vorigen weihe bigen), sprieStadiums mit ßendes Gras dem folgenden (die einfachen Menschen) und Obstbäume (die Doktoren)
2 Vi Stämme Israels (Ephraim, Judah, Vi Manasses) diesseits des Jordans; Patriarchat im Osten u. Westen (Rom, Konstantinopel, Alexandrien)
Übereinstimmung mit den bedeutenden Kriegen unter dem mosaischen Gesetz
100 Jahre von EuchaJustinianus bis zur Zerstörung der Kirchen des Ostens durch die Sara-
Himmelslichter Sieg Davids über Syrien u. die Philister, (himmlisches Rückkehr der Bundeslade nach JerusaLeben der Ein- lem; Ausmerzen der Ketzer unter Jusrisiedler) nianus; Wiederherstellung des Gottesdienstes am Stuhl Petri
500 Jahre seit Buße Umzug des röm. Reiches durch Karl den Großen (oder Pippin) bis ca. 1300
X Vögel u. Fische (Mönche u. die Assyrer u. Jerusalems durch die Pfarrer) Chaldäer; Rückkehr der Israeliten nach Judea: Vernichtung der Kirchen im Osten durch die Sarazenen; Wiederherstellung des lateinischen Stamms durch Karl den Großen
Verfolgung durch die Chaldäer oder Babylonier
unbeschreibbare Zeit jenseits der menschlichen Zeitrechnung bzw. Generationen; ca. 700 Jahre
Ehe
Tiere, Reptilien, Vieh u. vernünftige Menschen (Heiden, die Sekte des Pseudopropheten, einfache Christen u. der evangelische Orden)
Joshua Jesus verteilt das geerbte Land unter den sieben anderen Stämmen; Jesus Christus verteilt die Erbschaft der Gnade
Verfolgung durch die Assyrer zur Zeit Esters
X
letzte Ölung
der siebte Tag Sabbat Christi; Ruhe im Herrn der wird gesegnet Toten (das Genießen des Friedens, „der alies übersteigt")
X
Verfolgung durch die Griechen
Zurückweisung des fleischlichen Judenturns u. des überreifen Zeitalters; der neue Mensch (Christus) bringt ein neues Gesetz u. Leben u. Kreuz; Zurückweisung der fleischlichen Kirche u. des überreifen Kirchenstadiums; Erneuerung des Lebens u. der Gesetze u. des Kreuzes Chrisd durch Franziskus, der in der Gestalt Christi mitgekreuzigt wurde
Verfolgung durch die Assyrer
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Warren Lewis sieben Andachtsübungen der zur Vollkommenheit aufsteigenden Seele
Lob der sieben Kirchen
sieben Kirchen Asiens
1
Mysterium der hl. Dreieinigkeit
Ephesus glühender Anfang glühende Liebe, die gegen die Welt u. Blindheit der Intelligenz des Novizen jedoch erkaltet ist die Synagoge
2
Knechtschaft u. Schuld der Erbsünde u. der Sündentaten
Smyrna
3
Wohltat der Fleisch- Pergawerdung des Sohnes mon Gottes, der Preis für unsere Rettung u. die übernatürliche Gabe der rechtfertigenden Gnade
4
Geheimnis der prä- Thyatira beschauliche Trendestinierenden nung u. Einsamkeit, um energiGnade u. deren verdammendes sche u. nüchterne Zurückziehen gute Werke zu unternehmen
5
Beispiel, Befehl u. Beratung des geistlichen u. vollkommenen Lebens u. Gottesdienstes
Sardes
6
Belohnung u. Bestrafung durch ewige Vergeltung
Philadelphia
7
endgültige Vollkommenheit
energischer Streit bitteres Leiden der gegen Versuchung Märtyrer
sieben Siege gegen geistliche u. weltliche Feinde
sieben menschliche Mängel, die das Verständnis der Apokalypse versiegeln
Zahl sieben Tage des der Sonnenscheins in Glieder der Lehre Christi
gegen die Welt, das Heidentum u. den zweiten Tod
außerordentliches Vergnügen am sinnlichen u. körperlichen Leben; Sinnlosigkeit des Gefühls
Bewahrung des Glaubens gegen falsche Lehrer u. Häretiker
gegen irrige, dumme Phantasie sinnliche Vorstellung, das Aufbrausen, Ketzerei u. Obskurantentum
Beharrlichkeit in zusätzlichen Werken: Arbeit, Studium, Psalmensingen, Kasteiung, Selbstopfer der Andachtsübung
Selbstweihung Stolz auf unbezähmbare durch gute Werke Freiheit zur Verbesserung der Tugenden
mitfühlende Herablassung
Widerstand gegen den Stumpfsinn u. die Heuchelei; Herablassung unter der Einheit der monastischen Regel
fromme Herab- schwermütige Unpäßlassung gegenlichkeit; die Mühseligüber den Schwa- keit {acedia) chen
vollkommene Gleichförmigkeit mit Christus u. Umgestaltung in Christus
die hl. Schrift, die Predigt, Umkehr der Herzen; Bewahrung des Samens des Glaubens in der Arche Noah, d. h. in der evangelischen Regel
Eintritt in Christus durch Gleichförmigkeit des Sinnes mit Christus; der evangelische Mensch stützt den Tempel wie eine Säule
die Abgeschlossenheit von allem, das geistig und göttlich ist
Laodizea ruhige Entspannung der in Christus Umgestalteten
entweder ausgespiehen oder zur vollkommenen Liebe u. der Hochzeit des Lammes eingeladen
das Zusammenleben mit Christus wie in einer Familie
sinnhafte Erfahrung der Realität u. der irdischen Elemente; wissenschaftliche Fehlbarkeit u. Torheit
umsichtige Klugheit, vorsichtiger Ratschlag, ohne Torheit
Freude, Freude! Olivis „Lectura super Apocalipsim"
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siebenfaltiges Ö f f n e n des versiegelten Buches
sieben für die menschliche Vernunft abscheuliche Aspekte der Kreuzigung Christi
sieben G e g e n s ä t z e der abscheulichen Aspekte
sieben L o b worte auf das Verdienst Christi beim Ö f f n e n des Buches
sieben angebliche Siegel auf d e m Alten Testament
sieben Stadien der Selbstliebe {amor sut)
siegreiches Licht des Glaubens, das von Christus wie ein Pfeil v o m B o g e n ausgeht, das die Blinden er-
Kraftlosigkeit in der Kittosts Gottes
herrliche Lebhaftigkeit u. siegreiche Ausstrahlung der Auferstehung, die die Welt u. die Unterwelt besiegt
Kraft
scheinbare Falschheit der Versprechen
unmäßige Selbstliebe oder fleischliche Liebe, die geg e n die Stimme G o t t e s rebelliert
leuchtet dauerender Eifer des Angst Glaubens bei den Märtyrern
lebhafte, feierliche Herrlich- Gottheit keit der Märtyrer u. ihre Tröstung
gewalttätige Rache, Z o r n u. Ungeduld gegen Untaten
ängstliche Unsicherheit u. selbstsüchtige Sorge
das Glaubenslicht, das Torheit mit Mäßigkeit u. Vernunft die Phantasie der Häretiker zurückhält u. tadelt
„Rentabilität des G e s c h ä f t s Weisheit Christi", u m „die M ü n z e " des Glaubens zu erwerben u. der „Wert" des geistlichen „Weisheitsbetriebs" durch Studium der hl. Schrift u. der Kirchenväter
Vernunftlosigkeit der feierlichen Gesetze u. Regeln
Beschäftigung mit Wissen; das Streben nach Wissen von D i n g e n u. Sachen und nicht nach der Gottesfreude
der T o d bringt die Kirchen des Ostens um, die v o m Stuhl u. G l a u b e n Petri nicht abhängig sein wollen
Einsamkeit
K o s t e n u. geistiger G e Stärke schmack bei den Einsiedlern, die von außen mager erscheinen, aber innen üppig sind
fleischliche E h e der Stolz, die Eitelu. irdische G e - keit, die Heucheschäftigkeit lei, das vergebliche Wissen über Religion u. andere weltliche Sachen; das Zepterschwingen
die Märtyrer rufen gegen die Mühseligkeit, Laxheit u. den L u x u s auf
Schande
Gerechtigkeit Christi bei sei- Herrlichkeit ner Rache durch die Sarazenen g e g e n diejenigen die ihn verachteten: die J u d e n , Christen (im Osten); gerechte Vergeltung der fleischlichen Kirche; irdischer Frieden der Heiligen
die Strenge der
Laxheit, das Rebel-
G e b o t e , Ürteile u. des G e setzesfluchs
Heren, Zügellosigkeit, Frechheit
die Ehebrecherin Feindschaft Babylon von ihrem M a n n entfremdet, dann durch E r d b e b e n u. den Z o r n des L a m m e s zerstört; neue Kreuzfahrer Christi werden mit d e m Kennzeichen G o t t e s gekennzeichnet
Versiegelung durch das Feuer E h r e der Liebe; familiäre Vertrautheit des L a m m e s ; Rache gegen die Hure, die E h e b r u c h begangen hat
scheinbarer Widerspruch zwischen d e m Alten u. d e m N e u e n Testa-
Vernichtung des B ö s e n u. der Frechheit
großes Schweigen im Himmel; Frieden, Herrlichkeit, Vision u. göttliche Freude
stillende Sanftheit u. Milde des himmlichen Vaters
schattenhafte, bewölkte, dunkle Figuren des Alten Testaments
die totale Reinigung von der Aufrühr der E r b s ü n d e u. des Todes
Grausamkeit
Segen
672
Warren Lewis
Zahl sieben Köpfe des Drachen der Glieder
Herodes u. Kaiphas
Geschichte des Alten Testaments Geschichte Roms u. der Kirche
sieben Köpfe des Biestes
42 Generationen: von Adam bis Amasias; concordia zwischen Adam (erster Sünder) u. Amasias (43. Generation, Räuber des Priesterturns); Eva brachte verdorbene Söhne zur Welt
die religiösen Führer des Jüdischen Volkes (die Löwin mit Adlerflügeln, Dan 7:4)
die vergewaltigte Rhea Silva brachte Romulus u. Remus zur Welt; wie Kain u. Abel war Romulus, der Gründer Roms, Mörder seines Bruders
Nero u. die zehn heidnischen 42 Generationen: von Shem bis die Stadt Babylon wurde überwältigt Kaiser Shealtiel; in der 43. Generation sind die Meder u. Perser u. andere heidnische Nationen überschwemmt worden; die Unzüchtigen des ersten Weltzeitalters wurden in der Sintflut Noahs ertränkt
die heidnischen Nationen, vor allem Rom (der Bär, der die Märtyrer auffrißt, Dan 7:5)
Konstantius, der arianische Kaiser u. die Arianer
42 Generationen: von Jakob bis Joseph (oder Joachim): 42 Generationen von Abraham bis „Christus dem Menschen"
Christus „erzeugte" zwölf die Königreiche u. Apostel, wie Jacob die Menge der arianischen zwölf Väter Israels zeugte Ketzer (der Leopard mit vier Köpfen u. vier Flügeln, Dan 7:6): die Griechen
Khosro, König der Perser, oder „Mahomet", der Prophet u. Prinz der Sarazenen
42 Generationen: von David in Jerusalem bis zu Konstantin in Rom
In der 43. Generation wurde ein „neues Jerusalem", d. h. die röm. Kirche, hervorgebracht
die Ostgoten u. Westgoten in Italien u. Spanien
der deutsche Kaiser (Heinrich IV.) u. alle fleischlichen u. laxen Äbte
42 Generationen: von Hoshea und durch die assyrische Entvölkerung der zehn Stamme Israels bis Heraclius
In der 43. Generation haben die Sarazenen die Kirchen des Ostens verwüstet
die Wandalen in Afrika
„das elfte Horn" (Dan 7:24), 42 Generationen: von Zedekia u. das dritte Weltzeitalter die Lombarden, die oder der mystische Antichrist Jechonia bis Zerubbabel (40. Ge- beginnt, aber man kann Italien verwüsteten neration) nicht wissen, wie lange es dauern wird
„der freche König" (Dan kurze Zeit von Johannes dem 7:36; Apoc 13:11), oder der Täufer bis zu Paulus dem Apostel große Antichrist mit dem absoluten Führer des dritten Weltreiches Gog, der Schwanz des Drachen, „der achte K o p f
das dritte Weltzeitalter, wahrscheinlich kürzer als die ersten zwei Weltzeitalter
die Sarazenen u. ihre Sekte, deren erster Führer Mahomet war
Freude, Freude! Olivis „Lectura super Apocalipsim"
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sieben Köpfe des [sarazenischen] Biestes
Tugend/Laster
sieben Pestschalen
sieben Könige des die sieben Hügel Biestes Roms/ Babylons
Mahomet
Glauben/ Unglauben
geistig von Christus u. den Aposteln ausgegossen auf die Synagoge der Juden; historisch von den Römern, die von unsichtbaren Engeln geführt wurden, ausgegossen auf den Tempel u. Jerusalem, um die Juden umzubringen, gefangen zu nehmen u. zu vernichten
Herodes u. seine Nachfolger
Kaliph Umar I [Olivi beschreibt ihn, ohne ihn zu nennen]
Geduld/Ungeduld
geistig auf das Meer des Heidentums ausgegossen, da Nero u. seine die Heiden unwillig waren, den Predigern des Evange- Nachfolger liums zu glauben; historisch von Konstantin ausgegossen auf die Götzendiener, um den Götzendienst aus der Welt zu treiben
Aventin
Kaliph Uthman [beschrieben, aber nicht benannt]
Demut/Pracht
geistig von den heiligen Eifrigen u. den Kirchenvätern ausgegossen auf die Quellen der Ketzerei; historisch von Staat u. Kirche durch Anathemen, die Exkommunikation u. das Blut vieler Häretiker
Konstantius, der Arianer Kaiser u. seine Nachfolger
Viminal
Tariq [beschrieben, aber nicht benannt]
Hoffnung/ geistig von heiligen Einsiedlern u. Kontemplativen Hoffnungslosigkeit ausgegossen auf heuchlerische Einsiedler; historisch von den Sarazenen ausgegossen auf die Kirchen des Ostens
Mahomet (oder Khosro, der Perser), und seine Nachfolger
Quirin al
Saladin
Eifer bei der brüderlichen Liebe/ Hass auf Brüderlichkeit, „Sünde gegen den Hl. Geist"
geistig von den heiligen Eiferern der röm. Kirche auf Kaiser Heinden fleischlichen Klerus u. auf Luxus, Pracht, Simo- rich IV., „König nie, Habgier, Geschäfte u. Schlauheit ausgegossen, der Teutonen" deren Hauptsitz „Hure Babylon" genannt wird
Caelian
der Antichrist oder ein starker militärischer Führer
„die letzte Plage"
geistig von den Heiligen ausgegossen auf den mystidie sarazenische sehen Antichristen u. auf die „Synagoge" der weltliSekte chen Kirche u. auf das Meer der Ungläubigen, der Ketzerei, der Pseudopropheten u. der falschen Lehrer u. auf die Scheinheiligkeit der Pseudoreligiösen; historisch durch die Bürgerkriege der zehn Könige ausgegossen auf die röm. Kirche während des Krieges von Armageddon
Esquüin
der Antichrist
„die letzte Plage"
geistig vom letzten evangelischen Orden ausgegossen auf die Luft, d. h. auf die Teufel u. auch auf die Erwählten der geistlichen Kirche, um sie zu reinigen.
Kapitol
der letzte AntiPalatin christ u. die Gesellschaft vom totalen Irrtum, eschatologischer Gog
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stern, die als Beguinen bekannt waren. Zu ihnen zählte auch die Frau Na Prous Boneta, die später mit der Inquisition noch viele Sorgen wegen ihrer früheren Verbindung zu Olivi und ihrer allzu persönlichen Anwendung seiner apokalyptischen Begriffe hatte 18 . Neben den Franziskanern und Beguinen waren unter der Zuhörerschaft Olivis auch viele Laien aus Narbonne, gute Katholiken aus der Arbeiterklasse, hauptsächlich Schneider, Weber und andere in der Stoffverarbeitung tätige Handwerker. Ob mit Absicht oder unbeabsichtigt, Olivis Häresie war eine selbstbewahrheitende Prophetie des Sektierertums, das wir heute als Voraussetzung des nachprotestantischen Christentums kennen: die akute Demokratisierung des Christentums, die durch eine dritte Alternative in Gestalt zahlreicher evangeükaler, charismatischer, pfingstlerischer, selbständiger Kirchen repräsentiert wird und heute die Mehrheit der christlichen Welt darstellt. 10. Die albigensischen Katharer: Im siebten Stadium wird die Kirche erneuert, weil sie in der Lebens- und Mahlgemeinschaft mit Christus „wie eine Familie" leben darf 19 . Diese Beschreibung findet sich in einem kurzen Traktat über die geistliche Führung im zweiten Kapitel der LSA. Dort bietet Pastor Olivi seinen verwirrten albigensischen Nachbarn einen sanften Rat, jenen theologisch marginalen Erben und Nachfahren der häretischen albigensischen Katharer, Menschen, deren Eltern und Großeltern nur eine Generation zuvor schrecklich unter der Terrorherrschaft der Inquisition gelitten, und dem Angriff des Simon de Monfort und den landraubenden Einfallen katholischer Herren aus dem Norden ausgesetzt gewesen waren. Die wirkliche Häresie von Olivis albigensischen Nachbarn, besonders die manichäische Tendenz ihres ontologischen Dualismus, ihr unzureichendes Verständnis von Schöpfung, Christologie und Erlösung sowie ihre geistlichen Exzesse wurden von Olivi als ein Versuch der Selbsterlösung gedeutet. All dies ist in der Sicht Olivis korrekturbedürftig (LSA Kap. 9), und dennoch verdienten diese häretischen Erben Trost wegen ihres, wenn auch fehlgeleiteten, mystischen Verlangens nach Vollkommenheit an jenseitiger Heiligkeit. Obwohl er selbst kein geheimer Albigenser war 20 , kam Olivi seinen häretischen Nachbarn dennoch mit seinen rigorosen Forderungen von evangelischer Armut, 18
19
20
D. Burr, Na Prous Boneta and Olivi, in: Collectanea Franciscana 67 (1997), 4 7 7 - 5 0 0 ; id., Did the Béguins Understand Olivi? in: Boureau/Piron (eds.), Pierre de Jean Olivi (nt. 1), 3 0 9 - 3 1 8 ; L. Burnham, The Visionary Authority of Na Prous Boneta, in: ibid., 3 1 9 - 3 3 9 . LSA 172 — 173: „Séptima est victoriosus cum Christo convictas, quando sc. quìs Christo incorporates obtinuit sicfamiliariter cum Christo convivere et concenare ..." Fragwürdig ist die Andeutung von Α. Α. Davenport, Peter Olivi in the Shadow of Montségur, in: Vivarium 37 (1999), 139: „The new epistemological autonomy and dignity that Olivi attributes to man stem directly from his Cathar-like doctrine that the human will really acquires through grace new ,parts' of its essential power and freedom. If Olivi rejects the need for passive illumination, it is precisely because he substitutes for this the more Occitan theory that the will itself is actually ,increased'." Die entgegengesetzte Auffassung scheint mir eher angebracht: Das beinahe Nichts (nihilitas) des bloßen menschlichen Wissens, das Wissen der Philosophen und der Wissenschafder, das nach Olivis Ansicht keiner Hilfe Gottes bedarf, um recht empirisch und logisch zu sein, wird also durch die Gnade weder ergänzt noch vergrößert werden.
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seinen negativen Schlußfolgerungen über die Staatskirche und ihre simonistischen Kleriker sowie mit seinen Prophezeiungen der bevorstehenden kirchlichen Katastrophe entgegen. Dies ging Hand in Hand mit Olivis nüchterner Hochschätzung solcher Personen, die ein heiligmäßiges Leben führten. Mit den Worten von Anne Ashley Davenport entwickelt Olivi die Idee der „hierarchisierten Seele" seines Mentors Bonaventura 21 , indem er die „vertikale Mystik" des katharischen Dualismus umkehrte. Er verwandelte sie in eine „horizontale Mystik" des Fortschrittes göttlicher Aktivität und Offenbarung in der Geschichte und durch die Geschichte: von Christus über Franziskus bis zum siebten vollkommenen Stadium 22 . Die von den Albigensern angestrebte Heiligkeit würde Eigentum der neuen Kirche während des geisterfüllten siebten Stadiums, wenn man nur mit etwas historischer Geduld wartete. Jedoch würde dies nie das Ergebnis eines doktrinär tendierenden Dualismus und eines moralisch verdächtigen selbstsüchtigen geistlichen Heroismus der scheinheiligen sogenannten perfecti sein. Im Gegensatz zu der Häresie der albigensischen Katharer, die zu Olivis Pfarrei gehörten und sich seine Predigten anhörten, bot Olivi melioramentum in einer an Johannes und nicht an Petrus orientierten Kirche; endura, nicht durch ein ZuTode-Hungern, sondern in der Freude des Hl. Geistes; und consolamentum durch die historische Wiederkunft Christi in der Person des Franziskus sowie die intelligentia spiritualis. 11. Die Juden: Olivi sprach jedoch nicht nur Albigensern Trost zu, sondern auch einer ganz unerwarteten Gruppe. Den Juden spendete er eine besondere Art von apokalyptischem Trost, indem er ihnen eine ganz besondere Stellung in dem neuen Weltzeitalter zuwies. Olivi verkündete seinen Nachbarn und Geschäftskollegen in Narbonne, der jüdischen Gesellschaft von Pergamentherstellern und Papierhändlern 23 , deren Waren und Dienste der literarisch produktive Olivi oft benutzt hatte, daß, wenn sie in ihrer jüdischen evangelischen Armut rein und heilig in ihrer Liebe zu Gott blieben, ihnen auch eine Mitgliedschaft unter den berühmten 144000, die dem Lamme folgen, möglich sei 24 . 21 22 23 24
Bonaventura, Collationes in Hexaemeron 2 2 - 2 3 . Anne A. Davenport an Warren Lewis, private Mitteilung. R. Emery, Heresy and Inquisition in Narbonne, New York 1941, 22—23, 136. Gegenüber Orígenes, Augustinus und auch Joachim handelt es sich nach Olivi in Apoc 14 um wirkliche Juden, da er sich ein eschatologisches Novum auf Grund von Rom 11:26 vorstellt (Olivi kannte einige Juden persönlich). Olivi begrüßt diese Juden aus sieben Gründen: besonders weil sie an Gott und neuerdings an den Gottessohn glauben, weil sie arm und rein sind und auch, weil sie so gut singen und jubilieren. LSA 739-740, 748, 751: „Meo tarnen iudido sanai de quibus hic agitur sunt sancii sexti status et precipue duoderím tribuum Israelis, qui supra in apertione sexti sigili sub eodem numero [sc. 144000] sunt descripti, sub quo et bic describuntur; et sicut illic dicuntur esse de tribubus Israelis, sic ducuntur hic stare cum Christo super terram Israel, id est super montem Sion, ubi fuit Ierusalem metropolis omnium tribuum Israelis ... sic area finem temporum immaculatissimipuri et virgines creduntur de sürpe Israel ad summam Christi imitationem et familiaritatem vocandi ... Nota quod cum superius dixit istos cum Christo stare super montem Sion, forte ultra sensum ibi tactum voluit insinuare quod post mortem anticbristi et forte etiam ante mortem erit sublimissimus cultus Christ ad litteram in monte Sion. Nec mirum si locus nostre redemptionis super omnia loca terre tunc temporis exaltetur et maxime quia ad conversionem totius orbis et ad gubernationem totius iam conversi Ule locus erit congruentior summis rectoribus Orbis tanquam centrale medium terre habitabilis. "
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Diese in der Apokalypse erwähnten Juden, die exemplarisch für ihre heilige Armut waren, hat Gott unter die Erwählten gerechnet. Was leuchtete auch biblisch besser ein? Juden, die dem Messias folgten, der selbst wie seine Mutter ein Jude war, waren nach Olivi zum eschatologischen Triumph vorherbestimmt. In der LSA beweist Olivi dies durch das Schriftzitat Römer 11:2625. Olivi verleiht hier einem prophetischen Ausdruck wieder eschatologischen Sinn, der ihm seit Orígenes und Augustinus abhanden gekommen war. Laut Olivi werde nach der „Zeit der Fülle der Heiden", d. h. nach den 1260 Jahren der Apokalypse, während denen die mit der Sonne bekleidete Frau und ihre Kinder in der Wildnis der Heiden gespeist wurden, eine neue missionarische Tätigkeit einsetzen, die unter franziskanischer Führung zur Bekehrung der restlichen Heiden führe, unter Einschluß vieler Sarazenen und besonders von „ganz Israel". Olivis Schau der jüdischen Dimension der Apokalypse ist so vollständig, daß er auch die Verlegung des christlichen Hauptquartiers aus dem petrinischen Rom auf eine Bergspitze in Israel (Karmel oder Zion) für möglich hält 26 . Bedeutet dies, daß Olivi eine überraschende Alternative in der langen Geschichte des europäischen Antisemitismus darstellt? Ganz gewiß. Ein Platz für die Juden als Juden im Willen und Plan Gottes ist eine erfrischende Alternative zu dem üblichen Gerede über die Christus-Mörder. Doch befürchte ich, daß Olivis enthusiastische Rhetorik die eschatologischen Erwartungen so hoch schraubte, daß, wenn die „sturen Juden" weiterhin die Nachfolge des Lammes versagen würden, Olivi selbst dem Staat das Recht zusprach, Gewalt anzuwenden. Olivi, der somit ein Eurokatholik blieb, machte mit wenigen Worten all das Gute, das er möglicherweise mit der Integrierung der Juden im dritten Weltzeitalter erreicht hatte, wieder rückgängig 27 . 25 26
27
In der LSA zitiert Olivi Rom 1 1 : 2 5 - 2 6 auf mehreren Seiten, z. B. LSA 5 2 - 5 5 , 4 2 8 - 4 2 9 . LSA 858: „An autem post antichristum hec urbs [sc. Rom] Herum reparetur, ut ibi usque adfinem seculi stet principalis sedes Christi sicut fuit a tempore Christi et atra, aut Christus post antichristum reducat sedem suam ad locum unde manavit ad urbem Romam, puta in Ierusalem vel alibi, sue dispositione est retinquendum. Neutrum enim horum potest certificari ex sacro textu nec ex aliquo certo et catholico dogmate fidei Christiane. " LSA 900: „,Et de ore eiusproceditgladius acutus ... ut in ipsopercutiatgentes' [Apoc 19:15], quasdam sc. in eternum interitum, quasdam vero ad correctionem et ad vitiorum suorum extinctionem; ,et ipse reget eas in virga ferrea,' i. e., in inflexibili iustitia. Qui enim nolunt converti blanditiis et humilitate, necesse est ut tunc temporis sentiant severitatem et fortitudinem disäpline eius ut saltern sero subiäantur sceptro ipsius. Rebelles autem sentient furorem eius. " Obwohl Olivi hier den Juden keine besondere Aufmerksamkeit zuteil werden läßt, klingt seine Rhetorik eher buchstäblich als geistlich. Auch Juden, Ketzer und schlechte Christen, d. h. alle diejenigen, die gegen die sanftmütige und demütige Kraft des evangelischen Predigers rebellieren, mögen wohl in der eschatologischen Pflichtnotwendigkeit unter die Kraft der weltlichen Gewalt fallen. Olivi, immer ein Kind seines Jahrhunderts, sollte die Inquisition erst persönlich erfahren, nachdem er gestorben war. H. Oberman, The Stubborn Jews: Timing the Escalation of Andsemitism in Late Medieval Europe, in: Year Book XXXIV 1989 of the Leo Baeck Institute (1989), xi-xxv, meint: „Olivi impressed his own views on Joachim by mobilising the faithful fraticelli against the unfaithful Church, with even more vigour than the very partial edition of his Apocalypse commentary by Raoul Manselli can convey. With Olivi the historical Jews disappear when they are spiritualised into the allegory for the unfaithful church, the ecclesia infidelis" (xiv). Oberman konnte dieser Meinung sein, weil er Mansellis Teiledition anstelle meiner Tübinger Gesamtedition in Betracht gezogen hat. Im Gegenteil zu
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12. Erfahrene joia im Heiligen Geiste: Im Mittelpunkt von Olivis Verständnis des siebten Stadiums steht der intellectus seu intelligentia spiritualis, das geistliche Verstehen der Heiligen Schrift, der Sakramente, der Geschichte und alles übrigen. Unter intellectus spiritualis versteht Olivi eine charismatische Salbung des Geistes, die durch die Gegenwart und Kraft des Hl. Geistes erleuchtet und entfacht, wärmt und erfreut, trunken macht und inspiriert 28 . Diese geistige Kraft ist diejenige, die im dritten Zeitalter alle Dinge erneuert: 1. Die Kirche Christi wird nicht mehr so sehr im Fundament des Glaubens und der Werke Petri gründen, als in der Liebe des doctor spiritualis bestehen 2 9 . 2. D e r intellectus spiritualis ist eine
illuminatio, eine Art neuer Offenbarung, die durch Franziskus wieder für die Kirche erneuert wurde 30 . 3. In der nun erneuerten Kirche der endzeitlichen
28
Oberman ist zu bemerken, daß die Juden während der Endzeit nach Olivis Meinung als „historical Jews" wieder eine konkrete historische Rolle auf der Bühne der Geschichte spielen werden. Olivis Begriff des Hl. Geistes und der intelligentia spiritualis sind eng miteinander verbunden, weil intelligentia spiritualis, wie auch die eschatologische Freude, eine Sondergabe des Geistes ist. Intelligentia spiritualis ist die apokalyptische Klarheit, die das Verstehen der Hl. Schrift und der Heilsgeschichte in den sechsten und siebten Kirchenstadien allein durch die Gnade (LSA 2 5 - 2 6 ) ermöglicht. Wie ein Küken im Ei oder das Licht in der Lampe war auch die intelligentia/intellectus spiritualis zunächst unter den äußeren Buchstaben des Alten Testaments verborgen, aber dann durch Christus im Neuen Testament geoffenbart geworden (LSA Prologus, 3; 462, 621-622). Es wurde heller während der Frühstadien der Kirchengeschichte, heller noch am apokalyptischen Gerichtstage im sechsten Stadium, und es wird noch heller im dritten Weltzeitalter des Hl. Geistes werden (LSA 326-328, 573, 884). Um dies zu beweisen, zitiert Olivi Jes. 30:26 zu Anfang seines Kommentars und teilweise das ganze Buch hindurch (LSA Prologus, 1). LSA Prologus 60 — 61: „Ergo ex istorum mutua collatione habetur, quod in sexto tempore ecclesie debet liber Christiane saptientieplenius aperiri et comedi et universis gentibus iterumpredicari, et quod Helias [sc. Franziskus] cum altero conteste sibi consonato sit tunc venturus ad convertendum corda Iudeorum adfidem et intelligentiam sanctorum patrum et prophetorum. Et, ut Christus asserii, venturus est ad omnia restituendo, sicque cum suo conteste occidetur a bestia que ascendet de abisso, prout didt Iohannes ibidem. "
29
Im Neuen Testament zeichnet besonders Johannes, der Vorherseher von Patmos, der die Offenbarung empfangen hatte, die intelligentia spiritualis aus. Nicht Petrus, sondern Johannes, den Jesus liebte, den Olivi (nach Joachim) doctor spiritualis nennt (LSA 944), ist der Typ des heiligen Kontemplativen, der auch zum Leitbild der ecclesia spiritualis wird (LSA 557-558). LSA 234-235: „Rurus, quia in contemplativis plus refulget dilectio Christi ad eos, in activis vero plus refulget dilectio eorum ad Christum. Unde Johannes, in quo preorgative contemplationis est designata, potius dirítur predilectus a Christo quam prediligens Christum; Petrus vero, in quo fervor active est presignatus, potius dirítur prediligens Christum quam predilectus ... Hinc etiam est quod Christus plus commendai promissiones suorum donorum Jadas angelo sexto quam merita ipsius sexti ... quia potius prefertur eis in pati seu recipere quam in agere vel dare, et potius in felicitate habent speäem premii quam in laborioso opere habente rationem meriti." Die Kirche der Jüngsten Tage ist eben eine geistige Kirche, da sie wie Johannes die Geistesgabe der intelligentia spiritualis erhalten hat. LSA 108, 577: „Nota etiam quod dicit servis suis quasi dicat non est datum ea revelare superbis philosophis nec incredulis ludeis nec perversis Christianis ... Subditur etiam fide dignitas persone Iohannis, ut sibifacilius et firmius credatur"·, „... et hoc dico prout per lohannem designantur hic ungulares persone, quia, prout per ipsum designatur in communi ordo evangelicus et contemplativus, scitur ex ipsa intelligentia libri, quod per ilium ordinem debet hoc impleri. "
30
Geistliches Verständnis oder illuminatio ist die eschatologische Wirkung entweder Christi oder des apokalyptischen Engels oder des Franziskus selbst. Olivi stellt sich Franzikus besonders als die apokalyptische Säule vor, die die Kirche im sechsten Stadium abstützt (Apoc 3:12; LSA 168-172). LSA 392-394: „... quod vita Christi erat in sexto et séptimo statu ecclesie singulariter clarificanda et in finali consummatione ecclesie et in omnis Iraelis ac totius orbis conversione magnificando. Ex quo
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intelligentia spiritualis gilt ja die eschatologische Freude anstelle guter Werke und mühelose Erkenntnis statt philosophischem Wissen 31 . Die scheinbaren Widersprüche des Alten Testaments werden aufgelöst 32 , und die theologischen Feindseligkeiten werden eingestellt33. 4. Das Merkmal dieser geistseligen Zeit ist das geistige Jubilieren, welches die affektive Hermeneutik der Schrift charakterisiert, wenn man die Bibel und die Geschichte unter dem Blickwinkel des Franziskus liest34. ìgitur per romane ecclesie auctenticam testificationem et confirmationem constet Regulam Minorum per beatum Franàscum editam esse vere et proprie illam evangelicam, quam Christus in seipso servavit et apostolis imposuit et in evangeliis suis conscribi feat; et nichilominus constet hoc per irrtfragabilia testimonia librorum evangelicorum et ceterarum scripturarum sanctarum et per sanctos expositores earum, prout alibi est superabunde monstratum; constet etiam per indubitabile testimonium sanctissimi Franósa ineffabili sanctitate et innumeris dei miraculis confirmatum et preàpue gloriosissimis stigmatibus sibi a Christo impressis, patet ipsum fore angelum apertionis sexti signaculi habentem signum dei vivi [Apoc 7:2], signum scilicetplagarum Christi crucifixi et etiam signum totalis transformationis et configurationis ipsius ad Christum et in Christum. Et hoc ipsum per claram et fide dignam revelationem est habitum, prout a fratre Bonaventura solemnissimo sacre theologie magistro ac nostri ordinis quondam generali ministro fuit Parisius in fratrum nostrorum capitulo, me audiente, solemniter predicatum. Hoc igitur commemorato, est adhuc notandum a quo tempore debeat sumi initium huius sexte apertionis. Videtur enim quibusdam quod ab initio ordinis et Regule sancii patris prefati; aliis vero quod a solemni revelatione tertii status generalis continentis sextum et septimum statum ecclesie, facta abbati Ioachim et forte quibusdam aliis sibi contemporaneis; aliis vero quod ab exterminio Babilonis, id est ecclesie carnalis, per decern cornua bestie, id est per decern reges fendo; aliis vero quod a susdtatione spiritus seu quorumdam ad spiritum Christi et Francisa, tempore quo eius Regula est a pluribus nequiter et sophistice impugnanda et condemnanda ab ecclesia carnalium et superborum, sicut Christus condemnatus fuit a synagoga reproba Iudeorum. Hoc enim oportet preire temporale exterminium Babilonis, sicut Christ et suorum condemnatio a Iudeis preivit temporale exterminium Synagoge. Sciendum autem quattuor sententias predictas sane assumptas non esse sibi contrarias sed concordes." Weil Franziskus als der „zweite Advent Christi" gilt, welcher mit seiner Wiederherstellung der Kenose Christi eng verbunden ist, vermittelt Franziskus den Hl. Geist ähnlich wie Christus den Paraklet verheißen und gesandt hat. Die Kapitel 8 - 1 0 entwickeln die durch die Kirchengeschichte immer heller werdende intelligentia spiritualis, bis der Leser auf den Engel von Apoc 10:1 trifft, von dem die intelligentia spiritualis in voller Klarheit offenbart worden ist (LSA 558-568). 31
32 33
34
LSA 232: „Nota etiam quod, quia tunc amplius vacabitur excessibu et gustibus contemplationis quam fortibus active operibus, ideo non dabitur [sc. dem Bischof von Philadelphia] tantus robur virtutis adfortia opera, sicut datum est primis statibus et spedaliter quarto . . . " LSA 582— 583 und auch 814: „Potest etiam per templum designati religio evangelica ...; per mensurationem etiam templi et altaris potest intelligi non solum regitiva gubernatio subditorum sed etiam sincera et recta declaratiofideiet evangelice vite, non secundum errores philosophicos nec secundum sensum proprium vel carnalem procedens sed secundum rectam regulam sacre scripture et catholice fidei a Christo traditam." LSA 316-319. LSA 459—460: „Tunc enim non solum ubique essabunt corporalia bella sed etiam spiritualia bella heresum et errorum et sdsmatum. Et ideo potius vacabitur spirituali agriculture et messioni quam litigiosis argumentis et disputationibus; et ideo mutabuntur gladii in vomeres terre, id est mentis sulcativos, et lancee in falces messorias tritirí spiritualis. " LSA 825, 271: „Et subdit quod angelus vocat Iohannem in signum, quod disàpuli non possunt intrare ad intellectum spiritualium doctorum nisi illi per verbum eruditionis trahant corda illorum ad intelligentiam veritatis ... Unde per celum designantur hic ecclesia et scriptum sacra et precipue eius spiritualis intelligentia. Sicut autem in ostio monumenti Christi erat superpositus lapis magnus et ponderosus, qui Christo resurgente et de sepulcro exeunte est inde amotus, sic in scriptum erat durus cortex litten pondere sensibilium et carnalium figurarum gravatus claudens ostium, id est aditum intelligentia spiritualis. In humanis etiam cordibus erat lapidea durities sensus obtusi claudens introitum divinarum illuminationum. " LSA 337 - 338: „ , E t cantabant
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Olivi sah nie voraus, daß Schrift oder Sakramente verschwinden würden oder daß die Hierarchie durch die Demokratie ersetzt würde. Er sagt jedoch, daß ein apokalyptisches Verstehen von Schrift und Theologie sowie persönlicher Verhältnisse nicht mehr durch ernstes Studieren, sondern durch geistliche Erleuchtung stattfinde, womit auch eine Abnahme der Mißverständnisse in bezug auf die Hl. Schrift einhergeht 35 . Erlösung geschehe nicht mehr durch das, was wir für Gott tun, sondern durch das, was Gott für uns tut. Apokalypse bedeutet revelatio und illuminatio, und an jenem dritten und letzten großen Tag „wird das Licht des Mondes zu Sonnenlicht, und das Licht der Sonne wird wie das Licht von sieben Tagen". Mit diesen Worten aus Jesaiah 30:26 beginnt Olivi seinen Kommmentar, und seine metaphorisch-metaphysische Helle erleuchtet mystisch jede Seite. Olivi präzisiert nicht, was er unter mystischem Empfang der Sakramente versteht, aber er spricht redegewandt von der charismatischen Erfahrung des Hl. Geistes im dritten Zeitalter. Wir besitzen eine große Auswahl an Texten, die metaphorisch von großer Bedeutung sind 36 .
