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German Pages [170] Year 2019
Wolfgang Schoberth Einführung in die theologische Anthropologie
Wolfgang Schoberth
Einführung in die theologische Anthropologie 2. Auflage
Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Einbandgestaltung: Peter Lohse, Büttelborn Abbildung: Symbolische Darstellung der Durchbrechung des mittelalterlichen Weltbildes, 1888. Aus: Camille Flammarion: L’atmosphère, et la météorologie populaire, Paris 1888. i akg-images.
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. 2., durchgesehene Auflage 2019 i 2019 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe dieses Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Einbandgestaltung: schreiberVIS, Seeheim Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN: 978-3-534-26642-5 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-74510-4 eBook (epub): 978-3-534-74511-1
Inhalt Vorwort
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1. Die Fragestellung: Wozu Anthropologie? . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Ein exemplarisches Problemfeld: Die Stammzellenforschung 1.1.1 Anthropologie und der Streit um das Menschsein: Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Die öffentliche Debatte um den Menschen und die Theologie: Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Der Streit um das Menschenbild . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Was sind ,Menschenbilder‘? . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Gibt es ein christliches Menschenbild? . . . . . . . . 1.3 Die anthropologische Grundfrage: Was ist der Mensch … . . 1.4 … daß du seiner gedenkst . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Anthropologie im interdisziplinären Kontext . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Konstitution (k)einer Disziplin . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Was ist ,Anthropologie‘? . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Von der Frage nach dem Menschen zur empirischen Anthropologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Immanuel Kant: Anthropologie als pragmatische Disziplin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Anthropologie als Suche nach dem Ursprung und der biologischen Natur des Menschen . . . . . . . . . . 2.2 Die philosophische Anthropologie im 20. Jahrhundert . . . 2.2.1 Max Scheler: Der Mensch als weltoffenes Wesen . . 2.2.2 Helmuth Plessner: Exzentrizität und Verborgenheit . 2.2.3 Arnold Gehlen: Der Mensch als Mängelwesen . . . 3. Das Ende der Anthropologie und die Anthropologie nach ihrem Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Anthropologiekritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Was will die Anthropologie eigentlich wissen? Und was hält sie zusammen? . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Von der Schwierigkeit, ,den Menschen zu bestimmen . 3.4 Die anthropologische Unumgänglichkeit des Normativen
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4. Thema und Eigenart theologischer Anthropologie . . . . . . . . . 4.1 Theologische Entwürfe zur Anthropologie im 20. Jahrhundert 4.1.1 Rudolf Bultmann: Existenzielle Anthropologie . . . . 4.1.2 Emil Brunner: Anthropologie im Widerspruch . . . . 4.1.3 Karl Barth: Christologische Anthropologie . . . . . . 4.1.4 Karl Rahner: Transzendentale Anthropologie . . . .
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Inhalt
4.1.5
Wolfhart Pannenberg: Anthropologie als Fundamentaltheologie . . . . . . . . . 4.1.6 Ansatz beim Subjektbewußtsein? . . . Martin Luther: Disputatio de homine . . . . . . Die Rede vom Menschen in der Bibel . . . . .
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7. Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8. Begriffe
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4.2 4.3
5. Elemente theologischer Anthropologie . . . . . 5.1 Sünder und Ebenbild Gottes . . . . . . . 5.1.1 Zum Ebenbild geschaffen . . . . . 5.1.2 Die Macht der Sünde . . . . . . . 5.2 Leib und Seele . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Das vernünftige Lebewesen . . . 5.2.2 Leiblichkeit und Geschöpflichkeit 5.3 Autonomie und vita passiva . . . . . . . . 5.4 Zeit und Ewigkeit . . . . . . . . . . . . . 6. Bibliographie
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Vorwort zur zweiten Auflage Diese Neuauflage beschränkt sich auf die Berichtigung von Druckfehlern, da mir Konzept und Aufbau nach wie vor angemessen erscheinen. Es ist aber auch zu erkennen, dass die Diskussion um die theologische Anthropologie sich zu verändern beginnt: Anthropologischen Fragen kommt innerhalb wie außerhalb der Theologie offensichtlich wieder größere Aufmerksamkeit zu. Dies manifestiert sich in der Entstehung von Forschungsverbünden, in denen unterschiedliche akademische Disziplinen ihre jeweiligen Kompetenzen in ein vielperspektivisches Netz anthropologischer Fragestellungen und Einsichten einbringen. Dabei ist eine Konzentration auf einzelne, genau zu bestimmende Phänomene und Konstellationen zu beobachten; in der interdisziplinären Frage nach Gestalten und Orientierungen des Menschseins sind genuin theologische Beiträge unverzichtbar. Seit dem Erscheinen der ersten Auflage sind drei große Entwürfe zur theologischen Anthropologie erschienen, die in je spezifischer Weise das Feld neu vermessen. Die Diskussion dieser Entwürfe und ihrer Impulse würden den Rahmen einer Einführung sprengen, weshalb ich mich auf den Verweis beschränke. Der katholische Theologe Thomas Pröpper (Theologische Anthropologie. Unter Mitarbeit von Michael Bongardt, Michael Greiner, Magnus Striet und Georg Essen, 2. Aufl. Freiburg/Br. 2012) beschreibt das Menschsein konsequent anhand des Leitbegriffs der Freiheit. David H. Kelsey (Eccentric Existence. A Theological Anthropology, Louisville, KY 2009) fragt in der Reflexion einer Fülle anthropologischer Themen nach dem Handeln Gottes an und mit Menschen, um eine Gestalt des Lebens zu umreißen, in dem Menschsein sich erfüllen kann. Die Zentrierung um das Handeln Gottes am Menschen teilt Gerhard Sauter (Das verborgene Leben. Eine theologische Anthropologie, Gütersloh 2011); er gibt eine feinfühlige Phänomenologie des Lebens vor Gott, das eben darin frei wird, wenn es darauf verzichtet, sich selbst zu besitzen. Es ist die Aufgabe auch der zweiten Auflage dieser Einführung, zu dem kritischen Urteilsvermögen anzuleiten, das zum Verständnis der anthropologischen Diskussionen in der Gegenwart befähigt.
Vorwort Anthropologie ist nicht einfach eine wissenschaftliche Disziplin neben anderen: Wenn Menschen nach ,dem Menschen fragen, dann ist offensichtlich jeder Mensch selbst Gegenstand dieses Nachdenkens. Auch die wissenschaftliche Anthropologie gewinnt ihre Bedeutung aus der gesellschaftlich ebenso aktuellen wie bleibend wichtigen Selbstverständigung: Wer sind wir und was wollen wir sein? Diese Frage steht im Hintergrund der ethischen und politischen Auseinandersetzungen der Gegenwart. In diesem Streit um ,
Vorwort
das Menschsein hat die theologische Anthropologie ihren Ort; hier ist ihre Präsenz aber auch unverzichtbar. Die theologische Anthropologie bedarf darum der Fähigkeit zum Diskurs mit den heterogenen Vorstellungen vom Menschsein, wie sie gesellschaftlich, kulturell, aber auch wissenschaftlich begegnen. Diskursfähigkeit kann freilich nicht heißen, daß sich die theologische Rede vom Menschen an das anpaßt, was gegenwärtig als plausibel erscheinen mag; vielmehr geht es um das Einüben der Fähigkeit, andere Perspektiven angemessen wahrzunehmen und die eigenen zu artikulieren und zu reflektieren. Eben deshalb ist diese Einführung nicht die Präsentation eines gesicherten Wissenskanons, sondern zielt auf die Entwicklung anthropologischer Urteilskraft. Weil theologische Anthropologie sich allemal in einem interdisziplinären Kontext vollzieht, nehmen die Ausprägungen der Anthropologie, wie sie in Wissenschaften und Philosophie erscheinen, in diesem Band breiten Raum ein. Theologische Kompetenz bedeutet gerade hier den Einblick in außertheologische Felder und die Bereitschaft zur begründeten Auseinandersetzung; dem dienen auch die exemplarischen Auseinandersetzungen mit aktuellen Kontroversen um das Menschsein. Schon die Frage, was genau der Gegenstand der Anthropologie sei und erst recht, welche Methoden und Problemstellungen diesem Gegenstand angemessen wären, ist freilich umstritten. ,Anthropologie bezeichnet weniger ein klar abgrenzbares Thema als vielmehr ein offenes Problemfeld: Was ist im Blick, wenn nach ,dem Menschen gefragt ist? In den verschiedenen Wissenschaften, die jeweils eine Anthropologie ausgebildet haben, wird dies sehr unterschiedlich bearbeitet und beantwortet. So steht die Klärung ihres eigenen Begriffs nicht im Vorfeld der Anthropologie, sondern ist bereits eine ihrer wesentlichen Aufgaben. Die Frage nach der Möglichkeit theologischer Anthropologie bildet darum auch das Zentrum dieser Einführung. Sie zielt auf die Entwicklung einer klaren und in den Konflikten der Gegenwart hilfreichen christlichen Rede vom Menschen. Die Elemente theologischer Anthropologie, wie sie abschließend gezeichnet werden, entwerfen ein eigenes programmatisches Profil. Christliche Rede ist in sich vielgestaltig; so vollzieht sich auch die Theologie im Diskurs. Sie vertritt nicht eine fixierte Sicht des Menschen, sondern ist in sich im unumgänglichen Streit um das Menschsein begriffen – wenn es ein Kennzeichen der conditio humana gibt, könnte es eben das sein, daß die Frage nach dem Menschsein nicht zur Ruhe kommt. Es gehört zu den zentralen Einsichten, die aus der Wahrnehmung der Mannigfaltigkeit des Menschseins zu gewinnen ist, daß man die Grenzen der eigenen Sicht anerkennt. Nicht nur deshalb ist zur Ergänzung dieser Einführung, die die evangelische Prägung ihres Autors nicht verleugnet, auf den jüngst erschienenen „Grundriss Theologischer Anthropologie“ von Erwin Dirscherl (10) hinzuweisen. Von allen, denen ich für vielfältige Hilfe während der Abfassung dieses Buches zu danken habe, seien besonders genannt: Der Verlag und sein Lektor Dr. Bernd Villhauer, Dr. Karl-Friedrich Haag, sowie Frau Ramona Müller, die die Mühe der Überprüfung der zahlreichen Zitate auf sich genommen hat. Meinem Assistenten PD Dr. Martin Hailer danke ich für seine freundliche und kenntnisreiche Diskussion der Entwürfe und seine wertvollen Ratschläge, unserer Tochter Milena für ihre Geduld. Der Dank, den ich meiner Frau, Prof. Dr. Ingrid Schoberth, schulde, geht über das Fachliche weit hinaus. ,
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1. Die Fragestellung: Wozu Anthropologie? Der Leser erwartet am Beginn dieses Buches möglicherweise eine Definition von ,Anthropologie ; diese Erwartung muß freilich angesichts der Vielfalt dessen, was in unterschiedlichen Wissenschaften unter diesem Titel erscheint, enttäuscht werden. Eine Definition würde entweder allzu unscharf sein oder aber zu eng ausfallen, weil sie von vornherein anthropologische Forschungsfelder ausschließt, die zu wichtigen Gesprächspartnern theologischer Anthropologie gehören könnten. Darum soll hier mit einer ersten Verständigung darüber begonnen werden, worin überhaupt die Bedeutung der anthropologischen Fragestellung besteht. Ausgehend von einer exemplarischen Debatte werden in einer Reihe von Thesen Grundlinien anthropologischer Reflexion herausgearbeitet. Dabei sind Vorgriffe unvermeidlich: Die ausführliche Begründung der Thesen kann erst im Fortgang dieser Einführung in die theologische Anthropologie entfaltet werden. ,
1.1 Ein exemplarisches Problemfeld: Die Stammzellenforschung Die politischen und ethischen Fragen, die aus den Entwicklungen in der Biotechnologie entstehen, gehören ohne Zweifel zu den wichtigsten Themen der Gegenwart. Betrachtet man aber den Verlauf der verschiedenen Debatten, so zeigt sich sehr bald, daß es sich hier keineswegs um ethische Spezialfragen handelt, die durch das Abwägen des Für und Wider der jeweiligen Problemstellung hätten beantwortet werden können. Es ist vielmehr ein Charakteristikum dieser Auseinandersetzungen, daß sich die beteiligten Seiten auch nach Austausch aller Sachargumente nicht aufeinander zu bewegen und bewegen können. Dabei fällt auf, daß sich die verschiedenen Positionen nicht nach den gängigen Einteilungen auf politische Lager verteilen lassen; vielmehr finden sich in allen Parteien und Lagern Vertreter und Kritiker der verschiedenen Positionen. Die Vermutung liegt nahe, daß es sich hier um sehr grundlegende Divergenzen handelt, die quer liegen zu offensichtlichen politischen Optionen. Die zumeist auf aktuelle Problemlagen beschränkten Debatten erreichten aber kaum die Ebene der fundamentalen Überzeugungen. Diese Diskussionen sind weiterhin dadurch gekennzeichnet, daß in ihnen die Basis unserer gesellschaftlichen Ordnung selbst in eigentümlicher Weise thematisch wird. Dies manifestiert sich darin, daß der Begriff der Menschenwürde zu einem Zentralbegriff der Diskussion wurde und werden mußte: Es wird etwa geltend gemacht, daß jede Entscheidung in der Frage der Forschung an embryonalen Stammzellen Konsequenzen dafür hat, was in unserer Gesellschaft als ,Menschenwürde in Zukunft gelten solle. Wenn nämlich Artikel 1 des Grundgesetzes feststellt: „Die Würde des Menschen ,
1. Die Fragestellung: Wozu Anthropologie?
ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“, dann entsteht in eminent praktischer Hinsicht die Frage, wem eigentlich hier ,Würde zugesprochen wird. Kommt der Schutz, der aus der Achtung der Menschenwürde hervorgeht, auch menschlichen Stammzellen zu, also jenen Zellen, die in biologischer Hinsicht am Anfang der Entwicklung eines Menschen stehen? Wird die Frage positiv beantwortet, so müßte dies konsequenterweise ohne weitergehende Argumentationen die Legitimität der Stammzellenforschung verneinen. Denn wenn Stammzellen nicht aus dem Bereich dessen herauszulösen sind, was das Grundgesetz ,Mensch nennt, so stehen sie unter demselben unbedingten Schutz, der ,dem Menschen zukommt; eine Forschung, die notwendigerweise Embryonen ,verbraucht‘, also tötet, wäre zu unterbinden. Wenn aber die Stammzellen aus dem Bereich dessen, was ,Mensch genannt wird, herausgenommen werden: Unter welchen Bedingungen sind wir dann berechtigt und verpflichtet, von menschlichem Leben zu sprechen? Welche Kriterien für Menschsein müssen erfüllt sein? Die aktuelle ethische Einzelfrage führt also notwendigerweise auf eine Ebene, die als anthropologisch bezeichnet werden muß, weil es hier um die grundsätzliche Frage geht: Was ist ein Mensch? Die politische Streitfrage kann darum – wie wohl alle grundlegenden ethischen Fragen – nur dann sachgemäß diskutiert werden, wenn die anthropologischen Voraussetzungen, die die verschiedenen Positionen tragen, allererst offengelegt und diskutiert werden. Mit Recht wurde darum in der Debatte wiederholt die Notwendigkeit einer grundlegenden und gründlichen anthropologischen Diskussion angemahnt, weil die nähere Betrachtung zeigte, daß jede der verschiedenen Positionen, die in Hinblick auf die gesetzliche Regelung vertreten wurden – von der Forderung nach völliger Freigabe bis zum völligen Verbot solcher Stammzellenforschung – auf Grundannahmen über das Wesen und die Bestimmung des Menschen basiert. An dem scheinbar eingegrenzten Spezialproblem erweist sich – wieder einmal – der Bedarf nach einer breiten öffentlich geführten Diskussion darüber, welche Vorstellung vom Menschen für Politik und Gesellschaft leitend sein oder werden soll. Diese Diskussion findet freilich öffentlich kaum statt. Das mag so lange nachvollziehbar sein, als sich die Debatte im engeren Bereich politischer Entscheidungen bewegt: Politik steht unter Handlungs- und Entscheidungszwang; sie verfährt interessenorientiert. Gesetzliche Regelungen brauchen pragmatisch handhabbare Kriterien und klare juristische Linien; sie können sich darum punktuell auch auf die Formulierung solcher Kriterien und Leitlinien beschränken. An der Debatte um die Forschung an embryonalen Stammzellen wurde das exemplarisch deutlich: Statt der grundlegenden anthropologischen Fragen, was wir unter ,dem Menschen verstehen wollen, und wie mit dem Beginn menschlichen Lebens umzugehen sei, trat die Frage nach einer Bestimmung des Zeitpunkts, ab wann von einem Menschen zu sprechen sei und also der grundgesetzliche Schutz greife, ins Zentrum der Diskussion. Freilich erwies sich aber auch diese Beschränkung als letztlich undurchführbar, weil auch hier so viele anthropologische Voraussetzungen im Spiel sind, daß eine Einigung darüber, ab welchem Zeitpunkt der Schutz der Menschenwürde greife, nicht möglich war. ,
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1.1 Ein exemplarisches Problemfeld: Die Stammzellenforschung
In der Frage nach der Forschung an embryonalen Stammzellen war die Folge ein politischer Kompromiß, der zwar die entstandenen Fragen nicht lösen konnte und wollte, wohl aber den Interessen der verschiedenen Positionen Rechnung tragen sollte: Einerseits sollte die Forschung an embryonalen menschlichen Stammzellen um ihrer erhofften medizinischen Chancen willen ermöglicht werden; andererseits aber sollte eine enge Reglementierung gewährleisten, daß menschliche Embryonen nicht völlig aus dem Schutz der Menschenwürde herausgenommen und zum Forschungsobjekt und Wirtschaftsgut werden. Von hier aus wird verständlich, warum die Debatte um die gesetzliche Regelung des Stammzellenimports letztlich keine Klärung brachte, sondern nur – was in Anbetracht der Lage sicher kein geringes Verdienst ist – einen für viele akzeptablen Kompromiß in der juristischen und politischen Handhabung. Damit aber wurden die auch politisch und juristisch entscheidenden Fragen wieder in den Hintergrund gedrängt.
1.1.1 Anthropologie und der Streit um das Menschsein: Thesen Die politische Debatte ist in mehrfacher Hinsicht bezeichnend für die Aufgabe, vor der jedes anthropologische Nachdenken steht. Was hier an einem Einzelfall deutlich werden konnte, wird in analoger Form bei jeder wesentlichen politischen und ethischen Auseinandersetzung erkennbar: Handlungen, Bewertungen und Orientierungen basieren auf spezifischen Vorstellungen vom Menschsein und wirken auf diese Vorstellungen zurück. Von dieser Wahrnehmung aus läßt sich die Aufgabe der Anthropologie in einigen Thesen formulieren, wobei die eingehende Begründung hier noch nicht gegeben werden kann. Die folgenden Leitgedanken umreißen also in aller Knappheit die Aufgabe, die in dieser Einführung in die theologische Anthropologie bearbeitet werden soll.
1. Anthropologie erschöpft sich nicht in einer wissenschaftlichen Theorie über den Menschen; sie zielt vielmehr auf die lebensweltliche Selbstreflexion des Menschseins. Zweifellos erfordert die Beschäftigung mit Anthropologie die Kenntnis und den Nachvollzug wissenschaftlicher Theoriebildung und die Rezeption wesentlicher Erkenntnisse der verschiedenen Wissenschaften, die ,den Menschen in ihrer je spezifischen Weise zum Thema haben. Freilich wäre die Bedeutung dieser Wissenschaften, die ihnen auch in der Öffentlichkeit zugebilligt wird, nicht zu verstehen, wenn nicht berücksichtigt wird, daß hier Fragestellungen thematisch werden, die für jeden Menschen von Wichtigkeit sind, der über Ziel und Richtung seines Lebens nachdenkt. Unmittelbarer als in den meisten anderen wissenschaftlichen Feldern geht es bei der Anthropologie in spezifischer Weise ,um mich : Meine Selbstwahrnehmung, die Ausrichtung meines Lebens, mein Handeln sind von den Aussagen der Biologie des Menschen ebenso berührt wie von religiösen Bestimmungen des Menschseins. Die wissenschaftliche Bemühung um die Anthropologie, die wie jede andere wissenschaftliche Fragestellung die Kenntnis von fachspezifischen Diskussionen und Traditionen voraussetzt, bezieht ihre Relevanz allererst aus ihrer Einbettung in die Frage nach der Bestim-
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1. Die Fragestellung: Wozu Anthropologie?
mung des Menschseins. ,Bestimmung ist dabei durchaus in der doppelten Bedeutung des Wortes zu verstehen: Es geht um die Frage nach dem Verständnis dessen, was Menschsein ausmacht und worauf es ausgerichtet ist. Anthropologische Reflexionen sind mithin keineswegs lediglich theoretisch, sondern von allerhöchster praktischer Relevanz: Es geht um unser Handeln; darum, wie wir miteinander umgehen, wie wir unsere Welt eingerichtet haben wollen und worin wir die Bestimmung unseres Lebens erkennen. ,
2. Anthropologie und Ethik lassen sich nicht voneinander trennen. Diese praktische Relevanz der Anthropologie ist nicht erst dort gegeben, wo Anthropologen selbst ausdrücklich ethische Folgerungen aus ihren Untersuchungen ziehen, was freilich bezeichnenderweise häufig geschieht. Vielmehr ergibt sich die enge Verbindung von Ethik und Anthropologie unvermeidlicherweise schon daraus, daß jedes Nachdenken über die Bestimmung des Menschseins Vorstellungen darüber enthält, wie Menschen leben und handeln sollen, wie umgekehrt jede ethische Reflexion Annahmen darüber voraussetzt, was Menschen können und worin die Bestimmung ihres Lebens besteht. Der scheinbar naheliegende Einwand, hier liege ein ,naturalistischer Fehlschluß vor, indem von einem Sein verbotenerweise auf ein Sollen geschlossen werde – dieser Einwand muß noch eigens thematisiert werden (vgl. unten 3.4) – verfängt nicht, weil er die Eigenart des Nachdenkens über den Menschen übergeht. Dabei greifen ethische und anthropologische Überlegungen so ineinander, daß gerade nicht von einer einseitigen Abhängigkeit auszugehen ist, so als ob die Anthropologie die grundlegenden Einsichten über den Menschen herausarbeite, an denen sich die Ethik orientieren müsse, will sie nicht Unmögliches von Menschen fordern. Vielmehr ist hier eine strikte Interdependenz zu sehen: Oft sind es gerade die ethischen Überzeugungen, die die anthropologischen Aussagen und Interessen leiten, ebenso wie diese ethischen Überzeugungen von Annahmen über die Bestimmung des Menschseins abhängig sind. ,
3. Der Anthropologie kann es gerade nicht um eine ,objektive Bestimmung des Menschen gehen; vielmehr gehört zu ihrem Sinn die ,subjektive Dimension. ,
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Diese These steht im Widerspruch zu der Gestalt, in der zahlreiche Arbeiten zur Anthropologie erscheinen. Gerade naturwissenschaftliche Beiträge zur biologischen Natur des Menschen erwecken den Anschein einer Betrachtung des Menschen ,von außen‘, die als wissenschaftliche Theorie dann noch den Status (wenn vielleicht auch vorläufiger) empirischer Geltung beansprucht und darum als philosophischen und theologischen Reflexionen überlegen ausgegeben werden kann. Dieser Anspruch beruht freilich auf einer Selbsttäuschung: Festzuhalten war ja, daß Anthropologie ihren Sinn aus der Frage nach der Bestimmung ,meines Lebens bezieht. Ohne Zweifel kann auch der Mensch zum Gegenstand einer ,objektiven Erforschung werden – die wissenschaftstheoretische Problematik ,objektiver Erkenntnis soll hier nicht weiter verfolgt werden – ; freilich ist damit gerade das nicht erreicht, was das Spezifikum anthropologischer Überlegungen ausmacht. Dieses Spezifikum kommt nur dann in den Blick, wenn man sich Rechenschaft darüber ablegt, daß Anthropologie allemal Selbstreflexion von Menschen ist. ,
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1.1 Ein exemplarisches Problemfeld: Die Stammzellenforschung
Die Vermischung des Anspruchs auf wissenschaftliche Objektivität mit dem Feld menschlicher Selbstreflexion führt in der Anthropologie zu fatalen Konsequenzen: nicht nur weil hier eine Selbsttäuschung über die Leistungsfähigkeit und Stichhaltigkeit solcher Argumentationen vorliegt, sondern vor allem in Blick auf die öffentliche Relevanz. Gerade an den Debatten der Bioethik ist das zu erkennen, wenn nämlich, wie häufig zu beobachten, durch eine Überschreitung der legitimen Reichweite biologischer Aussagen die ethische Diskussion abgeschnitten werden soll. Der Verweis auf Wissenschaft dient dann aber nicht der Klärung, sondern der Mystifikation, wenn Fragen, die ihrem Wesen nach nicht wissenschaftlich entscheidbar sind, dem Feld des ,Subjektiven‘, also des irreduzibel Kommunikativen und damit Strittigen entzogen werden sollen. Die Debatte um die Forschung am vorgeburtlichen menschlichen Leben und an embryonalen Stammzellen liefert auch hierfür instruktives Anschauungsmaterial. Indem sich nämlich die Diskussion zunehmend auf die Frage verschob, ab welchem Zeitpunkt von einem ,Menschen zu sprechen sei, wurden die eigentlich relevanten ethischen Fragen unkenntlich. Darüber hinaus erwies sich genau diese Frage nach dem Zeitpunkt als unlösbar, weil hier sehr verschiedene Wahrnehmungen aufeinander treffen: Die Wahrnehmungen im biologischen Labor sind von denen der medizinischen Praxis unterschieden; beide wiederum lassen sich nicht ohne weiteres mit der lebensweltlichen Erfahrung vermitteln. Die Bestimmung eines Zeitpunkts wäre aber auch dann, wenn über sie Einigkeit gefunden werden könnte, allenfalls von nachrangiger Bedeutung, weil ein Zeitpunkt in sich ja nicht nur kein ethisches Urteil enthält; die Fixierung auf einen Termin verfehlt auch die strittigen Zusammenhänge. Die biologische oder medizinische Bestimmung ist hier gerade nicht das, was gesucht wird. In Frage stehen vielmehr Zusammenhänge, die in der Sprache der Biologie überhaupt nicht erscheinen können: Zum Verständnis von ,Menschenwürde kann die Biologie nichts beitragen, weil ein solcher Begriff im biologischen Kontext keine sinnvolle Bedeutung haben kann. Biologische und ethische wie anthropologische Perspektiven lassen sich auch nicht einfach addieren: Sie entstammen nicht nur unterschiedlichen Kontexten, sondern bleiben auch an ihre jeweiligen Sprach- und Wahrnehmungszusammenhänge gebunden. Zur Klärung ist es gerade hier unabdingbar, genau nach den Voraussetzungen und Bedingungen unseres Redens vom Menschen zu fragen. So sehr auch die (natur-)wissenschaftlichen Untersuchungen über den Menschen von großer anthropologischer Relevanz sind – keine tragfähige anthropologische Theorie kann z. B. die Einsichten zur Biologie des Menschen übergehen – , so sehr bleibt doch festzuhalten, daß diese Untersuchungen zwar unverzichtbares Material für die anthropologische Reflexion bieten, diese aber nie ersetzen oder unterlaufen können. Wo dies doch geschieht oder geschehen soll, wird ,Wissenschaftlichkeit zu einem bloßen Etikett, das selbst wieder notwendigerweise ,subjektive Positionen durch den Anschein des ,Objektiven der Kritik entziehen soll.
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1. Die Fragestellung: Wozu Anthropologie?
4. Anthropologie kann darum keine Angelegenheit von akademischen Spezialisten sein; vielmehr ist hier in spezifischem Sinn jeder Mensch Experte. Die notwendige Strittigkeit der anthropologischen Fragestellung bringt es mit sich, daß keine Disziplin und nicht einmal die Wissenschaften in ihrer Summe einen privilegierten Status beanspruchen könnten. Vielmehr sind auch sie allemal nur Teilnehmer am anthropologischen Diskurs, dessen eigentliches Feld die Selbstbesinnung der Menschen ist. Ist die Grundfrage der Anthropologie vorerst als die Frage nach der Bestimmung des Menschseins zu fassen – die notwendige Präzisierung dieser Grundfrage ist Gegenstand des ersten Teils dieser Einführung – , so ist hier vielmehr jeder Mensch kompetent, weil jeder Mensch diese Fragen irgendwie für sich beantwortet bzw. immer schon beantwortet hat. Vielleicht ist es sogar gerade ein wesentliches Kennzeichen der conditio humana, daß es zum menschlichen Leben gehört, eine Vorstellung davon zu haben, was es heißt, ein Mensch zu sein. Freilich sind die lebensweltlichen Antworten auf die anthropologische Grundfrage, wie sie jeder Mensch in seinem Handeln voraussetzt, in aller Regel unbewußt und in der Übernahme kultureller Prägungen und Plausibilitäten gegeben. Was Menschsein heißt und worin es seine Bestimmung findet, beantwortet ein Mensch nicht jeweils für sich allein, sondern in Aufnahme, Fortschreibung und Modifikation dessen, was er gelernt und erfahren hat und mit anderen teilt. Zugespitzt läßt sich sagen, daß hierbei seine eigene Identität gefragt und formuliert ist: Sie hängt daran, was einer für ein Mensch sein will. Weil aber die Bestimmung des Menschseins und meine eigene Identität so unmittelbar miteinander verbunden sind, kann es im strengen Sinn hier auch keine Experten geben. Auch diese Lehre ist aus der bioethischen Debatte zu ziehen: Sie wird gerade dann unlösbar und unfruchtbar, wenn sie zu einer Angelegenheit der Experten reduziert wird. Nicht nur sind in grundsätzlichen Fragen Experten allemal auf jeder der kontroversen Positionen zu finden – es ist nicht einmal eine Diskursebene im Blick, auf der sachgemäß die anstehenden Fragen zu bearbeiten wären. Dies ist darin begründet, daß es hier letztlich eben um lebensweltliche Fragen geht, die auf der Ebene der Expertendiskussion nur unzureichend wahrgenommen werden können.
5. Anthropologische Theorie hat ihre wesentliche Aufgabe im Bewußtmachen und in der kritischen Reflexion der lebensweltlich vorausgesetzten Antworten auf die Frage nach der Bestimmung des Menschseins: Was ist der Mensch und was macht sein Leben zu einem humanen und guten Leben? Der Ausdruck ,human hat nicht umsonst eine doppelte Bedeutung, in der Deskriptives und Normatives ineinander übergehen. Wenn aber letztlich jeder Mensch hier Experte ist und die anthropologische Grundfrage in jedem einzelnen Leben beantwortet werden muß, so wird doch die anthropologische Theorie nicht überflüssig. Zwar muß jeder Mensch diese Frage für sich selbst beantworten und hat sie immer schon beantwortet; das bedeutet aber gerade nicht, daß diese ,existenziellen Antworten der Reflexion entzogen oder unumstößlich wären. Gerade weil sie bedingt sind durch gesellschaft,
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1.1 Ein exemplarisches Problemfeld: Die Stammzellenforschung
liche und kulturelle Vorgaben und Kontexte – das gilt, wie sich zeigen wird, gerade für anthropologische Aussagen, die sich als wissenschaftliche verstehen – , ist es von größter Bedeutung, daß diese Selbstverständlichkeiten, die gar nicht so selbstverständlich sind, wie sie scheinen, bewußt werden und diskutiert werden. Es handelt sich dabei nämlich weder um ,wissenschaftliche Sachverhalte, die mit den Mitteln der Wissenschaft hinreichend bearbeitet und entschieden werden könnten, noch um subjektive, unhintergehbare Setzungen, sondern um fundamentale Prägungen, die kaum anders als ,weltanschaulich genannt werden können in dem unmittelbaren Sinn des Wortes: Sie sind auf das Engste verbunden damit, wie wir unsere Welt sehen und wie wir also uns selbst sehen. Umgekehrt ist auch die Welt, wie wir sie sehen, abhängig davon, was wir für ein gutes und gelingendes Menschsein ansehen. Darum liegen hier die grundlegenden Rahmenvorstellungen für unser Handeln und Leben. Diese Leitvorstellungen bewußt zu machen, ist die Aufgabe der anthropologischen Theorie; an der Erfüllung oder Nichterfüllung dieser Aufgabe bemißt sich wiederum die Qualität einer jeden anthropologischen Theorie. ,
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6. Anthropologische Theorie ist notwendig vielgestaltig und unentscheidbar. Die Einbindung der anthropologischen Fragestellung in die lebensweltliche Selbstverständigung über das Menschsein bringt es mit sich, daß ihre Themenfelder und Gegenstandsbereiche grundsätzlich nicht abgeschlossen werden können. Menschsein wird sich selbst in mannigfaltiger Hinsicht fraglich; und jeder Versuch, eine Fragerichtung und eine Zugangsweise zur maßgeblichen zu machen, führt in unzulässige Reduktionen, die die anthropologische Theorie entweder letztlich irrelevant oder ideologisch machen. Die faktische Vielzahl anthropologischer Ansätze und Themenstellungen ist also nicht lediglich ein kontingentes Ergebnis der Wissenschafts- und Geistesgeschichte, sondern folgt aus der Vielzahl der Perspektiven, in denen Menschen sich selbst thematisch werden. Mit dieser irreduziblen Vielgestaltigkeit ist freilich auch verbunden, daß niemand in der Lage ist, die mannigfaltigen Perspektiven und Theorien wiederum in einer einheitlichen Theorie zu integrieren, so wichtig es ist, offen und wahrnehmungsfähig zu sein für solche Beiträge, die auch außerhalb der eigenen Disziplin und Fragestellung liegen. Daß solche Wahrnehmung immer nur fragmentarisch geschehen kann, liegt auf der Hand. So muß an jeden Beitrag zur anthropologischen Reflexion die Forderung erhoben werden, die eigenen Grenzen und die eigene Partikularität bewußt zu machen und sich gleichzeitig nicht mit den Grenzen der eigenen Disziplin und der eigenen Vorannahmen zufrieden zu geben. Aber auch innerhalb einer Disziplin ist die Vielgestaltigkeit der Anthropologien irreduzibel: Gehört es gerade zu ihrer Eigenart, daß sie es mit der Strittigkeit der Bestimmung des Menschseins zu tun hat, dann sind verschiedene und kontroverse Antworten nicht nur legitim, sondern geradezu unverzichtbar. Gerade darin kommen die Selbstreflexion und die Würde des Menschen überein, daß sie die Anerkennung des anderen in seinem Anderssein und in seinen abweichenden Vorstellungen vom Menschsein implizieren.
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1. Die Fragestellung: Wozu Anthropologie?
7. Der anthropologische Diskurs ist gesellschaftlich unabdingbar. Daß die großen gesellschaftlichen Streitfragen zu keiner öffentlichen Debatte geführt haben, die Aussicht auf Klärung und wechselseitige Respektierung hatten und haben, ist nicht nur ein Merkmal defizitärer Öffentlichkeit und eines Politikverständnisses, das nur auf die Durchsetzung von Interessen, Optionen und Überzeugungen, nicht aber auf den Diskurs und die Anerkennung von Differenzen zielt. Was als ,Politikverdrossenheit und erst recht als Politikerschelte erscheint, ist demgegenüber nur ein unspezifisches Unbehagen, das den Kern der Problematik verfehlt: die Reduktion der politischen Aufmerksamkeit auf die jeweilige Einzelfrage, die doch ihren Sinn erst aus ihren Kontexten und Hintergründen hat. Weil aber politische Kriterien und gesetzliche Regelungen immer zurückgebunden sind an grundlegende Überzeugungen von der Bestimmung des Menschseins, wird mit dem Abblenden der anthropologischen Perspektive auch die notwendige Klärung über die Zielsetzung des Handelns und die Basis der rechtlichen Ordnung unterlassen. Diese Klärung ist nun in einem einzelnen Gesetzgebungsverfahren nicht zu leisten; wenn aber die öffentliche Diskussion dieser Fragen auf Dauer unterbleibt, löst sich der Rahmen einer gesellschaftlich in Grundzügen geteilten Ethik auf in das Neben- und Gegeneinander verschiedener Interessen und Haltungen, die letztlich weder fähig sind zur gemeinsamen Urteilsbildung noch zur produktiven Respektierung divergierender Anschauungen. Damit aber verlöre die Demokratie wesentliche Momente ihrer moralischen Basis. ,
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1.1.2 Die öffentliche Debatte um den Menschen und die Theologie: Thesen Es geht in dieser Debatte keineswegs darum, daß unsere Gesellschaft gemeinsame und verbindliche Vorstellungen vom Menschsein haben müßte – das wäre nicht nur eine uneinlösbare Fiktion, sondern mit dem Selbstverständnis freiheitlicher Gesellschaften unvereinbar, insofern zu deren Grundlagen ja gerade der Respekt vor divergierenden Überzeugungen auch in grundlegenden Fragen gehört. Der Respekt vor der Differenz wird aber auch dann aufgelöst, wenn der Streit um diese grundlegenden Überzeugungen aus der öffentlichen Diskussion verbannt wird. Liberale Gesellschaften sehen sich vor dem strukturellen Problem, daß sie einerseits um ihrer Liberalität willen keine verbindliche Vorstellung davon, wie ein gutes Leben beschaffen ist, voraussetzen oder erwarten dürfen, andererseits zugleich darauf angewiesen sind, daß ihre Bürger von solchen Überzeugungen geleitet sind, die die Bedingungen des respektvollen Zusammenlebens verschiedenartiger Lebensformen achten. Darum bedürfen solche Gesellschaften der Möglichkeit und Wirklichkeit eines öffentlichen moralischen Diskurses um das gemeinsame Gute und damit auch um die Bestimmung dessen, was Menschsein heißt.
1.1 Ein exemplarisches Problemfeld: Die Stammzellenforschung
1. Anthropologie liegt der Wissenschaft voraus; sie verweist auf die Sphäre des Philosophischen und des Religiösen und hat gerade darin ihre öffentliche und politische Relevanz. Die anthropologische Frage ist keine wissenschaftlich beantwortbare, weil mit ihr Vorentscheidungen verbunden sind, die der wissenschaftlichen Arbeit jeweils ihre Richtung gibt. Diese Vorentscheidungen fallen auf dem philosophischen und vor allem auch religiösen Terrain – wobei ,philosophisch wie ,religiös zunächst in einem weiten Sinn zu verstehen sind. Damit ist aber zugleich gesagt, daß anthropologische Theorie in mehrfacher Hinsicht nie abgeschlossen sein kann: Nicht nur ist keine Ebene erkennbar, auf der zwischen konkurrierenden anthropologischen Grundüberzeugungen bündig entschieden werden könnte; es gehört auch zu ihrem Sinn, daß sie auf Voraussetzungen beruht, über die sie nicht zu verfügen und die sie selbst nicht einzulösen vermag. Anthropologie weist so immer über sich selbst hinaus. Aus dem Bewußtsein für die ,religiöse Basis aller anthropologischen Theorien geht freilich keineswegs hervor, daß hier nicht kritisch zu begründen und abzuwägen wäre. Vielmehr sind damit gerade die Bedingungen einer angemessenen kontroversen Diskussion benannt: Diese kann nur da sinnvoll geschehen, wo diese letzte Unverfügbarkeit der Grundlagen anerkannt und respektiert wird. In der Anerkennung dieser Grenze liegt dann aber auch die Chance zur Artikulation der Differenzen und auch die Herausforderung zum Protest da, wo Behauptungen über die Bestimmung des Menschseins begegnen, die von der jeweiligen Grundüberzeugung her als nicht akzeptabel gelten müssen. Jede öffentliche Debatte um das Menschsein verweist, wie bereits deutlich wurde, immer auf die grundlegenden moralischen und religiösen Überzeugungen, auf denen die jeweiligen Positionen und Optionen basieren. Darum ist es im Interesse einer demokratischen politischen Kultur unerläßlich, daß in der öffentlichen Auseinandersetzung diese Grundüberzeugungen offengelegt und in der Debatte klar artikuliert werden. Weil die anthropologischen Fundamente ethischer und politischer Positionen notwendig strittig sind, kann niemand in dieser Auseinandersetzung ein Monopol oder einen Vorrang beanspruchen; grundsätzlich kann aber auch keine Stimme etwa mit dem Hinweis auf ihre religiöse Begründung ausgeschlossen werden. Solche religiösen Fundierungen sind vielmehr klar zu benennen und offen zu diskutieren. ,
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2. In der anthropologischen Debatte ist der Beitrag der Theologie unverzichtbar. Das Reden vom Menschen ist in unserer Kultur in vielfacher Hinsicht durch die christlich-jüdische Tradition bestimmt; dies manifestiert sich auch in der Rechtsordnung, wie gerade an dem Grundbegriff der Menschenwürde – unbeschadet auch antiker Traditionen, die in diesen Begriff einfließen – abzulesen ist. Daß die theologischen Stimmen für den gesellschaftlichen Diskurs unverzichtbar sind, macht freilich keineswegs ein christliches oder ,christlich-abendländisches Menschenbild verbindlich, zumal ein solches Menschenbild, wie sich zeigen wird, eine durchaus problematische Vorstellung ist. Vielmehr gehört es zur Aufgabe der Theologie, ihre Rede vom Men-
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1. Die Fragestellung: Wozu Anthropologie?
schen auch für Nichtglaubende möglichst nachvollziehbar darzustellen und als eine Sicht unter anderen Sichtweisen zu positionieren; dazu gehört freilich auch, daß die Theologie um Zustimmung für ihr Verständnis des Menschseins wirbt. Auch das ist eine Überzeugung, die die folgenden Überlegungen leitet: daß die christliche Rede vom Menschen realistisch und befreiend ist. Selbstverständlich steht dieselbe Überzeugung auch konkurrierenden Bestimmungen des Menschseins zu; eben dadurch ist eine fruchtbare Auseinandersetzung um das Menschsein gekennzeichnet, daß sie gleichermaßen für die entschiedene Wahrnehmung der eigenen Überzeugung und den Respekt vor anderen Raum bietet. Wie in der Auseinandersetzung um das Menschsein die christliche Rede vom Menschen nur im Bezug auf nichttheologische Vorstellungen vom Menschsein möglich ist, so verweist auch die theologische Anthropologie auf den Kontext verschiedenster anthropologischer Forschungen und Theoriebildungen in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen.
3. Theologische Anthropologie ist nur im Diskurs mit anderen anthropologischen Ansätzen möglich. Hier ist freilich genau zu unterscheiden: Die Notwendigkeit einer Einbindung in den öffentlichen wie den wissenschaftlichen Diskurs um das Menschsein erfordert zwar von der Theologie die Wahrnehmung dessen, was in anderen Disziplinen vom Menschen formuliert wird, und erfordert auch, mit diesen Aussagen, Theorien und Konzepten im Gespräch zu bleiben. Das kann aber gerade nicht heißen, daß die dort erarbeiteten Resultate und Aussagen von der Theologie zu übernehmen wären, weil jeweils differierenden Vorstellungen vom Menschsein die jeweilige wissenschaftliche Arbeit lenken. Zum öffentlich notwendigen Diskurs um das Menschsein gehört vielmehr die Begegnung klar profilierter unterschiedlicher Positionen und Perspektiven, von denen keine eine privilegierte Stellung einnehmen kann: Weder religiöse, philosophische noch auch wissenschaftliche Zugänge können hier einen grundsätzlichen Vorrang beanspruchen. Diese Verortung im Diskurs über das Menschsein impliziert wiederum Rückwirkungen auf die vertretenen Positionen; auch die theologische Rede vom Menschen gewinnt aus dem Diskurs Präzisierungen, Überprüfungen und Korrekturen. Die Vielfalt der Bezüge zu den verschiedenen Disziplinen, in denen anthropologische Fragestellungen erscheinen, läßt es freilich auch ausgeschlossen erscheinen, daß sie theologisch in einem einheitlichen Lehrstück erschöpfend zu bearbeiten wären: Theologische Anthropologie vollzieht sich vielmehr sinnvollerweise selbst in unterschiedlichen Gesprächskontexten, die zwar miteinander verbunden sind, aber keine einheitliche Gestalt annehmen können.
4. Die Ausbildung eines isolierten Lehrstücks vom Menschen ist für die theologische Bearbeitung der anthropologischen Fragestellungen nicht hilfreich. Dies gilt allerdings auch aus genuin theologischen Gründen: Auch innerhalb der Theologie sind die anthropologischen Fragestellungen sachgemäß in verschiedenen Zusammenhängen wie z. B. der Schöpfungslehre, der So-
1.2 Der Streit um das Menschenbild
teriologie, der Pneumatologie und Eschatologie – um die nächstliegenden zu nennen – zu verhandeln. Diese Mannigfaltigkeit der theologischen Bezüge ist wohl auch der Grund dafür, daß es in der Tradition nicht zur Ausbildung eines eigenen Glaubensartikels ,Vom Menschen kam. Die Vielzahl der relevanten innertheologischen wie interdisziplinären und gesellschaftlichen Bezüge machen aber nicht nur die spezifische Schwierigkeit einer Darstellung jeder theologischen Anthropologie aus; sie verweisen auch auf ihre genuine Aufgabe: In der Anthropologie wird die Verwobenheit theologischer Reflexion in die öffentliche Debatte geradezu thematisch. Ort und Funktion theologischer Anthropologie lassen sich demnach so bestimmen: ,
5. In der theologischen Anthropologie bringt sich die Theologie in den öffentlichen Diskurs um das gute Leben ein. Damit ist die theologische Anthropologie wie Anthropologie überhaupt an der Schnittstelle zur Ethik verortet, ohne in Ethik aufzugehen. Das Verhältnis von Ethik und Anthropologie ist vielmehr als Wechselbeziehung zu verstehen: In der Anthropologie werden wesentliche Voraussetzungen der Ethik reflektiert; zugleich aber sind die anthropologischen Überlegungen auch ethisch bestimmt. Wie wir jeweils das Menschsein bestimmen und wie wir mit Menschen umgehen wollen, läßt sich voneinander nicht trennen.
1.2 Der Streit um das Menschenbild Besteht der Kern des anthropologischen Interesses und die öffentliche Relevanz der Anthropologie im Streit um das Menschsein, so ist hier auch ihre zentrale theologische Bedeutung zu erkennen. In diesem Streit wird in der Theologie, aber auch in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit häufig auf das ,christliche Menschenbild Bezug genommen. Dabei werden freilich zumeist weder der genaue Inhalt noch die Legitimität eines ,christlichen Menschenbildes reflektiert. Der folgende Abschnitt bearbeitet eben diese Fragen. Offensichtlich stehen gesellschaftlich konkurrierende Vorstellungen vom Menschen zueinander im Widerspruch, teilweise auch unverbunden nebeneinander. Dabei sind theologische, religiöse und philosophische Bestimmungen nur einige von mannigfaltigen Vorstellungen vom Menschen, wie sie das Denken und Handeln formen. So hat z. B. die Alternative, ob der Mensch überwiegend genetisch oder gesellschaftlich und kulturell bestimmt sei, massive Handlungskonsequenzen: Wenn die Intelligenz eines Menschen genetisch feststeht, dann kann die Aufgabe des Bildungssystems nicht die Förderung der Intelligenz sein, sondern allenfalls deren Formung und faktisch ihre Selektion. Wenn der Mensch aber wesentlich durch seine Sozialisation geprägt ist, dann liegt wiederum die Verantwortung für das Scheitern von Bildungsbiographien vorrangig bei den sozialen Strukturen. Bereits dieses Beispiel zeigt aber auch, daß die unterschiedlichen Bestimmungen des Menschseins keineswegs immer als ausschließliche Alternative erscheinen: In deskriptiver Hinsicht ist offensichtlich, daß beide Perspektiven ihr relatives Recht besitzen. Daß in verschiedenen Kontexten unter,
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falsche Alternativen und echte Konflikte
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1. Die Fragestellung: Wozu Anthropologie?
schiedlich vom Menschen die Rede ist und sein muß, liegt auf der Hand. Darum schließen auch zentrale theologische Aussagen über den Menschen andere Vorstellungen nicht notwendigerweise aus. Hier ist sorgfältig zu unterscheiden, damit notwendige Auseinandersetzungen nicht durch Scheinkonflikte verdeckt werden, wie sie nicht zuletzt aus Fehlinterpretationen der christlichen Tradition entstehen. Wird etwa ,Schöpfung als Alternativkonzept zu ,Weltentstehung verstanden – eine sowohl von Christen wie auch in der wissenschaftlichen Diskussion nicht seltene vertretene Fehlinterpretation – , so kann der Kern des Schöpfungsglaubens kaum mehr in den Blick kommen. Auseinandersetzungen um astrophysikalische Theorien und die Evolutionstheorie basieren darum in der Regel auf theologisch irrigen Voraussetzungen und sind sachlich unergiebig. Konflikte werden freilich dann unvermeidbar, wenn mit den verschiedenen Vorstellungen vom Menschsein der Anspruch verbunden ist, das Ganze des Menschseins zu erfassen und nicht nur Teilaspekte zu beschreiben. So muß die biologische Beschreibung des Menschen als Produkt der Evolution zur biblischen Rede vom Menschen als dem ,Ebenbild Gottes ebensowenig in Widerspruch stehen wie die Beschreibung als Wirbeltier. Ein unvermeidlicher Konflikt bricht aber dann auf, wenn – um zwei für die Gegenwartskultur besonders bezeichnende Konzepte anzuführen – im Gestus der Wissenschaftlichkeit behauptet wird, Eigennutz sei unsere biologische Natur oder der Mensch sei im Grunde ein nutzenoptimierender homo oeconomicus. Solchen Behauptungen, die eben keine bündigen Ergebnisse wissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern vielmehr weltanschauliche Voraussetzungen sind, muß nicht nur aus theologischen Gründen widersprochen werden. Es ist weder ein Zufall, daß in diesen Vorstellungen biologische und ökonomische Kategorien vermischt werden, noch daß damit oft ein Pathos verbunden ist, das die Grenzen wissenschaftlicher Deskription deutlich überschreitet: Eben in dieser Melange scheinbar objektiver Wissenschaft und ethisch-politischer Ansprüche ist die Aufmerksamkeit begründet, die solche Äußerungen in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit finden. Dabei ist jedoch festzuhalten, daß die eigentliche anthropologische Fragestellung erst dort erreicht ist, wo die Grenzen des Geltungsbereichs wissenschaftlicher Aussagen überschritten werden. Arnold Gehlen hat diesen Zusammenhang knapp benannt: ,
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„Das von nachdenkenden Menschen empfundene Bedürfnis nach einer Deutung des eigenen menschlichen Daseins ist kein bloß theoretisches Bedürfnis. Je nach den Entscheidungen, die eine solche Deutung enthält, werden Aufgaben sichtbar oder verdeckt. Ob sich der Mensch als Geschöpf Gottes versteht oder als arrivierten Affen, wird einen deutlichen Unterschied in seinem Verhalten zu wirklichen Tatsachen ausmachen; man wird in beiden Fällen auch in sich sehr verschiedene Befehle hören.“ (85: 3)
Diese „Deutung des eigenen menschlichen Daseins“, die die Richtung des gesamten Lebens bestimmt, wird üblicherweise als das jeweilige ,Menschenbild bezeichnet, das Denken, Erfahren und Handeln bestimmt; unter diesem Titel wird in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit am offensichtlichsten die anthropologische Thematik verhandelt. So ist die Rede vom ,Menschenbild der Ökonomie, der Biologie, aber auch vom ,Menschenbild der Historiker ,
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1.2 Der Streit um das Menschenbild
und des Ingenieurs, wie von dem des Grundgesetzes, aber auch vom biblischen und dem christlichen ,Menschenbild . Die Reihe der Kombinationen ließe sich fast beliebig erweitern. Dabei fällt freilich auf, daß der Begriff gebraucht wird als sei er selbstverständlich, aber kaum genauer reflektiert wird: So fehlt das Stichwort in den einschlägigen Lexika. Dabei ist bereits bei den genannten Beispielen durchaus fraglich, ob der Ausdruck jeweils in derselben Weise benutzt wird. Vorerst kann festgehalten werden, daß der Ausdruck ,Menschenbild zwei Komponenten enthält: Er kann verstanden werden als die Abbildung dessen, was der Mensch ist, aber auch als (Ideal)Bild dessen, was ein Mensch sein und wie mit Menschen umgegangen werden soll, um seiner spezifischen conditio humana zu entsprechen. ,
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1.2.1 Was sind ,Menschenbilder‘? Eine genauere Klärung dessen, was der Begriff ,Menschenbild leisten könnte und worin seine Grenzen bestehen, setzt darum sinnvollerweise bei solchen Disziplinen an, in denen explizite Reflexionen auf das Menschenbild zu finden sind: Es sind nicht zufällig besonders solche Wissenschaften, die sich wesentlich pragmatisch auf ,den Menschen beziehen: Hier sind vor allem Pädagogik, Wirtschaftswissenschaft, Rechtswissenschaft und (klinische) Medizin zu nennen. Wie mit der Nennung dieser Disziplinen deutlich wird, setzt die handlungsleitende Funktion von Menschenbildern keineswegs voraus, daß diese auch bewußt wären und ausdrücklich verfolgt würden. Vielmehr folgt das Handeln in den medizinischen, wirtschaftlichen, juristischen etc. Handlungsfeldern zumeist intuitiv bestimmten Vorstellungen vom Menschen, die sich erst in der Reflexion auf dieses Handeln als seine normative Grundlage aufzeigen lassen. Dabei ist in diesem Zusammenhang die Pädagogik besonders instruktiv, weil „Erziehen … als intentionales Handeln auf Ziele und Leitbilder angewiesen“ (63: 72) ist. Die Geschichte der Pädagogik läßt sich „daher auch als Geschichte pädagogischer Menschenbilder lesen. Und man kann auch den aktuellen Streit über die richtige Pädagogik als Auseinandersetzung über das richtige Menschenbild verstehen.“ (70: 125) Der terminologische Gleichklang von ,Bild und ,Bildung ist dabei alles andere als zufällig, auch wenn das auf Meister Eckhart zurückgehende Kunstwort „Bildung“ auf den deutschen Sprachraum beschränkt bleibt (zum Begriff vgl. 69 und 65). Hatte Meister Eckhart die Formung des Menschen in das Bild Gottes – Teilhabe an Gottes Wesen und friedliches, gelassenes Leben in der Welt zugleich (vgl. 62: 116) – als reines Empfangen und also nicht als Resultat der eigenen Anstrengung des Menschen verstanden, so wird die eigentliche Menschwerdung des Menschen in der Renaissance zur souveränen Aufgabe des Menschen. In dieser Selbstwerdung wiederum besteht seine Würde. Bei dem Renaissancephilosophen Pico della Mirandola findet sich die Metapher, die für das Bildungsverständnis der Neuzeit als geradezu klassisch gelten kann. Pico läßt den Schöpfer des Menschen sprechen: ,
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„Wir haben dich weder als einen Himmlischen noch als einen Irdischen, weder als einen Sterblichen noch als einen Unsterblichen geschaffen, damit du als dein eigener, vollkommen frei und ehrenhalber schaltender Bildhauer und Dichter dir selbst
Bildung und Menschenbild
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1. Die Fragestellung: Wozu Anthropologie? die Form bestimmst, in der du zu leben wünschst. Es steht dir frei, in die Unterwelt des Viehs zu entarten. Es steht dir ebenso frei, in die höhere Welt des Göttlichen dich durch den Entschluß deines eigenen Geistes zu erheben.“ (103: 10 f.)
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ein Widerspruch im Programm der Aufklärung
Der Mensch als Bildhauer seiner selbst – diese Metapher enthält nicht nur die Vorstellung von der Offenheit des Menschen, die die Voraussetzung dafür ist, daß er Bildung haben kann und Bildung braucht, sondern zugleich auch eine klare Vorstellung vom Ziel menschlichen Seins: die Selbsterhebung durch den Geist. Dabei entsteht freilich in der scheinbar so überzeugenden Metapher eine eigentümliche Paradoxie: Der Bildhauer benötigt, um überhaupt mit seiner Arbeit beginnen zu können, eine Vorstellung davon, wie die fertige Statue beschaffen sein soll; er muß also bereits ein Bild des fertigen Werkes haben, auch wenn er das im Fortgang der Arbeit durchaus modifizieren kann. Weil aber dieses Bild der nicht festgelegte Mensch am Beginn des Bildungsprozesses noch gar nicht haben kann, ist die Vorstellung vom Menschen als Bildhauer seiner selbst inkonsistent. Konsistent kann dieses Bild nur dann sein, wenn dabei der Mensch nicht das Individuum ist, sondern aufgeteilt wird auf verschiedene Akteure: auf den allererst zu Bildenden einerseits und seinen Erzieher andererseits, der bereits selbst seinen Bildungsprozeß durchlaufen hat. In das Urbild neuzeitlicher Pädagogik bei Pico ist also bereits die Diskrepanz eingezeichnet zwischen dem, der das Bild des Menschen, das Ziel der Bildung sein soll, bereits vor Augen hat, und dem Schüler, dessen Bildung an jenem Bild ausgerichtet wird. Dieser Widerspruch zwischen der Betonung der Autonomie des Subjekts einerseits, der Bindung an eine Vorstellung davon, wie dieses Subjekt beschaffen sein müsse, andererseits durchzieht auch das Programm der Aufklärung, die auch als eine pädagogische Bewegung aufgefaßt werden kann. Johann Georg Hamann hat diese Problematik scharfsichtig in seiner Kritik an Kants berühmter „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung“ herausgearbeitet (vgl. dazu 78, wo auch Hamanns Text abgedruckt ist, und 312: 176 ff.): Wenn Kant von der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ spricht, die durch das eigene Denken überwunden werden solle (93: 53), so verschweigt er nach Hamanns Auffassung, daß sich der Aufklärer dabei selbst zum Vormund des Unmündigen aufschwingt, dies aber systematisch verbirgt. Nicht schon in der Vormundschaft, ohne die kein Bildungsprozeß denkbar ist, sondern in ihrem Verschweigen sieht Hamann die Schuld, die Kant wiederum nicht den selbsternannten Vormündern, sondern den Unmündigen aufbürden will. Die Spannung zwischen der Ausrichtung an einer Zielvorstellung von dem, was ein Mensch sein soll, einerseits und der Orientierung am Individuum andererseits bleibt der Pädagogik erhalten; sie ist unvermeidlich, insofern es hier in eminenter Weise um ein Handeln mit und an Menschen geht. Sie spitzt sich dadurch zu, daß einerseits das intentionale pädagogische Handeln beim ,Erzieher oder ,Lehrer liegt, daß aber andererseits der ,Schüler oder ,Zögling eben nicht lediglich Objekt pädagogischen Handelns sein kann, sondern ebenso Subjekt des pädagogischen Geschehens sein muß. Beide haben in ihrer jeweiligen Weise Vorstellungen von dem, was das Ziel des Bildungsprozesses ist – und sei es nur in einer vagen Vorstellung davon, was ein ,gutes Kind, einen ,guter Jugendlichen oder Er,
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1.2 Der Streit um das Menschenbild
wachsenen ausmacht. Diese Vorstellungen können durchaus als ,Menschenbild angesprochen werden; dabei kann aber nicht allein allgemein von ,dem Menschen die Rede sein, sondern vielmehr von individuellen Menschen in ihrer Verschiedenheit. Die Orientierung des pädagogischen Handelns an einem Menschenbild ist darum auch immer wieder Gegenstand scharfer Kritik geworden, zumal wenn es nicht aus diesem Handeln erwächst und sich in ihm verändert, sondern aus religiösen, philosophischen oder weltanschaulichen Überzeugungen abgeleitet wird und gerade so normierend wirken soll. Die pädagogische Kritik an Menschenbildern richtet sich mithin gegen zwei Momente: Menschenbilder sind Verallgemeinerungen, hinter denen die lebendigen Menschen in ihrer Individualität zu verschwinden drohen, und die Geltung, die sie beanspruchen, beruht auf Voraussetzungen, die selbst der eingehenden Diskussion bedürften und strittig bleiben. Jürgen Oelkers lehnt eine Ausrichtung der Pädagogik an Menschenbildern darum strikt ab: ,
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Pädagogische Kritik an Menschenbildern
„Mit ,Menschenbildern können allenfalls Generalisierungen ,des Menschen erfaßt werden, keine empirischen Personen, keine reale Gesellschaft und auch keine Bildungssysteme, aller pädagogischen Adressierung zum Trotz. ,Menschenbilder erlauben Sichtweisen und nehmen dadurch die Entscheidung ab, auch weil sie immer mit Autoritäten tradiert werden. Wenn also der Mensch Maß des Bildungswesens sein soll, dann nicht im Sinne generalisierter Menschenbilder, die außerstande sind, auf tatsächliche Erfahrungen zu reagieren.“ (72: 134; vgl. auch 67: 18) ,
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Oelkers benennt mit Recht die Gefahr eines unmittelbar normativen Rekurses auf ein vorgegebenes Menschenbild: Die Vorstellung, einen Menschen nach einem bestimmten Bild formen zu wollen, ist unvereinbar mit der Bemühung um die Bildung autonomer Menschen. Diese muß sich vielmehr gerade in dem Sinn ,am Menschen ausrichten, daß dabei das individuelle Gegenüber im Blick ist und keine allgemeine Vorstellung vom Menschen. Menschenbilder können auch nicht die Rechenschaft über die Ziele des jeweiligen pädagogischen Handelns ersetzen, sondern fordern sie vielmehr heraus. Andererseits ginge die Forderung, wegen dieser Gefahren auf ein ,Menschenbild ganz verzichten zu sollen, ins Leere: „Alle Bilder der Kindheit manipulieren die Erziehung, aber ohne Bilder kann man nicht erziehen.“ (73: 255) Angesichts dieses Dilemma ist es notwendig, innerhalb dessen, was als ,Menschenbild erscheint, deutlich zu unterscheiden zwischen der Zielvorstellung, an der das pädagogische Handeln ausgerichtet werden soll, und den zumeist impliziten Vorannahmen, die das Handeln leiten. Dieser Unterschied läßt sich freilich nicht so verstehen, daß das intentionale Zielbild als normative Vorgabe zu vermeiden sei, während die (sei es wissenschaftlich, philosophisch oder religiös bestimmten) Vorstellungen vom Menschen unvermeidlich und letztlich unproblematisch seien. Die Diskussion ist allerdings nicht selten so verfahren: Der Streit wurde weithin so ausgetragen, daß ein jeweils zur Geltung zu bringendes Menschenbild entwickelt und argumentativ verteidigt wurde. Die pädagogische Diskussion um das Menschenbild ist gerade darum von weitreichender anthropologischer Bedeutung, weil sie exemplarisch aufzeigt, daß die Normativität, die Menschenbildern unvermeidlich inne,
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Zielvorstellung und Vorannahmen
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1. Die Fragestellung: Wozu Anthropologie?
wohnt, zumeist indirekt wirkt: Was jemand vom Menschen oder von einem Menschen denkt, bestimmt seinen Umgang mit ihm. Zielvorgaben und Vorannahmen sind beide normativ; sie unterscheiden sich allerdings in ihrem Bewußtseinsgrad und darin, daß die intendierte Zielvorstellung durch das implizite Menschenbild unterlaufen werden kann. Handeln setzt Vorstellungen vom Menschen – sowohl auf das Individuum als auch auf den Menschen bezogen – voraus. Menschenbilder stehen aber immer in der Gefahr von ungerechtfertigten Generalisierungen und Verdinglichungen.
