Einführung in die Religionsphilosophie [2 ed.] 3534242483, 9783534242481

Was ist das überhaupt, eine Religion? Sind religiöse Überzeugungen eine rein subjektive Geschmackssache oder gibt es rat

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German Pages 192 Year 2013

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Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhalt
1 Zum Aufbau dieses Buchs
2 Was tun Religionsphilosophen?
2.1 „Religion": Versuch einer Abgrenzung
2.2 Die „Religions-Wissenschaften" (im weiteren Sinne)
2.3 Das Spektrum erhältlicher Religionsphilosophien
2.4 Das Kernproblem der Religionsphilosophie: Die Frage nach der (Un)Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen
2.5 Verdeutlichende Abgrenzungen: Religion – Religionsphilosophie – Theologie
2.6 „Gott": Erste religionswissenschaftliche und logische Annäherungen
2.7 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen
3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens
3.1 Argumente für / gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen: Eine systematische Typologie
3.2 Ontologische Argumente für die Existenz Gottes
3.3 Kosmologische Argumente
3.4 Teleologische Argumente (im weiteren Sinne)
3.5 Argumente aus Wundern und außergewöhnlichen religiösen Erfahrungen
3.6 Empirische Kumulativargumente für die Existenz Gottes
3.7 Argumente aus „gewöhnlicher", aber religiös gedeuteter Erfahrung: Die Reformierte Erkenntnistheorie
3.8 Argumente aus der Gesamterfahrung, der „Transzendentalen Erfahrung" o.Ä.
3.9 Argumente aus der moralischen Erfahrung: Religiöse Überzeugungen als praktische Postulate
3.10 Argumente aus menschlichen Bedürfnissen und Idealen
3.11 Argumente aus praktischer Klugheit: „Pascals Wette"
3.12 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen
4 Religionskritik: Argumente gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen
4.1 Argumente, denen zufolge religiöse Überzeugungen kognitiv sinnlos seien
4.2 Argumente, denen zufolge religiöse Überzeugungen falsch seien
4.3 Argumente, denen zufolge religiöse Überzeugungen mangelhaft begründet, unbegründbar oder unwissenschaftlich seien
4.4 Argumente, denen zufolge religiöse Überzeugungen auf gestörte Erkenntnisverhältnisse zurückgehen
4.5 Argumente, denen zufolge religiöse Überzeugungen schädlich seien
4.6 Zusammenfassung, Lektürehinweis, Fragen und Übungen
5 Rationale Strukturen der Religion
5.1 Einleitung
5.2 Strukturen und Funktion der Weltanschauung
5.3 Kriterien für tragfähige Weltanschauungen
5.4 Theismus als weltanschaulich-integrative Erklärung
5.5 Der Sinn von Argumenten im Bereich der Religion
5.6 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen
Literatur
Personenregister
Sachregister
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Einführung in die Religionsphilosophie [2 ed.]
 3534242483, 9783534242481

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Einführungen Philosophie Die Reihe „Einführungen“ (Philosophie) soll vor allem den Studienanfängern Orientierung bieten. Auf dem neusten Stand der Forschung werden die wesentlichen Theorien und Probleme aller Hauptgebiete der Philosophie dargestellt. Dabei geht es nicht um Philosophiegeschichte, sondern um das Philosophieren selbst. Nicht Namen und Epochen stehen im Vordergrund, sondern Argumente. Jeder Band steht für sich und ermöglicht einen systematischen Überblick über das jeweilige Gebiet. Die didaktische Aufbereitung (Zusammenfassungen, Übungsaufgaben, Literaturhinweise …), eine übersichtliche Gliederung und die gute Lesbarkeit machen die Bände zu einem hervorragenden Hilfsmittel für Studierende. Herausgeber: Dieter Schönecker, Universität Siegen Niko Strobach, Universität Rostock Wissenschaftlicher Beirat: Rainer Enskat (Halle-Wittenberg), Roland Henke (Bonn), Otfried Höffe (Tübingen), Wolfgang Künne (Hamburg), Wolfgang Malzkorn (Bonn), Enno Rudolph (Luzern), Wolfgang Spohn (Konstanz), Ursula Wolf (Mannheim)

Winfried Löffler

Einführung in die Religionsphilosophie 2. Auflage

Abbildung: Symbolische Darstellung der Durchbrechung des mittelalterlichen Weltbildes, 1888. Aus: Camille Flammarion: L’atmosphère, et la météorologie populaire, Paris 1888. i akg-images.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. 2., überarbeitete Auflage i 2013 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe dieses Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Einbandgestaltung: schreiberVIS, Bickenbach Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-24248-1 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-71767-5 eBook (epub): 978-3-534-71768-2

Inhalt 1 Zum Aufbau dieses Buchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Was tun Religionsphilosophen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 „Religion“: Versuch einer Abgrenzung . . . . . . . . . . . 2.2 Die „Religions-Wissenschaften“ (im weiteren Sinne) . . . 2.3 Das Spektrum erhältlicher Religionsphilosophien . . . . . 2.4 Das Kernproblem der Religionsphilosophie: Die Frage nach der (Un)Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen . . . . . 2.5 Verdeutlichende Abgrenzungen: Religion – Religionsphilosophie – Theologie . . . . . . . 2.6 „Gott“: Erste religionswissenschaftliche und logische Annäherungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens . . . . . 3.1 Argumente für / gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen: Eine systematische Typologie . . . . . . . 3.2 Ontologische Argumente für die Existenz Gottes . . . . . . . 3.3 Kosmologische Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Teleologische Argumente (im weiteren Sinne) . . . . . . . . 3.5 Argumente aus Wundern und außergewöhnlichen religiösen Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Empirische Kumulativargumente für die Existenz Gottes . . . 3.7 Argumente aus „gewöhnlicher“, aber religiös gedeuteter Erfahrung: Die Reformierte Erkenntnistheorie . . . . . . . . 3.8 Argumente aus der Gesamterfahrung, der „Transzendentalen Erfahrung“ o. Ä. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9 Argumente aus der moralischen Erfahrung: Religiöse Überzeugungen als praktische Postulate . . . . . . . . . . . 3.10 Argumente aus menschlichen Bedürfnissen und Idealen . . 3.11 Argumente aus praktischer Klugheit: „Pascals Wette“ . . . . 3.12 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen .

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4 Religionskritik: Argumente gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Argumente, denen zufolge religiöse Überzeugungen kognitiv sinnlos seien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Argumente, denen zufolge religiöse Überzeugungen falsch seien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Argumente, denen zufolge religiöse Überzeugungen mangelhaft begründet, unbegründbar oder unwissenschaftlich seien . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

4.4 4.5 4.6

Argumente, denen zufolge religiöse Überzeugungen auf gestörte Erkenntnisverhältnisse zurückgehen . . . . . . . . Argumente, denen zufolge religiöse Überzeugungen schädlich seien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung, Lektürehinweis, Fragen und Übungen .

5 Rationale Strukturen der Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Strukturen und Funktion der Weltanschauung . . . . . . . 5.3 Kriterien für tragfähige Weltanschauungen . . . . . . . . . 5.4 Theismus als weltanschaulich-integrative Erklärung . . . . 5.5 Der Sinn von Argumenten im Bereich der Religion . . . . 5.6 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sachregister

