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German Pages 394 [398] Year 2020
Christa Klein
Elite und Krise Expansion und „Selbstbehauptung“ der Philosophischen Fakultät Freiburg 1945–1967
WISSENSCHAF T SKULT UREN Reihe III: Pallas Athene Band 54
Franz Steiner Verlag
Herausgegeben von Christian Joas Veronika Lipphardt Gabriele Metzler Kärin Nickelsen Margit Szöllösi-Janze
W I S S E N S C H A F T S K U LT U R E N Reihe III: Pallas Athene Geschichte der institutionalisierten Wissenschaft Bd. 54
Christa Klein ELITE UND KRISE
Expansion und „Selbstbehauptung“ der Philosophischen Fakultät Freiburg 1945–1967
Franz Steiner Verlag
Umschlagabbildung: Professoren und Ehrengäste des Universitätsjubiläums 1957 umringt von Studierenden und Publikum, Foto aus dem Universitätsarchiv Freiburg, D0052/0026_0001 © Universitätsarchiv Freiburg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2020 Zugleich Dissertation an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau Layout und Herstellung durch den Verlag Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12599-4 (Print) ISBN 978-3-515-12601-4 (E-Book)
Für die Frösche
Inhaltsverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort
11 13
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
1. 1.1 1.2 1.3
Einleitung. Bildungsexpansion, Krisenrhetorik, Reformstau . . . . . . . . . Fragestellung, Untersuchungsgegenstand, Zeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Universitätsgeschichte als missing link . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methoden, Aufbau und Quellenbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19 19 25 31
2. 2.1
Die Heterogenität der Philosophischen Fakultät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Philosophische Fakultät als Institution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34 36 36 40 42 44
2.3
Fächer und Studiengänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Größenverhältnisse der verschiedenen Fächer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personalstruktur – Die Gliederung des Lehrkörpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die „engere Fakultät“: Der Fakultätsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammensetzung des Fakultätsrats, Hierarchiegefälle und Stimmrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Die Arbeitsweise des Fakultätsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Die wichtigsten hochschulpolitischen Gremien der 1950er/60er Jahre . . . 51
3. 3.1
Die Expansion der Philosophischen Fakultät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Professuren: Entnazifizierung, Ausdifferenzierung und Ausbau . . . . . . . . . .
54 54 54 63 74 80 83 85 86
2 .1 .1 2 .1 .2 2 .1 .3 2.2
2 .2 .1 2 .2 .2
3 .1 .1 3 .1 .2 3 .1 .3 3 .1 .4 3 .1 .5 3.2
3 .2 .1
Ausnahmezustand, Épuration und Reetablierung (1945–52) . . . . . . . . . . . Ausdifferenzierung der großen Fächer und Art . 131 GG (1953–60) . . . . . Gleichmäßiger Ausbau unter Einfluss des Wissenschaftsrats (1960–66) . Entlastungslehrstühle in den großen Fächern (1967–70) . . . . . . . . . . . . . . . Statussicherung und Konkurrenzangst als hemmende Faktoren . . . . . . . . . Studierende und Frequenzentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rekonstitutionsphase 1945–52 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
Inhaltsverzeichnis
3 .2 .2 3 .2 .3 3 .2 .4 3 .2 .5 3.3
3 .3 .1 3 .3 .2 3 .3 .3 3.4
3 .4 .1 3 .4 .2 3 .4 .3 3 .4 .4 3 .4 .5 4. 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5
Die Wachstums- und Neukonsolidierungsphase 1953–70 . . . . . . . . . . . . . . 94 Veränderungen in der sozialen Zusammensetzung der Studierenden . . . . 102 Reformbedürfnisse – Zur Lage der Studentinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Missverhältnisse zwischen Lehrstuhlausbau und Frequenzanstieg . . . . . . . 112 Die Entwicklung der Prüfungsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Die Auseinanderentwicklung von Staatsexamen und Promotion 1947–52 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Die Reform der Staatsexamensstudiengänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Die Einführung des Magisters und der Wandel der Dissertationen . . . . . . 128 Der Ausbau des akademischen Mittelbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Die Nichtordinarien und die „Verlaufbahnung des Hochschulberufs“ . . . . 136 Motive und Planungen zur Entwicklung des Mittelbaus . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Der Ausbau des Mittelbaus in den 1960er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Frauen im Lehrkörper der Philosophischen Fakultät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Verschiebung der Lehrkörperstruktur als Lösung der „Überfüllungskrise“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Die Professoren der Philosophischen Fakultät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Professor_innengenerationen als Analysekonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Professor_innengenerationen an der Philosophischen Fakultät Freiburg . . 175 Laufbahnen und Sozialstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Erfahrungshorizonte und Prägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Professorale Typen und Aufgabenfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
4 .5 .1 4 .5 .2 4 .5 .3 4 .5 .4
Wissenschaftsorganisation als professorale Hauptaufgabe . . . . . . . . . . . . . .204 Gerhard Ritter – Ein „National- und Moraltrompeter“ . . . . . . . . . . . . . . . . .209 Arnold Bergstraesser – „ein bunter Paradiesvogel mit Weltläufigkeit“ . . . . 215 Gerd Tellenbach – ein konservativer Modernisierer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
5. 5.1
Krisenrhetorik, Wissenschaftsorganisation, Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . 226 Restauration durch geisteswissenschaftliche Krisenrhetorik 1945–52 . . . . . 226
5 .1 .1 5 .1 .2 5 .1 .3 5 .1 .4 5 .1 .5 5.2
5 .2 .1 5 .2 .2 5 .2 .3 5 .2 .4
Gerhard Ritter: Der NS als Folge der Krise des deutschen Idealismus . . . 228 Gerd Tellenbach: „Schwäche ist Schuld“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Krisenlösungen: Idealismus, Humboldt, Geschichtsreligion . . . . . . . . . . . . 239 Kontrapunkte zum idealistischen Krisendiskurs: Heiss und Bauer . . . . . . .248 Krisenrhetorik in der Öffentlichkeit: Affirmation, Protest, Kritik . . . . . . . . 253 „Tradition und Neugestaltung“. Die Modernisierungsphase 1953–59 . . . . 265 Die Institutionalisierung der Wissenschaftlichen Politik und Soziologie . .266 Idealistische Krisenrhetorik als professorale Zugangsvoraussetzung . . . . . 270 Arnold Bergstraesser als Netzwerker und Wissenschaftsmanager . . . . . . . . 276 Begabungsreservoir und Elitenselektion: Tellenbach und das Honnefer Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
Inhaltsverzeichnis
5 .2 .5 5 .2 .6 5.3
5 .3 .1 5 .3 .2 5 .3 .3 5 .3 .4
Modernisieren mit Humboldt: Der Ausbau des Mittelbaus . . . . . . . . . . . . 292 Krisenrhetorik als einhegende Integrationsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Die Krise im Wandel. Die Dynamisierungsphase 1960–67 . . . . . . . . . . . . . . . 299 „Kampf um eine universitäre Liliput-Demokratie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Wende der Krisenrhetorik und neue Verhältnisse zu Öffentlichkeiten . . 307 Reaktionen auf die Empfehlungen des Wissenschaftsrats . . . . . . . . . . . . . . 313 Pluralisierung der Krisenformate und Selbstverständnisse . . . . . . . . . . . . . 321
6.2 6.3
Die Krise der Elite als Chance der Geisteswissenschaften . . . . . . . . . . . . 326 Restaurative Rekonsolidierung: Idealistische Umdeutung des NS 1945–52 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 Institutionelle Modernisierung unter traditionellen Vorzeichen 1953–59 . . 329 Universitätsreformen und Liberalisierungsprozesse 1960–67 . . . . . . . . . . . . 333
7. 7.1 7.2 7.3
Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Archivalische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Zeitgenössische Zeitungen; Online-Datenbanken; Interviews . . . . . . . . . . . 344 Gedruckte Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
6. 6.1
Personen- und Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
9
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abb . 1: Größenverhältnisse der Fächer nach Studienfällen 1967 . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Abb . 2: Größenverhältnisse der Fächer nach Studierenden‚köpfen‘ 1950/1958 . . 41 Abb . 3: Frequenzentwicklung der Philos . Fak . und der Universität Freiburg 1946–69 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Abb . 4: Frequenzentwicklung der Philos . Fak . und der Universität Freiburg 1871–1970 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Abb . 5: Frequenzentwicklung der Freiburger Fakultäten im Vergleich 1945–70 . 96 Abb . 6: Wachstumsrate der Studierendenanzahl (Ausgangsjahr 1955, in %) . . . . . 97 Abb . 7: Entwicklung der Anzahl an Studentinnen und Studenten im Vergleich . . 107 Abb . 8: Anteile der Studentinnen und Studenten im Verhältnis 1954–70 . . . . . . . 107 Abb . 9: Die mittlere Betreuungsrelation an der Philos . Fak . Freiburg 1947–70 . . . 113 Abb . 10: Die mittlere Betreuungsrelation an der Philos . Fak . Freiburg 1910–70 . . . 113 Abb . 11: Betreuungsverhältnisse der einzelnen Fächer der Philos . Fakultät 1967 . . 115 Abb . 12: Entwicklung des Umfangs der Dissertationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Abb . 13: Entwicklung d . Umfangs d . Dissertationen von Männern u . Frauen im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Abb . 14: Ausbau des Lehrkörpers der Philos . Fak . Freiburg 1947–70 . . . . . . . . . . . . 154 Abb . 15: Entwicklung der Anteile der Lehrkörpergruppen an der Philos . Fak . 1945–69 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Abb . 16: Die Krisengeneration und die Dynamisierte Generation . . . . . . . . . . . . . . . 165 Abb . 17: Generationelle Anteile am Fakultätsrat 1947–70 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Abb . 18: Berufe der Väter der Professoren der Philos . Fakultät 1945–66 . . . . . . . . . 186 Abb . 19: Gerhard Ritter (ca . 1960) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .209 Abb . 20: Arnold Bergstraesser, NATO Kongress Freiburg 1960 . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Abb . 21: Gerd Tellenbach (ca . 1950) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Abb . 22: Rück- und Vorderseite der FSZ-Sonderausgabe zur Aktion 1 . Juli 1965 . . 311
12
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Tab . 1:
Stellenstruktur des Lehrkörpers der Philos . Fak . in den 1950er/60er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Tab . 2: Neue Disziplinen – Spezialisierte Professuren – Parallelprofessuren . . . . . 83 Tab . 3: Frequenzanstieg, Ausbau der Professuren, Betreuungsrelation . . . . . . . . . . 114 Tab . 4: Frequenzen der Lehrveranstaltungen des Englischen Seminars 1958 . . . . 117 Tab . 5: Dissertationen nach Umfang und Fächern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Tab . 6: Ausbau der Lehrkörpergruppen an der Philos . Fak . Freiburg 1947–69 . . 153 Tab . 7: Geschlechterverteilung des Lehrkörpers 1947–69 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Tab . 8: Wachstum des gegliederten Lehrkörpers der Philos . Fak . im Vergleich . . 162 Tab . 9: Politische Generationen nach Jahrgängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Tab . 10: Generationelle Anteile am Fakultätsrat 1947–70 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
Abkürzungsverzeichnis
apl .: ACG: AKF: APSA: BAK: bpb: BZ: bzw .: CEPES: CISH: DDR: DFG: DGAP: DUZ: DVWP: EKD: FAZ: FSZ: FUB: GG: GUZ: GWI: GWU: HZ: KDSE: KM: KMK: kw: LSD:
außerplanmäßig American Council on Germany Arbeitsstelle für Kulturwissenschaftliche Forschung American Political Science Association Bundesassistentenkonferenz Bundeszentrale für Politische Bildung Badische Zeitung beziehungsweise Comité Européen pour le Progrès Economique et Social Comité international des sciences historiques Deutsche Demokratische Republik Deutsche Forschungsgemeinschaft Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik Deutsche Universitätszeitung Deutsche Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik Evangelische Kirche Deutschlands Frankfurter Allgemeine Zeitung Freiburger Studenten Zeitung Freiburger Universitätsblätter Geschichte und Gesellschaft . Zeitschrift für historische Sozialwissenschaft Göttinger Universitätszeitung George-Washington-Institut für Amerikakunde Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Historische Zeitschrift Katholische Deutsche Studenten-Einigung Kultusministerium Konferenz der Kultusminister künftig wegfallend liberaler Studentenbund Deutschlands
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Abkürzungsverzeichnis
MPI: NDL: NL: NS: PDs: PH: Philos . Fak .: pln .: PVZ:
Max-Planck-Institut Neuere Deutsche Literaturgeschichte Nachlass Nationalsozialismus, nationalsozialistisch/e_r/n Privatdozierende Pädagogische Hochschule Philosophische Fakultät planmäßig Politische Vierteljahresschrift . Zeitschrift der deutschen Vereinigung für Politik RCDS: Ring Christlich-Demokratischer Studenten SDS: Sozialistischer Deutscher Studentenbund SoSe: Sommersemester SWP: Stiftung Wissenschaft und Politik SZ: Süddeutsche Zeitung TH: Technische Hochschule UA Freiburg: Universitätsarchiv Freiburg i . Br . uk gestellt: unabkömmlich gestellt (konnte nicht eingezogen werden) UNESCO: United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization VDS: Verband Deutscher Studentenschaften VHD: Verband Deutscher Historiker VfZ: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, hg . v . Institut für Zeitgeschichte wiss .: wissenschaftlich/e_r/n WR: Wissenschaftsrat WRK: Westdeutsche Rektorenkonferenz WS: Wintersemester WA/AR: Wissenschaftliche Assistent_innen und Akademische Rät_innen
Die Geschichtenerzähler machen weiter, die Autoindustrie macht weiter, die Arbeiter machen weiter, die Regierungen machen weiter, die Rock’n’Roll-Sänger machen weiter, die Preise machen weiter, das Papier macht weiter, die Tiere und Bäume machen weiter, Tag und Nacht macht weiter, der Mond geht auf, die Sonne geht auf, die Augen gehen auf, Türen gehen auf, der Mund geht auf, man spricht, man macht Zeichen, Zeichen an den Häuserwänden, Zeichen auf der Straße, Zeichen in den Maschinen, die bewegt werden, Bewegungen in den Zimmern, durch eine Wohnung, wenn niemand außer einem selbst da ist, Wind weht altes Zeitungspapier über einen leeren grauen Parkplatz, wilde Gebüsche und Gras wachsen in den liegengelassenen Trümmergrundstücken, mitten in der Innenstadt, ein Bauzaun ist blau gestrichen, an den Bauzaun ist ein Schild genagelt, Plakate ankleben Verboten, die Plakate, Bauzäune und Verbote machen weiter, die Fahrstühle machen weiter, die Häuserwände machen weiter, die Innenstadt macht weiter, die Vorstädte machen weiter. […] Auch alle Fragen machen weiter, wie alle Antworten weitermachen. Der Raum macht weiter. Ich mache die Augen auf und sehe auf ein weißes Stück Papier. Rolf Dieter Brinkmann (1975), Westwärts 1&2. Gedichte (Reinbek/Hamburg: Rowohlt), S. 5–7.
Vorwort
Diese Arbeit ist im Rahmen des DFG-Projekts Universität, Wissenschaft und Öffentlichkeit. Die Universität Freiburg, ihre Mediziner und Geisteswissenschaftler ca. 1945–1970 entstanden . Sie wurde im Sommersemester 2017 von der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg als Dissertation angenommen und im Oktober 2017 mit dem Ralf-Dahrendorf-Preis ausgezeichnet . Mein Dank gebührt der DFG, die diese Arbeit finanziert, der Jubiläumsstiftung der Universität Freiburg, die den zügigen Abschluss gefördert sowie der Badischen Zeitung, die diese Arbeit mit dem Ralf-DahrendorfPreis ausgezeichnet hat . Vielen Dank auch an den DAAD, der eine Reise zur Konferenz der German Studies Association in Denver, CO finanzierte . Diese und die vielen anderen Workshops und Tagungen haben Raum für Diskussionen und Austausch geschaffen, die von unschätzbarem Wert für diese Arbeit waren . Allen, die diese Arbeit ermöglicht haben, möchte ich danken . Es sind viele, hier seien nur einige genannt . An erster Stelle danke ich Sylvia Paletschek für die ausdauernde Betreuung und ihr Vertrauen, ihre herausragende Expertise sowie die institutionelle Anbindung und materiellen Ressourcen, mit denen sie mir den Rücken freihielt . Livia Prüll bin ich für die anhaltend engagierte Unterstützung, intensive Beratung und Motivation sehr verbunden . Für erfahrungsgesättigte, erfrischend trockene Kommentare, Einwände und klugen Rat danke ich Willi Oberkrome, Ulrich Bröckling für seine interessierten Fragen . Mein täglicher Dank galt über viele Monate hinweg Alexander Zahoransky, der immer und immer wieder meterweise Quellenmaterial für die nimmersatte „Aktenfresserin“ aus dem Magazin des Universitätsarchivs holte . Zu solcher Sättigung wie auch zu Feierabendproviant trug Dieter Speck mit der ein oder anderen Erlaubnis zum Fotografieren bei . Auch dem Team des SWR-Archivs in Baden-Baden danke ich für die Einsicht in die Rundfunkvorträge und Korrespondenzen sowie die vielen Kopien . Mein herzlicher Dank für die hilfsbereite Unterstützung richtet sich auch an das Archiv für Soziale Bewegungen e . V . Freiburg . Den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die bereitwillig mit mir sprachen, über die Vergangenheit nachdachten, viel erklärten, viel erinnerten und derweil den historischen Spin erfahrbar machten, bin ich verpflichtet . Es waren dies Günter C . Behrmann, Ignaz Bender, Petra Halder-Sinn, Frank-Rutger
18
Vorwort
Hausmann, Wilhelm Hennis, Hans Peter Herrmann, Ute Guzzoni, Hans Maier, Carl Pietzcker, Dieter Oberndörfer, Otto Gerhard Oexle, Gottfried Schramm und viele andere, darunter immer wieder mittwochnachmittags im Café mein Lieblingszeitzeuge Ulrich . Meinen Kolleginnen und Kollegen gilt mein besonderer Dank . Sebastian Brandt, Nadine Kopp und Stefanie Knebelspieß danke ich für den harmonischen Austausch, die gute Zusammenarbeit und die gemeinsame Konferenzorganisation im Rahmen unseres DFG-Projekts . Für ihr Ohr, ihre Perspektiven, viele Gespräche und ihre Freundschaft danke ich Anna Lux, Marie Muschalek, Mirjam Höfner, Melanie Fritscher-Fehr, Olaf Schütze, Antje Harms, Miriam Bräuer und Isabelle Zink . Sie haben den ein oder anderen Teil, manche auch die gesamte Arbeit, teilweise mehrfach Korrektur gelesen, dabei mitgedacht und nicht an Wissen und Gründlichkeit, Fragen und Nüchternheit, Witz, Stil und Nerv sowie Blick für’s Detail gespart . Für stetige Unterstützung, Pragmatismus und immerwährenden Humor danke ich Herwig, Corinna, Dorothea, Maria und Wolfgang Klein . Mein innigster Dank gilt schließlich den Fröschen, denen dieses Buch gewidmet ist . Freiburg, im Oktober 2019
Christa Klein
1.
Einleitung Bildungsexpansion, Krisenrhetorik, Reformstau
1.1
Fragestellung, Untersuchungsgegenstand, Zeitraum
„Als im Sommersemester 1911 an der Universität Freiburg i . Br . der 3000 . Student immatrikuliert wurde, gab die Stadt ein großes Fest“, berichtete der Freiburger Mediävist und Hochschulpolitiker Gerd Tellenbach in einem Vortrag zum „Hochschullehrer in der überfüllten Hochschule“ im Rahmen des Hochschulverbandstags 1959 .1 1957 wurde in Freiburg der 7000 ., 1958 der 8000 ., 1959 der 9000 . Student immatrikuliert . Der Oberbürgermeister hat zwar in den beiden letzten Jahren den Jubiläumsstudenten nach alter Tradition eine goldene Uhr überreicht, und man hört, er wolle es auch in diesem Jahr wieder tun . Aber Feste werden aus diesem Anlaß nicht mehr gefeiert, und Lehrkörper, Regierungen, Parlamente und Berufsverbände sehen das Ansteigen der Studentenzahlen mit Sorge .
Die Freiburger Universität war im letzten Viertel des 19 . Jahrhunderts von einer der kleinen zu einer der größeren deutschen Universitäten aufgestiegen .2 Diesen Prozess feierten die Professoren gemeinsam mit der Stadt zwischen 1885 und 1911 als einen großen Aufschwung .3 Demgegenüber war eine solche Euphorie kaum noch zu spüren, als Mitte der 1950er Jahre erneut ein Wachstum der Studierendenanzahl einsetzte . Die Nachfrage nach akademischen Fachkräften im Zuge des Wirtschaftsaufschwungs und internationalen Konkurrenzen gepaart mit dem gesellschaftlichen Aufstiegsstreben führten zu einer Ausweitung der Bildungsbeteiligung, die als „Bildungsexpansion“ bekannt geworden ist .4 Bundesweit stieg zwischen 1954 und 1960 die Quote der Stu-
1 2 3 4
Tellenbach (1963[1959]a), S . 183 . Das folgende Zitat ebd . Vgl . Paletschek (2007), S . 47 . Zum „Universitätsranking“ um die Jahrhundertwende vgl . Paletschek (2010a) . Diese Entwicklung zeichnete sich auch in anderen Staaten ab, vgl . bspw . für England Peden (1993), S . 64 .
20
Bildungsexpansion, Krisenrhetorik, Reformstau
dienanfänger_innen von 4,9 auf 6,5 % und bis 1966 auf 11,8 % der 19- bis 29-Jährigen .5 Diese Akademisierungsprozesse6 machten eine gesellschaftliche Neupositionierung deutscher Universitäten, die Entwicklung neuer Selbstverständnisse und institutionelle Reformen notwendig – und dies insbesondere an Philosophischen Fakultäten, an denen die Studierendenfrequenz am schnellsten stieg .7 Obgleich die steigende Frequenz auf eine hohe Nachfrage nach Studienplätzen und damit auf einen universitären Bedeutungszuwachs verweist, begriffen die Professoren8 diesen Prozess als Entwicklung zur „Massenuniversität“ und universitäre Krise . Mit dieser Perspektive schlossen sie an kulturkonservative Krisendiskurse an, die bereits in der Ersten Nachkriegszeit weit verbreitet waren . Insbesondere die Professoren der Philosophischen Fakultät plädierten mit ihrer Krisenrhetorik für Reformen im Sinne der deutschen Universitätsidee,9 die sie zum überzeitlichen Ideal erklärten: Kulturkonservative Krisenrhetorik und ihr Pendant, die idealistische „Selbstbehauptung“,10 setzten den diskursiven Rahmen für die öffentlichen Aushandlungen um Hochschulreformen . Als normative Diskursstrategie zeichnete sich idealistische Krisenrhetorik dadurch aus, dass sie mit dem Bezug auf Ideale von konkreten Verhältnissen abhob,
5 Vgl . Lundgreen (2007a), S . 282, Tab . 2 .47 . Davon waren bis 1957 ca . 63 % an Universitäten eingeschrieben, 1958–62 waren es ca . 65 %, 1963–71 66–67 %, vgl . ebd ., S . 288–289, Tab . 2 .51 . 6 Das Wachstum der gesellschaftlichen Bildungsbeteiligung, die sich in der steigenden Anzahl an Studierenden niederschlägt, wird hier als Akademisierung bezeichnet . Demgegenüber steht der Begriff Verwissenschaftlichung für die wissenschaftliche Erschließung neuer Bereiche, die sich in der Ausdifferenzierung und Neuetablierung wissenschaftlicher Disziplinen abzeichnen . Vgl . zu Verwissenschaftlichungsprozessen Raphael (1996a), Szöllösi-Janze (2004) . 7 Die Studierendenfrequenz, kurz: Frequenz, bezeichnet den Hochschulbesuch, i . e . die Studierendenanzahl . 8 Mit „Professoren“ werden hier rein männlich Gruppen bezeichnet, mit „Professor_innen“ solche, die auch Frauen umfassten, selbst wenn sie eine Minderheit darstellten . Diese Begriffswahl soll die insbesondere in höheren Positionen fast ausschließlich männliche Besetzung und die klar androzentrische Codierung des universitären Feldes reflektieren wie auch die langsame Integration von Frauen sichtbar machen . 9 Das im 20 . Jh . in Rekurs auf Fichte, Steffens, Schleiermacher und Humboldt formulierte deutsche Universitätsideal verschränkte unterschiedliche Ansprüche miteinander: 1 . Die Einheit von Forschung und Lehre; 2 . Die Freiheit von Forschung und Lehre; 3 . universitas magistrorum et scholarium als korporative Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden; 4 . universitas litterarum als Einheit aller Wissenschaften, repräsentiert durch die Philosophische Fakultät; 5 . Persönlichkeits- und Charakterbildung statt Berufsausbildung, Wissenschaft als Selbstzweck, Autonomie der Universitäten, vgl . Paletschek (2002), S . 184 . Wie die heterogenen Elemente inhaltlich aufgeladen und miteinander konjugiert wurden, variierte historisch wie auch die jeweiligen Interessen, zu deren Legitimation die Chiffre „Humboldt“ herangezogen wurde . 10 Der Begriff „Selbstbehauptung“, der die Verteidigungshaltung ebenso wie den hypothetischen Charakter einer Behauptung transportiert, wird hier als Quellenbegriff aufgenommen . Er ersetzt aber nicht wie in Langewiesches Untersuchung der Universität Tübingen während des NS Rothfels’ Analysebegriff der „Nichtgleichschaltung“, vgl . Langewiesche (1997), S . 618 . Diese Definition kann in der Form nicht auf Freiburg übertragen werden, da Heideggers Rektoratsrede 1933 die „Selbstbehauptung“ im Titel trägt und einer „Selbstgleichschaltung“ gleichkam, vgl . Heidegger (1983[1933], 2000[1934]), S . 300–301 . Anders als bei Tenorth (2010c), S . 13, 41–43 wird „Selbstbehauptung“ hier als normative öffentlichkeitswirksame Diskursstrategie definiert und dadurch von einer Vision wie auch von einer auf Selbstbeobachtung beruhenden Selbstbeschreibung abgegrenzt .
Fragestellung, Untersuchungsgegenstand, Zeitraum
die wahrgenommene Krise zu einer ideellen Krise umgestaltete, deren Lösung dann bestimmte Maßnahmen legitimierte oder delegitimierte . Diese Arbeit fragt nach dem institutionellen Strukturwandel, den Veränderungen der Krisenrhetorik und ihren jeweiligen Wechselwirkungen . Welche institutionellen Veränderungen lassen sich feststellen, welche Reformen wurden durchgeführt? Wie wirkte sich die idealistische Krisenrhetorik auf die Reformaushandlungen und den institutionellen Strukturwandel aus? Inwiefern handelt es sich um eine fakultär und generationell spezifische Legitimationsstrategie und wie veränderte sie sich im Zuge des Strukturwandels sowie in Interaktion mit Krisendiskursen und Forderungen, die verschiedene Öffentlichkeiten an die Philosophische Fakultät herantrugen? Wie beeinflussten sich institutionelle und ideelle Wandlungsprozesse und welche Rolle spielten Öffentlichkeiten dabei? Der Fokus meiner Untersuchung richtet sich auf die Freiburger Philosophische Fakultät sowie ihre Professoren im Zeitraum 1945–67 . Die Konzentration auf ein Fallbeispiel ermöglicht es, die institutionellen und ideellen Transformationsprozesse in ihrer Bandbreite, ihrer internen Verzahnung und ihren gesellschaftlichen Verflechtungen auch qualitativ zu erfassen . Im Zentrum steht dabei jene universitäre Fakultät, die sich in der Zweiten Nachkriegszeit besonders intensiv mit dem um die Jahrhundertwende popularisierten deutschen Universitätsideal identifizierte und an der sich gleichzeitig auch der stärkste Frequenzanstieg abzeichnete . In dieser Arbeit zeige ich, dass der Anstieg der Studierendenzahlen nicht zu einem entsprechenden Ausbau der Professuren führte . Vielmehr setzten sich die Professoren der Philosophischen Fakultät dafür ein, eine neue Hierarchieebene in den Lehrkörper einzuziehen, die spätestens seit 1960 als „Mittelbau“ diskutiert wurde .11 Der Mittelbau übernahm einen großen Anteil der Forschung und Lehre, verfügte aber kaum über Rechte in der Selbstverwaltung und stand größtenteils in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den Professoren . Mit der kontinuitätssichernden idealistischen Krisenrhetorik beeinflussten die Professoren den Strukturwandel so, dass ihr Elitestatus auch in der „Massenuniversität“ entgegen demokratisierender Partizipationsforderungen gewahrt blieb, wenn nicht gar verstärkt wurde . Fakultäten stellten relativ selbständige universitäre Einheiten dar, die ihre Struktur und Entwicklung eigenverantwortlich mit dem Kultusministerium aushandelten und sich – repräsentiert durch ihre Dekane und den Senatsbeauftragten der Fakultät – im Senat miteinander koordinierten .12 Im Rahmen der einzelnen Fakultäten fand die universitäre Selbstverwaltung statt . Sie verliehen die akademischen Grade und vollzogen die Habilitationen . In Abstimmung mit dem Kultusministerium strukturierten sie das Prüfungswesen und regulierten die Abgrenzung und Erweiterung ihrer Einrichtun-
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Vgl . Fakultätsprotokoll v . 10 .12 .1960, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 113 . Vgl . ausführlich Kap . 2 .2 .
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Bildungsexpansion, Krisenrhetorik, Reformstau
gen, Fachbereiche, Professuren sowie anderer Personalstellen . Sie vergaben Lehraufträge und ergänzten sich selbst durch ihre Berufungsvorschläge . Unter den fünf Fakultäten der Freiburger Traditionsuniversität stellte die Philosophische Fakultät zunehmend die größte dar: Bereits zu Beginn der 1950er Jahre setzte sie sich aus etwa 1000 Studierenden, 20 Professuren sowie 50 Dozent_innen und Lektor_innen zusammen: Mit einer damals noch ausnehmend guten Betreuungssituation rangierte sie unter den größeren Philosophischen Fakultäten Westdeutschlands . Zudem zeichnete sie sich neben den „soft factors“, die zur Attraktivität der im Weinbaugebiet des südwestdeutschen Dreiländerecks gelegenen Universität Freiburg beitrugen,13 durch ihre renommierten Professoren und prominenten Wissenschaftsorganisatoren aus .14 So galt die „grenznahe und hauptstadtferne“ Albert-Ludwigs-Universität, die Theodor Heuss im Zuge der international beachteten Feier ihres 500-jährigen Bestehens 1957 als „Laboratorium für deutsche Möglichkeiten [Hvh . i . O .]“ bezeichnete,15 nicht zuletzt aufgrund des Engagements des Mediävisten und Hochschulpolitikers Tellenbach als hochschulreformerische Modelluniversität, die eine Verbindung von Tradition und Fortschritt anstrebte .16 An ihrem Beispiel lässt sich die institutionelle Expansion in Bezug zu den Krisen- und Selbstbehauptungsdiskursen der damaligen Professorengeneration exemplarisch im Kontext wissenschaftsorganisatorischer Interaktionsprozesse regionaler, bundesweiter und internationaler Reichweite ausloten . Der Fokus auf eine im äußersten Südwesten der Bundesrepublik gelegene Universität bietet sich auch deswegen an, weil sich Wissenschaftsorganisation nach 1945 zunächst vergleichsweise dezentral gestaltete . Freiburg war bis zur Gründung des Landes Baden-Württemberg 1952 die Hauptstadt des Landes Südbaden; das Kultusministerium war in der unmittelbaren Nachkriegszeit sogar in der Universität selbst angesiedelt . 1949 erneuerte das Grundgesetz die Kulturhoheit der Länder, so dass die Bildungspolitik und damit auch die Finanzierung der Universitäten in den Zuständigkeitsbereich der Länder fiel . In den 1950er Jahren wurden allerdings zunehmend
13 Vgl . die Hervorhebung der landschaftlichen Reize in der Selbstbeschreibung der Freiburger Universität, in: Friedrich (1964), S . 66 . Vgl . auch Albert-Ludwigs-Universität (1957b), S . 192–194 . 14 Eine weitere Besonderheit der Universität Freiburg im Vergleich zu den Nachbaruniversitäten Heidelberg und Tübingen bestand darin, dass an der Theologischen Fakultät Freiburg katholische Theologie, an der Universität Heidelberg evangelische Theologie und in Tübingen beide Theologien gelehrt wurden . Das konfessionelle Moment kristallisierte sich in der Philos . Fak . insbesondere an den Konkordatslehrstühlen, auf die damals ausschließlich Katholiken berufen wurden, was angesichts des protestantischen Überhangs an Professoren der Philos . Fakultät die Verhältnisse etwas ausglich . Vgl . Kap . 4 .3 . 15 Heuss (1957), S . 24–25 . Er bezog sich damit auf den Vormärz; an seiner Charakterisierung Freiburgs als „hauptstadtfern“, wird aber klar, dass er von der Gegenwart bzw . der jüngsten Vergangenheit 1871–1945 sprach . Im Vormärz gehörte Freiburg zu Baden, die relativ nahe Hauptstadt war Karlsruhe . 16 In der unmittelbaren Nachkriegszeit stand Freiburg mit der Entwicklung des studium generale Modell, in den 1950er Jahren mit der Einführung von Förderungsassistenturen, die Auswahlprozesse im Rahmen des Honnefer Modells übernahmen, vgl . Tellenbach (1963[1959]b), S . 200–202, vgl . Tellenbach an Ministerialrat Dr . Scheidemann, Bundesinnenministerium, am 18 .04 .1959, in: UA Freiburg Nr . C0157/57 .
Fragestellung, Untersuchungsgegenstand, Zeitraum
Anstrengungen unternommen, über die DFG und den 1957 gegründeten Wissenschaftsrat auch den Bund in die Finanzierung und Planung der Hochschulen einzubinden17 – Reformpläne, an denen in Bezug auf die Geisteswissenschaften insbesondere Gerd Tellenbach mitwirkte . In diesen wissenschaftsorganisatorischen Aushandlungsprozessen, die zwischen institutionellem Strukturwandel und öffentlichkeitswirksamen Krisen- und Legitimationsdiskursen vermittelten, spielten Öffentlichkeiten eine wichtige Rolle . Strukturwandel und Reformen wurden keineswegs allein im Rahmen des Fakultätsrats verhandelt . Vielmehr wurden Reformvorschläge auch von außen an die Fakultäten herangetragen und mit verschiedenen gesellschaftlichen Akteur_innen und Institutionen abgestimmt . Die Fakultäten waren dazu angehalten, Kooperationsverhältnisse aufzubauen und ihre Identitätsentwürfe und Reformanliegen vor einer breiteren Öffentlichkeit zu legitimieren . Die jeweiligen Kooperations-, und Verhandlungspartner_innen werden hier übergreifend als „universitäre Öffentlichkeiten“ bezeichnet;18 professorale Wissenschaftsorganisation als Interaktionsprozess zwischen Fakultät und (Gegen-)Öffentlichkeiten definiert . Da die Fakultäten zunächst nur über einen minimalen Verwaltungsapparat ohne institutionalisierte Pressestelle verfügten, fiel Wissenschaftsorganisation maßgeblich in den Kompetenzbereich der Professoren: Diese und ihr Entscheidungsgremium, der Fakultätsrat, stehen somit im Zentrum der Analyse . Die Professoren der Philosophischen Fakultät und insbesondere ihre bundesweit wirkmächtigen Repräsentationsfiguren und international vernetzten Wissenschaftsorganisatoren wie der Historiker Gerhard Ritter (1888–1967), der Mediävist Gerd Tellenbach (1903–99) und der Kultursoziologe und Politikwissenschaftler Arnold Bergstraesser (1896–1964) erreichten diese Öffentlichkeiten teils über ihre Tätigkeiten als public intellectual, teils über die Etablierung, die Pflege und den Ausbau regionaler, bundesweiter wie auch internationaler Kooperationsverhältnisse . Unter Wissenschaftsorganisation werden hier die weitläufigen Aufgabenfelder der Selbstverwaltung und Finanzakquise, die damit zusammenhängenden Planungs- und Koordinationstätigkeiten sowie die Repräsentations-, Kommunikations-, Netzwerks- und Öffentlichkeitsarbeit unterschiedlicher Reichweite begriffen . Sie trugen zur Etablierung von public relations auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene sowie zur Vernetzung akademischer, politischer, wirtschaftlicher, militärischer, kirchlicher, zivilgesellschaftlicher u . a . Interessen bei .
Vgl . weiterführend zu den wichtigsten hochschulpolitischen Gremien Kap . 2 .3 . Mit dem Plural von Öffentlichkeit wird hier ähnlich wie mit dem Begriff Teilöffentlichkeiten eine Differenzierung des Öffentlichkeitsbegriffs vorgenommen, vgl . Requate (1999) . Schirrmacher legte ein Modell der gestuften Öffentlichkeit von Wissenschaft vor und unterscheidet Fachwissenschaft, Fachkreise, Fachöffentlichkeit, gebildete und interessierte, gelegentlich interessierte und „breite“ Öffentlichkeit, vgl . Schirrmacher (2008), Nikolow (2014) . Lux (2014b) bezieht die Studierenden als eigene Teilöffentlichkeit ein . Diese Vorschläge werden hier aufgenommen .
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Bildungsexpansion, Krisenrhetorik, Reformstau
Obgleich Wissenschaftsorganisation neben Forschung und Lehre einen steigenden Anteil der professoralen Aufgaben ausmachte, stellten diese Praxen nichts grundsätzlich Neues im Aufgabenbereich geisteswissenschaftlicher Professor_innen dar . Den Typus des Wissenschaftsmanagers gab es bereits im 19 . Jahrhundert und er war „keine deutsche Eigentümlichkeit“ .19 Der Terminus „Manager“, der sich in Deutschland zwar erst nach dem Zweiten Weltkrieg einbürgerte,20 wurde zusehends auch auf die professoralen Wissnenschaftsorganisatoren gemünzt .21 In den Selbstbeschreibungen der Geisteswissenschaftler lässt sich der Begriff hingegen nicht finden, da sie sich als humanistische Gelehrte verstanden .22 Bei den Professor_innen der Freiburger Philosophischen Fakultät 1945–67 handelt es sich mehrheitlich um die ausschließlich männliche Professorengeneration der Jahrgänge 1886–1910 .23 Da die zwei ersten Professorinnen der Philosophischen Fakultät, die Psychologin Hildegard Hiltmann (1916–2004) und die Professorin für Mittellatein Johanne Autenrieth (1923–96) erst 1960 resp . 1966 hinzukamen und der folgenden Professor_innengeneration der Jahrgänge 1911–35 angehörten, wird hier in Bezug auf die Jahrgänge 1886–1910 von einer Professorengeneration gesprochen, die Jahrgänge 1911–35 hingegen als Professor_innengeneration bezeichnet .24 Die Krisenrhetorik der „Selbstbehauptung“ war in den Vorträgen, Schriften und Reden dieser Professorengeneration der Jahrgänge 1886–1910 omnipräsent und stellte, wie zu zeigen sein wird, die generationsspezifische illusio, den unhinterfragten „Corpsgeist“ und die „Eintrittskarte“ zum universitären Feld dar . Daher wird diese Professorengeneration hier als Krisengeneration bezeichnet.25 Mit den Jahren 1945 bis 1967 wird ein Zeitintervall gewählt, in dem die Krisengeneration maßgeblich an der Philosophischen Fakultät wirkte . Das Jahr 1945 wird als „Zäsur“ gesetzt, da die Umstrukturierungsprozesse nach Ende des Zweiten Weltkriegs bei allen Kontinuitäten des akademischen Personals neue Voraussetzungen schufen . 1945 und wieder Mitte der 1960er Jahre trat eine Wende der institutionellen Entwicklung wie auch der Krisenrhetorik der Geisteswissenschaften ein .26 Als Ende des hier betrachteten Zeitraums wird mit 1967 das Jahr gewählt, in dem der Hochschulgesamtplan Baden-Württemberg erschien, der eine Demokratisierung des Bildungswesens in Baden-Württemberg anstrebte .27 In diesem Jahr war der Generationswechsel inner-
Ash (2010), S . 105 . Vgl . Pross (1965), S . 9 . Vgl . bspw . Ellrodt (1957), S . 10 . Den Typus „Wissenschaftsmanager“ wiesen sie den Naturwissenschaften zu, siehe auch Bourdieu (1988[1984]), S . 206–207 . 23 Vgl . ausführlich zum Konzept der Professor_innengenerationen Kap . 4 .1 . 24 Vgl . weiterführend Anm . 8 . 25 Vgl . ausführlich Kap . 4 ., insbesondere Kap . 4 .4 . 26 Vgl . Eckel (2008), S . 113, vgl . ders . (2006), S . 367 . 27 Vgl . Hahn (1967), S . 11 . 19 20 21 22
Universitätsgeschichte als missing link
halb des Fakultätsrats mehrheitlich vollzogen, der eine veränderte Zusammensetzung und pluralisierte Selbstverständnisse mit sich brachte . Neue institutionelle Reformanliegen, darunter die Teilung der Fakultät in „Fächergruppen“ sowie die verstärkte Integration der Nichtordinarien und Studierenden in die fakultäre Selbstverwaltung gewannen an Bedeutung .28 1.2
Universitätsgeschichte als missing link
Anders als die Wissenschaftsgeschichte ist die Universitätsgeschichte nicht als eigenständige historische Teildisziplin mit entsprechenden Professuren im deutschen Universitätssystem verankert . Daraus erklären sich ihre Disparität und die Menge an uneingelösten Desideraten . Universitätsgeschichtliche Forschungsbeiträge sind weitgehend verstreut und „in Arbeiten mit anderem Schwerpunkt verborgen .“29 Trotz dieser „fragile[n] Situation“ ist die Universitätsgeschichte aufgrund ihrer Potenziale und Relevanz für gegenwärtige Reformbestrebungen vergleichsweise breit aufgestellt .30 Neben Überblickswerken zu Universitäten in Europa31 und (Daten-)Handbüchern zur deutschen Bildungsgeschichte32 gibt die 1995 gegründete Gesellschaft für Universitätsund Wissenschaftsgeschichte (GUW) seit 1998 das Jahrbuch für Universitätsgeschichte (JbUG)33 sowie die Reihe Veröffentlichungen der Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte heraus und ermöglicht mit regelmäßigen Tagungen Austausch und Kooperation .34 International sind u . a . mit der International Commission of the History of Universities und Konferenzen des Atelier Heloïse Plattformen institutionalisiert worden, die die internationale Vernetzung und Methoden der digital humanities in der Universitätsgeschichte voranbringen .35 Die Einrichtung von Professor_innenkatalogen und ähnliche Onlineplattformen erweitern bestehende Personalkataloge um neue Datengrundla-
Vgl . Arbeitsunterlagen betr . Struktur-Kommission v . 04 .12 .1967, in: UA Freiburg Nr . B003/816 . Vgl . Goldschmidt/Teichler/Webler (1984b), S . VII . Vgl . Paletschek (2011), Füssel (2014), S . 287 . Siehe auch die universitätsgeschichtlichen Beiträge in der von Rüdiger v . Bruch begründete Reihe Pallas Athene sowie die einschlägigen Schwerpunkthefte in den Zeitschriften Geschichte und Gesellschaft, NTM und Berichte zur Wissenschaftsgeschichte . 31 Vgl . Rüegg (2010, 2004) . 32 Vgl . Lundgreen (2009, 2007a), vgl . Führ/Furck (1988), vgl . Langewiesche/Tenorth (1989a) . 33 Auf epochenübergreifender Basis reflektieren diese Bände die universitätsgeschichtliche Themenvielfalt, vgl . u . a . Bruch/Kintzinger/Bungert/Lerg (2017), Bruch/Kintzinger/Füssel/Wagner (2016), Bruch/Kintzinger/Auge/Piotrowski (2015), Bruch/Kintzinger/Asche/Gerber (2013), Bruch/Bott/Kaschuba (2007), Bruch/Bott/Jessen/John (2005) . 34 Vgl . Schwinges (2005, 2007, 2008b), ders ./Staub (2001), Hesse/Schwinges (2012), Kintzinger/Steckel (2015) . 35 Vgl . bspw . die internationalen Zeitschriften History of Universities, Revue d’histoire des sciences et des universités, Annali di storia delle università italiane sowie die Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte . 28 29 30
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gen und Zugriffsmöglichkeiten für vergleichende sozial- und institutionsgeschichtliche Analysen .36 Seit dem „Boom“37 der Universitätsgeschichte in den 1980er Jahren, der auf dem Höhepunkt der „Epoche der Sozialgeschichte“38 in Deutschland einsetzte, wird Universitätsgeschichte zunehmend als Gesellschaftsgeschichte geschrieben . Die einseitige Ausrichtung der Universitätsgeschichte auf die „Festschriftennische“ und den „Verwertungskontext“ universitärer Jubiläen wurde durch eine sozialhistorisch reflektierte Universitätsgeschichte aufgebrochen und sukzessive um verschiedene historische Perspektiven erweitert .39 Universitäten werden nicht mehr als geschlossene Entitäten, losgelöst „im Elfenbeinturm“ oder ausschließlich nach Maßgabe des universitären Idealbilds untersucht, sondern eingebettet in gesellschaftliche Verhältnisse .40 Durch die Analyse ihrer Gruppen und Akteure, ihrer Bildungs- und Ausbildungsfunktion sowie ihrer Wissensproduktion41 und Finanzierung42 in ihren vielfältigen Verflechtungen werden Universitäten als gesellschaftliche Institutionen sichtbar . „Laudationes“ und universitäre „Egodokumente“43 werden als Repräsentationsquellen des universitären Selbstverständnisses und als kulturelle Interaktionsformen44 sowie im Verhältnis zu sozialhistorischen Entwicklungen untersucht .45 Sie werden daraufhin überprüft, inwiefern die „Traditionen“, die als Legitimationsbezug dienten, empirisch bestätigt werden können,46 welche Intentionen dahinter standen und welche Funktionen sie jeweils erfüllten . Da die Einflüsse institutioneller und organisatorischer Rahmenbedingungen auf die Wissensproduktion in der Wissenschaftsgeschichte weitgehend ignoriert worden sind,47 ist deren universitätsgeschichtliche Erweiterung notwendig . Universitätsgeschichte situiert Diskurse in ihrem sozialen und institutionellen Kontext und stellt damit ein missing link zwischen Wissenschafts- und Gesellschaftsgeschichte dar.48
Vgl . Bruch/Kintzinger/Auge/Piotrowski (2015) . Zum universitätsgeschichtlichen „Boom“ der 1980er Jahre vgl . Bruch (1984), S . 3–10 . Hölscher (2004), S . 92 . Wie einige Studien wiederholt feststellten, birgt die enge Bindung an die Festschriftenkultur die Gefahr, dass Universitätsgeschichte um sich selbst kreist und nicht gesellschaftlich eingebettet wird, vgl . Füssel (2014), vgl . Hammerstein (2013, 1983), Paletschek (2011), S . 176, vgl . Grüttner/Hachtmann/Jarausch et al . (2010a), S . 14 . Dennoch wird Universitätsgeschichte meistens im Zuge von Universitätsjubiläen geschrieben, vgl . etwa Hoßfeld (2007a, 2007 b), Bruch/Tenorth (2010–2012), Prüll/George/Hüther (2019) . 40 Vgl . zum Komplex Universitätsgeschichte als Gesellschaftsgeschichte Maurer (2015), S . 13–19 . 41 Vgl . Paletschek (2011), S . 183 . 42 Vgl . Schwinges (2005) . 43 Etzemüller (2007), S . 41, vgl . ders . (2001), S . 45–46 . 44 Vgl . Füssel (2006) . 45 Paletschek (2001), S . 1 . 46 So stellte etwa Schwinges heraus, dass die von Grundmann (1957) vertretene Überzeugung, die „Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden“ sei an Universitäten des Mittelalters verwirklicht worden, eine Legende darstellt, vgl . Schwinges (1986a), S . 2–5, 446, ders . (2008a), S . 130, 341 . 47 Vgl . Lingelbach (2007), S . 111, siehe Raphael (1996b) . 48 Vgl . Klein/Schütze/Paletschek et al . (2014) . 36 37 38 39
Universitätsgeschichte als missing link
Die geisteswissenschaftliche Krisenrhetorik der ersten Hälfte des 20 . Jahrhunderts ist durch wissenschaftshistorische Analysen intensiv aufgearbeitet worden .49 Deren vorwiegend ideengeschichtliche Perspektive wurde auch zunehmend durch universitätshistorische Studien zur milieuspezifischen Stituierung und zu den gesellschaftlichen Funktionen der Krisenrhetorik erweitert .50 Auf sozialgeschichtlicher Basis wurde es so in den letzten Jahrzehnten möglich, die universitären Krisen- und Selbstbehauptungsdiskurse einer kritischen Analyse zu unterziehen .51 Für das 19 . Jahrhundert und die erste Hälfte des 20 . Jahrhunderts hat Sylvia Paletschek gezeigt, dass sich der Strukturwandel deutscher Universitäten nicht aus der retrospektiv vereinnahmenden „preußenzentrierte[n] und ideengeschichtliche[n] Perspektive“ des sogenannten Humboldt-Ideals deduzieren lässt .52 Sie zeichnete diverse Bezugnahmen auf das Ideal historisch nach und kam zu dem Ergebnis, dass der Kontinuität inszenierende Charakter dieser ideellen „Allzweckwaffe“53 institutionelle Wandlungsprozesse verschleierte .54 Für die zweite Hälfte des 20 . Jahrhunderts gilt entsprechend, was Jürgen John unlängst noch für die Zwischenkriegszeit feststellte: „Nötig ist eine – bislang fehlende – systematische Analyse damaliger Not- und Krisendiskurse und ihrer Zusammenhänge mit den vom ‚Leitbild Humboldt‘ geprägten Debatten um ‚Idee‘, ‚Sinn‘ und ‚Reform‘ der Universität .“55 Als erweiterte Sozialgeschichte stehen solche Studien für die Zweite Nachkriegszeit noch aus . Insgesamt steigt mit den neuen Bearbeitungsmöglichkeiten signifikanter Datenmengen und angesichts des anhaltenden universitären Reformbedarfs die Notwendigkeit universitätsgeschichtlicher Analysen für die zweite Hälfte des 20 . Jahrhunderts . Bisher sind verschiedene Untersuchungen zur Entwicklung der Studierendenfrequenz,56 Hochschulreform und Bildungsplanung,57 zum Frauenstudium wie auch zur Entwicklung des Frauenanteils im Lehrkörper der 1950er und 1960er Jahre erschienen .58 Für die Bundesrepublik insgesamt liegt das erforderliche statistische Material vor .59 Auch auf einige wissenssoziologische Arbeiten kann zurückgegriffen werden60 sowie auf erste Vgl . u . a . Oexle (2002), ders . (2007), S . 11–116, vgl . Laube (2004b), Lichtblau (1996) . Vgl . John (2010), vgl . die Aufsätze in Ash (1997), vgl . Paletschek (2002), S . 191–192, 194, 196, Titze (1989, 1990, 2004), Titze et al . (1995) . 51 Vgl . Paletschek (2002), Jarausch (1999), Franzmann/Wolbring (2007), vgl . Bartz (2006, 2007), Turner (2001), Grüttner/Hachtmann/Jarausch et al . (2010), Pöppinghege/Klenke (2011) . 52 Paletschek (2001a), S . 536, vgl . dies . (2001b, 2001c, 2002, 2010b) . 53 Paletschek (2002), S . 204 . 54 Vgl . Paletschek (2001a), S . 536 . 55 John (2010), S . 113 . 56 Vgl . etwa Lundgreen (2007a), Führ (1988a), Titze et al . (1995), Titze (1989, 1990, 1999, 2004) . 57 Vgl . Franzmann/Wolbring (2007), Lechner (2007), Rudloff (2011, 2007, 2005, 2003), Wolbring (2014), vgl . Bartz (2006, 2007), Turner (2001) . 58 Vgl . etwa Kleinen (2005), Schallner (2001), Paletschek (2012a), Scherb (2002), Zachmann (2011), Vogt (2007a, b), Budde (2005), Hervé (1973), Kälble (1975) . 59 Vgl . Lundgreen (2007a, 2009) . Die Daten liegen nicht differenziert nach Hochschulen vor . 60 Vgl . Prinz/Weingart (1990, 1991) . 49 50
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Bildungsexpansion, Krisenrhetorik, Reformstau
Sammelbände und Monographien zur Geschichte einzelner Fachdisziplinen .61 Hingegen fehlen mikrohistorische Analysen der verschiedenen Hochschulen und Fakultäten auf einer systematischen, Vergleichbarkeit ermöglichenden Basis . Befördert durch die föderalen und fakultätsspezifischen Unterschiede ist der Wandel der universitären Abschlüsse und der Studien- und Prüfungsordnungen im 20 . Jahrhundert bislang kaum untersucht worden .62 Komparative Analysen von Studierendenexpansion und Lehrkörperausbau stehen noch aus . Insbesondere die wichtigste hochschulreformerische Neuentwicklung der 1950er und 1960er Jahre, der Ausbau des akademischen Mittelbaus, ist unzureichend erforscht . Zu den Nichtordinarien während des Kaiserreichs, der Weimarer Republik und während des NS liegen bereits einige Forschungsbeiträge vor;63 über die zeitgenössischen soziologischen Untersuchungen hinaus sind jedoch noch keine Studien zur Entstehung des Mittelbaus in den 1950er Jahren vorhanden .64 Eine weitere Lücke zeigt sich hinsichtlich komparativer Studien von Deutscher Demokratischer Republik und Bundesrepublik .65 So hat etwa Ralph Jessen anhand der ostdeutschen Hochschullehrerschaft die akademische Elite zwischen 1945 und 1971 untersucht, während für die Bundesrepublik ähnlich systematische Forschungen noch ausstehen .66 Vergleichsweise besser erforscht sind die hochschulpolitischen Entwicklungen der 1960er Jahre sowie die zunehmende Interaktion von Universität und Öffentlichkeiten im Zuge der Studierendenproteste um „1968“ .67 Darunter sind die Arbeiten von Anne Rohstock hervorzuheben, die über die komparative Analyse des Hochschulreformverlaufs in Hessen und Bayern zwischen 1957 und 1970 auch den Zusammenhang von Kri-
Vgl . Benz/Pehle/Sillem (1992), vgl . u . a . zur Soziologie Lüschen (1979), zur Philosophie Baumgartner/ Sass (1978), zur Politikwissenschaft Mohr (1988), Bleek (2001, 1999), zur Geschichtswissenschaft Schulze (1989a), Schulin (1989), zur Mediävistik Nagel (2005), zur Germanistik Bogdal/Müller (2005), König/Barner (1996), Boden/Rosenberg (1997), Lux (2014a), vgl . auch die Beiträge zu den einzelnen Disziplinen in Bruch/Tenorth 2010–12, insb . Tenorth (2010a, 2010b), sowie in Martin (2007a, 2007b) . 62 Wichtige Anknüpfungspunkte liefern die Aufsätze in Schwinges (2007), vor allem Bruch (2007) und Lundgreen (2007c) . Vgl . auch Gruener (1971) . Die Veränderung der Staatsexamensordnungen ist besser erforscht, vgl . Müller-Rolli (1988), vgl . den Überblicksartikel von P . Müller (1971) über die Entwicklung d . Prüfungsordnungen 1958–71 im föderalen Vergleich, zu Freiburg vgl . Günter (2005) . 63 Die Erforschung der Nichtordinarien begann mit der Studie von Eulenburg (1908) . 1956 gab Plessner Untersuchungen zur Lage der Hochschullehrer heraus, die auch Nichtordinarien berücksichtigten, vgl . Plessner (1956a), Bd . 1: Asemissen/Frenzel/Goldschmidt et al . (1956), Bd . 2: Busch (1956), Bd . 3: Ferber (1956), vgl . auch Busch (1959) . Am besten erforscht sind die Nichtordinarien an der Universität Tübingen, vgl . Paletschek (2004b, 2004a, 2001a) . Weiterhin liegen Beiträge zu den Nichtordinarien in Kaiserreich, Weimarer Republik und NS sowie einige soziolog . Studien vor, vgl . Bruch (1984b), vgl . Bock (1972), Riese (1977), Vogt (2007b), Grüttner (2002, 2000), Enders (1990), Bochow/Joas (1987), Lundgreen (2009) . 64 Zu den Freiburger PDs 1818–1955 vgl . die Studie des Medizinhistorikers Nauck (1956) . 65 Vgl . Pasternack (2007), S . 2263 . 66 Vgl . Jessen (1999), vgl . auch Schwabe (1988) . Ähnliches gilt für die von Annette Vogt und Matthias Middell vorgelegten Beiträge zu Akteur_innen, Hochschulreformen und Sozialgeschichte der HumboldtUniversität, vgl . Vogt (2012), insb . S . 223–237, vgl . Midell (20012), insb . S . 340–435 . 67 Vgl . Fraunholz/Schramm (2005), Rudloff (2005), Rohstock (2010, 2012), Wehrs (2014a, 2014b) . 61
Universitätsgeschichte als missing link
senbewusstsein und Hochschulpolitik in den 1960er Jahren zu untersuchen begann .68 Im internationalen Vergleich führte sie die unterschiedlichen Krisenwahrnehmungen auf eine ideologische Diskrepanz zwischen „politischen ‚Internationalisierern‘ und innerinstitutionell agierenden ‚Bewahrern‘“ zurück, die schließlich zum Scheitern der Hochschulreform geführt habe .69 An diese erste Differenzierung der Krisenrhetorik in den 1960er Jahren anschließend eröffnet die vorliegende Studie zu universitärer Expansion und geisteswissenschaftlicher Krisenrhetorik zwischen 1945 und 1967 ein weit komplexeres Bild: Die Krisenrhetorik lässt sich weder auf Termini eines rückwärtsgewandten Kulturpessimismus noch auf einen linearen Fortschrittsoptimismus reduzieren, und die Position des „politischen ‚Internationalisierer[s]‘“ ließ sich durchaus mit der des „innerinstitutionell agierenden ‚Bewahrer[s]‘“ vereinbaren .70 Vielmehr zeigt sich im Rückbezug auf den Strukturwandel und mit der Differenzierung nach Phasen, Fakultäten, Gruppen und Generationen, dass die vielfältigen Krisen- und Selbstbehauptungsdiskurse in ihrem scheinbar gleichbleibenden Traditionsgewand unterschiedliche Funktionen erfüllten und überaus divers kombiniert werden konnten . Mit der Berücksichtigung milieu- und generationsspezifischer Unterschiede, der Aufnahme des Konzepts der „Zeitkritik“71 und der Differenzierung institutionell-repräsentativer und partizipatorisch-emanzipativer Demokratieverständnisse72 nimmt die vorliegende Arbeit auf neuere gesellschaftshistorische Untersuchungen Bezug .73 Die Verschränkung von Universitätsgeschichte und Forschungen zu Wandlungs-, Modernisierungs- und Dynamisierungsprozessen der 1950er und 1960er Jahre trägt ebenso wie die sozialhistorische Situierung der Akteur_innen dazu bei, universitäre Wandlungsprozesse und Paradigmenwechsel adäquater zu fassen . Zudem zeigt sich, dass die Kontinuität der Krisenwahrnehmung ein universitätsspezifisches Phänomen darstellt, während sich erst in den 1960er Jahren, verstärkt mit „1968“, vor allem aber seit der „Energiekrise“ 1973 gesamtgesellschaftlich Krisenwahrnehmungen abzeichnen .74 In Bezug auf das journalistische Feld ergibt sich aber, dass dort wie auch im universitären Feld der scheinbare „Konsens“ mit der Dynamik der 1960er Jahre aufbrach .75 Die vorliegende Studie erweitert Gesellschaftsgeschichte damit um die Analy-
68 Vgl . Rohstock (2010, 2012) . 69 Vgl . Rohstock (2012) . 70 Ebd ., S . 46 . 71 Unter „Zeitkritik“ wird eine kritische Perspektive verstanden, die seit der Wende zu den 1960er Jahren
im Zuge eines Generationswechsels im Journalismus auftrat und „gegen den Konsens löcken und investigative Elemente in die Berufspraxis einbauen“ wollte, vgl . Hodenberg (2006), S . 295 . 72 Vgl . Herbert (2002b), S . 12 . 73 Vgl . Herbert (2002a), Schildt/Sywotteck (1993), Schildt/Siegfried/Lammers (2000), Hodenberg (2006) . 74 Vgl . Schildt/Sywottek (1993), Schildt/Siegfried/Lammers (2000), Hodenberg (2006), Herbert (2002b), ders . (2014), S . 748–782 . 75 Vgl . Hodenberg (2006) .
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Bildungsexpansion, Krisenrhetorik, Reformstau
se einer feldspezifischen Elite, deren kontinuierlicher Krisendiskurs erst in den 1960er Jahren durch neue Krisenwahrnehmungen herausgefordert wurde sowie um die exemplarische Untersuchung einer Philosophischen Fakultät als einer öffentlich-rechtlichen Institution, die im Zuge der Bildungsexpansion einen großen gesellschaftlichen Bedeutungszuwachs erfuhr . Zur Universität Freiburg in der Zweiten Nachkriegszeit liegen grundlegende Studien zur Épuration,76 zum Wiederaufbau77 und zum studium generale vor .78 Auch zu ihrer Frauen- und Alltagsgeschichte erschienen bereits erste Studien .79 Die Jubiläumsfestschriften anlässlich des 525- und 550-jährigen Bestehens der Albert-Ludwigs-Universität liefern ebenso wie die seit 1962 erscheinenden Freiburger Universitätsblätter grundlegende Beiträge zur universitären und fakultären Entwicklung .80 Im Rahmen der Reihe Freiburger Beiträge zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte sind einschlägige Arbeiten zur Geschichte der verschiedenen Disziplinen und Fakultäten erschienen,81 darunter ein Band zur Philosophischen Fakultät 1920–60 .82 Hinzu kommen die im Rahmen des DFG-Projekts Universität, Wissenschaft und Öffentlichkeit. Die Universität Freiburg, ihre Mediziner und Geisteswissenschaftler 1945 bis ca. 1970 gemeinsam mit der vorliegenden Arbeit entstandenen Beiträge, die weiterführende Einordnungs- und Vergleichsmöglichkeiten liefern .83 Auf diesen Untersuchungen aufbauend konzentriert sich diese Arbeit auf die Analyse der strukturellen Wandlungsprozesse sowie der Krisenrhetorik, die in den bisher erschienenen Arbeiten durchgehend konstatiert, aber noch keiner systematischen Analyse unterzogen worden sind . Mit dem Fokus auf die Philosophische Fakultät, ihre universitären Gruppen, institutionellen Entwicklungen und Öffentlichkeiten trägt sie zu einer sozialhistorisch reflektierten, differenzierten und relationalen Form von Universitätsgeschichte als Gesellschaftsgeschichte bei .84
76 Épuration (Reinigung) steht hier für die Entnazifizierung in der französischen Besatzungszone . Vgl . für Baden Grohnert (1991), für die Universität Freiburg Faßnacht (2000), Seemann (2002, 2006) . 77 Vgl . Defrance (2006, 2007), Faßnacht (2000), Seemann (2002, 2006), Speck (1995) . 78 Vgl . Broschert (2009), Oberndörfer (2017) . 79 Vgl . Scherb (2002), Paletschek (2012a) . 80 Vgl . Martin (2007a, 2007b), vgl . Universität Freiburg (1982) . 81 Vgl . u . a . Seidler (2007), Grill (2008), Stadelbauer (2014) . 82 Wirbelauer et al . (2006) umfasst maßgebliche Überblicksaufsätze zu den Einzeldisziplinen, institutionellen Entwicklungslinien (Paletschek (2006b) und zu dem wissenschaftsorganisatorischen Beziehungsgeflecht zwischen Fakultäten, Universitätsleitung, Militärregierung, Kultusmininisterium und DFG, vgl . Hollerbach (2006), Grün (2006), Defrance (2006), Wöhrle (2006), Orth (2006) . 83 Vgl . Brandt/Klein/Kopp et al . (2014), Kopp (2015), Brandt (2014) . So deutet Kopp (2015), S . 352 darauf hin, dass dem deutschen Universitätsideal in dem „autoritär-hierarchisch geprägte[n] Selbstverständnis der Medizinordinarien“ keine große Bedeutung zukam und es sich vorwiegend um eine geisteswissenschaftliche Legitimationsstrategie handelte . Hingegen zeichnet sich an Brandts Untersuchung ab, dass die Hochschulreformdiskussionen maßgeblich von Krisen- und Humboldt-Diskursen geprägt waren . 84 Schwinges (1986b), S . 333 .
Methoden, Aufbau und Quellenbasis
1.3
Methoden, Aufbau und Quellenbasis
Universitätsgeschichte als Gesellschaftsgeschichte jenseits der „Jubiläumsrhetorik und der hagiographischen Gelehrtenbiographien“85 zu schreiben ermöglicht es, quantifizierende und qualitative, institutions- und personengeschichtliche Ansätze zu kombinieren . Strukturelle, generationelle und diskursive Entwicklungen können damit differenziert in ihren Wechselwirkungen analysiert werden . Dazu wird ein erweiterter institutionsgeschichtlicher Ansatz herangezogen, der das „Wechselspiel zwischen organisatorischer Rahmensetzung und kognitiver Entwicklung“ akteurszentriert untersucht .86 Im Begriff der Institution wird entsprechend „die Interdependenz von Konzeption und Organisation, Akteur und Struktur, Theorie und Praxis“ gefasst .87 Damit stehen die Transfers zwischen diskursiven und organisatorischen Strukturen, sozialen Praktiken und Interaktionen der Akteure im Vordergrund . Die sozialgeschichtlichen, institutionellen und diskursanalytischen Dimensionen der Analyse werden hier methodisch durch akteurszentrierte Ansätze miteinander verschränkt .88 Anhand quantitativ-statistischer Zugänge wird der Entwicklung der universitären Gruppen und institutionellen Organisations- und Hierarchiestrukturen nachgegangen . Prosopografische und kollektivbiografische Zugänge dienen dazu, die soziale Einbettung der Personen sowie die öffentlichkeitswirksamen Repräsentationen und Aushandlungsprozesse im Wandel zu untersuchen . Der Strukturwandel der Philosophischen Fakultät wird anhand quantifizierender Verlaufsanalysen der Personalstruktur, des Studierendenaufkommens sowie der akademischen Abschlussarbeiten nachgezeichnet .89 Ein Vergleich des Ausbaus der Professuren, der Entwicklung des Mittelbaus und des Frequenzwachstums verdeutlicht auf quantitativer Basis, wie sich der personelle Ausbau des Lehrkörpers verhältnismäßig vollzog . Dadurch werden die Veränderungen der Lehrkörperstruktur und der Betreuungsquoten festgestellt und in Beziehung zu damaligen Reformkonzepten gesetzt . Die Analyse der Selbstbehauptungs- und Krisenrhetorik umfasst die Untersuchung professoraler Legitimationsstrategien und Argumentationsmuster in der Öffentlich-
Paletschek (2001c), S . 92 . Lingelbach (2007), S . 116 . Vgl . Wildt (2002), S . 27, Anm . 40 . Vgl . ausführlich Klein (2019) . Zur begriffsgeschichtlichen Annäherung werden zeitgenössische Lexika ausgewertet . Die Vorstellung der Philosophische Fakultät als universitärer Teileinheit sowie die Analyse ihres Strukturwandels erfolgt auf Grundlage der universitären Grundordnung, der Fakultätsprotokolle und weiterer Fakultäts-, Kommissions- und Seminarakten, vgl . die Archivquellen des Universitätsarchivs Freiburg (UA Freiburg) unter 7 .1 . An gedruckten seriellen Quellen werden u . a . Vorlesungsverzeichnisse, Jahresberichte der Prorektoren, Einführungsbroschüren sowie verschiedene Hochschulreformdokumente herangezogen, vgl . Albert-Ludwigs-Universität (1946–70a, 1957b–76b), Neuhaus (1961), Wissenschaftsrat (1960, 1964, 1966, 1967) . 85 86 87 88 89
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Bildungsexpansion, Krisenrhetorik, Reformstau
keit,90 deren Funktionen mit Rückbezug auf die empirische Analyse des Strukturwandels besonders deutlich vor Augen treten . Zudem kann die Untersuchung des Wandels der Krisenrhetorik klären, ob es sich bei idealistischer Krisenrhetorik um eine „grundsätzlich strukturkonservative Diskursstrategie“91 handelt und inwiefern sich darin auch „Dynamisierungen der politischen Umorientierungsprozesse“ im Sinne von „Partizipation, Pluralität und Abbau hierarchischer und autoritärer Strukturen“ abzeichnen .92 Die Verlaufsanalyse zeigt damit akteurs-, gruppen- und generationsspezifisch, wozu Krisenrhetorik jeweils diente und welche Verschiebungen im Zuge des Strukturwandels und der inner- und außeruniversitären Interaktionen auftraten . Als Grundlage der diese Ebenen „explorierenden wie miteinander verknüpfenden“ Analyse dient hier ein erweitertes Generationenkonzept,93 mit dem die Professorengeneration der Jahrgänge 1886–1910 prosopografisch untersucht wird, die 1945–67 die Mehrheit im Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät stellte .94 Der Generationenansatz eignet sich, wenn Generation als ein Relations- und Vermittlungsbegriff verwendet wird, der „Verbindungen zwischen ansonsten als getrennt erscheinenden Phänomenen und Ebenen“95 herstellt wie bspw . zwischen „individueller Biografie und Gesellschaft .“96 Die prosopografische Analyse dient dazu, die Institution Philosophische Fakultät als einen von der Professorengruppe bestimmten sozialen Raum und ihre idealistische Krisenrhetorik als ein historisch gewachsenes, feld- und generationsspezifisches Selbstverständnis sichtbar zu machen . Mit der Untersuchung der institutionellen (Kap . 3) und der repräsentativen Entwicklungen (Kap . 5) werden zwei Analyseebenen differenziert, die durch die vorangestellte Vorstellung der Philosophischen Fakultät (Kap . 2) eingeleitet und durch die Untersuchung der Professorengruppe miteinander verbunden werden (Kap . 4) . Die Geschichte der Philosophischen Fakultät Freiburg wird damit auf den drei Ebenen des institutionellen Strukturwandels, der generationsspezifischen Sozialstruktur, Rang-
90 Zur Untersuchung von Krisenrhetorik und Wissenschaftsorganisation werden Schriften, Vorträge, Nachlässe und Korrespondenzen der Professoren ausgewertet, vgl . die Vorträge und Schriften unter 7 .3 ., vgl . die Nachlässe im UA Freiburg unter 7 .1 . Zur Analyse der öffentlichen Resonanz wird die universitäre und studentische, regionale und bundesweite Presse herangezogen, vgl . die Zeitungen und Zeitschriften unter 7 .2 ., vgl . die Pressemappen unter 7 .1 ., weiterhin Akten des UA Freiburg sowie des Archivs für soziale Bewegungen (ASB Freiburg) unter 7 .1 . Die meisten benutzten Archivakten sind unpaginiert . 91 John (2010), S . 136–137 . 92 Herbert (2002b), S . 9, 12 . 93 Vgl . Jureit (2010), S . 9 . 94 Die prosopografische Analyse stützt sich hauptsächlich auf die Personal-, Berufungs-, Quästur- und Entnazifizierungsakten der Professoren, Nachrufe, Biografien und Personallexika, vgl . die Personal-, Quästur- und Entnazifizierungsakten aus dem Bestand des UA Freiburg unter 7 .1 ., vgl . Wirbelauer/Marthaler (2006), Schuder (1961, 1966, 1970, 1980), Ottnad (1982, 1987), Baumester/Schulz/Zimmer (1958, 1961, 1963, 1982), Klee (2016), König (2003), Weber (1987, 1984), vgl . die Online-Datenbanken unter 7 .2 . 95 Daniel (2006), S . 342 . 96 Jureit/Wildt (2005b), S . 7 .
Methoden, Aufbau und Quellenbasis
aufteilung und illusio der damaligen Professoren sowie ihrer öffentlichkeitswirksamen Diskurse in Interaktion mit verschiedenen Öffentlichkeiten in ihren Eigendynamiken und Zusammenhängen untersucht .
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2.
Die Heterogenität der Philosophischen Fakultät
Die Universität Freiburg gliederte sich 1910–70 in fünf Fakultäten: die Theologische, die Medizinische, die Staats- und Rechtswissenschaftliche, die Philosophische und die Naturwissenschaftlich-Mathematische Fakultät . Ausgelöst durch den großen Expansions- und Verwissenschaftlichungsschub Ende des 19 . Jahrhunderts hatte sich die Philosophische Fakultät 1900 in eine natur- und eine geisteswissenschaftliche Abteilung gegliedert .1 1910 lösten sich die naturwissenschaftlich-mathematischen Fächer aus der Philosophischen und der Medizinischen Fakultät und schlossen sich zu einer eigenen Fakultät zusammen .2 Ab 1910 umfasste die Philosophische Fakultät somit vorwiegend geisteswissenschaftliche Fächer, wobei die Grenzen zu den anderen Disziplinen fließend blieben .3 Wie die anderen Fakultäten auch, verwaltete sie sich nach Maßgabe der Universitätsverfassung, die seit ihrer Revision 1954/56 als universitäre Grundordnung bezeichnet wurde,4 sowie auf der Grundlage der fakultären Geschäftsordnung .5 Die Geschäftsordnung der Philosophischen Fakultät von 1910 wurde erst 1970 überarbeitet,6 als sie sich infolge des zweiten großen Expansionsschubs in den 1950er/60er Jahren erneut aufteilte, diesmal in vier Organisationseinheiten .7
Vgl . Paletschek (2007) . Vgl . Aufteilung Philos . Fak ., Begründung Naturwiss .-Math .- Fak . 15 .07 .1910, in: Gerber (1957b), S . 222 . Das zeichnet sich etwa daran ab, dass auch die theologischen sowie die staats- und rechtswissenschaftlichen Disziplinen als Geisteswissenschaften begriffen wurden . 4 Vgl . Grundordnung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i . Br ., gez . v . Rektor der Universität v . Caemmerer am 23 .06 .1954, durch die Regierung des Landes Baden-Württemberg bestätigt am 10 .06 .1956 (Erlaß v . 03 .08 .1956 – O F 4 .1–H 5752), in: UA Freiburg Nr . B0204/134 (im Folgenden: Grundordnung 1954/56) . Zur Wahl des Namens „Grundordnung“ vgl . Würtenberger/Sydow (1999), S . 55 . 5 Vgl . Geschäftsordnung der Philos . Fakultät Entwurf 1910/11, in: UA Freiburg Nr . B003/816 . 6 Vgl . Geschäftsordnung Philos . Fak . I bis IV 1970, in: UA Freiburg Nr . B003/1141 . 7 Zu diesem Ausdifferenzierungsprozess vgl . die Akten im UA Freiburg Nr . B003/224, Nr . B003/225, Nr . B003/1141 und Nr . B003/97 . In der Philos . Fak . I wurden die pädag ., psychol . u . philos . Fächer sowie die Archäologie, Musikwiss . und Kunstgeschichte zusammengefasst, in der Philos . Fak . II die Philologien bis auf die Germanistik und Anglistik, die zusammen mit der Phonetik und der Volkskunde die Philos . Fak . III bildeten . Die Philos . Fak . IV schloss die Fächer Geschichte, Politik und Soziologie zusammen . 1 2 3
Die Heterogenität der Philosophischen Fakultät
Institutionell bezeichnet eine Fakultät eine universitäre Lehr-, Forschungs- und Verwaltungseinheit, die sich über ihr Fächerspektrum, ihre Räumlichkeiten, ihre Professuren und Studiengänge, über die von ihr verliehenen akademischen Grade und jeweiligen Prüfungsordnungen, ihre Größenverhältnisse und Studierendenklientel, ihre Lehrkörperstruktur und Selbstverständnisse sowie ihre historischen Entwicklungspfade definiert . Als ein disziplinäres Sammelbecken wies die Philosophische Fakultät ein historisch gewachsenes und sich dynamisch erweiterndes Spektrum an Fächern und Studiengängen auf .8 Strukturell unterschied sie sich im Zeitraum 1945–67 von den anderen Fakultäten dadurch, dass sie die geisteswissenschaftliche Lehramts- und größte Aufstiegsfakultät darstellte, am schnellsten wuchs und über die größten weiblichen Anteile verfügte .9 Allerdings divergierte auch innerhalb der Philosophischen Fakultät die Frequenz je nach Studiengang und Fach . Die ungleichmäßige Verteilung der Studierenden auf die verschiedenen Fächer und Studiengänge erforderte differenzierte Umgangsweisen mit dem Frequenzanstieg . Aufgrund ihrer starken Expansion und ihrer Vielfalt stellte die Philosophische Fakultät so einen Kristallisationspunkt der Strukturwandlungsprozesse dar, die zwar auch die anderen Fakultäten betrafen, sich in ihr aber schärfer abzeichneten . Zudem hob sich die disziplinäre Heterogenität der Philosophischen Fakultät von ihrem vereinheitlichenden Selbstverständnis ab . In den Vorträgen und Veröffentlichungen der Professoren wie auch in der von 1957 bis 1976 erschienenen, biennal neu aufgelegten Einführungsbroschüre „Studienführer“ zeigt sich ein Selbstverständnis, das die Philosophie zur „Zentralwissenschaft“ der Fakultät und der Universität insgesamt stilisierte .10 Mit dieser Konstruktion erhoben die Professoren der Philosophischen Fakultät den Anspruch auf „Einheit“ sowie auf Repräsentation der Gesamtuniversität . Ihre homogenisierenden Einheitspostulate stützten sich auf eine Auslegung der Idee der deutschen Universität, die 1945–67 die corporate identity bzw . den „Kern“ der Selbstbehauptungsdiskurse der Philosophischen Fakultät darstellte . Spannungen zwischen institutioneller Heterogenität und repräsentativen Homogenisierungstendenzen zeichnen sich in diesem Feld ab . So finden sich auch institutionelle Begriffsdefinitionen der Philosophischen Fakultät 1945–67 nicht . Die Studentenfibel, ein studentisches Glossar für universitäre Einrichtungen, verstand unter „Fakultät“ lediglich den Fakultätsrat .11 Auch die sechste Ausgabe des Staatslexikons der Görres-Gesellschaft, deren Redaktion der Freiburger Historiker Clemens Bauer federführend leitete, differenziert zwar drei unterschied-
Aufgrund der wachsenden Anzahl und Inhomogenität der unter ihrem Dach subsumierten Fächer war die Philos . Fak . bereits 1881 als „Universitätsrumpelkammer“ bezeichnet worden, vgl . Friedrich Zarncke, Rektor der Univ . Leipzig 1881, zitiert nach Langewiesche (2010), S . 54 . 9 Vgl . ausführlich Kap . 3 .2 .3 . Vgl . Titze (1990), S . 489 . 10 Tellenbach (1957), S . 81–86, S . 83, vgl . Tellenbach (1959, 1961, 1963, 1966, 1968) . 11 Vgl . Studentengruppe der Gesellschaft für Bürgerrechte Land Baden – Freiburg (1951), S . 5 . 8
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Die Heterogenität der Philosophischen Fakultät
liche, aber durchgehend personelle Bedeutungsdimensionen des Begriffs Fakultät:12 Die „engere Fakultät“ bezeichnete den Fakultätsrat, das fakultäre Selbstverwaltungsorgan . Darin waren alle planmäßigen Professor_innen sowie ein bis drei Repräsentant_innen der Nichtordinarien vertreten .13 Der Fakultätsrat war für alle „wissenschaftlichen Fachangelegenheiten“ der ihm zugeordneten Studiengänge verantwortlich, den Unterrichts- und Forschungsbetrieb, die Verleihung akademischer Grade sowie die Berufungen . Der „engeren Fakultät“ korrespondierte die „weitere Fakultät“, das alle habilitierten Lehrkräfte umfassende Fakultätskollegium, das vorwiegend zur Besprechung von Vorlesungsverzeichnissen zusammentrat .14 Der breite Begriff der Fakultät stand schließlich für die „Gesamtheit der Lehrkräfte und Studenten des betreffenden Fachbereichs .“15 Entsprechend umfasst der Begriff Fakultät die vier Bedeutungsdimensionen (1) einer universitären Teilinstitution, (2) aller ihrer Mitglieder, (3) der habilitierten Lehrkräfte und (4) des auf die planmäßigen Professor_innen und wenige Vertreter_innen der Nichtordinarien beschränkten Selbstverwaltungsgremiums . In dieser konkretisierenden Unterscheidung zwischen Institution und Repräsentation liegt ein wichtiger Schlüssel für das Verständnis fakultärer Entwicklungen, da sich die begrifflich unsichtbare Diskrepanz dazwischen mit der Expansion der Philosophischen Fakultät erheblich vergrößerte . 2.1
Die Philosophische Fakultät als Institution
2.1.1
Fächer und Studiengänge
Das Fächerkonglomerat der Philosophischen Fakultät umfasste 1945–70 die drei großen philosophisch-pädagogisch-psychologischen,16 historischen17 und philologischen18 Fachrichtungen sowie weitere Fächer wie die Archäologie, Musikwissenschaft Vgl . Peters (1959), Sp . 116–123 . Vgl . ausführlich Kap . 2 .1 .3 . Vgl . Grundordnung 1954/56, v . 23 .06 .1954/10 .06 .1956, in: UA Freiburg Nr . B0204/134, § 25, S . 7, vgl . Peters (1959), Sp . 120 . Nichthabilitierte waren in diesem Gremium nicht vorgesehen . 15 Peters (1959), Sp . 120 . 16 Zu den philos . Fächern gehörten über die Philosophie hinaus die Pädagogik und die Psychologie, 1954 kamen Psychologie u . Grenzgebiete hinzu, 1957 die Philosophie/Ethik, 1960 die Angewandte Psychologie . 17 Die historischen Fächer gliederten sich in die Alte, Mittlere und Neuere Geschichte sowie die Kunstgeschichte . 1956 wurde eine Professur für Ur- und Frühgeschichte errichtet, 1961 kam die Neuere und Neueste Geschichte, 1962 Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 1965 Neuere und Osteuropäische Geschichte hinzu . 18 Die Philologien umfassten die Neuphilologien Germanistik, Romanistik und Anglistik, die Klassischen Philologien Griechisch und Latein sowie die Vergleichende Sprachwissenschaft . Die während des NS nicht besetzte Professur für Orientalistik wurde 1949 wieder errichtet und 1967 um eine Professur für Islamistik erweitert . 1962 wurde die Slavistik neu institutionalisiert, 1966 kam die Lateinische Philologie des Mittelalters hinzu . Das Fach Germanistik gliederte sich mit der Germanischen Philologie und der Neuen Deutschen Literaturgeschichte in eine Alte und eine Neue Abteilung und erweiterte sich in den 1950er Jahren 12 13 14
Die Philosophische Fakultät als Institution
und Geografie, später auch die Wissenschaftliche Politik und Soziologie sowie die Ethnologie .19 Die Studiengänge an der Philosophischen Fakultät lassen sich danach unterscheiden, ob sie mit einer Staatsprüfung (Staatsexamen, ab 1966 zusätzlich auch Kleine Fakultas)20 oder einer akademischen Prüfung (Promotion, ab 1961 zusätzlich auch Magister) abgeschlossen wurden .21 Der 1961 als Äquivalent zum Staatsexamen eingeführte und der Promotion vorgelagerte Magisterabschluss wurde zunächst kaum von den Studierenden angenommen . Staatsexamen wie auch Promotion erforderten ein mindestens achtsemestriges Studium im Hauptfach und ein mindestens sechssemestriges Studium in den Nebenfächern . Der Promotionsstudiengang, der anders als heute keinen vorgelagerten Studienabschluss erforderte, war bis auf die Gliederung in ein Hauptfach und zwei Nebenfächer nicht weiter strukturiert . Im Staatsexamensstudiengang war hingegen ein zusätzliches Begleitstudium erforderlich, das bis 1966 mit einer „Allgemeinprüfung“ im 6 . Semester, dem sogenannten Philosophikum abgeschlossen wurde . Bis 1967 betrug die Studiendauer im Staatsexamensstudiengang ebenso viele Semester wie im Promotionsstudiengang, wenn nicht gar mehr .22 Als Abschlussarbeit für das Staatsexamen war im Hauptfach eine Zulassungsarbeit erforderlich, „Wissenschaftliche Hausarbeit“ genannt, die 30 bis 50 Seiten umfasste und binnen des letzten Semesters, ab 1966 in vier Monaten zu schreiben war .23 Hingegen variierte der Umfang der geisteswissenschaftlichen Dissertationen damals durchschnittlich zwischen 160 bis 220 Seiten, ohne dass ein spezifischer Zeitraum dafür vorgesehen war .24 Neben der Zulassungsarbeit waren in einzelnen Staatsexamensfächern auch vierstündige Klausuren als Leistungsnachweise für die Abschlussprüfung erforderlich sowie mündliche Prüfungen, die im Hauptfach mit 60, im Nebenfach mit 50 Minuten, ab 1966 mit 45 Minuten angesetzt waren . Bei der Promotion war damals keine Disputation, sondern immer ein Rigorosum vorgesehen: Die Studierenden legten eine
um die Skandinavistik . Die Romanistik differenzierte sich ab 1954 in einen literaturgeschichtlichen und einen sprachwissenschaftlichen Zweig und integrierte zusehends weitere romanische Sprachen . Die Erweiterung der Anglistik um die Amerikanistik gelang erst Ende der 1950er Jahre . Vgl . Kap . 3 .1 . 19 Geografie sowie Wiss . Politik u . Soziologie waren zwischen zwei Fakultäten angesiedelt, allerdings war die Geografie seit 1953, die Politikwissenschaft seit 1956 kontinuierlich auch mit einer Professur an der Philos . Fakultät angesiedelt . 20 Bei der „Kleinen Fakultas“ handelte es sich um einen reduzierten Staatsexamensstudiengang, der für das Lehramt in der Sekundarstufe I befähigte und 1966 eingeführt wurde, vgl . ausführlich Kap . 3 .3 .1 . 21 Eine Ausnahme stellt dabei die Psychologie dar, die hauptsächlich im Diplomstudiengang studiert wurde . 22 Vgl . Mielitz (1967), S . 36: „Da die durchschnittliche Studiendauer für Staatsexamenskandidaten bei ca . 14 Semestern liegt, und auch der Abschluß mit der Promotion nur selten vor dem 12 . Sem . zu erreichen ist .“ 23 Vgl . Tellenbach/Mielitz (1966) . Die Anforderungen für Promotion und Staatsexamen waren nicht hoch . Die Prüfungsordnung schrieb im Hauptfach vier, im Nebenfach zwei Seminare vor, vgl . Bauer (1957) . S . 100 . 24 Vgl . weiterführend Kap . 3 .3 .3 .
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38
Die Heterogenität der Philosophischen Fakultät
mündliche Prüfung ab, für die eine Stunde im Hauptfach, eine halbe Stunde in den Nebenfächern veranschlagt war .25 Die Promotion war in allen an der Philosophischen Fakultät angebotenen Fächern möglich und durchgehend auf ein Hauptfach und zwei Nebenfächer ausgelegt, wobei einige Kombinationen vorgegeben waren . Demgegenüber war die Auswahl der Hauptfächer im Staatsexamensstudiengang entsprechend der Schulfächer eingeschränkt, erlaubte aber ab 1958 in einigen, ab 1966 in den meisten Kombinationen auch ein Zweifächerstudium . Über das Fachstudium hinaus war in den Staatsexamensstudiengängen ein Begleitstudium vorgesehen, das im 6 . Semester mit dem Philosophikum, einer halbstündigen studienbegleitenden Allgemeinprüfung, abgeschlossen wurde . Alle Lehramtskandidat_innen der Philosophischen wie auch der Naturwissenschaftlich-Mathematischen Fakultät mussten für das Philosophikum drei Vorlesungen und zwei Übungen mit philosophischen, pädagogischen oder psychologischen, teilweise auch politischen Schwerpunkten besuchen .26 Die Fächer der Philosophischen Fakultät wurden dahingehend unterschieden, ob sie lediglich im Promotionsstudiengang studiert werden konnten oder ob sie auch Staatsexamensfächer darstellten oder aber hauptsächlich als studienbegleitende Fächer frequentiert wurden . Zu den Fächern, die im Staatsexamensstudiengang nur als Nebenfach gewählt werden konnten, zählten bis 1966 Philosophie, Pädagogik, Orientalistik, Klassische Archäologie und Kunstgeschichte . Diese als Promotionsfächer recht gering frequentierten Fächer wurden in den 1950er Jahren aufgrund der mangelnden Berufszuordnung, die in den fortgeschrittenen Semestern zunehmend als belastendes Risiko erlebt wurde, als „Luxusfächer“ kritisiert .27 Zu den Promotionsfächern kamen in den 1960er Jahren die Fächer Soziologie, Ethnologie, Volkskunde, Sinologie und Phonetik hinzu .28 Stark frequentierte Staatsexamensfächer29 waren vor allem die Neuphilologien Germanistik,30 Romanistik,31 und Anglistik/Amerikanistik .32 Weitere als Staatsexamenshauptfach studierbare Fächer waren Geschichte, Latein und Griechisch, ab 1966 auch Philosophie und Pädagogik . Insbesondere in den Klassischen Philologien wurde den
Vgl . Promotionsordnung der Philos . Fakultät Freiburg, 01 .04 .1947, in: UA Freiburg Nr . D76/132, § 4, vgl . Fakultätsprotokoll v . 08 .09 .1958, S . 51–52 . 26 Vgl . Müller (1957), S . 87 . Vergleichsweise erforderte die einstündige Abschlussprüfung im Hauptfach den Nachweis einer Teilnahme an jeweils zwei Pro- und Oberseminaren, teils auch zusätzlicher Übungen . 27 Vgl . Krockow (1956), S . 129, 155–158 . 28 Die Sinologie, bis 1970 auch die Soziologie waren nur als Lehrauftrag an der Philos . Fak . vertreten . 29 Promotions- und Staatsexamensabschluss wurden nicht selten kombiniert, vgl . Rupp (1957), S . 89, ders . (1959), S . 99, ders . (1961), S . 88, vgl . Bauer (1961), S . 101 . 30 Vgl . Rupp (1957), S . 89 . 31 Vgl . Friedrich (1957), S . 93–95 . 32 Heuer (1957), S . 90–92 . 25
Die Philosophische Fakultät als Institution
Doktorand_innen empfohlen, zunächst das Staatsexamen zu absolvieren, um ihre Berufschancen zu erhöhen .33 Wissenschaftliche Politik war 1957–59 nur als Nebenfach im Staatsexamen wählbar,34 ab der neuen Studienordnung 1959 dann auch als Zulassungsoder zweites Hauptfach .35 In Kooperation mit der Hochschule für Musik in Freiburg konnte der zweite, theoretisch-methodische Teil des „Studiengangs des Musikerziehers an Höheren Schulen“ studiert und mit dem Staatsexamen an der Philosophischen Fakultät abgeschlossen werden .36 Schließlich mussten im Rahmen der Staatsexamensstudiengänge bis 1966 studienbegleitend Veranstaltungen in Philosophie, Pädagogik oder Psychologie, später wahlweise auch in Politik und Soziologie37 besucht und das Philosophikum bestanden werden . Philosophie und Pädagogik stellten daher bis 1966 vorwiegend studienbegleitende Fächer dar .38 Die Psychologie nahm eine Sonderstellung unter den Studiengängen der Philosophischen Fakultät ein . In ihrer Denomination als „Philosophie und Psychologie“ war die Professur zwar im philosophischen Fachbereich angesiedelt und konnte entsprechend auch als studienbegleitendes Fach gewählt werden . Auch für die Prüfung in Psychologie war bis 1963 eine halbstündige Prüfung in Philosophie vorgesehen .39 Allerdings emanzipierte sich das Fach zusehends aus diesem Zusammenhang .40 Anders als die anderen Fächer wurde die Psychologie hauptsächlich im Diplomstudiengang absolviert und stellte so ein Diplom- und Promotionsfach dar, das vorwiegend als erstes Hauptfach studiert wurde .41
Büchner (1957), S . 97 . Bergstraesser (1957e), S . 102 . Vgl . Bergstraesser (1961c), S . 104 . Vgl . Gurlitt (1957), S . 104–105, vgl . Hartmann (1957), vgl . Eggebrecht (1959, 1966a), S . 103, 110–113 . Ab 1957 konnte das Philosophikum auch in Wiss . Politik absolviert werden, vgl . Bergstraesser (1957e), S . 102, vgl . auch Müller (1957), S . 87 . 38 Vgl . zur Reform der Staatsexamens und deren Auswirkung auf die studienbegleitenden Fächer Kap . 3 .3 .2 . 39 Vgl . Heiss (1963b), S . 108 . 40 Vgl . Heiss (1959b), S . 117, Heiss (1961b), S . 107 . 41 Der Diplomgrad wurde an Universitäten ab 1923 eingeführt, vgl . Bruch (2007), S . 205–206 . In Freiburg war am 01 .04 ./16 .06 .1941 in Psychologie eine Diplom-Prüfungsordnung eingeführt worden, die erste Diplom-Vorprüfung erfolgte 1944, die erste Diplom-Hauptprüfung 1945, vgl . Fahrenberg (2006), S . 473 . Die Prüfungen in Psychologie als Diplomstudiengang waren nach Prüfungsordnungen vom 15 .08 .1955 bzw . 17 .07 .1965 geregelt, vgl . Heiss (1959b), S . 117, Heiss (1961b), S . 107, vgl . UA Freiburg Nr . B003/218 . Ab 1959 konnte auch die mit einem Lehrauftrag an der Philos . Fak . vertretene, bis 1970 aber in der Staats- u . Rechtswiss . Fak . angesiedelte Soziologie auf Diplom studiert werden, vgl . UA Freiburg Nr . B0204/134 . 33 34 35 36 37
39
40
Die Heterogenität der Philosophischen Fakultät
2.1.2
Größenverhältnisse der verschiedenen Fächer
Bei den wachsenden Studentenzahlen (im Sommer-Semester 1958 in der Germanistik 980, je etwa 700 in Romanistik und Anglistik, 500 in Geschichte, 400 in Klassischer Philologie) sind Seminare mit 100 und mehreren 100 Teilnehmern seit Jahren an der Tagesordnung,
teilte der Dekan der Philosophischen Fakultät dem Kultusministerium 1958 mit .42 Die verschiedenen Fächer und Studiengänge wurden unterschiedlich frequentiert . In einer Studie zur Kapazitätsberechnung der Philosophischen Fakultät 1967,43 die sich durch eine Aufstellung nach Studienfällen statt nach Studierenden(‚-köpfen‘) auszeichnet,44 lassen sich folgende vier Fächergruppen ausmachen (vgl . Abb. 1): 1 . kleine Fächer (8–30 Studienfälle: Mittellatein, Vergleichende Sprachwissenschaft, Ur- und Frühgeschichte, Ethnologie), 2 . mittlere Fächer (50–150 Studienfälle: Musikwissenschaft, Orientalistik, Archäologie, Slavistik, Kunstgeschichte), 3 . große Fächer (200–350 Studienfälle: Pädagogik, Philosophie, Wissenschaftliche Politik, Psychologie, Klassische Philologie, Geografie), 4 . sehr große Fächer (800–1600 Studienfälle: Geschichte, Anglistik, Romanistik, Germanistik) Da viele der Fächer erst re- bzw . neu etabliert und institutionalisiert wurden, handelt es sich bei diesen Größenverhältnissen nur teils um konstante Größen . Als Vergleichspunkte sind allerdings lediglich die Angaben der Professoren in den Erhebungen des Wissenschaftsrats 1958 zur Studierendenfrequenz ihrer Fächer 1950 bis 1958 vorhanden (vgl . Abb. 2) .45 Diesen Angaben zufolge wuchsen während der 1950er Jahre die Fächer Anglistik (Faktor 5) und Psychologie (Faktor 3), gefolgt von den Fächern Germanistik, Geschichte,46 Romanistik und Klassische Philologie, in denen sich die Studierendenzahlen mehr als verdoppelten .
Dekan der Philos . Fak . an das Kultusmin . Baden-Württ . am 08 .07 .1958, in: UA Freiburg Nr . B003/99 . Vgl . Link/Wittke (1968), S . 73–78 . Zur Rekonstruktion der Größenverhältnisse der verschiedenen Fächer liegt keine durchgehende Statistik zur Kapazitätsberechnung der Philos . Fak . Freiburg 1950–70 vor . 44 Studienfälle bezeichnen die Summe der Studierenden im 1 . und 2 . Hauptfach sowie 75 % der Nebenfächler . 45 Hierbei handelt es sich um Angaben der Professoren, die sie im Zuge der Erhebungen des Wissenschaftsrats zur Entwicklung der Studierendenzahlen 1950–58 machten, vgl . UA Freiburg Nr . B003/280 . 46 Für Alte Geschichte fehlen die Angaben für 1950, für 1954 gab Nesselhauf 79 Studierende, für 1958 bereits 260 an, vgl . UA Freiburg Nr . B003/280 . 42 43
Die Philosophische Fakultät als Institution
Germanistik
521
569
Anglistik
369
570
Geschichte
333
317
Geographie
85
Klass. Philol.
175
83
111
74
155
Psychologie
314
Wiss.Politik
53
89
Philosophie
42
Pädagogik
30
Kunstgesch.
78
55
348
152
137
234
12
158 120
Studienfälle pro Fach
165 65
Slavistik
38
25 29
Archäologie
26
60
Orientalistik
25
49
Musikwiss.
302
908
Romanistik
Studierende im 1. Hauptfach Studierende im 2. Hauptfach 75% der Stud. im Nebenfach
22 35
Ethnologie
8
20
Ur- u. Frühg.
12
5
Vgl. Sprachw.
1 7
Lat. Phil. d. MA
1 7
0
100 200 300 400 500 600 700 800 900 1000 1100 1200 1300 1400 1500 1600
Abb. 1 Größenverhältnisse der Fächer nach Studienfällen 196747 700
Philosophie Germanistik
1000
237
Geschichte
800
140
Anglistik
700
300
Romanistik Klass. Philol.
100
Psychologie
Orientalistik Archäologie Vergl. Sprachw.
420
145
Sprechkunde
Kunstgesch.
670 525
Wiss. Politik
Musikwiss.
700
400
Pädagogik
Geographie
1325
350
240
47 30
402 275
75 60
40 35
Studierenden‚köpfe‘ pro Fach Anzahl der Studierenden 1950 Anzahl der Studierenden 1958
13
Abb. 2 Größenverhältnisse der Fächer nach Studierenden‚köpfen‘ 1950/195848
47 48
Bildrechte C . Klein, die der Grafik zugrundeliegenden Zahlen aus Link/Wittke (1968) . Bildrechte C . Klein, die der Grafik zugrundeliegenden Zahlen aus UA Freiburg Nr . B003/280 .
41
42
Die Heterogenität der Philosophischen Fakultät
An den Größenverhältnissen lässt sich insbesondere der Aufstieg der Anglistik zu einem sehr stark frequentierten Fach ablesen . Zudem fallen die hohen Studierendenzahlen der studienbegleitenden Staatsexamensfächer Pädagogik und Philosophie in den 1950er Jahren auf . Daran zeigt sich, dass die 1966 erfolgte Reform der Staatsexamensstudiengänge, welche das obligatorische Philosophikum abschaffte und die studienbegleitenden Verpflichtungen für Staatsexamenskandidat_innen reduzierte,49 einen Frequenzeinbruch in den Fächern Philosophie und Pädagogik nach sich zog . Allerdings konnten diese danach immer noch zu den großen Fächern gezählt und ab 1967 auch als Staatsexamensfächer studiert werden . 2.1.3
Personalstruktur – Die Gliederung des Lehrkörpers
Innerhalb des Lehrkörpers wurde zwischen habilitierten und nichthabilitierten Lehrkräften unterschieden sowie auf jeder der Qualitikationsstufen Promotion und Habilitation danach, ob die Lehrkraft über einen gering vergüteten oder unbesoldeten Lehrauftrag verfügte oder eine befristete oder aber eine unbefristet-verbeamtete Stelle inne hatte (vgl . Tab. 1) . Bis Ende der 1950er Jahre stellten die planmäßigen Professuren, die sich in ordentliche und außerordentliche Professuren, sogenannte Persönliche Ordinariate und planmäßige Extraordinariate ausdifferenzierten, die einzigen unbefristeten Stellen im Lehrkörper der Philosophischen Fakulät dar . Alle anderen, zusammenfassend als „Nichtordinarien“ bezeichneten Lehrkräfte verteilten sich auf gering vergütete Lehraufträge und befristete Stellen wie Lektorate, Assistenturen und Diätendozenturen . Erst ab Ende der 1950er Jahren wurden zusätzlich einige entfristete Wissenschaftliche und Akademische Ratsstellen geschaffen .50 Tab. 1 Stellenstruktur des Lehrkörpers der Philos. Fak. in den 1950er/60er Jahren Stelle Qualifikation
(un)bezahlte Lehrbeauftragte
befristet
entfristet, verbeamtet
Habilitation, Lehrbefugnis (venia legendi)
Außerplanmäßige Extraordinarien (apl. Prof., n. 6 J. PD) Privatdozierende (PD)
Lehrstulvertretung, Diätendozierende, Mitarbeiter_innen
Ordinarien (O), Extraordinarien (AO), Wissenschaftl. Rät_innen (WR)*
Promotion, Staatsexamen
Lehrbeauftragte
Mitarbeiter_innen, Assistent_innen, Lektor_innen
Akademische Rät_innen (AR)*
* Neue Stellen
49 50
Vgl . ausführlich Kap . 3 .3 .1 . Vgl . weiterführend Kap . 3 .4 .
Die Philosophische Fakultät als Institution
Die Professor_innen verfügten wie auch die Privatdozierenden (PDs) über die venia legendi, die Lehrbefugnis, die in der Regel auf der Grundlage einer abgeschlossene Habilitation verliehen wurde . Die Habilitationsordnung sah vor, dass die PDs zur Aufrechterhaltung ihrer Lehrbefugnis einen Lehrauftrag wahrnehmen mussten, der im Falle einer Diätendozentur besser, im Falle eines Lehrauftrags gering vergütet war .51 Bei Diätendozenturen handelte es sich um befristete „Durchgangsstellen“, die erst zwei Jahre nach der Habilitation angetreten werden konnten .52 Nach sechs Jahren Lehrtätigkeit wurde den Privatdozierenden, wenn davor keine Berufung erfolgte, ein außerplanmäßiges Extraordinariat verliehen .53 Anders als die planmäßigen Professuren waren diese sogenannten Titularprofessuren an keinerlei Stelle gekoppelt . Entsprechend waren die habilitierten Lehrkräfte teils in befristeten Forschungsprojekten tätig, teils als Diätendozierende beschäftigt, teils finanzierten sie sich über (besoldete) Lehraufträge und das sogenannte Kolleggeld, das Eintrittsgeld für Vorlesungen, das bis zur Kolleggeldreform 1964 gezahlt wurde . Mit der Einführung Wissenschaftlicher Ratsstellen wurden erstmals Dauerstellen jenseits der Professur für habilitierte Lehrkräfte eingerichtet .54 Auf der Ebene des nichthabilitierten Mittelbaus vollzog sich Ende der 1950er Jahre ein ähnlicher Prozess: Zusätzlich zu den nichthabilitierten Lehrbeauftragten mit einem (gering) vergüteten Lehrauftrag55 sowie den befristeten Assistenturen wurden entfristete sogenannte Akademische Ratsstellen für „Studienräte im Hochschuldienst“ geschaffen .56 Bei ihnen handelte es sich wie bei den Wissenschaftlichen Ratsstellen auch um Dauerstellen, sie erforderten jedoch keine Habilitation . Hinzu kamen in den Philologien einige, vorwiegend befristete Lektor_innenstellen, die ebenfalls keine Habilitation voraussetzen .57 Lektor_innen wurden in ein Beamtenverhältnis auf Widerruf berufen und erfüllten vor allem praktische Sprachlehrtätigkeiten mit einem Deputat von ca . 10 Semesterwochenstunden .58 In den 1960er Jahren wurde auch ihre soziale Besserstellung diskutiert .59 Die Position innerhalb des Lehrkörpers bestimmte auch die Stimmrechte innerhalb des Fakultätsrats: Die planmäßigen Professor_innen sowie ein bis drei Repräsentant_innen der habilitierten Nichtordinarien verfügten darin über ein Stimmrecht, Vgl . Grundordnung 1954/56, § 9, § 12, § 13, S . 3–5 . Vgl . ebd ., § 12, S . 4–5 . Vgl . ebd ., § 10, S . 4, vgl . UA Freiburg Nr . B003/11 . Vgl . UA Freiburg Nr . B003/102 . Vgl . ausführlich Kap . 3 .4 . Vgl . Grundordnung 1954/56, § 15, § 16, S . 5 . Vgl . UA Freiburg Nr . B003/105 . Vgl . weiterführend Kap . 3 .4 . Vgl . Grundordnung 1954/56, § 17, S . 5 . Zu ihnen gehörten auch Zeichen- und Sportlehrer, vgl . ebd ., § 18 . 1965 wurde eine Vergütung nach BAT III beschlossen, vgl . Lektoren im Angestelltenverhältnis . Zusammenstellung des Rektors der TU Berlin v . 22 .02 .1965 in: Westdeutsche Rektorenkonferenz (1965), S . 175– 177, vgl . Rahmenordnung für Lektoren . Beschluss der KMK v . 28 ./29 .04 .1965, in: ebd ., S . 178 . 59 So hielt die Dekanatskonferenz 1958 auf Antrag Bergstraessers fest, dass „die soziale Lage vieler Lektoren es dringend erforderlich macht, eine sachgemäße Regelung der dienstlichen Stellung und eine adäquate Besoldung“ voranzutreiben, Protokoll d . Fakultätentags v . 07 .01 .1958, S . 14, 12, in: UA Freiburg Nr . B003/208 . 51 52 53 54 55 56 57 58
43
44
Die Heterogenität der Philosophischen Fakultät
während nichthabilitierte Lehrkräfte wie auch Studierende bis 1967 nur in ausgewählten Fällen hinzugezogen wurden .60 2.2
Die „engere Fakultät“: Der Fakultätsrat
Institutionalisierte Formen der universitären Wissenschaftsorganisation lassen sich in den 1950er Jahren vorwiegend in ihren Selbstverwaltungsgremien finden . Während für die Universität insgesamt der Senat das beschlussfassende Gremium darstellte, war es im Fall der Philosophischen Fakultät der Fakultätsrat, der zwei Repräsentanten, den Dekan und den Senatsbeauftragten, in den Senat entsandte . Die Kompetenzbereiche des Fakultätsrats waren in der Universitätsverfassung bzw . der universitären Grundordnung festgeschrieben . Er wurde rundweg als „die Fakultät“ oder auch als „engere Fakultät“ bezeichnet .61 Alle die Philosophische Fakultät betreffenden Entscheidungen wurden hier ausgehandelt . 2.2.1
Zusammensetzung des Fakultätsrats, Hierarchiegefälle und Stimmrechte
Der Fakultätsrat setzte sich seit 1951 hauptsächlich aus den planmäßigen Ordinarien und Extraordinarien sowie Vertreter_innen der habilitierten Nichtordinarien zusammen . 1945/46 waren allerdings selbst die planmäßigen Extraordinarien lediglich mit ein bis zwei Vertretern im damals minimal besetzten Fakultätsrat repräsentiert .62 Mit der 1947 in Kraft gesetzten Universitätsverfassung, die sich eng an die Verfassung von 1919 anlehnte,63 erhielten zunächst diejenigen unter den planmäßigen Extraordinarien Mitspracherechte im Fakultätsrat, die als Fachvertreter eine eigenständige Disziplin repräsentierten .64 Diese Regelung wurde allerdings durch einen Beschluss des BadiVgl . weiterführend das folgende Teilkapitel 2 .2 .1 . Vgl . Würtenberger/Sydow (1999), S . 56, vgl . Grundordnung 1954/56, §§ 24, 25, S . 7–8 . Am 25 .04 .1945 hob die Universität in einer Plenarversammlung, an der als einzige Mitglieder der Philos . Fak . der Pädagoge Stieler sowie der Archäologe und langjährige Dekan Schuchhardt teilnahmen, die „Führerverfassung“ von 1933 auf und setzte übergangsweise die Hochschulverfassung v . 21 .03 .1919, bzw . den „Codex Nagler“ von 1928 ein, vgl . Protokoll der Plenarversammlung am 25 .04 .1945, in: UA Freiburg Nr . A010/0109 . Darin war „ein gewählter Vertreter der etatmässigen ausserordentlichen Professoren“ vorgesehen, für den Fall, dass ihre Zahl mehr als fünf betragen sollte, erhöhte sich die Zahl ihrer Vertreter auf zwei, vgl . Verfassung der Universität Freiburg v . 21 .03 .1919, in: Gerber (1957b), S . 225 . Zur Verfassung 1933 vgl . „Umgestaltung der Verfassungen d . bad . Hochschulen v . 21 .08 .1933“, in: Gerber (1957b), S . 228–230, vgl . Würtenberger/Sydow (1999), S . 53, Martin (1991), vgl . ausführlich Kap . 3 .4 .1 . 63 Vgl . Verfassung der Univ . Freiburg . Neufassung v . 06 .10 .1947 und Änderungen v . 30 .03 .1951, 26 .11 .1952, in: Gerber (1957b), S . 232–234, vgl . Verfassung der Univ . Freiburg, 21 .03 .1919, in: ebd ., S . 225–226 . 64 Vgl . Verfassung der Univ . Freiburg . Neufassung v . 06 .10 .1947 und Änderungen v . 30 .03 .1951 durch den Erlass des Badischen Ministeriums des Kultus und des Unterrichts 30 .03 .1951, § 1, vgl . § 4, in: ebd ., S . 232–233 . Diese Regelung verdeutlicht für den Zeitraum 1947–51 auch die grundlegende Abwehr der Ordinarien, 60 61 62
Die „engere Fakultät“: Der Fakultätsrat
schen Kultusministeriums 1951 dahingehend geändert, dass nun alle planmäßigen Professor_innen Sitz und Stimme im Fakultätsrat erhielten .65 Die habilitierten Nichtordinarien waren in den Verfassungen von 1947/1951 mit einem Vertreter oder einer Vertreterin noch schlechter repräsentiert als in der Verfassung von 1919, die bei einer Gesamtanzahl von mehr als zehn zumindest zwei Vertreter_innen im Fakultätsrat vorgesehen hatte .66 Bis zur Einsetzung der neuen Grundordnung 1956 besuchte so lediglich ein_e Vertreter_in der habilitierten Nichtordinarien die Fakultätssitzungen . Ausgenommen der Habilitationen, Beförderungen und Berufungen in ihrem eigenen Fach verfügten sie über das gleiche Stimmrecht wie die etatisierten Professoren, ihr Antragsrecht war allerdings auf ihren Lehrbereich eingeschränkt .67 So empfahl bereits die Hinterzartener Arbeitstagung 1952 die Beteiligung der Nichtordinarien an der universitären Selbstverwaltung auszubauen .68 In den Verfassungsverhandlungen um eine neue Grundordnung der Universität Freiburg 1954/5669 drängte auch das Kultusministerium auf eine höhere Repräsentation der Nichtordinarien in den Fakultätsräten und dem Senat .70 In der Grundordnung von 1956 sollten jeweils fünf habilitierte Nichtordinarien einschließlich der außerplanmäßigen Professor_innen und Diätendozierenden, die in der Grundordnung der Freiburger Universität 1954/56 grundsätzlich als „Privatdozenten“ (PDs) oder auch „Nichtordinarien“ bezeichnet wurden,71 einen Vertreter oder eine Vertreterin in den Fakultätsrat entsenden .72 Allerdings durfte die Anzahl der Repräsentant_innen der Nichtordinarien ein Fünftel der Zahl an planmäßigen Professor_innen im Fakultätsrat nicht überschreiten, so dass eine Höchstzahl von drei Nichtordinarien in der Engeren Fakultät festgelegt wurde .73 Ihnen wurde ein Stimmrecht bei Berufungen und Habilitationen
Parallelprofessuren einzuführen . Diejenigen planmäßigen Extraordinarien, die nicht ein „von der Fakultät als selbständig anerkanntes Fach“ vertraten, wurden zu den habilitierten Nichtordinarien gezählt, die insgesamt lediglich eine_n Vertreter_in in den Fakultätsrat entsenden durften . 65 Vgl . ebd . 66 Vgl . Gerber (1957b), S . 232–234, vgl . Verfassung der Univ . Freiburg, 21 .03 .1919, in: ebd ., S . 225–226, vgl . Paletschek (2006b), S . 86 . 67 Vgl . Verfassung der Univ . Freiburg . Neufassung 1947/1951, §§ 3–4, in: Gerber (1957b), S . 233, vgl . Paletschek (2006b), S . 86, Fakultätsprotokoll v . 25 .07 .1953, in: UA Freiburg Nr . B003/798, S . 340–342 . 68 Hochschulverband (1952), S . 22 . 69 Nachdem die Universität Freiburg die Grundordnung bereits am 23 .06 .1954 verabschiedet hatte, zogen sich die Verhandlungen mit dem Kultusministerium über zwei Jahre hin, vgl . Welte (1958[1956]), S . 59–60, Würtenberger/Sydow (1999), S . 55, Pfannenstiel (1958[1955]), S . 42 . Am 03 .08 .1956 trat schließlich die am 10 .06 .1956 von der Landesregierung Baden-Württemberg bestätigte Grundordnung in Kraft, vgl . Grundordnung 1954/56, in: UA Freiburg Nr . B0204/134 . 70 Vgl . Würtenberger/Sydow (1999), S . 55–56, Seelhorst (1999), S . 65–67, vgl . die Fakultätsprotokolle v . 18 .02 .1956, 05 .05 .1956, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 4–6 . 71 Vgl . ebd ., §§ 6–14, S . 3–5, vgl . § 24, S . 7, vgl . ausführlich Gerber (1959), S . 168 . 72 Vgl . Grundordnung 1954/56, § 6, S . 3, vgl . § 24, S . 7 . 73 Vgl . ebd . § 24, S . 7, vgl . Fakultätsprotokoll v . 18 .02 . u . 05 .05 .1956, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 4–6 . Über die Anwesenheit der Emeriti bzw . Honorarprofessoren beschloss der Fakultätsrat jeweils gesondert .
45
46
Die Heterogenität der Philosophischen Fakultät
zugestanden – ausgenommen die des eigenen Fachs .74 Da ab 1955 ca . zwanzig, ab 1960 ca . 30, ab 1965 ca . 40 habilitierte Nichtordinarien an der Fakultät lehrten (vgl . Tab. 8, Abb. 14), waren sie im Fakultätsrat deutlich unterrepräsentiert .75 Hatten sie mit drei Vertreter_innen Mitte der 1950er Jahre noch ca . 12 % des Fakultätsrats gestellt, schrumpfte ihr Anteil im Zuge des Ausbaus der Professuren in den 1960er Jahren auf 7 % . Die nichthabilitierten Lehrkräfte wurden von der Grundordnung 1956 nicht als Mitglieder des Lehrkörpers anerkannt . Als Ergänzung des Lehrkörpers bzw . dessen „Helfer“ definiert,76 hatten sie keinerlei Mitwirkungsrechte in der Selbstverwaltung . Auch die Studierenden waren im Fakultätsrat kaum vertreten . In der Grundordnung von 1954/56 war jedoch vorgesehen, dass sie in den von ihnen „zu betreuenden Angelegenheiten“ herangezogen werden sollten – ein Topos, der unterschiedlich ausgelegt werden konnte .77 Das akademische Hierarchiegefälle äußerte sich in der Beteiligung und Stimmberechtigung innerhalb des Fakultätsrats sowie in der habituellen Interaktion .78 Ein eindrückliches Lehrstück dieser Umgangsformen lieferte 1955 Arnold Bergstraesser in einem Brief an seinen Freund Fritz Caspari, dem er für eine Bewerbung an der Universität Köln einige Tipps aus dem „‚Knigge für die Behandlung von Universitätsprofessoren‘“ zukommen ließ: ‚Herr Kollege‘ ist die Anrede, die entweder verwendet wird zwischen Professoren, die auf der akademischen Leiter ungefähr dieselbe Höhe erklommen haben, sich aber nicht gut kennen . Ein nicht planmässiger, ausserordentlicher Professor kann einen Ordinarius, mit dem er etwa in Verhandlungen steht, nur bei Strafe völligen Verlustes seiner Qualifikation für gutes Benehmen als ‚Herr Kollege‘ anreden . Wenn dieser nicht planmässige, ausserordentliche Professor aber von jenem Ordinarius als ‚Herr Kollege‘ betitelt wird, tut er gut, in diesem Zeichen von Intimität eine wirkliche Neigung oder Herabneigung des Olympiers zu erblicken und dies den Olympier auch dankbar fühlen zu lassen .79
In Bezug auf weiter unten in der Rangfolge rangierende Lehrkräfte und Mitarbeiter_innen unterschied sich der Umgangston der einzelnen Lehrstuhlinhaber, war aber grundlegend standesbewusst .80
Vgl . die Auslegungen v . § 24 Grundordnung in Fakultätsprotokoll v . 04 .12 .1954, in: UAF/798, S . 373 . Vgl . weiterführend Kap . 3 .4 .5 . Vgl . Grundordnung 1954/56, § 6, S . 3, § 15, S . 5 . Ebd ., § 24, S . 7 . Daran entzündeten sich später viele Diskussionen, vgl . UA Freiburg Nr . B003/799, S . 36, vgl . auch Faßnacht (2000), S . 90–91, vgl . Würtenberger/Sydow (1999), S . 54 . 78 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 16 .01 .1954, 27 .02 .1954, in: UA Freiburg Nr . B003/798, S . 354, 361 . 79 Arnold Bergstraesser an Fritz Caspari am 19 .01 .1955, in: UA Freiburg Nr . B0204/126 . 80 Vgl . z . B . folgenden Brief des Dekans der Philos . Fak ., Robert Heiss, v . 24 .03 .1946, in: UA Freiburg Nr . B003/77: „Sehr geehrtes Fräulein Schauber, Herr Professor Dr . Friedrich macht mich darauf aufmerksam, dass ein Schreiben, dass Sie an ihn am 15 .03 . gerichtet haben mit dem folgenden Satz endet: ‚… ich möchte nur meinem Erstaunen darüber Ausdruck geben, dass von den Hütern dieser akademischen Ge74 75 76 77
Die „engere Fakultät“: Der Fakultätsrat
In den 1950er Jahren veränderte sich die Zusammensetzung des Fakultätsrats nur geringfügig . Die Repräsentation der Studierenden in einzelnen Fakultätssitzungen wurde erstmals 1957,81 ab 1960 dann intensiver debattiert82 und 1965 zum ersten Mal stattgegeben .83 Den Anfangspunkt der Entwicklung hin zu einer regelmäßigen Teilnahme von Studierendenvertreter_innen im Fakultätsrat markierte eine Fakultätssitzung zu neuen Prüfungsordnungen .84 In dieser Sitzung im Juli 1967 wurde die Teilnahme des studentischen Fakultätssprechers bei denjenigen Tagesordnungspunkten gebilligt, „die berechtigte Interessen der Studenten zum Gegenstand haben“ – welche das waren, entschied der Fakultätsrat .85 Wenngleich auch diese Formulierung langwierige Diskussionen nach sich zog, wurde damit 1967 eine regelmäßige Teilnahme von zwei Studierendenvertreter_innen an den Fakultätssitzungen institutionalisiert . Den studentischen Vorstößen schlossen sich im Dezember 1967 die nichthabilitierten Wissenschaftlichen Assistent_innen und Akademischen Rät_innen (WA/AR) an und entsandten zwei Vertreter_innen in den Fakultätsrat . Dieser erklärte sich zwar mit ihrer beratenden Beteiligung einverstanden, enthielt ihnen jedoch das Stimmrecht .86 Spätestens zu diesem Zeitpunkt rückte die „Repräsentation des sogenannten Mittelbaus und der Studierenden in den Gremien der akademischen Selbstverwaltung“ zu einem Spitzenthema der Fakultätssitzungen auf .87 Sukzessive wurden Prüfungsausschüsse und Kommissionen um Vertreter_innen der Studierenden, der habilitierten Nichtordinarien sowie der WA/AR, die vermehrt für Zwischenprüfungen und Staatsexamina herangezogen wurden, erweitert und paritätischer besetzt .88 1968 brachten die Gruppen der habilitierten und nichthabilitierten Lehrkräfte sowie der Studierenden schließlich Anträge zur Neuordnung ihrer Vertretung im Fakultätsrat ein . Da diese Forderungen gemäß der alten Grundordnung unerfüllbar waren und gleichzeitig die neue Grundordnung, deren Ausarbeitung unmittelbar bevorstand, nicht präjudiziert werden sollte, wurde eine vorläufige Kompromisslösung be-
meinschaft und Würde ihre minderen Grade einer so unverhohlen zum Ausdruck gebrachten Missachtung anheim fallen .‘ Namens der Fakultät ersuche ich Sie um eine alsbaldige schriftliche Äusserung darüber, dass diese Bemerkung sich in keiner Weise auf die gesamte Fakultät als solche bezieht .“ 81 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 14 .12 .1957, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 34 . 82 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 09 .07 .1960, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 97, vgl . Bender/Kühnert/Müller (1960) . 83 Fakultätsprotokoll v . 13 .11 .1965, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 241 . 84 Fakultätsprotokoll v . 15 .07 .1967, in: ebd ., S . 334–341 . 85 Ebd ., S . 338 . 86 Fakultätsprotokoll v . 02 .12 .1967, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 348 . 87 Ebd ., S . 350 . 88 1965 waren die Promotionsrechte der habilitierten Nichtordinarien vom Fakultätsrat so festgelegt worden, dass sie nach der Habilitation vom fünften Semester an in Haupt- und Nebenfach prüfen durften, vgl . Fakultätsprotokoll v . 13 .11 .1965 und 11 .12 .1965, in ebd ., S . 241–243, 248 . Bereits zwei Jahre später wurden auch die nichthabilitierten WA/AR zu Prüfungen herangezogen, vgl . die Fakultätsprotokolle v . 02 .12 .1967, 13 .01 .1968 und 27 .04 .1968, S . 352–357, 361–362, 376–379 .
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Die Heterogenität der Philosophischen Fakultät
schlossen:89 Über ihre drei gewählten Vertreter_innen hinaus sollten in Zukunft weitere habilitierte Nichtordinarien mit beratender Stimme im Fakultätsrat und all seinen Kommissionen mitwirken .90 Zudem sollten auch die WA/AR mit vier Vertreter_innen im Fakultätsrat repräsentiert sein, die künftig an allen Tagungsordnungspunkten mit beratender Stimme und Antragsrecht teilnehmen und in denjenigen Kommissionen mitwirken durften, die ihre Angelegenheiten betrafen – wobei dieser Punkt großzügig ausgelegt werden sollte . Dieselben Rechte wurden bei gleichzeitiger Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit den Studierenden zugesichert, die nun mit sechs statt zwei Vertreter_innen im Fakultätsrat repräsentiert werden sollten .91 Damit bahnte sich 1967/68 ein Weg für die verstärkte Mitwirkung der Studierenden und des Mittelbaus im Fakultätsrat und den Kommissionen an,92 ebenso wie in den damals diskutierten Fragen einer neuen Grundordnung, der Aufgliederung der Fakultät, der Wahlordnung für die Mitglieder der Fakultätskonferenzen93 sowie der Zulassungsbeschränkungen und diesbezüglichen Beratungen mit dem Kultusministerium .94 Wenngleich die neue Grundordnung schließlich ohne die Studierenden verabschiedet wurde, markierte das Jahr 1967 einen wichtigen Schritt in der Repräsentation des Mittelbaus und der Studierenden im Fakultätsrat, die seit 1960 in Freiburg gefordert worden war . Diese Zäsur fiel mit dem Generationswechsel zusammen, der sich seit Ende der 1950er Jahre angebahnt hatte .95 Der Fakultätsrat veränderte sich so Ende der 1960er Jahre durch die vielen Berufungen in seiner generationellen, durch die erweiterten Mitspracherechte des Mittelbaus und der Studierenden in seiner gruppenrepräsentativen Zusammensetzung . 2.2.2
Die Arbeitsweise des Fakultätsrats
Den Vorsitz im Fakultätsrat hatte der Dekan . Er führte die Dienstgeschäfte und sorgte dafür, dass die Beschlüsse der Fakultät umgesetzt wurden . Die Repräsentation der Fakultät nach außen sowie die Kommunikation mit dem Rektor und den Fachschaften gehörten zu seinem Aufgabenfeld .96 Er wurde im Anschluss an die Rektorwahl alljährlich im Fakultätsrat gewählt . Es herrschte kein strenges Rotationsprinzip, bei den Wahlen wurden meist mehrere Kandidaten vorgeschlagen . Die Wiederwahl eines De-
Fakultätsprotokoll v . 27 .04 .1968, S . 376–379 . Vgl . ebd ., S . 376 . Wie viele das sein sollten, wurde nicht festgelegt . Vgl . Fakultätsprotokoll v . 25 .05 .1968, in ebd ., S . 380–385 . Vgl . Fakultätsprotokoll v . 23 .11 .1968, 14 .12 .1968, 26 .04 .1969, in: UA Freiburg Nr . B003/799 . Vgl . Fakultätsprotokoll v . 27 .09 .1968, in: ebd ., S . 387, vgl . Fakultätsprotokoll v . 1 .07 .1969, in: UA Freiburg Nr . B003/825, vgl . die Wahlaufrufe vom 08 .12 .1969, in: UA Freiburg Nr . B003/818 . 94 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 19 .10 .1968, in: UA Freiburg Nr . B003/799 . 95 Vgl . ausführlich Kap . 4 . 96 Vgl . weiterführend zum Aufgabenprofil des Dekans die Grundordnung 1954/56, § 25, S . 7–8 . 89 90 91 92 93
Die „engere Fakultät“: Der Fakultätsrat
kans war aber bis zur Verabschiedung der neuen Geschäftsordnung der vier Philosophischen Fakultäten 1970 grundsätzlich nicht vorgesehen .97 Während sich die Dienstzeiten des Rektors verlängerten, als Präzedenzfall mit Helmut Baitsch 196698 und mit dem neuen Hochschulgesetz 1968 dann institutionalisiert,99 verblieb der Dekan der Philosophischen Fakultät weiterhin nur ein Jahr im Amt . Stellvertreter des Dekans, der Prodekan, war der ausscheidende Dekan . Der Fakultätsrat war nur dann beschlussfähig, wenn zwei Drittel der stimmfähigen Mitglieder anwesend waren .100 Bis 1953 nahmen meist weniger als 15 Personen an den Fakultätssitzungen teil, 1954–60 um die zwanzig, ab den 1960er Jahren dann ca . 30 und ab 1965 mehr als 30: Mit dem Ausbau der Professuren wuchs auch der Fakultätsrat .101 Die Sitzungen fanden während des Semesters etwa zweiwöchentlich am Samstag statt . Daran änderte auch die Einführung der Fünf-Tage-Woche 1961 nichts .102 Zwar wurde ab 1963 öfters auch montags und mittwochs getagt, grundlegend blieb der Samstagstermin aber bis in die 1970er Jahre erhalten . Die Fakultätssitzungen begannen samstags um neun oder um zehn Uhr c . t ., in Ausnahmefällen auch abends um 20 Uhr,103 und nahmen bis Ende der 1950er Jahre etwa zwei Stunden in Anspruch . Bereits seit 1910 wurden jedoch die Berufungsvorschläge nicht mehr im Plenum, sondern in kleineren Kommissionen vorbereitet: Die wachsenden Aufgaben der sich vergrößernden Fakultät wurden zunächst an kleinere Kommissionen, später dann an Ausschüsse delegiert, die dem Plenum Vorschläge zur Beschlussfassung unterbreiteten .104 97 Bis auf Robert Heiss, der 1947 erneut zum Dekan gewählt wurde und die Wahl ausschlug, kam die Wiederwahl eines Dekans im Zeitraum 1945–70 nicht vor . Siehe die veränderte Vorgabe in der Geschäftsordnung der Philosophischen Fakultäten I, II, III, IV, § 5 (2), S . 5, in: UA Freiburg Nr . B003/1141 . 98 Die Rektorwahl war bis 1966 grundlegend durch die Fakultätenrotation und nicht durch das Anciennitätsprinzip bestimmt . Nur bei problematischen Rektorwahlen wie der Wahl des Jubiläumsrektors Tellenbach 1957 oder der Wiederwahl des Rektors Baitsch 1966 beriet der „Ältestenrat“ bzw . „Seniorenkonvent“, ein informelles Gremium aus Alt-Rektoren, vgl . Protokoll der außerord . Senatssitzung am 15 .11 .1955 . Bericht des Dekans über die Sitzung des Ältestenrats im Fakultätsprotokoll v . 03 .12 .1966, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 294, vgl . das Protokoll der außerord . Senatssitzung v . 15 .11 .1955, in: UA Freiburg Nr . B012/0012, vgl . Fakultätsprotokoll der Med . Fak . v . 03 .12 .1953, in: UA Freiburg Nr . B53/223 . Ich danke Nadine Kopp für die Einsicht in ihre Exzerpte . 99 Vgl . Zorger (1970), S . 158 . 100 Vgl . ebd ., § 24 (2), S . 7 . 101 Vgl . weiterführend Kap . 2 .2 .3, Kap . 3 .1 . 102 Vgl . Regierung des Landes Baden-Württemberg, „Arbeitszeit im öffentlichen Dienst . Anordnung der Regierung des Landes Baden-Württemberg über die Arbeitszeit im öff . Dienst“ v . 17 .01 .1961, in: Staatsanzeiger 5 (1961), S . 4, in: UA Freiburg Nr . B0204/130 . Auch an der Universität Freiburg wurde im Zuge dieser Anordnung der arbeitsfreie Samstag eingeführt, vgl . Akad . Rektorat Nr . 594 v . 31 .01 .1961, in: ebd . 103 Vgl . etwa die Fakultätsprotokolle der außerordentl . Fakultätssitzungen v . 19 .07 .1960, 27 .07 .1960, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 100–103 . 104 Bis 1960 fanden auch die Verteidigungen von Habilitationen im Kreis der gesamten Fakultät statt, vgl . Fakultätsprotokoll v . 14 .05 .1960, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 90 . Ab 1960 wurden sie in getrennten Sitzungen vorgenommen, zu Beginn der 1960er Jahre eine Veränderung der Habilitationsordnung diskutiert, vgl . ebd ., vgl . Fakultätsprotokoll v . 04 .11 .1961 und 18 .11 .1961, S . 136, S . 139–140 Ab 1964 wurden die Habilitationen dann an Kommissionen delegiert, vgl . Fakultätsprotokoll v . 24 .02 .1964, in: ebd ., S . 196 .
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Die Heterogenität der Philosophischen Fakultät
Trotz der vielfältig eingerichteten Kommissionen verlängerten sich die Sitzungen mit der Expansion der Fakultät in den 1960er Jahren auf drei bis vier Stunden . In den Fakultätssitzungen wurden Entscheidungen bezüglich der anstehenden Habilitationen und Berufungen, der Erteilung von Lehraufträgen und Promotionsrechten getroffen, über die Errichtung und Dringlichkeitsfolge neuer Professuren sowie über Mittelbaustellen abgestimmt, Prüfungsordnungen angepasst, Finanzmittel, Haushaltsfragen und die Einführung von Zulassungsbeschränkungen diskutiert, Veränderungen der universitären Grundordnung entworfen und korrigiert, kurz: alle die Fakultät, Forschung und Lehre betreffenden Verwaltungs-, Organisations- und Prüfungsangelegenheiten wurden hier besprochen . Im Vordergrund der Aufgaben standen die in der Universitätsgrundordnung verankerten Rechte, eigenverantwortlich akademische Prüfungen abzunehmen, entsprechende Grade und Lehrberechtigungen zu verleihen, dem Kultusministerium nach Präferenz gestaffelte Berufungslisten zu unterbreiten sowie Vorschläge zur Etatisierung und zum Profil neuer Professuren und anderer akademischer Stellen an der Philosophischen Fakultät zu erarbeiten .105 Die Errichtung neuer Professuren beruhte in aller Regel auf langwierigen Planungsund Aushandlungsprozessen, die im Ausnahmefall innerhalb eines Jahres entschieden wurden, sich generell aber über drei bis fünf Jahre hinzogen . Am Anfang der Verfahren zur Etatisierung einer neuen Professur stand der Vorschlag zur Neuerrichtung eines Lehrstuhls, der im Untersuchungszeitraum meist von einem der Professoren ausging, aber auch vom Kultusministerium an den Fakultätsrat herangetragen werden konnte . Waren Fakultät und Kultusministerium hinsichtlich der Notwendigkeit der zu errichtenden Professur einig, wurde sie in den Haushalt integriert, der dem Landtag vorgelegt und von diesem angenommen werden musste . Verzögerungen waren auf jeder Stufe dieser Entscheidungskette möglich . Durchlief ein Vorschlag diese Instanzen erfolgreich, war der Weg zur Besetzung geebnet . Die Fakultät setzte daraufhin eine Berufungskommission ein, die auf der Grundlage von Gutachten eine gestufte Dreierliste an Kandidaten und seltener auch Kandidatinnen erarbeitete . Vakante Professuren wurden in der Philosophischen Fakultät erst ab 1969 öffentlich ausgeschrieben,106 „Hausberufungen“ sollten allerdings die Ausnahme bleiben . War der Fakultätsrat mit der Vorschlagsliste einverstanden, wurde sie an das Kultusministerium weitergeleitet . Das Kultusministerium hatte das Recht, aus der Berufungsliste auszuwählen, hielt sich aber meist an die vorgeschlagene Reihung und erteilte entsprechend die Rufe . Es folgte eine Phase der Aushandlungsprozesse von Universität und Kultusministerium mit den Kandidaten und wenigen Kandidatinnen der Wahl . Mit der Annahme des Rufs war der Berufungsprozess abgeschlossen .
105 106
Vgl . Grundordnung 1954/56, § 21, § 23, S . 6–7, vgl . §§ 7, 9, 10,11, 12, S . 3–4 . Vgl . Fakultätsprotokoll v . 14 .12 .1968, in: UA Freiburg Nr . B003/0804 .
Die wichtigsten hochschulpolitischen Gremien der 1950er/60er Jahre
2.3
Die wichtigsten hochschulpolitischen Gremien der 1950er/60er Jahre
Das wichtigste hochschulpolitische Bezugsgremium der Philosophischen Fakultät stellte zweifellos das badische, ab 1952 in dem föderal strukturierten Hochschulsystem der Bundesrepublik das baden-württembergische Kultusministerium dar, mit dem alle neuen Stellen und Reformanliegen ausgehandelt wurden . Für die Untersuchung des Strukturwandels der Philosophischen Fakultät sind jedoch noch weitere institutionalisierte hochschulpolitischen Koordinations- und Vernetzungsgremien zu berücksichtigen, die bundesweit durch Konferenzen, Richtlinien und Empfehlungen auf die Entwicklung der Universitäten und Hochschulen einwirkten . Weitere bereits zu Beginn der 1950er Jahre bundesweit organisierte hochschulpolitische Gremien waren die Ständige Konferenz der Kultusminister (KMK), die 1948 aus der „Konferenz der deutschen Erziehungsminister“ hervorgegangen war,107 die Westdeutsche Rektorenkonferenz (WRK),108 und der 1950 reetablierte Hochschulverband .109 Diese Koordinations- und Vernetzungsgremien planten und organisierten Anfang bis Mitte der 1950er Jahre verschiedene Hochschulreformkonferenzen . Eine in zweierlei Hinsicht besonders wichtige Hochschultagung stellte die Konferenz in Bad Honnef 1955 dar .110 Dort wurde das erste, nach dem Tagungsort Honnef benannte Förderungsmodell für Studierende verabschiedet sowie eine Neugliederung des Lehrkörpers und der Ausbau des Mittelbaus vorbereitet .111 Parallel zur Gründung der WRK 1949 konstituierte sich 1950 in Marburg auf Fakultätsebene der „Fakultätentag“ als gemeinsame Konferenz der Dekane der „Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten und Technischen Hochschulen der Bundesrepublik und Westberlin“ . Diese Dekanatskonferenz gliederte sich seit 1958 in eine Philosophische und eine Naturwissenschaftliche Abteilung, die getrennt voneinander wie auch gemeinsam tagten . Den Vorsitz hatten alternierend Dekane der Philosophischen und der Naturwissenschaftlichen Fakultäten inne . In diesem Koordinationsgremium wurden Prüfungsordnungen und die Einführung des Magisterabschlusses, die Neugliederung des Lehrkörpers und das Verhältnis von Universitäten und Pädagogischen Hochschulen diskutiert .112
107 Vgl . Overesch (1980), vgl . Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder (1962–2015), Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (1998) . 108 Bei der WRK handelt es sich um den 1949 institutionalisierter Zusammenschluss der Rektoren der westdt . Hochschulen, vgl . weiterführend zu Aufgaben der WRK Fischer (1966) . 109 Der Hochschulverband vertrat die Berufs- u . Standesinteressen der Hochschullehrkräfte, vgl . Bauer (2000) . 110 Der Ort ist heute als Bad Honnef bekannt, erhielt aber erst 1960 die Ehre des Kurbades . 111 Vgl . weiterführend Kap . 3 .4 .2 . 112 Vgl . zur Dekanatskonferenz die Dokumente in: UA Freiburg Nr . B003/208, vgl . Philosophischer Fakultätentag (2016) .
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Die Heterogenität der Philosophischen Fakultät
Ein weiteres für die Geisteswissenschaften der 1950er/60er Jahre zunehmend zentraler werdendes Gremium stellt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) dar .113 Sie wurde 1951 aus der Fusion der Bonner Notgemeinschaft und des Deutschen Forschungsrats neu gegründet .114 Angesichts des geringen Anteils, den Geisteswissenschaftler an den von der DFG geförderten Schwerpunktprogrammen in den 1950er Jahren hatten, hat Patrick Wagner darauf hingewiesen, dass sie einen „auf das kreative Forscherindividuum fixierten Wissenschaftsstil“ konservierten .115 Allerdings pflegten an der Philosophischen Fakultät Freiburg einige Professoren durchaus intensive Kontakte zur DFG,116 die als Forschungsförderungsinstitution auch für die Geistes- und Sozialwissenschaften in den 1950er/60er Jahren einen großen Bedeutungszuwachs erfuhr . Schließlich stellte auch der Stifterverband ein wichtiges Gremium in Fragen der Forschungsfinanzierung dar .117 Er repräsentierte die Ansprüche der Industrie in der Wissenschaftspolitik, etwa durch die finanzielle Unterstützung der DFG sowie durch Öffentlichkeitsarbeit118 und setzte sich für die Etablierung des Wissenschaftsrats ein, der 1957 gegründet wurde und 1958 seine Arbeit aufnahm . Mit diesem Organ der Planung und Koordinierung des Hochschulaus- und Neubaus kam Ende der 1950er Jahre ein neues, bundesweit wirksames wissenschaftsorganisatorisches Gremium hinzu . Der Wissenschaftsrat konstituierte sich 1957/58 auf der Grundlage eines Abkommens zwischen Bund und Ländern .119 Dadurch wurde ein Beratungs- und Planungsgremium geschaffen, in dem die Interessen von Bund und Ländern, Wirtschaft, Politik und Wissenschaft koordiniert sowie die langwierigen Aushandlungsprozesse von der Planung bis zur Umsetzung neuer Disziplinen, Professuren und anderer Universitätsstellen beschleunigt werden sollten . Der Wissenschaftsrat setzte sich aus 39 Mitgliedern zusammen, bei denen es sich zu 41 % um Wissenschaftler aus Universitäten und Technischen Hochschulen handelte,120 zu 44 % um Abgeordnete der Bundes- und Landesregierungen121 sowie zu ca . 15 % um Repräsen113 Zur Funktion der DFG vgl . Orth (2011), Orth/Oberkrome (2010), zur DFG und den Geisteswissenschaften vgl . Wagner (2010b), zur DFG und der Philos . Fak . Freiburg vgl . Orth (2006) . 114 Vgl . Orth (2010), Bruch (2010), S . 50–52, vgl . weiterführend Osietzki (1984), Orth (2011) . 115 Wagner (2010b), S . 349–350 . 116 So war etwa Tellenbach mehrfach Mitglied in Senat u . Hauptausschuss der DFG, vgl . Mielitz (1963), S . 268, Nagel (2005), S . 149, vgl . die Korrespondenz Tellenbach/Hess, in: UA Freiburg Nr . C0157/187 . Bergstraesser war DFG-Fachgutachter, vgl . ebd ., Nr . B0204/182, Maurer war DFG-Fachgutachter, vgl . ebd ., Nr . B02472335; Nesselhauf war 1968–74 Vizepräsident der DFG, vgl . Schuller (1999), S . 71–72, Orth (2006) . 117 Zum Stifterverband 1945–70 vgl . Schulze (1995), S . 96–273, 297–305 . 118 Vgl . zum Stifterverband als „moralischer Instanz der Wissenschaftspolitik“ ebd ., S . 299, vgl . Gesprächskreis Wissenschaft und Wirtschaft (GKWW) (1967), vgl . Ansprache Generaldirektor Bergassessor a . d . Dr . Hermann Reusch, GKWW BDI/SV am 17 .02 .1959 in Essen-Hügel, in: UA Freiburg Nr . B0204/034 . 119 Vgl . Anhang 1 Abkommen zwischen Bund und Ländern über die Errichtung eines Wissenschaftsrates am 05 .09 .1957 in Bonn, in: Wissenschaftsrat (1960), S . 454–456 . 120 16 dieser Mitglieder waren Professoren aus Unis u . THs, die auf den gemeinsamen Vorschlag der DFG, der MPG und der WRK vom Bundespräsidenten berufen wurden, vgl . ebd ., vgl . UA Freiburg Nr . C0157/187 . 121 Die Landesregierungen entsandten elf, die Bundesregierung entsandte sechs Mitglieder, vgl . ebd .
Die wichtigsten hochschulpolitischen Gremien der 1950er/60er Jahre
tanten der Wirtschaft und Kultur .122 Repräsentant der Geisteswissenschaften im ersten Wissenschaftsrat war der Freiburger Mediävist Tellenbach . Er wurde 1964 von seinem Freiburger Kollegen abgelöst, dem Althistoriker Herbert Nesselhauf (1909–95) .123 Der Relevanz des Wissenschaftsrats und der anderen Koordinations- und Planungsgremien für die Studien- und Hochschulreformen wird im Folgenden weiter nachgegangen, ebenso wie der Frage, welche Rolle die Studierenden in diesen Aushandlungsprozessen spielten . Sie organisierten sich in kirchlichen und parteinahen Studierendenverbänden sowie in eigenständigen universitären Gremien der studentischen Selbstverwaltung, sogenannten Allgemeinen Studentenausschüssen (AStA) . Überregional organisierten sie sich in dem 1949 reetablierten Dachverband deutscher Studentenschaften (VDS) und vernetzten sich auf „Studententagen“ . Ein wichtiges Aufgabenfeld des VDS stellte zunächst die Studierenden- und Nachwuchsförderung dar, die sukzessive um weitere Belange der Studien- und Hochschulreform erweitert wurde . Die Freiburger Studierenden engagierten sich intensiv im VDS und nutzten die 1951 wiedergegründete Freiburger Studentenzeitung (FSZ) als Publikationsorgan . Die Gruppe der Nichtordinarien verfügte im Untersuchungszeitraum über keine gesonderte bundesweit organisierte Vertretung . Sie wurden vielmehr zu großen Teilen durch den übergreifenden Hochschulverband vertreten . Darüber hinaus engagierten sich einige der jüngeren Nichtordinarien in den Studierendenverbänden . In Freiburg konstituierte sich allerdings bereits am 24 . Oktober 1961 eine sogenannte Allgemeine Assistentenversammlung, die letztlich kaum in Erscheinung trat .124 Erst 1968 wurde mit der Bundesassistentenkonferenz (BAK) auf bundesweiter Ebene eine hochschulpolitische Interessenvertretung des akademischen Mittelbaus institutionalisiert, die verschiedene Reformvorschläge entwickelte .125
Sechs Mitglieder wurden auf gemeinsamen Vorschlag der Bundes- und der Länderregierungen vom Bundespräsident berufen . Fünf repräsentierten die Großindustrie und den Stifterverband, einer war Beigeordneter für Schule und Kultur, Presse und Auslandangelegenheiten im Deutschen Städtetag . 123 Vgl . Schuller (1999), S . 71–72 . 124 Vgl . UA Freiburg Nr . B003/099, darin auch der Entwurf zu der neuen Assistentenordnung . 125 Vgl . Bundesassistentenkonferenz (BAK) (1968) . 122
53
3.
Die Expansion der Philosophischen Fakultät
3.1
Professuren: Entnazifizierung, Ausdifferenzierung und Ausbau
3.1.1
Ausnahmezustand, Épuration und Reetablierung (1945–52)
„Die Philosophische Fakultät konnte sich bis heute noch nicht konstituieren, da der grösste Teil ihrer Mitglieder sich noch in Beuron befindet . Wann eine Rückkehr möglich sein wird, entzieht sich meiner Kenntnis“, erklärte der Rektor der Universität Freiburg Janssen am 7 . Mai 1945 .1 Das Kriegsende fand in Freiburg ohne die Geisteswissenschaften statt .2 Nur zwei Vertreter besuchten die Plenarversammlung am 25 . April 1945, vier Tage nachdem die Stadt durch die französische Militärregierung – „vom Feind“, wie es in dem Protokoll noch heißt – besetzt worden war .3 Darin erklärten die in Freiburg verbliebenen Senatsmitglieder die nationalsozialistische Universitätsverfassung für „Null und Nichtig“4 und beschlossen „eine neue Konstituierung der Universität, den derzeitigen Verhältnissen entsprechend .“5 Gerhard Ritter, seit 1925 Freiburger Ordinarius für Mittlere und Neuere Geschichte und Mitglied des Freiburger Kreises, war Anfang November 1944 wegen seiner Beziehungen zu Carl Goerdeler verhaftet und in der Lehrter Str . in Berlin gefangengesetzt worden .6 Der 1944 nach Freiburg berufene Mediävist Tellenbach war Anfang März 1945, 1 Rektor der Univ . Freiburg, 07 .05 .1945 an Alexander Gallay, Lektor der frz . Sprache an der Universität Freiburg i . Br ., in: UA Freiburg Nr . B001/039 . 2 Vgl . für die Universität insgesamt Speck (1995) . 3 Protokoll der Plenarversammlung am 24 .09 .1945, S . 2, in: UA Freiburg Nr . B001/39, vgl . Bericht Sigurd Janssen 1958 über den Zeitraum 24 .09 .45–19 .12 .45, in: UA Freiburg Nr . B034/1082 . 4 Bericht Sigurd Janssen 1958 über den Zeitraum 24 .09 .–19 .12 .1945, S . 3, in: UA Freiburg Nr . B034/1082 . 5 Protokoll der Plenarversammlung am 24 .09 .1945, S . 2, in: UA Freiburg Nr . B001/039 . Die „bereits vollzogene Wahl des Rektors“, bewirkte „ein gewisses Misstrauen“ der Militärregierung, vgl . Bericht Sigurd Janssen 1958 über den Zeitraum 24 .09 .–19 .12 .1945, S . 19, in: UA Freiburg Nr . B034/1082 . Der Dekan der Philos . Fak . konnte nur kommissarisch, ein Senatsvertreter gar nicht gewählt werden . Vgl . auch das Protokoll der Plenarversammlung am 28 .04 .1945, in: ebd ., vgl . Seemann (2002), S . 43–44, dies . (2006) . 6 Cornelißen (2001), S . 362 . Zum Freiburger Kreis vgl . Kluge (1988), Goldschmidt (2005), Schwabe (1991) sowie Blumenberg-Lampe (1991) .
Professuren: Entnazifizierung, Ausdifferenzierung und Ausbau
als er von der Überquerung des Rheins durch die Alliierten hörte, überstürzt zu seiner Verlobten nach Weilburg an der Lahn aufgebrochen .7 Diese „‚Hochzeitsreise‘“ zog sich aufgrund der Kriegsverhältnisse in die Länge .8 Weitere zehn Professoren der Philosophischen Fakultät, darunter der Historiker Clemens Bauer (1899–1984), der Romanist Hugo Friedrich (1904–78), der Philosoph Martin Heidegger (1889–1976) und der Psychologe Robert Heiss (1903–74), befanden sich mit dreißig Studierenden und einem großen Bibliotheksanteil im „Exil“ auf Burg Wildenstein in der Nähe des Benediktinerklosters Beuron .9 Im März 1945 war der Entschluss gefallen, den Lehrbetrieb dorthin zu verlegen, der in den Wohnungen einzelner Professoren provisorisch aufrecht erhalten worden war . Der Luftangriff auf Freiburg am 27 .11 .1944 hatte auch das Universitätshauptgebäude und damit zentrale geisteswissenschaftliche Räumlichkeiten beschädigt . Ihre Evakuierung auf Burg Wildenstein schützte diese Geisteswissenschaftler zunächst vor Kriegsereignissen und erlaubte ihnen, den Lehrbetrieb teilweise fortzuführen .10 Die französische Militärregierung konzentrierte sich auf das zwanzig Kilometer von Beuron entfernte Sigmaringen, wohin die Vichy-Regierung geflohen war, sowie auf die Partisanenaktivitäten des „Wehrwolfs“ und von SS-Verbänden, die im Schwarzwald untergetaucht waren . Gleichzeitig waren die „Wildensteiner“ Geisteswissenschaftler auf ihrer Burg isoliert: Der Austausch mit der Universität lag mitunter komplett darnieder und noch Mitte Juni war „die Rückverlagerung […] für die nächsten drei Wochen gesperrt .“11 Rückkehr der Geisteswissenschaften und die Épuration Die Rückkehr der Geisteswissenschaften an die Universität Freiburg verlief in mehreren Etappen . In der Fakultätssitzung am 3 . Juli 1945 begrüßte der Dekan Friedrich Brie (1880–1948) „Herrn Ritter und berichtet über die Verhaftung von Herrn Friedrich .“12 Am 20 . Juni war Ritter zusammen mit seinen Kollegen aus dem Freiburger Kreis, den Staats- und Rechtswissenschaftlern Constantin von Dietze (1891–1973) und Adolf Lampe (1897–1948), wieder in Freiburg eingetroffen . Der Anglist Brie und der Musikwissenschaftler Willibald Gurlitt (1889–1963), die 1937 wegen „jüdischer Versippung“ amtsenthoben worden waren, erhielten 1945 ihre Professuren zurück und übernahmen
7 Tellenbach (1981), S . 98 . 8 Ebd ., S . 102 . 9 Vgl . Speck (2015) . 10 Die Besetzung Freiburgs am 21 .04 .1945 gestaltete sich gewaltvoll . Öffentliche Versammlungen sowie die
Lehrtätigkeit wurden vom Obersten Befehlshaber der Alliierten Streitkräfte General Eisenhower untersagt, vgl . Aktennotiz Besprechung des Rektors mit dem Oberlt . Cons und Major Laurent am 30 .04 .1945, in: UA Freiburg Nr . B001/039 . 11 Protokoll der Plenarversammlung v . 12 .05 .1945, S . 3, in: ebd . 12 Fakultätsprotokoll v . 03 .07 .1945, in: UA Freiburg Nr . B003/798 .
