Einführung in die Sprachphilosophie [2 ed.] 353425001X, 9783534250011

Die Gedanken und Konzepte der Philosophie können nur durch Sprache vermittelt werden, daher muss der Sprachlichkeit imme

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German Pages 176 [173] Year 2013

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Titel
Impressum
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Teil 1: Die großen Entwürfe – Bedeutungstheorien für Sätze und Äußerungen
1. Philosophie der idealen Sprache
1.1 Grundideen der Philosophie der Idealsprache
1.2 Theorie von Sinn und Bedeutung: Gottlob Frege
1.3 Intension und Extension – die Semantik möglicher Welten: Rudolf Carnap
1.4 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen
2. Philosophie der normalen Sprache
2.1 Die Gebrauchstheorie der Bedeutung: Ludwig Wittgenstein
2.2 Sprechakttheorie – Bedeutung und Handlung: John Austin
2.3 Semantik und Pragmatik – Maximen rationaler Verständigung und die Theorie der Implikatur: Herbert Paul Grice
2.4 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen
3. Sprache und Wahrheit
3.1 Wahrheitstheorie und Konvention T: Alfred Tarski
3.2 Die wahrheitstheoretische Konzeption der Bedeutung: Donald Davidson
3.3 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen
4. Naturalistische und neuere subjektivistische Bedeutungstheorien
4.1 Bedeutungsskeptizismus und naturalistischer Neuaufbau: Willard V. O. Quine
4.2 Das Gricesche Programm
4.3 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen
Teil 2: Bausteine der Sprache – Bedeutungstheorien für singuläre Terme
5. Grundlagen einer Semantik singulärer Terme: Definitionen und Adäquatheitsbedingungen
5.1 Singuläre Terme, Standardbedeutung und Referenz
5.2 Adäquatheitsbedingungen für eine Theorie der Standardbedeutung
5.3 Herausforderungen für eine Theorie der Standardbedeutung
5.4 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen
6. Kennzeichnungen
6.1 Die dreigeteilte Analyse von Kennzeichnungen: Bertrand Russell
6.2 Satz, Äußerung und Gebrauch; Kritik an Russell: Peter Strawson
6.3 Referentieller und attributiver Gebrauch: Keith Donnellan
6.4 Sprecher-Referenz und semantische Referenz: Saul Kripke
6.5 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen
7. Namen
7.1 Referenzfestlegung und Standardbedeutung
7.2 Das Dilemma von Objekt- und Beschreibungstheorien der Bedeutung
7.3 Strategien zur Überwindung des Dilemmas: Mehrfache Äußerungsinhalte und eine Vektortheorie der Bedeutung
7.4 Die Logik referentieller Terme: Die Theorie der direkten Referenz
7.5 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen
8. Indikatoren: Indexikalische und deiktische Ausdrücke
8.1 Kontextabhängigkeit und Äußerungsreflexivität von Indikatoren
8.2 Prinzipien der Referenzfestlegung bei Indikatoren
8.3 Die Standardbedeutung von Indikatoren
8.4 Ein neuer formaler Rahmen: Kaplans zweidimensionale Semantik
8.5 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen
Teil 3: Die Vernetzung der Sprachphilosophie – Angrenzende philosophische Disziplinen, Verzweigungen und neuere Entwicklungen
9. Sprache und Geist
9.1 Hilary Putnam: Bedeutungen sind nicht im Kopf
9.2 Tyler Burges Externalismusthese: Inhalte von Gedanken sind abhängig von Umwelt und Sprachgemeinschaft
9.3 Probleme mit Burges Externalismusthese
9.4 Sprache und Denken: Jerry Fodors These von der Sprache des Geistes
9.5 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen
10. Sprache und Erkenntnis
10.1 Mit der Semantik gegen den Skeptizismus
10.2 Der Verifikationismus
10.3 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen
11. Sprache und Sein
11.1 Ontologische Verpflichtungen: „Sein heißt Wert einer gebundenen Variablen sein"
11.2 Noch mehr ontologische Relativität: Verschiedene Sprachen, verschiedene Welten?
11.3 Transzendentale Argumente für eine Ding-Eigenschafts-Ontologie
11.4 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen
12. Sprache und Moral
12.1 Richard M. Hares universeller Präskriptivismus
12.2 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen
13. Weitere Diskussionsfelder der Sprachphilosophie
13.1 Begriffe als Bedeutungen von Prädikaten
13.2 Ein neuer Grundansatz in der Sprachphilosophie: Der Inferentialismus Robert Brandoms
13.3 Die Beziehungen von Sprachphilosophie und Linguistik
13.4 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen
Literatur ausführlich über www.rub.de/philosophy/staff/newen/ dort unter „Publikationen"
Sachregister
Personenregister
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Einführung in die Sprachphilosophie [2 ed.]
 353425001X, 9783534250011

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Einführungen Philosophie Die Reihe „Einführungen“ (Philosophie) soll vor allem den Studienanfängern Orientierung bieten. Auf dem neusten Stand der Forschung werden die wesentlichen Theorien und Probleme aller Hauptgebiete der Philosophie dargestellt. Dabei geht es nicht um Philosophiegeschichte, sondern um das Philosophieren selbst. Nicht Namen und Epochen stehen im Vordergrund, sondern Argumente. Jeder Band steht für sich und ermöglicht einen systematischen Überblick über das jeweilige Gebiet. Die didaktische Aufbereitung (Zusammenfassungen, Übungsaufgaben, Literaturhinweise …), eine übersichtliche Gliederung und die gute Lesbarkeit machen die Bände zu einem hervorragenden Hilfsmittel für Studierende. Herausgeber: Dieter Schönecker, Universität Siegen Niko Strobach, Universität des Saarlandes Wissenschaftlicher Beirat: Rainer Enskat (Halle-Wittenberg), Roland Henke (Bonn), Otfried Höffe (Tübingen), Wolfgang Künne (Hamburg), Wolfgang Malzkorn (Bonn), Enno Rudolph (Luzern), Wolfgang Spohn (Konstanz), Ursula Wolf (Mannheim)

Albert Newen / Markus A. Schrenk

Einführung in die Sprachphilosophie 2. Auflage

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. 2., durchgesehene Auflage 2013 i 2008 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Einbandgestaltung: schreiberVIS, Bickenbach Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-25001-1 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-25005-9 eBook (epub): 978-3-534-25004-2

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil 1: Die großen Entwürfe – Bedeutungstheorien für Sätze und Äußerungen . . . . . . . .

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1. Philosophie der idealen Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Grundideen der Philosophie der Idealsprache . . . . . . . 1.2 Theorie von Sinn und Bedeutung: Gottlob Frege . . . . . . 1.3 Intension und Extension – die Semantik möglicher Welten: Rudolf Carnap . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

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4. Naturalistische und neuere subjektivistische Bedeutungstheorien 4.1 Bedeutungsskeptizismus und naturalistischer Neuaufbau: Willard V. O. Quine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Das Gricesche Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen .

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Teil 2: Bausteine der Sprache – Bedeutungstheorien für singuläre Terme . . . . . . . . . . .

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5. Grundlagen einer Semantik singulärer Terme: Definitionen und Adäquatheitsbedingungen . . . . . . . . . . . . 5.1 Singuläre Terme, Standardbedeutung und Referenz . . . . .

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2. Philosophie der normalen Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Gebrauchstheorie der Bedeutung: Ludwig Wittgenstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Sprechakttheorie – Bedeutung und Handlung: John Austin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Semantik und Pragmatik – Maximen rationaler Verständigung und die Theorie der Implikatur: Herbert Paul Grice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen 3. Sprache und Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Wahrheitstheorie und Konvention T: Alfred Tarski . . . . . 3.2 Die wahrheitstheoretische Konzeption der Bedeutung: Donald Davidson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

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Inhaltsverzeichnis

5.2 Adäquatheitsbedingungen für eine Theorie der Standardbedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Herausforderungen für eine Theorie der Standardbedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen . 6. Kennzeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Die dreigeteilte Analyse von Kennzeichnungen: Bertrand Russell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Satz, Äußerung und Gebrauch; Kritik an Russell: Peter Strawson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Referentieller und attributiver Gebrauch: Keith Donnellan . 6.4 Sprecher-Referenz und semantische Referenz: Saul Kripke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

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7. Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Referenzfestlegung und Standardbedeutung . . . . . . . . 7.2 Das Dilemma von Objekt- und Beschreibungstheorien der Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Strategien zur Überwindung des Dilemmas: Mehrfache Äußerungsinhalte und eine Vektortheorie der Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Die Logik referentieller Terme: Die Theorie der direkten Referenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

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8. Indikatoren: Indexikalische und deiktische Ausdrücke . . . . . 8.1 Kontextabhängigkeit und Äußerungsreflexivität von Indikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Prinzipien der Referenzfestlegung bei Indikatoren . . . . . 8.3 Die Standardbedeutung von Indikatoren . . . . . . . . . . 8.4 Ein neuer formaler Rahmen: Kaplans zweidimensionale Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

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Teil 3: Die Vernetzung der Sprachphilosophie – Angrenzende philosophische Disziplinen, Verzweigungen und neuere Entwicklungen . . . . . . . . . .

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9. Sprache und Geist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Hilary Putnam: Bedeutungen sind nicht im Kopf . . . . . . 9.2 Tyler Burges Externalismusthese: Inhalte von Gedanken sind abhängig von Umwelt und Sprachgemeinschaft . . . . 9.3 Probleme mit Burges Externalismusthese . . . . . . . . . . 9.4 Sprache und Denken: Jerry Fodors These von der Sprache des Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

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Inhaltsverzeichnis

10. Sprache und Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Mit der Semantik gegen den Skeptizismus . . . . . . . . . 10.2 Der Verifikationismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

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11. Sprache und Sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Ontologische Verpflichtungen: „Sein heißt Wert einer gebundenen Variablen sein“ . . . . . . . . . . . . . 11.2 Noch mehr ontologische Relativität: Verschiedene Sprachen, verschiedene Welten? . . . 11.3 Transzendentale Argumente für eine Ding-Eigenschafts-Ontologie . . . . . . . . . . . . . 11.4 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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12. Sprache und Moral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1 Richard M. Hares universeller Präskriptivismus . . . . . . 12.2 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

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13. Weitere Diskussionsfelder der Sprachphilosophie . . . . . . . . 13.1 Begriffe als Bedeutungen von Prädikaten . . . . . . . . . . 13.2 Ein neuer Grundansatz in der Sprachphilosophie: Der Inferentialismus Robert Brandoms . . . . . . . . . . . 13.3 Die Beziehungen von Sprachphilosophie und Linguistik . . . . . . . . . . . . . . 13.4 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

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Literatur ausführlich über www.rub.de/philosophy/staff/newen/ dort unter „Publikationen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort Die Sprachphilosophie bildet nicht nur eine eigenständige Fachrichtung im Bereich der Analytischen Philosophie. Sie ist zugleich eine methodische Kerndisziplin für die gesamte Philosophie, weil viele Argumentationsmuster, die in anderen Teildisziplinen üblich geworden sind, ganz wesentlich auf sprachphilosophischen Überlegungen basieren. Dementsprechend haben wir diese Einführung so konzipiert, dass zum einen die Sprachphilosophie als Fachrichtung vorgestellt wird, und zwar in den ersten beiden Teilen des Buches, und zum anderen im dritten Teil die Verflechtungen mit anderen philosophischen Disziplinen aufgezeigt werden. Die generelle Vorgehensweise greift dabei vorrangig systematische Fragestellungen auf und ist erst in zweiter Linie autorenorientiert. Die Präsentation der Sprachphilosophie konzentriert sich im ersten Teil der Einführung darauf, grundlegende Bedeutungstheorien mit Blick auf Sätze und Äußerungen vorzustellen, und orientiert sich dabei weitgehend an der historischen Entwicklung. Im zweiten Teil werden dann Satzteile in den Blick genommen. Wir haben uns entschieden, die sprachphilosophische Diskussion zur Bedeutung von singulären Termen exemplarisch herauszugreifen: Zum einen ist sie eine der am intensivsten geführten Debatten, zum anderen finden sich viele Überlegungen in analoger Weise in anderen Diskussionen zur Bedeutungstheorie wieder, zum Beispiel zur Bedeutung von Prädikaten. Im dritten Teil des Buches wird deutlich gemacht, in welcher Weise sprachphilosophische Leitfragen oder Argumentationsmuster in die Philosophie des Geistes, die Erkenntnistheorie, die Ontologie und die Metaethik Eingang gefunden haben. Den Abschluss des dritten Teils bildet eine Skizze von weiteren wichtigen Verzweigungen und neueren Entwicklungen der Sprachphilosophie. Hier mussten wir leider auf Ausführungen zum Strukturalismus und Neostrukturalismus verzichten. Entwicklungen der formalen Semantik konnten nur angerissen werden. Trotzdem – so hoffen wir – wird dem Leser ein hinreichender Einstieg in und ein guter Überblick über die moderne Sprachphilosophie gegeben. Das Buch ist als Studienbuch für einen systematischen Einstieg ohne Vorkenntnisse konzipiert. Entsprechend kann es als Seminargrundlage verwendet werden oder als Ergänzung zur Lektüre von klassischen Texten der Sprachphilosophie dienen. Die Einführung ist als Gemeinschaftsprodukt entstanden. Trotzdem möchten wir jeweils die Kapitel bzw. Abschnitte anzeigen, für die einer von uns die Hauptverantwortung trägt: Albert Newen zeichnet als Autor vorrangig verantwortlich für die Kapitel 1, 2, 4.2, 5, 7, 8, 9, 13.1 und 13.3; Markus A. Schrenk ist entsprechend für die anderen Kapitel vorrangig zuständig: Kapitel 3, 4.1, 6, 10, 11, 12 und 13.2. Unser besonderer Dank für die Mithilfe beim Erstellen des Manuskripts gilt Robert Schütze und Marcel Wrzesinski. Sie wurden zeitweise von Michaela Morys und Peter Sich unterstützt. Für uns war zudem eine kritische

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Vorwort

Durchsicht von Teilen des Manuskripts durch die folgenden Personen sehr hilfreich: An erster Stelle ist hier Jürgen Schröder (Universität Karlsruhe) zu nennen. Sodann wirkten einige Mitglieder der Arbeitsgruppe von Herrn Newen mit: Eva-Maria Jung, Christoph Michel, Ulla Pompe, Raphael van Riel, Tobias Schlicht, Gottfried Vosgerau. Schließlich sind weitere Abschnitte kommentiert worden durch: Rudolph Glitz, Ulrike Haas-Spohn, Christian Löw, Susanne Mantel, Barbara Vetter und Stephen Williams. Wir sind den Kommentatoren zu Dank verpflichtet, obwohl selbstverständlich die Verantwortung für die Darstellung und ggf. für verbleibende Mängel bei uns bleibt. Unsere besondere Anerkennung möchten wir aussprechen gegenüber Rani Lill Anjum, Jon Henrik Holm und Emma Herdman für einen netten und hilfreichen Austausch. Für die zweite Auflage sind kleinere Korrekturen durchgeführt worden. Für neue Hinweise bedanken wir uns bei Dolf Rami. Wir möchten uns schließlich herzlich bedanken für die freundliche Unterstützung durch die Herausgeber der Buchreihe Niko Strobach und Dieter Schönecker sowie für die Förderung des Projekts durch die Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG). Albert Newen, Bochum, und Markus A. Schrenk, Nottingham

Einleitung In dieser Einleitung finden Sie eine Übersicht über die Grundlinien sowie den Aufbau des Buches, welches aus drei Teilen besteht: In Teil 1 werden die grundlegenden Ansätze für Bedeutungstheorien und in Teil 2 dann die Bedeutungstheorien singulärer Terme ausführlich vorgestellt. Schließlich werden in Teil 3 die wichtigsten Anwendungsfelder sowie ausgewählte Verzweigungen der Sprachphilosophie präsentiert.

Die Leitfrage der Sprachphilosophie lautet: „Was ist die Bedeutung von akustischen Zeichen oder Schriftzeichen?“ Aus systematischer Sicht lassen sich vier Grundströmungen zur Beantwortung der Frage unterscheiden, nämlich subjektivistische, realistische, konventionalistische und interpretative Bedeutungstheorien. Subjektivistische Bedeutungstheorien sehen die Bedeutung von Zeichen in mentalen Zuständen eines Subjekts. Z. B. lautet die Standardantwort des neuzeitlichen Empirismus im Anschluss an John Locke, dass die Bedeutung eines Zeichens die Vorstellung eines Menschen ist, die dieser damit verbindet. In neueren Entwicklungen sind wichtige subjektivistische Theorien solche, die Absichten des Sprechers (Sprecherintentionen) als konstitutiv für die Bedeutung eines Zeichens betrachten. Subjektivistische Theorien können allerdings dem Phänomen, dass alle sprachkompetenten Hörer dieselbe Bedeutung erfassen, wenn sie einen Satz hören, nur schwer Rechnung tragen, und erfolgreiche Kommunikation stützt sich wesentlich auf die gemeinsam erfassten Bedeutungen von Zeichen. Was aber konstituiert die gemeinsamen Bedeutungen, wenn die Bedeutungen wesentlich subjektive Zustände einer Person sind, die demgemäß von Person zu Person stark variieren können? Wie kommt überhaupt eine stabile, geteilte Bedeutung eines Zeichens zustande? Wie kann es einen ernst zu nehmenden Streit um objektive Wahrheiten geben, wenn jede Satzäußerung als Bedeutung einen subjektiven Gehalt hat? Diese und ähnliche Herausforderungen sind ein zentrales Motiv, den subjektivistischen Theorien realistische Bedeutungstheorien entgegen zu setzen. In den frühen Ansätzen behaupten diese Bedeutungstheorien, dass die Bedeutung sprachlicher Zeichen Objekte, Eigenschaften oder Sachverhalte in der Welt sind. Die realistischen Bedeutungstheorien haben sich dann vor allem zu einer Semantik der Wahrheitsbedingungen entwickelt, der gemäß die Bedeutung eines Satzes durch die Bedingungen angegeben werden kann, unter denen der Satz wahr ist. Schwierigkeiten realistischer Ansätze sind Phänomene wie leere Namen, also Namen für nichtexistierende Objekte wie „Sherlock Holmes“, „Pegasus“, „Zeus“ etc. Allgemein kann man sagen, dass das Problem der realistischen Bedeutungstheorien darin besteht, dass wir über vieles reden, das nicht real ist und auch nicht als eine Menge von realen Objekten betrachtet werden kann. Vielmehr scheint hier wieder die Intuition stark zu werden, dass wir doch oft bloß über unsere Vorstel-

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Einleitung

lungswelt sprechen und dass auch einfache Zeichen die Rolle übernehmen können, Nicht-Existierendes klar vor Augen zu führen. Als eine weitere Kernposition haben sich konventionalistische Bedeutungstheorien entwickelt mit der These, dass die Bedeutung sprachlicher Zeichen durch die Gebrauchsweisen, d. h. durch die Konventionen angegeben werden kann, die mit den Zeichen verknüpft sind. Da Konventionen der Zeichenverwendung und -verknüpfung notorisch unscharf sind und zudem für viele originäre Zeichenverknüpfungen gar nicht vorliegen, besteht eine wesentliche Herausforderung für konventionalistische Theorien in den Beobachtungen, dass viele Worte scharfe Bedeutungen haben und dass originäre und spontan gebildete Wortverknüpfungen, für die keine Konvention etabliert ist, ebenfalls eine stabile Bedeutung haben. Schließlich lassen sich als ein eigenständiger Zweig noch die interpretativen Bedeutungstheorien auszeichnen. Die Bedeutung von Zeichen wird demgemäß durch den wohlwollenden Interpretationsprozess eines Zuhörers festgelegt. Dieser Ansatz hat Schwierigkeiten mit dem Phänomen, dass Zeichen auch in nichtkommunikativen Verwendungssituationen eine Bedeutung haben, insbesondere auch dann, wenn es keinen vom Sprecher verschiedenen Interpreten gibt. In solchen Fällen wird die Intuition stark, dass es doch die Sprecherintention oder aber eine etablierte Konvention sei, die die Bedeutung bestimmt. In Teil 1 des Buches werden wir diese systematischen Ansätze nacheinander diskutieren. Der historischen Entwicklung der Sprachphilosophie wird dabei Rechnung getragen. Außerdem werden sich manche Ansätze als Mischformen erweisen. Wir beginnen zunächst mit der Philosophie der idealen Sprache als einer Grundströmung von realistischen Bedeutungstheorien, bevor die Gegenbewegung der Philosophie der normalen Sprache zum Zug kommt, mit der die konventionalistische Theorie in den Vordergrund rückt. Beide Richtungen in der Bedeutungstheorie sind unterschiedliche Antworten auf den unbefriedigenden Subjektivismus, der seit Locke die weithin akzeptierte Bedeutungstheorie darstellte. Trotz aller Gegensätzlichkeit sind sie sich darin einig, dass es ein Fehlgriff von Locke war, dem mentalen Zustand eines Individuums eine zentrale Rolle für die Bedeutung von Äußerungen beizumessen: Der semantische Realismus, getragen von Frege, Russell, dem frühen Wittgenstein und Carnap, wendete sich von dem Lockeschen Subjektivismus ab, um Bedeutungsinhalte, die mehrere Personen erfassen, erläutern zu können, und zwar mittels geteilter objektiver Entitäten, seien es Gedanken, Sachverhalte oder Wahrheitsbedingungen (Kapitel 1). Die konventionalistischen Bedeutungstheorien grenzten ebenfalls die mentalen Zustände eines Individuums aus den Bedeutungstheorien aus, allerdings wurden nun die Gepflogenheiten einer Sprachgemeinschaft an deren Stelle gesetzt. Sie entwickelten sich ausgehend vom späten Wittgenstein und mündeten über Austin und Searle in eine systematische Sprechakttheorie sowie in eine Theorie der rationalen Verständigung bei Grice (Kapitel 2). Eine den konventionalistischen Theorien nah verwandte Strömung ist der Inferentialismus Robert Brandoms, der zu den jüngsten Entwicklungen in der Sprachphilosophie zählt. Wir stellen Brandom erst im Rahmen der neueren Entwicklungen vor (siehe Teil 3, Kapitel 13.2).

Einleitung

Die Bedeutungstheorie Donald Davidsons ist ein typisches Beispiel für eine Mischform hinsichtlich der vier Grundformen: Zum einen greift er von Tarski die Idee einer Definition des Wahrheitsbegriffs für formale Sprachen auf, um darauf aufbauend die realistische Bedeutungstheorie der Wahrheitsbedingungen weiter zu entwickeln. Zum anderen ist es Davidson wichtig, dass eine Äußerung nur dadurch eine Bedeutung hat, dass ein Interpret diese Äußerung auf eine bestimmte Weise deutet. Dadurch wird Davidson zugleich ein Vertreter einer realistischen und einer interpretativen Bedeutungstheorie (Kapitel 3). Schließlich untersuchen wir eine Grundfrage der allgemeinen Bedeutungstheorie, die für alle vorgestellten Bedeutungstheorien gestellt werden kann, nämlich ob Bedeutungen von Äußerungen natürliche oder nichtnatürliche Eigenschaften (bzw. Entitäten) sind: Lassen sich Bedeutungen von Äußerungen auf natürliche Entitäten reduzieren (Kapitel 4)? Quine entwickelte ein systematisches Projekt der Naturalisierung von Bedeutung. Er war der Meinung, dass sich die Bedeutung auf sensorische Reizzustände sowie damit einhergehende Verhaltensdispositionen eines Subjekts zurückführen lässt. Zugleich vertrat er jedoch auch eine interpretative Bedeutungstheorie, die die Interpretation von Äußerungen durch einen „radikalen Interpreten“ betont. Quine vertritt somit ebenfalls eine Mischtheorie. Eine weitere Naturalisierungsstrategie findet sich bei Grice, der jedoch vorrangig zunächst einmal eine neue Variante einer subjektivistischen Bedeutungstheorie – gegen die realistischen und konventionalistischen Theorien – entwickelte: Grice vertritt die These, dass mehrere Sprecherabsichten teils von hoher Komplexität bei einer sinnvollen sprachlichen Äußerung vorausgesetzt werden dürfen und müssen. Zugleich vertrat er als Hintergrundtheorie die Annahme, dass diese Sprecherintentionen als mentale Zustände des Sprechers letztlich natürliche Zustände und mit Blick auf eine Person (individualistisch, d. h. ohne Relevanz der Umgebung) seien. Nachdem wir im ersten Teil die Grundansätze in der Bedeutungstheorie sowie konkrete Mischformen vorgestellt haben, wenden wir uns in Teil 2 einfachen Sätze wie z. B. „Sokrates ist ein Philosoph“ zu, und zwar genauer den kleinsten Bedeutungseinheiten solcher Sätze, in diesem Fall dem singulären Term „Sokrates“ und dem Prädikat „ist ein Philosoph“. Die Linguistik beschäftigt sich zwar mit noch kleineren Einheiten (Morphemen), die wir philosophisch jedoch nicht in den Blick nehmen. Im Rahmen dieser Einführung haben wir zudem die Entscheidung gefällt, die Diskussion von Prädikaten auszulagern und nur kurz zu führen (siehe Teil 3, Kapitel 13.1), um so die Diskussion zu singulären Termen ausführlich vorstellen zu können. Singuläre Terme sind Gegenstandsbezeichnungen. Dazu zählen Eigennamen wie „Aristoteles“, Kennzeichnungen wie „die Königin von England“ (d. h. Gegenstandsbezeichnungen mit der allgemeinen Form der/die/das F, wobei ,F‘ ein Prädikat ist) sowie Indikatoren wie „ich“, „dies“, „heute“, „er“ (d. h. Pronomina aller Art sowie weitere kontextabhängige Ausdrücke). Der zweite Teil ist so aufgebaut, dass zunächst ganz allgemein Adäquatheitsbedingungen für eine Bedeutungstheorie singulärer Terme aufgezeigt werden, die sich daraus ergeben, dass eine Äußerung auf unterschiedliche Weise benutzt werden kann:

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Einleitung

1. Eine Äußerung kann mitteilen, welcher Sachverhalt in der Welt besteht, wenn die Äußerung wahr ist. 2. Eine Äußerung kann uns auch bloß den Inhalt vermitteln, den jeder kompetente Sprecher allein aufgrund von Sprachkompetenz und unabhängig von jeder weiteren Berücksichtigung des konkreten Äußerungskontextes erfasst. 3. Schließlich kann eine Äußerung verwendet werden, um einen mentalen Zustand des Sprechers auszudrücken (Kapitel 5).

Aus diesen Verwendungsweisen ergeben sich drei Adäquatheitsbedingungen (Sachverhalts-, Wissens- und kognitive Adäquatheit), die die Hintergrundbedingungen für die Diskussion von Kennzeichnungen (Kapitel 6), Namen (Kapitel 7) und Indikatoren (Kapitel 8) bilden. Dabei zeigt sich, dass die Adäquatheitsbedingungen in ein Dilemma führen, weil sie manchmal inkompatible Anforderungen stellen. Die Diskussion der Bedeutungstheorien singulärer Terme im zweiten Teil wird neben den Adäquatheitsbedingungen durch eine klare Abgrenzung von zwei Leitfragen strukturiert:

1. Wie wird das Referenzobjekt eines Vorkommnisses eines singulären Terms festgelegt? 2. Was ist die Standardbedeutung eines singulären Terms? Damit ist gemeint: Was ist der inhaltliche Beitrag eines singulären Terms zum Gedankeninhalt, der mit einem Satz ausgedrückt wird, in dem der Term vorkommt?

Die beiden Fragen bekommen bei neueren Theorien unterschiedliche Antworten. In Teil 3 der Einführung stellen wir verschiedene Anwendungsfelder oder Verzweigungen der Sprachphilosophie vor. Beim Zusammenhang von Sprache und Geist geht es um die These in der Philosophie des Geistes, dass mentale Zustände eines Menschen von der Umwelt und von der Sprachgemeinschaft abhängig sind (Kapitel 9). Diese These bildet auch den Hintergrund für die erkenntnistheoretische Diskussion des Gedankenexperiments „Gehirne im Tank“, das von Putnam verwendet wird, um zu zeigen, dass wir vielleicht einem radikalen Skeptizismus trotzen können, wenn die These von der Umweltabhängigkeit von Gedankeninhalten richtig ist (Kapitel 10). Die Sprachphilosophie bildet zudem eine wesentliche Schnittmenge mit der Ontologie, das ist die Disziplin, die die Frage beantworten soll, was es gibt und was nicht. Hier wird Quines Diktum „Sein heißt Wert einer Variablen sein“ erläutert und zugleich in den Kontext seiner Thesen von einer ontologischen Relativität gestellt (Kapitel 11). Ein letztes großes Anwendungsfeld stellt der Bereich der Moralphilosophie dar. Dabei geht es um die Frage, was die Bedeutung moralischer Aussagen ist. Die Bedeutungsfrage ist eine metaethische Frage, über die man Klarheit braucht, ehe man sinnvoll

Einleitung

fragen kann, ob eine moralische Aussage gerechtfertigt ist oder nicht (Kapitel 12). Abschließend werden einige Weiterentwicklungen oder Verzweigungen vorgestellt, die ausführlich zu besprechen den Rahmen der Einführung sprengen würde (Kapitel 13). Dazu gehören 1. die Diskussion der Bedeutung von Prädikaten als einem zentralen Zweig der modernen Sprachphilosophie sowie 2. Brandoms Inferentialismus als eine neuere grundlegende Bedeutungstheorie, die in den groben Rahmen konventionalistischer Bedeutungstheorien gehört, weil sie inferentielle Beziehungen zwischen Sätzen als etablierte Konventionen betrachtet. Außerdem weisen wir 3. auf die Beziehung zwischen Sprachphilosophie und Linguistik hin, die für die wahrheitsfunktionale Semantik sehr eng ist. Unser Ziel ist es, Ihnen einen raschen Einstieg in die Sprachphilosophie sowie einen ersten Überblick über ihre modernen Diskussionsstränge zu geben. Wir hoffen, dass dies nicht nur in einer fachgerechten, sondern zugleich in einer ansprechenden Weise gelungen ist. Lektürehinweise – Die beste englischsprachige Einführung bietet [0–4]. – Eine ergänzende autorenorientierte Zusammenfassung finden Sie in [0–1] und [0–6]. – Einen vertieften Einstieg in die Semantik ermöglichen z. B. [0–3] und [0–7]. – Hervorragende Textsammlungen zur Sprachphilosophie bieten [0–2] und [0–5]. – Ausführlicher zur Philosophie des Geistes: [14–5]. – Einführend zur Ontologie: [14–1]. – Ausführlicher zur Metaethik: [14–2].

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Teil 1: Die großen Entwürfe – Bedeutungstheorien für Sätze und Äußerungen Die Sprachphilosophie hat ihre Wurzeln einerseits in einer Übertragung von Strukturanalysen mathematischer Sätze auf die Analyse von Sätzen der natürlichen Sprache. Diese Grundidee führte zu der Philosophie der idealen Sprache (siehe Kapitel 1), die mit Frege, Russell und dem frühen Wittgenstein die Sprachphilosophie zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausmachte. Carnap hat dann in den 30er Jahren einen Standard für diese Strömung geschaffen, der bis in die 60er Jahre Bestand hatte. Andererseits ist die Sprachphilosophie durch eine genaue Beobachtung des Alltagsgebrauchs unserer Ausdrücke inspiriert worden. Diese Zugangsweise ist mit dem späten Wittgenstein prominent geworden und dominierte als Philosophie der normalen Sprache (siehe Kapitel 2) die Sprachphilosophie von den 40er bis in die 60er Jahre hinein. Im Kontext der Philosophie der idealen Sprache hat Tarski einen Vorschlag gemacht, wie die Bedeutung des Prädikats „( ) ist wahr“ für formale Sprachen angegeben werden kann. Diese Grundidee ist von Davidson dann verwendet worden, um eine Bedeutungstheorie zu entwickeln, nämlich eine Theorie der Wahrheitsbedingungen (siehe Kapitel 3). Diese kann als Symbiose einer Philosophie der idealen und der normalen Sprache bewertet werden: Einerseits ist die Angabe von Wahrheitsbedingungen weiterhin durch logische Strukturanalysen vermittelt, andererseits werden jedoch bei der Interpretation einer Äußerung systematisch die Verwendungszusammenhänge in einer Sprachgemeinschaft berücksichtigt. Über Davidson hinausgehend ist eine weitere Grundströmung von Bedeutungstheorien durch das Anliegen geprägt, die Bedeutung von Ausdrücken als eine natürliche Eigenschaft zu erklären: die naturalistischen Bedeutungstheorien (Kapitel 4). Dazu zählt Quines Theorie der Reizbedeutung, mit der die Bedeutung eines Ausdrucks auf Reizzustände (sensorische Zustände) und Verhaltensneigungen zurückgeführt wird, sowie die Theorie der Sprecherintentionen von Grice. Sprecherintentionen werden von Grice letztlich als natürliche Zustände einer Person vorausgesetzt und seine Aufgabe sieht er vor allem darin, die Bedeutung von Äußerungen auf die Absichten (Intentionen) des Sprechers zurückzuführen. So entwickelt er eine subjektivistische Bedeutungstheorie als eine spezielle Form einer naturalistischen Bedeutungstheorie.

1. Philosophie der idealen Sprache Die Philosophie der idealen Sprache hat ihren Ausgangspunkt bei Freges Sprachphilosophie. Er unterscheidet für jedes sprachliche Zeichen dessen Sinn und dessen Bedeutung. Unter Sinn versteht Frege dabei eine Art des Gegebenseins einer Sache und unter Bedeutung die mit dem Ausdruck bezeichnete Sache. Diese Unterscheidungen sind gemäß Frege notwendig, um informative Identitätsaussagen adäquat behandeln zu können. Die Theorie von Sinn und Bedeutung wird von Frege konsequent für gewöhnliche Äußerungskontexte, aber auch für Anführungsrede (Erwähnen von Ausdrücken) und indirekte Rede entwickelt. Nicht konsensfähige Annahmen seiner Sprachphilosophie sind zum einen, dass jeder Name bei einer Verwendung genau einen Sinn ausdrückt, sowie zum anderen, dass der Sinn eines

1.1 Grundideen der Philosophie der Idealsprache Satzes, d. h. der Gedanke, eine abstrakte Entität ist. Die Schwierigkeiten mit dem Status von Freges Sinn sind ein wichtiger Grund für die Weiterentwicklung der Sprachphilosophie durch Carnap. Er hat eine Semantik der möglichen Welten vorgeschlagen, in der Freges Bedeutung durch Extensionen und Freges Sinn durch Intensionen von Ausdrücken ersetzt wird. Diese Bedeutungstheorie ist trotz Neuerungen immer noch der übliche Grundrahmen für einen wichtigen Zweig der modernen Semantik.

1.1 Grundideen der Philosophie der Idealsprache Die Philosophie der idealen Sprache ist aus einer Abwendung von der im 19. Jahrhundert dominierenden idealistischen Erkenntnistheorie entstanden. Der Idealismus behauptet, dass etwas nur existiert, insoweit es von uns erkannt wird: Unsere Erkenntnisbedingungen bestimmen das Sein der Dinge. Die Gegenposition ist der philosophische Realismus, demgemäß die Dinge auch unabhängig davon existieren, ob es überhaupt Menschen gibt, und damit auch unabhängig davon, welchen Erkenntnismöglichkeiten und -bedingungen wir unterliegen. Die Welt ist eine Menge von Tatsachen, die vom Erkenntnissubjekt unabhängig bestehen. Mit der Verschiebung vom Idealismus zum Realismus ging eine Verschiebung der systematischen Leitdisziplin von der Erkenntnistheorie zur Sprachphilosophie einher. Die Begründer der Philosophie der idealen Sprache – Gottlob Frege (1848–1925), Bertrand Russell (1872–1970) und der frühe Ludwig Wittgenstein (1889–1951) – haben alle eine mathematische bzw. naturwissenschaftliche Ausbildung genossen und das logisch-mathematische Handwerkszeug zu einem zentralen methodischen Instrument für die Analytische Philosophie gemacht. Die Philosophie der idealen Sprache zeichnet sich dementsprechend dadurch aus, dass die Frage nach der Bedeutung von Sätzen mit Hilfe von logischen Analysen der Sätze beantwortet werden soll. Zu den Grundüberzeugungen, die die Philosophie der idealen Sprache ausmachen, sind vor allem die folgenden zu zählen: (1) Bedeutungsrealismus statt subjektivistischer Bedeutungstheorie: Gemäß der subjektivistischen Bedeutungstheorie ist die Bedeutung eines Satzes eine Vorstellung bzw. allgemeiner ein psychischer Zustand eines Menschen. Diese Theorie, die ihren Ursprung bei John Locke (1632–1704) hat, geht davon aus, dass die Bedeutung einer Äußerung eines sprachlichen Ausdrucks die Vorstellung ist, die der Sprecher damit verbindet. Ein Grundproblem dieser Position ist jedoch, dass wir zumindest nicht ohne weiteres verständlich machen können, dass Sätze eine objektive Wahrheit zum Ausdruck bringen und dass eine Kommunikation mittels Äußerungen erstaunlich oft auch funktioniert. Wenn die Bedeutung eines Satzes den subjektiven Vorstellungen eines Sprechers entspricht, dann entstehen mehrere Schwierigkeiten: Die Bedeutung eines Satzes könnte sich von Subjekt zu Subjekt ändern, so dass eine wissenschaftliche Behauptung keinen festen Gehalt hätte. So könnte man keine einzige wissenschaftliche Behauptung als wahr ausweisen, sondern Wahrheit wäre ein personenbezogenes Prädikat, d. h. etwas wäre „wahr für Karl“ bzw. „wahr für Sophie“, aber nicht schlicht und ergrei-

Philosophie der idealen Sprache

Bedeutungsrealismus

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1. Philosophie der idealen Sprache

Logische Analyse

fend „wahr“. Diese Überlegung war ein zentrales Argument für Frege, eine subjektivistische Position zu Bedeutung und Wahrheit abzulehnen. Entscheidend ist dabei die Beobachtung, dass eine Bedeutungstheorie nur dann adäquat ist, wenn sie der Tatsache Rechnung tragen kann, dass ein Satz einen bestimmten Sachverhalt p ausdrücken kann und viele Menschen diesen Sachverhalt aufgrund der Äußerung erfassen können. Frege war nun der Meinung, dass diese Bedingung dazu führt, dass die Bedeutungstheorie radikal von allen psychologischen Aspekten getrennt werden muss. Mit dieser Schlussfolgerung ist Frege jedoch zu weit gegangen, wie wir bei der Diskussion der Fregeschen Sprachphilosophie deutlich machen werden: Gerade dann, wenn – wie es Frege vorschlägt – mehrere Dimensionen der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke unterschieden werden, genügt es, wenn eine dieser Dimensionen realistisch bestimmt ist und einen objektiven Gehalt festlegt. Ziel einer realistischen Bedeutungstheorie und damit insbesondere der idealsprachlichen Theorie der Satzbedeutung ist es, die Bedeutung eines Satzes so anzugeben, dass der Sachverhalt deutlich wird, dessen Bestehen mit einem Aussagesatz behauptet wird. (2) Die logische Analyse der Alltagssprache soll zweierlei erreichen: Mehrdeutigkeiten vermeiden und die Tiefenstruktur eines Satzes offenlegen. (2a) Mehrdeutigkeiten vermeiden: Die Philosophie der idealen Sprache geht davon aus, dass der objektive Gehalt eines Satzes mittels logischer Symbole eindeutig angegeben werden kann. Dabei rückt die Beobachtung in den Vordergrund, dass Ausdrücke der natürlichen Sprache oftmals mehrdeutig sind und eine Darstellung durch logische Symbole hilft, diese Mehrdeutigkeiten zugunsten einer Lesart aufzulösen. Betrachten wir drei Beispielsätze, in denen das Wort „ist“ vorkommt: (i) „Putin ist ein Politiker.“ (ii) „Cicero ist Tullius.“ (iii) „Gott ist“. In (i) wird „ist“ als Teil des Prädikates „ist ein Politiker“ verwendet, in (ii) ist der Ausdruck eine Abkürzung für das zweistellige Prädikat „ist identisch mit“, und in (iii) kann „ist“ durch den Ausdruck „existiert“ ersetzt werden. In der formallogischen Symbolsprache hat jede Verwendungsweise von „ist“ eine andere Darstellung, so dass eine Verwechslung der Bedeutungen gar nicht erst auftreten kann. (2b) Entdecken der Tiefenstruktur eines Satzes: Die logische Analyse soll darüber hinaus Sätze der Alltagssprache, die auch „Normalsprache“ genannt wird, in einer Weise zerlegen, dass anstelle einer leicht zugänglichen Oberflächenstruktur die logische Tiefenstruktur eines Satzes zu Tage gefördert wird. Erst die Tiefenstrukturanalyse ermöglicht es uns, die Bedeutung eines Satzes vollständig und adäquat zu erfassen. (3) Der einfache Satz und nicht das Wort ist die grundlegende Einheit, für die sinnvoll eine Bedeutung angegeben werden kann. Einem Wort kann eine Bedeutung nur insofern zugeordnet werden, als es in einem Satz vorkommt [1–12: 23]. Diese Grundannahmen voraussetzend, haben Frege, Russell und der frühe Wittgenstein ihre je eigene Variante einer realistischen Bedeutungstheorie entwickelt.

1.2 Theorie von Sinn und Bedeutung: Gottlob Frege

1.2 Theorie von Sinn und Bedeutung: Gottlob Frege a) Gedanken, Vorstellungen und raumzeitliche Dinge Frege geht bei seiner Sprachphilosophie, die vor allem in den Aufsätzen „Über Sinn und Bedeutung“ [1–11] sowie „Der Gedanke“ [1–10] erläutert wird, davon aus, dass es eine Hauptfunktion von Äußerungen ist, Gedanken auszudrücken, wobei das zentrale Merkmal von Gedanken darin besteht, dass sie einen Wahrheitswert (das Wahre oder das Falsche) haben. Er anerkennt sowohl, dass Sprache oftmals verwendet wird, ohne einen vollständigen Gedanken auszudrücken, z. B. wenn wir eine Satzfrage äußern („Wer ist der Erfinder des CD-Spielers?“), als auch, dass mit Sätzen oftmals zusätzlich eine Stimmung bzw. Beleuchtung ausgedrückt wird. Jedoch ordnet Frege die letztgenannten Aspekte der Sprache der Poesie zu. Gemäß Frege soll man sich auf denjenigen Gehalt eines Satzes konzentrieren, der etwas zur Wahrheit oder Falschheit des Satzes beisteuert. Hier ist schon die moderne Idee des wörtlichen Gehalts einer Äußerung grundgelegt, die durch die Semantik erfasst werden soll, während das darüber hinaus mit der Äußerung Gemeinte eine weitere Dimension ausmacht, für die in moderner Terminologie die Pragmatik zuständig ist. Gedanken sind gemäß Frege objektiv. „Objektiv“ wird der Gedanke genannt, erstens weil derselbe Gedanke von vielen Menschen erfasst werden kann, und zweitens weil er nicht erschaffen, sondern nur entdeckt wird. Mit der Redewendung, dass Wissenschaftler mit der Entdeckung und nicht mit der Schaffung von wahren Gedanken beschäftigt sind, möchte Frege auf die zeitlose Gültigkeit wahrer Gedanken hinweisen. Der Satz des Pythagoras oder eine astronomische Wahrheit waren auch vor ihrer Entdeckung gültig. Sie können daher benutzt werden, um Tatsachen zu beschreiben, die der Fall waren, bevor die Gesetze selbst entdeckt wurden. Wegen der zeitlosen Gültigkeit muss es die wahren Gedanken auch schon vor ihrer Entdeckung gegeben haben. Dasselbe gilt für falsche Gedanken auf Grund ihrer zeitlosen Ungültigkeit. Frege schreibt den Gedanken auf Grund dieser Eigenschaft eine eigene Form von Existenz zu: Sie sind objektiv-nichtwirklich und haben damit denselben Status wie Zahlen oder Platonische Ideen. Die spezifische Existenzform der Gedanken wird jedoch nur negativ charakterisiert. Indem die Gedanken als nichtwirklich bezeichnet werden, grenzt Frege sie von den raumzeitlichen Gegenständen der Außenwelt ab. „Nichtwirklichsein“ heißt bei Frege soviel wie „kein raumzeitlicher Gegenstand sein“. Mit der Eigenschaft, objektiv zu sein, werden die Gedanken von den subjektiven Vorstellungen abgegrenzt, d. h. sie sind im Gegensatz zu den Vorstellungen nicht nur einem Menschen, sondern allgemein zugänglich. Außerdem sind die Vorstellungen zeitlich strukturiert, Gedanken dagegen nicht. Frege unterscheidet somit drei Arten von existierenden Dingen, nämlich raumzeitliche Gegenstände der Außenwelt, zeitlich strukturierte Vorstellungen und Gedanken. Für jede der drei verfügen wir über einen eigenen Zugangsmodus: Wir sehen die Gegenstände der Außenwelt (oder nehmen sie auf andere Weise sinnlich wahr), wir haben unsere Vorstellungen und wir fassen Gedanken: Vorstellungen sind also entweder in einem Subjekt vorhanden oder sie existieren nicht. Jedes Subjekt hat seine eigenen, privaten Vorstellungen.

Gedanke und Wahrheitswert

Gedanken, Gegenstände, Vorstellungen

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1. Philosophie der idealen Sprache

Gedanken dagegen werden von Frege, wie bei Platon die Ideen, als abstrakte Entitäten vorgestellt, die immer schon da sind. Wir fassen diese, und zwar können mehrere Personen denselben Gedanken fassen. Merkmale

Gegenstände der Außenwelt

Gedanken

Vorstellungen

subjektiv/objektiv

objektiv

objektiv

subjektiv

Raum und Zeit

raumzeitlich

nicht raumzeitlich

nicht räumlich

Wahrheit

nicht wahrheitswertfähig

wahrheitswertfähig

nicht wahrheitswertfähig

Zugangsmodus

sehen/sinnlich wahrnehmen

fassen

haben

b) Zerlegung und Komposition von Sätzen

Funktionsausdruck und Argumentausdruck

Während diese Annahme zum ontologischen Status von Gedanken für Frege spezifisch ist, ist die nachfolgend erläuterte Zerlegung von Sätzen paradigmatisch für die gesamte Philosophie der idealen Sprache und der Ausgangspunkt der modernen Semantik. Ein Satz kann genauso wie eine mathematische Angabe in Argument- und Funktionsausdruck bzw. bei einfachen Aussagen in Eigenname und Begriffswort zerlegt werden. In der Mathematik ist es üblich, den Zahlausdruck „32“ in den Funktionsausdruck „( )2“ und den Argumentausdruck „3“ zu zerlegen. Der Funktionsausdruck bezeichnet die Funktion des Quadrierens, und der Argumentausdruck bezeichnet ein Argument, nämlich die Zahl 3. Diese Funktion hat als Funktionswert die Zahl 9. Das wesentliche Merkmal eines Funktionsausdrucks ist seine Unvollständigkeit bzw. Ergänzungsbedürftigkeit, welche durch die Klammer in dem Ausdruck symbolisiert wird. Ein Funktionsausdruck bildet erst zusammen mit einem Argumentausdruck ein vollständiges Ganzes. Im Gegensatz dazu benötigt ein Argumentausdruck keine Ergänzung. Frege nennt deshalb einen Funktionsausdruck sowie die von ihm bezeichnete Funktion „ungesättigt“ und einen Argumentausdruck sowie das von ihm bezeichnete Argument „gesättigt“ [1–8]. Betrachten wir nun nicht nur einen mathematischen Ausdruck, sondern insbesondere eine mathematische Behauptung, nämlich „22 = 1“, um dann deren Struktur auf natürlichsprachliche Behauptungen zu übertragen. Eine (von mehreren) Möglichkeiten, diesen Satz zu zerlegen, ist die folgende: Der Ausdruck „22 = 1“ besteht aus dem Funktionsausdruck „( )2 = 1“ und dem Argumentausdruck „2“. Bei Einsetzung der Argumente -1, 0, 1 und 2 ergibt diese Funktion die folgenden Gleichungen: -12 = 1; 02 = 1; 12 = 1 und 22 = 1. Jeder durch die Einsetzung eines Arguments gewonnenen Gleichung wird ein Wahrheitswert zugeordnet. Die erste und die dritte Gleichung sind wahr, die zweite und die vierte falsch. Mathematisch ergibt sich also das folgende Bild: Jeder Funktionsausdruck liefert, wenn er mit einem Argumentausdruck gesättigt wird, einen

1.2 Theorie von Sinn und Bedeutung: Gottlob Frege

Wert. Wenn eine Gleichung diesen Wert korrekt angibt, dann wird der Gleichung selbst der Wert „das Wahre“ zugeordnet, wenn nicht, „das Falsche“. Übertragen auf die Sprache nennt Frege einen Funktionsausdruck eines Behauptungssatzes „Begriffswort“ und einen Argumentausdruck, sofern er ein Einzelding bezeichnet, einen „Eigennamen“. In der systematischen Sprachphilosophie sprechen wir von Prädikaten einerseits und von Gegenstandsbezeichnung bzw. singulären Termen andererseits. Betrachten wir nun einen Satz der natürlichen Sprache. Der Satz „Brutus tötete Caesar“ kann in den Eigennamen „Brutus“ und das Begriffswort „( ) tötete Caesar“, in den Eigennamen „Caesar“ und das Begriffswort „Brutus tötete ( )“ oder in die Eigennamen „Brutus“ und „Caesar“ sowie das zweistellige Begriffswort „( ) tötete ( )“ zerlegt werden. Die Zerlegung eines Satzes ist abhängig von unserer Wahl des variablen, ersetzbaren Satzbestandteils und damit nicht eindeutig. Dabei ist die Bedeutung eines Eigennamens der bezeichnete Gegenstand und die eines Begriffswortes der bezeichnete Begriff. Es bleibt bei Frege systematisch unklar, was genau ein Begriff ist. Erst Rudolf Carnap (1891–1970) entwickelt einen klaren Vorschlag für ein Verständnis von Begriffen als Bedeutungen von Begriffswörtern (siehe Kapitel 1.2). Doch für die Zwecke der Darstellung der Grundideen von Freges Theorie genügt das intuitive Erfassen der Idee, dass ein Begriff das ist, was wir üblicherweise als die Bedeutung eines Prädikats auffassen. Es stellt sich dann die Frage, was die Bedeutung eines ganzen Satzes ist. Dafür gibt es zwei Kandidaten, nämlich den vom Satz ausgedrückten Gedanken und den Wahrheitswert des Satzes. Die Entscheidung für einen der beiden Kandidaten fällt Frege auf der Basis von drei allgemeinen Prinzipien, die in der einen oder anderen Form in jede Sprachphilosophie Eingang gefunden haben. (1) Das erste ist das Kompositionalitätsprinzip für Bedeutung: Die Bedeutung eines komplexen sprachlichen Ausdrucks ergibt sich aus den Bedeutungen seiner Bestandteile und der Art ihrer Zusammensetzung. Dieses Prinzip wird allgemein vorausgesetzt, um die Satzbildungsmöglichkeiten in der Sprache zu erklären, nämlich die Möglichkeit, unendlich viele Sätze aus einem endlichen Vokabular und damit auch neue Sätze bilden und verstehen zu können. (2) Das zweite ist das Substitutionsprinzip für Bedeutung: Wenn in einem komplexen sprachlichen Ausdruck ein Bestandteil durch einen bedeutungsgleichen ersetzt wird, so bleibt die Bedeutung des komplexen sprachlichen Ausdrucks erhalten. Dies ist kein neues Prinzip, sondern nur eine Anwendung des Kompositionalitätsprinzips; denn da die Bedeutung eines Satzes durch die Bedeutungen der Satzbestandteile festgelegt wird und diese durch die Substitution eines bedeutungsgleichen Ausdrucks nicht verändert wird, so ist klar, dass die Bedeutung des Satzes erhalten bleiben muss. (3) Das dritte Prinzip ist ein (hinreichendes) Kriterium für Gedankenverschiedenheit: Zwei Sätze s1 und s2 drücken verschiedene Gedanken G1 und G2 aus, wenn eine vernünftige und sprachkompetente Person zugleich G1 für wahr und G2 für falsch halten kann bzw. umgekehrt. Wenn diese Prinzipien nicht verletzt werden sollen, dann muss die Bedeutung eines Satzes sein Wahrheitswert und nicht der durch ihn ausgedrückte

Kompositionalitätsund Substitutionsprinzip

Gedankenverschiedenheit

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1. Philosophie der idealen Sprache

Gedanke sein. Dies wird deutlich, wenn man unter der Annahme, dass die Bedeutung eines Satzes der ausgedrückte Gedanke ist, eine Substitution zweier bedeutungsgleicher Ausdrücke durchführt. Da „Mark Twain“ und „Samuel Clemens“ dieselbe Person bezeichnen, sind dies bedeutungsgleiche Eigennamen. Wenn wir in dem Satz „Mark Twain ist ein berühmter Schriftsteller“ eine Substitution des Eigennamens vornehmen, so ergibt sich der Satz „Samuel Clemens ist ein berühmter Schriftsteller“. Gemäß Substitutionsprinzip müssen die beiden Sätze dieselbe Bedeutung haben. Aber sie drücken gemäß des Kriteriums für Gedankenverschiedenheit nicht denselben Gedanken aus, denn jemand könnte den Gedanken, dass Mark Twain ein berühmter Schriftsteller ist, für wahr und zugleich den Gedanken, dass Samuel Clemens ein berühmter Schriftsteller ist, für falsch halten; z. B. deshalb, weil er den bürgerlichen Namen des bekannten Autors Mark Twain noch nie gehört hat. Da die von den beiden Sätzen ausgedrückten Gedanken verschieden sind, die Bedeutung aber gemäß Substitutionsprinzip dieselbe ist, kann der Gedanke nicht die Bedeutung eines Satzes sein. Es bleibt also der Wahrheitswert als Kandidat für die Bedeutung eines Satzes. Dieser Kandidat bewährt sich mit Blick auf das obige Beispiel, denn die beiden Sätze haben denselben Wahrheitswert: Weil die Eigennamen denselben Gegenstand bzw. dieselbe Person bezeichnen, sind es dieselben Umstände, die die beiden Sätze wahr bzw. falsch machen.

c) Die Notwendigkeit der Unterscheidung von Sinn und Bedeutung Sinn und Bedeutung

Freges primäres Interesse gilt einer klaren Darstellung wissenschaftlicher Gedanken. Aus diesem Grunde genügt es ihm nicht, bei Sätzen nur ihre Bedeutung, d. h. ihren Wahrheitswert zu unterscheiden, denn damit würden die Gedanken nur in zwei Klassen geteilt, die wahren und die falschen. Da die Wissenschaft jedoch den wahren Gedanken, dass die Erde eine Kugel ist, von dem ebenfalls wahren Gedanken, dass die Sonne ein großer Heliumkörper ist, unterscheiden können muss, ist es notwendig, neben der Bedeutung eine weitere Ebene einzuführen: den Sinn des Satzes. Mit dem Sinn eines Satzes soll der Inhalt des Satzes erfasst werden oder, in Freges Worten, der Gedanke. Der Sinn eines Satzes ist der durch ihn ausgedrückte Gedanke. Ein Satz hat somit als Sinn den ausgedrückten Gedanken und als Bedeutung seinen Wahrheitswert. Für die Bestandteile des Satzes – wir beschränken uns nach wie vor auf einfache Behauptungssätze – ist ebenfalls eine Berücksichtigung von Sinn und Bedeutung erforderlich. Die Notwendigkeit wird ersichtlich, wenn wir informative und nichtinformative Identitätsaussagen einander gegenüberstellen. Eine Variante des klassischen Frege-Beispiels [1–11] sind die folgenden Sätze: (1) Der Morgenstern ist identisch mit dem Morgenstern. (2) Der Abendstern ist identisch mit dem Morgenstern. Da in Satz (2) im Vergleich zu Satz (1) nur ein Vorkommnis des Eigennamens „der Morgenstern“ durch den bedeutungsgleichen Eigennamen „der

1.2 Theorie von Sinn und Bedeutung: Gottlob Frege

Abendstern“ ersetzt wurde, haben die beiden Sätze gemäß dem Substitutionsprinzip dieselbe Bedeutung. Ihre Bedeutung ist der Wahrheitswert „das Wahre“, denn es ist der Fall, dass der Planet Venus, auf den sich beide Eigennamen beziehen, in der Relation der Identität zu sich selbst steht. Bezüglich ihres Informationsgehalts unterscheiden sie sich jedoch: Der Satz (1) ist uninformativ, der Satz (2) dagegen ist informativ. Daher drücken die beiden Sätze unterschiedliche Gedanken aus. Da der Unterschied der beiden Sätze jedoch allein durch die Substitution bedeutungsgleicher Eigennamen entstanden ist, muss die Ersetzung die Ursache für die Verschiedenheit der Gedanken sein. Die Eigennamen müssen also einen Beitrag zum Sinn des Satzes liefern, der über ihre Bedeutung hinausgeht, denn diese ist dieselbe. Die Eigennamen „der Morgenstern“ und „der Abendstern“ bezeichnen denselben Gegenstand, aber sie unterscheiden sich in der Art und Weise, wie sie den Gegenstand bezeichnen. Der Eigenname „der Morgenstern“ bezeichnet die Venus als den Planeten, der am Morgen als letzter untergeht, während der Eigenname „der Abendstern“ die Venus als den Planeten bezeichnet, der am Abend als erster aufgeht. Demgemäß erläutert Frege den Sinn eines Eigennamens allgemein als die Art des Gegebenseins des bezeichneten Gegenstandes. Der Sinn eines Eigennamens kann durch eine entsprechende Kennzeichnung „der/die/das F“ ausgedrückt werden, wobei F eine beliebige Eigenschaft ist, die auf den Träger des Namens zutrifft. Betrachten wir ein anderes Beispiel: Wenn der Punkt z als Schnittpunkt der Geraden a, b und c festgelegt ist, so kann der Punkt z auf verschiedene Arten gegeben sein, z. B. als der Schnittpunkt der Geraden a und b, als der Schnittpunkt der Geraden a und c, als der Schnittpunkt der Geraden b und c.

Indem Frege den Sinn eines Eigennamens als die Art des Gegebenseins des Gegenstandes festlegt, kann er erläutern, warum die Aussage (2) informativ ist; denn in dieser wird der Gedanke ausgedrückt, dass der Planet, der am Abendhimmel als erster erscheint, derselbe ist wie der Planet, der am Morgenhimmel als letzter verschwindet. Den Sinn führt Frege nicht nur für Eigennamen und Sätze, sondern auch für Begriffsworte ein, und zwar analog als Art des Gegebenseins von Begriffen. Dies erläutern wir hier jedoch nicht näher. In einer Übersicht wollen wir den gewöhnlichen Sinn und die gewöhnliche Bedeutung der verschiedenen Ausdrücke vor Augen führen, wobei das Merkmal „gewöhnlich“ hervorhebt, dass es nur um einfache Behauptungssätze geht:

Die Art des Gegebenseins

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1. Philosophie der idealen Sprache

Der Sinn eines komplexen Ausdrucks

Eigenname „a“

Begriffswort „f( )“

Satz „f(a)“

gewöhnliche Bedeutung

der von „a“ bezeichnete Gegenstand G

der von „f( )“ bezeichnete Begriff B

der Wahrheitswert von f(a) (wahr/falsch)

gewöhnlicher Sinn

die Art des Gegebenseins des Gegenstands G

die Art des Gegebenseins des Begriffs B

der Gedanke, dass f(a)

Für die Ebene des Sinns gelten ebenso wie für die Ebene der Bedeutung analoge Prinzipien der Komposition und Substitution. (1) Kompositionalitätsprinzip für Sinn: Der Sinn eines komplexen sprachlichen Ausdrucks ergibt sich aus den Sinnen seiner Bestandteile und deren Anordnung. (2) Substitutionsprinzip für Sinn: Wenn in einem komplexen sprachlichen Ausdruck ein Bestandteil durch einen sinngleichen ersetzt wird, so bleibt der Sinn des komplexen sprachlichen Ausdrucks erhalten. Da das dritte Prinzip, das Kriterium für Gedankenverschiedenheit, ohnehin für Gedanken – also die Ebene des Sinns – formuliert ist, erübrigt sich eine entsprechende Transformation. Bei der adäquaten Erfassung und Darstellung einer wissenschaftlichen Erkenntnis muss nicht nur der erfasste Gedanke, sondern auch sein Wahrheitswert ausgewiesen werden, denn eine wissenschaftliche Erkenntnis ist das Ergebnis eines Urteilens, welches nicht nur in dem Fassen eines Gedankens, sondern auch in dem Anerkennen der Wahrheit eines Gedankens besteht: „Es kann uns also niemals auf die Bedeutung eines Satzes allein ankommen; aber auch der bloße Gedanke gibt keine Erkenntnis, sondern erst der Gedanke zusammen mit seiner Bedeutung, d. h. seinem Wahrheitswert. Urteilen kann als das Fortschreiten von einem Gedanken zu seinem Wahrheitswert gefaßt werden.“ [1–11: 50]

d) Sinn und Bedeutung in gerader und ungerader Rede Gerade Rede bzw. Anführungen

Die Theorie von Sinn und Bedeutung hat Frege nicht nur für einfache, sondern auch für komplexere Behauptungssätze ausgebaut. Als komplex werden dabei nicht besonders lange Behauptungssätze bezeichnet, sondern solche in besonderen Verwendungsweisen. Frege unterscheidet die „gerade“ und die „ungerade“ Rede als zwei spezielle Verwendungskontexte. Ein Satz wird in gerader Rede verwendet, wenn man ihn erwähnt und nicht gebraucht. Dies machen wir in der Schriftsprache durch Anführungszeichen kenntlich. Was ist die Bedeutung eines Satzes, der erwähnt und nicht gebraucht wird? Wenn die Bedeutung eines eingebetteten Satzes in Anführungszeichen wie in der gewöhnlichen Rede der Wahrheitswert des Satzes wäre, so müsste der eingebettete Satz gemäß dem Substitutionsprinzip durch einen beliebigen Satz mit demselben Wahrheitswert ersetzbar sein, ohne dass sich der Wahrheitswert des Gesamtsatzes ändern dürfte. Die Annahme wird jedoch durch das nachfolgende Beispiel als falsch erwiesen:

1.2 Theorie von Sinn und Bedeutung: Gottlob Frege

(1) „Die Erde ist rund“ besteht aus vierzehn Buchstaben. (wahr) (2) „Der Mond ist kleiner als die Erde“ besteht aus vierzehn Buchstaben. (falsch) Der Satz (2) geht aus dem Satz (1) durch die Substitution eines bedeutungsgleichen Ausdrucks hervor, denn die beiden erwähnten Sätze sind wahr. Trotzdem sind die Wahrheitswerte der Gesamtsätze verschieden, denn Satz (1) ist wahr, Satz (2) dagegen falsch. Da das Substitutionsprinzip verletzt wird, kann die Bedeutung eines erwähnten Satzes nicht sein Wahrheitswert sein. Prüfen wir nun, ob als Bedeutung eines erwähnten Satzes der ausgedrückte Gedanke in Frage kommt. Dazu ersetzen wir den erwähnten Satz durch einen sinngleichen, der denselben Gedanken ausdrückt, z. B. „Die Erde ist kugelförmig“. (3) „Die Erde ist kugelförmig“ besteht aus vierzehn Buchstaben. (falsch) Da der Satz (3) aus dem Satz (1) durch eine Substitution sinngleicher Ausdrücke hervorgeht, müssten beide Sätze gemäß Substitutionsprinzip für Sinn denselben Sinn haben. Doch sie drücken nicht denselben Gedanken aus, denn sie haben nicht einmal denselben Wahrheitswert. Da Satz (1) wahr und Satz (3) falsch ist, erfüllen die von den beiden Sätzen ausgedrückten Gedanken das Kriterium für Gedankenverschiedenheit. Das Substitutionsprinzip ist somit verletzt und die Annahme, die Bedeutung eines erwähnten Satzes sei der ausgedrückte Gedanke, muss aufgegeben werden. Als Bedeutung eines erwähnten Satzes bleibt daher nur noch der in Anführungsstrichen stehende Satz selbst, denn dessen Buchstaben zählen wir, wenn wir den Wahrheitswert der Sätze (1)–(3) ermitteln. Allgemein erhält man die Bedeutung eines erwähnten Ausdrucks, indem man die Anführungsstriche weglässt und nur den darin eingeschlossenen Ausdruck, d. h. die Kette von Buchstaben, beibehält. Der zweite spezielle Kontext ist die ungerade oder indirekte Rede. Ein Behauptungssatz „p“ wird in ungerader Rede verwendet, wenn er Teil eines Satzes ist, der die Form „A glaubt/wünscht/hofft …, dass p“ hat, wobei „A“ eine Person bezeichnet. Ein Beispiel für einen Satz in ungerader Rede ist der dass-Satz als Teil in (4). (4) Kopernikus glaubt, dass die Erde rund ist. In moderner Redeweise spricht man bei solchen Sätzen von Einstellungsberichten oder von Zuschreibungen propositionaler Einstellungen, weil mit diesem Satz der Person Kopernikus die Einstellung des Glaubens mit dem (propositionalen) Inhalt, dass die Erde rund ist, zugeschrieben wird. Als Einstellung werden die kognitiven Zustände bezeichnet, in denen sich eine Person befinden kann, sofern der Zustand durch einen Gedanken in indirekter Rede spezifiziert werden kann. Weitere Einstellungen sind die des Wünschens, Fürchtens, Hoffens, Bedauerns etc. Für einen Einstellungsbericht ist es charakteristisch, dass der dass-Satz einen vollständigen Behauptungssatz enthält wie in dem Beispiel den Satz „Die Erde ist rund“. In gewöhnlicher Rede ist seine Bedeutung das Wahre und sein Sinn der Gedanke, dass die

Ungerade Rede bzw. indirekte Rede

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1. Philosophie der idealen Sprache

Erde rund ist. Was ist die Bedeutung des Satzes in Einstellungsberichten? Hier wiederholen wir den bereits bekannten Test. Wenn die Bedeutung des dass-Satzes „dass die Erde rund ist“ sein Wahrheitswert wäre, so dürften wir gemäß Substitutionsprinzip für Bedeutung diesen Satz durch einen beliebigen wahren Satz ersetzen, ohne dass sich der Wahrheitswert des Einstellungsberichts ändern dürfte. Das ist jedoch nicht der Fall. Wenn der wahre dass-Satz in (4) durch den wahren dass-Satz „dass Energie gleich Masse mal Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat ist“ ersetzt wird, so ergibt sich der Bericht (5): (5) Kopernikus glaubt, dass Energie gleich Masse mal Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat ist. Dieser Bericht ist offensichtlich falsch, denn Kopernikus kannte die Einsteinsche Formel nicht und konnte ihren Gehalt deswegen auch nicht glauben. Die Bedeutung eines dass-Satzes in einem Einstellungsbericht ist somit nicht sein Wahrheitswert. Der zweite Kandidat für die Bedeutung eines dass-Satzes in Einstellungsberichten ist der Sinn des Satzes, d. h. der ausgedrückte Gedanke. Dieser bewährt sich mit Blick auf die Substitutionsprinzipien für Sinn und Bedeutung. Wenn die Bedeutung eines dass-Satzes in Einstellungsberichten der ausgedrückte Gedanke ist, so kann der dass-Satz „dass die Erde rund ist“ durch einen sinngleichen dass-Satz, z. B. „dass die Erde kugelförmig ist“, ersetzt werden; da die beiden dass-Sätze in gewöhnlicher Rede denselben Gedanken ausdrücken, haben sie in dem Einstellungsbericht dieselbe Bedeutung. Dieser Austausch von sinngleichen dass-Sätzen in einem Einstellungsbericht ist eine Substitution bedeutungsgleicher Ausdrücke, so dass die Bedeutung des Gesamtsatzes, d. h. der Wahrheitswert des Einstellungsberichtes, unverändert bleiben müsste. Unsere Annahme kann durch die folgenden Beispielsätze bestätigt werden: (4’) Kopernikus glaubt, dass die Erde (in drei Dimensionen) rund ist. (6) Kopernikus glaubt, dass die Erde kugelförmig ist. Die beiden dass-Sätze in (4’) und (6) sind so gewählt, dass sie denselben Gedanken ausdrücken. Es kann gemäß dem Kriterium für Gedankenverschiedenheit nicht der Fall sein, dass Kopernikus den einen Gedanken für wahr und den anderen für falsch hält, d. h. Kopernikus muss stets beide von den dass-Sätzen ausgedrückte Gedanken oder keinen von beiden glauben. Das bedeutet aber für die Gesamtsätze in (4’) und (6), dass sie stets beide wahr oder beide falsch sind. Somit verändert die Substitution sinngleicher Teilsätze den Wahrheitswert des Gesamtsatzes nicht. Das soll uns hier genügen, um Freges Prinzip einzuführen: Die Bedeutung eines dass-Satzes in Einstellungsberichten, d. h. die Bedeutung eines Satzes in ungerader Rede, ist der von dem Satz ausgedrückte Gedanke. Allgemein gilt: Die Bedeutung eines Ausdrucks in ungerader Rede ist der Sinn dieses Ausdrucks in gewöhnlicher Rede [1–11: 43]. Da wir den Sinn der Ausdrücke in gewöhnlicher Rede bereits kennen, können wir diesen als Bedeutung der Ausdrücke in ungerader Rede übernehmen. Auch für die Ausdrücke in ungerader Rede muss neben der Bedeutung ein Sinn festgelegt werden, denn ein Einstellungsbericht drückt einen Gedanken aus, der sich aus dem Sinn der Teile, und damit auch dem Sinn des dass-Sat-

1.3 Intension und Extension – die Semantik möglicher Welten: Rudolf Carnap

zes ergibt. Die ungerade Bedeutung des Satzes „f(a)“ wurde bereits als der Gedanke, dass f(a), festgelegt. Der ungerade Sinn desselben Satzes ist – in konsequenter Fortführung der Idee von Sinn und Bedeutung – der Sinn von „der Gedanke, dass f(a)“ [1–11: 51]. Eine vollständige Theorie von Sinn und Bedeutung fordert wegen der Kompositionalität für Sinn auch eine Bestimmung des ungeraden Sinns für Eigennamen und Begriffswörter. Dazu finden wir bei Frege jedoch keine Ausführungen, so dass sich die folgende Tabelle für Sinn und Bedeutung in ungerader Rede ergibt.

ungerade Bedeutung = gewöhnlicher Sinn ungerader Sinn

Eigenname „a“

Begriffswort „f( )“

Satz „f(a)“

die Art des Gegebenseins des von „a“ bezeichneten Gegenstandes G

die Art des Gegebenseins des von „f( )“ bezeichneten Begriffs B

der Gedanke, dass f(a)

der Sinn von der Gedanke, dass f(a)

Mit der dargestellten systematischen Theorie ist es auch möglich, Sinn und Bedeutung im Falle von Mehrfachanwendungen von Anführungszeichen sowie bei verschachtelten Einstellungsberichten zu beschreiben, z. B. „Thomas fürchtet, dass Lucia glaubt, dass Peter gelangweilt ist.“ Da sowohl Anführungsstriche als auch Einstellungsberichte in der Sprache prinzipiell beliebig iterierbar sind, ergibt sich in Freges Theorie die Notwendigkeit einer unendlichen Hierarchie von Sinnen. Die Frage, ob dies harmlos ist oder für Freges Theorie ein Problem darstellt, wird in der Literatur nach wie vor diskutiert. Eine prinzipielle Grenze für Freges Theorie von Sinn und Bedeutung stellen kontextabhängige Ausdrücke – sogenannte Indikatoren – wie „ich“, „hier“, „jetzt“, „dies“, etc. dar. Dies ist eine Folge seiner eigenwilligen These, dass Gedanken kontextunabhängig sind und Worte jeweils ihren stabilen Sinn als Teil zu diesem Gedanken beisteuern. Kontextabhängige Worte haben jedoch gemäß allgemeiner Intuition einen kontextabhängigen Sinn. Da Sätze der natürlichen Sprache oft kontextabhängige Elemente enthalten, Gedanken wegen ihrer Vollständigkeit und Unveränderlichkeit jedoch nie, ist es für Frege prinzipiell unmöglich, den Sinn von kontextabhängigen Ausdrücken adäquat zu bestimmen. Um kontextabhängigen Ausdrücken Rechnung tragen zu können, bedarf es auch einer prinzipiellen Erweiterung der realistischen Semantik.