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Literatur

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1 Zum Aufbau dieses Buchs Kann man mit philosophischen Mitteln viel Sinnvolles über die Religion aussagen? Eine solche Frage ist zunächst nur ein unscharfes Frageprovisorium: Erst einmal müsste klar sein, was genau das Wort „Religion“ bedeutet, und außerdem müsste klar sein, was es denn heißen könnte, philosophisch etwas Sinnvolles über die Religion(-en) zu sagen. Teil 2 dieses Buches macht dementsprechend zunächst einen Vorschlag, was man unter Religion verstehen könnte und welche Aspekte an Religionen für die Philosophie besonders relevant sind. Außerdem werden grundlegende Termini (wie „Theismus“, „Atheismus“, „Offenbarung“ und andere) geklärt, die in den späteren Analysen benutzt werden. Als die wesentliche Frage der Religionsphilosophie wird herausgearbeitet, ob religiöse Überzeugungen vernünftig vertretbar sind. Das wirft die Frage auf, welche Argumente für oder gegen deren vernünftige Vertretbarkeit es gibt. Teil 3 untersucht daher zehn verschiedene Typen von Argumenten, die man für die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen vorbringen kann, und konfrontiert sie jeweils auch mit Einwänden, die gegen diese Argumente sprechen. In ähnlicher Weise analysiert Teil 4 fünf verschiedene Typen religionskritischer Argumente. Fazit der Teile 3 und 4 ist auf den ersten Blick eine Art argumentative Pattstellung, auf den zweiten Blick aber auch die Bestärkung der Einsicht, dass Religionen zumindest grundsätzlich ein Gegenstand vernünftiger Rechtfertigung und argumentativer Begründung sein können. Von wissenschaftlichen Argumenten und Begründungen scheinen sich Argumente und Begründungen für Religionen dabei in manchen Punkten zu unterscheiden (etwa ist der Konsens über die Stichhaltigkeit von Begründungen hier schwerer herstellbar). Es bestehen aber durchaus auch Ähnlichkeiten (z. B. erheben religiöse Menschen ähnlich wie Wissenschaftler den Anspruch, Erklärungen für bestimmte Sachverhalte zu geben, widersprüchliche religiöse Überzeugungen werden als ähnlich problematisch empfunden wie widersprüchliche Theorien, und von religiösen Überzeugungen ebenso wie von wissenschaftlichen Theoriensystemen wird gesagt, dass sie sich im Leben in irgendeinem Sinne „bewähren“ sollen). Das legt nahe, den rationalen – d. h. vernunftmäßig rekonstruierbaren – Strukturen innerhalb von Religionen nachzugehen. Teil 5 des Buches schlägt daher vor, Religionen als Teil jenes umfassenderen Überzeugungssystems von Menschen zu betrachten, das man Weltanschauung nennen kann. Zur Weltanschauung gehören aber nicht nur religiöse (oder areligiöse) Überzeugungen, sondern auch die selbstverständlichen Grundannahmen und Voraussetzungen, die unsere Alltagsvernunft über die Welt macht, und die auch den einbettenden Rahmen für unsere wissenschaftlichen Überzeugungen und Theorien bilden. Es wird argumentiert, dass diese weltanschaulichen Überzeugungen nicht beliebig und subjektiv, sondern ein tragender Teil unserer Wirklichkeitserkenntnis sind, und dass es durchaus Kriterien für mehr oder minder tragfähige weltanschauliche Überzeu-

Teil 2: Was tun Religionsphilosophen?

Teile 3 und 4: Was spricht für, was gegen religiöse Überzeugungen?

Teil 5: Religion als Teil der Weltanschauung

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1 Zum Aufbau dieses Buchs

Zur Eigenart dieses Buches

gungssysteme gibt. Wenn man diesen letzten Punkt akzeptiert, dann lässt sich zeigen, dass manche religiöse Überzeugungssysteme tragfähige Weltanschauungen darstellen, die viele unserer Erfahrungsgegebenheiten befriedigend einordnen können und daher durchaus vernünftig vertretbar sind. Dennoch ist von Argumenten in diesem Bereich nicht zu erwarten, dass man damit Andersdenkende leicht überzeugen können wird. Der Leser muss also selbst entscheiden. Wer mit der einschlägigen Literatur schon ein wenig vertraut ist, wird zwei Eigenarten dieses Buches bemerken. Rein quantitativ fällt auf, dass die Darstellungen der religionskritischen Argumente insgesamt kürzer ausfallen als die der pro-religiösen. Das liegt zum einen daran, dass sie in der Ideengeschichte insgesamt wirklich weniger komplex und ausgefeilt formuliert wurden und damit weniger Erläuterungsaufwand verlangen. (Über ihre Stichhaltigkeit und erst recht ihre Geschichtsmächtigkeit ist damit natürlich nichts präjudiziert!) Demgegenüber ist gerade in der analytischen Philosophie der letzten Jahrzehnte eine starke Renaissance von hochkomplexen pro-religiösen Argumenten zu bemerken, deren angemessene Kenntnis heute zur philosophischen Allgemeinbildung gehört. Eine etwas ausführlichere Darlegung solcher Argumente empfiehlt sich aber zum anderen auch deshalb, weil die Ausgangsvermutungen eines Großteils der Leserschaft heute wohl eher dahin tendieren mögen, dass religiöse Überzeugungen irgendwie unvernünftig oder zumindest keine Sache rationaler Argumentation sein dürften. Da das Philosophieren aber auch vermeintliche Selbstverständlichkeiten in Frage stellen soll, konnte der Darstellung und kritischen Diskussion von Argumenten für die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen guten Gewissens etwas mehr Platz eingeräumt werden. Die zweite Eigenart betrifft die Art der Darstellung. Getreu dem Konzept der WBG-Reihe Einführungen Philosophie (und im Unterschied fast zur gesamten deutschsprachigen Einführungsliteratur) wurde kein philosophiegeschichtlicher oder autorenzentrierter Zugang zur Religionsphilosophie gewählt, sondern ein systematisch-philosophischer. Es wurde also nach möglichen Argumenten Ausschau gehalten und die Frage, wer sie wann in welcher Formulierung vertreten haben mag, weitgehend beiseite gelassen. Ausnahmen wurden dort gemacht, wo manche Argumente derart eng mit bestimmten Autoren verknüpft sind, dass ein Verschweigen unverantwortlich wäre. Wer aber nach umfassenderen Darstellungen des religionsphilosophischen Denkens einzelner Autoren oder ganzer Epochen sucht, der sei auf die Literaturangaben verwiesen. Auf Binnen-I’s und andere ästhetisch umstrittene Techniken des gender mainstreaming wurde in diesem Text verzichtet. Stattdessen sei hiermit ausdrücklich und bewusst vorausgeschickt, dass mit „Autoren“, „Philosophen“ etc. auch Autorinnen, Philosophinnen etc. jeweils mitgemeint sind. Gedankt sei Niko Strobach und Dieter Schönecker für die kritische Gegenlesung der 1. Auflage sowie Otto Muck, Edgar Morscher, Geo Siegwart, Hans Brandl (und anderen Rezensenten) sowie Christoph Jäger, Ronald Weinberger, Rainer Steltzer, Jörg Aichner, Walter Werth und etlichen anderen Kollegen und Studierenden für zahlreiche Hinweise und Fehlermeldungen, die jetzt in diese überarbeitete 2. Auflage (besonders in 3.7 und 5.5) eingeflossen sind.

2 Was tun Religionsphilosophen? 2.1 „Religion“: Versuch einer Abgrenzung Ob Religionen und als religiös einzustufende Denkweisen, Ideen und Verhaltensformen heute insgesamt auf dem Rückzug oder auf dem Vormarsch sind, wird unterschiedlich eingeschätzt ((82a), (87)). Tatsächlich deuten Indizien in verschiedene Richtungen. Ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung bekennt in Umfragen ein Naheverhältnis zu einer Religion oder stimmt zumindest manchen Behauptungen über die Existenz überirdischer Mächte, über ein Weiterleben nach dem biologischen Tod etc. zu. In Westeuropa scheinen dabei die etablierten Religionen (primär sind das die großen christlichen Konfessionen) an Mitgliedern und Einfluss zu verlieren. Für Osteuropa, die USA, Südostasien und die islamisch dominierten Gebiete der Welt kann dies schon nicht mehr mit selber Einheitlichkeit gesagt werden. Und der Befund würde noch viel differenzierter ausfallen müssen, wenn man die ganze Welt und die verschiedensten Religionsgemeinschaften mit einbezieht. Parallel dazu deuten empirische Untersuchungen auf einen Zuwachs von nicht-konfessionell gebundener Religiosität hin, also auf religiöse Praktiken, Meinungen und Denkformen jenseits der relativ festen Formen, wie sie in traditionellen Religionsgemeinschaften herrschen. Als Stichwörter seien etwa der Esoterik-Boom der letzten Jahre und die vielfach beobachtbare sogenannte Auswahlreligiosität genannt (d. h. persönlich gelebte Mischformen, z. B. von westlicher und östlicher Religiosität). In eine wiederum andere Richtung deutet das Phänomen christlicher und anderer Erneuerungsbewegungen, die sich zwar innerhalb der etablierten Religionsgemeinschaften entwickeln, aber für einen kleineren Personenkreis einen intensiver religiös geprägten Lebensstil propagieren. Nach wie vor ist zuweilen auch das Phänomen zu beobachten, dass politische Gruppen und Akteure ihr Handeln ausdrücklich religiös begründen. Dies gilt nicht nur für religiös verfasste Staaten wie den Iran, sondern beispielsweise auch für die USA. Unabhängig von diesen neueren Entwicklungen sind in unseren westlichen, oft als aufgeklärt und säkularisiert (d. h. religionsfern, verweltlicht) bezeichneten Gesellschaften zahlreiche Verhaltensweisen, Ideen, soziale Institutionen etc. zu beobachten, die man in einem weiteren Sinne als religiös bezeichnen kann. Etwa sind unser Kalender und das öffentliche sowie das private Leben nach wie vor stark von den jüdisch-christlichen Ruhe- und Festzeiten bestimmt. Offizielle Vertreter der Religionen genießen bei öffentlichen Anlässen besondere Aufmerksamkeit, und ihre Stellungnahme zu bestimmten Themen hat hohes politisches und moralisches Gewicht. Allein durch Tradition ist das wohl nicht erklärbar, wie etwa der Vergleich mit dem Adel oder dem Militär als heute bedeutungslos gewordenen traditionellen Autoritäten zeigt. Besonders an einschneidenden Lebenswenden (etwa Geburt, Familiengründung, Tod) werden die rituellen Angebote der Religionen auch von jenen Personen gerne nachgefragt, die sonst nicht aktiv an den be-

Die Gegenwart religiöser Denkformen

Religiöse Prägungen auch der „säkularen“ Kultur

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2 Was tun Religionsphilosophen?