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Die Expansion der Philosophischen Fakultät
wichtige Hochschulämter .13 Der Romanist Friedrich hingegen wurde bei einem „vorübergehenden Besuch im nahen Kloster Beuron“ verhaftet .14 Mit der Rückführung der Bücher,15 Studierenden und Lehrenden von Burg Wildenstein16 wurden auch die Mitglieder der Philosophischen Fakultät mit Épurationsmaßnahmen konfrontiert . 80 % der zwanzig Professoren, die Anfang 1945 an der Philosophischen Fakultät gelehrt hatten, waren aus unterschiedlichen Motivationen und Umständen heraus in die NSDAP eingetreten .17 Die Épuration fand in Zusammenarbeit mit der Universität statt .18 Die Militärregierung beauftragte eine „‚Kommission zur Umgestaltung des Lehrkörpers der Universität‘, kurz ‚Reinigungskommission‘ genannt,“ mit der Entnazifizierung, die auch das „besondere Vertrauen des Senates“ besaß .19 In Bezug auf Einrichtungen, die mit Propagandazwecken in Verbindung gebracht wurden, erst vor Kurzem etabliert oder im Zuge des Bombenangriffs zerstört worden waren, konnte rasch ein Konsens erzielt werden . Die Institute für Rundfunkwissenschaft, für Zeitungswissenschaft sowie für Rassenkunde wurden ebenso aufgelöst wie das Institut für Volkskunde . Die Professoren Friedrich Karl Roedemeyer (1894–1947; Rundfunkwissenschaft), Hans F . K . Günther (1891–1968; Rassenkunde und Bauerntumsforschung) sowie Georg Stieler (1884–1959; Philosophie und Pädagogik) wurden Ende September 1945 endgültig suspendiert .20 Darüber hinaus wurden die Dozenten Wolfgang Aly (1881–1962; Klassische Philologie) und Johannes Künzig (1897–1982; Volkskunde) entlassen .21 Hinzu kamen 13 Friedrich Brie wurde am 09 .05 .1945 zum Dekan der Philos . Fak ., Willibald Gurlitt am 01 .12 .1945 zum Prodekan gewählt . Brie verstarb bereits drei Jahre später am 12 .09 .1948, vgl . UA Freiburg Nr . B024/405 . 14 Vgl . weiterführend S . 57–58, Anm . 30–31 sowie S . 60–61, vgl . die Bitte der Universität um Angabe des Grundes der Verhaftung und um Beschleunigung der Untersuchung, in: UA Freiburg Nr . B034/4, vgl . Speck (2006), S . 611 . 15 Ca . 250 .000 Bände waren evakuiert und mehrfach umgelagert worden . Bis Oktober 1946 stand die Hälfte der Bestände wieder zur Verfügung, die Rückführung zog sich aber wegen der Restaurations- und Zensurmaßnahmen bis 1948 hin . Der Rückstand war bis 1952 nicht überwunden, vgl . [o . A .], „Zurückgekehrte Bücher . Die Universitätsbibliothek zur Hälfte wieder daheim“, in: BZ Nr . 72 v . 04 .10 .1946, Z ., „Bücher kehren zurück“, in: BZ Nr . 2 v . 06 .01 .1948, S . 4; [o . A .], „Vorbereitungen zur 500-Jahr-Feier . Jubiläum der Universitäts-Bibliothek“, in: BZ v . 31 .12 .1952 . 16 Vgl . Fakultätsprotokolle v . 26 .07 ., 20 .08 . und 01 .09 .1945, in: UA Freiburg Nr . B003/798 . 17 Vgl . im Detail Kap . 4 .4 . 18 Zunächst war „ das mit der Entnazifizierung beauftragte Gouvernement de Bade“ veranstwortlich, später „das südbadische Kultusministerium oder […] die von ihm eingesetzte ‚politische Reinigungskommission‘“ Bericht Sigurd Janssen 1958 über den Zeitraum 24 .09 .–19 .12 .1945, S . 10, in: UA Freiburg Nr . B034/1082 . 19 Ebd ., vgl . die Fragebogen der einzelnen Akteure im Bestand UA Freiburg B034 sowie die Übersicht der Philos . Fak ., in: UA Freiburg Nr . B003/283 . 20 Zu Georg Stieler vgl . Kersting (2008), S . 304–327 . 21 Zu Aly vgl . Fakultätsprotokoll v . 17 .11 .1951, 08 .12 .1951, 22 .01 .1955, in: UA Freiburg Nr . B003/798, vgl . Fakultätsprotokoll v . 28 .05 .1960, 18 .05 .1961, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 94, 139, Malitz (2006), S . 7, Anm . 17, Seemann (2002), S . 126, Anm . 152, zu Künzig s . ebd ., Anm . 153, S . 127, Anm . 157, vgl . die Akten in UA Freiburg Nr . B024/962, Nr . B004/283 . Zu Günther vgl . die Fakultätsprotokolle v . 19 .12 .1956, 12 .01 .1957, 27 .02 .1957, 22 .02 .1958, 01 .08 .1959, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 18–19, 22, 41, 78, vgl . weiterführend Paletschek (2006b) und Hasenauer (2006) .
Professuren: Entnazifizierung, Ausdifferenzierung und Ausbau
der Lehrbeauftragte für Geschichte der körperlichen Erziehung Arthur Geiss (*1883) sowie der Leiter des Zeitungswissenschaftlichen Instituts, Wilmont Haake (1911–2008) .22 Die Philosophische Fakultät distanzierte sich von ihnen und erklärte sie zu Außenseiter[n], für die der Staat Lehrstühle errichtete, politische Pädagogen, Rassenkundler und Rassehygieniker, Wehrwissenschaftler, Zeitungs- oder gar Rundfunkwissenschaftler u . ä . […,] [die] mit den politischen Aktivisten zusammen vor der breiten Öffentlichkeit als führend erschienen, von der Propaganda als maßgebende Repräsentanten der deutschen Wissenschaft hingestellt wurden, […] und den Machthabern in Wort und Tat zuwillen waren .23
Die im Vergleich mit Heidelberg geringe Zahl an entlassenen Ordinarien erklärt sich teils auch dadurch, dass drei führende Nationalsozialisten der Philosophischen Fakultät Freiburg 1941 an die 1940 gegründete Reichsuniversität Straßburg gegangen waren24 und zwei Neuberufungen 1941–44 sich an parteiferne Wissenschaftler gerichtet hatten .25 Sechs Ordinarien wurden kurzfristig suspendiert: Der Kunsthistoriker Kurt Bauch (1897–1975), der Klassische Philologe Hermann Gundert (1909–74), der Germanist Friedrich Maurer (1898–1984), der Geograph Friedrich Metz(1890–1969), der Althistoriker Joseph Vogt (1895–1986) sowie der Archäologe Walter-Herwig Schuchhardt (1900–76) .26 Drei Professoren, der Inhaber des historischen Konkordatslehrstuhls Bauer,27 Walther Rehm (1901–63; Neuere Deutsche Literaturgeschichte)28 und Martin Heidegger (Philosophie) wurden für disponibel erklärt .29 Bauer wurde jedoch vom 27 . Oktober bis zum 12 . Dezember 1945 verhaftet, ebenso wie der Psychologe Heiss .30 Bei diesen Inhaftierungen handelte es sich vermutlich nicht um SühnemaßVgl . UA Freiburg Nr . B034/4, Nr . B003/77, Seemann (2002), S . 131, Anm . 169, 170, Ott (1991) . Der mit der Vertretung der Professur für Volkskunde beauftragte Johannes Künzig wurde entlassen, die Fakultät setzte sich für seine „Verwendung im Schuldienst“ ein, vgl . UA Freiburg Nr . B004/283 . 23 Tellenbach (1963[1946]a), S . 16 . 24 Es waren dies der Musikwissenschaftler und Dekan der Philos . Fak . Josef Müller-Blattau sowie die klassischen Philologen Hans Oppermann und Hans Bogner, vgl . Paletschek (2006b), vgl . Malitz (2006) . 25 Vgl . die Selbstdarstellung der Philos . Fak . in einem Schreiben an das Gouvernement Militaire am 09 .10 .1945, in: UA Freiburg Nr . B034/004, „Unsere Fakultät hat in den letzten sechs Jahren sich durch eine planmäßige Berufungspolitik weitgehend von nationalsozialistischen Mitgliedern gereinigt und die Lehrstühle der Hauptfächer nach rein wissenschaftlichen Gesichtspunkten besetzt …“ 26 Zu Bauch siehe Schlink (2006), zu Gundert vgl . Malitz (2006), S . 350–359, zu Maurer vgl . Herrmann (2006), S . 292–298 . Zu Metz vgl . Quarthal (2007), Stadelbauer (2007), Grün (2006), Orth (2006), S . 705– 706, vgl . UA Freiburg Nr . B003/622, vgl . ausführlich Kap . 4 .4 . 27 Clemens Bauer, seit 1938 Ordinarius in Freiburg, war im Zuge einer Vertretung der Professur für Allgemeine Geschichte am Herder-Institut in Riga 1933–35 als Auslandsdozent in die Auslandsorganisation der NSDAP überführt worden, vgl . den Fragebogen der frz . Militärregierung in UA Freiburg Nr . B034/363 . 28 Vgl . Wiedemann (1982), Habel (1982), Herrmann (2006) . 29 Vgl . die Akten, in: UA Freiburg Nr . B034/04, vgl . Seemann (2002), S . 131, Anm . 171 . 30 Fakultätsprotokoll v . 19 .12 .1945, in: UA Freiburg Nr . B003/798, S . 156, vgl . Aktennotiz Besprechung Hauptmann Lacant mit Rektor Janssen v . 20 .11 .1945, in: UA Freiburg Nr . B024/1249, zu Bauer vgl . die Akten in UA Freiburg Nr . B034/363, Nr . B034/33 . 22
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nahmen, denn beide Ordinarien hatten gute Beziehungen zur französischen Militärregierung .31 Bauer hatte Kontakte zu den „Freiburger Kreisen“ gepflegt und gehörte nach 1945 auch dem universitären „Reinigungsausschuss“ an .32 Anders als Bauer, der einen Konkordatslehrstuhl inne hatte,33 war Heiss aus der Kirche ausgetreten .34 Im Zuge seiner Berufung nach Freiburg im Dezember 1942 war die Professur für Philosophie II, die der 1941 verstorbene Martin Honnecker inne gehabt hatte, aus der Konkordatsbindung gelöst und zur Professur für Philosophie und Psychologie umgewidmet worden .35 Heiss arbeitete 1939 zunächst als Heerespsychologe für die Wehrmacht, ab 1941 im Reichsluftfahrtministerium als Personalgutachter und hatte eine beratende Funktion beim HJ-Führerkorps .36 Diese kriegsrelevante Arbeit stützte seine Berufung nach Freiburg, war er doch nicht in die NSDAP eingetreten .37 Nach dem Krieg entwickelte er gute Beziehungen zur französischen Militärregierung . Das von ihm ab 1942/43 aufgebaute, 1944 eröffnete Institut für Psychologie und Charakterkunde, in dem die Grafologie eine „bevorzugte Rolle“ spielte, blieb als einziges während des NS an der Philosophischen Fakultät aufgebautes Institut erhalten .38 Heiss wurde als unbelastet eingestuft und 1946 zum Dekan der Philosophischen Fakultät gewählt .39 Einen Ruf an die Universität Köln nahm er 1947 zwar an, die französische Militärregierung intervenierte jedoch und veranlasste sein Bleiben .40 Am 15 . November 1945 wurden zur Wiedereröffnung der Philosophischen Fakultät Bauch, Bauer (in Abwesenheit), Maurer, Rehm, Vogt, Karl Büchner (1910–81) und Max Müller (1906–94) „provisorisch reintegriert“; die Reintegration von Herrmann
31 Speck erklärt die Verhaftungen von Friedrich und Heiss durch ihre Zugehörigkeit zu Luftabwehr-Einheiten, vgl . Speck (2006), S . 611 . Auch Bauer war Unteroffizier der Luftwaffe, vgl . UA Freiburg Nr . B034/11 . 32 Vgl . Seemann (2002), S . 64, Anm . 90 . 33 Als Bauer 1945 Probleme wegen seines Konkordatslehrstuhls bekam, setzte sich die Militärregierung für ihn ein, vgl . die Auseinandersetzungen am 07 .06 .1945 zw . Dekan Schuchhardt und Oberleutnant Cons, in: UA Freiburg Nr . B003/077 . 34 Heiss war katholisch getauft und hatte Petra Halder-Sinn zufolge als Vollwaise ab ca . 12 Jahren ein katholisches Internat besucht . Davon distanzierte er sich und trat aus der Kirche aus, vgl . Haupts (2007), S . 159 . 35 Damit setzte sich die Fakultät bewusst über die Bindung der Professur an einen katholischen Professor hinweg, wie sie im bad . Konkordat 1932 ausgehandelt worden war, vgl . Dekan Schuchhardt an das Minist . d . Kultus u . Unterrichts Karlsruhe v . 16 .02 .1942, in: UA Freiburg Nr . B0254/36 . 36 Zu seiner Zusammenarbeit mit dem Militär 1939–42 als Personalgutachter, Heeres- und Waffenpsychologe vgl . Fragebogen Robert Heiß 1943, in: UA Freiburg Nr . B024/1249 . Nach 1945 arbeitete er im Rahmen der Studien zur Aufnahme künftiger Offiziere in Militärakademien und die NATO-Akademie 1954–56 mit Bergstraesser zusammen, vgl . UA Freiburg Nr . B0204/227, vgl . Klein (2014) . 37 Vgl . Gutachten Berufung Heiss v . 16 .02 .1942, in: UA Freiburg Nr . B0254/36 . Bei seiner Berufung wurde aber auch seine Kompetenz hervorgehoben, beide Gebiete, d . h . „neben der Psychologie auch die Philosophie, besonders die Philosophiegeschichte“ vertreten zu können, vgl . Schuchhardt an das Kultusministerium Karlsruhe v . 16 .02 .1942, in: UA Freiburg Nr . B0254/36 . 38 Vgl . Walter-Herwig Schuchhardt, Dekan, am 5 .12 .1942: „Bestätigung“, in: UA Freiburg Nr . B 252/36 . 39 Wahl in der Fakultätssitzung v . 02 .03 .1946 . Er wurde am 08 .03 .1947 wiedergewählt, trat aber von diesem Amt zurück . So wurde Tellenbach gewählt, vgl . UA Freiburg Nr . B003/798, S . 198 . 40 Vgl . Haupts (2007), S . 158 .
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Gundert folgte am 1 . Dezember 1945 .41 Dass Heidegger weder entlassen noch suspendiert, sondern nur für disponibel erklärt wurde, verwunderte sogar ihn selbst .42 Der Nationalökonom Lampe, Mitglied des Reinigungsausschusses, bezeichnete diese Entscheidung als „offenkundige[s] Fehlurteil der Militärregierung .“43 Er forderte die Universitätsleitung dazu auf, zu einer „gerechten Durchführung der Bereinigung des Lehrkörpers unserer Hochschule“ beizutragen . Um das Ansehen der Universität als „Hüterin des Rechts“ zu wahren, Glaubwürdigkeitsverluste und „das Aufkommen begründeter Vorhaltungen“ in der Öffentlichkeit zu verhindern, setzte er sich für die Verschärfung der Maßnahmen gegen Heidegger ein – „es könnte andernfalls mit Recht gesagt werden, dass man ‚wiedereinmal‘ die Kleinen henke, die Grossen aber laufen lasse“ . Hingegen legte die französische Militärregierung Heidegger in Bezug auf seine Veröffentlichungen oder Vortragstätigkeit zunächst keine Steine in den Weg . Im September 1945 wurde ihm über französische Militärs das Angebot des Herausgebers der Zeitschrift Fontaine, dem Nachfolgeorgan der Nouvelle Revue Française, unterbreitet, seine Arbeiten des letzten Jahrzehnts ins Französische übersetzen zu lassen .44 Er wurde um eine Stellungnahme zur gegenwärtigen Lage gebeten45 und hielt „einer Einladung französischer Dienststellen Folge leistend“ eine Reihe philosophischer Vorträge in Baden-Baden .46 In der Philosophischen Fakultät schieden sich am ‚Fall Heidegger‘ die Geister . In der Fakultätssitzung am 1 . Dezember 1945 rangen sich die Professoren dazu durch, ein Emeritierungsgesuch an das Kultusministerium zu richten .47 Der Senat positionierte sich klarer . Auf der Grundlage eines Gutachtens von Karl Jaspers (1883–1969) empfahl er Heidegger, sich „in der Öffentlichkeit bis auf weiteres völlig zurückzuhalten“ und entzog ihm mit Beschluss vom 19 . Januar 1946 bei einstimmiger Bewilligung seines
41 Vgl . Militärreg . in Baden; Verwaltung, Öffentl . Erziehung Nr . 9529/868/EDU, General Schwartz an Rektor Janssen betr . Wiedereröffnung der Med . u . Philos . Fak . v . 22 .11 .1945, vgl . Akad . Rektorat Nr . 2673/78 am 19 .11 .1945, in: UA Freiburg Nr . B034/4, vgl . Aktennotiz . Besprechung Rektor Janssen mit Lacant am 20 .11 .1945, in: ebd ., vgl . Seemann (2002), S . 131, zu Gundert vgl . UA Freiburg Nr . B024/1134, Nr . B024/4039 . 42 Vgl . Heidegger (2000[1945]), S . 405–406 . 43 Adolf Lampe an Rektor Janssen am 8 .10 .1945, in: UA Freiburg Nr . B034/31 . Die folgenden Zitate ebd . 44 Max-Pol Fouchet, Le Directeur de l’Edition de la Revue Fontaine à M . Le Professeur Martin Heidegger, am 24 .09 .1945, in: UA Freiburg Nr . B034/31, vgl . auch Heidegger (2000[1945]), S . 405–406 . 45 Fouchet an Heidegger am 24 .09 .1945, in: UA Freiburg Nr . B034/031 . 46 Adolf Lampe, in: UA Freiburg Nr . B034/31 . 47 Gleichzeitig informierten sie Heidegger darüber, dass die Fakultät „seine Ausscheidung aber grundsätzlich“ bedauere und hoffe, „dass er in einschneidenden Fällen auch in Zukunft uns sein Mitwirken in der Fakultät nicht versagt“, Fakultätsprotokoll v . 01 .12 .1945 in: UA Freiburg Nr . B003/798, vgl . Dekan Brie, „Erklärung der Philosophischen Fakultät v . 26 .01 .1946“, in: UA Freiburg Nr . B003/664, in der sie bedauert, dass der Senat Heidegger die Lehrbefugnis entzog und„auf die Zugehörigkeit Herrn Heideggers zu ihrem Lehrkörper und die Fortsetzung seiner philosophischen Arbeit das grösste Gewicht“ legt .
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Emeritierungsgesuchs die Lehrtätigkeit auf unbefristete Zeit .48 Militärregierung und Badisches Kultusministerium sprachen ihm 1946 ein Lehrverbot ohne Fristangabe aus .49 Die Fakultät distanzierte sich daraufhin davon, „um eine ungeschmälerte Wiedereinsetzung zu bitten“, da „Herr Heidegger die Änderung seiner politischen Meinung nicht genug in der Öffentlichkeit bekannt gemacht“ habe .50 Heidegger wurden, wie allen NS-Rektoren nach 1945, die Gehaltszahlungen gesperrt .51 Als sein Emeritierungsgesuch aus Altersgründen in eine Pensionierung umgewandelt werden musste, setzte sich die Fakultät für einen erneuten Lehrauftrag ein, „um durch eine entsprechende Honorierung des Lehrauftrags die Differenz zwischen Pension und Emeritusgehalt aufzufüllen .“52 Heidegger wurde am 1 . April 1950 pensioniert und durfte ab dem WS 1950/51 wieder lehren . Durch seine Pensionierung fiel er aber 1951 nicht mehr unter Artikel 131 GG, der vorsah, jene Hochschullehrer, die wegen Entnazifizierungsverfahren entlassen oder als Flüchtlinge ihre Professur verloren hatten, bevorzugt zu berufen . Heidegger konnte somit seinen Lehrstuhl nicht mehr einklagen, anders als etwa der Geograf Metz .53 Heidegger beschwerte sich deswegen in einem Brief 1956, er sei „durch das Rektorat Tellenbach zu einer Pensionierung gedrängt worden“ .54 Tellenbach wehrte sich gegen diese Sichtweise und zog verschiedene Briefe und Protokolle zur Erklärung heran, die darauf schließen lassen, dass Heidegger seine Reintegrationschancen nicht wahrgenommen hatte .55 Zwei Fälle blieben aufgrund von Abwesenheit 1945 unentschieden: Der Romanist Hugo Friedrich war zwischen Juli 1945 und Mitte Februar 1946 verhaftet worden und auch der Musikwissenschaftler Hermann Zenck (1898–1950) befand sich in Kriegsge-
48 Vgl . Adolf Lampe an Rektor Janssen am 08 .10 .1945, in: UA Freiburg Nr . B034/31, vgl . Dekan Brie, „Erklärung der Philosophischen Fakultät v . 26 .01 .1946“, in: UA Freiburg Nr . B003/664 . Ähnlich positionierte sich der Senat gegenüber der Naturwiss . Fak ., welche die Reintegration von Friedrich Metz, Prof . für Geografie und Rektor der Universität Freiburg 1936–37, vorantrieb, vgl . die Akten in UA Freiburg Nr . B034/4 . Die Erklärung, „für die nächsten beiden Jahre auf politische Äußerungen in der Öffentlichkeit in Rede und Schrift (auch in Vorlesungen)“ sowie auf die Wahl als Dekan, Senator und Rektor zu verzichten, war in diesen Fällen Voraussetzung für die Wiedererlangung der Lehrberechtigung, vgl . Akad . Rektorat an das KM Freiburg, 16 .10 .1945 bzgl . Prof . Dr . Gundert, in: UA Freiburg Nr . B024/1134 . 49 Vgl . Le Commissaire de la République, Délégué supérieur pour le Gouvernement Militaire du Pays de Bade à Monsieur le Professeur v . Dietze, Recteur de l’université Fribourg, objet: Cas de Monsieur Heidegger . Beschluss v . 20 .01 .1946, in: UA Freiburg Nr . B034/4 . 50 Vgl . Robert Heiss, Dekan der Philos . Fak . an das Gouvernement Militaire de Fribourg Ville, Education Publique z . Hd . Capitaine Lacant, Freiburg, 15 .05 .1946, in: UA Freiburg Nr . B034/4 . 51 Vgl . Rektor Janssen an Universitätskasse, Nr . 1299, Freiburg, 08 .06 .1946, in: UA Freiburg Nr . B034/4 . 52 Fakultätsprotokoll v . 06 .03 .1950, in: UA Freiburg Nr . B003/798 . Die Emeritierung vor dem 62 . Lebensjahr wurde vom Kultusministerium 1950 abgelehnt, vgl . ebd ., vgl . Heidegger [(2000[1954]) . 53 Die Errichtung des „künftig wegfallenden“ (kw-)Lehrstuhls von Metz erfolgte nach großen Streitigkeiten im Juli 1953, vgl . die Korrespondenz und Pressartikel in: UA Freiburg Nr . B024/2422, Nr . B024/2423 . 54 Vgl . Heidegger an den Dekan der Philos . Fak . am 23 .05 .1956, zitiert in: Tellenbach an das akad . Rektorat am 18 .10 .1956, in: UA Freiburg Nr . C0157/012 . 55 Tellenbach an das akad . Rektorat am 18 .10 .1956, in: UA Freiburg Nr . C0157/012 .
Professuren: Entnazifizierung, Ausdifferenzierung und Ausbau
fangenschaft .56 Nach Friedrich suchte die Fakultät .57 Er wurde am 13 .03 .1946 wiedereingesetzt, war aber zunächst aufgrund starker Erschöpfung und Unterernährung schwer beeinträchtigt .58 Zenck wurde im November 1946 rückwirkend zum 16 . April 1946 mit 10 % Gehaltskürzung reintegriert .59 Er starb bereits vier Jahre später im Alter von 52 Jahren an schwerer Krankheit .60 Die Épuration kann insgesamt als gescheitert gelten .61 Zwar wurden militärische Ränge und Mitgliedschaften in NS-Organisationen aufgedeckt, die Forschung einzelner Professoren aber nicht in ihren Verwertungszusammenhängen reflektiert . Einige Exempel wurden statuiert, eine umfassende Aufarbeitung fand jedoch nicht statt . Darüber hinaus wurde mit Art . 131 GG in den folgenden Jahren ein weiterer Teil der „Entnazifizierten“ reintegriert62 . Die parteipolitisch unbelasteten Ordinarien – die amtsverdrängten Professoren Brie und Gurlitt, der Psychologe Heiss, der Historiker Ritter, der Sprachwissenschaftler Lohmann (1895–1983),63 der Mediävist Tellenbach sowie der Archäologe Schuchhardt wurden im November 1945 in ihrem Amt bestätigt .64 Schuchhardt war Ende September wegen seiner viereinhalbjährigen Tätigkeit als Dekan der Philosophischen Fakultät 1940–45 vorläufig suspendiert worden, was den heftigen Protest des Fakultätsrats ausgelöst hatte .65 Alte und neue Professuren Mit den Épurationsmaßnahmen wurden 1945 die Professuren für Rundfunkwissenschaft sowie Rassenkunde und Bauertumsforschung aufgelöst . In derselben Besetzung 56 Vgl . zu den Entlassungen und Suspendierungen die Entschließung der Militärregierung v . 28 .09 .1945 Nr . 5206/306/EDU und 5205/307/EDU, in: Akad . Rektorat, Verwaltungsdir . der Univ . Freiburg No . 2130 an den Dekan der Philos . Fak . Brie, 09 .10 .1945, in: UA Freiburg Nr . B003/77 . Zur Verhaftung Friedrichs vgl . Fakultätsprotokoll v . 03 .07 .1945, 16 .02 .1945, in: UA Freiburg Nr . B003/798, vgl . die Angaben in den Akten des Reinigungsausschusses v . 01 .08 .1945, in: UA Freiburg Nr . B034/68 und Nr . B034/77 . 57 Vgl . Rektor Janssen an das Komitee des Roten Kreuzes, Genf sowie den Schweizerischen Gesandten in Frankreich, Minister Dr . Burckhardt, Paris v . 23 .07 .1945, in: UA Freiburg Nr . B003/480 . 58 Vgl . General Schwartz an den Dekan der Philos . Fak . v . 30 .04 .1946, vgl . das Attest v . 28 .04 .1947, in: ebd . 59 Vgl . die Gutachten und Schreiben in UA Freiburg Nr . B024/4263 . 60 Die Fakultät trauerte sehr um diesen Kollegen, vgl . Hugo Friedrichs Nekrolog für Zenck 1950, in: ebd . 61 Vgl . Seemann (2002, 2006) . 62 Art . 131 GG sah vor, diejenigen Beamten bevorzugt einzustellen, die 1945 aufgrund ihrer NS-Aktivitäten suspendiert oder im Zuge ihrer Flucht beschäftigungslos geworden waren, s . Kap . 3 .1 .2, insb . S . 67 . 63 Vgl . Militärregierung Général Schwartz à Monsieur le Ministerial-Directeur Ott Université de Fribourg Nr . 5237/31/EDU, in: UA Freiburg Nr . B024/2147, vgl . auch den Beschluss „Verbleiben im Dienst“, Bad . Ministerium des Kultus und des Unterrichts . Politische Reinigung, Fribourg, den 24 .02 .1946, in: ebd . 64 Vgl . Militärregierung Land Baden Verwaltung Öffentl . Erziehung, Freiburg, 15 .11 .1945, General Schwartz an den Rektor der Univ . Freiburg Janssen betr . Philos . Fakultät, in: UA Freiburg Nr . B003/77 . 65 Vgl . das Schreiben der Militärregierung v . 28 .09 .1945, in: UA Freiburg Nr . B024/4039, vgl . Fakultätssitzung v . 09 .06 .1945, 06 .10 .1945, in: UA Freiburg Nr . B003/798 .
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erhalten blieben hingegen die Lehrstühle für Mittlere und Neuere Geschichte (Gerhard Ritter), Mediävistik (Gerd Tellenbach) sowie der Konkordatslehrstuhl für Geschichte (Clemens Bauer), die Professur für Kunstgeschichte (Kurt Bauch), Alte Geschichte ( Joseph Vogt), Archäologie (Walter-Herwig Schuchhardt), Romanistik (Hugo Friedrich), Germanische Philologie (Friedrich Maurer), Neuere Deutsche Literaturwissenschaft (Walther Rehm), Klassische Philologie/Latein (Karl Büchner), Klassische Philologie/ Griechisch (Hermann Gundert), die Professur für Philosophie und Psychologie (Robert Heiss) sowie die Professur für Vergleichende Sprachwissenschaft ( Johannes Lohmann) .66 Mit der Wiedereinsetzung der 1937 entlassenen Professoren Wilibald Gurlitt (Musikwissenschaft) und Friedrich Brie (Anglistik) reetablierte sich der Lehrkörper zunächst mit 15 Professuren . Die Professur für Geografie fiel mit dem 1951 berufenen Nikolaus Creutzburg (1893–1978) an die Naturwissenschaftlich-Mathematische Fakultät . Dem vormaligen Lehrstuhlinhaber und bis 1953 suspendierten Friedrich Metz gelang es jedoch gegen den Widerstand einiger Kollegen im Zuge der Wiedereingliederungsmaßnahmen gemäß Art . 131 GG wieder einen kw-Lehrstuhl zu erlangen .67 Dass die Musikwissenschaft 1945 bis 1950 mit zwei Professuren ausgestattet war, resultierte daraus, dass der 1937 entlassene Gurlitt 1945 sein Ordinariat wiedererhielt und der 1942 eingesetzte Zenck die Professur beibehielt . Allerdings nahm Gurlitt 1946–48 eine Gastprofessur in Bern wahr68 und nach dem Tod Hermann Zencks 1950 entfiel dessen Professur . Bis 1949 wurde die Professur für Orientalistik nach einer Karenzzeit im NS als planmäßiges Extraordinariat reetabliert und mit Oluf Krückmann (1904–84) besetzt . 1964 wurde sie in ein Ordinariat umgewandelt .69 1946 errichtete die Fakultät in Zusammenarbeit mit dem Kultusministerium erneut eine Professur für Philosophie II (Konkordatslehrstuhl) neben der Professur für Philosophie I, die seit 1947 Wilhelm Szilasi (1889–1966) vertrat . Die Professur für Philosophie und Psychologie, die 1941 an die Stelle des Konkordatslehrstuhls für Philosophie getreten war, blieb bestehen . Auf die reetablierte (Konkordats-)Professur Philosophie II wurde Max Müller berufen, der seit 1945 eine Diätendozentur innehatte . Auf der Berufungsliste war er der Drittplazierte; die Fakultät erklärte sich aber „aufgrund der besonderen Lage“ bereit, im Fall Müller eine „einmalige Ausnahme“ zu machen .70 Die besonderen Umstände, von denen der gut vernetzte Max Müller profitierte, resultierten
Vgl . die Aufstellung in UA Freiburg Nr . B001/1182 . Vgl . Fakultätsprotokoll v . 04 .07 .1953, S . 337 . Bei „künftig wegfallenden“ (kw-)Lehrstühlen handelte es sich um Professuren, deren Bestehen an die Person des jeweiligen Professors gekoppelt waren und die mit deren Emeritierung wegfallen sollten . 68 Vgl . UA Freiburg Nr . B024/1127 . 69 Vgl . Steible (1985) . Vor Krückmann lehrte Josef Schacht (1902–69) seit 1925 als Dozent Orientalistik in Freiburg . Er war 1927 zum pln . Extraord ., 1929 zum Ordinarius ernannt worden . 1930 folgte er einem Ruf nach Königsberg, wo er sein Amt aus Protest gegen die „Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ 1933 niederlegte und emigrierte . Die 1898/99 errichtete Professur wurde bis 1949 nicht wiederbesetzt . 70 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 03 .07 .1946, S . 176 . 66 67
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auch daraus, dass sich die Berufungen der unmittelbaren Nachkriegszeit an Badener und Katholiken richten sollten,71 um landespolitisch dem preußisch-protestantischen Überhang an Professoren entgegengegenzuwirken .72 Auch die in der unmittelbaren Nachkriegszeit berufenen Professoren Herbert Nesselhauf, Eugen Fink und Hermann Heuer waren katholisch und kamen mit Ausnahme Hermann Heuers aus Baden . Herbert Nesselhauf wurde auf die Professur für Alte Geschichte berufen, als Joseph Vogt, erst 1944 nach Freiburg berufen, 1946 einen Ruf nach Tübingen annahm .73 Eugen Fink (1905–78) erhielt 1948 die Professur für Philosophie und Pädagogik, die der 1945 entlassene Georg Stieler bekleidet hatte . Fink wurde damit Hans Bender (1907–91) vorgezogen, der als Dritter platziert war .74 Wie sich auch an der Berufung des in Münster lehrenden Anglisten Hermann Heuer (1904–92) zeigt, der ab 1950 die Professur für Anglistik bekleidete, waren Berufungen von Drittplatzierten keine Seltenheit, wenn die Erstplatzierten nicht gewonnen werden konnten oder das Kultusministerium Präferenzen anmeldete . In diesem Fall erwiesen sich die Gehaltsforderungen des Baslers Rudolf Stamm, der die Professur für Anglistik nach Bries Tod vertreten hatte, für das Badische Kultusministerium als zu hoch .75 Insgesamt rekonsolidierte sich der Lehrkörper 1945 bis 1952 mit 19 Professuren . (vgl . Tab. 2) . Seine Entwicklung war in dieser Phase von politischen und fakultätsinternen Erwägungen geprägt und gestaltete sich relativ unabhängig von der Entwicklung der Studierendenzahlen, die durch Immatrikulationsbeschränkungen und Propädeutische Kurse reguliert wurden .76 Der Ausbau der Professuren setzte in den 1950er Jahren ein . 3.1.2
Ausdifferenzierung der großen Fächer und Art. 131 GG (1953–60)
In der Rekonstitutionsphase 1945–52 hatten zunächst Entnazifizierungs- und Reintegrationsprozesse Veränderungen des Lehrkörpers bewirkt . Die erste Ausbauphase 1953–60 war hingegen durch die Institutionalisierung der Wissenschaftlichen Politik und Soziologie sowie die kontroverse Reintegration der sogenannten „131er“-Professoren geprägt: Sie hatten im Zuge der Entnazifizierung oder als Flüchtlinge ihre Professuren verloren und sollten gemäß Art . 131 GG in den 1950er Jahren bevorzugt eingestellt werden . Hatte die Philosophische Fakultät 1952 noch 19 Professuren umfasst, erweiterte sie sich 1953–60 auf 31 Professuren (vgl . Tab. 2) . Im Folgenden wird nach den Motiven und Argumentationen gefragt, die diesen frühen Ausbau von Professuren in Vgl . weiterführend Wöhrle (2006) . Vgl . ebd ., vgl . weiterführend die Akten in UA Freiburg Nr . B003/77 . Vgl . UA Freiburg Nr . B024/4039 . Vgl . UA Freiburg Nr . B003/310 . Erstplatzierter war der Pädagoge Wilhelm Flitner, vgl . UA Freiburg Nr . B003/877 . 75 Vgl . Wöhrle (2006), S . 844 . 76 Vgl . Kap . 3 .2 .1 . 71 72 73 74
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den 1950er Jahren stützten: Trieb der Anstieg der Studierendenzahlen bereits 1953–59 diesen Ausbau an oder lösten ihn vielmehr Verwissenschaftlichungsprozesse aus, die sich in der Etablierung neuer Disziplinen widerspiegeln? Der Ausbau der Professuren in den frühen 1950er Jahren Der Weg zur Institutionalisierung der Wissenschaftlichen Politik und Soziologie bezeichnet den Übergang der Rekonstitutionsphase zur ersten Ausbauphase . Seit 1951 plante die Universität Freiburg eine Professur für Politikwissenschaft .77 Der in Kooperation der Staats- und Rechtswissenschaftlichen und der Philosophischen Fakultät berufene Professor für Wissenschaftliche Politik und Soziologie Arnold Bergstraesser, der auf dem Doppelnamen seiner auch mit einem Lehrauftrag für Soziologie ausgestatteten Professur bestand,78 hatte 1954 zunächst für die Staats- und Rechtswissenschaftliche Fakultät optiert . Als die Politikwissenschaft jedoch im Zuge der Einführung des Gemeinschaftskundeunterrichts an Schulen verstärkt Lehrer_innen ausbildete, wechselte er zwei Jahre später an die Philosophische (Lehramts-)Fakultät . Die neue Disziplin hatte Vorbildcharakter und trieb Verwissenschaftlichungsprozesse voran .79 Allerdings ging die Initiative zur Etablierung der Professur für Politikwissenschaft nicht von der Philosophischen, sondern von der Staats- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät aus . Der Historiker Ritter versuchte erfolglos, die neue Disziplin an die Geschichtswissenschaft zu binden . Seine Bemühungen verdeutlichen, dass die Einführung neuer Disziplinen, die nicht aus bereits institutionalisierten hervorgingen, nicht die angestrebte Form des Lehrstuhlausbaus an der Philosophischen Fakultät darstellte . Um neue Anforderungen zu integrieren und Konkurrenzen zu vermeiden, bevorzugten die Professoren die Ausdifferenzierung bestehender Fächer . Im Juli 1953 wurden vier neue planmäßige Extraordinariate beantragt und in Vorsondierungen mit dem Kultusministerium besprochen: Dringender Bedarf an planmäßigen Professuren bestand in den neuphilologischen „Massenfächern“ Romanistik, Anglistik und Neuere Deutsche Literaturgeschichte (NDL) . Weiterhin verfolgte die Fakultät ihren langgehegten Wunsch, die Ur- und Frühgeschichte in Freiburg zu institutionalisieren .80
Vgl . zur Institutionalisierung der Professur für Wiss . Politik und Soziologie Kap . 5 .2 .1 . Vgl . Bergstraesser an Dekan Lohmann am 26 .01 .1954, in: UA Freiburg Nr . B172/378, vgl . Fakultätsprotokoll v . 14 .07 .1956, in: UA Freiburg Nr . B3/799, S . 15, vgl . ausführlich Kap . 5 .2 .1 . 79 So ebnete bspw . die von Bergstraesser vorangetriebene Internationale Politik den Weg für die Institutionalisierung der Amerikanistik, der Slavistik und der Neueren und Osteuropäischen Geschichte . 80 Vgl . Paletschek (2006b), S . 84 . Bereits 1935 hatte sich die Philos . Fak . – damals mit Hinweis auf die politisch-nationalsozialistische Verwertbarkeit der Urgeschichte – um eine Professur für das zuvor in der Geologie verankerte Fach bemüht, vgl . Fehr (2006) . 77 78
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Hinsichtlich einer zweiten Professur für Romanistik gelang es deren langjährigem Doyen Hugo Friedrich ein sprachwissenschaftliches Extraordinariat für Romanistik „mit Vordringlichkeit in erster Linie“ neben dem Extraordinariat für Ur- und Frühgeschichte auf dem Spitzenplatz der Dringlichkeitsliste zu platzieren .81 Er argumentierte, dass bedingt durch die große Nachfrage in der Romanistik an allen bundesdeutschen Universitäten ein ausgesprochener Mangel an geeigneten Kandidaten bestehe .82 So empfahl er Olaf Deutschmann (1912–89), der 1951 von Freiburg auf ein Extraordinariat in Saarbrücken berufen worden war, „unter allen Umständen zu halten“ .83 Auf Friedrichs Bitte setzte sich der Rektor persönlich für eine schnelle Verwirklichung dieser Professur ein .84 Das Extraordinariat wurde 1954 genehmigt und nach Vorlage einer unico-loco-Liste mit Deutschmann besetzt .85 Diese Berufung führte neben der etwas verbesserten Betreuungsrelation in der Romanistik zur Ausdifferenzierung des Fachs in einen sprachwissenschaftlichen und literaturgeschichtlichen Zweig: Ausdifferenzierung und Entlastung gingen in diesem Fall Hand in Hand . In Bezug auf die Geschwindigkeit der Verfahren stellt dieser Fall aber eine Ausnahme dar .86 Allerdings lassen sich an ihm die fakultätsinternen Motivationen und Gepflogenheiten bezüglich neuer Professuren in den 1950er und 1960er Jahren aufzeigen . Bei Anträgen für neue Lehrstühle in bereits an der Fakultät institutionalisierten Fächern sicherten die etablierten Lehrstuhlinhaber ihren eigenen Bereich, indem sie die Ausdifferenzierung ihrer Fächer vorantrieben und sich die entsprechenden Kandidaten aussuchten . So spezialisierte sich Deutschmann auf romanistische Sprachwissenschaft, während die literaturgeschichtliche Linie weiter von Friedrich repräsentiert wurde . Die für den Ausbau der Professuren in dieser Phase spezifische Kombination aus Ausdifferenzierung und Entlastung wirkte sich in ihrer Aufgabenteilung harmonisierend aus . Hingegen wurden Professuren mit derselben Denomination, sogenannte Parallelprofessuren, wie auch die Etablierung neuer Fächer als Konkurrenz und Kontrolle
Vgl . Fakultätsprotokoll v . 14 .11 .1953, in: UA Freiburg Nr . B003/798, S . 350 . Vgl . ebd ., vgl . Friedrich an Nesselhauf v . 14 .07 .1952 u . Nesselhauf, Dekan d . Philos . Fak . an das KM betr . Einrichtung eines pln . Extraord . für Rom . Phil ., in: UA Freiburg Nr . B003/879 . 83 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 14 .11 .1953, in: UA Freiburg Nr . B003/798, S . 350 . 84 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 12 .12 .1953, in: ebd ., S . 351 . 85 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 20 .02 .1954, in: ebd ., S . 359 . 86 Selbst in diesem Fall zogen sich die Berufungsverhandlungen lange hin . Friedrich reichte nach drei Monaten einen gleichlautenden Antrag ein, der die Dringlichkeit hervorhob, vgl . Friedrich am 13 .02 .1953 an das KM Baden-Württemberg betr . Antrag auf ein pln . Extraordinariat für Romanische Philologie, in: UA Freiburg Nr . B003/879 . Daraufhin meldete das KM, dass es sich „mit Nachdruck für die Errichtung dieses Extraordinariats einsetzen“ wolle, vgl . Aktenvermerk über die Besprechungen im KM Stuttgart mit dem Hochschulreferenten Ministerialrat Müller und Regierungsrätin Dr . Hoffmann am 24 .02 .1953, in: UA Freiburg Nr . B003/879 . Als die Professur 1954 bewilligt wurde, wirkte Friedrich auf eine rückwirkende Ernennung ab dem 01 .04 .1953 hin, weil Deutschmann samt Familie inzwischen nach Saarbrücken gezogen war und ihm erhebliche Kosten entstanden waren, vgl . Max Müller an das KM Baden-Württemberg, betr . Einrichtung eines pln . Extraordinariats für Romanistik, am 22 .02 .1954, in: ebd . 81 82
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empfunden . Allein aus der Lehrsituation des Fachs und der Menge der Studierenden heraus begründete Entlastungslehrstühle waren bis Mitte der 1960er Jahre selten . Konkurrenz zwischen den Professoren wurde dadurch vermieden, dass neue Professuren mit spezieller Schwerpunktsetzung an bestehende Disziplinen angeknüpft wurden . Der Hinweis auf die sich zunehmend abzeichnende „Not“ in der Lehre beschleunigte jedoch die Errichtung einer Professur und deren Besetzung mit Wunschkandidaten . Im Fall der Ur- und Frühgeschichte lag die Motivlage anders . Die Professur war bereits Mitte der 1930er Jahre ein Anliegen der Philosophischen Fakultät gewesen, wurde in der unmittelbaren Nachkriegszeit aber nicht weiter forciert .87 Das Kultusministerium reagierte widerwillig, da es die Ur- und Frühgeschichte profilbildend der Universität Tübingen zuordnete . Durch anhaltende Anstrengungen gelang es der Fakultät aber, die Disziplin in Freiburg anzusiedeln . Das Extraordinariat wurde 1956 mit Edward Sangmeister (1916–2016) besetzt .88 Ähnliche Schwierigkeiten ergaben sich bei der Beantragung eines planmäßigen Extraordinariats für Anglistik und Amerikanistik . Das Kultusministerium missbilligte die Etablierung einer Professur für Amerikanistik, da diese schwerpunktmäßig in Heidelberg konzentriert werden sollte .89 Das Bedürfnis nach einer neuen Professur für Anglistik wurde akzeptiert, nur „solle dasselbe nicht in erster Linie durch das Bedürfnis nach Amerikanistik begründet werden .“90 Die Fakultät beharrte hingegen auch in der Ausbauplanung 1955 auf dieser bereits 1929 angedachten Professur und trieb damit die Erweiterung der Anglistik durch die Amerikanistik voran .91 Im Mai 1956 wurde die Professur institutionalisiert und 1957 Ewald Standop (1921–2018) berufen .92 Da die Anglistik/Amerikanistik zunehmend ein Fach mit äußerst schlechter Betreuungsrelation darstellte, durchzogen ähnliche Auseinandersetzungen mit dem Kultusministerium auch die folgenden Jahre . Im Fall der Amerikanistik zeichnet sich ab, dass das Fach nicht auf einzelne Universitäten beschränkt werden konnte, zu groß war die Nachfrage und damit die Relevanz des Fachs in der Zweiten Nachkriegszeit . Wenngleich sich Freiburg in seiner geografischen Nähe zu Frankreich für den schwerpunktmäßigen Ausbau der Romanistik hervorragend eignete93 und das in der amerikanischen BesatVgl . Fakultätsprotokoll v . 26 .07 . und 06 .08 .1945 sowie v . 30 .01 . und 06 .11 .1954, in: UA Freiburg Nr . B003/ 798, S . 356, 372, vgl . Fehr (2006) . 88 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 17 .12 .1955, in: UA Freiburg Nr . B003/798, S . 397 . 89 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 04 .07 .1953, 14 .11 .1953, 30 .01 .1954, in: ebd ., S . 337, 348, 356 . 90 Oberregierungsrätin Dr . Hoffmann, zitiert in: Fakultätsprotokoll v . 30 .01 .1954, in: ebd ., S . 356 . 91 Zu den ersten Planungen vgl . Paletschek (2006b), S . 84, Anm . 66 . 92 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 05 .05 .1956, 14 .07 .1956, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 6, 15, vgl . UA Freiburg Nr . B066/180 . 93 Die frz . Universitätsförderung konzentrierte sich jedoch bald auf Mainz . Neben der Universitätsgründung wurde 1950 das Institut für Europäische Geschichte in Mainz auf Betreiben des Chefs der Kulturabteilung der frz . Militärregierung Raymond Schmittlein gegründet . Die Idee war in den von ihm initiierten dt .frz . hist . Lehrbuchverhandlungen in Speyer aufgekommen, die konfessionelle und nationale Differenzen überbrücken sollten und von Ritter weitgehend boykottiert worden waren, vgl . Kap . 5 .1 .5 . 87
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zungszone gelegene Heidelberg sich für den Ausbau des amerikanistischen Schwerpunkts anbot, versuchte die Universität Freiburg weiter intensiv, in diesem Bereich anzuschließen . Neben den Professoren für Anglistik setzte sich vor allem der Politologe Bergstraesser dafür ein .94 Auf der Dringlichkeitsliste 1953 letztplatziert zog sich auch die Errichtung des Extraordinariats für Neuere Deutsche Literaturgeschichte länger hin .95 Die Fakultät beantragte die Professur 1955 erneut .96 Als das Extraordinariat für NDL 1956 bewilligt wurde, setzte der Fakultätsrat Gerhard Baumann (1920–2006) auf den ersten Platz der Berufungsliste und konnte ihn dadurch in Freiburg halten .97 Die Etablierung einer zweiten Professur für NDL parallel zu Walther Rehms Ordinariat war angesichts der Studierendenanzahlen unbedingt notwendig . Sie erfolgte aber nicht konfliktlos .98 Kw-Lehrstühle im Zuge von Art . 131 GG Über die Eigeninteressen der Fakultät hinaus war das Kultusministerium 1953 mit dem Vorschlag an die Fakultät herangetreten, zwei bis drei kw-Lehrstühle gemäß den Ausführungsbestimmungen des Art . 131 GG zu errichten .99 Bei Art . 131 GG handelt es sich um den 1949 im Grundgesetz verankerten Beschluss, Beamte des ehemaligen Deutschen Reichs bevorzugt einzustellen, die 1945 aufgrund ihrer NS-Aktivitäten suspendiert oder im Zuge ihrer Flucht beschäftigungslos geworden waren . Für sie sollten kw-Lehrstühle eingerichtet werden, wobei „kw“ für „künftig wegfallend“ stand und anzeigte, dass es sich um Professuren handelte, deren Erhalt über die Dienstzeit des derzeitigen Professors hinaus ungewiss war . Die Gesetzeslage wirkte sich dabei in mehrfacher Hinsicht auf die Berufungspraxen aus . So bezog sich die nach 1951 angestrebte Integration der 131er nahezu ausschließlich auf Männer .100 Mit wenigen Ausnahmen blockierte die Bevorzugung der 131er auch die Berufung weiblicher Lehrkräfte, die in der „Nachholwelle“ weiblicher Habilitationen nach dem Krieg für Neubesetzungen zur Verfügung
Die Initiative ging von der Anglistik und der Politikwissenschaft aus, vgl . UA Freiburg Nr . B0204/216 . Die Ford Foundation lehnte aber Bergstraessers Antrag von 1956 ab, das Seminar für Wissenschaftliche Politik zum deutsch-US-amerikanischen Austauschzentrum auszubauen, vgl . Bergstraesser an Shepard Stone, Ford Foudnation v . 05 .08 .1956: Memorandum concerning Political Education in Baden-Württemberg (Germany) and the Development of Research and Teaching Facilities in Political Science at the University of Freiburg, in: UA Freiburg Nr . B0204/7, vgl . Berghahn (2004), S . 259, Anm . 102, vgl . Paulus (2010) . 95 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 14 .11 .1953, in: UA Freiburg Nr . B003/798, S . 350 . 96 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 19 .02 .1955, in: ebd ., S . 376 . 97 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 05 .05 .1956, 14 .07 .1956, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 6, 15 . 98 Der damals schwer kranke Walther Rehm bemühte sich, die Berufung Baumanns zu verhindern . Ich danke Hans Peter Herrmann und Carl Pietzcker für das Interview am 18 .05 .2016 in Freiburg . 99 Bei „künftig wegfallenden“ (kw-)Lehrstühlen handelte es sich um Lehrstühle, deren Bestehen zunächst an die Person des jeweiligen Professors gekoppelt war . 100 Vgl . Garner (1993), S . 778–785 . Garner geht von 96,4 % aus . 94
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standen .101 Weiterhin bot Art . 131 GG keine Handhabe dafür, Professoren und Professorinnen wie etwa Mathilde Vaerting (1884–1977), die 1933 von den Nationalsozialisten zwangspensioniert worden war, wieder einzustellen .102 In dieser Einschränkung kann Art . 131 GG durchaus als bundesweite „Generalamnestie“103 gelten . Er führte in den 1950er Jahren zur Vakanz vieler Professuren, da sie den wiedereinzugliedernden Lehrkräften vorbehalten wurden . Die „131er“ hatten Anspruch auf ein „Übergangsgehalt“ und sollten daher anderen Kandidaten vorgezogen werden . Das sorgte für Konflikte .104 Im November 1954 wandte sich die Westdeutsche Rektorenkonferenz gegen Art . 131 GG und seine Ausführungsbestimmungen, die sie als Verzögerungen im Hochschulausbau und als politische Lenkung empfand .105 Der Hochschulverband wiederum rief die Fakultäten 1957 erneut dazu auf, die Wiedereingliederung der 131er zu fördern .106 In Freiburg wurden die Bestimmungen des Art . 131 GG seit Dezember 1953 diskutiert .107 Für die Philosophische Fakultät drängte das Kultusministerium auf die Etablierung einer Professur für Psychologie und Grenzgebiete für Hans Bender, der seit 1946 als Lehrstuhlvertreter und Gastprofessor an der Universität Freiburg wirkte . Dagegen protestierte die Fakultät und argumentierte, dass bei der Errichtung der neuen Professuren doch „die besondere Lage der Universitätslehre“ berücksichtigt werden müsse .108 Dass die Psychologie durch eine Professur für Bender entlastet würde, wie das durch Benders Lehre in den letzten Jahren der Fall gewesen war, dementierte der Fakultätsrat .109 Die Skepsis der Fakultät erklärt sich dabei nicht durch Benders Vergan101 1945–52 habilitierten sich in der Bundesrepublik 36 Frauen, davon 18 in Kultur-, fünf in Natur-, zwei in den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, drei in Technischen Wissenschaften, sieben in Medizin und eine in Land- und Forstwirtschaft, vgl . Lorenz (1953), S . 10 . Während des NS hatten sich lediglich 29 Frauen habilitiert, davon 14 in den Kultur-, neun in Natur-, eine in Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, vier in Medizin . 102 Mathilde Vaerting (1884–1977) erhielt 1923 als zweite Frau im Deutschen Reich eine Professur . Nach zehn Jahren als Professorin für Pädagogik an der Univ . Jena wurde sie 1933 im Zuge des Gesetzes „zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ zwangspensioniert und mit Publikations- und Ausreiseverboten belegt . Sie konnte so Rufe in die Niederlande und die USA nicht annehmen . Nach 1945 blieben ihre Bewerbungen unberücksichtigt, vgl . Wobbe (1997) . Außerdem wurden pazifistisch und links orientierte Frauen und Männer in den 1950er Jahren mit Berufsverboten belegt, vgl . etwa Notz (1990), Posser (1991) . 103 Hausmann (2008), S . 676 . 104 An der Universität Heidelberg waren 1955 15 Lehrstühle, 1956 22 Professuren unbesetzt, was nicht an dem Nachwuchskräftemangel, sondern daran lag, dass auf der Grundlage von Art . 131 GG politisch belastete oder vertriebene Kräfte bevorzugt eingestellt werden sollten, vgl . „Hochschule . Heidelberg . Die Vordermänner fehlen“, in: DER SPIEGEL 17 (1956), S . 51–52 . Am 15 .05 .1956 demonstrierten deswegen ca . 5000 Studierende in Heidelberg, vgl . H . D ., „Alt-Heidelberg, Du Feine“, in: FSZ 6 no . 4 (1956), S . 3–4 . 105 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 14 .11 .1953, in: UA Freiburg Nr . B003/798, S . 348 . 106 Vgl . 7 . Hochschulverbandstag Aachen 25 .5 .1957, „Zur 2 . Novelle zum Gesetz zu Artikel 131 GG“, in: Neuhaus (1961), S . 112 . 107 Vgl . Fakultätsprotokoll am 12 .12 .1953, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 361, vgl . auch S . 362–363 . 108 Fakultätsprotokoll v . 12 .12 .1953, in: UA Freiburg Nr . B003/798, S . 352, weiterführend zu Bender vgl . Lux (2013, 2020) . 109 Die Fakultät begründete, dass der sich permanent erweiternde Lehrbetrieb der Psychologie mit der Professur „in wesentlicher Weise nicht unterstützt und nicht entlastet“ werde, s . Antrag der Philos . Fak . auf
Professuren: Entnazifizierung, Ausdifferenzierung und Ausbau
genheit als Professor an der Reichsuniversität Straßburg während des NS, die ihn als 131er kennzeichneten .110 Die Kritik entzündete sich vielmehr an seinem Forschungsfeld der psychologischen Grenzgebiete, dessen wissenschaftlicher Status in der Fakultät umstritten war .111 Insbesondere die Eingliederung seines „Privatinstitut[s]“ in den Hochschuletat lehnte der Fakultätsrat ab . Er erklärte sich nur unter der Bedingung mit dem Wunsch des Kultusministeriums einverstanden, wenn vor der Errichtung dieser Professur „dringende andere Lehrbedürfnisse“ erfüllt würden .112 Vor Benders Professur wurden Professuren für Germanische Philologie und für Philosophie/Ethik eingeschoben, für die der Fakultätsrat die 131er Gutenbrunner und Reiner nominierte . Siegfried Gutenbrunner (1906–84) war Professor für Germanenkunde und Skandinavistik an der Reichsuniversität Straßburg gewesen und lehrte seit 1946 an der Universität Kiel . In diesem Fall wurde die Notwendigkeit der Professur mit der großen Anzahl an Studierenden begründet, die sich „ständig zwischen 300 und 400“ bewegte .113 Der Kandidat für eine kw-Professur Philosophie/Ethik Hans Reiner (1896–1991) war ein Schüler Heideggers und Husserls . Er hatte sich während des NS für eine wertethische „Erneuerung“ der Universität eingesetzt .114 Sein Vortrag vom Dezember 1933 Die Existenz der Wissenschaft und ihre Objektivität. Die Grundfrage der Universität und ihrer Erneuerung verstand sich als „Aufruf an alle deutschen Volks- und Geistesgenossen, denen das Schicksal unseres geistigen Lebens am Herzen liegt .“115 Er orientierte sich an Scheler, Heidegger, Bäumler, Krieck und Hitler und ist ein typisches Beispiel für die Verquickung nationalsozialistischer und neuhumanistischer Ideen .116 Reiner
Errichtung zweier pln . Extraordinariate mit dem kw-Vermerk für Wissenschaftler, auf die die Bestimmungen des Art . 131 GG zutreffen, in: UA Freiburg Nr . B003/884, vgl . Robert Heiss, „Gutachten zu der Frage der Berufung von H . Bender auf eine ‚kw‘-Professur“, in: UA Freiburg Nr . B003/877 „Die von Prof . Bender gewählte Forschungsaufgabe gehört nicht zum engeren Bereich der Forschungstätigkeit, wie sie heute an der Universität betrieben werden muss . Sie nimmt Herrn Prof . Bender so in Anspruch, dass seine Lehrtätigkeit naturgemäss begrenzt ist . […] Sofern die zu errichtende ‚k . w .‘-Professur von Herrn Prof . Bender als eine Sonderprofessur für psychologische Grenzgebiete angesehen werden kann, möchte ich die Berufung durchaus befürworten .“ Entsprechend anders fiel das Gutachten von Heiss aus, mit dem Benders Extraordinariat 1967 zum Ordinariat erhoben wurde, vgl . ders ., „Gutachten zur Ernennung von Prof . Bender zum Ordinarius“ v . 14 .12 .1966, in: UA Freiburg Nr . B003/877 . 110 Vgl . Hausmann (2006) . 111 Auch die Naturwiss .-Math . Fak . schickte am 13 .02 .1954 ihren einstimmigen Beschluss, dass über die kw-Professur für Bender im Senat abgestimmt werden solle, wobei sie „die k . w .-Professur ablehnen“ wollte, vgl . Naturw .-Math . Fak . am 13 .02 .1954 an den Dekan der Philos . Fak ., in: UA Freiburg Nr . B003/884 . Am 18 .02 .1954 lehnte der Senat einstimmig die Errichtung von Benders Professur ab, die Fakultät hielt aber weiter an der Beantragung dieser Professur fest, vgl . Max Müller an das Akad . Rektorat, betr . kw .-Professur für Hans Bender v . 22 .02 .1954, in: UA Freiburg Nr . B003/877 . 112 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 30 .01 .1954, in: UA Freiburg Nr . B003/798, S . 356, vgl . Senatsprotokoll v . 24 .02 .1954, in: UA Freiburg Nr . B012/10 . 113 Vgl . Bericht der Kommissionssitzung betr . kw .-Professuren v . 25 .01 .1954, in: UA Freiburg Nr . B003/884 . 114 Vgl . Eberle (2002), S . 385 . 115 Vgl . Reiner (1934), S . 2 . Jeder zweite Satz auf den 44 Seiten endet darin mit einem Ausrufungszeichen . 116 Vgl . ebd ., S . 3, vgl . S . 7, 9, 21 sowie die Anmerkungen 1), 1a), 2) und 7) auf S . 45, 47 .
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Die Expansion der Philosophischen Fakultät
sprach sich darin u . a . gegen Intellektuelle, „Objektivitätsfimmel“ und Demokratie aus .117 1945 wurde ihm jedoch von verschiedenen Seiten bescheinigt, dass er „keine nationalsozialistischen Tendenzen verfolgt“, hingegen dem Katholizismus gegenüber eine „wohlwollend-objektive Haltung eingenommen“ habe .118 1942 hatte er in Freiburg die Professur Philosophie II vertreten, die in den 1950er Jahren Max Müller inne hatte . Seit 1947 nahm Reiner wieder einen Lehrauftrag für Philosophie in Freiburg wahr, der 1951 zu einer Gastprofessur ausgebaut wurde .119 Auf das Gesamtpaket an 131ern ließ sich das Kultusministerium ein . 1954 wurde die Professur für Psychologie und Grenzgebiete (Bender) errichtet, 1955 diejenige für Germanische und Nordische Philologie (Gutenbrunner) und 1957 eine Professur für Philosophie und Ethik (Reiner) .120 Gutenbrunners Professur wurde 1959 zum Ordinariat erhoben121 und 1962 zur Abteilung Skandinavistik der Älteren Germanischen Philologie ausgebaut .122 Der kw-Vermerk entfiel 1961 gemäß der Empfehlungen des Wissenschaftsrats . 1966 wurde die von Hans Bender geleitete Abteilung „Grenzgebiete der Psychologie“ dem universitären Institut für Psychologie und Charakterkunde als selbständige Abteilung angegliedert,123 seine Professur 1967 zum Ordinariat erhoben . Allein das Extraordinariat von Reiner entfiel zum Ende seiner Amtszeit 1965 entsprechend des kw-Vermerks wieder .124 An der Haltung der Fakultät gegenüber der Errichtung des Extraordinariats für Bender kristallisieren sich die Widerstände des Fakultätsrats gegen die Errichtung von Professuren, die den kultusministeriellen und weniger den Eigeninteressen der Fakultät entsprachen . Anders als in der Frage der Errichtung des kw-Lehrstuhls für den Geografen Metz entzündete sich im Falle Benders die Kritik der Fakultät allerdings an seinem spezifischen Fachbereich . An den drei kw-Professuren für (Para-)Psychologie, Germanistik/Skandinavistik und Philosophie/Ethik zeichnet sich zudem auch die Präferenz der Fakultät ab, spezialisierte (Entlastungs-)Lehrstühle einzurichten: Die neuen Lehrstühle hatten eigene Schwerpunkte, waren aber gleichzeitig an Disziplinen gekoppelt, die als sehr große oder studienbegleitende Fächer stark frequentiert waren .
Vgl . ebd ., S . 41 . Vgl . Dr . Phil . Heinz Bollinger, Assistent am Sem . für Philosophie, „Zeugnis“, in: UA Freiburg Nr . B003/ 860, vgl . Max Müller, „Gutachten betr . Gastprofessur Reiner“ v . 29 .04 .1951, in: ebd ., vgl . Hans Reiner, „Erklärung mein Verhalten gegenüber dem Nationalsozialismus betreffend“, in: ebd . 119 Vgl . Max Müller, „Gutachten betr . Gastprofessur Reiner“ v . 29 .04 .1951, in: ebd . 120 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 12 .12 .1953, 30 .01 .1954, in: UA Freiburg Nr . B003/798, S . 352, 356–357, vgl . UA Freiburg Nr . B003/860, vgl . UA Freiburg Nr . B003/884 . 121 Vgl . UA Freiburg Nr . B66/180 . Der Erhebung zum Ordinariat ging der Ruf an die Univ . Saarbrücken 1959 voraus, vgl . UA Freiburg Nr . B003/884 . 122 Vgl . UA Freiburg Nr . B003/884, vgl . Fakultätsprotokoll v . 22 .12 .1958, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 55 . Erste Initiativen zur Etablierung der Skandinavistik lassen sich in den 1940er Jahren finden, vgl . Paletschek (2006b), S . 83 . 123 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 12 .02 .1966, in: UA Freiburg Nr . B003/798, S . 258 . 124 Vgl . Fakultätsprotokoll v . am 25 .02 .1961, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 120 . 117 118
Professuren: Entnazifizierung, Ausdifferenzierung und Ausbau
Die mit Art . 131 GG forcierte Praxis, über die Flüchtlinge hinaus auch vormals „Entnazifizierte“ wiedereinzustellen, wurde in den 1960er Jahren zunehmend aktiv abgelehnt . Auf Bergstraessers Initiative wurde 1963 die Vorschlagsliste zur Besetzung der dritten Professur für NDL mit zwanzig zu fünf Stimmen zurückgezogen, da „gravierende Äußerungen“ bezüglich der NS-Vergangenheit des Kandidaten Fritz Martini bekannt geworden waren .125 1965 fasste die Fakultät für Neuberufungen den Beschluss, dass ein Kandidat bei einer Empfehlung ohne weiteres auszuschließen ist, wenn er sich in einer der wissenschaftlichen und menschlichen Integrität zuwiderlaufenden Weise für die Ideologie des Nationalsozialismus, besonders für deren rassistische Lehren in Lehre und Schrift eingesetzt hat .126
Auch diese Empfehlung ging von einem Remigranten aus, in diesem Fall von Werner Marx (1910–94), der 1964 berufen worden war und die Professur für Philosophie I bekleidete . Der Fakultätsrat nahm den Beschluss einstimmig an . Damit schaffte er sich ein Instrument gegen die Errichtung von kw-Lehrstühlen nach Art . 131 GG – allerdings zu einem Zeitpunkt, als das schon keine praktischen Konsequenzen mehr hatte . Ausbauplanung 1955–59 Die Ausbauplanung sah Anfang 1955 je eine Professur für Psychologie, Volkskunde (heute: Europäische Ethnologie) und Völkerkunde (Ethnologie) vor .127 1957 wurden dann neben die anvisierte Professur für Angewandte Psychologie zwei weitere Professuren, eine für Neuere Geschichte und eine für Ältere Germanische Philologie auf den ersten Platz der Dringlichkeitsliste gerückt .128 Dahinter wurde ein neuer Antrag zur Errichtung einer Professur für Soziologie gesetzt . Es folgten diejenigen für Völkerkunde, Volkskunde und Mittellatein, die im Zusammenhang mit der Schwerpunkt-
Vgl . Fakultätsprotokoll v . 9 .12 .1963, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 192 . Daraufhin wurde unico loco Friedrich Sengle nominiert, dessen NSDAP-Mitgliedschaft 1937–45 von der Fakultät angesichts seiner Forschungsschwerpunkte (Wieland, Goethe, Heine) als weniger belastend empfunden wurden . Er lehnte den Ruf ab . Die Professur wurde Ende 1965 mit Gerhard Kaiser besetzt, vgl . Fakultätsprotokoll v . 16 .01 .1965, 11 .12 .1965, in: ebd ., S . 222, 251, zu Sengle vgl . König (2003), S . 1714–1715 . 126 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 26 .02 .1965, in: ebd ., S . 228 . 127 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 19 .02 .1955, in: UA Freiburg Nr . B003/798, S . 376 . Weiterhin war 1955 ein weiteres Extraordinariat für Kulturgeografie vorgesehen worden, vgl . ebd ., vgl . Fakultätsprotokoll v . 14 .06 .1958, 22 .12 .1958, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 45, 55 . Dazu kam es schließlich nicht, stattdessen entfiel 1958 mit der Emeritierung von Metz der kw-Vermerk seiner Professur, die 1960 der Kulturgeograf Fritz Bartz erhielt, vgl . Fakultätsprotokoll v . 27 .10 .1958, in: ebd ., S . 48, vgl . UA Freiburg Nr . B003/280 . 128 Sie wurden ebenso wie die Professur für Neuere Geschichte bereits vor den Empfehlungen des Wissenschaftsrats 1960 bewilligt und waren in dessen Erhebungen auf Dringlichkeitsstufe 1 gelistet gewesen, vgl . Fakultätsprotokoll v . 22 .12 .1958, in: UA Freiburg B003/799, S . 55 . Zu den Anträgen für die Professur für Psychologie vgl . Fakultätsprotokoll v . 21 .02 .1959, 09 .05 .1959, in ebd . S . 62, 64 . 125
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Die Expansion der Philosophischen Fakultät
bildung für die Philosophische Fakultät Freiburg beantragt wurden .129 Ab 1958 wurden die Ausbaupläne von einer Kommission zur „Entwicklung der Fakultät“ vorbereitet, die zwischen dem „notwendigen Ausbau des Bestehenden“ und der „Entwicklung von Sondergebieten“, also zwischen entlastenden und spezialisierten Professuren differenzierte .130 Die Professur für Ältere Germanische Philologie wurde bereits 1959 errichtet und Bruno Boesch (1911–81) darauf berufen . Für das Extraordinariat für Neuere und Neueste Geschichte war schon vor seiner Habilitation 1961 der Ritter- und Tellenbach-Schüler Hans-Günter Zmarzlik (1922–2000) vorgesehen, der seine Professur in demselben Jahr antrat .131 Das Extraordinariat für Angewandte Psychologie wurde 1960 mit Hildegard Hiltmann (1916–2004) besetzt . Die in Freiburg promovierte und habilitierte Psychologin hatte seit 1951 als Diätendozentin an der Philosophischen Fakultät gelehrt und repräsentierte seit 1956 die habilitierten Nichtordinarien im Fakultätsrat .132 In ihrem wie auch in Zmarzliks Fall handelte es sich um Hausberufungen, die damals gerne vermieden wurden . Allerdings stellten weder Zmarzlik noch Hiltmann Innovationshemmer dar, im Gegenteil: Mit Hiltmann wurde erstmalig an der Philosophischen Fakultät ein planmäßiges Extraordinariat mit einer Frau besetzt .133 Die Schaffung dieser Professur reflektierte darüber hinaus die zunehmende Anwendungsbezogenheit der Psychologie, die sich aus dem Schatten der Philosophie löste, wie auch die Expansion der
129 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 02 .03 .1957, 20 .07 .1957, in: ebd ., S . 24, 30 . 130 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 14 .06 .1958, in ebd ., S . 45 . 131 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 11 .02 .1961, 08 .07 .1961, 4 .11 .1961 und 2 .12 .1961,
in: ebd ., S . 129, 131, 136 und 141 . Schon vor den Empfehlungen des WR war diese Professur vom KM bewilligt worden . Allerdings waren in der Vorschlagsliste 1959 W . Besson (Tübingen), Zmarzlik (Freiburg) und R . Morsey (Bonn) gelistet, die noch nicht alle habilitiert waren . In der ersten Runde wurden Hans W . Gatzke ( Johns Hopkins, Baltimore) und W . Hoier (Berlin) gerufen, in der zweiten (1) H .-G . Zmarzlik, (2) W . Bussmann (FU Berlin) und E . Birke (Marburg), vgl . Fakultätsprotokoll v . 08 .07 .1961, S . 131 . Geplant war 1960, Zmarzlik in Marburg zu habilitieren, um ihn dann auf die Professur für Neuere Geschichte in Freiburg zu berufen . Die Marburger Philos . Fak . wehrte sich aber gegen diese Vorgehensweise, da sie fürchtete, mit einer „Formalhabilitation“ einen Präzedenzfall zu schaffen . Tellenbach hingegen berief sich auf die Empfehlungen des Wissenschaftsrats und Ludwig Raisers Urteil in dieser Angelegenheit . Das Vorhaben scheiterte . 1961 habilitierte sich Zmarzlik in Freiburg und wurde in demselben Jahr auf die Professur für „Neuere (Neueste) Geschichte“ berufen, vgl . Fakultätsprotokoll v . 11 .02 .1961, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 117 . 132 Dass es sich bei Hiltmann um eine „ausgezeichnete Erscheinung und vorzügliche Gelehrte“ handelte, als „Persönlichkeit wie als Vortragende“ bewährt, war den Mitgliedern der Philos . Fak . 1960 längst bekannt, vgl . Bergstraesser an Ministerialdirektor v . Trützschler, Ausw . Amt, Kulturabt . 16 .03 .1957, in: UA Freiburg Nr . B204/10 . Heiss und Bergstraesser förderten Hiltmann . So vermittelte Bergstraesser ihr über die Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes eine Vortragsreise nach Montevideo, vgl . ebd ., vgl . Hildegard Hiltmann, Philos . Fak ., Univ . des Saarlandes an Bergstraesser am 09 .04 .1958, in: UA Freiburg Nr . B204/16 . Bereits davor hatte sie an der bei Bergstraesser durchgeführten Studie zur Lage der Studentinnen an der Univ . Freiburg 1954/55 mitgearbeitet, vgl . Kap . 3 .2 .4 . Vgl . UA Freiburg Nr . B204/113, Nr . B204/118 . Vgl . weiterführend zu Hiltmann UA Freiburg Nr . B024/1366, vgl . Kap . 4 .3 . 133 Vgl . Paletschek (2012a), S . 317–319 .
Professuren: Entnazifizierung, Ausdifferenzierung und Ausbau
Psychologie, deren Studierendenzahlen stark stiegen .134 Dieser Trend wurde ab 1965 durch Zulassungsbeschränkungen gestoppt, die in dieser Disziplin als einziger unter allen Fächern der Philosophischen Fakultät eingeführt wurden . Zmarzlik stellte den Prototyp des Universitätslehrers dar, der pädagogische und didaktische Komponenten seines Unterrichts reflektierte und sich mit neuen Medien und neuen Themen auseinandersetzte .135 Der Hauptfokus seiner Arbeit richtete sich auf die Entstehungsbedingungen des NS .136 Seine unveröffentlichte Habilitation beleuchtete die Entwicklung des Sozialdarwinismus und brach mit den Vorstellungen seiner Lehrer .137 Mit seiner Vorlesung Die Emanzipation des „fünften Standes“: Geschichte der Frauenbewegung im SoSe 1967 widmete Zmarzlik sich erstmals an der Philosophischen Fakultät der Frauen- und Geschlechtergeschichte . Diesen Themenkomplex griff er ab dem WS 1969/70 verstärkt in der Lehre auf . Die Extraordinariate für Ältere Germanistik, Angewandte Psychologie und Neuere Geschichte waren bereits vor Erscheinen der Empfehlungen des Wissenschaftsrats umgesetzt worden . Die Professur für Soziologie, die von der Staats- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät beantragt worden war, wurde 1960 vom Wissenschaftsrat empfohlen . Sie wurde 1964 mit Heinrich Popitz (1925–2002) besetzt, der 1957 von Bergstraesser habilitiert und 1959 an die Universität Basel berufen worden war .138 Die Professur wurde in der Staats- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät und mit einem Lehrauftrag in der Philosophischen Fakultät angesiedelt .139 Somit war die erste Ausbauphase zunächst von der Schaffung von kw-Professuren aufgrund von Art . 131 GG geprägt . Daran zeigt sich, dass Ausbauwünsche auch von dem Kultusministerium an die Fakultät herangetragen wurden . Der Fakultätsrat vertrat im Prozess des Lehrstuhlausbaus und bei den Berufugnen aber durchaus seine
134 Für 1960 beantragte Heiss eine weitere Professur für Psychologie, zu der es schließlich nicht kam, vgl . Fakultätsprotokoll v . 21 .02 .1959, 16 .01 .1965, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 62, vgl . S . 221 . 135 1959 veröffentlichte Zmarzlik gemeinsam mit Hans Garber eine kommentierte Zusammenstellung von Tonträgern unter dem Titel Das Dritte Reich in Dokumenten, die auch im Rundfunk gesendet wurde, vgl . weiterführend Fritscher-Fehr (2019) . 136 Der Titel von Zmarzliks Antrittsvorlesung am 20 .01 .1962 lautete bereits Der Antisemitismus im Zweiten Reich, vgl . Fakultätsprotokoll v . 16 .12 .1961, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 146–147 . 137 Vgl . die Habilitationsgutachten von Hassinger und Tellenbach, in: UA Freiburg Nr . C0157/47 . Zmarzliks Arbeit enttäuschte Tellenbachs „hochgespannte“ Erwartungen . Zmarzlik sollte den Nachweis sozialdarwinistischer Elemente in den Anschauungen höherer Militärs auf ein Drittel reduzieren und stattdessen die positivistischen „Grundlagen jenes politischen Naturalismus“ ausführen, die „es dem Sozialdarwinismus überhaupt gestatteten, seine geschichtliche Rolle zu spielen .“ Zmarzlik kam diesen Forderungen nicht nach, veröffentlichte seine Habilitation aber auch nicht . Sie findet sich als Manuskript in der Freiburger Universitätsbibliothek, vgl . Zmarzlik (1961) . Ein weiteres Dokument, das Zmarzliks Abgrenzung zu seinen Lehrern formvollendet zur Sprache bringt, ist sein Nachruf auf Gerhard Ritter, vgl . Zmarzlik (1970[1967]) . 138 Vgl . Wissenschaftsrat (1960), S . 210 . 139 Bereits in den Aushandlungsprozessen hatte der Fakultätsrat der Philos . Fak . nachdrücklich gewünscht, an der Etablierung dieser Professur mitzuwirken, vgl . Fakultätsprotokoll v . 14 .06 .1958, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 46 .
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Die Expansion der Philosophischen Fakultät
Eigeninteressen und trieb dabei die Ausdifferenzierung der bereits an der Fakultät institutionalisierten Fächer voran . Zudem forderte der große studentische Zulauf weitere Anpassungsleistungen und beschleunigte den Ausbau der sehr großen Fächer Germanistik, Romanistik und Anglistik, aber auch der großen Fächer Geschichte und Psychologie . Als neue Fächer kamen die Wissenschaftliche Politik und Soziologie sowie die Ur- und Frühgeschichte hinzu . Das Verhältnis der Etablierung neuer Disziplinen durch neue Professuren (2), der Ausdifferenzierung von Fachbereichen durch spezialisierte Professuren einer bereits etablierten Disziplin (7) und der Neuerrichtung von Parallelprofessuren (3) gestaltete sich in dieser Phase eindeutig zugunsten der Professuren, die an bestehende Disziplinen anknüpften, diese entlasteten und gleichzeitig spezielle Schwerpunkte setzten . Sie boten die größten Synergieeffekte bei kleinstmöglichen Konkurrenzen insofern, als sie sowohl Verwissenschaftlichungs- als auch Akademisierungsprozesse vorantrieben, das Fach somit weiterentwickelten wie auch die Ausbildung einer Vielzahl von Studierenden in diesem Fach sicherstellten . Der neuen Situation des starken Studierendenanstiegs wurden sie allerdings nicht gerecht . 3.1.3
Gleichmäßiger Ausbau unter Einfluss des Wissenschaftsrats (1960–66)
Die zweite Ausbauphase umfasst den Zeitraum zwischen den ersten und den zweiten Empfehlungen des Wissenschaftsrats . Der Wissenschaftsrat, 1957 gegründet, verschickte 1958 Fragebögen an die Universitäten . Ausbaubedarf und Ausbauwünsche der Fakultäten sollten damit ermittelt und die Entwicklung der Lehrkörper, der Frequenz sowie der räumlichen, bibliothekarischen und technischen Kapazitäten erhoben werden . Mit den Beratungen über die Eingaben an den Wissenschaftsrat intensivierten sich die Ausbauplanungen der Philosophischen Fakultät . Der Fakultätsrat beriet, welche Ergänzungen an Professuren vorzunehmen waren140 und welche Konsequenzen sich dabei für die künftige Gliederung des Lehrkörpers ergaben . So stand auch zur Diskussion, wie das Verhältnis, die „Relation von Ordinariaten, Extraordinariaten, Wissenschaftlichen Ratsstellen und Dozenturen“ gestaltet werden sollte .141 Wenngleich Wissenschaftsorganisation damals noch nicht professionalisiert betrieben wurde, bewegte sich die Planung auf einem reflektierten und intentionalen Niveau . Seit 1953 war in der Fakultät aufgefächert nach verschiedenen Dringlichkeitsstufen langfristig geplant worden, seit 1957 zudem auch strukturiert nach Ausbau- und Sondergebieten . Mit den Planungen des Wissenschaftsrats Ende der 1950er Jahre begründete der Fakultätsrat seine Ausbauwünsche nun auch mit der Relation zu den Studierendenzahlen der einzelnen Fächer . Damit rückte die Betreuungsrelation verstärkt in den Fokus . Vgl . Fakultätsprotokoll v . 13 .12 .1958, 22 .12 .1958, 05 .01 .1959, 17 .01 .1959, 08 .02 .1959, 21 .02 .1959, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 54–62 . 141 Fakultätsprotokoll v . 13 .12 .1958, in: ebd ., S . 54 . 140
Professuren: Entnazifizierung, Ausdifferenzierung und Ausbau
Von den 17 dort beantragten zusätzlichen Professuren142 wurden elf vom Wissenschaftsrat empfohlen . Die restlichen von der Fakultät gewünschten sechs Professuren empfahl der Wissenschaftsrat nicht, woran die eigenen Koordinationsinteressen dieses Gremiums sichtbar werden, die sich durchaus von den Forderungen der Fakultäten abheben konnten . Drei dieser vom Wissenschaftsrat nicht empfohlenen Professuren forcierte die Fakultät nicht weiter (Vergleichende Religionsgeschichte, Wirkungsgeschichte der Antike, Schulpädagogik) . Die anderen drei wurden hingegen trotz mangelnder Empfehlung bis 1970 in Zusammenarbeit mit dem Kultusministerium verwirklicht, und zwar die Lehrstühle für Neuere Deutsche Literaturgeschichte, Anglistik/Amerikanistik sowie eine zusätzliche Professur für Wissenschaftliche Politik . Der Auf- und Ausbau der Professuren war demnach nicht zwingend auf die Empfehlungen des Wissenschaftsrats angewiesen . Sie stellten jedoch eine wichtige Argumentationsgrundlage dar, welche die Umsetzung geplanter Lehrstühle vorantreiben und stützen konnte . Die Leistung des Wissenschaftsrats bestand insgesamt weniger in dem Entwurf klar konzipierter Reformvorschläge als darin, die Kommunikation zwischen Hochschulen und hochschulpolitischen Gremien sowie Bund und Ländern, Wirtschaft und Politik koordiniert in Gang zu bringen .143 Der Wissenschaftsrat fungierte, wie Bartz herausgestellt hat, als „Appellationsinstanz“144 für die Fakultäten und Universitäten . So zog auch der Fakultätsrat Anfang der 1960er Jahre häufig die Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Legitimation des Lehrstuhlausbaus heran . Wenn allerdings die Studierendenzahlen und die Lehramtsausbildung in der Beantragung eine zentrale Rolle spielte oder die Anwendungsorientierung eines Faches herausgestellt werden konnte, waren Senat, Kultusministerium und Landtag durchaus auch ohne diese Empfehlungen von der Notwendigkeit neuer Professuren zu überzeugen .145
Zusätzlich war die Anhebung der Extraordinariate zu Ordinariaten vorgeschlagen worden sowie die Neuerrichtung eines Extraordinariats für Angewandte Psychologie, das allerdings vor Erscheinen der Empfehlungen errichtet wurde, vgl . UA Freiburg Nr . B003/280, vgl . Fakultätsprotokoll v . 05 .01 .1958, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 56 . 143 Die Aufmerksamkeit des Wissenschaftsrats wandte sich zunehmend den Hochschulneugründungen zu, deren Durchsetzung Anfang der 1960er Jahre auf Hindernisse stieß . Vgl . [o . A .], „Der Wissenschaftsrat über Rückschläge schwer enttäuscht“, „Eine Einigung von Bund und Ländern in weite Ferne gerückt – Der Numerus clausus droht“, in: BZ v . 20 ./21 .07 .1963; [o . A .], „Akademische Freiheit für die Falschen“, „SPIEGEL-Gespräch mit dem Vorsitzenden des Deutschen Wissenschaftsrats Prof . Dr . Ludwig Raiser“, in: DER SPIEGEL v . 12 .02 .1964, S . 30–36, vgl . Rudloff (2007), S . 78 . Auch Mitte der 1960er Jahre war die Finanzierung des Ausbaus von Hochschulen schwer durchzusetzen, vgl . [o . A .], „Neue Vorschläge zur Studienreform . Der Wissenschaftsrat ersucht den Bund um mehr Geld“, in: BZ v . 31 .01 .1966 . 144 Vgl . Bartz (2006), S . 87 . 145 1960 beantragte Bergstraesser eine zweite Professur für Politik, „wie es bei den dem Wissenschaftsrat vorgelegten Plänen bereits vorgemerkt ist .“ Er begründete ihn mit der „Ausdehnung des Fachs“ und der Ausbildung vieler Lehramtskandidat_innen, vgl . Antrag auf Lehrstuhl für Politik v . 14 .05 .1960, in: UA Freiburg Nr . B0204/130, vgl . Nr . B003/280 . Die Empfehlungen des Wissenschaftsrats enthielten keine diesbezügl . Empfehlung, vgl . Wissenschaftsrat (1960), S . 213 . Die Professur wurde aber 1961 bewilligt, vgl . die Fakultätsprotokolle v . 28 .01 .1961, 08 .05 .1963, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 115, 177 . 142
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Die Expansion der Philosophischen Fakultät
In der Berufungskommission 1961 nominierte Bergstraesser für die neue Professur für Wissenschaftliche Politik in erster Linie Wilhelm Hennis (1923–2012) .146 Als dieser den Ruf auf eine Professur in Hamburg annahm, versuchte Bergstraesser darauf hinzuwirken, das Extraordinariat im Haushalt 1963 zum Ordinariat zu erheben, um „bessere Möglichkeiten der Besetzung zu erhalten .“147 Schließlich wurde die Professur 1963 mit Bergstraessers Schüler Dieter Oberndörfer (*1929) besetzt und 1964 zum Ordinariat erhoben . Auch in diesem Fall erwiesen sich Hausberufung und Parallelprofessur angesichts der Studierendenanzahl und den vielfältigen Verpflichtungen sowie der „Hausmacht“ Bergstraessers als unproblematisch .148 Bei den vom Wissenschaftsrat empfohlenen Professuren handelte es sich um 1 . die Freiburger Schwerpunkt- und Sondergebiete Völkerkunde, Wissenschaftslehre, Mittellatein149 2 . die „notwendigen Disziplinen“, die aufgrund von Verwissenschaftlichungsprozessen zum „Grundbestand“ gezählt wurden: Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Slavistik und Orientalistik/Islamistik .150 3 . die aufgrund des Wachstums der Studierendenzahlen auszubauenden Fächer Alte Geschichte, Romanistik, Anglistik, Klassische Philologie, Germanistik Von diesen elf vom Wissenschaftsrat empfohlenen Professuren wurden neun bis 1970 verwirklicht, zwei hingegen nicht umgesetzt, da das Interesse der Fakultät an diesen Professuren für Wissenschaftslehre151 und Klassische Philologie Anfang der 1960er Jahre nachließ .
Vgl . Fakultätsprotokoll v . 02 .12 .1961, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 144 . Vgl . Fakultätsprotokoll v . 10 .02 .1962, in: ebd ., S . 151 . Erst als Nachfolger Bergstraessers wurde Wilhelm Hennis 1966 für Freiburg gewonnen, vgl . Fakultätsprotokoll v . 30 .07 .1965, 26 .02 .1966, in: ebd ., S . 238, 260 . Anders als sein Vorgänger optierte Hennis jedoch nicht für die Philosophische, sondern die Staats- und Rechtswissenschaftliche Fakultät . Erst 1970 wurden alle Professuren für Politikwissenschaft sowie die Professur für Soziologie gemeinsam mit den historischen Fächern in der Philos . Fak . IV angesiedelt . 148 Vgl . Antrag auf Lehrstuhl für Politik v . 14 .05 .1960, in: UA Freiburg Nr . B0204/130 . 149 Vgl . Wissenschaftsrat (1960), S . 87–88, S . 91 . 150 Vgl . ebd ., S . 212–213, vgl . S . 87 . 151 In den Fragebögen des Wissenschaftsrats war der Vorschlag von Fink und Bergstraesser für eine Professur für Philosophie und Wissenschaftslehre aufgenommen worden, vgl . Fakultätsprotokoll v . 21 .02 .1959 u . 01 .06 .1957, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 62, 26 . Der Wissenschaftsrat empfahl die Professur, vgl . Wissenschaftsrat (1960), S . 212 . Der Fakultätsrat verfolgte diese Pläne jedoch nicht weiter, die verantwortlichen Professoren Fink, Heiß und Lakebrink waren der Ansicht, dass „dieser Lehrstuhl nicht notwendig“ sei . Hingegen beantragte die Naturwiss .-Math . Fak . für 1963 ein Ordinariat für Philosophie u . Geschichte der Naturwiss ., vgl . Fakultätsprotokoll v . 02 .12 .1961, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 142 . Erst 1966, als die Fakultät sich zu der Frage eines möglichen Freiburger Schwerpunkts „Wissenschaftsgeschichte (Epistemologie)“ positionierte, stellte sich das „ernste Interesse der Fakultät für diese Frage“, wieder ein, vgl . Fakultätsprotokoll v . 15 .01 .1966, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 254 . Für die Planungen 1970–75 wurde gemeinsam mit den Naturwissenschaften eine Professur für Wissenschaftsgeschichte erwogen . 146 147
Professuren: Entnazifizierung, Ausdifferenzierung und Ausbau
Unter den neun verwirklichten Professuren gehörten Völkerkunde, Volkskunde und Mittellateinische Philologie zu denjenigen Fächern, die aufgrund der Schwerpunktbildung in Freiburg ausgebaut werden sollten .152 Die Etatisierung und Besetzung dieser Lehrstühle zog sich aber lange hin . Schon für den Haushalt 1962 war ein Extraordinariat, für 1963 ein Ordinariat für Mittellateinische Philologie beantragt worden .153 Die Professur wurde 1965 errichtet und 1966 mit Johanne Autenrieth besetzt, der zweiten Professorin an der Philosophischen Fakultät .154 Mit der Errichtung der Professur für Volkskunde in Verbindung mit deutscher Philologie kam eine dritte Professur zur Germanischen Philologie hinzu . Ihre Besetzung verzögerte sich, da zunächst eine Kopplung der Professur an die Direktorenstelle des Freiburger Volksliedarchivs vom Kultusministerium vorgesehen war .155 Der Favorit der Fakultät, Hermann Bausinger (*1926), der die Professur 1966 vertrat, lehnte den Ruf schließlich ab, woraufhin Lutz Röhrich (1922–2006) die Professur 1967 antrat .156 Die Professuren für Völkerkunde sowie für Volkskunde waren bereits knapp eine Dekade zuvor geplant worden . Anders als die Volkskunde wurde die Ethnologie jedoch 1964 als eigenständige Disziplin etabliert und Rolf Herzog (1919–2006) auf die neue Professur berufen .157 An der langwierigen Errichtung dieser Professuren, die nicht direkt den eigenen Interessen des Fakultätsrats entsprachen, sondern aufgrund der Schwerpunktbildung an ihn herangetragen wurden, spiegelten sich äußere Einflüsse durch Kultusministerium und Wissenschaftsrat, welche die Konzentration verschiedener Fächer an bestimmten Hochschulen profilbildend vorantrieben .158 Über diese Freiburger Schwerpunktgebiete hinaus empfahl der Wissenschaftsrat eine Professur für Slavistik . Diese Professur erhielt 1962 Wilhelm Lettenbauer (1907– 84) . Die Fakultät hatte die philologische und historische Osteuropaforschung durch die Erteilung von Lehraufträgen von langer Hand vorbereitet .159 Die Geschichtswissenschaft beeilte sich, angesichts der Errichtung einer Professur für slavische Philologie gleichzuziehen und beantragte ein Extraordinariat für Neuere und Osteuropäische
Vgl . Fakultätsprotokoll v . 19 .02 .1955, in: UA Freiburg Nr . B003/789, S . 376, vgl . die Fakultätsprotokolle v . 02 .03 .1957, 22 .12 .1958, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 24, 55 . 153 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 28 .01 .1961, 02 .12 .1961, in: Freiburg Nr . B003/799, S . 115, 142 . 154 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 11 .12 .1965, in: ebd ., S . 246, vgl . UA Freiburg Nr . B003/882 . 155 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 05 .01 .1959, 10 .10 .1959, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 56, 76 . 156 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 23 .07 .1964, 26 .07 .1965, 13 .11 .1965, 25 .06 .1966, 09 .07 .1966, 23 .07 .1966, 3 .12 .1966, in: ebd ., S . 209, 236, 241, 268, 274, 278, 295 . 157 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 19 .02 .1955, in: UA Freiburg Nr . B003/798, S . 376, vgl . Fakultätsprotokoll v . 02 .03 .1957, 20 .07 .1957, 5 .01 .1959, 28 .01 .1961, 11 .07 .1964, 21 .11 .1964, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 24, 30, 56, 115, 205, 217 . 158 Vgl . „B II . Grundsätze der Koordination im Ausbau der wissenschaftlichen Einrichtungen der Hochschulen“, in: Wissenschaftsrat (1960), S . 40–45 . 159 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 11 .11 .1945, 09 .05 .1953, in: UA Freiburg Nr . B003/789, S . 334 . 152
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Die Expansion der Philosophischen Fakultät
Geschichte .160 Auf dem Spitzenplatz der Dringlichkeitsliste passierte das beantragte Extraordinariat den Senat, der 1963 die Ausbauwünsche der Fakultät auf ein Minimum zusammenstrich .161 Ende 1964 wurde die Professur etabliert und Gottfried Schramm (1929–2017) darauf berufen .162 Eine weitere, von der Fakultät Ende 1958 vorgesehene und vom Wissenschaftsrat empfohlene Ausdifferenzierung der Geschichtswissenschaft kam durch die Errichtung der Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte zustande .163 Clemens Bauer, seit 1938 Inhaber des historischen Konkordatslehrstuhls, hatte seit 1945 auch einen Lehrauftrag für Mittlere und Neuere Wirtschaftsgeschichte in der juristischen Fakultät wahrgenommen .164 Er wurde 1962 unico loco für das bewilligte Ordinariat nominiert, das er als Prorektor der Universität Freiburg antrat .165 Mit der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte kam zu der Wissenschaftlichen Politik ein zweites Ordinariat mit Optionsrecht zwischen Philosophischer und Staats- und Rechtswissenschaftlicher Fakultät . Diese Entwicklung reflektiert den Aufstieg der Sozialwissenschaften in den Geisteswissenschaften, die vom Wissenschaftsrat unterstützt wurde . Zudem sah die von der Fakultät geforderte und vom Wissenschaftsrat empfohlene Ausbauplanung bereits bestehender Fächer die Etablierung zusätzlicher Professuren in den kleineren Fächern Alte Geschichte und Orientalistik sowie den sehr großen Neuphilologien Romanistik und Anglistik/Amerikanistik vor . Von der Fakultät auf der zweiten Stufe der Dringlichkeit angesiedelt,166 wurde die zweite Professur für Alte Geschichte 1962/63 eingerichtet und mit Hermann Strasburger (1909–85) besetzt . Die harmonische Einführung eines Parallellehrstuhls konterkarierte die Befürchtungen, dass Entlastungslehrstühle Konkurrenz und Beeinträchtigung des eigenen Status bedeuteten . Die Etablierung einer zweiten Professur für Alte Geschichte ist nicht zuletzt auf Nesselhauf zurückzuführen, der anders als die meisten seiner Kollegen Parallelprofessuren befürwortete:167 Schließlich ließen sich durchaus auch auf Professuren mit der gleichen Denomination arbeitsteilig koordinierte Schwerpunkte setzen . Die Orientalistik hingegen differenzierte sich aus . Bei diesem Spezialisierungsprozess handelte es sich allerdings um eine unbedingte Notwendigkeit, da unter der Orientalistik verschiedenste Fachbereiche von Judaistik über Islamistik, Indologie bis zur Sinologie und Japanologie subsumiert wurden . Eine zweite Professur mit dem
160 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 23 .11 .1963, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 187 . Diese Professur war bis 1963 weder in den Fragebogen des Wissenschaftsrats noch in den Empfehlungen angedacht worden . 161 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 12 .09 .12 .1963, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 194 . 162 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 05 .12 .1964, 20 .02 .1965, in: ebd ., S . 218, 225 . 163 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 22 .12 .1958, 05 .01 .1959, in: ebd ., S . 55–56 . 164 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 15 .09 .1945, in: UA Freiburg Nr . B003/798, S . 140 . 165 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 10 .02 .1962, 10 .11 .1962, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 151, 167 . 166 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 22 .12 .1958, 28 .01 .1961, in: ebd ., S . 55, 115 . 167 Vgl . Wirbelauer (2006), S . 124 .
Professuren: Entnazifizierung, Ausdifferenzierung und Ausbau
Schwerpunkt Islamkunde wurde eingeführt, die seit 1963 Hans Robert Römer (1915– 97) bekleidete . In Bezug auf neue Professuren in den sehr großen „Schulwissenschaften“ Romanistik und Anglistik/Amerikanistik gingen die Meinungen von Fakultät und Wissenschaftsrat weit auseinander . So hatte Friedrich für die breit expandierende Romanistik nur einen Lehrauftrag beantragt,168 der Wissenschaftsrat hingegen empfahl eine Entlastungsprofessur . In den fünf Jahren seit der Berufung Deutschmanns hatte sich die Lehrstuhlsituation der Romanistik trotz der verschlechterten Betreuungsrelation nicht verändert . Erst 1963 wurde Deutschmann entlastet, indem eine zweite Professur für Romanistische Philologie geschaffen wurde, die mit Rudolf Hallig (1902–64) besetzt wurde .169 In der Anglistik/Amerikanistik waren neben den bestehenden Lehrstühlen von Heuer und Standop zwei weitere Professuren beantragt worden . Aufgrund der Schwerpunktbildung empfahl der Wissenschaftsrat nur eine Professur für Anglistik – die Amerikanistik sollte weiterhin Heidelberg vorbehalten werden .170 Dennoch beantragte die Fakultät beim Kultusministerium eine Professur für Amerikanistik, die 1961 als Professur für Anglistik, insbesondere Amerikanistik errichtet und 1962 mit Franz H . Link (1924–2001) besetzt wurde .171 Die Dringlichkeit des Ausbaus der sehr großen Fächer spiegelt sich auch in der Errichtung der dritten Professur für NDL . Die Fakultät hatte sie in den Erhebungen des Wissenschaftsrats für 1962 vorgesehen . Der Wissenschaftsrat empfahl sie zwar nicht, sie wurde aber 1963 etabliert und 1965 mit Gerhard Kaiser (1927–2012) besetzt .172 Neben den vom Wissenschaftsrat empfohlenen Professuren beantragte der Fakultätsrat bis 1965 weitere drei Lehrstühle beim Kultusministerium, von denen die Professuren für Geografie und Landeskunde und Neuere und Osteuropäische Geschichte verwirklicht wurden, die Professur für Archäologie der alten Mittelmeerländer hingegen nicht . Zudem war mit der Emeritierung von Friedrich Metz 1958 die kw-Professur für Südwestdeutsche Landeskunde weggefallen und 1960 mit der Berufung Fritz Bartz’ (1908–70) eine neue Professur für Kulturgeografie errichtet worden .173 1961 plante die Fakultät die Wiedereinführung der Professur für Geografie und Landeskunde und besetzte sie 1964 mit Wolf-Dieter Sick (1925–2013) .174
Vgl . Fakultätsprotokoll v . 21 .02 .1959, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 62 . Vgl . ebd ., vgl . Fakultätsprotokoll v . 09 .11 .1963, in: ebd ., S . 184 . Hallig starb bereits 1964 . Daraufhin wurde Helmut Lüdtke (1926–2010) berufen, der 1969 einen Ruf nach Berlin annahm . 170 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 22 .12 .1958, 21 .02 .1959, 28 .01 .1961, in ebd ., S . 55, 62, 115, vgl . Wissenschaftsrat (1960), S . 213 . 171 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 21 .02 .1959, 25 .02 .1961, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 62–63, 120 . 172 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 05 .01 .1959, 09 .11 .1963, 23 .11 .1963, 09 .12 .1963, 07 .11 .1964, 16 .01 .1965, 11 .12 .1965, in: ebd ., S . 56, 184, 188, 192, 212, 222, 251, vgl . weiterführend S . 69, Anm . 125 . 173 Fakultätsprotokoll v . 14 .06 .1958, in: ebd ., S . 45 . 174 Fakultätsprotokoll v . 28 .01 .1961, 24 .02 .1964, in: ebd ., S . 115, 195 . 168 169
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Die Expansion der Philosophischen Fakultät
Der Ausbau der Professuren beschleunigte sich in den 1960er Jahren zusehends . Von unten wirkte der Druck der steigenden Frequenz . Von oben war mit dem Wissenschaftsrat eine Instanz der Planungskoordination zwischengeschaltet worden, die das Procedere zwar nicht grundlegend veränderte, aber katalysierend beeinflusste . In dieser Situation begann die Philosophische Fakultät verstärkt zu planen . Als wichtiger Reformfaktor erwies sich sodann die Kolleggeldreform, die in Freiburg bereits seit dem Hochschulverbandstag 1958 verhandelt und 1964 durchgesetzt wurde .175 Das Kolleg- oder „Hörgeld“, der Eintrittspreis für Vorlesungen, der mit DM 2,50, später mit DM 3,00 pro Stunde angesetzt wurde, stellte eine nicht zu vernachlässigende Einnahmequelle dar . So berichtet Frank-Rutger Hausmann von den dreistündigen Vorlesungen Hugo Friedrichs mit 900 bis 1000 Studierenden, in denen ein „Wäschekorb“ voll von Eintrittskärtchen zusammenkam .176 Mit der Kolleggeldreform wurde dieser Brauch durch eine Hörgeldpauschale von DM 200,00 ersetzt . Dadurch entfiel der finanzielle Anreiz überfüllter Hörsäle und milderte zumindest in dieser Hinsicht die Konkurrenzwahrnehmung von Parallelprofessuren . Im Zuge dieser Entwicklungen veränderte sich das Verhältnis zwischen der Etablierung von neuen Disziplinen (3), spezialisierten Professuren (5) und Parallelprofessuren (5) so, dass in dieser Phase paritätisch spezialisierte und entlastende Professuren eingeführt wurden . Dieser Trend setzte sich in den folgenden Jahren weiter fort: In den Erhebungen des Wissenschaftsrats für den Zeitraum 1965–70 plante der Fakultätsrat fast ausschließlich Entlastungslehrstühle in den sehr großen Fächern . 3.1.4
Entlastungslehrstühle in den großen Fächern (1967–70)
Im Vorfeld der zweiten Empfehlungen des Wissenschaftsrats für den Zeitraum 1965– 70 beantragte die Philosophische Fakultät sechs Professuren . An erster Stelle stand eine Parallelprofessur für Romanistische Literaturwissenschaft, gefolgt von Professuren für Neuere und Neueste Geschichte, Psychologie, Anglistik, Neuere Deutsche Literaturgeschichte, Pädagogik und einer Professur für Romanistik mit dem Schwerpunkt Italianistik .177 Eine zweite Professur für Romanistische Literaturwissenschaft so-
175 Vgl . Landesbesoldungsgesetz v . 06 .04 .1964, Überleitung der Hochschullehrer in neue Besoldungsgruppen, Änderung der bestehenden Zusicherungen einer bestimmten Einnahme von Unterrichtsgebühren (Kolleggeld), in: UA Freiburg Nr . B024/2611 . Nach § 3 des 5 . Gesetzes zur Änderung des Landesbesoldungsgesetzes erhielten die Hochschullehrer statt des Kolleggelds eine pauschale Unterrichtsgeldabfindung, vgl . Präsidium des Hochschulverbandes (1962), vgl . Mitscherlich (1965[1964]), S . 13 . 176 Vgl . Interview mit Frank-Rutger Hausmann am 21 .04 .2011 in Freiburg i . Br . 177 Vgl . Planungen des Wissenschaftsrats 1965–70 . Reihung der Lehrstühle, in: Fakultätsprotokoll v . 15 .01 .1966, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 254 .
Professuren: Entnazifizierung, Ausdifferenzierung und Ausbau
wie die Professur für Italianistik wurden zeitnah bewilligt und zügig umgesetzt .178 Da Friedrich bis dahin den einzigen Lehrstuhl für Romanistische Literaturwissenschaft innehatte, war eine Parallelprofessur überfällig . Sie wurde 1967 mit Hans Staub (*1931) besetzt . Zu der Professur für Italianistik, auf die Vito Rocco Giustiniani (1916–98) berufen werden sollte, der seit mehr als zwanzig Jahren als Lektor in Freiburg lehrte, kam es hingegen nicht . Die Beantragung der Professur wurde erst in dem Moment akut, als Giustiniani verschiedene Rufe an kanadische und US-amerikanische Universitäten erhalten hatte . So versuchte die Fakultät erfolglos, ihn durch die Ernennung zum Mitdirektor des Romanischen Seminars in Freiburg zu halten .179 Diese fünfte Professur für Romanistik wurde 1970 schließlich mit dem Friedrich-Schüler Rainer Hess (1936– 2004) besetzt, der schwerpunktmäßig Portugiesisch lehrte . In der Zwischenzeit war das Bewusstsein für die schon seit mehr als zehn, wenn nicht gar zwanzig Jahren manifeste katastrophale Betreuungsrelation der Romanistik gewachsen . Hatte bis dahin der Ordinarius Friedrich eifersüchtig jegliche Konkurrenz vermieden und sorgfältig über die Neubesetzungen gewacht, reichten die Direktoren und Mitarbeiter_innen des Romanischen Seminars Anfang 1968 über die Fakultät ein Schreiben an das Kultusministerium ein, das die „Notlage am Seminar“ ausführte, „die nicht nur in der Überlastung durch Staatsexamina, sondern auch in dem unangemessenen Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden besteht .“180 Den darin erhobenen Forderungen nach vier neuen Professuren für Romanistik schloss sich die Fakultät unter dem Vorbehalt an, dass auch die Notlage anderer Fächer entsprechend berücksichtigt werden sollte . So ersuchte der Dekan Ende 1968 den Vorsitzenden des Finanzausschusses des Landtags um die „sofortige Berücksichtigung der dringendsten Erfordernisse in den Massenfächern Deutsch, Englisch und Romanistik“ .181 Die vierte Professur für Neuere Deutsche Literaturgeschichte kam über die Umwidmung einer Professur, die für die Klassische Philologie beantragt worden war, zur Germanistik . Zwar war die Professur für Klassische Philologie mit Berücksichtigung der Sprachwissenschaft, 1960 vom Wissenschaftsrat unterstützt, in der Reihung neu zu beantragender Professuren an erster Stelle gelistet . Sie wurde aber in den folgenden acht Jahren nicht besetzt .182 Daher teilte das Kultusministerium diese bis dahin in den Etat aufgenommene Professur 1968 der NDL zu,183 für die der Fakultätsrat 1966 eine vierte Professur beantragt hatte: Ohne sie sei das hohe Aufkommen an Studierenden
Vgl . Fakultätsprotokoll v . 21 .11 .1964, 07 .11 .1964, 26 .07 .1965, 15 .01 .1966, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 212, 214, 237, 254 . Eine Professur für Italianistik war bereits für den Staatshaushalt 1965 beantragt worden, vgl . Fakultätsprotokoll v . 23 .11 .1963, in: ebd ., S . 187 . 179 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 10 .06 .1967, 02 .12 .1967, in: ebd ., S . 326, 351 . 180 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 13 .02 .1968, in: ebd ., S . 367 . Das folgende Zitat ebd . 181 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 14 .12 .1968, in: UA Freiburg Nr . B003/804 . 182 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 22 .12 .1958, 28 .01 .1961, in: ebd ., S . 55, 115 . 183 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 13 .01 .1968, in: ebd ., S . 358 . 178
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Die Expansion der Philosophischen Fakultät
„auf die Dauer nicht zu bewältigen“ .184 Dafür erwog der Fakultätsrat die Umwandlung der Wissenschaftlichen Ratsstelle von Hans Peter Herrmann in eine Professur .185 Dazu kam es damals schließlich nicht, stattdessen wurde Hubert Ohl (1927–2013) auf die neue Professur für NDL berufen .186 Ein viertes Ordinariat für Anglistik war bereits 1963 beantragt worden . 1964 in den Erhebungen des Wissenschaftsrats dringend angefordert, rutschte es aber im Zuge der Budgetverhandlungen in die „2 . Präferenzklasse“ auf Platz 14 der neubeantragten Professuren für die Universität Freiburg .187 Die erst 1970 etablierte, mit Willi Erzgräber (1926–2001) besetzte Professur bildete dann aber den Auftakt zu einem weiteren Ausbau der Anglistik und Amerikanistik an der Philosophischen Fakultät . Die bereits Ende der 1950er Jahre beantragten Professuren für Pädagogik und für Psychologie wurden schließlich nicht verwirklicht .188 Hingegen kam die 1967 beantragte Professur für Neuere und Neueste Geschichte zustande und wurde 1968 mit Andreas Hillgruber (1925–89) besetzt .189 Mit der Integration der bis 1970 an der Staatsund Rechtswissenschaftlichen Fakultät institutionalisierten Professuren für Soziologie (Heinrich Popitz) und für Wissenschaftliche Politik (Wilhelm Hennis) kamen zu den neuen fünf Parallellprofessuren zusätzlich eine neue Disziplin und eine Parallelprofessur zur Philosophischen Fakultät IV hinzu . Der beschleunigte Ausbau der Professuren in diesen vier Jahren resultierte somit auch aus der Neugliederung der Philosophischen Fakultät . Vor allem brachen in dieser Phase aber die Vorbehalte gegenüber der Errichtung von Parallelprofessuren auf . Das Verhältnis der Einführung neuer Disziplinen (1), spezialisierter Professuren (0) und Parallelprofessuren (6) verschob sich zugunsten von Parallelprofessuren in den sehr großen Lehramtsfächern . Mit dem Generationswechsel 1966/67 zeichnet sich in den Motivationen für den Lehrstuhlausbau eine Verschiebung ab: Die Betreuungsrelation rückte in das Zentrum der Ausbauargumentationen .
Vgl . Fakultätsprotokoll v . 21 .10 .1967, 02 .12 .1967, 27 .04 .1968, S . 344, 351, 371 . Vgl . Fakultätsprotokoll v . 11 .12 .1965, 22 .09 .1966, in: ebd ., S . 251, 282 . Vgl . Fakultätsprotokoll v . 13 .01 .1968, in: ebd ., S . 358, vgl . zur Dringlichkeit dieser Professur ebd . Vgl . Fakultätsprotokoll v . 23 .11 .1963, 07 .11 .1964, 15 .01 .1966, 27 .05 .1966, in: ebd ., S . 187, 212, 253, 265 . Die Professur für Pädagogik wurde in den Fragebögen des Wissenschaftsrats 1958 gewünscht, aber vom Wissenschaftsrat 1960 nicht empfohlen . 1964 wurde sie beim KM, 1966 erneut beim Wissenschaftsrat beantragt, jedoch bis 1970 nicht verwirklicht . Ähnliches gilt für die Professur für Psychologie, vgl . Fakultätsprotokoll v . 22 .12 .1958, 28 .01 .1961, 07 .11 .1964, 15 .01 .1966, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 55, 115, 212, 254 . 189 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 08 .01 .1966, 15 .01 .1966, in: ebd ., S . 249, 254, vgl . Fakultätsprotokoll v . 15 .06 .1968, in: UA Freiburg Nr . B003/804 . 184 185 186 187 188
Professuren: Entnazifizierung, Ausdifferenzierung und Ausbau
Tab. 2 Neue Disziplinen – Spezialisierte Professuren – Parallelprofessuren 1945–70190 Professuren insgesamt, davon Bis 1953 etabl. Prof.
19
1. Ausbauphase 1953–59
neu: 12, insg. 31
2. Ausbauphase 1960–66
neu: 13 (11), insg. 42
3. Ausbauphase 1967–70
neu: 7, insg. 49
Professuren 1953–70
Neu 32 (30), insg. 49
3.1.5
1. Neue Diszipl.
2. Spezialis. Diszipl.
3. Parallelprof.
2
7
3
3 (-1)
191
5 (-1)
192
5
1
0
6
6 (5)
12 (11)
14
Statussicherung und Konkurrenzangst als hemmende Faktoren
Der Ausbau der Professuren an der Philosophischen Fakultät 1945–70 gliederte sich in vier Phasen . Ende des Krieges befand sich die Philosophische Fakultät in einem Ausnahmezustand, der durch die Abschaffung von Lehrstühlen sowie endgültige und kurzfristige Entlassungen im Zuge der Épuration geprägt war . Ab 1946 lässt sich eine Rekonstitutionsphase ausmachen, in der die Militärregierung kurzfristig suspendierte Professoren reintegrierte und die Fakultät vakante Lehrstühle neu besetzte . Mit der Gründung des Landes Baden-Württemberg 1952 trat die Philosophische Fakultät in eine erste Ausbauphase ein . Der Fakultätsrat begann langsam, neue Professuren einzurichten . Eine zweite Ausbauphase zeichnet sich mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrats 1960 ab, in der die Professuren verstärkt ausgebaut wurden . Allerdings versuchte der Fakultätsrat, Professuren mit derselben Denomination durch die Einführung spezialisierter Professuren zu umgehen: Parallelprofessuren wurden vorwiegend erst infolge der Kolleggeldreform und des Generationswechsels ab 1966 beantragt . Im Prozess des Lehrstuhlausbaus an der Philosophischen Fakultät zeichnet sich so nach der Phase der Épuration und Rekonsolidierung (1945–52) ein stetig zunehmender Ausbau der Professuren ab . Insgesamt erhöhte sich die Anzahl der Lehrstühle zwischen 1953 und 1970 von 19 auf 49 Professuren (vgl . Tab. 2) . 1953–60 kamen zwölf Professuren zu den 19 bestehenden hinzu, in der zweiten Ausbauphase 1960–66 wurden weitere 13 neu errichtet .193 Danach beschleunigte sich der Ausbau erneut: Innerhalb der drei Jahre zwischen 1967 und 1970 wurden weitere sieben 190 Die der Tabelle zugrundeliegenden Zahlen basieren auf den Fakultätsprotokollen (UA Freiburg Nr . B003/ 798, Nr . B003/799, Nr . B003/804, Nr . B003/825), den Planstellenverzeichnissen (UA Freiburg Nr . B001/1182, Nr . B066/0180) sowie den Vorlesungsverzeichnissen (Albert-Ludwigs-Universität 1944–70a) . 191 Eine der beiden Politikprofessuren wechselte 1966 zurück an die Staats- und Rechtswiss . Fakultät . 192 Die kw-Professur für Ethik entfiel mit der Emeritierung von Hans Reiner 1965 . 193 Allerdings entfiel der 1957 errichtete kw-Lehrstuhl für Ethik 1965 wieder und der Lehrstuhl für Wiss . Politik wurde unter Wilhelm Hennis erneut an der Staats- und Rechtswiss . Fakultät institutionalisiert .
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Professuren geschaffen . Zudem verschob sich im Zuge der steigenden Studierendenanzahl in den fakultären Ausbauwünschen langsam das Verhältnis in der Einführung neuer Professuren als neue Disziplinen, spezialisierte Professuren und Parallelprofessuren . Für die erste Ausbauphase zeichnet sich das Verhältnis 2:7:3 ab, in der zweiten Ausbauphase das Verhältnis 3:5:5 und in der viel kürzeren dritten Ausbauphase das Verhältnis 1:0:6 . Damit verlagerten sich die Ausbauschwerpunkte von spezialisierten Professuren hin zu Parallelprofessuren . Während Verwissenschaftlichungsprozesse maßgeblich im Rahmen der Schwerpunktbildung vorangetrieben wurden, war das Interesse der Fakultät an neuen Professuren erst ab Mitte der 1960er Jahre stärker durch die Herstellung adäquaterer Betreuungsrelationen motiviert . An diesen Entwicklungen lässt sich 1966/67 eine Zäsur festmachen . Die Vielzahl der Studierenden erwies sich zur Legitimation der Ausbauwünsche gegenüber dem Kultusministerium und dem Wissenschaftsrat bis 1966 zwar als effektiv . Den notwendigen Ausbauwünschen des Fakultätsrats wurden aber vorwiegend die Motivationen der Professoren zugrunde gelegt, ihr Fach im Ausbauprozess wissenschaftlich auszudifferenzieren, um durch die neuen Teildisziplinen an Neuentwicklungen anzuschließen und Konkurrenz zu vermeiden . Zu den Anträgen des Fakultätsrats kamen Forderungen des Kultusministeriums im Rahmen des Art . 131 GG sowie hochschulpolitische Motive der Schwerpunktbildung . Noch Ende des Jahres 1964 hatte sich die Fakultät in den Beratungen der Eingaben an den Wissenschaftsrat allerdings „zunächst einstimmig“ der Auffassung der dafür eingesetzten Kommission angeschlossen, „dass sich die Erweiterung der Engeren Fakultät in engen Grenzen halten sollte“ .194 Der Fakultätsrat versuchte, die Expansion des Lehrkörpers möglichst zu begrenzen und erwies sich damit als ein hemmender Faktor im Prozess eines den steigenden Studierendenzahlen angepassten Ausbaus der Professuren . Indem sie eine adäquate Erweiterung der Professuren verhinderten, forcierten die Professoren schlechte Betreuungsrelationen und damit die „Überfüllungskrise“ . Mit der Kolleggeldreform wurde 1964 zumindest der finanzielle Vorteil, den Professoren durch überfüllte Hörsäle aufgrund des für Vorlesungen zu zahlenden Kolleggelds hatten, durch eine stetige Unterrichtsgeldabfindung abgelöst . Auch dadurch wurden Wege in Richtung Parallelprofessuren sowie für neue Unterrichtsformen frei . Wenngleich in den sehr großen Fächern bereits in den späten 1950er Jahren zögernd Parallelprofessuren eingeführt wurden, veränderte sich die professorale Einstellung zu deren Einführung erst nach 1966 . Ausschlaggebend für diesen Umschwung war demnach nicht zuletzt der Generationswechsel .195 So zeigte sich ein pragmatischerer Umgang mit der Fakultätsexpansion, i . e . ein verstärkter Ausbau der Professuren sowie verbesserte Betreuungsrelationen ab dem Zeitpunkt, als die Geburtsjahrgänge 1911–35
194 195
Fakultätsprotokoll v . 07 .11 .1964, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 211 . Das folgende Zitat ebd . Vgl . weiterführend Kap . 4 .
Studierende und Frequenzentwicklung
die Mehrheit der Engeren Fakultät stellten . So hatte sich noch 1964 der Anglist Hermann Heuer bei der Beantragung einer Professur für Anglistik dafür eingesetzt, dass „dieser Lehrstuhl einem speziellen Gebiet innerhalb der Anglistik vorbehalten wird“ und nicht zur Parallelprofessur werden sollte . Drei Jahre später plädierte hingegen eine Studie seines zwanzig Jahre jüngeren Kollegen Franz H . Link und des Fakultätsassistenten Dietrich Wittke (1937–2017) für eine starke Erweiterung der Lehrkapazitäten .196 Zumindest in der Zeitspanne, in der sich die neue Professor_innengeneration noch zu etablieren suchte, stand die Herstellung adäquater Studienbedingungen weit mehr im Vordergrund als die Sicherung von Status und ‚Schule‘ durch die prophylaktische Vermeidung etwaiger Konkurrenzverhältnisse . Im Kontext der veränderten Umstände wuchs zudem das Bewusstsein für die gesellschaftliche Notwendigkeit einer Universitätsexpansion . 3.2
Studierende und Frequenzentwicklung
Auslöser des Strukturwandels an der Philosophischen Fakultät war der Anstieg der Studierendenzahlen seit Mitte der 1950er Jahre . Die sogenannte Bildungsexpansion machte sich bundesweit zuerst an Philosophischen Fakultäten bemerkbar und wurde ab Ende dieser Dekade auch durch die Studierendenförderung nach dem Honnefer Modell unterstützt . Im Vergleich zum Ausbau der Professuren lassen sich in Bezug auf die Frequenzentwicklung zwei Phasen unterscheiden, die jeweils in zwei weitere unterteilt werden können: Die Rekonstitutionsphase 1945–52 lässt sich in eine Reetablierungsphase und eine Konsolidierungsphase gliedern und war von Zulassungsbeschränkungen sowie der Entwicklung des studium generale geprägt . 1953 setzte eine starke Wachstumsphase ein, die zehn Jahre anhielt und 1963 in eine Neukonsolidierungsphase mündete . Wie veränderte sich damit der Hochschulbesuch der Philosophischen Fakultät im Vergleich zur Frequenzentwicklung der anderen Freiburger Fakultäten sowie dem bundesweiten Anstieg der Studierendenzahlen an Universitäten und Philosophischen Fakultäten? Inwiefern veränderte sich im Zuge des Studierendenanstiegs auch die Zusammensetzung der Studierendenschaft? Welche Reformbedürfnisse bestanden von Studierendenseite aus und welche spezifischen Herausforderungen wurden in den verschiedenen Phasen jeweils als „Überfüllungskrise“ artikuliert?
196
Vgl . Link/Wittke (1969) .
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Die Expansion der Philosophischen Fakultät
3.2.1
Die Rekonstitutionsphase 1945–52
Ausnahmezustand und Zulassungsbeschränkungen In der unmittelbaren Nachkriegszeit sank die Studierendenanzahl auf ein Minimum . Im WS 1945/46 waren an der Universität insgesamt 1226 Studierende immatrikuliert, davon 287 in der Philosophischen Fakultät . Diese Anzahl beläuft sich auf ca . 36 % der Studierenden des Jahres 1943 mit 3436 Immatrikulierten, von denen fast die Hälfte Studentinnen waren .197 Die starke Reglementierung der Immatrikulation auf so wenige Studierende veranschaulicht den Ausnahmezustand der Freiburger Universität 1945/46 . Ca . 80 % der Universitätsgebäude waren zerstört, es herrschte chronischer Raummangel und ein Klima existenzieller Not . Als Hauptgrund für die Ablehnung von Studienbewerbungen wurde daher „Überfüllung“ angeführt:198 Immatrikulationsbeschränkungen entstanden in der unmittelbaren Nachkriegszeit aus der Notwendigkeit heraus, einen Umgang mit einer Situation zu finden, die von Kriegsfolgewirkungen, zerstörten Räumlichkeiten, den Anforderungen der Militärregierung sowie den zu integrierenden Kriegsheimkehrern, Flüchtlingen und Vertriebenen bestimmt war . Auch wurde in den späten 1940er Jahren davon ausgegangen, dass „das höhere Lehramt“ und andere akademischen Berufe „überfüllt“ seien .199 Daraus wurde die „Pflicht“ der Hochschulen abgeleitet, „ernstlich zu prüfen, ob der Bewerber das Universitätsstudium beginnen bzw . fortsetzen soll .“200 So erklären die Ausnahmezustände sowie die kurzfristig konstatierte Sättigung des Beschäftigungssystems zunächst die Rede von der „Überfüllungskrise“ . In der ersten Nachkriegszeit hatte sich die Universität Freiburg noch anders als ihre Nachbaruniversitäten dazu entschlossen, von Zulassungsbeschränkungen abzusehen . Während des NS war aber auch in Freiburg mehrfach die Immatrikulation limitiert worden, sodass die Universität keinen Präzedenzfall schuf, als sie 1945 die Zulassung erneut einschränkte . Die Zulassungskriterien sollten den geringen Kapazitäten sowie den Ansprüchen der Fakultät, der französischen Militärregierung und des Kultusministeriums Rechnung tragen .201 Jeder Fakultät wurde ein Kontingent an Studieren197 Mit Kriegsbeginn war die Universität Freiburg als „gefährdete Grenzlanduniversität“ bis Januar 1940 geschlossen worden . Als im WS 1942/43 ein Maximum von 3415 Studierenden erreicht wurde, setzte sie als erste im Reich die Anordnungen des Reichserziehungsminist . „zur Entfernung ‚ungeeigneter Studenten‘“ um . Auch im WS 1944/45 wurde die Zulassung beschränkt, für Frauen erschwert, den Studentinnen der Philos . Fak . komplett verweigert, vgl . Paletschek (2006a), S . 237, vgl . UA Freiburg Nr . B001/2750 . 198 Vgl . die Rektoratsinformation über die Zulassungsbeschränkungen zum Anschlag auf schwarzen Brettern der Universität, Bibliotheken, Institute und Seminare v . 04 .07 .1946, in: UA Freiburg Nr . B001/2750 . 199 [O . A .], „Das höhere Lehramt ist überfüllt“, in: BZ Nr . 71 v . 05 .09 .1947, S . 2, „Von den deutschen Hochschulen . Die Universität Freiburg gibt bekannt“, in: GUZ 4, no . 11 (1949), S . 17, vgl . W ., „Der akademische Nachwuchs . Aussichten und Möglichkeiten des Studiums“, in: BZ v . 06 .12 .1946, S . 6 . 200 „Von den deutschen Hochschulen . Die Univ . Freiburg gibt bekannt“, in: GUZ 4, no . 11 (1949), S . 17 . 201 Vgl . zu diesbezügl . Kompetenzstreitigkeiten im März 1947 die Berichte in UA Freiburg Nr . B001/2750 .
Studierende und Frequenzentwicklung
den zugeteilt, die über die Zahl an Exmatrikulationen hinaus neu zugelassen werden durften .202 Für die Menge an Zulassungsgesuchen, die für die Philosophischen Fakultät das Vierfache des vorgesehenen Kontingents ausmachten, galten folgende Auswahlkriterien: wissenschaftliche Qualität, politische Verfolgung oder Zurücksetzung versus politische Betätigung im NS, Kriegsteilnahme und Versehrtenstufe, regionale Zugehörigkeit und Flüchtlingsstatus, Alter und Geschlecht .203 Die französische Militärregierung verfügte im ersten Nachkriegsjahr über eine „Reinigung der Studenten“ und erteilte die Auflage, ehemalige „Fähnleinführer“ von HJ und BDM sowie frühere aktive Offiziere auszuschließen .204 Daher wurde im WS 1946/47 ein Fragebogen eingeführt, der neben Personalien, Vorbildung und Wehrdienst auch über die politische Betätigung Auskunft verlangte .205 Erst mit dem Inkrafttreten der Jugendamnestie in der französischen Besatzungszone wurde die Überprüfung zum WS 1947/48 nur noch in Einzelfällen durchgeführt .206 Offiziere mussten jedoch weiterhin die Erlaubnis der Militärregierung einholen .207 Von der Interalliierten Kommission kam sodann die Richtlinie, 10 % Flüchtlinge aufzunehmen .208 Für sie galt die Sonderregelung, dass sie nicht aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse durch Semesterabschlussexamina vom Studium ausgeschlossen werden durften .209 Im SoSe 1946 studierten an der Philosophischen Fakultät 43 als „staatenlos“ deklarierte oder aus Nord- und Osteuropa kommende „Zwangsverschleppte“ . Für französische und schweizerische Studierende galt diese Regelung nicht .210
202 Für das WS 1946/47 wurde das Kontingent auf 100 Zuzulassende festgelegt, im SoSe 1947 auf 70, wobei zusätzlich alle in Freiburg und Südbaden ansässigen Studierenden angenommen werden sollten . Presseberichten zufolge wurden im WS 1945/46 600 Neuzugänge abgewiesen, im SoSe 1946 900, im WS 1946/47 wurden 1400 Absagen erteilt, vgl . [o . A .], „Universitätsfeier 1947“, in: BZ Nr . 43 v . 30 .05 .1947, S . 5 . 203 Vgl . Rektor Allgeier an den Rektor d . Univ . Mainz v . 25 .10 .1946, in: UA Freiburg Nr . B001/2750 . 204 Dekan Brie an das Akad . Rektorat am 29 .12 .1945 betr . Reinigung der Studenten, in: UA Freiburg Nr . B003/77 . Der Beschluss wurde durch die Verfügung der frz . Militärregierung, Land Baden, Öffentl . Erziehung Nr . 125/EDU/U 2322/IV B relativiert, ehemalige Offiziere unter „Befürwortung durch den Rektor als Hörer zugelassen“, vgl . Dekan Med . Fak . Beringer an Rektor Allgeier v . 30 .04 .1946, in: UA Freiburg Nr . B001/2750 . 1947 wurde die Anordnung verstärkt, vgl . Rektor Dietze an Monsieur le Commissaire de la République Délégué Supérieur pour le Gouvernement Militaire de Bade, Freiburg, 14 .03 .1947, in: ebd . 205 Vgl . Zulassungsantrag z . Studium an d . Albert-Ludwigs-Universität, in: UA Freiburg Nr . B001/2750 . 206 Militärregierung in Deutschland/Baden . Leitung der Verwaltungsangelegenheiten . Kurator der Universität . Kommissar der Republik Pène an Rektor Dietze Nr . 111/Cab/D . A . A . JL/AP, betr . Bedingungen für die Zulassung zur Universität Freiburg, 20 .06 .1947, in: ebd ., vgl . die Antwort v . 30 .05 .1947, in: ebd . 207 Vgl . auch das Schreiben von Tellenbach an Monsieur le Curateur de l’université Commandant Lacant, Fribourg, 19 .09 .1947, in: ebd . mit der „besonders dringenden“ Bitte, Hermann Heidegger, Martin Heideggers Sohn und aktiver Offizier im Zweiten Weltkrieg, zum Studium zuzulassen . 208 Vgl . Rektor Allgeier an die Dekane v . 31 .06 .1946, in: UA Freiburg Nr . B001/2750 . 209 „Ohne meine Erlaubnis darf kein ausländischer Studierender, dessen Leistungen als ‚ungenügend‘ beurteilt werden, vom Studium ausgeschlossen werden .“ Militärregierung in Baden, Kommissar der Republik Pène Nr . 469/UN/4433/xxx b i . A . Lacant an Rektor Allgeier am 01 .07 .1946, in: UA Freiburg Nr . B003/77 . 210 Rektor an den Dekan der Philos . Fakultät v . 17 .05 .1946 Nr . 2128 A, in: UA Freiburg Nr . B003/77 .
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Sodann orientierte sich die Immatrikulationsbeschränkung an der Empfehlung des Badischen Innenministeriums, sich „bei der Einstellung von nichtbadischen Bewerbern“ zurückzuhalten und Landeskinder zu bevorzugen .211 Studierende aus Baden wurden im WS 1946/47 bei gleicher Qualifikation vorgezogen; ab 1947 wurden alle in Freiburg und Südbaden wohnhaften Studierenden über das festgesetzte Kontingent hinaus und ohne Altersgrenze angenommen .212 Der Anteil an Badener Studierenden betrug in der unmittelbaren Nachkriegszeit ca . 50 %, weit mehr als in den vorangegangenen zwanzig Jahren, und überstieg selbst die Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre verzeichneten Höchstwerte .213 An der regionalen Ausrichtung hielt die französische Militärregierung bis zum WS 1947/48 fest .214 Aus den Nachkriegsumständen resultierte auch die Maßnahme, Kriegsheimkehrern je nach Länge ihres Kriegsdienstes, Fronteinsatzes oder Versehrtenstatus’ bei der Zulassung Vorrang zu gewähren . Daran gekoppelt waren die Reglementierungen ausgehend von Alter und Geschlecht, die – so der „Bericht über die Zulassung zum Studium für das Wintersemester 1946/47“ – „zum ersten Mal“ eingeführt wurden .215 Die Festsetzung einer Altersgrenze von mindestens 20 Jahren stellte tatsächlich eine bisher ungekannte Auflage dar . Von dieser neuen Regelung waren nur Freiburger Studierende ausgenommen, die den obligatorischen zweimonatigen „Arbeitsdienst“ zum Wiederaufbau der Universität geleistet hatten .216 Die Beschränkung der Studentinnenanteile hingegen fußte auf Erfahrungswerten, die während des NS gesammelt worden waren .217 Zu Beginn des NS waren Zulassungsbeschränkungen erlassen worden, die sich in erster Linie gegen „Nichtarier“ (1,5 %-Quote), aber auch kurzzeitig gegen Frauen gerichtet hatten .218 Die Richtlinie des Reichsinnenministers Frick vom 28 .12 .1933, nach der maximal 15 .000 Abiturient_innen des Jahrgangs 1934 die Hochschulreife erhalten sollten, davon nur 10 % Frauen, war kurzfristig auch vom badischen Kultusministerium bis zur Aufhebung dieser Höchstzahlen im Juli 1934 umgesetzt worden .219 211 Bad . Ministerium des Innern, Frz . Besatzungsgebiet Nr . 2365, der von der Militärregierung mit der Leitung Beauftragte Hauser an die staatl . Dienststellen und Oberbürgermeister am 09 .02 .1946, in: ebd . 212 Vgl . Senatsbeschluss v . 22 .01 .1947 betr . Neuimmatrikulationen, in: UA Freiburg Nr . B001/2750 . 213 Vgl . die Liste bad . Studierender, in: ebd ., vgl . die Angaben in Albert-Ludwigs-Universität (1944–70a) . 214 Militärreg . in Deutschland/Baden . Leitung der Verwaltungsangel . Kurator der Univ . Pène an Rektor Dietze, Nr . 111/Cab/D . A . A . JL/AP, betr . Bedingungen für die Zulassung zur Universität, v . 20 .06 .1947, in: UA Freiburg Nr . B001/2750, vgl . die Antwort des Rektorats an Monsieur le Commissaire de la République Délegué Supérieur pour le G . M . de Bade Curateur de l’Université, Nr . 1165 am 07 .07 .1947, in: ebd . 215 Bericht über die Zulassung zum Studium für das WS 1946/47 v . 30 .09 .1946, S . 1, in: ebd . 216 Alle Studierenden waren bis 1948 zu Aufbauleistungen verpflichtet . Höhere Semester mussten statt acht nur eine „Woche“, konkret 56 Stunden, arbeiten, vgl . Helga Baitsch, „Die 56 Stunden der Studenten“, in: BZ Nr . 28 v . 07 .05 .1946, S . 6, W . M ., „Studenten, Währung, Selbsthilfe und Staat“, in: BZ Nr . 52 v . 02 .07 .1948, S . 5, vgl . Rektor Allgeier an den Rektor der Univ . Mainz v . 25 .10 .1946, in: UA Freiburg Nr . B001/2750, vgl . Kurator Lacant an Rektor Allgeier v . 22 .10 .1946, in: ebd . 217 Vgl . ausführlich Schallner (2011) . 218 Vgl . Huerkamp (1996), vgl . Olenhusen (1966), S . 178, Anm . 20 . 219 Vgl . Paletschek (2006a), S . 238 .
Studierende und Frequenzentwicklung
Im WS 1944/45 war die Zulassung für Studentinnen an der Philosophischen Fakultät erneut auf ein Viertel aller Studierenden beschränkt worden .220 Im WS 1946/47 wurde dieser Richtwert an der Philosophischen und der Medizinischen Fakultät über-, an der Staats- und Rechtswissenschaftlichen, der Naturwissenschaftlich-Mathematischen sowie der rein männlichen Theologischen Fakultät hingegen unterschritten .221 Da sich in vielen Fächern „erfahrungsgemäß weit weniger als 25 % weibliche Bewerber“ meldeten, wurde im Sommersemester 1947 eine „elastische und vernünftige Anwendung“ der Quotierung angestrebt .222 Vor wie nach 1945 materialisierten sich in den Zulassungsbeschränkungen für Frauen tradierte Ressentiments von Universität als originär männlicher Domäne, die als Ängste vor Niveauverlust und Nivellierung artikuliert wurden – insbesondere Frauen mit hauswirtschaftlichem Abschluss gegenüber, den sogenannten „Koch-“ oder „Puddingabiturientinnen .“223 Die Vorbehalte wurden von Professoren wie auch von Studenten vertreten, die angesichts der vermeintlichen „Überzahl weiblicher Studierender“ fürchteten, dass ihre Fakultät Gefahr laufe, „aus einer Stätte strenger und männlicher Wissenschaft zum ‚schöngeistigen Salon‘ zu werden .“224 Sie fassten den Studentinnenanteil von über 25 % als kurzfristige Begleiterscheinung der Kriegsumstände, mitnichten aber als dauerhaft erstrebenswerten Zustand auf . Diesbezüglich wandten sie sich an die Universitätsleitung und forderten: „Einstmals kriegsbedingte Verhältnisse müßten sich auch hier allmählich wandeln!“ Das Ansinnen, die studentischen Frauenanteile zurückzuschrauben, wurde in der Öffentlichkeit nicht widerspruchslos hingenommen . Über das Kultusministerium erreichte im November 1946 ein Brief des SPD Parteivorstands Arno Hennig die Universität Freiburg . Darin schloss Hennig sich „vorbehaltlos“ dem Antrag der SPDFrauen-Arbeitstagung in Frankfurt a . M . vom 5 . und 6 . November 1946 an, der die Beschränkung des Frauenanteils als „unerträgliche[n] Eingriff in die menschlichen Freiheitsrechte“ verurteilte und die „verfassungsmäßig garantierte Gleichberechtigung der Frauen“ einklagte . Alle maßgeblichen Stellen wurden dazu aufgefordert, „Frauen zu allen Fakultäten mindestens in gleicher Zahl wie männliche Studierende“ zuzulassen .225
220 Bericht über die Zulassung zum Studium für das WS 1946/47 v . 30 .09 .1946, S . 1, 4–5, in: UA Freiburg Nr . B001/2750 . Das Verhältnis männl . u . weibl . Studierender wurde auf 3:1 festgelegt . An der Universität Hamburg wurden gar keine weiblichen Erstsemester zugelassen, vgl . Schildt/Siegfried (2009), S . 41 . 221 Bauer an das Rektorat betr . Immatrikulation WS 1946/47 v . 05 .03 .1947, in: UA Freiburg Nr . B001/2750 . 222 Der Rektor der Universität an die Dekane, Freiburg, 14 .01 .1947, in: ebd . 223 Süss (1943), S . 18, vgl . S . 17, 23, vgl . die Briefe zw . Rektorat u . Oberstudienrat Viermeisel, in: UA Freiburg Nr . B001/2750 . Zur Med . Fak . vgl . Hoffmann, Dekan d . Med . Fak . an den Rektor am 06 .03 .1945 betr . Erfahrungen über die Aufnahme von Studierenden für das SoSe 1946 und WS 1946/47, in: ebd . 224 Studierende Kriegsheimkehrer an das Akad . Rektorat der Albert-Ludwigs Universität v . 23 .06 .1946 betr . Abschaffung von Prüfungsbestimmungen, in: UA Freiburg Nr . B001/2750 . Das folgende Zitat ebd . 225 SPD Deutschlands . Der Parteivorstand Arno Hennig, Hannover, 18 .11 .1946, an die Kultusministerien der drei Westzonen bzw . an die Kulturdezernate der freien Städte Hamburg, Bremen, in: ebd .
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Die Expansion der Philosophischen Fakultät
Die Auflage, dass der „Anteil der Mädchen 25 % nicht übersteigt“, von 1947 an dann, dass „unter den mit absoluter Priorität anzunehmenden Studierenden die Mädchen nicht überwiegen“, wurde schließlich aufgehoben .226 Der Gesamtanteil an Studentinnen, der 1946–47 auf 36 % gesunken war, stieg im Sommersemester 1947 wieder auf fünfzig Prozent an, sank aber 1949 wieder auf ca . 40 % und pendelte sich bis 1954 auf diesem Niveau ein (vgl . Abb. 7, Abb. 8) . Propädeutische Kurse, studium generale, neue Prüfungsordnungen Als ein dauerhaftes universitätsspezifisches Zulassungskriterium galt „in erster Linie“ die „Qualität“ bzw . die „geistige Qualifikation“ der Studienanwärter_innen .227 Diese Auswahl erfolgte auf der Grundlage von Abiturzeugnissen, die mindestens mit der Gesamtnote „Gut“ abgeschlossen sein mussten, sowie von Zwischenprüfungen anderer Hochschulen . Als Alternative dazu war eine Prüfung „auf Kenntnis und Intelligenz“ vorgesehen,228 die von den Professoren und Mittelschullehrern der Propädeutischen Abteilung durchgeführt wurde . Die Propädeutische Abteilung wurde am 27 . Juli 1945 zur „Verbesserung der geistigen Vorbildung“ eingerichtet .229 Die Leitung übernahm 1945 Ritter, ihn vertrat Oberstudiendirektor Breithaupt, der Direktor des Friedrichgymnasiums Freiburg . Im Oktober 1946 löste Max Müller Gerhard Ritter als Leiter der propädeutischen Kurse ab . Die Aufnahmeprüfung war vor allem für diejenigen Studienbewerber_innen gedacht, die statt eines vollgültigen Abiturzeugnisses lediglich das „Notabitur“ der Jahre 1942–45 vorweisen konnten .230 Sie mussten sich an den Aufnahmeausschuss der propädeutischen Abteilung wenden, der über die Notwendigkeit der Teilnahme an den Propädeutika entschied .231
226 Vgl . die Akten zur Senatssitzung v . 09 .07 .1947, vgl . Akad . Rektorat an Monsieur le Commissaire de la République Délegué Supérieur pour le G . M . de Bade Curateur de l’Université, v . 07 .07 .1947, in: ebd . 227 Bericht über die Zulassung zum Studium für das WS 1946/47 v . 30 .09 .1946, S . 2, in: ebd ., vgl . Senatsbeschluß v . 22 .01 .1947 betr . Neuimmatrikulationen SoSe 1947, in: ebd . 228 Ebd . Die Auflage erhielt sich und wurde sogar noch verschärft, als die Fakultät als Zulassungsminimum ein „Reifeprüfungsergebnis von 13 Punkten“ verlangte, s . Fakultätsprotokoll v . 04 .02 .1950, S . 260 . 229 Bericht Sigurd Janssen 1958 über den Zeitraum 24 .09 .–19 .12 .1945, S . 13, in: UA Freiburg Nr . B034/1082, vgl . Fakultätsprotokoll v . 06 .08 .1945, in: UA Freiburg Nr . B003/798 . 230 Vgl . etwa Rüdiger Frank, „Die Neuordnung des Schulwesens . Eine Unterredung mit Ministerialrat Wohleb“, in: Freiburger Nachrichten 1 .14 v . 16 .10 .1945 . 231 „Bei allen künftigen Bewerbungen um Neuimmatrikulation prüfen die Dekane die Zulänglichkeit des Reifezeugnisses und überweisen unklare Fälle an die Propädeutische Abteilung“, Senatsbeschluss v . 05 .06 .1946, Prorektor Büchner an die Dekane am 03 .07 .1946, in: UA Freiburg Nr . B001/2750, vgl . „Von den deutschen Hochschulen . Freiburg“, in: GUZ 1, no . 17 (1946), S . 17 .
Studierende und Frequenzentwicklung
Während sich die Versuche, die Studierendenanzahl durch Semesterabschluss- oder Zwischenprüfungen zu verringern,232 an der Philosophischen Fakultät aufgrund der Überlastung der Lehrenden233 sowie Protesten der Studierenden234 als kaum durchführbar erwiesen,235 etablierten sich die Propädeutika als Mittel der Studierendenauswahl und -vorbereitung zunächst recht erfolgreich .236 1946–49 wurde die Zulassung für die beiden ersten Semester an die „Verpflichtung zur Teilnahme an den Propädeutischen Kursen“ gekoppelt .237 Das Ziel dieser Kurse ist einerseits eine Förderung begabter, anderseits eine Aussiebung für wissenschaftliches Studium ungeeigneter junger Leute – beide gleich nötig angesichts der Tatsache, daß unsere Hochschulen künftig noch mehr als früher genötigt sind, ihre Lehrtätigkeit auf eine qualitativ hochstehende Auswahl von Studierenden zu beschränken .238
Im April 1946 war dieser Prognose der Badischen Zeitung zufolge noch keine Aufhebung der Zulassungsbeschränkungen in Sicht . Auch nach dem Erlass der Jugendamnestie im WS 1947/48 bestimmte die Auflage, Studierende abzulehnen, bei denen „Verstöße gegen den Geist der Universität zu befürchten“ seien sowie der neue Auswahlgrundsatz der „geistigen Qualifikation“ die Auswahl .239 Mit diesem Terminus wurden die Propädeutika von einem „gymnasialen Repetitorium“ abgegrenzt und nicht als Alternative zu Abiturzeugnissen, sondern als Voraussetzung sui generis begriffen .240 Die Reifezeugnisse reichten zur Beurteilung der geistigen Qualifikation nicht aus, da dieses Auswahlprinzip zu schematisch sei und die höhere Schule „grundsätzlich andere Zwecke als die Universität“ verfolge:241 „Geistige Disziplin“ unter „straffer Führung“ wurde der „akademischen Freiheit“ entgegengesetzt, die sich durch das 232 Vgl . Rektor der Univ . i . A . Prorektor Büchner an die Dekane, 30 .04 .1946 Nr . 1885, in: UA Freiburg Nr . B001/2750, vgl . Rektor Allgeier an die Dekane am 31 .06 .1946, in: ebd . 233 Vgl . Dekan Brie, Philos . Fak . an das Akad . Rektorat Nr . 1108, Freiburg, 11 .03 .1946, in: ebd . 234 Vgl . Studierende Kriegsheimkehrer an das Akad . Rektorat am 23 .06 .1946 betr . Abschaffung von Prüfungsbestimmungen, in: ebd . Aufgrund der Intervention von Studierenden waren zum WS 1946/47 vom Senat keine Semesterabschlussprüfungen vorgesehen . Den Fakultäten stand es aber frei, Abschlussprüfungen durchzuführen, solange sie „ihre studentischen Vertreter zu Beratungen der einschlägigen Bestimmungen“ heranzogen, vgl . Rektor an die Dekane v . 14 .01 .1947, in: ebd . 235 Über die Zulassungsanträge beschloss seit dem SoSe 1947 in jeder Fakultät ein Ausschuss, der neben dem Dekan, einem weiteren Fakultätsmitglied, dem Prorektor oder seinem Vertreter auch einen Studierendenvertreter umfasste, vgl . Senatsbeschluß v . 22 .01 .1947 betr . Abschlußprüfung im WS 1946/47, in: ebd . 236 Vgl . zu den propädeutischen Kursen Tellenbach (1951a) . 237 „Von den deutschen Hochschulen . Die Universität Freiburg gibt bekannt“, in: GUZ 4, no . 11 (1949), S . 17 . 238 [O . A .], „Der studentische Nachwuchs“, in: BZ Nr . 24 v . 24 .04 .1946, S . 6 . 239 Vgl . Rektor an die Dekane v . 14 .01 .1947, Bericht Zulassung zum Studium für das WS 1946/47 v . 30 .09 .1946, S . 2, in: UA Freiburg Nr . B001/2750 . 240 Vgl . Schnitzler (2002), S . 300, 306 . 241 Vgl . „Über den Begriff der geistigen Qualifikation . Erläuterungen zu den Grundsätzen für die Neuimmatrikulationen im WS 1947/48,“ in: UA Freiburg Nr . B001/2750 . Die folgenden Zitate ebd .