1.3 Intension und Extension – die Semantik möglicher Welten: Rudolf Carnap Carnaps Sprachphilosophie ist die erste Theorie, die in formaler Hinsicht Freges Ansatz systematisch weiterentwickelt. Diese Weiterentwicklung besteht darin, dass er die Idee von möglichen Welten als ein Instrument in die Sprachphilosophie einführt und damit die Begriffe von Intension und Extension definiert [1–3]; „Intension“ ist der Nachfolgebegriff für Freges Sinn und

Grenzen von Freges Theorie

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1. Philosophie der idealen Sprache

Mögliche Welten

Extension

Intension

„Extension“ für Freges Bedeutung (also den Bezug eines Ausdrucks). Der Vorteil dieser Konzeption besteht darin, dass die Unklarheiten, die bei Freges Konzeption kurz angedeutet wurden, nämlich dass Frege u. a. Begriffe als Bedeutungen von Prädikaten nur schwerlich konsistent zu charakterisieren vermag, in diesem Modell beseitigt werden können. Zunächst kommen wir zum Kerninstrument, nämlich der Idee von möglichen Welten: Die gegenwärtige Welt, in der wir leben, können wir als eine Menge von bestehenden Sachverhalten betrachten, die ihrerseits jeweils eine Konfiguration von Gegenständen sind. Wenn ein Gegenstand räumlich bewegt würde, so bestünde jetzt ein neuer Sachverhalt und der vorher bestehende Sachverhalt wäre nun nicht mehr bestehend. Wir können das Ergebnis der Veränderung als einen neuen Weltzustand bzw. als eine mögliche Welt auffassen, die wir ebenfalls prinzipiell durch eine Menge von Sachverhalten vollständig bestimmen können. Wenn wir nun davon ausgehen, dass die einfachen Gegenstände in einer Welt festgelegt und unveränderbar sind, dann sind alle möglichen Weltzustände nichts anderes als verschiedene Konfigurationen dieser einfachen Gegenstände, und jede Welt ist als eine Menge von Sachverhalten bestimmbar. Diese Grundidee, die auf Wittgensteins „Tractatus logico-philosophicus“ (1918) zurückgeht, erlaubt es uns, von einer Menge von möglichen Welten zu sprechen, die wir als mögliche Weltzustände betrachten, die sich so zu der gegenwärtigen Welt verhalten, dass sie mindestens einen abweichenden Sachverhalt enthalten. Die Frage, was die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks (hier im allgemeinen Sinne gemeint und nicht in Freges spezifischer Auffassung) ist, bekommt bei Carnap – genau wie bei Frege – eine zweiteilige Antwort, nämlich durch die Zuordnung von Extension und Intension zu jedem Ausdruck. Die Extension eines Ausdrucks ist im Fall eines singulären Terms, z. B. eines Eigennamens, genau wie bei Frege der bezeichnete Gegenstand. Im Fall eines Satzes ist die Extension analog der Wahrheitswert des Satzes. Die Extension eines Prädikats (Frege hat von Begriffsworten gesprochen) ist bei Carnap eine Menge, und zwar bei einem einstelligen Prädikat „… ist ein Politiker“ die Menge der Politiker. Bei einem zweistelligen Prädikat wie „… ist Parteigenosse von …“ ist die Extension die Menge aller Paare von Objekten o1 und o2, für die gilt: o1 ist Mitglied derselben Partei wie o2, also {(Merkel, Kohl), (Müntefering, Schröder), (Westerwelle, Gerhard) …}. Bei dreistelligen Prädikaten wie „x ist eifersüchtig auf y wegen z“ ist die Extension entsprechend eine Menge von Tripeln, die genau in dieser Relation zueinander stehen (Details: [14–4]). Damit sind die Extensionen für die zentralen Grundelemente der Sprache angegeben, und zwar handelt es sich um Einzeldinge, um Mengen oder um Wahrheitswerte. Diese Entitäten betrachtet Carnap in seiner realistischen Sprachphilosophie als unverdächtig bzw. die Annahme ihrer Existenz als harmlos. Carnaps Sprachphilosophie benötigt nun im nächsten Schritt eine Bestimmung der Intension, die analog zu Freges Theorie den Informationsgehalt des Satzes bzw. den ausgedrückten Gedanken erfassen soll. Sein Vorschlag basiert auf der Grundidee, dass wir bei Sätzen wie „Merkel ist eine Politikerin“ den Informationsgehalt mit Bezug auf mögliche Welten angemessen charakterisieren können, und zwar, indem wir aus der Gesamtmenge der möglichen Welten alle diejenigen Welten herausgreifen, in denen der Sach-

1.3 Intension und Extension – die Semantik möglicher Welten: Rudolf Carnap

verhalt, dass Merkel eine Politikerin ist, besteht. Natürlich sind leicht solche möglichen Welten vorstellbar, in denen Merkel Physikerin geblieben wäre und sich nicht der Politik zugewandt hätte. Solche Welten scheiden aus. Was dann verbleibt, ist die Menge aller möglichen Welten, in denen der Sachverhalt, dass Merkel eine Politikerin ist, besteht. Diese Menge von möglichen Welten kann nun indirekt mit dem mathematischen Konzept der Funktion charakterisiert werden. Es gibt nämlich klarerweise eine Funktion, die jeder Welt, in der Merkel eine Politikerin ist, den Wahrheitswert wahr zuordnet und allen anderen Welten den Wahrheitswert falsch. So eine Funktion lässt sich als eine Art Liste hinschreiben, z. B.: {(Welt1, wahr), (Welt2, falsch), (Welt3, wahr), (Welt4, wahr),…} Der Informationsgehalt des Satzes „Merkel ist eine Politikerin“ soll genau durch diese Funktion eingefangen werden. Denn damit wird auch genau diejenige Menge von Welten bestimmt, in denen es wahr ist, dass Merkel eine Politikerin ist (insofern ist gerade in ihnen dasselbe los): { Welt1, Welt3, Welt4,…} Die Funktion, die für einen Satz eine Zuordnung von der Menge der möglichen Welten auf die Wahrheitswerte bestimmt, nennen wir auch eine „Proposition“. Wir können uns auf sie auch beziehen durch den dass-Satz, der den relevanten Sachverhalt angibt, in unserem Beispiel durch den Satz, dass Merkel eine Politikerin ist. Diese Idee hat Carnap ganz systematisch verallgemeinert, indem er für alle Ausdrücke festlegt, dass die Intension jeweils die Funktion von der Menge der möglichen Welten in die jeweils möglichen Extensionen ist. Das können wir uns kurz noch für Eigennamen und Prädikate genauer anschauen: Die Extension einer Kennzeichnung wie „der Erstbesteiger des Mount Everest“ ist der bezeichnete Gegenstand in unserer Welt. Die Intension ist dann eine Funktion von der Menge der möglichen Welten in den in der jeweiligen Welt bezeichneten Gegenstand. In unserer Welt ist der Erstbesteiger des Mount Everest Sir Hilary, in einer anderen möglichen Welt mag es Reinhold Messner sein, usw. (insofern macht jeder von ihnen dort dasselbe). Die Zuordnungen für alle möglichen Welten machen die Intension, den Informationsgehalt der Kennzeichnung aus: {(Welt1, Sir Hilary), (Welt2, Tensing Norgay), (Welt3, Reinhold Messner),…} Die Intension einer Kennzeichnung nennt Carnap auch einen „Individualbegriff“, denn für die Gegenstandsbezeichnung wird für jede mögliche Welt der bezeichnete Gegenstand festgelegt. Ganz analog werden auch Prädikate behandelt: Die Extension von Prädikaten sind Mengen, bei einstelligen Prädikaten sind es Mengen von Objekten. Die Extension des Prädikats „… ist ein Präsident“ ist demgemäß die Menge der Präsidenten. In der gegenwärtigen Welt gehören dazu George Bush, Nicolas Sarkozy, usw. in einer möglichen Welt gehören dazu Al Gore, Arnold Schwarzenegger, usw. Die Intension des Prädikats „… ist ein Präsident“ ist eine Funktion, die für jede mögliche Welt festlegt, welche Objekte darin Präsidenten sind: {(Welt1, {Bush, Sarkozy, …}, (Welt2, {Schwarzenegger, Gore…}),…}

Kennzeichnung und Individualbegriff

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1. Philosophie der idealen Sprache

Deshalb wird mit der Intension auch nichts anderes charakterisiert als die Eigenschaft, ein Präsident zu sein. Es ergibt sich die folgende Übersicht über Carnaps Semantik der möglichen Welten.

Probleme für Carnaps Semantik

Extension

Intension

Singulärer Term (Eigenname, Kennzeichnung, Indikator)

Gegenstand (Objekt, Ereignis)

Individualbegriff

Prädikat

Menge von Objekten bzw. n-Tupel von Objekten

Eigenschaft

Satz

Wahrheitswert

Proposition

Carnaps Semantik ist logisch-realistisch, da sie außer den realen Gegenständen und Ereignissen sowie den daraus konstruierbaren möglichen Welten nur noch logisch-mathematische Entitäten wie Mengen und Wahrheitswerte voraussetzt, die gemäß Carnap sowieso für jede vollständige Theorie des menschlichen Wissens unverzichtbar sind. Anders als Frege nimmt er für den Informationsgehalt von Sätzen nicht ein eigenes platonisches Reich von Gedanken bzw. allgemeiner Freges Sinn von Ausdrücken an, sondern die Intension, die den gedanklichen Gehalt eines Satzes angibt, wird ja gerade als Funktion von möglichen Welten in mögliche Extensionen bestimmt. Carnap hat mit seinem Modell den klassischen Rahmen für die moderne formale Semantik abgesteckt. Doch ergeben sich für diese logisch-realistische Semantik der möglichen Welten zwei Grundprobleme, die auch bis in die Gegenwart für diese Ansätze als ungelöst betrachtet werden müssen. Das erste Problem ist das Problem der leeren Namen: Wie kann man der Tatsache Rechnung tragen, dass ein Name keine Extension hat und trotzdem sinnvoll in einem Satz verwendet werden kann? Wie lassen sich dabei verschiedene leere Namen unterscheiden? Da die Antworten auf diese Fragen jedoch für alle sprachphilosophischen Ansätze eine besondere Schwierigkeit darstellen, ist diese Herausforderung nicht für Carnap spezifisch und soll im Vergleich als nicht so schwerwiegend bewertet werden. Gravierender ist das Problem der Hyperintensionalität, welches für die Semantik der möglichen Welten charakteristisch ist. Damit ist folgendes gemeint: Wenn man verschiedene Sätze betrachtet, die in allen möglichen Welten wahr sind, so kann die Semantik der möglichen Welten bezüglich dieser Sätze keinen Unterschied in der Intension feststellen. Sätze der Mathematik wie „Die Winkelsumme im (euklidischen) Dreieck beträgt 180 Grad“ und analytische Sätze wie „Junggesellen sind unverheiratet“ sind in allen möglichen Welten wahr. Da sie jedoch einen völlig verschiedenen Inhalt haben, kann dieser unterschiedliche Gehalt prinzipiell nicht durch die Intension erfasst werden. Es bedarf eines Bedeutungsmerkmals, das über die Intension hinausgeht, weshalb man auch von dem Problem der Hyperintensionalität spricht. Dieses Problem tritt für alle Sätze auf, die eine notwendige Wahrheit (bzw. Falschheit) ausdrücken. Dazu gehören mathematische Sätze, Aussagen über begriffliche Zusammenhänge, aber auch Identitätsbehauptungen

1.4 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

mit Namen (siehe Kapitel 7). Für diese Schwierigkeit hat die Semantik der möglichen Welten bisher keinen tragfähigen Lösungsansatz entwickelt.

1.4 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen Zusammenfassung Die Philosophie der idealen Sprache haben wir an zwei Kernbeispielen vorgestellt: Freges Theorie von Sinn und Bedeutung sowie Carnaps Theorie von Intension und Extension. Beide Autoren sind sich darin einig, dass das, was wir umgangssprachlich und entsprechend unscharf mit „Bedeutung“ meinen, in zwei Aspekte aufzuteilen ist. Die Bedeutung eines Satzes bei Frege und seine Extension bei Carnap ist gleichermaßen ein Wahrheitswert. Dagegen ist der Sinn eines Satzes gemäß Frege ein Gedanke, wobei er Gedanken sehr feinkörnig mittels eines Prinzips der Gedankenverschiedenheit unterscheidet. Carnap versteht den analogen Aspekt der Intension eines Satzes etwas anders, weil er Satzinhalte viel grobkörniger unterscheidet. Daraus resultiert allerdings auch die Grenze für Carnaps Ansatz: Er kann notwendig wahre (bzw. notwendig falsche) Sätze nicht mehr unterschieden. Alle notwendig wahren Sätze bekommen dieselbe Intension zugewiesen, insbesondere alle Sätze der Mathematik und alle begrifflichen Wahrheiten. Doch diese Sätze haben natürlich keineswegs alle dieselbe Bedeutung. Wir benötigen hier eine Bedeutungstheorie mit feinkörnigeren Unterscheidungen. Die zeitlich ältere Theorie von Frege bietet zwar eine entsprechend feinkörnige Unterscheidung des Sinns von Sätzen, aber es bleibt bei Frege wesentlich unterbestimmt und unklar, was genau der Sinn von Ausdrücken ist. Carnap hat eine Semantik der möglichen Welten vorgeschlagen, in der Freges Bedeutung durch Extensionen und Freges Sinn durch Intensionen von Ausdrücken ersetzt werden. Diese Bedeutungstheorie ist trotz Weiterentwicklungen und aufgezeigter prinzipieller Grenzen immer noch der übliche Grundrahmen für einen wichtigen Zweig der modernen Semantik.

Lektürehinweise – Einen ausführlichen Überblick über die Philosophie der idealen Sprache bietet: [1–14]. – Eine gute Einführung zu Gottlob Frege: [1–23]; speziell zu Freges Sprachphilosophie [1–24]. – Eine gute Einführung zu Rudolf Carnap: [1–13].

Fragen und Übungen 1. Was ist der Sinn und die Bedeutung des Namens „Elisabeth II.“ gemäß Frege? 2. Was ist der Sinn und was die Bedeutung des nachfolgenden Satzes: „Elisabeth II. wurde 1953 in der Westminister Abbey gekrönt.“ 3. Was ist die Bedeutung des Satzes, wenn er in folgendem Kontext verwendet wird: „Anna glaubt, dass Elisabeth II. 1953 in der Westminister Abbey gekrönt wurde.“ 4. Wie kann Frege informativen Identitätsaussagen, z. B. „Cicero ist identisch mit Tullius“ in seiner Sprachtheorie Rechnung tragen? 5. Was ist gemäß Carnap die Extension und die Intension des Satzes „Cicero ist ein berühmter römischer Redner“? 6. Welches Problem hat Carnaps Theorie mit notwendigen Wahrheiten? Nennen Sie zwei Beispiele für Aussagen, die in allen möglichen Welten wahr sind und trotzdem intuitiv einen ganz verschiedenen Inhalt haben.

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2. Philosophie der normalen Sprache

2. Philosophie der normalen Sprache Die Philosophie der normalen Sprache ist vom späten Wittgenstein in seinen „Philosophischen Untersuchungen“ entwickelt worden. Er entwickelt und verteidigt die Kernthese, dass die Bedeutung eines Ausdrucks die Art und Weise ist, wie er gebraucht wird. Damit öffnet er dem Leser die Augen für die Vielfalt der Funktionen von natürlicher Sprache und befreit ihn von dem einseitigen Blick auf Aussagen. Eine systematische Theorie der Funktionen natürlicher Sprache hat im Anschluss an Wittgenstein dann Austin vorgelegt: In seiner Sprechakttheorie unterscheidet er für jeden Sprechakt die illokutionäre Rolle (die Art des Sprechaktes, z. B. Bitte, Befehl, Frage, …) und den propositionalen Gehalt (das ist der Inhalt, den man mit einem dass-Satz angeben kann). Paul Grice hat die Philosophie der normalen Sprache durch eine allgemeine Theorie über Maximen einer rationalen Verständigung bereichert. Darauf aufbauend entwickelt er die wichtige Unterscheidung von Semantik und Pragmatik weiter: Die Semantik ist die Theorie der wörtlichen Bedeutung einer Äußerung und die Pragmatik die Theorie des mit einer Äußerung Gemeinten.

2.1 Die Gebrauchstheorie der Bedeutung: Ludwig Wittgenstein a) Die Grundlegung durch Wittgenstein in den „Philosophischen Untersuchungen“ Bedeutung ist Gebrauch

So klar wie Frege und der frühe Wittgenstein – die Theorie seines „Tractatus“ (1918) ist hier aus Platzgründen nicht dargestellt; siehe [0–6], darin Kapitel 3 – paradigmatisch für die Philosophie der idealen Sprache stehen, so entschieden hat sich der späte Wittgenstein in den „Philosophischen Untersuchungen“ (1952; [2–27]) gegen diese gerichtet und eine Strömung initiiert, die mit dem Slogan „Bedeutung ist Gebrauch“ berühmt geworden ist. Die Bedeutung von sprachlichen Zeichen wird demnach im Wesentlichen, wenn auch nicht immer ([2–27: § 43]), durch die Art und Weise, wie sie in einer Sprachgemeinschaft gebraucht werden, festgelegt. Diese oftmals relativ stabilen Verwendungsweisen lassen sich auch durch Regeln des Gebrauchs charakterisieren, so dass Regeln bzw. Konventionen eine zentrale Rolle in der Philosophie der normalen Sprache spielen. Daher sprechen wir auch von einer „konventionalistischen Bedeutungstheorie“. Die Grundauffassung der verschiedenen Ausprägungen der Philosophie der normalen Sprache lässt sich gut als Gegenpol zu den drei Merkmalen der Philosophie der idealen Sprache herausarbeiten: (1) Bedeutung ist Zeichenverwendung im Handlungskontext: Gegen den Bedeutungsrealismus mit der These, dass Bedeutungen von Worten bzw. Sätzen Objekte bzw. Sachverhalte in der Welt sind, wobei sich letztere durch Wahrheitsbedingungen charakterisieren lassen, stellt der späte Wittgenstein die Einbettung von Ausdrücken in einen Handlungskontext in den Vordergrund. Erst diese Einbettung der akustischen Laute oder Schriftzeichen gibt ihnen ihre Bedeutung. Das Sprechen (bzw. das Verwenden von

2.1 Die Gebrauchstheorie der Bedeutung: Ludwig Wittgenstein

Sprache) ist dabei nur eine unter den typischen menschlichen Tätigkeitsweisen, nur eine Lebensform unter vielen: „Befehlen, fragen, erzählen, plauschen gehören zu unserer Naturgeschichte so wie gehen, essen, trinken, spielen.“ [2–27: § 25] Entscheidend für die jeweilige Ausprägung der Bedeutungstheorie ist die Antwort auf die Frage, wie die Sprache mit den bedeutungskonstituierenden Handlungen systematisch verbunden ist. Wittgenstein bleibt hier relativ vage und bezeichnet die Verbindung von Sprache und Handlung als Sprachspiel [2–27: § 7]. (2) Eine Bedeutungsangabe ist das Aufzeigen von Verwendungsweisen: Während in der Philosophie der idealen Sprache die logische Analyse der Alltagssprache erst die Tiefenstruktur eines Satzes, seine elementaren Grundlagen und damit seine Bedeutung offenlegt, hält die Philosophie der normalen Sprache eine solche Vorgehensweise schlicht für überflüssig:

Zurückweisen der logischen Analyse

„So habe ich geglaubt, daß es die Aufgabe der logischen Analyse ist, die Elementarsätze aufzufinden. […) [I]ch meinte doch, daß man später einmal die Elementarsätze würde angeben können. […] Das ist ein Irrtum. In Wahrheit haben wir schon alles, und zwar gegenwärtig, wir brauchen auf nichts zu warten. Wir bewegen uns im Bereich der Grammatik unserer gewöhnlichen Sprache, und diese Grammatik ist schon da.“ [2–28: 182 f., 9.12.1931] Die Bedeutung von Ausdrücken muss gemäß Wittgenstein nicht erst durch eine logische Analyse entdeckt werden, sondern sie liegt mit dem Gebrauch der Ausdrücke in Sprachspielen offen zu Tage. Die Aufgabe der Sprachphilosophie besteht gemäß Wittgenstein darin, die Verknüpfung von Sprache und Handlung durch eine übersichtliche Darstellung von Sprachspielen transparent zu machen. Die spezifische Antwort Wittgensteins möchten wir im Folgenden ein wenig verdeutlichen, indem wir erläutern, was Wittgenstein mit Sprachspielen meint. Zugleich möchten wir bereits hier darauf hinweisen, dass Wittgensteins Theorie der Sprachspiele – die angemessener nur als Theorieskizze aufgefasst wird – nur eine Form der Ausprägung von konventionalistischen Bedeutungstheorien darstellt (eine ausgearbeitete Theorie ist z. B. Brandoms konventionalistische Sprachphilosophie, siehe dazu Kapitel 13.2). (3) Es gibt eine Vielfalt der Satzverwendungen jenseits der Behauptungen: Zwar ist es so, dass genauso wie bei der Philosophie der idealen Sprache der Satz und nicht der Satzbestandteil im Zentrum der Bedeutungstheorie bleibt, aber es ist neu, dass mit der Philosophie der normalen Sprache erstmals die vielfältigen Verwendungsweisen von Sprache in den Blick genommen werden und nicht nur das Äußern von Aussagesätzen: „Befehlen, und nach Befehlen handeln – Beschreiben eines Gegenstands nach dem Ansehen, oder nach Messungen – Herstellen eines Gegenstands nach einer Beschreibung (Zeichnung) – Berichten eines Hergangs – Über den Hergang Vermutungen anstellen – Eine Hypothese aufstellen und prüfen – […] Eine Geschichte erfinden; und lesen – Theater spielen – Reigen singen – Rätsel raten – Einen Witz machen; erzählen – […] Bitten, Danken, Fluchen, Grüßen, Beten.“ [2–27: 23]

Die Vielfalt der Funktionen von Sprache

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2. Philosophie der normalen Sprache

Diese Erweiterung des Blicks auf die Vielfalt der Sprachverwendungen wurde erstmals durch die Sprechakttheorie in einer systematischen Theoriebildung berücksichtigt (siehe Kapitel 2.2).

b) Sprachspiele beim späten Wittgenstein Sprachspiele

Familienähnlichkeit

Da gemäß Wittgenstein die Bedeutung der sprachlichen Zeichen wesentlich durch ihre Verwendung in Sprachspielen festgelegt wird, so wollen wir den Begriff „Sprachspiel“ selbst ein wenig erläutern. Gemäß Wittgenstein lässt sich jedoch dieser Ausdruck nicht definieren, sondern auch er kann nur anhand von Beispielen erläutert werden. Sprachspiele zeichnen sich nicht dadurch aus, dass es ein Merkmal (außer der Eigenschaft, „Sprachspiel“ genannt zu werden) gäbe, das allen Sprachspielen zukäme. Vielmehr lässt sich für jedes potentielle Wesensmerkmal immer ein Sprachspiel finden, das es nicht besitzt, obwohl es selbstverständlich zur Klasse der Sprachspiele gehört. Wenn es auch kein durchgängiges Wesensmerkmal für eine Klasse von Objekten gibt, die unter einen Begriff fallen, so gibt es doch ein verknüpfendes Band, die „Familienähnlichkeit“ [2–27: § 67]: So wie die Ähnlichkeiten zwischen den Mitgliedern einer Familie jeweils aufgrund von verschiedenen Merkmalen bestehen, so auch die Ähnlichkeiten von Sprachspielen untereinander. Wenn A und B einander ähnlich sind (aufgrund von Gesichtszügen) und B und C einander ähnlich sind (aufgrund von Temperament), dann müssen A und C einander noch nicht zwangsläufig ähnlich sein – weder aufgrund von Gesichtszügen noch aufgrund von Temperament. Es gibt aber eine Reihe, ein durchgängiges Band, einen Faden von Ähnlichkeiten, der alle Familienmitglieder bzw. alle Sprachspiele (allgemeiner: alle Objekte, die unter einen Begriff fallen) zu verknüpfen erlaubt. Zu einem Sprachspiel gehören ganz wesentlich gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die sich nicht im Sprechen erschöpfen, wie z. B. Autoritätsverhältnisse, Verpflichtungen und Verantwortungsverhältnisse. So lässt sich bei genauerer Betrachtung das Sprachspiel des Befehlens wie folgt in soziale Rahmenbedingungen einbetten: Wenn Person x gegenüber Person y Autorität bezüglich der Handlung z hat und x nun y befiehlt, z zu tun, dann ist y verpflichtet, z zu tun, und x trägt für die Folgen von z die Verantwortung. Es sind nicht einfach die grammatischen Regeln für einen sprachlichen Ausdruck, sondern die Gepflogenheiten im Umgang mit dem Ausdruck, die Verhaltensweisen einer Sprachgemeinschaft, die ein Sprachspiel ausmachen. Welche Rolle spielen denn nun Sprachregeln im Rahmen dieses Ansatzes? Wir möchten jetzt darlegen, dass Sprachregeln gemäß Wittgenstein die Gepflogenheiten zu charakterisieren erlauben, die bedeutungskonstitutiv sind, aber dass die Regeln selbst erst durch die Einbettung in die Gepflogenheiten der Sprachgemeinschaft ihr Fundament bekommen.

c) Regeln und Gepflogenheiten Regeln und Bedeutung

Schon in der Übergangsperiode der Abwendung von der Frühphilosophie und der stetigen Entwicklung seiner Spätphilosophie, die ab 1929 begann, hat Wittgenstein anhand des Beispiels des Schachspiels die Rolle von Regeln für die Bedeutung von sprachlichen Zeichen entwickelt: „Der Bauer ist die

2.1 Die Gebrauchstheorie der Bedeutung: Ludwig Wittgenstein

Summe der Regeln, nach welchen er bewegt wird (auch das Feld ist eine Figur), so wie in der Sprache die Regeln der Syntax das Logische im Wort bestimmen.“ [228: 134, Protokoll vom 30.12.1930] In den dreißiger Jahren vertrat Wittgenstein demgemäß die These, dass die Bedeutung eines sprachlichen Zeichens durch die grammatischen Regeln einer Sprache festgelegt ist. In den „Philosophischen Untersuchungen“ beschäftigt ihn dann die Frage, wie eine grammatische Regel (oder allgemein eine Regel) eine bestimmte Handlungsweise, nämlich das Handeln gemäß der Regel, festlegen kann: „Aber wie kann mich eine Regel lehren, was ich an dieser Stelle zu tun habe? Was immer ich tue, ist doch durch irgendeine Deutung mit der Regel zu vereinbaren“ [2–27: § 198]. Wittgenstein versteht hier unter Regel einen Regelausdruck, ein Symbol für eine Regel, und erläutert die Problematik am Beispiel eines Wegweisers. Wenn wir einen Wegweiser als Ausdruck einer Regel, als Zeichen für eine Regel auffassen, so kann dieser auf verschiedene Weisen gedeutet werden, z. B. in der gewöhnlichen Weise wie folgt: „Wenn Sie das auf dem Wegweiser angegebene Ziel erreichen wollen, dann können Sie es am besten in Pfeilrichtung erreichen.“ Aber auch eine andere Deutung ist möglich: „Wenn Sie das auf dem Wegweiser angegebene Ziel erreichen wollen, dann können Sie es am besten entgegen der Pfeilrichtung erreichen.“ Die Festlegung der Deutung kann nun ihrerseits nicht durch Deutungsregeln erfolgen, denn ansonsten würde für diese Deutungsregeln wiederum die Frage auftreten, wie deren Deutung festgelegt wird, d. h. es entstünde ein infiniter Regress. „Die Deutungen allein bestimmen die Bedeutung nicht.“ [2–27: § 198] Es muss somit ein Fundament für die Festlegung der Deutung einer Regel geben, ein Fundament für das Regelfolgen, und dies besteht gemäß Wittgenstein in den Gepflogenheiten einer Gemeinschaft. „[I]ch habe auch noch angedeutet, daß sich Einer nur insofern nach einem Wegweiser richtet, als es einen ständigen Gebrauch, eine Gepflogenheit, gibt.“ [2–27: § 198] „Einer Regel folgen, eine Mitteilung machen, einen Befehl geben, eine Schachpartie spielen sind Gepflogenheiten (Gebräuche, Institutionen).“ [2–27: § 199] Um einer Regel zu folgen, braucht man sich nicht explizit die Regel, nach der man sich verhalten soll, vor Augen zu führen. Vielmehr ist regelfolgendes Verhalten dadurch gekennzeichnet, dass es erlernbar und, wenn es erlernt ist, selbstverständlich ist [2–27: § 238]. Einer Regel zu folgen ist, einer Gepflogenheit gemäß zu handeln, und dies setzt keinerlei Begründungen oder Überlegungen voraus, sondern schlicht und einfach die Kompetenz, auf eine erlernte, übliche und selbstverständliche Weise zu handeln. Gepflogenheiten sind nicht deshalb gültig, weil sie festgesetzt oder vereinbart wären, sondern weil sich üblicherweise fast alle daran gebunden fühlen. Ist dies nicht der Fall, so gibt es keine Gepflogenheiten und damit keine Basis für die Handlungsweise gemäß einer Regel. Dies gilt auch für Regeln, die die Bedeutung eines sprachlichen Zeichens festlegen. Positiv gewendet besagt dies, dass der selbstverständliche, allgemein übliche Umgang mit Ausdrücken die Bedeutung der Ausdrücke festlegt. Dies bringt die bekannte Formel „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“ [2–27, § 43] auf den Punkt, deren uneingeschränktes Zutreffen Wittgenstein selbst freilich ausdrücklich bestreitet (ebd.).

Das Problem der Deutung von Regeln

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2. Philosophie der normalen Sprache Schwächen einer Gebrauchstheorie der Bedeutung

Diese allgemeine Darstellung mit einem besonderen Blick auf Wittgenstein erlaubt es uns, die zentralen Kritikpunkte an konventionalistischen Bedeutungstheorien herauszuarbeiten: (1) Die Unbestimmtheit der Verwendungsweisen: Es bleibt unterbestimmt, was genau die Verwendungsweisen eines Ausdrucks sind, die dessen Bedeutung konstituieren. Da es auch Fehlverwendungen von Ausdrücken gibt, die manchmal sogar systematisch auftreten, müssten diese gleichermaßen als bedeutungskonstituierend einbezogen werden. Da Fehlverwendungen von Ausdrücken stark oder zumindest zeitweise sogar mehrheitlich verbreitet sein können, würde damit jedoch der tatsächlichen Bedeutung der Ausdrücke nicht Rechnung getragen. (2) Der Holismus der Verwendungsweisen: Wenn man – wie es Wittgenstein tut – alle Verwendungsweisen eines Ausdrucks mit einbezieht, so wird die Bedeutung eines Ausdrucks schon dadurch geändert, dass eine einzige neue Verwendungsweise eingeführt wird. Dies ist unplausibel und widerspricht der relativ großen Stabilität der Bedeutung von Ausdrücken. (3) Das kognitive Fundament der Verwendungsweisen: Wenn Regeln bzw. Konventionen angegeben werden, um die Verwendungsweisen zu charakterisieren, dann stellt sich die Frage, wie Regeln bzw. Konventionen sich in einer Gesellschaft herausbilden können. Wo Wittgenstein die Gepflogenheit letztlich als gegeben voraussetzt – denn wenn sie durch Abrichtung oder Modelllernen am Vorbild weitergegeben werden sollen, so müssen sie ja erst einmal entstanden sein – da stellt sich die folgende Frage: Sind es nicht doch die Absichten eines Sprechers, ein gemeinsames Hintergrundwissen, ein prinzipielles Interpretationsvermögen oder andere kognitive Fertigkeiten, die letztlich bedeutungskonstitutiv sind, weil ohne sie keine Gepflogenheiten etabliert werden können?

d) Die Unmöglichkeit einer Privatsprache Regelfolgen als soziale Praxis

Einer Regel folgen ist eine Praxis, die gemäß Wittgenstein begrifflich voraussetzt, dass es eine Gemeinschaft, also eine Vielzahl von Personen, gibt, nicht nur eine einzelne Person. Eine bestimmte Handlungsweise kann nur als regelfolgendes Verhalten aufgefasst werden, wenn der Handelnde als Teil einer Gemeinschaft betrachtet wird, in der diese Handlungsweise üblich und selbstverständlich ist. So ist es unmöglich, dass ein einzelner Mensch nur einmal einer Regel gefolgt wäre [2–27: § 199]. Demgemäß ist es auch ausgeschlossen, dass jemand privat, d. h. in Gedanken und nur für sich, ein Regelsystem aufbaut und diesen Regeln folgt, denn es fehlt dann an einer Kontroll- und Sanktionsinstanz: „Darum ist ‚der Regel folgen‘ eine Praxis. Und der Regel zu folgen glauben ist nicht: der Regel folgen. Und darum kann man nicht der Regel ‚privatim‘ folgen, weil sonst der Regel zu folgen glauben dasselbe wäre, wie der Regel folgen.“ [2–27: § 202]

Privatsprachenargumentation

Diese Unmöglichkeit erläutert Wittgenstein auch insbesondere im Fall der Empfindungssprache, d. h. im Falle von Ausdrücken für unsere Empfindungen, z. B. Schmerzäußerungen („Ich habe Zahnschmerzen“), Farbempfindungsäußerungen („Ich habe eine Rotempfindung“). In der subjektivisti-

2.1 Die Gebrauchstheorie der Bedeutung: Ludwig Wittgenstein

schen Bedeutungstheorie ist die Bedeutung meiner sprachlichen Schmerzäußerung („Ich habe Zahnschmerzen“) meine Empfindung, also mein Zahnschmerz. Da jedoch nur ich diese Empfindung habe, bleibt es im Rahmen dieses Modells unverständlich, wie andere Personen die Bedeutung meiner Äußerung verstehen können, denn sie haben meinen Zahnschmerz nicht. Hier scheint die naheliegende Entgegnung zu sein, dass sie doch ähnliche Schmerzen erlebt haben und kennen. Doch dies wirft das Problem auf, dass ich nur Empfindungsausdrücke von Empfindungen verstehen könnte, die ich selbst erfahren habe. Selbst wenn man diese Folgerung als unproblematisch ansieht, so ist doch das dahinter stehende Modell der Privatsprache problematisch: Eine Privatsprache ist eine Sprache, die Ausdrücke enthält, deren Bedeutung ich dadurch festlege, dass ich sie in Gedanken als Ausdrücke für eine bestimmte Empfindung einführe. Dass eine solche Privatsprache unmöglich ist, versucht Wittgenstein durch sein Käferbeispiel zu belegen: Angenommen jeder hätte eine Schachtel und darin wäre etwas, das wir „Käfer“ nennen. Es könne jedoch niemand in die Schachtel des anderen schauen und jeder wisse nur vom Anblick seines Käfers, was ein Käfer ist. Der Ausdruck kann in einer solchen Sprachgemeinschaft eine klare Verwendungsweise haben, selbst wenn jeder einen anderen Käfer in seiner Schachtel hat, ja sogar wenn die Schachteln alle leer wären. „Da könnte es ja sein, daß Jeder ein anderes Ding in seiner Schachtel hätte. Ja, man könnte sich vorstellen, daß sich ein solches Ding fortwährend veränderte. […] Das Ding in der Schachtel gehört überhaupt nicht zum Sprachspiel; auch nicht einmal als ein Etwas: denn die Schachtel könnte auch leer sein.“ [2–27: § 293] Diese Überlegung zeigt, dass die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks, mit dem wir über eine Empfindung sprechen, nicht dadurch festgelegt wird, dass wir die Empfindung haben und in einem bestimmten Augenblick für die Empfindung diesen Ausdruck einführen, sondern dadurch, dass sich eine Verwendungsweise des Ausdrucks, eine Praxis in einer Sprachgemeinschaft etabliert. Wittgensteins Argumentation zur Unmöglichkeit einer Privatsprache lässt sich grob wie folgt rekonstruieren: (1) Die Bedeutung von Ausdrücken wird durch Gepflogenheiten konstituiert. (2) Gepflogenheiten können nur in einer Gruppe von Personen etabliert werden. (3) Also kann eine Person allein Ausdrücken keine Bedeutung verleihen. Da Ausdrücke für Empfindungen in allen Bedeutungstheorien eine besondere Schwierigkeit mit sich bringen, werden sie zur Diskussion des Arguments zurückgestellt. Wenn wir an Robinson Crusoe denken, so sind gute Beispiele die Ausdrücke „Ananas“, „Zitronen“ etc. Angenommen also, Robinson sieht auf der Insel erstmals Ananas und Zitronen, er besitzt eine normale Sehfähigkeit sowie normale Gedächtnisfähigkeiten und hat bisher noch keine sprachlichen Ausdrücke für diese Früchte kennengelernt. Die kritische Gegenthese gegen Wittgenstein lautet: Robinson kann, obwohl er ganz alleine ist, nicht nur eine Gepflogenheit, sondern zufällig sogar dieselbe Gepflogenheit, die in unserer Sprachgemeinschaft etabliert ist, ausbil-

Bedeutung und Sprachgemeinschaft

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2. Philosophie der normalen Sprache

Regelfolgen und Abweichungen

den. Dies soll nun verdeutlicht werden. Die Prämisse (1) des Arguments ist die Formulierung der konventionalistischen Bedeutungstheorie, die bereits kurz kritisch betrachtet wurde und hier jetzt um des Argumentes willen akzeptiert wird, damit wir uns auf eine Kritik an Prämisse (2) konzentrieren können. Wie ist es möglich, alleine eine Gepflogenheit zu entwickeln? Eine Voraussetzung dafür ist, dass Robinson in einer Welt mit Regularitäten lebt. Das ist jedoch erfüllt. Jeden Morgen geht die Sonne auf, Ananas und Zitronen befinden sich immer an gleichartigen Bäumen bzw. Sträuchern, sie haben einen gleichförmigen Reifungsprozess usw. Da Robinson schon gelernt hat, Äpfel und Birnen zu unterscheiden, verfügt er in einer solchen Welt über das Vermögen, Zitronen und Ananas aufgrund ihrer Eigenschaften (Formen, Farben, Härte der äußeren Schale, Geschmack des Fruchtfleisches etc.) von vielen anderen Früchten klar zu unterscheiden. Es spricht alles dafür, dass Robinson auf der Basis von Objekt-Merkmals-Unterscheidungen kognitive Kategorien von Ananas und Zitronen neben den ihm bereits bekannten Kategorien von Äpfeln und Birnen aufbaut. Wenn er diese Kategorien kognitiv stabil aufbaut, dann ist auch kein Grund erkennbar, warum er dafür nicht einen sprachlichen Ausdruck einführen können soll. Ein auf Wittgenstein zurückgehender Einwand lautet: Robinson kann deswegen keine Gepflogenheit etablieren, weil er nicht bemerken würde, wenn er von einer Regel abweichen würde. Einer Regel zu folgen wäre dann dasselbe wie einer Regel zu folgen glauben [2–27: § 202]. Dieser Einwand ist jedoch nicht tragfähig, denn er stellt letztlich eine radikale Form von Skepsis dar, die auf die Möglichkeit verweist, dass Robinsons Gedächtnis nicht gut funktioniert und er deshalb am Dienstag eine andere Kategorie bildet als am Montag. Solch eine Skepsis würde jedoch auch in einer Sprachgemeinschaft das Etablieren von Gepflogenheiten verhindern, nämlich dann, wenn man annimmt, dass alle Mitglieder der Sprachgemeinschaft ein schlechtes Gedächtnis haben und somit am Dienstag jeder eine andere Regel im Umgang mit dem Wort „Ananas“ für richtig halten würde, während am Montag noch ein einheitlicher Gebrauch vorgeherrscht hatte. Es handelt sich bei dem Einwand also um eine Form von Skepsis, die allein in der Erkenntnistheorie methodisch ihren Platz hat (vgl. [2–13] und [2–19]) und hier unangebracht ist, weil sie auch gegen Wittgenstein selbst zu richten wäre. Ein weiterer Einwand könnte besagen, dass Robinson nur deshalb die Kategorien von Ananas und Zitrone bilden kann, weil er schon in der Sozialgemeinschaft ähnliche Kategorien erlernt hat und somit doch die Sozialgemeinschaft ausschlaggebend wäre. Obwohl der einzelne Mensch für sein Überleben und seine Entwicklung in ausgeprägtem Maße von der Sozialgemeinschaft abhängig ist, so gibt es bisher aus der Entwicklungspsychologie keine Hinweise dafür, dass die kognitiven Fähigkeiten, die für die Objektkategorisierung wesentlich sind, in wesentlicher Weise die Eingebundenheit in eine Sozialgemeinschaft voraussetzen. Vielmehr gibt es empirische Belege dafür, dass wir diese Fähigkeit in einfachen Formen bereits bei Tieren finden (vgl. [2–20]) und Studien von Tomasello [2–20a] legen nahe, dass Menschen sich von den Tieren gerade dadurch absetzen, dass Kleinkinder mit 2–3 Jahren – über die Objektkategorisierung hinausgehend – normative Erwartungen und kooperatives Verhalten ausbilden, während Affen dies bei ansonsten vergleichbarer kognitiver Kompetenz nicht tun. Wir können also auch

2.1 Die Gebrauchstheorie der Bedeutung: Ludwig Wittgenstein

als Einzelperson Gepflogenheiten im Umgang mit der nichtmenschlichen Umwelt entwickeln, wenn diese nur hinreichend Regularitäten enthält und die kognitiven Fähigkeiten vorhanden sind, entsprechende Objektkategorisierungen vorzunehmen. Selbst wenn also die Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken durch Gepflogenheiten konstituiert wird, so bleibt hier die entscheidende Beobachtung, dass man auch alleine Gepflogenheiten aufbauen kann und die systematische Frage, was wesentlich ist, um bedeutungskonstitutive Gepflogenheiten aufzubauen.

e) Saul A. Kripke: Bedeutung und Tatsachen Saul A. Kripke (*1941) diskutiert zu dieser Frage ein zentrales Beispiel aus Wittgensteins „Philosophischen Untersuchungen“, nämlich das Beispiel einer typischen Schülersituation. Der Lehrer fordert den Schüler auf, folgendes zu tun: „Schreibe die Zahlenreihe auf, bei der, von Null beginnend, immer 2 addiert wird!“

Bestimmung einer Regel

Antwortverhalten des Schülers A: „0, 2, 4, 6, 8, …, 1010, 1012 …“ Antwortverhalten des Schülers B: „0, 2, 4, 6, 8“ … bis 1000, dann „1004, 1008, 1012 …, 2020, 2024 …“ Antwortverhalten des Schülers C: „0, 2, 4, 6, 8“ … bis 1000, dann „1004, 1008, 1012, 1016 …“ bis 2000, dann „2006, 2012, 2018, 2024 …“ bis 3000 … Intuitiv sind wir der Meinung, dass nur Schüler A angemessen antwortet und dass die anderen Verhaltensweisen unangemessen sind. Doch auch die anderen Verhaltensweisen sind sehr regelmäßig. Schüler B sagt auf Nachfrage nämlich verwundert: „Ich dachte immer ,2-addieren‘ heißt „bis 1000 immer 2 dazu tun, und ab 1000 immer 4 dazu tun“; Schüler C sagt Entsprechendes. Bezüglich des Regelfolgens können wir zwei Kernfragen unterscheiden: (1) Das Infinitätsproblem: Wie können endlich viele Beispiele die Anwendung für unendlich viele neue Fälle festlegen? (2) Das Normativitätsproblem: Durch welche Fakten wird festgelegt, welches das korrekte Antwortverhalten des Schülers ist? In diesem Abschnitt möchten wir uns zunächst auf die zweite Frage konzentrieren und dabei Kripkes Grundgedanken in seinem Buch Wittgenstein über Regeln und Privatsprache [2–12] nachzeichnen. Zunächst diskutiert er den Vorschlag, dass die entscheidende Tatsache, die das Antwortverhalten von Schüler A richtig macht, das „Meinen“ des Lehrers ist. D. h. Schüler A macht es richtig, weil der Lehrer es so gemeint hat, wobei das Meinen in einem geistigen Akt besteht, der das Aussprechen der Aufforderung begleitet. Selbst das Meinen des Lehrers als geistiger Akt kann jedoch nicht die unendlich vielen Fälle festlegen, für die offensichtlich die Regel „addiere-2“ dies tut (was auch immer „2-addieren“ bedeutet). Denn dann hätte man schon alle diese Fälle vorausdenken müssen. Man hätte durch den inneren geistigen Akt alle anderen möglichen systematischen Fortsetzungen der Reihe ausschließen müssen, was jedenfalls durch einen geistigen Akt zu einem Zeitpunkt nicht möglich ist. Daher liegt es nahe, als den zweiten Kandidaten für die Festlegung des korrekten Antwortverhaltens die Disposition

Regeln und Sprecherabsicht

Regeln und Dispositionen

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2. Philosophie der normalen Sprache

Regeln und soziale Tatsachen

des Sprechers zu erwägen: Kann meine Disposition, auf bestimmte Fragen bestimmte Antworten zu geben, festlegen, was ich meine? Nein, denn die Aufforderung „addiere-2“ hat, so meinen wir, eine Bedeutung, die nur mit dem Antwortverhalten von Schüler A zusammenpasst. Schüler B hat aber offensichtlich eine individuelle Disposition zu seinem exzentrischen Antwortverhalten. Damit wird deutlich, dass individuelle Dispositionen nicht hinreichend für Bedeutungskonstitution bzw. für Regelfolgen sind. Dies legt es nahe, als dritten Kandidaten die kollektiven Dispositionen, also die gesellschaftliche Praxis, als entscheidend anzunehmen. Genau dies ist Wittgensteins These, wie wir es bereits herausgearbeitet haben. Kripke stellt aber auch diese These in Frage, indem er annimmt, dass wir überhaupt nicht in der Lage sind, die Leitfrage, welche Tatsachen die korrekte Befolgung einer Regel für alle künftigen Fälle festlegen, zu beantworten, weil es keine relevanten Tatsachen gibt. Die Hintergrundannahme, dass es solch eine Tatsache gebe, ist allen direkten Lösungsversuchen gemeinsam. Kripke dagegen macht eine skeptische Ansicht stark (wenn er sie auch selbst intuitiv als „irrsinnig bzw. abwegig“ einstuft [2–12: 8, vgl. auch 21 f.]): Es gibt keine Tatsachen, die das korrekte Antwortverhalten bzw. die Bedeutung eines Ausdrucks für alle künftigen Fälle festlegen. Auch soziale Tatsachen, Gepflogenheiten, können dies nicht leisten. Es gibt keine rationalen und normativen Kriterien für den zukünftigen Gebrauch eines Begriffs. Wir können jederzeit durch eine neue Praxis für neue Situationen eine Verwendung etablieren und damit für neue Situationen festlegen, was es heißt, einer Regel zu folgen. Hierzu ist in der neueren Literatur (vgl. [2–4]) eine pragmatische Lösung vorgeschlagen worden. Das Haben von Überzeugungen mit einer festgelegten Bedeutung besteht darin, an sozialen Praktiken teilzuhaben, sich wechselseitig Überzeugungen mit bestimmten Bedeutungen zuzuschreiben. Damit liegt einerseits keine direkte Lösung vor, denn das würde voraussetzen, dass es Tatsachen gibt, die festlegen, wie eine Zuschreibung einer Überzeugung mit einer festgelegten Bedeutung zu erfolgen hat. Hier wird jedoch lediglich eine Zuschreibungspraxis vorausgesetzt, die sich weiter entwickeln kann. Andererseits liefert diese Zuschreibungspraxis doch Fakten für eine Lösung des Problems. Und diese Fakten schränken den Bedeutungsspielraum der verwendeten Ausdrücke ein.

2.2 Sprechakttheorie – Bedeutung und Handlung: John Austin Eine erste wegweisende Systematisierung der vielfältigen Verwendungsweisen von Sprache hat John L. Austin (1911–1960) mit seiner Theorie der Sprechakte vorgelegt. Der Entwicklungsgang seines Denkens ist dabei in den berühmten Vorlesungen „Zur Theorie der Sprechakte“ (1955) [2–1] sehr deutlich aufgezeigt. Wir beschränken uns jedoch hier darauf, zentrale Beispiele, Kernüberlegungen sowie diejenigen Unterscheidungen hervorzuheben, die sich als beständig erwiesen haben. Austin beginnt seine Vorlesungen mit vielen Alltagsbeispielen, die deutlich machen, dass wir mit sprachlichen Äußerungen manchmal zugleich eine Handlung vollziehen:

2.2 Sprechakttheorie – Bedeutung und Handlung: John Austin * *

*

„Ja“ als Äußerung bei einer standesamtlichen Trauung. „Ich taufe dieses Schiff auf den Namen ,Queen Elizabeth‘“ als Äußerung beim Wurf der Flasche gegen den Schiffsrumpf. „Ich vermache meine Uhr meinem Bruder“ als Teil eines Testaments.

Austin bezeichnet solche Äußerungen als „performative Äußerungen“ mit den Merkmalen, dass sie nichts beschreiben und weder wahr noch falsch sind. Wesentlich ist folgendes: Indem wir etwas sagen, tun wir etwas, das wir gewöhnlich nicht nur als „etwas sagen“ bezeichnen würden. Austin beobachtet, dass es viele Alltagsäußerungen gibt, die wie Feststellungen aussehen, aber trotzdem keine Feststellungen, sondern performative Äußerungen sind. Manche sind sogar explizit performativ; das ist dann der Fall, wenn das Verb zugleich explizit angibt, welcher Sprechakt vorliegt, z. B. „Ich eröffne die Sitzung“. Mit Blick auf das Ergebnis seiner Vorlesungen erweisen sich Feststellungen aber auch als Sprechakte, nur dass sie eben die Besonderheit haben, dass sie wahr oder falsch sind. Diese Überlegungen führen ihn zu einer allgemeinen These über einen Grundfehler der Philosophie, den er als den „deskriptiven Fehlschluss“ bezeichnet: Viele traditionelle philosophische Schwierigkeiten sind aus dem Fehler entstanden, dass man Äußerungen, die etwas ganz anderes als Behauptungen darstellen sollen, einfach als Behauptungen über Tatsachen aufgefasst hat. Als Beispiele gelten dazu Sätze der Ethik oder Ästhetik: „Maria beim Umzug zu helfen, ist gut“ wird demgemäß fälschlich als Feststellung aufgefasst; in Wirklichkeit wird damit eine Aufforderung ausgesprochen, nämlich die Aufforderung, Maria zu helfen. Ähnliches gilt für den Satz „Dieses Bild von Mondrian ist schön“. Damit wird die Empfehlung ausgedrückt, diesem Bild wertschätzendes Verhalten entgegen zu bringen, z. B. indem man dafür sorgt, dass es in einem Museum ausgestellt wird. Welchen Status ethische und ästhetische Sätze letztlich haben, ist bis heute in der Forschung umstritten [14–3], aber die Sprachphilosophie hat hier den Anstoß für eine neue diesbezügliche Disziplin gegeben, nämlich die Metaethik (siehe Kapitel 12 und, ausführlicher, [14–2]). Austin analysiert Sprechakte hinsichtlich ihrer typischen Voraussetzungen. Dafür, dass wir etwas tun, indem wir etwas sagen, ist es wesentlich, dass eine Reihe von passenden Umständen vorliegt. Sind diese nicht gegeben, dann „verunglückt“ der Sprechakt. Er kommt entweder nicht zustande oder wird missbraucht. Austin unterscheidet Kategorien von Unglücksfällen, nämlich (1) Fehlberufungen auf ein konventionales Verfahren, (2) Fehlanwendungen und (3) Missbräuche. Fehlberufungen liegen zum Beispiel vor, wenn sich ein Westeuropäer scheiden lassen möchte, indem er einfach sagt „Ich bin jetzt von Dir geschieden“. Es gibt kein konventionales Verfahren, mit dem man sich auf diese Weise scheiden lassen kann. Eine Fehlanwendung dagegen liegt vor, wenn man eine Trauungszeremonie durchspielt, ohne dass ein Standesbeamter anwesend ist. Dann gibt es zwar ein konventionales Verfahren, aber es kommt nicht zu einer Trauung, weil die Zeremonie nicht korrekt (nämlich ohne einen Standesbeamten) und vollständig durchgeführt wurde. Schließlich sind Missbräuche dann gegeben, wenn die Handlung zustande kommt, aber unehrlich ist, z. B. beim Heiratsschwindler, aber auch bei einem unehrlichen Versprechen.

Performative Äußerungen

Deskriptiver Fehlschluss

Das Verunglücken von Sprechakten

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2. Philosophie der normalen Sprache Lokutionärer, illokutionärer und perlokutionärer Akt

In seiner abschließenden systematischen Theorie der Sprechakte unterscheidet Austin in Bezug auf die Frage, was man mit einer Äußerung tut, drei Aspekte: Eine Äußerung ist ein „lokutionärer Akt“ insofern, als man mit ihr einen Satz einer bestimmten Sprache äußert, damit zugleich einen Satzinhalt zum Ausdruck bringt. Den Satzinhalt können wir gewöhnlich durch einen dass-Satz angeben und nennen diesen auch den „propositionalen Gehalt“ des Satzes. Dieselbe Äußerung ist ein „illokutionärer Akt“ insofern, als man mit ihr eine konventional festgelegte Handlung vollzieht, indem man etwas sagt, z. B. eine Behauptung aufstellt, ein Versprechen gibt, eine Warnung ausspricht, jemanden um etwas bittet oder zu etwas auffordert. Dieselbe Äußerung ist schließlich ein „perlokutionärer Akt“ insofern, als man durch sie beim Adressaten gewisse Wirkungen auf den Sprecher erzielt, z. B. dass der Angesprochene sich erschreckt, beunruhigt, vor Scham errötet, sich ängstigt, eine Handlung in Angriff nimmt. Bei einer Äußerung des Satzes „der Hund ist bissig“ besteht der lokutionäre Akt z. B. darin, dass der Sprecher in der deutschen Sprache über Nachbars Hund sagt, dass dieser zum Beißen neigt; der illokutionäre Akt kann unter geeigneten Umständen darin bestehen, dass der Sprecher den Adressaten vor Nachbars Hund warnt; der perlokutionäre Akt kann darin bestehen, dass der Sprecher mit der Äußerung den Adressaten davon zurückhält, sich dem Hund zu nähern. Austin war der Meinung, dass der illokutionäre Aspekt der interessanteste ist. Er hatte bereits bemerkt, dass Äußerungen ihre „illokutionären Rollen“ den in der jeweiligen Sprachgruppe befolgten Konventionen verdanken, und in der weiteren Entwicklung ist diese These dahingehend verschärft worden, dass die illokutionäre Rolle einer Äußerung durch diejenigen Konventionen festgelegt wird, die in der Sprachgruppe für den Umgang mit der Äußerung gelten. Da die Bedeutung einer Äußerung sich in der Regel durch die Angabe ihrer illokutionären Rolle und eines Sachverhaltes spezifizieren lässt (der Sprecher warnt den Adressaten davor, sich dem Hund zu nähern; der Sprecher sagt voraus, dass das Wetter sich bessern wird; der Sprecher verspricht dem Adressaten, dass er ihm im Garten helfen wird), hat Austin hier erstmals einen Ansatz entwickelt, der die Semantik der Wahrheitsbedingungen, die nur den propositionalen Gehalt eines Satzes angeben kann, und die Gebrauchstheorie der Bedeutung, die nur auf die Verwendungsweise achtet, miteinander verbindet.

2.3 Semantik und Pragmatik – Maximen rationaler Verständigung und die Theorie der Implikatur: Herbert Paul Grice a) Maximen der rationalen Verständigung In der Sprachtheorie hat sich in den dreißiger Jahren des 20. Jh. bereits die grundlegende Unterscheidung von Syntax, Semantik und Pragmatik herausgebildet. Dabei umfasst die Syntax nur die Zeichenverbindungsregeln, die festlegen, welche Zeichenverbindungen erlaubt bzw. verboten sind. Die Semantik ist zuständig für die Verbindung von Zeichen und Welt, genauer für

2.3 Maximen rationaler Verständigung und die Theorie der Implikatur: Herbert Paul Grice

die Festlegung des wörtlichen Inhalts eines Satzes. Schließlich meint man mit Pragmatik die Beziehung von Zeichen und Sprecherabsicht (bzw. Hörerinterpretation). Damit soll erfasst werden, was der Sprecher mit der Äußerung meint. Austins lokutionärer Aspekt entspricht dem semantischen Gehalt eines Satzes und die illokutionäre Rolle erfasst die Pragmatik, die Sprecherabsicht. Wir wollen nun die Theorie von Grice vor dem Hintergrund dieser Unterscheidungen entfalten. Herbert Paul Grice (1913–1988) hat eine ausgefeilte Theorie der rationalen Verständigung entwickelt, die von dem Prinzip ausgeht, dass der Sprecher einer Äußerung kommunikative Absichten hat, die der Hörer aufgrund der Äußerung erkennen kann [2–6]. Der Sprecher kann beispielsweise mittels einer sprachlichen Äußerung den Hörer in die Lage versetzen, die Überzeugung, dass p, zu erfassen, die der Sprecher ihm mitteilen möchte. Um erfolgreich zu kommunizieren, d. h. in diesem Fall, um zu erreichen, dass der Hörer genau die Überzeugung erfasst, die der Sprecher ihm mitteilen möchte, muss der Sprecher sich an eine Reihe von Gesprächsprinzipien halten. Das Grundprinzip ist das Kooperationsprinzip: Es verlangt von kooperativen Gesprächspartnern, so zu reden, wie es angesichts des Gesprächsverlaufs und des Gesprächszwecks angemessen ist. Dieses allgemeine Prinzip wird durch eine Vielfalt von Konversationsmaximen erläutert. Grice hat die Maximen analog zu Kants Kategorien in vier Gruppen aufgeteilt, die er wie Kant in der „Kritik der reinen Vernunft“ (B95, B106) mit den Begriffen Quantität, Qualität, Relation und Modalität bezeichnet.

Kooperationsprinzip

Konversationsmaximen Quantität

Versuche deinen Beitrag informativ adäquat zu machen! a) Mache deinen Beitrag so informativ wie nötig! b) Mache deinen Beitrag nicht informativer als nötig!

Qualität

Versuche deinen Beitrag so zu machen, dass er wahr ist! a) Sage nichts, was du für falsch hältst! b) Sage nichts, wofür dir angemessene Gründe fehlen!

Relation

Sei relevant!

Modalität

Sei klar! a) Vermeide Dunkelheit des Ausdrucks! b) Vermeide Mehrdeutigkeit! c) Vermeide unnötige Weitschweifigkeit! d) Halte die Reihenfolge (der Ereignisse beim Bericht) ein!

Die Maxime der Quantität zielt darauf ab, dass man seinen Beitrag zu einem Gespräch bezüglich des Informationsgehalts angemessen wählt, weder zu informativ noch zu informationsarm. Die Maxime der Qualität fordert, den Gesprächsbeitrag so zu wählen, dass er wahr ist, wobei man insbesondere nichts sagen soll, was man für falsch hält oder für das man keine angemessenen Gründe hat. Hier ist für nicht wahrheitswertfähige Äußerungen eine entsprechende Erweiterung erforderlich. Die Maxime der Qualität besagt in erweiterter Form, dass man einen Sprechakt nur dann vollziehen soll, wenn man glaubt, dass die Bedingungen für eine erfolgreiche Durchführung des Sprech-

Maximen der rationalen Verständigung

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2. Philosophie der normalen Sprache

akts erfüllt sind. Die Maxime der Relation besteht in der Aufforderung, relevant zu sein; d. h. man sollte seinen Gesprächsbeitrag so wählen, dass erkennbar ist, in welche Richtung das Gespräch sich weiterentwickelt und was genau der Beitrag zu dieser Gesprächsentwicklung ist. Schließlich verlangt die Maxime der Modalität Klarheit. Sie soll insbesondere erreicht werden, indem man Dunkelheit des Ausdrucks, Mehrdeutigkeiten, unnötige Weitschweifigkeit und ungewöhnliche Anordnungen bei der Wahl der Erzählreihenfolge vermeidet. Mit Blick auf alle Typen von Äußerungen soll die Forderung der Klarheit sicherstellen, dass der Sprechakt, den man vollziehen will, sowie der damit beabsichtigte Beitrag zum Gespräch eindeutig erkennbar sind. Welche Rolle diese Maximen spielen, wird bei der Theorie der Implikatur deutlich.

b) Die Theorie der Implikatur Das folgende Beispiel dient als Einstieg für die Charakterisierung von Implikaturen: Am Eingang des Supermarktes XY befindet sich eine sehr auffällige Werbetafel für preiswerte Schokolade. Als sie den Supermarkt betreten und vor der Werbetafel stehen, sagt die kleine Anna zu ihrem Vater: „Hier gibt es billige Schokolade.“ Mit dieser Äußerung bittet Anna ihren Vater, ihr eine Tafel Schokolade zu kaufen. Unser Verständnis von Annas Äußerung können wir nur adäquat beschreiben, wenn wir zumindest dreierlei unterscheiden: (1) die Satzbedeutung (unabhängig vom Äußerungskontext) (2) den semantischen Gehalt des Satzes (= das wörtlich Gesagte) (3) die Äußerungsbedeutung (= das Gemeinte) Satzbedeutung

Äußerungsbedeutung

Die Satzbedeutung kann im obigen Beispielfall durch den Satz „An dem Ort der Äußerung gibt es preiswerte Schokolade“ charakterisiert werden. Dabei werden keine Kontextinformationen berücksichtigt. Der semantische Gehalt des Satzes ist das mit einer Äußerung wörtlich Gesagte. Er kann im obigen Fall durch einen dass-Satz angegeben werden, in dem die Kontextinformation in Bezug auf den kontextabhängigen Ausdruck „hier“ berücksichtigt wird: „Im Supermarkt XY gibt es preiswerte Schokolade.“ Schließlich unterscheiden wir noch die Äußerungsbedeutung. Dabei werden diejenigen Kontextinformationen sowie zusätzliches Hintergrundwissen berücksichtigt, die dazu nötig sind, damit der Hörer das vom Sprecher (mit der Äußerung) Gemeinte erfassen kann. Anna meint mit ihrer Äußerung, dass ihr Vater für sie eine Tafel Schokolade kaufen möge. Dieses Beispiel zeigt, dass Satzbedeutung und semantischer Gehalt einerseits, sowie semantischer Gehalt und Äußerungsbedeutung andererseits auseinander fallen können. Betrachten wir zunächst den Zusammenhang von Satzbedeutung und semantischem Gehalt: Allgemein können wir sagen, dass der semantische Gehalt sich ergibt, wenn neben der Satzbedeutung zusätzlich noch Kontextinformationen berücksichtigt werden. Der Zusammenhang zwischen Satzbedeutung und semantischem Gehalt kann somit durch eine Theorie der Kontextabhängigkeit einer Äußerung beschrieben werden. Dazu gehört unter anderem eine Theorie der Referenzfestlegung, die beschreibt, wie das, worüber man mit Hilfe eines kontextabhängigen Ausdrucks redet, festgelegt wird. Außerdem benötigt man eine Theorie der Disambiguierung, die für

2.3 Maximen rationaler Verständigung und die Theorie der Implikatur: Herbert Paul Grice

mehrdeutige Ausdrücke (wie z. B. „Bank“) eine Lesart (z. B. „Geldinstitut“) als die relevante auszeichnet. Der zweite Zusammenhang ist der zwischen dem semantischen Gehalt und der Äußerungsbedeutung. Der semantische Gehalt eines Satzes und die Äußerungsbedeutung können auseinander fallen, nämlich dann, wenn der Sprecher offensichtlich mehr bzw. etwas anderes meint, als er aufgrund der wörtlichen Bedeutung der Äußerung sagt. In unserem Beispiel sagt Anna, dass es im Supermarkt XY preiswerte Schokolade gibt. Was sie darüber hinaus meint, ist die Bitte an ihren Vater, er möge ihr eine Tafel Schokolade kaufen. Der Unterschied zwischen dem wörtlich Gesagten und dem darüber hinaus Gemeinten lässt sich in diesem Fall besonders deutlich machen, wenn wir eine sprechakttheoretische Darstellung wählen, d. h. es wird jeweils die Art der Sprachhandlung, die so genannte illokutionäre Rolle, und deren Inhalt, der propositionale Gehalt, angegeben. Das wörtlich Gesagte lässt sich durch das Paar darstellen. Das darüber hinaus Gemeinte dagegen durch das Paar . Diese Darstellung macht deutlich, dass nicht nur der Inhalt (der mit einem dassSatz repräsentierte propositionale Gehalt) von wörtlich Gesagtem und eigentlich Gemeintem verschieden ist, sondern sogar die Art der Sprachhandlung (die illokutionäre Rolle). Die Theorie der Implikatur ist unter anderem eine Antwort auf die naheliegende Frage, wie die Transformation von wörtlich Gesagtem zu darüber hinaus Gemeintem zu erklären ist. Allgemein ist eine Implikatur eine Transformation vom semantischen Gehalt eines Satzes zu seiner Äußerungsbedeutung. Grice unterscheidet viele Arten von Implikaturen, vorrangig aber zwei Hauptgruppen, nämlich konventionale und konversationale Implikaturen. Eine konventionale Implikatur stützt sich allein auf Sprachkonventionen. So wird gemäß Grice z. B. der Kontrast, der per Konvention mit dem Ausdruck „aber“ ausgedrückt wird, mit Hilfe einer konventionalen Implikatur erklärt. Wenn wir die folgenden beiden Sätze betrachten, so sagen sie gemäß Grice dasselbe, wenn auch der Sprecher mit den beiden Sätzen Unterschiedliches meint: (1) „Van Gogh ist ein bedeutender Künstler, und er wurde von seinen Zeitgenossen wenig geschätzt.“ (2) „Van Gogh ist ein bedeutender Künstler, aber er wurde von seinen Zeitgenossen wenig geschätzt.“ Nach Grice haben die beiden Sätze denselben propositionalen Gehalt, da sie dieselben Wahrheitsbedingungen haben: Sie sind genau dann wahr, wenn van Gogh ein bedeutender Künstler ist und er zugleich von seinen Zeitgenossen wenig geschätzt wurde. Der Unterschied, der durch die Verwendung des Junktors „aber“ anstelle von „und“ zum Ausdruck kommt, ist ein Unterschied auf der Ebene der Äußerungsbedeutung. Er kann mit Hilfe einer konventionalen Implikatur erklärt werden. Es gehört per Sprachkonvention zu dem Ausdruck „aber“, dass ein Kontrast ausgedrückt wird. Im obigen Beispiel (2) ist es der Kontrast zwischen der Eigenschaft, ein bedeutender Künstler zu sein, und der Geringschätzung durch die Zeitgenossen. Dieser Kontrast spielt beim propositionalen Gehalt des Satzes keine Rolle.

Das wörtlich Gesagte und das Gemeinte

Konventionale Implikatur

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2. Philosophie der normalen Sprache

Konversationale Implikatur

Bliebe der Unterschied jedoch bei der Interpretation völlig unberücksichtigt, so hätte der Sprecher die Maxime der Quantität verletzt: Sein Beitrag würde den Kontrast als eine Information enthalten, die unnötigerweise aufgenommen worden wäre. Das Verletzen der Maxime der Quantität (auf der Ebene des Gesagten) ist somit der Anlass für die Transformation vom propositionalen Gehalt zu der reicheren Äußerungsbedeutung, bei der der Kontrast erfasst wird. Die Äußerungsbedeutung von (2) kann vollständig erst mit Hilfe einer Implikatur erklärt werden. Die Implikatur ist in diesem Fall konventional, weil der in der Äußerung relevante Kontrast durch eine Sprachkonvention mit dem Ausdruck „aber“ verbunden ist. Annas Äußerung im Supermarkt ist ein Beispiel für eine Äußerung, bei deren Interpretation eine nichtkonventionale Implikatur hineinspielt, und zwar die so genannte konversationale Implikatur. Sie unterscheidet sich von der konventionalen Implikatur dadurch, dass der Aspekt der Äußerungsbedeutung, der nicht Teil des semantischen Gehalts ist, nicht durch Sprachkonventionen für Ausdrücke charakterisiert werden kann. Während es bei konventionalen Implikaturen nur der Sprachbeherrschung bedarf, um sie zu erfassen, sind dazu bei konversationalen Implikaturen Erwägungen aufgrund der Konversationsmaximen nötig (s. S. 43). Wir verstehen Annas Äußerung „Hier gibt es preiswerte Schokolade“ in den geschilderten Umständen als an den Vater gerichtete Bitte, ihr eine Tafel Schokolade zu kaufen. Das wörtlich Gesagte ist die Behauptung, dass es im Supermarkt XY preiswerte Schokolade gibt. Würde dies zugleich als die Äußerungsbedeutung, das Gemeinte, aufgefasst, so würde die Maxime der Quantität bzw. die der Relation verletzt. Die Maxime der Quantität verlangt, dass ein Beitrag nicht informativer als nötig zu machen ist, die der Relation verlangt vom Sprecher, nur Relevantes zu äußern. Da die preiswerte Schokolade mit einem sehr auffälligen Schild angepriesen wird, welches jeder Kunde des Supermarktes bemerkt, wäre Annas Äußerung für ihren Vater informativer als nötig bzw. irrelevant. Was Anna ihm sagt, weiß er schon. Wäre das wörtlich Gesagte zugleich die Äußerungsbedeutung, so wäre die Äußerung unvernünftig. Da wir davon ausgehen können, dass Anna eine vernünftige Sprecherin ist, weist das Verletzen der Gesprächsmaximen darauf hin, dass mit der Äußerung noch mehr gemeint ist als gesagt wird. Die Äußerungsbedeutung ist die Bitte mit dem Inhalt, dass der Vater ihr eine Tafel Schokolade kaufen möge. Einige konversationale Implikaturen können somit genauso wie einige konventionale durch das Verletzen von Gesprächsmaximen auf der Ebene des wörtlich Gesagten charakterisiert werden. Wesentlich ist für konversationale Implikaturen, dass die über das Gesagte hinausgehende Interpretation einer Äußerung nicht auf Sprachkonventionen, sondern auf dem Wissen über etablierte Verhaltensweisen oder andere Kontextfaktoren basiert. In diesem Fall ist es das Hintergrundwissen, dass Kinder gerne Schokolade essen und dass Eltern für ihre kleinen Kinder einkaufen, welches uns hilft, die Äußerungsbedeutung zu erfassen. Eine Implikatur lässt sich somit durch zwei Kriterien näher bestimmen: zum einen durch die Art des Wissens, welches beim Übergang von der wörtlichen Bedeutung zum Gemeinten berücksichtigt wird (Wissen von Sprachkonventionen versus Wissen von Kontextfaktoren), und zum anderen gegebenenfalls durch die Angabe der Gesprächsmaximen, die durch das wörtlich Gesagte

2.4 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

verletzt werden. Gemäß Grice lässt sich die Äußerungsbedeutung als das auffassen, was der Sprecher meint, wenn er eine Sprachhandlung vollzieht. Der Zusammenhang zwischen dem, was der Sprecher meint, dem wörtlich Gesagten und den verschiedenen Arten von Implikaturen kann durch das folgende Schema verdeutlicht werden, in dem jeweils ein Oberbegriff in zwei Unterbegriffe analysiert wird (vgl. [2–17: 524]). Dabei können wir abschließend noch ein Beispiel ergänzen, wie etwas weder konventional noch konversational implikiert wird: Angenommen Johannes hat die Aufgabe, die Blumen für eine Preisverleihung während der Veranstaltung bereit zu halten. Marta, die die Preisverleihung vornimmt, hat offensichtlich die Blumen vergessen. Johannes kann mit dem Ausruf „Hallo!“ zum Ausdruck bringen, dass er möchte, dass Marta jetzt an die Blumen für die Preisverleihung denkt, indem er in Verbindung mit dem Ausruf mit den Blumen winkt. Das, was zum Ausdruck gebracht wird, ist in diesem Fall so stark von nicht konversationalen Maximen, nämlich Maximen der Höflichkeit gegenüber Preisträgern, abhängig, dass es weder konventional noch konversational implikiert wird; für solche Fälle ist es ausschlaggebend, dass andere Maximen als die oben genannten Konversationsmaximen einbezogen werden, z. B. Maximen der Moral, der Religion, der Höflichkeit etc.

2.4 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen Zusammenfassung Die Philosophie der normalen Sprache hat die Kernthese, dass die Bedeutung eines Ausdrucks die Art und Weise ist, wie er gebraucht wird. Um diese These zu fundieren, finden sich in Wittgensteins „Philosophischen Untersuchungen“ mehrere zentrale Überlegungen: Dazu gehören vor allem (1) seine Ausführungen zum Regelfolgen, die zeigen sollen, dass Regelfolgen letztlich auf den Gepflogenheiten einer sozialen Gemeinschaft gründet, und (2) seine Privatsprachenargumentation, die darlegen soll, dass eine private Sprache unmöglich ist. Eine systematische Theorie der vielfältigen Funktionen natürlicher Sprache hat im Anschluss an Wittgenstein dann Austin vorgelegt: In seiner Sprechakttheorie unterscheidet er für jeden Sprechakt die illokutionäre Rolle (die Art des Sprechakts, z. B. Bitte, Befehl, Frage, …) und den pro-

Weitere Implikaturen

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3. Sprache und Wahrheit positionalen Gehalt (das ist der Inhalt, den man mit einem dass-Satz angeben kann). Paul Grice hat zu einer Symbiose der Philosophie der normalen mit der der idealen Sprache beigetragen. Zunächst einmal hat er Maximen einer rationalen Verständigung ausgearbeitet, die die vielfältigen Verwendungsweisen der Sprache in den Blick nehmen. Darauf aufbauend entwickelt er die wichtige Unterscheidung von Semantik und Pragmatik weiter: Die Semantik ist die Theorie der wörtlichen Bedeutung einer Äußerung und die Pragmatik die Theorie des mit einer Äußerung Gemeinten. Die Theorie der wörtlichen Bedeutung liefert die Brücke zur Wahrheitsbedingungen-Semantik der idealen Sprache, während die Pragmatik die Gebrauchsweisen in den Vordergrund stellt. Die Verbindung zwischen beiden Dimensionen der Sprache beschreibt Grice mit seiner Theorie der Implikatur.

Lektürehinweise – Zu Wittgenstein: [1–14], [2–24] sowie die Einleitung aus [2–22]. – Zur Sprechakttheorie empfiehlt es sich, direkt mit Austin [2–1] einzusteigen. – Zu Grice [2–15] und [2–26].

Fragen und Übungen 1. Was versteht Wittgenstein unter „Sprachspiel“? 2. Worin besteht gemäß Wittgenstein das Problem des Regelfolgens und wie kann es seiner Meinung nach gelöst werden? 3. Warum ist gemäß Wittgenstein eine Privatsprache unmöglich? 4. Wie müssen wir in diesem Zusammenhang die Geschichte von Robinson Crusoe bewerten? Welche kritischen Einwände sind angebracht? 5. Erläutern Sie an Beispielen die Grundbegriffe der Sprechakttheorie: illokutionäre Rolle und propositionaler Gehalt! 6. Nennen Sie ein Beispiel für eine explizit performative Äußerung. 7. Erläutern Sie an zwei neuen Beispielen die Grundidee der Implikatur! Es wäre gut, ein Beispiel für eine konventionale und eines für eine konversationale Implikatur aufzuzeigen.

3. Sprache und Wahrheit Eine Semantik der Wahrheitsbedingungen versucht den engen Zusammenhang zwischen Wahrheit und Bedeutung auszunutzen: Die Wahrheitsbedingungen eines Satzes anzugeben ist eine Weise, in der die Bedeutung des Satzes angegeben werden kann. Wir lernen zuerst Alfred Tarskis (1901–1983) Wahrheitstheorie kennen und beschreiben dann, wie sie von Donald Davidson (1917–2003) in eine Bedeutungstheorie umgebaut wird.