Religionen als komplexe Phänomene

Vielfalt der Religionen und der „religiösen“ Phänomene

sonderen Lebensvollzügen der Religionen teilnehmen. Daneben prägen religiöse Ideen auch unser Denken in anderen Bereichen auf mannigfaltige Weise, ohne dass dies vielen Menschen bewusst wäre. Etwa hat das für moderne Rechtsordnungen kennzeichnende Menschenrechtsdenken unter anderem eine religiöse Wurzel, nämlich den jüdisch-christlichen Gedanken der allen Menschen von Gott gleichermaßen verliehenen Bedeutung und Würde. Religionen sind äußerst komplexe Phänomene. Zu ihnen gehören rituellkultische Handlungsformen, besonders bedeutsame Zeiten und Orte (wie etwa Festzeiten, Abstinenzzeiten, Heiligtümer, Tabuzonen, etc.), gebetsund meditationsartige Verhaltensformen, eine Gemeinschaft von Anhängern bzw. Mitgliedern, die in aller Regel irgendwie sozial strukturiert ist (so gibt es häufig verschiedene Rollen der Mitglieder, als Amtsträger, religiöse „Experten“ und normales Mitglied, damit verbundene unterschiedliche Kenntnisse und Befugnisse, verschiedene Klassen von Mitgliedern und ähnliches mehr). Religionen sind weiters mit einem Bündel kognitiver, theorieähnlicher Gehalte verbunden. Dies sind etwa Meinungen über die Existenz von einem oder mehreren göttlichen Wesen oder anderen „transzendenten“ (von lat. transcendere, überschreiten) d. h. nicht zur vordergründigen, allgemein zugänglichen Wirklichkeit gehörenden Gegenständen, wie Göttern, Geistern, Engeln und geheimen Kräften. Häufig gehören dazu auch Meinungen über die Herkunft der Welt und das Schicksal der Menschen nach ihrem biologischen Tod. Viele Religionen erfüllen dabei sogar eine sehr umfassende Orientierungsfunktion, weil sie so etwas wie ein Weltbild anbieten, das auf viele tiefgehende Fragen des Menschen eine Antwort bereithält. Die meisten Religionen rechnen außerdem mit der Möglichkeit spezieller Formen religiöser Erfahrungen. Solche Erfahrungen können persönlich oder gemeinschaftlich erlebt werden und unterschiedlich spektakulär ausfallen, von Gemeinschafts- und Vereinigungserlebnissen bis hin zu Heilungs- und Offenbarungserlebnissen. Religionen sind darüber hinaus meist mit einer religiösen Moral verbunden, d. h. mit einem Bündel von speziellen Verhaltensnormen (Geboten, Verboten, Tabus etc.) und Vorstellungen vom vollkommenen, geglückten, anzustrebenden Lebensstil. Die Kontrolle und Sanktion bei Normverstößen kann dabei durchaus unterschiedlich gedacht sein, von innerweltlichen Sanktionen seitens der Gruppe oder ihrer Amtsträger (Bestrafung, Ausschluss, etc.) bis hin zu transzendenten Sanktionen durch Gottheiten u. a. Diese hier allgemein und schablonenhaft beschriebenen Bestandteile werden bei den einzelnen Religionen natürlich mit sehr unterschiedlichen Inhalten gefüllt. Auch die Gewichtung der einzelnen Faktoren fällt sehr unterschiedlich aus. Es gibt etwa Religionen mit sehr starken theorieähnlichen Bestandteilen, die dafür sogar so etwas wie eine wissenschaftliche Theologie entwickelt haben (wie z. B. Christentum und Islam), während in anderen Religionen die soziale Struktur und die rituellen Verrichtungen im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Wieder andere Religionen stellen die religiöse Moral und das rechte Handeln am Mitmenschen in den Vordergrund. Es würde den Rahmen dieses Buches sprengen, näher auf einzelne Religionen einzugehen; wer das Gefühl hat, diesbezüglich über kein ausreichendes Basiswissen zu verfügen, sei auf (95), (91) und andere Übersichts-

2.1 „Religion“: Versuch einer Abgrenzung

werke verwiesen. Hervorragende allgemeine Einführungen in die Religionswissenschaft bieten (84), (92), (97) und (98). Es gibt gegenwärtig keine allgemein akzeptierte Definition für Religion. Dies hat mehrere Gründe. Der wichtigste Grund ist schlicht die immense Vielfalt an faktisch existierenden Religionen und sonstigen als religiös anzusprechenden Phänomenen. Der zweite Grund ist, dass auch die Etymologie (Lehre von den Wortherkünften, die mitunter Aufschluss über die ursprüngliche Bedeutung und Funktion eines Wortes gibt) im Falle der Religion keine Hilfe ist. Die Wortherkunft ist nämlich völlig unklar, es ist heute nicht mehr entscheidbar, ob das Wort „Religion“ vom lateinischen „religare“ (rückbinden, wieder binden), von „relegere“ (sorgsam beachten) oder von einer anderen Wurzel her kommt. Ein dritter Grund liegt noch tiefer: Es ist nicht einmal problemlos abzugrenzen, was denn hier eigentlich der zu definierende Gegenstand ist, und anhand welcher Phänomene man ihn studieren kann. Die lateinischen und deutschen Wörter „religio“ / „Religion“ bezeichnen nämlich einen Bereich des Religiösen, der vom sonstigen Denken und Handeln der Menschen sowie von sonstigen sozialen Ordnungen relativ klar abgrenzbar ist. Dies war in der römischen Welt der Fall, und diese Abtrennbarkeit prägt seither unser westliches Denken. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass schon in vielen anderen Sprachen nicht einmal ein Wort für einen solchen abgrenzbaren Bereich des Religiösen existiert. Dies gilt z. B. für das Altgriechische (also die Sprache einer Welt, die der römischen eigentlich kulturell sehr ähnlich war). Es gilt auch für das Arabische, wo das Wort „dîn“, das oft als Übersetzung von „Religion“ vorgeschlagen wird, eher den ganzen Komplex von Religion / Glaube / Überlieferung / Sitte / Brauch / Lebensform bedeutet. Überhaupt gilt folgender Zusammenhang: Je stärker eine Kultur religiös geprägt ist, umso schwerer ist die Abgrenzung von „Religion“ (in unserem abendländischen Sinne) und sonstigen Bestandteilen der Kultur möglich. Wer sich aufmacht, eine allgemeine Definition von „Religion“ zu finden, der steht also vor folgendem Dilemma: entweder man wird mit einer „weiten Optik“ vorgehen – aber dann versucht man etwas zu finden, was es so, als eigenständigen Gegenstand, vermutlich gar nicht gibt, weil die religiösen Phänomene eben so verschieden sind. Oder man wird mit einer „engen Optik“ vorgehen und seine Definition von „Religion“ anhand von Phänomenen suchen, die man eben durch die Brille seines abendländischen Religionsbegriffs als „religiöse“ Phänomene einordnet. Damit aber dreht man sich gewissermaßen im Kreis, denn eine so gefundene „allgemeine Religionsdefinition“ wird dann im Ergebnis wieder sehr am abendländischen Verständnis von Religion orientiert sein. Aufgrund der eben besprochenen Probleme herrscht in den Religionswissenschaften weitgehende Einigkeit darüber, dass es keine allgemein akzeptierte Definition dessen gibt, was eine „Religion“ ist, und dass auch die weitere Suche danach nicht sehr aussichtsreich ist. Allerdings ist es für einen Wissenschaftsbereich beunruhigend, wenn sein Untersuchungsobjekt nicht klar abzugrenzen ist. Daher wurden verschiedene Auswege aus dieser Situation versucht. Einige Wissenschaftler streben danach, letztlich doch so etwas wie eine Definition des Wesens (lat. essentia) oder der Substanz jedweder Religion anzugeben. Besonders ältere Vertreter sogenannter „phänomenologischer“

Warum es keine allgemein akzeptierte Religionsdefinition gibt

Verschiedene Vorschläge für Definitionen

Substantialistische / essentialistische Definitionen

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2 Was tun Religionsphilosophen?