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canticum novum' [Apoc 5:9] ... Si pulsatio et resonantia äthare in hoc cantico includatur, tune désignât omnium virtutum affectus et actus pulsati et resonare cum tubilo huius laudis; plena enim sue perfecta iubilatio, pulsat omnes virtutes et ex omnibus trahit resonantiam laudis, quelibet enim virtus est una corda cithare, i. e. mentis iubilative. Per citharametìam designatur scriptum sacra vel tota univeràtas divinorum operum, quorum cordas vanas contemplativi tangunt et puisant et ex eis divine laudis iubilum formant. Quot autem sunt modi agendi, tot sunt modi iubilandi et cantandi. " LSA 2 3 6 - 2 3 7 , 979 und auch 984—985: „ Ostium aperitur, cum intelkau illuminatur et exacuitur ad scripturarum occulta expedite et faríliter penetrando et videnda, et cum predicationi datur spiritualis efftcaäa ad corda audientium penetranda, et cum incredulorum corda divinitus periuntur ad credendum et implendum Christi legem et fiem, que prediactur eis ... ,Quod nemo potest claudere' [Apoc 3:8], ... tum quia sub tanta luce et evidentia fit hec apertio isti et statui sexto per eum designato, quod nemo potest earn obscurare per aliquam rationem velastutiam necper aliquodscripture sacre testimonium necper quamcumque aliam viam ... ita quod non egebit sole scripturarum novi testamenti neque luna veteris testamenti aut quandocumque consimili scriptum vel doctrina, sicut hic eget... immo etiam quod Christus inquantum homo est templum et lucerna beatorum ... Si in hoc statu peregrinationis tantum unitur nobis Christus inquantum homo et nos ei per sacram sumptionem eucharistie, necessario convincitur quod incorporabiliter intimius unietur nobis in gloria et nos ei, ita ut merito dicatur quod agnus est templum et lucerna omnium beatorum." Olivi entwickelte seine Lehre vom Hl. Geiste nicht so sehr als Lehre über die dritte Person der Gottheit, sondern als eine charismatische Erfahrung der eschatologischen Freude, der intelligentia spiritualis, der verschiedenen Tugenden (z. B. die Demut) und der Geistesgaben des dritten Weltzeitalters. LSA 229, 348: „... quia spiritualis iubilatio, cuius magisterium et singularemprerogativam habuit David in dtharis et psalmis-under et eius psalmodia singulariter celebratur in total ecclesia et in sacra scripturahec, inquam, iubilatio est clavis Christi ad omnia divina aperienda et ad claudendum ea aridis et indevotis et accidiosis et carnali seu vana letitia plenis. Significatur etiam per hoc proprium donum et singularis prorpietas tertii status mundi, sub sexto statu ecclesie inchoandi, et spiritui sancto per quandam antonomasiam appropriati ... sic in tertio nil restât nisi ut psallamus et iubilemus deo laudantes eius opera magjia et eius multiformem sapientiam et bonitatem in suis operibus et scripturarum sermonibus clare manifestatam ... Ergo in tertio tempore spiritus sanctus exhibebit se ut flammam et fornacem divini amoris et ut cellarium spiritualis ebrietatis et ut apothecam divinorum aromatum et spiritualium unctionum et unguentorum et ut tripudium spiritualium iubilationum et iocundidatum, per quam non solum simplià intelligentia sed etiam gustativa et palpativa experientia videbitur omnis Veritas sapientie verbi dei incarnati et potentie dei patris. Christus enim promisit quod, ,cum venerit ille spiritus veritatis, docebit vos omnem veritatem', et ,ille me clarificabit' ... [Joh 16:13, 14] ... In séptima [sc. apetlione] autem gustata summa bonitate ipsius et consummate exhibitis et contemplative visis etgustatis beneficiis eius ab initio mundi usque adftnem, nichil habebit nisi ipsum semper benedicere et laudare."
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Olivi, ein Amtsträger seines Ordens und ein römischer Katholik, war kein Demokrat. Er rechnete nie damit, daß das hierarchische Prinzip je verschwinden würde. Waren nicht auch die Engel hierarchisch gegliedert und die Menschen ein Abbild solcher Ordnung? Allerdings war die Hierarchie in der ecclesia spiritualis der nova sponsa, d. h. in der Johanneskirche, anders als in der Petruskirche, wo gewichtige Vorgesetzte über ihre Untertanen herrschten. Die Hierarchen würden keinesfalls von ihren Untergebenen devote Unterwürfigkeit verlangen, sondern diese würden in spontaner Frömmigkeit vor ihren Vorgesetzten knien. Das herausragende Merkmal des siebten Stadiums der Kirche, welches dem Zusammenbruch allen Übels folgen soll, ist die jubilatio. Olivi entdeckte mit anderen bedeutenden Individuen des 13. Jahrhunderts wieder die Freude, provençalisch: jota, jenes angenehme frohe Gefühl, das einen Franzosen an einem Spätsommerabend überkommt, wenn er ein Baguette ißt, neuen Wein trinkt und einen Band Troubadour-Lyrik mit einem Freund oder einer Freundin liest 37 . Ich weiß nicht, warum das 13. Jahrhundert reif war für die Entdeckung der Freude, aber der afghanisch-persische Rumi in der Türkei und der japanische Buddhist Shinran machten ungefähr zur gleichen Zeit eine ähnliche Entdeckung. Zu erwägen ist, ob vielleicht die Buddhalegende den drei Gurus als geistliches Gemeingut gegolten habe. Die Geschichte des indischen Aufklärers war Shinran als Heilsgeschichte buchstäblich bekannt, und vielleicht auch Rumi und Olivi 38 als die Barlaamlegende poetisch bekannt. „Barlaam und Josaphat", die umgestaltete Buddhasaga, war überall im 13. Jahrhundert von den islamischen Ländern bis nach Spanien und Languedoc und in vielen Sprachen sowohl zu lesen als auch von den Minnesängern zu hören. Es ist auch eine parallele Entwicklung der drei von joia beseelten Geister in Erwägung zu ziehen. Für Shinran war es die Entdeckung der Grenzen buddhistischer Frömmigkeit, die Wertlosigkeit der Selbstverleugnung, die Mühe jahrelangen Studierens und die Eitelkeit der Werksgerechtigkeit, bis er schließlich im einfachen Nachsprechen des heiligen Namens des rettenden Amidas sein Heil fand 39 . Für Rumi war es ein ähnliches Bewußtwerden der Grenzen islamischer, christlicher und jüdischer doktrinärer Exklusivität sowie des lebenslangen hochgeistigen Studiums und Lehrens. Sie trugen natürlich bei zu seiner Liebesaffäre mit dem unerreichbar erstaunlichen Shams von Tabriz. Aber es war die menschliche 37
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Hans Rollmann: „Es ist die Freude des vom Kreuzzug zurückkehrenden Ritters in Bergmans ,Siebtem Siegel' beim Genuß von Milch und frischen Erdbeeren, jenes säkularen Sakramentes, gefeiert unter Teilnahme von einander Liebenden!" Ich bedanke mich herzlich bei Herrn Dr. Hans Rollmann (Memorial University, Newfoundland) für die Korrektur des deutschen Manuskripts. Davenport, Peter Olivi (nt. 20), 130: „Olivi's philosophical doctrine of perishable phenomena resembles nothing more than it does Josaphat's spiritual doctrine: yeu mi consiriey que aquest mont non era mays cant nient et vanetatz." D. Hirota/H. Inagaki/M. Tokunaga/R. Uryuzu, The Collected Works of Shinran, 2 Bde., Kyoto 1997: Bd. 1: 15sq., 31, 8 0 - 8 1 , 1 0 7 - 1 0 8 , 112, 192, 180; Bd. 2: 1 5 - 2 1 , 3 1 - 3 2 , 48, 5 4 - 5 5 , 6 9 74, 80 ( , 4 7 4 - 8 1 , 4 9 3 ) , 83, 94, 9 8 - 9 9 , 1 1 2 - 1 1 3 , 121, 208, 291, 297, 299, 351, 4 6 3 - 4 6 4 , 474, 480, 520, 6 3 9 - 6 4 1 , 645, 6 6 5 - 6 6 6 .
Freude, Freude! Olivis „Lectura super Apocalipsim"
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Liebe von Shams, die den Sufi-Mystiker völlig aus der Fassung brachte und ihn von bloßer Mystik zu schwindelerregenden Sinnesfreuden zu seinem Geliebten trieb. Allah allein kennt die menschlichen Ausmaße ihrer gegenseitigen Liebe, die so skandalös für die Familie waren, daß Rumis eigener Sohn die Ermordung von Shams anordnete. Was auch immer zwischen beiden geschah — kein Akademiker will sich darüber auslassen —, es war körperlich und erdverbunden und persönlich ebenso wie die anderen verbotenen Freuden, zu denen Rumi durch die Entdeckung der Freude geführt wurde, nämlich zu Wein- und Musikgenuß, denn solche verbergen sich hinter den Metaphern des Dichters 40 . 40
Eine grundlegende historisch-kritische Edition und eine zuverlässige Übersetzung der Werke Rumis ist ein dringendes Desiderat. Lesern, die des Persischen unkundig sind, steht gegenwärtig eine stark unterschiedliche Reihe von Quellen zur Verfugung, die von wissenschaftlicher Gelehrsamkeit, doktrinärer Rechtfertigung, zweifelhafter Romantik bis zur geistigen Beschaulichkeit reicht. Die dringlichste und wesentlichste historische und hermeneutische Frage, die meist unbeachtet bleibt und nur von denen aufgegriffen wird, deren sexuales Anliegen es wichtig erscheinen läßt, ist die, ob Rumi und Shams in Wirklichkeit miteinander Sexualverkehr gepflegt haben, und wenn dies der Fall war, was dieser biographische Sachverhalt für die Dichtung Rumis und unser Verständnis dieser Dichtung bedeutet. Einige behaupten, daß diese Frage unwichtig sei; dadurch hoffen sie, unnötiger und sinnloser Weise die Sache aus dem Bereich der Moral zu entfernen. Andere lehnen es einfach ab, die Frage zu stellen und verlegen sich dabei auf eine Rationalisierung der sittlichen Voraussetzungen und kulturelle Vermutungen. (Auf ähnliche Weise zögern manche Forscher von Olivi, die wesentlichen häretischen Aspekte seines Denkens wahrzunehmen). Historisch gut informierte Forscher Rumis meinen, die geschichtlichen Beweise pro und contra seien leider unzureichend. Der Frage kann jedoch nicht leicht ausgewichen werden, und sie ist von großer Bedeutung, wenn wir etwas über Rumis eigentliche Erfahrung, sein Denken, die menschliche Art seiner Wirklichkeitserfahrung und auch die gesellschaftlich beunruhigenden, apokalyptischen Beweggründe seiner Leidenschaft verstehen wollen. - Wenn wir ein hermeneutisches Verfahren auf die autobiographische Dichtung Rumis anwenden, haben wir ein lebendiges Beispiel des sexuellen Verhältnisses von Rumi und Shams in mehreren Zitaten: (1.) Rumi and Shams verstießen gegen moralische und kulturelle Normen, als beide sich an zwei verbotenen Aktivitäten beteiligten, nämlich dem Trinken alkoholhaltigen Weins und dem Hören und Spielen von Musik: cf. D. Liebert, Rumi: Fragments, Ecstacies, Cedar Hill 1981, 9; S. Shiva, Hush: Don't Say Anything to God - Passionate Poems of Rumi, Fremont, CA 2000, 66, 73, 7 9 - 8 0 ; R. Nicholson, Selected Poems from the Divani Shamsi Tabriz, Richmond 1994, 127,163. (2.) Trunken von Gesang und Wein, und „ruiniert und wahnsinnig" von Liebe zu Shams (Liebert, Rumi, 43), vergaß Rumi ganz seine Vorsicht und Sittsamkeit und benahm sich höchst unverantwortlich mit bezug auf seinen Ruf. Er beleidigte seine eigene Familie, die später auch Rumis Liebhaber Shams ermordete: „I am in love! I am in love with him. All this advice-what's the use?" (Shiva, Hush, 42, ferner 13, 33, 45, 53, 18, 80, 96, 102). (3.) Alles dies steigerte sich zur körperlichen Intimität, denn Rumis direkte und leidenschaftliche Rhetorik beweist nichts anderes als eine vollendete sexuelle Wollust: Liebert, Rumi, 24, 25; C. Barks (ed.), Rumi, Night & Sleep, Cambridge, Mass. 1981, „The Elusive Ones"; Shiva, Hush, 21; Nicholson, Selected Poems, 25, 28 102. (4.) Nichts von dem Genannten war in Rumis Sicht unsittlich, weil seine geschlechtlichen Gefühle für Shams ihm als wahre Liebe galten; und wahre liebe, die göttlich ist, war für Rumi bestimmt von größerer Tragweite als der alleinige Verlust der Religion oder der Sittlichkeit oder der Identität, denn sie war auch für ihn der Ursprung der Freude und Anfang eines eschatologischen Verständnisses von Gott: cf. A. Iqbal, The Life and Work of Jalaluddin Rumi, Karachi 1999, 40, 43; Shiva, Hush, 15, 16, 31, 60, 8 1 - 8 2 ; Nicholson, Selected Poems, 31, 51; Liebert, Rumi, 17, 4 4 - 4 5 . Im Lichte solcher lebendiger und buchstäblicher Merkmale, schließe ich, daß diese und andere dichterische Metaphern Rumis wie Wein, die Musikinstrumente (die Reebeck oder Laute,
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Olivis Wiederentdeckung der joia war nicht so persönlich bestimmt wie die von Rumi, und sie bezog sich auch weniger auf die eigene Erlösung als bei Shinran. Olivis himmlische Freude betraf ein Menschengeschöpf, das den totalen Zerfall der eigenen religiösen Identität betrauerte, sowie die bevorstehende Vernichtung seines Ordens, seiner Kirche und seiner Gesellschaft. Jubilatio überfiel Olivi, als er erkannte, daß weder Werkgerechtigkeit noch Studium noch das beste philosophische Denken ihm iustitia oder selbst die Anfangsgründe der Erlösung verschafften. Joia war die Erfahrung eines Menschen, der entdeckte, daß er zu den Erwählten zählt und daß er durch keinen anderen Notausgang in dieser Welt seiner Lage entweichen konnte. Und von Gott erwählt zu sein, bedeutete für Olivi, Franziskus zu gleichen: bescheiden, arm und nackt, ein Zustand, den schon die Albigenser, Juden und Beider kannten, ohne ihn erst erlernen zu müssen. Studium und Lehre, Reichtum und Gewalt, Geistlichkeit und Frömmigkeit sollen nach Olivi gleich wertlos sein, wenn man nicht auf den kenotischen Christus als Mittler eingestellt ist, der sich radikal entäußerte, um nackt, arm und bescheiden am Kreuze zu werden, nicht zugunsten der hierarchischen Machtkirche und ihrer Prälaten oder der Reichen und Mächtigen, sondern für andere arme und nackte Mitmenschen. 13. Apokalyptischer Terror im allerletzten Stadium: Olivis Wiederentdeckung der Freude war weder ein Euphemismus für die von ihm ein und für allemal aufgegebene Macht und den Reichtum, noch war es ein durch die Hintertür wiedergewonnener kirchlich-triumphaüstischer Ersatz. Die joia des siebten Stadiums muß nach Olivi ganz geistlich verstanden werden, denn das siebte Stadium endete mit der Befreiung Satans, den Verfolgungen der Erwählten, die alle bisher bekannten Verfolgungen in den Schatten stellen, und — danach - der Wiederkehr Christi, diesmal zum Endgericht. Menschen werden daher auf dieser Erde nie Glück erfahren, sondern nur im siebten Stadium in der Herrlichkeit und Glückseligkeit der Heirat des Lammes und seiner nova sponsa. Olivi entdeckte jene Freude, die Shinran, Rumi und anderen Mystikern bekannt ist: Wir verlieren alles, wenn wir an etwas hängen, und in dem An-Nichts-Hängen gewinnen wir alles. Petrus Johannis Olivi ist nicht unser Zeitgenosse. Mit dem Hl. Johannes auf Patmos würde er es nie für möglich gehalten haben, daß in einem künftigen Jahrhundert die Pest AIDS wie ein Todesengel einen Großteil der Weltbevölkedie Harfe, die Flöte), der eine Trommel schlagende Trommelstock, zwei Stahlstücke und der Magnet der Liebe, die Körperhöhle, „Jakob, der nach Joseph sucht", Salomo mit seinen vielen Frauen, das Zittern der Haut und des Fleisches, die Wiederkehr der Flut, Schlucken, die Beute, die ängstlich das Raubtier erwartet, Hochzeiten, die Verwendung verschiedener Körperteile, der duftende Moschus, Shams - „ein Ochse von einem Mann", „nach Tabriz segeln", Rohes und Gebackenes, Tod, Auferstehung, Wiederkunft, „das Geheimnis" usw. vom intimen Liebesspiel Rumis und Shams' reden. Durch eine konsequente Anwendung dieser Hermeneutik wird Rumis Frühdichtung im Divani Shamsi Tabriz viel bedeutender. Dieses höchst persönliche und sehr private Verhältnis, das uns Rumis Psychologie bietet, entspricht auch der Heilserfahrung Shinrans und der apokalyptischen Entwicklung, die Olivi voraussah.
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rung bedrohen würde, eine Welt, die an dem Reichtum ihres eigenen technologischen Fortschrittes erstickt, während die Menschen, von Uberbevölkerung verwüstet, verhungern; deren Geschöpfe die Genetik der Schöpfung in ihre eigenen Hände nehmen, zur gleichen Zeit, wenn sie die sogenannte „rassische Säuberung" in einem Teil der Welt, um dessen Nachbarn sie sich nicht kümmern, verurteilen. Wenn wir unsere Hymne auf die politische Vereinigung und wirtschaftliche Höchsdeistung zur „Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium" anstimmen, singen wir dann mit der „Harfe Gottes", wie Johannes und Olivi gerne sagen? Oder singen wir ein babylonisches Trinklied zu Ehren einer Fruchtbarkeitsgöttin? Dieses Lied hat unser Olivi auch einmal gehört; es ist jedoch das Gegenteil der von ihm wiederentdeckten jota.
IX. Johannes XXII. und der Streit um die visto beatifica
Apports à la réflexion sur les fins dernières lors de la controverse de la vision béatifique déclenchée par Jean XXII CHRISTIAN TROTTMANN (Tours)
La théologie des fins dernières a fait l'objet dans la seconde partie du siècle achevé, d'un regain d'intérêt significatif 1 . O r il est u n épisode médiéval majeur de la r é f l e x i o n sur ce sujet: il s'agit de la c o n t r o v e r s e déclenchée par J e a n X X I I en 1 3 3 1 . R a p p e l o n s que dans plusieurs sermons, il suggérait que les âmes des saints n e voyaient pas encore Dieu, mais devaient se contenter de c o n t e m p l e r l'humanité du Christ sous la protection de laquelle elles demeuraient jusqu'au jugement dernier 2 . A l o r s seulement elles verraient sa divinité recevant ainsi la r é c o m p e n s e d'une vision ultime et définitive. Quel était le sens de cette eschatologie s'inscrivant à contre-courant des avancées de la r é f l e x i o n scolastique sur les fins dernières? D a n s u n premier t e m p s n o u s rappellerons l'origine de la thèse de J e a n X X I I et m o n t r e r o n s que ce qu'elle r e f u s e en fait implicitement c'est l'idée d'un jugement particulier dissociant une eschatologie personnelle de l'eschatologie générale. L e pape juriste avait de b o n n e s raisons de repousser une telle dissociation. U n e cause peut-elle être jugée deux fois? Mais il posait dans
1
Cf. les mises au point doctrinales de J. Ratzinger sur les débats en cours, in: id., Eschatologie Tod und ewiges Leben, Ratisbonne 1977 (trad. Française par H. Rochais, La mort et l'au-delà, Paris 1979). Contrairement à ce que semble insinuer Kent Emery dans sa recension de notre livre sur la vision béatifique (cf. Vivarium 37 [1999], 258-281, 280) nous n'y prenons nullement parti pour ou contre une théologie millénariste oublieuse de l'eschatologie personnelle au profit de la seule eschatologie collective. Ne prophétisant aucune révision doctrinale, nous respectons la position théologique équilibrée de L'Eglise Romaine, exprimée notamment par J. Ratzinger au moment où il accédait au cardinalat, sachant ménager à la fois l'immortalité de l'âme et l'eschatologie commune du jugement dernier. Notre propos dans le passage concerné de notre livre était simplement d'éclairer les circonstances historiques dans lesquelles fut proclamée la Bulle «Benedictos Deus» qui engage définitivement la foi Catholique. Sa sobriété nous semble éclairée par l'analyse des profondes réflexions théologiques trouvées dans les traités inédits de Jacques Fournier. Nous espérons dans cet article clarifier une partie des enjeux théologiques, mais aussi philosophiques de la controverse déclenchée par Jean XXII, relatifs à l'accomplissement de l'homme et aux fins dernières. N'ayant pas le loisir d'éditer notre réponse à la recension de K. Emery, dont nous saluons la profondeur et le sérieux, nous nous contenterons de répondre ainsi à l'occasion de nos prochains articles et ouvrages aux suppositions ou allégations qui ne nous y paraissent pas justifiées.
2
Cf. M. Dykmans, Les sermons de Jean XXII sur la vision béatifique (Miscellanea Historiae Pontificiae 34), Rome 1973, et notre analyse de la thèse de Jean XXII in: La vision béatifique des disputes scolastiques à sa définition par Benoît XII (Bibliothèque des Ecoles Françaises d'Athènes et de Rome 289), Rom 1995, 417-470.
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ces conditions la question des rapports entre les deux eschatologies, conduisant les théologiens et son futur successeur en particulier à penser l'apport spécifique du jugement dernier à l'eschatologie. C'est ce que nous verrons dans un second temps en nous arrêtant spécialement sur l'apport majeur du cardinal Jacques Fournier. Pourtant, sa tentative pour dépasser l'aporie posée par Jean XXII allait se heurter à l'objection philosophique majeure de Guiral Ot. C'est le sens et la portée de cette objection que nous examinerons dans un troisième temps. Elle nous conduira à expliciter les enjeux de la controverse relatifs à l'accomplissement de la perfection tant individuelle que collective de l'humanité.
I. O r i g i n e et P o r t é e de la t h è s e de J e a n X X I I sur la v i s i o n d i f f é r é e : i n u t i l i t é du j u g e m e n t p a r t i c u l i e r Rappelons tout d'abord l'origine scripturaire de l'opinion émise par Jean XXII, pour la première fois dans son sermon de Toussaint 1331. Il commentait à la suite de saint Bernard 3 , les versets d'Apocalypse 6, 9 — 11: «Lorsqu'il ouvrit le cinquième sceau, je vis sous l'autel les âmes de ceux qui furent égorgés pour la Parole de Dieu et le témoignage qu'ils avaient rendu. Ils crièrent d'une voix puissante: 'Jusques à quand, Maître saint et vrai, tarderas-tu à faire justice, à tirer vengeance de notre sang sur les habitants de la terre?' Alors on leur donna à chacun une robe blanche en leur disant de patienter encore un peu, le temps que fussent au complet leurs compagnons de service et leurs frères qui doivent être mis à mort comme eux. » Quel est l'accomplissement qui est ainsi différé dans ce verset? A première lecture, il semblerait que ce soit seulement la vengeance des martyrs et non leur récompense par la vision béatifique. Entendons que ce qui est renvoyé à plus tard est la justice de Dieu qui ne saurait être animée par un esprit de vengeance puisqu'il est Bon, mais n'en demeure pas moins juste. Que cette justice définitive soit renvoyée au jugement dernier, voilà qui vient naturellement à la plupart des commentateurs de ce verset de l'Apocalypse. Mais il n'en demeure pas moins que les martyrs revendiquent, et d'une voix forte précise Jean. Comment s'ils sont bienheureux peuvent-ils encore désirer quelque chose? S'ils sont au ciel en présence de Dieu peuvent-ils émettre une volonté qui serait en opposition avec la sienne? S'ils n'obtiennent pas encore la justice définitive, quelle est la valeur de cette robe blanche qu'ils reçoivent en attendant que leurs frères soient mis à mort comme eux? Car la souffrance rédemptrice du corps mystique du Christ ne sera complète qu'au jugement dernier. Ce n'est qu'alors qu'elle cessera.
3
Sur les interprétations des sermons de Toussaint de saint Bernard, cf. Ch. Trottmann, Deux interprétations contradictoires de saint Bernard: les sermons de Jean XXII sur la vision béatifique et les traités inédits du cardinal Jacques Fournier, in: Mélanges de l'Ecole Française de Rome, Moyen Age, 105 (1993), 3 2 7 - 3 7 9 .
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Mais aux questions que n o u s v e n o n s de poser, G r é g o i r e le G r a n d avait très t ô t p r o p o s é ses réponses. Il les f o r m u l a i t dans le cadre des « Moralia in J o b » 4 . Les âmes des saints ne se rebellent pas contre la v o l o n t é de Dieu. C'est sa sagesse m ê m e qui leur inspire de lui d e m a n d e r de hâter son r e t o u r et le jugement dernier. P o u r t a n t D i e u n e semble pas acquiescer à leur requête. Il leur d e m a n d e au contraire de patienter jusqu'à ce que le n o m b r e des martyrs soit au complet. A l o r s seulement, lorsque le corps mystique est doté de ses m e m b r e s les plus brillants, p e u t intervenir le jugement dernier. Mais p o u r l'heure, les saints du ciel doivent patienter et il leur est remis u n e r o b e blanche simple que G r é g o i r e interprète c o m m e la gloire de l'âme en attendant la r o b e d o u b l e c o m p r e n a n t la gloire du corps qui n e sera d o n n é e qu'à la résurrection finale. C'est cette fois dans le livre des « Dialogues » qu'il m e t en scène les questions du disciple Pierre, au maître qui lui fait ces r é p o n s e s 5 . Q u e p e u v e n t attendre de plus les âmes bienheureuses qui sont au ciel en présence de D i e u ? Précisément la béatitude de leur corps qui n'interviendra qu'au jugement dernier. A v e c cette exégèse des r o b e s blanches de l'Apocalypse, G r é g o i r e concède bien une béatitude des âmes, m ê m e si elle n'est pas aussi parfaite que celle des ressuscités qui atteindra aussi leur corps. Augustin déjà avait relevé ce point, suggérant que ce pouvait être précisément le désir légitime de régir leur corps qui empêchait les âmes séparées de jouir pleinement de Dieu, o u quelque autre cause plus mystérieuse e n c o r e 6 . Augustin
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Grégoire le Grand, Moralia in Job II, VII, 11, ed. Migne PL 75, 560; Sources Chrétienne 32, 188-189: «'Usquequo Domine, sanctus et verus, non judicas et vindicas sanguinem nostrum de his qui habitant in terra?' Ubi illico adjungitur: 'Datae sunt illis singulae stolae albae, et dictum est Ulis, ut requiescerent tempus adhuc modicum, donee impleatur numerus conservorum et fratrum eorum'. Quid est enim animas vindirtae petitionem dicere, nisi diem extremi judicii, et resurrectionem extindorum corporum desiderare? Magnus quippe earum clamor, magnum est desiderium. Tanto enim quisque minus clamai, quanto minus desiderai; et tanto majorem vocem in aures inärcumscripti spiritus exprimit, quanto se in ejus desiderium plenius fundit. Animarum igitur verba ipsa sunt desiderio. Nam si desiderium sermo non esset, Propheta non diceret 'Desiderium cordis eorum audivit auris tua'. Sed cum aliter moveri soleat mens quae petit, aliterque quaepetitur, et sanctorum animae ita in interni secreti sinu Deo inhaereant, ut inhaerendo requiescant quomodo dicuntur petere, quas ab interna volúntate constat nullatenus discrepare? Quomodo dicuntur petere, quas et voluntatem Dei certum est, et ea quae futura sunt non ignorare? Sed in ipso positae, ab ipso aliquid petere dicuntur, non quo quidquam desiderent, quod ab ejus volúntate, quem cernunt, discordât: sed quo mente ardentius inhaerent, eo etiam de ipso accipiunt, ut ab ipso petant, quod eum facere velie noverunt. De ipso ergo bibunt, quod ab ipso sitiunt et modo nobis adhuc incomprehensibili, in hoc, quodpetendo esuriunt, praesciendo satiantur. Discordarent ergo a volúntate conditoris, si quae eum vident velie, non peterent eique minus inhaerent, si volentem dare, desiderio pigriori pulsarent.»
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Grégoire le Grand, Dialogorum lib. IV, c. 25, ed. Migne PL 77, 357 A; Source Chrétiennes 265 (ed. A. de Vogüé), 84, 7 - 8 . Augustin, De Genesi ad litteram XII, XXXV, 68, Bibliothèque Augustínienne 49, 450: « Sed, si quem mouet, quid opus sit spiritibus defunetorum corpora, sua in resurrectione reeipere, si potest eis etiam sine corporibus summa illa beaütudo praeberi, dijfirìlior quidem quaestio est, quam ut perfecte possit hoc sermone finiti; sed tarnen minime dubitandum est et raptam hominis a carnis sensibus mentem et post mortem ipsa carne deposita transcensis etiam similitudinibus corporaüum non sic videre posse incommutabilem substantiam, ut saneti angeli vident, sive alia latentiore causa sive ideo, quia inest ei naturalis quidam appetitus corpus administrandi: quo appetitu retardatur quodammodo, ne tota intentione pergat in illud summum caelum, quamdiu
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avait ainsi conscience d'être en présence d'une question difficile. Et c'est sur cette difficulté théologique que Jean XXII revient. Mais il le fait en s'inscrivant contre ce courant de la théologie latine qui depuis Augustin et Grégoire accordait aux âmes saintes séparées une vision de Dieu au ciel. C'est ainsi qu'il interprète le verset d'Apocalypse qui nous intéresse: «Avant le jour du jugement les âmes saintes sont donc sous l'autel, c'est-à-dire sous la consolation et protection de l'humanité du Christ; mais après le jour du jugement, c'est lui qui les élèvera de sorte qu'elles voient sa divinité même, et en ce sens elles seront dites monter au-dessus de l'autel. » 7
Nous avons mis en évidence les implications politiques d'une telle eschatologie. Les âmes y sont soumises au pouvoir du Christ et de son vicaire ici-bas jusqu'au jugement dernier. Mais du coup, ce qui est contesté est en fait la valeur, voire la pertinence d'un jugement particulier. C'est là un premier point sur lequel dut se porter le débat en Avignon. Nous savons en effet que plusieurs disputes publiques se tinrent à la cour pontificale dont les principaux acteurs furent Armand de Belvézer et Jacques Fournier. Mais nous savons aussi que ces deux personnages étaient opposés à la thèse du pape. Nous reviendrons sur leurs positions respectives et d'ailleurs différentes. Ce qui nous intéresse pour l'heure est de mettre en évidence le point de vue de leur questionnement. Or parmi les questions qui furent soutenues en curie, il semble que l'une ait dû porter sur la valeur du jugement particulier. Nous en prendrons à témoin l'un des défenseurs les plus radicaux de la thèse pontificale: le général des Franciscains Guiral Ot. Dans sa question disputée à Paris à la fin de l'année 1333, il relate en effet non sans ironie les difficultés théologiques soulevées par les partisans du jugement particulier. Chronologiquement, cet événement parisien se situe plus d'un an après le moment où les questions durent être disputées en curie, en un temps où les oppositions entre mendiants et les attaques des schismatiques réfugiés à la cour de Bavière ont largement contribué à envenimer le débat. Pourtant, nous retrouvons la substance philosophique et théologique des questions avignonnaises. L'objection majeure de Jean XXII pouvait être ainsi formulée: une cause ne peut être jugée deux fois. Il faut donc que le jugement particulier n'existe pas ou que le jugement dernier, apporte quelque chose de nouveau par rapport à lui. C'est en suivant cette seconde hypothèse que le successeur du pape cahorsin
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non subest corpus, cuius administratiom appetitus ille conquiescat. Porro autem, si tale sit corpus, cuius sit diffirílis et gravis administratio, sicut haec caro, quae corrumpitur et agffauat animam, de propagine trangfessionis existens, multo magis auertitur mens ab illa uisione summi caeli: unde necessario abripienda erat ab eiusdem carnis sensibus, ut ei quomodo capere posset illud ostenderetur. Proinde, cum hoc corpus iam non animale, sedper futuram commutationem spiritale receperit angelis adacquata, perfectum babebit naturae suae modum oboediens et imperans uiuificata et uiuificans tam ineffabili fadlitate, ut sit ei gloriae, quod sarànae fuit. » Jean XXII, Sermon de Toussaint, ed. in: Dykmans, Les sermons (nt. 2), 96: aAnimae ergo sanctae ante diem iudidi sunt sub altare, id est sub consolatione et protectione humanitatis Christi; sed post diem iudicii ipse elevabit eas, ut videant ipsam divinitatem et secundum hoc dicentur ascendere supra altare. »
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recherchera une issue à la crise et apportera la contribution théologique la plus importante à nos yeux pour la réflexion sur les fins dernières de l'humanité, nous y reviendrons. Mais parmi les partisans du pape, c'est au contraire la première hypothèse, contestant la valeur du jugement particulier qui semble retenue. Prenons en à témoin Guiral Ot. Comme général des Franciscains, il joua un rôle éminent parmi les partisans de la thèse du pape qui se recrutaient surtout au sein de son ordre. Voici comment il dépeint les thèses peu cohérentes des défenseurs du jugement particulier. «Mais jusqu'à présent les opinions divergent selon les personnes. 1. Les uns 8 disent que le moment de l'apparition dont il a été question est celui de la mort et de la séparation de l'âme et du corps. Ils disent que le Christ apparaît alors en particulier à ses élus, et que cette apparition particulière suffit pour l'acquisition de la vision suprêmement bienheureuse. Mais il ne saurait y avoir là une once de vérité, car notre Sainte Mère l'Église soutient et enseigne que les âmes de nombreux fidèles vont, lorsqu'elles quittent leur corps, au purgatoire où elles ne jouissent pas de ce type de vision. Et l'on tire cela de l'Apôtre, dans la Première Lettre aux Corinthiens, chapitre 3. 2. C'est pour cela que certains disent que le moment d'une telle apparition est celui où l'âme est complètement purifiée. Mais cela non plus ne peut être soutenu, puisque les âmes de ceux qui disent de telles choses, lorsqu'elles ont été baptisées, ont été complètement purifiées, de telle sorte que, s'ils étaient morts à ce moment-là, ils n'auraient pas eu besoin d'être purifiés davantage; ils savent pourtant qu'ils n'ont pas encore obtenu ce type de vision. 3. D'autres ont donc dit que le moment de cette apparition est celui où se rencontrent la séparation de l'âme et du corps, et sa purification de toute souillure. Ils disent que c'est lorsque cette rencontre a lieu que se produit cette apparition et que cette vision est donnée. Mais ce qu'a voulu dire l'Apôtre s'oppose expressément à cela, ainsi que le Saint-Esprit qui parlait en lui. Car il est certain que cette vision nous est promise, non pour un temps limité, mais pour l'éternité, or ce n'est en aucune manière pour l'éternité que les âmes seront séparées de leurs corps, mais seulement pour un temps limité. Pourtant il s'ensuivrait que nous jouirions pour un temps limité de ce type de vision, et qu'elle nous ferait ensuite défaut pour toujours. 4. Et c'est pour cela que d'autres disent que le moment de ce type d'apparition est celui où se rencontrent la purification de l'âme et sa séparation, non certes d'avec le corps, mais d'avec le corps corruptible. Et parce que l'âme, une fois séparée du corps,
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Les aliqui désignés ici sont les opposants du pape affirmant l'existence du jugement particulier que celui-ci refuse. L'on sait qu'une dispute eut lieu en curie sur cette question du temps. L'opinion du pape était défendue par le cardinal Annibal de Ceccano qui y fait allusion (cf. Annibal de Ceccano, Traité, ed. M. Dykmans in: id., Pour et contre Jean XXII en 1333. Deux Traités avignonnais sur la vision béatifique [Studi e Tesa 274], Cité du Vatican 1975, 90). Parmi les défenseurs du jugement particulier présents alors en curie, l'on compte au moins le cardinal Jacques Fournier, futur Benoît XII et le Dominicain Armand de Belvézer, alors Maître du Sacré Palais. Pierre Roger, futur Clément VI aurait alors pris la défense de Ceccano, mais sur un point de logique seulement, ce qui ne laisse pas préjuger de son opinion sur le fond, sans doute plutôt favorable au jugement particulier.