1.2.2 Gibt es ein christliches Menschenbild? Wenn auch explizite Menschenbilder als Leitvorgaben, wie sie die anthropologischen Debatten in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg dominierten, weithin der Kritik anheimgefallen sind, so läßt sich in den letzten Jahren doch beobachten, daß das Thema erneut erscheint – wohl aus analogen Gründen: War es die Suche nach einer neuen Fundierung der Ethik und der Politik nach der Katastrophe des Nationalsozialismus und des Weltkrieges, so ist es erneut die offensichtliche Orientierungslosigkeit des Denkens und Handelns, wie sie sich nicht zuletzt in den Diskussionen um die Biotechnologie manifestiert, aber auch die Wahrnehmung einer ethischen Bedrohung, die aus einem grenzenlosen Pluralismus folge. Beidemal erscheint auch der Rekurs auf ein christliches Menschenbild, das in dieser Situation Orientierung bieten kann. So erkennt Karl Lehmann darin eine Stärke des christlichen Glaubens, „daß er inmitten einer vielfachen Sinnkrise und eines immer größeren pluralistischen Angebots auf ein solches Menschenbild zurückgreifen kann“. (251: 51) Lehmann benennt freilich auch die Problematik der Rede vom ,christlichen Menschenbild : Nicht nur können Menschenbilder als normative Setzung, wie nicht zuletzt die pädagogische Diskussion zeigte, selbst totalitär werden; auch zeigt der Blick auf die Geschichte, daß theologische Menschenbilder allemal historisch bedingt sind, so daß die Vorstellung von dem einen christlichen Menschenbild in die Irre führen muß. Es gibt „kein – zahlenmäßig – einziges konkretes theologisches Menschenbild. Es gibt deren unendlich viele“ (251: 56; im Original kursiv), was nach Lehmann allerdings nicht bedeuten müßte, daß dieser auch im Horizont des christlichen Glaubens feststellbaren Pluralität der Menschenbilder keine gemeinsame Struktur zugrunde liege. Die Rede vom ,christlichen Menschenbild erweist sich schon von daher als fragwürdig, weil sie Erwartungen weckt, die nicht einlösbar sind. Neben der bereits skizzierten Problematik des Konzepts ,Menschenbild sind es aber auch spezifisch theologische Gründe, die hier große Vorsicht nahelegen: Schließlich verbietet das zweite Gebot des Dekalogs eindrücklich, „ein Bildnis noch irgendein Gleichnis sich zu machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist“ (Ex 20,4; vgl. Dtn 8,8, aber auch Dtn 4,16.23). Auch wenn hier sicher zunächst von Götzen und Götterbildern ,
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Bilderverbot
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1.2 Der Streit um das Menschenbild
die Rede ist – die Rede von „Gottesbildern“, wie sie auch in der Theologie gängig ist, sollte sich von daher verbieten – , so ist dabei nicht nur ein Strukturmerkmal jüdischer und christlicher Rede von Gott (vgl. dazu 253) benannt, sondern auch ein grundlegendes Moment theologischer Anthropologie berührt: Ein ,Menschenbild als Idealvorstellung dessen, was Menschen aus sich machen sollten, ist solchen Götzenbildern allemal nahe. Im literarischen Werk von Max Frisch wird auf eindrückliche Weise dargestellt, wie das Bild eines Menschen, das sich andere von ihm machen, ihn festlegt und gefangen nimmt: Das Menschenbild, nun das Bild eines individuellen Menschen, legt ihn auf seine Vergangenheit fest und auf die Vorstellungen, die man sich von ihm gemacht hat; es stellt das individuelle Leben fest und beengt es. So weigert sich im Roman „Stiller“ die Hauptfigur, die sich „White“ nennt, letztlich vergeblich, mit dem Anatol Stiller identisch zu sein, als den ihn die anderen Personen erkennen – seine Ehe scheiterte wiederum an dem Bild, auf das Stiller seine Frau festlegen wollte. Das Drama „Andorra“ zeigt die politische Konsequenz an der Figur des Andri, der den Bürgern als Jude gilt und schließlich dieses Bild selbst akzeptiert und an der Stigmatisierung zugrunde geht. Gegen solche Bilder opponiert die Liebe: „Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, daß sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen Entfaltungen. … Die Liebe befreit es aus jeglichem Bildnis. Das ist das Erregende, das Abenteuerliche, das eigentlich Spannende, daß wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht fertigwerden: weil wir sie lieben; solang wir sie lieben.“ (120: 31) Und in einer Vorstudie zu „Andorra“ schreibt Frisch: „Du sollst dir kein Bildnis machen, heißt es, von Gott. Es dürfte auch in diesem Sinn gelten: Gott als das Lebendige in jedem Menschen, das, was nicht erfaßbar ist. Es ist eine Versündigung, die wir, so wie sie an uns begangen wird, fast ohne Unterlaß wieder begehen – Ausgenommen wenn wir lieben.“ (120: 37) Wenn aber in der biblischen Tradition die Menschen als Ebenbild Gottes verstanden werden, so folgt daraus, daß das Verbot eines Bildnisses auch hier zur Geltung gebracht werden muß. Der Verweis auf das Bilderverbot kann auch dadurch nicht entkräftet werden, daß die mittelalterliche Katechismustradition und in ihrem Gefolge auch Luther in seinen Katechismen eben dieses Gebot aus der Fassung des Dekalogs strich. Liegt die theologische Begründung dafür weniger in der Anpassung an die Faktizität des Bildgebrauchs in den Kirchen – ein antikünstlerischer Affekt läßt sich in der Tat nicht mit diesem Gebot begründen – , als vielmehr in einer dezidiert christologischen Argumentation, so ist diese von grundlegender anthropologischer Bedeutung. Wenn nämlich etwa in Kol 1,15 sprachlich zugespitzt von Christus als dem „Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ die Rede ist, so kommt darin zum Ausdruck, daß in Christus und nicht in einem irgendwie zu bestimmenden natürliches Wesen des Menschen die Ebenbildlichkeit anschaubar wird. Daraus folgt aber, daß ein christliches ,Menschenbild im Sinne einer abschließenden oder zu verwirklichenden Bestimmung des Menschen eben unmöglich ist, weil erst die in Christus eröffnete Zukunft das ans Licht bringt, was der Mensch ist. Für die theologische Anthropologie ist es daher höchst problematisch, die Auseinandersetzung um das Menschsein so zu führen, daß sie ein ,christli,
Max Frisch
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1. Die Fragestellung: Wozu Anthropologie?
ches Menschenbild aufstellen und gegen konkurrierende Modelle zur Geltung zu bringen versuchen würde. Dies gilt um so mehr, als in der öffentlichen Diskussion gerade die Begründungszusammenhänge und Verstehensbedingungen abgeblendet werden müßten, die allererst erlauben würden, von einem christlichen Verständnis des Menschen zu sprechen. Was in der Öffentlichkeit als ,christliches Menschenbild vertreten wird, weist darum auch in aller Regel nichts davon auf, was es als spezifisch christlich kennzeichnen würde; vollends im politischen Rekurs erweist sich das ,christliche Menschenbild als affirmative Sammlung weithin allgemeiner und unspezifischer Behauptungen, die sich in ihrer Unbestimmtheit auch der Kritik durch das Evangelium entziehen. Die politische Beteuerung eines ,christlichen Menschenbildes suggeriert eine Einheitlichkeit und Verbindlichkeit, die es nicht gibt, und isoliert sich gegen das, was eigentlich erst christlich heißen könnte. Christoph Bizer betont mit Recht: Jede Aussage, die sich auf das Bild des Menschen als eines Geschöpfes Gottes bezieht, „setzt das Verhältnis zum Schöpfergott voraus und müßte sich erst zu religiöser Anschauung und Gestimmtheit entfalten, bevor Prozesse in Gang kommen, die produktiv nach Konsequenzen für das Menschenbild fragen. Deshalb erscheinen Berufungen, meist kirchlich-gesellschaftspolitische, auf das christliche Menschenbild als ideologische Setzungen.“ (231: 114) Die theologische Anthropologie kann darum nicht auf der ohnehin uneinlösbaren Erwartung der Entfaltung eines christlichen Menschenbildes bestehen; ein solches Projekt wäre auch abgesehen von allen Schwierigkeiten seiner Durchführung gar nicht wünschenswert. Gerade um der Freiheit des Menschen willen, die aus ihrem Bezug zum Heilsgeschehen in Christus erwächst – wie anders wäre ein ,christliches Menschenbild sonst zu qualifizieren? – , ist die Aufgabe vielmehr die Kritik fixierter Menschenbilder. ,
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Zur Aufgabe der theologischen Anthropologie gehört wesentlich die kritische Analyse der handlungsleitenden Menschenbilder im Lichte des Evangeliums. Nicht die Setzung von – wie auch immer gearteten – Menschenbildern, sondern ihre Überprüfung und Entmächtigung ist darum vonnöten. Wenn mithin überhaupt von einem ,Menschenbild die Rede sein kann, dann kann der angemessene Sinn dieses Begriffs keine normative Vorstellung sein, sondern vielmehr die kritisch zu analysierende Konstellation von handlungsleitenden Vorstellungen, wie menschliches Leben beschaffen sein soll. Die pädagogische Diskussion hatte gezeigt, daß in diesem Sinn alles Handeln solche zumeist unbewußten Bilder enthält. Der aufgezeigten Gefahr kann nur begegnet werden in der Kritik der Verfestigung von Menschenbildern, die gleichwohl als immer neu zu problematisierender Vorgriff den Umgang miteinander erst ermöglichen. Der Begriff des ,Menschenbildes ist demnach allenfalls kritisch zu gebrauchen, indem er die Aufmerksamkeit auf die Leitüberzeugungen im Handeln lenkt und zu deren Offenlegung und kritischen Diskussion herausfordert. ,
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uneinlösbare Erwartung
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1.3 Die anthropologische Grundfrage: Was ist der Mensch …
1.3 Die anthropologische Grundfrage: Was ist der Mensch … Die Unmöglichkeit einer klaren Begriffsdefinition von Anthropologie verweist in eigentümlicher Weise auf ihre grundlegende Bedeutung: Daß es keine vorweg bestimmbaren Grenzen der anthropologischen Fragestellung gibt, macht ihr Wesen und ihre Relevanz der Anthropologie aus. Es ist daher sinnvoll, zunächst von einem weiten und unbestimmten Gebrauch des Begriffs auszugehen, der hier als ,Frage nach dem Menschsein umschrieben wird: In diesem Sinn ist die anthropologische Fragestellung eine Grundfrage des Denkens. Weil alle politischen und ethischen Positionen auf Vorstellungen davon basieren, wie Menschsein zu bestimmen sei, was Menschen möglich und für Menschen erstrebenswert sei, ist die anthropologische Fragestellung in allen gesellschaftlichen Diskursen präsent, wenn auch oft unausgesprochen oder unbewußt. Die Frage nach dem Menschen kann darum auch als eine, wenn nicht die fundamentale Frage des Denkens aufgefaßt werden. Immanuel Kant hat sie so gestellt, wenn er die bekannten drei Grundfragen der Philosophie, wie sie in der „Kritik der reinen Vernunft“ formuliert werden, um eine vierte ergänzt: ,
„1) Was kann ich wissen? 2) Was soll ich thun? 3) Was darf ich hoffen? 4) Was ist der Mensch? Die erste Frage beantwortet die Metaphysik, die zweite die Moral, die dritte die Religion und die vierte die Anthropologie. Im Grunde könnte man aber alles dieses zur Anthropologie rechnen, weil sich die drei ersten Fragen auf die letzte beziehen.“ (96: 25)
Kants Formulierung kann den Eindruck erwecken, er erwarte, diese Frage könne abschließend beantwortet werden; dies ist aber erkennbar bei allen vier Fragen – trotz des Anspruchs, der mit seiner „Kritik der reinen Vernunft“ verbunden ist – nicht der Fall. Der Fortgang der anthropologischen und ethischen Debatten zeigt jedenfalls, daß es sich um eine unabschließbare Frage handelt, die nicht in dem Sinne zu beantworten ist, daß nun auf dem sicheren Fundament gewisser Antworten das Denken zu weiteren Antworten fortschreiten könnte. Vielmehr bleibt jede Antwort auf die anthropologische Frage selbst immer strittig und kann nur vorläufig sein. Gleichwohl kann man sich dem nicht entziehen, überhaupt zu antworten, weil alle – in Kants Formulierung – metaphysischen, moralischen und logischen Fragen nur innerhalb eines Rahmens sinnvoll bearbeitet werden können, der durch Überzeugungen über das, was Menschsein ausmacht, bestimmt ist. Darum sind Antworten auf die Frage, was der Mensch sei, nicht vom Typ der Information, die unser Wissen über Gegenstände erweitert, so daß wir nach einer gesicherten Bestimmung des Menschen uns nun anderen Problemen zuwenden könnten. Antworten auf die Grundfragen der Reflexion, zu denen eben die anthropologische zählt, sind vielmehr immer hermeneutische Antworten, die dem Denken und dann auch dem Handeln erst Sinn geben, und doch selbst immer wieder der kritischen Diskussion bedürfen. Bei Kant selbst zeigt sich das darin, daß er selbst in seinem Werk diese Frage nicht ausdrücklich bearbeitet; sein einziges ausdrücklich anthropolo-
unabschließbare Frage
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1. Die Fragestellung: Wozu Anthropologie?
gisches Werk, die „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“, die später zu betrachten sein wird (s.u. Kap. 2.1.3), stellt diese grundlegende Frage gar nicht. Dennoch setzen seine Schriften voraus, daß diese Frage in einer spezifischen Weise beantwortet ist – und wer diese Antwort nicht teilt, wird Kants Argumentationen nicht nachvollziehen können. Diese enge Verknüpfung mit bestimmten anthropologischen Grundannahmen wird freilich zumeist kaum bewußt, weil Kant an die Bestimmung des Menschen anknüpft, die für das abendländische Denken – auch in der Theologie – geradezu selbstverständlich erscheinen konnte: In der Tradition der antiken Philosophie wird die doppelte Bestimmung des Menschen als Vernunftwesen und als Naturwesen vorausgesetzt: Das animal rationale ist als animal ein Teil der Natur, durch seine Vernunft aber zugleich dieser Natur enthoben. Deutlich wird das an der berühmten Passage, in der die Nichtigkeit des Menschen in kosmologischer Hinsicht seiner unendlichen Würde in moralischer Hinsicht gegenübergestellt wird: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmenden Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir. … Der erstere Anblick einer zahllosen Weltenmenge vernichtet gleichsam meine Wichtigkeit als eines tierischen Geschöpfs, das die Materie, daraus es ward, dem Planeten (einem bloßen Punkt im Weltall) wieder zurückgeben muß, nachdem es eine kurze Zeit (man weiß nicht wie) mit Lebenskraft versehen gewesen. Der zweite erhebt dagegen meinen Wert, als einer Intelligenz, unendlich, durch meine Persönlichkeit, in welcher das moralische Gesetz mir ein von der Tierheit und selbst von der ganzen Sinnenwelt unabhängiges Leben offenbart …“ (97: 300)
Diese Doppelbestimmung des Menschen ist bei Kant nicht zufällig als Betrachtung, geradezu als Meditation stilisiert und nicht als bündige Definition oder als Resultat begrifflicher Arbeit; sie geht dieser vielmehr voraus. In seiner Körperlichkeit erscheint der Mensch als Gegenstand in der Welt wie alle anderen und ist darum auch der naturwissenschaftlichen Erforschung ebenso zugänglich; für ihn gelten als Naturwesen dieselben Kräfte und Gesetze, wie sie überall in der Natur gelten. Gleichzeitig ist in dieser Bestimmung dem Menschen auch eine zweite, von der ersten unabhängige Sphäre zugeschrieben, in der er das Besondere seines Seins erkennen kann: eine Sphäre, die „nicht auf Bedingungen und Grenzen dieses Lebens eingeschränkt ist, sondern ins Unendliche geht“ (97: 300). Damit verdichten sich in Kants Betrachtung nicht nur die Grundzüge des abendländischen Denkens über den Menschen; sie hält zugleich das Wesen des Menschen offen für die Erfahrung der Transzendenz. Es liegt nahe, daß die theologische Rede vom Menschen an diese anthropologische Bestimmung anschließen konnte. Freilich sind in dieser Bestimmung folgenreiche Implikationen enthalten: Zum einen wird durch die Identifikation der Würde des Menschen mit seinen geistigen Fähigkeiten zugleich seine Leiblichkeit zur „Tierheit“; was den Menschen über die Sinnenwelt erhebt, ist das unsichtbare und nur dem Verstand zugängliche ,Innen‘, das ihn dann auch vom Tier unterscheidet. Auch das ist eine im Denken des Abendlandes weithin geteilte Grundüberzeugung, die in sich zumindest tendenziell die Leiblichkeit des Menschen
1.3 Die anthropologische Grundfrage: Was ist der Mensch …
abwertet und seine Sinnlichkeit zu dem werden läßt, was seine eigentliche Bestimmung gefährdet. Nicht das leibhafte Wesen, das bei Kant nur noch als „Tierheit“ erscheint, „in seiner Zufälligkeit macht das Menschsein aus, sondern ,das moralische Gesetz in mir“ (257: 475 f.). Kants Begriff des Menschen kann als charakteristisch für das neuzeitliche Denken gelten. Geist und Leib werden nicht als zusammengehörige Dimensionen des Menschseins, sondern als Gegensatz gesehen; das spezifisch Menschliche wird dann in der Opposition zu seiner Leiblichkeit und Sinnlichkeit ausgemacht. Die mit naturwissenschaftlichen Motiven argumentierende Verneinung einer Sonderstellung des Menschen und die Behauptung, was als Freiheit erscheine, sei letztlich naturgesetzlich determiniert, widerspricht dem nur scheinbar (vgl. dazu unten S. 117 f. und S. 142 f.); sie setzt vielmehr eben diesen Dualismus selbst voraus. In dieser Trennung der Naturhaftigkeit des Menschen von der Sphäre des Geistigen wird die Leiblichkeit zum bloßen ,Außen‘, das dann auch betrachtet und manipuliert werden kann wie alle anderen Naturgegenstände auch. ,
Die anthropologische Fragestellung ist nach Kant die fundamentale Frage schlechthin. Sie wird von ihm freilich nicht ausdrücklich bearbeitet; vielmehr setzt er mit der europäischen Tradition die Bestimmung des Menschen als eines Vernunftwesens voraus. Seine eindrückliche Bestimmung der menschlichen Würde hat ihre problematische Kehrseite in der Abwertung der Leiblichkeit, wie sie das neuzeitliche Denken über den Menschen bestimmt. Auch wenn der Begriff Anthropologie erst in der Neuzeit geprägt wurde (vgl. unten 2.1.2), ist die Frage nach dem, was der Mensch sei, bereits in den ältesten Dokumenten menschlicher Kultur präsent. In der Antigone des Sophokles, wohl 442 v. Chr. erstmals aufgeführt, drückt sich am Beginn der abendländischen Kultur das Nachdenken über den Menschen in einer charakteristisch anderen Form als der begrifflichen Reflexion aus. Der erste Auftritt der Tragödie schließt mit einer großen Rede des Chores, der das Geschehen kommentiert und in seiner grundsätzlichen, das dargestellte Einzelschicksal übersteigenden Bedeutung zeigt. In dem großen Chorlied (alle Zitate daraus nach 130: 23 f.) erscheint die tragisch bestimmte menschliche Natur. „Viel Ungeheures ist, doch nichts So Ungeheures wie der Mensch.“
Dabei ist der Ausdruck „ungeheuer“ (deinos) wörtlich zu nehmen: großartig und schrecklich zugleich. Der Mensch sich selbst ist nicht geheuer, nicht zuhause in sich selbst, weil seinen eigenen Möglichkeiten keine Grenzen gesetzt scheinen; daß dabei aber auch die heilsamen Grenzen verletzt werden, führt in der Handlung der Tragödie konsequent zum Untergang der Akteure – eben dies aber erscheint wiederum als das Schicksal, der daimon des Menschen. Dabei stehen am Anfang die technischen Vermögen des Menschen, der die Beschränkungen des Lebens auf dem festen Land durchbricht:
Sophokles: Antigone
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1. Die Fragestellung: Wozu Anthropologie? „Der fährt auch über das graue Meer Im Sturm des winterlichen Süd Und dringt unter stürzenden Wogen durch.“
Dazu kommt der Ackerbau, mit dem der Mensch gelernt hat, sich nicht nur von dem zu ernähren, was die Erde von sich aus bereithält, sondern die Erde selbst in Besitz zu nehmen: „Und der Götter Heiligste, die Erde, Die unerschöpfliche, unermüdliche, Plagt er ab, Mit wendenden Pflügen Jahr um Jahr Sie umbrechend mit dem Rossegeschlecht.“
Die Beherrschung der Natur in Ackerbau, Jagd und Fischfang, aber auch die Domestizierung der Tiere wird genannt, um die einzigartige Stellung des Menschen in der Welt zu umreißen. Der Chor nennt dann, verbunden mit seinen technischen, die intellektuellen und moralischen Fähigkeiten: „Auch die Sprache und den windschnellen Gedanken und städteordnenden Sinn bracht er sich bei und unwirtlicher Fröste Himmelsklarheit zu meiden und bösen Regens Geschosse.“
Doch in alle dem bleibt das menschliche Leben gefährdet: „Allerfahren, unerfahren Geht er in nichts dem Kommenden entgegen. Vor dem Tod allein Wird er sich kein Entrinnen schaffen.“
Und auch die menschliche Kunst (=Technik) mitsamt seinen moralischen Fähigkeiten können ihn letztlich nicht schützen, weil sie in sich selbst zweideutig bleiben: „In dem Erfinderischen der Kunst Eine nie erhoffte Gewalt besitzend, Schreitet er bald zum Bösen, bald zum Guten.“
Damit mündet die Betrachtung der menschlichen Natur wieder in die Handlung der Tragödie, die selbst die Gefährdung des Menschlichen durch den Menschen zum Thema hat: Nachdem der Bruderkrieg um Theben mit dem Tod von Eteokles und Polyneikes, der Brüder der Antigone, im Zweikampf endete, übernahm ihr Onkel Kreon die Herrschaft und verbot bei Todesstrafe die Bestattung des toten Polyneikes. Dieses Verbot folgt durchaus der Staatsraison, widerspricht aber der göttlichen Ordnung und der elementaren Humanität zugleich: Die ältesten Zeugnisse der Menschheit sind mit der nur von Menschen bekannten Praxis der Bestattung verbunden. An der Bestattung der Toten manifestiert sich in den Tragödien des Sophokles der Grundkonflikt zwischen menschlicher Macht und kosmischer Ordnung (vgl. dazu 118): Auch und gerade dieser Konflikt ist die Folge der ungeheuren Möglichkeiten des Menschen.
1.4 … daß du seiner gedenkst
„Nichts ungeheurer als der Mensch“: Das ist eine alles andere als eine distanzierende Betrachtungsweise; vielmehr drückt sich im Chorlied zugleich Bewunderung und Erschrecken aus von Menschen, die über den Menschen nachdenken. Der Mensch erscheint als der, der sich seiner Welt bemächtigt, um ihr sein Leben abzuringen, die Welt darin aber zugleich verletzt: Darin besteht seine Tragik. Die damit verbundene conditio humana, die in der Tragödie vorgeführt wird, ist die Ambivalenz der Offenheit zu Gutem und Bösem. Diese Frage nach dem, was der Mensch sei, ist offensichtlich nicht auf die wissenschaftliche Disziplin der Anthropologie beschränkt; von dieser Frage her aber begründet sich die Relevanz der Anthropologie. In Mythos und Kunst dokumentieren sich Antworten, die der wissenschaftlichen Reflexion vorausliegen und sie oft an Signifikanz und Wirksamkeit überragen. Der Chor der Antigone des Sophokles belegt auch, daß Anthropologie als Wissenschaft nicht die einzig legitime und notwendige Form des Redens vom Menschen ist: Auch der Mythos, die Kunst sind reflektierte Formen des Nachdenkens über das Menschsein. Der Mythos, wie er sich im Chor der Antigone manifestiert, ist keineswegs naiv; er kann darum auch nicht schlicht aufgeklärt werden, weil er das Menschsein in einer authentischen Weise wahrnimmt. Daß die Form des Mythos keine eindeutige Bestimmung dessen, was der Mensch sei, geben kann, ist dabei nicht als bloßes Defizit zu fassen, insofern die Ambivalenzen und die Offenheit zum Reden vom Menschen gehört. Die Eindeutigkeit, auf die Wissenschaft zielt, die zur Eigenart des Logos im Gegensatz zum Mythos gehören, könnte möglicherweise in der Anwendung auf die Frage nach dem Menschen auch irreführend sein. So stellt sich die fundamentale Frage, ob der Logos überhaupt die richtige oder gar einzige legitime Form des Nachdenkens und der Vergewisserung über den Menschen sein kann. Im Rahmen dieser Einführung kann freilich diese Problematik nur am Rande bearbeitet werden; schwerer noch wiegt vielleicht der notwendige Verzicht auf solche Ausdrucksformen dessen, was der Mensch sei, wie sie in Kunst und Literatur erscheinen; gerade hier wird die Wirklichkeit des Menschseins oft in treffenderer und wirksamerer Weise zur Erscheinung gebracht als im theoretischen Diskurs.
1.4 … daß du seiner gedenkst In einer dem Chor der Antigone wie der Reflexion Kants verwandten und doch ganz anderen Weise spricht Psalm 8 vom Menschen. Auch hier erscheint ausdrücklich die Frage, was der Mensch sei; sie wird freilich in einer charakteristischen Veränderung gestellt: Es ist nicht einfach die Frage, die Menschen an sich selber stellen, sondern diese Frage hat einen konkreten Adressaten, nämlich Gott. Die Frage bleibt auch nicht isoliert, sondern findet ihre Fortsetzung in der Rückbindung an Gott: was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, daß du dich seiner annimmst? (Ps 8,5)
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1. Die Fragestellung: Wozu Anthropologie?
Damit verändert sich die Frage von Grund auf: Für den Psalm ist die Frage nach dem Menschen keine, die Menschen von sich aus beantworten könnten; sie ist vielmehr nur als an Gott gerichtete sinnvoll. Dabei ist gerade die Form der Frage bezeichnend: Nicht eine bestimmte Antwort, die aus dem Gegenüber zu Gott gelöst werden könnte, sondern die offene Begegnung gib ihr ihren Sinn. Gleichwohl bestehen zwischen dem Psalm und dem Chor aus der Antigone weitreichende und instruktive Parallelen, die die fundamentalen Differenzen um so deutlicher hervortreten lassen. In beiden Texten ist das Erstaunen zentral über die eigentümliche Stellung des Menschen in der Welt, die ihn so offenkundig von allen anderen Lebewesen unterscheidet (zur sog. ,Sonderstellung des Menschen vgl. unten S. 117 f.). Wo nicht abstrakt und gleichsam ,von außen nach dem Menschen gefragt wird, indem ,objektive Unterscheidungsmerkmale gesucht werden, sondern die Lebenswirklichkeit des Menschen im Blick ist, ist diese besondere Stellung des Menschen unzweifelhaft. Gerade diese eigentümliche Wirklichkeit des Menschen führt zur Frage nach dem Menschen. Wie im Chor der Thebaner bildet im Psalm die Lebenswelt des Sprechers den Horizont: „alles hast du unter seine Füße getan: Schafe und Rinder allzumal, dazu auch die wilden Tiere“ (Ps 8,7 f.) Mit der besonderen Nennung der Haustiere wird deutlich, daß dabei für den Psalm das Gewicht nicht auf die Naturbeherrschung gelegt wird, sondern auf die Bedingungen menschlichen Lebens. Beide Texte nehmen dies nicht für selbstverständlich, sondern spüren in ihm die Spannungen auf, die Menschsein kennzeichnen. Die Frage nach dem Menschen ist mithin keine theoretische, sondern eine eminent praktische: Sie zielt auf Orientierung für das Leben. Indem aber der Psalm dies nicht schlechthin menschlicher Fähigkeit zuschreibt, sondern ausdrücklich dem Willen Gottes, erscheint sie hier freilich auch nicht als Quelle der Abgründigkeit menschlicher Existenz, sondern bleibt rückgebunden an die Herrschaft Gottes, deren Lobpreis den Psalm rahmt: „HERR, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen!“ (v. 2 und 10) Psalm 8 steht auch im Hintergrund von Kants doppelter Bestimmung des Menschen angesichts des gestirnten Himmels über mir und des moralischen Gesetzes in mir (vgl. oben S. 28). Kant will die Frage des Psalms allein mit den Mitteln einer ihrer selbst gewissen Vernunft beantworten, auch wenn diese Frage hier nicht ausdrücklich gestellt wird. Die leitende Polarität von gestirntem Himmel und moralischem Gesetz übernimmt Kant aus dem Psalm, dessen Frage nach dem Menschen entsteht aus dem Staunen über „die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast“ (Ps 8,4), und der ebenso die spezifische Würde des Menschen ausspricht: „Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.“ (Ps 8,6) Diese Stelle zeigt deutlich, daß die Unermeßlichkeit des Alls offenkundig keine Entdeckung der Neuzeit ist, wie es eine gängige geistesgeschichtliche Behauptung will; für die Israeliten war die Welt erst recht unüberschaubar und unheimlich, aber sie bleibt nicht unheimlich, sondern wird zur Heimat, weil Gott sie den Menschen als Heimat anweist. Eben darum ist hier die Perspektive eine völlig andere: Es geht nicht um den Menschen an sich, sondern genauer um dieses Geschöpf Gottes. ,
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keine selbstbezügliche Frage
,
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1.4 … daß du seiner gedenkst
Kant, aus dessen Betrachtung Gottes Handeln ausgeschlossen ist, muß demgegenüber die Antwort in der menschlichen Selbstvergewisserung finden, auch und obwohl in Kants Denken die Religion einen unverzichtbaren Platz einnimmt. Darum wird auch nicht länger wie im Psalm Gott für die Würde des Menschen gelobt, sondern, wie Friedrich Mildenberger pointiert formuliert, das „Denken, das hinter die Dinge gekommen ist“ (257: 457) – eben durch dieses Denken selbst. Weil damit das Denken selbst als das Göttliche im und am Menschen erscheint, wird die leibliche Natur des Menschen zur Bedrohung: Die besondere Stellung des Menschen, die im Psalm (wie im Chor der Antigone) an der Herrschaft über die Tiere ausgesprochen wird und damit bei den Erfahrungen der Lebenswelt bleibt, wird bei Kant zur fundamentalen Bestimmung und vor allem als Herrschaft über die eigene Tierheit gedeutet (257: 459). Im Psalm 8 wird die Frage im Gegensatz zu Kant eben nicht „monologisch gestellt ohne eine Relation“ (172: 26); sie erscheint vielmehr ausdrücklich im Kontext des Lobpreises der Herrlichkeit Gottes. Nur innerhalb dieses Lobpreises, also in der Anrede an Gott, ist für den Psalmisten die Frage nach dem Menschen stimmig zu beantworten. Auch die beiden anderen alttestamentlichen Belege für die Frage „Was ist der Mensch“, nämlich Ps 144,3 und Hi 7,17, sind explizit als Anrede an Gott formuliert, die dann auch als Bitte und Klage erscheinen kann, während sich Hi 15,14 davon in bezeichnender Weise unterscheidet: Hier ist die Frage als allgemeiner Weisheitssatz gebraucht, aber eben auch keine echte, sondern eine rhetorische Frage, die keine Antwort sucht, sondern von Hiobs Freund Elifas verwendet wird, um die Anklage gegen Gott zum Verstummen zu bringen. Die Frage verliert ihre theologische Qualität, wenn sie aus dem lebendigen Gegenüber zu Gott gelöst wird. Damit ist ein durchgängiger Grundzug biblischer Rede vom Menschen erkennbar, wie ihn Gerhard Sauter treffend formuliert: „Der Mensch ist als doxologische Existenz geschaffen – ob er immer bereit ist, Gott die Ehre und ihm Recht zu geben, ist eine andere Frage.“ (265: 51) Darum kann vom Menschen auch nicht isoliert die Rede sein; die Frage, was der Mensch sei, ist darum auch nicht mit einer Definition oder einer Beschreibung der Dialektik seines Wesens zu beantworten. Für die biblische Tradition steht vielmehr an der Stelle, an der man eine solche Definition erwarten könnte, die Aufmerksamkeit auf die ,story Gottes. „Gegenstand theologischer Anthropologie ist die Selbstwahrnehmung des Menschen, wie er sich in Gottes Handeln findet.“ (265: 53) Der in Psalm 8 gegebene Zusammenhang markiert somit einen Grundzug theologisch sachgemäßer Rede vom Menschen: Sie definiert den Menschen nicht anhand bestimmter und bestimmbarer Eigenschaften, sondern dadurch, daß Gott ihn von Anbeginn der Schöpfung als Partner erwählt hat, wie dies in der Erwählung Israels und in dem Menschen Jesus Christus offenbar wird. Weil aber Gottes Erwählung nach biblischer Sicht das Menschsein in allen seinen Zügen bestimmt, ist die Folgerung aus der Wahrnehmung seiner Winzigkeit angesichts der Himmel und der Würde seiner Herrschaft in der Welt weder wie bei Kant die Selbstinthronisation des Denkens noch wie im Chor der Antigone das Annehmen der tragischen Situation des Menschen, sondern ein Einstimmen in die Geschichte Gottes mit den Men-
Kant: Selbstvergewisserung der Vernunft
doxologische Existenz statt Selbstbezug
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keine Wesensbestimmung
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1. Die Fragestellung: Wozu Anthropologie?
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Zentrum in der Geschichte Gottes
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,Nichtobjektivierbarkeit des Menschen
schen. In theologischer Hinsicht bedeutet Menschsein vielmehr: „eine Geschichte mit Gott, dem Ursprung und Ziel der Geschichte, zu haben. Das in der biblischen Überlieferung enthaltene Menschenverständnis hat deshalb durchweg die Form der Erzählung dieser Geschichte zwischen Gott und Mensch.“ (254: 200 f.) Theologisch ist demnach auch nicht nach einer formalen Definition des Menschen zu fragen, sondern vielmehr nach seinem Ort in der Schöpfung; genauer: nach meinem Ort in der Geschichte Gottes, die mit der Schöpfung beginnt und auf Gottes Zukunft hin unterwegs ist. Die abstrakte und theoretische Frage, was der Mensch sei, mündet darum in die sehr konkrete und eminent praktische. Aus diesen Beobachtungen lassen sich drei Folgerungen ableiten, die eine sachgemäße theologische Anthropologie erfüllen muß: 1) Theologische Anthropologie muß sich im alltäglichen Leben selbst konkretisieren können, aus dem sie auch entspringt. Eine anthropologische Theorie aber, die zugunsten einer allgemeinen Definition des Menschsseins die Individualität des menschlichen Lebens verdecken würde, steht im Gegensatz zur biblischen Rede vom Menschen, die gerade dadurch gekennzeichnet ist, daß sie in eigentümlicher Weise offen bleibt und den Menschen nicht zu einem fixierbaren Gegenstand des Denkens werden läßt. Bernd Janowski bezeichnet dies als die wesentliche ,Nichtobjektivierbarkeit des Menschen: „Selbst dort, wo – wie in Ps 8 – das Wesen des Menschen objektivierend in den Blick genommen wird, geschieht solch betrachtende Reflexion eher in staunender Betroffenheit als in neutraler Beschreibung.“ (179: 12) Solche Wahrnehmung nimmt den Menschen nicht als Gegenstand theoretischer Neugierde in den Blick, wie das für die neuzeitliche Wissenschaft gilt, die sich dem Ideal objektivierender und distanzierender Betrachtung verpflichtet fühlt. 2) Eine theologische Lehre vom Menschen muß ihr Zentrum in der Wahrnehmung der Geschichte Gottes mit den Menschen haben. Dabei drängt sich der Einwand auf, ob eine selbständige Anthropologie überhaupt möglich ist, wenn die Frage nach dem Menschsein im Rahmen der Soteriologie, also in strenger Ausrichtung am Heilshandeln Gottes bearbeitet werden muß. Dieser Einwand ist nur zu entkräften, wenn die Durchführung der theologischen Anthropologie diese Bindung an das Handeln Gottes durchweg im Blick behält. 3) Nur so ist auch dem Anspruch zu begegnen, der seit Ludwig Feuerbachs Religionskritik mit der Anthropologie verbunden wurde, nämlich die Theologie in Anthropologie aufzulösen. Für Feuerbach steht der Gottesgedanke der Selbstverwirklichung des Menschengeschlechts im Wege; weil er das Heil des Menschen nicht von Gott, sondern von der Anstrengung des Menschengeschlechts selbst erwartet, wird die Lehre von der Vervollkommnung des Menschen (Feuerbach verwendet den Begriff ,Anthropologie in diesem Sinn) geradezu zu einer Heilslehre: „indem ich die Theologie zur Anthropologie erniedrige, erhebe ich vielmehr die Anthropologie zur Theologie“ (82: 26). Der Gegensatz von Theologie und Anthropologie konnte auf diesem Hintergrund wiederum innerhalb der Theologie rezipiert werden wie in Rudolf Bultmanns bekannter Formulierung von 1924, mit der er die Notwendigkeit eines Neubeginns in der ,
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1.4 … daß du seiner gedenkst
Theologie begründet: „Der Gegenstand der Theologie ist Gott, und der Vorwurf gegen die liberale Theologie ist der, daß sie nicht von Gott, sondern vom Menschen gehandelt hat.“ (202: 2) Auch hier stehen die Ausrichtung an Gottes Wort und die Anthropologie im strikten Gegensatz: Die Theologie kann „nur den ko´coy sotp rsatqotp [das Wort vom Kreuz] zu ihrem Inhalt haben; dieser ist aber ein rja´mdakom [Ärgernis] für den Menschen.“ (Ebd.) Der theologische Protest gegen die Überhöhung menschlicher Idealisierungen ist gerade nicht in einen Gegensatz zur Freiheit der Menschen zu bringen, sondern muß eben um dieser Freiheit willen zur Geltung gebracht werden. Feuerbachs Religionskritik erinnert die Theologie wiederum daran, daß die christliche Religion zur ideologischen Stabilisierung inhumaner Verhältnisse mißbraucht werden konnte und kann: Die Auseinandersetzung um das Menschsein ist folglich auch innertheologisch zu führen. Was der Mensch sei, wird nur im Zusammenhang der ganzen Geschichte Gottes erkennbar; darum kann theologische Anthropologie keine isolierte Lehre vom Menschen sein. Ihr Thema ist die Selbstwahrnehmung des Menschen vor Gott und in Gottes Geschichte. Damit ist ihre Aufgabe letztlich keine theoretische, sondern eine eminent praktische.
Protest gegen Idealisierungen
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2. Anthropologie im interdisziplinären Kontext Die im letzten Kapitel vorgetragenen Überlegungen zur anthropologischen Fragestellung in der Theologie unterscheiden sich von dem, was in anderen Disziplinen den Titel ,Anthropologie trägt. Weil aber von theologischer Anthropologie in einem präzisen Sinn nur dann gesprochen werden kann, wenn sie einerseits den skizzierten Spezifika der biblischen Rede vom Menschen gerecht wird und andererseits auf der Höhe der Anthropologie ist, wie sie durch Wissenschaften und Forschung vorgegeben ist, so stellt sich nun die Aufgabe, den Weg der Anthropologie in den Wissenschaften nachzuzeichnen und damit auch den interdisziplinären Kontext abzustecken, in dem sich jede anthropologische Diskussion bewegt. Eine auch nur ansatzweise umfassende ,Geschichte der Anthropologie ist dabei nicht beabsichtigt, sie wäre auch weder sinnvoll noch überhaupt möglich. Statt dessen werden exemplarische Konstellationen aufgesucht, die auch für die gegenwärtige Gesprächslage von Bedeutung sind. Dabei ist zu beobachten, daß sich die anthropologische Fragestellung in verschiedenen disziplinären Kontexten auch institutionell ausdifferenzierte, daß aber ihr Zusammenhang undeutlich wurde: ,Anthropologie benennt in unterschiedlichen Wissenschaften sehr heterogene Themenstellungen und Perspektiven, die sich zu keinem Gesamtbild runden lassen. Was die Anthropologie zusammenhält, geht darum aus der Geschichte der Disziplinen, die diesen Titel beanspruchen, nicht unmittelbar hervor; es zeigt sich erst in einer systematischen Reflexion, die in Kap. 3 unternommen wird. ,
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2.1 Die Konstitution (k)einer Disziplin 2.1.1 Was ist ,Anthropologie‘? Die verschiedenen Dimensionen des Menschseins sind Gegenstand der Forschung in vielen Wissenschaften, oft auch ohne daß dabei der Begriff ,Anthropologie gebraucht würde. Aber auch der Titel selbst erscheint in sehr unterschiedlichen wissenschaftlichen Kontexten; dabei hängt es wohl auch von wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Moden ab, welche Disziplin dabei gerade die Führungsrolle beanspruchen kann. Für die letzten Jahrzehnte etwa läßt sich eine rasche Folge beobachten, in der sich Soziologie, Psychologie, Ökonomie und Biologie den Rang einer anthropologischen Leitwissenschaft streitig machen. Dieser Rangstreit ist auch gar nicht bündig zu entscheiden, da die verschiedenen Disziplinen über keine gemeinsame Ebene verfügen, auf denen diese Differenz argumentativ ausgetragen werden könnte. Die Frage, was genau der Gegenstand der Anthropologie sei und was sie als Wissenschaft charakterisiere, gehört zu den umstrittensten überhaupt. Auf den ersten Blick lassen sich in der Literatur zwei Ansichten unterschei,
enger und weiter Begriff von Anthropologie
2.1 Die Konstitution (k)einer Disziplin
den: Einerseits wird ein enger Anthropologiebegriff vertreten, der sich zumeist an der Begriffs- und Wissenschaftsgeschichte orientiert; dementsprechend wird Anthropologie als ein spezifisch neuzeitliches Phänomen bestimmt. Von Anthropologie könne eigentlich erst dann die Rede sein, wenn ausdrücklich der Begriff erscheint (also seit Ende des sechzehnten Jahrhunderts), und wenn die spezifische Problem- und Fragekonstellation aufzufinden sei, die die gegenwärtige anthropologische Forschung bewegt. Andererseits kann Anthropologie auch für die Frage nach dem Menschen schlechthin stehen. Aus diesem Begriffsgebrauch würde folgen, daß Anthropologie zu den Bereichen des Denkens gehört, die seit Anbeginn immer aufzufinden sind, insofern zum Menschsein gehört, eben nach dem Wesen des Menschen zu fragen. So beginnen zahlreiche Darstellungen der Anthropologie wie selbstverständlich in der griechischen Antike und sprechen von biblischer und mittelalterlicher Anthropologie. Vorausgesetzt ist dabei, daß eine wie immer geartete Kontinuität besteht zwischen diesem Fragen nach dem Wesen des Menschen und den Antworten auf diese Frage und den gegenwärtigen Arbeiten, die sich als Anthropologie verstehen. Für beide Ansichten sprechen jeweils gute Gründe: Ein möglichst enges Verständnis von Anthropologie hat zunächst den Vorteil klarer Begrifflichkeit auf seiner Seite. Auf diese Weise kann der Gegenstand bereits im Ansatz so gefaßt werden, daß konzentrierte Argumentation möglich ist und Nebengleise und Scheinfragen ausgeschlossen werden. Freilich zeigt sich, daß diese klare Abgrenzung vor großen Schwierigkeiten steht: Selbst wenn man sich nur an die explizite Begrifflichkeit hält, wird die Lage schnell unübersichtlich. Gerhard Arlt stellt ebenso lakonisch wie treffend fest: „Es gibt mehr Anthropologien, als Wörter auf eine Druckseite gehen.“ (8: 5) Demgegenüber macht ein weiter Begriff der Anthropologie nicht nur unmittelbar deutlich, warum es hier um mehr geht als eine akademische Spezialdisziplin; er hat vor allem den Vorteil, daß er nicht schon im Ansatz definitorisch nur eine Frage und nur eine Interessensrichtung als legitim ausgrenzt und damit alle anderen Dimensionen der Frage nach dem Menschen abblendet. Ein solch weiter Begriff hat den Vorteil, prinzipiell offen und lernfähig zu sein. Das ist aber freilich zugleich sein wesentlicher Nachteil. Die Offenheit dieses Begriffs bringt es mit sich, daß eine Abgrenzung und Präzisierung schwierig wird. Was läßt sich eigentlich nicht mehr als ,anthropologisch bezeichnen, wenn jedes Reden über den Menschen schon diesen Titel beanspruchen kann? Die Wissenschaftsterminologie jedenfalls unterscheidet da: Nicht alle Wissenschaften, die sich in irgendeiner Weise mit ,dem Menschen befassen, heißen darum schon Anthropologie. Ist also um der Klarheit der Begriffe willen Anthropologie nur das zu nennen, was diesen Namen ausdrücklich beansprucht? Aber auch diese enge Fassung des Begriffs erweist sich als wenig hilfreich. Denn die wissenschaftssprachliche Unterscheidung ist alles andere als eindeutig. Am deutlichsten wird das an der Medizin, die – wenn sie nicht gerade ausdrücklich als Tiermedizin firmiert – allemal den Menschen zum Gegenstand hat und darum auch ,Humanmedizin genannt werden kann, wobei dann auch zwischen Humanmedizin und Zahnmedizin unterschieden werden kann, was die Problematik des Sprachgebrauchs unterstreicht. Dennoch ist die Medizin nicht
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2. Anthropologie im interdisziplinären Kontext
einfach eine anthropologische Disziplin; vielmehr kennen medizinische Fakultäten Abteilungen, die als „medizinische Anthropologie“ benannt sind. Und umgekehrt kann eine medizinische Denk- und Forschungsrichtung, die Defizite etablierter medizinischer Wissenschaft namhaft macht, ohne sprachliche Gewaltsamkeit als „anthropologische Medizin“ bezeichnet werden: Sie fordert von der Medizin, in und neben ihrem naturwissenschaftlichen Zugang eben auch das zu berücksichtigen, was ,menschlich in jenem Sinn genannt wird, der nicht schlicht eine biologische Gattungszugehörigkeit meint, sondern den Menschen in seiner Einheit und Eigenart im Blick hat (vgl. 57 und 58). Hier läßt sich bereits erkennen, daß nicht jede Beschäftigung mit ,dem Menschen‘, sondern ein bestimmtes Frageinteresse und eine bestimmte Wahrnehmung für einen gehaltvollen Begriff von Anthropologie erforderlich sind. Andererseits muß dieser Begriff auch weit genug sein, um nicht gerade das auszuscheiden, was der Anthropologie ihre Bedeutung gibt. Dies trägt auch der Beobachtung Rechnung, daß die modernen Klassiker der Anthropologie sich selbst durchaus in einer langen Tradition sehen – zumindest in Hinblick auf die Fragestellung, die sie bearbeiten. Die Antwort, die sie geben, und die Mittel, mit denen diese Antwort entwickelt wird, werden freilich meist dezidiert von der Tradition der Frage nach dem Menschen abgesetzt. Auch hier haben die genannten Einwände gegen einen weiten Anthropologiebegriff ihren Anhalt, indem sie nämlich auf die durchaus eigene Gestalt anthropologischen Denkens in der Neuzeit verweisen. Die begründete Warnung vor einer Konturlosigkeit des Begriffs soll darum zunächst so zur Geltung gebracht werden, daß unterschieden wird zwischen der anthropologischen Fragestellung, die in einer langen Kontinuität steht, und der Ausbildung der Anthropologie als Disziplin, die spezifische Ansätze und Methodiken zur Bearbeitung dieser Fragestellung entwickelte. Diese Unterscheidung ist darum unverzichtbar, weil ein enger Anthropologiebegriff eine chronologische Zäsur Ende des sechzehnten Jahrhunderts setzen müßte und damit die Anthropologie zu einer analogielosen Unternehmung der Neuzeit erklärte. Von einer antiken, einer mittelalterlichen oder auch von einer biblischen Anthropologie könnte dann nicht mehr gesprochen werden. Nur hingewiesen sei hier darauf, daß die definitorische Verengung des Anthropologiebegriffs z. B. auch alle englischsprachigen Werke ausschließen müßte, die den Begriff nicht gebrauchen, sondern wie bei David Hume „A treatise on human nature“ (89) betitelt sind, der Sache aber durchaus anthropologische Sachverhalte bearbeiten. Ebenso würden Klassiker wie Pico della Mirandolas für die Entstehung des Menschrechtsgedankens wichtiger Traktat „Über die Würde des Menschen“ (103) und Blaise Pascals „Gedanken“ (102) nicht berücksichtigt werden können. Allerdings müssen die Unterschiede sehr sorgfältig bedacht werden, die antikes, mittelalterliches, biblisches Denken über den Menschen von den Unternehmungen neuzeitlicher Anthropologie trennen; das Denken über den Menschen erfährt eine spezifische Wendung, wenn es unter den im engeren Sinn anthropologischen Prämissen betrieben wird. Die notwendige Unterscheidung erlaubt freilich, wie sich zeigen wird, keine grundsätzliche Trennung: Als wie immer geartete Antwort auf die Frage ,Was ist der ,
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Frageinteresse
2.1 Die Konstitution (k)einer Disziplin
Mensch? steht auch die neuzeitliche Anthropologie in einer starken Kontinuität zu vorneuzeitlichem und außeranthropologischem Denken; und die meisten Werke, die sich ausdrücklich als ,Anthropologie bezeichnen, stehen nicht isoliert, sondern in einer gedanklichen Kontinuität zu den Fragestellungen und Überlegungen, die auch vorher bedacht wurden. Dabei ist es durchaus nicht ausgemacht, daß das, was sich systematisch-begrifflich als Anthropologie fassen läßt, die angemessenere Gestalt der Reflexion der Frage nach dem Menschen ist. Diese Frage spitzt sich zu, wenn es um eine Klärung dessen geht, was eine theologische Anthropologie ausmacht. Daß die theologische Rede vom Menschen in der Tradition nicht als ,Anthropologie bezeichnet wurde, ist dabei mehr als eine begriffliche Frage: Ist vielmehr das, was theologisch zum Menschen zu sagen ist, überhaupt im Rahmen dessen sagbar, was in den Wissenschaften und der Philosophie als ,Anthropologie bezeichnet wird? Ist es also mehr als die Folge „einer gewissen Kursgängigkeit des Wortes“ (84: 7), wenn die theologische Rede vom Menschen nun auch als Anthropologie firmiert? Arnold Gehlen sieht hier jedoch auch „eine weitverbreitete und tiefe Interessenverschiebung“, und spricht davon, daß „auch innerhalb der Theologie … die Frage nach dem Menschen anscheinend ein steigendes Gewicht“ erhält (ebd.). Damit ist freilich noch kaum Klärung erreicht: Was unterscheidet die von Gehlen angeführte ,Frage nach dem Menschen von dem, was immer schon theologisch als ,Lehre vom Menschen bearbeitet worden ist? Dennoch benennt Gehlen ohne Zweifel eine Klärungsaufgabe, indem er die Frage aufwirft, ob eine ,theologische Anthropologie nicht einen Selbstwiderspruch darstelle, weil die theologische Lehre vom Menschen fundamental von der Aufgabenstellung der Anthropologie unterschieden wäre. Anders gefragt: Wenn eine theologische Lehre vom Menschen wesentlich vom Menschen vor Gott sprechen muß, fällt sie dann nicht bereits im Ansatz aus dem Bereich der Anthropologie heraus, die den Menschen ,aus sich selbst zum Gegenstand macht? Gehlens Auffassung basiert freilich auf einem Begriff der Anthropologie, der keineswegs selbstverständlich ist. Die Aufgabenstellung einer theologischen Anthropologie und ihre Eigentümlichkeit läßt sich erst dann bestimmen, wenn deutlich geworden ist, was überhaupt sinnvollerweise Anthropologie heißen kann. Die Komplexität dieser Problematik zeigt sich schon an Gehlens Formulierung selbst: ,Lehre vom Menschen‘, ,doctrina de homine und ,anthropologia sind eben genaue Synonyme, und es könnte schließlich auch eine Sache der linguistischen Mode sein, ob man den griechischen oder den lateinischen Ausdruck bevorzugt. Zu dieser Klärung bietet es sich an, zunächst doch nur von dem auszugehen, was ausdrücklich unter der Bezeichnung Anthropologie firmiert. Einem unmittelbaren Verständnis macht es der Ausdruck ,Anthropologie nicht schwer: Den Wortbestandteilen anthropos, ,Mensch‘, und logos, (vernünftige) Rede, nach geht es in der ,Anthropologie schlicht um die ,Lehre vom Menschen . Aber anders als der übliche Gebrauch des Wortbestandteils „-logie“ nahelegt, ist Anthropologie kein Fach, das man studieren und in dem man einen Abschluß erwerben könnte; vielmehr erscheint Anthropologie in einer Vielzahl von Fächern in je unterschiedlicher Ausprägung. ,
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Ist ,theologische Anthropologie ein Selbstwiderspruch? ,
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Vielfalt der Anthropologien
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2. Anthropologie im interdisziplinären Kontext
Was der „philosophischen Anthropologie“, der „biologischen Anthropologie“ etc. ihr jeweiliges Gepräge gibt, ist nicht eine Teildisziplin einer allgemeinen Anthropologie; vielmehr bestimmt das jeweilige Fach, in dessen Rahmen die anthropologische Fragestellung thematisiert wird, welche Methoden angewandt werden und was überhaupt Gegenstand der Untersuchung sein kann. „Biologische Anthropologie“ ist ein Teilgebiet der Biologie, in dem biologische Methoden und Theorien den Rahmen vorgeben. Um „philosophische Anthropologie“ betreiben zu können, bedarf es dagegen eines Studiums der Philosophie, Kenntnisse der Philosophiegeschichte usw.; über die Legitimität anthropologischer Aussagen entscheidet hier die Stringenz des philosophischen Arguments. Entsprechendes gilt für alle anderen Fächer, die ein Teilgebiet ausgebildet haben, das jeweils als Anthropologie bezeichnet wird. So ist derjenige, der „philosophische Anthropologie“ betreibt, eben Philosoph; der Verfasser einer „pädagogischen Anthropologie“ ist vor allem Pädagoge; der Autor einer „biologischen Anthropologie“ argumentiert als Biologe etc. Was aber ein „Anthropologe“ ist und tut, mag innerhalb einer Wissenschaft noch verständlich sein – interdisziplinär gilt das keineswegs. So läßt schon der erste Blick auf die Wirklichkeit anthropologischer Forschung die vage Einheit, die im Gegenstand Mensch gegeben schien, sofort hinfällig werden. Gibt es aber keinen einigermaßen haltbaren Konsens der vielen anthropologischen Teildisziplinen über ihren Gegenstand, so stellt sich die Frage, ob der Begriff ,Anthropologie überhaupt noch sinnvoll eingegrenzt werden kann, oder ob es nicht vielmehr ein nahezu beliebig brauchbarer und damit auch mißbrauchbarer Begriff ist. Der Versuch, den „inflationären Gebrauch des Anthropologiebegriffs“ (8: 10) mit einer Definition zu beenden, ist aber schon darum zum Scheitern verurteilt, weil er doch nur die Vielzahl solcher Definitionen um eine weitere vermehrte. Zudem würde jede Definition nur die spezifische Sicht des jeweiligen Autors widerspiegeln: Ein Konsens darüber, was Anthropologie sei, zeichnet sich jedenfalls nicht ab. Die Vermutung liegt nahe, daß die Unklarheit des Anthropologiebegriffs mit der Sache des anthropologischen Forschens und Nachdenkens selbst verbunden sein könnte: Sein möglicher Gegenstand ist in sich zu vielgestaltig und die Wege seiner Thematisierung sind zu vielfältig, als daß er sich auf einen Nenner bringen ließe. Darum würde jede Definition von ,Anthropologie dazu führen, daß große Bereiche bereits im Ansatz ausgeschlossen würden, ohne daß dies von der Sache her zu begründen wäre. Gerade diese Gefahr manifestiert sich in der Geschichte und der Gegenwart wissenschaftlicher Anthropologie. Es wäre damit zu rechnen, daß sich gerade in den zuvor ausgeschlossenen Fragestellungen und Forschungsrichtungen wichtige Hinweise und Impulse für das Nachdenken über das Menschsein finden. Gleichsam gegen den Willen ihrer Akteure beweist das die Geschichte der Anthropologie als Wissenschaft: Die einzelnen Fragestellungen haben immer wieder weitere Aspekte und Forschungsinteressen aus sich herausgesetzt, die die Disziplingrenzen sprengen, so daß gesagt werden kann, daß die kaum übersehbare Vielfalt anthropologischer Forschungen in der Logik dieser Frage nach dem Mensch,
Keine Definition möglich
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2.1 Die Konstitution (k)einer Disziplin
sein liegt. Wenn also die Vielfalt anthropologischer Fragestellungen und Forschungsrichtungen nicht schlicht beklagenswert ist, sondern mit dem Charakteristischen der Anthropologie selbst zu tun hat, dann wird unmittelbar deutlich, wie wenig mit einer klaren Begriffsdefinition gewonnen wäre: Um der Eindeutigkeit willen würde Anthropologie verarmen und vorweg auf eine Perspektive und einen Gegenstandsbereich verengt. Was Anthropologie ist, läßt sich nicht definitorisch fixieren; ,Anthropologie bezeichnet keinen klar abgrenzbaren Gegenstand, sondern ein Feld mit durchlässigen Grenzen. Was für eine Bestimmung des Menschseins von Bedeutung ist, läßt sich nicht vorab festlegen, sondern ist selbst in eminenter Weise Thema anthropologischer Reflexion. ,
Der folgende Versuch einer Klärung der Spezifika anthropologischer Forschung und Reflexion geht daher von der doppelten Vermutung aus, die existierende Vielgestaltigkeit der Anthropologien sei einerseits durch die Komplexität des Gegenstandfeldes bedingt und folglich kein Defizit anthropologischer Forschung: Die Frage nach dem Menschen läßt sich nicht auf eine Disziplin begrenzen. Die Vielfalt ist andererseits doch kein beziehungsloses Nebeneinander: Die vielen Anthropologien kreisen vielmehr um einen gemeinsamen Kern. Dieser Kern muß freilich erst herausgearbeitet werden. Weil sich die verschiedenen Anthropologien schon nach ihren Methoden und dem, was sie jeweils am Menschen in den Blick nehmen, grundlegend unterscheiden, so liegt nach gängiger wissenschaftlicher Praxis die Vermutung nahe, daß sie als Teildisziplinen einer interdisziplinären „Gesamt-Anthropologie“ zu integrieren wären. Die disziplinäre Vielfalt wäre dann Ergebnis einer sinnvollen wissenschaftlichen Arbeitsteilung. Aber auch dieses Modell einer Addition der vielen anthropologischen Beiträge zu einem einigermaßen stimmigen Gesamtbild erweist sich freilich als Illusion, wie – gegen ihre Absicht – gerade die von Hans-Georg Gadamer und Paul Vogler herausgegebene „Neue Anthropologie“ belegt. Dieses enzyklopädisch angelegte siebenbändige Werk bietet eine Vielzahl von Beiträgen aus den verschiedensten Wissenschaften: von der Biophysik über die Kybernetik und Urgeschichte bis zur Psychologie und Soziologie, wobei auch Philosophie, Religionswissenschaft und Theologie nicht fehlen. Gerade diese imposante Sammlung verstärkt aber den Eindruck des Diffusen und Fragmentarischen und läßt den Gedanken einer Integration anthropologischer Forschungen als uneinlösbar erkennen: Fast jeder Beitrag spricht seine eigene Sprache, umreißt seinen Gegenstand auf unterschiedliche Weise etc. Gadamer stellt darum fest: „Niemand kann sich heute einbilden, wir vermöchten die Integration wirklich zu vollziehen, nach der wir für unser Wissen vom Menschen verlangen.“ (15/1: XVII) Dies ist freilich nicht nur eine Folge der zunehmenden Spezialisierung der wissenschaftlichen Disziplinen, die von einzelnen nicht mehr kompetent zu überblicken sind; auch die Zusammenarbeit der Spezialisten der verschiedenen Disziplinen führt gerade nicht zu einer Integration des „Wissens vom Menschen“, weil in den Beiträgen der verschiedenen Disziplinen sehr unterschiedliche Vorstellungen von dem vorliegen, was dies jeweils umfassen und bedeuten soll. Nicht erst die wissenschaftstheoretische Einsicht in die Heterogenität der wissenschaftlichen
Vielfalt und gemeinsames Zentrum
Anthropologie als Enzyklopädie des Menschen?
41
2. Anthropologie im interdisziplinären Kontext
Methoden und das Bewußtsein dafür, wie sehr die einzelnen wissenschaftlichen Aussagen durch die Methoden ihrer Gewinnung bestimmt sind, lassen erkennen, daß das Vorhaben einer anthropologischen Gesamtschau von falschen Voraussetzungen ausgeht. Die gemeinsame Mitte der anthropologischen Forschungen läßt sich demnach weder durch eine Gegenstandsdefinition noch durch die Addition der verschiedenen Beiträge und Aussagen über den Menschen finden. Dies ist freilich erst eine negative Auskunft: Der mögliche Zusammenhang der Anthropologien läßt sich nicht nach den üblichen Vorstellungen von der Einheit wissenschaftlicher Disziplinen gewinnen. Aber auch die Begriffsgeschichte ist nicht geeignet, nach dem Scheitern einer systematischen Begriffsdefinition in einer Art historisch-terminologischem Reinigungsvorgang das auszuscheiden, was nicht ausdrücklich den Begriff ,Anthropologie führt. Umgekehrt muß auch nicht alles, was sich selbst als ,Anthropologie bezeichnet, für die anthropologische Reflexion unbedingt Relevanz besitzen. Die Diskussion von einigen signifikanten Ausprägungen der Anthropologie in den Wissenschaften kann daher nur ein erster Schritt bei der Bestimmung dessen sein, was sinnvollerweise ,Anthropologie genannt werden kann. Der sachliche Kern anthropologischen Forschens und Nachdenkens ist noch einmal zu unterscheiden von den Gegenständen, die jeweils untersucht werden; er liegt auch in den disziplinären Anthropologien nicht immer offen zu Tage. Dennoch lassen sich an einigen wesentlichen Stationen Grundmomente anthropologischen Forschens und Denkens herausarbeiten: Nicht eine historische Darstellung ist darum das Ziel dieses Abschnitts, sondern die Gewinnung des systematischen Profils anthropologischer Reflexion. , ,
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2.1.2 Von der Frage nach dem Menschen zur empirischen Anthropologie Der Begriff ,Anthropologie besteht zwar, seinen Wortbestandteilen nach, aus klassischen griechischen Begriffen, ist gleichwohl in der heute gebräuchlichen Verwendung nicht antiken Ursprungs. Die wenigen antiken Belege des Wortes zeigen vielmehr eine ganz andere Bedeutung. Wenn etwa Aristoteles von ,anthropologoi spricht, also von solchen, die über Menschen reden, dann ist damit keineswegs eine vernünftige Bestimmung des Menschseins im Blick; vielmehr ist der Sinn dieses Ausdrucks eher ein abwertendes ,Schwätzen über andere Menschen‘, also etwa ,Gerede oder ,Tratsch (Aristoteles, Nikomachische Ethik 1125 a 5. Über die Begriffsgeschichte informieren 1, 2, 3). Auch der gelegentliche Gebrauch bei den Kirchenvätern und in der mittelalterlichen Theologie kann nicht unmittelbar als Vorgeschichte des heutigen Anthropologiebegriffs gelten; hier ist eher das gemeint, was heute ,Anthropomorphismus genannt wird, also die Rede von Gott in Begriffen, die eigentlich nur vom Menschen auszusagen sind. Der uns geläufige Sinn von ,logos als (vernünftiger) Rede oder Wissenschaft, wie er aus Kombinationen wie Bio-logie oder Sozio-logie vertraut ist, führt erst im sechzehnten Jahrhundert zur Bildung des Kunstworts ,Anthropologie in einem der heutigen Bedeutung nahekommenden Sinn. Es besteht also Anlaß zur Zurückhaltung, wenn der Begriff ,Anthropologie ,
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Neuzeitlicher Begriff
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2.1 Die Konstitution (k)einer Disziplin
anachronistisch gebraucht wird, wenn also auch dann von ,Anthropologie die Rede ist, wo in den Texten der Begriff selbst gar nicht verwendet wird. Der erste Nachweis des Begriffs im Sinne eines wissenschaftlichen Arbeitsfeldes findet sich in dem 1594 – 1596 erschienenen Werk von Otto Casmann „Psychologia anthropologica sive animae humanae doctrina“, das auch die erste ausdrückliche Definition bietet: ,
„Anthropologia est doctrina humanae naturae. Humana natura est geminae naturae mundanae, spiritualis et corpareae, in unum hyphistamenon unitae particeps essentia“ – „Anthropologie ist die Lehre von der menschlichen Natur. Die menschliche Natur ist ein Wesen, das an der zweifachen Natur der Welt, der geistigen und der körperlichen, die in ihr zur Einheit verbunden sind, teil hat.“ (1: 2)
An dieser Definition fällt auf, daß die menschliche Natur ihr Besonderes gerade nicht in der Teilung von geistigem und fleischlichem Wesen hat: Diese zweifache Natur ist vielmehr der Welt insgesamt zu eigen. Wenn Michael Landmann (5: 50) in der Rede von der gemina natura, der „Zwillingsnatur“, – freilich ohne ausdrückliche Nennung Casmanns – einen anthropologischen Dualismus erkennt, dann geht das an der Pointe jedenfalls dieser Definition vorbei. Die Besonderheit der menschlichen Natur ist es nach Casmanns Definition vielmehr, daß diese Doppelnatur der Welt im Menschen vereinigt ist: Im Menschen kommen demnach die Sphären des Geistigen und des Fleischlichen zusammen. Diese doppelte Bestimmung des Menschen weist einerseits zurück auf das theologische und philosophische Denken über den Menschen in Antike und Mittelalter; sie weist aber auch andererseits – gerade in ihrer Anlehnung an die Tradition – weit voraus auf die anthropologische Reflexion am Ende des 18. und vor allem im 20. Jahrhundert. Die von Casmann benannte Aufgabe der Anthropologie, die Einheit von geistiger und körperlicher Natur zu bedenken, ist freilich bis heute keineswegs eingelöst. Wenn in Casmanns Definition von der ,Natur des Menschen die Rede ist, dann ist dabei zu beachten, daß damit eine Wesensbestimmung des Menschen vorgenommen wird, nicht eine Beschreibung seiner leiblichen Vorfindlichkeit, die freilich in Casmanns Werk ausführlich beschrieben wird: Sein Werk ist wesentlich eine Sammlung tradierter Ansichten über die Seele des Menschen und das Funktionieren seines Körpers unter Einbeziehung des zeitgenössischen anatomischen und physiologischen Wissens. Gerade diese Aufmerksamkeit auf die leibliche Beschaffenheit des Menschen kann aber als Ausgangspunkt dessen gelten, was sich in der Folge als Anthropologie ausbildet: Anthropologie geht aus von der Wahrnehmung des Menschen als eines Naturwesens. Für Casmann ist das freilich erst die eine Seite, die er in der Aufnahme tradierter theologischer Terminologie als „fleischliche Natur“ bezeichnet. Ein angemessenes Verständnis des menschlichen Seins ist ihm zufolge nur da möglich, wo auch die „geistige Natur“ des Menschen bedacht wird, deren Vereinigung mit der fleischlichen Natur gerade das Spezifische des Menschseins und seine ontologische Besonderheit ausmacht. Wirksamer als diese differenzierte Doppelbestimmung wurde aber die Ausrichtung der Anthropologie auf die Biologie des Menschen, die aus dem Versuch folgt, gerade in seiner Einbindung in die ,natürliche Welt den An-
Definition von O. Casmann 1594
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Mensch als Naturwesen
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2. Anthropologie im interdisziplinären Kontext
satzpunkt einer Bestimmung des Menschseins zu finden. Diese Linie wird in der Folge durch die weitgehende Rezeption der Grundkategorien der Philosophie Descartes (vgl. dazu unten S. 131 ff.) die dominante, so daß die Entfaltung der Anthropologie nun bei denen liegt, die die somatische Seite des Menschscheins untersuchen, vor allem also bei Medizinern. Mit dieser Entwicklung sind die Bahnen anthropologischen Denkens insofern vorgezeichnet, als die Bestimmung des Menschseins durchweg bezogen bleibt auf seine Naturhaftigkeit: Menschsein wird wahrgenommen in seiner Körperlichkeit, deren Erforschung grundsätzlich mit denselben Mitteln geschieht wie die jedes anderen Lebewesens. ,
Die unmittelbare Beziehung der Anthropologie auf die Erfahrung des Menschen als eines Naturwesens und zugleich die Verbindung zu den empirischen Wissenschaften kann als ein Grundzug anthropologischen Denkens gelten, der auch da in Geltung bleibt, wo die Beschränkung auf das Somatische überwunden werden soll. Die Bestimmung des Menschen als eines Naturwesens, wie sie für die entstehende Anthropologie charakteristisch ist, ist freilich ebensowenig die Entdeckung eines neuen Sachverhaltes wie die Wahrnehmung des Menschen als eines Lebewesens unter anderen. Beides hatten schon die klassischen Bestimmungen, wie sie etwa aus der Philosophie der Antike bekannt sind, enthalten: Wenn da etwa der Mensch als das zoon logon echon, also als dasjenige Lebewesen, das (vernünftige) Sprache hat, oder als das animal rationale, als das vernünftige Tier bezeichnet wird (s. u. Kap. 5.2.1), dann ist damit gleichzeitig die Zugehörigkeit zu den Tieren als auch die Eigenart des Menschen betont. Mit der entstehenden Disziplin der Anthropologie findet die Frage nach dem Kennzeichnenden des Menschseins eine Neubestimmung: Die Antwort auf die Frage, was der Mensch sei, wird hier nicht mehr in philosophischen oder theologischen Grundsätzen gesucht, sondern in seiner empirisch erforschbaren ,Natur . Die leibliche Beschaffenheit des Menschen ist nicht mehr nur Gegebenheit und selbstverständliche Dimension des Menschseins, die bedacht werden muß; vielmehr soll und muß jetzt die empirisch erforschte Naturhaftigkeit des Menschen die Begründungslast für die Bestimmung des Menschseins selbst tragen. Mit diesem Schritt zur Begründung dessen, was Menschsein heißt, in der empirisch erforschbaren Naturhaftigkeit des Menschen hat die Anthropologie erst ihr systematisches Zentrum gefunden. In verschiedenen Wandlungen bleibt das durch die ganze Neuzeit hindurch bis in die Gegenwart verbindlich; nur in diesem systematischen Zentrum ist Anthropologie auch mehr als das mehr oder weniger zufällige Sammeln verschiedenster Informationen über den Menschen. Bezeichnenderweise wird das Nachdenken über die Bestimmung des Menschen zur nun auch begrifflich greifbaren Anthropologie zu der Zeit, in der die tradierten theologischen und metaphysischen Begründungen brüchig werden und ein radikaler Orientierungsbedarf spürbar wird. Odo Marquard faßt seine Sicht dieser Entwicklung bündig zusammen: „Wenn der Mensch nicht mehr metaphysisch auf Gott sich verläßt und nicht – unter Betonung der ,dignitas hominis – auf die eigene schrankenlose Freiheit, muß er auf die Natur sich verlassen.“ (2: 363) ,
Anthropologie als normative Orientierung an Natur
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2.1 Die Konstitution (k)einer Disziplin
Die Ausbildung der Anthropologie vollzieht also im Nachdenken über das Menschsein die spezifisch neuzeitliche Wendung mit, nach der an die Stelle der göttlichen Offenbarung oder der metaphysischen Verfassung der Welt als Quelle letzter Legitimation und als Begründungsinstanz die Natur tritt – wie immer diese definiert und erforscht wird. Diese Wendung hat bis heute eine wenn auch problematische und hier noch zu problematisierende Plausibilität: Die Beschaffenheit des Menschen, wie sie als ,natürlich gilt, kann kaum übersprungen oder übergangen werden; was dem Menschen zuzumuten ist, worin seine Bestimmung ausgemacht wird, kann nicht in Widerspruch zu seiner Natur stehen. Dabei muß noch einmal auf den terminologischen Wandel im Naturbegriff hingewiesen werden: Daß die Bestimmung des Menschseins seiner Natur entsprechen muß, wäre für vorneuzeitliches Denken eine schlichte Tautologie, insofern ,Natur gerade für das Wesen einer Sache steht, also sowohl seine Charakteristika umfaßt als auch seine Teleologie. Auch der Gedanke eines naturgemäßen Lebens hat so seine antike Vorgeschichte: Er findet sich in aller Ausdrücklichkeit schon in der Lebensphilosophie der Stoa. Genauer ist zu sagen, daß nicht die Orientierung an der Natur, sondern die Orientierung an der auf das empirisch Erforschbare reduzierten Natur die spezifisch neuzeitliche Wendung darstellt. Die Orientierung an der empirisch erforschbaren Natur des Menschen, die die Anthropologie kennzeichnet, steht freilich vor einer doppelten Schwierigkeit: 1) Die anthropologische Ausrichtung auf die somatische Natur des Menschen kann nicht genügen, weil Menschsein mehr und anderes enthält als das erfahrungswissenschaftlich Feststellbare und experimentell Überprüfbare. So unzweifelhaft die leibliche Beschaffenheit von geradezu fundamentaler Bedeutung für jedes Nachdenken über den Menschen ist, so offensichtlich ist damit doch auch nicht alles oder auch nur genug über den Menschen gesagt. Die anthropologische Konzentration auf die Natur des Menschen – und das heißt jetzt: seine körperliche Verfaßtheit – blendet eben das am Menschen ab, was über die Körperlichkeit hinausgeht. Insofern gerade dieser Überschuß über das Körperliche für die Bestimmung des Menschseins als entscheidend erkannt wird, kann Anthropologie gegen Ende des 18. Jahrhunderts zum Titel für die Reflexion auf das Verhältnis von Leib und Seele werden (1: 11 f.). 2) Die Frage drängt sich auf, wie denn die ,Natur des Menschen ermitteln und festzustellen sei. In der Geschichte des Anthropologiebegriffs ist diese Problematik daran zu erkennen, daß es eben nicht zur Ausbildung einer wissenschaftlichen Disziplin von mehr als partikularer Relevanz kam: Die Frage nach der Natur des ganzen Menschen ist empirisch nicht zu beantworten. Solange Anthropologie auf die Erforschung der somatischen Seite des Menschseins festgelegt war, für die vor allem die Medizin und die Biologie des Menschen zuständig scheint, führte das zu einer untergeordneten Stellung der empirischen Anthropologie als Hilfsdisziplin, wie sich an ihrer institutionellen Ausbildung zeigte: Eine wissenschaftliche Etablierung der Anthropologie als eigenständige Disziplin fand nicht statt; vielmehr wurde sie als Teil des philosophischen Curriculums gleichsam im Vorfeld der großen philosophischen Aufgaben abgearbeitet. ,
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Der Mensch ist nicht nur körperliche Natur
Wie ist die Natur des Menschen festzustellen?
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2. Anthropologie im interdisziplinären Kontext
Anthropologie entsteht da, wo die Frage nach dem Menschen keine überzeugende Antwort mehr aus der Tradition findet. In ihrer Ausprägung als empirische, auf die Körperlichkeit des Menschen fixierte Anthropologie wird das Problem freilich nur verschoben: Aus dem zusammengetragenen Wissen über die körperliche Natur des Menschen läßt sich kein Verständnis des Menschseins gewinnen. Um dieses Dilemma der Anthropologie aufzulösen, bieten sich zwei Wege an: Zum einen kann versucht werden, die empirische Erforschung des Menschen so zu erweitern, daß daraus wieder eine Vorstellung vom Menschen in seiner Gesamtheit abgeleitet werden kann. Zum anderen aber kann der Ausgangspunkt gerade bei dem genommen werden, was in der empirischen Anthropologie abgeblendet wird: der ,philosophischen Bestimmung des Menschseins. Beide Wege finden sich in der weiteren Geschichte der Anthropologie. ,
46
2.1.3 Immanuel Kant: Anthropologie als pragmatische Disziplin Die strukturelle Problematik der Anthropologie, allererst ihren Gegenstand adäquat zu bestimmen, zeigt sich in aller Deutlichkeit bei Immanuel Kant, dessen Werk in verschiedener Hinsicht darum außerordentlich instruktiv für die Reflexion der anthropologischen Fragestellung ist. Obwohl es ihm gerade um die Etablierung der Anthropologie als anerkannter Disziplin zu tun war, steht sie doch außerhalb des Systems seiner Philosophie, wie es in den drei großen Kritiken entfaltet ist. Das muß um so mehr überraschen, als Kant der Anthropologie geradezu eine fundamentale Bedeutung für alles Denken zusprechen kann. Es sei noch einmal daran erinnert, daß Kant die drei Grundfragen der Philosophie (Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?) um die Frage „Was ist der Mensch?“ ergänzt und die drei ersten auf die letzte bezieht. Nachdem die drei ersten Fragen in Kants Werk offensichtlich intensiv bearbeitet wurden, ist in der Kantforschung wiederholt diskutiert worden, ob und wenn ja, wie die vierte Frage ihre Antwort gefunden hat. Die immer wieder unternommenen Versuche, in Kants Hauptwerken eine transzendentale Anthropologie zu identifizieren, die sich in das System seiner großen Philosophie einfügt, dürften als gescheitert gelten; auch sind keine Pläne Kants zu einer dieser Aufgabe entsprechenden Schrift bekannt, so daß angenommen werden kann, daß diese Frage bei Kant entweder nicht beantwortet werden kann oder aber implizit schon beantwortet ist. Für die letzte Möglichkeit spricht, daß Kant wiederholt sehr wohl die Bestimmung des Menschen formuliert: Der Mensch ist nämlich das Wesen, das fähig ist, seine Vernunft zu gebrauchen und also auch ein vernunftgemäßes Leben zu führen. Diese Überzeugung läßt sich in Kants Sinne durchaus als klare Antwort auf die Frage, was der Mensch sei, verstehen und trägt sein ganzes kritisches Werk. Der kategorische Imperativ etwa ist geradezu eine Anwendung dieser Wesensbestimmung des Menschen: Weil die Einsichtsfähigkeit in die Vernünftigkeit des Sittengesetzes zum Wesen des Menschen gehört, kann ein Mensch gar nicht gegen dieses Gesetz handeln wollen, ohne sich selbst zu verfehlen.
2.1 Die Konstitution (k)einer Disziplin
So läßt sich die vierte Frage aus den Logikvorlesungen durchaus als eine beantwortete verstehen, die gerade deshalb nicht mehr in einer eigenen Disziplin entfaltet werden kann: Die Entfaltung sind eben die großen kritischen Schriften, denen die Bestimmung des Menschen als Vernunftwesen immer schon vorausliegt. An der Formulierung der vierten Frage fällt auf, daß in ihr die Sprachform wechselt. Sind die drei ersten gänzlich parallel gebaut in der für Kants Philosophie kennzeichnenden Wendung zum denkenden Ich, so wechselt die vierte in eine quasi objektive Perspektive, die vom reflektierenden Ich nicht mehr beantwortet werden kann, weil sie ihm immer schon vorausliegt. Die Aufgaben, die Kant solcher Anthropologie zuweist, sind letztlich grenzenlos, indem sie nicht weniger als das Ganze der Philosophie – und das bedeutet bei Kant: des ganzen Denkens und Erkennens – umfaßt. Freilich findet sich im Werk Kants auch die umfangreiche Schrift „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“ von 1798, die sich schon von ihrer Anlage und ihrem Genus her von seiner kritischen Philosophie charakteristisch unterscheidet. Daß diese Schrift wirkungsgeschichtlich weit hinter den großen Kritiken zurücksteht und akademisch wenig rezipiert wurde, steht im Gegensatz zu ihrem Ansehen unter den Zeitgenossen: Kants pragmatische Anthropologie war in höherer Auflage verbreitet als alle früheren Publikationen, und seine über 30 Jahre regelmäßig gehaltenen anthropologischen Vorlesungen hatten regen öffentlichen Zuspruch auch von Hörern außerhalb der Universität, so daß gesagt werden konnte, daß „Kants Wirkung als akademischer Lehrer und seine Berühmtheit in der breiten Öffentlichkeit“ (154: 266) gerade auf diesen Vorlesungen beruhten. Dabei handelt es sich um eine eigentümliche Sammlung höchst unterschiedlicher Materialien, deren Präsentation einen Leser Kants zunächst überrascht: Keine strenge und konsequente Reflexion erwartet ihn, sondern eine Mixtur mehr oder minder unterhaltsamer und mehr oder minder erhellender Berichte und Geschichten über die mannigfaltigen Erscheinungsformen des Menschlichen. Daß der kritische Philosoph in Sachen Anthropologie wissenschaftliche Studien und literarische Anekdoten ohne qualitative Abstufung nebeneinander stellt, verweist auf den Gegenstand, mit dem er sich befaßt: Die Kenntnis des Menschen bedarf vielerlei Materialien. So nennt Kant als „zwar eben nicht Quellen, aber doch Hülfsmittel zur Anthropologie: Weltgeschichte, Biographien, ja Schauspiele und Romane“ (92: 401) und erläutert den wissenschaftlich-philosophischen Rekurs auf die literarische Fiktion in einer für die Ausrichtung seiner pragmatischen Anthropologie kennzeichnenden Weise: „Denn obzwar beiden letzteren eigentlich nicht Erfahrung und Wahrheit, sondern nur Erdichtung untergelegt wird, und Übertreibung der Charaktere und Situationen, worein Menschen gesetzt werden, gleich als im Traumbilde aufzustellen hier erlaubt ist, jene also nichts für die Menschenkenntnis zu lehren scheinen, so haben doch jene Charaktere, so wie sie etwa ein Richardson oder Molière entwarf, ihren Grundzügen nach aus der Beobachtung des wirklichen Tun und Lassens der Menschen genommen werden müssen; weil sie zwar im Grade übertrieben, der Qualität nach aber doch mit der menschlichen übereinstimmend sein müssen.“ (92: 401 f.)