Zugänge sind (trotz der erwähnten Probleme) optimistisch, dass dies gelingen könnte. Das Mittel hierzu sei unsere Fähigkeit zu einem verstehenden Erleben, zu einer Art Wesensschau bei der Betrachtung von Phänomenen. Als ein solches Wesen der Religion wurde u. a. vorgeschlagen: *

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Drei Engpässe essentialistischer Definitionen

der Bezug auf und die existenzielle Wechselbeziehung mit einem Gott oder mehreren göttlichen Wesen (so etwa Günter Lanczkowski, (88)), oder etwas allgemeiner, der Glaube an irgendwelche geistige, übermenschliche oder außernatürliche Wesen (so etwa Edward Burnett Tylor im späten 19. Jh. und Melford E. Spiro im 20. Jh.), die Einteilung der Wirklichkeit in eine heilige / sakrale und eine profane Sphäre, wobei das Heilige auch in irgendeiner Form erfahrungsmäßig zugänglich ist (Nathan Söderblom, Rudolf Otto, Gustav Mensching u. a.) Besonders einflussreich wurde dabei Rudolf Ottos Begrifflichkeit (Das Heilige, 1917 (90)). Otto bezeichnete das „Numinose“ als den zentralen Gegenstand des Heiligen (also seinen eigentlichen Inhalt, unter Absehung von seinen moralischen und theoretischen Aspekten). Der Charakter des Numinosen wiederum könne als mysterium tremendum et fascinosum (etwa: „gleichzeitig furchterregendes und faszinierendes Geheimnis“) beschrieben werden. Schließlich gibt es auch Kombinationen mehrerer dieser Aspekte, wie etwa den Vorschlag, Religion sei die gemeinschaftliche Antwort des Menschen auf Transzendenzerfahrung, die sich in Ritus und Ethik Ausdruck gibt (Theo Sundermeier, (93)).

Die Probleme solcher essentialistischer Definitionen liegen auf der Hand (und sie überraschen uns nach dem oben Gesagten nicht). Etliche dieser Vorschläge sind offenkundig an abendländische Religionsvorstellungen angelehnt (wo es einen transzendenten Gott oder einige solcher Wesen gibt, also jedenfalls so etwas wie ein „transzendentes Gegenüber“). Es ist aber nicht klar, ob damit wirklich alle „Religionen“ erfasst sind. Immer wieder genannte Gegenbeispiele sind etwa der frühe Buddhismus, der Konfuzianismus und der Taoismus. Man klassifiziert sie gewöhnlich als Religionen, obwohl es in ihnen (zumindest nach verbreiteter Ansicht) keine Götter- oder sonstige Transzendenzbezüge gibt. Ein weiteres Problem essentialistischer Definitionen ist die Gefahr des Reduktionismus (von lat. reducere, zurückführen: engführende Betrachtung eines komplexen Phänomens). Wer das Wesen einer Religion an einigen entscheidenden Eigenschaften festmachen zu können glaubt, der läuft Gefahr, andere, möglicherweise ebenfalls wichtige Aspekte zu übersehen. So etwa wurden im 19. und frühen 20. Jh. häufig die moralischen oder auch die kognitiv-theoretischen Aspekte der Religion überbetont, was u. a. dazu geführt hat, dass die Bedeutung und Funktion von Ritualen für die Religionen lange Zeit unterschätzt wurde. Ein drittes Problem ist, dass essentialistische Definitionen für die Abgrenzung zwischen religiösen und nicht-religiösen Phänomenen weniger leistungsfähig sind, als man zunächst glauben möchte. (Religionsdefinitionen sollen ja auch den Nutzen haben, dass man mit ihrer Hilfe solche Abgrenzungen vornehmen kann). Man kann dies anhand simpler Beispiele erläutern:

2.1 „Religion“: Versuch einer Abgrenzung

Sind etwa Erntedank- und Winzerfeste, die Sonntagsruhe, Weihnachtspost oder die Einhaltung von Osterbräuchen auch in ansonsten nichtreligiösen Familien, sind die Verwendung von Weihnachtsmännern und Engeln als Werbeträger nun religiöse oder nicht-religiöse Phänomene? (Noch schwerer fällt die Abgrenzung in Gesellschaften, deren Kultur stärker religiös geprägt ist.) Essentialistische Religionsdefinitionen tragen zu einer solchen Abgrenzung nun wenig bei: Wer der Meinung ist, das Wesen der Religion sei ihr Transzendenzbezug, der weiß damit im konkret vorliegenden Einzelfall noch nicht, ob dieser Transzendenzbezug nun auch gegeben ist, ob man es also mit einem religiösen Phänomen zu tun hat oder nicht. Genau dasselbe Problem besteht für die anderen aufgelisteten essentialistischen Definitionen. Funktionalistische Definitionen der Religion versuchen den genannten Problemen auszuweichen. Die funktionalistische Betrachtungsweise fragt nicht, was Religionen „ihrem Wesen nach“ sind, sondern was sie im Leben des einzelnen und der menschlichen Gemeinschaften leisten und bewirken, welche Funktionen sie haben. Diese Betrachtungsweise ist näher an den empirisch fassbaren Seiten der Religion. Sie wird häufig von Autoren gewählt, die ihren Hintergrund in der Soziologie oder in der Ethnologie (Völkerkunde) haben. Einen Vorläufer funktionalistischer Definitionen findet man bereits in der Religionskritik des 19. Jahrhunderts. Karl Marx etwa sah in der Religion das „Opium des Volkes“ (73). Er meinte damit einen Bereich, in den die geknechteten Menschen ihre unerfüllten Ideale vom glückenden Leben projizieren konnten, und der gleichzeitig eine Quelle der Beruhigung war (denn im geglaubten Jenseits werde alles besser, es werde Vergeltung für die Leiden, Verzichte und Ungerechtigkeiten auf dieser Welt geben). Insgesamt hat die Religion nach Marx also die Funktion, psychisch und politisch stabilisierend zu wirken. Da sie damit aber den herrschenden (ausbeutenden) politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen zuarbeitet, war die Religion (insbesondere das Christentum) nach Marx auch negativ zu bewerten und daher zurückzudrängen (Lenin sprach später vom „Opium für das Volk“ (72), siehe später Abschnitte 4.4–5). Ohne eine solche wertende Perspektive sehen auch Soziologen und Ethnologen wie Émile Durkheim, Bronislaw Malinowski und Talcott Parsons das Wesen der Religion in ihrer stabilisierenden und harmonisierenden Funktion. Religionen trügen zur Stabilisierung sozialer Systeme bei, insofern sie Menschen in die Gesellschaft integrieren und gemeinschaftsförderndes Verhalten motivieren, indem sie geltende soziale Normen auf einen letzten Grund zurückführen, indem sie Krisenerfahrungen des Einzelnen und der Gruppe, insbesondere die Erfahrung des Todes und des Leidens, durch Rituale und Sinndeutungen bewältigen helfen, und anderes mehr. Ein Problem solcher Konzeptionen ist ihre fragliche empirische Adäquatheit. Die Erfahrung scheint doch zu zeigen, dass Religionen auch ausgesprochen destabilisierende und harmoniestörende Wirkung haben können (man denke etwa an religiös motivierten Terrorismus oder an manche gewalttätige und organisiert-kriminelle Facetten der Voodoo-Religion auf Haiti). Der Funktionalist kann auf diesen Einwand vermutlich nur mit Auswegen reagieren, die allesamt nicht sehr attraktiv erscheinen: Entweder werden solche Phänomene als „gar nicht wirklich religiös“ bzw. eine Art „Verirrung des Re-

Funktionalistische Definitionen

Probleme funktionalistischer Definitionen

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2 Was tun Religionsphilosophen?