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demeure pour toujours séparée du corps corruptible, c'est pour cette raison qu'ils disent qu'une telle apparition intervient alors et que cette vision est obtenue. » 9
L'enjeu de cet argumentaire est l'exégèse du verset de la Première Lettre de Jean: «Nous savons que lors de cette apparition, nous lui serons semblables, parce que nous le verrons tel qu'il est» (I Jn. 3, 2). Quand cette apparition a-telle lieu? Au jugement dernier ou déjà individuellement pour les âmes qui y sont prêtes? Peut-on penser une eschatologie personnelle, ou faut-il renvoyer toute eschatologie au jugement général et final? Guiral Ot qui avec Jean XXII est partisan de la seconde réponse rassemble les arguments de ses adversaires, tels qu'il les a probablement entendus en curie vers la fin de l'année 1332 ou au début de 1333 lors de disputes solennelles. Nous nous sommes permis de numéroter ces arguments. Reprenons les un par un, ainsi que les réponses qui les suivent. Le premier oppose jugement particulier et purgatoire. Si les âmes sont capables de soutenir cette vision du Christ que suppose le jugement particulier, c'est qu'elles n'ont plus besoin d'aller se purifier en purgatoire. Mais l'argument se retourne contre son auteur. Qui sinon le Christ peut par sa lumière de Verbe éternel éclairer l'âme sur la nécessité de se jeter en purgatoire, afin d'être un jour digne de soutenir éternellement la vision sublime qui lui a en même temps manifesté son indignité? Le purgatoire sans jugement serait une détention préventive injuste pour les âmes déjà purifiées. Celles-ci ne devraient-elles pas mériter à toutes les autres une «présomption d'innocence» qui exige le jugement particulier? Guiral Ot qui ne veut reconnaître qu'un jugement ultime et général entend faire durer cette purification par le feu purgatoire annoncée par Paul (I Cor. 3, 15) jusqu'à la fin des temps. Mais il reste le cas des âmes qui seraient déjà purifiées avant ce terme lointain. L'objection est de taille, et le maître franciscain l'envisage dans le second argu9
Guiral Ot, De multiformi visione Dei, Ms. Vat. Ottob. lat. 280, f. 27r, ed. et trad. Ch. Trottmann, Paris 2001 (à paraître): «Sed adhuc a diversis diversimode didtur. Dicunt enim aliqui, quod tempusprefate apparitionis est tempus mortis et separations anime a corpore. Dicunt enim quod tunc Christus particulariter suis apparet electis, et ista particularis apparitio suffirit pro adeptione beatissime visionis. Sed istud non potest veritatem habere, quia sancta mater Ecclesia tenet et docet quod multorum fidelium anime discedentes a corpore vadunt ad purgationem, ubi non fruuntur huiusmodi visione. Hec autem habentur ab Apostolo, Prima ad Corinthios, 3, < 75). Propterea dicunt aliqui quod tempus huiusmodi appariHonis tempus est completepurgationis anime. Sed nec hoc sustineri potest quoniam anime ipsorum qui taita dicunt, quando fuerunt bapti^ati, fuerunt omnino purgate ita quod si tunc fuissent mortui non fuissent amplius purgandi; ipsi tamen sdunt quod nondum habuerunt huiusmodi visionem. Dixerunt igitur alii quod tempus huius apparitionis tempus est concursus separationis anime a corpore et purgationis eius ab omni labe. Concurrentibus enim istis, dicunt quod sit hec apparitio et datur huiusmodi visio. Sed contra hoc expresse est intentio Apostoli, et Spiritus Sancti loquentis in eo. Quia certum est quod visio ista nobis promittitur non pro tempore modico sed pro eterno, anime autem nequaquam erunt in eternum a corporibus separate, sed solum modico tempore. Ad hoc tamen sequeretur, quod huiusmodi visione modico tempore gauderemus, et |f . 27v] quod ea postea in perpetuum careremus. Propterea dicunt alii, quod tempus huiusmodi apparitionis est tempus, in quo concurrunt purgatio anime et separatio, non quidem a corpore, sed a corruptibili corpore; et quia anima semel a corpore separata semper manet a corruptibili corpore separata, ideo dicunt quod tunc fit huiusmodi apparitio, et habetur ista visio. »
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ment. La réponse qu'il lui oppose est assez faible et se retourne effectivement contre lui. Les âmes de ceux qui viennent d'être baptisés ne devraient-elles pas bénéficier immédiatement de la vision béatifique? Nul n'en a fait l'expérience, mais pour la bonne raison que «nul ne peut voir Dieu et vivre» (Ex. 33, 20). La référence n'est pas explicite, mais elle est source du troisième argument. En attendant, elle exige que soit concédée la vision immédiate des âmes de ceux qui sont morts immédiatement après avoir reçu le baptême. Les enfants en bas âge en particulier. Nous comprenons dans ces conditions la valeur du troisième argument. Il faudrait la conjonction de la purification parfaite et de la séparation de l'âme d'avec le corps pour que l'apparition du Christ puisse se produire. Cette fois la confusion est opérée entre l'apparition éphémère du Christ au jugement particulier et la vision définitive de sa divinité pour l'éternité. Une telle conjonction de la mort et de la purification parfaite n'est possible que par la miséricorde divine pour les âmes des saints ou pour ceux qui bénéficient de l'indulgence distribuée par l'Eglise. Mais la croyance au purgatoire n'exige-t-elle pas aussi celle en la miséricorde, puisque ce n'est que par des purifications passives que les âmes peuvent parvenir à un état qui leur permette d'en sortir? Mais là encore Guiral Ot qui est partisan de la thèse du pape n'est pas prêt à concéder aux âmes séparées et purifiées une vision de la divinité du Christ. Et l'argument qu'il oppose cette fois est d'un grand poids métaphysique. La vision ainsi obtenue par les âmes ne leur serait concédée que temporairement, comme aux martyres à qui il était demandé de reposer encore un court moment (tempus modicum). Or qu'est-ce qu'une vision si éphémère au regard de la vision définitive et éternelle de la divinité? Elle ne saurait être considérée comme la récompense attribuée une fois pour toute par le juste Juge et que Guiral Ot ne peut concevoir avant le jugement dernier. Car la récompense finale glorifiera aussi le corps ressuscité et non l'âme seule. Nous comprenons ainsi le quatrième argument et nous avons même anticipé sur les réponses que lui oppose Guiral Ot. Faisant la différence entre le corps corruptible et le corps glorieux, les partisans de la vision immédiate suggèrent qu'il suffit à l'âme d'être séparée du premier pour entrer, si elle est dûment purifiée, dans la vision définitive. Cette fois l'argument semble imparable. Il en va de la justice et de la miséricorde de Dieu qui ne saurait faire attendre indûment les âmes saintes. Pourtant, le maître franciscain y répond cette fois par l'autorité (Job et Jean), mais pour conclure finalement que toutes ces affirmations sur le jugement particulier ne reposent pas sur l'Ecriture: «Troisièmement, contre toutes ces visions, on peut dire que, parce qu'elles ne tirent pas la même autorité des Divines Écritures, c'est avec la même facilité qu'elles peuvent être méprisées ou estimées.» 10
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Ibid., f. 27v: « Tertio contra omnes istas visiones did potest, quod quia de Smpturis divinis non habent eandem auctorìtatem, Readern) faälitate contempnuntur qua probantur. »
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Entendons que toutes ces visions, celles intervenant après un jugement particulier ne reposent selon le défenseur de l'opinion de Jean XXII que sur des arguments théologiques et non directement sur l'autorité des Ecritures dont le magistère soumis au pape est le garant et le dépositaire. Notre propos n'est pas ici de déterminer si la croyance au jugement particulier trouve un appui dans l'Ecriture. Derrière ce recours de Guiral Ot à l'autorité et la rupture brutale des argumentations rationnelles qu'elle suppose, nous reconnaissons la ligne de défense plus dure de l'argument du pape mise en œuvre par Annibal de Ceccano. Le cardinal 11 refusant toute argumentation théologique et a fortiori philosophique, entendait réfuter les opposants du pape par la seule accumulation des autorités scripturaires. La présence d'une argumentation similaire, même dans le texte de Guiral Ot nous semble une preuve de plus que nous avons bien là une trace des disputes scolastiques en Curie dès 1332. L'un des enjeux était donc la contestation par le pape et la partie la plus réactionnaire de ses cardinaux des avancées théologiques de leur temps, et en particulier de la possibilité d'un jugement particulier permettant sans délai la récompense des âmes méritantes. La doctrine relative au purgatoire n'était donc pas directement en cause. Nous avons vu qu'elle était même invoquée en faveur de la thèse pontificale d'une vision différée. Mais l'argument qui opposait jugement particulier et purgatoire n'était peut-être qu'opportuniste. En fait nous venons de rappeler que la doctrine du purgatoire exigeait à la fois un jugement particulier à l'entrée, et une vision béatifique dès la sortie qui ne pouvait en toute justice être reportée pour tous au jour du jugement dernier. Les deux doctrines sont donc bien liées, mais seule est visée ici celle du jugement particulier. Nous avons bien là un premier apport de la réflexion théologique déclenchée par la controverse de Jean XXII sur les fins dernières, mais nous ne nous y étendrons pas davantage pour passer au second point. A supposer en effet qu'au terme d'un jugement particulier les âmes saintes bénéficient déjà de la vision de Dieu, l'objection de Jean XXII garde toute sa force. A quoi bon dans ces conditions un jugement dernier? Il reste bien à déterminer quel accomplissement supplémentaire le jugement dernier peut leur apporter. II. L ' a c c o m p l i s s e m e n t p r o p r e au j u g e m e n t d e r n i e r : la t h è s e de J a c q u e s F o u r n i e r Nous ne reviendrons pas ici sur l'analyse détaillée des traités de Jacques Fournier et des thèses qu'ils contiennent sur la vision béatifique 12 . Nous nous contenterons de résumer ici leur apport considérable à la réflexion sur les fins 11 12
Cf. Annibal de Ceccano, Traité (nt. 8), 6 1 - 1 6 6 . Nous renvoyons ici à notre thèse sur la vision béatifique (cf. supra nt. 2). L'édition en question ne reprend qu'une partie de la description des traités de Jacques Fournier qui se trouve dans la thèse soutenue en Sorbonne.
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dernières et d'en approfondir les enjeux. Nous l'avons dit, tout en étant partisan d'une vision de Dieu dès à présent par les âmes saintes séparées, le cardinal blanc donne toute sa force à l'objection de Jean XXII. Il lui faut donc penser ce que le jugement dernier peut apporter de plus à de telles âmes déjà bienheureuses. Selon la réponse classique, est alors conférée aux sujets humains reconstitués par la résurrection finale: une gloire supplémentaire, celle de leur corps ressuscité. Mais le penseur cistercien ne s'en satisfait pas. Un tel supplément de gloire peut être assigné à la résurrection finale, non proprement au jugement divin qui lui fait suite immédiatement. Jacques Fournier distingue ainsi l'augmentation de la béatitude intervenant immédiatement avant le jugement dernier, au moment même et juste après. Il affirme en tête du chapitre 21 de la quatrième partie de son premier traité, de manière synthétique: « Que les âmes des saints dès avant la résurrection générale trouvent le repos dans la vision et la jouissance de Dieu, mais lors de la résurrection générale, ce qui trouvera le repos, c'est le désir qu'elles ont de régir leur corps propre glorifié. Lors du jugement ce qui sera apaisé, c'est le désir qu'elles ont de connaître les mérites et les démérites de chacun en particulier. Mais après le jugement général, c'est le désir qu'elles ont de connaître la prédestination et la prescience divine, qui trouvera le repos. C'est ainsi en des manières différentes qu'elles sont dites trouver le repos à ces différents moments.» 1 3
L'aspect temporel de la succession de ces trois augmentations peut paraître naïf, mais il recouvre une distinction théologique précise. Il convient donc de ne pas s'arrêter à la présentation de cette succession dans le temps. Il y a selon Jacques Fournier une triple augmentation de la vision béatifique. Celle qui intervient lors de la résurrection finale, donc immédiatement avant le jugement ne tient qu'à l'extension de la gloire au corps. Pourtant, la vision augmente alors non seulement en extension, mais encore en intensité. Objectivement, l'augmentation en extension doit déjà être grandiose, par l'embrasement de la multitude des corps ressuscités des élus. Mais pour l'âme déjà bienheureuse, c'est subjectivement que sa propre vision de l'essence même de Dieu est en mesure d'augmenter. Son désir de régir son propre corps accaparait en effet une partie de l'attention qu'elle devait porter à Dieu. Ainsi libérée par la résurrection de cette préoccupation légitime, elle peut vaquer plus intensément à sa contemplation de l'essence divine. Mais il est une autre préoccupation, non moins légitime qui n'est pas apaisée par la seule résurrection. Il s'agit du désir de connaître les mérites et les déméri-
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Jacques Fournier, De statu animarum sanctorum ante generale judicium IV, I, 21, Ms. Vat. lat. 4006, f. 77 B: «Quod sanctorum anime in Dei msione etßruitione ante generale™ resurrectionem requiescunt, sed in generali resurrectione requiescet earum desiderium quod habent administrandi proprium corpus gloriosum, in iudicio autem requiescet earum desiderium quod habent sriendi merita et demerita singulorum; sedpost generale judiáum quiescet earum desiderium quod habent de sríendis predestinatione et presáentia divina, et secundum hoc diverso tempore dicuntur diversimode requiescere. Capitulum. XXI. »
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tes de chacun14. Ce désir est bien légitime puisque dans leur ignorance des intentions cachées de chacun, les bienheureux, hommes et surtout anges, peuvent être amenés à intercéder vainement ou à délaisser ceux qui mériteraient leur intercession. Le futur pape Benoît XII prend l'exemple des anges des nations qui continuent d'intercéder pour elles, même lorsqu'elles ne méritent pas la victoire, ou qui peuvent s'étonner de ne pas se voir accorder la victoire pour une nation qu'ils croyaient méritante. Ce désir de percer les secrets des cœurs peut nous paraître indiscret. Il est en fait légitime précisément du fait de la communion des saints et de leurs intercessions mutuelles. Or les secrets des cœurs seront mis à nu lors du jugement général. C'est bien ce qui le distingue du jugement particulier. Dans ce premier jugement, l'âme est mise à nu devant Dieu, pour reprendre la métaphore du «Gorgias» (523 e), mais elle est seule avec un Dieu qui, (sans être pourtant luimême «nu et mort») lit directement en elle, ses mérites et démérites. C'est cette lecture qui la conduit d'elle-même à se jeter en enfer, en purgatoire ou en paradis. Mais lors du jugement dernier, les mérites personnels deviennent publics: ce qui spécifie ce jugement est bien qu'il est général. C'est ainsi qu'au jugement dernier, est comblé un désir des âmes qui n'a rien d'une curiosité malsaine. Tant qu'il n'est pas satisfait, il manque encore une perfection à la béatitude 15 . Percer le secret des cœurs c'est s'exposer à la déception, mais celui qui aime de charité une créature, le désire légitimement pour aimer avec plus de réalisme et aussi pour comprendre l'amour même que Dieu porte à cet être singulier. Nous en arrivons ainsi naturellement à la troisième augmentation d'intensité de la vision béatifique, qui est la plus grandiose et intervient quant à elle après le jugement dernier. C'est alors précisément l'immensité du plan d'amour divin sur l'ensemble de l'humanité qui est révélé, une fois que les mérites et démérites de chacun ont été dévoilés. Les tricheries humaines, voire diaboliques pouvaient encore masquer la perfection de l'économie divine du Salut avant le jugement dernier. Mais une fois publiés les secrets des cœurs et la valeur des décisions éthiques de chacun, c'est ce que les philosophes appellent le sens de l'Histoire qui peut apparaître. Et notons qu'il ne peut être dévoilé qu'alors en sa transcendance. Toute tentative de lire le sens de l'Histoire de manière exhaustive et immanente apparaît ainsi vouée à l'échec à la lumière de la pensée de Jacques Fournier sur les fins dernières. 14
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Ibid., III, 9, f. 59 Β: a Ideo usque tunc quo ad hoc nec Angeli nec homines erunt piene beati, licet enim Dei essentiam videant, et quo ad hoc sint beati, quia iam illud quod summum est in beatitudine tenent, tamen quia nondum quicquid juste volunt vel velie juste possunt habent, quia merita et demerita et cordium secreta tam Angelorum quam hominum nesdunt, nondum sunt piene beati secundum rationem beatitudinis quam super posuit Augustinus. Cum etiam beatitudo sit status omnium bonorum aggregatione peifedus, que aggregatio omnium bonorum non est ubi talium rerum ignorantia vel nesàentia est. » Ibid., IV, I, 21, f. 7 7 C - D : «Sed quia in judicio sui, gloriosum merita et cordium secreta manifestabuntur, predestinatio etiam et presdentia divina post judidum sandis aperientur que ante latuerant, et que sancii sdre multo desiderio ajjedabant; iddrco usque tunc non erit creatura rationalis perfecta et totalis requies quo ad hoc, propter quod aliquando sancii videntur dicere quod in judido vel post judidum sancii ad plenum requiescent. »
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La prescience et la prédestination divine fait apparaître plus que les mérites et démérites afférents aux actions d'un chacun 16 . Elle dévoile le jugement même porté par Dieu sur les personnes en la hauteur de sa sagesse éternelle et surtout la manière dont sa providence a agencé au mieux pour leur Salut, un monde composé de ces données. C'est le caractère général du jugement dernier qui permet un tel regard synthétique sur l'économie du Salut produisant une nouvelle augmentation de la béatitude des élus que le futur Benoît XII fait donc intervenir après que le jugement aura été prononcé. Ici encore l'aspect temporel ne saurait être pris au pied de la lettre, mais nous avons compris qu'un tel regard synthétique sur l'ensemble de l'Histoire du Salut n'est possible qu'une fois que le jugement général et définitif de Dieu a été rendu public. Reste à comprendre en quoi la manifestation de cette sagesse divine à l'œuvre dans l'Histoire peut affecter l'intensité de la vision des âmes bienheureuses. La raison est précisément la découverte des intentions, des volontés divines relativement au Salut qui restaient cachées jusqu'à l'accomplissement final de son plan de Salut 17 . Jusqu'à ce jour son efficacité même requiert le secret des intentions divines. Les martyrs réclament légitimement la vengeance de leur sang, mais Dieu demande leur patience et la souffrance de ceux qui doivent les rejoindre. Tant que la sagesse divine n'a pas dévoilé ses plans, aucune intelligence angélique ou humaine ne peut en pénétrer le secret. Toute tentative de récupération rationaliste de la souffrance, et l'on pense évidemment pour le siècle qui vient de s'achever à l'Holocauste, mais aussi aux millions de martyrs chrétiens, voire aux innombrables déshérités, est donc indécente aux yeux de l'eschatologie conséquente de Benoît XII. Si toute philosophie de l'Histoire est ainsi vouée sinon à l'échec, du moins à ne rejoindre qu'une vérité très partielle, c'est au contraire la vérité totale de l'ensemble de l'Histoire de l'humanité qui est attendue pour après le jugement dernier. Et elle ne peut qu'engendrer une meilleure connaissance de Dieu déjà contemplé dans son essence et sa vie Trinitaire. Mais si précisément la vision béatifique consiste essentiellement dans cette connaissance intuitive de Dieu en son essence, la question devient: en quoi celle de sa volonté salvatrice augmentet-elle l'intensité d'une telle connaissance? Indéniablement, la connaissance de Dieu est par là augmentée en extension puisque de nouveaux pans de sa bonté se dévoilent ainsi in fine. Mais c'est en intensité que Benoît XII fait augmenter la vision. L'on sait que sur ce point, Thomas d'Aquin avait hésité, et à notre connaissance l'enquête sur les ma16 17
Contrairement à ce que suggère Kent Emery dans sa recension de mon livre (cf. nt. 1, 276). Jacques Fournier, De statu animarum sanctorum ante generale judicium III, 10, Ms. Vat. lat. 4006, f. 59 D: « Videbitur enim tunc ipsa essentia Deìtatis, videbitur etiam Trinitas personarum clare et distincte, λ/idebuntur etiam omnes nature rerum creatarum in divina essentia, ubi perfectius sunt quam in se ipsis. Videbitur etiam in divina essentia Dei presàencia et predestinatio et ipsarum effertus et Dei propositum et voluntas de predictis quod usque tunc latuerat, et sic petferte Deus cognoscetur, ilio modo quo cognosdbilis est a creatura beata, quando et eius natura et eius virtus et perfertio et propositum de salvandis et presàentiam de dampnandis cognoscentur. »
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nuscrits r e c o m m a n d é e par F. Pelster n'a pas a b o u t i 1 8 . N o u s ne rappellerons que brièvement ici les trois arguments principaux de Jacques F o u r n i e r 1 9 que n o u s avons déjà eu le loisir d'analyser. D a n s les sciences o n connaît mieux un principe quand o n en a p p r é h e n d e aussi les effets, de m ê m e p o u r une cause, mais aussi p o u r un artiste d o n t o n c o m p r e n d mieux l'art quand o n d é c o u v r e ses intentions cachées. Ces trois analogies reprises respectivement au d o m a i n e de la logique, de la physique o u de la métaphysique des causes, et à l'art, o n t une m ê m e p o r t é e théologique. La connaissance de l'essence m ê m e de D i e u par les bienheureux est plus parfaite lorsqu'ils perçoivent les conséquences des choix volontaires d o n t elle est cause. N o u s avons ici plus qu'une philosophie de l'Histoire, une véritable métaphysique du Bien. Mais s'il est d i f f u s i f de soi, la manière d o n t il distille la grâce de sa prédestination reste mystérieuse, et le sens plénier de cette é c o n o m i e du Salut n e p o u r r a être perçu qu'après l'accomplissement de l'ensemble de ses conséquences, à la fin des temps. C'est p o u r q u o i la béatitude des âmes séparées, et m ê m e des ressuscités avant et p e n d a n t le jugement dernier reste imparfaite. La concession à la thèse de Jean X X I I n'est pas des moindres. La béatitude définitive ne sera pas m ê m e atteinte lors du jugement, mais après. Certes, la f o r m u l a t i o n temporelle de l'argument peut paraître naïve dans la m e sure où la durée du jugement reste difficile à évaluer. Il c o n c e r n e b e a u c o u p de
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Cf. P. Glorieux, Saint Thomas et l'accroissement de la béatitude, in: Recherche de Théologie ancienne et médiévale 17 (1950), 121 — 125 et F. Pelster, Das Wachstum der Seligkeit nach der Auferstehung, Um die Auslegung von S. Th. I—II, q. 4, a. 5 ad 5, in: Scholastik 27 (1952), 561 563. J'évoque cette question dans un article: Deux interprétations (nt. 3). C'est pourquoi je n'y reviens pas dans mon livre sur la vision béatifique, et voilà encore un reproche injustifié que Kent Emery aurait pu éviter. Jacques Fournier, De statu animarum sanctorum ante generale judicium III, 10, Ms. Vat. lat. 4006, f. 60 Β — C: « Cum ergo in Deo cognoscere eius presdentiam et predestinationem, quibus Deus presdt omnia que futura in tempore erant, et preordinai qualiter et quomodo eius predestinatio de salvandis Angetis et bominibus ad finem debitum perducatur, et eius consilium et dispositionem quibus res administrai, per solam divine essentie ostensionem, plus sit quam sit Dei essentiam videre, et tarnen in ea non videre predicta, sed indigere nova eius revelatione; iddrco plenior et manijestior erit divine essentie cognicio, et plurimum rerum ostensiva post generale judidum, quando omnia prediäa, visa divina essentia, videbuntur, quam sit ante generale judiäum, dum sic divina essentia videtur, quod eius prescienza et predestinatio consilium et ordinatio, de omnibus rebus ex tali eius visione non habetur. Clarius enim prindpium cognosdtur in sàentiis, cum eo cognito plures conclusiones, que ex eo secuntur cognoscuntur, quam si ipsum solum prìnàpium videretur. Plenius etiam cognosdtur causa, cum ipsa cognita, plures eius effectus cognoscuntur, quam si solum ipsa causa cognosceretur. Petfectius etiam cognosdtur causa que est effectus productiva cum fysa cognita, cognosdtur quare istius vel illius effectus est productiva, quam si cognosceretur quod est effectum productiva, sed nesdretur quare est productiva, et quare hos effectus produdt et illos non produdt cum tarnen utrorumque productiva esset. Perfectius etiam cognosdtur ars artifids, quando cognosdtur in eius arte, non solum ipsa ars, sed et modus agendi artifidata in ea etpropositum et voluntas agendi artifids ilia que ad artem pertinent, quam si solum eius ars cognosceretur, ignoratis modis agendi et proposito et volúntate agentis. Unde cum post judidum generale, visa divina essentia, mdeantur eius presdenàa et predestinatio, et quare aliquos predestinavit et altos non, et eius voluntas et ordinatio, quare sicut feat omnia operatus est, cum aliter facere potuisset, si aliter ab eterno preordinasset, que non videntur visa divina essentia ante generale judidum, licet ipsa divina essentia in se videatur a beatis, ideo Visio divine essende erit plenior et perfectior et ad plura se extendens post judidum, quam sit ante judidum, quia tunc, ipsa visa nichil latebit, et tarnen ante ipsa visa multa latent mentibus beatorum. »
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monde, mais émane d'un esprit infini et éternel. La question est effectivement celle des rapports du temps et de l'éternité. Pourtant, si l'on ne s'arrête donc pas naïvement sur cette question de la durée du jugement, l'argument de Jacques Fournier suggère bien que la béatitude plénière n'est donnée que dans l'éternité, et dans une mise en perspective de l'Histoire en sa totalité, de l'intérieur même de cette éternité de la sagesse divine. Les conséquences ne sont pas seulement théologiques. Car si la philosophie est bien une recherche de la sagesse, l'enseignement eschatologique de Benoît XII sur la fin des temps dégage l'exigence maximale d'une telle quête. Bien avant Benoît XII et sans doute au moins dès Augustin, une christianisation de la philosophie place dans la vision de Dieu cette sagesse qui constitue la fin ultime de l'homme et son accomplissement plénier comme intelligence crée à l'image de Dieu. Mais elle laisse persister la question du rôle du corps dans la béatitude et plus encore celui de la finalité collective de l'humanité. Or Benoît XII montre que l'eschatologie personnelle, si elle peut commencer dès que l'âme dûment purifiée est prête à rejoindre son éternité, ne sera pleinement réalisée que lorsque l'eschatologie collective de l'humanité entière sera accomplie. Mais la continuité entre ces deux eschatologies, personnelle et générale, n'est possible que parce qu'il suppose la possibilité d'une augmentation en intensité de la vision béatifique (chez les saints recouvrant leur corps, avant, puis pendant et après le jugement dernier). Or c'est précisément cette augmentation d'intensité de la vision que refuse Guiral Ot pour des raisons où la physique, la métaphysique, l'éthique et la noétique sont étroitement mêlées aux enjeux théologiques. Tentons maintenant de démêler cet écheveau.
III. Pas de p e r f e c t i o n i n t e l l e c t u e l l e par i n t e n s i f i c a t i o n de la f o r m e : l ' o b j e c t i o n de G u i r a l Ot Rappelons rapidement la position de Guiral Ot 20 . Il considère que la vision béatifique parfaite ne saurait être atteinte par intensification de la forme d'une vision antérieure moins parfaite. La référence scripturaire est: «Quand viendra ce qui est parfait, ce qui est partiel disparaîtra», dans la Première Lettre aux Corinthiens, chapitre 13, verset 10. Mais l'Ecriture n'est pas seule en jeu, nous reconnaissons ici l'interférence entre la physique des formes, de leur intensification ou de leur relâchement, et la théologie. Or cette interférence concerne premièrement la théorie de la charité. Dès la première moitié du XHIe siècle et encore largement dans la seconde, les commentateurs des «Sentences» de Pierre Lombard prennent occasion de la distinction 17 du Livre I pour proposer de longs développements sur l'intensification et le relâchement des formes. Le Lombard s'interroge sur l'augmentation 20
Nous en proposons une analyse détaillée dans notre edition (cf. nt. 9).
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de la grâce dans l'âme. Ne faisant pas la différence entre grâce créée et grâce incréée, il formule ainsi la question qui sera reprise à sa suite par tous ses commentateurs: «S'il faut concéder que l'Esprit saint est augmenté dans l'âme de l'homme ou s'il est plus ou moins possédé ou donné. » Le problème se pose en particulier dans le cas du passage de ce monde à la Patrie céleste, puisque «la charité ne passe jamais» (I Cor. 13, 8). Selon cette autorité centrale pour notre traité, c'est bien la même charité qui demeure, sans adjonction extérieure, mais par intensification. Guiral O t défend en scotiste conséquent une augmentation de la charité par intensification de la forme. De même un mouvement physique continu peut passer par des phases d'accélération ou de décélération. Au total, ce n'en sera pas moins le même mouvement qui s'est prolongé d'un terme à l'autre. Il faut donc penser l'augmentation d'intensité de la forme par addition venant non de l'extérieur, mais de l'intérieur. Cela suppose dans le domaine qualitatif comme dans le domaine quantitatif une marge {latitude) permettant de telles élongations ou de tels rétrécissements. Mais si Guiral Ot est partisan de ce schème scotiste pour expliquer l'augmentation de la charité au jugement, et plus généralement celle de toutes les opérations relevant de la volonté, il refuse de l'appliquer aux opérations intellectuelles. Qu'on nous permette de citer un peu longuement le passage où il se demande selon quel mode disparaîtront les sept imperfections qu'il a relevées en l'homme ici-bas: celle de l'être incomplet de l'âme séparée, de la science, des prophéties, des principautés, de la possession, de la vision et de la jouissance: « A la question posée, je réponds que tous les actes dont il est question ne disparaîtront pas de la même manière. Il faut bien savoir qu'une chose, du moins pour ce qui regarde notre propos, peut être dite disparaître en quatre sens. D'une première manière, parce qu'un habitus disparaît selon l'être, et c'est ainsi que certaines fois, la science disparaît par oubli. D'une autre manière, lorsque l'usage disparaît selon le besoin qu'on a de lui, et c'est de cette manière que les habitants de la cité de Sichar s'adressèrent à la femme avec laquelle le Christ avait parlé [...] 'Ce n'est plus à cause de tes dires que nous croyons, car nous l'avons vu et entendu.' [...] C'est en un autre sens qu'une chose est dite disparaître, lorsqu'elle disparaît selon son degré, son statut ou son mode d'imperfection, et c'est de cette façon que le maître des «Sentences» dit au troisième livre, distinction 31, que la charité disparaît: 'car une imperfection est retirée et une perfection est ajoutée'. C'est en un autre sens qu'une chose est dite disparaître lorsque c'est selon la vérité, soit de manière absolue, soit sous un certain rapport. [...] 'La science peut être perdue de deux manières, l'une par l'oubli, et on en perd alors l'entité même, l'autre par la transformation de la réalité sur laquelle portait le savoir, on perd alors la vérité, et non pour autant l'entité réelle.' Si l'on admet cela, il faut dire que l'être de l'âme séparée doit disparaître parce que le mode de l'imperfection sera enlevé, et que sera donné à l'âme un mode d'être parfait, qui consiste à exister dans l'homme tout entier. Quant à la science, elle disparaîtra dans la mesure où il ne sera plus nécessaire d'y avoir recours. [...] Quant aux prophéties, elles disparaîtront doublement: d'une première manière parce qu'il ne sera plus nécessaire d'en user, et qu'il n'y en aura plus désormais d'usage;
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d'une autre manière parce que la vérité fera disparaître les prophéties énonçant quelque chose sur l'avenir. [...] Les principautés disparaîtront encore, car, comme on le trouve au quatrième livre des «Sentences»: 'Quand tous seront rassemblés, tout privilège cessera.' [...] Quant à la possession, elle disparaîtra parce que l'imperfection sera enlevée, de sorte que ce qui est possédé de manière moins parfaite par les âmes le soit de la manière la plus parfaite par les hommes glorifiés. Quant à la vision, celle 'qui est partielle disparaîtra'. D e telle sorte que si cela devait être une seule et même vision qui fût relâchée d'abord, et intensifiée ensuite, son mode imparfait serait en tout cas enlevé et lui serait conféré le degré correspondant à la perfection. Si au contraire, comme cela semble plus probable, cela ne peut ni ne doit être une seule et même vision qui soit relâchée puis intensifiée, il faudra en tout cas que cesse toute vision moins parfaite et que soit conférée une vision en tout parfaite. Quant à la jouissance partielle, elle ne disparaîtra pas, si ce n'est que le manque d'un certain degré de perfection sera enlevé et que ce degré sera conféré. Car il est écrit que 'la charité ne passe jamais'.» 21
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Guiral Ot, De multiformi visione Dei, Ms. Ottob. lat. 280, ff. 2 5 - 2 6 : «.Ad illud quod queritur, dico quod non omnia, de quibus queritur; uniformiter evacuabuntur. Sdendum est enim, quod aliquid prout spectat ad propositum, dirítur evacuati quadrupliciter. Uno modo, quia evacuatur entitate sui habitus, et hoc modo evacuatur interdum sdentia per oblivionem. Alio modo quia evacuatur necessitate sui usus, et hoc modo dixerunt cives civitatis Sichar mulieri, cum qua Christus locutus fuerat, qui propter eius verba primo crediderant Ihesum esse prophetam et Christum ut legitur Io., 10 cap. Dicebant ergo ei: 'lam non propter loquelam tuam credimus, ipsi enim vidimus et audivimus', quasi vellent dicere: 'fides nobis per tuam loquelam agravata, non est nobis iam necessaria, supervenienti maiori certitudine'. Alio modo dirítur aliquid evacu(a)ri, quia evacuatur ffadu vel statu vel modo imperfectionis, et hoc modo dicit Magister Sententiarum, libro 3, distinctione 31 evacuati karitatem: 'Quia tolletur imperfectio et addeturpetfectio'. Alio modo dirítur (ali^quid evacuati quia evacuatur veritate, vel simpliciter vel secundum quid. Simpliciter quidem, si opinio vera, propter transcendentiam obiecti, vertatur in falsam. Unde Philosophus séptimo Thopicorum (8, 2) dicit 'Non conceditur si quis disciplinam amisit oblitum fuisse, cum decidente enim re disciplinam quidem amisit, oblitus autem non est', quasi dicat: 'disciplina dupliciter perdi potest, uno modo per oblivionem, et tune perdit entitatem, alio modo per transmutationem rei de qua erat disciplina et tune perdit veritatem, non tarnen realem entitatem'. Hiis ergo premissis, dicendum est quod esse anime separate debet evacuati quia tolletur imperfectionis modus, et dabitur perfectus modus essendi anime, qui est esse in integro homine. Scire vero evacuabitur, quia evacuabitur sdentia necessitate sui usus. Habitus tamen, qui virtus est anime, remanebit, ut didt Magister Sententiarum, libro 3, distinctione 31, capitulo 'Advertendum'. Prophetie vero evacuabuntur duplidter: uno modo quia non erunt necessario quo ad usum, nec usus earum erit amplius; alio modo, quia prophetie enunciantes aliquid de futuro evacuabuntur veritate, non simpliciter sed secundum quid, in quantum scilicet Veritas concernit doctrinam temporis. Et hoc modo iam evacuata est iliaprophetia: 'Ecce virgo concipiet etparietftlium', Ysaias 7, < 14~). Hec enimprophetia iam impleta est, et eius impletio fuit eius evacuatio, prout enundat de futuro. Eadem tamen Veritas remanet ut de preterito, quia Virgo iam concepii et peperit filium. Prinripati autem evacuabuntur, quia, ut habetur in 4 libro Sententiarum (D. 47, c. 5), 'omnibus collectis, omnis prelatio cessabit'. Hoc tamen potest intelligi quo ad usum prelationis, et quod dignitates renuncians remaneant in personis. Possidere vero evacuabitur, quia tolletur imperfectio ut quod minus petfede possidetur ab animabus peifectissime possideatur a glorificatis hominibus. Videre vero 'evacuabitur illud quod ex parte est', ita quod si una et eadem numero visio debeat esse remissa prius, et intensa posterius, tolletur utique imperfectionis modus et dabitur ei perfectionis gradus. Si autem, sicut videtur magis probabile, una et eadem numero visto non possit vel non debeat esse remissa et intensa, cessabit utique tota visio minus perfecta et dabitur visio ex toto petfeda. Frui autem ex parte non evacuabitur nisi quia carentia alicuius gradus perfectionis tolletur et dabitur ille gradus. Scriptum est enim quod 'caritas numquam exddit'. »
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Une ligne de partage passe nettement entre les actes volontaires comme la possession ou la jouissance et les actes intellectuels comme la science, la prophétie ou la vision. Dans ce domaine, ce qui est partiel doit disparaître complètement pour laisser place à une forme nouvelle et parfaite. Partisan de l'augmentation d'intensité de la charité sans destruction ni rénovation de la forme, le volontariste franciscain retourne contre l'ennemi intellectualiste ses propres arguments. Science, prophéties, principautés deviennent inutiles. Mais surtout, la vision imparfaite, doit disparaître complètement dans le domaine de la pure intellection pour laisser place à la forme ultime et parfaite, éternelle de la connaissance de Dieu. La clarté intellectuelle ne souffre pas une augmentation graduelle et progressive consentie par l'amour. Mais il nous faut entendre que l'enjeu n'est pas ici seulement théologique. Il est premièrement noétique et éthique. C'est que la vision est un tout parfait qui n'est pas susceptible d'augmentation ou de mouvement. Sa perfection est là d'emblée et n'est pas susceptible d'être atteinte par une intensification progressive. La vision n'est pas obtenue au terme d'une focalisation ou d'une mise au point progressive, mais elle est donnée d'emblée. Nous reconnaissons là une autre référence majeure qui vient ici interférer dans le débat sur la vision béatifique. Il s'agit de Ethique à Nicomaque X, 3 - 4 (1174al2-1175al7). Or c'est précisément à propos du plaisir qu'Aristote avance l'analogie de la vision. Le plaisir doit être un tout parfait. Il ne saurait, comme une activité transitive, être mené à sa perfection au terme d'une prolongation dans le temps voire au terme d'un mouvement. Relevons cette formule d'Aristote: « Du plaisir au contraire, la forme est parfaite à n'importe quel moment» (1174b5). Nous faisons l'hypothèse que le doctor moralis qui s'appuie à l'occasion sur ce passage 22 fut spécialement sensible à cet argument du Stagirite. Il ne pouvait qu'être frappé par le fait que voulant penser la perfection du plaisir et au-delà, celle de la béatitude, le Philosophe emploie l'analogie de la vision. Or c'est
22
Ibid., f. 20: « E t per consequens sequi videtur quod non sit visio eadem numero hec et illa, nec se habeant sicut eadem forma remissa ad seipsam intensam. Hoc autem probo, quoniam ad omnem formant susdpientem magis et minus est motus, et ad omnem formam natam suscipere magis et minus potest esse motus; sed ad visionem non est motus, ut probatur 10 Ethicorum capitulo 4, quare visio non suscipit magis et minus. Minorprobatur ita per Philosophum in virtute: Omnis forma, ad quam est motus, acquiritur in tempore; motus enim omnis in tempore est. Sed visio acquiritur in instanti, non in tempore; quare ad visionem non est motus. Item omnis forma ad quam est motus habet aliquam particulam que aliquo posteriori indiget ut perfidatur spedes forme, sed visio non habet ullam talem particulam que sic indiget aliquo tali particular! posteriori peifidente spedem visionis, cum ipsa visio sit totum quoddam habens propriam spedem, in quocumque gradu ponatur. Quare ad visionem non est motus. Item ad visionem non est generatio, quare nec motus. Hec sunt in sententia rationes Philosophi, et puto quod ista tertia ratio fundatur in hoc, quod habetur 5 Physicorum, ubi demonstratur quod ad actìonem non est actio, adpasnonem non est passio, nec ad operationem est operatio. Sed visio ut omnis adus secundas est actio operatio vel passio, vel utrumque diversis respectibus; quare ad viàonem nulla est generatio, actio velpassiow, cf. Aristote, Éthique à Nicomaque X, 4 ( 1 1 7 4 a l 3 —19), Aristoteles Latinus XXIV, 3, 351, 1 - 9 , et, Physique V, 2 (225 b l O - 2 2 6 alO), Aristoteles Latinus VII, 1.2, 1 9 6 - 1 9 8 ; cf. J. Hamesse (ed.), Auctoritates Aristotelis (Philosophes médiévaux 17), Louvain - Paris 1974, 152, n. 154.
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précisément, à l'époque de Guiral Ot comme vision intellectuelle que cette béatitude parfaite est pensée. Mais dans ces conditions, une telle vision définitive et parfaite en son éternité doit a fortiori constituer un tout parfait qui ne saurait résulter d'un mouvement, d'une intensification dans le temps d'une forme encore partielle ou imparfaite. L'exigence est noétique, mais elle est aussi éthique : il en va de l'authenticité de la béatitude qui ne saurait être que parfaite. Si la béatitude parfaite agrège tous les biens conformément à la définition de Boèce, ce n'est pas au terme d'un processus cumulatif, mais parce que d'emblée elle les contient tous 23 . Si dans l'odre de la charité relevant du volontaire, un progrès infini est pensable, dans l'ordre intellectuel, il faut pour le maître franciscain que la forme parfaite et définitive de la vision de Dieu atteinte par les bienheureux relève de la création ex nichilo d'une forme nouvelle. Dans ces conditions, elle ne peut intervenir qu'au jugement dernier. C'est l'exigence éthique même du Docteur Moral qui ne peut faire de lui qu'un partisan de la thèse de Jean XXII. Mais la radicalità même de sa métaphysique des formes intellectives fait aussi de lui un des plus farouches opposants au compromis proposé par Jacques Fournier. Ce ne saurait être la même vision qui commence pour les âmes saintes au jugement particulier ou dès lors qu'elles sont suffisamment purifiées et qui augmente lors du jugement. Il faut donc que la forme parfaite de la vision définitive ne soit conférée aux bienheureux qu'au jugement dernier. Cela n'exclut nullement une vision de Dieu par les âmes séparées et même par les hommes sages dès ici-bas, mais la forme de ces visions reste radicalement distincte et imparfaite. Ainsi, la vision des âmes séparées ne leur est concédée que pour un temps, en attendant la vision définitive, elle reste donc partielle et temporaire. Par ailleurs, Guiral Ot envisage la connaissance de Dieu par les sages, les saints, voire par les comateux ici-bas. Il semble donc rétablir une continuité entre la connaissance de Dieu ici-bas et après la mort. Pourtant, il précise bien que toute connaissance de Dieu ici-bas est médiatisée par une espèce. Si la forme de cette connaissance de Dieu est bien la première d'une série de trois, le passage d'une forme à l'autre exige pour lui à chaque fois un saut, un « échange standard » où le moins parfait doit disparaître totalement pour laisser place au plus parfait. Tel est le lot de la vie intellectuelle qui ne jouit pas des continuités mystiques de la vie amoureuse. La solution ingénieuse proposée par Benoît XII se voit ainsi opposer une objection majeure du côté franciscain, qui faisait pendant à celle des dominicains comme Pierre de la Palud, partisans d'une augmentation de la béatitude lors de la résurrection et du jugement, en extension seulement et non en intensité. C'est la raison pour laquelle, nous l'avons montré par ailleurs, le pape cistercien ne laissa rien transparaître dans la Bulle « Benedictas Deus» de ses thèses de théologien privé 24 . Pourtant, il y fixa de manière définitive la doctrine de l'Eglise sur les fins dernières et la vision des âmes séparées. 23 24
Cf. Boèce, Consolation de la Philosophie III, 2, 3, ed. L. Bieler (CCSL 94), 53. Cf. Trottmann, La vision béatifique (nt. 2), 745 sq.