3.1 Wahrheitstheorie und Konvention T: Alfred Tarski Die Wahrheit und was mit dem Begriff der Wahrheit überhaupt gemeint ist, scheint hoch komplex und nur schwer fassbar zu sein. Im 20. Jahrhundert kam daher die Idee auf, das Problem etwas zurechtzustutzen und statt nach der Wahrheit selbst, nach etwas Bescheidenerem zu fragen: Wie wird das Prädikat „… ist wahr“ in einer bestimmten Sprache korrekt angewendet? Auf diese Idee, die auch gerne unter deflationäre Wahrheitstheorien eingeordnet

3.1 Wahrheitstheorie und Konvention T: Alfred Tarski

wird, weil sie das Ausgangsproblem deutlich schrumpfen lässt, kam der Logiker Alfred Tarski in seinem berühmten Aufsatz „Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen“ [3–38]. In diesem Kapitel wollen wir Tarski über die Schulter gucken.

a) Der Zusammenhang zwischen Wahrheit und Bedeutung sowie Adäquatheitsbedingungen für Wahrheitstheorien Drei Vorbemerkungen sind nötig: (1) Warum findet sich ein Kapitel über Wahrheit in einem Buch zur Sprachphilosophie? Ganz einfach und unakademisch ausgerückt, deshalb: Mit Sprache sprechen wir (auch) darüber, was in der Welt passiert oder was der Fall ist. Jede Nachrichtensendung beispielsweise beansprucht, dies zu tun. Wann jedoch ein Satz der Nachrichtensendung wahr ist, das hängt nicht nur davon ab, was wirklich geschehen ist, sondern auch davon, was der Satz bzw. die Worte, die in ihm vorkommen, bedeuten. Diese Vorahnung, die wir vom Zusammenhang zwischen Sprache, Bedeutung und Wahrheit haben, wollen wir in diesem Kapitel sukzessive zu einer ganzen Bedeutungstheorie ausbauen (siehe Kapitel 3.2). (2) Daher kümmert uns das Prädikat „… ist wahr“ hier auch nicht in Verwendungsweisen, die nichts mit sprachlicher Bedeutung zu tun haben; so z. B. vernachlässigen wir Gelegenheiten, in denen wir über wahre Gefühle, ein wahres Kunstwerk oder eine wahre Freundin reden. Interessant sind für uns nur Fälle, in denen sich „… ist wahr“ auf Sätze bezieht, wie z. B. in „Es ist wahr, dass Schnee weiß ist“. (3) Wie der Titel von Tarskis Aufsatz andeutet, ist Tarskis Anliegen der Wahrheitsbegriff in formalisierten Sprachen (der Mathematik oder der Logik) und nicht derjenige der Alltagssprache. Formalisiert ist eine Sprache grob gesagt dann, wenn sowohl das Vokabular, das benutzt werden darf, explizit vorliegt, als auch die Regeln zur Bildung von Ausdrücken und Sätzen offen dargelegt wurden. Tarski erleichtert das die Arbeit, den auf diese Weise stark eingeschränkten Wahrheitsbegriff zu definieren, weil er sich nicht mit Vagheiten der Alltagssprache herumschlagen muss. Es erschwert uns aber die Aufgabe, später auf der Basis seiner Vorarbeit eine Bedeutungstheorie für normale Sprachen zu entwickeln. Bevor er eine Beispieltheorie von „… ist wahr“ für eine bestimmte formalisierte Sprache angibt, fragt sich Tarski, welche Bedingungen wir an eine solche Wahrheitstheorie ganz allgemein stellen sollten. Solche Forderungen nennen wir Adäquatheitsbedingungen. Das Aufschreiben dieser Vorbedingungen ist vergleichbar mit den Gedanken, die sich eine Kfz-Konstrukteurin macht, bevor sie ein Auto entwirft und bauen lässt. Welchen Anforderungen soll ihr Auto überhaupt später entsprechen? Es muss z. B. geländefähig sein, Sprit sparen, schnell aber sicher sein etc. Auf ähnliche Weise fordert Tarski von Wahrheitsdefinitionen zweierlei: Sie müssen formal korrekt und materiell adäquat sein. Auf die formale Korrektheit wollen wir nicht bis ins Detail eingehen. Unter anderem steckt die einsichtige Forderung dahinter, dass eine fertige Wahrheitsdefinition mit Begriffen auskommen soll, deren Bedeutungen bekannt, klar und eindeutig

Adäquatheitsbedingungen für Wahrheitstheorien

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3. Sprache und Wahrheit

sind. Außerdem darf der Wahrheitsbegriff selbst natürlich nicht in der Definition vorkommen, da diese sonst zirkulär wird. Der zweite Adäquatheitstest, die materielle Adäquatheit, ist allerdings ein Kernstück von Tarskis Theorie, und wir müssen uns eingehend mit ihr beschäftigen. Mit materieller Adäquatheit meint Tarski zunächst einmal, dass die genaue Definition des Wahrheitsbegriffs unsere vagen Intuitionen einfangen soll, die wir mit dem vertrauten und altehrwürdigen Begriff der Wahrheit alltäglich verbinden. Beispielsweise sind die meisten Menschen der Ansicht, dass etwas an der Wahrheitsdefinition von Aristoteles dran ist: „Denn zu behaupten, das Seiende sei nicht oder das Nichtseiende sei, ist falsch. Aber zu behaupten, dass das Seiende sei und das Nichtseiende nicht sei, ist wahr.“ [3–2: 1011b26]. Modern und knapp formuliert könnte man sagen: „Die Wahrheit eines Satzes besteht in der Übereinstimmung des Satzes mit der Wirklichkeit“. Anhand des konkreten Beispiels „Schnee ist weiß“ exerziert Tarski Aristoteles’ Intuition durch. Wann sagen wir, dass der Schnee-Satz wahr ist? Offensichtlich tun wir es, wenn Schnee wirklich weiß ist. Und wir sagen, der Satz sei falsch, wenn Schnee nicht weiß ist. Kurz, unsere Intuition fordert eine Aussage, die fast wie eine Plattitüde daher kommt: Der Satz „Schnee ist weiß“ ist wahr genau dann, wenn Schnee weiß ist. Natürlich ist der Schnee-Satz nur ein willkürlicher Beispielsatz. Unsere Intuition verlangt ebenso, dass die Plattitüden „,Gras ist grün‘ ist wahr genau dann, wenn Gras grün ist“, „,In England regnet es oft‘ ist wahr genau dann, wenn es in England oft regnet“, und alle Sätze dieser Struktur richtig sind. Solche Sätze haben allgemein die Form (T): „p“ ist wahr genau dann, wenn p. ( „p“ steht für einen beliebigen Satz) Ein (T)-Satz ist also ein Satz, der für einen anderen Satz die Bedingungen angibt, unter denen dieser wahr ist (auch wenn diese Bedingungen trivial sein mögen). Mithilfe dieser Überlegungen können wir Tarskis Forderung der materiellen Adäquatheit charakterisieren. Der erste Teil, der eine notwendige Bedingung an die Akzeptabilität der Theorie stellt, ist sehr intuitiv: Eine Wahrheitstheorie ist nur dann materiell adäquat (mit anderen Worten: vernünftig oder akzeptabel), wenn sie uns in die Lage versetzt, jedem Satz der natürlichen Sprache einen entsprechenden Satz der Form (T) zuzuordnen. Stellen Sie sich die Wahrheitstheorie als eine Maschine vor, die als Rohmaterial Sätze der Alltagssprache nimmt und als fertiges Produkt (T)-Sätze ausspuckt. Die materielle Adäquatheit sagt: Wenn es einen Satz geben sollte, zu dem es die Maschine nicht vermag, den zugehörigen (T)-Satz zu generieren, dann ist sie defekt oder nicht gut konstruiert. Tarski geht noch einen entscheidenden Schritt weiter, und dieser Schritt ruft womöglich beim ersten Betrachten Verwunderung hervor: Laut Tarski ist das auch schon alles, was wir von einer Theorie der Wahrheit verlangen sollten! Mit anderen Worten: wenn eine Wahrheitstheorie für eine bestimmte

3.1 Wahrheitstheorie und Konvention T: Alfred Tarski

Sprache zu allen Sätzen dieser Sprache die zugehörigen Sätze der Form (T) ausspuckt, dann ist sie schon vollständig und akzeptabel. Die Implikation aller (T)-Plattitüden ist also nicht nur notwendig, sondern sogar schon hinreichend dafür, dass eine Wahrheitstheorie materiell adäquat ist. In unserem Maschinenbild heißt das, dass die Wahrheitsmaschine schon dann vollständig konstruiert ist, wenn sie nur das leistet: zu jedem Satz den zugehörigen (T)-Satz generieren. Für viele Philosophen ist die Auffassung Tarskis, dass eine Wahrheitstheorie nur alle (T)-Sätze aufzulisten braucht, um adäquat zu sein, schwer verdaulich. Verlangen wir nicht auch vielmehr nach Aussagen, wie „Wahrheit, das ist das-und-das“ oder „Die Wahrheit ist erstrebenswert“, wenn wir auf eine Theorie der Wahrheit aus sind? Einige Philosophen beharren darauf und unterstreichen, dass mit einer Theorie im Tarski-Stil noch nicht alles zur Wahrheit gesagt ist. Hier wollen wir zunächst für Tarskis Minimaldefinition argumentieren, denn die ist immer noch ein guter Start – auch wenn damit noch nicht alles geklärt ist. Machen wir uns beispielsweise klar, dass Definitionen im Allgemeinen vielerlei Formen annehmen können. Zum Beispiel können wir zwischen extensionalen und intensionalen Definitionen unterscheiden. Was ein Fahrzeug ist, das können wir intensional (vom Sinn her) definieren, indem wir Kriterien dafür angeben, wann etwas ein Fahrzeug ist: ein Fahrzeug ist ein Fortbewegungsmittel, das mit einem Motor oder mit menschlicher Kraft angetrieben wird. Oder aber wir listen extensional (von der Anwendung her) alle Dinge auf, auf die der Begriff Fahrzeug zutrifft: d. h. alle Autos, Busse, Fahrräder, Kutschen, Schlitten … all das sind Fahrzeuge. Wenn es gelingt, wirklich alle Transportmittel zu nennen, auf die das Wort „Fahrzeug“ zutrifft, dann müssen wir zugeben, dass mit dieser extensional-auflistenden Definition der Begriff Fahrzeug zwar auf eine andere Weise, aber ebenso vollständig umrissen ist, wie mit der intensionalen Definition. Tarskis Wahrheitstheorie soll nur eine solche extensionale Definition für „… ist wahr“ liefern. Mit der materiellen Adäquatheit fordert Tarski nämlich nichts anderes, als dass alle korrekten Anwendungsfälle von „… ist wahr“ aufgelistet werden. Wenn das gelingt, dann ist der Wahrheitsbegriff extensional vollständig definiert. Damit haben wir die etwas ungewöhnliche Forderung nach materieller Adäquatheit, die übrigens wegen der (T)-Sätze auch unter dem Namen „Konvention T“ (oder „Kriterium T“) in die philosophische Literatur eingegangen ist, näher bestimmt. Wir müssen noch etwas formale Vorarbeit leisten, bevor wir endlich zu einer konkreten Wahrheitsdefinition kommen können. Schauen wir uns den Schnee-Satz (als Stellvertreter für alle Sätze im T-Schema) einmal genauer an. Warum steht „Schnee ist weiß“ zu Anfang in Anführungszeichen? Darauf können wir zwei Antworten geben. Erstens wollen wir über einen Satz sprechen und nicht dessen Inhalt ausdrücken. Zweitens könnte es sein, dass wir das Wahrheitsprädikat „… ist wahr“ für eine fremde Sprache definieren wollen. Sätze der fremden Sprache, die wir auch als Objektsprache bezeichnen, dürfen aber nicht mit den Worten unserer eigenen Sprache, Metasprache genannt, vermischt werden, weil sich sonst ein bloßes Kauderwelsch ergibt. Daher müssen sie mit Anführungszeichen abgegrenzt werden.

(T)-Sätze als partielle, extensionale Definitionen des Wahrheitsprädikats

Objektsprache und Metasprache, Zitieren und Übersetzen

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3. Sprache und Wahrheit

Wieder in der Metapher der Wahrheitsmaschine ausgedrückt, ergibt sich folgendes Bild: Wir könnten daran interessiert sein, die fertige Maschine auf Sätze einer uns (wahrscheinlich) fremden Sprache, sagen wir, Sätze des Albanischen, anzuwenden, so dass die Maschine (T)-Sätze der Form „,Dëbora është e bardhë‘ ist wahr, genau dann, wenn Schnee weiß ist“ produziert. Dieser (T)-Satz wirkt auch weit weniger trivial als unsere ersten Beispielsätze. Er ist mithin sogar sehr informativ: Wenn die Wahrheitsmaschine des Albanischen richtig funktioniert, dann lässt uns der (T)-Satz nämlich erahnen, was „Dëbora është e bardhë“ bedeutet. Auffällig ist hier, dass wir auch (T)-Sätze der Form „,p‘ ist wahr genau dann, wenn p*“ akzeptieren, bei denen „p“ aus einer fremden Sprache stammt und p* eine korrekte Übersetzung von „p“ in unsere Metasprache ist.

b) Beispielsprachen und ihre Wahrheitstheorien

Die Beispielsprache S

Die Wahrheitstheorie zu S

Es wird höchste Zeit, endlich eine Wahrheitstheorie für eine Sprache anzugeben. Alles bisher Geleistete war bloße Vorarbeit. Wir haben drei Ziele: Wir wollen, erstens, eine relativ einfache formalisierte Modellsprache S anbieten, dann, zweitens, ihre Wahrheitstheorie. Drittens wollen wir die Theorie testen und sehen, ob sie, angewendet auf S, für alle Sätze von S einen (T)Satz hervorbringt. Betrachten wir dazu eine Sprache als Beispiel. Die zu betrachtende Kunstsprache S besteht aus 10 Basissätzen: S1 bis S10. Wir setzen fest, dass S1 übersetzt in unserer Sprache bedeutet, dass Schnee weiß ist, S2, dass Gras grün ist, … und S10, dass Feuerwehrautos rot sind. (Sie können sich Sprache S als einen Geheimcode vorstellen; ihre Sätze sind ja Codenummern ähnlicher als textsprachlichen Gebilden.) Die Sprache S enthält außerdem eigenartige Symbole, ½, b und B, mit denen ihre atomaren Basissätze beliebig verknüpft werden können, so dass komplexere, molekulare Sätze entstehen: z. B. ½ S1 oder S7 b S3 oder S9 B S2. Dabei wird sich herausstellen, dass ½ für „nicht“ steht, b für „und“ und B für „oder“. Die aus Verknüpfung entstehenden Moleküle (molekularen Sätze) können wir mittels der Verknüpfungszeichen (und eventuell unter Einsatz von Klammern) erneut aneinander reihen. Auf diese Weise kann man in Sprache S unendlich viele Sätze beliebiger Länge bilden, die alle zur Sprache gehören. Mit der Einführung der Sprache S ist unser erster Schritt erledigt. (Wir haben bereits gewarnt, dass bei Tarski die Objektsprache keine lebendige Sprache ist. Wir werden uns der Normalsprache aber sukzessive nähern.) Kommen wir nun endlich zur Wahrheitstheorie für diese Sprache. Mit dieser Theorie sollen wir zu jedem Satz von S einen wahren (T)-Satz erzeugen können. Eine solche Theorie ist nicht einfach, denn wir haben es ja mit unendlich vielen Sätzen aus S zu tun. Die Wahrheitstheorie nimmt zunächst einfach alle Sätze S1 bis S10 und schreibt folgende 10 Prinzipien auf: (i) „S1“ ist wahr genau dann, wenn Schnee weiß ist. (ii) „S2“ ist wahr genau dann, wenn Gras grün ist. … (x) „S10“ ist wahr genau dann, wenn Feuerwehrautos rot sind.

3.1 Wahrheitstheorie und Konvention T: Alfred Tarski

Auf die Anforderung, auch an die unendlich vielen Satzmoleküle, die die Sprache mittels ½, b und B bilden kann, heranzukommen, gibt die Theorie eine rekursive Antwort: (xi) Wenn „Sm“ ein Satz der Sprache S ist, dann ist der Satz „½ Sm“ wahr genau dann, wenn „Sm“ nicht wahr ist. (xii) Wenn „Sm“ und „Sn“ Sätze aus Sprache S sind, dann ist der molekulare Satz „Sm B Sn“ wahr genau dann, wenn „Sm“ wahr ist oder „Sn“ wahr ist. (xiii) Wenn „Sm“ und „Sn“ Sätze aus Sprache S sind, dann ist der molekulare Satz „Sm b Sn“ wahr genau dann, wenn „Sm“ wahr ist und „Sn“ wahr ist. Rekursiv bedeutet hier, dass die Wahrheit jedes komplexen Satzes auf die Wahrheit der Komponenten rekurriert, d. h. zurückgreift. So kann jeder noch so komplizierte Satz auf seine Grundbausteine zurückgeführt werden, und die Grundbausteine sind letztendlich S1 bis S10. Das ist alles. Die Sätze (i) bis (xiii), die wir Postulate nennen können, sind unsere Wahrheitstheorie für die Sprache S. Machen wir den Test. Spuckt diese Wahrheitsmaschine (i)–(xiii) zu jedem Satz von S den zugehörigen (T)Satz aus, d. h. erzeugt oder impliziert die Wahrheitstheorie jeden (T)-Satz? Das ist Tarskis Prüfung der materiellen Adäquatheit. Wenn sie bestanden wird, dann ist die Theorie tatsächlich eine vollständige extensionale Definition von „… ist wahr“ für Sprache S, denn sie listet genau alle richtigen Anwendungen von „… ist wahr“ für S auf. Nehmen wir den willkürlich gewählten Satz „S1 B ½ S2“. Wenn wir S1 mit Sm und ½ S2 mit Sn identifizieren, dann können wir Postulat (xii) auf unseren Beispielsatz loslassen. Es folgt dann zunächst: (a) „S1 B ½ S2“ ist wahr genau dann, wenn „S1“ wahr ist oder „½ S2“ wahr ist. Weiter machen wir mit Postulat (xi), das wir auf ½ S2 anwenden. Wir finden: (b) „½ S2“ ist wahr, genau dann, wenn „S2“ nicht wahr ist. Das können wir in (a) einsetzen und erhalten: (c) „S1 B ½ S2“ ist wahr genau dann, wenn „S1“ wahr ist oder „S2“ nicht wahr ist. Aufgrund der Postulate (i) und (ii) wissen wir aber, wann „S1“ und „S2“ wahr sind (bzw. „S2“ nicht wahr ist): wenn Schnee weiß, bzw. Gras nicht grün ist. Wenn wir dieses Wissen in (c) einsetzen, kommen wir zu: (d) „S1 B ½ S2“ ist wahr genau dann, wenn Schnee weiß oder Gras nicht grün ist. Mit (d) erhalten wir einen einwandfreien (T)-Satz für unseren beliebig gewählten Beispielsatz. Streng genommen müssten wir nun beweisen, dass wir (T)-Sätze für jeden Satz der Sprache S erhalten. Diesen Beweis lassen wir allerdings aus und vertrauen einfach darauf, dass unsere Anwendung der Theorie auf jede andere Satzstichprobe aus S ebenso funktioniert hätte. Die Postulate (i)–(xiii) sind zusammengenommen eine adäquate Wahrheitstheorie für S. Wir haben unsere Leser gewarnt, dass Tarski lediglich für formalisierte Sprachen Wahrheitsdefinitionen liefern möchte. Die Alltagssprache ist natürlich ungleich komplexer und teilweise auch sehr vage und ungenau. Das schreckt Tarski davor ab zu versuchen, das Wahrheitsprädikat auch für normale Sprache zu definieren. Er hält das für schlicht unmöglich. Was die Komplexität anbelangt, so können wir uns allerdings eine weitere Formalsprache aus Tarskis Repertoire ansehen, die der Alltagssprache schon ein

Die Beispielsprache S*

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3. Sprache und Wahrheit

Die Wahrheitstheorie zu S*

Stück weit ähnlicher ist. In Sprache S*, die wir jetzt vorstellen wollen, um dann für sie eine Wahrheitsdefinition anzugeben, werden atomare Sätze aus Prädikaten und Subjekten gebildet. Statt der Sätze S1 bis S10 aus S finden wir in S* Sätze, wie „Fa“, „Gb“, „Hc b Fb“, „Gc B Ha“ etc., wobei die Großbuchstaben F, G, H für Prädikate stehen, die Kleinbuchstaben a, b, c für Subjekte. Ebenso wie Sprache S verfügt auch Sprache S* über Ressourcen, unendlich viele Sätze zu bilden. Das fängt bei S* schon damit an, dass jeder Prädikatbuchstabe mit jedem Subjektbuchstaben kombiniert werden kann: Fa, Fb, Fc, Ga, …, Hc. Zusätzlich gibt es die vielen Satzverknüpfungen mit ½, b, B. Soweit also die Sprache S*. (Für Leser mit Logikgrundkenntnissen sei hier in Erinnerung gebracht, dass S eine aussagenlogische Sprache ist und S* Prädikatenlogik erster Ordnung. Vgl. einführend [14–4].) Auf dieser Grundlage können wir die ersten Postulate der Wahrheitstheorie für S* aufschreiben. Diese ersten Postulate sehen noch keineswegs nach einer Wahrheitsdefinition aus. Im Zusammenspiel mit den folgenden wird sich aber zeigen, dass sie durchaus ein essenzieller Baustein sind. (i) (ii) (iii) (iv) (v) (vi)

„F“ bezieht sich auf die Eigenschaft, Philosoph zu sein. „G“ bezieht sich auf die Eigenschaft, Maler zu sein. „H“ bezieht sich auf die Eigenschaft, Komponist zu sein. „a“ bezieht sich auf Arthur Schopenhauer. „b“ bezieht sich auf Tomma Abts. „c“ bezieht sich auf Peter Gabriel.

Neben diesen Postulaten, die Referenzgegenstände bestimmen, schreiben wir ein Postulat auf, das sowohl die grammatische Prädikat-Subjekt-Zusammensetzung als auch die semantische Zuordnung und Erfüllung regelt: (vii) Wenn ein Großbuchstabe F, G oder H direkt vor einem Kleinbuchstaben a, b oder c steht, dann formen beide einen atomaren Satz der Sprache S*, der wahr ist genau dann, wenn die Person, die die Postulate (iv)–(vi) dem Kleinbuchstaben zuordnen, die Eigenschaft erfüllt, die die Postulate (i)–(iii) dem Großbuchstaben zuordnen. Die Postulate (xi), (xii) und (xiii) aus der Wahrheitsdefinition für Sprache S behalten wir bei, bedenken aber, dass Sm und Sn jetzt Sätze wie „Gc“, „Ha“ und auch Komposita wie „FcB Ga“ etc. sind. Die neuen Postulate (i) bis (vii) plus die alten (xi), (xii) und (xiii) sind Tarskis Angebot für eine Wahrheitstheorie der Sprache S*. Es steht noch ein Adäquatheitstest an. Picken wir uns wieder einen beliebigen Satz aus S* als Stichprobe heraus: Hbb Gc. Folgt aus der angeblichen Wahrheitstheorie der zugehörige (T)-Satz? Aus (xiii) folgt, dass „Hbb Gc“ wahr ist genau dann, wenn „Hb“ wahr ist und „Gc“ wahr ist. Aus (vii) folgt, dass „Hb“ wahr ist genau dann, wenn die Person, die dem Kleinbuchstaben b zugeordnet wird, die Eigenschaft erfüllt, die dem Großbuchstaben H zugeordnet wird, also wenn (siehe Postulat (iii) und (v)), Tomma Abts Komponistin ist. Analog folgert man aus (vii), (ii) und (vi), dass „Gc“ wahr ist genau dann, wenn Peter Gabriel Maler ist. Zusammengenommen erhalten wir also auch für Hb b Gc einen schönen (T)-Satz: „Hb b Gc“ ist wahr genau dann, wenn Tomma Abts Komponistin und Peter Gabriel Maler ist. Dass der Satz

3.1 Wahrheitstheorie und Konvention T: Alfred Tarski

„Hb b Gc“ somit falsch ist (denn Gabriel ist Musiker, Abts Malerin), das ist nicht weiter schlimm, denn (T)-Sätze liefern die Wahrheitsbedingungen für Sätze, sie behaupten nicht deren Wahrheit! Wie auch bei S vertrauen wir darauf, dass die (T)-Satz-Konstruktion mit jedem Satz aus S* gelingt, so dass die materielle Adäquatheit erfüllt ist. Wir wollen mit ein paar generellen Bemerkungen zu Tarskis Wahrheitstheorie abschließen. Zum einen müssen wir darauf hinweisen, dass wir sowohl die Kunstsprache S* gegenüber Tarskis Original stark vereinfacht als auch die Begriffe Erfüllung und Zuordnung leicht abweichend vom Original gebraucht haben, ohne dabei jedoch an Korrektheit einzubüßen. Beachten Sie auch, dass der Wahrheitsbegriff in Tarskis Definition auf die Begriffe Bezugnahme, Erfüllung und Zuordnung zurückgeführt wurde, die als bekannt vorausgesetzt werden müssen. Schließlich möchten wir, vor allem im Hinblick auf unser nächstes Unterkapitel, darauf aufmerksam machen, dass erst mit der Wahrheitstheorie für S* richtig klar wurde, was die Sätze aus S* bedeuten. Vorher sah S* aus wie ein Geheimcode. Mit der Wahrheitstheorie, die uns sagt, wann „… ist wahr“ auf Sätze von S* zutrifft, wird jedoch offenbart, was die Sätze aus S* meinen. Das unterstreicht erneut die enge Verknüpfung von Wahrheit und sprachlicher Bedeutung. Im nächsten Unterkapitel werden wir uns das zu Nutze machen und einerseits Tarskis Wahrheitstheorie (entgegen seinen Vorbehalten) auf die normale Sprache ausdehnen und sie andererseits in eine Bedeutungstheorie ummünzen. Wir müssen Tarskis Ideen zur Wahrheit auch kritisch prüfen. Ein weit verbreiteter Zweifel an seiner Wahrheitsdefinition sagt, sie sei zu minimal. Wollen wir nicht auch erfahren, wie der Wahrheitsbegriff mit unseren Begriffen Wissen, Glauben, Aussagen, Schließen, Erfahren, Beweisen etc. zusammenhängt? Sollte nicht auch ein Wort darüber verloren werden, dass es besser ist, wahre Sätze zu glauben als falsche und dass sich zwei wahre Sätze nicht widersprechen können? Kurzum, ist Tarskis Kriterium, dass eine Wahrheitstheorie alle (T)-Sätze der untersuchten Sprache implizieren soll, wirklich schon hinreichend für eine akzeptable Wahrheitstheorie, oder sollen wir eine intensionale Definition einklagen? Manche minimalistisch eingestellten Philosophen antworten auf diese herausfordernden Fragen, indem sie kess behaupten, das Prädikat „… ist wahr“ sei sogar in normalem Deutsch völlig redundant, z. B. Frege [3–25: 63]. Kurzum, wann immer wir sagen, ein Satz sei wahr, können wir stattdessen den Satz selbst äußern. Das Prädikat „… ist wahr“ kann aus unserer Sprache eliminiert werden. Einige sogenannte Redundanztheorien (oder deflationäre Theorien) fordern sogar eine schroffe Verschärfung von Tarskis Theorie. Sie sehen in den (T)-Sätzen das „genau dann, wenn“ ersetzt durch ein „bedeutet nichts anderes als“: Zu sagen, dass „Schnee ist weiß“ wahr ist, bedeutet nichts anderes als zu sagen, dass Schnee weiß ist. Es gibt aber auch andere Schulen, die Tarskis Theorie lieber um weitere Theoriestücke ergänzen wollen. Sie halten die Implikation der (T)-Sätze nicht für hinreichend. Dazu zählen, ganz grob eingeteilt, Kohärenz- und Korrespondenztheorien. Letztere arbeiten Aristoteles’ Intuition aus, dass Wahrheit die Übereinstimmung zwischen dem, was der Satz sagt, und den Fakten ist, und fügen es einer minimalen Tarski-Theorie hinzu; erstere ma-

Kritik an Tarskis Wahrheitstheorie und Möglichkeiten der Verbesserung

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3. Sprache und Wahrheit

chen die Idee stark, dass ein wahrer Satz mit anderen wahren Sätzen dahingehend harmonieren muss, dass er zusammen mit diesen Sätzen eine kohärente und konsistente Gruppe bildet. Verteidigungen der Kohärenztheorie finden sich vor allem bei idealistischen Philosophen des frühen 20. Jahrhunderts, z. B. bei Blanshard [3–3b] und Joachim [3–28a], die von Bertrand Russell [3–37a] als Vertreter der Korrespondenztheorie kritisiert wurden. Eine neue Spielart der Korrespondenztheorie Russellscher Prägung, nämlich die Theorie der Wahrmacher (truthmakers), findet sich z. B. in David Armstrongs „Truth and Truthmakers“ [3–2a]. Es bleibt in einem Buch über Sprachphilosophie allerdings kein Raum, diese Theorien eingehender vorzustellen. Tarskis Leistung bleibt dabei jedoch unangezweifelt. Selbst wenn zusätzliche Theoriestücke hinzugefügt werden müssten, hat er einen wichtigen Kern des Problems klar umrissen: wie man nämlich für eine Kunstsprache eine extensionale Definition des Prädikats „… ist wahr“ liefert, die alle (T)-Sätze zu erzeugen weiß. Wir werden nun fragen: Könnte eine Wahrheitstheorie, wie wir sie für Sprache S* definiert haben, auch für eine natürliche Sprache niedergeschrieben werden? Die Alltagssprache ist ungleich komplexer als S*. Neben den Referenzpostulaten (i)–(vi), dem Zuordnungs-/Erfüllungspostulat (vii) und den Kompositionspostulaten (xi)–(xiii) müssten eine Unmenge weiterer Postulate aufgeführt werden, die z. B. Adverbien, die indirekte Rede, Metaphern etc. regeln.

3.2 Die wahrheitstheoretische Konzeption der Bedeutung: Donald Davidson

Von Wahrheitstheorie zur Bedeutungstheorie und von Formalsprache zur Alltagssprache

Im vorigen Unterkapitel zu Tarski haben wir für eine formale und in ihrer Ausdruckskraft stark eingeschränkte Sprache S* eine Wahrheitstheorie formuliert. Wir erinnern daran, dass die Kunstsprache S* wie ein Geheimcode aussah, mit dem wir zunächst nicht viel anfangen konnten. Erst mit der Wahrheitstheorie, ihren Bezugs- und Kombinationspostulaten, die wir für die Sprache lieferten, wurde mit einem Schlag klar, was die seltsamen Sätze der Formalsprache bedeuten, für welchen Sinngehalt sie stehen. Das ist nicht allzu verwunderlich, haben wir doch immer schon den engen Zusammenhang von Wahrheitsbedingungen und Bedeutung für Sätze geahnt (siehe auch unser Kapitel zum Verifikationismus 10.2). Der Philosoph Donald Davidson, der dafür bekannt geworden ist, Tarskis Wahrheitstheorie in eine Bedeutungstheorie uminterpretiert und sie auch auf die normale, lebendige Sprache angewendet zu haben, schreibt: „[D]ie Angabe der Wahrheitsbedingungen ist eine Art der Angabe der Bedeutung des Satzes.“ [3–4: 50]. In diesem Kapitel wollen wir Davidsons Adaption von Tarskis Idee vorstellen, die man selbsterklärend auch „Semantik der Wahrheitsbedingungen“ nennen kann. Zwei radikale Schritte sind für Davidson nötig: In einer Kopernikanischen Wende muss erstens die Wahrheitstheorie in eine Bedeutungstheorie umgemünzt, und zweitens muss Tarskis Theorie, die zunächst nur für Formalsprachen gedacht war, auch für die Alltagssprache fruchtbar gemacht werden.

3.2 Die wahrheitstheoretische Konzeption der Bedeutung: Donald Davidson

a) Grundzüge der Davidsonschen Bedeutungstheorie Wir beginnen mit der 1808-Wende. Tarskis Ziel war es, das Wahrheitsprädikat „… ist wahr“ zu definieren. Bedeutung und verwandte Begriffe, wie Übersetzung oder Synonymie, standen ihm für dieses Unterfangen frei zur Verfügung. Daher durfte Tarski z. B. fordern, dass in den (T)-Sätzen Übersetzungen aus der Objektsprache in die Metasprache stehen: „,S1‘ ist wahr genau dann, wenn Schnee weiß ist“ gibt nur dann eine korrekte Anwendung des Prädikats „… ist wahr“ an, wenn S1 soviel bedeutet wie „Schnee ist weiß“. Davidson muss nun im Gegensatz zu Tarski behaupten, es sei unnötig, den Wahrheitsbegriff zu definieren. Durch die Angabe eines (T)-Satzes werde vielmehr die Bedeutung des objektsprachlichen Satzes in der Metasprache angegeben, als dass der schon hinreichend bekannte Wahrheitsbegriff definiert werde. In der Tat bekennt sich Davidson zu der Auffassung, dass der Wahrheitsbegriff selbst unanalysierbar und irreduzibel auf andere Begriffe ist [3–14]. Der Wahrheitsbegriff sei uns, so Davidson, intuitiv gegeben; er muss und kann nicht definiert werden. Nur diese konsequente Umbiegung von Tarskis ursprünglichem Vorhaben macht Davidsons Theorie möglich, denn andernfalls wäre sie zirkulär, weil sie den Bedeutungsbegriff dann voraussetzte. Fassen wir zusammen: Anstatt eine korrekte Anwendung des Prädikats „… ist wahr“ anzugeben, zeigt in der Interpretation Davidsons ein T-Satz wie „,Dëbora është e bardhë‘ ist wahr genau dann, wenn Schnee weiß ist“ an, dass mit „Dëbora është e bardhë“ „Schnee ist weiß“ gemeint ist. Statt dass Wahrheit erklärt wird, wird eine Satzbedeutung implizit angegeben. Vergessen dürfen wir natürlich nicht, dass, was vormals eine Wahrheitstheorie war und jetzt eine Bedeutungstheorie werden soll, in erster Linie aus Postulaten besteht, aus denen man diese bedeutungsanzeigenden (T)-Sätze erst ableitet. Wenn Sie sich typische Postulate aus dem Tarski-Kapitel, wie z. B. „,F‘ bezieht sich auf die Eigenschaft, Philosoph zu sein“, anschauen, dann stellen Sie fest, dass diese Postulate mit den Begriffen „bezieht sich auf“ und „erfüllt“ tatsächlich wichtige Partner oder Grundbausteine des semantischen Begriffs der Bedeutung benutzen. Bemerkenswert ist weiterhin, dass in Davidsons Theorie Bedeutungen von Sätzen nicht als eigene, diskrete Entitäten, etwa als mentale Bilder oder abstrakte Ideen, vorkommen. Es gibt in dieser Theorie nicht ein Etwas, das die Bedeutung eines Satzes wäre. Während der erste Schritt von der Wahrheit zur Bedeutung die Richtung der Tarskischen Idee sogar umkehrt, ist der zweite Schritt weniger revolutionärer, sondern eher technischer Natur, deswegen aber nicht minder heikel. Wir haben in unserer Besprechung Tarskis relativ einfache, formale Sprachen analysiert. Natürliche Sprachen warten aber mit einer Vielzahl mehr an semantischen Erscheinungen auf als nur mit Prädikaten, Subjekten und den Verknüpfungswörtern „und“, „oder“ etc.: Die normale Sprache kennt Adverbien, die so genannten indexikalischen Terme wie „ich“, „hier“ und „jetzt“, die in ihrer Bedeutung sprecher-, zeit- und ortsabhängig sind, die indirekte Rede und natürlich eine ganze Reihe nicht-indikativer Sätze – und das ist bei weitem noch nicht alles. Ja selbst die einfachsten Bestandteile einer natürlichen Sprache wie Eigennamen, Kennzeichnungen oder Demonstrativa sind in ihrer semantischen Handhabung sehr verzwickt, wie wir im zweiten Teil dieser Einführung sehen werden.

Einige Schwierigkeiten der normalen Sprache

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3. Sprache und Wahrheit

Der Plan für den Rest des Kapitels sieht nun wie folgt aus: Wir werden exemplarisch einige Postulate einer Bedeutungstheorie/Wahrheitstheorie für ein Fragment einer Normalsprache angeben. Darüber hinaus schauen wir uns auch an, wie einige der gerade aufgelisteten Erscheinungen der Alltagssprache axiomatisch behandelt werden könnten. Außerdem gibt es für Bedeutungstheorien natürlich ebenso wie für Wahrheitstheorien Adäquatheitsbedingungen. Wir schauen uns drei von Davidson selbst aufgestellte Bedingungen an und erkunden, ob sie durch seine Bedeutungstheorie erfüllt werden. Anschließend wenden wir uns einem spannenden Gedankenexperiment zu, das unter der Bezeichnung „radikale Interpretation“ berühmt geworden ist.

b) Fragment einer konkreten Theorie Wir wählen Englisch als Objektsprache, für die wir exemplarisch in der Metasprache Deutsch einige Beispielpostulate einer Bedeutungstheorie angeben wollen. Wir hätten das natürlich auch umgekehrt machen oder sogar Deutsch zugleich als Objekt- und Metasprache wählen können. Fragment einer Davidsonschen Bedeutungstheorie

(1) Referenzpostulate für singuläre Terme: (1.1) „Snow“ ist ein Subjektterm und bezieht sich auf Schnee. (1.2) „Grass“ ist ein Subjektterm und bezieht sich auf Gras. (1.3) „Gordon Lawson“ ist ein Eigenname und bezieht sich auf die Person Gordon Lawson. … (2) Referenzpostulate für Prädikate: (2.1) „White“ ist ein Prädikatterm und steht für die Eigenschaft, weiß zu sein. (2.2) „Green“ ist ein Prädikatterm und steht für die Eigenschaft, grün zu sein. (2.3) „Historian“ ist ein Prädikatterm und steht für die Eigenschaft, Historiker zu sein. … (3) Kompositionsregeln: (3.1) Wenn „s“ ein Subjektterm ist und „P“ ein Prädikatterm, dann ist der Satz „s is P“ wahr genau dann, wenn derjenige Gegenstand, auf den sich s bezieht, die Eigenschaft hat, auf die sich P bezieht. (3.2) Wenn „s“ ein Subjektterm ist und „P“ ein Prädikatterm, dann ist der Satz „s is not P“ wahr genau dann, wenn derjenige Gegenstand, auf den sich s bezieht, nicht die Eigenschaft hat, auf die sich P bezieht. (3.3) Wenn „Sm“ und „Sn“ Sätze sind, dann ist auch „Sm and Sn“ ein Satz, und „Sm and Sn“ ist wahr genau dann, wenn „Sm“ wahr ist und „Sn“ wahr ist. (3.4) Wenn „Sm“ und „Sn“ Sätze sind, dann ist auch „Sm or Sn“ ein Satz, und „Sm or Sn“ ist wahr genau dann, wenn „Sm“ wahr ist oder „Sn“ wahr ist. … Aus diesen Postulaten für ein Fragment der Sprache Englisch folgen, wie erwünscht, korrekte (T)-Sätze als Theoreme, die die Wahrheitsbedingungen

3.2 Die wahrheitstheoretische Konzeption der Bedeutung: Donald Davidson

von englischen Sätzen und somit en passant deren Bedeutungen anzeigen. Das exerzieren wir für „Snow is white“ beispielhaft durch. Aus (1.1) und (2.1) wissen wir: „Snow“ ist ein Subjektterm und bezieht sich auf Schnee; „white“ ist ein Prädikatterm und steht für die Eigenschaft, weiß zu sein. Aus (3.1) wissen wir, dass „Snow is white“ wahr ist genau dann, wenn derjenige Gegenstand, auf den sich „Snow“ bezieht, die Eigenschaft erfüllt, auf die sich „white“ bezieht, wenn also Schnee weiß ist. Kurz: „,Snow is white‘ ist wahr genau dann, wenn Schnee weiß ist.“ Ganz ähnlich wie auch unsere Postulate für S* aus dem Tarskikapitel, liefern auch die oben angegebenen Referenzpostulate und Kompositionsregeln für das Miniatur-Englisch einen Mechanismus, der unter Berücksichtigung der Bezugsobjekte der Satzelemente (Referenzgegenstände der singulären Terme; Eigenschaften, auf die sich die Prädikate beziehen) die gewünschten bedeutungserhellenden (T)-Sätze generiert. Bestünde Englisch nur aus den wenigen Termen „Snow“, „Grass“ etc., dann hätten wir mit diesem Beispiel eine vollständige Tarskische Wahrheitstheorie, bzw. eine Davidsonsche Bedeutungstheorie, angegeben. Englisch ist natürlich viel komplexer und wir müssen viele weitere Postulate hinzunehmen. Und das nicht nur, um allen vorkommenden Eigennamen und Prädikaten ihr jeweiliges Bezugsobjekt zuzuweisen, sondern auch, um andere sprachliche Erscheinungen wie indexikalische Terme, indirekte Rede, Adverbien etc. einzufangen. Wir wollen einmal andeuten, wie das geschehen kann. Wir wenden uns dazu den indexikalischen Termen „ich“, „hier“ und „jetzt“ zu (siehe auch Kapitel 8). Sie bedürfen einer speziellen Behandlung, die eine geringfügige Modifikation der (T)-Satz-Struktur nach sich zieht. Die besondere Schwierigkeit dieser Terme besteht nämlich darin, dass die Objekte, auf die sie sich beziehen, von Kontext zu Kontext variieren. Der Satz „I am hungry now“, gesprochen von Elisabeth um 18.00 Uhr, darf nicht zum TSatz „,I am hungry now‘ ist wahr genau dann, wenn ich jetzt hungrig bin“ führen. Denn die Zeit und der Sprecher des objektsprachlichen Satzes könnten sich von der Zeit und dem Sprecher des metasprachlichen (T)-Satzes unterscheiden. Wenn wir beispielsweise annehmen, dass der (T)-Satz in der Metasprache von Franz-Josef um 22.00 Uhr geäußert wird, dann behauptet der (T)-Satz etwas Falsches, nämlich, dass es wahr ist, dass Elisabeth um 18.00 Uhr hungrig ist, genau dann, wenn Franz-Josef um 22.00 Uhr Hunger hat. Um die (T)-Sätze von dieser Situationsabhängigkeit zu befreien, schlägt Davidson vor, die Theorie einer kleinen Änderung zu unterziehen: „… ist wahr“ sei nicht einfach ein Prädikat, das auf Sätze zutrifft (oder nicht), sondern eine Relation zwischen Sätzen, den Sprechern dieser Sätze und Kontexten bzw. Zeiten. Der veränderte (T)-Satz lautet demnach: „,I am hungry now‘ ist wahr geäußert von Person p zum Zeitpunkt t genau dann, wenn p zu t hungrig ist.“ Die Leser werden einwenden, dass ebenso die Postulate der Theorie verändert werden müssen, aus denen ja der (T)-Satz erst folgen soll. Wir stimmen dem zu, können hier aber nur andeuten, wie solche Postulate auszusehen haben. Man wird aber erahnen können, wie sich korrekte modifizierte (T)-Sätze aus diesen Postulaten formal ableiten lassen: (4.1) „Ich“ ist ein Subjektterm und bezieht sich auf den Sprecher p der Äußerung, in der „ich“ vorkommt.

Die Handhabung indexikalischer Terme

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3. Sprache und Wahrheit

(4.2) „Jetzt“ ist eine adverbiale Bestimmung der Zeit und bezieht sich auf den Zeitpunkt t der Äußerung, in der „jetzt“ vorkommt. (Und ähnlich für „hier“, „gleich“, „im Augenblick“, …) Die Handhabung der indirekten Rede

Es gibt eine Vielzahl weiterer Erscheinungen der natürlichen Sprache, die einer eingehenden Untersuchung bedürfen, und Davidson scheut keine Mühe, diese Analysen axiomatisch nachzuliefern. Beispielsweise holt er die Funktion von Adverbien in „Adverbs of Action“ [3–12] nach und die Analyse nicht-indikativer Sätze in „Modi und performative Äußerungen“ [3–10]. In „Sagen, daß“ [3–5] stellt er die so genannte parataktische Analyse der indirekten Rede und der Zuschreibungen propositionaler Einstellungen vor. Zur Handhabung der indirekten Rede, soviel sei verraten, weist uns Davidson an, hinter der Oberflächenstruktur eines einzigen Satzes wie z. B. „Gordon Lawson said that snow is white“, zwei Sätzen zu sehen: „Gordon Lawson said that. Snow is white.“ Das „that“ („dass“) der ursprünglichen indirekten Rede wird sodann als Demonstrativpronomen „that“ („das/dies“) aufgefasst: „that“ im ersten Satz deutet auf den zweiten Satz. Der erste Satz sei, so Davidson, wahr genau dann, wenn Gordons tatsächliche Äußerung dasselbe sage wie die Äußerung, auf die sich „that“ bezieht. Den entsprechenden (T)Satz sieht Davidson in dieser Richtung ausformuliert. Uns bleibt allerdings kein Platz für eine gründliche Besprechung, und wir können die zugehörigen bedeutungstheoretischen Postulate hier nicht angeben.

c) Über die statische Theorie hinaus und Adäquatheitsbedingungen für Bedeutungstheorien Über das statische Axiomensystem hinaus

Zwei weitere Artikel Davidsons sind allerdings erwähnenswert, weil sie die bisherige Theorie um einen weiteren, ganz neuen Aspekt ergänzen: Die Alltagssprache ist oft ungrammatisch, sie verändert sich durch Bedeutungsverschiebungen und Wortneuschöpfungen, unvollständige Sätze werden geäußert, Leute versprechen sich, werden aber dennoch richtig verstanden. Wie kann ein statisches Tarski-artiges Postulatensystem mit derartigem Fluss umgehen? Gar nicht! In [3–13] und [3–15] zeigt Davidson, wie wir zwar immer mit einer vorgefertigten statischen Theorie („prior theory“), die zu einer Tarskitheorie geformt werden könnte, an die Äußerungen anderer herangehen, aber durchaus fähig sind, flexibel zu reagieren und Einträge in der Theorie spontan zu verändern und so eine temporäre, vorübergehende Theorie („passing theory“) anzuwenden. Die Fähigkeit, intuitiv und flexibel zu reagieren und sich in andere hineinzuversetzen – Imagination und Empathie etc. – ist jedoch gegen Formalisierung resistent und eine Sache von Spontaneität. Als Arbeitshypothese wollen wir nun annehmen, dass es Davidson im Prinzip gelingen kann, eine Tarskische Wahrheitstheorie auf die Alltagssprache anzuwenden und derart mit weiteren Postulaten anzureichern, dass sich daraus bedeutungserhellende (T)-Sätze auch für diese normale Sprache gewinnen lassen. Es bleibt allerdings zu testen, ob wir die entstehende Theorie auch eine „Bedeutungstheorie“ nennen dürfen. Leistet sie überhaupt das, was man von Bedeutungstheorien schlechthin erwartet? Wie auch für Wahrheitstheorien, so gibt es ebenfalls für Bedeutungstheorien diverse Adäquat-

3.2 Die wahrheitstheoretische Konzeption der Bedeutung: Donald Davidson

heitsbedingungen. Wir wollen drei vorstellen und sehen, ob sie hier erfüllt werden. Davidson beginnt seinen berühmten Aufsatz „Wahrheit und Bedeutung“ [3–4], wo er seine Tarski-Reinterpretation erstmals vorstellt, mit der Bemerkung, dass eine befriedigende Bedeutungstheorie erklären können muss, wie die Bedeutung von Sätzen von den Bedeutungen der Wörter abhängt (vgl. [3–4: 17]). Diese Aussage machen wir zu unserer ersten Adäquatheitsbedingung (A1). Wir haben sie schon bei Frege als Kompositionalitätsprinzip kennengelernt (siehe Kapitel 1.2b). Nur so lässt sich nämlich erklären, wie wir mit endlichen Mitteln – einer endlichen Anzahl von Worten – unendlich viele Sätze bilden und verstehen können, und somit auch, warum wir Sätze verstehen, die wir noch nie gehört haben, aber deren Worte wir kennen. Wir schließen zwei weitere Bedingungen an, die wir ebenfalls in Davidsons „Wahrheit und Bedeutung“ finden. (A2) Vermeidung von Zirkularität: Die (Bedeutungs-)Theorie selbst muss ohne den Begriff Bedeutung und davon abhängige Begriffe – wie z. B. Verstehen oder Meinen – auskommen, denn sie will ja gerade diese Begriffe erklären (vgl. mit Tarskis formaler Korrektheit [3–16: 9]). (A3) Empirische Adäquatheit: Die vorliegende Bedeutungstheorie muss uns erlauben, Sprecher der Sprache zu verstehen (vgl. [3–16: 9]). Dem Kompositionalitätsprinzip (A1) ist mit Davidsons Theorie auf jeden Fall Genüge geleistet, denn die Satzbedeutung wird über die (T)-Sätze transportiert, die wiederum aus den Einzelkomponenten des Satzes und den zugehörigen Postulaten erzeugt werden. Die Kompositionsregeln unter den Postulaten erlauben es einerseits, beliebig viele Sätze zu erzeugen, als auch niemals zuvor gehörte Sätze in ihre Bestandteile zu zerlegen und so zu verstehen. Die Postulate selbst kommen auch ohne den Begriff der Bedeutung oder nahe verwandte Begriffe wie Synonymie oder Übersetzung aus. Wir finden lediglich die Worte „Erfüllung“ und „Bezugnahme“ (bzw. die zugehörigen Verben). An dieser Stelle kann unterstrichen werden, wie hilfreich tatsächlich Tarskis (T)-Sätze sind. Statt „,Snow is white‘ bedeutet, dass Schnee weiß ist“ heißt es ja „,Snow is white‘ ist wahr genau dann, wenn Schnee weiß ist“. Die zirkuläre Benutzung von „bedeutet“ wird also vermieden und (A2) erfüllt. Bleibt noch der Test der empirischen Adäquatheit (A3): Wenn wir wirklich Referenzpostulate für das gesamte Vokabular einer Sprache aufstellen können (Wörterbücher tun in der Regel so etwas Ähnliches) und Kompositionsregeln für alle Zusammensetzungsmöglichkeiten in der Sprache gefunden haben, dann sind wir dem Ziel, prinzipiell jeden Satz der Sprache verstehen zu können, sehr nahe. Freilich ist das Englische wesentlich komplexer als die Postulate oben vortäuschen. Wir können allerdings das Davidsonsche Projekt als durchaus lohnenswerten Versuch einer Bedeutungstheorie verbuchen, der die drei Adäquatheitsbedingungen zumindest erfüllbar aussehen lässt. Mit der empirischen Adäquatheit hängt ein weiteres Feld der Bedeutungssuche zusammen, das wir nun durchschreiten wollen. Waren unsere bisherigen Betrachtungen sehr theoretischer Natur, so begeben wir uns jetzt an die praktische Arbeit. Bislang haben wir nämlich immer nur über das Ergebnis

Drei Adäquatheitsbedingungen für Bedeutungstheorien: Kompositionalität, Vermeidung von Zirkularität, empirische Adäquatheit

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3. Sprache und Wahrheit

gesprochen, wie die fertige Theorie mit ihren Postulaten auszusehen hat. Wie stellen wir aber überhaupt die Referenzpostulate und Kompositionsregeln auf, wenn wir eine fremde Sprache vor uns haben, deren Worte wir nicht kennen? Woher wissen wir, dass sich „Snow“ nicht auf Gras bezieht? Dass nicht „,Snow is white‘ ist wahr genau dann, wenn Gras grün ist“ der richtige T-Satz ist? Eine vollständige Theorie fällt ja nicht vom Himmel.

d) Radikale Übersetzung und radikale Interpretation

Das Prinzip der wohlwollenden Interpretation

Dies ist die Stelle, an der neben Tarski auch noch der Philosoph Willard Van Orman Quine (1908–2000) die Bühne betritt. Der Interpretations- oder Übersetzungsakt, den wir bei einer völlig unbekannten Sprache vornehmen müssen, findet in Quines Gedankenexperiment der radikalen Übersetzung ein theoretisches Fundament, zu dem Davidson unter der Überschrift radikale Interpretation einiges beizutragen wusste. (Wir wollen das Thema radikale Interpretation bzw. Übersetzung für beide Philosophen zusammen behandeln. Daher ist der nun folgende Abschnitt auch für unser Kapitel zur Quineschen naturalistischen Sprachphilosophie [siehe Kapitel 4] relevant.) Ein wichtiges Ziel dabei ist es zu zeigen, dass Wort- oder Satzbedeutungen letztlich aus rein empirischer Beobachtung gewonnen werden können. Eine vollständige Davidsonsche Bedeutungstheorie kann, sofern das gelingt, als quasi-naturwissenschafliche Hypothese über die Bedeutung der Sätze einer fremden Sprache gelten. Wir versetzen uns dafür in die Lage von linguistischen Feldforschern und stellen uns vor, auf eine Gruppe von Menschen zu treffen, deren Sprache wir nicht kennen, die wir aber nach und nach in unsere Sprache übersetzen wollen. Wir verschärfen diese Situation durch weitere Einschränkungen: Wir schließen gemeinsame historische Wurzeln unserer Sprachen aus; es gibt keine Person, die unsere Sprache und die der Fremden spricht; es gibt keine Wörterbücher und keine Beispielübersetzungen; wir kennen zunächst auch keine Wünsche oder Überzeugungen der fremden Menschen. Diese bewusst starken Restriktionen legen wir uns auf, damit wir unser Ziel nicht verfehlen, die Sprache der Fremden allein aufgrund ihres beobachtbaren Verhaltens und ihrer Äußerungen (oder besser Lautausstoßungen, die es ja für uns zuerst lediglich sind) zu erfassen. Mit anderen Worten, die empirische Adäquatheit der späteren Theorie soll durch empirische Forschung gewährleistet werden. Wir wollen eine Hilfstechnik für das Unternehmen der radikalen Übersetzung vorstellen, die zwar im Einzelfall zu falschen Übersetzungshypothesen führen kann, uns aber im Großen und Ganzen zum Erfolg bringen sollte: Starte mit der Zuversicht, dass das, was ein Sprecher der fremden Sprache sagt, normalerweise wahr ist, und dass er selbst dasjenige, was er sagt, für wahr hält (vgl. [3–8: 169])! Es kann natürlich sein, dass der Sprecher stattdessen lügt, etwas fragt oder einen Befehl gibt. Da wir aber von vornherein nicht wissen, welcher dieser vielen Möglichkeiten wir begegnen, ist es zunächst hilfreich anzunehmen, dass eine wahre assertorische Äußerung gemacht wird. Später, wenn wir mehr über die Sprache herausgefunden haben, erkennen wir vielleicht Hinweise, die es uns erlauben, bestimmte Äußerungen eher für Fragen, Befehle oder Lügen zu halten, als für wahre Aussagen.

3.2 Die wahrheitstheoretische Konzeption der Bedeutung: Donald Davidson

Diese Hilfstechnik, die unter dem Titel Prinzip der wohlwollenden Interpretation („principle of charity“) in die Literatur eingegangen ist ([3–42], [3–37: 59], [3–4: 27], [3–7: 136]), müssen wir genauer unter die Lupe nehmen. Es ist zunächst einmal klar, dass wir nicht nur die Äußerungen eines einzelnen Sprechers betrachten; wir wollen unsere Übersetzung so einrichten, dass die meisten der Äußerungen des Großteils der Sprecher wahr sind. Andererseits aber ist Wahrheit nicht alles. Es gibt weitere Parameter, die es zu maximieren lohnt, z. B. Rationalität und Kohärenz: Ebenso, wie es für die Übersetzung nicht hilfreich wäre anzunehmen, dass unser Gegenüber ständig Sätze ausruft, die er für falsch hält, ist es auch nicht sinnvoll anzunehmen, dass die Sprecher der fremden Sprache widersprüchliche Thesen glauben, beständig ungültige Schlüsse ziehen, dass sie ihre Meinungen grundlos, aber spontan und oft ändern etc. ([3–4: 27], [3–5: 101], [3–8: 159], [3–37: 59, 69]). Wenn wir das Prinzip der wohlwollenden Interpretation bezüglich Wahrheit auch auf Rationalität und Kohärenz ausdehnen, vom bloßen „Maximiere Wahrheit!“ auch zu „Maximiere Einsichtigkeit!“, dann kann es natürlich Konfliktsituationen geben, in denen es aus Rationalitätsgründen eher angebracht ist, davon auszugehen, dass eine Äußerung eines Sprechers der fremden Sprache falsch ist. Es wäre manchmal geradezu mysteriös, wenn ein Sprecher die Wahrheit wüsste. Wenn z. B. seine Uhr plötzlich stehen bleibt, werden wir die Zeit, die er angibt, nicht mit der richtigen Uhrzeit übersetzen wollen, sondern mit der falschen, die von seiner Uhr angezeigt wird. Diese Erweiterung des Prinzips der wohlwollenden Interpretation wird als „Prinzip der Menschlichkeit“ bezeichnet ([3–27], [3–33], [3–41]). Das Anwenden der zwei Prinzipien soll uns die Erstübersetzung erleichtern. Sie sind aber nicht nur eine Hilfestellung bei der Übersetzung, sondern sie reflektieren auch deren Grundvoraussetzung. Die Sprechergemeinschaft, der wir uns zuwenden, muss im Großen und Ganzen ein kohärentes, rationales und unsere Logik respektierendes Gesamtgeflecht an Überzeugungen besitzen. Ist diese Voraussetzung nicht gegeben, dann haben wir nicht nur keinen Grund, die Prinzipien anzuwenden. Das ganze Unternehmen der Übersetzung scheint dann wenig aussichtsreich. Davidson geht sogar soweit zu sagen, dass dann die Lautausstoßungen der Fremden unmöglich eine Sprache und die Fremden unmöglich begrifflich denkende Wesen sein können. Diese starke Annahme ist allerdings umstritten. Welches sind nun (mit der Hilfsannahme im Hinterkopf) die ersten Kundgebungen der Fremden, deren Übersetzung wir wahrscheinlich erahnen können? Es werden solche sein, die in direktem Zusammenhang mit beobachtbarem Geschehen stehen. Angenommen, ein Kaninchen hoppelt plötzlich auf einer sonst leeren Wiese an uns vorbei. Der Fremde ruft „Gavagai“ [3–37: 29]. Wir können als erste Hypothese in einer provisorischen Übersetzungstabelle notieren: „Gavagai“ bezieht sich auf Kaninchen, bzw. steht für „Dort ist ein Kaninchen“. Dabei können wir uns in dreierlei Hinsicht nicht sicher sein. Wir wissen nicht genau, aus welchen Worten die Äußerung „Gavagai“ besteht. Dieses Unwissen hat drei Ebenen. Erstens eine syntaktische: Wurde „Ga va gai“ oder „Gava gai“ oder „Gav a gai“ etc. geäußert? Und zweitens eine semantische: Wie sehen die Übersetzungen der einzelnen Worte aus? Etwa „Ga“ = „Schau!“, „va“ = „ein“, „gai“ = „Kaninchen“?

Das Prinzip der Menschlichkeit

Erste Übersetzungserfolge und Misserfolge

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3. Sprache und Wahrheit

Gelegenheitssätze (occasion sentences) und bleibende Sätze (standing sentences)

Analytische Hypothesen

Drittens können wir uns noch gar nicht darauf verlassen, dass wir überhaupt mit unserem Eintrag richtig liegen. Vielleicht haben wir einen Maulwurf übersehen, auf den sich „Gavagai“ bezieht, vielleicht heißt „Gavagai“ auch „Ich habe Hunger“ oder „Du Dummkopf!“. Um unsere erste Hypothese besser zu bestätigen, können wir Folgendes tun. Wir können warten, bis wieder „Gavagai“ geäußert wird und sehen, ob abermals ein Kaninchen vorbeiläuft, oder wir stellen ein Experiment an und äußern selbst „Gavagai“, wenn wir ein Kaninchen erspähen und auch davon ausgehen können, dass der Fremde es sieht. Wenn er und andere Mitglieder seiner Gruppe zustimmen, dann wird unsere Hypothese induktiv besser bestätigt; ganz so, wie auch wiederholte Experimente in den Naturwissenschaften Hypothesen besser bestätigen. Dabei müssen wir allerdings schon zustimmendes von verneinendem Verhalten unterscheiden können. Auch die Wörter für „ja“ und „nein“ müssen natürlich über Versuch und Irrtum herausgefunden werden. Wir können die Gruppe von Sätzen der fremden Sprache, zu denen wir wahrscheinlich zuerst Zugang finden werden, klassifizieren. Es sind solche Sätze – Quine nennt sie „Gelegenheitssätze“ („occasion sentences“) – die nur während eines bestimmten beobachtbaren Geschehens oder in einer beobachtbaren Situation Zustimmung oder Ablehnung erfahren: „Gavagai“/ „Dort ist ein Kaninchen!“ ist, im Gegensatz zu „The earth moves around the sun“, ein solcher Gelegenheitssatz [3–37: § 9, 35ff.]. Diejenigen Sätze, die auch Zustimmung oder Ablehnung unabhängig von der gegenwärtigen Situation erfahren können, nennt Quine „bleibende Sätze“ („standing sentences“). Neben „The earth moves around the sun“ wäre „Tirana is Albania’s capital“ ein Beispiel. Wie kommen wir an die Bedeutung solcher Sätze, die wir nur der Durchsichtigkeit halber hier auf Englisch wiedergegeben haben, heran? Nur über einen Zwischenschritt, denn wenn „The earth moves around the sun“ immer Zustimmung erfährt, dann können wir aus dem Äußerungskontext oder aus der Variation des Äußerungskontextes die Bedeutung des Satzes nicht erahnen. Der Trick ist, die bisher gelernten Gelegenheitssätze in einzelne Wörter aufzubrechen. Einige Teile dieser Sätze werden in anderen Sätzen wiederholt werden. Als Hypothese können wir diese Teile isoliert niederschreiben und, aufgrund der Übersetzungen der bisherigen Sätze, provisorisch deutschen Worten zuordnen. Diese Provisorien entsprechen den Zuordnungspostulaten, die wir von oben aus der Bedeutungstheorie kennen: z. B. „,Sun‘ ist ein Name und bezieht sich auf die Sonne“. Quine nennt diese Wortpostulate analytische Hypothesen („analytical hypotheses“; siehe [3–37: § 15, 68 ff.]). Wenn wir eine hinreichende Zahl von Worten mit Bezugspostulaten gesammelt haben, dann sind wir erstens in der Lage, selbst neue Gelegenheitssätze zu formen und sie den Fremden in Situationen, in denen wir Zustimmung erwarten, vorzulegen; hier z. B. „The sun is shining“. Erhalten wir in der Tat bei hellem Sonnenschein Zustimmung, dann werden dadurch unsere Mutmaßungen (die Satzübersetzungs- und analytischen Worthypothesen) induktiv bestätigt oder – wenn nicht – widerlegt, und wir müssen neue Vermutungen aufstellen. Zweitens aber können wir, dank der Kenntnis der konstitutiven Worte, beständige Sätze verstehen und äußern. Der Weg zu beständigen Sätzen führt also über Gelegenheitssätze und analytische Hypothesen.

3.2 Die wahrheitstheoretische Konzeption der Bedeutung: Donald Davidson

Wir haben eine Ahnung davon bekommen, wie wir, wenn alles gut geht, eine uns völlig fremde Sprache erschließen können: Die Fremden nehmen ihre Umwelt wahr und handeln in dieser Welt, sie verhalten sich rational und besitzen ein kohärentes Weltbild, so dass wir das Prinzip der wohlwollenden Interpretation und/oder das der Menschlichkeit erfolgreich anwenden können. Wir haben Vermutungen darüber angestellt, welche Art von Sätzen zuerst (Gelegenheitssätze) und welche erst nach Zusatzhypothesen (nämlich analytischen Hypothesen) und sehr spät während unserer Untersuchung herausgefunden werden (bleibende Sätze). Das Ziel des ganzen Gedankenexperiments war es zu zeigen, dass wir unter den genannten Voraussetzungen die Bedeutung von Sätzen einer fremden Sprache allein aufgrund von empirischem Datenmaterial erfassen können. Unsere Anmerkungen zur radikalen Interpretation haben diese These plausibilisiert. Was können wir nun insgesamt mit den Ergebnissen dieses Abschnitts anfangen? Hier müssen wir uns den beiden Urvätern der radikalen Interpretation/Übersetzung separat zuwenden. Zunächst kehren wir zu Davidson zurück, wenden uns dann aber im nächsten Kapitel der naturalistischen Bedeutungstheorie Quines zu. (Leser, die von dort aus hierher gesprungen sind, können wieder nach vorne blättern.) Wir haben in den ersten Abschnitten dieses Kapitels den formalen Apparat, der sich hinter Davidsons Bedeutungstheorie verbirgt, kennen gelernt. Am Ende blieb die Frage offen, wie wir überhaupt an die nötigen Informationen herankommen, die uns erlauben, Postulate wie „,Snow‘ ist ein Subjektterm und bezieht sich auf Schnee“ niederzuschreiben, um so (T)-Sätze der Form „,Snow is white‘ ist wahr, genau dann, wenn Schnee weiß ist“ ableiten zu können. Dieses Ziel wollten wir erreichen, ohne vorher schon Wortoder Satzbedeutungen der zu explizierenden Sprache zu kennen. Das Gedankenexperiment der radikalen Übersetzung weist den Weg, auf dem wir dieses Vorhaben verwirklichen und nebenbei auch die Forderung nach empirischer Adäquatheit erfüllen können. Wesentliche Aspekte der radikalen Interpretation sind das kausale Interagieren und Sprechen der Fremden in und mit der Welt sowie unser Beobachten dieser (Sprach-)Handlungen. Erst das Dreieck, das durch die Interaktion von uns mit den Fremden einerseits und andererseits den Objekten der gemeinsamen Welt aufgespannt wird, ermöglicht die Interpretation. Davidson bezeichnet diesen Mechanismus als „Triangulation“ [3–11]. In der Triangulation schließen sich die Seiten von Sprache, Überzeugungen und Absichten und kausalen Handlungen in der Welt. Es nimmt daher nicht wunder, dass sich Davidson neben der Sprachphilosophie auch eingehend mit Handlungs- und Entscheidungstheorie beschäftigt hat. Er bietet Theorien darüber an, was Gründe, Ursachen und Absichten sind, und auch, was eine rationale oder irrationale Handlung ist ([3–6], [3–9], [3–11]). Die Triangulation wird daher in Davidsons theoretischem Gebäude konstitutiv nicht nur für die radikale Interpretation, sondern auch für Selbstwissen, Wissen über die Überzeugungen anderer und das Wissen über die Welt. Alle drei Wissens-Varianten können laut Davidson nicht ohne einander existieren. Das Unternehmen Bedeutungstheorie wird auf diese Weise holistisch, und zwar nicht nur in dem Sinne, dass die Bedeutung von Sätzen mit der Bedeutung

Die Triangulation

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3. Sprache und Wahrheit

von einzelnen Worten und anderen Sätze verknüpft ist, sondern auch insofern die Wahrnehmung und Beschreibung der Welt, die Interpretation unserer Mitmenschen und unserer selbst miteinander verwoben sind. Das alles bleibt freilich hier etwas vage, und wir haben leider nur den Platz, abschließend auf eine Seite des Triangulationsdreiecks (bzw. zwei Ecken) gesonderte Aufmerksamkeit zu richten, nämlich auf die Seite, die uns mit der Welt verbindet. Erinnern wir uns daran, dass unsere Bedeutungstheorie von oben Referenzpostulate für verschiedene Worte aufführt: „,Snow‘ bezieht sich auf Schnee“. Diese Bezugspostulate weisen auf direkte Verknüpfungen zwischen den Worten einer Sprache und Gegenstandsklassen der Welt hin. Die Dinge selbst – nicht mentale Entitäten, Ideen oder Vorstellungen – konstituieren den Bedeutungsgehalt dieser Worte: für „Snow“ eben der weiße, kalt-feuchte Stoff Schnee, für „Lion“ die natürliche Spezies Löwe. Bedeutungstheorien, die eine kausale Verknüpfung zu den Gegenständen der Welt als bedeutungskonstitutiv ansehen, bezeichnet man als semantischen Externalismus (siehe unsere Kapitel 9 und 10, in denen wir Hilary Putnams Ideen dazu vorstellen). Davidsons Externalismus zeigt sich in den Referenzpostulaten. Mit diesem Ausblick beenden wir unser Kapitel zur Semantik der Wahrheitsbedingungen.

3.3 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen Zusammenfassung Alfred Tarski hat das uralte philosophische Problem, was Wahrheit ist, auf die Frage zusammengeschrumpft, wann das Prädikat „… ist wahr“ auf Sätze einer vorgegebenen Kunstsprache korrekt angewendet wird. Wir haben kurz diskutiert, ob diese deflationäre Vorgehensweise legitim ist. Dabei orientiert er sich zunächst an Aristoteles’ Intuition, dass ein Satz genau dann wahr ist, wenn er sagt, was ist. Daraus macht Tarski die Forderung, dass jede vernünftige Wahrheitstheorie alle Aussagen der Form (T): „,p‘ ist wahr genau dann, wenn p“ für jeden beliebigen Satz p der untersuchten Sprache liefern muss. Mehr noch, Tarski behauptet, dass die Implikation aller dieser (T)-Sätze schon hinreicht, um eine Wahrheitstheorie als adäquat zu akzeptieren (Konvention T). Tarskis Wahrheitsdefinition entpuppt sich somit als extensionale Definition, d. h. als eine Auflistung aller richtigen Anwendungsfälle von „… ist wahr“. Wir haben uns zwei Beispiele für solche Wahrheitstheorien (für S und S*) angesehen, die aus Referenzpostulaten für einzelne Worte und aus Kompositionsregeln für Satzkonstruktionen bestehen. Ein Kapitel über Wahrheitstheorien hat deswegen etwas in einem Buch über Sprachphilosophie zu suchen, weil Wahrheit und Bedeutung von Sätzen auf das Engste miteinander verknüpft sind. Unter diesem Motto war es Donald Davidson möglich, Tarskis Theorie auf die Alltagssprache anzuwenden und daraus einen glaubhaften Kandidaten für eine Bedeutungstheorie natürlicher Sprache zu machen. Tarskis (T)-Sätze werden dann nicht mehr als partielle Explikationen des Wahrheitsprädikats gesehen, sondern indem sie die Wahrheitsbedingungen von natürlichsprachlichen Sätzen angeben, erhellen sie gleichermaßen deren Bedeutung. Wir haben gesehen, dass sich Davidson mit seinem Unterfangen eine große Hypothek auflädt, denn natürliche Sprachen haben eine Unzahl an grammatischen und semantischen Erscheinungen, die alle auf eine solche Weise axiomatisch behandelt werden wollen, dass sich aus diesen Postulaten (T)-Sätze ergeben. Wir haben beispielhaft die axiomati-

3.3 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen sche Handhabung von indexikalischen Termen und der indirekten Rede angerissen. Ein weiteres großes Feld der Davidsonschen Erwägungen zur Semantik natürlicher Sprachen erschließt sich in Quines und Davidsons Gedankenexperiment der radikalen Interpretation bzw. Übersetzung. Das Gedankenexperiment möchte plausibilisieren, dass auch radikal fremde Sprachen von uns allein aufgrund empirischer Beobachtung der Handlungen und Sprechakte der fremden Sprecher erschlossen werden können. Wenn das tatsächlich gelingt, dann ist sprachliche Bedeutung nicht unter Ideen zu suchen, sondern in der empirischen Welt verankert. Wir haben Davidsons Rationalitätserwägungen hinsichtlich der Prinzipien der wohlwollenden Interpretation und der Menschlichkeit betrachtet und seine erkenntnistheoretischen Ideen der Triangulation vorgestellt. Wir haben auch erwähnt, dass Davidson die These des semantischen Externalismus vertritt: Die Referenzgegenstände von Begriffen wie „Snow“ oder „Lion“ sind nicht Vorstellungen in unseren Köpfen, sondern die Dinge selbst: Schnee und Löwen.

Lektürehinweise – Der zentrale Artikel, in dem Tarski seine Wahrheitstheorie entwickelt, ist [3–38]. – Dieser Artikel ist allerdings sehr technisch und selbst noch für Fortgeschrittene in der Logik ein hartes Brot. Wesentlich leichter zugänglich, und als erste Lektüre unbedingt empfohlen, ist [3–39]. Noch knapper und leichter ist [3–40]. – Eine knappe Einführung in das Thema Wahrheitstheorie ist [3–28]. (Sehr empfohlen sei das umfangreiche Werk [3–30].) – Weitere Texte zur Wahrheit: [3–3], [3–14], [3–23], [3–43]. – Weitere Texte Davidsons zur Semantik: [3–19], [3–20], [3–21]. – Kritische Auseinandersetzungen und Anthologien zu Davidsons Sprachphilosophie: [3–22], [3–24], [3–35], [3–36]. – Zur indirekten Rede und zu propositionalen Einstellungen: [3–1], [3–32]. – Allgemein zur Wahrheitstheorie: [3–37b], [3–3a], [3–24a].

Fragen und Übungen 1. Wir haben uns des Bildes einer Wahrheitsmaschine bedient, um Tarskis Theorie anschaulicher zu machen. Ist die Wahrheitsmaschine eher mit einem Universalübersetzungsprogramm oder eher mit einer Enzyklopädie zu vergleichen? Beurteilen Sie folgende Aussage: „Wenn wir bloß so eine Maschine hätten, dann wüssten wir alles und würden alle Wahrheiten kennen!“. 2. Zeigen Sie, dass die Wahrheitstheorie (i)–(xiii) für die Sätze S „½ S3 B ½ S5“ und „½ (S3 b S5)“ aus S dieselben (T) Sätze liefert. Ist das akzeptabel? 3. Taufen wir den ganzen nächsten Satz auf den Namen „L“ (für Lügner): „L ist nicht wahr“. L ist somit ein Satz, der über sich selbst spricht. Nun muss laut Tarski eine korrekte Wahrheitstheorie für jeden Satz, also auch für L, den (T)-Satz liefern. Für L also: L ist wahr genau dann, wenn L nicht wahr ist. Das ist ein offenkundiger Selbstwiderspruch. Wie könnte Tarski darauf reagieren? Vergleichen Sie diese Schwierigkeit mit der berühmten Lügnerparadoxie „Alle Kreter lügen“ (von einem Kreter geäußert). 4. Worin besteht der Unterschied zwischen einer verifikationistischen Bedeutungstheorie (siehe Kapitel 10.2) und Davidsons Theorie? Schauen Sie sich genau an, welche Bedingungen bei den Verifikationisten die Bedeutung eines Satzes liefern sollen und welche Bedingungen bei Davidson. 5. Sie wissen, dass S1 wahr und S2 falsch ist. Sie wissen auch, dass „ose“, „nuk“, „dhe“ die logischen Verknüpfungen „nicht“, „und“, „oder (inklusiv)“ sind. Dabei ist Ihnen aber nicht bekannt, welches fremde Wort welches Deutsche bezeichnet. Legen Sie dem Fremden Sätze so als Frage vor, dass seine Antworten („Ja“/„Nein“) Ihnen helfen, die richtige Korrelation herauszufinden.

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4. Naturalistische und neuere subjektivistische Bedeutungstheorien

4. Naturalistische und neuere subjektivistische Bedeutungstheorien Unter einer naturalistischen Bedeutungstheorie verstehen wir eine Theorie, die davon ausgeht, dass Satz- bzw. Wortbedeutungen vollständig auf natürliche Phänomene zurückführbar sind. Zu den natürlichen Phänomenen zählen insbesondere beobachtbares Verhalten, aber auch Hirnzustände einer Person. Wir werden uns mit zwei naturalistischen Theorien beschäftigen: Der erste Ansatz (Kapitel 4.1) von Willard V. O. Quine (1908–2000) stützt sich auf eine Kombination von Reizeinflüssen, denen ein Beobachter ausgesetzt ist und dessen Verhaltensneigungen. Die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks wird gemäß Quine mit Hilfe dieser Reizeinflüsse und den Verhaltensdispositionen vollständig erklärt und somit naturalisiert. Paul Grice (1913–1988) hat einen zweiten Ansatz (Kapitel 4.2) entwickelt, in dessen Zentrum zunächst der Begriff der Sprecherabsicht, des Meinens, steht. Obwohl die Analyse des Meinens und dessen Rolle für die Konstitution von Bedeutung bei Grice stark im Vordergrund steht, gehört sein Ansatz grundsätzlich zu den naturalistischen Theorien der Bedeutung; denn er vertritt die Auffassung, dass das Meinen eines Sprechers sich letztlich auf dessen Hirnzustände zurückführen lassen muss, so dass damit die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke vermittelt über das Meinen des Sprechers ebenfalls wesentlich in den objektiv bestimmbaren Hirnzuständen einer Person verankert ist.