Gerechtfertigt ist der Rekurs auf die überzeichnende Fiktion in der Absicht dieser Anthropologie, die Kant ausdrücklich als „pragmatisch“ bestimmt: Es
Kants Anthropologie in pragmatischer Absicht
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2. Anthropologie im interdisziplinären Kontext
Pragmatische Anthropologie zielt auf Menschenkenntnis
geht ihm gerade nicht um die „physiologische“ Anthropologie, also „die Erforschung dessen, was die Natur aus dem Menschen macht“ – Kant nennt als Beispiel „die im Gehirn zurückbleibenden Spuren von Eindrücken, welche die erlittenen Empfindungen hinterlassen“ (92: 399), also der Sache nach neurophysiologische Befunde – , weil der Mensch bei solchen physiologischen Vorgängen doch nur Zuschauer, nicht aber Handelnder sei; solches Wissen ist für Kant irrelevantes „Vernünfteln“. Biologische Beschreibungen des menschlichen Gedächtnisses sind für ihn erst dann von Bedeutung, wenn sie zu seiner Erweiterung und Verbesserung gebraucht werden können: Mit dieser Zielsetzung aber wäre der Überschritt in die pragmatische Absicht vollzogen. Anthropologie in pragmatischer Absicht dient der Bildung des Handelns in der Welt und also mit und an Menschen. Zugespitzt formuliert: Kants pragmatische Anthropologie unternimmt keine Reflexion dessen, was das Menschsein ausmacht, sondern will Menschenkenntnis im durchaus landläufigen Sinn fördern. In dieser Ausrichtung liegt freilich auch die Ambivalenz, daß solche Menschenkenntnis sowohl dem gesellschaftlichen Fortkommen der Hörer dienen soll – nicht zuletzt darauf dürfte der Publikumserfolg der Vorlesungen beruht haben – als auch ihrer moralischen Vervollkommnung, indem sie eben die Menschen, mit denen sie Umgang haben, nicht nur verstehen, sondern auch achten sollen. Unter dieser letzten Voraussetzung, daß nämlich nicht schlicht der gesellschaftliche Erfolg und die Fähigkeit zur Verwirklichung der eigenen Interessen, sondern die Vervollkommnung der Menschengattung und mithin also auch die Achtung des Anderen die eigentliche Bestimmung der Menschenkenntnis darstellt, fügt sich Kants pragmatische Anthropologie in sein philosophisches Gesamtwerk, wie Reinhard Brandt herausstellt: „Die pragmatische Anthropologie ist eine Enzyklopädie der Kantischen Philosophie auf empirischer Ebene; sie ist nicht in das (wechselnd konzipierte) System der Transzendentalphilosophie oder kritischen Philosophie integriert, sondern stellt sich neben die eigentliche Philosophie und erörtert doch deren Probleme in der Dimension, die einer Disziplin im Empirischen – bei vielfältigen Anleihen und Brücken zur reinen Philosophie – möglich ist.“ (79: 8)
Die Kehrseite aufgeklärter Menschenkenntnis
Diese Verknüpfung mit der kritischen Philosophie Kants ist allerdings der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht nicht ohne weiteres abzulesen; auch in Anlage und Durchführung kann eine deutliche Spannung zu den Kritiken festgestellt werden. Der Korpus des Werks erweckt den Eindruck einer durchaus heterogenen Sammlung verschiedener Beobachtungen über die menschliche Natur, deren Qualität mitunter als sehr zweifelhaft beurteilt werden muß. Aus den verschiedensten Quellen führt er Meinungen über die Natur des menschlichen Erkenntnisvermögens, des Gefühls von Lust und Unlust und des Begehrungsvermögens an, die im Gegensatz zu den großen Kritiken gerade nicht in ihrer inneren Logik analysiert werden, sondern in Hinblick auf ihre Wirklichkeit im Leben der Menschen beschrieben werden. Dabei kolportiert Kants Anthropologie auch überkommene Ansichten über die ,Anderen‘, seien es Angehörige anderer Nationen, Völker und ,Rassen oder Angehörige des anderen Geschlechts, die bei Kant scheinbar unschuldig als empirische Befunde ausgegeben werden: „Das Weib in je,
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2.1 Die Konstitution (k)einer Disziplin
dem Alter wird für bürgerlich-unmündig erklärt; der Ehemann ist ihr natürlicher Kurator.“ (92: 522) Was sich dem heutigen Blick als eine Beschreibung sozialer Rollen und Vorurteile zeigt (deren souveräne Kenntnis durchaus dem Fortkommen in der Gesellschaft zuträglich sein dürfte), erscheint Kant freilich als unmittelbar natürlich. Gleichermaßen natürlich erscheint ihm der angeborene Charakter der Völker, weshalb Kant auch den Nationalcharakter zusammenfaßt: Die französische Nation sei mitteilsam, höflich und liebenswürdig, aber auch leichtsinnig; während der Engländer sich lieber isoliere, von Handelsgeist und Beherrschung gekennzeichnet sei etc. (92: 662 ff.) Ärger sind noch Kants Bemerkungen über die Juden (vgl. 79: 19 f.) und seine Behauptung der Überlegenheit der weißen Rasse, die er mit scheinbar unverdächtigen und offenkundigen klimatischen Allgemeinplätzen belegt: „In den heißen Ländern reift der Mensch in allen Stücken früher, erreicht aber nicht die Vollkommenheit der temperirten Zonen. Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen. Die gelben Indianer haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind weit tiefer und am tiefsten steht ein Theil der amerikanischen Völkerschaften.“ (98: 316) Wie fügen sich solche Behauptungen zu Kants aufklärerischer Grundhaltung? Der naheliegende Verweis auf die Zeitbedingtheit solcher Urteile greift zu kurz; vielmehr zeigt sich hier eine fragwürdige Tendenz, die sich in der Anthropologie bis zur Gegenwart immer wieder manifestiert und auch zu scharfer Kritik an der Anthropologie (vgl. Kap. 3) geführt hat: Die Identifikation gesellschaftlicher Verhältnisse und moralischer Vorstellungen mit der Natur. Diese Gefahr erwächst unmittelbar aus der neuzeitlichen Problemkonstellation, die zur Ausbildung der Anthropologie geführt hat: Wenn nicht mehr der unmittelbare Rekurs auf die göttliche Einsetzung und auch nicht der abgewogene Rahmen einer metaphysischen Ordnung der Welt die Garantie und die Orientierung für die Bestimmung des Menschlichen gewährleistet, so muß diese Orientierung durch eine andere Instanz gesichert werden. Hier tritt nun das Konzept der Natur in die Lücke ein: Ihr wird neuzeitlich in der Aufnahme antiker, insbesondere stoischer Vorstellungen die letzte Autorität zugeschrieben. Was als ,natürlich soll gelten können, scheint nicht weiter rechtfertigungsbedürftig. Gernot Böhme weist mit Recht darauf hin, daß Kants pragmatische Anthropologie sich über weite Strecken seinerzeit etablierter wissenschaftlicher Gebiete wie der Physiognomik, der Völkerpsychologie etc. bedient, und fragt, „warum heute diese Art von empirischer Menschenkenntnis so obsolet geworden, um nicht zu sagen in Verruf geraten ist. … Allgemein kann man wohl sagen, daß all diese Disziplinen der soziologischen Aufklärung zum Opfer gefallen sind, d.h. dem Nachweis, daß diese Charaktere Produkte sozialer Verhältnisse sind.“ (154: 271 f.) Analoge Versuche einer Fixierung menschlicher Charaktere aus der Natur gibt es freilich nach wie vor nicht nur in den mannigfaltigen Gestalten des Vorurteils, sondern gerade im Kontext anthropologischer Forschung auch in der Form wissenschaftlicher Studien; darauf wird wiederholt einzugehen sein. Bei Kant selbst erhält diese fragwürdige Implikation einer unkritischen Berufung auf das Natürliche durch die eigene systematische Philosophie ein starkes Gegengewicht. Es ist somit nicht nur die methodische Differenz zwi-
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2. Anthropologie im interdisziplinären Kontext
Naturkausalität und menschliche Freiheit
Zielsetzung
schen der empirischen Ausrichtung der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht zu dem Verfahren der kritischen Reflexion in den Hauptwerken, die zu dem Urteil führen muß: „Die pragmatische Anthropologie hat … in der Systematik der kritischen oder der Transzendentalphilosophie keinen Ort und läßt sich auch nicht post festum zu ihr in ein systematisches Verhältnis setzen.“ (79: 50) Es gibt dafür vielmehr auch inhaltliche Gründe, weil nämlich die Festlegung des Menschen auf seine Natur – so wie sie jeweils von der Wissenschaft oder auch den Konventionen einer Zeit behauptet wird – in Widerspruch steht zu Kants eigentlichem Interesse einer Verbesserung und Vervollkommnung des Menschen, ohne die eine Glückseligkeit, „wozu beständig hin zu streben ihn seine Natur antreibt“ (92: 680), nicht denkbar wäre. Diese Linie steht freilich in Spannung zum Ansatz der pragmatischen Anthropologie, insofern die Bestimmung des Menschen als Gattung hier nicht aus seiner empirischen Beschaffenheit, sondern seiner teleologischen Bestimmung gewonnen wird, die wiederum nicht unmittelbar als individuelle Handlungsmöglichkeit zu erfassen ist. In der methodischen Differenz von pragmatischer Anthropologie und kritischer Philosophie bildet sich die fundamentale Spannung im Werk Kants: die Entgegensetzung von Naturkausalität und moralischer Freiheit. Hatte Kant in seiner Analyse des Erkenntnisforschritts der Naturwissenschaften vor allem in der Kritik der reinen Vernunft gezeigt, daß im Horizont exakter erfahrungsfundierter Wissenschaft nur in den Blick kommen kann, was als Gesetzmäßigkeit formuliert werden kann, so wäre damit Freiheit als Bedingung moralischen Handelns ausgeschlossen: Dem moralischen Handeln und seiner Verbesserung gilt aber sein eigentliches Interesse. Innerhalb des geschlossenen Kausalzusammenhangs der Naturereignisse ist kein Raum für menschliche Freiheit. Anders formuliert: Wenn Kant Natur definiert als den „Zusammenhang der Erscheinungen ihrem Dasein nach nach nothwendigen Regeln, d. i. nach Gesetzen“ (95: B 263), so steht die menschliche Freiheit außerhalb der Natur. Kant hat wohl gesehen, daß sich diese Spannung nicht einfach auflösen läßt; er versucht sie zu bewältigen durch die Aufnahme des Gedankens, daß der Mensch ein Bürger zweier Welten sei: nämlich des Reichs der Notwendigkeit, also der gesetzmäßig nach Kausalitäten verlaufenden Natur, und dem Reich der Freiheit. Diese beiden Dimensionen systematisch zu verbinden, kann freilich nicht gelingen, solange der Begriff der Natur abgedichtet bleibt gegen die Erfahrungen, die für die anthropologische Fragestellung zentral sind. Die Bedeutung der „Anthropologie in pragmatischer Absicht“ besteht demnach nicht in ihrer materialen Durchführung, sondern in ihrer eigentümlichen Zielsetzung, die wiederum nur selten weitergeführt wurde: Kant will hier eben keinen Standort beziehen, der gleichsam außerhalb der Selbsterfahrung und der Selbstreflexion des Individuums liegt und ,den Menschen scheinbar objektiv zu beschreiben sucht, sondern macht gerade den Menschen in der Wahrnehmung seiner selbst zum Gegenstand der Anthropologie. Damit soll zugleich verhindert werden, daß die Beschreibung des Menschen und die ethische Reflexion auseinanderfallen: Das pragmatische Interesse ist eben das an den Realisierungsbedingungen der moralischen Einsicht, die hier nicht als abstraktes Sollen, sondern im Horizont der individuellen Möglichkeiten ihrer Verwirklichung wahrgenommen werden soll. ,
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2.1 Die Konstitution (k)einer Disziplin
Die Spannung zwischen Kants pragmatischer Anthropologie und seiner kritischen Philosophie bedeutet freilich keineswegs, daß zugunsten der Kritiken die Anthropologie als zeitbedingtes Werk von nur noch philosophiehistorischem Interesse zu beurteilen wäre. Vielmehr findet sich in der „pragmatischen Absicht“ auch ein produktiver Widerspruch, der wiederum als Kritik der systematischen Philosophie Kants fruchtbar gemacht werden könnte. In dieser Perspektive erkennt Reinhard Brandt gerade in den zitierten fragwürdigen Passagen über die Rassen und die Geschlechter eine anthropologisch wie ethisch fundamentale Einsicht: „Die Anthropologie muß, wenn sie auf dieses Lehrstück nicht verzichtet, von der Moralphilosophie fordern, daß sie nicht generell vom Menschen spricht, sondern eine Klassenteilung mündigkeitsfähiger und -nichtfähiger vernünftiger Wesen bzw. Menschen als möglich annimmt und sich mit dem Imperativ qua Imperativ nur an die ersteren wendet. Die Anthropologie würde damit die Moralphilosophie nicht destruieren, ihr jedoch eine empfindliche Einschränkung abnötigen.“ (80: 30)
Diese Einschränkung besteht nämlich darin, daß die praktische Philosophie Kants, die das Sollen des Menschen beschreibt, von der konkreten individuellen Existenz der Menschen abstrahiert: Gegen ihren eigenen Anspruch verfährt sie gerade nicht ,kategorisch‘, also unabhängig von allen individuellen Bedingungen; sie ist vielmehr auf bestimmte Voraussetzungen zu ihrer Realisierung angewiesen. Mithin würde die anthropologische Perspektive eine Konkretisierung der Ethik erfordern, die bei Kant aus systematischen Gründen nicht geleistet werden kann. Die Ergänzung der praktischen Philosophie durch eine ethische Didaktik (dazu 99) kann dem anthropologischen Defizit nur ansatzweise abhelfen. Dieser anthropologische Einspruch geht freilich nicht nur gegen Kants praktische Philosophie, sondern richtet sich dann auch gegen seine theoretische und wäre darum von größter aktueller Bedeutung, insofern Kants „Kritik der reinen Vernunft“ auch als eine präzise Beschreibung naturwissenschaftlicher Erkenntnis gelten kann, die in wesentlichen Stücken nach wie vor von geradezu normativer Bedeutung in den Wissenschaften ist. Basiert die ,reine Vernunft wie der Hauptstrom moderner Wissenschaft auf der Einnahme eines ,objektiven Standortes, der von aller individuellen ,Zufälligkeit gerade absehen will, und das beschreibt, was immer und überall gelten soll, so erweist die anthropologische Perspektive diesen Standort als fiktiv. Menschliche Wahrnehmung und menschliches Denken sind allemal ,subjektiv‘, insofern sie gebunden sind an einen jeweiligen Ort und eine jeweilige Zeit. ,
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Brandt spricht hier von dem „Dilemma zwischen göttlicher und menschlicher Anschauung“ (ebd.); damit bringt er prägnant den Widerspruch zwischen dem Anspruch der Vernunft auf überzeitliche und alles überblickende
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„Entweder werden Raum und Zeit aus der perspektivlosen Anschauung eines omnipräsenten Wesens entwickelt, oder aus der Perspektivbindung des Menschen. Wenn das letztere der Fall ist, gehören zu den notwendigen Vorstellungen beim Raum ein jeweiliges Hier und bei der Zeit die modalen Zeitbestimmungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wie sie in der Kantischen Anthropologie tatsächlich entwickelt werden, während die ,Transzendentale Ästhetik sie rigoros ausschließt.“ (80: 31)
,objektiver Standort ist fiktiv
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2. Anthropologie im interdisziplinären Kontext
Erkenntnis einerseits und der Bindung menschlicher Einsicht an die Bedingungen der leiblichen Existenz zum Ausdruck. Diese Spannung bleibt bei Kant ungelöst, und sie bleibt als ungelöstes, wenn auch selten wahrgenommenes Problem der Anthropologie wie der gesamten modernen Wissenschaft bestehen. Für die Anthropologie ist die Alternative noch einmal zu konkretisieren: Will sie den Menschen ,von außen betrachten, also gleichsam die Perspektive einer göttlichen Vernunft einnehmen, oder beginnt sie ,von innen‘, also in der Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion von Menschen? Anthropologie erscheint bei Kant als Grundfrage des Denkens, bleibt aber in diesem umfassenden Sinn unthematisierte Voraussetzung der Reflexion und wird nicht zu ihrem Gegenstand. Die pragmatische Anthropologie steht zu Kants kritischer Philosophie in doppelter Spannung: Einerseits bleibt sie in ihren materialen Aussagen weitgehend konventionell und legt die problematische Identifikation gesellschaftlich bedingter Vorstellungen mit der Natur des Menschen nahe. Andererseits macht sie gerade die Dimensionen des Menschseins namhaft, die in Kants systematischer Philosophie abgeblendet bleiben. Indem sie die anthropologische Aufgabe ausdrücklich als pragmatische bestimmt, macht sie die handlungsleitende und handlungsorientierende Zielsetzung der Anthropologie erkennbar. ,
Die Diskrepanz zwischen Naturkausalität und Freiheit in der Bestimmung des Menschseins ist nicht nur charakteristisch für Kants Anthropologie, sondern für neuzeitliche Anthropologie insgesamt: Solange die menschliche Natur allein im Horizont naturwissenschaftlicher Erkenntnis, die nach Gesetzmäßigkeiten sucht, wahrgenommen wird, bleiben die genuin moralischen Dimensionen unsichtbar. Die pragmatische Anthropologie zeigt freilich die zentrale Bedeutung dieser Dimensionen. An Kants Anthropologie ist zu erkennen, daß auch vermeintlich ,reines Denken leibgebunden und sprachgebunden ist. In Kants Ausführungen erscheint das als unausgeglichene Spannung und damit als bleibendes anthropologisches Problem. ,
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2.1.4 Anthropologie als Suche nach dem Ursprung und der biologischen Natur des Menschen Kant hatte ausdrücklich die „physische Anthropologie“, also die Kenntnis der biologischen, klimatischen etc. Bedingungen des Menschseins, der pragmatischen untergeordnet, weil sein Interesse auf die Dimensionen gerichtet war, die die bloße Naturkausalität übersteigen. Gerade die Ausrichtung auf die naturwissenschaftlich erforschbaren Zusammenhänge war es jedoch, die im neunzehnten und beginnenden zwanzigsten Jahrhundert zu einer institutionellen Etablierung der Anthropologie führte. Damit verändert sich das Gegenstandsfeld der Anthropologie: Nicht die selbstreflexive Frage nach dem Wesen des Menschen, sondern die Erforschung seiner körperlichen Beschaffenheit, seiner naturgegebenen Bedingungen und seiner naturgeschichtlichen Ausbildung stehen dabei im Zentrum. Diese institutionelle Ausformung der Anthropologie manifestiert sich in der Einrichtung anthro-
2.1 Die Konstitution (k)einer Disziplin
pologischer Gesellschaften Mitte des 19. Jahrhunderts, der Herausgabe anthropologischer Zeitschriften und der Errichtung anthropologischer Lehrstühle. An dieser Institutionalisierung anthropologischer Forschung waren wesentlich Anatomen beteiligt; dies entsprach der Konzentration auf die äußere Gestalt der Menschen. Dementsprechend kann die Bezeichnung „physische Anthropologie“, wie sie von einigen frühen Vertretern aufgegriffen wurde, als im wesentlichen zutreffend gelten. Dieser Begriff hätte auch den Vorteil größerer Trennschärfe gegenüber der scheinbar naheliegenden Rede von ,naturwissenschaftlicher Anthropologie‘, insofern naturwissenschaftliche Erforschung des Menschen nämlich weder in physischer Anthropologie aufgeht noch notwendig deren Prämissen verpflichtet ist. Die Benennung der Institute und Gesellschaften, die aus dieser Ausrichtung hervorgingen, gebraucht allerdings bis heute zumeist keine adjektivische Näherbestimmung, so daß sich für den an Anthropologie in einem philosophischen, theologischen und kulturwissenschaftlichen Sinn Interessierten der überraschende Befund ergibt, daß die ausdrücklich als anthropologisch gekennzeichneten Lehrstühle i.d.R. medizinische und biologische sind. Diese institutionelle Einbindung ist auch die Konsequenz „der positivistischen Wendung, welche die Anthropologie nunmehr genommen hatte“. (4: 97) Sie ist verbunden mit der Dominanz der „Meß- und Beobachtungstechnik, besonders an Schädel und Skelett“ (ebd.), die bei den anthropologischen Gesellschaften zu beobachten ist. Die häufig betont antiphilosophische und antireligiöse Haltung der Gründergeneration dieser Richtung anthropologischer Forschung – so sollte bei dem ersten deutschen Anthropologentreffen 1861 ausdrücklich jede philosophische Betrachtung über den Menschen ausgeschlossen sein (7: 65 f.) – hat bis in die Gegenwart ihre Auswirkungen: Geisteswissenschaftlichen Fragestellungen und vor allem die kritische Reflexion auf die eigenen Methoden und Denkvoraussetzungen bleiben innerhalb der physischen Anthropologie weithin ausgeschlossen. Bezeichnenderweise sind unter den Arbeitsgebieten der „Gesellschaft für Anthropologie“, die sich selbst als Vertretung aller Anthropologen und Humanbiologen versteht, theologische und philosophische Fragestellungen nicht zu finden. Die Folge ist eine weitgehende wechselseitige Isolierung naturwissenschaftlicher und philosophisch-theologischer Anthropologie: Während die Existenz institutionalisierter physischer Anthropologie für den Leser philosophischer und theologischer Anthropologien oft unbekannt ist, werden in der physischen Anthropologie die Fragestellungen kaum zur Kenntnis genommen, die auf die Selbstreflexion des Menschseins zielen. Wo diese in naturwissenschaftlichen Anthropologien im Blick sind, dominiert die Vorstellung einer ,Einbahnstraße : Während nicht wenige Autoren aus dem Bereich physischer Anthropologie Konsequenzen aus der physischen Anthropologie für Kultur und Gesellschaft ziehen wollen, ist die umgekehrte Richtung einer Rezeption geisteswissenschaftlicher Anfragen und Perspektiven kaum zu erkennen. Die Rede von den „zwei Kulturen“, also die strikte Trennung von naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Disziplinen, kann hier als weitgehend angemessene Beschreibung gelten. Es zeigt sich freilich, daß die physische Anthropologie in einer Überschreitung ihrer methodi-
Die Institutionalisierung der Anthropologie unter anatomischen Vorzeichen
antiphilosophische und antireligiöse Haltung
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2. Anthropologie im interdisziplinären Kontext
schen Grenzen mitunter weitreichende Aussagen zu sozialen, moralischen und politischen Themenfelder aufstellt; indem diese als Resultate strenger Naturwissenschaft präsentiert werden, scheinen sie den Charakter unvoreingenommener und ,objektiver Aussagen anzunehmen. ,
Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts institutionalisierte Anthropologie konzentrierte sich auf die Erforschung der menschlichen physis. Dabei wurden theologische und geisteswissenschaftliche Perspektiven programmatisch abgelehnt. Die Folge dieser Entscheidung war freilich auch, daß die eigenen moralischen und politischen Voraussetzungen nicht länger reflektiert wurden.
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Der nackte Mensch
Der Eindruck der strikten Selbstbezüglichkeit und Selbstgenügsamkeit physischer Anthropologie ist mithin eine Selbsttäuschung. Schon an den Gründergenerationen läßt sich nämlich erkennen, daß hier durchaus massive ethische, politische und philosophische Voraussetzungen und Erwartungen im Spiel sind, die aber kaum reflektiert wurden. Bereits die Ausrichtung der anthropologischen Forschung folgt eben nicht allein der wissenschaftlichen Neugierde, sondern auch dem Interesse, in der naturwissenschaftlichen Bestimmung des Menschseins Aufschluß über sein Wesen, seine Gegenwart und seine Zukunft zu erhalten. Dieses Interesse manifestiert sich bereits in dem Zusammengehen durchaus unterschiedlicher Disziplinen: Humanbiologie, Paläoanthropologie, Primatenforschung, Ethnologie, aber auch die sog. Rassenkunde und Völkerpsychologie sind nur einige der Forschungsgebiete, die sich unter dem Dach der Anthropologie zusammenfinden. Diese Ansammlung ist aber auch nicht lediglich das Ergebnis von Überschneidungen in den jeweiligen Arbeitsfeldern; vielmehr werden die verschiedenen Disziplinen zusammengehalten durch das gemeinsame Interesse, den Menschen gleichsam ,nackt zu erfassen, wobei dieser Ausdruck zugleich mehr als eine Metapher ist: Die sogenannten ,primitiven Völker wie Vor- und Urmenschen sind vorzügliche Forschungsgegenstände der physischen Anthropologie. Dabei muß die Bezeichnung ,primitiv nicht unmittelbar abwertend verstanden werden: In ihr manifestiert sich vielmehr die evolutionistische Überzeugung, gleichsam eine gegenwärtig sichtbare und also auch erforschbare Gestalt des Urzustandes der Menschheit vor sich zu haben. Aus der Vorstellung einer nicht nur biologischen, sondern auch kulturellen Evolution meinte man ableiten zu können, daß im Studium ,primitiver Kulturen zugleich die Frühstadien der Entwicklung des Menschen erfaßt würden: die Gegenwart der eigenen Vergangenheit. Die Natur des Menschen wird gesucht, indem man ihn gleichsam seiner kulturellen Formung entkleidet und ihn damit in seiner vermeintlichen Ursprünglichkeit aufsucht. In diesem Konzept sind freilich zumindest implizit und oft auch ausdrücklich moralische und kulturelle Wertungen enthalten, wie das in der Anwendung der Kategorie der (Höher)Entwicklung ohnehin kaum zu vermeiden ist. Diese Wertungen scheinen in der physischen Anthropologie ihre naturwissenschaftliche und damit empirisch gesicherte Basis zu enthal,
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2.1 Die Konstitution (k)einer Disziplin
ten: Wie die Schädelmessungen an der Größe des Gehirns den Entwicklungsstand eines Menschen ablesen wollen, so wird auch die Vermessung der körperlichen Gestalt der ,primitiven Völker mit der Physiognomie der Europäer mit Behauptungen über die psychischen, rationalen und emotionalen Fähigkeiten verbunden. Es ging dabei also gerade nicht nur um die Registrierung und Klassifizierung der äußeren Gestalt von Menschen in verschiedenen Weltregionen; vielmehr wurden aus diesen Befunden Rückschlüsse auf die sozialen, ethischen und intellektuellen Dispositionen gezogen. Das erklärt auch das besondere Interesse der entstehenden physischen Anthropologie an der Sammlung und Vermessung menschlicher Schädel: Nachdem der Kopf und insbesondere das Gehirn als Sitz von Verstand, Wille und Gefühl bestimmt wurde, versuchte man in der Untersuchung der menschlichen Schädelknochen eine Meßgröße für die Unterschiede in der intellektuellen Kapazität, aber auch moralischer Qualitäten zu finden. Es ist darum kein Zufall, daß die Entstehung der institutionalisierten Anthropologie mit dem Zeitalter des europäischen Imperialismus zusammenfällt. Dieser Zusammenhang besteht auch nicht nur oder vorrangig in der damit gegebenen größeren Berührung mit nichteuropäischen Völkern, obwohl die Möglichkeit und Häufigkeit weiter Reisen ohne Zweifel die materiale Voraussetzung solcher Forschung war. Es ist darum eine sehr selektive Sichtweise, wenn Wilhelm E. Mühlmann in „dem Kuriositäts-Interesse an fernen und entlegenen Ländern und ihren andersartigen Menschen“ (4: 13) den Ursprung der anthropologischen Wissenschaft erkennen will; vielmehr werden die durch den Imperialismus gegebenen Forschungsmöglichkeiten einbezogen in umfassendere Fragestellungen, die auch zuvor schon verfolgt wurden, wie das auch in Mühlmanns Darstellung erkennbar wird: „An dieser exotischen Neugier entzündeten sich die Fragen nach dem Woher des Menschengeschlechtes, nach den Ursprüngen und Anfängen der menschlichen Kultur, Sprache, Gesellschaft und Religion, und der Aufgliederung der Menschheit in Rassen und Völker, ihrer Entwicklung unter der Einwirkung innerer Kräfte und gegenseitiger Beeinflussung.“ (Ebd.) ,
Anthropologie wird im neunzehnten Jahrhundert als naturwissenschaftliche Disziplin institutionalisiert. Der Ausgang von der biologischen Natur des Menschen enthält selbst freilich pragmatische Absichten und nicht selten starke Werthaltungen, die zumeist unausgesprochen bleiben. Dabei werden die neu gewonnenen Beobachtungen und Theorien eingebunden in eine implizit normative Vorstellung vom Menschsein, die auf der meist unausgesprochenen Voraussetzung einer Überlegenheit der weißen Europäer basiert: So werden den Ethnien um so höhere moralische, intellektuelle und politische Fähigkeiten zugeschrieben, je mehr sie auch äußerlich dem Erscheinungsbild der (West- und Mittel-)Europäer ähneln. So dient im imperialen Kontext die Anthropologie nicht zuletzt dazu, die Überlegenheit der weißen ,Rasse scheinbar naturwissenschaftlich zu begründen. Der rassistische Gebrauch der Anthropologie ist dabei eben keineswegs eine wissenschaftsfremde Indienstnahme, sondern vielmehr in deren Grundkategorien und Methoden begründet: „Anthropologie geriert sich von ihren Anfän-
Anthropologie und Imperialismus
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2. Anthropologie im interdisziplinären Kontext
gen her vor allem als Wissenschaft von den Unterschieden zwischen den Menschen. Sie ist daher über weite Strecken ihrer Geschichte mit ,Rassenkunde gleichzusetzen.“ (6: 129) Freilich ist dieses Ausgehen von den Unterschieden gerade nicht verbunden mit dem Bewußtsein für die Mannigfaltigkeit des Menschseins. Durch die Einordnung in die Vorstellung einer Entwicklung oder Evolution wird diese vielmehr vereinheitlicht, geradezu homogenisiert, indem die eigenen Wertvorgaben als naturgegeben unterstellt werden. Damit erscheinen die anderen konsequent als die unterlegenen. ,
Exkurs: Anthropologie und Rassismus Erst in den letzten Jahren hat eine Diskussion über die politischen Implikationen der Anthropologie begonnen, die den Zusammenhang mit dem europäischen Imperialismus des neunzehnten Jahrhunderts, aber auch die Rolle der Anthropologie in rassistischen Ideologien des zwanzigsten Jahrhunderts thematisiert. Das Bewußtsein für diese Geschichte ist freilich im Bereich der Disziplinen, die in der Tradition der physischen Anthropologie stehen, nach wie vor wenig verbreitet. Weithin dominiert hier die Ansicht, daß die ,reine wissenschaftliche Forschung von ihrem politischen Gebrauch und Mißbrauch unterschieden werden könnte; allenfalls wird eine Anfälligkeit von Anthropologen für rassistische Gedanken konzediert. Bezeichnend ist die Darstellung von Ilse Schwidetzki in ihrer Darstellung der Geschichte der Anthropologie in dem großen mehrbändigen „Handbuch zur vergleichenden Biologie des Menschen“ von 1988. Nachdem bei der Darstellung der institutionellen Entwicklung der Anthropologie in Deutschland die Zeit des Nationalsozialismus nur beiläufig erwähnt wird, erscheint das Thema dann im Zusammenhang einer von der Autorin beklagten „Tabuisierung des Rassebegriffes“. (7: 99) Sie legt Wert darauf, daß die rassistischen Gedanken durch den „Germanisten und Studienrat H. F. K. Günther“ popularisiert wurden, um die strikte Unterscheidung der „wissenschaftlichen Rassenkunde“ von „rassistischen Ideologien“, die „Rassen nicht als Gegenstand naturwissenschaftlicher Forschung“ (alle Zitate ebd.) ansehen, zu belegen. Hier ist nicht der Ort, die persönlichen Verstrickungen der anthropologischen Elite in die Verbrechen des Nationalsozialismus nachzuzeichnen; freilich bleibt angesichts solcher (Selbst)Darstellungen der Disziplin – die nach der Ansicht mancher Kritikern geradezu als Geschichtsfälschung zu bezeichnen wäre (148: 53) – festzuhalten, daß durch die wissenschaftliche Anthropologie die nationalsozialistische Rassenpolitik nicht nur schweigend hingenommen, sondern oft genug ausdrücklich gebilligt und gefördert wurde (vgl. dazu z. B. 150 und 143). Dabei ist auch darauf hinzuweisen, daß die deutschen Anthropologen sich zu dieser Zeit großen internationalen Ansehens erfreuten: Sie repräsentierten den elaborierten wissenschaftlichen Stand ihrer Disziplin, und auch ihre Gedanken zur politischen Anwendung der anthropologischen und humangenetischen Forschungen waren in der weltweiten scientific community kein Sonderfall. So schrieb Julian S. Huxley, dem keinerlei politische Sympathien für den Nationalsozialismus nachgesagt werden können, wir müßten „fähig werden, die genetisch minderwertigen Bestände mit größerer Sicherheit auszusondern, und wir müssen Gegenkräfte in Gang setzen, die ,
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2.1 Die Konstitution (k)einer Disziplin
eine schnellere Reproduktion der höherwertigen Genbestände bewirken“. (zit. nach 51: 369). Die katastrophale Besonderheit der deutschen Anthropologie und Humangenetik dieser Zeit ist demnach eher darin zu sehen, daß im Nationalsozialismus die politischen Mittel gegeben waren, aus bevölkerungsbiologischen und eugenischen Ideen schreckliche Realität werden zu lassen; daneben sind freilich auch die spezifischen Tendenzen der deutschen Geistes- und Wissenschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts zu benennen, die diese Entwicklung beförderten. Die Verflechtungen der anthropologischen Wissenschaft in den Rassismus und Nationalsozialismus können hier nicht weiter verfolgt werden; vielmehr geht es um die systematische Frage, ob Affinitäten zu rassistischer Ideologie in den Verfahren und Prämissen der anthropologischen Wissenschaft selbst impliziert ist. *** Das wissenschaftssystematische Spezifikum der Disziplin, wie sie sich nun als Wissenschaft institutionalisierte, war die dezidiert empirische Ausrichtung in der Bearbeitung der anthropologischen Fragestellung. Dieses am Ideal der Naturwissenschaften ausgerichtete und mit dem Anspruch naturwissenschaftlicher Exaktheit verbundene Selbstverständnis, wie es für die Wissenschaftskultur in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts weithin kennzeichnend ist, kann auch als das verbindende Moment zwischen den ethnologischen, paläohistorischen und biologischen Interessen angesehen werden. In seiner Anwendung auf Phänomene der menschlichen Sozialität und Kultur ist dieses Ideal freilich durchaus problematisch. Indem nämlich nun die in der naturwissenschaftlichen Methodik vorausgesetzte strikte Trennung von erkennendem Subjekt und zu erforschendem Objekt auch in den anthropologischen Fragestellungen angewandt wird, versteht sich der Forscher als Beobachter, der seine eigenen Vorannahmen und Vorurteile kaum noch reflektiert, während der ,Gegenstand der Forschung – also auch die Menschen ,fremder Kulturen – zum bloßen Objekt wird, dessen eigene Interessen und Perspektiven ausgeblendet werden. In seiner Studie zur Genese der Anthropologie und Ethnologie im neunzehnten Jahrhundert stellt Andrew Zimmerman die moralischen und politischen Implikationen dieser Entscheidung mit Recht heraus: ,
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Steht hier der Ausdruck ,Humanismus zunächst nur als Bezeichnung für die das philosophische Nachdenken über menschliche Kultur in ihrer historischen und an der Sprache orientierten Ausrichtung, wie sie etwa bei Herder und Wilhelm von Humboldt betrieben wurde, so sind die ethischen Konnotationen durchaus nicht zufällig. So ist festzuhalten, daß etwa die politische Haltung des Mediziners und Biologen Rudolf Virchow, einer der wichtigsten Akteure in der Etablierung der Anthropologie in Deutschland, keineswegs als „anti-humanistisch“ bezeichnet werden kann – Virchow war vielmehr selbst als liberaler und sozial ausgerichteter Politiker en-
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„Whereas humanism depended on a hermeneutic identification of scholars with their object of study, the natural scientific methods that anthropologists applied emphasized the separation of the knowing subject from the known object.“ (131: 240)
Anthropologie und ,antihumanism
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2. Anthropologie im interdisziplinären Kontext
gagiert – ; freilich ist Zimmermans Bezeichnung der neuen anthropologischen Forschung als „antihumanism“ über den wissenschaftssystematischen Sinn hinaus von Bedeutung, weil diese Forschung in ihrer Anwendung des naturwissenschaftlichen Ideals auf menschliche Kulturen und Gemeinschaften und ihre Definition als Forschungs-,Objekte methodisch negiert, daß diese ,Objekte menschliche Subjekte sind. Dies aber fügt sich bruchlos in den imperialistischen Geist der Zeit ein: ,
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„The very idea, common to anthropologists and their humanist critics alike, that nonEuropean were objects of natural science rather than of history was an artifact of nineteenth century imperialism and its distinction between the humanity of the colonizers and that of the colonized.“ (131: 240) Instrumentarium nicht ,neutral ,
Die genannten problematischen Tendenzen der sich institutionalisierenden Anthropologie lassen sich also nicht auf die expliziten rassistischen Aussagen und erst recht nicht auf die politischen Haltungen mancher Forscher beschränken, sondern sind eng mit dem Instrumentarium und den wissenschaftlichen Voraussetzungen verbunden. Indem die anthropologische Fragestellung programmatisch aus der Selbstreflexion des Menschseins herausgelöst wird und nicht mehr fundamentaler Teil der kommunikativen Verständigung unter Menschen ist, wird der Forschungsgegenstand ,Mensch zum bloßen Objekt. Daß diese Haltung auch heute noch die anthropologische Forschung kennzeichnet, belegen z. B. die Überlegungen von Rainer Knußmann zu dem „sehr heiklen Problem, nämlich der Angst von Vertretern der betreffenden Bevölkerungsgruppe, daß aus den Forschungsergebnissen eine Diskriminierung dieser Gruppe abgeleitet werden könnte“ (45: 19). Scheint sich hier zunächst die gewachsene Sensibilität dafür zu melden, daß die Anthropologie in der Geschichte wiederholt in politische Verfolgungen von Minderheiten und ganzen Völkern verwickelt war, so blendet Knußmann die gravierende ethische Frage sofort ab, um das Problem nur als eine strategische Aufgabe für den Forscher zu behandeln, der „viel Mühe darin investieren muß, die Gruppenvertretungen von der Lauterkeit seiner Absichten zu überzeugen. Aber auch wenn es ihm gelingt, das Vertrauen vieler Gruppenvertreter zu gewinnen, so können doch einige wenige genügen, um durch Sabotage oder Demagogie das Forschungsvorhaben zu Fall zu bringen.“ (ebd.) Das Problem reduziert sich für ihn letztlich darauf, daß das Forschungsobjekt mit seinen eigenen Interessen nicht weiter störend in Erscheinung tritt. Nachdem die Reduktion von Menschen auf Objekte des Forschens und Handelns im Imperialismus und im Rassismus fatale Konsequenzen zeitigten, bleibt es die kritische Frage an die Wissenschaften, die der Tradition physischer Anthropologie folgen, inwieweit solche Tendenzen in ihren Methoden und Kategorien bereits enthalten sind. So läßt sich z. B. bezweifeln, daß der in der deutschsprachigen Anthropologie nach wie vor gebrauchte Rassebegriff überhaupt ein analytisch sinnvolles Konzept sein kann, wenn etwa die genetischen Unterschiede innerhalb einer ,Rasse erheblich größer sein können als zwischen Populationen, die üblicherweise verschiedenen ,Rassen zugehören. Der Rassebegriff ist auch darum geradezu ein Muster,
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Rassebegriff analytisch unbrauchbar
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2.1 Die Konstitution (k)einer Disziplin
beispiel für die genannte Problematik, weil er bestimmte Merkmale isoliert und betont, um daraus eine Kategorisierung zu entwickeln, die weitreichende Konsequenzen für die Bestimmung des Menschen/der Menschen hat. Die einfache Frage, warum eigentlich die Farbe der Haut und der Haare, die Größe der Nase und der Lippen von besonderer Wichtigkeit sein sollen, erweist bereits, daß Rassekonzeptionen weit mehr aus fragwürdigen vorgängigen Schemata hervorgehen als aus kritischer wissenschaftlicher Arbeit. Mit diesen kritischen Bemerkungen ist freilich keineswegs die Diskreditierung eines ganzen Wissenschaftszweiges verbunden. Vielmehr geht es hier darum, daß einerseits problematische, im Instrumentarium und in den Grundbegriffen implizierte Gefahren benannt und andererseits die Grenzen bewußt werden, die der Erforschung der körperlichen Natur für die anthropologische Fragestellung gestellt sind. Die notwendige Selbstkritik der Disziplin ist freilich erst in Ansätzen geleistet (vgl. 53). Die bis heute vertretene Vorstellung, in der Kombination von ethnologischer, paläoanthropologischer Forschung mit der ,vergleichenden Biologie des Menschen – so der Untertitel des großen, auf mehrere Bände angelegten und 1988/1992 erschienenen Handbuchs „Anthropologie“ (19) – die Natur und den Ursprung des Menschen erfassen zu können, mußte jedenfalls enttäuscht werden. Vor allem in der Ethnologie wurde – auch abgesehen von der kritischen Diskussion um die kolonialistischen Wurzeln der Disziplin – zunehmend deutlich, daß die Vorstellung einer einheitlichen Natur oder Entwicklung des Menschen auf einer Fiktion beruht: Je mehr die Kenntnisse von den verschiedenen Kulturen und Völkern zunahmen, um so deutlicher wurde, daß deren Vielgestaltigkeit irreduzibel ist. Pointiert formuliert: Die Suche nach dem Menschen führte die Ethnologie zur Wahrnehmung der Menschen in ihrer Mannigfaltigkeit. Die Vorstellung, mit den Mitteln der physischen Anthropologie den Ursprung und die Natur ,des Menschen zu finden, mußte auch enttäuscht werden, weil die an den Naturwissenschaften orientierte anthropologische Forschung nur um den Preis der Abblendung dessen möglich wurde, was zunächst intuitiv als das spezifisch Menschliche wahrzunehmen ist. Die kritische Reflexion dieser Disziplinen zeigt dann aber auch, daß es gerade diese zuvor methodisch abgeblendeten Dimensionen sind, die das im präzisen Sinn Anthropologische an ihnen ausmachen. Wenn die Aufgabe der biologischen (!) Anthropologie dahingehend bestimmt wird, „das Wesen des Menschen zu erforschen“ (45: 19), so ist festzuhalten, daß dies gerade nicht mit den Mitteln der physischen Anthropologie zu erfassen ist und sein kann. Die Situation ist beinahe paradox: ,
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Die physische Anthropologie befindet sich bei aller notwendigen und hilfreichen Ansammlung und Erweiterung des Wissens um die körperliche Natur der Menschen noch im Vorfeld der anthropologischen Fragestellungen. Wo sie selbst zu genuin anthropologischen Aussagen kommt, geschieht dies um den Preis unzulässiger, von den Methoden und Voraussetzungen der physischen Anthropologie her nicht gedeckten Überschreitungen ihrer Grenzen.
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2. Anthropologie im interdisziplinären Kontext
2.2 Die philosophische Anthropologie im 20. Jahrhundert Die philosophische Anthropologie des 20. Jahrhunderts, wie sie vor allem von Max Scheler, Helmuth Plessner und Arnold Gehlen entwickelt wurde, ist nach wie vor ein zentraler Bezugspunkt anthropologischer Reflexion und bedarf darum der ausführlichen Diskussion. Hier sind Einsichten von bleibender Bedeutung formuliert worden; freilich sind auch die Grenzen dieser Ansätze zu benennen. Die Institutionalisierung der Anthropologie als ,vergleichende Biologie des Menschen führte zu einer in diesem Rahmen bis heute nicht ausgeglichenen Spannung: Einerseits soll solche Anthropologie programmatisch auf naturwissenschaftliche Methoden beschränkt werden – eben daraus leitet sich ja das Selbstbewußtsein der biologischen Anthropologie ab – , andererseits sollen aber Fragestellungen bearbeitet werden, die jenseits des möglichen Geltungsbereichs naturwissenschaftlicher Sätze liegen. Dies bedeutet allerdings eine wissenschaftstheoretisch und wissenschaftspolitisch höchst bedenkliche Überschreitung des Geltungsbereichs naturwissenschaftlicher Sätze in den Bereich der umfassenden Frage nach der Bestimmung des Menschseins. Wo aber die methodischen Grenzen naturwissenschaftlicher Forschung respektiert werden, ergibt sich die Situation, daß das Programm der Anthropologie im präzisen Sinn naturwissenschaftlich gerade nicht durchzuführen ist: Dieses gehört vielmehr wesentlich in das Gebiet philosophischen und theologischen Denkens, weil jede mögliche Antwort auf diese dringenden Fragen unvermeidlich den Kontext und den Geltungsbereich naturwissenschaftlicher Sätze überschreitet. Das Heraustreten der Anthropologie aus dem Bereich naturwissenschaftlicher Verfahrensweisen ist aber auch dadurch bedingt, daß diese selbst den Anspruch einer einheitlichen Darstellung des Menschen eben nicht zu leisten vermögen; sie spalten sich vielmehr, wie der Fortgang der Wissenschaftsentwicklung dokumentiert, in eine Vielzahl von Einzelrichtungen der Forschung, die nur noch mühsam institutionell zusammengehalten werden, auf. Darüber gibt etwa ein Überblick über die Forschungsgebiete der Institute, die den Titel der Anthropologie tragen, aber auch ihre wissenschaftssystematische Verortung beredt Aufschluß: Anthropologische Institute finden sich in naturwissenschaftlichen Fakultäten ebenso wie in philosophischen und sozialwissenschaftlichen; ihre Tätigkeitsgebiete sind keineswegs einheitlich oder auch nur ansatzweise unter ein gemeinsames Dach zu bringen. Daß die Bündelung der verschiedenen Forschungszweige, wie sie in der Gründung der anthropologischen Gesellschaften beabsichtigt wurde, gerade nicht zustande kam, deutet bereits darauf hin, daß die dabei erhobenen Ansprüche in dem an den Naturwissenschaften orientierten Rahmen nicht gelingen konnte: Eine Erhellung des Wesens des Menschen ist in einer einzelnen wissenschaftlichen Disziplin, aber auch in deren Verbund undenkbar. Die anthropologische Fragestellung überschreitet unvermeidlich jede Einzelwissenschaft und jeden partikularen Verbund von Einzelwissenschaften, wie Carl Friedrich von Weizsäcker bündig zusammenfaßt: ,
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2.2 Die philosophische Anthropologie im 20. Jahrhundert „Ein herrschendes Paradigma einer umfassenden wissenschaftlichen Anthropologie hat es bisher nicht gegeben. Es hat zersplitterte Einzelwissenschaften mit anthropologischen Fragestellungen gegeben. Fragen wir überhaupt nach einer umfassenden Anthropologie, so philosophieren wir bereits.“ (170: 12)
Es liegt daher in der Logik der anthropologischen Fragestellung begründet, daß eine ausdrücklich philosophische Anthropologie in Erscheinung trat, die versuchte, die verschiedenen Ansätze zu reflektieren und zu bündeln und damit der Anthropologie eine neue Grundlegung zu geben. Die breite Resonanz, die die philosophische Anthropologie gefunden hat, liegt aber vor allem daran, daß mit ihr die Frage nach der Bestimmung des Menschseins vehement in einer Zeit gestellt wurde, in der nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs und damit des weitgehenden Zusammenbruchs der kulturellen Selbstverständlichkeiten der Bedarf nach neuer Orientierung als drängendes Problem wahrgenommen wurde. Max Schelers Formulierung, „daß zu keiner Zeit der Geschichte der Mensch sich so problematisch geworden ist wie in der Gegenwart“ (112: 12), kann demnach als Ausdruck des Selbstverständnisses seiner Zeit gelten. Für die Neubestimmung der Anthropologie sind nach wie vor die Arbeiten von Max Scheler, Hellmuth Plessner und Arnold Gehlen der maßgebliche Bezugspunkt: „Nur aus Schelers, Plessners und Gehlens theoretischer Gesamtleistung kann, wenn überhaupt, ein exemplarischer Begriff der philosophischen Anthropologie gewonnen werden.“ (8: 13) Dies gilt freilich nicht nur für die philosophische Anthropologie im engeren Sinn; das durch diese Arbeiten abgesteckte Feld ist vielmehr durchweg im Blick, wenn im Kontext der Geistes- und Kulturwissenschaften von Anthropologie die Rede ist. In der philosophischen Anthropologie von Scheler, Plessner und Gehlen kommt es aber keineswegs zu einem bloßen Rückgriff auf die philosophische Tradition des Nachdenkens über den Menschen; vielmehr wird hier – entsprechend den Determinanten der Wissenschaft im 20. Jh. – dezidiert die empirische Erforschung des Menschen aufgenommen und in eine umfassendere Perspektive einbezogen. Die Wahrnehmung des Menschen als eines Naturwesens und der Ausgang von der empirischen Wahrnehmung seiner biologischen Natur ist dabei eine gemeinsame Grundüberzeugung. Als Referenzpunkt bleiben die Werke von Scheler, Plessner und Gehlen für die Anthropologie nach wie vor von zentraler Bedeutung, auch wenn die Wege und Aussagen kritischer Reflexion bedürfen.
2.2.1 Max Scheler: Der Mensch als weltoffenes Wesen Als Geburtsjahr der philosophischen Anthropologie gilt gemeinhin das Jahr 1928, in dem die wirkungsgeschichtlich bedeutsamen Arbeiten von Scheler und Plessner erschienen. Schelers Abhandlung „Die Stellung des Menschen im Kosmos“, die lediglich die Grundlinien einer geplanten großen philosophischen Anthropologie darlegen sollte, wurde zugleich zu seiner letzten Publikation und damit sowohl zur Summe wie zum Programm seiner anthropologischen Überlegungen (vgl. 8: 90). Diese kleine Schrift stieß nicht
Orientierungsbedarf als Anlaß
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2. Anthropologie im interdisziplinären Kontext
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Ausgang von Husserls Phänomenologie
nur sofort auf größte Resonanz, sondern kann geradezu als „Initialzündung und Richtschnur einer Flut von anthropologischen Schriften“ (111: 119) gelten. Dabei sind Schelers anthropologische Überlegungen einerseits in ihrer Betonung der biologischen Bedingungen des Menschseins geradezu vorbildlich geworden für die philosophische Anthropologie insgesamt; andererseits ist ihre eigene Zielsetzung und Dynamik innerhalb der philosophischen Diskussion weithin auf Ablehnung gestoßen. Für Schelers anthropologisches Denken ist sein Ausgang und seine Abgrenzung von der Phänomenologie Edmund Husserls von Bedeutung. Husserl sieht sich vor der Herausforderung, die Spaltung in die ,objektive Erkenntnis – der Blick von außen auf einen Gegenstand – , wie er für die Wissenschaften kennzeichnend ist und das erkennende Subjekt methodisch ausblendet, einerseits und die ,subjektive Erfahrung der Gegenstände andererseits zu überwinden. In der phänomenologischen Grundeinsicht, daß alle Erkenntnis ein „Bewußtsein-von-etwas“ ist, erweisen sich beide Dimensionen als untrennbar. Damit stellt sich die Aufgabe, die mannigfaltigen Weisen, in denen ,die Welt dem Bewußtsein gegeben ist, aufzuhellen und zu analysieren. Husserl will durch die phänomenologische Methode im Rückgang auf die Bedingungen der Erkenntnis eine neue Grundlegung der Logik und der Wissenschaft überhaupt unternehmen; insofern bleibt er der Transzendentalphilosophie im Sinne Kants und damit der traditionellen Bestimmung des Menschen als eines Vernunftwesens verpflichtet. Scheler geht hier dezidiert andere Wege, weil für ihn die Zentralstellung des aktiven, erkennenden Subjekts eine ungerechtfertigte Reduktion darstellt. Die Welt ist den Menschen eben nicht nur im klaren Bewußtsein und im Akt der Erkenntnis gegeben; vielmehr sind hier die Dimensionen des Fühlens, des Begehrens und der Liebe nach Schelers Überzeugung von mindestens ebenso großem Gewicht. Noch vor aller Aktivität des Erkennens ist die Welt dem Menschen gegeben in den Stimmungen, die Ereignisse und Situationen in uns hervorrufen, in den Gefühlen des Angenehmen und Unangenehmen etc. Scheler muß demnach das phänomenologische Programm ausweiten auf eine Analyse nicht nur des Bewußtseins, sondern der mannigfaltigen Beziehungen von Mensch und Welt insgesamt. Damit ist die Anthropologie zum zentralen Gegenstand der Philosophie geworden: ,
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„Ich darf mit einiger Befriedigung feststellen, daß die Probleme einer Philosophischen Anthropologie heute geradezu in den Mittelpunkt aller philosophischen Problematik getreten sind und daß auch weit hinaus über die philosophischen Fachkreise Biologen, Mediziner, Psychologen und Soziologen an einem neuen Bilde vom Wesensaufbau des Menschen arbeiten.“ (112: 10)
Mag dies auch in Hinblick auf die Philosophie insgesamt zumindest eine Überspitzung sein, so ist diese Aussage charakteristisch für Schelers eigene Arbeit: Sein gesamtes Werk ist auch da, wo nicht unmittelbar anthropologische Themen bearbeitet werden, „in anthropologischer Absicht geschrieben“ (87: 83). Die zitierte Äußerung ist aber auch dahingehend kennzeichnend, daß für Scheler die anthropologischen Fragestellungen nicht durch eine einzelne Disziplin hinreichend bearbeitet werden können; auch die
2.2 Die philosophische Anthropologie im 20. Jahrhundert
Philosophie allein kann diese Aufgabe nicht bewältigen. Darum ist die Beteiligung der Einzelwissenschaften für die anthropologische Aufgabe unverzichtbar. Für Scheler kommt dabei der Biologie eine herausragende Bedeutung zu; sie wird zur wichtigsten Bezugswissenschaft der Anthropologie. Mit dieser Weichenstellung ist Schelers Ansatz für die philosophische Anthropologie geradezu vorbildlich geworden. Scheler erkennt freilich auch, daß die Biologie zwar zur Aufklärung der natürlichen Bedingungen des Menschseins unverzichtbare Beiträge liefert, selbst aber nicht zu einem hinreichenden Bild des Menschen kommen kann: Ihre Perspektive schließt wesentliche Momente grundsätzlich aus und liegt folglich im Vorfeld der anthropologischen Aufgabenstellung, die biologische, religiöse und philosophische Dimensionen umfassen muß. Daß die Anthropologie bei aller notwendigen Aufmerksamkeit auf die Biologie des Menschen in dieser nicht aufgehen kann, liegt für Scheler allerdings nicht nur in den methodischen Beschränkungen einer Einzelwissenschaft begründet, sondern hat zuinnerst sachliche Gründe: Das Wesen des Menschseins ist für ihn vor allem dadurch gekennzeichnet, daß es sich gerade nicht in einem Kontinuum aller Lebewesen verstehen läßt. Ohne Zweifel ist der Mensch als leibliches Wesen dem Tierreich zugehörig; ebenso betont Scheler die Kontinuität des menschlichen Intellekts zu den Verstandesleistungen der Tiere. Das Bild des Menschen als eines ,homo faber‘, dessen Wesen in der Erfindung und im Gebrauch einer technischen Beherrschung seiner Umwelt ausgemacht wird, ist aber für ihn nicht mehr als die Beschreibung eines wenn vielleicht auch höchst entwickelten Tieres: „Zwischen einem klugen Schimpansen und Edison, dieser nur als Techniker genommen, besteht nur ein – allerdings sehr großer – gradueller Unterschied.“ (112: 38) Mit der Betonung der Intelligenz und Wahlfähigkeit ist das Spezifikum des Menschen gerade noch nicht erfaßt, sondern nur seine Vitalsphäre, die er mit den Tieren teilt, beschrieben. Die Sonderstellung des Menschen – so lautete bezeichnenderweise der Titel des Vortrags, der seiner anthropologischen Programmschrift zugrunde liegt – ist erst mit der Dimension erfaßt, die sich gerade nicht als ,Natur beschreiben läßt und nicht mehr als Stufe des Lebens erfaßt werden kann: Scheler nennt diese Dimension ,Geist . Bezeichnenderweise bestimmt Scheler den Begriff des Geistes weder mit der philosophischen Tradition unmittelbar als Vernunft noch leitet er ihn mit der phänomenologischen Philosophie aus der Gegebenheit der Bewußtseinstatsachen ab; er gewinnt ihn vielmehr wiederum aus einem Vergleich mit den Tieren. Scheler zieht damit die Konsequenz einerseits aus der Krise des Vernunftbegriffs, der eben nicht mehr geeignet scheint, die Würde des Menschen zu begründen und andererseits der Unmöglichkeit, die Sonderstellung des Menschen biologisch zu erfassen. In der Sonderstellung des Menschen spiegelt sich vielmehr die Bezogenheit des Menschen auf das Göttliche und die Unendlichkeit; diese Bestimmungen bleiben nach Schelers Überzeugung auch da in Geltung, wo ihre religiöse Begründung in der Gottebenbildlichkeit nicht mehr aufrechterhalten wird. Sie folgen vielmehr daraus, daß der Mensch „nicht mehr trieb- und umweltgebunden, sondern ,umweltfrei “ (112: 39) ist: er ist „weltoffen“, d. h. er ist nicht wie das Tier in eine spezifische Umwelt eingebunden, sondern kann diese immer wieder überschreiten. Schelers Bestimmung der spezifischen Bedingungen des
Biologische Bestimmung des Menschen nicht ausreichend
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Weltoffenheit des Menschen
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2. Anthropologie im interdisziplinären Kontext
Menschseins beginnt demnach mit einer biologisch fundierten Wahrnehmung, die weitreichende anthropologische Folgen beinhaltet. Während nämlich Tiere in je spezifische ökologischen Bedingungen eingepaßt sind, dokumentiert bereits die Verbreitung des Menschen über fast den gesamten Globus seine Fähigkeit zur Erschließung der verschiedensten Lebensräume. Aus der biologischen Beobachtung, daß Menschen nicht auf genau zu spezifizierende Umweltbedingungen festgelegt werden können, folgt aber philosophisch, daß dann das Wesen des Menschen nie abschließend zu bestimmen ist, sondern vielmehr in der Lage ist, immer neue Gestalten des Menschseins hervorzubringen. Menschsein ist folglich darauf angelegt, jede Realisationsform seines Seins zu überschreiten. Scheler erkennt darin die tiefste Bestimmung des Menschseins, daß in ihm die innere Dynamik des Seins selbst zum Austrag kommt, wodurch sein anthropologischer Ansatz zugleich eine religiöse Dimension erhält: „Der Ort dieser Selbstverwirklichung, sagen wir gleichsam jener Selbstvergottung, die das Durch-sich-seiende-Sein sucht und um deren Werden willen es die Welt als eine ,Geschichte in Kauf nahm – das eben ist der Mensch, das menschliche Selbst und das menschliche Herz.“ (112: 90) ,
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Damit ist für Scheler der Mensch Mittelpunkt und Ziel des universalen Weltprozesses, und die Anthropologie nimmt in seinem Denken die Stellung ein, die zuvor der Religion zukam. Dieser meta-anthropologischen Wendung, in der Schelers Überlegungen kulminieren, ist die philosophische Anthropologie nicht gefolgt; es liegt wohl auch hier begründet, daß trotz der Bedeutung Schelers für die Grundlegung eine philosophischen Anthropologie andere Philosophen die weitaus größere Aufmerksamkeit und Wirksamkeit gewannen.
2.2.2 Helmuth Plessner: Exzentrizität und Verborgenheit Im gleichen Jahr 1928 wie Schelers Buch erschien auch Helmuth Plessners „Die Stufen des Organischen und der Mensch". Plessner, der selbst auch Zoologie studiert hatte, sieht die Anthropologie vor die Aufgabe gestellt, die Fragmentierung der Lehre vom Menschen in verschiedene wissenschaftliche Disziplinen, vor allem die Spaltung in eine naturwissenschaftliche und eine geisteswissenschaftliche Zugangsweise zu überwinden. Deren Folge ist die Aufspaltung des Menschen in seine wissenschaftlich erforschbare Körperlichkeit, die freilich gerade das verfehlt, was den Menschen als Menschen ausmacht, und eine körperlose geistige Seite, die mit der naturhaften Existenz kaum mehr zu vermitteln ist. Die eigentliche Aufgabe, vor der die Anthropologie steht, sieht Plessner darin, beiden Dimensionen des Menschen gerecht zu werden; dies kann aber auch nicht durch eine bloße Addition naturwissenschaftlicher und philosophischer Aussagen und Erkenntnisse geleistet werden. Vielmehr erkennt Plessner die Notwendigkeit eines grundlegenden Begriffs des Menschen, der gerade nicht in einem Dualismus von Natur und Geist endet, andererseits aber auch nicht eine der beiden Dimensionen abblendet, sondern gleichsam vor der Aufspaltung in naturwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Erkenntnisweisen liegt.
2.2 Die philosophische Anthropologie im 20. Jahrhundert
Wenn Plessner seinem Buch „Stufen des Organischen“ den Untertitel „Einleitung in die philosophische Anthropologie“ gibt, so wird damit angezeigt, daß hier keine ausgeführte Anthropologie vorliegt, sondern vielmehr mit aller Sorgfalt Grundkategorien für das Nachdenken über den Menschen entwickelt werden. Dabei läuft die Argumentation auf den Begriff der „exzentrischen Positionalität“ zu, wie er im letzten Kapitel des Buches eingeführt wird; dieser Begriff leitet von nun an nicht nur die zahlreichen weiteren Arbeiten Plessners zur Anthropologie, sondern kann geradezu als Grundbegriff der Philosophischen Anthropologie schlechthin gelten (83: 266). Da dieser Begriff sich nur von seiner Funktion im Argumentationsgang Plessners her erschließt, sei dieser kurz nachgezeichnet. Plessner findet den Ansatz seiner „philosophischen Biologie“ (108: 9), wie er sein Programm auch nennen kann, im Merkmal der ,Grenze . „Dieses Merkmal, welches sich an allen Organismen, welchen Organisationsgrades auch immer, findet“ (108: 30), erlaubt es, pflanzliches, tierisches und menschliches Leben zu umfassen und gleichzeitig zu differenzieren. Während ein anorganischer Körper keine Grenze hat, „oder nur in dem äußerlichen Sinn, daß er da und dort aufhört und zu Ende ist“, ist beim Lebewesen die Grenze „eine den Bestand des Körpers gewährleistende Eigenschaft seiner selbst“ (ebd.): Nur Lebewesen haben eine Innen-Außen-Beziehung, die sie allererst zu einer Ganzheit macht. Ihre Grenze realisiert sich in ihrer jeweiligen „Positionalität“: Von seiner jeweiligen Position aus regelt ein Lebewesen seine Beziehung zu seiner Umgebung. „Es füllt nicht nur eine Stelle im Raum aus, sondern es hat einen Ort, strenger gesagt: es behauptet von ihm aus einen Ort, seinen ,natürlichen Ort .“ (108: 186) Mit diesem Ausgangspunkt hält Plessner fest, daß Lebewesen einerseits physische Körper sind, andererseits aber durch eine bloß physische Beschreibung nicht hinreichend zu erfassen sind. Gilt diese Bestimmung für alle Formen des Organischen, so unterscheidet Plessner nun nach der jeweiligen Form solcher Positionalität. Hier kommt der Begriff des ,Zentrums ins Spiel. Pflanzen fehlt das Zentrum; sie weisen keine zentralen Organe auf und können nicht als Individualitäten verstanden werden, sondern sind in einem offenen Austausch mit ihrer Umgebung. Bei Tieren dagegen entwickelt sich ein solches Zentrum; sie stellen ,geschlossene Organisationsformen dar und sind gerade darum erst Individuen in einem genauen Sinn. Freilich ist sich ein Tier dessen nicht bewußt: „Die Schranke der tierischen Organisation liegt darin, daß dem Individuum sein selber Sein verborgen ist … Es erlebt Inhalte im Umfeld, Fremdes und Eigenes, es vermag auch über den eigenen Leib Herrschaft zu gewinnen, es bildet ein auf es selber rückbezügliches System, ein Sich, aber es erlebt nicht – sich.“ (108: 360) Gerade das aber macht die spezifische Positionalität des Menschen aus: Menschsein ist wesentlich dadurch ausgezeichnet, daß ein Mensch sich selbst erlebt und sich zu seinem eigenen Leben noch einmal in Distanz und Beziehung setzen kann. Dadurch tritt er aber gleichsam aus seinem Zentrum heraus. ,
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„Ist das Leben des Tieres zentrisch, so ist das Leben des Menschen, ohne die Zentrierung durchbrechen zu können, zugleich aus ihr heraus, exzentrisch. Exzentrizität ist
Exzentrische Positionalität
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2. Anthropologie im interdisziplinären Kontext die für den Menschen charakteristische Form seiner frontalen Gestelltheit gegen das Umfeld.“ (108: 364)
anthropologische Grundgesetze
Auf den ersten Blick könnte es scheinen, als seien Plessners Überlegungen nichts anderes als eine Wiederholung von Bestimmungen, die aus der philosophischen Tradition wohlbekannt sind: Die „Grenze“ bei Plessner scheint dem zu entsprechen, was traditionell als die Ganzheit eines Lebewesens formuliert wurde, und auch der Begriff der „Exzentrizität“ scheint nur die klassische Vorstellung von Selbstreflexion und Selbstbewußtsein zu wiederholen. Die in ihrer Komplexität durchaus nicht leicht nachzuvollziehenden Überlegungen Plessners und seine eigentümliche Terminologie umgreifen zwar einerseits die Phänomene, die in der traditionellen Begrifflichkeit erfaßt werden sollten, sie gehen andererseits darin nicht auf. Vielmehr ist es ja Plessners Programm, deren geisteswissenschaftliche Engführung zu durchbrechen, um die biologische Natur des Menschen anthropologisch zur Geltung zu bringen. Plessner ist sich freilich methodisch vollkommen bewußt, daß die „exzentrische Positionalität“ des Menschen nicht unmittelbar aus den biologischen Fakten abgeleitet werden kann (vgl. 101: 69 f.). Vielmehr handelt es sich dabei um eine These, die er einführt, um Geist und biologische Natur des Menschen gleichermaßen zur Sprache zu bringen. Mit der These von der „exzentrischen Positionalität“ ist demnach der Anspruch verbunden, daß sie sich an den biologischen Beobachtungen selbst als angemessen erweisen läßt. Der wesentliche anthropologische Gewinn dieser These für Plessners Programm ist darin zu sehen, daß hier die Geistigkeit des Menschen nicht als mehr oder minder abstrakter Gegensatz zu seiner körperlichen Existenz wahrgenommen werden muß, sondern als Konsequenz seiner spezifischen leiblichen Beschaffenheit verstanden werden kann. Aus dieser Bestimmung des Menschen leitet Plessner drei ,anthropologische Grundgesetze ab (108: 383 ff.). 1) „Das Gesetz der natürlichen Künstlichkeit“: Der Mensch ist von Natur aus künstlich; es gehört zur Natur des Menschen, daß er darauf angewiesen ist, Kultur(en) zu bilden. Auch das Phänomen der Kultur ist demnach kein Gegensatz zur Natur des Menschen, sondern geht aus dieser hervor. 2) „Das Gesetz der vermittelten Unmittelbarkeit“: Für den Menschen ist seine Welt nicht unmittelbar gegeben; vielmehr bezieht er sich auf seine Welt vermittelt durch sein Bewußtsein. 3) „Das Gesetz des utopischen Standorts“: Die Exzentrizität des Menschen erlaubt „keine eindeutige Fixierung der eigenen Stellung“ (108: 419); darum gehört zum Menschsein, daß es jede geschichtliche Realisierung immer wieder überschreitet. Menschsein ist demnach auch dadurch gekennzeichnet, daß es sich selbst transzendiert; folgerichtig stellt sich Plessner hier das Thema der Religion, das mit der Lebensform des Menschen selbst gegeben ist. Für Plessner bleibt hier ein letzter, unlösbarer Widerspruch: „Exzentrische Positionsform und Gott als das absolute, notwendige, weltbegründende Sein stehen in Wesenskorrelation“ (108: 424); aber die Sicherheit und die Geborgenheit, die Plessner zufolge die Religionen versprechen, sind nur zu haben um den Preis, die wesentliche Heimatlosigkeit des Menschen zu verleugnen. So ist ,
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2.2 Die philosophische Anthropologie im 20. Jahrhundert
der Mensch zuletzt wieder darauf gewiesen, daß er „sich zu dem, was er schon ist, erst machen“ muß (108: 383). „Als exzentrisches Wesen nicht im Gleichgewicht, ortlos, zeitlos im Nichts stehend, konstitutiv heimatlos, muß er ,erst werden und sich das Gleichgewicht – schaffen.“ (108: 385). Damit aber ist das Wesen des Menschen zuletzt dem Menschen verborgen: homo absconditus (107). Menschsein ist demnach immer vor allem Aufgabe – gerade auch eine politische Aufgabe. Für den 1933 aus Deutschland vertriebenen Plessner sind Politik und Anthropologie eng verbunden: Der Mensch ist nicht nur ein politisches Wesen, vielmehr muß auch die politische Gestaltung seiner Lebensbedingungen seiner Exzentrizität entsprechen. Die Notwendigkeit der Gestaltung seiner Lebensbedingungen ist aber zugleich seine unvergleichliche Freiheit. Als konstitutiv heimatloses Wesen ist der Mensch doch „keine irrlichternde Erscheinung, ein in sich zerrissenes Wesen. … Der Mensch ist das Wesen der Phantasie, der Imagination und des Spiels.“ (76: 77) ,
2.2.3 Arnold Gehlen: Der Mensch als Mängelwesen Die breiteste gesellschaftliche Wirkung erreichte die philosophische Anthropologie mit dem Werk Arnold Gehlens, dem in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg geradezu eine intellektuelle Schlüsselstellung zukam. Gehlen traf die Stimmung seiner Zeit, indem er das Unbehagen an der sozialen und kulturellen Lage mit grundsätzlichen Überlegungen zur Natur des Menschen verband. In seinem ersten anthropologischen Hauptwerk, das 1940 veröffentlicht wurde, greift er die Grundgedanken Schelers und Plessners auf und entwickelt sie in charakteristischer Weise. Gehlen nennt Plessner freilich namentlich erst in den nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erschienenen Auflagen, die einige kräftige Umarbeitungen erfahren haben. So tilgt er solche Passagen, die allzu große Anklänge an nationalsozialistisches Denken enthielten. Die Varianten zwischen den Auflagen werden von der kritischen Edition (85) verzeichnet (vgl. dazu auch das Nachwort des Herausgebers 110: 752 f.). Gehlens durchaus problematische Haltung zum Nationalsozialismus soll hier nicht weiter diskutiert werden. Auch wenn Gehlen ausdrücklich eine „anthropo-biologische Fragestellung“ (85: 11) verfolgt, so lehnt er den Ansatz bei einer Stufenordnung ab, weil auf diesem Wege die Sonderstellung des Menschen aus methodischen Gründen nicht begründet werden könne. Die Einzigartigkeit des Menschen, die für jede Anthropologie Voraussetzung ist, kann nach seiner Überzeugung nur aus einer Gesamtanschauung des Menschen verstanden werden, die er darum als Hypothese – die mit umfangreichem biologischen Material bestätigt werden kann und soll – voraussetzt. Er beansprucht damit, den Menschen aus sich selbst und nicht aus einem graduellen und an einzelnen Phänomenen ausgerichteten Vergleich mit dem Tier zu verstehen. Die natürliche Einzigartigkeit des Menschen erweist sich gerade an dem Versuch, ihn gleichsam fiktiv als Tier zu betrachten: Dieses ,Tier aber wäre offensichtlich nicht überlebensfähig, so daß gerade der biologische Blick die Notwendigkeit eines genuinen Verständnisses des Menschenseins erfordert. Im Anschluß an Herder kommt Gehlen so zu der zugleich soziologischen und biologischen Bestimmung: Der Mensch muß handeln, weil er von Natur
homo absconditus
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2. Anthropologie im interdisziplinären Kontext
Kompensation des Mangels durch Handeln
aus ein Mängelwesen ist. Seine biologische Ausstattung allein kann ihm die Überlebensfähigkeit nicht sichern: „innerhalb natürlicher, urwüchsiger Bedingungen würde er als bodenlebend inmitten der gewandtesten Fluchttiere und der gefährlichsten Raubtiere schon längst ausgerottet sein.“ (85: 32) Eben diese Mängel in der natürlichen Ausstattung aber kompensiert der Mensch durch sein Handeln, indem er etwa die fehlende organische Spezialisierung durch die Erfindung und den Gebrauch von Werkzeugen ersetzt. Dabei erfolgt aber nicht nur ein Ausgleich des Mangels; vielmehr ist gerade in dieser Kompensationsbedürftigkeit die Möglichkeit des Menschen gegeben, neue und einzigartige Felder zu erschließen. Als das für jede spezifische Umwelt natürlicherweise zu schlecht angepaßte Wesen kann er sich in seinem Handeln den verschiedensten Umweltbedingungen anpassen; mehr noch: er paßt sich diese Bedingungen an, indem er sie umgestaltet. „Er hat also den Ausfall der ihm organisch versagten Mittel selbst einzuholen, und dies geschieht, indem er die Welt tätig ins Lebensdienliche umarbeitet. Er muß die ihm organisch versagten Schutz- und Angriffswaffen ebenso wie seine in keiner Weise natürlich zu Gebote stehende Nahrung sich selbst ,präparieren‘, muß zu diesem Zweck Sacherfahrungen machen und Techniken der objektiven, sachentsprechenden Behandlung entwickeln. Er muß für Witterungsschutz sorgen, seine abnorm lange unentwickelten Kinder ernähren und großziehen und bedarf schon aus dieser elementaren Nötigung heraus der Zusammenarbeit, also der Verständigung.“ (85: 36 f.)