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IV. C o n c l u s i o n L'apport majeur de la controverse déclenchée par Jean XXII consiste donc dans un effort radical pour articuler eschatologie personnelle et collective. Car il ne s'agissait pas seulement de fixer la doctrine relative aux événements de la fin des temps. Il fallait penser l'accomplissement de l'homme qui devait s'y réaliser. Non seulement l'accomplissement d'une béatitude concernant chacun en particulier, mais celui de l'humanité considérée dans sa totalité depuis les origines. Les théologiens médiévaux, partant de cette difficulté à articuler eschatologie personnelle et eschatologie collective de l'humanité en sont ainsi venus à poser les termes d'une aporie philosophique. Si la parfaite béatitude de l'homme consiste en un acte de contemplation intellectuelle, elle ne saurait être atteinte de manière définitive que selon une forme non moins parfaite. Or cet accomplissement de la forme parfaite de l'homme, tant sur le plan individuel que collectif, peut-il résulter d'une intensification progressive de la vision déjà atteinte par les plus parfaits (les saints)? Ne doit-il pas résulter d'un acte radicalement nouveau du Créateur ne pouvant intervenir qu'à la fin des temps, précisément au moment de leur résorption dans son éternité? Il en va aussi du sens de l'aventure humaine dans son ensemble, c'est-à-dire dans son Histoire. Non que les événements en leur violence se revêtent ainsi d'un sens immanent immédiatement lisible. Si un sens de l'Histoire se laisse déjà voir ce n'est que de manière partielle et déformée. Là encore, et c'est à Jacques Fournier qu'il revient de l'avoir montré, la forme parfaite de la connaissance de l'accomplissement de l'humain est renvoyée au terme de son Histoire par le dévoilement, non seulement de la valeur morale individuelle de chacun (mérites et démérites), alors que les vouloirs de son cœur restaient jusqu'alors cachés, mais encore par la manifestation des volontés non moins cachées de Dieu mises en œuvre dans son plan de Salut. Faute de place il me faut renoncer à d'autres apports des théologiens de la controverse concernant en particulier la succession dans le temps des événements eschatologiques de la résurrection et du jugement. Mais au-delà de ces réflexions techniques sur l'eschatologie peut-être n'est-ce pas le moindre mérite des théologiens de l'entourage de Jean XXII, Guiral Ot et Jacques Fournier en particulier que d'avoir su poser les apories philosophiques fondamentales relatives à l'accomplissement humain, tant individuel que collectif.
Vom Sinn des Jüngsten Gerichts. Beobachtungen zur Lehre von der visio bei Johannes XXII. und Ockham VOLKER L E P P I N
(Jena)
Das Jüngste Gericht gehörte nicht zu den Themen, denen Wilhelm von Ockham in seiner akademischen Laufbahn mit besonderem Interesse nachgegangen ist. Die Verweise hierauf im Sentenzenkommentar sind spärlich1. Mehr interessierte ihn der Zusammenhang zwischen Gottes Vorsehung und seiner und des Menschen Freiheit. Erst in seiner oft verkürzt als „politisch" bezeichneten zweiten Lebensphase — nach der Flucht aus Avignon 1328 — fand er Anlass, dieses theologische Thema ausfuhrlicher zu behandeln. Der zweite Teil seines kirchenpolitischen Hauptwerkes, des „Dialogus", behandelt ausschließlich eschatologische Fragen, und zwar den Status der Heiligen zwischen ihrem individuellen Tod und dem Jüngsten Gericht. Da dieser zweite Teil des „Dialogus" selbst gerade nicht in der Form des Dialogs abgefasst ist 2 , kann man davon ausgehen, dass dieser Text erst sekundär in den jetzigen Zusammenhang gesetzt wurde — wohl als Exempel für die offenkundige Häresie eines Papstes: denn es ging Ockham darin über weite Strecken um nichts anderes als um den Aufweis, dass Papst Johannes XXII. nach der Armutslehre nun auch in Fragen der jenseitigen Existenz der Verstorbenen in Häresie geraten war. Dass diese Auseinandersetzung im Kontext eines politischen Konfliktes stand, ist mehr als offenkundig, soll im Folgenden aber nicht eigentlicher Gegenstand der Untersuchung sein. Die folgenden Beobachtungen sollen vielmehr dazu dienen, hinter Äußerungen und Texten über Fragen der Eschatologie 3 , die ein hohes Maß an allgemeiner dogmatischer Verbindlichkeit beanspruchen — hier der Versuch eines Papstes, sich vom Geruch der Häresie zu befreien, 1 2
3
Cf. den Beitrag von G. Mensching in diesem Band. Die erste kritische Edition dieses Textes bereite ich derzeit an der Ockham-Forschungsstelle Jena (früher: Heidelberg) gemeinsam mit Dr. Jan Ballweg im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projektes vor. Neben der Frage der Eschatologie bieten Ockhams Traktate auch reiches Material zur Definition von Häresie, das aber wegen der Konzentration des vorliegenden Bandes auf die Frage der Eschatologie einstweilen im Hintergrund bleiben muss.
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dort der Versuch eines exkommunizierten Franziskaners, den Papst eben wieder in diesen Geruch zu bringen —, die individuellen Motivlagen der Diskussionspartner aufzuspüren, die in einer extrem zugespitzten Lage aufeinander stießen. Den Anlass für die Auseinandersetzung hatte Johannes XXII. selbst gegeben, als er im Jahr 1331 ausgerechnet am Allerheiligenfest eine Predigt gehalten hatte, in der er, unter anderem auf entsprechende Überlegungen Bernhards gestützt, zu dem Ergebnis kam, die Seligen seien gemäß Apk 6, 9 bis zum Jüngsten Gericht unter dem Altar Gottes und nicht im Himmel 4 ; daher würde ihnen die Schau Gottes erst nach dem Jüngsten Gericht zuteil 5 , bis dahin gelangten sie lediglich zum Anblick der Menschheit Jesu Christi6. Es ist nicht schwer, die Problematik solcher Aussagen auszuführen. Neben der Frage, ob nicht die Einheit der beiden Naturen Christi durch solche schroffen Formulierungen unerträglich auseinander gerissen wird, scheint vor allem die Rolle der Heiligen im Glaubensleben der Christen und Christinnen unterschätzt: Hatten diese nicht jetzt schon Anteil an der vollen Schau Gottes, so war zu fragen, inwiefern sie überhaupt in der Lage sein könnten, die Bitten der Gläubigen vor Gott zu tragen. Trotz dieser schnell von Zeitgenossen erkannten und aufgegriffenen Probleme ist Johannes XXII. allerdings zugute zu halten, dass er mit seiner in späteren Predigten weiter ausgeführten Lehre durchaus ein Zentralproblem mittelalterlicher Eschatologie angesprochen hat: Spätestens seit dem Konzil von Lyon stand fest, dass die endgültige Entscheidung über das künftige Schicksal der Verstorbenen schon gleich nach ihrem Tod erfolgen sollte. Damals hatte der Kaiser Michael VIII. Palaeologus, um eine Union zu erreichen, der zwanzig Jahre zuvor von Innozenz IV. proklamierten Lehre vom Fegefeuer 7 zugestimmt. Positiv erklärte er nicht nur, dass, wer als Büßer in Liebe verstorben sei, aber noch keine rechte satisfactio hatte leisten können, nach seinem Tod gereinigt werden würde 8 , sondern auch, dass die anderen Verstorbenen sogleich auf Himmel und Hölle verteilt würden. Damit aber war, da das Fegefeuer ja nichts anderes darstellte als den verlängerten, beschwerlichen Weg in die Seligkeit, eindeutig festgelegt, dass in der Stunde des Todes irreversibel die Entscheidung über das weitere Schicksal der Verstorbenen gefallen war. Die große Bedeutung, die diese mit Blick auf die Heilssicherheit und auf die durch die Leistung für Verstorbene im Purgatorium garantierte „Solidargemeinschaft" der Lebenden und Toten (Le Goff) 9 hatte, brachte freilich auch ein denkerisches Problem mit sich: Schon die Erklärung Michaels VIII. leitet die Lehre vom Jüngsten Gericht mit der Formel „nihilominus" ein. In der Tat war 4
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Les Sermons de Jean XXII sur la vision béatifique, ed. M. Dykmans (Miscellanea historiae pontificiae 34), Rom 1973, 94, 1 sq. Ibid., 96, 12 sq. Vorausgesetzt ibid., 96, 4 - 6 ; ausgeführt wenig später, am 3. Advent: 113, 5 - 7 . Zum Zusammenhang cf. J. Le G o f f , Die Geburt des Fegefeuers, Darmstadt 1984, 343 sq. Enchiridon symbolorum, definitionum et declarationum de rebus fidei et morum, ed. H. Denzinger/A. Schönmetzer S. J., Freiburg etc. 1965 [= DS], nn. 8 5 6 - 8 5 9 . Cf. Le G o f f , Geburt (nt. 7), 22.
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zu fragen, inwieweit in einer solchen Konstellation überhaupt noch Notwendigkeit oder auch nur Sinn des biblisch berichteten Jüngsten Gerichts gegeben waren; die scholastische Lehre bemühte sich zwar seit Richard von St. Viktor, diesen Sachverhalt durch die Unterscheidung von einem indicium particulare und einem iudiäum universale aufzufangen 10 , Johannes XXII. war aber als geschulter Jurist sehr genau in der Lage, das damit gleichwohl gesetzte Problem zu benennen: Würde Gott tatsächlich schon mit dem iudicium particulare Lohn und Strafe ergehen lassen, würde der Richterspruch schon vollzogen, ehe er beim Jüngsten Gericht erlassen werde 11 . Johannes wollte offenbar das Jüngste Gericht aufwerten. Wieweit ihm die weitergehenden Folgerungen seiner Überlegungen deutlich waren, ist nicht ganz klar. Man würde seine, oft nur aus einer Aneinanderreihung von Autoritätenzitaten bestehenden Predigten überfordern, wollte man aus ihnen einen vollständigen Abriss seiner eschatologischen Vorstellungen erschließen. Am stärksten betont er eben den brisantesten Punkt, das Fehlen einer visio im Himmel, die anderen Orte in der „Geographie des Jenseits" 12 berührt er daneben kaum oder gar nicht: Während er mit Blick auf die Hölle — im Gegensatz zu seinem gegen die Armenier gerichteten Brief von 1321 13 — die Konsequenz zieht, dass die Verdammten nicht sofort die ewige Strafe erhielten 14 , schweigt er sich über die Frage des Fegefeuers aus. Das mag seinen Grund darin haben, dass gerade das Fegefeuer natürlich jenen jenseitigen Ort darstellte, in dem zwischen iudiäum particulare und iudiäum universale noch eine reale Veränderung erfolgte, das also gerade — wie später auch die Kritiker des Papstes betonten — eine gute Begründung für den Sinn des Jüngsten Gerichts darstellte. Viel wichtiger war aber wohl, dass die Aufmerksamkeit von Johannes XXII. aus ganz anderen Gründen als dem Interesse an eschatologischer Spekulation auf diese Fragen gelenkt worden war: Johannes ging es nicht allein um die juristische Frage der Stellung von Universal- und Partikulargericht zueinander, sondern ihm ging es auch generell um eine Betonung der Zukünftigkeit des Gerichts bzw. der in diesem zuteil werdenden Belohnungen. Indem Johannes deren Zukünftigkeit auch noch für die Heiligen unter dem Altar Gottes betonte, unterband er zugleich und um so stärker jedwede Möglichkeit, eine proleptische visio schon hier auf Erden zu beanspruchen. Und in der Tat lässt sich zeigen, dass Johannes XXII. sich seit der Frühzeit seines Pontifikates immer wieder mit solchen Formen proleptischer Eschatologie in Gestalt ekstatischer Mystik auseinander setzte. Zu den ersten Amtshandlungen des Papstes Johannes XXII. gehörte die Promulgierung der Bulle „Ad nostrum qui", die das Konzil von Vienne gegen die 10 11 12 13 14
L. Scheffczyk, Art. Gericht, Jüngstes, in: Lexikon des Mittelalters 4 (1989), 1327 sq. Sermons de Jean XII (nt. 4), 184, 9 sq. Le G o f f , Geburt (nt. 7), 13. D S 925 sq. Sermons de Jean XXII (nt. 4), 145, 5 sq.
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rheinischen Beginen verfasst hatte und in der neben anderem auch der Anspruch verworfen worden war, „quod ... anima non indiget lumine gloriae ipsam elevante ad Deum videndum et eo beate fruendum"xs\ Schon hier also schlägt Johannes das Thema der Schau Gottes an, jedoch nicht als Gabe der Heiligen, sondern als mystische Erfahrung im Diesseits. Und diese Thematik nun hält sich durch: Etwa gleichzeitig mit der Promulgierung von „Ad nostrum qui" beginnt Johannes XXII. etwa ab 1318 16 einen Prozess mit dem Ziel, postum die Apokalypsenpostille des Petrus Johannis Olivi zu verurteilen. Und wieder begegnet in diesem Zusammenhang wenigstens auch die Lehre von einer Schau Gottes, wenn die Verheißung Olivis, dass in dem mit Franz von Assisi angebrochenen vorletzten Zeitalter der Kirche „non solum simpliá intelligentìa, sed etìam gustativa et palpatìva experientia videbitur omnis verìtas sapientia verbi Dei incarnati et potentia Dei patris", verurteilt wird 17 . Ja, es scheint, dass Johannes XXII. sogar Ockham so verstanden hat, als unterstütze er derartige Lehren 18 . Nimmt man noch den Prozess gegen Eckhart hinzu, in dem es freilich, da Eckharts Lehren nichts dergleichen nahelegten, nicht um die Schau Gottes, wohl aber um eine noch viel stärkere Aufhebung der Distanz zu ihm ging 19 , so wird deutlich, dass Johannes XXII. — neben dem die Armut betonenden Franziskanertum — in mystischen Frömmigkeitsformen ein Potential erblickte, gegen das er glaubte vorgehen zu müssen 20 . Und in solchen Frömmigkeitsformen war immer wieder auf die eine oder andere Weise eine Schau Gottes angesprochen. Neben all diesen Auseinandersetzungen in Kontexten antihäretischer Prozesse ist für die Motivlage des Papstes eine Predigt besonders signifikant, die wohl 1332 entstanden ist 21 . Die darin zu findende Auseinandersetzung mit der Lehre von der potentia absoluta22 macht es wahrscheinlich, dass Johannes XXII. 15 16
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DS 895. Cf. E. Pásztor, Le polemiche sulla „Lectura super Apocalipsim" di Pietro di Giovanni Olivi fino alla sua condanna, in: Bolletino dell'Istituto storico italiano per il medio evo 70 (1958), 365—424, hier: 368 sq. Stephani Baluzii Tutelensis Miscellanea novo ordine digesta et non paucis ineditis monumentis opportunisque animadversionibus aucta opera ac studio Joannis Dominici Mansi Lucensis, Bd. 2, Lucca 1761, 260 b. Cf. zu diesem Zusammenhang V. Leppin, Geglaubte Wahrheit. Das Theologieverständnis Wilhelms von Ockham (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 63), Göttingen 1995, 127-135. Zur Problematik der Verurteilung Eckharts cf. immer noch - freilich sehr apologetisch W. Trusen, Der Prozeß gegen Meister Eckhart. Vorgeschichte, Verlauf und Folgen (Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft N. F. 54), Paderborn etc. 1988. Zu den — z. T. ungewollt - kirchenkritischen Potentialen mystischer Frömmigkeit im späten Mittelalter cf. V. Leppin, Mystische Frömmigkeit und sakramentale Heilsvermittlung im späten Mittelalter, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 1 1 2 (2001), 1 8 9 - 2 0 4 . Nicolaus Minorità, Chronica. Documentation on Pope John XXII, Michael of Cesena and the Poverty of Christ, ed. G. Gál/D. Flood, St. Bonaventure - New York 1996, 1026 sq.; E. Randi, Il rasoio contro Ockham? Un sermone inedito di Giovanni XXII, in: Medioevo 9 (1983), 1 7 9 198, hier: 179, nimmt lediglich vermutungsweise 1333 an. Cf. besonders ibid., 191.
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sich hier mit — freilich dann missverstandenen - Lehren Ockhams auseinandersetzt. Das ist für den vorliegenden Zusammenhang freilich weniger interessant als die Tatsache, dass Johannes in dieser Predigt - sie gilt dem Fest Maria Verkündigung - ausführlich die Frage der Erkennbarkeit Gottes diskutiert und für eine reflektierte natürliche Theologie plädiert, aber zugleich betont die Bibelzitate Joh 1,18: „Deum nemo vidit umquam" und I Tim 6, 16: „Deum nullus hominum vidit sed nec videre potest" heranzieht 23 , also zwei grundsätzliche Bestreitungen der Fähigkeit des Menschen, Gott zu schauen, im letzteren Fall nach dem Verständnis des mittelalterlichen Bibellesers sogar von eben jenem Paulus, auf den die gleich noch zu diskutierende raptus-Lehre sich bezog. Da die Predigt keinerlei Spuren des visio-Streites zeigt, ist höchstwahrscheinlich auszuschließen, dass sie 1334 abgefasst wurde, im Todesjahr des Papstes. Man kommt also in die Zeit vor der Anstoß erregenden Allerheiligen-Predigt und damit in eben die Zeit, in der Johannes XXII. sich irgendwie denkerisch auf diese Predigt zubewegte. Man hat hier also einen Text in der Hand, in dem Johannes vor Behandlung der Schau Gottes durch die Heiligen ausführlich die Frage der Schau Gottes durch die irdischen Menschen reflektierte — und diese Frage negativ beantwortete. Das macht es umso wahrscheinlicher, dass auch für die späteren Predigten der Problemkontext durch die Reflexion auf die Möglichkeiten des irdischen Menschen vorgegeben war und Johannes erst von hier aus weiter zu den eschatologischen Fragen voranschritt. Dabei hat er übrigens — das macht wiederum den Bezug auf die antihäretische Front wahrscheinlich — ebenso, wie er an Allerheiligen die eine große mystische Autorität — Bernhard — für seine eigenen Ansichten heranzog, am Fest Mariä Verkündigung eine andere mystische Autorität angeführt: Dionysios Areopagita, dessen negative Theologie er zur Begründung der prinzipiellen Nichterkennbarkeit Gottes heranzog 24 . Von dieser für das Pontifikat Johannes' XXII. bestimmenden Grenzziehung aus wird dann erst richtig deutlich, warum er ein solches Interesse auch für die jenseitige visio Dei entwickelte: Waren nicht einmal die Heiligen der Schau Gottes teilhaftig, so konnte dies erst recht nicht für irdische Menschen im Stand des Erdenpilgers gelten. Diese Auffassung hat sich zunehmend verfestigt: Anfänglich gab es durchaus noch Kontroversen über diese Frage an der Kurie selbst 25 , aber zunehmend beanspruchte Johannes XXII. für sich, an diesem Punkt mit voller päpstlicher Autorität zu sprechen 26 . Dafür fand er nur wenige Fürsprecher, und gerade wichtige, stabile Koalitionspartner brachen fort. Das galt sowohl für den Franziskanergeneral Geraldus Odonis, der bislang auf Seiten des Papstes gegen die innerfranziskanische Oppo23 24 25
26
Ibid., 188. Ibid., 187. Cf. Chartularium Universitatis Parisiensis, ed. H. Denifle et A. Chatelain, Bd. 2, Paris 1889 (ND Brüssel 1964), 978. Cf. J. Heft, John XXII and Papal Teaching Authority (Texts and Studies in Religion 27), Lewiston, Queenston, 1986, 1 6 7 - 2 0 1 .
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sition gestanden hatte, als auch für den französischen König: Zu einem auch seine Existenz gefährdenden Konflikt kam es, als auch die französische Krone, die eigentliche Stütze des avignonesischen Papsttums, gegen ihn Stellung bezog 27 : Philipp VI. intervenierte zugunsten des englischen Dominikaners Thomas Walleys, der wegen seiner Predigten gegen die visio-Lehre des Papstes einem Prozess unterzogen wurde. Als seine Intervention ohne Erfolg blieb, zitierte der französische König neunundzwanzig Pariser magistri in sein Schloss in Vincennes und ließ sie einstimmig erklären, dass die Heiligen bereits jetzt das Angesicht Gottes schauten 28 . Diese Situation war alarmierend für Johannes XXII., und so griff er wiederum zu einem juristischen Trick: In einem öffentlichen Konsistorium in Avignon erklärte er am 3. Januar 1334 einen bedingten Widerruf. Hierauf nun reagierte Ockham seinerseits mit dem Doppel-Traktat, der aufgrund einer Notiz im Prolog zum „Dialogus" „De dogmatibus Papae Johannis" 29 genannt wird. Der jetzige zweite Teil des „Dialogus" besteht, so unterscheiden es schon die ältesten Handschriften, aus zwei Traktaten - merkwürdigerweise hat dies bislang in der Forschung noch praktisch keine Beachtung gefunden, sondern der zweite Teil des „Dialogus" wird in der Regel, wenn man sich überhaupt mit ihm beschäftigt, als eine Einheit behandelt. Im Zuge der Edition, die derzeit vorbereitet wird, sind jedoch begründete Zweifel daran entstanden, dass die beiden in ihm zusammengefaßten Traktate von Anfang an eine literarische Einheit bildeten 30 . Äußerer Anlass hierfür sollte schon allein sein, dass Ockham in dem Teil, der bei Goldast und in Handschriften als erstes Kapitel gezählt wird, der aber literarisch eher dem Proömium des ersten Traktates entspricht, seine Argumentation „inpraesenti opusculo" ankündigt, also in der Tat von einem Werklein, nicht einem Teil eines Werkes spricht. Auch der Einsatz „Qualis est rector civitatis, tales sunt inhabitantes in ea" setzt keinen literarischen Vorbau voraus, sondern lediglich die Zeitgenossen bekannte Tatsache von der Falschlehre des Papstes. Auch wenn man damit zögern sollte, beide Traktate literarisch auseinander zu nehmen, bleibt doch in jedem Falle auffällig, dass beide Traktate ganz unterschiedlich vorgehen: Während der erste Traktat im Stile von Ockhams „Opus nonaginta dierum" Stück für Stück die Revokation von Johannes XXII. präsen27
28
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30
Zur Problematik dieses Angriffs von einer „neuen und wahrscheinlich unerwarteten Seite" cf. Α. Maier, Ausgehendes Mittelalter. Gesammelte Aufsätze zur Geistesgeschichte des 14. Jahrhunderts, Rom 1977, 322. Zu diesen Ereignissen und ihren Folgen cf. die knappe Darstellung bei T. Kaeppeli, Le procès contre Thomas Waleys O. P. Étude et documents, Rom 1936, 4 6 - 5 0 . M. Goldast (ed.), Monarchia S. Romani Imperii, Bd. 2, Frankfurt 1614 (= Turin 1959 [= Monumenta Politica Rariora ex optimis editionibus phototypice expressa 1/1]), 740, 4 - 9 . Entsprechende Zweifel auch bereits bei Dykmans, in: Les sermons de Jean XXII (nt. 4), 187. Eine genauere Untersuchung der Frage der literarischen Einheitlichkeit von „De dogmatibus Papae" und der damit verbundenen Frage nach individueller oder kollektiver Autorschaft erarbeitet derzeit Annette Weissenrieder im Rahmen der Ockham-Forschungsstelle Jena; die folgenden Überlegungen gehen weitgehend auf ihre Arbeiten und Beobachtungen zurück.
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tiert, dann kritisiert31 und (ab Kapitel 8) in eine ausführliche Begründung ausmündet, warum der Papst unbeschadet dieser Revokation auch in kirchenrechtlichem Sinne weiterhin als Häretiker anzusehen ist, ist der zweite Traktat akademischer angelegt und hat auch andere Adressaten: Nicht der Papst ist nun sein Gegenüber, sondern die, die seine Argumente unterstützen. Die anonymen (und vermutlich ζ. T. fiktiven bzw. typisierten) Autoren, gegen die Ockham sich hier wendet, werden nun nicht — wie zuvor die Worte des Papstes — wörtlich zitiert, sondern in akademisch formalisierter Form: Es geht gezielter als im ersten Traktat um die Sache selbst. Die Unterschiedlichkeit der beiden Traktate legt nahe, dass man sie wirklich als zwei ursprünglich eigenständige literarische Einheiten zu behandeln hat, die freilich zeitlich nicht weit auseinander liegen: Auch der zweite, gegen die Theologen im Umfeld des Papstes gerichtete Traktat setzt voraus, dass Johannes XXII. noch am Leben ist. Da er am 4. Dezember 1334 starb, gibt dies einen gewissen Terminus ad quem. Nicht ganz so sicher scheint jedoch, dass auch dieser Teil bereits die Revokation des Papstes voraussetzt: Der Traktat geht an keiner Stelle darauf ein 32 . Gleichwohl bleibt schon allein aufgrund der 2w/o-Thematik und ihres offenkundig fortgeschrittenen Stadiums die Nähe zu dem anderen Traktat außerordentlich groß, und die Unterschiede zwischen beiden Traktaten liegen vor allem in der unterschiedlichen argumentativen Ausrichtung: der dogmatischen und kirchenrechtlichen Beweisführung, dass Johannes XXII. Häretiker ist einerseits, der argumentativen Klärung grundlegender Fragen der »jw-Debatte andererseits. So gesehen, hat der erste Traktat trotz offenkundigen Bemühens um akademische Argumentation durchaus auch den Charakter eines Pamphletes, in dem zugespitzt Position bezogen wird. Im Grunde ist für beide Traktate die Bezeichnung „De dogmatibus Papae Johannis" unzureichend. Da die Handschriften jedoch keine andere Überschrift nahelegen, ist vorläufig bei dieser Bezeichnung zu bleiben und im Einzelnen zu differenzieren in „De dogmatibus I" und „II". Beide zeigen sie Ockhams unmittelbares Eingreifen in den Streit um die visio — und sein hohes persönliches Engagement. Die Ockham-Forschung vertritt gerne die Auffassung, Ockham habe in den politischen Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und Papst seine eigene Meinung für weniger bedeutend gehalten und sich hauptsächlich um Sicherung eines Konsens bemüht. Das ist auch schwerlich zu bestreiten, insofern es Ockham sicher nicht darum ging, eine von ihm selbst als positionell betrachtete Auffassung innerhalb des theologischen Diskurses durchzufechten, vielmehr ging es ihm hier um dogmatische Kernaussagen, an denen die Häresie des Papstes erkennbar sein konnte oder sollte. 31
32
Die eben genannte Analyse wird gerade in diesem Zusammenhang auch deutliche Parallelen zu anderen Schriften des Münchner Kreises aufweisen. Im Zuge der genannten Untersuchungen hat sich freilich auch die Frage gestellt, inwieweit der Bezug auf das päpstliche Konsistorium und die Revokation des Papstes zum ursprünglichen Textbestand des ersten Traktates gehört.
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Gleichwohl war Ockham in seinem Kampf gegen den Papst gewiss nicht ausschließlich der mit dem berühmten Rasiermesser eiskalt sezierende Analytiker, sondern er wusste sich durchaus in theologischen Kategorien auszudrücken, die zeigen, welches Maß an Engagement er aufbrachte: Nur wenige Monate später sollte er in einem Brief an die in Assisi versammelten Franziskaner zu Pfingsten 1334 sich selbst als Repräsentanten der Restkirche mit dem Propheten Elia vergleichen 33 , und mit dieser Selbstdeutung im Horizont des prophetischen Typus trifft man wohl viel eher sein Selbstverständnis: Wie der Prophet kann auch er gerade in seiner individuellen Uberzeugung Bote der überindividuellen Wahrheit Gottes sein. Selbstverständlich war Ockhams Zugang zu dem, was er für die katholische Wahrheit erachtete, durchaus von einem bestimmten, individuell geprägten theologischen Bild von dieser katholischen Wahrheit geprägt: Die Kritik an Johannes XXII. wegen seines Abweichens vom katholischen Konsens und der individuell-positionelle Streit liegen hier ineinander, auch wenn der literarische Charakter von „De dogmatibus I" dieses nicht allzu sehr aufdrängt. Als polemische Schrift musste dieser Traktat notwendig zugespitzt formuliert werden; die Leser einer polemischen Schrift interessierte nicht so sehr der allgemeine theologische Kontext, sondern es ging schlicht um die Frage: Irrte der Papst oder nicht? Die Kontexte individueller Theologie, die gleichwohl Ockhams Argumentation prägten, sind daher nur durch einen mühsamen Vergleich mit seinen vorherigen, akademischen Schriften herauszufinden, die eindeutig ohne polemische Absicht geschrieben waren und Ockhams Lehre in der Weise präsentieren, wie er sie nach wissenschaftlichen Maßstäben für verantwortbar hielt 34 . Obwohl Ockham nämlich, wie eingangs erwähnt, bislang an den im engeren Sinne eschatologischen Fragen kaum interessiert war, konnte er in seiner Argumentation gegen Johannes XXII. in ganz erstaunlichem Ausmaß auf Überlegungen aus seiner Zeit als akademischer Lehrer in Oxford zurückgreifen. Dies gilt in allererster Linie für jene Sonderlehre, über die er sich mit Johannes XXII. in diesem Zusammenhang schon während seines erzwungenen Aufenthaltes in Avignon auseinandergesetzt hatte: die Lehre vom raptus Pauli. Im zweiten Kapitel setzt er sich mit der Auffassung des Papstes auseinander, dass die Seelen nicht schon jetzt zur Schau Gottes gelangen könnten, da dies die höchstmögliche Erhöhung sei und damit für das Jüngste Gericht keine Erhöhung mehr übrig bliebe. Paulus dient Ockham nun als Beispiel dafür, dass es in der Tat möglich sei, bereits der Schau des Wesens Gottes teilhaftig zu werden und gleichwohl noch nicht in höchstmöglichem Maße erhöht zu sein 35 . Es ist, als lebte die Debatte wieder auf, die Johannes und Ockham schon in Avignon
33 34
35
Cf. hierzu Leppin, Geglaubte Wahrheit (nt. 18), 3 2 2 - 3 2 4 . Da die Arbeit am Kommentar von „De dogmatibus" erhebliche Zweifel an Ockhams alleiniger Autorschaft an „De dogmatibus II" aufgeworfen hat, beziehe ich mich vorläufig für diesen Nachweis ausschließlich auf „De dogmatibus I". Goldast (ed.), Monarchia (nt. 29), 742, 1 1 - 2 6 .
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geführt haben, und es ist in der Tat so, dass für Ockham an der Lehre vom raptus Pauli viel hing: eben nicht das, was Johannes darin sah, den Anspruch auf gegenwärtige besondere Möglichkeiten der Gotteserkenntnis. Selbst noch in der Andeutung einer Selbstdeutung als Prophet hat er hiervon keinen Gebrauch gemacht. Worum es ihm mit der raptus Pauli-Lehte, ging, war, die Freiheit Gottes gegenüber allen Zwängen zu betonen, wofür bekanntermaßen seine Lehre von der potentia absoluta steht. Nicht zufällig erwähnt Ockham den raptus Pauli gerade in Quodl. VI, q. 1 als Beleg für Gottes Machtfülle 36 : Nicht die Lehre von den Möglichkeiten des Menschen ist Ziel seiner hierauf bezogenen Argumentation, sondern die Lehre von den Möglichkeiten Gottes! Obwohl es hier also im Kern um den individuellen theologischen Ansatz Ockhams geht, ist es doch charakteristisch, dass Ockham nun doch noch auf anderes hinauswill: So sehr er um seine eigene Position kämpft, so sehr kämpft er doch um deren Einbettung in den Konsens: Seine Argumentation besteht hauptsächlich aus umfangreichen Zitaten der Glosse zu I Kor 12: Ziel der Argumentation ist nicht allein die sachliche Uberzeugung des Papstes, sondern auch und vor allem, dass dieser „frustra et inaniter iactat se studuisse originalia sanctorum, ex quo in communissimis Glossis ex originalibus sanctorum acceptis ista tarn patenter expressa non viditiÌyl. Der einst gerade auch wegen seiner visio -Lehre unter Häresieverdacht gestellte Theologe kehrt den Spieß um, isoliert den Papst nun vom Konsens und wirft ihm Häresie vor. Ockham konnte aber nicht nur im Bereich der irdischen visio auf eigene frühere Überlegungen zurückgreifen, sondern auch im Zusammenhang der jenseitigen visio der Seligen. Dabei ist zunächst daran zu erinnern, dass die Gotteserkenntnis der Seligen für Ockhams eigenes Theologieverständnis — anders als für Thomas — keine konstitutive Bedeutung hatte. Gleichwohl hatte er sich der Frage widmen müssen und war bereits im Prolog seines Sentenzenkommentars — also wohl 1317, zu Beginn seiner akademischen Laufbahn — zu dem Ergebnis gekommen, dass die Seligen trotz ihrer Schau Gottes keineswegs über alle wahren theologischen Erkenntnisse verfügten. In anachronistischer Terminologie formuliert, könnte man sagen, dass nach Ockhams damaliger Auffassung die Seligen aufgrund ihrer vollen Schau Gottes zwar analytische Aussagen über diesen treffen könnten, also solche, die aus seinem Wesen unmittelbar folgten 38 , nicht aber synthetische Aussagen, die etwa eine Kenntnis von Gottes Handeln an und in der Welt voraussetzen 39 . Dass dies nicht zufällige, marginale Einsichten sind, sondern sie für Ockham gerade auch als intellektuelles Problem einiges Gewicht hatten, zeigt sich an der Tatsache, dass er in den Quodlibeta IV, wohl
38
Cf. Gufflelmi de Ockham Opera Theologica, Bd. 9, ed. J. C. Wey, St. Bonaventura, N. Y. 1980, 587, 56. Goldast (ed.), Monarchia (nt. 29), 742, 3 9 - 4 8 . Guillelmi de Ockham Opera Theologica, Bd. 1, ed. G. Gài, St. Bonaventura, N. Y. 1967, 271,
39
Ibid., 342, 5 - 1 1 ; 344, 5 - 9 .
36
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1-2.
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im Herbst 1323, eine eigene Quaestio der Frage widmete, „utrum videns Deum videat omnia quae Deus videt"40 und, ganz auf der bisherigen Linie, zu der Antwort gelangte, dass eben dies nicht der Fall sei: Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Ockham betont, dass die Seligen ihrerseits noch nicht wüssten, wann das Jüngste Gericht hereinbrechen werde 41 . Es hat also eine lange, kontinuierliche Vorgeschichte, wenn Ockham noch 1334 die Lehre des Papstes kritisiert, „ visto beata non stat cum doctrina, quia quicumque clare videt Deum, videt et omnia"ä'2. Diese Auffassung des Papstes enthalte, so Ockham, die Häresie, dass Gottesschau mit Allwissenheit gleichzusetzen sei 43 — und als schlagendes Argument dagegen brachte er Eph 3, 10 vor: „ut innotescat principibus et potestatibus in caekstibus per ecclesiam multiformis sapientia Dei"44. Die Mächte und Gewalten mit Engeln gleichsetzend, gelangte Ockham zu dem Ergebnis, dass die Engel, obwohl sie doch der vollen Schau Gottes teilhaftig seien, offenkundig durch den Inhalt des Evangeliums, Leiden und Auferstehung Jesu Christi, Neues erfuhren, das sie zuvor aus der reinen Schau Gottes nicht gewusst hatten — auch dies ist übrigens keine nur zum Kampf gegen Johannes erfundene Aussage, sondern Ockham hatte schon im Rahmen seiner Engellehre im 2. Buch der Sentenzen erklärt, dass diese keineswegs allwissend seien 45 . Wiederum wird man auch hier in der bloßen Feststellung, dass Ockham auf alte Ansichten zurückgreift, kaum ein befriedigendes Ergebnis sehen können: Die scheinbar rein erkenntnistheoretische Frage nach der Zusammengehörigkeit von Schau Gottes und Allwissenheit wird von Ockham nicht mit erkenntnistheoretischen Überlegungen beantwortet, sondern mit theologisch-material begründeten Einwänden: Das Handeln Gottes in der Geschichte ist als kontingentes Handeln nicht aus der vollen Erfassung des Wesens Gottes, wie es seine Schau bietet, ableitbar. Andersherum formuliert: Wäre in der Tat das Handeln Gottes in der Geschichte — bis hin zu Inkarnation und Auferstehung — aus Gottes Schau ableitbar, wie es die notwendige Verbindung von Schau Gottes und Allwissenheit impliziert, so wäre Gott in seinem Erlösungshandeln nicht eben der freie, souveräne Herrscher der Welt, als den Ockham ihn sah und lehrte. Wiederum ist es letztlich die starke Betonung der potentia absoluta, die Ockham hier in seiner Kritik an Johannes leitet: Da Gott nicht in seinem Wesen, wohl aber in seinem Handeln an nichts gebunden ist als allein an das Widerspruchsprinzip, ist er in seinem Handeln viel freier, als es Johannes impliziert. Dass Ockham das Handeln Gottes in der Heilsgeschichte — und das heißt: bis hin zum Jüngsten Gericht — als souverän und frei charakterisiert, heißt freilich nicht, dass er ihm keinen Sinn zuzusprechen vermöchte: Die für Johan40 41 42 43 44 45
Ockham, Opera Theologica 9 (nt. 36), 3 1 9 - 3 2 2 . Ibid., 319 sq., 14 sq. Goldast (ed.), Monarchia (nt. 29), 745, 60 sqq. Ibid., 746, 3 sqq.; cf. 347, 7 sqq. Ibid., 746, 1 - 8 . Guillelmi de Ockham Opera Theologica, Bd. 5, ed. G. Gál/R. Wood, St. Bonaventure, N. Y. 1981, 320, 1 3 - 3 2 1 , 9.
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nés XXII. entscheidende Frage, wozu denn das Jüngste Gericht eingesetzt sei, wenn Lohn und Strafe schon zuvor vergeben würden, beantwortet er abgestuft damit, dass das Jüngste Gericht bewirke, dass dann komplette Lebewesen aus Seele und Körper der Herrlichkeit teilhaftig würden, dass zweitens die Seelen, die zuvor schon Gottes Wesen geschaut hätten, zu einer vollkommeneren Sicht kämen, dass drittens viele Seelen, die zuvor Gott nicht geschaut hätten, nun, nach erfolgter Reinigung, zur Schau Gottes gelangten, und dass schließlich mit dem Jüngsten Gericht die Zeit des Verdienens und des Verlustes an Verdienstlichkeit ein Ende habe 46 . Mit dieser vierfachen Argumentation begründet Ockham, dass — entgegen der Ansicht des Papstes — aus der Uberzeugung, dass die Heiligen schon jetzt Anteil an der Schau Gottes hätten, keineswegs folgt, dass dieses Jüngste Gericht lediglich „verbale, inane et firtiríum" sei 47 . Er setzte dabei Grundtatsachen des mittelalterlich-katholischen Glaubens voraus. Der dritte Satz etwa ist nur verständlich vor dem Hintergrund des Glaubens an die Realität des Fegefeuers: Gott gibt den Seelen noch eine Zeit zur Reinigung, und so gesehen erfolgt dann eben doch auch zwischen iudicium particulars und iudiäum universale eine reale Veränderung, eben die Reinigung der Seelen. Und die wichtigste Voraussetzung steckt dabei wohl in dem ersten Satz, der deutlich macht, dass tragende Uberzeugung der Glaube ist, dass das Ende der Zeit die leibliche Auferstehung bringen werde und erst damit das Eschaton erfüllt sei. Dieser Streitpunkt freilich hat wiederum einen weiteren Kontext, dessen Präsenz im visio -Streit bislang fast völlig übersehen worden ist. Ockham macht deutlich, dass die zeitliche Aussage auch anthropologische Implikationen aufweist: Erst die Ganzheit aus Leib und Seele ist Ziel des Erlösungswerkes, die vom Körper gelöste Seele bleibt auf eine größere, umfassendere Hoffnung angelegt, für deren Erfüllung sie auf die Ganzheit mit dem Leib angewiesen ist. Damit stehen nun gerade diese Ausführungen Ockhams in einer ganz erstaunlichen Kontinuität zu früheren Aussagen: Die Frage der Angewiesenheit der Seele auf den Leib war nämlich in der Tat alles andere als selbstverständlich. Die konsequenten Aristoteliker des 13. Jahrhunderts um Siger von Brabant hatten um die Frage gerungen, ob denn zwischen Seele und Leib eine substantielle Einheit bestehe 48 , und die Pariser Lehrverurteilung von 1277 hatte verschiedene Sätze aus diesem Kontext verurteilt. In „De dogmatibus Papae Johannis" sind zwar — anders als in anderen Texten Ockhams — keine wörtlichen Bezugnahmen auf diese Lehrverurteilungen zu finden, aber da das Gesamtceuvre Ockhams durchgehend von der durch diese Lehrverurteilung geschaffenen Situation geprägt ist 49 , ist dieser Kontext auch als Rahmen für seine Auseinandersetzung 46 47 48
49
Goldast (ed.), Monarchia (nt. 29), 750, 22 sqq. Ibid., 750, 37, textkritisch korrigiert. Zu der sich hier im Laufe der Jahre wandelnden Position Sigers cf. V. Leppin, Art. Siger von Brabant, in: Theologische Realenzyklopädie 31 (2000), 2 5 9 - 2 6 1 , 260. Leppin, Geglaubte Wahrheit (nt. 18), 8 4 - 8 8 passim.