4.1 Bedeutungsskeptizismus und naturalistischer Neuaufbau: Willard V. O. Quine Willard Van Orman Quine ist ein ungestümer Bedeutungszweifler. In seinen Werken macht er sich nicht nur daran, die traditionelle Idee der Bedeutung sprachlicher Entitäten zu kritisieren und zu destruieren. Quine zeigt überdies auch, welche unerwarteten und vielleicht unwillkommenen Konsequenzen es hat, wenn wir uns mit den Ruinen bzw. mit bescheidenen Neubauten zufrieden geben müssen. Quine argumentiert dafür, dass das Rohmaterial für die Neubauten in einem Zugang zu finden ist, der stark an Vorgehensweisen der empirischen Wissenschaften erinnert und den wir bereits in unserem Kapitel zur Semantik der Wahrheitsbedingungen Donald Davidsons kennen gelernt haben: die radikale Übersetzung. Bevor wir dieses konstruktive Gedankenexperiment wieder aufgreifen, wenden wir uns aber zuerst der dicksten Quineschen Abrissbirne zu, nämlich seinem berühmten Text „Two Dogmas of Empiricism“ [4–17]. Erst danach beginnen wir, mit Quine wieder aufzubauen. Wir werden seine Surrogate für die alte Idee der Bedeutung und verwandte Begriffe kennen lernen: Reizbedeutung, Reizsynonymie und Reizanalytizität. Abschließend stellen wir Quines berüchtigte Unbestimmtheitsthesen vor: die Unerforschlichkeit der Bezugnahme, die Unbestimmtheit der Übersetzung und die Unbestimmtheit naturwissenschaftlicher Theorien.

a) Die zwei Dogmen des Empirismus In „Two Dogmas of Empiricism“ attackiert Quine vor allem den logischen Empirismus (siehe Kapitel 10.2). Laut Quine beruht dessen sprachphiloso-

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phischer Anteil, der unter dem Schlagwort Verifikationismus bekannt geworden ist, auf zwei fehlgeleiteten Dogmen (im Hinblick auf das erste Dogma ist der Titel von Quines Aufsatz irreführend, denn an diesem Dogma halten auch andere philosophische Schulen fest, Kantianer z. B.): (1) Es gibt eine fundamentale Grenze zwischen Sätzen, die analytisch wahr sind, und solchen, die synthetisch wahr sind. (2) Reduktionismus: Jeder bedeutungsvolle synthetische Satz ist äquivalent zu einem Satz, dessen Terme sich sämtlich auf die unmittelbare Sinneserfahrung beziehen. Uns interessiert vorwiegend das erste Dogma, denn mit der Unterscheidung analytisch-synthetisch hängt eine ganze Familie von Begriffen zusammen, unter denen sich auch Bedeutung befindet. Im Verlauf von Quines Argumentation werden sich diese Begriffe aus Ermangelung eindeutiger und nicht-zirkulärer Definitionen als unbrauchbar erweisen. Mit anderen Worten, Quine wird Bedeutung als nicht wohl definierten Begriff verwerfen. Quine nimmt eine modifizierte Form der Kantischen Definition von „analytisch“ (Kritik der reinen Vernunft B10 f.) zum Ausgangspunkt seiner Angriffe auf das erste Dogma:

Erster Definitionsversuch von Analytizität

Eine Aussage ist analytisch wahr, wenn sie allein aufgrund der Bedeutungen der in ihr vorkommenden Worte und unabhängig von (empirischen) Fakten wahr ist (andernfalls ist sie synthetisch). Dabei legt unser intuitives Vorverständnis der Analytizität nahe, dass wir die Klasse der analytischen Sätze in zwei Unterklassen einteilen können: zum einen in relativ unproblematische Sätze wie „Jeder unverheiratete Mann ist unverheiratet“, deren logische Form (hier etwa: „Alle p sind p“) für die Wahrheit unabhängig von (empirischen) Fakten sorgt; und andererseits in die problematischen analytischen Sätze wie „Jeder Junggeselle ist unverheiratet“, für die wir auf die Erklärung „wahr allein aufgrund der Bedeutungen der in ihr vorkommenden Worte“ (hier „Junggeselle“ und „unverheirateter Mann“) zurückgreifen müssen. Wie wir sehen, hängt die Definition des Begriffs analytisch für diese problematischen Fälle entscheidend vom Begriff Bedeutung ab. Sie ist nur dann brauchbar, wenn wir auch für diesen Begriff eine vernünftige Explikation finden können. Das ist der nächste Punkt auf Quines Agenda: Wie kann Bedeutung definiert werden? In einem ersten Argumentationsschritt wehrt sich Quine dagegen, Bezugsgegenstände von Worten als bedeutungskonstitutiv anzusehen. Denn was wäre, wenn wir beispielsweise als Bedeutung einiger genereller Terme die Klasse von Gegenständen, auf die sie zutreffen, anerkennen würden? „Lebewesen mit Herz“ hätte dann de facto dieselbe Bedeutung wie „Lebewesen mit Niere“, denn wie es die Evolution so will, haben alle Lebewesen mit Herz auch Nieren und umgekehrt. Dann würde allerdings der empirisch-naturwissenschaftliche Satz „Alle Lebewesen mit Herz sind Lebewesen mit Niere“ wahr allein aufgrund der Bedeutungen der in ihm vorkommenden Worte. Er wäre also analytisch wahr; eine Konsequenz, die wir nicht akzeptieren wollen, weil naturwissenschaftliche Entdeckungen

Das Bezugsobjekt eines Begriffs ist nicht seine Bedeutung

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Bedeutung und Synonymie

Zweiter Definitionsversuch von Analytizität

wahr aufgrund empirischer Beobachtungen sein sollten. Wir müssen an dieser Stelle darauf hinweisen, dass Quine hier nicht das letzte Wort hat. Heute ist man tatsächlich weiter, was Bedeutung und Bezugsgegenstand diverser Wortklassen anbelangt. Wenngleich die Bedeutung nicht mit dem Bezugsgegenstand identisch ist, so kann der Bezugsgegenstand dennoch Teil der Bedeutung sein. Sowohl im Lichte der Theorien direkter Referenz für singuläre Terme (siehe Kapitel 7.1) als auch der Theorie des semantischen Externalismus für Begriffe natürlicher Arten (siehe Kapitel 9.1) geht Quines Argumentation daher nicht mehr so glatt durch, wie es hier erscheint. Wir wollen an dieser Stelle aber der Kürze halber so tun, als wäre die Idee, Bedeutungen könnten mit konkreten Bezugsgegenständen zusammenhängen, vom Tisch. Man könnte sich daher dazu entscheiden, Bedeutungen nicht als konkrete, sondern als abstrakte Objekte anzusehen. Quine hat aber kein großes Vertrauen in solche Abstrakta. Er prägt an anderer Stelle den Schlachtruf „No entity without identity – keine Entität ohne Identität“ (vgl. [4–18: 23]) und klagt genaue Definitionsmerkmale für jeden abstrakten Gegenstand ein, bevor er ihn akzeptiert: Was macht dieses (abstrakte) Ding zu diesem Ding? Quine bietet versuchsweise einen Vorschlag für ein Bedeutungs-Abstraktum an. Er macht uns zunächst darauf aufmerksam, dass der Begriff der Bedeutung aufs Engste mit dem der Synonymie verknüpft ist: Synonymie kann man als Bedeutungsgleichheit auffassen. Die Bedeutung eines Terms oder Satzes kann daher angegeben werden, indem man Synonyme für diesen Term oder diesen Satz offeriert. Hält man nun daran fest, dass die Bedeutung eines Terms/Satzes ein abstrakter Gegenstand sein soll, dann kann die Klasse aller synonymen Terme/Sätze als dieses Abstraktum herhalten. Mit Hilfe dieser Explikation von Bedeutung kann die ursprüngliche unbefriedigende Definition der Analytizität in die folgende neue überführt werden: Eine Aussage ist analytisch wahr, wenn sie aufgrund von Synonymie-Relationen und unabhängig von Fakten wahr ist. Diese Idee klingt auch deshalb vielversprechend, weil sie die analytischen Sätze, die wir oben als problematisch gekennzeichnet haben, auf die unproblematischen, logisch wahren Sätze zurückführt: Die Bedeutung des Satzes „Jeder Junggeselle ist unverheiratet“ ist, wie soeben neu definiert, die Klasse aller zu ihm synonymen Sätze. Diese Klasse enthält aber den Satz „Alle unverheirateten Männer sind unverheiratet“, der unabhängig von Beobachtung und allein aufgrund seiner logischen Form wahr ist. „Jeder Junggeselle ist unverheiratet“ ist also letztlich aufgrund von Synonymie-Relationen und unabhängig von Fakten wahr und daher analytisch! Wir scheinen zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Mittels Synonymie haben wir Analytizität auf Wahrheit durch logische Form zurückgeführt und sind dabei außerdem den Begriff Bedeutung in der Definition losgeworden. Hartnäckig wie Quine aber ist, fragt er weiter, nämlich nach der Definition von Synonymie, auf der ja nun unsere neue Definition der Analytizität beruht. Quine diskutiert zwei Möglichkeiten: Synonymie beruht auf Definitionen oder Synonymie beruht auf Austauschbarkeit salva veritate, d. h. ohne dass sich der Wahrheitswert ändert. (Eine Erklärung folgt sofort.) Wir könnten also, erstens, der Auffassung sein, der Term „Junggeselle“ werde durch „unverheirateter Mann“ definiert. Doch wer ist hier die Autorität, die

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das festlegt? Ein Wörterbuch mag zwar den Eindruck erwecken, Wörter zu definieren, tatsächlich stellen Wörterbücher aber empirische Hypothesen darüber auf, welche Worte Menschen einer Sprachgemeinschaft synonym gebrauchen. Kurzum, Wörterbucheinträge setzen die Kenntnis von Synonymen schon voraus. Und Synonymie durch bewusste Definition ist zu selten (z. B. wenn eine neuen Notation eingeführt wird: „PKW“ als Abkürzung für „Personenkraftwagen“), als dass sie die richtige Grundlage für Synonymie schlechthin sein könnte. Quine prüft daher, ob, zweitens, Synonymität mittels Austauschbarkeit salva veritate definierbar ist: Zwei sprachliche Ausdrücke sind synonym, wenn sie in beliebigen Sätzen ausgetauscht werden können, ohne dass sich der Wahrheitswert der Sätze ändert.

Synonymie als Austauschbarkeit salva veritate

„Mein PKW hat einen Platten“ ist tatsächlich genau dann wahr, wenn auch „Mein Personenkraftwagen hat einen Platten“ wahr ist. Doch die großzügige Formulierung „in beliebigen Sätzen“ macht das Synonymiekriterium zu eng. Denn der Austausch von vermeintlich synonymen Termen, wie „Junggeselle“ und „unverheirateter Mann“ in „,Junggeselle‘ hat weniger als 12 Buchstaben“ erzeugt aus einem wahren einen falschen Satz. Entgegen unserer Erwartung wären „Junggeselle“ und „unverheirateter Mann“ also nicht synonym. Das sollte nicht sein, und daher müssen mindestens solche Anführungskontexte ausgeschlossen werden. Quine geht daher einen Schritt zurück und definiert: Zwei sprachliche Ausdrücke sind synonym, wenn sie in einfachen Sätzen ohne Anführungskontexte ausgetauscht werden können, ohne dass sich der Wahrheitswert der Sätze ändert. Auch in dieser Fassung ist das Kriterium ungenügend, denn der Austausch der Prädikate „Lebewesen mit Herz“ und „Lebewesen mit Niere“ überführt jeden wahren, einfachen Satz wieder in einen wahren Satz. Zum Beispiel ist sowohl „Alle Lebewesen mit Herz haben einen Blutkreislauf“ als auch „Alle Lebewesen mit Niere haben einen Blutkreislauf“ wahr. Dennoch wünschen wir nicht, dass „Lebewesen mit Herz“ und „Lebewesen mit Niere“ synonym sind. Quine muss daher das Kriterium verschärfen: Zwei sprachliche Ausdrücke sind synonym, wenn sie in einfachen modalen Satzkontexten (ohne Anführungszeichen) ausgetauscht werden können, ohne dass sich der Wahrheitswert der Sätze ändert. Was sind modale Satzkontexte? Satzoperatoren, wie z. B. „Es ist notwendig, dass …“, „Es ist moralisch geboten, dass …“, oder „Wäre … der Fall gewesen, dann wäre … geschehen“ erzeugen solche Satzkontexte. Quine hat aber vor allem die Notwendigkeit im Sinn. Die zwei Sätze „Es ist notwendig, dass unverheiratete Männer unverheiratet sind“ und „Es ist notwendig, dass Junggesellen unverheiratet sind“ erachten wir beide als wahr. Von den Sätzen „Es ist notwendig, dass Lebewesen mit Niere eine Niere haben“ und „Es ist notwendig, dass Lebewesen mit Herz eine Niere haben“ halten wir nur den ersten für wahr, den zweiten aber für falsch, denn es hätten sich auch Lebewesen mit Herz, aber ohne Nieren evolutionär entwickeln können.

Synonymie als Austauschbarkeit in modalen Kontexten; Notwendigkeit

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Notwendigkeit

Das zweite Dogma: der Verifikationismus der Empiristen

„Lebewesen mit Herz“ und „Lebewesen mit Niere“ sind also unter der neuen Definition – wie gewollt – nicht mehr synonym. Ist also die gewünschte Definition für Synonymität und somit indirekt für Bedeutung und endlich auch Analytizität gefunden? Höchstens dann, wenn wir präzise angeben können, was wir mit „Es ist notwendig, dass …“ eigentlich meinen, denn Quine hinterfragt natürlich auch diesen Begriff beharrlich. Die zwei Möglichkeiten einer Interpretation, die sich anbieten, werden allerdings von Quine als inadäquat verworfen. Einerseits könnte man den Modaloperator „Es ist notwendig, dass …“ im Sinne eines Aristotelischen Essentialismus lesen: Es ist genau dann notwendig, dass Junggesellen unverheiratet sind, wenn es in der Essenz, d. h. im Wesen von Junggesellen liegt, unverheiratet zu sein. Den Aristotelischen Essentialismus sieht Quine aber als unannehmbare Verwirrung an. Seine Argumente sind komplex und umfangreich [4–20]. Eine genaue Darstellung führt hier leider zu weit und wir müssen Quines Standpunkt nahezu unkritisch übernehmen, weisen aber gegen Quine darauf hin, dass der Essentialismus vor allem in der neueren Metaphysik und Wissenschaftsphilosophie derzeit ein Comeback erlebt [4–4], das übrigens eng mit dem semantischen Externalismus zusammenhängt, den wir oben schon einmal gegen Quine ins Felde geführt haben. Die zweite Möglichkeit einer Definition von „Es ist notwendig, dass p“ besteht darin, es als „p ist analytisch wahr“ zu interpretieren, aber dieser Weg führt uns in die Zirkularität: Unser Anliegen war, Analytizität mittels Bedeutungsgleichheit bzw. Synonymie zu definieren. Die Definition der Synonymie ihrerseits wird jetzt jedoch auf Analytizität zurückgeführt. Das kann nicht erlaubt sein. Quines Fazit ist, Synonymie und Bedeutungsgleichheit als mögliche Vehikel für die Explikation von Analytizität letztendlich doch aufzugeben. Wo steht Quine am Ende dieser Diskussion? Bedeutung, Synonymie und Analytizität bilden eine Begriffsfamilie, die sich einer nicht-zirkulären Definition verweigert. Wir benötigen daher einen neuen Hebelpunkt, der außerhalb dieser Begriffsfamilie liegt, wenn nicht alle diese Begriffe zusammen über den Haufen geworfen werden sollen. Der letzte Rettungsversuch, den Quine ins Feld führt, aber letztlich ebenfalls scheitern sieht, ist, nochmals zum Bedeutungsbegriff selbst zurückzukehren und ihn (statt durch Synonymie) durch einen der wichtigsten Lehrsätze des logischen Empirismus zu explizieren. Wenn das gelingt, dann könnten wir uns auf unsere erste Definition von „analytisch“ zurückbesinnen. Hier also der letzte Definitionsversuch der Bedeutung: Die Bedeutung eines Satzes ist die empirische Methode seiner Verifikation. Was sind diese Methoden der empirischen Verifikation? Mit anderen Worten: Wie sieht die Beziehung zwischen einem Satz und einer empirischen Beobachtung, die ihn bestätigen (oder widerlegen) soll, aus? Diese Frage ist vor allem dann brisant, wenn man Sätze betrachtet, die nicht direkt etwas mit Beobachtung zu tun haben, also z. B. „Die Erdbeschleunigung beträgt 9,81 m/ s2“ im Gegensatz zu „Die Sonne scheint“. An dieser Stelle kommen wir unmittelbar beim zweiten Dogma an, das genau diese Relation thematisiert:

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(2) Reduktionismus: Jeder bedeutungsvolle Satz ist äquivalent zu einem Satz, dessen Terme sich sämtlich auf die unmittelbare Sinneserfahrung beziehen.

Ein Reduktionismus in radikalster Form würde behaupten, dass jedes einzelne (deskriptive, nicht-logische) Wort, das im Satz vorkommt, entweder selbst schon direkten Bezug zur Sinneserfahrung hat, oder aber in Wörter übersetzbar ist, die einen solchen direkten Bezug haben („… ist rot“, „… ist hart“ etc). Jeder einzelne Satz wird durch Übersetzung Stück für Stück zu einem direkten unmittelbaren Wahrnehmungsbericht, und es soll daher durch eine einfache Beobachtung direkt entscheidbar sein, ob er wahr oder falsch ist. Das ist an sich schon eine recht optimistische Idee, wie man sich leicht am Beispiel „Die Erdbeschleunigung beträgt 9,81 m/s2“ klarmachen kann. Wie sähen hier diese Übersetzungen aus? Quine kritisiert das zweite Dogma aber auf viel generellere Weise. Er setzt dem Isolationismus dieses Dogmas – jeder bedeutungsvolle Satz ist für sich allein genommen durch Beobachtung verifizierbar – einen Holismus entgegen: Der Reduktionismus, so argumentiert Quine, kranke daran, dass er einzelne Sätze als zu bestätigende Einheiten auszeichnet. Quine zufolge ist diese Einheit zu klein. Es seien nicht isolierte Sätze, sondern die ganze Theorie, in die die Sätze eingebettet sind, die vor dem Tribunal der Sinneserfahrung stünde. Diese Auffassung Quines, die er von Pierre Duhem (1861–1916) übernimmt, wird „Bedeutungsholismus“ genannt. Die Einheit der empirischen Signifikanz, der Verifizierbarkeit, ist die Gesamtheit der Wissenschaft bzw. die Gesamtheit der Ansichten, Meinungen und der Weltsicht eines Individuums. Betrachten wir ein Beispiel um diese These zu plausibilisieren: Nehmen wir an, eine Beobachtung spricht gegen die Wahrheit der Aussage „Ein Quecksilberthermometer zeigt 1008C an, wenn es in kochendes Wasser gehalten wird“, weil das Thermometer trotz kochenden Wassers etwas anderes anzeigt. Es überrascht nicht, dass wir, anstatt den Satz sofort als falsch zu verwerfen, auch behaupten könnten, das Thermometer sei kaputt, seine Skala sei falsch geeicht oder der Luftdruck sei nicht normal. Kurzum, die Aussage über das Verhalten des Thermometers kann nicht isoliert und allein durch Beobachtung verifiziert werden. Wenn der Holismus Recht behält, dann ist das empiristische Verifikationskriterium für bedeutungsvolle Sätze unsinnig. Die ersehnte Charakterisierung dessen, was die Bedeutung eines Satzes ausmacht, geht verloren: Die Bedeutung eines Satzes ist eben nicht die empirische Methode seiner Verifikation. Auch unser letzter Rettungsanker für die Definition von Bedeutung geht verloren, und damit einher stellt sich die Definition von „analytisch“ erneut als fragwürdig heraus. Die ursprüngliche Charakterisierung „Eine Aussage ist analytisch wahr, wenn sie allein aufgrund der Bedeutungen der in ihr vorkommenden Worte und unabhängig von (empirischen) Fakten wahr ist“ wackelt an allen Ecken und Kanten. Wenn wir Quines Argumentation folgen, dann stehen wir vor einem Trümmerhaufen. Weder die traditionellen Begriffe der Analytizität noch der Bedeutung noch der Synonymie können in der Sprachphilosophie aufrechter-

Der QuineDuhemsche Bedeutungsholismus

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halten werden. Man muss Quine natürlich nicht unbedingt blind vertrauen. Wir haben bereits an verschiedenen Stellen darauf hingewiesen, wie man seinen Argumenten prinzipiell etwas entgegenstellen könnte. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dafür zu plädieren, dass enge Definitionszirkel (analytisch/synonym/bedeutungsgleich) durchaus ihren Wert haben: Konzepte können sich dadurch gegenseitig erhellen.

b) Reprise: Das Gedankenexperiment der radikalen Übersetzung und Quines Schlussfolgerungen

Reizbedeutung, Reizanalytizität und Reizsynonymie

Unser Kapitel war bis hierher erschreckend destruktiv. Der nun folgende Teil soll den Grundstein für einen bescheidenen Neuanfang legen. Dazu dient Quines Gedankenexperiment der radikalen Übersetzung, das wir in unserem Kapitel zur Semantik der Wahrheitsbedingungen schon besprochen haben. Wir müssen unsere Leser und Leserinnen darum bitten, zu Kapitel 3.2 zurückzublättern, um die Lektüre dort fortzusetzen bzw. um die Erinnerung aufzufrischen. Wenn dieses Experiment in der Realität so funktioniert, wie sich Quine (und Davidson) das vorstellen, dann ist mindestens ein positives Ergebnis zu verzeichnen: Die Sprache einer Gruppe von Menschen kann bis zu einem gewissen Grade durch bloße Beobachtung des Verhaltens der Sprecher und deren Äußerungen erschlossen, d. h. in unsere eigene Sprache übersetzt werden. Die negative Seite des Experiments wird sich in den beiden nun folgenden Abschnitten zeigen, denn laut Quine ist die Erschließung der anderen Sprache limitiert. Das wird besonders deutlich, wenn wir Quines berühmte Unbestimmtheitsthesen vorstellen. Zunächst wenden wir uns aber Quines eigenem konstruktiven Beitrag zur Neu-Charakterisierung von Bedeutung, Analytizität, und Synonymie zu. Es wird deutlich werden, wie wenig dabei von einem intuitiven Bedeutungsbegriff übernommen wird. Im Gedankenexperiment haben wir diejenigen Sätze der fremden Sprache, zu denen wir wahrscheinlich zuerst Zugang finden, Gelegenheitssätze genannt. Sie erfahren während eines bestimmten beobachtbaren Geschehens Zustimmung oder Ablehnung. „Gavagai“ bzw. „Kaninchen!“ sind solche Ein-Wort-Gelegenheitssätze. Rein physikalisch bzw. neurophysiologisch betrachtet stellt sich die Situation so dar: Vom Kaninchen ausgehend erreichen Photonen die Netzhaut des Sprechers. Alle anderen Sinnesrezeptoren des Sprechers (auf seinem Trommelfell, auf der Haut etc.) registrieren ebenfalls Reize, zu denen wahrscheinlich auch „kaninchenirrelevante“ Reize gehören. Quine macht nun den mutigen Schritt, den Sprecher als bloßen Reizempfänger anzusehen, um sein Surrogat für sprachliche Bedeutung zu definieren. Er charakterisiert die affirmative Reizbedeutung von „Gavagai“ als die Klasse aller Stimulationen aller Sinnesrezeptoren eines Sprechers für eine bestimmte Zeitdauer, die den Sprecher bejahend auf die Frage „Gavagai?“ antworten lassen würden. Dieses Gesamtpaket an Sinnesreizungen soll auch die irrelevanten Nervenreizungen enthalten (hier z. B., dass der Schuh des Sprechers gegen seine dicke Zehe drückt). Zwei verschiedene Gesamtreizungen, die beide zur Zustimmung von „Gavagai“ führen würden, können in ihren irrelevanten Anteilen variieren; sie werden sich aber in den relevanten Anteilen ähneln. Die negative Reizbedeutung ist die Klasse aller Gesamtnervenreize, die den Sprecher die Frage „Gavagai?“ verneinen lassen würden.

4.1 Bedeutungsskeptizismus und naturalistischer Neuaufbau: Willard V. O. Quine

Die Reizbedeutung selbst ist letztendlich das Paar beider Klassen von Sinnesreizungen, also das Paar aus positiver und negativer Reizbedeutung. Die Reizbedeutung eines Satzes ist also ein geradezu physiologisches Konzept. Überspitzt naturalistisch formuliert, können wir festhalten, dass Reizbedeutungen von Sätzen Klassen von Erregungsmustern auf den Nervenenden des Reizempfängers Mensch sind, die mit Zustimmung oder Verneinung von diesen Sätzen verknüpft sind. Die Reizbedeutung liegt somit auf gewisse Weise zwischen Referenzobjekt (von dem z. B. Lichtstrahlen reflektiert werden) und einer möglichen mentalen Entität (z. B. einer Vorstellung). Wenn wir nun auf Basis der Reizbedeutung auch die Reizsynonymie und Reizanalytizität definieren, dann lernen wir kuriose Eigenheiten der Reizbedeutung kennen. Dabei wird sich herausstellen, dass sie nur ein schwacher Abklatsch des traditionellen Bedeutungsbegriffs sein kann. Das ist allerdings kein mangelhafter Aspekt der Sprachphilosophie Quines, sondern Teil seines Bedeutungsnihilismus. Einen reichhaltigeren Begriff als die schwache Reizbedeutung können wir gemäß Quine nicht erwarten (das war ja zum Teil das Ergebnis unseres ersten Abschnitts). Zwei Sätze sind für einen bestimmten Sprecher S reiz-synonym, wenn sie für S dieselbe Reizbedeutung haben. Ein Satz ist für einen Sprecher S reiz-analytisch, wenn S dem Satz bei jedem Stimulus zustimmt. Man kann sich leicht klarmachen, dass die Gruppe der stimulus-analytischen Sätze bei weitem mehr Mitglieder zählt, als man in einem intuitiven Sinne als analytisch akzeptieren würde; etwa naturgesetzliche Aussagen („Massen ziehen sich an“) oder wahre Sätze aus der Vergangenheit („Es gab mindestens einen schwarzen Hund“). Quine macht daraus kein Geheimnis und kommentiert lakonisch, dass unsere Intuitionen über den ohnehin als unhaltbar entlarvten Analytizitätsbegriff und die Definition des neuen Begriffs der Reizanalytizität auseinanderklaffen. Quines Meinung nach kann eben nur sein idiosynkratisches Surrogat übrig bleiben. Wir lassen die Ergebnisse unserer bisherigen Exegese in Quines berühmten Unbestimmtheitsthesen kulminieren. Die Quellen der ersten Übersetzungshypothesen, so haben wir oben herausgestellt, sind Situationen, in denen sich Äußerungen direkt auf beobachtbares Geschehen beziehen. Die Schwierigkeiten beginnen mit den analytischen Hypothesen, die ganze Sätze in Worte zergliedern und einzelnen Worten Rollen zuordnen. Nehmen wir an, unsere analytische Hypothese in Bezug auf „Gavagai“ sei, dass „Gavagai“ ein Ein-Wort-Satz ist, und dass sich das Wort „Gavagai“ auf Kaninchen bezieht. Die Begründung, die wir für diesen Schritt angeben könnten, ist der Verweis auf die Reizbedeutungsgleichheit der Sätze „Gavagai“ und „Kaninchen!“. Dieselbe Begründung könnte allerdings ein anderer Übersetzer für eine ganz andere analytische Hypothese angeben. Jener könnte behaupten, „Gavagai“ stehe für „unabgetrennte Kaninchenkörperteile“, denn schließlich stimmen auch hier die Reizbedeutungen für die entsprechenden Ein-Wort-Sätze überein. Die Reize auf der Netzhaut sind die gleichen, ob wir nun Kaninchen, unabgetrennte Kaninchenkörperteile, äu-

Die Unbestimmtheit der Bezugnahme

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Die Unbestimmtheit der Übersetzung

Die Unbestimmtheit naturwissenschaftlicher Theorien

ßere Hüllen von Kaninchen, inkarnierte Kaninchengottheiten und was nicht noch alles sehen. Daher bleibt es unbestimmt, auf welche Entitäten sich „Gavagai“ wirklich bezieht. Alle Übersetzungen und analytischen Hypothesen passen zu den gleichen Beobachtungssituationen. Die resultierende Unsicherheit bezeichnet Quine mit dem Begriff Unerforschlichkeit der Bezugnahme (bzw. Referenz). Man könnte einwenden, dass sich die Lage verbessert, wenn man gelernt hat, gezielt Fragen zu stellen. Dann könnte die Hoffnung bestehen, dass beispielsweise „unabgetrenntes Kaninchenkörperteil“ als mögliche Übersetzung auszuschließen ist, indem man, während man zuerst auf das Bein und dann den Kopf des Kaninchens zeigt, in der Sprache der Fremden fragt: „Ist das dasselbe Gavagai wie dieses da?“. Heißt „Gavagai“ Kaninchenkörperteil, dann sollten wir eine Verneinung erwarten, heißt es „Kaninchen“, Bejahung. Aber auch das ist keine sichere Methode, denn die weiteren Begriffe, die wir benutzen, um Fragen zu stellen, sind ebenfalls Unsicherheiten ausgesetzt. Zum Beispiel könnte der andere Übersetzer mit seinem eigenartigen Übersetzungsmanual das Wort der fremden Sprache, das wir mit „dasselbe“ übersetzt haben, mit „gehört zum selben Objekt wie“ übersetzen. Dann ist das Bejahen der obigen Frage (wohlgemerkt gestellt in der Sprache des Fremden) weder Indiz für das eine, noch das andere Übersetzungsmanual. Beide Übersetzungsverschiebungen balancieren sich gegenseitig aus. Wenn wir diesen Gedanken weiterspinnen, gelangen wir zu Quines These der Unbestimmtheit der Übersetzung. Quine geht nämlich so weit zu behaupten, dass man sich prinzipiell auf die gerade geschilderte Weise durch die gesamte Sprache manövrieren kann und so zu einem völlig verschiedenen Übersetzungshandbuch gelangen könnte, das aber für die Kommunikation mit den Fremden genauso brauchbar ist wie unser Ausgangsmanual. Die Möglichkeit, Abweichungen zweier Übersetzungen an einer Stelle durch Abweichungen an anderer Stelle auszubügeln, erinnert zu Recht an Quines Bedeutungsholismus, mit dem er den Isolationismus des Verifikationismus kritisiert hat. Quine spricht noch von einer dritten Unbestimmtheit, nämlich der Unbestimmtheit naturwissenschaftlicher Theorien. Nachlässig knapp können wir dazu lediglich noch einmal darauf hinweisen, dass das Projekt der radikalen Übersetzung als ein weitgehend naturwissenschaftliches Unterfangen angelegt war: Beobachtungen bestätigen oder widerlegen verschiedene Übersetzungshypothesen. Umgekehrt bietet es sich daher an zu argumentieren, dass auch physikalische (oder biologische etc.) Theorien nicht durch Beobachtung völlig bestimmt sind. Das heißt, dass es auch hier rivalisierende Gesamttheorien geben kann, die beide für sich völlig konform mit dem empirischen Befund gehen, sich aber gegenseitig widersprechen. Kritiker Quines behaupten an dieser Stelle allerdings, dass sich Quines Gedankenexperiment auf die Unterbestimmtheit von wissenschaftlichen Theorien reduziert, weil es überhaupt nie wirklich zu radikalen Übersetzungen kommt. Denn viele Aspekte der Sprache seien evolutionär in unserem Gehirn festgeschrieben und könnten gar nicht so schamlos variieren oder variiert werden, wie es Quine darstellt [4–2]. Wenn aber schon vieles im Kopf der Sprecher angelegt ist, dann ist gegebenenfalls auch einiges am Bedeutungsbegriff zu retten, den Quine schon verloren wähnt.

4.2 Das Gricesche Programm

4.2 Das Gricesche Programm Während bei Quine die Idee einer Naturalisierung der Bedeutung darauf hinausläuft, die Bedeutung von Zeichen mittels der Reizbedeutung direkt auf neuronale Zustände und Verhaltensdispositionen zurückzuführen, hat diese Grundorientierung an einer Naturalisierung bei Paul Grice folgende Ausprägung. Er geht davon aus, dass die Absicht des Sprechers, sein subjektives Meinen, das entscheidende bedeutungsstiftende Merkmal ist. Zugleich setzt er voraus, dass alle mentalen Zustände des Menschen, also auch sein Meinen, sich letztlich als neuronale Zustände ausweisen lassen, so dass unter dieser Annahme die Bedeutung sprachlicher Äußerungen sich vollständig als Naturphänomen erfassen lässt. In seinen Arbeiten hat sich Grice jedoch darauf konzentriert, das Meinen des Sprechers zu analysieren, und völlig darauf verzichtet, die Hintergrundannahme einer naturalistischen Theorie des Geistes auszuarbeiten und zu bestätigen. Daher ist sein Ansatz vor allem eine subjektivistische Bedeutungstheorie, bei der das subjektive Meinen des Sprechers der entscheidende Faktor ist. Zunächst soll das Gricesche Programm einer vollständigen reduktiven Beschreibung von Bedeutung erläutert werden, weil es in besonders klarer Form erlaubt, alle bisher in unserem Buch besprochenen Ansätze einzuordnen. Im Anschluss daran wird dann seine spezifische Theorie des Meinens vorgestellt, die zugleich das Kernstück seiner Theorie der rationalen Verständigung und damit der Pragmatik ist, denn mit der Pragmatik soll gerade das vom Sprecher Gemeinte erfasst werden, das über das wörtlich Gesagte hinausgeht (siehe Kapitel 2.3).

a) Die Einordnung der verschiedenen Zugänge zur Sprachphilosophie Gemäß Paul Grice lassen sich fünf Stufen der theoretischen Behandlung von Sprachverhalten unterscheiden (vgl. [4–23: 8 ff.]). Wir können diese verwenden, um die unterschiedlichen Zugänge zur Sprachphilosophie, die bisher vorgestellt wurden, systematisch einzuordnen. Die fünf Stufen werden verständlich, wenn wir sie mit Blick auf eine Sprachgemeinschaft entwickeln, deren Sprache und Gewohnheiten wir nicht kennen. Wir versetzen uns somit wieder in die Lage eines Feldforschers, der mit dem Problem der Erstübersetzung einer fremden Sprache befasst ist (siehe Kapitel 3.2.d). Auf einer ersten Stufe wird das Verhalten der Mitglieder einer Sprachgemeinschaft in ihrer Umgebung beschrieben. Diese Verhaltensbeschreibungen sind der ausschlaggebende Prüfstein für jede Sprachtheorie auf einer abstrakteren Ebene und so von Quine und Davidson auch bewusst gewählt worden. Auf einer zweiten Stufe wird eine psychologische Theorie über die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft entwickelt. Dabei steht insbesondere die Zuschreibung von Wünschen und Überzeugungen im Vordergrund, denn im Rahmen der Alltagspsychologie werden Handlungen mit Hilfe von Wünschen und Überzeugungen erklärt. Diese Zuschreibungen erfolgen mit Hilfe von Sätzen der Form „S wünscht, dass p“ oder „S glaubt, dass p“, wobei S die Person ist, der ein Wunsch bzw. eine Überzeugung zugeschrieben wird, und „dass p“ den Inhalt eines Wunsches bzw. einer Überzeugung angibt. Alle psychischen Zustände, die mit einem psychologischen Verb (wie „hof-

Stufen der Beschreibung von Sprachverhalten

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Konventionen

fen“, „wünschen“, „glauben“ etc.) und einem „dass“-Satz beschrieben werden können, nennt man propositionale Einstellungen. Auf der zweiten Stufe wird damit eine Theorie von den propositionalen Einstellungen der Mitglieder einer Sprachgemeinschaft entwickelt, um so das auf der ersten Stufe beschriebene Verhalten alltagspsychologisch zu erklären. Auf einer dritten Stufe soll eine Theorie der subjektiven Äußerungsbedeutung entwickelt werden. Dabei lassen sich die Sprecher- und die Hörerperspektive unterscheiden. Die subjektive Äußerungsbedeutung für den Hörer ist das, was er versteht, wenn er die Äußerung hört. Die subjektive Äußerungsbedeutung für den Sprecher ist das, was er meint, wenn er einen Satz äußert. Gemäß Grice ist gerade das Meinen des Sprechers das, was die sprachliche Bedeutung von Zeichen konstituiert. Damit entwickelt er eine moderne Variante einer subjektivistischen Bedeutungstheorie, die die Sprecherabsicht in den Vordergrund stellt. Das Verstehen einer Äußerung zeigt sich auf dieser Stufe darin, zu welchen Überzeugungen der Hörer aufgrund der Äußerung gelangt. Dabei kommt man dann zu einer interpretativen Bedeutungstheorie, wie sie bei Davidson vorgeschlagen ist. Auf einer dritten Stufe werden somit subjektives Verstehen des Hörers und das Meinen des Sprechers einer Sprachgemeinschaft analysiert. Ziel einer vierten Stufe ist es, die intersubjektive Bedeutung von Äußerungen, die sogenannte konventionale Äußerungsbedeutung, anzugeben. Dies ist das Anliegen aller Ansätze, die unter die Philosophie der normalen Sprache eingeordnet werden können. Dabei sollen vor allem die Regelmäßigkeiten im Umgang mit Äußerungen aufgezeigt und in Sprachkonventionen festgehalten werden. Die einflussreichste Theorie über Sprachkonventionen ist die Sprechakttheorie (siehe Kapitel 2.2). Ein wesentliches Verdienst der Sprechakttheorie ist es, eine Theorie der illokutionären Rollen entwickelt zu haben. Die illokutionäre Rolle gibt an, welche Art von Handlung mit einer Äußerung vollzogen wird. Die Sprechakttheorie hat damit aus der Konzentration auf Behauptungen herausgeführt und genauso Bitten, Warnungen, Befehle etc. systematisch berücksichtigt. Die Sprechakttheorie setzt einen klaren Begriff von Konvention voraus. Austin hat jedoch einen solchen nicht entwickelt. Mittlerweile sind zwei klare Konventionsbegriffe vorgestellt worden, den einen hat Lewis [4–12: 79] entwickelt, den anderen von Savigny [4–22: 34 ff.]: Gemäß Lewis setzen Konventionen gemeinsame Absichten (Intentionen) der Mitglieder einer Gruppe voraus und eine Konvention ist auf dieser Basis als das Ergebnis einer kooperativen Interaktion der Mitglieder darstellbar. Von Savigny dagegen möchte den Konventionsbegriff unabhängig von Intentionen bestimmen und beschreibt eine Konvention in enger Anlehnung an den späten Wittgenstein als eine Gepflogenheit, die in einer Gemeinschaft durch eingefleischte Verhaltensweisen verankert ist und vor allem mit Hilfe von positiven und negativen Sanktionen aufrecht erhalten und weitergegeben wird. Diese Konventionsbegriffe sind die Basis für zwei unterschiedliche Analysen von Sprachkonventionen, die jeweils das Fundament für eine Theorie der konventionalen Äußerungsbedeutung auf der vierten Stufe darstellen. Auf einer fünften Stufe sollen die Satzbedeutungen für eine Sprache angegeben werden. Dazu wird die Semantik einer Sprache entwickelt, die für jeden einfachen sprachlichen Ausdruck dessen Bedeutung angibt, so dass die

4.2 Das Gricesche Programm

Bedeutung komplexer Sätze schrittweise auf die Bedeutung der eingeführten einfachen sprachlichen Ausdrücke zurückgeführt werden kann. Hier sind alle Ansätze zur Philosophie der idealen Sprache einzuordnen. Eine Semantik, bei der sich die Bedeutung eines Satzes als Funktion der Bedeutungen der Satzteile und deren Zusammenstellung ergibt, heißt rekursiv. Die Sprache, die wir untersuchen, wird auch Objektsprache genannt und ist strikt zu trennen von der Metasprache, die wir verwenden, um über die Objektsprache zu reden (siehe Kapitel 3.1.a). Eine rekursive Semantik unserer Objektsprache L braucht nur für endlich viele Ausdrücke Bedeutungen anzugeben. Mit Hilfe des Kompositionalitätsprinzips (siehe Kapitel 1.1.b2), welches besagt, dass die Bedeutung eines Satzes eine Funktion der Bedeutungen seiner Teile und ihrer Zusammensetzung ist, lässt sich die Bedeutung für unendlich viele Sätze konstruieren. Dies ist ein zentraler Aspekt einer rekursiven Semantik, denn damit kann das Vermögen eines kompetenten Sprechers erklärt werden, die Äußerungen unendlich vieler verschiedener Sätze auf der Basis eines endlichen Vokabulars zu konstruieren und zu verstehen. Fassen wir die fünf Stufen des Griceschen Programms tabellarisch zusammen: 5. Stufe:

Rekursive Semantik der Objektsprache L

4. Stufe:

Eine Theorie der konventionalen Äußerungsbedeutung

3. Stufe:

Eine Theorie der subjektiven Äußerungsbedeutung (das Meinen)

2. Stufe:

Eine psychologische Theorie über die propositionalen Einstellungen der Mitglieder einer Gruppe

1. Stufe:

Aussagen über das Verhalten der Mitglieder der Gruppe in ihrer Umgebung

Die im Rahmen der Diskussion von Implikaturen (siehe Kapitel 2.3) erläuterte Unterscheidung von Semantik und Pragmatik lässt sich hier wie folgt einordnen: Die Semantik ist als Stufe 5 die abstrakteste Theoriebildung im Umgang mit sprachlichen Äußerungen. Ihr Ziel ist das Angeben eines wörtlichen Gehalts unter Beibehaltung durchgängiger und systematischer Kompositionalität. Die Pragmatik dagegen beschäftigt sich mit dem, was der Sprecher (eigentlich) meint und ist daher der Stufe 3 zuzuordnen, die genau die kognitive Situation des Sprechers und seine Absichten in den Mittelpunkt rückt. Grice hat in seinen Arbeiten zur Entwicklung einer Bedeutungstheorie ausführlich das Meinen des Sprechers analysiert. Es wird im Folgenden vorgestellt.

b) Die Gricesche Analyse des Meinens Damit eine Handlung eine kommunikative Handlung ist, ist es gemäß Grice erforderlich, dass der Sprecher etwas mit seiner Äußerung meint. Grice spricht dabei von nichtnatürlichem Meinen (meintnn) und möchte dieses nichtnatürliche Meinen so charakterisieren, dass damit die nichtnatürliche Bedeutung, die der Kommunikation zugrunde liegt, erfasst wird. Im Unterschied dazu gibt es auch eine natürliche Bedeutung von Zeichen, die gerade unabhängig von dem Meinen eines Sprechers ist. Einige Beispiele sollen zu-

Nichtnatürliches Meinen

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4. Naturalistische und neuere subjektivistische Bedeutungstheorien

nächst den Unterschied von natürlicher und nichtnatürlicher Bedeutung vor Augen führen. (Es ist zu beachten, dass mit nichtnatürlicher Bedeutung das Besondere echter Kommunikation zwar eingefangen werden soll, aber dies steht nicht im Widerspruch zu dem naturalistischen Rahmenprogramm bei Grice. Ferner ist zu beachten, dass „to mean“ im Deutschen teils als „meinen“, teils als „bedeuten“ zu übersetzen ist.) Eine natürliche Bedeutung liegt vor, wenn man feststellt: (1) „Diese Flecken bedeuten Masern“. Zwei zentrale Merkmale sind, dass man nicht sagen kann „Diese Flecken bedeuten Masern, aber er hat gar keine“ und dass man nicht von Satz (1) übergehen kann zu einer Schlussfolgerung darüber, was mit diesen Flecken gemeint war. Der Satz „Diese Flecken meinen Masern“ ist schlicht unsinnig. Dagegen haben wir es mit einer nichtnatürlichen Bedeutung zu tun, wenn jemand feststellt: (2) „Dieses dreimalige Läuten der Klingel (im Bus) bedeutet, dass der Bus voll ist.“

Erster Analyseversuch zum Meinen

Hier kann man auch genau das sagen bzw. inferieren, was bei der natürlichen Bedeutung ausgeschlossen ist. Man kann Satz 2 äußern und hinzufügen, „aber der Bus ist nicht voll, denn der Fahrer hat einen Fehler gemacht“. Man kann zudem von Satz 2 übergehen zu einer Feststellung darüber, was mit dem dreimaligen Klingeln gemeint war. „Dieses dreimalige Läuten der Klingel meint, dass der Bus voll ist.“ Diese Feststellung ist in diesem Fall sinnvoll. Nun stellt sich die Frage, ob man das Meinen eines Sprechers bzw. Zeichenverwenders so analysieren kann, dass man damit das nichtnatürliche Meinen adäquat beschreiben kann, welches einer nichtnatürlichen Bedeutung einer Äußerung bzw. einer Zeichenverwendung zugrunde liegt. Wir sprechen im Folgenden der Einfachheit halber immer von der Verwendung eines Satzes. In einem ersten Analyseversuch versuchen wir, das Meinen durch Sprecherabsichten wie folgt zu bestimmen: Der Sprecher S meintnn mit dem Äußern eines Satzes A, dass p, genau dann, wenn S den Satz A mit der Absicht äußert, (1) dass der Hörer zu der Annahme gelangt, dass p. Dazu können wir uns jedoch unmittelbar ein Gegenbeispiel vorstellen, welches die Unvollständigkeit der Analyse offenbart: Es kann sein, dass ich Ms Taschentuch an einem Ort liegenlasse, wo ein Mord begangen worden war, um den Detektiv so zu der Überzeugung zu bringen, dass M der Mörder war. Man würde jedoch nicht sagen wollen, dass ich mit dem Liegenlassen des Taschentuchs meinte, dass M der Mörder ist; denn obwohl der Detektiv zu der Überzeugung kommt, dass M der Mörder war, kommt er dazu, weil er das Taschentuch mit seiner natürlichen Bedeutung ernst nimmt, obwohl gerade das nicht angemessen ist. Er kennt gerade nicht meine Absicht, dass ich ihm mit dem Taschentuch etwas zu verstehen geben will, obwohl es nur als symbolisches Hilfsmittel verwendet wird. Diese Überlegungen motivieren einen zweiten Analyseversuch, bei dem das Erkennen der Sprecherabsicht (1) durch den Hörer explizit berücksichtigt wird:

4.2 Das Gricesche Programm

Der Sprecher S meintnn mit dem Äußern eines Satzes A, dass p, genau dann, wenn S den Satz A mit der Absicht äußert, (1) dass der Hörer zu der Annahme gelangt, dass p, und (2) dass der Hörer die Sprecherabsicht (1) erkennt.

Zweiter Analyseversuch zum Meinen

Zu dieser Analyse hat Grice ebenfalls ein Gegenbeispiel aufgezeigt, welches wiederum die Unvollständigkeit der Analyse darlegt: Herodes überreicht Salome auf einer Schale das Haupt Johannes des Täufers und gibt damit zu verstehen, dass Johannes der Täufer tot ist. Die Bedingungen (1) und (2) der zweiten Analyse sind erfüllt, aber es handelt sich noch nicht um ein nichtnatürliches Meinen. Obwohl diesmal der Hörer sogar die Sprecherabsicht, ihm mitzuteilen, dass Johannes der Täufer tot ist, klar erkennt, erkennt er diese Absicht aufgrund der natürlichen Bedeutung des abgeschlagenen Hauptes. Dabei wird der Unterschied von „jemanden glauben machen/jemanden vorsätzlich und offen wissen lassen wollen“ einerseits und „sagen“ andererseits vernachlässigt. Ein Vergleich kann den Mangel der zweiten Analyse illustrieren. (i) Ich zeige Herrn X ein Photo, das Herrn Y in einer eindeutigen Situation mit Frau X zeigt. (ii) Ich zeichne ein Bild von Herrn Y, das diesen in der gleichen Situation darstellen soll, und zeige es Herrn X. Das Photo hat keine nichtnatürliche Bedeutung, denn Herr X erkennt meine Absicht, ihm mitzuteilen, dass seine Frau fremdgeht allein aufgrund der natürlichen Bedeutung des Photos. Die Wirkung der Zeichnung auf Herrn X dagegen hängt davon ab, ob er annimmt, dass ich ihn damit über seine Frau informieren möchte. Bei der nichtnatürlichen Bedeutung führt das Registrieren einer Information nicht ohne weiteres beim Hörer zur Überzeugung, dass p, sondern der Hörer gewinnt die Überzeugung gerade erst, weil er erkennt, dass der Sprecher möchte, dass er diese Überzeugung gewinnt. Der Unterschied in beiden Fällen besteht in dem Grund für das Erkennen der Sprecherabsicht: Im Fall (i) des Jemanden-glauben-Machens erkennt der Hörer die Absicht des Sprechers, ihn zu der Überzeugung zu bringen, dass seine Frau fremdgeht, weil er den relevanten Sachverhalt auf dem Photo sieht. Im Fall (ii) des Sagens auf der Basis von nichtnatürlichem Meinen erkennt der Hörer die Absicht des Sprechers ihn zu der Überzeugung zu bringen, dass seine Frau fremdgeht, weil der Hörer erkennt, dass der Sprecher genau dies erreichen will. Wenn man den richtigen Grund für das Erkennen der relevanten Sprecherabsicht berücksichtigen will, so ergibt sich die Standardanalyse des nichtnatürlichen Meinens (meintnn): Der Sprecher S meintnn mit dem Äußern eines Satzes A, dass es regnet, genau dann, wenn S den Satz A mit der Absicht äußert, (1) dass der Hörer zu der Annahme gelangt, dass es regnet, (2) dass der Hörer die Sprecherabsicht im Sinne von (1) erkennt und (3) dass der Hörer deshalb zu der Annahme gelangt, dass es regnet, weil er erkennt, dass der Sprecher genau dies beabsichtigt.

Definition des Meinens

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4. Naturalistische und neuere subjektivistische Bedeutungstheorien

Auch diese Analyse ist von Grice aufgrund von kritischen Einwänden weiterentwickelt worden. (Die relevanten Texte von Grice sowie die kritischen Einwände finden sich in deutscher Sprache in [4–13].)

4.3 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen Zusammenfassung In Quines naturalistischer Bedeutungstheorie werden Satz- und Wortbedeutungen auf Hirnzustände und Nervenreizungen eines Sprechers und seine Verhaltensdispositionen zurückgeführt. Quines Bedeutungstheorie gehört in den Kontext seiner wirkungsmächtigen Ablehnung der Unterscheidung von „analytisch“ und „synthetisch“ sowie der damit verbundenen These eines Bedeutungsholismus. Gerade dadurch, dass sich Quine auf die Reizbedeutung und die beobachtbaren Verhaltensweisen für eine Bedeutungsfundierung begrenzt, bleibt jedoch die Bedeutung eines Satzes und der darin verwendeten Ausdrücke unterbestimmt. Es gibt viele Interpretationen der Ausdrücke (und Sätze), die mit derselben naturalistischen Basis vereinbar sind, aber ganz unterschiedliche ontologische Behauptungen einschließen. Quines Theorie der Reizbedeutung ist mit drei Unbestimmtheitsthesen verknüpft, nämlich der Unbestimmtheit 1. der Referenz, 2. der Übersetzung und 3. der wissenschaftlichen Theorien. Grices Theorie der Bedeutung ist naturalistisch, weil sie Sprecherabsichten letztlich auf natürliche Zustände des Sprechers zurückführt. Die Theoriebildung von Grice konzentriert sich jedoch darauf, was es heißt, die Bedeutung einer Äußerung mit Hilfe der Absichten eines Sprechers zu erklären. Seine Analyse des Meinens ist ein sprachphilosophischer Grundbegriff für jede subjektivistische Bedeutungstheorie geworden.

Lektürehinweise – Einen kurzen Überblick über die Philosophie Quines finden Sie in [4–8], [4–10], [4–15]. Quine hat selbst einen Überblick über sein Gesamtwerk verfasst in [4–19]. – Einen kurzen Überblick zu Grice finden Sie in [4–23], [4–9].

Fragen und Übungen 1. Was ist die Grundthese der Theorie der Reizbedeutung bei Quine? 2. Beschreiben Sie einen Definitionsversuch zur Bestimmung von „analytisch“ und erläutern Sie, warum er scheitert. 3. Was besagt die These des Bedeutungsholismus und wie ist sie begründet? 4. Erläutern Sie die Unbestimmtheit der Referenz an einem Beispiel. 5. Nennen Sie Alltagbeispiele für natürliches und nichtnatürliches Meinen bei Grice. 6. Welche sind die drei Grundabsichten, die ein Sprecher haben muss, damit ein nichtnatürliches Meinen vorliegt?

Teil 2: Bausteine der Sprache – Bedeutungstheorien für singuläre Terme Einfache Sätze ohne logische Zeichen bestehen aus Prädikaten und singulären Termen, d. h. Gegenstandsbezeichnungen. In diesem Teil konzentrieren wir uns auf die Frage, was die Bedeutung singulärer Terme ist. Diese Frage wird in zwei Teilfragen zerlegt, nämlich die Frage, wie das Referenzobjekt festgelegt wird, und die Frage, was die Standardbedeutung einer Gegenstandsbezeichnung ist. Diese beiden Fragen bilden den Leitfaden des Kapitels und führen zu einer ausführlichen Betrachtung von Kennzeichnungen, Eigennamen und Indikatoren.

5. Grundlagen einer Semantik singulärer Terme: Definitionen und Adäquatheitsbedingungen Im Zentrum der Untersuchungen stehen Gegenstandsbezeichnungen, die auch als singuläre Terme bezeichnet werden. Wir unterscheiden drei Arten von Gegenstandsbezeichnungen, nämlich Eigennamen, Kennzeichnungen und Indikatoren. Im Rahmen einer Bedeutungstheorie sind zwei Leitfragen zu klären, nämlich 1. die Frage, wie ein Referenzobjekt einer Gegenstandsbezeichnung festgelegt wird, und 2. die Frage, was die Standardbedeutung einer Gegenstandsbezeichnung ist. Um diese Fragen beantworten zu können, werden zunächst drei Adäquatheitsbedingungen für jede Bedeutungstheorie und vier Standardbeispiele für Gegenstandsbezeichnungen vorgestellt.

5.1 Singuläre Terme, Standardbedeutung und Referenz Einfache Sätze ohne logische Zeichen bestehen, prädikatenlogisch gesehen, aus Prädikaten und singulären Termen, d. h. Gegenstandsbezeichnungen (wie z. B. „Joschka Fischer läuft“). In diesem Kapitel konzentrieren wir uns auf die Frage, was die Bedeutung singulärer Terme ist. Die Diskussion zur Bedeutung von Prädikaten hat zum einen viele parallele Züge, zum anderen werden wir in Kapitel 13.1 „Begriffe als Bedeutungen von Prädikaten“ einige Ansätze diskutieren, und zwar indem wir voraussetzen, dass die Bedeutung eines Prädikats ein Begriff ist, wobei dann zu klären ist, was wir unter Begriffen verstehen. Wenden wir uns also nun den singulären Termen zu. Singuläre Terme, also z. B. Namen, Personalpronomen, Demonstrativpronomen etc., sind Gegenstandsbezeichnungen, also sprachliche Ausdrücke, die verwendet werden, um Einzeldinge zu bezeichnen (zur syntaktischen Charakterisierung von Gegenstandsbezeichnungen verweisen wir auf Kapitel 3). Mit „Referenz“ wird das Phänomen bezeichnet, dass wir mit Ausdrücken etwas bezeichnen, über etwas reden können. Die Referenzrelation ist in erster Annäherung eine Relation zwischen dem Vorkommnis eines singulären Terms und dem dadurch bezeichneten Objekt, welches auch als Referenzobjekt oder kurz als Referent bezeichnet wird. Das Phänomen der Referenz ist

Singuläre Terme

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5. Grundlagen einer Semantik singulärer Terme: Definitionen und Adäquatheitsbedingungen

Kernfragen einer Bedeutungstheorie

grundlegend für die Semantik, und es ist eines der zentralen Themen in der Sprachphilosophie, weshalb wir nach einer kurzen Vorstellung der drei Arten von Gegenstandsbezeichnungen eine genauere Beschreibung liefern. Zu den singulären Termen gehören drei Arten von sprachlichen Ausdrücken, nämlich Eigennamen (z. B. „Sokrates“), Kennzeichnungen (z. B. „die Königin von England“) und Indikatoren (z. B. „ich“, „dies“). Ein Eigenname „N“ ist eine Gegenstandsbezeichnung, die gewöhnlich keine interne Struktur aufweist und mit der wir als kompetente Sprecher lediglich die Regel verbinden, dass der Name „N“ verwendet wird, um den Gegenstand N zu bezeichnen. In der Regel haben Kennzeichnungen die interne Struktur „der/die/das F“, wobei „F“ ein beliebiges Prädikat ist. Bei den Indikatoren unterscheiden wir indexikalische Ausdrücke einerseits und deiktische Ausdrücke andererseits. Zu den indexikalischen Ausdrücken gehören beispielsweise „ich“, „hier“, „jetzt“, „heute“, „morgen“. Für sie gilt, dass wir als kompetente Sprecher mit ihnen eine Regel verbinden, die auf die Äußerung selbst Bezug nimmt und unabhängig von weiteren Hinweisen für einen Äußerungskontext festlegt, welches Objekt bezeichnet wird, z. B. verbinden wir mit „ich“ die Regel, dass damit der Sprecher der Äußerung bezeichnet wird. Zu den deiktischen Ausdrücken gehören beispielsweise „dies“, „jenes“, alle Personalpronomina außer „ich“, alle Possessivpronomina außer „mein“. Mit solchen Ausdrücken verbinden wir zwar auch eine Regel, die auf die Äußerung Bezug nimmt; diese ist jedoch unterbestimmt, so dass zusätzlich Hinweise erforderlich sind, um ein Objekt zu bezeichnen, z. B. verbinden wir mit „dies“ die Regel „es wird das im Kontext durch die Verwendung von ,dies‘ auffällig gemachte Objekt bezeichnet“. Dabei können jedoch neben der Äußerung des Wortes „dies“ viele Merkmale zusätzlich relevant sein, z. B. eine Zeigegeste oder eine prädikative Bestimmung (vgl. [5–6] und siehe unten). Welche Fragen soll eine Bedeutungstheorie für Gegenstandsbezeichnungen genau klären? Für eine Antwort sollte man zwei zentrale Fragen unterscheiden, die in der Tradition lange nicht unterschieden worden sind. Es ist jedoch eine wichtige Rahmenbedingung, die beiden Fragen und die Antworten hier systematisch auseinander zu halten: (1) Wie wird das Referenzobjekt des Vorkommnisses einer Gegenstandsbezeichnung festgelegt? (2) Was ist die Standardbedeutung einer Gegenstandsbezeichnung, d. h. der Beitrag des singulären Terms zum Gedanken, der mit einem Satz ausgedrückt wird (in dem der singuläre Term vorkommt)? Wir unterscheiden also klar zwischen zwei konzeptuell verschiedenen Aspekten: der Referenzfestlegung (1) und der Standardbedeutung (2) eines singulären Terms. Das sollten wir auch dann im Auge behalten, wenn manche Theoretiker mit guten Gründen behaupten, dass die Bedeutung einiger Terme (also das, was der Term zum Gedanken beiträgt, den ein Satz ausdrückt), gerade der Referenzgegenstand des Terms ist. Manchmal werden diese beiden Leitfragen mit der Frage verknüpft, was denn nun genau ein Referenzobjekt überhaupt ist: Gibt es in der Welt Einzeldinge oder sind dies

5.1 Singuläre Terme, Standardbedeutung und Referenz

nur Bündel von Eigenschaften? Was sind Personen für Entitäten? Diese Fragen gehören in die Ontologie (die Lehre vom Sein). Wir klammern sie aus und gehen von einem unproblematischen Alltagsverständnis von Einzeldingen und Personen als Referenzobjekten aus (vgl. einführend zur Ontologie [14–1]). Damit können wir uns auf die beiden Leitfragen für eine Bedeutungstheorie konzentrieren, die die Gliederung dieses Abschnitts über singuläre Terme vorgeben. Kehren wir nun zu einer detaillierteren Betrachtung des Begriffs der Referenz zurück. Bei Frege und Russell wurde Referenz als zweistellige Relation zwischen sprachlichen Ausdrücken und bezeichneten Entitäten aufgefasst. Strawson ([5–10], S. 94 ff.; siehe Kapitel 6.2) hat bereits anhand der Diskussion einer Verwendungsweise von Kennzeichnungen darauf hingewiesen, dass es zumindest für manche Gegenstandsbezeichnungen keinen Sinn macht, eine zweistellige Referenzrelation anzunehmen, weil als dritte Komponente die Verwendungsweise berücksichtigt werden muss. Diesen Hinweis hat Donnellan ([5–1]; siehe Kapitel 6. 3) dann durch die Unterscheidung zweier Verwendungsweisen von Kennzeichnungen konkretisiert: Kennzeichnungen können attributiv und referentiell verwendet werden, wie wir unten erläutern werden. Martinich [5–4] hat vorgeschlagen, dass man zusätzlich noch die Sprecherabsicht und den interpretierenden Hörer bei der Referenzrelation berücksichtigen sollte. Wir möchten kurz darlegen, warum wir abweichend von Martinich die Sprecherabsicht nicht direkt in den grundlegenden Referenzbegriff aufnehmen. Gehen wir zunächst davon aus, dass ein Sprecher die Absicht hat, über ein bestimmtes Objekt zu sprechen: Dabei ist eine wichtige Beobachtung, dass ich bei einer falschen Verwendung eines Namens immer noch über die Person spreche, für die der Name eingeführt ist, und nicht über die Person, über die ich sprechen möchte; z. B. wenn ich versehentlich den Namen „Russell“ verwende, obwohl ich über Frege sprechen möchte, so ist das Referenzobjekt meiner Äußerung Russell, auch wenn ich de facto an Frege denke. Um diesem Phänomen Rechnung zu tragen, müssen wir zwischen zwei Arten von Referenz unterscheiden, nämlich dem durch Sprachkonventionen festgelegten Objekt und dem Objekt unserer Absicht ([5–3]; siehe Kapitel 6. 4). Für die Bedeutungstheorie geht es vorrangig um das Objekt, welches durch die Sprachkonventionen als Referenzobjekt eines Ausdrucks festgelegt ist. Insofern dürfen wir das Objekt unserer Absicht zunächst einmal in den Hintergrund treten lassen. Wenn wir all die verbleibenden Merkmale aufsammeln, dann sollten wir die Referenz in einer genauen Redeweise zu einer vierstelligen Relation machen:

Referenz

Definition von Referenz

Ein Sprecher S bezeichnet mit einem singulären Term t, der in einer Äußerung verwendet wird, genau dann ein Objekt O, wenn ein normaler Interpret I dieser Äußerung Grund hätte zu glauben, dass der Sprecher S mit dem Ausdruck t in dem vorliegenden Äußerungskontext über O reden möchte. Statt eines tatsächlichen Hörers ist ein normaler Interpret relevant, den wir durch idealisierte Standardbedingungen charakterisieren können (siehe

Normaler Interpret

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5. Grundlagen einer Semantik singulärer Terme: Definitionen und Adäquatheitsbedingungen

S. 117). Wenn im Folgenden die Referenzrelation wieder als Relation zwischen Ausdruck und Objekt charakterisiert wird, so ist das eine verkürzte Redeweise, die letztlich auf die skizzierte vierstellige Relation zurückgeführt werden kann.

5.2 Adäquatheitsbedingungen für eine Theorie der Standardbedeutung

Allgemeine Fragen an eine Bedeutungstheorie

Eine umfassende Diskussion der Frage, wie eine Bedeutungstheorie für singuläre Terme auszusehen hat, strebt eine Theorie der wörtlichen Bedeutung sprachlicher Ausdrücke an. Eine solche Theorie nennen wir auch eine Standardtheorie der Bedeutung bzw. eine Semantik sprachlicher Ausdrücke. Sie wird meist im Rahmen einer Semantik der Wahrheitsbedingungen entwickelt, d. h. der wörtliche Inhalt eines Satzes wird angegeben, indem wir die Bedingung nennen, die erfüllt sein muss, damit der Satz wahr ist (siehe Kapitel 3). Welche Bedingung ist das genau und welchen Beitrag zur Wahrheitsbedingung eines Satzes liefert eine Gegenstandsbezeichnung? Eine Bedeutungstheorie singulärer Terme aufzustellen, erfordert es (a) zu sagen, was es heißt, dass ein singulärer Term t die Bedeutung x hat, (b) anzugeben, wie man feststellt, welche Bedeutung t hat, und (c) im Prinzip für die drei Arten singulärer Terme die Bedeutung effektiv anzugeben. Zu (a): Die Bedeutung eines Namens, einer Kennzeichnung oder eines Indikators ist der Beitrag des Ausdrucks zu dem wörtlichen Gehalt der Äußerung des Satzes, in dem er vorkommt. Dieser Beitrag kann dabei als ein Teil der Wahrheitsbedingung betrachtet werden, die wir der Äußerung einer Aussage als Inhalt zuordnen. Zu (b): Für den Ausdruck „Die Königin von England“ stellt sich beispielsweise die Frage, wie man feststellt, welches sein Beitrag zur Wahrheitsbedingung des wörtlichen Inhalts der Äußerung (S) „Die Königin von England besitzt große Ländereien“ ist. In einer intuitiven Lesart liegt die Wahrheitsbedingung auf der Hand: S ist genau dann wahr, wenn die Königin von England große Ländereien besitzt. Der Beitrag der Kennzeichnung zur Wahrheitsbedingung des ausgedrückten Gehalts ist in diesem Fall die Kennzeichnung selbst. Zu (c): Wir werden gleich sehen, dass dies nicht die einzige zentrale Intuition ist und dass die Antwort auf die zentrale Frage nach dem Beitrag für den ausgedrückten wörtlichen Gehalt des Satzes für die drei Arten von singulären Termen unterschiedlich ausfällt. Um diese Antworten vorstellen zu können, sollen eine Reihe von Adäquatheitskriterien berücksichtigt werden, die sich im Laufe der Entwicklung einer Semantik der Wahrheits- bzw. Erfüllungsbedingungen herausgebildet haben. Es handelt sich um Adäquatheitskriterien, die letztlich auf drei Grundfunktionen der Sprache zurückzuführen sind. Wir äußern einen Satz, 1. um einen bestimmten Sachverhalt in der Welt zu beschreiben (Sachverhaltsadäquatheit), 2. um eine kognitive Einstellung (Überzeugung, Wunsch, Hoffnung etc.) zum Ausdruck zu bringen (kognitive Adäquatheit), und 3. um den Informationsgehalt, den alle normalen Hörer aufgrund von Sprachkonventionen mit dem Satz verbinden, zu übermitteln (Wissensadäquatheit;

5.2 Adäquatheitsbedingungen für eine Theorie der Standardbedeutung

strenggenommen müsste man hier von Sprachkompetenzadäquatheit sprechen, aber dies ist eine didaktisch unbeholfene Formulierung). Es war lange eine Annahme der Semantik, dass diese Grundfunktionen der Sprache letztlich miteinander harmonieren und eine Bedeutungstheorie entwickelt werden kann, die allen drei Grundfunktionen Rechnung trägt. Wir werden am Beispiel von singulären Termen aufzeigen, dass sich diesem Projekt prinzipielle Hindernisse in den Weg stellen. Zunächst werden diese drei Grundfunktionen hinsichtlich des Verstehens einer Äußerung genauer charakterisiert. Wenn man die wörtliche Bedeutung einer Äußerung versteht, dann erfasst man erstens den im Kontext ausgedrückten Sachverhalt. Das ist bei konstativen Sprechakten (z. B. bei Behauptungen) der Sachverhalt, der die Äußerung wahr machen würde, wenn er bestünde. Bei anderen Sprechakten ist es der Sachverhalt, der die Äußerung erfüllen würde. So wird z. B. eine Bitte erfüllt, indem man die erbetene Handlung vollzieht. Zweitens kann das Verstehen der wörtlichen Bedeutung einer Äußerung durch das Wissen charakterisiert werden, welches man allein aufgrund der Sprachkompetenz, d. h. unabhängig von Kontextinformationen, mit einer Äußerung verbindet. Das Verstehen einer Äußerung wird drittens durch das Erfassen der Überzeugung bzw. Einstellung des Sprechers charakterisiert. Wer die wörtliche Bedeutung einer Äußerung versteht, kann auch die kognitive Situation des Sprechers charakterisieren, indem er ihm eine Überzeugung zuschreibt. Der zu Grunde gelegte Begriff der wörtlichen Bedeutung beschränkt sich nicht nur auf kontextunabhängiges Wissen eines kompetenten Sprechers, sondern geht darüber hinaus, um den ausgedrückten Sachverhalt und die kognitive Situation des Sprechers charakterisieren zu können. Diese Anforderungen an eine Bedeutungstheorie fassen wir in drei ausführlichen Erläuterungen der Grundfunktionen einer Sprache zusammen: (SVA) Sachverhaltsadäquatheit: Die Bedeutung eines Satzes soll es für einen Äußerungskontext ermöglichen, den Sachverhalt festzulegen, der den Satz wahr machen bzw. erfüllen würde, wenn er bestünde. Wenn man die Bedeutung eines singulären Terms angibt, muss man auch die Extension, das ist das mit dem Ausdruck bezeichnete Objekt, für einen Äußerungskontext angeben können, denn es ist eine Komponente des Sachverhalts. (WA) Wissensadäquatheit: Die Bedeutung eines Satzes soll es ermöglichen, das Wissen eines kompetenten Sprechers (qua kompetenter Sprecher, d. h. unabhängig von Kontextinformationen) zu charakterisieren, d. h. sie soll das Wissen, das wir einem kompetenten Sprecher zuschreiben, angeben. Gewöhnlich können wir dies bei singulären Termen durch eine mit dem Ausdruck per Sprachkompetenz assoziierte Kennzeichnung angeben. (KA) Kognitive Adäquatheit: Die Bedeutung eines Satzes soll es für einen Äußerungskontext ermöglichen, die Überzeugung bzw. – allgemeiner – die Einstellung, die der Sprecher mit dem Satz zum Ausdruck bringt, adäquat zu repräsentieren. Ein Wunsch oder eine Überzeugung des Sprechers ist (zumindest auf eine Weise) adäquat repräsentiert, wenn die Repräsentation in einer Handlungserklärung als zentrale Prämisse verwendet werden kann.

Adäquatheitsbedingungen

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5. Grundlagen einer Semantik singulärer Terme: Definitionen und Adäquatheitsbedingungen

Typische alltagspsychologische Handlungserklärungen stützen sich gerade auf Äußerungen von Wünschen und Überzeugungen, um eine Handlung zu erklären. Handlungserklärungen benötigen gerade solche feinkörnigen Unterscheidungen, wie Frege sie mit seinem hinreichenden Kriterium für Gedankenverschiedenheit eingeführt hat (s. Kap. I.2). Idealerweise sollte eine Bedeutungsangabe für singuläre Terme alle drei Anforderungen erfüllen. Wir werden jedoch am Beispiel von Indikatoren zeigen, dass man den drei Adäquatheitskriterien nur dann gerecht werden kann, wenn man verschiedene gleichberechtigte Aspekte der Standardbedeutung eines Ausdrucks bzw. unterschiedliche Beiträge zum wörtlichen Gehalt einer Äußerung unterscheidet. Eine Alternative dazu besteht darin, sich auf ein Adäquatheitskriterium zu konzentrieren. Das ist in den Ansätzen seit den 70er Jahren des 20. Jh. zunehmend die Sachverhaltsadäquatheit, wie wir darlegen werden.

5.3 Herausforderungen für eine Theorie der Standardbedeutung singulärer Terme Konkrete Herausforderungen

Ausgehend von den Arbeiten von Frege und Russell hat sich eine Reihe von klassischen Phänomenen etabliert, die die Anforderungen der Adäquatheitskriterien exemplifizieren. Dazu gehören 1. informative Identitätsaussagen wie „Der Abendstern ist identisch mit dem Morgenstern“, 2. wahre negative Existenzaussagen wie „Pegasus existiert nicht“ sowie 3. nichtwidersprüchliche Überzeugungen trotz oberflächlich widersprüchlicher Äußerungen. Letzteres liegt vor, wenn Peter glaubt, dass der Abendstern ein von der Sonne beleuchteter Körper ist, aber nicht glaubt, dass der Morgenstern ein von der Sonne beleuchteter Körper ist. Alle diese Beispiele stellen eine besondere Herausforderung dar, weil sie entweder zwei Arten, über ein und dasselbe Objekt nachzudenken, involvieren und deshalb nicht trivial (1) oder widersprüchlich (3) werden oder gar kein Objekt einbeziehen (2) und trotzdem sinnvoll und wahr sind. Die Arbeiten von Kripke [5–2] haben darüber hinaus zu einer Berücksichtigung von (4) Modalaussagen geführt, wie z. B. „Es ist notwendig, dass Cicero identisch ist mit Tullius“. Die Aussage behauptet die Selbstidentität einer Person und eine solche liegt in allen möglichen Situationen vor. Die Selbstidentität eines jeden Objekts ist notwendig. Die Selbstidentität kann man mit Blick auf die Äußerung nur dann erfassen, wenn man als Beitrag der Äußerung das bezeichnete Objekt nimmt, denn dieses ist bei „Cicero“ und „Tullius“ dasselbe. Auf diese vier Herausforderungen werden wir im Rahmen der Diskussion immer wieder zurückkommen.

5.4 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen Zusammenfassung Gegenstandsbezeichnungen zerfallen in drei Arten, nämlich Eigennamen, Kennzeichnungen und Indikatoren. Bei den Indikatoren unterscheiden wir des Weiteren zwischen indexikalischen und deiktischen Ausdrücken. Das bezeichnete Objekt

6. Kennzeichnungen wird auch Referenzobjekt genannt. Die Relation zwischen einer Gegenstandsbezeichnung und dem Referenzobjekt wird die Referenzrelation genannt. Eine genaue Betrachtung ergibt, dass es sich dabei um eine vierstellige Referenzrelation handelt, in die der sprachliche Ausdruck, ein Sprecher, ein normaler Interpret sowie das bezeichnete Objekt einfließen. Eine Bedeutungstheorie singulärer Terme muss zwei Leitfragen beantworten, und zwar 1. die Frage nach der Referenzfestlegung und 2. die Frage nach der Standardbedeutung einer Gegenstandsbezeichnung. Um die Fragen nach der Standardbedeutung zu beantworten, muss man (a) sagen, was es heißt, dass ein singulärer Term t die Bedeutung x hat, (b) angeben, wie man feststellt, welche Bedeutung t hat, und (c) im Prinzip für die drei Arten singulärer Terme die Bedeutung effektiv angeben. Dabei werden drei Adäquatheitsbedingungen als zentrale Anforderungen aufgestellt, die sich aus drei Grundfunktionen der Sprache ergeben, nämlich die Sachverhaltsadäquatheit, die Wissensadäquatheit und die kognitive Adäquatheit.

Lektürehinweise – Eine kurze Darstellung der Rahmenbedingungen für eine Theorie der Bedeutung bietet die Einleitung in [5–5]. – Ausführlicher diskutiert in [5–7]. – Eine Einführung mit Konzentration auf Wahrheitsbedingungen bietet [5–9]

Fragen und Übungen 1. Welche Arten von singulären Termen unterscheiden wir? Nennen Sie jeweils drei Beispiele. 2. Wie sind diese genau definiert? 3. Was ist eine Referenzrelation und welche Faktoren kommen in der vierstelligen Referenzrelation vor? 4. Welche drei Grundfunktionen der Sprache lassen sich unterscheiden und wie lauten die damit verbundenen Adäquatheitskriterien? 5. Welches sind die vier Anwendungsfälle, die besondere Herausforderungen für eine Bedeutungstheorie singulärer Terme darstellen? Nennen Sie jeweils ein neues Beispiel.

6. Kennzeichnungen In diesem Kapitel wollen wir Bedeutungstheorien für Kennzeichnungsterme wie „der gegenwärtige König von Frankreich“ kennen lernen. Kennzeichnungsterme sind Ausdrücke, die die Form „aF“ haben, wobei für a meistens ein Artikel steht (der, die, das, ein, eine), aber auch Possessivpronomen (mein, dein, ihr, …) oder andere besitzanzeigende Nomen (Müllers, Peters, …), und für „F“ eine Nominalform eines Prädikats wie Stuhl, Tasse, Teil etc. In unserer Analyse werden wir uns auf die Form „der/ die/das So-und-so“ beschränken. Kennzeichnungsterme wurden unter anderem von Bertrand Russell ([6–10], [6–11], [6–12]), Peter Strawson [6–13], Keith Donnellan [6–2] und Saul Kripke [6–4] analysiert. Die Artikel dieser Philosophen beziehen sich in der Reihenfolge ihres Erscheinens in bemerkenswert scharfsinniger Weise aufeinander und fügen so dem Theoriengebäude zur Bedeutung von Kennzeichnungen Stück für Stück eine neue Dimension hinzu. Sie können daher auch als Paradebeispiel analytischen Philosophierens betrachtet werden. Der chronologische rote Faden durch die Artikel hindurch gebietet es, unsere Darstellung mit Russell zu beginnen.