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Die Expansion der Philosophischen Fakultät
„Risiko des Misslingens“ sowie „geistige Selbstständigkeit“ auszeichne . Diese Kompetenzen, die sich „früher“ durch „Auslese der freien Konkurrenz“ hätten entwickeln können, müssten angesichts des „herrschenden Andrang[s]“ nun schon zu Beginn des Studiums ermittelt werden . Dazu wurde der Besuch eines humanistischen Gymnasiums empfohlen . Am 9 . Juni 1946 hatte der vertretende Leiter der propädeutischen Kurse Breithaupt den Senat der Universität Freiburg darum gebeten, „sich des gymnasialen Latein-Unterrichts schützend annehmen zu wollen“ .242 Angesichts des von der Militärregierung verpflichtend eingeführten Französischunterrichts argumentierte er, dass die Konzentration auf alte Sprachen „nur für kurzsichtige Beurteiler wirklichkeitsfremd und unmodern“ erscheine: „[U]nsere entsetzliche Kulturkrise“ erfordere vielmehr eine „Heilung“ im Sinne einer „wahrhaft humanistischen Neubesinnung und Neuorientierung in allem Geistigen und Sittlichen“, die an die „große, universale Bildungsaufgabe“ humanistischer Gymnasien gebunden sei .243 Auf der Grundlage dieses Schreibens lancierte der Senat einen Presseartikel, der am 12 . Juni 1946 in der Badischen Zeitung erschien .244 Darin äußerte er seine „Überzeugung, dass das Humanistische Gymnasium die beste Vorbildung für jedes Hochschulstudium“ biete und trat „mit Nachdruck“ für die Pflege alter Sprachen ein . Diese Stellungnahme, die ohne die Naturwissenschaftlich-Mathematische Fakultät verabschiedet worden war, provozierte einen Konflikt mit deren Dekan Staudinger . Er unterbreitete einen Gegenvorschlag, „der die Umwandlung des antiken Humanistischen Gymnasiums in ein modernes Humanistisches Gymnasium“ vorsah, da „das wesentliche Gedankengut der heutigen Kulturwelt nicht in der lateinischen, sondern in den nationalen Sprachen niedergelegt“ sei .245 Er betonte die Unerlässlichkeit internationaler Fachlektüre im Original für die Studierenden der Naturwissenschaftlich-Mathematischen und der Medizinischen Fakultät und vermutete ähnliche Entwicklungen in den Geisteswissenschaften . Seiner Bitte, diese Vorschläge „der Presse zur Kenntnis zu bringen“, entsprach der Senat jedoch nicht; es blieb bei dem traditionellen Verständnis des humanistischen Bildungsideals .246 Entsprechend fand die Übersetzung eines lateinischen Textes Eingang in die propädeu-
242 Dr . Max Breithaupt, Direktor des Friedrichgymnasiums und Leiter des studium generale an den Senat am 03 .06 .1946, in: UA Freiburg Nr . B001/2750 . Die folgenden Zitate ebd . 243 „Der Latein-Unterricht an den Höheren Schulen des Französischen Besatzungsgebietes – in Sonderheit Badens“ . Anlage des Schreibens von Max Breithaupt, in: ebd . Die folgenden Zitate ebd . 244 Vgl . Entschließung des Senats v . 05 .06 .1946 . gez . 07 .06 .1946, in: ebd ., vgl . [o . A .], „Für den Unterricht in den alten Sprachen“ und [o . A .], „Die alten Sprachen“, in: BZ v . 12 .06 .1946 . 245 Brief Hermann Staudingers an den Senat v . 15 .06 .1946, in: ebd . Die folgenden Zitate ebd . 246 In der Konzeption und Lehre der propädeutischen Kurse spiegelte sich das elitäre und idealistische Selbstverständnis wider, das die Professoren der Philos . Fak . nach 1945 hochhielten, vgl . ausführlich Kap . 5 .1 .3 . Noch 1965 erklärte der Fakultätsrat, dass an „den Vorschriften für das Große Latinum […] nichts geändert werden“ dürfe, vgl . Kleine Fakultas . Stellungnahme der Fakultät . Anlage zu Punkt 1 d . Fakultätsprotokolls v . 26 .06 .1965, in: UA Freiburg Nr . B003/798, S . 400–401, vgl . Kap . 3 .3 .2 .
Studierende und Frequenzentwicklung
tischen Abschlussprüfungen,247 die zwar von allen Studierenden absolviert werden mussten, aber rein geisteswissenschaftlich ausgerichtet waren .248 Die Propädeutika waren vor dem Hintergrund entwickelt worden, dass viele Studierende nur das Notabitur aufwiesen, die Schulbücher revidiert und der Geschichtsunterricht an Schulen zunächst komplett ausgesetzt wurde . Im Zuge des Wiederaufbaus sprach sich der badische Staatspräsident und Kultusminister Wohleb ebenso wie der Universitätskurator der französischen Militärregierung Lacant gegen ihre Fortführung aus . Wohleb blieb bei seiner 1945 veröffentlichten Auffassung, dass die Kurse zwar „zur Vorbereitung der durch den Krieg zu kurz gekommenen Studienanwärter“ notwendig waren, jedoch „nicht als dauernde Vorsemester beibehalten“ werden sollten .249 Mit der Reform des Abiturs 1947 sollte die Propädeutik wieder an die Schulen verlagert werden .250 Im Studienjahr 1948/49 blieb die Universitätszulassung zwar weiter an die „Verpflichtung zur Teilnahme an den Propädeutischen Kursen“ gekoppelt,251 im WS 1949/50 erfolgte jedoch die Umwandlung der Propädeutika in ein „studium generale“ .252 Damit wurden auch die Naturwissenschaften in den Kanon der für alle Studierenden obligatorischen Kurse aufgenommen .253 Mit dem Wiederaufbau der universitären Infrastruktur entfielen im SoSe 1950 schließlich die propädeutischen Abschlussprüfungen . Ab dem folgenden Semester erfolgte der Besuch des studium generale freiwillig .254 Die Zugangsbeschränkungen wurden daraufhin vollends aufgehoben .
Vgl . UA Freiburg Nr . C0157/492, Nr . C0157/493 . Das entsprach nur teilweise der historischen Argumentation der Zeitgenossen, die sich an der propädeutischen Funktion der Philosophischen Fakultät vor 1832 orientierten, denn bis 1910 hatten auch mathematisch-naturwissenschaftliche Fächer zu dieser Fakultät gehört . 249 Rüdiger Frank, „Die Neuordnung des Schulwesens . Eine Unterredung mit Ministerialrat Wohleb“, in: Freiburger Nachrichten 01 .14 v . 16 .10 .1945 . 250 Die Wiedereinführung des Abiturs als Zulassungsvoraussetzung, die die Philosophische Fakultät wieder von ihrer propädeutischen Funktion entlastete, führte in Freiburg dazu, dass Rektor Tellenbach den Höheren Schulen Vorschläge über „Auslese, die Zulassungen, die Begabtenförderung und das ‚studium generale‘ unterbreitete, da „die Hochschule unmittelbar auf die Hebung und Wahrung des Niveaus der Höheren Schulen angewiesen“ sei, diese Selektionsaufgaben aber nicht mehr selbst übernehmen dürfe (Tellenbach (1963[1949]e), S . 71) . 251 Vgl . Akad . Rektorat an Monsieur le Commissaire de la République Délegué Supérieur pour le G . M . de Bade Curateur de l’Université, Nr . 1165 betr . Bedingungen für die Zulassung v . 07 .07 .1947, in: UA Freiburg Nr . B001/2750, vgl . „Vorbemerkung für die Studierenden . Propädeutische Kurse für erste und zweite Semester“, in: Albert-Ludwigs-Universität (1948/49a), vgl . „Von den deutschen Hochschulen . Die Universität Freiburg gibt bekannt“, in: GUZ 4, no . 11 (1949), S . 17 . 252 Tellenbach setzte die Umbenennung in studium generale im Senat zum SoSe 1949 durch, vgl . Schnitzler (2002), S . 318 . Zum studium generale vgl . Broschert (2009), Faßnacht (2000) . 253 Vgl . Albert-Ludwigs-Universität (1949/50a) . Obligatorisch für die Studierenden aller Fakultäten waren bis zum SoSe 1949 allein geisteswiss . Vorlesungen, vgl . B . B ., „Zwischen Schulbank und Studium . Die propädeutische Abteilung der Freiburger Universität“, in: BZ Nr . 34 v . 30 .04 .1948, S . 4 . 254 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 22 .07 .1949, in: UA Freiburg Nr . B003/798, vgl . Albert-Ludwigs-Univ . (1950a) . 247 248
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Die Expansion der Philosophischen Fakultät
3.2.2
Die Wachstums- und Neukonsolidierungsphase 1953–70
Der steile Anstieg der Studierendenzahlen 1953–63 In den 1950er Jahren wurde in Freiburg wie auch bundesweit ein historisch neuartiges Phänomen zur „Überfüllungskrise“ erklärt . Die Überfüllungskrise wurde nicht wie im 19 . Jahrhundert oder auch noch 1945 auf der Grundlage einer Sättigung des Beschäftigungssystems ausgerufen . Vielmehr resultierte die Überfüllung der Universitäten der 1950er Jahre aus den unzureichenden universitären Ausbildungskapazitäten und den bisher ungekannt schlechten Betreuungsrelationen . In der von akademischem Fachkräftemangel geprägten Arbeitsmarktsituation hielt der durchaus beachtliche Ausbau der Professuren mit dem Frequenzanstieg nicht Schritt . Die Zahl der an der Philoso12000 10000
Abb. 3 Frequenzentwicklung der Philos. Fak. und der Universität Freiburg 1946–69
8000 6000
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87 18 91 18 95 18 99 19 03 19 07 19 11 19 15 19 19 19 23 19 27 19 31 19 35 19 39 19 43 19 47 19 51 19 55 19 59 19 63 19 67 19 71
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Studierende Philos. Fakultät
Studierende Universität Freiburg
Abb. 4 Frequenzentwicklung der Philos. Fak. und der Universität Freiburg 1871–1970255
255 Bildrechte: C . Klein . Die diesen und der folgenden Grafik zugrundeligenden Zahlen sind den Angaben in den Vorlesungsverzeichnissen entnommen, vgl . Albert-Ludwigs-Universität (1944–70a) .
Studierende und Frequenzentwicklung
phischen Fakultät Immatrikulierten stieg zwischen dem Nachkriegssemester 1945/46 und dem WS 1969/70 von einem Minimum an 287 Studierenden auf fast das Vierzehnfache, 3970 Studierende (vgl . Abb. 3) . Bereits im WS 1947/48 hatte die Philosophische Fakultät den Höchststand von 850 Studierenden im Jahr 1930 hinter sich gelassen . Die Studierendenzahlen bewegten sich 1948–54 um die tausend, 1957 waren zweitausend, 1960 dreitausend Studierende an der Philosophischen Fakultät immatrikuliert . Ab 1963 pendelte sich die Frequenz auf einem Level zwischen 3600 bis 4000 Studierenden ein . Der Zeitraum zwischen dem WS 1954/55 und 1962/63 bezeichnet damit die stärkste Expansionsphase an der Philosophischen Fakultät 1945–70 . Dieser Anstieg übertraf die Expansionsphase Ende des 19 . Jahrhunderts bei Weitem (vgl. Abb. 4) . Die steigenden Studierendenzahlen gingen in den 1950er Jahren mit einem durch den Marshallplan initiierten Wirtschaftsaufschwung einher: Dieses Wirtschaftswachstum wie auch der rasante Frequenzanstieg stellen deutliche Unterscheidungskriterien zwischen der Ersten und Zweiten Nachkriegszeit dar . Die auffällige Konzentration des Frequenzwachstums auf die Philosophische Fakultät (vgl . Abb. 5) war hingegen keine Besonderheit . Vielmehr gehen die „Wachstumswellen“ an Philosophischen Fakultäten Titzes Längsschnittanalyse zufolge dem Frequenzanstieg an anderen Fakultäten „mit bemerkenswerter Regelmäßigkeit“ voraus .256 Ab dem SoSe 1947 waren an der Philosophischen Fakultät mehr Studierende immatrikuliert als in der Medizinischen und der Naturwissenschaftlich-Mathematischen . Bis zum WS 1957/58 stellte sie die zweitgrößte Fakultät nach der Staats- und Rechtswissenschaftlichen dar . 1958 löste sie diese mit einem Vorsprung von mehr als 500 Studierenden als größte Freiburger Fakultät ab . Dieser Trend setzte sich fort . 1960–70 betrug die Differenz der Studierendenanzahl der Philosophischen und der Staats- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät mindestens 1000 Studierende, ab dem WS 1961/62 bis zum SoSe 1965 gar ca . 1500 . Prozentual steigerte sich damit der Anteil der Philosophischen Fakultät an der Gesamtstudierendenzahl der Universität Freiburg von 25 % (1954) auf knapp 35 % (1964), während umgekehrt der Anteil der Staats- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät von ca . 35 % auf 20 % fiel . Ähnlich wie an der Philosophischen machten auch die Studierenden der Medizinischen Fakultät 1964 mit 30 % einen sehr viel größeren Anteil aller Freiburger Studierenden aus, als das 1954 noch der Fall gewesen war (20 %) . Hingegen sank der relative Anteil an Studierenden der Naturwissenschaftlich-Mathematischen Fakultät von 20 % auf 15 %, obgleich die Studierendenanzahl auch in dieser Fakultät stieg . Die Theologische Fakultät machte mit ihrem geringen Studierendenaufkommen ca . 4 % aller Studierenden aus (vgl . Abb. 5) .
256
Titze (1990), S . 489 .
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Die Expansion der Philosophischen Fakultät
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80% 70% 60%
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Abb. 5 Frequenzentwicklung der Freiburger Fakultäten im Vergleich 1945–70
Anders als die Philosophische führte die Medizinische Fakultät, in der sich die Studierendenanzahl 1955–63 alle vier Jahre um ca . 1000 Studierende erhöht hatte, 1966 Zulassungsbeschränkungen ein . Deren bis Ende der 1960er Jahre auf ein Niveau von ca . 2200 Studierende sinkende Frequenz lässt sich auf diese Maßnahme zurückführen . Obgleich die Zulassung an der Philosophischen Fakultät nicht beschränkt wurde, pendelte sich auch die Anzahl ihrer Studierenden ab 1963 bei ca . 3800 ein . Das lässt sich zum einen darauf zurückführen, dass der relative Schulbesuch 1957–61257 stagnierte
257
Vgl . Lundgreen (1981), S . 63 .
Studierende und Frequenzentwicklung
und sich zeitlich versetzt dazu auch auf die Anzahl der Studierenden auswirkte . Das eingeschränkte Wachstum ab 1963 lässt sich in Freiburg zudem durch den Ausbau der Lehrerseminare im Zuge der Gründung der Freiburger Pädagogischen Hochschule 1962 erklären sowie später durch die Neugründung von Reformuniversitäten andernorts .258 So nahm die Studierendenanzahl der historischen, sprach- und kulturwissenschaftlichen Fächer im bundesdeutschen Durchschnitt bis 1970 weiterhin stark zu, während sie an der Philosophischen Fakultät Freiburg nur noch leicht anstiegen . Insgesamt zeigt sich, dass die Philosophische Fakultät in den Jahren 1955–69 eine höhere Wachstumsrate verzeichnete als die Universität Freiburg (vgl . Abb. 6) . Ein Vergleich der Wachstumsrate der Studierendenanzahl aller kultur- und sprachwissenschaftlichen Fächer bundesweit mit der Gesamtstudierendenanzahl aller bundesdeutschen Universitäten ergibt zudem, dass sich das besonders starke Frequenzwachstum an Philosophischen Fakultäten in den Anfangsjahren der sogenannten Bildungsexpansion auch bundesweit feststellen lässt . Allerdings schlug sich der „Knick“ in der Wachstumsrate Anfang der 1960er Jahre bundesweit nicht so deutlich nieder wie an der Universität Freiburg und insbesondere an deren Philosophischen Fakultät . Nach einer kurzen Stagnation aufgrund kleinerer Jahrgänge setzte sich bundesweit das Wachstum mit der Gründung der Reformuniversitäten verstärkt fort . Die Frequenz der Philosophischen Fakultät Freiburg hingegen erhöhte sich lediglich geringfügig .
Abb. 6 Wachstumsrate der Studierendenanzahl (Ausgangsjahr 1955, in %)259
258 Vgl . zum Ausbau der PHs Fakultätentag Aachen . Sitzungsprotokoll v . 27 ./28 .10 .1964, S . 3, in: UA Freiburg Nr . B003/208 . Vgl . zu den Studierendenzahlen der PH Freiburg ab 1963 Hermann/Daubert (1987), S . 236–237, zu denen der Lehramtsseminare vor 1963 vgl . Hug (1987b), S . 98 . 259 Bildrechte: C . Klein . In dieser Grafik werden die Wachstumsraten der Frequenz der Philosophischen Fakultät und Universität Freiburg, die auf den Daten in den Vorlesungsverzeichnissen (Albert-LudwigsUniversität 1944–70a) beruhen, mit der Wachstumsraten aller Studierenden an bundesdeutschen Univer-
97
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Die Expansion der Philosophischen Fakultät
Das Wachstum der Studierendenzahlen an Philosophischen Fakultäten kennzeichnete die Freiburger Universität ebenso wie die anderen bundesdeutschen und westeuropäischen Universitäten .260 Konnten diese Prozesse in der Bundesrepublik zuerst auf die Integration der Flüchtlinge nach 1945 und auf den Eintritt der geburtenstarken Jahrgänge der 1930er Jahre zurückgeführt werden, zeigte sich schon bald, dass es sich bei dem gestiegenen Bedarf um keine kurzfristige Ausnahmeerscheinung handelte . Bewegten sich die Studierendenzahlen 1945 bundesweit auf einem Minimum, hatten sie sich fünf Jahre nach Kriegsende schon über dem Vorkriegsmaximum von 1930 eingependelt . 1955–65 verdoppelten sie sich, bis 1975 vervierfachten sie sich .261 Ökonomischen Anlass für den Frequenzanstieg mit zunehmend weiblichen und auch internationalen Anteilen262 gaben verstärkte Globalisierungsprozesse bei einem wachsenden Anteil an Dienstleistungsberufen in der Bundesrepublik, die eine akademische Qualifizierung erforderten .263 Die vorauseilenden Ängste vor der studentischen „Masse“, „der Arbeitslosigkeit der Geistesarbeiter“ und einem akademischen Proletariat der späten 1940er Jahre bestätigten sich in den folgenden zwei Jahrzehnten nicht . In Zeiten des boomenden Wiederaufbaus herrschte Vollbeschäftigung und Fachkräftemangel . Die Nachfrage nach hochqualifiziertem, akademisch gebildetem Personal trieb gesellschaftliche Akademisierungsprozesse voran .264 Schon für einige Zeitgenossen stand fest, dass sich „hier eine zunehmende ‚Akademisierung‘ vieler Berufszweige“ zeigte, „sowohl im öffentlichen Leben, als auch in der Wirtschaft .“265 Hochschulpolitisch wurde der gestiegene Bedarf an akademischen Fachkräften mit der Einführung des Honnefer Modells der Studienförderung 1957 unterstützt, das 1971 durch das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) abgelöst wurde . Damit wurden ab dem WS 1957/58 erste Anstrengungen zur pekuniären Unterstützung von Studierenden unternommen, finanzielle Barrieren zum Hochschulzugang teilweise abgebaut und die Verminderung der langen Studienzeiten der „Werkstudenten“ angestrebt . Der Frequenzanstieg wurde so auch auf die verlängerten Studienzeiten zurückgeführt, die auf das „Werkstudententum“ verwiesen, aber an der Philosophischen Fakultät auch mit der fehlenden Struktur des Studiums zusammenhingen .266 sitäten sowie der Studierenden aller Sprach- und Kulturwissenschaften samt der Studierenden der Politikwissenschaft an Hochschulen verglichen, die auf den von Lundgreen (2007b) zusammengestellten Daten basieren, vgl . Tab . 2 .16 Studierende an Universitäten, 1949–2001 , Tab . 3 .15 Studierende an Hochschulen: Sprach- und Kulturwissenschaften, 1950–2002 , Tab . 3 .17 Studierende an Hochschulen: Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, 1950–2002, hier: Politikwissenschaft, in: Lundgreen (2007b) . 260 Vgl . weiterführend Führ (1988a), vgl . Neave (2011) . 261 Vgl . Lundgreen (2007a), S . 262–263 . 262 Vgl . ausführlich Kap . 3 .2 .3 . 263 Der tertiäre Sektor stieg von rd . 1/5 auf ca . 2/5 der Erwerbstätigen und erfuhr den stärksten Zuwachs von 3 749 000 Beschäftigten 1950 auf 6 308 000 im Jahr 1966, vgl . Albert/Oehler (1969), S . 38 . 264 Oehler/Braddatsch (1988), S . 414–415 . 265 Kath (1952), S . 8 . 266 Vgl . Kath (1957), S . 76 .
Studierende und Frequenzentwicklung
„Werkstudententum“ und Förderung nach dem Honnefer Modell Auf die sich seit Beginn der 1950er Jahre bundesweit abzeichnende „Überfüllung“ im Sinne unzureichender Ausbildungskapazitäten machte erstmals eine Sozialerhebung des Studentenwerks zur Lage der Studierenden öffentlichkeitswirksam aufmerksam, die 90 % der Studierenden erfasste:267 Die starke Belegung unserer Hochschulen wird bei einem Vergleich mit dem Jahre 1928 besonders deutlich . Sie wird zum drängenden Problem, wenn wir dem Zuwachs an Studierenden die Zahl der Lehrkräfte und der verfügbaren Unterrichtsräume gegenüberstellen . Die Zerstörungen des Krieges sind trotz der umfangreichen Bautätigkeit in den letzten Jahren nicht ausgeglichen worden . Vielerorts steht einer doppelten Anzahl von Studenten nur die Hälfte der Hörsäle aus der Vorkriegszeit zur Verfügung . Die Ausbildung des akademischen Nachwuchses muß unter solchen Bedingungen leiden . Zur Zeit mögen die Auswirkungen noch nicht voll in Erscheinung treten . Auf längere Sicht jedoch muß das Problem einer dauernden Überfüllung der Hochschulen durch geeignete Maßnahmen gelöst werden .268
Gerhard Kath, der diese Studie hauptverantwortlich für das Studentenwerk durchführte, zeichnete in seinem Hauptbericht statistisch das „soziale Bild der Studentenschaft“ nach .269 Er stellte heraus, dass 1951 fast 95 % und 1953 immer noch 88 % der bundesdeutschen Studierenden das auf ca . 150 DM angesetzte Existenzminimum nicht erreichten .270 25,5 % der Studierenden fürchteten 1953, ihr Studium aus finanziellen Gründen unterbrechen zu müssen, etwa 3 % mehr als 1951 .271 Der Anteil an Werkstudierenden, die während des Semesters über 30 Stunden pro Woche arbeiteten, hatte sich zwischen 1951 und 1953 von 3,5 % auf 16 % aller Studenten, von 2 % auf 10,2 % aller Studentinnen erhöht . In der vorlesungsfreien Zeit arbeiteten 52 % aller Studenten und 29,3 % aller Studentinnen mehr als 30 Stunden wöchentlich .272 Insgesamt war das „Werkstudententum“ im Vergleich zur Ersten Nachkriegszeit auf das Drei- bis Fünffa-
108 400 Studierende hatten 1951 an dieser Studie teilgenommen . Kath (1954), S . 10 . Kath (1952) . Die Studie erfasste die Zahl der Studierenden gegliedert nach Hochschulen, Fachrichtungen, Hauptfächern, Abschlussjahren und Geschlecht, untersuchte Herkunftsorte und Migrationshintergrund, Kriegsversehrung, Personen- und Familienstand, Hochschulwechsel und Auslandaufenthalte, Alter und Milieu . Sie fragte insbesondere nach wirtschaftlicher Lage, Finanzierung und Erwerbstätigkeit während des Studiums . Die Studie wurde wiederholt durchgeführt, vgl . URL: http://www .sozialerhebung . de/archiv (09 .09 .2019) . 270 Kath (1952), S . 70, Tab . 30 . 9–10 % standen überhaupt keine Mittel zur Verfügung . 1951 verfügten 20,8 % über weniger als 50 DM, 1953 war deren Anzahl zumindest auf 12,2 % gesunken . Zwischen 50 und 100 DM hatten 47 % 1951, knapp 42 % 1953 . Auf 100–150 DM monatlich kamen 18 % der Studierenden 1951, 24 % 1953 . Über 150 DM verfügten lediglich 5,4 % der Studierenden 1951, immerhin 12,2 % 1953 . Dabei ist zu beachten, dass die Lebenshaltungskosten und der Lebensstandard inzwischen gestiegen waren . 271 Vgl . ebd ., S . 72, Tab . 32 . 272 Vgl . ebd ., S . 66–67, Tab . 27, Tab . 28 . 267 268 269
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che gestiegen .273 Die statistische Erhebung demonstrierte, dass „Umfang und Sorgfalt der Ausbildung unter den dauernden Belastungen Schaden nehmen .“274 Bereits das Hamburger „blaue“ Gutachten des Studienausschusses für Hochschulreform, dem über die britische Besatzungszone hinaus zentraler Stellenwert in den Hochschulreformdebatten der ersten Nachkriegsjahre zukam, hatte 1948 angeregt, „völlige Schulgeld- und Gebührenfreiheit“ anzustreben und ein „großzügiges System der Stipendiengewährung einzurichten“ .275 Auch die Badische Zeitung hatte 1949 für Freiburg gemeldet, dass sich „[m]indestens 50 % der Studenten […] ihr Studium durch eigene Arbeit verdienen [müssen] oder […] auf Stipendien angewiesen“ seien .276 Mit der Studie des Studentenwerks wurde die Reformnotwendigkeit empirisch manifest .277 Der Vorsitzende des Verbandes deutscher Studentenwerke rief die Öffentlichkeit explizit dazu auf, dem drohenden „Substanzverlust“ entgegenzuwirken, da „aus der Generation der heutigen Studenten die späteren Wissenschaftler, Wirtschaftsführer, Geistlichen, Juristen, Ärzte und Erzieher herauswachsen sollen .“278 Die Freiburger Studentenzeitung nahm diese Ergebnisse auf und verband sie mit den 1953 erschienenen Forderungen nach einem Studienhonorar, das vorsah, Studierende für ihre wissenschaftliche Arbeit zu entlohnen .279 Hier wird die soziale Lage der Studentenschaft über die Hochschule hinaus zu einem Problem für Staat und Gesellschaft, nachdem das Elternhaus als Finanzquelle durch die Ereignisse der Kriegs- und Nachkriegszeit weitgehend ausgefallen ist . Es darf hierbei nicht vergessen werden, daß es die Gesellschaft ist, die einmal aus dem Studium jedes einzelnen Nutzen ziehen wird . Das Studium stellt also nicht zuletzt eine produktive geistige Arbeitsleistung für die Gesellschaft dar und ist dementsprechend auch zu werten, d . h . zu vergüten .280
In den folgenden Jahren wurden verschiedene Modelle der Studierendenförderung erwogen, die sich über Darlehen, Stipendien, Gebührenerlass, Schulgeld- und Lernmittelfreiheit bis zur Einführung von Studienhonoraren erstreckten . Nach der Hochschulreformkonferenz in Honnef benannt, wurde 1957 das Honnefer Modell einge-
Vgl . ebd ., S . 65 . Ebd ., vgl . S . 68 . Studienausschuss für Hochschulreform (1961[1948]) („Blaues Gutachten“), S . 341, vgl . S . 333 . [O . A .], „Für die Studenten von heute“, in: BZ v . 20 .10 .1949 . vgl . [o . A .], „Ein Drittel studiert auf Kosten der Eltern . Eine Untersuchung der sozialen Lage unter den Studenten, in: BZ v . 19 .10 .1951 . 277 „Das Werkstudententum hat […] heute bereits Ausmaße erreicht, die eine Gefahr für die Qualität der akademischen Ausbildung darstellen“ (Kath (1952), S . 56) . 278 Vgl . das Vorwort von Staatsrat Prof . Dr . Hans Meinzolt, 1 . Vorsitzender des Verbandes Deutscher Studentenwerke, in: ebd ., S . 4 . 279 In Anlehnung an internationale Konzepte hatte der SDS die Bezahlung studentischer Arbeit als Lösung des Problems der Werkstudierenden vorgeschlagen . Dadurch, dass das Studium als gesellschaftliche Arbeit aufgefasst würde, sollten zudem die Beziehungen zu Gesellschaft und Öffentlichkeit gestärkt werden, vgl . Sozialistischer Deutscher Studentenbund (1961[1953]), vgl . weiterführend Kap . 4 .2 .4 . 280 A . S ., „Die Zeit drängt“, in: FSZ 4 no . 2 (1954), S . 1 . 273 274 275 276
Studierende und Frequenzentwicklung
führt . Dieses Vorläufermodell des heutigen BAFöGs institutionalisierte erstmals auf breiterer Basis eine Studienförderung .281 Es sollte die Situation der vielen „Werkstudenten“ verbessern, die sich im Studium eigenständig finanzieren mussten . Auf einer Mischförderung aus Stipendien und Darlehen beruhend, sollte es zunächst nur an „begabte“ bedürftige Studierende vergeben werden . Dieser Selektionsmechanismus wurde sukzessive fallengelassen . 1971 löste das BAFöG das Honnefer Modell ab .282 Die Universität Freiburg entschied sich 1956 für die Honnefer Lösung und gegen den Entwurf eines Studienhonorars,283 der 1953 vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) vorgelegt worden war und unter Freiburger Studierenden intensiv diskutiert wurde .284 Während die Studien des Studentenwerks gezeigt hatten, dass rund zwei Drittel der Studierenden förderungsbedürftig waren, kam die Freiburger Kommission zu dem Schluss, dass nur „etwa ein Viertel der Studierenden im Sinne des Schreibens des Kultusministeriums förderungswürdig sind .“285 Weiterhin erwog die Kommission eine „stufenweise Realisierung“ und beschloss, die Förderung nach dem Honnefer Modell bei den „Examensstudenten einsetzen zu lassen .“ Diese traf die unzureichende Versorgungslage besonders hart . Zudem wurde befürchtet, dass die Förderung der „Anfangssemester den Zudrang zum Studium erheblich steigern“ könnte . Der Sparkurs sollte auch zur Reglementierung der Studienanwärter_innen dienen . Mit der Einführung der Studierendenförderung nach dem Honnefer Modell sank der Anteil an Studierenden, die ihr Studium durch Werkarbeit finanzieren mussten, bundesweit von 44,9 % (1956) auf 30,2 % (1959) .286 Mit 4,6 % aller Studierenden, die sich ausschließlich über Werkarbeit finanzieren mussten, und 25,6 %, die auf Nebenverdienste angewiesen waren, war der Anteil an „Werkstudenten“ weiterhin hoch . Die Anzahl der Geförderten nach dem Honnefer Modell nahm allerdings zwischen 1958 und 1960 von 19,3 % auf 14,6 % ab, weil die Bedürftigkeitsgrenze, die sich nach dem Einkom-
281 Bis dahin hatten lediglich die bereits 1925 etablierte Studienstiftung des deutschen Volkes und die Friedrich-Ebert-Stiftung Begabte und Bedürftige unterstützt, 1955 kam die Gesellschaft für christlich-demokratische Bildungsarbeit, die spätere Konrad-Adenauer-Stiftung, hinzu . 282 Anders als beim Honnefer Modell bestand hier ein Rechtsanspruch, weiterhin wurde das BAFöG zunächst als Vollzuschuss (ohne anteiliges Darlehen) vergeben . 283 Dem „Gesichtspunkt eines Studienhonorars kann sie nicht zustimmen, sondern möchte eine Hilfe nur auf den Kreis der leistungsfähigen und zugleich bedürftigen Studierenden beschränkt wissen“, Protokoll des Verwaltungsrats des Studentenwerks der Univ . Freiburg, 16 .05 .1956 im Akad . Rektorat betr . Anfangsförderung der Studierenden mit Bezug auf den Erlass des Kultusministeriums 27 1 – H 1797 v . 10 .03 .1956 und hierzu erstattetem Bericht des Studentenwerks, in: UA Freiburg Nr . B0204/129 . 284 Vgl . Debatte um Studienhonorare mit dem 1 . Bundesvorsitzenden des SDS, Ulrich Lohmar, in: AStAInformationen der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg/Breisgau Nr . 5/54 V . 17 .12 .1954, in: UA Freiburg Nr . B039/09 . Vgl . zur Debatte um das Studienhonorar Kap . 5 .2 .4 . 285 Protokoll des Verwaltungsrats des Studentenwerks der Univ . Freiburg, 16 .05 .1956 im Akad . Rektorat betr . Anfangsförderung der Studierenden mit Bezug auf den Erlass des KM 27 1 – H 1797 v . 10 .03 .1956 und dem diesbez . Bericht des Studentenwerks, in: UA Freiburg Nr . B0204/129 . Die folgenden Zitate ebd . 286 Vgl . Kath (1960), S . 113, Anm . 6 .
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men der Eltern richtete, den steigenden Löhnen zunächst nicht angepasst wurde .287 Während im Bundesdurchschnitt galt, dass die Hochschulen keinen „zu strengen Maßstab an die Eignung anlegten“,288 wurde an der Freiburger Universität eine „außerordentlich sorgfältige Leistungsauswahl“ getroffen: Im Bundesdurchschnitt wurden 15 % aller Studierenden nach dem Honnefer Modell gefördert, unter strengerer Auswahl an der Freiburger Universität lediglich 10,5 %, in Baden-Württemberg insgesamt 11 % .289 Der Sozial- und Wirtschaftshistoriker Clemens Bauer erklärte als Prorektor 1962/63 diese „auffällige Differenz“ durch höhere Qualitätsanforderungen .290 Allerdings stiegen die Anteile der Geförderten bis 1967 . Mielitz zufolge erhielten 1967 ein Drittel aller Studienanfänger_innen die Studienförderung nach dem Honnefer Modell, so dass nur noch 20 % der Studierenden während des Studiums Lohnarbeit leisten mussten .291 Der Frage, ob sich dadurch auch die soziale Zusammensetzung der Studierenden veränderte und welche Reformforderungen die Studierenden vorbrachten, wird im Folgenden nachgegangen . Damit soll herausgestellt werden, welche Bevölkerungsgruppen an der Bildungsexpansion, die insgesamt einen „‚Entwicklungsdurchbruch‘ auf ein strukturell neuartiges Niveau der Beteiligung [Hvh . i . O .]“ am Bildungssystem darstellt, beteiligt und welche unterrepräsentiert waren .292 3.2.3
Veränderungen in der sozialen Zusammensetzung der Studierenden
Für die Philosophische Fakultät Freiburg liegen nur wenige empirische Studien und Statistiken zu den Studierenden im Zeitraum von 1945–67 vor . 1954 wurde am Seminar für Wissenschaftliche Politik eine nach Fakultäten ausdifferenzierte qualitative Umfrage unter den Studentinnen der Universität Freiburg durchgeführt, die Studienmotivationen, -ziele und Reformbedürfnisse im fakultären Vergleich eruierte .293 1967 Vgl . Kath (1963), S . 61–62 . Ebd ., S . 62 . Bereits 1959 wurden in Baden-Württemberg weniger Studierende durch das Honnefer Modell gefördert als in anderen Bundesländern, vgl . Kath (1960), S . 63, Tab . 31 . Während durchschnittlich 19 % aller Studierenden gefördert wurden, rangierte Baden-Württemberg mit 16,8 % auf dem letzten Platz . 290 Bauer (1964), S . 11 . 291 Vgl . Mielitz (1967), S . 90 . 292 Titze (1990), S . 483 . 293 Vgl . Seminar für Wissenschaftliche Politik, „Studentinnen an der Universität Freiburg“, in: UA Freiburg Nr . B0204/119, zur Philos . Fak . vgl . S . 12–20 . Das Frauenreferat des Bundesministeriums des Innern plante in Kooperation mit dem Verband deutscher Studentenwerke (VDStW) und dem Verband deutscher Studentenschaften (VDS) eine „Erhebung über die Lage der Studentinnen an deutschen Hochschulen“, vgl . Regierungsrat Scheidemann an Bergstraesser am 30 .04 .1954 betr . Erhebung über die Lage der Studentinnen an dt . Hochschulen, in: UA Freiburg Nr . B0204/118 . Darin sollten Studienmotivation und Berufswünsche, Streben nach künftiger Berufstätigkeit, soziale Lage und die „Eingliederung der Studentinnen in die Gemeinschaft der Hochschulen“ eruiert sowie der Frage nach der Notwendigkeit von Studentinnenwohnheimen nachgegangen werden . Für Göttingen wurde Erich Weniger gewonnen, für Hamburg Helmut 287 288 289
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entstand die quantifizierende Studie des Förderungsassistenten Reinhard Mielitz294 zur Situation der Studienanfänger an der Philosophischen Fakultät,295 die auf den Daten aller 1967 immatrikulierten 395 Studienanfänger_innen ohne die Psychologie basierte .296 Zudem wertete Arno Kling im Rahmen seines Dissertationsprojekts die Angaben zu Alter, Konfession, Familienhintergrund, Vorbildung und regionaler Herkunft der 2292 Studienanfängerinnen und 1887 Studienanfänger der Philosophischen Fakultät für den Zeitraum 1956–64 aus .297 Damit ist zwar keine kontinuierliche Verlaufsanalyse, aber eine Annäherung an die soziale Zusammensetzung der Studienanfänger_innen an der Philosophischen Fakultät im Vergleich zum bundesweiten Durchschnitt möglich .298 Schließlich lassen sich auch die Geschlechterverteilung sowie die Anteile internationaler Studierender aus den Vorlesungsverzeichnissen rekonstruieren .299 Durch die Flüchtlingsintegration der unmittelbaren Nachkriegszeit steigerte sich die Zahl internationaler Studierender an der Universität bis Mitte der 1950er Jahre nur geringfügig . Zwischen 1954 und 1962 vervierfachte sie sich allerdings und stieg von 238 (3,2 % aller Studierenden 1955) auf 992 (9,4 % aller Studierenden 1962) . Danach fiel ihre Zahl wieder und pendelte sich bei ca . 800 (ca . 7 % aller Studierender Ende der 1960er Jahre) ein . Während an der Theologischen durchgehend nur ca . 2–3 % aller internationalen Studierenden, an der Staats- und Rechtswissenschaftlichen nur ca . 8–10 % und der Naturwissenschaftlich-Mathematische Fakultät immerhin 11–14 % der internationalen Studierenden eingeschrieben waren, studierten die meisten von ihnen an der Medi-
Schelsky, für Freiburg Arnold Bergstraesser, vgl . Bundesministerium des Innern . Ministerialrätin Dr . Karsten an Bergstraesser am 15 .06 .1954, in: ebd . 294 Reinhard Mielitz (1925–2006) hatte 1956 bei Tellenbach promoviert und war seit 1958 Studienförderungsassistent, eine Stelle, die im Zuge der Eingangsprüfungen des Honnefer Modells geschaffen wurde . 295 Vgl . Mielitz (1967), vgl . Tellenbach (1963[1959]b), S . 200–202 . 296 Die Studie enthielt außerdem eine Auswertung von Fragebögen, die 199 Erstimmatrikulierte der Philos . Fak . ausgefüllt hatten . Dabei handelte es sich um 64 % der insgesamt 445 Studienanfänger_innen der Philos . Fak . ohne die fünfzig Psychologiestudierenden, vgl . Mielitz (1967), S . 15 . 297 Die Studie ging von der Gesamtzahl von 4179 Studienanfänger_innen im Zeitraum 1956–64 aus und differenzierte nicht nach einzelnen Jahren, vgl . Kling (1968), S . 152 . 298 Dabei ist zu beachten, dass damit nur ein Vergleich zwischen den Studienanfänger_innen möglich ist, der insofern Unschärfen transportiert, als sich in den Studien von Kath, Kling und Mielitz die Anteile der fehlenden Angaben unterscheiden . Die befragten Studienanfänger_innen waren zu 99 % deutsche Staatsbürger_innen . 55 % (ø1956–64) resp . 62 % (1967) waren weiblich . Von den 150 Studienanfängern 1967 hatten 20,3 % Wehrdienst geleistet, von den 1887 Studienanfängern 1956–64 waren es nur 10,2 %, vgl . Kling (1968), S . 161, da die Wehrpflicht erst 1956 eingeführt worden war, und erst 1962/63 vermehrt vor dem Studium geleistet wurde, nachdem sie auf 18 Monate verlängert worden war, vgl . Mielitz (1967), S . 16 . 5,5 % unter den Studienanfänger_innen 1956–64 (4,7 % der Studentinnen, 6,3 % der Studenten) hatte vor dem Studium eine Ausbildung gemacht oder waren berufstätig gewesen . Der Anteil an Verheirateten war verschwindend gering, vgl . ebd ., S . 15, vgl . Kling (1968), S . 162 . 299 Die Zahlen sind den Angaben in den Vorlesungsverzeichnissen entnommen, vgl . Albert-LudwigsUniversität (1944–70a) . Ich danke Stefanie Knebelspieß, die diese Zahlen zusammenstellte . Zu den internationalen Austauschbeziehungen vgl . weiterführend Rams (1982) .
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zinischen gefolgt von der Philosophischen Fakultät . Die Anteile der Medizinischen Fakultät am Gesamtaufkommen internationaler Studierender entwickelten sich allerdings rückläufig von ca . 50 % (1961) auf ca . 30 % (1968) . Hingegen besuchten immer mehr internationale Studierende die Philosophische Fakultät (26 % 1961; 46 % 1968): Ihr Anteil steigerte sich von 5,7 % (1961, 196) auf 10,55 % (1970, 439) . Daran zeigt sich deutlich, dass der internationale Austausch ausgehend von den Neuphilologien und der Wissenschaftlichen Politik an der Philosophischen Fakultät seit Mitte der 1950er Jahre stark vorangetrieben wurde . In Bezug auf Auslandserfahrungen deutscher Studierender hatte die Studie des Studentenwerks 1967 herausgestellt, dass 5,2 % aller Studierenden bundesweit im Ausland studiert hatten .300 Demgegenüber gaben 77,5 % der befragten Studierenden der Freiburger Philosophischen Fakultät 1967 an, im Ausland studieren zu wollen:301 45,6 % wollten nach Frankreich, 23 % nach England, 15 % in weitere europäische Länder, 5 % in die USA und 2 % nach Russland . Diese Zahlen verdeutlichen, dass die internationalen Austauschprogramme in den 1960er Jahren sehr begehrt waren . Die Diskrepanz zwischen der Anzahl derjenigen, die gerne an einem Austausch teilgenommen hätten und derer, die tatsächlich die Chance dazu erhielten, weist jedoch darauf hin, dass nicht genügend Fördermittel zur Verfügung standen, um die Pläne der Studierenden zu verwirklichen . Bis auf Ausnahmefälle war die Möglichkeit eines Auslandsjahrs immer noch an finanzstarke Milieus gebunden . Auch darüber hinaus blieb der erwartete Anstieg der Anzahl an Arbeiterkindern unter den Studierenden aus . Vielmehr stieg der Anteil der Akademikerkinder von 25 % (1953) auf 27 % (1955/56) bzw . 32,7 % (1959) und pendelte sich in den 1960er Jahren bei ca . 34 % ein .302 Hingegen verringerte sich mit der „Bildungsexpansion“ der 1950er Jahre bundesweit der Anteil der Studierenden aus nichtakademischen Familien . Die Förderung nach dem Honnefer Modell sollte dieser Entwicklung entgegenwirken und konzentrierte sich „zu mehr als 80 % auf Studierende, deren Vater keine akademische Ausbildung hat .“303 Das Frequenzwachstum an Hochschulen führte die Studie des Studentenwerks vorwiegend auf die vermehrte Bildungsbeteiligung von Angestelltenkindern zurück – ein langfristiger und sich verstärkender Trend .304 Darüber hinaus stieg in den 1960er Jahren schließlich auch die Anzahl an Studierenden aus Arbeiterhaushalten, so dass 1967/68 ein Höchststand von 8 % Studienanfänger_innen aus Arbei-
Kath (1969), Tab . 89, S . 177 . Vgl . Mielitz (1967), S . 39 . Vgl . ebd ., S . 105, vgl . Kath (1957), S . 97, vgl . ders . (1960), S . 29 . 1963 kamen insg . 33,7 %, 1967 33,6 % aus akad . Familien, vgl . ders . (1963), S . 30, ders . (1969), S . 45, davon 26,4 % (1949/50) resp . 31,6 % (1967) der Studenten, 40,1 % (1949/50) resp . 40,5 % (1967) der Studentinnen, vgl . Kath (1954), S . 30–31, ders . (1963), Tab . 13, S . 30, ders . (1969), S . 45 . Bei den Studienanfänger_innen betrug der Anteil aus akad . Haushalten 1959 sogar 36,1 %, 1967 hingegen 30 %, vgl . ders .(1960), S . 87, ders . (1969), S . 59 . 303 Vgl . Kath (1960), S . 30, 66, 114, Anm . 8 . 304 Kath (1957), S . 27, vgl . ders . (1963), S . 29 . 300 301 302
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terkontexten und ein ersten Rückgang des Anteils von Akademikerkindern auf 30 % verzeichnet werden konnte .305 Die ungleich verteilten Bildungschancen waren Mitte der 1960er Jahre mit Dahrendorfs „Arbeiterkinder an deutschen Universitäten“ zum breitdiskutierten Thema geworden .306 An der Universität Freiburg kamen 1967 42,6 % aller Studienanfänger_innen aus Akademikerhaushalten und 1,7 % aus Arbeiterhaushalten .307 Neben der weit weniger frequentierten Theologischen war die Philosophische Fakultät die wichtigste Aufstiegsfakultät der Universität Freiburg.308 An ihr betrug der Anteil von Akademikerkindern an den Studienanfänger_innen 1956–64 31 %, 1967 35 % . Das war zwar im Vergleich zu den anderen Freiburger Fakultäten ein recht niedriger,309 im Vergleich zum bundesweiten Durchschnitt aller Studienanfänger_innen hingegen ein hoher Prozentsatz:310 Selbst an der sozialen Aufstiegsfakultät nahmen so in Freiburg verhältnismäßig mehr Studierende aus Akademikerfamilien ihr Studium auf als im bundesweiten Durchschnitt .311 Noch stärker zeigt sich diese Ausrichtung an dem Anteil der Studierenden aus Arbeiterhaushalten .312 An der Philosophischen Fakultät betrug er im Zeitraum 1956–64 1,7 % bzw . 1967 1,5 %, während bundesweit durchschnittlich 8 % aller Studienanfänger_innen aus Arbeiterhaushalten kamen .313 Regional rekrutierte sich die größte Gruppe der Studienanfänger_innen der Philosophischen Fakultät Freiburg aus Baden-Württemberg (36,7 % 1956–64; 45 % 1967), davon die meisten aus Südbaden .314 Im Vergleich zum universitären Gesamtdurchschnitt studierten mehr Landeskinder an der Philosophischen Fakultät . Das erweist sie wiederum als soziale Aufstiegsfakultät, da die Wahl eines fernen Studienorts vorwiegend Studierenden aus vergleichsweise vermögenden Familien vorbehalten war . Auch die relativ hohe Quote an Studienanfänger_innen aus Nordrhein-Westfalen – immerhin 31 % (1956–64) resp . 32,7 % (1967) – erhöhte daher den Anteil an Studienanfänger_in-
Insgesamt kamen 6,7 % aller Studierenden und 8 % der Studienanfänger_innen 1967/68 aus Arbeiterhaushalten, vgl . Kath (1969), Tab . 18, S . 46, siehe Tab . 22, S . 59 . 306 Vgl . Dahrendorf (1965a), vgl . weiterführend Kap . 5 .3 .2 . 307 Vgl . Mielitz (1967), S . 17–18 . Die folgenden Angaben ebd . 308 Die Theologische Fakultät wies mit 15 % den geringsten Anteil an Akademikerkindern und mit 8,3 % den höchsten Anteil an Arbeiterkindern an den Studienanfänger_innen auf, vgl . ebd . 309 Vgl . Kling (1968), S . 256, 275, Tab . 1, vgl . Mielitz (1967), S . 17–18, 21, 100 . In der Med . Fak . betrug der Anteil an Akademikerkindern unter den Studienanfänger_innen 1967 60 %, bei denen der Staats- u . Rechtswiss . Fak . 41 %, bei denen der Naturwiss .-Math . Fak . 44 %, vgl . ebd ., S . 17, 18, 21, 100 . 310 Vgl . Kath (1969), S . 59 . 311 Diese Diskrepanz lässt sich auch darauf zurückführen, dass Kath verschiedene Hochschularten untersuchte, vgl . ebd ., S . 10 . Der Anteil von 42 % Akademikerkindern unter den Studienanfänger_innen an der Univ . Freiburg 1967 war aber auch im universitären Vergleich relativ hoch, vgl . Mielitz (1967), S . 17–18 . 312 Der geringe Anteil an Freiburger Studierenden aus Arbeiterkontexten erklärt sich auch dadurch, dass Freiburg in einem relativ strukturschwachen Gebiet lag . Aus nichtakad . Haushalten kamen immerhin 40,9 %, 1967 sogar 48 % aller Studienanfänger_innen der Philos . Fak ., vgl . Kling (1968), S . 256, 285, Tab . 7 . 313 Vgl . ebd ., vgl . S . 183–198, insb . S . 190, vgl . S . 256, vgl . Mielitz (1967), S . 17–18, vgl . Kath (1969), S . 59 . 314 Vgl . Kling (1968), S . 278, vgl . Mielitz (1967), S . 16 . Die folgenden Angaben ebd . 305
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nen aus Arbeiterhaushalten nicht gravierend .315 Schließlich stellte auch Niedersachsen mit einem Anteil von 12,4 % aller Studienanfänger_innen 1956–64 ein wichtiges Einzugsgebiet dar (10,1 % 1967); mit großem Abstand gefolgt von Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz mit jeweils ca . 3 % . Die Konfessionszugehörigkeit ergab für die Studienanfänger_innen 1956–64 52,5 % protestantische und 44,3 % katholische Erstsemester .316 Bis 1967 stieg der Anteil katholischer Erstsemester auf 49,6 %, während der protestantische Anteil auf 47,6 % sank .317 Dieser Wandel lässt sich möglicherweise auf die Erfolge der Bildungswerbungsaktion „Student aufs Land“ zurückführen, die Freiburger Studierende angesichts der von Dahrendorf angemahnten Bildungsbenachteiligung 1965 initiierten .318 Für den Zeitraum 1956 bis 1964 zeigt sich auch an der Philosophischen Fakultät eine deutliche Unterrepräsentation katholischer Studentinnen, während die katholischen Studenten die Mehrheit der männlichen Erstsemester 1956–64 ausmachten .319 Darin manifestiert sich die als „Mehrfachunterdrückung“ bekannt gewordene intersektionale Bildungsbenachteiligung der „Arbeitertochter vom Land“ . 3.2.4
Reformbedürfnisse – Zur Lage der Studentinnen
Mit dem „Niveausprung“ der Bildungsbeteiligung ab Mitte der 1950er Jahre wuchs in erster Linie der Anteil an Studentinnen .320 Nach den Universitäten Mainz und Heidelberg mit integrierten, vorwiegend von Frauen besuchten Dolmetscherschulen, waren Studentinnen an der Universität Freiburg und der FU Berlin am häufigsten vertreten .321 In Freiburg ist der hohe Studentinnenanteil vor allem auf die Philosophische Fakultät zurückzuführen, deren Studentinnenanteile sich um ca . 20 % über dem bundesweiten universitären Durchschnitt bewegten und sich bis in die 1960er Jahre kontinuierlich erhöhten (vgl . Abb. 7, Abb . 8) .322
315 Der relativ hohe Anteil an Studierenden aus NRW sank erst langsam infolge der Fertigstellung der neugegründeten Hochschulen in Nordrhein-Westfalen Ende der 1960er Jahre . 316 Vgl . Kling (1968), S . 254, vgl . S . 167–182 . 317 1956–64 gehörten 1,5 % weiteren Konfessionen an, 2,3 % machten keine Angabe, vgl . Tab . 3, in: ebd ., S . 279 . 1967 waren 2,3 % konfessionslos und 0,5 % machten keine Angabe, vgl . Mielitz (1967), S . 13 . 318 Vgl . weiterführend Kap . 5 .3 .2 . 319 Vgl . Kling (1968), S . 254, vgl . S . 167, vgl . Tab . 4, in: ebd ., S . 280 . 320 Vgl . Titze (1990), S . 484 . 321 Vgl . Kath (1960), S . 12 . 322 Vgl . die Aufstellung in Kath (1963), S . 14, Tab . 4, vgl . Kath (1960), S . 44, Tab . 23 . Die Mehrheit der Studentinnen studierte Sprach- und Kulturwissenschaften, gefolgt von Allg . Medizin, vgl . ebd ., S . 45 .
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Studentinnen an der Philos. Fak.
Studentinnen an der Univ. Freiburg
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Studenten an der Philos. Fak.
Studenten an der Univ. Freiburg
Abb. 7 Entwicklung der Anzahl an Studentinnen und Studenten im Vergleich323
Abb. 8 Anteile der Studentinnen und Studenten im Verhältnis 1954–70
1948 waren mit 880 Studentinnen ein Viertel aller Freiburger Studierenden weiblich; an der Philosophischen Fakultät waren es mit ca . 450 Studentinnen fast die Hälfte . Allerdings bezeichnet dieses Jahr die „Nachholwelle“ nach den Zulassungsbeschränkungen, die auch den Frauenanteil reglementiert hatten . Bis 1950 fiel der Studentinnenanteil der Freiburger Universität auf 22 %, an der Philosophischen Fakultät auf 42 % . Ab Mitte der 1950er Jahre stieg die Zahl der Studentinnen jedoch kontinuierlich an .
323 Bildrechte: C . Klein . Die diesen und der folgenden Grafik zugrundeligenden Zahlen sind den Angaben in den Vorlesungsverzeichnissen entnommen, vgl . Albert-Ludwigs-Universität (1944–70a) .
107
108
Die Expansion der Philosophischen Fakultät
Ihr Anteil betrug im SoSe 1958 erstmals 51 % und bewegte sich ab 1966 durchgehend über 50 % . Hingegen vermehrten sich die weiblich besetzten Professuren 1945–70 nur minimal, so dass sich anders als unter den Studierenden im Lehrkörper die Marginalisierung von Frauen fortsetzte .324 Die vermehrte Anzahl an Studentinnen bundesweit lässt sich nicht direkt auf die Förderung durch das Honnefer Modell zurückführen: Während 19,2 % aller Studenten diese Förderung erhielten, waren es unter den Studentinnen nur 14,6 % . Rund die Hälfte der Studentinnen wurde von ihren Eltern finanziert, während ein Drittel der Studenten ausschließlich aus dem Elternhaus unterstützt wurde . Auch der Anteil an Werkstudentinnen war geringer .325 Allerdings wohnten relativ mehr Studentinnen bei ihren Eltern . Noch im Jahr 1959 konnten sie seltener mit einem Platz in einem Wohnheim rechnen und wechselten häufiger die Hochschule .326 Insbesondere die Zimmerund Jobsuche, aber auch die soziale Lage der Studentinnen insgesamt gestaltete sich erheblich schwieriger als die der Studenten .327 Zwar kamen die meisten aus akademischen Familien und wurden häufiger von diesen unterstützt, „doch ist der Rückhalt des Elternhauses hier auch notwendiger .“328 Die Freiburger Studie zu den Studienanfänger_innen der Philosophischen Fakultät 1956–64 stellte die „weiblichen Studienanfänger als Kerngruppe der auch hier nachweisbaren Benachteiligung bestimmter Bevölkerungsschichten“ heraus .329 Der Anteil weiblicher Erstsemester aus Arbeiter- und Landwirtshaushalten (0,7 %; 2,1 %) war an der Philosophischen Fakultät verschwindend gering, Studentinnen aus nichtakademischen Haushalten waren kaum vertreten,330 während ca . 10 % aus Arztfamilien kamen .331 Im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen und der katholischen Gesamtbevölkerung waren auch katholische Studentinnen stark unterrepräsentiert .332 So waren unter den Studienanfängern die Katholiken (49,2 %) besser vertreten als die Protestanten (46,8), während sich unter den Studienanfängerinnen weit mehr Protestantinnen (56,7 %) als
Vgl . Paletschek (2012a), vgl . weiterführend Kap . 3 .4 .4 . und Tab . 7 . 1956 waren 57,8 % aller Studentinnen und 69,3 % aller Studenten erwerbstätig, 1959 47 % aller Studentinnen und 56,5 % aller Studenten, vgl . Kath (1960), S . 68, Tab . 36 . 326 Ebd ., S . 46, vgl . S . 89 . 327 „Von einer sorglosen Studienzeit kann bei den meisten Studentinnen nicht gesprochen werden . 12,3 % stammen aus der sowjetischen Besatzungszone, 13,7 % sind Heimatvertriebene, 19,1 % haben ihren Vater verloren, 46,2 % haben unversorgte Geschwister, 3,5 % sind verheiratet, 1,2 % verwitwet oder geschieden .“ Ebd ., S . 51, vgl . ebd ., S . 69, Tab . Nr . 29, vgl . weiterführend ebd ., S . 44–50 . 328 Ebd ., S . 51 . 329 Kling (1968), S . 199 . 330 Ebd ., S . 188 . 331 Ebd ., S . 186–187 . 332 52,2 % der Studienanfänger_innen 1956–64 waren prot ., 44,3 % kath . Konfession, vgl . ebd ., S . 167 . Diese Verteilung stimmte etwa mit der konfess . Gliederung der Gesamtbev . der Bundesrepublik überein, nicht jedoch mit der regionalen in Südbaden, vgl . ebd ., S . 167–182 . Der Anteil kath . Studierender verringerte sich 1952–60, sie profitierten zunächst nicht von der Bildungsexpansion, vgl . Lehr (1965), S . 245–246 . 324 325
Studierende und Frequenzentwicklung
Katholikinnen (40,2 %) fanden .333 Das Wachstum der Studentinnenanteile war entsprechend ungleich verteilt; katholische Studentinnen aus nichtakademischen Haushalten waren kaum repräsentiert . Der Frage nach den Werkstudentinnen war eine Studie des Seminars für Wissenschaftliche Politik, die Kurt Sontheimer federführend bearbeitete, anhand von qualitativen Interviews nachgegangen . Sie fokussierte Unterschiede zwischen den Studentinnen und fragte danach, inwiefern sich darin Herkunftskontexte und fakultäre Differenzen manifestierten . Sontheimer verfasste den Bericht zur „Lage der Studentinnen der Universität Freiburg“334 1954–56 auf der Grundlage von 80 Interviews, davon 34 mit Studentinnen der Philosophischen Fakultät .335 Die Auswahl der Probandinnen berücksichtigte unterschiedliche Milieus und Altersklassen .336 Es wurden 39 Werkstudentinnen und 13 Flüchtlinge befragt . Alle befragten Studentinnen waren weiß und nicht verheiratet . Die Studie konterkarierte die von Hans Anger erfassten Einstellungen der Professoren, die zu 11 % als „stärkstes Studienmotiv für Studentinnen“ den „standesgemäßen Heiratsmarkt“ angaben .337 Weitere 12 % der Professoren waren überzeugt davon, dass die Studentinnen „wegheiraten“ würden und weitere 10 % fassten das Frauenstudium als eine Art „Rückversicherung“ für den Fall der Ehelosigkeit oder einer Heirat auf unsicherer Versorgungsbasis auf .338 Demgegenüber strebten 100 % der in Freiburg befragten Studentinnen einen Abschluss an . Mehr als die Hälfte hatten zwischen Schulabschluss und Studienbeginn gearbeitet, 10 % hatten bereits eine abgeschlossene Berufsausbildung . 81,5 % wollten auch nach eventueller Heirat weiterstudieren, weitere 12,5 % lehnten eine Heirat oder Verlobung vor Studienende ab . 3,75 % wollten ihr Studium im Fall einer Ehe abbrechen, 1,25 % enthielten sich .339 Die meisten hatten klare
Vgl . Kling (1968), S . 167 . Vgl . Seminar für Wissenschaftliche Politik, „Studentinnen an der Universität Freiburg“, in: UA Freiburg Nr . B0204/119, im Folgenden: Sem . f . Wiss . Politik (1956) . Die Studie wurde 1954–56 an den Univ . Hamburg, Göttingen und Freiburg durchgeführt . Sie basierte auf Fragebögen für eine quantitative Erhebung des Studentenwerks und leitfragengestützten qualit . Interviews . Hauptverantwortlich war in Göttingen die Diplom-Psychologin Frenzel, die an Plessners Studie zur Lage der Hochschullehrer mitgewirkt hatte . Für die Hamburger Erhebungen war Schelskys Assistent Tartler verantwortlich und für Freiburg Sontheimer, der mit Bergstraesser nach Freiburg gewechselt war, vgl . die Akten in UA Freiburg Nr . B0204/118 . 335 Das machte 6,3 % der 1273 Freiburger Studentinnen 1954/55 aus . Davon studierten 37,6 % an der Philos . Fak . (472), 26,1 % an der Med . (318), 19,8 % an der Staats- u . Rechtswiss . (251), 18,2 % an der Naturwiss . (228) und 0,3 % an der Theol . Fak . (4) . In den Interviews sollten Studentinnen proportional zu ihrer fakultären Verteilung befragt werden, allerdings wurden weniger Studentinnen aus der Naturwiss . Fak . befragt . 336 So wurden vorwiegend Werkstudentinnen sowie 13 Flüchtlinge interviewt . 63,75 % der Interviewten kamen aus akad . Haushalten, bei den Medizinerinnen waren es 87 %, bei den Naturwissenschaftlerinnen 66,7 %, bei den Studentinnen der Philos . Fak . 56 %, bei den Juristinnen 43,75 % . Die Mehrzahl der Befragten war 20–24 Jahre alt, einige aber auch älter als 30 . Alle waren ledig . 337 Anger (1960), S . 353, vgl . S . 461, 495, vgl . auch S . 647–649 . 338 Ebd ., S . 464, vgl . S . 458–462 . 339 Sem . f . Wiss . Politik (1956), S . 10–11 . 333 334
109
110
Die Expansion der Philosophischen Fakultät
Berufsvorstellungen, 71,25 % benannten ihr Berufsziel, 22,5 % die Berufsrichtung . Die Studienmotivation ergab sich auf der Grundlage des angestrebten Berufs oder eines ökonomischen Sicherheitsstrebens, das die Studentinnen nicht von den Studenten unterschied . Hinsichtlich der Berufszielorientierung und Studienmotivation ergaben sich aber Unterschiede entlang der verschiedenen Fakultäten . Für die Studentinnen an der Philosophischen Fakultät erwies sich die Studienmotivation als komplex und vielfältig .340 Die Festlegung auf einen bestimmten Beruf war mit 50 % weniger, die Flexibilität stärker ausgeprägt . Das häufigste Berufsziel stellte das höhere Lehramt dar, wobei dieser Entschluss oft erst im späteren Studienverlauf gefasst wurde . Diejenigen, die als Journalistinnen, Kunsthistorikerinnen, Psychologinnen oder im Verlagswesen arbeiten wollten, schätzten ihre Berufsaussichten als ungünstig ein . Die Studentinnen der Philosophischen Fakultät wünschten sich insbesondere eine verbesserte Anbindung der Berufsausbildung an die Praxis . 81,25 % aller Studentinnen hielten eine bis dato fehlende Studienberatung für notwendig, allen voran die Studentinnen der Philosophischen Fakultät mit 85,5 % .341 Sie berichteten von der Unüberschaubarkeit des Stoffs,342 zeigten sich durch fehlende Studienpläne verunsichert und wünschten sich eine verbesserte Strukturierung des Studiums und „Kontrolle der eigenen Leistung .“343 Die an der Philosophischen Fakultät angestrebte Allgemeinbildung verkompliziere klare Berufsvorstellungen und schränke die Zielstrebigkeit im Studium ein . Das Ideal der „akademischen Freiheit“ verstärke die Orientierungsschwierigkeiten .344 Die „deutsche ‚Idee der Universität‘“ herrsche zwar immer noch, folgerte Sontheimer, finde aber „wenig Echo“ .345 Mehr als 50 % der Studentinnen wünschten sich allerdings besseren Kontakt zu den Dozierenden .346 Insbesondere im internationalen Vergleich wurde am deutschen Universitätssystem der fehlende Austausch mit Professor_innen kritisiert .347 In Hinblick auf die USA lobten die Studentinnen eine größere methodische Sorgfalt . An französischen Universitäten monierten sie das Prüfungssystem, hoben aber den besseren
340 Für die Juristinnen, besonders aber die Medizinerinnen spielte das Elternhaus bei der Erwägung von Berufschancen eine wichtige Rolle . Letztere zeigten sich hochgradig berufszielorientiert (91,75 %), die Naturwissenschaftlerinnen hingegen mit 16,7 % kaum festgelegt, vgl . ebd ., S . 13 . 341 Das Schlusslicht bildeten mit immerhin 75 % die Medizinerinnen, die meist aus Arztfamilien stammten, gut informiert waren, über feste Studienpläne verfügten und durch Assistenten beraten wurden . 342 Ebd ., S . 36 . 343 Ebd ., S . 38 . 344 Zudem hatten 26,5 % der Studentinnen der Philos . Fak . sowie 18,75 % der Juristinnen das Fach gewechselt, während die Medizinerinnen und Naturwissenschaftlerinnen an ihren Fächern festhielten, vgl . ebd ., S . 43 . 345 Ebd ., S . 38 . 346 Vgl . ebd ., S . 57–67, vgl . 67–68 . 347 Fast 54 % der Studentinnen hatten 1–3 Länder, ca . 17 % 4–5 und fast 9 % 6 und mehr Länder besucht, vgl . ebd ., S . 72 . Das folgende Zitat ebd .
Studierende und Frequenzentwicklung
Kontakt zu Dozierenden hervor und verzeichneten positiv, dass Studierende „ihre Forderungen mit größerer Energie gegenüber der Regierung vertreten“ könnten . Englische Universitäten waren aufgrund der guten Betreuungsrelation und der Tutorate besonders beliebt . Die Erwerbstätigkeit behinderte viele Studentinnen darin, schnell und effektiv zu studieren . 49 der 80 Befragten waren Werkstudentinnen . Sie arbeiteten in Büros, Labors, Kiosken, Hotels und in der Gastronomie, in den Semesterferien in Fabriken . 65,3 % arbeiteten ausschließlich in den Semesterferien, 30,6 % im Semester wie auch in den Ferien und 4,1 % nur während der Semester . Neun Studentinnen (11 %) mussten für ihre Finanzierung selbst aufkommen . Die Studie kam angesichts ihrer prekären Verhältnisse zu dem Schluss, dass studiumsbegleitende Werkarbeit sich studienverlängernd, teilweise auch überlastend auswirkte, persönliche und soziale Kontakte darunter litten:348 Wenig Studienberatung, Lohnarbeit neben dem Studium und das idealisierende Selbstverständnis der Philosophischen Fakultät wirkten einem zügigen und gradlinigen Studium entgegen . Die 13 Jahre später von Mielitz durchgeführte Befragung der Studienanfänger_innen im 1 . und 2 . Semester bestätigte viele der Ergebnisse der Studie Sontheimers . Wie bereits 1954 wünschten sich 1967 immer noch 97 % der Studienanfänger_innen der Philosophischen Fakultät eine intensivere Studienberatung und mehr Kontakt zu den Professor_innen .349 Insbesondere in den sehr großen Fächern war ein Austausch zwischen Professor_innen und Studierenden äußerst beschränkt . Zu diesen Ergebnissen kam auch die Studie von Arno Kling 1968, der die hohe Wechsel- und Abbruchsquote sowie die hohe Durchschnittssemesterzahl an der Philosophischen Fakultät auf die Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit sowie der sich daraus ergebenden „Unüberschaubarkeit“ der Philosophische Fakultät zurückführte .350 Die verschiedenen Studien mahnten somit als Reformbedürfnisse der Studierenden und insbesondere der Studentinnen der Philosophischen Fakultät neben der notwendigen Studienförderung eine verbesserte Strukturierung, Organisation und Transparenz des Studiums sowie eine verstärkte Beratung und Betreuung an . Die Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung 1966 an den Universitäten Berlin, Bonn, Frankfurt a . M . und Mannheim verzeichnete darüber hinaus die höchste Studienabbruchsquote an Philosophischen Fakultäten, die auch die längsten Studienzeiten hervorbrachten, insbesondere im Fall von Studentinnen .351 Als einen wichtigen Faktor in diesem Zusammenhang kritisierte sie das für Philosophische Fakultäten spezifische „Prinzip der akademischen Freiheit als Lernfreiheit bei relativ geringerer Orientierung am künfti-
348 349 350 351
Vgl . die Fallbeispiele, in ebd ., S . 86–96, 99 . 79 % hatten im 1 . Semester, 54 % im 2 . Semester noch mit keinem Professor gesprochen, vgl . ebd ., S . 103 . Kling (1968), S . 118, 132 . Kath/Oehler/Reichwein (1966), S . 189–190, vgl . S . 184 .
111
112
Die Expansion der Philosophischen Fakultät
gen Beruf “ .352 Ähnliche Ergebnisse wies auch der baden-württembergische Hochschulgesamtplan nach, der für die Kulturwissenschaften eine Abschlussquote von lediglich 46 % konstatierte .353 Was sich an der Studie Sontheimers bereits Mitte der 1950er Jahre abgezeichnet hatte, wurde so Mitte der 1960er Jahre in der Öffentlichkeit breit diskutiert: Die Kritik an Philosophischen Fakultäten fokussierte dabei die Diskrepanzen zwischen „Berufsanforderungen und Studienpraxis, idealem Humboldtschem Leitbild […] und der Wirklichkeit des ‚Großbetriebs‘ Universität“, die in keiner Fakultät so ausgeprägt waren wie an der Philosophischen .354 So diagnostizierte auch der Vorsitzende des Wissenschaftsrats Raiser in einem Vortrag anlässlich seiner Ehrenpromotion an der Universität Freiburg 1965, dass die Philosophische Fakultät „unter einer Antinomie ihrer Aufgaben und Zielvorstellungen leidet, die durch die herkömmlichen Postulate der Einheit von Forschung und Lehre und der Bildung durch Wissenschaft nicht gelöst, sondern verhüllt wird .“355 3.2.5
Missverhältnisse zwischen Lehrstuhlausbau und Frequenzanstieg
Entwicklungsphasen und durchschnittliche Betreuungsrelationen Anhand der Entwicklung der Studierendenzahlen lässt sich bis 1953 analog zum Ausbau der Professuren eine Rekonstitutionsphase nach dem Krieg ausmachen . Zwischen 1945 und 1953 stieg die Anzahl der Studierenden von ca . 300 auf ca . 1000 Studierende an . Bis 1948 war der Hochschulbesuch durch regional und geschlechtlich quotierte Zulassungsbeschränkungen sowie durch die Einführung propädeutischer Kurse reglementiert worden, die infolge des Notabiturs entstandene Bildungslücken vor Studienbeginn ausgleichen sollten . Als 1949 die Zulassungsbeschränkungen aufgehoben wurden, pendelte sich die Anzahl der Studierenden bis Anfang der 1950er Jahre auf einem Niveau von ca . 1000 Studierenden ein . Parallel dazu vollzog sich die Entwicklung des Lehrkörpers: Nach dem Ausnahmezustand in der unmittelbaren Nachkriegszeit, der mit Entlassungen, kurzfristigen Suspendierungen sowie Wiedereinstellungen einher ging, konsolidierte sich der Lehrkörper 1949 bis 1953 mit ca . 20 Professuren . Die durchschnittliche Betreuungsrelation bewegte sich in diesem Zeitraum zwischen ca . 45 und 60 Studierenden je planmäßige Professur (vgl . Abb. 9, Abb. 10; Tab. 3) .
352 353 354 355
Ebd ., S . 184, vgl . S . 190 . Vgl . Hochschulgesamtplan Baden-Württemberg (1967), S . 34 . Menke-Glückert (1965), S . 31 . Raiser (1965), S . 11 .
Studierende und Frequenzentwicklung
Abb. 9 Die mittlere Betreuungsrelation an der Philos. Fak. Freiburg 1947–70
Abb. 10 Die mittlere Betreuungsrelation an der Philos. Fak. Freiburg 1910–70
Der Zeitraum 1953–63 bezeichnet sodann die starke Wachstumsphase der Studierendenzahlen von ca . 1100 auf ca . 3700 Studierende . Mit dieser Expansion hielt die Erweiterung des Lehrkörpers in der ersten Ausbauphase nicht Schritt . Allerdings setzten auch hier entsprechende Planungen und ein historisch neuartiger Ausbau der Professuren ein . So wurde der Lehrkörper zwar bis 1960 um acht auf 28 Professuren erweitert, die durchschnittliche Betreuungsrelation stieg jedoch auf über hundert Studierende pro Professur, von vakanten Professuren ganz abgesehen . In der zweiten Ausbauphase 1960–65 konnte mit zehn neu errichteten Professuren ein beschleunigter Zuwachs an Professuren verzeichnet werden . Während sich die Frequenz in den 1960er Jahren auf einem neuen Niveau von knapp 4000 Immatrikulierten einpendelte . kamen in der dritten Ausbauphase 1965–70 schließlich weitere zehn neue Lehrstühle hinzu . Im Vergleich zum steilen Anstieg der Studierendenzahlen 1954–63 vollzog sich der Ausbau der Professuren zwischen 1954 und 1970 relativ kontinuierlich und verzögert durch eine lange Anlaufphase zeitlich versetzt (vgl . Abb. 9; Abb. 10; Tab. 3) . Daraus resultierte die durchschnittliche Betreuungsrelation von ca . 100–115 Studierenden pro Professur 1960–65 . Ab dem SoSe 1968 pendelte sich die mittlere Betreuungsrelation auf einem im Vergleich zu 1954 um ca . 60 % erhöhten Niveau von ca . 80–90 Studierenden pro Professur ein .
113
114
Die Expansion der Philosophischen Fakultät
Tab. 3 Frequenzanstieg, Ausbau der Professuren, Betreuungsrelation 1947–70356 Jahr
Studierende
1947 1948 1949
685 910 923
1950 1951 1952 1953
1011 1065
1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962
1291 1294 1497 1800 2253 2410 2986 3258 3645
1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969
3835 3753 3830 3807 3880 3752 3657
Phasen Frequenzanstieg
Phasen Ausbau der Professuren
planm. Professuren
Durchschnittliche Betreuungsrelation
Reetablierung
20 21 20
34 43 46
Konsolidierung
20 19 19 20
51 56
22 23 26 28 27 27
59 56 58 64 83 89
28 30 32
107 109 114
35 33 38
110 114 101
40 42 44 44
95 92 85 83
1. Ausbauphase starke Wachstumsphase
2. Ausbauphase
Neukonsolidierungsphase
Generationswechsel 3. Ausbauphase
Angesichts dieser Betreuungsrelationen zeigt sich, dass dem Anstieg der Studierendenzahlen nicht in erster Linie mit der Schaffung neuer Professuren begegnet wurde und auch der Wissenschaftsrat 1960 dahingehend keine grundlegende Entlastung in Aussicht stellte . Um zu verstehen, wie die Philosophische Fakultät bei dieser ungünstigen Betreuungsrelation ihren Aufgaben in Forschung und Lehre nachkommen konnte, ist es notwendig, das Bild einer durchschnittlichen Betreuungssituation in mehrfacher Hinsicht zu präzisieren . Denn das Verhältnis der Studierendenanzahl zur Zahl der planmäßigen Professuren hat nur dann Aussagekraft, wenn reflektiert wird, dass die Disziplinen und Studiengänge der Philosophischen Fakultät unterschiedlich frequentiert wurden und die durchschnittliche Betreuungsrelation nur die planmäßigen Professuren berücksichtigt, den Mittelbau jedoch nicht . Bevor sich die Studie im Folgenden den Studien- und Hochschulreformen im Zeitraum 1959 bis 1966 zuwendet, werden zunächst anhand der Studienfälle die Betreuungsverhältnisse in den sehr großen, großen, mittleren und kleinen Fächergruppen differenziert .
356 Die Zahlen beruhen auf einer Auszählung der Angaben in den Vorlesungsverzeichnissen (Albert-Ludwigs-Universität (1944–70a)) und wurden mit dem Durchschnitt aus WS und SoSe eines Jahres berechnet .
Studierende und Frequenzentwicklung
Die Betreuungsrelation in den einzelnen Fächern Das durchschnittliche Betreuungsverhältnis von Studierenden und Professor_innen bzw . die Auslastung der verschiedenen Fächer gestaltete sich innerhalb der Fächergruppen sehr unterschiedlich (vgl . Abb. 11) .357 Die kleinen Promotionsfächer wiesen die sehr gute Betreuungsrelation von 8–37 Studienfällen je Professur auf,358 ebenso wie das mittelgroße Fach der Orientalistik, das seit 1963 über zwei Professuren verfügte . Bis auf die Orientalistik kamen in den mittleren Fächern mit 57 Studienfällen in der Musikwissenschaft, 86 in der Archäologie, 92 in der Slavistik, 143 in der Kunstgeschichte deutlich mehr Studienfälle auf eine Professur . Dass sich das Betreuungsverhältnis in der Kunstgeschichte schlechter gestaltete als in dem großen Fach Psychologie mit 109 Studienfällen pro Professur, hatte zwei Gründe: Anders als die Kunstgeschichte mit lediglich einer Professur war die Psychologie 1967 mit drei Professuren ausgestattet und die Zulassung wurde in diesem Fach seit 1967 beschränkt . In den großen Fächern Politikwissenschaft, Geographie und Pädagogik entfielen 150 bis 195 Studienfälle auf eine Professur, so dass sich das mittlere Betreuungsverhältnis in den Geschichtswis400
359
350
311
300 250
223
200
195
150
171
150
143 111
100
109
108
92
86 57
50
37
17
8
8
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Studienfälle (= Stud. im 1. u. 2. Hauptfach u. 75% der Stud. im Nebenfach) pro pln. Professur
Abb. 11 Betreuungsverhältnisse der einzelnen Fächer der Philos. Fakultät 1967360
Zur Differenzierung der Fächergruppen vgl . Kap . 2 .1, insb . Abb . 1, Abb . 2 . Studienfälle bezeichnen die Summe der Studierenden im 1 . und 2 . Hauptfach sowie 75 % der Studierenden im Nebenfach . 359 Bildrechte C . Klein . Die der Grafik zugrundeliegenden Zahlen aus Link/Wittke (1968) und AlbertLudwigs-Universität (1944–70a) . 357 358
115
116
Die Expansion der Philosophischen Fakultät
senschaften mit 1:111 und den Klassischen Philologien mit 1:108 wiederum vergleichsweise gut gestaltete . In den sehr großen neuphilologischen Lehramtsfächern entfielen indes 233 Studienfälle auf eine Professur in der Germanistik, 310 in der Romanistik und fast 360 Studienfälle pro Professur in der Anglistik . Angesichts der Studienfälle in den einzelnen Fächern zeigt sich, dass die Betreuungssituation insbesondere in den Staatsexamensfächern ungenügend war . Während die durchschnittliche Betreuungsrelation 1967 auf 92 Studierende pro Professur gesunken war, kamen in diesen Fächern mehr als 100, wenn nicht gar 200–350 Studienfälle auf eine Professur . Was das für die Lehre bedeutete, veranschaulicht eine detaillierte Aufstellung der Lehrveranstaltungen des Seminars für Anglistik 1958 (vgl . Tab. 4) . Sie verweist zudem darauf, dass es ohne den Ausbau der Stellen im Mittelbau ab Ende der 1950er Jahre nicht möglich gewesen wäre, den Studienbetrieb aufrecht zu erhalten . Die Bemühungen um universitäre Strukturreformen entzündeten sich so spätestens seit den 1960er Jahren an der schlechten Betreuungsrelation: „Die Krise des Studiums lag somit auch in einer Krise der Lehre begründet .“360 Viele Reformideen scheiterten zunächst an mangelnden Investitionen und staatlichen Finanzierungsproblemen sowie dem „Zusammenspiel von Traditionsverpflichtung, institutioneller Beharrungskraft und struktureller Schwerfälligkeit“, so dass vor allem Reformvorschläge zur Neugründung von Hochschulen Auftrieb erhielten .361 Allerdings wurden mit der „Studienreform“ auch neue Prüfungsordnungen und mit der „Hochschulreform“ die Erweiterung des Lehrkörpers durch den Ausbau des Mittelbaus angestrebt: Im Zuge der wachsenden Studierendenzahlen war eine Umstrukturierung des Studiums sowie des Lehrkörpers geplant . So werden im Folgenden die Studien- und Hochschulreformen nachgezeichnet und danach gefragt, wie der universitäre Lehr- und Forschungsbetrieb angesichts der schlechten Betreuungsrelationen aufrecht erhalten und umstrukturiert wurde .
360 361
Rudloff (2007), S . 80 . Ebd ., S . 78 .
Studierende und Frequenzentwicklung
Tab. 4 Frequenzen der Lehrveranstaltungen des Englischen Seminars 1958362 Dozent_in
Art der Veranstaltung
Teilnehmende
Prof. Heuer
Vorlesung Oberseminar
546 30
Prof. Standop
Vorlesung Hauptseminar Proseminar
275 67 126
Prof. Preyer (US-Gastprof. 1958–59)
Vorlesung Hauptseminar
200 100
Dr. Teut-Andreas Riese, PD
Vorlesung Hauptseminar Proseminar
40 90 250 (2 Gruppen)
Dr. Müller-Bellinghausen, 1959–66 Lektor
Übung Dazu Parallelkurs Übung Dazu Parallelkurs Übung
rd. 50 rd. 50 rd. 70 rd. 70 60
Sheila Scheer-Cockbaine, MA, ab 1949 Lektorin
Übungen Unterstufe Übungen Oberstufe Übungen Unterstufe Übungen Mittelstufe
70 16 140 160
Dr. Thomas Sommer, seit 1948 Lektor, seit 1961 Wissenschaftlicher Rat
Kurs Parallelkurs Kurs Parallelkurs
30 20 50 20
Dr. T. Sommer and Miss Maureen Cay
Übung Übung Übung Parallelkurs
50 15 25 Rd. 50
Dr. Hans Bungert, 1959–69 wiss. Ass., Wissenschaftlicher Rat 1970; o. Prof. Mannheim 1971
Übung Übung
139 58
Dr. Germer, wiss. Ass.
Übung Übung
53 25
362
Die der Tabelle zugrundeliegenden Daten aus UA Freiburg Nr . B003/99 .
117
118
Die Expansion der Philosophischen Fakultät
3.3
Die Entwicklung der Prüfungsordnungen
In der unmittelbaren Nachkriegszeit spielten das studium generale sowie das in den Prüfungsordnungen als „Allgemeinprüfung“ verankerte Philosophikum noch eine große Rolle im Studienplan . Allerdings zeichnet sich bereits in den Jahren 1947–52 eine gegenläufige Entwicklung der Staatsexamens- und Promotionsstudiengänge ab . Obwohl sich mit dem Frequenzanstieg ab Mitte der 1950er Jahre vor allem die Anzahl an Lehramtskandidat_innen rasant erhöhte, herrschte in den 1960er Jahren ein gravierender Mangel an Lehrer_innen . Zunächst mit einer vorsichtigen Reform des Staatsexamens 1959, dann mit der Reduzierung des Philosophikums auf eine studienbegleitende Pflichtübung, der Einführung von Zwischenprüfungen sowie der Möglichkeit eines Kurzstudiums, das mit der sogenannten Kleinen Fakultas abgeschlossen werden sollte, wurde das Staatsexamensstudium in den 1960er Jahren neu geordnet .363 Nach einer kurzen Einführung in die Hochschulreformdiskussionen der frühen 1950er Jahre stehen die Auseinandersetzungen zwischen Fakultät und Kultusministerium um die Entwicklung des Staatsexamens im Vordergrund, an die sich die Aushandlungen um die Einführung des Magisterstudiengangs und eine Analyse der „unsichtbaren Reform“ der Promotionen anschließt: Während das Staatsexamensstudium pragmatisch und effizienzsteigernd an die neuen Umstände angepasst wurde und die Reformbestrebungen darauf hinzielten, es überschaubar zu begrenzen, entwickelte sich die Promotion sukzessive in die entgegengesetzte Richtung, was durch den Magisterstudiengang teils aufgefangen, teils bestärkt wurde . 3.3.1
Die Auseinanderentwicklung von Staatsexamen und Promotion 1947–52
Im Zuge der Umwandlung der in der unmittelbaren Nachkriegszeit noch obligatorischen Propädeutika in ein freiwilliges studium generale stand auch eine Revision der Prüfungsordnungen an . In der von Tellenbach organisierten Hinterzartener Arbeitstagung 1952 wurde das studium generale noch als integraler Teil des Studiums konzipiert, das von berufsvorbereitenden Zwecken abgegrenzt wurde .364 Auch die 1951 revidierten Studienpläne für das höhere Lehramt schrieben eine „Allgemeine Prüfung“ in „Philosophie einschließlich Psychologie und Pädagogik“, das sogenannte Philosophikum
Nach der Gründung des Landes Baden-Württemberg erfolgte das erste Staatsexamen zunächst weiterhin gemäß der badischen Prüfungsordnung, vgl . Badisches Ministerium des Kultus und des Unterrichts (1951) . Sie wurde am 19 .03 .1959 durch eine neue Prüfungsordnung ersetzt, vgl . Kultusministerium BadenWürttemberg (1959), S . 189–227, und am 06 .06 .1966 abermals überholt, vgl . ibid . (1966), S . 603–641 . 364 Vgl . Hochschulverband (1952), S . 29–47, hier S . 30, vgl . weiterführend Bericht der Kommission für das „Studium Generale“, in: ebd ., S . 49–52 . 363
Die Entwicklung der Prüfungsordnungen
als studienbegleitende Prüfung für Lehramtskandidat_innen vor .365 Allerdings zeigte sich in Hinterzarten, dass der Schulausschuss der Rektorenkonferenz mit dieser Prüfung weniger das humanistische Bildungsideal eingelöst wissen wollte . Vielmehr strebte er einen angemessenen Zuschnitt des Prüfungsstoffs, die Beschränkung des Staatsexamens auf zwei Hauptfächer sowie die Abschaffung der Klausuren an:366 Das Philosophikum sollte „von jedem befähigten Studenten“ bestanden werden können .367 Zudem sprach sich die Kommission für „Philosophie und Fachstudium“ dafür aus, die Pflichtvorlesungen in Philosophie durch Seminare und Übungen zu ersetzen sowie verstärkt die „philosophische Vertiefung des Fachstudiums [Hvh . CK]“ zu prüfen . Während für die Staatsexamensstudiengänge so nach pragmatischen Prüfungsmodalitäten gesucht wurde, strebten die Professoren der Philosophischen Fakultät in Bezug auf die Promotionsstudiengänge eine Hebung der Ansprüche an . 1947 hatten sie eine Promotionsordnung verabschiedet, die sich bis auf die Bestimmungen für ausländische Doktorand_innen weitgehend an derjenigen von 1938 orientierte .368 1949 begann der Fakultätsrat allerdings, die „Schaffung eines akademischen Abschlussexamens“ vor der Promotion – ähnlich dem Diplom in anderen Fakultäten – intensiver zu diskutieren .369 Das Blaue Gutachten hatte bereits 1948 zur Aufwertung der Promotion empfohlen, parallel zum Staatsexamen ein akademisches Studienabschlussexamen vor der Promotion einzuführen .370 In Hinterzarten wurde vier Jahre später eine „Inflation“ der Promotionen befürchtet, die das „Ansehen der deutschen Wissenschaft und des deutschen Geistes“ beeinträchtigen könne .371 Der Doktortitel sollte daher seltener erteilt und nicht mehr als Studienabschluss aufgefasst werden . Vielmehr sollte vor der Promotion das Staatsexamen absolviert und in den Fächern, in denen kein Staatsexamen möglich war, eine Diplomprüfung eingeführt werden . Erst Mitte der 1950er Jahre bestimmte dann die Einführung des Magisters diese Diskussionen zur „Hebung des Doktorgrades“ .
365 Vgl . Badisches Ministerium des Kultus und des Unterrichts (1951), S . 389 . Diese Prüfungsordnung lehnte sich eng an diejenige von 1928 an, vgl . Staatsministerium Baden (1928), § 8, S . 10 . 366 Hochschulverband (1952), S . 42 . 367 Ebd ., S . 44 . Das folgende Zitat ebd ., S . 52 . 368 Vgl . Promotionsordnung der Philos . Fak . der Univ . Freiburg, 01 .04 .1947, in: UA Freiburg Nr . D76/132, vgl . Fakultätsprotokoll v . 20 .07 .1946, in: UA Freiburg Nr . B003/798, S . 177, vgl . Promotionsordnung der Philos . Fak . d . Univ . Freiburg, genehmigt durch den Erlaß des Reichserziehungsministers v . 15 .03 .1938 – WA 562, in: UA Freiburg Nr . D76/111 . Allerdings fehlte der Abschluss in Zeitungswissenschaft und die lateinischen Prädikate, die 1939 durch deutsche ersetzt worden waren, wurden wieder eingeführt . Die neue Promotionsordnung von 1947 sah den Nachweis des Großen Latinums für jede Promotion vor . Diese Auflage wurde in den folgenden zwei Jahrzehnten diskutiert und ab 1966 langsam aufgebrochen . 369 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 12 .11 .1949, vgl . die v . 03 .02 .1951, 03 .05 .1952, in: UA Freiburg Nr . B003/798 . Die Promotion wurde damals „grundständig“, also als erster akademischer Abschluss absolviert, vgl . einführend Kap . 2 .1 .1, insbes . S . 137 . 370 Vgl . Studienausschuss für Hochschulreform (1961[1948]) („Blaues Gutachten“), S . 347–348 . 371 Hochschulverband (1952), S . 31 . Das folgende Zitat ebd .
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Die Expansion der Philosophischen Fakultät
An den Beschlüssen der Hinterzartener Konferenz zu den Prüfungs- und Studienordnungen zeichnen sich so zwei gegenläufige Tendenzen ab, die sich in den 1950er Jahren verstärkten: Während sich die Anforderungen an die Promotion sukzessive erhöhten, wurde das Staatsexamen im Zuge des Mangels an Lehrkräften und der permanenten Stofferweiterung langsam entschlackt . Diese Studienreform wie auch die Einführung des Mittelschullehramtsexamens Kleine Fakultas, das mit einem sechssemestrigen Kurzstudium abgeschlossen werden sollte, provozierten intensive Diskussionen zwischen Fakultät und Kultusministerium . 3.3.2
Die Reform der Staatsexamensstudiengänge
Anlass für Studienreformen gab die spezifische Situation der späten 1950er und insbesondere der 1960er Jahre, dass nämlich „zur gleichen Zeit, als allenthalben von einer Überfüllungskrise der wissenschaftlichen Hochschulen die Rede war, ein gravierender Mangel an Akademikern diagnostiziert wurde .“372 Zulassungsbeschränkungen wie Ende der 1940er Jahre stellten demnach keine Option für den Umgang mit dieser Situation dar: „Massiv verstärkt durch die grosse Expansion des Arbeitsmarktes für Lehrer,“373 stand an der Philosophischen Fakultät vorwiegend das Staatsexamen im Fokus der Studienreform .374 So sahen bereits die neuen Prüfungsordnungen des Landes Baden-Württemberg 1959 erste vorsichtige Veränderungen vor, die zur Straffung des Studiums beitragen sollten . Eine der Hauptänderungen bestand darin, dass in Kombination mit den Fächern Deutsch, Latein, Griechisch, Französisch, Englisch oder Mathematik nun auch ein Zwei-Fächer-Staatsexamen erlaubt wurde .375 Das Kultusministerium reduzierte zudem die Voraussetzungen für das im Staatsexamen prüfungsrelevante Philosophikum von drei Vorlesungen und zwei Übungen auf vier Übungen in Philosophie und Pädagogik oder Jugendpsychologie .376 Damit blieb die Verpflichtung aller Lehramtsstudierenden zu dieser „Allgemeinprüfung“ zunächst erhalten . Auch der Tendenz, dass Rudloff (2007), S . 79 . Lundgreen (2007c), S . 365 . Ein Großteil der Studierenden der Philos . Fak . strebte das Lehramt an . 75 % der Studienanfänger_innen 1967 waren Staatsexamenskandidat_innen: Davon wollten 22,5 % sowohl das Staatsexamen wie auch die Promotion absolvieren, weitere 7 % die neu eingeführte Kleine Fakultas . Nur 9 % strebten hingegen die grundständige Promotion an, 2,5 % das 1961 eingeführte Magisterexamen, 0,5 % ein Soziologiediplom, 4 % wollten Promotion und Magister oder Diplom kombinieren, vgl . Mielitz (1967), S . 11, 35 . 375 Vgl . Kultusministerium Baden-Württemberg (1959), S . 197, § 9, vgl . Müller (1971), S . 109, 110, 131 . Zu den Auseinandersetzungen vgl . u . a . die Fakultätsprotokolle v . 30 .07 .1958, 27 .10 .1958, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 48–49 . Als die Zwei-Fächer-Regelung 1962 zurückgenommen werden sollte, setzte sich die Philos . Fak . Freiburg dagegen ein, vgl . Fakultätsprotokoll v . 12 .05 .1962, 13 .11 .1965, in ebd ., S . 155, 241 . 376 Vgl . Kultusministerium Baden-Württemberg (1959), §§ 22–23, S . 203 . Zudem war seit 1957 alternativ auch eine Allgemeinprüfung in Politik möglich . Zum Philosophikum vgl . einführend Kap . 2 .1 .1 . 372 373 374
Die Entwicklung der Prüfungsordnungen
die Studierenden den Staatsexamensstudiengang durchschnittlich erst im 14 . Semester abschlossen, wurde 1959 noch nicht durch Studienzeitbeschränkungen entgegen gewirkt .377 Vielmehr wurden erste Versuche zur Studienförderung unternommen, um einige der Studierenden von der Lohnarbeit zur Finanzierung ihres Studiums zu entlasten und eine Konzentration auf das Studium zu ermöglichen . Erst im Zuge der erhöhten Nachfrage nach Lehrer_innen in den 1960er Jahren geriet das Philosophikum stärker in die Kritik . Da die Allgemeinprüfung neben dem Fachstudium zwei bis drei Semester erforderte, wurde sie zunehmend als studiumsverlängernd kritisiert . Nach Angaben des Regierungsrats Menke-Glückert 1965 erhöhten sich durch das Philosophikum insbesondere die Studierendenzahlen der Philosophischen Fakultät Freiburg: 40 % der Tübinger Lehramtskandidat_innen wechselten nach dem dritten oder vierten Semester nach Freiburg, um „nach abgelegtem Philosophikum wieder nach Tübingen zu kommen .“378 Neben diesen Studienortswechseln waren auch Staatsexamensstudierende der Naturwissenschaftlich-Mathematischen Fakultät dazu angehalten, das Philosophikum zu absolvieren .379 Der Fakultätsrat erwog 1962 verstärkt die Alternativen eines Pädagogikums oder einer Prüfung in Psychologie bzw . ein „Socio-Politicum“ .380 Grundsätzlich sprach er sich für ein Begleitstudium samt einer Prüfung aus; die Studierenden sollten zwischen philosophischen, pädagogischen, psychologischen und soziopolitischen Schwerpunkten wählen dürfen .381 Bergstraessers Antrag, ein Socio-Politicum einzuführen, wurde zwar im Januar 1962 von der Fakultät abgelehnt . Doch die seit 1957 bestehende Möglichkeit, als Allgemeinprüfung eine Prüfung in Politikwissenschaft unter Berücksichtigung soziologischer Fragestellungen abzulegen, blieb erhalten . Während die Politikwissenschaft seit 1959 auch als Zulassungsfach gewählt werden konnte, waren Philosophie und Pädagogik bis 1965 größtenteils auf das Philosophikum ausgerichtet und erfüllten hauptsächlich studienbegleitende Funktionen .382
377 Vgl . Mielitz (1967), S . 36, vgl . Josef Roth, „Wird das Philosophikum abgeschafft?“, in: FSZ 7 (1965), S . 9, 11, hier S . 9 . 378 Menke-Glückert (1965), S . 40 . Peter Menke-Glückert (1929–2016) war seit 1955 Referent der WRK, ab 1961 Verwaltungsbeamter der Universität Tübingen und wurde 1964 als Regierungsrat ins Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung berufen, vgl . Friedrich-Naumann-Stiftung (1965), S . 63 . 379 Vgl . bspw . Fakultätsprotokoll v . 05 .12 .1964, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 219 . 380 Fakultätsprotokoll v . 13 .01 .1962, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 147–148 . Die folgenden Zitate ebd . 381 Vgl . Oberndörfer (1966), S . 102, vgl . auch Müller (1957), S . 87 . Politikwissenschaft war 1953–57 obligatorischer Teil der Referendarsausbildung . Mit der Institutionalisierung des Gemeinschaftskundeunterrichts als Schulfach verfügte das Kultusministerium 1957, dass das Philosophikum auch in Politikwissenschaft absolviert werden konnte, vgl . Günter (2005), S . 184, vgl . Erlass des Kultusministeriums v . 09 .03 .1957, in: Kultus und Unterricht 1957, S . 307–308 . 382 Vgl . Lakebrink (1963), S . 87 . Auch nach der Abschaffung des Philosophikums war für die Staatsexamenskandidatinnen und -kandidaten ein Begleitstudium in Pädagogik, Philosophie oder päd . Psychologie vorgesehen, vgl . Werner (1973), S . 79 . Erziehungswissenschaft konnte erst ab 1976 als Zulassungsfach an der Philos . Fak . I studiert werden, vgl . Poelchau (1976), S . 105–107 .
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Die Expansion der Philosophischen Fakultät
Als der Wissenschaftsrat anlässlich der steigenden Frequenz eine Studienzeitverkürzung erwog, besprach auch der Fakultätsrat 1962 auf Antrag Tellenbachs, damals Mitglied des Wissenschaftsrats, dahingehende Möglichkeiten .383 Bis 1965 beließ er es allerdings bei der Empfehlung, dass die Studierenden sich „spätestens nach dem 10 . Semester“ zum Examen melden sollten sowie dem Vorschlag, „Vorstudienkurse für Latein an den Universitäten einzurichten,“ um Verzögerungen durch die Vorbereitung auf das Latinum zu vermeiden .384 Die Dekanatskonferenz der Philosophischen und Naturwissenschaftlich-Mathematischen Fakultäten forderte 1964 allerdings eine Vereinheitlichung der Prüfungsordnungen und mahnte eine Reform des Philosophikums an . Die Allgemeine Prüfung im 6 . Semester sollte zugunsten einer Studienleistung gestrichen werden .385 Der Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät Freiburg hingegen sprach sich dafür aus, das Philosophikum als Prüfungsleistung beizubehalten .386 Sie sollte in die Gesamtnote einfließen (10 %) und weiterhin im 6 . Semester absolviert werden . Auch die Überlegung, sie an eine „Vorprüfung in den Fachdisziplinen“, also die geplante Zwischenprüfung im 4 . Semester zu koppeln, stieß im Fakultätsrat nicht auf Zustimmung . Erst als daraufhin die Abschaffung des Philosophikums diskutiert wurde, beschloss er, sich „einer Änderung oder Verbesserung der Philosophikumsprüfung nicht verschließen“ zu wollen und erwog, „diese Prüfung in die Zwischenprüfung zu verlegen .“387 Das Philosophikum stellte für die Studierenden der Philosophischen Fakultät bis weit in die 1960er Jahre hinein die einzige Prüfung vor dem Staatsexamen dar . Allerdings war die Einführung von Zwischenprüfungen bereits 1947 vor dem Hintergrund der Zulassungsbeschränkungen im Fakultätsrat diskutiert und abgelehnt worden .388 In den folgenden Jahren wurden Zwischenprüfungen vorwiegend in abgrenzendem Gestus mit dem DDR-Hochschulsystem, „Spezialistentum“ und dem Verlust „akade-
Fakultätsprotokoll v . 10 .11 .1962, S . 168 . Fakultätsprotokoll v . 23 .11 .1965, S . 244–245 . Vgl . die am 28 .10 .1964 vom Philos . und Math .-Naturwiss . Fakultätentag der Westdt . u . Westberliner Univ . und THs verabschiedete Denkschrift betr . der Vereinheitlichung und Reform der Allgemeinen Prüfung („Philosophicum“) im Rahmen der Prüfung für das Höhere Lehramt, in: UA Freiburg Nr . B003/208 . 386 Fakultätsprotokoll v . 13 .01 .1962, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 147–150 . Die folgenden Angaben ebd . 387 Fakultätsprotokoll v . 23 .11 .1965, in: ebd ., S . 245 . 388 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 08 .03 .1947, in: UA Freiburg Nr . B003/798, S . 198–199 . Das folgende Zitat ebd . Tellenbach hatte damals Bedenken angemeldet: Die Prüfung sei „zwecklos, weil dabei nicht von vornherein ein auszuscheidender Prozentsatz festgelegt“ werde und daher die „Gefahr des Abgleitens der Universität auf das Niveau der Fachschule“ berge . Heiss wies auf die eingeschränkte Aussagekraft von Prüfungen hin . Der Senior Brie betonte hingegen die Selektion der Studierenden, die sie zu „sachlicher Arbeit“ anhalte . Ritter plädierte für eine vorläufige Einführung der Zwischenprüfung, während Maurer den Antrag stellte, dem Senat die grundsätzliche Abneigung der Fakultät gegen Zwischenprüfungen zu vermitteln, im Falle der „Notwendigkeit von Ausscheidungsmaßnahmen“ aber einen entsprechenden Entwurf bereitzuhalten . Der Antrag Maurers wurde mit 9:3 Stimmen angenommen, der von Ritter mit 4:8 Stimmen abgelehnt . Die Fakultät entschied sich damit mehrheitlich gegen die Einführung von Zwischenprüfungen . 383 384 385
Die Entwicklung der Prüfungsordnungen
mischer Freiheit“ assoziiert .389 Erst im Zuge der Eignungsprüfungen zur Vergabe der Studienförderung nach dem Honnefer Modell wurden sie wieder als Option erwogen .390 Die Haltung des Fakultätsrats zur Frage der Zwischenprüfung veränderte sich allerdings erst mit der Neuordnung der Staatsexamensstudiengänge und der Einführung der Kleinen Fakultas Mitte der 1960er Jahre .391 Bei der Kleinen Fakultas handelte es sich um eine reduzierte Staatsexamensprüfung im 6 . Semester,392 die zum Lehramt an Haupt- und Realschulen sowie der Unter- und Mittelstufe an Gymnasien berechtigte . Sie wurde vom Kultusministerium zunächst als eine staatliche Vorprüfung konzipiert, die für alle Staatsexamenskandidat_innen verpflichtend eingeführt werden sollte . Der Fakultätsrat distanzierte sich jedoch in seiner Stellungnahme am 26 .06 .1965 von einer staatlichen Pflichtvorprüfung und befürwortete stattdessen die Einführung einer akademischen Zwischenprüfung . Er vertrat die Auffassung, dass „das Obligatorium der staatlichen Vorprüfung nach 6 Semestern“393 die angestrebte Studienzeitverkürzung gefährde, zur „Verschulung“ führe und daher „absolut unannehmbar“ sei .394 Demgegenüber könne eine fakultätseigene Zwischenprüfung nach dem vierten Semester zur Straffung des Studiums, zur Leistungskontrolle und einer besseren Orientierung der Studierenden beitragen . Die Ablehnung der Kleinen Fakultas erfolgte aber auch vor dem Hintergrund des ausgeprägten Distinktionsbedürfnisses der Professoren Pädagogischen Hochschulen gegenüber . Sie lehnten die Verleihung der Promotions- und Habilitationsrechte an Pädagogische Hochschulen ab395 und zogen eine Abgrenzung der Studiengänge, die den universitären Elitestatus bestärkte, der Einführung von Kurzstudiengängen vor .
Vgl . etwa Karlheinz Linke, „Studium nach Plan . Zehnmonate-Studienjahr löst akademische Freiheit ab“, in: FSZ 4 (1952), S . 5, Hans-Otto Pelser, „Hinter dem Eisernen Vorhang . Studium der Rechte“, in: FSZ 2 (1952), S . 5 . 390 Vgl . die Akten in UA Freiburg Nr . B003/208, vgl . auch den Protestbrief des Studentenratspräs . an den Akad . Senat am 22 .02 .1958, der sich gegen den Beschluss der Philos . Fak . v . 14 .12 .1957 wandte, dass das Philosophikum als Leistungsnachweis für eine Förderung nach dem Honnefer Modell nicht mehr ausreichen sollte, in: UA Freiburg Nr . B0204/134 . 391 In Baden-Württemberg war 1959 nur in dem Fach Leibesübungen eine Zwischenprüfung nach dem 4 . Semester vorgesehen worden, vgl . Müller (1971), S . 126 . 392 Vgl . ebd ., S . 107–108, vgl . „Ratschläge für die Lehramtskandidaten und Hinweise zu den Bestimmungen der Prüfungsordnung“, in: Albert-Ludwigs-Universität (1968b), S . 115–118, hier S . 115, vgl . dies . (1970b), S . 117–120, hier S . 117 . Die Konzeption des reduzierten Staatsexamensstudiengangs entsprang dem Nebenfachstudium, das 1959 mit mindestens sechs Semestern veranschlagt worden war . 393 Ebd ., vgl . Fakultätsprotokoll v . 17 .07 .1965, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 233 . 394 Vgl . Kleine Fakultas . Stellungnahme der Fakultät zur Frage einer staatl . Vorprüfung für das höhere Lehramt . Anlage zu Punkt 1 des Fakultätsprotokolls v . 26 .06 .1965, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 400–402 . 395 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 18 .01 .1958, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 40 . Der Dekan wurde beauftragt, „der Westdeutschen Rektorenkonferenz die schwersten Bedenken der Fakultät gegen die Verleihung von akademischen Graden jeder Art durch pädagogische Hochschulen mitzuteilen .“ Fakultätsprotokoll v . 29 .11 .1958, in: ebd ., S . 53, vgl . Fakultätsprotokoll v . 27 .05 .1966, in ebd ., S . 271 . Vgl . auch die Stellungnahme des Freiburger Hochschul- und Staatsrechtlers Gerber (1958), S . 726–728 sowie die Resolution des Fakultäten389
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Besonders für die Fächer Latein, Griechisch und Slavistik schloss der Fakultätsrat die Option des „kleinen Staatsexamens“ aus, da ein Studium dieser Fächer in sechs Semestern nicht zu leisten sei . Bezüglich der anderen Fächer plädierte er dafür, die Kleine Fakultas als kurzfristige „Notlösung“ für diejenigen Studierenden einzuführen, die ausschließlich diesen Abschluss anstrebten .396 Die Zwischenprüfung hingegen sollte für alle obligatorisch sein . Für diese „Kompromisslösung“ stellte der Fakultätsrat die Bedingung, auch in Baden-Württemberg ein Zweifächer-Studium in allen Fächerkombinationen einzuführen .397 Damit knüpfte er an die Entwicklungen in anderen Bundesländern sowie an die bereits 1952 in Hinterzarten geäußerte Auffassung an, dass eine Konzentration auf zwei Fächer den wissenschaftlichen Charakter des Lehramtsstudiums stärke .398 Auch eine Studienzeitbegrenzung auf 8–12 Semester hielt der Fakultätsrat im Anschluss an den Fakultätentag vom 28 .06 .1965 nur im Rahmen eines Zweifächer-Studiums für vertretbar .399 Am Großen Latinum als Voraussetzung für das Studium an der Philosophischen Fakultät400 sowie am Philosophikum als Teil des Staatsexamens hielt der Fakultätsrat fest . Er erklärte sich aber bereit, das Philosophikum in die Abschlussprüfung zu verschieben und im Falle der Kleinen Fakultas darauf zu verzichten . Im Gegenzug sollte der philosophisch-propädeutische Unterricht in das Lehrprogramm der Gymnasien und die Philosophie als vollgültiges Staatsexamensfach in die universitären Studienordnungen aufgenommen werden .401 Als „unabdingbare Voraussetzung“ für die Einführung neuer Studiengänge und Zwischenprüfungen betrachtete der Fakultätsrat den Ausbau des Mittelbaus:402 Ohne die Aufstockung akademischer Ratsstellen seien die neuen Prüfungs- und Unterrichtsanforderungen nicht zu bewältigen . Akademische Räte und Rätinnen sollten zum „Unterricht“ der Studierenden in den ersten sechs Semestern, zur Studienberatung sowie zu Zwischenprüfungen herangezogen werden und dazu beitragen, das „Studium der Staatsexamenskandidaten alter Ordnung zu straffen .“ Zur Behebung des
tags (Dekanatskonferenz) der Philos . u . Naturwiss .-Math . Fak . der Univ . u . THs im Bundesgebiet u . WestBerlin v . 07 .01 .1958 betr . Promotions- und Habilitationsrecht, in: UA Freiburg Nr . B003/208 . 396 Vgl . Stellungnahme Kleine Fakultas v . 26 .06 .1965, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 400–402, hier S . 400–401 . 397 Vgl . ebd ., S . 41 . 398 Ebd ., S . 41, vgl . Kap . 3 .2 .1 . 399 Ebd ., S . 42 . 400 Ebd ., vgl . Fakultätsprotokoll v . 17 .07 .1965, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 233 . „An den Vorschriften für das große Latinum in den Staatsexamensfächern der Philosophischen Fakultät darf nichts geändert werden .“ 401 In Nordrhein-Westfalen war das bereits der Fall, vgl . Stellungnahme Kleine Fakultas v . 26 .06 .1965, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 400–402, hier S . 402 . 402 Brief des Dekans Boesch an den Ministerialdirigenten Kieffer, Kultusministerium BW betr . Ordnung der Wissenschaftlichen Prüfung für das Lehramt an Gymnasien, bez . dortiges Schreiben v . 09 .08 .1965 – U III 4300/163, in: UA Freiburg Nr . B003/95, S . 41 . Das folgende Zitat ebd .
Die Entwicklung der Prüfungsordnungen
Mangels an Lehrer_innen empfahl der Fakultätsrat zudem Maßnahmen, die den Promovierten die Möglichkeit zum Lehramt an Gymnasien eröffnen sollten: Er schlug die Abschaffung der Fünfjahresfrist zwischen dem 1 . und 2 . Staatsexamen sowie eine Lehramtseignungsprüfung für diejenigen Absolvent_innen vor, welche die betreffenden Fächer im Magister- und Promotionsstudiengang studiert hatten . Diese Stellungnahme verabschiedete der Fakultätsrat einstimmig und übergab sie im Juli 1965 dem Kultusministerium . Anfang August erhielten die Mitglieder der Prüfungsausschüsse die Antwort des Ministerialdirigenten Kieffer mit vorläufigen „Richtlinien“ für die Neufassung der Studien- und Examensforderungen sowie der Aufforderung, konkrete Änderungsvorschläge bis Anfang September einzureichen . Mit dem Monat August war der Zeitpunkt der Überarbeitung ungünstig gewählt . Außerdem war in den Richtlinien der „Hauptstein des Anstoßes“, die geplante Einführung der Kleinen Fakultas als Pflichtprüfung für alle Studierenden zwar aufgegeben,403 alle weiteren Wünsche der Philosophischen Fakultät jedoch nicht berücksichtigt worden . Der Dekan Boesch reagierte entsprechend verärgert . Anfang Dezember schickte der Fakultätsrat die bereits im August entworfene Antwort des Dekans an den Ministerialdirigenten Kieffer sowie u . a . an den Kultusminister Hahn, den baden-württembergischen Innenminister Filbinger, den Vorsitzenden der Landesrektorenkonferenz Lindemann, den Vorsitzenden des Naturwissenschaftlich-Mathematischen und Philosophischen Fakultätentags Reutter und das Oberschulamt .404 Im Namen der Fakultät erhob der Dekan darin Einwände gegen die Einführung der Kurzzeitstudiengänge, die Begrenzung der Studiendauer und die Reform des Staatsexamens . Dagegen forderte er die Beibehaltung des Philosophikums wie auch des Großen Latinums als Voraussetzung für das Staatsexamen an der Philosophischen Fakultät . Die einzige Möglichkeit für eine Entschlackung des Studiums sah der Fakultätsrat in der Konzentration auf zwei Fächer .405 Nur eine solcherart gestaltete Reform gewährleiste die Aufrechterhaltung der Standards „wissenschaftlicher Ausbildung“, über die der Fakultätsrat Deutungshoheit beanspruchte: Was wir unter den gegebenen Umständen als ‚wissenschaftliche Ausbildung‘ noch glauben verantworten zu können, muß den Sachverständigen der Philosophischen Fakultät überlassen bleiben . Andernfalls müßten wir noch jene uns notwendig erscheinenden Hürden für das Studium einbauen und den künftigen Studienräten auf diese Weise geben, was die Prüfungsordnung ihnen vorenthalten will . Ein solcher Weg wäre nicht geeignet, das
Vgl . den Brief des Dekans der Philos . Fak . Boesch an den Ministerialdirigenten Kieffer, Kultusministerium BW betr . Ordnung der Wissenschaftlichen Prüfung für das Lehramt an Gymnasien, bez . dortiges Schreiben v . 09 .08 .1965 – U III 4300/163, in: UA Freiburg Nr . B003/95 . 404 Vgl . ebd ., vgl . Dekan Boesch an Ministerialdirigent Kieffer v . 03 .12 .1965, in: UA Freiburg Nr . B003/817 . 405 Diese Reform war bereits 1952 in Hinterzarten gefordert worden, vgl . Kap . 3 .3 .1 . 403
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Die Expansion der Philosophischen Fakultät
Studium zu verkürzen und würde uns nötigen, unser Vorgehen auch vor dem Landtag, der Presse und einer breiten Öffentlichkeit zu vertreten .406
Mit dem Festhalten an dem Philosophikum als obligatorischer Prüfung für das Lehramt und dem Latinum als Voraussetzung für das Studium an der Philosophischen Fakultät hielt der Fakultätsrat an dem deutschen Bildungsideal fest . Diese Stellungnahme beförderte jedoch keinen Meinungsumschwung im Kultusministerium .407 Vielmehr zeugt die Auseinandersetzung davon, dass die Bildungskonzeption, die sich auf den Gründungsmythos Humboldt berief,408 in ein asymmetrisches Verhältnis zu gesellschaftlichen Anforderungen geraten war . Die Grenzen der Hybridisierung restaurativer Identitätsentwürfe und dem Modernisierungsparadigma der 1950er Jahre werden daran sichtbar . Die neue, am 06 . Juni 1966 vom baden-württembergischen Kultusministerium erlassene Staatsexamensprüfungsordnung unterschied sich schließlich von der vorhergehenden durch 1 . die Einführung der Zwischenprüfung und der Kleinen Fakultas 2 . die Einschränkung des Latinums als Voraussetzung für alle Studiengänge 3 . die Beschränkung der Studiendauer und der Zeit für die Zulassungsarbeit 4 . die Reduktion des Philosophikums und die Umwandlung von Philosophie und Pädagogik zu Staatsexamensfächern Mit der Festschreibung der Zwischenprüfung in der baden-württembergischen Prüfungsordnung 1966409 entwarf der Freiburger Fakultätsrat eine neue Rahmenordnung .410 Gemäß den neuen Vorgaben war das Große Latinum lediglich für das Studium der Klassischen Philologien, der Geschichte und der Romanistik Voraussetzung . Für Germanistik und Anglistik reichte das Kleine Latinum ebenso wie für Geschichte und Romanistik im Nebenfach .411 Es blieb den Studierenden freigestellt, zwei Hauptfächer 406 Dekan der Philos . Fak . Boesch an Ministerialdirigent Kieffer v . 03 .12 .1965, in: UA Freiburg Nr . B003/817 . Die folgenden Zitate ebd ., vgl . auch die Akten in UA Freiburg Nr . B003/95 . 407 Hahn hatte an dem Schreiben d . Dekans . v . 03 .12 .1965 „erregten Anstoß“ genommen und es als „Drohung“ aufgefasst, vgl . den Antwortbrief des Dekans an W . Hahn v . 16 .12 .1965, in: UA Freiburg Nr . B003/95 . 408 Vgl . Kap . 4 .4 . sowie Kap . 5 .1 . 409 Vgl . Kultusministerium Baden-Württemberg (1966), § 4, S . 608 . 410 Fakultätsprotokoll v . 15 .07 .1967, S . 339 . Die Kommission setzte sich aus drei Professoren und dem Nichtordinarienvertreter Steglich zusammen . 1968 erschien in der Einführungsbroschüre „Studienführer“ ein neuer Abschnitt zur Zwischenprüfung, vgl . Tellenbach (1968), S . 70 . Sie musste in mind . zwei Fächern zw . dem 2 . u . 5 . Fachsemester absolviert werden und stellte die Voraussetzung für den Besuch der Hauptseminare wie auch den Leistungsnachweis für die Bewerbung um eine Studienförderung dar, vgl . „Studienförderung nach dem Honnefer Modell (Barbeihilfen und Darlehen)“, in: Albert-Ludwigs-Universität (1968b), S . 187–202, hier S . 191–192 . Der Prüfungsausschuss sollte aus dem Fakultätsbeauftragten für Zwischenprüfungen als Vorsitzendem, zwei weiteren habilitierten Lehrkräften, zwei WA/AR sowie zwei Studierenden bestehen, vgl . Fakultätsprotokoll v . 02 .12 .1967, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 354–356 . 411 Vgl . Kultusministerium Baden-Württemberg (1966), § 4, S . 608 .
Die Entwicklung der Prüfungsordnungen
oder ein Grundfach und zwei Beifächer zu studieren .412 Anders als an der Naturwissenschaftlich-Mathematischen Fakultät waren für die Zulassungsarbeit nur noch vier Monate vorgesehen . Auch dabei handelte es sich um eine Regelung, die der Fakultätsrat vehement abgelehnt hatte .413 Er erklärte sich aber bereit, die Anforderungen für das Staatsexamen so zu bemessen, dass ein Studium ohne Auslandssemester „im Normalfall in der Zeit von 8 bis 10 Semestern absolviert werden kann .“414 Hauptbestandteil der Studienreform war schließlich die Abschaffung des Philosophikums: „Aus Gründen, die mit der allgemeinen Straffung des Studiums zusammenhängen, verlangt das Land Baden-Württemberg nicht mehr die Ablegung des ‚Philosophikums‘“: Die obligatorische Allgemeinprüfung entfiel .415 Zwar waren weiterhin alle Lehramtsstudierenden zu einem Begleitstudium in Philosophie, Pädagogik oder Psychologie verpflichtet . Allerdings beschränkte es sich auf den Besuch einer einzigen Übung . Freiwillig konnte eine pädagogische Prüfung nach dem 4 . Semester abgelegt werden, die in anderen Bundesländern als Pädagogikum anerkannt wurde .416 Ob sich daran, wie von den Professoren befürchtet, eine „Niveausenkung“ abzeichnete, ist fraglich, da sich die vormals der Philosophie zugeschriebene theoretisch-methodische Reflexion ausdifferenziert und in die jeweiligen Fächer verlagert hatte . Zudem war das Philosophikum für die Promotionsstudiengänge nicht verpflichtend gewesen, wenngleich seit 1952 eine „Anhebung“ des Promotionsniveaus gefordert wurde . Mit der Strukturreform wurde allerdings der Funktionswandel der Philosophischen Fakultät von der Allgemeinbildung zur hochspezialisierten Ausbildung in der Prüfungsordnung für die Staatsexamina verankert . Diesen Prozess beklagten die Professoren ebenso wie die Einführung geregelter Studienpläne und fester Leistungsprüfungen als Verschulung und Erziehung zur Unselbstständigkeit .417 Ihre Perspektive verkannte allerdings vielfach die Bedürfnisse der Studierenden, die weder über Einführungskurse noch Tutorate verfügten,418 und deren Professoren sich größtenteils als Eliteerzieher und Gelehrte begriffen . Besonders denjenigen Studierenden, die nicht aus bildungsbürgerlichen Milieus kamen, boten die neuen Prüfungsordnungen neben der sukzessive eingeführten Studienberatung auch Planungssicherheit, Rückmeldung und Möglichkeiten zur Einschätzung der eigenen Leistung . Der verschlechterten Betreuungsrelation in den studienbegleitenden und den Staatsexamensfächern wurde, so zeigt sich hier, auch durch Veränderungen der
Die Nebenfachprüfung wurde auf 45 Min . reduziert, vgl . Lakebrink/Werner (1968), S . 73 . Vgl . Fakultätsprotokoll v . 11 .12 .1965, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 248, vgl . die Akten in UA Freiburg Nr . B003/95 . 414 Fakultätsprotokoll v . 11 .12 .1965, in: UA Freiburg Nr . B003/799 . 415 Vgl . Lakebrink/Werner (1968), S . 73 . 416 Vgl . „Ratschläge für die Lehramtskandidaten und Hinweise zu den Bestimmungen der Prüfungsordnung“, in: Albert-Ludwigs-Universität (1968b), S . 115–118, hier S . 115, vgl . dies . (1970b), S . 117–120, hier S . 117 . 417 Zu diesem Diskurs über die Philosophische Fakultät 1945–67 hinaus vgl . Jessen (2010), S . 269–270 . 418 Vgl . Sem . für Wiss . Politik (1956) . 412 413
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Die Expansion der Philosophischen Fakultät
Prüfungsordnungen zu begegnen versucht . Das Kultusministerium drängte darauf, dass die Philosophische Fakultät ihre Ausbildungsfunktion nicht mehr auf Elitegruppen beschränken, sondern eine Vielzahl von Studierenden ausbilden solle . Die schlechten Betreuungsrelationen sollten durch engmaschigere und standardisierte Prüfungsordnungen sowie effizienz- und transparenzsteigernde Maßnahmen aufgefangen werden . Bürgerrechtliche wie auch ökonomische Argumentationen stützten die geplante Studienreform, die in der Philosophischen anders als in der Naturwissenschaftlich-Mathematischen Fakultät auf große Widerstände stieß . Dass die verstärkte Festlegung von Zeitrahmen und Leistungsanforderungen auch durch die zunehmende Tendenz einer schleichenden Ausweitung der Abschlussarbeiten notwendig geworden war, wird an der Entwicklung der akademischen Abschlüsse deutlich, die nicht staatlich reglementiert wurden . 3.3.3
Die Einführung des Magisters und der Wandel der Dissertationen
Parallel zu den Beratungen um die Prüfungsordnungen für das Staatsexamen diskutierte der Fakultätsrat 1958/59 und 1966/67 auch die Promotionsordnungen .419 Allerdings war die Aktualisierung der Promotionsordnung weniger durch die „Überfüllung“ motiviert .420 Anlass dafür gab vielmehr die Einführung des Magisters .421 Bis in die 1960er Jahre stellte die Promotion noch den ersten akademischen Abschluss dar, die Habilitation den zweiten, der gemäß der Habilitationsordnung 1951 frühestens zwei Jahre nach der Promotion erfolgen sollte .422 Eine Aufwertung der Promotion wurde aber spätestens seit der Hochschultagung in Hinterzarten 1952 geplant
Vgl . Fakultätsprotokoll v . 08 .09 .1958, S . 51–52 . 87,2 % der Studienanfänger_innen d . Philos . Fak . wählten im WS 1966/67 Staatsexamensfächer, vgl . Link/Wittke (1968), S . 76 . 421 Hinzu kam die Lateinfrage . Während der Fakultätsrat 1958 noch an dem verpflichtenden Großen Latinum für alle Fächer festgehalten hatte, war gemäß der Promotionsordnung vom 20 .10 .1968 in den Fächern Islamkunde, Judaistik, Indologie, Sinologie, Soziologie, Geografie und Ethnologie der Nachweis des Großen Latinums nicht unbedingt erforderlich . In den Fächern Psychologie, Japanologie und Wissenschaftliche Politik sollte das Kleine Latinum ausreichen . In Freiburg verbanden die Geografie und die im Rahmen der Orientalistik gelehrten Philologien sowie die sozialwissenschaftlichen Disziplinen Wissenschaftliche Politik, Soziologie, Ethnologie und die Psychologie mit dem graduellen Verzicht auf Lateinkenntnisse keinen grundlegenden Niveaueinbruch . Vgl . Promotionsordnung der Philos . Fak . der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, 20 .10 .1968, gez . Dekan der Philos . Fak . Eggebrecht, in: UA Freiburg Nr . B003/804 . Ende 1965 hatte die Fakultät in der Islamkunde einen Präzedenzfall geschaffen: Erstmals wurde nicht Latein, sondern Klass . Arabisch geprüft, vgl . Fakultätsprotokoll v . 11 .12 .1965, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 246 . Ab 1965 beriet der Fakultätsrat erneut, ob das Große Latinum für alle Fächer obligatorisch sein müsse, vgl . ebd ., S . 248, vgl . Fakultätsprotokoll v . 15 .07 .1967, in: ebd ., S . 338–339 . 422 Habilitationsordnung d . Philos . Fak . der Univ . Freiburg, in: Nauck (1956), S . 155–156, hier S . 155 . 419 420
Die Entwicklung der Prüfungsordnungen
und mit der Einführung des Magisterabschlusses an Philosophischen Fakultäten langfristig in die Wege geleitet .423 Der Magistergrad wurde Ende der 1950er Jahre bundesweit als ein berufsqualifizierender Abschluss neben Promotion und Staatsexamen diskutiert .424 Er sollte der befürchteten „Doktorinflation“ entgegenwirken – ein Topos, der sich in den 1950er/60er Jahren zwar empirisch nicht nachweisen lässt, im Gegenteil,425 jedoch die professoralen Diskurse durchzog .426 Auch in den Distinktionsbemühungen gegenüber Pädagogischen Hochschulen427 sowie in Bezug auf die internationale Vergleichbarkeit akademischer Abschlüsse wurde die Einführung des Magistergrads erwogen .428 Anders als in den Debatten um die Einführung der reduzierten Staatsexamensprüfung Kleine Fakultas argumentierten die Professoren in Bezug auf den Magisterabschluss nicht krisenrhetorisch mit Nivellierung, Niveauverlust und Verschulung . Vielmehr wurde sie mit einer „Hebung des Doktorgrades“ assoziiert und stieß daher auf keinerlei Bedenken .429 Auf dem Fakultätentag 1958 konzipierten die Dekane der Philosophischen und Naturwissenschaftlich-Mathematischen Fakultäten den Magister als Abschluss „mit eigenem Wert und Ansehen“, der eine „wirksame Beschränkung der Doktorprüfung“ gewährleisten sollte .430 Angesichts des Nebeneinanders von Magister und Doktor prognostizierten sie aber, dass „der Doktor im Berufsleben immer vorgezogen“ wer-
Vgl . Hochschulverband (1952), S . 31, vgl . Grüner (1971), S . 15–16, Brandt (2007), S . 705–706 . Vgl . Studienausschuss für Hochschulreform (1961[1948]) („Blaues Gutachten“), S . 347–348, vgl . die Empfehlungen der Dekanatskonf . d . Philos . Fak . v . 04 .06 .1955 in Marburg, in: UA Freiburg Nr . B003/208 . Die Naturwiss . Fak . begrüßte dieses Anliegen, wünschte aber die Beibehaltung des Diplomexamens, vgl . die Empfehlung der Naturwiss . Fak . v . 03 .06 .1955 in Marburg, in: ebd . Vgl . Protokoll der Konferenz der Dekane der Philos . u . Math .-Naturwiss . Fak . d . Univ . u . d . Allg . Fak . der THs im Bundesgebiet u . West-Berlin v . 07 .01 .1958 in Mainz, in: ebd ., S . 4, 16 (im Folgenden: Protokoll des Fakultätentags v . 07 .01 .1958) . 425 Vielmehr sank der Anteil an Promotionen im Zuge des expandierenden Arbeitsmarkts für Lehrer_innen, in der Germanistik sank sogar die absolute Zahl an Promotionen, vgl . Lundgreen (2007c), S . 365 . Der Anteil an promovierten Lehramtskandidat_innen reduzierte sich drastisch von 33 % 1908 auf 3 % in den 1960er Jahren, vgl . Titze (1999), S . 87 . 426 In den Konferenzprotokollen zu Prüfungsordnungen finden sich durchgehend Hinweise darauf ebenso wie der Wunsch nach Erhöhung der Ansprüche an die Promotion, vgl . Studienausschuss für Hochschulreform (1961[1948]) („Blaues Gutachten“), S . 347–348, vgl . Hochschulverband (1952), S . 31, vgl . Protokoll des Fakultätentags v . 07 .01 .1958, S . 15, in: UA Freiburg Nr . B003/208 . 427 Vgl . Protokoll des Fakultätentags (Dekanatskonferenz) v . 07 .01 .1958, S . 15, vgl . Stellungnahme des Philos . Fakultätentags zur Volksschullehrerbildung v . 28 .02 .1959, in: UA Freiburg Nr . B003/208 . 428 Ebd . Die WRK fasste 1957 eine Umfrage zu „deutsch-ausländischen Hochschulbeziehungen“, ins Auge, die als Grundlage zur „Gleichstellung akademischer Prüfungen und Grade“ dienen sollte . Der Dekan der Philos . Fak . Bergstraesser war zwar der Ansicht, dass „jeder Versuch zur Gleichstellung akademischer Grade“ angesichts der „Mannigfaltigkeit der Universitätsorganisation zum Scheitern verurteilt“ sei, versuchte aber, die internationale Vergleichbarkeit der Abschlüsse voranzutreiben, vgl . die Korrespondenz in: UA Freiburg Nr . B0204/131, Protokoll de Fakultätentags v . 07 .01 .1958, S . 11, in: UA Freiburg Nr . B003/208 . 429 Vgl . Westdeutsche Rektorenkonferenz, Mainz, 28 .01 .1956, „Magistergrad“, in: Neuhaus (1961), S . 71 . 430 Vgl . Protokoll des Fakultätentags v . 07 .01 .1958, S . 4, in: UA Freiburg Nr . B003/208 . 423 424
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de .431 Die angestrebte Lösung, „dass es gelingen könne, den Magister an die Stelle des bisherigen Doktors und diesen an die Stelle des früheren Dr . habil . zu rücken“, stellten die Dekane aber schließlich als „utopisch“ zurück . Anders als in Tübingen und Heidelberg war die Freiburger Philosophische Fakultät sehr an der Einführung des Magisters interessiert und wünschte ein koordiniertes „gemeinsames Vorgehen“ aller Philosophischen Fakultäten .432 Ende Oktober 1955 hatte der Freiburger Fakultätsrat einen Entwurf ausgearbeitet, der dem Kultusministerium überreicht werden sollte .433 Auch eine Kommission der Rektorenkonferenz arbeitete an einer Magisterprüfungsordnung, von der der Fakultätsrat annahm, dass sie dem „Freiburger Entwurf inhaltlich im höchsten Grade entspreche“ .434 Innerfakultäre Diskussionen und Beratungen mit anderen hochschulpolitischen Gremien zogen sich über drei Jahre hin, bis die Magisterordnung 1958 vom Fakultätsrat angenommen und dem Kultusministerium vorgelegt wurde .435 1961 arbeitete der Fakultätsrat letzte vom Kultusministerium gewünschte Änderungen ein, woraufhin die neue Prüfungsordnung in Kraft gesetzt wurde .436 Ganz ähnlich wie es der Historiker Erich Hassinger 1958 vorgeschlagen hatte, stellten die Magisterarbeiten ab 1961 das Äquivalent der Zulassungsarbeiten dar,437 die nun beide zur Dissertation ausgearbeitet werden konnten .438 Neben Staatsexamen und Magister erhielt sich aber lange Zeit die grundständige Promotion als der begehrtere Abschluss .439 Der Magister blieb so zunächst ein wenig frequentierter Studiengang,440 der sich bis auf die kürzere Abschlussarbeit kaum von der Promotion unterschied .441 Anders als bei Magister- oder Zulassungsarbeiten be-
Ebd ., S . 16 . Das folgende Zitat ebd . Fakultätsprotokoll v . 06 .06 .1955, 04 .12 .1954 und 25 .10 .1955, in: UA Freiburg Nr . B003/798, S . 378, 373, 389 . Der Fakultätsrat bedauerte, dass sich die Philos . Fak . Tübingen und Heidelberg von der Prüfung distanzierten und forderte ein „gemeinsame[s] Aktionsprogramm“ . 433 Fakultätsprotokoll v . 25 .10 .1955, in: ebd ., S . 388 . 434 Fakultätsprotokoll v . 18 .01 .1958, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 39 . 435 Fakultätsprotokoll v . 22 .02 .1958, 05 .11 .1960, in: ebd ., S . 40–41, S . 105, vgl . WRK, Mainz, 28 .01 .1956, „Magistergrad“, in: Neuhaus (1961), S . 71 . 436 Fakultätsprotokoll v . 04 .11 .1961 und 20 .02 .1965, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 137, 227 . Im einzelnen wurden die §§ 1a, 1b und 2g der Promotionsordnung leicht abgeändert, in der Magisterprüfungsordnung waren es die §§ 1 (2) und 3 (3) . Zudem wurde das Fach „Neuere Geschichte“ auf Antrag der Historiker in beiden Ordnungen, § 6 bzw . § 3 (2) durch „Neuere und Neueste Geschichte“ ersetzt . 437 Vgl . Erich Hassinger, „Stellungnahme zum Entwurf einer Ordnung der wissenschaftlichen Prüfung für das Lehramt an Gymnasien“ v . 12 .02 .1958, in: UA Freiburg Nr . B0204/134 . 438 Fakultätsprotokoll v . 07 .11 .1964, in: ebd ., S . 213 . 439 Erst in den 1980er Jahren setze sich der Magister als Voraussetzung der Promotion durch . Mit der Einführung des Bachelor-/Mastersystems 2005 wurde an der Philos . Fak . Freiburg die „grundständige Promotion“ abgeschafft . Die Promotion bezeichnet seither den 3 ., die Habilitation den 4 . akad . Abschluss . 440 In Hamburg entwickelte sich der 1960 eingeführte Magister ab 1983 zu einem gängigen Abschluss, vgl . Guhl (2013), S . 85 . 441 Vgl . Ordnung für die akad . Abschlussprüfung (Magisterprüfung) der Philos . Fak . 1968, in: UA Freiburg Nr . B003/804 . 431 432
Die Entwicklung der Prüfungsordnungen
stand bei Dissertationen jedoch Druckzwang .442 Daher liegen die Dissertationen und Habilitationen bis heute größtenteils in der Freiburger Universitätsbibliothek vor . Anders als bei den Magisterarbeiten kann so mit einer quantitativen Auswertung herausgestellt werden,443 ob sich der Umfang der Dissertationen im Zeitraum 1938 bis 1966 gravierend veränderte . Die hier vorliegende, repräsentative Stichprobenanalyse erfasst 51 Habilitationen und 589 Dissertationen der Philosophischen Fakultät im Zeitraum 1938 bis 1966 .444 Die quantitative Entwicklung der Dissertationen und Habilitationen Die Deutsche Forschungsgemeinschaft teilt mit, dass der in letzter Zeit zunehmende Umfang geisteswissenschaftlicher Habilitationsschriften zu verschiedenen Unzuträglichkeiten, auch solchen finanzieller Art geführt habe . Sie bittet die Lehrstuhlinhaber, darauf einzuwirken, dass der Umfang der Habilitationsschriften künftig 240 Druckseiten nicht überschreite,
hielt das Fakultätsprotokoll der Philosophischen Fakultät im Mai 1967 fest .445 Seit 1954 überschritten die Habilitationen in den Freiburger Geisteswissenschaften regelmäßig diese Seitenanzahl (69 %) . Die Auswertung von 51 Habilitationen, die an der Philosophischen Fakultät 1938–66 verfasst wurden, ergab, dass sich allein 10 % der Habilitationen zwischen 45 und 128 Seiten bewegten, weitere 10 % hingegen einen Umfang von 400–650 Seiten aufwiesen . Im Mittel waren sie 278 Seiten lang .446 Die Tendenz, längere und damit auch sehr teure Arbeiten zu schreiben, machte sich ebenfalls bei den Dissertationen bemerkbar .447 Die Auswertung von 589 Dissertationen der Philosophischen Fakultät 1938–66 ergab, dass sie sich nur zu 10 % auf 58 bis 100 Seiten beschränkten . Die oberen 10 % umfassten 317–450 Seiten, in Ausnahmefällen auch mehr als 500 oder sogar 700 Seiten . Mit einem Durchschnitt von fast 200 Sei-
Vgl . § 4 der Promotionsordnung Philos . Fak . Freiburg 1925 sowie die Druckbestimmungen für Dissertationen 1927, in: UA Freiburg Nr . D 76/129, vgl . § 10 der Promotionsordnung 1939, in: ebd . Nr . D 76/111, vgl . den etwas gelockerten § 10 der Promotionsordnung 1947, in: ebd ., Nr . D 76/132 . 443 Tellenbach/Mielitz (1966), S . 21, 23, 29 zufolge sollten Magisterarbeiten 50 Seiten nicht überschreiten . Die verfügbaren Freiburger Magisterarbeiten von 1966 umfassten allerdings 129–205 Seiten . 444 Da an der Philos . Fak . kein Promotionsverzeichnis existierte, wurden hier möglichst viele und mind . 25 % aller Promotionen 1938–66 erfasst . Dabei wurden zur besseren Vergleichbarkeit auch 102 Dissertationen für den Zeitraum 1938–45 ausgewertet, für den Zeitraum 1945–66 sind es 487 Dissertationen . 445 Fakultätsprotokoll v . 06 .05 .1967, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 319 . 446 Das Habilitationsverzeichnis der Freiburger Philos . Fak . zählt 96 Habilitationen 1938–66 . Allerdings ist damit nicht die Anzahl der tatsächlich Habilitierten angegeben . Rückzieher, Umhabilitationen und abgelehnte Habilitationen sind darin ebenso enthalten wie falsche Einträge, vgl . UA Freiburg Nr . B003/1144 . 447 Die Druckkosten in „Höhe von etwa 1 .000 .– DM (dem Preis der photomechanischen Vervielfältigung)“ wurden als „durchaus zumutbar“ betrachtet, vgl . Fakultätsprotokoll v . 06 .06 .1959, in: ebd ., S . 68–69 . 442
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ten handelte es sich bei den Dissertationen zwar um durchaus schmalere Arbeiten als bei den Habilitationen, mehr als 25 % der Dissertationen überschritten aber auch die von der DFG veranschlagten 240 Seiten . Die Mahnung der DFG kam 1967 offenbar zu spät bzw . erreichte nur noch Fächer, in denen ohnehin kürzere Arbeiten gefordert waren . Inwiefern war aber die große Varianz der Dissertationen disziplinären Unterschieden geschuldet und inwiefern zeichnet sich im historischen Verlauf ab, dass sich der Umfang der Arbeiten im Laufe der Jahre steigerte?448 Tab. 5 Dissertationen nach Umfang und Fächern449 Disziplin
Anzahl erfasste Dissertationen im Zeitraum
Umfang (Seiten) im ø
Volkskunde Archäologie Pädagogik Psychologie
12 (1939–42) 11 (1945–66) 5 (1938–65) 27 (1940–66)
125 140 146 148
Musikwissenschaft Philosophie Altphilologie Geschichte Romanistik Kunstgeschichte Anglistik Germanistik
12 (1940–62) 37 (1939–65) 46 (1939–66) 146 (1938–66) 27 (1939–66) 43 (1938–66) 10 (1938–65) 194 (1938–66)
182 183 189 192 196 217 217 221
Orientalistik Politikwissenschaft
3 (1952–65) 16 (1957–66)
237 246
Die Zuordnung zu verschiedenen Fächern ergab im Durchschnitt bei den Dissertationen eine disziplinäre Streuung von 125 (Volkskunde) bis 246 Seiten (Politikwissenschaft) . In der Volkskunde, Archäologie, Pädagogik und Psychologie wurden im Mittel kürzere Arbeiten mit bis zu 150 Seiten geschrieben . In der Musikwissenschaft, Philosophie, Altphilologie, Geschichte, Romanistik, Kunstgeschichte, Anglistik und Germanistik bewegten sich die Dissertationen bei ca . 180–220 Seiten .450 Am oberen Ende rangierten die Arbeiten der Orientalistik und Politikwissenschaft mit durchschnittlich 237 resp . 246 Seiten . Die Unterschiede lassen sich im Fall der Archäologie und der Psychologie aus der Nähe zu den Naturwissenschaften bzw . im Fall der Psychologie auch zur Medizin erklären . Allerdings zeichnet sich ab, dass sich die divergierende Seitenanzahl bis auf diese Ausnahmen weniger aus fachspezifischen Gründen, als vorwiegend
Da der Datensatz mit 51 Habilitationen zu gering ist um weiterführende Aussagen zu treffen, beschränkt sich diese Analyse im Folgenden auf die Auswertung der 589 Dissertationen . 449 Tab. 5, Abb. 12 und Abb. 13 wurden auf der Grundlage der in der Universitätsbibliothek Freiburg gelagerten Dissertationen an der Philos . Fakultät Freiburg sowie der Akte UA Freiburg Nr . B003/1144 erstellt . 450 Vgl . weiterführend die Analyse der Dissertationen in Germanistik von Kreuzpaintner (2021) . 448
Die Entwicklung der Prüfungsordnungen
Seitenanzahl
aus den Zeiträumen erklären, in denen die Dissertationen verfasst wurden . Denn die besonders kurzen Arbeiten in der Volkskunde wurden alle vor 1944 verfasst, die besonders langen Arbeiten lassen sich hingegen den Fächern Orientalistik und Politikwissenschaft zuordnen, die erst in den 1950er Jahren eingeführt wurden . Der mittlere Umfang der Dissertationen erhöhte sich ab Mitte der 1950er Jahre deutlich (vgl . Abb. 12) . 260
219
240 220
205
200 180 160
147
140 120 100 80 60 40 20 0
118 143 152 132 154 163 163 101 152
172 214 190 202 209 222 203 226 210 231 247 190 238 191 230 226 194 226 204
1938
1948
1940
1942
1944
ø Seitenanzahl Diss./Jahr
1946
1950
1952
1954
ø Seitenzahl Diss./letzte Dekade
1956
1958
1960
1962
1964
1966
Linear (ø Seitenanzahl Diss./Jahr)
Abb. 12 Entwicklung des Umfangs der Dissertationen
Abb. 13 Entwicklung d. Umfangs d. Dissertationen von Männern u. Frauen im Vergleich
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Die Expansion der Philosophischen Fakultät
Die steigende Anzahl der Seitenzahlen lässt sich auch nicht darauf zurückführen, dass mehr Frauen promovierten (vgl . Abb. 13) . Zwar wurden etwas mehr als ein Viertel (26 %) aller hier erfassten Dissertationen von Frauen verfasst, ihr Anteil an den Dissertationen erhöhte sich 1938–66 jedoch nicht . Auch ergibt die Auswertung der 425 Dissertationen von Männern im Vergleich zu den 164 Dissertationen von Frauen, dass die Frauen den Trend länger werdender Dissertationen nicht anführten, sondern eher aufholten: Männer schrieben im Zeitraum 1938–1947 im Durchschnitt 18 Seiten längere Arbeiten als Frauen (ø154:136) . Diese Differenz verkleinerte sich auf durchschnittlich 12 Seiten im Zeitraum 1957–66 (ø220:208), während sich der Umfang der Dissertationen von Männern im Mittel um 66 auf 220 Seiten erhöhte, bei den Frauen um 72 auf 208 Seiten . Die Männer zogen somit an, bei den von Frauen geschriebenen Dissertationen ist hingegen ein steilerer Anstieg der Seitenzahlen zu verzeichnen: Wenn die Ausgangsbasis der sehr viel kürzeren Arbeiten von Frauen in den späten 1930er Jahren berücksichtig wird, zeigt sich, dass sie innerhalb der zwanzig Jahre 1946 bis 1966 zwar noch nicht gleichzogen, aber die Differenz deutlich verringerten . Allerdings promovierten Männer auch an Philosophischen Fakultäten fast drei Mal so häufig wie Frauen und schrieben auch die längeren Dissertationen . Insgesamt lässt sich der steigende Umfang von Dissertationen in der Zweiten Nachkriegszeit nicht auf verbindliche Vorgaben, sondern vielmehr auf deren Fehlen bei gleichzeitig wachsenden Ansprüchen und entsprechend höherem Konkurrenz- und Leistungsdruck zurückführen .451 Ob mit der Länge der Arbeiten auch eine Qualitätssteigerung oder -senkung verbunden war und inwiefern dieser Umstand aus dem fortschreitenden Forschungsstand und technischen Entwicklungen resultierte, müsste eine qualitative Untersuchung klären . Ohne offizielle regulierende Vorgaben schnellte der Umfang der Dissertationen an der Philosophischen Fakultät ab 1949 allerdings hoch und steigerte sich im weiteren Verlauf: Langfristig kam die fehlende Beschränkung der Anforderungen einer Steigerung der Seitenzahlen gleich .452 Dadurch verlängerten sich die Arbeiten und zwangsläufig auch die Ausbildungszeiten . Diese „Reform“ der Promotionsstudiengänge blieb unsichtbar und konnte durch die Einführung des Magisters nicht gehemmt werden, der ohnehin in den folgenden Jahren nur beschränkt angenommen wurde . Mit der sich stetig vollziehenden Steigerung der Dissertationsstandards wurde der Magisterstudiengang – wie das Staatsexamen auch – der Promotion zunehmend vorgelagert . Zunächst inoffiziell, schließlich mit der
451 In den Konferenzprotokollen zu Prüfungsordnungen finden sich durchgehend Hinweise auf eine befürchtete „Doktorinflation“ sowie der Wunsch nach Erhöhung der Ansprüche an die Promotion, vgl . Studienausschuss für Hochschulreform (1961[1948]) („Blaues Gutachten“), S . 347–348, vgl . Hochschulverband (1952), S . 31, vgl . Protokoll des Fakultätentags v . 07 .01 .1958, S . 15, in: UA Freiburg Nr . B003/208 . 452 Das reflektierte Tellenbach auf der Marburger Hochschultagung der WRK und KMK 1960, vgl . Gerd Tellenbach, „Studien- und Prüfungsordnungen im Zusammenhang mit der Hochschulreform . Referat auf der Tagung der WRK und KMK“ am 26 ./27 .10 .1960, in: UA Freiburg Nr . C157/4, S . 13, 4 .