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mit Johannes XXII. vorauszusetzen. Das gilt besonders für die Verurteilung der Lehre „Quod anima separata nullo modo patitur ab igne" in der 19. These 50 . In der Tat hatte auch Johannes, wie erwähnt, parallel zum Eingehen in die himmlische Herrlichkeit das Eingehen in die Höllenstrafen verworfen. Damit musste er in Ockhams Augen eben jene Irrtümer wiederbelebt haben, gegen die dieser zeitlebens gekämpft hatte — freilich offenkundig erkennbar mit ganz anderen Konsequenzen: Die leibliche Auferstehung, deren Leugnung die Pariser Lehrverurteilung von 1277 inkriminierte 51 , wollte Johannes durch sein Konzept gerade gesichert wissen. Ockhams Insistieren auf der Notwendigkeit leib-seelischer Einheit für die Fülle der Herrlichkeit war also weit mehr als ein ad hoc entwickelter, kirchenkonformer Konservatismus. Es handelte sich hier um die konsequente Folgerung aus seiner gesamttheologischen Auffassung, deren innerster Ansatz und Antrieb es ist, die Folgerungen aus dem Scheitern des konsequenten Aristotelismus zu ziehen: Ockhams auf kirchlichen Konsens ausgerichtete Position im fino-Streit behält auch hier erkennbar seine Handschrift. Im Streit um die visio beata ging es um grundsätzliche Fragen des Heils, um die Hilfe zur Erlangung des Heils. Nicht umsonst hieß es, dass wegen der Ansichten des Papstes „multorumtarn clerìcorum, quam laycorum, fuerant corda non mediocrìter conàtata"52. Konkreter gesprochen, prallten die gewichtigsten Mächte der Zeit aufeinander: Der Papst hatte ihn angestoßen, Kritik kam vom deutschen Kaiser wie vom französischen König. Die bedeutendste Universität des späten Mittelalters, Paris, war beteiligt 53 . Es ist aber nicht allein diese Brisanz für die Zeitgenossen, die es lohnend macht, einen Blick auf diesen Streit zu werfen. Wichtiger noch scheint, dass der Streit gerade im Gegenüber von Johannes XXII. und Ockham etwas spürbar macht von den Wandlungen, die der theologische Diskurs im frühen vierzehnten Jahrhundert erfuhr. Die bisherigen Ausführungen haben die auch in individuellen Motivlagen bedingten Unterschiede in der Argumentation beider Kontrahenten dargelegt. Und doch sollte am Ende eine auffällige Gemeinsamkeit nicht verschwiegen werden: Beiden, Johannes wie Ockham, ging es letztlich darum, die Freiheit Gottes zu wahren. Was bei Ockhams Lehre von der potentia absoluta in der Forschung immer wieder betont worden ist, dass hier Gott von den Zwängen, die die menschliche Vernunft ihm auferlegen will, befreit wird, ist auch im visio-Streit spürbar, gerade weil Ockham explizit oder implizit auf die potentia absoluta rekurriert. Doch das Merkwürdige ist: Genau besehen will ja auch Johannes XXII. Gott von Zwängen frei machen. So sehr sein eigentliches 50
51 52 53
K. Flasch (ed.), Aufklärung im Mittelalter? Die Verurteilung von 1277. Das Dokument des Bischofs von Paris (Excerpta Classica 6), Mainz 1989, 115. Ibid., 113. Chartularium Universitatis Parisiensis (nt. 25), 432 (n. 982). Zu den mit kaum einem anderen Fall vergleichbaren weiten Kreisen, die dieser Streit zog, cf. auch D. Douie, John XXII and the Beatific Vision, in: Dominican Studies 3 (1950), 1 5 4 - 1 7 4 , hier: 160.
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Motiv darin liegen mag, bislang unkontrollierte ekstatische Mystik unter Kontrolle zu bringen, so sehr zeigt sich in seiner juristischen Argumentation doch auch das Motiv, dass Gott dem in der individuellen Todesstunde gesprochenen Urteil gegenüber frei bleiben soll: Der Gott des Johannes behält sich den Richterspruch bis ans Ende der Welt vor, sein Jüngstes Gericht wird nicht zu einem fiktiven Verkündigungstribunal, sondern Johannes XXII. hält das wahre Gericht über Lebende wie Tote aufrecht. Der Mensch kann sich nicht Gott gegenüberstellen und auf schon Vollzogenes pochen, sondern der Mensch bleibt in der Hand des souveränen Gottes. So bleiben noch im Streit Ockham und der Papst aufeinander bezogen in einem Plädoyer für ein dynamischeres Gottesbild, und ihre Suche nach den besten Gründen für ihre jeweilige Position in der m/o-Frage ist auch eine Suche nach dem biblischen Gott, der eben kein ruhender Gott ist, sondern ein wirkender Gott.
X. Tod und Vollendung im Spätmittelalter
Von der meditatio mortis zur ars moriendi. Das Problem des Todes im Denken des Jean Gerson ROLF SCHÖNBERGER
(Regensburg)
I. Das Problem des Todes hat ein besonderes Verhältnis zum Selbstverständnis des Menschen. In der Geschichte der Menschheit wird das Nachdenken des Menschen über sich selbst wohl in nichts so früh deutlich wie darin, daß sich bereits aus ältesten Zeiten Zeugnisse der Bestattung finden. Der Grund hierfür scheint leicht verständlich: Das menschliche Bewußtsein vermag zu antizipieren. So ist der Gedanke des Todes der Möglichkeit nach auch dann präsent, wenn der Tod selbst gar nicht unmittelbar bevorsteht. Zugleich hat das Bewußtsein zwar seinerseits Grenzen, bezieht sich aber auch selbst auf solche und geht in diesem Bezug bereits über diese Grenzen hinaus — jedenfalls in gewisser Weise. Diese Überschreitung ist, wie Hegel gezeigt hat, sogar die Bedingung dafür, Grenzen überhaupt zu realisieren. Angesichts des Endlichkeitsbewußtseins ist es nicht zufällig, daß die griechische Dichtung die Menschen als „die Sterblichen" bezeichnet. Damit reiht sich der Mensch ein in das Schicksal alles Lebendigen. Insofern er dies aber auf bewußte und sprachliche Weise tut, ist er aus dieser Zuordnung auch wieder herausgenommen. Dieses Zwitterverhältnis scheint der Grund dafür, daß die Notwendigkeit des Sterbenmüssens und die Möglichkeit der Unsterblichkeit für die implizite Selbstdeutung des Menschen wie für sein ausdrückliches Nachdenken stets zwei Wege eröffnet haben: ein affirmativer Gedanke zu dieser seiner Endlichkeit und ein Gedanke zu dem, was an ihm nicht dem Untergang geweiht ist. Beides gründet ja im Denken, die Affirmation ebenso wie die Selbständigkeit geistigen Seins. Dieses ausdrückliche Nachdenken des Menschen über seine Verfaßtheit betrifft also die Frage, ob es mit seinem Dasein überhaupt eine Bewandtnis habe — und zwar darüber hinaus eine Bewandtnis habe, daß er dem Gesetz alles Lebendigen, entstehen und wieder untergehen zu müssen, unterworfen ist, und daß er vielleicht bloß tragischerweise davon ein Bewußtsein hat, welche Tragik ohne Bewußtsein nicht entstünde, aber zusammen mit dem Bewußtsein eben auch wieder verschwindet. Dieses Nachdenken hat seine grundsätzlichste und am stärksten an Regeln orientierte Form in der Philosophie gefunden. Insbesondere die Philosophie Piatons geht soweit, das Problem des Todes nicht einfach neben andere Themen
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des Nachdenkens zu stellen — Was ist Verstehen? Läßt sich ein normativer Sprachgebrauch begründen? Ist das Schöne auch das für den Menschen Zuträgliche? Worin besteht Gerechtigkeit? —, sondern die Philosophie geradezu als einen bestimmten Bezug auf den Tod zu definieren. Dies geschieht bekanntlich nicht irgendwo, sondern im Dialog „Phaidon", der zu denjenigen platonischen Dialogen gehört, in denen der Begriff der Philosophie auf eine bis dahin unerhörte Weise entfaltet wird. Dies zu beachten scheint mir wichtig, da das Nachdenken über den Tod oder andere Formen, sich dazu in ein Verhältnis zu setzen, ein Thema ist, dessen Gewicht man nur dann verstanden hat, wenn man seine einzigartige Stellung einzuordnen vermag. Die Philosophie realisiert sich als Selbstbestimmung. E s ist kein Zufall, daß das Menschsein und ebenso die Philosophie sich nicht ohne Selbstbestimmung realisieren lassen. Die Kraft, die sich darin manifestiert, macht es unmöglich, verschiedene Konzeptionen der Philosophie einfach aufzureihen. Eines der besonderen Kraftzentren ist zweifellos die platonische Philosophie. Im eben genannten Sinne ist sie nicht bloß ein Fall des bezeichneten Kulturphänomens Philosophie, sondern vielmehr ein Ort, an dem über dieses Phänomen selbst bestimmt wird. Die Dialoge der klassischen Zeit — „Symposion", „Phaidon", „Politela" — sind also Texte, in denen über die Tragweite und das Gewicht des philosophischen Denkens und Lebens etwas gesagt wird, dem man sich auch dann nicht entziehen kann, wenn man wie Nietzsche und Heidegger darin eine Verkehrung oder auch nur eine Schwundstufe der vorangegangenen Tradition sehen mag. Hierbei ist es nun von besonderem Interesse, daß zu den eigentümlichen Bestimmungen der Philosophie das neue Verhältnis zum Tod gehört. Erstmals geschieht hier eine begriffliche Bestimmung dessen, was Tod heißt. E r ist, so lautet Piatons bekannte Bestimmung, die Trennung der Seele vom Leib 1 . Schon darin, in der theoretischen Fassung des Phänomens, liegt eine Form der Distanzierung und damit ein erster Schritt zur Bewältigung. Zugleich aber setzt Piaton diese Bestimmung des Todes mit der Bestimmung der Erkenntnis selbst in ein Verhältnis, zu dem also, was die Philosophie insgesamt als Ziel erreichen zu können beansprucht. Denn eigentliche, d. h. verläßliche Erkenntnis gewinnt die Seele nicht durch die organgebundenen Wahrnehmungen der Seele, sondern nur „durch sich selbst" 2 . In der Erkenntnis geschieht also in dieser hochformalen Hinsicht genau das, was auch im Tode geschieht. Dies ist keine zufällige Analogie oder auch nur Exemplifizierung oder pikante Vergleichung. Denn nach beidem kann man streben; was dies aber jeweils heißt, wird jedoch normalerweise nicht für etwas gehalten, was eine solche Analogie zuläßt. Das besondere Interesse dieses Gedankens scheint mir darin zu liegen, daß nicht einfach eine Strukturbestimmung gegeben wird, eine zweite entworfen und 1 2
Phaidon 64 c. Phaidon 64 c; 65 c; 65 e.
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schließlich beide in eine konvergierende Beziehung zueinander gesetzt werden. Vielmehr werfen sie ein bezeichnendes Licht auf den nicht minder gewichtigen anschließenden Teil des „Phaidon", in dem drei Versuche gemacht werden, die Unzerstörbarkeit der Seele unter Beweis zu stellen. Dieses Problem gehört bzw. gehörte zu den Standardthemen der Philosophie und der philosophischen Interpretation: Läßt sich die Unsterblichkeit der Seele überhaupt beweisen? Sind die Argumente Piatons gültige Beweise? Wenn nicht, wußte Piaton um die mangelnde Beweiskraft? Wenn ja, welches Interesse verbindet Piaton damit, in seinem Dialog Argumente mit steigendem Anspruch vorzubringen, doch gleichzeitig um das Scheitern des Beweisanspruchs zu wissen, dieses Wissen im übrigen aber allenfalls nur anzudeuten? Alle Antwortvarianten haben ihre Vertreter und Verteidiger gefunden. Ein allzu forciertes Verständnis der Beweise hat jedenfalls den Nachteil, die Unzerstörbarkeit der Seele als eine quasi metaphysische Ausstattung des Menschen zu nehmen. Aber es geht ja Piaton keinesfalls um eine bloße Fortexistenz der Seele. Diese ist Gegenstand eines Strebens und kann daher (!) nur dann angemessen gedacht werden, wenn sie durch einen qualitativen Begriff erfüllt wird. Dies aber setzt voraus, daß über das Vorhandensein eines wirklich zielführenden Strebens noch gar nicht entschieden ist. Es gibt zwar laut „Symposion" ein der Seele spezifisches Streben nach Selbsterhaltung3, doch ist das Streben nach Erkenntnis im philosophischen Sinne nicht gleichfalls von Natur. Zwar haben alle Menschen auch das Seelenvermögen des Strebens nach Wahrheit 4 , aber inwieweit dies realisiert wird, ist damit noch nicht gesagt. Dieses Streben zu aktualisieren, ist eine eigene Aufgabe. Wodurch wird dies also motiviert? Eben dadurch, daß der Mensch als solcher ein Verhältnis zum Tod hat. Dies ist sowohl ein theoretisches wie ein praktisches Verhältnis. Denn die Praxis des richtigen Lebens ist als asketische Lebensform ebenfalls eine antizipierte Trennung vom Leibe, d. h. eine Emanzipation von seinen Bedürfnissen und seinen Begierden 5 . Das richtige Philosophieren enthält daher die μελέτη θανάτου 6 . Die Rezeptionsgeschichte dieses Gedankens ist viel seltsamer als die der Unsterblichkeitsbeweise im selben Dialog. Zunächst wurde dies eine Definition der Philosophie neben anderen 7 . In die mittelalterliche Tradition sind von diesem großen Gedanken Piatons nur rudimentäre Reste eingegangen. Bekanntlich wurde der „Phaidon" zwar von Henricus Aristippus (in Palermo 1156) ins Lateinische übersetzt. Doch ist — was bei solchen Übersetzungsprozessen immer zu be-
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Symposion 207 cd. Politela 580 d; 531c. Beide Gesichtspunkte kehren auch im Mittelalter wieder, etwa bei Thomas von Aquin, Summa contra Gentiles II, 79. Phaidon 80 e - 8 1 a; F. Schleiermacher übersetzt: „auf den Tod bedacht sein". O. Gigon (ed.), Cicero, Gespräche in Tusculum, München 31976, 476: „In den spätantiken Handbüchern gilt dies geradezu als eine der klassischen Definitionen der Philosophie schlechthin."
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achten ist — dies keine hinreichende Bedingung für die Rezeption. Dieser Text des Plato Latinus wurde extrem selten gelesen 8 . Allerdings ist die Bestimmung der Philosophie als Bedenken des Todes indirekt in die spätere Tradition eingegangen: In der Form der Durchführung geschieht dies in den Schriften Senecas 9 , in der Form der expliziten Bestimmung durch die Vermittlung Ciceros. In den „Disputationes Tusculanae" heißt es: „ Tota enimphilosophorum vita, ut ait idem [sài. Socrates], commentatìo mortis est. "10 Dies ist ein Grundbuch der europäischen Bildungstradition. Und doch ist es nicht ganz leicht, Spuren dieser Definition der Philosophie zu finden. Beim gegenwärtigen Erschließungsgrad mittelalterlicher Texte sind entsprechende Belege naturgemäß allenfalls zufällig geerntete Lesefrüchte. Im Physik-Kommentar des Roger Bacon aus den 1240er Jahren findet sich der entsprechende Gedanke sogar in Form einer ausdrücklichen Aufnahme der platonischen Wendung: „Plato in ,Fedrone' docet quodpropter hoc homo non debet studere nisi ad mortificaäonem vite presentís racionabiliter, ut sequatur aliam vitam, asserens quod philosophia est cura et sollicitude mortis, et in hoc concordant omnes philosophi perfecti, sicut in ¡Moralibus' exponetur."n In den vielen Einleitungen und Einteilungen der Philosophie sucht man jene Definition jedoch meist vergebens. Einzige Ausnahme scheint bislang die „Divisio scientiarum" des Arnulphus Provincialis. Dort heißt es: „Philosophia est cura, Studium et sollicitudo mortis, id est mortificatio carnalium desideriorum,"12 Damit nimmt Arnulphus eine Formulierung auf, die sich wörtlich bereits bei Dominicus Gundissalinus findet13. Auch in der Schrift „De eruditione principum", die ehedem unter den Opera des Thomas von Aquin gedruckt wurde, nach der Entdeckung ihres pseudoepigraphischen Charakters verschiedenen Autoren zugeschrieben wurde, seit längerem aber Wilhelm Peraldus zugerechnet wird, heißt es: „Piatonis est sententia, omnem sapientium vitam meditationem esse mortis, sapiens: summa philosophia est assidua mortis meditatio.'nA 8
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Thomas von Aquin hat ihn sicherlich nicht gekannt: R.-A. Gauthier, in: Sancti Thomae de Aquino Expositio libri Posteriorum I, 3, 4 0 - 5 0 (ed. Leon. I* 2, 15 ad locum). Cf. De brevitate vitae 15, 1. Disputationes tusculanae I, 75. Communia naturalia II, 5, 2 (ed. R. Steele, Oxford 1 9 1 3 [Opera hactenus inedita Rogerii Bacon, fase. 4], 128). Divisto scientiarum, ed. C. Lafleur, Quatte introductions à la philosophie au XIII e siècle, Montréal - Paris 1988, 310; zu diesem Autor, der dem Milieu der Artes-Fakultät in der Mitte des 13. Jahrhunderts zuzurechnen ist: R.-A. Gauthier, Arnoul de Provence et la doctrine de la fronesis, vertu mystique suprême, in: Revue du moyen âge latin 19 (1963), 1 2 9 - 1 7 0 . De divisione philosophiae, ed. L. Baur, Münster 1903, 7. - Darauf hat auch J. Pieper schon verwiesen: Tod und Unsterblichkeit [1967], jetzt in: Werke in acht Bänden, ed. B. Wald, Bd. V, Hamburg 1997, 2 8 0 - 3 9 7 ; hier 284. Wilhelm Peraldus, De eruditione principum III, 9; in: S. Thomae Aquinatis opera omnia VII, Stuttgart 1980, 101 b; zu dieser Schrift: M. Grabmann, Die Werke des Hl. Thomas von Aquin. Eine literarhistorische Untersuchung und Einführung, Münster 3 1 9 4 9 (= N D 1967), 403 sq.
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Eine nicht indirekt überlieferte, aber die platonische Verbindung des Philosophiebegriffs mit einem spezifischen Verhältnis zum Tod nur indirekt thematisierende Passage, die vielleicht deswegen bislang kaum in diesem Sinne Beachtung gefunden hat, findet sich auch bei Aristoteles. Viel zu sehr konzentriert auf die anscheinend unentwirrbare Passage in „De anima" über den intellectus agens und dessen Unsterblichkeit, ist in der bisherigen Forschung, so weit ich sehen kann, eine andere Passage in der „Nikomachischen Ethik" weitgehend unbeachtet geblieben. In dem in anderem Zusammenhang durchaus berühmt zu nennenden Text über das theoretische Leben heißt es: „Ist nun der Geist im Vergleich mit dem Menschen etwas Göttliches, so muß auch das Leben nach dem Geiste im Vergleich mit dem menschlichen Leben göttlich sein. Man darf aber nicht auf jene Mahnung hören, die uns anweist, als Menschen nur an Menschliches und als Sterbliche nur an Sterbliches zu denken, sondern wir sollen, soweit es möglich ist, uns bemühen, unsterblich zu sein und alles zu tun, um nach dem Besten, was in uns ist, zu leben." 1 5 Was hier der Übersetzer Gigon mit „unsterblich zu sein" wiedergibt, lautet im Griechischen άθανατίζειν. Es handelt sich dabei um ein extrem seltenes Wort; nur bei Herodot kommt es vorher, aber in ganz anderer Bedeutung, vor 1 6 . Interessant ist aber darüber hinaus, daß Aristoteles hier von einer Bemühung um Unsterblichkeit spricht. Eine vielsagende Parallele zu dem, was wir zuvor bei Piatons „Phaidon" herausgearbeitet haben. Robert Grosseteste hat in seiner Gesamtübersetzung der „Nikomachischen Ethik" diesen Ausdruck mit immortakm facere wiedergegeben. Was aber sagen die Kommentatoren dazu? Thomas schließt sich in seinem Kommentar der aristotelischen Kritik an Simonides, die er auch in der „Metaphysik" geübt hatte, an. Aber warum sollen Sterbliche nicht bloß Sterbliches (man denke auch an das Bacon-Motto in Kants „Kritik der reinen Vernunft") denken: „homo debet intendere ad immortalitatem quantum potest, et secundum totum posse suum facere ad hoc quod wvat secundum intellectum, qui est optimum eorum quae sunt in homine, qui quidem est immortalis et divinus."xl Dieses debet intendere ist deshalb so interessant, weil Thomas ebenso wie Piaton 1 8 und Aristoteles 19 davon ausgeht, daß alles Lebendige nach Dauer strebt. Wieso dann noch diese Sollen? Der Mensch hat vielfältige und mitunter auch einander entgegengesetzte Bestrebungen. Dies ist der Grund für und die Wahrheit des Dua-
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Ethica Nicomachea X, 7 ( 1 1 7 7 b 3 0 - 3 4 ) . - Eine eigene Untersuchung verdiente in diesem Zusammenhang die pseudo-aristotelische Schrift „De pomo". F. Dirlmeier (ed.), Aristoteles, Nikomachische Ethik (Aristoteles. Werke in deutscher Ubersetzung 6), Darmstadt 8 1983, 592. Sententia libri Ethicorum X, 11 (ed. R. M. Spiazzi, Turin 1949, n. 2107; ed. Leon. XLVII/2, 588, 1 1 5 - 1 1 9 ) . Symposion 207 cd. De anima II, 4 ( 4 1 5 a 2 5 - b 2 ) : „Denn dies ist die naturgemäße Leistung für die Lebewesen [...]: nämlich ein anderes hervorzubringen wie sie selbst, das Tier ein Tier, die Pflanze eine Pflanze, damit sie, soweit sie es vermögen, am Ewigen und am Göttlichen teilhaben. Denn danach strebt alles und um dessentwillen handelt alles, was seiner Natur gemäß handelt."
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üsmus. Unsterblich in diesem qualifizierten Sinne meint also, sich an dem zu orientieren, was im Menschen schon gottähnlich, d. h. unsterblich ist. Ahnliches gilt auch für Albertus Magnus, jedenfalls in seinem späten Ethik-Kommentar 20 . Es ist demgegenüber eigentümlich, daß in den Texten der Artes-Fakultät, soweit diese gewaltigen Textmassen überhaupt in edierter Form zugänglich sind, diese Tradition so gut wie keine Rolle spielt — weder in dem berühmten kleinen Essay von Boethius von Dacien, „De summo bono" 21 , noch in der erst seit anderthalb Jahrzehnten erschlossenen Philosophie-Eloge des Aubry de Reims 22 . Auch bei einem der berühmtesten maestri der Artes des 14. Jahrhunderts, Johannes Buridan, scheint das Problem des Todes keine theoretische Rolle zu spielen. Aus diesem Fragenkreis rückt das Problem der Unsterblichkeit der Seele ganz in den Vordergrund, doch behandeln dieses ja ebenfalls die magistri der theologischen Fakultät. Auch die Verurteilung von 1277 betrifft eher skeptische Äußerungen. Nirgendwo scheint das Ethos, wenn auch in noch so modifizierter oder transformierter Form, spürbar zu werden, welches die platonische Philosophie ausgemacht hat 23 . Das Thema des Todes wandert aufs Ganze gesehen also aus der Philosophie aus, ohne daß es in der Theologie des 13. und 14. Jahrhunderts ganz angekommen wäre. Die großartigsten Theologiekonzeptionen sind fast ausnahmslos in anderen Hinsichten interessanter und substantieller als mit Bezug auf das Thema des Sterbens. Eine wichtige Ausnahme liegt allerdings in der Trostschrift Meister Eckharts. 20
Ethica X, 2, 3 (ed. Borgnet VII, 628 a): „Quinimo omni mortali contingit et expedit immortale aliquid facere de seipso, et convertit homini omnia sua facere et referre ad illud vivere quod convenit ei secundum optimum quod est in ipso. Hoc autem, sicut saepe ante diximus, est secundum intellectum adeptum, quem adipisatur in seipso, molem corporis excedens et subjiäens"·, die große Auslegung aus der frühen Zeit seiner Aristoteles-Kommentare („Super Ethica") übergeht diese Stelle: X, 13 n. 911 (ed. Col. XIV/2, 762 sq.). Der nämliche Befund in Gerald Odonis Kommentar zur Nikomachischen Ethik — „wahrscheinlich noch vor 1329" (G. Heidingsfelder, Albert von Sachsen, Sein Lebensgang und sein Kommentar zur Nikomachischen Ethik des Aristoteles [Beiträge zur Geschichte der Philosophie im Mittelalter XXII/3-4], Münster 1921, 51): Sententia et expositio cum quaestionibus Geraldi Odoni super libros Ethicorum Aristotelis X, 11, Venedig 1500, f. 189rb-189ra. - Der von diesem Kommentar stark beeinflußte Kommentar des Johannes Buridan ist unvollendet geblieben und nicht mehr bis zur fraglichen Stelle gediehen.
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Boethius von Dacien, De summo bono, ed. N. G. Green-Pedersen (Corpus Philosophorum Danicorum Medii Aevi VI/2), 3 6 9 - 3 7 7 . Aubry de Reims, Philosophia, ed. R.-A. Gauthier, in: Revue des sciences philosophiques et théologiques 68 (1984), 2 9 - 4 8 . Bei Siger von Brabant findet sich als Schlußwort seiner Schrift über die Geistseele in umgekehrtem Sinne die berühmte Formulierung des Intellektuellenbewußtseins, für das ein Leben ohne Wissenschaft der Tod (des Verstandes, also des Menschen) sei: De anima intellectiva, c. 9 (ed. B. Bazán, Louvain 1972, 112): „Sed qualiter tunc debeat intelligi quod sáentia est qualitas de prima speáe qualitatis in praedicamentis, vigiles et studeas atque legas, ut ex hoc dubio ßbi remanente exáteris ad studendum et legendum, cum vivere sine litteris mors sit et vilis hominis sepultura. " Der Text wird allgemein in die Jahre 1273/74 datiert: der Editor B. Bazán, 77*; F. Van Steenberghen, Maitre Siger de Brabant, Louvain - Paris 1977, 218; F.-X. Putallaz/R. Imbach, Professione Filosofo. Sigeri de Brabante, Milano 1998, 64.
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An dieser Lage ändert sich im übrigen nicht so schnell etwas. Auch bei den wichtigsten Philosophen der Neuzeit würde man kaum Belege für den Gedanken finden, daß der Tod nicht bloß ein Thema der Philosophie ist, sondern die Sorge darum das Philosophieren selbst kennzeichnet. Allerdings gibt es Ausnahmen. Bei einem philosophischen Schriftsteller wie Michel de Montaigne findet man durchaus dergleichen: „Que philosopher c'est apprendre à mourir." 24 Nicht zufällig kehrt das Thema auch in der Existenzphilosophie des 20. Jahrhunderts wieder. In der Sammlung von Rundfunkvorträgen mit dem Titel „Einführung in die Philosophie" schreibt Karl Jaspers im Kapitel über „Philosophische Lebensführung", es sei der Sinn jener besonderen Augenblicke, in denen der Mensch gleichsam zu sich heimkehrt, daß der Mensch eine Grundhaltung gewinnt, „die hinter allen Stimmungen und Bewegungen des Tages noch gegenwärtig bleibt, bindet und bei Entgleisungen, Verwirrungen, Affekten doch nicht ganz ins Bodenlose sinken läßt [...] Dann ist Philosophie ineins Lebenlernen und Sterbenkönnen [...] Wenn Philosophieren Sterbenlernen ist, so ist dieses Sterbenkönnen gerade die Bedingung für das rechte Leben. Lebenlernen und Sterbenkönnen ist dasselbe." 25
II. Wenn aber unsere eingangs skizzierten Überlegungen zutreffen, dann kann es sich beim Verhältnis des Menschen zu seinem Tode oder zum Tode nicht um ein beliebiges, sondern muß sich vielmehr um ein integrales Moment seiner Selbstdeutung handeln. Es kann also auch nicht Gegenstand eines bloß beliebigen Interesses sein. Die Weise der Realisierung dieses Interesses hängt hingegen zweifellos mit jeweils historischen Bedingungen zusammen. Wenn es sich also um eine „Systemstelle" handelt, dann kann man erwarten, daß sich das Thema an einem anderen Ort und/oder auf andere Weise wieder geltend macht. Dies läßt sich naturgemäß nicht prognostizieren. Um einen solchen Fall handelt es sich nun bei der „Ars moriendi" des Jean Gerson. Dieser berühmte Kanzler der Universität Paris hat sich mit bewundernswertem Erfolg bemüht, in kirchenpolitisch hochkomplizierten Zeiten — ein nahezu vierzigjähriges Schisma —, in religiös aufgewühlten und nervösen Zeiten, einer politischen
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Essais I, 20 (ed A. Thibaudet, Paris 1933, 93 sqq.). Einführung in die Philosophie, München 1971, 95 sq. Nur den Titel gemein hat der Essay von W Kamiah, Meditado mortis, Stuttgart 1976. In als einschlägig vermuteten historischen Darstellungen fehlt dieser Aspekt der Wirkungsgeschichte ganz: G. Scherer, Das Problem des Todes in der Philosophie, Darmstadt 1979; J. Choron, Der Tod im abendlänischen Denken, Stuttgart 1967. In systematischer Hinsicht im beschränkten Rahmen eines Vortrages habe ich selbst einen ersten Versuch unternommen: Ars moriendi. Kann man das Sterben lernen?, in: Politische Studien nr. 340, 46 (1995), 5 - 1 5 .
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Lage in Frankreich voller Spannungen und Blut, einen klaren Kopf und einen aufrechten Gang zu bewahren. In vielen kleineren und größeren Kontroversen zeigt sich Gerson als ein Mann der Besonnenheit und der Urteilskraft. Auf dem Konzil von Konstanz war er einer der führenden Männer; schon vorher hat er in Avignon in einer Predigt vor dem Papst versucht, diesen zum Rücktritt zu bewegen, um das Schisma zu beenden. Durch die blutigen Auseinandersetzungen im zweiten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts konnte Gerson nicht mehr nach Paris zurück; gleichwohl blieb Gerson nominell noch bis zum Ende seines Lebens Kanzler der Pariser Universität. Gerson war ein Kämpfer gegen das Hussitentum; er hat die Brüder vom gemeinsamen Leben gegen die Bettelorden verteidigt; er war ein Kritiker des Jan van Ruusbroec ebenso wie des Rosenromans, ein Kämpfer gegen abergläubische Praktiken ebenso wie ein Skeptiker gegenüber Privatoffenbarungen (gegen Brigitta von Schweden und sogar gegen Katharina von Siena war er sehr vorsichtig; als einer der ganz wenigen Pariser Theologen hat er aber geraten, Jeanne d'Arc zu vertrauen). Gerson war ein Kopf mit besonderer Sensibilität für die Probleme und — alles andere als herabziehend und trivialisierend gemeint — die Nöte seiner Zeit 26 . Sein umfängliches Werk umfaßt daher eine Vielzahl kleinerer Abhandlungen zu sehr konkreten Problemen und viele davon haben eine ungeheure Resonanz gefunden; die Editionen seiner Werke sind, so hat Z. Kaluza geurteilt, „unzählbar". Unter vielen größeren und kleineren Schriften hat eine besondere Furore gemacht: die „Ars moriendi". Rainer Rudolf hat in seiner Standardarbeit „Ars moriendi" geurteilt: „Den Hauptanstoß zu der neuen Literaturgattung, die unter dem Titel Ars moriendi in unzähligen lateinischen, deutschen, französischen etc. Hss. aufscheint, gab der Reformpriester Johannes Gerson mit seinem Opus tripartitum, dessen dritter Teil, De arte moriendi, als Ganzes, mehr noch aber in einem oder anderen seiner vier Teile seine Wanderung durch die späteren Sterbebüchlein gemacht hat." 27 Wer nun allerdings in den gängigen Werkverzeichnissen oder den Gesamtausgaben nach dieser Schrift sucht, ist irritiert. Weder die „Opera omnia" von L. Ellies du Pin noch die von Palémon Glorieux herausgegebenen „Œuvres complètes" enthalten ein Werk dieses Namens 28 . Wenn A. Angenendt trotzdem davon gesprochen hat, daß Gersons Schrift der gesamten Gattung „den Namen" 29 gegeben hat, so muß zu diesem Text vor der inhaltlichen Interpretation noch einiges in formaler Hinsicht gesagt werden. Das „Opus tripartitum" umfaßt drei ursprünglich selbständige Werke: 26
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Cf. S. Grosse, Heilsungewißheit und Scrupulositas im späten Mittelalter, Tübingen 1994, bes. 2 1 5 sqq. R. Rudolf, Ars moriendi. Von der Kunst des heilsamen Lebens und Sterbens, Köln — Graz 1957, 65 sq. Jean Gerson, Opera omnia, ed. E. du Pin, 4 Bde, Antwerpen 1706 [= DP]: Œuvres complètes, ed. P. Glorieux, 10 Bde., Paris 1 9 6 0 - 1 9 7 3 [= G]. Α. Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 1997, 663.
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„De praeceptis Decalogi" (DP I, 427-442) = „Le miroir de l'ame" [Op. 312] (G VII, 193-206); - „De confessione" (DP I, 442 - 447) = „Examen de conscience sur les sept péchés capitaux" [Op. 330] (G VII, 393-400); - „De scientia mords" (DP I, 447-450) = „La médecin de l'âme" [Op. 332] (G VII, 404-407). Diese Schriften hat Gerson ursprünglich in französischer Sprache verfaßt, sie dann aber selbst ins Lateinische übertragen. Ihnen geht noch ein lateinischer Begleitbrief an einen nicht mehr identifizierbaren Bischof voraus (DP 1,425-426). Zu diesem Themenkomplex gehören aber noch einige weitere kleine Schriften aus dem weit über 400 Werke umfassenden Œuvre Gersons. Eine „Brevis instructio ad senem quomodo se ad mortem praeparat" [Op. 19; vor dem 14. September 1404, dem Todestag seines Vaters, an diesen gerichtet] (DP III, 275-276; G II, 76 — 77), ein „Testamentum quotidianum peregrini" [Op. 400; Sept. 1404 oder erst 1428] (G VIII, 5 — 9), ein „Tractatus de consolatione in mortem amicorum" (DP III, 345 — 353) = „Explicado hujus sententiae ,Fiat voluntas tua' " = „Proesme de la consolation sur la mort des amis" [Op. 299; nach Glorieux in Lyon 1428 verfaßt als Einleitung zu dem bereits 1402/03 verfaßten Traktat] (G VII, 5 7 - 6 2 ) und schließlich „La danse macabre" [Op. 319; enstanden ca. 1423] (G VII, 286 — 301); auch Gerson verwendet das Wort „macabre" bereits als Adjektiv, während 1376 der Dichter Jean le Fèvre, das Wort als Eigenname verwendend, noch sagen konnte: „Je fis de Macabré la dance" — „Ich schrieb den Tanz des Macabré". 30 Ferner ist zu nennen die „Méditation de la mort" [Op. 319 a; vor 1401 entstanden, dann in die Abhandlung „Mendicité spirituelle" (G VII, 269 — 272) aufgenommen]. Gersons Gedanken zum Problem des Todes und des Sterbens nun auch inhaltlich zu charakterisieren, ist keine ganz leichte Aufgabe. Dies aber nicht etwa deswegen, weil sie so originell oder ausgefallen wären, daß sie sich nur schwer in eine bekannte Kategorie einordnen ließen. Genau das Gegenteil ist der Fall. So gut wie alle Gedanken und Gesichtspunkte sind dem Leser geläufig. Aber mir scheint, gerade darin steckt das Besondere. Gerade die ausgefallene und spektakuläre Theologie ist für Gerson ein Krisensymptom. Sie werde besonders deutlich an der sprachlichen Originalität, die aber in Gersons Augen zu leicht zu dogmatischen, besonders aber zu kommunikativen Schwierigkeiten führt. Dies war deshalb sein Hauptkritikpunkt am Lullismus. Wie wichtig ihm dieser Gesichtspunkt ist, läßt sich an der Häufigkeit und Eindringlichkeit der Stellen belegen, an denen er darauf zurückkommt. Die Theologie soll sich zwar durchaus eine schulmäßige Form geben; man sollte es vermeiden, wie Huizinga es im Blick auf Gerson ausgedrückt hat, „die Mystik auf die Straße zu bringen" 31 . Insbesondere Jan van Ruusbroec macht er den Vorwurf, einen Kult der Un30 31
J. Huizinga, Herbst des Mittelalters [1941], ed. K. Köster, Stuttgart 1975, 199. Ibid., 273.
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mittelbarkeit zu betreiben. Andererseits ist eine Theologie, die sich in rein innertheologische und in diesem Sinne theoretische Probleme versteigt, durch ihre Trennung von den Interessen der einfachen Gläubigen zur Sterilität und Nutzlosigkeit verurteilt. Dem sucht Gerson entgegenzusteuern. Etienne Gilson hat wohl ganz richtig gesehen, wenn er zur Beschreibung von Gersons Bemühungen die Kategorie der Therapie, nicht die der Konzeption, der Theoriebildung, heranzieht32. An einer Vielzahl von kleinen Abhandlungen zu spirituellen Fragen seiner Zeit läßt sich das belegen. In seinem großartigen Buch über Gersons Trostschrift ist Mark S. Burrows Gilson darin gefolgt 33 . Das Problem des Todes ist nur eines davon. Mir scheint, man muß Gersons Interesse vor diesem Hintergrund betrachten. Zunächst würde man wohl eher an eine der dramatischsten und fürchterlichsten Erfahrungen des 14. Jahrhunderts denken: die Pest. Aber die Große Pest lag doch schon einige Zeit zurück, als Gerson am 14. 12. 1363 geboren wurde; allerdings hat er es mit ihren Ausläufern auf seiner — deswegen abgebrochenen — Romreise noch zu tun bekommen. In seinen Schriften lassen sich solche Anknüpfungspunkte und Motive allerdings nicht feststellen. Man wird vielleicht darauf hinweisen, daß Gerson sich als am Ende der Zeiten befindlich empfunden hat 34 . Aber diese Empfindung teilt er mit sehr vielen Gestalten des Mittelalters. Gerson interessiert beim Problem des Todes nicht die begriffliche Analyse, schon gar nicht die Frage der Unsterblichkeit und deren Beweisbarkeit. Er geht vielmehr von den Affekten aus, welche die Erfahrung des Todes begleiten: Trauer, Angst. Wenn die Vernunft diese nicht mehr aufzuheben oder zu bessern vermag - was dann? Gerson spricht in der Tat von der Kunst des Sterbens bzw. der sàentìa mortis·, an einen nicht identifizierten Adressaten schreibt Gerson den zitierten Brief als Begleitschreiben zu jener kleinen Abhandlung, deren Zweck Gerson ausdrücklich in diesem Sinne charakterisiert: „quemjampridem feci ad addiscendum bene mori" (DP III, 276 C). Der Tod wird also nicht primär als biologisches Phänomen betrachtet, sondern als etwas, das besser oder schlechter gelingen kann. Man kann gut oder schlecht sterben. Die Vorstellungen, die sich mit einem guten oder schlechten Tod verknüpfen, sind natürlich nicht mehr in jeder Hinsicht auch die der Moderne. Opfer der Todesstrafe zu werden oder ertrinken zu müssen, ist gewiß ein schlechter Tod. Aber selbst dies ist nicht einfach Schicksal. Gerson rät dringend zum Gebet, vor einem solchen Tod bewahrt zu bleiben. Noch sehr lange hat bekanntlich auch die Furcht des mittel32 33
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History of Christian Philosophy in the Middle Ages, New York 1955, 529. M. S. Burrows, Jean Gerson and De Consolatione Theologiae (1418). The Consolation of a Biblical and Reforming Theology for a Disordered Ages (Beiträge zur Historischen Theologie 78), Tübingen 1991, V De distinctione verarum revelationum a falsis, G III, 37 sq.: „Et in hanc quaestionem sáens inrídi propter iIlusiones plunmas quas nostro tempore cognovi contigisse; quas etiam in hoc senio seculi, in hac hora novissima, in praecursore Antichristi, mundus tamquam senex deliras, phantasias plures et illusiones somniis similes pati habet, et multi dicent: Ego sum Christus. "
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alterlichen Menschen angehalten, eines plötzlichen Todes sterben zu müssen. Dies ist ein Tod, der keine Aktivität mehr erlaubt, und sei es die der Affirmation des Unausweichlichen in der Zukunft oder die der Reue über schuldhaftes und nicht mehr ungeschehen zu machendes Handeln in der Vergangenheit. Beides sind Aktivitäten des Bewußtseins. Es ist häufig bereits die Merkwürdigkeit hervorgehoben worden, daß diese Einstellung sich mittlerweile ins genaue Gegenteil verkehrt hat. Heute wollen sehr viele Menschen nicht nur eines von physischen Schmerzen freien Todes sterben — dies ist ja nur natürlich —, sondern überhaupt den Schmerz, der mit diesem Abschied verbunden ist, vermeiden. Dies kann man nur, wenn der Tod ohne Bewußtsein eintritt. „Er hat nichts gespürt", hört man vielfach erleichtert sagen. Wenn Uberzeugungen und Einstellungen zu fixen psychischen Größen werden, dann verlagert sich die Aktivität, die in aller Erkenntnis, Bewußtseins formung und Selbsterziehung aufgebracht werden muß, ganz in das äußere Machen. Dies treibt die Entgegensetzung von völliger Passivität im erwünschten Sekundentod und aktiver Sterbehilfe hervor 35 . Die sowohl in der platonischen Philosophie wie in der gersonischen Theologie gemachte Voraussetzung ist gerade umgekehrt: Aus der richtigen Einstellung zum Tode ergibt sich erst die richtige Einstellung zum Leben. Beides enthält keine Garantie seines Gelingens. Aber beider Gelingen ist miteinander verbunden. So sehr der Tod eine natürliche Notwendigkeit ist und so sehr er für den Menschen die äußerste Passivität bedeutet, so sehr bemüht sich die „Ars moriendi" doch darum, darüber die verbleibenden Möglichkeiten der Aktivität, der Selbstbestimmung, nicht aus den Augen zu verlieren. Am Ende sind diese Aktivitäten nur noch solche des Bewußtseins. Aber was heißt hier „nur"? Das Verbundensein beider Gelingen liegt darin begründet, daß der Tod keine künftige Gefahr darstellt, von der nur das Daß ihres Eintretens gewiß — und zwar in höchstem Maße gewiß — ist, nicht aber der Zeitpunkt. Gerade weil dieser Zeitpunkt nicht gewiß ist, handelt es sich um eine gegenwärtige Möglichkeit. Die schon und angeblich erstmals in einer lateinischen Antiphon bei Notker Balbulus (830 — 912) greifbare Sentenz „Media vita in morte sumus" kehrt auch bei Gerson wieder 36 . Zu unterstreichen ist hier aber in kategorialer Hinsicht insbesondere, daß erstens auch hier ein Unterschied des Gelingens und Mißlingens gemacht wird, und daß zweitens die Form der Beurteilung und der Grund des Gelingens — vom tatsächlich rein schicksalhaften abgesehen - in einer Kunst, in einem Wissen also, liegt. Dieses „Wissen" erzeugt Gerson in der Form von Betrachtungen; auch von Fragen, durch deren Beantwortung man sich der rechten Einstellung versichert. Es geht aber tatsächlich um eine Einübung; diese macht sich den
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R. Spaemann, Personen. Versuche über den Unterschied zwischen ,etwas' und .jemand', Stuttgart 1996, 131: „Der heute oft geäußerte Wunsch, plötzlich tot umzufallen, steht im Widerspruch zu dem Wunsch nach einem Tod als personalem Akt." Super quotidiano peregrini testamento, G V i l i , 5.