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6. Kennzeichnungen

6.1 Die dreigeteilte Analyse von Kennzeichnungen: Bertrand Russell Herausforderungen für eine Theorie der Kennzeichnungen

Zusammenhang mit Eigennamen

Russells dreigeteilte Analyse

Russell macht die Lösung zweier Schwierigkeiten zu seinem Ziel: Identitätsaussagen können informativ sein, negative Existenzaussagen bzw. allgemeine Aussagen mit leeren Kennzeichnungen müssen sinnvoll sein. Dabei möchte er aber in keinem Fall Frege folgen und einen Fregeschen Sinn oder andere abstrakte Entitäten postulieren, noch will er Sätze mit Wahrheitswertlücken erlauben, d. h. es soll keine Sätze geben, die weder wahr noch falsch sind (zu Frege siehe unser Kapitel 1.1; die folgenden Abschnitte sind aber auch ohne Fregekenntnisse verständlich). Es sollen informative Identitätssätze („Cicero ist Tullius“) sowie verneinte Existenzsätze („Eigentlich gibt es den Geist, der stets verneint, gar nicht.“) als sinnvoll ausgewiesen werden können. Auf unser nächstes Kapitel zu Eigennamen vorgreifend, möchten wir erwähnen, dass Russells Analyse auch gleichermaßen Lösungen für entsprechende Schwierigkeiten mit Eigennamen bieten möchte. Sätze mit leeren Eigennamen wie „Pegasus existiert nicht“ sind auf gleiche Weise problematisch wie die oben aufgeführten Sätze mit Kennzeichnungen. Russell behauptet, unter anderem um die Schwierigkeiten mit Eigennamen gleich mit zu überwinden, dass Eigennamen nichts anderes als Abkürzungen für Kennzeichnungen seien. Der Eigenname „Pegasus“ steht beispielsweise für „das fliegende Pferd“. Die Analyse von Sätzen mit Eigennamen ist also durch einen kleinen Zwischenschritt – die Ersetzung des Namens durch eine Kennzeichnung – auf die Analyse von Sätzen mit Kennzeichnungen zurückführbar. Nun zur eigentlichen Analyse: Russell ist der Auffassung, dass uns ein Satz mit einem Kennzeichnungsterm wie z. B. „Der Autor von ,Waverley‘ war Schotte“ (so, abweichend von [6–12], der Beispielsatz in [6–10: 53] bzw. [6–5: 330–1]) in seiner grammatischen Erscheinung über seine eigentliche logische Struktur hinwegtäuscht. Es sieht nur so aus, als hätten wir es mit einem referentiellen Subjektterm, „der Autor von ,Waverley‘“, zu tun, der sich direkt auf eine Person bezieht, der das Prädikat „war Schotte“ zukommt. Russell behauptet, dass das nicht der Fall ist. Eigentlich verstecken sich hinter der Oberflächengrammatik folgende drei Sätze: (1) Es gibt mindestens einen Autor von „Waverley“. (Existenzbehauptung) (2) Es gibt höchstens einen Autor von „Waverley“. (Eindeutigkeitsbehauptung zusammen mit (1)) (3) Wer immer „Waverley“ geschrieben hat, war Schotte. (Prädikative Behauptung) Die ersten beiden Sätze zerlegen dabei die Kennzeichnung, der dritte übernimmt die prädikative Rolle des ursprünglichen Satzes. Um diese seltsame, dreigeteilte Analyse plausibel zu machen, schauen wir uns an, in welchen Fällen der ursprüngliche Waverley-Satz falsch wäre. Es gibt hier drei Möglichkeiten: Es gibt gar keine Person, die „Waverley“ geschrieben hat, oder mehrere Leute haben „Waverley“ geschrieben, oder, schließlich, es gibt zwar den einen Autor von „Waverley“, der aber ist kein Schotte. Wir würden also den ursprünglichen Satz für falsch halten, wenn mindestens einer der

6.1 Die dreigeteilte Analyse von Kennzeichnungen: Bertrand Russell

drei Russellschen Analysesätze falsch wäre. Und das ist ein gutes Indiz dafür, dass Russells Zerlegung nicht völlig abwegig ist. Die eigentliche Bewährungsprobe für Russells Kennzeichnungstheorie besteht aber darin, die oben vorgestellten Schwierigkeiten zu meistern. Fangen wir bei den informativen Identitätssätzen an. Wie können Sätze der Art „Cicero ist Tullius“ informativ sein, wenn sich „Cicero“ und „Tullius“ tatsächlich auf ein und dasselbe Objekt beziehen? Wenden wir Russells Schritte an. Erstens müssen „Cicero“ und „Tullius“ durch Kennzeichnungen ersetzt werden, die dann, zweitens, in die ersten beiden Analyse-Teile zerlegt werden, nämlich in eine Existenzbehauptung und in eine Eindeutigkeitsbehauptung. Die Identitätsbehauptung übernimmt der dritte Teil: (1) Es gibt mindestens einen römischen Konsul, der den Putschversuch Catilinas enthüllte. (2) Es gibt höchstens einen römischen Konsul, der den Putschversuch Catilinas enthüllte. (1*) Es gibt mindestens einen Autor des Dialogs „De Oratore“. (2*) Es gibt höchstens einen Autor des Dialogs „De Oratore“. (3) Wer auch immer den Putschversuch Catilinas enthüllte, ist identisch mit dem Autor des Dialogs „De Oratore“. Das Resultat dieser Zerlegung ist, bei all ihrer Umständlichkeit, informativ, und das Problem der informativen Identitätsaussagen ist gelöst. Unser zweites Problem waren Sätze mit leeren Namen bzw. mit leeren Kennzeichnungen, deren Sinnhaftigkeit wir nicht erklären konnten. „Der gegenwärtige König von Frankreich ist kahlköpfig“ ist zwar ein verständlicher Satz, da Frankreich aber keine Monarchie mehr ist, sagen wir anscheinend über nichts etwas aus. Eine Bedeutungstheorie, die behauptete, der Referenzgegenstand einer Kennzeichnung sei der Beitrag der Kennzeichnung zur Satzbedeutung, ginge mit leeren Händen aus. Russells Analyse erklärt, was hinter der Aussage steckt: (1) Es gibt mindestens einen gegenwärtigen König von Frankreich. (2) Es gibt höchstens einen gegenwärtigen König von Frankreich. (3) Wer immer gegenwärtig König von Frankreich ist, ist kahlköpfig. Zwar stellt sich so „Der gegenwärtige König von Frankreich ist kahlköpfig“ als falsch heraus, denn die erste Teilaussage ist nicht korrekt, aber das ändert nichts daran, dass wir dem Satz einen sinnvollen Gehalt zugewiesen haben. Negative Existenzsätze, wie z. B. „Das fliegende Pferd existiert nicht“, erfahren eine ebenso einfache Lösung in Russells Analyse. Hinter der Oberflächengrammatik dieses Satzes – der Akteur scheint das fliegende Pferd zu sein – versteckt sich lediglich die Verneinung der ersten beiden Russellschen Teilsätze. Es ist nicht der Fall, dass (1) es mindestens ein fliegendes Pferd gibt und (2) es höchstens ein fliegendes Pferd gibt. Der negative Existenzsatz ist nun sinnvoll und wahr. Russells Analyse leistet in allen drei Fällen, was sie verspricht. Weder wird der (Fregesche) Sinn eines Eigennamens oder einer Kennzeichnung bemüht, noch hinterlassen die problematischen Sätze Wahrheitswertlücken. Dabei ist allerdings zu beachten, dass Sätze, die ursprünglich von einem individuellen Subjekt zu handeln schienen (weil sie vorgeblich einen referen-

Kennzeichnungen sind keine referentiellen Terme

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6. Kennzeichnungen

tiellen Term enthielten), in generelle Aussagen über die Welt überführt werden: Die Welt ist so, dass es (1) mindestens und (2) höchstens ein Individuum gibt, das (3) von der und der Beschaffenheit ist. Namen und Kennzeichnungen stellen sich in dieser Aufschlüsselung letztlich als Terme dar, die gar nicht die Eigenschaft haben, Dinge zu bezeichnen. Mit anderen Worten, gewöhnliche Namen und Kennzeichnungen sind für Russell nicht-referentielle Terme. (Die Menge der echten referentiellen Terme ist für Russell äußerst klein. Es zählen nur dazu, was er „logische Eigennamen“ nennt, beispielsweise „dies“ oder „jenes“ [ohne eine weitere attributive Beschreibung]. Dabei referieren diese logischen Eigennamen laut Russell auf Sinnesdaten, nicht auf physikalische Objekte.)

6.2 Satz, Äußerung und Gebrauch; Kritik an Russell: Peter Strawson Die von Russell 1905 in „On Denoting“ [6–12] entworfene Theorie erfährt durch Peter Strawson 45 Jahre später in „On Referring“ [6–13] heftige Kritik. Die fünf wesentlichen Thesen und Anregungen in Strawsons Text sind: Die fünf Thesen Strawsons

Satz, Äußerung und Gebrauch

(i) Es muss (a) zwischen dem Satz (oder Ausdruck), (b) dem Gebrauch des Satzes (oder Ausdrucks) und (c) der Äußerung eines Satzes (oder Ausdrucks) unterschieden werden. (ii) Es besteht ein Unterschied zwischen (logischem) Implizieren und Präsupponieren. (iii) Wahrheitswertlücken sind erlaubt: Es gibt Sätze, die weder wahr noch falsch sind. (iv) Die Bedeutung eines Ausdrucks ist nicht sein Referenzobjekt, sondern es sind die Konventionen und Regeln, die die möglichen Verwendungsweisen des Ausdrucks beschreiben. Bei verschiedenen Verwendungen ein und desselben Ausdrucks bezieht sich ein Ausdruck unter Umständen auf verschiedene Gegenstände. (Diese These werden wir hier nicht ausführlicher darstellen.) (v) Ausdrücke können referentiell und prädikativ gebraucht werden. Wir gehen diese Thesen, angewendet auf Sätze mit Kennzeichnungen, der Reihe nach durch: (i) Ein Satz wie z. B. „Der gegenwärtige König von Frankreich hat eine Glatze“ ist für Strawson zunächst ein Muster einer Zeichenkette oder Lautfolge, die zu verschiedenen Zeiten, an verschiedenen Orten, von verschiedenen Personen geäußert oder geschrieben werden kann. (Man bezeichnet den Unterschied zwischen Satz und Äußerung des Satzes in der Sprachphilosophie auch mit den Anglizismen Type und Token [Vorkommnis]. Ein Satztyp kann mehrfach geäußert werden – jede individuelle Äußerung ist ein Satzvorkommnis.) Neben dem Satz und der Äußerung des Satzes unterscheidet Strawson eine dritte Komponente. Verschiedene Sprecher können den Satz „Der gegenwärtige König von Frankreich hat eine Glatze“ zu unterschiedlichen Zeiten äußern, z. B. unter der Herrschaft Ludwigs XIV. und unter der Herrschaft Ludwigs XV., und ihn dabei gebrauchen, um Verschiede-

6.2 Satz, Äußerung und Gebrauch; Kritik an Russell: Peter Strawson

nes zu sagen: Beide Sprecher sagen etwas über verschiedene Herrscher aus, und die Aussagen, die sie treffen, könnten daher im Wahrheitswert variieren, beispielsweise dann, wenn zwar Ludwig XIV., nicht aber Ludwig XV. eine Glatze hatte. In ganz analoger Weise können wir mit Strawson zwischen einem Ausdruck, einer Äußerung des Ausdrucks und dem Gebrauch eines Ausdrucks unterscheiden. Der Ausdruck „der gegenwärtige König von Frankreich“ wird, wenn er von einem Zeitgenossen Ludwigs XIV. geäußert wird, dazu gebraucht, auf Ludwig XIV. zu referieren. Geäußert von einem Zeitgenossen Ludwigs des XV., wird der Ausdruck „der gegenwärtige König von Frankreich“ gebraucht, um auf Ludwig XV. zu referieren. Genau so, wie Sätze selbst nichts aussagen, beziehen sich Ausdrücke selbst nicht auf Gegenstände. Wohl aber können Sätze gebraucht werden, um etwas auszusagen, und Ausdrücke, um sich auf etwas zu beziehen. Eine direkte Konsequenz aus der Strawsonschen Dreiteilung ist, dass Sätze selbst nicht wahr oder falsch sein können; sie können lediglich gebraucht werden, um eine wahre oder falsche Behauptung aufzustellen. Ebenso handelt ein Satz mit Kennzeichnungstermen nicht von einer Person oder einem Gegenstand, sondern der Satz kann zu verschiedenen Zeiten gebraucht werden, um über verschiedene Personen oder Gegenstände zu sprechen. Hieraus ergibt sich die erste Kritik Strawsons an Russell. Dieser habe den Unterschied zwischen Sätzen bzw. Ausdrücken und ihrem Gebrauch nicht gesehen und daher ihre Kontextabhängigkeit vernachlässigt. Russells Analyse von Sätzen mit Kennzeichnungstermen sei daher falsch. Das kann aber noch keine besonders harte Kritik sein, denn Russell müsste an seiner Analyse nur eine einzige Verbesserung vornehmen. Er müsste anerkennen, dass es kontextabhängige Terme gibt, deren Referenz erst in einer konkreten Äußerungssituation festgelegt wird. In der Tat behauptet Russell in einer Antwort auf Strawson, er habe die Kontextabhängigkeit (Russell nennt sie die „Egozentrizität“, vgl. [6–11: 134]) von Ausdrücken wie „der gegenwärtige König von Frankreich“ längst erkannt. Sehen wir nach, ob Strawson mit seinen weiteren Kernthesen härtere Geschütze gegen Russell auffahren kann. (ii) Hinter der zweiten These – es besteht ein Unterschied zwischen (logischem) Implizieren und Präsupponieren – verbirgt sich Strawsons Meinung, dass Russell zwar die Umstände richtig beschreibe, unter denen ein Satz mit einer Kennzeichnung wahr sei, dass die drei Wahrheitsbedingungen, die Russell auflistet, aber keineswegs von dem Satz impliziert oder gar mit ihm gemeint seien. Ein Satz A impliziert einen Satz B genau dann, wenn es nicht sein kann, dass A wahr, B aber falsch ist. Der Russellschen Implikationsthese hält Strawson seine These der Präsupposition entgegen: Die Existenzbehauptung und die Eindeutigkeitsbehauptung werden von einem Satz mit Kennzeichnung lediglich präsupponiert (vorausgesetzt). Dabei präsupponiert ein Satz A einen Satz B genau dann, wenn B wahr sein muss, damit A überhaupt einen Wahrheitswert annehmen kann. D. h. wenn jemand äußert, der gegenwärtige König von Frankreich sei kahlköpfig, dann präsupponiert er, d. h. setzt er voraus, dass es einen und nur einen König von Frankreich gibt, er behauptet das aber nicht in seiner Äußerung. Zur Verdeutlichung: „Jessica hat mit dem Rauchen aufgehört“ präsupponiert, dass Jessica früher geraucht hat. Philosophisch-logische Argumente liefert Strawson nicht für seine These. Strawsons Gründe für die These der Präsupposition erschöpfen sich darin,

Implizieren versus Präsupponieren

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6. Kennzeichnungen

Wahrheitswertlücken

Identitätsaussagen als versteckte Prädikation

Szenen und Äußerungen des Alltagslebens zu beschreiben und anhand dieser plausibel zu machen, dass Russell Unrecht hat. Was würden wir nämlich tatsächlich (und außerhalb der philosophischen Fakultät) einer Person antworten, die uns sagte „Der König von Frankreich hat eine Glatze“? Nicht „Falsch! Die Existenzbehauptung, die du machst, ist nicht richtig“, sondern wir würden mit Verwunderung entgegnen, Frankreich sei doch eine Republik, oder sogar fragen, was die Sprecherin denn mit ihrer Aussage meine. (iii) Wie oben erwähnt, sind sich Strawson und Russell einig, dass die Existenz des Königs von Frankreich eine notwendige Voraussetzung für die mögliche Wahrheit einer Äußerung des Satzes „Der gegenwärtige König von Frankreich hat eine Glatze“ ist. Beobachtungen vom alltäglichen Gebrauch des Satzes machen allerdings klar, dass eine Äußerung des Satzes nicht automatisch falsch ist, sollte diese Voraussetzung nicht erfüllt sein. Vielmehr darf man eher davon ausgehen, dass es einer Sprecherin nicht gelingt, überhaupt eine Aussage zu treffen, die wahr oder falsch ist, wenn es keinen König gibt (siehe aber unsere Übungsaufgabe 3). Damit sind wir bei der dritten der eingangs erwähnten Thesen Strawsons angelangt: Wahrheitswertlücken sind erlaubt! Es gibt Äußerungen von Sätzen, die weder wahr noch falsch sind. Die Alltagssprache gehorcht einer anderen als der klassischen, zweiwertigen Logik, wie sie Russell oder Frege vor Augen hatten. Im Abschnitt zu Russell haben wir uns zwei grundlegenden Problemfällen für Bedeutungstheorien von Kennzeichnungen gewidmet: Sätzen mit leeren Kennzeichnungen, insbesondere wahren negativen Existenzsätzen, und informativen Identitätssätzen. Auf diese Fälle müssen wir Strawsons Theorie noch anwenden. Dabei ist es nicht verwunderlich, dass Strawson selbst auf die negativen Existenzsätze nicht eingeht, denn seine Theorie der Präsupposition lässt diesen Problemfall eher noch verzwickter aussehen, als dass sie ihn löst. Erinnern wir uns: Ein Satz mit Kennzeichnung ist nur dann wahrheitswertfähig, wenn der Gegenstand, auf den sich die in diesem Satz verwendete Kennzeichnung bezieht, existiert. Wie steht es dann aber um die Wahrheit und die Art der Präsupposition des Satzes „Das fliegende Pferd existiert nicht“? Gerade weil das fliegende Pferd (Pegasus) nicht existiert, sollte dieser Satz wahr sein. Er kann aber keinen Wahrheitswert haben (insbesondere nicht wahr sein), weil seine Präsupposition, nämlich die Existenz des fliegenden Pferdes, nicht erfüllt ist. Wir überlassen es dem Leser, innerhalb Strawsons theoretischem Rahmen eine Lösung dieses Problems zu finden (erwähnen aber, dass es keine von Strawson angebotene Lösung gibt). (Wir überspringen Strawsons Punkt (iv).) (v) Steht es um die informativen Identitätssätze besser? Erinnern wir uns: Wenn der folgende Satz wahr ist, dann scheint er nur die Selbstidentität einer Person auszudrücken: „Napoleon ist identisch mit dem Mann, der die Hinrichtung des Herzogs D’Enghien befahl.“ Die fünfte These, die wir am Anfang unseres Abschnitts zu Strawson vorgestellt haben – nämlich die Behauptung, Terme können beides, referentielle und prädikative Funktion haben – kommt nun zum Tragen. Strawson ist der Auffassung, dass der Gebrauch von singulären Termen auf einem Spektrum zwischen den beiden Extremen von rein referentiellem Gebrauch und rein prädikativem Gebrauch liegt. Eigennamen wie „Peter Fergen“ oder Demonstrativpronomen wie „dies“ werden weitgehend referentiell gebraucht, Kennzeichnungen hinge-

6.3 Referentieller und attributiver Gebrauch: Keith Donnellan

gen haben maximal prädikative, also beschreibende Bedeutung (was nicht bedeutet, dass sie nicht auch gleichzeitig referieren können). Um die Informativität von Identitätssätzen zu retten, behauptet Strawson, dass die Kennzeichnung (oder eine der beiden vorkommenden Kennzeichnungen) einen so extremen prädikativen Gebrauch hat, dass ein Satz wie „Napoleon ist identisch mit dem Mann, der die Hinrichtung des Herzogs D’Enghien befahl“ dasselbe behauptet wie der Satz „Napoleon befahl die Hinrichtung des Herzogs D’Enghien“. Der Unterschied zwischen beiden Sätzen liege einzig in ihren Präsuppositionen. Den ersten äußert man, wenn man voraussetzen kann, dass der Hörer schon weiß, dass es einen Mann gibt, der die Hinrichtung des Herzogs befahl, den zweiten, wenn man das nicht voraussetzen kann. Prinzipiell aber werden beide Sätze in erster Linie dazu gebraucht, eine Prädikation vorzunehmen. Somit ist auch der erste Satz informativ, wenn er, wie intendiert, prädikativ und nicht rein referentiell gelesen wird. Statt die Identität Napoleons mit sich selbst zu behaupten, sagt er aus, dass Napoleon die Hinrichtung befohlen hat.

6.3 Referentieller und attributiver Gebrauch: Keith Donnellan Strawsons Unterscheidung zwischen referentiellem und prädikativem Gebrauch von Kennzeichnungen weist schon in die Richtung des nächsten theoretischen Gebäudes, das wir vorstellen möchten. Dabei wird es etwas blutrünstig vor sich gehen: Man stelle sich vor, so fordert uns Keith Donnellan in seinem Aufsatz „Reference and Definite Descriptions“ [6–2] auf, die schrecklich verstümmelte Leiche von Smith liege auf dem Boden. Einer der beiden Kriminalbeamten sagt erschüttert zu seiner Kollegin: „Der Mörder von Smith ist verrückt!“ Ein ganz anderer Fall ist folgender: Wir nehmen an der Gerichtsverhandlung teil, in der der mutmaßliche Mörder von Smith, nämlich Jones, angeklagt wird. Während Jones in seiner Bank sitzt, durchfahren seinen Körper unaufhörlich eigenartige Zuckungen. Eine Richterin flüstert ihrem Assistenten denselben Satz zu: „Der Mörder von Smith ist verrückt!“ Donnellan behauptet, dass die beiden Äußerungen des Satzes semantisch unterschiedlich behandelt werden müssen. Die erste Verwendung nennt er attributiv, die zweite referentiell. (Achtung: Wenn es auch Ähnlichkeiten gibt, darf man Donnellans Unterscheidung nicht mit Strawsons „prädikativ“ und „referentiell“ verwechseln.) In der attributiven Lesart einer Kennzeichnung kennen Sprecher und Hörer eventuell die Person nicht, auf die die Kennzeichnung zutrifft. Sie haben keine konkrete Person (oder keinen konkreten Gegenstand) vor Augen. Vielmehr möchte sich der Sprecher hier auf den Mörder von Smith beziehen, wer immer das auch sein mag, d. h. auf wen auch immer diese Attribution eindeutig zutrifft. Die Äußerung des Kriminalbeamten ist somit genau dann wahr, wenn der Mörder von Smith, wer immer es auch sein mag, verrückt ist. Im zweiten Fall ist das anders. Klarerweise hat die Richterin eine ganz bestimmte Person vor Augen: Jones! Denn nur aufgrund von Jones’ eigenartigem Verhalten möchte sie ihr Erstaunen über dessen Verrücktheit zum Aus-

Referentieller und attributiver Gebrauch

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6. Kennzeichnungen

Sind Kennzeichnungen doch referentielle Terme?

druck bringen: „Der Mörder von Smith, nämlich Jones dort drüben, ist verrückt.“, d. h. die Äußerung der Richterin ist genau dann wahr, wenn Jones verrückt ist. Das Eigentümliche an der referentiellen Verwendung ist, dass es der Sprecherin auch dann gelingen kann, eindeutig eine Person zu bezeichnen, wenn die beschreibende Komponente der Kennzeichnung gar nicht wirklich zutrifft. Nehmen wir an, Jones sei nicht der wahre Mörder Smiths (vielleicht gibt es sogar eine ganze Horde von Mördern, oder Smith hat auf eine bestürzende Weise Selbstmord begangen). Der Richterin gelingt es dennoch, in unserer Gerichtsverhandlung mit der Kennzeichnung „der Mörder von Smith“ auf Jones zu referieren. Der Kontext macht für die Zuhörer eindeutig klar, dass Jones gemeint ist, selbst wenn er gar nicht wirklich der Mörder sein sollte. Ob eine Kennzeichnung referentiell oder attributiv gebraucht wird, das kann ausschließlich am Kontext der Äußerung, nicht aber am Satz selbst (z. B. an seiner grammatischen Struktur) erkannt werden. Vergleichen wir das, was Donnellan zu sagen hat, kurz mit den Theorien Russells und Strawsons. Russell hat klarerweise die referentielle Verwendungsmöglichkeit von Kennzeichnungen übersehen. Für ihn sind Kennzeichnungen synkategorematische Zeichen, die selbst nicht referieren können. („Synkategorematisch“ ist Russells Bezeichnung für Terme wie Eigennamen und Kennzeichnungen, die in der Bedeutungsanalyse zugunsten von anderen Ausdrücken eliminiert werden.) Seine Analyse trifft also, wenn überhaupt, nur auf die attributive Lesart zu. Strawson hingegen hat mit seiner Unterscheidung von Ausdrücken und ihrem Gebrauch sowie der Differenzierung der prädikativen von der referentiellen Funktion von Ausdrücken einiges an Vorarbeit geleistet. Wir laden die Leser dazu ein, unsere Testfälle (negative Existenzaussagen, leere Kennzeichnungen, informative Identitätssätze) mittels Donnellans Theorie zu beleuchten. Wir müssen jedoch erwähnen, dass es nicht in erster Linie Donnellans Anliegen war, sie zu lösen. Vielmehr wollte er Ungenauigkeiten in Strawsons und Russells Systemen herausstellen.

6.4 Sprecher-Referenz und semantische Referenz: Saul Kripke Semantik versus Pragmatik

Abschließend möchten wir Donnellans Ansatz mit Hilfe von Saul Kripkes Artikel „Sprecher-Referenz und semantische Referenz“ [6–4] einer Kritik unterziehen. Der referentielle Gebrauch von Kennzeichnungen, so hält Kripke Donnellan entgegen, hat mit der Semantik von Kennzeichnungen nichts zu tun. Zwar ist der referentielle Gebrauch möglich und Kommunikation kann auf diese Weise zwischen Sprechern und Hörern gelingen, aber er gehört in die Pragmatik von Kennzeichnungen. Knapp und oberflächlich gesprochen, wollen wir unter Pragmatik (siehe Kapitel 2.3) das Teilgebiet der Sprachphilosophie verstehen, das sich damit beschäftigt, was ein konkreter Sprecher in einem konkreten Kontext mit einer von ihm gebrauchten Äußerung meint und kontrastierend unter Semantik diejenige Wissenschaft, die sich um die Bedeutung von Sätzen unabhängig von Kontext und Sprecher bemüht. Dabei kann die semantische Bedeutung eines Ausdrucks sehr wohl herausstel-

6.4 Sprecher-Referenz und semantische Referenz: Saul Kripke

len, auf welche Weise ein Ausdruck kontextabhängig ist, sie interessiert sich aber eben nicht für einen einzigen speziellen Kontext. (Bei dieser Unterscheidung macht Kripke bei Paul Grice Anleihen, dessen Bedeutungstheorie wir in Kapitel 2.3 begegnet sind.) Kripke unterscheidet zwischen dem, was die Wörter des Sprechers bei einer bestimmten Gelegenheit bedeuten, und dem, was er meinte, als er bei dieser Gelegenheit diese Wörter äußerte (vgl. [6–4: 225]). Eine Kennzeichnung hat demnach einerseits ihre eindeutige und fixe semantische Bedeutung, die in Äußerungskontexten das Referenzobjekt der Kennzeichnung festlegt, und zwar unabhängig von den Intentionen des Sprechers und nur mittels Konventionen der Sprechergemeinschaft. Und andererseits hat eine Kennzeichnung zudem eine (pragmatische) Sprecher-Referenz, die „tentativ […] der Gegenstand ist, über den der Sprecher bei einer Gelegenheit reden möchte und von dem er glaubt, dass er die Bedingung dafür erfüllt, der semantische Referent [der Kennzeichnung] zu sein.“ [6–4: 229] Dabei kann es aber durchaus sein, dass semantischer Referent und Sprecher-Referent nicht identisch sind. Denken wir nur an die Gerichtsverhandlung, in der Jones, auf den die Richterin mit der Kennzeichnung „der Mörder von Smith“ referiert (Sprecher-Referent), gar nicht der tatsächliche Mörder ist (etwa Miller), wobei die Kennzeichnung aber semantisch letzteren bezeichnet. (Für weitere Unterscheidungen vgl. [6–8: Kap. 1.4.2]: Wir benötigen beispielsweise darüber hinaus den Begriff des intendierten Objekts als des Objekts, von dem der Sprecher einer Äußerung reden möchte – selbst wenn er nicht annimmt, dass das intendierte Objekt der semantische Referent ist. Wenn eine Person eine Kennzeichnung äußert, wobei ihr klar ist [bzw. beim Äußern klar wird], dass sie die falsche Kennzeichnung gewählt hat, dann ist das intendierte Objekt nicht nur verschieden vom semantischen Referenten, sondern sogar vom Sprecher-Referenten.) Kurzum, Kripke behauptet, dass referentielle und attributive Verwendung von Kennzeichnungen nicht etwa zwei semantische Spielarten von Kennzeichnungen sind, sondern dass ausschließlich die attributive Lesart die eigentlichen Bedeutung von Kennzeichnungen korrekt angibt. Die referentielle, pragmatische Lesart hingegen ist nur parasitär auf dieser echten semantischen Bedeutung. Der Satz „,Der Mörder von Smith ist verrückt‘ ist wahr genau dann, wenn der tatsächliche Mörder von Smith verrückt ist“ gibt gemäß Kripke für alle Verwendungsweisen die semantische Bedeutung des Satzes korrekt an (siehe unser Kapitel 3.2). Wir möchten nun Kripkes Argumente für diese These vorstellen. Kripke erfindet zwei Sprachen. Eine Russell-Sprache, die genauso ist wie Deutsch (bzw. Englisch), allerdings mit der Ausnahme, dass alle Kennzeichnungen eine Russellsche Semantik haben, und eine D-Sprache, in der die referentielle und attributive Lesart in die Semantik von Kennzeichnungen aufgenommen sind. Kennzeichnungen sind in dieser Sprache also doppeldeutig. (Kripke unterscheidet sogar drei Russell-Sprachen, worauf wir aber nicht genauer eingehen wollen. Das „D“ in „D-Sprache“ steht natürlich für Donnellan; Kripke möchte sich aber vorsichtig ausdrücken und Donnellan diese Sprache nicht ungerechtfertigt unterjubeln.) Betrachten wir zunächst nur die Russell-Sprache. Dort soll „der So-und-so hat die Eigenschaft E“ genau dann wahr sein, wenn es genau einen So-und-

Semantische Referenz versus Sprecher-Referenz

Russell-Sprache und D-Sprache

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6. Kennzeichnungen

Scheitern der D-Sprachensemantik

so gibt, und diese Person die Eigenschaft E hat. Niemals bezeichnete „der So-und-so“ semantisch irgendeine andere Person. Die von Russell behauptete Tiefengrammatik und Semantik von Kennzeichnungen wird also von Sprechern dieser Sprache als einzige semantisch korrekte Analyse akzeptiert. Kripke fragt nun: „Würde das Phänomen [der referentiellen Verwendung von Kennzeichnungen], das Donnellan anführt, in Gemeinschaften auftreten, die diese Sprachen sprächen?“ [6–4: 233] Kripkes Antwort ist positiv, denn auch diese Sprecher sind nicht unfehlbar. Auch eine Richterin, die eine Russell-Sprache spricht, würde sagen „Der Mörder von Smith ist verrückt“, während sie im Gericht Jones vor Augen hat, „genau weil sie, wenn auch irrtümlich, [denkt], dass die Russellschen Wahrheitsbedingungen erfüllt sind“ [6–4: 234]. Das Gelingen der Referenz auf den nur vermeintlichen Mörder kann durch den theoretischen Apparat Kripkes leicht erklärt werden: Indem sie den Satz behauptet (der semantisch eigentlich dem wirklichen Mörder zuschreibt, verrückt zu sein), sagt die Sprecherin pragmatisch, dass der Sprecher-Referent (Jones) das Prädikat, verrückt zu sein, erfüllt (vgl. [6–4: 234]). Kripke macht sein Argument noch schärfer: Wenn eine Kunstsprache, deren Semantik nur die attributive Verwendung kennt, dennoch in der Praxis ein Phänomen wie die referentielle Lesart erlaubt, dann kann diese Lesart nicht semantischer, sondern nur pragmatischer Natur sein. Weiterhin kann dann das Auftreten des Phänomens der referentiellen Lesart in echten Sprachen wie dem Deutschen kein Argument gegen Russells semantische Analyse von Kennzeichnungen für diese Sprachen sein, weil Russells Analyse die referentielle Lesart eben nicht gänzlich verbietet, sondern lediglich in den Bereich der Pragmatik verschiebt. Eine Russell-Sprache plus Pragmatikbzw. Sprecher-Referenz-These lässt also Raum für den referentiellen Gebrauch von Kennzeichnungen. Kripke zeigt weiterhin, dass hingegen die alternative D-Sprachensemantik mit verschiedenen Phänomenen der Alltagssprache nicht umgehen kann. Auf einer Party zeigt Person A auf ein Paar und sagt „Ihr Ehemann ist nett zu ihr“. Was der Sprecher A nicht weiß, ist, dass der nette Mann an ihrer Seite, auf den er, A, sich bezieht, ihr Liebhaber ist, und dass sie ihren Ehemann gerade deswegen betrügt, weil der sich ihr gegenüber sehr grob verhält. Der wissende Zuhörer B kann nun zweierlei antworten. Antwort I: „Nein, er ist nicht nett zu ihr. Im Gegenteil, er ist abscheulich, und der nette Mann dort ist nicht ihr Ehemann.“ Antwort II: „Er ist nett zu ihr, aber er ist nicht ihr Ehemann.“ (vgl. [6–4: 246]) In der Russell-Sprache kann man beide Antworten mit Kripkes Theorie leicht erklären. „Er“ kann sich entweder auf die vorangegangene Sprecher-Referenz (von A) beziehen, wie das in der zweiten Antwort der Fall ist (also auf den Liebhaber), oder aber auf die semantische Referenz, wie in der ersten Antwort (also auf den tatsächlichen Ehemann). Die D-Sprachen-Theorie hingegen kann zwar mit dem zweiten Dialog umgehen, denn sie würde behaupten, dass hier die referentielle Lesart dieser Kennzeichnung zum Tragen kommt, „er“ sich also klarerweise auf den Liebhaber bezieht. Aber der erste Dialog ist schwer erklärlich. Denn einerseits sagt B „Er ist nicht nett zu ihr“, muss hier also die Kennzeichnung attributiv verstehen und über den tatsächlichen Ehemann sprechen; andererseits aber sagt B auch „Der Mann dort ist nicht ihr Ehemann“ und versteht somit die

6.5 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

Kennzeichnung referentiell. Wenn referentielle Lesart und attributive Lesart in die Semantik, also in die Wortbedeutung, eingebaut wären, dann hätte „ihr Ehemann“ hier also gleichzeitig zwei semantische Bedeutungen. Zunächst einmal klingt das wie ein schlechtes Ergebnis für Donnellans Semantik. Wir wollen aber erwähnen, dass es neue Ansätze gibt, die verschiedene semantische Gehalte bei derselben Äußerung zulassen und dies von einem Interpretationsinteresse abhängig machen, so dass die Entscheidung der Frage auf die Trennungen von Semantik und Pragmatik zurückfällt. Die Diskussion um den Status der referentiellen Lesart von Kennzeichnungen – gehört sie in die Semantik oder Pragmatik? – wird wie die Festlegung des Grenzverlaufs zwischen Pragmatik und Semantik überhaupt kontrovers diskutiert. Auf Kripke haben beispielsweise viele Sprachphilosophen geantwortet, dass wir Kennzeichnungen regelmäßig und oft referentiell gebrauchen. Die Häufigkeit aber legt nahe, dass es Gepflogenheiten oder Konventionen in unserer Sprache gibt, die diesen Gebrauch decken. Damit rückt der referentielle Gebrauch jedoch wieder deutlich in die Richtung der Semantik, vor allem dann, wenn man ohnehin wie Strawson der Meinung ist, dass die Bedeutung eines singulären Terms die Summe der Konventionen ist, die die möglichen Verwendungsweisen des Terms beschreiben. Andere, wie Stephen Neale, der mit „Descriptions“ [6–6] die umfangreichste Diskussion des Themas lieferte, haben eine Russell-Semantik vehement verteidigt. Er behauptet, dass ein Russellscher Kern wahrscheinlich eine Komponente jeder endgültig akzeptierten Theorie sein wird (vgl. auch [6–7]).

6.5 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen Zusammenfassung Ein Satz mit einem Kennzeichnungsterm wie z. B. „Der Autor von Waverley war Schotte“ täuscht uns, so Russell, in seiner grammatischen Erscheinung über seine eigentliche logische Struktur hinweg. Die Kennzeichnung „der Autor von Waverley“ sei kein referentieller Subjektterm; vielmehr würden sich hinter der Oberflächengrammatik des Satzes die drei folgenden Sätze verbergen: (1) Es gibt mindestens einen Autor von „Waverley“. (2) Es gibt höchstens einen Autor von „Waverley.“ (3) Wer immer „Waverley“ geschrieben hat, war Schotte. Russells Theorie, die einige Plausibilität genießt, weil sie semantische Probleme von informativen Identitätssätzen, Sätzen mit leeren Namen und negativen Existenzsätzen löst, wird von Peter Strawson kritisiert. Strawson stellt den Gebrauch von Kennzeichnungen in den Mittelpunkt und macht deutlich, dass jemand, der eine Kennzeichnung gebraucht, die drei Russell-Sätze vielleicht als Hintergrundannahme präsupponiert, sie aber nicht unbedingt mitmeint. Strawson zweifelt außerdem an, dass Sätze überhaupt wahr oder falsch sein müssen. Darüber hinaus klingt bei ihm schon eine Unterscheidung an, die bei Keith Donnellan zum vollen Zuge kommt: Eine Kennzeichnung kann attributiv oder referentiell gebraucht werden. Nur die attributive Lesart kann, wenn überhaupt, mit Russell analysiert werden; im referentiellen Gebrauch könnte man die Kennzeichnung doch als referierenden Subjektterm betrachten. Saul Kripke konnte jedoch zeigen, dass diese referentielle Lesart parasitär ist auf der eigentlichen, semantisch korrekten attributiven Lesart. Die referentielle Gebrauchsweise gehört eher zur Pragmatik als zur Semantik.

Semantik oder Pragmatik?

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7. Namen

Lektürehinweise – Weitere einflussreiche Stellungnahmen zum Thema Kennzeichnungen: [6–1] und [6–3].

Fragen und Übungen 1. Wählen Sie eine beliebige Kennzeichnung und analysieren Sie sie mittels Russells Definition. Erkunden Sie dann mit Strawson, Donnellan und Kripke andere theoretische Möglichkeiten, der Semantik Ihrer Kennzeichnung Herr zu werden! 2. Formulieren Sie im Rahmen von Strawsons Theorie Lösungsvorschläge für das Problem negativer Existenzsätze mit Kennzeichnungstermen! 3. Wir haben im Textabschnitt zu Strawson behauptet, dass man davon ausgehen darf, dass es einer Sprecherin nicht gelingt, überhaupt eine Aussage zu treffen, die wahr oder falsch ist, wenn es keinen Referenzgegenstand für die Kennzeichnung gibt. Ist das immer richtig? Welche Intuitionen haben Sie bei dem Satz: „Der König von Frankreich hat meine Katze erschossen“? (vgl. [6–4]) 4. Beleuchten Sie unsere drei Testfälle (negative Existenzaussagen, leere Kennzeichnungen, informative Identitätssätze) mittels Donnellans Theorie! 5. Die folgenden zwei Aufgaben können Sie nur lösen, wenn Sie sich schon mit formaler Logik etwas vertraut gemacht haben: (i) Versuchen Sie, die drei Sätze der Russellschen Analyse in die Prädikatenlogik zu übersetzen! (ii) Die Relation des logischen Implizierens ist transitiv, reflexiv und nicht-symmetrisch. Wie steht es um „x präsupponiert y“?

7. Namen Die Diskussion von Eigennamen wird entlang der beiden Leitfragen nach der Referenzfestlegung und der Standardbedeutung geführt. Zunächst wird die Beschreibungstheorie der Standardbedeutung in den Blick genommen, und zwar die Kennzeichnungstheorien bei Frege und Carnap, die Bündeltheorie von Searle sowie metasprachliche Theorien. Alle diese Varianten von Beschreibungstheorien werden durch Kripkes modale Überlegungen als unzureichend zurückgewiesen. Stattdessen fordert die modale Überlegung eine Rückkehr zur Objekttheorie der Standardbedeutung, wobei damit jedoch die Herausforderungen nicht zu meistern sind, die bei den Beschreibungstheorien im Vordergrund stehen (z. B. leere Namen und informative Identitätsaussagen). Das daraus resultierende Dilemma von Objekt- und Beschreibungstheorien wird genau dargelegt und es werden abschließend Strategien zur Überwindung des Dilemmas aufgezeigt.

7.1 Referenzfestlegung und Standardbedeutung Anforderungen für Namen

Ganz genauso wie für Kennzeichnungen stellt sich für gewöhnliche Eigennamen die Frage, ob sie referentielle Terme sind, d. h. ob die Bedeutung sich in dem bezeichneten Objekt erschöpft. Auch die besonderen Anforderungen, die bei der Beantwortung der Frage zu berücksichtigen sind, können direkt von der Kennzeichnungstheorie übernommen werden: Wir konzentrie-

7.1 Referenzfestlegung und Standardbedeutung

ren uns dabei zunächst 1. auf Identitätsaussagen, die informativ sind, wie z. B. „Cicero ist identisch mit Tullius“, sowie 2. auf negative Existenzaussagen wie z. B. „Pegasus existiert nicht“. Eine frühe Theorie für Namen von J. S. Mill (1806–1873) geht davon aus, dass die Bedeutung eines Namens in dem bezeichneten Objekt besteht, d. h. dass Namen referentielle Terme sind (vgl. [7–9]). Mills Annahme kommt jedoch mit den oben genannten Anforderungen nicht zurecht. Wenn die Bedeutung eines Namens das bezeichnete Objekt wäre, dann hätte die Äußerung „Cicero ist identisch mit Tullius“ dieselbe Bedeutung wie „Cicero ist identisch mit Cicero“. Die erste Aussage ist jedoch informativ, die zweite aber nicht. Wenn man den unplausiblen Zug vermeiden möchte, dass die Informativität nicht durch die Bedeutungstheorie zu erfassen ist, dann muss man seine Bedeutungstheorie entweder modifizieren oder ergänzen. Eine mögliche Lösung haben wir schon bei Russell kennengelernt (siehe Kapitel 6.1). Auch Frege hat ähnliche Überlegungen als Ausgangspunkt für eine systematische Ergänzung der Bedeutungstheorie genommen: Er unterscheidet Sinn und Bedeutung als zwei Aspekte der Bedeutungstheorie sprachlicher Ausdrücke. Während die Bedeutung die Referenz von Ausdrücken festhält, wird mit dem Sinn der informative Gehalt eines Ausdrucks charakterisiert. Der Sinn ist bei Frege das, was wir die „Standardbedeutung“ nennen. Der Sinn eines Namens wird gemäß Frege durch eine Kennzeichnung ausgedrückt, z. B. kann der Sinn des Namens „Aristoteles“ bei einer Verwendung durch die Kennzeichnung „der (bekannteste) Schüler Platons“ angegeben werden, so dass der Satz „Aristoteles ist ein berühmter Philosoph“ den Gedanken ausdrückt, dass der Schüler Platons ein berühmter Philosoph ist. Die weitere Entwicklung der Namentheorie lässt sich am besten darstellen, wenn man die zentralen Fragen (siehe Kapitel 5.1) aufgreift: Wie wird das Referenzobjekt des Vorkommnisses eines Eigennamens festgelegt? Was ist die Standardbedeutung eines Eigennamens, d. h. der Beitrag eines Eigennamens zum Gedanken, der mit dem Satz ausgedrückt wird, in dem der Name vorkommt? Wir können diese beiden Fragen verwenden, um ausgehend von Freges Theorie alle zentralen Bedeutungstheorien für Namen einzuordnen. Dabei standen lange nur zwei Grundrichtungen von Bedeutungstheorien für Namen zur Diskussion, nämlich Objekttheorien und Beschreibungstheorien: Während Objekttheorien der Bedeutung behaupten, dass der Beitrag eines Namens zum ausgedrückten Gedanken das bezeichnete Objekt ist, ist es die These der Beschreibungstheorie, dass der Beitrag in Form einer Beschreibung angegeben werden muss. Freges Theorie erweist sich als eine einfache Variante einer Beschreibungstheorie der Bedeutung, die so genannte Kennzeichnungstheorie. Die Kennzeichnungstheorie für Namen heißt so, weil Namen ihr gemäß den Sinn einer Kennzeichnung als Standardbedeutung haben. Somit kann die Standardbedeutung des Eigennamens „Aristoteles“ mit dem Sinn einer Kennzeichnung, z. B. dem Sinn von „der Schüler Platons“, gleichgesetzt werden. Die Frage, wie die Referenz

Leitfragen

Kennzeichnungstheorien der Standardbedeutung

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7. Namen

Carnaps Kennzeichnungstheorie

Searles Bündeltheorie der Standardbedeutung

Kripkes Kritik an Kennzeichnungstheorien der Standardbedeutung

festgelegt wird, ist bei Frege ebenfalls mit Verweis auf die Kennzeichnung beantwortet. Die Kennzeichnung, deren Sinn der Beitrag eines Namens zum ausgedrückten Gedanken ist, legt auch das bezeichnete Objekt fest. Von der Grundorientierung ist Carnaps Theorie der Eigennamen genau gleich einzuordnen, auch wenn er Freges Konzeption von Sinn durch die Idee einer Intension sprachlicher Ausdrücke ersetzt hat und damit den unbestimmten Begriff des Sinns (Art des Gegebenseins) durch den genaueren Begriff der Intension erläutert (siehe Kapitel 1.2). Carnaps Intension eines Eigennamens kann mit Hilfe einer Kennzeichnung charakterisiert werden, die Carnap Individualbegriff nennt, auch wenn sie genau genommen als eine Funktion von möglichen Welten auf das mit dem Namen bezeichnete Objekt definiert ist. Wie bei Frege ist es auch bei Carnap diese, einen Individualbegriff charakterisierende Kennzeichnung, die den Beitrag des Namens zum ausgedrückten Gedanken angibt und die zugleich das Referenzobjekt festlegt. Trotz mancher wichtiger Unterschiede ist der Umgang mit Namen im Kern noch gleich. So haben beide das Problem, dass es nicht klar ist, welcher Individualbegriff mit einem Namen assoziiert wird. Verschiedene Sprecher könnten verschiedene Kennzeichnungen mit einem Namen verbinden, so dass erfolgreiche Kommunikation rätselhaft bleibt. Die Kennzeichnungstheorien von Frege und Carnap stoßen beide auf das Hauptproblem, dass jemand auch dann mit dem Namen „Aristoteles“ über den bekannten Philosophen redet und die Bedeutung des Namens erfasst, wenn er vieles von dem antiken Philosophen weiß, aber nicht glaubt, dass er der Schüler Platons war bzw. eine andere vermeintlich relevante Kennzeichnung nicht kennt. Aus diesem Grunde hat Searle die These aufgestellt, dass die Bedeutung eines Eigennamens nicht durch eine einzelne Kennzeichnung, sondern erst durch ein Bündel von charakteristischen Kennzeichnungen angegeben werden kann [7–17]. Searles so genannte Bündeltheorie für Eigennamen ist eine Weiterentwicklung der Idee, dass die Standardbedeutung eines Eigennamens durch eine Kennzeichnung angegeben werden kann. Jemand erfasst die Standardbedeutung des Eigennamens „Aristoteles“ somit hinreichend, wenn er einige zentrale charakteristische Kennzeichnungen kennt, wobei dabei durchaus eine spezifische Kennzeichnung fehlen kann. Searles einflussreiche Form einer Beschreibungstheorie der Bedeutung versteht sich zugleich auch als Theorie der Referenzfestlegung. Zur Bündeltheorie gehört damit auch die These, dass die charakteristischen Kennzeichnungen, die die Standardbedeutung eines Eigennamens angeben, auch das Referenzobjekt festlegen. Die Frage nach der Standardbedeutung und die nach der Referenzfestlegung bekommen dieselbe Antwort: Es ist ein Bündel von charakteristischen Kennzeichnungen, das die Standardbedeutung eines Eigennamens angibt und das Referenzobjekt eines Eigennamens festlegt: dasjenige Objekt, auf das alle oder wenigstens die meisten Kennzeichnungen zutreffen. Wie alle Beschreibungstheorien ist Searles Bündeltheorie durch Kripkes Untersuchungen in „Naming and Necessity“ [7–6] einer umfassenden Kritik unterzogen worden. In einem ersten Schritt zeigt Kripke, dass alle Varianten einer Beschreibungstheorie der Bedeutung unhaltbar sind. Sein modales Argument stützt sich auf eine allgemein akzeptierte notwendige Bedingung für Bedeutungsgleichheit:

7.1 Referenzfestlegung und Standardbedeutung

(BG) Wenn zwei Ausdrücke a1 und a2 bedeutungsgleich sind, dann sind sie in Sätzen, die mit dem Modaloperator „Es ist notwendig, dass“ eingeleitet werden, wechselseitig ersetzbar, ohne dass der Wahrheitswert des Satzes sich ändert.

Wir erläutern die Bedingung für die bedeutungsgleichen Begriffe „Junggeselle“ und „unverheirateter Mann“, indem wir mit einem offensichtlich wahren Satz starten: „Es ist notwendig, dass ein Junggeselle ein Junggeselle ist.“ Wenn wir ein Vorkommnis des Ausdrucks „Junggeselle“ durch „unverheirateter Mann“ ersetzen, bekommen wir den folgenden Satz: „Es ist notwendig, dass ein Junggeselle ein unverheirateter Mann ist.“ Da beide Sätze, sowohl der Ausgangssatz, als auch der durch Ersetzen der Ausdrücke entstehende Satz, wahr sind, ist die notwendige Bedingung für Bedeutungsgleichheit nicht verletzt. Dieselbe Überlegung kann für den Eigennamen „Aristoteles“ und eine beliebige Kennzeichnung K angewendet werden, wobei wir wiederum mit einer offensichtlichen Wahrheit starten: Es ist notwendig, dass Aristoteles Aristoteles ist. Die Selbstidentität eines Objekts ist notwendigerweise der Fall, d. h. es gibt keine mögliche Situation (in der Philosophie sprechen wir von möglichen Welten), in der Aristoteles nicht mit Aristoteles identisch ist. Es mag mögliche Welten geben, in denen es Aristoteles nicht gibt, aber es gibt keine, in der die Selbstidentität verletzt wäre. Für die theoretische Philosophie insgesamt ergibt sich im Rahmen dieser Überlegungen die wichtige Trennung von Apriorität und Notwendigkeit. Wenn alle wahren Identitätsaussagen, die mit Hilfe von zwei Namen ausgedrückt werden, notwendig wahr sind (gerade weil die Selbstidentität eine Notwendigkeit ist), dann gibt es natürlich auch notwendige Wahrheiten a posteriori; z. B. drückt der Satz „Mark Twain ist identisch mit Samuel Clemens“ eine solche aus, denn „Samuel Clemens“ ist der bürgerliche Name des berühmten Schriftstellers. Kommen wir nun zur Aussage über Aristoteles zurück. Wenn man ein Vorkommnis des Namens „Aristoteles“ durch eine Kennzeichnung K ersetzt, ergibt sich das folgende Satzschema: Es ist notwendig, dass Aristoteles K ist. Wenn wir für K die Kennzeichnung „der Schüler Platons“ einsetzen, dann sieht man leicht, dass der Satz durch das Ersetzen falsch wird; denn es ist nicht notwendig, dass Aristoteles der Schüler Platons ist. Das Leben des Aristoteles hätte auch anders verlaufen können, so dass er Platon nie getroffen hätte. Somit liegt keine Notwendigkeit vor. Da der wahre Ausgangssatz durch das Ersetzen des Namens falsch wird, kann der Name „Aristoteles“ nicht dieselbe Bedeutung haben wie die Kennzeichnung „der Schüler Platons“. Diese Überlegung können wir für alle Kennzeichnungen K – auch für ein Bündel von Kennzeichnungen K – durchführen (solange K nicht für die personale Identität wesentlich ist). Darüber hinaus ist es nicht unüblich, dass wir den Namen „Aristoteles“ hören, aufgreifen und kompetent weiter benutzen, auch wenn wir noch gar keine Kennzeichnung damit verknüpfen. Auch dies ist nicht erklärbar, wenn das Verfügen über die Bedeutung in der Kenntnis einer Kennzeichnung bestehen würde.

Apriorität und Notwendigkeit

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7. Namen Metasprachliche Theorien der Standardbedeutung

Objekttheorien der Standardbedeutung

Erwähnenswert ist ein Sonderfall der Beschreibungstheorie der Bedeutung, die so genannte metasprachliche Theorie. Gemäß dieser Theorie kann die Bedeutung des Eigennamens „Aristoteles“ mit der Kennzeichnung „der Träger des Namens ,Aristoteles‘“ angegeben werden. Diese Kennzeichnung erfasst das kontextunabhängige Wissen eines Sprechers in Bezug auf den Eigennamen. Wenn aber das vorgestellte Kriterium für Bedeutungsgleichheit (BG) gültig ist, dann kann auch die metasprachliche Theorie nicht richtig sein. Es ist zwar notwendig, dass Aristoteles Aristoteles ist, aber es ist nicht notwendig, dass Aristoteles der Träger des Namens „Aristoteles“ ist. Denn Aristoteles hätte bei seiner Geburt einen anderen Namen bekommen können, ohne dass er dadurch eine andere Person geworden wäre. Deshalb ist der metasprachliche Vorschlag unhaltbar. Dieses modale Argument, welches Kripke in die Literatur eingeführt hat, lässt für Beschreibungstheorien der Bedeutung keinen Raum, wohl aber für Varianten einer Objekttheorie der Bedeutung: Vertreter einer Objekttheorie behaupten, dass die Bedeutung des Eigennamens das bezeichnete Objekt ist. Eine exotische Variante dieser Theorie ist Russells Theorie der Bedeutung von Namen, wobei er gewöhnliche Eigennamen und logische Eigennamen unterscheidet. Für gewöhnliche Namen vertritt Russell eine Kennzeichnungstheorie der Standardbedeutung (siehe Kapitel 6.1), nicht dagegen bei logischen Eigennamen: Unter letzteren versteht er vor allem Demonstrativpronomina wie „dies“ oder „jenes“. Ihre Standardbedeutung ist jeweils das bezeichnete Objekt, und zwar ist das gemäß Russell jeweils ein Sinneseindruck. Die Frage, wie das Referenzobjekt, der Sinneseindruck, festgelegt wird, hat Russell im Rahmen seiner Erkenntnistheorie mit der Theorie der Bekanntschaft beantwortet: Die einfachen Objekte, auf die wir mit „dies“ Bezug nehmen, sind nach seiner Auffassung Sinnesdaten. Alltagsobjekte wie Tische, Autos usw. fasst er in der Tradition empiristischer Erkenntnistheorien als Bündel von Sinnesdaten auf. Da diese erkenntnistheoretischen Annahmen sehr spezifische und zudem problematische Voraussetzungen sind, muss die Frage der Referenzfestlegung für eine Objekttheorie der Bedeutung eine andere allgemeine Antwort bekommen. Ein möglicher Zug besteht darin, die Idee einer Beschreibungstheorie für eine Theorie der Referenzfestlegung zu bemühen, d. h. das Referenzobjekt wird mittels einer Kennzeichnung festgelegt. Der Referent einer Gegenstandsbezeichnung „E“ ist der einzige Gegenstand, der die Kennzeichnung erfüllt, welche mit dem Ausdruck „E“ assoziiert ist. Eine konservative Strategie einer Objekttheorie der Standardbedeutung besteht darin, wenigstens an der Idee festzuhalten, dass die Referenzfestlegung über eine Kennzeichnung geschieht, wenngleich diese Kennzeichnung nicht zur Standardbedeutung hinzuzählt. Dann erhalten wir folgende Kombination: Die Standardbedeutung ist das bezeichnete Objekt, das mittels einer Kennzeichnung „K“ festgelegt wird. Das Referenzobjekt eines Eigennamens „E“ ist der einzige Gegenstand, der die Kennzeichnung „K“ erfüllt, welche mit dem Ausdruck „E“ assoziiert ist. Die Grundidee der Referenzfestlegung durch eine Kennzeichnung gilt für alle Beschreibungstheorien der Referenzfestlegung. Kripke hat aber nicht nur ein durchschlagendes Argument gegen eine Beschreibung als Standardbedeutung für Namen geliefert, sondern er hat in

7.1 Referenzfestlegung und Standardbedeutung

einem zweiten Schritt auch die Beschreibungstheorie der Referenzfestlegung schlagkräftig kritisiert. Nehmen wir zur Abwechslung als Beispiel den Eigennamen „Platon“. Dann behauptet eine Beschreibungstheorie der Referenzfestlegung, dass eine Kennzeichnung K, die mit dem Namen „Platon“ assoziiert ist, dafür verantwortlich ist, dass mit einem Vorkommnis des Namens „Platon“ über eine bestimmte Person geredet wird. Kripke wendet ein, dass so, wie wir Eigennamen gewöhnlich verwenden, eine Kennzeichnung nicht das Referenzobjekt festlegen kann. Betrachten wir einen Kandidaten für eine solche Kennzeichnung, z. B. „der Verfasser des Dialogs ,Sophistes‘“. Kripke behauptet nun, wir würden mit dem Namen „Platon“ auch dann über die Person reden, für die der Name eingeführt wurde, wenn die Kennzeichnung nicht auf sie zutreffen würde. Also angenommen nicht Platon, sondern ein unbekannter Zeitgenosse hätte den Dialog „Sophistes“ verfasst und nach dessen Ableben hätte Platon das Werk als sein eigenes ausgegeben. Auch in dieser hypothetischen Situation würden wir mit dem Namen „Platon“ nicht über den Verfasser des Dialogs reden. Der Name „Platon“ bezeichnet stets die Person Platon, unabhängig davon, welche Kennzeichnungen auf sie in anderen hypothetischen Situationen zutreffen mögen. Charakteristische Kennzeichnungen sind somit bei Eigennamen für die Referenzfestlegung nicht verantwortlich. Kripkes konstruktiver Vorschlag zur Beantwortung der Frage nach der Referenzfestlegung ist als die kausale Theorie bekannt geworden. Die kausale Theorie der Referenzfestlegung besagt, dass das bezeichnete Objekt mittels einer Kausalkette der Kommunikation festgelegt wird. Diese Kausalkette der Kommunikation hat ihren Ursprung in einer Tauf- oder Einführungssituation, in der einer Person (oder einem Objekt) dieser Name verliehen wurde. Die Kette der Namensverwendungen kann, ausgehend von der Taufsituation, fortgesetzt werden, wenn jemand, der den Namen hört, ihn mit der Absicht verwendet, damit genau dieselbe Person zu bezeichnen wie der Sprecher, von dem er den Namen übernommen hat. Die Kausalkette der Kommunikation ist somit zum einen durch aufeinander folgende Verwendungen des gleichen Namens geprägt und zum anderen durch eine Reihe von Sprecherintentionen, die sicherstellen, dass alle Sprecher, die den Namen weiterverwenden, damit die Person bezeichnen, der ursprünglich der Name verliehen wurde. Eine Verwendung des Namens „Albert Einstein“ bezeichnet die Person, die am Anfang der Kausalkette der Kommunikation steht, an der der Sprecher teilhat, wobei den Anfang der Kausalkette die Tauf- oder Einführungssituation bildet [7–6: 112]. Die Idee einer kausalen Theorie der Referenz ist von Kripke als Theorie der Referenzfestlegung eingeführt worden. Bei Kripke wird sie mit einer Objekttheorie der Bedeutung verknüpft. Devitt hat die Grundidee einer kausalen Theorie zugleich für eine Theorie der Standardbedeutung bemüht (vgl. [7–2], [7–3]). Devitt vertritt die These, dass die Standardbedeutung eines Eigennamens das kausale Netz ist, welches durch die skizzierte Kausalkette der Kommunikation gebildet wird. Es ist nach wie vor umstritten, wie eine adäquate Theorie der Referenz formuliert sein muss. Allerdings hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten eine dominante Richtung ausgebildet, die Kripkes Theorie im Kern als adäquate Theorie der Standardbedeutung und der Referenzfestlegung bei Eigennamen anerkennt. Die Auswahl der hier

Kritik an Beschreibungstheorien der Referenzfestlegung

Kausale Theorie der Referenzfestlegung

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7. Namen

präsentierten Theorien stellen wir in einem Schema einander gegenüber, wobei die Spalten die Theorien der Standardbedeutung und die Zeilen die Theorien der Referenzfestlegung für Eigennamen markieren: Beschreibungstheorie der Standardbedeutung

Objekttheorie der Standardbedeutung

Kausale Theorie der Standardbedeutung

Beschreibungs- – Kennzeichnungstheorie der theorien (z. B. ReferenzFrege, Carnap, festlegung Russell) – Searles Bündeltheorie – Metasprachliche Theorien Bekanntschaftstheorie der Referenzfestlegung

– Russells Theorie der Bedeutung von logischen Namen

Kausale Theorie der Referenzfestlegung

– Kripkes Theorie

– Devitts Theorie

Doch können wir uns mit Kripkes Theorie keineswegs zufrieden zurücklehnen, denn sie hat wie alle Objekttheorien der Bedeutung das Problem, dass informative Identitätsaussagen sowie negative Existenzaussagen oder leere Namen nicht adäquat behandelt werden können. Wir stehen damit vor einem Dilemma, das eine neue Theoriebildung erfordert. Eine Darstellung des Dilemmas sowie der Vorschlag einer Mischtheorie finden sich z. B. auch bei Searle in [7–19].

7.2 Das Dilemma von Objekt- und Beschreibungstheorien der Bedeutung Um die Grenzen der Objekttheorie der Bedeutung klar aufzuzeigen, führen wir eine Standardschreibweise für Inhalte bzw. Wahrheitsbedingungen ein. Wenn wir dem Satz (S1) „Der Morgenstern ist ein Planet.“ eine Bedeutung zuordnen und dabei eine Objekttheorie der Bedeutung zugrunde legen, dann ergibt sich folgende Wahrheitsbedingung: (S1) ist genau dann wahr, wenn die Venus die Eigenschaft hat, ein Planet zu sein. Diese Wahrheitsbedingung kann man so notieren, dass man zunächst das mit dem singulären Term bezeichnete Objekt und dann die vom Prädikat ausgedrückte Eigenschaft als Paar angibt: oder kürzer:

7.2 Das Dilemma von Objekt- und Beschreibungstheorien der Bedeutung

Wenn man mit einer Objekttheorie der Bedeutung die informative Identitätsaussage „Pascal Mercier ist identisch mit Peter Bieri“ charakterisiert, so ergibt sich die folgende Wahrheitsbedingung:

Informative Identitätsaussagen

Damit wird die Trivialität zum Ausdruck gebracht, dass Peter Bieri mit sich selbst identisch ist. Dann jedoch kann der intuitiv klar enthaltene Informationsgehalt des Satzes nicht in der Bedeutung des Satzes eingefangen werden. Derselbe unbefriedigende Zustand stellt sich bei nichtwidersprüchlichen Überzeugungen trotz oberflächlich widersprüchlicher Äußerungen ein. Wenn wir das Beispiel leicht variieren, sehen wir, dass es letztlich ganz eng verknüpfte Phänomene sind:

Nichtwidersprüchliche Überzeugungen

(S2) Maria glaubt, dass Peter Bieri ein Philosoph ist. (S3) Maria glaubt nicht, dass Pascal Mercier ein Philosoph ist. Maria weiß, dass Bieri ein Philosoph ist, der z. B. das Buch „Das Handwerk der Freiheit“ geschrieben hat. Sie kennt ebenfalls die Bücher des Schriftstellers Pascal Mercier, z. B. „Nachtzug nach Lissabon“. Da sie jedoch nicht weiß, dass „Pascal Mercier“ der Künstlername von Peter Bieri ist, glaubt sie nicht, dass Pascal Mercier ein Philosoph ist. Die beiden Zuschreibungen (S2) und (S3) sind gemäß unserem Alltagsverständnis wahr. Gemäß der Objekttheorie der Bedeutung sind die Überzeugungsinhalte jedoch widersprüchlich, weil der Gehalt sich stets auf das Objekt bezieht, d. h. gemäß (S2) glaubt Maria, dass Peter Bieri ein Philosoph ist, während sie gemäß (S3) genau dies nicht glaubt. Dieser Inhalt lässt sich wie folgt darstellen:

Damit kann die Bedeutungstheorie jedoch überhaupt nicht erfassen, dass Maria keine widersprüchlichen Überzeugungen hat, sondern dass sie glaubt, sie habe es mit zwei Personen zu tun. Das dritte Phänomen sind wahre negative Existenzaussagen, z. B.: (S4) „Sherlock Holmes existiert nicht.“ Da es keine bezeichnete Person gibt, kann die Objekttheorie der Bedeutung die mit der Äußerung mitgeteilte Information nicht repräsentieren. Dieses Beispiel zeigt, dass eine Bedeutungstheorie so angelegt sein sollte, dass eine Angabe der Bedeutung auch dann möglich ist, wenn der Ausdruck kein Objekt bezeichnet. Da die Objekttheorie der Bedeutung bei den drei oben genannten Phänomenen offensichtlich zu kurz greift, hat sich schon seit Frege (siehe Kapitel 1.1) ein Strang von Beschreibungstheorien der Bedeutung als Alternative herausgebildet. Demgemäß ist der relevante Beitrag eines singulären Terms nicht das bezeichnete Objekt, sondern die Information, die durch eine Kennzeichnung ausgedrückt werden kann: Bedeutung eines singulären Terms = das, was durch eine Kennzeichnung ausgedrückt wird. Die Sachverhaltsadäquatheit (siehe Kapitel 5.2) verlangt, dass in modalen Kontexten der Beitrag eines singulären Terms zum Inhalt das bezeichnete Objekt ist. Dies kann jedoch nicht von einer Beschreibungstheorie der Be-

Negative Existenzaussagen

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7. Namen

Das Dilemma

deutung erfasst werden, wohl aber von einer Objekttheorie der Bedeutung. Es besteht somit ein Dilemma: Wenn man eine Objekttheorie der Bedeutung vertritt, dann kann man die ersten drei Phänomene (angefangen mit informativen Identitätsaussagen) nicht erklären, vertritt man eine Beschreibungstheorie der Bedeutung, dann kann man die Modalaussagen nicht adäquat berücksichtigen.

7.3 Strategien zur Überwindung des Dilemmas: Mehrfache Äußerungsinhalte und eine Vektortheorie der Bedeutung Die Grundidee einer radikalen Alternative besteht darin, dass man die gemeinsame Voraussetzung von Objekt- und Beschreibungstheorie in Frage stellt: Diese besteht in der Annahme, dass der Beitrag einer Gegenstandsbezeichnung zum ausgedrückten Gedanken stets genau ein und derselbe ist, entweder stets ein Objekt oder stets eine Beschreibung. Das Dilemma besteht jedoch gerade darin, dass klar wurde, dass bei Modalaussagen die Standardbedeutung eines Namens das bezeichnete Objekt sein muss, während man bei informativen Identitätsaussagen, bei wahren, negativen Existenzaussagen bzw. der Verwendung von leeren Namen mit dieser Annahme gerade nicht zurecht kommt und es nahe liegt, als Standardbedeutung eine Beschreibung anzusetzen. Es gibt zwei grundsätzliche Strategien mit dieser Situation umzugehen: (I) Man kann dabei bleiben, dass der Beitrag eines Eigennamens stets das bezeichnete Objekt ist. Dann müssen die dargestellten Schwierigkeiten mit informativen Identitätsaussagen, negativen Existenzaussagen etc. außerhalb einer Theorie der wörtlichen Bedeutung (Semantik) in einer Theorie des eigentlich Gemeinten (Pragmatik) geklärt werden. Ein Vertreter dieser Richtung im Umgang mit Namen, referentiell verwendeten Kennzeichnungen und Indikatoren ist Kripke. (II) Eine andere Strategie besteht darin zuzugestehen, dass die Standardbedeutung eines Eigennamens nicht stets dieselbe ist, sondern dass sie zumindest davon abhängig ist, in welchem Zusammenhang der Ausdruck verwendet wird. Wir wenden uns zuerst der zweiten Strategie zu. Hier können wir aber noch einen Schritt weiter gehen: Es ist sogar bei ein und demselben Vorkommnis eines Satzes mit einem Namen möglich, diesen so aufzufassen, dass es dabei entweder vorrangig um den Sachverhalt geht, der den Satz wahr macht, oder um die kognitive Situation des Denkers, der den Satz äußert: Wenn Maria den Satz (S7) „Pascal Mercier ist identisch mit Peter Bieri.“ äußert, so können wir als Standardbedeutung entweder (i) den dargestellten Sachverhalt, d. h. die Identität von Peter Bieri mit sich selbst, oder (ii) die kognitive Information, dass der Verfasser des Romans „Nachtzug nach Lissabon“ identisch ist mit dem Autor des philosophischen Diskurses „Das Handwerk der Freiheit“, auffassen. Es hängt damit nicht nur vom Äußerungskontext, sondern vor allem von einem Interpretationsinteresse ab. Die möglichen Interessen werden durch alle Adäquatheitsbedingungen festgelegt, so dass wir noch ein drittes Erklärungsinteresse hinzufügen kön-

7.3 Strategien zur Überwindung des Dilemmas

nen, nämlich die Wissensadäquatheit (siehe hierzu Kapitel 5.2): Dabei möchten wir eine Äußerung so erfassen, dass wir allein das per Sprachkompetenz mit ihr verknüpfte Wissen berücksichtigen; beim Eigennamen „Peter Bieri“ geht es um das Wissen, welches wir oben als metasprachlich bezeichnet haben, nämlich, dass damit eine Person namens „Peter Bieri“ bezeichnet wird. Wenn es uns also um Wissensadäquatheit geht, dann hat der Satz (S7) (iii) den per Sprachkompetenz assoziierten Inhalt, dass die Person, die mit dem Namen „Pascal Mercier“ bezeichnet wird, identisch ist mit der Person, die mit dem Namen „Peter Bieri“ bezeichnet wird. Wir können und müssen somit ein und demselben Satz drei verschiedene Inhalte zuordnen, abhängig davon, welches Interpretationsinteresse wir verfolgen (vgl. [7–10: Kapitel 8 und 9]. Geht es um den relevanten Sachverhalt, einen allein per Sprachkompetenz assoziierten Inhalt oder eine kognitive Information? Gemäß Newens Theorie [7–10] kann die Bedeutung singulärer Terme dementsprechend stets durch einen Vektor angegeben werden, der jeweils die drei zentralen Komponenten enthält, nämlich (1) das bezeichnete Objekt, (2) die (allein) mittels Sprachkompetenz assoziierte Beschreibung und (3) die Art des Gegebenseins des bezeichneten Objekts, wobei letztere als kognitive Signifikanz aufgefasst wird. Der Bedeutungsvektor für ein Vorkommnis des Eigennamens „Peter Bieri“ könnte z. B. so aussehen: . Welchen Beitrag ein Wort zum ausgedrückten Gedanken leistet, entscheidet sich dann jeweils in Bezug auf ein Interpretationsinteresse. Singuläre Terme unterscheiden sich dabei nur durch eine bevorzugte Interpretationsweise: Eigennamen und Indikatoren haben als bevorzugte Standardbedeutung das bezeichnete Objekt, Kennzeichnungen bei referentieller Verwendung ebenfalls, dagegen ist die Standardbedeutung bei attributiver Verwendung von Kennzeichnungen vorrangig die mittels Sprachkompetenz assoziierte Beschreibung (siehe Kapitel 6.3). Aber abhängig vom Interpretationsinteresse können auch andere Standardbedeutungen aus dem Dreikomponentenvektor zum Inhalt beigetragen werden, wobei z. B. bei leeren Namen durchaus eine Komponente des Vektors unausgefüllt ist, nämlich das bezeichnete Objekt. Der Unterschied in den beiden Grundstrategien (I) und (II) besteht u. a. darin, welche der drei Adäquatheitsbedingungen (siehe Kapitel 5.2) man tatsächlich für eine Theorie der wörtlichen Bedeutung einer Äußerung gelten lässt. Damit einher geht jeweils die Suche nach einer Trennung zwischen dem wörtlich mit einer Äußerung Gesagten und dem mit ihr Gemeinten, also der Unterschied zwischen Semantik und Pragmatik (siehe Kapitel 2.3). Die Strategie (I), die Kripke beispielhaft vertritt, besteht darin, dass die Theorie der wörtlichen Bedeutung (Semantik) sich nur um die Sachverhaltsadäquatheit kümmern sollte. Dann ist es die Aufgabe der Pragmatik (einer Theorie des Gemeinten), der Wissensadäquatheit und erst recht der kognitiven Adäquatheit Rechnung zu tragen. Diese Überlegung macht deutlich, dass eine Strategie zur Überwindung des Dilemmas zwischen Objekt- und Beschreibungstheorien der Bedeutung für Eigennamen nur in Verbindung mit einer Theorie der Trennung von Semantik und Pragmatik entwickelt werden kann.

Newens Theorie singulärer Terme

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7. Namen Perrys Theorie singulärer Terme

Dies kann abschließend illustriert werden, indem John Perrys Bedeutungstheorie singulärer Terme als eine der neuesten Entwicklungen skizziert wird. Sie kann grob so eingeordnet werden, dass sie für unterschiedliche Ausdrücke verschiedene Adäquatheitsbedingungen berücksichtigt: Bei Eigennamen wird nur die Sachverhaltsadäquatheit berücksichtigt, bei Kennzeichnungen und Indikatoren jedoch zusätzlich die Wissensadäquatheit. Dagegen ist die kognitive Adäquatheit gemäß Perry nicht in die Semantik einzubeziehen. Perry [7–12] unterscheidet zunächst einmal Bedeutung und Inhalt sprachlicher Ausdrücke. Dabei fällt die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks mit dem zusammen, was gerade als die mittels Sprachkompetenz assoziierte Beschreibung bezeichnet wurde, z. B. wird die Bedeutung des Namens „Aristoteles“ mit der Regel angegeben, dass eine Person namens „Aristoteles“ bezeichnet wird. Zusätzlich zu der Bedeutung eines Ausdrucks, die jeweils durch eine Sprachregel angegeben wird, unterscheidet Perry dann verschiedene Arten von Inhalten, die es erlauben, den jeweils ausgedrückten Gedanken zu charakterisieren [7–12: 79]. Diese Unterschiede kann man in voller Ausprägung erst am Beispiel von Indikatoren erläutern (siehe Kapitel 8). Bei Eigennamen vertritt Perry die These, dass ein Name in allen seinen Verwendungsweisen stets das bezeichnete Objekt beisteuert, und zwar zu jeder Art von Inhalt. Damit trägt er Kripkes Theorie Rechnung, dass Namen referentielle Terme sind. Allerdings bleibt dann, wie bei Kripke auch, das Problem bestehen, dass die Informativität von Äußerungen wie „Pascal Mercier ist identisch mit Peter Bieri“ nicht im Gehalt der Äußerung abgebildet wird, denn der Gehalt der Äußerung ist demgemäß die Selbstidentität. Perry ist jedoch der Meinung, dass man der Informativität im Fall der Verwendung von zwei Eigennamen auch nicht innerhalb der Semantik Rechnung zu tragen braucht: Er bezeichnet es als einen Irrtum („subject matter fallacy“), wenn man die Anforderung, die oben kognitive Adäquatheit genannt wurde, in einer Semantik vollständig zu erfüllen sucht. Vielmehr genügt es seiner Meinung nach, wenn eine Semantik den wörtlichen Gehalt einer Äußerung gemäß einer üblichen Wahrheitsbedingungen-Auffassung angeben kann, und die kognitiven Dimensionen als Aufgabe der Pragmatik überlassen werden. Bezüglich Eigennamen hat Perry somit eine Position, die relativ nahe an der Semantik von Kripke ist. Dagegen unterscheidet er für Kennzeichnungen und Indikatoren verschiedene Gehalte. Eine Kennzeichnung hat gemäß Perry als referentiellen Gehalt eine identifizierende Bedingung, die durch eine Beschreibung angegeben werden kann, während der designatorische Gehalt das bezeichnete Objekt ist. In diesem Fall kommen bei Perry schon innerhalb der Semantik pragmatische Aspekte wie die Verwendungsweise oder Lesart eines Ausdrucks ins Spiel. Die Äußerung einer Kennzeichnung kann somit zwei verschiedene Gehalte zugeordnet bekommen. Für Kennzeichnungen (und auch für Indikatoren) verfolgt Perrys Bedeutungstheorie somit die Strategie (II), einer Äußerung mehrere Inhalte zuzuordnen, so dass zu klären ist, welcher Inhalt der wörtliche Gehalt ist. Die Frage, welche Theorie der Standardbedeutung für Namen und Kennzeichnungen richtig ist, lässt sich jedenfalls nur in Verbindung mit einer Antwort auf die Frage einer Abgrenzung von Semantik und Pragmatik klären.