Der Ausbau des akademischen Mittelbaus
Abschaffung der grundständigen Promotion trat der Magisterabschluss an die Stelle der vormaligen Promotion . In den Staatsexamensstudiengängen indes trug die Studienreform 1966 diesen unsichtbaren Entwicklungstendenzen Rechnung und beschränkte die Anforderungen . Entsprechend unterschiedlich sind die Entwicklungen in Staatsexamens- und Promotionsstudiengängen und damit verbundene Studienreformen zu beurteilen . In den Promotionsstudiengängen verlängerten sich die Ausbildungszeiten, während die Staatsexamensstudiengänge gestrafft und durch die Reduktion des Philosophikums entschlackt wurden . Darüber hinaus stellte die Einführung von Zwischenprüfungen eine wichtige Zäsur dar, da das Studium nun bei gleichzeitiger Einführung von Tutoraten und Beratungsstellen zunehmend strukturiert wurde . Zudem bot die Zwischenprüfung eine wichtige Argumentationsgrundlage für diejenige Maßnahme, mit der in Freiburg letztlich die „Überfüllungskrise“ gelöst wurde: den Aufbau des Mittelbaus . Denn nach Einschätzung des Freiburger Orientalisten Hans Robert Römer trugen die Studienreformmaßnahmen nicht zur Lösung der „Überfüllung“ bei . Den von Semester zu Semester steigenden Zuwachsraten war weder durch die Einführung von Regelstudienzeiten noch durch den Numerus clausus, Kurzstudiengänge oder neue Prüfungsordnungen beizukommen, und die drangvolle Fülle in Hörsälen, Seminaren und Laboratorien ließ sich auch nicht durch höhere Stundendeputate oder durch die Bestimmungen einer Kapazitätsverordnung eindämmen .453
Wenngleich die Studienreformen zur Entschlackung und Strukturierung des Studiums an der Philosophischen Fakultät beitrugen, lösten sie das Problem der schlechten Betreuungsrelationen nicht . Als wichtigste abfedernde Reformmaßnahme erwies sich in den 1960er Jahren der Ausbau des Mittelbaus . Er setzte zeitlich um ca . zehn Jahre versetzt zum Ansteigen der Studierendenzahlen ein und wurde im Zuge der Einführung der Zwischenprüfungen verstärkt . 3.4
Der Ausbau des akademischen Mittelbaus
Der Begriff „akademischer Mittelbau“ ist eine Erfindung der 1950er Jahre . Er löste den Begriff der „Nichtordinarien“ weitgehend ab und bezeichnet universitäre, vorwiegend mit Lehraufgaben betraute wissenschaftliche Mitarbeiter_innen .454 Sie waren in der Besoldungshierarchie niedriger angesiedelt und verfügten nicht über die gleichen Rechte und Pflichten in der Selbstverwaltung wie die planmäßigen Professoren und Professorinnen . Allerdings wurden seit Ende der 1950er Jahre über die Lehraufträge Römer (1982), S . 31, vgl . S . 28 . Der Begriff „Nichtordinarien“ ist ein Indikator für die zentrale Stellung der Ordinarien, die den Bezugspunkt für die Definition aller anderen Stellen darstellten . 453 454
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und wenigen befristeten Assistenturen und Diätendozenturen hinaus einige unbefristete Beamtenstellen geschaffen, die ein sicheres Auskommen gewährten und die Konzentration auf Lehre und Forschung erlaubten . Die Diskussionen um den Ausbau des Mittelbaus drehten sich um die Definition dieser Stellen, um vorausgesetzte Qualifikationen und angestrebte Funktionen, Status und Rechte der sogenannten Akademischen und Wissenschaftlichen Räte im Hochschuldienst . Die Schaffung dieser Stellen war motiviert durch die schlechte Betreuungsrelation sowie den starken Verschleiß an aufstrebenden Akademiker_innen in der Universitätslaufbahn . Mit der Schaffung unbefristeter Stellen sollte auch die angesichts der Vollbeschäftigung befürchtete Abwanderung junger Wissenschaftler_innen verhindert werden . Zur Einordnung der Neuentwicklung der 1950er Jahre wird zunächst in einer langen Linie die Entwicklung der Gruppe der Nichtordinarien an der Universität Freiburg skizziert . Daran schließt sich die Analyse der Motivationen und Auseinandersetzungen in der Planung sowie des Ausbaus des Mittelbaus im Verhältnis zum Ausbau der Professuren in den 1960er Jahren an . Die Erweiterung des Mittelbaus stellte die wichtigste Maßnahme dar, um die Forschung und insbesondere die Lehre an der Philosophischen Fakultät auf höchstem Niveau fortzusetzen, ohne die Professuren proportional zum Anstieg der Studierendenzahlen zu vermehren . 3.4.1
Die Nichtordinarien und die „Verlaufbahnung des Hochschulberufs“
Die Nichtordinarien, seit den 1960er Jahren vorwiegend „Mittelbau“ genannt, wurden bis in die 1950er Jahre nur selten als konstante Gruppe mit eigenen Interessen wahrgenommen . Vielmehr galten sie als ein Pool zur Rekrutierung wissenschaftlichen „Nachwuchses“ .455 Der oft kritisierte Terminus „Nachwuchs“456 verweist auf traditionelle Familien- und Abhängigkeitsstrukturen deutscher Universitäten, die sich auch in den Begrifflichkeiten des „Doktorvaters“ bzw . der „Doktormutter“ widerspiegeln . Habilitationszeit und Privatdozentur wurden als Adoleszenzphase auf dem Weg zum Ordinariat betrachtet – eine Perspektive, die angesichts der Karriereverläufe und Altersstruktur der Nichtordinarien kaum vertretbar war: „Ein Indiz für die unhaltbar gewordenen Zustände war die Anwendung des Nachwuchsbegriffs auf einen Großteil der für den Universitätsbereich unentbehrlichen Beschäftigten .“457 Die Altersspanne des sogenannten Nachwuchses bewegte sich in den 1950er Jahren zwischen 25 und
Der infantilisierende Begriff „Nachwuchs“ ist bis heute problematisch, da der Terminus Familienstrukturen und Abhängigkeitsverhältnisse evoziert . Der Begriff verdeckt, dass darunter nicht lediglich aufstrebende junge Wissenschaftler_innen subsumiert werden, sondern auch zahlreiche verdiente Mitarbeiter_innen, denen im Universitätslehr- und Forschungsbetrieb erhebliche Verantwortung zukommt . 456 Vgl . etwa Eulenburg (1908) . 457 Bochow/Joas (1984), S . 89 . 455
Der Ausbau des akademischen Mittelbaus
50 Jahren .458 Mit Ausnahme der Jahre 1934–45, in denen die Finanzierung der arischen Nichtordinarien, so sie denn nicht aus politischen Gründen ausgeschlossen oder zum Kriegsdienst eingezogen wurden,459 waren bis in die 1960er Jahre kaum Dauerstellen für Nichtordinarien vorgesehen . Die universitäre Laufbahn ging mit hohen Unsicherheiten, materiellen Engpässen, psychischen Belastungen, Abhängigkeitsverhältnissen und Ehelosigkeit einher .460 An der Philosophischen Fakultät unterschied sich der Grad des Risikos der Universitätslaufbahn je nach Fach . Anders als in der Psychologie existierten in den „Luxusfächern“, aber auch in den Lehramtsfächern aufgrund der Altersgrenze beim Eintritt in das Referendariat kaum alternative Berufsmöglichkeiten .461 Zwar waren anders als zu Beginn der Weimarer Republik einige befristete Assistenturen und Diätendozenturen zu besetzen . Dennoch war das Risiko akademischer Karrierewege an der Philosophischen Fakultät vergleichsweise sehr hoch .462 „Bei uns – das weiß jeder – beginnt normalerweise die Laufbahn eines jungen Mannes, der sich der Wissenschaft als Beruf hingibt, als ‚Privatdozent‘ . Er habilitiert sich […] und hält nun, unbesoldet, entgolten nur durch das Kolleggeld der Studenten, Vorlesungen“,463 hatte Max Weber 1919 den universitären Karriereverlauf zusammengefasst und als plutokratisch kritisiert, da er grundsätzlich ein Privatvermögen voraussetzte . Er beschrieb die Möglichkeit, „in die Stelle eines vollen Ordinarius und gar eines Institutsvorstandes einzurücken“ angesichts der intransparenten Auswahlkriterien als „Angelegenheit, die einfach Hasard ist“ .464 Die „Verlaufbahnung“ des Hochschullehrerberufs setzte mit der Durchsetzung der neuen Qualitätsanforderung der Habilitation und der Privatdozentur als Karrierestufe
Vgl . Asemissen/Frenzel/Goldschmidt et al . (1956), S . 51 . Die NS-Reichshabilitationsordnung 1934/39 sicherte die Finanzierung der Assistenten und ernannte PDs zu Beamten auf Widerruf, vgl . Paletschek (2004b) . 460 Vgl . die qualitativen Interviews von Anger (1960), S . 360–451, insb . S . 386–408, und Krockow (1956) . 461 Vgl . Krockow (1956), S . 156, vgl . S . 129 . 462 Diätendozenturen wurden erst während des NS eingeführt, vgl . Paletschek (2004b), S . 1386 . Während der ersten Expansionsphase des deutschen Hochschulsystems wurden allein „unter- und nichtbezahlte Extraordinariate und Lehraufträge geschaffen“, Paletschek (2004a), S . 1381, darüber hinaus langsam auch Assistenturen, an der Philosophischen Fakultäten allerdings erst in größerer Anzahl ab den 1920er Jahren, vgl . Paletschek (2001a), S . 248–260, insb . S . 250, Anm . 60 . 463 Vgl . Weber (1988[1919]), S . 582, 585 . Die PDs der Habilitationsjahrgänge 1870–1932 rekrutierten sich vorwiegend aus dem Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum, vgl . Paletschek (2001a), S . 279–283 . 464 Vgl . Weber (1988[1919]), S . 585 . Paletschek weist darauf hin, dass Max Weber mit dieser transparenzschaffenden Perspektive eine Ausnahmeerscheinung darstellte: Während der Weimarer Republik wurde die Privatdozentur als Beitrag zur „Weltgeltung deutscher Wissenschaft“ gepriesen und zwar nicht mit dem Verweis auf die Professionalisierungstendenzen, die eine „Verlaufbahnung des Hochschulberufs“ mit sich brachte, oder die durch ihre unsichere Situation begünstigte starke Abwanderung deutscher PDs ins Ausland . Vielmehr wurde eine besondere wissenschaftliche Freiheit in die von Abhängigkeit geprägte Privatdozentur hineinprojiziert, die sich etwa ab den 1880er Jahren mit der Einführung der Habilitation durchsetzte, vgl . ebd ., S . 227–228, vgl . ähnlich für die 1950er Jahre Nauck (1956), S . 32, 55–65 . 458 459
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ein .465 In Freiburg war die Habilitation bereits am 14 . April 1818 auf Erlass der badischen Regierung für alle Fakultäten vorgeschrieben worden .466 Bis 1934 differenzierten sich die Habilitationsordnungen der einzelnen Fakultäten aus .467 Die Habilitation setzte sich als universitäre Laufbahnstation zunehmend durch . Sie bewirkte eine Professionalisierung einerseits, eine „Abschottung der Hochschulkarriere“ andererseits, da sie die bis dahin auch an der Philosophischen Fakultät übliche Fluktuation zwischen außer- und inneruniversitären Karrierewegen einschränkte .468 Bis zum Ende des 19 . Jahrhunderts waren die Grenzen zwischen habilitierten und nichthabilitierten Universitätslehrern jedoch noch fließend .469 Die Privatdozierenden waren prototypisch dadurch definiert, dass sie eine Lehrverpflichtung, aber keine Planstelle hatten und ihr Einkommen durch das Kolleggeld bestritten, das Eintrittsgeld für Vorlesungen, das bis zur Kolleggeldreform 1964 gezahlt wurde . Da dieses kaum so üppig ausfiel, dass sich PDs damit finanzieren konnten, rekrutierten sich viele von ihnen aus wirtschaftlich gesicherten Verhältnissen – ein Zusammenhang, der spätestens mit der Währungskrise 1923 implodierte .470 Bereits zu Beginn des 20 . Jahrhunderts wurden vergütete Lehraufträge vergeben471 und sukzessive auch Assistenturen für habilitierte und nichthabilitierte Nichtordinarien an der Philosophischen Fakultät geschaffen .472 Assistenten – und sehr selten auch Assistentinnen – übernahmen große Anteile des universitären Unterrichts .473 Während die Nichtordinarienbewegung vor dem Ersten Weltkrieg nur geringe Erfolge verzeichnen konnte,474 wurden ihre Rechte während der Weimarer Republik aufgewertet . Gemäß der Freiburger Universitätsverfassung war ab 1919 auch ein Repräsentant der Nichtordinarien an der fakultären Selbstverwaltung beteiligt .475 Ausgelöst durch den politischen Systemwechsel 1933, die Verdrängung nichtarischer und politisch unerwünschter Lehrkräfte, den Generationswechsel und neuartige Verwissenschaftlichungsprozesse machte sich zunehmend ein Nachwuchsmangel bemerkbar . Um akademische Abwanderung zu verhindern und nachrückende Kräfte an
465 Vgl . Paletschek (2001a), S . 225–272, vgl . dies . (2004b), S . 1367 . 466 Vgl . ausführlich Nauck (1956), S . 26–28, 31 . 467 Vgl . ebd ., S . 26–31 . 468 Paletschek (2004b), S . 1367 . 469 Vgl . Nauck (1956), S . 29 . 470 Vgl . ebd ., S . 53–55 . 471 Vgl . Paletschek (2001a), S . 235 . 472 Vgl . Nauck (1956), S . 54 . Zunächst wurden sie für das Museum für Urgeschichte und Ethnologie, 1905
im Seminar für klassische Philologie und im psychologischen Laboratorium geschaffen . 473 Vgl . Ferber (1956), S . 21, vgl . Bruch (1989), S . 84 . 474 Vgl . Bruch (1984b), S . 79–81, vgl . Ferber (1956), S . 179, Anm . 31, vgl . Eulenburg (1908) . 475 Verfassung der Universität Freiburg 1919, A . Verfassung der Fakultäten . § 1, in: Gerber (1957b), S . 225– 226 . Wenn ihre Anzahl zehn überstieg, sollten zwei Vertreter entsandt werden . Die Nichtordinarienvertreter hatten in ihrem Fach kein Stimmrecht in Habilitations-, Berufungs- und Beförderungsangelegenheiten . Die Dekane konnten nur aus der Gruppe der Ordinarien gewählt werden .
Der Ausbau des akademischen Mittelbaus
das Regime zu binden,476 wurde der Status der Nichtordinarien durch die NS-Reichshabilitationsordnung 1934/39, die Diätenordnung für Dozenten und die Reichsassistentenordnung 1939 verbessert . In diesen zentralisierten, reichsweit gültigen Ordnungen wurde Privatdozenten mit der Lehrbefugnis auch eine Stelle mit festen Bezügen und Beamtenstatus auf Widerruf verliehen sowie die Finanzierung von Assistenten sichergestellt .477 Gleichzeitig war die Lehrberechtigung an die politische Zuverlässigkeit gekoppelt, so dass erhöhte Stellensicherheit und vermehrte Mitbestimmungsrechte mit politischem Anpassungsdruck einhergingen . In Freiburg wurde der Fakultätsrat auf Grundlage eines ministeriellen Erlasses vom 16 . Januar 1934 für alle Dozenten geöffnet .478 Mit den „Richtlinien zur Vereinheitlichung der Hochschulverwaltung“ vom 3 . April 1935 entfiel die Unterscheidung zwischen Ordinarien und Nichtordinarien;479 sie wurden zur „Deutschen Dozentenschaft“ zusammengefasst . Die Nationalsozialisten setzten politische Zuverlässigkeit fordernd und Karrierechancen fördernd vorwiegend auf die nachrückenden Hochschullehrer:480 Wissenschaft war eine wichtige Ressource, die durch die Verminderung des Risikos der Universitätslaufbahn ausgebaut und gleichzeitig auf die NS-Zielvorgaben ausgerichtet wurde . In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurden die NS-Hochschulreformen allesamt zurückgenommen . Die Vergabe von Assistenturen und Diätendozenturen war zunächst an die Zustimmung der Militärregierung gebunden .481 Von ihr gingen dabei durchaus Reformvorschläge aus: Der Universitätsbeauftragte der französischen Militärregierung in Baden, General Raymond Schmittlein, plante etwa, die Habilitation als Zugangsvoraussetzung für eine universitäre Laufbahn abzuschaffen .482 Bereits 1945 bereiteten die Fakultäten jedoch die Wiedereinführung der Habilitationsordnungen vor .483 Die Bewilligung von Diätendozenturen und die Verbeamtung auf Probe wurVgl . Grüttner/Hachtmann (2010) . Vgl . Titze (1989), S . 233, vgl . Nauck (1956), S . 31–32 . Vgl . Martin (1991), S . 20 . Vgl . Maas (1991), S . 29, vgl . Faßnacht (2000), S . 88–92, Nagel zufolge gaben die Nichtordinarien in den ersten NS-Jahren „vielfach den Ton an den Universitäten an“, Nagel (2012), S . 258–259 . 480 Vgl . Titze (1989), S . 232–233 . Der Anteil von NSDAP-Mitgliedern an den Nichtordinarien war entsprechend so hoch, dass über die „Privatdozentenkrankheit“ gespöttelt wurde, vgl . Grüttner (2002), S . 341, vgl . ders . (2000), S . 568–574 . 481 Vgl . Bad . Ministerium des Kultus und des Unterrichts Nr . A . 2596, Freiburg, 09 .08 .1946 an das Akad . Rektorat Freiburg betr . Personaleinstellung, Nr . A 1000, Freiburg, 15 .03 .1947, mit Bezugnahme auf die Verfügung der Militärregierung v . 25 .06 .1946 Nr . 2882/DGAA/EDU, den Erlass v . 16 .01 .1947 No-Allg . 85, in: UA Freiburg Nr . B003/77 und Nr . B003/99 . Zu den Personaleinschränkungen, die neben den Entnazifizierungsverfahren explizit die Entlassung der noch vorhandenen Kriegsassistenten und die Herabsetzung der Zahl der wiss . Assistenten und Hilfskräfte vorsahen vgl . Rektor der Albert-Ludwigs-Universität Nr . 1468, am 30 .03 .1946 an die Dekane betr . Personaleinschränkung, in: UA Freiburg Nr . B003/077 . 482 Vgl . Faßnacht (2000), S . 138, vgl . Defrance (2007), S . 578 . 483 Vgl . „Habilitationsordnung für die Philosophische Fakultät der Universität Freiburg i . Br .“, in: Nauck (1956), S . 155–156, vgl . S . 32, vgl . Fakultätsprotokoll v . 15 .09 .1945, in: UA Freiburg Nr . B003/798, S . 149, vgl . die Fakultätsprotokolle v . 29 .07 .1961, 08 .11 .1961, 16 .01 .1965, 20 .02 .1965, 09 .07 .1966, 10 .06 .1967, 15 .07 .1967, 23 .11 .1968, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 136, 139, 220, 225, 275, 327, 334 . 476 477 478 479
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den ab 1949 wieder föderal geregelt und unterstanden den Landesministerien . Die Freiburger Universitätsverfassung legte die Mitbestimmungsrechte der „Privatdozenten“ wieder auf den Stand von 1919 fest: 1947 bis 1956 war so nur ein Repräsentant der Nichtordinarien im Fakultätsrat vertreten . Erst mit der Einsetzung der neuen Grundordnung nahmen schließlich ab 1956 zwei bis drei habilitierte Nichtordinarien an den Fakultätssitzungen teil . Für die Rechtsverhältnisse der Assistent_innen galten weiterhin die Reichsassistentenordnung und der Runderlass des Reichserziehungsministeriums vom 1 . Januar 1940 – „mit Ausnahme der ausgesprochenen nat . soz . Bestimmungen“ .484 Das Recht zur Einstellung und Entlassung wissenschaftlicher Assistent_innen wurde mit der Gründung des Landes Baden-Württemberg wieder den Universitäten übertragen . Angesichts der steigenden Frequenz – aus der Perspektive des Fakultätsrats „von einer drastischen Studentenflut überschwemmt“ – drang der Fakultätsrat 1958 auf eine Änderung der Reichsassistentenordnung .485 1961 legte die Geschäftsstelle des Hochschulverbands einen Vorschlag zu einer neuen Muster-Assistentenordnung vor . Sie wurde in Freiburg im Fakultätsrat wie auch in der allgemeinen Assistentenversammlung besprochen, die sich am 24 . Oktober 1961 konstituierte .486 1963 erging dann der KMKBeschluss über die Rahmenrichtlinien einer Assistentenordnung für wissenschaftliche Hochschulen . In den folgenden Jahren kursierten verschiedene Entwürfe für eine neue Assistentenordnung in der Bundesrepublik und in Baden-Württemberg;487 die modifizierte Reichsassistentenordnung blieb allerdings bis 1970 in Kraft .488 Die Philosophische Fakultät verfügte 1946 lediglich über fünf planmäßige Assistenturen . Sie wünschte dringend einen Ausbau dieser Stellen, da angesichts des „zu erwartenden starken Andrangs von Studierenden die jetzt vorhandene Zahl von Assistenten und Hilfskräften zur Bewältigung der Arbeit kaum ausreichen“ werde .489 Neben den „klassischen“ Nichtordinarienstellen, die alle befristete Durchgangsstellen waren, sowie den Lektoraten in den Philologien wurden in den 1950er Jahren weitere Mittelbaustellen geplant . Die Förderung akademischer Karrierewege an Universitäten wurde in den Hochschulreformdiskussionen der Nachkriegszeit erneut angegangen:490 484 Kultusministerium Baden-Württemberg H 2167 v . 15 .10 .1952, an d . Rektor d . Univ . Freiburg betr . Ernennung und Entlassung der wiss . Assistenten, in: UA Freiburg Nr . B003/99 . Das folgende Zitat ebd . 485 Vgl . Dekan der Philos . Fak . an das Kultusmin . Baden-Württemberg am 08 .07 .1958 betr .: Erteilung von Lehraufträgen an nichthab . Assistenten, die eine selbständige Übung o . Vorlesung abhalten, Bezug: Erlass des Kultusmin . Nr . N 13 . 1 b – H 4163, in: UA Freiburg Nr . B003/099 . 486 Vgl . UA Freiburg Nr . B003/099, darin auch der Entwurf zur neuen Assistentenordnung . 487 Vgl . prominent Bundesassistentenkonferenz (BAK) (1968) . 488 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 02 .06 .1962, 03 .02 .1968, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 159, 160, 375, vgl . Fakultätsprotokoll v . 25 .10 .1969, 31 .01 .1970, in: UA Freiburg Nr . B003/825 . 489 Dekan der Philos . Fakultät an das Ministerium des Kultus und Unterrichts über das Akad . Rektorat am 19 .02 .1946, in: UA Freiburg Nr . B003/77 . 490 Vgl . die Forderungen d . nordwestdt . u . süddt . Hochschultags, Münster, 09 .09 .1947, „Sicherung des Hochschullehrernachwuchses“, in: Neuhaus (1961), S . 32, WRK, Tübingen, 03 .01 .1952, „Diätendozenturen“,
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Ab Mitte der 1950er Jahre ist eine Planungsphase erkennbar, in der die Auseinandersetzungen um die Stellenkonzeptionen stattfanden . In den 1960er Jahren wurden die Pläne umgesetzt und der Mittelbau ausgebaut . 3.4.2
Motive und Planungen zur Entwicklung des Mittelbaus
Die Diskussionen um den akademischen Mittelbau fanden bundesweit statt . Sie entwickelten sich aus der seit den späten 1940er Jahren diskutierten Streitfrage, ob Professuren mit einem Schwerpunkt in der Lehre, sogenannte „Studienprofessuren“, eingeführt werden sollten . Während das Blaue Gutachten des deutsch-britischen Studienausschusses für Hochschulreform 1948 und der Hofgeismarer Kreis 1956 diese Konzeption befürworteten, entschieden sich sowohl die Rektorenkonferenz unter Mitwirkung von Tellenbach als auch die von ihm mitorganisierten Konferenzen in Hinterzarten 1952 und Honnef 1955 für andere Formen der Erweiterung und Struktur des Lehrkörpers .491 Das Blaue Gutachten erklärte die Notwendigkeit zur Hochschulreform 1948 aus zweierlei Gründen: Zum einen sollte der befürchteten universitären Entwicklung zu einem „Konglomerat von Fachschulen“ und zur Ausbildung von „Fachspezialisten“ entgegengewirkt werden .492 Zum anderen sollte die offen zu Tage tretende Mittellosigkeit der Nichtordinarien gemindert werden . Der Studienausschuss hob hervor, dass eine „sozial einseitige Auslese der Dozenten nicht erwünscht“ sei und mahnte Reformbedarf an .493 Einerseits sollten neue, attraktivere Möglichkeiten geschaffen werden, „das Risiko der Habilitation einzugehen“,494 andererseits sollte die Hochschullaufbahn risikobehaftet bleiben „um die fernzuhalten, die um dieses Zieles willen nicht auch gewisse Opfer zu bringen bereit sind .“495 Die intransparenten Filter zur Auswahl sollten somit beibehalten, der Rekrutierungspool jedoch verbreitert, sozial integrativer und grundsätzlich attraktiver gestaltet werden . Das Blaue Gutachten schlug neben der Vermehrung der Diätendozenturen die Einrichtung neuartiger Stellen für sogenannte Studiendozenten vor, die nach einer besoldeten Probezeit von drei Jahren in: ebd ., S . 46–47, 3 . Hochschulverbandstag, Stuttgart, 28 .06 .1953, „Nachwuchsfragen“, in: ebd ., S . 105–106 . 491 Vgl . WRK, Tübingen, 11 .10 .1949, „Vermehrung der Assistentenstellen“, in: Neuhaus (1961), S . 36–37, Empfehlung d . Hinterzartener Arbeitstagungen 1952, „Ergänzung u . Gliederung der Lehrkörper: Nichtordinarien- und Nachwuchsfragen“, in: ebd ., S . 400–433, hier S . 400–404, Hochschultagung in Bad Honnef . Gegenwartsprobleme d . deutschen Hochschulen, Empfehlung Abt . I, „Gliederung und Ergänzung des Lehrkörpers, 1954“, in: ebd ., S . 455–459, WRK, Frankfurt a . M ., 29 .11 .1956, „Zum Ausbau des Lehrkörpers und zur Stellung der Nichtodinarien“, in: ebd ., S . 75–77 . 492 Studienausschuss für Hochschulreform (1961[1948]) („Blaues Gutachten“), S . 290 . Das folgende Zitat ebd . 493 Ebd ., S . 311 . 494 Ebd ., S . 313 . 495 Ebd ., S . 311 .
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fest angestellt und als „Studienprofessoren“ verbeamtet werden sollten .496 Sie sollten in erster Linie Aufgaben in der Lehre, Einführungsseminare und Repetitorien, Studienberatung und Gutachten für Studierende übernehmen . Neben Assistent_innen und Privatdozierenden sollten auch außeruniversitäre Berufstätige wie etwa Studienrät_innen oder Richter_innen berufen werden . Damit strebte der deutsch-britische Ausschuss an, den „Kontakt mit den akademischen Berufen, mit der Wirtschaft und im allgemeinen mit dem praktischen Leben,“ den Austausch zwischen Universitäten und Öffentlichkeit, zu verbessern . Allerdings war damit verbunden, dass „auch NichtHabilitierte Professuren erhalten können .“ An diese Vorschläge knüpften 1956 die Empfehlungen des Hofgeismarer Kreises zur Neugliederung des Lehrkörpers an, die den Begriff „Studiendozent“ oder „Studienprofessor“ durch die „Unterrichtsgruppe“ ersetzten .497 Die Reformvorschläge bauten auf den empirischen Befunden der von Plessner 1956 herausgegebenen historischen und soziologischen Untersuchungen zur Lage der Hochschullehrer auf .498 Auf Grundlage dieser nach Fachbereichen gegliederten Erhebungen kritisierten die Empfehlungen des Hofgeismarer Kreises den Verlauf der akademischen Laufbahnen . Sie wiesen auf die Abhängigkeitsverhältnisse und die „‚Vormachtstellung‘ der Lehrstuhlinhaber“ hin, in denen sie die „Wurzeln des sogenannten ‚Nichtordinarienproblems‘ mit seinen schweren Belastungen“ sahen .499 Ein Lehrstuhl kann heute selbst bei bester Bewährung nur von einer Minderheit des Nachwuchses erreicht werden, und dies geschieht überdies in der Regel nicht vor der Mitte des fünften Lebensjahrzehnts, oft sogar erst am Ende des Lebensalters […] . Solange das Ordinariat im heutigen Sinn als das einzige natürliche und würdige Ziel einer akademischen ‚Laufbahn‘ angesehen wird, wird jeder, der nicht Ordinarius wird, materiell und ideell als gescheitert betrachtet . Dieses weit verbreitete Fehlurteil berücksichtigt die veränderte Lage in keiner Weise und ist die Folge eines falsch fixierten Berufsideals . Anderen Kreisen ist diese Vorstellung ganz fremd; so wäre es absurd, zu denken, daß jeder Richter, der nicht Landgerichtspräsident, jeder Techniker, der nicht Generaldirektor, jeder Pfarrer, der nicht Bischof wird, im Grunde beruflich gescheitert sei . Die rechtliche, soziale und wirtschaftliche Unordnung, die hier im Zuge der Entwicklung eingetreten ist, bewirkt einen Verschleiß an wertvollster menschlicher Substanz, der unerträglich geworden ist . Mit dem natürlichen Risiko des Scheiterns, den jedes hohe berufliche Streben mit sich bringt, hat dies Ebd ., S . 309 . Das folgende Zitat ebd . Vgl . Hofgeismarer Kreis (1961[1956]), S . 466–504, Bartz (2006), S . 32, 33, 66, Paulus (2010), S . 159–163 . Mitglied des Hofgeismarer Kreises war u . a . Plessner . Er leitete Mitte der 1950er Jahre ein Projekt zur „Untersuchung der Lage der Hochschullehrer“ . Die Studie basierte auf quantitativen Erhebungen und qualitativen Interviews sowie auf Statistiken zu Zusammensetzung, Aufbau und Gliederung des Lehrkörpers an dt . Hochschulen 1864–1954, vgl . Asemissen/Frenzel/Goldschmidt et al . (1956), Busch (1956), Ferber (1956) . Die Studie entwickelte sich zum Standardwerk der Hochschulreform, vgl . u . a . Tellenbach (1963[1953]), S . 122, ders . (1963[1957]), S . 267, Endnote 18, 22, ders . (1963[1960]a), S . 239 . 499 Hofgeismarer Kreis (1961[1956]), S . 478 . Das folgende Zitat ebd . 496 497 498
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fast gar nichts mehr zu tun . Eine sich selbst überlassene lebendige Entwicklung führt eben nicht immer zum Guten, sondern kann sehr in die Irre gehen; was in Jahrzehnten versäumt worden ist, muß jetzt endlich durch eine planvolle Neuordnung nachgeholt werden .
Die von ihnen vorgesehene „Unterrichtsgruppe“ sollte ebenso wie die vom Blauen Gutachten vorgeschlagenen Studienprofessuren für die Lehre sowie die Wissenskommunikation zwischen Universität und Öffentlichkeit verantwortlich sein .500 Der Hofgeismarer Kreis mahnte die ausstehende Modernisierung der Hochschulen an und wies auf den erhöhten gesellschaftlichen Bedarf an akademisch ausgebildeten Fachkräften hin, dem es dringend nachzukommen gelte .501 Er rückte die kontinuierlich steigende Studierendenanzahl in den Vordergrund, die „weniger Wissenschaft im Sinne der Forschung als eine gediegene Vorbildung für einen akademischen Beruf “ von der universitären Ausbildung erwarteten .502 Hiervor dürften die Universitäten nicht länger die Augen verschließen und müssten einsehen, dass „man für die Berufsvorbildung so großer Studentenzahlen eine besondere Gruppe von Lehrern braucht“, während gleichzeitig ganz traditionell die „Hauptaufgaben für die Mitglieder der Spitzengruppe wie früher Forschung und Lehre sein können .“503 So unterschied der Kreis in seinen Vorschlägen zu Aufbau und Gliederung des Lehrkörpers drei universitäre Funktionsgruppen, denen jeweils die Schwerpunkte in 1 . wissenschaftlicher Forschung und zur Forschung befähigender Lehre, 2 . wissensvermittelndem, berufsvorbildenden „Unterricht“ sowie schließlich 3 . „wissenschaftlicher Routinearbeit“, technischen und Verwaltungsaufgaben zufallen sollten .504 Weiterhin war geplant, die Stellen für die „Unterrichtsgruppe“ nicht als Durchgangs-, sondern als Dauerstellen zu implementieren . Zwischen der Verabschiedung dieser beiden Empfehlungen 1948 und 1956 waren auf der Hinterzartener Arbeitstagung 1952 und deren Nachfolgekonferenz in Honnef 1955 weitere Vorschläge zur Ergänzung und Gliederung des Lehrkörpers entwickelt worden . Tellenbach, der Organisator der Hinterzartener Tagung, betonte angesichts der neuen Umstände und Anforderungen die doppelte Aufgabe der Universität, nicht nur den Forschernachwuchs auszubilden, sondern den ungeheuer vermehrten Bedarf der modernen Wirtschaft, Technik, Verwaltung und Volksbildung, der Justiz und des Gesundheitswesens an hochqualifizierten und leistungsfähigen Arbeitern zu decken .505
Vgl . ebd ., S . 472–481 . Dieses Anliegen kennzeichnete die Universitätsreformer der Nachkriegszeit, vgl . Studienausschuss für Hochschulreform (1961[1948]) („Blaues Gutachten“), S . 291, vgl . Tellenbach (1963[1957]) . 502 Hofgeismarer Kreis (1961[1956]), S . 425 . 503 Ebd ., S . 475, 479 . 504 Ebd ., S . 478–479 . 505 Tellenbach (1952b), S . 10 . 500 501
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Er charakterisierte die Lage der jüngeren Hochschullehrer als „antiquiert und physisch wie moralisch lähmend“ und mahnte Reformen an, da „die vervielfachten Studentenzahlen bei nicht annähernd entsprechender Vermehrung der Lehrstellen“ den „Lehrbetrieb alten Stils erst recht unwirksam zu machen“ drohe .506 Anders als die Vorschläge des Blauen Gutachtens sah Tellenbach keine Aufgabenteilung vor . Den Missständen sollte durch verbesserte pädagogisch-didaktische Maßnahmen, die Konzentration des Stoffs und die Einführung von berufsqualifizierenden „Vorbereitungsdiensten nach dem Studium“ entgegengewirkt werden: Die in Hinterzarten 1952 entwickelten Vorschläge zur Verbesserung der Lage der Nichtordinarien sahen keine Stellen für Studienprofessoren vor . Da die akademische Lehre und Forschung allerdings in hohem Maße von nichtplanmäßigem Personal auf unsicheren, chronisch überlasteten Stellen getragen wurde,507 sollte deren finanzielle Sicherung durch einen Stellenausbau auf allen Ebenen geleistet werden: Die Hilfskraftsstellen sollten vermehrt sowie neue Assistenturen geschaffen werden, und zwar „unabhängig von ihrer etwaigen Habilitation“ .508 Daneben war die Vermehrung der Diätendozenturen von 25 % auf 40 % der Lehrkräfte geplant . Planmäßige Extraordinariate sollten in Ordinariate umgewandelt werden, nichtetatisierte Extraordinariate in planmäßige . Was die „Vermehrung der Lehrstühle“ anging, sei jedoch zu prüfen, „inwieweit die Verdoppelung vorhandener zentraler Lehrstühle der Schaffung neuer Speziallehrstühle vorzuziehen“ sei .509 Bis auf die vorgeschlagene Entkopplung von Habilitation und Assistenturen plädierten diese Reformvorschläge für eine Beibehaltung und Stärkung universitärer Hierarchien . Damit war zwar vorgesehen, das Universitätssystem auf eine breitere Basis zu stellen, an den konkreten Zahlenverhältnissen sowie der Tendenz gegen die Etablierung von Parallelprofessuren zeigt sich aber, dass der Ausbau nicht gleichmäßig, sondern vorwiegend in den unteren Ebenen erfolgen sollte . Die Hochschulreformtagung in Honnef 1955,510 die von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder und der Westdeutschen Rektorenkonferenz getragen wurde, nahm diese Empfehlungen auf, wich aber in zwei Punkten davon ab . Das Hinterzartener Plädoyer für einen verstärkten Gesamtausbau wurde in Honnef dadurch modifiziert, dass hier wiederum ein neuartiger Typus von Dauerstellen vorgeschlagen wurde, nämlich verbeamtete Planstellen für „Wissenschaftliche Räte“ . Diese sollten nicht „zu Lasten anderer Planstellen im Hochschulbereich“ gehen, waren also nicht als
Ebd ., S . 10–11, das folgende Zitat ebd ., S . 11 . Empfehlungen der ersten Hinterzartener Tagung, in: Hochschulverband (1952), S . 21–47, hier S . 21–23 . Ebd ., S . 22 . Ebd ., S . 21 . Die Konferenz in Honnef 1955 ist als diejenige in Erinnerung geblieben, in der Studienförderung nach dem Honnefer Modell beschlossen wurde, das 1957/58 eingeführt und 1971 durch das BAFöG abgelöst wurde . Hingegen ist weithin in Vergessenheit geraten, dass auf dieser Hochschulreformtagung auch Fragen der Gliederung und Ergänzung des Lehrkörpers diskutiert wurden .
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Ersatz für Professuren gedacht .511 Auch waren sie nicht als „Versorgesicherung für ältere verdiente Nichtordinarien“ vorgesehen, sondern ausschließlich für „wissenschaftlich qualifizierte Privatdozenten“:512 Wissenschaftliche Ratsstellen sollten somit an die Habilitation gekoppelt werden . Die noch im Blauen Gutachten angestrebte Möglichkeit, mit „Studienprofessoren“ den Austausch zwischen Wissenschaft und außeruniversitären „Praktikern“ zu verbessern, wurde damit ad acta gelegt . Mit der Konzeption der Stellen für „Wissenschaftliche Räte“ kam neuer Schwung in die Diskussion um die Erweiterung des Mittelbaus . Was darunter gefasst wurde, unterschied sich teilweise weitgehend von dem auf der Honnefer Konferenz vorgelegten Entwurf . Der Dekanatskonferenz der Philosophischen und Naturwissenschaftlich-Mathematischen Fakultäten zufolge sollten Wissenschaftliche Ratsstellen dazu dienen, „wertvolle Lehrkräfte, welche keine planmäßige Professur erreichen können, der Universität zu erhalten und für ihr Alter sicherzustellen .“513 Gleichzeitig hielt die Dekanatskonferenz es aufgrund der wachsenden Frequenz in vielen Fächern „einstimmig für dringend notwendig, hier unverzüglich zusätzliche Lehrstühle und Stellen für Hilfskräfte“ zu schaffen . Der Ministerialrat des Kultusministeriums Baden-Württembergs und Leiter der Hochschulabteilung Gerhard H . Müller begründete die Notwendigkeit Wissenschaftlicher Ratsstellen durch das „rapide Anschwellen der Studierendenzahlen, durch die Übernahme neuer Aufgaben sowie durch die Differenzierung und Komplizierung der Wissenschaft .“514 Die Leitsätze, die er den Rektoren am 3 . Dezember 1958 vorlegte, definierten Wissenschaftliche Ratsstellen als „Mehrzweck-Stellen“ . Sie sollten verwendet werden für 1 . habilitierte Dozierende, denen „die verdiente wirtschaftliche Sicherung“ in Form eines „Quasi-Extraordinariat[s]“ zuteil werden sollte 2 . nichthabilitierte Kräfte mit spezifizierten wissenschaftlichen Dauerfunktionen in Lehre oder Forschung wie „Programmierer an einer Rechenanlage“ 3 . nichthabilitierte Lehrkräfte für propädautische und ergänzende Unterrichtsaufgaben in großen und sehr großen Fächern wie bspw . Lektor_innen in den Neuphilologien Der Fakultätsrat begrüßte 1956 die Honnefer Empfehlungen und die Leitsätze des Landes Baden-Württemberg und wünschte „dringend“ die Schaffung Wissenschaft511 Vgl . Hochschultagung in Bad Honnef, „Gegenwartsprobleme der deutschen Hochschulen am 19 .– 22 .10 .1955“, in: Neuhaus (1961), S . 455–457 . 512 Vgl . ebd ., S . 457, vgl . „Die Wissenschaftlichen Räte“, in: UA Freiburg Nr . B003/102 . 513 Empfehlung der Dekanatskonferenz der Philos . und Math .-Naturwiss . Fak . in Marburg am 04 .06 .1955, in: UA Freiburg Nr . B003/208 . Das folgende Zitat ebd . 514 Vgl . „Wissenschaftliche Räte“ . Leitsätze, den Rektoren des Landes Baden-Württemberg vorgelegt von Ministerialrat G . H . Müller am 03 .12 .1958, vgl . Akad . Rektorat der Univ . Freiburg, Rektor Vögtle, „Memorandum ‚Wissenschaftliche Räte‘“ v . 14 .01 .1959, in: UA Freiburg Nr . B003/102 .
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licher Ratsstellen .515 Während der Ausbau der Lehrstühle nur teilweise mit der Vielzahl an Studierenden begründet wurde, war der Ausbau Wissenschaftlicher Ratsstellen grundlegend durch die „sehr grosse Studentenzahl in einzelnen Fächern“ motiviert . In der Argumentation der Fakultät sollten diese Stellen die doppelte Funktion erfüllen, den „Kontakt zwischen den Dozenten und Studierenden“ zu verbessern sowie unbefristete Planstellen für Nichtordinarien zu schaffen . Ausgehend von den Leitsätzen des Kultusministeriums beanstandete der Fakultätsrat aber die „Vermengung des Status habilitierter und nichthabilitierter Lehrkräfte“ .516 In seinem Memorandum zur Etablierung Wissenschaftlicher Ratsstellen 1959 grenzte der Dekan die Fakulät von den Vorschlägen des Blauen Gutachtens und des Hofgeismarer Kreises ab, die auf die Schaffung des Hochschullehrertypus „Studienprofessor“ hinausliefen . Mit ihnen verband der Fakultätsrat unklare Hierarchieverhältnisse, „ungute Spannungen“ und die „Gefahr eines Abgleitens der akademischen Lehre .“ Vielmehr befürwortete er die Honnefer Empfehlungen und betonte, „dass eine Verwischung der Funktionen der habilitierten, selbst forschenden akademischen Lehrer und der mit technischen Funktionen oder mit Vermittlung wissenschaftlichen propädeutischen Unterrichts betrauten Kräfte“ unbedingt vermieden werden müsse .517 Spätestens ab diesem Zeitpunkt überlagerte die Hierarchiefrage in den Diskussionen um den Mittelbau das Ringen um eine konsequente Förderung akademischer Karrierewege und die adäquate Ausbildung von Studierenden . Privilegien und der damit verbundene Status sollten sich institutionell in der Aufrechterhaltung universitärer Rangordnungen niederschlagen . Dass der Fakultätsrat 1959 Studienprofessuren ablehnte und Kompetenzverwischungen zwischen habilitierten und nichthabilitierten Lehrkräften verhindert wissen wollte, widersprach allerdings den Wünschen, die der Fakultätsrat gegenüber dem Kultusministerium 1958 geäußert hatte wie auch den praktischen Erfahrungswerten an der Philosophischen Fakultät . So hatte das Kultusministerium 1957 auf den Grundsatz der Assistentenordnung hingewiesen, demzufolge nichthabilitierte Assistent_innen Lehrveranstaltungen nicht selbständig abhalten durften und von dem nur in Ausnahmefällen unter Genehmigung des Kultusministeriums abgewichen werden durfte .518 Die Mahnung des Kultusministeriums hatte sich aus der Durchsicht der Vorlesungsverzeichnisse ergeben und an der Ankündigung von Übungen und Vorlesungen von „X durch Y“ entzündet . X stand dabei für den Professor, Y für die wissenschaftlichen Assistent_innen, die den Professor vertraten .519 Die Dekan der Philos . Fak . am 28 .03 .1956 an das Akademische Rektorat, betr .: Wissenschaftliche Räte, ferner: k . w .-Stellen für 131er, in: UA Freiburg Nr . B003/102 . Die folgenden Zitate ebd . 516 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 05 .01 .1959, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 56 . 517 Vgl . Akademisches Rektorat der Universität Freiburg, Rektor Vögtle, Memorandum „Wissenschaftliche Räte“ v . 14 .01 .1959, in: UA Freiburg Nr . B003/102 . 518 Vgl . KM Baden-Württ . N 13 .1 .b – H 1411 an das Akad . Rektorat d . Univ . Freiburg, 19 .03 .1957 betr . Abhaltung von Vorlesungen und Übungen durch nicht habilitierte Assistenten, in: UA Freiburg Nr . B003/99 . 519 Vgl . Philos . Fak ., Rundschreiben Nr . 25 an die Instituts- und Seminardirektoren am 30 .06 .1958, in: ebd . 515
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Häufigkeit solcher Ankündigungen berührte auch die Frage, ob die Ordinarien ihrer Lehrverpflichtung von acht Semesterwochenstunden nachkamen und wer das Kolleggeld erhielt . Das Kultusministerium forderte die Fakultät auf, für die Assistent_innen Lehraufträge samt Kolleggeld zu beantragen, die den Rahmen von zwei Semesterwochenstunden nicht überstiegen, und eine entsprechende Aufstellung beim Kultusministerium einzureichen . Die Ordinarien protestierten und klagten ihre Autonomie ein .520 Der Dekan erklärte die Heranziehung nichthabilitierter Kräfte als einen unausweichlichen „Notbehelf “, da eine adäquate Stellenvermehrung „utopisch“ sei, eine zusätzliche Unterrichtsbelastung der Ordinarien aber ihre „freie Forschungsarbeit“ unterbinde und dadurch das Unterrichtsniveau herabsetze .521 Dem Fakultätsrat war die praktische Notwendigkeit zusätzlicher Lehrkräfte bewusst . Dass die Assistent_innen nicht habilitiert waren, erschien insofern unproblematisch, als es sich „bei den Übungen, die ihnen übertragen werden sollen, um solche der unteren Ebene (Proseminare usw .)“ handelte . Damit wies der Fakultätsrat den Assistent_innen ebenjene Funktionen zu, die dem Hamburger Blauen Gutachten und den Hofgeismarer Empfehlungen zufolge die Studienprofessoren wahrnehmen sollten . Er lehnte es jedoch ab, ihnen feste Dauerstellen im Universitätsgefüge zuzusichern, obgleich es sich bei der damaligen Situation um keine Ausnahme handelte, wie sich an der Argumentation des Dekans 1957 zeigt: Es gibt Fächer, vor allem im Bereich der Philologie, in denen die Assistenten, habilitiert oder nicht, schon seit den 20er Jahren an den meisten deutschen Universitäten regelmäßig zu selbständigen Übungen herangezogen werden mußten . Inzwischen sind jedoch die Voraussetzungen der Reichsassistentenordnung von 1936 und 1937 durch die geschilderte Notlage in den meisten Fächern derart überholt, daß die dort vorgesehenen Ausnahme-
520 Der Dekan Gundert betonte, dass es sich bei diesen Vertretungen nicht um eine persönliche Entlastung der Ordinarien, sondern um eine „Initiative zur notdürftigen Eindämmung der schlimmsten Unterrichtsnot“ handele . Er wies auf ein „schier unlösbares Dilemma“ der „Kräfteökonomien“ der Ordinarien hin, deren Überlastung er schilderte . Auf Anregung Bergstraessers betonte er, dass das „innere Leben“ der Universität bedroht sei, wenn die Leistung eines Professors nach Stundenzahlen statt nach „dem tatsächlichen Unterrichtserfolg und nach seiner wissenschaftlichen Produktivität“ bemessen werde: „Wie er diese Ziele erreicht, kann nur aus der freien Verantwortlichkeit des Hochschullehrers selbst entschieden werden“, liege also nicht im Verantwortungsbereich des Kultusministeriums, das er dazu aufforderte, von den „Kontrollfragebögen“ in Zukunft abzusehen, vgl . Dekan der Philos . Fak . an das Kultusmin . Baden-Württemberg am 08 .07 .1958 betr . Erteilung v . Lehraufträgen an nichthabil . Assistenten, die eine selbständige Übung o . Vorlesung abhalten, Bezug: Erlass des KM Nr . N 13 . 1 b – H 4163, vgl . Bergstraesser an d . Dekan der Philos . Fak . [undatiert ( Juni/Juli 1958)], in: UA Freiburg Nr . B003/099 . 521 Dekan der Philos . Fak . an d . Kultusmin . BW v . 08 .07 .1958 betr . Erteilung v . Lehraufträgen an nichthabil . Assistenten, die eine selbständige Übung o . Vorlesung abhalten, in: UA Freiburg Nr . B003/99 . Das folgende Zitat ebd .
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fälle von selbst zur Regel werden mußten . Es muß daher auch die Möglichkeit bestehen, nichthabilitierte Assistenten zu mehr als einer selbständigen Übung heranzuziehen .522
Die Vorgehensweise, das Konzept der Studienprofessur abzulehnen und gleichzeitig die für jene vorgesehenen Aufgaben den Assistent_innen zu übertragen, resultierte daraus, dass Studienprofessuren anders als Assistenturen als unabhängige, verbeamtete Dauerstellen geplant waren .523 Hinzu kamen konkrete materielle Befürchtungen um das Kolleggeld, das bei gutbesuchten Vorlesungen eine zusätzliche Einnahmequelle darstellte . Der Fakultätsrat begründete seine Ablehnung der unbefristeten Studienprofessuren aber damit, dass den Assistent_innen die propädeutische Lehre zum eigenen Vorteil gereiche und „eine der wertvollsten Hilfen für die Vorbereitung zur Habilitation“ darstelle .524 Damit argumentierte er insofern kontrafaktisch, als die stofflichen Überschneidungen zwischen spezialisierten Habilitationen und studentischen Grundkursen relativ beschränkt waren und die Vorbereitung der Lehre, Korrekturen und Betreuung einen die Forschung einschränkenden Zeitaufwand bedeuteten . Mit diesen vordergründig auf Synergieeffekte zwischen Habilitationsvorbereitung und Lehre hinzielenden Überlegungen lehnte der Fakultätsrat Studienprofessuren ab und hielt daran fest, dass zwischen habilitierten und nichthabilitierten Dauerstellen unterschieden werden müsse .525 Das Potenzial des Konzepts der Studienprofessur, die hierarchische Konzeption des Lehrkörpers zugunsten einer kooperativen Arbeitsteilung zu öffnen, wurde mit einer „Verschulung des Universitätsunterrichts“ assoziiert und als Beeinträchtigung der „Selbständigkeit“ abgewehrt .526 Durch die Verbreiterung der unteren Ebenen wurde kostengünstig die wirtschaftlich und politisch geforderte Öffnung des Universitätszugangs bewerkstelligt, höhere Ebenen aber elitär davon abgegrenzt . Damit vertraten die Professoren der Philosophischen Fakultät in den Hochschulreformdiskussionen 1952–59 eine Linie, die in den Konferenzen in Hinterzarten und Honnef vorgezeichnet worden war . In diesen Fragen brachte auch der vom Wissenschaftsrat vorgelegte Gesamtplan 1960 noch keine Entscheidung . Diese entwickelte sich vielmehr sukzessive im Zuge der Beantragung neuer Stellen, dem Ausbau des Mittelbaus in den 1960er Jahren .
522 Ebd . Der Fakultät gelang es, beim Kultusministerium ein Deputat von vier Semesterwochenstunden für Assistent_innen durchzusetzen, vgl . die Akten in UA Freiburg Nr . B003/99 . 523 Vgl . Studienausschuss für Hochschulreform (1961[1948]) („Blaues Gutachten“), S . 313, vgl . Hofgeismarer Kreis (1961[1956]), S . 485 . 524 Dekan der Philos . Fak . an das Kultusmin . BW am 08 .07 .1958 betr . Erteilung v . Lehraufträgen an nichthabil . Assistenten, die eine selbständige Übung o . Vorlesung abhalten, Bezug Erlass des KM Nr . N 13 . 1 b – H 4163, in: UA Freiburg Nr . B003/99 . 525 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 09 .01 .1960, 01 .12 .1962, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 63, 170 . 526 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 25 .07 .1959, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 74 .
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3.4.3
Der Ausbau des Mittelbaus in den 1960er Jahren
Der konsequente Ausbau der Stellen im Mittelbau setzte in den 1960er Jahren ein . Zwischen 1950 und 1960 verdoppelte sich die Zahl der Nichtordinarien an der Philosophischen Fakultät, wobei etwa ein Drittel davon habilitiert, zwei Drittel nicht habilitiert waren (vgl . Tab. 6, Abb. 14) . Wissenschaftliche Ratsstellen wurden seit 1956 vergeben, obgleich die Definition dieser Stellen noch stark diskutiert wurde .527 Durch die Erhebungen sowie den Besuch einer Kommission des Wissenschaftsrats zur „Vororientierung über die eventuelle Ergänzung der Planung“ 1959 in Freiburg konkretisierten sich die Entwürfe zur Entwicklung der Fakultät auch hinsichtlich der neu einzurichtenden Dauerstellen im Mittelbau .528 Die Zielsetzung des Wissenschaftsrats lautete, „das Gleichgewicht zwischen Studentenzahl und Lehrpersonal“ und damit eine angemessene Betreuungsrelation herzustellen .529 Weiterhin sollte, so zitierte eine den Fragebögen beigelegte Information den Präsidenten des Wissenschaftsrats Helmut Coing, der „Unterbezahlung der Kräfte“ entgegengewirkt und eine adäquate Relation zwischen Funktionsausübung und Stellenzuweisung hergestellt werden . Diejenigen Vorschläge sollten abgelehnt werden, betonte später auch die Empfehlung des Wissenschaftsrats, die nur „dem Erhalt vorhandener Monopolstellungen“ der Ordinarien dienten, aber einer guten Ausbildungssituation entgegenliefen, wie etwa „in ‚Massenfächern‘ keine Parallellehrstühle, sondern lediglich ein Extraordinariat oder eine Dozentenstelle für Spezialgebiete dieses Fachs vorzusehen“ .530 In den Erhebungen des Wissenschaftsrats schlug die Philosophische Fakultät 1958 allerdings verhältnismäßig sehr viel weniger Professuren als Mittelbaustellen vor . Zwar stellte der geplante Ausbau von 29 auf 46 Professuren eine deutliche Steigerung dar . Jedoch sah der Fakultätsrat damit nicht einmal eine Verdoppelung der Professuren vor . Hingegen plante er die Vervierfachung der Diätendozenturen von elf auf 46, die Verdoppelung der Assistenturen von 29 auf 62 sowie die Versechsfachung der Lektorate 527 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 19 .05 .1956, 23 .06 .1956, 08 .02 .1958, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 10, 11, 38, vgl . Memorandum des Senats v . 14 .01 .1959 „Wissenschaftliche Räte“, in: Fakultätsprotokoll v . 17 .01 .1959, in: ebd ., S . 57, vgl . S . 63, 65, vgl . „Empfehlung über die Eingliederung neuer Dauerstellen in die Lehrkörper der wissenschaftlichen Hochschulen“ v . 11 .03 .1960, Anlage 2, in: Wissenschaftsrat (1960), S . 439–447 . In Freiburg wurden Wiss . Ratsstellen nach Besoldungsgruppe A13b nur habilitierten Kräften verliehen, während für A13-Stellen auch nichthabilitierte Kräfte, „Akademische Räte“ bzw . „Studienräte im Hochschuldienst“ vorgeschlagen werden sollten, vgl . Akad . Rektorat d . Univ . Freiburg Nr . 6207 v . 23 .10 .1962 betr . Besetzung wiss . Ratsstellen 1963 an den Dekan der Philos . Fakultät, in: UA Freiburg Nr . B003/105 . Vgl . Wissenschaftsrat (1960), S . 67–70 . 528 Fakultätsprotokoll v . 08 .02 .1959, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 60 . 529 Vgl . Helmut Coing, in: Protokoll der Abschlußbesprechung über d . Besuch d . nordrhein-westf . Hochschulen durch d . Wiss . Kommission d . Wissenschaftsrats im KM Düsseldorf v . 20 .12 .1958, in: UA Freiburg Nr . B003/280 . Das folgende Zitat ebd . 530 „Die personelle Vermehrung darf sich nicht so vollziehen, daß nur der sogenannte Unterbau der verschiedenartigen Hilfskräfte immer weiter verbreitert und allenfalls einige zusätzliche Extraordinariate geschaffen werden .“ Wissenschaftsrat (1960), S . 60 .
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von vier auf 24 .531 Außerdem waren 14 neue Wissenschaftliche Ratsstellen vorgesehen; bis dahin waren erst drei bewilligt worden . Der Fragebogen des Wissenschaftsrats erwies sich zwar als Katalysator für die Beantragung neuer Professuren . Er fungierte aber vor allem als ein Startschuss für die verstärkte Beantragung von Mittelbaustellen . Das Verhältnis von neubeantragten Professuren und Mittelbaustellen lag bei etwa 1:5 . Nach den Empfehlungen des Wissenschaftsrats 1960 setzte der Fakultätsrat neben der Kommission zur Entwicklung der Fakultät auch eine für die Errichtung des „Mittelbaus“532 ein . Ihre Aufgabenfelder umfassten „Begriff und Bedarf an Wissenschaftlichen Räten und Studien- bzw . Oberstudienräten einzelner Fächer“ .533 Sie arbeitete an einer Definition der neuen Stellen, evaluierte die Empfehlungen und legte den Plänen, Anträgen sowie der Reihung von Stellen vermehrt aktuelle Studierendenzahlen zugrunde . Besoldungsrechtlich wurde zwischen Akademischen Ratsstellen für Nichthabilitierte (A13) und Wissenschaftlichen Ratsstellen für Habilitierte (A13b) unterschieden .534 Allerdings fehlte es Anfang der 1960er Jahre noch weitgehend an einer präzisen oder verbindlichen Definition der neuen Dauerstellen im Mittelbau . Denn anders als zu Beginn der Empfehlungen verheißen, „nicht länger, bei Flickwerk und halben Maßnahmen stehenbleiben“ zu wollen,535 hatte der Wissenschaftsrat 1960 keinen konzisen Reformplan vorgelegt . Der Versuch, möglichst viele Interessen zu bedienen, brachte ein Empfehlungskompendium hervor, das widerstreitende Anliegen miteinander verband . Insbesondere die Konzeption der planmäßigen Extraordinariate war unstimmig . Der Wissenschaftsrat plädierte dafür, die planmäßigen Extraordinariate abzuschaffen, um die Hierarchien zwischen Ordinariaten und Extraordinariaten einzuebnen, da „alle Stelleninhaber gleiche Pflichten und Rechte in Forschung und Lehre haben und an die wissenschaftliche Qualifikation der Lehrstuhlinhaber die gleichen Anforderungen gestellt werden .“536 Die angestrebte Hierarchiereduktion wurde aber dadurch konterkariert, dass sie mit dem Vorschlag einherging, Wissenschaftliche Ratsstellen zu schaffen: Diese sollten wiederum zu Extraordinariaten deklariert werden, da sie auf einer tieferen Hierarchiestufe als Ordinariate angesiedelt,537 aber als Dauerstellen und nicht wie die Diätendozenturen als Durchgangsstellen konzipiert waren . Das Extraordinariat sollte durch ein heruntergestuftes Extraordinariat ersetzt werden .
Vgl . Entwicklung der Fakultät (endg . Beantwortung des Fragebogens des Wissenschaftsrates 10 .03 .1959), in: UA Freiburg Nr . B003/280 . Die Zahl der Wiss . Hilfskräfte sollte von 30 auf 60 verdoppelt werden . 532 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 10 .12 .1960, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 113 . Der Kommission gehörten zunächst die Professoren Heuer (Anglistik), Tellenbach (Geschichte), Gundert (Klass . Philol .), Bergstraesser (Wiss . Politik), Boesch (Germanistik), Deutschmann (Romanistik) und Krückmann (Orientalistik) an . 533 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 28 .01 .1961, in: ebd ., S . 115 . Bericht der Entwicklungs- u . Mittelbaukommission . 534 Vgl . ebd ., vgl . Akad . Rektorat an den Dekan der Philos . Fakultät betr . Besetzung v . wiss . Ratsstellen am 17 .11 .1961, am 23 .10 .1962 und am 19 .11 .1963, in: UA Freiburg Nr . B003/105, Nr . B003/102 . 535 Wissenschaftsrat (1960), S . 59 . 536 Ebd ., S . 62 . 537 Vgl . ebd ., S . 63, 439–447, vgl . das Fakultätsprotokoll v . 02 .06 .1962, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 159 . 531
Der Ausbau des akademischen Mittelbaus
Die Streichung der (alten) Extraordinariate und die Errichtung neuer, unklar definierter Stellen führten Anfang der 1960er Jahre zu einem „Wirrwarr der Benennungen, der Funktionen, der Ansprüche an die Qualifikation für die einzelnen Stellen .“538 Die Universitäten und Fakultäten reagierten unterschiedlich auf die Empfehlungen des Wissenschaftsrats . In einem Schreiben an die Dekanatskonferenz539 sowie einer zusammenfassenden Veröffentlichung trug der Wissenschaftsrat seine Pläne erneut vor .540 Er sah vor, neben befristeten, auf Widerruf verbeamteten Diätendozenturen Stellen für „Wissenschaftliche Räte“ bzw . „Abteilungsvorsteher“ als Extraordinariate „neuer Art“ einzurichten . „Neuer Art“ bedeutete „ohne Lehrstuhl“ . Die (alten) planmäßigen Extraordinariate sollten zu Ordinariaten angehoben werden; die Wissenschaftlichen Ratsstellen bzw . Extraordinariate neuer Art gleiche Rechte in der Selbstverwaltung erhalten .541 Die Berufung mit Dreierliste entfiel bei ihnen jedoch zugunsten einer Ernennung . Voraussetzung für diese Stellen war gleichermaßen die Habilitation, an die Stelle der Emeritierung sollte aber die Pensionierung treten . Auch die neuen Akademischen Ratsstellen für „Studienräte im Hochschuldienst“ waren anders als die befristeten Assistenturen als verbeamtete Dauerstellen geplant, die eine Weiterqualifizierung weder verhinderten noch erforderten . Voraussetzung dafür war wie bei der Assistentur ein abgeschlossenes Hochschulstudium . Akademische Rät_innen sollten nach Planung des Wissenschaftsrats begrenzte Aufgaben in Forschung und Lehre übernehmen und in der Selbstverwaltung mitwirken .542 Ihnen sollte die Lehre im Grundstudium bis zur Zwischenprüfung übertragen werden .543 Im Zuge der zweiten Empfehlungen des Wissenschaftsrats erfolgte eine Befragung der Fakultäten über den Umweg der Dekanatskonferenz .544 Die Konzeption nichthabilitierter akademischer Ratsstellen hatte sich der Fakultätsrat bereits zu eigen gemacht .545 Allerdings schloss er deren geplante Repräsentation in der fakultären Selbstverwaltung aus .546 In Bezug auf Wissenschaftliche Ratsstellen plädierte er dafür, diese nicht zu Extraordinariaten auszubauen, sondern als „Vorstufe zum Extraordinarius Nesselhauf (1966), S . 46 . Vgl . Entwurf Neufassung der Empfehlung des Wissenschaftsrates über die Eingliederung neuer Dauerstellen in die Lehrkörper der Wissenschaftlichen Hochschulen, in: UA Freiburg Nr . B003/208 . 540 Vgl . Wissenschaftsrat (1964), S . 5, 6 . 541 Vgl . Entwurf Neufassung der Empfehlung des Wissenschaftsrats über die Eingliederung neuer Dauerstellen in die Lehrkörper der Wiss . Hochschulen v . 19 .08 .1963, in: UA Freiburg Nr . B003/208, S . 6, 9, 10 . 542 Vgl . ebd ., S . 9–10 . 543 Zu Aufgaben und Aufstiegschancen vgl . Wissenschaftsrat (1967), S . 92, 193, vgl . S . 200, 201, 223, vgl . „Stellung und Aufgaben der Akademischen Räte 1968“, in: UA Freiburg Nr . B003/804 . 544 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 09 .12 .1963, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 190–191, vgl . die Akten in UA Freiburg Nr . B003/208 . 545 Vgl . Akad . Rektorat Nr . 6207 an den Dekan der Philos . Fak . am 23 .10 .1962 betr . Besetzung von wiss . Ratsstellen 1963, in: UA Freiburg Nr . B003/105 . Erst im Juli 1968 verfasste eine Fakultätskommission eine entsprechende Empfehlung, vgl . Stellung und Aufgaben der Akad . Räte, in: UA Freiburg Nr . B003/804 . 546 Erst 1967 wurde die Repräsentation von Mittelbau und Studierenden in der akad . Selbstverwaltung diskutiert, vgl . Fakultätsprotokoll v . 02 .12 .1967, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 349, vgl . Kap . 2 .2 . 538 539
151
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Die Expansion der Philosophischen Fakultät
neuer Art“ beizubehalten .547 Die weitere Verkomplizierung hing damit zusammen, dass wissenschaftliche und akademische Ratsstellen vom Senat vergeben wurden und der Fakultätsrat die Verteilung der Extraordinariate selbst übernehmen wollte . Bis auf die Anhebung der (alten) Extraordinariate und die reduzierten Berufungsverfahren für neue Extraordinarien sollte sich möglichst wenig ändern . Im Entwurf des Haushaltsplans 1966 beantragte der Fakultätsrat 1964 so die Anhebung der drei planmäßigen Extraordinariate (Hiltmann, Zmarzlik, Sick) zu Ordinariaten . Die auffälligste Veränderung bestand darin, dass die Neubeantragung von Professuren und Mittelbaustellen in diesem Jahr das Verhältnis 1:11 erreichte .548 Für das Jahr 1967 belief es sich vor dem Hintergrund der neu eingeführten Zwischenprüfung gar auf 1:17 .549 Konkret setzte an der Philosophischen Fakultät 1963 ein steiler Ausbau des nichthabilitierten Mittelbaus ein . Bis zu diesem Zeitpunkt war der Lehrkörper zwar nicht gleichmäßig, aber auf allen Ebenen relativ langsam gewachsen . Ab 1963/64 liefen die Entwicklungen auseinander: Der Ausbau der Professuren vollzog sich zwar im Vergleich zu den 1950er Jahren fast doppelt so schnell, aber dennoch vergleichsweise kontinuierlich . In den zwölf Jahren 1952–63 waren die Professuren von 19 auf 35 ausgebaut worden . Bis 1970 kamen weitere elf Professuren hinzu . Die Zahl der Lehraufträge, Lektorate, Assistenturen und Akademischen Ratsstellen, die 1952–63 verdoppelt worden war, verdoppelte sich hingegen 1963–67 erneut und stieg sprunghaft von 47 auf 110 an . In den folgenden drei Jahren steigerte sie sich wiederum um ein Drittel auf 173 . Stetiger und vergleichbar mit dem Ausbau der Professuren wuchs die Zahl an habilitierten Nichtordinarien, also an außerplanmäßigen Professor_innen, Dozierenden und wissenschaftlichen Rät_innen . Quantitativ zeichnet sich ab, dass sich 1947–69 die Anzahl neu geschaffener Stellen mit jeder Qualifikationsstufe etwa halbierte (vgl . Abb. 14, Tab. 6) .550
Vgl . Fakultätsprotokoll v . 09 .12 .1963, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 190–191 . Das folgende Zitat ebd . Der Fakultätsrat beantragte zwei neue Professuren, vier Stellen für Wissenschaftliche und acht für Akademische Räte, fünf Lektorate und fünf Assistenturen, vgl . Fakultätsprotokoll v . 21 .11 .1964, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 214–216 . Lehraufträge wurden zusätzlich beantragt . 549 In diesem Jahr wurden drei Professuren, hingegen drei Stellen für Abteilungsvorsteher, 37 akademische Ratsstellen, davon 22 für die Zwischenprüfungen, sechs Assistenturen und fünf Lektorate beantragt, vgl . Fakultätsprotokoll v . 08 .01 .1966, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 250–252 . 550 Zwischen 1947 und 1969 verachtfachte sich die Anzahl der nichthabilitierten Nichtordinarien, während sich die der habilitierten Nichtordinarien vervierfachte und die Anzahl der Professuren verdoppelte . 547 548
Der Ausbau des akademischen Mittelbaus
Tab. 6 Ausbau der Lehrkörpergruppen an der Philos. Fak. Freiburg 1947–69 Jahr
Etatisierte Professuren
Habilitierter Mittelbau
Nichthabilitierter Mittelbau
1947
20
11
21
1948
21
12
21
1949
20
16
25
1950
20
14
22
1951
19
15
23
1952
19
20
23
1953
20
20
23
1954
22
19
27
1955
23
19
28
1956
26
21
34
1957
28
19
48
1958
27
19
29
1959
27
21
35
1960
28
28
40
1961
30
30
39
1962
32
29
45
1963
35
38
47
1964
33
36
108
1965
38
38
115
1966
40
39
114
1967
42
39
115
1968
44
43
164
1969
44
52
173
153
154
Die Expansion der Philosophischen Fakultät
Abb. 14 Ausbau des Lehrkörpers der Philos. Fak. Freiburg 1947–70
Das Jahr 1963 stellt mit der massiven Erweiterung des nichthabilitierten Mittelbaus eine wichtige Zäsur dar, ebenso wie die Jahre 1966/67, als sich dieser Wachstumsprozess auf inzwischen erreichtem Niveau wiederholte und sich der nichthabilitierte Mittelbau erneut verdoppelte . Mit der Erweiterung des Mittelbaus ab 1967 konnten die neu eingeführten Zwischenprüfungen bewältigt und die schlechte Betreuungsrelation an der PhilosophischenFakultät abgefedert werden . Veränderte sich dadurch auch der Frauenanteil des Lehrkörpers? 3.4.4
Frauen im Lehrkörper der Philosophischen Fakultät
Die Förderung von Frauen war an deutschen Universitäten 1945–67 eine Seltenheit: Während die Anzahl der Studentinnen rapide zunahm, waren Frauen in höheren oder gar Führungspositionen äußerst selten . Paletschek hat die strukturelle Ausgrenzung von Hochschuldozentinnen in einer langen Linie am Beispiel der Universität Freiburg untersucht .551 Die männliche Codierung von Universität und Wissenschaft findet sich
551
Vgl . Paletschek (2012a) .
Der Ausbau des akademischen Mittelbaus
auch an Philosophischen Fakultäten . In der zweiten Hälfte des 20 . Jahrhunderts zeichnet sich an ihnen allerdings eine stärkere Beteiligung von Frauen ab als an den anderen Fakultäten .552 Daher wird im Folgenden am Bespiel der Philosophischen Fakultät Freiburg untersucht, woraus diese vergeschlechtlichten Verteilungen von Frauen auf verschiedene Fakultäten und Stellen innerhalb des Lehrkörpers resultierten . In den 1950er Jahren blieb der Anteil weiblicher Lehrkräfte an bundesdeutschen Universitäten im internationalen Vergleich weit zurück .553 Ferbers Studie zufolge lehrten 1953 lediglich 162 Frauen an bundesdeutschen Universitäten, von denen acht eine planmäßige Universitätsprofessur besetzten .554 Der Anteil habilitierter weiblicher Kräfte am bundesdeutschen Gesamtlehrkörper war 1954 mit 1,4 % immer noch äußerst gering .555 Diese geringe Anzahl bei der Menge an qualifizierten Frauen verwies sichtbar darauf, dass die Situation der Akademikerinnen in der Bundesrepublik sich „unverdient schlecht“ gestaltete:556 Der Zugang zu oberen Rängen war Frauen durch die Rechtslage, Ressentiments, habituelle Hindernisse, fehlende Netzwerke und historische Pfadabhängigkeiten weitgehend versperrt . Die höheren Positionen besetzten somit fast ausschließlich Männer . Die vergeschlechtlichte Rangverteilung wurde begleitet von einer anderen Geschlechterverteilung auf die verschiedenen Fächer und Fakultäten . Frauen waren in der Theologie gar nicht, in den Technischen und den Rechtswissenschaften kaum, in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften geringfügig, in den medizinischen und naturwissenschaftlichen Fächern erkennbar besser vertreten . Mehr als 46 % aller weiblichen Lehrkräfte waren in den Kulturwissenschaften angesiedelt, vor allem in den Philologien .557 1952 lehrten an der Universität Freiburg neun Frauen:558 Zwei von ihnen waren außerplanmäßige Professorinnen, und zwar die Dermatologin Berta Ottenstein
552 Zu diesem Ergebnis kam 1953 Charlotte Lorenz, die der Lage weiblicher Hochschullehrkräfte im fakultären und internationalen Vergleich in einem Bericht für den Akademikerinnenbund nachging, vgl . Lorenz (1953) . Lorenz hatte bis 1940 am Statistischen Reichsamt zu Hochschulen geforscht . Am 01 .05 .1933 war sie in die NSDAP eingetreten . Sie wirkte an der „Untersuchung über die Entwicklung des Hochschul-Studiums von 1932–41“ mit, die für die „akademische Nachwuchs- und Berufslenkung nach dem Kriege“ gedacht war, vgl . Gutberger (2006), S . 74 . Nach dem Krieg wurde sie entlassen und 1952 nach einer Umhabilitierung an die Universität Göttingen berufen, vgl . Knapp (2008), S . 148–149 . 553 Während in Puerto Rico 38,4 % des Hochschullehrpersonals weiblich waren, in den USA 27 %, in der Türkei und in Jugoslawien 16 %, im United Kingdom 14,5 % und in der DDR 9,5 %, betrug der Frauenanteil an Hochschulen der BRD nur 3,2 % . Damit landete die Bundesrepublik weit hinter dem Großteil der im Bericht der UNESCO 1950 erfassten afrik ., asiat ., amerik ., austr . u . europ . Staaten, vgl . Lorenz (1953), S . 26, 40 . 554 Zwei Ordinariate und sechs pln . Extraordinariate waren 1953 weiblich besetzt . Als Titularprofessorinnen lehrten 25 Frauen an Universitäten, von denen viele keine Diätendozentur hatten . Zwei waren Honorarprofessorinnen, 38 lehrten als Privatdozentinnen . Das größte Kontingent machten die 66 Lehrbeaufragten aus . Hinzu kamen 23 Lektorinnen, vgl . Ferber (1956), S . 239, vgl . für 1952: Lorenz (1953), S . 17 . 555 Vgl . Busch (1956), S . 28 . 556 Ebd ., S . 29 . 557 Lorenz (1953), S . 10 . 558 Vgl . Albert-Ludwigs-Universität (1952a) .
155
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Die Expansion der Philosophischen Fakultät
und die organische Chemikerin Elfriede Husemann .559 Alle anderen lehrten an der Philosophischen Fakultät, darunter die Dozentinnen Hildegard Hiltmann (Psychologie), Lisa Schürenberg (Kunstgeschichte) und Elisabeth Schmid (Urgeschichte) . Einen Lehrauftrag für Französisch hatte Elisabeth Gräfin von Mendelsloh, für Englisch Irmgard Born und Ilse Reiff für Zeichnen und Malen . Als Lektorin für Englisch wirkte Sheila Cockbaine . Die höchsten, darunter allerdings auch schlecht oder nicht vergütete Positionen erreichten Frauen zu diesem Zeitpunkt in der Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Fakultät . An der Philosophischen Fakultät waren sie hingegen quantitativ besser vertreten . Diese unterschiedlichen Verteilungen auf Ränge und auf Fakultäten erklären sich aus der vergeschlechtlichten Codierung verschiedener Aufgabenbereiche und deren Vergütung . So zeichnet sich historisch eine langfristige Entwicklung ab, die die Lehre allgemein und insbesondere kulturwissenschaftliche Fächer vergeschlechtlich als Gegensatz zu „der“ (naturwissenschaftlichen) Forschung konstruierte .560 Während des Nationalsozialismus wurde sie durch Maßnahmen verstärkt, die Frauen darin behinderten, überhaupt und insbesondere naturwissenschaftliche Fächer zu studieren .561 Über die kurzfristigen Zulassungsbeschränkungen für Frauen 1933/34 hinaus war diese Entwicklung vor allem im Schulwesen vorangetrieben worden .562 Dabei ist zu beachten, dass die Nationalsozialisten sehr viel stärker an dem „Prinzip der frauenspezifischen Berufstätigkeit [Hvh . CK]“ festhielten als an dem „Dogma der Ablehnung weiblicher Berufstätigkeit“ .563 Die damit forcierte Trennung in „männliche“ und „weibliche“ Berufe entsprach ökonomisch einer Aufteilung in höhere und niedrigere Lohnniveaus mit längeren bzw . kürzeren Ausbildungszeiten und größeren bzw . geringeren Aufstiegschancen . Zwar wurden Frauen immer 559 An der Universität Freiburg wurde Berta Ottenstein als erste Frau habilitiert, Elfriede Husemann als erste zur Professorin berufen, vgl . Scherb (2002), S . 132–133, Paletschek (2012a), S . 317–318 . 560 Bei diesen Kategorisierungen handelt es sich um langanhaltende Entwicklungen, die Professionalisierungsprozesse geschlechtlich regulierten, vgl . Wetterer (1995) . 561 Zu den sinkenden Abiturientinnenzahlen während des NS vgl . Said (1981), S . 117 . 562 Der Anteil der Schülerinnen am höheren Schulwesen sank 1933–37 von 37 % auf ca . 35 % . Am 23 .03 .1937 wurde die dreijährige „Frauenoberschule“ zur Oberschulform für Mädchen deklariert, vgl . Kampmann (1981), vgl . Zeittafel, in: Frauengruppe Faschismusforschung (1981), S . 318–336, hier S . 329–330 . Die Wahl des math . Zweigs wurde Frauen verboten . Ihnen blieb die Wahl zwischen dem sprachl . und hauswirtschaftl . Zweig, vgl . Weyrather (1981), S . 145–146 . Die altsprachl . Gymnasien wurden Jungen vorbehalten, Mädchen durften sie nur mit einer „ministeriellen Sondergenehmigung“ besuchen, vgl . Nagel (2012), S . 193 . Auch den Mädchen, die höhere Jungenschulen besuchten, wurde 1938–40 der Lateinunterricht versagt, vgl . Der Reichsmin . für Wiss ., Erziehung und Volksbildung: E III c 101 EIII a, K v . 27 .08 .1938 (RMin . Amtsbl . Dt . Wiss . 1938, S . 429), und ders ., E III a 2577/38 am 18 .01 .1939 (RMin . Amtsbl . Dt . WisS . 1939, S . 56), vgl . ders ., E III a 2461/39 E III b, E III c v . 12 .01 .1940 (Dt . Wiss . Erziehg . Volksbildg . 1940, S . 76), in: Fricke-Finkelnburg (1989), S . 209–210 . Während des Krieges konnten Abiturientinnen mit land- und hauswirtschaftlichem Abschluss teils studieren, vgl . Said (1981), S . 124 . Ab 1945 wurden Studienanwärterinnen mit Reifezeugnissen von hauswirtschaftlichen Frauenoberschulen aber nicht mehr zugelassen, vgl . Fakultätsprotokoll v . 08 .11 .1952, in: UA Freiburg Nr . B003/798 . Auch das Latinum als Pflichtvoraussetzung erschwerte Frauen durch die Nachholpflicht zunächst den Zugang zum Studium, vgl . Weyrather (1981), S . 162 . 563 Renate Zimmermann-Eisel, in: Tröger (1981), S . 250 .
Der Ausbau des akademischen Mittelbaus
stärker in den Arbeitsmarkt integriert, die verschärfte Abgrenzung von Männerarbeit und Frauenarbeit innerhalb einzelner Berufsfelder bewirkte jedoch eine „Integration durch Segregation .“564 Der höhere Frauenanteil in kulturwissenschaftlichen Fächern beruhte auf dieser Vorgeschichte, die Frauen strukturell aus naturwissenschaftlichen Gebieten gedrängt und sich auch mentalitätsprägend ausgewirkt hatte . Der Studie von Hans Anger zufolge äußerten 40 % der befragten Professoren „Zweifel an der Denkfähigkeit von Frauen“, hielten sie aber für „besonders weiblich geltende Fachbereiche“ mitunter auch für „durchaus tauglich“ .565 39 % gingen von einer „geistigen Inferiorität ‚der‘ Frau“ aus und lehnten Frauen im Universitätslehramt apodiktisch ab . Darüber hinaus war die Benachteiligung von Frauen im Berufsleben rechtlich in dem als „Zölibatsklausel“ bekannt gewordenen § 63 des Deutschen Beamtengesetzes festgeschrieben .566 Auch in Baden und Baden-Württemberg war bis 1956 die Entlassung von Frauen aus dem öffentlichen Dienst vorgesehen, wenn ihre „wirtschaftliche Versorgung nach der Höhe des Familieneinkommens dauernd gesichert erscheint .“567 Allerdings hatte bereits das Blaue Gutachten empfohlen, darauf hinzuwirken, dass „im Lehrkörper der Hochschulen Männern und Frauen die gleichen Möglichkeiten offenstehen“ – auch in Berufungsfragen .568 Gegen die Umsetzung dieser Ziele wirkte schließlich auch die Intransparenz der Berufungsstrukturen und Leistungskriterien . Zudem erschwerte die fehlende Ankopplung an weitreichende Netzwerke, an „politische Kontexte, wissenschaftliche Schulen oder akademische Institutionen und Debatten“569 sowie die fehlende Förderung und offene Ablehnung einen Aufschwung weiblicher Karrierewege an Universitäten .570 Die grundgesetzwidrige Gesetzlichkeit des „Frauen dürfen nicht“ unter dem Deckmantel des „Frauen können nicht“ veränderte sich im Laufe der 1950er Jahre nur langsam in Richtung des „Frauen sollen nicht“ unter dem Deckmantel des „Frauen wollen nicht“ .571 Nur in Einzelfällen erkannten und berücksichtigten Professoren das Potenzial der Kandidatinnen . An der Philosophischen Fakultät war es Robert Heiss, der Ostner/Willms (1982), S . 213, 217 . Ebd ., S . 490 . Das folgende Zitat ebd . Zu Beginn der Weimarer Republik war die „Zölibatsklausel“ abgeschafft worden . Sie wurde allerdings verfassungswidrig 1923 mit der Personalabbauverordnung wieder eingeführt und verschärft in das Beamtengesetz 1937 übernommen . In Kriegszeiten wurde sie wiederum sukzessive aufgehoben . Nach 1945 griffen erneut einige Bundesländer auf sie zurück . § 63 des Beamtengesetzes und § 17 der Tarifordnung blieben bis 1953, in Baden-Württemberg bis 1957 in Kraft, vgl . Heinsohn (2018), Kling (1997), Klein/Muschalek (2019), Kuller (2004), Oertzen (1999), Maul (2002), S . 34 . 567 Vgl . § 59 Bad . Beamtengesetz, in: Wichert (1952), S . 203, vgl . Huerkamp (1996), S . 79, vgl . Garner (1993), vgl . Kling (1997), S . 612 . 568 Vgl . Anger (1960), S . 308, 315 . 569 Wobbe (1997), S . 53 . 570 Diese Struktur hing auch mit der Auflösung weiblicher Netzwerkstrukturen zur Förderung von Akademikerinnen 1933 zusammen . Während des NS trat kein Verband an die Stelle des dt . Akademikerinnenbundes . Erst 1949 gründeten ihn Marie Elisabeth Lüders und Agnes von Zahn-Harnack erneut . 571 Brentano (1963), S . 78 . 564 565 566
157
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Die Expansion der Philosophischen Fakultät
sich in der Förderung von Wissenschaftlerinnen von seinen Kollegen abhob und damit allein von Bergstraesser unterstützt wurde . Heiss betreute die Habilitation seiner Assistentin Hiltmann (1950), die als erste Professorin der Philosophischen Fakultät 1960 eine Professur erhielt572 wie auch die Habilitationen von Hertha Sturm (1967) und Inge Strauch (1968) .573 Mit der Berufung Hiltmanns waren 1960 3 %, mit der Berufung Autenrieths 1966 5 % aller planmäßigen Professuren an der Philosophischen Fakultät mit Professorinnen besetzt (vgl . Tab. 7). Demgegenüber fiel der Frauenanteil unter den habilitierten Nichtordinarien von 16 % Mitte der 1950er Jahre auf 3 % (1962) und steigerte sich erst bis 1967 wieder auf 13 % . Auch unter den nichthabilitierten Nichtordinarien stieg der Frauenanteil zunächst von 10 % (1947) auf 19–22 % (1953–56), sank dann auf 10–14 % (1957–63) und stieg dann erneut auf 20 % (1967; 1968) . Insgesamt stieg der Frauenanteil von 4 % (1948) auf 10–13 % in den Jahren 1952–56, fiel in den frühen 1960er Jahren auf 7 % und stieg dann erneut auf 16 % (1968) . Mit dem wachsenden Frauenanteil an der Philosophischen Fakultät war bei gleichzeitigem Ausbau des Lehrkörpers insgesamt ein Anstieg der Anzahl an Frauen von zwei auf 39 verbunden . Allerdings gehörten 80 % dieser weiblichen Lehrkräfte zum nichthabilitierten Lehrkörper, dessen Frauenanteil sich auf 20 % verdoppelte . Selbst dieser Anteil blieb aber weit hinter dem Anstieg des Studentinnenanteils zurück . Im Vergleich der verschiedenen Lehrkörperanteile wird so deutlich, dass sich mit jeweils zunehmendem Grad die Frauenanteile an der Philosophischen Fakultät etwa halbierten: 1968 waren 20 % der nichthabilitierten Nichtordinarien weiblich, dagegen waren nur 12 % der habilitierten Nichtordinarien Frauen und allein 5 % der Professuren mit Professorinnen besetzt . Zudem zeigt die differenzierte Aufstellung der Geschlechterverteilung des Lehrkörpers 1947–69 (Tab. 7), dass die Frauenanteile unter den Nichtordinarien 1957–63 stagnierten und sanken, sodass die Mitte der 1950er Jahre vergleichsweise hohen Frauenanteile von mehr als 20 % bis Ende der 1960er Jahre nicht wieder eingeholt werden konnten . An dem wechselhaften Verlauf der Frauenanteile unter den Nichtordinarien zeichnet sich ab, dass im Zuge des Lehrkörperausbaus ab Ende der 1950er Jahre zunächst Männer, Frauen hingegen nachgeordnet eingestellt wurden . Die sich an der Philosophischen Fakultät manifestierende „Tendenz zu einer verstärkten Heranziehung nichtfestbesoldeter und Behelfslehrkräfte“ erwies sich, wie Lorenz bereits 1953 vermutete, als ein „den Frauen nachteiliger Faktor“, da diese Entwicklung weder die vergeschlechtlichte Rangaufteilung aufbrach noch zu einer verstärkten Integration von Frauen in den Lehrkörper bei-
Vgl . ausführlich zu Professorinnen an der Universität Freiburg i . Br . Paletschek (2012a) . Zu Hertha Sturm (1925–98) vgl . Fritscher-Fehr (2019) . Ab 1967 war Sturm als PD und Wiss . Rätin an der Philos . Fak . Freiburg tätig, ab 1972 als apl . Professorin . 1982 erhielt sie eine Professur an der Universität Landau . Inge Strauch (*1932) wurde 1958 Assistentin von Robert Heiss, forschte 1960–62 in North Carolina und New York . 1968 habilitiert, erhielt sie 1970 eine Professur in Saarbrücken, 1974 eine Professur in Zürich, vgl . Wirbelauer/Marthaler (2006), S . 1010, vgl . weiterführend Scherb (2002), S . 278–280 . 572 573
54
61
56
57
62
63
68
70
81
81
75
84
96
99
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179
191
195
208
249
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1948
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176
174
165
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112
99
92
88
76
69
74
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55
52
52
56
52
50
86 %
84 %
85 %
89 %
86 %
88 %
93 %
93 %
93 %
92 %
90 %
92 %
91 %
88 %
87 %
88 %
87 %
89 %
91 %
93 %
92 %
96 %
96 %
♂
16 % 14 %
39
38 44
44
42
15 %
32
38
33
35
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28
27
27
28
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20
19
19
20
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12 %
7%
7%
7%
8%
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8%
9%
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13 %
12 %
13 %
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9%
7%
8%
4%
4%
Insg.
11 %
21
26
22
8
7
7
8
8
6
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8
8
7
5
4
5
2
2
♀
Philos. Fakultät Freiburg
42
42
40
39
37
32
34
31
29
27
27
27
28
26
23
22
20
19
19
20
20
21
20
95 %
95 %
95 %
98 %
97 %
97 %
97 %
97 %
97 %
96 %
100 %
100 %
100 %
100 %
100 %
100 %
100 %
100 %
100 %
100 %
100 %
100 %
100 %
♂
2
2
2
1
1
1
1
1
1
1
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Etatisierte Professuren
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
5%
5%
5%
3%
3%
3%
3%
3%
3%
4%
♀
52
43
39
39
38
36
38
29
30
28
21
19
19
21
19
19
20
20
15
14
16
12
11
Insg.
47
38
34
37
35
33
36
28
28
26
18
16
16
18
16
16
17
17
13
12
14
12
11
90 %
88 %
87 %
95 %
92 %
92 %
95 %
97 %
93 %
93 %
86 %
84 %
84 %
86 %
84 %
84 %
85 %
85 %
87 %
86 %
88 %
100 %
100 %
♂
5
5
5
2
3
3
2
1
2
2
3
3
3
3
3
3
3
3
2
2
2
–
–
Habilitierter Mittelbau
–
–
10 %
12 %
13 %
5%
8%
8%
5%
3%
7%
7%
173
162
127
116
115
110
47
45
39
40
36
29
16 % 14 %
34 34
28
16 % 14 %
27
16 %
16 %
23
23
23
22
25
21
21
142
130
102
98
93
92
42
40
35
35
31
26
30
27
22
22
18
19
20
20
22
19
19
82 %
80 %
80 %
84 %
81 %
84 %
89 %
89 %
90 %
88 %
86 %
90 %
88 %
79 %
79 %
81 %
78 %
83 %
87 %
91 %
88 %
90 %
90 %
♂
31
32
25
18
22
18
5
5
4
5
5
3
4
7
6
5
5
4
3
2
3
2
2
18 %
20 %
20 %
16 %
19 %
16 %
11 %
11 %
10 %
13 %
14 %
10 %
12 %
21 %
21 %
19 %
22 %
17 %
13 %
9%
12 %
10 %
10 %
♀
Nichthabilitierter Mittelbau Insg.
15 %
15 %
13 %
14 %
13 %
♀
574 Die dieser Tabelle zugrundeligenden Zahlen sind den Angaben in den Vorlesungsverzeichnungen entnommen, vgl . Albert-Ludwigs-Universität (1944–70a) . Bildrechte: C . Klein . Hervorgehoben sind die höchste Anzahl und die größten Anteile an Frauen in den jeweiligen Gruppen im Zeitraum 1947–69 .
52
Insg.
1947
Jahr
Tab. 7 Geschlechterverteilung des Lehrkörpers 1947–69574
Der Ausbau des akademischen Mittelbaus
159
160
Die Expansion der Philosophischen Fakultät
trug:575 Männer wurden Frauen auf allen Ebenen des universitären Lehrkörpers vorgezogen, auch an der Philosophischen Fakultät . Hinsichtlich des Frauenanteils vollzog sich mit dem Ausbau des Mittelbaus in den 1960er Jahren somit noch keine Reform . 3.4.5
Verschiebung der Lehrkörperstruktur als Lösung der „Überfüllungskrise“
Mit dem universitären Strukturwandel im Zuge der sogenannten Bildungsexpansion verschob sich die Lehrkörperstruktur . Die quantifizierende Analyse der Entwicklung der drei Gruppen Professor_innen, Studierende, Mittelbau zeigt, dass sich an der Philosophischen Fakultät die Anzahl der Studierenden zwischen dem WS 1947/48 (912) und dem WS 1966/67 (3940) mehr als vervierfachte . Die soziale Zusammensetzung der Studierenden veränderte sich dahingehend, dass mehr Akademiker- und Angestelltenkinder studierten, nicht aber mehr Arbeiterkinder . Allerdings stieg der Studentinnenanteil und bewegte sich ab 1963 durchgehend über 50 % . Während der Frauenanteil des nichthabilitierten Lehrkörpers ab 1964 immerhin wieder 20 % betrug, verharrte der Anteil von Frauen am habilitierten Lehrkörper unter zehn Prozent und der Professorinnenanteil bei 5 % . Das strukturell auffälligste Merkmal zeigte sich in der quantifizierenden Verlaufsanalyse: Die Lehrstühle wurden nicht proportional zu den Studierendenzahlen ausgebaut . Zwar verdoppelte sich der Lehrkörper zwischen 1947 und 1966 . Jedoch begründete der Fakultätsrat die Etablierung neuer Professuren bis 1960 selten mit dem Frequenzanstieg, Parallelprofessuren waren bis Mitte der 1960er Jahre verpönt . Das Wachstum des Lehrkörpers ging mit der Ausdifferenzierung der Fächer einher und hielt mit der steigenden Anzahl an Studierenden nicht Schritt . Die durchschnittliche Betreuungsrelation von 100–115 Studierenden je Professur im Zeitraum 1960–65 lässt die Rede von der Überfüllungskrise plausibel erscheinen, vor allem dann, wenn das 2 . Hauptfach und die Nebenfächer mitgerechnet werden: In den Massenfächern Germanistik, Romanistik und Anglistik entfielen zwischen 200 und mehr als 350 Studienfälle auf eine Professur . Daraus, sowie aus dem Befund, dass sich Wissenschaftsorganisation sukzessive zur professoralen Hauptaufgabe entwickelte,576 ergibt sich, dass die Universität als Lehr- und Forschungsinstitution in den sehr großen Fächern ohne die Nichtordinarien funktionsunfähig gewesen wäre . An der Erweiterung der Stellen im Mittelbau in den 1960er Jahren im Vergleich zum Anstieg der Studierendenzahlen und zum Ausbau der Professuren zeigt sich, dass der Frequenzanstieg in erster Linie durch den Ausbau des Mittelbaus abgefangen wurde .
575 576
Lorenz (1953), S . 14 . Vgl . Kap . 4 .5 .1 .
Der Ausbau des akademischen Mittelbaus
Während sich die Studierendenzahlen 1947–66 vervierfachten, die etatisierten Professuren aber nur verdoppelten, verdreifachte sich die Anzahl der habilitierten Nichtordinarien und verfünffachte sich die Zahl der nichthabilitierten Lehrkräfte (vgl . Tab. 6, Abb. 14) . Der bemerkenswerte Ausbau der Mittelbaustellen sollte die vergleichsweise geringe Vermehrung der Professuren ausgleichen und zur Förderung akademischer Karrierewege beitragen . Diese historisch neuartige Lösung der „Überfüllung“, die zum neuen Standard avancierte, lässt sich über Freiburg hinaus an allen bundesdeutschen Universitäten beobachten: 1910 hatte der Hochschullehrkörper im Deutschen Reich noch zu 32 % aus Ordinarien bestanden, zu 22 % aus „Extraordinarien“,577 zu 37 % aus Privatdozierenden und zu 9 % aus „Ergänzungslehrkräften“, also Lehrbeauftragten und Lektor_innen .578 Bis 1953/54 hatten sich die Zahlenverhältnisse gewandelt, da bundesweit 2671 Assistenturen hinzugekommen waren . Zusammen mit den Privat- und Diätendozierenden, außerplanmäßigen Professor_innen und Ergänzungslehrkräften stellten sie 1954 mehr als 80 % aller Lehrkräfte . 1956 wurden zunehmend Stellen für Akademische Rät_innen (AR) und Wissenschaftliche Rät_innen (WR) eingeführt . Sie führten zu erneuten Verschiebungen in der Lehrkörperstruktur bei gleichzeitig wachsender Unübersichtlichkeit . An der Philosophischen Fakultät Freiburg stellten die Nichtordinarien 1955 noch 67 % und die planmäßigen Professoren ein Drittel des Gesamtlehrkörpers . Zeitlich etwas versetzt veränderte sich aber auch hier dessen Zusammensetzung . Der Trend zu einem „Lehrstab“, wie er sich zunächst in der Medizinischen Fakultät etabliert hatte, kam Anfang der 1960er Jahre auch an der Philosophischen Fakultät Freiburg an . 1910–50 hatten die planmäßigen Professoren mehr als ein Drittel des Gesamtlehrkörpers (34–44 %) ausgemacht . Während sich damit die Anzahl der planmäßigen Professoren und der Nichtordinarien bis Mitte der 1950er Jahre in einem Verhältnis von mindestens 1:2 bewegte, sank der Anteil der Professuren am Lehrkörper bis 1960 auf 30 %, bis 1965 auf ein Fünftel (20 %) und bis 1969 gar auf 16 % (vgl . Tab. 8, Abb. 15) . Hingegen stieg der Anteil des nichthabilierten Mittelbaus am Lehrkörper von 33 % (1955) auf 56 % (1965) und 64 % (1969) .
Sowohl die unbesoldeten außerplanmäßigen Professoren als auch die später sogenannten Diätendozenturen wurden damals als Extraordinariate bezeichnet, vgl . Ferber (1956), S . 102–103, vgl . Busch (1959), S . 76, vgl . Eulenburg (1908) . 578 Vgl . Busch (1959), S . 76, vgl . Goldschmidt (1956), S . 38 . 577
161
162
Die Expansion der Philosophischen Fakultät
Tab. 8 Wachstum des gegliederten Lehrkörpers der Philos. Fak. im Vergleich Jahr
Lehrkörper insg., davon:
Pln. Prof.
Mittelbau, davon:
Apl. Prof., WR
PDs
Lekt, Ass., m. LA, AR
1910
37 (100%)
15 (41%)
22 (59%)
4 (11%)
11 (30%)
7 (19%)
1920
41 (100%)
18 (44%)
23 (56%)
12 (29%)
4 (10%)
7 (17%)
1930
46 (100%)
17 (37%)
29 (63%)
6 (13%)
9 (20%)
14 (30%)
1937
46 (100%)
16 (35%)
30 (65%)
3 (7%)
6 (13%)
21 (46%)
1940
46 (100%)
19 (41%)
27 (59%)
4 (9%)
8 (17%)
15 (33%)
1947
52 (100%)
20 (38%)
32 (62%)
2 (4%)
9 (17%)
21 (40%)
1950
56 (100%)
20 (36%)
36 (64%)
2 (4%)
12 (21%)
22 (39%)
1955
70 (100%)
23 (33%)
47 (67%)
5 (7%)
14 (20%)
28 (40%)
1960
96 (100%)
28 (29%)
68 (71%)
4 (4%)
24 (25%)
40 (42%)
1965
191 (100%)
38 (20%)
153 (80%)
9 (5%)
29 (15%)
115 (60%)
Etatisierte Professuren davon Frauen Habilitierter Mittelbau davon Frauen Nichthabilitierter Mittelbau davon Frauen
1947
1949
1951
1953
1955
1957
1959
1961
1963
1965
1967
100% 95% 90% 85% 80% 75% 70% 65% 60% 55% 50% 45% 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% 1969
Abb. 15 Entwicklung der Anteile der Lehrkörpergruppen an der Philos. Fak. 1945–69579
Bildrechte: C . Klein . Die dieser Tabelle und Grafik zugrundeliegenden Zahlen basieren auf den Angaben in den Planstellenverzeichnissen in UA Freiburg Nr . B001/1182, Nr . B066/0180 und den Vorlesungsverzeichnissen (Albert-Ludwigs-Universität 1944–70a) .
579
Der Ausbau des akademischen Mittelbaus
Mit der Vergrößerung dieses „Unterbaues“ verminderten sich bei gleichzeitiger Vermehrung der Professuren relational die Chancen, eine Professur zu erreichen . Das Risiko, eine wissenschaftliche Karriere mit dem Ziel einer Lebenszeitprofessur oder Dauerstelle einzugehen, vergrößerte sich zudem dadurch, dass die Dauerstellen im Mittelbau nicht langfristig aufrecht erhalten, sondern sukzessive wieder zu befristeten Durchgangsstellen reduziert wurden . So wuchs zwar der Rekrutierungspool des akademischen „Nachwuchses“, die Selektionsmechanismen nahmen aber gleichzeitig zu: „Der Zugang zum Hochschullehrer-Beruf ist in dramatischer Weise schwieriger geworden“ lautete zwanzig Jahre später der Befund der Untersuchung zur HochschulPersonalstruktur .580 Diese Verschlechterung betraf in erster Linie die kultur- und sozialwissenschaftlichen Fächer . Zudem verfestigten diese Prozesse universitäre Hierarchiestrukturen insofern, als die hierarchisch tiefer angesetzten Positionen häufig in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den Professor_innen standen . Dieser Effekt wurde zunächst dadurch abgefedert, dass die Ratsstellen als unabhängige Dauerstellen geplant wurden . Allerdings war deren Anteil äußerst gering . So wurde mit dem Ausbau des Mittelbaus ein Teil des Lehrkörpers mit einer Vielzahl von Lehr- und Forschungsaufgaben betraut, der sich größtenteils in diesem Abhängigkeitsverhältnis befand und in der fakultären Selbstverwaltung nur marginal repräsentiert war . Der oft als „Überfüllungskrise“ gebrandmarkte Anstieg der Studierendenanzahl, der allerdings einen Prozess des Bedeutungszuwachses von Universitäten im Zuge der Entwicklung zur wissensbasierten Dienstleistungsgesellschaft markiert, stellt ein bundesweites, und darüber hinaus ein internationales Phänomen dar . Langfristig wurde dieser strukturell notwendigen Neuentwicklung durch die Neugründung und den Ausbau von Hochschulen bundesweit Rechnung getragen . Auch in Baden-Württemberg wurden große Anstrengungen in diese Richtung unternommen . Mit der Zusammenfassung und dem Ausbau der vormals konfessionellen Akademien für Lehrerbildung im Konzept der Pädagogischen Hochschule wurde die Philosophische Fakultät der Universität Freiburg entlastet, insbesondere hinsichtlich der Studierenden, die die Kleine Fakultas absolvieren wollten .581 Zudem erfüllte die zunächst als Eliteinstitution geplante Universität Konstanz, die 1972 als Reformuniversität ihre Tore öffnete,582 Entlastungsfunktionen für die Universität Freiburg .583 Davor wurden an der Philosophischen Fakultät aber Strukturreformen durchgeführt, die zusätzlich zu der baulichen Erweiterung der Traditionsuniversität dem Anstieg der Studierendenzahlen in Bochow/Joas (1987), S . 164 . Komplementär zu den sich einpendelnden Studierendenzahlen an der Philos . Fak . stiegen die Studierendenzahlen der PH seit deren Gründung 1962 stark an . 582 Einen wichtigen Faktor stellen ab den späten 1960er Jahren auch die neugegründeten Hochschulen in Nordrhein-Westfalen dar . Viele Studierende, die bisher aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland zum Studium nach Freiburg gekommen waren, besuchten nun nordrhein-westfälische Hochschulen . 583 Vgl . Gerd Tellenbach, „Gutachten zur Neuplanung einer Hochschule in Baden-Württemberg“ v . 27 .11 .1961, S . 4–7, in: UA Freiburg Nr . C0157/4 . 580 581
163
164
Die Expansion der Philosophischen Fakultät
den 1960er Jahren nachkamen:584 Personell reagierte die Philosophische Fakultät auf den Frequenzanstieg weniger durch einen konsequenten Ausbau der Professuren, als durch die Verstärkung des Mittelbaus . Mit den Studien- und Hochschulreformen der 1950er/60er Jahre konnten an der Philosophischen Fakultät so die Ziele erreicht werden, viele Studierende auszubilden und gleichzeitig die Qualität der Ausbildung bei gesteigerten Anforderungen zu erhalten . Dies wurde jedoch durch Maßnahmen ermöglicht, die zur Verschiebung des professoralen Aufgabenprofils und letztlich zur Verlängerung der Ausbildungszeiten aufstrebender Wissenschaftler_innen führten . Die „Überfüllungskrise“ wurde an der Philosophischen Fakultät Freiburg in erster Linie durch den Ausbau des Mittelbaus gelöst . Dabei scheiterte ein dem Frequenzanstieg entsprechender Ausbau der Professuren an Krisenrhetorik, elitärem Standesbewusstsein und „Humboldtianismus“ der Krisengeneration .585 Zwar wurden kurzfristig unbefristete Stellen eingeführt, aber die Überlastungs- und Hierarchieverhältnisse weiter vorangetrieben . Durch die Bevorzugung hierarchischer Formen der Aufgabenteilung vor kooperativer Teamarbeit verstärkten sich Abhängigkeiten und Konkurrenzen .
584 Zur baulichen Entwicklung siehe Brandt (2014) . Das Kollegiengebäude II wurde 1957 gebaut, das KG III 1962, die Mensa 1961 . Die Universitätsbibliothek befand sich bis Ende der 1960er Jahre noch im KG IV, das bis Mitte der 1960er nicht ausgebaut war und über einen Innenhof verfügte . 585 Den Begriff des Humboldtianismus prägte Olaf Bartz, vgl . Bartz (2006), S . 18, S . 27–35 .
4.
Die Professoren der Philosophischen Fakultät
Abb. 16 Die Krisengeneration und die Dynamisierte Generation der Philos. Fak.1
Die Professoren stellten innerhalb der Philosophischen Fakultät die mächtigste und gemeinsam mit dem Verwaltungspersonal auch die kontinuierlichste universitäre Gruppe dar . Sie blieben durchschnittlich länger in Freiburg als die sehr viel schneller fluktuierende Gruppe der Studierenden oder auch des befristeten Mittelbaus . Was aber machte diese Gruppe aus, wer waren diese Professoren, die den Fakultätsrat im Zeitraum 1945–67 bestimmten, was verband sie und wie unterschieden sie sich? Die
1 Collage 2018, Bildrechte C . Klein; auf der Grundlage von Max Ernst (1922), Au rendez-vous des amis / Das Rendezvous der Freunde .
166
Die Professoren der Philosophischen Fakultät
folgende prosopografische Untersuchung berücksichtigt Sozialstruktur und Laufbahnen, Erfahrungshorizonte und Prägungen, Aufgabenteilung und interne (Hierarchie-) Verhältnisse der Professorengruppe . Um sie gesellschaftlich zu kontextualisieren wird hier auf das Generationenkonzept zurückgegriffen, dessen Stärke Ute Daniel zufolge in der „Vielfalt von Beziehungen“ liegt, die damit erschlossen werden können .2 Der Generationsbegriff ermöglicht es, universitäts- und gesellschaftsgeschichtliche Fragestellungen miteinander zu verknüpfen . Dazu muss das Generationenkonzept allerdings mehrfach erweitert werden, da das gesellschaftsgeschichtliche Konzept der Politischen Generationen3 relativ unverbunden neben dem universitätshistorischen der Professorengenerationen4 steht . Wenngleich mit der hier als Krisengeneration bezeichneten Professorengruppe der Jahrgänge 1886–1910 die letzte ausschließlich männliche Professorengeneration im Fokus der Analyse steht, wird das Konzept hier zu dem der Professor_innengenerationen erweitert, da zu der darauffolgenden Dynamisierten Generation der Jahrgänge 1911–35 auch Professorinnen zählten . 4.1
Professor_innengenerationen als Analysekonzept
Politische Generationen Als ein systematisierender und periodisierender, sozialen Wandel beschreibender wie auch erklärender Ansatz wird das Konzept der Generationen in der historischen Forschung vor allem in der Analyse „politischer Generationen“ verwendet .5 Noch bevor Mannheims soziologisches Generationskonzept zum klassisch-konzeptionellen Referenztext avancierte,6 stieg der soziopolitische Gebrauch des Generationenkonzepts zur populären Deutungskategorie auf .7 Einen der meistzitierten Beiträge stellte schließlich Ernst Günther Gründels Buch Die Sendung der jungen Generation. Versuch einer umfassenden revolutionären Sinndeutung der Krise dar, das in mehreren Auflagen 1932/33 erschien .8 Es reflektierte den Aufstieg des Jugendbegriffs und formulierte eine für die Daniel (2006), S . 341 . Zum Generationenkonzept vgl . ebd ., S . 330–345 . Vgl . Fogt (1982), Herbert (2003) . Zu Professorengenerationen vgl . Paletschek (2001a), S . 311, 320, 325, 338, vgl . Schmidt (1985), S . 88, 97, 103, 109–112, Ferber (1956), S . 103, 183, Grüttner (2010) . 5 Der von Mannheim nicht ausschließlich politisch konnotierte Generationszusammenhang wurde seit den 1980er Jahren zur „‚politischen Generation‘ (einem politischen Generationszusammenhang)“ zugespitzt, vgl . Fogt (1982), S . 21, Herbert (2003), Hodenberg (2006), S . 30, dies . (2005), S . 270 . 6 Zur Marginalisierung Karl Mannheims s . Niethammer (2003), vgl . Laube (2004b) . 7 So wurde etwa das von Helene Stöcker 1905–1932 herausgegebene Publikationsorgan des Bundes für Mutterschutz „Mutterschutz . Zeitschrift zur Reform der sexuellen Ethik“ 1908 in „Die Neue Generation . Publikationsorgan des Deutschen Bundes für Mutterschutz und der Internationalen Vereinigung für Mutterschutz und Sexualreform“ umbenannt . 8 Vgl . Gründel (1932), weiterführend Herbert (1996), S . 44–46, ders . (2003), S . 97–98 . 2 3 4
Professor_innengenerationen als Analysekonzept
sogenannte Verlorene Generation identitätsstiftende Programmatik der „Erneuerung“, die Krise und Sendungsauftrag eng miteinander verknüpfte .9 Gründel subsumierte unter dem übergreifenden Label der ein Intervall von dreißig Jahren umfassenden Jungen Generation die Junge Frontgeneration ( Jg . 1890–99), die Kriegsjugendgeneration ( Jg . 1900–09) und die Nachkriegsgeneration ( Jg . 1910–19) .10 Hatten Statistiker des 19 . Jahrhunderts das Intervall zwischen zwei Generationswechseln auf 30 Jahre festgelegt,11 wurden mit dem Ersten Weltkrieg als generationellem Bezugsereignis Generationen nach Dekaden ausdifferenziert . Die historische Forschung zu politischen Generationen hat die Selbststilisierung und Heroisierung der Jungen Generation kritisch reflektiert .12 Die Generationendifferenzierung nach Dekaden hat sie hingegen übernommen wie auch den Bezug auf einen „Generationszusammenhang“, den Mannheim theoretisch aufbereitet hat . Darunter wird ein maßgebliches Ereignis oder ein anderer prägender Zusammenhang verstanden, mit dem die jeweilige Generation benannt wird . Als generationsprägende Zusammenhänge des 20 . Jahrhundert gelten in der historischen Generationsforschung heute meist die verschiedenen soziopolitischen Erfahrungshorizonte und Neuorientierungen, die das Kaiserreich,13 der Erste Weltkrieg,14 194515 und der Wohlfahrtsstaat mit sich brachten .16 Für die Geburtsjahrgänge 1890–1900 hat sich die Bezeichnung Junge Frontgeneration weitgehend verfestigt . Die Bezeichnung der darauf folgenden, besonders gut erforschten Kriegsjugendgeneration17 Tab. 9 Politische Generationen nach Jahrgängen18 Politische Generationen Geburtsjahrgänge
Wilhelm. Generation
GründerzeitGeneration
Frontgeneration
Junge Frontgeneration
Kriegsjugendgeneration
Nachkriegsgeneration
45er
68er
1861–1870 1871–1880 1881–1890 1891–1900 1901–1910 1911–1920 1921–1930 1931–1940 1941–1950
9 Vgl . ausführlich Reulecke (1989) . 10 Vgl . Gründel (1932), S . 61 . 11 Vgl . Jureit/Wildt (2005b), S . 8 . 12 Vgl . Herbert (1996), S . 42–44 . Die neuere historische Forschung unterscheidet zwischen Generation als
Quellenbegriff und Generation als Analysebegriff, vgl . Jureit (2010), S . 2, 11–12 . 13 Vgl . Peukert (1987), S . 24–31 . 14 Vgl . insbes . Herbert (1996), S . 42–44 . 15 1945 gilt sowohl als Zäsur für die 45er, als auch für die 68er, vgl . Herbert (2003), S . 102, 109 . 16 Vgl . Bude (2005), S . 42–44 . 17 Während der Quellenbegriff Kriegsjugendgeneration die Jahrgänge 1900–10 fokussierte, ist der entsprechende Analysebegriff partiell auf die Jahrgänge 1900–15 ausgeweitet worden, vgl . Herbert (2003), S . 100 . Anders als in der Best-Studie (Herbert 1996, S . 43) integriert Herbert (2003) damit Wildts Generation des Unbedingten ( Jg . 1910–15) in die Kriegsjugendgeneration, vgl . Wildt (2002), S . 550, vgl . S . 24–25, 46 . 18 Bildrechte C . Klein . Bei dieser periodisierenden Schematik handelt es sich um ein heuristisches Werkzeug, das eine Konversion „politischer Generationen“ in Professor_innengenerationen über den gemeinsamen Bezugspunkt bestimmter Geburtsjahrgänge ermöglichen soll . Dabei ist immer zu beachten, dass verschiedene Generationen nebeneinander existieren und die Übergänge fließend sind .
167
168
Die Professoren der Philosophischen Fakultät
erhielt in der Geschichtswissenschaft zusätzliche, teils auf Mentalitäten zugespitzte, teils auf bestimmte Gruppen gemünzte Namen wie Generation der Sachlichkeit19 und Generation des Unbedingten .20 Die Bezeichnungen für die Generation, die auf die bisher wenig untersuchte Nachkriegsgeneration der Geburtsjahrgänge 1910–20 folgte,21 haben sich breit ausdifferenziert . Die Identifizierung eines übergreifenden Generationszusammenhangs ist heterogen und auch hinsichtlich der darunter gefassten Geburtsjahrgänge changieren die Grenzziehungen und Übergänge . Die Bezeichnungen betonen mit der „betrogenen Generation“ die Sozialisation dieser Generation während des NS,22 oder mit dem Namen „Flakhelfergeneration“ das Erlebnis der letzten zwei Kriegsjahre; Schelsky porträtierte sie idealtypisierend mit dem griffigen Schlagwort „skeptische Generation“ .23 Sie werden von der Forschung mittlerweile unter dem Namen 45er-Generation integriert .24 Darunter werden in der breiten Auslegung die Jahrgänge 1920–35, vor allem aber die erste Studierendengeneration nach dem Zweiten Weltkrieg gefasst .25 Die „diskursive Demokratisierung“ der Bundesrepublik wird heute maßgeblich auf diese Generation zurückgeführt .26 Die 45er als Generation „zwischen Faschismus und Demokratie“ werden von den 68ern abgegrenzt,27 die bei einigen Schwankungen die Jahrgänge der späten 1930er Jahre bis etwa 1950 repräsentieren .28 Auch in diesem Fall wird unter dem Generationsbegriff eine Studierendengeneration verstanden .29 Zudem gewinnt das Konzept der 1958er an Popularität, das, wiederum selbstreferentiell, am Beispiel von Freiburger Studierenden und Postgraduierten zwischen den 45ern und den 68ern entwickelt wurde .30 Werner Müller charakterisierte diese Studierendengeneration der geburtenstarken Jahrgänge 1934–41 als „jünger und homogener“ als die der 45er und hob hervor, dass die 58er bereits während ihrer Schulzeit, etwa durch
Vgl . Herbert (1996), S . 41–50 . Vgl . Wildt (2002) . Irmtraud Götz von Olenhusen untersuchte zwar die „Nachkriegsgeneration“, verstand darunter aber die Jahrgänge 1904–12, die inzwischen vorwiegend als Kriegsjugendgeneration gefasst werden . Übereinstimmend mit der Forschung zur Kriegsjugendgeneration beschreibt sie diese als eine Krisengeneration, erweitert sie allerdings um eine konfessionelle Differenzierung, vgl . Olenhusen (1987), S . 267–268 . 22 Vgl . Hellfeld/Klönne (1985) . 23 Vgl . Schelsky (1957), vgl . Bude (1987), Kersting (2003) . 24 Die Bezeichnung 45er geht auf Joachim Kaiser (1990), zurück und wurde von Dirk Moses (1999, 2007) u . a . am Beispiel von Wilhelm Hennis ausgearbeitet, der ab 1966 in Freiburg lehrte . 25 Vgl . ebd ., vgl . Hodenberg (2002), S . 283, dies . (2005), S . 270, dies . (2006), S . 41, 42, Wolbring (2014) . Kleinen nennt diese Generation in Anlehnung an Klönne (1991) „Kriegsjugendgeneration“ . Sie fasst darunter allerdings die Studierendengeneration der Geburtsjahrgänge 1920–29, die in der neueren Forschung als 45er verhandelt werden, vgl . Kleinen (2005), S . 175–254, hier S . 181 . 26 Moses (2007), S . 50 . 27 Vgl . ebd ., S . 7, 8, 50 . 28 Vgl . Bude (1995), vgl . Herbert (2003), S . 97 . 29 Vgl . Wolbring (2014), S . 41–123 . 30 Müller (2012[2004]) . 19 20 21
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Schülerzeitungen, zum „Aufbau einer neuen Demokratie“ erzogen worden waren .31 Sie stellten auch die erste sehr viel größere studentische Generation des Frequenzanstiegs ab Mitte der 1950er Jahre dar . Insgesamt zeigt sich, dass die Bezugspunkte der Namensgebung wie auch die darauf bezogenen Prägungsphasen der jeweiligen Generationen in der historischen Forschung stark voneinander abweichen .32 Die verschiedenen jeweils fokussierten Zusammenhänge und Altersstufen, die den Bezeichnungen zugrunde liegen, erschweren vergleichende Analysen . Die Erforschung der weiblichen Angehörigen von Generationen steht – auch was deren Benennung angeht – noch weitgehend am Anfang .33 „Generation“ – so zeigt sich an der historischen Forschung zu Politischen Generationen – ist in seiner makroanalytischen Weitläufigkeit und den verschwimmenden Demarkationslinien zwischen Quellen- und Analysebegriffen, wie auch in seiner einseitigen Konzentration auf Männer und Studierende noch kein präziser Begriff für die historische Analyse . Es fehlen prosopografische und kollektivbiografische Untersuchungen von klar umrissenen Gruppen auf der Grundlage umfassenden empirischen Materials .34 Auf den universitätsgeschichtlichen Kontext bezogen bietet es sich an, das Generationenkonzept feldspezifisch zu differenzieren und mit dem prosopografischen Konzept der Professor_innengeneration zu verschränken . Professor_innengenerationen Eine Professor_innengeneration35 bezeichnet die Gruppe planmäßiger Professor_innen einer „Hochschullehrergeneration“36 bzw . „Hochschulgeneration“,37 die bestimmten Geburts- oder Habiltationsjahrgängen wie auch einer bestimmten Zeitspanne zugeordnet werden können, in der sie gemeinsam als Professor_innen lehrten . Anders als bei dem Konzept der Politischen Generationen, das auf der Grundlage eines geEbd ., vgl . ausführlich Puaca (2005), vgl . international vergleichend Levsen (2010) . Peukert differenziert zwischen der Wilhelminischen Generation, den Altersgenossen Wilhelms II, also den Jahrgängen der 1850er/1860er Jahre, der Gründerzeitgeneration der im Jahrzehnt der Reichsgründung Geborenen, der Frontgeneration der in den 1880/90er Jahren Geborenen und der „im mehrfachen Sinne überflüssige[n] Generation der seit 1900 Geborenen“, Peukert (1987), S . 26, 24–31 . Der Name Gründerzeitgeneration bezieht sich dabei auf den Zeitpunkt der Geburt, während mit den Bezeichnungen Junge Frontgeneration, Kriegsjugendgeneration und Nachkriegsgeneration die Lebensphase der Jugend in den Vordergrund rückt . Bei den 45ern, den 68ern und 1958ern wiederum wird die noch spätere Phase des Studiums als generationell prägend hervorgehoben . 33 Vgl . Benninghaus (2015) . Ausnahmen stellen etwa die Studien von Kleinen (2005), Schallner (2011), Wienhaus (2014), Hodenberg (2018), Harms (2019) dar . 34 Inzwischen liegen für die Generation des Unbedingten (Wildt 2002) und für die 68er (Wienhaus 2014) solche Analysen vor . 35 Vgl . Paletschek (2001a), S . 311, 320, 325, 338 . 36 Vgl . Schmidt (1985), S . 88, 97, 103, 109–112 . 37 Vgl . Ferber (1956), S . 103, 183 . 31 32
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meinsamen Generationszusammenhangs beruht und aufgrund seiner unzureichenden empirischen Fundierung als „Ex-post-Konstrukt einer politischen Erinnerungsgemeinschaft“ kritisiert worden ist,38 handelt es sich bei Professor_innengenerationen häufig um statistisch zusammengestellte Größen . So wurden Professor_innengenerationen in der bisherigen Forschungsliteratur häufig nicht mit Namen versehen, sondern in ihrer Abfolge nummeriert oder mit ihren Geburts- oder Habilitationsjahrgängen bezeichnet . Der Verzicht auf eine inhaltliche Benennung hat den Vorteil, dass nicht von vornherein Homogenität vorausgesetzt und konstruiert wird . Wenn allerdings eine auffällig verbindende Komponente festgestellt wird, die interne Differenzen, Hegemonieverhältnisse und Marginalisierungstendenzen mitberücksichtigt, ist eine Benennung auch der Einprägsamkeit, besseren Unterscheidung und Anfechtbarkeit wegen von Nutzen . Die Untersuchung von Professor_innengenerationen richtet sich vorwiegend auf Sozialstruktur und akademische Karrierewege der Professor_innengruppe . In diesen prosopografischen Analysen wird Generation nicht als eine Strukturkategorie neben anderen, sondern als eine Kategorie verstanden, die in der Analyse einer Gruppenkonstellation die anderen Strukturkategorien mitberücksichtigt . Damit wird hier ein induktives sozialhistorisches Generationenkonzept zugrunde gelegt, das sich mit dem Konzept der Politischen Generationen verknüpfen lässt . Professor_innengenerationen werden nach dem Intervall voneinander abgegrenzt, in denen sie als planmäßige Professor_innen tätig waren und bestimmten Geburts- und Habilitationsjahrgängen zugeordnet .39 Sie wechseln, so die bisherige universitätshistorische Forschung, alle 20 bis 30 Jahre .40 Die genaue Zeitspanne, in der ein professoraler Generationswechsel erfolgt, variiert historisch, kontext- und institutionenspezifisch .41 Auch welche Geburtsjahrgänge mit einer Professorengeneration korrespondieren, muss empirisch konkret festgestellt werden, da universitäre Ausbildungsanforderungen ebenso wie Wartezeiten auf einen Ruf sich historisch und kontextuell unterscheiden .42 Generationswechsel können auch durch Systemwechsel und damit einhergehende Entlassungen oder umgekehrt in Expansionsphasen durch zusätzliche Neueinstellungen
Weisbrod (2005), S . 6, vgl . Wienhaus (2014), S . 41 . Dabei erwies sich Ferbers Differenzierung nach Habilitationsjahrgängen als problematisch, da die Habilitation keineswegs immer und überall eine Zugangsvoraussetzung darstellte, vgl . Ferber (1956), Tab . 26, S . 177–178, vgl . Paletschek (2001a), S . 230, Anm . 14 . Anders als Ferber differenziert Schmidt nach Geburtsjahrgängen, vgl . Schmidt (1985), S . 98 . Paletschek differenzierte mit einer Zuordnung zu Geburtsjahrgängen im Verhältnis zu der Zeitspanne, in der die Professoren 1870–1932 in Tübingen lehrten, drei Professorengenerationen der Jahrgänge 1820–1850 (1870–1889), 1840–1870 (1890–1910), 1860–1890 (1910–32), vgl . Paletschek (2001a), S . 310 . 40 Vgl . Paletschek (2001a), vgl . Ferber (1956), vgl . Schmidt (1985) . 41 Vgl . Mannheim (1970[1928]), S . 540, S . 552–552 . 42 Sie verändern sich mit den universitären Konjunkturen, aufgrund von Personalmangel oder -überschuss sowie durch den Wandel der Ausbildungs- und Emeritierungszeiten . Weiterhin erfolgt an Aufstiegsuniversitäten/-fakultäten ein schnellerer Wechsel, vgl . weiterführend Ferber (1956), vgl . Schmidt (1985) . 38 39
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beschleunigt werden .43 Mit der Herabsetzung des Emeritierungsalters von 70 auf 68 Jahre 1922 verkürzten sich etwa in Baden die Zeitabstände zwischen zwei Generationswechseln .44 1945–66 wurden die Professoren in der Regel nach dem Semester emeritiert, in dem sie ihr 68 . Lebensjahr erreicht hatten .45 Da sich die Ausbildungs- und die Wartezeiten auf eine Professur nicht verkürzten, im Gegenteil, muss das Intervall zwischen zwei Professor_innengenerationen im Untersuchungszeitraum nicht mehr mit dreißig, sondern mit ca . 25 Jahren angesetzt werden . Damit umfasst eine Professor_innengeneration zwei bis drei Politische Generationen, welche jede Dekade wechseln .46 Im Folgenden werden Politische Generationen und Professor_innengenerationen über ihre jeweiligen Jahrgänge in Bezug zueinander gesetzt . Ausgangspunkt ist dabei das empirische Konzept der Professor_innengeneration und damit eine sozialhistorische Analyse . Sie soll aber mit einer Analyse der professoralen Selbstverständnisse und Tätigkeiten verschränkt werden . Um das zu gewährleisten bietet es sich an, Bourdieus Konzept der illusio in die Generationenanalyse zu integrieren und sie damit feldspezifisch auszudifferenzieren . Das Analysekonzept Um eine Brücke zwischen dem Konzept der Professor_innengeneration und dem der Politischen Generationen zu schlagen, ist ein Rückbezug auf und damit eine Erweiterung von Mannheims Rahmenkonzept um eine empirische Analyse sowie eine feldspezifische Konkretisierung seines „Generationenzusammenhangs“ notwendig . Mannheims Problem der Generationen ist bis heute ein wichtiger wissenssoziologischer Grundlagentext, weil er darin zwischen der „Generationslagerung“47 als der kontextuell-historischen Situierung ähnlicher Jahrgänge, dem sie prägenden bzw . für sie charakteristischen Problem-, Erfahrungs- oder „Generationszusammenhang“48 und Vgl . Grüttner (2010) . In Baden galt diese Regelung seit dem 13 .12 .1922 (GVBl . 1923, S . 2) . 1938 kam es zu Verschiebungen, da die Stellung der Emeriti im Reichsgebiet einheitlich nach der preußischen Lösung geregelt wurde, vgl . Gesetz über die besonderen Rechtsverhältnisse der beamteten Lehrer an den wissenschaftlichen Hochschulen vom 09 .04 .1938 (RGbl . I, S . 377), vgl . die Akten in UA Freiburg Nr . B003/104 . 45 Vgl . Badisches Ministerium des Kultus und Unterrichts Nr . A 3303, Freiburg, 23 .04 .1951 gez . Wohleb an das Akad . Rektorat der Univ . Freiburg sowie weitere Akten in UA Freiburg Nr . B003/104 . 46 Vgl . ähnlich Schmidt (1985), S . 123 . Anders als Professor_innengenerationen beschreiben Polit . Generationen junge Erwachsene in „prägungsoffenen“ Lebensphasen, die einen schnelleren Wandel repräsentieren . 47 Unter Generationslagerung verstand Mannheim den losen Zusammenhang eines gemeinsamen kulturellen Kontextes ähnlicher Geburtsjahrgänge . Dabei berücksichtigte er über die Kategorie Geburtsjahrgang/Alter hinaus auch andere soziale, kontextuell spezifische Hintergründe, vgl . Olenhusen (1987), S . 21 . 48 Generationszusammenhang bezeichnet eine prägende Erfahrungsdimension, die „Partizipation an den gemeinsamen Schicksalen“ (Mannheim (1970[1928]), S . 542) . Ein neuer Generationszusammenhang formiert sich nicht unbedingt regelmäßig mit jedem Generationswechsel, sondern unterbricht kontinuierliche Wandlungsprozesse infolge beschleunigter sozialer Dynamik und kristallisiert sich in „entscheidenden 43 44
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der gruppenspezifisch vergemeinschafteten „Generationseinheit“49 oder Generationsgruppe unterschied .50 Mannheim differenzierte nach Jahrgängen und kulturellen Kontexten, verschiedenen politischen Generationseinheiten, aber auch historisch konkreten „Zeitgeistströmungen“, Formen der Vergesellschaftung, spezifischen Gattungen und Moden . Sein Konzept eignet sich für empirische Analysen, da es nicht starr und überzeitlich, sondern mehrdimensional und offen angelegt ist, historisch-kontextuelle Spezifika und soziopolitische Dynamiken berücksichtigt sowie Differenzierungen zulässt . Von Geburtsjahrgängen monokausal auf bestimmte Verarbeitungsweisen prägender Problemkonstellationen zu schließen, ist mit diesem Konzept nicht mehr möglich . Eine empirische Unterfütterung des Mannheimschen Modells steht allerdings weitgehend aus, auch weil es „nun leider nicht mit der Stimmigkeit und Präzision formuliert [ist], die für eine Verwendung in den Sozialwissenschaften wünschenswert wäre .“51 Anders als bei Mannheim werden Generationen hier nicht als „Kollektivierungsbegriff neben Stand, Schicht und Klasse“,52 sondern als intersektionale Kategorie aufgefasst .53 Dazu wird die bei Mannheim angedeutete empirisch-materialistische Komponente der „Generationslagerung“ aufgegriffen und mittels einer prosopografischen Analyse der Sozialprofile und Laufbahnen der Professor_innen einer Professor_innengenerationen genauer bestimmt . Die Strukturkategorien Alter, Geschlecht, „Rasse“, soziale und lokale Herkunft, Konfession, NS-Vergangenheit, Kriegsteilnahme und Emigration sowie die akademischen Laufbahnstationen Promotion, Habilitation, Erstberufung und Professur werden dabei berücksichtigt, ebenso wie ideelle Prägungen und Mentalitäten . Um den „Generationszusammenhang“ bzw . die konkrete „Genera-
Kollektivereignisse[n]“ (ebd ., S . 550, 552) . In Zeiten starken sozialen Wandels erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit für die Herausbildung neuer Wahrnehmungs- und Deutungsmuster, die sich auch innerhalb einer Generation stark unterscheiden können . 49 Während der Generationszusammenhang unterschiedliche Reaktionen auf eine gemeinsame Prägung überspannt, bezeichnet Generationseinheit eine spezifische Gruppe, die mit ähnlich gepolten Einstellungen zu diesen Erfahrungen auftritt . Innerhalb eines Generationszusammenhangs existierten mehrere, teils „polar sich bekämpfende“ Generationseinheiten, vgl . ebd ., S . 541–544, 547 . 50 Allerdings ist Mannheims Text in seiner Entstehungszeit zu situieren und entsprechend zu erweitern . Lutz Niethammer hat die geistesaristokratische Komponente in Mannheims wissenssoziologischen Frühschriften erörtert und die Vorstellung, dass Mannheim „wirklich alle drei Schichten [i . e . die Generationslagerung, den Generationszusammenhang und die Generationseinheit] und die Verknüpfung ihres Zusammenwirkens“ analysierte, als eine retrospektive Lesart herausgestellt (Niethammer (2003), S . 28, 32) . 51 Fogt (1982), S . 13, vgl . Jureit (2010), S . 4 . 52 Vgl . Jureit/Wildt (2005b), S . 7 . 53 Niethammer (2003), S . 32 stellte die Frage, ob sich Mannheims wissenssoziologisches Konzept „veralltäglichen, demokratisieren, vielleicht sogar feminisieren“ lässt, oder ob die „Leerstellen der Materialität, der Geschlechtlichkeit und auch der Medialität, vielleicht sogar der Ethnizität“ zu groß sind . Mannheims Konzept verschränkt nicht explizit Ungleichheiten wie Klasse, Geschlecht, „Rasse“, Konfession, dis/ability, vgl . Benninghaus (2005), S . 266–294 . Allerdings ist Mannheims Konzept für eine induktive Analyse von Herrschaftsverhältnissen offen, vgl . auch Lepsius (2005), S . 52 . Wichtig für eine intersektionale Analyse ist zudem, dass sie sich kritisch und „von unten“ mit Privilegien und Diskriminierungsformen auseinandersetzt .
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tionseinheit“ in Bezug auf die Professoren der Philosophischen Fakultät feldspezifisch zu erforschen, wird Mannheims Ansatz durch Bourdieus Konzept der illusio erweitert . Die illusio (von lat . ludus: das Spiel) bezeichnet den Glauben einer Gruppe im wissenschaftlichen Feld an Sinn und Sinnhaftigkeit ihres Miteinanders, ihres „Spiels“ . Bei der Spielmetapher ist allerdings zu beachten, dass die Regeln des universitären „Spiels“ vielfach intransparent, die Investitionen hoch, das Spiel ein Glücksspiel, ein „Hasard“ ist .54 Unter illusio wird die Anerkennung der expliziten und impliziten Regeln und Normen eines Feldes, ein meist unhinterfragter „‚Corpsgeist‘ (spezifiziert nach ‚Juristen‘, ‚Philosophen‘, ‚Polytechnikern‘)“55 verstanden, der die Zugehörigkeit bestimmt . Bourdieu definiert die illusio als eine „regelrechte Gebühr zur Aufnahme in die Gruppe“ im Sinne einer „instinktive[n] Anerkennung alles dessen, was den Bestand der Gruppe ausmacht – ihre Identität, ihre Wahrheit – und was die Gruppe zur eigenen Reproduktion reproduzieren muß .“56 Die illusio wird von allen Gruppenmitgliedern geteilt, der Glaube an sie ist Zugangsvoraussetzung zu einem spezifischen Feld, ihr Ausweis garantiert wiederum Glaubwürdigkeit . Sie lässt sich nicht auf fachliche Kompetenzen reduzieren, sondern durchdringt den Habitus und ist auf Grundlage früherer und andernorts gemachter Erfahrungen dem Körper in Form dauerhafter Dispositionen eingeschrieben […], die für ein Ethos, eine körperliche Hexis, eine bestimmte Art und Weise des Sprechens und Denkens, eben für all das körperliche ‚gewisse Etwas‘ grundlegend sind, was wir mit dem Wort „Geist“ bezeichnen .
Welche Regeln unhinterfragt akzeptiert und welche Einsätze und Bekenntnisse konkret gefordert werden, unterscheidet sich je nach Feld . In diesem Fall geht es um das wissenschaftliche Feld und die Professorengruppe der „Philosophen“ darin . Die illusio des wissenschaftlichen Feldes zeichnet sich durch hohe Kontinuität aus, die durch die Ausbildung von ‚Schulen‘ und Prägungen sowie durch langwierige Selektionsprozesse und Kooptationsverfahren im Zuge von Qualifikations- und Berufungsprozessen gewährleistet wird . Dabei werden diejenigen Gruppenanwärter_innen ausgesucht, die die Einstellungen des „extrem selektiven Clubs“ teilen, sich zu eigen gemacht haben, tradieren und reproduzieren . Die sozialen Kategorien sind dabei in ihren Überschneidungen „Indizien für die Zustimmung zu den Werten und dem Wert der Gruppe“, die Laufbahnen verweisen auf wissenschaftliche Schwerpunkte und akademische ‚Schulen‘ .57 Auf ihnen basieren Prognosen und Risikokalkulation der bisherigen MitglieWeber (1988[1919]), S . 585 . Bourdieu (1988[1984]), S . 111 . Die illusio lässt sich mit Max Webers Reflexionen zur Mitgliedschaft einer Glaubensgemeinschaft erklären, in die Menschen nicht hineingeboren, sondern aufgenommen werden . Sie ist ein gemeinsames Glaubensbekenntnis, mit dem habituell die Regeln zum Mitspielen unterschrieben werden und das als „ein ethisches, insbesondere auch ein geschäftsethisches, Qualifikationsattest für die Persönlichkeit“ gilt . Weber (1947), S . 211, 210 . 56 Bourdieu (1988[1984]), S . 110 . Die folgenden Zitate ebd ., S . 111 . 57 Ebd ., S . 110 . 54 55
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der der Gruppe,58 da sich soziale Hintergründe auf Habitus, Einstellungen und damit Wertmaßstäbe und Ressourcen einer Gruppe auswirken .59 Mithilfe dieser Erweiterung des Generationenkonzepts durch die illusio kann eine Brücke zwischen der sozialhistorisch-prosopografischen Analyse und dem feld- und generationsspezifischen Selbstverständnis einer Professor_innengeneration geschlagen werden . Aufgrund der langen Ausbildungszeiten von Professor_innen ist davon auszugehen, dass im wissenschaftlichen Feld auf die Weitergabe bestimmter Maßstäbe und Ordnungsvorstellungen und damit die Verstetigung der illusio großer Wert gelegt wird . Verschiebungen ergeben sich vor allem in Zeiten starken soziopolitischen Wandels und im Zuge von Generationswechseln . Durch die Kombination der Konzepte von Mannheim und Bourdieu wird die illusio hier als eine historisch-soziologisch vermittelte Kategorie aufgefasst, als ein historisch konkreter und feldspezifischer „Generationszusammenhang“, der gesellschaftlichen Wandlungsprozessen unterliegt . Die sozialgeschichtliche Perspektive dieser kollektivbiografischen Analyse dient zudem dazu, die Institution Philosophische Fakultät als einen von der Gruppe der Professoren bestimmten sozialen Raum sichtbar zu machen, der keineswegs allein durch rationale, politische und epistemische Faktoren konstituiert wird .60 So fokussiert die folgende Analyse Laufbahnen und Sozialstruktur und setzt diese dann mit den Prägungen, professoralen Selbstbildern und wissenschaftsorganisatorischen Praxen in Bezug . In Anknüpfung an Raewyn Connell, die in ihrer Analyse hegemonialer Männlichkeiten Mannheims „Generationstypen“ um die internen Relationen Hegemonie, Unterordnung, Komplizenschaft und Marginalisierung erweiterte, soll weiterhin nach verschiedenen Typen und deren Hierarchieverhältnissen gefragt werden .61 Dazu werden professorale Aufgabenverteilungen untersucht und die „öffentlichen Tätigkeiten“ eruiert, die hier als wissenschaftsorganisatorische Aktivitäten bezeichnet werden:62 inner- und außeruniversitäre Netzwerke, Mitgliedschaften, Ehrungen und Ehrenämter in Forschung, Lehre, Parteien, Wirtschaft, Kirche, Medien, Militär und Vereinen . Mit der Analyse der jeweiligen Positionen im Fakultätsgefüge sowie der öffentlichen Repräsentationsfunktionen und Netzwerke kann die interne „Rangfolge“ der Professoren rekonstruiert und sie darin situiert werden . Über den Generationsbegriff als „Kollektivbegriff mittlerer Reichweite“ können Beziehungen zwischen Strukturkategorien und illusio einer Professor_innengruppe erforscht werden, die sich über die
Vgl . zu Konfession und Geschlecht in Berufungsprozessen Paletschek (2012a) . Vgl . Bourdieu (1987[1982]) . Vgl . ausführlich Herbert (1996), S . 19 . Vgl . Connell (1999), S . 97–102 . Mannheim berücksichtigte auch, dass immer mehrere Generationen nebeneinander existieren, die Grenzen dynamisch und fließend, aufgrund der Vielfalt wirksamer Faktoren kaum prognostizierbar, sondern nur empirisch feststellbar sind und schlug eine Differenzierung der Generationstypen vor, vgl . Mannheim (1970[1928]), S . 517, 521, 559–560 . 62 Schmidt (1985), hier S . 79 . 58 59 60 61
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Jahrgangszuordnung mit Politischen Generationen in Bezug setzen lassen .63 Anhand der Generationswechsel an der Philosophischen Fakultät wird im Folgenden zunächst eine Zuordnung zu verschiedenen Professor_innengenerationen vorgenommen . 4.2
Professor_innengenerationen an der Philosophischen Fakultät Freiburg
Das Untersuchungssample An der Philosophischen Fakultät lehrten 1945–67 58 Professoren und zwei Professorinnen . Vier dieser insgesamt 60 Professor_innen wurden 1945 endgültig entlassen, so dass das Sample hier auf die verbleibenden 56 Professor_innen eingeschränkt wird .64 30 % (17) wurden bereits vor 1945 berufen; 29 % (16) lehrten 1966 nicht mehr in Freiburg, weil sie emeritiert (7), verstorben (5), oder an andere Universitäten berufen worden waren (4) . Diese 56 Professor_innen wurden zwischen 1880 (Friedrich Brie) und 1929 (Dieter Oberndörfer, Gottfried Schramm) geboren und verteilen sich auf drei Professor_innengenerationen der Jahrgänge 1861–85, 1886–1910 und 1911–35 . Im Vordergrund der Untersuchung steht die als Krisengeneration bezeichnete Professorengeneration der Jahrgänge 1886–1910, die sich aus insgesamt 33 Professoren zusammensetzte und zwischen 1945 und 1967 die Mehrheit im Fakultätsrat stellte (vgl . Abb. 17, Tab. 10) . Professor_innengenerationen der Philosophischen Fakultät 1945–67 Die Freiburger Philosophische Fakultät war in der Zweiten Nachkriegszeit keine Aufstiegsfakultät oder kurze Zwischenstation in der akademischen Laufbahn der Professor_innen . Durchschnittlich lehrten sie mehr als 21 Jahre in Freiburg .65 Hinzu kommt ihr Engagement als Emeriti, so dass die Freiburger Professor_innen durchschnittlich drei bis vier Generationen an Studierenden prägten, die im Durchschnitt sechs bis sieben Jahre studierten .66 Dabei ist zu beachten, dass 25 % aller Professor_innen 1945–70 die Universität Freiburg vor ihrer Emeritierung verließen, um als Direktoren von For-
Vgl . Jureit (2010), S . 9 . Die 1945 entlassenen bzw . pensionierten Professoren waren der Rasseforscher Hans F . K . Günther (1891–1968), der Pädagoge Georg Stieler (1884–1959), der Rundfunkwissenschaftler Friedrich Roedemeyer (1894–1947) und der Philosoph Martin Heidegger (1889–1976), vgl . Kap . 3 .1 .1 . 65 31,5 % (17) lehrten 20–30 Jahre als Professoren in Freiburg, 28 % sogar 30 und mehr Jahre lang . 14 lehrten 10–20 Jahre in Freiburg, 8 (15 %) weniger als 10 Jahre, davon am kürzesten Josef Vogt, der 1944 nach Freiburg berufen, 1945 suspendiert wurde und 1946 nach Tübingen ging sowie Rudolf Hallig, der, 1963 auf eine Professur für Romanistik berufen, 1964 verstarb . 66 Vgl . Mielitz (1967), S . 36 . 63 64
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schungsinstituten zu wirken,67 dem Ruf an eine andere Universität zu folgen,68 oder auch, weil sie vor der Emeritierung pensioniert wurden69 oder während ihrer Dienstzeit starben .70 Von den 48 1945–67 regulär Emeritierten wurden 58 % im Alter von 68/69 Jahren emeritiert, viele von ihnen vertraten danach noch ihre Professur .71 38 % wurden mit 65–68 Jahren, 4 % frühzeitig emeritiert .72 Sie wurden im Mittel mit 43,3 Jahren nach Freiburg berufen . An der Philosophischen Fakultät Freiburg hatte in den 1930er/40er Jahren ein Generationswechsel stattgefunden .73 Teils aus Altersgründen, teils forciert oder begünstigt durch die Regimewechsel wurden in diesem Zeitraum fast alle Lehrstuhlinhaber mit Professoren der Jahrgänge 1886–1910 ausgetauscht . Friedrich Brie (1880–1948), der mit 65 Jahren seine Professur für Anglistik nach acht Jahren der Amtsverdrängung wieder wahrnahm, stellte in den Jahren 1945–48 den letzten Repräsentanten der Jahrgänge 1861–85 dar, die hier als letzte Kaiserreichsgeneration bezeichnet werden, da sie noch während des Kaiserreichs eine Professur erhalten hatten (vgl . Abb. 17, vgl . Tab. 10) .74 Zu der folgenden Professorengeneration der Jahrgänge 1886 bis 1910 gehörten Wilibald Gurlitt, der bereits 1919 berufen worden war und Gerhard Ritter, der 1925 seine Freiburger Professur antrat . Der Kunsthistoriker Kurt Bauch erhielt seine Professur 1932, weitere 13 Professoren dieser Professorengeneration wurden während des NS an die Philosophische Fakultät berufen, fünf erhielten 1945–49 den Ruf nach Freiburg . 1950–57 kamen weitere sechs Professoren der Jahrgänge 1886 bis 1910 hinzu, ebenso wie in den Jahren 1960–64 . Die Professoren dieser Jahrgänge wurden im Zeitraum 1919 bis 1964 und hauptsächlich in den Jahren 1937–51 nach Freiburg berufen (58 %, 19 von 33) . Sie hatten zwischen 1920 und 1950, mehrheitlich aber in den 1930er/40er Jahren habilitiert . Aufgrund der 67 Gerd Tellenbach wurde 1962 Direktor des DHI Paris, Joseph Fleckenstein 1971 Direktor des MPI für Geschichte Göttingen, Willibald Sauerländer 1970 Direktor des Zentralinst . für Kunstgeschichte München . 68 Joseph Vogt (Alte Geschichte) ging 1946 nach Tübingen, Max Müller (Philosophie) 1960 nach München, Ewald Standop (Anglistik) 1960 nach Köln, Herbert Nesselhauf (Alte Geschichte) 1966 nach Konstanz, Andreas Hillgruber (Neuere Geschichte) 1972 nach Köln, Hubert Ohl (Germanistik) 1976 nach Münster . 69 Hildegard Hiltmann (Psychologie) ließ sich mit 63, Gerhard Kaiser (Neuere Deutsche Literaturgeschichte) mit 64 Jahren vorzeitig in den Ruhestand versetzen . Auch Wilhelm Szilasi, der 1947–61 den Lehrstuhl Philosophie I vertrat, wurde pensioniert und nicht emeritiert . Die Fakultät gewährte ihm aber 1959 intern den Status eines Emeritus, um eine weitere Vertretung des Lehrstuhls Philosophie I zu ermöglichen, vgl . die Fakultätsprotokolle v . 09 .05 .1959, in: UA Freiburg Nr . B003/799, S . 64 . 70 Friedrich Brie (Anglistik), Hermann Zenck (Musikwissenschaft), Walther Rehm (Neuere Deutsche Literaturgeschichte), Arnold Bergstraesser (Politikwissenschaft) und Rudolf Hallig (Romanistik) starben während ihrer Dienstzeit, später auch Fritz Bartz (Geografie) . 71 Die Emeritierung war mit 68 Jahren vorgesehen, wobei ein Spielraum zwischen 65 und 70 veranschlagt wurde, vgl . die Akten in UA Freiburg Nr . B003/104 . 72 Bei Hans Staub (Romanist ., Literaturwiss .) sind die Gründe seiner vorzeitigen Emeritierung 1989 nicht bekannt, Olaf Deutschmann (Romanist . Philol .) wurde 1969 aus Gesundheitsgründen vorzeitig emeritiert . 73 Vgl . auch Paletschek (2006b), S . 79 . 74 Zu dieser Generation vgl . sozialhistorisch Schmidt (1985), mentalitätsgeschichtlich Doerry (1986) .
Professor_innengenerationen an der Philosophischen Fakultät Freiburg
sie kennzeichnenden Krisenrhetorik, die einen auffälligen Bestandteil ihrer Diskurspraxis wie auch ihrer wissenschaftlichen Prägung ausmachte, bezeichne ich sie als Krisengeneration . Der nächste Generationswechsel erfolgte im Abstand von ca . 25 Jahren in den 1960er Jahren . Generationswechsel ereignen sich meist nicht abrupt, sondern erfolgen sukzessive über mehrere Jahre hinweg . Hier wird ein Generationswechsel ab dem Zeitpunkt als vollzogen angesetzt, an dem die neue Professor_innengeneration die Mehrheit der Gruppe ausmachte . Während die Verteilung 1965 noch paritätisch war, stellte ab 1966 die folgende Professor_innengeneration der Geburtsjahrgänge 1911–35, die ich als Dynamisierte Generation bezeichne, die Mehrheit im Fakultätsrat . Die Professor_innen der Dynamisierten Generation hatten sich zwischen 1940 und 1970, hauptsächlich aber in den 1950er/60er Jahren habilitiert . In den 1950er Jahren gehörten bereits fünf junge Professoren im Fakultätsrat zur Dynamisierten Generation . Vorangetrieben durch Frequenzanstieg, Lehrstuhl- und Fächerausbau in den 1960er Jahren wurden bis 1970 weitere 24 Professoren und zwei Professorinnen dieser Jahrgänge berufen, davon sechs im Jahr 1965, dem Jahr, an dem die meisten Lehrstühle an der Philosophischen Fakultät bis 1970 neu besetzt wurden (vgl . Abb. 17, vgl . Tab. 10) . DYNAMISIERTE GENERATION JG. 1911–1935, darunter
1947 1948 1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 100%
58er, Jg. 1931–40
Generationelle Anteile am Fakultätsrat
KRISENGENERATION JG. 1886–1910, darunter
95%
90%
85%
82%
Kriegsjugendgeneration Jg. 1901–10
80%
75%
70%
61%
60% 50% 40%
Junge Frontg., Jg. 1891–00
45er, Jg. 1921–30
30%
Nachkriegsgener., Jg. 1911–20
45% 35%
20%
Frontgenerat., Jg. 1881–90
10% 0%
Abb. 17 Generationelle Anteile am Fakultätsrat 1947–7075
Bildrechte: C . Klein . Die dieser Grafik und der folgenden Tabelle zugrundeliegenden Zahlen basieren auf den Planstellenverzeichnissen (UA Freiburg Nr . B001/1182, Nr . B066/0180), den Vorlesungsverzeichnissen (Albert-Ludwigs-Universität 1944–70a) sowie Personal- und Berufungsakten der Philos . Fakultät . 75
177
178
Die Professoren der Philosophischen Fakultät
Tab. 10 Generationelle Anteile am Fakultätsrat 1947–70 Kaiserreichsgener., Jg. 1861–85, Mehrheit Prof. ca. 1915–40
Krisengeneration, Jg. 1886–1910, Mehrheit Prof. ca. 1940–65
Dynamisierte Generation, Jg. 1911–35, Mehrheit Prof. ca. 1965–90
Gründerzeitgeneration, Jg. 1871–80
Frontgeneration, Jg. 1881–90
Junge Frontg., Jg. 1891–1900
1947
1
3
6
1948
1
3
6
9
1949
3
6
10
1950
3
6
11
1951
3
5
11
1952
3
5
11
1953
4
5
11
1954
4
5
12
1
1955
4
5
13
1
1956
4
6
13
3
1957
3
7
14
3
1
1958
2
9
14
3
1
1959
1
8
14
4
1
1960
1
8
15
5
0
1961
1
8
15
5
3
1962
7
16
5
4
1963
7
17
6
5
1964
4
16
6
7
1965
3
16
10
9
1966
3
15
10
12
1967
2
Jahr
KriegsNach45er, 1958er, jugendg., kriegsg., Jg. 1921–30 Jg. 1931–40 Jg. 1901–10 Jg. 1911–20 7
15
11
13
1
1968
15
12
16
1
1969
15
12
15
2
1970
14
11
19
4
Professor_innengenerationen an der Philosophischen Fakultät Freiburg
Cornelißen hat im Zuge der Diskussion der verschiedenen Namen, die für diese Generation geprägt worden sind,76 darauf hingewiesen, dass Hans Ulrich Wehler seine Professor_innengeneration als diejenige beschrieb, die durch „die außergewöhnliche Gunst der Expansionsphase“ sehr rasch nach ihrer Habilitation einen Ruf auf eine Professur erhielt .77 Schildt, Siegfried und Lammers haben die 1960er Jahre, in der die Professorinnen und Professoren der Jahrgänge 1911–35 hauptsächlich berufen wurden, als „Dynamische Zeiten“ bezeichnet .78 Wagner zeigte schließlich, dass die Homogenität der Professor_innengruppe in einer „Kombination von Generationswechsel und schnellem Ausbau der Universitäten erodierte“ .79 Daher, und weil diese Professor_innen anders als ihre Vorgänger über kein vereinheitlichendes Selbstverständnis mehr verfügten, wird sie hier Dynamisierte Generation genannt . Die Unterschiede zur Vorgängergeneration sind in erster Linie auf die veränderten Umstände zurückzuführen, was mit der Passivkonstruktion „dynamisiert“ verdeutlicht werden soll . „[E]s ist uns ungewöhnlich schwer gemacht worden, im einmal Gelernten zu verkrusten“, beschrieb der Freiburger Historiker Zmarzlik seine Generation,80 und räumte gleichzeitig ein, dass wohl kaum je „Studenten ihren Professoren so fraglos vertraut und so umfassend Kredit eingeräumt [hatten], wie wir im Jahrzehnt nach 1945 .“81 Werden diese Professor_innengenerationen nach politischen Generationen differenziert (vgl . Abb. 17, Tab. 10), zeigt sich, dass der Anteil der Professoren der jungen Frontgeneration ab den 1960er Jahren sank; 1968 war kein Repräsentant dieser Generation mehr im Fakultätsrat vertreten . Ab 1966 stagnierte auch der Anteil der Professoren der Kriegsjugendgeneration, die seit 1965 nicht mehr berufen wurden, während der Anteil der Professoren der Nachkriegsgeneration sowie der 45er stieg . Ab 1967 kam die neue Generation der 58er hinzu, ab 1968 stellten die 45er die stärkste Gruppe im Fakultätsrat . Dass (junge) Frontgeneration und Kriegsjugendgeneration hier zur Krisengeneration zusammengefasst werden, Nachkriegsgeneration und 45er zur Dynamisierten Generation, resultiert daraus, dass die Berufungen nicht kontinuierlich nach Alter gestaffelt erfolgten . Junge Frontgeneration und Kriegsjugendgeneration wurden nebeneinander berufen und lehrten Seite an Seite als Krisengeneration .