Entlastung
Daß der Mensch auf Gemeinschaft angewiesen ist, seine Sozialität und die Notwendigkeit der Ausbildung von Kulturen, ist darum in der biologischen Natur des Menschen vorgegeben. Bewegt sich Gehlen in den anthropologischen Grundbestimmungen in den Bahnen, die bei Scheler und Plessner vorgezeichnet sind, so geht er in den Konsequenzen, die er aus diesen Befunden zieht, deutlich eigene Wege. Neben einer Fülle von einzelnen Beobachtungen sind es vor allen die politischen und ethischen Folgerungen, die sich für ihn aus der biologischen Sondersituation des Menschen ergeben; hier liegt offenkundig das Zentrum von Gehlens eigenen Interessen, aber auch der Grund für die große Aufmerksamkeit, die sein anthropologischer Entwurf gefunden hat. Indem die ethischen und politischen Aussagen aus der biologischen Beschreibung des Menschen als Mängelwesen abgeleitet werden, erscheinen sie nicht als eine Option, die selbst wieder ethisch und politisch zu begründen wäre; Gehlen sieht sie vielmehr als direkte Implikationen der biologischen Natur des Menschen. Dabei kommt der Kategorie der „Entlastung“ die entscheidende Bedeutung zu: Durch seine wesentliche Offenheit für die unterschiedlichsten Umweltsituationen – Gehlen nimmt hier Schelers Begriff der „Weltoffenheit“ auf – und seinen Mangel an Spezialisierung und Instinktsicherheit sieht sich der Mensch einer bedrohlichen Umwelt, einer Überfülle von Sinneseindrücken und Handlungsmöglichkeiten ausgesetzt und bedarf daher der Entlastung von der Reizüberflutung (85: 34 ff.). In dieser vielfach gefährdeten Lage des Menschen erkennt Gehlen zugleich die Bedingung dafür, daß er die Fähigkeiten zu Technik, Kultur, Kunst etc. überhaupt entwickeln kann. Die spezifisch menschlichen Leistungen setzen aber eine Reduktion der Fülle an Möglichkeiten voraus und bedeuten dann ihrerseits eine Entla-
2.2 Die philosophische Anthropologie im 20. Jahrhundert
stung: Die bedrohliche Umwelt wird durch Arbeit und Technik begrenzt und ins Lebensdienliche umgeformt, die mannigfaltigen Sinneseindrücke und der Überschuß an Antrieben wird durch Bewußtsein, Phantasie und Sprache geordnet und geformt. Diese Überlegungen entwickelt Gehlen in seinem 1956 erstmals erschienenen Buch „Urmensch und Spätkultur“ weiter zu einer Theorie der Institutionen. Die Institutionen entlasten den Menschen, indem sie den Mangel an Instinkten und die Unsicherheit in den Handlungsmöglichkeiten kulturell kompensieren und so erneut ein gleichsam automatisches Handeln ermöglichen, das wiederum die Bedingung für kulturelle Leistungen darstellt. Der Gegensatz, den der Titel dieses Werks formuliert, ist für Gehlen wiederum programmatisch: Während der Mensch der Urgesellschaften ganz in den Institutionen aufgeht und darin Sicherheit gewinnt, werden die Institutionen in der kulturellen Entwicklung, wie sie in der Moderne kulminiert, durch Reflexion und Kritik zunehmend in Frage gestellt und verlieren dadurch ihre wesentliche Funktion der Entlastung und Sicherung. Gehlen sieht darin eine fundamentale Bedrohung: Die Institutionen, die Kultur erst ermöglichten, werden durch den kulturellen Fortschritt in Frage gestellt; ihre Auflösung wäre aber identisch mit dem Verfall der Kultur. Diese Wendung der anthropologisch fundierten Kulturtheorie bei Gehlen wurde naheliegenderweise von kulturkonservativen Positionen gerne rezipiert. Das kulturkonservative Programm einer Rückkehr zu stabilen Institutionen kann sich freilich nur eingeschränkt auf Gehlen berufen, der die von ihm mit Besorgnis wahrgenommene Entwicklung für eine unabänderliche hielt. Gegenüber dem schleichend sich vollziehenden Verfall der Kultur bleibt für ihn letztlich nur die melancholische Haltung des Beobachters. Beiden Positionen gegenüber wäre freilich entgegenzuhalten, daß das, was in der kulturkonservativen Sicht als Verfall der Institutionen wahrgenommen wird, soziologisch genauer als Wandel der Institutionen beschrieben werden müßte. Die Philosophische Anthropologie des 20. Jahrhunderts entsteht einerseits aus der Einsicht in die Grenzen rein naturwissenschaftlicher Ansätze; sie versucht andererseits eine Antwort zu finden auf die Orientierungskrise nach dem Ersten Weltkrieg. Die biologische Wahrnehmung des Menschen bleibt dabei der Ausgangspunkt; die klassischen philosophischen Fragen sollen aber einbezogen und durch den neuen Ansatz einer Lösung zugeführt werden. Die Entwürfe von Scheler, Plessner und vor allem Gehlen werden vorbildlich für die anthropologische Reflexion (auch in der Theologie) bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts und sind auch gegenwärtig wichtige Bezugspunkte.
Institutionen
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3. Das Ende der Anthropologie und die Anthropologie nach ihrem Ende In diesem Kapitel werden die systematischen Konsequenzen aus der historischen Entwicklung der Anthropologie gezogen und versucht, auf diesem Hintergrund die anthropologische Fragestellung zu konkretisieren. Diese genuine Fragestellung ist in den vielfältigen wissenschaftlichen und philosophischen Komplexen, die sich als Anthropologie bezeichnen, zwar präsent und motiviert die verschiedenen Ausprägungen; sie ist aber dabei kaum je bewußt geworden. Was die anthropologischen Forschungen zusammenhält, die sich in so unterschiedlichen Disziplinen finden, ist ihre Teilhabe an einer viel grundlegenderen und viel älteren Frage, die freilich jeden disziplinären Rahmen sprengt: der klassischen Frage, was der Mensch sei. Dabei erweist sich die enge Verbindung von anthropologischen und ethischen Fragestellungen und Überzeugungen.
3.1 Anthropologiekritik War die deutsche intellektuelle Landschaft nach dem Zweiten Weltkrieg – gerade auch außerhalb der Wissenschaften wie etwa in kirchlichen Akademien, aber auch in den Medien – geprägt durch die Aufmerksamkeit auf die Frage nach dem Menschen und damit für die Anthropologie, so kam es seit den 60er Jahren zunehmend zur Kritik nicht nur an einzelnen anthropologischen Entwürfen, sondern am Programm der Anthropologie insgesamt. Diese Kritik speiste sich im wesentlichen aus drei miteinander verbundenen Momenten: 1) Der Anspruch der philosophischen Anthropologie, die einzelwissenschaftlichen Ansätze zur Erforschung des menschlichen Wesens in einer einheitlichen Bestimmung des Menschen zusammenzuführen, erwies sich als uneinlösbar, und zwar, wie Walter Schulz zusammenfaßt, „nicht nur deswegen, weil es kaum einem Gelehrten gelingt, alle Ansätze und alle Ergebnisse der anthropologischen Einzelwissenschaften wirklich zu kennen, sondern auch und vor allem deshalb, weil der philosophische Anthropologe keinen einheitlichen und eindeutigen Gesichtspunkt herauszustellen vermag, von dem her diese Ergebnisse umfassend zu erhellen wären“. (113: 463) 2) Die soziologischen, kulturanthropologischen und ethnologischen Forschungen zeigten immer deutlicher, daß die sozialen, kulturellen und geschichtlichen Ausprägungen des Menschseins zu vielgestaltig sind, als daß das Programm einer Wesensbestimmung des Menschen ohne gewaltsame Verengungen durchführbar sein könnte; menschliche Kulturen und Lebensformen erwiesen sich vielmehr als äußerst variabel. 3) Vor allem richtete sich die Kritik aber auch gegen die politischen Implikationen einer Anthropologie, die in der Definition des Menschen zugleich
3.1 Anthropologiekritik
die Option für ein bestimmtes Gesellschafts- und Institutionenmodell verankern wollte. Besonders augenfällig wird das, wie gesehen, bei Arnold Gehlen, so daß sich nicht zufällig an seinem Werk eine Auseinandersetzung entzündete. Jürgen Habermas kritisierte bereits 1958 eine Wissenschaft, die einen „Katalog anthropologischer Konstanten“ aufzustellen versuche: Sie werde „unkritisch und führt am Ende gar zu einer Dogmatik mit politischen Konsequenzen, die um so gefährlicher ist, wo sie mit dem Anspruch wertfreier Wissenschaft auftritt.“ (25: 32 f.) Demgegenüber betont Habermas, die Anthropologie müsse sich „grundsätzlich ihren Begriff vom Menschen erläutern lassen durch den Begriff der Gesellschaft, in dem er entsteht und nicht zufällig entsteht – nur so entgeht sie der Versuchung, geschichtlich Gewordenes schlechthin als ,Natur auszugeben und als Norm zu suggerieren“. (25: 34 f.) ,
War auch Gehlens anthropologischer Entwurf der unmittelbare Anlaß der Kritik, so richtete sie sich doch nicht allein gegen ihn. Vielmehr bricht hier die fundamentale Frage auf, ob nicht die anthropologische Fragestellung selbst gerade das verdeckt, was für eine Bestimmung des Menschseins wesentlich ist: seine Geschichtlichkeit. Wenn aber kein überzeitliches ,Wesen des Menschen festzustellen ist, sondern Menschsein nur in vielfach wandelbaren historischen Konstellationen beschrieben werden kann, steht nicht nur ein Entwurf der Anthropologie, sondern ihr Ansatz und ihr Programm insgesamt in Frage. Die notwendige Kritik an der Anthropologie muß daher nach der Formulierung von Dietmar Kamper den ,Standpunkt der Geschichte einnehmen und folglich alle Ansätze kritisieren, „welche eine ,menschliche Natur ohne Rücksicht auf ihre historische Veränderbarkeit dingfest machen wollen“. (91: 11) Hier geht es nicht nur um die akademische Frage einer angemessenen Beschreibung des Menschen, sondern vor allem um die unmittelbaren praktischen Folgen, die eine derart geschichtslose Anthropologie haben muß: Indem sie einen bestimmten historischen Stand der menschlichen Gesellschaft zur ,Natur des Menschen erklärt, müssen ihr alle Veränderungen über diesen Stand hinaus illegitim und schädlich erscheinen. Dabei kann dieser Stand durchaus sehr unterschiedlich bestimmt werden: sei es wie bei Gehlen in einer idealisierten Urgesellschaft, der gegenüber die neuzeitliche Kultur schon den Verfall darstellt, oder die Idealisierung der bürgerlichen Gesellschaft, indem in dem autonomen Subjekt das anthropologische Normbild erkannt wird, ohne zu erkennen, daß damit ein durchaus spezielles Ideal des neuzeitlichen Bürgertums zum Maßstab des Menschseins überhaupt gemacht wird. Es gibt ohne Zweifel gute Gründe, wesentliche Momente dieses Ideals auch weiterhin verfolgen zu wollen: Individualität und Freiheit der Person sind in der Tat Konzepte, die zu verteidigen und auszubauen sich lohnt. Dennoch lassen sie sich weder als geschichtsinvariante Konstanten fassen noch gar als menschliche Natur bestimmen. Ein derart ungeschichtliches Menschenverständnis kann auch für die anstehenden globalen Debatten um die Würde der Person und die Menschrechte kaum hilfreich sein: Die Betonung der Individualität und der Menschenwürde sind allemal normative Konzepte, die als solches wahrgenommen und vertreten werden müssen.
Menschsein ist geschichtlich
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3. Das Ende der Anthropologie
In der Anthropologie-Kritik wurde deutlich, daß die problematische Verhältnisbestimmung von Geschichte und menschlicher Natur weniger ein Problem theoretischer Wissenschaft darstellt als vielmehr eine Aufgabe ethischer und politischer Praxis. Weil aber alle Gestaltungen des Menschseins historisch und soziokulturell bedingt sind, können sie auch nicht mehr als ,unwandelbare Natur des Menschen gegen Bestrebungen ins Feld geführt werden, die geschichtlichen und gesellschaftlichen Bedingungen des menschlichen Lebens hin zu einer humaneren Gesellschaft zu verändern. Indem die Anthropologie-Kritik die geschichtliche Dimension gegen eine Dogmatisierung eines selbst wieder geschichtlichen und gesellschaftlichen Bildes der menschlichen Natur einfordert, hat sie den Anspruch, unter dem sich die Anthropologie als wissenschaftliche und philosophische Disziplin etablierte, als unhaltbar erwiesen. Damit muß letztlich dasjenige Programm der Anthropologie, das von ihren wissenschaftlichen Anfängen bis hin zu den großen Entwürfen philosophischer Anthropologie in Geltung war, als gescheitert gelten: Die wissenschaftlich begründete und abgesicherte Definition dessen, was das Menschsein ausmacht und bestimmt, erwies sich als unmöglich. Auch wo dieses Unmöglichkeit innerhalb der philosophischen Anthropologie selbst erkannt und thematisiert wurde, wie das Helmuth Plessner auf höchstem Reflexionsniveau mit seiner Formulierung vom „homo absconditus“ tat, kann dies als Eingeständnis dessen gelesen werden, daß das gesamte anthropologische Programm letztlich undurchführbar sein muß: „Daß nicht sich sagen läßt, was der Mensch sei, ist keine besonders erhabene Anthropologie sondern ein Veto gegen jegliche.“ (132: 130) Das Ende der weitreichenden Ansprüche der Anthropologie ist freilich nicht allein und nicht vorrangig ein theoretisches Problem; vielmehr stellt sich auch die Frage, ob nicht durch die gesellschaftliche Entwicklung die neuzeitliche Idee des autonomen und selbstbewußten Menschen selbst unhaltbar geworden ist. Günther Anders spricht von der „Antiquiertheit des Menschen“ (133): Die von den Menschen selbst geschaffene technisierte und durch Medien vermittelte Welt läßt den Menschen als unzeitgemäßen Anhang des Apparates erscheinen. Diese Diagnose vom Ende des Menschen – jedenfalls in dem stolzen Sinn des Wortes, mit dem die Neuzeit ihr genuines Projekt von der Menschwerdung des Menschen durch fortschreitende Aufklärung und Rationalisierung versah – und vom „Scheitern der Idee vom menschlichen Menschen“ (153: 387 ff.) ist bewußt überpointiert: Sie ist keine distanzierte Diagnose unabänderlicher Prozesse, sondern protestiert im Namen der Menschlichkeit gegen die dominierenden Entwicklungen. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen müssen die stolzen anthropologischen Entwürfe als Beschönigungen und Verklärungen erscheinen. Darum fordert Ulrich Sonnemann eine „Negative Anthropologie“ (151), die nach Möglichkeiten einer „Sabotage des Schicksals“ sucht – des Schicksals nämlich, daß das Menschliche am Menschen in den von ihm selbst geschaffenen Strukturen zu verschwinden droht. Der Einspruch gegen diese Tendenzen macht eine anthropologische Reflexion erforderlich, die sich von den als unhaltbar erkannten Ansprüchen lösen läßt. Kamper betont, daß „die Kritik an der Anthropologie, gerade weil sie polemisch eine gleichbleibende ,Natur‘, ein allgemeines ,Wesen‘, einen verbindlichen ,Begriff des Menschen ablehnt, eine eigene differen,
Programm gescheitert
Negative Anthropologie
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3.1 Anthropologiekritik
zierte Auffassung der ,conditio humana ins Spiel bringen [muß], deren Kenntnis für den Fortschritt der Humanwissenschaften relevant sein dürfte“. (91: 11) Er nennt diese Einsicht, die verhindert, daß die Anthropologie-Kritik in eine die menschliche Naturhaftigkeit verdrängende Geschichtsphilosophie zurückfällt, programmatisch die „anthropologische Differenz“ (ebd. und 142: 66): Sie blendet die Frage nach der conditio humana nicht ab, bringt sie aber auch nicht in einen irreführenden Gegensatz zu der wesentlichen Geschichtlichkeit des Menschseins. Nur so kann die anthropologische Perspektive zur Geltung gebracht werden, „daß – wenn überhaupt – das durch anthropologische Theoreme geradezu verschüttete Problem des Menschen nur noch über eine Kritik der Anthropologie freigelegt werden kann“. (91: 9) Die Anthropologie mußte demnach im Durchgang durch ihre Kritik bescheidener werden und die Vorstellung einer umfassenden Theorie des Menschen aufgeben zugunsten kleinerer, genauerer und wirklichkeitsnäherer Studien über die anthropologischen Dimensionen der menschlichen Kultur, Geschichte und Gegenwart. Die Versuche einer Integration der verschiedenen anthropologischen Forschungen wurden so abgelöst durch eine Mannigfaltigkeit anthropologischer Forschungen in den einzelnen Disziplinen, die in lockerer interdisziplinärer Zusammenarbeit in Forschergruppen, auf Tagungen und Konferenzen, die sich auch in der Publikation von Sammelbänden von z. T. thematisch und methodisch auch heterogenen Einzelbeiträgen manifestiert. Wenn heute also noch von ,der Anthropologie die Rede sein kann, dann in dem Sinn, den Wolf Lepenies bereits 1971 formulierte: „Die anthropologische ,Renaissance‘, von der heute gesprochen werden kann, bezieht sich auf einen Sammelbegriff von Anthropologie, in dem verschiedene Fächer – vor allem biologische und ethnologische Anthropologie – in ihren die Fachgrenzen sprengenden Kontaktstellen zusammengefaßt sind.“ (147: 13) In den seither vergangenen Jahrzehnten sind zahlreiche, mitunter sehr erhellende und instruktive Einzeluntersuchungen und Kooperationen – oft gruppiert um traditionelle Zentralbegriffe der Anthropologie wie ,Körper‘, ,Gefühl‘, ,Leidenschaft etc. (z. B. 144; 134; 139) – unternommen worden, die freilich das Gesamtbild nicht wesentlich verändern: Gerade die notwendige Differenzierung des Blicks und die Genauigkeit der Analyse lassen eine ,Synthese der einzelnen Forschungen zu einem Gesamtbild ,des Menschen nicht länger zu. Trotz des programmatischen Anstoßes von Wolf Lepenies hat sich eine eigene ,soziologische Anthropologie kaum entwickelt; die Ansätze dafür bemühen sich zumeist darum, die in soziologischen Theorien enthaltenen anthropologischen Voraussetzungen freizulegen und kritisch zu diskutieren und die anthropologischen Thesen anderer Disziplinen soziologisch zu überprüfen. In diesem Zusammenhang sind auch die Erkenntnisse der Kulturanthropologie und der Ethnologie von Bedeutung, wie sie vor allem unter den angelsächsischen Begriffen ,cultural anthropology und ,social anthropology firmieren. Freilich findet sich in soziologischem Kontext auch das Bemühen, die klassischen Fragestellungen von Plessner und Gehlen weiterzuentwickeln und biologische und frühgeschichtliche Aspekte soziologisch aufzunehmen (vgl. dazu 135). ,
,Anthropologische Differenz ,
Anthropologie als Sammelbegriff
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3. Das Ende der Anthropologie
In verschiedenen Disziplinen zeigt sich in den letzten Jahren eine Hinwendung zu genauen Einzelanalysen; diese Tendenzen lassen sich vor allem unter dem Titel einer ,historischen Anthropologie zusammenfassen, die im wesentlichen auf zwei Richtungen des Forschungsinteresses basiert: Zum einen wird in der Weiterführung und Kritik der Fragestellungen der philosophischen Anthropologie die Aufmerksamkeit auf die spezifischen historischen Konstellationen gelenkt, in denen wesentliche anthropologische Kategorien einer kritischen Überprüfung unterzogen werden (vgl. dazu z. B. den Sammelband „Vom Menschen“; 17). Zum anderen entstand aus der sozialgeschichtlichen Perspektive innerhalb der Geschichtswissenschaften eine verstärkte Aufmerksamkeit auf die anthropologischen Dimensionen. Bereits 1967 hatte Thomas Nipperdey programmatisch die historische Anthropologie von einer systematischen unterschieden, der es „um die invarianten Konstanten in diesem Sachbereich, z. B. um das Verhältnis von Mensch und Tier, oder um ein Gefüge von Faktoren und Beziehungen, um Regelmäßigkeiten und Gesetze, die in allen Gesellschaften oder Kulturen das Verhalten des Menschen und das Verhältnis von Institutionen und Personen bestimmen“ (149: 350) gehe. Der historischen Anthropologie dagegen käme es „darauf an, das je Spezifische einer geschichtlichen Struktur oder eines bestimmten Wandels zu erfassen.“ (149: 351) Damit ist in mehrfacher Hinsicht ein Paradigmenwechsel sowohl für die Geschichtswissenschaft als auch für die Anthropologie verbunden. Zum einen erweisen sich mitsamt den behaupteten ,anthropologischen Konstanten auch die nach wie vor gebräuchlichen Entwicklungskategorien wie z. B. ,Modernisierung‘, ,Individualisierung‘, ,Säkularisierung‘, die auch anthropologisch eine große Rolle spielen, als problematisch, weil sie eine relativ eindeutige und geradlinige Entwicklung unterstellen, die sich bei einem genaueren Blick oft genug nicht bestätigen läßt. Weiterhin zeigt dieser Blickwechsel, daß die Felder der ,großen Politik‘, der Wirtschaft etc., die zumeist als die dominanten Bewegungskräfte der Geschichte wahrgenommen werden, zumindest kein vollständiges Bild ergeben: Die Selbstwahrnehmungen der Menschen, ihr Verständnis der Welt und ihres Handelns, erweisen sich in ihrem Wandel wie in ihrer Beständigkeit als ebenso wichtige Faktoren geschichtlicher und sozialer Prozesse. Mit der historischen Anthropologie ist aber auch die Zuwendung zu den Menschen, nämlich den wirklichen Akteuren der Geschichte verbunden. Während in den großen historischen Entwürfen des 19. Jahrhunderts und mitunter bis in die Gegenwart der Eindruck entstehen konnte, daß „nur starke Männer die Geschichte [machten], wohingegen das einfache Volk stumm blieb, gefangen in Natur und Gesellschaft“ (138: 5), so legten die ,mikrohistorischen Fallstudien der historischen Anthropologie wie ihre Längsschnittanalysen den Schwerpunkt auf das Leben und Handeln der ,einfachen Menschen und ihre Selbstwahrnehmung im Kontext ihrer jeweiligen kulturellen Bedingungen. ,
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Historische Anthropologie
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„Die Historische Anthropologie stellt den konkreten Menschen mit seinem Handeln und Denken, Fühlen und Leiden in den Mittelpunkt der historischen Analyse. Ihr Konzept unterschiedet sich dabei wesentlich von der Konstruktion des Menschen in der Philosophischen Anthropologie, insofern sie nicht nach dem Wesen, dem Allge-
3.1 Anthropologiekritik meinen des Menschseins in der Geschichte fragt, sondern nach den vielseitigen kulturell-sozialen Bedingtheiten im Wandel der Zeiten, nach der Besonderheit und Eigensinnigkeit menschlichen Handelns, die ein geschlossenes und einheitliches Menschenbild ausschließen.“ (138: 5)
Dabei entsteht nicht nur ein materialreiches und eindrückliches Bild von der Vielgestaltigkeit des Menschlichen in den verschiedenen historischen Zusammenhängen; es verschiebt sich auch die Wahrnehmung dahingehend, daß nicht nur die ,großen Akteure der Geschichte im Licht stehen, sondern auch die ,kleinen Leute aus dem Dunkel und in ihrer Individualität in Erscheinung treten. Auch dieser Wechsel in der Aufmerksamkeit ist sowohl von theoretischer wie von politisch-ethischer Bedeutung. In ihm manifestiert sich der in zahlreichen sozialen Bewegungen artikulierte Anspruch gerade von marginalisierten Menschen, als soziale Akteure respektiert und wahrgenommen zu werden. Gert Dressel versteht die Ausbildung der historischen Anthropologie als „Teil und Reaktion dieses gesellschaftlichen Wandels“ (136: 27). Die sozialen Bewegungen, die die Bedeutung marginalisierter Gruppen und Völker einklagen, schärfen immer wieder ein, daß die Kategorisierung von Menschen auch mit Macht- und Unterdrückungsmechanismen verbunden ist: Die Einteilung von Menschen nach Rassen, sexuellen Orientierungen, sozialer Stellung und auch nach dem Geschlecht – auch wenn solche Kategorien noch so offensichtlich erscheinen – ist keineswegs unschuldig, wie die Erfahrungen des Kolonialismus, des Rassismus, des Sexismus etc. hinreichend belegen. Die Frage drängt sich auf, ob solche Kategorien anthropologisch überhaupt noch brauchbar sein können. Zu Recht setzt hier auch die feministische Anthropologie-Kritik ein. Sie erschüttert selbstverständlich scheinende Einteilungen und fragt nachdrücklich nach der Stimme derer, die in der Vergangenheit übergangen oder an den Rand gedrängt wurden. Ob sich über diesen unabdingbaren kritischen Einspruch hinaus eine eigenständige feministische Anthropologie entwickeln kann, ist gegenwärtig kaum absehbar. So liegen zwar zahlreiche eindrückliche Einzelstudien aus feministischer Perspektive vor; sie sind freilich methodisch und inhaltlich disparat. Dabei stellt sich auch die grundsätzliche Frage, inwieweit eine ausdrücklich feministische Anthropologie nicht selbst wieder zu einer Reproduktion solcher Kategorisierungen und auch zur Behauptung von biologischen Konstanten gerät, aus deren Kritik sie hervorging. Die produktivste Bedeutung des feministischen Einspruchs dürfte wohl darin liegen, daß hier mit der nötigen Beharrlichkeit eine Perspektive immer neu zur Geltung gebracht wird, der sich jede anthropologische Forschung und Theoriebildung aussetzen muß. ,
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Die Kritik der Anthropologie, wie sie innerwissenschaftlich vor allem in der Philosophie, Soziologie, Ethnologie und Geschichtswissenschaft formuliert, aber auch in zahlreichen sozialen Bewegungen manifest wurde, erwies das anthropologische Programm einer einheitlichen Bestimmung des Menschen als unhaltbar. Das Streben nach einer ,objektiven und überzeitlichen Definition von Konstanten des Menschseins erwies sich als undurchführbar angesichts der Vielfältigkeit menschlicher Lebensfor-
Geschichte der ,kleinen Leute
feministische Anthropologie-Kritik
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3. Das Ende der Anthropologie
men in Vergangenheit und Gegenwart. Die anthropologischen Perspektiven können nach dieser Kritik nur noch so zur Geltung gebracht werden, daß die Aufmerksamkeit auf die spezifischen Konstellationen menschlichen Lebens im Kontext der jeweiligen kulturellen und sozialen Gegebenheiten gelenkt wird.
3.2 Was will die Anthropologie eigentlich wissen? Und was hält sie zusammen? Der Durchgang durch die verschiedenen wissenschaftlichen Ansätze, die unter dem Titel ,Anthropologie firmieren, den wir mit der Absicht einer Klärung, was Anthropologie eigentlich sei, unternommen haben, führt zu einem auf den ersten Blick enttäuschenden Ergebnis: Statt eines deutlichen Begriffs von Anthropologie hat sich eine Vielfalt verzweigender und teils kaum miteinander verbundener Forschungsrichtungen gezeigt, die auf sehr heterogenen methodischen und sachlichen Voraussetzungen beruhen. Die Konsequenz, die aus diesem Befund zu ziehen ist, ist zunächst negativ: Es ist noch nicht zu erkennen, worin die Einheit der Anthropologie bestehen sollte. Ist also der Titel ,Anthropologie nur noch ein gänzlich unscharfer Begriff für ganz Unterschiedliches, der allenfalls dann zu gebrauchen wäre, wenn man durch eine Näherbestimmung als ,biologische Anthropologie‘, ,philosophische Anthropologie‘, ,Kulturanthropologie etc. die größten Mißverständnisse zu vermeiden sucht – wenn man ihn der Klarheit halber nicht besser ganz vermeidet? Damit würde aber mehr auf dem Spiel stehen als der überkommene Begriff: Ein Diskurs zwischen den verschiedenen skizzierten Forschungsrichtungen und Reflexionsfeldern würde unmöglich. Die wissenschaftslogisch und -pragmatisch scheinbar naheliegende Lösung der Schwierigkeit in der Bestimmung dessen, was Anthropologie sei, eine jeweils adjektivisch näher zu bezeichnende Anthropologie schlicht als das zu erklären, was ,irgendwie in der Folge einer der genannten Theorietraditionen steht, kann systematisch nicht befriedigen, weil damit die Problemlage unterboten wäre. Die Kritik der anthropologischen Tradition trifft vielmehr jede einzelne der genannten Ausprägungen wissenschaftlicher Anthropologie. Eine theologische Anthropologie wäre schlecht beraten, wenn sie die Vielfalt der anthropologischen Ansätze negierte und sich umstandslos an solche Diskursfelder anschließen wollte, die ihr die nächsten scheinen: Das wäre ohne Zweifel die philosophische Diskussion. So wurde freilich oft verfahren. Theologische Anthropologie hat sich meist ohne weitere Begründung im Anschluß an die philosophische entwickelt, während auf die anderen genannten Ausprägungen wissenschaftlicher Anthropologie, wie einerseits Kultur- und Sozialanthropologie, aber auch biologische (genetische), paläoanthropologische Anthropologie, kaum näher eingegangen wurde. Diese Konzentration hat ihre Gründe in der Verwandtschaft der Arbeitsweisen, bedeutet aber auch eine problematische Blickverengung, die schon innerhalb der philosophischen Anthropologie nicht hingenommen werden kann. Erst recht kann die Theologie diese Trennung nicht einfach vorausset,
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Worin besteht die Einheit der Anthropologie?
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3.2 Was will die Anthropologie eigentlich wissen?
zen, wenn sie nicht weithin sprachlos werden will. Es hat sich aber auch sehr deutlich gezeigt, daß das anthropologische Problem nicht dadurch gelöst werden kann, daß die tradierten philosophischen und theologischen Kategorien um scheinbar gesicherte empirische Erkenntnisse (etwa aus der Humanbiologie oder Entwicklungspsychologie) angereichert werden können. Auch damit wäre das Problemniveau fatal unterschritten. Für jede tragfähige theologische Anthropologie ist es darum notwendig, genau zu bestimmen, was das Eigentümliche der Anthropologie ausmacht. Ein tragfähiges Verständnis von Anthropologie muß aber gerade das leisten: Es muß sowohl vor der Anthropologie-Kritik bestehen können als auch das zur Geltung bringen, was die verschiedenen Dimensionen zusammenhält. Dies aber muß allererst freigelegt werden. Darum muß die Reflexion gleichsam noch einmal einige Schritte zurückgehen und die Besonderheit anthropologischer Aussagen bedenken, wie sie in jeder der genannten Disziplinen und Entwürfen gegeben sind. In der bereits zitierten Formulierung von Hans-Georg Gadamer (vgl. oben S. 41), niemand könne „sich heute einbilden, wir vermöchten die Integration wirklich zu vollziehen, nach der wir für unser Wissen vom Menschen verlangen“ (15/1: XVII), deutet sich dieses Spezifikum der Anthropologie an. Was auf den ersten Blick lediglich wie eine Bestandsaufnahme der Ausdifferenzierung anthropologischer Forschung erscheint, dokumentiert zugleich, daß eine Addition von Forschungsergebnissen die anthropologische Problemstellung verfehlen muß. Wenn Gadamer nämlich von ,unserem Verlangen nach der Integration ,unseres Wissens vom Menschen spricht, so deutet dieser Wechsel in die Perspektive der ersten Person an, daß die anthropologische Aufgabe nicht in distanzierter Betrachtung ,von außen erfolgen kann. Woraus erwächst solches Verlangen? Und worauf kann es zielen? Offensichtlich ist dabei gar nicht ein Wissen „über etwas“ im Blick, das sich nach dem Modell einer Enzyklopädie in einem Ganzen darstellen ließe. Als erläuterndes Gegenbeispiel ließe sich eine Buchreihe denken, die unser Wissen von den Vögeln zusammenfaßte: Sie enthielte Beiträge zur Anatomie der verschiedensten Vogelarten, zu ihrer unterschiedlichen Gestalt, ihrem Verhalten und Nahrungsgewohnheiten etc. bis hin zur beigelegten Tonaufnahme vom Vogelgesang. Um auch die Kulturwissenschaften einzubeziehen, würden möglicherweise einige bedeutende Gedichte, die sich mit Vögeln befassen, beigefügt sowie Darstellungen über die Bedeutung der Vögel in den Religionen der Welt gegeben. So umfangreich und vorläufig eine solche Enzyklopädie sein mag: Sie ist nicht nur denkbar, sondern wäre bei aller Spezialisierung auch realisierbar. Freilich ist das ,Verlangen nach einer solchen Zusammenfassung weit geringer als dasjenige, das Gadamer für die Anthropologie feststellt – und es ist gerade deshalb geringer, weil in der gedachten Enzyklopädie des ornithologischen Wissens ausschließlich solches Wissen erscheint, das als ein Wissen über etwas, nämlich über Vögel beschrieben werden kann. Ornithologie und Anthropologie sind – im strikten Widerspruch zu der irreführenden Parallelität der Begriffe – kategorial unterschieden, insofern Anthropologie unabdingbar das Moment des Reflexiven eignet. Allem Anschein nach betreiben Vögel keine Ornithologie: Zu ihrem Sein gehört weder die Fähigkeit noch die Notwendigkeit, analoge Fragen zu stel,
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Ein Gegenbeispiel
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3. Das Ende der Anthropologie
len. Das Spezifikum der Anthropologie ist aber, daß ihr Gegenstand nicht nur ihr Objekt ist, sondern zugleich das Subjekt des Fragens. Folglich ist ihr Proprium nicht ein ,Wissen über wie es ein Wissen über die Vögel gibt. Damit ist keineswegs bestritten, daß zur Anthropologie immer auch Einsichten und Aussagen gehören, die als ein ,Wissen über etwas beschrieben werden können: Biologische, psychologische, soziologische etc. Kenntnisse sind zur Bearbeitung der anthropologischen Problemstellung unverzichtbar. Sätze in der Form eines ,Wissens über sind dann allerdings eher Material und Grundlage der Anthropologie als ihr Ziel. Das Spezifische der Anthropologie zeigt sich gerade darin, daß auch die Erweiterung unseres Wissens über den Menschen nicht als zusätzliche Information wahrgenommen wird: Jede beliebige neue wissenschaftliche Aussage über den Menschen erregt ungleich mehr öffentliche Aufmerksamkeit als grundlegende Neuerungen auf dem Feld der Vogelkunde – diese finden nur dann breite Resonanz, wenn sie als vermeintlich relevante Forschungen zum Verständnis des Menschseins präsentiert werden. Deshalb könnte es naheliegen, die Anthropologie dem Bereich des Orientierungswissens zuzuordnen, also dem Wissen, das nicht in erster Linie Fakten zusammenträgt und erklärt, sondern nötig ist, um sich in komplexen Verhältnissen zurechtzufinden. An diesem Verständnis ist zweifellos richtig, daß die anthropologische Frage durchweg auf eine Unsicherheit verweist, wann immer sie aufbricht: Der Beginn der wissenschaftlichen Anthropologie fällt ebenso in die Epoche, in der der Rahmen brüchig wurde, innerhalb dessen das Reden über den Menschen sinnvolle Konturen hatte (vgl. oben S. 44), wie die philosophische Anthropologie ihren Ausgang von der Erfahrung nahm, daß der Mensch sich selbst problematisch geworden sei (vgl. oben S. 61). Aber auch in systematischer Hinsicht ist Anthropologie ein Krisenphänomen: Normalerweise weiß jeder, was ein Mensch ist, und wie mit Menschen umzugehen sei. Dieses intuitive Wissen kann aber strittig werden; dann wird sichtbar, daß die alltägliche Einigkeit in der Bestimmung des Menschseins auf einer Vielzahl von Voraussetzungen basiert, die durchaus differieren können, weshalb diese Einigkeit auch durchaus in Konflikte umschlagen kann. Dennoch ist auch mit der Bestimmung der Anthropologie als Orientierungswissen ihr Spezifisches noch nicht hinreichend erfaßt. Zum einen zielt sie auf solche Bereiche, die in allem Handeln und Erkennen bereits vorausgesetzt werden: Kant hatte nicht ohne Grund die anthropologische Frage zur grundlegenden überhaupt erklärt (vgl. oben S. 27). Zum anderen aber kann bezweifelt werden, ob der Terminus ,Wissen überhaupt geeignet ist, das Spezifische der Anthropologie zur Geltung zu bringen. Dies wird schon daran erkennbar, daß nicht jede wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Menschen ,Anthropologie genannt werden kann: Die Unterscheidung der (vom Wort her eigentlich synonymen) Bezeichnungen ,Humanwissenschaften und ,Anthropologie erweist sich schon darum als sinnvoll, weil sich innerhalb verschiedener Humanwissenschaften wiederum unterschiedliche anthropologische Diskurse ausgebildet haben. Was dabei jeweils das Anthropologische konstituiert, läßt sich so formulieren, daß hier nicht um etwas am Menschen oder bestimmte menschliche Eigenschaften und Eigenar,
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Orientierungswissen?
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3.3 Von der Schwierigkeit, ,den Menschen zu bestimmen ,
ten das Thema bildet, sondern vielmehr ,der Mensch als ein Ganzes: Wie aber der Mensch als Ganzes zu erfassen sei, ist dabei meist undeutlich. ,
Die Anthropologie kann offenbar in solchem ,etwas wissen über nicht aufgehen. Menschen fragen nach dem, was Menschsein ausmacht. Das ,Objekt der Anthropologie ist zugleich ihr Subjekt. ,
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3.3 Von der Schwierigkeit, ,den Menschen zu bestimmen ,
Die traditionelle Weise, den Menschen als Ganzes zu beschreiben, ist der Versuch, sein ,Wesen zu bestimmen. Diese Frage nach dem Wesen ist keineswegs auf die philosophische oder theologische Arbeit beschränkt, sondern erscheint ebenso in den anderen Wissenschaften, die sich mit anthropologischen Themen befassen. Sie zielt nämlich zunächst auf zwei Momente, die auch in der gegenwärtigen Anthropologie von den Sozialwissenschaften bis zur Biologie bestimmend sind. Wenn nach dem Wesen einer Sache gefragt wird, dann geht es 1) um das, was für diese Sache charakteristisch ist und ihre Eigenart ausmacht. Davon zu unterscheiden sind die vielen Eigenschaften, die diese Sache auch noch aufweisen mag. So liegt es auf der Hand, daß weder die Haarfarbe noch die Größe das Wesen des Menschen ausmacht: Kleinwüchsige und blonde Menschen sind ebenso ohne Zweifel als Menschen anzusprechen wie großgewachsene und dunkelhaarige. Daß z. B. Menschen anderer Hautfarbe in der Geschichte das Menschsein auch abgesprochen werden konnte, belegt diese Aussage auf schreckliche Weise. 2) Zum anderen zielt die Bestimmung des Wesens einer Sache auf das, was in den zeitlichen Veränderungen gleich bleibt und also auch nicht willentlich veränderbar ist. Der lateinische Ausdruck für das Wesen einer Sache – natura – ist wiederum ein wesentliches Moment im modernen Naturbegriff; dementsprechend erscheint es weithin als die Domäne der Naturwissenschaften, auch die Natur des Menschen zu erforschen, während die Humanwissenschaften mehr für die Bereiche, die dem Wandel unterliegen, zuständig zu sein scheinen. Eben darin liegt auch der Grund dafür, daß die philosophische Anthropologie des zwanzigsten Jahrhunderts, die unter den Bedingungen des neuzeitlichen Denkens das Wesen des Menschen bestimmen will, ihren Ausgang bei biologischen Determinanten nehmen wollte. Ist aber im überkommenen Verständnis Anthropologie nicht jede wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Menschen, sondern zentriert um die Frage nach seinem invarianten Wesen, dann scheint sie unweigerlich in die Aporie zu geraten, daß ein solches Unveränderliches in der Mannigfaltigkeit der Erscheinungsformen des Menschen eben nicht zu zeigen ist. Ingolf U. Dalferth stellt ebenso treffend wie lapidar fest: Der „Wesensbegriff ist selbst höchst problematisch“ und fragt: „Denn nach dem Wesen wessen Menschen ist gefragt – dem eines bestimmten Individuums, einer bestimmten Art oder der ganzen Gattung?“ (234: 193). Die anthropologischen Diskussionen leiden häufig an der Unklarheit, was mit dem Ausdruck ,Mensch
Problem jeder Definition
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3. Das Ende der Anthropologie
jeweils gemeint sein soll: Indem sie etwa mit der Angabe allgemeiner Merkmale beginnen, wie sie für ,den Menschen schlechthin gelten sollen, dann aber unvermittelt zu Individuen übergehen, oder umgekehrt bei der Selbstbeobachtung anfangen und die dabei gewonnenen Einsichten auf ,den Menschen übertragen. Es ist eben keineswegs selbstverständlich, daß die Eigenschaften, die jeweils als charakteristisch für das Menschsein angeführt werden, sich ablösen lassen von einem kulturspezifischen Idealbild. Neil Roughley formuliert dazu knapp und treffend: ,
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„Kein Versuch, unter dem Titel ,Anthropologie Theorie zu betreiben, kann heute den wiederholten Aufweis der Partikularität ihrer universalen Ansprüche ignorieren. Der Anthropos hat sich als (mindestens) metaphysisch, westlich, männlich, weiß oder szientistisch erwiesen.“ (165:17) ,
Wenn die Suche nach einem unveränderlichen Wesen auch traditionell fast selbstverständlich als die Aufgabe der Anthropologie erschien, so ist dies doch nicht der einzige Weg, die anthropologische Fragestellung zu bearbeiten. Mehr noch: Die Versuche, ein überzeitliches Wesen des Menschen zu fixieren, kann das eigentliche Interesse, das die anthropologische Problemstellung hervorbringt, geradezu verdecken. Die irreduzible Partikularität dessen, was jeweils als ,der Mensch bestimmt wird, kann aber wiederum nicht dazu führen, daß die Anthropologie sich auflöst in eine Reihe unverbundener Wissenschaftsdisziplinen. Darauf deutet schon die Widerstandskraft, die der Begriff der Anthropologie gegen seine Abschaffung entwickelt zu haben scheint; sie dürfte nicht nur dem Festhalten an einem eingeführten akademischen Begriff geschuldet sein, sondern legt zumindest nahe, daß mit ihm eine notwendige Fragestellung bezeichnet ist. Diese ist aber, das hat die Erinnerung an die Vielgestaltigkeit des Menschlichen und die Vielfalt der anthropologischen Zugänge gezeigt, nicht schon im Gegenstand und auch nicht in der wissenschaftlichen Methodik gegeben. Es wurde aber auch bereits deutlich, daß die Frage nach dem, was der Mensch sei, nicht vorrangig aus theoretischer Neugierde entsteht, sondern verbunden ist mit einer Vielzahl höchst aktueller Fragestellungen im Bereich des Politischen und Ethischen. ,Der Mensch ist eine unverzichtbare Kategorie: Wäre dies nämlich kein sinnvoller Begriff, so wären auch Menschenrechte und Menschenwürde, die eben dem Menschen zukommen, weil er Mensch ist, kein sinnvolles Konzept mehr. Nun tut man sicher gut daran, diese Vorstellungen nicht unmittelbar zu übertragen auf andere Zeiten und Kulturen: Der Begriff der Menschenrechte erscheint nicht zufällig erst in der Neuzeit und hat seinen Sinn zweifellos in den spezifischen Bedingungen der neuzeitlichen und modernen politischen und sozialen Bedingungen (auf den Komplex ,Menschenrechte wird unter 5.1.1 noch näher eingegangen). Gerade dieser Zusammenhang legt aber auch nahe, die Frage nach dem Menschen noch einmal anders zu stellen als dies in der wissenschaftlichen Anthropologie üblicherweise geschah und geschieht. Dort wird nämlich nach einem abgrenzbaren Objekt gefragt, wie es das klassische Definitions,
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,Der Mensch – eine trotz allem unverzichtbare Kategorie ,
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3.3 Von der Schwierigkeit, ,den Menschen zu bestimmen ,
verfahren nahelegt: Nach der Angabe der Klasse, zu der das zu Definierende ohne Zweifel gehört, wird nach dem Spezifischen der zu definierenden Art gesucht. Ein Quadrat wird demnach dadurch definiert, daß es unter allen Rechtecken dasjenige ist, das vier gleich lange Seiten aufweist; Wasserstoff ist unter allen chemischen Elementen dasjenige, dessen Kern nur ein einziges Proton hat. Die berühmte Definition des Menschen als animal rationale verfährt ebenso: Der Mensch gehört demnach zu den beseelten Wesen (eben das ist mit animal gemeint; zu dieser Definition vgl. unten Kap. 5.2.1), unter denen er sich durch die Eigenschaft der Vernünftigkeit auszeichnet. Dieses definitorische Vorgehen leitet aber nicht nur die klassische Bestimmung und liegt nicht nur der biologischen Klassifikation zugrunde: Auch die Rede vom homo sapiens bestimmt den Menschen als zur Gattung der Hominiden gehörig und qualifiziert ihn näher durch den Begriff der sapientia (Weisheit). Analog verfahren nämlich auch die medizinisch-biologischen Versuche einer Bestimmung des Menschen, wie sie in den ethischen Debatten um Anfang und Ende menschlichen Lebens unternommen werden: Auch hier werden spezifische Eigenschaften gesucht, die den Menschen von anderen Formen des Lebens unterscheiden; nicht anders verhält es sich bei dem Bestreben einer Definition des Menschen über sein Genom. Die fatalen Konsequenzen, die aus einem solchen Vorgehen entstehen können, zeigen sich etwa bei dem australischen Ethiker Peter Singer, der aus der Definition der ,menschlichen Person – Singer unterscheidet zwischen ,menschlicher Person und ,homo sapiens – über die Fähigkeit zum Selbstbewußtsein weitreichende Folgerungen ableiten will. Nicht nur hat nach dieser Argumentation ein menschlicher Fötus, weil er keine ,menschliche Person ist, nicht denselben Anspruch auf Leben (114: 221); im extremen Fall einer Schwerstbehinderung, die dazu führt, daß menschliche Neugeborene diese Fähigkeit nie entwickeln werden, ist nach dieser Ansicht auch ihre Tötung legitim, weil der unbedingte Lebensschutz, der menschlichen Personen zukommt, hier nicht anwendbar sei (114: 232 ff.) Diese Argumentation hat allerdings nicht nur unhaltbare ethische Konsequenzen, sondern enthält schon einen fundamentalen logischen Fehler: Ein Prädikat, das eine Gattung kennzeichnet, ist nicht ohne weiteres auf jedes Individuum anzuwenden; auch beim Fehlen dieser Eigenschaft kann die Gattungszugehörigkeit nicht schlicht abgesprochen werden. Um dies an einem trivialen Beispiel zu erläutern: Es gehört unzweifelhaft zur Definition eines Eimers, daß er Flüssigkeiten aufnehmen kann; ein durchlöcherter Eimer hat diese Eigenschaft nicht, ist aber deshalb keineswegs kein Eimer, sondern eben ein beschädigter Eimer. Die Verwendung einer Definition als Norm ist schlicht unzulässig, zumal in solchen Argumentationen überhaupt nicht wahrgenommen wird, daß der Ausdruck ,Mensch wie der der ,Person nicht im Sinne eine formalen Definition gebraucht werden kann: Er bezeichnet nicht einen Gegenstand unter anderen, sondern verweist darauf, daß menschliches Leben allemal Leben in Gemeinschaft ist, das durch ein Geflecht von Handlungen und Beziehungen gekennzeichnet ist. Nicht das isolierte Individuum und seine Eigenschaften und Fähigkeiten, sondern die Beziehungen von Individuen sind Gegenstand von Anthropologie und Ethik. So zeigt sich gerade bei dem Mensch-Tier-Vergleich, wie er von den großen Entwürfen der philosophischen Anthropologie programmatisch ge-
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3. Das Ende der Anthropologie
braucht wird, daß eine Definition nicht in der Lage ist, die Kategorie ,Mensch zu erfassen. Auch ,das Tier ist keine präzise abgrenzbare Gesamtheit von Objekten, die eine Gegenüberstellung zum Menschen erlauben würde: Unter die Kategorie ,Tier fallen immerhin ebenso Bandwürmer wie Schimpansen – wobei letztere ohne Zweifel in vielfacher Hinsicht dem Menschen erheblich näher stehen als die ersteren. Daß man trotzdem sinnvoll von einem nicht nur graduellen Unterschied von Mensch und Tier sprechen kann, zeigt bereits, daß diese Begriffe einem anderen Kontext angehören als die der biologischen Unterscheidung. Dabei ist zu beachten, daß hierbei keineswegs zuerst eine allgemeine Gattung der Lebewesen wahrgenommen würde, aus der man dann bestimmte Tiere als ,Mensch abgrenzt; vielmehr ist der Begriff ,Tier logisch offensichtlich später als der des ,Menschen – eine bündige Definition von ,Tier ist eben nur in der Gegenüberstellung zu ,Mensch denkbar. Damit erweist sich der Ausdruck ,Mensch als ursprünglicher denn eine Abgrenzung eines Gegenstandes aus einer Vielzahl ähnlicher Phänomene. Es spricht vielmehr alles dafür, daß es sich dabei um einen Begriff handelt, der nicht wieder auf andere zurückzuführen ist, und seinen eigentlichen Ort nicht in der Einordnung von Objekten hat, sondern durchweg bezogen bleibt auf das Handeln. Nur auf diese Weise kann auch der Singular ,der Mensch einen Sinn haben: Als möglicher Gegenstand der Erkenntnis ist der Singular ,der Mensch eine problematische Fiktion, die entweder trivial und unterbestimmt sein muß, weil sie das Bedeutsame abblendet, oder aber eine Gestalt des Menschseins zumindest implizit zur Norm macht. Weil aber zum Sinn des Ausdrucks ,Mensch gehört, daß der Sprechende sich selbst einbezieht und einbeziehen muß, verfehlen alle Versuche einer Definition in ihrer Suggestion eines ,Blicks von außen den Kern der anthropologischen Problematik. Das Spezifikum der Anthropologie kann nun so umschrieben werden: ,
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Ausdruck ,Mensch irreduzibel
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Insofern in der Anthropologie der Gegenstand des Nachdenkens mit dem Subjekt des Nachdenkens zusammenfällt, ist sie notwendig selbstreflexiv; dazu gehört aber, daß keine fertigen Antworten auf die Frage nach der Bestimmung dessen, was Menschsein bedeutet, übernommen werden können, sondern jeweils selbst erarbeitet werden müssen. Implizite Anthropologien
Freilich muß die anthropologische Frage keineswegs überall explizit als Frage aufbrechen, weil sie faktisch zumeist schon durch kulturell und sozial vorgängige Vorstellungen vom Menschsein beantwortet ist. Eine Antwort auf die Frage nach dem Menschsein muß in allem menschlichen Leben und Handeln immer schon vorausgesetzt sein, weil ohne sie Leben und Handeln keine Richtung und keine Bedeutung haben könnte. Solche meist unbewußten, kulturell vorgeprägten und übernommenen Antworten lassen sich als ,implizite Anthropologien bezeichnen; die Aufgabe der anthropologischen Reflexion ist es nicht zuletzt, solche impliziten Anthropologien bewußt zu machen und kritisch zu analysieren. Gerade weil es hier um die Grundlagen dessen geht, was das Leben und Handeln von Menschen sinnvoll macht, gehört auch die Strittigkeit notwendigerweise zur Anthropologie: Es ,
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3.3 Von der Schwierigkeit, ,den Menschen zu bestimmen ,
gibt konkurrierende Vorstellungen davon, wie menschliches Leben beschaffen sei und welche Ausrichtung des eigenen Lebens die dementsprechend richtige sei. Weil Anthropologie aber ein selbstreflexives Unternehmen ist, gehört zu ihrem Sinn die Unabgeschlossenheit und Strittigkeit. Mit dieser Bestimmung lassen sich die grundlegenden Schwierigkeiten auflösen, die die Anthropologie seit ihrem Beginn begleiten und die in dem letztlich irreführenden Verständnis, Anthropologie sei die wissenschaftliche Erforschung des Objekts ,Mensch‘, begründet sind. Sofern dabei nicht eine Erweiterung unseres Wissens über die menschliche Biologie, die Soziologie etc. allein betrieben werden soll, die zweifellos von großer Bedeutung ist, aber den Namen ,Anthropologie nicht eigentlich beanspruchen kann, sondern Teildisziplin des jeweiligen Faches bleibt, sind die verschiedenen Ansätze, Entwürfe und Methodiken zuletzt darin verbunden, daß sie durchweg auf ihre jeweilige Weise bezogen bleiben auf die Auseinandersetzung darüber, was ,der Mensch sei . Die Vielfalt des Menschlichen kommt gerade in dieser Auseinandersetzung zum Tragen; sie – und nicht ein universaler und einheitlicher Gegenstand – ist geradezu das Gemeinsame der anthropologischen Forschung. So ist nicht unmittelbar ein ,Objekt Mensch Thema der Anthropologie, sondern vielmehr der Diskurs um den Menschen, der (Selbst-)Wahrnehmung, Denken und Handeln steuert. Mithin sind auch die verschiedenen wissenschaftlichen Anthropologien, sofern sie mit Recht diesen Namen tragen, auch nicht isolierte Komplexe. Der Anschein des Disparaten löst sich auf, weil alle Ansätze auf philosophisch-religiöse Fragestellungen zielen, die nicht anders denn als philosophisch oder religiös bezeichnet werden können. Gerade darin besteht auch ihre Relevanz; nur deshalb kommt anthropologischen Aussagen auch und gerade der (Natur-) Wissenschaften die enorme öffentliche Aufmerksamkeit und Bedeutung zu. Anthropologie definiert sich demnach nicht über einen einheitlichen Gegenstand – das hatte der Durchgang durch die verschiedenen Ausprägungen der Anthropologie hinreichend gezeigt – , sondern vielmehr über einen spezifischen Diskurszusammenhang, der für das Handeln und Leben von eminenter Wichtigkeit ist. In diesem Kontext erhält aber auch der Begriff ,Mensch erst seine eigentliche Bedeutung. ,Mensch ist insofern kein Gattungsbegriff, sondern zuallererst eine ethische und kommunikative Kategorie: Er bezeichnet die Zugehörigkeiten und damit zugleich die Gewißheit, daß mit Menschen, die allemal meinesgleichen sind, anders umzugehen ist als mit Dingen und auch Tieren. Der Ausdruck ,Mensch markiert damit eine der grundlegenden und irreduziblen Einteilungen unseres moralischen Universums, die Robert Spaemann treffend als „Unterschied zwischen ,etwas und ,jemand “ (168) wiedergibt. Damit steht die Anthropologie in unmittelbarer Nähe zur Ethik, ohne mit ihr identisch zu werden. ,
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Das Thema der Anthropologie ist nicht ,der Mensch‘, sondern der Diskurs über das Menschsein. Sie ist also nicht die Erforschung eines definierbaren Gegenstandes, sondern selbst Teil der notwendigen Auseinandersetzung um das, was wir vom Menschsein denken und erwarten. Diese Vorstellungen vom Menschsein wiederum bestimmen unser Handeln.
,Mensch ist eine kommunikative und ethische Kategorie
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3. Das Ende der Anthropologie
3.4 Die anthropologische Unumgänglichkeit des Normativen Die vielfältigen Einzelaspekte und disziplinspezifischen Zugänge, die sich als anthropologisch orientiert verstehen lassen, sind dadurch gekennzeichnet, daß sie auf je ihre Weise einen Beitrag zur Klärung des menschlichen Selbstverständnisses beitragen, auch wenn ihr jeweiliger Status und ihre Reichweite in den einzelnen Wissenschaften oft nicht hinreichend deutlich werden. Was Neil Roughley für die gegenwärtige philosophische Anthropologie formuliert, kann also als das Charakteristikum anthropologischer Arbeit insgesamt gelten, so daß dies als eine Klärung des Begriffs der Anthropologie angesehen werden kann, die das Spezifische an den anthropologischen Arbeiten in den verschiedenen Disziplinen und auch in den verschiedenen Epochen erfaßt. Er schlägt vor, Begriffserklärung Anthropologie
„philosophische Anthropologie als die Bemühung um die Klärung von Begriffen und um die Begründung von Behauptungen zu verstehen, die für das menschliche Selbstverständnis von Bedeutung sind“. (164: 20; im Original kursiv)
Mit diesem Begriffsvorschlag erweist sich auch die uneinlösbare Forderung nach einem einheitlichen und umfassenden Begriff des Menschen als letztlich irrelevant; Roughley stellt zu Recht heraus, daß die nunmehr als Kern der Anthropologie erkennbaren Fragen nicht so beschaffen sind, daß sie „nach einer einheitlichen Antwort verlangen, die etwa in einer Wesensbestimmung des Menschen bestünde“. (164: 20) Die Frage nach dem menschlichen Selbstverständnis geht eben nicht aus von einem Gesamtentwurf des Menschseins und wird auch durch einen solchen Gesamtentwurf – sollte er denn überhaupt möglich sein – nicht beantwortet, sondern entsteht immer schon angesichts des gelebten Lebens, nämlich dann, wenn die Richtung oder Aspekte dieses Lebens fraglich werden. Dem entsprechend sind die Einsichten, die die Anthropologie bieten kann, nicht auf einen einheitlichen, alle Perspektiven und Komplexe berücksichtigenden Wesensbegriff des Menschen angewiesen, sondern können ihre Leistungsfähigkeit auch und gerade da erweisen, wo sie fragmentarisch bleiben. Ist Anthropologie mithin nicht als ein Wissen über den Menschen oder dessen Summe zu verstehen, sondern als der immer neu zu eröffnende und zu führende Prozeß der menschlichen Selbstklärung, so ist ihre Vielgestaltigkeit und Heterogenität kein Mangel, sondern entsteht aus der Sache selbst. Die Einheit in der Vielfalt anthropologischer Perspektiven entsteht wiederum daraus, daß dieser Bezug auf das menschliche Selbstverständnis deutlich wird; dadurch unterscheiden sich spezifisch anthropologische Beiträge von der bloßen Mehrung des Wissens über den Menschen, das keinen eigenen Begriff gegenüber ,Humanwissenschaften bzw. den Einzeldisziplinen erfordern würde. Ist somit Anthropologie von der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Menschen zu unterscheiden, so ist sie doch andererseits dadurch charakterisiert, daß sie sich im Überschneidungsfeld von em,
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3.4 Die anthropologische Unumgänglichkeit des Normativen
,Bestimmung des Menschen ,
pirischer Wahrnehmung des Menschen und einer normativen Bestimmung des Menschseins aufhält. Der bisher bewußt unscharf gebrauchte Begriff der „Bestimmung des Menschseins“ kann demnach in seiner doppelten Bedeutung geradezu als treffende Zuspitzung der anthropologischen Fragestellung gelten: Sie bleibt einerseits angewiesen auf die empirische Kenntnis, in der die konstitutiven Voraussetzungen des Menschseins untersucht werden; sie zielt andererseits auf die Debatte nach der Gestalt des Lebens, die den spezifischen Bedingungen des Menschseins entspricht. Gerade diese Zielsetzung macht aber das Eigentümliche der Anthropologie aus und unterscheidet sie von einer bloßen Akkumulation empirischer Forschung am Objekt Mensch, wie sie in zahlreichen Wissenschaften auch erfolgt, ohne daß dies schon Anthropologie genannt wird. Der mehr intuitive als definitorisch bestimmte Gebrauch oder Nichtgebrauch der Bezeichnung ,Anthropologie in den verschiedenen Wissenschaften belegt diesen Befund: So wird beispielsweise die Erforschung der Funktionszusammenhänge menschlicher Hormonproduktion nicht als anthropologische Untersuchung aufgefaßt; der Übergang zur Anthropologie findet aber dann statt, wenn behauptet wird, auf diese Weise ließe sich das menschliche Gefühlsleben erfassen. Dieser Übergang wird charakterisiert einerseits durch die Überschneidung mit dem Bereich menschlicher Selbsterfahrung – ,meine Gefühle sind hier unvermeidlicherweise angesprochen – , andererseits aber auch durch die in solchen Ansprüchen enthaltenen ethischen Implikationen: Sie sind ethische, weil sie das Selbstverhältnis der Menschen unmittelbar berühren. Hier liegt auch der Grund dafür, daß immer dann, wenn wissenschaftliche Untersuchungen das Feld des Anthropologischen berühren, sie sich einer großen öffentlichen Resonanz sicher sein können, die weit über ein innerwissenschaftliches Interesse hinausgeht. Das gegenwärtige Interesse an der Hirnphysiologie ist nicht primär medizinisch oder humanbiologisch begründet, sondern geht daraus hervor, daß das kulturell dominierende Verständnis vom Menschen von der naturwissenschaftlichen Erforschung des Gehirns als des menschlichen Zentralorgans Aufschluß über die grundlegenden Funktionsweisen, Möglichkeiten und Determinanten des Menschseins erwartet. Die Bestimmung der Möglichkeiten und Determinanten des Menschseins, denen die spezifisch anthropologische Bemühung in den Wissenschaften gilt, wurde traditionell als das ,Wesen oder die ,Natur des Menschen bezeichnet; sie steht mithin in der Kontinuität zu der Suche nach der conditio humana, wie sie in der Aufklärung als „Bestimmung des Menschen“ als die genuine Aufgabe verstanden wird, die in jedem einzelnen Leben zu verwirklichen ist (vgl. 156). In dieser Hinsicht sind Montaignes „Essais“ (100) und Pascals „Gedanken“ (102) für die anthropologische Reflexion von weitaus größerer Bedeutung als die Erforschung menschlicher Fossilien oder die Vermessung von Schädeln und Körperbau. Es liegt auch in der Konsequenz dieser Entwicklung, daß die Bestimmung der menschlichen ,Natur neuzeitlich als Domäne naturwissenschaftlicher Disziplinen verstanden wird, womit allerdings auch eine folgenreiche Verengung verbunden ist: Durch ihren spezifischen Zugang werden diejenigen Dimensionen des Menschseins abgeblendet, die aus methodischen Grün-
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3. Das Ende der Anthropologie
den aus der naturwissenschaftlichen Wahrnehmung ausgeschlossen werden. Darum bleibt diese Kontinuität meist verdeckt, weil in den wissenschaftlichen Anthropologien ein greifbares und konsistentes Bild vom Menschen kaum unmittelbar formuliert wird. Diese Verborgenheit eines ,Menschenbildes sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es zumeist um so wirksamer vorhanden ist; es manifestiert sich nicht selten in Aussagen etwa von dem Typ, daß Selbstbewußtsein und freier Wille letztlich ,nur eine Hirnfunktion seien, die Menschen sich also über ihre wahre Natur täuschten – wobei ,Natur dann wiederum auf biologische Faktoren reduziert wird. Alle Bestimmungen dessen, was der Mensch sei, sind ungeachtet ihrer jeweiligen sprachlichen Form und ihres wissenschaftlichen Kontextes nie nur beschreibend, sondern zugleich immer mit normativen Implikationen verbunden. Wer Aussagen über die ,Natur des Menschen formuliert – ob in naturwissenschaftlicher Hinsicht oder als philosophische oder theologische Reflexionen – , beschreibt nie nur neutrale Tatsachen, sondern legt zumindest auch Vorstellungen nahe, wie ein Mensch leben soll. Das gilt auch und gerade dann, wenn vordergründig lediglich deskriptive Aussagen etwa über die biologischen oder psychologischen Bedingungen des Menschseins getroffen werden: Handelt es sich wirklich um Determinanten des menschlichen Lebens, dann kann Leben nur gelingen, wenn es diesen Bedingungen entspricht, und muß scheitern, wenn es sich über sie hinwegsetzen will. Damit ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß dort, wo für die menschliche Gestaltung Spielräume gesehen werden, durchaus auch gefordert werden kann, die natürliche Anlage des Menschseins kulturell zumindest im Zaum zu halten, etwa um seinen angeborenen Aggressionstrieb zu zähmen (vgl. z. B. 49). Der Anspruch, daß auf diesem Weg die Biologie gleichsam in den Rang der ethischen Fundamentalwissenschaft einrückt, wird von Biologen mitunter ganz offen vertreten. Nun wäre allerdings zu verlangen, daß diese anthropologischen und ethischen Implikationen auch offengelegt und in ihrer ethischen Relevanz reflektiert werden. Weil dies freilich in den Wissenschaften kaum geschieht und auch kaum das Bewußtsein für die anthropologischen Voraussetzungen solcher Forschungen vorhanden ist, wäre es nicht zuletzt an der philosophischen und theologischen Anthropologie, zu deren zentralen Feldern die Reflexion auf Vorstellungen vom Wesen des Menschen gehören, diese aufzudecken und der kritischen Diskussion zu erschließen. Die eigentümliche Aufgabe der Anthropologie, mit den Mitteln der Wissenschaft zu dem Diskurs um das menschliche Selbstverständnis beizutragen, wie sie auch den Kern des anthropologischen Interesses und der anthropologischen Arbeit in den Wissenschaften ausmacht, wird in Philosophie und Theologie thematisch: Hier sind nicht nur Teilaspekte des Menschseins Gegenstand der Überlegungen und Forschungen, sondern hier ist im emphatischen Sinn die Einheit des Menschseins gefragt. Es ist also nicht nur eine geistesgeschichtliche Prägung, sondern in der anthropologischen Fragestellung begründet, daß Philosophie und Theologie hier engste Gesprächspartner sind; vielmehr gebührt ihnen anthropologisch in der Tat ein gewisser Vorrang, eben weil in ihnen explizit wird, was sonst nicht selten unreflektiert und damit unkritisch erfolgt. ,
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,Natur hat normative Implikationen ,
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Die Aufgabe philosophischer und theologischer Anthropologie
3.4 Die anthropologische Unumgänglichkeit des Normativen
Jede anthropologische Aussage ist folglich unmittelbar auf die Orientierungsfrage bezogen, die sich jedem Menschen implizit oder explizit stellt: Was macht menschliches Leben aus? Diese Frage ist offensichtlich nicht mit einer Information oder einer Reihe von sachlichen Auskünften zu beantworten, sondern zielt auf diejenigen fundamentalen Überzeugungen, die jedem individuellen Leben seine Richtung geben. Sie ist also eng verbunden mit der klassischen ethischen Frage danach, was ein Leben zu einem guten Leben macht. Darum muß auch der These von Christian Thies widersprochen werden, daß in der Anthropologie normative Begrifflichkeit völlig vermieden werden müsse (14: 12). Thies zieht die Konsequenz, die Anthropologie auf die Deutung und Integration empirischer Aussagen über den Menschen und Orientierung am Ganzen des Menschen (14: 36 – 38) zu reduzieren: Anthropologie wird eine „periphere Disziplin“ (14: 18). Auf diese Weise würden aber nicht nur die klassischen Fragen der Selbstorientierung des Menschseins aus der Anthropologie ausgeschlossen werden; eine solche enge Grenzziehung der anthropologischen Aufgabe würde konsequent beinahe alle publizierten anthropologischen Beiträge aus allen Disziplinen zurückweisen und sich auf die dann stereotype Warnung vor unzulässiger Normativität beschränken müssen. Mehr noch: Aus dem methodischen Verzicht auf normative Fragestellungen resultiert zumindest die Gefahr, die in den empirischen Aussagen enthaltene und fast durchweg verdeckte Normativität abzublenden und sie dann mitsamt ihrer ethischen Prämissen und ihrer ethischen Folgen als gesichertes Faktum auszugeben.
Exkurs: Ein ,naturalistischer Fehlschluß‘? Die hier vorgetragenen Überlegungen setzen sich dem Einwand aus, damit liege das vor, was seit George E. Moores großem Werk „Principia Ethica“ von 1903 häufig als „naturalistischer Fehlschluß“ bezeichnet wird. Darunter wird zumeist die schon von David Hume formulierte Kritik verstanden, daß aus einer Aussage über das Sein keine Forderung eines Sollens abgeleitet werden könne. Ein „naturalistischer Fehlschluß“ liege also z. B. dann vor, wenn aus der Tatsache, daß der Wohlstand in einer Gesellschaft ungleich verteilt ist, unmittelbar geschlossen würde, daß also Maßnahmen zu ergreifen wären, die diese Ungleichheit beseitigen oder zumindest vermindern. Dieser ,Schluß sei unzulässig, weil in ihm mindestens eine weitere wesentliche Bedingung enthalten ist, die nicht offengelegt wird: nämlich die Auffassung, daß die ungleiche Verteilung von Reichtum ungerecht sei – damit aber ist schon die Ebene der reinen Beschreibung verlassen, indem eine ethische Kategorie eingeführt wird. Diese Kritik ist in der ethischen und auch der anthropologischen Diskussion mittlerweile so selbstverständlich geworden, daß für viele Autoren die (zutreffende oder vermeintliche) Identifikation einer Argumentation als „naturalistischer Fehlschluß“ schon auszureichen scheint, um sie als erledigt zu betrachten. Die Folge für die Anthropologie müßte dann sein, daß auch hier sämtliche normativen Dimensionen auszuscheiden wären und nicht einmal die schlichte Beschreibung die Aufgabe der Anthropologie sein könnten, wenn irgendeiner ihrer Begriffe Bewertungen enthielte: Eben dies ist aber schlechterdings unmöglich. Darum liegen die Dinge erheblich komplizier-
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3. Das Ende der Anthropologie
ter (zum Problem vgl. insgesamt 162: 270 ff.). Jede Bestimmung dessen, was der Mensch sei, legt eine entsprechende Lebensführung und entsprechendes Handeln zumindest nahe, erst recht wenn sie Anspruch auf empirische Fundierung erhebt. So wäre etwa das Programm der Aufklärung, daß der Mensch, weil er ein Vernunftwesen sei, auch seine Vernunft gebrauchen solle, ein „naturalistischer Fehlschluß“, wenn dieses Sollen als unmittelbare Ableitung aus der menschlichen Natur behauptet würde – jedenfalls in dem reduzierten Sinn, in dem der Begriff ,Natur inzwischen zumeist verwendet wird. Aus der empirischen Bestimmung dessen, was Menschsein charakterisiert, ist dann eben nicht abzuleiten, wie er leben solle, was also seine Bestimmung in moralischer Hinsicht ausmache. Nun war den Aufklärern zweifellos klar, daß anthropologische und ethische Diskussion hier ineinander gehen; ihr Verständnis von menschlicher ,Natur ist sich dessen sehr wohl bewußt, daß dabei ethische Prämissen nicht abgeblendet werden können. Ob man nun diese Bestimmung der menschlichen Natur teilt oder nicht: Ein ,Fehlschluß – wenn hier überhaupt von einem Schluß die Rede sein kann – liegt jedenfalls nicht vor, wenn bewußt bleibt, daß die menschliche Natur selbst mit ethischen Begriffen beschrieben wird. Mehr noch: Es stellt sich die Frage, ob Menschsein überhaupt beschrieben werden kann, ohne daß dabei ethische Dimensionen im Blick sind. Es wäre mithin zu bedenken, ob es überhaupt nichttriviale Bestimmungen gibt, in denen die Wirklichkeit des Menschen sollensfrei definiert werden kann. Schon bei sehr einfachen Beschreibungen lassen sich deskriptive und normative Aussagen oft nicht trennen, worauf bereits Alasdair MacIntyre hingewiesen hat (158: 162; 159: 82 ff.). So läßt sich aus der Aussage „Diese Uhr geht täglich zehn Minuten nach“ unmittelbar das Werturteil ableiten, daß sie schlechter ist als eine genau gehende Uhr. Gegen dieses Argument ist eingewandt worden, daß auch hier die zusätzliche wertende Aussage „Uhren sollen genau gehen“ unterschoben worden sei. Freilich verfängt dieser Einwand nicht, weil eben das mit dem Begriff der Uhr gegeben ist: Wenn anders Uhren als Zeitmesser definiert sind – und eine andere ist bei der Vielzahl sehr unterschiedlicher Arten von Uhren nicht möglich – , so ist damit eine Funktion beschrieben, die eben erfüllt wird oder nicht. Auch das Eingangsbeispiel ist bei näherem Hinsehen nicht so eindeutig, wie es den Anschein hatte: Zwar geht aus der Tatsache, daß in einer Gesellschaft der Reichtum sehr unterschiedlich verteilt ist, nicht schon hervor, daß diese Unterschiede zu verringern oder zu beseitigen wären: Man kann bekanntlich die Auffassung vertreten, solche Unterschiede seien legitim oder sogar nützlich für alle. Daß aber unterschiedliche ethische Konsequenzen gezogen werden können, heißt eben noch nicht, daß es bei derartigen Sachverhalten möglich wäre, keine ethischen Implikationen zu berühren. Das Problem, auf das mit dem Argument des ,naturalistischen Fehlschlusses mit Recht aufmerksam gemacht wird, liegt also nicht schon in den ethischen Implikationen solcher Bestimmungen, sondern darin, daß gerade diese ethischen Dimensionen nicht hinter scheinbar ,rein deskriptiven Aussagen versteckt werden dürfen. In der Intention, den Schein ,reiner Sachlichkeit aufzulösen und auf der klaren Darlegung der normativen Zusammenhänge zu bestehen, liegt der bleibende und unverzichtbare Sinn dieser Kritik. Sie wird freilich kontraproduktiv, wenn sie zur Eliminie,
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ethische Implikationen unvermeidlich
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3.4 Die anthropologische Unumgänglichkeit des Normativen
rung des Ethischen überhaupt führen soll: nicht zuletzt weil dadurch die kritische Analyse der in Sachaussagen versteckten Normativität erschwert würde. Die (selbst wieder ethische) Folgerung daraus muß die Forderung sein, daß die Auseinandersetzung um normative Implikationen eben offen geführt werden muß. Weil jede nichttriviale Aussage über den Menschen normative Implikationen hat, ist die ausdrückliche ethische Debatte dabei unverzichtbar. ***
„Entwurf einer jeden Anthropologie … politische Konsequenzen [hat]. Was einer vom Menschen glaubt, wird nicht ohne Einfluß bleiben auf seine Auffassung von den Bedingungen und Zielen menschlichen Zusammenlebens.“ (145: 9)
Weil bei der Frage nach dem Menschen, seiner biologischen und gesellschaftlichen Natur, ,Sein und ,Sollen nicht unabhängig voneinander wahrgenommen werden können, muß die für das neuzeitliche Denken geradezu selbstverständliche Voraussetzung, daß Seinsaussagen Sollenssätzen logisch vorausgehen, als Vorurteil, zumindest aber als einseitig gelten: Wie wir den Menschen jeweils betrachten, ob als autonomes Subjekt, als gesellschaftlichen oder ökonomischen Akteur, als Organismus oder als Ebenbild Gottes, lenkt die mögliche Betrachtungsperspektive in eine je bestimmte Richtung. Seinsaussagen über den Menschen sind abhängig von der jeweils vorausgesetzten Perspektive, in die immer schon anthropologische Grundannahmen eingehen.
kein ,Setzen von Normen ,
Läßt sich das Problem der Normativität in der Anthropologie also nicht durch die Eliminierung normativer Sätze lösen, ohne daß dabei die Anthropologie um ihre Substanz gebracht würde, so zeigten die Überlegungen zum ,naturalistischen Fehlschluß‘, daß dies auch gar nicht notwendig ist; im Gegenteil: Besteht der Kern dieser Kritik in der Zurückweisung illegitimer, weil verborgener und verdeckter Normativität, so wird dem gerade dann Rechnung getragen, wenn solche normativen Implikationen aufgedeckt und kritisch in den anthropologisch-ethischen Diskurs eingebracht werden. Dabei ist wiederum zu beachten, daß daraus für die Anthropologie keineswegs folgt, sie hätte selbst etwa Normen zu setzen. Hier ist genau zu unterscheiden: Aus der Unvermeidlichkeit normativer Begrifflichkeit in der Anthropologie ist eben nicht abzuleiten, daß die Aufrichtung von Normen – und seien sie auch (vermeintlich) aus empirischen Beobachtungen abgeleitet – die Aufgabe der Anthropologie wäre; die normative Aufgabe der Anthropologie besteht vielmehr darin, daß in ihr die Interdependenz von empirischen und phänomenologischen Aussagen über das Menschsein – die Wirklichkeit kommt in den empirischen Zugängen allemal zu kurz – einerseits und ethischen Prämissen andererseits zur Geltung kommt. Damit ist die spezifisch ethische von der anthropologische Fragestellung zu unterscheiden, aber auch in ihrer wechselseitigen Verwiesenheit wahrzunehmen: Ethische Argumentationen basieren ebenso auf anthropologischen Prämissen wie anthropologische Aussagen nicht von ihren empirischen Implikationen zu lösen sind. Wolf Lepenies und Helmut Nolte betonen mit Recht, daß der
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3. Das Ende der Anthropologie
Weil es bei der Frage, was der Mensch sei, nicht nur um ein distanziert feststellbares Sein des Menschen geht und gehen kann, sondern vor allem um Antworten auf die Frage, wie ein Mensch leben soll, darum muß Anthropologie allemal umstritten sein: Unterschiedliche Antworten, unterschiedliche Richtungen, unterschiedliche Interessen, unterschiedliche Vorstellungen, was das Menschsein sei, stehen hier zur Debatte. Diese Debatte läßt sich nicht abschneiden durch scheinbar gesichertes empirisches Wissen, weil dieses Wissen auf Voraussetzungen basiert, die selbst wieder strittig sind. Die Anthropologie erweist sich gerade als der Ort, an dem sich fundamentale Wertentscheidungen sinnvoll diskutieren lassen. Die für die anthropologische Reflexion eigentümlich normative Aufgabe besteht in der Klärung der normativ aufgeladenen Vorstellungen vom Menschen, in denen wir uns immer schon vorfinden. Die spezifisch anthropologische Fragestellung reflektiert dabei die durch unsere leibliche Natur gegebenen Bedingungen in ihrer Wechselwirkung mit den kulturell vorgegebenen Vorstellungen vom menschlichen Leben.