Weitere funktionalistische Definitionsversuche: Religion als Transzendenzbewältigung, Komplexitätsreduktion und Kontingenzbewältigung

Probleme dieser Definitionen

ligiösen“ weginterpretiert, oder es wird gesagt, solche Verhaltensweisen würden letztlich doch zur Stützung irgendwelcher kultureller Systeme beitragen – vielleicht eben anderer. Beide Auswege erinnern jedoch stark an sogenannte Immunisierungsstrategien (d. h. vorsorgliche Absicherungen einer Position gegen Einwände jedweder Art). Weitere Probleme hängen mit dem Harmonieideal zusammen, das diese Definitionen offenbar stillschweigend voraussetzen. Kulturen scheinen dann ideal zu funktionieren, wenn ihre Teilsysteme (z. B. Wirtschaft, Recht, politische Entscheidungsfindung, Religion, sonstige Wertvorstellungen) miteinander in Harmonie stehen. Man könnte sich aber erstens fragen, ob und wie dieses Harmoniemodell überhaupt begründbar ist (schwierig daran ist sein normativer Charakter, denn es setzt ja anscheinend voraus, dass es Maßstäbe für „funktionierende“ und „weniger gut funktionierende“ Kulturen gibt). Zweitens ist fraglich, wie weit das Modell anwendbar ist. Vermutlich ist das Modell anhand kulturell und religiös sehr homogener Gesellschaften geprägt worden, wie sie von Religions-Ethnologen gern studiert werden. Es ist aber nicht sicher, ob es auch auf moderne, multikulturelle und multireligiöse Gesellschaften passt. Denn was hieße es etwa genau, von der Gesellschaft eines Staates wie Deutschland zu sagen, dass die einzelnen Teilsysteme ihrer Kultur in Harmonie miteinander sind? Und erst recht, worin bestünde die Stützungsfunktion der verschiedenen Religionen dafür? Die eben erwähnten Probleme machen verständlich, dass es auch funktionalistische Definitionen gibt, die nicht nur bei der Stabilisierung der Gesellschaft und der Kultur ansetzen, sondern mindestens ebenso stark auch die Orientierungsfunktion der Religion für das Individuum betonen. So etwa ist nach den Religionssoziologen Peter L. Berger und Thomas Luckmann unser gesamtes Leben von kleineren und größeren „Transzendenzen“, d. h. vereinfachend gesagt Wissenslücken und Unsicherheiten gekennzeichnet, deren größte der Tod und die Frage nach dem letzten Sinn der Wirklichkeit ist (siehe etwa (89) und (86) sowie die Texte von Berger und Luckmann in (82)). Religionen bieten hinsichtlich dieser großen Transzendenzen Orientierung. (Um Missverständnisse zu vermeiden: Dieser Begriff der Transzendenz ist nicht derselbe wie die in 2.6 zu besprechende Transzendenz Gottes.) Im Grunde in eine ähnliche Richtung geht Niklas Luhmanns Religionsdeutung im Rahmen seiner Systemtheorie. Nach Luhmann hat die Religion die Funktion der „Komplexitätsreduktion“ und „Kontingenzbewältigung“. Um uns in der unübersehbaren und unendlich komplexen Umwelt orientieren zu können, müssen wir Teile davon herausgreifen, ihnen einen Sinn zuschreiben und sie durch Verhaltensregeln erschließen. Dadurch erfolgt „Komplexitätsreduktion“. Dieser Prozess der Orientierungssystemfindung bleibt allerdings immer unabgeschlossen, jedes so gebildete Orientierungssystem ist „kontingent“ (d. h. „zufällig“ in dem Sinne, dass es auch ganz anders aussehen und jederzeit wieder geändert werden könnte; von lat. contingere, zutreffen, sich zutragen). Es verbleibt also immer noch ein Übermaß an Komplexität. Die Religion hat nun die Funktion, diese Komplexität weiter zu reduzieren, indem sie manche Orientierungssysteme gleichsam als unausweichlich hervorhebt (81). Bergers/Luckmanns und Luhmanns Definitionen scheinen zunächst den Engpässen der vorher besprochenen Definitionen ausweichen zu können.

2.1 „Religion“: Versuch einer Abgrenzung

Insbesondere scheinen sie tatsächlich das angestrebte weite Anwendbarkeitsfeld zu haben, das essentialistischen Definitionen fehlt. Bei näherer Betrachtung dürfte sich dieser Vorteil allerdings als Nachteil erweisen. Die Definitionen sind nämlich derart weit, dass auch allerlei Phänomene darunter fallen, die kaum jemand als religiös einordnen würde. Zur Transzendenzbewältigung und Komplexitätsreduktion dienen nämlich auch Wertsetzungen und Ideologien verschiedenster Art, politische Programme, einige philosophische Systeme wie der Marxismus, psychologische Theorien und Techniken, Vorurteile, starke persönliche Anhänglichkeiten an Hobbies sowie and Musik- und Sportidole, an Markenprodukte, usw. Ganz ähnliche Einwände der Trivialisierung und Inhaltsleere betreffen die erwähnte weite Definition von Transzendenz(en): Nicht jede Unsicherheit, jede Wissens- und Erklärungslücke, und sei sie auch bedrückend und gravierend, ist schon Transzendenz im religiösen Sinn. Es gibt also beachtenswerte Definitionsversuche aus verschiedenen Richtungen, aber keine allgemein akzeptierte Definition der Religion bzw. religiöser Phänomene. Das mag auf den ersten Blick als fatale Situation erscheinen, sowohl für die Religionswissenschaften im weiteren Sinne als auch für die Religionsphilosophie im Besonderen. Bei näherer Betrachtung sind diese Unklarheiten allerdings weit weniger bedeutsam. Zunächst relativieren sie sich schon, wenn man einige andere Wissenschaften vergleichsweise heranzieht. Auch z. B. in der Psychologie, der Soziologie oder manchen Kulturwissenschaften ist ja nicht ganz klar und unstrittig, was genau ihr Gegenstand ist. Dennoch würde kaum jemand bestreiten, dass diese Wissenschaften grundsätzlich möglich sind. Für die Religionswissenschaften müsste dann zumindest dasselbe gelten. Allerdings gibt es hier noch einen Einwand: Kann man nämlich Religionsphilosophie betreiben, ohne über eine allgemeine Definition der Religion zu verfügen? Schließlich hat es Philosophie immer mit sehr allgemeinen Überlegungen zu tun, und man könnte daher meinen, dass sie vom Mangel einer allgemeinen Definition besonders betroffen sein müsste. Dagegen spricht jedoch folgende Überlegung: Eine ganz allgemeine Definition der Religion, die auf alle faktischen Religionen passt, wäre notwendigerweise ein sehr inhaltsarmes, abstraktes Konstrukt. Manche religionsphilosophisch durchaus interessanten Aspekte würden ihm vielleicht schon wieder fehlen (Religionen sind ja, wie weiter oben erläutert, äußerst komplexe Phänomene). Zum Beispiel wäre das Gebet ein religionsphilosophisch zweifellos interessantes Phänomen: Glauben betende Menschen irgendwie auf die Welt einzuwirken, wollen sie in Kontakt mit einer außerweltlichen Wirklichkeit treten, wollen sie primär sich selbst und ihre eigene Weltsicht verändern, oder etwas anderes? Nun hat das Gebet in den einzelnen Religionen aber einen sehr unterschiedlichen Stellenwert, z.T. gar keinen. In einer wirklich ganz allgemeinen Religionsdefinition würde das Gebet also nicht erwähnt werden. Das Gebet scheint also ein solcher Fall eines religionsphilosophisch interessanten Phänomens zu sein, das von einer allgemeinen Religionsdefinition nicht erfasst würde. Insgesamt scheint also das Fehlen einer allgemeinen Religionsdefinition die Religionsphilosophie nicht schlimmer zu treffen als die anderen Religionswissenschaften.