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Nutzen jedes Könnens zunutze, nämlich keine Angst mehr vor dem Tun zu haben. Gerson zitiert sogar aus der Schrift über das Kriegswesen des Vegetius, die man aber auch sonst bei den mittelalterlichen magistri, etwa Thomas von Aquin, mitunter zitiert findet: „Nemo enim secundum Vegetium ita timet facere quod se novit bene didicisse."37 Der Tod ist nicht nur das Ende des eigenen Lebens. Wir erfahren ihn an anderen. Schon über den Tod der nahen Freunde soll die Klage nicht maßlos sein. Wie in allem soll man auch hier den Willen Gottes sehen. Das menschliche Wollen hat sich dem göttlichen anzugleichen. Die Ergebung in den göttlichen Willen müßte als Trost eigentlich schon ausreichen. Gerson zitiert sogar Seneca: „Placeat homini omne quod Deo placet, non ob aliam causam, nisi quia ei placet. Hoc est", fáhrt Gerson fort, „notabile dictum ab homine, qui Christianus non erat.,"38 Mit Hieronymus weist Gerson darauf hin, daß sich der Glaube an die Auferstehung auch in der Form, d. h. der Art und dem Intensitätsgrad der Trauer zur Geltung bringen müsse. Die Ergebung in den göttlichen Willen ist auch Thema einer eigenen kleinen Abhandlung über die dritte Vater-unser-Bitte, die Gerson den neun Trostbetrachtungen hinzufügen wollte (DP III, 353 C): „Debet itaque esse verbum hoc finis et meta omnium orationum nostrarum et omnium necessitatum nobis supervenientium." Trotz der bekannten Nähe Gersons zum (philosophischen) Nominalismus ist er von einem „voluntaristischen" Willensbegriff weit entfernt. Diese Betrachtung über den Verpflichtungscharakter des göttlichen Willens steht an erster Stelle. Aber Gerson will es nicht im Ernste dabei belassen. Denn der göttliche Wille ist kein blinder, sondern eine Bestimmungsmacht, die ihrerseits durch Gründe bestimmt ist. Alles, was dem Menschen angehört, ist ihm durch den Schöpfer verliehen worden. Er fordert also nur das zurück, was ohnehin eigentlich ihm gehört. Diese Anerkennung hat ihren klassischen Ausdruck in dem berühmten Hiob-Vers gefunden: „Dominus noster omnia dedit et omnia aufert..." Zudem kann man wissen, daß ein Menschenwesen nicht auf Dauer in der Welt existieren kann. Wir sind, auch dies ja ein uralter, schon stoischer Gedanke, nur im Exil. Für Gerson ist dies ein zentraler Gesichtspunkt. In seinem an Boethius angelehnten „De consolatione theologiae" 39 wird die Hauptperson des Dialoges ebenfalls als peregrinus bezeichnet. Dieses Bild faßt aber nur die Vorläufigkeit der menschlichen Existenz. Entscheidend ist die Rückkehr in die eigentliche Heimat, nicht so sehr die Dauer des Aufenthaltes. Wesentlich ist der Entscheidungscharakter dieses Aufenthaltes. Von ihm hängt ab, ob es eine Rückkehr in diese Lebensform der Einheit mit Gott gibt, oder ob sich die Entfremdung vom göttlichen Willen in diesem Leben zu einer radikalen und unwiderruflichen Gottesferne auswächst. 37 38 39
Super quotidiano peregrini testamento, G Vili, 6. Tractatus de consolatione in mortem amicorum, DP III, 346 Β. Cf. R. Schönberger, Trost im Gespräch. Zum Dialog De consolatione theologiae des Jean Gerson, in: K.Jacobi (ed.), Gespräche lesen. Philosophische Dialoge im Mittelalter, Tübingen 1999, 379-406.
Von der meditatio mortis zur ars
monendi
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Gerson greift natürlich auch den alten Gedanken auf, daß das Glück dieses Lebens ja auch nur zu leicht überschätzt wird. Eine realistische Bilanz würde es dem Menschen doch sehr erleichtern, von diesem Leben mit seinen fürchterlichen Wechselfällen Abschied zu nehmen. Wir sollten daher die Toten nicht zu sehr beweinen. Aber spricht nicht sogar das Beispiel Jesu dagegen, der doch den Bruder der Maria Magdalena ebenfalls beweint? Doch sagt Gerson wiederum mit Hieronymus, Jesus beweine vielmehr die Rückkehr des Lazarus in dieses leidvolle Leben als seine Abscheidung davon: „tristis erat de Labaro, non quia mortuus erat, sed quia ad hanc vitam revertí debebat. Prolavit, quia propter assistentes compellebatur bonum suum amicum a requie revocare ad laborem. Lachiymae tuae non assimilantur suis, nec amor amicorum tuorum Uli quem ipse habebat amorem. Ν olebat bonum suum amicum reducere ad hujus mundi poenas."AÇ> All dies sind aber nur allgemein bleibende Überlegungen. Diese schließen den Einzelfall in seiner Konkretheit ja nicht notwendig ein. Gerson kann, dies scheint mir völlig vernünftig, nicht den Sinn einzelner Schicksale transparent machen. Es muß dies eine Sache von Vertrauen oder Mißtrauen, nicht von Wissen oder Unwissenheit sein. Gerson appelliert daher an das Vertrauen des Menschen in Gott, daß er das, was ihm letztlich zuträglich ist, will und vollbringt. Umgekehrt machen wir bei uns selbst die Erfahrung, durchaus gegen unser wohlverstandenes Interesse zu handeln. Die Skepsis, die wir gegenüber unserer eigenen Selbstbestimmung immer haben müssen, hat hingegen bei Gott keinen Platz. Dieses Vertrauen muß durch keine Erfahrung erschüttert werden. So schrecklich manche Todesschicksale sind — plötzlicher Tod (DP III, 347 D: „unus moritur subito"), Tod auf dem Schlachtfeld, Ertrinken, Erhängtwerden — von keinem kann man wissen, welches endgültige Schicksal damit verbunden sein wird. Nicht der Tod als solcher, auch nicht die Art des Todes als solche, sondern lediglich die endgültige Verdammnis wäre ein Grund zur Verzweiflung: „Ideo de nullo est desperandum, nisi ejus damnatio fuerit manifesta."41 Trauer und Tränen sind, so argumentiert Gerson im Blick auf die drei Schicksalswege nach dem Tod, ganz unnütz: Geht der Mensch unmittelbar ins Paradies — dies dürfte nur Anlaß zu reiner Freude sein. Ist sein Schicksal die Hölle — aber auch dies kann man natürlicherweise gar nicht wissen —, müßte auch dies zum Anlaß werden, das göttliche Gericht anzuerkennen. Wenn er aber ins Purgatorium kommt, bedarf er unserer Gebete, und nicht der Tränen. Die wichtigste Relativierung des Todes besteht wohl darin, daß nicht die Scheidung von der Welt, sondern die Ent-scheidung über das Leben damit verbunden ist. Auf der anderen Seite aber ist der Tod zwar eine ungeheure Unausweichlichkeit und von einer unübertreffbaren Gewißheit 42 , doch ist gerade die 40 41 42
Tractatus de consolaüone in mortem amicorum, DP III, 347 BC. Tractatus de consolatione in mortem amicorum, DP III, 348 A. Super quotidiano peregrini testamento, G VIH, 7: „nihil est morte certius." — Während Heidegger in „Sein und Zeit" die Besonderheit der Gewißheit des Sterbenmüssens wenigstens kurz erörtert hat, spielt dieses Thema in Wittgensteins Notizen „Über Gewißheit" gar keine Rolle.
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Antizipation dieser Notwendigkeit die Chance, sich darauf einstellen zu können. Genau diese Einstellung, die sich in der Regulierung des Lebens manifestieren muß, gibt aber auch Hoffnung für das Jüngste Gericht. Dies geht natürlich einher mit einer bestimmten Einschätzung des Lebens. Alle Ratschläge wären ganz sinnlos, wenn sie an Menschen gerichtet wären, die schlechthin dieses Leben lieben; diesen könnte man nicht einsichtig machen, sich auf ein anderes vorzubereiten. Die vita aeterna ist aber vielmehr dasjenige Leben, das die tiefsten Sehnsüchte des Menschen eben doch erfüllt: „... in exitu vitam aeternam quae patria est, ad quam suspiro; quam desidero et desiderare concupisco."43 Dieses Streben muß daher einhergehen mit einer Relativierung aller vorläufigen Güter. In der Predigtrhetorik des Mittelalters ist dies das Thema contemptus mundi. Dies kann sich von einer dualistischen Weltverachtung nur dann unterscheiden, wenn es im Blick auf das Problem der Todesbewältigung formuliert ist und nicht einfach eine Verteufelung irdischer Güter meint. „Keine Zeit hat mit solcher Eindringlichkeit jedermann fort und fort den Todesgedanken eingeprägt wie das fünfzehnte Jahrhundert. Unaufhörlich hallt durch das Leben der Ruf des Memento mori." 44 Huizinga hat dies wohl zu Recht ganz kritisch gesehen. Denn der Tod wird in der Bilder-Ars und den Totentänzen nur noch unter einem Aspekt betrachtet: dem Grauen der Verwesung. Georges Duby hat mit Bezug auf die Bilder-Ars höchst überzeugend von einer „Angst vor dem Menschsein" 45 gesprochen. Trotz der gewaltigen Resonanz, die Gerson gefunden hat, war der quasi-naturale Aspekt der Verwesung eindeutig nicht der seine: „Das Bewußtsein des Todes versetzt den Menschen wie zum Eingang des Zeltes im Beispiel des Abraham und der Söhne Israels (Gen. 18, 1), wie im Beispiel des Elia zum Eingang der Höhle, damit der Herr erscheint (1 Kön. 19, 9), auf die Grenzlinie der künftigen Welt zu seinem Eingang und zum Ausgang des Gefängnisses der Welt, damit der Mensch sehe, wohin er stets streben muß. Daher ist es wohl bestimmt: Du hast hier und jetzt gelebt als einer, der hier und jetzt dem Tod geweiht ist." 46
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Super quotidiano peregrini testamento, G VIH, 9. Huizinga, Herbst (nt. 30), 190. Die Zeit der Kathedralen. Kunst und Gesellschaft 980-1420, Frankfurt 1980, 422. Super quotidiano peregrini testamento, G Vili, 6 sq.: „Rursus memoria mortis ponit hominem: velut ad osäum tabernaculi, exemplo Abrahae et filiorum Israel in castris; ad os speluncae ut videatur Dominus, exemplo Eliae; in horizonte mundi futuri, ad introitum suum et ad exitum carceris mundi, ut videat homo quo tendere jugiter debeat. Hinc bene jussum est: vixeris hic et nunc velut hic et nunc moriturus. "
Philosophische Grundlagen der Eschatologie im Hussitismus VILÉM HEROLD
(Prag)
Das Thema der Eschatologie im Hussitismus ist keineswegs ein neues, in der bisherigen Historiographie unberührt gebliebenes Gebiet der Forschung. Im Gegenteil, praktisch alle Arbeiten über den Hussitismus befaßten sich auch mit den eschatologischen Vorstellungen vom kommenden Ende der Welt, von der Notwendigkeit des Kampfes gegen den unterschiedlich verstandenen oder personifÌ2Ìerten Antichrist und mit der damaligen Überzeugung von der entscheidenden Rolle des regnum christianissimum Bohemiae in diesem Prozeß 1 . Der eigentlichen Entwicklung der eschatologischen Vorstellungen in der sich formierenden böhmischen Reformation bzw. in der hussitischen Revolution wurde ebenfalls spezielle Aufmerksamkeit gewidmet. So z. B. in der gründlichen zusammenfassenden Arbeit von Amedeo Molnár über die eschatologische Hoffnung der böhmischen Reformation vom Jahre 1956 2 oder in den 1996 erschienenen Akten des internationalen Kolloquiums „Eschatologie und Hussitismus", das drei Jahre früher in Prag stattfand und den verschiedensten Aspekten dieser Thematik gewidmet war 3 . Gibt es deshalb überhaupt einen ernsten Grund, dieses Thema neu zu eröffnen und hier zu präsentieren — vielleicht mit Ausnahme der legitimen Absicht, die eventuelle Lücke im Mosaik, das die Kölner Mediaevistentagung zum Thema der eschatologischen Perspektiven im Mittelalter vorzulegen versucht, mit dem böhmischen, hussitischen Steinchen zu ergänzen? Meines Erachtens gibt es dafür mindestens zwei solche Gründe. Erstens gehört ohne jeden Zweifel die Eschatologie, um die Worte Amedeo Molnárs zu verwenden, zu den grundlegendsten und selbständigen charakteristischen Zügen der böhmischen Reformation, die mit dem Hussitismus beginnt 4 . Zweitens — und das hängt mit der eben angeführten Charakteristik zusammen — wurden ihre direkten Quellen ganz zu Recht im Milieu der böhmischen Kirchenreformer vor Hus, bei den sogenannten Vorläufern Hussens, dann bei 1
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Eine neue gründliche Bearbeitung der hussitischen Problematik bringt das vierbändige Werk: F. Smahel, Husitská revoluce, Prag 1 9 9 3 - 1 9 9 6 , wo sich in Bd. IV, 2 1 3 - 5 6 9 , eine umfassende Bibliographie findet. A. Molnár, Eschatologická nadéje ceské reformace, in: A. Molnár/J. Β. Soucek e. a. (eds.), Od reformace k zitrku, Prag 1956, 1 1 - 1 0 1 . A. Patschovsky/F. Smahel (eds.), Eschatologie und Hussitismus (Histórica, series nova, Supplementum), Prag 1996. Molnár, Eschatologická (nt. 2), 13.
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Hus selbst und um Hus, d. h. im Kreise seiner Kollegen, Freunde und Schüler, und endlich nach Hus, in der eigentlichen hussitischen Revolution, gesucht und gefunden. Auch die Ursachen für den ungewöhnlich starken und manchmal sogar entscheidenden Einfluß der eschatologischen Vorstellungen auf die politischen und kriegerischen Ereignisse in Böhmen wurden selbst in dieser ideologischen, sozialen und kirchenpolitischen Entwicklung erblickt. Weniger hat man sich die Frage gestellt, ob außer den gewöhnlichen aktualisierten biblischen Bildern auch eventuell die Philosophie, die gerade in der in Prag herrschenden extrem-realistischen Richtung eng mit der Theologie verbunden und „praktisch" orientiert war, in diesem Prozeß mitwirken konnte. Bevor ich auf diese Frage zurückkommen werde, sollte ich jedoch versuchen, hier einen kurzen Uberblick der eschatologischen Problematik in Böhmen im 14. und 15. Jahrhundert zusammenzufassen. Wir müssen in die Zeit des böhmischen und römischen Königs und Kaisers Karls IV. zurückgehen. Hier, durch Cola di Rienzo indirekt vermittelt, sind die Gedanken Joachims de Fiore bekannt geworden, hier konnte sich, vielleicht aus den Akten des gegen Cola geführten Prozesses, wahrscheinlich das damalige Mitglied der Kanzlei Karls IV., Johannes Milic von Kremsier (Kromëriz), mit ihnen vertraut machen 5 . Außerdem sind aus der Zeit um die Mitte des 14. Jahrhunderts bereits auch Handschriften böhmischer Herkunft mit den Werken des Abtes Joachim nachweisbar, obwohl ihre Zahl nicht sehr hoch ist 6 . Nachdem Milic die Kanzlei Karls IV. verlassen hatte, bemühte er sich, zuerst im Auftrag des Prager Erzbischofs Ernst von Pardubice und dann als selbständiger berühmter Prediger, mit den „feurigen Worten" Gottes, um die Verbesserung der Zustände in der damaligen Kirche. Milic von Kremsier gehört im Sinne der Charakteristik Palakkys zu einem der ersten Vorläufer des Hussitismus in Böhmen, gewissermaßen können wir bereits in seinem literarischen Nachlaß in einer verwickelten und keimartigen Form manche Gedanken des künftigen hussitischen Programms der vier Prager Artikel feststellen7. Von unserem Standpunkt aus ist es sehr interessant, daß er die eschatologischen Vorstellungen vom Antichrist und vom kommenden Ende der Zeiten in seinen Schriften „Libellus de Antichristo", „Sermo de die novissimo" und in
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Ibid., 48 und F. M. Bartos, Dantova Monarchie, Cola di Rienzo, Petrarca a pocátky reformace a humanismu, in: Vèstnik Královské ceské spolecnosti nauk, rada historicke-filosofická (1952),
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So e. g. der jetzige Codex Reginensis 132 der Vatikanischen Bibliothek, den im Jahre 1346 der Lehrer der Stadtschule in Pilgram (Pelhrimov) in Südböhmen schrieb. Cf. K.-V. Selge, Handschriften Joachims von Fiore in Böhmen, in: Patschovsky/Smahel, Eschatologie (nt. 3), 5 3 - 6 0 . Cf. dazu die Einleitung zur Edition: V. Herold/M. Mráz (eds.), Iohannis Milicii de Cremsir Tres sermones synodales, Prag 1974, 7 - 2 4 .
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einer mehr modifizierten, zeitlich nicht so konkreten Art auch in der „Epistola ad papam Urbanum V." entwickelt8. In den genannten und auch in weiteren Schriften Milics sind eigentlich alle grundlegenden Symptome des bald zu erwartenden Weltuntergangs im Sinne des Alten und Neuen Testaments und der patristischen Tradition dargestellt und interpretiert. In Erwartung des Weltendes und im Kampf gegen den schon anwesenden Antichrist (den Milic kurze Zeit sogar mit Kaiser Karl IV. identifizierte, als er ihn in dessen Anwesenheit in einer Predigt so bezeichnete, ihn aber dann im Zusammenhang mit der in der Kirche herrschenden desolatio abominationis (Matth. 24, 15, Dn. 9, 27) als Zeichen seines Kommens verstand) 9 , soll die häufige Predigt eine besonders wichtige Rolle spielen. Die Prediger „ vincent bestiam vel Antichrìstum propter sanguìnem agni et securum accessum facient ad terrampromissionis eterne"10. Die unmittelbare Nachfolge dieser Lehren findet man im Gedankengut eines weiteren Vorläufers Hussens, des Pariser Magisters Matthias von Janov (Janov in Südböhmen). Matthias folgt seinem verehrten älteren, im Jahre 1374 verstorbenen Freund Milic schon dadurch, daß er seine Biographie „Narrado de Milicio" und Milics erwähnten „Libellus de Antichristo" in seine fundamentale und umfangreiche Schrift „Regulae Veteris et Novi Testamenti" einreihte. Beide Schriften beenden bei Matthias den 5. Traktat bzw. das III. Buch seiner „Regulae". Er trägt den bezeichnenden Titel „Tractatus de Antichristo" 11 . Außer den üblichen biblischen Autoritäten, hauptsächlich den alttestamentlichen Propheten, dann der Apokalypse und der patristischen Tradition ist bei Matthias der Einfluß der französischen Mystik der Schule von Sankt-Viktor gut spürbar. Sehr interessant ist die Tatsache, daß Matthias in diesem Werk auch den Traktat des Wilhelm von Saint Amour „De periculis novissimorum temporum", der im Jahre 1256 von Papst Alexander IV. und dann auch von Albert dem Großen, Thomas von Aquin und Bonaventura verurteilt wurde, übernahm.
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Eine sehr gute Übersicht darüber gibt J. Nechutová, Eschatologie in Böhmen vor Hus, in: Patschovsky/Smahel, Eschatologie (nt. 3), 6 1 - 7 2 . Es handelt sich hauptsächlich um Milics Schriften „Libellus de Antichristo", „Sermo de die novissimo" und „Epistula ad papam Urbanum V.". Alle drei Schriften sind neu herausgegeben: M. Opocensky/J. Opocenská, The Message for the Last Days, Three Essays from the Year 1367, Mille of Kroméríz, Genf 1998. Cf. auch P. C. A. Morée, Preaching in Fourteenth-Century Bohemia, The Life and Ideas of Milicius de Chremasir (·)· 1374) and his Significance in the Historiography of Bohemia, Herspice 1999. Milicius de Chremsir, Libellus de Anichristo, in: Matéje ζ Janova Regulae Veteris et Novi Testamenti III, Oeniponte 1911, ed. V. Kybal, 380. - Nach Milic sollen die Prediger das Ende der Welt verkündigen, wie es die Engel der Apokalypse tun: „ Angeli sunt nuntii, id est predicatores seu prelati et 7 tube date sunt eis, id est universitas ventatis ad nuntiandum finem mundi et iudirium venturum Dei. " Zitiert nach P. C. A. Morée, The Role of the Preacher According to Milicius de Chremsir, in: Z. V. David/D. R. Holeton (eds.), The Bohemian Reformation and Religious Practice, vol. 3, Prag 2000, 41. Matëje ζ Janova Regulae III, 1 - 3 8 1 .
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In diesem Kontext steht auch der „Sermo in die sanctorum apostolorum Jacobi et Philippi" desselben Autors 12 . Der Einfluß des neunjährigen Studiums an der Pariser Universität, wo Matthias magister in artibus wurde und das Theologiestudium nur wegen Geldmangels nicht abschloß, ist unbestreitbar, und wir brauchen seinen Worten nicht zu mißtrauen, wenn er betont: „Non enim indoctas fabulas hec scribo, sed ea que per novem annis Parisius a magistris meis didiri et reportavi. "13 Auch Matthias von Janov ist überzeugt, daß der Antichrist schon gekommen sei. Nach dem Entstehen des großen Schismas, das er als ein besonderes Zeichen der Verderbtheit der Kirche und des kommenden Endes der Welt verstand, identifizierte er den Antichrist mit Papst Clemens VII. und mit den Kardinälen, die ihm folgten. Dies entspricht seiner Vorstellung, „quod Antichristus non est aliquid ex extraneis, ut Judaeus velpaganus"14. Zwei Momente sind vielleicht noch hervorzuheben: das Motiv der Wahrheit, das schon im übernommenem Text des Wilhelm von Saint Amour als Unterscheidungsmerkmal derer dient, durch die die Gefahr kommt, derer nämlich, die „plus se quam verìtatem diligunt". Die erste Wahrheit, Veritas prima, dient dann bei Matthias als die dreizehnte, wichtigste Regel, regula principalis, zur Unterscheidung zwischen dem wahren und falschen Christentum. Dies spielt dann als lex Christi oder Gottesgesetz eine wichtige Rolle in den hussitischen Kriegen, in denen die „Kämpfer Gottes und seines Gesetzes" mit Hilfe dieses Chorais, wie sie glaubten, gegen ihre Feinde und für das kommende Reich Christi kämpften 15 . Das zweite Motiv ist das des Himmlischen Jerusalem. Matthias erinnert an die Anstalt, die Milic für gebesserte gefallene Frauen in Prag errichtet hatte, und zwar mit folgenden Worten: „quod dominus Jhesus per MyHelium ...de Praga, BabyIonica et confusa civitate ac funesta, Jerusalem perfecit, lucidam civitatem supra montem constituant" 16. Die Vorstellung von der Stadt auf dem Berge, die nicht aufgefressen (,abscondi) werden kann (cf. Matth. 5, 14), spielte dann am Beginn der hussitischen Revolution eine wichtige Rolle. Die deposicio meretricis Apocalypticae werden die guten Prediger besorgen. Sie werden mit Elias verglichen, und wieder wird Milic erwähnt. Elias, als multitudo predicatorum verstanden, ist auch schon gekommen und wird alles wiederherstellen (restaurabit omnia, cf. Matth. 17, 11). Das ist eine Lösung ganz im Geiste der Bemühungen Milics 17 . Matthias von Janov beendete seinen Traktat über den Antichrist, der das III. Buch seiner „Regulae Veteris et Novi Testamenti" bildet, im Jahre 1389. Das 12 13
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Ibid., 2 5 2 - 3 3 2 . Zitiert nach V. Kybal, M. Matéj ζ Janova, Jeho zivot, spisy a ucení, Prag 1905 (Reprint Brno 2000), 10. - Cf. auch V. Herold, The University of Paris and the Foundations of the Bohemian Reformation, in: David/Holeton, Bohemian Reformation (nt. 10), 1 5 - 2 4 . Matéje ζ Janova Regulae III, 1 sqq. Nechutová, Eschatologie (nt. 8), 6 6 - 6 7 . Matéje ζ Janova Regulae III, 362. Ibid., 355.
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war in einer Zeit, in der Johannes Wyclifs Schriften in Prag noch nicht allgemein bekannt waren. Zur großen und begeisterten Rezeption Wyclifs kam es hier erst in der zweiten Hälfte der 90er Jahre des 14. Jahrhunderts. Seien wir uns dieser Tatsache bewußt, wenn wir jetzt kurz die eschatologischen Vorstellungen dieses englischen Denkers schildern werden. Vieles klingt nämlich sehr ähnlich wie die Vorstellungen der tschechischen Vorläufer Hussens. Beginnen wir mit dem Antichrist18. Wyclif verwendet diese Bezeichnung sehr oft, und es ist für ihn zwar eine Metapher, jedoch sind, wie A. Patschovsky gezeigt hat, bei Wyclif Antichrist und Papst austauschbare Begriffe, epistolae Antichnsti sind Papstbriefe, doctrina Antichristi ist die abwertende Bezeichnung päpstlicher Positionen usw.19. Selbstverständlich entwickelt und radikalisiert sich Wyclifs Papstkritik, und auch die Antichristdeutung wird immer ausgedehnter. In der späten Schrift „De quattuor sectis novellis" spricht sich Wyclif sogar für die Abschaffung des Papsttums aus, und der Antichrist wird nach und nach zu einem Synonym nicht nur für den Papst, sondern auch für den Teufel, Ketzer, Mohammed oder Judas Ischarioth, also zum Grundprinzip des Bösen 20 . Die „antichristliche" Papstauffassung hängt mit Wyclifs strengem Determinismus zusammen, mit seiner Auffassung der Kirche der Prädestinierten, deren Haupt Christus selbst und nicht der Papst sei, und wo ein papa praescitus nicht einmal die Macht habe, der Römischen Kirche als Haupt vorzustehen oder die Sakramente erteilen zu dürfen. Die eschatologischen Konsequenzen dieser Lehre Wyclifs sind zwar, was die konkrete Zeit des Jüngsten Gerichts und des Endes der Welt betrifft, nicht klar, sie rufen jedoch ein Gefühl der endzeitlichen Naherwartung hervor. Der Verallgemeinerung der Papstkritik auf die ganze institutionelle Kirche sind wir weder bei Milic noch bei Matthias von Janov begegnet. Sogar bei Johannes Hus kann man sie, meiner Meinung nach, nicht belegen, obwohl die genuine Verwandtschaft der Kirchenlehre Wyclifs und Hussens so oft hervorgehoben wurde 21 . Auch die eschatologischen Erwartungen sind bei Hus nicht so stark betont, und das sogar in Bezug auf Milic und Matthias von Janov. 18 19
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A. Patschovsky, „Antichrist" bei Wyclif, in: Patschovsky/Smahel, Eschatologie (nt. 3), 8 3 - 9 8 . Dabei polemisiert Patschovsky gegen die Meinung A. Kennys, der überzeugt ist, Wyclifs AntiPapst-Kritik auf individuelle Päpste einschränken zu können. Patschovsky, ibid., 89, 91; A. Kenny, Wyclif, Oxford 1985, 73. Patschovsky, Antichrist (nt. 18), 90. So besonders J. Loserth, Hus und Wiclif, Zur Genesis der hussitischen Lehre, Prag — Leipzig 1884, und in der Einleitung zu seiner Edition von Wyclifs Traktat „Von der Kirche": Iohannis Wyclif Tractatus de ecclesia, London 1886. Auch A. Patschovsky, Ekklesiologie bei Johannes Hus, in: Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philologisch-historische Klasse, Dritte Folge, Nr. 179, Göttingen 1989, 3 7 0 - 3 9 9 , ist überzeugt: „Hus schlüpfte - geistig gesehen - förmlich in Wyclifs Haut." Obwohl man die großen Text- und Ideenübereinstimmungen der Kirchenlehre Wyclifs und Hussens selbstverständlich nicht leugnen kann, gibt es doch m. E. gewisse Unterschiede in der Konzeption dieser beiden Denker. Cf. dazu: V Herold, Die neue Bewertung der Schrift De ecclesia des Johannes Hus (im Druck: Wien, Stiftung Pro oriente).
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Erst der Tod Hussens und Hieronymus' von Prag auf dem Scheiterhaufen in Konstanz im Jahre 1415 bzw. 1416 gab in Böhmen nicht nur den auslösenden Impuls zu einer Welle der Unzufriedenheit mit dieser Verurteilung und mit dem grausamen Tod der bald zu Märtyrern erhobenen Magister, sondern wurde auch, nach und nach, als Zeichen des Triumphes des Antichrist verstanden, gegen den, in Erwartung des Jüngsten Gerichts, jetzt entschieden zu kämpfen war. So wird im Protestbrief des böhmischen und mährischen Adels an das Konzil von Konstanz vom 2. September 1415, der in acht gleichlautenden Exemplaren mit 452 Siegeln versehen wurde und im Namen des christianissimum regnum Bohemiae (und marchionatus Moraviae) verfaßt ist, die Verbrennung Hussens, eines guten, gerechten und katholischen Mannes, der sich im Königreich lange Jahre durch sein lobenswertes Leben, seinen Charakter und guten Ruf bewährt habe, der das Gesetz Gottes, der Lehre der Kirche und der heiligen Doktoren folgend, katholisch gelehrt, gepredigt und geschrieben habe, erbittert verurteilt. Auch das Zeugnis der Prager Universität, das nur ein paar Tage später (am 11. September 1415) versandt wurde, betont die hohen moralischen Qualitäten und die Heiligkeit des Lebens und Wirkens Hussens. Dieses Zeugnis wurde wahrscheinlich vom Mitgefährten Hussens und seinem Freund Jacobellus von Mies (Jakoubek ze Stribra) verfaßt22. Der Prager Universität fiel damals durch die Entscheidung des Landtages des böhmischen Adels auch die wichtige Rolle zu, in Glaubensfragen zu entscheiden. Magister Jacobellus von Mies, der nach Hussens Tode die Berechtigung des Laienkelches biblisch begründete und in die Praxis einführte, wurde in diesem Zeitraum (er starb 1429) zur entscheidenden Persönlichkeit. Schon in seiner „Positio de Antichristo", in der er Milic und Matthias von Janov zitiert, bezeichnet er Papst Johannes XXIII. als den Antichrist. In dem „Sermo in Bethlehem in memoriam novorum martyrum M. J. Hus et M. Hieronymi" vom 6. Juli 1416 erblickt er gerade in Johannes Hus, der in seinen Predigten gegen die Falschheit des Antichrist gekämpft hatte, den zweiten Elias23. Auch in seinem umfangreichen tschechischen Kommentar zur Offenbarung des Johannes überschreitet Jacobellus den durch Milic und Matthias von Janov gegebenen Rahmen eigentlich nicht sehr weit. Dies betrifft hauptsächlich den Zeitpunkt des Jüngsten Gerichts, der uns, wie Jacobellus glaubt, verborgen sei, obwohl die Kriege und Qualen, unter denen das hussitische Böhmen gerade litt, die baldige Ankunft Christi ankündigten. Wie A. Molnár zeigt, ist für Jacobellus eher die Spiritualisierung, die Individualisierung des eschatologischen Bewußtseins typisch (die neuen Herzen sollen nach Jacobellus wie Jerusalem sein), und 22
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Cf. F. M. Bartos, Husitská revoluce, I.: Doba Zizkova 1 4 1 5 - 1 4 2 6 , Prag 1965, 16. Interessant ist, daß gerade in diesen Tagen der junge Bakkalaureus Matèj ζ Hnátnice an der Universität einen scharf antipäpstlichen Kommentar der Apokalypse las. Cf. ibid., 16. P. Cornej, Velké dejiny zemí Koruny ceské, V.: 1 4 0 2 - 1 4 3 7 , Prag 2000, 182. Molnár, Eschatologická (nt. 2), 16. Uber Jacobellus von Mies cf. die gründliche Arbeit von P. de Vooght, Jacobellus de Stribro (f 1429), premier théologien du hussitisme, Louvain 1972.
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nicht so sehr seine gesellschaftliche Applikation. Trotzdem ist sein Kampf für die Laienkommunion sub utraque speäe, und so für den Kelch, der zum Symbol des Hussitismus geworden ist, für ihn mit dem Einbruch des siebenten Zeitalters verbunden und so eschatologisch verankert 24 . So sind es wirklich erst die gesellschaftlichen Erschütterungen gewesen, die in Wechselwirkung mit den jetzt ganz konkret gewordenen eschatologischen Vorstellungen die Welle der Uberzeugung vom unmittelbaren Ende der Welt, von der dringenden Notwendigkeit, sich entsprechend auf die Wiederkunft Christi und das Endgericht vorzubereiten und auch gegen das apokalyptische Raubtier zu kämpfen, ausgelöst haben. Johannes Zelivsky warnte in seiner Predigt am 30. Juli 1419 „Attendite a falsis prophetis" (Matth. 7, 15), nach der er die Menschenmenge zum Prager Neustädter Rathaus führte, in dem die Defenestration der Ratsherrn stattgefunden hatte, mit den folgenden Worten: „surgent enim Pseudochristi et Pseudoprophetae et dabunt signa magna. " So wurde auch der Tod des böhmischen Königs Wenzel IV. am 16. August 1419, der, bevor er starb, „mit großer Stimme wie ein Löwe schrie" (cf. Apoc. 10, 3), als ein besonderes Zeichen verstanden 25 . Auch die ursprünglich eher pazifistisch orientierten Bergwallfahrten, die seit Ostern 1419 auf einigen Anhöhen Böhmens, denen biblische Namen verliehen wurden, stattfanden und bei denen Gläubige in großer Menge zusammentrafen, um das Wort Gottes zu hören, wurden bald von radikalen Predigern zur Propagierung nicht nur des unmittelbar kommenden Endes der Zeiten, sondern auch der Notwendigkeit des Kampfes gegen den triumphierenden Antichrist ausgenutzt. Vorerst wurde der alttestamentliche Name Tábor, wo Debora das Heer vor dem Angriff auf die Kanaaneer versammelt hatte, der Anhöhe Burkovák (bei Bechynë in Südböhmen) gegeben 26 . Später, im Februar und März 1420, wurde dieser Name der neuen Gemeindebzw. Stadtgründung auf dem Berg (und auf der Burg) Hradistë bei Sezimovo Usti gegeben (nachdem diese ältere Stadt von den Hussiten vernichtet wurde). Tábor wurde auch bald zum Symbol der revolutionären Umwandlung der passiven Erwartung der Wiederkunft Christi und des jüngsten Gerichts zu einer kämpferischen Aktion gegen die Feinde. Es ist nicht notwendig, hier die Geschichte der Eschatologie in ihrer taboritischen bzw. sogar radikalsten pikardischen Gestalt, die ihr Martin Húska verlieh (und auch in den folgenden hussitischen Kriegen), weiter zu verfolgen. Wir können nicht nur auf die unlängst erschienene gründliche Arbeit Alexander Patschovskys über den taboritischen Chiliasmus verweisen 27 , sondern auch auf die 24 25
26 27
Molnár, Eschatologická (nt. 2), 2 5 - 2 6 ; De Vooght, Jacobellus (nt. 23), 122sqq., 159 sqq. Das „apokalyptische" Bild verwendet Lorenz von Bíezová bei der Schilderung des Todes Wenzels IV. in seiner Hussitischen Chronik. Vavrince ζ Brezové Kronika husitská, ed. I. Göll, Fontes rerum Bohemicarum V., 346. Cornej, Velké dëjiny (nt. 22), 2 0 5 - 2 0 7 . A. Patschovsky, Der taboritische Chiliasmus, Seine Idee, sein Bild bei den Zeitgenossen und die Interpretation der Geschichtswissenschaft, in: E Smahel (ed.), Häresie und vorzeitige Reformation im Spätmittelalter, München 1998, 1 6 9 - 1 9 5 .