4. Thema und Eigenart theologischer Anthropologie Was als das Ende der Anthropologie in ihrem traditionellen disziplinären Sinn beschrieben wurde, kann auch die Chance eines Neueinsatzes der theologischen Anthropologie eröffnen: Sie muß sich weder als disziplinäre Alternative oder Überbau konstituieren noch anthropologischen Theorien oder fertige Resultate aus anderen Wissenschaften übernehmen. Die Bedingungen einer eigenständigen theologischen Anthropologie werden in diesem Abschnitt zunächst in einem Durchgang durch exemplarische Entwürfe aus dem 20. Jahrhundert untersucht. Die Erinnerung an Luthers „Disputatio de homine“ zeigt, wie im Verzicht auf die Konstruktion einer geschlossenen Lehre vom Menschen die genuin theologische Rede vom Menschen ihre Konturen gewinnt. Sie verweist auf die biblische Rede vom Menschen, die Perspektiven für eine realistische Wahrnehmung des ganzen Menschseins eröffnet. Der Überblick über die Ausformungen der Anthropologie in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen hatte gezeigt, daß hier weder ein einheitlicher Gegenstand gegeben ist noch eine Methodik, die diese verschiedenen Wissenschaftsgebiete so verbindet, daß der gemeinsame Name Anthropologie gerechtfertigt wäre. Dabei lassen sich die verschiedenen Ansätze und Forschungsrichtungen auch nicht entlang der akademisch eingespielten Grenzen aufteilen: Naturwissenschaftliche und kulturwissenschaftliche Anthropologien lassen sich nicht klar unterscheiden und sind auch nicht in sich homogen. Schon die Bedeutung biologischer Beschreibungen in der philosophischen Anthropologie des 20. Jahrhunderts erweist diese Grenzziehung als irreführend, erst recht die moralischen, politischen und ethischen Implikationen und Folgerungen naturwissenschaftlicher Anthropologien. In der Terminologie der gängigen Wissenschaftssystematik müßte formuliert werden: Anthropologie ist, auch wenn sie sich naturwissenschaftlicher Methoden bedient, letztlich keine Natur-, sondern eine Kulturwissenschaft, deren Interesse freilich wesentlich auf den Menschen als Naturwesen gerichtet ist. Die naheliegende, pragmatisch aber ohnehin unrealistische Folgerung, angesichts dieser Situation den Begriff ganz zu vermeiden, würde jedoch verdecken, daß die so heterogenen Anthropologien doch durch ein gemeinsames Interesse verbunden sind, das freilich oft nur unausgesprochen wirksam ist. Dieses Interesse aber ist, so zeigte sich, ein irreduzibel normatives: Jede Bestimmung dessen, was der Mensch sei, enthält zumindest implizite Annahmen darüber, was der Mensch sein soll. Anthropologie ist mithin nicht als eine vermeintlich neutrale Wissenschaft vom Menschen zu entwerfen, sondern muß sich ihrer eigenen Normativität kritisch innewerden; ihre Aufgabe als Wissenschaft ist es wiederum, diese Auseinandersetzung, wie sie auch gesellschaftlich und politisch geführt wird – und offener geführt werden müßte – , kritisch und klärend zu begleiten.
kritische Reflexion der Normativität
4. Thema und Eigenart theologischer Anthropologie
Gegenstand der theologischen Anthropologie ist darum gerade nicht „die Explikation derjenigen Strukturmerkmale, die dem Menschen als Menschen zukommen“ (263: 22), weil solche Strukturmerkmale in einem nichttrivialen Sinn gar nicht auszumachen sind. Derartige ,Strukturmerkmale enthalten so viele Voraussetzungen, daß jede Bestimmung des Wesens des Menschen anhand solcher Merkmale beinahe beliebig erscheint. Jeder Bestimmung von Strukturmerkmalen liegen bereits die anthropologischen Vorentscheidungen zugrunde, in deren Diskussion die eigentliche Aufgabe der Anthropologie liegt. Erst recht kann keine allgemeine Anthropologie zur Voraussetzung einer theologischen gemacht werden, weil, wie der Durchgang durch die wissenschaftlichen Anthropologien gezeigt hat, eine konsensfähige allgemeine Anthropologie gar nicht existiert. Wäre Anthropologie entweder eine Wissenschaft, die unter Abblendung und Verdrängung aller normativen Elemente den Menschen als Naturding zu beschreiben unternehmen wollte oder aber das Unternehmen einer methodisch wie immer begründeten Wesensbestimmung des Menschen, so wäre eine theologische Anthropologie letztlich nicht möglich, weil in diesem Rahmen gar nicht zur Geltung kommen könnte, was theologisch vom Menschen zu sagen ist. Indem sich aber das Programm einer Anthropologie als distanzierte Wissenschaft vom Menschen als Selbsttäuschung erwiesen hat, entsteht eine neue Gesprächssituation, die freilich auch für die theologische Anthropologie die Aufgabe des Versuchs einer geschlossenen Lehre vom Menschen bedeutet. Auch und gerade theologische Anthropologie kann konsequenterweise nur fragmentarisch, kritisch und experimentell verfahren. Sie entspricht darin der von Thomas Rentsch formulierten Einsicht, daß ,
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fragmentarisch, kritisch, experimentell
„wir auch uns selbst, unser Wesen, nicht erkennen und nicht zur Gänze objektivieren können. Würden wir es versuchen – und wir tun es auf diskursiv-endliche Weise immer wieder – , so wären es doch wieder wir selbst, die handelnd unobjektivierbarer Grund dieser Objektivationsleistungen sind. Weder uns selbst, noch die Anderen können wir anders denn gebrochen kommunikativ transparent machen.“ (163: 120)
Theologische Anthropologie kann ihren Standort folglich nicht über der wissenschaftlichen Anthropologie suchen, weil ihre genuinen Einsichten auf Grundlagen basieren, die in den Wissenschaften nicht ohne weiteres Geltung beanspruchen können und auch im öffentlichen Diskurs nicht durchweg geteilt werden. Sie steht aber auch nicht nach den wissenschaftlichen Anthropologien, weil in der Auseinandersetzung um das Menschsein keine Position eine gesicherte Grundlage beanspruchen kann: Auch empirische Aussagen über den Menschen setzen allemal anthropologische Behauptungen voraus. Ihr Ort ist vielmehr neben anderen Zugängen zur anthropologischen Fragestellung, mit denen sie in einen offen Dialog und Disput eintritt. Die Aufgabe der theologischen Anthropologie ist die Entfaltung und Reflexion einer genuinen Rede vom Menschen, die sich durch wissenschaftliche und philosophische Anthropologien anregen läßt und ihre Impulse aufnimmt, dabei aber auch durchaus kritisch und konfrontativ gegen anthropologische Ansprüche argumentiert.
4.1 Theologische Entwürfe zur Anthropologie im 20. Jahrhundert
4.1 Theologische Entwürfe zur Anthropologie im 20. Jahrhundert Theologische Anthropologie ist, dem Begriff nach, ein Kind des 20. Jahrhunderts. Noch 1957 stellt Karl Rahner fest, daß es in der katholischen Theologie „noch keine A.[nthropologie] als jene geschlossene u.[nd] aus einem ursprüngl.[ichen] Ansatz heraus“ (36: 622) entwickelte theologische Anthropologie gebe; auch in der evangelischen Theologie liegen erst seit den dreißiger Jahren Ansätze zu einer selbständigen Anthropologie vor. Aber auch wenn die Anthropologie kein anerkanntes und entwickeltes Lehrstück in der Dogmatik war, so wurde das Thema ,Mensch in der Theologie immer schon behandelt, freilich in einer Weise, die von dem neuzeitlichen Verständnis von Anthropologie erheblich abweicht. Theologie implizierte immer eine spezifische Auffassung des Menschseins; diese wurde aber kaum in einer systematisch geschlossenen Gestalt entfaltet, sondern war vielmehr in den verschiedenen theologischen Themen präsent. Von Gott kann theologisch nur so die Rede sein, daß sein Handeln an den Menschen im Blick ist; eine isolierte Götterrede, wie sie möglicherweise in der Mythologie erscheinen mag, kennt die christliche Theologie eben nicht, weil ihr Thema der Gott ist, der in Beziehung zum Menschen ist. Eben darum ist aber auch der Einsatz bei einer vorgängigen Bestimmung des Menschseins theologisch problematisch: Im Rahmen einer durch die Bibel geprägten Tradition kann wiederum vom Menschen nur so die Rede sein, daß eben das Handeln Gottes den Ausgangspunkt vorgibt. Eine Lehre vom Menschen, die etwas anderes wäre als eben Theologie – Rede von Gottes Handeln – , würde aufhören, theologische Rede zu sein; gerade darum muß sie zugleich Rede vom Menschen sein. In der reformatorischen Theologie führte diese Einsicht zu der Definition der Theologie als cognitio dei et hominis: „Theologie ist demzufolge immer auch, und zwar wesentlich und nicht nur beiläufig oder zufällig, Rede vom Menschen. Erst wenn sie vom Menschen spricht, ist sie ganz bei ihrer Sache.“ (234: 191) Die Ausbildung einer eigenständigen theologischen Anthropologie war über den Großteil der Theologiegeschichte darum nicht nötig und sinnvoll; erst die kritische Rezeption neuzeitlicher Anthropologie, die den Menschen ,aus sich selbst heraus verstehen will, läßt die Herausforderung einer selbständigen theologischen Anthropologie entstehen. Die Unterscheidung zu anderen Disziplinen ist darum alles andere als eine akademische Verteidigungsstrategie, sondern um der Sache willen nötig, um die es der Theologie gehen muß: Während neuzeitliche Anthropologie programmatisch ohne Rekurs auf Gott konstruiert ist, muß das Thema theologischer Anthropologie der Mensch vor Gott sein. Weil theologische Anthropologie in einer spezifischen Weise vom Menschen sprechen muß, ist die Reflexion auf ihre Eigenart in jedem der hier im folgenden exemplarisch kurz vorgestellten Entwürfe gegenwärtig. Die Darstellung muß sich im Rahmen dieser Einführung auf Ansatz und Kontur der jeweiligen anthropologischen Entwürfe konzentrieren und kann selbstverständlich der Fülle der dort entfalteten Einsichten über das Menschsein nicht gerecht werden.
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4. Thema und Eigenart theologischer Anthropologie
4.1.1 Rudolf Bultmann: Existenzielle Anthropologie Die Spannung, in der theologische Anthropologie stehen muß, zeigt sich exemplarisch bei Rudolf Bultmann. Seine Kritik an der liberalen Theologie, daß diese statt Gott vom Menschen gehandelt habe, wurde bereits zitiert (s. o. S. 35); mit dieser scharfen Formulierung scheint die Möglichkeit einer theologischen Anthropologie verschlossen. Derselbe Aufsatz endet freilich, ohne in irgendeiner Weise die genannte theologische Grundentscheidung zurückzunehmen, mit der Aussage: „Gegenstand der Theologie ist ja Gott, und von Gott redet die Theologie, indem sie redet vom Menschen, wie er vor Gott gestellt ist, also vom Glauben aus.“ (202: 25). Von diesem ebenso dezidiert formulierten Satz ausgehend kann wiederum auch gesagt werden, daß Bultmanns ganze Theologie anthropologisch ausgerichtet ist. Der scheinbare Widerspruch löst sich auf, wenn man sich vor Augen führt, daß in den beiden Sätzen nicht in gleicher Weise vom Menschen die Rede ist. Bultmanns Kritik richtet sich gegen eine Theologie, die insofern vom Menschen ausgeht, als sie zunächst das ,natürliche Menschsein bestimmen will und dieses religiös überhöht: Gott erscheint dann als Garant und Vollender der menschlichen Fähigkeiten und Ideale. Dem hält Bultmann entgegen, daß theologisch nur so vom Menschen gesprochen werden kann, „wie er vor Gott gestellt ist“. Vor Gott aber ist der Mensch Sünder in einem radikalen Sinn: Sünde sind nur manche oder alle seiner Taten, erst recht nicht, daß der Mensch immer wieder hinter seinen eigenen Idealen zurückbleibt; die ganze Ausrichtung seines Lebens vielmehr ist verkehrt. Die Grundsünde des Menschen ist, „daß er als Mensch sich behaupten will“ (202: 19, im Original kursiv), sich also selbst zu Gott macht, indem er auf seine eigenen Kräfte und Werke beharrt, statt sich der Gnade Gottes anzuvertrauen. Deshalb steht der ganze Mensch unter dem Gericht Gottes. Weil es aber das Gericht Gottes ist, vernichtet es den Sünder nicht, sondern bedeutet seine Erlösung. So erwächst aus dem Zerbrechen des menschlichen Selbstbehauptungswillens gegen Gott die Befreiung des Menschen zu sich selbst. Theologie und Anthropologie fallen für Bultmann in dem spezifischen Sinn zusammen, daß aus dem Glauben ein neues Verstehen von Gott, Welt und Mensch erwächst: Dieses neue Selbstverständnis des Menschen kann jedoch nicht verstanden werden „als ein aus dem menschlichen Dasein selbstmächtig sich erhebendes Selbstverständnis, sondern als ein durch Gott ermächtigtes, durch sein Handeln erschlossenes“. (203: 587) Diese für Bultmanns Theologie zentralen Überlegungen bewegen sich offensichtlich in den Bahnen der Rechtfertigungstheologie Luthers; sie sind aber vor allem eine Nachzeichnung der neutestamentlichen Theologie, wie sie der Exeget Bultmann besonders aus seiner Auslegung der Paulusbriefe gewinnt. Um diese Einsichten zu formulieren, kann er sich der Terminologie der Existenzanalyse Heideggers bedienen, um sie freilich in einer sehr eigenständigen Weise zu gebrauchen; darum ist der Theologie Bultmanns gegenüber weder die Frage sachgemäß, ob er Heidegger ,richtig verstanden habe, noch erst recht der Vorwurf, er habe die Theologie in die Gefangenschaft dieser Philosophie geführt. Heideggers Existenzanalyse erscheint Bultmann vielmehr als das geeignete Werkzeug, um dem Denken seiner Zeit die Krise des menschlichen Selbstverständnisses vor Augen zu führen. ,
Existenzanalyse
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4.1 Theologische Entwürfe zur Anthropologie im 20. Jahrhundert
Die theologische Antwort auf diese Krise muß dann freilich anders ausfallen als die philosophische: Das rechte Selbstverständnis des Menschen ist gerade nicht aus eigener Bemühung zu gewinnen, sondern letztlich unverfügbar, weil es allein von Gott geschenkt werden kann. Darum ist mit „dem neuen Selbstverständnis des Glaubenden … ja nicht das Verstehen im Sinne einer wissenschaftlichen Anthropologie gemeint, die den Menschen zu einem Phänomen der Welt objektiviert, sondern ein existentielles Verstehen meiner selbst in eins mit meinem Verstehen von Gott und Welt.“ (203: 587)
Die Ausbildung einer selbständigen theologischen Anthropologie ist daher für Bultmann kein sinnvolles Unternehmen, weil zum einen anthropologische Entscheidungen in allen Stücken der Theologie von Bedeutung sind, vor allem aber, weil eine isolierte Anthropologie den Menschen zu einem Gegenstand der Welt machen würde und ihn so gleichsam „von außen“ betrachten würde. Eben das aber wäre für ihn der anthropologische Grundfehler, der ein angemessenes Selbstverständnis des Menschen schon im Ansatz verhindern müßte. Selbstverständnis impliziert notwendigerweise, daß hier eine objektivierende Distanz unmöglich ist; Bultmann spricht ausdrücklich von „meinem Verstehen von Gott und Welt“ und markiert damit den für seine Überlegungen unerläßlichen Wechsel in die erste Person Singular. Weder von Gott noch vom Menschen ist darum ,objektivierend zu reden, wenn wirklich von Gott und dem Menschen die Rede sein soll. Das neue Selbstverständnis, das aus dem Glauben kommt, ist eben keine theoretische Angelegenheit, sondern verwandelt mein ganzes Leben; das bedeutet aber auch, daß von Gott nicht abstrakt und distanziert gesprochen werden kann. Wenn wirklich von Gott und keinem abstrakten Gottesgedanken die Rede ist, dann geschieht das in der Begegnung mit dem Gott, der mich anspricht und mich betrifft. Die Unmöglichkeit einer Anthropologie, die den Menschen zu einem Gegenstand in der Welt macht, führt bei Bultmann allerdings dazu, daß die theologische Anthropologie letztlich in einem Punkt kondensiert, der als solcher unanschaulich ist und nur in je meiner Existenz vollzogen werden kann. Dieser Punkt ist eben das Zerbrechen der selbstmächtigen Existenz und der Hingabe an Gottes Rechtfertigung; die Hingabe ist wiederum nicht als einmaliger Akt oder Zustand zu denken, sondern vollzieht sich je neu und aktual. So konzentriert sich Bultmanns theologische Anthropologie in dem immer neuen Moment des Übergangs von der alten zur neuen Existenz; sie wird zum Ruf in die Entscheidung und muß darum auch jede Konkretion in der Beschreibung der neuen Existenz sogleich zurücknehmen, weil so die theologische Anthropologie doch wieder in die Anschaulichkeit und Objektivierung verfallen würde. Daraus entsteht ein doppeltes Problem: theologische Anthropologie wird zur steten Wiederholung der Grundsituation der Entscheidung, und sie muß der Entscheidung des Menschen eine Bedeutung zumessen, die die Radikalität des Gerichtsgedankens zumindest relativiert – wer ist der Mensch, der eine derartige Entscheidung zu treffen vermag? ,
nicht objektivierbar
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4. Thema und Eigenart theologischer Anthropologie
4.1.2 Emil Brunner: Anthropologie im Widerspruch Unter dem Titel „Der Mensch im Widerspruch“ (200) von 1937 legte Emil Brunner ein umfangreiches Werk vor, das als erste große selbständige – also nicht in den Rahmen einer Gesamtdarstellung der Dogmatik integrierte – theologische Anthropologie gelten kann. Dabei formuliert der Titel, wie auch der der 1957 veröffentlichten Kurzfassung „Gott und sein Rebell“ (201) die zentrale These, Methode und den Ausgangspunkt von Brunners Überlegungen zugleich: Der Mensch ist theologisch sachgemäß nur aus seinem Widerspruch zu Gottes Willen zu verstehen; diesen Widerspruch auch und gerade im säkularen Selbstverständnis des Menschen aufzudecken, erkennt Brunner als die wesentliche Aufgabe theologischer Anthropologie, die er in umfangreichen Auseinandersetzungen durchführt. Theologische Anthropologie ist demnach für Brunner ein wesentlich polemisches Unternehmen. Sie bewegt sich im Vorfeld der Theologie, weil sie „die Voraussetzungen der eigentlichen Botschaft zum Gegenstand“ (200: 500) hat; diese Arbeit ist aber von besonderer Bedeutung, weil sie die Selbstverhärtungen des modernen Bewußtseins aufbrechen muß, mit dem sich der Mensch gegen den Anruf Gottes abschließt, und auf diese Weise ein Hören des Evangeliums erst ermöglicht. Damit ist in der Negation bereits das positive Kernstück der materialen Entfaltung von Brunners theologischer Anthropologie genannt: Der Mensch ist das Wesen, das in besonderer Weise von Gott angesprochen und auch fähig zur Antwort ist. „Der Mensch ist bestimmt, in glaubender Gegenliebe Gott zu antworten, seine ihm von Gott zugerufene Bestimmung in dankbarer Abhängigkeit als sein Leben hinzunehmen.“ (200: 89) Diese Fähigkeit zur Antwort auf Gottes Anruf impliziert aber auch, daß der Mensch verantwortlich ist; Brunner konkretisiert damit die klassische Lehre von der Ebenbildlichkeit des Menschen, indem er die optische und damit irreführende Metapher von Bild und Abbild (die auch den biblischen Sinn von ,Ebenbildlichkeit verfehlt; vgl. dazu u. 5.1.1) durch das Begriffspaar Wort und Antwort ersetzt. Gegen die ontologische Perspektive setzt Brunner so eine ethische: „Der Mensch hat den Gehalt seines Seins im Wort Gottes, darum ist sein Wesen: Verantwortlichkeit aus Liebe, in Liebe, zu Liebe.“ (200: 89) Für Brunners Entwurf ist entscheidend, daß die Verantwortlichkeit als Grundbestimmung auch außerhalb der theologischen Wahrnehmung zur Geltung gebracht werden kann; die polemische Arbeit dient eben dem Nachweis, daß „auch der Ungläubige nicht ohne Gottesbeziehung und eben darum verantwortlich sei“ (200: IX). Darum ist sein schärfster Gegner ein Verständnis des Menschen, das diesen allein ,aus sich selbst verstehen will, wie dies im Konzept der vollständigen Autonomie des Menschen geschieht. Brunner will und muß darum zeigen, daß diese Autonomiekonzeption auf einem Selbstwiderspruch basiert. ,
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Kritik der Autonomie
„Denn tatsächlich ist eben die Vernunft nicht autonom, ist der Mensch auch in seiner Vernunft nicht gottgleich, ist er nicht sein eigener Schöpfer und Herr, und wird er am allerwenigsten frei dadurch, daß er sich vom Grund seiner Freiheit, vom Wort Gottes, emanzipiert. Diese Freiheit ist seine Lüge, und diese Lüge manifestiert sich im Widerspruch seines Wesens.“ (200: 501)
4.1 Theologische Entwürfe zur Anthropologie im 20. Jahrhundert
Der „Mensch im Widerspruch“ ist so nicht nur eine theologische Bestimmung, die ihn als im Widerspruch zu Gott befindlich erkennt, sondern manifestiert sich auch als Selbstwidersprüchlichkeit im Existenzverständnis des sich als autonom setzenden Menschen. Der „wirkliche Mensch“ und der „wahre Mensch“ sind in Gegensatz zueinander geraten: Der „wirkliche Mensch“ ist „ein gespaltenes Wesen und ist sich seiner Gespaltenheit auch immer irgendwie bewußt“. (200: 7). Wenn die Vernunft zur Einsicht dieser Gespaltenheit kommt, muß sie einräumen, daß das Programm ihrer Selbstbegründung scheitern muß; „diese Sicht des kranken, gespaltenen Menschen ist zugleich Beginn der Heilung, und der Beginn der Heilung des kranken Menschen ist gerade diese Sicht seiner selbst“. (200: 500 f.) Hier ist freilich in Brunners Entwurf eine unaufgelöste Spannung festzustellen: Einerseits nämlich ist nach Brunner „diese Sicht vom WiderspruchMenschen … nur im Glauben möglich“ (200: 501), andererseits ist die Einsicht in die Gespaltenheit des Menschen auch als Voraussetzung dafür gedacht, die Verabsolutierung der Autonomie zu durchbrechen, um so bereit zu werden für den Anruf Gottes. Dieselbe Spannung teilt sich Brunners Verständnis der Vernunft selbst mit: Einerseits ist sie in der Sünde völlig verdunkelt, andererseits doch dasjenige Vermögen, das zumindest als formale Bedingung dafür, daß der Mensch den Anruf Gottes vernehmen kann, durch den Sündenfall nicht verloren wurde.
4.1.3 Karl Barth: Christologische Anthropologie Karl Barth entfaltet die Lehre vom Menschen durchaus konventionell im Rahmen der Schöpfungslehre; ihre Durchführung allerdings ist alles andere als konventionell. Er folgt den Grundeinsichten seiner Theologie, wenn er sich konsequent einer Definition des Menschen verweigert: Von der menschlichen Selbsterkenntnis führt kein Weg zur Erkenntnis des von Gott geschaffenen Wesens, also zur Erkenntnis des wahren und auch des wirklichen Menschen, wie Barth in deutlicher Opposition zu Brunners Anthropologie formuliert. Der wirkliche Mensch ist für Barth nicht schon der ,tatsächliche‘, empirisch feststellbare Mensch, weil schon hier – bei Barth unter Vorbehalt vorgenommenen Betrachtung unter Absehung von der Wirklichkeit des Menschen vor Gott – offenkundig wird, daß wir „uns tatsächlich beständig auch noch ganz anders als in naturwissenschaftlicher Sicht“ (199: 106) sehen. Vom Menschen kann nur die Rede sein, wenn auch sein Wollen, Verhalten und Handeln, also auch die ethische Dimension im Blick ist (ebd.). Aber auch diese Erweiterung reicht zum Verständnis des wirklichen Menschen nicht aus: Um die Wirklichkeit des Menschen erkennen zu können, muß mehr im Blick sein als nur das Menschliche. Diese Einsicht ist bei Barth freilich keineswegs ein Abbruch des Gesprächs mit den Wissenschaften und der Philosophie, wie dies oft fälschlich unterstellt wurde. Vielmehr betont Barth eine – auch wissenschaftstheoretisch wohlbegründete – Unterscheidung von Wissenschaft und Weltanschauung (vgl. 199: 462 f.). Wo diese Grenze beachtet wird, bedarf sie aber auch keiner Bevormundung; eine „exakte Wissenschaft vom Menschen als solche kann nicht der Feind des christlichen Bekenntnisses sein“. (199: 26) Einer spekulativen Anthropologie aber, die „zu einer absoluten Synthese, zu
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4. Thema und Eigenart theologischer Anthropologie
einem die Wirklichkeit erschöpfenden System der Wahrheit“ (199: 24) meint vordringen zu können, kann „man anders als mit der Entgegenstellung des christlichen Bekenntnisses nicht begegnen“ (ebd.): Die Auseinandersetzung mit solchen Weltanschauungen trägt für Barth zur positiven Entfaltung einer theologischen Anthropologie nichts bei. Barth zieht damit auch die Konsequenz aus den geschichtlichen Erfahrungen im 20. Jahrhundert, welche unmenschlichen Folgen der Versuch der Verwirklichung von Idealisierungen des Menschen haben kann. Der theologischen Einsicht in das Sündersein des Menschen geht nach Barth aber immer schon die Erkenntnis voraus, daß Gott den Menschen angenommen und zu seinem Gegenüber geschaffen und erwählt hat. Aber auch diese Erwählung gilt nicht einem abstrakten menschlichen Sein, sondern konkretisiert sich in der Erwählung Jesu Christi, die wiederum die Erwählung aller Menschen nicht schmälert oder ihr konkurriert, sondern vielmehr deren Grund und Wirklichkeit ist. „In Gottes Verhalten zu diesem Menschen fällt die Entscheidung, daß Gottes Gnade das Erste, des Menschen Sünde das Zweite, und daß jenes Erste mächtiger ist als dieses Zweite.“ (199: 48).
keine Wesensdefinition
Sozialität statt isoliertes Subjekt
Darum muß die Anthropologie auf die Christologie begründet sein (199: 50), was gerade nicht bedeutet, daß Barth die Anthropologie durch Christologie ersetzen wollte. Vielmehr erwächst von hier aus gerade die Freiheit, die Phänomene des Menschlichen ernstzunehmen, ohne sie überhöhen oder in ein anthropologisches System einpassen zu müssen. Die Konsequenzen dieses Ansatzes für die theologische Anthropologie sind weitreichend sowohl in Hinblick auf ihre Systematik wie auf die Wahrnehmung des Menschlichen: 1) Indem Barth die Frage nach dem Menschsein damit gerade nicht ontologisch, also durch das Aufsuchen invarianter Wesensmerkmale des Menschen, sondern dezidiert christologisch, also im Blick auf diesen einen Menschen Jesus Christus beantwortet, ist es nicht ein Allgemeines, sondern die einzelne Lebensgeschichte, an der sich das Wesen des Menschen entscheidet. Die Geschichte Jesu wiederum ist gerade kein Ideal, das zu verwirklichen wäre; sie kann auch nicht imitiert werden, weil sie eine ganz und gar einzigartige Geschichte ist. Nicht in der Wiederholung dieser Geschichte, sondern in ihrer Verbindung mit meiner Lebensgeschichte realisiert sich die Geschöpflichkeit jedes Menschen. Damit ist die Tendenz der Anthropologie zur Verdrängung der Vielgestaltigkeit menschlichen Lebens durchbrochen: Wenn die Menschlichkeit des Menschen nicht in der Erfüllung eines Normbildes, sondern in ihrer Relation zu Christus besteht, ist auch die Menschlichkeit eines Lebens je individuell. 2) Barth läßt die traditionelle Fixierung auf das Vernunftsubjekt hinter sich und nimmt menschliches Leben konsequent in den Beziehungen wahr, die es konstituieren: die Beziehung zu Gott ebenso wie die zu anderen Menschen. Diese wesentliche Sozialität des Menschseins erscheint bereits in der biblischen Schöpfungsgeschichte als Kennzeichen des Geschöpfs Mensch: Gott schuf sie als Mann und Frau. Menschsein ist somit nicht auf ein Bild zu bringen; vielmehr ist menschliches Leben in seiner Verschieden-
4.1 Theologische Entwürfe zur Anthropologie im 20. Jahrhundert
heit jeweils mit anderen Menschen verbunden. Humanität ist „die Bestimmtheit unseres Seins als ein Sein in der Begegnung mit dem anderen Menschen.“ (199: 296) Damit ist zugleich die ethische Dimension des Menschseins benannt, die Barth wiederum nicht auf die Aktivität des Menschen verkürzt: „Unmenschlich wäre beides: ein Handeln, in welchem wir dem Anderen unseren Beistand verweigern, und ein Handeln, in welchem wir auf seinen Beistand verzichten wollten.“ (199: 314) Auch darin bleibt Barth an der Lebenswirklichkeit, daß er menschliches Leben nicht allein oder vorrangig als tätiges auffaßt, sondern gerade in seiner wesentlichen Empfänglichkeit wahrnimmt. 3) In ihrer christologischen Ausrichtung kann auch die Leiblichkeit des Menschseins zur Geltung kommen, weil weder Vernunft noch Spiritualität die Last des eigentlich Menschlichen tragen müssen. Menschliches Leben ist geschöpfliches Leben; darin sind die leiblichen wie die affektiven und geistigen Dimensionen gleichermaßen von Bedeutung. Gegenstand der Anthropologie bei Barth ist darum das einzelne menschliche Leben in seiner jeweiligen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft: „Der Mensch in seiner Zeit.“ (199: 524 ff.) Zur wesentlichen Zeitlichkeit des menschlichen Lebens gehört auch seine Ausrichtung auf die Zukunft Gottes, die sein wahres Wesen erst ganz an den Tag bringen wird. Daß das Menschsein in Christus anschaulich ist, bedeutet auch, daß Menschen nie in der Lage sind, es ganz zu ergreifen. Menschsein ist so der Weg, sich von seiner in Christus erschienenen Wahrheit formen zu lassen. Solches Leben ist eschatologisch bestimmt; es „bejaht Jesus Christus als sein Jenseits“ und darum versteht es „sein Diesseits als bejaht von seinem Jenseits her“. (199: 780)
4.1.4 Karl Rahner: Transzendentale Anthropologie Als Charakteristikum des theologischen Werks von Karl Rahner wird häufig die ,Wende zur Anthropologie genannt: Er fordert programmatisch, daß „die dogmatische Theologie heute theologische Anthropologie sein muß“ (221: 43) und es letztlich sogar möglich wäre, „die ganze Dogmatik in die theol.[ogische] A.[nthropologie] hineinzuholen“. (36: 625) Dennoch geht die oft geäußerte Kritik fehl, Rahner würde die Theologie auf Anthropologie reduzieren, weil Rahners Forderung erst dann erfüllt wäre, wenn wirklich die ganze Theologie anthropologisch reformuliert würde und eben dadurch in ihrer unverkürzten Substanz unter den Verstehensbedingungen der Gegenwart zur Geltung gebracht würde. Zudem ist in solcher Kritik ein Verständnis von Anthropologie vorausgesetzt, das Rahner fernliegt: Sein Thema ist gerade nicht der ,natürliche Mensch, wie er von den Wissenschaften erfaßt werden könnte oder sich auf seine Fähigkeiten und Vorstellungen fixiert, sondern der von Gott umgriffene Mensch. Rahner will vielmehr zeigen, daß in einer solchen ,natürlichen Bestimmung der Mensch noch gar nicht erfaßt ist. Dieser Mensch findet sich vielmehr selbst als Fragender, freilich nicht in einer endlos offenen Frage, sondern in der Suche nach seinem eigenen Grund. Für Rahners Ansatz ist dabei entscheidend, daß nicht der suchende Mensch am Anfang steht, sondern sein Fragen und Suchen selbst bewegt ist von Gott, der „ihm gebietet, auf ein möglicherweise ergehendes Offenbarungswort dieses freien, unbekannten Gottes in seiner Geschichte
konkrete Leiblichkeit
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zu horchen“. (220: 28) Der Mensch ist also nicht nur passiver Hörer des Wortes Gottes, sondern auch ,Horcher . Der Ausdruck erinnert in seiner Diktion nicht nur wie oft bei Rahner an die Sprache Heideggers, dessen Daseinsanalyse großen Einfluß auf Rahner ausgeübt hat, sondern versucht auch die beiden wesentlichen Momente festzuhalten: die menschliche Aktivität wie ihre Bewegung und Begründung durch Gott. Rahner legt alles Gewicht darauf, daß die Bestimmung des Menschen als eines fragenden und horchenden in ihrer Ausrichtung auf Gott keine spezifisch theologische Aussage ist, sondern aus der philosophischen Analyse hervorgeht und damit für jeden Menschen Geltung beansprucht, gleich ob er selbst diese Fraglichkeit seiner Existenz erkennen will und erkennt oder nicht. Rahner spricht darum von einer „transzendentalen Erfahrung“, weil sie in jeder möglichen Erfahrung, wenn auch oft verborgen, enthalten ist und durch die philosophische Reflexion an den Tag gebracht werden kann. Entsprechend kann er sein theologisches Programm als „transzendentale Anthropologie“ bezeichnen, deren Grundaussage mit dem Subjektsein des Menschen schon gegeben ist, weil ein Subjekt, „das sich selber als endlich erkennt … seine Endlichkeit schon überschritten“ hat (219: 31). Mit diesem Gedanken geht Rahner über die Feststellung der wesentlichen Offenheit der menschlichen Existenz hinaus: Indem er betont, alles Fragen und Horchen des Menschen setze immer schon voraus, daß es nicht ins Leere geht, kann er folgern, „daß mit dieser transzendentalen Erfahrung ein gleichsam anonymes und unthematisches Wissen von Gott gegeben ist“ (219: 32). Diese in jeder Erfahrung implizite Voraussetzung kommt freilich zumeist nicht zu Bewußtsein, erst recht nicht, daß der tragende Grund des Seins Gott ist. Dazu bedarf es der geschichtlichen Wortoffenbarung, wie sie ihr Zentrum in Jesus Christus hat. Rahner will also nicht den Glauben durch die philosophische Analyse überflüssig machen, auch wenn sein Verfahren deutliche Nähe zu einem philosophischen Gottesbeweis aufweist. Erst in der glaubenden Annahme der Selbstmitteilung Gottes findet der Mensch die Gewißheit, um die er in der Fraglichkeit seiner endlichen Existenz immer schon, wenn auch verborgen weiß. Die Gotteserfahrung ist freilich nicht in der Weise die Antwort, daß damit das Fragen und Suchen des Menschen aufhörte. Gott als auch Mensch sind in spezifisch theologischem Sinn Geheimnis: sie können keine Objekte menschlichen Erkennens sein, sondern bleiben dem Begreifen und Ergreifen letztlich entzogen. Vielmehr bleibt die Offenheit zur Transzendenz das Charakteristikum des Menschseins auch in seinen innerweltlichen Bezügen. Dies manifestiert sich in der Zeitlichkeit des Menschseins, das um seine Endlichkeit weiß; angesichts der offenen Zukunft ist die Lebensgestalt der Begegnung mit dem Geheimnis die Hoffnung. Sie hat aber auch ihre wesentliche ethische Dimension: In der „Unverfügbarkeit ist der Mensch in seiner konkreten Geschichte von Gott in einem Imperativ angesichts des Anderen herausgefordert zur Antwort“. (10: 232) Die Antwort, die dem Geheimnis Gottes entspricht, ist die Liebe. ,
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transzendentale Erfahrung
4.1 Theologische Entwürfe zur Anthropologie im 20. Jahrhundert
4.1.5 Wolfhart Pannenberg: Anthropologie als Fundamentaltheologie Wolfhart Pannenbergs Anthropologie schließt ausdrücklich an die Anthropologie in den Wissenschaften und der Philosophie an. Darin erweist sie sich als wesentlicher Teil seines theologischen Programms, das darauf abzielt, die Wahrheit des christlichen Glaubens unter den Verstehensbedingungen der Neuzeit aufzuweisen. Dabei muß die Anthropologie eine zentrale Stellung einnehmen, weil nach Pannenbergs Überzeugung die „mit dem Menschen beschäftigten Wissenschaften … heute auf dem besten Wege [sind], im allgemeinen Bewußtsein den Platz einzunehmen, den in früheren Jahrhunderten die Metaphysik innehatte.“ (215: 5) Wenn aber anthropologischen Fragestellungen im gegenwärtigen Wahrheitsbewußtsein diese Bedeutung zukommt, muß sich die christliche Wahrheit auch in diesem Kontext ausweisen können. Dies gilt gerade angesichts der Religionskritik: Die Theologie könne die „Wahrheit gerade ihres Redens von Gott nur vertreten, wenn sie der atheistischen Religionskritik gegenüber zunächst einmal auf dem Felde der Anthropologie argumentiert; denn sonst bleiben alle noch so steilen Behauptungen über den Vorrang der Gottheit Gottes bloße subjektive Versicherungen ohne ernstzunehmenden Anspruch auf Allgemeingültigkeit“. (212: 16) Pannenbergs Anspruch ist es zu zeigen, daß die theologische Perspektive sich nicht nur auf der Höhe heutiger Anthropologie bewegt, sondern vielmehr erst in dieser Perspektive die anthropologische Problematik letztlich ihre Antwort findet. Um diesen Anspruch einzulösen, diskutiert Pannenberg Forschungen aus Sozialwissenschaften und Biologie, setzt aber vor allem bei der philosophischen Anthropologie des 20. Jahrhunderts, wie sie bei Scheler, Plessner und Gehlen entwickelt wurde, als der reflektiertesten Gestalt anthropologischer Arbeit an. Der wesentliche Gedanke ist dabei die Weltoffenheit und Exzentrizität des Menschen: Menschsein hat sein Zentrum nicht in sich selbst und ist darum immer in seiner Identität gefährdet. Diese Gefährdung ist aber zugleich das, was den Menschen unter allen Lebewesen auszeichnet; sie ist auch die Bedingung dafür, daß Menschsein immer auch das Überschreiten des Bestehenden und Bekannten ist. Diese wesentliche Offenheit des Menschen kann aber im Endlichen keine Grenze finden; mit ihr ist vielmehr die Frage nach dem tragenden Grund des Lebens, der in allen Lebensvollzügen immer schon vorausgesetzt wird, verbunden. Die menschliche Weltoffenheit „hat also eine implizit religiöse Tiefenschicht. Das gilt auch für den Menschen, der sich in der Ausdrücklichkeit seines Bewußtseins irreligiös versteht: Er versteht sich dann im Widerspruch zur ausdrücklichen Thematisierung bestimmter Implikationen seines eigenen Lebensvollzugs.“ (212: 69)
Das heißt nicht weniger, als daß sich der bewußt irreligiöse Mensch über sein eigenes Menschsein täuscht; dieses Urteil ist nach Pannenberg kein theologisches, sondern hat den Anspruch auf allgemeine Verbindlichkeit. „Die Frage des Menschen nach sich selber und die Frage nach der göttlichen Wirklichkeit gehören zusammen.“ (ebd.) Das ist freilich noch kein anthropologischer Gottesbeweis, insofern die Existenz und vor allem die Identität dieser göttlichen Wirklichkeit auf dieser Stufe noch problematisch sind.
Weltoffenheit und Gottoffenheit
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In seiner frühen Schrift „Was ist der Mensch?“ verweist Pannenberg auf die Religionsgeschichte, die „zeigt, wie die Menschen das Gegenüber Gottes jeweils erfahren haben, wie es sich ihnen gezeigt hat. Ob sie es angemessen erfahren haben, das ist eine ganz andere Frage. Jedenfalls wären die Botschaften der Religionen darauf zu prüfen, ob sie die unendliche Offenheit menschlichen Daseins verdecken oder hervortreten lassen.“ (215: 12) Die anthropologische Bestimmung gibt demnach das Kriterium für die Bewertung der Religionen vor, in der das Christentum als die Gestalt erscheint, in der die Offenheit des Menschen hinsichtlich seiner Unfertigkeit, seiner Geschichtlichkeit und Zukunft am klarsten zum Ausdruck kommt. Daß diese Argumentation letztlich zirkulär ist, insofern die neuzeitliche Anthropologie eben auf dem durch die christliche Theologie bereiteten Boden entstand, ist Pannenberg bewußt; er bezieht sich ausdrücklich darauf, daß die Grundlagen der philosophischen Anthropologie bereits bei Johann Gottfried Herder gelegt wurden. Freilich ist dies für Pannenberg kein gültiges Gegenargument, weil einerseits die Herausbildung der modernen und wissenschaftlich akzeptierten Anthropologie auf die Gültigkeit dieser Grundlagen verweist, andererseits Herders Überlegungen über die philosophische Anthropologie hinausführen, da sie die Dimension des Religiösen nicht abblenden. Die Gottoffenheit findet sich im Symbol der Gottebenbildlichkeit ausgedrückt: Gott setzt den Menschen als sein Gegenüber; das konstituiert den Menschen unabdingbar als Person. Hier findet der Mensch seine Bestimmung; weil diese Bestimmung aber immer wieder verfehlt wird, ist der Gegenpol der Gottebenbildlichkeit die Sünde. Die Spannung zwischen Gottebenbildlichkeit und Sünde bildet daher die Basis der weiteren Argumentation; dazu faßt Pannenberg die theologischen Termini noch einmal in einer Begrifflichkeit humanwissenschaftlicher Diskussion. „Die fundamentale Gebrochenheit der menschlichen Daseinsform besteht darin, daß die Spannung zwischen zentraler Organisationsform und Exzentrizität immer schon zugunsten der ersteren, zugunsten der Zentralinstanz des Ich, aufgelöst ist, statt umgekehrt durch Aufhebung des Ich in den Vollzug seiner wahren, exzentrischen Bestimmung.“ (212: 103)
kritische Rückfragen
Die Frage nach der Identität des Menschen wird damit zum Leitthema der weiteren Darstellung Pannenbergs, die hier nicht weiter verfolgt werden kann. Das Vorhaben Pannenbergs, mit seiner fundamentaltheologischen Anthropologie einerseits „dem öffentlichen Bewußtsein von der Natur des Menschen seine religiöse Dimension zurückzugeben“ (212: 7 f.) und andererseits eine anthropologische Grundlegung der Theologie zu liefern, bedarf freilich der kritischen Rückfragen. Sein Anspruch, die wissenschaftliche Anthropologie theologisch zu integrieren und damit letztlich zu überbieten, wird jedenfalls nicht eingelöst und kann es angesichts ihrer Heterogenität wohl auch nicht; Pannenbergs Rezeption der wissenschaftlichen Anthropologie verfährt faktisch selektiv, indem er nahezu ausschließlich diejenigen Stränge thematisiert, die sich seinem Programm einfügen. Was bedeutet es für dieses Programm, wenn die wissenschaftliche Anthropologie auch mehr als zwanzig Jahre nach Pannenbergs Buch die behauptete „Unumgänglichkeit der religiösen Thematik auf dem Boden der Anthropologie“ (212: 16) nicht zur Kenntnis nehmen will? Der öffentliche Streit um das Menschsein
4.1 Theologische Entwürfe zur Anthropologie im 20. Jahrhundert
erfordert anscheinend, daß in ihm die christliche Rede vom Menschen in einer klareren inhaltlichen Bestimmung zur Geltung gebracht wird. Pannenbergs Entwurf kann diese nur andeuten, und auch dies nur so, daß er in einer Weise auf die Selbstoffenbarung Gottes rekurriert, die von der Anlage her vermieden werden sollte. Die Lehre vom Menschen, die Pannenberg in seiner „Systematischen Theologie“ (214: 203 – 364) vorlegt, kann deutlich bestimmter argumentieren, weil sie von fundamentaltheologischen Ansprüchen entlastet ist.
4.1.6 Ansatz beim Subjektbewußtsein? Die hier kurz diskutierten Entwürfe stimmen – mit der charakteristischen Ausnahme Karl Barths – darin überein, daß sie beim menschlichen Selbstbewußtsein ihren Ausgang nehmen. Dies gilt weithin auch für andere Entfaltungen theologischer Anthropologie. Georg Langemeyer stellt darum fest, daß in der „katholischen und der protestantischen Theologie … inzwischen weitgehend Übereinstimmung darüber“ bestehe, „daß die fragliche Anschlußstelle von der Anthropologie her im menschlichen Subjektbewußtsein zu sehen ist“ (250: 501). Eben das müßte freilich angesichts der in Kap. 3 diskutierten Einsichten der Anthropologiekritik geradezu als Problemanzeige zu verstehen sein. Ohne Zweifel ist die Fähigkeit zur Wendung des Bewußtseins auf sich selbst eine charakteristische menschliche Fähigkeit und allem Anschein nach auch ausschließlich bei Menschen anzutreffen. Dennoch ist es eine sehr folgenreiche Verengung, wenn diese Eigenart zum Ansatz und zum Zentrum der Anthropologie gemacht wird. Menschliches Leben ist nicht beständig reflexiv auf sich selbst bezogen, sondern vielmehr mit den mannigfaltigen Erfahrungen und Handlungen des Lebens beschäftigt, die nicht minder charakteristisch für das Menschsein sind. Schon das Konzept ,Subjektbewußtsein ist keineswegs selbstverständlich, sondern so voraussetzungsreich, daß zu fragen ist, ob eben nicht hier die Weichenstellungen reproduziert werden, die das klassische anthropologische Programm an sein Ende geführt haben. Langemeyer betont zwar, daß nicht die neuzeitliche Subjektphilosophie in ihren konkreten Ausprägungen „die Anschlußstelle zur Theologie [sei], sondern das Bewußtseinsphänomen, von dem sie ausgeht“ (ebd.). Freilich ist auch mit dieser Präzisierung die Fixierung auf das subjektive Bewußtsein noch nicht aufgebrochen; das leibliche Leben bleibt weiterhin abgeblendet. Die Problematik dieses Ansatzes wird deutlich an der Erfahrung, die Langemeyer als Ausgangspunkt anführt: „Wir sehen, hören, denken, wollen, empfinden, fühlen nicht nur dieses und jenes. Wir wissen dabei zugleich um uns.“ (ebd.) Dabei ist unklar, von welchem „Wir“ bzw. „Ich“ die Rede ist, weil dabei gerade nicht der individuelle Mensch in seiner konkreten Vorfindlichkeit im Blick ist. In der seit Kant als ,transzendental bezeichneten Wende zur Subjektivität erfährt der Mensch sich vielmehr nicht als leibhaftiges Wesen, sondern allein als Bewußtsein. Dennoch scheint sich dieser Ansatz beim Subjektbewußtsein für die theologische Anthropologie geradezu anzubieten, weil er verspricht, die Dimension des Religiösen bereits zu enthalten, indem er den Bezug auf Transzendenz als Bewußtseinstatsache beschreibt: „Das ursprüngliche Wissen um mich als den, der diese oder
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4. Thema und Eigenart theologischer Anthropologie
jene Bewußtseinsinhalte hat, entzieht sich jeder inhaltlichen Festlegung. Es ist prinzipiell offen über jeden Inhalt hinaus, den es hat.“ (ebd.) Damit aber liegt nicht nur der Anschluß an die philosophische Anthropologie, wie sie bei Scheler, Plessner und Gehlen entwickelt wurde, auf der Hand; darüber hinaus scheint auch die prinzipielle Offenheit des Menschen auf Gott als die letzte Transzendenz plausibel gemacht werden zu können. Diese ohne Zweifel elegante Anlage theologischer Anthropologie, wie sie etwa auf je eigenständige Weise vor allem in den großen Entwürfen von Karl Rahner und Wolfhart Pannenberg durchgeführt wird, weist allerdings auch gewichtige Nachteile auf, die sich in sechs Argumenten zusammenfassen lassen und in ihrer Umkehrung zugleich wesentliche Anforderungen an eine theologische Anthropologie erkennen lassen. 1. Die angestrebte allgemeine Plausibilität ist faktisch nicht zu erreichen: Sie hängt an Voraussetzungen, die nicht ohne weiteres geteilt werden müssen und etwa in den Wissenschaften weithin nicht geteilt werden. Der methodische Reduktionismus, der erst zur Ausformung neuzeitlicher Wissenschaft führte, schließt eben die Fragestellungen aus, die hier zur Geltung gebracht werden sollen. Wenn aber transzendentale Fragestellungen innerhalb der Wissenschaften nicht erscheinen können, kann auf diesem Wege der Graben zwischen theologischer und wissenschaftlicher Arbeit kaum geschlossen werden; vielmehr besteht die Gefahr seiner Verdrängung. 2. Indem im subjekttheoretischen Ansatz der Mensch ausschließlich als erkennender Intellekt erscheint, wird die Leiblichkeit des Menschseins abgeblendet. Ironischerweise wird gerade so mit dem Hauptstrom der neuzeitlichen Anthropologie derselbe Impuls neutralisiert, der zur Ausbildung der Anthropologie geführt hatte, nämlich den Menschen als Naturwesen ernst zu nehmen – und das heißt theologisch auch: als Geschöpf. 3. Zugleich wird Menschsein in der Konzentration auf ein einziges Charakteristikum vereinheitlicht; die Mannigfaltigkeit des Menschseins wird dabei verdrängt, so daß die Momente, die zur grundsätzlichen Kritik an der Anthropologie geführt hatten, in der theologischen Anthropologie reproduziert würden. 4. Der auf das Subjekt bezogene transzendentale Ansatz weist aber auch eine bezeichnende Lücke in der Argumentation auf: Aus der Einsicht, daß das Bewußtsein nicht auf diesen oder jenen Inhalt festgelegt und also offen für andere Inhalte ist, folgt nicht, daß es von jedwedem Inhalt ablösbar ist. Die Lebenswirklichkeit ist nicht sekundär, sondern in jeder Erfahrung enthalten. 5. Erst recht kann die behauptete letzte Offenheit menschlichen Bewußtseins nicht in ihrer Offenheit für Gott erwiesen werden. Auch die großen Entwürfe theologischer Anthropologie, die diesen Weg verfolgen, müssen hier auf das Moment rekurrieren, das die beanspruchte Plausibilität durchbricht: den Gedanken der Offenbarung. Nur so kann auch der Einsicht Rechnung getragen werden, daß menschliche Offenheit nach biblischem Zeugnis gerade nicht schon als gangbarer Weg zu Gott gelten kann. 6. Der anthropologische Ansatz beim Subjektbewußtsein entfernt sich von der Konkretion biblischen Sprechens (und der gelebten Glaubensrede), indem theologische Begriffe aus den Texten extrahiert werden, um sie dann theoretisch zu entfalten. Damit aber werden zugleich der Reichtum und die Eigenart des biblischen Redens (vgl. dazu 4.3) verloren.
4.2 Martin Luther: Disputatio de homine
4.2 Martin Luther: Disputatio de homine In äußerster Verdichtung wird die Problematik einer theologischen Anthropologie in den Disputationsthesen de homine von 1536 zur Sprache gebracht. Damit soll keineswegs die historische Situation dieser Texte übergangen werden, in denen schon begrifflich von „Anthropologie“ nicht die Rede ist. Viele Formulierungen Luthers setzen vielmehr den Hintergrund des spätscholastischen Denkens voraus, von dem sie sich dezidiert absetzen – darum kann man Luthers Formulierungen und Gedanken nicht einfach wiederholen. Auch soll mit der Behauptung der Modernität der Thesen keineswegs Luther (wieder einmal) als Herold des Denkens und Selbstverständnisses der Neuzeit vereinnahmt und um seine Provokation gebracht werden. Vielmehr zeigt sich gerade an diesen Thesen, wie sehr Luthers Theologie sich abhebt sowohl von den Denkvoraussetzungen der Scholastik wie von den Plausibilitäten neuzeitlichen Denkens, wobei gerade in der Frage nach dem Menschen auch einiges für den Eindruck spricht, daß neuzeitliches Denken und Spätscholastik weithin einig sind. Die Modernität der Thesen besteht vielmehr darin, daß sie die Herausforderungen, vor denen die theologische Anthropologie damals stand und darüber hinaus heute steht, bereits genau im Blick haben und somit auf der Höhe des gegenwärtigen Problemstandes sind. Luthers Thesen sind damit für die Reflexion der Aufgabe einer theologischen Anthropologie von herausragender Bedeutung. Dies erweist sich bereits am Beginn der Thesen, die die klassische philosophische Definition des Menschen als animal rationale (vgl. dazu 5.2.1) zitieren. Nach dieser Definition wird der Mensch zunächst über seine Zugehörigkeit zu den beseelten Lebewesen bestimmt, um als spezifische Unterscheidung die ratio anzuführen. Diese Differenz zum Tier ist für Luther freilich von geringem Interesse (Th 2); bereits damit ist deutlich, daß Luther ganz andere Bahnen beschreitet als die philosophische Tradition. Darum läßt sich Luther auch nicht auf einen Streit über die Einzelheiten der philosophischen Definition ein, sondern übernimmt sie summarisch und akzeptiert sie. Luther kann die Frage, ob der Mensch eigentlich oder uneigentlich Tier genannt wird – also eine Frage, die Philosophie und Wissenschaft bis heute beschäftigt – so souverän auf sich beruhen lassen, weil sie das eigentliche Problem noch gar nicht berührt: Sie ist nur eine Definition, die den sterblichen und irdischen Menschen definiert (Th 3) und ihn eben deshalb nicht vollständig und also nicht angemessen in den Blick bekommt. Luther nennt diese Definition des Menschen die philosophische, was freilich nicht im Sinne der akademischen Disziplin verstanden werden kann, die heute unter diesem Namen firmiert. Philosophie umfaßte zu Luthers Zeiten nicht nur auch alle die Fragestellungen, die sich bis heute als Naturund Sozialwissenschaften ausgeprägt haben; der Begriff steht für Luther vielmehr für die menschliche Weisheit insgesamt. Wenn er der philosophischen Definition des Menschen im zweiten Teil seiner Thesenreihe die theologische entgegensetzt, so ist damit ebenso wenig das akademische Fach gemeint als vielmehr die Weisheit, die nicht aus dem Menschen, sondern aus dem Wort Gottes kommt. Im Vergleich zu dieser erweist sich, daß „wir über den Menschen nahezu nichts wissen“ (Th 11).