7.4 Die Logik referentieller Terme: Die Theorie der direkten Referenz

7.4 Die Logik referentieller Terme: Die Theorie der direkten Referenz Den Gegensatz von Objekt- und Beschreibungstheorien der Standardbedeutung für Namen möchten wir nun noch detaillierter am Beispiel der Äußerung (P1) „Platon ist ein erfolgloser Staatsmann.“ illustrieren. Gemäß einer Beschreibungstheorie der Bedeutung ergibt sich die folgende Wahrheitsbedingung: Eine Äußerung von (P1) ist genau dann wahr, wenn der Lehrer von Aristoteles ein erfolgloser Staatsmann ist. Dabei wird schon vorausgesetzt, dass die relevante Beschreibung eindeutig und leicht zu erfassen ist, was keineswegs unproblematisch ist. Gemäß der Objekttheorie der Bedeutung von Namen hat eine Äußerung von (P1) die folgende Wahrheitsbedingung: Eine Äußerung von (P1) ist genau dann wahr, wenn (die Person) Platon ein erfolgloser Staatsmann ist. Die Objekttheorie für Namen wird im Anschluss an Kripke auch die Theorie der direkten Referenz für Namen genannt. Referentielle Terme sind solche, deren Beitrag zum Inhalt einer Äußerung stets das bezeichnete Objekt ist. Um den Unterschied der Wahrheitsbedingungen zu verdeutlichen, betrachten wir verschiedene mögliche Welten, wobei jede mögliche Welt durch eine Menge von Sachverhalten charakterisiert werden kann, die in dieser Welt bestehen (siehe Kapitel 1.2). Es sei W0 die wirkliche Welt und W1 und W2 seien mögliche Welten, in denen u. a. die folgenden Fakten bestehen: In der aktualen Welt W0 ist es der Fall, – dass der Name „Platon“ für die Person Platon eingeführt ist, – dass Platon der Lehrer von Aristoteles ist, – dass Platon und Demokrit erfolglose Staatsmänner sind und – dass Perikles ein erfolgreicher Staatsmann ist. In der möglichen Welt W1 ist es der Fall, – dass Perikles der Lehrer von Aristoteles ist, – dass Platon ein erfolgloser Staatsmann ist und – dass Perikles und Demokrit erfolgreiche Staatsmänner sind. In der möglichen Welt W2 ist es der Fall, – dass Demokrit der Lehrer von Aristoteles ist, – dass Platon ein erfolgreicher Staatsmann ist und – dass Demokrit und Perikles erfolglose Staatsmänner sind. Ausgehend von dieser rudimentären Faktenbeschreibung dreier Welten betrachten wir jetzt die beiden Wahrheitsbedingungen für (P1), – gemäß Objekttheorie (OTh): wenn Platon ein erfolgloser Staatsmann ist. – gemäß Beschreibungstheorie (BTh): wenn der Lehrer von Aristoteles ein erfolgloser Staatsmann ist. Diese Bedingungen lassen sich in der folgenden Tabelle durch die entsprechenden Wahrheitswerte darstellen, wobei die Zeile zunächst nur die gegenwärtige Welt berücksichtigt, während in den Spalten alle möglichen

Mögliche Welten

Wahrheitsbedingungen

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7. Namen Äußerungskontext und Auswertungswelten

Welten berücksichtigt werden. Die Zeile mit W0 stellt den Äußerungskontext dar, wobei dabei nur die Tatsache relevant ist, dass das Wort „Platon“ in der verwendeten Sprache die Person Platon bezeichnet. Der Äußerungskontext ist genau genommen nur ein Ausschnitt einer möglichen Welt, in der die relevanten Kontextfaktoren festgelegt sind, z. B. wen ein Name bezeichnet, wer der Sprecher der Äußerung, was der Zeitpunkt und der Ort der Äußerung ist. Die Möglichkeit, dass der Name „Platon“ ja auch für eine andere Person hätte eingeführt werden können, lassen wir in dieser Einführung außen vor, denn damit würde die Sprache auch noch verändert. Für Eigennamen gehen wir also stets von demselben relevanten Äußerungskontext aus. Die verschiedenen möglichen Welten werden dagegen als Auswertungswelten betrachtet, d. h. die beschriebenen Sachverhalte einer Welt sind die Grundlage um zu bestimmen, ob ein Satzinhalt wahr oder falsch ist. OTh

W0

W1

W2

Äußerungskontext W0

W

W

F

Auswertungswelten

BTh

W0

W1

W2

Äußerungskontext W0

W

F

W

Gemäß der Objekttheorie bzw. der Theorie der direkten Referenz ist der Inhalt der Äußerung (P1), dass Platon ein erfolgloser Staatsmann ist. Für die Wahrheitsbewertung schaut man dann für jede mögliche Welt nach, ob der Sachverhalt besteht oder nicht. So ergibt sich, dass bei den obigen Sachverhalten gemäß der Objekttheorie der Inhalt in W0 und W1 mit wahr bewertet wird, dagegen in W2 mit falsch. Für die Beschreibungstheorie ergeben sich andere Wahrheitswerte, denn das bezeichnete Objekt ändert sich in Abhängigkeit von der Auswertungswelt. Der Inhalt von (P1) ist ja gemäß Beschreibungstheorie als „Der Lehrer von Aristoteles ist ein erfolgloser Staatsmann“ anzugeben. Wenn wir diesen Inhalt für die verschiedenen Welten auswerten, zeigt sich, dass in W0 Platon bezeichnet wird und er erfolglos ist, also für W0 übereinstimmend zur Objekttheorie der Inhalt als wahr bewertet wird. Jedoch ergeben sich abweichende Bewertungen für W1 und W2: In W1 ist Perikles der Lehrer von Aristoteles und er ist ein erfolgreicher Staatsmann, so dass gemäß Beschreibungstheorie der Inhalt als falsch bewertet wird. In W2 ist Demokrit der Lehrer von Aristoteles und er ist ein erfolgloser Staatsmann, so dass gemäß Beschreibungstheorie der Inhalt als wahr bewertet wird. Mit dieser Tabelle ist der Grundstock für eine neue logische Darstellung von Wahrheitsbedingungen mit der grundlegenden Unterscheidung von Äußerungskontext und Auswertungswelten gelegt, die David Kaplan für Indikatoren eingeführt hat. Bei Eigennamen zeigt sich, dass der Gehalt in Bezug auf den Äußerungskontext festgelegt wird (wie der Name verwendet wird), und dann natürlich nur für jede Auswertungswelt festgestellt wird, ob der Inhalt wahr ist oder nicht. Dagegen wird bei einer Kennzeichnung erst in Bezug auf eine Auswertungswelt das bezeichnete Objekt festgelegt und dann der mit diesem Objekt sich ergebende Inhalt in genau dieser Auswertungswelt als wahr oder falsch bewertet. Die formale Logik singulärer Terme in

7.5 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

Form des so genannten Charakters wird erst am Beispiel von Indikatoren nachfolgend vollständig eingeführt. Dies wird aber auch zur Charakterisierung der Bedeutung von Eigennamen verwendet und es wird damit der Anspruch verknüpft, eine Lösung für das Dilemma von Objekt- und Beschreibungstheorien zu entwickeln.

7.5 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen Zusammenfassung Die Beschreibungstheorien der Standardbedeutung gehen davon aus, dass der Beitrag eines Satzes zum ausgedrückten Gedanken mit einer Kennzeichnung ausgedrückt wird: Bei Frege ist es der Sinn eines Namens, der durch eine Kennzeichnung ausgedrückt wird, und bei Carnap der Individualbegriff. Searles Bündeltheorie geht von einer Vielzahl von charakteristischen (aber weder notwendigen, noch hinreichenden) Kennzeichnungen aus, die den Beitrag eines Namens ausmachen. Schließlich geht die metasprachliche Theorie davon aus, dass die Bedeutung des Namens N durch die Kennzeichnung „der Träger des Namens N“ ausgedrückt werden kann. Alle Beschreibungstheorien, die als Bedeutung des Namens N eine kontingenterweise auf den Träger von N zutreffende Kennzeichnung K angeben, stehen vor der Schwierigkeit, dass sie Kripkes Modalüberlegungen nicht Rechnung tragen können: Der Satz „Es ist notwendig, dass N N ist“ ist wahr, dagegen ist der Satz „Es ist notwendig, dass N K ist“ falsch. Das Dilemma von Objekt- und Beschreibungstheorien besteht darin, dass Objekttheorien für die Modalüberlegungen angemessen sind, während sie nicht mit informativen Identitätsaussagen, leeren Namen u. Ä. zurechtkommen, während es bei den Beschreibungstheorien gerade umgekehrt ist. Zwei Grundstrategien zur Lösung des Dilemmas wurden aufgezeigt: 1. Unter Zuhilfenahme der Trennung von Semantik und Pragmatik sollen die Modalaussagen der Semantik und die informativen Identitätsaussagen neben verwandten Phänomenen (s. o.) der Pragmatik zugeordnet werden. 2. Es wird vorgeschlagen, die gemeinsame Hintergrundannahme aufzugeben, dass eine Äußerung stets genau eine Standardbedeutung hat.

Lektürehinweise – Als ausführlicheren Überblick über die mittlerweile klassischen Positionen von Bedeutungstheorien für Eigennamen empfehlen wir [7–20]. – Textsammlungen klassischer Texte zur Diskussion von Eigennamen finden sich in [7–21] und [7–23]. – Zur vertieften Beschäftigung bieten sich an: [7–10] und [7–22].

Fragen und Übungen 1. Welches ist die Antwort auf die Frage der Referenzfestlegung für das Vorkommnis eines Namens bei Frege und Kripke im Vergleich? Erläutern Sie die unterschiedlichen Antworten am Beispiel des Namens „Michael Schumacher“, wie er in der Äußerung des Satzes „Michael Schumacher ist ein Spitzenverdiener des Sports“ vorkommt. 2. Was ist die Standardbedeutung eines Namens (a) bei Frege, (b) bei Searle und (c) bei Kripke? Erläutern Sie die unterschiedlichen Thesen am Beispiel des Satzes „Putin ist ein mächtiger Mann“.

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8. Indikatoren: Indexikalische und deiktische Ausdrücke 3. Welche der Theorieansätze haben Schwierigkeiten mit informativen Identitätsaussagen und warum? 4. Warum haben alle Beschreibungstheorien für Namen Schwierigkeiten mit Modalaussagen der Form „Es ist notwendig, dass N M ist“, wobei „N“ und „M“ Namen für denselben Gegenstand sind? 5. Charakterisieren Sie die Logik des Namens „Platon“ in dem Satz „Platon ist ein berühmter Redner“, indem Sie drei mögliche Welten analog zum Beispiel oben angeben, bei denen die Welten durch relevante Sachverhalte und unterschiedliche Personen charakterisiert sind: (a) In einer ersten Darstellung gehen Sie davon aus, dass die Objekttheorie der Bedeutung gilt, (b) in einer zweiten Darstellung legen Sie die Beschreibungstheorie der Bedeutung zugrunde.

8. Indikatoren: Indexikalische und deiktische Ausdrücke Auch für Indikatoren werden wir nun die beiden Leitfragen einer Bedeutungstheorie genau betrachten, nämlich die Fragen der Referenzfestlegung und die der Standardbedeutung im Sinne des Beitrags zum ausgedrückten Gedanken. Dabei werden wir so vorgehen, dass wir zunächst noch einmal die wichtige Unterteilung von Indikatoren in indexikalische und deiktische Ausdrücke („ich“, „jetzt“, „hier“ einerseits; „dies“, „jenes“ andererseits) aufzeigen, außerdem wie die beiden Ausdrücke teilweise unterschiedliche Antworten bekommen. Bei der Frage der Referenzfestlegung gibt es eine einfache Antwort für indexikalische Ausdrücke, so dass eine ausführliche Diskussion dieser Frage nur für deiktische Ausdrücke erforderlich ist. Bei der Frage nach der Standardbedeutung werden wir aus didaktischen Gründen indexikalische Ausdrücke in den Vordergrund stellen. Da es jedoch so ist, dass die deiktischen Ausdrücke sich in Bezug auf die Standardbedeutung genauso verhalten wie die indexikalischen, genügt dann eine kurze Betrachtung für deiktische Ausdrücke, um eine Verallgemeinerung zu begründen. Indikatoren erweisen sich dabei als Ausdrücke, deren Spezifikum die Kontextabhängigkeit ist. Es wird abschließend eine neue Logik für Indikatoren vorgestellt: die zweidimensionale Semantik.

8.1 Kontextabhängigkeit und Äußerungsreflexivität von Indikatoren Indexikalische Ausdrücke

Bei den Indikatoren unterscheiden wir indexikalische Ausdrücke einerseits und deiktische Ausdrücke andererseits. Gemeinsam ist diesen Ausdrücken, dass mit ihnen eine Sprachregel verknüpft ist, die auf die Äußerung selbst Bezug nimmt. Zu den indexikalischen Ausdrücken gehören die zentralen subjektbezogenen Ausdrücke „ich“, „hier“, „jetzt“ sowie alle Ausdrücke, die von ihnen abgeleitet werden können, wie z. B. „heute“, „morgen“. Für sie gilt, dass wir als kompetente Sprecher mit ihnen eine Regel verbinden, die 1. auf die Äußerung Bezug nimmt und 2. ansonsten unabhängig von weiteren Hinweisen ein Objekt in dem Äußerungskontext festlegt. Für indexikalische Ausdrücke ist somit diese Art der Referenzfestlegung Teil der Definition dieser Klasse von Ausdrücken, z. B. verbinden wir mit „ich“ die Regel, dass damit der Sprecher dieser Äußerung bezeichnet wird.

8.2 Prinzipien der Referenzfestlegung bei Indikatoren

Die zweite Teilklasse bilden deiktische Ausdrücke. Dazu gehören beispielsweise „dies“, „jenes“, alle Personalpronomina außer „ich“, alle Possessivpronomina außer „mein“. Mit solchen Ausdrücken verbinden wir auch eine Regel, die auf die Äußerung selbst Bezug nimmt; diese ist jedoch so unterbestimmt, dass zusätzlich Hinweise erforderlich sind, um ein Objekt zu bezeichnen. (Hier sei erwähnt, dass Pronomina auch mit einem anaphorischen Rückbezug verwendet werden können, wie z. B. „sie“ in dem Satz „Wenn Carla nach Hause kommt, dann ist sie müde“. In der Semantik wird dies mit gebundenen Variablen abgebildet. Daraus resultiert eine eigene Diskussion von Anaphern, die den Rahmen sprengen würde.) Gemeinsam ist allen Indikatoren der Bezug auf die Äußerung bei der Referenzfestlegung. Aufgrund dieser Rolle der Äußerung nennen wir die Sprachregel äußerungsreflexiv. Hans Reichenbach (1891–1953) hat in besonderer Weise auf dieses Merkmal von Indikatoren hingewiesen. Die äußerungsreflexive Sprachregel ist zugleich das, was wir als die mit einem Ausdruck assoziierte Beschreibung eingeführt haben. Für beide Arten von Ausdrücken (deiktische und indexikalische) möchten wir die Regel explizit machen:

Deiktische Ausdrücke

Referenzfestlegungsregeln

„Ich“ bezeichnet den Sprecher der Äußerung, in der das Wort vorkommt. „Dies“ bezeichnet das Objekt, welches in der Äußerung durch die Verwendung des Wortes in Verbindung mit weiteren Merkmalen, wie z. B. einer Zeigegeste, festgelegt wird. Für Indikatoren können wir nun die beiden Leitfragen einer Bedeutungstheorie näher betrachten, nämlich die Fragen der Referenzfestlegung und die der Standardbedeutung im Sinne des Beitrags zum ausgedrückten Gedanken. Dabei werden wir so vorgehen, dass wir indexikalische und deiktische Ausdrücke getrennt besprechen. Da es bei der Frage der Referenzfestlegung eine einfache Antwort für indexikalische Ausdrücke gibt, ist entsprechend nur eine ausführliche Diskussion für deiktische Ausdrücke erforderlich. Bei der Frage nach der Standardbedeutung werden wir indexikalische Ausdrücke ausführlich besprechen. Da es jedoch so ist, dass die deiktischen Ausdrücke sich in Bezug auf die Standardbedeutung genauso verhalten wie die indexikalischen, ist auch eine weitere Erläuterung für deiktische Ausdrücke verzichtbar, wie wir exemplarisch verdeutlichen werden.

8.2 Prinzipien der Referenzfestlegung bei Indikatoren Für indexikalische Ausdrücke ist ja – wie gesagt – die Referenzfestlegung durch die per Sprachkompetenz assoziierte Regel geklärt. Es lohnt sich dabei nur noch zu betonen, dass das Objekt jeweils im Äußerungskontext festgelegt wird. Interessant ist dagegen die Frage, wie genau die Referenzfestlegung im Fall von deiktischen Ausdrücken geregelt ist. Dazu diskutieren wir beispielhaft Äußerungen von „dies“. Die Kandidaten für Theorien zur Referenzfestlegung sind dieselben wie die Theorieoptionen für allgemeine Rahmentheorien der Bedeutung, die wir im ersten Teil besprochen haben. Zunächst gibt es hier eine rein intentionale Theorie der Referenzfestlegung

Intentionale Theorie der Referenzfestlegung

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8. Indikatoren: Indexikalische und deiktische Ausdrücke

Kausale Theorie der Referenzfestlegung

(vgl. z. B. [8–5] und [8–6]), der gemäß das Referenzobjekt eines Vorkommnisses von „dies“ durch die Absicht des Sprechers festgelegt wird. Sie kommt jedoch mit dem folgenden Beispiel nicht zurecht: Wenn Wolfgang in seinem Büro einem Besucher mitteilen möchte, wer sein Lieblingsphilosoph ist, dann zeigt er gewöhnlich hinter sich auf das Portrait von Quine, welches an der Wand hängt, und sagt: „Er ist mein Lieblingsphilosoph.“ Nun ist aber bei der Äußerung, die wir untersuchen, das Portrait von Quine von einem Studierenden durch eines von Heidegger ersetzt worden. Intuitiv ist klar, dass das Referenzobjekt der Äußerung Heidegger ist und nicht die Person, über die Wolfgang sprechen möchte, nämlich Quine. Das bezeichnete Objekt fällt somit nicht mit dem intendierten Objekt zusammen. Dieses Beispiel kann man auch mit Hilfe der Unterscheidung von Sprecher-Referent und semantischem Referent zu erläutern versuchen (siehe Kapitel 6.4). Der Sprecher-Referent eines Eigennamens, einer Kennzeichnung oder eines Indikators ist das intendierte Objekt der Äußerung eines singulären Terms, während der semantische Referent das gemäß dem öffentlichen Sprachgebrauch bezeichnete Objekt ist. Wir wollen uns aber nur mit der Frage beschäftigen, welche Faktoren dafür verantwortlich sind, dass ein bestimmtes Objekt als der semantische Referent einer Äußerung von „dies“ festgelegt wird. Die intentionale Theorie ist zu einer quasi-intentionalen Theorie weiterentwickelt worden [8–18]. Doch auch diese Variante einer intentionalen Theorie bleibt unbefriedigend (vgl. [8–10: Kapitel 3]). Eine zweite Theorie ist die kausale Theorie der Referenzfestlegung [8–3]. Sie besagt, dass das Referenzobjekt einer Äußerung von „dies“ aufgrund einer kausalen Relation zwischen der Äußerung des Sprechers und dem Objekt festgelegt wird, nämlich derart, dass das Objekt kausal für die Äußerung verantwortlich ist. Schon mit dem ersten Beispiel hat die kausale Theorie Schwierigkeiten, denn die Äußerung ist zumindest nicht durch das Anschauen des Portraits im Äußerungskontext verursacht, sondern durch die Erinnerung an das Portrait. Wenn man das als relevante kausale Relation gelten lässt, so bleiben jedoch zwei zentrale Schwierigkeiten. Einwand 1: Die Referenzrelation ist offen für alle realen Objekte, nicht nur für konkrete Objekte, sondern auch für abstrakte Objekte. Zu abstrakten Objekten können wir aber nicht in einer kausalen Relation stehen. Einwand 2: Jemand kann ein Bild bezeichnen, ohne dass er es je gesehen oder auf andere Weise sensorisch wahrgenommen hat, z. B. wenn jemand weiß, dass auf einer Wand in seinem Rücken genau ein Bild hängt, weil es das Konzept der Ausstellung ist, dass an jeder Wand eines Raumes genau ein Bild hängt. Obwohl er das Bild auf der Wand in seinem Rücken noch nie gesehen hat, kann er mit einer klaren Zeigegeste hinter sich und der Frage „Ist dies ein Bild von Kandinsky?“ auf das Bild Bezug nehmen.

Konventionale Theorie der Referenzfestlegung

Die dritte Theorie ist die konventionale Theorie der Referenzfestlegung [8–23], die besagt, dass das Referenzobjekt einer Äußerung von „dies“ durch nichtsprachliche Elemente und die damit verbundenen Sprachkonventionen festgelegt wird. In den obigen Fällen wird behauptet, dass die Zeigegeste und die Konvention, über das Objekt in Richtung der Zeigegeste

8.3 Die Standardbedeutung von Indikatoren

zu sprechen, für die Referenzfestlegung verantwortlich und hinreichend sind. Auch wenn dies auf den ersten Blick richtig klingt, so ist die Theorie systematisch unvollständig, weil die Konvention, über das Objekt einer Zeigegeste zu sprechen, zu unbestimmt ist: Worüber rede ich, wenn ich auf ein Objekt zeige? Ist es die Form des Objekts, die Farbe, das Material, das Objekt als Einzelding oder als Instanz einer abstrakten Idee? In manchen Fällen hilft das Prädikat eines Satzes mit, den Spielraum einzugrenzen, worüber gemäß Konvention gesprochen wird. Aber auch hier sind leicht Fälle denkbar, in denen die Referenz unbestimmt bleibt. Wenn ich auf eine Weide mit vielen Pferden zeige und sage „Dies ist ein erfolgreiches Rennpferd“ ist in diesem Fall die Kombination von Zeigegeste und Prädikat immer noch nicht spezifisch genug. Es kann jedoch ein geteiltes Hintergrundwissen zwischen Sprecher und Hörer geben oder aber eine naheliegende Interpretation, die jedoch in beiden Fällen wesentlich ein Prinzip der wohlwollenden Interpretation einbezieht (siehe Kapitel 3.2). Es besagt in einer schwachen Form, dass der Interpret einer Äußerung dem Sprecher möglichst eine wahre Überzeugung zuschreiben sollte. In einer weitergehenden Version besagt es, dass aus allen in Frage kommenden Überzeugungen, d. h. wahren und falschen, die zugeschriebene Überzeugung möglichst vernünftig (plausibel) sein soll. Damit ist dann auch schon die vierte Theorielinie aufgezeigt, die interpretative Theorie der Referenzfestlegung [8–10: Kapitel 3]: Sie besagt, dass das Referenzobjekt einer Äußerung von „dies“ das Objekt ist, welches ein Interpret dem Sprecher als intendiertes Objekt (das Objekt, von dem er reden möchte) auf der Basis seiner Äußerung zuschreiben würde. Das Referenzobjekt wird erstens durch kontextuelle Hinweise wie Zeigegesten, zweitens durch Kompetenzen (wie z. B. Hintergrundwissen) und drittens mit Hilfe des Prinzips der wohlwollenden Interpretation festgelegt. Dabei ist es eine weitere Diskussionsfrage, ob man die wohlwollende Interpretation von einem tatsächlichen Interpreten abhängig macht oder dafür – wie es uns plausibler scheint – einen normalen Interpreten einführt, der idealisiert ist. Der normale Interpret ist ein konstruierter Adressat, der eine Reihe von Standardvoraussetzungen in einem gewöhnlichen Maß erfüllen muss: 1. Sprachkompetenz, 2. Aufmerksamkeit, 3. geeignete Position für die Wahrnehmung, 4. funktionierende Sinnesorgane und 5. Hintergrundwissen. Die Konstruktion mit einem normalen Interpreten hat den wichtigen Vorteil, dass auch dann ein Referenzobjekt mit einer Äußerung von „dies“ festgelegt ist, wenn es gerade keinen Hörer der Äußerung gibt. Damit sind die Theoriemöglichkeiten für die Referenzfestlegung von „dies“ aufgezeigt. Dabei fällt ins Auge, dass sich bei der Frage der Referenzfestlegung das Theorienspektrum der allgemeinen Ansätze für Bedeutungstheorien wieder auffinden lässt.

Interpretative Theorie der Referenzfestlegung

Normaler Interpret

8.3 Die Standardbedeutung von Indikatoren David Kaplan hat für indexikalische Ausdrücke gezeigt, dass es typische Verwendungskontexte gibt, in denen sie gemäß einer Objekttheorie der Bedeutung behandelt werden müssen; das ist der Fall, wenn sie nur der Sachver-

Objekttheorie der Standardbedeutung

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8. Indikatoren: Indexikalische und deiktische Ausdrücke

haltsadäquatheit (SVA) zu genügen brauchen (siehe Kapitel 5.2). Dazu gehört beispielsweise die Äußerung von (1) Ich bin heute hier.

Standardbedeutung gemäß Wissensadäquatheit

Standardbedeutung gemäß kognitiver Adäquatheit

Die Wahrheitsbedingungen für eine Äußerung von Satz (1) sind nur dann adäquat angegeben, wenn der Inhalt des Satzes als wahr, aber nicht als notwendig wahr ausgewiesen ist. Zwar ist der Satz a priori wahr, denn wir wissen, dass er wahr ist, unabhängig davon, wann, wo und von wem er geäußert wurde. Wenn Carina den Satz (1) am Silvesterabend 2007 in Bochum äußert, dann hat die Äußerung den Inhalt, dass Carina am Silvesterabend in Bochum ist. Aber eine Äußerung von (1) drückt keineswegs eine notwendige Wahrheit aus, denn Carina hätte am Silvesterabend 2007 auch in Bonn sein können. Die Objekttheorie bzw. Theorie der direkten Referenz wird diesen Anforderungen gerecht, denn ihr gemäß ist die Äußerung genau dann wahr, wenn Carina am 31.12.2007 in Bochum ist. Dies ist aufgrund der Äußerungsbedingungen wahr, aber natürlich nicht notwendig wahr, denn Carina hätte Silvester ja auch in Bonn feiern können. Kaplan vertritt auf der Basis dieser und ähnlicher Argumente die allgemeine These, dass Indikatoren referentielle Terme sind, d. h. dass die Standardbedeutung stets das bezeichnete Objekt ist. Die These, dass alle Indikatoren referentielle Terme sind, gilt im Anschluss an Kaplan als die gängige Auffassung. Genau analog zu Eigennamen soll jedoch auch für Indikatoren kurz aufgezeigt werden, dass dies keineswegs unumstritten ist, denn wir dürfen die Wissensadäquatheit und die kognitive Adäquatheit in vielen Fällen nicht einfach vernachlässigen. Wenn Karl nämlich einen Drohbrief mit dem Satz „Ich werde dich eines Tages ausrauben“ erhält von jemandem, der natürlich unerkannt bleiben möchte, ist intuitiv der Beitrag von „ich“ zum Äußerungsinhalt nicht die Person, die die Karte geschrieben hat, sondern die mittels Sprachkompetenz assoziierte Beschreibung; dann ist der Inhalt des Satzes folgender: dass der Sprecher der Äußerung bzw. der Schreiber des Vorkommnisses von „ich“ Karl eines Tages ausrauben wird. Bei diesem Beispiel steht die Wissensadäquatheit im Vordergrund. Schließlich können wir auch noch darlegen, dass die kognitive Adäquatheit bei dem Ausdruck „ich“ im Vordergrund stehen kann. Das ist dann der Fall, wenn man eine Ich-Äußerung so versteht, dass dabei der Gedanke des Sprechers und die damit verbundenen Verhaltensneigungen ausgedrückt werden. Um dies zu verdeutlichen, werden üblicherweise Geschichten wie die folgende herangezogen: Wenn Ernst Mach nach einem Unfall mit einem schweren Gedächtnisverlust aufwacht und den Gedanken äußert „Ich bin hungrig“, dann ist dieser Gedanke verschieden von „Ernst Mach ist hungrig“ und auch von dem Gedanken „Der Autor von ,Die Analyse der Empfindungen‘ ist hungrig“, denn Ernst Mach hat aufgrund des Unfalls vergessen, dass er Ernst Mach heißt und das Buch „Die Analyse der Empfindungen“ geschrieben hat. Ich-Äußerungen bringen Ich-Gedanken zum Ausdruck, die eine besondere unmittelbare Art, über sich selbst nachzudenken, einbeziehen. Nur der Ich-Gedanke motiviert Mach dazu, sich um Essen für sich zu kümmern. Den Inhalt der Ich-Äußerung können wir wie folgt zuschreiben:

8.3 Die Standardbedeutung von Indikatoren

„Ernst Mach glaubt, dass er selbst hungrig ist“, während es wegen des Gedächtnisverlusts falsch wäre zu sagen „Ernst Mach glaubt, dass Ernst Mach hungrig ist“. Einige Autoren nennen die unmittelbare Selbstbezugnahme, die hier mit „ich“ oder „er selbst“ ausgedrückt wird, die EGO-Art des Gegebenseins (vgl. z. B. [8–14], [8–17], [8–12]). Die besondere kognitive Situation von Ich-Gedanken ist die, dass man sich nicht darüber irren kann, wer das Subjekt des Gedankens ist, nämlich man selbst: Hier spricht man von einer Immunität gegen Irrtum durch Fehlidentifikation ([8–20] und [8–12]). Wichtig ist dabei, dass sich diese kognitive Dimension auf das Subjekt des Gedankens (bzw. den Denker des Gedankens) und nicht auf den Sprecher einer Äußerung bezieht: Normalerweise gibt es auch keine Fehleinschätzung des Sprechers einer Äußerung, aber hier sind prinzipiell Fälle denkbar, z. B. wenn man in eine Situation gebracht würde, in der man seine eigenen Äußerungen einzig und allein über einen Kopfhörer wahrnehmen kann, wobei die Informationen des Kopfhörers – ohne unser Wissen – zeitverzögert eingespielt werden können. In solchen Fällen könnte es zur Fehlidentifikation des Sprechers meiner eigenen Äußerung kommen, obwohl man sich natürlich als den Denker seines Gedankens auffasst. In solchen Fällen, in denen die kognitive Adäquatheit im Vordergrund steht, wäre der Beitrag eines Indikators zum ausgedrückten Inhalt eine entsprechende Art des Gegebenseins (eine gedankliche Form der Bezugnahme), die es ermöglicht, den Inhalt so anzugeben, dass die Verhaltensneigungen des Sprechers damit charakterisiert werden. Diese Überlegungen zeigen, dass wir im Fall von Indikatoren in genau derselben Situation sind wie bei Eigennamen: Es gibt drei Interpretationsweisen für indexikalische Äußerungen, die durch eine unterschiedliche Standardbedeutung entstehen: Der Beitrag eines indexikalischen Ausdrucks zum Äußerungsinhalt kann 1. das bezeichnete Objekt, 2. die mittels Sprachkompetenz assoziierte Beschreibung oder aber 3. die kognitive Art des Gegebenseins sein [8–10]. Dieses Ergebnis können wir auf deiktische Ausdrücke übertragen, wie kurz erläutert werden soll. Bei deiktischen Äußerungen („Dies ist ein großes Haus“) fassen wir eine Äußerung ebenfalls meist so auf, dass zum Inhalt das bezeichnete Objekt gehört. In den Fällen, in denen jedoch das bezeichnete Objekt völlig uneindeutig bleibt oder gar kein Objekt für die intersubjektive Kommunikation vorliegt (z. B. bei Halluzinationen) verstehen wir den Inhalt als festgelegt durch die mittels Sprachkompetenz assoziierte Beschreibung. Die Äußerung hat dann den Inhalt, dass das auffällige Objekt in Richtung der Zeigegeste (des Sprechers) ein großes Haus ist. Schließlich zeigt das nachfolgende Beispiel, dass wir bei deiktischen Ausdrücken auch eine kognitive Art des Gegebenseins einbeziehen müssen, die mit dem Wort „dies“ ausgedrückt werden kann [8–11]. Carola schaut aus ihrem Zimmer, das zwei weit auseinandergelegene Fenster hat, auf einen nahegelegenen Kai, an dem ein Hochseeschiff liegt. Das Schiff ist so lang, dass sie aus beiden Fenstern auf verschiedene Teile desselben Schiffs schauen kann. Sie äußert den Satz (1), weil sie am Bug den chinesischen Namen des Schiffes sieht und (2), weil sie die Form des Hecks fälschlich für typisch russisch hält:

Immunität gegen Irrtum durch Fehlidentifikation

Vielfalt der Standardbedeutung

Standardbedeutung für deiktische Ausdrücke

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8. Indikatoren: Indexikalische und deiktische Ausdrücke

(1) Dies ist ein chinesisches Hochseeschiff. (2) Dies ist ein russisches Hochseeschiff. Der Inhalt der Äußerungen kann der kognitiven Situation von Carola nur dann Rechnung tragen, wenn jeweils die Art des Gegebenseins des Schiffes als ein Aspekt der Bedeutung berücksichtigt wird. Damit ist deutlich, dass wir bezüglich der Standardbedeutung für deiktische Ausdrücke dieselbe Situation haben wie für indexikalische Ausdrücke: Wir haben drei mögliche Standardbedeutungen in Abhängigkeit von einem Interpretations- bzw. Erklärungsinteresse. Wenn wir nun die gesamte Gruppe der Indikatoren mit den Eigennamen vergleichen, haben wir zwar ganz unterschiedliche Prozesse der Referenzfestlegung, aber in Sachen der Standardbedeutung funktionieren Indikatoren und Eigennamen gleichartig. Indikatoren werden wie Eigennamen als referentielle Terme bezeichnet, wie es Kaplan vorgeschlagen hat. Ihr Beitrag zur Bedeutung wäre demgemäß stets das bezeichnete Objekt. Bei dieser Sichtweise muss man die anderen Lesarten der Äußerungen gemäß Wissensadäquatheit und kognitiver Adäquatheit nicht der wörtlichen Bedeutung zuordnen, sondern diese in die Pragmatik verschieben. Ob dies ein berechtigter Zug ist, ist genauso umstritten wie im Fall von Eigennamen.

8.4 Ein neuer formaler Rahmen: Kaplans zweidimensionale Semantik

Charakter eines Satzes

Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Standardbedeutung von Indikatoren hat Kaplan [8–7] ein elegantes logisches Darstellungsmittel entwickelt, um die Kontextabhängigkeit von Indikatoren systematisch berücksichtigen zu können. Hier greifen wir den obigen Unterschied von Äußerungskontext und Auswertungswelt auf: Im Äußerungskontext wird eine Äußerung gemacht und eine Wahrheitsbedingung festgelegt, die dann in Bezug auf eine Auswertungswelt als wahr oder falsch bewertet wird. Aufgrund dieser zwei Schritte spricht man von einer zweidimensionalen Semantik. Die Grundidee Kaplans besteht in einer systematischen Erweiterung der formalen Bedeutungstheorie von Carnap (siehe Kapitel 1.2): Carnap ordnet jedem Satz eine feste Wahrheitsbedingung als Intension zu, die dann für jede mögliche Welt zu einem Wahrheitswert führt, und betrachtet damit nur den zweiten Schritt. Kaplan berücksichtigt zusätzlich das Phänomen der Kontextabhängigkeit mit dem ersten Schritt in Form des sogenannten Charakters eines sprachlichen Ausdrucks. Der Charakter eines Satzes ist eine Funktion von möglichen Äußerungskontexten in Wahrheitsbedingungen. Ein Satz bekommt also erst in Abhängigkeit vom Äußerungskontext eine Wahrheitsbedingung zugeordnet und dann erst beginnt die Zuordnung von Wahrheitswerten mit Blick auf die Auswertungswelten.

8.4 Ein neuer formaler Rahmen: Kaplans zweidimensionale Semantik

Das folgende Bild repräsentiert die beiden Schritte für Sätze: Charakter eines Satzes 1. Schritt

Äußerungskontext

z Intension = Wahrheitsbedingung

2. Schritt

Auswertungswelt

z Extension = Wahrheitswert

Um den Charakter beispielhaft einzuführen, betrachten wir zunächst den Charakter des Satzes „Ich bin ein Philosoph“. Wir unterscheiden drei Äußerungskontexte W0, W1 und W2, wobei zu jedem Kontext ein anderer Sprecher gehört: Zu W0 gehört Cicero als Sprecher der Äußerung, zu W1 Cäsar und zu W2 Augustus. Außerdem ist es in W0 der Fall, dass Cicero ein Philosoph ist, aber Cäsar und Augustus nicht. In W1 sind Cäsar und Augustus Philosophen, Cicero jedoch ist es nicht, in W2 ist keiner ein Philosoph. Wenn die Kontextwelten (in der Spalte dargestellt) und die Auswertungswelten (in der Zeile dargestellt) durch dieselben Sachverhalte charakterisiert werden, bekommt der Charakter des Satz „Ich bin ein Philosoph“ folgende Form: Charakter von „Ich bin ein Philosoph“

W0

W1

W2

Auswertungswelten

W0

W

F

F

Wahrheitsbedingung:

W1

F

W

F

Wahrheitsbedingung:

W2

F

W

F

Wahrheitsbedingung:

Äußerungskontexte

Jede Zeile repräsentiert einen für den Äußerungskontext festgelegten Inhalt, der in Form einer Wahrheitsbedingung rechts daneben steht; dieser Inhalt kann dann mit Blick auf die Sachverhalte in den Auswertungswelten mit wahr oder falsch bewertet werden. Der Charakter des Satzes „Ich bin ein Philosoph“ wird durch diese Tabelle dargestellt, die prinzipiell nicht nur mit Blick auf die drei Beispielwelten, sondern jeweils mit Blick auf alle möglichen Welten ausgefüllt werden müsste. Der Charakter eines Satzes erlaubt es, den Notwendigkeitsstatus eines Satzes sowie auch die Apriorität formal zu erkennen. Der Satz „Ich bin (identisch mit) Cicero“ hat den Status von Notwendigkeit. Wenn er von Cicero geäußert wird, ist er notwendig wahr, wenn er von jemand anderem geäußert wird, ist er notwendig falsch. Wir unterscheiden beispielhaft drei Äußerungskontexte W0, W1 und W2, wobei zu jedem Kontext ein anderer Sprecher gehört: Zu W0 gehört Cicero als Sprecher der Äußerung, zu W1 Cäsar und zu W2 Augustus. Wenn die Äußerungskontexte (in der Spalte dargestellt) und die Auswertungswelten (in der Zeile dargestellt) durch dieselben Sachverhalte charakterisiert werden, bekommt der Charakter des Satzes „Ich bin Cicero“ folgende Form:

Notwendigkeit dargestellt im Charakter

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122

8. Indikatoren: Indexikalische und deiktische Ausdrücke Charakter von „Ich bin Cicero“

W0

W1

W2

Auswertungswelten

W0

W

W

W

Wahrheitsbedingung:

W1

F

F

F

Wahrheitsbedingung:

W2

F

F

F

Wahrheitsbedingung:

Äußerungskontexte

Apriorität dargestellt im Charakter

Die notwendige Wahrheit von „Ich bin identisch mit Cicero“, wenn der Satz von Cicero geäußert wird, drückt sich darin aus, dass in der obersten Zeile nur der Wahrheitswert ,wahr‘ vorkommen kann (egal wie viele mögliche Welten wir noch berücksichtigen). Die notwendige Falschheit im Falle der Äußerung durch Cäsar wird dadurch ausgedrückt, dass in der zweiten Zeile nur der Wahrheitswert ,falsch‘ auftreten kann. Gleichzeitig hat die Tatsache, dass „Ich bin Cicero“ informativ ist, während „Cicero ist Cicero“ uninformativ ist, dadurch ein gewisses Gegenstück in der Matrixdarstellung, dass in der Diagonalen verschiedene Wahrheitswerte auftreten. Das wird verständlich, wenn wir nun aufzeigen, dass auch die Apriorität einer Äußerung in der Diagonalen unserer Tabelle ablesbar ist. Dass eine Äußerung a priori wahr ist, kann man dadurch erkennen, dass in der Diagonalen nur der Wahrheitswert ,wahr‘ auftreten kann. Bei „Ich bin (identisch mit) Cicero“ ist das nicht der Fall, wie es zu erwarten war. Ein Beispiel für einen a priori wahren Satz ist „Ich bin jetzt hier“. Wir benötigen jetzt wiederum beispielhaft drei Welten, deren Sachverhalte zugleich als Äußerungskontexte und Auswertungswelten dienen, wobei das zweistufige Verfahren entscheidend ist: Nehmen wir an, in der Welt W0 wird der Satz von Holger zu T1 in Bochum geäußert und Holger ist stets in Bochum, in W1 wird der Satz von Holger zu T2 in Leipzig geäußert und Holger ist stets in Leipzig und in W2 wird der Satz von Holger zu T3 in München geäußert und Holger ist stets in München. Dann erhalten wir den folgenden Charakter für den Satz „Ich bin jetzt hier“: Charakter von „Ich bin jetzt hier“

W0

W1

W2

Auswertungswelten

W0

W

F

F

Wahrheitsbedingung:

W1

F

W

F

Wahrheitsbedingung:

W2

F

F

W

Wahrheitsbedingung:

Äußerungskontexte

Die Wahrheitswerte der ersten Zeile kann man rasch nachvollziehen: Wenn Holger den Satz „Ich bin jetzt hier“ in W0, d. h. zu T1 in Bochum, äußert,

8.4 Ein neuer formaler Rahmen: Kaplans zweidimensionale Semantik

dann ist der Satz genau dann wahr, wenn Holger zu T1 in Bochum ist. Er ist falsch für die Welten W1 und W2, weil Holger in W1 stets in Leipzig und in W2 stets in München ist. Analog ergeben sich die Wahrheitswerte der beiden nachfolgenden Zeilen. Wesentlich ist, dass die Wahrheitswerte in der Diagonalen der Matrix stets wahr sind. Dies bildet genau die Tatsache ab, dass Holger zum Zeitpunkt der Äußerung am Ort der Äußerung ist. Damit ist ein Satz als a priori wahr (bzw. falsch) erkennbar, wenn in der Diagonalen des Charakters nur der Wahrheitswert ,wahr‘ (bzw. ,falsch‘) auftreten kann. Stalnaker [8–23] hat sogar eine Definition eines Inhalts vorgeschlagen, der nur die Wahrheitswerte in der Diagonalen der Matrix berücksichtigt. Diese Entwicklung werden wir hier nicht aufgreifen. Schließlich ist der Satz „Cicero ist identisch mit Cicero“ als notwendig und a priori wahr in dem Charakter erkennbar, weil dann in der gesamten Matrix nur der Wahrheitswert ,wahr‘ auftreten kann. Die von Kripke eingeführte Unterscheidung von Notwendigkeit und Apriorität wird somit durch den formalen Apparat des Charakters eines Satzes adäquat abgebildet (siehe Kapitel 7.1). Die zweidimensionale Semantik hat für Indikatoren den großen Vorteil, dass sie zwei der Adäquatheitskriterien in einen formalen Apparat integrieren kann, nämlich die Wissensadäquatheit und die Sachverhaltsadäquatheit. Darin wird sowohl die mittels Sprachkompetenz assoziierte Beschreibung (im Fall von „ich“ eben die Beschreibung „der Sprecher der Äußerung“) abgebildet als auch das jeweils bezeichnete Objekt. Es fehlt allerdings eine Berücksichtigung der kognitiven Adäquatheit. Wir haben bereits für indexikalische Ausdrücke gesehen, dass es Fälle gibt, bei denen die mittels Sprachkompetenz assoziierte Beschreibung (z. B. „der Sprecher der Äußerung“) verschieden ist von der kognitiven EGO-Art des Gegebenseins. Zur Zeit herrscht in der Theorie der Standardbedeutungen (Semantik) die Tendenz vor, die kognitive Adäquatheit nicht als Kriterium einzubeziehen. Nur unter dieser Voraussetzung bietet Kaplans Semantik nicht nur einen formalen Rahmen, sondern sogar eine adäquate formale Umsetzung, die für Eigennamen u. a. von Haas-Spohn [8–4] weiterentwickelt wurde. Wir möchten das Kapitel mit einem vereinfachenden Überblick über die Frage der Bedeutung der drei Arten von Gegenstandsbezeichnungen abschließen. Dazu müssen wir letztlich mindestens unterscheiden zwischen 1. Eigennamen, 2. attributiv verwendeten Kennzeichnungen, 3. referentiell verwendeten Kennzeichnungen und 4. Indikatoren. Wenn wir diese Ausdrücke nun charakterisieren bezüglich (i) der Frage der Referenzfestlegung und (ii) der Frage nach der Standardbedeutung, so ergibt sich die folgende Übersicht als gegenwärtig übliche Ansicht: Objekttheorie der Standardbedeutung Kausale Theorie der Referenzfestlegung

Eigennamen

Beschreibungstheorie (BT) bzw. interpretative Theorie der Referenzfestlegung (IT)

Referentiell verwendete Kennzeichnungen (IT) Indikatoren (BT)

Beschreibungstheorie der Standardbedeutung

Attributiv verwendete Kennzeichnungen (BT)

Standardbedeutung für singuläre Terme im Überblick

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8. Indikatoren: Indexikalische und deiktische Ausdrücke

Dies entspricht auch einem Minimalkonsens aus den oben geschilderten Theorien. Es passt gut zu den Ansichten z. B. von Kripke und Perry über die Bedeutung von Typen von Ausdrücken und ist auch verträglich mit der geschilderten Alternative, der gemäß für jede Gegenstandsbezeichnung prinzipiell jeweils drei Standardbedeutungen verfügbar sind, wenn man annimmt, dass jeder der Ausdruckstypen eine vorrangige Standardbedeutung hat.

8.5 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen Zusammenfassung Bei den Indikatoren unterscheiden wir indexikalische und deiktische Ausdrücke. Die Frage, wie das Referenzobjekt festgelegt wird, kann bei indexikalischen Ausdrücken wie „ich“, „hier“ und „jetzt“ durch Verweis auf die Sprachregel beantwortet werden, z. B. ein Vorkommnis von „ich“ bezeichnet den Sprecher der Äußerung. Bei deiktischen Ausdrücken ist die plausibelste Theorie eine interpretative Theorie der Referenzfestlegung, bei der ein Prinzip der wohlwollenden Interpretation wesentlich mit einfließt. Die Standardbedeutung kann für alle Indikatoren gleichartig festgestellt werden. In einer Standardverwendung liegt es nahe, eine Objekttheorie der Standardbedeutung für Indikatoren anzunehmen. Es wurde jedoch dargelegt, dass analog zur Diskussion von Eigennamen sich Fälle aufzeigen lassen, bei denen die Standardbedeutung so anzugeben ist, dass die Wissensadäquatheit oder manchmal auch die kognitive Adäquatheit erfüllt wird. Es gibt daher auch hier die Alternative entweder die Objekttheorie als Standardtheorie anzusetzen und alle Sonderfälle in die Pragmatik zu verschieben oder schon auf der Ebene der Semantik anzunehmen, dass es drei verschiedene Standardbedeutungen eines Indikators geben kann, in Abhängigkeit davon, welches Interpretations- bzw. Erklärungsinteresse an die Äußerung angelegt wird. Indikatoren erweisen sich jedenfalls als Ausdrücke, deren Spezifikum die Kontextabhängigkeit ist. Die neue Logik für Indikatoren, die zweidimensionale Semantik, ermöglicht es, mit der Unterscheidung von Äußerungskontext und Auswertungswelt die Gemeinsamkeiten mit und Unterschiede zu den anderen singulären Termen klar herauszuarbeiten.

Lektürehinweise – Es gibt nur wenige einführende Texte, die sich speziell nur mit Indikatoren beschäftigen. Eine gute Orientierung bietet der Beitrag [8–1] in der Stanford Encyclopädie, dem besten Online-Lexikon für Philosophie. – Zentrale weiterführende Texte zur Diskussion von Indikatoren finden sich in der Textsammlung [8–25]. – Der Locus classicus für die neue Theorie der Indikatoren ist der Text [8–7] von David Kaplan. – Die mit der Bedeutung von Namen verknüpfte Diskussion von Apriorität und Notwendigkeit ist aufgearbeitet in dem Lehrbuch: Newen, Albert, und Horvath, Joachim (Hrsg.): Apriorität und Analytizität. Paderborn: mentis 2007.

Fragen und Übungen 1. Wie wird das Referenzobjekt eines indexikalischen Ausdrucks festgelegt? 2. Welches sind die Hauptfaktoren bei der Festlegung des Referenzobjekts einer „dies“-Äußerung?

8.5 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen 3. Welches sind die drei Aspekte, die die Standardbedeutung eines Indikators ausmachen können? Zeigen Sie diese beispielhaft für eine konkrete Äußerung „Du bist F“ auf. 4. Beschreiben Sie drei mögliche Welten, die zugleich zur Charakterisierung der Äußerungskontexte dienen, so dass die Personen Sokrates, Platon und Aristoteles enthalten sind, jeweils ein unterschiedlicher Adressat der Äußerung vorliegt und die Sachverhalte bezüglich der Frage, ob jemand hungrig ist oder nicht, von Welt zu Welt variieren. Geben Sie dann den Charakter des Satzes „Du bist hungrig“ an. 5. Geben Sie bei denselben Welten den Charakter des Satzes „Sokrates ist hungrig“ an. 6. Bei etwas Übung im Umgang mit Charakteren von Sätzen: Vergleichen Sie die Charaktere miteinander. Daran sehen Sie den Unterschied im Charakter von Eigennamen (nicht vom Äußerungskontext abhängig) und Indikatoren (abhängig vom Äußerungskontext).

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Teil 3: Die Vernetzung der Sprachphilosophie – Angrenzende philosophische Disziplinen, Verzweigungen und neuere Entwicklungen Im dritten Teil der Einführung stellen wir verschiedene Anwendungsfelder oder Verzweigungen der Sprachphilosophie vor. Dabei geht es zunächst um eine Brücke zur Philosophie des Geistes mit der These, dass die mentalen Zustände eines Menschen von der Umwelt und von der Sprachgemeinschaft abhängig sind (Kapitel 9). Diese These bildet auch den Hintergrund für die erkenntnistheoretische Diskussion des Gedankenexperiments „Gehirne im Tank“ (Kapitel 10). Die Sprachphilosophie weist auch eine wesentliche Schnittmenge mit der Ontologie auf; das ist die Disziplin, die die Frage beantworten soll, was es gibt (und was nicht). Hier wird Quines Diktum „Sein heißt Wert einer Variablen sein“ erläutert und zugleich in den Kontext seiner Thesen von einer ontologischen Relativität gestellt (Kapitel 11). Ein letztes großes Anwendungsfeld stellt der Bereich Sprache und Moral dar. Dabei geht es um die Frage, was die Bedeutung moralischer Aussagen ist. Die Bedeutungsfrage ist eine metaethische Frage, über die man Klarheit braucht, ehe man sinnvoll fragen kann, ob eine moralische Aussage gerechtfertigt ist oder nicht (Kapitel 12). Im Schlusskapitel (13) werden einige Weiterentwicklungen bzw. Verzweigungen vorgestellt, die ausführlich zu besprechen den Rahmen der Einführung sprengen würde. Dazu gehört 1. die Diskussion der Bedeutung von Prädikaten, 2. Brandoms Inferentialismus als eine neuere grundlegende Bedeutungstheorie, 3. die Beziehung zwischen Sprachphilosophie und Linguistik sowie 4. die Grundströmungen des Strukturalismus und des Neostrukturalismus.

9. Sprache und Geist Eine der zentralen Thesen der modernen Sprachphilosophie ist von Putnam entwickelt worden: „Bedeutungen sind nicht im Kopf“. Er gründet seine These auf die Beschreibung von natürlichen Artbegriffen, deren Bezug sich nur relativ zu einer Umwelt und den dort jeweils herrschenden Naturbedingungen angeben lässt. Burge hat diese Entdeckung für sprachliche Äußerungen auf den Inhalt von Gedanken übertragen und so die These entwickelt, die als Anti-Individualismus oder als Externalismus des Geistes bezeichnet wird: Gedankeninhalte sind von der Umwelt und der Sprachgemeinschaft abhängig (und können daher nicht allein durch die Hirnzustände einer Person festgelegt werden). Gedankeninhalte bleiben wesentlich an eine Sprachgemeinschaft gekoppelt. Gegen diesen Externalismus steht u. a. Fodors These von der Sprache des Geistes, der gemäß sich die Bedeutung sprachlicher Äußerungen gerade aus einer der natürlichen Sprache vorgängigen, rein syntaktischen Sprache des Geistes speist.

9.1 Hilary Putnam: Bedeutungen sind nicht im Kopf Natürliche Artbegriffe

Ausgangspunkt von Putnams Überlegungen ist die Untersuchung von natürlichen Artbegriffen wie „Wasser“, „Öl“, „Tiger“, „Elefanten“ etc. Dabei geht

9.1 Hilary Putnam: Bedeutungen sind nicht im Kopf

Putnam davon aus, dass diese Begriffe Substanzen bzw. Einheiten in der Welt bezeichnen, die einer natürlichen Art angehören. Unter einer natürlichen Art verstehen wir eine einheitliche Art von Einzeldingen, wobei diese Art durch Eigenschaften in der Natur festgelegt wird und nicht durch epistemische oder pragmatische Kriterien. Der wichtige Punkt dabei ist, dass wir allein mit Hilfe von Beispielen, auf die wir uns stützen, über eine natürliche Art sprechen können – auch dann, wenn wir keine Ahnung von den definierenden Merkmalen der natürlichen Art haben. So haben etwa schon die Menschen im Mittelalter mit dem Wort „Wasser“ über dieselbe natürliche Substanz gesprochen wie wir, nur dass wir heute das Expertenwissen haben, dass Wasser aus H2O-Molekülen besteht, und somit zumindest eben diese Experten und viele informierte Menschen das Wissen über das definierende Merkmal besitzen. Diese zunächst harmlose Beobachtung zum Funktionieren natürlicher Artbegriffe führt bei gründlicher Überlegung zu weitreichenden Konsequenzen für eine Bedeutungstheorie. Die Argumentation soll durch ein berühmtes Gedankenexperiment von Putnam [9–20] verdeutlicht werden: Angenommen es gäbe irgendwo im All eine Zwillingserde, die unserer Erde weitreichend ähnelt, außer dass die Flüssigkeit, die auf der Zwillingserde „Wasser“ genannt wird, nicht die chemische Struktur H2O besitzt, sondern XYZ. Die Flüssigkeit mit der chemischen Struktur XYZ hat jedoch dieselben Oberflächeneigenschaften wie die Flüssigkeit mit der chemischen Struktur H2O. Beide Flüssigkeiten sind geruchlos, farblos, durstlöschend usw., und sie lassen sich erst mit Hilfe einer chemischen Analyse unterscheiden. Auf der Erde gibt es eine Person Tom, die auf der Zwillingserde einen physischen Doppelgänger Zwillings-Tom hat, d. h. Tom und Zwillings-Tom haben gemäß Gedankenexperiment insbesondere dieselben Gehirnzustände und dieselben innerpsychischen Zustände. Trotzdem ist es so, dass Tom mit dem Satz „Wasser ist durstlöschend“ im Deutschen etwas anderes sagt als Zwillings-Tom mit demselben Satz im Zwillingsdeutschen; denn gemäß unseren Sprachintuitionen bezeichnet das Substanzwort „Wasser“ im Deutschen die Flüssigkeit mit der chemischen Struktur H2O, während es im Zwillingsdeutschen die Flüssigkeit mit der Struktur XYZ bezeichnet. Das Wort „Wasser“ hat auf der Erde eine andere Bedeutung als auf der Zwillingserde. Tom drückt deshalb mit seiner Äußerung des Satzes „Wasser ist durstlöschend“ den Inhalt aus, dass die Flüssigkeit mit der chemischen Struktur H2O durstlöschend ist, während Zwillings-Tom damit den Inhalt zum Ausdruck bringt, dass die Flüssigkeit mit der chemischen Struktur XYZ durstlöschend ist. Putnam stellt erstens fest, dass der Inhalt eines Satzes, der natürliche Artbegriffe enthält, davon abhängt, auf welchem Planeten bzw. allgemeiner in welcher Umgebung er geäußert wird bzw. welche natürliche Art genau durch den Begriff bezeichnet wird. Zweitens ist Putnam bei dem Gedankenexperiment davon ausgegangen, dass Tom und Zwillings-Tom dieselben internen (sowohl innerphysischen als auch innerpsychischen) Zustände haben. Insofern folgt, dass der Inhalt der Äußerung eines Satzes nicht allein durch die internen Zustände einer Person festgelegt wird, insbesondere ist der Inhalt eines Satzes nicht allein durch die Hirnzustände bestimmt. So ergibt sich der Slogan „Bedeutungen sind nicht im Kopf“. Die These gilt nicht nur für natürliche Artbegriffe, sondern für alle direkt referentiellen Aus-

Gedankenexperiment „Zwillingserde“

Umweltabhängigkeit von Bedeutungen

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9. Sprache und Geist

drücke, so auch für Eigennamen: Wenn ich einen Eigennamen verwende, dann ist der Inhalt des Namens gemäß Kripkes kausaler Theorie der Referenzfestlegung (siehe Kapitel 7.1) wesentlich. Mehr zu Putnam finden Sie in unserem Kapitel 10.1.

9.2 Tyler Burges Externalismusthese: Inhalte von Gedanken sind abhängig von Umwelt und Sprachgemeinschaft

Gedankenexperiment mit Wechsel der Sprachgemeinschaft

Im Anschluss an Putnams Argumentation dafür, dass die Bedeutung von natürlichen Artbegriffen wie „Wasser“ umgebungsabhängig ist, hat Burge [9–2] diese Überlegungen für Bedeutungen von Ausdrücken auf Gedankeninhalte übertragen. Es ist nicht nur so, dass die Bedeutungen der Inhalte der Sätze verschieden sind, sondern Burge argumentiert, dass die Satzinhalte zugleich die Inhalte unserer Gedanken sind: Die Annahme einer solch engen Verknüpfung von Sprache und Denken ist alles andere als harmlos. Weitere Ausführungen zur Kritik stellen wir zurück. Die Annahme ist jedenfalls die entscheidende Voraussetzung für Burges These, dass auch Gedankeninhalte umgebungsabhängig sind. Als Argument für die Übertragung von der Umweltabhängigkeit von Bedeutungen auf die Umweltabhängigkeit von Gedanken stützt sich Burge auf das Prinzip, dass wir auch dann über einen in einer Sprachgemeinschaft etablierten Begriff verfügen, wenn wir diesen nur partiell richtig kennen. Um dies zu erläutern, hat er das nachfolgende Gedankenexperiment entwickelt: Karl hat eine ganze Reihe von korrekten Überzeugungen in Bezug auf die Krankheit Arthritis. Er glaubt, dass Arthritis eine Erkrankung ist, die speziell mit den Knochen zu tun hat; er glaubt, dass Arthritis sich oft im Alter einstellt usw. Aber er weiß nicht, dass Arthritis eine Erkrankung ist, die so definiert wird, dass sie nur in Gelenken auftritt. Stattdessen hält er die Erkrankung in allen Knochenbereichen für möglich. Als er Schmerzen im Oberschenkel spürt, äußert er überzeugt den Satz „Ich habe Arthritis im Oberschenkel“. Wenn wir unsere normale Zuschreibungspraxis von Überzeugungen zugrunde legen, dann dürfen wir sagen „Karl glaubt, dass er Arthritis im Oberschenkel hat“. Was ist der Inhalt dieser Zuschreibung? Gemäß Tyler Burge hat das Wort „Arthritis“ in allen Äußerungszusammenhängen stets denselben Inhalt, nämlich den durch die Konventionen einer Sprachgemeinschaft festgelegten. Wir nennen diesen auch den objektiven Gehalt einer Äußerung. Burge behauptet, dass wir Karl stets den objektiven Gehalt zuschreiben müssen, nämlich, dass er glaubt, er habe Arthritis im Oberschenkel, und zwar deshalb, weil er mit der Verwendung des Wortes „Arthritis“ stets auf den objektiven Gehalt festgelegt ist, selbst wenn er diesen nur partiell kennt oder mit falschen Annahmen verknüpft. Allerdings nimmt Burge damit in Kauf, dass er Karl eine falsche Überzeugung zuschreibt, denn Arthritis kann man gemäß Definition nicht in Körperteilen haben, die keine Gelenke sind. Burge illustriert seine Behauptung mit einer Erweiterung des Gedankenexperiments. Angenommen Karl wechselt die Sprachgemeinschaft und kommt in eine Gemeinschaft, die Zwillingsdeutsch spricht: Das Wort

9.3 Probleme mit Burges Externalismusthese

„Arthritis“ wird dort tatsächlich so verwendet, dass es auf alle Bereiche der Knochen angewendet werden kann. Ansonsten ist das Zwillingsdeutsche identisch mit dem Deutschen. Welche Überzeugung können wir Karl zuschreiben, wenn er nun im Zwillingsdeutschen den Satz „Ich habe Arthritis im Oberschenkel“ äußert? Um die Frage beantworten zu können, führen wir für das, was im Zwillingsdeutschen mit „Arthritis“ bezeichnet wird, im Deutschen den Ausdruck „Tarthritis“ ein. Dann können wir Karl eine wahre Überzeugung zuschreiben, nämlich, dass er glaubt, dass er Tarthritis im Oberschenkel hat. Der Inhalt eines Gedankens, den ich mit einem Satz äußere, wechselt in Abhängigkeit von der Sprachgemeinschaft, die den jeweiligen objektiven Inhalt der Äußerung festlegt. Da „Arthritis“ hier nur ein Beispiel für ein beliebiges Prädikat ist, verallgemeinert Burge seine These für Gedankeninhalte bezüglich der Abhängigkeit von der Sprachgemeinschaft auf alle sprachlichen Ausdrücke und übernimmt von Putnam die These der Umweltabhängigkeit für natürliche Artbegriffe und andere direkt referentielle Terme. Dadurch kommt er zur These des Externalismus: Gedankeninhalte sind stets abhängig von der Sprachgemeinschaft sowie zusätzlich manchmal (z. B. bei Gedanken die mit Hilfe von natürlichen Artbegriffen ausgedrückt werden) von der physischen Umwelt des Sprechers.

9.3 Probleme mit Burges Externalismusthese Das erste Problem entsteht, wenn wir eine enge Relation zwischen Gedanken und Hirnzuständen annehmen, was durchaus aufgrund der modernen Hirnforschung naheliegt. Eine Form einer engen Relation zwischen Gedankeninhalten und Hirnzuständen nennen wir Supervenienz. Dabei supervenieren Gedankeninhalte auf Hirnzuständen genau dann, wenn es keinen Unterschied zwischen den Gedankeninhalten geben kann, ohne dass es einen zugrunde liegenden Unterschied in den Hirnzuständen gibt, d. h. wenn zwei mentale Phänomene verschieden sind, dann manifestiert sich das auch in der Verschiedenheit der Hirnzustände. Umgekehrt lässt die Supervenienzrelation es durchaus zu, dass derselbe mentale Zustand durch unterschiedliche Hirnzustände realisiert wird. Es handelt sich somit um eine einseitige Abhängigkeit der Gedankeninhalte von den Hirnzuständen. Entscheidend ist jedoch, dass Hirnzustände (im Unterschied zu Gedankeninhalten) unabhängig von der Umgebung und der Sprachgemeinschaft bestimmt werden, nämlich einfach mit Blick auf die Aktivierungen von bestimmten Hirnarealen. Das erste Problem, dasjenige des so genannten Anti-Individualismus, kann nun ganz genau fixiert werden. Es besteht in der Unvereinbarkeit der folgenden drei Sätze: (1) Gedankeninhalte werden abhängig von der Sprachgemeinschaft und ggf. von der Umgebung festgelegt. (2) Gehirnzustände werden unabhängig von der Sprachgemeinschaft und von der Umgebung festgelegt. (3) Gedankeninhalte supervenieren auf Gehirnzuständen. Eine Reformulierung des Dilemmas lautet: Wenn Gedankeninhalte sich allein mit Blick auf die zuständige Sprachgemeinschaft verändern (These 1),

Problem des Anti-Individualismus

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9. Sprache und Geist

Zwei Externalismusthesen

Objektiver und subjektiver Gehalt von Gedanken

so können die Gehirnzustände, die davon unabhängig sind (These 2), nicht die Supervenienzbasis von Gedankeninhalten sein (Negation von These 3). Wenn Gedankeninhalte nicht auf Hirnzuständen supervenieren, wird es jedoch schwer zu verstehen, wie Gedankeninhalte kausal wirksam sein können. Diese Schwierigkeit soll mit einer genaueren Betrachtung des letzten Gedankenexperiments erläutert werden: Wenn Karl, ohne etwas davon zu merken, von der Gemeinschaft der Deutsch sprechenden ganz in die Gemeinschaft der Zwillingsdeutsch sprechenden Personen wechseln würde, so hätte er gemäß Burge vor und nach dem Wechsel verschiedene Gedankeninhalte, denn die objektiven Gehalte von Äußerungen der Gedanken wären verschieden – und dies obwohl sich an den gesamten internen Zuständen von Karl nichts geändert hat. Die Intuition, die sich dabei einstellt, ist die, dass, wenn es im Rahmen dieses unbemerkten Wechsels der Sprachgemeinschaft auch zu einer Änderung von Inhalten von Äußerungen kommt, dieser Inhalt jedenfalls für die Verhaltensneigungen von Karl keine Rolle spielt. Da Karl sich nach seiner Auffassung die ganze Zeit stets in der gleichen Sprachgemeinschaft und Umgebung befindet, hat er ganz genau dieselben Verhaltensneigungen, d. h. ein solcher Inhaltswechsel ist kausal irrelevant. Wir können die anhaltende Externalismusdebatte zumindest dahingehend erhellen, dass wir hier klar zwischen zwei Externalismusthesen unterscheiden müssen: nämlich erstens einer für Äußerungen und zweitens einer für Gedanken. Die Externalismusthese für sprachliche Äußerungen ist die These, dass der Inhalt von Äußerungen abhängig von der Sprachgemeinschaft und ggf. von der Umgebung festgelegt wird. Diese These ist relativ unstrittig und wurde schon durch Putnams Argumente zur Zwillingserde gestützt. Dagegen ist die analoge Externalismusthese für Gedankeninhalte strittig: Wenn ich Gedankeninhalte als solche Inhalte auffasse, die ich mit natürlicher Sprache äußere, dann fällt die These für Gedankeninhalte mit der für Äußerungsinhalte zusammen. Dieser Schritt ist jedoch problematisch. Der genaue Blick auf das Beispiel zum unbemerkten Wechsel einer Sprachgemeinschaft zeigt gerade, dass die interne kognitive Situation von Karl trotz des Wechsels der Sprachgemeinschaft gleich bleibt. Er hat dieselben Verhaltensdispositionen. Wenn diese Verhaltensneigungen durch die Gedankeninhalte festgelegt werden, dann benötigen wir einen zweiten Begriff von Gedankeninhalten, nämlich einen subjektiven Inhalt von Gedanken. Dabei wird der Inhalt so festgelegt, dass die Begriffe auf die Weise berücksichtigt werden, wie sie von dem Individuum aufgefasst werden, und nicht so, wie sie in der Sprachgemeinschaft üblicherweise aufzufassen sind. Gedankeninhalte können als Äußerungsinhalte externalistisch (abhängig von Sprachgemeinschaft und ggf. Umwelt) festgelegt werden oder individualistisch (unabhängig von Sprachgemeinschaft und Umwelt). In der Literatur spricht man vom subjektiven Inhalt im Gegensatz zum objektiven Inhalt eines Gedankens [9–11] oder vom engen Inhalt im Gegensatz zum weiten Inhalt [9–10]. Die Externalismusthese für Gedankeninhalte steht vor der folgenden Herausforderung, die in der Literatur nach wie vor diskutiert wird: Kann es einen objektiven bzw. weiten Gehalt eines Gedankens geben, und zwar so, dass man die kausale Relevanz dieses gesamten Gehalts verstehen kann, oder ist die kausale Relevanz nur für enge bzw. subjektive Inhalte zu verste-

9.4 Jerry Fodors These von der Sprache des Geistes

hen? Wenn Letzteres der Fall ist, so sind objektive Gehalte nur für den öffentlich verfügbaren Inhalt, also für die Bedeutung einer Äußerung gemäß den Konventionen einer Sprachgemeinschaft, eine interessante Dimension. Sie sind wichtig, wenn man feststellen möchte, worauf ich mich mit der Äußerung eines Versprechens verpflichtet habe. Dagegen ist der subjektive bzw. enge Inhalt entscheidend dafür, was ich kognitiv erfasse und welche Verhaltensneigungen ich habe. Streng genommen ist nur dieser Inhalt für Verhaltenserklärungen einer bestimmten Person relevant, während die Verhaltenserklärung mit Blick auf die objektiven Inhalte von Gedanken so etwas wie eine normale Durchschnittserklärung einer Handlungsweise liefert.

9.4 Sprache und Denken: Jerry Fodors These von der Sprache des Geistes Wenn wir die Dimension des Denkens von der Dimension sprachlicher Äußerungen trennen, so stellt sich die Frage, wie sich Sprache und Denken zueinander verhalten. In der Sprachtheorie gibt es dazu zwei gegensätzliche Hauptstränge. (1) Im Zuge der sprachphilosophischen Wende wurde ein Primat der Sprache derart behauptet, dass ein kognitives System nur dann über Denkfähigkeiten verfügen kann, wenn es auch eine Sprache besitzt. Das Hauptargument für diese Position lautet: Gedanken und intentionale Zustände haben normative Korrektheitsbedingungen. Normativität ist nicht individualistisch, sondern nur im Rahmen einer sozialen Sprache erklärbar (Wittgensteins so genanntes Privatsprachenargument, siehe hierzu Kapitel 2.1). In diesem Geiste ist die Sapir-Whorf-Hypothese entworfen und viel diskutiert worden. Sie hat zwei Aspekte, nämlich (a) den Aspekt des sprachlichen Relativismus, demgemäß die menschliche Kultur stark durch die jeweilige natürliche Sprache beeinflusst ist, und (b) den Aspekt des sprachlichen Determinismus von Gedanken, demgemäß die Strukturen und die Möglichkeiten des Denkens durch die Sprachstrukturen festgelegt bzw. – in einer schwächeren Version – mindestens stark eingeschränkt sind. (Mehr zur Sapir-Whorf-Hypothese finden Sie in Kapitel 11.2) (2) Die Gegenthese von einem Primat des Denkens wurde – diese war schon bei Descartes klar ausgebildet – von Chisholm [9–4] wieder aufgegriffen und folgendermaßen konkretisiert: Das Denken stellt uns eine Grundform von Intentionalität bereit, die Grundform einer Bezugnahme auf Objekte in der Welt; sie ist unabhängig von Sprache verfügbar und ihr vorgängig. Eine neuere Begründung für die These vom Primat des Denkens hat Jerry Fodor [9–8] geliefert. Er behauptet, dass das Medium des Denkens eine Sprache des Geistes („language of thought“) ist. Er argumentiert, dass es eine solche geben muss, weil es zum einen viele empirische Phänomene gibt, die in der Kognitionswissenschaft nur mit der Annahme von mentalen Repräsentationen erklärbar sind, z. B. das Ausbilden von wahrnehmungsbasierten Überzeugungen. Dabei liegen in vielen entwicklungspsychologisch gut beschriebenen Fällen vorsprachliche Kompetenzen vor. Zum anderen weist er darauf hin, dass wir viele zentrale kognitive Leistungen in Verbin-

Primat der Sprache

Primat des Denkens

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9. Sprache und Geist

Sprache des Geistes

dung mit Sprache andernfalls nicht erklären könnten. Zur Sprache gehören die Fähigkeiten, (a) sich mit einem Zeichen auf die Welt zu beziehen (Intentionalität), und (b) neue Inhalte durch neue Kombinationen (Kompositionalität) von einfachen Ausdrücken zu erzeugen (Produktivität), wobei die Kombinationen systematisch variieren können. Letzteres bedeutet, dass ein kognitives System, das über zwei Gegenstandsbezeichnungen „a“ und „b“ sowie über die Begriffe „F“ und „G“ verfügt, prinzipiell alle syntaktisch möglichen Verknüpfungen [F(a), F(b), G(a), G(b)] bilden kann (Systematizität). Wie können wir den Erwerb und das Vorliegen dieser Fähigkeiten im Umgang mit natürlicher Sprache erklären? Fodors Antwort läuft, kurz gesagt, darauf hinaus, dass unser Denken so angelegt ist, dass es alle diese Kerneigenschaften der natürlichen Sprache (von Intentionalität bis Systematizität) auch schon hat. Denken findet mit Hilfe von mentalen Repräsentationen statt. Dabei sind Repräsentationen analog zu verstehen wie im Fall einer Tankanzeige: Der Zeiger der Tankuhr zeigt an, dass der Tank voll ist. Er ist eine physische Repräsentation mit dem Gehalt, dass der Tank voll ist, und zwar unter Voraussetzung des zu Tankuhren gehörenden kausalen Mechanismus. Analog werden gemäß Fodor durch Hirnzustände mentale Repräsentationen realisiert. Eine mentale Repräsentation ist zum Beispiel eine Überzeugung mit dem Inhalt, dass Bochum eine Universitätsstadt ist, wobei die Überzeugung durch Hirnzustände realisiert wird, und zwar unter der Voraussetzung des zu diesen Hirnzuständen gehörenden kausalen bzw. funktionalen Mechanismus. Die Sprache des Geistes ist gemäß Fodor syntaktisch genau so reich wie eine natürliche Sprache, aber sie ist eine rein interne, symbolische Repräsentation, die allein mittels syntaktischer Symbolmanipulationen modifiziert wird. Die Sprache des Geistes als Instrument des Denkens ist also durch ihre Zeichenverknüpfungsmöglichkeiten (Syntax) vollständig charakterisierbar. Sie wird auch nur angenommen, um Denken in Form des „Umgehens“ mit propositionalen Einstellungen (Wünschen, Überzeugungen etc.) zu erläutern. Für grundlegendere mentale Phänomene wie Empfindungen, mentale Bilder, sensorische Erinnerungen etc. spielt die These, dass es eine Sprache des Geistes gibt, keine Rolle. Der Annahme einer Sprache des Geistes stellen sich mehrere Probleme in den Weg: (a) Wenn man, wie Fodor, die Merkmale der Sprache dadurch erklären möchte, dass man eine Sprache des Geistes annimmt, die alle diese Merkmale schon hat, so droht ein infiniter Regress: Wenn man nämlich die Frage, warum die Sprache des Geistes die typischen Merkmale einer natürlichen Sprache aufweist, mit derselben Strategie beantworten möchte, wie man die entsprechende Frage für die natürliche Sprache angegangen ist, nämlich durch Verweis auf eine zugrunde liegende sprachartige Struktur, die schon die zu erklärenden Merkmale hat; dann lässt sich die Frage wiederum für die angenommene sprachartige Struktur stellen usw. Will man den drohenden infiniten Regress vermeiden, bleibt zum einen der Verweis auf angeborene Strukturen (diesen Weg wählen z. B. Fodor [9–10] und Pinker [9–19]) oder die Annahme, dass sprachartige Strukturen extrem schnell und auf verhältnismäßig geringer Datenbasis gelernt werden können. Letzteres ist eine Strategie, die in der gegenwärtigen Literatur noch nicht so stark verfolgt wird,

9.5 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

obwohl sie gerade mit Blick auf die neuesten Entwicklungen in der Kognitionswissenschaft nicht unplausibel ist. (b) Die Anhänger eines Primats des Denkens können die dem Denken innewohnende Normativität nicht mit Hilfe von sozialen Institutionen wie der Sprache erklären, sondern müssen andere Erklärungen anbieten (wie z. B. die biologisch fundierte Teleosemantik [9–16], [9–6]). (c) Ein weiterer Kernkritikpunkt ist der folgende: Es können doch Überzeugungen vorliegen, ohne dass es eine zuzuordnende mentale Repräsentation gibt. Dennett (vgl. [9–5]) nennt als Beispiel einen Schachcomputer, dessen Verhalten man adäquat dadurch beschreiben kann, dass man sagt, „Er denkt, dass er seine Dame frühzeitig aus dem Spiel bringen sollte“. Da Schachcomputer heute mit statistischen Methoden und Heuristiken programmiert sind, lässt sich – so Dennett – zu dieser Überzeugungszuschreibung kein diskreter Computerzustand direkt sinnvoll als Repräsentation zuordnen. Die Entgegnung von Vertretern einer Repräsentationstheorie lautet: Selbst wenn es in diesem Fall keine explizite Repräsentation der Überzeugung gibt, so bleibt die zentrale Annahme, dass die Überzeugung implizit repräsentiert ist. Sie ist durch das gesamte System der Programmierung implizit realisiert, auch wenn sie nicht explizit einem Zustand zugeordnet werden kann. Fodors Theorie der symbolischen Repräsentationen geht noch davon aus, dass Repräsentationen als distinkte Symbole mit jeweils eigenem Inhalt aufgefasst werden können. Diese Annahme ist gerade mit Blick auf den empirischen Fortschritt in den Neurowissenschaften zugunsten von Theorien neuronaler Netze aufgegeben worden. Dabei werden gesamte Netzzustände und ihre Dynamik als Repräsentationsgrundlage aufgefasst, nicht jedoch einzelne Teilzustände des Netzes [9–19a]. Abschließend soll hier auf das Potential der gegenwärtigen Repräsentationstheorien hingewiesen werden: Um das Verhältnis von Sprache und Denken differenziert zu beschreiben, werden unterschiedliche Repräsentationsformate unterschieden, z. B. vorbegriffliche (bzw. nichtbegriffliche) Repräsentationen und begriffliche Repräsentationen (kurz: Begriffe). Die vorbegrifflichen Repräsentationen sind sprachunabhängig und ermöglichen es, grundlegende kognitive Fertigkeiten wie z. B. Raumorientierungsvermögen zu erklären. Komplexere kognitive Kompetenzen wie explizite Zuschreibungen von Überzeugungen stützten sich dagegen auf sprachliche Repräsentationen. In der Philosophie hat sich eine große Vielfalt von repräsentationalen Theorien mentaler Prozesse entwickelt (vgl. [9–7], [9–24]), die u. a. den Vorzug haben, die kognitiven Leistungen von Kleinkindern (vgl. [9–3]) und Tieren (vgl. [9–12], [9–18]) unabhängig von Sprachkompetenz adäquat beschreiben zu können.