Vgl . Cornelißen (2001), S . 13–14 . Ebd ., S . 24, vgl . Wehler (2006), S . 78, 64 . Damit war Wehler kein Einzelfall . Obgleich Schramm zunächst als Lehrer am Birklehof arbeitete und keineswegs sofort berufen wurde, erinnerte er die Phase, in der seine Generation berufen wurde, mit dem Bonmot „Nur der Selbstmord kann einen vor einem Lehrstuhl auf deutschen Universitäten bewahren“ (Interview mit Gottfried Schramm am 20 .06 .2011) . 78 Vgl . Schildt/Siegfried/Lammers (2000) . 79 Vgl . Wagner (2010a), S . 37 . 80 Zmarzlik (1970b), S . 15 . 81 Ders . (1970[1968]), S . 28 . 76 77
179
180
Die Professoren der Philosophischen Fakultät
Die Professoren der Krisengeneration Im Vordergrund der kollektivbiografischen Auswertung steht die hier als Krisengeneration bezeichnete Gruppe der 33 zwischen 1888 und 1910 geborenen Professoren . Die größte Altersdifferenz zwischen den Ordinarien dieser Professorengeneration betrug 22 Jahre . Gerhard Ritter (1888–1967) war der Älteste . Es folgten der Musikwissenschaftler Wilibald Gurlitt (1889–1963) und Wilhelm Szilasi (1889–1966), der seit 1947 die Professur Philosophie I vertrat und erst 1956 ein Extraordinariat erhielt, sowie der Geograf Friedrich Metz (1890–1969), der acht Jahre nach seiner Suspendierung 1945 erneut eine Professur bekleidete . Weitere neun Professoren waren zwischen 1891 und 1901 geboren: Zur Jungen Frontgeneration gehörten der Sprachwissenschaftler Johannes Lohmann (1895–1983), der 1954 nach Freiburg berufene Emigrant und Politologe Arnold Bergstraesser (1896–1964) sowie der 1957 auf ein kw-Extraordinariat für Philosophie und Ethik berufene 131er Hans Reiner (1896–1991) .82 Zwei Professoren, der Musikwissenschaftler Hermann Zenck (1898–1950) und der Althistoriker Joseph Vogt (1895–1986) blieben nur kurz: Zenck wurde kurz nach seiner Berufung eingezogen, geriet in Kriegsgefangenschaft, erkrankte und starb 1950 in Freiburg .83 Vogt wurde nach kurzer Amtszeit in Freiburg 1945 vorläufig suspendiert und nahm 1946 einen Ruf nach Tübingen an . Der Jungen Frontgeneration zugehörig und bereits vor 1945 berufen waren darüber hinaus der Kunsthistoriker und Heideggerfreund Kurt Bauch (1897–1975), der Germanist Friedrich Maurer (1898–1984), der Historiker Clemens Bauer (1899–1984) sowie der Archäologe Walter-Herwig Schuchhardt (1900–76) .84 Die jüngsten Professoren der Krisengeneration waren der Philosoph Werner Marx (1910–94) und der Altphilologe Karl Büchner (1910–81), dicht gefolgt von dem Gräzisten Hermann Gundert (1909–74) sowie dem Althistoriker Herbert Nesselhauf (1909–95) . Die etwas älteren, der Kriegsjugendgeneration zugehörigen Professoren setzten sich aus dem Germanisten Walther Rehm (1901–63), dem Historiker Gerd Tellenbach (1903–99), dem Psychologen Robert Heiss (1903–74) und dem Romanisten Hugo Friedrich (1904–78) zusammen . Bis auf Friedrich, der bereits 1937 einem Ruf nach Freiburg folgte, waren alle Anfang der 1940er Jahre berufen worden . In der zweiten Hälfte der 1940er Jahre erhielten der Philosophieprofessor Max Müller (1906–94), der Pädagoge Eugen Fink (1905–75) und der Orientalist Oluf Krückmann (1904–84) ihre Professuren . Mitte der 1950er Jahre kamen mit den 131ern Siegfried Gutenbrun82 Die Abkürzung „kw“ steht für „künftig wegfallend“, „131er“ für die im Zuge des Art . 131 GG vorzugsweise wiedereingestellten Beamten in den 1950er Jahren, die zuvor durch Entnazifizierungsprozesse entlassen worden waren oder im Zuge ihrer Flucht ihre Stelle verloren hatten, vgl . ausführlich Kap . 3 .1 .2 . 83 Zenck lehrte seit 1937 in Göttingen, war seit Kriegsbeginn zunächst unabkömmlich, musste aber zum 10 .09 .1944 als Oberfeldwebel zu den Baupionieren in Schwäbisch Gmünd einrücken . 84 Vgl . [o . A .], „Prof . Dr . Schuchhardt wird Rektor“, in: FSZ 3 no . 1 (1953), S . 2, vgl . FSZ 6 no . 1 (1956), S . 8, zu Schuchhardt vgl . Wirbelauer (2006), S . 141, Anm . 72, Steuben (1988), S . 278–279, Bauch (1970), S . 17, 18, Strocka (2007) .
Laufbahnen und Sozialstruktur
ner (1906–84) und Hans Bender (1907–91) zwei Professoren hinzu, die Anfang der 1940er Jahre an der Reichsuniversität Straßburg gewirkt hatten . Während in den 1950er Jahren Professoren der Folgegeneration sowie 131er auf neuetablierte Lehrstühle berufen wurden, wurden bereits etablierte Lehrstühle grundsätzlich zunächst innerhalb der Krisengeneration verteilt . So ersetzte Hermann Heuer (1904–92) 1950 den verstorbenen Friedrich Brie und Erich Hassinger (1907–92) 1957 den emeritierten Gerhard Ritter . 1960 erhielt Bernhard Lakebrink (1904–91) die Philosophieprofessur des nach München berufenen Müller, und für den Kulturgeografen Fritz Bartz (1908–70) wurde eine Professur für Geografie an der Philosophischen Fakultät neu denominiert, deren kw-Vermerk mit Friedrich Metz’ Emeritierung gestrichen worden war . Neuetablierte Professuren erhielten 1962 der Slavist Wilhelm Lettenbauer (1907–84), 1963 der Althistoriker Hermann Strasburger (1909–85) sowie der Romanist Rudolf Hallig (1902–64) . In den 1960er Jahren stieg der Anteil der folgenden Generation im Fakultätsrat . Eine große Differenz zwischen der Krisengeneration und der Dynamisierten Generation besteht darin, dass 1960 Hildegard Hiltmann (1916–2004) als erste Frau eine Professur an der Philosophischen Fakultät erhielt . Ebenso wie Johanne Autenrieth (1923–96), die 1966 berufen wurde, gehörte sie der Dynamisierten Generation der Jahrgänge 1911–35 an . Die professorale Krisengeneration war somit die letzte ausschließlich männliche an der Philosophischen Fakultät; gleichzeitig war sie die erste Generation, die eine Frau berief . Sie waren ausnahmslos weiß . Vier Professoren der Krisengeneration – Gurlitt, Szilasi, Marx und Strasburger – sowie Friedrich Brie (1880–1948), der noch zur Kaiserreichsgeneration gehörte, waren allerdings während des NS als „nicht arischer Abstammung“ oder „jüdisch versippt“ entlassen oder mit Berufsverboten belegt worden .85 4.3
Laufbahnen und Sozialstruktur
Laufbahnen Die Karriereleiter zum Professor sah für die Jahrgänge 1886–1910 in der Regel so aus, dass nach dem Studium, das mit der Promotion abgeschlossen wurde, eine Habilitation folgte .86 Vor der Habilitation arbeiteten einige als Gymnasiallehrer, insbesondere bei den Älteren, die gleichzeitig das Staatsexamen und die Promotion absolvierten, gehörte diese Station zum Standard . Die Habilitation erfolgte in den meisten Fällen 85 Vgl . Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, Bonn, 07 .04 .1933, RGBl . 1, Nr . 34, S . 175, vgl . ausführlich in Kap . 4 .4 . die Ausführungen zur NS-Vergangenheit der verschiedenen Professoren . 86 Die Promotion bezeichnete bis in die 1960er Jahre einen Studienabschluss, der mit dem Staatsexamen oder alternativ dazu abgelegt wurde, vgl . ausführlich Kap . 3 .3 .
181
182
Die Professoren der Philosophischen Fakultät
bereits auf Assistenturen, die während der Weimarer Republik eingeführt worden waren, oder mithilfe von Stipendien . Auf die Habilitation folgte der Lebensabschnitt als Privatdozent, der größtenteils als Wartezeit empfunden wurde, nicht zuletzt deshalb, weil mit dem Kolleggeld, dem damals üblichen Eintrittsgeld für Vorlesungen, in der Regel nicht genügend Mittel für eine Familiengründung zur Verfügung standen .87 Besser vergütet waren Lehrstuhlvertretungen, die den einen oder anderen Privatdozenten erreichten, sowie die während des NS eingeführte Diätendozentur, die zur „Dozentenakademie“ verpflichtete und an die Diskriminierungsvorgaben des Gesetzes zur „Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ gekoppelt war .88 Die Erstberufung erfolgte auf ein planmäßiges Extraordinariat, das geringer vergütet war als ein Ordinariat und weniger Rechte in der Selbstverwaltung vorsah . Ein Extraordinariat wurde meist im Zuge eines Rufs an eine andere Universität zum Ordinariat erhoben . Um Professoren an eine andere Universität zu holen, wurde dort ein Ordinariat angeboten; um sie zu halten, zog die Heimatuniversität nach und bot eine Aufstockung an . Die Lehrstühle von Professoren, die viele Rufe erhielten, waren besser ausgestattet: Ein Ruf wirkte wertsteigernd, damit konnte gehandelt werden . Die Professoren der Philosophischen Fakultät hatten vor ihrer Berufung alle den ersten Qualifikationsnachweis der universitären Laufbahn, die Promotion, durchlaufen . Sie hatten zu 91 % die Station der Habilitation passiert .89 Daran, dass zwar die meisten, aber nicht alle die Habilitation absolvierten, zeigt sich, dass diese Qualifikationsstufe ein deutsches Spezifikum war, das bis weit ins 20 . Jahrhundert hinein nicht in allen Fachbereichen erforderlich war .90 Im Mittel erfolgte die Promotion aller Professoren und Professorinnen, die 1945–70 an der Philosophischen Fakultät lehrten, im Alter von 26 Jahren, die Habilitation im
87 In den Fällen, in denen keine Berufung erfolgte, die venia legendi aber durch universitäre Lehre aufrecht erhalten wurde, erhielten die PDs nach fünf bis sechs Jahren eine sogenannte Titularprofessur, die nicht etatisiert war und an der unsicheren Situation nichts änderte, vgl . Kap . 2 .1 .3 und Kap . 3 .4 .1 . 88 Vgl . ausführlich Paletschek (2004b), S . 1386–1389 . 89 Vergleichsweise waren von den 108 nationalsozialistischen Hochschullehrern, die Grüttner untersucht hat, 88 % (95) habilitiert, vgl . Grüttner (2010), S . 153 . Unter den Professor_innen der Dynamisierten Generation war die 1966 berufene Professorin für Mittellatein, Johanne Autenrieth, nicht habilitiert . 90 Die Habilitation hatte sich zwar spätestens in den 1920er Jahren durchgesetzt, jedoch waren die planmäßigen Professoren der Geburtsjahrgänge 1886–1910 keineswegs alle habilitiert . So ist weder von Gurlitt, der 1919 mit dreißig Jahren die erste Freiburger Professur für Musikwissenschaft bekleidete, eine Habilitation bekannt, noch von den Philosophen Szilasi oder Marx . Szilasi war nach dem Ersten Weltkrieg aus seiner Beamtenstelle als Budapester Hochschulprofessor entfernt worden und zunächst nach Deutschland, 1932 in die Schweiz emigriert . Nach 1945 vertrat er die Professur Philosophie I, zunächst als Honorarprofessor, ab 1956 dann als planmäßiger Extraordinarius . Sein Nachfolger Werner Marx war als Dr . jur . 1933 über Stationen in Brüssel und London nach Palästina und schließlich in die USA emigriert . An der University in Exile New York promovierte er erneut bei Löwith und durchlief die US-amerikanische Karriereleiter vom Lecturer für Philosophie (1949) zum Assistant Professor (1953) über den Associate Professor (1960) zum Full Professor (1962) . Wie Bergstraesser kehrte Marx im Rahmen einer Gastprofessur und eines Professorenaustauschs nach Deutschland zurück . Er wurde 1964 auf die Professur Philosophie I berufen .
Laufbahnen und Sozialstruktur
Alter von 34 Jahren und die Erstberufung im Alter von 40 Jahren . Bei den Professoren der Krisengeneration betrug das mittlere Promotionsalter 24,5 Jahre . Sie promovierten im Alter von 22 bis 26 und nur in Ausnahmefällen mit 27 bis 31 Jahren . Der Kriegseinsatz im Ersten Weltkrieg wirkte sich aber auf den Zeitpunkt der Promotion aus: Die Professoren der jungen Frontgeneration promovierten fast ein Jahr später als die der Kriegsjugendgeneration, durchschnittlich mit 25 statt 24 Jahren . Die Dynamisierte Generation brauchte im Mittel wiederum 2,5 Jahre länger für die Promotion als ihre Vorgängergeneration: Die Professor_innen der Jahrgänge 1911–35, die bis 1970 berufen wurden, schlossen ihr Promotionsstudium mit durchschnittlich 27 Jahren im Alter von 23 bis 29, in Ausnahmefällen auch mit 33 Jahren ab .91 Bei der Habilitation zeigen sich ähnliche Altersverschiebungen zwischen der Krisengeneration und der Dynamisierten Generation . Die Professoren der Jahrgänge 1886–1910 habilitierten sich durchschnittlich im Alter von 32,4 Jahren, vorwiegend im Zeitraum 1920–45 . Dabei habilitierten sich die Angehörigen der (jungen) Frontgeneration mit ca . 32 Jahren, die Angehörigen der Kriegsjugendgeneration hingegen fast 1,5 Jahre später mit ca . 33 Jahren . Obwohl die Angehörigen der Kriegsjugendgeneration in Friedenszeiten so durchschnittlich ein Jahr früher promovierten, brauchten sie, da die Habilitationszeit teilweise mit dem Zweiten Weltkrieg zusammenfiel, im Mittel fast 2,5 Jahre länger für die Habilitation . Die bis 1970 berufenen Professoren und Professorinnen der Dynamisierten Generation ( Jg . 1911–35) waren zum Zeitpunkt der Habilitation wiederum ca . 2,5 Jahre älter, sie hatten aber auch später promoviert . Sie habilitierten sich mit ca . 35 Jahren . Durchschnittlich um 2,5 Jahre verlängerte Ausbildungszeiten lassen sich bei der Nachkriegsgeneration wie auch bei den 45ern feststellen . Daran ist abzulesen, dass sich NS-Arbeitsdienst, Emigration, Zweiter Weltkrieg und Zweite Nachkriegszeit mit langanhaltenden Studienbeschränkungen stärker auf die akademischen Lebensläufe auswirkten als der Erste Weltkrieg .92 Im generationellen Vergleich des Erstberufungsalters ergaben sich die größten Unterschiede . Insgesamt wurden die Professoren im Mittel mit 40 Jahren berufen . Generationell differenziert wurden die Professoren der Jahrgänge 1888–1900 jedoch bereits mit 38 berufen, die Angehörigen der Kriegsjugend- und Nachkriegsgeneration hingegen erst mit 42 resp . 42,5 Jahren und die 45er wiederum mit 38,5 Jahren . Der Altersdurchschnitt der 45er bei der Erstberufung ist ein Indiz dafür, dass infolge der Universitätsexpansion zunehmend auch jüngere Professor_innen berufen wurden . Allerdings sind mit den 16 in den 1960ern berufenen Angehörigen der 45er-Generation noch keineswegs alle Professor_innen dieser Generation erfasst, so dass anzunehmen ist, dass sich deren durchschnittliches Erstberufungsalter mit den später folgenden Berufungen noch veränderte . Zwischen der Nachkriegsgeneration und den 45ern ergaben sich darin keine signifikanten Unterschiede . Dies müsste in einer Untersuchung eines größeren Samples auf interdisziplinäre und -universitäre Unterschiede überprüft werden, vgl . für die Geschichtswissenschaft Weber (1984), S . 127–129, 154, 165 . 91 92
183
184
Die Professoren der Philosophischen Fakultät
Im Vergleich der unterschiedlichen Ausbildungs- und Wartezeiten zeigt sich aber, dass sich die Ausbildungszeiten verlängerten, während sich die Wartezeiten auf die Professur verkürzten: Die Zeit zwischen Habilitation und Erstberufung bei den Jahrgängen 1888–1900 betrug ca . 7, in der Kriegsjugendgeneration fast 9 Jahre . Die Professoren der Nachkriegsgeneration warteten im Mittel 6,4, und die in den 1960er Jahren berufenen 45er 3,1 Jahre . Während die Professoren der Krisengeneration mit längeren Wartezeiten rechnen mussten, fielen die Laufbahnen der Dynamisierten Generation in die Zeit der Universitätsexpansion . Die 45er hatten daher gute Berufungschancen, während die Professoren der Kriegsjugendgeneration dreimal so lange auf ihre Berufung hatten warten müssen . Hingegen fielen die Ausbildungszeiten der Kriegsjugendgeneration, wenngleich länger als die der vorhergehenden, kürzer aus als die der folgenden Generationen . Während sich Promotions- und Habilitationsalter so intergenerationell unterschieden, wurden die verlängerten Ausbildungszeiten durch kürzere Wartezeiten im Zuge der Universitätsexpansion ausgeglichen . Für die einzige Professorin, die im Zeitraum 1945–65 berufen wurde, treffen die durchschnittlichen Befunde nur bis zur Promotion zu . Nach ihrer Reifeprüfung 1935 am Grunewald-Gymnasium in Berlin hatte Hildegard Hiltmann (1916–2004) zunächst den NS-Arbeitsdienst geleistet und zwei Jahre lang in Göttingen und Freiburg Deutsch, Pädagogik und Sport studiert .93 1938 nahm sie ein Medizin- und gleichzeitig das Psychologiestudium auf, das sie im Alter von 28 Jahren mit einer Promotion über Pervitinwirkung im Rorschachtest abschloss .94 1950, sechs Jahre später, wurde sie habilitiert und 1957 zur außerplanmäßigen Professorin ernannt . Zehn Jahre nach ihrer Habilitation erhielt sie den Ruf auf ein planmäßiges Extraordinariat für Angewandte Psychologie, das 1968 in ein Ordinariat umgewandelt wurde . Im Vergleich zu anderen Professorinnen ihrer Generation wurde sie damit relativ zügig berufen,95 denn anders als ihre männlichen Kollegen mussten habilitierte Frauen durchschnittlich 12 Jahre auf einen Ruf auf ein planmäßiges Extraordinariat und 17 auf ein Ordinariat warten .96 Nahezu ausgeschlossen aus der Professorengruppe waren neben den Frauen auch diejenigen, die nicht aus dem Bildungs- und Besitzbürgertum kamen . Kein Professor der Krisengeneration rekrutierte sich aus einer Angestellten- oder Arbeiterfamilie .
Vgl . den Anhang in Hiltmann (1944) . Das folgende Zitat ebd . Vgl . Hiltmann (1944) . Die Promotion in Medizin absolvierte die Prof . Dr . phil . et med . 1972 . Die zweite Professorin der Philos . Fak ., Johanne Autenrieth (1923–96) promovierte mit 29 Jahren (1952) und wurde ohne Habilitation mit 43 Jahren (1966) als ausgewiesene Kennerin ihres Spezialfachs auf die Professur für Lateinische Philologie des Mittelalters in Freiburg berufen, vgl . Schmidt (2005) . 96 Vgl . Lorenz (1953), S . 25 . Männer wurden Frauen schon auf Assistenturen vorgezogen, und diese Benachteiligungsstruktur setzte sich scherenartig nach oben fort . 93 94 95
Laufbahnen und Sozialstruktur
Regionale Herkunft und Konfession Die meisten Professoren der Philosophischen Fakultät waren im Gebiet des Deutschen Reichs geboren . Allerdings kamen auch 15 % aus Österreich-Ungarn (6) und aus der Schweiz (1), zudem war einer in Tokio geboren .97 22,65 % kamen aus Baden (12), Bender sogar aus Freiburg, 24,5 % kamen aus Preußen (13) und 37,7 % aus anderen Ländern des Deutschen Reichs (19), in erster Linie aus Sachsen (6), Bayern (5) und Hessen (4) .98 Ein Generationsunterschied zwischen den um die Jahrhundertwende geborenen Professoren und den Jahrgängen 1911–35 zeigt sich darin, dass die 33 Professoren der Krisengeneration häufiger aus Baden kamen (27 %) und seltener aus Preußen (21 %) . Von den 20 Professor_innen der Dynamisierten Generation, die vor 1967 nach Freiburg berufen worden waren, kamen 15 % aus Baden und doppelt so viele aus Preußen, darunter auch die Professorin Hiltmann . Diese Differenz hängt auch damit zusammen, dass in der unmittelbaren Nachkriegszeit badische „Landeskinder“ in Freiburg bevorzugt berufen wurden, ein Prozess, den Claus Arnold den „Entprussifizierungsplänen der Franzosen und den weitergehenden Katholisierungsplänen alter Zentrumsleute“ zuschreibt .99 Dass in der traditionell katholischen Universität bei den Professoren der Krisengeneration dennoch ein Überhang an Protestanten bestand, deutet darauf hin, dass diese Pläne vor 1945 kaum und in der unmittelbaren Nachkriegszeit nur kurzfristig verfolgt wurden: Mehr als die Hälfte der Krisengeneration war evangelischer Konfession, ein Drittel war katholisch, Robert Heiss, vorher katholisch, war aus der Kirche ausgetreten (3 %), Werner Marx jüdisch (3 %) . Neben dem konfessionslosen Heiss verteilten sich die weiteren sechs Professoren, die im Vergleich zu ihren Kollegen als „soziale Aufsteiger“ gelten können, paritätisch auf beide christlichen Konfessionen (3:3), während diejenigen aus Hochschullehrerfamilien zu 85 % protestantisch waren .100
97 Aus Österreich kamen die Professoren Gutenbrunner, Sick und Mauser, aus Budapest Szilasi und der in London geborene Szemerényi, Boesch und Hassinger, der in Wien geboren war, kamen aus der Schweiz . Gundert war in Tokio geboren, 1920 zog seine Familie dann nach Stuttgart . Mehr als 10 % wuchsen nicht an ihrem Geburtsort auf . 98 Weiterhin kam Kurt Bauch aus Mecklenburg-Schwerin, Fritz Bartz kam aus Themar, Herzogtum Sachsen-Meiningen, Deutschmann aus Hamburg und Fleckenstein aus Kämmeritz, Sachsen-Anhalt . 99 Vgl . weiterführend Arnold (2006), S . 747 . 100 Katholischer bzw . protestantischer Konfession waren jeweils zwei aus nichtakademischen Beamtenhaushalten und jeweils einer aus einer Landwirtsfamilie . Zudem kam der aus der katholischen Kirche ausgetretene Robert Heiss aus der Familie eines Postbeamten . Während sich auch jeweils drei aus dem Wirtschaftsbürgertum rekrutierten und unter denjenigen aus höheren Verwaltungshaushalten zumindest vier von neun katholisch waren, waren 85 % der Professoren aus Hochschulfamilien protestantisch . Diejenigen aus Rechtsanwalts-, Offiziers- und Pfarrersfamilien waren alle protestantisch .
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Die Professoren der Philosophischen Fakultät
Soziale Milieus Die Professoren der Krisengeneration rekrutierten sich größtenteils aus dem Milieu des akademisch gebildeten höheren Besitz- und Bildungsbürgertums . 51,5 % (17) kamen aus akademischen Beamtenfamilien, davon waren sieben Professorensöhne,101 neun stammten aus höheren Verwaltungs- und Richterfamilien,102 und Gerhard Ritter kam aus einer Pfarrersfamilie . Aus einer freiberuflichen Akademikerfamilie kam Hans Bender (3 %),103 Gerd Tellenbach aus einem Offiziershaushalt (3 %) .104 21 % (7) kamen aus dem Wirtschaftsbürgertum,105 6 % (2) aus Landwirtsfamilien106 und 15 % (5) aus nichtakademischen Beamtenfamilien .107 Damit kamen fast 55 % aus akademischen Familien, 24 % aus Unternehmer- und Offiziershaushalten und ca . 21 % aus nichtakademischen Beamten- und Landwirtsfamilien . Höhere Verwaltung und Richter 28% Hochschullehrer 21%
Wirtschaftsbürgertum 21% Nichtakademisch gebildete Beamte 15%
Rechtsanwälte 3%
Landwirte 6%
OfÞziere 3% Geistliche 3%
Abb. 18 Berufe der Väter der Professoren der Philos. Fakultät 1945–66108
101 Gurlitts Vater war Kunsthistoriker und Professor an der TU Dresden, Szilasis Professor für Sprachwissenschaften an der Universität Klausenburg (Kolozsvár, Cluj), Rehms Vater Jurist und Ordinarius in Straßburg, Gunderts Vater Ostasienwissenschaftler in Hamburg . Krückmanns Vater war Augenarzt und Direktor der Universitätsaugenklinik Leipzig, Hassingers Vater war Professor für Anthropogeografie an der Universität Basel und Strasburgers Leiter des Universitätsklinikums in Frankfurt a . M . 102 Müllers Vater war Landgerichtsrat, Bauchs Amtsrichter, Nesselhaufs Regierungsbaudirektor, Schuchhardts Prähistoriker und Direktor des Kestner-Museums, Maurers Stadtschulrat, Heuers Konrektor, Metzs Straßenbaumeister . Zencks und Lettenbauers Väter waren (Reichs-)Finanzräte . 103 Hans Benders Vater arbeitete als Rechtsanwalt . 104 Offizierssöhne studierten häufig an kostengünstigeren Kadettenschulen, vgl . Schmidt (1985), S . 93 . 105 Bergstraessers Vater war Verleger, die Väter von Büchner, Fink und Friedrich waren Kaufmann und Marx kam aus einer Unternehmerfamilie in Mülheim . Reiners Vater war Brauereidirektor und Gutenbrunner war Sohn eines Oberinspektors und Direktorstellvertreters der Tabakfabrik Wien-Favoriten . 106 Es waren dies der Sprachwissenschaftler Johannes Lohmann und der Althistoriker Josef Vogt . 107 Bauers Vater war Eisenbahninspektor, Halligs Postamtmann, Heiss’ Vater Post-, Bartzs Polizeibeamter . Lakebrinks Vater war Hauptlehrer (Volksschullehrer) in Westfalen . 108 Bildrechte: C . Klein . Die Zahlen wurden aus den Personalakten des UA Freiburg zusammengetragen .
Laufbahnen und Sozialstruktur
Aufgrund der archivalischen Sperrfristen war kein generationeller Vergleich mit der Dynamisierten Generation möglich . Im Vergleich zu Angelika Schmidts Untersuchung zur sozialen Herkunft badischer Hochschullehrer der Jahrgänge 1831–90109 sticht allerdings hervor, dass sich die Professoren der Krisengeneration ( Jg . 1886–10) relativ häufig aus Beamtenhaushalten rekrutierten und der Anteil an Söhnen aus akademisch gebildeten Beamtenfamilien höher war als bei den badischen Hochschullehrern der Jahrgänge 1831–90 . In der Hochschulgeneration der Jahrgänge 1831–60 hatten die Professoren aus nichtakademischen Beamtenhaushalten gemeinsam mit denjenigen aus Landwirtsfamilien die größte Gruppe an „Aufsteigern“ gestellt . In der folgenden Hochschulgeneration der Jahrgänge 1861–1890 übernahm dann das Wirtschaftsbürgertum diese Rolle . Die Professoren aus nichtakademischen Haushalten der Krisengeneration rekrutierten sich hingegen paritätisch aus dem Wirtschaftsbürgertum (21 %) sowie Landwirts- und nichtakademischen Beamtenfamilien (21 %) . Damit handelte es sich allerdings um „soziale Aufsteiger“ auf äußerst hohem Niveau – kein einziger der Professoren kam aus dem Handwerker-, Angestellten- oder Arbeitermilieu . Vielmehr machten die Professoren aus akademischen Beamtenhaushalten den überwiegenden Anteil der Krisengeneration aus . Damit zeichnet sich ab, dass in Zeiten der badischen Hochschulexpansion 1870–1910 mehr Professoren aus nichtakademischen Haushalten berufen wurden als in der Phase 1931–50, in der die meisten Professoren der Krisengeneration (67 %) ihren ersten Ruf erhielten und die noch nicht von einem Universitätswachstum geprägt war . Nur 15 % erhielten ihre Erstberufung 1911–30, weitere 18 % im Zeitraum 1951–64 . Drei der insgesamt fünf Professoren der Krisengeneration aus nichtakademischen Haushalten wurden erst in den 1960er Jahren berufen, vier der insgesamt sieben Professoren aus dem Wirtschaftsbürgertum erst ab Mitte der 1950er Jahre . Im Vergleich zu der Gesamtgruppe an badischen Hochschullehrern der Vorgängergeneration wie auch im internen Vergleich zeigt sich damit, dass in Zeiten des Universitätswachstums die Rekrutierung offener erfolgte, während es sich bei der Krisengeneration insbesondere im Zeitraum von 1945 bis Mitte der 1950er Jahre um einen vergleichsweise homogenen, sozial äußerst exklusiven Kreis handelte . Welche Erfahrungen hatten sie davor und insbesondere während des NS gemacht?
Vgl . Schmidt (1985), S . 77 . Sie untersuchte den Wandel der sozialen Herkunft der Hochschullehrer im Zuge der Universitätsexpansion Ende des 19 . Jh . an den Universitäten Freiburg und Heidelberg sowie der TH Karlsruhe .
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Die Professoren der Philosophischen Fakultät
4.4
Erfahrungshorizonte und Prägungen
NS-Vergangenheit 12 % der Professoren der Krisengeneration waren während des NS aus antisemitischen Motiven entlassen oder mit einem Berufsverbot konfrontiert worden (Gurlitt, Szilasi, Marx, Strasburger) . Gurlitt wurde ebenso wie der bereits 1880 geborene Brie aus dem Amt verdrängt . Szilasi emigrierte in die Schweiz . Strasburger und Marx erhielten Berufsverbot, der eine emigrierte (Marx), der andere wurde eingezogen (Strasburger) . Aus politischen Gründen zur Emigration gezwungen, von einem Berufsverbot betroffen oder von einem Habilitationsverbot bedroht waren weitere vier Professoren (12 %, Bergstraesser, Fink, Müller, Nesselhauf) . Bergstraesser wurde aus politischen Gründen am 10 .08 .1936 die Lehrbefugnis durch den Reichs- und Preußischen Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung entzogen .110 Am 30 .09 .1936 wurden die Bezüge eingestellt, so dass er sich zur Emigration in die USA entschloss . Fink emigrierte als langjähriger Assistent Husserls nach Louvain, um dessen Nachlass zu sichern .111 Aus „weltanschaulich-politischen“ Gründen erhielt Müller ein Berufsverbot und wurde eingezogen .112 Nesselhauf erhielt zwar aus politischen Gründen zunächst Habilitationsverbot, habilitierte sich aber 1937 doch .113 Über diese Gruppe hinaus waren weitere 18 % der Krisengeneration nicht in die NSDAP eingetreten (Ritter, Lohmann, Schuchhardt, Tellenbach, Krückmann, Lakebrink) . Zwei Fünftel der Professoren der Krisengeneration waren somit nicht NSDAPMitglied gewesen (14 von 33; 42,5 %) . Bei weiteren 9 % (Hallig, Bartz, Lettenbauer) fehlen die Angaben . Zudem ist der auf das Jahr 1940 datierte NSDAP-Eintritt Robert
110 Festsetzung der Hinterbliebenenbezüge nach dem Landesbeamtengesetz vom 07 .07 .1964, S . 2, in: UA Freiburg Nr . B024/0231 . Vgl . zur Entlassung aus politischen Gründen Mohr (1988), S . 145–146, Behrmann (2016b), S . 30 . 111 Vgl . Eugen Fink, „Lebenslauf “, in: UA Freiburg Nr . B024/0779 . 112 Müller (1991), S . 43 . 113 Während einer Rede zu Ehren Hitlers in Athen hatte er den Saal verlassen . Daher durfte er in Freiburg nicht habilitieren, habilitierte sich aber 1937 in Königsberg, vgl . Martin (1995), S . 192–193 .
Erfahrungshorizonte und Prägungen
Heiss’ aufgrund einer möglichen Verwechslung mit dem Mediziner Robert Heiß umstritten (3 %) .114 45,5 % waren hingegen Mitglieder der NSDAP gewesen .115 In Bezug auf die Parteimitgliedschaft in der NSDAP hat Grüttner darauf hingewiesen, wie entscheidend das Eintrittsdatum für die Einschätzung einer NSDAP-Mitgliedschaft ist .116 Keiner der Professoren der Krisengeneration war vor 1933 der NSDAP beigetreten . 1933 erfolgten die Eintritte der Professoren Metz und Bauch,117 die zu den aktivsten Nationalsozialisten der Philosophischen Fakultät 1933–45 gehörten (2; 6 %) . Die meisten (Maurer, Zenck, Vogt, Bender, Reiner, Heuer, Büchner) traten 1933 in den Stahlhelm oder in die SA ein und wurden dann in die NSDAP überführt (7; 21 %) . Hassinger war 1933–35 Mitglied der SA und ab 1941 NSDAP-Mitglied; Gundert wurde 1939 rückwirkend Mitglied von SA und NSDAP seit 1934 .118 Der in Österreich aufgewachsene Gutenbrunner trat 1933 dem Nationalsozialistischen Studentenbund, 1934 der „Vaterländischen Front Österreich“, 1938 der NSDAP bei . Die Parteimitgliedschaft ging mit Mitgliedschaften im Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) und im NS-Dozentenbund (NSDB) einher . Der SS hatte keiner angehört, Heuer war aber förderndes Mitglied gewesen .119 Einen besonderen Fall stellt Clemens Bauer dar, der durch seinen Auslandsaufenthalt in Riga quasi automatisch in die NSDAP überführt wurde .120 Walther Rehm markiert mit seinem sehr späten Eintritt 1942 den Typus des Professors in der Inneren Emigration .121 Als „Mitläufer“ können insbesondere diejenigen gelten, die später eintraten, wie etwa Hugo Friedrich, der 1938 NSDAP- und 1939 NSDB-Mitglied wurde .122 Für die Professoren der Kriegsjugendgeneration, die Ende der 1930er und Anfang der 1940er Jahre ihre Lehrstühle erhielten, müssen insbesondere Karrieregründe für den 114 Vgl . Tilitzki (2002), S . 844–845, Haupts (2007), S . 152 . Seemann fand einen NSDAP-Personalbogen mit dem Namen Robert Heiß in den Beständen des ehemaligen Berlin Document Center, vgl . Seemann (2002), S . 368 . Die Freiburger Quellen hingegen legen nahe, dass es sich um eine Namensverwechslung mit dem Münchner Mediziner Robert Heiß handelt, da der Freiburger Robert Heiss bereits 1943 keine NSDAPMitgliedschaft angegeben hatte, vgl . „Fragebogen für den apl . Prof . Dr . Robert Heiß“ v . 09 .01 .1943, in: UA Freiburg Nr . B024/1249, vgl . Fragebogen der frz . Militärregierung von 1945, in: UA Freiburg Nr . B034/439 . Heidegger (2000[1945]), S . 405–406) hatte im Juli 1945 noch vermutet, dass „Heiß […], der (nicht Parteigenosse) gleichwohl seine Stelle verlieren wird, weil er die konfessionelle Philosophieprofessur innehat, die hier wie anderwärts durch die Regierung in einen Lehrstuhl für Psychologie verwandelt wurde“ . 115 Dieser Prozentsatz bezieht sich auf die Professoren der Krisengeneration, die 1945–67 an der Philos . Fak . lehrten . Vor der Épuration und den darauf folgenden Neuberufungen waren 80 % der zwanzig Professoren, die Anfang 1945 an der Philos . Fakultät lehrten, NSDAP-Mitglieder, vgl . Kap . 3 .1 .1 . 116 Vgl . Grüttner (2010), S . 150, 154 . 117 Vgl . Klee (2016), S . 405, zu Kurt Bauch vgl . Schlink (2006), S . 385 . 118 Vgl . Malitz (2006), S . 357 . 119 Vgl . den Eintrag zu Hermann Heuer im Kieler Professorenkatalog URL: https://cau .gelehrtenverzeich nis .de/80bb7886-f608–2475-a447–4d4c6053bafb (09 .09 .2019) . 120 Vgl . Ott (1982), S . 20 . 121 So entzog sich Walther Rehm auch dem Kriegseinsatz deutscher Geisteswissenschaften, vgl . Herrmann (1991), S . 125–127, vgl . ders . (2006), S . 286 . 122 Vgl . Hausmann (2006), S . 251 .
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Die Professoren der Philosophischen Fakultät
Eintritt veranschlagt werden; ein Parteieintritt begünstigte und beschleunigte eine Berufung . Allerdings konnten Professoren auch ohne Parteimitgliedschaft berufen wurden, so etwa Tellenbach und eventuell auch Heiss, deren Berufungen aber durch ihren Kriegseinsatz an der Heimatfront begünstigt wurden . Der „Kriegseinsatz deutscher Geisteswissenschaften“, die sogenannte „Aktion Ritterbusch“123 machte einen großen Anteil der vielfältigen wissenschaftsorganisatorischen Kooperationsverhältnisse zwischen der Philosophischen Fakultät und NS-Organisationen aus . Am Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften wirkten Gundert (Klass . Philologie), Friedrich (Romanistik), Maurer (Germanistik), Metz (Geografie), Bender (Psychologie und Grenzgebiete) sowie die Historiker Ritter, Tellenbach und Vogt mit .124 Auch Bauch war für den „Kriegseinsatz der Kunstgeschichte“ vorgesehen . Allerdings wurde er bereits 1939 zur Marine eingezogen .125 Viele der Forschungsprojekte im Rahmen des Kriegseinsatzes deutscher Geisteswissenschaften fanden in Kooperation mit dem SS-Ahnenerbe statt, darunter die von Maurer126 und Bender .127 Vermittelt durch Theodor Mayer wirkte auch Tellenbach an dem Projekt einer Germanischen Prosopografie mit, die ab 1942 durch das SS-Ahnenerbe finanziert wurde .128 An der Aktion Ritterbusch beteiligte sich auch Ritter . Er trug aber vor allem durch Vorträge an der Heimatfront, vor Wehrmachtsoldaten in Südwestfrankreich sowie im Rahmen einer „Kulturpolitischen Mission“ in der Türkei zur „ideologischen Aufrüstung“ bei .129 Metz, 1936–38 Rektor der Universität Freiburg, war Leiter der Abteilung Grenz- und Auslandsdeutschtum der Reichsarbeitsgemeinschaft für deutsche Volksforschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie stellvertretender Vorsitzender und später Leiter der Westdeutschen Forschungsgemeinschaft .130 Heiss war 1939 zunächst als Heerespsychologe in der Wehrmacht und ab 1941 im Reichsluftfahrtministerium als Personalgutachter tätig . Der Regimewechsel zum NS wirkte sich stark auf die Karriereverläufe der Professoren aus . Er bedeutete für diejenigen einen Karrierebruch, die nicht den völkisch-antisemitischen und politischen Vorgaben des NS entsprachen . Sie wurden ausgeschlossen und mussten teilweise emigrieren . Distanz zum NS seitens derjenigen, die diesen Vgl . ders . (1998, 2011) . Vgl . ders . (2007), S . 478 . Vgl . ebd ., S . 479 . Vgl . Seemann (2002), S . 264, Anm . 69, Herrmann (1991), S . 131, ders . (2006), S . 296, Klee (2016), S . 396 . Vgl . Klee (2016), S . 37, zum Ahnenerbe vgl . Kater (1997) . Vgl . Nagel (2005), S . 148, 302, dies . (2006), S . 405, vgl . Hausmann (2007), S . 479, vgl . Zotz (2006) . Weiterhin wirkte er an einer Tagung des Volkswissenschaftlichen Arbeitskreises 1936 mit, vgl . Haar (2000), S . 308, vgl . zu dem Volkswissenschaftlichen Arbeitskreis Fahlbusch (1999), S . 106–116 . 129 Vgl . Cornelißen (2001), S . 299–306 . 130 Die Westdeutsche Forschungsgemeinschaft (WFG) war Teil der Volksdeutschen Forschungsgemeinschaft . Sie legitimierte u . a . die Besatzungspolitik in Elsass-Lothringen, vgl . zu Friedrich Metz und der WFG Kettenacker (1973), S . 46f–47, Fahlbusch (2003), S . 603, Stadelbauer (2007), Grün (2006), ders . (1999), S . 32–36, Klee (2016), S . 405 . 123 124 125 126 127 128
Erfahrungshorizonte und Prägungen
Vorgaben entsprachen, konnte hingegen durch NSDAP-Mitgliedschaften oder die Zusammenarbeit mit NS-Forschungseinrichtungen sowie andere Formen des „Kriegseinsatzes“ überbrückt werden .131 Die politische Bindung eines Eintritts in die NSDAP und ihre verschiedenen Organisationsformen wie auch die Mitwirkung am Kriegseinsatz wirkten sich eindeutig karrierefördernd aus . Hingegen wurden in den Entnazifizierungsverfahren vor allem die Parteimitgliedschaften und Forschungsschwerpunkte wie bspw . Rundfunk- und Zeitungswissenschaft sowie Rassenlehre als Indizien für ein NS-Engagement herangezogen . Diese relativ jungen Disziplinen wurden nach 1945 als „pseudowissenschaftlich“ abgelehnt, während die Mitwirkung der Professoren am Kriegseinsatz nicht in ihrer Funktion der Stabilisierung und Legitimierung des NS-Herrschaftssystems aufgefasst wurde .132 Vielmehr kreierten die Professoren in der Zweiten Nachkriegszeit ein NS-Bild, von dem sie sich mühelos absetzen konnten .133 Kriegsteilnahme Von den 33 Professoren der Krisengeneration waren zwei Drittel Kriegsteilnehmer . Der Historiker Bauer,134 der Musikwissenschaftler Zenck135 und der Kunsthistoriker Bauch136 waren in beiden Weltkriegen eingezogen worden . Weitere sieben Professoren waren während des Ersten, zwölf während des Zweiten Weltkrieges zum Kriegsdienst eingerückt . Schuchhardt, Tellenbach, Rehm und Bender waren nicht eingezogen worden . Auch Vogt, Lakebrink und Lettenbauer waren nach derzeitiger Quellenlage nicht eingerückt .137
131 Zwar konnte die Mitarbeit auch abgelehnt werden, wie im Falle Walter Rehms . Das machte aber wiederum andere Zugeständnisse wie etwa den NSDAP-Eintritt erforderlich, vgl . Herrmann (2006), S . 287 . 132 Vgl . Paletschek (2006b), S . 59 . 133 Vgl . weiterführend Kap . 5 .1 . 134 Bauer leistete vom 01 .05 .1918–01 .03 .1919 Militär- und Kriegsdienst (württ . Feldartillerieregimenter 49, 13) und war 1919 Mitglied eines Freikorps . 1942–45 war er bei der Luftnachrichteneinheit 9/3, zuletzt als Unteroffizier tätig, vgl . UA Freiburg Nr . B024/0106, Nr . B003/302, Nr . B003/306, vgl . Ott (2016) . 135 Vgl . UA Freiburg Nr . B024/4263 . 136 Vgl . Dictionary of Art Historians, URL: http://arthistorians .info/bauchk (09 .09 .2019) . 137 Vgl . die Unterlagen in UA Freiburg Nr . B261/288 .
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Die Professoren der Philosophischen Fakultät
Soldaten im Ersten Weltkrieg waren Ritter, Gurlitt,138 Metz,139 Bergstraesser,140 Reiner,141 Lohmann142 und Maurer .143 Szilasi war nach mehreren Jahren im Königlich-Ungarischen 1 . Landwehr-Regiment (1914–17) als dauernd pensionsberechtigt entlassen worden .144 In Bezug auf den Zweiten Weltkrieg kann grob zwischen denjenigen Professoren unterschieden werden, die eingezogen wurden, denjenigen, die zumindest teilweise unabkömmlich (uk) gestellt wurden, sowie denjenigen, die emigrierten oder ein Berufsverbot erhielten . Fünfzehn Professoren der Krisengeneration wurden im Zweiten Weltkrieg eingezogen (45 %) . Dies waren der Althistoriker Nesselhauf,145 der Historiker Hassinger,146 der Anglist Heuer,147 der Orientalist Krückmann,148 der Geograf Bartz,149 die Romanisten Friedrich150 und Hallig,151 die Klassischen Philologen Gundert152 und Büchner,153 der Musikwissenschaftler Zenck sowie der Philosoph Müller,154 der Althistoriker Strasburger und der Philosoph Fink . Gutenbrunner und Bender waren beide
Wilibald Gurlitt (1889–1963) war nach seiner Promotion 1914 zunächst vier Jahre an der Front gewesen . Der bis 1919 von einem Musiklehrer erteilte Musikunterricht an der Universität Freiburg wurde 1920 als Extraordinariat ausgestattet und mit Gurlitt besetzt, der 1929 die persönlichen Rechte eines Ordinarius erhielt, vgl . Zepf (2006), Eggebrecht (1966), S . 330–331, UA Freiburg Nr . B024/1128 . 139 Vgl . ausführlich Reinhard (1982), S . 209–211 . 140 Als 18-Jähriger kämpfte er in der königl . württ . Artillerie Div . 65, vgl . UA Freiburg Nr . B024/0231 . 141 Vgl . Hans Reiner, „Erklärung mein Verhalten gegenüber dem Nationalsozialismus betreffend“, in: UA Freiburg Nr . B003/860 . Seinen Angaben zufolge wurde ihm die Wiederaufnahme in sein Reserveoffizierskorps verweigert, weil er dem „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ angehört hatte, einem von Kriegsteilnehmern aus dem Parteienspektrum der SPD, DDP und Zentrum gegründeten und 1933 verbotenen Bund . 142 Lohmann kämpfte seit August 1914 in Ypern, Arrass und an der Somme und wurde durch Schüsse an Bein, Arm und Gesäß verletzt, vgl . UA Freiburg Nr . B024/2147 . 143 Vgl . UA Freiburg Nr . B024/2335 . 144 Vgl . UA Freiburg Nr . B024/3888 . 145 Nesselhauf wurde 1940–45 als Wehrmachtssoldat eingesetzt und kehrte schwer verwundet zurück, vgl . UA Freiburg Nr . B024/2611, Schuller (1999), Wirbelauer (2006), zu seiner Berufung vgl . Wirbelauer (2001) . 146 Vgl . Grün (1997), S . 3 . Hassinger war zunächst für eine Wehrmachtsdienststelle als Übersetzer tätig, wurde 1944/45 zu Fronteinsätzen in Bessarabien und an der Oder bei Küstrin eingezogen . Im März 1945 geriet er in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1948 entlassen wurde, vgl . UA Freiburg Nr . B0303/259 . 147 Heuer leistete 1943–45 Kriegsdienst und geriet in Kriegsgefangenschaft, vgl . UA Freiburg Nr . B017/860 . 148 Vgl . Steible (1985), 5–7, hier S . 6 . Krückmann war als Dolmetscher tätig . 149 Fritz Bartz musste ab 1940 zunächst als Soldat, dann als Militärgeograf Heeresdienst leisten und geriet bis 1946 in Kriegsgefangenschaft, vgl . Sick (1987) . 150 Friedrich leistete 1939–45 Kriegsdienst als Dolmetscher bei der Abwehrstelle des stellv . Generalkommandos V in Stuttgart, und war Sonderführer im Leutnantsrang . Er geriet 1945–46 in frz . Kriegsgefangenschaft, vgl . UA Freiburg Nr . B003/480, vgl . ausführlich Hausmann (2006), S . 252 . 151 Rudolf Hallig wurde zum Wehrdienst eingezogen und geriet in Kriegsgefangenschaft, vgl . URL: http:// www .romanistik .uni-Freiburg .de/geschichte/Hallig .html (09 .09 .2019) . 152 Gundert war Offizier und konnte, 1942 nach Freiburg berufen, seine Professur erst mit seiner uk-Stellung 1944 antreten, vgl . Malitz (2006), Kullmann (1976) . 153 Büchner wurde 1940 zum Militärdienst einberufen und nahm 1941/42 am Russlandfeldzug teil, wurde schwer verwundet und folgte so 1943 dem Ruf nach Freiburg, vgl . Merklin (1994) sowie Malitz (2006) . 154 1939 wurde Max Müller zum Wehrdienst eingezogen, vgl . URL: https://www .leo-bw .de/web/guest/ detail/-/Detail/details/PERSON/kgl_biographien/118737546/M %C3%BCller+Max (09 .09 .2019) . 138
Erfahrungshorizonte und Prägungen
während des NS an der Reichsuniversität Straßburg tätig . Gutenbrunner wurde in diesem Zeitraum mehrfach an die Front abkommandiert .155 Heiss wurde während des Zweiten Weltkriegs teils eingezogen, teils uk gestellt .156 Die Professoren, die während des Zweiten Weltkriegs uk gestellt wurden, lassen sich in drei Gruppen unterteilen . Eine uk-Stellung konnte damit legitimiert werden, dass die Betreffenden hohe universitäre Ämter innehatten, am Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften oder anderen kriegswichtigen Forschungsprojekten mitwirkten und zusätzlich durch den Lehrbetrieb stark beansprucht wurden .157 Rehm wurde als Vertreter des sehr großen Fachs Germanistik durchgehend uk gestellt .158 Schuchhardt war 1940–45 Dekan der Philosophischen Fakultät und wurde daher nicht eingezogen . Maurer war Professor für Germanistik, fungierte als Prorektor der Universität Freiburg und beteiligte sich am Kriegseinsatz deutscher Geisteswissenschaften . Den Professoren Gundert und Friedrich sicherte ihre Mitwirkung am Kriegseinsatz deutscher Geisteswissenschaften keine uk-Stellung, sie wurden beide in den 1940er Jahren eingezogen .159 Hingegen galt Metz aufgrund seiner Leitungsposition in der „Westdeutschen Forschungsgemeinschaft“ als unabkömmlich .160 Tellenbach war am Kriegseinsatz deutscher Geisteswissenschaften beteiligt sowie in seiner Doppelfunktion als Geschichtsprofessor in Münster und Gießen uk gestellt worden .161 Der Slavist Lettenbauer verbrachte die Kriegszeiten mit Übersetzungsarbeiten; ob im Kriegsdienst, ist nicht bekannt .162 Gurlitt und Brie, beide Kriegsteilnehmer im Ersten Weltkrieg, wurden 1937 als „jüdisch versippt“ klassifiziert, weder eingezogen noch uk gestellt, sondern aus ihren Ämtern verdrängt .163 Bergstraesser, 1936 aus politischen Gründen entlassen, emigrierte 1937 in die USA .164 Weiterhin war der Philosoph Werner Marx 1933 zur Emigration gezwungen worden . Er kehrte 1958 aus den USA nach Deutschland zurück und trat 1964 Vgl . Mohnike (2010), S . 71 . Heiss gab in einem Fragebogen 1943 Militärverhältnisse vom 18 .09 .1939–25 .03 .1942 an, weiterhin von August bis Dezember 1919 Aktivitäten als Zeitfreiwilliger im Freikorps Epp, das zu diesem Zeitpunkt als 21 . Brigade in die vorläufige Reichswehr integriert war . Vgl . Fragebogen v . 09 .01 .1943, in: UA Freiburg Nr . B024/1249 . Zu seiner uk-Stellung vgl . die folgende Anmerkung . 157 So begründete der Dekan die uk-Stellung von Robert Heiss durch den äußerst starken Lehrbetrieb und mit der „Durchführung kriegswichtiger Forschungsaufträge“ am Institut für Rundfunkwissenschaft, das zu diesem Zeitpunkt das einzige Institut in Freiburg war, mit dem eine uk-Stellung legitimiert werden konnte . vgl . Dekan Schuchhardt an das Wehrbezirkskommando V Freiburg,16 .03 .1944, in: UA Freiburg Nr . B254/36 . 158 Rehm war in Gießen wie auch in Freiburg uk gestellt, vgl . Friedrich Maurer an das Wehrbezirkskommando Gießen am 01 .10 .1943, in: UA Freiburg Nr . B024/2917, vgl . UA Freiburg Nr . B034/0885 . 159 Hausmann (2007), S . 479 . 160 Ebd ., S . 478, vgl . Klee (2016), S . 405 . 161 Vgl . Mertens/Mordek/Zotz (2005, 2006), Keller (1994), Wollasch (2000), Nagel (2005), S . 148 . Tellenbach hatte auch bei der Besetzung des Sudetenlandes mitgewirkt vgl . Nagel (2005), S . 82, 147, Anm . 181, 147 . 162 Weiher (1985), S . 356–357 . 163 Zu Brie vgl . Hausmann (2006), S . 242–243, vgl . UA Freiburg Nr . B024/0405 . 164 Vgl . Festsetzung der Hinterbliebenenbezüge nach dem Landesbeamtengesetz vom 07 .07 .1964, S . 2, in: UA Freiburg Nr . B024/0231, vgl . Mohr (1988), S . 145–146, vgl . Behrmann (2016b), S . 30 . 155 156
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die Professur Philosophie I an .165 Diese war nach 1945 von Szilasi wahrgenommen worden, der, 1919 aus Ungarn nach Deutschland emigriert, aufgrund der antisemitischen Gesetzgebung 1933 erneut in die Schweiz emigrieren musste . Strasburger, der ebenfalls im Zuge der Nürnberger Gesetze Berufsverbot erhalten hatte und dem 1936 die Habilitation verweigert worden war, wurde ab Mai 1940 als Wehrmachtsfunker eingesetzt .166 Fink, der nach Louvain ins Exil ging, wurde als vermeintlicher Spion in Belgien 1940 in einem französischen Lager interniert und nach der Besetzung Frankreichs zur Wehrmacht eingezogen .167 Die Differenzen zwischen den diversen Kriegserlebnissen und -einsätzen waren groß, die Palette an Erfahrungen sehr breit .168 Gleichzeitig lassen sich zwischen den verschiedenen Stationen Emigration, Berufsverbot, kämpfende Front, Heimatfront, Teilnahme am Ersten und/oder Zweiten Weltkrieg diverse Zwischenstufen erkennen, so dass eine eindeutige Zuordnung häufig schwer fällt . Wie sich in der Analyse der Laufbahnen zeigte, wirkten sich Krieg und Systemwechsel aber auch statistisch auf die Karriereverläufe aus . Inwiefern kann nun bei der Krisengeneration auch eine sie verbindenden illusio ausgemacht werden? Die illusio der Krisengeneration . Prägungen In der sozialhistorischen Analyse der Krisengeneration fallen bei allen Differenzen und Ausnahmen doch viele Gemeinsamkeiten auf . Bei dieser Professorengeneration handelt es sich um eine relativ homogene Gruppe deutschsprachiger, überwiegend christlicher weißer Männer aus gutsituierten Familien . Alle hatten langjährige und ähnlich strukturierte akademische Ausbildungsphasen hinter sich . Darüberhinaus war die zweifache Erfahrung eines Weltkrieges und der beiden Systemwechsel 1933 und 1945 für alle prägend, allerdings in sehr unterschiedlicher Art und Weise . Alle Professoren der Krisengeneration hatten die erste Nachkriegszeit in Deutschland erlebt und trugen nach 1945 als Professoren zur Gestaltung der Zweiten Nachkriegszeit bei . Eng an ihre wissenschaftliche Prägung und sozialen Hintergründe gekoppelt verfügte diese Professorengeneration über ein spezifisches Selbstverständnis, das ein starkes Krisenbewusstsein mit einem holistisch-elitären Ideal von Geisteswissenschaften, Universi-
Vgl . UA Freiburg Nr . B381/554, vgl . Tetzlaff (1982), S . 227 . Vgl . Hock (2015), Bleicken (1986) . Vgl . Eugen Fink, „Lebenslauf “, in: UA Freiburg Nr . B024/0779 . Die jeweiligen Kriegserlebnisse waren hochindividuell, anderseits waren sie keine Einzelschicksale und hatten für alle große, wenngleich unterschiedliche Auswirkungen . Der eine hatte im Krieg sein Auge verloren (Bergstraesser), der andere war nach dem Krieg gelähmt (Nesselhauf), der dritte hatte Vater und Bruder verloren (Tellenbach), der vierte einen Sohn (Ritter), der fünfte starb an den Kriegsfolgen (Zenck) um nur einige Beispiele zu nennen . 165 166 167 168
Erfahrungshorizonte und Prägungen
tät und Gesellschaft verband .169 Der Name Krisengeneration, der hier für die Professoren steht, die den Jahrgägen 1886–1910 angehörten und zwischen 1945 und 1966 die Mehrheit im Fakultätsrat stellten, resultiert aus der Omnipräsenz und Wirkmächtigkeit ihrer Krisenrhetorik in diesem Zeitraum .170 Hinzu kommt, dass sie auch mit einem allgegenwärtigen Krisendiskurs wissenschaftlich sozialisiert worden waren, den sie in der Zweiten Nachkriegszeit wieder aufnahmen und für sich zu nutzen verstanden .171 Um das qualitativ Neue des Krisendiskurses der Zweiten Nachkriegszeit destillieren zu können, bzw . die Wandlungsmomente jener illusio herauszufinden, ist es notwendig, die Prägungen und Mentalitäten der Professoren zu berücksichtigen . Der Zeitraum, in dem diese Prägung erfolgte, muss insbesondere in der langen Ausbildungsphase angesetzt werden, die bei den Professoren der Krisengeneration in die 1910er und 1920er Jahre fiel . Da die Untersuchung der jeweiligen Prägungen hier nicht für alle Professoren der Krisengeneration im Einzelnen vorgenommen werden kann, sollen im Folgenden zusammenfassend Einblicke in Form, inhaltliche Ausrichtungen und die Entwicklung der geisteswissenschaftlichen Krisenrhetorik in der Ersten Nachkriegszeit gegeben, Spezifika dieser Argumentationsstrategie, ihre Mehrdeutigkeit und Kontinuität verdeutlicht werden . Denn die Wirkmächtigkeit dieser Diskursstrategie resultierte sowohl aus der Form ihres Argumentationsmusters, einer spezifischen Kopplung von Idealismus und Krise, als auch daraus, dass das Krisenparadigma bereits in der Ersten Nachkriegszeit entwickelt und weit verbreitet worden war – nicht zuletzt an der Philosophischen Fakultät Freiburg . Bei idealistischer Krisenrhetorik handelt es sich um ein geisteswissenschaftliches Glaubensbekenntnis, das zu Beginn des 20 . Jahrhunderts popularisiert wurde und in der Zweiten Nachkriegszeit erneut Wirkung entfaltete . Die zur Zeit der Jahrhundertwende in Deutschland aufsteigende und die Erste Nachkriegszeit prägende multivalente Rede von der „Krise“ ist bereits unter vielfältigen Aspekten untersucht worden,172 wobei, wie John betonte, „der Kontrast zwischen der kulturgeschichtlichen Positivsicht auf die ‚goldenen zwanziger Jahre‘ und der wissenschaftsgeschichtlichen Negativsicht auf die Weimarer Zeit“ bemerkenswert ist .173 Die idealistische Krisenrhetorik der 1920er Jahre war polarisierend aufgebaut . Die rhetorische Kopplung von Krise und Ideal verstärkte in ihrer gegensätzlichen Aufladung sowohl das evozierte Bild einer krisenhaften Situation in Wissenschaft und Gesellschaft als auch einen Sendungsauftrag, der auf ein Ideal ausgerichtet war, das als Lösung der Krise präsentiert wurde . In dieser Kombination wurde ein Wechselverhältnis aufgebaut, das in dem rekursiven Bezug plausibel, logisch und konsequent 169 Vgl . auch die Beschreibung des geistesaristokratischen „Spiritualismus“ und der daran gekoppelten „vermeintlichen historischen Mission“ in Geiger (1949), S . 121 . 170 Vgl . ausführlich Kap . 5 . 171 Für die Universität Göttingen vgl . Weisbrod (2004), S . 271–272 . 172 Veröffentlichte Quellen und Forschungsliteratur dazu sprengen mittlerweile jede Fußnote . Eine prägnante Zusammenfassung findet sich bei John (2010), S . 107–109, S . 125 . 173 Ebd ., S . 109 .
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erschien: Die Krisendiagnose verwies auf das Ideal, das Ideal legitimierte die Krisendiagnose . Weiterführende Reflexionen über Krise und Ideal oder davon unabhängige Referenzen erschienen in der sich gegenseitig verstärkenden Bezugnahme überflüssig . Damit stellten „Krisenbewusstsein, Reformdenken, Wandlung, Wachstum und Dynamik […] keine prinzipiellen Gegensätze“ dar,174 sondern verwiesen aufeinander . Das Spannungsverhältnis von Krise und Ideal ist so weniger als ambivalent denn als komplementäres Wechselverhältnis zu begreifen . Idealistische Krisenrhetorik bereitete auf Wandel vor, legitimierte ihn als notwendig und wirkte darauf ein, dynamisierte die Umstände, produzierte, gestaltete und lenkte die Wahrnehmung einer Krise und deren Lösung . Sie verwies nur am Rande auf konkrete Missstände, nahm sie aber teilweise zum Anlass, um bestimmte Ziele zu rationalisieren . In ihrer kulturkonservativen Version stieg die idealistische Krisenrhetorik in der Zwischenkriegszeit als akademische Verweigerungshaltung gegenüber Demokratisierungstendenzen der Weimarer Republik zu einem hegemonialen geisteswissenschaftlichen Deutungsmuster auf .175 Verstärkt durch ökonomische Krisen wie die Hyperinflation und die Weltwirtschaftskrise war die Krisenwahrnehmung spätestens Anfang der 1930er Jahre omnipräsent . Moderner Kulturkonservatismus, der sich in idealistischer Krisenrhetorik artikulierte, stellte die spezifische illusio der Krisengeneration dar, die mit diesen geistesgeschichtlich-elitären Deutungsmustern aufgewachsen und wissenschaftlich sozialisiert worden war . Da die professorale Rhetorik von der Krise nur sehr vermittelt an konkrete Problemlagen geknüpft war bzw . aktiv davon entkoppelt wurde, verfügte sie kaum über empirisch-analytische Tiefenschärfe . Die Krisendiagnosen unterschieden sich so auch nur graduell voneinander . Sie repräsentierten allesamt eine Perspektive „von oben“, die allerdings durch den homogenisierenden Rekurs auf eine übergreifende „allgemeine Kulturkrise“ bzw . „Krise des modernen Menschen“ verschleiert wurde . In dem Krisenkonglomerat seitens der Geisteswissenschaftler der Ersten Nachkriegszeit, das die Professoren der Krisengeneration prägte, lassen sich drei Dimensionen ausmachen: Die „Krise der Universität“, die „Überfüllungskrise“ und die „wissenschaftliche Grundlagenkrise“ . Unter dem Label der „wissenschaftlichen Grundlagenkrise“ wurden vorwiegend disziplinäre Kämpfe um Positionen, Prestige und Hegemonie ausgetragen . Bei der „Krise der Universität“ handelt es sich um eine idealistische Krisenrhetorik, die Universitäten geisteswissenschaftlich repräsentierte und mit dem Bezug auf Ideale wie „Humboldt“ von bestehenden Problemlagen ablenkte . Die „Überfüllungskrise“ als professoraler Krisentopos stellte während der Weimarer Republik ein elitär-exklusives Argumentationsmuster dar, das Universitäten als eine geistesaristokratische Eliteinstitution entwarf und einen breiten Bildungszugang ablehnte .
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Ebd ., S . 113 . Vgl . ebd ., S . 123 .
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Die „Krise der Universität“ Die akademische Krisenrhetorik war während der Weimarer Republik eng an die Glorifizierung des deutschen Kaiserreichs gekoppelt, das als nostalgischer Fluchtpunkt inszeniert wurde . Mit Rekurs auf Antike, Mittelalter, Klassik und ein idealisiertes „deutsches“ 19 . Jahrhundert wurden religiös-metaphysische Ideale von Universität und Geisteswissenschaften behauptet und als „Ersatz“ für „Weltgeltung“, imaginärer Rückzugsort und Sendungsauftrag hochstilisiert .176 Die Kombination von Krisenrhetorik und idealisierten Vergangenheiten oder als überzeitlich postulierten Idealen forcierte dabei die Ablehnung der von Kriegsverlust und Demokratisierungsprozessen gekennzeichneten Weimarer Republik . In Bezug auf eine konstatierte „Krise der Universität“ avancierte die Beschwörung der deutschen Universitätsidee zum hegemonialen Identitätsentwurf .177 Sie war zu Beginn des 20 . Jahrhunderts im Zuge der geistesgeschichtlichen Legitimation des deutschen Nationalstaats popularisiert worden .178 In der Weimarer Republik stieg sie eng liiert mit der Krisenrhetorik zum geisteswissenschaftlichen „Identifikationscontainer“ auf .179 Paletschek hat die wiederholte Erfindung dieses Ideals im 20 . Jahrhunderts untersucht und seine Funktion als „Allzweckwaffe“ herausgestellt, welche die „institutionellen, finanziellen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen des deutschen Universitätssystems“ verschleierte .180 In der Zweiten Nachkriegszeit modernisierte die Krisengeneration die idealistische Krisenrhetorik in ihrer kulturkonservativen Version . Die wissenschaftliche „Grundlagenkrise“ Die Rede von der „Grundlagenkrise“ der Wissenschaften kam um die Jahrhundertwende auf und differenzierte sich in den einzelnen Fachbereichen in verschiedene Krisendiskurse aus: In der Geschichtswissenschaft war es die „Krise des Historismus“,181 in der Philosophie in Konkurrenz mit der Soziologie die Frage nach absoluten Werten versus Relationalität und Idealismus versus Empirie .182 Insgesamt ging es um disziplinäre, teils auch um religiöse Konkurrenzen um Deutungshoheit, die über den Streit um erkenntnistheoretische und methodische Grundlagen ausgetragen
Vgl . Paletschek (2002), S . 184–185, vgl . dies . (2010b), S . 44–45, vgl . John (2010) . Vgl . dies . (2001a, 2001b, 2001c, 2002) . Vgl . Paulsen (1896/1897), vgl . Meinecke (1908) . Wagner (2010b), S . 357, vgl . Titze (1989), S . 209–240, John (2010), vgl . die Aufsätze in Ash (1997) . Paletschek (2002), S . 204 . Ernst Troeltsch (1865–1923) prägte den Begriff „Krisis des Historismus“, vgl . Troeltsch (1922a, 1922b), vgl . dazu Oexle (2007), ders . (1996) . 182 Vgl . Laube (2004b), Lichtblau (1996) . 176 177 178 179 180 181
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wurden .183 Spezifisch geisteswissenschaftlich erwies sich dabei die Ablehnung empirischer, als „positivistisch“ bezeichneter Methoden und relationaler Zugänge, denen holistisch-idealistische vorgezogen wurden: Die Rede von der „wissenschaftlichen Grundlagenkrise“ fand ihr Pendant in dem Ideal einer „Einheit der Wissenschaften“:184 In Konfrontation der tatsächlich stattfindenden Ausdifferenzierung und Pluralisierung der Wissenschaften mit dem holistischen Wissenschaftsverständnis wurde eine Krise des als unhintergehbar und universal gültig postulierten Idealismus befürchtet .185 Das von historischen Entwicklungen abstrahierende Wissenschaftsverständnis machte jedoch eine konkrete Analyse der „Krisen“ unmöglich . Geisteswissenschaft bedeutete in einem Umfeld, das Empirie, Relationen, Differenzierungen ablehnte und auf überzeitliche Werte pochte, in vielerlei Hinsicht Glaubenswissenschaft im Sinne von Hardtwigs „Geschichtsreligion“ .186 Die akademische Krisengeneration war von solch einem idealistischen Wissenschaftsverständnis geprägt, ihr Selbstverständnis und ihre Repräsentationsstrategien basierten darauf . Die „Überfüllungskrise“ Mit der Rede von der „Überfüllungskrise“ wurden in den 1920er Jahren breite Akademisierungsprozesse abgelehnt .187 Die soziale Öffnung von Universitäten wurde als Nivellierung der Bildung diskreditiert . Mit der „Überfüllung“ beanspruchten kaiserreichstreue Professoren bereits in der Zwischenkriegszeit die Beschränkung von Bildungsprivilegien auf kleine „geistesaristokratische“ Gruppen . Die Exklusivitätsrhetorik hatte klassisch-elitäre, androzentrische, xenophobe und antisemitische Untertöne . Sie wandte sich gegen soziale Aufsteiger_innen, Linke, Frauen, Ausländer_innen, Juden und Jüdinnen . Die angebliche „Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ legitimierte schließlich die Maßnahmen des antisemitisch motivierten Gesetzes vom 25 .4 .1933 .188 Die auf dieser Grundlage zu Beginn des NS erlassenen Zulassungsbe-
Vgl . Scholtz (1997) . Mit unterschiedlichen Ergebnissen versuchten Eduard Spranger, Oswald Spengler, Ernst Troeltsch, Max Weber, Georg Simmel, Karl Mannheim u . v . a ., eine Lösung bzw . Umgangsform mit diesen Fragen zu entwickeln . In den Naturwissenschaften wurde der erkenntnistheoretische Themenkomplex unter dem Namen „Krise der Wirklichkeit“ u . a . von Ludwig Fleck (1983[1929]) aufgeworfen . 184 Tenorth (1989), S . 115 . 185 Max Weber stellt mit seinem Münchner Vortrag „Wissenschaft als Beruf “ einen Ausnahmefall dar . Seine veränderte Haltung machte nicht nur auf George und seinen Kreis, sondern auch auf Troeltsch einen „erschreckenden Eindruck“, vgl . Rickert (1926), S . 231 . Rickert versuchte Weber nach seinem Tod rückwirkend zu integrieren, Ritter grenzte sich von ihm ab und Bergstraesser versuchte den „eigentlichen“ Max Weber wieder auf seine Freiburger Antrittsvorlesung zurückzuschreiben, vgl . Bergstraesser (1957c) . 186 Vgl . Hardtwig (1991) . 187 Vgl . John (2010), S . 136–137 . 188 Das Gesetz hieß in den Entwürfen vom 11 ., 18 . und 21 .04 .1933 bezeichnenderweise noch „Gesetz gegen Überfremdung deutscher Schulen und Hochschulen“, vgl . Olenhusen (1966), S . 177 . 183
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schränkungen, die sich gegen „Nichtarier“ richteten, führten zum Ausschluss der jüdischen Studierenden .189 Die zusätzliche Schlagrichtung dieses NS-Gesetzes gegen Frauen war zwar kurzfristig und diente vor allem dazu, von den antisemitischen Motiven abzulenken .190 Dennoch hatte es Konsequenzen für die Studentinnen und verstärkte vorhandene Ressentiments . Vorbehalte gegen die „Flucht ins Studium auf weiblicher Seite“ sowie Ängste vor Niveauverlust, insbesondere durch sogenannte „Kochabiturientinnen“ kamen während des NS zum Tragen .191 Die Krisenrhetorik ging über den Zeitraum der Weimarer Republik und die kaiserreichstreuen Professoren hinaus . Während des NS knüpften mit Bezug auf die Idee der Universität „professorale Vergangenheitssucher“ wie auch „antirepublikanische Erneuerer“ an dieses Ideenkonglomerat an .192 Wie die Hochschulreformer der Zwischenkriegszeit gingen sie von einer „Fehlentwicklung der deutschen Universität“ aus, die mit der „Verdrängung“ des Idealismus durch „Positivismus und Naturwissenschaften“ eingesetzt habe .193 Die während des NS angestrebte „Überwindung“ des Universitätsideals sah vor, es völkisch, antisemitisch und rassistisch zu besetzen . Die propagierten Reformvorschläge waren allerdings größtenteils in der Weimarer Zeit entwickelt worden; die Argumentationsstrategien blieben weitgehend dieselben .194 An der Kombination bei gleichzeitiger Rivalität der Selbstbehauptungs- und Reformkonzepte konservativer „Vergangenheitssucher“ und antidemokratischer „Erneuerer“195 zeichnen sich exemplarisch NS-typische Polykratien sowie „Unschärferelation[en] zwischen Nationalkonservatismus und Nationalsozialismus“ ab .196 In Hinblick auf die fließenden Übergänge zwischen restaurativer und nationalsozialistischer Krisen- und Erneuerungsrhetorik ist Martin Heideggers Krisenrhetorik aufschlussreich . Heidegger war ein Jahr jünger als Ritter und gehörte wie er zur Frontgeneration .197 Heidegger hatte sich 1915 bei Heinrich Finke und Heinrich Rickert in
Vgl . ebd ., vgl . Huerkamp (1996) . Die Hochschulzugangsberechtigung wurde auf eine Höchstzahl von 15 .000 eingeschränkt, davon nur 15 % Frauen und für arische Frauen im Juli 1934 wieder aufgehoben, vgl . Olenhusen (1966), S . 178, Anm . 20 . 191 Süss (1943), S . 17, 18, 23 . Knapp zwei Jahre später wurden die Restriktionen gegen Werbung für den Hochschulbesuch ausgetauscht, vgl . Titze (1989), S . 231 . 192 Langewiesche (1992), S . 376, 378 . 193 Vgl . Paletschek (2002), S . 198 . 194 Vgl . ebd . Reformkonzepte wie die Adolf Reins übernahmen Anteile des Humboldt-Ideals, vgl . Paletschek (2001b), S . 47, dies . (2002), Langewiesche (1992), S . 378, Anm . 156, Goede (2008) . 195 Vgl . Paletschek (2002), S . 198, Langewiesche (1992), S . 376, 378 . 196 Herbert (2010), S . 489 . 197 Heidegger war wegen eines Herzklappenfehlers im Oktober 1914 aus dem Heeresdienst entlassen worden und danach an einer Postüberwachungsstelle und bei der Frontwetterwarte 414 tätig, vgl . Martin Heidegger, „Lebenslauf “, in: UA Freiburg Nr . B024/1227 . 189 190
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Freiburg habilitiert198 und war 1916–22 Assistent bei Edmund Husserl, dem Nachfolger Rickerts in Freiburg, gewesen . Rickert hatte zur Lösung der „Grundlagenkrise“ die Unterscheidung von Natur- und Kulturwissenschaften weiter entwickelt199 sowie eine transzendentale Wertphilosophie entworfen, die „wissenschaftliche Philosophie als Weltanschauungslehre“ zum „Ziel der universalen Weltbetrachtung“ erhob .200 Husserl sah den Grund der „Krisis des europäischen Menschentums“201 in der „Naivität“ der Erfahrungswissenschaft und kritisierte, dass diese ihre geistige Bedingtheit unzureichend berücksichtigten .202 Dagegen setzte er die transzendentale Phänomenologie, die allerdings auf die formallogische Untersuchung von Erkenntnisprozessen beschränkt war .203 Heidegger wandte sich schließlich gegen die von Rickert vertretene Schule des Badischen Neukantianismus, deren „objektive Metaphysik“ und „universales Ordnen“ .204 1919 positionierte er sich zu Fragen der Universitätsreform und koppelte diese an eine „Wiedergeburt des echten wissenschaftlichen Bewusstseins und Lebenszusammenhanges“ .205 Das Bild der Wiedergeburt prägte durchgehend den idealistischen Krisendiskurs mit seiner gegensatzübergreifenden Zielsetzung einer restaurativen Erneuerung . 1923 distanzierte sich Heidegger von den „Broschüren über die Krisis der Wissenschaft, über den Beruf der Wissenschaft“ und damit von Husserl und Weber .206 Seine Fragestellung in Sein und Zeit nahm wiederum ihren Ausgangspunkt in der „Krisis“ der wissenschaftlichen Grundbegriffe .207 In seiner Rektoratsrede 1933 begrüßte er den NS als einen Weg aus der Krise, auf dem sich die Universität selbst behaupten, die Wissenschaft die „Verkapselung der Wissenschaften in gesonderte Fächer“ durchbrechen und „zum Grundgeschehnis unseres geistig-volklichen Daseins“ werden könne .208 Damit nahm er die idealistische Krisenrhetorik auf und goss sie in eine zielgerichtete, national-völkische Aufbruchsform . Dass sich idealistische Krisenrhetorik als flexibel anwendbare Argumentationshülse durchaus für nationalsozialistische Zielsetzungen anwenden ließ, zeigte sich auch bei den NS-Pädagogen Ernst Krieck und Adolf Rein .209 Nachdem Heideggers Aneignung der Krisenrhetorik gescheitert war, beriefen sich nach 1945 Freiburger und viele andere Geisteswissenschaftler erneut auf jene Krisen, um nun den Aufstieg des Nationalsozialismus zu erklären und sich davon abzugrenzen . 198 Vgl . Heinrich Rickert, „Gutachten über die Habilitationsschrift des Herrn Dr . Heidegger“ v . 19 .07 .1915, in: UA Freiburg Nr . B003/788 . 199 Vgl . Rickert (1899) . 200 Ders . (1921), S . 28, vgl . ders . (1892, 1902) . 201 Husserl (1995[1936]), S . 68, 53 . 202 Ders . (2009[1910–21]), S . 66, vgl . ders . (1995[1936]), S . 68, S . 53 . 203 Ders . (1995[1936]), S . 66 . 204 Vgl . Heidegger (1995[1923]), S . 43 . 205 Vgl . ders . (1999[1919]), hier S . 4–5 . 206 Ders . (1995[1923]), S . 33 . 207 Ders . (2006[1926]), S . 9 . 208 Ders . [(1983[1933]), S . 13, S . 19, vgl . ders . (2000[1934]), S . 300–301 . 209 Vgl . Paletschek (2002) .
Erfahrungshorizonte und Prägungen
Die Distanzierung der Krisengeneration vom NS gestaltete sich dabei ähnlich wie die krisenrhetorische Ablehnung der Weimarer Republik seitens ihrer Lehrergeneration . Als „politische Krise“, „universitäre Krise“ und „Bildungskrise“, als „wissenschaftliche Grundlagenkrise“ bzw . „Krise des Historismus“ war die „Krise“ ein omnipräsenter Bezugspunkt geisteswissenschaftlicher Repräsentationen der Ersten wie auch der Zweiten Nachkriegszeit . Die auch in Freiburg reformulierten professoralen Selbstverständnisse sind weitgehend typisch für die Reformideale nach 1945, die am prominentesten in Karl Jaspers 1923 erschienenem und 1945 wiederaufgelegtem Buch „Die Idee der deutschen Universität“ zusammengefasst wurden .210 Sowohl bezüglich der „Idee der Universität“ als auch der Lösung der „Grundlagenkrise“ der Wissenschaften lassen sich Kontinuitäten in den Argumentationen feststellen .211 Wie Heidegger stellten die Freiburger Geisteswissenschaftler nach 1945 erneut das „Abendland“ in den Mittelpunkt ihrer Wiedergeburtsargumentationen und hielten an platonischen Vorstellungen, „wesentlichen“ Ideen und einem „geistigen Auftrag“ fest . Anders als Heidegger distanzierten sie sich jedoch von nationalsozialistischen Entwürfen und stellten sich an die Seite der Kirchen . Während im NS eine „Überwindung“ neuhumanistischer Konzepte auf völkischer Grundlage angestrebt wurde, griffen die Geisteswissenschaftler der Zweiten Nachkriegszeit auf neuhumanistisch-christliche Ausrichtungen der Geisteswissenschaften zurück, die wiederum als Wege aus der Krise zur Wiedererlangung der „Weltgeltung“ stilisiert wurden . Eine weitere Differenz zur Zwischenkriegszeit bestand darin, dass die Mythen, auf denen die idealistische Krisenrhetorik beruhte, nach 1945 nicht neu erfunden, sondern wiederholt wurden . Die Professoren konnten damit an einen bereits weit verbreiteten Glauben an vermeintlich deutsche oder abendländische Wissenschafts- und Universitätstraditionen anschließen, die ab der Jahrhundertwende in eine Krise geraten seien . Das Paradigma der Krise war in der Zweiten wie auch in der Ersten Nachkriegszeit omnipräsent: Um Deutungshoheit wurde im diskursiven Rahmen der „Krise“ gerungen . Dabei war die Krisenrhetorik polyvalent, vielfältig einsetzbar und interpretierbar, anschlussfähig und massenkompatibel . In Bezug auf ihre Prägungen und Selbstrepräsentationen einte die Professoren idealistische Krisenrhetorik – ob sie nun zur jungen Frontgeneration gehörten wie Arnold Bergstraesser, Jahrgang 1896, oder zur Kriegsjugendgeneration wie Gerd Tellenbach, Jahrgang 1903, protestantisch waren wie Gerhard Ritter oder katholisch wie Max Müller, aus akademischen Haushalten stammten wie Walther Rehm oder sozia-
Jaspers (1923, 1946) . An diesem Punkt setzte die Selbstentschuldung Heideggers ein: „Aber ich war damals allerdings auch der Überzeugung, dass durch die selbständige Mitarbeit der Geistigen viele wesentlichen Ansätze der ‚Nationalsozialistischen Bewegung‘ vertieft und gewandelt werden könnten, um die Bewegung so in den Stand zu setzen, in ihrer Weise mitzuhelfen, die verwirrte Lage Europas und die Krisis des abendländischen Geistes zu überwinden“, Heidegger am 04 .11 .1945 an das Akad . Rektorat, in: UA Freiburg Nr . B034/0031 . 210 211
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Die Professoren der Philosophischen Fakultät
le Aufsteiger waren wie Robert Heiss . Die Krisenrhetorik stellte die Eintrittskarte in die Philosophische Fakultät Freiburg dar . Dabei kam dem für die damaligen Geisteswissenschaften typischen idealistischen Gestus auch die Funktion zu, Identität und Einheitlichkeit zu signalisieren . Als geteiltes Glaubensbekenntnis verwies idealistische Krisenrhetorik auf einen gemeinsamen Werte- und Bewertungshorizont, stiftete Vertrauen und Kontinuität, verschaffte Glaubwürdigkeitskredite, Gehör und postulierte Homogenität . Inwiefern aber unterschieden sich die Professoren voneinander? 4.5
Professorale Typen und Aufgabenfelder
Professorentypen – eine Frage der Aufgabenteilung Es zeigte sich hier in besonders reiner Form jene für die voraufgehenden Jahrzehnte auch anderwärts als typisch geltende Arbeitsteilung, die dem Neuhistoriker die politische Erziehung der Studenten und die Rolle des patriotischen Rhetors zuwies, den Lehrer der mittelalterlichen Geschichte aber auf die Aufgabe beschränkte, im engeren Kreis des Seminars die Kenntnis des kritischen Handwerks zu vermitteln .212
Zmarzliks Beschreibung des Verhältnisses des Freiburger Neuzeithistorikers Holst und des Mediävisten Simson Ende des 19 . Jahrhunderts traf 75 Jahre später in ähnlicher Weise auf Selbstverständnis und Praxis seiner Lehrer Ritter und Tellenbach zu .213 Hingegen entbrannten Streitigkeiten, als ein weiterer Protagonist mit einer neuen Disziplin auftrat, der an der Philosophischen Fakultät Freiburg die politische Erziehung der Studierenden beanspruchte: Arnold Bergstraesser brachte mit der Politikwissenschaft das traditionelle Gefüge in Unordnung . Die Zuordnung bestimmter Lehrstühle zu spezifischen Aufgaben geriet ins Wanken . Die von Zmarzlik am Beispiel von Simson und Holst beschriebene Form der Aufgabenteilung wies jedem Professor einen eigenen Spielraum mit einer darauf spezialisierten Funktion zu, die traditionell niemanden neben sich erlaubte . Die Krisengeneration war zu einem hohen Grad von monopolistischem Konkurrenzdenken durchdrungen . Sie nahmen Parallelprofessuren als Bedrohung bzw . Einschränkung des eigenen Territoriums wahr und gingen ihre Aufgaben nicht kooperativ, sondern solitär an . Das lag nicht zuletzt daran, dass sich die Professoren der Krisengeneration als geistesaristokratische Elite verstanden . Der Geniekult war stark ausgeprägt, Ressentiments gegen eine „Masse“ von Studierenden common sense . Ihr Selbstverständ-
Zmarzlik (1985), S . 172 . „ln der Mensa erzählte ein Kommilitone, […] Ritter habe seinen Hörern erklärt, bevor sie am Proseminar für neuere/neueste Geschichte teilnähmen, sollten sie im Proseminar für mittelalterliche Geschichte gewesen sein, weil dort die methodischen Voraussetzungen des Geschichtsstudiums intensiv geübt würden .“ Wollasch (2005), S . 19, vgl . weiterführend Nagel (2006), S . 387–388 . 212 213
Professorale Typen und Aufgabenfelder
nis als individuelle „Persönlichkeiten“ schlug sich auch in ihrer Arbeitsorganisation nieder: Sie teilten ihre Aufgaben so auf, dass sie einander nicht in die Quere kamen . Erst wenn der eine ging, konnte ein anderer nachrücken . Allerdings waren die Rollen der Professoren auch durch ihre Position in ihrer spezifischen Konstellation vorgeschrieben . So findet sich an der Philosophischen Fakultät Freiburg 1945–67 der Typus des Hochschulpolitikers und konservativen Reformers (Tellenbach, Mediävistik), des „National- und Moral-Trompeters “214 (Ritter, Neuere Geschichte), des Institutionengründers und „Paradiesvogel[s] mit großer internationaler Erfahrung und Weltläufigkeit“215 (Bergstraesser, Wissenschaftliche Politik), des beliebten Universitätslehrers (Nesselhauf, Alte Geschichte),216 des begehrten Gelehrten (Rehm, Neuere Deutsche Literaturgeschichte), des Vortragsstars (Friedrich, Romanistische Literaturwissenschaft), des ausgleichenden Dritten (Heiss, Psychologie), des reisenden Entdeckers (Bartz, Kulturgeografie) und des verlässlichen Verwalters (Schuchhardt, Archäologie) .217 Personalisieren lassen sich auch Positionen wie die des Verantwortlichen für die Verbindungen zwischen Universität und Schule (Maurer, Germanistik),218 des Vertreters im Rundfunkrat und der Verbindungen zur Görres-Gesellschaft (Bauer, Konkordatslehrstuhl Geschichte, später Wirtschafts- und Sozialgeschichte), des VHSVorsitzenden und Gewerkschafters (Fink, Pädagogik), um nur einige zu nennen . Verschiedene gesellschaftliche Interessen verfügten über jeweilige Repräsentanten im Lehrkörper der Philosophischen Fakultät und deren an ihr Fach und ihre Professur gekoppeltes Interessensgebiet und Zeitbudget; einige Professoren vereinigten gleich mehrere Interessen und Funktionen in ihrer Person . Die Aufgabenfelder der einzelnen Professoren, ihre Erfolge und keineswegs unabhängig davon auch ihre Rangverhältnisse ergaben sich aus dem Zusammenspiel bestimmter Personen, deren Positionen, Fächer und Netzwerke . So brachte bspw . Bergstraesser einen von Jugend an ausgebauten organisatorischen Erfahrungsschatz und breit angelegte Netzwerke mit . Gleichzeitig verlieh ihm die Position des Nestors eines neuen, politisch gewollten Fachs, das in Universität, Wissenschaft und Öffentlichkeit verankert werden sollte, Einfluss und Gewicht . Tellenbachs Aufstieg zu einem repräsentativen Hochschulreformer fußte auf seinem Engagement und politischen Interesse, gleichzeitig verdankte er Ritter, der ihn
Vgl . Zmarzlik (1970[1968]), S . 26 . Oberndörfer (2006), S . 580 . Vgl . Martin (1995), S . 192 . Schuchhardt leitete ab 1948 das Auslandsamt, in dessen Rahmen zunächst Freiburger Ferienkurse für ausländische Studierende durchgeführt, später Auslandsstipendien vergeben und koordiniert wurden, vgl . [o . A .], „Prof . Dr . Schuchhardt wird Rektor“, in: FSZ 3 no . 1 (1953), S . 2, vgl . FSZ 6 no . 1 (1956), S . 8, vgl . Fakultätsprotokoll v . 06 .06 .1964, S . 203, vgl . Tellenbach (1959[1958]), S . 10 . 218 Friedrich Maurer war Mitglied des Schulausschusses, seit 1951 Herausgeber der Zeitschrift Der Deutschunterricht, saß dem Germanistenverband 1958–60 vor, war Gutachter der DFG für Germanistik, Mitglied der Hist . Kommission BW und erhielt den Gebr . Grimm Preis 1963, vgl . UA Freiburg Nr . B024/2335 . 214 215 216 217
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Die Professoren der Philosophischen Fakultät
gefördert hatte, sehr viel .219 Auch die zehn Rufe, die Rehm in Freiburg erhielt, waren zwar nicht zuletzt auf seine Kompetenzen als „glänzender Pädagoge und Redner“ zurückzuführen .220 Hinzu kommt aber, dass er als Literaturhistoriker zu jener Zeit ein Fach unterrichtete, in dem ausgelöst durch den Expansionsprozess zusehends Nachwuchsmangel herrschte . Es hing somit keineswegs allein von der „Persönlichkeit“ oder der wissenschaftlichen Leistung eines Professors ab, ob er viele Rufe erhielt, besonders beliebt oder erfolgreich war, sondern auch von seinen sozialen Hintergründen und Netzwerken, seinem Fach und Umfeld . So wuchs etwa die Beliebtheit des Vortragsstars Hugo Friedrich, der bis zur Berufung von Hans Staub 1967 über den einzigen Freiburger Lehrstuhl für Romanistische Literaturwissenschaft verfügte, auch mit den Studierendenzahlen des sehr großen Staatsexamensfachs . Mit dem Ansteigen der Studierendenzahlen erwiesen sich die monopolistischen Attitüden der Professoren zunehmend als problematisch, da sie den Ausbau der Professuren verhinderten . Statt Parallelprofessuren einzuführen, übertrug die Krisengeneration große Anteile der Forschung und Lehre sukzessive auf die Nachwuchskräfte, deren Qualifikationen entsprechend hochgeschraubt wurden . Mit dieser Form der hierarchischen Aufgabenteilung wuchsen allerdings andere Aufgabenfelder, darunter Koordination, Planung und Verwaltung, Nachwuchsförderung und Finanzakquise . Als Kopf eines Stabs von Mitarbeiter_innen, wie in der Medizinischen Fakultät längst institutionalisiert, veränderten sich in diesem Prozess auch die Aufgabenfelder der Professoren der Philosophischen Fakultät . 4.5.1
Wissenschaftsorganisation als professorale Hauptaufgabe
Obwohl die Wissenschaftsorganisation im Selbstverständnis der Professoren keinen relevanten Platz erhielt, avancierte sie in den 1950er und 1960er Jahren auch in den Geisteswissenschaften zu einem der wichtigsten professoralen Aufgabenfelder . Der professorale Typus des Universitätslehrers und des Forschers existierte zwar noch, aber die Schwerpunkte des professoralen Aufgabenprofils verlagerten sich sukzessive . Die geisteswissenschaftlichen Professoren waren neben ihren Tätigkeiten in Forschung und Lehre als Gutachter, Herausgeber von Zeitschriften und Reihen tätig und übernahmen verschiedene Beratungsfunktionen . Drei Viertel aller Professoren der Krisengeneration waren wissenschaftsorganisatorisch hochaktiv . Karin Orth hat bereits darauf hingewiesen, dass den professoralen Netzwerken in der Wissenschaftsorganisation der Philosophischen Fakultät eine ausschlaggebende Rolle zukam .221 So verstanden die Professoren unter „Öffentlichkeitsarbeit“ neben Publikations- und 219 220 221
Vgl . Tellenbach (1981), S . 66, vgl . ders . (1991), S . 51–62, hier S . 56 . Vgl . Wiedemann (1982), S . 742 . Vgl . Orth (2006), S . 712 .
Professorale Typen und Aufgabenfelder
Vortragstätigkeiten hauptsächlich die Etablierung von Netzwerken mit repräsentativen „Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“,222 also in erster Linie Beziehungen zu ressourcenreichen Partnern in Politik, Militär, Wirtschaft, Medien, Kirche sowie verschiedenen akademischen Verbänden und Gesellschaften . Neben ihren Aufgaben in der Selbstverwaltung, der Zeitschriftenherausgabe oder Institutsleitung waren sie (Vorstands-)Mitglieder verschiedener wissenschaftlicher, (hochschul-)politischer, kirchlicher und anderer Gremien und Gesellschaften, Vereine und Ausschüsse . Die lokalen, regionalen, nationalen und internationalen Verbindungen waren ausgeprägt, bewegten sich aber meist in exklusiven, einer breiten Öffentlichkeit nicht zugänglichen Kreisen . In institutionalisierten Formen, wie etwa durch eine gut ausgestattete Pressestelle, war die Philosophische Fakultät hingegen nicht in der Öffentlichkeit präsent:223 Gemäß dem elitären Selbstverständnis der Professoren wurde Öffentlichkeitsarbeit nicht institutionalisiert betrieben, sondern innerhalb informeller Netzwerke . Status, Prestige und Privilegien wurden so größtenteils als Resultat individuellen Engagements und persönlicher Netzwerke aufgefasst und vor Konkurrenz geschützt . Aufgrund dieser Konkurrenzvermeidungsstrategien konnte das Konzept kooperativer Arbeitsteilung auf professoraler Ebene nicht Fuß fassen . Dies trug zu den oft beklagten Überlastungen bei . Indes führten diejenigen Wissenschaftsorganisatoren, die sich für moderne Entwicklungen öffneten, Modelle der Teamarbeit erfolgreich auf der Ebene ihrer Mitarbeiter_innen ein . Die innovative Komponente dieser Arbeitsform, die viel Verantwortung, mitunter auch unverhältnismäßig viele Aufgaben in Forschung und Lehre auf die Mitarbeiter_innen delegierte, ist von der Universitätsgeschichte in Bezug auf die Geisteswissenschaften bisher vernachlässigt worden . Wenngleich Teamarbeit, wie Orth und andere treffend herausstellten, „nicht das Metier der Geisteswissenschaften“ war, so wurde im Falle gut vernetzter, innovations- und effizienzorientierter Wissenschaftsorganisatoren durchaus auf der Ebene ihrer Mitarbeitenden darauf gesetzt .224 Diese Entwicklung zeichnet sich an Bergstraessers „Freiburger Schule“ ab, der damit internationale und interdisziplinäre Anregungen aufnahm .225 Vor allem Tellenbach förderte mit seinem „Arbeitskreis“ moderne Teamarbeitsformen, die Nagel als „Großforschung“ der „Tellenbachschule“ bezeichnete, aber auch die darin geleistete „Gruppenarbeit“ hervorhob .226 Tellenbach synthetisierte so auch in seiner Rektoratsrede 1957 die Ergebnisse seines mit prosopografischen Methoden arbeitenden Arbeitskrei-
Hess (1987), S . 30 . Vgl . ausführlich Brandt (2014) . Orth (2006), S . 711 . Vgl . Schmitt (1995), zur Teamarbeit, S . 137–138, vgl . Kist (2009) . Vgl . Nagel (2005), S . 150, 153, Nagel (2006), S . 406 . Tellenbach sprach selbst nie von seiner „Schule“, sondern immer von dem „Arbeitskreis“, da „Schule“ für ihn mit Verschulung, konnotiert war, vgl . Schmid (1974), S . 341, Tellenbach (1957), S . 83 . 222 223 224 225 226
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Die Professoren der Philosophischen Fakultät
ses und hielt fest, dass Prosopografie „nur durch Zusammenarbeit mehrerer geleistet werden“ könne .227 In der Verteilung der Positionen und Aufgaben an der Philosophischen Fakultät zeichnen sich im Untersuchungszeitraum folgende Tendenzen ab: Der Typus des Universitätslehrers, den Nesselhauf lange Zeit par excellence repräsentierte, wurde zunehmend marginalisiert bzw . in untere Hierarchieebenen abgedrängt . Auch Nesselhauf war zum Ende seiner Karriere stark als Wissenschaftsorganisator beansprucht und vertrat die Geisteswissenschaften im Wissenschaftsrat .228 Die Deutungsmacht eines Professors speiste sich mit zunehmendem Alter weniger aus der Beliebtheit bei den Studierenden oder innovativen Forschungsergebnissen als vielmehr aus öffentlichem Einfluss, erfolgreichen Kooperationen und Kompetenzen zur Finanzakquise . Diese internen, an Fach, Position und Alter gekoppelten Hierarchisierungen wurden im professoralen Selbstverständnis ebensowenig thematisiert wie die Wissenschaftsorganisation als professorales Aufgabenfeld neben der Forschung und Lehre . Intensive Forschungsarbeit von Professoren war aber im Zuge des Frequenzanstiegs bei gleichzeitiger Ablehnung von Parallelprofessuren nur noch möglich, wenn die Betreuung der Studierenden, die Leitung von Instituten und andere wissenschaftsorganisatorische Tätigkeiten dafür Zeit ließen . So findet sich der Typus des Forschers, der als Individuum mit innovativen Ergebnissen an die Öffentlichkeit trat, nur am Rande .229 Vielmehr orientierten sich die modernen, innovativeren unter den Professoren zunehmend an Modellen der Großforschung und ließen ihre Mitarbeitenden als Team arbeiten . Zumindest auf unteren Ebenen wurden so sachlich und methodisch zwingenden Notwendigkeiten der kooperativen Arbeitsteilung Raum gegeben, wodurch auch die Chancen in der Finanzakquise stiegen .230 Hingegen war Teamarbeit auf professoralem Niveau als bedrohliche Konkurrenz und Privilegienverlust verpönt .231 Mit diesen Verschiebungen ging praktisch eine Neubewertung der professoralen Aufgabenbereiche einher . In den Berufungsakten zeichnet sich die Konzentration auf 227 Tellenbach (1958), S . 12 . Weder die Arbeitsform der zielgerichteten kooperativen Arbeitsteilung noch die Methode der Personenforschung, mit der sein Arbeitskreis arbeitete, war Tellenbachs „Erfindung“ . Er ging damit aber äußerst transparent um, stellte in seiner Rektoratsrede 1957 zur Personenforschung explizit die Arbeiten seiner Mitarbeiter vor und ließ auch seinen Vorgänger Klewitz und seinen Kollegen Mayer nicht außer Acht, die vor und neben ihm in diesem Bereich wegweisend waren, vgl . ebd ., S . 6 . 228 Nesselhauf war 1964–69 Mitglied des Wissenschaftsrats und arbeitete an der Neuordnung des Studiums an den deutschen Hochschulen mit . Er war Mitglied des Gründungsausschusses der Universität Konstanz und 1968–74 Vizepräsident der DFG, vgl . Schuller (1999), vgl . den Eintrag im Kieler Gelehrtenverzeichnis URL: http://www .gelehrtenverzeichnis .de/person/786e5a2e-1ae8-6890-3f1c-4d4c6080871f (09 .09 .2019) . 229 Fritz Bartz, ein durch seine Forschungsreisen international bekannter Freiburger Humangeograf stellt hierbei eine Ausnahme dar, vgl . Sick (1987), ders . (1970), S . 9–10, vgl . ausführlich Stadelbauer (2014) . 230 Vgl . Wagner (2010b) . 231 So stellten Nesselhauf und neben ihm Strasburger, der auf den Parallellehrstuhl für Alte Geschichte berufen wurde, in ihrer Befürwortung von Parallelprofessuren Ausnahmefälle dar, vgl . Wirbelauer (2006), S . 124 .
Professorale Typen und Aufgabenfelder
Forschung und Lehre noch deutlich ab . In den 1950er Jahren wurden diese beiden Aufgabenfelder aber zunehmend an untere Ebenen delegiert . Diese Entwicklung wiederum erforderte neue und intensivierte Formen der Wissenschaftsorganisation, die das professorale Aufgabenprofil weiter verschoben . Damit zeichnete sich in der Aufgabentrias Forschung, Lehre, Wissenschaftsorganisation sukzessive ein Hierarchieverhältnis ab, in dem Wissenschaftsorganisation oben, die Lehre unten rangierte . Finanzakquise, Nachwuchsförderung, Verbindungen zur scientific community und zu anderen Öffentlichkeiten, internationale Sichtbarkeit und die Platzierung der eigenen Disziplin rückten zu wichtigen Aufgabenfeldern auf . Bisweilen nahmen diese Tätigkeiten so viel Zeit in Anspruch, dass andere vernachlässigt wurden . „Betrachtet man diese Professoren näher, dann findet man, hat man sich erst einmal durch die Liste ihrer Titel, Obliegenheiten und öffentlichen Verpflichtungen hindurchgelesen, daß sie auch einen Lehrstuhl an einer Universität innehaben“, kritisierte 1957 die Frankfurter Studentenzeitung Diskus in einem Artikel mit der Überschrift „Werkprofessoren“ .232 Damit verglich sie die breitgefächerte wissenschaftsorganisatorische Arbeit der Professoren, die ihnen die Zeit für Lehre und Forschung raube, mit der studienbegleitenden Lohnarbeit der „Werkstudenten“ und fragte: „Sind die Professoren Manager geworden, jene mit Aufgaben und Verantwortung überhäuften, gehetzten Menschen, die bald einem Infarkt zum Opfer fallen?“233 So stieg auch an der Philosophischen Fakultät der Professorentypus des Wissenschaftsmanagers zum hegemonialen Typus auf, dessen Hauptaufgabe nicht in der praktizierten Forschung und Lehre bestand, sondern in deren Organisation und Koordination, Finanzakquise, Nachwuchsförderung, Lobby- und Netzwerkarbeit . Den hegemonialen Professorentypus der Krisengeneration kennzeichnete eine Kombination aus idealistischer Krisenrhetorik, breit angelegten organisatorischen Aktivitäten und hohen repräsentativen Funktionen . Öffentlichkeitswirksame Repräsentanten der Philosophischen Fakultät wurden in der Zweiten Nachkriegszeit vor allem diejenigen, die sich glaubwürdig vom NS abgrenzen konnten . Diejenigen, die Führungspositionen in wissenschaftsorganisatorischen und hochschulpolitischen Ämtern innegehabt hatten, traten 1945 zunächst aus dem Licht der Öffentlichkeit heraus . Allerdings stellte sich die Fakultät bis auf wenige Ausnahmen schützend vor sie; ihre Kompetenzen waren weiterhin gefragt wie sich
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Ellrodt (1957), S . 1, S . 10 . Ebd ., S . 10 .
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etwa im Fall v0n Metz,234 Maurer235 oder Schuchhardt zeigt .236 Ritter hingegen stieg als Mitglied des oppositionellen Freiburger Kreises zum breitrezipierten public intellectual auf .237 Tellenbach, der am Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften mitgewirkt hatte, aber nicht in die NSDAP eingetreten war, stellte den neuen Professorentypus des Wissenschaftsmanagers dar und avancierte zu einem wichtigen Hochschulpolitiker .238 Bergstraesser, 1936 aus politischen Gründen entlassen und 1937 in die USA emigriert, wurde 1954 auf die neue Professur für Politikwissenschaft berufen . An seinem Beispiel lassen sich Verflechtungen zu vielen gesellschaftlichen Teilbereichen auf lokaler bis zur internationalen Ebene nachzeichnen, die den Aufstieg des neuen Fachs stützten . Mit besonderem Fokus auf die drei Professoren Ritter, Bergstraesser und Tellenbach wird im Folgenden die Entwicklung von Krisenrhetorik und Wissenschaftsorganisation 1945–67 untersucht . Dieses Trio eignet sich dafür besonders, da Gerhard Ritter (1888–1967; Frontgeneration), Arnold Bergstraesser (1896–1964; Junge Frontgeneration) und Gerd Tellenbach (1903–99; Kriegsjugendgeneration) als prominente Wissenschaftsorganisatoren und Repräsentanten der Krisengeneration unterschiedlichen Politischen Generationen zugeordnet werden können . Zu den Altersunterschieden kommen habituelle Unterschiede und verschiedene Herkunftskontexte . Gemeinsame Schnittmengen ergeben sich hinsichtlich ihrer ausgeprägten Krisenrhetorik, die eng an ein Sendungsbewusstsein sowie eine elitäre Einstellung zu Universität und Öffentlichkeit gekoppelt war . Diese Charakteristika kennzeichnen auch Bergstraesser, der mehr als 25 Jahre später als Ritter, mehr als 12 Jahre später als Tellenbach an die Philosophische Fakultät berufen wurde . Als Akteure, die sich als politisch und wissenschaftlich integer ausweisen konnten, stiegen sie in der Zweiten Nachkriegszeit zu den wichtigsten Repräsentanten der Philosophischen Fakultät auf . Während Bergstraesser und Tellenbach insbesondere im Rahmen des Freiburger Universitätsjubiläums zusammenarbeiteten, entbrannten zwischen Bergstraesser und Ritter aus disziplinärer Konkurrenz resultierende Konflikte .239 Dabei war Ritter bereits emeritiert, als Bergstraesser 1956 an die Philosophische Fakultät wechselte . Weiterhin müssen die Schwerpunkte
Vgl . Seemann (2002), S . 48, 161 . Maurer war im NS Prorektor, stellv . Dozentenschaftsführer u . Vertrauensmann des NS–Dozentenbundes . Beim Wiederaufbau erfüllte er wichtige Funktionen, vgl . Herrmann (1991), S . 131–133, Klee (2016), S . 396, Schupp (1990) . Zu seinen vielfältigen Positionen und Mitgliedschaften in den 1950er/60er Jahren vgl . UA Freiburg Nr . B024/2335, vgl . Kap . 4 .5 ., Anm . 218 . 236 Schuchhardt war während des NS Dekan der Philos . Fakultät, ohne in die NSDAP einzutreten . Nach 1945 war er Leiter des Akad . Auslandsamtes 1948–52, Mitglied der Baukommission d . Universität Freiburg, o . Mitglied d . DAI (1938, Mitgl . d . Zentraldirektion 1939–69), Officier d’Académie (1955), o . Mitgl . d . Heidelberger Akademie der Wissenschaften (1968), Chevalier des Palmes Académiques . 237 Ritter war aufgrund seiner Verbindungen zu Goerdeler im November 1944 von der Gestapo verhaftet worden . Gleichzeitig hielt er an den antisemitischen Äußerungen in Anhang 5 der Denkschrift des Freiburger Kreises, in: Schwabe/Reichardt (1984), S . 769–774, weiter fest, vgl . auch Cornelißen (2001), S . 354 . 238 Vgl . Paletschek (2006), S . 87, 94 . 239 Vgl . Ritter (1959) . 234 235
Professorale Typen und Aufgabenfelder
und Formen ihres wissenschaftsorganisatorischen Einsatzes unterschieden werden . Ritter und Bergstraesser konzentrierten sich vorwiegend auf den Ausbau ihrer Fachdisziplinen, wobei Ritter vor allem als populärer Historiker und Erzieher der Nation Einfluss gewann, während Bergstraessers Wirksamkeit sich durch seine internationalen Netzwerke, die Herstellung von Kooperationsverhältnissen, seine Finanzakquise sowie seine Tätigkeit als Institutionengründer entfaltete . Tellenbach schließlich stieg auf der hochschulpolitischen Karriereleiter nach oben . 4.5.2
Gerhard Ritter – Ein „National- und Moraltrompeter“240
Für Ritter steckte nun einmal der liebe Gott nicht im Detail. (Zmarzlik 1967).241 Nach 1945 machte er deutlich, daß er sich nicht davon abhalten lassen werde, ‚meinem Volk publizistisch zu dienen‘, und er bemerkte beiläufig, er werde ‚die reine Gelehrsamkeit nun bewußt eine Zeitlang zurückstellen müssen, um so etwas wie historisch-politisch Nothilfe zu leisten.‘ Er konnte diese Rolle also bruchlos nach 1945 fortführen, seine Autorität basierte geradezu auf dieser Treue zu den eigenen Anschauungen (Berg 2003) .242 Abb. 19 Gerhard Ritter242
Gerhard Ritter (1888–1967) lehrte 1925 bis 1956 als Professor für Neuere Geschichte an der Philosophischen Fakultät Freiburg . Er war ein prominenter protestantischer Historiker der Zweiten Nachkriegszeit und kann als Prototyp der kaiserreichstreuen Teile der Krisengeneration gelten . Als nationalkonservativer Lutheraner, Gesinnungshistoriker und populärer politischer Biograf übte er großen Einfluss als public intellectual und Wissenschaftsorganisator der Geschichtswissenschaft aus . Ritter wurde als zweiter Sohn von insgesamt fünf Kindern eines evangelischen Pfarrers in Bad Sooden geboren und wuchs in einem ruralen, protestantisch-bildungsbürgerlichen Milieu auf . In Gütersloh (Westfalen) besuchte er das Evangelisch-Stiftische Gymnasium, das er 1906 mit dem Abitur abschloss . Während seines Studiums der Geschichte, Germanistik, Philosophie, Kunstwissenschaft und der protestantischen
240 241 242 243
Vgl . Zmarzlik (1970[1968]), S . 26 . Ders . (1970[1967]), S . 147 . Berg (2003), S . 141, vgl . dieselbe Aussage affirmativ gewendet bei Schieder (1958), S . 1 . Fotoausschnitt Gerhard Ritter (ca . 1960), aus: UA Freiburg Nr . B039 .
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Theologie in München, Leipzig, Berlin und Heidelberg trat er dem Wingolfbund, einer christlichen, farbentragenden, nichtschlagenden Verbindung bei . Im November 1911 schloss er das Studium mit der Promotion und ein halbes Jahr später mit dem Staatsexamen ab . Es folgte ein zweijähriges Referendariat in Kassel und eine kurze Zeit als Lehrer einer Oberrealschule in Magdeburg, bevor er sich 1915 zum Kriegsdienst meldete . An der Ost- wie auch an der Westfront eingesetzt, wurde er mehrfach schwer verletzt . 1918 kehrte er an die Universität zurück und schrieb als Mitarbeiter der Heidelberger Akademie der Wissenschaften „Vorstudien“ einer Heidelberger Universitätsgeschichte, mit denen er sich 1921 bei Herrmann Oncken habilitierte .244 Nach drei Jahren als Privatdozent erhielt er einen Ruf an die Universität Hamburg .245 Bereits ein Jahr später wurde er auf die Professur für Neuere Geschichte in Freiburg berufen (Nachfolge Felix Rachfahl) . 1925–45 war er ordentliches Mitglied der Badischen Historischen Kommission, 1926 außerordentliches, 1943 ordentliches Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften . Seine Mitgliedschaft in der Historischen Reichskommission währte nur zwei Jahre (1933–35) . Mit seiner Kooptation zum korrespondierenden Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften galt er dennoch bereits 1936 als „‚wissenschaftspolitische Größe‘“,246 wenngleich der „Schwerpunkt der ‚institutionellen Vernetzung‘ des Freiburger Wissenschaftsorganisators“ in die Zweite Nachkriegszeit fiel .247 Für zwei Jahre trat Ritter der DVP bei (1929–31) . Während des NS gehörte er zu den „professoralen Vergangenheitssuchern“,248 die in ihrer Selbstbehauptungsrhetorik „Systemkritik und Systemlegitimation“ so kombinierten,249 dass sie den Anschluss Österreichs begrüßten, Ressentiments gegen Russland und Frankreich hegten, über die Judenverfolgung hinwegsahen,250 aber die „geistes-“ und kirchenfeindliche Haltung des NS-Regimes kritisierten . Ritter war seit 1933 Mitglied des Bruderrates der Bekennenden Kirche und seit 1938 Mitglied des oppositionellen Freiburger Kreises . Auf dem internationalen Historikertag in Zürich 1938 verteidigte er engagiert sein Lutherbild gegen nationalsozialistische Vereinnahmung . Seit 1940 unterhielt er Verbindungen zu Carl Goerdeler .251 Gleichzeitig trug er zur Stärkung der Kampfmoral und „nationaler Gesinnung“ bei,252 begrüßte die „Heimholung“ des
Vgl . Ritter (1921, 1922, 1927b, 1936a) . In Hamburg trat er die Nachfolge von Max Lenz an, bei dem sein Doktor- und Habilitationsvater Herrmann Oncken gelernt hatte . Zu dieser Form der Berufungsstrukturen vgl . Weber (1984) . 246 Cornelißen (2001), S . 253 . 247 Ebd ., S . 437 . 248 Zu dieser Typologie vgl . Langewiesche (1992), S . 375–381 . 249 Herbert (2010), S . 485 . 250 Vgl . Kap . 4 .5 .1, Anm . 236, vgl . Ritter (2006[1962]), S . 802 . Ritter leugnet in diesem von Heiber geführten Interview die Bücherverbrennungen in Freiburg, vgl . ausführlich Berg (2003), S . 105–142 . 251 Dorpalen (1971), S . 92 zufolge war Ritter von Goerdeler als Kultusminister vorgesehen worden . 252 Faulenbach (1997), S . 43–44 . 244 245
Professorale Typen und Aufgabenfelder
Elsass’, und indoktrinierte noch 1943/44 in Frankreich stationierte Truppen mit antifranzösischen Ressentiments .253 Wegen seiner Verbindungen zu Goerdeler verhaftete ihn die Gestapo im November 1944 und hielt ihn bis April 1945 im KZ Ravensbrück sowie im Gefängnis Lehrter Str . in Berlin fest .254 Durch seinen Nimbus als Mitglied des konservativen Widerstands erlangte er als „große Ausnahmefigur unter den Professoren“ große öffentliche, nationale und internationale Aufmerksamkeit .255 In der unmittelbaren Nachkriegszeit leitete er an der Freiburger Universität den „Reinigungsausschuss“ zur Entnazifizierung . Er engagierte sich im Wiederaufbau der Geschichtswissenschaft, der Universität Freiburg sowie der evangelischen Kirche und stieg zu einem hochrangigen Wissenschaftsorganisator auf regionalen, nationalen und internationalen Ebenen auf . Ritters Bekanntheitsgrad resultierte vor allem aus seinen oftmals polarisierenden Vorträgen, die in Sonderdruckformaten erschienen und weit verbreitet waren . Die von ihm verfassten Biografien waren darauf ausgerichtet, Orientierungsbedürfnisse und Sendungsbewusstsein zu wecken und fanden ein großes Publikum .256 Mit seinem Einfluss in den Schulbuchverhandlungen und vielen Artikeln in der Zeitschrift des Geschichtslehrerverbandes GWU prägte er den Geschichtsunterricht in Baden-Württemberg nachhaltig .257 Schließlich war Ritter international und unter den deutschen Historikern sehr gut vernetzt .258 Da die Alternative zum NS für Ritter in einem autoritär-liberalen Ständestaat bestand, bekam er bereits zu Lebzeiten Gegenwind .259 Obgleich sein Engagement so auch von vielen Problemen, Auseinandersetzungen und Misserfolgen gesäumt war,260 stellte
Vgl . Cornelißen (2001), S . 299–306, vgl . Schöttler (1997c), S . 230–231, Berthold (1960), ders . (1997) . Vgl . UA Freiburg Nr . B034/0904 . Herbert (2010), S . 486 . Mit seinen Hagiografien Luther, Friedrich der Große, Freiherr von Stein, Gneisenau und seinem von Verehrung getragenen Duktus repräsentierte Ritter idealtypisch ein protestantisches, liberal-konservatives und äußerst populäres Biografiegenre . Vgl . Ritters Biografie von Luther, die in 6 Aufl . mit veränderten Titeln erschien: Ritter (1925): „Luther . Gestalt und Symbol“, (1933): „Luther der Deutsche“, (1943) und danach „Luther . Gestalt und Tat“, vgl . zudem Ritter (1927a, 1931, 1932, 1936b), vgl . weiterführend und zu den Auseinandersetzungen mit Lucien Febvre und Franz Schnabel Cornelißen (2001), S . 196–226, S . 269–278 . 257 Vgl . Arand (2008) . 258 1954–67 war er Mitglied der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg . Er war Mitbegründer des Instituts zur Erforschung der nationalsozialistischen Zeit 1947 (heute: Institut für Zeitgeschichte München) und Mitglied der Historischen Kommission bei der Bayrischen Akademie der Wissenschaften . 1948/49 bis 1953 stand er dem von ihm frühzeitig reetablierten deutschen Historikerverband vor . Seit 1955 saß er im Beirat des Comité international des sciences historiques, 1962–65 war er dessen Vizepräsident . Er war u . a . korrespondierendes Mitglied der Academia Nazionale dei Lincei Rom (1961) und der Royal Historical Society London (1957) sowie Ehrenmitglied der American Historical Association (1960) . 1957 wurde er mit dem Orden Pour le Mérite ausgezeichnet und erhielt das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik, 1963 mit Stern, vgl . UA Freiburg Nr . B024/3048, Nr . B003/664, Nr . B024/3047 . 259 Vgl . Schumann (1982) . 260 Cornelißen (2001), S . 437 . 253 254 255 256
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sich sein Karriereweg in Freiburg als „glänzende Laufbahn mit wachsendem Ruhm“ dar, wie Tellenbach in seiner Ansprache zu Ritters 70 . Geburtstag 1958 hervorhob .261 Ritter ist von vielen Historikern und insbesondere von Christoph Cornelißen umfassend erforscht worden .262 Bereits sein Schüler Zmarzlik benannte die Ambivalenz, „Größe und Grenzen“263 Ritters und der von ihm verkörperten Position eines restaurativen Historikers der Zweiten Nachkriegszeit .264 Die blinden Flecken in Ritters hagiografischer Geschichtsschreibung der „großen Männer“ zeigte Zmarzlik ebenso auf wie Ritters Aversion gegen die Annales, die Alltags- und Geschlechtergeschichte und das „Literatentum“, emanzipatorische Zielsetzungen und den Marxismus, die „für Ritters Generation zur bejahten deutschen Vergangenheit nicht recht zählten .“265 In seinem Forschungsüberblick über Ritters Werke stellte Andreas Dorpalen Ritter als „Endgestalt einer Epoche“ heraus .266 Winfried Schulze untersuchte ihn im Verhältnis zu seinen Kollegen,267 Ulrich Herbert als „Professor im Dritten Reich“ und typischen „Vertreter der Frontgeneration“ .268 Ritters Rolle als „Wissenschaftsorganisator, als ‚politischer Erzieher‘ und Kommentator sowie als politisch und konfessionell engagierter Bürger“269 ist schließlich von Cornelißen aufgearbeitet worden . Eng damit verknüpft erfolgt hier die Untersuchung Ritters als Repräsentant der Krisengeneration, der prominent daran beteiligt war, in der unmittelbaren Nachkriegszeit ein elitär-idealistisches Paradigma gegen Sozialwissenschaften und Demokratisierung hegemonial zu setzen . Bereits in seiner Dissertation 1911 nahm Ritter den Topos der „Krisis“ auf .270 Im Zuge des regelrecht familiären Verhältnisses zu seinem Doktor- und Habilitations-
261 Ansprache des Rektors Tellenbach bei der Überbringung der Glückwünsche der Universität am 07 .04 .1958 zum 70 . Geburtstag v . Prof . Dr . Gerhard Ritter durch die Große Deputation, in: UA Freiburg Nr . C0157/1 . 262 Vgl . Cornelißen (2003), vgl . Schwabe/Reichhardt (1984), vgl . Schwabe (1994), S . 299–303, vgl . Matthiesen (1998) . In Matthiesen (1993) findet sich eine Zusammenfassung des Forschungsstands und der Kontroversen von Ritter auf S . 1–9, vgl . auch Schumann (1982) . 263 Zmarzlik (1970[1967]), S . 159, 147: „Die Hochschätzung des Kleinen in der Geschichte war überhaupt Ritters Sache nicht, und das Wort eines Theodor Fontane: daß es gerade der Strohhalm sei, an dem man am besten die Richtung des Windes erkenne, blieb ihm ein Aperçu, zugehörig einer schöngeistigen Art von Geschichtsschreibung, die er mir einmal humorvoll-wegwerfend als ‚Damen-Kolleg‘ bezeichnet hat . Für Ritter steckte nun einmal der liebe Gott nicht im Detail .“ 264 Zmarzlik (1970[1967]), S . 149, 163, vgl . Ritter (1962), S . 281–294 . 265 Ebd ., S . 145, 147, 160 . Berg (2003), S . 105–142 untersuchte die apologetische Dimension der Bemühungen Ritters, „Verbindungen nach rückwärts“ zu stärken, die Ausklammerung des NS und insbesondere des Holocausts . 266 Dorpalen (1971), S . 86, 98 . 267 Vgl . zu Ritter im Verhältnis zu seinen Kollegen Schulze (1989a) . 268 Herbert (2010), S . 484 . Der Titel geht auf einen Artikel von Ritter zurück, vgl . Ritter (1945) . Heiber verwendete ihn bereits 1992, vgl . Heiber (1991) . 269 Cornelißen (2001), S . 3 . 270 Vgl . Ritter (1912) – „Die preußischen Konservativen in der Krisis von 1866“ .
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vater Hermann Oncken (1869–1945), der Kontakte zu Ernst Troeltsch, Max Weber und Heinrich Rickert pflegte, setzte sich Ritter intensiv mit den zeitgenössischen Krisendiskursen auseinander . Seine „Vorstudien“ zu einer „umfassenden Geschichte“ der Universität Heidelberg entstanden aus dem „Bedürfnis nach allgemeiner geistesgeschichtlicher Orientierung“ .271 Die Geisteswissenschaften wurden von Ritter mit dem Anspruch auf philosophische Ganzheitlichkeit verknüpft, das Studium als „reiner Gottesdienst des Intellekts“ betrachtet .272 Ritter, der als „politischer Historiker“ bekannt wurde,273 repräsentiert eine Form der Geschichtsschreibung, die auf ein „metaphysisch fundiertes Gedankensystem“ rekurrierte, das Hardtwig als „Geschichtsreligion“ und Zmarzlik als „Geschichtstheologie“ bezeichnet haben .274 Mit seinen Weltkriegserfahrungen ging Ritter ähnlich um wie Heidegger, der 1934 rückblickend das „Versagen der Universität“ nach 1918 monierte, „dem neuen Geschehen nicht gewachsen“ gewesen zu sein .275 So beschrieb auch Ritter 1946 seine „studentische Generation der Kriegsteilnehmer, die damals von den Schlachtfeldern heimkehrte“, als eine, die sich im Zusammenbruch ihrer patriotischen Hoffnungen […] vielfach enttäuscht von dem überkommenen Wissenschaftsbetrieb [fühlte], der ihr nicht zu bieten schien, was sie vor allem erhoffte: Rat und führende Weisung in den großen Lebensrätseln, die sie bedrängten, Ersatz für den verlorenen Glauben an ihren Staat, an die Zukunft der Nation, an den Fortschritt der Menschheit, an den Sinn der Geschichte .276
In der Zweiten Nachkriegszeit sah auch Ritter nach dem Vorbild der Weimarer kaiserreichstreuen Professoren seine Aufgabe darin, imaginativ Ersatz zu bieten, Glauben zu wecken, Sinn zu stiften, das „nationale Selbstbewusstsein“ wiederaufzurichten und einen „künftigen Aufstieg“ vorzubereiten .277 Dabei empfand er sich als Antagonist Max Webers, der mit seiner Rede „Wissenschaft als Beruf “ in der Ersten Nachkriegszeit kritisch Wissenschaft von Mystik und Religion abgegrenzt hatte . „Wenn diese jungen Männer uns fragen, wie einst die Kriegsgeneration von 1919: Was sollen wir tun und was sollen wir denken über den Sinn unseres Erlebens, über den Sinn der Welt überhaupt?“, fragte Ritter 1946,
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Ders . (1921), S . 3, vgl . insbes . S . 184, vgl . weiterführend Cornelißen (2001), S . 121 . Ritter (1936a), S . 155, vgl . ders . (1946a), S . 4 . Vgl . Schwabe/Reichardt (1984) . Hardtwig (1991), S . 10, vgl . ders . (2001), S . 66–68, vgl . Zmarzlik (1970[1967]), S . 162 . Vgl . Heidegger (2000[1934]), S . 300–301 . Ritter (1946a), S . 193–194 . Paletschek (2010b), S . 44–45, zur Nutzung des Topos „Weltgeltung“ nach 1945 vgl . S . 50–51 .
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– werden wir dann wieder mit Achselzucken antworten, wie Max Weber seinen Hörern: Darauf gibt es keine wissenschaftliche Antwort – folgt eurem eigenen Dämon – Wissenschaft hat es nicht mit sittlichen Postulaten und nicht mit politischen Zielsetzungen, sondern nur mit ‚wertfreier‘ Tatsachen-Erforschung zu tun – Wissenschaft ist völlig neutral, völlig objektiv im Kampf der vielen Götter, denn der platonische Glaube an die Erkennbarkeit und letzte Einheit der sittlichen Vernunft ist längst zerbrochen? Wenn wir so antworten, dann schalten wir die Geisteswissenschaften so gut wie völlig aus dem öffentlichen Leben, aus dem großen Wiederaufbauwerk, vor das unsere Generation gestellt ist, aus .278
Unter dem Vorzeichen der „Krise“ meldete Ritter weit über seine Emeritierung hinaus immer wieder Deutungshoheit in politischen wie auch in wissenschaftsorganisatorischen Angelegenheiten an .279 Wenngleich er 1965 einsah, dass seine akademische Lehre „patriotischer Selbstverteidigung“ der neuen Generation nicht mehr entsprach, verteidigte er sie in der Fischer-Kontroverse und kritisierte Gegenthesen zu seiner apologetischen Geschichtsschreibung als „übermäßige Selbstkritik“ .280 Die Kontinuitäts- und Einheitspostulate, die Ritter zeitlebens konstruierte, brachen aber ab 1960 nachhaltig auf .281 Die Analyse seiner Krisenrhetorik und seiner Wissenschaftsorganisation liefern elementare Hinweise auf die Entwicklungen der Freiburger Geisteswissenschaften in der Zweiten Nachkriegszeit . Sie führten, wie zu zeigen sein wird, u . a . zu kulturkonservativen Modernisierungsdefiziten, so auch zu einer geistesaristokratischen Universitätskonzeption, für die Ritter wiederum nicht alleine, sondern als Teil der Krisengeneration stand .
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Ritter (1946a), S . 19 . Ders . (1960a) – „Die Krisis des deutschen Universitätswesens“ . Ders . (1964) . Vgl . Daniel (2006), S . 453–454 .
Professorale Typen und Aufgabenfelder
4.5.3
Arnold Bergstraesser – „ein bunter Paradiesvogel mit Weltläufigkeit“282
Der „Alteuropäer“ war kein Kosmopolit. Den altfränkischen Begriff Vaterland gebrauchte er nach seiner für Jahrzehnte irreparablen Zerstörung, an der er sich nicht hatte mitschuldig machen wollen, zwar nie; aber schon 1950 (Frankfurt, 1952 Erlangen) war er da, weil er wußte was – in dem ihm vertrauten Bereich – werde geschehen müssen, um den zerstörten Acker wieder anbaufähig und Deutschland weltfähig zu machen (Messerschmid 1964).283
Abb. 20 Arnold Bergstraesser, NATO Kongress Freiburg 1960284
Die Krise – von Bergstraessers Definition der Bundesrepublik als eines „Staat[es] in gefährdeter Situation“ […] – benennt das Lebenselexier aller „politischen Forschungsprogramme“ und damit auch das der „Freiburger Schule“ (Schmitt 1999, S. 233).284
Acht Jahre jünger als Ritter, gehörte Arnold Bergstraesser (1896–1964) zur jungen Frontgeneration .286 Der Nestor der Disziplin Wissenschaftliche Politik und Soziologie wurde im April 1954 auf eine Professur an der Staats- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg berufen und wechselte 1956 an die Philosophische Fakultät, an der er bis zu seinem Tod 1964 lehrte . In diesem Zeitraum sticht er durch seine weitreichenden Netzwerke und seine Aktivität zur Etablierung von internationalen Beziehungen sowie Kooperationsverhältnissen zwischen Universität und Gesellschaft hervor . Arnold Bergstraesser wurde am 14 . Juli 1896 als Sohn eines Verlagsbuchhändlers und Landtagsabgeordneten in Darmstadt geboren . Dort, sowie in Colmar und ein Jahr lang in Österreich, vorwiegend aber in Stuttgart besuchte er die Schule und engagierte sich im Stuttgarter Wandervogel .287 1914 legte er das Abitur am Württembergischen Eberhard-Ludwigs-Gymnasium ab . Als Abiturient zog er freiwillig in den Krieg, wo er noch 1914 in Ypern ein Auge verlor, danach aber weiterhin an Stellungskämpfen in den Vogesen beteiligt war .288 Oberndörfer (2006), S . 580 . Messerschmidt (1964), S . 78 . Schmitt (1999), S . 233 . Ausschnitt aus Sammlung Willy Pragher I: Filmnegative Baden-Württemberg, Teil 1 / ca . 1930–1992 > Landesregierung und offizielle Ereignisse 1950er bis 1980er Jahre [Filmnegative, Ordner 737] > Freiburg: Kaufhaussaal; Nato-Konferenz 1960 >, Ministerpräsident Kiesinger, Bergsträsser, Höfler / 21 . April 1960, Rechteinhabe: Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Freiburg W 134 Nr . 060156, Bild, URL: http://www .landesarchiv-bw .de/plink/?f=5-362961-1 (09 .09 .2019) . 286 Eine biografisch-politische Skizze findet sich in Schmitt (1997), S . 167–169 . Bergstraesser veröffentlichte auch seine Reflexionen über seine Generation, vgl . Bergstraesser (1954) . 287 Vgl . Schmid (1979), S . 36 . 288 Vgl . UA Freiburg Nr . B024/0231 . Zu seiner soldatischen Sozialisation im Rückblick vgl . Bergstraesser (1954), S . 12 . 282 283 284 285
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Bereits bei seinem Lazarettaufenthalt in Tübingen und konsequent ab 1918/19 studierte er an den Universitäten Tübingen, Berlin, München und Heidelberg Staatswissenschaften u . a . bei Max und Alfred Weber, Eberhard Gothein sowie Geschichte bei Erich Marcks und Paul Joachimsen .289 Dabei engagierte er sich in der Jugendbewegung und der Deutschen Studentenschaft .290 Nach Heidelberg kam er auf Empfehlung von Marianne Weber, zuerst als Hilfskraft bei Edgar Salin, nach seiner Promotion 1923291 als Assistent bei Alfred Weber .292 Bei ihm habilitierte sich Bergstraesser 1928 .293 Danach arbeitete er bis 1932 als Assistent in der von der Rockefeller Foundation geförderten Abteilung Internationale Handelspolitik des Instituts für Sozial- und Staatswissenschaften (InSoSta) .294 Gleichzeitig war er Vertrauensdozent der Studienstiftung . 1932 wurde er auf die Gothein-Gedächtnis-Professur in Heidelberg berufen, war Geschäftsführer des InSoSta, nahm außerdem einen Lehrauftrag an der Hochschule für Politik in Berlin wahr,295 gehörte zum Kuratorium der Notgemeinschaft, der heutigen DFG, und war als Politikberater des Reichskanzlers Kurt von Schleicher tätig .296 Die Krisenrhetorik hatte er verinnerlicht, wie sich an dem Kreis seiner Lehrer und Vorbilder Troeltsch, Salin, Curtius, Wolters,297 Max und Alfred Weber sowie an mehreren seiner Schriften zeigt, die auf Grundlage einer konstatierten „bildungsbürgerlichen Identitätskrise“ eine geistesaristokratische Selbststilisierung legitimierten .298 Besonders deutlich wird sein breiter Fächer an Krisendiagnosen in einem Vortrag von 1932,299 den er als 36-Jähriger vor deutschen Austauschstudierenden im Rahmen des DAAD hielt .300 Die Rede ist von geistesgeschichtlichem, stellenweise pathetischem Patriotismus durchzogen, der die „‚Weltgeltung deutscher Wissenschaft‘ […] als Ersatz für die verloren gegangene weltpolitische Bedeutung“ unter dem „Vorzeichen der Krise“ in Szene setzte .301 Wie seine Lehrer war Bergstraesser zeitweise Mitglied der DDP, deren nach rechts gerückte Nachfolgeorganisation, die DStP, Bergstraesser 1932 die Kandidatur für ein Reichstagsmandat antrug .302 Zudem war er Mitglied des Stahlhelms und machte sich
289 Arnold Bergstraesser, „Notizen zum Lebenslauf “, in: UA Freiburg Nr . B024/0231 . 290 Vgl . Schwarz (1968), S . 300–311 . 291 Bergstraesser (1924) . 292 Vgl . die Akten in UA Freiburg Nr . B024/0231, vgl . Mohr (1988), S . 143 293 Vgl . Bergstraesser (1928) . 294 Vgl . Blomert (1999), S . 108–120 . 295 Vgl . ebd ., S . 111, 312–313 . 296 Ebd ., S . 44, 71 . 297 Vgl . Schmitt (1997), S . 170–171, vgl . ausführlich Behrmann (2016a) . 298 Vgl . Schmitt (1997), S . 181–182 . 299 Bergstraesser (1933a) . 300 Vgl . ausführlicher dazu Schmitt (1997), S . 168 . 301 Paletschek (2010b), S . 44–45, vgl . Bergstraesser (1933a), S . 8, 14 . 302 Vgl . Blomert (1999), S . 111, ders . (1995), S . 42–43, ders . (1999), S . 215 .
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durch seine breitrezipierten Vorträge mit aktuellen und zeithistorischen Bezügen einen Namen .303 1933 setzte Bergstraesser auf die „deutsche nationale Revolution als Neubegründung des Staats“ und versuchte sich den Nationalsozialisten anzutragen .304 Die Gestapo stufte ihn aber als einen Regimegegner ein,305 und aus Professorenkreisen kamen antisemitisch motivierte Beschwerden .306 1933 wurde Bergstraesser als Leiter des InSoSta abgesetzt,307 1935 wurde er beurlaubt, 1936 wurde ihm auf der Grundlage von § 18 der Reichshabilitationsordnung (RHO) aus politischen Gründen die Lehrbefugnis entzogen .308 1937 emigrierte er in die USA . Bis 1944 lehrte er am Scripps College und an der College Graduate School im kalifornischen Claremont German Civilization und European History . 1944 wechselte er an die Universität Chicago, wo er bis 1954 German Cultural History lehrte . Dort knüpfte er enge Kontakte zum Chicagoer Emigrantenkreis, gab die Zeitschrift Deutsche Beiträge zur geistigen Überlieferung mit heraus und entwickelte mit vielen Aufsätzen und der Organisation der Aspen Goethe Bicentennial Convocation 1949 seine geistesgeschichtlichen Schwerpunkte weiter .309 1950 kehrte er im Rahmen eines Professorenaustauschs als Gastprofessor in Frankfurt nach Deutschland zurück und vertrat 1952–53 eine Professur für Amerikanistik an der Universität Erlangen . Mit seiner Krisenrhetorik, die sich weiter durch seine Vorträge und Schriften zog, konnte er an den vorherrschenden Diskurs in den Geisteswissenschaften anknüpfen, während er gleichzeitig neue Akzente setzte .310 Wie Ritter war auch Bergstraesser, wenngleich Schüler Max Webers, ein normativ und durchaus auch idealistisch argumentierender Geisteswissenschaftler .311 Neuhumanismus und Christentum, „Synopsis“ und Philosophie waren zentrale Bestandteile seines Wissenschaftsverständnisses . Dennoch integrierte er mit seinen Fächern, zwar sukzessive, verhalten und keineswegs intentional, die Sozialwissenschaften in die Geisteswissenschaften .312 Von Ritter unterschied Bergstraesser vor allem seine bereits als Student und Assistent klar westorientierte Haltung . Er gehörte zu den MitbegrünSchmitt (1995), S . 51, vgl . ders . (1997), S . 185–186 . Bergstraesser (1933b), S . 31 . Vgl . Mohr (1988), S . 145 . Vgl . Blomert (1999), S . 321 . Vgl . ebd ., S . 114 . § 18 RHO sah vor, dass der Reichswissenschaftsminister die Lehrbefugnis entziehen oder einschränken konnte, „wenn es im Universitätsinteresse geboten ist“ . Damit wurden Lehrende aus politischen Gründen ausgeschlossen . Bergstraesser wurde am 10 .08 .1936 die Lehrbefugnis entzogen, am 30 .09 .1936 wurden die Bezüge eingestellt, vgl . Festsetzung der Hinterbliebenenbezüge nach dem Landesbeamtengesetz v . 07 .07 .1964, S . 2, in: UA Freiburg Nr . B024/0231, vgl . Mohr (1988), S . 145–146, Behrmann (2016b), S . 30 . 309 Vgl . Bergstraesser (1949, 1950, 1967) . 310 Vgl . Kap . 5 .2 .1 .–5 .2 .3 . 311 Oberndörfer (2006), S . 586 . 312 Vgl . Bergstraesser (1930a, 1932), Texte zur Agrarpolitik Frankreichs, aus denen hervorgeht, dass Bergstraesser sein sozialwissenschaftliches Handwerk verstand, vgl . dazu auch Bergstraessers Berufungsgutachten von Constantin von Dietze vom 18 .06 .1953, in: UA Freiburg Nr . B003/337 . 303 304 305 306 307 308
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dern des AAD, der Keimzelle des heutigen DAAD und war dessen erster Geschäftsführer .313 Bereits zu Beginn seiner akademischen Lehrtätigkeit beschäftigte er sich mit der Europäischen Integration .314 Er war Mitglied des deutsch-französischen Studienkomitees zur „geistigen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich“, 1929–33 Teil des Redaktionsteams der Schriftenreihe des InSoStA Zum wirtschaftlichen Schicksal Europas315 und veröffentlichte wie viele seiner Kollegen im InSoSta in der konservativen Zeitschrift Europäische Revue .316 In der Emigrationszeit, die im Zuge der Verhaftungswelle nach Pearl Harbour auch durch die zweimalige Internierung Bergstraessers geprägt war, entwickelte er die Überzeugung, dass nicht nur eine wachsende Kooperation und schließlich Integration der europäischen Länder, sondern darüber hinaus die politische Vertretung der freiheitlich-rechtsstaatlichen Grundauffassungen der Atlantischen Gemeinschaft in allen abendländischen Kulturen für die Zukunft der Weltpolitik und der Weltzivilisation von entscheidender Bedeutung sein muß .317
Das Konkurrenzverhältnis zu Ritter erklärt sich aus dieser Entscheidung, da Ritter als Antagonist der reeducation und der Westorientierung wirkte, während Bergstraesser sie durch die Gründung vieler Institutionen der Politischen Bildung und Politikberatung vorantrieb . Die Rivalität zwischen Bergstraesser als Nestor der Freiburger Politikwissenschaft, die der Historiker Ritter als Konkurrenz wahrnahm, wuchs, als Bergstraesser gemeinsam mit Theodor Eschenburg erfolgreich die Einführung des Gemeinschaftskundeunterrichts vorantrieb .318 In Personalunion als politikwissenschaftlicher Universitätsprofessor, Mitglied im Ausschuss für Staatsbürgerliche Erziehung, Leiter der Vorgängerorganisation der heutigen Landeszentrale für Politische Bildung Der Bürger im Staat sowie einflussreicher Berater der Dienststelle Blank, des späteren Verteidigungsministeriums, vermittelte Bergstraesser erfolgreich in Konzeption und Umsetzung einer umfassenden politischen Bildung . In seinen Funktionen als Leiter des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Mitglied der Europa-Union, Vorsitzender der Atlantik-Brücke und Präsident der UNESCO-Kommission machte er die wissenschaftliche Politikberatung für wirtschaftliche und politische, europäische und transatlantische Aushandlungsprozesse fruchtbar . Ab 1959 verfolgte er schließlich neben der Demokratieerziehung und der Internationalen Politik einen weiteren Forschungsschwerpunkt, Vgl . Blomert (1999), S . 34, S . 110 . Vgl . Bergstraesser (1930a, 1932) . Vgl . Arnold Bergstraesser, „Notizen zum Lebenslauf “, in: UA Freiburg Nr . B024/0231 . Vgl . u . a . Bergstraesser (1927, 1929) . Arnold Bergstraesser, „Notizen zum Lebenslauf “, in: UA Freiburg Nr . B024/0231 . Vgl . den Briefwechsel zwischen Bergstraesser und Ritter 1966 sowie die Vermittlungsversuche ihrer Assistenten Hans Maier und Hans-Günter Zmarzlik nach dem Erscheinen des Aufsatzes von Ritter (1962) „Geschichtsunterricht oder Gemeinschaftskunde“, in: UA Freiburg Nr . B0204/166 .
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die sogenannte Entwicklungsländerpolitik, die er durch weitere Institutionsgründungen vorantrieb, darunter das heutige Arnold-Bergstraesser-Institut .319 Neben programmatischen Schriften und Vorträgen zur Etablierung der Fächer Wissenschaftliche Politik und Soziologie sowie dem Aufbau seiner Freiburger Schule verschaffte Bergstraesser insbesondere die intensive Pflege internationaler Beziehungen und weitreichender Kooperationsverhältnisse einen wissenschaftsorganisatorischen Vorsprung vor Ritters isoliert-nationaler Ausrichtung . Gleichzeitig knüpfte er mit seiner idealistischen Krisenrhetorik an das Selbstverständnis der Geisteswissenschaften an und brachte seine beiden Sozialwissenschaften angepasst, aber profiliert, darin ein . Die Analyse seiner Netzwerke und deren Bedeutung für die Institutionalisierung der Politikwissenschaft an der Philosophischen Fakultät ist noch nicht erfolgt .320 Die Forschung konzentrierte sich vielmehr aus generationeller Perspektive auf sein Engagement als Studentenführer321, sein Wirken in Heidelberg322 und seinen Exilaufenthalt in den USA 1937–50 .323 Neben den Publikationen seines Nachfolgers als Leiter des Arnold-Bergstraesser-Instituts Dieter Oberndörfer,324 umfassend recherchierten Aufsätzen von Günther C . Behrmann325 und synthetisierenden Artikeln von Sebastian Liebold326 erschienen zu Bergstraessers Funktion als Nestor der Politikwissenschaft einige Beiträge .327 Darunter ist die frühe Untersuchung von Arno Mohr hervorzuheben,328 Horst Schmitts Forschungen zur Freiburger Schule,329 Joachim Detjens vergleichende Arbeit zum Beitrag der Gründergeneration der Politikwissenschaft zur Politischen Bildung,330 Arnd Bauerkämpers Analyse von Bergstraessers Demokratieverständnis331 sowie Daniel Eisermanns Analyse seiner Tätigkeit als Leiter des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Ausländische Politik (DGAP) .332
Zudem war Bergstraesser Herausgeber der Politischen Vierteljahresschrift, der Internationalen Jahrbücher der DGAP, der Zeitschrift Der Bürger im Staat sowie der Reihen Freiburger Studien zu Politik und Soziologie; Politik . Schriftenreihe zu grundsätzlichen und aktuellen Fragen und der Freiburger Universitätsblätter . 320 Erste Anknüpfungspunkte dazu finden sich in Klein (2014) . 321 Schwarz (1968, 1971) . 322 Vgl . Blomert (1999), vgl . Schmitt (1997), vgl . Behrmann (2016a, 2016b) . 323 Vgl . Krohn (1986), S . 254–275 . Krohn untersucht darin den Zusammenhang zwischen der GumbelAffäre und dem in der Exilpresse ausgetragenen Streit um Bergstraessers NS-Affinität 1933 und der zweimaligen Internierung Bergstraessers durch das FBI nach 1941, vgl . Liebold (2012) . 324 Vgl . u . a . Oberndörfer (1990, 2004, 2006, 2011, 2017) . 325 Vgl . Behrmann (1996, 2010, 2012) . 326 Vgl . Liebold (2014, 2017, 2018) . 327 Zu Bergstraessers Mühen, „Amerikastudien“ als sozialwissenschaftliches Fach zu institutionalisieren, vgl . Paulus (2010) . 328 Vgl . Mohr (1988), insb . S . 143–158 . 329 Bergstraessers Forschungsprogramm ist mit Schmitts Studie ausführlich, kritisch, traditions- und kontextsensitiv reflektiert worden, vgl . Schmitt (1995, 1997, 1999) . 330 Vgl . Detjen (2016), insbes . S . 103–162, vgl . ders . (2003, 2007) . 331 Vgl . Bauerkämper (2005) . 332 Vgl . Eisermann (1999) . 319
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Die Analyse des Verhältnisses zwischen Wissenschaftsorganisation und Krisenrhetorik Bergstraessers in Abgrenzung zu Ritter verspricht Einsichten in den langsamen Ablösungsprozess der Geisteswissenschaften von ihrem idealistischen Paradigma ebenso wie in die weitreichenden Kooperationsverhältnisse der Freiburger Politikwissenschaft 1954–64 . An Bergstraessers Beispiel werden hier Funktionen von Netzwerken und der Aufstieg des Wissenschaftsorganisators in den Geisteswissenschaften der 1950er Jahre deutlich . Dass dazu nicht zuletzt die idealistische Krisenrhetorik gehörte, mit der er sich in die Geisteswissenschaften der Freiburger Philosophischen Fakultät integrierte, machte die Freiburger Politikwissenschaft zu einer Brückendisziplin, die sich gleichzeitig für neue Entwicklungen öffnete . 4.5.4
Gerd Tellenbach – ein konservativer Modernisierer
Seiner ganzen Geistesart nach gehört er in diesen Kreis [der Philosophischen Fakultät Freiburg], der nach dem Kriege wohl eine neue Blüte geisteswissenschaftlicher Studien an unserer Hochschule heraufführen vermag. (Ritter 1943).333 Ihm lag die lächelnd vorgebrachte, feine, oft ätzende Ironie (Wollasch 2003).334
Abb. 21 Gerd Tellenbach334
Gerd Tellenbach (1903–99) gehört als jüngster der drei hier vorgestellten Professoren zur Kriegsjugendgeneration . 1944 wurde er als Professor für Mittelalterliche Geschichte an die Freiburger Philosophische Fakultät berufen . Als einer der einflussreichsten Hochschulpolitiker der Universität Freibug wirkte er bundesweit als ein prominenter geisteswissenschaftlicher Hochschulreformer . 1962 zum Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom ernannt, verließ er die Philosophische Fakultät, blieb ihr aber weiterhin eng verbunden . Er wurde 1972 emeritiert . Der 1903 in Berlin-Lichterfelde geborene und in Baden aufgewachsene Tellenbach, Sohn eines in den ersten Wochen des Ersten Weltkriegs verstorbenen Obersts, studierte Geschichte, Germanistik und Latein in München und Freiburg . Da seine Familie im Zuge der Inflation verarmte, finanzierte er sich sein Studium größtenteils durch
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Gerhard Ritter am 10 .06 .1943, „Berufungsgutachten“, in: UA Freiburg Nr . B003/304 . Wollasch (2003), S . 19 . Fotoausschnitt Gerd Tellenbach (ca . 1950), aus: UA Freiburg Nr . B039 .