philosophische Definition erfaßt den Menschen nicht
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4. Thema und Eigenart theologischer Anthropologie
Damit wird aber auch deutlich, daß bei Luther die Differenz zwischen ,philosophischer und ,theologischer Definition des Menschen auch nicht im Sinne einer Aufteilung von zwei Zuständigkeitsbereichen gedacht werden darf, so als ob die philosophische für die Kenntnis des irdischen Menschen, die theologische dagegen für den himmlischen zuständig wäre. Eben dieses Modell eines theologischen Überbaus über eine allgemeine Basis wird hier entschieden zurückgewiesen: Erst wo der ganze Mensch erkannt wird, ist zuverlässige Erkenntnis auch über den Menschen dieses Lebens (huius vitae) möglich. Das erweist sich nach Luther gerade an dem Kernbegriff der philosophischen Definition des Menschen: der Vernunft, die das Spezifikum des Menschen ausmachen soll und auch nach Luther ausmacht. Luther ist eben kein Verächter der Vernunft: Die Thesen 4 – 7 rühmen die Fähigkeiten der Vernunft, die „mit Recht als Wesensunterschied“ (differentia essentialis) des Menschen vom Tier bezeichnet wird. Mehr noch: Luther bezieht den Herrschaftsauftrag aus Gen 1 auf die Vernunft, die damit als Gottes Einsetzung qualifiziert wird und geradezu als „eine Art göttlicher Macht“ (numen quoddam, Th 8) benannt, die Gott auch nach Adams Fall nicht genommen, sondern vielmehr bestätigt hat. Trotz dieses Ranges der Vernunft – oder vielleicht gerade wegen dieses Ranges – verfehlt diese Definition den Menschen, weil sich die Vernunft über sich selbst täuscht. Denn die Vernunft ist eben nicht die gewisse Basis und verläßlicher Grund: Die philosophische Definition läßt eben unbestimmt, was die Vernunft trägt und was ihr die Richtung gibt. Sie kann das nur darum unbestimmt lassen, weil sie von der Voraussetzung ausgeht, daß die Vernunft dieselben Strukturen ausweist wie die Wirklichkeit selbst: eine Voraussetzung, die letzen Endes der antiken Ontologie entstammt. Die Praxis menschlichen Vernunftgebrauchs, wie sie bei Luther im Blick ist, kann diese Voraussetzung jedenfalls nicht stützen, sondern belegt vielmehr die Unzuverlässigkeit der Vernunft: „nicht einmal über seinen Entschluß oder seine Gedanken hat er volle und zuverlässige Gewalt, sondern ist darin dem Zufall und der Nichtigkeit unterworfen.“ (Th 18) Luther läßt sich auch hier nicht auf eine abstrakte Bestimmung und Beteuerung ein, sondern betrachtet die Wirklichkeit der Vernunft – auch hier erweist sich, daß die isolierte Betrachtung des Menschen huius vitae gerade nicht in der Lage ist, eben dieses Leben zu erfassen, weil sie eben den Ambivalenzen dieses Lebens unterworfen ist (Th 19). Luthers Kritik der Vernunft entspringt also keineswegs einer Mißachtung der Vernunft; vielmehr geht es dieser Kritik, wie Ebeling mit Recht formuliert, darum, „die ratio gegen eine sie verfälschende Überschätzung – man könnte auch sagen: gegen sie selbst – in Schutz zu nehmen“ (238: 541). Die philosophische Definition des Menschen scheitert also gerade da, wo sie ihre Stärke sieht: Indem die Vernunft sich selbst absolut setzt, wird sie unfähig, die Realität des Menschseins zu erfassen, das eben durch die Unfähigkeit gekennzeichnet ist, über die Ausrichtung seines Lebens selbst zu verfügen. In Hinblick auf die philosophische Definition stellt sich für Luther so dieselbe Problematik, die in der Auseinandersetzung mit Erasmus von Rotterdam in der Frage nach dem freien Willen verhandelt wurde. Auch dort bestreitet Luther keineswegs die Bedeutung des menschlichen Willens; aber ,
Selbsttäuschung
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4.2 Martin Luther: Disputatio de homine
wie die Vernunft so ist auch der Wille zunächst eine rein formale Größe, bei der vollkommen offen ist, ob sie sich auf das Böse oder das Gute ausrichtet. Luther hatte das in der bekannten Metapher vom Willen als einem Reittier ausgedrückt: Wie bei diesem kommt es ganz und gar darauf an, wer die Zügel führt – Gott oder der Teufel (vgl. Th 24). Weil erst mit der Frage nach dem, wer die Vernunft und den Willen regiert, die abstrakte Bestimmung Realität gewinnt, setzt Luther auch gegen die philosophische Definition des Menschen nun eben keine weitere, ebenso abstrakte begriffliche Definition des Menschen. Wenn Luther nun formuliert, daß die Theologie „aus der Fülle ihrer Weisheit den ganzen und vollkommenen Menschen“ definiert (Th 20), so ist nicht nur daran zu erinnern, daß „Theologie“ dabei eben nicht für die akademische Disziplin, sondern für die Erkenntnis aus Gottes Wort steht. Vielmehr ist auch zu beachten, daß nun gerade keine schulmäßige Definition des Menschen folgt; Luther verweist vielmehr in einem kurzen Summarium auf die ganze Geschichte Gottes mit dem Menschen, von der Erschaffung zum Bild Gottes über den Sündenfall bis zur endlichen Befreiung durch Jesus Christus und der Verheißung der Ewigkeit. So faßt Luther mit Röm 3,28 „in Kürze die Definition des Menschen dahin zusammen, daß der Mensch durch Glauben gerechtfertigt wird.“ (Th 32) Indem er an die Stelle einer begrifflichen Definition des Menschen das Evangelium von der Rechtfertigung treten läßt, wird deutlich, daß eine schulmäßige Definition gar nicht zur Erscheinung bringen kann, was theologisch vom Menschen zu sagen ist. Dennoch erfüllt gerade dies die Funktion, die eine Definition zu leisten hätte und auf den klassischen Wegen gar nicht leisten kann: Wenn sich an dieser Geschichte das Menschsein entscheidet, dann folgt, wie Ingolf U. Dalferth pointiert herausstellt,
Geschichte Gottes mit den Menschen
„daraus unmittelbar, daß diese für alle Menschen in jeder möglichen Welt gilt, und zwar ganz unabhängig davon, worauf wir den Prädikator , – ist ein Mensch anzuwenden belieben und ob wir uns selbst so verstehen. Ob jemand und wer wirklich Mensch ist, entscheidet sich nicht an unserer Auffassung vom Menschen, sondern daran, ob und daß er durch den Glauben gerechtfertigt wird.“ (234: 221) ,
Luthers Thesen bedeuten für die theologische Anthropologie eine Korrektur in doppelter Hinsicht: 1. Die theologische Anthropologie hat ihren Ort für Luther nicht unmittelbar in der Schöpfungslehre, wie das sowohl in der Scholastik als auch in der protestantischen Dogmatik zumeist wie selbstverständlich angenommen wird. Sie hat ihr Zentrum vielmehr in der Soteriologie, wodurch die Schöpfungslehre ihre Bedeutung gerade nicht verliert, sondern allererst in rechter Weise gewinnt, insofern für Luther das Ganze der Theologie soteriologisch bestimmt ist. 2. Die theologische Anthropologie kann den Menschen nicht anhand formaler Kriterien und Eigenschaften definieren und damit das individuelle Leben an einem generellen Maßstab messen und bewerten. Theologische Anthropologie läßt sich vielmehr nach Luther, wie Albrecht Peters treffend formuliert, „nur als ein Weg ausschreiten, nur als eine Geschichte erzählen … Luther zeichnet die Umrisse einer betont ,narrativen Anthropologie .“ (16: 29)
narrative Anthropologie
107
,
4. Thema und Eigenart theologischer Anthropologie
Indem Luther aber die Anthropologie nicht in der Definition des Menschen – also auch nicht einer ,theologischen wie etwa der über die Ebenbildlichkeit – kulminieren sieht, sondern sie in dieser spezifischen story begründet, kommt der Mensch nicht als Begriff und in einer prinzipiellen Bestimmung, sondern in seinem gelebten Leben zur Erscheinung. Luthers Reden vom Menschen ist deswegen auch immer konkret: nicht der Mensch, sondern ganz unmittelbar die Menschen sind hier im Blick, mithin jeder einzelne Mensch in seiner Lebensgeschichte. Jede Lebensgeschichte hat aber als Teil von Gottes story einen eschatologischen Fokus. These 35 formuliert in Aufnahme und Durchbrechung der traditionellen philosophischen Terminologie: „So ist denn der Mensch dieses Lebens Gottes bloßer Stoff (pura materia) zu dem Leben seiner künftigen Gestalt.“ Die Wahrheit des menschlichen Lebens und jeder einzelnen Lebensgeschichte kommt demnach erst in Gottes Zukunft zur Vollendung und damit ganz zur Erscheinung. Mit dieser soteriologischen und zugleich eschatologischen Bestimmung des Menschseins ist für Luther wiederum keineswegs eine Abwertung des irdischen Lebens verbunden; im Gegenteil: Gerade indem nicht die Vernunft in ihrem Gegensatz zu den Sinnen und Affekten, wie das die philosophische Tradition dominiert und auch in den wissenschaftlichen Anthropologien der Gegenwart weithin wirksam bleibt, sondern das ganze menschliche Leben im Lichte der Geschichte Gottes im Blick ist, kommt es zu einer neuen Aufmerksamkeit für den Leib, der als das leibliche Leben befreiter Geschöpfe seine Schönheit und Güte gewinnt. Luthers Wertschätzung leiblicher Geschöpflichkeit hat dann auch unmittelbare ethische Konsequenzen, in dem das gute Leben der Christen identisch wird mit der Freude am geschöpflichen Dasein, das erst in der Befreiung von der Macht der Sünde möglich geworden ist. ,
eschatologischer Fokus
4.3 Die Rede vom Menschen in der Bibel Im Rahmen dieser Einführung kann der Reichtum biblischen Redens vom Menschen auch nicht ansatzweise nachgezeichnet werden. Vielmehr soll nur auf einige Grundlinien aufmerksam gemacht werden, die durchaus in Spannung stehen zum Hauptstrom abendländischen Denkens über den Menschen. Eben darum können sie aber auch ein Korrektiv der theologischen Anthropologie sein, die sich meist mehr in den durch die griechische Philosophie der Antike vorgezeichneten Bahnen bewegte als in den Spuren der biblischen Rede vom Menschen. Dabei ist die Konstruktion eines unhistorischen ,biblischen Menschenbildes zu vermeiden, das in unzulässiger Abstraktion die vorhandenen Unterschiede im biblischen Reden vom Menschen einebnen würde. Solche Unterschiede sind nicht nur bzw. nicht vorrangig zwischen den beiden Testamenten gegeben; vielmehr manifestieren sich die sehr verschiedenen kulturellen Kontexte über den langen Entstehungszeitraum der biblischen Schriften auch in dem, was über das Menschsein gedacht und geschrieben wird. Ebensowenig wie eine einheitliche Lehre vom Menschen läßt sich freilich eine Entwicklungslinie von den ältesten zu den jüngsten Texten entwerfen; auch das Neue Testament bewegt ,
108
4.3 Die Rede vom Menschen in der Bibel
,Aspektivität
,
sich gerade in anthropologischer Hinsicht durchweg auf dem durch das sog. Alte Testament bereiteten Boden. So bleibt festzuhalten, daß an verschiedenen Stellen der Bibel in verschiedener Weise und in verschiedener Ausrichtung vom Menschen die Rede ist (vgl. 197: 16 f.). Eben in dieser Mannigfaltigkeit der biblischen Rede vom Menschen liegt aber ein wesentliches Moment ihrer Bedeutung für die gegenwärtige Anthropologie, insofern hier gerade nicht ein kohärentes System oder ein einheitliches Menschenbild entwickelt wird, das sich doch vor der kritischen anthropologischen Reflexion als unerreichbar oder als problematische Verengung erwiesen hat. Diese Mannigfaltigkeit ist dabei weniger auf eine historische Entwicklung und die unterschiedlichen Gattungen der jeweiligen Texte zurückzuführen, sondern folgt aus der für die biblische Rede vom Menschen charakteristischen Vielfalt der Aspekte und Beziehungen, die durchweg an der Lebenswelt und den alltäglichen Erfahrungen der Menschen orientiert bleiben. Diese Eigenart des biblischen Denkens und Sprechens kann als „Aspektivität“ bezeichnet werden; damit wird die Fähigkeit zum Ausdruck gebracht, „Aspekte bis hin zur Gegensätzlichkeit in eins zusammenzudenken, einen mehrdimensionalen, auf Komplementarität ausgerichteten Zugang zu den Dingen zu finden“. (176: 28) Gerade in dem Verzicht auf eine Synthese der verschiedenen Aspekte wie auch auf deren strikte analytische Unterscheidung kann das biblische Reden vom Menschen der Vielfalt menschlicher Lebensbeziehungen und -wirklichkeiten gerecht werden. Dabei ist wiederum zu beachten, daß die verschiedenen Aspekte nicht zu einer Summe addiert werden können, sondern, jeweils den ganzen Menschen in seinen verschiedenen Bezügen zur Sprache bringen. Im biblischen Kontext sind anthropologische Leitbegriffe wie Seele, Fleisch, Geist etc. nicht im Sinne der griechischen Philosophie, wie sie die abendländische Geistesgeschichte bis in die gegenwärtigen Wissenschaften hinein prägt, als Teile zu verstehen, aus denen der Mensch zusammengesetzt gedacht wird, sondern stehen jeweils für Aspekte der Ganzheit. Darum sind auch die deutschen Übersetzungen der biblischen Begriffe durchweg problematisch geworden, weil sie zu Mißverständnissen Anlaß geben. Dies zeigt sich in aller Deutlichkeit bei dem Begriff der „Seele“, der üblicherweise im Gegensatz zum Körper verstanden und gleichsam als ein identifizierbares und isolierbares Teil im Menschen aufgefaßt wird. Diese Entgegensetzung und Ontologisierung, wie sie aus der griechischen Philosophie bekannt ist und insbesondere bei Platon entwickelt wurde, ist biblischem Denken und Sprechen fremd. Zwar hat die griechische Konzeption von Seele ohne Zweifel die christliche Tradition stark beeinflußt und ihr über weite Teile der Christentumsgeschichte den Rahmen vorgegeben; gerade diese Vorstellung bringt aber auch Aporien hervor, die im Rückgang auf die Bibel durchbrochen werden können. Die Frage, ob die Seele eine vorfindliche Substanz sei, führt demnach in die Irre; somit wird auch jede Frage nach der anatomischen Lokalisierung der Seele gegenstandslos. Nach biblischem Verständnis ist die Seele nicht in Analogie zu einem Organ zu denken; streng genommen gibt es sogar kein genaues biblisches Äquivalent zu unserem Begriff der Seele: das hebräische Wort nefesch, das gewöhnlich mit „Seele“ wiedergegeben wird, hat in etwa dreiviertel seiner Vorkommen
Ganzheit des Menschen
Seele keine Substanz
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4. Thema und Eigenart theologischer Anthropologie
Bedürftigkeit des Lebens Geist
Fleisch
eine andere Bedeutung und wird von Luther deshalb auch mit anderen Ausdrücken, vor allem mit „Leben“ übersetzt. Wo die Übersetzung „Seele“ erscheint, ist wiederum häufig die Verbindung mit einem Pronomen zu beobachten: „Meine Seele“. Bereits diese Beobachtung deutet darauf, daß biblisch kein Abstraktum „Seele“ konzipiert wird, sondern eine Wahrnehmung des Menschen bezeichnet ist, wie das auch der Selbst- und Fremdwahrnehmung entspricht. Der Ausgangspunkt ist dabei die Lebendigkeit des Menschen schlechthin; die Grundbedeutung von nefesch ist das Organ, dessen Bewegung das Leben eines Menschen signalisiert: die Kehle. Auch das im Neuen Testament gebrauchte griechische Wort psyche verweist nicht zufällig auf den ein- und ausströmenden Atem; der neutestamentliche Begriffsgebrauch folgt auch hier den alttestamentlichen Bahnen. Insofern kann nicht gesagt werden, der Mensch habe eine nefesch, vielmehr ist er in spezifischer Hinsicht nefesch. Indem nefesch eben keine unkörperliche Substanz bezeichnet, sondern an die leibliche Konkretion gebunden bleibt, kommt auch zum Ausdruck, daß Menschsein allemal verletzlich und bedroht ist. Damit ist auch die Bedürftigkeit des menschlichen Lebens im Blick, das angewiesen ist auf andere und darauf, daß es eine lebensfreundliche Welt erfährt. Auch der Begriff „Geist“ verweist biblisch auf den Atem: Das hebräische ruach hat die Grundbedeutung „Wind“, die auch den etymologischen Hintergrund des griechischen pneuma bildet, und kann darum auch den strömenden Atem bezeichnen. „Geist“ ist demnach biblisch auch weder „Spiritualität“ oder Intellekt als besondere Fähigkeit des Menschen, erst recht nicht als allgemeine Substanz, an der das Individuum Anteil hätte, sondern in anthropologischer Hinsicht zunächst ebenso an das leibhaftige Leben des Menschen gebunden. „Geist“ steht also für die Lebenskraft, die in jedem Menschsein zur Erscheinung kommt, dann aber auch für die Ausrichtung der individuellen Existenz und die Willenskraft, freilich in charakteristischer Differenz zu einer Vorstellung des Willens, die ihn in der Macht des Subjektes verortet. Schon der meteorologische Unterton des Wortes signalisiert, daß es hier um eine Kraft geht, die die menschliche Existenz bestimmt, aber nicht einfach vom Menschen selbst beherrscht wird. Wie „Seele“ und „Geist“ in ihrem biblischen Gebrauch gerade keine spirituelle und intellektuelle Substanz bezeichnen, so ist auch die Entgegensetzung von „Geist“ und „Fleisch“ nicht im Sinne eines griechischen LeibSeele-Dualismus zu denken. „Fleisch“ ist zwar auf die leibliche Existenz des Menschen bezogen, aber keineswegs mit dieser identisch. Die in der christlichen Tradition immer wieder zu beobachtende Abwertung des Leibes, die oft unheilvolle Konsequenzen nach sich zog, kann sich jedenfalls nicht auf biblische Grundlagen stützen. Auch „Fleisch“ steht biblisch für den ganzen Menschen in einem zentralen Aspekt: seiner Vergänglichkeit. Vergänglich und hinfällig sind aber nicht nur die körperlichen Dimensionen, sondern ebenso sein Intellekt, seine Hervorbringungen und seine Macht. Deutlich wird der genuin biblische Gegensatz von „Fleisch“ und „Geist“, wenn Jesaja Israel davor warnt, sich auf mächtige militärische Bündnispartner zu verlassen: „Weh denen, die hinabziehen nach Ägypten um Hilfe und sich verlassen auf Rosse und hoffen auf Wagen, weil ihrer viele sind, und auf Gespanne, weil sie sehr stark sind! Aber sie halten sich nicht zum Heili-
4.3 Die Rede vom Menschen in der Bibel
gen Israels und fragen nichts nach dem HERRN.“ (Jes 31,1) Hier ist im Blick, was durchaus als Realpolitik bezeichnet werden kann: Angesichts der militärischen Bedrohung sucht Israel Beistand, richtet sich aber nicht nach Gottes Gegenwart und Gebot aus. Eben darin besteht der Gegensatz zu einem Leben aus dem Geist, der vor allem als Geist Gottes zu verstehen ist: „Denn Ägypten ist Mensch und nicht Gott, und seine Rosse sind Fleisch und nicht Geist. Und der HERR wird seine Hand ausstrecken, so daß der Helfer strauchelt und der, dem geholfen wird, fällt und alle miteinander umkommen.“ (Jes 31,3) Nicht die Sinnlichkeit, sondern die scheinbare politische Vernunft wird hier als „fleischlich“ identifiziert. Eine „fleischliche“ Existenz ist demnach das Vertrauen auf das, was vergänglich ist, weil es nicht aus Gott kommt. „Fleisch“ steht demnach für das, was Gottes Ewigkeit entgegengesetzt ist; eben dies ist aber zunächst die Wirklichkeit des menschlichen Lebens. Erst dann kommen Sinnlichkeit und Sexualität in den Blick, wenn sie die Bestimmung des Lebens durch Gott verdrängen wollen; darum sind die menschlichen Strategien der eigenmächtigen Sicherung des guten Lebens Ziel der prophetischen Kritik. Ein Leben aus dem „Fleisch“ manifestiert sich darum im Neuen Testament auch vorrangig in Geld und Macht; dem entsprechend führt die Perikope von der Versuchung Jesu in der Wüste (Mt 4 par) nicht sinnliche Verlockungen an, sondern Macht und selbstherrliche Lebenssicherung. Glaubenslosigkeit, nicht sinnliches Begehren ist darum das Charakteristikum eines „fleischlichen“ Lebens im biblischen Sinn (247: 199). An allen drei genannten anthropologischen Leitbegriffen erweist sich, daß mit ihnen die Ausrichtung des ganzen menschlichen Lebens bezeichnet wird und eben nicht die ontologische Ausstattung des Menschen. Darum geht auch die Frage in die Irre, ob die Bibel eine zweiteilige (Leib-Seele) oder dreiteilige (Leib-Seele-Geist) Anthropologie vertrete; vielmehr handelt es sich um Aspekte der ganzen Existenz des Menschen, die durchaus nicht auf Ausschließlichkeit oder Vollständigkeit angelegt sind. Sie sind jeweils mit der leiblichen Wirklichkeit des Menschseins und damit auch mit der Selbstwahrnehmung verbunden. An diesen Leitbegriffen ist abzulesen, daß sich die biblische Rede vom Menschen einer Systematisierung und Vereinheitlichung entzieht und multiperspektivisch angelegt ist. Die Eigenart der biblischen Rede vom Menschen faßt Odil Hannes Steck treffend so zusammen, daß hier den Ausgangspunkt nicht eine abstrakte Entgegensetzung von Mensch und Natur bildet, sondern die „Selbsterfahrung des Lebens in seiner Unverfügbarkeit und seiner evidenten Sinn- und Werthaftigkeit.“ (190: 39) Gerade darum wird das menschliche Leben auch in steter Beziehung zu Gott wahrgenommen als dem Schöpfer und Erhalter des gefährdeten Menschseins: „Eben deshalb werden alle lebensrelevanten, vorgegebenen Elementarerscheinungen der natürlichen Welt als Geschehen wahrgenommen, das die Grundgegebenheiten für jeden Lebensvollzug verwirklicht. Als Zuwendung unverfügbarer Grundgegebenheiten ist dies ein Geschehen stetiger Zukehr Gottes des Schöpfers. Er wendet allem Dasein zu, was diesem für sein Leben immer schon vor- und mitgegeben und außerhalb seiner Verfügung ist.“ (ebd.) Dabei kommt zur Geltung, daß Gott nicht als transzendentes Gegenüber gedacht wird; weil Gott in aller Wirklichkeit als der Schöpfer gegenwärtig ist, können auch die leiblichen Vollzüge des
Selbstwahrnehmung vor Gott
111
4. Thema und Eigenart theologischer Anthropologie
Lebens nicht ohne den Bezug zu Gott gedacht werden. Weil Menschsein nur da hinreichend wahrgenommen werden kann, wo es als geschöpfliches Leben erfaßt wird, ist Menschsein auch nur in der Relation zu Gott zu verstehen. Anthropologie ist biblisch folglich nur theologisch zu betreiben. Dabei zeigt sich, daß diese Bezogenheit auf Gott in der Bibel keineswegs auf einen ,religiösen Bereich zu begrenzen ist: Gerade die Leibhaftigkeit des Menschseins und seine alltägliche Wirklichkeit von Arbeit und Feier, von Liebe und Streit wird auf Gott hin zur Sprache gebracht. Die moderne Unterscheidung von ,religiös und ,profan ist der Bibel fremd; dies muß Auswirkungen auf die theologische Anthropologie haben. Gerade die natürlichen und pragmatischen Dimensionen des Menschseins sind darum von größter theologischer Relevanz; eine Unterscheidung einer ,natürlichen Sphäre und einer durch Gott bestimmten Wirklichkeit greift darum grundsätzlich fehl. Die Wahrnehmung des menschlichen Lebens vor Gott umfaßt gerade auch die ,natürliche Ausstattung des Menschen, die ihn auch nach biblischer Sicht mit den Tieren verbindet; wie denn die biologischen Ähnlichkeiten keine Entdeckung der Naturwissenschaften sind, sondern dem alltäglichen Bewußtsein immer präsent waren. Die Wahrnehmung dieser Dimensionen als ,natürlich kann aber deshalb nicht bedeuten, sie für religiös indifferent zu erklären; die Wahrnehmung der Geschöpflichkeit bedeutet vielmehr, auch die Leiblichkeit des Menschen in ihrer Verletzlichkeit und Bedürftigkeit als Gottes Werk und Wirklichkeit zu verstehen. „Dieser ganz lebensnahe, aktuell-zeitbezogene, ganzheitliche Ansatz elementar-betroffener Lebenswahrnehmung redet von Gott dem Schöpfer, der unverfügbar, nicht machbar Leben als Gabe und elementaren Grundwert allem Lebendigen gewährt.“ (190: 108) Wenn in der Bibel das Menschsein in der Vielfalt seiner Aspekte auf Gott hin zur Sprache gebracht wird, dann kann dem keine abstrakte Rede von dem Menschen entsprechen; vielmehr muß die theologische Anthropologie auf eine Erhellung je meines Lebens zielen. Dazu gehören aber nicht nur seine gegenwärtige Gestalt und deren Bedingungen, sondern vor allem seine Richtung und seine Zukunft: Beide sind aber Gabe Gottes. Auch für den anthropologischen Kontext ist mithin zur Geltung zu bringen, daß in biblischer Perspektive Schöpfung und Neuschöpfung nicht zu trennen sind. Menschsein ist nur da angemessen zu verstehen, wo seine Zukunft im Blick ist, damit aber auch, wie diese Zukunft glücken kann. Weil zur Wahrnehmung des Lebens gehört, woraufhin es jeweils ausgerichtet ist, wird das menschliche Leben auch in der Selbstwahrnehmung nicht als bloße Faktizität erfahren, sondern in seiner charakteristischen Offenheit. Damit ist zugleich verbunden, daß Menschen ihr Leben verlieren oder gewinnen können. Leben kann nach biblischer Sicht nur da gelingen, wo es sich im Handeln Gottes, des Gebers des Lebens und seiner Zukunft verortet. Darum ist Anthropologie theologisch notwendig auf die Soteriologie bezogen: Was jeweils als das Heil erfahren wird, bestimmt auch die Gegenwart des Menschseins. Für das Neue Testament ist Mitte, Grund und Ziel der Rede vom Menschen in Gottes Handeln in Jesus Christus zu finden. Die von Jesus selbst gebrauchte Bezeichnung als „Menschensohn“ hat auch die anthropologische Bedeutung, daß nur im Blick auf diesen Jesus aus Nazareth erfaßt wer,
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Jesus Christus als Mitte, Grund und Ziel biblischer Rede vom Menschen
4.3 Die Rede vom Menschen in der Bibel
Die biblische Rede vom Menschen bietet eine wirklichkeitsnahe Wahrnehmung der verschiedenen Dimensionen seines Lebens. Sie spaltet das Menschsein nicht auf, sondern bringt seine Vielfalt und Einheit zugleich zur Geltung. Damit durchbricht sie die im abendländischen Denken ver-
Theologische Anthropologie als ,Grammatik ,
den kann, was Menschsein vor Gott und damit menschliches Lebens im vollen Sinn ausmacht. Christliche Rede vom Menschen gründet sich somit „auf die Erfahrung des Glaubens, daß an einem ganz bestimmten Menschen tatsächlich zum Ausdruck gekommen ist, worin das wirkliche Wesen des Menschen besteht“. (234: 222) Die christologische Fundierung und Ausrichtung der theologischen Anthropologie bedeutet nun wiederum keine Verengung auf eine religiöse Sphäre neben der alltäglichen Welt, insofern in Jesus Christus die ganze Wirklichkeit des menschlichen Lebens in ihrer Verwiesenheit auf Gott zur Anschauung kommt. Gerade die christologische Zentrierung eröffnet die theologische Wahrnehmungsfähigkeit für den Alltag und seine Forderungen. Damit ist sie aber zugleich offen für die Realisierungen des Menschseins in je meinem Leben und nicht fixiert auf eine Nachahmung des Lebens Christi. Sie bleibt zugleich ausgerichtet auf die Zukunft Gottes, weil, wie Christofer Frey im Anschluß an Karl Barth treffend formuliert, die Wirklichkeit des Menschen „in Jesus erschienen, aber eschatologisch verborgen“ (206: 60) ist. Indem sich die theologische Anthropologie auf das biblische Reden vom Menschen einläßt, kann sie die Nähe zu Lebenswirklichkeit des je konkreten Menschen wiedergewinnen und die Fixierung auf einen abstrakten Begriff des Menschseins durchbrechen. Weil die biblische Rede weder die Bestimmung des Menschseins noch die Gottesbeziehung im Selbstbewußtsein, sondern in den mannigfaltigen Bezügen des Lebens sucht, kann sie einer kritischen theologischen Anthropologie Anstoß und Richtung geben zu konkreter Gottesrede und klarer Wahrnehmung der Geschöpflichkeit. Die Einsicht in die Unmöglichkeit einer systematisierten biblischen Lehre vom Menschen erweist sich vor diesem Hintergrund geradezu als Vorteil: Ist die Aufgabe der Anthropologie, die mannigfaltigen Aspekte des Menschseins in ihrem Zusammenhang zu reflektieren, so können sie nicht durch eine systematische Vereinheitlichung reduziert werden. Theologische Anthropologie entwickelt kein System; sie kann aber doch klare Konturen eines Redens vom Menschen aufzeigen, die sich in den Erfahrungen und Herausforderungen der Gegenwart bewähren. Theologische Anthropologie kann also verstanden werden als die durch die biblischen Texte angeleitete „Grammatik“ christlicher Rede im Streit um das Menschsein. Die Metapher der „Grammatik“ bietet sich hier an, weil sie die Vielfalt der verschiedenen Redeweisen und ihre Kohärenz zugleich erfaßt: Wie die Grammatik die gesprochene Rede weder vorschreibt noch selbst hervorbringt, wohl aber die Bedingungen in den Blick nimmt, unter denen solche Rede Verständlichkeit und Sinn erhalten kann, so zielt die theologische Anthropologie auf die Reflexion derjenigen „Sprachregeln“, die christliche Rede vom Menschen ermöglichen und regulieren. In den biblischen Texten können exemplarische Redeweisen aufgefunden werden, an denen das christliche Reden vom Menschen im Streit um das Menschsein gelernt und überprüft werden kann.
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4. Thema und Eigenart theologischer Anthropologie
breitete Trennung des „eigentlichen“ Menschseins von seiner Leiblichkeit und damit zugleich die Fixierung auf das Subjekt. In ihrer Ausrichtung auf Jesus Christus, in dem der neue Mensch Gottes erschienen ist, findet die theologische Anthropologie Grundlinien einer realistischen Rede vom Menschen. In biblischer Perspektive ist die Anthropologie nur im Horizont von Soteriologie und Eschatologie wahrzunehmen.
5. Elemente theologischer Anthropologie Wie aus den bisherigen Überlegungen hervorgeht, kann hier kein Entwurf und von der Sache her erst recht kein System theologischer Anthropologie vorgelegt werden. Vielmehr geht es um die Reflexion wesentlicher Aspekte, die für ein theologisches Reden vom Menschen von Bedeutung sind. Anhand von vier Begriffspaaren wird das Feld theologischer Anthropologie umschreiben. Sie bieten die Basis dafür, in den Streit um das Menschsein theologisch begründet einzugreifen. Dieser Streit wird exemplarisch in kurzen Exkursen geführt. Die Gegenstände, die in diesem abschließenden und zusammenfassenden Teil bearbeitet werden sollen, sind keine exklusiv theologischen. Im Gegenteil: Die Legitimität theologischer Anthropologie zeigt sich nicht zuletzt daran, ob es ihr gelingt, die Aspekte zur Geltung zu bringen, die auch in den Wissenschaften, der Philosophie, vor allem in der alltäglichen Selbstwahrnehmung des Lebens von Bedeutung sind und darum auch den Streit um das Menschsein bestimmen. Theologische Anthropologie beschreibt nicht andere, verborgene oder höhere Bereiche des menschlichen Lebens, sondern spricht anders von seiner ganzen Lebenswirklichkeit. Mithin geht es um die andere Wahrnehmung des Menschseins im Lichte des theologisch reflektierten Glaubens. Die Berechtigung der theologischen Anthropologie muß sich wiederum in der Wahrnehmung des Lebens ebenso wie in ihren (vor allem ethischen) Konsequenzen erweisen. Dabei ist die Bewährung der theologischen Rede vom Menschen keine allein oder vorrangig theoretische, sondern an die individuelle Lebenswirklichkeit verwiesen. Freilich kann theologische Anthropologie keine bloße Abbildung und erst recht keine Überhöhung dessen sein, was kulturell plausibel erscheint. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, eine neue Wahrnehmung des Menschseins zu eröffnen, in der die kritische und befreiende Kraft des Glaubens zum Tragen kommt.
5.1 Sünder und Ebenbild Gottes Die Spannung, die mit diesen beiden Begriffen benannt ist, kann als fundamentale Bestimmung gelten, in die die gesamte christlich-theologische Anthropologie eingezeichnet werden kann. Sie ist freilich fundamental verschieden von der oft diskutierten Frage, ob der Mensch „von Natur aus“ gut oder schlecht sei; die Behauptung, die Bibel traue dem Menschen wenig zu, ist genauso irreführend wie ihr Gegenteil, weil sie das Menschsein in seiner Wirklichkeit und also in seiner Größe wie in seinem Elend zeigt. Die ohnehin unbeantwortbare Frage, wie der Mensch von Natur aus sei, stellt sich hier vielmehr gar nicht, da nicht die Natur des Menschen, sondern seine Relation zu Gott im Blick ist, wie sie sich in jedem gelebten Leben
5. Elemente theologischer Anthropologie
zeigt. In ihr spiegelt sich die alltägliche Frage nach dem, was das Leben eines Menschen zu einem guten Leben macht. In diesem Ausgangspunkt ist sicher eine gewisse Parallele zur philosophischen Anthropologie zu erkennen, wie sie bei Scheler, Plessner und Gehlen entwickelt wurde; von hier aus ist auch verständlich, daß diese Entwürfe zu bevorzugten Gesprächspartnern der theologischen Anthropologie wurden: Sie beschreiben Menschsein als offen und nicht festgelegt, als gestaltbar. Für die biblische Tradition ist freilich selbstverständlich, daß die Orientierung des Lebens nicht aus sich selbst abzuleiten ist, sondern vielmehr die Ausrichtung am Willen Gottes das für den Menschen letztlich Gute, auch in diesem Leben Gute, ist. Nach biblischem Verständnis ist es kein Akt der Freiheit, dem Willen Gottes nicht entsprechen zu wollen, sondern eine Verfehlung der menschlichen Freiheit, weil das, was dem menschlichem Leben an Gutem zukommt, nur aus der Hand dessen stammen kann, der das Leben geschaffen hat und erhält. Gerade daß dieser gute Wille verfehlt wird, ist aber wiederum die Wirklichkeit des Lebens, die theologisch als Sünde zu beschreiben ist.
5.1.1 Zum Ebenbild geschaffen
Würde
Auch wenn der Begriff „Ebenbild“ in der Bibel nur selten erscheint, kann er doch als Verdichtung der theologischen Rede vom Menschen verstanden werden. Er bedarf freilich der genauen Analyse, schon weil er eine optische Ähnlichkeit nahelegt, die im Kontext des Alten Testaments, das die Unabbildbarkeit Gottes immer wieder herausstellt, abwegig sein muß. Aber auch der Versuch, in einer unsichtbaren Eigenschaft eine Gottähnlichkeit des Menschen auszumachen, geht fehl. Damit ist die in der theologischen und philosophischen Tradition häufig diskutierte Frage, in welchen Wesenszügen die besondere Ebenbildlichkeit des Menschen bestehe, letztlich gegenstandslos: Von der Vernunft, die hier in der Regel genannt wird, ist in dem klassischen Text Gen 1,26 ff. überhaupt nicht die Rede. Allenfalls der Sprache kann in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zugemessen werden: Mit ihr ist verbunden, daß Menschen den Anruf Gottes wahrnehmen und ihm antworten können, wobei auch hier nicht an die Sprachfähigkeit als Besitz oder Eigenschaft, sondern an das konkrete Geschehen der Anrede Gottes zu denken ist. Dietrich Ritschl spricht darum pointiert von der „Menschwerdung der Tiere durch das Reden mit Gott“ (261). Die ,Ebenbildlichkeit steht somit für die besondere Würde, die dem Menschsein zukommt. Sie ist freilich nicht als Qualität zu verstehen, die mit der natürlichen Ausstattung des Menschen gegeben wäre oder gar als Ziel menschlicher Aktivität. Darum impliziert Ebenbildlichkeit auch keine qualitative Höhergeltung des Menschseins gegenüber anderen Geschöpfen; eine wie immer geartete Stufenordnung ist hier nicht abzuleiten. Vielmehr ist die besondere Stellung des Menschen in der Welt allein im Handeln Gottes begründet und kommt, indem sie in der Schöpfung Gottes erkannt wird, jedem Menschen durch sein bloßes Dasein zu, ohne sein Verdienst oder seine Qualität. Indem dabei ausdrücklich die Erschaffung von Männern und Frauen genannt ist, ist zugleich das Menschsein in seiner Sozialität im Blick; damit aber auch in seiner Geschlechtlichkeit und in der Verwiesenheit der ,
116
5.1 Sünder und Ebenbild Gottes
Menschen aufeinander. Dieses Moment der Pluralität von Menschsein ist nun auch darüber hinaus bezeichnend dafür, daß der Mensch immer in Relationen und in Gemeinschaft mit anderen gedacht wird: Die Beziehung zu Gott, aber auch die Beziehung zu anderen Menschen ist für Menschsein konstitutiv. In der umfangreichen neueren exegetischen Forschung zum Thema besteht Konsens darüber, daß mit ,Ebenbildlichkeit „keine wesenhafte Ähnlichkeit, sondern eine funktionale“ (176: 51) bezeichnet wird. Dabei ist der biblische Begriff der Ebenbildlichkeit zu verstehen auf dem Hintergrund der altorientalischen Königsideologie, die freilich charakteristisch umgeformt wird. Ist es dort der König, der exklusiv als das Bild Gottes bezeichnet werden kann, so wird das in Gen 1 demonstrativ auf alle Menschen übertragen. Mit dem Rang als Bild Gottes ist verbunden die Aufgabe, „Bewahrer der Ordnung, Aufrechterhalter des Kosmos gegenüber dem Chaos, Schützer der Lebensordnung, Anwalt der Schwachen und Beschützer der Armen zu sein“ (176: 51); eben diese Funktion ist nunmehr jedem Menschen anvertraut. Die einzigartige königliche Würde aller Menschen, die mit dieser Bestimmung verbunden ist, ist demnach die Aufgabe der Bewahrung der heilsamen Ordnung, die Gott der Welt mit ihrer Schöpfung gegeben hat. Die Rückseite dieser Würde ist wiederum, daß Menschen auch in der Lage sind, diese Ordnung zu verletzen und die geschaffene Welt tiefgreifend zu beschädigen. Im genauen Gegenteil zu einer verbreiteten Interpretation des mit der Erschaffung zum Ebenbild verbundenen Herrschaftsauftrags ermächtigt dieser folglich keineswegs zur Ausbeutung der Welt; vielmehr kann geradezu von einem ökologischen Mandat gesprochen werden. ,
Exkurs: Gibt es eine Sonderstellung des Menschen? Eine Sonderstellung des Menschen wird in der anthropologischen Diskussion immer wieder mit dem Hinweis auf die biologische Ähnlichkeit der Menschen mit den Tieren bestritten. So schreibt Christian Thies „die Beliebtheit der Sonderstellungsthese“ einem kollektiven Narzißmus der Menschheit zu (115: 47) und betont, „daß weder in phylogenetischer noch in ontogenetischer Hinsicht für uns besondere Gesetze gelten“. Seine Folgerung lautet: „Die These von der biologischen Sonderstellung des Menschen muß aufgegeben werden.“ (115: 46) Was sich in den Gestus nüchterner Aufklärung kleidet, basiert freilich einerseits auf einem Mißverständnis der ,Sonderstellungsthese‘, andererseits auf der Verdrängung dessen, daß das von Thies genannte Problem erst methodisch konstruiert wurde: Biologische Beschreibungen und Kriterien können nicht die Grundlage einer Sonderstellung liefern, weil sie notwendigerweise auf Kontinuität und Gleichartigkeit angelegt sind. Biologische Arbeit sucht nach gleichartigen Mechanismen. Jede an der Abstammung interessierte Betrachtungsweise kann nur Ähnlichkeiten und relative Unterschiede zu Tage fördern. Die körperliche Ähnlichkeit der Menschen mit den Tieren ist übrigens nie bestritten worden, auch nicht in der lebensweltlichen Wahrnehmung, die selbstverständlich und mit guten Gründen eine ,Sonderstellung des Menschen – der Ausdruck ist freilich unglücklich – voraussetzt. Denn daß die körperlichen Bedingungen des Menschseins bis hin zur Geschlechtlichkeit und den Stoffwechselvorgängen denen von Tieren ähnlich sind, ist offen-
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,
5. Elemente theologischer Anthropologie
sichtlich. Die Einzigartigkeit des Menschen – für Menschen! – hat ihren Ort allerdings in ganz anderen Zusammenhängen, etwa in der unbestreitbaren Tatsache, daß Menschen unter allen Lebewesen im vollen Sinn nur mit Menschen kommunizieren können. Sie manifestiert sich auch in der nicht zu bestreitenden besonderen Verantwortung von Menschen für Menschen, die in einer biologischen Perspektive nicht adäquat dargestellt werden kann. Darum geht auch die Rede von einem kollektiven Narzißmus völlig in die Irre, zumal gänzlich unklar bleibt, wie diese individualpsychologische Kategorie legitimerweise auf ein Schein-Subjekt „Menschheit“ übertragen werden kann, schon weil dabei ein Standort außerhalb der Menschheit bezogen werden müßte. Die ,Sonderstellung bezeichnet keine ontologische Auszeichnung, sondern ist eine notwendige Implikation der moralischen und kommunikativen Welt. ,
***
,Anthropozentrik
,
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Entsprechend kennt auch die biblische Schöpfungsgeschichte keine in der natürlichen Ausstattung des Menschen verankerte Besonderheit: Die Menschen werden vielmehr am sechsten Tag geschaffen wie alle anderen Landtiere auch. Es ist kein besonderer Tag, an dem der Mensch geschaffen wird. Ebenso wird der Segen: „seid fruchtbar und mehret euch“ auch über die Tiere gesprochen. „Der Mensch ist den Tieren als Mitgeschöpf beigeordnet, nicht [wie in den meisten altorientalischen Schöpfungsmythen; W.S.] den Göttern und ihrer Traglast. Er ist mit ihnen im Segen zusammengebunden und durch den Herrschaftsauftrag in eine Fürsorge, ein stellvertretendes Erhaltungshandeln eingebunden.“ (176: 13) Darum kann sich auch die gängige Rede vom Menschen als der „Krone der Schöpfung“ nicht auf die Schöpfungsgeschichte berufen; vielmehr findet diese kunstvoll komponierte hymnische Erzählung ihr Ziel nicht schon in der Erschaffung der Menschen, sondern erst in der Ruhe und dem Frieden des Sabbat. Die Rede von einer besonderen Würde des Menschen ist darum alles andere als ein naiver Anthropozentrismus und erst recht kein Grund zur Selbsterhebung, wie sich an seiner Rückseite zeigt: Menschen sind die einzigen Lebewesen, die in der Lage sind, die gesamte Biosphäre zu gefährden und zu bedrohen. Die besondere Stellung des Menschen in der Welt steht nicht nur außer Zweifel, gerade wenn man das einzigartige Potential der Menschen zur Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen betrachtet; sie ist auch in aller menschlichen Erkenntnis notwendigerweise enthalten, eben indem sie menschliche Erkenntnis ist. Was häufig leichthin als „Anthropozentrik“ verurteilt wird, ist zunächst nur die Einsicht, daß Menschen einander anders wahrnehmen als andere Geschöpfe. Insofern kommt damit nichts anderes zum Ausdruck, als daß die Perspektivität des Menschlichen notwendige Voraussetzung allen Redens und Wahrnehmens ist. Erst dort wird die unvermeidliche Perspektivität problematisch, wo aus dieser Besonderheit die Erlaubnis zur Ausbeutung der Welt abgeleitet wird; für diese Ableitung findet sich allerdings in dem vielzitierten Herrschaftsauftrag Gen 1,28 kein Anhalt. Gerade in der Verbindung des Herrschaftsauftrags mit der Erschaffung der Menschen zu Ebenbildern Gottes wird deutlich, daß dieser
5.1 Sünder und Ebenbild Gottes
Auftrag nicht die Ermächtigung zu selbstherrlicher Ausbeutung impliziert. Sein Kontext macht vielmehr deutlich, daß hier die Wahrnehmung der menschlichen Fähigkeiten an den Willen Gottes gebunden wird. Mit ihm ist zugleich ein fundamentales herrschaftskritisches Moment verbunden: Indem die königliche Würde von allen Menschen ausgesagt wird, steht die Legitimität der Herrschaft von Menschen über Menschen in Frage. Der Herrschaftsauftrag ist darum „eine utopische Erinnerung – es gibt wohl keinen zweiten Imperativ, der in so hohem Maße nicht eingelöst ist“ (175: 36). Die durch Gottes Schöpferhandeln mit dem Menschsein verliehene Ebenbildlichkeit ist keine ontologische, sondern eine funktionale Auszeichnung der Menschen: Sie sind berufen, Gottes Willen in der Welt zu repräsentieren und aufzurichten.
Exkurs: Gottesebenbildlichkeit und Menschenwürde Die Vorstellung, daß jedem Menschen, unabhängig von seiner sozialen Stellung, seinen Verdiensten und Fähigkeiten, eine eigene Würde zukommt, ist für eine nationale wie die globale Rechtsordnung von fundamentaler Bedeutung. Das Grundgesetz beginnt mit dem Satz, daß die Würde des Menschen unantastbar ist, und die Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte bezeichnet „die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen“ als „die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt“. Indem alle Mitgliedsstaaten der UN die Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet haben, ist diese völkerrechtlich verbindlich; ihre ethische und anthropologische Begründung erweist sich freilich als problematisch, wie sich an den Diskussionen um das Verständnis und die Reichweite der Menschenrechte zeigt. Wenn die Präambel dabei dezidiert von einem Glauben (im englischen Text faith) an die „grundlegenden Menschenrechte und die Würde und den Wert der menschlichen Person“ spricht, wird offensichtlich, daß es sich dabei um eine durchaus prekäre Voraussetzung handelt: Wie kann ein solcher Glaube bei Menschen sehr unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Prägungen vorausgesetzt werden? In der Debatte um die ethischen und juristischen Implikationen der Biotechnologie ist deutlich geworden, daß auch das Menschenwürdegebot im Kontext der grundgesetzlichen Ordnung der Bundesrepublik nicht selbstverständlich ist. Die Diskussion geht dabei nicht nur um einzelne Implikationen des Menschenwürdekonzepts wie die Frage, ob auch vorgeburtliches menschliches Leben den Schutz der Menschenwürde genießt, sondern auch um die Begründung des Gebots in einem säkularen Staat. Dabei ist es letztlich von nachgeordneter Bedeutung, inwieweit die Menschenrechte und der Gedanke der Menschenwürde sich der jüdisch-christlichen Tradition verdanken oder auf andere Quellen zurückgehen: Wie immer diese Frage beantwortet wird, ändert nichts an der Problematik, wie ihre Begründung in der Gegenwart auch für diejenigen überzeugen kann, die eine religiöse Fundierung ablehnen.
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5. Elemente theologischer Anthropologie Quellen der Menschenrechtskonzeption
unantastbar
Die historische Frage ist ohnehin kaum je eindeutig zu beantworten: In der komplexen Geschichte der Menschenrechte und des Menschenwürdekonzepts sind zahlreiche Quellen zusammengeflossen, die zu ihrer neuzeitlichen Ausformulierung geführt haben. Neben der biblischen Tradition sind auch Vorstellungen vor allem aus der Philosophie der Stoa zu nennen, die freilich erst im Kontext der christlich geprägten europäischen frühen Neuzeit in die Richtung allgemeiner Menschenrechte ausgeprägt wurden. Gegen eine theologische Fundierung spricht auch nicht der allerdings mitunter erhebliche kirchliche Widerstand gegen eine rechtsförmige Ausformulierung der Menschenrechte, da auch ihre Vorstreiter theologische Argumente gebrauchen. In der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 etwa wird formuliert: „We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable rights.“ Hier ist freilich auch schon die Problematik einer Begründung der Menschenrechte sichtbar, wenn die Erschaffung der Menschen durch den Schöpfer, der sie mit bestimmten Rechten ausstattet, nicht mehr als selbstevidente Wahrheit angesehen wird. Für die christliche Theologie wiederum ist die Begründung der Menschenwürde und der Menschenrechte im Handeln Gottes gegeben. Dabei ist freilich nicht auf eine natürliche Ausstattung des Menschen abzuheben, weil ihre Identifikation mit einer Eigenschaft gerade ihre Universalität beschädigen müßte: Wird etwa die Menschenwürde mit der menschlichen Vernunft in Verbindung gebracht, so könnte daraus die Konsequenz gezogen werden, daß Menschen, die momentan oder dauerhaft nicht in der Lage sind, Vernunft zu gebrauchen, die Menschenwürde und die daraus abgeleiteten Menschenrechte abgesprochen werden könnten. Die theologische Einsicht, daß die Menschenwürde nicht in identifizierbaren Eigenschaften, sondern in Gottes Zuspruch an alle Menschen begründet ist, sichert dagegen ihre unbedingte Geltung. Weil diese Einsicht in ihrer vollen Bedeutung offensichtlich nur dort nachvollzogen werden kann, wo das Bekenntnis zum Handeln Gottes in Geltung steht, stellt sich der Theologie die Aufgabe, solche Äquivalente zu formulieren, die auch in nichtreligiösem Kontext überzeugen können. Das Grundgesetz formuliert die Menschenwürde konsequent in einem Indikativ, der nicht weiter begründet wird: Sie ist unantastbar. Die Diskussion darum, ob dieser Satz nun deskriptiv oder normativ zu verstehen sei – sie könne oder dürfe nicht angetastet werden – ; ist wiederum theologisch ohne Schwierigkeiten zu klären: Auch Menschen, deren Würde in grober Weise angetastet wird, verlieren ihre Würde vor Gott gerade nicht. Weil der Glaube gerade im Gekreuzigten, dessen Würde bis zur körperlichen Vernichtung angetastet wurde, das Ebenbild Gottes erkennt, hält er fest, wie Michael Welker betont, „daß es keine Situation, ja keinen Abgrund menschlicher Existenz mehr gibt, die von der Imago Dei nicht erreicht und eingeholt werden könnte. Die Nicht-Aberkennbarkeit der Würde des Menschen ist für die Christen in ihrer christologischen Begründung gegeben.“ (300: 262)
Auch dort, wo dieser theologische Zusammenhang nicht nachvollzogen werden kann, bleibt von Bedeutung, daß der Satz von der Unantastbarkeit
5.1 Sünder und Ebenbild Gottes
der Menschenwürde notwendigerweise zugleich deskriptiv und normativ zu verstehen ist. Er ist normativ, indem jede Verletzung der Menschenwürde (zunächst durch den Staat) kategorisch ausgeschlossen wird. Weil aber faktisch die Menschenwürde immer wieder verletzt wird, ist der Satz auch deskriptiv zu verstehen, indem selbst diese Verletzungen die Würde der Entrechteten nicht zerstören können. Ohne ihre theologische Begründung ist Menschenwürde daher als eine Zuschreibung zu verstehen, was allerdings nicht heißen kann, daß diese Zuschreibung auf bloßer Konvention beruhen würde. Sie ist vielmehr eine für menschliches Handeln notwendige Zuschreibung, die solche Grenzen des Handelns respektiert, ohne die Menschlichkeit nicht zu denken ist. Weil Menschenwürde jedem Menschen zukommt, kann sie nicht an Eigenschaften gebunden sein; sie ist kein empirisches Urteil über (alle oder bestimmte) Menschen, sondern untrennbar mit der moralischen Dimension des Menschseins gegeben. Sie „ist deshalb unantastbar, weil es Unmündige, Kranke, Kinder, Gebrechliche überhaupt gibt“ (277: 107); sie ist darum gleichsam die Entsprechung zu der Einsicht, daß Menschsein gebrechlich und vergänglich ist. Menschenwürde ist folglich selbst kein Grundrecht, sondern die Bedingung dafür, daß Grundrechte denkbar sind. Als Basis der grundgesetzlichen Ordnung ist Menschenwürde „weder ein begründungsfähiger, noch ein begründungspflichtiger Begriff“. (275: 134) Der Satz, daß jedem Menschen als Menschen Würde zukommt, ist somit als ein Axiom zu verstehen, auf dem jede humane Rechtsordnung basiert. Ein Axiom bedarf keiner eigenen Begründung, weil eine solche Begründung gar nicht gegeben werden kann, insofern es die Funktion eines Axioms ist, sinnvolle Begründungen allererst zu ermöglichen. Auch wenn solche Axiome nicht eigens begründet werden können, sind sie keineswegs bloße Setzung; ihre Legitimität entscheidet sich an ihrer Leistungsfähigkeit, Akzeptanz und Kohärenz. Die außertheologische Begründung der Menschenwürde liegt in den leidvollen geschichtlichen Erfahrungen, die unabweisbar gezeigt haben, daß eine menschliche Welt nur auf der Anerkennung der Würde aller Menschen basieren kann.
5.1.2 Die Macht der Sünde Weil mit der Aussage, daß alle Menschen als Ebenbilder Gottes geschaffen sind, die Wirklichkeit des Menschseins vor Gott benannt ist wie die ausstehende Erfüllung der Repräsentanz Gottes auf der Erde, so ist zugleich mit der Ebenbildlichkeit von der Sünde zu sprechen. Freilich ist gerade der Begriff der Sünde „durch eine jahrhundertelange mißbräuchliche Verwendung so verdunkelt, daß er kaum noch in seinem spezifisch theologischen Sinn erfaßt wird“ (178: 335); darum bedarf es auch hier der genauen Reflexion, um diesen Sinn freizulegen. Ein theologisch sachgemäßes Verständnis von Sünde ist aber gerade im anthropologischen Kontext möglich, weil hier nicht die einzelne Verfehlung, sondern die Sünde als grundlegende Ausrichtung des menschlichen Lebens wahrzunehmen ist: Die einzelne Verfehlung wurzelt im Sündersein des Menschen, das sich zwar in mannigfaltigen Taten manifestiert, damit aber nicht einfach identisch ist. Weil die Sünde als die Rückseite der Ebenbildlichkeit und so als ihre Verkehrung anzusprechen ist,
Axiom
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5. Elemente theologischer Anthropologie
Erbsünde
Allgemeinheit der Sünde
ist sie zugleich fundamental zu unterscheiden von einer Verletzung der jeweils gesellschaftlich dominierenden Moral – eine Unterscheidung, die freilich in der Geschichte der Christenheit häufig mit verhängnisvollen Folgen mißachtet wurde. In der klassischen Fassung der Erbsündenlehre, wie sie in ihrer wirkmächtigen Gestalt von Augustinus formuliert wurde, werden theologisch unverzichtbare Einsichten in einer Weise systematisiert, die sich als problematisch und verhängnisvoll erwiesen haben. Dabei versucht Augustinus zunächst, einer theologisch notwendigen Logik zu folgen, wie sie vor allem bei Paulus erscheint, der im Römerbrief in einer Kompilation alttestamentlicher Aussagen darlegt, daß alle Menschen Sünder sind. Dies ist freilich wiederum keine unmittelbare Erfahrungsaussage, sondern gleichsam die Rückseite der grundlegenden Überzeugung des christlichen Glaubens, daß nämlich Christus für alle Menschen gestorben ist; dies setzt aber voraus, daß alle Menschen erlösungsbedürftig sind. Bei Paulus findet sich auch die Gegenüberstellung der Sünde, die durch einen Menschen in die Welt gekommen ist, und der Versöhnung, die in dem einen Christus geschehen ist (Röm 5,12 ff.). Augustinus geht hier freilich einen folgenreichen gedanklichen Schritt weiter, indem er die Sünde Adams mit der Lebensgeschichte jedes Menschen verbindet, indem er den Zeitpunkt benennen will, an dem die Sünde identifiziert werden kann. Da dies konsequenterweise der frühste mögliche Zeitpunkt sein muß, zugleich aber die gnostische Gefahr vermieden werden soll, daß Geburt oder Zeugung selbst als schlecht erscheinen, weil sonst das Schöpfungswerk Gottes selbst mit der Sünde in Verbindung gebracht würde, verortet Augustinus den Übergang der Sünde im Begehren, das mit dem Zeugungsakt verbunden ist, zumal Paulus das Begehren selbst als Inbegriff der Übertretung bezeichnen kann (Röm 7,7); dort ist freilich keineswegs unmittelbar vom sexuellen Begehren die Rede. Wenn auch bei Augustinus das sexuelle Begehren nur eine – von ihm gleichwohl besonders häufig angeführte – Ausdrucksform der Sünde ist, so ist gerade diese Identifikation in der Geschichte des Christentums häufig vollzogen worden. Die Verknüpfung des Gedankens von der Allgemeinheit der Sünde mit der Sinnlichkeit führte aber zumindest tendenziell zu einer Verachtung der menschlichen Leiblichkeit und damit seiner Geschöpflichkeit. Bestand die Attraktivität des Konzepts der vererbten Sünde wesentlich darin, die Allgemeinheit der Sünde gedanklich fassen zu können, so mußte eben dies der fundamentalen Kritik verfallen, sobald einerseits erkannt wurde, daß die traditionelle Erbsündenlehre auf einer sehr schwachen exegetischen Basis beruhte, und andererseits Sünde von der individuellen Schuld her verstanden wurde. So wurde die Lehre umgeformt zu der Behauptung eines Überwiegens der sinnlichen Begierde über Vernunft und Sittlichkeit, das im Leben jedes Menschen verortet und nachzuweisen versucht wurde. Wie Wolfhart Pannenberg treffend formuliert, war das Ergebnis dieser Entwicklung „die Erzeugung eines falschen Schuldbewußtseins von vager Allgemeinheit in Verbindung mit Moralismus. Der Moralismus, der aus der Verlagerung des Sündenbegriffs auf die Tatsünden folgte, wurde zum Opfer der Kritik an einem christlichen ,Pharisäertum‘, das über Fehlverhalten anderer ohne psychologisches und soziales Verständnis für dessen Ursachen urteilt.“ (214: 270)
5.1 Sünder und Ebenbild Gottes
,Sündenfall
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Weil aber im Zuge dieser notwendigen Kritik auch die unverzichtbaren und befreienden Elemente der traditionellen Erbsündenlehre verdrängt wurden, muß die Theologie „hinter den mit Recht der Kritik verfallenen Aspekten der augustinischen Sündenlehre ihren bleibend bedeutsamen Grundgedanken erfassen und in seiner Selbständigkeit gegenüber jenen anderen Aspekten zur Geltung bringen“ (214: 277) – gerade um nicht dem genannten Moralismus zu erliegen. Die theologisch-anthropologische Grundbestimmung, daß der Mensch als Sünder anzusprechen ist, formuliert einen Glaubenssatz, der nicht unmittelbar am Leben und Tun aller Menschen aufweisbar ist. So ist es eine wenig hilfreiche und letztlich auch theologisch unzulässige Ableitung, auch in scheinbar guten Taten außerhalb des Glaubens nur die verborgene Selbstsucht entlarven zu wollen. Weil der Satz, daß Menschen Sünder seien, nicht unmittelbar aus der der Erfahrung abgeleitet werden kann, ist mit ihm auch kein moralisches Urteil gefällt. Dies bedeutet freilich keineswegs, daß diese Aussage mit Erfahrung nichts zu tun hätte; vielmehr erschließt der theologische Satz allererst Erfahrungen: Mit ihm wird es möglich, solche Phänomene als Sünde zu benennen, in denen der Widerstand gegen Gottes lebensfreundlichen Willen erkennbar wird, so daß vorgängige Vorstellungen davon, was Sünde sei und was Tugend, in Bewegung geraten und der Sündenbegriff aus einer Verdoppelung gängiger Moralvorstellung gelöst wird. Die eigentümliche theologische Logik des Sündenbegriffs wird erkennbar in der bekannten Erzählung vom Sündenfall, der nicht als Ursprungsgeschichte zu lesen ist, sondern als Verdichtung dessen, was sich in jedem Leben ereignet. Dabei steht gerade nicht die sinnliche Verlockung im Zentrum; das Versprechen der Schlange, dem die Menschen erliegen, geht vielmehr auf den Kern ihrer Existenz, indem sie die Grenzen des Geschöpflichen hinter sich lassen wollen. Erst indem die Schlange den Genuß der Frucht mit dem Versprechen verbindet, daß sie sein werden wie Gott und darum wissen, was gut und böse sei, wird diese Frucht zur Verlockung. Das Versprechen der Schlange erweist sich freilich als Betrug: Das Wissen um Gut und Böse haben die Menschen eben nicht erworben, wie die Geschichte der Menschheit hinreichend erweist; und die beschämende Klugheit, die sie erwerben, besteht allein in der Erkenntnis, daß sie nackt sind, was ihnen sogleich unerträglich wird. In ihrer Scham gibt das Menschenpaar zu erkennen, daß es etwas zu verbergen hat: Die Unterscheidung zwischen Gut und Böse wird zur Entfremdung von der eigenen Leiblichkeit. Was in der Erzählung vom Sündenfall als das Verlangen nach dem „Sein wie Gott“ sichtbar wird, ist letztlich kein im engeren Sinn religiöses Vergehen. Vielmehr stellt sich die Frage, was in diesem Begehren überhaupt als ,Gott erscheint. Luther formuliert dies pointiert in seiner Auslegung zum ersten Gebot im Großen Katechismus: „Worauf du nun dein Herz hängest und verlässest, das ist eigentlich dein Gott.“ Die Alternative, die sich hier stellt, läßt sich durchaus auch ohne religiöse Terminologie formulieren: Wem verdankt sich das Leben und wem ist es daher auch geschuldet? Was macht mein Leben zu einem guten und sinnvollen Leben? Weil aber in diesen fundamentalen existenziellen Fragen die Frage nach Gott, die eben keine theoretische ist, konkret wird, ist in der biblischen Tradition nicht das
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5. Elemente theologischer Anthropologie
Sünde als Macht
Geld und Macht
entscheidende Problem, ob es einen Gott gibt, sondern die Prüfung, worauf das Leben gebaut ist. Dabei ist die ganze Ausrichtung des Lebens im Blick. Wenn also die Grundsünde in dem Begehren, sein zu wollen wie Gott, zusammengefaßt wird, so ist damit ein Leben umschrieben, in dem Menschen sich selbst und ihre Fähigkeiten ins Zentrum ihrer Lebensinteressen stellen und Gott letztlich gar nicht mehr nötig haben wollen. Luthers prägnante und berühmte Formulierung spricht daher vom Menschen als in sich selbst verkrümmt (homo incurvatus in se; WA 56, 356, 5 f.): Er ist vollkommen fixiert auf die eigenen Taten und Möglichkeiten. Nun würde der Kern dieses Gedankens bereits im Ansatz verfehlt, wenn man ihn ausschließlich oder vorrangig auf das Individuum beziehen wollte. Darum ist der Gegenbegriff zu solcher Selbstzentriertheit auch keineswegs die Selbstverachtung. Aus der Logik der Rede von der Sünde geht hervor, daß Menschen sich selbst gerade dann verlieren, wenn sie um sich und ihre Anstrengungen zentriert leben. Der menschliche Wille ist eben nicht das Organon, um der Sünde Herr zu werden, vielmehr bedarf es der Durchbrechung des Banns der Sünde durch Gottes eigenes Handeln, das dann auch die Wirklichkeit menschlicherer Verhältnisse eröffnet. Die weitaus wirkmächtigere Gestalt der Sünde als die individuelle Selbstsucht ist freilich ihre soziale und kulturelle Gestalt, der gegenüber sich die Individuen als machtlos und untergeordnet erfahren. In biblischer Perspektive erscheint Sünde darum als geradezu unpersönliche Macht; von weitaus größerer Bedeutung als das individuelle Tun der Sünde ist darum die Erfahrung, daß die Sünde Menschen unterjocht, daß also andere Mächte als Gottes Macht das Leben bestimmen (vgl. dazu 284). Anders als in weiten Teilen der christlichen Tradition ist es im biblischen Zeugnis das Streben nach der Gewalt über das eigene Leben und damit verbunden nach Macht und Geld, an dem das Wesen der Sünde abzulesen ist. Sicher nicht zufällig erscheinen in der Erzählung von der Versuchung Jesu in der Wüste (Mt 4,1 ff.) die Sicherung der Lebensgrundlagen (Brot), der Schutz vor Bedrohung (Sturz vom Tempel) und die Herrschaft über die Reiche der Welt als exemplarische Versuchungen – eine sexuelle Verlockung, wie sie die Erzählungen über die Versuchung der Wüstenväter der Alten Kirche dominiert, wird mit keiner Silbe erwähnt. Geradezu als Inbegriff der Macht, der Menschen sich unterwerfen, kann der Mammon erscheinen. Damit ist nicht vorrangig das Streben nach Wohlstand bezeichnet, sondern das Bestreben, die Grundlagen des Lebens selbst in die Hand des Menschen zu bekommen. Nicht die Verschwendung oder der Konsum erscheinen in biblischer Perspektive als Sünde; im strikten Gegensatz zu den kapitalistischen Tugenden ist ihr Inbegriff vielmehr das Ansammeln des Besitzes um seiner selbst willen. Geld ist seiner bloßen Form nach reine Möglichkeit: Es kann für alles und jedes ausgegeben werden oder eben nicht. Jeder Konsum ist schon eine Beschränkung der Freiheit, die Geld verspricht. Die reine Akkumulation und Vermehrung ist darum im Wesen des Geldes inhärent. In dieser Eigenschaft der universellen Verfügbarkeit verspricht Geld Omnipotenz – und gerät damit notwendig in Konkurrenz zur Anerkennung der Macht Gottes. Die Macht, die Besitz verspricht, ist aber im Kern das Versprechen, gegen die Wechselfälle des Le-
5.1 Sünder und Ebenbild Gottes
bens gewappnet zu sein und so mit Gottes Herrschaft über Leben und Tod zu konkurrieren.
Exkurs: Ist der Mensch ein homo oeconomicus? Der homo oeconomicus kann als ein gegenwärtig außerordentlich wirkungsmächtiges Leitbild des Menschseins gelten. Wirtschaften gehört ohne Zweifel zum menschlichen Leben. Strittig ist freilich, welche Bedeutung ihm zukommt. In den Wirtschaftswissenschaften, denen unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen eine besondere Stellung für die Selbstorientierung und Handlungsorientierung zukommt, wird nicht selten der Anspruch erhoben, menschliches Verhalten überwiegend oder gänzlich als ökonomisches Handeln beschreiben zu können, so daß sich der Mensch als homo oeconomicus definieren ließe. Dabei ist die für die anthropologische Fragestellung charakteristische Verbindung von deskriptiven und normativen Momenten von besonderer Bedeutung: Wenn auch zunächst nur der Anspruch erhoben wird, das menschliche Verhalten lasse sich ökonomisch erklären, so wird dies doch zunehmend wirksam als die Forderung, der Mensch solle sich nach ökonomischen Kriterien verhalten; Anlässe für die Annahme einer derartigen self fulfilling prophecy sind zur Genüge vorhanden. Die Vorstellung des homo oeconomicus ist freilich selbst empirisch kaum haltbar und auch theoretisch problematisch. Zunächst wurde diese Vorstellung auch als eine bewußte Fiktion entworfen: Unter der (kontrafaktischen) Annahme, daß Menschen sich als ökonomisch vollkommen ,rationale Akteure verhielten, sollte sich ihr wirtschaftliches Verhalten prognostizieren lassen. Diese Fiktion konnte durchaus einigen Erklärungsgewinn bieten, was freilich nicht erlaubt, sie zur Tatsache umzuformen. Diese Verallgemeinerung kann nur gelingen, wenn der Begriff des ökonomischen Verhaltens so weit ausgedehnt wird, daß jede Orientierung an einem Handlungsziel schon als „Nutzen“ erscheint – ein Gedanke, der spätestens seit Aristoteles geläufig ist. In einem zweiten Schritt wird dann dieser sehr vage Nutzenbegriff wieder ökonomisch verengt. Signifikant für diesen überzogenen Anspruch ist die Behauptung des Nobelpreisträgers Gary S. Becker, daß ein Mensch dann heiratet, „wenn der Nutzen, den er von einer Heirat erwartet, den Nutzen übersteigt, den er sich vom Alleinbleiben oder von weiterer Suche nach einem passenden Partner verspricht“. (117: 10) Bei einem weiten Begriff von Nutzen ist das trivial, sofern der Heiratende bei Sinnen ist (und er freiwillig heiratet), bei einem engen Nutzenbegriff schlicht falsch. Zu einem Verstehen oder auch nur Beschreiben dessen, was einen Menschen bewegt zu heiraten, kann dieser Ansatz jedenfalls kaum etwas beitragen. Menschliches Handeln folgt außer einem scheinbar rationalen Nutzenkalkül auch einer Vielzahl von Gefühlen, Prägungen und Verpflichtungen – und erweist sich gerade darin als rationaler, weil diese Gefühle und Verpflichtungen für das gemeinsame Leben von fundamentaler Bedeutung sind. Ein bloß nutzenabwägendes Handeln würde diese Grundlagen auflösen. So ist es ein Zeichen sozialer Vernunft, wenn Hartmut Kliemt als Ergebnis spieltheoretischer Modellexperimente festhält: „Weder erwarten normale Bürger, dass ihre Mitbürger sich wie Homines oeconomici verhalten, noch verhalten sich die betreffenden Individuen tatsächlich in dieser
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5. Elemente theologischer Anthropologie
Weise.“ (123: 49) Den Nutzen des homo-oeconomicus-Modells kann er darum geradezu ironisch so formulieren: „Der Homo oeconomicus zeigt uns, dass wir in die meisten sozialen Probleme geraten, nicht weil wir dumm, sondern weil wir rational sind.“ (123: 50) Die entscheidende Frage ist dabei nicht, ob menschliches Handeln auf Nutzen orientiert ist, sondern vielmehr, was jeweils als Nutzen erscheint. Eben das ist freilich strittig: Der Streit darum kann aber selbst wieder nicht mit ökonomischen Mitteln, sondern ausschließlich auf ethischem Gebiet ausgetragen werden. In die jeweiligen Optionen gehen aber Vorstellungen davon ein, wie die Welt und die Menschen beschaffen seien. Die theologische Kritik am homo oeconomicus muß also nicht auf die Ausrichtung an einem wie immer gearteten Nutzen zielen und erst recht nicht in einem kraftlosen Appell an die Selbstlosigkeit münden. Sie bestreitet vielmehr die Behauptung, daß diese Welt ein Reich des Mangels sei, weil sie vom Reichtum der Schöpfung sprechen kann, und sie muß auch ihre eigene Wahrnehmung der Lebenswirklichkeit und ihre eigene Vorstellung von dem, wie die Lebenswelt der Menschen als menschliche beschaffen sein soll, zur Geltung bringen. *** Die theologische Rede von der Macht der Sünde ist mithin keineswegs mythologisch; sie benennt vielmehr präzise und erfahrungsnah die von Menschen hervorgebrachten und am Leben erhaltenen Abhängigkeiten, die paradoxerweise gerade aus dem Versuch resultieren, sich dessen vollständig zu bemächtigen, wovon Menschen leben, und damit die Grenzen des Geschöpflichen zu sprengen. Indem aber das, was dem Leben als Gabe zukommt, zur Frucht eigener Arbeit und Anstrengung werden soll, verliert es seinen Charme: Erst in dieser Entstellung wird dann auch Sexualität zum Ausdruck der Sünde und das Geschenk der Geschöpflichkeit zum Instrument eigener oder fremder Macht. Das Sündersein des Menschen manifestiert sich in dem Versuch, das Leben aus eigener Macht zu meistern und zu sichern, und dabei eben das zu negieren, was Menschen selbst nicht hervorbringen können. Das Wesen der Sünde ist die Verleugnung der Geschöpflichkeit; darum ist für Reinhold Niebuhr nicht die sinnliche Verlockung, sondern der Hochmut ihr prägnanter Ausdruck: „Man is insecure and involved in natural contingency; he seeks to overcome his insecurity by a will-to-power which overreaches the limits of human creatureliness. Man is ignorant and involved in the limitations of a finite mind: but he pretends that he is not limited. He assumes that he can gradually transcend finite limitations until his mind becomes identical with universal mind. All of his intellectual and cultural pursuits, therefore, become infected with the sin of pride. Man s pride and will-topower disturb the harmony of creation. The Bible defines sin in both religious and moral terms. The religious dimension of sin is man s rebellion against God, his effort to usurp the place of God. The moral and social dimension of sin is injustice.“ (210: I, 190 f.) ,
Sünde benennt reale Abhängigkeiten
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In ihrer Einsicht in das Sündersein des Menschen muß theologische Anthropologie darum dem neuzeitlichen Programm der Vervollkommnung des
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Menschengeschlechts und der Selbstvervollkommnung vehement widersprechen. Der Grund dafür liegt eben nicht in einer ,pessimistischen Sicht des Menschen, sondern in der Erkenntnis, daß dieses Programm zugleich überfordert und zur gewaltsamen Durchsetzung des vorgängigen Ideals verführt. Diese Gewaltsamkeit ist bereits in dem humanen pädagogischen Ideal der Aufklärung, die aus dem Menschen ein besseres Wesen machen will, nicht zu eliminieren (s.o. S. 22 ); sie manifestiert sich bis in die Gegenwart in den Strategien einer politischen wie einer biologischen und genetischen Optimierung des Menschen. Menschliches Leben lebt immer von den Voraussetzungen, die nicht selbst produziert werden können; wo diese Abhängigkeiten, die mit der geschöpflichen Existenz gegeben sind, verleugnet werden, werden die Mächte, die Menschen hervorbringen, übermächtig. Gegen die Dominanz des Ideals menschlicher Selbstvervollkommnung steht das heilsame Wissen um das Sündersein des Menschen. Die Aufgabe besteht geradezu darin, daß Christen, mit einer Formulierung von Stanley Hauerwas (269: 78 ff.), allererst lernen, Sünder zu sein, weil dies eben kein Wissen ist, das Menschen von Natur aus haben, und das auch nicht aus Erfahrungen unmittelbar abgeleitet werden kann. Dieses Lernen, ein Sünder zu sein, führt aber gerade nicht zu der Selbstverachtung, die die Folge des ständigen Scheiterns am Ideal der Selbstvervollkommnung ist, sondern dazu, das Sündersein nicht ernster zu nehmen als Gott es tut. Nicht das eigene Tun und Scheitern definiert einen Menschen; es geht vielmehr darum, Gottes Urteil gelten zu lassen. An die Stelle der Buchführung über das eigene Tun tritt das Bewußtsein, daß vor Gott kein Mensch gerecht ist, aber eben darum auch der Rechtfertigung bedarf. Im Glauben wird diese Einsicht möglich, weil das Urteil Gottes nicht in der Vernichtung, sondern in der Erlösung besteht. Wenn Menschen Gottes Urteil gelten lassen, ist nicht mehr das eigene Urteil oder das anderer Menschen und der Gesellschaft von Bedeutung; darum steht am Ende Gerechtsprechung und nicht Verurteilung. Gottes Urteil über das Leben zu akzeptieren heißt, seine Gnade und seinen Freispruch anzunehmen. Wo Menschen aber dieses Urteil Gottes nicht gelten lassen wollen, dann bestehen sie auf ihren eigenen Kriterien, aus denen paradoxerweise nur die Selbstverurteilung folgen kann. Die einzelnen Verfehlungen sind dadurch nicht gegenstandslos; sie verlieren allerdings ihre zentrale Bedeutung: Sie definieren nicht länger das Menschsein eines Menschen. Damit ist der Zwang zur Selbstvervollkommnung und zur Vervollkommnung anderer durchbrochen; die Einsicht in das Sündersein des Menschen ist darum eine befreiende Erkenntnis, die es einerseits erlaubt, sich selbst in den eigenen Grenzen und Abhängigkeiten wahrzunehmen, und damit andererseits erst neue Wege des Lebens eröffnet. Indem Menschen die Gnade Gottes gelten lassen, werden sie in die Lage versetzt, die Schuld, die sie auf sich laden, zu ertragen, und die eigenen Ansprüche wie die gesellschaftlichen Konventionen kritisch auf ihre Geltung zu überprüfen. Wo in theologisch präzisem Sinn von Sünde die Rede ist, sind darum die gängigen sozialen und moralischen Kriterien der Bewertung außer Kraft. Wo ein Mensch Schuldgefühle entwickelt, ist nicht unbedingt Sünde; der Glaube führt in die heilsame Distanz zu vorgängigen Kriterien von Schuld und Sünde. ,
heilsames Wissen um das Sündersein
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In der Perikope vom Pharisäer und dem Zöllner im Tempel (Lk 18,9 – 14) wird das prägnant gezeigt. Der moralisch ohne Zweifel dem Pharisäer unterlegene Zöllner bittet Gott im vollen Bewußtsein dessen, daß er Gott nichts anzubieten hat, um die grundlose Gnade. Der Pharisäer dagegen dankt Gott in scheinbarer religiöser Demut dafür, daß er besser ist als die anderen. Die Pointe liegt nun darin, daß in moralischer Hinsicht der Pharisäer völlig im Recht ist. Jesu Kritik an den Pharisäern geht gerade nicht gegen ihre Lebensführung; sie sind nicht im umgangssprachlichen Sinn Heuchler, daß ihr moralisch gutes, sozial verträgliches und solidarisches Verhalten nur äußerer Schein wäre. Der fundamentale Irrtum, den Jesus offenlegt, ist vielmehr erst dann zu erkennen, wenn ihre ethische Integrität außer Zweifel steht: Sie verlassen sich auf ihr eigenes Handeln statt sich Gottes Wegen anzuvertrauen. Lernen Sünder zu sein, ist darum ein Erlernen christlicher Freiheit. Sie durchbricht die Selbsttäuschung, daß Freiheit aus der Verdrängung von Schuld und Sünde bestehe. Eben diese Selbsttäuschung ist als Täuschung oft schmerzlich genug bewußt – nicht nur in den Handlungen und Gedanken, die unmittelbar als Sünde identifiziert werden könnten. Das Bewußtsein von Verfehlungen, das Eingeständnis, hinter den eigenen Plänen und den Erwartungen anderer zurückzubleiben, kann doch geradezu als eine conditio humana bezeichnet werden. Wer lernt, ein Sünder zu sein, öffnet sich auf Gott hin, weil von Sünde nur vor Gott die Rede sein kann. Insofern überbietet die christliche Rede von der Sünde die Semantik der Schuld in heilvoller Weise: Während Schuld einsam macht, führt das Wissen um das eigene Sündersein in die Gemeinschaft der Sünder, die theologisch allemal als begnadigte Sünder anzusprechen sind. Von der Sünde reden heißt darum, zuvor von der Gnade reden; darum geht anthropologisch der Erkenntnis der Sünde das Wissen um das Geschaffensein als Ebenbild Gottes voraus. Die theologische Wahrnehmung des Menschen als Sünder kann nicht aus der Erfahrung abgeleitet werden; damit sind vorgängige moralische Vorstellungen unbrauchbar. Vielmehr eröffnet die Einsicht in das Sündersein die Erfahrung der Vielgestaltigkeit des Bösen und Unheilvollen; sie zeichnet ein realistisches Bild des menschlichen Lebens, gerade indem sie die Abhängigkeiten, in denen jedes Leben sich vorfindet, ernst nimmt. Freilich wird die theologische Rede vom Menschen erst vollständig, wenn sie vom gerechtfertigten Sünder spricht. Nach dem Markus-Evangelium beginnt Jesu Predigt des Evangeliums mit dem Ruf zur Umkehr (Mk 1,15). ,Buße hat im Hebräischen wie im Griechischen die konkrete Bedeutung der Umkehr und der Erneuerung des Lebens. „Eine christliche Anthropologie wird ihrer Aufgabe nur gerecht, wenn sie von der Erneuerung der geschöpflichen Existenz des Menschen ausgeht. So sehr die Verstrickung der Menschen in das Böse berücksichtigt werden muß, ist eine christliche Anthropologie im positiven Sinn von der Geschöpflichkeit her zu entfalten, die durch das rettende Handeln Gottes wiedergewonnen werden kann.“ (178: 336) In der Verkündigung des Evangeliums wachsen den Menschen neue Lebensmöglichkeiten zu, indem sie nicht auf ,
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5.2 Leib und Seele
ihr Sündersein festgelegt werden, sondern aus einer erneuerten Gemeinschaft mit Gott leben können. Erst auf diesen neuen Wegen wird dann auch erkennbar, wie die Ebenbildlichkeit, zu der die Menschen geschaffen sind, Gestalt gewinnen kann. Darum läßt sich Gottebenbildlichkeit „auch in ihrer anthropologischen Dimension nicht abgesehen von der durch Christus vermittelten Neuschaffung bestimmen“. (291: 371) Das Neue Testament greift die Formel von der Ebenbildlichkeit ausdrücklich auf, bezieht sie aber zunächst exklusiv auf Christus: „Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung.“ (Kol 1,15; vgl. auch 2 Kor 4,4; Kol 3,15; Hebr 1,3) Damit wird die Ebenbildlichkeit aller Menschen nicht zurückgenommen, wohl aber präzisiert: In Jesus Christus ist die Spannung zwischen Ebenbildlichkeit und Sündersein des Menschen aufgelöst, indem er die mit der Ebenbildlichkeit gegebene Repräsentanz Gottes in der Welt erfüllt. Die christologische Formel von Chalzedon, nach der Jesus Christus als wahrer Gott und wahrer Mensch bekannt wird, hat demnach auch einen anthropologischen Sinn: Was der Mensch in Wahrheit ist, entscheidet sich theologisch an dem Christus, nicht schon in der Betrachtung und Analyse empirischen Menschseins. Die Erfüllung des Menschseins findet sich folglich auch nicht in einer Überhöhung der natürlichen Möglichkeiten des Menschen. Eine solche Überhöhung wäre allemal ambivalent; die furchtbaren Manifestationen der Phantasien vom Übermenschen und Herrenmenschen im 20. Jahrhundert haben diese Ambivalenz deutlich vor Augen geführt. Nicht Vorstellungen von einem Idealmenschen, sondern die Wirklichkeit des Christus bringt zur Erscheinung, was der Mensch ist. Damit werden die Schwärmereien von der Vervollkommnung des Menschen, sei es durch Erziehung, Politik oder genetische Optimierungen, theologisch delegitimiert. Für den christlichen Glauben ist es nichts anderes als das Bild Christi, das die letzte Wirklichkeit des Menschen umschreibt. „Es ist freilich seine jetzt noch verborgene, eschatologische Wirklichkeit. Aber gerade sie prägt seine Gegenwart.“ (185: 24)
5.2 Leib und Seele Die anthropologische Trennung von Leib und Seele hat eine lange Geschichte auch im Christentum. Damit verbunden war oft eine Abwertung des Leibes und der Sinnlichkeit der Menschen. Freilich ist diese Trennung nicht biblischen, sondern philosophischen Ursprungs. Der philosophische und wissenschaftliche Hintergrund, der diese Trennung bis in die Gegenwart fundiert, muß darum nachgezeichnet werden, um zu einem erneuerten Verständnis menschlicher Leiblichkeit zu kommen.