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Tatsache, daß es sich weiterhin nicht so sehr um die Geschichte der Entwicklung der eschatologischen Vorstellungen, sondern eher um ihre konkrete „Verwirklichung" in der hussitischen Revolution und in den blutigen Kriegen der Hussiten gegen die von Papst Martin V. und König Sigismund erklärten Kreuzzüge gegen die tschechischen Ketzer handelt. Wenn A. Patschovsky mit Recht für den Beginn des Hussitentums zwischen zwei eschatologischen Szenarien unterscheidet, einem Zustand der consummatio saeculi im Sinne der malorum omnium exterminado (cf. Eccles. 39, 34) und der Vernichtung der Welt, und dem zweiten, dem des regnum reparatum28, so ist es, meiner Meinung nach, eher die zweite Auffassung, die in der geschilderten Entwicklungslinie des eschatologischen Denkens in Böhmen von Milic bis Hus, bzw. Jacobellus liegt und auch ihre philosophische Begründung hat. Dabei braucht man nicht unbedingt nur das regnum reparatum als ein neues saeculum, das unmittelbar (und nur) nach der Abschaffung der alten und verderbten Welt bevorstehe (wie es den Taboriten in Anknüpfung an Apoc. 20, 5 schien), sondern man kann die reparatio auch als emendatio oder reformatio, als eine Verbesserung bzw. Reform des existierenden Zustandes verstehen. Wir haben bereits auf die biblischen und theologischen Quellen der auf die Verbesserung der Zustände in der damaligen Kirche (und Gesellschaft) angewandten eschatologischen Hoffnungen hingewiesen und haben auch versucht, eine Ubersicht der vorgelegten möglichen (und durchaus friedlichen) Lösungen zu geben. Im Bereich der im engeren Sinne des Wortes verstandenen Philosophie kann man noch einen nicht unwichtigen Beleg für diese auf Verbesserung gerichtete Auffassung finden, die ansonsten mit der eschatologischen Linie nicht direkt in Zusammenhang gebracht wird, obwohl sie viele Möglichkeiten des engeren Zusammenklanges darbietet. Es ist die ganz außerordentliche Aufmerksamkeit, die an der Prager Universität der christianisierten neuplatonischen Ideenlehre im Kreis um Johannes Hus und bei Hus selbst gewidmet wird. Das Prager Interesse wurde in diesem Falle ganz sicher durch die Rezeption des Traktats „De ideis" des Oxforder Magisters Johannes Wyclif geweckt, obwohl eine gewisse Reflexion über den dator formarum auch schon bei Matthias von Janov zu finden ist 29 . Johannes Hus schrieb diesen 5. Traktat des II. Buches der „Summa de ente" Wyclifs im Jahre 1398 eigenhändig ab. Im Jahre 1410, nachdem die Verbrennung der Bücher Wyclifs vom Prager Erzbischof angeordnet worden war, organisierte er die Verteidigung dieser Schriften, wobei die „Defensio Tractatus de ideis Iohannis Wyclif" der Schüler Hussens, Magister Procopius von Pilsen (Prokop
28 29
Ibid., 172 sqq. V. Herold, Prazská univerzita a Wyclif, Wyclifovo uceni o ideách a geneze husitského revolucního myslení, Prag 1985, 139 sqq.
Philosophische Grundlagen der Eschatologie im Hussitismus
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ζ Plzné), übernahm, dem Hus in seiner „Disputado de quolibet" im folgenden Jahr die Ausarbeitung einer eigenständigen quaestio über Ideen anvertraute 30 . Selbständige Ideentexte hatten schon der Lehrer Hussens, Stanislaus von Znaim (Stanislav ze Znojma), sein Freund Stephanus de Palecz (Stepán ζ Pálce — Stanislaus wie Stephanus gingen dann später ins Lager der Gegner Hussens über) und weitere Freunde und Kollegen Hussens, unter anderem Hieronymus von Prag (Jeronym Prazsky), geschrieben, und an der Prager Universität wurden die Disputationen mit dem größten und nicht nur auf die Wände der Universität beschränkten Interesse verfolgt, ζ. B. am Vorabend der Herausgabe des Kuttenberger Dekrets im Jahre 1409. Interessant ist, wie sich in Prag der Schwerpunkt der Auffassung der Ideenlehre von der augustinischen und auch wyclifschen Zentralkategorie des mundus intelligibilis, also der „nur" denkbaren Welt der Ideen in mente Dei, zum mundus archetypus verschiebt, also zu einer urbildlichen oder vorbildlichen, ewigen, unwandelbaren, schönsten Welt der Ideen, auch zu einer terra promissionis aeternae, die im Vergleich mit der sinnlich wahrnehmbaren Welt (mundus sensibilis) notwendig eine Veränderungs- bzw. Verbesserungsvorstellung impliríte enthielt, eine Vorstellung, die letzten Endes auch als eine eschatologische Hoffnung oder Herausforderung verstanden werden kann und in der Vorbereitungsphase des Hussitentums auch so verstanden wurde. Ich komme zum Schluß: Die eschatologischen Vorstellungen, die im Hussitismus eine so wichtige Rolle spielten, hatten ihre ursprüngliche Quellen im Kreise des platonischen bzw. neuplatonischen Gedankengutes, wie es in der ultra-realistisch orientierten Prager mittelalterlichen Philosophie der Magister der tschechischen Universitätsnation in Anknüpfung an Johannes Wyclif gepflegt und weiterentwickelt wurde. Dies ist gerade an der zeitlich parallelen Entwicklung der Prager Ideenlehre, die auch eschatologisch verstanden werden kann, gut zu bemerken. Diese Lehren wurden meist von denselben Persönlichkeiten an der Prager Universität gepflegt und entwickelt, die auch zur Entwicklung der eschatologischen Erwartungen beitrugen. Beide Richtungen hatten sich auch ein ähnliches Ziel gesetzt. In diesem Sinne stehen an der Wiege dieser Gedanken der hl. Augustinus und Pseudo-Dionysius Areopagita, die manchmal durch die Schriften Johannes Wyclifs vermittelt und weiter inspiriert wurden, aber eher direkt in Prag aus ihren hier damals erhaltenen Schriften bekannt waren. Nicht durch Wyclif vermittelt war die Kenntnis des Johannes Scotus Eriugena, der von Hieronymus
30
Ibid. und V Herold, Magister Procopius von Pilsen, ein Schüler und Anhänger Hussens, und seine frühen philosophischen Schriften, in: B. Mojsisch/O. Pluta (eds.), Historia philosophiae medii aevi, Studien zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters, Festschrift für K. Flasch, Amsterdam 1992, 3 6 3 - 3 8 5 .
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von Prag zitiert wurde, wie Stanislav Sousedik und Zenon Kaluza schön zeigten 31 . Direkt war auch die Kenntnis der Chartres-Schule, wie es Edouard Jeauneau am Beispiel des Wilhelm von Conches und seiner „Glosae super Platonem" bewiesen hat 32 . Gerade aus diesem Umkreis gelangte die zentrale eschatologische Kategorie des mundus archetypus in die Prager Ideenvorstellungen. Vor der gesellschaftlichen Gefährlichkeit dieser Entwicklung bzw. vor der Ketzerei und ihren möglichen Folgen warnte bereits Jean Gerson den Prager Erzbischof im Jahre 1414 sehr eindringlich, und in Konstanz kam diese Entwicklung durch die grausame Verbrennung Hussens und Hieronymus' von Prag im Jahre 1415 und 1416 nicht zum Stillstand, sondern wurde, im Gegenteil, eigentlich erst in Gang gebracht und verstärkt33.
31
32
33
S. Sousedik, M. Hieronymi Pragensis ex Johanne Scoto Eriugena excerpta, in: Listy filologické 98 (1975), 4 - 7 ; Ζ. Kaluza, Le chancelier Gerson et Jérôme de Prague, Appendice II: Jérôme de Prague, Erigène et le Corpus Dionysien de l'Université de Paris, in: Archives d'histoire doctrinale et littéraire du Moyen Age 59 (1984), 116-126. E.Jeauneau, Plato apud Bohemos, in: Medieval Studies 41 (1979), 164, 190-196. Procopius von Pilsen hatte die Handschrift der Prager Universitätsbibliothek III A 13 mit den „Glosae super Platonem" des Wilhelm von Conches in Besitz und übernahm auch wortgetreu die Definition der urbildlichen Welt aus dieser Schrift. Cf. Herold, Magister Procopius (nt. 30), 380. ,.Joannes de Gersono Conrado archiepiscopo Pragensi (Parisiis 24 Sept. 1414):, Ceterum recepimus apud nos Parisius varios codices cujusdam Joannis Hus ... Error inter alios perniciosissimus quoad omnem avilitatis politicae conservationem et quietem ... videtur esse mihi ilk: quod praesätus aut malus existens in peccato mortali nullam habet dominationem veljurisdictionem vel potestatem super alios de populo christiano. Videtur autem parvitati meae, quod contra hunc errorem exsurgere deberet omnis dominaño tam spiritualis quam temporalis, ad exterminatìonem magis igne et ¿adió, quam curiosa ratiotinatione'"\ in: F. Palacky (ed.), Documenta Mag. Joannis Hus vitam, doctrinam, causam ... illustrantia, Prag 1869, 528. Cf. auch V. Herold, Der Streit zwischen Hieronymus von Prag und Johann Gerson — eine spätmittelalterliche Diskussion mit tragischen Folgen, in: Z. Wtodek (ed.), Société et Eglise, Textes et discussions dans les universités au moyen âge tardif, Turnhout 1995, 77 — 89.
Namenregister Abaelard cf. Petrus Abaelard Abbo v. Fleury 167, 174, 176, 180, 181, 188, 213, 508 'Abd al-Nabi' ibn Mahd! 230, 231, 234, 236-238 'Abdallah ibn Saba' 204 'Abdalmalik, umay. Kalif 204 Abendt, P. VII Abraham ben David (A. ibn Daud) 393 Abü Bakr, erster Kalif 204 Adalbert, Ebf. v. Hamburg-Bremen 218 Adalbert, Bf. v. Prag 180 Adam de Perseigne 513 Adam, A. 280 Adamek, J. 244 Adelchis, Kg. d. Langobarden 536 Adelheid, Ksn. 177 Adelmann, F. J. 562 Ademar v. Chabannes 166 Adenauer, K. 3, 6, 14 Ado v. Vienne 186 Adorno, Th. W 119 Adso v. Monüer-en-Der 85, 86, 91, 168, 180, 197, 200, 201, 248 Aegidius Romanus 24, 262 — 275, 324 Aerts, W. J. 90, 194 Aertsen, J. Α. V, VII, 42, 43, 47, 48, 52, 56, 57, 62, 69, 72, 74,118,128, 135, 358, 419, 422, 424, 426, 430, 434, 540 vEthelberth, Kg. v. Kent 173 Aguadé, J. 202 Akehurst, F. R. P. 655 Alamo, J. del 189 Aland, K. 644 Alberich v. Trois fontaines 240 Alberigo, G. 258 Albert Behaim 194 Albert v. Stade 541 Albertus Magnus 3 - 5 , 9, 11, 13, 22, 26, 31, 40, 46, 118, 127-132, 135, 388-416, 443, 605, 606, 726, 737 Alberzoni, M. P. 496, 511 Alexander der Große 528 Alexander II., Papst 219 Alexander III., Papst 487 Alexander IV., Papst 521, 549, 737
Alexander v. Aphrodisias 443 Alexander Minorità 158, 253, 525-543 Alexander, P. J. 197, 212, 221, 222 Alexios I. Komnenos, byz. Ks. 536 Alexius (hl.) 176 'Ali, vierter Kalif 203-205 Alkuin 159 Allan, J. 295 Allesch, J. v. 13, 14 Allgaier, K. 606 Allison, D. 82 Alter, R. 83 Altizer, Th. 659 Alverny, M.-Th. d' 661 Ambrosius, Bf. v. Mailand 194, 643 Anastasius Bibliothecarius 186, 188 Anawati, G. 592 Andrés-Martín, M. 552 Angelus Silesius (Johannes Scheffler) 110 Angenendt, A. 247, 336, 728 Annianos 182 Annibal de Ceccano 691, 694 Anno II., Ebf. v. Köln 210 Anselm v. Canterbury 53-56, 58, 60, 64, 88, 584 Anselm v. Havelberg 509, 515 Anselm v. Laon 344 Antiochus Epiphanes 222 Anzulewicz, H. 118, 388-392, 394, 396, 398, 400, 407-409 Appignanesi, L. 51 Apuleius (Ps.-) 394, 401, 406 Ariès, Ph. 161, 177 Aristoteles 31, 33, 34, 39, 54, 59, 74, 128, 129, 346, 349, 381, 389,392-394,397, 405,406, 408,409,411,421, 422,424,425,434-436, 438, 439,441-446,450,455,470, 564, 565, 570, 572-574, 577, 585, 588, 599, 600,603, 604, 606-608, 615, 616, 624, 660, 661,702, 725, 726 Arius 497, 534 Armandus de Bellovisu 690, 691 Armstrong, A. H. 127 Arnald v. Villanova 550 Arnaut Daniel 655 Arnulf v. Mailand 214
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Namenregister
Arnulphus Provincialis 724 Arthur, myth. König 201 Asmussen, H. 100 Assmann, A. 535 Aubin, P. 119 Aubin, V. 563, 571, 572, 586, 590, 591 Aubry v. Reims 726 Augustinus 18, 38, 44, 57, 8 2 - 8 4 , 96, 97,104, 108, 111, 112, 121, 127, 141, 143, 144, 146, 1 5 7 , 1 5 8 , 1 6 6 , 1 7 3 - 1 7 6 , 1 9 4 , 211, 216,220, 226,261, 2 8 5 - 2 8 7 , 289, 346, 350, 352,358, 362, 379, 394, 406, 432, 443, 447, 471, 493, 499, 506, 515, 535, 546, 569, 574, 576, 580, 581, 584, 587, 607, 675, 676, 689, 690, 696, 699, 743 Augustus, röm. Ks. 636 Avendaud cf. Abraham ben David Averroes (Ibn Rusd) 28, 40, 397, 403, 408, 411, 413, 443, 569, 570, 572, 577 Avicenna (Ibn Sina) 58, 130, 349, 400, 403, 404, 406, 409, 410, 414, 415, 570, 571, 577 Azais, G. 655 Bacht, H. 148 Bacon, Francis 725 Badawi, A. 233, 283 Baeumker, CI. 8, 10, 13, 37 Balduin I., Kg. v. Jerusalem 536 Balduin cf. Baudoin Baldwin, J. W 197, 324, 326, 340, 342 Ballweg, J. 705 Balthasar, H. U. v. 28, 100, 101, 114, 626 Bannach, K. 467 Baraut, C. 488, 497, 545 Barbarossa cf. Friedrich I. Barbatti, Β. 180, 181 Barbi, S. Α. 629 Barclay, W 100 Bardy, G. 569 Barks, C. 681 Barth, Κ. 95 Bartholomaeus ν. Pisa (de Rinonico) 5 5 0 - 5 5 2 Bartos, F. M. 736, 740 Bascour, H. 61 Basse, M. 626 Bataillon, M. 551, 553 Battisti, S. 6 Baudoin II. de Guiñes 326 Baudot, G. 5 5 1 - 5 5 3 Baudry, L. 466 Bauer, J. R. 526 Baumgarten, J. 100 Baur, L. 13, 724 Bautier, R.-H. 197, 324, 326
Bautz, F. W. 5 Bazán, Β. C. 34, 726 Beatus v. Liébana 171, 172, 180, 185, 293 Bec, P. 655 Beck, E. 195 Beck, H. 327 Becker, C. H. 21 Becker, H. 279 Beckmann, J. P. 469, 652 Becksmann, R. 362 Beda Venerabilis 158, 172, 173, 175, 177, 1 8 2 - 1 8 8 , 301, 3 5 1 - 3 5 3 , 357, 502 Beierwaltes, W 104, 113, 118, 122, 1 4 1 - 1 4 4 , 146, 3 7 4 - 3 7 6 , 381, 385 Bellay, Joachim du 119 Benedetto Antelamis 363 Benedikt (hl.) 105, 106, 516, 535 Benedikt VII., Papst 190 Benedikt VIII., Papst 168, 190 Benedikt XII. (Jacques Fournier), Papst 656, 687, 688, 690, 691, 6 9 4 - 6 9 9 , 703, 704 Benedikt v. S. Andrea 187 Bennet, R. F. 476 Benson, R. L. 509 Benz, E. 253, 547 Benz, K . J . 2 1 4 - 2 1 7 , 221 Benz, R. 353 Benzo v. Alba 208, 213, 2 1 7 - 2 2 0 , 224, 248 Berg, D. 253, 256, 522, 533, 539, 541 Berger, R. 280 Berlioz, H. 279 Bermejo, L. M. 98 Bernardino de Sahagún 554 Bernardus Sylvestris 352 Berndt, R. 526 Bernhard (hl.) 688, 706, 709 Bernhard v. Clairvaux 102, 103, 112, 310, 326, 377, 4 8 9 - 4 9 1 , 497, 519 Bernheim, E. 209, 211, 213, 216, 2 1 8 - 2 2 0 Berning, V. 8 Bernold v. Konstanz (v. St. Blasien) 208, 219 Bertelloni, F. 262 Berthold v. Reichenau 208, 209 Bérubé, C. 425 Bethmann, L. C. 166, 208, 216 Bettini, O. 660 Bettoni, E. 661 Beullens, P. 392 Beylot, R. 196 Bianchi, L. 524, 549 Bieler, L. 568, 703 Bierbaum, M. 250 Birch, W. de G. 188 Black, A. 252
Namenregister Blake, Ε. O. 239 Blanca ν. Kastilien, Kgn. ν. Frankreich 324, 326, 342, 347 Blank, A. 516, 547 Blaschka, A. 281 Blaylock, S. 295 Bleienstein, F. 262 Bloch, E. 481, 482 Bloch, M. 161, 171 Blume, K. 283 Blumenberg, H. 279, 287, 469 Böcher, O. 240 Bocken, I. 62 Böckle, F. 563, 626 Boeder, H. 627, 628, 631 Boehner, Ph. 466 Boerner, B. 296, 301, 306 Boethius 25, 408,409,418, 419,442, 443,445, 563, 567, 568, 584, 703, 732 Boethius v. Dacien 726 Bogaert, P.-M. 347 Böhmer, J. F. 208, 213, 218, 243 Bohne, G. 37 Boiadjiev, Tz. 165, 170, 390 Boitani, P. 115 Bonaventura 31, 52, 72, 102, 107, 108, 133, 152,254-256,466,472,487, 520,521, 547, 549, 550, 552, 555, 556, 636, 675, 678, 737 Bonifatius (hl.) 536 Bonifatius VIII., Papst 505, 506, 662 Bonino, S.-Th. 573 Bonizo, Bf. v. Sutri 208, 216 Bonne, J. C. 302 Boor, C. de 186 Bormann, K. 9, 10, 62 Borsche, T. 49 Borst, A. 168, 172 Bos, A. P. 570, 576 Bosbach, F. 248 Böse, K. 321 Boshof, E. 187, 189 Boureau, A. 104, 259, 657, 674 Bourgain, P. 326 Boyarín, D. 80 Boyle, L. E. 347 Brady, I. 256 Braeckmans, L. 423 Brandmüller, W 507 Braudel, F. 161 Brauer, E. 238 Breder, G. 327, 337, 344 Brenk, B. 342 Brentjes, B. 105 Bresslau, H. 188, 189
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Brigitta v. Schweden 728 Brincken, A.-D. v. den 172, 179, 184-187 Brinkmann, H. 529 Briquet, L. 45 Britten, B. 279 Brock, S. P. 196 Browe, M. 397 Brown, E. A. R. 197 Brown, P. 379 Brown, S. 151, 362 Bruch, R. 591 Brugger-Christe, L. 304 Brunner, E. 95 Bruno v. Segni 344, 348, 350, 352 Bue, Ph. 529 Bücheler, F. 8 Buchenau, A. 8 al-Buhän 206 Bulst, W. 210 Bultmann, R. 82, 119, 120 Buonaiuti, E. 482, 484, 486 Burchard v. Ursberg 243 Burger, E. K. 484 Burger, M. 409 Burnett, C. S. F. 242 Burnham, L. 674 Burnyeat, M. 375, 376 Burr, D. 251, 253, 254, 259, 528, 537, 641, 647, 653, 657, 660, 661, 674 Burrell, D. B. 571, 581 Burrows, M. S. 730 Bynum, C. W. 105, 296 Cadalus v. Parma cf. Honorius II., Gegenpapst Cajetan de Vio, Thomas 562 Caligula, röm. Ks. 532 Calixtas II., Papst 537 Cameron, Α. 196, 378 Camille, M. 335, 340 Campion, Ν. 106 Cangrande della Scala 634 Canivez, J.-M. 511 Canto-Sperber, M. 591 Capelle, D. B. 281, 291 Capelli, G. 363 Capitani, O. 212, 253, 259, 486, 506, 511 Cappuyns, M. 373, 375, 376 Carabine, D. 373 Carey, F. 525 Carey, J. 87 Cariboni, G. 511 Carezzi, C. 86, 105, 239 Carter, J. 295, 296
748
Namenregister
Caspar, E. 215 Cassels Kay, H. 237 Cassian, Johannes cf. Johannes Cassian Cassini, T. 629 Cassiodorus 156 Castañeda, P. 551 Caviness, M. H. 324, 362 Cesarini, Julianus Kardinal 63 Chadwick, O. 641 Chardonnens, D. 563, 570, 571, 574, 582 Charles cf. Karl Charles-Saget, A. 122 Chatelain, E. 253, 709 Chavanon, J. 166 Cheneval, F. 129, 130 Chenu, M.-D. 118, 121, 124 Chestnut, G. 89 Chiavacci Leonardi, Α. M. 635 Chibnall, M. 156 Choisnet, P. 349 Choron, J. 727 Chosroes II. (Parwëz), Gkg. d. Säsäniden 535, 672 Christe, Y. 293, 295, 327 Christianson, G. 62 Christmann, H. M. 28 Cicero 381, 411, 565, 580, 724 Clair, Ch. 281 Classen, C. J. 507 Classen, P. 209, 212-214, 222, 223, 225, 226, 507-509 Claudel, C. 7 Claudius v. Turin 186 Clemens III. (Wibert), Gegenpapst 215, 216 Clemens III., Papst 492 Clemens VI. (Pierre Roger), Papst 691 Clemens VII., Papst 738 Clemens v. Alexandria 642, 655 Clemens, Th. 168 Cloots, A. 423 Coelestin V., Papst 662 Cohen, B. 227 Cohn, N. 177, 212 Cola di Rienzo 736 Colish, M. L. 379 Collins, J. 71, 79, 80 Colpe, C. 232 Columbus, Christopher 550, 551 Combés, G. 569 Congar, M.-J. 7, 567 Conrad, L. I. 196 Constable, G. 509 Constane, röm. Ks. 197, 198 Conzelmann, H. 82
Coreth, E. 5, 61 Cornej, P. 740, 741 Corradini, R. 104 Cortés, Hernán 553 Courtenay, W J. 463 Cowdrey, Η. E. J. 214, 217 Craemer-Ruegenberg, I. 42, 46, 396 Crawford, F. S. 403 Crescentius (II.) Nomentanus, Gf. v. Terracina 536 Crescentius v. Jesi 542 Crocco, Α. 482, 548 Cross, F. L. 644 Cullmann, O. 81, 99, 100 Curschmann, M. 309 Cyprian 175 Cyrus cf. Kyros D'Elia, F. 107 D'Onofrio, G. 374 Da Campagnola, S. 549 Dachraoui, F. 206 Dales, R. C. 597 Daley, Β. 83 Dalferth, I. U. 102 Damaskios 122, 123 Damasus I., Papst 534 Damico, A. 563 Damme, D. van 526 Daniel, E. R. 93, 105, 106, 486 Daniel, H. A. 279 Daniélou, J. 644 Dante Alighieri 72, 349, 512, 626, 6 2 9 - 6 3 7 Davenport, Α. Α. 641, 674, 675, 680 David, Ζ. V. 737, 738 Davies, Η. 563 Davis, J. M. 655 De Francovich, G. 363 De Vos, D. 297 Decker, B. 25, 26 Decorte, J. 150, 151 Deissler, A. 220 Delorme, F.-M. 255, 257, 555, 661 Delumeau, J. 178, 292 Deman, Th. 586 Demokrit 569, 578 Dempf, A. 6, 547 Denifle, H. 251, 253, 487, 523, 549, 709 Denzinger, H. 507, 706 Derolez, A. 87, 353 Descartes, R. 30, 34 Desiderius, Kg. d. Langobarden 536 Dettloff, W 472 Di Napoli, G. 545
Namenregister Dietrich II., Ebf. ν. Trier 243 Dietrich v. Freiberg 130, 131, 134, 136, 434 - 447 Dietsche, B. 28 Dieu, J. de 550 Digard, G. 506 Diokletian, röm. Ks. 182 Dionysius Areopagita (Ps.-) 116, 127, 132, 142, 264, 309, 373, 380, 389, 394, 574, 577, 590, 709, 743 Dionysios bar Salïbî 654 Dionysius Exiguus 181, 182, 185, 187, 188 Dirlmeier, F. 725 Distelbrink, B. 256 Dodwell, C. R. 301 Dolcini, C. 250, 260 Dombart, B. 166, 211 Domínguez Reboiraz, F. 498 Dominicus Gundissalinus 400, 724 Dominikus v. Guzmán 548 Domitian, röm. Ks. 526, 527, 533, 543 Donadío Maggi de Gandolfi, M. C. 565 Donavan, J. P. 240 Dondaine, H. F. 418, 606 Douie, D. L. 257, 716 Dreves, G. M. 279, 283 Dreyer, M. 53 Driesch, H. 4 Drijvers, H.J. W. 196 Drogin, M. 339 Drenke, P. 87 Du Pin, L. E. 728 Duby, G. 105, 161, 166, 169, 734 Duchesne, L. 214 Dudon, P. P. 642 Dufeil, M.-M. 250, 258 Duggan, L. G. 309, 346 Duhamel-Amado, C. 176 Dumeige, G. 148 Dümmler, E. 208 Dumont, S. D. 9, 448 Dünzl, F. 527 Dupront, A. 239 Durand, U. 258 Durandus v. Huesca 650 Durandus de S. Porciano 4, 9, 13, 471 Duvernoy, J. 656 Düwell, Κ. 189 Dykmans, M. 687, 690, 691, 706, 710 Dyroff, Α. 8 Eckert, W. P. 45 Eckhart ν. Hochheim (Meister Eckhart) 9 - 1 1 , 13, 15, 18, 19, 22, 27-29, 31, 39, 70, 72,
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102, 103, 108-113, 118, 131, 140, 142-144, 148, 424, 428 - 432, 446, 447, 708, 726 Egger, Chr. 496 Eguchi, K. 398 Ehlers, J. 509, 515 Ehlen, T. 98 Ehrle, F. 13, 487 Ehrman, B. 82 Eicken, H. v. 166, 169, 170 Eiximenis, Francese 551, 552 Ekkebert v. Hersfeld 218 Ekkehard v. Aura 220, 226 Elder, E. 93 Eleanor de Quincy 346 Elias, bibl. Prophet 535 Elm, K. 512 Emery, Κ. 43, 426, 687, 697, 698 Emery, R. 675 Emmen, Α. 642 Emmerson, R. Κ. 79, 97, 211, 216, 225, 239, 253, 528, 530, 537 Empedokles 570 Enders, M. 53, 54 Enoch, bibl. Prophet 535 Ephraem Syrus 194, 195 Ephraem Syrus (Ps.-) 195 Epiphanios, Bf. v. Constantia/Cypern 647 Erdmann, B. 8 Erdmann, C. 214-216, 220-222, 224, 239, 248 Ermini, F. 281, 283 Ernst v. Pardubitz 736 Ernst, J. 100 Esch, Α. 241 Esser, G. 8 Etzkorn, G. J. 455 Eucherus v. Lérins 643 Eugen IV., Papst 63, 190 Eusebios v. Kaisareia 82, 89, 184, 526, 527 Eutyches 535 Evagrius Pontikos 641-643, 646-656 Evans, A. P. 650, 655 Fabro, C. 586 Falkenhausen, F. F. v. 631 al-Fârâbl 403 - 406, 411, 412, 414, 415, 443 Farina, F. 511 Fauser, W 388 Favre, L. 519 al-Fayyümi, Nathanel cf. Jakob ben Nathanel al-Fayyümi Febvre, L. 161 Feiner, J. 626
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Namenregister
Felix IV., Papst 535 Feiten, F.-J. 521 Feiten, J. 243 Ferdinand II. (der Katholische), Kg. v. Aragón 551 Fetz, R. L. 474 Fichte, J. G. 374 Fichtenau, H. 209 Ficker, J. 243 Filthaut, E. 392 Fink, U. 98 Fischer, H. 28 Fischer, N. 141, 144 Flasch, K. 53, 104, 130, 131, 136, 434-437, 716 Fleckenstein, J. 246, 507 Fleischer, M. 50 Fleming, J. 644 Flood, D. 708 Floriano, A. C. 189 Flusser, D. 244 Focillon, H. 166, 169, 170 Folger, S. VII Follesdal, D. 618 Folquet de Lunel 655 Font Rius, J. M. 189 Fontinoy, Ch. 644 Fossi, G. 505 Foster, Μ. Β. 26 Foucault, M. 151, 160, 161 Fournier, Jacques cf. Benedikt XII. France, J. 158, 181, 213, 505 Francese Eiximenis cf. Eiximenis, Francese Francisco de los Angeles 553 Franziskus (hl.) 283, 304, 305, 520, 523, 524, 548-552, 554, 555, 557, 655, 658,660, 661, 664-667, 675, 677, 678, 682, 708 Frechulf v. Lisieux 184, 186 Freedman, P. 105 Frenz, T. 194 Frick, C. 184 Frick, R. 97 Fried, J. 176, 180, 207, 210-214, 226, 505, 507, 508 Friedrich I., Ks. 487 Friedrich II., Ks. 86, 91, 201, 239-249, 484, 538, 539, 662 Friedrich III., Ks. 202 Fries, A. 392, 400, 408, 409 Fries, H. 11, 619 Frings, J. 7, 14, 26 Frost, E. C. 552 Frost, U. VI Frugoni, Α. 505
Frutolf v. Michelsberg 208 Fuchs, E. 99 Fulbert v. Chartres 168 Funkenstein, A. 226, 505, 510, 517 Gabler, U. 240 Gal, G. 708, 713, 714 Gale, Th. 374 Galen 349 Galilei, G. 30, 33 Gall, L. 505 Gandillac, M. de 61 García-Villoslada, R. 552 Garrigou-Lagrange, R. 562 Garufi, C. A. 243 Gastoué, A. 283 Gatti Perer, M. L. 292 Gaufrid v. Auxerre 491, 492 Gaus, C. VII Gauthier, R.-A. 586, 724, 726 Gautier, P. 51 Gawlik, A. 217 al-Gazzâlî 233, 409, 415 Gebeno v. Eberbach 540 Geiger, Α. 227 Geiserich, Kg. d. Vandalen 535 Gélinas, Y.-D. 549 Genovefa (hl.) 309 Geoffrey v. Monmouth 201 Georgios Synkellos 186 Gerald v. Casamari 496 Geraldus Odonis (Guiral Ot) 688, 690-694, 699-701, 703, 704, 709, 726 Gerbert v. Aurillac (Papst Silvester II.) 169,190 Gerhard v. Abbeville 256 Gerhard v. Bologna 417 Gerhard v. Borgo San Donnino 250, 253, 255, 483, 522-524, 547 Gerhardt, C. I. 32 Gerhoch v. Reichersberg 222, 223, 489, 490, 507, 509, 514 Gerson, Johannes cf. Johannes Gerson Gervasius v. Canterbury 158 Gervers, M. 239 Getz, F. 32 Geyer, Β. 8, 9, 13, 20, 26-28, 388, 389, 392, 404, 408 Ghisalberti, A. 481, 498 Gieben, S. 657 Giele, M. 44, 45 Gigon, O. 723, 725 Gihr, N. 281 Gilbert v. Poitiers 492, 497 Gilson, E. 7, 9, 17, 53, 72, 635, 730
Namenregister Giotto 327 Gisbert, T. 552 Gladiss, D. ν. 217 Glockner, Η. 60 Glorieux, P. 698, 728, 729 Gludovatz, Κ. 321 Gmelin, H. 629 Gnädinger, L. 110, 138 Godilda, Hzgn. 170 Goethe, J. W 280 Goetz, H.-W. 211, 212, 225, 509, 515 Goez, W 214 Goitein, S. D. 238 Goldast, M. 477, 710, 712-715 Goldman, S. 227, 231 Goldstein, J. 469 Goldziher, I. 233 Göll, I. 741 Gómez Cañedo, L. 551, 555 Gonzalbo, P. 552 Gonzalez de Cardedal, O. 547 Gonzalez-Palencia, A. 406 Goris, W 72, 118, 417, 447 Görlinger, R. 16, 17 Gosman, M. 197 Gössmann, E. 142 Gottfried IV v. Bouillon 536 Gottfried v. Fontaines 140 Gottfried v. Viterbo 197, 200 Gouguenheim, S. 176, 181, 505 Gourevitch, A. 171 Grabes, H. 140 Grabmann, M. 8, 10, 11, 724 Grabner-Haider, Α. 101 Graefe, F. 248 Graiff, C. A. 31 Grandisson, Bf. v. Exeter 295 Gransden, A. 513 Grauert, R. 243 Green, R. P. H. 379 Green-Pedersen, N. G. 726 Gregor I. der Große, Papst 173,176,183,186, 309, 346, 350, 364, 377, 394, 523, 555, 598, 689, 690 Gregor II., Papst 536 Gregor III., Papst 536 Gregor V., Papst 169, 190, 536 Gregor VII., Papst 207-209, 214-217, 219-221, 223, 226, 536 Gregor IX. (Hugolinus v. Segni), Papst 243, 246, 248, 249, 538, 496 Gregor v. Nyssa 379 Gregor v. Tours 157 Gregory, T. 74
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Griffel, F. 233 Grimme, A. 14 Grosche, R. 5 - 7 , 10-13, 15-17 Grosse, S. 728 Grubmüller, K. 309 Grundmann, H. 347, 482, 484 - 486, 491, 492, 496, 510-513, 517, 519, 524, 539, 547 Grünkorn, G. VII Gryphius, Andreas 285 Guardini, R. 6 Guarnieri, R. 138 Guerra, J. A. 550 Guibert v. Nogent 157 Guibert v. Tournai 418 Guillaume cf. Wilhelm Guillaume de St-Pathus 346 Guillaume de Seignelay 342 Guillaumont, A. 641-643, 646, 647, 650, 651, 653, 654 Guillaumont, C. 642 Guiral Ot cf. Geraldus Odonis Guitton, J. 104 Guldentops, G. 392 Gunther, Bf. v. Bamberg 213 Guy, J.-Cl. 641, 643, 647 Haarländer, S. 521 Haas, A. M. 70, 95, 98,109,111,112,140,147 Hackett, J. 32 Hadassi, J. 233 Hadrian, röm. Ks. 534 Hadrian I., Papst 536 Haeusler, M. 179, 211 Hahn, F. 526 Haibach-Reinisch, M. 308 Haile Selassie, Ks. v. Äthiopien 91 Haimo v. Auxerre 526, 528, 532 Haimo v. Faversham 542 Haimo v. Halberstadt 526 al-Häkim, fatim. Kalif v. Kairo 181 Halkin, A. 227, 231 Hall, St. G. 527 Halm, H. 206 Halperin, D. J. 202 Hamesse, J. 39, 118, 389, 702 Hampe, Κ. 248 Happ, W 6 2 - 6 4 Harder, R. 116 Häring, H. 142 Harnack, A. v. 485 Harting-Correa, A. L. 311 Hartman, D. 227 Hartmann, N. 5, 14 Hartmann, W 507
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Namenregister
Harvey, W. Ζ. 233 Hasan-i-Sabbah 233 Hasan II. (Nlzäri) 233 Hasse, D. N. 400, 403 Hattrup, D. 144 Haubst, R. 61 Haumann, H. 312 Haussherr, R. 323, 339 Haverkamp, A. 540 Haydn, J. 279 Haymo cf. Haimo Hechelhammer, B. 239 Heck, C. 295 Heft, J. 709 Hegel, G. W F. 25, 30, 32, 60, 130, 374, 375, 665, 721 Hehl, E.-D. 534 Heidegger, M. 5, 23, 31, 52, 55, 59, 722, 733 Heidingsfelder, G. 726 Heimann, A. 369 Heimbüchel, B. 3 Heimpel, H. 15, 240 Heimsoeth, H. 5, 6, 11, 12 Heinemann, L. v. 218 Heinlen, M. 326 Heinrich III., Ks. 213, 221 Heinrich IV., Ks. 91, 207, 208, 210, 215-218, 220-224, 672, 673 Heinrich V., Ks. 213, 537 Heinrich VI., Ks. 484, 512 Heinrich III., Kg. v. England 243, 246 Heinrich v. Avranches 242 Heinrich v. Gent 424-429, 431 Heinrich cf. Henricus Heinz, A. 280 Heinzle, J. 342 Heinzmann, R. 326 Heiss, R. 11, 12 Heist, W. 87 Helbling, H. 104, 105, 108 Helia cf. Elias Helm, P. 95 Hengevoss-Dürkop, K. 327 Henricus Aristippus 723 Henry, A. 295 Henschel, G. A. L. 519 Herakleios, byz. Ks. 536, 672 Herakles 115 Herde, P. 194, 524 Heribert, Ebf. v. Köln 169 Hermann v. Reichenau 187, 188 Hermann v. Valencienne 346 Herodes 672 Herodot 725