Warum die Definitionsfrage gar nicht so entscheidend ist

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2 Was tun Religionsphilosophen? Religionen als komplexe Phänomene mit „Familienähnlichkeiten“ untereinander

Das Christentum als Beispielfall

Einige terminologische Klärungen

Damit scheinen wir uns jedoch in ein Problem hineinzumanövrieren. Wie kann man einerseits von komplexen, nicht genau definierbaren Phänomenen sprechen, sie andererseits aber doch mit dem gemeinsamen Wort „Religion“ zusammenfassen? Die Antwort auf diese Frage baut auf eine Überlegung von Ludwig Wittgenstein auf. Er hat bezüglich eines viel einfacheren Phänomens eine ähnliche Situation diagnostiziert, nämlich bezüglich des Spiels ((250), Philosophische Untersuchungen §§ 66 f.). Es erscheint kaum möglich, eine allgemeine Definition aller Spiele zu finden, die so unterschiedliche Spiele wie z. B. Fußball, Schach, Patiencenlegen, Computerspiele und Tanzspiele abdeckt. Daraus folgt allerdings noch nicht, dass man gar keine allgemeinen philosophischen Betrachtungen über Spiele anstellen könnte. Dazu genügt es nämlich durchaus, wenn es eine Menge an größeren und kleineren Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Spielen gibt. Wittgenstein nannte sie „Familienähnlichkeiten“ (weil sich auch Familienmitglieder in diversen Merkmalen gleichen, ohne dass jedes Mitglied jedes dieser Merkmale haben müsste). Auf solche Familienähnlichkeiten wird man anhand besonders einprägsamer, zweifelsfreier Beispielfälle aufmerksam. Dann fällt es leichter, die Ähnlichkeiten auch der weniger klaren Fälle zu erkennen. Umgelegt auf unsere Frage hieße das: Man kann Religionsphilosophie auch ohne eine klare allgemeine Definition von Religion betreiben, wenn man sich auf einige eindeutige Beispielsfälle von Religionen stützen kann. Dabei wählt man am besten solche Beispielsfälle aus, die man selbst gut kennt. Der Grund dafür ist, dass Religionen aus der Außenperspektive weniger gut verstanden werden können als aus der Innenperspektive (18, S. 15 f.). Auch der vorliegende Text beschreitet diesen Weg. Als Beispielfälle von Religionen dienen ihm das Christentum und (mit einigem einzuräumendem Abstand) das Judentum und der Islam. Was hier entwickelt werden soll, ist also eine Religionsphilosophie, die sich ihrer Prägung durch die Auseinandersetzung besonders mit dem Christentum durchaus bewusst ist. Diese Beispielsauswahl erscheint aber insofern günstig, als sich die (abendländische) Religionsphilosophie ganz deutlich vor dem Hintergrund der Gegenwart dieser drei Religionen, insbesondere des Christentums, entwickelt hat. Wir brauchen die Frage einer allgemeinen Definition der Religion also nicht weiter zu verfolgen. Die bereits weiter oben gegebene Umschreibung von Religionen als komplexe Phänomene mit verschiedenen theoretischkognitiven, sozialen, traditionellen, rituellen, moralischen und anderen Aspekten genügt für unsere Zwecke (natürlich könnte man diese Aspekte jeweils noch beliebig genauer beschreiben). Ganz ähnliche Umschreibungen finden sich auch in der religionswissenschaftlichen Literatur ((84), (97), (92) u. a.). Dass diese Umschreibungen auf das Christentum, das Judentum und den Islam passen, dass diese also Religionen im Sinne dieser Umschreibung sind, dürfte auch dem oberflächlichen Kenner offensichtlich sein. Ohne den Anspruch tiefergehender Analyse sollen hier abschließend einige Termini eingeführt werden (ein Terminus ist ein Ausdruck mit klar geregelter Bedeutung). Sie sind Bestandteil der Bildungssprache geworden und werden in der Religionsphilosophie häufig zur Kennzeichnung von religiösen und religionsphilosophischen Positionen benutzt. Auch im Text dieses Buches werde ich ab und zu auf sie zurückgreifen. (In den Religionswissen-

2.1 „Religion“: Versuch einer Abgrenzung

schaften sind sie heute dagegen kaum mehr in Gebrauch: teils weil sie offenkundig vom Christentum her entwickelt wurden, teils weil es sich um Produkte philosophischer Überlegungen handelt.) Theismus (von griech. theos, Gott) ist die Meinung, dass ein Gott existiert, der die wesentlichen Eigenschaften des jüdisch-islamisch-christlichen Gottesbildes hat: er ist eine Person, allerdings ohne einen räumlichen Körper, allmächtig, allwissend, allgütig, er nimmt am Weltgeschehen Anteil und nimmt auch irgendwie Einfluss darauf. Mitunter wird auch zum Theismus gerechnet, dass Gott die Welt geschaffen hat. Die spezifisch christliche Lehre von der Dreifaltigkeit bzw. Dreipersönlichkeit Gottes (Vater-SohnHeiliger Geist) gehört dagegen nicht mehr zum allgemein verstandenen Theismus. Wir kommen auf die Eigenschaften Gottes nochmals ausführlich in Abschnitt 2.6 zu sprechen. Atheismus ist die Meinung, dass kein Gott im Sinne des Theismus (und auch keiner im Sinne des Pantheismus oder Deismus, siehe unten) existiert. Agnostizismus (von griech. a-, nicht-, und gignoskein, erkennen) ist die Meinung, dass es für die Entscheidung zwischen Theismus und Atheismus (und für andere wichtige religiöse Fragen) keine guten Erkenntnisgründe gibt, dass diese Entscheidung einer rationalen Diskussion also nicht zugänglich ist. (Ein Erkenntnisgrund gibt an, ob etwas der Fall ist oder nicht, während ein Sachgrund angibt, warum etwas der Fall ist). Eine schwächere, d. h. weniger inhaltsreiche und damit schwerer angreifbare Form des Agnostizismus wäre die Meinung, dass es für diese Entscheidung keine zwingenden Erkenntnisgründe gibt (keine zwingenden Gründe haben ist etwas anderes als gar keine guten Gründe zu haben). Negative Theologie ist die Meinung, dass Gott zwar existiere, dass man von ihm aber berechtigterweise nur aussagen kann, dass er bestimmte Eigenschaften nicht hat (etwa die Eigenschaften, einen Körper zu haben, nach menschlichen Nutzenmaßstäben zu kalkulieren, etc.). Dagegen könne man aber keine inhaltlich gehaltvollen Aussagen darüber machen, welche Eigenschaften Gott hat. (Zum Begriff Theologie siehe später Abschnitte 2.2 und 2.5.) Pantheismus (von griech. pan = alles, ganz) ist die Meinung, dass Gott mit der gesamten Wirklichkeit identisch sei, dass es also, grob gesprochen, keinen Unterschied zwischen Welt und Gott gibt, bzw. dass Bestandteile der Welt auch Bestandteile Gottes sind. Deismus (von lat. Deus = Gott) ist die Meinung, dass ein Gott existiert, der am Weltgeschehen keinen Anteil und keinen Einfluss darauf nimmt, aber ansonsten die theistischen Eigenschaften hat. Monotheismus (von griech. monos = einzig) ist die Meinung, dass genau ein Gott im Sinne des Theismus existiert. Polytheismus, (von griech. poly-, viel- und theos, Gott) ist die Meinung, dass mehr als ein Gott existiert. Die theistischen Eigenschaften werden hierbei meist etwas abgeschwächt gedacht (mehrere Götter können z. B. kaum allmächtig sein, ohne sich in ihrer Allmacht zu begrenzen, oder nicht jeder für sich die Welt geschaffen haben). Bekannte Beispiele für Polytheismen sind der griechische und römische Götterglaube. Offenbarung ist die von Gott initiierte Mitteilung von Wahrheiten aus der göttlichen Sphäre an die Menschen.

Theismus

Atheismus

Agnostizismus

Negative Theologie

Pantheismus

Deismus

Monotheismus Polytheismus

Offenbarung

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2 Was tun Religionsphilosophen? Offenbarungsreligion

Offenbarungsreligionen sind Religionen, die sich ihrem Selbstverständnis nach auf ein Offenbarungsgeschehen zurückführen. Judentum, Christentum und Islam sind Offenbarungsreligionen, bei denen Heilige Schriften eine wichtige Rolle spielen. Es kann aber auch noch andere sogenannte Offenbarungsquellen geben. Im katholischen Christentum etwa wird die eindeutige Tradition der Kirche als Offenbarungsquelle anerkannt. In verschiedenen Religionen spielen Offenbarungen an Einzelpersonen eine Rolle.

2.2 Die „Religions-Wissenschaften“ (im weiteren Sinne) Die „ReligionsWissenschaften“

Gibt es eine reine, vergleichende „Religionswissenschaft“ (im engeren Sinne)?