9.5 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen Zusammenfassung Dieses Kapitel befasste sich mit dem Zusammenhang von Sprache und Geist. Dabei ging es zunächst um Putnams These für sprachliche Äußerungen, nämlich dass „de-

Repräsentationstheorien

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10. Sprache und Erkenntnis ren Bedeutungen nicht im Kopf sind“. Er gründet seine These auf die Beschreibung von natürlichen Artbegriffen, deren Bezug sich nur relativ zu einer Umwelt und den dort jeweils herrschenden Naturbedingungen angeben lässt. Burge hat diese Entdeckung für sprachliche Äußerungen auf den Inhalt von Gedanken übertragen und so die These des Anti-Individualismus bzw. Externalismus des Geistes aufgestellt: Gedankeninhalte sind von der Umwelt und der Sprachgemeinschaft abhängig (und können daher nicht allein durch die Hirnzustände einer Person festgelegt werden). Gedankeninhalte bleiben wesentlich an eine Sprachgemeinschaft gekoppelt. Damit einher geht die These vom Primat der natürlichen Sprache vor dem Denken eines Individuums. Dagegen gibt es eine Strömung, die ein Primat des Denkens annimmt, um auf dieser Basis die Bedeutung natürlicher Sprachen zu erklären. Dazu zählt u. a. Fodors These von der Sprache des Geistes, der gemäß sich die Bedeutung sprachlicher Äußerungen gerade aus einer vor der natürlichen Sprache vorgängigen, rein syntaktischen Sprache des Geistes speist. Dieser Disput ist eine bis heute andauernde offene Forschungsdebatte.

Lektürehinweise – Putnams Hauptthese zur Umweltabhängigkeit von natürlichen Artbegriffen entwickelt er in [9–20]. – Burges Hauptthese zu Gedankeninhalten entfaltet er ausführlich in [9–2]. – Die Kernüberlegungen von Putnam und Burge sind wissenschaftlich knapp, aber klar dargestellt in [9–11]. – Die These des Externalismus von Gedankeninhalten betrifft auch das Phänomen des Selbstwissens; siehe dazu [9–17]. – Fodor hat seine These von der Sprache des Geistes entwickelt in [9–8] und [9–10]. – Eine übersichtliche Hinführung in die wissenschaftliche Diskussion des Externalismus finden Sie in [9–11] und zu der Sprache des Geistes u. a. in [9–23].

Fragen und Übungen 1. Was unterscheidet natürliche Artbegriffe von anderen Prädikaten der natürlichen Sprache? Warum kommt es bei Ersteren zu einer wesentlichen Umweltabhängigkeit? 2. Mit welchen Überlegungen erweitert Burge die Argumentation von Putnam für eine Umweltabhängigkeit von einigen Begriffen zu einer Abhängigkeit aller Begriffe von der Sprachgemeinschaft? 3. Was ist genau der Inhalt der These des Anti-Individualismus bzw. Externalismus des Geistes? 4. Welches sind gemäß Fodor die zentralen Merkmale einer Sprache? 5. Was ist gemäß Fodor eine Sprache des Geistes? 6. Welche Kernprobleme hat die Annahme einer Sprache des Geistes wie Fodor sie vorschlägt?

10. Sprache und Erkenntnis In diesem Kapitel wollen wir sowohl versuchen, ein konkretes erkenntnistheoretisches Problem mithilfe semantischer Überlegungen zu lösen, als auch einen allgemeinen erkenntnistheoretischen Standpunkt mittels Sprachphilosophie zu untermauern. Bei dem Problem handelt es sich um den Außenweltskeptizismus: Woher wissen wir, dass wir uns die Existenz der Welt nicht nur einbilden? Mit dem erkennt-

10.1 Mit der Semantik gegen den Skeptizismus nistheoretischen Standpunkt und seinem sprachphilosophischen Korrelat meinen wir den logischen Empirismus bzw. den Verifikationismus.

10.1 Mit der Semantik gegen den Skeptizismus Woher wissen Sie, dass Sie tatsächlich gerade dieses Buch in den Händen halten und an einem Schreibtisch sitzen? Könnten Sie nicht stattdessen träumen, dass Sie dies tun, aber tatsächlich in einem Bett ganz woanders liegen? Schlimmer noch, vielleicht gaukelt ein böser Dämon Ihnen die Welt vor, die Sie daher nur im Wahn erleben, oder Sie befinden sich in einem Tank mit Nährstofflösung, Ihr Kopf ist per Datenleitung an einen Supercomputer angeschlossen und dieser füttert Ihr Gehirn mit den nötigen elektrischen Impulsen, die es Ihnen nur so erscheinen lassen, als ob Sie unser Buch läsen. Der böse Dämon ist eine Erfindung Descartes’ (1596–1650), der mit diesem Gedankenexperiment (vgl. [10–10a: 1. und 2. Meditation]) den Anstoß für moderne skeptische Argumente gab, die die Existenz der Außenwelt anzweifeln. Der Körper im Nährstofftank wurde durch den Film The Matrix (1999) der Wachowski-Brüder populär. In der Form des Gehirns im Tank [10–24: 15 ff.] kann aber eher der Philosoph Hilary Putnam Urheberschaft auf diese Idee beanspruchen. Descartes’ und Putnams erkenntnistheoretische Gruselgeschichten entfalten eine starke Wirkung, weil wir sie zumindest intuitiv für möglich halten. Was ermöglicht diesen radikalen Skeptizismus? Aus Erfahrung wissen wir, dass uns unsere Sinne täuschen können: ein Stock, der halb im Wasser steht, sieht gebogen aus, ist es aber nicht; in optischen Illusionen, in denen wir auf rotierende schwarz-weiße Linien sehen, erblicken wir Farben, wo keine sind. Kurzum, wir haben Sinneswahrnehmungen, denen kein echtes Vorkommnis in der Welt entspricht. Solche Täuschungen können so stark sein, dass sie von einer wahrheitsgetreuen Wahrnehmung ununterscheidbar sind. Wegen dieser phänomenalen Ununterscheidbarkeit besteht also prinzipiell immer die Möglichkeit eines Irrtums. Wir können nie hundertprozentig sicher sein, dass wir wirklich „wahr“-nehmen. Von absolut gesichertem Wissen über die Welt scheint also nie die Rede sein zu können. Von hier aus ist es dann nur ein kleiner Schritt, die Existenz aller Gegenstände zu bezweifeln und nur noch die Sinneswahrnehmungen selbst als gegeben hinzunehmen. (Denn soviel ist sicher: Die wenigstens haben wir, ob sie uns nun täuschen oder nicht.) Aber diese Wahrnehmungen könnte uns eben ein böser Dämon oder ein irrer Wissenschaftler per Supercomputer einfüttern und uns so über die echte Wirklichkeit im Unklaren lassen. Was hat das nun aber alles mit Semantik, mit Wort- und Satzbedeutungen, also dem Thema unseres Buches zu tun? Wir haben schon Hilary Putnams und Saul Kripkes externalistische Bedeutungstheorien (besser: Theorien der Bezugnahme) für Terme natürlicher Arten (Kapitel 9.1) bzw. Eigennamen (Kapitel 7) kennen gelernt. Putnams Normalform-Beschreibung der Bedeutung für, sagen wir, „Wasser“ enthielt neben dem Stereotyp „farblos, durchsichtig, ohne Geschmack, durstlöschend etc.“ [10–23: 94] auch die Extension H2O. Ein Sprecher, der über Wasser redet, ist direkt oder über eine Kommunikationskette durch andere kausal mit Wasser, also H2O, in Kontakt

Skeptische Szenarien

Der semantische Externalismus

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10. Sprache und Erkenntnis

„Ich bin ein Gehirn im Tank“ ist immer falsch

Kausalketten zur Außenwelt oder zu elektrischen Impulsen

gewesen. War er das nie, und auch keiner seiner Gesprächspartner, dann bezieht sich „Wasser“ geäußert von dieser Person auch nicht auf Wasser/ H2O. In Putnams Beispiel von der Zwillingserde (siehe Kapitel 9.1) kamen alle Beteiligten stattdessen immer nur mit dem Stoff der Molekülstruktur XYZ in Kontakt, der zwar alle Oberflächeneigenschaften von Wasser aufweist, aber eben kein H2O ist. Deren Wort „Wasser“ bedeutet daher nicht „H2O“, sondern „XYZ“. Auch ein Gedanke wie „Hab ich einen Durst. Jetzt ein Glas Wasser!“ handelt von XYZ, nicht von Wasser/H2O. Das wesentliche Charakteristikum der externalistischen Theorie der Bedeutung ist, dass Dinge der Natur selbst und ihre kausale Relation zu den Sprechern bedeutungskonstitutiv sind: keine kausale Kette zum Ding in der Welt – keine Bezugnahme auf dieses Ding. Mit dieser Bedeutungstheorie hofft Putnam, das skeptische Gehirn-imTank-Argument entkräften zu können. Zentrale These wird sein, dass, wann immer wir „Ich bin ein Gehirn im Tank“ sagen oder denken, wir damit etwas Falsches sagen/denken. Kurzum, Putnam argumentiert dafür, dass sich der Gedanke „Ich bin ein Gehirn im Tank“ auf ähnliche Weise wie der Satz „Alle generellen Aussagen sind falsch“ selbst widerlegt. Wenn „Ich bin ein Gehirn im Tank“ von uns geäußert aber immer falsch ist, dann scheint es umgekehrt richtig zu sein, dass wir keine Gehirne im Tank sind und dass wir so der skeptischen Gefahr entkommen. Wie sieht Putnams genaue Begründung dafür aus? Wenn die Welt tatsächlich ungefähr so ist, wie wir sie uns ohne philosophische Hintergedanken vorstellen, dann ist es trivialerweise falsch zu denken „Ich bin ein Gehirn im Tank“, weil man ein leibliches Wesen ist, das in einer materiellen Welt handelnd agiert – und eben kein Gehirn im Tank. Der Satz ist erstaunlicherweise aber auch dann falsch, wenn ein Gehirn im Tank ihn denkt – also schlechthin immer! Es ist schwieriger, das einzusehen und wir holen dazu ein bisschen aus. Angenommen wir sind und waren tatsächlich immer Gehirne in einem Nährstofftank, die mit elektrischen Impulsen gefüttert werden. Dieser Input gaukelt uns eine Erscheinungswelt vor, die sich so anfühlt wie eine richtige Welt. Nehmen wir an, wir denken „Dort sitzt eine Katze“, weil wir genau die Sinneswahrnehmung eingespeist bekommen, die normale Menschen in einer normalen Welt hätten, wenn eine Katze vor ihnen sitzt. Was ist, laut Putnams externalistischer Bedeutungstheorie, die Bedeutung des Wortes „Katze“, gedacht oder geäußert von einem Gehirn im Tank? Die Bedeutung kann nichts mit echten Katzen zu tun haben, denn mit denen waren die Gehirne nie in kausaler Verbindung (genau wie die Zwillingserdenbewohner nicht über Wasser sprechen, wenn sie „Wasser“ äußern). Es gibt nur wenige Möglichkeiten: Entweder „Katze“ bezieht sich auf die elektrischen Impulse, die die falschen Wahrnehmungen einer Katze erzeugen oder „Katze“ bezieht sich auf die Programmstrukturen des Superrechners, die dafür kausal verantwortlich sind, katzen-simulierende elektrische Impulse in die Gehirne zu senden. Es ist nicht so bedeutend, welche von beiden Ideen wir verfolgen; wichtig ist: Es sind keine echten Katzen! Wir entscheiden uns für die Programmstrukturen (schließlich sagen wir in der echten Welt ja auch nicht, dass die Lichtstrahlen, die von einer Katze ausgehen, der Bezug von „Katze“ sind, sondern Katzen). Wann ist demnach der Gedanke des Gehirns „Dort sitzt eine Katze“ wahr? Genau

10.1 Mit der Semantik gegen den Skeptizismus

dann, wenn der Supercomputer tatsächlich gerade aufgrund seiner Programmstruktur katzen-simulierende elektrische Impulse in das Gehirn sendet. So will es die externalistische Theorie der Bedeutung. Die Katzen-Gedanken des Gehirns im Tank sind also demnach nicht falsch, sie haben lediglich eine unerwartete Referenz. Falsch wäre der Katzen-Gedanke des Gehirns im Tank, wenn der Computer gar keine Impulse einspeiste und das Gehirn stattdessen aufgrund halluzinogener Drogen im Tank phantasierte. Katzengedanken („Dort sitzt eine Katze“) bei korrekter Simulation sind richtig, gerade weil zusammen mit der prekären Situation des Gehirns auch alle seine Bedeutungen verschoben sind. Das gleicht sich sozusagen aus. Das Überraschende ist nun, dass es keinen solchen Ausgleich gibt, wenn das Gehirn über sich selbst nachdenkt. Ein Katzengedanke handelt ausschließlich von der Außenwelt, was immer diese Außenwelt ist. Ist die Außenwelt echt, dann handeln die Gedanken von echten Dingen, ist die Außenwelt vorgegaukelt, dann handeln die Gedanken von elektrischen Impulsen. Ein Gedanke wie „Ich bin ein Gehirn im Tank“ involviert aber zwei Ebenen: das Ich und die Welt, die dem Gehirn nur vorgespielt wird. Fragen wir zunächst, genau wie beim Gedanken „Dort sitzt eine Katze“, wovon der Gedanke „Ich bin ein Gehirn im Tank“ eines Gehirns im Tank handelt. Er handelt nicht von einem echten Gehirn in einem echten Tank. „Gehirn“ bezieht sich vielmehr auf eine Programmstruktur G des Supercomputers, die gehirnorgan-simulierende elektrische Impulse verursacht; und „Tank“ bezieht sich auf eine Programmstruktur T, die tank-simulierende Impulse hervorruft. Was denkt also ein Gehirn im Tank, wenn es denkt „Ich bin ein Gehirn im Tank“? Es denkt, in unserer Sprache, „Ich (also das echt organische Gehirn) bin eine Programmstruktur G, die sich in einer Programmstruktur T befindet“. Das ist nicht nur ein sehr verquerer, sondern auch ein falscher Gedanke, denn das hier denkende Ich ist ein echtes Gehirn in einem echten Tank und nicht eine Programmstruktur in einer Programmstruktur! Also ist der Gedanke „Ich bin ein Gehirn im Tank“ immer falsch, ob nun gedacht von einem Menschen in der normalen Welt oder von einem Gehirn im Tank. Befreien uns diese zu einem großen Teil semantischen Überlegungen vom Skeptizismus? Wenn unser Gedanke „Ich bin ein Gehirn im Tank“ immer falsch ist, dann könnte man meinen, daraus das Wissen ableiten zu können, dass wir keine Gehirne im Tank sind. Putnam glaubt, diesen Schritt gangbar gemacht zu haben. Andere Philosophen bestreiten das. Bei der Argumentation bis hierhin muss uns z. B. klar sein, dass Putnams Thesen nur mit einem sehr speziellen Fall fertig werden: Gehirne, die schon immer im Tank waren. Ein wichtiger Zwischenschritt des Arguments, das auf dem semantischen Externalismus basiert, funktioniert nämlich nicht, wenn wir davon ausgehen, dass uns abgebrühte Wissenschaftler entführt, uns unser Gehirn entnommen, in einen Nährstofftank eingelegt und an einen Supercomputer angeschlossen haben. In diesem Falle nämlich waren wir zunächst der normalen Welt ausgesetzt, und unsere Worte „Gehirn“ und „Tank“ haben dadurch die herkömmliche Bezugnahme auf echte Gehirne und Tanks. Ein erst später im Leben eingelegtes Gehirn denkt demnach tatsächlich, es sei ein Gehirn im Tank, wenn es denkt „Ich bin ein Gehirn im Tank“ und liegt somit mit seiner Befürchtung richtig. Nur ein Gehirn, das schon immer im Tank war, dessen Wort- und Sprachgebrauch also in keinem Fall eine Kausalkette zu Dingen

Selbstbezug und Außenwelt

Skeptizismus überwunden?

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10. Sprache und Erkenntnis

„Ich bin ein Gehirn im Tank“ ist immer falsch; aber warum?

Kritik an Putnam

der Welt hat aufbauen können, denkt mit „Ich bin ein Gehirn im Tank“ etwas Falsches. Putnam hat diesem möglichen Einwand den Wind dadurch aus den Segeln genommen, dass er von vornherein von der absurden, aber nicht völlig unmöglichen Situation ausgegangen ist, dass Gehirne, Tanks, Supercomputer einfach so ex nihilo entstanden sind. Obwohl Putnam sein Argument auf diese Weise abgesichert hat, ist dessen anti-skeptische Kraft dadurch aber deutlich eingeschränkt: Wenn es durchschlagend ist, dann wissen wir, dass wir nicht schon immer Gehirne im Tank waren. Ein nur schwacher Trost, wenn wir dennoch aus der echten Welt gekidnappte Gehirne sein könnten. Selbst in dem Falle der schon immer eingelegten Gehirne muss noch ein Arbeitsschritt geleistet werden. Bisheriges Ergebnis ist nur, dass „Ich bin ein Gehirn im Tank“ von mir gedacht immer falsch ist, ob ich im Tank bin oder nicht. Ist es aber nicht essentiell, auch noch zu wissen, warum es im konkreten Falle falsch ist? Was nutzt es mir, wenn ich nicht weiß, ob es falsch ist, weil sich meine Worte nicht auf ein wirkliches Gehirn und einen wirklichen Tank beziehen, oder ob es falsch ist, weil ich ein Wesen aus Fleisch und Blut in einer normalen Welt bin? Die Worte, die ich denke, zeigen mir ja selbst nicht an, auf was sie sich beziehen (das ist ja ironischerweise gerade das Credo der Externalisten: „Bedeutungen sind einfach nicht im Kopf!“ [10–23: 37]). Ich weiß nicht, ob ich fälschlicherweise denke „Ich bin ein Gehirn im Tank“ oder „Ich bin eine Programmstruktur G, die sich in einer Programmstruktur T befindet“. Die Argumentation bislang könnte daher zu einem noch teuflischeren Skeptizismus führen, statt uns einen Ausweg daraus zu zeigen. Nicht nur werde ich darüber im Zweifel gelassen, ob ich ein Gehirn im Tank bin, ich kann diesen Zweifel nicht einmal artikulieren, weil es mir meine Situation unmöglich macht, die nötigen Begriffe zu besitzen (vgl. [10–21]). Es gibt Weiterführungen und Umformulierungen des Putnamschen Arguments ([10–4], [10–5], [10–27], [10–28]), die auch zeigen wollen, dass ich nicht nur weiß, dass „Ich bin ein Gehirn im Tank“ (von mir gedacht) immer falsch ist, sondern auch, dass ich wissen kann, dass ich kein Gehirn im Tank bin. Wir wollen diese komplexen Gedanken aber hier nicht weiterverfolgen. Auch sie sind Kritiken und Gegenargumenten ausgesetzt (ebd.). Stattdessen möchten wir weitere Zweifel an der Korrektheit des Arguments bis hierhin angeben, um näher an unserem Thema Sprachphilosophie zu bleiben. Beispielsweise hat Putnam den semantischen Externalismus zunächst nur für Begriffe plausibel gemacht, die sich auf natürliche Arten beziehen, also für solche wissenschaftlichen Begriffe, die wesentliche Bausteine der Natur bezeichnen, wie z. B. alle biologischen Arten (Tiger, Löwen etc.) oder physikalische Entitäten (Elektronen, Masse, Magnetismus). „Gehirn“ können wir sicher noch als Begriff einer natürlichen Art akzeptieren, bei „Tank“ ist das schon bestreitbar. Was aber, wenn wir die Aussage vollständig in Worten umformulieren, für die es sehr unklar ist, ob ihre Bedeutung mittels externalistischer Semantik korrekt beschrieben wird? Wie steht es mit „Ich bin ein denkendes Ding in einem Tank“ oder schlicht „Ich bin eingelegt“? Die Semantik von generischen, beschreibenden, funktionalen Begriffen wie „denkendes Ding“ oder „Ich bin eingelegt“ muss anders aussehen als die der Begriffe natürlicher Arten, denn die Bezugnahme von „denkendes Ding“ funktioniert nicht über Kausalketten zu paradigmatischen Denkdingen. Vielmehr bezieht sich „denkendes Ding“ auf was immer die

10.2 Der Verifikationismus

Eigenschaft hat zu denken. Könnte also ein Gehirn im Tank richtigerweise einen Gedanken fassen wie „Ich bin ein denkendes Ding in einer mich ernährenden flüssigen Substanz?“. Manche Philosophen glauben, dass das möglich ist, und dass daher Putnams Argument nicht einmal den sehr spezifischen Skeptizismus des schon immer eingelegten Gehirns widerlegen kann [10–9: Fußnote 1]. Es gibt weitere Zweifel am Erfolg des Externalismus. Eine Schwachstelle betrifft die referenzkonstituierenden Kausalketten: Einfach nur zu sagen, dass eine Kausalkette für gelingende Referenz notwendig ist, reicht nicht aus. Man muss auch genau sagen, welche Kausalketten genügen. Wer mit Katzen selbst in direktem Kontakt war, referiert auf Katzen; wer das Wort „Katze“ von Leuten lernt, die mit Katzen in Kontakt waren, auch (denn soziale Arbeitsteilung ist bei der Referenz erlaubt). Was aber, wenn jemand das Wort von jemandem lernt, der nur Bilder von Katzen gesehen hat? Oder jemand, der ein eingelegtes Gehirn ist, das aber von Computerprogrammen gefüttert wird, die von Wissenschaftlern geschrieben wurden, die Photos von echten Katzen gesehen haben? Und so weiter. Es gibt umgekehrt auch Beispiele für Begriffe mit relativ direkten Kausalketten, die aber dennoch fehlgeleitet sind. „Phlogiston“ ist ein solches Beispiel. Wissenschaftler glaubten lange, dass der Stoff Phlogiston für Verbrennungsvorgänge verantwortlich ist, von denen wir heute wissen, dass es Oxidationsprozesse sind. Warum bezieht sich „Phlogiston“ nicht auf Sauerstoff? Weshalb gelang diese Referenz nicht? Folgende Antwort ist für den Externalisten nicht möglich, weil sie die von den Externalisten verworfene These wieder hervorholt, dass die Intension eines Begriffes für seine Extension relevant ist (siehe Kapitel 9.1): Die Theorie über Phlogiston, die sich in den Stereotypen über Phlogiston niederschlägt, ist so grundsätzlich falsch, dass sie von keinem Stoff erfüllt wird; daher referiert „Phlogiston“ nicht. Kurzum, der Externalist ist uns also eine Theorie darüber, wann und wie korrekte Kausalketten geknüpft werden, noch schuldig. Mit dieser kritischen Bemerkung beenden wir unseren Ausflug in den Außenweltskeptizismus und wenden uns dem Verifikationismus zu.

Charakter der Kausalketten

10.2 Der Verifikationismus Anhand von Putnams Gehirnen im Tank haben wir erläutert, wie ein sprachphilosophisches Werkzeug (der semantische Externalismus) auf ein spezielles erkenntnistheoretisches Problem angewendet werden kann. In diesem Abschnitt lernen wir eine Theorie sprachlicher Bedeutung kennen, die ganz allgemein eine Brücke zwischen Sprache, Erkenntnistheorie und Metaphysik schlägt. Dabei will sie weniger ein spezielles Problem lösen (z. B. den Skeptizismus bekämpfen), als vielmehr eine ganze philosophische Gesinnung zum Ausdruck bringen. Die empiristisch-positivistische Theorie der Bedeutung, die im frühen zwanzigsten Jahrhundert einflussreich war, nämlich der Verifikationismus, ist sehr eng an erkenntnistheoretische Dogmen geknüpft. Ein Empirist ist der Auffassung, dass man durch bloßes Nachdenken keine Wahrheiten über die Welt herausfinden kann. Alles faktische Wissen hat als einzige Quelle die Sinneserfahrung. Diese erkenntnistheoretische Doktrin über die Natur des

Der klassische Empirismus

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10. Sprache und Erkenntnis

Die Kernthese des Verifikationismus

faktischen Wissens wurde schon von den klassischen Empiristen des siebzehnten bzw. achtzehnten Jahrhunderts vorgeschlagen – insbesondere von John Locke (1632–1704) (vgl. [10–15], [10–16]), George Berkeley (1685–1753) (vgl. [10–2], [10–3]) und David Hume (1711–76) (vgl. [10–12], [10–13]). Das Innovative am Neo-Positivismus ist eine Neuausrichtung des Brennpunktes ausgehend von dieser erkenntnistheoretischen Doktrin hin zu einem Lehrsatz über Sprache und Bedeutung. Genauer gesagt, versuchten die logischen Empiristen, die Korrektheit der erkenntnistheoretischen Doktrin durch eine Theorie sprachlicher Bedeutung zu untermauern. Die verifikationistische Kernthese liefert ein Kriterium dafür, wann ein Satz einer Sprache bedeutungsvoll ist. Knappe Charakterisierungen dieser These geben Moritz Schlick und Rudolf Carnap, zwei der prominentesten Vertreter dieser Theorie: „The meaning of a proposition is the method of its verification.“ [10–26] „Thus the meaning of a sentence is in a certain sense identical with the way we determine its truth or falsehood; and a sentence has meaning only if such a determination is possible.“ [10–6]

Anti-Metaphysik

Nehmen wir also mit den Empiristen an, die Bedeutung eines Satzes sei die Methode seiner Verifikation, d. h. die Bedeutung sei gegeben durch das, was wir durchführen müssen (insbesondere Beobachtungshandlungen), um herauszufinden, ob der Satz wahr ist. Stärker noch wollen wir mit den Empiristen sogar annehmen, dass ein Satz als bedeutungslos fallen gelassen werden muss, wenn seine Wahrheit (oder Falschheit) durch keine Beobachtung entschieden werden kann. Wenn wir letztlich noch fordern, dass alles faktische Wissen in bedeutungsvollen Sätzen ausgedrückt ist, dann schließen wir tatsächlich den Kreis von Sprache über Bedeutung zurück zur Erkenntnistheorie. Auf diese Weise ist der semantische Verifikationismus das sprachphilosophische Gegenstück der empiristischen Epistemologie. Wir sind allerdings auch nicht sehr weit von metaphysisch-ontologischen Überlegungen entfernt. Es ist leicht zu sehen, wie ein Anhänger des Verifikationismus zu einer strikt anti-metaphysischen Haltung verleitet werden kann. Tatsächlich waren viele Empiristen der Ansicht, dass Metaphysik ein sinnloses Unterfangen sei, weil Sätze, in denen beispielsweise auf Gott, das Nichts oder den Sinn des Lebens Bezug genommen wird, nicht verifizierbar seien. Derlei Aussagen seien daher bedeutungslos und sollten auch nicht Gegenstand philosophischer Forschung sein. Allerhöchstens könnten sie dazu dienen, ein gewisses Lebensgefühl auszudrücken; sie hätten aber keinerlei faktischen Gehalt (vgl. [10–7]). Der logische Empirismus – und mit ihm der Verifikationismus – ist allerdings eine Lehre, die schon lange fallengelassen wurde. Zwar nicht deswegen, weil die grundsätzliche Idee verworfen wurde, dass faktisches Wissen eine Beobachtungsbasis haben sollte, jedoch weil sich der Verifikationismus in seinen schärfsten Ausprägungen unlösbaren Problemen, die teils technischer Natur waren, gegenübergestellt sah. Ein genauerer Blick auf die verifikationistische Theorie der Bedeutung und deren Anwendungen soll diese Probleme offenlegen.

10.2 Der Verifikationismus

Nehmen wir den Satz „Dieser Apfel ist rot“. Die verifikationistische Theorie der Bedeutung behauptet, dass dieser Satz genau dann sinnvoll ist, wenn wir in der Lage sind zu beschreiben, welcher Sachverhalt beobachtbar sein muss, damit wir entscheiden können, ob der Satz wahr oder falsch ist. In diesem Falle scheint diese Aufgabe trivial zu sein: „Dieser Apfel ist rot“ ist tatsächlich ein sinnvoller Satz – er ist wahr genau dann, wenn der Apfel vor unseren Augen wirklich rot ist, d. h. wenn er unter normalen Lichtverhältnissen eine Rot-Empfindung hinterlässt. Allerdings enthält nicht jeder Satz Wörter, die auf einfach beobachtbare Dinge Bezug nehmen, die wahrnehmbare Eigenschaften haben. Welche direkte Beobachtung verifiziert beispielsweise Sätze wie „Diese Flüssigkeit hat eine Temperatur von 1008C“ oder schwieriger noch „Die Elektronenmasse beträgt me = 9,11 x 10-31kg“? Um die Doktrin „Die Bedeutung eines Satzes ist die Methode seiner Verifikation“ erfüllen zu können, müsste das Nicht-Beobachtungsvokabular solcher Sätze Schritt für Schritt in Beobachtungsvokabular übersetzt werden. Und tatsächlich stellen sich Empiristen das Vokabular einer Sprache hierarchisch strukturiert vor. Das direkte Beobachtungsvokabular („rot aussehen“, „sich hart anfühlen“, „süßlich riechen“ etc.) bildet die Basis, und alle anderen Wörter der Sprache (mit wenigen Ausnahme, zu denen beispielsweise logische Verknüpfungen wie „und“, „oder“ etc. zählen) sollten prinzipiell in diese Basis übersetzbar sein. Logik und konzeptuelle Analyse sind für Empiristen ein wichtiges Werkzeug, um zu solchen Übersetzungen von Nicht-Beobachtungstermen zu Beobachtungstermen zu gelangen. Hier ist ein Versuch: „Objekt O hat Temperatur T“ kann übersetzt werden in „Wenn ein Quecksilberthermometer in Objekt O gesteckt wird oder an O gehalten wird, dann wird das Quecksilber zur Marke T steigen (bzw. fallen)“. Mithilfe dieser Definition können wir „Diese Flüssigkeit hat eine Temperatur von 1008C“ übersetzen in „Wenn ein Quecksilberthermometer in die Flüssigkeit gehalten wird, dann wird das Quecksilber zur Marke 100 steigen (bzw. fallen)“. Die letzte Aussage ist nun deutlich dichter an einer direkten Beobachtung dran als der ursprüngliche Satz, und wir wollen, als Arbeitshypothese, für ihn das verifikationistische Kriterium als erfüllt akzeptieren. Die tatsächliche Reduktion aller Begriffe auf Beobachtungsvokabular ist natürlich eine Utopie, die selbst die radikalsten Anhänger des Empirismus nicht angestrebt haben. Allein die prinzipielle Möglichkeit einer solchen Reduktion würde aber den Verifikationismus genügend stützen. Versuche, die generelle Möglichkeit zu beweisen, hat es tatsächlich gegeben (vgl. [10–8]). Allerdings ist heute klar, dass selbst dieses Unterfangen zum Scheitern verurteilt ist. Das wollen wir anhand eines speziellen Problems vorführen. Eine besondere Klasse von Begriffen, die der Empirist auf Beobachtungsvokabular reduziert wissen will, formen die so genannten Dispositionsprädikate: wasserlöslich sein, brennbar sein, zerbrechlich sein etc. Dass eine Substanz brennbar ist, ist nämlich nicht direkt beobachtbar – erst ein Test kann die Brennbarkeit direkt zeigen. Wir wollen allerdings anhand weniger Skizzen zeigen, dass die Hoffnung, Dispositionsprädikate auf Beobachtungsvokabular zurückzuführen, nicht erfüllt werden konnte. Definiert man nämlich „x ist brennbar“ als „Wenn x erhitzt wird, dann geht x in Flammen auf“, dann wird man schnell mit einer Summe von Problemen konfrontiert: Erstens muss stillschweigend davon ausgegangen werden, dass sowohl der Test (er-

Reduktion auf Beobachtungsvokabular

Dispositionsprädikate

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10. Sprache und Erkenntnis

Das Scheitern des Verifikationismus

hitzt werden) als auch die erwünschte Reaktion (in Flammen aufgehen) beobachtbar sind. Das ist in unserem Fall vielleicht gewährleistet (obwohl die direkte Beobachtung des Erhitzens schon Schwierigkeiten bereiten kann), bei anderen Dispositionen könnte sich aber die Beobachtbarkeit als fraglich herausstellen (bei Dispositionen subatomarer Partikel wie Spin oder Ladung beispielsweise). Zweitens könnte Objekt x nass sein, oder es könnte zu wenig Sauerstoff in der Umgebung sein, oder es hat eine Schutzhülle etc. Kurzum, es müssen der Definition diverse Klauseln hinzugefügt werden: „Wenn x erhitzt wird, nicht nass ist, genügend Sauerstoff vorhanden ist, x keine Schutzhülle trägt etc., dann …“ Es ist jedoch nicht sicher, dass wir für alle Dispositionen stets alle Provisorien kennen, oder dass es eine nur endliche Liste solcher Provisorien gibt. Auch Vagheit kann zu einer Herausforderung werden: Bei genau welcher Erhitzung soll x in Flammen aufgehen? Bei 908C, 1008C oder 1108C? Drittens könnte es zu so genannten zufälligen Koinzidenzen kommen: Ein eigentlich nicht brennbarer Stoff könnte bei Erhitzung dennoch in Flammen aufgehen, weil Zusatzstoffe hinzugemischt waren oder starke Laserstrahlen zufällig den Stoff treffen, die eigentlich nicht im Test eingeplant waren. Solche unerwünschten zufälligen Interferenzen müssen ebenfalls durch Zusatzklauseln im wenn-dann-Satz ausgeschlossen werden. Viertens müssen uns die Empiristen sagen – das schreibt ihnen das verifikationistische Kriterium der Bedeutung vor –, wann ein wenn-dann-Satz der für die Definition benutzten Art wahr ist und wann falsch. Brennbare Substanzen sind ja auch dann brennbar, wenn sie niemals erhitzt wurden und werden. Ist der alltagssprachliche wenn-dann-Satz in einem solchen Falle wahr? Diese Frage zu entscheiden ist sehr brisant. Wenn ich beispielsweise verspreche „Wenn ich ins Kino gehe, dann kaufe ich auch Popcorn“, dann habe ich sicher kein falsches Versprechen gegeben, wenn ich gar nicht ins Kino gehe. Ist parallel dazu die obige Definition dann schon für einen Gegenstand erfüllt, wenn der Brennbarkeitstest an ihm gar nicht ausgeführt wird? Das wäre fatal, denn dann wäre per definitionem alles brennbar, was nie erhitzt wird; ein solides Stück Stahl beispielsweise. Die Wahrheitsbedingungen für wenn-dann-Sätze waren und sind ein heißes Thema in der philosophischen Logik. Wir können hier leider nur darauf hinweisen, dass die logischen Mittel der Empiristen des frühen zwanzigsten Jahrhunderts mit der Logik solcher Konditionalsätze überfordert waren [10–14]. Sie interpretierten nämlich zunächst alle wenndann-Sätze im Sinne der klassischen Aussagenlogik, was tatsächlich zur oben erwähnten ungewollten Folge führte, dass alle nie erhitzten Dinge „brennbar“ genannt werden mussten. Eine alternative Interpretation der wenn-dann-Sätze, die mit diesen Schwierigkeiten umzugehen weiß, wurde erst später geliefert [10–14a]. Wir haben vier Gründe angeführt, warum das verifikationistische Bedeutungskriterium an einem speziellen Fall (Dispositionsprädikate) scheitert. Der Verifikationismus sah sich noch vielen weiteren Schwierigkeiten ausgesetzt. Beispielsweise stellte es sich als ausgesprochen diffizil heraus zu definieren, welche Begriffe überhaupt zum reinen Beobachtungsvokabular zählen. In unserem Kapitel zu Quine (Kapitel 4.1) haben wir außerdem schon den gewichtigen Einwand kennen gelernt, dass nicht jeder einzelne Satz allein einer ihn verifizierenden oder falsifizierenden Beobachtung gegenübersteht (wie es das verifikationistische Kriterium der Bedeutung behauptet).

10.3 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

Vielmehr ist es immer gleich ein ganzes System von miteinander verzahnten Überzeugungen, das durch Beobachtung getestet wird. Die vorderhand attraktive Lehre des Verifikationismus – als sprachphilosophisches Pendant einer erkenntnistheoretischen Doktrin – stellt sich letztlich als unhaltbar heraus. Es sollte allerdings erwähnt werden, dass manche Grundideen des Verifikationismus weiterleben. Viele post-verifikationistische Theorien der Satzbedeutung halten an einer starken Verknüpfung zwischen Wahrheit und Bedeutung fest (siehe z. B. Donald Davidsons Theorie; Kapitel 3.2). Philosophen wie Michael Dummett belebten sogar einen Verifikationismus wieder, der Verwandtschaft zu dem des Empirismus trägt [10–11].

10.3 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen Zusammenfassung Während das verifikationistische Kriterium der Satzbedeutung eine gesamte erkenntnistheoretische Doktrin unterstützen soll – den Empirismus nämlich, der behauptet, alles Wissen über die Welt müsse aus der Beobachtung stammen –, möchte Putnam mit einer bestimmten Theorie der Bedeutung, dem semantischen Externalismus, ein ganz konkretes skeptisches Problem lösen – das Problem, dass wir Gehirne im Tank sein könnten, ohne es zu wissen. Wir haben am Beispiel der Dispositionsprädikate gesehen, dass der Verifikationismus zu streng und daher unerfüllbar ist. Außerdem erinnerten wir an Quine, der zeigen konnte, dass die kleinste Einheit für die Verifikation nicht Sätze, sondern ganze Theorien sind. Putnam, übrigens ein Schüler Quines, konnte für unseren Geschmack mit der externalistischen Semantik nicht genug zeigen. Plausibel ist, dass der Satz „Ich bin ein Gehirn im Tank“, von uns geäußert, immer falsch ist. Unglaubwürdig ist hingegen, dass wir daraus schließen können sollen, dass wir keine Gehirne im Tank sind.

Lektürehinweise – Eine umfangreiche Sammlung zum Thema Skeptizismus, in der es im ersten Kapitel um den semantischen Externalismus geht, ist [10–10]. – Ein Sammelband zum Wiener Kreis und zum logischen Empirismus ist [10–25]. – Ayers klassische Verteidigung des logischen Empirismus [10–1] empfehlen wir als Einführung.

Fragen und Übungen 1. Was denkt ein Gehirn in einem Tank, wenn es denkt: „Die Autoren dieses Buches, AN und MS, sind Roboter“? Übersetzen Sie diese Aussage in normales Deutsch! 2. Stellen Sie sich vor, eine Ameise hinterlässt durch einen puren Zufall mit ihrem Krabbeln eine Spur im Sand, die genau so aussieht wie die folgenden schwarzen Striche auf Papier: „Hallo, ich bin eine Ameise“. Bedeuten ihre Worte etwas? In welchem Sinne bedeuten sie nichts? Nutzen Sie die externalistische Bedeutungstheorie, um diesen Fall zu beschreiben! 3. Was, wenn sie zwar kein Gehirn im Tank sind, aber eine Seele in der materiellen Welt? Statt eines materiellen Gehirns, dem eine Erscheinungswelt vorgegaukelt wird, sind Sie also ein immaterielles Etwas, dem eine materielle Welt dargeboten wird. Können Sie Putnams Argument gegen diesen Leib-Seele Dualismus richten?

Was vom Verifikationismus übrig bleibt

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11. Sprache und Sein 4. Versuchen Sie, eine verifikationistisch inspirierte Reduktion auf Beobachtungsvokabular von „X ist wasserlöslich“ zu geben. 5. Lesen Sie in einem guten Wörterbuch der Psychologie und/oder Philosophie unter dem Stichwort „Behaviorismus“ nach! Vergleichen Sie den Behaviorismus mit dem Verifikationismus und decken Sie gemeinsame Schwierigkeiten auf! 6. Erläutern Sie in Ihren eigenen Worten, wie das erkenntnistheoretische Dogma der Empiristen mit deren Theorie der Bedeutung zusammenhängt!

11. Sprache und Sein Die Ontologie ist ein Teilgebiet der Metaphysik, das sich mit der Frage beschäftigt, welche Dinge existieren oder – schlicht gesagt – was es gibt. In diesem Abschnitt lernen wir mit Quine, wie wir aus spezifischen Theorien oder Überzeugungssystemen herauslesen können, zur Annahme welcher Dinge ein Verfechter dieser Theorien verpflichtet ist. Quines Rezept bleibt dabei zunächst mehr oder weniger deskriptiv, denn es zeigt nicht an, welche Theorie mit welcher ihr zugehörigen Ontologie anderen Theorien/Ontologien zu bevorzugen wäre. Noch deutlich relativistischer wird es, wenn wir uns der Sapir-Whorf-Hypothese zuwenden, die behauptet, dass die Sprache, die wir sprechen, maßgeblich beeinflusst, wie wir über das ontologische Inventar der Welt denken, so dass Sprecher verschiedener Sprachen ontologisch stark divergente Weltbilder haben könnten. Wir schließen mit Peter Strawsons Überlegungen ab, die nahe legen, dass Individuen und ihre Eigenschaften – auf sprachlicher Seite widergespiegelt durch Subjektterme und Prädikate – die essentiellen Grundbausteine jeder Ontologie sein müssen.

11.1 Ontologische Verpflichtungen: „Sein heißt Wert einer gebundenen Variablen sein“

Ontologische Verpflichtungen

Der Slogan unserer Überschrift, im englischen Original „To be is to be the value of a bound variable“, geht auf Willard Van Orman Quine zurück (vgl. [11–5], [11–6: § 2]). Unser Ziel in diesem Abschnitt ist es, dieses Schlagwort zu erklären. Quines ontologische Ziele sind zunächst bescheiden. Er möchte uns nicht mittels Sprachanalyse eine Universalontologie liefern, die uns ein für allemal sagen würde, was es gibt. Vielmehr konzentriert er sich darauf herauszufinden, wie wir aus den sprachlichen Formulierungen der Überzeugungen, die jemand hat, oder den sprachlich niedergeschriebenen wissenschaftlichen Theorien, denen jemand zustimmt, ablesen können, welche ontologischen Verpflichtungen mit diesen Ansichten einhergehen. Wenn jemand steif und fest behauptet, dass die Einhörner in seinem Gehege in etwa so aussehen wie Pferde, dass sie sich aber schlechter zähmen lassen, dann glaubt diese Person offenbar an die Existenz von Einhörnern. Sie ist ontologisch dazu verpflichtet, die Existenz von Einhörnern zu akzeptieren. Die Ontologie, die Quine zu Tage fördern will, ist natürlich auf einem abstrakteren Niveau angesiedelt: Ist die Theorie, die wir aus ontologischer Sicht betrachten wollen, dazu verpflichtet die Existenz physikalischer Objekte anzunehmen? Oder die von Sinnesdaten? Bezieht sich deren Wort „Kaninchen“ auf Kaninchen oder auf Moleküle, die kaninchenartig angeordnet sind?

11.1 „Sein heißt Wert einer gebundenen Variablen sein“

Wie kann man also nach Quine aus einer sprachlich ausformulierten Theorie ablesen, welche Dinge es (der Theorie zufolge) gibt? Obwohl es zunächst nahe liegen mag, sich an den Eigennamen der Sprache zu orientieren – wenn „Achim“, „Thomas“, „der Eiffelturm“ etc. vorkommen, dann gibt es Achim, Thomas und den Eiffelturm – stellt sich diese Vorgehensweise aus mindestens zwei Gründen als unzureichend heraus: Erstens ist eine philosophische Ontologie nicht an einer Auflistung von Einzelgegenständen oder Individuen, sondern vielmehr an einer Klassifizierung der existierenden Gegenstände interessiert. Und zweitens können Namen einer Sprache leer sein, wie z. B. der Name „Pegasus“, zu dem es kein Objekt in der Welt gibt. In solchen Fällen würden uns die Namen der Sprache sogar darüber täuschen, welche Dinge existieren. Quine ist daher der Meinung, dass die Eigennamen einer Sprache am besten in andere sprachliche Ausdrücke übersetzt werden sollten, bevor wir ontologische Schlüsse ziehen. Die Weise, auf die Quine diese Reduktion vornimmt, ist uns hinreichend bekannt (wir erinnern an Schwierigkeiten mit leeren Namen und entsprechende Lösungsversuche [siehe Kapitel 7]). Eigennamen beziehen sich gemäß Quine nämlich gar nicht direkt auf Personen oder Dinge, sondern sie leisten ihren Beitrag zur Satzbedeutung mittels einer ihnen als Bedeutung innewohnenden Kennzeichnung: im Falle von „Laika“ beispielsweise „die erste Hündin im Weltall“. Oder, das ist Quines mutiger Vorschlag, wenn keine andere Beschreibung zur Hand ist, dann bilden wir einfach das künstliche Attribut „Laika seiend“ oder „laikasiert“. Dann kann der Name „Laika“ in einem ersten Schritt mit der Kennzeichnung „die erste Hündin im Weltall“ oder „das Objekt, das laikasiert“ identifiziert werden. Obendrein ist Quine aber Anhänger von Bertrand Russells Analyse der Kennzeichnungen (siehe Kapitel 6.1), so dass in einem zweiten Schritt auch diese Kennzeichnungen weiter umgeformt werden. Alle Aussagen über Laika, „Laika hat braunes Fell“ zum Beispiel, werden daher letztendlich überführt in Aussagen wie „Es gibt mindestens und höchstens eine erste Hündin im Weltall, und die hat braunes Fell“. Der Philosoph David Kaplan fasst Quines zwei Schritte zur Eliminierung von Eigennamen prägnant zusammen: Quinisiere den Namen und Russellisiere die Kennzeichnung weg (vgl. [11–1: 245])! Mit dieser Analyse sind wir gleich drei Stufen weitergekommen.

„Russellisieren“ und „Quinisieren“

(i) Wir sind die Namen los, die aus zwei Gründen – sie bieten keine Klassifizierung und es gibt leere Namen – keine verlässliche Hilfe für das Auffinden ontologischer Verpflichtungen waren. (ii) Wir sind dem Ziel, eine klassifizierende Ontologie zu gewinnen, viel näher, denn wir sprechen nunmehr allgemeiner über Arten von Dingen wie Hunde, Fell und Farbe. (iii) Wir sind bei einer Satzform angelangt, die Quine als ontologisch höchst aufschlussreich ansieht, weil sie ganz explizit Existenzaussagen macht: „Es gibt dies und jenes, das diese und jene Eigenschaft hat.“ Derartige Sätze werden in der Logik daher auch existenzquantifizierte Aussagen genannt. Es gibt zu solchen Existenzaussagen ein Pendant, das allgemeiner über alle Dinge spricht: „Alle Dinge, die von der und der Beschaffenheit sind, haben

Das Quantifizieren und die Quantoren

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11. Sprache und Sein

auch diese oder jene Eigenschaft“. Logiker benutzen in ihren formalen SpraA chen das Symbol „E x“, das für „Es gibt ein x“ steht, und „ x“, das für „Für alle x“ steht (Details: [14–4]). Sie schreiben die Variable „x“ an alle Stellen, wo in den obigen Relativsätzen ein Relativpronomen vorkommt. Die Aussage über Laika sieht semiformal dann so aus: „E x (x ist die erste Hündin im Weltall und x hat braunes Fell)“; und ein All-Satz könnte die Form haben: A „ x (wenn x ein Mensch ist, dann ist x sterblich)“. Logiker sprechen hier A von einer durch „E“ oder „ “ gebundenen Variablen, deren Werte beliebige Gegenstände sein können, für die die Aussage wahr ist. (Im Falle des LaikaSatzes ist das natürlich nur Laika.) Wir sind fast am Ziel angekommen, nämlich bei Quines Rezept, aus jemandes Theorie oder allgemein seinem System von Überzeugungen abzulesen, an die Existenz welcher Gegenstände er glaubt. Die vollständige Anleitung sieht wie folgt aus: (i) Übersetze alle Namen in Kennzeichnungen und die Sätze, in denen die Namen vorkommen, in quantifizierte Aussagen der Form „Es gibt …“! (ii) Um Theorien und ihre Ontologien noch besser vergleichen zu können, übersetze dann alle Sätze in die Sprache der Prädikatenlogik! (iii) Lies an den Existenz- und Allsätzen ab, über welche Arten von Dingen die Theorie spricht!

Deskriptive statt präskriptive Ontologie

Wie zu Anfang erwähnt, ist dieses Rezept und sein Anwendungsergebnis unter dem Slogan „Sein heißt Wert einer gebundenen Variable sein“ bekannt geworden (vgl. [11–5: 13 f.]). Wir möchten erwähnen, dass der Normierungsschritt (ii) nicht nur Gegenüberstellungen von Theorien leichter macht. Quine verfolgt damit noch komplexere Ziele: Die Art von Logik, die er hier im Auge hat (Prädikatenlogik erster Stufe), kommt ohne das Postulieren bestimmter abstrakter Entitäten aus (vor allem Universalien), deren Annahme Quine aus verschiedenen Gründen, die wir hier nicht erörtern können, für unberechtigt hält. An dieser Stelle ist Quines Rezept auch nicht mehr rein deskriptiv, sondern ist darauf ausgerichtet zu zeigen, dass es bestimmte Entitäten nicht gibt (vgl. [11–7]). Quines Ziel ist insofern moderat, als er nur an einer Theorie oder einem Überzeugungssystem abliest, zu welchen Existenzannahmen jemand verpflichtet ist, der an die Wahrheit der Theorie glaubt. Das mag für viele Leute unbefriedigend sein, denn die vielleicht interessantere philosophische Frage, an die Existenz welcher Dinge wir denn letztlich glauben sollten, d. h. welcher der solcherart untersuchten Theorien die beste ist, bleibt dabei unbeantwortet. Allerdings kann diese Frage über das Quinesche Rezept auf die Frage reduziert werden, welchem Überzeugungssystem wir zustimmen sollten (vgl. [11–5: 16]). Und auf diese Frage gibt Quine eine eindeutige Antwort, die aber nicht direkt aus dem soeben diskutierten Rezept entspringt; diese Antwort ist ein Extra: Wir sollten an das präziseste, einfachste, dabei aber dennoch meistumfassende und besterklärende Überzeugungssystem glauben, das außerdem sparsam ist, hinsichtlich der Menge an postulierten Entitäten. Quines Meinung nach ist die beste uns zur Verfügung stehende Gesamttheorie der Welt die moderne Physik (Philosophie begreift Quine als Fortsetzung

11.2 Verschiedene Sprachen, verschiedene Welten?

der Naturwissenschaft). Würde man also die Formelsprache der Physik auf die oben beschriebene Weise in die Sprache der Logik übersetzen, dann könnte man an den quantifizierten Sätzen ablesen, welche Arten von Dingen es gibt. Wahrscheinlich treffen wir auf Quarks, Elektronen, elektromagnetische Felder etc. Die Welt besteht also, laut Quine, aus diesen Entitäten. Diesen letzten Schritt müssen wir freilich nicht unbedingt mitgehen, um Quines Slogan „To be is to be the value of a bound variable“ schätzen zu können. Wir müssen noch auf ein Kuriosum hinweisen. Quines Theorie der Bedeutung, die wir in einem separaten Kapitel (siehe Kapitel 4.1) vorgestellt haben und an der er auch im Zusammenhang mit Fragen ontologischer Natur festhält, hatte mehrere Indeterminiertheiten zur Konsequenz. Die Indeterminiertheit der Referenz, der Übersetzung und der Theorien. Letztere Indeterminiertheit hat u. a. zur Folge, dass es zwei grundverschiedene naturwissenschaftliche Theorien geben könnte, die beide empirisch adäquat sind (also beide korrekte Vorhersagen treffen), die aber in ihrem theoretischen Apparat völlig verschieden sind. Vor allem könnte die Verschiedenheit das ontologische Inventar betreffen. Wie verträgt sich diese These mit Quines Rezept, Ontologie aus Theoriesprache abzulesen, und wie mit seiner Behauptung der Vormachtstellung der Physik? Das Rezept bleibt völlig unberührt, denn es wird ja ohnehin als (relativ) neutrales Werkzeug verstanden, aus jeglichem Überzeugungssystem die jeweils unterliegende Ontologie abzulesen. Der Vorrang der Physik hingegen wird leicht erschüttert. Sollte es tatsächlich eine Theorie geben, die der Physik in Vorhersagekraft, Erklärungsmächtigkeit, Einfachheit etc. gleichkommt, und von der außerdem gilt, dass sie restlos in die Physik übersetzbar ist und umgekehrt, dann hätte man es mit zwar verschiedenen, aber gleichermaßen attraktiven Ontologien zu tun. Quine nimmt dieses Resultat allerdings recht gelassen. Hier ist er strenger Empirist und begnügt sich damit zu sagen, dass unsere wissenschaftliche Gesamttheorie nichts weiter von der Welt verlangt als so zu sein, dass sie die Sinneswahrnehmungen liefert, mit denen wir aufgrund der Theorie rechnen können (vgl. [11–10: 36]). Der Wunsch, eine Ontologie nur dann anzuerkennen, wenn sie die Dinge so beschreibt, wie sie, sozusagen, an sich sind, ist nach Quine wegen der Indeterminiertheit nicht etwa schwierig zu erfüllen, sondern sogar unsinnig (vgl. [11–10: 36]).

Die Indeterminiertheit der Referenz, der Übersetzung und wissenschaftlicher Theorien

11.2 Noch mehr ontologische Relativität: Verschiedene Sprachen, verschiedene Welten? Wenn wir unvermittelt an Fragen der Sprache und Ontologie herangehen, dann neigen wir stillschweigend zu einer starken Annahme, die wir „Realismus“ nennen wollen: Unsere Sprache – oder die Struktur unserer Sprache – reflektiert die Struktur der Welt; an der Sprache können wir ablesen, wie die Wirklichkeit aufgebaut ist. Was ist nun aber, wenn verschiedene Sprachen völlig verschiedene Strukturen aufweisen? Dann müssten wir behaupten, wenn wir am Realismus festhalten wollen, dass einige Sprachen den Aufbau der Wirklichkeit richtiger abbilden als andere. Das klingt allerdings nach unberechtigtem Sprachchauvinismus: Wieso sollte beispielsweise das Urdu dem Albanischen ontologisch überlegen sein?

Realismus, Idealismus, Relativismus

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11. Sprache und Sein

Im Abschnitt zu Quines ontologischer Indeterminiertheit haben wir schon gesehen, dass ein naiver Realismus leicht erschüttert werden kann. Im Extremfall kann der Realismus – die Struktur der Sprache bildet den Aufbau der Wirklichkeit ab – sogar in einen Idealismus umkippen: Unsere Sprache projiziert Struktur in die Wirklichkeit hinein. Mit dieser idealistischen Grundannahme entgehen wir jedenfalls der Notwendigkeit, eine spezifische Sprache als die richtige, die Wirklichkeit korrekt abbildende auszuzeichnen: Alle gleich legitimen Sprachen projizieren die ihnen je eigene Struktur in die Wirklichkeit. Wir können die Realismus-Idealismus-Debatte hier nicht im Einzelnen ausführen. Vielmehr wollen wir eine bekannte, idealistische und vor allem relativistische These der anthropologischen Linguistik beispielhaft vorstellen (siehe auch 9.4). Sie ist unter dem Namen Sapir-Whorf-Hypothese bekannt geworden und schon bei Wilhelm von Humboldt zu finden [11–3a: Bd. IV, S. 27]: Die grammatische Struktur einer Sprache und ihr Wortschatz formen die Art und Weise, wie wir über die Welt nachdenken; insbesondere sind ontologische Kategorien von der jeweiligen Grammatik abhängig. Folglich denken Sprecher von Sprachen mit verschiedenartigem Wortschatz und verschiedener Grammatik anders über die Welt und ihre Gegenstände nach (vgl. [11–21: 212 f.]). Das Beispiel der Dass der Wortschatz und damit die Möglichkeit, verschiedene begriffliche Pirah¼ Unterscheidungen zu treffen, auf das Denken Einfluss nehmen kann, ist leichter ersichtlich als der Einfluss, den die Grammatik haben kann. Das Volk der Pirah¼,das in Brasilien am Fluss Maici lebt, hat beispielsweise ausschließlich die Wörter „Sohn“ und „Tochter“ für Familienbeziehungen. Alle andere Verwandtschaft wird lediglich in ältere oder jüngere Generationen eingeteilt (vgl. [11–3]). Dementsprechend ist es für die Pirah¼nicht leicht, ,Onkel-sein‘ und ,Opa-sein‘ als zwei verschiedene Verwandtschaftsbeziehungen wahrzunehmen. Das bedeutet natürlich nicht, dass beide Menschen, Opa und Onkel, für die Pirah¼deswegen nicht existierten oder eine einzige Person wären, die Welt scheint für die Pirah¼aber um zwei ontologische Kategorien ärmer: Es sieht so aus, als würden Onkel und Opa nicht hinsichtlich ihrer Verwandtschaftsbeziehung unterschieden. Wir wollen auch den zweiten Punkt kurz andeuten, nämlich wie verschiedenartige Grammatiken zu anderen Ontologien führen könnten. Das Deutsche – und andere indogermanische Sprachen – suggerieren uns mit ihrer Subjekt-Prädikat-Struktur eine Gegenstands- und Eigenschaftsontologie (siehe Kapitel 11.3). Objekten stößt etwas zu, oder Objekte befinden sich in gewissen Zuständen: „Der Stuhl steht in der Ecke / kippt um“. Seltener sind in diesen Sprachen Konstruktionen, in denen das grammatische Subjekt gar keinem Einzelding entspricht, wie in „Es schneit“. Andere Sprachen hingegen, die Hopi-Sprache z. B., kommen, wie Whorf nachweisen konnte, in vielen Sätzen gänzlich ohne Erwähnung eines Subjektausdrucks aus und nutzen allein Verben, um Aussagen zu bilden. Diese Grammatik legt daher eher eine Prozessontologie nahe, die die Welt nicht in Dinge und Eigenschaften, sondern vielmehr in Prozesse einteilt: „Stuhlumkippen ereignet sich“, „Geburt/Tod ereignet sich“ etc. Zweifel an der Zu welchem Grad die Sapir-Whorf-Thesen Gültigkeit haben, ist in LinguSapir-Whorf-These istik, Evolutionsbiologie und Philosophie allerdings stark umstritten. Der

11.3 Transzendentale Argumente für eine Ding-Eigenschafts-Ontologie

Linguist Noam Chomsky argumentiert beispielsweise, dass Menschen eine angeborene Universalgrammatik besitzen, die allen Sprachen zugrunde liegt (die Whorfschen Beispiele aus der Hopi-Sprache werden als zu oberflächliche Beobachtungen verworfen, vgl. [11–2a]). Evolutionsbiologische Überlegungen, z. B. vorgebracht von Steven Pinker [11–4], legen nahe, dass die Fähigkeit des Sprachgebrauchs durch spezifische Gehirnbereiche realisiert wird, die, wie viele andere solcher spezialisierten Bereiche durch evolutionäre Selektion herausgebildet wurden, und daher genetisch codiert und allen Menschen gemein sind. Einige Philosophen, Jerry Fodor beispielsweise, begrüßen die Idee einer Sprache, die schon im Gehirn verankert ist (siehe unser Kapitel zu Sprache und Geist, 9.3 und 9.4). Selbst wenn diese Einwände gegen den Sprach-Ontologie-Relativismus stimmen, dann kann es dennoch richtig sein, dass wir Struktur in die Welt hineinlesen (Idealismus), statt sie zu entdecken. Es ist dann aber unwahrscheinlich, dass Menschen verschiedener Sprachgruppen das auf grundsätzlich verschiedene Weise tun, da die relevante biologische Ausstattung ja allen Menschen gemeinsam ist (kein Relativismus). Evolutionsbiologische Annahmen könnten natürlich darüber hinaus auch wieder einen Realismus stark machen: Wenn sich die Sprachkapazität im Gehirn aufgrund von Anpassungen an die Umwelt entwickelt hat, dann liegt es nicht fern zu sagen, dass die Struktur der Welt in der Sprache ihre Abdrücke hinterlassen hat. Der genaue Zusammenhang von Sprache und Denken ist bisher nicht geklärt (siehe auch Kapitel 9.3 und 9.4).

11.3 Transzendentale Argumente für eine Ding-Eigenschafts-Ontologie In einem letzten Abschnitt möchten wir die Ideen Peter Strawsons zu Ontologie und Sprache anreißen, die er in seinen Werken „Einzelding und logisches Subjekt“ [11–17], „Subject and Predicate in Logic and Grammar“ [11–16] und in diversen Aufsätzen (teilweise gesammelt in [11–19]) entworfen hat. Das Argument ist recht komplex und wir können hier nur die Grundstruktur andeuten. Strawsons Anliegen ist deskriptive Metaphysik im Kontrast zu revisionärer Metaphysik. Er möchte aufspüren, welche Ontologie unser tägliches Tun und Sprechen nahe legt. Eine revisionäre Metaphysik hingegen – wie sie z. B. Quine vertritt, wenn er die physikalistische Ontologie als grundlegend ansieht – schlägt ontologische Kategorien vor, die dem Alltagsdenken mitunter zuwider laufen, die aber – so deren Anhänger – ein kohärenteres, einfacheres, einsichtigeres Bild der Welt entwerfen. Strawsons Unterfangen unterscheidet sich auch darin von Quines, dass Strawson nicht an der zugrunde liegenden Ontologie jeder beliebigen Sprache oder wissenschaftlichen Theorie interessiert ist, sondern ausschließlich die Normalsprache betrachtet. Strawson argumentiert dafür, dass eine Ding-Eigenschafts-Ontologie, also eine Ontologie, die besagt, dass die Welt aus Dingen und Eigenschaften besteht, notwendigerweise die elementarste Ontologie ist. Er stützt sich dabei vor allem auf die Ähnlichkeit dieser Ontologie mit der Subjekt-Prädikat-

Die Ding-Eigenschafts-Ontologie und die SubjektPrädikat-Struktur

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11. Sprache und Sein

Identifikation und Re-Identifikation

Bedingungen der Möglichkeit

Struktur unserer Sprache und unseres Denkens. Wir wollen skizzieren, wie Strawson Sprache einerseits und die Möglichkeit des Denken über die Welt andererseits miteinander verknüpft sieht: Jemand kann ein Prädikat, und somit einen allgemeinen Begriff, nur dann richtig anwenden, wenn er weiß, dass der allgemeine Begriff im Prinzip auf mehr als nur eine Erscheinung zutreffen kann. Von einem Kind sagen wir erst dann, es habe einen Begriff von einem Tisch, wenn es das Wort „Tisch“ mehrfach korrekt auf verschiedene Tische anwendet und nicht ausschließlich auf den Küchentisch. Kurzum, eine unerlässliche Bedingung für den Gebrauch von Prädikaten ist die prinzipielle Anwendungsmöglichkeit auf verschiedene Fälle. Dafür müssen wir das Vermögen besitzen, verschiedene Fälle, also verschiedene Einzeldinge, zu identifizieren und auseinander zu halten (vgl. [11–16: 15]). Wie wissen wir aber, wann wir es z. B. mit zwei Tischen und nicht wieder mit demselben zu tun haben? Strawson schlägt vor, dass wir den Raum und die Zeit als Hilfsmittel benutzen: Wir können mit Sicherheit zwei Instanzen eines Begriffes als verschiedene Individuen identifizieren, wenn wir sie simultan, aber räumlich getrennt wahrnehmen – z. B. den Tisch hier und gleichzeitig jenen dort am Ende des Korridors. Hier schließen wir den Kreis zurück zur Sprache: Ausgehend von sprachlichen Entitäten, nämlich den Prädikaten, ist Strawson bei der Existenz raum-zeitlicher Einzeldinge angelangt. Dass wir überhaupt Prädikate und ihre typische Funktionsweise in der Sprache haben können, verdanken wir dem Faktum, dass die Welt aus raum-zeitlich lokalisierbaren Einzeldingen besteht. Ohne diese gäbe es auch keine Prädikate. Wenn wir nun überlegen, welchen sprachlichen Entitäten die so gefundenen Einzeldinge entsprechen, dann gelangen wir zu den referierenden Subjekttermen: „dieser Tisch“ im Gegensatz zu „jener Tisch“. Die Subjekt-Prädikat-Struktur einfachster Sätze spiegelt also eine Ontologie von Einzeldingen, die in der Raum-Zeit situiert sind, mit ihren Eigenschaften wider. Wir möchten darauf hinweisen, dass Strawsons Argumente einen starken transzendentalen Charakter besitzen. Transzendentale Argumente, durch Kant berühmt geworden, sind solche Argumente, die die Bedingung der Möglichkeit von etwas zu ergründen suchen. Strawson schaut sich an, wie wir über die Welt sprechen, und rekonstruiert daraus, wie die Welt beschaffen sein muss, damit diese Art Sprache gelingen kann. Strawson beleuchtet also die Bedingungen der Möglichkeit einer Subjekt-Prädikat-Sprache und stellt fest, dass eine solche Sprache nur dann möglich ist, wenn wir auf Individuen referieren, sie unterscheiden, re-identifizieren und ihnen Eigenschaften zuweisen können. (Ein solches transzendentales Argument dafür, warum uns die Welt in Objekte und ihre Eigenschaften eingeteilt erscheinen muss, findet sich im Übrigen auch bei Robert Brandom [11–2: Kapitel 6]; siehe auch unser Kapitel 13.2.) Wir können allerdings auch einige kritische Fragen stellen. Warum sollen beispielsweise ausgerechnet Einzeldinge die fundamentalsten Bezugsobjekte von Subjekttermen sein und nicht etwa Ereignisse? Strawson hat zur Antwort parat, dass prinzipiell nur solcherlei Objekte in Frage kommen, die für unseren Wahrnehmungsapparat von ihren Nachbarn deutlich unterscheidbar und nach einer Zeit, in der wir sie nicht wahrnehmen, klar wiederzuerkennen sind (vgl. [11–17: Teil I, Kapitel 1.1/1.2] und [11–18: 35]).

11.4 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

Diese beiden Kriterien werden aber, so Strawson, in erster Linie von materiellen Körpern erfüllt (vgl. [11–17: 39]). Wir fragen allerdings weiter: Erfüllen denn Ereignisse oder Prozesse nicht die beiden Kriterien – das Unterscheidbarkeitskriterium und das Re-Identifikationskriterium? Strawsons Ansicht ist, dass Prozesse und Ereignisse zu flüchtig und unstabil sind, um dem Unterscheidbarkeits- und Re-Identifizierbarkeitskriterium genügen zu können. Vielmehr werden Ereignisse über die an ihnen beteiligten Objekte identifiziert (vgl. [11–17: 55]). Befürworter einer Prozess- oder Ereignisontologie bestreiten natürlich genau diesen Punkt. Wenn etwas an Whorfs Resultaten bezüglich der HopiSprache dran ist, dann gibt es einen weiteren Grund Strawsons Meinung anzuzweifeln. Obwohl aber die Kontroverse andauert, ist es wahrscheinlich, dass Strawson zumindest im Sinne einer rein deskriptiven Ontologie für indogermanische Sprachen Recht hat. Wir lassen offen, ob revisionäre Metaphysiken einerseits oder deskriptive Metaphysiken einer völlig verschiedenen Sprache andererseits Prozesse als fundamental zulassen könnten. Strawson argumentiert noch für ein weiteres Basiselement unserer Alltagsontologie: Personen. Personen haben laut Strawson sowohl materielle als auch psychische Eigenschaften, sind aber weder auf ihre materiellen noch ihre psychischen Eigenschaften allein reduzierbar. Strawsons Argumentation für Personen als weitere Grundbausteine unserer Ontologie übersteigt allerdings die Kapazitäten unseres Buches.

11.4 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen Zusammenfassung Quine übergibt uns keine Liste, auf der draufsteht, was es so alles gibt. Vielmehr liefert er uns einen Mechanismus, der uns, angewendet auf eine Theorie oder allgemein ein Überzeugungssystem, sagt, welche ontologischen Verpflichtungen diese Theorie hat. D. h. der Mechanismus liefert uns eine Auflistung derjenigen Dinge, deren Existenz jemand postulieren muss, der an die Theorie glaubt. Ontologien sind, so gesehen, theorienrelativ. Relativität ist auch die Kernaussage der Sapir-Whorf-Hypothese: verschiedene natürliche Sprachen drängen ihren Sprechern eine Sicht der Welt auf. Wer eine Sprache mit Subjekten und Prädikaten spricht, der kann nicht anders, als die Welt vorstrukturiert in Dinge und Eigenschaften eingeteilt wahrzunehmen. Peter Strawson ist zwar einer ähnlichen Meinung, er geht aber davon aus, dass nur eine Welt, die tatsächlich aus Dingen und Eigenschaften besteht, die Bedingungen für die Möglichkeit einer Subjekt-Prädikat Sprache liefert. Und da wir nun einmal eine solche Sprache sprechen, muss die Welt also die Bedingungen erfüllen. Gelingt dieses transzendentale Argument, dann ist es keine relative Angelegenheit, dass es Dinge und ihre Eigenschaften gibt.

Lektürehinweise – Mehr zur ontologischen Relativität: [11–9] und [11–10]. – Weitere Texte zur Sapir-Whorf-Hypothese: [11–12], [11–13], [11–14], [11–15] und [11–21].

Ereignisontologie

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12. Sprache und Moral

Fragen und Übungen 1. Erläutern Sie einem philosophisch interessierten Laien den Slogan „To be is to be the value of a bound variable“! 2. In Kapitel 4.1 haben wir Quines Bedeutungsskeptizismus vorgestellt. In der Alltagssprache sagen wir aber Sachen wie „Du kennst die Bedeutung dieser Worte genau!“. Wenn wir diesen Ausspruch in eine halb-logische Sprache übersetzen, gelangen wir zu: „Es gibt ein x: x ist die Bedeutung dieser Worte und Du kennst x genau“. Also gibt es gemäß Quines Slogan doch Bedeutungen. Geben Sie mindestens zwei Gründe an, warum das so nicht richtig ist und daher nicht in Widerspruch zu Quines Bedeutungsnihilismus steht! 3. Sympathisieren Sie eher mit einem Relativismus/Idealismus oder mit einem Realismus, wenn es um Sprache und Ontologie geht? Fassen Sie die stärksten Argumente für und gegen Ihre Position zusammen! 4. Was ist ein transzendentales Argument? Versuchen Sie, Bedingungen der Möglichkeit des Gebrauchs von Zeitworten (heute, gestern, morgen etc.) zu formulieren! (Diese Aufgabe hat freilich keine unumstrittene Lösung, und sie stellt für jeden Philosophen eine Herausforderung dar.)

12. Sprache und Moral Werke der Sprachphilosophie wählen zur Verdeutlichung ihrer zentralen Thesen meist nüchterne deskriptive Sätze: „Schnee ist weiß“ ist wahr genau dann, wenn Schnee weiß ist (siehe Kapitel 3.2). Das hat einen einleuchtenden Hintergrund: Sprachphilosophen sind an diesen Sätzen nicht inhaltlich interessiert. Sie wünschen lediglich an ihnen zu verdeutlichen, wie Bedeutung oder Referenz in Sprache generell funktioniert. Die Verwendung von komplexen Sätze oder Imperativen, von Fragen, Gebeten und Gedichten würde dieses Vorhaben nur erschweren oder verschleiern. Ein anderes Ziel verfolgen Philosophen, die die Sprachphilosophie, insbesondere Bedeutungsfragen, als geeignetes Mittel ansehen, andere philosophische Probleme in Angriff zu nehmen. Für sie ist der Inhalt der Aussagen und Begriffe, deren Bedeutung sie untersuchen, von zentraler Wichtigkeit. So ergründen beispielsweise Theoretiker, die sich der Philosophie des Geistes verschrieben haben, auf welche Entität sich das erste Personalpronomen „ich“ bezieht (siehe auch Kapitel 8). Richard Mervyn Hare (1919–2002), einer der meistdiskutierten Ethiker des 20. Jahrhunderts, fragt nach der sprachlichen Bedeutung moralischer Aussagen wie z. B. „Frauen sollen ihren Ehemännern in allen Dingen gehorchen“.

12.1 Richard M. Hares universeller Präskriptivismus Wir wollen Hare einige Schritte weit in seiner Theorie begleiten und angewandte Sprachphilosophie in der Ethik kennen lernen. Ziel dieses Unternehmens ist zu zeigen, wie aus sprachphilosophischen Überlegungen Ergebnisse für die Ethik gewonnen werden können. Dabei konzentrieren wir uns exemplarisch auf Hare, weil sich hier der Zusammenhang von Sprachphilosophie und Moralphilosophie besonders transparent zeigen lässt. Wir möchten jedoch darauf hinweisen, dass die Ethik im Allgemeinen schon zu Be-

12.1 Richard M. Hares universeller Präskriptivismus

ginn des 20. Jahrhunderts vom so genannten „linguistic turn“ erfasst wurde. George Edward Moore (1873–1958) zählt beispielsweise hier mit seinem Werk Principia Ethica (1903) zu den Vorreitern [12–7a]. Grundidee des linguistic turns ist, dass man zunächst die Sprache, mit der man über ein beliebiges philosophisches Problem spricht, analysieren sollte, bevor man sich dann wieder dem Problem selbst – sofern es sich durch diese Behandlung nicht aufgelöst hat – mit klareren Begriffen zuwendet. In diesem Zuge hat sich das Interesse bei vielen Philosophen von der normativen Ethik, die fragt, was wir tun oder unterlassen sollen, hin zur Meta-Ethik verschoben, die sich damit beschäftigt, was die Bedeutung moralischer Begriffe und Äußerungen ist, oder was die Natur moralischer Urteile ausmacht. Mit Hare wollen wir zu Beginn folgende Einteilung moralischer Theorien vornehmen [12–6a: 42]: Deskriptivisten gehen davon aus, dass die Bedeutung moralischer Aussagen ganz und gar von den Wahrheitsbedingungen dieser Aussagen abhängt. Nicht-Deskriptivisten glauben hingegen, dass das nicht so ist, dass also moralische Aussagen entweder überhaupt keine Wahrheitsbedingungen haben oder zumindest, dass sich die Bedeutung moralischer Aussagen nicht völlig in ihren Wahrheitsbedingungen erschöpft. Offenkundig geht Hare bei dieser Einteilung schon gleich sprachphilosophisch vor. Begriffe wie Bedeutung und Wahrheitsbedingungen verraten sofort seine Absichten. Wir müssen allerdings erwähnen, dass in der philosophischen Literatur eine andere, fast deckungsgleiche Einteilung üblicher ist, nämlich die in kognitivistische und non-kognitivistische Theorien. Diese Unterteilung weist aber nicht in allen ihren gängigen Formulierungen einen direkten Bezug zu sprachphilosophischen Konzepten auf. Daher haben wir uns entschlossen, uns an Hares nah verwandter eigener Einteilung zu orientieren. Kehren wir aber zurück zu unserer ursprünglichen semantischen Einteilung in Theorien, die der Bedeutung moralischer Aussagen ausschließlich deskriptive bzw. auch oder ausschließlich nicht-deskriptive Anteile zusprechen. Was kennzeichnet moralische Aussagen überhaupt, d. h. um welche Aussagen genau dreht es sich in dieser Einteilung? Ein Beispiel haben wir oben angeführt: „Frauen sollen ihren Ehemännern in allen Dingen gehorchen“. Dabei ist zu bemerken, dass eine Aussage in der Ethik auch dann als moralisch klassifiziert wird, wenn sie ganz offenkundig moralisch fragwürdig ist. Sätze wie „Die Band Velvet Underground wurde von Andy Warhol produziert“ hingegen sind nicht einmal von zweifelhaftem moralischen Wert, sie sind einfach nicht-moralischer Natur. Nach welchen Kriterien entscheiden wir nun aber, ob eine Aussage als moralisch zu klassifizieren ist? Die folgende syntaktische Richtlinie soll uns als vorläufiges Entscheidungskriterium dienen: Sollensätze (oder Sätze, die sich leicht in Sollensätze übersetzen lassen) sind moralische Aussagen; also alle Sätze, die die Worte „soll“, „soll nicht“, „sollte“, „sollte nicht“ enthalten. „Es ist geboten, dass Frauen ihren Männern gehorchen“ oder „Es ist obligatorisch, dass Frauen ihren Männern gehorchen“ sind Beispiele für Sätze, die in Sollensätze übersetzbar sind. (Hare wählt in seinen Schriften neben „soll“ auch „gut“ und „richtig“ als Beispiele für Vokabeln des moralischen Diskurses (vgl. [12–5: 79 ff.]). Wir beschränken uns auf „sollen“.)