5.2.1 Das vernünftige Lebewesen Die bekannteste und ohne Zweifel wirkungsmächtigste Bestimmung dessen, was der Mensch sei, ist die seit der Antike überlieferte Definition des Menschen als das vernunftbegabte Lebewesen. Sie hat das abendländische Denken über den Menschen geprägt und prägt es bis in die Gegenwart, wo-
Christus als Ebenbild
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5. Elemente theologischer Anthropologie
zoon logon echon
bei freilich einige deutliche Modifikationen im Verständnis dieser Formel zu verzeichnen sind. Sie ist zentriert um die eigentümliche Doppelgestalt des Menschseins, wie es sich der unmittelbaren Selbsterfahrung zeigt: In seiner physischen Existenz anderen Lebewesen ähnlich, kann der Mensch sich doch in eigentümlicher Weise sich selbst gegenüber verhalten und sich von seiner Körperlichkeit graduell distanzieren; er ist nicht unabhängig von seinem Körper und ist doch nicht mit ihm identisch. Diese doppelte Bestimmung wird in der Formel vom vernünftigen Lebewesen so systematisiert, daß der Mensch zugleich in seine umgebende Natur eingeordnet als auch von ihr unterschieden wird, indem in der Form einer klassischen Definition sowohl die Zugehörigkeit zur Klasse der Lebewesen wie die unterscheidende Besonderheit des Vernunftbesitzes angeführt werden. Dies spiegelt sich noch einmal in der biologischen Gattungsbezeichnung homo sapiens, die sich von anderen dadurch unterscheidet, daß sie nicht nur äußerliche oder formale Kennzeichen benennt, sondern eine starke inhaltliche Komponente enthält. Daß auf diese Weise eine Bestimmung des Menschseins nicht durch eine Beschreibung erfolgt, aber auch nicht an Handlungen und Relationen orientiert wird, sondern einen unwandelbaren Kern zu erfassen sucht, ist für das metaphysische Denken, aber auch für das abendländische Denken charakteristisch, freilich nicht selbstverständlich. Andere Kulturen, andere Sprachen können da anders vorgehen. Der malaiische Name „Orang-Utan“ für den einzigen nichtafrikanischen Menschenaffen heißt bekanntlich übersetzt: „Waldmensch“. Diese Unterscheidung ist mithin nicht an Eigenschaften orientiert, sondern an den sozialen Grenzen: Die Waldbewohner werden von den in Dörfern lebenden unterschieden; nicht ontologische Einteilungen, sondern die unterschiedlichen Kommunikationsmöglichkeiten bestimmen hier die Differenz. Die für das Abendland so wirkungsmächtige Formel geht in ihrer ältesten, griechischen Fassung zurück auf Aristoteles, der wiederum einen Gedanken des pythagoreischen Philosophen Alkmaion von Kroton aufgreift. Freilich wird der Mensch bei Aristoteles nicht unmittelbar als das vernünftige Lebewesen bestimmt, sondern als das Lebewesen, das den logos hat (zoon logon echon), wobei der griechische Ausdruck logos kaum genau zu übersetzen ist. In seiner Grundbedeutung verweist er auf die vernünftige Rede, also nicht unmittelbar auf die Fähigkeit des Sprechens, sondern auf den Vollzug des gemeinsamen Gesprächs. Menschen sind nach dieser Definition somit die Wesen, die miteinander sprechen können und darum vernünftig sind: Der Erweis der Vernünftigkeit ereignet sich im Gespräch und im Streit um das bessere Argument. Damit ist aber in die Definition des Menschen bei Aristoteles unabdingbar seine Sozialität einbezogen. Konsequenterweise tritt darum neben diese Definition die weitere des Menschen als eines politischen Lebewesens (zoon politikon). Hier wird nicht lediglich darauf abgehoben, daß der Mensch in Sozialverbänden lebt und Staaten bildet, sondern auf die Fähigkeit und Notwendigkeit, die politischen Bedingungen des Zusammenlebens immer wieder neu im Gespräch zu begründen und zu formen. Die Ameise ist in diesem Sinn eben kein politisches Lebewesen im vollen Sinn, weil ihre Formen des Zusammenlebens festgelegt sind und sich nicht der diskursiven Gemeinschaft von Individuen verdankt. Die beiden
5.2 Leib und Seele
aristotelischen Definitionen erläutern und bedingen einander also wechselseitig: „Der Mensch lebt in der Gesellschaft, weil er den Logos hat; er hat den Logos, weil er in der Gesellschaft lebt.“ (160: 165) Die Definition des Menschen bei Aristoteles steht folglich auch in dezidiert ethischem Kontext; sie bestimmt den Menschen als ein moralisches Wesen (vgl. 236: 73 ff.). Die soziale Fundierung der Definition des Menschen tritt in der weiteren Rezeption der Formel zurück, wenn bei den Stoikern der logos als Prädikat Gottes aufgefaßt wird; obwohl damit der philosophische Gottesgedanke und keineswegs der Gott der Bibel gemeint war, spielte diese Verschiebung für die christliche Rezeption eine entscheidende Rolle. Damit ist aber auch nicht mehr das Gespräch, sondern die intellektuelle Anschauung bzw. das vernünftige Denken im Blick, wie es auch in der lateinischen Wiedergabe der Formel als animal rationale zum Ausdruck kommt. Im Denken ist das Individuum mit sich allein und einzig bezogen auf die der Vernunft einsehbare Einheit und Struktur der Welt: Eben dies aber ist der Sinn dessen, was in der Stoa, wie sie auch von kaum zu überschätzendem Einfluß für das neuzeitliche Denken ist, als Gottheit erscheint. Als animal rationale ist der Mensch ein Naturwesen, zugleich aber auch der Natur entnommen und ihr sogar gegenüberstehend, insofern die Rationalität nicht nur ein Spezifikum des Menschen ist, das ihn von anderen Lebewesen unterscheidet, sondern wiederum auch sein Verhältnis zur Welt und zu sich selbst prägt. In der Definition des Menschen als Vernunftwesen ist darüber hinaus auch angelegt, daß er nur dann ganz Mensch sei, wenn er eben diese Vernunft gebraucht und entwickelt. Die Formel ist also deskriptiv und normativ zugleich: Sie beschreibt eine Eigenart des Menschen, indem aber diese Eigenschaft mit dem Wesen des Menschseins selbst identifiziert wird, ist die Forderung unabweisbar, ein Mensch solle vernünftig sein, weil er eben nur darin sein Menschsein verwirklicht. In ihrer deskriptiven wie in ihrer normativen Seite folgt die Formel vom Menschen als Vernunftwesen der alltagsweltlichen Intuition und ist darum eine treffende Definition: Sie benennt wesentliche Momente menschlicher Selbsterfahrung, indem sie sowohl die kommunikative Strukturierung der menschlichen Lebenswelt als auch die Fähigkeit, sich von der eigenen körperlichen Natur und den unmittelbaren Antrieben distanzieren zu können, zur Sprache bringt. Sie ist allerdings auch eine einseitige Definition, die in ihrer Verabsolutierung schwerwiegende Konsequenzen mit sich bringt. Die Rückseite dieser Hochschätzung der menschlichen Vernunft ist die Abwertung der übrigen Dimensionen des menschlichen Lebens, die dann als Beeinträchtigungen seiner Vernunftnatur erscheinen müssen. In besonderer Deutlichkeit erscheint dieser Zusammenhang bei René Descartes, bei dem die in der Formel vom Menschen als Vernunftwesen gleichermaßen anthropologische wie fundamentalphilosophische Auffassung ihre für die Neuzeit charakteristische Wendung erhält. Das Problem, das Descartes zu lösen beansprucht, ist das einer verläßlichen, nicht zu erschütternden Grundlage für alle sichere Erkenntnis, nachdem die traditionellen Gewißheiten in Religion und Philosophie unsicher geworden waren. Er findet diese Grundlage bekanntlich in dem Verfahren, alle Wahrnehmungen, Überzeugungen und Ideen dem methodischen Zweifel auszusetzen, um dann nach dem zu fragen, was nicht bezweifelt werden kann, also un-
animal rationale
Descartes: cogito ergo sum
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5. Elemente theologischer Anthropologie
mittelbar gewiß ist. Wenn aber alle Wahrnehmungen und alle Gedanken als mögliche Täuschung keine Gewißheit geben, so bleibt für Descartes einzig, daß der Zweifel sich selbst nicht bezweifeln kann, und folgert daraus den Grundsatz: Ich denke, also bin ich (cogito, ergo sum).
Exkurs: Das cartesianische Paradigma
denkendes Ich statt leibhaftiges Leben
Auch wenn Descartes keine anthropologische Fragestellung verfolgte und sich der weitreichenden anthropologischen Implikationen und Konsequenzen seiner Überlegungen kaum bewußt war, so läßt sich dennoch sagen, daß in diesem Gedankengang die neuzeitliche Konzeption von Menschsein als Subjektivität fast vollständig enthalten ist. Die gesamte methodische Konzeption setzt dabei schon die anthropologische Unterscheidung von Vernunft und Natur voraus, die sich in der Differenz von Denken und sinnlicher Wahrnehmung ausdrückt. Die eigentümlichen anthropologischen Konsequenzen werden aber wiederum sichtbar, wenn die Beschaffenheit dessen, was bei Descartes als das „Ich denke“ erscheint, genauer bedacht wird. Das dabei verwendete „Ich“ ist nämlich keineswegs ein individueller Mensch, erst recht nicht das zufällige Individuum, das den Namen René Descartes trägt, sondern zunächst lediglich das Denken selbst. Descartes spricht dann auch präzise von einer res cogitans, einer denkenden Sache, die er der Welt der Objekte, der res extensa (der ausgedehnten Sache) entgegensetzt. Das Selbstbewußtsein, das hier erscheint, besteht für sich selbst und ist erst sekundär auf die Sinnenwelt bezogen; das Denken, das sich selbst begründet, ist leiblos. Das denkende und sich seiner selbst bewußte Subjekt tritt an die Stelle der Selbstwahrnehmung des leibhaftigen Menschen. Damit ist eine mehrfache Weichenstellung vorgenommen, die als ein Grundzug im neuzeitlichen Denken über den Menschen gelten kann: 1) Nicht das leibhaftige Leben in der Vielfalt seiner individuellen Erscheinungen, sondern das denkende und reflektierende Ich steht im Mittelpunkt. Die äußere Welt, die prinzipiell unter dem Verdacht der Täuschung steht, beginnt schon beim eigenen Körper; auch die anderen Menschen erscheinen als ein Außen. Das denkende Ich wird als einsames konstruiert, das das Zentrum seiner Welt wird. 2) Die Außenwelt ist nur noch von Bedeutung, insofern sie mit den Mitteln der Vernunft erfaßt und konstruiert werden kann. Was sich dem entzieht, erscheint nur noch unter dem Vorzeichen der Täuschung. Damit wird die Wirklichkeit mit dem methodisch Erkennbaren identifiziert, während das, was sich der unmittelbaren Erfahrung zeigt, stets überprüft und korrigiert werden muß. Diese Unterscheidung von Schein und Wirklichkeit ist der objektive Grund für die Ausbildung von Wissenschaft in neuzeitlichen Sinn, die eben keine Erfahrungswissenschaften im unmittelbaren Sinn sind, sondern nur solche Erfahrungen akzeptieren, die auf zuvor bestimmten methodischen Wegen gewonnen werden. Nicht die sinnliche Erfahrung, sondern nur solche Wahrnehmungen, die sich in die vorausgesetzten wissenschaftlichen Paradigmen einfügen, werden als gültig anerkannt; dafür steht exemplarisch das Experiment als Königsweg neuzeitlicher Wissenschaft. Das empiristische Selbstverständnis, das die neuzeitliche Wissenschaft weithin regiert, widerspricht dem nur scheinbar: Im Experiment ist es gerade nicht
5.2 Leib und Seele
die sinnliche Erfahrung, sondern die methodisch präparierte, in der idealerweise das Meßgerät die menschliche Wahrnehmung ersetzt. Die Präzision des Meßergebnisses, auf der seine Leistungsfähigkeit beruht, hat freilich auch die Voraussetzung, daß alle Dimensionen der Wirklichkeit abgeblendet werden, die der Messung unzugänglich sind. 3) Die methodische Konstruktion der Wirklichkeit hat ihre Voraussetzung und ihr Ziel in ihrer durchgängigen mathematischen Beschreibbarkeit. Indem aber die Struktur der Welt in mathematischen Verhältnisse verortet wird, verschwindet das Qualitative und Individuelle in der Erfahrung: Mathematisierbar ist nur das, was schlechthin verallgemeinert werden kann. Aus den konkreten Gestalten der Erfahrung werden gleichartige Objekte. 4) In gleicher Weise wird der eigene Körper zum Objekt. Aus der Identifikation des Menschseins mit der (neuzeitlich verstandenen) Erkenntnisfähigkeit folgt die Entfremdung von der eigenen Leiblichkeit. Auch der menschliche Körper erscheint als eine ausgedehnte Sache, die wie alle mathematischen Körper nach Länge, Höhe, Breite, usw. zu bemessen und der Manipulation durch den Willen unterworfen ist. Konsequent versteht Descartes Pflanzen und Tiere als komplizierte Maschinen, von denen sich der Mensch dadurch unterscheidet, daß er zusätzlich noch die von Gott eingehauchte Seele aufweist, deren Verbindung mit dem Körper kaum mehr konsequent zu denken ist. Als Körper ist er Gegenstand naturwissenschaftlicher Erforschung und technischer Bearbeitung wie alle anderen physikalischen Körper auch. So entsteht der neuzeitliche Begriff des menschlichen Körpers: Er erlebt nichts, sondern steht dem Ich gegenüber als Werkzeug des Willens, aber auch als Behinderung seines Willens. Durch die Aufspaltung des Menschen in Körpermaschine und Vernunftseele sind die Dimensionen des Menschseins, die in der leiblichen und sinnlichen Selbsterfahrung sowie in der Kommunikation erscheinen, methodisch abgeblendet. Leib und Seele, die in der philosophischen und theologischen Tradition noch als zwei wesentliche Dimensionen des Menschseins aufeinander bezogen wurden, werden so zum strikten Gegensatz. In der Folge wird die Frage, wie auf der Grundlage dieser Trennung noch die Einheit von Körper/Leib auf der einen und Seele/Geist auf der anderen Seite überhaupt zu denken sei, zu einem anthropologischen Grundproblem, weil diese Frage in den durch Descartes vorgezeichneten Bahnen nicht zu lösen ist.
Exkurs: Ist der Mensch eine Maschine? Die Ambivalenz dieses Bildes vom Menschen zeigt sich deutlich in der neuzeitlichen Medizin, die sich nicht zufällig in dieser Zeit herausbildet – Descartes selbst betrieb auch anatomische Studien. In der Medizin erweist sich die Nützlichkeit der Reduktion des menschlichen Leibes auf den naturwissenschaftlich-technisch zu bearbeitenden Körper. Paradox könnte man formulieren, daß gerade die Entscheidung, den menschlichen Körper am Leichnam anatomisch zu erforschen, dem Leben der Menschen auf unvergleichliche Weise dienen konnte. Die in der medizinischen Forschung und Praxis manifeste Humanität enthält aber auch in ihrer anthropologischen Grundlegung eine inhumane Dimension, wenn nämlich die Dimensionen des Menschseins, die im mechanischen Paradigma (und seinen molekularbiologischen Erweiterungen) nicht zu erfassen sind, vernachlässigt und ge-
Verallgemeinerbarkeit
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5. Elemente theologischer Anthropologie
leugnet werden. Solange bewußt bleibt, daß das Bild vom Menschen als einer Körpermaschine eine heuristisch nützliche Fiktion ist, die den medizinischen Fortschritt ermöglicht, kann es sich als außerordentlich hilfreich erweisen. In dem Moment aber, wo die Fiktion der Körpermaschine mit dem Menschen schlechthin identifiziert wird, wird sie inhuman. Ist der Mensch ,nur ein biologisches System? Bis in die Gegenwart wurde und wird immer wieder der Versuch unternommen, das Problem des Spaltung des Menschseins in Seele/Geist und Körper auf radikale Weise zu lösen, indem die Wirklichkeit dessen, was sich nicht im Bild der Körpermaschine fassen läßt, geleugnet wird. Dies kann auf verschiedene Weisen erfolgen, die sich durchweg als Varianten dessen verstehen lassen, was treffend anthropologischer Reduktionismus genannt werden kann: die Zurückführung der Mannigfaltigkeit menschlicher Wirklichkeit auf solche Faktoren, die sich in einem zumeist wissenschaftlich bestimmten Theorierahmen einfügen lassen. Nach den mechanistischen und materialistischen Systemen wird dies gegenwärtig vor allem im Rückgriff auf biologische Sachverhalte unternommen. So wird die Fülle menschlicher Erfahrungen und Motivationen als Epiphänomen hirnphysiologischer Vorgänge angesehen und Moral wie Bewußtsein als Vorteil der Gattung im Evolutionsprozeß angesehen. Dabei steht außer Frage, daß solche Faktoren eine wesentliche Rolle spielen können; die notwendige Kritik an den Reduktionismen bezieht sich vielmehr auf die Behauptung, daß nur solche Faktoren im Spiele seien. In methodischer Hinsicht ist Reduktionismus für Wissenschaften unverzichtbar: Ihr Erfolg hängt ursächlich damit zusammen, daß sie aus der Komplexität der Wirklichkeit bestimmte Phänomen herauslösen und diese wiederum auf bestimmte Faktoren reduzieren, die mit den jeweiligen wissenschaftlichen Methoden erfaßt und untersucht werden können. Ohne Zweifel kann man den Menschen als biophysischen Apparat beschreiben und dies geschieht mit Erfolg. Aber die Wirklichkeit des Menschseins ist damit nicht hinreichend erfaßt. Es ist unbestritten, daß die moderne Anthropologie „vor allem den empirisch-forschenden Bio-Wissenschaften viel zu verdanken hat, aber die ,Bereichsanthropologien kranken alle an dem unauflöslichen Dilemma, den gewagten Vorgriff aufs Ganze (der Mensch ist unteilbar) nicht aus ihrer jeweilig begrenzten Perspektive und methodischen Fixierung einlösen zu können“. (8: 12) Der legitime und notwendige methodische Reduktionismus wird dann zur reduktionistischen Ideologie, wenn bewußt oder unbewußt verdrängt wird, daß solche Abblendungen und Isolierungen Ergebnis methodischer Entscheidungen sind und nicht die Wirklichkeit selbst. Der teilweise Erfolg solcher Reduktionismen in der wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Öffentlichkeit verdankt sich neben manchen politischen und ethischen Motiven nicht zuletzt der Haltung, alle Wahrheitsfragen durch Wissenschaft beantworten zu wollen – auch solche Fragen, die in dem methodisch abgesteckten Rahmen gar nicht sachgemäß zu bearbeiten sind. Robert Spaemann zeigt diese Täuschung exemplarisch auf: „Wir verstehen nicht die einfachste mathematische Formel dadurch besser, daß wir eine plausible Hypothese über die Evolution unseres Gehirns besitzen.“ (169: 112) ,
Reduktionismus
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5.2 Leib und Seele
Auch die anthropologischen Reduktionismen denken in den Bahnen der cartesianischen Trennung, gerade indem sie nicht die Vernunft, sondern die res extensa ins Zentrum stellen, die wissenschaftlicher Bearbeitung zugänglich ist. Indem aber vom animal rationale nur noch das animal als Gegenstand der Aufmerksamkeit erscheint, ist die Rationalität nur abgeblendet, nicht aber verschwunden: Sie ist verschoben in die Rationalität der Wissenschaft selbst, die unerkannt die Gegenstände ihrer Wahrnehmung regiert und definiert. Die Reduktionismen basieren darum auf der Paradoxie, daß es der erkennende Geist ist, der behauptet, daß es nur Materielles gebe.
5.2.2 Leiblichkeit und Geschöpflichkeit Die anthropologische Bestimmung des Menschen als vernünftiges Lebewesen bestimmte über weite Teile auch die Christentumsgeschichte, obwohl sie nicht auf biblischen Grundlagen basiert, sondern sich aus der griechischen Philosophie speist. Diese war freilich nicht nur für die Ausbildung der christlichen Theologie in den ersten Jahrhunderten von großer Bedeutung, sondern gab für das Denken des Abendlandes den Rahmen vor, der bis in die Gegenwart wirksam ist. Über diese allgemeine Bedeutung der antiken Philosophie hinaus aber schien sich die Definition des Menschen als animal rationale geradezu anzubieten, die ontologische Verwiesenheit des Menschen auf Gott auszusagen, indem die ratio des Menschen als Organon seiner Gottesbeziehung aufgefaßt wurde. Für diese Identifikation scheint zu sprechen, daß die Gotteserfahrung keine unmittelbar sinnliche ist; diese Figur wirkt, wie gesehen (s.o. 4.1.6), in ihrer neuzeitlichen Wendung zur Subjektivität fort; sie ist aber zugleich das Fundament einer Abwertung des Leibes, der auf dem Hintergrund dieser Definition als das ,Tierische am Menschen erscheint. Die christliche Fassung der antiken Bestimmung des Menschseins bildete wiederum den Hintergrund dafür, daß sich in der Neuzeit eine Anthropologie beinahe ohne Widerstand durchsetzen konnte, die auf der Abspaltung des Geistes vom Körper basiert. Die weitreichenden ethischen Konsequenzen liegen auf der Hand; sie verstärkten sich noch durch die breite Rezeption der stoischen Ethik in der frühen Neuzeit, die die Beherrschung des Körpers durch den Geist zur Leitfigur des Menschseins machte. Damit wird aber zugleich der Leib zunehmend als bedrohlich erfahren und zum Gegenstand der Herrschaft. Er muß beherrscht werden, weil seine Affekte die Vernünftigkeit des Menschseins gefährden. Selbstbeherrschung wird zur neuzeitlichen Kardinaltugend; das Idealbild ist es, sich nicht von seinen Neigungen und Affekten hin- und herwerfen zu lassen, sondern den Körper zu regieren. Unter diesen Vorzeichen erscheint der Körper als Bedrohung oder als Werkzeug des Geistes, der mit der Subjektivität identifiziert wird; der Ausdruck „Körpermaschine“ ist darum mehr als eine überzogene Redeweise, sondern beschreibt dieses instrumentelle Verhältnis und kann darum als handlungsleitende Metapher für den Umgang mit der eigenen Leiblichkeit in der Neuzeit gelten. Dem widerspricht der Sinnen- und Körperkult der Gegenwart nur scheinbar: Auch hier wird der eigene Körper als ein „Außen“ wahrgenommen, das dem Willen gegenübersteht und seinen Zwecken
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5. Elemente theologischer Anthropologie
Der cartesianische Denkfehler
dienstbar gemacht wird. Der Leib wird zum Objekt, das zur Erreichung von Genuß eingesetzt wird und deshalb auch der Pflege bedarf. Die neuzeitliche Spaltung des Menschen in die Subjektivität des Ich und die von diesem Ich abgespaltene Körperlichkeit reproduziert auf anthropologischer Ebene die erkenntnistheoretische Spaltung von Subjekt und Objekt, die auch durch die romantischen und idealistischen Versuche einer Synthese nicht überwunden werden kann, indem die Einheit wiederum von der Tätigkeit des Subjekts, sei es in Erkenntnis, Gefühl oder Anschauung, erwartet wird. Ein Ausweg aus dem Dilemma, das durch biologistische oder spiritualistische Reduktionismen erst recht zementiert würde, ist nur dann erkennbar, wenn die Voraussetzungen dieser anthropologischen Spaltung aufgelöst werden. Die anthropologische Spaltung beruht auf der unbestreitbaren Evidenz, daß der Mensch nicht umstandslos identisch ist mit seiner Körperlichkeit: Menschen sind ihren körperlichen Bedürfnissen nicht völlig ausgeliefert, sondern können sich zu ihnen zumindest teilweise willentlich verhalten. Selbst so elementare körperliche Regungen wie Hunger oder Durst können negiert werden – bis zum eigenen Tod. Körperliche Erfahrungen können als äußere wahrgenommen werden; und im Selbstbewußtsein erfahren Menschen nicht etwas, sondern sich selbst in unmittelbarer Gegebenheit. Dennoch basiert die ausschließliche Zentrierung des Menschseins um die Subjektivität auf einer Selbsttäuschung, weil die Subjektivität selbst kein Letztes ist, sondern wiederum auf Voraussetzungen basiert, die mit der Leiblichkeit des Menschseins gegeben sind. Dies erweist sich gerade daran, daß Descartes berühmter Gedankengang das wesentliche Moment unterschlägt: Sein Unternehmen, alles zu bezweifeln, um dann im Selbstbewußtsein den sicheren Grund zu finden, ist nicht nur letztlich zirkulär, weil er nur Gründe des Denkens zulassen will und dann notwendigerweise nur das Denken als Basis finden kann. Descartes übergeht auch, daß sein Denken sich allemal der Sprache bedienen muß; Sprache ist aber individuell nicht zu denken, sondern setzt allemal Sozialität voraus: Die Konstruktion einer isolierten Subjektivität ist in sich selbst widersprüchlich. Darum kann sie auch keinen unbezweifelbaren Ausgangspunkt bilden, weil sie selbst die Begegnung mit anderen Menschen voraussetzt. Weil Kommunikation und Sprache aber allemal leiblich sind, beruht auch die Abstraktion des Denkens vom Leib auf einer Illusion: Denken ist immer leibgebundenes Denken. Dies gilt auch für die Erfahrungen, in denen das Ich sich seinem Leib scheinbar entgegensetzt: Auch solche Erfahrungen sind sozial vermittelt, wie auch ein Selbstbewußtsein nicht zu denken ist ohne die Wahrnehmung anderer Menschen und durch andere Menschen. Der Schein der Trennung von Geist und Leib resultiert aus der Reduktion des Leibes auf den Körper, der als natürliches Ding konstruiert wird. Leiblichkeit ist aber mehr als Körperlichkeit; sie geht nicht auf in den körperlichen Empfindungen und Vorgängen, sondern benennt das spezifische In-der-Welt-Sein des Menschen. Wir wissen aber auch, daß wir unserer selbst nur innewerden in der Begegnung mit Welt. Ein Kind lernt sich selbst kennen, indem es seine Welt kennen lernt. Leiblichkeit ist also unser Leben in der Welt, in der Gemeinschaft mit Dingen und anderen Lebewesen. Als leibliche Wesen wiederum sind ,
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5.2 Leib und Seele
Menschen zugleich Individuum und eingebunden in die Gemeinschaft, in der ihre Individualität begründet ist. Allein in ihrer Leiblichkeit können Menschen die Welt erfahren, und in ihrer Leiblichkeit sind sie untrennbar mit ihrer Welt verbunden: In der sinnlichen Erfahrung ist nicht zu entscheiden, was „innen“ und was „außen“ ist. Im Hören eines Akkordes und im Sehen einer Farbe sind Subjekt und Objekt ununterscheidbar (vgl. 61: 228). Daß meine Erfahrung immer zugleich die Erfahrung von etwas ist, daß also das Ich ohne seine Erfahrungen und damit ohne seine Welt gar nicht zu denken ist, müßte in der anthropologischen Reflexion zur Geltung gebracht werden. Leiblichkeit umfaßt das Leben in der Welt mitsamt der Affektivität, den Gefühlen und Stimmungen ebenso wie dem gemeinsamen Leben und Handeln. Zur Leiblichkeit gehört Sinnlichkeit genauso wie Kommunikation: Über ihren Leib kommunizieren wir miteinander, indem wir uns berühren, indem wir miteinander sprechen, einander fühlen. Freilich ist Leiblichkeit nicht unmittelbar gegeben; sie ist keine bloße ,Natur . Auch scheinbar spontane somatische Reaktionen und erst recht Gefühle und Wahrnehmungen sind kulturell geformt. Offensichtlich wird dies an dem Phänomen des Geschmacks, das überraschend selten in der anthropologischen Reflexion wahrgenommen wird. Geschmack ist geradezu ein Testfall: Er erscheint als unwillkürlich und eine unmittelbare körperliche Reaktion. Ekel wie Genuß sind jedoch keine biologischen Fakten, sondern kulturell geprägt, was sich bereits daran zeigt, daß der Geschmack sich vergleichsweise kurzfristig zu ändern vermag und gleichwohl als Natur erscheint. Auch auf dieser basalen leiblichen Ebene ist eine Trennung der Gefühle von der kulturell vermittelten Interaktion unmöglich. Weil die Reduktion der Leiblichkeit auf die Körperlichkeit die Wirklichkeit des Menschseins nicht zu erfassen vermag, wird auch erkennbar, daß Leiblichkeit in einer quasi physikalischen Beschreibung nicht aufgehen kann. Gefühle, Gedanken und Sinneswahrnehmungen haben im präzisen Sinne keinen identifizierbaren Ort in Raum und Zeit; sie sind in spezifischer Weise „unsichtbar“. Leib und Seele lassen sich mithin wohl unterscheiden, nicht aber in einen strikten Gegensatz bringen: Sie benennen zwei Aspekte desselben menschlichen Lebens. Zur Leiblichkeit des Menschen gehört freilich, wie sich zeigte, nicht nur seine körperliche Ausstattung; auch in der ausschließlichen Betonung der Körperlichkeit kommt Menschsein zu kurz. Die breite Rezeption der dualistischen Bestimmung des Menschen, die ihn in Körper und Geist aufspaltet und dabei seine Leiblichkeit abwertet, verschob in der Neuzeit das theologische Interesse auf die Innerlichkeit des Menschen. Damit verschwand zugleich mit der Leiblichkeit zunehmend die äußere Welt als Gegenstand der Theologie, die sich auf Subjektivität und Sittlichkeit konzentrierte. In der Folge wurde der Schöpfungsglaube theologisch problematisch, weil er von der Wahrnehmung menschlichen Geschöpfseins in seiner Gegenwart zu einer Theorie der Erschaffung der Welt am Anfang wurde, die wiederum in Konkurrenz zu naturwissenschaftlichen Weltentstehungstheorien geraten mußte. Für eine biblisch orientierte Anthropologie gibt es folglich keinerlei Veranlassung, die Leiblichkeit abzuwerten; im Gegenteil: Als Geschöpfe Gottes sind Menschen leibhaftige Wesen und können sich nicht anders denn als leibhafte Wesen verstehen.
Welterfahrung im Leib
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5. Elemente theologischer Anthropologie
Darum profitiert auch mit der theologischen Anthropologie die Theologie insgesamt von einem erneuerten Verständnis menschlicher Leiblichkeit, in dem Leib und Seele keine Gegensätze sind. Der Blick auf Luthers Auslegung des Bekenntnisses zum Schöpferhandeln Gottes im Kleinen Katechismus macht dies deutlich: Hier wird der Satz, daß Gott Himmel und Erde geschaffen hat, gerade nicht auf die Konstitutionsbedingungen des Weltganzen hin ausgelegt, sondern in einer konzentrierten Betrachtung des leibhaftigen Lebens entfaltet. Nicht daß Gott die Welt geschaffen hat, ist hier die Pointe, sondern daß er mich geschaffen hat. Luther geht dabei gleichsam in der Betrachtung in immer größeren Kreisen den gesamten menschlichen Leib entlang; er beginnt mit „Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und allen Sinne“, aber auch Kleider und Schuhe, Essen und Trinken, Haus und Hof gehören in Luthers Wahrnehmung zu seiner Leiblichkeit, um dann auf die soziale Welt auszugreifen. Gerade hier in unserem Leib und in dem, wie wir der Welt begegnen, ist Gottes Gegenwart unmittelbar wahrzunehmen; damit wird die biblische Rede vom Menschen zur Geltung gebracht, die in den leiblichen Vollzügen unmittelbar das Handeln Gottes erkennt: Wie die Seele des Menschen, seine nefesch (s.o. S. 109 f.), zugleich das Einhauchen des Atems durch den Schöpfer ist, so ist sein Geist, die ruach, die Gegenwart Gottes im Menschen. Die Leiblichkeit des Menschen ist auf diese Weise, im Gegensatz zu einer in der christlichen Tradition verbreiteten Ansicht, geradezu als Ort der Gegenwart Gottes anzusprechen; damit sind aber auch die leiblichen Bedürfnisse und Neigungen in Beziehung zu Gott – wie alle Dimensionen des menschlichen Lebens freilich auch durch die Sünde gefährdet. Wenn das Begehren in Röm 7,7 als Inbegriff der Sünde erscheint, dann wurde das häufig so verstanden, als ob das christliche Ethos wesentlich in der Beherrschung der sinnlichen Neigungen bestünde. Das Resultat dessen wäre freilich kein Leben aus dem Glauben, sondern die Haltung des Stoikers, der sich von den Affekten nicht überwältigen läßt. Damit werden allerdings Ursache und Wirkung vertauscht: In biblischer Perspektive ist es die Sünde, die auch das Begehren verkehrt; und solches eigenmächtiges Begehren kann durchaus spirituelle Gestalten annehmen. Nicht das Begehren selbst, sondern seine Richtung ist dabei im Blick. Gleichermaßen ist auch das neue Leben in Christus kein leibloses. Leben im Glauben bedeutet darum nicht die Befreiung von den leiblichen Bedürfnissen und Neigungen, sondern ihre Befreiung aus der Macht der Sünde; aufgrund „der Heilsteilhabe wird wahres Leben im Sinn der Geschöpflichkeit“ (178: 336) allererst eröffnet. Eine biblisch orientierte Anthropologie setzt an bei der Erfahrung des eigenen Leibes, der ich bin. Die Leiblichkeit des Menschen ist mehr als seine Körperlichkeit: Zu ihr gehören auch seine Empfindungen, Gefühle, Gedanken etc. Leiblichkeit benennt das spezifische In-der-Welt-Sein des Menschen. Die Wahrnehmung des Menschen als eines leibhaftigen und bedürftigen Wesens weitet sich wiederum in die Erfahrung des Lebens als Geschöpf Gottes.
5.3 Autonomie und vita passiva
5.3 Autonomie und vita passiva Indem die Erfahrung der Geschöpflichkeit die theologische Anthropologie leitet, erscheint Menschsein nicht länger als eine Aufgabe, die vom Menschen selbst zu erfüllen wäre. Den Ausgangspunkt bildet vielmehr die Wirklichkeit des Menschseins in seinem Reichtum und in seiner Vielfalt. Damit ist statt dem Sollen, das das Menschsein in seiner Idealisierung vom gelebten Leben distanziert, die Wirklichkeit des Lebens im Blick. Die Rede vom Menschen als Gottes Geschöpf beginnt beim Dank dafür, daß Leben gewährt wird; gerade darum kann und muß sie die schmerzlichen Erfahrungen, daß dieses Leben gefährdet und verletzlich ist, nicht leugnen. Die Wahrnehmung des eigenen Lebens in seiner Geschöpflichkeit heißt aber auch, daß seine Grenzen und seine Brüche nicht über seinen Wert entscheiden, weil die eigentliche Aktivität, die Leben konstituiert und ihm Richtung gibt, nicht vom menschlichen Subjekt ausgeht und auch nicht in menschlicher Macht steht, sondern ihm von Gott her gewährt wird. Die Aktivität kommt also „zuallererst dem Schöpfer zu. Er schenkt dem Menschen Leben und verleiht Sinn. Der Mensch wird dadurch von der Aufgabe entlastet, sich selbst aktiv Sinn verschaffen zu müssen.“ (187: 171) Deswegen entscheiden weder das eigene Können noch das eigene Scheitern letztlich über das Gelingen des Lebens. So ist nicht das Ideal, nach dem ein Mensch sich selbst bilden will oder nach dem er gebildet werden soll, sondern seine Wirklichkeit der Ausgangspunkt der theologischen Rede vom Menschen, in der die Verheißung, daß alle Brüche und Fehler, aber auch alles Gelingen und alle Freuden vor Gott stehen, zur Geltung gebracht werden muß. Luther kann darum das Leben im Glauben in einer prägnanten und provokativen Formulierung als vita passiva bezeichnen. Diese wesentliche Passivität des menschlichen Lebens ist nicht allein auf die Unfähigkeit des Menschen zu beziehen, sich sein Heil zu erarbeiten und zu verdienen; sie ist nicht erst die Konsequenz aus dem Sündersein des Menschen, der, eben weil er Sünder ist, zu seinem Heil nichts beitragen kann. Hier geht es vielmehr auch um „das Problem der Konstitution des Menschen selbst“ (320: 348), so daß die vita passiva nicht als exklusiv soteriologische Kategorie, sondern auch als Konsequenz der Wiederentdeckung der Geschöpflichkeit des Menschen zu verstehen ist, wie sie erst im Lichte des Heilshandelns Gottes erkennbar wird. Die theologische Anthropologie basiert auf diese Weise auf der Rechtfertigung allein durch den Glauben. Sie entspricht darin der Einsicht, daß Menschen nicht schlicht Subjekt ihres Lebens sind: Leibliches Leben ist immer empfangenes und empfangendes Leben. Freilich stößt diese Zumutung, „sich im Kern seines Personseins als Empfangenden zu begreifen“ (230: 3), auf Widerspruch, stellt sie doch das neuzeitliche Selbstverständnis des Menschseins in Frage, für das kaum eine Vorstellung so charakteristisch ist wie die der Autonomie. Der notwendige theologische Einspruch gegen dieses Konzept bedeutet jedoch alles andere als den Versuch einer Rücknahme der Freiheit und Selbstbestimmung; vielmehr erweist sich die Alternative von Autonomie und Heteronomie hierbei als irreführend, weil es um die Bedingungen gehen muß, in denen sich menschliche Freiheit realisieren kann. Dabei ist es aber keineswegs selbstverständlich, daß Freiheit als Autonomie hinreichend oder auch nur ange-
Rechtfertigung und vita passiva
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messen erfaßt wird. Wilfried Härle betont, daß Autonomie „nicht nur ein viel versprechender, sondern ein zuviel versprechender Begriff“ (316: 229) ist, weil er in einem wörtlichen Verständnis gar nicht eingelöst werden kann: Alles menschliche Handeln ist begrenzt durch die Bedingungen, die ihm vorgegeben sind, und auch durch das Handeln und die Bedürfnisse anderer Menschen. Darum muß der Autonomiebegriff und das ihm korrespondierende Freiheitskonzept in seiner Begrenztheit wahrgenommen werden, soll es nicht zur Leerformel werden. Schon der Begriff ,Autonomie selbst verweist auf eine eigentümliche Spannung: Ist Auto-nomie wörtlich als Selbst-Gesetzgebung wiederzugeben, so ist dabei zu bedenken, daß jede Selbstbestimmung die kommunikative Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen und Maximen voraussetzt: Ein Gesetz kann nie nur für ein atomisiertes Individuum gültig sein. Eben das unterscheidet Selbstbestimmung von pathologischer Willkür und Beliebigkeit, die vollständig unvorhersehbare Handlungen hervorbringen müßte, daß sie auf spezifische Weise Kontinuität stiftet und insofern auch den Akteur selbst bindet. Wenn anders der Begriff der Autonomie sinnvoll gebraucht werden soll, so eignet ihm die Dialektik von Selbstsein und Freiheit. Die Individualität eines Menschen ist aber durch biologische, soziale, kulturelle und viele weitere Faktoren geformt, die sich zu dieser unverwechselbaren Biographie zusammenfügen und spezifische Grenzen und Abhängigkeiten ausbilden. Der sprichwörtliche Leitsatz, daß jeder seines Glückes Schmied sei, ist demnach nicht nur soteriologisch, sondern auch anthropologisch falsch, weil er unterschlägt, daß sich Leben in einem Geflecht von Bedingungen vorfindet, die ihm günstig oder widrig entgegenkommen. Er verfehlt auch die eigentümliche Qualität des Glückes, daß es sich gerade nie als Resultat der eigenen Anstrengung oder Planung einstellt, sondern stets als Widerfahrnis begegnet oder sich entzieht. Entsprechend ist ein Mensch gerade da am intensivsten er selbst, wo er „selbstvergessen“ bei anderen Menschen oder einer Tätigkeit ist (vgl. 256). Dieselbe Spannung ist noch einmal auf der materialen Ebene auszumachen, insofern die Ziele, an denen sich ein Handeln orientiert, das sinnvollerweise frei genannt werden kann, wiederum nicht schlechterdings individuell beliebig sein können, sondern sozial und kulturell geteilt sind. Die Realisierung auch kleiner Handlungsziele steht ebensowenig in der Verfügung des Akteurs, weil bereits jede einzelne Handlung eingebunden ist in eine Komplexität von Faktoren und Bezügen, erst recht wenn sie mit dem Handeln anderer Menschen interagiert. Eben darum gehen die Intention des Handelnden und das reale Geschehen oft genug auseinander. In der Konzentration auf den menschlichen Willen und das von ihm initiiere Handeln wird verdeckt, „daß die Realität dabei mitspielen muß. Eine Handlung muß ,glücken‘, eine Handlung muß gelingen.“ (154: 14) Nicht schon die subjektive Aktivität, sondern erst ihre Wechselwirkung mit der Welt, die dem Subjekt allemal vorgegeben ist, bestimmt über Erfolg oder Mißerfolg. Geht bereits aus dieser einfachen Beobachtung hervor, daß Freiheit allemal auf Voraussetzungen basiert, die nicht durch das Individuum selbst zu sichern sind, so hat das auch Auswirkungen auf den politischen Begriff von Freiheit. Dieser zielt nach gängigem Verständnis auf die Abwesenheit von Behinderungen meines Willens und ist darum treffend als „negative Frei,
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Freiheit ist nicht Willkür
5.3 Autonomie und vita passiva
,nicht Herr im eigenen Haus
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heit“ (vgl. dazu 323) bezeichnet worden. Die modernen Freiheitsrechte sind Abwehrrechte, die vor allem staatliche Eingriffe, aber auch Beeinträchtigungen durch andere beschränken. Als solche Abwehrrechte sind sie unverzichtbar und eine wesentliche Errungenschaft moderner Rechtsordnungen; aus ihnen geht freilich noch nicht hervor, daß Menschen überhaupt in der Lage sind, diese Freiheiten zu gebrauchen. So sichert z. B. die Pressefreiheit vor staatlicher Zensur und gilt als solche für jeden Bürger; damit ist aber eben noch nicht sichergestellt, daß auch jeder über die Fähigkeiten oder die materiellen Ressourcen verfügt, sie in Anspruch zu nehmen. Um nicht lediglich formal zu bleiben, erfordern die Freiheitsrechte darum die Ergänzung durch die Entfaltung und Sicherstellung der Fähigkeit ihres Gebrauchs; das Recht auf Bildung und auf ökonomische Grundsicherung ist darum ihr notwendiges Korrelat. Das Konzept negativer Freiheit operiert mit der Idealisierung des mündigen und unabhängigen Individuums, die juristisch nicht nur zulässig, sondern auch unverzichtbar ist: Sie ist orientiert an dem Subjekt, das als Träger von Rechten und Pflichten identifizierbar und gegebenenfalls zur Verantwortung gezogen werden kann. Das juristische Konzept erweist sich freilich als problematisch, wenn es mit Freiheit schlechthin identifiziert wird, weil es die Bedingungen der Verwirklichung individueller Freiheit gar nicht enthalten kann. Freiheitsrechte sind – ihrer historischen Genese entsprechend – Rechte des erwachsenen Bürgers; offen bleibt dabei, wie die Mündigkeit, die Freiheitsrechte voraussetzen, erworben wird. Diese Frage ist für die theologische Anthropologie von besonderer Bedeutung, weil das menschliche Wollen nicht unmittelbar in eigener Verfügung steht. Wille ist allemal – das unterscheidet ihn von beliebiger Willkür – nie leer und unbedingt, sondern auf ein Ziel gerichteter Wille; was aber als Ziel erscheint, kann der Wille nicht selbst wieder aus sich hervorbringen, sondern ist ihm vorgegeben: sei es durch soziale oder kulturelle Plausibilitäten oder die eigene biographische Prägung. Luthers These von der Unfreiheit des Willens hat demnach auch einen präzisen anthropologischen Sinn (dazu 229). Die Frage, ob ein Mensch tun kann, was er will, muß darum um die viel grundsätzlichere Frage ergänzt werden, worauf sein Wille sich richtet. Sigmund Freuds berühmte Formulierung, daß das Ich „nicht einmal Herr ist im eigenen Haus“ (119: 283 f.), ist demnach weit über ihren psychoanalytischen Kontext hinaus von anthropologischer Relevanz. Sie erscheint bei Freud im nicht minder berühmten Kontext von den drei großen Kränkungen der ,naiven Eigenliebe der Menschheit, die mit den Entdeckungen von Kopernikus, Darwin und eben auch der Psychoanalyse verbunden sei. Diese These basiert freilich nicht nur auf historisch sehr fragwürdigen Voraussetzungen, weil das heliozentrische Modell im Mittelalter sehr wohl bekannt war und diskutiert wurde, wegen seiner geringeren prognostischen Qualität sich gegenüber dem pragmatisch und mathematisch präziseren geozentrischen aber nicht durchsetzen konnte. Die These wird vielmehr durch ihren Gestus des Märtyrers der verkannten Wahrheit zur Mystifikation. Ihre Ironie ist allerdings darin zu sehen, daß sich ihr sachlicher Gehalt gegen ihren eigenen Gestus richtet und eben so an theologischer Bedeutung gewinnt: Sie widerspricht zwar wohl dem Selbstverständnis neuzeitlichen Geistes, der
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5. Elemente theologischer Anthropologie
sich – auch und gerade in der Gestalt objektiver Wissenschaft – als Mittelpunkt der Welt verstehen will, steht aber gerade nicht im Gegensatz zur Wahrnehmung seiner Geschöpflichkeit. Darum wird das, was bei Freud als ,Kränkung erscheint, in der theologischen Wahrnehmung des Menschen als conditio humana erkennbar: Daß der menschliche Wille nicht Herr im eigenen Haus sei, ist in der theologischen Einsicht in die Macht der Sünde längst ausgesprochen und präzisiert; daß er in seinen leiblichen Bedürfnissen und Funktionen den Tieren nahesteht, ist Teil seiner Geschöpflichkeit; daß nicht der Mensch, sondern Gott im Mittelpunkt der Welt zu finden ist, ist wiederum die heilsame Aussicht, die der theologischen Anthropologie Grund und Orientierung gibt. Gerade darum eignet sich die Idealisierung des Modells autonomer Subjektivität nicht als Ausgangspunkt der theologischen Rede vom Menschen; vielmehr bedarf es einer realistischeren Wahrnehmung des Individuums in seinen realen Kontexten und Bedingtheiten. Erst dann kann die regulative Idee der Autonomie zu ihrem Recht kommen: Sie entlastet von der Überforderung und wird nicht als systematische Basis, sondern als konkrete Kritik an Fremdbestimmung zur Geltung gebracht. ,
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Exkurs: Freier Wille oder Determination?
Debatte inhaltsleer
Im Zuge der gegenwärtigen Konjunktur der Biowissenschaften kommt der Auseinandersetzung um den Determinismus neue Bedeutung zu. Dabei wird oft die These vertreten, Freiheit und Bewußtsein seien lediglich subjektive Täuschungen, weil die Entscheidungen eines Menschen in Wahrheit genetisch und physiologisch determiniert seien. Über die Absichten, die mit dieser These verbunden sind, wäre eigens zu reflektieren: Sie leugnet nicht nur offensichtlich die unmittelbare Erfahrung, sondern stellt auch die Grundlagen der moralischen und juristischen Welt in Frage. Die häufig erbittert geführte Debatte erweist sich freilich bei genauerer Betrachtung als weitgehend inhaltsleer (vgl. auch 321), sofern die These nicht die Determination eines konkreten Geschehens benennt, die sie zweifelsfrei nachweisen und eindeutig prognostizieren kann. Als prinzipielle Behauptung ist der Determinismus zwar unwiderlegbar, aber auch ohne Bedeutung, weil er gleichsam zu viel beweisen würde: Ist jedes Geschehen determiniert, so müßte das auch einschließen, daß die Ablehnung der deterministischen These ebenso determiniert wäre wie ihre Behauptung etc. Sie ist dann nichts anderes als eine Verdoppelung dessen was geschieht. Indem aber der Determinist andere von der Richtigkeit seiner Auffassung überzeugen will, widerspricht er seiner eigenen These: Wer in einer Argumentation eintritt, appelliert daran, daß sich sein Gegenüber von der Wahrheit seiner Behauptung überzeugen läßt; das aber setzt Freiheit voraus. Die deterministische Position ist eine Generalisierung der methodischen Grundentscheidungen neuzeitlicher Wissenschaft, die unter der Hand von methodologischen Prämissen zu Aussagen über die Wirklichkeit umgedeutet werden. Weil aber ein Gegenstand nur dann zu einem naturwissenschaftlichen werden kann, insofern er als Gesetzmäßigkeit und Teil einer Kausalbeziehung gefaßt werden kann, ist in der methodischen Konstruktion schon enthalten, daß in diesem Kontext Freiheit allenfalls als externer Faktor erscheinen kann. Für die Neurobiologie z. B. kommt als weitere Bedingung
5.3 Autonomie und vita passiva
hinzu, daß nur solche Faktoren in wissenschaftlichen Beschreibungen akzeptiert werden, deren materielles Substrat einer Messung zugänglich ist. Der Kontext, in dem der Begriff der Freiheit allein sinnvoll gebraucht werden kann, läßt sich demgegenüber als das moralische Universum bezeichnen, für das Naturwissenschaften kein Instrumentarium haben und auch nicht benötigen. Freiheit ist keine physikalische Wirklichkeit, sondern notwendige Voraussetzung des Umgangs von Menschen untereinander: Für das frei Getane muß man sich möglicherweise rechtfertigen etc. Nun ist sinnvollerweise nicht zu bestreiten, daß Denken und Handeln mit Hirnaktivitäten verbunden ist, die naturwissenschaftlicher Untersuchung zugänglich sind. Ein prinzipieller Determinismus ist daraus freilich nicht abzuleiten, da dieser nur dann zu behaupten wäre, wenn unser Erleben, Handeln und Denken aus Kausalzusammenhängen vollständig erklärt werden könnte: Dies kann aber nicht gelingen, weil die methodische Konstruktion wissenschaftlicher Objektivität eben die Perspektiven ausschließt, die für Erleben, Handeln und Denken konstitutiv sind. Durch die überzogene Behauptung eines prinzipiellen Determinismus wird der anthropologisch wie ethisch relevante Kern verdeckt: Neben der offensichtlichen Bedeutung der Erforschung pathologischer Phänomene ist dies die Einsicht in die Begrenztheit von Freiheitsspielräumen; diese Einsicht ist freilich auch nicht neu. Ohne Zweifel sind moralische Überforderungen, die die natürlichen Fähigkeiten des Menschen mißachten, kontraproduktiv. Zu klären wäre freilich, wie diese natürlichen Anlagen beschaffen sind und wie sie mit hinreichender Sicherheit wissenschaftlich zu bestimmen sind. Es ist ohnehin nicht zu sehen, ob die Forschung hier jemals mehr als Wahrscheinlichkeitsaussagen treffen kann. Aus Wahrscheinlichkeitsaussagen lassen sich aber keine ethisch weitreichenden Folgerungen ableiten. Die Unhaltbarkeit der deterministischen Position sollte nun freilich wiederum nicht zu der umgekehrten Behauptung eines grundsätzlichen Indeterminismus im menschlichen Denken und Handeln führen. Eine freie Entscheidung ist eben keine beliebige, sondern folgt Gründen, Überzeugungen und Vorlieben; sie ist auch nie eine gänzlich unabhängige, sondern allemal gebunden an die konkreten Bedingungen und Fähigkeiten dieses Menschen. Es besteht darum Anlaß zu der Vermutung, daß ethisch relevante Aussagen zur konkreten Determinierung menschlichen Denkens und Handelns auf absehbare Zeit eher durch sozialwissenschaftliche und psychologische Erkenntnisse gewonnen werden als durch genetische oder hirnphysiologische. *** Die Überhöhung und Überziehung des Autonomiekonzepts wie des Freiheitsbegriffs in der Neuzeit einerseits, ihre Verleugnung im Determinismus andererseits sind innerlich verwandt: Sie sind die Konsequenzen aus der Verabsolutierung eines unabhängigen und dabei isoliert gedachten Subjekts, hinter dem der leibhaftige Mensch verschwindet. Beidem muß die theologische Anthropologie widersprechen, gerade um der Wahrnehmung der Freiheit willen. Die Vorstellung von absoluter Freiheit, der sowohl in der radikalen Autonomievorstellung und ihren Derivaten im Liberalismus,
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5. Elemente theologischer Anthropologie
reale Freiheitsräume
wie auch der deterministischen Negierung zugrunde liegt, ist letztlich die Übertragung eines in sich problematischen Gottesprädikates der metaphysischen Theologie auf den Menschen. Menschliche Freiheit ist immer begrenzte Freiheit; dies ist aber eben nicht nur und nicht vor allem Einschränkung der Freiheit, sondern ihre Bedingung. Weil absolute Freiheit von blinder Willkür nicht zu unterscheiden ist, ist diese Vorstellung auch theologisch unhaltbar, insofern Gottes Freiheit sich eben in der Treue bewährt, die nicht Beliebiges tut, sondern Leben und Freiheit gewährt. Der theologische Einspruch geht gegen ein formales Autonomiekonzept, das nicht mehr auf die Befreiung aus konkreter Unfreiheit, sondern auf die formale Selbstmächtigkeit des Subjekts abhebt. Luthers Betonung der vita passiva ist mithin nur dann recht verstanden, wenn sie nicht als Beschränkung von Freiheit, sondern als deren Verwirklichung erkannt ist: Freiheit realisiert sich in der Anerkennung der Geschöpflichkeit, indem sie von uneinlösbaren Erwartungen entlastet und damit zugleich die Wahrnehmung der realen Freiheitsräume eröffnet. Sie entspringen aus der Einsicht, daß Leben von dem Raum und der Zeit abhängt, die der Schöpfer gibt, daß das Nötige gewährt wird und angesichts der Verfehlung von Leben neue Lebensmöglichkeiten eröffnet sind. Glaube ist der Vollzug von Geschöpflichkeit, indem er sich auf Gottes Handeln verläßt und nicht das Leben unter die Kontrolle menschlicher Aktivität bringen will. Auch wenn Luther die Passivität des Lebens im Glauben in deutschen Umschreibungen als „Leiden“ wiedergeben kann, ist dies nicht allein auf die schmerzlichen Erfahrungen zu beziehen. „Leiden“ ist dabei vielmehr strikt als Gegensatz zum aktiven Tun zu verstehen und umfaßt folglich sowohl die dunklen wie auch die hellen Widerfahrnisse des Lebens. Damit ist das ganze Leben im Blick, das eben nicht durchweg oder auch nur vorwiegend durch eigene Aktivität gestaltet wird; vielmehr verdankt ein Mensch „sein Dasein mit seinem Beginn und von seinem Beginn an“. (267: 123) Wo Geburt, aber auch Krankheit, Hilfsbedürftigkeit und die alltäglichen leiblichen Bedürfnisse nicht verdrängt werden, wird Passivität als Grundstruktur des Lebens erkennbar. Vita passiva im Sinne Luthers ist ein solches Leben, das nicht von den eigenen Plänen und Strategien das Heil und das Glück erwartet und beide darin notwendig verfehlt, sondern sich öffnet für die Wege, die sich in der je eigenen Lebensgeschichte zeigen. Darin läßt die vita passiva, mit der von Oswald Bayer im Anschluß an Johann Georg Hamann geprägten treffenden Formulierung (228: 21 ff.), Gott den Autor meiner Lebensgeschichte sein. In der vita passiva verschränken sich das Leben als Geschöpf und das Leben aus der Rechtfertigung. Indem aber in der vita passiva Gottes Handeln im Zentrum steht, ist die Freiheit des Menschen freilich in keiner Weise beeinträchtigt. Vielmehr erweist sich die Alternative, die Gottes Handeln und menschliches Handeln entgegensetzt, als falsch. Vita passiva ist nicht die Situation des Zuschauers, sondern entbindet ihre spezifische Wirksamkeit. Das Geschehen der Formung des Lebens durch Gott „ist ja nicht eine Bewegung am Wollen des Menschen vorbei, sondern das Bewegtwerden dieses Wollens selbst zu Freude, Lob und Liebe; zu einem Geschehen also, in dem der Mensch zwar nicht aus sich selbst, wohl aber als er selbst begriffen ist, mitgeht, bejaht.“ (247: 220) Nicht die Eliminierung des menschlichen Willens und Tuns, son-
5.3 Autonomie und vita passiva
„Das alte griechische Ideal, das im ,normalen Menschen einen gleichermaßen in der Akademie und auf dem Sportplatz kräftigen, jungen, balancierten und glücklichen Menschen sah, hat auch seinen Einfluß auf die christliche Kirche ausgeübt … Was immer man als Verallgemeinerung der verschiedenen biblischen Bilder vom Menschen verantworten kann: dies ist nicht das Verständnis der biblischen Schriften.“ (262: 86 f.) ,
In diesem Bild des Menschen haben Schwache, Kranke, Bedürftige keinen eigenen Platz; sie erscheinen allenfalls in defizitärer Weise als Menschen. Offensichtlich folgt das gegenwärtige Ideal des Menschen dem „Athener Modell“: Er ist „wettbewerbsfähig, kann sich maximal selbst verwirklichen und optimal an die Situation, in der er sich vorfindet, adaptieren“. (260: 160) Im Jerusalemer Modell dagegen „ist der kranke und kaputte Mensch, der Leidende und Unverwirklichte der Geliebte, der wahre Mensch, der Träger der Menschenwürde“. (260: 160) Diese Spannung zieht sich durch die ganze Bibel: von der Erwählung Israels, die eben dem unbedeutenden und kleinen Volk und nicht den großen Nationen gilt, über die Propheten bis hin zum Gottesknecht, der weder Ansehen noch Schönheit hat, sind es unscheinbare Menschen, in denen Gottes Macht gegenwärtig wird, bis sie sich im Gekreuzigten vollendet. „Nicht, daß man im Alten Testament nicht von Glück, Stärke und Ausgeglichenheit gewußt hätte; oder im Neuen von guten Ehen, gerechten Regierungen und soliden Zuständen. Aber als ,Norm‘ steht dies alles nicht im Zentrum.“ (262: 87) Das „Jerusalemer Modell“ des Menschen eignet sich offensichtlich nicht als Leitbild, um das Menschsein zu gestalten; erst recht kann es nicht zur Legitimation von Mittelmaß und Trägheit dienen. Niemand will „seinen Kindern nicht die vollste und selbsterrungene Entfaltung und seinen neurotischen und unfreien Bekannten nicht eine maximale Selbstverwirklichung wünschen“. (262: 87) Vielleicht ist diese Wahrnehmung des Menschseins darum besser auch nicht als ,Modell zu bezeichnen, weil niemand das leidende und beschädigte Leben will und wollen kann. Eben darin liegt aber auch seine Bedeutung, weil es die Ausrichtung des Lebens an einer Norm selbst zurückweist. Es korrigiert das „Athener Modell“ in doppelter Weise:
,Athener und Jerusalemer Mensch ,
dern ihre Neuwerdung hat die Betonung der vita passiva im Blick; die zentrale Frage ist, ob dieses Wollen und Tun in Gott oder gegen ihn geschieht. Theologisch ist hier vom Wirken des Heiligen Geistes zu sprechen, der „das Ich der Glaubenden nicht umgeht, sondern geradezu provoziert. Das neue Sein strömt den Glaubenden nicht anders zu, als daß sie sich dazu bewegen lassen, ihm in all ihren irdischen Bezügen Raum zu geben.“ (191: 189 f.) Damit wird zugleich der Blick geöffnet für die Wahrnehmung des Lebens, die nicht fixiert ist auf das, was ein Mensch aus sich macht oder was andere aus ihm machen. Indem der Sinn des Lebens und die Würde des Menschen nicht an seine Fähigkeit zur Autonomie gebunden werden, muß auch das bedürftige, schwache und kranke Menschsein nicht verdrängt werden ebensowenig wie die Situationen und Zeiten im Leben „gesunder“ Menschen, in denen sie schwach, verletzt und bedürftig sind. Die theologische Wahrnehmung des Menschseins muß darum dem Leitbild des Menschen widersprechen, das Dietrich Ritschl in einer prägnanten Gegenüberstellung als das „Athener Modell“ bezeichnet:
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5. Elemente theologischer Anthropologie
Zum einen wird die religiöse Überhöhung des sozialen und ökonomischen Erfolgs vehement zurückgewiesen, als sei Gott der Bündnispartner der Starken und der Sieger. Gerade bei denen, die nach den herrschenden Maßstäben die Schwachen sind, ist Gott gegenwärtig als der Tröstende und Rettende auch über die Grenzen des Menschlichen hinaus. Zum anderen wird das „Athener Modell“ in seiner scheinbaren Selbstverständlichkeit erschüttert: Repräsentiert es wirklich die erstrebenswerte Gestalt des Menschseins, wenn es die andere Seite des Lebens verdrängt? Auch der Athener Mensch wird alt, auch er erfährt Leiden und Krankheit. Erst recht wird dieses Modell brüchig, wenn es auf Kosten der weniger Glücklichen geht und der Erfolg von den vielen im Schatten bezahlt wird. Auch hier ist es nicht die ausschließliche Alternative, sondern die Revision der gängigen Kategorien, die in den biblischen Perspektiven erfahren wird. Selbstentfaltung und Barmherzigkeit gehören ebenso zusammen wie Aktivität, Geduld und Empfänglichkeit. Das „Jerusalemer Modell“ erinnert daran, daß Freiheit verfehlt wird, wenn sie nicht den Schwachen und Bedürftigen zugute kommt. In der Umwertung, für die das Leben im Glauben einsteht, erkennt Christian Link darum die Gegenwart von Gottes Zukunft in diesem Leben: „In der vita passiva vollzieht sich der innergeschichtlich greifbare Übergang vom alten in einen neuen Aeon. So begriffen ist sie der Ursprungsort christlicher Hoffnung, die – durchaus aktive! – Vorwegnahme neuer Möglichkeiten, die ihr Licht dem Gerechtfertigten schon vorauswerfen.“ (320: 336) Der theologische Einspruch gegen das Autonomiekonzept der Neuzeit wendet sich gegen seine Überforderung gerade um der Freiheit willen. Die Einsicht in die wesentliche Passivität des Lebens eröffnet die Wahrnehmung der Würde auch des Schwachen und Beschädigten, das jeder Lebensgeschichte innewohnt.
5.4 Zeit und Ewigkeit
Austritt aus der Zeit
Menschliches Leben ist in der Zeit; es hat seine je individuelle Geschichte und ist auf seine Zukunft hin ausgerichtet. Als zeitliches ist menschliches Leben aber auch vergänglich. Daß menschliches Leben als Geschöpflichkeit erfahren wird, heißt zugleich, seine Grenzen anzuerkennen: seine Grenzen im Leben, aber auch die Grenze des Lebens schlechthin. Zur Geschöpflichkeit gehören unsere Zeitlichkeit und unsere Vergänglichkeit. Leben im Glauben ist aber auch die Gewißheit, daß diese Vergänglichkeit getragen ist von der unvergänglichen Hoffnung, daß das begrenzte Leben bei Gott Zukunft hat. Es wurzelt in der zugesagten Verheißung des ewigen Lebens. Sie hat ihre gegenwärtige Entsprechung in den Erfahrungen, daß sich auch dort Wege auftun, wo menschliches Ermessen nichts als Abbrüche und Scheitern erwartet. Die neuen Lebensmöglichkeiten im Scheitern und in den Abbrüchen des Lebens sind ein Vorschein der Auferstehung. Der Tod ist, nach der Formulierung von Georg Picht, der „Austritt aus der Zeit“ (333: 24). Mit diesem Ausdruck ist bezeichnet, daß hier die Grenzen
5.4 Zeit und Ewigkeit
allen Sprechens und Vorstellens erreicht ist; denn was jenseits der Zeit ist, ist für Menschen schlechterdings unvorstellbar, insofern wir als Wesen dieser Welt allemal zeitliche Wesen sind und alle unsere Erfahrungen wesentlich zeitlich strukturiert sind. Picht spricht darum davon, daß wir hier dem „Nichts des Denkens“ (333: 24) begegnen, weil das, was jenseits der Zeit ist, buchstäblich un-denkbar ist. Darum ist auch die Redeweise, der Tod sei das Ende des Lebens, nicht angemessen, insofern auch das Ende immer ein Moment in der Zeit ist. Picht erinnert an das Wort: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ (Joh 18,36) Der Austritt aus der Zeit ist darum die Begegnung mit dem, was Gottes Ewigkeit heißen kann. Weil alle menschliche Erfahrung in der Zeit ist, kann das Reden vom Jenseits der Zeit nur metaphorisch sein; es ist freilich auch ein unverzichtbares Reden, insofern Menschen diejenigen Wesen sind, die um ihr eigenes Sterben wissen. Um ihr eigenes Menschsein erfassen zu können, müssen sie den Tod bedenken und damit auch die Erfahrungen, in denen das Jenseits der Zeit sich in der Zeit spiegelt. Ewigkeit im biblischen Sinn ist freilich nicht zu denken als stillstehende Dauer, sondern selbst als ein unvergängliches Leben (Röm 2,7). Als Gleichnisse der Ewigkeit können darum solche Erfahrungen gelten, in denen die Zeit in der Zeit transzendiert wird: Die Begegnung mit solcher Schönheit, die in ihrer Bewegung in sich ruht, ebenso wie die Erfahrungen von Liebe, aber auch sinnlicher Hingabe – nicht zufällig erscheint in Jesu Gleichnissen und Bildreden die Hochzeitsfeier als Gleichnis des Himmelreiches. Hierher gehört auch die Erfahrung von Kunst, in deren gelungenen Werke der irreduzible Zeitkern sich mit dem Empfinden verbindet, daß es keine Zeit gibt, in der sie nicht da gewesen seien. Insbesondere die Musik bringt die Dialektik von Zeit und Ewigkeit zur sinnlichen Erfahrung: „Was hier in der Zeit realisiert wird, ist etwas durchaus ,Ideelles‘, Zeitloses, das doch ohne Zeit gar nicht zu denken ist.“ (168: 121). Die Verbindung von Zeitlichkeit und Ewigkeit ist in der theologischen wie der philosophischen Tradition mit dem Gedanken der unsterblichen Seele ausgedrückt worden. Freilich ist eben dieser Gedanke in der neueren Theologie häufig einer scharfen Kritik unterzogen worden, die sich vor allem aus drei Gründen speist: 1) Der Gedanke hat seinen Ursprung in der antiken Philosophie, vor allem bei Platon, und ist in dieser Form der Bibel fremd. 2) Der Tod kann verharmlost werden, wenn behauptet wird, er beträfe nur einen Teil des Menschen. 3) Eine unsterbliche Seele scheint vom neuschaffenden Handeln Gottes unabhängig zu sein. Aus diesen Gründen ist vor allem in der evangelischen Theologie des 20. Jahrhunderts der Auferstehungsglaube strikt von der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele abgesetzt worden, freilich um den Preis, daß damit der Auferstehungsglaube fortschreitend abstrakt und kaum mehr verständlich wurde. Die Vorstellung von der Seele als einem Teil im Menschen ist in der Tat problematisch. Die biblische Rede kennt, wie gesehen (s.o. S. 109 f.), eine solche Aufteilung des Menschen nicht; Seele steht hier für das Ganze des Menschseins in spezifischer Perspektive. Das philosophische Konzept einer unsterblichen Seele wurde erst in der frühchristlichen Apologetik von der Theologie rezipiert; es bot sich an, den biblischen Auferstehungsglauben in einem intellektuellen Kontext, der durch die griechische Philosophie ge-
Unsterbliche Seele
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5. Elemente theologischer Anthropologie
Auferstehung leiblich
prägt war, kommunikabel, das heißt aber auch: verständlich zu machen (vgl. dazu 305). Weil die Adressaten der frühchristlichen Verkündigung die Vorstellung von der unsterblichen Seele kannten, lag es nahe, den biblischen Glauben an das ewige Leben in dieses Konzept einer unsterblichen Seele quasi hineinzugießen. Freilich ist der Begriff der Seele nicht festgelegt auf seine platonistische Fassung. Die platonische Seele ist eben kein Individuum. Wenn aber im Gefolge der biblischen Rede vom Menschen eben dieser individuelle Mensch in seiner Einzigartigkeit im Blick ist, verändert sich die Vorstellung von Grund auf. Was von einem Menschen bleibt, ist nicht eine naturhafte Qualität, sondern in Gottes Handeln begründet: „Wer als Mensch in die Welt gekommen ist, wird von Urbeginn an in Gottes Gedenken aufgenommen und geht dort nicht verloren.“ (265: 53) Die notwendig metaphorische Redeweise vom Gedenken Gottes wird im Kern verfehlt, wenn Gottes Gedenken auf die Analogie zum menschlichen Gedenken reduziert wird. Vielmehr ist dabei eben vom Gedenken des Schöpfers und Erlösers die Rede, „der die Toten lebendig macht und ruft das, was nicht ist, daß es sei“ (Röm 4,17). Gottes Gedenken ist kein bloßer Gedanke, sondern identisch mit seinem Schöpfungshandeln: Der Austritt aus der Zeit ist zugleich der Eingang in Gottes ewiges Gedenken. Darum ist die Zukunft des Menschen sowohl neue Schöpfung als auch Kontinuität zu diesem Leben. Eben um dieser Kontinuität willen muß der christliche Glaube die Auferstehung leiblich denken, weil es um den ganzen Menschen geht, der auch als Leib in der Welt ist, mit anderen Menschen lebt und vor Gott steht. Auferstehung ist so als die Verwandlung der Leiblichkeit und nicht als deren Tilgung auszusagen, wie dies Paulus 1 Kor 15,35ff. ausführlich erörtert. Gegen ein spiritualistisches Verständnis der Auferstehung insistiert Paulus darauf, daß Auferstehung ohne Leib nicht zu denken ist, wenn sie denn Auferstehung dieses Menschen ist. Im Tod läßt nicht die Seele den Leib quasi als Hülle zurück; vielmehr wird der ganze Mensch in der Auferstehung verwandelt. Paulus spricht ausdrücklich von einem geistlichen Leib (soma pneumatikon; v. 44): Damit ist sowohl festgehalten, daß die Gestalt des ewigen Lebens nicht im buchstäblichen Sinn vorstellbar ist, aber doch als die Zukunft dieses Menschen zu denken ist. Wenn dabei die Leiblichkeit des Menschen festgehalten werden muß, so ist dabei diese Leiblichkeit von ihrer körperlichen Gestalt in dieser Welt zu unterscheiden. Die leibliche Wirklichkeit des Menschen ist nicht ,materialistisch zu denken (vgl. o. S. 133 f.); sie ist nicht in der Selbigkeit der Moleküle gegeben. Der Körper des Menschen vergeht; aber sein Leib ist nicht mit ihm identisch. Eher ließe sich formulieren: Der Körper ist die irdische Gestalt des menschlichen Leibes. Von hier aus ist die Unterscheidung von Leib und Seele keine prinzipielle: Der Mensch in seinen Empfindungen, in seinem Denken, in seinem Handeln und seinem Sprechen, in seinem Lachen und Weinen, ist der ganze Mensch. Aber diese Dimensionen des Menschseins sind nicht hinreichend als Objekte in Raum und Zeit zu erfassen. Was derart nicht an die Zeit gebunden ist, aber wohl in der Zeit geschieht, muß mit dem Tod nicht enden. Die biblische Rede vom Menschen geht nicht auf in einer Ontologie von Raum und Zeit. Sie verweist auf die Dimensionen leibhaften Lebens, die die materielle Welt nicht erfassen. Sie wehrt zugleich einer individuali,
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Was von einem Menschen bleibt
5.4 Zeit und Ewigkeit
stischen Verengung des Auferstehungsglaubens: Weil Leib das In-der-WeltSein des Menschen bezeichnet, ist Auferstehung immer im Kontext der neuen Schöpfung zu denken, die die alte nicht vernichtet, sondern vollendet. Das, was von einem Menschen bleibt, bestimmt in dieser Perspektive auch sein irdisches Leben. Gerade weil der Mensch in seiner Körperlichkeit nicht aufgeht, bedarf es der Aufmerksamkeit auf sein leibliches Sein. Menschen sind wesentlich zukünftige Wesen – in ihrer Gegenwart und gerade darum nicht ohne ihre Vergangenheit. Damit ist aber die Frage, was der Mensch sei, wieder eingefügt in die Selbstwahrnehmung, die theologisch als Wahrnehmung der Wege der Menschen vor Gott konkret wird. Die Frage findet ihre Antwort nicht in einer abstrakten Bestimmung des Menschen und des Menschseins, sondern sie fängt immer wieder neu an in der Selbstreflexion der Lebenswirklichkeit. Damit ist nicht das Ideal des Menschen Gegenstand der theologischen Anthropologie, sondern die Wirklichkeit der Menschen und die Zukunft, die sich ihnen von Gott her eröffnet.
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6. Bibliographie Die Angaben müssen sich angesichts der unüberschaubaren Menge der Literatur zur Anthropologie auf eine kleine Auswahl beschränken, die außer den zitierten Werken nur wenige Titel aus den verschiedenen Bereichen zum Weiterstudium nennen kann. Die Abkürzungen richten sich nach dem von Siegfried M. Schwertner herausgegebenen „Internationalen Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete“ (IATG).
1. Hilfsmittel 1.1 Zur Geschichte der Anthropologie 1 Linden, Mareta: Untersuchungen zum Anthropologiebegriff des 18. Jahrhunderts; Frankfurt/M. 1976. 2 Marquard, Odo: Art. Anthropologie; in: HWP 1, 362 – 374. 3 Marquard, Odo: Zur Geschichte des philosophischen Begriffs ,Anthropologie seit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts; in: ders., Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie. Aufsätze, Frankfurt/M. 1982, 122 – 144. 4 Mühlmann, Wilhelm E.: Geschichte der Anthropologie; 2., verbesserte und erweiterte Auflage Frankfurt/M./Bonn 1968. 5 Landmann, Michael: Fundamental-Anthropologie, 2., erweiterte Auflage Bonn 1984. 6 Kattmann, Ulrich: Anmerkungen zur Wissenschaftssystematik und Wissenschaftsethik der Anthropologie auf dem Hintergrund ihrer Geschichte; in: Anthropologie im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik, hg. von Holger Preuschoft und Ulrich Kattmann, Oldenburg 1992, 127 – 142. 7 Schwidetzky, Ilse: Geschichte der Anthropologie; in: Anthropologie. Handbuch der vergleichenden Biologie des Menschen. 1. Teil: Wissenschaftstheorie, Geschichte, morphologische Methoden, hg. von Rainer Knußmann in Verbindung mit Ilse Schwidetzky, Hans W. Jürgens und Gerfried Ziegelmayer, Stuttgart/New York 1988. ,
1.2 Einführungen 8 Arlt, Gerhard: Philosophische Anthropologie; Stuttgart 2001. 9 Diemer, Alwin: Elementarkurs Philosophie. Philosophische Anthropologie; Düsseldorf/Wien 1978. 10 Dirscherl, Erwin: Grundriss Theologischer Anthropologie. Die Entschiedenheit des Menschen angesichts des Anderen; Regensburg 2006. 11 Frey, Christofer: Arbeitsbuch Anthropologie. Christliche Lehre vom Menschen und humanwissenschaftliche Forschung; Stuttgart 1979. 12 Haeffner, Gerd: Philosophische Anthropologie; 3., vollständig neu bearbeitete Auflage Stuttgart/Berlin/Köln 2000. 13 Kruhöffer, Gerald: Der Mensch – das Bild Gottes; Göttingen 1999. 14 Thies, Christian: Einführung in die philosophische Anthropologie; Darmstadt 2004.
6. Bibliographie
1.3 Handbücher 15 Gadamer, Hans-Georg/Paul Vogler (Hrsg.): Neue Anthropologie; Stuttgart 1972ff. Bd. 1: Biologische Anthropologie Erster Teil. Bd. 2: Biologische Anthropologie Zweiter Teil. Bd. 3: Sozialanthropologie. Bd. 4: Kulturanthropologie. Bd. 5: Psychologische Anthropologie. Bd. 6: Philosophische Anthropologie. Erster Teil. Bd. 7: Philosophische Anthropologie. Zweiter Teil. 16 Peters, Albrecht: Der Mensch; 2. Auflage Gütersloh 1994. 17 Wulf, Christoph (Hrsg.): Vom Menschen. Handbuch historische Anthropologie; Weinheim/Basel 1997. 18 Schmiedinger, Heinrich/Clemens Sedmak (Hrsg.): Topologien des Menschlichen; Darmstadt 2004ff. Bd. 1: Der Mensch – ein ,animal rationale‘? Vernunft – Kognition – Intelligenz. Bd. 2: Der Mensch – ein freies Wesen? Autonomie – Personalität – Verantwortung. Bd. 3: Der Mensch – ein zôon politikón? Gemeinschaft – Öffentlichkeit – Macht. 19 Anthropologie. Handbuch der vergleichenden Biologie des Menschen. Band 1. 1. Teil: Wissenschaftstheorie, Geschichte, morphologische Methoden; hg. von Rainer Knußmann in Verbindung mit Ilse Schwidetzky, Hans W. Jürgens und Gerfried Ziegelmayer, Stuttgart/New York 1988. 20 Anthropologie. Handbuch der vergleichenden Biologie des Menschen. Band 1. 2. Teil: Physiologische, psychologische, genetische und mathematische Methoden; hg. von Rainer Knußmann, Stuttgart/Jena/New York 1992.