Religionsphilosophie ist keineswegs die einzige Wissenschaft, die die Religion(en) zum Gegenstand hat. Ganz ähnlich wie es eine Vielzahl von Wissenschaften gibt, die sich mit den Wissenschaften beschäftigen und die man mitunter als „Wissenschafts-Wissenschaften“ zusammenfasst (Wissenschaftsgeschichte, Wissenschaftspsychologie, Wissenschaftssoziologie, Wissenschaftsphilosophie u. a.), so gibt es auch eine Reihe von Disziplinen, die einen wissenschaftlichen Zugang zur Religion versuchen. Man könnte sie als „Religions-Wissenschaften (im weiteren Sinne)“ bezeichnen, über ihre Anzahl, ihren Charakter, ihre Berechtigung und ihr gegenseitiges Verhältnis herrschen jedoch Auffassungsunterschiede. Mitunter wird auch in einem engeren Sinne von „Religionswissenschaft“ als einer speziellen Disziplin gesprochen, zum Teil auch von „vergleichender Religionswissenschaft“ oder „Religionsphänomenologie“. Ein näherer Blick in die einschlägige Literatur zeigt jedoch, dass diesbezüglich seit längerem eine Grundlagendebatte im Gange ist. Die Gründe dieser Debatte kennen wir zum Teil schon: Wer „dem Wesen“ der Religionen auf die Spur kommen will, der sucht nach einer essentialistischen Religionsdefinition, die möglicherweise von jenen religiösen Hintergründen her bestimmt ist, die ihm am meisten vertraut sind. Aber auch wer dies nicht anstrebt, wer sich nur auf das scheinbar reine „Vergleichen“ im Rahmen der „vergleichenden Religionswissenschaft“ beschränkt, der begibt sich in eine ähnliche Gefahr: Als vergleichenswürdig erscheint am ehesten, was man auch aus der eigenen Perspektive irgendwie einordnen kann. Und daraus ergibt sich ein Problem, das bereits hinter so unschuldig erscheinenden vergleichenden Begriffen wie „Gebet“ steht. Ist z. B. das christliche „Gebet“ sinnvoller Weise mit dem fünfmaligen täglichen islamischen „Gebet“, dem „Gebet“ eines jüdischen Gläubigen vor der Klagemauer und dem „Gebet“ eines Schamanen vor einer Zeremonie vergleichbar? Oder steckt bereits im Ansprechen solcher möglicherweise sehr verschiedenen Erscheinungen mit der gemeinsamen Bezeichnung „Gebet“ eine unzulässige Verzerrung der Optik unserer Betrachtung? Im Grunde dieselbe Gefahr gilt für die „phänomenologische“ Betrachtung der Religionen. „Phänomenologisch“ heißt hier einerseits „rein auf die Erscheinung bezogen (d. h. unter Absehung von der Wahrheitsfrage)“, andererseits aber auch „nur auf das achtend, was sich an den Phänomenen selbst zeigt, unabhängig von irgendwelchen begrifflichen Einordnungen“. Es fragt sich allerdings, ob es eine solche „rein phänomenologische“, rein beobachtende und völlig „theoriefreie“ Betrachtungsweise überhaupt

2.2 Die „Religions-Wissenschaften“ (im weiteren Sinne)

geben kann. Dies ist keineswegs nur ein psychologisches Problem (dem man durch Übung vielleicht einigermaßen beikommen könnte), sondern eine grundsätzliche erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Frage: ob es eine Beobachtungsweise gibt, die unabhängig von den „Brillen“ irgendeiner Theorie oder eines sprachlichen Systems ist. Schon im Bereich naturwissenschaftlicher Beobachtungen wird dies weitgehend verneint, erst recht dürfte dies im Bereich komplexer, sozial und kulturell mitbedingter Phänomene Religionen zu verneinen sein. Dennoch gibt es einige Autoren, die am Projekt einer solchen vergleichenden oder phänomenologischen Religionswissenschaft festhalten. Als eine Hauptaufgabe weisen sie dieser Disziplin die Erstellung einer Typologie von Religionen zu, d. h. einer möglichst kurzen Liste von allgemeinen Typen, denen möglichst alle Religionen zugeordnet werden können. Sofern man diesen rein vergleichenden oder rein phänomenologischen Zugang nicht für möglich hält, ergibt sich sofort die Folgefrage, welche Methode einer „Religionswissenschaft“ als eigener Disziplin denn sonst eigentümlich sein könnte. Und es ist leicht einzusehen, dass es diese Methode nicht geben dürfte, egal wie man die Definitionsfrage der Religion für sich beantworten mag: (1) Steht man nämlich auf dem Standpunkt, wesentlich für die Religion sei ihr Bezug auf „die Transzendenz“, „das Heilige“ oder sonst eine außerweltliche Größe, dann kann es keine religionswissenschaftliche Methode geben, denn außerweltliche Größen entziehen sich schon definitionsgemäß einem wissenschaftlich-methodischen Zugriff. Denn schließlich ist „Wissenschaft“ ja durch einen methodischen, prinzipiell für jeden durchführ- und wiederholbaren Erkenntnisprozess in einer gemeinsamen Erfahrungswelt gekennzeichnet, während die Transzendenz und das Heilige ja typischerweise als unverfügbare Wirklichkeit verstanden wird, die sich nicht jedem, zu jeder beliebigen Zeit und auf dieselbe Weise erschließt. (2) Definiert man die Religionen dagegen durch irgendwelche andere, innerweltlichen Faktoren (soziologische, psychologische u. a.), dann wäre die Methode der Religionswissenschaft dieselbe wie jene der jeweils zuständigen Wissenschaften. (3) Dasselbe gilt, wenn man keine gemeinsame, auf alle Religionen passende Definition für möglich hält. Dann kann es erst recht keine spezielle religionswissenschaftliche Methode geben. Von einer „Religionswissenschaft“ (im Singular, und im engeren Sinne verstanden) wird heute daher nur mehr selten gesprochen. Vielmehr geht man überwiegend davon aus, dass die Religionswissenschaften (im Plural) in Wahrheit ein Konglomerat von Sub-Disziplinen sind, deren Methoden keine grundsätzlich anderen sind als die der benachbarten Disziplinen: Religionsgeschichte, -soziologie, -psychologie, -ethnologie etc. Diese Sub-Disziplinen spiegeln gleichzeitig die Entwicklung der Geistes- und Kulturwissenschaften seit dem späten 18. Jh. wieder, denn sie haben sich zur selben Zeit und in derselben Reihenfolge entwickelt, in der sich auch die betreffenden Nachbardisziplinen ausdifferenziert haben. Die moderne Religionsgeschichte hat ihre Wurzeln in der philologischen Erschließung der Schriften anderer Religionen. Sie wiederum war wesentlich motiviert durch das Aufkommen der später so genannten historisch-kritischen Bibelwissenschaften: Man entdeckte, dass auch die Bibel zahlreiche Parallelen und Verbindungen zur damaligen religiösen Umwelt aufwies; be-

Das Methodenproblem: Gibt es eine spezielle religionswissenschaftliche Methode?

Speziellere Religionswissenschaften

Religionsgeschichte

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2 Was tun Religionsphilosophen?