Professorale Typen und Aufgabenfelder
Lohnarbeit .336 1926 promovierte er bei Georg von Below in Geschichte .337Als Student in Freiburg stand Tellenbach im Schatten seines Freiburger Kollegen Hermann Heimpel, der als älterer Schüler Belows die einzige besoldete Assistentenstelle erhielt . Als Below kurz nach Tellenbachs Promotion starb, setzte sich Ritter für Tellenbach ein und organisierte den Kontakt zu Paul Fridolin Kehr, dem Leiter des Preußischen Historischen Instituts in Rom .338 Dort erhielt Tellenbach 1928 eine Stelle und habilitierte sich 1933 bei Karl Hampe in Heidelberg .339 In seiner Habilitation „Libertas“ untersuchte er ideengeschichtlich das Verhältnis von Kirche und Staat im Investiturstreit .340 Die ersten Berufungen nach Tellenbachs Habilitation 1933 scheiterten vorerst am NS-Dozentenbund, da Tellenbach nicht in die NSDAP eintrat, die er vorwiegend aus einer elitär-massenskeptischen Haltung heraus ablehnte . Nach fünf Jahren als Privatdozent und Lehrstuhlvertreter erhielt er eine Stelle als Extraordinarius in Gießen . Tellenbach arbeitete 1941–43 mit Theodor Mayer in den von diesem geleiteten Historiker-Tagungen im Rahmen des Kriegseinsatzes deutscher Geisteswissenschaften zusammen .341 1942 nahm Tellenbach einen Ruf nach Münster an und vertrat zusätzlich seine Professur in Gießen . 1944 erhielt er den Ruf nach Freiburg, für den sich wiederum Gerhard Ritter stark gemacht hatte .342 In seinen Berufungsunterlagen wurde Tellenbachs geistesgeschichtliche Ausrichtung hervorgehoben . Auch anhand seiner wissenschaftlichen Prägung, die er selbst in einer erhalten gebliebenen Notiz mit dem Titel „Mein Verhältnis zur Geschichte und zu den Historikern, die in meinen Gesichtskreis traten“343 dargestellt hat, wird deut-
Vgl . Tellenbach (1991), S . 53 . Vgl . ders . (1928) . Vgl . ders . (1991), S . 56 . Auch für Tellenbachs Berufung nach Freiburg war in erster Linie Ritter verantwortlich . Tellenbach besuchte Ritter auch 1944 im Berliner Gefängnis, wo dieser wegen seiner Verbindungen mit Carl Goerdeler inhaftiert war: „Ich fühlte mich als nächster Kollege verantwortlich .“ Tellenbach (1981), S . 74, 66, vgl . Cornelißen (2001), S . 362–364 . 339 Vgl . Tellenbach (1936b) . 340 Darin kam er zu dem Ergebnis, dass die „libertas ecclesiae“, die Freiheit der Kirche, nicht allein negativ zu definieren sei wie noch bei Troeltsch als Freiheit vom Staat, sondern darüber hinaus auch positiv als Freiheit der Kirche zur „Ausübung ihrer Mission“ und „Leitung der Welt“, ebd ., S . 231 . Ihm zufolge überwand die Kirche des 11 . Jahrhunderts im Investiturstreit ihre „große, vielumfassende Krisis“ dadurch, dass sie ihre „Weltabgewandtheit“ zugunsten einer „Weltgewinnungstendenz“ aufgab . Durch diese Wende habe sie sich „im Stoff des Irdischen entfalten“ und politisch wirksam werden können, vgl . ebd ., S . 194–195 . Ähnlich argumentierte er in der Hochschulpolitik nach 1945 . Die Universität dürfe sich nicht isolieren, sondern müsse „ihren Einfluß auf die Gestaltung des öffentlichen Wesen [sic]“ aktiv sichern, vgl . Tellenbach (1963[1946]a), S . 23, vgl . Kap . 5 .1 .3 . 341 Wie Anne Nagel herausgestellt hat, erfüllte Mayer vielfältige Vorbildfunktionen für Tellenbach . 1942– 45 war Mayer Direktor des DHI in Rom . Tellenbach hatte als Habilitand dort geforscht und wurde ab 1962 Leiter des Instituts . Weiterhin gehörte er zu den Gründungsvätern des DHI Paris, das bereits von Mayer angedacht worden war, vgl . Nagel (2007), S . 79–99, dies . (2005), S . 150, dies . (2006) . 342 Vgl . UA Freiburg Nr . B003/304, Nr . B003/1022 . 343 Vgl . UA Freiburg Nr . C0157/444 . In dieser biografischen Netzwerks- und Prägungsdarstellung werden Personen aufgelistet, die in ihrer Zusammenstellung und chronologischen Abfolge kommentiert werden . 336 337 338
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lich, dass er von der idealistischen Krisenrhetorik der Ersten Nachkriegszeit stark geprägt war . Er verfolgte die Diskussionen um die wissenschaftliche „Grundlagenkrise“ intensiv mit, was sich an seiner Auseinandersetzung mit Rachfahl,344 Curtius,345 Heidegger,346 Jaspers347 und Nietzsche manifestiert . Interessant ist an dieser Aufstellung, dass Meinecke fehlt, an dem sich Tellenbach stark orientierte,348 ebenso wie die Werke der Kulturprotestanten Sohm und Harnack, an denen sich Tellenbach mit seiner Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Staat ausrichtete .349 Tellenbach wird heute selten, wie etwa in Hans Maiers Autobiografie, als „Hochschulreformer der ersten Stunde“ erinnert .350 Die wissenschaftliche Leistung des Mediävisten wurde von seinen zahlreichen Schülern und Freunden gebührend gewürdigt351 und von Anne Nagel in ihren Studien zur Mittelalterforschung der Nachkriegszeit aufgearbeitet .352 Weiterhin ist Andre Gutmann den Umständen von Tellenbachs Berufung nach Freiburg 1939 bis 1943/44 detailliert nachgegangen .353 Seine Rolle im Hochschulreformprozess ist hingegen noch kaum untersucht worden .354 Tellenbachs hochschul- und wissenschaftspolitische Karriere beschleunigte sich nach 1945 . 1946 war er Senatsbeauftragter, 1947 Dekan der Philosophischen Fakultät . 1949 wurde er zum ersten Mal Rektor, gründete einen Universitätsbeirat355 und reaktivierte den nach dem Ersten Weltkrieg gegründeten Verband der Freunde der Univer-
Historiker wie auch andere Geisteswissenschaftler, Begegnungen, Bekanntschaften, Beziehungsnetze und intellektuelle, insbesondere geschichtsphilosophische Auseinandersetzungen werden darin berücksichtigt . 344 Felix Rachfahl (1867–1925) war ein Freiburger Historiker in Ranke-Tradition, der eine wichtige Rolle im Lamprechtstreit übernahm und auch mit Troeltsch und Weber kontrovers diskutierte . 345 Ernst Robert Curtius (1886–1956) war Professor für Romanistik und trat durch Arbeiten zum Mittelalter hervor sowie durch seine Polemik gegen Mannheims „Relativismus“ am Zürcher Soziologentag 1928 . 1932 erschien sein kulturkritisches Buch Deutscher Geist in Gefahr (Curtius 1932) . 346 Tellenbach hatte Heideggers Sein und Zeit während seines Italienaufenthalts „mehrfach gelesen“, sich aber 1933 von Heidegger distanziert, vgl . Tellenbach (1981), S . 40–41 . Heidegger blieb allerdings ein wichtiger Bezugs- und Abgrenzungspunkt für Tellenbach . Der Titel seiner Schrift Zur Selbstorientierung der deutschen Universität 1946 nahm auf Heideggers Selbstbehauptung der deutschen Universität Bezug . Auch in seinem Vortrag zum Universitätsjubiläum Tradition und Neugestaltung setzte er sich mit Heideggers Rektoratsrede auseinander, vgl . Tellenbach (1963[1957]) . 347 Karl Jaspers (1883–1969), Psychologe und Philosoph in Heidelberg, hatte 1923 das Buch „Die Idee der Universität“ veröffentlicht, das 1946 erneut erschien und als Prototyp neuhumanistischer Universitätsideale gelten kann, vgl . Jaspers (1923, 1946) . 348 Vgl . u . a . Tellenbach (1949, 1950), ders . (2003[1944]), S . 45 . 349 Vgl . ders . (1991), S . 55 . 350 Maier (2011), S . 173 . 351 Vgl . u . a . die Beiträge in: Mertens/Mordek/Zotz (2005), vgl . Zotz (2006), Keller (1994), Wollasch (2000) . 352 Vgl . Nagel (2007, 2005, 2006) . 353 Vgl . Gutmann (2019) . 354 Vgl . Klein (2018) . 355 Vgl . [o . A .], „Ein Beirat für die Universität“, in: BZ v . 16 ./17 .07 .1949, S . 4, vgl . Tellenbach (1963[1949]f), (1963[1950]), vgl . Brandt (2014) .
Professorale Typen und Aufgabenfelder
sität .356 Gleichzeitig wurde er Mitglied im Hauptausschuss und Senat der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, der Vorläuferin der DFG, und engagierte sich im Vorstand des Hochschulverbands, vor dem er 1954 seine breit rezipierte Rede „Anwendung der Wissenschaft, eine Gefahr für ihren Geist“ hielt .357 1952 organisierte er eine wichtige Hochschulkonferenz in Hinterzarten bei Freiburg, in der erstmals über die „Auslese“ der Studierenden hinaus auch über ihre „Förderung“ nachgedacht wurde .358 Tellenbach gehörte auch zum Vorbereitungsteam der Nachfolgekonferenz in Bad Honnef 1955, aus der das Honnefer Modell der Studierendenförderung hervorging, und leitete die Sektion 1 zu Fragen der Neugliederung des Lehrkörpers . Als die Freiburger Universität 1957 ihr 500 . Jubiläum feierte, eine Veranstaltung höchst repräsentativen und internationalen Ranges, wurde Tellenbach erneut Rektor . Weiterhin wurde er in diesem Jahr zum Präsidenten der Westdeutschen Rektorenkonferenz (WRK) und in den Zehnerausschuss gewählt, ein Koordinationsgremium, das sich aus Vertretern der Ständigen Konferenz der Kultusminister und der WRK zusammensetzte . Gleichzeitig war er wieder Mitglied in Hauptausschuss und Senat der DFG . Zudem wurde er 1958 neben Gerhard Hess zum Repräsentanten der Geisteswissenschaften in dem damals konstituierten Wissenschaftsrat ernannt . Tellenbach besetzte so, zum Teil gleichzeitig, hohe Positionen in den wichtigsten hochschulpolitischen Gremien . Er verfügte dadurch über hochschulpolitische Schlüsselpositionen, gute Kontakte und vielfältige Beziehungen zu Landes- und Bundesministerien . Wo immer er konnte, nahm Tellenbach Einfluss auf die Hochschul- und Bildungspolitik, indem er auf ein „Zusammenwirken von ministerieller Verwaltung und Wissenschaft“ hinwirkte .359 Allseits wurde er für die Kompetenz, Spezialinteressen in einen ganzheitlichen Zusammenhang zu bringen, und seine in ihrer kulturvollen Unbestimmtheit eher konsensorientierten denn polarisierenden Grundsatzreferate geschätzt .360 So übernahm er wichtige Funktionen als Vermittler zwischen Universität, Staat und Wirtschaft, Ländern und Bund . Auch international wirkte er durch die Organisation der deutsch-französischen Rektorenkonferenz und die Errichtung eines Deutschen Historischen Instituts in Paris . Zudem beteiligte er sich an den Diskussionen um die Gründung einer Europäischen Universität in Florenz .361
356 [O . A .], „Ein Jahr ‚Freunde der Universität‘ . Ein Bindeglied zwischen Universität und Land“, in: BZ v . 18 .07 .1950 . 357 Diese Rede wurde in der Presse lobend kommentiert und breit rezipiert . Auch Eduard Spranger bedankte sich bei Tellenbach dafür, vgl . die Korrespondenz mit Spranger vom 07 .12 .1954, in: UA Freiburg Nr . C0157/426, vgl . B . B ., „Gefährdete Wissenschaft? Professor Tellenbach beim Hochschulverbandstag“, in: FAZ vom 29 .07 .1954 Nr . 173, S . 8, in: UA Freiburg Nr . C0157/225, vgl . Tellenbach (1954a, 1954b) . 358 Tellenbach (1952b), S . 11 . 359 Gerd Tellenbach, „Studien- und Prüfungsordnungen im Zusammenhang mit der Hochschulreform . Referat auf der Tagung der WRK und KMK“, Marburg am 26 ./27 .10 .1960, in: UA Freiburg Nr . C157/4, S . 2 . 360 Vgl . z . B . Theodor Heuss, in: Bartz (2006), S . 62 . 361 Vgl . die Akten in UA Freiburg Nr . C0157/225, Nr . C0157/102, Nr . C0157/120 .
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1962 übernahm Tellenbach die Direktion des Deutschen Historischen Instituts in Rom . In den folgenden Jahren zog er sich zwar nicht aus der Hochschulpolitik zurück, verlor aber zunehmend an Einfluss . Spätestens 1970, als auf sein Referat Wissenschaft in totalitären und in freien Ländern bei der konstituierenden Sitzung des Bundes Freiheit der Wissenschaft, zu dessen Gründungsmitgliedern Tellenbach gehörte, verzichtet wurde, war klar, dass er die Stafette der Hochschulreform an die nachfolgende Generation abgeben musste .362 Neben Bergstraesser, der zum Institutionengründer par excellence der Freiburger Philosophischen Fakultät avancierte, stellt Tellenbach den Typus eines Wissenschaftsmanagers dar .363 Seine guten Beziehungen zur Monumenta Germaniae Historica,364 zur DFG365 und der damit zusammenhängenden Drittmittelakquise366 sowie schließlich seine Position als Direktor des DHI in Rom sicherten seinem Mitarbeiterstab die Finanzierung ihrer Arbeiten . Wie von allen seinen Schülern hervorgehoben wird, lag ihm deren Finanzierung und Förderung sehr am Herzen .367 26 der von ihm bis 1974 betreuten 59 Doktoranden und 15 Doktorandinnen,368 – in Freiburg waren es 53 Doktoranden und 8 Doktorandinnen –, fassten in der Geschichtswissenschaft Fuß .369 Diese hohe Quote ist allerdings nicht allein auf Tellenbachs Arbeitsethos, Renommee und Netzwerke zurückzuführen . Ausschlaggebend dafür war auch, dass die Promotion bis 1960 noch den ersten akademischen Abschluss darstellte370 und eine große Nachfrage nach Mediävisten bestand, da die Universitäten und Pädagogischen Hochschulen in diesem Zeitraum stark expandierten . Anders als Bergstraesser, der sich insbesondere auf Netzwerkarbeit und Institutsgründungen konzentrierte und neue Forschungsschwerpunkte lancierte, erprobte Tellenbach verschiedene Modelle und Techniken, wie in den Geisteswissenschaften mit der exponentiellen Vermehrung des Stoffs und der neuen Menge an Aufgaben umgegangen werden könne . Er beklagte das „Fehlen eines modernen Informationswesens in den Geschichtswissenschaften“, Symptom und Ursache eines „bedenklichen 362 Ein Beispiel für diesen mitunter schmerzhaften Loslösungsprozess stellt die Absage Hans Maiers an seinen Lehrer Tellenbach dar, der sich bereit erklärt hatte, ein Referat bei der Gründungssitzung des Bundes Freiheit der Wissenschaft zu halten . Tellenbach konnte Maiers Gründe nicht akzeptieren und brach den Kontakt zu ihm ab, vgl . Maier (2011), S . 173–174, vgl . ausführlich die Akten in UA Freiburg Nr . C0157/29 . 363 Paletschek (2006b), S . 87, S . 94 . 364 Vgl . Schieffer (2000), S . 409–411 . 365 Vgl . Mielitz (1963), S . 268 . 366 Vgl . Nagel (2005), S . 149 . 367 Vgl . insb . Wollasch (2000, 2005), Mertens (2000), S . 93, Schmid (1974), S . 333–335 . . 368 Vgl . Schmid (1974), S . 333–335, Hillenbrand (1974), S . 344–347 . 80 % aller Dissertationen von Frauen wurden bei Tellenbach vor 1951 abgeschlossen (12), die restlichen drei (20 %) in den Jahren 1951–55 . Nach 1955 promovierte keine Frau mehr bei ihm . Sein 1953/54 gegründeter Arbeitskreis war ausschließlich männlich besetzt . Wollasch spricht von insgesamt 76 Dissertationen, vgl . Wollasch (1999), S . 108 . 369 Vgl . Schmid (1974), S . 335 . Schmid nennt nur 24, da er die 2 PH-Professoren in seiner Rechnung vergaß . 370 Vgl . ausführlich Kap . 3 .3 .3 .
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Mangels an wissenschaftlicher Kooperation“ .371 Auch mit dem Zettelkastensystem, der Vorgängerform heutiger Datenbanken, neuen Methoden der Personenforschung und einer zielgerichteten Teamarbeit seines Freiburger Arbeitskreises trieb er geisteswissenschaftliche Modernisierungsprozesse voran . Schließlich zeichnet Tellenbach die internationale Ausrichtung seiner Arbeit sowie die Auseinandersetzung mit neuen Forschungskonzepten aus, mit den Annales, der sich entwickelnden Mentalitätsgeschichte oder auch die Analyse von Memoria und Geschichtsbewusstsein, die heute vorwiegend unter dem Label der Erinnerungs- und Geschichtskultur verhandelt werden .372 Anders als Ritter gewahrte Tellenbach über die verschiedenen Risiken neuer Anforderungen hinaus auch den großen Bedeutungszuwachs, den Universität und Wissenschaft durch sie verzeichnen konnten . Moderne Entwicklungen verwarf er nicht, sondern durchdrang sie grundsätzlich und versuchte, sie zu integrieren bzw . umgekehrt, „das Ererbte ins gegenwärtige Leben hineinzunehmen, für die eigenen Bedürfnisse umzuinterpretieren, es sich zu assimilieren .“373 Tellenbachs Kompetenz lag in der beharrlichen und konsequenten Aneignung, Umsetzung und Vermarktung bestimmter Ideen – sei es die Personenforschung oder aber die Humboldtsche Universitätsidee –, die das kollektive geisteswissenschaftliche Gedächtnis seiner Professorengeneration ausmachten .
„Warum gibt es nicht eine bibliographische Zentrale, der jeder Autor wichtigste Schlagworte zu seiner Publikation mitliefert, die elektronisch gespeichert, telephonisch oder brieflich abgerufen werden können?“ Tellenbach (1979), S . 212 . 372 Vgl . ebd ., S . 216, ders . (1974), vgl . auch seinen Vortrag zum Geschichtsbewusstsein 1974, in: UA Freiburg Nr . C0157/169 sowie die Exzerpte der Annales, in: UA Freiburg Nr . C0157/159 . 373 Ders . (1963[1957]), S . 153–154 . 371
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5.
Krisenrhetorik, Wissenschaftsorganisation, Öffentlichkeit
An den Strukturwandlungsprozessen zeichnet sich ab, dass die Krisengeneration Strukturreformen in eine Richtung lenkte, die ihrem Standesbewusstsein und ihrem 1945 reetablierten Selbstverständnis entsprach . Das Verhältnis von Strukturwandel und Selbstverständnis der Philosophischen Fakultät ist damit aber noch nicht ausreichend beschrieben . Vielmehr stellt sich die Frage, wie sich institutionelle und gesellschaftliche Wandlungsprozesse auf das Selbstverständnis der Philosophischen Fakultät auswirkten und inwiefern sie sich gegenseitig beeinflussten . Dazu werden im Folgenden Entwicklungen und Funktionen der Krisenrhetorik analysiert, die den diskursiven Rahmen für die Reformaushandlungen darstellte . Krisenrhetorik erwies sich als ein probates Mittel der Wissenschaftsorganisation; die eifrigsten Hüter der postulierten Krise waren die Wissenschaftsorganisatoren der Geisteswissenschaften . Welche Funktionen erfüllte aber jeweils die Rhetorik von der „Krise der Moderne“ in der unmittelbaren Nachkriegszeit, die Rede von der „Überfüllungskrise“ Ende der 1950er Jahre oder die Demonstrationen zum „Bildungsnotstand“ Mitte der 1960er Jahre? 5.1
Restauration durch geisteswissenschaftliche Krisenrhetorik 1945–52
In der unmittelbaren Nachkriegszeit war die glaubwürdige Etablierung eines Selbstverständnisses, das den neuen Umständen gemäß die jüngste Vergangenheit erklärte, für die öffentlichkeitswirksame Legitimierung der Geisteswissenschaften zentral . Das Bedürfnis nach einer „Renaissance“ der Geisteswissenschaften im Sinne einer „allgemeinen Normalisierung des deutschen Lebens“1 oder ihrer Restauration durch „Neuorientierung und Apologie“2 stand dabei weit mehr im Vordergrund als die Auseinan-
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Ritter (1950), S . 1–22, hier S . 12 . Conze (1977), S . 13 .
Restauration durch geisteswissenschaftliche Krisenrhetorik 1945–52
dersetzung mit dem Nationalsozialismus: „Nach Kriegsende war der Blick entschieden nach vorn gewandt“ .3 Als bewährtes rhetorisches Mittel griffen die Professoren auf die Krisenrhetorik zurück, die schon während des NS als Grundlage der „Selbstbehauptung als Institution, in den Wissenschaftsdisziplinen und einzelner Personen“ gedient hatte .4 Der Gebrauch der Krisenrhetorik zur Hegemonialisierung idealistisch-elitärer Universitäts- und Geisteswissenschaftsverständnisse war an der Philosophischen Fakultät der späten 1940er Jahre nichts Neues .5 In der Zweiten Nachkriegszeit wurde die Funktionalisierung der Krisenrhetorik jedoch um die spezifische Funktion der Selbstentlastung und Abgrenzung vom Nationalsozialismus erweitert . Wie Paletschek gezeigt hat, wurde dazu die „Wiederanknüpfung an die Universitätsstruktur des späten Kaiserreichs“ angestrebt .6 Den Legitimationsspagat für den „Rückgriff auf die seit der Jahrhundertwende implementierte und neu interpretierte Vorstellung von einer deutschen Universitätsidee“ stellte eine Krisenrhetorik her, die in großem holistischem Wurf alle geisteswissenschaftlichen, universitären und gesellschaftlichen Probleme auf eine ideelle Krise zurückführte .7 „Die Situation der Krise ist überall sichtbar, sie ist, zumal in Europa, allgegenwärtig .“8 Heiss stand mit dieser Beschreibung der Situation nach 1945 nicht allein . Auch die anderen Freiburger Geisteswissenschaftler meldeten sich mit Bezug auf jene „Denker der Unruhe“ zu Wort, die seit Ende des 19 . Jahrhunderts die „Krise“ prognostiziert hatten . Krisenrhetorik durchzog einen großen Teil der geisteswissenschaftlichen Vorträge im öffentlichen Raum . Sie wurden in Presseartikeln referiert und in Form von kleinen Sonderdruckheften popularisiert . Besonders breit rezipiert wurden die Schriften von Ritter und Tellenbach, aber auch Rehm und Friedrich sowie die neuberufenen jungen Professoren Fink und Müller beschäftigten sich öffentlichkeitswirksam mit der „Krise“ . Als vergangenheitsorientierte Neuausrichtung der Geisteswissenschaften begleitete und gestaltete idealistische Krisenrhetorik die strukturellen Entwicklungen bis in die 1960er Jahre . Die ersten veröffentlichten Schriften der Historiker zum universitären und wissenschaftlichen Selbstverständnis nach 1945 kreisten um politische und moralische Fragen nach einem „Sonderweg“ bzw . der „Schuld“ Deutschlands, der deutschen Universitäten und ihrer Wissenschaften . Die Frage nach der Selbstmobilisierung von Wissenschaftlern während des NS ist in der historischen Forschung vielfach bearbeitet worden . Entgegen der in den 1940er und 1950er Jahren gängigen apologetische These, dass es sich beim NS um ein wissenschafts- und universitätsfeindliches Regime gehandelt
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Paletschek (2006b), S . 232 . Langewiesche (1997), S . 618 . Vgl . Kap . 4 .4 . Paletschek (2006a), S . 247 . Das folgende Zitat ebd . Zur Kopplung von Ganzheitlichkeitsansprüchen und Krisenrhetorik vgl . Raphael (2001), S . 32 . Heiss (1948), S . 338 .
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Krisenrhetorik, Wissenschaftsorganisation, Öffentlichkeit
habe, sind inzwischen vielfache Beziehungen, „Kollaborations-“ bzw . „Kooperationsverhältnisse“, „Ressourcenaustausch“ von Wissenschaft und Politik oder der „Triple Helix“ von Wissenschaft, Staat/Militär und Wirtschaft nachgewiesen worden .9 Auf diesen neueren Forschungen baut die folgende Analyse auf . 5.1.1
Gerhard Ritter: Der NS als Folge der Krise des deutschen Idealismus
Während der ersten, weithin beachteten Vortragsreihe „Das Menschenbild“, mit der die Universität Freiburg in der Öffentlichkeit „zu den Geschehnissen der letzten 12 Jahre“ Stellung bezog, meldete sich am 18 . Oktober 1945 aus der Philosophischen Fakultät Gerhard Ritter zu Wort .10 Ritter hatte als Mitglied des Freiburger Kreises 1943 einen Teil des Manuskripts Politische Gemeinschaftsordnung. Ein Versuch zur Selbstbesinnung des christlichen Gewissens in den politischen Nöten unserer Zeit verfasst: Das politische Chaos unserer Zeit und seine Ursachen .11 In dieser Vorläuferschrift seiner 1948 veröffentlichten Monografie Europa und die deutsche Frage12 widmete er sich ebenso wie in der ersten Vorlesung zu Ursprung und Geschichte des Nationalsozialismus den Ursachen des NS . In seinem Vortrag Die Idee der Universität und das öffentliche Leben griff er das Verhältnis von Universität und Öffentlichkeit auf .13 Die 1947 erschienene Geschichte als Bildungsmacht ergänzte seine gesellschafts- und hochschulpolitischen Stellungnahmen zur Zeitgeschichte schließlich um eine fachspezifische Perspektive, die er auf dem Historikertag 1949 unter dem Titel Gegenwärtige Lage und Zukunftsaufgaben Deutscher Geschichtswissenschaft weiter ausführte .14 Ritter gehört zu der Gruppe an Universitätsprofessoren, die Langewiesche als „professorale Vergangenheitssucher“ typisiert hat .15 Während des NS hatte er sich mehrfach von einem christlich-liberalen, nationalkonservativen Standpunkt aus kritisch zu Wort gemeldet . Die restaurative „Neuausrichtung“ der Geisteswissenschaften nach 1945 ist zu großen Anteilen auf diese Standpunkte zurückzuführen, deren Distanz und Kritik am NS-Regime sich aus dessen zunehmend kirchenfeindlicher Politik, der abDie Forschung hat inzwischen erwiesen, dass es sich beim NS um ein wissenschaftsförderndes Regime handelte und Universität und Wissenschaft während des NS antisemitische, rassistische und andere (Kriegs-)Ziele stützten . Die Mythen von der NS-Wissenschaftsfeindlichkeit oder der „Pseudowissenschaft“ sind vielfach dekonstruiert worden, vgl . Szöllösi-Janze (2004), Ash (2002, 2006, 2010b), Hachtmann (2007), Kaufmann (2000), Szöllösi-Janze (2001), Bruch/Kaderas (2002), Weisbrod (2002) . 10 Vgl . Bericht S . Janssen (1958) über den Zeitraum 24 .09 .–19 .12 .1945, in: UA Freiburg Nr . B034/1082, S . 11–12 . 11 Ritter (1984[1943]), in: UA Freiburg Nr . C0157/001, S . 6, wiederabgedr . in: Schwabe/Reichardt (1984), S . 655–774 . Im folgenden zitiert nach Schwabe/Reichardt (1984) . 12 Ritter (1948) . 13 Ders . (1947a) . 14 Ders . (1947b), ders . (1950) . 15 Vgl . Langewiesche (1992), S . 376 . 9
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sehbaren Niederlage und einer massenfeindlichen Haltung speiste . Ritter steht für eine liberal-konservative, christliche und antidemokratische Version dieses Krisendiskurses . In der unmittelbaren Nachkriegszeit schloss er an seine Oppositions- und Selbstbehauptungsdisrhetorik während des NS an . Ein Charakteristikum von Ritters Oeuvre war seine religiöse Auffassung von Kultur16 und seine moralische Interpretation soziopolitischen Geschehens im Rahmen eines platonisch-christlichen deutschnationalen Idealismus .17 Gerhard Ritter sah seine Ideale in der deutschen Geschichte des 19 . Jahrhunderts verwirklicht: Die Entwicklung des deutschen Nationalstaats, der deutschen Universitäten und der Geschichtswissenschaft skizzierte er als gelungene Umsetzung der im Vorfeld explizierten Ideen Hegels, Humboldts und Rankes . Unter Ausblendung kolonialer Gewalt verherrlichte er die „Epoche von 1815 bis 1914“ als „das friedlichste aller Jahrhunderte der neueren deutschen Geschichte (und Europas)“,18 frei von „Totalitätsansprüchen“ und „irgendwelcher Dämonie der Macht .“19 In seiner späten Nationalstaatsentwicklung stellte er das Kaiserreich als Vorbild einer geglückten Modernisierung dar: Als „Aussöhnung“ bzw . „Verschmelzung“ von Nationalstaat, Staatsvernunft und Christentum, Idealismus und Liberalismus, „menschlicher Vernunft und offenbarter Religion, neuhumanistisch-klassizistischen und christlich-protestantischen Ideen“, versinnbildlicht in der „Bildung“, in Hegels Staatsphilosophie und dem „Kulturstaat“ .20 In seiner Konfrontation des politischen Denkens Machiavellis und Morus’, die er prototypisch für die kontinentale versus die insulare Staatsräson setzte, erschien das Kaiserreich als gelungene Synthese und „Mitte“ . Diesem Ideal stellte er Frankreich als durch das „ungläubige Welschtum“ und den „Machtrausch fanatisierter Massen“ „dämonisiert[en]“ Antagonisten gegenüber .21 Den ersten „Schatten“, der auf die so verklärten Zusammenhänge fiel, machte Ritter in „neuartigen Geistesmächten, die ihren Ursprung und Hauptsitz in den westeuropäischen Ländern hatten“, aus .22 Darunter subsumierte er den „Positivismus des naturwissenschaftlichen Denkens“ sowie die Soziologie, die den Geniekult der „schöpferische[n] Persönlichkeit“ in Frage stellte und Gesellschaft nicht mehr „aus der Wirkung politischer Ideen“ deduzierte .23 Ihren Höhepunkt habe diese Entwicklung im historischen Materialismus erreicht . Dadurch sei die Gemeinsamkeit der „abend-
Vgl . Ritter (1947c), S . 59, ders . (1943), S . 59, vgl . ders . (1947b) . Vgl . ders . (1943), S . 52 . Ebd ., S . 126 . Das Buch hieß seit der 5 . Auflage 1947 nicht mehr „Machtstaat und Utopie“ (Ritter 1943), sondern „Dämonie der Macht“ (Ritter 1947b) . Zu weiteren „Umarbeitungen“ vgl . Berthold (1997), S . 18 . 19 Ritter (1943), S . 130–132 . 20 Vgl . ebd ., S . 129–131 . Siehe zu diesem Themenkomplex Eley/Blackbourn (1980) . 21 Ritter (1943), S . 127 . 22 Ders . (1948), S . 110 . 23 Ebd ., S . 110–111 . Die folgenden Zitate ebd ., S . 111 . 16 17 18
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ländisch-christlichen Kultur- und Völkergemeinschaft“ zerbrochen,24 die Ritter unter Absehung konfessioneller Konflikte in „demselben Gott, der eine gemeinsame höhere Instanz über ihnen bildete“, festmachte . Das Christentum habe als europäische Integrationsklammer fungiert und bis zum Ende des 19 . Jahrhunderts die Befriedung Europas bewirkt . Mit diesen Argumentationsmustern führte er kriegerische Auseinandersetzungen auf ideelle Konflikte, eine „seelisch-geistige Krisis“ zurück . Deren Anfänge identifizierte Ritter in der Französischen Revolution .25 Sie habe die „Ehrfurcht vor allen historischen Autoritäten zerstört“ und den Weg für den „kühnen Abenteurer Bonaparte“ geebnet . Vor allem aber habe sie „die Säkularisierung der Welt mit einem Schlage vollendet, die Verantwortung der Staatenlenker vor dem christlichen Gott […] ersetzt durch die Verantwortung vor der Nation“ .26 Ritter erklärte das System „‚totalitärer‘ Diktaturen“ durch einen „Umschlag von demokratischer zu autoritärer Staatsverfassung“, der überall dort greife, wo nach Zerbrechen aller historischen Autoritäten die unmittelbare Volksherrschaft vom ‚Aufstand der Massen‘ her versucht wird, ohne Aufgliederung dieser Massen durch föderative und korporative Organe oder durch die Tradition alter politischer Eliteschichten .27
Demokratien betrachtete er nicht als „Schutz vor der Diktatur“, sondern als deren „wichtigste Voraussetzung .“28 Diese an Aristoteles‘ Lehre vom Umschlag von Demokratie in Tyrannis geschulte Theorie war eine damals gängige apologetische Diskursstrategie, die die Mitwirkung von Oligarchien in solchen „Umschlagsprozessen“ ausblendete – und hauptsächlich von Eliten geführt wurde .29 Ritter argumentierte, dass die „hier drohenden Gefahren“ in der Weimarer Republik aufgetreten seien,30 als der „bürgerliche Nationalismus“ dem „proletarischen Nationalismus“ habe weichen müssen .31 Die von Ritter vorgetragene Universitätsgeschichte folgte demselben Interpretationsmuster . Den Beginn der sakralisierten Ära setzte er an der Wende vom 18 . zum 19 . Jahrhundert in der „deutschen Bewegung“ an . Angelehnt an Meinecke, den Ritter als „Prophet[en]“ wahrnahm und als „grösste[n] Meister aller heute lebenden Histo-
Ders . (1984[1943]), S . 665 . Ritter betrachtete allein innereuropäische Kriege als Problem und legitimierte koloniale Bestrebungen einer christlich verbrämten Hegemonie . Das folgende Zitat ebd . 25 Die „Stunde der Gefahr schlug in der Geburtsstunde der modernen, egalitären Demokratie“, Ritter (1948), S . 45, vgl . S . 49, vgl . ders . (1958[1950]) . 26 Ritter (1984[1943]), S . 669, vgl . ders . (1948), S . 50–51 . 27 Ders . (1948), 193–194 . 28 Ebd ., S . 47, S . 51 . 29 Vgl . ebd ., S . 47–49 . Die heutige Demokratieforschung zur Antike geht davon aus, dass jener „Umschlag“ durch Oligarchen herbeigeführt wurde . Auch das Mitwirken industrieller u . politischer Eliten im sog . „Umschlagsprozess“ der „Machtergreifung“ ist vielfältig nachgewiesen worden, vgl . Saage (2005), S . 62 . 30 Ritter (1946a), S . 13, vgl . ders . (1948), S . 192 . 31 Ders . (1948), S . 192 . 24
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riker“ verehrte,32 reihte er sich in die „Tradition des (Re)Konstruktionsmodells ‚deutsche Bewegung‘“ ein .33 Daniela Gretz hat gezeigt, dass das Narrativ „deutsche Bewegung“ in der zweiten Hälfte des 19 . Jahrhunderts aufkam und nach 1945 als „invertierter Mythos vom deutschen Sonderweg“ weiter tradiert wurde . Auch Ritter setzte diesen Mythos fort . Als eine geistige Nationalbewegung habe der „Aufstieg des deutschen Geistes“ die „Freiheitskriege“ gegen Napoleon initiiert .34 In geschichtsreligiöser Manier deutete er sie als eine Renaissance der „platonischen Vorstellung“ einer „alles überwölbenden Gemeinsamkeit“ sowie als „Abglanz christlichen Glaubens an die göttliche Vorsehung“ .35 Als prominente Protagonisten dieser „Gesamtbewegung“ nannte er Humboldt, Fichte und Schleiermacher . Die Entwicklung des „neuen Typus der humanistisch-liberalen Staatsuniversität mit weitgehender Selbstverwaltung“ führte er auf sie zurück und siedelte diese „Universitätsreform“ in der Berliner Universitätsgründung 1810 an .36 Damit griff er eine u . a . mit Eduard Spranger populär gewordene Rückprojektion auf, mit der Universitätsreformen im 20 . Jahrhundert legitimiert wurden .37 Liberalismus, konkret das minimale Eingreifen des Staates bzw . die „Autonomie“ der Universitäten stellte für Ritter das Kernstück dieser Universitätsverfassung dar .38 Historisch ist auch diese Auffassung nicht haltbar, da es sich bei deutschen Universitäten des 19 . Jahrhunderts dezidiert um staatliche Anstalten handelte, die zwar Selbstverwaltungsrechte hatten, aber keineswegs „autonom“ waren .39 Dieses Narrativ muss vielmehr vor dem Hintergrund einer Abgrenzung vom NS gelesen werden . Mit angeblich staatsfernen Traditionen sollte nachträglich eine Distanz der Universitäten zum NS kreiert werden . Für europäische Krisen machte Ritter Demokratisierungsprozesse verantwortlich, die er als Verfallserscheinungen eines christlich-liberalen, ständisch geordneten Nationalstaats auffasste .40 Demokratisierung begriff er als „Vermassung“, ein Schlagwort, mit dem er sich wie Tellenbach auf Ortega y Gasset bezog .41 Kultur und Werte des Liberalismus’ seien mit dem modernen „Massenmenschen“ verloren gegangen .
Vgl . ders . (1952), S . 9, 1 . Vgl . Gretz (2007), S . 15 . Das folgende Zitat ebd . Ritter (1946a), S . 6 . Ebd ., S . 10 Ebd ., vgl . auch Killy (1952), S . 10–13, S . 21–23 . Beide beziehen sich auf Spranger (1913, 1919) . Vgl . weiterführend Paletschek (2001a, 2001b, 2001c, 2002), vgl . Schwinges/Staub (2001), Langewiesche (2011, 2010), Ash (1999, 1997) . 38 Ritter (1946a), S . 10 . 39 Zwar waren deutsche Universitäten im Vergleich zu französischen weniger etatisiert, von „Autonomie“ konnte jedoch keine Rede sein, vgl . Schwarz (1999), S . 77 . Verwissenschaftlichungs- und Akademisierungsprozesse, die Entwicklung zur Forschungsuniversität und der Philos . Fakultäten zu Lehrerausbildungsinstitution oder etwa die Öffnung der Universität für Frauen erfolgten aufgrund staatlicher Eingriffe . 40 Ritter (1984[1943]), S . 671, vgl . S . 681, vgl . ders . (1946a), S . 11 . 41 Ders . (1984[1943]), S . 677 . 32 33 34 35 36 37
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Analog siedelte er die „Bildungskrise“ in der Weimarer Republik und einer „staatsgläubig gewordenen Bildungsschicht“ an .42 In diesem Sinne verurteilte Ritter auch die sich in den 1920er Jahren abzeichnende Umwandlung „unsere[r] Universitäten in Massenbildungsanstalten, unsere[r] Vorlesungen in Volkshochschulkurse .“43 Die „Überflutung mit sog . ‚Werkstudenten‘“, ein „Zudrang“, der durch „[a]lle möglichen Wirtschaftshilfen für bedürftige Studenten“ verstärkt worden sei sowie ein rapide zunehmendes „Frauenstudium“ habe die „drohende Gefahr der Verflachung und Banalisierung“ geschürt .44 Als Wurzel dieser Krise identifizierte Ritter die empirische Forschung, den Materialismus und Relativismus des Historismus, welche die „selbstverständliche Geltung überlieferter sittlicher Vorstellungen und historischer Autoritäten ins Wanken“ gebracht habe .45 In den 1920er Jahren sei die „Notwendigkeit einer totalen Universitätsreform“ ebenso offenbar gewesen wie die „‚Krisis‘ der Wissenschaft“ . Im „Großen und Ganzen“ hätten sich „die deutschen Universitäten in ihrer überkommenen freiheitlichen Verfassung“ behaupten können, „nur daß es immer schwieriger wurde, den aristokratischen, auf strenger Qualitätsauswahl beruhenden Charakter des deutschen Wissenschaftsbetriebes festzuhalten“ . Der langfristige Trend zur „Vermassung“ sei in den „Bemühungen des NS, die Universitäten zu Propagandaorganen seiner völkisch-rassischen ‚Weltanschauung‘ zu machen“, gemündet .46 Fehlentwicklungen machte Ritter so in der Krise eines platonisch-christlichen deutschen Idealismus aus, die durch Positivismus und historischen Materialismus sowie demokratische Entwicklungen hervorgebracht worden sei . Auch nach 1945 schwebte Ritter als Staatsform das Kaiserreich, ein gegliederter, liberaler Ständestaat vor, der durch idealistische Rückbesinnung und „Geschichte als Bildungsmacht“ erreicht werden könne . Ritters geistige „Wiederaufrichtung“ beruhte auf einer Idealisierung deutscher Geschichte des 19 . Jahrhunderts . Seine Glaubwürdigkeit bezog er aus der Selbstinszenierung als liberal-konservativer Widerstandskämpfer für Christentum, Idealismus und Kaiserreich . Diese wurden sakrosankt gesetzt und jeglicher Verantwortung und Kritik enthoben . Er konstruierte damit eine nationalliberale Glaubensgemeinschaft, die er im Sinne einer „Wiederanknüpfung“ an vermeintliche Traditionen entlastete . Hingegen wurden ohne weitere Differenzierung Säkularisierung, Demokratie, Kommunismus, Nationalsozialismus, Historismus, Skeptizismus, Materialismus und Positivismus als Ursachen der „Krise“ dämonisiert – und zum „Aufstand der Massen“ de-
Ders . (1946a), S . 8 . Ebd ., S . 14 . Ebd ., S . 12 . Die „Einordnung in ein höheres Ganzes“ sei verdrängt worden durch „Positivismus“ und Naturwissenschaften, die zur „Entzauberung der Welt“ beitrugen . Ebd ., S . 13 . Die folgenden Zitate ebd . 46 Ebd ., S . 14 . 42 43 44 45
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klariert . Der idealisierende Rückzugsdiskurs basierte allerdings auf elitärem Standesbewusstsein, Glaubensmythen und Vergangenheitsflucht . Ulrich Herbert hat die „Modernisierung der Lebensweisen und -normen und der politischen Einstellungen im Sinne von Partizipation, Pluralität und Abbau hierarchischer und autoritärer Strukturen“ der 1960er Jahre als Liberalisierung bezeichnet, um die wertbezogene Komponente von Modernisierungsprozessen zu kennzeichnen .47 Angesichts Ritters, der den „deutschen Liberalismus“ des 19 . Jahrhunderts zum „Fixpunkt seines politischen Glaubensbekenntnisses“ machte,48 aber eine „Todfeindschaft zwischen Liberalismus und egalitärer Demokratie“49 konzedierte, muss zwischen partizipativen, demokratiebejahenden Liberalisierungsprozessen und elitär-autoritären Liberalismusverständnissen unterschieden werden . Bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde Ritters idealistisch-protestantisches Glaubensgebäude als eine aus antidemokratisch-elitären Ressentiments schöpfende restaurative Apologie kritisiert . Sein deutschnationales Beharren auf dem Idealbild des Kaiserreichs stand europäischen Entwicklungen und der Westorientierung entgegen . Seine geistesgeschichtlich heroisierende Form der Geschichtsschreibung verhinderte die Anknüpfung an sozialwissenschaftliche Methoden . Retrospektiv in der longue durée betrachtet, entschied sich Ritter für Sackgassen, als „National-Trompeter“ wie auch als „Kultur-Cellist“,50 was zu dem von Cornelißen hervorgehobenen „Vergessen eines Historikers“ beitrug .51 Nichtsdestoweniger war Ritter weit über seine Emeritierung 1956 hinaus ein breit rezipierter public intellectual, der sich in geschichtswissenschaftlichen und hochschulpolitischen Angelegenheiten und „Krisen“ immer wieder einflussreich zu Wort meldete . 5.1.2
Gerd Tellenbach: „Schwäche ist Schuld“52
In der unmittelbaren Nachkriegszeit trat auch der sechzehn Jahre jüngere Tellenbach mit zwei im klassischen Krisenmuster aufgebauten Schriften an die Öffentlichkeit .53 Während der Fokus auf „die Deutschen“ in Die deutsche Not als Schuld und Schicksal breit gewählt wurde, beschränkte sich der 1946 veröffentlichte Aufsatz Zur Selbstorientierung der Universität auf deutsche Universitäten bzw . auf die Geisteswissenschaften .54
47 48 49 50 51 52 53 54
Vgl . Herbert (2002b), S . 12, vgl . auch Scheibe (2002) . Cornelißen (2001), S . 184, vgl . S . 188–190 . Ritter (1948), S . 47, vgl . weiterführend Cornelißen (2001), S . 423 . Zmarzlik (1970[1968]), S . 26 . Vgl . Cornelißen (2001), S . 642–648 . Tellenbach (1947), S . 18 . Ebd ., S . 57, vgl . S . 9–24 . Vgl . ders . (1963[1946]a) .
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Im ersten Teil des stark rezipierten,55 schmalen Bands Die deutsche Not als Schuld und Schicksal untersuchte er zur „Diagnose“ das Verhältnis der Deutschen zum Nationalsozialismus,56 legte im darauf folgenden Reflexionskapitel eine Ursachenanalyse vor und suchte im letzten Part – Auf des Messers Schneide – nach „mögliche[n] Auswege[n] .“57 Tellenbachs eigene Lesart seines kurz nach Kriegsende geschriebenen Buchs findet sich in seinen Memoiren . Er beschrieb das Buch als demonstrativ selbstkritisches „Bekenntnis zur Verantwortung“ und evoziert mit dem Hinweis darauf, dass er es „oft auf den Knien“ verfasst hatte,58 eine demütige Haltung . Dieser Interpretation schloss sich sein Schüler Gerhard Oexle an, der das Buch zu den „bedeutendsten Auseinandersetzungen deutscher Historiker in der Nachkriegszeit mit dem soeben Geschehenen“ zählte und dessen „gebührende Würdigung“ er einklagte .59 Anne Nagel wies hingegen darauf hin, dass diese Lesart „noch zu prüfen“ sei und begann mit einer kritischen Analyse .60 Diese Stränge werden hier aufgenommen und durch eine Analyse der Krisenrhetorik Tellenbachs erweitert . In dem Versuch einer Krisendiagnose entlastete Tellenbach die Deutschen zunächst weder von ihrer Verantwortung, noch verschwieg er die während des NS begangenen Verbrechen . Er bewertete „die kaltblütig-bewußte und empörend rationale Leitung der Judenverfolgungen“ als „Ungeheuerlichkeit […], die in der Weltgeschichte wenig ihresgleichen hat“ und verurteilte das „System des Gestapoterrors und der Konzentrationslager“ sowie die „Vernichtung angeblich ‚lebensunwerten Lebens‘“ durch die Aktion T4 .61 Im Vergleich zu den zu Kriegsende erschienenen Schriften und Reden seiner Kollegen, etwa Ritters „ostentatives Bemühen, die Judenvernichtung nicht als geschichtswürdiges Thema anzuerkennen,“62 war die klare Benennung nationalsozialistischer Verbrechen eine Seltenheit . Diese Passagen sind es, die Oexle dazu bewegten, Tellenbachs Die deutsche Not als Schuld und Schicksal lobend zu würdigen . Allerdings diskreditiert, wie Nagel gezeigt hat, Tellenbachs Erklärung der NS-Verbrechen seinen vielversprechenden Anfang .63 „Der Terror der Gestapo und der KonzentraVgl . die positiven Rezensionen sowie die dankenden Zuschriften, in: UA Freiburg Nr . C0157/204 . Tellenbach (1947), S . 9–23, hier S . 9 . Ebd ., S . 46–58, hier S . 46 . Ders . (1991), S . 57 . Oexle (2005), S . 60 . Auch Peter Schöttler (1997b) betont, dass nach 1945 „Schuld“ nur selten eingestanden wurde und führt als Ausnahme Tellenbach an . Wie er (ebd ., S . 11) treffend hervorhebt, engagierte sich der aufstrebende Wissenschaftler Tellenbach zwar nicht für den NS, stieg aber dennoch „Schritt für Schritt auf der Karriereleiter nach oben“ . Aufschlussreich zu dieser Haltung ist Tellenbachs 1936 in der Zeitung „Der Führer“ erschienener Artikel zum Universitätsjubiläum in Heidelberg, vgl . Tellenbach (1936a), vgl . dazu Wollasch (2000), Zotz (2006), S . 42–43, vgl . auch Fausser (2000), S . 68 . 60 Nagel (2007), S . 92 . 61 Tellenbach (1947) S . 8, 16–17 Bei der „Aktion T4“ handelt es sich um die systematische Ermordung von Menschen mit Behinderungen 1940–45 . Der erst nach 1945 gebrauchte Begrifff ersetzt den Namen „Aktion Gnadentod“ und bezieht sich auf die Tiergartenstr . 4 in Berlin, in der diese Programme geplant wurden . 62 Berg (2003), S . 137 . 63 Nagel (2007), S . 92–93 . 55 56 57 58 59
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tionslager und die Judenverfolgungen“ seien „zu erheblichen Teilen auf krankhafte Erscheinungen zurückzuführen, die u . a . der Erforschung durch die Medizin bedürfen“ .64 Die „Krankheiten“ führte er näher aus mit der „Diagnose“, dass „hier ein großer Kreis von Sadisten, von sexuell Perversen, von Lustmördern das bestimmende Element gewesen sein“ müsse, wobei er auf die „homosexuelle Krankhaftigkeit der damaligen SA-Führung“ verwies . Statt der angekündigten „wissenschaftliche[n]“ und „nüchterne[n]“ Untersuchung wurden Pathologisierung und Ressentiments zur Erklärung des bürokratischen Massenmords ins Feld geführt . Einer solchen Kehrtwende unterwarf Tellenbach auch sein strenges Urteil: „Es gibt dabei keine Ausreden . Unkenntnis kann nicht entschuldigen . Wenn wir auch nur einen Bruchteil der nationalsozialistischen Verworfenheit kannten, jeder konnte genug wissen, um Gegner Hitlers und seines Systems zu sein .“65 Tellenbach sprach selbst diejenigen, „die den Nationalsozialismus in seiner Totalität oder in einzelnen Zügen bekämpft haben“ nicht von Schuld frei, denn „auch Schwäche ist Schuld“ .66 Mit der Formel „Schwäche ist Schuld“ schlug Tellenbach eine Brücke zum Ausland und kritisierte die „gleichgültige Haltung“, „Lethargie und Indolenz“ der Appeasementpolitik gegenüber dem faschistischen Italien und nationalsozialistischen Deutschland als „Mitschuld“ .67 Daraufhin kehrte er die Argumentation um und machte vor dem Hintergrund, dass „jede offene Tat des Widerstands Selbstmord bedeutete“, klar, dass in Deutschland „im stillen, in zäher Arbeit doch mehr eingesetzt worden [sei] für Recht, Wahrheit und Menschlichkeit bis sich die Menschheit 1939 endlich zur Abwehr aufzuraffen begann“ .68 Tellenbach enthielt sich einer Analyse der Appeasementpolitik oder einer differenzierten Darstellung von Widerstandsgruppen . Vielmehr übertrug er die „Schwäche ist Schuld“-Argumentation, die zunächst nur der „Opposition“ galt, auf das „deutsche Volk“ insgesamt . Die nun ganz allgemein formulierte „Schwäche des Widerstandes“ führte er auf den „seit zwei Jahrhunderten angestiegenen Materialismus, auf Habgier und Lust am Wohlleben“ zurück, auf „Moralinfreiheit“ und „geschlechtliche Libertinage“ sowie den „gesteigerten Geltungsdrang vieler Einzelner“ .69 Die „eigentliche deutsche Krankheit […] von der sich der Nationalsozialismus genährt hat“ identifizierte er in dem „Bedürfnis zu gehorchen“, das selbst „die Lust zu kommandieren“ übertreffe . Die „Schuld“ übertrug Tellenbach so zunächst auf in ihrer Schwäche schuldige „Widerstandskämpfer“ und von dort aus auf das „Unterlassen des Widerstands“ überhaupt, hinter dem die Selbstmobilisierung verschwand .70 Die rhetorische Kunst 64 65 66 67 68 69 70
Tellenbach (1947), S . 15 . Ebd ., S . 17, vgl . S . 16, S . 45 . Ebd ., S . 18 . Ebd ., S . 44 . Ebd ., S . 18 . Ebd ., S . 19–20 . Das folgende Zitat S . 20, vgl . S . 22–23 . Ebd ., S . 20 .
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Tellenbachs bestand darin, dass er seine einsichtigen Aussagen Schritt für Schritt drehte . Für sich genommen sind die verschiedenen Passivitäten, die er als „Schuld“ kennzeichnet, tatsächlich nicht ohne Verantwortung, und das offene Eingeständnis klärte die Verhältnisse . Die Unterlassung von Widerstand und Engagement differenzierte er aber weder aus, noch kontextualisierte er sie . Vielmehr nutzte er sie dazu, auch die Selbstmobilisierung darunter zu subsumieren: Tellenbach verteilte über den Umweg der „Unterlassungssünde“ die Schuld auf alle Schultern . So widersprach er schließlich seiner Aussage vom Anfang und entlastete das „deutsche Volk“ insgesamt: „Wer die Deutschen als Mittäter bei den Millionenmorden bezeichnet, muß damit rechnen, dass er einfach nicht mehr angehört wird .“71 Indem Tellenbach „Schwäche“ oder „Machtlosigkeit“ mit „Schuld“ verknüpfte, verschaffte er sich von allen Seiten Gehör: Die Alliierten bekamen ein Schuldgeständnis, die Universitäten und Kirchen wurden aber gleichzeitig als „zu schwache“ Widerstandskämpfer in Szene gesetzt, die nichts weiter als „nicht unschuldig an ihrer Machtlosigkeit“ waren .72 Damit gab er dem deutschen Zielpublikum apologetische Argumentationslinien an die Hand, richtete sich aber auch an die Siegermächte . Sein Anliegen bestand darin, die Deutschen mit den westlichen Siegermächten zusammenzuschließen und sie in Bezug auf eine gemeinsame Schuld,73 die langanhaltende Krise des „europäisch-amerikanischen Kulturkreises“, auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen . Der Zustand Deutschlands ist das akuteste Symptom einer Weltkrankheit . Nicht nur gegen die Deutschen haben sich die dämonischen Mächte erhoben, um die alte, unendlich kostbare und höchst lebensfähige Kultur des Abendlandes in Mechanismus, Entseelung, Entgottung zu ersticken . Alle Kräfte der Welt sind dagegen aufzurufen .
Von den „Deutschen“ versprach Tellenbach, dass sie „der Welt bei der Überwindung des Übels vielleicht Unentbehrliches“, „ein Serum bieten können, durch das sie zum Heil der Welt und der Einlösung ihrer Schuld beitragen“ könnten . Schließlich suchte er nach den „Ursachen“ der Fehlentwicklungen,74 die er nicht in der Zeit des Nationalsozialismus selbst ansiedelte, sondern sie auf eine „Schwächung“ verschob, die „davor“ stattgefunden habe . Die Schuld in diesem Sinne fällt aber nicht so sehr in die Krisenzeit selbst, als in eine viel längere Periode vorher . Die deutschen Universitäten waren nicht genug sie selbst, sie hatten ähnlich wie andere geistig-seelische Mächte – unter ihnen die Kirchen – nicht genug eigene Klarheit und Geistesmacht, nicht genug Trotz, um Gegengewichte gegen die unge-
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Ebd ., S . 49 . Ders . (1963[1946]a), S . 17–18 . Vgl . ders . (1947), S . 57 . Die folgenden Zitate ebd . Ebd ., S . 48 .
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heuer angestiegenen Gefahren der modernen Welt zu bilden, sie waren durch Positivismus und Spezialistengeist zu sehr geschwächt, um gegen Mechanisierung, Entseelung, sittliche Subalternität und Entgottung aufzukommen . So ist die Katastrophe infolge unberechenbarer Verknüpfung von Schuld und unglücklichem Schicksal über uns hereingebrochen .75
Die nationalsozialistischen Verbrechen minimierte Tellenbach demnach erstens zur Unterlassungssünde, die er zweitens auf die „moderne Welt“ verteilte und drittens wie Ritter eine Krise des Idealismus dafür verantwortlich machte . Schwäche durch Krise Zur Erklärung jener „Schwäche“, nun ausgeweitet zum allgemeinen „menschlichen, politischen und religiösen Versagen“, rekurrierte Tellenbach auf die idealistische Krisenrhetorik .76 Neben der Pathologisierung war sie seine wichtigste Argumentationslinie, die eine an Ritter orientierte historische Herleitung stützte .77 „Passivität und Unterwürfigkeit, Doktrinarismus, Mangel an Ernst und Verantwortungsgefühl“, erklärte er zu charakteristischen „Schattenseiten“ des „inneren Verhaltens der Deutschen zu Staat und Politik“ seit Ende des 19 . Jahrhunderts . Diese Haltung führte er auf „die allgemeine Krise des abendländischen Kulturkreises“ zurück, den er um die USA erweiterte .78 Er unterschied die Krisendimensionen der „Bildungskrise“ und der „religiösen Krise“ im Kontext einer gesamtgesellschaftlichen Krise des „Weltalter[s] des Erwerbs und des Verkehrs“ . Die Ergebnisse seiner „Ursachenanalyse“ unterschieden sich kaum von denen Ritters: Die „Bildungskrise“ führte er auf „Popularisierungsbestrebungen“ zurück, definiert als „tiefes Mißverstehen der Gesetze geistiger Aneignung“: „Skeptizismus und Relativismus“ hätten zum „ästhetischen Spiel“ der Beliebigkeit, zu Positivismus und Materialismus geführt .79 In ihrer „Vulgarisierung“ hätten sie jegliche Normorientierung und Traditionsbindung infrage gestellt und zur „Loslösung von den Hintergründen des Daseins“ bzw . zur „religiösen Krise“, einer „Entgottung“, geführt:80 „Die Ders . (1963[1946]a), S . 18 . Tellenbach (1947), S . 49 . Tellenbach orientierte sich an dem von Ritter 1943 geschrieben Teil des Manuskripts des Freiburger Kreises „Politische Gemeinschaftsordnung“, das ihm vorlag und sich mit Teilen von Ritters 1948 erschienenen „Europa und die deutsche Frage“ deckt, vgl . Ritter (1984[1943]), 1948) . Tellenbach schrieb zwar nicht wie Ritter von Napoleon als „erstem Hitler“, lehnte sich aber an dessen Argumentationen an, wenn er etwa hervorhob, dass Napoleon „zuerst die Besiegten so brutal behandelte, wie man früher höchstens mit Türken oder Kolonialvölkern verfahren war .“ Ebd ., S . 38–39 . 78 Ebd ., S . 31 . 79 Ebd ., S . 35 . Unter „Popularisierung“ setzte er Einrichtungen der „Volksbildung“, „Volkshochschulen und Vorträge für größere Zuhörerschaften“ mit Vorträgen der Wehrmacht und in Parteiversammlungen gleich, vgl . ders . (1963[1946]a), S . 19 . 80 Ders . (1947), S . 36–37 . 75 76 77
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Wirklichkeit wird gesucht statt der angeblich unwirklichen Ideen .“81 Wie Ritter strebte auch Tellenbach eine elitär-idealistische Ausrichtung von Geisteswissenschaften an, die er auf die Universitäten übertrug . Die „geistigen und seelischen Werte der Menschheit, Kultur und Natur vielen zugänglich zu machen“ stelle zwar eine gute Absicht dar, habe aber die „Krise unseres Daseins […] wesentlich verschärft“ .82 Bildung werde dadurch „herabgewürdigt“ zum „Genuß, Erholungs- und Unterhaltungsmittel“, die Universitäten hätten „an Verständnis und Achtung breiterer Schichten eingebüßt“ .83 Die religiöse wie auch die „Bildungskrise“ situierte Tellenbach im „Weltalter des Erwerbs und des Verkehrs“ . Darunter begriff er moderne Phänomene der Industrialisierung und Globalisierung, Technisierung, Rationalisierung und Spezialisierung, vor allem aber „Probleme der Massenorganisation“ .84 Deren „Zwang“ könne sich kein Staat mehr entziehen; „Marxismus, Bolschewismus, Sozialismus, Faschismus oder Nationalsozialismus“ seien infolge dieser Probleme aufgestiegen . Konkret führte er mit Bezug auf Burckhardt das „Pathos unserer Tage, das Besserlebenwollen der Massen“ an .85 Soziale Forderungen, so Tellenbach, hätten ein „Hochtreiben der ‚Massenfürsorge‘ durch Technik und Wirtschaft“ und demografischen Wandel bewirkt . Mit diesem Befund blendete er die Elitenbeteiligung an kapitalistischen Produktionsprozessen und biopolitischen Zusammenhängen insgesamt, am Aufstieg des NS im Speziellen, aus: „die Massen“ wurden dafür verantwortlich gemacht .86 Ritters und Tellenbachs Argumentationen unterschieden sich formal deutlich . Im direkten Vergleich formulierte Ritter regelrecht drastisch seine eindeutigen Thesen . Dagegen verfolgte Tellenbach mit geschickter Rhetorik sein Ziel, die Kooperation mit den Siegermächten zu ermöglichen, indem er Deutschland, Europa und die USA in einem gemeinsamen „Krisenschicksal“ zusammenband . Dabei rekurrierte er auf moralische Kategorien von Schuld und Schwäche, um letztlich an dieselben „Krisen“ wie Ritter anzuknüpfen, wie auch an die damaligen Legitimationsgaranten – die idealisierten „Traditionen“ . Gemeinsam war ihnen die geistesgeschichtliche Legitimierung Deutschlands, der Universitäten und Geisteswissenschaften durch „Traditionen“, die heute größtenteils als Mythen und Erfindungen des 20 . Jahrhunderts dechiffriert wor-
Ebd ., S . 38–39, vgl . analog Ritter (1946a), S . 21 . Ders . (1947), S . 34–35 . Ders . (1963[1946]a), S . 29 . Ders . (1947), S . 32–33 . Das folgende Zitat ebd . Ebd ., S . 32 . Das Zitat steht im Kontext von Burckhardts Frage nach einem „großen Mann“, in der er den demokratischen „Pathos“ als hinderlich für den Aufstieg einer „wahrhaft großen Gestalt“ ablehnt, vgl . Burckhardt (1929), S . 191 . 86 Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Zusammenhänge, wie sie sein Kollege Bauer bereits 1931 mit seinen Untersuchungen zu Staat, Kirche und Kapitalismus vorgelegt hatte, verschwanden dadurch, vgl . Bauer [Weingärtner] (1965[1931], 1965[1959]) . Vgl . Kap . 5 .1 .4 . Tellenbach hingegen hakte soziale Forderungen 1947 als Selbstläufer ab, da „gerade überall die Losung des Sozialismus“ herrsche, „daß jede Energie für das Wohlergehen aller Volksschichten angewandt werden“ müsste, Tellenbach (1947), S . 34 . 81 82 83 84 85
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den sind . Der NS hingegen wurde als ein Produkt pathologisierter Modernisierungsprozesse begriffen, die auch die Siegermächte erfasst hätten . Hagen Keller hat in seiner Ansprache zum 90 . Geburtstag von Tellenbach festgestellt, dass diesem nichts ferner gelegen habe „als Geschichte inhaltlich zur ‚Sinnstiftung‘ für die Gegenwart zu aktualisieren .“87 Dieser Anspruch ist kaum einlösbar, da Geschichtsschreibung in allen ihren Ausprägungen zeitgebunden ist, für ihre jeweilige Gegenwart geschrieben wird und insofern reflektiert werden muss . In Bezug auf Tellenbachs hochschulpolitische Schriften trifft Kellers Einschätzung nicht zu . Die darin artikulierten Auffassungen von Entwicklungen im 19 . Jahrhundert setzte Tellenbach durchaus sinnstiftend für die Geisteswissenschaften, die Universität und die deutsche Nachkriegsgesellschaft ein . Auch im Nachwort seiner Entstehung des deutschen Reiches, das sich in mehreren Abschnitten mit Die deutsche Not als Schuld und Schicksal deckt, überlagert die Sinnstiftung für die eigene Gegenwart ein historisch-analytisches Vorgehen . Sie hob sich von Ritters nationaler Perspektive insofern ab, als dass Tellenbach die Deutschen föderal in ein internationales, westliches Bündnis einband: Alle Leistungen und Kraftäußerungen des deutschen Geistes wird die um ihre Selbstbehauptung und Selbstrechtfertigung ringende deutsche Kultur an sich heranziehen und in sich hineinziehen müssen . […] Die Deutschen werden ihre Geschichte als diejenige eines der großen abendländischen Geistesvölker betrachten, das deutsche Geschichtsbild in das umfassendere des ganzen europäisch-amerikanischen Kulturkreises einkomponiert sehen […] .88
Kellers Aussage beschreibt aber treffend Tellenbachs Verständnis von Universität und Geisteswissenschaften, deren „Idee“ er als zeit- und kontextunabhängige, „wesentliche“ Ideale voraussetzte . Sie waren aber nicht überzeitlich, sondern zu Beginn des 20 . Jahrhunderts formuliert und während des NS mit völkischer Grundierung ausgebaut worden .89 Sie waren auch nicht alternativlos . Vielmehr dienten sie der Bestärkung eines elitären Universitätssystems und idealistischen Wissenschaftsverständnisses . 5.1.3
Krisenlösungen: Idealismus, Humboldt, Geschichtsreligion
Die idealistische Ausrichtung der Geisteswissenschaften als Grundlage von Universität und einer neuen Gesellschaftsordnung erschien Ritter als direkte Konsequenz der
Keller (1994), S . 376 . Tellenbach (1946), S . 240–241 . Auch die in Bezug auf die mittelalterliche Kirche formulierten Ergebnisse seiner Habilitation „Libertas“ laufen mit seinen hochschulpolitischen Argumenten nach 1945 parallel . 89 Tellenbach nutzte Abendland-, Geistes- und Einheitsdiskurse als Abgrenzung zum NS, die während des NS im „Kriegseinsatz Deutscher Geisteswissenschaften“ Konjunktur hatten, vgl . Nagel (2007), S . 89 . 87 88
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Erfahrung des Nationalsozialismus .90 Auch Tellenbach war von der Konsensfähigkeit dieser Ideen überzeugt, da „die deutschen Universitäten nach den erlebten Bedrohungen und Erschütterungen vermutlich eine selten einheitliche Auffassung über ihr Wesen und ihre Aufgaben hegen dürften“ .91 Eine „religiös oder rein moralisch“ begründete Krisenlösung betrachteten sie als Voraussetzung dafür,92 Irrwege, die „in ausweglose Situationen oder gar zur Katastrophe geführt“ hätten, in Zukunft zu verhindern .93 Sie stellten die Universitäten an die Seite der Kirchen und versuchten ihnen in der Öffentlichkeit Glaubwürdigkeit zu verleihen . Unsere ganze Stellung in der Öffentlichkeit beruht ausschließlich auf dem Vertrauen der Nation, an ihren Universitäten (ähnlich wie in den Kirchen) unbedingt treue, unbestechliche Zeugen und Wächter des Wahren und Guten, vor allem aber unbedingt nüchterne Kenner und Deuter der Wirklichkeit zu besitzen .94
Tellenbach und Ritter waren sich in ihrer Hinwendung zu metaphysischen Ideen einig . Mit dem Versprechen, dem „Geiste Geltung in der verdüsterten Welt zurückzugewinnen“, behaupteten sie die Geisteswissenschaften als Proliferanten von „Gegenkräften“, die aus deutschen Traditionen95 gewonnen werden und universitäre Krisen verhindern sowie das „Abendland“, ja gar die Welt retten könnten .96 Während Ritter jedoch die „christlichen Kirchen als weltgestaltende Macht“ in den Vordergrund stellte,97 berief sich Tellenbach eher auf den „Glaube[n] an Vernunft und Vernünftigkeit“, der „einen Maßstab für ein Welt und Leben ordnendes Wertsystem abzugeben und einen verhältnismäßig festen Halt zu bieten“ vermöge .98 So stand die „Renaissance“ universitärer „Traditionen“ im Allgemeinen, die „Revision“ deutscher Geschichtsbilder im Besonderen bei den Historikern der unmittelbaren Nachkriegszeit im Vordergrund . Bedeutungszuwachs im „Kulturstaat“ „Aber man bläst nicht ungestraft die nationale Heroldstrompete . Heute finden wir sehr viel zu revidieren am überlieferten deutschen Geschichtsbild“ .99 Die Überprüfung
90 91 92 93 94 95 96 97 98 99
Ritter (1946a), S . 20–21 . Tellenbach (1963[1946]a), S . 23 . Ritter (1946a), S . 56–57 . Tellenbach (1963[1946]a), S . 13 . Ritter (1946b), S . 3 . Vgl . Ritter (1947c), S . 72–73, vgl . Tellenbach (1947), S . 39, vgl . S . 47 . Tellenbach (1947), S . 57, vgl . ders . (1963[1946]a), S . 18 . Ritter (1984[1943]), S . 682 . Tellenbach (1947), S . 38 . Ritter (1950), S . 6 .
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deutscher Geschichtsbilder bewirkte zunächst eine Distanzierung von deutschen militaristischen Traditionen und Großmachtvorstellungen .100 In jedem Fall wird die Außenpolitik für einen deutschen Staat bedeutungslos sein . Das deutsche Volk wird in der Weltpolitik nicht mitzureden und auch keine Verantwortung für die Sicherheit und Wohlfahrt der Welt mitzutragen haben . Es wird sich auch nicht selbst verteidigen können, und militärische Aktionen kommen nicht einmal im kleinsten Umfang in Betracht .101
Statt als Militärnation, prognostizierte Tellenbach, könne als „Kulturnation“ ein „Wiederaufstieg“ bewirkt und internationales Ansehen gewonnen werden: „Das deutsche Volk wird ein hervorragender Kulturträger sein oder es wird seine eigenartige Existenz überhaupt verlieren .“102 Während Ritter demokratische Staatsformen kritisierte, setzte Tellenbach sie mit seiner Konzeption eines „echten Kulturstaat[s]“ gleich .103 Die Differenz zwischen Demokratie und Kaiserreich wurde verwischt, die Universität als demokratische Institution vorgestellt: „Mögen die Deutschen für die Demokratie noch nicht reif befunden werden, die Universitäten sind es längst“ .104 Mit der Idee eines von universitären Interessenvertretern mitgestalteten Kulturstaats105 entfernte sich Tellenbach allerdings nur graduell von Ritters Vorstellungen eines Notablenstaats .106 Sie stimmten auch dahingehend überein, dass Universität und Geisteswissenschaften nicht für politische Zwecke instrumentalisiert werden dürften,107 aber in Staat und Politik eine ausschlaggebende Rolle spielen sollten . Während Ritter aber alle staatlichen Interventionen in Universitätsangelegenheiten strikt ablehnte,108 hielt Tellenbach daran fest, dass die „Autonomie“ der Hochschulen nicht eine Isolierung herbeiführen dürfe .109 Mit der Konzeption des Kulturstaats, in dem die Universität „keinen Staat im Staate“, sondern „ein wertvolles und unentbehrliches Glied des Staates“ darstelle, distanzierte er sich von Ritters Autonomievorstellungen . Aus ihrer Geschichtsdeutung, dass die Entwicklung zum NS aus einer Krise geistiger Grundlagen und Traditionen resultiere, leiteten sie aber beide eine zentrale staatliche Funktion der Geisteswissenschaften ab .
Vgl . ders . (1947c), S . 61, vgl . S . 73 . Tellenbach (1947), S . 52–53 . Ebd ., S . 56, vgl . S . 53 . Ebd ., S . 54 . Tellenbach (1963[1946]a), S . 20 . Ebd ., S . 23–24 . Ebd ., S . 23–24, vgl . Ritter (1957), S . 98, ders . (1931), vgl . Cornelißen (2001), S . 416–431 . „Im Dritten Reich vergewaltigte der Staat die Universität …“ Tellenbach (1963[1946]a), S . 22, vgl . Ritter (1946a), S . 7 . 108 Vgl . Ritter (1946a), S . 10, vgl . S . 6 . 109 Tellenbach (1963[1946]a), S . 21, vgl . S . 22 . Die Diskussion wurde mit Bezug auf Humboldt (1851) geführt . Während Tellenbach sich von „den Befürchtungen des jungen Humboldt“ (Tellenbach (1963[1946]a), S . 22) abgrenzte, bezog sich Ritter (1946a, S . 6) affirmativ auf den „Protest, den der 25jährige Wilhelm v . Humboldt 1792 gegen die totalitäre Wohlfahrts- und Kulturpolitik des aufgeklärten Polizeistaats erhob“ . 100 101 102 103 104 105 106 107
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Die Autonomiediskurse sollten die Selbstverwaltung und Mitspracherechte der Universitäten in der Bildungspolitik stärken, die nun wieder der Länderhoheit unterstanden . Die Distanzierung von staatlichen Einflüssen war den Abgrenzungsversuchen vom NS geschuldet und hatte keine konkrete Basis . Die Idee der Universität – Idealistisch-elitäre Universitätskonzeptionen Bestanden zwischen Tellenbach und Ritter hinsichtlich des Verhältnisses von Universität und Staat einige Differenzen, so traten sie doch beide als prominente Protagonisten der „permanenten Erfindung“110 der „Idee der Universität“ auf .111 Der Erfolg einer Universitätsreform der Gründerzeit, die mittelalterliche Universitätsvorstellungen aufgenommen und sie auf einen neuzeitlichen Boden gestellt habe, lasse „sich an der Geschichte jeder einzelnen deutschen Hochschule, ganz besonders aber an der unserer Freiburger Universität ablesen“ .112 So beruhte laut Ritter „der internationale Ruhm der deutschen Universitäten und der deutschen Wissenschaft im Wesentlichen“ auf der deutschen Universitätsidee .113 Tellenbach zufolge stand eine solcherart konzipierte Universität „in denkbar schärfstem Gegensatz zum Nationalsozialismus und seinen allgemeinen Grundlagen“ .114 Gegen das Elementare und Chaotische stehen Geist und Ordnung, gegen Willkür Gesetz, gegen Lüge und äußerliches Nebeneinander von Unvereinbarem Wahrheit und innere Folgerichtigkeit, gegen unverbindliche Hingabe an den Augenblick Sinn für Geschichte, gegen mechanischen, subalternen Gehorsam Selbstverantwortung und zuchtvolle Freiheit, gegen Zynismus und Nihilismus Gläubigkeit . Der Nationalsozialismus hat die Universität als Gegnerin früh erkannt und ihr den Kampf angesagt .115
Tellenbachs Gegenüberstellung beinhaltet zwar eine zeitgenössische Definition der „Idee der Universität“, jedoch keine des NS und seiner Spezifika . Das, was unter „Nationalsozialismus“ beschrieben wurde, bezeichnete in der Rhetorik Ritters und Tellenbachs die Kumulation derjenigen Prozesse, die sie für die „Krise der Universität“ verantwortlich machten . Von diesem Feindbild konnten sie sich mühelos abgrenzen, ohne viel zu ändern:
110 111 112 113 114 115
Paletschek (2001a) . Tellenbach (1963[1946]a), S . 14 . Ritter (1946a), S . 6 . Ebd ., S . 7, vgl . zu dem Komplex Paletschek (2010b) . Tellenbach (1963[1946]a), S . 15, vgl . S . 17 . Ebd ., S . 15, vgl . ähnlich die Vorlesung am 15 .01 .1945, in: UA Freiburg Nr . C0157/506 .
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Die Idee der Universität scheint uns höchst lebendige Antriebe bieten zu können . Sie ist es jedenfalls nicht, die versagt hat . Und daher gilt es, sie aufs neue innig zu ergreifen und ihr Raum zu erstreiten in der Wirklichkeit . Dann wird sie uns helfen können, dem Geiste Geltung zurückzugewinnen und zur Rettung des vital gefährdeten deutschen Volkes und darüber hinaus der bedrohten abendländischen Kultur beizutragen .116
Ebenso deutlich formulierte Ritter den deutschen Sendungsauftrag der Geisteswissenschaften . Er stellte die „Großtaten des deutschen Geistes“ als einzigen Weg seiner Generation dar, „den deutschen Namen wieder zu Ehre zu bringen vor aller Welt .“117 Diesen heroischen Weg grenzte er herablassend von sozialen Bildungsbestrebungen der Weimarer Republik ab, die er als „billige Popularwissenschaft“ verwarf . Auch Tellenbach forderte dazu auf, die Universität als geistesaristokratisches System zu bestärken . Der Nationalsozialismus sei „überhaupt keine geistige, sondern eine primitive Erscheinung“, während die Universität „in der jahrtausendealten Tradition des hellenisch-abendländischen Geistes“ ruhe .118 Die Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Dilettantismus ließen, wie Wagner betont hat, „weitere Reflexionen über das Verhältnis seriöser Wissenschaft zum NS-Regime als obsolet erscheinen .“119 Der Mythos der NS-Pseudowissenschaft wurzelt in diesen Auffassungen, die gleichzeitig eine elitäre Universitätsauffassung voranbringen sollten .120 „[D]ie deutsche Universität [darf] nie darauf verzichten, universitas litterarum zu sein, nicht aber ein Schulbetrieb im Stil der romanischen Universitäten und der englischen Colleges bis zum bachelor“,121 hatte Ritter 1944 dem Dozentenbundführer Eduard Steinke erklärt . In der Nachkriegszeit stand die Abkehr von „reinen“ Ausbildungszwecken und dem „Fachspezialistentum“ diskursiv im Vordergrund .122 Der „seit langem sich vollziehende[n] Bildungskrise“ könne „nur durch feste, ihrer selbst bewußte Kerne entgegengewirkt werden“ .123 Insofern müsse der Zugang zur Universität erschwert, die Leistungsanforderungen erhöht werden .124 Ritter und Tellenbach vertraten die Auffassung, dass die Universität lediglich als ein elitäres System ihrer eigenen Idee gerecht werden und ihr Ansehen in der Öffentlichkeit steigern könne . Die enge „Verbindung von Forschung und Lehre, die das besondere Kennzeichen und den besonderen Vorzug unseres deutschen Universitätsbetriebes
116 Tellenbach (1963[1946]a), S . 18 . 117 Ritter (1946a), S . 18 . 118 Tellenbach (1963[1946]a), S . 17 . 119 Wagner (2010b), S . 352–353 . 120 Vgl . Kap . 5 .1 .1, Anm . 9 . 121 Ritter an Eduard Steinke, Freiburg, 09 .08 .1944, in: Schwabe/Reichhardt (1984), Brief Nr . 119, S . 386 . 122 Ritter (1946a), S . 14 . 123 Tellenbach (1963[1946]a), S . 19 . 124 Vgl . ebd ., S . 20 .
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darstellt“ sei nur „im ausgewählten Kreis“ möglich .125 Dazu müsse das Universitätsstudium „fremdartig und fern, schwer zugänglich und streng“126 erscheinen sowie „ein ernstes Risiko bleiben“, das durch den „Selbstverantwortungsgedanken“ bestimmt und „nicht durch beruhigende Examina auf einzelnen Stufen erleichtert“ werden sollte .127 Die Verantwortung für das Studium wurde dadurch auf die Studierenden verschoben . Zudem wurde das „freie“, also größtenteils unstrukturierte Studium ohne klare Leistungskriterien als eine Qualifikationshürde eingesetzt, die den durch ihr Elternhaus beratenen Akademikerkindern Vorteile einräumte . Weiterhin investierten Ritter und Tellenbach wie viele andere Geisteswissenschaftler in der unmittelbaren Nachkriegszeit viel diskursive Energie darauf, das Studium an der Philosophischen Fakultät holistisch zu konzipieren und von seiner Anwendungsbezogenheit, teilweise sogar von seiner berufsausbildenden Funktion zu distanzieren . Diese Abgrenzung von einem „positivistischen“, durch „Spezialistentum“ und „Wissenschaftsbetrieb“ definierten Universitätsverständnis sollte konkret durch die Einrichtung des studium generale umgesetzt werden . Jede Disziplin werde „zur wahren Wissenschaft […] erst durch die Beziehung zum Ganzen und zur Grenze des Erkennbaren, nämlich durch ein philosophierendes Verhalten des Spezialwissenschaftlers“:128 Die „Philosophie“ wurde als gemeinsames Band aller Geisteswissenschaften wie auch der Universität insgesamt inszeniert, denn „das gleiche, was die Fächer unserer Fakultät zur Philosophischen Fakultät eint, ist ja auch dasjenige, was die Wissenschaften zur universitas litterarum zusammenbindet .“129 Dieses philosophische Selbstverständnis wurde aber methodisch nicht unbedingt umgesetzt, wie bspw . die Lehr- und Forschungspraxis Tellenbachs und seines durchaus „positivistisch“ vorgehenden Freiburger Arbeitskreises zeigt .130 Da sich auch angesichts der Zerstörung der Universitätsgebäude kaum andere Möglichkeiten boten als Zulassungsbeschränkungen einzuführen, erweist sich das geistesaristokratische Selbstverständnis der Philosophischen Fakultät nach 1945 als apologetische Legitimationsstrategie in einer Notsituation . Bei all diesen Voraussetzungen darf jedoch nicht übersehen werden, dass dieses Selbstverständnis über eine Eigendynamik verfügte, die auch die folgenden Entwicklungen bestimmte: Die Geisteswissenschaftler zogen sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit auf vermeintlich sichere, idealistische Glaubensdoktrinen zurück und bestärkten ein elitäres Universitätssystem .
125 126 127 128 129 130
Vgl . Ritter (1946a), S . 14 . Ebd ., S . 20 . Tellenbach (1963[1946]a), S . 21 . Ebd ., S . 25 . Tellenbach (1957, 1959, 1961, 1963, 1966, 1968), S . 81–86, S . 91–96, S . 79–85, S . 69–75, S . 65–71 . Vgl . Nagel (2005), S . 150, 152 .
Restauration durch geisteswissenschaftliche Krisenrhetorik 1945–52
Glaube als Grundlage jeder Wissenschaft Mit der Renaissance der Geisteswissenschaften auf philosophischer Grundlage wurde die Wiederanknüpfung an den deutschen Idealismus gefordert . Dabei knüpften Tellenbach und Ritter an die Auseinandersetzungen um die „Krise des Historismus“ an, mit der die durch Einsicht in historische Wandlungsprozesse hervorgebrachte Infragestellung absoluter Werte diskutiert131 und von Ritter bereits 1937 bekämpft wurde: „Mein Hauptanliegen ist die Rettung vor der Relativierung aller Werte – das Historismusproblem also in seinen verschiedenen Abwandlungen .“132 Auch Tellenbach machte ein Defizit an normativen Fundamenten und einen Überschuss an Skepsis für die Einbindung der Wissenschaften in den NS verantwortlich .133 Ganz abgesehen davon, dass viele Wissenschaftler dem NS mitnichten skeptisch gegenüber gestanden hatten, geriet damit in den Hintergrund, dass der NS ein normatives System war . Ihre Konzentration auf den „Skeptizismus“ als vermeintliche Voraussetzung für den Aufstieg des NS blendete sowohl Politisierungprozesse der Wissenschaft als auch ihre Eingebundenheit in das NS-Regime aus . Die Problematik sollte nicht konkret, sondern „grundlegend“ gelöst und Wissenschaft auf eine Weltanschauung festgeschrieben werden: Der Geist der Wissenschaftlichkeit selbst ist aber – darüber sind wir uns klarer geworden – eine „Weltanschauung“ . Wissenschaft beruht nämlich auf einer logisch nicht mehr beweisbaren Voraussetzung, auf der Liebe zur Wahrheit und dem Glauben an ihre quellhafte Lebendigkeit trotz der Einsicht in das problematische Verhältnis des Menschen zur absoluten Wahrheit .134
Damit bezog sich Tellenbach auf Max Weber und setzte dessen Aufruf zur eigenen Klarheit über die „letzte Stellungnahme“ mit dieser „Weltanschauung“ gleich .135 Während Weber aber mit der Klarheit über die „letzte Stellungnahme“ die Reflexion der individuell, historisch und kontextuell spezifischen Bedingtheit wissenschaftlicher Arbeit einforderte, verstand Tellenbach darunter eine „glaubensmässige […] Entscheidung“ .136 Intensiver als Tellenbach rief Ritter zu solch einer „religiösen Entscheidung“ auf . Er kritisierte Weber dafür, dass er die Wissenschaft „als die geschworene Feindin jedes Glaubens schilderte, als streng rationale ‚Entzauberung‘“ .137 Anders als Weber erklär-
131 Unter diesem Label wurden empirisch oder vergleichend vorgehende Zugänge seitens der hegemonialen geschichtsreligiösen Ansätze als „Relativismus“ und „Skeptizismus“ angegriffen, vgl . Kap . 4 .4 . 132 Gerhard Ritter an Nicolai Hartmann am 15 .3 .1937, in: Schwabe/Reichhardt (1984), Brief Nr . 76, S . 317 . 133 Tellenbach (1963[1946]a), S . 15 134 Ebd ., S . 14 . 135 Ebd ., Anm . 2 im Endnotenapparat auf S . 265 . 136 Tellenbach (2003[1944]), S . 46 . 137 Ritter (1946a), S . 14 . Das folgende Zitat ebd . Vgl . auch Ritters Distanzierung von Weber, in: Ritter (1946b) . S . 2 .
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te Ritter religiöse Entscheidungen nicht zum Kontrapunkt und „Opfer des Intellekts“, sondern zum unerlässlichen Pendant wissenschaftlicher Arbeit . So bezeichnete er Webers Standpunkt als „Achselzucken“138 und forderte in religiös-pathetischer Diktion dazu auf, „als Wissenschaftler alle die […], denen das zeitlos strahlende Licht göttlicher Offenbarung inmitten des Dunkels der Zeit und des unsicheren Flackerns menschlicher Vernunft unentbehrlich ist,“ auf eine „sittliche oder religiöse Entscheidung“ zu verweisen .139 So erwachse den Geisteswissenschaften „zur Lichtung des ungeheuren Chaos, das uns die Kulturkatastrophe von 1933–45 hinterlassen hat“, die „Pflicht, ein allseitiges Bild des wahren Menschseins, eine vollständige Anthropologie zu entwickeln, die das sittliche Bewusstsein in den Mittelpunkt stellt .“140 Webers Wissenschaftsauffassung, wie sie in seiner Rede Wissenschaft als Beruf formuliert worden war, stand Ritters und Tellenbachs Ablehnung von „Entgottung“, „Skeptizismus“, „Positivismus“ und „Relativismus“ der Wissenschaften und ihrer Affirmation von Tradition und Sinnstiftung entgegen .141 Wenngleich Ritter und Tellenbach – anders als viele andere Wissenschaftler der Nachkriegszeit142 – Weber eher reduzierend umzudeuten als zu diffamieren versuchten, hatte der „späte“ Max Weber doch eine von der Krisengeneration stark abweichende Position vertreten . Mit dem christlich aufgeladenen Krisendiskurs konnten sich hingegen sehr viele Professoren der Zweiten Nachkriegszeit identifizieren . Neben Ritters geschichtsreligiöser Lösung der Krise des Historismus strebte Tellenbach die Hegemonialisierung einer Form des Historismus an, „die man Historismus im guten Sinne nennt und die in Rankes Leistung gipfelt“ .143 Meinecke hatte sie 1936 in seinem Werk Die Entstehung des Historismus entworfen,144 das 1946 samt seiner Gedächtnisrede zum 50 . Todestag von Ranke wieder aufgelegt wurde .145 Darin distanzierte er Ranke und Goethe von der „Gefahr“, dass „geschichtliches Leben in ein bloßes unendliches Meer“ zerfließe, die für den „späteren, weltanschaulich schwächer werdenden Historismus bestanden“ habe .146 Er vertrat damit eine Form des kulturprotestantischen Historismus, die in Goethes Geschichtsdenken ihr Ideal fand „als der vielleicht einzig möglichen Synthese von relativierendem und absolvierendem, Ritter (1946a), S . 19 . Ebd ., S . 20 . Ebd ., S . 21 . Das folgende Zitat ebd . Weber zufolge war die Wissenschaft eine „spezifisch gottfremde Macht“ . Den „radikalsten Zweifel“ definierte er als „Vater der Erkenntnis“ . Die „Verbindlichkeit irgendeines ‚Imperativs‘“ lasse sich nicht auf dem Weg wissenschaftlicher Wertungsdiskussionen gewinnen, die zwar der Erkenntnis dienten, aber eben auch „‚relativierende‘ Wirkung“ hätten, Weber (1988[1919]), S . 496, 503, 504, 598, vgl . S . 174, Anm . 193 . 142 Darunter waren Spranger und Gadamer, vgl . Oexle (2007), S . 92, 93, 174, Anm . 193 . 143 Meinecke (1946[1936]b), S . 624 . 144 Vgl . zu Meineckes Historismuskonzeption in ihren Konsequenzen für die deutsche Nachkriegswissenschaft Oexle (1996, 2007), Hardtwig (1990), S . 260–261, Laube (2004a, 2004b) . 145 Vgl . Meinecke (1946[1936]a, 1946[1936]b) . 146 Meinecke (1946[1936]b), S . 624–625 . 138 139 140 141
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von idealisierendem und individualisierendem Denken“ .147 Explizit wird Tellenbachs Bezug auf Meinecke in seiner Rektoratsrede Goethes geschichtlicher Sinn .148 Dessen Spezifik liege „in der platonisch-leibnitzischen Bahn sich bewegend, wie später etwa Schleiermacher, Ranke oder Droysen“ in der harmonisierenden Zusammenführung aller erdenklichen Gegensätze .149 Die den Streit um den Historismus auslösenden Widersprüchlichkeiten blieben bestehen, wurden aber zugunsten eines Festhaltens an selbst nicht historisierten, als überzeitlich deklarierten Ideen pro forma aufgelöst: Von vornherein muß man sich bewußt sein, daß überhaupt keine geschichtliche Darstellung, auch keine geschichtliche Existenz und kein geschichtlicher Sinn möglich ist ohne ein Bleibendes, Übergeschichtliches, ohne Idee, Begriff oder Namen, mögen sie auch nur heuristisch, hypothetisch oder symbolisch verwandt werden . Zeit und Geschichte verschwinden nur da, wo Bewegung und Strömung alles mit sich fortreißen .150
Im Gegensatz zu ihrem universalen Anspruch kam diese Auffassung einem Ausschluss von empirisch-induktiven Ansätzen gleich . Vielmehr sollte Geschichtsschreibung in Nachfolge Rankes durch einen inhärenten Bezug auf platonische Ideen zur Sinnstiftung beitragen .151 Mit diesem Geschichtsidealismus konnte Tellenbach in der unmittelbaren Nachkriegszeit große Erfolge verzeichnen .152 Ritter positionierte sich zu Meinecke ebenso wie in seiner Abgrenzung zu Weber klarer als Tellenbach . Bereits 1936 hatte er Meinecke in einem Brief zu dessen gerade erschienenen Buch Die Entstehung des Historismus geschrieben, dass „in Goethe den Gipfel einer auf historisches Denken hinführenden geistesgeschichtlichen Entwicklung zu sehen“ einer „künstlich-gewaltsamen Beweisführung“ gleichkomme und „von der wahren historischen Sicht der Dinge noch sehr weit entfernt“ sei .153 Im Vordergrund seines Briefes stand aber nicht die historische, sondern die ethische Kritik . Ritters Abneigung gegen den „übersteigerten Historismus“ war so ausgeprägt, dass ihm selbst Meineckes Historismuskonzeption nicht idealistisch genug war . Meinecke
Ders . (1946[1936]a), S . 608, 611, vgl . ders . (1946[1936]b), S . 630 . Tellenbach (1949), vgl . ders . (1950), ders . (2003[1944]), S . 45, vgl . ders . (1970), „Vom politischen Auftrag der Geisteswissenschaften“, in: UA Freiburg Nr . C0157/240, in dem er den Bezug zu Meinecke in seiner Rektoratsrede 1949 erläutert . 149 Vgl . Tellenbach (1949), S . 13, vgl . S . 15, 17 . 150 Ebd ., S . 19 . 151 „… dem Chaos der Zeit zu begegnen, es zu ordnen und mit Sinn zu erfüllen, das heißt das Zeitliche und Vergängliche vom Ewigen her zur Geschichte zu machen .“ Tellenbach (1950), S . 13, vgl . S . 12 . Er schrieb dieses Ziel auch Droysen zu, vgl . ebd ., S . 12 . 152 Damit standen Ritter und Tellenbach keineswegs allein . Insbesondere der Romanist Friedrich entwickelte diese hermeneutische Vorgehensweise, antike Archetypen als Bezugspunkte zur Textinterpretation heranzuziehen weiter und bezeichnete sie als Methode des „abendländischen Humanismus“, vgl . Friedrich (1972[1955]), S . 1, 12, ders . (1972[1956]), S . 54, ders . (1956), S . 48, vgl . die Akten in UA Freiburg Nr . C0135/068, Nr . C0135/069, Nr . C0135/071 . 153 Ritter an Meinecke am 07 .10 .1936, in: Schwabe/Reichhardt (1984), Brief Nr . 73, S . 308 . 147 148
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weigerte sich zwar das „sacrificium intellectus“ zu bringen, „bestimmte höchste Ideale meines Lebens, deren historische Individualität und Genesis mir bewußt bleibt, als schlechthin absolut und überzeitlich zu erklären“ . Gleichwohl sah er sie aber als „Symbole eines unbekannten Absoluten“ an, denen er sich „nicht minder stark verpflichtet [fühlte], als wenn ich sie als unmittelbar, absolut und überzeitlich verehrte .“154 Die Erklärung für diese Differenzen, die Meinecke in seinem Antwortbrief an Ritter aufzeigt, lassen sich zum Teil auch auf diejenigen zwischen Ritter und Tellenbach übertragen: Hier stand ein lutherisches Geschichtsdenken neben einem kulturprotestantischen „die Lutherfront gegen die Goethefront unseres geistigen Lebens“ .155 Der „Generationsgegensatz“, den Meinecke weiterhin zwischen sich und dem um 26 Jahre jüngeren Ritter ausmachte, dessen Generation er angesichts ihrer „eigenartigen Lage und Kämpfe“ durch einen „Zuschuß von absolutierendem Denken und Wollen“ gekennzeichnet sah,156 lässt sich hingegen kaum auf das Verhältnis von Ritters „junger Frontgeneration“ und Tellenbachs „Kriegsjugendgeneration“ übertragen . Tellenbachs subtil-moderater ausgerichtete und souveräner artikulierte Wissenschaftsauffassung ist eher habituellen und charakterlichen Unterschieden zuzuschreiben: der fleißige Offiziersspross Tellenbach stand hier neben dem missionarischen Pfarrerssohn Ritter . 5.1.4
Kontrapunkte zum idealistischen Krisendiskurs: Heiss und Bauer
Wenngleich die Krisenrhetorik in der unmittelbaren Nachkriegszeit omnipräsent war, konnte sie am Rande durchaus von jener geschichtsreligiös-geistesaristokratischen Richtung abweichen, für die Ritter und Tellenbach standen . So betrachtete der Psychologe Heiss in seinem durchweg ideengeschichtlichen Buch Der Gang des Geistes 1948 die „ungerechte Verteilung der Güter“ als „eins der wesentlichsten Momente der gegenwärtigen Krise“ .157 Zwar seien die „materiellen und technischen Mittel zur Beseitigung vorhanden“, aber die „herrschende Form der Produktion und Verteilung [werde] offenbar diesen Möglichkeiten nicht gerecht .“158 In absehbarer Zeit sei keine „Rettung“ im Sinne einer „Beseitigung der Ungleichheit zwischen Besitzenden und Besitzlosen“ zu erwarten, die, wie Heiss verdeutlichte, „nicht nur zwischen den einzelnen, sondern auch den Völkern“ bestehe .159 So betrachtete Heiss Klassenunterschiede und koloniale Ungleichheitsverhältnisse als „vordringliches“ Problem .160 In diesen relativ versteckten Meinecke an Ritter am 13 .10 .1936, in: ebd ., S . 311, Anm . 7 . Für Ritter kam Meineckes Form des Historismus einem Werterelativismus gleich, vgl . Ritter an Meinecke, in: ebd ., S . 311, 309 . 155 Ebd ., S . 311–312 . 156 Meinecke an Ritter am 13 .10 .1936, in: ebd ., S . 312 . 157 Heiss (1948), S . 339 . 158 Ebd ., S . 357 . 159 Ebd ., S . 340 . 160 Vgl . Heiss (1961a), S . 19 . 154
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Anmerkungen, mit denen sich Heiss deutlich von Ritter und Tellenbach abhob, manifestiert sich, dass solche Überlegungen zwar marginalisiert, aber nicht vollkommen ausgeschlossen waren . Heiss kümmerte sich wie Ritter und Tellenbach in erster Linie um eine „geistige Krise“, verknüpfte sie aber eng mit materiellen Krisen . Die geistige Krise beschrieb er als „kulturelle Auseinandersetzung“, die aus der Dialektik zwischen „objektivem“, nomothetischem Wissen und „individuellem“, idiosynkratrischem Wissen entstanden sei .161 Er trug auch hybriden Wissensformen Rechnung, insbesondere in Bezug auf sein Fach, die Psychologie .162 Das unterschied ihn von Ritter und Tellenbach, aber auch von seinem Kollegen Eugen Fink, dem Professor für Philosophie und Erziehungswissenschaft . Fink identifizierte die Krise in der „Entwertung der bisherigen höchsten Werte“, der „Religion, der Philosophie, der Wissenschaft, der Kunst“, einem Prozess, den er als „Nichtigwerden alles dessen, um dessentwillen es bisher dem Menschen lohnte zu leben“ bezeichnete .163 Für Heiss hingegen hatten philosophische ebenso wie exakte Normen ihren Absolutheits- und Universalitätsanspruch irreversibel verloren: „Dieser große Formalismus ist zerbrochen, er wird in der alten Form nicht wieder erstehen .“164 Die Grenzen verschiedener Ansätze immer wieder zu Bewusstsein zu bringen und kritisch zu reflektieren, hatte sich Heiss seit seiner Habilitation zur Aufgabe gemacht . Er hatte seit 1943 die Freiburger Professur für Psychologie und Philosophie inne und seine Arbeit war durch natur- und geisteswissenschaftliches Denken geprägt . Seine Hauptaufgabe bestand in der Entwicklung und Anwendung psychologischer Tests, auf deren eingeschränkte Aussagekraft er hinwies und sie in ihren Voraussetzungen und ihrem Anwendungskontext hinterfragte .165 So verkörperte er ansatzweise den Typus, der Mitchell Ash zufolge versuchte, „holistisches Denken mittels naturwissenschaftlicher Theoriebildung zu ‚modernisieren‘ und mit demokratischem, zum Teil gar mit sozialistischem Denken kompatibel zu machen .“166 Auch was sein empirisches Handwerkszeug und seine Frauenförderung anbetrifft, blieb Heiss innerhalb der Philosophischen Fakultät weitgehend isoliert, auch wenn
Ebd ., s . Heiss (1948), S . 353: „Der Grund dafür ist einfach . Die objektive und neutrale Wahrheit ist immer eine formale, keine substantielle, das objektive und neutrale Wissen ist ein Werkzeug und kein Inhalt .“ 162 Heiss (1948), S . 314: „Die Gesamtheit dieser Wissenschaften […] haben wohl gemeinsame methodische Linien und Prinzipien, jedoch kein methodisches Zentrum .“ 163 Fink (1989[1946]), S . 170–171 . Wie Tellenbach und Ritter befürwortete er die Synthese von Bildung u . Religion . Er erwartete eine mystisch-idealistische „Neubegründung der Bildungsidee“ und Rettung des „abendländischen Menschentums“ durch die „schöpferischen Menschen, die aller offenbaren Sinnlosigkeit zum Trotz sich an ihr Werk machen und sich dem Übermenschlichen hingeben in Demut und Leidenschaft und Wachheit des Geistes“, ebd ., S . 174 . 164 Heiss (1948), S . 343, vgl . S . 316 . 165 „Alle Prüfexperimente psychologischer Art sind Funktionsprüfungen . Sie zeigen […] vor allem nicht, unter welchen Umständen er die Leistungsfähigkeit, die er hat, entfalten wird .“ Heiss (1949a), S . 5, vgl . Heiss (1964), S . 8–11 . 166 Ash (2000), S . 123 . 161
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sein Rat in der Fakultät geschätzt und in Anspruch genommen wurde .167 Weiterhin gehörte er durch seine philosophischen Ausführungen zu Hegel und Marx zu den wenigen Professoren, die sich überhaupt mit Marx beschäftigten .168 Auch Karl Mannheims Methoden zur Analyse von Relationalität und Verhältnissen, die in der geisteswissenschaftlichen Diskussion der 1920er Jahre als „Relativismus“ verworfen wurden, schätzte Heiss als wichtige Analysewerkzeuge .169 Ritter und Tellenbach hingegen nahmen vor allem konservative Krisendiskurse von Burckhardt, Spranger, Gasset, Jaspers und Spengler auf, an denen sie sich kritiklos orientierten . Implizit beschäftigte sich Tellenbach in seinem Aufsatz zur „Selbstorientierung“ ebenso wie in seiner Rede anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten 1957 mit Heideggers Rektoratsrede zur „Selbstbehauptung der Universität“, vermied aber eine offene und konkrete Auseinandersetzung .170 Diese unterblieb auch bei Robert Heiss und dem Historiker Clemens Bauer . Bauer war Experte für wirtschafts- und sozialgeschichtliche Zusammenhänge und die Rolle von Kirche und Staat in diesen Prozessen . Während des NS hatte er unter dem Pseudonym Peter Weingärtner zwei kritische Aufsätze veröffentlicht, Vilfredo Pareto als politischer Denker (1934/35) und den Aufsatz Die Fronde gegen das 19. Jahrhundert (1936/37), der auf seinen vorangehenden Beitrag rekurrierte .171 Insbesondere in dem Fronde-Aufsatz von 1936/37 werden wichtige Unterscheidungslinien zu Ritters und Tellenbachs Geschichtsbild sichtbar . Wie sie ging auch Bauer von einer „als Einheit empfundenen zivilisierten Weltordnung“ Europas im 19 . Jahrhundert aus,172 deren Grundlage er aber weniger in der Einheit von Idealismus, Christentum und Nationalismus wie Ritter festmachte als in der „lebendigen Dreieinigkeit Demokratie – Liberalismus – Nationalismus“ auf der Grundlage eines „rationalistischen Fortschritts-Optimismus“ .173 Erste „Risse in der Einheit“, also den Beginn der Umgestaltung, machte er in antidemokratischen, antiliberalen und antirationalen neunationalistischen Ordnungsentwürfen aus, als deren geistige Väter er Georges Sorel, Vilfredo Pareto und Charles Maurras nannte .174 In deren Geschichtsbild wies er die Dichotomisierung von
167 Vgl . die Dankesworte Tellenbachs 1947 an seinen Vorgänger als Dekan Prof . Dr . Heiß, in: UA Freiburg Nr . C0157/464 . Auch als Heiss 1960 der Lehrstuhl Philosophie I angetragen wurde, den Szilasi seit Heideggers Ausscheiden vertreten hatte, lehnte er unter dem Hinweis ab, dass er auf das „Handwerk“, also auf empirisches Arbeiten nicht verzichten könne, vgl . Fahrenberg (2006), S . 475 . 168 Heiss’ Aufsatz zu Marx Revolutionstheorie erschien 1933 nicht mehr, er veröffentlichte aber 1949 und 1953 wieder Aufsätze zu Marx, vgl . Heiss (1949b, 1953) . Das Thema beschäftigte ihn sein Leben lang, vgl . Heiss (1959a, 1961a, 1963a, 1973) . 169 Vgl . Laube (2004b), S . 58 . Heiss wies das in seiner Habilitation nach, vgl . Heiss (1932) . 170 Gegen Heideggers „Alles Große steht im Sturm“ (Heidegger (1983[1933]), S . 19) setzte er „die Zuversicht, den Stürmen des Jahrhunderts schließlich doch nicht wurzellos preisgegeben zu sein“, Tellenbach (1963[1957]), S . 162 . 171 Vgl . Bauer [Weingärtner] (1965[1935/36]), vgl . ders . (1965[1934/35]) . 172 Bauer [Weingärtner] (1965[1935/36]), S . 382 . 173 Ebd ., S . 384 . 174 Ebd ., S . 382–384 .
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„Ordnung“ und „Chaos“ nach, die „Athen, Rom und Versailles“ als Exponenten einer klassischen „Ordnung“, den „Orient“ als deren Gegenspieler auffasste . Damit wies Bauer den Abendland-Orient-Dualismus ebenso wie neuhumanistische Ideale bei antiliberalen und antidemokratischen Denkern nach .175 Diese politischen Haltungen analysierte er anhand der Dreyfus-Affäre als „Absage an die Ideen von 1789“ sowie den Laizismus der 3 . Republik und als Affirmation von Monarchie und einer „religiöschristlichen Elite“ .176 „Erst die Nachkriegszeit hat die antidemokratische Massenbewegung geschaffen“ folgerte Bauer, aber „für sie lag das antiliberale und antidemokratische Gedankengut formuliert bereit“ .177 Indem er die idealistisch-elitären „Wurzeln von Anti-Liberalismus und Anti-Demokratie“ skizzierte, grenzte er sie von „Sozialismus“, aber auch von den „konservativen Revolutionären“ sowie dem Faschismus ab, der sich die als „prophetisch“ wahrgenommenen Aussagen Paretos und Sorels auf die Fahnen schrieb .178 Hingegen wies er an ihrem Beispiel nach, wie eng antidemokratisches und antiliberales Denken mit idealistisch-religiösen Denkmustern zusammenhängen konnte und entzog dem elitären Idealismus die Sakralität, die ihm von Tellenbach und Ritter zugesprochen wurde . Mit diesen Thesen trat Bauer in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht an die Öffentlichkeit . Vielmehr beschäftigte er sich mit der Naturrechtslehre und christlicher Sozialphilosophie im Zusammenhang mit Wirtschaftsordnungen .179 Das gemeinsam mit Constantin v . Dietze regelmäßig angebotene sozialethische Seminar mit fünfzehn bis zwanzig Teilnehmern behandelte diese Fragen als „weitgehend aktuelle politische Themen“ .180 Die gegenwärtige Aufgabe bestehe darin, so Bauer 1954, „eine neue Wirtschaftsordnung nach rationalen Erwägungen“ und „überhaupt eine Gesellschaftsordnung zu finden“,181 die durch ein Zusammenspiel von Freiheit und Stabilität gekennzeichnet sei .182 Vergleichend zeichnete er die Vor- und Nachteile von Kasten-, Stände- und Klassengesellschaft auf der Grundlage demografischer, ökonomischer, sozialer und psychologischer Entwicklungen nach . Die Geschichtswissenschaft könne keine Lösungen anbieten, aber Erkenntnisse über Gesellschaft, Gesellschaftsordnungen, deren Voraussetzungen und Aufbau vermitteln .183 So wies er darauf hin, dass vergangene Gesellschaftsordnungen historisch „unwiederholbar und nicht nachahmbar“ seien:
Ebd ., S . 392–394, vgl . S . 399–400 . Ebd ., S . 399–400 . Ebd ., S . 401 . Ebd ., S . 386, vgl . Bauer [Weingärtner] (1965[1934/35]), S . 412 . Vgl . Bauer (1947/48,1948/49), vgl . Ott (1984), vgl . zu dem „Tandem Dietze-Bauer“ Hollerbach (2006), S . 762–763, vgl . UA Freiburg Nr . B024/0106 . 180 Wilhelm Grewe am 02 .05 .1951: „Stand der politischen Wissenschaft an der Universität Freiburg i . Br .“, Anlage des Briefes an das Kultusmin . vom 08 .05 .1951, in: UA Freiburg Nr . B003/337 . 181 Bauer (1953/54), S . 9 . 182 Ebd ., S . 23 . 183 Ebd ., S . 9 . 175 176 177 178 179
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„Ständische Experimente“, hielt er restaurativen Zukunftsentwürfen entgegen, „sind nichts anderes als romantische Ideologien“ .184 Während in der Staats- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Ordoliberalismus ausgebaut wurde, entwickelte Bauer ein Programm der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, die er ab 1962 auf der neuerrichteten Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte hauptsächlich lehrte .185 Bei Heiss und Bauer handelte es sich um Ausnahmeerscheinungen . Die Frage, woraus ihre Aufmerksamkeit für soziale Fragen sowie die immerhin randständig kritische Perspektive auf idealistische Krisenrhetorik resultierten, kann nicht monokausal beantwortet werden . In Bezug auf die Konfession zeigt sich, dass Clemens Bauer zwar den katholischen Konkordatslehrstuhl innehatte, Robert Heiss hingegen, der ab ca . zwölf Jahren ein katholisches Internat besucht hatte, aus der Kirche ausgetreten war .186 Da zudem die katholischen Kollegen Fink und Müller die idealistische Krisenrhetorik nicht in Frage stellten, reichen konfessionelle Hintergründe als Erklärung nicht aus . Hinzu kommt, dass Bauer als Sohn eines Eisenbahninspektors und Heiss als Vollwaise eines Postbeamten aus einem für die Krisengeneration eher randständigen Mittelschichtsmilieu kamen . Zu dieser Korrelation kommen schließlich Karrierewege, die sich durch ein interdisziplinäres, methodisch innovatives Studium bei Heiss,187 bei Bauer durch einen weniger gradlinigen Karriereverlauf und ein entsprechend weiteres Erfahrungsspektrum auszeichneten .188 In diesem Zusammenhang erweist sich schließ-
Ebd ., S . 23 . Das folgende Zitat ebd . Die Lehrstühle für Wirtschafts- und Sozialgeschichte waren bis 1945 auf zwei (München, Köln) beschränkt worden und wurden auf Empfehlung des Wissenschaftsrats zu Beginn der 1960er Jahre in Freiburg, Tübingen, Mannheim, Saarbrücken, Heidelberg und Bonn (wieder) errichtet . 186 Ich danke Petra Halder-Sinn für die Informationen zu Robert Heiss und das Gespräch am 21 .09 .2018 . 187 1922 bis 1926 studierte er Philosophie, Psychologie und Soziologie in Heidelberg, Kiel, Marburg und Göttingen und schloss mit einer Promotion „Die Philosophie der Logik und der Negation“ bei Moritz Geiger ab . Sein Vorhaben, sich bei Max Scheler mit einer Arbeit zur Theorie der sozialen Handlungen zu habilitieren scheiterte daran, dass Scheler nach Frankfurt a . M . ging . So habilitierte Heiss 1928 bei Nicolai Hartmann zum Thema Das Gesetz der negativen Selbstbezüglichkeit . Sein Probevortrag Die Psychische Dynamik und die Grenzen der typischen Betrachtungsweisen und die Antrittsvorlesung Theorien vom Untergang und Sündenfall und die soziologische Methode verweisen ebenso wie die in den folgenden Jahren thematisch wechselnden Lehraufträge auf ein interdisziplinäres methodisches Repertoire sowie die Reflexion von Vielfältigkeit, Prozesshaftigkeit, Wechselverhältnissen und methodischen Grenzen . Heiss erhielt 1933 einen Lehrauftrag für Logik und Logistik, der 1934 auf Wissenschaftslehre erweitert und 1938 schließlich auf Psychologie und Charakterkunde lautete, vgl . Haupts (2007), S . 152 . 188 Clemens Bauer absolvierte nach seiner Promotion Die katholische Bewegung in Württemberg 1833–1848 bei Erich Marcks 1922 ein Referendariat im bayr . Archivdienst und arbeitete 1925–27 als Archivassessor, während er gleichzeitig Nationalökonomie studierte und ein „anerkannter und vielgefragter Publizist“ war, vgl . Ott (1982) . 1928–37 war er Assistent des Münchner Wirtschaftshistorikers Jakob Strieder, bei dem er sich nach Archivaufenthalten in Rom mit Unternehmungen und Unternehmensformen im Spätmittelalter und in der beginnenden Neuzeit 1932 habilitierte . 1933–35 vertrat er eine Dozentur für allgemeine Geschichte am Herder-Institut in Riga, 1935/36 eine Professur für Wirtschaftsgeschichte in München und 1937 die Professur für Geschichte an der staatlichen Akademie Braunsberg/Ostpreußen . Er erhielt 1938 den Freiburger Konkordatslehrstuhl für Allgemeine Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der mittelalterlichen Geistesund Kulturgeschichte . Als 1945 überlegt wurde, den Konkordatslehrstuhl aufzuheben, betonte die Staats184 185
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lich Heiss’ und Bauers Offenheit zu natur- und sozialwissenschaftlichen Methoden und die Kooperation mit anderen Fakultäten als wichtiger Faktor, mitunter von der idealistischen Krisenrhetorik des eigenen Feldes abzuweichen . 5.1.5
Krisenrhetorik in der Öffentlichkeit: Affirmation, Protest, Kritik
Insgesamt zeichnet sich in den Geisteswissenschaften von Kriegsende bis weit in die 1950er Jahre ein holistisch-idealistischer Ethos der universitas litterarum ab .189 Viele Reden der Geisteswissenschaftler im Rahmen von Immatrikulationsfeiern und Rektoratsübergaben sowie die Vorträge des dies universitatis,190 wurden auch in der regionalen Presse referiert und in der Wissenschaftssendung AULA des sich neu etablierenden Rundfunks ausgestrahlt . Anlässlich der Eröffnung der Philosophischen Fakultät fasste Rüdiger Frank in den Freiburger Nachrichten die Rede von Dekan Brie so zusammen, dass er die Philosophische Fakultät als „Herz der Universität“ bezeichnete, dazu berufen „den wahren Geist der ‚Humanitas‘“ zu wecken .191 Ritters Vortrag zu Universität und öffentlichem Leben wurde dahingehend gedeutet, dass ein „Reich des Geistes“ anbrechen müsse .192 Der Vortrag des Philosophen Müller Der Mensch in der Philosophie seit Pascal erschien als „aufregender Gang durch die Krisen des neuzeitlichen Menschenbildes“ in der Presse, der in der Aufgabe mündete,193 zur Philosophie der Person zu streben, der geistigen Person […]: Synthese zwischen Geschichtlichkeit und Übergeschichtlichkeit; zwischen Ewigkeit und geschichtlicher Zeitlichkeit; zwischen Geist und Leidenschaft, die Liebe ist . Der Eros öffnet die Horizonte und führt so zur Objektivität .
Der philosophisch-moralische Nebel wurde zunächst angenommen .194 Doch langsam blieb das Publikum aus, berichtete die Presse anlässlich des dies universitatis 1946; den und Rechtswiss . Fak . ihr „lebhaftes Interesse“ am Ausbau seiner Lehrtätigkeit . Er arbeitete u . a . an der Encyclopedia of the social sciences (Columbia University/New York) mit, unterhielt Beziehungen zu niederl . Wirtschaftshistorikern und unternahm Studienreisen nach England und Spanien . 1962 erhielt er die neue Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, vgl . UA Freiburg Nr . B024/0106 . 189 Vgl . die Freiburger Universitätsreden und Presseberichte, u . a . [o . A .], „Universitätsfeier 1947“, in: BZ Nr . 43 v . 30 .05 .1947, [o . A .], „Größeres Wissen – größere Verpflichtung . Die Immatrikulation der neuen Studenten an der Universität Freiburg“, in: BZ v . 25 ./26 .11 .1950 . 190 Vgl . ausführlich Brandt (2014), S . 60–62 . 191 Rüdiger Frank, „Philosophische Fakultät feierlich eröffnet“, in: Freiburger Nachrichten v . 04 .12 .1945, S . 3 . 192 Vgl . bspw . Dr . Th . Ueberdick, „Die Universität und das öffentliche Leben . Prof . G . Ritter in der Vortragsreihe der Universität“, in: Freiburger Nachrichten v . 23 .10 .1945, in: UA Freiburg Nr . B039/05 . 193 Karl Färber, „Der Mensch in der Philosophie seit Pascal . Vortrag von Dr . Max Müller in der Vortragsreihe ‚Das Menschenbild‘“, in: Freiburger Nachrichten 1 no . 18 v . 30 .10 .1945, S . 5 . Die folgenden Zitate ebd . 194 Vgl . auch die Berichterstattung zur Vorlesungssequenz im SoSe 1946 . Die Ausführungen des Altphilologen Büchner, der das frührömische Staatswesen „im Prinzip als eine Demokratie erkannte, ausgewogen durch das aristokratische Element des Senats und durch die quasi-monarchische Führung durch die
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Krisenrhetorik, Wissenschaftsorganisation, Öffentlichkeit
Studierenden fehle angesichts der Prüfungsvorbereitungen die Zeit .195 Attraktiver war da die literaturwissenschaftliche Vorlesung von Friedrich über Baudelaire, „‚eine Krisengestalt des modernen Geistes‘“, da sie auch viele Studentinnen anzog . Bis auf wenige Seitenhiebe fungierte die regionale Presse als Sprachrohr der Universität . Zu diesem Zweck wurde auch die Wissenschaftssendung Die Aula, die Stunde der Universitäten gegründet, die am 14 . September 1947 im SWF in Baden-Baden auf Sendung ging: „die Universitäten als Hüterinnen der Wissenschaften sollen hier zu Worte kommen“ . In seiner Einführung zu Beginn der Sendereihe grenzte der Redakteur Hans Baldung die Sendung mithilfe der Wissenschaften explizit von propagandistischen Funktionen des Rundfunks im NS ab, denn „die wissenschaftliche Haltung [ist] der völlige Gegensatz zur Propaganda .“196 Die Strategie der Geisteswissenschaften, sich als anwendungsfern und unbelastet zu inszenieren, ging auf . Der erste Vortrag der Sendereihe war erneut Ritters Universität und das öffentliche Leben; die Zusammenfassung betonte seine Charakterisierung des Studiums als „reinen Gottesdienst des Intellekts“ und endete im religiösen Duktus: „Wir wollen uns diese Worte einprägen …“197 Christliche Normorientierung wurde in der Zweiten Nachkriegszeit als erfolgreiches Mittel zur Abgrenzung gegenüber dem NS eingesetzt und funktionierte darüber hinaus als verbindendes Element zwischen Universität und Öffentlichkeit wie auch als Brücke zu emigrierten Wissenschaftlern .198 Der als krisensicher imaginierte „Kitt“ brach aber zusehends auf . Der als übergreifend inszenierte christliche Konsens verschleierte vielmehr verschiedene Konfliktlinien: Die Geisteswissenschaften und ihre Repräsentanten mussten sich mit Protest und öffentlicher Kritik auseinandersetzen . Proteste gegen Ritters national-protestantisches Geschichtsbild In der unmittelbaren Nachkriegszeit kristallisierten sich an Ritters Versuchen, sein preußisch-protestantisches Geschichtsbild durchzusetzen, mehrere Kontroversen . Der Lutherbiograf hatte sich nach 1945 die Lösung der Krise als Rechristianisierung von Politik und Öffentlichkeit mithilfe einer protestantisch fundierten „Geschichte
Konsuln und die hohen Magistrate“ wurden als „Maßstäbe zum Verständnis unserer eigenen politischen Geschichte und unserer Aufgaben“ rezipiert, vgl . [o . A .], „Gerechtigkeit und Mass [sic] . Beginn der Freiburger Universitätsvortragsreihe ‚Geschichte und Formen der Demokratie‘“, in: BZ Nr . 34 v . 28 .05 .1946, S . 5 . 195 H . W ., stud . jur ., „Wege zum echten Akademikertum . Der ‚dies universitatis‘ der Universität“, in: BZ v . 04 .06 .1946, S . 6 . Das folgende Zitat ebd . 196 Baldung (1947), S . 1 . 197 Ebd ., S . 3 . 198 Vgl . etwa den Brief Leo Spitzers an Hugo Friedrich, The Johns Hopkins University, 08 .11 .1946, in: Hausmann (1993), S . 163–164, hier S . 163 .
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als Bildungsmacht“ auf die Fahnen geschrieben .199 Unter dem Titel „Geschichtsschreibung in christlicher Sicht“ berichtete das Badische Tagblatt 1949: Der Freiburger Historiker Gerhard Ritter, die Geschichtswissenschaftler Wittram (Göttingen) und Dinkler (Marburg) sowie der greise Bischof Wurm stellten heraus, daß an die Stelle der bisherigen Geschichtsbetrachtung eine theologische Geschichtsauffassung zu treten habe, wonach Jesus Christus Anfang, Mitte und Ende aller Geschichte sei und im Blick auf ihn und sein Wirken in der Geschichte, wie auch jenseits von ihr, Geschichte neu geschrieben werden müsse .200
Ritter setzte sich in der Evangelischen Kirche Deutschlands dafür ein, dass diese „hinauswirken möchte ins öffentliche Leben“ .201 In seinem kirchenpolitischen Engagement wie auch in seiner Funktion als Wissenschaftsorganisator und -populisator trat er als protestantischer Historiker auf .202 Begünstigt durch seinen internationalen Ruf als NS-Widerstandskämpfer konnte Ritter in seiner Fakultät und Universität, in der nationalen und internationalen scientific community und in einer breiten Öffentlichkeit sein preußisch-protestantisches Geschichtsbild durchaus behaupten . Der Dekan pries Ritter zum Anlass seines 60 . Geburtstags im April 1948 als ein Mitglied der Philosophischen Fakultät, dessen „Name in Deutschland […] einen grossen Teil des Glanzes der Freiburger Fakultät“ ausmache .203 Die Presse würdigte ihn als „akademischen Lehrer und Geschichtsforscher von Rang, der mit seinem Lebenswerk Freiburg zu einem Schwerpunkt lebendiger Geschichtswissenschaft“ gemacht habe .204 Sein Ansehen wuchs mit der Position als Erster Vorsitzender des 1949 wiedergegründeten VHD, für dessen Reetablierung er sich gegen vielfältige Widerstände ebenso erfolgreich einsetzte wie für die Zulassung deutscher Historiker zum internationalen Historikertag in Paris 1950 . Ab 1951 begann sein Aufstieg innerhalb des CISH, in dessen Beirat er 1955 gewählt wurde und dessen Vorsitz er von 1962 bis 1965 innehatte .205 Auf diesem durchaus konfliktreichen Weg wurden Ritters „Erfolge“ und sein Geschichtsbild bereits zu seinen Lebzeiten permanent angefochten .206 Als er 1946/47 die deutschlandweit erste Vorlesung zum NS hielt, sah er sich ab Ende 1946 dazu gezwungen, „die Manuskripte 199 Ritter (1947c), vgl . Cornelißen (2001), S . 488 . 200 [O . A .], „Geschichtsschreibung in christlicher Sicht“, Badisches Tagblatt v . 21 .05 .1949, in: UA Freiburg
Nr . B039/05 . 201 [O . A .], „Die Christen in der Öffentlichkeit“, Südwestdeutsche Volkszeitung v . 15 .03 .1947, in: ebd . 202 Vgl . Cornelißen (2001), S . 415 . 203 Ansprache des Dekans zum 60 . Geburtstag von Ritter am 04 .09 .1948, in: UA Freiburg Nr . B003/0664 . 204 Dr . F ., „Lebendige Wissenschaft . zum 60 . Geburtstag Prof . Gerhard Ritters“, in: Das Neue Baden v . 06 .04 .1948 . vgl . auch [o . A .], „Professor Dr . Ritter sechzig Jahre alt“ in: BZ v . 06 .04 .1948, in: UA Freiburg Nr . B039/05 . 205 Cornelißen (2001), S . 449–451 . 206 Vgl . ebd ., vgl . Schwabe/Reichardt (1984), Matthiesen (1993), S . 1–9 . Cornelißen erklärt die Auseinandersetzungen in erster Linie mit der engstirnigen und impulsiven Persönlichkeit Ritters sowie mit seiner problematischen taktischen Vorgehensweise, die Kompetenzen und Mitspracherechte anderer schlichtweg
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seiner Vorlesung zur Vorzensur einzureichen“, da der badische Staatsrat Erwin Eckert (KPD) dagegen Einspruch erhoben hatte, „daß ausgerechnet der ‚Bismarckianer, Nationalist und Reaktionär‘ Ritter“ eine Vorlesung über die Geschichte des Nationalsozialismus halten solle .207 Auch der Universitätsbeauftragte der französischen Militärregierung in Baden General Schmittlein208 intervenierte wiederholt vor dem Hintergrund von Ritters antifranzösischen Schriften und Reden, die er 1943/44 für in Frankreich stationierte Truppen gehalten hatte .209 Schließlich wandte sich die katholische Presse immer wieder gegen Ritters Vorstöße . 1946 erschien in der katholischen Zeitschrift Neues Abendland erste Kritik an Ritter,210 die sich bis 1948 fortsetzte .211 Ritters Überhöhung des Preußentums wurde kritisiert: Eine ‚Revision‘ des deutschen Geschichtsbildes mit einigen mehr oder minder herzhaften Retuschen ist keine Lösung unserer Geschichtsnot . Was wir brauchen, ist nicht ‚Revision‘, sondern Revolutionierung dieses Bildes . Eine nachträgliche Rechtfertigung der von Preussendeutschland verspätet aufgegriffenen und dafür um so gründlicher missbrauchten gesamteuropäischen Sünde des nationalen Machtstaates ist in der heutigen Stunde – schlicht gesagt – eine Fehlleistung .212
Während Ritter in der Badischen Zeitung durchweg positiv kommentiert wurde und selbst darin veröffentlichte, brachte der Rheinische Merkur 1949 Einwände gegen den Historiker vor,213 der sich inzwischen als erster Vorsitzender des Historikerverbandes verstand, obwohl er erst im September 1949 in diesem Amt bestätigt wurde . Als in den deutsch-französischen Schulbuchvereinbarungen erneut konfessionelle Konflik-
zu ignorieren, vgl . Cornelißen (2001), S . 448, 492, 533–538 . Vgl . zu den konfessionellen Schlagseite dieser Streitigkeiten ebd ., S . 400–415, Schulze (1989a), S . 211, Schildt (2008) . 207 Ähnliche Kritik kam vom frz . Botschafter Henri Hoppenot, vgl . Cornelißen (2001), S . 390–391 . Der Antrag der kommunist . Partei auf Einrichtung eines Lehrauftrags für „Geschichte des Sozialismus“ wurde vom Senat mit Hinweis auf den Lehrauftrag M . Freunds, Geschichte des Sozialismus und öffentliche Meinung abgelehnt, vgl . Fakultätsprotokoll v . 29 .06 .1946, in: UA Freiburg Nr . B003/0798, S . 175 . 208 Vgl . weiterführend Cornelißen (2001), S . 390, 391, 396, 399 . vgl . Schulze (1989a), S . 266–280 . 209 Vgl . Cornelißen (2001), S . 299–306, vgl . Schöttler (1997c), S . 230–231 . 210 Die Zeitschrift, 1946 von Wilhelm Johann Naumann gegründet, knüpfte an die Zeitschrift Abendland von 1925/26 an, vgl . weiterführend Brelie-Lewien (2006[1984]), Conze (2005), Schildt (1999) . 211 Vgl . Conze (2005), S . 126 . 212 Paul Wilhelm Wenger, in: Neues Abendland 3 (1946), S . 27, in: UA Freiburg Nr . B039/05 . Wenger, Theologe und Jurist sowie Mitbegründer des Rheinischen Merkurs 1945/46 kommentierte damit Ritters 1946 in Tübingen gehaltenen Vortrag zur Revision des deutschen Geschichtsbildes . An der Diskussion um Bismarck entzündete sich die Kritik von katholischer ebenso wie von internationaler Seite . 213 Vgl . Ritters Protestbrief auf den Artikel von Claus Weyer, „Eine verpaßte Gelegenheit . Zur Historikertagung in Speyer“, in: Rheinischer Merkur v . 16 ./17 .04 .1949, „Politik gegen Historie? Zur Historikertagung in Speyer . Eine notwendige Klarstellung“, in: Rheinischer Merkur v . 30 .04 .1949, vgl . „Prof . Dr . Gerhard Ritter zum Vorsitzenden des deutschen Historikerverbandes gewählt“, in: Südkurier v . 20 .09 .1949, vgl . Cornelißen (2001), S . 394 .
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te durch Ritter provoziert wurden,214 bestellte Schmittlein Ritter am 15 . Juni 1949 zu einer „dreistündigen Generalabrechnung“ nach Baden-Baden .215 Dort erklärte er die Wiedergründung des Historikerverbandes als ungenehmigt, undemokratisch und somit als unwirksam . Weiterhin konfrontierte er Ritter mit kompromittierenden Textstellen seiner Schriften aus dem NS . Bereits 1947 wurde dieses Sujet unter dem Titel Wetterfahnen-Historiker? in der Frankfurter Neuen Presse aufgegriffen216 und von Karl Buchheim in einem kritischen Gutachten zu Ritters NS-Anbiederung sowie seiner Interpretation der Ursachen des NS ausgeführt .217 Die Denkschrift wurde zum Mittel einer öffentlichkeitswirksamen Kampagne gegen Ritter in der Kontroverse um die Organisationsform des Deutschen Instituts zur Erforschung der nationalsozialistischen Zeit, das im Mai 1952 in Institut für Zeitgeschichte umbenannt wurde . Der Konflikt wurde als Kampf zwischen „Ritter-Clique“– dem Verband Deutscher Historiker – und „Krolloper“ – dem Abendland-Kreis ausgetragen .218 Gerhard Kroll, CSU-Landtagsabgeordneter und seit März 1949 kommissarischer Geschäftsführer des Instituts trat im September 1950 von seinem Amt zurück, wurde 1951 Herausgeber der Zeitschrift Neues Abendland und gründete die Abendländische Aktion .219 Ritter schlug daraufhin Michael Freund als Geschäftsführer des Instituts vor, was aber an Freunds früherer NSDAPMitgliedschaft scheiterte .220 Erst im Zuge der Proteste um die von Ritter im Auftrag des Deutschen Instituts für Geschichte der nationalsozialistischen Zeit herausgegebene Publikation Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier221 trat Ritter von seinen Posten im Beirat des zurück .222 Für Cornelißen zeigt sich daran, dass Ritter und seine „national-konservativ orientierten Zunftgenossen“ sich zunächst durchsetzen konnten, auch „die damalige Schwäche der Befürworter einer kritischen Neubewertung der deutschen Geschichte“ .223 Neue Wege wiesen ab 1952 politik- und sozialwissenschaftlich geprägte Ansätze . In diesem Jahr erschien Karl Dietrich Brachers Auflösung einer Demokratie. Das Ende Auf der Speyerer Tagung im April 1949 leitete so Franz Schnabel die Sitzung zur Schulbuchfrage, vgl . Schulze (1989a), S . 212, vgl . Claus Weyer, „Eine verpaßte Gelegenheit . Zur Historikertagung in Speyer“, in: Rheinischer Merkur v . 16 ./17 .04 .1949, Zu den Konferenzen in Speyer vgl . Cornelißen (2001), S . 394–399, 471, zu den dt .-frz . Schulbuchvereinbarungen ebd ., S . 470–476, zur Zusammenarbeit von Ritter und Schnabel vgl . [o . A .], „Ein neues deutsches Geschichtsbuch“, in: Südkurier v . 16 ./17 .04 .1949 . 215 Vgl . Schulze (1989a), S . 168–169 . 216 Wolf Appelhaeuser, „Wetterfahnen-Historiker?“, in: Frankfurter Neue Presse v . 22 .09 .1947 . 217 Vgl . Schulze (1989a), S . 233, Cornelißen (2001), S . 492–493, 534–536 . 218 Gerhard Ritter in seinem Brief Nr . 175 an Alfred Vagts, in: Schwabe/Reichardt (1984), S . 476, vgl . Cornelißen (2001), S . 448, Conze (2005), S . 111–169 . 219 Zu Kroll und Ritter vgl . weiterführend Conze (2005), S . 129–132, Möller (2009), S . 24 . 220 Vgl . Schulze (1989a), S . 237, Cornelißen (2001), S . 538, Anm . 68 . 221 Cornelißen (2001), S . 540 . Die Publikation wurde schließlich zurückgezogen und 1963 erneut mit Vorwort, Kommentar und Anmerkungen von Percy Ernst Schramm und Andreas Hillgruber herausgegeben, vgl . Schramm (1963), weiterführend Berg (2003), S . 331–333 . 222 Cornelißen (2001), S . 544 . 223 Ebd ., S . 494 . 214
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der Weimarer Republik als Forschungsproblem, in dem er einige Thesen seiner späteren Habilitation Auflösung der Weimarer Republik vorwegnahm .224 Mit der Fragestellung „Kann die Wissenschaft von der Politik soziale Krisen verhindern?“ schlug er eine politikwissenschaftliche, international ausgerichtete Perspektive auf Zeitgeschichte vor .225 Indem er Faktoren politischer Machtbildung ausdifferenzierte, fokussierte er auch die Einbindung von Eliteschichten in den NS: Man wird weder um den reaktionären Charakter nationalsozialistischer Herrschaftsordnung (besonders in der Wirtschaft) und Ideologie (politischer Romantik), noch um die Tatsache der politischen und geistigen Unterstützung der nationalsozialistischen Machtergreifung durch restaurative und konservative Gruppen, zuletzt durch eine ‚Rechtskoalition‘ herumkommen .226
Damit legte er neue Perspektiven vor, die an den internationalen Forschungsstand anschlossen, während sich die internationale Kritik an den von Ritter herausgegebenen Protokollen Hitlerscher Reden von Henry Picker entzündete .227 Die Kompilation, über welcher der (falsch zitierte) Ranke-Vorsatz prangte „zu zeigen, wie es eigentlich gewesen ist“,228 erschien bis auf die Einführung Ritters durchweg unkommentiert und wurde als Provokation aufgefasst . So fragte Hannah Arendt etwa, wie es möglich sei, „über Hitlers ‚Plaudereien‘ zu reden und über den Holocaust zu schweigen“ .229 Ritter hatte die Kritik bereits 1949 als „moralische Überheblichkeit“ einer „ganzen Meute ausländischer Literaten“ zurückgewiesen230 und sich das Bestreben, ein zweites „Versailles“ zu verhindern,231 zum Ziel gesetzt .232 Diese Haltung und seine Perspektive auf die Ursachen des NS verbreitete er auf seinen vielfältigen internationalen Vortragsreisen .233 Damit stieß er sowohl auf Zustimmung wie auch auf Protest .234 So schätzte Ritter seine Englandreise 1949 als großen Erfolg ein, aber schon 1950 entwickelte sich eine Kontroverse zwischen ihm und dem Oxforder Mediävisten Geoffrey Barraclough .235 Vgl . Bracher (1952), ders . (1978[1955]) . Bracher (1952), S . 59, vgl . S . 60–61 . Er zeigte auf, dass „‚Krisis‘ […] als Schlagwort“ politisch benutzt wurde: „‚Krisis‘ war das Argument, auf das die Regierung ihre Maßnahmen stützte .“ Ebd ., S . 44 . 226 Ebd ., S . 56, Anm . 30 . 227 Ritter/Picker (1951) . 228 Ritter (1951), S . 11 . 229 Arendt (1951), S . 88, vgl . S . 90 . 230 Gerhard Ritter, „Ist das deutsche Volk politisch ‚unreif ‘? Ein Schlußwort zu den Klagen des ‚Mannes auf der Straße‘“, in: BZ v . 07 .01 .1949, ders ., „Warnung vor historischem Nihilismus“, in: Südkurier v . 21 .04 .1949 . 231 Schulze (1989b), S . 10 . 232 Ritter, „Ist das deutsche Volk politisch ‚unreif ‘?“, in: BZ v . 07 .01 .1949, in: UA Freiburg Nr . B039/05 . 233 1949 reiste Ritter zu einer Vortragsreihe nach England, 1951 nach Dänemark, 1952 lud ihn die American Society for Reformation Research als Herausgeber des Archivs für Reformationsgeschichte für drei Monate in die USA ein, wo er an 23 Universitäten über 50 Vorträge hielt, vgl . Gerhard Ritter an das Ministerium des Kultus und Unterrichts v . 31 .10 .1952, in: UA Freiburg Nr . B003/0664 . 234 Vgl . [o . A .], „Professor Ritter in Dänemark“, in: BZ v . 19 ./20 .05 .1951 . 235 Vgl . Cornelißen (2001), S . 463, vgl . weiterführend ebd ., S . 463–470 . 224 225
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Barraclough, der in München studiert hatte, veröffentlichte 1946 sein Buch Factors of German History,236 das ein Jahr später ins Deutsche übersetzt wurde . Er beschrieb darin den Aufstieg der Nationalsozialisten zwar auch als „aus der Krise geborenen Erfolg“;237 das „deutsche Problem“ als ein gesamteuropäisches, das „niemals ein Sonderproblem war .“238 Unter „Krise“ verstand er allerdings nicht den Einbruch normativ-christlicher Grundlagen, sondern die von privilegierten Schichten nutzbar gemachte „Krisis des modernen Industriekapitalismus“ .239 Die deutsche Geschichte und den NS erklärte er aus dem Scheitern der Klassenkämpfe und der vom „deutschen Volk“ ausgehenden Demokratisierungs- und Einheitsbestrebungen:240 [D]ie wirkliche Stärke des Hitlerismus lag in der Unterstützung durch die privilegierten Klassen der Industriekönige, der Junker und der Armee, zusammen mit dem stillschweigenden Einverständnis paralleler Interessen in England und Frankreich . Zu keiner Zeit seit dem Ausbruch der Krise von 1929 bis 1933 hatte Hitler auch nur die geringste Hoffnung, zur Macht zu gelangen, auch nicht durch verfassungswidrige Mittel, außer mit der Rückendeckung durch die kapitalistischen und reaktionären Interessen . […] Es war diese unheilige Allianz, die das deutsche Volk in den Ruin und Europa in den Krieg trieb .241
Die Perspektive Barracloughs auf die deutsche Geschichte richtete den Fokus auf die Eliteneinbindung im NS und stand der von Ritter vertretenen Interpretation des NS als eines „Massen-“ und „primitiven“ Phänomens diametral entgegen .242 Die Kontroverse entzündete sich an der von Ritter vertretenen These, dass mit der Französischen Revolution und deren „Umwandlung des alten Obrigkeitsstaates zum demokratischen Volksstaat und mit der Verdrängung der Kirchen aus dem Mittelpunkt des Lebens […] grundsätzlich der Weg zum modernen Totalstaat eröffnet“ worden sei .243 Barraclough merkte an, dass Ritter emanzipative, demokratische Bestrebungen zur Ursache moderner Totalitarismen erkläre und sah in Ritters letztem Werk „the coolest piece of propaganda yet to come from Germany“ .244 Zwar ging er nicht so weit wie Arendt kurz darauf, Ritter „Propaganda für Hitler“245 vorzuwerfen, sondern verstand ihn als Vertreter eines „deutschen Konstitutionalismus à la Wilhelm I . und Bismarck“ .246 Der Propagandavorwurf aber kehrte eine von Ritter oft bemühte argumentative Waffe gegen Barraclough (1946) . Ebd ., S . 192 . Ebd ., S . 206 . Ebd ., S . 193, vgl . ähnlich Taylor (1946), S . 205 . Vgl . Barraclough (1946), S . 202 . Ebd ., S . 192–193 . Vgl . u . a . Ritter (1948), S . 29 . Vgl . ebd ., S . 47, vgl . ähnlich Ritter (1958[1950]) . Geoffrey Barraclough, „Letter to the Editor“, in: Times Literary Supplement v . 14 .04 .1950, zit . in Ritter an Barraclough am 24 .05 .1950, in: Schwabe/Reichard (1984), S . 460–463, vgl . Schulze (1989a), S . 233–234 . 245 Arendt (1951), S . 90 . 246 Vgl . Barraclough, zitiert in Ritters Brief an ihn am 24 .05 .1950, in: Schwabe/Reichard (1984), S . 461 . 236 237 238 239 240 241 242 243 244
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ihn: Ritter selbst beanspruchte, „der Propaganda bewußt die ruhige Wahrheit, dem Schlagwort die nüchterne, überzeugende Sachlichkeit, dem bloßen Gerede die überlegene Sachkenntnis“ entgegenzusetzen .247 Als Historiker sah er sich im Gegensatz zu Journalisten und Politikern dafür prädestiniert, für eine angemessene politische Bildung zu sorgen . Bereits 1946 hatte er es als „eine der dringendsten Aufgaben“ angesehen, „praktische Politik und wissenschaftliches Denken wieder in engere Fühlung miteinander zu bringen“ und darauf gedrungen, „die Heranbildung einer klar blickenden und gut beratenen Führerelite“ zu übernehmen, „ohne die kein demokratisches Staatswesen wirklich gedeihen“ könne .248 Für diesen Zweck hielt er die „Einführung einer politischen Professur“ nicht für angebracht, vielmehr sollten die „Journalisten und die Politiker […] in einer echten wissenschaftlichen Disziplin zu Hause sein“, zitierte die BZ Ritters Vortrag Die politische Bildung an der Universität .249 Der Politik gestand Ritter keinen wissenschaftlichen Status zu, da es der Universität nicht zustände, die für den politischen Machtkampf notwendigen „‚Tugenden‘“ zu lehren, „mit Verschlagenheit, Instinkt für die Wirkung der Worte und einem treffenden Humor die Massen zu gewinnen“ . Hingegen könnte die universitäre Geschichtswissenschaft Verständnis für „die Existenzbedingungen des eigenen Volkes“ und „die Lage des politischen Partners“ schaffen und dazu beitragen „das Chaos des Kampfes […] durch eine sittliche Ordnung“ abzulösen . Während diese Frage 1951 noch im Rahmen des studium generale in Ritters Sinne gelöst wurde, begannen im Folgejahr die Berufungsverhandlungen für die Professur für Politikwissenschaft . Ab 1952 intensivierte sich so Ritters Kampf um das Primat der politischen Ideengeschichtsschreibung gegen die sich entwickelnde Sozialgeschichte und die Annales-Schule einerseits, gegen die Etablierung der Politikwissenschaft andererseits . Bis in die 1960er Jahre bestimmte die Auseinandersetzung um Politik und Zeitgeschichte die Diskurse, während die restaurativ-idealistische Vergangenheitsorientierung zunehmend durch Gegenwarts- und Anwendungsorientierung abgelöst wurde . Das studium generale und neue Politisierungsanforderungen Der Erfolg der Geisteswissenschaften wurde in der Öffentlichkeit diskutiert und nicht zuletzt anhand der Studierenden gemessen . Ein in der Presse breit diskutierter Topos der unmittelbaren Nachkriegszeit war der „Mangel“ an studentischer Politisierung be-
Ritter, „Ist das deutsche Volk politisch ‚unreif ‘?“, in: BZ v . 07 .01 .1949, in: UA Freiburg Nr . B039/05 . Ritter (1946b), S . 2 . G .-N ., „Politische Vorlesungen an der Universität“, in: BZ v . 29 .01 .1951, in: UA Freiburg Nr . B039/05 . Das folgende Zitat ebd .
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ziehungsweise die Gefahr einer „falschen“ Politisierung .250 Zwar hatte sich bereits 1946 ein Allgemeiner Studentenausschuss (AStA) organisiert, der durch die Wahlen am 30 . Oktober 1946 mit einer Beteiligung von 80 % der Studierenden bestätigt worden war .251 Allerdings sank die Wahlbeteiligung zusehends, auch wenn sie sich weiter über der 50 %-Grenze bewegte .252 „Krise studentischer Selbstverwaltung?“, „Warum so gleichgültig?“ kommentierte die Badische Zeitung 1949 die „‚Scheuklappenstudenten‘“ und diskreditierte gleichzeitig „hochschulpolitische Demonstrationen“ als der akademischen Politisierung unangemessene Fehlgriffe .253 Zur Erklärung des studentischen Desinteresses an Politik und Selbstverwaltung wurde deren generationelle Prägung sowie ihre Überlastung als „Werkstudenten“ herangezogen . Die BZ resümierte 1951, dass der Abstand der „Kriegsstudentengeneration“ oder „Generation 45“254 sowie der folgenden Studierendengeneration „gegenüber den Parteien und der großen Politik […] gleich groß und doch verschiedener Art“ sei: Bei den Älteren ist die Ablehnung skeptisch oder aktiv, bei den Jüngeren fehlt weithin das Interesse . Die Führergruppe des „Asta“, der studentischen Selbstverwaltung, bildet oft eine einsame Insel, und bis heute hat der Sprachschatz von Parlament und Demokratie auf der Hochschule eigentlich keine Verbreitung gefunden .
Während die älteren „gereiften, charakterlich gefestigten“ als verlässliche und verantwortungsvolle Studierende galten, die „mühsam“ die studentische Selbstverwaltung aufgebaut hatten, war die Ratlosigkeit gegenüber der politischen Interesselosigkeit der jüngsten Generation groß .255 Tellenbach versuchte diese Problematik innerhalb des studium generale zu lösen, mit dem die Universität Freiburg eine Pionierstellung einnahm .256 Allerdings rückten die Diskussionen um eine angemessene Politisierung der Studierenden neue Aufgaben des studium generale in den Blick . Innovative Formen „studentischen Gemeinschaftslebens“ sollten als Alternative zum Korporationswesen eingeführt und der zunehmend geforderte politisierende Erziehungs- und Demo250 Die Studierenden stünden der Universität, Staat und Gesellschaft „gleichgültig“ und „indifferent“ gegenüber, hieß es wiederholt in der ZEIT, vgl . Paul Leverkuehn, „Studenten und politische Erziehung . Ein Vorlesungsverzeichnis und eine Betrachtung“, in: DIE ZEIT v . 29 .08 .1946, vgl . Heinz-Joachim Heydorn, „Zur geistigen Situation der Studentenschaft“, in: DIE ZEIT v . 13 .03 .1947, [o . A .], „Man sprach auch über Politik . Studenten-Debatten am Neckar“, in: DER SPIEGEL v . 15 .03 .1947 . 251 E . Buschkiel, „80 % der Studenten haben gewählt . Wesen und Aufgaben des Allgemeinen Studentenausschusses“, in: BZ v . 02 .12 .1946 . 252 Vgl . [o . A .], „Der neue ASTA“, in: BZ v . 01 .07 .1951 . 253 Jo, „Asta – heute und morgen . Krise studentischer Selbstverwaltung?“, in: BZ Nr . 62 v . 25 .05 .1949 . 254 [o . A .], „Die letzten Kriegsstudenten“, in: BZ v . 03 ./04 .03 .1951, S . 3 . Die folgenden Zitate ebd . 255 Tellenbach (1963[1951]), S . 43 . 256 Vgl . ebd ., S . 42–43, vgl . Bernhard Welte, „Begegnung in der Universität . Eine Tagung über das studium generale und die Universitätsreform“, in: BZ v . 02 .04 .1952, S . 4 . Die Freiburger Universität war die erste, die für diese Einrichtung staatliche Mittel bekam und so auch Tutoren beschäftigen konnte, vgl . [o . A .], „Hat das ‚studium generale‘ noch Bestand? Seine Erprobung an der Univ . Freiburg i . Br .“, in: Schwarzwälder Bote v . 27 .12 .1954, in: UA Freiburg Nr . B039/15 .
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Krisenrhetorik, Wissenschaftsorganisation, Öffentlichkeit
kratisierungsauftrag in Abgrenzung zur Studierendenpolitisierung der DDR erfüllt werden:257 „Weite Kreise der Öffentlichkeit in Deutschland, insbesondere alle politischen Parteien fordern von den Hochschulen eine Verstärkung ihrer pädagogischen Anstrengungen um die akademische Jugend“, hatte Tellenbach bereits im August 1949 dem Badischen Kultusministerium und dem Oberbürgermeister erklärt .258 Er positionierte sich gegen farbentragende studentische Korporationen und Mensur .259 Das Freiburger studium generale sollte neue studentische Gemeinschaftsformen stiften, verbunden durch „landschaftliche, religiöse, kulturelle, fachliche, soziale oder sportliche Bestrebungen“ . Mit Hinweis auf die „politische Bedeutung der Reform des studentischen Gemeinschaftslebens“ verlangte Tellenbach „kräftige Unterstützung“ des Kultusministeriums und der Stadt – insbesondere im Aufbau einer studentischen Wohnsiedlung und eines Studierendentreffpunkts .260 In verschiedenen Ansprachen forderte er die Studierenden zu mehr Initiative und Interesse auf, welche von der Presse für die darauffolgende höhere Wahlbeteiligung zum AStA verantwortlich gemacht wurden .261 Tellenbachs Erfolg spiegelte sich in seiner Beliebtheit unter den Studierenden, die ihn zum Dank „für die großen Mühen um das Wohl der Studentenschaft und das offene Ohr für die studentischen Vertreter“262 sowie für die „Wiederbelebung studentischer Gemeinschaften in einer Form, die unserer Zeit mehr entspricht“, am Ende seines Rektorjahres zum ersten Ehrenvorsitzenden des AStA wählten .263 Dass er jedoch auch mit harscher, wenngleich randständiger Kritik von Seiten des AStA konfrontiert wurde, lässt sich an einer Diskussion um das studium generale in der 1951 etablierten Freiburger Studentenzeitung ablesen . Während im ersten diesbezüglichen Beitrag Tellenbachs Auffassungen sinn- und teils auch wortgetreu wiedergegeben wur-
257 Auch der Universitätsbeirat richtete einen „Appell an die Altherrenschaften“ beim Aufbau neuer stud . Gemeinschafsformen beizutragen, „statt die alte Romantik wieder beleben zu wollen“, vgl . [o . A .], „Weg von den alten Formen . Der Universitätsbeirat über das studentische Leben“, in: BZ v . 03 .07 .1950, S . 2 . 258 Tellenbach (1963[1949]b), S . 37 . 259 Ihnen gestand er zwar „zu ihrer Blütezeit idealen Schwung und historische Berechtigung“ zu, verwies aber auf deren „nationalistische und sozial-exklusive Haltung“ in den 1930er Jahren . Tellenbach (1963[1949]b), S . 37 . Der Passus wurde als „Stellungnahme der Freiburger Universität“ in der BZ zitiert, die den Beschluss der WRK v . 11 .–13 .10 .1949 vorweggenommen habe, vgl . [o . A .], „Gegen das veraltete Korporationswesen“, in: BZ v . 20 .10 .1949 Nr . 124, in: UA Freiburg Nr . B039/15 . 260 Ebd ., S . 38 . Diese Bestrebungen waren durch die Aussicht auf Stiftungsbeiträge initiiert worden, die an die Bereitstellung eines gleichen Betrags gekoppelt war, vgl . [o . A .], „Eine großzügige amerikanische Spende .“, in: BZ v . 12 .02 .1951; [o . A .], „442 300 Mark für die Studenten . Die angekündigte amerikanische Stiftung für ein Studentenhaus in einer Feier in der Universität übergeben“, in: BZ v . 22 .02 .1951; [o . A .], „‚Untätigkeit wäre Selbstmord .‘ McCloy besucht die Freiburger Universität“, vgl . [o . A .], „Das neue Studentenheim in der Maximilianstraße“, in: BZ v . 27 .02 .1952 . 261 [O . A .], „Die Wahlbeteiligung war besser“, in: BZ v . 27 .01 .1950; [o . A .], „Fachschule oder Universität“, in: BZ v . 07 .05 .1951, G-N, „Um die Idee der Universität . Ein Ruf Professor Dr . Tellenbachs an das Verantwortungsgefühl der Studenten“, in: BZ v . 12 ./13 .05 .1951, vgl . die Akten in UA Freiburg Nr . B039/05 . 262 [O . A .], „Prof . Dr . Tellenbach Ehrenvorsitzender des AStA“, in: Tagespost v . 24 .02 .1950, in: B039/05 . 263 [O . A .], „Die Studenten ehren ihren Rektor“, in: BZ v . 25 .02 .1950, in: ebd .
Restauration durch geisteswissenschaftliche Krisenrhetorik 1945–52
den,264 stellte der zweite Beitrag „ketzerische“ Fragen . Das studium generale wurde als anachronistisch, quasireligiös und den gegenwärtigen Verhältnissen unangemessen kritisiert .265 Der Artikel bestätigte zwar die zentralen Werte des im studium generale institutionalisierten Bildungsideals, kritisierte aber die unpolitische Abstraktheit und forderte ihre Konkretion innerhalb neuer politischer Verhältnisse .266 Tellenbach nahm die Einwände auf und kündigte im Juni 1952 zusammen mit den Erfahrungsberichten zweier Studierender im Jugendfunk eine Transformation des studium generale an, die den Schwerpunkt von Vortragsreihen zu freiwilligen Arbeitskreisen und Kolloquien verlagern sollte .267 Mit dem colloquium politicum wurde 1950/51 auch ein Arbeitskreis geschaffen, der die Politisierung der Studierenden fördern und lenken sollte .268 Tellenbach selbst befürwortete das politische Engagement der Studierenden und unterstützte 1952 die studentischen Demonstrationen, die aufgrund der antisemitischen Filme Veit Harlans – Regisseur des 1940 produzierten „Jud Süß“ – in Freiburg und bundesweit gegen die Aufführung seines neuen Films „Hanna Amon“ stattfanden .269 Als die Kundgebung von Polizeikräften niedergeschlagen wurde, solidarisierte er sich mit den Studierenden und rief zur „Unruhe“ auf, da der Widerspruchsgeist und das Verantwortungsgefühl einer akademischen Avantgarde die „Gesetzgeber und Regierungen“ dazu motiviere „zu verhindern, daß die Bundesrepublik einen ähnlichen Weg geht wie das deutsche Reich nach 1918 (sic) .“270 All die sich aus den breiten öffentlichen Diskussionen um die Politisierung der Studierenden ergebenden Positionen, Ansprüche und Forderungen versuchte Tellenbach in den von ihm organisierten und geleiteten Hinterzartener Arbeitstagungen 1952 zusammenzubringen .271 Veranlasst durch die vielfältigen, aber unverbundenen Reformbestrebungen verschiedenster Institutionen versammelte er dort „alle Schichten und Kreise des deutschen Hochschullebens“ .272 Die Presse hob lobend hervor, dass über Rektoren und Professoren hinaus Vertreter der Kultusministerien und des Bundesinnenministeriums, verschiedener Verbände und Stiftungen sowie Assistenten, Tutoren
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S . 2 .