Herold, N. 62 Herold, V. 735, 736, 738, 739, 7 4 2 - 7 4 4 Herrad v. Landsberg (v. Hohenburg) 86 Herrmann, F.-W v. 104 Herzman, R. 79 Hessen, J. 18 Hewlett, H. G. 240 Hieronymus 172, 183,184, 186,194, 222, 494, 526, 732, 733 Hieronymus v. Prag 740, 743, 744 Hiestand, R. 241 Marianus, Q.Julius 172, 184 Hilarius v. Arles 643 Hilarius, Bf. v. Poitiers 394 Hilberg, I. 642 Hildebrand cf. Gregor VII. Hildegard v. Bingen 87, 256, 257, 359, 360, 481, 509, 540 Hildesheimer, W 279, 285 Hilferty, M. C. 279, 281 Hill, C. 83 Hippokrates 349 Hippolytos v. Rom 85 Hippolytos v. Rom (Ps.-) 87 Hirota, D. 680 Hirsch-Reich, B. 93, 519 Hobbes, Th. 32 Hochstetter, E. 472 Hoffmann, E 26 Hoffmann, H. 214 Hofmann, E 493 Hofmeister, A. 156 Holder-Egger, O. 210, 240, 243, 520, 521 Holeton, D. R. 737, 738 Holtzmann, R. 225 Holtzmann, W 207 Homer 115, 116 Honnefelder, L. 73, 427, 455 Honoratus, Bf. v. Arles 643, 656 Honorius II. (Cadalus), Gegenpapst 217, 218 Honorius III., Papst 242, 323, 339, 373 Honorius Augustodunensis 374 Hoogeweg, H. 240 Horkheimer, M. 119 Hoßfeld, P. 388, 393 Hoye, W J. 605, 618, 620 Hrabanus Maurus 352, 508 Hufnagel, A. 389 Hugo v. Digne 521 Hugo v. St. Cher 254 Hugo v. S t.-Victor 152, 509, 515 Hugolinus v. Segni, Bf. v. Ostia cf. Gregor IX. HuiHard-Bréholles, J.-L.-A. 243 Huizinga, J. 729, 734
Namenregister Humbert v. Romans 254 Hunain ibn Ishäq 241 Hünermann, P. 507 Hunger, H. 357 Hunger, U. 13 Hus, Johannes cf. Johannes Hus Husain, Sohn d. 'Ali 203 Huygens, R. B. C. 180, 240 Ibn Haldun 202 Ibn ai-Hanaftya 2 0 3 - 2 0 5 Ibn Mahdî cf. 'Abd al-Nabi' ibn Mahdl Ibn Rusd cf. Averroes Ibn Sina cf. Avicenna Ibn az-Zubair 203, 204 Idei, M. 80, 233 Imbach, R. 469, 632, 634, 726 Immel, I. 525 Inagaki, H. 680 Inge, W R. 123 Inguanez, M. 283 Innozenz II., Papst 538 Innozenz III., Papst 240, 326, 346, 491, 495, 496 Innozenz IV., Papst 538, 706 Iqbal, A. 681 Irenaus v. Lyon 83, 85, 527 Isaac Judaeus 58, 394, 402, 409, 411, 415 Iser, W. 343 Iserloh, E. 472 Isidor v. Sevilla 185-187, 195, 351, 352, 357, 540 Izbicki, Th. M. 62 Jackson, T. R. 308 Jacobellus v. Mies (v. Stfibro) 740, 742 Jacobi, K. 62, 632, 732 Jacobus de Voragine 87, 353 Jacques Fournier cf. Benedikt XII. Jaffé, Ph. 214, 217 Jakob ben Nathanel al-Fayyümi 230, 234, 236 Jakob v. Vitry 240, 241 Jan van Ruusbroec 728, 729 Jansen, Β. 654 Jaspers, Κ. 727 Jaspert, Ν. 521 Jaufré Rudel 641, 655 Jázai, G. 239 Jean le Fèvre 729 Jean cf. Johannes Jeanne d'Arc 728 Jeanroy, A. 655 Jeauneau, E. 72, 118, 125, 373, 374, 378, 744 Jechonia 672
753
Jeck, U. R. 104 Jedin, H. 512 Jehuda Hadassi 233 Jenks, St. 484 Jerónimo de Mendieta 5 5 3 - 5 5 5 Jessen, C. 395 Joachim v. Fiore VI, 71, 89, 92, 93, 102, 105-108,147,158,178,180,251,254,255, 472, 4 8 1 - 5 0 2 , 504, 510-525, 530, 532, 537, 540, 543, 545-549, 552, 553, 641, 648, 659, 663, 666, 675-677, 736 Joan Estève 655 Jocundus v. Maastricht 210, 219 Joerissen, P. 512 Johannes XIII., Papst 190 Johannes XV., Papst 190 Johannes XIX., Papst 190 Johannes XXII., Papst 468, 548, 549, 552, 641, 658, 687, 688, 690, 692, 694, 695, 698, 703-717 Johannes XXIII., Papst 740 Johannes (Yöhannän) bar Penkaye 196 Johannes Buridanus 726 Johannes Cassian 6 4 1 - 6 5 6 Johannes Damaskenos 394, 420, 563 Johannes Duns Scotus 3, 13, 22, 31, 73, 427, 448-458, 4 6 0 - 4 6 2 , 464, 467, 487 Johannes Gerson 130, 721, 7 2 7 - 7 3 4 , 744 Johannes Hus 735-737, 739, 740, 7 4 2 - 7 4 4 Johannes Militsch v. Kremsier cf. Milíc ζ Kroméríze, J. Johannes v. Paris (Quidort) 200, 262 Johannes v. Parma 254, 521, 550 Johannes Peckham 257, 261 Johannes v. Salisbury 156, 352 Johannes Scotus Eriugena 5, 72, 118, 124-128, 132-136, 373-378, 380-387, 743 Johannes Trithemius 167, 177, 526 Johannes de Turrecremata (Juan de Torquemada) 553, 554, 556 Johannes Wyclif cf. Wyclif, John Johannes Zelivsky 741 Jolivet, J. 251 Jonas, H. 120 Jones, C. W 183 Jorissen, H. 563 José de Acosta 554 Julian, J. 279 Julianus Apostata, röm. Ks. 534, 669 Julianus Kardinal Cesarini cf. Cesarini, Julianus Kardinal Julius Caesar 528 Jungmann, J. A. 280
754
Namenregister
Jürgens, H. 535 Jüssen, G. 326 Justinianus I. (der Große), oström. Ks. 535, 666, 669 Justinus I., oström. Ks. 535 Kaeppeli, Th. 710 Kafka, F. 482 Kahl, H.-D. 239 Kaiphas 672 Kaisän, Sektierer 204 Kalb, A. 166, 211 Kaluza, Z. 129, 130, 251, 728, 744 Kamiah, W. 97, 102, 105, 216, 344, 345, 530, 727 Kamp, N. 241 Kampers, F. 241 Kandier, K.-H. 434, 436 Kann, Ch. 58 Kant, I. 3 0 - 3 2 , 69, 70, 725 Kantorowicz, E. 239, 246 Kapriev, G. 178, 390 Karl I. der Große 199-201, 536, 666, 669 Karl III. (der Dicke), Ks. 189 Karl der Einfältige, westfrk. Kg. 189 Karl IV., Ks. 736, 737 Karl V., Ks. 91, 553 Karl VI., Kg. v. Frankreich 91 Karl VIII., K g v. Frankreich 91 Karl I. v. Anjou, Kg. v. Sizilien 201 Karpos 526 Käsemann, E. 82 Kasper, C. M. 511 Katharina v. Siena 728 Kaufmann, F.-X. 563 Kaup, S. 8 Keller, A. 527 Keller, H. 309 Kellermann, W 18 Kelly, F. 241, 295 Kemp, W. 322, 327, 347 Kendall, C. 302 Kenny, Α. 739 Kenovic, Α. 136 Kepler, Johannes 30, 33 Kerby-Fulton, K. 257 Kerinthos 172 Kermode, F. 83 Kerscher, G. 303 Kessler, H. L. 321 Kiener, R. 234 King, J. E. 301 Kingsford, C. L. 257 Kintzinger, M. 369
Kirchmann, K. 96 Kirshner, J. 90, 254 Klaes, M. 509 Klein, P. K. 321 Kleinhenz, C. 86 Klibansky, R. 61 Kling, A. 550 Kloft, H. 189 Kluxen, W V, 7, 8, 21, 33, 3 7 - 3 9 , 42, 44, 463 Knab, D. 210 Kobusch, Th. 419 Koch, J. V, 4, 7 - 3 1 , 33, 34, 3 6 - 3 9 , 41, 43, 44, 52, 6 2 - 6 4 Koller, W. 505 Konen, H. 17 Konrad II., Ks. 221, 222 Konrad III., Ks. 538 Konrad v. Offida 661, 662 Konstantin I. der Große, röm. Ks. 89, 96,169, 197, 198, 201, 534, 542, 666, 669, 672, 673 Konstanze I., Ksn. 512 Kopernikus, Ν. 30, 33 Köpke, R. 210, 218 Kortekaas, G. Α. A. 90, 194 Kortüm, H.-H. 190 Koselleck, R. 96 Kottje, R. 526 Kovach, F.J. 396 Kraemer, J. L. 238 Kraft, H. 286 Kramp, J. 326 Kreiner, A. 51 Kretschmar, G. 526 Kretzenbacher, L. 88 Kries, F. W v. 241 Krings, H. 58 Krohm, H. 311 Kroll, J. 5 - 7 , 11, 12, 17, 18 Kroll, W. 346, 347 Kübel, W. 388-390, 392, 399, 400, 408, 409 Kühle, H. 408 Kurmann, P. 292, 295, 296, 308, 312 Kurth, G. 157 Kurze, F. 186, 507 Kuschel, K.-J. 142 Küster, N. 542 Kybal, V. 738 Kyros, Perserkg. 528 Laarmann, M. 425 Laborde, A. de 323 Labrousse, M. 641, 643, 656 Lacoste, J.-Y. 562 Lacroix, Β. 158
Namenregister Ladner, G. Β. 449 Lafleur, C. 724 Lakebrink, B. 25, 26 Laktanz 172, 286 Lambert v. Saint-Omer 353, 355 Lambertini, R. 250, 255, 256, 259, 261, 521 Lammers, W 348 Lampen v. Hersfeld 187, 209, 210, 224 Landes, R. 71, 176, 185, 505, 508 Landman, L. 231 Lantpertus v. Deutz 169 Laqua, H. P. 221 Largier, Ν. I l l , 131, 430 Laudage, M.-L. 484 Laurentius, Gegenpapst 535 Laurentius v. Brezová 741 Laurentius ν. Lüttich 207 Lavaud, R. 655 Lawrence, D. H. 79 Lawson, H. 51 Le Blevec, D. 166 Le Goff, J. 161, 165, 176, 346, 353, 706, 707 Le Roy Ladurie, E. 161 Leder, J. 148 Leclercq, H. 281 Leclercq, J. 491, 509, 519 Lee, H. 664 Lees, J. T. 515 Leftow, B. 95 Lehtinen, A. I. 618 Leibniz, G.W 3 0 - 3 2 Leicht, I. 138-144, 146-148 Lemaitre, J. 654 Lemmens, L. 259 LeMoine, F. 86 Leo III., Papst 536 Leo Vili., Papst 190 Leo IX., Papst 190, 208 Leonardi, C. 486, 517 Leppin, V. 472, 507, 508, 705, 708, 712, 715 Lerner, R. E. 83, 92, 97, 230, 238, 251, 254, 258,260, 322,482,485-487,491,492,494, 499-501, 525, 530, 537, 543 Lévinas, E. 119, 120, 137 Levine, D. 234 Lewis, S. 321, 336, 339, 346 Lewis, W 648-654, 657, 659, 675 Libera, A. de 251 Licinianus, röm. Ks. 534 Lieber, H.-J. 263 Liebert, D. 681 Lietzmann, H. 100 Lievens, R. 195 Ligeti, G. 279
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Lindsay, W M. 540 Link, H.-G. 118 Lipton, S. 322, 324, 339 Lisco, F. G. 279, 286 Litt, Th. 4 Little, A. G. 257 Livius 155 Lobrichon, G. 176, 528 Lochner, Stephan 297 Loewe, R. 571 Lohmann, H.-E. 208 Lolos, A. 194 Lonergan, B. 579 Lorenz cf. Laurentius Loscertales de G. de Valdeavellano, P. 189 Loserth, J. 739 Lot, F. 166, 169, 170 Lothar III. (ν. Süpplingenburg), Ks. 538 Lothar, Kg. v. Frankreich 189 Lowden, J. 323 Löwenfeld, S. 214 Löwith, K. 62, 97, 102 Luard, H. R. 197, 243, 257 Lubac, H. de 121, 513, 531, 548 Lucius III., Papst 495, 497 Luckhardt, J. 294 Ludwig (I.) der Fromme, Ks. 184 Ludwig III. der Jüngere, ostfrk. Kg. 189 Ludwig IV., westfrk. Kg. 189 Ludwig V., Kg. v. Frankreich 189 Ludwig der Blinde, Ks. 189 Ludwig VIII., Kg. v. Frankreich 324, 339, 342 Ludwig IX. der Heilige, Kg. v. Frankreich 322, 324, 326, 346, 347 Lührmann, D. 100 Lully, J.-B. 279 Luscombe, D. E. V, 497 Luther, M. 118, 174, 487, 556 Lutz, E. C. 308 Lyotard, J.-F. 160 Machens, J. G. 14, 15 Macrobius 411 Madelung, W. 202 Maeck, G. 533, 541 Mahdi, M. 230 Maier, A. 504, 710 Maier, J. 229 Maierù, Α. 521 Maimonides 24, 25, 227-238, 394, 401, 404, 569-572, 574, 580, 598 Makedonios 534 Mandonnet, P ' l 3 3
756
Namenregister
Manselli, R. 105, 259, 507, 545, 641, 648, 655, 676 Maravall, J. A. 551, 553 Marcus Aurelius, röm. Ks. 526 Marc, P. 570 Marcellus I., Papst 534 Marculfus, scriptor 169, 177 Margareta Porete 138-149 Marianus Scottus 188 Marie de Champagne 326 Maritain, J. 17, 65 Markward v. Ried 242 Marrou, H.-I. 546 Marsiii, S. 641 Martène, E. 258 Martin V., Papst 742 Martin de Valencia 5 5 3 - 5 5 7 Martín Hüska 741 Martin-Chabot, E. 655 Marx, Α. 230 Maspoli, S. 632 Matéj ζ Hnátnice 740 Matthaeus v. Aquasparta 435 Matthaeus Paris 197, 200, 243, 257 Matthias v. Janov 737-740, 742 Maurer, A. 7 Maurice de Sully, Bf. v. Paris 326 Maxentius, röm. Ks. 534 Maximinus Daia, röm. Ks. 534 Maximinus Thrax, röm. Ks. 534 Maximus Confessor 127 Mayer, C. 141, 144 Mayer, Η. E. 239, 247 Mazzoni, F. 629 McCash, J. H. 324 McCool, G. A. 9 McCord Adams, M. 53, 450, 457, 460, 473 McGinn, Β. 71, 79, 81, 83, 8 5 - 8 7 , 89, 90, 92, 93, 97, 98, 105-108, 138, 140, 141, 143, 146,147, 216,222, 224,252-254, 261, 377, 380, 488, 510, 512, 517, 528, 530, 537, 548, 579, 641-643, 656 McGowan, J. Κ. 417 McKeon, P. R. 251, 255 Mechthild v. Magdeburg 86 Mehlmann, A. 498 Meier, Chr. 322 Meier, E. 395 Meier, G. 628 Meier, H. 237 Meincke, J. P. V, VI Meinhardt, Η. 62 Melito v. Sardes 527 Melito v. Sardes (Ps.-) 308
Memling, Hans 297 Menas, Patriarch v. Konstantinopel 535 Menegaudus 344 Mensching, G. 465, 474, 705 Menzel, M. 543 Merkelbach, R. 5 Mersmann, W. 288 Mesa, J. de 552 Mesch, W. 439 Metcalf, P. 295 Methodios (Ps.-) 9 0 , 1 9 3 - 1 9 5 , 1 9 7 - 2 0 1 , 205, 244 Meton v. Athen 182 Metz, J. Β. 622 Metz, W. 133, 626, 627 Meuter, G. 260 Meuthen, E. V, 3, 10, 36, 37, 222, 223 Meyer v. Knonau, G. 214-216, 218, 224 Meyer, G. 396 Miccoli, G. 211, 226, 240 Michael V i l i . Palaiologos, byz. Ks. 706 Michaud-Quantin, P. 27 Michelangelo 631 Michon, C. 567 Miethke, J. 250, 251, 253, 259, 263, 466, 473, 486, 504-506, 509, 511, 512, 521-523 Miglio, M. 505 Milhou, A. 551, 552 Miller, C. L. 62 Miller, R. 397 Milic ζ Kromërize, J. (Johannes Militsch ν. Kremsier) 736-740, 742 Milo, D. 166 Mindermann, Α. 541 Mingana, Α. 196 Mingroot, E. van 195 Minguez Fernandez, J. Μ. 189 Minnis, A. J. 529 Miruna Ghil, E. 655 Mittring, Κ. 100 Möhring, Η. 91,193-199, 202, 205, 211, 221, 222, 224, 241, 243-245, 248, 524 Mojsisch, Β. 131, 743 Molnár, Α. 735, 740, 741 Molsdorf, W. 364 Möllmann, J. 119, 260, 261 Momigliano, Α. 629 Mommsen, Th. 183, 185, 186, 527 Moncho, J. R. 569 Montaigne, Michel de 727 Moos, M. F. 132 Morabia, Α. 202 Moran, D. 374-377, 380-382, 386, 387 Mordek, H. 241
Namenregister Morée, P. C. A. 737 Morelles, C. 23 Mostert, M. 158 Mottu, H. 545 Mouroux, J. 99 Mozart, W A. 279 Mráz, M. 736 Mückle, J. T. 58, 394, 400, 410 Mühlbacher, E. 189 al-Muhtär 2 0 3 - 2 0 5 Müller, Ch. 141, 146 Müller, G. VII Münk, S. 569 Müntzer, Thomas 178 Muralt, A. de 584 Murdoch, J. E. 463, 652 Musper, H. 86 Mynors, R. Α. Β. 156 Na Prous Boneta, Begine 674 Nardi, Β. 395 Narses, byz. Feldherr 535 Naß, K. 543 Nechutová, J. 737, 738 Neidl, W M. 5 Nelli, R. 655 Nellmann, E. 210 Nemesios ν. Emesa 569, 570, 576, 578, 593 Nero, röm. Ks. 86, 533, 666, 669, 672, 673 Newton, I. 30, 33 Nicholson, R. 681 Nicolas, J.-H. 586 Niehoff, F. 294 Nietzsche, F. 30, 4 9 - 5 1 , 55, 150, 154, 155, 157, 159-161, 722 Niewöhner, F. 227, 233 Nikolaos, Patriarch v. Alexandria 242 Nikolaus II., Papst 190 Nikolaus III., Papst 657 Nikolaus v. Kues 9,10,19, 22, 25, 2 7 - 2 9 , 33, 34, 39, 44, 53, 6 0 - 6 5 Nikolaus v. Lisieux 258 Nikolaus Minorità 708 Nitschke, A. 348 Noack, L. 125 Nohl, H. 14 Notker Balbulus 731 O'Leary, S. D. 98 O'Meara, D. 115 Oberman, H. 676, 677 Odilo v. Cluny 177 Odo, westfrk. Kg. 189 Odysseus 115-117, 119, 120, 137
757
Oepke, A. 100 Offler, H. S. 476 Oger v. Ivrea 217 Öliger, L. 662 Oliver v. Paderborn 240, 241 Olshausen, E. 527 Opitz, M. 210 Opocenská, J. 737 Opocensky, M. 737 Orígenes 83, 97, 104, 373, 379, 384, 642, 646, 647, 651, 654, 675, 676 Orsi, P. 166, 169 Os, J. van 197 Otten, W. 168, 373, 380, 383, 384 Otto I. der Große, Ks. 167, 190 Otto III., Ks. 169, 536 Otto v. Freising 156, 157, 348, 350, 352, 509, 515 Otto, S. 62 Ovid 349 Paasen, D. van 146 Pagnoni-Sturlese, R. 435 Palacky, F. 736, 744 Palmer, N. F. 308 Paret, R. 199, 227 Parfit, D. 462 Pascal, Bl. 18 Paschalis II., Papst 214 Passenier, A. E. 146 Pásztor, E. 259, 512, 521, 708 Patschovsky, A. 484, 486, 493, 510, 512, 520, 7 3 5 - 7 3 7 , 739, 741, 742 Pattin, A. 389 Paulus der Eremit 666 Pedro de Gante 553 Peelman, A. 101 Pelagius 534, 642 Pellegrini, L. 256, 259 Pelliot, P. 240 Pelster, F. 8, 698 Pépin, J. 115 Pérez Paoli, U. R. 143 Perler, D. 73, 448, 454, 457, 460, 467 Perrin, N. 82 Perry, J. 462 Pertz, G. H. 166, 169,177,185,187, 207, 208, 242 Pesch, Ο. H. 563, 586, 626 Peterson, E. 260 Petraitis, C. 45 Petrus Abaelard 497 Petrus d'Ailly 200, 551 Petrus Alfonsi 491
758
Namenregister
Petrus Aureoli 467 Petrus Cantor 326, 340 Petrus Comestor 87, 200 Petrus Crassus 208, 209, 218, 219 Petrus Damiani 87, 212, 213, 217, 221 Petrus Johannis Olivi VI, 9, 71, 147, 158, 259, 260, 550, 641, 642, 647-666, 674-677, 679-683, 708 Petrus Lombardus 71, 87, 305, 379, 394, 449, 497, 498, 512, 547, 657, 699 Petrus de Palude 703 Pevsner, Ν. 295 Pfeiffer, F. 112 Pfligersdorffer, G. 5 Phelan, J. L. 5 5 1 - 5 5 3 Philipp II. Augustus, Kg. v. Frankreich 91, 324, 326, 342, 347 Philipp VI. der Schöne, Kg. v. Frankreich 710 Philipp der Kanzler 57 Philo v. Alexandrien 643 Piché, D. 74 Pichéry, E. 641, 648 Pickavé, M. V, VII, 47, 115 Pieper,). 70, 121, 724 Pierre Roger cf. Clemens VI. Pines, S. 2 3 3 - 2 3 5 Pippin III., Kg. d. Franken 536, 669 Piron, S. 259, 657, 674 Pistorius, J. 197 Pitts, B. A. 344 Pius V., Papst 283 Plaine, Fr. 166 Plato 50, 55,112,113, 384,411, 412, 415, 575, 576, 721-725, 744 Plotin 115, 1 1 6 , 1 2 3 - 1 2 5 , 1 2 8 , 1 4 2 - 1 4 4 , 380 Plummer, Ch. 183 Pluta, O. 449, 743 Poeschke, J. 303 Pognon, E. 166, 171 Pollmann, Κ. 379 Pöltner, G. 56 Poly, J. P. 176 Polykarp v. Smyrna 526, 527, 529 Popper, K. R. 26, 32 Potestà, G. L. 486-488, 491, 493, 500, 510, 511, 514, 516, 524, 530 Potthast, Α. 506 Powell, J. M. 240 Powels-Niami, S. 227 Pricoco, S. 641 Prinz, O. 199 Procopius v. Pilsen 742-744 Proklos 72, 115, 121, 122, 127, 130, 380 Prou, M. 213
Prügl, Th. 8 Ptolemäus 353 Puntel, L. B. 58 Putallaz, F.-X. 726 Pythagoras 570 Quadratus (Kodratos) 527 Quante, M. 462 Quint, J. 148 Quodvultdeus 194 Rabinowitz, M. D. 231 Raby, F. J. E. 279, 281 Rad, G. v. 117 Rädle, F. 279, 281 Radulf v. Coggeshall 513 Rahner, H. 117 Rahner, K. 563, 612, 6 1 8 - 6 2 2 Raimon Feraut 656 Raimundus Lullus 550 Rainer v. Florenz 214, 220 Rainer v. Ponza 496, 498, 511 Rakemann, K. 541 Randi, E. 708 Rapp, C. 439 Raschi (Rabbi Salomo ben Isaak) 494 Rassow, P. 6, 11, 12 Ratzinger, J. 11, 100, 107, 108, 546, 687 Rauh, H. D. 95, 211, 212, 216, 221-223, 226, 345, 508 Rauschen, G. 8 Ravitzky, Α. 391 Reads, P. 240 Reeves, M. 91, 93, 105, 106, 221, 239, 510, 519, 522, 548, 664 Regino v. Prüm 186-188 Reichel, Α. M. 321 Reichert, B.-M. 254 Reindel, Κ. 212, 213 Reinhardt, E. 545, 547 Reinhardt, Κ. 551 Reinink, G.J. 90, 194, 196, 197 Reinisch, L. 101 Remmling, G. W 51 Reventlow, H. Graf 528 Rheinfelder, H. 631, 632 Richard I. (Löwenherz), Kg. v. England 488, 512 Richard v. Mediavilla 435 Richard v. San Germano 243, 248 Richard v. St.-Victor 344, 648, 653, 707 Riché, P. 528 Ricklin, Th. 634 Riedl, J. O. 1 9 , 2 3 - 2 5 , 37
Namenregister Riemann, H. D. 64 Ries, J. 644 Riesenfeld, H. 643 Righetti Tosti-Croce, M. 505 Rigo, C. 388, 391, 392, 394, 408 Ritt, H. 526 Robb, F. 491, 496, 511 Robert I., westfrk. Kg. 189 Robert II., Kg. v. Frankreich 168, 169 Robert de Courson 326 Robert Grosseteste 32, 725 Robert v. Molesme 512 Rochais, H. M. 519, 687 Rock, J. P. 562 Rodenberg, C. 242 Rodriguez de Lama, J. 189 Rodulfus Glaber 158, 167, 168, 181, 213, 505 Roest, B. 531, 540 Roger Bacon 32, 724 Roger Wendover 240, 243, 246, 247 Rohde, J. 100 Röhricht, R. 239, 242 Rollmann, H. 680 Ronig, F. 369 Roscelin v. Compiègne 497 Rösch, E. 349 Roscher, H. 240, 495 Rosenthal, F. 202 Roth, H.-J. 512 Rouwhorst, G. 168 Roy, J. 166, 170 Ruben-Hayoun, M. 571 Rücker, E. 367 Rudavsky, T. 463 Rudolf, westfrk. Kg. 189 Rudolf v. Rheinfelden, dt. Gegenkg. 215, 216 Rudolf v. Ems 200 Rudolf, R. 728 Ruello, F. 418 Rüfener, V. 62 Ruff, E.J. F. 241 Ruggieri, G. 251, 261, 506 Ruh, Κ. 105, 533 Ruhstorfer, Κ. 144 Rüml, Galâhaddïn 680-682 Runciman, St. 239 Rupert ν. Deutz 507, 509, 514 Rupprecht, Β. 302, 307 Rusconi, R. 486, 548, 550, 551 Russo, E. 545 Ruusbroec, Jan van cf. Jan van Ruusbroec Sabellius 497 Sackur, E. 90, 197, 211, 219, 221, 222, 224, 507
759
Sagaris, Bf. v. Laodicea 527 Saitschick, R. 4, 5 Saladin 92, 230, 238, 538 Salimbene v. Parma 521 Sallust 155 Salomo 682 Salvianus v. Marseille 157 Sanchez Belda, L. 189 Sanders, E. 82 Sanders, H. Α. 172, 185 Sanó, F. 484, 486 Saranyana, J.-I. 545-547, 549-553, 555 Sarnowsky, J. 484 Sauerländer, W. 304, 308, 309, 367 Savigni, R. 543 Schachten, W 547, 549 Schadek, H. 312 Schäfer, Cl. 12 Schäfer, L. 469 Schalk, F. 18, 19 Schaller, H. M. 240, 242, 243, 245, 246, 248 Scharbert, J. 247 Schaub, W. 535 Schedel, H. 367, 368 Scheffczyk, L. 707 Scheffer-Boichorst, P. 240 Schein, S. 239 Scheler, M. 4, 5, 8 Schell, H. 8 Schelling, F. W. J. 374, 426 Schenk, R. 574 Scherer, G. 727 Schieffer, R. 214 Schillebeeckx, E. 133 Schiller, G. 308 Schimmelpfennig, Β. 505 Schindler, Α. 98 Schlageter, J. 259 Schlechta, Κ. 150 Schlegel, A. W 286 Schleiermacher, F. 723 Schlier, H. 99, 100 Schlink, W 294, 304 Schlosser, M. 541 Schmale, F.-J. 207, 208, 213, 220 Schmale-Ott, I. 208, 220 Schmaus, M. 7, 626 Schmidt, A. 348 Schmidt, H.-J. 540 Schmidt, M. 498 Schmidt-Biggemann, W. 152-155, 158 Schmies, B. 541 Schmitt, C. 260 Schmitt, F. S. 53-56, 584
760
Namenregister
Schmolinsky, S. 240, 253, 525, 537-541, 543 Schneider, Α. 4 - 6 , 8, 2 1 - 2 3 , 403 Schneider, Ch. 215 Schneider, T. 563 Schneider, W. Ch. 362 Scholem, G. 80 Scholler, H. 322 Scholz, R. 262, 264 Schönberger, R. 721, 732 Schönmetzer, A. 507, 706 Schreiner, K. 310, 511 Schrejäck, Th. 6 Schröder, A. 285 Schröder, W. 322 Schroers, G. 8 Schulte, A. 281 Schulte, Ch. 227 Schulte, J. F. v. 310 Schulte, K.J. 3, 4, 8 Schulz, G. 56 Schulze-Busacker, E. 655 Schupp, V. 530 Schwartz, E. 527 Schwarz, F. F. 439 Schwarz, R. 118 Schweitzer, A. 82 Schwenkenbecher, W 208 Schwyzer, H.-R. 123 Scott, Α. B. 529 Sebastián, S. 552 Seckendorff, E. S. v. 635 Seckler, M. 72 Sedlmayr, H. 294 Segl, P. 248 Seidel, L. 79 Seifert, Α. 542 Selge, K.-V. 481, 484, 493, 510, 511, 514, 546, 736 Seneca 724, 732 Senger, H. G. 10, 34, 65 Sergius IV., Papst 190 Setton, Κ. H. 241 Severus, röm. Ks. 534 Severus Alexander, röm. Ks. 534 Seyffert, H. 217 Shadis, M. 324 Shahan, R. W 396 Shams v. Tabriz (Samsaddln Tabriz!) 6 8 0 - 6 8 2 Sheldon-Williams, I. P. 127 Shinran 680, 682 Shiva, S. 681 Shoemaker, S. 462 Sicardus v. Cremona 301, 353 Siedler, D. 390
Sigebert v. Gembloux 216, 219 Siger IX., Abt. d. Kl. Hirsau 167 Siger v. Brabant 31, 34, 715, 726 Sigmund (Sigismund), Ks. 742 Silano, G. 664 Silverius, Papst 535 Silvester I., Papst 169, 534, 537, 538, 666 Silvester II., Papst cf. Gerbert v. Aurillac Silvester v. Ferrara 562 Simon Magus 87 Simon v. Monfort 674 Simon, M. 80 Simon, P. 388 Simoncioli, F. 642 Simson, B. v. 243 Skutella, M. 535 Smahel, F. 735-737, 739, 741 Smalley, B. 322, 513, 529 Sokrates 724 Söhngen, G. 11 Söllner, P. 540 Soloveitchik, H. 231 Sommerlechner, A. 539 Sondag, G. 453 Sorabji, R. 104, 375, 450, 595 Soucek, J. B. 735, 736 Sousedik, S. 744 Spade, P. V. 459 Spaemann, R. 731 Späth, M. 321 Specht, Th. 289 Speer, Α. V, 36, 4 1 - 4 3 , 46,47, 65, 72, 74,115, 118, 296, 358, 390, 434, 540 Sperna Weiland, J. 51 Spiazzi, R. M. 262, 725 Springer, PI. 356 Spruit, L. 453 Stadler, H. 388 Stanford, W B. 115 Stangier, T. 294 Stanislaus v. Znaim 743 Staritz, K. 358 Stark, M. 527 Stark, R. 80 Staubach, N. 309 Steel, C. 39, 72, 115, 118, 133, 389, 392, 423 Steele, R. 724 Steer, G. 131 Stein, S. 571 Stein, S. J. 71 Stephan (hl.) 309, 666 Stephan II., Papst 536 Stephan v. Palecz 743 Stephan v. Tournai 310
Namenregister Stephen Langton 326 Stevenson, J. 513 Stierle, K. 327, 343 Stock, A. 279 Stockums, W 469 Stoffers, M. 158 Stork, H.-W 323, 339, 344 Stroick, C. 389 Ströker, E. 469 Stroumsa, G. 645 Struve, B. G. 197 Struve, T. 207, 208, 210, 213-219, 221, 224 Stubbs, W. 158 Stump, E. 459 Sturlese, L. 443 Stürner, W. 216, 241, 243, 248, 369 Suchla, B. R. 116 Suerbaum, A. 308 Suermann, H. 195 Suwe, I. 656 Sylla, E. D. 463 Sylvest, E. E. 551 Symmachus 535 Szczypiorski, A. 138, 139 Szittya, P. R. 255 Szôvérffy, J. 281 Tachau, K. H. 324, 346, 453 Tacitus 155 Tammen, B. R. 321 Tammen, S. 321, 346 Tankred v. Lecce, Kg. v. Sizilien 512 Taubes, J. 97 Taviani-Carozzi, H. 105 Terel, M.-L. 308 Teusch, Ch. 6, 17, 21 Theiler, W. 441 Theophanes Confessor 186 Theophilus Presbyter 301 Thibaudet, A. 727 Thietmar v. Merseburg 166, 168, 225 Thiota 507 Thomas v. Celano 283, 550 Thomas v. Aquin VI, 3, 9, 18, 22, 25, 27, 28, 3 0 - 3 2 , 34, 35, 37, 40, 46, 4 8 - 5 0 , 52, 53, 5 6 - 6 0 , 64, 7 2 - 7 5 , 87, 118, 124, 128, 130, 132-135, 152, 153, 262, 263, 404, 417-428, 4 3 0 - 4 3 2 , 447, 466-470, 487, 524, 547, 549, 561-637, 660, 661, 697,713, 723-725, 732, 737 Thomas Waleys 710 Thomas, A. 288 Thomas, P. 401
761
Thomasin v. Zerclaere 241 Thomson, W. R. 257 Thorsch, E. 212 Thouzellier, Ch. 650 Thukydides 155 Titus, röm. Ks. 533 Tocco, F. 257 Todeschini, G. 252 Tokunaga, A. 680 Tondelli, L. 93, 493 Töpfer, B. 105, 106, 241, 251, 253, 517, 522, 524 Topitsch, E. 95, 109 Toribio de Benavente 554 Tornau, Ch. 142 TorreU, J.-P. 48, 132, 133, 418, 531, 561, 573, 582, 588, 591 Touati, C. 571 Toussaint, G. 321 Tremp, E. 505 Trillmich, W. 166 Trottmann, Ch. 605-607, 610, 687, 688, 692, 703 Trunz, E. 280 Trusen, W 708 Trütsch, J. 626 Tugnoli, C. 543 Türänsäh, Bruder d. Saladin 238 Twersky, I. 238 Tyorinoja, R. 618 Ubertino da Casale 524 Udina Martorell, F. 189 Ueberweg, F. 9, 28 Ullrich, L. 563 Ulmer, K. 50 'Umar (I.), zweiter Kalif 204, 673 'Umära al-Hakamî 237 Urban II., Papst 221, 239, 536 Urban IV., Papst 547 Urban V, Papst 737 Urbieta Arteta, A. 189 Uryuzu, R. 680 Usia, bibl. Kg. 494 'Utmän, dritter Kalif 673 Valantasis, R. 642 Vallone, Α. 629 Valois, Ν. 326 Valverde, J. F. 550 Van Cleve, T. C. 241 Van Engen, J. 509, 514 Van Riet, S. 58, 130, 400, 404, 409
762
Namenregister
Van Steenberghen, F. 27, 37, 44, 726 Vanderkam, J. 80 Varga, L. 32 Vegetius 732 Vehse, O. 243, 248 Velde, R. te 75, 135, 595 Vellekoop, K. 279, 281 Veithoven, Th. van 62, 64 Vennebusch, J. 397 Verbeke, G. 132, 569 Verbeke, W 71, 95, 176, 185, 195, 196, 251, 345, 506 Verdeyen, P. 138, 148 Verdi, G. 279 Verdier, P. 308 Verger, J. 528 Vergil 636 Verheijen, L. 173 Verhelst, D. 71, 85, 95, 132, 176, 180, 185, 195-197, 251, 345, 506 Vernet, A. 324 Vian, P. 259, 657 Vico, G. 62, 63 Victorius v. Aquitanien 181 Viechtbauer, H. 62 Viktor III., Papst 221 Vilanova, E. 545 Vinzenz v. Beauvais 200 Violante, C. 207 Visker, R. 120 Vodola, E. 243 Vogel, J. 216 Vogels, H.-J. 390 Vogt, J. 8 Vogüé, A. de 689 Voltaire 32 Vooght, P. de 740, 741 Vona, I. 511 Vones-Liebenstein, U. 189 Vries, J. de 443, 447 Vuillemin-Diem, G. 41 Wachtel, A. 525, 531, 533, 543 Wadell, M.-B. 288 Wadstein, E. 211, 212, 214, 216 Wagner, F. 281 Waitz, G. 185, 187, 197, 207 Wakefield, W. L. 650, 655 Walahfrid Strabo 311, 526 Wald, B. 724 Waleys, Thomas cf. Thomas Waleys Walsh, Κ. 254, 347 Walter v. Mortagne 498
Wannenmacher, J. 486 Ward, B. 88 Warning, R. 327, 343 Wattenbach, W. 207, 213, 242 Weber, Ch. 18 Weber, Ε. H. 251 Weber, R. 250, 525 Weder, H. 99 Wegener, L. VII Weidinger, E. 48 Weiland, L. 243 Weimar, P. 509 Weinfurter, St. 208 Weiss, A. 229 Weiss, D. 324 Weiss, J. P. 656 Weiss, M. 401 Weißenrieder, A. 710 Welkenhuysen, A. 71, 95, 176, 185, 196, 251, 345, 506 Welte, B. 563 Wemple, S. 90, 254 Wenin, Ch. 133 Wenzel IV., Kg. v. Böhmen 741 Wenzel, S. 652 Werner, F. 307 Werner, M. 108 Wessel, K. 247 Wessley, St. 485, 487, 488, 493 West, D. C. 550 Westermann-Angerhausen, H. VII, 296 Wey,J.C. 713 Whitelock, D. 188 Wibert v. Ravenna cf. Clemens III., Gegenpapst Wicki, N. 57, 606 Wieland, G. 398 Wilhelm II., Kg. v. Sizilien 512 Wilhelm v. Auvergne 326, 605 Wilhelm der Bretone 324 Wilhelm v. Conches 744 Wilhelm v. Moerbeke 123 Wilhelm v. Ockham 9, 73, 74, 437, 446, 449, 456-462, 465-477, 705, 7 0 8 - 7 1 7 Wilhelm Peraldus 724 Wilhelm v. St-Amour 250, 251, 254-258, 260, 261, 660, 737, 738 Wilhelm cf. Guillaume Williams, Α. 105 Williams, Β. 375 Wilpert, P. 33, 34, 3 8 - 4 0 , 42, 44, 45, 52 Wimbush, V. 642 Winkelmann, E. 243, 246, 496
Namenregister Winkler, G. Β. 310 Wintgen, R. 1 0 - 1 3 Wippel, J. F. 56 Wissink, J. Β. M. 597 Wittgenstein, L. 733 Wlodek, Z. 744 Wlosok, A. 286 Wohlmann, A. 571 Wolf, G. 321 Wolf, J. 543 Wolgemut, Michael 367, 368 Wolter, Α. B. 448, 450, 454, 460 Wood, D. 252, 254, 347 Wood, R. 714 Wright, J. H. 587 Wyclif, John 739, 742, 743 Wyngaert, A. van den 257
763
Yaffe, M. D. 563 Young, F. M. 379 Ysaac, W. 562, 567 Zaballa, A. de 550, 552, 553, 555 Zahlten, J. 348, 349, 352, 353, 358, 359, 367, 369 Zaniboni, I. 250 Zedelmaier, H. 542 Zehnder, F. G. 297 Zey, C. 214 Ziegler, Th. 8 Zimmermann, Α. V, 2 9 , 3 1 , 3 9 - 4 2 , 4 5 , 4 6 , 52, 56, 72, 118, 250, 251, 396, 443, 522, 549, 605 Zimmermann, H. 190 Zobel, M. 228 Zucchetti, G. 187
Mittelaiter bei de Gruyter
Miscellanea Medíaevalia Veröffentlichungen des Thomas-Instituts der Universität Köln Herausgegeben von Jan A. Aertsen Band 28:
Band 26:
Nach der Verurteilung von 1277 / After the Condemnation of 1277
Was ist Philosophie im Mittelalter? Qu'est-ce que la philosophie au moyen âge? What is Philosophy in the Middle Ages? Herausgegeben von Jan A. Aertsen und Andreas Speer
Philosophie und Theologie an der Universität von Paris im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts. Studien und Texte / Philosophy and Theology at the University of Paris in the Last Quarter of the Thirteenth Century. Studies and Texts
Herausgegeben von Jan A. Aertsen, Kent Emery und Andreas Speer 2001. 24 χ 17 cm. X, 1.033 Seiten. Leinen. DM 496,- /öS 3.621,-* /sFr 427,- / approx. US$ 248.00 ab 01.01.2002: € 2 4 8 , • ISBN 3-11-016933-9
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Geistesleben im 13. Jahrhundert Herausgegeben von Jan A. Aertsen und Andreas Speer
Raum und Raumvorstellungen im Mittelalter Herausgegeben von Jan A. Aertsen und Andreas Speer
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1998. 24 χ 16,5 cm. XXI, 847 Seiten. 94 Abbildungen. Leinen. DM 596,- /öS 4.351,-* Is Fr 513,- / approx. US$ 298.00 ab 01.01.2002: € 2 9 8 , -
Band 27:
• ISBN 3-11-015716-0
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