Deskriptivisten und NichtDeskriptivisten

Kognitivisten und Non-Kognitivisten

Sollensätze

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12. Sprache und Moral

Emotivismus

Der universelle Präskriptivismus

Was sagen nun Deskriptivisten, respektive Nicht-Deskriptivisten über Sollensätze? Eine Deskriptivistin ist der Auffassung, dass sich die Bedeutung des Beispielsatzes in geeigneten Wahrheitsbedingungen erschöpft: „Frauen sollen ihren Ehemännern in allen Dingen gehorchen“ ist wahr genau dann, wenn die Unterwürfigkeit der Frau zur Stabilität der Gesellschaft beiträgt. Mit diesem (T)-Satz (siehe Kapitel 3.1) ist für die Deskriptivistin alles dargelegt, was zur Bedeutung des Sollensatzes zu sagen ist. Das moralische Sollen ist hier in gewisser Weise auf das rein deskriptive „trägt zur Stabilität der Gesellschaft bei“ zurückgeführt (wobei andere Deskriptivisten andere Wahrheitsbedingungen favorisieren; z. B. „maximiert das Glück aller Menschen“). Die Deskriptivistin würde freilich korrekterweise weiter argumentieren, dass Unterwürfigkeit nicht zur Stabilität beiträgt und der ursprüngliche Sollensatz somit falsch ist. Wir können an dieser Stelle eine augenfällige Konsequenz des Deskriptivismus festhalten: Weil die Anhänger dieser Lehre glauben, die Bedeutung moralischer Aussagen sei in ihren Wahrheitsbedingungen erfasst, sind sie natürlich auch davon überzeugt, dass jede moralische Aussage entweder wahr oder falsch ist. Das glauben nicht alle Philosophen. Der Emotivismus geht beispielsweise davon aus, dass moralische Urteile keine Überzeugungen ausdrücken, sondern dass sie Gefühlsbekundungen gleichkommen. Zu sagen, dass eine Handlung gut ist, kommt für den Emotivisten dem Ausruf „Hurra!“ gleich, und zu urteilen, dass sie schlecht ist, ist wie „Buuh!“ rufen. (Somit ist der Emotivismus eine besonders radikale Form des Nicht-Deskriptivismus.) Wir wenden uns damit den Nicht-Deskriptivisten zu. Nicht alle Anhänger dieser Auffassung verwehren moralischen Aussagen die Wahrheitsbedingungen komplett – insbesondere Hare nicht (wir kommen weiter unten darauf zurück). Hare ergänzt aber, dass es neben den Wahrheitsbedingungen ein weiteres noch wesentlicheres Element in ihrer Bedeutung gibt. Dieser zusätzliche Part, so behauptet Hare, ist präskriptiver Natur, eine Vorschrift also: Alle moralischen Aussagen implizieren eine Handlungsanweisung – in unserem Beispiel „Gehorche Deinem Ehemann!“, gerichtet an die Ehefrau. Akzeptieren wir also von nun an als Arbeitshypothese, dass die Bedeutung von moralischen Sollensätzen neben ihren Wahrheitsbedingungen auch ein präskriptives Element enthält. Leider erkennen wir schnell, dass sie dieses Merkmal nicht allein aufweisen, sondern es mit bloßen Imperativen teilen: Der Befehl „Hol mir ein Bier!“ impliziert trivialerweise eine Handlungsanweisung. Er impliziert sich nämlich selbst. Wenn wir moralische Aussagen und krude Befehle nicht in einen Topf werfen wollen, dann müssen wir ein zusätzliches Kriterium finden, das die moralischen Sollensaussagen von nackten Imperativen unterscheidet. Hare hält ein solches Kriterium bereit. Er behauptet, dass moralische Aussagen, nicht aber Befehle, universalisierbar sind. Was es damit auf sich hat, werden wir erst weiter unten besprechen. Hier möchten wir aber darauf hinweisen, dass wir den Titel, den Hare seiner Theorie gegeben hat, jetzt schon verstehen können: Der universelle Präskriptivismus behauptet, dass moralische Aussagen universalisierbare Handlungsanweisungen sind. Wir kehren zur Präskriptivität zurück und schauen uns genauer an, was Hare damit meint:

12.1 Richard M. Hares universeller Präskriptivismus

„Ein Sprechakt ist dann präskriptiv, wenn ihm zuzustimmen bedeutet, dass man sich darauf festlegt – andernfalls macht man sich der Unaufrichtigkeit schuldig –, die Handlung, die in ihm genannt ist, zu tun oder, wenn er die Handlung jemand anderem abverlangt, zu wollen, dass dieser sie tut.“ [12–6: 43]. Die Verknüpfung zwischen Sollensatz und Handlungsanweisung ist bei Hare so eng wie begrifflich möglich zu denken. Daher kann man nicht konsistent sagen „Du solltest X tun, aber mache es trotzdem nicht“. Das wäre nicht nur moralisch anfechtbar, sondern, so Hare, sogar begrifflich widersprüchlich. Wir können uns einzelne Begriffe hinsichtlich ihrer Präskriptivität noch genauer anschauen. Hare macht uns darauf aufmerksam, dass „soll“, „gut“ oder „schlecht“ primär präskriptive Bedeutung haben. Wir sprechen beispielsweise von einer guten Ausstellung, einem guten Buch, einer guten CD. Was diese drei Fälle eint, ist, dass wir die Ausstellung, das Buch und die CD empfehlen. Aber wir empfehlen diese drei Dinge aufgrund ganz verschiedener Eigenschaften. D. h. der deskriptive Bedeutungsgehalt von „gut“ muss minimal sein, während der präskriptiv empfehlende maximal und konstant ist. Andere Begriffe hingegen haben nur sekundär präskriptive Bedeutung. Hare bringt die Beispiele „ordentlich“ und „fleißig“. Beide werden zwar auch dazu benutzt, Empfehlungen auszusprechen („Sie verdient eine gute Note, denn sie ist eine sehr fleißige Schülerin“), aber sie haben einen höheren konstanten deskriptiven Anteil, der nicht von Anwendung zu Anwendung variiert. Selbst wenn wir „fleißig“ auf Bienen anwenden, meinen wir in etwa das gleiche, was wir auch meinen, wenn wir es auf Schüler anwenden: arbeitsam, rege, beharrlich, eifrig, emsig (vgl. [12–5: 118 ff.]). Was hat es nun aber mit der Universalisierbarkeit – dem zweiten zentralen Merkmal moralischer Aussagen, das Sollenaussagen von rohen Imperativen unterscheidet – auf sich? Hare schreibt: „In jeder ,sollte‘-Aussage [ist] ein Prinzip enthalten […], demzufolge die Aussage auf alle genau ähnlichen Situationen anwendbar ist.“ [12–6: 41] Falls Dagmar zu Alrik sagt: „Trage den Einkauf in die Wohnung!“, dann ist das ein schlichter Befehl und keine moralische Sollenaussage. Sagt Dagmar aber: „Du solltest den Einkauf in die Wohnung tragen“, dann muss sie gleichzeitig auch etwas wie das Folgende meinen: „Ich bin schwanger und jede schwangere Frau hat einen Anspruch auf Hilfe von jeder beliebigen Person P, wenn P zur Hilfeleistung fähig ist und keinen konfligierenden Pflichten nachkommen muss. Du, Alrik, bist zur Hilfeleistung fähig und hast zur Zeit nichts Besseres zu tun.“ Ganz allgemein ausgedrückt kann man moralisch gerechtfertigt nur dann sagen, Person P solle in Situation S Handlung H ausführen, wenn jede Person P*, die Person P ausreichend ähnelt und sich in einer entsprechenden Situation S* befindet, ebenfalls H bzw. eine fast gleiche Handlung H* ausführen sollte. Kurz gesagt, die in der Sollenaussage enthaltene Handlungsanweisung der konkreten Situation muss verallgemeinerbar sein. Sie muss zu einem generell akzeptablen Prinzip erhoben werden können. Diese Forderung ist natürlich dem Kantischen kategorischen Imperativ nicht unähnlich: „[H]andle nach der Maxime, die sich selbst zugleich zum allgemeinen Gesetze machen kann.“ [12–7: BA 82]. Hare behauptet aber, im

Das Spektrum der Präskriptivität

Universalisierbarkeit

Der kategorische Imperativ

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12. Sprache und Moral

Probleme der Verallgemeinerung

Gegensatz zu Kant, mit sprachphilosophischen Mitteln zu diesem Ergebnis zu gelangen. Laut Hare drängt uns die Sprachlogik moralischer Begriffe – insbesondere die Sprachlogik von „sollen“ – den kategorischen Imperativ auf. Ein amüsantes und zutreffendes Beispiel Hares verdeutlicht den Unterschied zwischen Imperativen und moralischen Sollensätzen und unterstreicht nochmals die Verallgemeinerbarkeit letzterer: Im Zug sagt ein Passagier zum anderen, er solle in diesem Abteil nicht rauchen. Es seien kleine Kinder anwesend. Der Raucher sieht sie und drückt verständnisvoll seine Zigarette aus. Das verallgemeinerte Prinzip, das hinter der Handlungsanweisung steckt, liegt auf der Hand. Wie unangebracht wäre es nun, wenn der Raucher zusätzlich sagen würde: „Gut, ich gehe ins nächste Abteil. Das ist genauso wie dieses hier; es sind auch Kinder dort. Ich werde dort rauchen.“ Hare kommentiert, dass jemand, der das sagte, dann nicht die Funktion des Wortes „sollte“ versteht (vgl. [12–5: 176 f.]). Ganz anders verhält es sich mit einem kruden Imperativ. Nehmen wir die Schildchen, die früher in Zugabteilen hingen und auf denen geschrieben stand: „Rauchen verboten“. Diese Tafeln wurden nach Zufallsprinzip von der Bahngesellschaft in vereinzelte Abteile gehängt, die den anderen Abteilen exakt glichen. Hier steckt kein verallgemeinerbares Prinzip dahinter, also drücken die Schildchen keinen moralischen Sollensatz aus (vgl. [12–5: 176 f.]). Wir müssen einen genauen Blick darauf werfen, wie wir das allgemeine Prinzip aus der konkreten Situation generieren. Dieses Unterfangen wirft manche Schwierigkeiten auf, und es gilt, einige Warnungen zu beherzigen. Es ist zum Beispiel nicht von vornherein klar, was an einer konkreten Situation essentiell ist, was also in die verallgemeinerte Version des Sollensatzes aufgenommen werden soll. In unserem Exempel stoßen wir auf das Problem, dass zwar Dagmar als Frau schwanger werden kann, dass dies aber nicht für jeden Menschen möglich ist. Ist also die Geschlechtszugehörigkeit für die Verallgemeinerung wichtig? Ist eine Situation, in der wir Alrik und Dagmar fiktiv die Rollen tauschen lassen, uns Alrik also als Frau vorstellen, der Ausgangssituation hinreichend ähnlich? Wir können diese Abstraktionsschwierigkeiten und die Probleme des Vergleichs von Situationen hier nicht lösen. Wir weisen aber darauf hin, dass diese Hürden tatsächlich von einigen Philosophen als unlösbare Schwachstelle von Hares Theorie angesehen werden. Freilich sind wir dazu angehalten, die konkreten Äußerungssituationen der Sollensätze für den Zweck der Abstraktion so objektiv und sachlich wie möglich zu beschreiben. Dabei ist jedoch ebenfalls Vorsicht geboten, denn wir dürfen die individuellen subjektiven Wünsche, Fähigkeiten, Motivationen, Vorlieben etc. der involvierten Personen nicht unter den Tisch kehren. Dagmar und Alrik könnten beispielsweise von der Norm abweichende sexuelle Vorlieben haben. Eine Verallgemeinerung konkreter Sollensätze (deren Inhalt wir in diesem Falle lieber der Phantasie unserer Leserinnen und Leser überlassen) wäre unter Umständen ganz und gar unangebracht, wenn wir die entsprechenden Vorlieben nicht mit in die Verallgemeinerung einbauten: „Jede Person P mit Vorlieben der Art A soll die Wünsche von Person P* mit Präferenzen der Art B erfüllen“. Kurz gesagt, die Wünsche und Präferenzen der in eine konkrete Situation involvierten Individuen zählen zu den wichtigen Merkmalen der Situation. Sie müssen in die Verallgemeinerung

12.1 Richard M. Hares universeller Präskriptivismus

mit übernommen werden. (Nebenbei merken wir an, dass Hares Theorie insofern dem Utilitarismus nahesteht, als sie anweist, die Erfüllung von Präferenzen der größten Zahl von Beteiligten zu gewährleisten.) Selbst wenn wir aus der konkreten Situation, in der der Sollensatz geäußert wurde, ein allgemeines Prinzip gewonnen haben, stellt sich ein praktisches, allzu menschliches Problem. Wann wir das Prinzip nämlich ablehnen oder ihm zustimmen, das hängt auch davon ab, ob wir uns bereitwillig in die Lage des jeweiligen Handelnden oder anderweitig Involvierten hineinversetzen. Um bei obigem Beispiel zu bleiben: Dagmar kann das verallgemeinerte Prinzip nur dann anrufen und ihm zustimmen, wenn sie insbesondere dazu bereit ist, einen fiktiven Rollentausch gleich zu bewerten. D. h. wäre Alrik schwanger (oder irgendeine andere weibliche Person) und wäre Dagmar zur Hilfeleistung fähig, dann sollte sie auch von sich selbst fordern, dass sie ihren Dienst anbietet. Laut Hare kommt es also darauf an, „was wir für alle ähnlichen Situationen vorzuschreiben bereit sind“ [12–6: 47]. Insbesondere müssen wir uns fragen, ob wir selbst dem Prinzip zu gehorchen bereit wären, wenn es in einer konkreten Situation an uns gerichtet wäre. Fassen wir Hares Theorie zusammen. Hare spricht der Bedeutung von Sollensätzen ein deskriptives Element nicht ab. Soeben haben wir die von Hare postulierte Universalisierbarkeit der implizierten Handlungsvorschriften kennen gelernt. Laut Hare hängt beides eng zusammen. Er schreibt: „Moralische Urteile besitzen [ihre Deskriptivität] aufgrund ihrer Universalisierbarkeit.“ [12–6: 44] Der deskriptive Anteil der Bedeutung einer Sollenaussage kann also mit dem universalisierten Prinzip identifiziert werden, das aus dem konkreten Sollensatz und der konkreten Situation, in der er geäußert wurde, gewonnen wird. Daher kann man moralische Aussagen durchaus als richtig oder angebracht, bzw. falsch oder unangebracht beurteilen. Stimmen wir dem allgemeinen Prinzip zu, dann ist die Sollenaussage angebracht, wenn nicht, unangebracht. Hare spricht hier selbst manchmal von „wahr“ oder „falsch“, was zeigt, dass seine Theorie, die er nicht-deskriptivistisch nennt, deskriptivistische Züge hat: „Präskriptivisten […] können bereitwillig zugeben, dass es ein Element in der Bedeutung des moralischen Urteils gibt (die deskriptive Bedeutung), das in der Tat von Wahrheitsbedingungen bestimmt wird.“ [12–6: 34] Der zweite, präskriptive Anteil der Bedeutung einer Sollenaussage, der Hare zu einem Nicht-Deskriptivisten macht, ist eine Anweisung, ein Imperativ, der unsere Handlungen leiten soll. Kurzum, man würde sich selbst widersprechen, wenn man sagte „Dies sollte man tun, aber tu es nicht.“ Hare fasst die Präskriptivität und Universalisierbarkeit wie folgt zusammen: Es ist begrifflich nicht möglich zu sagen, „[d]ies sollte man tun, aber es könnte eine Situation geben, die der vorliegenden in ihren nicht-moralischen Eigenschaften genau gleicht, in der aber die entsprechende Person, die der Person, die im vorliegenden Fall dies tun sollte, genau gleicht [insbesondere in ihren Präferenzen, Wünschen etc.], es nicht tun sollte.“ [12–6: 41]

Deskriptive und non-deskriptive Elemente des universellen Präskriptivismus

Präskriptivität und Universalisierbarkeit

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13. Weitere Diskussionsfelder der Sprachphilosophie

12.2 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen Zusammenfassung Für den Nicht-Deskriptivisten Richard M. Hare ist die Bedeutung einer moralischen Aussage nicht in ihren Wahrheitsbedingungen erschöpft. Insbesondere Sollenaussagen haben neben ihrem deskriptiven Aspekt ein weiteres Element präskriptiver Natur: Moralische Aussagen implizieren eine Handlungsanweisung. Diese Handlungsanweisung muss allerdings universalisierbar sein (darin unterscheidet sich die Sollenaussage von bloßen Befehlen), d. h. sie muss für ähnliche Situationen mit ähnlichen Personen ebenso gelten. Der deskriptive, objektive Anteil einer Sollenaussage kann über dieses implizierte verallgemeinerte Prinzip ermittelt werden. Daher auch die Bezeichnung „universeller Präskriptivismus“ für Hares Ethik. Wir haben sowohl auf Schwierigkeiten hingewiesen, die die Universalisierung mit sich bringen kann, als auch die Ähnlichkeit von Hares Kernthese zum Kantischen kategorischen Imperativ angedeutet: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie allgemeines Gesetz werde“.

Lektürehinweise – Die drei zentralen Bücher, in denen Hare seinen universellen Präskriptivismus entwickelt, sind [12–3], [12–4] und [12–5]. – Einen Überblick über die Moralphilosophie bietet die WBG-Einführung in die Ethik [12–8]. Besondere Beachtung verdienen für unseren Zusammenhang die Kapitel 3.2 (Sprachanalytische Vorüberlegungen) und III.3.c (Richard M. Hare). – Weiterführende Diskussionen von Hares Theorie zusammen mit Hares Antworten findet man in [12–1]. – Wer Hare mit Theorien ähnlicher Stoßrichtung vergleichen will, beginnt mit [12–2].

Fragen und Übungen 1. Betrachten Sie weitere Alltagsbeispiele der Art unseres Dagmar-Alrik-Szenarios. Identifizieren Sie die wesentlichen Aspekte dieser Beispiele, die verallgemeinerungsrelevant sind, und solche, die es nicht sind! 2. Was macht die unwesentlichen Aspekte unwesentlich? Gibt es tatsächlich in jedem Fall eine objektive Grenze zwischen essentiellen und nicht-essentiellen Aspekten? 3. Der wahrheitswertfähige Teil einer Sollenaussage ist eng verknüpft, wenn nicht sogar identifizierbar, mit der universellen Maxime, die laut Hare immer in ihr mitschwingt. Dies berücksichtigend formulieren Sie Wahrheitswertbedingungen für die Sollensätze Ihrer unter (1) gewählten Beispiele!

13. Weitere Diskussionsfelder der Sprachphilosophie Zum Abschluss der Einführung möchten wir mosaikartig einige wichtige Entwicklungen der Sprachphilosophie herausgreifen. Da wir uns im Teil 2 des Bandes auf singuläre Terme konzentriert haben, soll hier zumindest die Kerndiskussion zur Bedeutung von Prädikaten aufgegriffen werden. Dabei gehen wir davon aus, dass die Bedeutung von Prädikaten Begriffe sind und stellen entsprechend die philosophischen Grundpositionen zu Begriffen vor. Der zweite Mosaikstein ist ein neuer Grundansatz in der jün-

13.1 Begriffe als Bedeutungen von Prädikaten geren Sprachphilosophie, nämlich die Theorie von Robert Brandom. Er behauptet, dass die Bedeutung von Sätzen wesentlich durch die Inferenzbeziehungen zwischen Sätzen charakterisiert werden kann. Abschließend wird eine weitere Facette der Sprachphilosophie betrachtet: ihre Beziehung zur Linguistik. Es wird exemplarisch vorgeführt, in welchen Bereichen es gemeinsame Forschungsfragen und -methoden gibt, aber auch angedeutet, wo sich die Disziplinen voneinander unterscheiden.

13.1 Begriffe als Bedeutungen von Prädikaten Bezüglich der Bedeutung von Prädikaten erinnern wir kurz an den durch Carnap etablierten Standard. Prädikate haben eine Intension und eine Extension. Die Extension des Prädikats N „( ) ist ein Lebewesen mit Nieren“ ist die Menge aller Kreaturen mit Nieren. Die Intension dagegen ist die Eigenschaft, eine Kreatur mit Nieren zu sein, die wir formal als Funktion von möglichen Welten auf die Menge aller Lebewesen mit Nieren auffassen (siehe Kapitel 1.2). Wir benötigen diese Unterscheidung, wie man mit an Frege angelehnten Überlegungen zeigen kann: Das Prädikat H „( ) ist ein Lebewesen mit Herz“ trifft aufgrund biologischer Gesetzmäßigkeiten tatsächlich auf genau dieselben Kreaturen zu, die auch eine Niere haben, d. h. die beiden Prädikate N und H haben dieselbe Menge von Lebewesen als Extension. Um den Inhalt des Satzes (S1) „Peter ist ein Lebewesen mit Herz“ im Unterschied zu (S2) „Peter ist ein Lebewesen mit Nieren“ adäquat zu erfassen, müssen wir die Intension der Prädikate als Beitrag zum ausgedrückten Satzinhalt auffassen, nämlich die jeweils ausgedrückte Eigenschaft. Damit bekommt der Satz (S1) den intuitiv korrekten Inhalt, dass Peter die Eigenschaft zukommt, ein Lebewesen mit Herz zu sein. Wenn wir nun als allgemeine Hintergrundbedingungen voraussetzen, dass die Bedeutungen von Prädikaten Begriffe sind, so werden die Begriffe bei Carnap als Eigenschaften bestimmt. Dabei werden Eigenschaften bei ihm dadurch festgelegt, was sie in einer möglichen Welt für eine Extension haben. Diese Bestimmung erlaubt es nicht, mathematische Prädikate bezüglich ihrer Bedeutung hinreichend zu unterscheiden; z. B. sind „ein gleichseitiges Dreieck zu sein“ und „ein gleichwinkliges Dreieck zu sein“ zwei Bestimmungen, die stets auf genau dieselben Mengen von Objekten zutreffen. Carnaps Theorie muss den beiden Prädikaten dieselbe Intension und dieselbe Extension zuordnen. Wir möchten jedoch den Inhalt der Prädikate unterscheiden können. Diese und ähnliche Herausforderungen gehören zu der Grundfrage, was die Bedeutung von Prädikaten ist. Die klassische Antwort liefert die sogenannte Definitionstheorie der Begriffe: Die Bedeutung eines Prädikates wird durch eine Definition angegeben, die notwendige und hinreichende Bedingungen für die Anwendung der Begriffe liefert. Diese Grundidee hat folgende Hauptschwierigkeiten: Für die meisten Begriffe finden wir keine solchen Definitionen und unsere Alltagsbegriffe haben nicht die scharfen Grenzen, wie es Definitionen mit notwendigen und hinreichenden Bedingungen nach sich zögen. Wenn wir unsere Zuschreibungspraxis des Verfügens über Begriffe betrachten, so können wir über Begriffe selbst dann verfügen, wenn wir nur partielles Wissen oder partiell falsches Wissen mit einem Ausdruck verknüpfen. In solchen Fällen kennen wir eine vermeintlich wesentlich zum Begriff gehörige Defi-

Prädikate in Carnaps Bedeutungstheorie

Definitionstheorie der Begriffe

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13. Weitere Diskussionsfelder der Sprachphilosophie

Prototypentheorie der Begriffe

nition nicht. Schließlich beobachten wir Typikalitätseffekte, d. h. manche Objekte sind typische Beispiele für Sachen, die unter einen Begriff fallen, andere sind weniger typisch, selbst dann, wenn sie beide eindeutig unter den Begriff subsumiert werden. Gerade die zuletzt genannte Beobachtung hat zur Entwicklung der Prototypentheorie der Begriffe [13–24] geführt. Die Kernthese lautet, dass Begriffe als Bedeutungen von Prädikaten wesentlich durch Prototypen charakterisiert werden können. Prototypen sind typische Einzelbeispiele oder Muster, z. B. gehört zum Prototypen eines Tisches, dass er vier Beine hat und darauf eine viereckige Platte befestigt ist. Damit werden jedoch, ganz im Geiste des späten Wittgenstein, keine definitorischen, sondern nur charakteristische Merkmale angegeben. So gibt es Nierentische, Tische mit zwei Ebenen wie auch Tische mit drei Stempeln usw. Die Prototypentheorie hat jedoch ebenfalls zentrale Probleme, von denen wir nur zwei herausgreifen: (a) In vielen Fällen gibt es keine Prototypen, z. B. haben wir keine Prototypen für den komplexen Begriff Großmutter eines Bankangestellten mit vier schwarzhaarigen Kindern zu sein. So geht es uns mit fast allen komplexen Begriffen. Das ist um so schlimmer, weil der zweite Kritikpunkt aufzeigt, dass (b) die Prototypentheorie gerade nicht die Bedeutung komplexer Prädikate auf die einfacher Prädikate zurückführen kann. Fodor [13–13] hat dies das Problem der Kompositionalität genannt: Begriffe sind kompositional. Prototypen sind nicht kompositional. Also können Begriffe nicht Prototypen sein.

Begrifflicher Atomismus

Die These, dass die Kompositionalität gemäß der Prototypentheorie nicht erfüllt ist, erläutert Fodor mit folgendem Beispiel: Im Englischen gibt es den Ausdruck „pet fish“, was soviel wie Haustier-Fisch heißt. Ein typisches Haustier ist ein Hund, ein typischer Fisch ist eine Forelle. Aber aus den Prototypen für die einfachen Begriffe wird überhaupt nicht verständlich, warum der zusammengesetzte Begriff „Haustier-Fisch“ als Prototypen einen Goldfisch hat. Da Fodor diese Probleme als unüberwindbar eingeschätzt hat, hat er die Theorie des begrifflichen Atomismus entwickelt. Dazu gehört die Kernthese, das das Verfügen über einen Begriff nicht davon abhängt, dass ich über andere Begriffe verfüge. Diese radikale Unabhängigkeit des Verfügens über Begriffe voneinander kann man auch so ausdrücken, dass (lexikalisch einfache) Begriffe gemäß Fodor keinerlei Struktur haben. Lexikalische Begriffe bzw. Lexeme (Begriffe, die mit syntaktisch einfachen Ausdrücken ausgedrückt werden) sind (semantisch) primitiv, d. h. sie haben keine Struktur, sie sind semantisch nicht analysierbar bzw. zerlegbar. Die Extension eines Begriffs wird gemäß Fodor wesentlich dadurch festgelegt, welche Objekte das Äußern des Prädikats verursachen, welches den Begriff zum Ausdruck bringt: Ein lexikalischer Begriff, wie z. B. der Begriff Kuh, hat als Extension die Menge der Kühe, wenn seine Vorkommnisse von Kühen verursacht wurden. Diese Festlegung ist jedoch nicht hinreichend, weil sie, wie Fodor selbst hervorgehoben hat, das so genannte Disjunktionsproblem mit sich bringt: Es ist durchaus möglich, dass Äußerungen des Prädikates ,Kuh‘ bei schlechten Sichtbedingungen durch die Wahrnehmung eines Pferdes hervorgerufen werden. Dann gehört das Pferd zu der Extension des Begriffs und der mit dem Prädikat ,Kuh‘ ausgedrückte Begriff scheint vielmehr der Begriff

13.2 Ein neuer Grundansatz: Der Inferentialismus Robert Brandoms

Kuh oder Pferd zu sein. Um zu verhindern, dass dieser unerwünschte Fall auftritt, fügt Fodor noch eine zweite Bedingung hinzu, die im wesentlichen besagt, dass solche abweichenden Fälle, in denen ein Pferd die Äußerung ,Kuh‘ verursacht, nur dann verständlich werden, wenn man den Fall, in dem eine Äußerung von ,Kuh‘ durch eine Kuh verursacht wird, als primären Fall voraussetzt. Trotz dieser Anpassung hat Fodors Theorie jedoch mindestens zwei ernsthafte Probleme: (i) Das Problem koextensionaler Begriffe: Wenn Begriffe wesentlich durch ihre Extension charakterisiert werden, und die Extension durch eine kausale Relation festgelegt wird, so ist es zunächst unklar, wie koextensionale Begriffe (d. h. Begriffe mit gleicher Extension wie ein Lebewesen mit Herz und ein Lebewesen mit Nieren) unterschieden werden können. Ein Beispiel mit nicht zusammengesetzten Begriffen wären die Begriffe „gleichseitig“ und „gleichwinklig“ für Dreiecke. (ii) Das Problem analytischer Intuitionen: Auch wenn es keine absolute Grenze zwischen analytischen und nicht-analytischen Sätzen einer Sprache gibt, so haben wir gewöhnlich verlässliche und relativ einheitliche Intuitionen, die wir mit einfachen Begriffen verbinden; z. B. gehört es analytisch zum Begriff Junggeselle, dass die Objekte, die darunter fallen, männlich und unverheiratet sind. Fodor leugnet zwar solche Intuitionen nicht, aber er behauptet, dass die Kenntnis solcher definitorischer Zusammenhänge für das Verfügen über den Begriff irrelevant ist. Damit hat er jedoch keine Erklärung dafür, warum solche analytischen Intuitionen in Verbindung mit einfachen Begriffen überhaupt auftreten. Die drei Theorieansätze – die Definitionstheorie, die Prototypentheorie und der begriffliche Atomismus – sind nur die Haupttheorien in der modernen Begriffstheorie. Darüber hinaus finden sich weitere Entwicklungen, die in einer beispielhaften Übersichtlichkeit in der Einleitung des Bandes von Margolis und Laurence [13–20] zusammengestellt sind. Die neuesten Begriffstheorien sind vor allem mit Blick auf die Entwicklung der Kognitionswissenschaft entstanden (vgl. [13–22], [13–23]).

13.2 Ein neuer Grundansatz in der Sprachphilosophie: Der Inferentialismus Robert Brandoms Im Jahr 2006 hielt Robert Brandom die Vorlesungen „Between Saying and Doing: Towards an Analytic Pragmatism“ [13–5], in denen er seine wegweisenden Beiträge zur jüngsten analytischen Sprachphilosophie weiterführte. Mit seiner Bedeutungstheorie setzen wir die Reihe der großen Entwürfe (Teil 1) fort. Die Stichworte, mit denen der Name „Brandom“ verknüpft ist, heißen: Inferenz, Gebrauch, Pragmatismus, Normativität. Wir werden sehen, wie Brandom mithilfe dieser Begriffe semantische Mainstream-Theorien geradezu auf den Kopf stellt. Betrachten wir gleich eines von seinen Beispielen. Wir halten den Folgerungsschritt von „Pittsburgh liegt westlich von Princeton“ zu „Princeton liegt östlich von Pittsburgh“ für korrekt (vgl. [13–4: 52]). Das liegt, so würden althergebrachte semantische Theorien behaupten, zum Teil an der Bedeutung der Worte „westlich“ und „östlich“. Brandom kehrt

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13. Weitere Diskussionsfelder der Sprachphilosophie

Inferentialismus

dieses Verhältnis in einer kopernikanischen Wende um: Die Worte „westlich“ und „östlich“ erhalten ihre Bedeutung, gerade weil sie in solcherlei Folgerungsbeziehungen vorkommen. Das ganze Netz von Satzäußerungen, in denen „westlich“ und „östlich“ vorkommen, die vorgebrachten Gründe, Gegengründe und auch mit diesen Äußerungen verknüpfte Handlungen (z. B. nach Westen zu fahren, um von Princeton nach Pittsburgh zu kommen), konstituieren den begrifflichen Gehalt dieser Worte. Brandom charakterisiert seine Theorie als Inferentialismus oder inferentielle Semantik. Der Inferentialismus sieht Folgerungsbeziehungen und nicht Wahrheit oder Referenz (wie z. B. bei Davidson; siehe unser Kapitel 3.2) als fundamentale bedeutungskonstituierende Einheiten an. Damit sind nicht nur die tatsächlich gemachten Folgerungen einer Äußerung gemeint, sondern auch alle prinzipiell möglichen, sofern sie korrekt sind: „Der Gehalt, zu dem man verpflichtet ist, wenn man einen Begriff gebraucht, kann durch diejenigen Schlüsse, die man implizit durch seinen Gebrauch unterstützt, repräsentiert werden.“ ([13–4: 62], unsere Übersetzung).

Rationalistischer Pragmatismus

Welche Folgerungen aus welchen Äußerungen korrekt sind, oder welche Begründungen für welche Artikulationen akzeptabel sind, das wird, so Brandom, pragmatisch über die durch implizite Regeln geleitete soziale Praxis festgelegt. Sätze äußern ist für Brandom, wie Spielzüge in einem regelgeleiteten Sprachspiel machen („making […] moves in the language game“ [13–4: 17]). Solcherlei Anmerkungen erinnern natürlich stark an Wittgenstein, der den Begriff des Sprachspiels geprägt hat und als erster vehement [2–27: § 43] auf die enge Beziehung von Bedeutung und Gebrauch hingewiesen hat (siehe Kapitel 2.1). Viele Verehrer Brandoms unterstreichen daher auch dessen Verdienst, als erster das Wittgensteinsche Motto detailliert zu einer expliziten Theorie ausgearbeitet zu haben, die nicht bei vagen Andeutungen stehen bleibt, sondern ein konkretes Programm entwirft, wie genau die Gebrauchsthese zu verstehen ist. Brücken können auch von Brandom zur Philosophie Wilfrid Sellars geschlagen werden, den Brandom als eine seiner wichtigsten Quellen nennt, und der ebenfalls im Zusammenhang mit sprachlicher Bedeutung vom „game of giving and asking for reasons“ spricht ([13–26], [13–27], [13–8]). Kurzum, gemäß Brandoms Inferentialismus ist die Bedeutung sprachlicher Äußerungen die Rolle, die diese Äußerungen im Leben des Sprechers und der Sprachgemeinschaft, in deren Wahrnehmungen, Kommunikation, sozialer Interaktion, deren Begründungen und Plänen spielen. Brandom bezeichnet seine Theorie auch oft als rationalistischen Pragmatismus: Pragmatismus, weil die Lebenswelt und soziale Interaktion eine so große Rolle spielen; rationalistisch wegen des Netzes von rationalen Begründungen. Außerdem ist der Begriff Bedeutungsholismus im Zusammenhang mit Brandom nicht unangebracht: Da die Bedeutung von Begriffen und Äußerungen aus ihren inferentiellen Rollen zu anderen Begriffen und Äußerungen erwächst, sind Bedeutungen nicht atomistisch sondern essentiell holistisch zu sehen (vgl. [13–4: 15 ff., 29]). Weshalb aber schließt sich Brandom nicht den gängigen semantischen Theorien an, die den Bedeutungsbegriff durch den Referenz- und Wahrheits-

13.2 Ein neuer Grundansatz: Der Inferentialismus Robert Brandoms

begriff expliziert sehen? In „Making It Explicit“ [13–6] argumentiert er, dass die Zurückführung von Bedeutung auf Wahrheit nur mit einem sehr starken Wahrheitsbegriff gelingen kann, den aber akzeptierte Wahrheitstheorien (Brandom denkt hier an deflationäre Theorien im Sinne Tarskis; siehe unser Kapitel 3.1) nicht liefern. Mit anderen Worten, der Begriff von Wahrheit, wie er derzeit in der Philosophie kursiert, ist laut Brandom ungenügend, um Theorien der Bedeutung fundieren zu können. Außerdem könnte Brandom kritisch darauf hinweisen, dass ja keineswegs eine voll ausgearbeitete und funktionierende Bedeutungstheorie im Sinne von Referenz und Wahrheit vorliegt; vielleicht würde er sogar soweit gehen zu sagen, dass das auch nie gelingen kann. Wir haben hervorgehoben, dass es einer von Brandoms Verdiensten ist, die Inferenzverhältnisse, pragmatischen Rollen und Normen, die die traditionellen Gebrauchstheorien der Bedeutung nur andeuten, explizit dargelegt zu haben. Tatsächlich spielt der Titel von Brandoms Hauptwerk – im Englischen „Making it Explicit“ – sogar darauf an: Brandom expliziert dort die Normen, Praktiken, Regeln und Verpflichtungen unserer Sprachspiele. Wir erinnern an die Äußerung „Pittsburgh liegt westlich von Princeton“, die zu „Princeton liegt östlich von Pittsburgh“ berechtigt, und fügen noch ein weiteres Beispiel hinzu: „Es hat gerade geblitzt“ berechtigt zu „Gleich wird es donnern“ (vgl. [13–4: 52]). Bedeutungserhellende Folgerungsbeziehungen zwischen Sätzen teilt Brandom in drei (bzw. vier) Arten ein: – solche, die zu weiteren Überzeugungen verpflichten („committive inferences“), – solche, die weitere Überzeugungen erlauben („permissive inferences“), – solche, die Überzeugungen ausschließen („incompatibility entailments“) (vgl. [13–4: 43 ff., 194 ff.]). Die Pittsburgh-Princeton-Sätze sind ein Beispiel für (i). Dass Princeton existiert, wäre eine weitere solche Folgerungsverpflichtung. Erlaubt, (ii), ist z. B. der Schluss vom Blitzen auf das Donnern, und ausgeschlossen, (iii), wäre eine Konklusion vom Blitzen auf „Es ist strahlend blauer Himmel“. Dazu wollen wir noch dreierlei anmerken: Erstens sind verpflichtende Folgerungen trivialerweise auch erlaubte Folgerungen. Zweitens sind logisch deduktive Schlüsse zentrale Beispiele für verpflichtende Folgerungen (i) und induktive Schlüsse für erlaubte Folgerungen (ii). Brandom gibt jedoch zu bedenken, dass deduktive und induktive Schlüsse zentrale, aber nicht die einzigen Beispiele für (i) und (ii) sind. Tatsächlich führt Brandom sogar andersherum diese beiden Arten von Schlüssen auf die erwähnten drei zurück. Diese drei Arten von Schlüssen zusammen nennt Brandom „material korrekte Schlüsse“ („material inferences“; vgl. [13–4: 52 ff.]). Drittens kann, was ein Folgerungsverhältnis in die eine Richtung ist, ein Begründungsverhältnis in die andere Richtung sein: Wird beispielsweise angezweifelt, dass das Krachen ein Donnern war („Bist Du sicher, dass es gedonnert hat?“), dann ist „Es hat kurz vorher geblitzt“ ein akzeptabler Grund für diese Überzeugung. Diese Wechselseitigkeit unterstreicht die enge Vernetzung unserer Sprachspiele.

Bedeutungserhellende Folgerungsbeziehungen

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13. Weitere Diskussionsfelder der Sprachphilosophie Weltbezug von Regeln

Probleme des Inferentialismus

Den drei Regeln (i–iii) fehlt noch ein zentrales Element (iv), denn sie bleiben bislang völlig sprachintern. Bliebe Brandom bei diesen drei Normen, dann krankte sein System an demselben Defizit, das beispielsweise radikale Kohärenztheorien der Wahrheit haben: Es mangelt an Kontakt zur Welt. Alle Sätze und ihr gesamtes Inferenznetz könnten sich prinzipiell als ein bloßes Spiel entpuppen, das nichts (oder nur wenig) mit Dingen, Ereignissen oder Sachverhalten in der Welt zu tun hat. Was zusätzlich nötig ist, das sind Spracheintritts- und Austrittsregeln. Beide liefert Brandom als in einem weiten Sinn inferentielle Rollen nach. So werden, erstens, Handlungen als adäquate praktische Folgerungen gekennzeichnet. Ein Ausruf wie „Der Topf kocht über!“ drängt zur Handlung, ihn von der Platte zu nehmen. Hier haben wir es mit einer Sprachaustrittsregel zu tun. Wesentliche Spracheintrittsregeln, zweitens, involvieren natürlich Wahrnehmungen sowohl der Umwelt als auch der eigenen Körperzustände [13–4: 28]. Sprachliche Äußerungen sind also im Netz der erlaubten, verpflichtenden und ausschließenden Inferenzen auch, (iv), mit Wahrnehmungsberichten und Reaktionshandlungen verknüpft; sie weisen dadurch aus der Sprache hinaus in die Welt [13–6]. Ein Zweifel an der Inferenztheorie muss nach Möglichkeit noch ausgeräumt werden. Menschen machen Fehler beim Folgern von einer Aussage auf eine andere. Zudem sind Menschen unterschiedlich gut informiert oder unterschiedlich clever und können daher verschieden viele und verschieden starke Schlüsse aus derselben Information ziehen. (Brandom erkennt diesen Sachverhalt sehr wohl an; vgl. [13–4: 64], [13–5: 11].) Hat das aber nicht zur Folge, dass unterschiedliche Sprecher (und sogar dieselben Sprecher zu verschiedenen Zeiten) Sätzen verschiedene (wenngleich ähnliche) Bedeutungen zuweisen? Die Lösung dieses Problems ist ein gewisser Externalismus: Satzbedeutung hängt nicht vom jeweiligen Sprecher allein ab, vielmehr ist sie ein Produkt sozialer Interaktion. Die Regeln und Normen der gesamten Sprechergemeinschaft entscheiden darüber, zu welchen Schlussfolgerungen welche Sätze berechtigen, und nicht die Kompetenz des Einzelnen [13–6]. Ein Puzzle gilt es dennoch zu lösen: Es gibt Fehlschlüsse, vor allem bekannt im Zusammenhang mit Wahrscheinlichkeiten und Wettspielen, auf die sehr viele Menschen hereinfallen. Wohlbekannt sind auch optische Illusionen, die zu Irrtümern verleiten. Wie kann Brandom der Gefahr entkommen, dass diese kollektiven Fehler bedeutungskonstitutiv werden? Diese Frage überlassen wir allerdings unseren Lesern. Brandoms semantischer Inferentialismus identifiziert die Bedeutung eines Satzes mit all denjenigen Inferenzen zu weiteren Sätzen, zu denen er verpflichtet, die er nahelegt oder die er ausschließt. Entsprechende Verknüpfungen zu Wahrnehmungen und Handlungen sind ebenfalls bedeutungskonstitutiv. Welche derartigen Züge in welchen Sprachspielen erlaubt sind, das entscheiden soziale Praxis und Normen. Trotz dieser komplexen Ausarbeitung des Inferentialismus muss Brandom allerdings auf viele scharfe Kritiken antworten. Wir werden uns mit zwei Schwierigkeiten des Inferentialismus auseinandersetzen müssen: (A) Wie kann Brandom das Kompositionalitätsprinzip der Bedeutung erklären? (B) Und wie kann er die Begriffe der Referenz und der Wahrheit erklären, die er ja nicht als notwendig für den Bedeutungsbegriff voraussetzt, die aber dennoch in unserer Sprache vorkommen, wenn nicht sogar eine zentrale Rolle spielen?

13.2 Ein neuer Grundansatz: Der Inferentialismus Robert Brandoms

(A) Das Kompositionalitätsprinzip fordert von jeder Theorie der sprachlichen Bedeutung, dass sie erklären kann, wie die Bedeutung eines komplexen sprachlichen Ausdrucks aus der Bedeutung seiner Komponenten erwächst (siehe Kapitel 1.2 und 3.2). Dass sie es tut, ist unumstritten, denn nur so ist begreifbar, wie sprachkompetente Menschen fähig sind, unendlich viele Sätze aus endlich vielen Worten zu komponieren oder diese zu verstehen. (Brandom stimmt zu: [13–4: 126].) Bedeutungstheorien, die auf den Begriffen der Referenz und der Wahrheit aufbauen, müssen zwar etwaige technische Schwierigkeiten überwinden, um Kompositionalität zu erklären, aber die prinzipielle Idee der Komposition ist diesen Theorien eher in die Wiege gelegt. Der Inferentialismus hingegen trägt essentiell eine Verpflichtung zur konzeptuellen Vorrangigkeit ganzer Sätze mit sich, weil Inferenzen ja in der Regel von einem Satz auf einen anderen geschlossen werden (vgl. [13–4: 29]) . Einige Philosophen halten es sogar für schlicht unmöglich, dass der Inferentialismus das Kompositionalitätsprinzip erfüllen kann. Brandom muss nämlich klar machen, wie die inferentielle Rolle eines Gesamtsatzes aus den inferentiellen Rollen seiner Bestandteile erwächst. Dazu ist es aber zunächst einmal notwendig, überhaupt Teile des Satzes zu identifizieren. Um beispielsweise singuläre Terme von Prädikaten zu unterscheiden, kann Brandom ja nicht darauf verweisen, dass Subjektterme auf Dinge referieren, Prädikate aber auf Eigenschaften. Referenz steht ihm nicht als Analysemittel zur Verfügung. Brandom hat aber tatsächlich eine raffinierte Idee. Als ersten Schritt schlägt er vor, Äquivalenzklassen von syntaktisch gleichartigen Termen auf folgende Weise zu bilden: Zwei Terme gehören zur selben grammatischen Kategorie genau dann, wenn kein wohlgeformter Satz, in dem einer der Terme vorkommt, in etwas umgeformt wird, das kein wohlgeformter Satz ist, wenn man den Term durch den anderen ersetzt. Die Isolation einzelner grammatischer Einheiten identifiziert aber noch nicht die ihnen spezifischen Rollen als Subjekte, Prädikate etc. Dieser weitere Schritt gelingt Brandom mittels inferentieller Rollen. Die Substitution von Subjekttermen ist nämlich in ein anders geartetes Inferenznetz eingebunden als die Substitution von Prädikaten. Für einen Subjektterm gilt: Folgerungen sind symmetrisch und reversibel, d. h. in beiden Substitutionsrichtungen materiell korrekt. Wenn der Schritt von „Benjamin Franklin geht spazieren“ zu „Der Erfinder der Bifokal-Brille geht spazieren“ in der Sprechergemeinschaft anerkannt ist, dann auch der umgekehrte Schritt von „Der Erfinder der Brille geht spazieren“ zu „Benjamin Franklin geht spazieren“. Das gilt nicht für Prädikate. Die Folgerung von „Benjamin Franklin geht spazieren“ zu „Benjamin Franklin bewegt sich fort“ wird anerkannt, die Umkehrung jedoch nicht (immer): Wer von „Benjamin Franklin bewegt sich fort“ auf „Benjamin Franklin geht spazieren“ folgert, vergisst, dass Franklin auch Rad fahren könnte (vgl. [13–4: 134 ff.]; dort weist Brandom darauf hin, dass schon Strawson diese Idee der Unterscheidung hatte; vgl. [13–2: 134]). Diese Erläuterungen erhellen tatsächlich die unterschiedlichen inferentiellen Rollen, die zwei wichtige Beispielkomponenten – Subjekte und Prädikate – inne haben. Dadurch, dass er nun verschiedene Satzbausteine identifizieren kann, ist Brandom der Einhaltung des Kompositionalitätsprinzips also ziemlich nahe. Inwieweit nun aber die identifizierten verschiedenen Inferenzrollen der verschiedenen Satzbausteine die Rollen des Gesamtsatzes

Kompositionalität

Unterschiedliche inferentielle Rollen von Prädikaten und Subjekten

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13. Weitere Diskussionsfelder der Sprachphilosophie

Die Rolle von Referenz und Wahrheit

konstituieren, das wird kontrovers diskutiert, und wir lassen die Frage hier offen (vgl. [13–12]). Erwähnenswert ist darüber hinaus, dass Brandom – ebenso wie Strawson (siehe dazu unser Kapitel 11.3) – aus der so gewonnenen Subjekt-PrädikatStruktur von Sätzen ein transzendentales Argument für die Objekt-Eigenschafts-Struktur der Welt liefert (vgl. in [13–4] das schwierige Kapitel 4, speziell: 141–156). (B) Wir kommen zur zweiten der oben erwähnten Lücken in der Theorie des Inferentialismus. Selbst wenn es Brandom gelingen sollte, eine semantische Theorie der sprachlichen Bedeutung zu formulieren, die nicht auf die Begriffe der Wahrheit und der Referenz angewiesen ist, dann muss er doch erklären, wie diese beiden Begriffe in unserer Sprache funktionieren, denn sie nehmen eine zentrale Stellung ein. Wir können Brandoms Ideen hier nur andeutungsweise darstellen. Wir erinnern daran, dass Brandom bestrebt ist, über die Austauschbarkeit verschiedener Terme (bei Erhaltung der Wohlgeformtheit der Sätze, in denen ausgetauscht wird) Äquivalenzklassen zu bilden, die für Subjekte, Prädikate etc. stehen. Mit einem ähnlichen Trick gelingt es ihm auch, darüber hinaus Äquivalenzklassen für ko-referentielle Subjektterme zu bilden: Ko-referentiell sind diejenigen Subjektterme, die in Sätzen ausgetauscht werden können, ohne dass die Position der Sätze im Netz der Folgerungsbeziehungen geändert würde. Statt bloßem Erhalt der Wohlgeformtheit, wird hier also zusätzlich der Erhalt der inferentiellen Verpflichtungen, Erlaubnisse und Ausschlüsse gefordert (vgl. [13–4: 123 ff.]). Wenn wir berücksichtigen, dass in diesem Netz auch Spracheintritts- und Austrittsregeln eingefangen werden, dann haben wir eine Ahnung davon, wie Bezugnahme oder Referenz unter Zugrundelegung des Inferentialismus gewonnen werden kann. Wie steht es um die Wahrheit? Spätestens hier werden Traditionalisten skeptisch sein, enthält doch die gewohnte Charakterisierung der (logischen) Folgerung (Inferenz) die Forderung, dass sie ein Schema instantiiert, das immer von wahren Prämissen zu wahren Konklusionen führt. Wie kann Brandom diese Definition so umbiegen, dass sie statt des Folgerungsbegriffs den Wahrheitsbegriff charakterisiert? Und wie ist dann der Folgerungsbegriff selbst definiert? Oder fungiert er als unanalysierbarer Grundbegriff? Brandom lässt uns nicht völlig im Dunkeln. Wie alle anderen Sätze auch, so nehmen Aussagen, die mit den Worten „Es ist wahr, dass …“ beginnen, den ihnen eigenen Platz in unserem folgerungsvernetzten Sprachspiel ein. Um den Wahrheitsbegriff zu erhellen, kann Brandom die Stellung dieser Sätze im Netz genauer betrachten und explizieren, welche Regeln und Normen hier welche Schlüsse erlauben. Auf diese Art erhofft er, darlegen zu können, was es mit dem Wahrheitsbegriff auf sich hat. Auf die genauen Details wollen wir nicht weiter eingehen.

13.3 Die Beziehungen von Sprachphilosophie und Linguistik Die Sprachphilosophie hat einen zentralen Zweig in der Philosophie der idealen Sprache, der sich im Bereich der Sprachwissenschaft relativ bald in Form der formalen Linguistik verselbständigt hat. Die Linguistik befasst sich

13.3 Die Beziehungen von Sprachphilosophie und Linguistik

heute ebenfalls mit den Dimensionen von Syntax, Semantik und Pragmatik. Hier kann nur beispielhaft ihre Vorgehensweise im Überschneidungsbereich mit der Philosophie angerissen werden. Die Linguistik geht erstens in der Syntax viel kleinteiliger vor: Worte werden beispielsweise in Morpheme und Wortstämme analysiert. Zweitens untersucht sie systematisch solche Phänomene, die lange als randständig bewertet und in der Sprachphilosophie immer noch vernachlässigt werden, z. B. die Rolle von Satzbetonungen sowie von Mimik und Gestik für die Kommunikation. Es gibt jedoch einen starken Bereich, in dem es seit langem überschneidende Interessen gibt. Denn es ist ein Kernziel der Linguistik die syntaktisch erlaubten Strukturen einer natürlichen Sprache durch einen Algorithmus einzufangen. Dazu werden insbesondere in der Computerlinguistik Programme entwickelt, die sich auf eine Grundidee stützen, die als Phrasenstrukturgrammatik bekannt geworden ist. Diese Grundidee ist wiederum nahe an der Auffassung von Syntax, die in der Sprachphilosophie im Fokus steht: In der Phrasenstrukturgrammatik werden Nominalphrasen (NP) und Verbalphrasen (VP) unterschieden. Diese beiden Phrasen können wiederum in bestimmte Arten von Ausdrücken zerlegt werden. So ergibt sich für den Satz „Der Junge wirft den bunten Ball“ die folgende syntaktische Struktur:

Phrasenstrukturgrammatik

[Art: Artikel, N: Nomen, V: Verb, Adj: Adjektiv]

Der syntaktische Aufbau von Sätzen wird komplexer, wenn „logische“ Zeichen hinzukommen. Dazu gehören die Mengenbestimmungen (Quantoren), wie z. B. „einige“, „alle“, „die meisten“, „viele“. Ein weiteres gemeinsames Diskussionsfeld von Sprachphilosophie und moderner Linguistik ist gerade die Semantik der Quantoren. Aus der Sprachphilosophie kennen wir bereits als Grundbegriffe den Existenzquantor „E x“, der für „Es gibt (mindesA tens ein) x“ steht und den Allquantor „ x“, der für „Für alle x“ steht. Diese Quantoren werden syntaktisch mit Prädikaten verbunden. Damit können wir Sätze erfassen wie „Alle Menschen sind sterblich“, „Alle Griechen sind Menschen“. Die gesamte Aristotelische Syllogistik baut auf Sätzen auf, die die allgemeine Form „Alle/Kein F ist ein/ist kein G“ haben. In diesem Rahmen werden Schlüsse der folgenden Form systematisch eingeordnet:

Semantik von Quantoren

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13. Weitere Diskussionsfelder der Sprachphilosophie

Prämisse 1: Alle Menschen sind sterblich. Prämisse 2: Alle Griechen sind Menschen. Schlussfolgerung: Alle Griechen sind sterblich. Erst in der modernen Prädikatenlogik, die von der Linguistik übernommen wurde, können mehrfache Quantoren berücksichtigt werden. Dies ist erforderlich, um die nachfolgenden Beispielsätze richtig zu formalisieren, was im Rahmen der Aristotelischen Logik nicht möglich ist. Die folgenden Interpretationen gehen davon aus, dass die Quantoren sich auf den Bereich aller Menschen beziehen und das Prädikat „( ) liebt ( )“ durch den Buchstaben „L“ abgekürzt wird: A A Jeder liebt jeden: x y L (x, y) Bei gemischten Quantoren kommt es sehr auf die Reihenfolge an: A Jemand liebt jeden: E x y L (x, y) A Jeder liebt irgend jemanden: x E y L (x,y) [Das kann für jeden eine andere Person sein] A Jemand wird von allen geliebt: E y x L (x, y) [Es gibt (mindestens) einen bestimmten Menschen, für den gilt, dass alle ihn lieben] Jemand liebt jemanden: E x E y L (x, y) [Es gibt (mindestens) einen Menschen, der (mindestens) irgendeinen Menschen liebt] Die formale Syntax sowie die Semantik von Quantoren stehen exemplarisch für eine Vielzahl von Überschneidungsgebieten, bei denen die Sprachphilosophie von den formal entwickelten Ansätzen in der Linguistik sehr profitieren kann. Es bleiben selbstverständlich noch eine Menge offener Fragen, von denen wir einige aktuelle nennen möchten, z. B. in welchem Maße ist die zwischenmenschliche Kommunikation wesentlich auch eine verkörperte Kommunikation, die in Gestik und Mimik verankert ist; welche Möglichkeiten gibt es für künstliche Systeme (Roboter, Computer), in echte Kommunikation mit Menschen zu treten (siehe beispielsweise das System MAX in Bielefeld [13–16])? Was können wir über Sprachverstehen durch offensichtliche Sprachstörungen lernen, die in der kognitiven Psychologie erforscht werden? Uns ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass Sprachphilosophie, Linguistik und kognitive Psychologie das Rüstzeug bereitstellen, die systematische Theoriebildung zum Beschreiben von Äußerungsbedeutungen und sprachlicher Kommunikation noch wesentlich weiter voranzubringen.

13.4 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen Zusammenfassung Wir haben drei zentrale Ansätze zu Begriffen vorgestellt: die Definitionstheorie der Begriffe, die Prototypentheorie und den begrifflichen Atomismus. Es wurde deutlich, dass alle diese Theorien wesentliche Defizite haben und hier ein offenes Forschungsfeld vorliegt.

13.4 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen Robert Brandom stellt mit seinem Inferentialismus traditionelle Bedeutungstheorien auf den Kopf. Nicht Wahrheit oder Referenz sind Basiselemente von Brandoms Bedeutungstheorie, sondern der Begriff der Folgerung, der sozialen Praxis und Normen. Die Bedeutung eines Satzes erwächst aus seinen inferentiellen Beziehungen zu anderen Sätzen; und zwar zu Sätzen, die man aus ihm folgern darf, folgern muss, oder deren Folgerung verboten ist. Verkürzt könnte man Brandoms Theorie als eine Weiterführung oder Explizierung der Gebrauchstheorien Wittgensteinscher oder Sellarsscher Prägung charakterisieren. Ein Kritiker bemerkte einmal anerkennend, wenngleich sarkastisch, es sei Brandoms größtes Verdienst, durch sein Schwimmen gegen den Strom gezeigt zu haben, wie stark die Strömung eigentlich ist. Abschließend wurde in einer sehr kurzen Skizze das Verhältnis von Sprachphilosophie und Linguistik angerissen. Dabei wurden zwei Beispiele von überlappenden Ansätzen aus Syntax (Phrasenstrukturgrammatik) und Semantik (Quantoren) angesprochen.

Lektürehinweise – Zum Abschnitt „Begriffe als Bedeutungen von Prädikaten“: [13–20]. – Zum Abschnitt „Ein neuer Grundansatz in der Sprachphilosophie: Der Inferentialismus Robert Brandoms“: [13–3], [13–4], [13–5], [13–6], [13–7], [13–25]. – Zum Abschnitt „Die Beziehung von Sprachphilosophie und Linguistik“: [13–17], [13–18]. – Weitere Aspekte der analytischen Sprachphilosophie finden Sie in: [13–2], [13–19], [13–21]. – Eine Einführung zu Sellars: [13–25]. – Werke von oder zu Wilfrid Sellars: [13–8], [13–26], [13–27]. – Brandom zu lesen ist mindestens für den Anfänger schwierig; am ehesten zugänglich ist: [13–4]. – Weitere Werke von und zu Robert Brandom: [13–3], [13–5], [13–6]. – Ein Buchsymposium zu „Making it Explicit“ („Expressive Vernunft“): [13–7]

Fragen und Übungen 1. Was sind die Hauptschwierigkeiten der Definitionstheorie der Begriffe? 2. Was besagt die Prototypentheorie der Begriffe und was sind ihre zentralen Probleme? 3. Was besagt Fodors These des begrifflichen Atomismus und welche sind ihre Probleme? 4. Wählen Sie einen beliebigen Satz und finden Sie zu diesem Satz weitere, zu denen Sie nun verpflichtet sind, und solche, die ihnen nun erlaubt sind! Suchen Sie auch einen Satz, der Ihnen den Schluss auf den ersten gewählten Satz erlaubt! 5. Wie kann Brandom auf das Kuriosum kollektiver Fehler beim Schließen reagieren, das ja im schlimmsten Falle negative Folgen für die Satzbedeutung der Prämissen haben könnte? 6. Wir haben aufgezeigt, dass Brandoms semantische Theorie zu einem Bedeutungsholismus verpflichtet ist. Auch Quine (siehe unser Kapitel 4.1) spricht von einem Holismus. Welche Unterschiede und welche Gemeinsamkeiten haben diese beiden Bedeutungsholismen? 7. Wie sieht die Phrasenstrukturzerlegung für den Satz „Das Buch liegt auf dem schwarzen Tisch“ aus (dazu wird ,auf‘ als Präposition [kurz: Präp] eingeordnet)?

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Literatur Das Literaturverzeichnis wird nur in seiner Struktur vorgestellt. Es bietet Hinweise für eine erste Grundorientierung in Bezug auf Einführungen und zentrale Texte der vorgestellten Autoren. Ausführlichere und aktuelle Literaturverzeichnisse zur Analytischen Philosophie im Allgemeinen, sowie das vollständige Literaturverzeichnis zu dieser Einführung in die Sprachphilosophie im Besonderen finden Sie unter: www.ruhr-uni-bochum.de/philosophy/staff/newen dort unter „Publikationen“.

Einleitung [0–1] Blume, Thomas und Demmerling, Christoph: Grundprobleme der analytischen Sprachphilosophie. Paderborn: Schöningh 1998. [0–2] Davis, Steven I. (Hrsg.): Pragmatics. A Reader. Oxford: Oxford University Press 1991. [0–3] Löbner, Sebastian: Semantik. Eine Einführung. Berlin: de Gruyter 2003. [0–4] Lycan, William G.: Philosophy of Language. A Contemporary Introduction. London: Routledge 2000. [0–5] Martinich, Aloysius P. (Hrsg.): The Philosophy of Language. Oxford: Oxford University Press 1995. [0–6] Newen, Albert: Analytische Philosophie. Eine Einführung. München: Junius 2005. [0–7] von Stechow, Arnim und Wunderlich, Dieter (Hrsg.): Semantik – Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung, Berlin: de Gruyter 1991.

TEIL 1 Die großen Entwürfe – Bedeutungstheorien für Sätze und Äußerungen 1 Philosophie der idealen Sprache [1–1] Carl, Wolfgang: Frege’s Theory of Sense and Reference. Cambridge: Cambridge University Press 1994. [1–2] Carnap, Rudolf: Der logische Aufbau der Welt. Berlin: Weltkreis 1928. Nachdruck: Hamburg: Meiner 1998. [1–3] Carnap, Rudolf: Meaning and Necessity. Chicago: University Press of Chicago 1947. Deutsch: Bedeutung und Notwendigkeit. Wien – New York: Springer 1972.

[1–4] Dummett, Michael: Frege. Philosophy of Language. London: Duckworth 1973. [1–5] Dummett, Michael: The Interpretation of Frege’s Philosophy. London: Duckworth 1981. [1–6] Dummett, Michael: Frege. Philosophy of Mathematics. London: Duckworth 1991. [1–7] Frege, Gottlob: Begriffsschrift, eine der arithmetischen nachgebildete Formelsprache des reinen Denkens. Halle: Nebert 1879. Zitiert nach: „Begriffsschrift“ in: G. Frege: Begriffsschrift und andere Aufsätze. Hrsg. von Ignacio Angelelli. Hildesheim: Olms 1988. 3. Auflage. [1–8] Frege, Gottlob: Funktion, Begriff, Bedeutung. Hrsg. von Günther Patzig. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1986. 6. Auflage. [1–9] Frege, Gottlob: Logische Untersuchungen. Hrsg. von Günther Patzig. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2003. 5. Auflage. [1–10] Frege, Gottlob: „Der Gedanke“. In: G. Frege: Logische Untersuchungen. Hrsg. von Günther Patzig. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2003. 5. Auflage. S. 72–91. Zuerst in Beiträge zur Philosophie des deutschen Idealismus 2 (1918/19), S. 58–77. [1–11] Frege, Gottlob: „Über Sinn und Bedeutung“. Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik 100 (1892), S. 25–50. Nachdruck in Frege, Gottlob: Funktion, Begriff, Bedeutung. Hgg. von Günther Patzig. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1986. 6. Auflage. S. 40–65. [1–12] Frege, Gottlob: Die Grundlagen der Arithmetik (GLA). Stuttgart: Reclam 1987. Original: Breslau: Koebner 1884. [1–13] Mormann, Thomas: Rudolf Carnap. München: Beck 2000. [1–14] Newen, Albert: Analytische Philosophie. Eine Einführung. München: Junius 2005. Kapitel 1–3. [1–15] Newen, Albert: „Interpretation und Rekonstruktion der Ontologie in Wittgensteins Tractatus“. Grazer Philosophische Studien 41 (1991), S. 33–65. [1–16] Newen, Albert, Nortmann, Ulrich und Stuhlmann-Laeisz, Rainer (Hrsg.): Building on Frege. Stanford (California): CSLI Publications 2001. [1–17] Noonan, Harold W.: Frege: A critical introduction. Cambridge: Polity Press 2001. Das vollständige Literaturverzeichnis finden Sie in aktualisierter Form unter: www.rub.de/philosophy/ staff/newen/publikationen.html

Sachregister Adäquatheitsbedingungen 13–14, 49, 58, 60–61, 86–89, 108–110 Akt, illokutionärer 32, 42–43, 45, 47, 78 Allquantor 145–146, 167 Analyse, parataktische 60 analytisch 30, 64–65, 69–76, 161, 169 Anti-Individualismus 126, 129–131, 134 Apriorität 103, 121–124 Artbegriff, natürlicher 70, 126–129, 134–135, 138 Art des Gegebenseins 16, 23–24, 102, 109, 119–120 Atomismus, begrifflicher 160–161, 168–169 Ausdruck, – deiktischer 84, 88, 114–124 – direkt referentieller 111–112, 118, 128–129 – indexikalischer 57, 59, 67, 84, 88, 114–124 Äußerung, assertorische 62 Äußerung, performative 61, 48 Äußerungsbedeutung 44–47, 78–79, 168 Äußerungsinhalt 108, 118–119, 130 Äußerungskontext 14, 16, 44, 64, 84–85, 87, 97, 108, 112–116, 120–125 Äußerungsreflexivität 114–115 Auswertungswelt 112, 120–125 Axiome 58, 60, 66

Eigenname 13, 20–24, 27–30, 57–59, 83–84, 88, 90–92, 94, 96, 100–113, 116, 118–120, 123–125, 128, 135, 145 Einstellung, propositionale 25, 60, 67, 78–79, 132 Elementarsatz 33 Empfindungssprache 36 Entität – logisch-mathematische 30 – mentale 66, 75 Erfüllungsbedingung 86 Erkenntnistheorie 9, 17, 38, 104, 139–140 Ethik 41, 152–153, 158 Existenz 19, 28, 88, 90–94, 96, 99–101, 106–108, 134–135, 144–146, 150–151, 167 Extension 17, 27–31, 87, 120, 135, 139, 159–161 Externalismus 66–67, 70, 72, 126–130, 134–139, 143, 164

Bedeutung, Fregesche 12, 16, 19–28, 31 Bedeutungsholismus 65, 73, 76, 82, 162, 169 Bedeutungsrealismus 11–13, 17–18, 27–28, 30, 32 Bedeutungstheorien – konventionalistische 11–13, 15, 32–33, 36, 38 – realistische 11–13, 17–18, 27–28, 30, 32 – subjektivistische 11–13, 18, 36, 77–82 Begriff 21–24, 27–31, 34, 40, 63, 83, 102, 130, 132–133, 138–139, 141–142, 148, 150, 153–157, 158–161, 168–169 Begriffe, koextensionale 169 Begriffswort 20–24, 27–28 Behauptungssatz 21–25

Gedanke 12, 14, 17, 19–28, 30–31, 84, 88, 101–102, 108–110, 113–115, 118–119, 126, 128–131, 134, 136–139 Gedankenverschiedenheit 21–22, 25–26, 31, 88 Gegenstandsbezeichnung 13, 21, 29, 83–86, 88–89, 104, 108, 123–124, 132 Gehalt – objektiver 18, 128–131 – propositionaler 32, 42, 45–48, 60 – semantischer 43–46, 99 Gelegenheitssatz 64–65, 74

Charakter eines sprachlichen Ausdrucks 113, 120–125

Handlungskontext 32 Holismus 36, 65, 73, 162, 169 Hörerinterpretation 43 Hyperintensionalität 30

Definition – extensionale 51, 53, 56, 66 – intensionale 51, 55 Definitionstheorie der Begriffe 159, 168 Determinismus, sprachlicher 131

Deutungsregel 35 Disambiguierung 44 Disposition 39–40, 142–143

Familienähnlichkeit 34 Fehlanwendung 41 Fehlberufung 41 Fehlschluss, deskriptiver 41

Idealismus 17, 147–149, 152 Idealsprache 17–18 Identitätsaussage 16, 22, 31, 88, 90, 91, 94, 100, 101, 103, 106, 108, 113–114

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Sachregister Immunität des Irrtums durch Fehlidentifikation 119 Indikator 13–14, 27, 30, 83–84, 86, 88, 108–110, 112–113, 114–125 Inferentialismus 12, 15, 126, 161–166, 168–169 Informationsgehalt 23, 28–30, 43, 86, 107 Inhalt – enger 130–131 – weiter 130 Intension 17, 27–31, 102, 120, 139, 159 Intentionalität 131–132 Interpret, normaler 85, 117 Intuition, analytische 161 Kennzeichnung 13–14, 23, 29–30, 57, 83–88, 89–100, 101–113, 116, 123, 145–146 Kohärenztheorie der Wahrheit 56, 164 Kommunikation 11, 17, 76, 79–80, 96, 102, 105, 119, 162, 167–168 Kompositionalität 21, 24, 27, 60–61, 79, 132, 160, 164–165 Kontextabhängigkeit 27, 44, 93, 114, 120, 124 Kontext, Kontextwelt 47, 59, 87, 96–97, 117, 121 Konvention T 48, 51, 66 Konversationsmaxime 43 Kooperationsprinzip 43 Korrektheit 49, 55, 61 Korrespondenztheorie 55–56 Mehrdeutigkeit 18, 43–44 Metaethik 9, 14–15, 41, 126 Metasprache 51–52, 57–59, 79, 100, 103–104, 106, 109, 113 Normalsprache 12, 16, 18, 32–34, 47, 52, 57–58, 78, 149 Normativität 39, 131, 133, 161 Notwendigkeit 71, 103, 121, 123–124 Objektsprache 51–52, 57–58, 79 Prädikat 9, 13, 15–18, 21, 28–30, 48–49, 51, 53–59, 66, 71, 83–84, 89–90, 92, 94–96, 98, 106, 117, 126, 129, 134, 141–142, 144, 148–151, 158–161, 165–169 Pragmatik 19, 32, 42–43, 48, 77, 79, 96, 98–99, 108–110, 113, 120, 124, 166 Pragmatismus 161–162 Prinzip der rationalen Verständigung 12, 32, 42–43, 48, 77 Prinzip der wohlwollenden Interpretation 12, 62–63, 65, 67, 117, 124 Privatsprache 36–39, 47–48, 131 Proposition 29–30, 140 Prototypentheorie der Begriffe 160, 168–169

Rationalität 63, 67 Realismus 12, 17, 147–149, 152 Rede, direkte/indirekte 16, 24–27, 56–57, 59–60, 67 Redundanztheorie 55 Referent, semantischer 96–97, 116 Referenzfestlegung 44, 85, 89, 100–106, 113–117, 120, 123–124, 128 Referenzobjekt 14, 75, 83–85, 89, 92, 97, 101–105, 116–117, 124 Regelausdruck 35 Regelfolgen 35–36, 39–40, 47–48 Regress, infiniter 35, 39, 132 Relativismus, sprachlicher 131, 147, 149, 152 Repräsentation 87, 131–133 Rolle, inferentielle 162, 164–166 Sachverhalt 11–12, 14, 18, 28–29, 32, 42, 81, 86–87, 108–109, 111–112, 114, 121–122, 125, 141, 164 Sachverhaltsadäquatheit 14, 86–89, 107, 109–110, 117, 123 Sapir-Whorf-Hypothese 131, 144, 148, 151 Satz, atomarer 52–54 Satz, sinngleicher 24–26 Satzbedeutung 18, 44, 51, 52, 57, 65, 78, 91, 135, 143, 145, 164, 169 Satzbestandteil 21, 33 Schluss – deduktiver 163 – induktiver 163 Selbstbezugnahme 119 Selbstidentität 88, 94, 103, 110 Semantik 11, 15, 17, 19–20, 30–32, 42, 48, 56, 66–68, 74, 78–79, 83–84, 86–87, 96–100, 108–110, 113, 115, 135, 138, 143, 166–169 – inferentielle 162 – realistische 27 – zweidimensionale 114, 120–124 Sinn, Fregescher 16–17, 22–27, 30–31, 51, 90–91, 101–102, 113 Sprache, Grundfunktionen der 86–87, 89 Sprache, natürliche 17–18, 21, 27, 32, 47, 50, 56–57, 60, 66–67, 126, 130–132, 134, 151, 167 Sprachkonvention 45–46, 78, 85–86, 116 Sprachspiel 33–34, 37, 48, 162–164, 166 Sprechakttheorie 12, 32, 34, 40–42, 47–48, 78 Sprecherabsicht 13, 39, 43, 68, 78, 80–82, 85 Substitutionsprinzip 21–26 Supervenienz 129–130 Symbol 18, 35, 52, 132–133, 146 Symbolsprache 18 Synonymie 57, 61, 68, 70–75, 95 Syntax 35, 42, 132, 166–169 synthetisch 69, 82

Sachregister Teleosemantik 133 Term, singulärer 9, 13–14, 21, 28, 30, 58, 59, 70, 83–89, 94, 99, 106–107, 109–110, 113, 116, 123, 124, 158, 165 Theorem 58 Theorie der direkten Referenz 111–112, 118 Theorien der Referenzfestlegung 44, 102, 104–106, 115–117, 123–124, 128 Tiefenstruktur 18, 33 Triangulation 65–67 T-Schema 51 Übersetzung 52, 57, 61–65, 67–68, 73–76, 77, 82, 141, 147 Überzeugungen, nichtwidersprüchliche 88, 107 Umweltabhängigkeit 14, 127–129, 134

Verhaltensdisposition 13, 68, 77, 82, 130 Verifikationismus 56, 69, 72, 76, 135, 139–144 Verwendungskontext 24, 117 Vorstellung 11, 17, 19–20, 66–67, 75 Wahrheitsbedingungen 11–13, 16, 32, 42, 45, 48, 55–56, 58, 66, 68, 74, 86, 89, 93, 98, 106, 110–112, 118, 120–122, 142, 153–154, 157–158 Wahrheitsbegriff 13, 49–51, 55, 57, 163, 166 Wahrheitstheorie 48–60, 66–67, 163 Wahrheitswert 19–31, 43, 70–71, 90–94, 103, 111–112, 120–123, 158 Wissensadäquatheit 86–87, 89, 108–110, 118, 120, 123–124 Zeichenverbindungsregel 42

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Personenregister Aristoteles 50, 55, 66 Austin, J. 12, 32, 40–43, 47–48, 78 Ayer, A. 143

Laurence, S. 161 Lewis, D. 78 Locke, J. 11–12, 17, 140

Berkeley, G. 140 Brandom, R. 12, 15, 33, 126, 150, 159, 161–166, 168–169 Burge, T. 126, 128–130, 134

Margolis, J. 161 Martinich, A. 85 Mill, J. 101 Newen, A. 109, 124

Carnap, R. 12, 16–17, 21, 27–32, 100, 102, 106, 113, 120, 140, 159 Chisholm, R. 131 Chomsky, N. 149 Davidson, D. 13, 16, 48, 56–68, 74, 77–78, 143, 162 Dennett, D. 133 Descartes, R. 131, 135 Devitt, M. 105–106 Donnellan, K. 85, 89, 95–100 Duhem, P. 73 Dummett, M. 143 Fodor, J. 126, 131–134, 149, 160–161, 169 Frege, G. 12, 16–32, 55, 61, 85, 88, 90–91, 94, 100–102, 106–107, 113, 159 Grice, P. 12, 13, 16, 32, 42–48, 68, 77–82, 97 Haas-Spohn, U. 123 Hare, R. 152–158 Humboldt, W. 148 Hume, D. 140 Kant, I. 43, 69, 150, 155–158 Kaplan, D. 112, 117, 120–124, 145 Kripke, S. 39–40, 88–89, 96–100, 102, 104–106, 108–111, 113, 123–124, 128, 135

Perry, J. 110, 124 Pinker, S. 132, 149 Platon 19–20 Putnam, H. 66, 126–130, 133–138, 143 Quine, W. 13, 14, 16, 62–77, 82, 116, 126, 142–152, 169 Reichenbach, H. 115 Russell, B. 12, 16–18, 56, 85, 88–101, 104, 106, 145 Sapir, E. 131, 144, 148, 151 Savigny, E. 78 Schlick, M. 140 Searle, J. 12, 100, 102, 106, 113 Sellars, W. 162, 169 Strawson, P. 85, 89, 92–96, 99–100, 144, 149–151, 165–166 Tarski, A. 13, 16, 48–57, 59–62, 66–67, 163 Tomasello, M. 38 Whorf, B. 131, 144, 148–149, 151 Wittgenstein, L. 12, 16–18, 28, 32–40, 47–48, 78, 131, 160, 162, 169