Manfred Hättich, „Studium generale – Mit oder ohne uns?“, in: FSZ 1 no . 3 (1951), S . 2 . Ralph Sauer, „Ketzerische Gedanken zur Konzeption eines studium generale“, in: FSZ 1 no . 4 (1951),
Vgl . Bernd Bender, „Wir Studenten . Jugend zwischen gestern und morgen“, in: BZ v . 25 .05 .1946, S . 6 . Vgl . Tellenbach (1951b), Kiefer (1951), Pikart (1951) . Zur Gründung des colloquium politicum in Freiburg vgl . Schwarz (1963), S . 51–52, Oberndörfer (2017) . Vgl . [alle o . A .], „Im Brennpunkt: Harlan . Geistige und ethische Hintergründe der Demonstration“, in: FSZ 2 no . 1 (1952), S . 10, FSZ 2 no . 3 (1952), S . 2, „Proteste gegen den Veit-Harlan-Film . Studenten und Gewerkschaften demonstrieren“, in: BZ v . 14 .01 .1952, „Der ASTA verantwortet sich“, in: BZ v . 18 .01 .195“, „Für und gegen Veit Harlan“, in: BZ v . 02 ./03 .02 .1952, „Studenten würden erneut demonstrieren“, in: BZ v . 28 .04 .1952, „Protestversammlung und neue Demonstration . Eine Kundgebung der Studenten – Halbwüchsige als Störenfriede“, „Der Zug durch die Stadt“, in: BZ v . 17 .06 .1952 . 270 Tellenbach (1963[1952]c), S . 117, vgl . ausführlich Scherb (2002), S . 262–264, Herrmann (2012) . 271 Vgl . Hochschulverband (1952) . 272 Tellenbach (1963[1952]b), S . 82 . 266 267 268 269
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Krisenrhetorik, Wissenschaftsorganisation, Öffentlichkeit
und auch Studierende geladen waren: „Als besonders belebend erwies sich die Anwesenheit der Studenten, die mit rückhaltloser Offenheit in die Aussprache eingriffen .“273 Das ehrgeizige Tagungsziel war es, „alle bisherigen Bemühungen um die Gestaltung des Hochschullebens“ aufzunehmen .274 Dementsprechend umfassend war ihr Programm .275 Dafür stellte die Konferenz in Aussicht, „aus der Sphäre theoretischer Erörterung und prinzipieller Besinnung zur Konkretisierung und Realisierung ganz bestimmter, praktisch durchführbarer Anliegen vorstoßen“ zu können .276 Tellenbachs Reformentwürfe des studium generale wurden ebenso aufgenommen wie seine Anregungen zur Intensivierung der Beziehungen zwischen Universität und Öffentlichkeit durch Universitätsbeiräte, die Einrichtung von Pressestellen und die Mitwirkung der Universitäten an der Erwachsenenbildung .277 Das Problem, wie „die Fachstudien aus ihrer Verengung heraustreten können“278 wie auch die Frage nach dem „Verhältnis der Philosophie zu den Einzelwissenschaften im Lehrbetrieb der Universitäten“, wurde auf der Konferenz jedoch nicht mehr allein im Rahmen des studium generale gelöst . Die Vorstellung der unmittelbaren Nachkriegszeit, propädeutische Kurse dauerhaft zu institutionalisieren, wurde zugunsten einer „Studentenberatung“ verschoben, das Problem der „Werkstudenten“ durch erste Entwürfe zur „Studentenförderung“ angegangen .279 Die Reflexion der Inhalte, Methoden und Kontexte wurde von der Philosophie zusehends in die einzelnen Fachbereiche verlagert .280 In den Diskussionen um Politische Selbstbildung und Betätigung sowie Politische Erziehung und Fachwissenschaft zeichnete sich schließlich eine Schwerpunktverlagerung von der Allgemeinbildung zur politischen Bildung ab .281 Gleichzeitig wurde eine Kommission für politische Bildung und Politikwissenschaft bestellt .282 Spätestens seit 1952 war klar, dass das Anliegen, in Abwehr von Spezialisierungsprozessen ein idealistisches, geisteswissenschaftliches Selbstverständnis auf die gesamte Universität zu übertragen, konkret nicht umsetzbar war . Das studium generale entwickelte sich als universitäre Institution erfolgreich weiter; die von den Geisteswissenschaften vertretene Krisenlösung im Sinne eines studium generale war hingegen an ihr Ende gelangt .283 Die Freiburger Einrichtung galt zwar als
273 [O . A .], „Was wird aus der Hochschulreform? Die Mängel sind erkannt, aber die Wege zur Lösung sind schwer“, in: BZ v . 13 ./14 .09 .1952 . 274 Tellenbach (1963[1952]b), S . 84 . 275 Vgl . d . Tagesordnungen in Mielitz (1963), S . 94–97, Tellenbach (1963[1952]a), ders . (1963[1952]b), S . 85 . 276 [O . A .], „Was wird aus der Hochschulreform?“, in: BZ v . 13 ./14 .09 .1952 . 277 Vgl . Hochschulverband (1967), S . 24–29, S . 49–52 . 278 [O . A .], „Was wird aus der Hochschulreform?“, in: BZ v . 13 ./14 .09 .1952 . 279 Vgl . Hochschulverband (1967), S . 48–49 . 280 Ebd ., S . 52 . 281 Vgl . Hochschulverband (1967), S . 54 . Das Alternativmodell zur „umfassenden Bildung“, die „politische Bildung“ entwickelte sich im Rahmen des studium generale . 1950/51 wurde das colloquium politicum gegründet, vgl . Wilhelm Grewe, „Stand der politischen Wissenschaft“, S . 1, in: UA Freiburg Nr . B003/0337 . 282 Ebd ., S . 55 . 283 Vgl . Tellenbach (1952a), S . 6 .
„Tradition und Neugestaltung“. Die Modernisierungsphase 1953–59
„die glücklichste bisher in Deutschland entwickelte“;284 hinsichtlich der Frage, ob die „Krise des modernen Menschen“ durch Allgemeinbildung gelöst, abgeschwächt oder in andere Bahnen gelenkt werden könnte, zeichneten sich aber zusehends Differenzen ab . In der Repräsentation von Philosophischer Fakultät, Geisteswissenschaften und Universität hielt Tellenbach weiterhin an dieser Konzeption der universitas litterarum fest, bei der die gemeinsame idealistische Verpflichtung aller Wissenschaften auf die Philosophie im Vordergrund stand .285 Der Diskurs wurde perpetuiert, während Tellenbach sich praktisch bereits zu Beginn der 1950er Jahre anders orientierte . 5.2
„Tradition und Neugestaltung“. Die Modernisierungsphase 1953–59
… weder die Umorganisation der Universität noch die Institution der Universität als solche [ist] ein arcanum für die Krise der modernen Daseinsverfassung . Die Universität ist selbst Glied dieser modernen Gesellschaft . Die Pflicht ist ihr auferlegt, der Zukunft zu dienen, indem sie die Überlieferung der Vergangenheit in Auseinandersetzung mit der Gegenwart weiterführt .286
Diese Auffassung von Hochschulreform verkündete Bergstraesser 1953 . Vier Jahre später findet sich derselbe Topos ausgearbeitet bei Tellenbach wieder, der seinen Jubiläumsvortrag 1957 zum Thema Tradition und Neugestaltung hielt .287 Der Titel seiner Rede bringt das Reformprogramm dieser Phase auf den Punkt, an einer bestimmten Idee von Universität und Geisteswissenschaften festzuhalten und gleichzeitig modernisierende Anpassungsleistungen voranzutreiben .288 In Kontrast zu den restaurativen Zielorientierungen der Jahre 1945–53 zeichnet sich darin ein Wandel ab, der auf Modernisierungsprozesse abzielte und sie gleichzeitig an die Tradition knüpfte . Eingreifende Reformen wurden nicht mehr konsequent abgelehnt, vielmehr wurden moderne Elemente als „Wiedererneuerung“ angeeignet . Die „Synthese“ von Tradition und Neugestaltung überwölbte als Zielvorstellung die Reformprozesse, die in den 1950er Jahren angestoßen wurden . Modernisierende Eingriffe in die Kontinuität des „Traditionellen“ zu stellen, machten sich Bergstraesser und Tellenbach zur Aufgabe . An ihrem Beispiel gehe ich im Folgenden der Frage nach, wie idealistische Krisenrhetorik die universitären Modernisierungsdiskussionen und -prozesse beeinflusste . Killy (1952), S . 24 . Tellenbach (1957), S . 81–86, hier S . 83, vgl . ähnlich Tellenbach (1957, 1959, 1961, 1963, 1966, 1968) . Bergstraesser (1953b), S . 348 . Tellenbach (1963[1957]) . „[Es] ist an der Zeit, die Studiengänge dem veränderten Stand der Wissenschaft und der veränderten Lage unserer Zeit anzupassen“, Gerd Tellenbach, „Studien- und Prüfungsordnungen im Zusammenhang mit der Hochschulreform . Referat auf der Tagung der WRK und KMK“, Marburg am 26 ./27 .10 .1960, in: UA Freiburg Nr . C157/4, S . 14 . 284 285 286 287 288
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Krisenrhetorik, Wissenschaftsorganisation, Öffentlichkeit
5.2.1
Die Institutionalisierung der Wissenschaftlichen Politik und Soziologie
Anfang der 1950er Jahre wurde noch breit diskutiert, ob die Politikwissenschaft als eigenständige Disziplin an deutschen Universitäten institutionalisiert werden solle . Zwar war das Fach bereits in den 1920er Jahren an der Universität Köln und an der nichtstaatlichen Berliner Hochschule für Politik gelehrt worden . Diese Initiativen wurden allerdings in der NS-Zeit aufgehoben bzw . gleichgeschaltet . In der Zweiten Nachkriegszeit wurde die Institutionalisierung einer „politischen Wissenschaft“ oder „Wissenschaft von der Politik“ insbesondere im Rahmen der reeducation vorangetrieben . Ab 1949 nahm der Plan, „politische Wissenschaften in die Studienpläne der Universität einzuführen“,289 schließlich bundesweit Formen an .290 Vorbildfunktion hatten US-amerikanische Departments of Political Science, die Michael Freund zufolge dort einfacher zu etablieren seien, weil das studium generale „an den amerikanischen Universitäten häufig der eigentliche Zweck des Universitätsstudiums“ sei .291 An diesem Statement, das 1950 in der Deutschen Universitätszeitung (DUZ) abgedruckt wurde, lässt sich der Versuch, mithilfe neuhumanistischer Anbindungen einen Brückenschlag zwischen Europa und den USA zu leisten ebenso ablesen wie die enge Verschränkung von politischer Bildung und studium generale . Die Freiburger Studierenden wurden 1950–54 durch Vortragszyklen des im studium generale angesiedelten colloquium politicum politisch gebildet .292 Das Alternativmodell, „politische Wissenschaften in die Studienpläne der Universität einzuführen“, rückte ab 1949 auf die Agenda .293 Im Mai 1951 war die Errichtung einer Professur für „politische Wissenschaften“ vom Badischen Kultusministerium genehmigt und in den Haushaltsplan 1952/53 aufgenommen worden . Eine gemeinsame Kommission der Philosophischen und Staats- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät sollte sich über die Vorschlagsliste einig werden . Beide Fakultäten versuchten mit der Benennung eines Kandidaten das Fach enger an sich zu binden: Die Philosophische Fakultät, allen voran der Historiker Ritter, plädierte für Michael Freund (1902–72) .294 Freunds historische Ausrichtung
[O . A .], „Hochschulprobleme . Die westdeutsche Rektorenkonferenz in Tübingen“, in: BZ v . 20 .10 .1949 . Auf einer Tagung in Waldleiningen 1949 wurden obligatorische Pflichtvorlesungen und -prüfungen in Politikwissenschaft erwogen . Die WRK setze dann einen Ausschuss ein, dessen Vorsitzender der Freiburger Nationalökonomen Constantin v . Dietze war, der die Etablierung der neuen Disziplin „Wissenschaft von der Politik“ befürwortete . Auf weiteren Konferenzen an der „Hochschule für Politik“ in Berlin und in Königstein 1950 wurden die Pläne präzisiert, vgl . umfassend Mohr (1988), S . 97–123 . 291 Freund (1950), S . 9, Sp . 1 . 292 Vgl . Wilhelm Grewe, „Stand der politischen Wissenschaft“, S . 1, in: UA Freiburg Nr . B003/0337 . 293 [O . A .], „Hochschulprobleme . Die westdeutsche Rektorenkonferenz in Tübingen“, in: BZ v . 20 .10 .1949 . 294 Ritter an die Philos . Fak . v . 13 .07 .1951, in: UA Freiburg Nr . B003/0337 . Freund war 1925 von Ritters Doktorvater Oncken promoviert und 1937/38 in Freiburg habilitiert worden . Während des NS verweigerte ihm der NS-Dozentenbund, nach 1945 die Militärregierung die venia legendi, vgl . die Berufungsgutachten in UA Freiburg Nr . B172/0378, Nr . B003/0337 . 1948 erhielt er die Professur für Politikwissenschaft in Kiel . 289 290
„Tradition und Neugestaltung“. Die Modernisierungsphase 1953–59
entsprach Ritters Ansicht, dass die Politikwissenschaft nur als geschichtswissenschaftliche Disziplin einen wissenschaftlichen Status erlangen könne .295 Demgegenüber stand die Staats- und Rechtswissenschaftliche Fakultät hinter ihrem Favoriten Arnold Bergstraesser und dessen kultursoziologischer Schwerpunktsetzung Heidelberger Schule .296 1953 erreichten Bergstraesser, der bereits 1946 das Angebot, die Leitung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft zu übernehmen, ausgeschlagen hatte und inzwischen als Gastprofessor in Erlangen wirkte,297 neben dem Ruf nach Freiburg auch Rufe auf eine Professur für Amerikanistik in Köln298 und für Soziologie in Frankfurt .299 Zu seinem Entschluss, „der Frankfurter Sirene gegenueber die Ohren zuzuhalten“300 und nach Freiburg zu gehen, „nicht nur des guten Ihringer wegen“,301 trug Constantin von Dietze bei . Der Wirtschafts- und Agrarwissenschaftler gehörte dem Beirat der Anfang 1951 neu gegründeten Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft an302 und legte auf die Berufung Bergstraessers nach Freiburg „besonders […] Wert“ .303 Dietze kannte ihn aus ihrer gemeinsamen Tätigkeit in der Studienstiftung, in der Bergstraesser 1928–33 als Vertrauensdozent gewirkt hatte . 1951/52 hatte Dietze ihn in Chicago besucht und Bergstraesser war im Gegenzug mehrmals nach Freiburg gekommen . Am 23 .01 .1953 hatte er in Dietzes Seminar einen „ausgezeichneten Vortrag über amerikanische und deutsche Soziologie“ gehalten .304 Als der Unternehmer Walter Bauer Anfang Februar 1953 bei Ritter und Dietze, die wie er zum Freiburger Kreis gehört hatten,305 anregte, die Politikprofessur mit Bergstraesser zu besetzen,306 gestand Dietze, er sei „ohnehin schon sozusagen scharf darauf, Arnold Bergstraesser für Freiburg zu gewinnen .“307 Walter Albert Bauer (1901–68)308
Vgl . Ritter (1946b), S . 2 . Ritter arbeitete eng mit Freund zusammen, u . a . boten sie 1951 eine Vorlesungsreihe zur Politischen Bildung an . Ritter setzte sich mehrfach für die Beförderung Freunds ein . 296 Vgl . das Gutachten über Arnold Bergstraesser von Eduard Baumgarten für Max Horkheimer v . 08 .04 .1953 betr . „Prof . Bergstraesser als Soziologe“ sowie die von Bergstraesser verfasste Grundlage davon, in: UA Freiburg Nr . B172/378, Nr . B0204/011 . 297 Vgl . weiterführend Schmitt (1999) . 298 Vgl . Bergstraesser an Theodor Schieder v . 22 .01 .1953, in: UA Freiburg Nr . B0204/109 . Vor seiner Berufung nach Freiburg hatte Bergstraesser in Erlangen die Professur für amerikanische Kulturgeschichte vertreten und an der Gründung der Gesellschaft für Amerikastudien 1953 mitgewirkt, vgl . Paulus (2010), S . 244–273, vgl . Bergstraesser (1953a, 1961[1956a], 1957b, 1961[1958b], 1965[1957], 1965[1963]) . 299 Vgl . das Gutachten über Bergstraesser v . E . Baumgarten, 08 .02 .1954, in: UA Freiburg Nr . B172/0378 . 300 Arnold Bergstraesser an Constantin von Dietze am 10 .02 .1954, in: ebd . 301 Sch ., „Das Porträt . Prof . Dr . Arnold Bergstraesser“ in: FSZ 3 (1954), S . 2 . 302 Vgl . Mohr (1986), S . 71 . 303 Max Müller, „Aktenvermerk“ v . 29 .04 .1953, in: UA Freiburg Nr . B003/0337 . 304 Constantin v . Dietze an Walter Bauer am 11 .02 .1953, in: UA Freiburg Nr . B172/0378 . 305 Vgl . Goldschmidt (2007), S . 508 . 306 Bauer an Dietze am 10 .02 .1952, in: UA Freiburg Nr . B172/0378 . 307 Dietze an Bauer am 11 .02 .1953, in: ebd . 308 Bauer hatte 1920–24 Wirtschaftswissenschaft in Freiburg, Berlin und Tübingen studiert, war 1924–38 in der Verkehrs- und Handels-AG Berlin tägig und 1928–38 Geschäftsführer der Thüringischen Kohlen295
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verfügte über gute Kontakte zur evangelischen Kirche309 und zur Wirtschaft .310 Mit Bergstraesser arbeitete Bauer später vor allem in seiner Funktion als Vorsitzender der 1953 gegründeten deutschen Gruppe CEPES (Comité Européen pour le Progrès Economique et Social) zusammen, der Europäischen Vereinigung für wirtschaftliche und soziale Entwicklung .311 1957 wurde er im Zuge des Universitätsjubiläums zum Ehrensenator ernannt und sprach als Präsident der Industrie- und Handelskammer Fulda sowie als ehemaliger Freiburger Student über „Die Bewährung der akademischen Bildung in Beruf und öffentlichem Leben“ .312 Anlässlich Bergstraessers Berufung erbot sich Bauer, mit dem amtierenden badenwürttembergischen Kultusminister, dem Finanzminister und anderen zu sprechen .313 Dietze setzte sich mit dem früheren Kultusminister Theodor Bäuerle in Verbindung, der Bergstraesser wiederum selbst schon gefragt hatte, „ob er etwas in seiner Sache tun könne“ .314 Auch der Direktor der Württembergischen Landesbibliothek Wilhelm Hoffmann wurde gebeten, sich in dieser Angelegenheit an den ihm gut bekannten Hochschulreferenten Baden-Württembergs zu wenden .315 Weiterhin setzte sich Hans Speidel 1953 beim Kultusminister Simpfendörfer für Bergstraessers Berufung ein und riet Bergstraesser davon ab, dem Ruf nach Frankfurt zu folgen .316 Von den Fakultäten
und Brikettverkaufsgesellschaft . Seit 1938 war er u . a . Hauptanteilseigner der Hutstoffwerke Fulda Muth & Co . Oktober 1944 bis April 1945 wurde er als Mitglied des Freiburger Kreises inhaftiert . Er war Mitbegründer des Hilfswerk 20. Juli 1944 und geschäftsführender Vorstand der Stiftung 20 . Juli . 1946–51 fungierte er als Generaltreuhänder für den konzerngebundenen Kohlenhandel der amerik . Zone, 1949 als Beobachter bei der Internationalen Ruhrbehörde, 1950–51 gehörte er zur deutschen Delegation bei den Verhandlungen über den Schumanplan . 1952–68 saß er dem Vorstand der Valentin Mehler AG, Fulda vor, deren Hauptanteilseigner er 1967 wurde . Seit 1960 war er Vorsitzender des Beirats der Friedrich-Naumann-Stiftung . 309 1948 war er Delegierter bei der Weltkirchenkonferenz in Amsterdam, 1949–68 Mitglied der Synode, der Kammern für öffentl . Verantwortung und für soziale Ordnung, seit 1967 des Rates der EKD, 1949–68 Mitglied der Leitungsorgane des Diakonischen Werkes der EKD, vgl . Wischnath (1986) . 310 Bauer war ab 1953 Vorsitzender der deutschen Gruppe von CEPES, die mithilfe der Ford-Foundation aufgebaut wurde, vgl . Aubourg (2008), S . 75 . 1957–68 war er Präsident der Industrie- und Handelskammer Fulda, 1963–68 Vorstandsmitglied des Dt . Industrie- u . Handelstages, 1960–64 Vizepräsident des Gesamtverbandes der Textilindustrie, Präsidiumsmitglied der Bundesvereinigung der Dt . Arbeitgeberverbände . 311 Vgl . Eisermann (1999), S . 96 . 312 Vgl . die Ansprache Walter Bauers, „Dr . Bauer, Fulda, als ehemaliger Freiburger Student“, in: Tellenbach/Rösiger (1961), S . 251 . Bauer griff darin „maßgebliche Vertreter des VDS“ an, die eine verbesserte Studierendenförderung gefordert und rückzahlbare Darlehen abgelehnt hatten . Vgl . auch [o . A .], „Festakt zum Tag der Freiburger Studenten“, Südwestrundschau 29 .06 .1957, in: UA Freiburg Nr . B039/024 . 313 Vgl . Bauer an Dietze am 08 .04 .1953 und am 17 .06 .1953, in: UA Freiburg Nr . B172/0378 . 314 Dietze an Bauer am 04 .06 .1954, vgl . Bauer an Dietze am 17 .06 .1956, vgl . das Konzept des Briefes von Dietze an Minister a . D . Bäuerle, Stuttgart v . 20 .06 .1953, in: ebd . 315 Vgl . Bauer an Dietze am 26 .06 .1953, in: ebd . 316 Joseph H . Pfister an Bergstraesser, University of Chicago, am 09 .12 .1953, in: UA Freiburg Nr . B0204/227, zum Verhältnis Bergstraessers zum Militär vgl . weiterführend Klein (2014) .
„Tradition und Neugestaltung“. Die Modernisierungsphase 1953–59
schließlich pari loco mit Freund an erster Stelle nominiert, wurde der Ruf vom Kultusministerium an Bergstraesser erteilt .317 Für Freiburg entschloss sich Bergstraesser aber erst, nachdem die Differenz zwischen dem in Köln und dem in Freiburg verfügbaren Grundgehalt dadurch ausgeglichen wurde, dass ihm zum Freiburger Extraordinariat auch die Stelle als Abteilungsleiter des Stuttgarter George-Washington-Instituts für Amerikakunde (GWI) übertragen wurde .318 Bei dem 1953 gegründeten und bis 1955 vor allem von Industriellen finanzierten GWI handelte es sich um ein Institut für empirische Sozialforschung mit amerikanistischem Schwerpunkt .319 Bergstraessers Stelle als Abteilungsleiter beinhaltete neben soziologischer Forschung auch eine Honorarprofessur für „Amerikanische Kultur“ an der TU Stuttgart .320 Er teilte sie sich mit Eduard Baumgarten (1898–1982), den er aus Studientagen kannte, der sich auch für Bergstraessers Berufung eingesetzt und mit dem er schon vorher am GWI zusammengearbeitet hatte .321 In den Berufungsverhandlungen erreichte Bergstraesser weiterhin, dass die Soziologie in die „Wissenschaftliche Politik“ eingeschlossen wurde .322 Als diese Erweiterung bei den Fakultäten auf Widerstand stieß,323 erläuterte Bergstraesser, dass er die „‚wissenschaftliche Politik‘ als ein Teilgebiet der Soziologie“ auffasse:324 Ohne diese Einbeziehung der Soziologie in sein Fachgebiete hätte er die Ablehnung der in Frankfurt schwebenden Berufung nicht verantworten können, ohne sie ist die Fortführung von Arbeiten erschwert, die ich nach Freiburg „mitzunehmen“ hoffe und ohne sie steht auch eine Beteiligung am Stuttgarter Unternehmen auf etwas tönernen Füssen .325
Vgl . Dekane der Philosophischen u . Rechts- u . Staatswissenschaftlichen Fakultät an das Kultusministerium Baden-Württemberg, „Berufungsvorschläge zur Besetzung des pln . Extraordinariats für die Wissenschaft von der Politik“ v . 18 .06 .1953, in: UA Freiburg Nr . B003/0337 . 318 Vgl . Dietze an den Dekan d . Rechts- und Staatswissenschaftl . Fakultät, Freiburg, 06 .08 .1953, in: ebd . 319 Vgl . „Memorandum, Tätigkeitsberichte, Mitgliederliste 1953–55“, in: UA Freiburg Nr . B0204/013, vgl . den Entwurf von Prorektor J . Vincke betr . Gründung eines Instituts für Soziologie und Verhaltens-Forschung in Verbindung mit der Univ . Freiburg, 11 .08 .1952, vgl . das Selbstverständnis des GWI, vgl . Theodor Heuss an den Bundesinnenminister Schröder v . 27 .07 .1954 zur Teilfinanzierung des GWI durch den Bund, in: ebd . 320 Vgl . Vertrag zw . GWI, Geschäftsführer Krug und Abteilungsleiter Bergstraesser, Stuttgart 14 .05 .1954, in: UA Freiburg Nr . B0204/214 . Bergstraesser löste diesen Vertrag mit seiner Ernennung zum Direktor des Forschungsinstituts der DGAP, vgl . ders . an Erwin Fues, Stuttgart, 21 .09 .1955, in: ebd ., Nr . B0204/13 . 321 Unter Baumgartens Leitung ging aus dem GWI Ende der 1950er Jahre das Institut für Vergleichende Sozialwissenschaften Stuttgart hervor, das schließlich zum Institut für Empirische Soziologie der Wirtschaftshochschule Mannheim wurde, vgl . Anger (1960a), S . 6, vgl . Baumgarten (1960), S . 675 . Baumgarten wirkte ab 1960 dort sowie als Gastprofessor in Freiburg . 322 „Das von Herrn Bergstraesser vertretene Fach wird unter dem Namen Wissenschaftliche Politik (Soziologie) in die Promotionsordnung aufgenommen“, Fakultätsprotokoll v . 14 .07 .1956, in: UA Freiburg Nr . B3/799, S . 15 . 323 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 16 .01 .1954, in: UA Freiburg Nr . B003/0798, S . 353 . 324 Bergstraesser an Dietze, Chicago, 10 .02 .1954, in: UA Freiburg Nr . B172/378 . 325 Bergstraesser an Lohmann, Freiburg, 26 .01 .1954, in: ebd . 317
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Zudem wollte Bergstraesser „das Gebiet der Amerikanistik ausdrücklich in den Rahmen der Aufgaben seines Lehrstuhls“ miteinbeziehen, was die Philosophische Fakultät jedoch nicht erlaubte .326 Mit der Integration der Soziologie konnte Bergstraesser an seine Erfahrungen im Heidelberger Institut für Soziologie und Staatswissenschaften anknüpfen .327 Der Schwerpunkt verlagerte sich spätestens ab 1956 auf politische Themen, insbesondere die Internationale Politik, ab 1960 dann auf die „Entwicklungsländerpolitik“ . An den Berufungsverhandlungen zeigt sich, dass Bergstraesser seine Professur interdisziplinär gestalten und seine Stellung als Universitätsprofessor mit der Leitung eines wissenschaftlichen Instituts verknüpfen wollte . Zudem wird das Interesse von Politik, Militär und Wirtschaft an der Besetzung dieser Professur deutlich . Bergstraessers Berufung ist exzeptionell für die Berufungspolitik der Philosophischen Fakultät Freiburg, aber typisch für die Netzwerkarbeit, die an und mit Universitäten stattfand . Die Philosophische Fakultät verhielt sich jedoch dem neuen Fach und Lehrstuhlinhaber gegenüber zunächst skeptisch . Die Besetzung der Professur löste insbesondere bei Ritter, dem Doyen der politikgeschichtlich ausgerichteten (Zeit-)Geschichte, starke Konkurrenzängste aus . Auch der Name Wissenschaftliche Politik reflektiert die damaligen Konkurrenzkämpfe zwischen Politik- und Geschichtswissenschaft . Die Politikwissenschaft war dazu angehalten, sich als „wirklich wissenschaftlich“ zu beweisen, ihre Professoren mussten sich von „Politikern und Journalisten“ abgrenzen .328 Auch was die Graduierung anbetraf, wurde das Fach in der Philosophischen Fakultät 1953 noch nicht anerkannt, die Promotion sollte entsprechend „nicht in Politischer Wissenschaft erfolgen, sondern in einem der schon bisher anerkannten Promotionsfächer“ erfolgen . Bergstraesser gelang sein Aufstieg an der Philosophischen Fakultät nicht zuletzt dadurch, dass er sich durch idealistische Krisenrhetorik auswies und damit Eingang in das gemeinsame Selbstverständnis der scientific community der Philosophischen Fakultät fand . Wenngleich seine wissenschaftsorganisatorische Aktivität und seine US-amerikanischen Netzwerke insbesondere von Ritter kritisiert wurden, konnte er mit seinem Bekenntnis zur „Krise der Moderne“ und „Humboldt“ in diesem Kontext Akzeptanz und Vertrauen erzeugen . 5.2.2
Idealistische Krisenrhetorik als professorale Zugangsvoraussetzung
Bergstraesser reüssierte an deutschen Universitäten mit seinem Aufsatz Die Universität und die gesellschaftliche Wandlung der Gegenwart .329 Darin stellte er die Frage nach der „Daseinskrise der Gegenwart, deren Teil die Bildungskrise der Universität“ 326 327 328 329
Vgl . Fakultätsprotokoll v . 16 .01 .1954, in: UA Freiburg Nr . B003/0798, S . 353 . Vgl . Bergstraesser (1953a) . Vgl . Fakultätsprotokoll v . 09 .05 .1953, in: UA Freiburg Nr . B003/0798, S . 332 . Das folgende Zitat ebd . Vgl . Bergstraesser (1953b) .
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sei .330 Der Text war als Krisendiagnose samt anschließendem Lösungsvorschlag aufgebaut . Er begann mit der Erinnerung daran, dass sich seit Humboldt viel verändert habe und deutete eine historisierende und differenzierende Auseinandersetzung mit der deutschen Universitätsidee an . So fragte Bergstraesser vergleichend nach den Diskrepanzen, „die zwischen der Humboldtschen Universitätsidee, der Wirklichkeit des Universitätsbetriebs, der Situation der Wissenschaften und den Anforderungen der modernen Gesellschaft tatsächlich bestehen .“ Er nahm die Krisenrhetorik auf und beschrieb die „moderne Daseinsverfassung“ als Krise, die er durch drei Momente charakterisierte: Die Krise der „Rangordnung der Werte“ bzw . der „Lebensnormen“, die „Krise des Bildungswissens“ und schließlich eine neue Unübersichtlichkeit aufgrund politischer und gesellschaftlicher Wandlungsprozesse .331 Konkret fokussierte er die „Überforderung der Universität“, der Studierenden, Professoren sowie der „Institution als Ganzes“ . So nahm er Widersprüchlichkeiten zwischen universitärem Anspruch und der Praxis sowie fehlende Kommunikationsstrukturen zwischen Universität und Öffentlichkeit ins Visier . Er prangerte Finanzierungsprobleme, die Überlastung der Professoren sowie die Werkarbeit der Studierenden an, die intensives Studieren sowie ein studium generale verhinderten . Die Überlegung führte ihn zu dem Schluss, dass die „Humboldtsche Bildungsidee […] in der Erscheinungsform ihrer Entstehungszeit dem 20 . Jahrhundert nicht mehr gemäß“ sei . Der Aufstieg der Fachhochschulen und des „Fachwissens“ lasse an diesem Anachronismus keinen Zweifel . Bei dieser Konsequenz angekommen, erfolgte jedoch eine Kehrtwendung . Entgegen seiner einleitenden Beobachtungen setzte Bergstraesser das Humboldt-Ideal sakrosankt und behauptete den „Kern von Humboldts Begriff der Bildung“ als universal, überzeitlich und unwiderlegbar, von gesellschaftlichen Entwicklungen unantastbar: Dieser Kern kann nicht widerlegt werden von den Wandlungen der gesellschaftlichen Strukturen her . Er ist unberührbar von dem Mehltau der Skepsis . Wenn wir ihn heute in engerem Zusammenhang mit der klassisch-christlichen Überlieferung von 3000 Jahren verstehen als früher, so wird auch dieser Kern der spezifisch deutschen Bildungsschicht stärker ins Licht seiner überhistorisch-zeitlosen Bedeutung gerückt . Denn die Wissenschaft, die Humboldt meinte und betrieb, ruhte eben auf dem Glauben: dem Glauben an die Sendung des Menschen .332
Bergstraesser inszenierte Glaubensfestigkeit und implantierte Sendungsbewusstsein,333 wobei er das Humboldt- wie auch das Abendland-Ideal aufgriff .334 In seinen Aufsätzen hob er die als spezifisch europäisch deklarierte „Art, auf die kritische Daseinsverfas-
330 331 332 333 334
Ebd ., S . 354 . Das folgende Zitat ebd . Ebd ., S . 347–49 . Die folgenden Zitate ebd . Ebd ., S . 355 . Zum Sendungsbewusstsein vgl . seinen Aufsatz zu Hofmannsthal, Bergstraesser (1951) . Vgl . Bergstraesser (1961[1954b]), ders . [(1961[1955]) . Zu den religiösen Aspekten vgl . ders . (1951b) .
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sung der modernen Welt geistig zu antworten [Hvh . i . O .]“335 hervor und forderte eine Renaissance „als Fähigkeit zur Wiedererneuerung an sich .“336 Er nahm praktische Probleme auf, um sie gegenüber dem „geistigen Kern“ des Humboldt-Ideals als irrelevant zu behaupten . Nachdem er die konkreten Schwierigkeiten erläutert hatte, die das Ideal in Frage stellten, schützte und tabuisierte er es, indem er seine Umsetzung von der institutionellen Praxis löste und auf eine geistige „Entscheidung“ verlagerte . Die „Hierarchie der Wertungen“ war in seiner Krisenlösungsversion, die er mit „Humboldts Bildungsidee“ gleichsetzte, idealistisch vorgegeben: Das „Innere“ sollte dem „Äußeren“, das „Sollen“ dem „Sein“, die Transzendenz der Immanenz, das „Wesen“ dem „Partikularen“ übergeordnet werden .337 Voraussetzung dafür war der „aktive Einsatz jedes Einzelnen“ als „religiöser Glaube“ . Mit der Einsicht, dass Universitätsideal und Praxis nicht übereinstimmten, kritisierte Bergstraesser weder idealistische Sichtweisen, noch die fehlende Umsetzung, sondern aktualisierte und stabilisierte das Ideal . Angesichts dieser ideell-religiösen Perspektive erschienen alltäglich belastende Missstände als bedeutungslos . Die eingangs als notwendig erachteten Reformen wurden am Schluss der Rede verweigert: „Es liegt im Sinne der vorgetragenen Anschauungen, von institutionellen Reformen weniger zu erwarten als eben vom Fortgang der wissenschaftlichen Arbeit“ .338 Konkrete Koordinations- und Entlastungmaßnahmen waren keine Anliegen mehr; die „Diskrepanz zwischen der gesellschaftlichen Lage und der Leistung der Universität“ wurde zugunsten eines Glaubensspagats aufgegeben .339 Integration hieß das entsprechende Leitbild: Die Wissenschaftliche Politik und Soziologie sollten zu Integrationswissenschaften werden .340 Das philosophische Element in der Wissenschaft um die Mitte des 20 . Jahrhunderts, sei es weitergetragen von der Fachphilosophie oder den Fachdisziplinen ist mit seiner Wendung auf die Klärung der Wertentscheidungen hin von verbindender, oder, wie heute gern gesagt wird, von integrierender Wirkung .341
Soziologie kennzeichne komplementär zur Philosophie ihre Integrationsfähigkeit . Als „Hilfswissenschaft geschichtlichen Erkennens“ und als „wissenschaftliche Voraussetzung der Politik“ zeichne sie sich durch jene synthetisierende Kraft aus, die im idealistischen Humboldt-Diskurs des 20 . Jahrhunderts vor allem der Philosophie zugewiesen wurde .342 Bergstraesser nannte dieses holistische Wissenschaftsverständnis „synop-
335 336 337 338 339 340 341 342
Bergstraesser (1961[1954b]), S . 154, vgl . S . 155 . Bergstraesser (1961[1955]), S . 163, vgl . ders . (1961[1956b]), S . 90–93, vgl . ders . (1961[1959b]), S . 246 . Bergstraesser (1953b), S . 344 . Das folgende Zitat ebd . Ebd ., S . 354 . Ebd ., S . 349 . Vgl . weiterführend Klein (2014), S . 261–262 . Bergstraesser (1953b), S . 353 . Ebd ., S . 354 .
„Tradition und Neugestaltung“. Die Modernisierungsphase 1953–59
tisch“, Habermas später „totalisierend“ .343 Entgegen der Ankündigung, „cognitive und die normative Erkenntnis […] in ihrem Verhältnis gegenseitiger Ergänzung“ begreifen zu wollen, kamen Relationen, Verhältnisse, Prozesse und Wechselverhältnisse in diesen geistig vereinheitlichenden Konzepten nicht vor .344 Bergstraesser positionierte die Soziologie auf jener Seite, die „Geist“ Vorrang als „Bestimmungsmomente“ gegenüber sozialen Verhältnissen einräumte .345 Der Positivismus, definiert als „Verfahren empirischer Erkenntnis“, habe zu „Enttheoretisierung“ und der „Vormacht des Fachwissens in der technologischen Daseinsverfassung“ geführt .346 Dadurch hätten kollektive (Team-)Arbeit und (Groß-)Forschungsinstitute die Bedeutung des Einzelforschers, „ja der geistigen Einzelpersönlichkeit“ abgelöst .347 An die Stelle der bleibenden Wahrheiten“ und der „inneren Wirklichkeit des Daseins“ sei die „Orientierung des modernen Menschen am gesellschaftshistorischen Vorgang“ getreten . In dessen Konsequenz seien historische Entwicklungen „auf ein einfach faßliches, sei es biologisches, sei es ökonomisches Prinzip“ reduziert worden, aus dem „die politischen Pseudo-Religionen der totalitären Staaten hervorgegangen“ seien .348 Rationalisierungsprozesse auf der Grundlage empirischer Methoden, die „Weltanschauungsformen des Positivismus“ hätten zu Totalitarismus geführt .349 Max Weber und seinen Versuch, eine agnostische Sozialwissenschaft zu begründen, „Hegels entschiedene[n] Widerpart“, verwies Bergstraesser in den Bereich der „Krise des modernen Denkens, die sich spiegelt in der Krise des modernen Daseins .“350 Er lehnte sie als „vorzeitige Resignation“ ab, die „keinen normgebenden Halt des Wissens gegen die Entmenschlichung des Politischen“ bieten könne und stellte die Gesellschafts- und Politikwissenschaft an die Seite der „Philosophie des 20 . Jahrhunderts“, die „andere Wege gegangen“ sei .351 Die Ablehnung positivistischer, insbesondere historisch-materialistischer Ansätze hatte in diesem Argumentationsmuster die Legitimation idealistischer Ansätze zur Kehrseite . Bergstraesser widmete Heidegger einen von Verehrung getragenen Absatz, in der dessen Selbstmobilisierung im NS theoretisierend verschwand .352 Heidegger und sich selbst stellte Bergstraesser auf die Seite des „christlichen Abendlands“, der „Philosophie“
Vgl . Habermas (1988), S . 150, 159, 160, 168, vgl . S . 149, 164 . Bergstraesser (1953b), S . 353 . Ebd ., S . 355 . Ebd ., S . 350 . Ebd ., S . 351 . Das folgende Zitat ebd . Ebd ., S 350 . Ebd . Inhaltlich ist diese Verkettung in ihrer mangelnden Differenzierung nicht haltbar . Problematisch ist bspw . die vereindeutigende Reduktion empirischer Methoden, denen jegliches Falsifikationspotenzial gegenüber idealistischen Vereinnahmungstendenzen abgesprochen wird . 350 Bergstraesser (1957c), S . 218 . 351 Ebd ., S . 217–218 . Bergstraesser versuchte Weber auf seine Freiburger Antrittsvorlesung zurückzuschreiben, vgl . ebd ., S . 213, 215–216, vgl . weiterführend Bergstraesser (1961[1957b]) . 352 S . die Stilisierung Heideggers zum Antipositivisten und Antirelativisten, in: Bergstraesser (1953b), S . 352 . 343 344 345 346 347 348 349
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und der „Normen“ . Dass „Totalitarismus“ nicht ohne „Philosophie“ und „Normen“ auskam, ebenso wenig wie der „Liberalismus“ ohne den „Positivismus“, wo also die Differenzen und Abgrenzungen anzusiedeln wären, verschluckte das suggestive Präfix „Pseudo-“ .353 Die „revolutionär-weltpolitischen Konflikte der Gegenwart“, explizit den Ost-West-Konflikt führte Bergstraesser auf die „geistige Krise“ zurück, den „Verfall eben der Wertordnungen im Geistigen“ . Damit knüpfte er an die gängigen geisteswissenschaftlichen Diskurse an und führte die Wissenschaftliche Politik und Soziologie als Wissenschaften ein, die der „geistigen Rüstung“ dienen sollten .354 Soziologie definierte er im Anschluss an seinen Lehrer Alfred Weber als „Krisenwissenschaft“ .355 Die krisenhaft wahrgenommene „Erschütterung dieser bergenden normativen Ordnungen“ sei mit der Institutionalisierung der Sozialwissenschaften Hand in Hand gegangen .356 In ihnen sei aber „die Humboldtsche Bildungsidee wirksam geblieben“ . Indem sie die „Daseinskrise der Gegenwart“ zu ihrem Untersuchungsgegenstand gemacht und die „geistigen Bestimmungsmomente des sozialen Verhaltens bloßgelegt“ habe, sei mit der Soziologie eine moderne „Überwindung des Positivismus“ vorgezeichnet worden .357 Die Soziologie, so Bergstraesser in einem Interview der Freiburger Studentenzeitung 1959, sollte die Diagnose stellen und Werte kritisieren, die Politik, Pädagogik und Philosophie die „Therapien“ erarbeiten und Lösungsvorschläge entwickeln .358 Problematisch an der von Bergstraesser vorgeschlagenen „Wertkritik“ war die mangelnde Selbstreflexivität sowie das Arbeiten mit vorgefertigten Wertehierarchien und mit verabsolutierenden Gegensätzlichkeiten .359 Seine Krisendiagnose endete mit einer Dichotomisierung des „abendländische Gottesbegriff[s]“ und der „Pseudo-Religionen der totalitären Staaten“, wobei er erstere durch Freiheit, Philosophie, Bildung und „Normen“, letztere durch „Geschichtsgebundenheit“, Fachwissen, Funktionalisierung und Technik charakterisierte . Sein „systematisch an eine epochal und national konturierte Krisenanalyse“ gekoppeltes Wissenschaftsverständnis schloss Bergstraesser mit seinen Kollegen an der Freiburger Philosophischen Fakultät zusammen .360 Auch sie waren von den kulturkonservativen Krisendiskursen der 1920er Jahre geprägt und setzten sich nach 1945 die Krisenbewältigung mithilfe normativ begründeter, auf „Synthese“ ausgerichteter
Ebd ., S 350 . Das folgende Zitat ebd . Vgl . Klein (2014) . „Ein Gespräch der FSZ mit Prof . Dr . Arnold Bergstraesser“, in: FSZ 1959 . 1, S . 4, 5, vgl . Bergstraesser (1961[1959a]), vgl . ders . (1953b), S . 354 . 356 Bergstraesser (1953b), S . 346 . Das folgende Zitat ebd . 357 Ebd ., S . 354 . Das folgende Zitat ebd . 358 Bergstraesser, in: „Ein Gespräch der FSZ mit Prof . Dr . Arnold Bergstraesser“, FSZ 1 (1959), S . 4–5 . 359 Vgl . Bergstraesser (1953b), S . 354 . Die folgenden Zitate ebd . 360 Schmitt (1989), S . 471 . Wie Ritter und Tellenbach setzte Bergstraesser mit seiner Krisenrhetorik christliche, idealistische und geistesaristokratische Normen als konstitutiv für Universität und Wissenschaft . 353 354 355
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Geisteswissenschaften zum Ziel . Dass die Wissenschaftliche Politik und Soziologie für diese Aufgabe prädestiniert sei, begründete Bergstraesser durch die Kombination soziologischer Grundlagenforschung mit der Praxis-, Gegenwarts- und Anwendungsorientierung der Politikwissenschaft . Damit hob er sich von historischen, philosophischen und philologischen Disziplinen ab .361 In seiner Krisenrhetorik verschränkte er kontinuitätsträchtige Topoi und aktuelle Politikbezüge, in der Legitimation seiner anwendungsbezogenen Wissenschaft wies er die „Anpassung an wirkliche oder vermeintliche gesellschaftliche Notwendigkeiten“ kategorisch zurück und sprach dem „wissenschaftlichen Denkvermögen […] Vorrang vor der beruflichen Zweckausbildung“ zu .362 Bergstraesser nutzte den Humboldt-Diskurs, um die Wissenschaftliche Politik und Soziologie in den 1950er Jahren als eine Geisteswissenschaft in die Universitäten einzuschreiben . Er stellte sie an die Seite der „Tradition“, die er mit der „modernen“ Soziologie um die Kompetenz bereicherte, zeitgenössische Strukturwandlungen integrieren zu können . Das Humboldt-Ideal und Bergstraessers Soziologie wurden zu Ressourcen füreinander . Die „Integration der Modernität in das Erziehungswesen“,363 in der unmittelbaren Nachkriegszeit noch ein Tabu, ließ sich nun unter traditionellem Vorzeichen als „Wiedererneuerung“ leisten . Im Vergleich zu den Krisendiskursen Ritters und Tellenbachs 1945–52 zeichnet sich ab, dass in Bergstraessers Texten weniger der Nationalsozialismus als vielmehr der Kommunismus als Abgrenzungsfolie dient . Diese Wendung war aber in der idealistischen Krisenrhetorik Ritters und Tellenbachs bereits angelegt .364 Mit Tellenbach einte Bergstraesser allerdings im Gegensatz zu Ritter, dass die Integrationsgröße ein „erweitertes Abendland“, die „erste Welt“ darstellte: Sie überwölbten den Deutschland- und Abendlanddiskurs durch die Westintegration . Weiterhin integrierte Bergstraesser die empirische Forschung wieder in das Methodenarsenal der Philosophischen Fakultät, indem er ihr ein antikommunistisches und christliches Vorzeichen verlieh .365 Zwar hatte dieses Vorzeichen einhegende Effekte auf die in seiner Freiburger Schule entwickelte Politikwissenschaft . Dennoch erfüllten die Sozialwissenschaften letztlich, wenngleich bei Bergstraesser keinerlei Indizien für die Intentionalität dieser Prozesse ausgemacht werden können, auch in Freiburg die Rolle eines „trojanischen Pferdes, innerhalb des Kampfes um Durchsetzung einer Neudefinition der legitimen Kultur“ .366
Vgl . Bergstraesser (1961[1957a]), S . 27 . Bergstraesser (1957d), S . 123, S . 119 . Bergstraesser (1965[1962]), S . 98 . Vgl . Klein (2018), S . 229–230 . Zu Bergstraessers sozialwissenschaftlicher Expertise vgl . Bergstraesser (1932), ders . (1965[1960]), S . 32 . 366 Bourdieu (1988[1984]), S . 202 . 361 362 363 364 365
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5.2.3
Arnold Bergstraesser als Netzwerker und Wissenschaftsmanager
Die Rhetorik von der Allgemeinbildung und die Ablehnung der Berufszielorientierung dienten in diesem Kontext dazu, einen Diskurs zu perpetuieren, der in erster Linie der Abgrenzung der Universitäten vom NS und vom Kommunismus diente . Die Studierenden wurden dadurch allerdings permanent mit einem Anspruch konfrontiert, der mit den tatsächlichen Anforderungen nicht übereinstimmte . Anders als die geisteswissenschaftliche Rhetorik es vermuten ließ, war der Aufstieg der Politikwissenschaft daran gekoppelt, sie als Ausbildungsfach für Gymnasiallehrkräfte und Experten in der Politischen Bildung und Politikberatung zu etablieren: Die Institutionalisierung einer Disziplin war von ihrer Verankerung im gesellschaftlichen Kontext abhängig . Schritte auf diesem Weg bezeichnen Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit, Vereinsgründungen, die Herausgabe von Zeitschriften, die Gründung von Instituten sowie die Eröffnung akademischer Berufsmöglichkeiten . Dabei ging Bergstraesser gut vernetzt und zielorientiert vor . Ohne seine umfassende Netzwerkarbeit zur Gründung und Leitung von Institutionen der Politischen Bildung und Politikberatung wäre die Verankerung der Politikwissenschaft im universitären Kanon und gesellschaftlichen Kontext kaum in dieser Geschwindigkeit, Breite und Intensität möglich gewesen . Der Prozess, in dem Bergstraesser die Wissenschaftliche Politik als eigenständiges Staatsexamens-, Promotions- und Habilitationsfach implementierte, verlief eng verknüpft mit seiner Institutionalisierung und Leitung von außeruniversitären Einrichtungen der Politischen Bildung . Der erste Schritt in dieser Entwicklung bestand darin, das Fach Gemeinschaftskunde als eigenständiges Schulfach an den Gymnasien BadenWürttembergs zu etablieren und die Lehre des Faches an die universitäre Ausbildung in Wissenschaftlicher Politik zu koppeln .367 Gemeinschaftskunde existierte bis Anfang der 1950er Jahre ebenso wenig in den Curricula, wie die Politikwissenschaft als Universitätsdisziplin angesiedelt war . In der Verfassung Baden-Württembergs war aber 1953 ein Auftrag zur allgemeinen staatsbürgerlichen Erziehung verankert worden . Mit dem 1954 einberufenen Ausschuss für staatsbürgerliche Erziehung, deren Vorsitzende die Politikwissenschaftler Bergstraesser und Eschenburg waren, engagierten sie sich federführend für die Institutionalisierung des Gemeinschaftskundeunterrichts . Ein Memorandum von Bergstraesser begründete die Notwendigkeit eines eigenständigen Schulfachs gegen konkurrierende Vorstellungen eines alle Fächer durchziehenden Unterrichtsprinzips oder ein der Geschichte untergeordneten Fach . Es zeichnete die Einführung des Schulfachs Gemeinschaftskunde durch die universitäre Ausbildung von Gemeinschaftskundelehrer_innen vor .368 367 Diesen Prozess hat Detjen am Beispiel Bergstraessers intensiv aufgearbeitet, vgl . Detjen (2016), S . 103– 162, ders . (2003), ders . (2007), S . 125–139 . 368 Vgl . Arnold Bergstraesser [1954], „Stellungnahme zu den Lehrplänen für die Gymnasien Baden-Württembergs“, in: UA Freiburg Nr . B0204/252, vgl . weiterführend Bergstraesser (1960) .
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Bergstraesser stand in seinem Engagement keineswegs allein, sondern war intensiv vernetzt .369 1951 war nach dem Vorbild der American Political Science Association (APSA) der Fachverband Deutsche Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik (DVWP) gegründet worden .370 Auf Veranlassung seines Cousins Ludwig Bergstraesser, der sich bereits 1951 als Mitglied des Bundestags für die Institutionalisierung der Politikwissenschaft als universitäres Staatsexamensfach eingesetzt hatte, wurde eine Kommission ins Leben gerufen, die Studienpläne für die Lehrerprüfung in „politischer Wissenschaft“ ausarbeitete . Diesem Gremium legte Bergstraesser 1955 ein Gutachten Über das Hochschulstudium in Vorbereitung auf das Lehramt an Höheren Schulen zur Erwerbung der Fakultas für wissenschaftliche Politik vor .371 1956, früher als in anderen Bundesländern, wurden in Baden-Württemberg von Eschenburg und Bergstraesser vorbereitete Lehrerfortbildungskurse abgehalten . 1957 wurden „Politische Wissenschaften“ schließlich durch einen Erlass des Kultusministers in den Lehrerausbildungsplan für Gemeinschaftskunde aufgenommen . Die daraus resultierende Nachfrage sicherte der Politikwissenschaft als neuem Staatsexamensfach einen großen Zulauf an Staatsexamenskandidat_innen . Auf dieser Grundlage wechselte Bergstraesser von der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät in die Lehrkräfte ausbildende Philosophische Fakultät .372 Innerhalb der Universität baute Bergstraesser im Rahmen des studium generale das Angebot des colloquium politicum aus, das sich an die gesamte Studierendenschaft richtete . Dadurch konnte er auch eine an sein Institut angegliederte Tutoratsstelle mit seinen Mitarbeitenden besetzen und sie über diesen Umweg finanzieren . Der Aufbau einer eigenen „Freiburger Schule der Politikwissenschaft“373 war ein weiterer Baustein dazu, sich im Wissenschaftsbereich mit eigenem Schwerpunkt zu profilieren . Hinzu kamen die Herausgabe von Zeitschriften, die öffentliche Vortragstätigkeit und die massenmediale Repräsentation .374
369 Neben Eschenburg war Carlo Schmid ein wichtiger Mitstreiter . In den Verfassungsdiskussionen um die „Staatsbürgerkunde“ und die Einführung des Gemeinschaftskundeunterrichts hatte er darauf hingewiesen, dass dafür keine ausgebildeten Lehrkräfte zur Verfügung standen und damit den Weg zum Staatsexamensfach Gemeinschaftskunde gebahnt, vgl . Mohr (1988), S . 216–217 . 370 Der Verein nannte sich ab 1959 Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) . Zunächst reanimierte das Gremium die Zeitschrift für Politik als Neue Folge . Ab 1960 etablierte sich die Politische Vierteljahresschrift (PVS) als zusätzliches Periodikum . 371 Vgl . Mohr (1988), S . 198 . In der DVWP, der Gesellschaft für Soziologie wie auch der Westdeutschen Rektorenkonferenz setzte er sich für dieses Ziel ein, vgl . ebd ., S . 200–201 . 372 Bergstraesser stieg in Freiburg schnell auf: Bereits vor seinem Wechsel an die Philosophische Fakultät wurde er für 1957 als deren Dekan vorgesehen und zum Sonderbevollmächtigten des Universitätsjubiläums gewählt . Als Hauptorganisator eines Ereignisses, mit dem sich zum ersten Mal seit 1945 eine deutsche Universität einer breiten Öffentlichkeit präsentierte, konnte er seine vielfältigen Netzwerke stark machen . 373 Vgl . ausführlich Schmitt (1999) . 374 Die vielen Vorträge von Bergstraesser können hier nicht einzeln aufgezählt werden . Einige wurden in der SWR-Wissenschaftssendung AULA ausgestrahlt, vgl . Bergstraesser (1957f, 1958b, 1958d) .
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Krisenrhetorik, Wissenschaftsorganisation, Öffentlichkeit
Unter seinen Kollegen ragte Bergstraesser vor allem durch die Gründung und Leitung verschiedener Institutionen heraus . So war er ab 1956 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Der Bürger im Staat,375 der Vorläuferorganisation der heutigen Landeszentrale für Politische Bildung, und maßgeblich an deren Aufstieg zu einer wichtigen außeruniversitären politischen Bildungsinstitutionen beteiligt .376 Im Aufbau der Akademie Bayerns für politische Bildung Tutzing war er einer der „Promotoren“ .377 Auch das Institut für politische Bildung in Buchenbach bei Freiburg, Studienhaus Wiesneck, wurde 1958 auf seine Initiative als Ost-West-Institut gegründet . 1958–64 leitete Bergstraesser, später Träger der Konrad-Adenauer-Medaille, als erster Vorsitzender die Politische Akademie Eichholz e . V ., die in die heutige Konrad-Adenauer-Stiftung einging . Mit diesen Einrichtungen, die eine personelle Zusammenarbeit mit dem Seminar für Wissenschaftliche Politik verband, baute er Beziehungen zwischen Universität und politischer Jugend- und Erwachsenenbildung auf .378 Dadurch schuf er Orte für politikwissenschaftliche Lehrgänge, die sich an Interessierte aus Universität, Erziehungs- und Bildungswesen, Bundeswehr, Kirchen, Unternehmen, den DGB und andere staatliche und zivilgesellschaftliche Organisationen richteten .379 Darüber hinaus war Bergstraesser in prominente transatlantische Netzwerke eingebunden . 1959–61 übernahm er den Vorsitz der Atlantik-Brücke e . V . Dieser Verein wurde 1952 gemeinsam mit seiner Schwesterorganisation American Council on Germany (ACG) zur Verbesserung der transatlantischen Beziehungen gegründet . In dem Elitenetzwerk trafen wichtige Persönlichkeiten aus Finanz-, Wirtschafts- und Medienbranchen mit renommierten Politikern, Wissenschaftlern und Militärs zusammen . Gründer beider Organisationen waren der damalige amerikanische Hochkommissar John J . McCloy und sein Freund und Berater, der deutsch-US-amerikanische Bankier Eric M . Warburg . An der Entstehung der US-Zweigstelle wirkten unter anderen McCloys Vorgänger im Amt des Hohen Kommissars General Lucius Clay sowie George N . Shuster mit . Shuster war zu Bergstraessers Exilzeit Präsident des Hunter College und Mitglied des regionalen Enemy Alien Board in New York gewesen und hatte Bergstraesser eine Stelle als Ausbilder im Army Special Training Program an der Universität Chicago vermittelt .380 Gemeinsam hatten sie 1944 ein Buch zur deutschen Geschichte geschrieben .381 Sie blieben weiterhin miteinander verbunden, was sich an der Ehrenpromotion
Vgl . die Akten in UA Freiburg Nr . B0204/235 . Diese AG war im Dezember 1950 von Theodor Bäuerle, Kultusminister von Württemberg-Baden 1947–53 als Nachfolgeorganisation des Heimatdienstes Südwürttemberg-Hohenzollern unter der Leitung Theodor Eschenburgs ins Leben gerufen worden . 377 Vgl . Bergstraesser (2009[1956]) . 378 Vgl . auch Bergstraesser (1957a) . 379 Vgl . die Aufzählungen der Veranstaltungen der Akademie Tutzing in Elsner (2009), S . 114–148 . 380 Vgl . Krohn (1986), S . 272–273 . 381 Vgl . Bergstraesser/Shuster (1944) . 375 376
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zeigt, die Shuster auf Bergstraessers Vorschlag im Zuge des Freiburger Universitätsjubiläums erhielt,382 insbesondere aber an ihrer Zusammenarbeit in der UNESCO . Shuster hatte die Konferenzen zur Gründung der UNESCO in London 1945 und Paris 1946 mitorganisiert, 1953/54 übernahm er den Vorsitz der US-Nationalkommission, 1958–63 saß er im Exekutivausschuss der UNESCO . Bergstraesser wiederum, 1954 für den Vollzugsauschuss nominiert, war 1960–63 Präsident der Deutschen UNESCOKommission .383 Die Atlantikbrücke e. V., das deutsche Pendant des American Council on Germany, wurde neben Eric M . Warburg von dem Bankier Gotthard von Falkenhausen (Vorsitzender 1961–78), dem Vizepräsident der Hamburger Handelskammer und CDU-Politiker Erik Blumenfeld, der Herausgeberin der ZEIT Marion Gräfin Dönhoff und deren Chefredakteur Ernst Friedländer (Vorsitzender 1952–59) gegründet .384 Nachweisbar mit Bergstraesser gut bekannte Mitglieder waren der Freiburger Kollege Constantin v . Dietze, Carlo Schmid und Kurt Georg Kiesinger . Kiesinger gehörte wie Hans Speidel zu Bergstraessers „Kreis von Freunden“385 und zählte sich auch zum „Kreis seiner Schüler“ .386 Die Atlantikbrücke verstand sich als exklusive Plattform zur Vernetzung deutscher und amerikanischer Führungseliten . Durch Lehrgänge für Multiplikatoren, „Begegnungsseminare für deutsche und amerikanische Offiziere“ und öffentlichkeitswirksame Publikationen wurden transatlantische Austausch-, Kommunikations- und Kooperationswege etabliert und optimiert . Weiterhin wirkten ACG resp . Atlantikbrücke meinungsbildend auf die Verbesserung des öffentlichen Bildes von Deutschland resp . den USA hin . Dazu trug Bergstraesser mit Vorträgen und Publikationen bei,387 in denen er auf gemeinsame Ziele der US-amerikanischen und deutschen Außenpolitik hinwies388 und sich gegen antiamerikanische Ressentiments aussprach .389 Neben der Freiburger NATO-Konferenz 1960390 war er Initiator der Deutsch-Amerikanischen
Vgl . Gerd Tellenbach an Arnold Bergstraesser am 13 .12 .1960, in: UA Freiburg Nr . B0204/080 . Bergstraesser organisierte so die UNESCO Hauptversammlung 1961 in Freiburg und wurde dabei von Ministerpräsident Kiesinger für das große Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen, das er 1962 erhielt . 384 Vgl . „Members of the Atlantik-Brücke“, in: Atlantik-Brücke e . V . (1955), S . 166–167, vgl . Protokoll der Mitgliederversammlung 1957, in: UA Freiburg Nr . B0204/205, vgl . American Council on Germany, Inc ., Atlantikbrücke e . V . (1960), S . 138–140, dies . (1961), S . 117–120, dies . (1963), S . 99–102, dies . (1965), S . 103–106 . 385 Kiesinger (1964), S . 27 . vgl . Speidel (1977), S . 424–425 . Er sollte 1964 zum Honorarprofessor der Universität Freiburg werden . 386 Kiesinger (1964), S . 29 . 387 Vgl . weiterführend Paulus (2010), S . 244–274, Bauerkämper (2005) . 388 Vgl . Bergstraesser (1965[1957]) . 389 Vgl . ders . (1963), S . 13–23 . 390 Vgl . Klein (2014), S . 270–271 . 382 383
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Konferenzen der Atlantikbrücke e . V . und des ACG 1959–64 .391 In seiner Schrift Führung in der modernen Welt 1961 begründete er ein elitäres Demokratieverständnis, demzufolge eine freie und rechtsstaatlich organisierte Gesellschaft in der „Weltkonstellation“ des Ost-West-Konflikts nur durch die Ausbildung einer Führungsschicht gewährleistet werden könne .392 Seine vielen Kontakte machte Bergstraesser auch für die 1956 ins Leben gerufene Freiburger Gesellschaft für Politik fruchtbar, die Vorträge und Diskussionsveranstaltungen als „Verlängerung des Seminars von Bergstraesser“ organisierte .393 Hier versammelten sich „50–60 sehr ausgemachte Persönlichkeiten“, Wissenschaftler, Publizisten, Politiker, Geistliche, Bankiers und Unternehmer .394 Auch General Speidel konnte in diesem Gremium vortragen .395 Ebenso wie der ACG eng mit dem American Council on Foreign Relations affiliiert war, bestanden personelle Verflechtungen zwischen der Atlantikbrücke e. V. und der 1955 nach internationalen Vorbildern gegründeten Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) .396 Bergstraesser stand deren Forschungsinstitut 1955–60 als Direktor vor .397 Die Mitglied- und Trägerschaft des Forschungsausschusses der DGAP398 überschnitt sich sowohl mit derjenigen der Atlantikbrücke e . V .399 als auch mit den Förderern und Mitgliedern der Europa-Union .400 Bergstraesser wirkte seit seiner Ernennung 1959 zum Präsidenten des Bildungswerks für Europäische Politik, das „die Öffentlichkeitsarbeit der Europa-Union auf eine wissenschaftliche Grundlage stellen sollte“, auch im Präsidium der Europa-Union mit .401 Davor hatte er die deutsch-französischen Konferenzen in Bad Neuenahr 1955/56 sowie in Bad Godesberg 1957 orga-
Vgl . Sontheimer (1960), vgl . American Council on Germany, Inc ., Atlantikbrücke e . V . (1960–65) . Die Dokumentation der Konferenzen übernahmen Dieter Oberndörfer und Kurt Sontheimer . 392 Bergstraesser (1961a) . 393 Vgl . Satzung und Mitgliederliste der Freiburger Gesellschaft für Politik v . 28 .02 .1956, in: UA Freiburg Nr . B0204/184 . 394 1964 gründete Bergstraesser zudem die Freiburger Montagsgesellschaft, in der bis 2012 noch Männer aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kirche, Politik und Medien „ohne Öffentlichkeit, ohne Damen“ zusammentrafen (Montagsgesellschaft 2012) . 395 Vgl . Vorstand E . Raemisch an Speidel am 14 .04 .1956, in: UA Freiburg Nr . B0204/184 . 396 Eisermann (1999), S . 81 . 397 Vgl . ebd ., S . 102 . 398 Zu den 22 Mitgliedern des am 08 .06 .1955 konstituierten Forschungsausschusses zählten u . a . Marion Gräfin Dönhoff, Theodor Eschenburg, Wilhelm Grewe, Hans Rothfels, Carlo Schmid, Richard von Weizsäcker, Helmut Schmidt, Hans-Dietrich Genscher, Günter Henle, Fritz Berg, Hans L . Merkle, Ulrich Cartellieri und Alfred Freiherr von Oppenheim, vgl . Oetker (2005), S . 10 . 399 (Ehren-)Mitglieder und Förderer beider Netzwerke waren u . a . Gotthard Freiherr v . Falkenhausen, Helmut Schmidt, Richard v . Weizsäcker, Günther Henle, Otto Wolff von Amerongen, Ernst Friedländer, Marion Gräfin Dönhoff, Kurt Georg Kiesinger und Carlo Schmid . 400 Überschneidungen zw . DGAP und Europa-Union hat Vanessa Conze neben Bergstraesser mit Ernst Friedländer, Heinrich Kost, Hermann Josef Abs, Ludwig Rosenberg, Ulrich Haberland, Kurt Birrenbach benannt, vgl . Conze (2005), S . 335–336 . Hinzu kommen Otto Wolff von Amerongen und Carl F . von Oppenheim . 401 Ebd ., S . 355–256 . 391
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nisiert .402 Auch auf institutioneller Ebene bestanden Verknüpfungen zwischen DGAP und der Europa-Union, da die DGAP das vormalige Institut für Europäische Politik und Wirtschaft integrierte, dessen Zeitschrift Europa-Archiv herausgab und sich erst 1957 in Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik umbenannte . Finanziert wurde die DGAP in erster Linie aus Stiftungsmitteln .403 Mit Bergstraesser wurde derjenige Universitätsprofessor zum Direktor des Forschungsinstituts nominiert, der unter den „Gründungsvätern“ der deutschen Politikwissenschaft über das größte außenpolitische Know-how verfügte . Unter seiner Leitung arbeitete die DGAP ab 1955 an Jahrbüchern der Weltpolitik, die von der Rockefeller Foundation finanziert wurden .404 In dem Projekt beschäftigte Bergstraesser drei seiner Schüler .405 Der 1958 erschienene Band der „Internationalen Politik“ zum Jahr 1955, von Bergstraesser eingeleitet,406 entsprach weitgehend seiner Forschungsperspektive .407 Sein „Maximalprogramm“ eines Transfers der „Geistestradition deutscher Staatswissenschaft und Geschichtsphilosophie in die praxisbezogene Außenpolitik“ wurde aber sukzessive „zurechtgestutzt“ .408 Ab 1958 entwickelte die DGAP einen neuen Forschungsstil .409 Bergstraesser gab 1960 den Vorstand ab und initiierte 1961 die Arbeitsgemeinschaft Wissenschaft und Politik, in der die politische Anwendungsbezogenheit und Verwertbarkeit wissenschaftlicher Forschungsergebnisse im Vordergrund stand .410 Der Schwerpunkt dieses neuen, 1962 in die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) umgewandelten Instituts lag auf der Sicherheits- und Rüstungskontrollpolitik .411 Die in der DGAP nach 1958 weniger berücksichtigte Grundlagenforschung und die sogenannte Entwicklungsländerpolitik institutionalisierte Bergstraesser in zwei 1960 in Freiburg gegründeten politikwissenschaftlichen Instituten . Die „Forschungsstelle für Weltzivilisation“, gefördert von der Thyssenstiftung, in deren Forschungsbeirat Bergstraesser inzwischen saß, machte es sich zur Aufgabe, eine „Enzyklopädie für Welt-
Vgl . Bergstraesser/Grosser/Doertenbach/Pineau (1956) . Bergstraesser war durch seine frühe intensive Beschäftigung mit Frankreich 1927–34 für die Organisation der deutsch-französischen Zusammenarbeit äußerst qualifiziert, vgl . Arnold Bergstraesser, „Notizen zum Lebenslauf “, in: UA Freiburg Nr . B024/0231 . 403 Über Kurt Birrenbach kam die Unterstützung durch die Thyssen-Stiftung zustande, über Günter Henle die der Volkswagenstiftung, vgl . Eisermann (1999), S . 88–89, vgl . S . 94 . 404 Ebd ., S . 105, vgl . S . 106, 103 . 405 Vgl . Bergstraesser/Cornides (1958) . In diesem Band zur Internationalen Politik 1955 veröffentlichten Gottfried-Karl Kindermann, Hans Wolfgang Kuhn und Emanuel Sarkisyanz . 406 Bergstraesser (1958a) . 407 Vgl . ebd ., vgl . Eisermann (1999), S . 109, vgl . Maier (1958) . 408 Eisermann (1999), S . 115, vgl . S . 111, 117, 120–121 . 409 Ebd ., S . 116 . In dieser Phase der DGAP wurde Speidel, inzwischen ranghöchster deutscher NATO-General, Mitglied des Präsidiums, vgl . ebd ., S . 136, 181 . 410 Vgl . ebd ., S . 178, 172–173 . 411 Neben Bergstraesser, der den Vorsitz des Stiftungsrats übernahm, waren Kurt Birrenbach, Richard von Weizsäcker und Hans Speidel maßgeblich an der Gründung beteiligt . Speidel wurde 1964 Präsident der Stiftung, Helmut Schmidt und Kurt Birrenbach saßen im Stiftungsrat, vgl . ebd ., S . 178, 181 . 402
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zivilisation“ anzufertigen .412 Das Ziel des weitaus größeren Instituts, der Arbeitsstelle für kulturwissenschaftliche Forschung (AKF), aus der das heutige Arnold-Bergstraesser-Institut hervorging, bestand darin, „die kulturelle Seite der Internationalen Beziehungen durch kulturwissenschaftliche Grundlagenforschung“ zu pflegen .413 Die Finanzierung der „Arbeitsstelle“ erfolgte zunächst zu großen Anteilen über die Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes .414 Den Ehrenvorsitz der AKF übernahm Ministerpräsident Kiesinger, mit dem Bergstraesser 1963 Absprachen zur künftigen Finanzierung des Instituts aus Landesmitteln traf .415 Bergstraessers Aufsatz „Die Hoffnung auf eine weltweite politische Ordnung“, die Dieter Oberndörfer als „Charta des Arnold-BergstraesserInstituts“ versteht,416 erschien als erster Beitrag der Festschrift für Kiesinger .417 Mit der eng mit dem Seminar für Wissenschaftliche Politik und Soziologie zusammenhängenden AKF konnte Bergstraesser die Forschungsprojekte vieler Nachwuchskräfte fördern und seiner „Freiburger Schule“ ein Fundament verleihen .418 Anfang der 1960er Jahre war er zudem als Fachgutachter der DFG für Soziologie tätig . In diesem Rahmen wirkte er darauf hin, dass ein eigenständiges, dem Fachausschuss Wirtschaftsund Sozialwissenschaften eingegliedertes Fachgebiet Politische Wissenschaft errichtet und Fragen der sogenannten Entwicklungsländer mehr Relevanz zugesprochen wurde .419 Darüber hinaus verstärkte er durch seine vielen Institutionsgründungen wie auch als Institutsleiter die Kooperationsverhältnisse zwischen Staat, Militär, Wirtschaft, Wissenschaft und Universität .
Vgl . UA Freiburg Nr . B0204/168, . B0204/169 . Art . I der Satzung der AKF v . 05 .08 .1960, zitiert in: Oberndörfer (2011), S . 7 . Vgl . ebd ., S . 9, Anm . 6 . Hinzu kamen Zuschüsse vom Stifterverband und Promotionsstipendien von der Dt . UNESCO-Kommission, deren Präsident Bergstraesser zu diesem Zeitpunkt war . Einzelne Forschungsprojekte wurden über Aufträge der Bundesministerien und von der DFG gefördert . 415 Vgl . ebd ., S . 18, Anm . 30 . 416 Ebd ., Anm . 31 . 417 Bergstraesser (1964) . In diesem Sammelband von Bähr/Wenig (1964) veröffentlichten u . a . auch Carlo Schmid, Hans Speidel, Gerhard Hess (DFG) und Ludwig Raiser (Wissenschaftsrat) . 418 Vgl . Oberndörfer (2011), S . 10–14, vgl . auch die Übersicht über die der AKF angeschloss . Promovierenden des Sem . für Wiss . Politik (1964), S . 57–61 sowie die Liste der AGs und Seminare der AKF-Mitarbeitenden an der Univ . Freiburg (1961–63), S . 50–51 . 1963 arbeiteten neben Bergstraesser 36 Wiss . Mitarb ., zwei Assist ., ein Lektor, zwei Sekretariatskräfte, drei bibl . Hilfskräfte in dem Institut, vgl . ebd ., S . 53–56 . Für das Jahr 1964/65 wurden 22 Doktoratsstellen, 4 Direktoren- u . Abteilungsleitungsstellen, 8 Assistenturen, eine Publikationsleitungsstelle und fünf Stellen für Bibliothek und Verwaltung bewilligt, vgl . ebd ., S . 14–15 . Vergleichsweise arbeiteten in der DGAP zu dem Zeitpunkt insg . 30 Leute, vgl . Eisermann (1999), S . 177 . 419 Vgl . Dr . Petersen, DFG, an Bergstraesser am 22 .08 .1962, vgl . Niederschrift über die Besprechung „Fragen der Entwicklungsländer“ der DFG am 01 .12 .1960 in Karlsruhe, in: UA Freiburg Nr . B0204/182 . 412 413 414
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Wissenschaftsorganisation und Öffentlichkeit Führt schon das Fach, das Prof . Arnold Bergstraesser an der Freiburger Universität vertritt, die Wissenschaftliche Politik, zu einer ständigen Verbindung der Wissenschaft mit dem öffentlichen Leben, so hat die vielfältige und vielseitige Aktivität Prof . Bergstraessers ihn auch persönlich weit über den engeren Umkreis der Universität hinaus in der Öffentlichkeit […] bekannt gemacht,420
betonte 1961 die Badische Zeitung das innige Verhältnis zwischen der Freiburger Wissenschaftlichen Politik unter Bergstraesser und der Öffentlichkeit . Seine Strategie in der erfolgreichen Institutionalisierung der Wissenschaftlichen Politik und Soziologie in Freiburg bestand in ihrem Aufbau als Brückendisziplin . Sie diente als Verbindungsglied zwischen „studium generale“ und „Fachdisziplin“, „Krisenwissenschaft“ und „Demokratisierungswissenschaft“, „alteuropäischer“ Gesinnung und Westorientierung, Geistes- und Sozialwissenschaften, Deutschland, den USA und der „3 . Welt“ sowie zwischen Universität, Wissenschaft und Öffentlichkeit . Bergstraesser richtete die Disziplin auf Interdisziplinarität und „Synopse“ aus . Analog dazu stand in seiner wissenschaftsorganisatorischen und gesellschaftspolitischen Praxis die Herstellung von Kooperationsverhältnissen zwischen unterschiedlichen Teilbereichen einer ausdifferenzierten Gesellschaft im Vordergrund . Internationale Beziehungen bestimmten Bergstraessers Fachgebiet und Praxis . Zudem verknüpfte er seine Position als Universitätsprofessor mit einer Vielzahl außeruniversitärer Tätigkeiten . Durch diese Netzwerke inklusive der außeruniversitären Finanzierungsquellen gelang es ihm, seine Forschung und Nachwuchsförderung auf eine breite Basis zu stellen . Für die 1960er Jahre lassen sich Kooperationsverhältnisse am Forschungsfeld der „Entwicklungsländer“ festmachen, mit dem Bergstraesser als Präsident der Deutschen UNESCO-Kommission und Gründer mehrerer Forschungsinstitute neue Akzente setzte . Er besetzte in dieser Netzwerkarbeit die Positionen des Experten, des Organisators, des Mediators, Innovators und Managers .421 An seinem Beispiel wird deutlich, dass auch Geisteswissenschaftler jene „eng ineinander verschraubte ‚Triple Helix‘ aus Staat, Wirtschaft und Wissenschaft“ vorantreiben konnten, „die für entwickelte Wissensgesellschaften typisch ist .“422 Bergstraessers weitreichende Kooperationsverhältnisse waren in den 1950er Jahren nichts Innovatives – neu war vielmehr das Ziel des Aufbaus einer föderal strukturierten atlantischen Gemeinschaft, die sich humanistisch legitimierte und kooperativ organisierte . An den Verflechtungen lassen sich viele gesellschaftliche Funktionen der Politikwissenschaft in der spezifischen „Weltkonstellation“ der 1950er/60er Jahre 420 421 422
Artikel zu Bergstraessers 65 . Geburtstag, in: BZ v . 14 .07 .1961 . Vgl . Szöllösi-Janze (2000) . Szöllösi-Janze (2004), S . 300 .
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nachzeichnen:423 Bergstraesser konstruierte seine Disziplin als Vermittlungsinstanz, deren wissenschaftliche Autorität in ihrer scheinbaren Unabhängigkeit die politikmüde und kriegsablehnende Haltung breiter Bevölkerungsschichten gegen Politisierung wie reeducation minderte und dem neuen demokratischen System Geltung in der postnationalsozialistischen Gesellschaft sicherte . In seiner Schwerpunktsetzung auf wissenschaftsorganisatorische Tätigkeiten, die mit dem Aufbau von Kooperationsverhältnissen und Netzwerken einherging, stellte Bergstraesser keinen Einzelfall dar . So kam die Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung in Bezug auf seinen Kollegen, den Freiburger Völkerrechtler und Diplomaten Wilhelm Grewe (1911–2000), der die Neubesetzung seines Lehrstuhls lange blockierte, zu dem Schluss: Nur eines ist sicher: Dem Ruf der Öffentlichkeit verschließen sich die westdeutschen Hochschullehrer nicht mehr . Machte man einmal den deutschen Universitäten und Hochschulen den Vorwurf, sie schotteten sich ab und lebten isoliert von Staat und Gesellschaft im elfenbeinernen Turm, so stellen sich heute viele Professoren oft nur allzu schnell für öffentliche und privatwirtschaftliche Aufgaben zur Verfügung .424
Allerdings verlief diese Zusammenarbeit mit der „Öffentlichkeit“ vorwiegend über informelle Netzwerkstrukturen . Politik, Militär, Universität und Wissenschaft gingen auf hohen Ebenen einen engen Konnex ein, der auf unteren Ebenen kaum durchschaubar war . Hingegen formulierte Bergstraesser in seiner Rede Aufgabe der Universität in Gesellschaft und Staat zum Universitätsjubiläum, dass es eine der „eigensten Aufgaben der Universität“ sei, den „engen, aber oft verborgenen Zusammenhang zwischen Wissen, Gesellschaft und Staat in freier Erörterung vor der Öffentlichkeit zu klären und mitzugestalten .“425 Wird sein Anspruch mit dem durch ihn repräsentierten Aufholprozess der Geisteswissenschaften konfrontiert, in dem sich Netzwerk- und Lobbyarbeit zum integralen Bestandteil des professoralen Aufgabenprofils entwickelte, ergeben sich zwei Problemkreise . Erstens wurden in diesen Netzwerken Entscheidungen über die Verteilung von Aufträgen und den Fluss von Forschungsgeldern weitgehend einer öffentlichen Kontrolle entzogen . Stellen wurden nicht ausgeschrieben, sondern innerhalb bestehender Netzwerke zugeteilt . Die Teilhabe der Öffentlichkeit war an ausgegliederten Forschungsinstituten noch beschränkter als an den Universitäten, Aushandlungsprozesse fanden meist in geschlossenen Kreisen statt . Mit der Finanzierung durch die Wirtschaft hol-
423 Vgl . Klein (2014), vgl . dies ., „Transatlantic Relations and Political Science in the 1950s and Early 1960s . A Case Study on Arnold Bergstraesser“ . Vortrag im Rahmen der 37 . Jahreskonferenz der German Studies Association am 03 .–06 .10 .2013 in Denver, CO . 424 [O . A .], Professoren mit zu vielen Ämtern . Die Nebentätigkeit der Hochschullehrer nimmt überhand“, in: Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung v . 03 .04 .1957, S . 3, in: UA Freiburg Nr . B0204/254 . 425 Bergstraesser (1957d), S . 120 .
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ten die Geisteswissenschaften zwar einen Prozess auf, der in den Naturwissenschaften längst institutionalisiert war . Jedoch steigerte sich dadurch die Intransparenz, und das Bild der Universität im „Elfenbeinturm“ verstärkte sich . Zweitens trug die in „diesem Umfang früher nicht bekannte Öffentlichkeitsfunktion“ der Hochschullehrer als Experten, Gutachter, Netzwerker und Wissenschaftsmanager zur „Überlastung und Zersplitterung ihrer Arbeitskraft“ bei .426 Obwohl Bergstraesser mit der „Internationalen Politik“ und der sogenannten „Entwicklungsländerproblematik“ neue Akzente in der deutschen Politikwissenschaft setzte, wird von seinen Freunden, Kollegen und Schülern hervorgehoben, dass der Aufstieg der Wissenschaftlichen Politik nicht maßgeblich auf Bergstraessers Leistungen als Forscher beruhte .427 Dass „wissenschaftsorganisatorische Leistungen noch nicht ihre gebührende Würdigung“ fanden, wurde schon zu Lebzeiten kritisch vermerkt .428 Ähnliches galt von seinen Leistungen als Universitätslehrer: Trotz seiner Kompetenzen „zu inspirierter Improvisation“ kam die Lehre aufgrund der vielen Reisen und „Verpflichtungen im öffentlichen Leben“ zu kurz .429 Auch darin war er kein Einzelfall . Der „Stoßseufzer“, die „Lehre rangiere am Schluß der Arbeitsliste der Professoren“430 traf zwar nicht für alle Professor_innen zu, wohl aber auf viele derjenigen, denen dann der Erfolg bescheinigt werden konnte, „die Universitäten noch einmal über Wasser zu halten“ bzw . für „immer dringender werdende Zuschüsse für die wissenschaftlichen Institute“ zu sorgen .431 Die Bedeutung Bergstraessers für die Freiburger Universität ist somit nicht auf seine Leistungen in Forschung und Lehre zurückzuführen, die in seinem Berufungsgutachten 1953 noch im Vordergrund standen . Netzwerkarbeit, Wissenschaftsorganisation und Finanzakquise gehörten zu seinen Hauptaufgaben . Diese Arbeit war für den Aufstieg der Wissenschaftlichen Politik an der Freiburger Universität sehr wichtig, da hierüber Drittmittel akquiriert wurden: Bergstraesser verkörperte den Typus des „Wissenschaftsmanagers“, der in den 1950er Jahren an der Philosophischen Fakultät aufstieg, was sich auch am Beispiel des prominenten Wissenschaftsorganisators und Hochschulpolitikers Tellenbach zeigt . Das Phänomen lässt sich weder auf Einzelfälle noch die Philosophische Fakultät oder die Universität Freiburg beschränken . Vielmehr lautete ein Ergebnis der Studie zur Lage der Hochschullehrer 1956: Der Ordinarius mag selbst noch Lehrer und Forscher sein, mehr und mehr muß er nunmehr auch verwaltender und planender Direktor oder „Manager“ seines „Betriebes“ sein . […] Der „Chef “ wird zum Anreger, Koordinator, Disponenten und Repräsentanten der
Goldschmidt (1956), S . 43 . Vgl . Messerschmidt (1964), S . 78, vgl . Maier (2011), S . 82, Maier (1964), S . 99, Kiesinger (1964), S . 29 . Messerschmidt (1964), S . 78 . Vgl . Oberndörfer (1990), S . 208–209, Maier (2011), S . 82 . [O . A .], Professoren mit zu vielen Ämtern, in: Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung v . 03 .04 .1957, S . 3, in: UA Freiburg Nr . B0204/254 . 431 Ellrodt (1957), S . 1 . 426 427 428 429 430
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Forschungen seiner Mitarbeiter . So muß – bis weit in die Geisteswissenschaften hinein – statt von der einstigen Zweiheit Forschung und Lehre […] heute von der Dreiheit Forschung, Lehre und Verwaltung gesprochen werden .432
So mahnte die Studie an, die „Dreiheit Forschung, Lehre und Verwaltung“ nicht mehr als eine Einheit zu konzipieren, sondern die Aufgaben zu teilen . Die Einheitskonzeption dieser Aufgabentrias ging strukturell auf Kosten der Lehre . Sie stieg in der Dreieinigkeitshierarchie als angeblich nicht prestigeträchtig sukzessive ab . Die Lehre wurde auf Mitarbeiter_innen verschoben, ohne deren Stellen entsprechend zu verstetigen oder ihnen Mitspracherechte im Fakultätsrat zu gewähren . Weiterhin konnten Ordinarien unter diesen Umständen kaum noch selber forschen . Vielmehr gingen sie, wie etwa Tellenbach, dazu über, die Forschungen ihrer Mitarbeiter zu synthetisieren oder sie beschränkten sich auf programmatische Vorträge wie Bergstraesser . Um Mitarbeiter_innen zu finanzieren und ihnen einen Aufstieg zu ermöglichen, mussten die Ordinarien sich umso mehr in Netzwerkarbeit und Hochschulpolitik engagieren . Gleichzeitig befanden sich viele Mitarbeiter_innen in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Ordinarius, bei dem sie meist parallel zu ihrer Beschäftigung ihre Qualifikationsarbeit schrieben . In dieser Organisationsform ging das Wissenschaftsmanagement auf Kosten der Lehre und Forschung . Die „Einheit“ dieser Trias war unrealisierbar geworden und sie weiter aufrecht zu erhalten verstärkte Hierarchien, Intransparenz und eine Situation, die sich vielfältig konträr zu ihrem Image darstellte . Auch wir brauchen publicity und deshalb müssen nicht unsere Professoren in die Öffentlichkeit, um dort angesogen zu werden, sondern die ganze Universität . […] Wir brauchen die vorhandenen Lehrstühle ganzzeitig besetzt und wir brauchen neue Lehrstühle, eine vernünftige Arbeitsteilung unserer Professoren, die so meinen wir, in erster Linie für die Studenten da sein sollten,433
forderten Frankfurter Studierende bereits 1957 . Studentische Forderungen nach einer universitären Pressestelle, mehr Öffentlichkeit und einer Verbesserung des Kontakts zwischen Professor_innen und Studierenden ließen in Freiburg größtenteils noch drei Jahre auf sich warten . Ende der 1950er Jahre standen vielmehr diejenigen Hochschulreformen zur Debatte, die auf der Konferenz in Honnef 1955 beschlossen wurden .
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Goldschmidt (1956), S . 42 . Ellrodt (1957), S . 1, S . 10 .
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5.2.4
Begabungsreservoir und Elitenselektion: Tellenbach und das Honnefer Modell
Neben Bergstraesser stieg in den 1950er Jahren Tellenbach zum prominenten geisteswissenschaftlichen Wissenschaftsmanager auf . Sein Engagement konzentrierte sich vor allem auf die Hochschulpolitik und die im Zuge der Hochschulexpansion anstehenden Reformen der Studienförderung und der Erweiterung des Mittelbaus . 1946 hatte er noch „eine Schließung“ der eigenen, universitären Kreise befürwortet und „Annahmeprüfungen“ für sinnvoll erachtet .434 Angesichts der veränderten Umstände sprach er sich allerdings bereits 1949 gegen Zulassungsbeschränkungen und für die Öffnung der Hochschulen aus . Er vertrat die Auffassung, dass zum Erhalt der universitären Funktion als Eliteausbildungsstätte das „Reservoir“ an Studierenden und Nachwuchskräften erweitert werden müsse: Um die „wirklich produktiven Talente“ zur „Wirksamkeit zu bringen“ sei es notwendig, „stets viele normale Begabungen“ auszubilden, weil sich das „Überdurchschnittliche erst allmählich“ herausstelle .435 Seine Argumentation und Perspektive veränderte sich im folgenden Jahrzehnt kaum . Der Komplex Erweiterung des Rekrutierungspools bei zunehmender Elitenselektion findet sich in seinen Ausführungen zum Aufbau einer Studienförderung als Begabtenförderung wie auch in seinen Plädoyers zur Frage des Mittelbaus, für die er sich angesichts der wachsenden Nachfrage nach akademischen Fachkräften zunehmend einsetzte . In den von ihm organisierten Hochschulreformgesprächen in Hinterzarten hieß es fast wortgleich wie auf dem Festvortrag des Freiburger Universitätsjubiläums 1957: Das Reservoir muß aber verhältnismäßig groß sein, wenn man die überdurchschnittlich Talentierten, die eine lange Zeit des Wachstums brauchen, wirklich zum Zuge kommen lassen will . Es ist besser, wenn einige nutzlos studieren, als daß der eine, auf den es vielleicht ankommt, ausgeschlossen wird .436
Auch zwei Jahre später hielt er in einem Vortrag im Rahmen des 9 . Hochschulverbandstags in München am 27 . Juni 1959 fest: „Damit einer ein großer Musiker oder Arzt wird, müssen 1000 danach streben, es zu werden .“437 Tellenbachs Perspektive zeichnete sich dadurch aus, dass er die Expansion der Universitäten grundsätzlich befürwortete, um sie als Eliteinstitution zu bestärken . „Massen-“ und Eliteausbildung verknüpfte er dahingehend, dass das „Reservoir“ der „Massenausbildung“ die Voraussetzung für die Elitenselektion darstellte . Damit konnte er bei den Befürwortern einer universitären Ausbildung für breite Bevölkerungsanteile wie auch bei Verfechtern einer universitären Eliteausbildungsinstitution Zustimmung gewinnen . 434 435 436 437
Tellenbach (1963[1946]a), S . 19–20 . Tellenbach (1963[1949]a), S . 33 . Tellenbach (1963[1957]), S . 160, vgl . Tellenbach (1963[1952]a), S . 89 . Tellenbach (1963[1959]a), S . 189, vgl . ähnlich ders . (1963[1961]b) .
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Und es muß entschieden betont werden, daß es nicht angeht, die Überfüllung der Hochschule durch Verringerung der Studentenzahlen zu beseitigen, nur um die traditionelle Struktur der wissenschaftlichen Hochschule unverändert erhalten zu können . Was unser Recht und unsere Pflicht ist, das ist die Fernhaltung und Entfernung Ungeeigneter, und zwar, wenn es irgend geht, durch Bahnung von Berufsausbildungsgängen, die sie zu der ihnen angemessenen Lebensleistung und Lebensbefriedigung kommen lassen . Auf die Zahl von Akademikern aber, deren die Allgemeinheit bedarf, und die nach ihrer Begabung an die wissenschaftliche Hochschule gehören, hat diese sich einzurichten .438
Die Studienabbruchsquote, die er im Mittel bei 25–30 % ansiedelte,439 führte er nicht auf die fehlende Strukturierung des Studiums oder mangelnde Förderung, sondern auf die „Begabung“ der Studierenden zurück . Auch die Stipendien und Darlehen des nach den Hochschulreformtagungen in Honnef 1955 benannten Honnefer Modells der Studierendenförderung (1957) setzten „Eignung“ und „Bedürftigkeit“ voraus .440 Einen konkurrierenden Entwurf der staatlichen Studierendenförderung hatte 1953 der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) veröffentlicht .441 Das Leitprinzip des Programms „Hochschule in der modernen Gesellschaft“ bestand darin, eine „stärkere Wechselwirkung mit der Öffentlichkeit zu erreichen“ und die Hochschulen konsequent gesellschaftlich zu situieren:442 Das „tragende und umfassende Bildungsideal der universitas litterarum“ sei zu einer Fiktion geworden, da die soziale Lage der Studierenden „die Freiheit des Lernens und der Hochschulwahl“ massiv einschränke .443 Angelehnt an französische und skandinavische Modelle sowie die praktischen Berufsausbildungsgänge, in der Lehrlinge für ihre Arbeit vergütet wurden, schlug der Studierendenbund ein Studienhonorar für alle Studierenden vor: Das Studium solle als „Arbeit für die Gesellschaft“ aufgefasst werden .444 Finanzielle Abhängigkeit, die „zu gesellschaftlicher Isolierung und politischer Unwissenheit großer Teile der deutschen Akademiker“ beitrage, könne dadurch verringert und die Werkstudierenden entlastet werden .445 Dagegen hielten studentische Verbände wie die Katholische Deutsche StudentenEinigung (KDSE), der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) und der Liberale Studentenbund Deutschlands (LSD) in Freiburg und bundesweit an der Idee Tellenbach (1963[1959]a), S . 190–191 . Ebd ., S . 184 . Anders als im „Blauen Gutachten“ (1948) wurde damit auf der Hochschulkonferenz in Honnef (1955) die Begabung und nicht die Bedürftigkeit als erster Gesichtspunkt für die Stipendienvergabe festgesetzt, auf der die Vorläuferform des heutigen BAföG (1971; 1999), die Studienförderung nach dem Honnefer Modell basierte . Zur Kritik siehe Sozialistischer Deutscher Studentenbund (1975[1961]), S . 371 . Zur Evaluation des Honnefer Modells siehe Oehler/Scheuch (1965) . 441 Sozialistischer Deutscher Studentenbund (1961[1953]), S . 611–621 . 442 Ebd ., S . 612 . Das folgende Zitat ebd . 443 Ebd ., S . 615, S . 612 . 444 Ebd ., S . 614, vgl . S . 612 . 445 Ebd ., S . 615 . 438 439 440
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der deutschen Universität fest . Sie argumentierten, dass ein Studienhonorar die „Gefahr eventueller Einmischungen des Staates“ beschwöre und die „akademische Freiheit“ in Frage stelle .446 Das Studium müsse ein „Risiko“ bleiben und den Studierenden „selbstverantwortlich“ überlassen werden .447 Diese Überlegungen ließen außer Acht, dass die beschworene Freiheit ungleich verteilt war und das Studium auch ohne Honnef staatlich subventioniert war .448 Die Universität wurde in weiten Teilen der Studierendenschaft der humboldtschen Rhetorik entsprechend als eine „autonome“ Korporation wahrgenommen . Bereits Mitte der 1950er Jahre erschienen aber vereinzelt Forderungen nach verbesserten gesellschaftlichen Bezügen, Demokratisierung sowie Öffentlichkeit der Senatssitzungen in der Freiburger Studentenzeitung (FSZ) .449 Zudem erweiterte sich die studentische Forderung nach einer „wissenschaftstheoretischen“ Fundierung des Fachstudiums sukzessive um den Wunsch nach sozialwissenschaftlichen Analysen . Der VDS betrachtete auf einer Tagung in Freiburg die sozialwissenschaftliche Erforschung der Universität als „wesentliche Voraussetzung der Hochschulreform“450 und forderte Universitäten, Staat und Öffentlichkeit auf, „die erforderlichen Mittel dafür zur Verfügung zu stellen“ . Bis auf die Studien des Studentenwerks zur sozialen Lage der Studierenden und die von Plessner herausgegebene Untersuchung zur Lage der Hochschullehrer wurden sozialwissenschaftliche Arbeiten zu Hochschulen erst in den 1960er Jahren und teilweise gar nicht veröffentlicht .451 Spätestens seit dem 4 . Studententag in Hamburg 1956 wiesen die Studierenden allerdings darauf hin, dass sie nicht von dem allgemeinen Wirtschaftsaufschwung profitierten und das „Werkstudententum“ sich studienverlängernd auswirkte . Eine der Hauptaufgaben des VDS bestand Ende der 1950er Jahre darin, sich für eine verstärkte Förderung der Studierenden einzusetzen und sie von einer „Begabtenförderung“ auf
Katholische Deutsche Studenten-Einigung (1964 [1956]), in: Neuhaus (1961), S . 569–571, hier S . 571 . Politische Bühne, „Studienhonorar oder väterlicher Monatswechsel? Standpunkte des SDS, RCDS, LSD zur Frage der Studienhonorare“, in: FSZ 5 no . 1 (1955), S . 2, 3, vgl . ausführlich Meschkat (1960) . 448 Mit dem Honnefer Modell durften diejenigen, die aus wohlhabenderen Elternhäusern kamen, auch dann studieren, wenn sie eine „ausreichende“ Leistung (Note 4) erbracht hatten . Diejenigen, die auf öffentliche Unterstützung angewiesen waren, wurden hingegen nur dann gefördert, wenn sie eine mindestens „befriedigende“ Leistung (Note 3) erbrachten . Da abgesehen von der individuellen Förderung jeder Studienplatz mit 6000 DM jährlich subventioniert war, stießen die Argumentationen von RCDS, LSD und KDSE auf Kritik, vgl . Fallebald junior, „Görlitz und das Honnefer Modell“, in: FSZ 13 no . 4 (1963), S . 22 . 449 Vgl . Walter Fehling, „Mehr Demokratie in der Universität“, in: FSZ 4 no . 4 (1954), S . 3, ders ., „Keine Zeit für das Interessante“, in: FSZ 6 no . 1 (1956), S . 3 . Das folgende Zitat ebd . 450 VDS (1955), S . 159 . Das folgende Zitat ebd . 451 Vgl . Kath (1952, 1957, 1960, 1963, 1969), vgl . Plessner (1956a) . Zudem fasste das Institut für Sozialforschung Frankfurt in Kooperation mit dem Institut für Vergl . Sozialwiss . Stuttgart, 1953 als GWI gegründet, empirische Studien ins Auge, vgl . Weischer (2004), S . 116, Lepsius (1979), S . 59, Anm . 43, vgl . Demirović (1999), S . 210–215 . Mitte der 1950er Jahre war eine umfassende Studie zu Universitäten geplant, vgl . das Kurzreferat von Tenbruck am sozialwiss . Institut Stuttgart in der Besprechung mit den Mitgliedern des Landtags Baden-Württemberg am 07 .02 .1955, in: UA Freiburg Nr . B0204/213 . Adorno, Baumgarten und Bergstraesser waren an den Studien beteiligt, vgl . weiterführend Demirovic (1999), S . 208–212 . 446 447
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alle Bedürftigen auszudehnen .452 Im Nachfeld des Hamburger Studententages nahm 1956 eine kurze Diskussion in der FSZ die Demokratisierungsforderungen vorweg, die Anfang der 1960er Jahre breit diskutiert wurden . Neben der „Aufhebung des ‚materiellen numerus clausus‘“ forderten die Studierenden die „Vermehrung der Zahl der wissenschaftlichen Institute und der Hochschullehrer“, die „Anpassung der Hochschule an das gewandelte Gesellschaftsbild (Demokratisierung der Hochschulgemeinschaften)“ und die „Verstärkung der Gruppen-(Team-)Arbeit in den studentischen Fachschaften zur Förderung der Kontaktgewinnung“ .453 Während der Hamburger Studententag unter dem Motto „restaurieren – reparieren – reformieren“ stattfand, gingen die Freiburger weiter und sprachen von „Reparatur – Reform – Revolution“ .454 Ein halbes Jahr später entschied sich die Hochschulreformtagung in Bad Honnef gegen das Studienhonorar . Auch Tellenbach hielt daran fest, dass die überdurchschnittlich Begabten und Leistungsfähigen in jedem Beruf, in jeder Tätigkeit, in jedem sozialen Gebilde von unvergleichlichem Wert sind . Auf ihnen liegt immer die Hauptlast, sie tragen mit ihrer produktiven Kraft immer die Welt, in der sie leben .455
Der Geniekult verschleierte, dass das Honnefer Modell die Verschränkung von „Begabung“ und sozialer Schichtung ignorierte456 und nicht zwischen formeller Gleichheit der Bildungschancen und ihrer tatsächlichen Verteilung differenzierte . Darüber hinaus wuchs mit den im Rahmen des Honnefer Modells notwendigen Eignungsprüfungen und Gutachten auch die Arbeitsbelastung der Professoren . Tellenbach bemühte sich daher um die Einstellung von „Förderungsassistenten“,457 welche die „Ausleseverfahren im Sinne des Honnefer Modells“ übernehmen sollten . Als die Finanzierung dieser Stellen vom Innenministerium abgelehnt wurde, sah Tellenbach keine Möglichkeit mehr, diesen „Modellversuch der Universität Freiburg“ weiterzuführen .458 Er erwog, die Öffentlichkeit darüber zu informieren: „Es muss klargestellt werden, dass es in diesem Fall nicht die Hochschule, der man mitunter nicht ganz ohne Rechte eine zu Dieser Beschluss galt für Studierende an Universitäten und für Studierende an Technischen und Pädagogischen Hochschulen, Fachhochschulen, Ingenieurs- und Berufsschulen, vgl . Beschluß der 35 . ordentlichen Delegiertenkonferenz des VDS in Berlin, 10 .–12 .07 .1957, Förderung der Studierenden an nichtwissenschaftlichen Hochschulen, in: Meschkat (1960), S . 172 . 453 W . R ., „Reparatur – Reform – Revolution?“, in: FSZ 6 no . 2 (1956), S . 1 . Die folgenden Zitate ebd . 454 Vgl . ebd ., vgl . Deutscher Studententag (1958) . 455 Tellenbach (1963[1959]a), S . 188–189, vgl . ders . (1963[1961]b), S . 207–208 . 456 „Besonders in den ersten Gymnasialjahren scheint unser Schulsystem vollkommen darauf eingestellt zu sein, auf die Begabungselite zu warten, die vom Himmel fällt – vom Himmel: das heißt aus der bürgerlichen Studierstube des Vaters, in der sich die Begabungsentwicklung des Kindes vollziehen muß .“ Popitz (1965), S . 402 . 457 Tellenbach (1963[1959]a), S . 192, ders . (1963[1950]), S . 175, ders . (1963[1959]b), ders . (1963[1961]b), S . 209 . An der Philos . Fak . wurde Reinhard Mielitz mit „Überbrückungsmitteln der DFG“ 1958 als Förderungsassistent eingestellt, vgl . Fakultätsprotokoll v . 30 .07 .1958, in: UA Freiburg Nr . B003/0799, S . 49 . 458 Gerd Tellenbach an Ministerialrat Dr . Scheidemann, Bundesinnenministerium, Bonn, am 18 .04 .1959, in: UA Freiburg Nr . C0157/057 . Das folgende Zitat ebd . 452
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konservative Haltung vorwirft, gewesen ist, die bei der Entwicklung einer hochschulgemässen Studentenförderung versagt hat .“ Nach dieser Intervention sagte Scheidemann die Finanzierung sowie die Unterstützung der bundesweiten Koordination zu .459 Ende des Jahres 1959 erschien aber eine Denkschrift des Innenministeriums, die als Übergangslösung einen numerus clausus befürwortete .460 Die Studie auf statistischer Basis zur „Überfüllung der Hochschule“ schlug hohe Wellen in der Öffentlichkeit,461 da in der Zusammenfassung vom „Herausprüfen“ von 25 % der Studierenden die Rede war .462 Der „Überfüllung“ sollte in diesem Vorschlag durch leistungsabhängige Zulassungsbeschränkungen entgegengewirkt, die Förderung auf ein Minimum beschränkt werden . Die westdeutsche Rektorenkonferenz mit Tellenbach als derzeitigem Vizepräsidenten sprach sich in Reaktion auf diese Denkschrift dagegen aus, „die Studentenzahlen drastisch [zu] verringern“ .463 Aufnahmetests ebenso wie ein genereller numerus clausus führten zu einer „dirigistischen Berufs- und Studienlenkung“ und hielten „verfassungsrechtlicher Nachprüfung“ nicht stand . Das galt wohlgemerkt nur für diejenigen Studierenden, die von ihren Eltern finanziert werden konnten, die „Begabung“ als Voraussetzung für eine Förderung der Bedürftigen blieb bestehen . Erst mit der Einführung des BAföG 1971 wurden die Eignungsprüfungen fallengelassen . In den Auseinandersetzungen um die Universitätsreform spielte die Finanzierungsfrage eine ausschlaggebende Rolle . Insbesondere die Studierendenförderung wurde als Aufgabe des Bundes angesehen . In diesen Zusammenhängen erwies sich Tellenbach als ein geschickter Diplomat, der den Wunsch des Innenministeriums nach „Auslese“ aufnahm, sich aber dagegen wandte, dass eine materielle Förderung einer „Rentnergesinnung“ Vorschub leiste und darauf hinwies, dass die „Auslese“ eine „Verstärkung der Lehrkörper notwendig“ machte .464 In diesen Belangen trafen sich staatliche Sparpolitik und elitäre Universitätsvorstellungen, während sich soziale und wirtschaftliche Forderungen überschnitten, die den akademischen Fachkräftemangel durch eine staatliche Förderung behoben sehen wollten . Tellenbach nahm in diesem Prozess die Rolle eines Vermittlers wahr, der versuchte, über Kompromisse Lösungen zu finden, welche die Finanzierung von Hochschulen sicherstellten .
Vgl . den Dankesbrief Tellenbachs an Ministerialrat Dr . Scheidemann v . 16 .05 .1959, in: ebd . Scheidemann (1959), in: UA Freiburg Nr . B0204/034, vgl . Scheidemann (1957) . Ludwig Raiser an Gerd Tellenbach am 26 .11 .1959, in: UA Freiburg Nr . C0157/102 . Vgl . Scheidemann (1959), S . 19 . Hermann Jahrreiß, Präs . d . WRK, „Zur Überfüllung“, Bad Godesberg, 16 .11 .1959, in: UA Freiburg Nr . C0157/102 . Die folgenden Zitate ebd . 464 Vgl . Gerd Tellenbach über seine Bemühungen in der Studienreform, in: UA Freiburg Nr . C0157/102 . 459 460 461 462 463
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5.2.5
Modernisieren mit Humboldt: Der Ausbau des Mittelbaus
In Bezug auf den Ausbau und die Neugliederung des Lehrkörpers vollzog sich eine ähnlich strukturierte Diskussion . Tellenbach plädierte bereits 1949 dafür, das „immer ungesunder gewordene Verhältnis zwischen Lehrkräften und Lernenden“ dadurch zu entschärfen, dass den Lehrkräften „eine materielle Grundlage“ gewährt würde .465 Damit verknüpfte er zwei verschiedene Anliegen . Zum einen sollte die Lage der Nachwuchskräfte verbessert werden, zum anderen machte er zu einem Zeitpunkt, an dem die „Überfüllungskrise“ noch kaum absehbar war, das Angebot, sie durch den Ausbau des Mittelbaus zu lösen . Die bis dato gängige Praxis, sich auf die Arbeit unbesoldeter PDs zu stützen, die sich aus Privatvermögen und etwaigen Einnahmen durch das Kolleggeld finanzierten, erwies sich als unhaltbar: Eine solche kapitalstarke bildungsbürgerliche Schicht, aus der sich der Bedarf an Nachwuchskräften hätte speisen können, existierte nicht . Da auch kein Anspruch auf Beförderung geltend gemacht werden konnte, war die Aussicht auf eine Professorenstelle höchst spekulativ . Das Risiko einer Hochschullaufbahn war so hoch, dass die Nachwuchskräfte der Universität zusehends von anderen Berufszweigen abgeworben werden konnten . Der „Kernpunkt der ganzen Hochschulreform“, folgerte Tellenbach 1949, bestehe darin, die Hochschulen „mit der unbedingt erforderlichen Zahl von Stellen für junge Dozenten und Assistenten auszustatten“ .466 Diese Erwägungen waren nicht allein durch die unsichere Lage der Privatdozierenden motiviert . 1950 betonte Tellenbach, dass 90 % der deutschen Forschung an den Hochschulen stattfinde und die Forschungskapazitäten in „entscheidender Weise von der wissenschaftlichen Arbeit des Nachwuchses“ abhänge . Schließlich wurde auch die Lehre zunehmend auf den „wissenschaftlichen Nachwuchs“ verschoben .467 Gegenüber dem von Tellenbach und anderen in der Hochschulreformdiskussion postulierten Mangel an aufstrebenden Wissenschaftler_innen hatte die 1956 erschienene Studie von Krockow angesichts der wenigen Stellen in den Geisteswissenschaften einen Überschuss festgestellt:468 An den Philosophischen Fakultäten herrschte kein Mangel an Stellenanwärter_innen, allerdings waren Diätendozenturen und Assistenturen sehr selten und zudem nur als Durchgangsstellen vorgesehen . Der Mangel resultierte entsprechend nicht aus zu wenigen Kandidat_innen, sondern aus einem Stellenmangel . Die Rede vom „Nachwuchsmangel“ erwies sich so in Bezug auf die Geisteswissenschaften einerseits als eine Strategie, Stellen für Wissenschaftler_innen zu schaffen . Andererseits legitimierten die Professoren ihre spezifischen Ausbauwünsche dadurch, dass es keine Nachwuchskräfte gebe . Statt der notwendigen Parallelpro465 466 467 468
Tellenbach (1963[1949]a), S . 33 . Ebd ., S . 35, vgl . S . 33, vgl . Tellenbach (1963[1949]c), hier S . 36 . Tellenbach (1963[1951]), S . 41, vgl . Kap . 3 .4 .5 . Vgl . Krockow (1956) .
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fessuren wurden so ab 1956 Wissenschaftliche Ratsstellen eingerichtet, die zwar wie die Professuren eine Habilitation voraussetzten, aber geringer dotiert und angesehen waren . Auch in Tellenbachs Warnung vor „Konzessionen hinsichtlich des Niveaus bei Besetzung von Professuren“469 kam die elitäre Beschränkung der eigenen Professorenklasse zum Tragen . Wenngleich bei Tellenbach das Bewusstsein wuchs, dass eine Expansion und innere Reform der Universitäten zum Erhalt der „internationalen Konkurrenzfähigkeit“ notwendig war,470 sollte die Professorenelite weiterhin nicht proportional zum Frequenzanstieg erweitert werden . Wie sich an den erhöhten Ansprüchen an Studierende und Lehrkräfte zeigt, war die Angst vor der „Nivellierung“ nicht etwa in der schlechteren Qualität der Arbeiten von Studierenden oder Nachwuchskräften begründet . Vielmehr lassen sich Qualitätseinbußen der Lehre an den schlechten Betreuungsrelationen festmachen sowie an den langen Abwesenheiten vieler Professoren, insbesondere in den Fächern, in denen es keine Parallelprofessuren gab .471 Die Rhetorik von der Sorge um das studentische „Niveau“ legitimierte ebenso wie der „Nachwuchsmangel“ die elitäre Beschränkung der Professorenriege, die in ihrer Ausdehnung Statuseinbußen ihres Standes vermutete . Gerade in der Erweiterung der Professorenschaft lag aber ein wichtiger Schlüssel zur Qualitätssteigerung und zur Innovation, insbesondere in den großen Lehramtsfächern . Dass solche Maßnahmen rhetorisch mit dem Topos „Qualitätsverlust“ verbunden wurden, trieb ein Universitätsmodell voran, in dem Forschung und Lehre vermehrt auf die Schultern des Mittelbaus verteilt wurden . Während die Hochschulreformgespräche grundlegend vom Frequenzanstieg angetrieben wurden, stand die „Frage eines neuartigen Mittelbaus“ schon bald im „Brennpunkt der Diskussion“ .472 Dabei kristallisierten sich zwei unterschiedliche Problemlösungsstrategien heraus:473 Die im Blauen Gutachten und vom Hofgeismarer Kreis gemachten Vorschläge sprachen sich für eine Aufgabendifferenzierung des Lehrkörpers und neue verbeamtete Stellen für „Studienprofessoren“ bzw . eine „Unterrichtsgruppe“ aus, die Studierende zum Beruf ausbilden und den Austausch zwischen Universität und Gesellschaft verbessern sollten . Auf der anderen Seite plädierten Rektorenkonferenz, Hochschulverband, die Hinterzartener sowie die Honnefer Konferenz für die Beibehaltung bisheriger Strukturen mit verstärkt hierarchischer Gliederung durch den Ausbau und die feste Besoldung einiger neuer Stellen im Mittelbau .
469 Tellenbach (1963[1959]a), S . 194 . 470 Vgl . Tellenbach (1963[1960]b), S . 231, ders . (1963[1961]a), S . 248 . 471 Vgl . die Vorlesungsrezension in FSZ 7 no . 2 (1967), S . 9–10 . hier S . 9: „Professor Schramm, Ordinarius
für osteuropäische Geschichte, sprach deshalb nicht nur Studenten seines Faches an, sondern auch Politologen . Diese wegen eines Amerika-Forschungsaufenthaltes ihres (einzigen) Ordinarius verwaist, mußten sich sowieso in Nachbardisziplinen nach Kollegstunden umsehen . Ähnlich erging es den Zeitgeschichtlern . Auch ihr Mentor, Professor Zmarzlik, las in diesem Semester nicht . Aus den nämlichen Gründen .“ 472 Tellenbach (1963[1959]a), S . 196 . 473 Vgl . ausführlich Kap . 3 .4 .
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Mit dem Argument der „Einheit von Forschung und Lehre“ wandte sich Tellenbach gegen die Vorschläge des Hofgeismarer Kreises, denen er vorwarf, dass sie die Hochschullehrerlaufbahnen in „eine höhere und eine zweiten Ranges“ zu spalten drohten .474 Anders als das von Tellenbach befürwortete Honnefer Mittelbaukonzept, das statt einer Aufgabenteilung eine hierarchische Gliederung des Lehrkörpers anstrebte, hatte das vom Hofgeismarer Kreis vorgeschlagene Konzept aber darauf abgezielt, die Rangordnung des Lehrkörpers durch eine Aufgabendifferenzierung zu ersetzen . Im Hochschulreformdiskurs ist so auf verschiedenen Ebenen ein Verwirrspiel erkennbar, das inzwischen schon Tradition hatte .475 Noch deutlicher wird dieser Prozess in Ritters Aufsatz Die Krisis des deutschen Universitätswesens .476 Ohne den Hofgeismarer Kreis oder das Blaue Gutachten zu erwähnen, eignete Ritter darin das Konzept der Studienprofessoren für eine elitäre humboldtsche Universitätskonzeption an . Sein Entwurf des Konzepts der Studienprofessoren unterschied sich in Bezug auf die Zielsetzung wie auch die Rahmung von den Hamburger und Hofgeismarer Reformvorschlägen . Während jene die Kontakte zu Öffentlichkeit, Praxisbezug sowie die Situation des „Nachwuchses“ anmahnten, plädierte Ritter für den Erhalt der Universität als Eliteinstitution durch „Auslese“ . Das „Kernproblem“ bestand für ihn darin, dass Universitäten „im Zeitalter der modernen Massendemokratie ihren altüberlieferten Charakter als aristokratische Pflegestätten des reinen Geistes und Anstalten zur Heranbildung einer wissenschaftlichen Elite“ verlieren würden .477 Wie die Gegner des Konzepts der Studienprofessoren setzte Ritter auf den elitären Mythos „Humboldt“ . Er beklagte, dass die Universitäten ihren „Hauptzweck“ der „rechtzeitige[n] Auslese Untauglicher […] nur sehr unvollkommen“ erfülle: „Was unter allen Umständen vermieden werden muß, ist ein Absinken des wissenschaftlichen Ranges unserer Universitäten .“478 Dieser „Rang“ – alias „Weltruhm“ deutscher Wissenschaft – beruhe, so Ritter kontrafaktisch, „ganz wesentlich auf dieser idealistischen Grundhaltung, dieser großartigen Freiheit ihres akademischen Lehrbetriebs“ .479 Ritters idealistische Grundhaltung richtete sich konkret gegen soziale und demokratische Bestrebungen an der Universität: gewerkschaftliches Denken in Professorenkreisen ist mir immer als der Tod wahrer Wissenschaft erschienen . Wer das Heilige Feuer nicht in sich brennen fühlt, das ihn sogar unter Opfern zur wissenschaftlichen Forschung treibt, der hat in der akademischen Welt nichts zu suchen . Darum läßt sich die Zahl ihrer Jünger nicht beliebig vermehren .480
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Tellenbach (1963[1959]a), S . 198 . Das folgende Zitat ebd . Vgl . Paletschek (2001a), Kap . V 2 a .) „Das Verwirrspiel der professoralen Titulaturen“, S . 261–272 . Vgl . Ritter (1960a) . Vgl . Ritter (1960b), S . 11–12 . Ritter (1960a), S . 25 . Ebd ., S . 9, vgl . zur Analyse des Komplexes Weltgeltung deutscher Wissenschaft Paletschek (2010b) . Ritter (1960a), S . 6 .
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Als Voraussetzungen für ein Studium und für eine universitäre Laufbahn setzte Ritter religiös-transzendente Bewertungskategorien, die nicht durch rationale oder soziale Überlegungen erweitert werden sollten . Auch hinsichtlich der Anzahl aller als „Forscher allgemein anerkannten Gelehrten“ war Ritter die unbedingte Einschränkung auf eine Elite ein wichtigeres Anliegen als die Verbesserung der Lehre .481 Nur mit Hilfe einer solchen, halb schulmäßigen Ausbildung des Durchschnittsstudenten wird es möglich werden, die Seminare der habilitierten Dozenten von bloßen Mitläufern zu entlasten und dadurch wirklich funktionsfähig (in ihrem ursprünglichen Sinn) zu machen . In der philosophischen Fakultät besteht bisher keine ausreichende Möglichkeit, die Oberseminare für ungeeignete Elemente zu sperren .
So teilte er den Universitätsbetrieb in je zwei Klassen ein: „Durchschnittstudenten“ und „Studienprofessoren“ auf den unteren „Rangstufen“, „Elite“, „Begabte“ und „Professoren“ auf den oberen . Bis auf den Namen hatte sein Konzept wenig mit den vorhergehenden Konzepten zu Studienprofessuren gemein, sondern griff vielmehr das der Wissenschaftlichen Räte unter Beanstandung dieser Bezeichnung auf .482 Ritters auf dem Argumentationsmuster „Humboldt“ aufgebauter Vorschlag vereinnahmte das Konzept der Studienprofessoren für eine elitäre Universitätskonzeption . Die elitäre Rahmung lud das modernisierende Konzept hierarchisch auf und nahm ihm seine sozialen und demokratisierenden Komponenten .483 Tellenbachs rhetorisch geschickteren und dadurch erfolgreichen hochschulpolitischen Reden waren im Vergleich zu denen Ritters stets informierter, präziser und moderater . Dennoch waren sie sich in der elitären Konzeption von Universität einig .484 So wies Tellenbach durchaus darauf hin, dass die Überlastung von Hochschullehrern „maßlos“ war und die an sie gestellte Aufgabentrias Forschung, Lehre und Verwaltung auf sich zu vereinigen unter den gegebenen Bedingungen eine „Unmöglichkeit“ darstellte .485 Die Überlastung sollte aber nicht durch die kooperative Aufteilung der für Einzelpersonen kaum zu bewältigenden Aufgabenvielfalt gemindert werden . Vielmehr sollte die Struktur des alten Universitätssystems verstärkt aufrechterhalten und weiter ausgebaut werden . So sah auch Tellenbach in der Vermehrung von Diätendozenturen, Assistenturen, Sekretariats- und Hilfskraftsstellen sowie einer verbesserten Technik-
Ebd ., S . 24 . Ritter schlug vor, den Namen „Wissenschaftlicher Rat“ durch „Studienprofessor“ zu ersetzen, ebd ., S . 30 . 483 So verwundert es nicht, dass der SDS 1961 in seiner Schrift Hochschule und Demokratie das Konzept der Studienprofessoren verwarf, vgl . Sozialistischer Deutscher Studentenbund (1965[1961]), S . 113 . 484 So zitiert Tellenbach Ritters FAZ-Artikel über mehr als eine Seite in einem Vortrag vor der KMK und WRK in Marburg 1960 und lobt seine „klarsichtigen Beobachtungen der tatsächlichen Entartungen (sic)“ . Gerd Tellenbach, „Referat über Studien- und Prüfungsordnungen“, in: UA Freiburg Nr . C0157/004, S . 4–5 . Das Referat ist auch in Mielitz (1963), S . 229–238 abgedruckt, allerdings ohne den Teil zu Ritter . 485 Tellenbach (1963[1959]a), S . 193, S . 195 . 481 482
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Krisenrhetorik, Wissenschaftsorganisation, Öffentlichkeit
ausstattung das „naheliegendste und billigste Hilfsmittel“ .486 Er sprach sich für eine Erweiterung des Lehrstabs der einzelnen Lehrstühle und einen pyramidenförmigen Aufbau des Lehrkörpers aus . Diese in Bad Honnef getroffene Entscheidung lief wie auch die Studentenförderung nach dem Honnefer Modell auf eine Reformkonzeption hinaus, die hier als „Modernisieren mit Humboldt“ bezeichnet wird . Vorläufig sind die maßgebenden Entscheidungen zugunsten einer Beibehaltung der Verbindung von Forschung und Lehre gefallen . Sie liegen sämtlichen Empfehlungen des Wissenschaftsrates zugrunde, und sie haben auch das „Honnefer Modell“ bestimmt .487
Das Konzept „Humboldt“ stand damit weniger für die „Einheit von Forschung und Lehre“ oder „akademische Freiheit“, die auch in den anderen Konzepten enthalten waren, als für den Erhalt der Ordinarienuniversität . Diese Universitätskonzeption setzte sich in den 1950er Jahren weiter durch, während gleichzeitig der universitäre Mittelbau ausgebaut wurde . Daran zeigt sich, dass die Professoren in den 1950er/60er Jahren anders als in der Ersten Nachkriegszeit mit ihrer Krisenrhetorik und elitären Einstellung die Öffnung des Zugangs für die wachsende Anzahl an Studierenden nicht verhindern konnten . Statt der schlechten Betreuungsrelation aber durch einen Ausbau auf allen Ebenen zu begegnen, verstärkten sie vornehmlich den Mittelbau, dem sie größtenteils die Mitspracherechte versagten . Zwar wurden neue unbefristete Stellen eingeführt, die Hierarchie- und Abhängigkeitsverhältnisse hingegen vorangetrieben . Die Rede von der „Überfüllungskrise“ hatte seitens der Professoren weniger die schlechte Betreuungssituation zur Grundlage . Vielmehr bestimmten Ängste um Privilegienverlust und Statussicherung die Reformdiskussionen der Krisengeneration . Entgegen der oftmals bemühten Enthierarchisierungsrhetorik zielte die Rede von der Krise darauf ab, die Elitenstruktur aufrecht zu erhalten sowie Status und Privilegien für die Gruppe der planmäßigen Professoren zu sichern, indem sie diese möglichst klein hielten . Auch Tellenbach und sogar Nesselhauf, die als Freiburger Professoren die Geisteswissenschaften im Wissenschaftsrat vertraten, hielten wie ihre Kollegen daran fest, dass die Anzahl der Professuren nicht proportional zu den Studierendenzahlen wachsen sollte, „es sei denn, man reduziert die Ansprüche an die Qualität“ .488 Dass die Qualität an den schlechten Betreuungsrelationen litt und die Qualitätsansprüche für den akademischen „Nachwuchs“ sukzessive höher geschraubt wurden, fiel in dieser Wendung nicht ins Gewicht .489 Das oft artikulierte Ansinnen des Wissenschaftsrats, mit der Neugliederung hierarchiereduzierend zu wirken, erfüllte sich nicht .490 Ganz entgegen seiner wichtigen
486 487 488 489 490
Ebd ., S . 193 . Hinzu kamen die Hochschulneugründungen, vgl . ebd ., S . 194 . Tellenbach (1963[1961]b), S . 207 . Nesselhauf (1966), S . 46 . Vgl . dazu Kap . 3 .3 .2 . Vgl . Wissenschaftsrat (1960), S . 60, 62, Wissenschaftsrat (1964), S . 5, ders . (1967), S . 125 .
„Tradition und Neugestaltung“. Die Modernisierungsphase 1953–59
Funktionen für Lehre und Forschung wurde einem Großteil des Mittelbaus die Rechte in der Selbstverwaltung versagt . Die neue Aufgaben- und Verantwortungsverteilung ging zunächst nicht mit veränderten Partizipations- und Repräsentationsrechten einher . Erst mit dem Generationswechsel, den Demokratisierungsforderungen und neuen Formen der Öffentlichkeitsarbeit bahnten sich in den 1960er Jahren partizipativere Repräsentationsmodelle an . 5.2.6
Krisenrhetorik als einhegende Integrationsstrategie
Die professorale Rede von der Krise diente in den 1950er Jahren dazu, die Universität als Eliteinstitution zu bestärken . Neue Herausforderungen wie die Ausbildung einer Vielzahl von Studierenden, der Aufstieg der Sozialwissenschaften und der „Nachwuchsmangel“ wurden als Krise verhandelt, die durch den rekursiven Bezug auf das Humboldt-Ideal angegangen wurde . Dadurch gerieten die sich rasant verändernden institutionellen Verhältnisse und das fortwährende Selbstverständnis der Philosophischen Fakultät zunehmend in Widerspruch zueinander: Während sich die Betreuungsrelationen verschlechterten und ein Mittelbau etabliert wurde, heißt es im Studienführer: „Auch heute kann der Student, der sich darum bemüht, persönlichen Kontakt mit seinem Professor gewinnen“ .491 Tellenbach brachte angesichts des fortgesetzten Anstiegs der Studierendenzahlen 1962 den vom Wissenschaftsrat erarbeiteten Vorschlag zur „verkürzten Studienzeit“492 in die Fakultät ein, wohingegen sein Text im Studienführer davor warnte, „zu viel und zu früh an die Examina zu denken und den ‚Scheinen‘ nachzujagen .“493 Während Bergstraessers und Tellenbachs Freiburger Schulen anfingen, sozialwissenschaftlich zu arbeiten, wurde der „Positivismus“ in hohem Maße diskursiv abgelehnt . Hier wird manifest, was Herrmann als „die Widersprüche waren die Hoffnung“ bezeichnet hat .494 Die Philosophische Fakultät der Universität Freiburg, die sich der Auseinandersetzung mit dem NS und der „Krise der Moderne“ nach 1945 durch eine Rückwendung zum neohumanistischen Bildungsideal entzogen hatte, wurde in ihren institutionellen Grundlagen von den zeitgenössischen, eine moderne große Universität kennzeichnenden Entwicklungen eingeholt . Dadurch entstand die paradoxe Situation, dass die Modernisierung der Philosophischen Fakultät entsprechend ihres 1945 verkündeten Selbstverständnisses ein Tabu darstellte . Andererseits musste sie sich aber modernisieren um der Nachfrage nach akademischen Fachkräften nachzukommen und der steigenden Studierendenanzahl gerecht zu werden .
Tellenbach (1961), S . 79–85, hier S . 85 . Fakultätsprotokoll am 21 .07 .1962, in: UA Freiburg Nr . B003/0799, S . 164, vgl . Tellenbach (1963a) . Tellenbach 1968, S . 71 . Ab 1970 wurde der Einführungstext von Schramm verfasst, der die organisatorischen Veränderungen der Teilung der Philos . Fak . zum Ausgangspunkt nahm . 494 Herrmann (2005), S . 67 . 491 492 493
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Anders als Ritter, der weiter bei seinem polarisierend restaurativ-elitären Diskurs blieb und die neuen Konstellationen ignorierte, bemühten sich Tellenbach und Bergstraesser um Reformen . Sie lösten das Modernisierungsdilemma, indem sie ein modernes Humboldt-Ideal entwickelten und das Ideal an die Zeit anpassten . Bergstraesser erweiterte das Ideal, indem er moderne Methoden unter traditionelle Vorzeichen subsumierte . Er plädierte zur Lösung der universitären Krise ebenso wie Ritter und Tellenbach für eine Orientierung an Humboldt und sprach sich gegen das „Fachspezialistentum“, Materialismus und Totalitarismus aus . Allerdings setzte Bergstraesser auf moderne Mittel zur Krisenlösung: Statt des praktisch kaum durchführbaren studium generale bot er seine „Integrationswissenschaft“ als spezielles Fach an, das die Allgemeinbildung zur politischen Bildung konzentrieren und auf die Gegenwart ausrichten sollte . Dabei konstruierte er die Politikwissenschaft und Soziologie nicht als Sozial-, sondern als Geisteswissenschaften: Er überwölbte empirisch-analytische mit hermeneutischen Methoden, nationale mit internationalen Interessen, erweiterte die Tradition um moderne Umsetzungsformen, idealistische Vorgaben durch eine sozialwissenschaftliche Basis, das „Abendland“ um die USA . Damit verhalf er den Geisteswissenschaften, die sich durch den Rückzug auf „Traditionen“ von internationalen Entwicklungen isoliert hatten, zur „Wiedererneuerung“ . Er nutzte das Humboldt-Ideal dazu, Demokratie, Internationalität und Modernisierung in die Philosophische Fakultät zu integrieren, indem er ihnen eine idealistische und elitezentrierte Prägung verlieh . Diese Vorzeichen wirkten gleichzeitig als Filter dafür, den Glauben an Tradition und Abendland nicht anzutasten: Empirische Methoden, Kooperationsverhältnisse und internationale Beziehungen stellte er in ihren Dienst . Partizipative, von unten anhebende Demokratisierungsprozesse waren hingegen ausgeschlossen, wie das nächste Kapitel zeigen wird .495 Auch Tellenbach gelang es, die elitäre Konzeption von Universitäten in eine zeitgenössischere Form zu gießen . Er modernisierte das Humboldt-Ideal, indem er es ausdifferenzierte . So hielt er einerseits an der Einheit von Forschung und Lehre fest und betonte, dass Universitäten nicht in Fachhochschulen „zerfallen“ dürften . Andererseits gab er diejenigen Aspekte des Humboldtideals, die die Autonomie der Hochschulen oder aber die Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden hervorhoben, zugunsten intensivierter Kooperationsverhältnisse mit Staat und Wirtschaft und einer verstärkten Hierarchisierung der Lehrkörperstruktur auf . Er setzte sich für Hochschulreformen ein, die eine Elitenselektion bei gleichzeitigem Anstieg der Studierendenzahlen stark machte . Dadurch wurde die bauliche Expansion der Universitäten möglich ebenso wie die Studierendenförderung und die Besoldung der Nachwuchskräfte . Ein dem Frequenzanstieg entsprechender Ausbau der Professuren wurde hingegen hinausgeschoben, da
495
Vgl . zu dieser Unterscheidung Bleek (2001), S . 349, vgl . auch Schmitt (1999) .
Die Krise im Wandel. Die Dynamisierungsphase 1960–67
diese finanziell aufwändiger waren und sich viele Ordinarien der Einrichtung von Parallelprofessuren widersetzten um ihre Macht- und Deutungspositionen zu bewahren . Die Krisenrhetorik entwickelte sich so in den 1950er Jahren zu einer filternden Integrationsstrategie, die vorwiegend die Elite stärkende Modernisierungsaspekte durchließ . Die Einbindung der Philosophischen Fakultät in die Gesellschaft wurde nicht durch eine proportionale Erweiterung des Lehrköpers oder den Versuch einer Demokratisierung der Hochschulen, Teilung von Aufgaben und Verantwortung und bessere Verbindungen zu Öffentlichkeit und Praxis vorangetrieben . Erst ab den 1960er Jahren wurden diese Prozesse im universitären Kontext problematisiert .496 Allerdings war, wie Zmarzlik rückblickend feststellte „was auf ’s Ganze gesehen unumstößlich galt, im einzelnen vielfach schon unterhöhlt“ .497 Mit den Demokratisierungsforderungen der Studierenden zu Beginn der 1960er Jahre verstärkten sich die Konflikte zwischen denen, die „Demokratie mit dem Zustand gleichsetzten, der sich bei uns seit 1949 eingespielt hatte, und einer Minderheit, die in diesem Zustand allzu viele restaurative Züge und strukturelle Mängel entdeckte“ .498 5.3
Die Krise im Wandel. Die Dynamisierungsphase 1960–67
Anfang der 1960er Jahre trat die Philosophische Fakultät in eine Phase ein, in der sich angesichts der institutionellen Wandlungsprozesse auch die Selbstverständnisse und Reformforderungen zusehends dynamisierten .499 Obgleich sich die unzureichenden Lehrkapazitäten bereits seit mehreren Jahren in einer schlechten Betreuungssituation niederschlugen, veränderte sich der universitäre Krisendiskurs erst mit den studentischen Demokratisierungsforderungen sowie infolge des Generationswechsels . Dieser Prozess ging allerdings nicht von der Philosophischen Fakultät aus, schon gar nicht von ihren Professoren . Vielmehr bezeichnet diese Phase einen Zeitraum, in der gesellschaftliche und insbesondere studentische Forderungen intensiviert an die Universität und somit auch an die Fakultät herangetragen wurden . Die sich an bundesdeutschen Universitäten anbahnenden „Liberalisierungsprozesse“500 vollzogen sich im Kontext der von Hodenberg analysierten „Dynamik der Zeitkritik 1958–1965“,501 die insbesondere durch Angehörige der 45er-Generation im Journalismus vorangetrieben wurde . Während die Älteren mit der „Zeitkritik“ ein neues, westlich inspiriertes journalistisches Vorgehen nutzten, das „gegen den Konsens löcken und investigative Elemente in
496 497 498 499 500 501
Vgl . prominent Habermas et al . (1961), S . 44 . Zmarzlik (1970c), S . 240 . Zmarzlik (1970[1968]), S . 28 . Vgl . Schildt/Siegfried/Lammers (2000) . Herbert (2002a) . Hodenberg (2006), S . 293–361 .
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die Berufspraxis einbauen“ wollte,502 hinterfragten ähnlich auch Studierende der 58erGeneration in der FSZ die universitäre „Fassade“ .503 Hatten sich die Diskussionen in der unmittelbaren Nachkriegszeit noch um eine angemessene Politisierung der Studierenden gedreht, kümmerten sich diese bereits Anfang der 1950er Jahre aktiv um Fragen der Demokratisierung und der Hochschulreform .504 Die Partizipationsforderungen verstärkten sich Ende der 1950er Jahre in Freiburg und bundesweit und erreichten 1960 angesichts der dadurch ausgelösten Verbote und Repressionen neue Höhepunkte . 5.3.1
„Kampf um eine universitäre Liliput-Demokratie“505
Als in Freiburg Anfang 1960 eine Unterschriftenaktion für verbesserte Mitwirkungsrechte in universitären Gremien warb, wurde sie noch an demselben Tag verboten .506 Die Senatskommission, der u . a . Bergstraesser angehörte, erklärte, dass die Universität ihrer Aufgabe, die Studierenden bei „dem Bemühen um ihre politische Bildung nachdrücklich zu unterstützen“, in Form des colloquium politicum und mit „Methoden wissenschaftlichen Verhaltens“ nachkomme .507 Die Studierenden seien in der „Ausübung ihrer staatsbürgerlichen Rechte“ zur „Einhaltung der studentischen Selbstzucht“ und „akademischen Disziplin“ verpflichtet; der Studierendenrat habe nur in denjenigen Fragen Mitspracherechte, „die unmittelbare Rückwirkung auf das Studium der Studenten oder ihre soziale Stellung erwarten lassen .“ Als eine außerordentliche Vollversammlung am 27 .01 .1960 sich dennoch für die Mitwirkung der Studierenden aussprach, forderte das Rektorat in Absprache mit Bergstraesser alle Studentischen Gemeinschaften auf, ihre geplanten Veranstaltungen zur politischen Bildung dem Tutor des colloquium politicum zu melden .508 Zur „Intensivierung und zugleich zur Koordination der politischen Bildungsarbeit“ gedacht, sah die Maßnahme auch die Geneh-
Ebd ., S . 295 . Vgl . W . M ., „Fassade ‚Autonomie‘“, in: FSZ 10 no . 2 (1960), S . 1, vgl . weiterführend Paletschek (2012b), Brandt (2014), Herrmann (2015) . Für die bundesweiten Bestrebungen vgl . Rohstock (2010), S . 62–72 . 504 Vgl . Protokoll der außerord . AStA-Sitzung v . 03 .11 .1954, in: UA Freiburg Nr . B039/09, Walter Fehling, „Mehr Demokratie in der Universität“, in: FSZ 4 (1954), S . 3, Müller (2012[2004]), S . 10, 12, vgl . Oehler/ Braddatsch (1988), S . 417, 423; [o . A .], „Ohne Parlament“, in: FSZ 1954 .1, S . 1 . 505 Bergstraesser an H . Thieme, Rektor Univ . Freiburg, 08 .07 .1960, in: UA Freiburg Nr . B0204/130 . 506 Vgl . das Flugblatt samt Unterschriften zur stud . Beteiligung in Universitätsgremien v . 18 .01 .1960, in: Archiv für Soziale Bewegungen/Rektorat (2012), vgl . [o . A .], „Einberufung einer studentischen Vollversammlung durch den ASTA für den 27 .01 .1960, in: ebd ., vgl . Müller (2012[2004]), [o . A .], „Sand im Getriebe“, in: FSZ 10 no . 2 (1960), S . 2 . Diese Aktion reagierte auf den Rücktritt des AStA in Bonn . 507 Vgl . Protokoll der Kommissionsbeschlüsse v . 20 .01 .1960, in: Hans Gerber an den Rektor am 17 .02 .1960, Abschrift an Bergstraesser, in: UA Freiburg Nr . B0204/130, vgl . Senatssitzung am 17 .02 .1960, Pkt . 12, in: ebd . Die folgenden Zitate ebd . 508 Vgl . Akad . Rektorat Merz am 28 .01 .1960, in: UA Freiburg Nr . B0204/130 . Die folgenden Zitate ebd . 502 503
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migung der jeweiligen politischen Veranstaltungen durch das Rektorat vor . Sie wurde damals noch nicht als Kontroll- oder Zensurmaßnahme angegriffen – erst im Verlauf der studentischen „Presseaffäre“ in Freiburg forderten die Studierenden demonstrativ Presse- und Meinungsfreiheit . Auf universitäre Verschleierungstendenzen wies im Februar 1960 ein FSZ-Artikel hin, der unter dem Titel Fassade ‚Autonomie‘ die „Alleinherrschaft der Ordinarien“ als ein überlebtes Prinzip kritisierte, das aufrecht zu erhalten die Universitäten lähme .509 Offensiv thematisierte er Missstände und Strategien, die die Einführung von Parallelprofessuren verhinderten und Reformen von außen erforderlich machten: Man hält die Konkurrenz fern, man behauptet, es gäbe nicht genügend wissenschaftlich befähigten Nachwuchs . Während einsichtige Professoren das Kolleggeldsystem abschaffen wollen, geht Semester für Semester der Streit weiter, wer diesmal die Pfründe einer Großvorlesung schröpfen darf . Und während drinnen dieses Spiel getrieben wird, geht hinter den verschlossenen Türen der Ministerien den Hochschulen das Zepter der Autonomie verloren .
Als konstruktive Lösung der Probleme schlug der Autor „W . M .“, Werner Müller, erweiterte Mitspracherechte der Studierenden, verbesserte gesellschaftliche Beziehungen und den Wandel des Verhältnisses zur Öffentlichkeit vor . Der Hinweis, dass die Idee der Universität, in diesem Fall die universitäre „Autonomie“ nur noch als „Fassade“ diene,510 der Verweis auf die Isolation der Hochschulen511 sowie die Forderung nach Mitwirkung der Studierenden512 stellten keine neuen Erkenntnisse oder Forderungen dar .513 Intensivere Sprengkraft als zuvor erhielten sie in ihrer Kombination, gestützt durch die konkrete Benennung von Missständen in ihren Verhältnissen wie auch durch den direkten Bezug zu aktuellen Aktionen für eine Erweiterung der studentischen Mitwirkungsrechte in universitären Gremien . War bis dahin der Verweis auf die „Illusion“ der Ideale einem verstärkten Motivationsaufruf an die Studierenden gleichgekommen, umso mehr nach ihrer Verwirklichung zu streben, wurde sie hier als verschleiernd zurückgewiesen . Zudem war die Universität Freiburg 1945–60 kaum differenziert nach Gruppen und deren Positionen im Hochschulreformprozess reflektiert worden . Der Artikel hingegen sprach die Studierendenschaft
509 W . M ., „Fassade ‚Autonomie‘“, in: FSZ 10 no . 2 (1960), S . 1 . Die folgenden Zitate ebd . 510 Vgl . auch K . S ., „Zehn Jahre Hochschulreform“, in: FSZ 6 no . 1 (1956), S . 2 . 511 Vgl . WR, „Reparatur – Reform – Revolution?“, in: FSZ 6 no . 2 (1956), S . 1 . Auch die gesellschaftliche
Isolierung der Universität, den „elfenbeinernen Turm“, hatte die FSZ bereits 1958 diskutiert . Allerdings stützte sich diese frühe Kritik an der Isolation von Hochschulen noch auf die NS-Interpretation der Krisengeneration und transportierte deren Mythos vom NS als wissenschaftsfeindlichem Regime, s . Hanno Kühnert, „Individuelles Gewissen – politische Vernunft“, in: FSZ 8 no . 3 (1958), S . 3 . 512 Vgl . die Forderungen des VDS in Rohstock (2012), S . 43 . 513 Alle diese Kritikpunkte hatte Müller bereits ausgeführt, dabei aber an den „gemeinsamen Bemühungen um eine Verbesserung“ festgehalten, vgl . Werner Müller, „Die Hochschulpleite“, in: FSZ 9 no . 7 (1959), S . 3 .
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dezidiert als Teile der Universität an, die Nachteile aus der „Alleinherrschaft der Ordinarien“ ziehe . Entsprechend provokant wurde er wahrgenommen: Die Universitätsleitung reagierte sanktionierend auf die darin enthaltene Kritik an Autoritäten . Dem Artikel von Werner Müller waren zwei weitere autoritätskritische von „sd“ und „ck“ vorausgegangen .514 AStA und Studierendenrat hatten sich im Sinne der in § 40 der Grundordnung verankerten Verpflichtung der Studierenden, „ihren Lehrern die schuldige Achtung zu erweisen“, zunächst an der Seite der Universitätsleitung positioniert und die zukünftige Kontrolle der Redaktion zugesagt .515 Hingegen hielten sie kurze Zeit später den Forderungen des Philosophieprofessors Max Müller, die FSZ solle sich auf „Angelegenheiten der Studentenschaft“ beschränken, ihr Recht auf öffentliche Meinungsäußerung entgegen .516 Als Werner Müller nun, vom akademischen Disziplinarbeamten vor das Amtsgericht geladen, eine Erklärung abdrucken musste und von seinem Posten als Chefredakteur der FSZ zurücktrat, erntete er eine Welle der Solidarität . Unter den Studierenden der Universität Freiburg überspannte diese Reaktion alle politischen Richtungen .517 „All meine Sympathien gehören diesem Freiburger Studenten“ kommentierte auch Rudolf Walter Leonhard in der ZEIT und kritisierte die Universitätsleitung, die die inhaltliche Auseinandersetzung scheuend den Studenten „nach bewährten Mustern […] zurückgepfiffen“ habe .518 Das Disziplinarverfahren wurde schließlich ausgesetzt, die studentische Presseaffäre bildete allerdings den Auftakt einer Reihe von Konflikten zwischen Universitätsleitung und Studierenden, die sich sukzessive aufschaukelten . Insbesondere am Vertriebsverbot der Hamburger Zeitschrift konkret auf dem Universitätsgelände entzündete sich der studentische Protest in Freiburg wie auch bundesweit .519 Während die Senatskommission am 17 . Februar 1960 angesichts der „grundsätzlichen Meinungsgegensätze“ in der Kommunikation mit den Studierenden die Klärung der studentischen Mitspracherechte bis zur Stellungnahme der WRK zurückstellte,520 veröffentlichten die Studierenden Ignaz Bender521, Hanno Vgl . ausführlich Koltan (2012) . Vgl . sd ., „Eine Kette wird umgehängt“, in: FSZ 9 no . 4 (1959), S . 1, 2, vgl . Die Redaktion, „Eine Kette wird umgehängt“, in: FSZ 9 no . 5 (1959), S . 1, vgl . die Auseinandersetzungen zwischen AstA, Rektor und FSZ im Juni 1959, in: FSZ 10 no . 4 (1960), S . 2 . 516 Vgl . ck, „Peinlich“, in: FSZ 9 no . 7 (1959), S . 2, vgl . Prof . Max Müller an d . Vorsitzenden des AStA am 18 .12 .1959, in: FSZ 10 no . 4 (1960), S . 3 . 517 Vgl . [o . A .], „Forum der Leser“, in: FSZ 10 no . 4 (1960), S . 16 . 518 Leonhard (leo) (1960) . Zur Unterstützung der Studierenden durch kritische Journalisten und Journalistinnen vgl . Brandt (2014) . Rektor Thieme beschwerte sich darüber in seinem Brief vom 17 .10 .1960 Nr . 5834 an die Redaktion der FAZ z . Hd . v . Dettmar Cramer, in: UA Freiburg Nr . B0204/130 . 519 Vgl . ausführlich Brandt (2014), S . 160–163 . 520 Hans Gerber an den Rektor am 17 .02 .1960, Abschrift an Bergstraesser, in: UA Freiburg Nr . B0204/130 . 521 Ignaz Bender (*1937) studierte Rechtswissenschaften und war AStA-Vorstand in Bonn und Freiburg . Er organisierte 1965 die Bildungsdemonstration Aktion 1. Juli und initiierte die Bildungswerbungskampagne Student auf’s Land 1965–67 . Er war Mitglied des Internationalen Ausschusses des VDS sowie Mitautor der VDS-Charta (1962) . 1967 wirkte er am Aufbau der Reformuniversität Konstanz mit und arbeitete in einem Projekt des KM Baden-Württemberg zu „Ursachen der Studentenunruhen“ (1968) . 1970–2001 war er Kanz514 515
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Kühnert522 und Werner Müller523 die Freiburger Denkschrift, die der Berliner Studententag im April 1960 in den „grundsätzlichen Forderungen übernahm“ .524 Darin forderten sie die studentische Mitwirkung in der akademischen Selbstverwaltung und legitimierten sie auf Basis der Grundordnung, der Universität als einer Körperschaft des öffentlichen Rechts sowie des demokratischen Charakters der Bundesrepublik .525 Sie untermauerten ihre Argumente mit einer Auszählung der bisherigen Mitwirkung von Studierenden in universitären Gremien samt qualitativer Analyse ihrer geringen Partizipationsmöglichkeiten . Sie nahmen bekannte Einwände auf, lehnten „Verweise auf den abnehmenden Idealismus als Gegenargument“ angesichts der „bedrohten Hochschulsituation und der allgemeinen Besserstellung der Gesamtbevölkerung“ ab526 und forderten eine praxisnahe Organisation der Hochschulreform . Neben dem Hauptanliegen der studentischen Mitwirkung an der universitären Selbstverwaltung forderten sie den Ausbau des Lehrkörpers, verbesserte Zugangsmöglichkeiten zu den „Schülerkreisen“ der Professoren,527 die finanzielle Vergütung der Studierendenvertretung und deren Freistellung vom Studium sowie mehr Transparenz und Öffentlichkeit,528 insbesondere ein „übersichtlich und gut aufgemachtes Informationsblatt“ .529 Die Denkschrift zeichnete sich dadurch aus, dass sie an bestehende Normen anknüpfte, diese aufnahm und ihre Umsetzung aus studentischer Perspektive einforderte . War in dem Artikel von Werner Müller noch die Autonomie als „Fassade“ zurückgewiesen worden, plädierten die Studierenden hier wie auch in ihrem Bezug auf die „Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden“ erneut für deren Verwirklichung . Die Forderungen nach Partizipation und Öffentlichkeit stützten die Studierenden aber keineswegs ausschließlich durch die traditionellen Argumentationsmuster, sondern
ler der Universität Trier, ab 1989 Präsident der International Conference on Higher Education . Ab 1984 saß er für die CDU im Trierer Stadtrat . 522 Hanno Kühnert (1934–2003) studierte Rechtswissenschaften in München, Berlin und Freiburg . 1959/60 übernahm er in der FSZ den Bereich Politik . Er promovierte 1965 bei Julius Wolff und war ab 1967 als Journalist bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, danach als Gerichtsassessor bei der Süddeutschen Zeitung Karlsruhe und als Redakteur der Badischen Zeitung, ab 1979 als freier Journalist bei der ZEIT tätig . 523 Werner Müller (1934–2012) studierte in Freiburg Politik und Soziologie bei Bergstraesser und arbeitete bei ihm an der AKF (vgl . Müller 1962) . Er war Chefredakteur der FSZ und schrieb vorwiegend zu Hochschulpolitik . Er gründete 1960 die Fachschaft Politik und Soziologie und leitete den AStA-Fachschaftsausschuss, vgl . die Dokumente 7a, 7b, 8, in: Archiv für Soziale Bewegungen/Rektorat (2012) . Er war Mitglied der VDS-Kommission zur Neugründung wissenschaftlicher Hochschulen, vgl . die Liste der Mitarbeitenden in: VDS (1966[1962]), VDS (1966), S . 1 . Anfang der 1960er Jahre wirkte er an der Mannheimer „Arbeitsstelle für Hochschulforschung“, ab 1974 an der Fachhochschule Esslingen für Sozialwesen . 524 H . Breier, „Syndikalismus?“, in: FSZ 11 no . 1 (1961), S . 1–2, hier S . 1 . 525 Vgl . Bender/Kühnert/Müller (1960), S . 2–6 . 526 Ebd ., S . 16 . 527 Ebd ., S . 12 . 528 Mit diesem Anliegen beschäftigte sich auch der Berliner Studententag „Abschied vom Elfenbeinturm“, in dem die Freiburger Studierenden ihr Memorandum erstmals einbrachten . 529 Bender/Kühnert/Müller (1960), S . 17 .