1.4 Überblicksartikel 21 Albertz, Rainer: Art. Mensch II. Altes Testament; in: TRE 22, 464 – 474. 22 Fischer, Hermann: Theologische Anthropologie im interdisziplinären Horizont; in: ThR 58/1993, 1 – 70. 23 Flüeler, Christoph/Ruedi Imbach: Art. Mensch VI. Mittelalter; in: TRE 22, 501 – 509. 24 Gahbauer, Ferdinand R.: Art. Mensch V. Alte Kirche; in: TRE 22, 493 – 501. 25 Habermas, Jürgen: Art. Anthropologie; in: Philosophie (Fischer Lexikon), mit einer Einleitung von Helmuth Plessner, hg. von Alwin Diemer und Ivo Frenzel, Frankfurt/M. 1958, 1961, 18 – 35. 26 Hampe, Michael: Art. Anthropologie; in: RGG4 1, 521 – 524. 27 Hartmann, Fritz: Art. Anthropologie I. Naturwissenschaftlich; in: RGG3 1, 401 – 410. 28 Hegermann, Harald: Art. Mensch IV. Neues Testament; in: TRE 22, 481 – 493. 29 Hirsch, Walter: Art. Mensch X. Philosophisch; in: TRE 22, 567 – 577. 30 Koch, Traugott: Art. Mensch IX. Systematisch-theologisch; in: TRE 22, 548 – 567. 31 Koch, Traugott: Art. Mensch VIII. 19. und 20. Jahrhundert; in: TRE 22, 530 – 548. 32 Krötke, Wolf: Art. Anthropozentrik; in: RGG4 1, 530 – 531. 33 Neudecker, Reinhard: Art. Mensch III. Judentum; in: TRE 22, 474 – 481. 34 Plessner, Helmuth: Art. Anthropologie II. Philosophisch; in: RGG3 1, 410 – 414. 35 Prenter, Regin: Art. Anthropologie IV. Dogmatisch; in: RGG3 1, 420 – 424. 36 Rahner, Karl: Art. Anthropologie, Theologische A.; in: LThK 1, 618 – 628. 37 Ritschl, Dietrich: Art. Anthropologie 3. Theol. Anthropologie; in: EKL3 1, 163 – 166. 38 Ritschl, Dietrich: Art. Anthropologie. 1. Einleitung; in: EKL3 1, 155 – 156. 39 Sparn, Walter: Art. Mensch VII. Von der Reformation bis zur Aufklärung; in: TRE 22, 510 – 529.
151
6. Bibliographie 40 Weber, Otto: Art. Anthropologie III. Theologiegeschichtlich; in: RGG3 1, 414 – 420. 41 Wißmann, Hans: Art. Mensch I. Religionsgeschichtlich; in: TRE 22, 458 – 464.
2. Anthropologie in Wissenschaft und Philosophie 2.1 Biologie 42 Gerber, Uwe/Hubert Meisinger (Hrsg.): Das Gen als Maß aller Menschen? Menschenbilder im Zeitalter der Gene; Frankfurt/M. u.a. 2004. 43 Hernegger, Rudolf: Anthropologie zwischen Soziobiologie und Kulturwissenschaft. Die Menschwerdung als Prozeß der Selbstbefreiung von den Determinismen der Gene und der Umwelt; Bonn 1989. 44 Knußmann, Rainer: Vergleichende Biologie des Menschen. Lehrbuch der Anthropologie und Humangenetik; 2. Auflage Stuttgart/Jena/Lübeck/Ulm 1996. 45 Knußmann, Rainer: Die heutige Anthropologie; in: Anthropologie. Handbuch der vergleichenden Biologie des Menschen. 1. Teil: Wissenschaftstheorie, Geschichte, morphologische Methoden, hg. von Rainer Knußmann in Verbindung mit Ilse Schwidetzky, Hans W. Jürgens und Gerfried Ziegelmayer, Stuttgart/New York 1988. 46 Knapp, Andreas: Soziobiologie und Moraltheologie. Kritik der ethischen Folgerungen moderner Biologie; Weinheim 1989. 47 Kummer, Christian: Evolution – Genom – Person. Wie kohärent erklärt sich der Mensch aus seiner biologischen Herkunft?; in: Die Einheit des Menschen. Zur Grundfrage der philosophischen Anthropologie, hg. von Lutger Honnefelder, Paderborn u.a. 1994, 59 – 72. 48 Linden, Walfried/Alfred Fleissner (Hrsg.): Geist, Seele und Gehirn. Entwurf eines gemeinsamen Menschenbildes von Neurobiologen und Geisteswissenschaftlern; Münster 2005. 49 Mohr, Hans: Biologische Grenzen des Menschen; in: Wolfgang Böhme (Hrsg.), Evolution und Gottesglaube. Ein Lese- und Arbeitsbuch zum Gespräch zwischen Naturwissenschaft und Theologie, Göttingen 1988, 317 – 332. 50 Propping, Peter: Die Freiheit des Menschen im Zeitalter der Genetik; in: Was ist der Mensch? [Ringvorlesung Göttingen 2001/02], im Auftrag der Akademie der Wissenschaften herausgegeben von Norbert Elsner und Hans-Ludwig Schreiber, Göttingen 2002, 127 – 142. 51 Roth, Karl Heinz: Schöner neuer Mensch. Der Paradigmenwechsel der klassischen Genetik und seine Auswirkungen auf die Bevölkerungsbiologie des ,Dritten Reichs ; in: Wissenschaftlicher Rassismus. Analysen einer Kontinuität in den Human- und Naturwissenschaften, hg. von Heidrun Kaupen-Haas und Christian Saller, Frankfurt/M./New York 1999, 346 – 429. 52 Sachsse, Hans: Die Stellung des Menschen im Kosmos in der Sicht der Naturwissenschaften; in: Wolfgang Böhme (Hrsg.), Evolution und Gottesglaube. Ein Leseund Arbeitsbuch zum Gespräch zwischen Naturwissenschaft und Theologie, Göttingen 1988, 333 – 335. 53 Vogel, Christian: Anthropologische Spuren. Zur Natur des Menschen; Leipzig 2000. 54 Portmann, Adolf: Um das Menschenbild. Biologische Beiträge zu einer Anthropologie. Mit einem autobiographischen Nachwort; Stuttgart 1964, 1982. ,
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6. Bibliographie
2.2 Medizin 55 Baier, Hartmut: Richard Siebeck und Karl Barth – Medizin und Theologie im Gespräch. Die Bedeutung der theologischen Anthropologie in der Medizin Richards [!] Siebecks; Göttingen 1988. 56 Beck, Matthias: Seele und Krankheit. Psychosomatische Medizin und theologische Anthropologie; 3., erweiterte Auflage Paderborn 2003. 57 Hahn, Peter: Ärztliche Propädeutik – Gespräch, Anamnese, Interview. Einführung in die anthropologische Medizin – wissenschaftstheoretische und praktische Grundlagen; Berlin u.a. 1988. 58 Jacob, Wolfgang: Kranksein und Krankheit. Anthropologische Grundlagen einer Theorie der Medizin; Heidelberg 1978. 59 Kostka, Ulrike: Der Mensch in Krankheit, Heilung und Gesundheit im Spiegel der modernen Medizin. Eine biblische und theologisch-ethische Reflexion; Münster 2000. 60 Rad, Michael von (Hrsg.): Anthropologie als Thema von psychosomatischer Medizin und Theologie; Stuttgart u.a. 1974. 61 Weizsäcker, Viktor von: Pathosophie; bearbeitet von Walter Schindler, Dieter Janz und Peter Achilles, Frankfurt/M. 2005.
2.3 Pädagogik 62 Brembeck, Stefan: Der Begriff der Bildung bei Meister Eckhart; Diss., Passau 1998. 63 Bucher, Anton A.: An wirklichen Kindern vorbei, und doch unersetzbar: Kinderbilder; in: Christoph Bizer u.a. (Hrsg.), Menschen Bilder im Umbruch – Didaktische Impulse, Neukirchen-Vluyn 2004, 62 – 73. 64 Christoph Wulf (Hrsg.): Einführung in die pädagogische Anthropologie; Weinheim/Basel 1994. 65 Fraas, Hans-Jürgen: Bildung und Menschenbild in theologischer Perspektive; Göttingen 2000. 66 Hentig, Hartmut von: Bildung. Ein Essay; 2. Auflage Weinheim/Basel 1999. 67 Hurrelmann, Klaus: Einführung in die Sozialisationstheorie. Über den Zusammenhang von Sozialstruktur und Persönlichkeit; Weinheim/Basel, 4. überarb. und erg. Aufl. 1993. 68 Lassahn, Rudolf: Pädagogische Anthropologie. Eine historische Einführung; Heidelberg 1983. 69 Lichtenstein, Ernst: Art. Bildung; in: HWP 1, 921 – 937. 70 Liebau, Eckart: Braucht die Pädagogik ein Menschenbild?; in: Christoph Bizer u.a. (Hrsg.), Menschen Bilder im Umbruch – Didaktische Impulse, Neukirchen-Vluyn 2004, 123 – 135. 71 Meinberg, Eckhard: Das Menschenbild in der modernen Erziehungswissenschaft; Darmstadt 1988. 72 Oelkers, Jürgen: Der Mensch als Maß des Bildungswesens?; in: Herms, Eilert (Hrsg.): Menschenbild und Menschenwürde, Gütersloh 2001, 118 – 137. 73 Oelkers, Jürgen: Kinder sind anders; in: „Kinder sind anders“. Maria Montessoris Bild vom Kinde auf dem Prüfstand, hg. von Waltraud Harth-Peter, 2., unveränderte Auflage Würzburg 1997, 243 – 258. 74 Scheuerl, Hans: Pädagogische Anthropologie. Eine historische Einführung; Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1982. 75 Wulf, Christoph: Art. Anthropologie, pädagogische; in: Historisches Wörterbuch der Pädagogik, hg. von Dietrich Benner und Jürgen Oelkers, Weinheim/Basel 2004, 33 – 57.
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6. Bibliographie
2.4 Philosophie 76 Arlt, Gerhard: Anthropologie und Politik. Ein Schlüssel zum Werk Helmuth Plessners; München 1996. 77 Asemissen, Hermann Ulrich: H. Plessner: Die exzentrische Position des Menschen; in: Grundprobleme der großen Philosophen. Philosophie der Gegenwart II, hg. von Josef Speck, Göttingen 1973, 146 – 180. 78 Bayer, Oswald: Selbstverschuldete Vormundschaft. Hamanns Kontroverse mit Kant um wahre Aufklärung; in: Oswald Bayer: Umstrittene Freiheit. Theologischphilosophische Kontroversen, Tübingen 1981, 66 – 96. 79 Brandt, Reinhard: Kommentar zu Kants Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798); Hamburg 1999. 80 Brandt, Reinhard: Ausgewählte Probleme der Kantischen Anthropologie; in: Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert, hg. von Hans-Jürgen Schings, Stuttgart/Weimar 1994, 14 – 32. 81 Bröckling, Ulrich: Um Leib und Leben. Zeitgenössische Positionen Philosophischer Anthropologie; in: Positionen der Kulturanthropologie, hg. von Aleida Assmann, Ulrich Gaier, Gisela Trommshoff unter Mitarbeit von Karolina Jeftic, Frankfurt/M. 2004, 172 – 195. 82 Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums; mit einem Nachwort von Karl Löwith, Stuttgart 1971. 83 Fischer, Joachim: Exzentrische Positionalität. Plessners Grundkategorie der Philosophischen Anthropologie; in: DZPh 48/2000, 265 – 288. 84 Gehlen, Arnold: Anthropologische Forschung; Reinbek bei Hamburg 1961. 85 Gehlen, Arnold: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. Textkritische Edition unter Einbeziehung des gesamten Textes der 1. Auflage von 1940; hg. von Karl-Siegbert Rehberg (Arnold Gehlen Gesamtausgabe 3.1 und 3.2), Frankfurt/M. 1993. 86 Gehlen, Arnold: Moral und Hypermoral. Eine pluralistische Ethik; Frankfurt/M./ Bonn 1969. 87 Good, Paul: Max Scheler. Eine Einführung; Düsseldorf/Bonn 1998. 88 Grünewald, Bernward: Positionalität und die Grundlegung einer philosophischen Anthropologie bei Helmuth Plessner; in: Realität und Begriff. Jakob Barion zum 95. Geburtstag, hg. von Peter Baumanns, Würzburg 1993, 271 – 300. 89 Hume, David: Ein Traktat über die menschliche Natur. Buch I – III. Deutsch mit Anmerkungen und Register von Theodor Lipps. Mit einer Einführung neu hg. von Reinhard Brandt Unveränderter Nachdr. der 2., durchgesehenen Auflage von 1904 (Buch I) bzw. der 1. Aufl. von 1906 (Buch II und III); Hamburg 1973. 90 Kamlah, Wilhelm: Philosophische Anthropologie. Sprachkritische Grundlegung und Ethik; Zürich 1972. 91 Kamper, Dietmar: Geschichte und menschliche Natur. Die Tragweite gegenwärtiger Anthropologiekritik; München 1973. 92 Kant, Immanuel: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht; in: Werke 12: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie und Pädagogik 2. Register zur Werkausgabe, 395 – 690. 93 Kant, Immanuel: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?; in: Was ist Aufklärung? Thesen und Definitionen, hg. von Ehrhard Bahr, Stuttgart 1980, 51 – 61. 94 Kant, Immanuel: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft; in: Werke 8. Die Metaphysik der Sitten, hg. von Wilhelm Weischedel, 3. Auflage Frankfurt/M. 1979, 645 – 879. 95 Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft; (Kant s Werke Band III, Akademieausgabe) Berlin 1911 96 Kant, Immanuel: Logik. Ein Handbuch zu Vorlesungen; in: Kant s Werke Band IX, Berlin 1923 (Akademieausgabe), 1 – 150. ,
,
154
6. Bibliographie 97 Kant, Immanuel: Kritik der praktischen Vernunft; in: Werke 7. Die Kritik der praktischen Vernunft. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, hg. von Wilhelm Weischedel, 5. Auflage Frankfurt/M. 1980, 103 – 302. 98 Kant, Immanuel: Physische Geographie. Auf Verlangen des Verfassers aus seiner Handschrift herausgegeben und zum Theil bearbeitet von D. Friedrich Theodor Rink; in: Kant s Werke Band IX, Berlin 1923 (Akademieausgabe), 151 – 436. 99 Koch, Lutz: Kants ethische Didaktik; , Würzburg 2003. 100 Montaigne, Michel Eyquem de: Essais. Erste moderne Gesamtübersetzung von Hans Stilett, 2. Auflage Frankfurt/M. 1998. 101 Orth, Ernst Wolfgang: Helmuth Plessners Anthropologiekonzeption und sein Begriff von Wissenschaft und Philosophie; in: Unter offenem Horizont. Anthropologie nach Helmuth Plessner, hg. von Jürgen Friedrich und Berndt Westermann, Frankfurt/M. u.a. 1995, 67 – 74. 102 Pascal, Blaise: Gedanken; hg. und mit einer Einführung von Jean-Robert Armogathe, Köln 1988. 103 Pico della Mirandola, Giovanni: Über die Würde des Menschen; aus dem Neulateinischen übertragen von Herbert Werner Rüssel, mit einer Lebensbeschreibung Picos von Thomas Morus (1520), 4. Auflage Zürich 1996. 104 Pleger, Wolfgang H.: Differenz und Identität. Die Transformationen der philosophischen Anthropologie im 20. Jahrhundert; Berlin 1988. 105 Plessner, Helmuth: Conditio humana; , Frankfurt/ M. 2003. 106 Plessner, Helmuth: Die Aufgabe der Philosophischen Anthropologie (1937); in: Helmuth Plessner: Conditio humana, , Frankfurt/M. 2003, 33 – 51. 107 Plessner, Helmuth: Homo absconditus (1969); in: Helmuth Plessner: Conditio humana, , Frankfurt/M. 2003, 353 – 399. 108 Plessner, Helmuth: Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie; , Frankfurt/M. 2003. 109 Redeker, Hans: Helmuth Plessner oder Die verkörperte Philosophie; Berlin 1993. 110 Rehberg, Karl-Siegbert: Nachwort des Herausgebers; in: Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. Textkritische Edition unter Einbeziehung des gesamten Textes der von 1940, hg. von Karl-Siegbert Rehberg (Arnold Gehlen Gesamtausgabe 3.1 und 2), Frankfurt/M. 1993, 751 – 786. 111 Sander, Angelika: Max Scheler zur Einführung; Hamburg 2001. 112 Scheler, Max: Die Stellung des Menschen im Kosmos; München 1949. 113 Schulz, Walter: Philosophie in der veränderten Welt; Pfullingen 1972. 114 Singer, Peter: Praktische Ethik, 2., revidierte und erweiterte Auflage, aus dem Englischen übers. von Oscar Bischoff u.a. Stuttgart 1994. 115 Thies, Christian: Gehlen zur Einführung; Hamburg 2000. ,
2.5 Sonstige Wissenschaften 116 Assmann, Aleida u.a. (Hrsg.): Positionen der Kulturanthropologie; Frankfurt/M. 2004. 117 Becker, Gary S.: Der ökonomische Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens; übers. von Monika Vanberg und Viktor Vanberg [The economic approach to human behavior], Tübingen 1982. 118 Böhme, Hartmut: Götter, Gräber und Menschen in der „Antigone“ des Sophokles; in: Sophokles. Antigone, hg. von Gisela Greve, Tübingen 2002, 93 – 124.
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156
6. Bibliographie 119 Freud, Sigmund: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse Und Neue Folge; , 6., korrigierte Auflage Frankfurt/M. 1975. 120 Frisch, Max: Tagebuch. 1946 – 1949; Frankfurt/M. 1973. 121 Häberle, Peter: Das Menschenbild im Verfassungsstaat; 2., ergänzte Auflage Berlin 2001. 122 Kirchgässner, Gebhard: Homo Oeconomicus. Das ökonomische Modell individuellen Verhaltens und seine Anwendung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften; Tübingen 1991. 123 Kliemt, Hartmut: Der Homo Oeconomicus – Fakten, Fiktionen, Fehleinschätzungen; in: Menschen Bilder im Umbruch – Didaktische Impulse, hg. von Christoph Bizer u.a., Neukirchen-Vluyn 2004, 42 – 50. 124 Leclerc, Gérard: Anthropologie und Kolonialismus; aus dem Französischen von Hanns Zischler (Anthropologie et Colonialisme, Paris 1972), München 1973. 125 Pfotenhauer, Helmut: Literarische Anthropologie. Selbstbiographien und ihre Geschichte – am Leitfaden des Leibes; Stuttgart 1987. 126 Rabinow, Paul: Was ist Anthropologie?; hg. und übersetzt von Carlo Caduff und Tobias Rees, Frankfurt/M. 2004. 127 Ramb, Bernd-Thomas: Die allgemeine Logik des menschlichen Handelns; in: Ökonomische Verhaltenstheorie, hg. von Bernd-Thomas Ramb und Manfred Tietzel, München 1993, 1 – 31. 128 Schings, Hans-Jürgen (Hrsg.): Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert; Stuttgart/Weimar 1994. 129 Schlösser, Hans Jürgen: Das Menschenbild in der Ökonomie. Die Problematik von Menschenbildern in den Sozialwissenschaften – Dargestellt am Beispiel des homo oeconomicus in der Konsumtheorie; Köln 1992. 130 Sophokles: Antigone; übertragen und hg. von Wolfgang Schadewaldt. Mit einem Nachwort, einem Aufsatz, Wirkungsgeschichte und Literaturhinweisen, Frankfurt/M. 1974. 131 Zimmerman, Andrew: Anthropology and Antihumanism in Imperial Germany; Chicago/London 2001.
3. Anthropologie-Kritik und Historische Anthropologie 132 Adorno, Theodor W.: Negative Dialektik; Frankfurt/M. 1975. 133 Anders, Günther: Die Antiquiertheit des Menschen. Bd. 1: Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution; 6., unveränderte Auflage München 1983; Bd. 2: Über die Zerstörung des Lebens im Zeitalter der dritten industriellen Revolution; Nachdruck der 4., unveränderten Auflage der Original-Ausgabe, München 1987. 134 Christoph Wulf/Dietmar Kamper (Hrsg.): Logik und Leidenschaft. Erträge historischer Anthropologie; Berlin 2002. 135 Claessens, Dieter: Das Konkrete und das Abstrakte. Soziologische Skizzen zur Anthropologie; Frankfurt/M. 1980. 136 Dressel, Gert: Historische Anthropologie. Eine Einführung; mit einem Vorwort von Michael Mitterauer, Wien/Köln/Weimar 1996. 137 Dülmen, Richard van: Die Entdeckung des Individuums. 1500 – 1800; Frankfurt/ M. 1987. 138 Dülmen, Richard van: Historische Anthropologie. Entwicklung, Probleme, Aufgaben; 2., durchgesehene Auflage Köln/Weimar/Wien 2001. 139 Dülmen, Richard van (Hrsg.): Neue Blicke. Historische Anthropologie in der Praxis; Wien/Köln/Weimar 1997. 140 Gebauer, Gunter u.a.: Historische Anthropologie. Zum Problem der Humanwissenschaften heute oder Versuche einer Neubegründung; Reinbek 1989.
6. Bibliographie 141 Historische Anthropologie. Der Mensch in der Geschichte; hg. von Hans Süssmuth, Göttingen 1984. 142 Kamper, Dietmar: Anthropologische Differenz und menschliche Identität. Tendenzen gegenwärtiger Anthropologie; in: Sachlichkeit. Festschrift zum achtzigsten Geburtstag von Helmuth Plessner, hg. von Günter Dux und Thomas Luckmann, Opladen 1974, 55 – 68. 143 Kaupen-Haas, Heidrun/Christian Saller (Hrsg.): Wissenschaftlicher Rassismus. Analysen einer Kontinuität in den Human- und Naturwissenschaften; Frankfurt/ M./New York 1999. 144 Körper-Geschichten. Studien zur historischen Kulturforschung V; hg. von Richard van Dülmen, Frankfurt/M. 1996. 145 Lepenies, Wolf/Helmut Nolte: Experimentelle Anthropologie und emanzipatorische Praxis. Überlegungen zu Marx und Freud; in: Wolf Lepenies/Helmut Nolte: Kritik der Anthropologie, 2. Auflage München 1972, 9 – 76. 146 Lepenies, Wolf: Anthropologie und Gesellschaftskritik. Zur Kontroverse Gehlen – Habermas; in: Wolf Lepenies/Helmut Nolte: Kritik der Anthropologie, 2. Auflage München 1972, 77 – 102. 147 Lepenies, Wolf: Soziologische Anthropologie. Materialien; München 1971. 148 Massin, Benoît: Anthropologie und Humangenetik im Nationalsozialismus oder: Wie schreiben deutsche Wissenschaftler ihre eigene Wissenschaftsgeschichte?; in: Wissenschaftlicher Rassismus. Analysen einer Kontinuität in den Humanund Naturwissenschaften, hg. von Heidrun Kaupen-Haas und Christian Saller, Frankfurt/M./New York 1999, 12 – 64. 149 Nipperdey, Thomas: Bemerkungen zum Problem einer historischen Anthropologie; in: Die Philosophie und die Wissenschaften. Simon Moser zum 65. Geburtstag, hg. von Ernst Oldemeyer, Meisenheim am Glan 1967, 350 – 370. 150 Preuschoft, Holger/Ulrich Kattmann (Hrsg.): Anthropologie im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik; Oldenburg 1992. 151 Sonnemann, Ulrich: Negative Anthropologie. Vorstudien zur Sabotage des Schicksals; Reinbek 1969. 152 Tanner, Jakob: Historische Anthropologie zur Einführung; Hamburg 2004. 153 Würger-Donitza, Wolfgang: Grundlegung einer negativen Anthropologie. Bd. 1: Ethik; Würzburg 2003.
4. Grundstrukturen anthropologischer Reflexion 154 Böhme, Gernot: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. Darmstädter Vorlesungen; Frankfurt/M. 1985. 155 Ebeling, Gerhard: Zur Definition des Menschen; in: Der Mensch in den modernen Wissenschaften. Castelgandolfo-Gespräche 1983, hg. von Krysztof Michalski, Stuttgart 1985, 73 – 77. 156 Hinske, Norbert: Eine antike Katechismusfrage. Zu einer Basisidee der deutschen Aufklärung; in: Die Bestimmung des Menschen, hg. von Norbert Hinske, Hamburg 1999, 3 – 6. 157 Honnefelder, Lutger: Das Problem der Philosophischen Anthropologie: Die Frage nach der Einheit des Menschen; in: Die Einheit des Menschen. Zur Grundfrage der philosophischen Anthropologie, hg. von Lutger Honnefelder, Paderborn/ München/Wien/Zürich 1994, 9 – 24. 158 MacIntyre, Alasdair: Geschichte der Ethik im Überblick: Vom Zeitalter Homers bis zum 20. Jahrhundert; Königstein/Ts. 1984. 159 MacIntyre, Alasdair: Der Verlust der Tugend. Zur moralischen Krise der Gegenwart; aus dem Englischen von Wolfgang Rhiel, Frankfurt/M./New York 1987.
157
6. Bibliographie 160 Picht, Georg: Die geschichtliche Natur des Menschen. Zum Thema „Anthropologie“; in: ders.: Hier und Jetzt. Philosophieren nach Auschwitz und Hiroshima. Bd. 1, Stuttgart 1980, 165 – 181. 161 Rehbock, Thea: Warum und wozu Anthropologie in der Ethik?; in: Anthropologie und Ethik. Biologische, sozialwissenschaftliche und philosophische Überlegungen, hg. von Jean-Pierre Wils unter Mitarbeit von Volker Pfeifer, Tübingen/Basel 1997, 64 – 109. 162 Rentsch, Thomas: Die Konstitution der Moralität. Transzendentale Anthropologie und praktische Philosophie; Frankfurt/M. 1990. 163 Rentsch, Thomas: Worin besteht die Irreduzibilität religiöser Wahrheitsansprüche? Religion und negative Metaphysik; in: Religion – Metaphysik(kritik) – Theologie im Kontext der Moderne/Postmoderne, hg. von Markus Knapp und Theo Kubusch, Berlin u.a. 2001, 113 – 126. 164 Roughley, Neil: Anthropologie und Moral: Philosophische Perspektiven; in: Anthropologie und Moral. Philosophische und soziologische Perspektiven, hg. von Martin Endreß und Neil Roughley, Würzburg 2000, 13 – 51. 165 Roughley, Neil: Einleitung I.; in: Identität, Leiblichkeit, Normativität. Neue Horizonte anthropologischen Denkens, hg. von Annette Barkhaus, Matthias Mayer, Neil Roughley und Donatus Thürnau, 2. Auflage Frankfurt/M. 1999, 9 – 18. 166 Seebaß, Gottfried: Vermeidbare Unvermeidlichkeit. Zur anthropologischen Signifikanz des Bildlichen; in: Positionen der Kulturanthropologie, hg. von Aleida Assmann, Ulrich Gaier, Gisela Trommshoff unter Mitarbeit von Karolina Jeftic, Frankfurt/M. 2004, 275 – 298. 167 Spaemann, Robert: Grenzen. Zur ethischen Dimension des Handelns; 2. Auflage Stuttgart 2002. 168 Spaemann, Robert: Personen. Versuche über den Unterschied zwischen ,etwas und ,jemand ; 2. Auflage Stuttgart 1998. 169 Spaemann, Robert: Über den Begriff einer Natur des Menschen; in: Der Mensch in den modernen Wissenschaften. Castelgandolfo-Gespräche 1983, hg. von Krysztof Michalski, Stuttgart 1985, 100 – 116. 170 Weizsäcker, Carl Friedrich von: Der Garten des Menschlichen. Beiträge zur geschichtlichen Anthropologie; Frankfurt/M. 1983. ,
,
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5. Theologische Anthropologie 5.1 Anthropologie des Judentums 171 Bodendorfer, Gerhard: Menschenrechte und Menschenwürde in der rabbinischen Literatur; in: JBTh 15/2000, 67 – 92. 172 Ben-Chorin, Schalom: Was ist der Mensch. Anthropologie des Judentums; Tübingen 1986. 173 Buber, Martin: Das Problem des Menschen; 5. verbesserte Auflage Heidelberg 1982. 174 Heschel, Abraham Joshua: Gott sucht den Menschen. Eine Philosophie des Judentums; Von Abraham Heschel autorisierte Erstfassung von Ida Maria Solltmann, neu bearbeitet von Ruth Olmesdahl, Neukirchen-Vluyn 1980.
5.2 Zur Rede vom Menschen in der Bibel 175 Ebach, Jürgen: Bild Gottes und Schrecken der Tiere. Zur Anthropologie der priesterlichen Urgeschichte; in: Jürgen Ebach: Ursprung und Ziel. Erinnerte Zukunft und erhoffte Vergangenheit. Biblische Exegesen, Reflexionen, Geschichten, Neukirchen-Vluyn 1986, 16 – 47.
6. Bibliographie 176 Frevel, Christian: [Menschsein] Altes Testament; in: Christian Frevel/Oda Wischmeyer: Menschsein. Perspektiven des Alten und Neuen Testaments, Würzburg 2003, 7 – 60. 177 Groß, Walter: Gen 1,26.27; 9,6: Statue oder Ebenbild Gottes? Aufgabe und Würde des Menschen nach dem hebräischen und griechischen Wortlaut; in: JBTh 15/ 2000, 11 – 38. 178 Hahn, Ferdinand: Theologie des Neuen Testaments Band II: Die Einheit des Neuen Testaments. Thematische Darstellung, Tübingen 2002. 179 Janowski, Bernd: Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen; Neukirchen-Vluyn 2003. 180 Käsemann, Ernst: Zur paulinischen Anthropologie; in: ders., Paulinische Perspektiven, 2., durchgesehene Auflage Tübingen 1972, 9 – 60. 181 Luz, Ulrich: Gericht und Menschenverständnis bei Matthäus; in: „Was ist der Mensch?“ Theologische Anthropologie im interdisziplinären Kontext. Wolfgang Lienemann zum 60. Geburtstag, hg. von Michael Graf, Frank Mathwig und Matthias Zeindler, Stuttgart 2004, 249 – 260. 182 Neumann-Gorsolke, Ute: „Mit Ehre und Hoheit hat Du ihn gekrönt“ (Ps 8,6b). Alttestamentliche Aspekte zum Thema Menschenwürde; in: JBTh 15/2000, 39 – 65. 183 Oeming, Manfred: Das Buch der Psalmen. Psalm 1 – 41; Stuttgart 2000. 184 Reinmuth, Eckart: Anthropologie im Neuen Testament; Tübingen 2006. 185 Schlier, Heinrich: Vom Menschenbild des Neuen Testaments; in: Der alte und der neue Mensch. Aufsätze zur theologischen Anthropologie, München 1942, 24 – 36. 186 Schmitt, Hans-Christoph: Weisheit, Schöpfung und Erwählung in Psalm 8; in: Beim Wort nehmen. Die Schrift als Zentrum für kirchliches Reden und Gestalten. Friedrich Mildenberger zum 75. Geburtstag, hg. von Michael Krug, Ruth Lödel und Johannes Rehm, Stuttgart 2004, 118 – 128. 187 Schnelle, Udo: Neutestamentliche Anthropologie. Jesus – Paulus – Johannes; Neukirchen-Vluyn 1991. 188 Schrage, Wolfgang: Schöpfung und Neuschöpfung in Kontinuität und Diskontinuität bei Paulus; in: EvTh 65/2005, 245 – 259. 189 Schroer, Silvia/Thomas Staubli: Die Körpersymbolik der Bibel; Darmstadt 1988. 190 Steck, Odil Hannes: Die Herkunft des Menschen; Zürich 1983. 191 Vollenweider, Samuel: Der Geist Gottes als Selbst der Glaubenden. Überlegungen zu einem ontologischen Problem in der paulinischen Anthropologie; in: ZThK 93/1996, 163 – 192. 192 Was ist der Mensch …? Beiträge zur Anthropologie des Alten Testaments. Hans Walter Wolff zum 80. Geburtstag; hg. von Frank Crüsemann, Christof Hardmeier und Rainer Kessler, München 1992. 193 Waschke, Ernst-Joachim: „Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst?“ (Ps 8,5) Theologische und anthropologische Koordinaten im Kontext alttestamentlicher Aussagen; in: ThLZ 116/1991, 801 – 811. 194 Westermann, Claus: Der Mensch im Alten Testament; mit einer Einführung von Hans-Peter Müller, Münster 2000. 195 Wilckens, Ulrich: Christologie und Anthropologie im Zusammenhang der paulinischen Rechtfertigungslehre; in: ZNW 67/1976, 64 – 82. 196 Wischmeyer, Oda: [Menschsein] Neues Testament; in: Christian Frevel/Oda Wischmeyer: Menschsein. Perspektiven des Alten und Neuen Testaments, Würzburg 2003, 61 – 117. 197 Wolff, Hans Walter: Anthropologie des Alten Testaments; München 1977. 198 Zimmerli, Walther: Der Mensch im Rahmen der Natur nach den Aussagen des ersten Schöpfungsberichtes; in: ZThK 76/1979, 138 – 158.
159
6. Bibliographie
5.3 Theologische Entwürfe 199 Barth, Karl: Die Kirchliche Dogmatik. Band 3: Die Lehre von der Schöpfung. Zweiter Teil; Zürich 1948. 200 Brunner, Emil: Der Mensch im Widerspruch. Die christliche Lehre vom wahren und vom wirklichen Menschen; 3., unveränderte Auflage Zürich 1941. 201 Brunner, Emil: Gott und sein Rebell. Eine theologische Anthropologie; Hamburg 1958. 202 Bultmann, Rudolf: Die liberale Theologie und die jüngste theologische Bewegung; in: ders., Glaube und Verstehen. Gesammelte Aufsätze. Bd. 1, 9. [unveränderte] Auflage Tübingen 1993, 1 – 25. 203 Bultmann, Rudolf: Theologie des Neuen Testaments; hg. von Otto Merk, 7., durchgesehene, um Vorwort und Nachträge erweiterte Auflage Tübingen 1977. 204 Eicher, Peter: Die anthropologische Wende. Karl Rahners philosophischer Weg vom Wesen des Menschen zur personalen Existenz; Fribourg 1970. 205 Frey, Christofer: Die Theologie Karl Barths. Eine Einführung; Frankfurt/M. 1988; bes. 193 – 200. 206 Frey, Christofer: Zur theologischen Anthropologie Karl Barths; in: Anthropologie als Thema der Theologie, hg. von Hermann Fischer, Göttingen 1978, 39 – 69. 207 Jüngel, Eberhard: Der königliche Mensch. Eine christologische Reflexion auf die Würde des Menschen in der Theologie Karl Barths; in: ders., Barth-Studien, Zürich/Köln/Gütersloh 1982, 210 – 232. 208 Jüngel, Eberhard: Ganzheitsbegriffe – in theologischer Perspektive; in: Der ,ganze Mensch . Perspektiven lebensgeschichtlicher Individualität, Festschrift für Dietrich Rössler zum siebzigsten Geburtstag hg. von Volker Drehsen u.a., Berlin/New York 1997, 353 – 367. 209 Losinger, Anton: Der anthropologische Ansatz in der Theologie Karl Rahners; St. Ottilien 1991. 210 Niebuhr, Reinhold: The Nature and Destiny of Man. A Christian Interpretation. Vol. 1: Human Nature; London 1941/1945. Vol. 2: Human Destiny; London 1943/1946. 211 Overbeck, Franz-Josef: Der gottbezogene Mensch. Eine systematische Untersuchung zur Bestimmung des Menschen und zur ,Selbstverwirklichung Gottes in der Anthropologie und Trinitätstheologie Wolfhart Pannenbergs. 212 Pannenberg, Wolfhart: Anthropologie in theologischer Perspektive. Religiöse Implikationen anthropologischer Theorie; Göttingen 1983. 213 Pannenberg, Wolfhart: Die Bestimmung des Menschen. Menschsein, Erwählung und Geschichte; Göttingen 1978. 214 Pannenberg, Wolfhart: Systematische Theologie. Bd. 2; Göttingen 1991. 215 Pannenberg, Wolfhart: Was ist der Mensch? Die Anthropologie der Gegenwart im Lichte der Theologie; Göttingen 1981. 216 Pesch, Otto Hermann: Frei sein aus Gnade. Theologische Anthropologie; Freiburg/Basel/Wien 1993. 217 Raffelt, Albert/Karl Rahner: Anthropologie und Theologie; in: CGG 24, 5 – 55. 218 Rahner, Karl: Experiment Mensch. Theologisches Über die Selbstmanipulation des Menschen; in: Die Frage nach dem Menschen. Aufriß einer philosophischen Anthropologie, hg. von Heinrich Rombach, Freiburg/München 1966, 45 – 69. 219 Rahner, Karl: Grundkurs des Glaubens. Einführung in den Begriff des Christentums; Freiburg/Br. 1984. 220 Rahner, Karl: Hörer des Wortes. Zur Grundlegung einer Religionsphilosophie; neu bearbeitet von J. B. Metz, 2. Auflage München 1969. 221 Rahner, Karl: Theologie und Anthropologie; in: ders., Schriften zur Theologie VIII, Einsiedeln/Zürich/Köln. 1967, 43 – 65. 222 Sandler, Willibald: Bekehrung des Denkens. Karl Rahners Anthropologie und ,
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6. Bibliographie
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224 225 226
Soteriologie als formal-offenes System in triadischer Perspektive; Frankfurt/M. u.a. 1996. Scheffczyk, Leo: Theologische Anthropologie im Spannungsfeld zwischen Humanwissenschaften und Philosophie; in: Veränderungen im Menschenbild. Divergenzen der modernen Anthropologie, hg. von Norbert A. Luyten und Leo Scheffczyk, Freiburg/München 1987, 13 – 39. Sind wir von Natur aus religiös?; hg. von Wolfhart Pannenberg, Düsseldorf 1986. Springhorn, Heinrich: Immanenz Gottes und Transzendenz der Welt. Eine Analyse zur systematischen Theologie von Karl Rahner und Wolfhart Pannenberg; Hamburg 2001. Stock, Konrad: Anthropologie der Verheißung. Karl Barths Lehre vom Menschen als dogmatisches Problem; München 1980.
5.4 Theologische Beiträge 227 Barth, Hans-Martin: Martin Luther disputiert über den Menschen. Ein Beitrag zu Luthers Anthropologie; in: KuD 28/1982, 154 – 166. 228 Bayer, Oswald: Gott als Autor. Zu einer poietologischen Theologie; Tübingen 1999. 229 Beiner, Melanie: Intentionalität und Geschöpflichkeit. Die Bedeutung von Martin Luthers Schrift ,Vom unfreien Willen für die theologische Anthropologie; Marburg 2000. 230 Beintker, Michael: Rechtfertigung in der neuzeitlichen Lebenswelt; Tübingen 1998. 231 Bizer, Christoph: Ecce homo – sehet, welch ein Mensch! Vom christlichen Menschenbild, wahrnehmend gestaltet; in: JRPäd 20/2004. 232 Bröker, Werner: Was ist der Mensch? Theologische Anthropologie aus dem Dialog zwischen Dogmatik und Naturwissenschaften; hg. von Erwin Dirscherl, Osnabrück 1999. 233 Conradie, Ernst M.: An Ecological Christian Anthropology. At Home on Earth; Aldershot 2004. 234 Dalferth, Ingolf U.: Homo definiri nequit. Logisch-philosophische Bemerkungen zur theologischen Bestimmung des Menschen; in: ZThK 76/1979, 191 – 224. 235 Davies, Douglas: Anthropology and Theology; Oxford/New York 2002. 236 Ebeling, Gerhard: Disputatio de Homine. Erster Teil: Text und Traditionshintergrund; , Tübingen 1977. 237 Ebeling, Gerhard: Disputatio de Homine. Zweiter Teil: Die philosophische Definition des Menschen. Kommentar zu These 1 – 19; , Tübingen 1982. 238 Ebeling, Gerhard: Disputatio de Homine. Dritter Teil: Die theologische Definition des Menschen. Kommentar zu These 20 – 40; , Tübingen 1989. 239 Ebeling, Gerhard: Dogmatik des christlichen Glaubens Band 1. Prolegomena. Erster Teil: Der Glaube an Gott den Schöpfer der Welt; 3., durchgesehene Auflage Tübingen 1987. 240 Ebeling, Gerhard: Dogmatik des christlichen Glaubens 3. Dritter Teil: Der Glaube an Gott den Vollender der Welt. Register; 3., durchgesehene Auflage Tübingen 1993. 241 Eicher, Peter: Du sollst Dir kein Bildnis machen. Möglichkeiten und Grenzen theologischer Anthropologie heute; in: Konturen heutiger Theologie. Werkstattberichte, hg. von Gottfried Bitter und Gabriele Miller, München 1976, 21 – 44. 242 Etzelmüller, Gregor: Realistische Rede vom Jüngsten Gericht. Erkenntnisse im Anschluss an Karl Barth; in: EvTh 65/2005, 259 – 276. 243 Fischer, Hermann (Hrsg.): Anthropologie als Thema der Theologie; Göttingen 1978.
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6. Bibliographie 244 Gestrich, Christof: Vere Homo – Systematische Leitgedanken zum Verhältnis von Anthropologie und Christologie; in: Belehrter Glaube. Festschrift für Johannes Wirsching zum 65. Geburtstag, hg. von Elke Axmacher und Klaus Schwarzwäller, Frankfurt/M. u.a. 1994, 67 – 86. 245 Härle, Wilfried: Menschsein in Beziehungen. Studien zur Rechtfertigungslehre und zur Anthropologie; Tübingen 2005. 246 Herms, Eilert (Hrsg.): Leben. Verständnis; Wissenschaft; Technik; Gütersloh 2005. 247 Joest, Wilfried: Ontologie der Person bei Luther; Göttingen 1967. 248 Joha, Zdenko: Christologie und Anthropologie. Eine Verhältnisbestimmung unter besonderer Berücksichtigung des theologischen Denkens Walter Kaspers; Freiburg/Br./Basel/Wien 1992. 249 Körtner, Ulrich H.J.: „Lasset uns Menschen machen“ Christliche Anthropologie im biotechnologischen Zeitalter; München 2005. 250 Langemeyer, Georg: Theologische Anthropologie; in: Glaubenszugänge. Lehrbuch der katholischen Dogmatik. Band 1, hg. von Wolfgang Beinert, Paderborn u.a. 1995, 497 – 620. 251 Lehmann, Karl: Das christliche Menschenbild in Gesellschaft und Kirche; in: Das Menschenbild in Wirtschaft und Gesellschaft, hg. von Reinhold Biskup und Rolf Hasse, Berlin/Stuttgart/Wien 2000, 51 – 78. 252 Link, Christian: „Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei“. Die Grenzen der Cooperatio des Menschen mit Gott; in: Weth, Rudolf (Hrsg.): Der machbare Mensch. Theologische Anthropologie angesichts der biotechnischen Herausforderung, Neukirchen-Vluyn 2004, 35 – 55. 253 Link, Christian: Das Bilderverbot als Kriterium theologischen Redens von Gott; in: Christian Link: Die Spur des Namens, Neunkirchen-Vluyn 1997, 3 – 36. 254 Lohff, Wenzel: Theologie [und pädagogische Anthropologie]; in: Wege zur pädagogischen Anthropologie. Versuch einer Zusammenarbeit der Wissenschaften vom Menschen, hg. von Andreas Flitner in Verbindung mit Theodor Ballauf u.a., Heidelberg 1963, 191 – 217. 255 Maurer, Ernstpeter: Der Mensch im Geist. Untersuchungen zur Anthropologie bei Hegel und Luther; Gütersloh 1996. 256 Maurer, Ernstpeter: Selbstvergessenheit; in: Rechtfertigung und Erfahrung. Für Gerhard Sauter zum 60. Geburtstag, hg. von Michael Beintker/Ernstpeter Maurer/Hinrich Stoevesandt und Hans G. Ulrich., Gütersloh 1995, 168 – 184. 257 Mildenberger, Friedrich: Biblische Dogmatik. Eine Biblische Theologie in dogmatischer Perspektive. Bd. 3: Theologie und Ökonomie; Stuttgart/Berlin/Köln 1993. 258 Moltmann, Jürgen: Was ist der Mensch? Menschenbild zwischen Evolution und Schöpfung; in: Helmut A. Müller (Hrsg.) Naturwissenschaft und Glaube. Naturund Geisteswissenschaftler auf der Suche nach einem neuen Verständnis von Mensch, Technik, Gott und Welt, Bern/München/Wien 1988, 248 – 269. 259 Radford Ruether, Rosemary: Christliche Anthropologie und Geschlecht; in: Die Theologie auf dem Weg in das dritte Jahrtausend, hg. von Carmen Krieg/Thomas Kucharz/Miroslav Volf, unter Mitarbeit von Steffen Lösel, Gütersloh 1996, 300 – 314. 260 Ritschl, Dietrich: Die Erfahrung der Wahrheit. Die Steuerung von Denken und Handeln durch implizite Axiome; in: Dietrich Ritschl: Konzepte. Ökumene, Medizin, Ethik. Gesammelte Aufsätze, München 1986, 147 – 166. 261 Ritschl, Dietrich: Menschwerdung der Tiere durch das Reden mit Gott. Bemerkungen zum Unterschied zwischen innen- und aussenperspektivischer Interpretation biblischer Inhalte; in: „Was ist der Mensch?“ Theologische Anthropologie im interdisziplinären Kontext. Wolfgang Lienemann zum 60. Geburtstag, hg. von Michael Graf, Frank Mathwig und Matthias Zeindler, Stuttgart 2004, 295 – 305.
6. Bibliographie 262 Ritschl, Dietrich: Zur Logik der Theologie. Kurze Darstellung der Zusammenhänge theologischer Grundgedanken; 2. Auflage München 1988. 263 Roth, Michael: Der Mensch als Gewißheitswesen. Franz Hermann Reinhold von Franks theologische Anthropologie und ihre systematische Bedeutung; Aachen/Mainz 1997. 264 Sauter, Gerhard: Die Wahrnehmung des Menschen bei Martin Luther; in: EvTh 43/1983, 489 – 503. 265 Sauter, Gerhard: „Was ist der Mensch, dass Du seiner gedenkst?“ (Ps 8,5); in: Beim Wort nehmen. Die Schrift als Zentrum für kirchliches Reden und Gestalten. Friedrich Mildenberger zum 75. Geburtstag, hg. von Michael Krug, Ruth Lödel und Johannes Rehm, Stuttgart 2004, 47 – 61. 266 Steffensky, Fulbert: Was ist liturgische Authentizität?; in: PTh 89/2000, 105 – 116. 267 Ulrich-Eschemann, Karin: Vom Geborenwerden des Menschen. Theologische und philosophische Erkundungen; Münster 2000.
5.5 Theologische Anthropologie und Ethik 268 Ahmann, Martina: Was bleibt vom menschlichen Leben unantastbar? Kritische Analyse der Rezeption des praktisch-ethischen Entwurfs von Peter Singer aus praktisch-theologischer Perspektive, Münster 2001. 269 Hauerwas, Stanley: Selig sind die Friedfertigen. Ein Entwurf christlicher Ethik; hg. und eingeleitet von Reinhard Hütter, aus dem amerikanischen Englisch von Guy Marcel Clicqué (The peaceable Kingdom), Neukirchen-Vluyn 1995. 270 Kraus, Wolfgang (Hrsg. In Verbindung mit Günter Altner und Meier Schwarz): Bioethik und Menschenbild bei Juden und Christen. Bewährungsfeld Anthropologie; Neukirchen-Vluyn 1999. 271 Lehmann, Paul L.: Sollen wir die Gebote „halten“?; in: Rechtfertigung und Erfahrung. Für Gerhard Sauter zum 60. Geburtstag, hg. von Michael Beintker/Ernstpeter Maurer/Hinrich Stoevesandt und Hans G. Ulrich., Gütersloh 1995, 328 – 341. 272 Lehmann, Paul L.: The Decalogue and a Human Future. The Meaning of the Commandments for Making and Keeping Human Life Human; with an Introduction by Nancy J. Duff, Grand Rapids, Mich. 1995. 273 Stock, Konrad: Grundlegung der protestantischen Tugendlehre; Gütersloh 1995. 274 Ulrich, Hans G.: Wie Geschöpfe leben. Konturen evangelischer Ethik; Münster 2005.
6. Themen theologischer Anthropologie 6.1 Sünder und Ebenbild Gottes 275 Anselm, Reiner: Die Würde des gerechtfertigten Menschen. Zur Hermeneutik des Menschenwürdearguments aus der Perspektive der evangelischen Ethik; in: ZEE 43/1999, 123 – 136. 276 Baldermann, Ingo (Hrsg.): Menschenwürde; hg. von, NeukirchenVluyn 2001. 277 Baruzzi, Arno: Europäisches ,Menschenbild und das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland; Freiburg/München 1979. 278 Brandt, Sigrid/Marjorie H. Suchocki/Michael Welker (Hrsg.): Sünde. Ein unverständlich gewordenes Thema; Neukirchen-Vluyn 1997. 279 Brunner, Peter: Der Ersterschaffene als Gottes Ebenbild (1952); in: Peter Brunner, Pro Ecclesia. Gesammelte Aufsätze zur dogmatischen Theologie, Berlin/Hamburg 1962, 85 – 95.
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6. Bibliographie 280 Dalferth, Ingolf U./Eberhard Jüngel: Person und Gottebenbildlichkeit; in: CGG 24, 57 – 99. 281 Fischer, Johannes: Menschenwürde, Rationalität und Gefühl; in: ZEE 50/2006, 7 – 20. 282 Gestrich, Christof: Die Wiederkehr des Glanzes in der Welt. Die christliche Lehre von der Sünde und ihrer Vergebung in gegenwärtiger Verantwortung; 2., verbesserte Auflage Tübingen 1996. 283 Haeffner, Gerd: Die Einheit des Menschen: Person und Natur; in: Die Einheit des Menschen. Zur Grundfrage der philosophischen Anthropologie, hg. von Lutger Honnefelder, Paderborn/München/Wien/Zürich 1994, 25 – 40. 284 Hailer, Martin: Gott und die Götzen. Über Gottes Macht angesichts der lebensbestimmenden Mächte; Göttingen 2006. 285 Härle, Wilfried: Menschenwürde – konkret und grundsätzlich; in: MJTh 17/ 2005, 199 – 222. 286 Härle,Winfried/RainerPreul(Hrsg.):Menschenwürde;Marburg2005. 287 Herms, Eilert (Hrsg.): Menschenbild und Menschenwürde; Gütersloh 2001. 288 Heuser, Stefan: Menschenwürde. Eine theologische Erkundung; Münster 2004. 289 Iwand, Hans Joachim: „Sed originale per hominem unum“. Ein Beitrag zur Lehre vom Menschen; in: Hans Joachim Iwand, Glaubensgerechtigkeit. Gesammelte Aufsätze 2, hg. von Gerhard Sauter, München 1980, 171 – 193. 290 Jüngel, Eberhard: Der Gott entsprechende Mensch. Bemerkungen zur Gottesebenbildlichkeit des Menschen als Grundfigur theologischer Anthropologie; in: Neue Anthropologie. Bd. 6: Philosophische Anthropologie, hg. von Hans-Georg Gadamer und Paul Vogler, Stuttgart 1975, 342 – 372. 291 Mildenberger, Friedrich: Biblische Dogmatik. Eine Biblische Theologie in dogmatischer Perspektive. Bd. 2: Ökonomie als Theologie; Stuttgart/Berlin/Köln 1992. 292 Picht, Georg: Zum geistesgeschichtlichen Hintergrund der Lehre von den Menschenrechten; in: Georg Picht: Hier und Jetzt. Philosophieren nach Auschwitz und Hiroshima. Bd. 1, Stuttgart 1980, 116 – 132; Nachwort 133 – 135. 293 Schenk, Richard: Von der Hoffnung, Person zu sein. Theologische Überlegungen zur Diskontinuität von Verheißung und Vertrauen; in: Kontinuität der Person. Zum Versprechen und Vertrauen, hg. von Richard Schenk, Stuttgart/Bad Cannstatt 1998, 147 – 177. 294 Schubert, Anselm: Das Ende der Sünde. Anthropologie und Erbsünde zwischen Reformation und Aufklärung; Göttingen 2002. 295 Spaemann, Robert: Über das Identifizieren von Personen; in: Identität, Leiblichkeit, Normativität. Neue Horizonte anthropologischen Denkens, hg. von Annette Barkhaus, Matthias Mayer, Neil Roughley und Donatus Thürnau, 2. Auflage Frankfurt/M. 1999, 222 – 228. 296 Sparn, Walter: „Aufrechter Gang“ versus „krummes Holz“? Menschenwürde als Thema christlicher Aufklärung; in: Menschenwürde, hg. von Ingo Baldermann, Neukirchen-Vluyn 2001, 223 – 246. 297 Splett, Jörg: Der Mensch ist Person. Zur christlichen Rechtfertigung des Menschseins; Frankfurt/M. 1978. 298 Theunissen, Michael: Skeptische Betrachtungen über den anthropologischen Personbegriff; in: Die Frage nach dem Menschen. Aufriß einer philosophischen Anthropologie, hg. von Heinrich Rombach, Freiburg/München 1966, 461 – 490. 299 Vögele, Wolfgang: Menschenwürde zwischen Recht und Theologie. Begründungen von Menschenrechten in der Perspektive öffentlicher Theologie; Gütersloh 2000. 300 Welker, Michael: Person, Menschenwürde und Gottebenbildlichkeit; in: Menschenwürde, hg. von Ingo Baldermann, Neukirchen-Vluyn 2001, 247 – 262.
6. Bibliographie 301 Wiehl, Reiner: Die Bestimmung der Person in der europäischen Kultur; in: Die autonome Person der Moderne – eine europäische Erfindung?, hg. von Klaus-Peter Köpping, Michael Welker und Reiner Riehl, München 2002, 131 – 139. 302 Wils, Jean-Pierre: Person und Subjektivität; in: Grundbegriffe der christlichen Ethik, hg. von Jean-Pierre Wils und Dietmar Mieth, Paderborn u.a. 1992, 110 – 129.
6.2 Leib und Seele 303 Chenu, Marie-Dominique: Leiblichkeit und Zeitlichkeit. Eine anthropologische Stellungnahme; aus dem Französischen von Otto Hermann Pesch und Michael Lauble [Situation humaine]; Berlin 2001. 304 Graf, Michael: Mensch sein mit Leib und Seele. Ein kurzer Überblick und einige Bemerkungen zum Leib-Seele-Problem; in: „Was ist der Mensch?“ Theologische Anthropologie im interdisziplinären Kontext. Wolfgang Lienemann zum 60. Geburtstag, hg. von Michael Graf, Frank Mathwig und Matthias Zeindler, Stuttgart 2004, 231 – 246. 305 Greshake, Gisbert: „Seele“ in der Geschichte der christlichen Eschatologie. Ein Durchblick; in: Seele. Problembegriff christlicher Eschatologie, hg. von Wilhelm Breuning, Freiburg/Basel/Wien 1986, 107 – 158. 306 Herrmann, Christian: Unsterblichkeit der Seele durch Auferstehung. Studien zu den anthropologischen Implikationen der Eschatologie; Göttingen 1997. 307 Huxel, Kirsten: Ontologie des seelischen Lebens. Ein Beitrag zur theologischen Anthropologie im Anschluß an Hume, Kant, Schleiermacher und Dilthey; Tübingen 2004. 308 Kläden, Tobias: Mit Leib und Seele … Die mind-brain-Debatte in der Philosophie des Geistes und die anima-forma-corporis-Lehre des Thomas von Aquin; Regensburg 2005. 309 Koncsik, Imre/Günter Wilhelms (Hrsg.): Jenseits, Evolution, Geist. Schnittstellen zwischen Theologie und Naturwissenschaften; Frankfurt/M. u.a. 2003. 310 Ritschl, Dietrich/Martin Hailer: Art. Seele 2: Theologisch und philosophisch; in: EKL3 4, 166 – 171. 311 Metzke, Erwin: Sakrament und Metaphysik. Eine Lutherstudie über das Verhältnis des christlichen Denkens zum Leiblich-Materiellen (1948); in: ders., Coincidentia oppositorum. Gesammelte Studien zur Philosophiegeschichte, hg. von Karlfried Gründer, Witten (Ruhr) 1961, 158 – 204. 312 Schoberth, Wolfgang: Geschöpflichkeit in der Dialektik der Aufklärung. Zur Logik der Schöpfungstheologie bei Friedrich Christoph Oetinger und Johann Georg Hamann; Neukirchen-Vluyn 1994. 313 Weth, Rudolf (Hrsg.): Der machbare Mensch. Theologische Anthropologie angesichts der biotechnischen Herausforderung; Neukirchen-Vluyn 2004. 314 Wils, Jean-Pierre: ,Ästhetische Güte . Philosophisch-theologische Studien zu Mythos und Leiblichkeit im Verhältnis von Ethik und Ästhetik; München 1990. ,
6.3 Autonomie und vita passiva 315 Bayer, Oswald: Umstrittene Freiheit. Theologisch-philosophische Kontroversen; Tübingen 1981. 316 Härle, Wilfried: Autonomie – ein viel versprechender Begriff; in: Wilfried Härle: Menschsein in Beziehungen. Studien zur Rechtfertigungslehre und zur Anthropologie, Tübingen 2005, 213 – 241. 317 Jüngel, Eberhard: Die Freiheit eines Christenmenschen. Zur Erinnerung an Luthers Schrift; 3., durchgesehene Auflage München 1991.
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6. Bibliographie 318 Kobusch, Theo: Die Entdeckung der Person. Metaphysik der Freiheit und modernes Menschenbild; 2., durchgesehene und um ein Nachwort und um Literaturergänzungen erweiterte Auflage Darmstadt 1997. 319 Kobusch, Theo: Person und Freiheit. Von der Rezeption einer vergessenen Tradition; in: ZEE 50/2006, 7 – 20. 320 Link, Christian: Vita passiva. Rechtfertigung als Lebensvorgang; in: EvTh 44/ 1984, 315 – 351. 321 Reemtsma, Jan Philipp: Das Scheinproblem „Willensfreiheit“. Ein Plädoyer für das Ende einer überflüssigen Debatte; in: Merkur 60/2006, 193 – 206. 322 Sauter, Gerhard: ,Freiheit als theologische und politische Kategorie; in: Freiheit im Leben mit Gott. Texte zur Tradition christlicher Ethik, hg. und eingeleitet von Hans G. Ulrich, Gütersloh 1993, 413 – 430 323 Taylor, Charles: Negative Freiheit? Zur Kritik des neuzeitlichen Individualismus; mit einem Nachwort von Axel Honneth, übersetzt von Hermann Kocyba, Frankfurt/M. 1992. ,
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6.4 Zeit und Ewigkeit 324 Bayer, Oswald: Tempus creaturi verbi; in: Gottes Zukunft – Zukunft der Welt. Festschrift für Jürgen Moltmann zum 60. Geburtstag, hg. von Hermann Deuser u.a., München 1986, 3 – 13. 325 Dalferth, Ingolf U.: Gott und Zeit; in: Ingolf U. Dalferth: Gedeutete Gegenwart. Zur Wahrnehmung Gottes in den Erfahrungen der Zeit, Tübingen 1997, 232 – 267. 326 Ebach, Jürgen: Vergangene Zeit und Jetztzeit. Walter Benjamins Reflexionen als Anfragen an die biblische Exegese und Theologie; in: Jürgen Ebach: Hiobs Post. Gesammelte Aufsätze zum Hiobbuch, zu Themen biblischer Theologie und zur Methodik der Exegese, Neukirchen-Vluyn 1995, 108 – 129. 327 Hübner, Jürgen: Das Phänomen der Zeit in Theologie und Naturwissenschaft. Zeit und Zeitlichkeit in Physik, Biologie und Theologie; in: Glauben und Denken 12/1999, 99 – 117. 328 Jüngel, Eberhard: Tod; 2. Auflage Gütersloh 1983. 329 Krötke, Wolf: Das menschliche Eschaton. Zur anthropologischen Dimension der Eschatologie; in: Konrad Stock (Hrsg.), Die Zukunft der Erlösung. Zur neueren Diskussion um die Eschatologie, Gütersloh 1994, 132 – 146. 330 Link, Christian: Gott und die Zeit. Theologische Zugänge zum Zeitproblem; in: ders., Die Spur des Namens, Neukirchen-Vluyn 1997, 91 – 120. 331 Mildenberger, Friedrich: Art. Auferstehung IV. Dogmatisch; in: TRE 4, 547 – 575. 332 Müller, A. M. Klaus: Geschöpflichkeits-Defizite in Naturwissenschaft und Theologie; in: Wissenschaft und Wirklichkeit, hg. von Johannes Anderegg, Göttingen 1977, 49 – 72. 333 Picht, Georg: Einleitung und Antworten von Georg Picht; in: Theologie – was ist das?, hg. von Georg Picht und Enno Rudolph unter Mitarbeit von Günter Altner u.a., Stuttgart/Berlin 1977. 334 Ritschl, Dietrich: Gottes Wohnung in der Zeit. Eine Anwendung der Metaphorik der Zeit auf Gottes Präsenz und auf gelingendes Leben; in: ÖR 49/2000, 149 – 160. 335 Sauter, Gerhard: Einführung in die Eschatologie; Darmstadt 1995. 336 Schoberth, Wolfgang: Leere Zeit – erfüllte Zeit. Zum Zeitbezug im Reden von Gott; in: Einfach von Gott reden. Ein theologischer Diskurs. Festschrift für Friedrich Mildenberger zum 65. Geburtstag, hg. von Jürgen Roloff und Hans G. Ulrich, Stuttgart/Berlin/Köln 1994, 124 – 142. , 337 Theunissen, Michael: ‘O aisxp m kalba9 mei. Der Gebetsglaube Jesu und die Zeitlichkeit des Christseins; in: ders., Negative Theologie der Zeit, Frankfurt/M. 1991, 321 – 377.
7. Personen Im Text zitierte, aber nicht namentlich genannte Autoren sind im Kursivdruck angegeben. Adorno, Theodor W. 72 Alkmaion von Kroton 130 Anders, Günther 72 Anselm, Rainer 121 Aristoteles 42, 130 f. Arlt, Gerhard 37, 40, 61, 134 Augustinus 122 Barth, Karl 97 – 99, 103, 113 Baruzzi, Arno 121 Bayer, Oswald 144 Becker, Gary S. 125 Beiner, Melanie 141 Ben-Chorin, Schalom 33 Bizer, Christoph 26 Böhme, Gernot 47, 49, 140 Böhme, Hartmut 30 Brandt, Reinhard 48 f., 50 f. Brembeck, Stefan 21 Brunner, Emil 96, 97 Bucher, Anton A. 21 Bultmann, Rudolf 34 f., 94 f. Casmann, Otto 43 Claessens, Dieter 73 Dalferth, Ingolf U. 79, 107, 113 Darwin, Charles 141 Descartes, Réne 44, 131 – 133, 136 Dirscherl, Erwin 8, 100 Dressel, Gert 75 Dülmen, Richard van 74, 75 Ebach, Jürgen 119 Ebeling, Gerhard 106, 131 Erasmus von Rotterdam 106 Feuerbach, Ludwig 34 Fischer, Joachim 65 Fraas, Hans-Jürgen 21 Freud, Sigmund 141 f. Frevel, Christian 109, 117 f. Frey, Christofer 113 Frisch, Max 25 Gadamer, Hans-Georg 41, 77 Gehlen, Arnold 20, 39, 61, 67 – 69, 71, 73, 101, 104, 116 Greshake, Gisbert 148 Habermas, Jürgen 71 Hahn, Ferdinand 121, 128 Hahn, Peter 38
Hailer, Martin 124 Hamann, Johann Georg 22, 144 Härle, Wilfried 140 Hauerwas, Stanley 127 Heidegger, Martin 94 Herder, Johann Gottfried 57, 67, 102 Humboldt, Wilhelm von 57 Hume, David 38, 87 Hurrelmann, Klaus 23 Husserl, Edmund 62 Huxley, Julian S. 56
Pannenberg, Wolfhart 101 – 104, 122 f. Pascal, Blaise 38, 85 Peters, Albrecht 107 Picht, Georg 131, 146, 147 Pico della Mirandola, Giovanni 21 f., 38 Platon 147 Plessner, Helmuth 61, 64 – 68, 72 f., 101, 104, 116 Preuschoft, Holger 56
Jacob, Wolfgang 38 Janowski, Bernd 34 Joest, Wilfried 111, 144
Rahner, Karl 99, 100, 104 Reemtsma, Jan Philipp 142 Rehberg, Karl-Sigbert 67 Rentsch, Thomas 88, 92 Ritschl, Dietrich 116, 145 f. Roth, Karl-Heinz 57 Roth, Michael 92 Roughley, Neil 80, 84
Kamper, Dietmar 71 – 73 Kant, Immanuel 22, 27 – 29, 31 – 33, 46 – 52, 62, 103 Kattmann, Ulrich 56 Kliemt, Hartmut 125 f. Knußmann, Rainer 58 f. Kopernikus, Nikolaus 141 Landmann, Michael 43 Langemeyer, Georg 103 f. Lehmann, Karl 24 Lepenies, Wolf 73, 89 Lichtenstein, Ernst 21 Liebau, Eckart 21 Linden, Mareta 42, 45 Link, Christian 25, 139, 146 Lohff, Wenzel 34 Luther, Martin 25, 91, 94, 105 – 108, 110, 123 f., 138 f., 141 Maclntyre, Alasdair 88 Marquard, Odo 42, 44 Massin, Benoît 56 Maurer, Ernstpeter 140 Meister, Eckhart 21 Mildenberger, Friedrich 29, 33, 129 Mohr, Hans 86 Montaigne, Michel E. de 85 Moore, George E. 87 Mühlmann, Wilhelm E. 53, 55 Niebuhr, Reinhold 126 Nipperdey, Thomas 74 Nolte, Helmut 89 Oelkers, Jürgen 23 Orth, Ernst-Wolfgang 66
Sander, Angelika 62 Sauter, Gerhard 33, 148 Scheler, Max 61 – 64, 68, 101, 104, 116 Schlier, Heinrich 129 Schnelle, Udo 139 Schulz, Walter 70 Schwidetzki, Ilse 53, 56 Singer, Peter 81 Sonnemann, Ulrich 72 Sophokles 29 – 32 Spaemann, Robert 83, 134, 147 Steck, Odil Hannes 111 f. Taylor, Charles 141 Thies, Christian 87, 117 Ulrich-Eschemann, Karin 144 Virchow, Rudolf 57 Vogel, Christian 59 Vogler, Paul 41 Vollenweider, Samuel 145 Weizsäcker, Carl Friedrich von 60 f. Weizsäcker, Viktor von 137 Welker, Michael 120 Wolff, Hans Walter 109 Würger-Donitza, Wolfgang 72 Zimmerman, Andrew 57 f.
8. Begriffe Affekte, Gefühle 62, 73, 85, 99, 108, 125, 135 – 138, 148 Anatomie 53, 55, 133 animal rationale 105, 131, 135 Anthropologie, Begriff 29, 36 – 40, 42 Autonomie 96, 97, 139 – 143, 145, 146 Bilderverbot 24, 25 Bildung 19, 21, 22, 48, 141 Bioethik 9, 24, 81, 119 Biologie 12, 13, 20, 36, 40, 48, 52 – 55, 57, 59, 60, 62, 63, 65 – 69, 73, 76 – 79, 81, 83, 86, 89, 91, 101, 112, 117, 118, 130, 134, 140, 142 Christus 25 – 26, 98 – 100, 107, 112, 114, 122, 129, 138 Determinismus 86, 142, 143 Doxologie 33 Ebenbild 25, 102, 115 – 117, 119, 121, 123, 125, 127 – 129 Endlichkeit 100, 146 Eschatologie 99, 112 – 114, 129, 146, 148, 149 Ethik 9, 13, 19, 24, 27, 50, 51, 54, 58, 68, 72, 80, 81, 83, 85 – 89, 91, 96, 97, 99, 100, 108, 115, 119, 131, 134, 135, 138, 143 Ethnologie 54, 57, 59, 70, 73, 75 Ewigkeit 107, 111, 147 Exzentrizität 65, 66, 101 Fleisch 109 – 111 Freiheit 26, 35, 50, 52, 96, 116, 119, 124, 128, 139 – 144, 146 Geist 63, 109 – 111, 133 – 136 Geld 111, 124 Gen 1 106, 116, 118 Genetik 56, 57, 76, 81, 142 Geschichte 71 – 74 Geschöpflichkeit 98, 104, 108, 112, 113, 122, 126, 127, 135, 137 – 139, 142, 144, 146 Gottoffenheit 102, 104 Handeln 11, 12, 15, 27, 50, 67, 68, 78, 81 – 83, 88, 97, 99, 103, 128, 140, 143, 144, 148 Hermeneutik 27 homo absconditus 67, 72
homo faber 63 homo incurvatus in se 124 homo oeconomicus 20, 125, 126 homo sapiens 81, 130 Institutionen 69, 71 Kommunikation 13, 58, 83, 92, 118, 130, 131, 133, 136, 137, 140, 148 Körper 28, 73, 130, 133 – 138, 148, 149 Krankheit 144, 145 Kultur 14, 15, 55, 57, 58, 66, 68 – 71, 73, 82, 90, 140 Kunst 31, 68, 147 Leiblichkeit 28, 29, 33, 90, 99, 103, 104, 108, 110 – 112, 123, 129, 132, 133, 135 – 139, 143, 148, 149 Leiden 144, 145 Liebe 25, 62, 96, 100, 147 Macht 75, 111, 124, 126 Mängelwesen 67, 68 Medizin 21, 37, 44, 53, 62, 81, 85, 133 Menschenbild 17, 19 – 21, 23 – 26, 86, 108 Menschenrechte 80, 119, 120 Menschenwürde 9, 11, 13, 17, 71, 80, 119 – 121, 146 Natur 12, 43, 46, 48 – 50, 52, 54, 55 – 59, 66, 68, 71, 72, 74, 79, 85, 86, 88, 89, 91, 105, 112, 115, 127, 130, 131, 148 Naturalistischer Fehlschluß 87 – 89 Normativität 14, 23, 51, 71, 84 – 92, 120, 125, 131 Ökonomie 20, 21, 36, 74, 125, 126, 141 Pädagogik 21 – 23, 40 Person 81, 139 Politik 9 – 11, 16, 17, 24, 26, 27, 54, 57, 67, 68, 72, 74, 80, 89, 91, 111, 129, 130, 134 Psalm 8 31 – 34 Psychologie 36, 62, 77, 78, 86, 141 Rassismus 48, 55 – 58, 75
Rechtfertigung 107, 127, 128, 139, 144 Reduktionismus 104, 134 – 136 Schöpfung 20, 32, 34, 97, 98, 107, 111, 112, 116 – 118, 122, 126, 137, 138 Seele 109 – 111, 129, 133, 134, 137, 138, 147, 148 Selbstbewußtsein 66, 81, 86, 136 Selbstreflexion 11, 12, 52, 58, 66, 77, 82 – 84, 149 Sinnlichkeit 29, 111, 122, 132, 133, 137, 147 Sonderstellung 63, 67, 117, 118 Sozialität 57, 68, 81, 98, 117, 130, 131, 136 Soziologie 36, 49, 62, 67, 69, 70, 72, 73, 75, 78, 83, 101, 140 Subjekt 22, 89, 100, 103, 104, 110, 114, 132, 135 – 137, 139 – 143 Sünde 94, 97, 98, 102, 107, 108, 115 – 117, 119, 121 – 129, 138, 139, 142 Technik 29, 30, 68 Tier 29, 32, 33, 63 – 65, 67, 81, 82, 105, 106, 116 – 118, 130, 142 Tod 30, 125, 136, 146 – 148 Vernunft 28, 29, 44, 46, 47, 52, 63, 81, 96 – 99, 106, 111, 120, 122, 129 – 132, 135, 138 vita passiva 139, 141, 143 – 146 Weltoffenheit 101, 104 Wesen 59, 79, 80, 85, 92, 98, 99 Wille 97, 106, 107, 124, 133, 140, 141, 144 Wirklichkeit des Lebens 31, 32, 40, 48, 97, 99, 104, 111 – 113, 115, 116, 121, 126, 133, 134, 137, 139, 148, 149 Wissenschaften, bes. Naturwissenschaften 50, 51, 53 – 55, 57, 58, 60, 69, 79, 85, 86, 91, 92, 97, 99, 101, 104, 112, 129, 132, 134, 142, 143 Zeit 99, 100, 137, 144, 146 – 148 zoon logon echon 130 zoon politikon 130