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begründeten sie mit sozialwissenschaftlichen Mitteln und übertrugen auch die gesellschaftlich geforderte Demokratisierung auf die Hochschulen . Die Option eines gemeinsamen Vorgehens mit den Studierenden war inzwischen auch im Rahmen des studium generale erwogen worden .530 Eine Reihe geplanter „Mittwochsgespräche“ sollte Studierende und Professoren zusammenbringen .531 Allerdings kam es bereits bei der ersten Veranstaltung am 24 .05 .1960, einer Podiumsdiskussion zwischen dem Jurastudenten Ignaz Bender und dem Hochschuljuristen Prof . Dr . Hans Gerber (1889–1981) zum Eklat . Während Bender, Müller und Kühnert die Mitwirkung der Studierenden als „Grundfrage des demokratischen Staates“ auffassten, argumentierte Gerber, dass die „Universität in ihrem Wesen nach alles andere als eine Demokratie“ sei .532 Ob Bergstraesser, wie ein Flugblatt der Studierenden berichtet, bei dieser Gelegenheit die Verfasser der Freiburger Denkschrift als „Dreikäsehochs“ bezeichnete, ist nicht belegt .533 Allerdings drohte Gerbers Argumentation die Integrität der Brückenfunktion zu sprengen,534 die Bergstraesser zwischen Demokratisierungsforderungen der Alliierten und obrigkeitsstaatlichen Konzeptionen von Universität und Staat wahrnahm . Bergstraesser, der im April 1960 die NATO-Konferenz in Freiburg organisiert hatte, bis Mitte Mai nach Südafrika reiste und danach an Grippe erkrankte, verabschiedete sich Anfang Juni zunächst für zwei Wochen „zu einer gründlichen Erholung .“535 Erst als sich die Konflikte zwischen dem Rektor und den Studierenden im Zuge des vom Rektorat angeordneten Vertriebsverbots der Hamburger Zeitschrift konkret auf dem Universitätsgelände weiter hochschaukelten, wandte er sich am 8 . Juli in einem Brief an Rektor Thieme .536 Darin unterbreitete er ihm Argumentationslinien, die die Auseinandersetzung in den folgenden Jahren prägten . So seien die Partizipationsbemühungen der Studierenden „zentral von der finanziell und personell potenten Godesberger Zentral-Lobby des VDS geleitet“ . Ihre Wirkung sei „anti-erzieherisch“, „emotionale Propaganda“ und verstelle durch den „Kampf um eine universitäre Liliput-Demokratie die Einsicht in Aufbau und Problem des freiheitlichen Rechtsstaates .“ Er war der Meinung, dass „die Vertrauensgrundlage der studentischen Mitwirkung im Senat nicht mehr besteht“ und wies darauf hin, dass die „Unterhöhlung der Universität durch den Nationalsozialismus“ mit einer „Kontrolle der Universitäten durch die na-
Vgl . Protokoll über die Vorbesprechung zum SoSe 1960 am 24 .02 .1960 von dem Tutor der studentischen Gemeinschaften Jürgen Schwarz v . 23 .03 .1960, in: UA Freiburg Nr . B0204/130 . 531 Es handelte sich um Referate von Professoren und Studierenden, die dienstagabends vorgetragen und mittwochs diskutiert wurden, vgl . ebd ., vgl . Dok . 5, in: Archiv für Soziale Bewegungen/Rektorat (2012) . 532 Vgl . Gerber (1963), S . 15 . 533 Vgl . Flugblatt der Studierenden v . 05 .07 .1960, in: UA Freiburg Nr . B0204/130 . 534 Vgl . Bauerkämper (2005) . 535 Bergstraesser nahm vom 22 .04 . bis zum 23 .05 .1960 in Südafrika an einer Konferenz der Christlichen Akademie in Südafrika namens „Ohne Autoritaet keine Freiheit“ teil, vgl . Bergstraessers an Thieme am 03 .06 .1960, in: UA Freiburg Nr . B0204/130, vgl . Nr . B0204/211 und Nr . B0204/181 . 536 Vgl . Bergstraesser an Thieme am 08 .07 .1960, in: UA Freiburg Nr . B0204/130 . Die folgenden Zitate ebd . 530
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tionalsozialistische Studentenpresse vor der politischen Machtergreifung [Hvh . i . O .]“ begonnen habe . Dabei sei eine „ähnliche Verwilderung der Sitten wesentlich“ gewesen . An der nahegelegten Gleichsetzung über den Vergleichspunkt der „Sittenverwilderung“ wird die Emotionalität der Auseinandersetzung sichtbar, die einer differenziert vergleichenden Analyse entbehrte .537 Bergstraesser wandte sich mit diesem Brief gegen konfliktträchtige Partizipationsund bottom-up-Demokratisierungsprozesse, die er als Bedrohung des „freiheitlichen Rechtsstaats“ begriff . Seine Lesart der studentischen Forderungen verweist auf sein Demokratieverständnis, das wie Schmitt und Bauerkämper gezeigt haben, antitotalitaristisch, ordnungspolitisch und autoritär geprägt war .538 In jenem Brief an Thieme zeigt sich aber auch die für Bergstraesser charakteristische Kompetenz der filternden Integrationsfähigkeit: So regte er an, über die Fachschaften „einsichtige studentische Kräfte zur Zusammenarbeit mit Fakultäten und Senat in den Dingen der Fragen der Besserung unserer Hochschulverhältnisse zu bringen .“539 Daraufhin konstituierte sich 1960 die „Arbeitsgemeinschaft für aktive Hochschulpolitik“, die bei den AStA-Wahlen sehr erfolgreich war und durch „die Neuorientierung und Vertiefung der Fachschaftsarbeit“ den Austausch zwischen Studierenden und Professoren stärken sollte .540 Die Studierenden nutzten aktiv das Veränderungspotenzial, das sich aus Bergstraessers Vorschlag ergab . Die Fachschaften hatten sich aber nicht erst auf seinen Vorschlag hin, sondern in Eigeninitiative einige Monate zuvor gegründet . Müller war bspw . Vorstandsmitglied der neuen Fachschaft Politik und Soziologie, die in diesem Zusammenhang die Lehre auswertete, kritische Vorlesungsrezensionen schrieb und die Gruppenarbeit vorantrieb .541 Auch die Anregung Bergstraessers, die Freiburger Universitätsblätter zu etablieren, erfolgte in Reaktion auf die Forderung der Studierenden nach mehr Information und Öffentlichkeit . Am 16 .07 .1960 unterbreitete er dem Rektor den Vorschlag, eine universitäre Zeitschrift als „stilistisch und inhaltlich hochstehendes Organ“ herauszugeben, um die Universität sichtbar als „geistig-orientierte Körperschaft in Erscheinung“ treten zu lassen .542 Wissenschaftspolitische, universitätsgeschichtliche und die Hochschulreform betreffende Aufsätze sollten darin erscheinen . Bergstraesser erklärte sich bereit, die interfakultäre Redaktion federführend zu übernehmen, zu der auch „jüngere Dozenten und Assistenten“ sowie ein paar „besonders qualifizierte Studierende“ heran-
537 Vgl . ähnlich den Brief des Rektors Thieme an die Redaktion der FAZ z . Hd . v . Dettmar Cramer am 17 .10 .1960, in: UA Freiburg Nr . B0204/130 . 538 Vgl . Schmitt (1995), insbes . S . 177, vgl . Bauerkämper (2005) . 539 Vgl . Bergstraesser an Thieme am 08 .07 .1960, in: UA Freiburg Nr . B0204/130 . 540 Vgl . Müller (2012[2004]) . 541 Vgl . Dok . 007a und Dok .007b, in: Archiv für Soziale Bewegungen/Rektorat (2012) . 542 Vgl . Bergstraesser an Rektor Thieme am 16 .07 .1960, in: UA Freiburg Nr . B0204/130 .
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gezogen werden sollten .543 Die 1962 vom Rektor herausgegebene Erstausgabe der Freiburger Universitätsblätter enthielt dann zwar eine Ansprache des Ministerpräsidenten Kiesinger, aber keinen studentischen Beitrag . Vielmehr gab der AStA schließlich ein eigenes Blatt „Informationen für Dozenten und Studenten der Albert-Ludwigs-Universität (ifsd)“ heraus, nachdem die Entwürfe einer Planstelle für einen Pressereferenten, der dieses Informationsblatt in Zusammenarbeit mit dem AStA-Pressereferat herausgeben sollte, nicht umgesetzt worden waren .544 Bergstraessers Reaktion auf die Partizipationsforderungen der Studierenden ist typisch für die frühe Phase bundesdeutscher Demokratisierung nach 1945, die mit Beginn der 1960er Jahre durch neue Demokratisierungsansätze herausgefordert wurde . Während sich die Studierenden zunächst dezidiert kompromissbereit zeigten, stand Bergstraessers auf „Führung“ ausgerichtete institutionelle Demokratieauffassung ihren Partizipationsforderungen zunehmend entgegen .545 Allerdings konnte er die sich intensivierende Kritik noch teilweise integrieren und einhegen, indem er sie auf Distanz hielt .546 Die Vehemenz seiner Ablehnung der studentischen Forderungen, die doch viele konstruktive Ideen, Arbeitskraft und Engagement anboten, verdeutlicht, dass der von Bergstraesser vorangebrachten „Erziehung zur Mündigkeit“ in der Praxis Grenzen gesetzt waren .547 Ängste vor Konkurrenz sowie die allgegenwärtige Arbeitsüberlastung trugen dazu bei, dass die Vorteile partizipatorischer Kooperationsformen nur marginal reflektiert werden konnten . An den Auseinandersetzungen zeichnen sich Autoritätskonflikte zwischen den Gruppen Studierende und Professoren ab, deren generationelle Schlagseite nicht zuletzt darin zu finden ist, dass Hochschulreformvorstellungen in der fluktuierenden Studierendenschaft einen weitaus eklatanteren Wandel erfuhren als im deutlich kontinuierlicheren Lehrkörper . Aber auch innerhalb einer Generation lassen sich durchaus unterschiedliche Positionen zur Hochschulreform finden . So wandte sich etwa Bergstraessers Mannheimer Kollege Baumgarten 1960 gegen die „Autorität des Lehrstuhlindividualismus“ und befürwortete die Schaffung von Parallelprofessuren sowie
543 Aus dem Mittelbau schlug er „Determann, Oberndörfer, Schwarz (Colloquium Politicum), Vonessen, Zmarzlik“, von den Studierenden die „Gräfin Bernstorff, Herrn Fehling und Herrn Stammen“ vor, vgl . ebd . 544 Auch die „Arbeitsgemeinschaft Mitwirkung“, die sich als ein Gremium von Professoren und Studierenden am 10 .01 .1961 konstituierte, nachdem die Studierenden die „Zulassung studentischer Vertreter zu den Sitzungen der Fakultäten“ bei den Dekanen beantragt hatten, traf sich nur einmal . Hier kündigte sich ein Ende der Integration als Einhegung an, vgl . H . B ., „Das neunte Jahr“, in: FSZ 11 no . 1 (1961), S . 3 . 545 Vgl . Bergstraesser (1961a), Schmitt (1995), insbes . S . 177 . 546 Vgl . auch die Korrespondenz zw . Bergstraesser und seinem Assistenten Kurt Sontheimer in UA Freiburg Nr . B0204/045, der mit Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik sowie einem Aufsatz zum Tat-Kreis (Sontheimer 1959, 1962), auch Bergstraessers Netzwerke tangierte . Sontheimer betont noch in seinem Nachruf, dass Bergstraesser „Kreisen der konservativen Revolution nahe [stand], ohne sich freilich ihren radikalen Zielen zu verschreiben“, Sontheimer (1964), S . 151, vgl . Bavaj (2006) . 547 Schmitt (1995), S . 177 .
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neue Formen der Arbeitsteilung .548 Er unterstützte und betreute Hans Angers Arbeit „Probleme der deutschen Universität“, sprach sich für eine „kritische Universitätsgeschichte“ sowie für die Analyse des Zusammenhangs von „Wissenschaft, Universität und Demokratie“ aus .549 Werner Müller zufolge fanden die Freiburger Studierenden „die stärkste sachliche und moralische Unterstützung“ bei ihm .550 Wie am Beispiel Baumgartens deutlich wird, der zur Krisengeneration gehörte, beförderten neben der Gruppen- und Generationszugehörigkeit noch viele andere Faktoren reformorientiertere Haltungen, für die jedoch der Umstand grundlegend war, dass sie kaum von der Philosophischen Fakultät selbst ausgingen, sondern von außen an sie herangetragen wurden .551 So wirkten sich in den 1960er Jahren Erfahrungen mit US-amerikanischen Universitätsmodellen, empiriegestütztes Wissen zur Entwicklung von Universitäten und dessen Einordnung in gesellschaftliche Wandlungsprozesse, pragmatischere Einstellungen, nichtlineare Lebens- und Karrierewege reformfördernd aus sowie insbesondere ein offeneres Verhältnis zu Gesellschaft und Öffentlichkeiten . 5.3.2
Wende der Krisenrhetorik und neue Verhältnisse zu Öffentlichkeiten
Dem Vorschlag der Studie des Innenministeriums zur Überfüllung der Hochschulen 1959,552 dem Frequenzanstieg durch das „Herausprüfen“ von Studierenden zu begegnen, war bereits in demselben Jahr eine Absage seitens der WRK erteilt worden, da sie mit dem „Leitbild der deutschen Universität“ unvereinbar seien – in diesem Fall der akademischen Freiheit .553 Demgegenüber lassen sich in den 1960er Jahren neue Argumentationsmuster finden, die zwar nicht ohne Krisenrhetorik auskamen, wohl
Vgl . „Zehn Jahre Hochschulverband“, in: BZ v . 11 .06 .1960 . Vgl . Baumgarten (1960), S . 669–670, vgl . ders . (1960b), S . 6 . Vgl . 1961 erhielt Müller einen Lehrauftrag bei Baumgarten an der Wirtschaftshochschule in Mannheim, vgl . das Konzept Bergstraessers vom 12 .06 .1961, in: UA Freiburg Nr . B0204/130 und arbeitete mit ihm an der Mannheimer „Arbeitsstelle für Hochschulforschung“ zusammen, vgl . Müller (2012[2004]) . 551 Die 1967 geäußerte Argumentation, dass die Studierenden „geisteswissenschaftlicher, nicht unmittelbar funktionaler Disziplinen“ und dabei vorwiegend „Philosophen, Soziologen, Psychologen“ die Kritik initiierten, trifft auf die Philosophische Fakultät Freiburg in den frühen 1960er Jahren nicht zu (s . Blecha (1967), S . 596, Marquardt (1967), S . 470) . Philosophie- und Psychologiestudierende waren in den frühen Protesten nicht prominent vertreten; die Soziologie war noch an der Staats- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät verankert . Zudem stand die Kritik der Studierenden nicht im Widerspruch, sondern unterstützte Karriereoptionen etwa im Journalismus (Hanno Kühnert), im Aufbau von Reformuniversitäten (Ignaz Bender) oder in der Hochschulforschung (Werner Müller) . Auffällig viele der Studierenden, die universitäre Veränderungen anmahnten, studierten indes bei Bergstraesser . Zu ihnen gehörten u . a . die kritischen Stimmen in der FSZ Walter Fehling, Fritz Scharpf, Hans-Dieter Evers und Werner Müller . 552 Karl Friedrich Scheidemann, „Überfüllung der Hochschulen . Eine Studie über Studentenzahlen und Fassungsvermögen der deutschen Hochschulen“, Bonn 1959, in: UA Freiburg Nr . B0204/034, vgl . Kap . 5 .2 .4 . 553 Hermann Jahrreiß, Präsident der WRK, „Zur Überfüllung“, Bad Godesberg, am 16 .11 .1959, in: UA Freiburg Nr . C0157/102 . Die folgenden Zitate ebd . 548 549 550
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aber ohne Verweis auf die Idee der deutschen Universität . Vielmehr zeichnen sich in diesen neuen Argumentationsstrukturen Einflüsse sozialwissenschaftlicher Denkmuster sowie neue Verhältnisse zu Öffentlichkeiten ab . So lehnte der Wissenschaftsrat in seinem Beschluss zur „Überfüllung wissenschaftlicher Hochschulen“ Zulassungsbeschränkungen und Aufnahmeprüfungen ohne Rekurs auf „Humboldt“ ab: Die Probleme seien nicht auf zu hohe Studierendenzahlen zurückzuführen, sondern auf die „unzureichende Ausbildungskapazität“ . Der Wissenschaftsrat sah ein weiteres Wachstum der Studierendenzahlen voraus und veranschlagte den Ausbau bestehender und die Gründung neuer Hoch-, Berufs- und Fachhochschulen .554 In Übereinstimmung mit den Studien von Friedrich Edding und der OECD plädierte er für einen verstärkten Ausbau der Universitätslandschaft .555 Diesen Perspektivwechsel übernahm Georg Picht (1913–82), Professor für Religionsphilosophie in Heidelberg und langjähriger Leiter des Internats Birklehof und verstärkte ihn dadurch, dass er ein neues Verhältnis zur Öffentlichkeit entwickelte .556 1964 sorgte er mit einer Artikelserie in der auflagenstarken und einflussreichen evangelischen Wochenzeitung Christ und Welt für Furore . Überschrieben mit dem apokalyptischen Titel Die deutsche Bildungskatastrophe zeichnete er ein Szenario, in dem die Bundesrepublik aufgrund mangelnder Bildungsinitiativen im internationalen Konkurrenzkampf abgehängt zu werden drohe . In Einklang mit der Wirtschaft und der Kultusministerkonferenz forderte er, „daß in der deutschen Öffentlichkeit die Gleichrangigkeit der Kulturausgaben mit den Verteidigungs- und Soziallasten nachdrücklicher als bisher anerkannt wird“ .557 Eine „Existenzkrise“ von Staat und Wirtschaft könne nur durch gemeinsame und gezielte Bildungsplanung und -förderung von Bund und Ländern abgewendet werden, die mindestens ebenso gut finanziert werde wie der Aufbau der Bundeswehr .558 Statt eine „Überfüllungskrise“ auszurufen, deklarierte Picht in krisenrhetorischem Duktus das Bildungssystem zu einer der wichtigsten deutschen Ressourcen, die der Investitionen bedurfte, wenn eine „Bildungskatastrophe“ verhindert werden sollte . Damit verband er die Interessen von Politik und Wirtschaft an internationaler Konkurrenzfähigkeit mit den Anliegen der Studierenden nach Hochschulreform . Die Wende der Krisenrhetorik bestand daVgl . „Beschluss zur Überfüllung wiss . Hochschulen v . 07 .05 .1960“, Anlage Nr . 3 in: Wissenschaftsrat (1960), S . 448–450 . 555 Vgl . Oehler (1968), S . 42, vgl . Rudloff (2003), vgl . Celebi (2017), vgl . Celebi/Schneider (2020) . 556 Der Pädagoge und Religionsphilosoph Picht baute 1946 das Internat Birklehof auf und war dort bis 1956 Schulleiter, danach Leiter der Ev . Forschungsstelle Studiengemeinschaft, ab 1964 Prof . für Religionsphilosophie in Heidelberg und Mitglied des Dt . Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen . Picht und Bergstraesser waren vielfach miteinander verbunden, da Bergstraesser mit Pichts Vater im Heidelberger Austauschdienst, dem Vorläufer des heutigen DAAD, zusammengearbeitet hatte, Bergstraessers Tochter den Birklehof besuchte und Picht der Neffe von Ernst Robert Curtius war, mit dem Bergstraesser 1930 den sogenannten Curtius-Bergstraesser verfasst hatte, vgl . Bergstraesser/Curtius (1930/31), vgl . Behrmann (2016a), vgl . weiterführend zu Picht, insbesondere zu seiner Medienwirksamkeit Hannig (2018) . 557 Picht (1964), S . 97, vgl . S . 183 . 558 Ebd ., vgl . S . 64, S . 44 . 554
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rin, dass sie nicht mehr allein auf elitäre Privilegiensicherung abgestellt war, sondern breite Bevölkerungskreise ansprach . Picht popularisierte den Ausbau des Bildungssektors als eine wirtschaftlich vorteilhafte, sogar notwendige Investition der Bundesrepublik . Zwar wurde dadurch die Rede von der „Weltgeltung“ wieder aufgenommen .559 Sie wurde allerdings nicht mehr auf Bildungsideale, sondern auf die Quantität und Qualität der Ressource „Bildungskapital“ zurückgeführt, die ohne eine entsprechende Finanzierung der Hochschulen nicht gedeihen konnte . Diese Argumentation war nicht ganz neu . Tellenbach hatte bereits 1949 in ähnlicher Weise die später breit diskutierte soziale Bildungsfrage um Chancengleichheit und die wirtschaftliche Frage nach Ausschöpfung von Begabungsreserven als Argumentationsgrundlage für den Ausbau von Hochschulen genutzt .560 Anders als Tellenbach wandte sich Picht aber mit seinem Aufruf an die breite Öffentlichkeit und hielt darin nicht am deutschen Bildungsideal als universal gültigem Lösungsansatz fest . Er zeichnete die Expansion des Bildungssystems keineswegs als Krise, im Gegenteil: In Pichts Konzeption konnte allein die Expansion des Bildungswesens die Krise abwenden und stellte somit einen vielversprechenden, notwendigen, sogar überfälligen Anfang dar .561 Grundlegende Elemente seiner Krisenrhetorik waren die Absicherung durch empirische Daten sowie der positive Öffentlichkeitsbezug . Hier wurde die Ausrichtung auf das traditionelle Bildungsideal durch ökonomisch, sozial und politisch reflektierte Konzepte herausgefordert, die unter Einbeziehung praktischer Gegebenheiten sowie funktionaler Zusammenhänge medienkompetent eine Kurskorrektur einforderten .562 Parallel dazu zogen die Thesen des Tübinger Soziologen und Bildungsforschers Ralf Dahrendorf weite Kreise in der Öffentlichkeit . Er machte ein deutsches Demokratiedefizit an der mangelnden Konfliktfähigkeit und der nichtrepräsentativen Herkunftsschichtung deutscher Führungsgruppen fest und wies mit „Bildung ist Bürgerrecht“ auf soziale Ungleichheiten und unausgeschöpfte „Begabungsreserven“ hin . Die FSZ zitierte ihn oft und prominent mit Plädoyers für eine konzeptionell verankerte, verbesserte Arbeitsteilung, die dazu beitragen sollte, den steigenden Aufwand in Wissenschaftsorganisation und Verwaltung zu meistern .563 In seiner Argumentation verband Dahrendorf wirtschaftliche, liberale und demokratische Forderungen und verknüpfte
Vgl . ebd ., S . 16, vgl . Informationen für Dozenten und Studenten (ifsd) Nr . 60 v . 28 .06 .1965 . Ohne diesen Ausbau seien „sämtliche Forderungen nach Hochschulreform, ganz besonders aber die sozialen Prinzipien vom Zugang aller Begabten zu den öffentlichen Bildungsmöglichkeiten ohne Rücksicht auf Reichtum oder Armut leere Phrasen“, Tellenbach (1963[1949]a), S . 33, vgl . ders . (1963[1951]), S . 44–45 . 1960 griff auch er den Topos verstärkt auf, vgl . ders . (1963[1960]b), vgl . den Brief an Coing mit dem Vorschlag für die Einleitung der Empfehlungen des Wissenschaftsrats 1960, in: UA Freiburg Nr . C0157/187 . 561 Vgl . Picht (1964), S . 137 . 562 Vgl . Wirsching (2011) . Diese Argumentationsform war allerdings nicht typisch für den Religionsphilosophen Picht, der sich in den meisten seiner Schriften als idealistischer Krisenrhetoriker erweist . 563 Vgl . Ralf Dahrendorf, „Die Bilanz ist erschreckend“, in: FSZ 15 (1965), Sondernr . zur Aktion 1 . Juli, S . 4 . 559 560
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Bildungsforschung, Bildungsplanung und Bildungspolitik .564 Dadurch vorangetrieben professionalisierten sich in den 1960er Jahren die Hochschulreformdiskurse zusehends . Die Freiburger Studierenden unterstützten diese Prozesse aktiv durch eigene Initiativen .565 So organisierten Ignaz Bender und ein dafür aufgebautes Sekretariat in Zusammenarbeit mit Georg Picht die Aktion 1. Juli, eine bundesweite Demonstration zum „Bildungsnotstand“,566 die sich durch ihre umfassenden Kooperationsverhältnisse auszeichnete . Die Studierenden beriefen sich dabei nicht auf eine universitäre „Einheit“, sondern versuchten möglichst viele Menschen anzusprechen und zur Partizipation aufzufordern . Das Streben nach Konsens und Homogenität wurde hier durch Netzwerke, Kooperationsverhältnisse, strategische Bündnisse und partielle Äquivalenzketten ersetzt .567 Die pragmatische Planung sah eine disziplin- und parteiübergreifend angelegte Mobilisierung vor, die Finanzierung wurde auf der Grundlage einer ideell nicht eingeschränkten Finanzakquise ermöglicht . Die BZ berichtete, dass das Sekretariat der Aktion 1. Juli versuche, bei den bundesdeutschen Publizisten, Politikern, Wissenschaftern [sic] und Interessenverbänden Gesinnungsgenossen zu finden, […] Arbeitgeberverband und Deutscher Gewerkschaftsbund fanden sich zu einer Subvention bereit und zeigten sich auch Anregungen Benders offen, durch Anzeigen- und Flugblattaktionen den Studenten moralischen Feuerschutz zu gewähren .568
Mit der breit angelegten Kampagne überschritten die Studierenden auch die Grenzen der antigewerkschaftlichen Haltung der Philosophischer Fakultät .569 Als sich die 564 Vgl . Meifort (2014), vgl . Ralf Dahrendorf, „Das Ende der Ideologie“, in: DIE ZEIT 44, 11 .11 .1963, vgl . Dahrendorf (1965a, 1965b, 1965c, 1965d, 1965e) . Diese vor den Wirtschaftseinbrüchen der 2 . Hälfte der 1960er Jahre entwickelten Ansätze gingen davon aus, dass eine „wettbewerbsfähige Industrienation“ eine „Informationsgesellschaft“ sein müsse, der elitäres Klassendenken zuwiderlief (Lechner (2007), S . 115) . 565 Vgl . Brandt (2014), S . 123–129, vgl . Ruprecht (2004) . 566 Vgl . [O . A .], Heißer Sommer, in: DER SPIEGEL 21 (1965), S . 76–77, vgl . FSZ 15 (1965), Sondernr . zur Aktion 1 . Juli . 567 Auf der Mainzer Studierendenversammlung im März 1965 wie auch auf dem 8 . Studierendentag des VDS Was ist dem Staat der Nachwuchs wert? (VDS 1965) wurde das Programm beschlossen, für eine „Rangerhöhung der Bildungspolitik“ auf die Straße zu gehen, vgl . Ignaz Bender, „Studentenschaft ergreift Initiative“, in: FSZ 3 (1965), S . 4–6 . Eine Diskussion mit dem Rektorat wie auch mit südbadischen Abgeordneten wurde angebahnt; Kultusminister Hahn und der Landtag stimmten den Plänen zu, vgl . FSZ Sonderdruck, Landtagsdiskussion zum 1 . Juli 1965, in: Beilage der FSZ 4 (1965) . 568 Vgl . [o . A .], „Freiburg ist das ‚Revolutionszentrum‘ der Studenten . Die Studentenaktion am 1 . Juli wird im Freiburger AStA koordiniert – Kontakt mit Politikern, Wissenschaftern [sic] und Verbänden . Über die Hintergründe der geplanten Bildungsnotstand-Demonstration“, in: BZ Nr . 121 v . 23 .05 .1965 . 569 So hatte Ritter 1960 noch „gewerkschaftliches Denken in Professorenkreisen“ als den „Tod wahrer Wissenschaft“ bezeichnet, vgl . Ritter (1960a), S . 6, und auch den Studierenden war die Vorstellung einer gewerkschaftlichen Interessenvertretung bis Anfang der 1960er Jahre unzugänglich, vgl . Außerordentliche AStA-Sitzung v . 03 .11 .1954, in: UA Freiburg Nr . B039/09, vgl . W . G ., „Sind die Türen zugeschlagen?“, in: FSZ 10 no . 4 (1960), S . 5 ., vgl . H . Breier, „Syndikalismus?“, in: FSZ 11 no . 1(1961), S . 1–2 .
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Arbeitgeberverbände nicht zu einer umfassenden Unterstützung der Aktion 1. Juli entschließen konnten,570 erhielt die IG Metall die Rückseite der FSZ-Sonderausgabe zu dieser Aktion (vgl . Abb. 22) . Ihre Annonce erinnerte symbolträchtig an den 1962 eingeführten arbeitsfreien Samstag . Das von Bender entworfene Deckblatt versinnbildlichte hingegen das von den Studierenden angestrebte Aufbrechen erstarrter Strukturen .571
Abb. 22 Rück- und Vorderseite der FSZ-Sonderausgabe zur Aktion 1. Juli 1965572
Zwischen dem Rück- und Deckblatt der FSZ-Sonderausgabe präsentierten die Studierenden eine breite politische, journalistische und wissenschaftliche Interessenkoalition .573 Ca . 100 .000 Studierende demonstrierten am 1 . Juli 1965 für eine Verbesserung des Bildungssystems und wurden dabei von Leitfiguren in Politik und Hochschulen unterstützt . Selbst in den Augen der WRK verliefen die Demonstrationen überaus erfolgreich . So bemerkte WRK-Präsident Rudolf Sieverts, dass sie
570 Aktennotiz Gespräch Bendau u . Bender mit Hermann Linke v . der Bundesvereinigung der Dt . Arbeitgeberverbände am 08 .04 .1965 in Köln, in: Archiv für soziale Bewegungen, Aktion 1 . Juli, Akte 5 .3 .3 .1 . 571 Vgl . Interview mit Ignaz Bender am 17 .02 .2016 . Ich danke Ignaz Bender für das Gespräch . 572 Dieses Bild wird hier abgedruckt, weil die Rückseite der Sonderausgabe in der digitalisierten Ausgabe der FSZ fehlt . Die gedruckte Ausgabe findet sich im Archiv für Soziale Bewegungen Freiburg . 573 So unterstützten Erhard, Brandt, Hamm-Brücher, Dahrendorf, Goldschmidt, Sieverts, Erler und Weizsäcker die Demonstrationen zum Bildungsnotstand, vgl . FSZ 15 (1965), Sondernr . Aktion 1 . Juli .
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ohne jeden unliebsamen Zwischenfall verlaufen sind und daß insbesondere von einer Steuerung vom Osten her nicht die geringste Rede sein kann . Davon war ich schon vorher überzeugt weil ich insbesondere die Freiburger Initiatoren dieser Demonstrationen z . T . persönlich kenne .574
Das Spezifische dieser Demonstrationen zum Bildungsnotstand 1965 bestand in der Pluralität des Bündnisses, das für eine „Rangerhöhung“ der Bildungspolitik und -ausgaben sowie eine soziale Öffnung des Bildungszugangs eintrat . Mit der Krisenrhetorik des „Bildungsnotstands“ wurde an die in Universitätsbelangen gängige Krisenrhetorik als Mobilisierungsstrategie angeknüpft . Gleichzeitig wurde eine Wende eingeleitet . Als Krise wurde nun nicht mehr die „Moderne“, fehlendes Traditionsbewusstsein oder mangelnde Elitenselektion angeprangert, sondern die fehlende Einsicht in gesellschaftliche Umstände, universitäre Verhältnisse sowie unzureichende Förderungsstrukturen . Die Wende der Krisenrhetorik 1965 fiel mit der Hinwendung zu neuen Öffentlichkeiten zusammen . So konstituierte sich eine vielversprechende Koalition für eine pragmatische Universitätsreform, die soziale und demokratische Anliegen miteinbezog . Die Aktion 1 . Juli setzte als eine erfolgreiche Interaktion von Universität, Wissenschaft und Öffentlichkeit neue Formen der Öffentlichkeitsarbeit in Gang . Denn die studentische Öffentlichkeitsarbeit erweiterte die elitäre Netzwerkarbeit: Die Studierenden wandten sich an breite Öffentlichkeiten, warben auf Demonstrationen für Hochschulreformen und informierten mit Vorträgen in südbadischen Dörfern über Bildungsmöglichkeiten: „man diskutiert mit viel Temperament, ohne Verklausulierungen, undiplomatisch“ .575 Inwiefern sich entlang der Gruppen-, Fakultäts- und Generationszugehörigkeiten auch eine Wende der Legitimations- und Öffentlichkeitsbezüge an der Philosophischen Fakultät Freiburg zeigt, lässt sich anhand der Auseinandersetzungen um die Empfehlungen des Wissenschaftsrats 1966/67 rekonstruieren, die an Philosophischen Fakultäten besonders intensiv geführt wurden .576
Sieverts (1965), S . 27 . Bütow (1965), S . 17–18 . Zusätzlich zu der Bildungsdemonstration initiierten die Freiburger Studierenden mit „Student aufs Land“ eine Informations- und Bildungswerbungskampagne für „bildungsferne Schichten“ in ruralen Gebieten, die bundesweit als Vorbild zur Erschließung von „Bildungsressourcen“ diente, vgl . ebd ., vgl . Ignaz Bender, „Hilfe für ein Stiefkind . Student aufs Land“, in: FSZ 15 (1965), Sondernummer zur Aktion 1 . Juli, S . 7 . Es wurden mehr als 50 Vorträge gehalten . 576 Stefanie Lechner hat die spezifischen Semantiken der bundesweiten Kritik an den Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Neuordnung des Studiums bundesweit untersucht und die stärksten Widerstände bei den Philosophischen Fakultäten festgestellt, vgl . Lechner (2007), S . 112–118, vgl . Bartz (2006), S . 120–122 . 574 575
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5.3.3
Reaktionen auf die Empfehlungen des Wissenschaftsrats
„Der heftigste Streit um die Empfehlungen des Wissenschaftsrates wird in den philosophischen Fakultäten geführt“577 hielt die FSZ im November 1966 auch für Freiburg fest . Als die Empfehlungen des Wissenschaftsrats 1966 und 1967 erschienen,578 stellten sich zwar WRK und KMK hinter sie, in den Philosophischen Fakultäten regte sich hingegen Protest . Die Kritik entzündete sich zunächst an den Empfehlungen zur Neuordnung des Studiums, mit denen der Wissenschaftsrat 1966 eine neue Studienordnung mit gestuften Studiengängen vorlegte . Das Studium sollte in ein vierjähriges berufsbefähigendes Fachstudium und ein zweijähriges Aufbaustudium für wissenschaftliche Nachwuchskräfte gegliedert werden .579 Im Fachstudium sollte die Wissensvermittlung im Vordergrund stehen, im Aufbaustudium die Forschung . Voraussetzung für das Aufbaustudium war der Abschluss des zu vertiefenden oder zu ergänzenden Fachstudiums mit einer mindestens guten Examensnote . Falls sich aus dem Aufbaustudium eine Promotion entwickelte, unterlag es keinen zeitlichen Beschränkungen .580 Daneben sollte die Möglichkeit einer grundständigen Promotion erhalten bleiben .581 Ein „Kontaktstudium“ als kurzes Auffrischungs- bzw . Fortbildungsstudium für Berufstätige vervollständigte das Trio der Studiengänge .582 Der Wissenschaftsrat begründete diese Empfehlung damit, die Studierenden nicht „länger als nötig in der Ausbildung“ fest und von der beruflichen Selbständigkeit fern zu halten .583 Angesichts der Erhöhung der Studienansprüche müsse ein „nach Inhalt und Ziel bestimmtes Maß“ festgelegt werden . Die Entgegensetzung von Bildung und Ausbildung lehnte er wie der Deutsche Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen als „fragwürdiges Erbe der idealistischen Bildungstheorie“ ab .584 Etwa ein Jahr später verabschiedete er die Empfehlungen zum Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen bis 1970 .585 Darin hatte er einen idealtypischen Mindestbestand an Lehrpersonal und entsprechenden Ausbildungskapazitäten einer mittleren Hochschule festgelegt, aufgefächert nach verschiedenen Disziplinen und Stellen .586 Von diesem Grundbestand ausgehend veranschlagte er ohne Berücksichtigung aktueller Studierendenzahlen einen minimalen Ausbau der Philosophischen Fakultäten .
577 578 579 580 581 582 583 584 585 586
Einführung der Redaktion in den Artikel von Baumann (1966), S . 4 . Vgl . Wissenschaftsrat (1966, 1967) . Vgl . Wissenschaftsrat (1966), S . 16, 27, 33 . Vgl . ebd ., S . 30–34 . Vgl . ebd ., S . 32 . Vgl . ebd ., S . 33–34, vgl . S . 29 . Ebd ., S . 9 . Das folgende Zitat ebd . Ebd ., S . 10 . Vgl . Wissenschaftsrat (1967) . Vgl . ebd ., S . 21, 66–106 .
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Hintergrund dieser Empfehlungen waren die rigorosen Sparmaßnahmen des Bundes, der damit auf die wirtschaftlichen Konjunktureinbrüche 1966/67 reagierte . Die vom Wissenschaftsrat geforderten Bundeszuschüsse blieben teilweise aus .587 Bildung rückte auch Mitte der 1960er Jahre in der Förderpolitik des Bundes nicht zum vorrangigen Feld auf .588 In Freiburg demonstrierten Studierende bereits im Februar 1966 erneut für verstärkte Wissenschaftsförderung .589 Der Fakultätsrat lehnte die Vorschläge des Kultusministeriums, die Vorlesungszeit von 12 auf 15 Wochen pro Semester auszudehnen, einstimmig ab .590 Die Professoren wiesen darauf hin, dass Forschung, immerhin „auch um der Lehre willen betrieben“, vorwiegend in den Semesterferien durchgeführt werde und dass sie „im Zeitalter der 40-Stunden-Woche“ im Durchschnitt 68 Stunden pro Woche arbeiteten . Angesichts der steigenden Studierendenanzahl, der Ausdifferenzierung der Fachbereiche sowie des Mehraufwands für die Wissenschaftsorganisation war die professorale Arbeitsbelastung immens . Der nachlassende Widerstand gegen Parallelprofessuren kann somit auch auf deren Entlastungsfunktion zurückgeführt werden . Allerdings hatte diese Überlegung nur bei denjenigen Professoren Chancen, die keine Angst vor Konkurrenz und „Nivellierung“ ihres Status hatten .591 Anderthalb Monate nachdem die Vollversammlung des Wissenschaftsrates die Empfehlungen zur Neuordnung des Studiums verabschiedet hatte, wies der Freiburger Fakultätsrat sie als „Verplanung des Studiums der Geisteswissenschaften“ zurück, die „hinter geschlossenen Türen“ ausgearbeitet worden sei .592 Auf Antrag des Germanisten Baumann beschloss die Fakultät, sich dem Memorandum des Hamburger Professors für Kunstgeschichte Wolfgang Schöne anzuschließen, der den Vorschlag des Wissenschaftsrats als Verrat an der Idee der Universität auffasste .593 Etwas nüchterner, aber streng an Humboldt orientiert, fiel die Stellungnahme Tellenbachs aus, die er den eigenen Freiburger „Empfehlungen zur Neuordnung des Studiums in den Philosophischen Fakultäten“ voranstellte:594 Seine Kritik entzündete sich an dem „erstaunliche[n] 587 Vgl . [o . A .], „Neue Vorschläge zur Studienreform . Der Wissenschaftsrat ersucht den Bund um mehr Geld“, in: BZ v . 31 .01 .1966, vgl . [o . A .], „Universitäts-Institute müssen sparen . Ausbau des Wissenschaftsbetriebs stark abgebremst“, in: BZ v . 24 .01 .1966 . 588 Bundeskanzler Erhard lehnte es ab, konjunkturbedingte Gegenmaßen zu ergreifen und verschärfte damit die Wirtschaftskrise . Gleichzeitig wurden Steuersenkungen eingeführt . 589 Vgl . W . F ., „Mehr Geld für die Wissenschaft . Freiburger Studenten demonstrierten für eine verstärkte Förderung von Wissenschaft und Forschung“, in: BZ v . 25 .02 .1966 . 590 Fakultätsprotokoll v . 27 .05 .1966, in: UA Freiburg Nr . B003/0799, S . 266 . Die folgenden Zitate ebd . 591 Während die Presse durchgehend konstatierte, dass Bund und Länder nicht ausreichend Mittel zur Verfügung stellten, erklärte Tellenbach sie zu großzügigen Gebern und mahnte an, dass den Problemen nicht mit „organisatorischen Maßnahmen oder finanziellem Aufwand“ zu begegnen sei, sondern „allein durch geistige Energie“, Tellenbach (1963[1957]), S . 20–21, vgl . ders ., Gutachten zur Neuplanung einer Hochschule in Baden-Württemberg v . 27 .11 .1961, S . 1–3, in: UA Freiburg Nr . C0157/004, ders ., Studien- und Prüfungsordnungen, in: ebd ., S . 2–3 . 592 Vgl . Fakultätsprotokoll v . 25 .06 .1966, in: UA Freiburg Nr . B003/0799, S . 272 . 593 Vgl . Schöne (1966) . Zu der Kritikwelle seitens der Philos . Fak . vgl . Lechner (2007), Bartz (2006), S . 87 . 594 Vgl . Tellenbach/Mielitz (1966) .
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Widerspruch“ zwischen den „prinzipiellen Auffassungen“ des Wissenschaftsrats und dessen konkreten Vorschlägen . Tellenbach hob zwar zustimmend hervor, dass der neu zusammengesetzte Wissenschaftsrat sich wie seine Vorgänger, zu denen er selbst gehörte, dazu entschieden habe, an der Einheit von Forschung und Lehre und an ihrer Freiheit festzuhalten […], wissenschaftliche Lehre für das Studium allgemein, also in unserem Fall für künftige Gelehrte wie für künftige Lehrer an höheren Schulen zu verlangen […] und Erziehung zu selbständigem kritischen Denken durch Wissenschaft zu fordern […] . Es ist auch bekannt, daß er [i . e . der Wissenschaftsrat] nicht verkennt, daß ‚wissenschaftliche Ausbildung als geistige Formung durch Wissenschaft ein Reifungsprozess‘ ist .595
Die vorgeschlagenen Reformen stellte er jedoch Schritt für Schritt als unrealistisch, widerspruchsvoll und inkonsequent dar . Im Fokus seiner Kritik stand die Begrenzung der Studienzeit auf vier Jahre, die als „schädliche Übertreibung des an sich richtigen Strebens nach Studienzeitverkürzung“ zu „Niveauverlust“ führe . Allerdings lehnte er Studienzeitverkürzungen nicht kategorisch ab, sondern schlug vor, dass sich alle Studierenden zwischen dem 7 . und 10 . Semester zum Staatsexamen, zum Magister oder zur Promotion anmelden sollten . Wer aus langer Erfahrung weiß, wie schwer die Schülermentalität bei vielen Studierenden ohnehin zu überwinden ist, […] kann bei nüchterner Betrachtung nicht übersehen, daß der Vorschlag des Wissenschaftsrates in der Praxis einem Studium entgegenwirken wird, das zu selbständigem Denken und mutigem Entscheiden, zur Entfaltung kritischer Fähigkeiten, zur Gewinnung eines unmittelbaren und wissenschaftlich geklärten Verhältnisses zu den Lebensbereichen führt, denen das Fachstudium gilt .596
Die „vermeintliche Differenzierung“ eines zweistufigen Ausbildungsgangs lehnte er als „einschneidende Uniformierung“ des Studiums und „Zwangsjacke eines normierten Massenstudiums“ ab .597 Er warnte, dass die Reformen die Studienabbruchsquote steigern, Nachwuchsmangel hervorbringen und sich ökonomisch nicht rentieren würden .598 So empfahl er für die Philosophischen Fakultäten die Ausdifferenzierung in ein Anfangs- und ein Hauptstudium, das allen Studierenden in einem „teils geleiteten, teils selbstverantwortlichen Studium“ die Gelegenheit eröffnen sollte, im Grundstudium Fachwissen zu akquirieren und im Hauptstudium die „Fähigkeit selbständiger Kritik“ zu erwerben .599 Wie diese Fähigkeit ausgebildet werden könne, führte er nicht weiter aus, sondern deduzierte sie aus der „alten noch unüberholten Konzeption“ von
595 596 597 598 599
Ebd ., S . 5 . Ebd ., S . 6 . Ebd ., S . 10 . Vgl . ebd ., vgl . S . 33 . Ebd ., S . 17 .
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Bildung, die nicht preisgegeben werden dürfe .600 An Tellenbachs Einleitung schlossen sich eigene Empfehlungen zur Straffung des Studiums an, die bereits 1964 von dem Studienförderungsassistenten Mielitz erarbeitet, dem Fakultätsrat vorgelegt und in einer Kommission weiterentwickelt worden waren .601 Sie zeichneten sich dadurch aus, dass sie die Leistungsansprüche transparent machten, sie in Form eines Studienplans nach Semestern und Fächern ausdifferenzierten und auch den Umfang der Abschlussarbeiten vorgaben .602 Die Freiburger Vorschläge zur Neuordnung des Studiums an Philosophischen Fakultäten unterschieden sich von denen des Wissenschaftsrats durch die Streichung des Aufbaustudiums, die als studienbegleitend konzipierte Zwischenprüfung und die Beschränkung des Studiums auf zehn statt auf acht Semester . In der Novemberausgabe der FSZ erschien eine Rezension dieser von Tellenbach und Mielitz veröffentlichten Empfehlungen603 sowie ein Kommentar zu den Empfehlungen des Wissenschaftsrats von Gerhard Baumann, Professor für NDL .604 Baumann schloss sich Tellenbach an und kritisierte, dass Zwischenprüfungen eine „eigenständige Entfaltung“ der Studierenden verhinderten: Auch „begabte Studenten“ könnten in dem anvisierten Zeitraum die gewünschte intensive Beschäftigung mit dem Stoff „schwerlich leisten“ . Das Studium dürfe nicht auf „bloße Examensvorbereitung“ zugeschnitten, die Universität nicht zur Berufsschule „erniedrigt“ werden . Planung könne für das Studium der Naturwissenschaften und der Medizin angebracht sein – „in den Geisteswissenschaften kann sie keine Bedeutung gewinnen .“ Die Studierenden hinterfragten daraufhin, ob eine solche Akzentuierung der „Akademischen Freiheit“ wie sie die professoralen Stellungnahmen der Philosophischen Fakultät durchzogen „nicht eine zu idealistische Vorstellung“ transportiere bzw . „ein nur kleiner Kreis der Studierenden zum Maßstab gewählt“ werde .605 Die Mehrheit der studentischen Hochschulgruppen argumentierte nicht auf der Grundlage der Idee der deutschen Universität, sondern mit Bezug auf Gesellschaft und Praxis . Zwar schloss sich die „Humanistische Studenten-Union“ (HSU), eine relativ kleine Gruppe um den Philosophiestudenten Hermann-Josef Schmidt,606 dem professoralen Protest an, da sie eine „Verschulung der Universität“ und deren Umwandlung in „Akademikerfabriken“
Ebd ., S . 12 . Das folgende Zitat ebd . Vgl . Fakultätsprotokoll v . 24 .02 .1964, in: UA Freiburg Nr . B003/0799, S . 196 . Mielitz hatte im Vorfeld im Auftrag Tellenbachs eine Studie zur Einführung propädeut . Semester vorgelegt, vgl . Reinhard Mielitz, „Über die Einführung propädeutischer Semester in der Philosophischen Fakultät“, in: ebd ., Nr . C0157/102 . 602 Staatsexamens- und Magisterarbeiten sollten 50 Seiten nicht überschreiten, vgl . Tellenbach/Mielitz (1966) . S . 21, 23, 26, 29 . 603 Vgl . [o . A .], „Freiburger Empfehlungen zur Studienreform: Ist die Zwischenprüfung unnötig?“, in: FSZ 16 no . 6 (1966), S . 5 . 604 Baumann (1966), S . 4–5 . Die folgenden Zitate ebd . 605 Vgl . [o . A .], „Freiburger Empfehlungen zur Studienreform: Ist die Zwischenprüfung unnötig?“, in: FSZ 16 no . 6 (1966), S . 5 . 606 Vgl . G . D ., „Gegen Intoleranz und Fanatismus“, in: FSZ 15 no . 1 (1965), S . 6 . 600 601
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befürchtete .607 Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS), der Sozialdemokratische Hochschulbund (SHB), der Liberale Studentenbund Deutschlands (LSD) und der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) distanzierten sich hingegen von den professoralen Vorschlägen . Bis auf den RCDS identifizierte sich aber auch keine der Hochschulgruppen mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrats . Vielmehr forderten sie eine Erweiterung des Reformprogramms . Solch umfassendere Reformvorschläge legte die Kommission des VDS zur Neugründung von Hochschulen in demselben Jahr vor .608 Ihr Versuch, die „inhaltslos gewordenen traditionellen Bildungsziele der deutschen Universität“ neu und konkret zu füllen, bediente zwar wiederum als argumentatives Leitelement die deutsche Universitätsidee, lud sie aber mit einem engen Praxisbezug und demokratischen Werten auf: Die „Einheit von Forschung und Lehre“ wurde als „kritische Reflektion und rationale Kooperation in der Wissenschaft und ihren beruflichen Anwendungen“ interpretiert und ein Vorschlagskatalog entwickelt, wie die „Fähigkeit zum selbständigen kritischen Studieren“ ausgebildet und sozial integrativ gestaltet werden könne:609 Die Studierenden klagten methodisch reflektierte, in ihrem gesellschaftlichen Kontext situierte, anwendungsorientierte Wissenschaftsformate ein .610 An den Empfehlungen des Wissenschaftsrats kritisierten sie die „zu schmale sachliche Basis“ und befürchteten bezüglich der gestuften Studiengänge, dass „die Forschung einer kleinen Elite“ vorbehalten bleibe . Zudem wiesen sie auf die „Abhängigkeit der Studenten und Assistenten von den Ordinarien“ sowie die „hierarchischen Strukturen und Abhängigkeitsverhältnisse im Lehrkörper“ hin, die eigenständiges Denken konterkarierten und eine „Differenzierung zwischen zwei Ständen von Lehrern an den Hochschulen“ hervorbrachten .611 Der VDS forderte damit eine die Studienreform begleitende Hochschulreform im Sinne einer „inneren Demokratisierung der Hochschulselbstverwaltung, auch im Bereich der Studienorganisation“ .612
Ebd ., S . 8–9 . Die Kommission setzte sich hauptsächlich aus Studierenden der Sozialwissenschaften und der Pädagogik zusammen . Als Verbindungsglied nach Freiburg kann Werner Müller gelten, der in dieser Kommission mitwirkte und gleichzeitig in der FSZ veröffentlichte, vgl . VDS (1966, 1966[1962]) . Weitere Vorschläge nach Verbesserung des Gesellschafts-, Praxis-, und Anwendungsbezugs entwickelte Annette von Tümpling, „Vorschläge für eine neue Lehrerbildung“, in: FSZ 17 no . 1 (1967), S . 7–8 . 609 VDS (1966), S . 4 . Die VDS-Kommission empfahl die Förderung methodischer Kompetenzen und Praxisnähe, verbesserte Betreuungsrelationen, Gruppen- und Teamarbeit zur Intensivierung des Studiums, Möglichkeiten der Studienverlängerung aufgrund von Auslandsaufenthalten, sozialen Engagements oder finanzieller, sozialer oder anderer Einschränkungen . Er forderte eine kostendeckende Studienförderung, transparente Leistungskriterien, Einführungsprogramme, Hochschuldidaktik, die Anerkennung individueller Anteile an wissenschaftlichen Gruppenarbeiten als Abschlussarbeiten sowie die Möglichkeit, wissenschaftliche Publikationen als Habilitationen anerkennen zu lassen, ebd ., S . 8 . 610 Vgl . ebd ., S . 8 . Das folgende Zitat ebd . 611 Ebd ., S . 6 . 612 Ebd ., S . 5, vgl . S . 6 . 607 608
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Eine Umfrage unter den Studienanfänger_innen der Philosophischen Fakultät kam ein Jahr später zu dem Ergebnis, dass 17 % „ein völlig freies Studium anstrebten“, 10 % sich für „strikte Verschulung“ aussprachen und 71 % einen „Mittelweg […] von intensiver Studienberatung bis zu häufigen Zwischenprüfungen“ wünschte .613 79 % drangen darauf, die „Überfüllung“ durch „Vermehrung von Raum und Lehrkräften“ abzufedern .614 Allerdings wurden durch die Befragungen von Erstsemestern nicht studentische Erfahrungen, sondern die Vorstellungen von Studienanfänger_innen abgefragt .615 Angesichts der Legitimationsbezüge, die sich reduziert auf die Formel „Praxis- und Gesellschaftsbezug bei den Studierenden – Erfahrung und elitäres Universitätsideal bei den Professoren“ bringen lassen, konnte kaum von einer „Front“ gegen die Empfehlungen des Wissenschaftsrats die Rede sein, die „viele Professoren und Studenten in sonst ungewohnter Einigkeit“ verbinde .616 Der Physikprofessor Christoph Schlier (1930–2018) führte die Einwände der Studierenden und Professoren auf konträre Motive zurück . Während er bei den Studierenden vermutete, dass ihnen die Reformvorschläge des Wissenschaftsrats nicht weit genug gingen, nahm er bei den Professoren eine Obstruktionshaltung an . Baumanns Stellungnahme aufnehmend bemerkte er, dass Planung dem „eigenständigem Denken“ nicht per se entgegenwirke und es schließlich auf die konkrete Ausarbeitung der Studienpläne ankomme: Um es anders auszudrücken: Wer mit Humboldt der Meinung ist, die Universität sei dazu da, ‚daß der junge Mann (sic) zwischen der Schule und dem Leben eine Anzahl von Jahren ausschließlich dem wissenschaftlichen Nachdenken widme‘, der kann gar nicht anders, als die Empfehlungen abzulehnen .
Seine Aufforderung, die Philosophische Fakultät möge ihrer Ausbildungsaufgabe nachkommen und „der Gesellschaft in genügender Zahl qualifizierte junge Menschen zur Verfügung“ stellen, zeigt, dass der Rekurs auf die Idee der Universität mittlerweile nicht mehr in allen Fakultäten als Legitimationsgrundlage diente: Mitte der 1960er Jahre war Humboldt kein gesamtuniversitäres, sondern ein spezifisches Argumentationsmuster der Philosophischen Fakultät . Die durchaus technokratische und offen abgrenzende Haltung des Physikers lässt sich nicht allein auf seine Zugehörigkeit zur Naturwissenschaftlich-Mathematischen Fakultät zurückführen, sondern überschnitt sich auch mit seiner Zugehörigkeit zu einer neuen Professor_innengeneration . „Nichts wäre riskanter als die Verschleierung der Verhältnisse und der Aufschub der jetzt schon möglichen Lösungen“, betonte so auch der Göttinger Reformpädagoge Hartmut von HenMielitz (1967), S . 104 . Ebd ., S . 104 . Der Fragebogen sah die Option „mehr Professuren“ nicht vor, sondern beschränkte sich auf „1 .) Neugründungen, 2 .) mehr Dozenten, Lektoren usw ., 3 .) Zulassungsbeschränkungen, 4 .) Konzentration des Studiums, 5 .) Zwangsimmatrikulation, 6 .) Sonstiges, 7 .) keine Angabe“, vgl . ebd ., S . 78 . 615 So hatten sich in der Umfrage zur Lage der Studentinnen 12 Jahre vorher mehr als 85 % der Studentinnen d . Philos . Fak . für Studieneinführungen und Zwischenprüfungen ausgesprochen, vgl . Kap . 3 .2 .4 . 616 Christoph Schlier, „Logik der Studienreform“, in: FSZ 7 no . 2 (1967), S . 11 . Die folgenden Zitate ebd . 613 614
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tig (*1925) in seinem Vorwort zu Mielitzs empirischer Untersuchung der Situation der Erstsemester an der Philosophischen Fakultät 1967 .617 „Die Untersuchung von Mielitz zeigt, was alles möglich ist – möglich gerade weil es mit den Vorstellungen der traditionellen Philosophischen Fakultät von sich selbst nicht bricht .“ Obgleich bruchlos, führte der Generationswechsel an der Philosophischen Fakultät für die hochschulpolitischen wie auch für die wissenschaftlichen Entwicklungen einen Umschwung herbei . Für die generationelle Kontinuität steht etwa der jüngere NDL-Professor Baumann, der ganz ähnlich wie die ältere Generation mit idealistischer Krisenrhetorik argumentierte . Aber auch Mielitz arbeitete als jüngerer Angehöriger des Mittelbaus eng mit Tellenbach zusammen und gab 1963 dessen Schriften und Reden heraus .618 Woran lässt sich also die Differenz zwischen zwei Generationen festmachen, die durchaus ähnlich argumentierten und auch eng zusammenarbeiteten? Mielitz hatte gemeinsam mit Tellenbach die Freiburger Stellungnahme zu den Vorschlägen des Wissenschaftsrats samt eigener Empfehlungen publiziert und veröffentlichte kurz darauf eine eigenständige Studie zur Philosophischen Fakultät .619 Er grenzte sie von den vorhergehenden Vorschlägen ab, da jene „nur auf Erfahrungen beruhten und nicht durch unwiderlegbare Zahlen gestützt wurden .“620 Zwar enthielt er sich weitgehend der Reflexion und Interpretation des nun vorgelegten empirischen Datenmaterials . Dennoch wurde mit seiner Studie zur Situation der Studienanfänger_innen deutlich, dass es sich bei der Philosophischen Fakultät nicht um eine Elite-, sondern um eine Aufstiegsfakultät handelte . Wie bereits die empirische Studie von Sontheimer 1954 eruiert hatte, wiesen auch Mielitz’ Umfrageergebnisse darauf hin, dass die Studierenden äußerst berufszielorientiert vorgingen, insbesondere die ersten Semester aber von Informationsmangel und Desorientierung geprägt waren . Ohne sich explizit vom idealistischen Krisendiskurs abzugrenzen, führten diese Studien Reformnotwendigkeiten auf der Grundlage empirischem Datenmaterials vor Augen . Der damit verbundene Umschwung der Argumentationsmuster manifestiert sich auch in der Kritik des Dekans Franz H . Link,621 der sich gegen die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zum Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen bis 1970 wandte .622 Als Angehöriger der neuen Professor_innengeneration der Dynamisierten Generation, die 1967 bereits die Mehrheit des Fakultätsrats stellte, (vgl . Abb. 17, vgl . Tab. 10)
617 Hentig (1967), S . 5, 6 . Das folgende Zitat ebd . 618 Tellenbach/Mielitz (1966), vgl . Mielitz (1963) . 619 Vgl . Mielitz (1967) . 620 Ebd ., S . 11 . Die Euphorie über den Erkenntniswert
quantitativer Studien demonstriert eindrücklich die Hinwendung zu sozialwiss . Methoden . Allerdings spiegelt sich darin auch ein geringer Grad an Reflexion über den Aussagewert dieser Zahlen, wenn etwa mit der Befragung von Studienanfänger_innen zu ihrer Einschätzung des Studiums deren geringe Erfahrungswerte und somit eher Projektionen abgefragt wurden . 621 Franz H . Link (1924–2001) hatte 1950 in Frankfurt a . M . promoviert, 1960 dort habilitiert und war 1962 auf die Professur für Anglistik/Amerikanistik berufen worden . Er war bis 1989 Professor in Freiburg . 622 Vgl . Link/Wittke (1968) .
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legte Link eine gemeinsam mit dem Fakultätsassistenten Wittke erarbeitete Kapazitätsberechnung vor .623 Darin ermittelten sie die Frequenz der „Massenfächer“ der Philosophischen Fakultät durch direkte Erhebungen sowie die Berechnung der Betreuungsrelation anhand der Studienfälle .624 Daraus ergab sich, dass die Studienfälle in der Germanistik, Anglistik, Romanistik und Geschichte das Drei- bis Vierfache der vom Wissenschaftsrat veranschlagten Ausbildungskapazitäten erforderten .625 Auf empirischer Basis demonstrierten sie die „Diskrepanz zwischen den Ausbauvorschlägen“ des Wissenschaftsrats und den „faktischen Verhältnissen“ und forderten die Einrichtung neuer Stellen .626 Anders als Tellenbach oder Baumann argumentierte Link nicht auf der Grundlage eines Bildungsideals, sondern mit empirisch erhobenen Daten .627 Dass der Einsatz empirischen Materials dem Argumentationsmuster Humboldt in der Legitimation universitärer Reformvorschläge nun vorgezogen wurde, unterscheidet paradigmatisch die Dynamisierte Generation ( Jg . 1911–35) von der Krisengeneration ( Jg . 1886–1910) . Wie am Beispiel Baumanns sichtbar wurde, gab es dabei allerdings durchaus Ausnahmen: Die Dynamisierte Generation sicherte teils Kontinuitäten, teils öffnete sie sich für neue Methoden . Diese neue Pluralität stellt ein wichtiges Kennzeichen der Dynamisierten Generation dar . 1967 markiert somit nicht das Jahr, in dem die Idee der Universität als Legitimationsbasis für Reformen mit einem Mal einbrach, jedoch ging der sukzessive Generationswechsel mit neuen Kooperations- und Argumentationsformen einher, an denen sich ein Wandel ablesen lässt: Der idealistischen Ausrichtung wurden offensiv neue, pragmatische und anwendungsbezogene, teilweise auch demokratische Auffassungen von (Aus-)Bildung hinzugefügt . Die Krisengeneration der Philosophischen Fakultät hatte in der Nachkriegszeit bis weit in die 1950er Jahre hinein empirische Forschung als positivistisch zurückgewiesen und sich auf Normen und Ideale als Legitimationsgrundlagen zurückgezogen . Während für die 1950er Jahre am Beispiel Tellenbachs und Bergstraessers bereits Modernisierungsprozesse ausgemacht werden konnten, traten die Grenzen der moderierenden Balance zwischen „Tradition und Neugestaltung“ in den 1960er Jahren deutlich zutage . Obgleich sich die Studierenden durchaus an ihren Professoren orientierten, wenn sie eine Umsetzung der von diesen übernommenen Ideale einforderten, ging den Professoren der Krisengeneration ein weiterer Schritt im Lernprozess der Modernisierung, Liberalisierung und Demokratisierung zu weit . Bei den jüngeren Professor_innen stellte sich hingegen – möglicherweise verstärkt durch
Dietrich Wittke, geb . 1937, war seit 1966 Fakultätsassistent, vgl . Scholz (2001), S . 20 . Während Link/Wittke Studienfälle durch die Summe aller Studierenden im ersten und zweiten Hauptfach sowie 75 % aller Nebenfach-Studierenden berechneten, verdoppelte der Wissenschaftsrat die Anzahl der Studierenden im ersten Hauptfach zur Berechnung der Studienfälle . 625 Vgl . Link/Wittke (1968), S . 77 . 626 Ebd ., S . 74, vgl . Kap . 3 .1 .3 . 627 Fakultätsprotokoll v . 21 .10 .1967, in: UA Freiburg Nr . B003/0799, S . 344 . 623 624
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die Rezession und die vom Kultusministerium angekündigten Kürzungen 1966/67628 – allmählich ein Bewusstsein für Öffentlichkeit und den heuristischen Wert von Statistik ein . Mit der wachsenden Orientierung an internationalen Universitätsmodellen, den Sozialwissenschaften sowie gesellschaftlichen und öffentlichen Anforderungen, teilweise auch durch die Aufarbeitung ihrer Funktionalisierung wurde indes die Idee der deutschen Universität vermehrt als impraktikabel, isolierend und elitär kritisiert . An den Auseinandersetzungen um die Empfehlungen des Wissenschaftsrats zeichnet sich ab, dass die Legitimationsgrundlage Idee der Universität ihre hegemoniale Deutungsmacht 1966/67 auch an der Philosophischen Fakultät zunehmend verlor . Dagegen gewannen praxis- und anwendungsorientierte Argumentationsmuster an Gewicht, insbesondere, wenn sie durch empirische Studien gestützt wurden . 5.3.4
Pluralisierung der Krisenformate und Selbstverständnisse
So sind denn auch die alten Fronten auf einmal durcheinander geraten – zwischen Konservativen und Fortschrittlichen, großen und kleinen Fächern, Taktikern und Strategen . Es ist auch gar nicht leicht auszumachen, wo jeweils der „reaktionäre“ oder der „radikale“ Feind steht .629
Im Zuge der Auseinandersetzungen zu Beginn der 1960er Jahre differenzierten sich die Krisenformate, die Vorstellungen einer Universitätsreform und die Selbstverständnisse aus . Zunächst entwickelten die Studierenden verstärkt ein Gruppenbewusstsein, das sich nicht mehr ohne aktive Mitgestaltung für universitäre Entscheidungsprozesse vereinnahmen lassen wollte . Damit verschob sich das Streben nach einer „Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden“ von einer „Einheit“ zu einer potenziellen Kooperation . Mit der Partizipationsfrage brachen aber die homogenisierenden universitären Identitätskonzeptionen sukzessive auf, konkretisierten und pluralisierten sich . Die Vielfältigkeit universitärer Identitätsentwürfe brachte wiederum neue Bündnisse und Partialisierungen entlang verschiedener Achsen hervor . So lehnte bspw . die Nichtordinarienversammlung in Freiburg am 21 . Dezember 1967 die Drittelparität „unbedingt ab“, weil sie nicht als Teil des Mittelbaus, sondern als habilitierte Nichtordinarien vertreten sein wollten .630 Andererseits arbeiteten Studierende und Mittelbau teilweise eng zusammen . Schließlich führte auch die „eigentümliche Verquickung von rationaltechnokratischen und demokratisch-emanzipativen Impulsen“ zur Förderung neuer Gruppenarbeitsformen . Besonders beliebte und innovative Lehrformate, die partiziVgl . Müller (1982), S . 66, vgl . zu den schwerwiegenden Kürzungen im Haushaltsjahr 1967 das Fakultätsprotokoll v . 25 .02 .1967, in: UA Freiburg Nr . B003/0799, S . 314 . 629 Hentig (1967), S . 5–6 . 630 Beschluss der Nichtordinarienversammlung der Philos . Fak . v . 21 .11 .1967, in: UA Freiburg Nr . B003/816 . 628
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pative Teamarbeit praktizierten, waren die sich damals neu entwickelnden „KLv“, die Koordinierten Lehrveranstaltungen in der Germanistik .631 Die Professor_innen der Dynamisierten Generation wurden unterschiedlich vom Wandel erfasst und vollzogen ihn in verschiedenem Maße nach . Wie Zmarzlik hervorhob, betrachteten sie sich dabei als Teil einer „Zwischengeneration“: Die älteren haben ein besseres Gewissen, die Jüngeren weniger Skrupel . Und die einen wissen genau, was die anderen falsch gemacht haben . Aber viel mehr wissen sie voneinander nicht . Der Zwischengeneration bleibt die Chance, trotz allem, was nach beiden Seiten hin trennt, zwischen gestern und morgen zu vermitteln .632
Die Übergänge der Krisengeneration zur Dynamisierten Generation sind fließend, es kam zu keinem „Clash“ der Generationen: Generationszusammenhänge sind keine starren, antagonistischen, sondern idealtypisierende Narrative zur lebensgeschichtlichen Markierung von Veränderungen auf verschiedenen Ebenen . So hielten einige der Professoren der Dynamisierten Generation an idealistischen Argumentationsmustern fest, andere am geistesaristokratischen Habitus, dritte an elitären Universitätsvorstellungen – diese wurden aber nicht mehr zwingend aneinander gekoppelt . Die folgende Professor_innengeneration reagierte uneinheitlich auf die Frage der Hochschulreform . Ein kleiner Teil der neuen Generation war wie Zmarzlik, Eggebrecht, Sangmeister und später Hans-Peter Herrmann (*1929) und Ute Guzzoni (*1934) in „emanzipatorischer Absicht“ unterwegs .633 Während so einige der Professor_innen mit den Studierenden sympathisierten, gründeten andere den Bund Freiheit der Wissenschaft, der durch seine Öffentlichkeitsarbeit dazu beitrug, in SPD-regierten Ländern durchgeführte Reformen rückgängig zu machen .634 Viele rückten im Zuge ihrer Konflikte mit den Studierenden von modernen und moderaten Ansätzen ab und bevorzugten wieder traditionell-elitäre Positionen wie bspw . Franz H . Link,635 Gerhard Kaiser636 oder Wilhelm Hennis, vormals SDS-Mitglied, 1970 aber Mitbegründer des Bundes Freiheit der Wissenschaft .637 Auch vergangenheitsorientierte Typen wie Baumann, „der große Ästhet“ lassen sich ausmachen, oder aber reflektierte wie der „progressive Popitz“ .638 Verschiedene Abstufungen und Hybride finden sich wie etwa Gottfried Schramm, der zwischen den Stühlen saß . Bei Dieter Oberndörfer und Kurt Sontheimer kristallisierte
Herrmann (2005), S . 91 . Vgl . für die Geschichtswissenschaft Zmarzlik (1970c), für die Psychologie Basisgruppe des Psychol . Instituts, „Studienreform oder Institutsrevolte“, in: FSZ 18 no . 8 (1968), S . 16–18 . 632 Zmarzlik (1970b), S . 15 . 633 Zmarzlik (1970b), S . 14 . 634 Vgl . Wehrs (2014a, 2014b) . 635 Vgl . Siegfried de Witt, „‚Die Ostasiaten‘ . Prof . Dr . Link, ‚Studenten-Dekan‘ der Philos . Fak . und ehemaliges SDS-Mitglied, im Hearing vor dem Landtag am 04 .03 .1968“, in: FSZ 18 no . 3 (1968), S . 4 . 636 Vgl . Interview mit Hans Peter Herrmann am 08 .08 .2011 . 637 Vgl . Hennis (1969), vgl . das Interview mit Wilhelm Hennis am 12 .05 .2011 . 638 [O . A .], „Das Gesicht des Professors“, in: FSZ 1 (1969), S . 9 . Das folgende Zitat ebd . 631
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sich im Laufe der 1960er Jahre mit dem Aufkommen einer „dezidiert linken Kulturkritik“ der „Verlust einer genuin kulturkritischen Perspektive“ als „grundlegende Differenz“ zu ihrem Lehrer Bergstraesser heraus .639 Mit dem Generationswechsel brachen die von der Krisengeneration mühsam aufrecht erhaltenen Homogenitätspostulate der Philosophischen Fakultät auf . Die neue Pluralität der Dynamisierten Generation, die sich auch in den abweichenden Haltungen den Studierenden gegenüber zeigt, wurde von einem Diskurswandel begleitet, der auch empirische, vormals als „positivistisch“ abgelehnte Argumentationsmuster erlaubte und honorierte . Gleichzeitig entwickelte sich ein Bewusstsein für die Differenzen der Fakultäten und Fächer . Humboldt wurde als spezifisches Ideal der Philosophischen Fakultät sichtbar . Die anderen Fakultäten grenzten sich zunehmend davon ab; in den großen Fächern brach sich ein neues methodisches und didaktisches Bewusstsein Bahn . Unter der Oberfläche hatten sich längst neue Ansätze, Perspektiven und Herangehensweisen etabliert . Bis in die 1960er Jahre waren sie aber durch idealistische Krisenrhetorik in Abrede gestellt, geleugnet und eingehegt worden . Die Infragestellung tradierter Perspektiven und Identitätsvorstellungen entwickelte sich vor dem Hintergrund konkreter institutioneller Probleme im universitären Expansionsprozess . Der Rückbezug auf traditionelle Normen, Deutungsschemata und Copingstrategien als Abgrenzung zum Nationalsozialismus wurde problematisch durch die moderne, mit traditionellen Maßnahmen nicht einzuhegende institutionelle Herausforderung des Frequenzanstiegs . An den Widersprüchen zwischen angestrebtem Ideal und institutioneller Entwicklung entzündeten sich die Grundsatzdiskussionen um Partizipation und Universitätsreform . Das Unvermögen der Akteure, ein Universitätsmodell einzuführen, das dem eigenen Selbstverständnis und der neuen Situation entsprach, führte zum Einbruch idealistischer Definitionsmacht an der Philosophischen Fakultät . Das Selbstverständnis entsprach den Umständen nicht mehr und musste überholt werden . Dieser Prozess wurde dadurch eingeläutet, dass die Krisenrhetorik von anderen Seiten angeeignet wurde: Die Krise der Universität wurde nicht mehr allein auf einen Mangel an Traditionen, Idealismus und Geistesaristokratie zurückgeführt, sondern auf einen Komplex konkreter Missstände . Gesellschafts- und Praxisbezug sowie die Berücksichtigung moderner, wirtschaftlicher, sozialer und demokratischer Entwicklungen wurden gefordert . Die Krisenrhetorik verschob und pluralisierte sich dadurch . In den 1960er Jahren stand das Label der „Überfüllungskrise“ nicht mehr für das Schreckbild des „Akademikerproletariats“ und somit gegen die Öffnung des Universitätszugangs . Stattdessen wurden schlechte Betreuungsrelationen angeprangert . Die Rede vom wirtschaftlich, liberal und demokratisch begründeten „Bildungsnotstand“ 639 Schmitt (1995), S . 205, 207 . Während Sontheimer bereits die antidemokratischen Implikationen des Kulturkonservatismus erforschte, war das bei Dieter Oberndörfer zu Beginn der 1960er Jahren noch nicht der Fall, vgl . Sontheimer (1962), Oberndörfer (1961) .
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Krisenrhetorik, Wissenschaftsorganisation, Öffentlichkeit
plädierte für eine fortgesetzte Universitätsexpansion und nahm der idealistischen Krisenrhetorik den Wind aus den Segeln . Mit der Verschiebung der Krisenrhetorik korrespondierten abweichende Definitionen der Krise, neue Argumentationsmuster und Legitimationsgrundlagen sowie veränderte Bezüge zu Gesellschaft und Öffentlichkeiten . Reformvorschläge gingen allerdings nicht von der Philosophischen Fakultät aus, sondern wurden vorwiegend von außen an sie herangetragen . Gesellschaftliche Forderungen an die Geisteswissenschaften im Zuge der Universitätsexpansion sprengten die seit Beginn des Jahrhunderts tradierten idealistischen Legitimationsstrategien . Der Käfig, in den die Krisengeneration die Geisteswissenschaften methodisch und hochschulpolitisch zur Sicherung ihres Status’ gesperrt hatten, öffnete sich Mitte der 1960er Jahre . Der Paradigmenwechsel fand insbesondere in Form sozialwissenschaftlicher Methoden Eingang in die Philosophische Fakultät . Mit dem sich in den 1950er Jahren durchsetzenden Bewusstsein der Notwendigkeit von Modernisierungsprozessen bröckelte das Tabu, das zumindest pro forma über „positivistische“ Ansätze verhängt worden war . Mit der Hinwendung zu sozialwissenschaftlichen Ansätzen und Öffentlichkeiten, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit noch als „Positivismus“ und „Popularisierung“ mit dem NS bzw . Totalitarismus gleichgesetzt worden waren, brach auch die imaginäre Abgrenzungsgrundlage der Universitäten vom NS ein .640 Gepaart mit dem gesellschaftlichen Bedürfnis nach Transparenz wurden neue Fragen gestellt, neue Perspektiven gesucht . Ein methodischer und didaktischer Innovationsschub setzte in Forschung und Lehre ein, begleitet von universitären Reformdiskussionen . Das ist eine neue Lage . Sie fordert dazu heraus, das Bild unserer Vergangenheit und den Entwurf unserer Zukunft mit neuen Augen zu sehen . […] Was tun, damit die Wissenschaft von der Geschichte mithelfen kann, unsere Gegenwart auf die Zukunft hin zu öffnen? Was tun, um den wirklichen Möglichkeiten einer demokratischen Gesellschaft die Chance zu geben, sich zu realisieren?641
An die Stelle der idealistischen Verdrängung traten Fragen, die erneut im Krisenformat ausgehandelt wurden . „Es war die Krise des westdeutschen Bildungssystems, es war die Krise der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft“642 und diese Krise wirkte in ihrer neuen Transparenz befreiend, in ihrer Pluralität verbindend, in der Eröffnung neuer Möglichkeiten mobilisierend . Mit der partiellen Ablösung der Geisteswissenschaften von ihren idealistischen Grundlagen und der Hinwendung zu neuen,
640 Sozialhistorische Forschungen zu NS-Eliten erwiesen die von der Krisengeneration popularisierten Bilder von Nationalsozialisten als „Sadisten“, „Außenseiter“ oder „primitive“, proletarische Massenbewegung als funktionale Mythen vgl . Kap . 5 .1 .2, vgl . Herbert (2004) . 641 Zmarzlik (1970b), S . 13, vgl . Herrmann (2005), S . 105 . 642 Herrmann (2005), S . 100 .
Die Krise im Wandel. Die Dynamisierungsphase 1960–67
sozialwissenschaftlichen und psychologischen Fragen wurden neue Gesellschaftsbilder entworfen, die „in ihrer Vielstimmigkeit – didaktisch, methodisch oder ideologiekritisch orientiert – ein Krisenbewußtsein widerspiegeln“, das auf Alternativen zu idealistischen Legitimationsstrategien drang .643 Damit begann eine Zeit der zunehmenden „Versozialwissenschaftlichung“ der geisteswissenschaftlichen Fächer sowie einer Reflexion der „Machtförmigkeit theoretischer Konzepte und geistiger Gebilde“,644 die in der Verschränkung von Krise und Idealismus ihre elitäre Ausrichtung verschleierte . Auch in universitären Reformprozessen war 1967 klar, dass die „Frage heute nicht mehr heißt, ob, sondern nur noch wie die Reform des Studiums in den philosophischen Fakultäten durchgeführt“ werden sollte .645 Die Erweiterung idealistischer um sozialwissenschaftliche Argumentationsmuster beförderte reformbejahende Einstellungen und pluralisierte die Möglichkeiten .
643 644 645
Turk (1971), S . 7 . Horst Turk war zu diesem Zeitpunkt Assistent bei Gerhard Kaiser . Herrmann (2005), S . 104 . Mielitz (1967b), S . 11 .
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6.
Die Krise der Elite als Chance der Geisteswissenschaften
Zum Zerfall alter, für die neuen Aufgaben unbrauchbarer Verhaltensweisen gehört aber notwendig auch der Zerfall alter Ideale . Ideen sind nicht etwas von der Situation Unabhängiges, in uns Eingeblasenes und Höheres, sondern sie werden und wachsen mit den neuen Situationen . […] Was wir in der geistigen Betrachtung als eine Krise der Ideen erleben, ist in Wirklichkeit nur eine Widerspiegelung der vielen geistig-seelischen Neueinpassungsprozesse von Menschen, die in neue Lebenslagen geraten .1
Karl Mannheim (1893–1947) betonte bereits 1933, dass „geistige Krisen“ ein Bestandteil sozialen Wandels sind und wies darauf hin, dass das Festhalten an als überzeitlich imaginierten Ideen neuen Gegebenheiten nicht immer gerecht wird . Dem widersprachen seine Altersgenossen an der Philosophischen Fakultät Freiburg in der Zweiten Nachkriegszeit und setzten nach wie vor zeitunabhängige „Urbilder“ und allgemeine „Ideen“ als „Wesen“ den historisch und kontextuell spezifischen „Erscheinungen“ voraus .2 Diese Arbeit stellte sich die Aufgabe, die Spannungsverhältnisse zwischen institutionellen und repräsentativen Entwicklungen, zwischen empirischer „Realgestalt“3 und normativem Idealbild der Philosophischen Fakultät Freiburg im Zeitraum 1945– 67 historisch konkret auszuloten . Was also hatte die illusio mit der Sozialstruktur der Professoren, was ihre Krisenrhetorik mit dem Strukturwandel der Philosophischen Fakultät zu tun? Die Wechselwirkungen zwischen strukturellen Wandlungsprozessen und dem für jene Professorengeneration typischen Selbstverständnis, in dem sich Wissenschafts-, Universitäts- und Gesellschaftsauffassungen verbanden, gestalteten sich vielfältig . Im Zentrum der Analyse stand die Krisengeneration der Jahrgänge 1886 bis 1910 an der 1 2 3
Mannheim (2004[1933]), S . 598–600 . Friedrich (1972[1956]), S . 54, vgl . Friedrich (1956), S . 48 . Paletschek (2001a), S . 1 .
Die Krise der Elite als Chance der Geisteswissenschaften
Philosophischen Fakultät Freiburg . Dabei handelt es sich um eine Gruppe weißer, vorwiegend deutscher, teils auch in der Habsburgermonarchie geborener Männer aus größtenteils akademischen Beamtenhaushalten, konfessionell durchmischt mit einem Überhang an Protestanten . Die wissenschaftsorganisatorischen Handlungsspielräume der Professoren waren eng mit ihren Professuren, Fächern, Netzwerken sowie den Positionen verknüpft, welche die Professoren während des NS vertreten hatten . Ihre Lehrstühle wiesen den Professoren jeweils einen eigenen Spielraum und bestimmte Funktionen innerhalb der Professorengruppe zu . Diese spezialisierte Aufgabenteilung diente dazu, fakultätsintern Konkurrenz zu vermeiden . Sie erwies sich allerdings in ihrer Tendenz zur monokratischen Ausrichtung der Fachbereiche auf einen Professor mit Zunahme der Studierendenanzahl und der wissenschaftsorganisatorischen Anforderungen als innovationshemmend . Mit der Expansion der Philosophischen Fakultät wurden Formen der spezialisierten und kooperativen Arbeitsteilung notwendig . Die Professoren begriffen sich allerdings nicht als ein Team oder Kollektiv, sondern als individuelle „Persönlichkeiten“ und Geistesaristokraten . Die illusio, das feldspezifisch charakteristische Merkmal dieser Professorengeneration, bestand in einem idealistischen Krisendiskurs, der eng mit ihren vorwiegend bildungsbürgerlichen Prägungen zusammenhing . Die Anrufung der „Krise“ und das Bekenntnis zu Humboldt stellte, wie sich auch am Beispiel des Kultursoziologen und Politikwissenschaftlers Bergstraesser zeigt, ein verbindendes Wahrnehmungsmuster und die Eintrittskarte zum Kreis der Professoren der Philosophischen Fakultät dar . Zwar zeichneten sich diejenigen, die abweichende Sozialisationsmuster aufwiesen und intensiven Kontakt zu anderen Fakultäten pflegten, durch eine größere Offenheit für Neuentwicklungen aus . Alle waren jedoch mit dem Krisendiskurs der Zwischenkriegszeit sozialisiert worden, der die Bildungsbeteiligung breiterer Bevölkerungsgruppen als „Popularisierung“ im Sinne einer „Verflachung“ und „Entwertung“ der Bildung angeprangert hatte .4 Als Professoren fassten nun auch sie die Demokratisierung von Bildung und Kultur durch Akademisierungsprozesse als Entwicklung zu einer „Massenuniversität“ auf herabgesetztem Niveau auf und nutzten idealistische Krisenrhetorik als Strategie der Wahrnehmungsbeeinflussung und -lenkung . Mit Rekurs auf die Idee der deutschen Universität nahmen sie Einfluss auf die „Krise“ und die Gestaltung der Universitätsreformen jener Zeit . Idealistische Krisenrhetorik erfüllte als öffentlichkeitswirksame Argumentationsstrategie die Funktion, die in der Gesellschaft empfundenen Krisen aufzufangen, geistesgeschichtlich einzubetten und Strukturveränderungen abzuwehren . Während der Begriff „Krise“ in den Fakultätsprotokollen nicht auftaucht,5 ist er in den öffentlichen Repräsentationen der Philosophischen Fakultät omnipräsent . So reagierten die Professoren auf den SystemVgl . Titze (1989), S . 220–224 . Die einzige Ausnahme stellt der Name der Habilitation von Richard Vonessen „Die Logistik als Krisenerscheinung der Logik“ dar, vgl . Fakultätsprotokoll v . 17 .11 .1956, S . 16, in: UA Freiburg Nr . B003/799 . 4 5
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Die Krise der Elite als Chance der Geisteswissenschaften
wechsel 1945 wie auch auf das in den 1950er Jahren einsetzende Frequenzwachstum mit einem kontinuierlichen, an die veränderten Umstände jeweils angepassten Krisendiskurs . Gegen die jeweilige „Krise“ wurde die „Selbstbehauptung“ gesetzt, welche die anstehenden Reformen auf normative Idealbilder zuschnitt, die nicht in Bezug auf eine Demokratie, sondern das Kaiserreich entwickelt worden waren . Chronologisch nach Phasen geordnet zeichnet sich im Laufe der Jahre 1945 bis 1967 eine Serie multipler Spannungs- und Wechselverhältnisse zwischen Ideal und Sozialgestalt der Philosophischen Fakultät ab, die als Krisen diskutiert und jeweils unterschiedlich gelöst wurden . 6.1
Restaurative Rekonsolidierung: Idealistische Umdeutung des NS 1945–52
In der unmittelbaren Nachkriegszeit sahen sich die Professoren der Philosophischen Fakultät vor die Aufgabe gestellt, das Verhältnis der Geisteswissenschaften, der Universität und darüber hinaus auch der gesamten Nation zum NS zu erklären, ihren Fortbestand zu legitimieren und die eigene Verhandlungsposition apologetisch zu stärken . „Professorale Vergangenheitssucher“,6 in Freiburg in erster Linie Gerhard Ritter, griffen dabei auf die Krisenrhetorik der Ersten Nachkriegszeit zurück . Bis auf die Anmerkungen von Tellenbach über Holocaust und die Aktion T4,7 welche er umfassend in die Krisenrhetorik einbettete, wurden damit die Entwicklungen der vorangegangenen zwölf Jahre ausgeblendet und eine Aufarbeitung des NS hinausgeschoben . Vielmehr beherrschte das 1945 zur Prophezeiung stilisierte Narrativ der „Krise der Moderne“ das geisteswissenschaftliche Selbstverständnis . Im Anschluss an den kulturpessimistischen Diskurs der Zwischenkriegszeit machten die Geisteswissenschaftler eine durch moderne Entwicklungen ausgelöste Krise nun für den NS insgesamt und speziell für die Einbindung der Universitäten in den NS verantwortlich . Gegen die kulturelle Moderne, die empirische Forschung („Positivismus“), Demokratisierung der Bildung („Bildungskrise“), Säkularisierung („Entgottung“) und Kritik („Skeptizismus“) forderten sie mit Rekurs auf Humboldt, Goethe und die christlichen Wurzeln des Abendlandes die „Rückkehr“ zu einer idealistischen Glaubenshaltung als Grundlage von Geisteswissenschaften und damit zu einem elitären Universitätssystem . Mit ihrer Interpretation des NS als „Aufstand der Massen“ kreierten die geisteswissenschaftlichen Professoren das eindimensionale NS-Bild eines „primitiven“ und „positivistischen“ Systems, von dem sie sich problemlos abgrenzen konnten . Während die heutige Forschung diese Entgegensetzung von NS und Kulturkonservatismus einschließlich des Bezugs auf Humboldt und die neuhumanistischen Ideale zugunsten
6 7
Langewiesche (1992), S . 376 . Zur Aktion T4 siehe Kap . 5 .2 .1, Anm . 61 .
Institutionelle Modernisierung unter traditionellen Vorzeichen 1953–59
einer „Unschärferelation“ verwerfen muss,8 wurden damals eben diese Ideale als Ausweis der NS-Opposition aufgebaut . Der „Neuanfang“ bestand darin, die Diskurse der Ersten Nachkriegszeit zu wiederholen, die damals mitnichten die Entwicklung zum NS abgefangen hatten . Der von den Professoren der Krisengeneration vorangetriebene religiöse und idealistische Paradigmenwechsel zum „Geist“ erfüllte die Funktion, sich von materialistischen Ansätzen zu distanzieren, auf die NS und Kommunismus reduziert wurden . Damit entschieden sich die Professoren der Philosophischen Fakultät für eine ideelle Umdeutung des NS und ihrer eigenen aktuellen Umstände . Sie plädierten für eine idealistisch und religiös ausgerichtete Philosophische Fakultät als Teil einer elitären Universität . Da sich die Philosophische Fakultät 1945 in einem Ausnahmezustand befand, die Räumlichkeiten zerstört, die Professoren teils suspendiert, teils noch im Krieg oder in Gefangenschaft waren und die Immatrikulation durch Zulassungsbeschränkungen und sogenannte „propädeutische Kurse“ reguliert wurde, regte sich zunächst nur von katholischer und internationaler Seite Kritik an diesem problematischen Selbstverständnis . 6.2
Institutionelle Modernisierung unter traditionellen Vorzeichen 1953–59
Die Problemlösungsansätze der unmittelbaren Nachkriegszeit führten in den 1950er Jahren zunehmend zu Spannungen zwischen den neuen, durch den Frequenzanstieg ausgelösten Reformbedürfnissen und jenem Ideal, in dessen Rahmen sie verwirklicht werden sollten . Zunächst erwiesen sich die restaurativen Zukunftsentwürfe der Geisteswissenschaftler im Kontext des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswachstums als inadäquat . So stellten sich die propädeutischen Kurse und Zulassungsbeschränkungen als eine kurzfristige Episode heraus; das daraus erwachsene obligatorische studium generale unterlag zunehmend der Freiwilligkeit . Auch wurden nach Abschluss der Épuration gemäß Art . 131 GG die entnazifizierten Hochschullehrer wieder bevorzugt eingestellt . Schließlich stiegen an der Universität Freiburg wie auch bundesweit die Studierendenzahlen in bisher ungekannten Maßen an: Im Sommersemester 1965 betrugen sie für die Universität insgesamt das Fünffache der zwanzig Jahre zuvor gemessenen Werte, an der Philosophischen Fakultät verneunfachte sich die Studierendenanzahl sogar zwischen 1945 und 1965 . Die Expansion der Freiburger Universität sowie der Philosophischen Fakultät im Besonderen wurde in den 1950er/60er ambivalent wahrgenommen . Wie bereits in der Zwischenkriegszeit begleiteten die Professoren auch in den 1950er Jahren den quanti-
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Herbert (2010), S . 489 .
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Die Krise der Elite als Chance der Geisteswissenschaften
tativen Aufschwung der Philosophischen Fakultät größtenteils misstrauisch und assoziierten ihn kulturpessimistisch mit einem drohenden qualitativen Abstieg . Im Unterschied zu den Entwicklungen der Ersten Nachkriegszeit unterlag das Wachstum der Studierendenanzahl aber in den 1950er Jahren keiner Reglementierung . Wie sich an der Einführung des Honnefer Modells der Studierendenförderung 1957 zeigt, waren Akademisierungsprozesse im Zuge des Wirtschaftswachstums und der Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft notwendig und wurden zunehmend gefördert . Die Förderung erfolgte nach den Kriterien der Begabung und der Bedürftigkeit . Auch wenn die Philosophische Fakultät in Freiburg die größte Aufstiegsfakultät war und hier vor allem der Studentinnenanteil sehr stark anstieg, veränderte sich die soziale Zusammensetzung an der Philosophischen Fakultät kaum . Zwar stieg der Anteil der Kinder von Angestellten unter den Studierenden, aus intersektionaler Perspektive erhielten sich aber soziale Ungleichheiten . Die Beharrungskräfte der sozialen Selektivität manifestierten sich zudem verstärkt in der fortwährend vergeschlechtlichten Rangaufteilung des Lehrkörpers . Der Anteil an Frauen halbierte sich bei jeder Hierarchiestufe .9 Dennoch profitierten Frauen anders als in der Zwischenkriegszeit nun auch zunehmend von dem „Niveausprung“10 der Akademisierungsprozesse in den 1950er/60er Jahren . Auch aus der retrospektiven Analyse der Konjunkturen nach dem Zweiten Weltkrieg ergibt sich, dass die Akademisierungsprozesse in einem Klima langfristiger, „außerordentlich günstige[r] Verwertungsbedingungen und Entfaltungschancen“ stattfanden .11 Eine erneute „Krise des akademischen Berechtigungswesens“ war nicht absehbar . Der Anstieg der Studierendenzahlen spiegelte die gesellschaftliche Nachfrage nach hochqualifiziertem akademischen Personal und manifestierte institutionell den Modernisierungsdruck, der an das „in den 1930er und 40er Jahren gegenüber den Leistungsansprüchen der Gesellschaft zurückgebliebene System der höheren Bildung [Hvh . i . O .]“ herangetragen wurde .12 Allerdings vollzogen sich die institutionellen Anpassungsleistungen nicht proportional zur Studierendenexpansion . Der Ausbau der Lehrstühle hielt mit dem Frequenzanstieg nicht Schritt und gestaltete sich vielmehr als Spezialisierungsprozess: Da die Professoren der Krisengeneration Parallellehrstühle als Konkurrenz empfanden, versuchte der Fakultätsrat sie durch Spezialisierung und Ausdifferenzierung der Disziplinen zu vermeiden . Erst mit der Kolleggeldreform 1964 und dem Generationswechsel 1966 kamen vermehrt Professuren mit der gleichen Denomination hinzu .
9 Ab 1966 bewegte sich der Frauenanteil unter den Studierenden der Philos . Fak . konsequent über 50 %, während der Frauenanteil des nichthabilitierten Lehrkörpers 20 %, der des habilitierten Lehrkörpers 10 % und ihr Anteil unter den planmäßigen Professor_innen 5 % betrug, vgl . Abb. 7, Abb. 8, Tab. 7 . 10 Titze (1990), S . 484 . 11 Ebd ., S . 477–478 . Das folgende Zitat ebd . 12 Ebd ., S . 483 .
Institutionelle Modernisierung unter traditionellen Vorzeichen 1953–59
Die kritische Haltung der Professoren gegenüber der Expansion ihrer Fakultät führte ebenso wie die Sparpolitik in Bildungsfragen zu einer Verschlechterung der Betreuungsrelation . Die Professoren passten ihr Selbstverständnis sowie die konkreten Bedingungen in Forschung und Lehre dem neuen Bedarf nur widerstrebend an . Dadurch zeichnet sich in dieser Phase ein geradezu antagonistisches Verhältnis zwischen ideellen und institutionellen Anforderungen ab: Indem die Professoren mit der idealistischen Krisenrhetorik am status quo festhielten, kamen sie der steigenden Nachfrage nach Studienplätzen sowie den neuen Herausforderungen nicht ausreichend nach und verzögerten den Entwicklungsprozess . Dennoch lassen sich ausgehend von den drei Leitfiguren der Philosophischen Fakultät – Ritter, Tellenbach und Bergstraesser – verschiedene Typen im Umgang mit dem Strukturwandel ausmachen . Ritter repräsentierte den Typus des wissenschaftsorganisatorischen Restaurators, der in der unmittelbaren Nachkriegszeit hegemonial war . Seine Bemühungen, ein national-religiöses, preußisch-protestantisch eingefärbtes Geschichtsbild zur „Bildungsmacht“ aufzubauen, setzten sich langfristig nur begrenzt gegen konfessionelle und internationale Widerstände sowie gegen den Aufstieg der Sozialwissenschaften durch . Wie sich an den Berufungsverhandlungen Bergstraessers zeigt, konnte Ritter den Aufstieg seines Antagonisten nicht verhindern . Er stellt so in Abgrenzung zu Tellenbach und Bergstraesser ein wissenschaftsorganisatorisches ‚Auslaufmodell‘ dar . Der Einfluss nationalkonservativer und demokratieskeptischer Netzwerke, als deren Repräsentant der engagierte Historiker gelten kann, verminderte sich langsam mit den veränderten Rahmenbedingungen ab 1949: Neben abendländischen und christlichen Traditionsnarrativen übernahmen in der jungen Bundesrepublik langsam, aber stetig Demokratisierung und Westorientierung identitätsstiftende Funktionen . Für diesen Überbrückungsprozess steht an der Freiburger Philosophischen Fakultät Arnold Bergstraesser, der in hochrangige transsektorale und transatlantische Netzwerke eingebunden war . In Abgrenzung zu Ritter verkörperte er den Typus eines Vorreiters moderner Wissenschaftsorganisation . Im Kielwasser der idealistischen Krisenrhetorik als normative „Krisenwissenschaft“ etabliert, baute er die Politikwissenschaft an der Philosophischen Fakultät als ein neues Promotions- und Staatsexamensfach auf und aus . Dabei zeichnete sich seine Arbeit durch moderne Formen der Wissenschaftsorganisation wie etwa die Drittmittelakquise, die Anwendungsorientierung oder die Anbindung von Forschungsinstituten an die Universität aus . In enger Zusammenarbeit mit Politik, Wirtschaft, Militär und Presse dies- und jenseits des Atlantiks machte Bergstraesser seine Disziplin für aktuelle gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und militärische Interessen nutzbar . Gerd Tellenbach, der lange Ritters Protegé gewesen war, nahm schließlich die Rolle eines Vermittlers ein, der als Reformer zwischen den Teilsystemen Universität, Staat und Wirtschaft sowie zwischen traditionellen und modernen Universitätsauffassungen ‚übersetzte‘ . Tellenbach war maßgeblich am Aufbau des Wissenschaftsrats
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beteiligt, durch den die deutsche Wissenschaft zentralisierter koordiniert und die Verbindungen zwischen Universität, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft intensiviert werden sollten . In diesem Rahmen versuchte er, Kompromisse zu finden, welche die Finanzierung der Universitäten sicherstellen sollten . Er plädierte für ein fortgesetztes Frequenzwachstum bei gleichzeitig zunehmender Elitenselektion . Damit schlug er ein Modell vor, das die Anforderungen der Wirtschaft nach mehr akademischen Fachkräften ebenso aufnahm wie elitäre Universitätsvorstellungen und dabei der vergleichsweise restriktiven Fiskalpolitik in Bildungsfragen entgegenkam . Anhand der wissenschaftsorganisatorischen Praxis von Bergstraesser und Tellenbach zeigt sich, dass Kooperationsverhältnisse mit anderen gesellschaftlichen Teilbereichen wichtige Schlüssel für den Erfolg hochschulpolitischer und wissenschaftlicher Konzeptionen darstellen . Auch auf dieser Ebene konnte eine enge Verknüpfung zwischen Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte mit Politik- und Gesellschaftsgeschichte festgestellt werden . Diese Allianzen verdeutlichen, dass die Bedeutung der Geisteswissenschaften in der bundesdeutschen Gesellschaft 1945–67 mitnichten marginal war . Vielmehr erwiesen sie sich als wichtige Mittel, um die Bundesrepublik an „den Westen“ anzuschließen und im Rahmen des Kalten Krieges zu positionieren . In einer Situation, in der Ideal und tatsächliche Anforderungen auseinanderliefen, setzten Bergstraesser und Tellenbach praktisch auf Modernisierung und integrierten damit neue Anforderungen in das Ideal, das sie dadurch erweiterten und ausdifferenzierten . So passten sie ihre Einstellungen teilweise den gegebenen Umständen an und beeinflussten gleichzeitig den Strukturwandel im Sinne ihres Universitätsideals . Bergstraesser löste die Spannung zwischen idealistischem Selbstverständnis und dem Bedarf an sozialwissenschaftlichem Know-how und institutioneller Demokratisierung, indem er die humanistische Bildung um sozialwissenschaftliche und internationale Perspektiven erweiterte . Dabei interpretierte er Demokratie als „freiheitlichen Rechtsstaat“, der nicht auf Partizipation, sondern auf „Führung in der modernen Welt“ ausgerichtet sei . So nahm er die moderne Anforderung einer „freiheitlichen Gesellschaftsordnung“ auf, hielt aber an der „Eigenständigkeit ihrer Führungspyramiden“ fest .13 Tellenbach stellte sich den neuen Anforderungen des Frequenzanstiegs und des gestiegenen Bedarfs nach akademischen Fachkräften, indem er das Humboldt-Ideal modernisierend ausdifferenzierte . So hielt er einerseits an der Einheit von Forschung und Lehre unter dem Primat der Forschung fest und wandte sich damit gegen eine funktional-kooperative Aufgabendifferenzierung und die Lockerung der hierarchischen Lehrkörperstruktur . Andererseits gab er diejenigen Teile des Humboldt-Ideals, welche die Autonomie der Hochschulen oder aber die Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden hervorhoben, zugunsten intensivierter Kooperationsverhältnisse mit Staat und Wirtschaft und einer hierarchischen Lehrkörperstruktur auf . Auf dieser Grundla-
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Bergstraesser (1961a), S . 52 .
Universitätsreformen und Liberalisierungsprozesse 1960–67
ge war eine universitäre Modernisierung möglich, während die Demokratisierung der Universitäten zurückgestellt und die ständischen Repräsentationsprinzipien durch die Etablierung eines universitären „Mittelbaus“ verstärkt wurden . 6.3
Universitätsreformen und Liberalisierungsprozesse 1960–67
Die Lösungsvorschläge der 1950er Jahre, die von einer hohen Ambiguitätstoleranz gekennzeichnet waren, lösten wiederum umfassende Diskussionen über die Reformen der herkömmlichen Ordinarienuniversität aus . Im Zuge des Frequenzanstiegs empfanden die Studierenden die Betreuungssituation, die sich vor allem in den Staatsexamensfächern katastrophal gestaltete, sowie das weitgehend unstrukturierte Studium an der Philosophischen Fakultät zunehmend als Belastung . Reformen waren in den 1960er Jahren ebenso unabdingbar wie eine verstärkte Finanzierung der expandierenden Universitäten . Die Verhältnisse von Forschung und Lehre, Studierenden und Professoren, Neu- und Ausbau von Universitäten standen zur Debatte . An den Traditionsuniversitäten konzentrierten sich die Reformdiskussionen bald auf zwei Aspekte: Als „Hochschulreform“ wurden Personalaufstockungen und die Neugliederung des Lehrkörpers verhandelt . Bei der „Studienreform“ hingegen ging es um Fragen der Neustrukturierung des Studiums durch neue Studienordnungen und -abschlüsse . Das späte Einsetzen dieser Universitätsreformen lässt sich auf Planungs- und Prognosedefizite, Finanzierungs- und Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern, bürokratische Hürden sowie die Vielzahl der an diesen Aushandlungsprozessen beteiligten Interessen zurückführen . Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielten die Einstellungen der darin mitwirkenden Professoren, die ihre Privilegien im Reformprozess gewahrt wissen wollten . Allerdings wurde die Studienreform in den Staatsexamensstudiengängen gegen die Vorbehalte der Professoren der Philosophischen Fakultät durchgesetzt . Sie erfolgte vor dem Hintergrund des latenten Lehrermangels und der schlechten Betreuungssituation durch eine Intervention des Kultusministeriums Baden-Württemberg 1966 . Durch die Reform wurde das unübersichtliche und ohne Hintergrundwissen schlecht zu bewältigende Studium an der Philosophischen Fakultät auf ein realistisches Maß zugeschnitten, durch Zwischenprüfungen strukturiert und um Studienberatungen sowie die Möglichkeit eines Kurzstudiums ergänzt . Der seitens der Professoren befürchtete Niveauverlust zeichnete sich durch die Studienreformen nicht ab . Die Festlegung der Studienziele, die Einführung von Studienberatung, Zwischenprüfungen und Kurzstudiengängen ermöglichten eine rationalere Studienplanung, förderten Struktur und Transparenz der Anforderungen und trugen damit zur Öffnung des Studiums für Studierende aus nichtakademischen Haushalten bei . Damit wurden die Staatsexamensstudiengänge an gesellschaftliche Bedürfnisse angepasst und das Studium in seiner ausufernden Tendenz begrenzt . An den geplan-
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ten Studienbeschränkungen für Langzeitstudierende zeichnete sich allerdings ab, dass die Bedürfnisse der Studierenden und insbesondere der sogenannten Werkstudierenden, die ihr Studium selbst finanzieren mussten, hintangestellt wurden . In den Promotionsstudiengängen hingegen zeichnete sich eine konträre Entwicklung ab . Zwar wurde Anfang der 1960er Jahre der Magisterstudiengang eingeführt, der die Promotion in den folgenden Jahrzehnten zunehmend als akademischen Studienabschluss ablöste . Da in der Reform dieser Studiengänge aber die entsprechenden Leistungsanforderungen nicht verbindlich festgelegt wurden, stiegen die Ansprüche an die Promotionen weiter . Diese Entwicklung zeichnete sich bereits in den 1950er/60er Jahren an den verlängerten Studienzeiten und dem wachsenden Umfang der Dissertationen ab . Allerdings wurden diese Prozesse einer permanenten Niveausteigerung bei gleichzeitiger Verlängerung der Ausbildungszeiten verdrängt und von der Klage über einen postulierten Niveauverlust überlagert . Eine Nivellierung des Studiums kann aber empirisch nicht bestätigt werden, im Gegenteil: Mit dem zunehmenden Bedarf an Studienplätzen und dem wachsenden Leistungsdruck zeichnete sich eine permanente Qualitätssteigerung des Studiums ab . Die Rede von der Nivellierung reflektierte somit vielmehr eine Krise der professoralen Elite, die ihre Hegemonie zunehmend bedroht sah . Mittels der idealistischen Krisenrhetorik versuchte sie ihre korporativen Rechte und ihren Status vor Neuentwicklungen und Konkurrenzdruck zu schützen . Mit der Beeinflussung, Einhegung und Verzögerung des Strukturwandels trugen die Professoren der Krisengeneration aber zur Verschlechterung der Betreuungsrelationen bei und forcierten die „Überfüllungskrise“ . Im Zuge der Hochschulreform wurden zur Verbesserung der Betreuungsrelationen Assistenturen und Diätendozenturen aufgestockt sowie zusätzlich Akademische und Wissenschaftliche Ratsstellen geschaffen . Damit erfolgte die Neugliederung des Lehrkörpers nicht im Sinne einer funktional-kooperativen Aufgabenteilung . Vielmehr wurde dem Lehrkörper eine neue, hierarchisch unter den Professoren angesiedelte Ebene hinzugefügt . Der Trend zu einem „Lehrstab“, der sich zunächst in der Medizinischen Fakultät etabliert hatte, setzte sich damit auch an der Philosophischen Fakultät durch . Ab 1958 wuchs der sogenannte Mittelbau stetig, ab 1963 stieg insbesondere die Anzahl der nichthabilitierten Lehrkräfte steil an, während der Anteil der Professoren am Lehrkörper von 38 % (1947) auf 20 % (1965) sank . Durch den Ausbau des Mittelbaus konnten bestehende Strukturen erhalten wie auch Modernisierungsforderungen befriedigt werden . Die Ordinarien wurden entlastet, ohne dass sie um ihre Alleinstellungsposition, Privilegien oder mögliche Konkurrenz fürchten mussten . Das Risiko der Universitätslaufbahn konnte durch die Einführung neuer Dauerstellen gemindert, dem Nachwuchsmangel entgegengewirkt, den Forderungen der Wirtschaft nach erhöhten Ausbildungskapazitäten ebenso nachgekommen werden wie denjenigen der Universitäten nach Sicherung und Erweiterung ihrer Forschungskapazitäten . Schließlich waren die Stellen im Mittelbau auch finan-
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ziell weniger aufwändig als ordentliche Professuren, woran wiederum die Kultusministerien interessiert waren . Allerdings wurden selbst diejenigen Stellen im Mittelbau, die eine Habilitation und damit dieselben Qualifikationsanforderungen wie Professuren voraussetzten, nicht auf dem Besoldungs- und Reputationsniveau der Professoren angesiedelt . Daran wird deutlich, dass die universitären Hierarchien nicht allein auf Leistungskonkurrenz fußten, sondern auch nach Maßgabe ständischer Rangordnungen reproduziert wurden . Entgegen ihres wachsenden Anteils am Lehrkörper wurden auch die Rechte der Nichtordinarien in der fakultären Selbstverwaltung nicht verbessert . Mit dieser Hochschulreform fiel so ein großer Teil der Lehr- und Forschungsaufgaben einem Segment des Lehrkörpers zu, das im Fakultätsrat nur marginal repräsentiert war . Diese unverhältnismäßige Anpassungsstrategie an Modernisierungserfordernisse, die eine „Nivellierung“ des Professorenstatus verhindern sollte, zeigt, wie entscheidend sich das professorale Selbstverständnis auf die Hochschulreform auswirkte . Grenzen der Modernisierungs- und Demokratisierungsentwürfe der Krisengeneration traten Ende der 1950er Jahre zunehmend hervor, als die Krisenrhetorik sukzessive von anderen Seiten angeeignet wurde . Spätestens zu Beginn der 1960er Jahre differenzierten sich neue Verständnisse der „Überfüllungskrise“ aus . Mit diesem Topos wurden nicht mehr ausschließlich kulturkonservative Perspektiven auf die „Massenuniversität“ tradiert, sondern auch schlechte Betreuungsrelationen und staatliche Finanzierungsengpässe angeprangert . Blieben hochschulpolitische Vorschläge und Proteste der Studierenden in den 1950er Jahren eher verhalten, verstärkten sie sich in Freiburg zu Beginn der 1960er Jahre . Die Studierenden, anhand derer Werner Müller das Konzept der 58er entwickelte, trugen ab 1960 ein partizipatives Universitätsverständnis an die Professoren heran . Über das institutionell-ordnungspolitische Demokratieverständnis eines liberalen Rechtsstaats hinaus begriffen sie unter gesellschaftlicher Demokratisierung Partizipation, Chancengleichheit, Transparenz und Öffentlichkeit . Nicht zuletzt durch die von Freiburger Studierenden mit Demonstrationen zum „Bildungsnotstand“ bundesweit popularisierte Artikelreihe des Religionsphilosophen Picht zur deutschen „Bildungskatastrophe“ trat schließlich eine Wende der Krisenrhetorik ein: Als Krise wurde nun nicht mehr die Mehrzahl an Studierenden, sondern die unzureichenden universitären Ausbildungskapazitäten aufgefasst, aus denen Picht einen drohenden Verlust der internationalen Konkurrenzfähigkeit ableitete . Mit den Werken des Bildungssoziologen Dahrendorf und der Parole „Bildung ist Bürgerrecht“ bahnte sich in der Öffentlichkeit ein Diskurswandel an, der sich auch auf das Selbstverständnis der Philosophischen Fakultät auswirkte . Indem die Studierenden ihre Demokratisierungsforderungen mit der universitären „Tradition“ verbanden, positionierten sie sich strategisch geschickt: Sie griffen den Teilaspekt des Humboldt-Ideals einer Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden auf, verknüpften ihn mit dem Selbstverständnis einer demokratischen Gesellschaft sowie der im Journalismus zunehmend verbreiteten Zeitkritik und wandten
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sich damit gegen unverhältnismäßige Repräsentations- und Entscheidungsstrukturen . Die von ihnen angeführten Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit sollten zugunsten einer verstärkten Repräsentation von Studierenden und Mittelbau in der Selbstverwaltung gemildert werden . Die neuen Forderungen nach Partizipation und Chancengleichheit sprengten nachhaltig das enge, vereinheitlichend-elitäre Identitätskonzept der Fakultät, das im Zuge der Expansion bereits an Überzeugungskraft eingebüßt hatte . Da die Professoren das Humboldt-Argument in dieser Frage nicht akzeptierten, brach die spezifische Kopplung von Krise und Ideal auf, offenbarte ihre Legitimationsfunktion elitärer Interessen und damit ihre soziale Bedingtheit . Universitätsreformen wurden als soziale Prozesse diskutierbar . Mit dem professoralen Verlust der Deutungshoheit über die „Krise“ und deren „Lösung“ Mitte der 1960er Jahre pluralisierten sich die Krisenwahrnehmungen . Neue Perspektiven auf die institutionellen Entwicklungen wurden möglich . Damit manifestierte sich auch im Diskurs, dass der Strukturwandel vielfältig, die Krisenwahrnehmungen multipel, die Interessen heterogen, die Chancen ungleich verteilt, die Herausforderungen komplex und relational aufeinander bezogen waren . Die Dynamik im Hochschulreformdiskurs der 1960er Jahre resultierte aus einem Zusammenwirken aus institutionellem Strukturwandel, öffentlichem Diskurswandel und dem sich anbahnenden Generationswechsel . 1966 begann die Ära der Dynamisierten Generation, die in Nachfolge der Krisengeneration „1968“ mit Protesten konfrontiert wurden, die mehrheitlich der Krisengeneration und den von ihr geprägten Strukturen galten . Die Professoren und Professorinnen der Dynamisierten Generation einte nicht mehr die homogenisierende Krisenrhetorik ihrer Vorgänger; sie reagierten unterschiedlich auf die Veränderungen . Das Anliegen, wie die ältere Generation ihre Privilegien zu schützen, war zwar auch in dieser Generation vertreten . Die Dynamisierte Generation engagierte sich aber zugleich für bessere Betreuungsrelationen . Sie zeichnete sich teilweise durch eine liberalere Grundhaltung und größere Offenheit für gesellschaftliche Anliegen, neue Formen der Lehre, der Forschung, des Habitus und der Repräsentation und damit durch eine neue Pluralität aus . Mit dem Generationswechsel wurden die Professuren verstärkt ausgebaut und Parallelprofessuren errichtet . Das sozialwissenschaftliches Paradigma erweiterte zusehends das Methodenarsenal der Geisteswissenschaften, während die Legitimationsgrundlage der Idee der deutschen Universität auch an der Philosophischen Fakultät an Überzeugungskraft verlor . Demgegenüber gewannen praxis- und anwendungsorientierte Argumentationsmuster, die Berücksichtigung wirtschaftlicher Faktoren und auch soziale Überlegungen, die für eine verbesserte gesellschaftliche Öffnung der Universitäten plädierten, an Bedeutung . Dieser Wandel markiert den Beginn einer fortschreitenden Versozialwissenschaftlichung der Geisteswissenschaften und der Mar-
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ginalisierung des „Humboldtianismus“14 in der Wissenschaftsorganisation . Das Ende der Homogenitätspostulate brachte neue Konflikte, vielfältigere Formen der sozialen Interaktion und schließlich weitreichende diskursive wie auch institutionelle Veränderungen mit sich . Der neue Leitspruch der Hochschulreform in Baden-Württemberg 1967 „how can we be equal and excellent, too?“ erweiterte die elitäre Zielrichtung um die Chancengleichheit .15 Im Fakultätsrat wurde die Repräsentation der Studierenden und der Nichtordinarien verbessert und Hochschulreformen sowie die Öffentlichkeit der Fakultätssitzungen diskutiert . An die Stelle der idealistischen Krisenrhetorik, die ihr Gegenstück, ihre „Lösung“ stets im Humboldt-Ideal zu finden vermeinte, traten vielfältigere Aushandlungsprozesse . Der Bedeutungswandel der Geisteswissenschaften in Freiburg wurde hier als Interaktion zwischen gesellschaftlichen Anforderungen an die Philosophische Fakultät, ihre strukturellen Entwicklungen und deren programmatischen Beeinflussung nach Maßgabe des Selbstverständnisses der damaligen Professorengeneration untersucht . In der Analyse des Strukturwandels tritt hervor, dass das Selbstverständnis und die Krisenrhetorik der Professoren ernstzunehmende qualitative Faktoren in den Aushandlungsprozessen um Hochschulreformen darstellten . Krisenrhetorik erweist sich damit als ein Oberflächenphänomen, dessen Analyse Pfadabhängigkeiten und Motive zutage fördert, die erklären, warum der Strukturwandel nicht als gesellschaftliche Notwendigkeit und Chance, sondern als drohende Krise angesehen wurde . Denn konfrontiert mit den institutionellen Entwicklungen zeigt sich, dass es sich hier nicht um eine Krise der Philosophischen Fakultät handelte, im Gegenteil: Deren Bedeutung erhöhte sich durch die Akademisierungsprozesse, die Weichen zu einer gesellschaftsund berufsorientierteren Ausbildung und zu mehr Chancengleichheit waren teilweise gestellt, die Studiengänge wurden strukturiert und transparenter gestaltet . In die Krise geriet vielmehr die Elite, die ihren Status mit dem Frequenzanstieg bedroht sah und den Strukturwandel entsprechend zu beeinflussen suchte . Wie mit dem Protest der Professoren durch den Bund Freiheit der Wissenschaft ab 1970 wurden Reformprozesse mit idealistischer Krisenrhetorik bereits in den 25 Jahren zuvor konsequent in eine Richtung gelenkt, die wie zu Zeiten der Weimarer Republik die professoralen Privilegien sichern sollten . Dadurch beraubten sich die Professoren allerdings der Möglichkeit, ihre Gruppe den fortgesetzten Akademisierungsprozessen entsprechend auszubauen und den gesteigerten Arbeitsaufwand durch arbeitsteilige Teamarbeit interaktiv in den Griff zu bekommen . Das steigerte den Druck nach oben wie nach unten . Nötig ist heute wie damals eine kooperative Verteilung der Aufgaben und Chancen, die sich nicht in erster Linie durch Hierarchien, Pfadabhängigkeiten und Status definiert . In der Krise der Elite steckt somit die Chance der Geisteswis-
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Bartz (2006), S . 27–34 . Hochschulgesamtplan Baden-Württemberg (1967), S . 67 .
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senschaften, ihrer im Zuge der Expansion gewachsenen gesellschaftlichen Bedeutung wissenschaftsorganisatorisch bewusst, kooperativ und sozial inklusiv nachzukommen . Universitäten sind damit aufgefordert, ihre Strukturen, Diskurse und gesellschaftliche Bedingtheit zu reflektieren . Wichtig für eine weitere Auseinandersetzung sind vergleichende Analysen der Finanzierung der verschiedenen Stellen, Lehrstühle, Fächer, Fakultäten und Universitäten durch Zuwendungen des Landes sowie Zweit- und Drittmittel . Zudem sind neben den hier fokussierten strukturellen und diskursiven Veränderungen intensivere Untersuchungen der Lehre und insbesondere der Alltagspraxen vonnöten . Für das letzte Drittel des 20 . Jahrhunderts steht schließlich vor allem die Analyse der Entwicklung neuer digitaler Techniken an, die auch die geisteswissenschaftlichen Arbeitsweisen grundlegend verändert haben . Insgesamt ist eine verstärkte Verwissenschaftlichung des Wissenschaftsmanagements erforderlich . Universitätsgeschichte bietet sich zur kooperativen Analyse dieses Feldes in seinen gesellschaftlichen Verflechtungsstrukturen und zur Reflexion gegenwärtiger Wandlungsprozesse an . Sie trägt dazu bei, universitäre Problemstellungen differenziert einzuschätzen, strukturelle Wandlungsprozesse und Innovationsbedürfnisse in der longue durée klarer zu erkennen, Krisen in ihren historisch spezifischen sozialen Dynamiken zu begreifen und gesellschaftliche, universitäre und fakultäre Interaktionsprozesse zu fördern .
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Akten aus der Sendung AULA. Die Stunde der Universitäten aus dem Historischen Archiv des Südwestrundfunks Baden-Baden siehe 7 .3 Gedruckte Quellen und Literatur . 7.2
Zeitgenössische Zeitungen; Online-Datenbanken; Interviews Zeitgenössische Zeitungen
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Zeitgenössische Zeitungen; Online-Datenbanken; Interviews
Online-Datenbanken (s. die Einträge mit Autorennamen unter Darstellungen)
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Professorenkataloge
Leipzig, URL: https://www .uni-leipzig .de/unigeschichte/professorenkatalog/epochen .html (01 .12 .2016) . Rostock, URL: http://cpr .uni-rostock .de/ (09 .09 .2019) . Mainz, URL: http://gutenberg-biographics .ub .uni-mainz .de/home .html (09 .09 .2019) . Marburg, URL: https://www .uni-marburg .de/uniarchiv/pkat (09 .09 .2019) . Kiel, URL: http://gelehrtenverzeichnis .de/persons?button=true (09 .09 .2019) .
Interviews und Gespräche mit Zeitzeug_innen
Interview mit Frank-Rutger Hausmann am 21 .04 .2011 in Freiburg i . Br . Interview mit Wilhelm Hennis am 12 .05 .2011 in Freiburg i . Br . Interview mit Hans Peter Herrmann am 23 .05 .2011 und 08 .08 .2011 in Freiburg i . Br . Interview mit Hans Peter Herrmann und Carl Pietzcker am 18 .05 .2016 in Freiburg i . Br . Interview mit Otto Gerhard Oexle am 30 .05 .2012 in Berlin . Interview mit Gottfried Schramm am 20 .06 .2011 in Freiburg i . Br . Interview mit Dieter Oberndörfer am 29 .11 .2012 und 20 .06 .2017 in Freiburg i . Br . Gespräch mit Günter C . Behrmann am 09 .12 .2014 . Gespräch mit Ignaz Bender am 17 .02 .2016 . Gespräch mit Petra Halder-Sinn am 21 .09 .2018 .
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Quellen- und Literaturverzeichnis
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Personen- und Ortsregister
A Autenrieth, Johanne 24, 77, 158, 181, 182, 184 B Baden-Württemberg 22, 24, 34, 45, 49, 51, 65, 67, 83, 102, 105, 112, 118, 120, 123–127, 140, 145, 147, 157, 163, 211, 215, 268, 269, 276, 277, 289, 302, 314, 333, 337 Bartz, Fritz 71, 79, 176, 181, 185, 186, 188, 192, 203, 206 Bauch, Kurt 57, 58, 62, 176, 180, 185, 186, 189–191 Bauer, Clemens 35, 37, 38, 55, 57, 58, 62, 78, 102, 180, 189, 191, 203, 238, 248, 250–253 Bauer, Walter Albert 267, 268 Baumann, Gerhard 67, 313, 314, 316, 318–320, 322 Bausinger, Hermann 77 Bender, Hans 63, 68–70, 181, 185, 186, 189–192 Bender, Ignaz 47, 302–304, 307, 310–312 Bergstraesser, Arnold 23, 39, 43, 46, 52, 58, 64, 67, 71–73, 75, 76, 102, 103, 109, 121, 129, 147, 150, 158, 176, 180, 182, 186, 188, 192–194, 198, 201–203, 205, 208, 209, 215–220, 224, 265, 267–287, 289, 297, 298, 300, 302–308, 320, 323, 327, 331, 332 Beuron, Burg Wildenstein 54–56 Boesch, Bruno 72, 124–126, 150, 185 Brie, Friedrich 55, 56, 59–63, 87, 91, 122, 175, 176, 181, 188, 193, 253 Büchner, Karl 39, 58, 62, 90, 91, 180, 186, 189, 192, 253
D Dahrendorf, Ralf 105, 106, 309, 310, 311, 335 Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik 219, 269, 280, 281, 282 Deutschmann, Olaf 65, 79, 150, 176, 185 Dietze, Constantin von 55, 60, 87, 88, 217, 251, 266–269, 279 Dönhoff, Marion Gräfin 279, 280 E Erzgräber, Willi 82 Eschenburg, Theodor 218, 276–278, 280 F Fink, Eugen 63, 76, 180, 186, 188, 192, 194, 203, 227, 249, 252 Freund, Michael 256, 257, 266, 267, 269 Friedländer, Ernst 279, 280 Friedrich, Hugo 22, 38, 46, 55, 56, 58, 60–62, 65, 79–81, 180, 186, 189, 190, 192, 193, 203, 204, 227, 247, 254, 326 G Giustiniani, Vito Rocco 81 Goerdeler, Karl 54, 208, 210, 211, 221 Gundert, Hermann 57, 59, 60, 62, 147, 150, 180, 185, 186, 189, 190, 192, 193 Günther, Hans F . K . 56, 175 Gurlitt, Wilibald 39, 55, 56, 61, 62, 176, 180–182, 186, 188, 192, 193 Gutenbrunner, Siegfried 69, 70, 185, 186, 189, 192, 193
Personen- und Ortsregister
H Hallig, Rudolf 79, 175, 176, 181, 186, 188, 192 Hassinger, Erich 73, 130, 181, 185, 186, 189, 192 Heidegger, Martin 20, 55, 57, 59, 60, 69, 87, 175, 180, 189, 199–201, 213, 222, 250, 273 Heiss, Robert 39, 46, 49, 55, 57, 58, 60–62, 69, 72, 73, 122, 157, 158, 180, 185, 186, 189, 190, 193, 202, 203, 227, 248–250, 252, 253 Hennis, Wilhelm 76, 82, 83, 168, 322 Herzog, Rolf 77 Hess, Rainer 81 Heuer, Hermann 63, 79, 85, 117, 150, 181, 186, 189, 192 Hillgruber, Andreas 82, 176, 257 Hiltmann, Hildegard 24, 72, 152, 156, 158, 176, 181, 184, 185 Humboldt 20, 27, 28, 30, 112, 126, 164, 196, 199, 225, 229, 231, 239, 241, 270–272, 274, 275, 289, 292, 294–298, 308, 314, 318, 320, 323, 327, 328, 332, 335–337 K Kaiser, Gerhard 71, 79, 176, 322, 325 Kiesinger, Kurt Georg 215, 279, 280, 282, 285, 306 Krückmann, Oluf 62, 150, 180, 186, 188, 192 L Lakebrink, Bernhard 76, 121, 127, 181, 186, 188, 191 Lampe, Adolf 55, 59, 60 Lettenbauer, Wilhelm 77, 181, 186, 188, 191, 193 Link, Franz H . 40, 41, 79, 85, 115, 128, 189, 319, 320, 322 Lohmann, Johannes 61, 62, 64, 180, 186, 188, 192, 269 Lüdtke, Helmut 79 M Marx, Werner 71, 180–182, 185, 186, 188, 193 Maurer, Friedrich 52, 57, 58, 62, 122, 180, 186, 189, 190, 192, 193, 203, 208 Metz, Friedrich 57, 60, 62, 70, 71, 79, 180, 181, 186, 189, 190, 192, 193, 208 Müller, Max 58, 62, 65, 69, 70, 90, 176, 180, 181, 186, 188, 192, 201, 227, 252, 253, 267, 302
Müller, Werner 38, 39, 47, 120, 123, 168, 300– 305, 307, 317, 321, 335 N Nesselhauf, Herbert 40, 52, 53, 63, 65, 78, 151, 176, 180, 186, 188, 192, 194, 203, 206, 296 O Oberndörfer, Dieter 30, 76, 121, 175, 203, 215, 217, 219, 263, 280, 282, 285, 306, 322, 323 Ohl, Hubert 82, 176 Oncken, Hermann 210, 213, 266 P Popitz, Heinrich 73, 82, 290, 322 R Raiser, Ludwig 72, 75, 112, 282, 291 Rehm, Walther 57, 58, 62, 67, 176, 180, 186, 189, 191, 193, 201, 203, 204, 227 Reiner, Hans 69, 70, 83, 180, 186, 189, 192 Ritter, Gerhard 23, 54, 55, 61–64, 66, 72, 73, 90, 122, 176, 180, 181, 186, 188, 190, 192, 194, 198–203, 208–215, 217–221, 226–234, 237–251, 253–260, 266, 267, 270, 274, 275, 294, 295, 298, 310, 328, 331 Roedemeyer, Friedrich 56, 175 Röhrich, Lutz 77 Römer, Hans-Robert 79, 135 S Sangmeister, Edward 66, 322 Schmid, Carlo 277, 279, 280, 282 Schramm, Gottfried 78, 175, 179, 293, 297, 322 Schuchhardt, Walter-Herwig 44, 57, 58, 61, 62, 180, 186, 188, 191, 193, 203, 208 Sick, Wolf-Dieter 79, 152, 185, 192, 206 Speidel, Hans 268, 279–282 Spranger, Eduard 198, 223, 231, 246, 250 Standop, Ewald 66, 79, 117, 176 Staub, Hans 81, 176, 204 Stieler, Georg 44, 56, 63, 175 Strasburger, Hermann 78, 181, 186, 188, 192, 194, 206 Stuttgart 65, 141, 185, 192, 215, 268, 269, 289 Szilasi, Wilhelm 62, 176, 180–182, 185, 186, 188, 192, 194, 250
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Personen- und Ortsregister
T Tellenbach, Gerd 19, 22, 23, 35, 37, 49, 52–55, 57, 58, 60–62, 72, 73, 87, 91, 93, 103, 118, 122, 126, 131, 134, 141–144, 150, 163, 176, 180, 186, 188, 190, 191, 193, 194, 201–206, 208, 209, 212, 220–225, 227, 231, 233–251, 261–265, 268, 275, 279, 285–288, 290–298, 309, 314–316, 319, 320, 328, 331, 332 V Vogt, Joseph 57, 58, 62, 63, 175, 176, 180, 186, 189, 190, 191
W Warburg, Eric M . 278, 279 Wittke, Dietrich 40, 85, 128, 319, 320 Wohleb, Leo 90, 93, 171 Z Zenck, Hermann 60–62, 176, 180, 186, 189, 191, 192, 194 Zmarzlik, Hans Günter 72, 73, 152, 179, 202, 203, 209, 212, 213, 218, 233, 293, 299, 306, 322, 324
Sachregister
A Abschluss, Abschlüsse 17, 28, 31, 37, 38, 51, 87, 89, 91, 93, 99, 109, 112, 119, 124, 128–130, 135, 156, 181, 224, 313, 316, 317, 333, 334 Akademische Prüfung (s . Promotion, Magister, Diplom) Akademisierung, Akademisierungsprozesse 20, 98, 231, 327, 330, 337 Akteur_innen 23, 26, 28, 29, 31, 32, 56, 208, 254, 279, 302, 303, 323 Allgemeine Assistentenversammlung 53, 140 Allgemeiner StudentenAusschuss (AStA) 54, 101, 261–263, 300, 302, 303, 305, 306, 310 Allgemeinprüfung (s . Philosophikum) Angestelltenkinder 104, 160, 184, 187, 330 Anstieg der Studierendenzahlen, Frequenzwachstum 19–21, 31, 35, 64, 74, 76, 85, 94–98, 104, 112–114, 118, 135, 136, 160, 163, 164, 169, 177, 204, 206, 293, 298, 307, 323, 328–330, 332, 333, 337 Atlantik-Brücke 218, 278–280 Art . 131 GG 60–63, 67–69, 71, 73, 84, 180, 329 Ausbildungskapazitäten 40, 74, 85, 86, 94, 99, 299, 308, 313, 320, 334, 335 B Badische Zeitung 92, 100, 256, 261, 283 BAFöG 98, 101, 144, 288, 291 Betreuungsrelation 65, 66, 74, 79, 81, 82, 84, 94, 111–116, 127, 128, 135, 136, 149, 154, 160, 293, 296, 297, 317, 320, 323, 331, 334–336 Bildungschancen 105, 290, 309, 335–337 Bildungsexpansion 26, 30, 32, 34, 85, 97, 108, 160, 184
D Demokratie 29, 70, 168, 169, 218, 219, 230, 232, 233, 241, 250–254, 257, 261, 280, 289, 294, 295, 298–300, 304–308, 329, 331, 332, 335 Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG 23, 30, 52, 131, 132, 203, 206, 216, 223, 224, 282, 290 Diplom 37, 39, 109, 119, 120, 129, 284, 291, 312 Disseration 37, 128, 130–134, 212, 224, 334 Doktor-, Doktorand_innen 39, 119, 129, 130, 134, 136, 210, 212, 224, 266, 282 E Elite 21, 28, 30, 123, 127, 128, 163, 196, 202, 230, 238, 251, 258–260, 278, 279, 287, 290, 293– 299, 312, 317, 319, 324, 326, 334, 337 Emigration, emigrieren 62, 71, 172, 180, 182, 183, 188–190, 192–194, 208, 217, 254 Épuration, Reinigung, Entnazifizierung 30, 32, 54–61, 63, 83, 87, 139, 180, 189, 191, 211 F Fakultät, medizinische- 34, 89, 92, 95, 96, 104, 155, 156, 161, 204, 334; naturwissenschaftlich-mathematische- 34, 38, 51, 60, 62, 69, 76, 89, 92, 95, 96, 103, 105, 109, 110, 121, 122, 124, 125, 129, 145, 156, 318; staats- und rechtswissenschaftliche- 34, 39, 55, 64, 73, 76, 78, 82, 83, 89, 95, 103, 105, 109, 155, 215, 252, 253, 266, 267, 302, 303, 307; theologische 22, 34, 89, 95, 96, 103, 105, 155 Fakultätsrat 24, 25, 32, 35, 36, 43–50, 61, 67–84, 92, 119, 121–130, 139, 140, 145–152,
392
Sachregister
160, 165, 175, 177–179, 195, 186, 316, 319, 330, 335, 337 Flüchtlinge 60, 63, 71, 86, 87, 98, 109 Frauen 20, 27, 30, 68, 73, 86, 88, 89, 102, 106–109, 133, 134, 154–160, 162, 184, 198, 199, 224, 231, 232, 249, 330 Frauenanteil, Quote 27, 89, 107, 154, 155, 157, 158, 160, 330 Freiburger Kreis 54, 55, 58, 208, 210, 228, 237, 267, 268 Frequenz, Hochschulbesuch 20, 21, 27, 31, 35, 40, 42, 74, 80, 85, 87, 89, 91, 93–98, 104, 112–114, 118, 122, 140, 145, 160, 164, 169, 177, 199, 206, 293, 298, 307, 320, 323, 328–330, 332, 333, 337 G Genarationswechsel 24, 29, 48, 82–84, 114, 138, 167, 171, 174–177, 179, 297, 299, 319, 320, 330, 336 Generation 21, 29, 31, 32, 48, 82–85, 100, 166–179, 181–185, 187, 213–215, 224, 248, 261, 306, 307, 319, 322; 45er- 167–169, 177–179, 183, 184, 299; 1958er- 168, 169, 177–179, 300, 335; 68er- 167–169; Dynamisierte- 165, 166, 177–185, 187, 196, 299, 319, 320, 322, 323, 336; junge Front- 167, 169, 178–180, 183, 199, 201, 208, 212, 215, 248; Kaiserreichs- 176, 178, 181; Kriegsjugend- 167–169, 177–180, 183, 184, 189, 201, 208, 220, 248; Krisen- 24, 164–166, 168, 175, 177–181, 183–189, 191, 192, 194–198, 201, 202, 204, 207–209, 212, 214, 226, 246, 252, 296, 301, 307, 320, 322–324, 326, 329, 330, 334–336; Nachkriegs- 167– 169, 177, 179, 183, 184; Poltische- 166, 167, 171; Professor_innen- 22, 24, 32, 85, 166, 167, 169–180, 194, 225, 318, 319, 322, 326, 327, 337; Wilhelminische- 169 Germanistik 28, 34, 36, 38, 40, 41, 70, 73, 74, 76, 81, 115, 116, 126, 129, 132, 150, 160, 176, 190, 193, 203, 209, 220, 320, 322 Geschichtsreligion 198, 213, 231, 239, 245, 246, 248 Geschlecht 73, 64, 81, 87, 88, 99, 103, 112, 155, 156, 158, 159, 172, 174, 212, 235, 330
H Hierarchie, hierarchisch 21, 30–32, 44, 46, 135, 144, 146, 148, 150, 163, 164, 166, 174, 204, 206, 207, 233, 272, 274, 286, 293–296, 298, 317, 330, 332, 334, 335, 337 Hochschulpolitik 19, 22, 29, 203, 208, 220, 221, 224, 285–287, 303, 305 Hofgeismarer Kreis 142, 143, 146, 293, 294 Honnefer Modell 22, 85, 98–104, 108, 123, 126, 144–146, 223, 287–290, 293, 294, 296, 330 I Idealismus 195, 197–199, 228, 229, 232, 237, 239, 245, 247, 250, 251, 303, 323, 325 Institution 20–32, 35–37, 39–41, 43, 44, 47, 49, 51–53, 63–66, 74, 82, 83, 101, 116, 121, 146, 157, 160, 163, 170, 174, 196, 197, 203–205, 209, 210, 218, 219, 224, 226, 227, 231, 241, 263–266, 271–278, 281–283, 285, 287, 294, 297, 299, 306, 323, 326, 329–332, 335–337 interdisziplinär 183, 205, 252, 270, 283 international 19, 22, 23, 25, 29, 64, 92, 98, 100, 103, 104, 110, 129, 155, 163, 166, 169, 203, 205–211, 215, 216, 218, 219, 223, 225, 239, 241, 255, 256, 258, 268, 270, 280–283, 285, 293, 298, 302, 303, 308, 321, 329, 331, 332, 335 K Kaiserreich 28, 167, 176, 181, 197, 209, 213, 227, 229, 232, 233, 241, 328 Katholisch 22, 58, 63, 106, 108, 109, 185, 201, 252, 256, 288, 289, 329 Kirche 58, 174, 185, 201, 205, 210, 211, 221, 222, 228, 236, 238–240, 250, 252, 255, 259, 268, 278, 280 Kleine Fakultas 37, 92, 118, 120, 123–126, 129, 163 Kolleggeld, Hörgeld 43, 80, 83, 84, 137, 138, 147, 148, 182, 292, 301, 330 Konfession 22, 66, 103, 106, 108, 163, 168, 172, 174, 185, 189, 212, 230, 252, 256, 327, 331 Kooperation 25, 39, 64, 102, 190, 206, 225, 238, 253, 279, 289, 306, 317, 320, 321; -sverhältnisse 23, 190, 209, 215, 218–220, 228, 282–284, 298, 310, 332 Kriegsteilnahme, Kriegsteilnehmer 87, 172, 191–193, 213
Sachregister
Krisenrhetorik 20, 21, 24, 27, 29, 32, 164, 177, 195–202, 207, 208, 214, 216–220, 222, 226, 227, 234, 237, 238, 248, 252, 253, 265, 270, 271, 275, 296, 297, 299, 307, 308, 309, 312, 319, 323, 324, 326–328, 331, 334–337 Kultusministerium, KM 21, 22, 30, 40, 44, 45, 48, 50, 51, 56, 58–70, 72, 73, 75, 77, 79, 81, 82, 84, 86, 88, 89, 93, 101, 118–121, 123–126, 128, 130, 139, 144–149, 171, 251, 258, 262, 263, 266, 268, 269, 277, 278, 302, 310, 314, 321, 333, 335 L Laufbahn, Karriereweg 136–142, 146, 157, 161, 166, 170, 172–175, 181–185, 187, 194, 212, 252, 292, 294, 295, 307, 334 Lehrkörper, Lehrkräfte 19, 21, 27, 28, 31, 35, 36, 42–47, 51, 56, 59, 62, 63, 67, 68, 74, 84, 85, 99, 108, 112, 113, 116, 120, 126, 138, 141–163, 203, 223, 276, 277, 291–294, 296, 298, 299, 303, 306, 317, 318, 330, 332–335 M Magister 37, 51, 118, 119, 120, 125, 128–131, 134, 135, 315, 316, 334 Mediävistik 19, 22, 23, 28, 53, 54, 61, 62, 202, 203, 222, 224, 258 Militärregierung 30, 54–61, 66, 83, 86–88, 92, 93, 139, 189, 256, 266 Mittelbau 21, 25, 28, 31, 36, 42–48, 50–54, 72, 114, 116, 124, 126, 135–164, 287, 292–294, 296, 297, 306, 319, 321, 333–336 Modernisierung 29, 126, 143, 197, 214, 220, 225, 229, 233, 239, 249, 265–299, 320, 324, 329, 330–335 N Nichtordinarien (s . Mittelbau) Notabitur 90, 93, 112 P Parallelprofessur 45, 65, 74, 76, 78–85, 144, 149, 160, 202, 204, 206, 292, 293, 299, 301, 306, 314, 330, 336 Partizipation 21, 19, 32, 171, 233, 297, 298, 300, 303–306, 310, 321, 323, 332, 335, 336 Philosophikum, Allgemeinprüfung 37–39, 42, 118–127, 135
Privatdozierende (PD) 28, 42, 43, 45, 117, 136–140, 142, 145, 155, 158, 161, 162, 182, 210, 221, 292 Professorinnen 24, 68, 77, 135, 154–160, 166, 177, 179, 182–185, 336 Professur 21, 22, 25, 31, 35, 36, 37, 39, 42–46, 49, 50, 54, 55, 57–85, 94, 108, 112–116, 136, 141–153, 155, 158–164, 171, 172, 175, 176, 179–182, 184, 189, 192, 194, 202–204, 206, 208, 210, 215–217, 221, 249, 252, 253, 260, 266–270, 293–299, 301, 306, 314, 318, 319, 327, 330, 335, 336 Promotion 37–39, 42, 47, 50, 115, 118, 119, 120, 123, 124, 125, 127–131, 134, 135, 172, 181–184, 192, 210, 216, 221, 224, 252, 269, 270, 276, 278, 282, 313, 315, 331, 334 Propädeutische Kurse 63, 90–93, 112, 118, 124, 145, 146, 148, 264, 316, 329 Protestantisch, evangelisch 22, 63, 106, 108, 185, 201, 209, 211, 222, 229, 233, 246, 248, 254, 255, 268, 308, 327, 331 Prüfungen, Examen 21, 37, 38, 39, 47, 50, 52, 89–93, 103, 110, 118–130, 249, 254, 266, 277, 287, 290, 291, 308 Prüfungsordnung 28, 35, 37, 39, 47, 50, 51, 89, 90, 116–130, 134, 135, 223, 265, 295, 314 Psychologie 36, 37, 39–41, 58, 62, 68, 70–75, 80, 82, 103, 115, 118, 120, 121, 127, 128, 132, 137, 156, 176, 184, 189, 190, 203, 249, 252, 307, 322 R Räte, akademische 42, 43, 124, 125, 136, 149, 151, 152, 161; wissenschaftliche- 42, 43, 74, 136, 144–146, 149–151, 161, 163, 293–295, 334 Religion 75, 197, 198, 213, 229, 231, 237–240, 245–249, 251, 254, 262, 263, 271–274, 295, 308, 309, 329, 331, 335 Romanistik 36–41, 62, 64–66, 74, 76, 78–81, 115, 116, 126, 132, 150, 160, 175, 176, 190, 320 S Selektion, Auswahl 90–93, 101, 102, 109, 122, 137, 141, 163, 173, 232, 287, 298, 312, 332 Soziale Zusammensetzung der Studierenden 102–106, 160, 330 Sozialistischer Deutscher Studentenbund, SDS 100, 101, 288, 289, 295, 317, 322
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Sachregister
Sozialstruktur 32, 166, 170, 174, 181, 183, 185, 187, 326 Staatsexamen 28, 37–39, 42, 116, 118–130, 134, 135, 181, 204, 210, 276, 277, 315, 316, 331, 333 Staatsprüfung (s . Staatsexamen und Kleine Fakultas) Studentinnen 72, 86, 88–90, 99, 102–104, 106–111, 154, 158, 160, 199, 254, 318, 330 Studienausschuss für Hochschulreform, „Blaues Gutachten“ 100, 119, 129, 134, 141, 143, 148 Studien-, Immatrikulations-, Zulassungsbeschränkungen 48, 50, 63, 73, 85, 86, 88, 89, 91, 93, 96, 101, 107, 111, 112, 115, 119–122, 148, 156, 183, 198, 244, 287, 291, 308, 313, 316, 320, 329, 334 Studienfälle 40, 41, 114, 115, 116, 160, 320 Studiengang, Promotions- 37, 38, 118, 119, 125, 127, 134, 135, 334; Staatsexamens- 37–39, 119–123, 135, 333; studienbegleitender- 38, 39, 42, 70, 118, 119, 121, 127, 207, 316 Studienhonorar 100, 101, 288–290 Studienprofessuren 141–148, 293–295 Studienreform 75, 116, 120, 127, 128, 135, 291, 314, 316–318, 322, 333 Studium Generale 22, 30, 85, 91–93, 118, 244, 260–266, 271, 277, 283, 298, 304, 329 U Überfüllung, Überfüllungskrise 84–86, 94, 99, 120, 128, 135, 160, 161, 163, 164, 196, 198, 226, 288, 291, 292, 296, 307, 308, 318, 323, 334, 335
UNESCO 155, 218, 279, 282, 283 Universitätsgeschichte 25, 26, 29–31, 205, 210, 230, 307, 338 V Verband Deutscher Studentenschaften, VDS 53, 102, 268, 289, 290, 301–304, 310, 317 Verwissenschaftlichung 20, 34, 64, 74, 76, 84, 138, 231, 338, 373, 374, 382 W Werkstudierende, Werkarbeit 98–101, 108, 109, 111, 232, 261, 264, 271, 288, 289, 334 Wissenschaftliche Politik und Soziologie 37, 39, 40, 64, 67, 74–76, 82, 102, 109, 128, 203, 215, 218, 219, 269, 270, 272, 274–277, 282, 283 Wissenschaftsorganisation 22–24, 32, 44, 74, 160, 174, 190, 204–214, 220, 226, 255, 283–285, 309, 314, 327, 331, 332, 337, 338 Wissenschaftsrat 23, 31, 40, 52, 53, 70–84, 112, 114, 122, 148–151, 206, 223, 252, 282, 296, 297, 308, 309, 312–321 Z Zwischenprüfung 47, 90, 91, 118, 122–126, 135, 151, 152, 154, 316, 318, 333
Alexander Mayer
Universitäten im Wettbewerb Deutschland von den 1980er Jahren bis zur Exzellenzinitiative WIssenschAftskulturen. reIhe III – BAnd 52 2019. 401 Seiten mit 2 s/w-Abbildungen 978-3-515-12337-2 geBunden 978-3-515-12343-3 e-Book
Mit der Exzellenzinitiative richtete die deutsche Wissenschaftspolitik das Hochschulsystem neu aus. Das Ziel: international konkurrenzfähige Spitzenuniversitäten durch einen verschärften Wettbewerb. So einschneidend diese Zäsur auch war, hat das Exzellenzprogramm doch eine längere Vorgeschichte. Denn bereits seit dem Abbruch des Hochschulausbaus in den 1970er Jahren entwickelten sich – teils politisch forciert, teils infolge schwindender finanzieller Spielräume des Staates – neue Formen des Wettbewerbs zwischen Universitäten um Geld, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Studierende und Prestige, die zunehmend internationale Dimensionen gewannen. Alexander Mayer untersucht die Entstehung interuniversitärer Konkurrenzverhältnisse seit den frühen 1980er Jahren anhand von
sechs Fallbeispielen: der FU Berlin, der Universität Bielefeld, der TU München, der FSU Jena, der Universität zu Köln und der Carl von Ossietzy Universität Oldenburg. Auf dieser Grundlage kann Mayer die Folgen des Wettbewerbs zeigen – sowohl für die Machtverhältnisse an den Universitäten als auch für Forschung und Lehre. Aus dem InhAlt Einleitung | Konkurrenz nach dem Abbruch des Hochschulausbaus | Konkurrenz und Kooperation im Umbruch: Die Transformation des ostdeutschen Hochschulsystems | Das Wettbewerbsparadigma | „Leistungsindikatoren“: Formalisierung der Konkurrenz | Rankings | Der globale „Kampf um die klügsten Köpfe“ | Die Exzellenzinitiative | Resümee | Anhang
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Fabian Waßer
Von der „Universitätsfabrick“ zur „Entrepreneurial University“ Konkurrenz unter deutschen Universitäten von der Spätaufklärung bis in die 1980er Jahre WissenschAfTskUlTUren | reihe iii: PAllAs AThene – BAnD 53 2020. 352 Seiten 978-3-515-12486-7 geBUnDen 978-3-515-12487-4 e-BOOk
Wettbewerb unter Hochschulen ist seit der Exzellenzinitiative auch in Deutschland in aller Munde. Bei der interuniversitären Konkurrenz handelt es sich jedoch keineswegs um ein neues Phänomen: In einem historischen Längsschnitt von der Spätaufklärung bis in die 1980er Jahre hinein zeichnet Fabian Waßer kompetitive Praktiken deutscher Universitäten nach. Aufbauend auf Georg Simmels triadischem Konkurrenzmodell stehen dabei Fragen nach den am Wettbewerb beteiligten Akteuren, den Prämien der Konkurrenz und den schiedsrichterlichen Instanzen, die über die Verteilung derselben entscheiden, im Vordergrund. Im Fokus der Untersuchung stehen Umbruchphasen, in denen sich neue Wettbewerbsordnungen etablierten: die Epoche von der Gründung der Aufklärungsuniversität Göttingen bis zu den Humboldtschen Bildungsreformen
sowie das Kaiserreich und das „Dritte Reich“, aber auch die „langen 1960er Jahre“ und der Beginn der „Ära Kohl“ in den 1980er Jahren. Im Vergleich wird deutlich, dass sich der Wettbewerb bei einer Verknappung der Prämien verschärfte und Zeiten starken Konkurrenzdrucks mit Phasen eines nur schwach ausgeprägten Wettbewerbs abwechselten. Der AUTOr Fabian Waßer studierte Neuere und Neueste Geschichte, Politikwissenschaft und Geschichte Ost- und Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Von 2013 bis 2016 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Zeitgeschichte der LMU München beschäftigt. Seither ist er als Bibliothekar an der Bayerischen Staatsbibliothek tätig.
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Als in den 1950er Jahren die Studierendenzahlen zu steigen begannen, erklärte die Professorengeneration der Jahrgänge 1886–1910 die später sogenannte Bildungsexpansion zur „universitären Krise“: Universitäre Abschlüsse sollten einer Elite vorbehalten, die „Masse“ abgewehrt werden. Da sich die Studierendenanzahl in den Geisteswissenschaften dennoch vervierfachte, versuchten die Professoren, zumindest ihre eigene Gruppe möglichst klein zu halten. Neue Hierarchien wurden eingeführt, neue Abschlüsse eingezogen und große Teile der Forschung und Lehre auf den Mittelbau verschoben, der kurzfristig ausgebaut wurde. Erst als Studierende und verschiedene Hochschulreformer sich die Krisenrhetorik aneigneten und öffentlich gegen die unzureichenden universitären Ausbildungskapazitäten, Demokratisierungsdefizite und staatliche Finanzierungsengpässe protestierten, bahnte sich ein Wandel an. Mit institutionsgeschichtlichen, kollektivbiographischen und diskursanalytischen Methoden untersucht Christa Klein exemplarisch die Spannungsverhältnisse zwischen institutionellen und repräsentativen Entwicklungen der Philosophischen Fakultät Freiburg 1945–67. Universitätsgeschichte jenseits der Jubiläumsrhetorik, so zeigt sich hier, ist ein „missing link“ zwischen Wissenschafts- und Gesellschaftsgeschichte.
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ISBN 978-3-515-12599-4
9
7 83 5 1 5 1 2 5994