Religionssoziologie

Religionspsychologie

Psychoanalytische Religionsdeutungen

sonders gilt dies für das „Alte Testament“ (das sind, grob gesprochen, die dem Judentum und Christentum gemeinsamen heiligen Schriften). Ein wichtiges, heute weitgehend ad acta gelegtes Thema der frühen Religionsgeschichte war die Frage nach einer Ur-Religion der Menschheit. Sie wurde ganz unterschiedlich beantwortet, von einem angenommenen „Ur-Monotheismus“ bis hin zu einem „Ur-Fetischismus“, der Verehrung bestimmter Objekte. Einige Religionsgeschichtler haben sogar Theorien über einen evolutionsähnlichen Verlauf der Entwicklung der Religionen aufgestellt. Hinter vielen dieser Antworten steckte auch ein unausgesprochenes theologisches Interesse, nämlich das der Verteidigung oder der Kritik an der christlichen Religion: Das Christentum konnte dann z. B. als Überwindung früherer Religionsformen verstanden werden, oder auch nur als deren zeitgemäße (aber ebenso unplausible) Fortsetzung. All diese Überlegungen sind heute weitgehend obsolet; aus heutiger Sicht untersucht die Religionsgeschichte hauptsächlich die Erscheinungen des religiösen Wandels: Religionen können sich aus sich heraus verändern, sie können sich aber auch durch den Kontakt mit anderen Religionen wandeln. In jüngerer Zeit haben die weltweit verbreiteten Massenkommunikationsmittel und die erhöhte internationale Mobilität einen starken Einfluss auf solche Wandlungsprozesse von Religionen; derlei Phänomene sind ein neues Studienfeld der Religionsgeschichte. Die Religionssoziologie betrachtet die Religion, insofern sie sich als gesellschaftliches Phänomen zeigt, insofern sie also ein Produkt sozialer Interaktionen ist. Die inhaltliche Innenperspektive der Religion, ihre Inhalte und die Befindlichkeit der Anhänger wird dabei ausgeklammert. Ein wichtiges „Produkt“ der religionssoziologischen Betrachtungsweise haben wir bereits weiter oben kennen gelernt, nämlich funktionalistische Definitionen der Religion. Ein besonderer Interessenschwerpunkt der Religionssoziologie sind naturgemäß die Beziehungen des religiösen Bereichs zu anderen Teilbereichen des gesellschaftlichen Lebens, die ebenfalls soziologisch fassbar sind, etwa zur Ökonomie, zur Moral oder zum Recht. Die Abgrenzung der Religionssoziologie zu anderen Religions-Wissenschaften, etwa zur Religionsgeschichte oder zur Religionsethnologie, ist mitunter schwierig, und etliche ihrer wichtigen Vertreter haben faktisch auf mehreren Gebieten gearbeitet (etwa Bronislaw Malinowski und Lucien Lévy-Bruhl als Religionssoziologen und -ethnologen). Was Religionspsychologie ist und mit welchen Methoden sie arbeitet, ist umstritten. Das ist u. a. eine Auswirkung der unbeendeten Grundlagendebatte, die die Psychologie seit ihrem Entstehen im 19. Jh. begleitet: Hat Psychologie mehr Ähnlichkeiten mit den Naturwissenschaften und den Sozialwissenschaften, soll sie also nach allgemeinen, empirisch überprüfbaren Gesetzlichkeiten für menschliches Verhalten und Erleben suchen und es in diesem Sinne „erklären“ (und sollen diese Erklärungen möglichst anschlussfähig an die Naturwissenschaften sein)? Oder ist sie eher eine verstehende Deutung des menschlichen Verhaltens und Erlebens, womit die Psychologie mehr Ähnlichkeiten mit hermeneutischen (sinnerschließenden) Disziplinen wie Geschichts- und Literaturwissenschaft hätte? Die bekanntesten Varianten der letzteren Antwortlinie sind psychoanalytische Theorien: Hier wird menschliches Verhalten und Erleben als Resultat innerseelischer Prozesse verstanden, die auf den Faktoren „Ich“ – „Es“ –

2.2 Die „Religions-Wissenschaften“ (im weiteren Sinne)

„Über-Ich“ (so bei Sigmund Freud) oder den Faktoren „Ich“ – „persönliches Unbewusstes“ – „kollektives Unbewusstes“ (so bei Carl Gustav Jung) beruhen. Bei Freud wird dieses Modell einer innerseelischen Dynamik zusätzlich noch mit dem Gedanken verbunden, dass unsere psychische Verfasstheit gleichzeitig auch die Entwicklung der Menschheit und die frühkindliche sexuelle Entwicklung widerspiegle. In der Religion spiegelt sich aus dieser Sicht ein traumatisches Erlebnis der frühen Menschheitsgeschichte (nämlich ein Vater-/Häuptlingsmord samt nachfolgender Verspeisung in der postulierten „Urhorde“) und der frühkindliche „Ödipuskomplex“ (die Rivalität mit dem Vater im Begehren der Mutter). Religion ist aus Freuds Sicht eine Form der Triebunterdrückung, weil das „Ich“ die Trieb-Energien des „Es“ durch Aufbau eines religiösen „Über-Ich“ samt entsprechender Vorstellungswelt im Zaum hält. Im Unterschied zu anderen Formen der Triebenergie-Umleitung (Wissenschaft, Kunst, soziales Engagement) beruht die Religion jedoch auf Illusionen, sie ist daher neurotisch und irrational (zum religionskritischen Aspekt von Freuds Theorie siehe unten 4.4). Nach Jung dagegen sind im kollektiven Unbewussten sogenannte „Archetypen“ gespeichert, d. h. allgemein-menschliche Symbole, die in verschiedenen kulturellen (und auch religiösen) Kontexten auf verschiedene Weise Gestalt annehmen können. Beispielsweise entspricht nach Jung die Vierzahl einem solchen Archetyp. Dadurch erklärt Jung u. a. das Bedürfnis vieler Christen nach der gottähnlichen Verehrung der Gottesmutter Maria (als Ergänzung der göttlichen Dreifaltigkeit). Um zu einer stabilen, ausgeglichenen Persönlichkeit zu werden, muss sich der Mensch auch mit den Inhalten des persönlichen und kollektiven Unbewussten auseinandersetzen, und dazu ist die Religion ein möglicher Weg, weil sie eine effiziente Symbolwelt dafür bereitstellt. Das scheinbar positivere Bild der Religion bei Jung (das auch einige Theologen bis heute anspricht) trügt: Erstens wird der Geltungsaspekt der Religion ausgeblendet bzw. umgedeutet, denn „in Wahrheit“ spricht die Religion nur von psychischen Verhältnissen. Und zweitens sieht Jung in der Psychoanalyse selbst das probateste Mittel zur Konfrontation mit dem Unbewussten, die Religion ist daher letztlich verzichtbar. Religionspsychologien, die der ersten oben skizzierten Antwortlinie zuzuordnen sind, die also von einem Verständnis der Psychologie als empirischer Wissenschaft ausgehen, stehen vor einem uns bereits wohlbekannten Methodenproblem: Der Gegenstand der Religion ist empirischer Forschung nicht zugänglich, und auch „echtes religiöses Erleben“ entzieht sich nach verbreiteter Auffassung der empirischen Untersuchung. Die „empirische Basis“ der Religionspsychologie sind also Aussagen und Verhaltensweisen, die man als „religiös“ interpretiert. Fragestellungen der empirischen Religionspsychologie (die besonders in den USA – im Anschluss an William James (The Varieties of Religious Experience, 1902) – weiter entwickelt ist als in Europa) betreffen u. a. die Korrelationen von bestimmten Formen der Religiosität mit psychischer und körperlicher Gesundheit bzw. Krankheit, den Zusammenhang der Entwicklung von moralischen Überzeugungen mit religiösen Überzeugungen, etc. Eine neuere Form der Religionspsychologie sind die Forschungen zur sogenannten „Neurotheologie“. Dort wird untersucht, ob religiöses Erleben mit bestimmten neurophysiologischen Prozessen im Gehirn korreliert und

Das Problem empirischer Religionspsychologie

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2 Was tun Religionsphilosophen?

Weitere, spezifischere ReligionsWissenschaften

Theologie als systematische Entfaltung des Glaubensverständnisses

daher vielleicht auch durch externe Stimulation „erzeugbar“ ist. Auch die Neurotheologie ist allerdings nicht direkt auf das Objekt der Religion gerichtet, sondern ist ein Sonderbereich der empirischen Psychologie. (Auf unberechtigte erkenntnistheoretische Folgerungen aus der Neurotheologie werden wir unten in Abschnitt 4.2 zurückkommen.) Die Palette der Religions-Wissenschaften, die im Grenzgebiet zu anderen Wissenschaften angesiedelt sind, ist damit noch nicht erschöpft. Kurz erwähnt seien etwa die Religionsethnologie, die sich besonders auf die Erforschung der Religionen schriftloser Kulturen konzentriert, aber ansonsten ein Naheverhältnis zur Religionsgeschichte und -soziologie hat, die Religionsgeographie, die z. B. die Verbreitung von Religionen und deren Wanderungen im Lauf der Zeit untersucht, und die nach dem heutigen Selbstverständnis von Geographie ebenfalls in enger interdisziplinärer Zusammenarbeit mit Religionssoziologie und -geschichte vorgeht, sowie die Religionsökonomie, die sich mit wirtschaftlichen Auswirkungen der Religion befasst. Direkte ökonomische Auswirkungen der Religionen sind etwa das Wallfahrtswesen (das z. B. im Islam und im katholischen Christentum einen erheblichen Wirtschaftsfaktor darstellt), religiöse Speiseverbote und -gebote sowie der gesteigerte Konsum an Nahrungs- und Genussmitteln im Umkreis mancher religiöser Feste. Indirekte ökonomische Auswirkungen der Religionen können die Wirtschaftsgesinnung insgesamt betreffen, die durch religiöse und moralische Vorstellungen beeinflusst werden kann. Bekannt ist in diesem Zusammenhang etwa Max Webers These vom Zusammenhang der protestantischen Ethik und ihrer Leistungs- und Verzichtsbereitschaft mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell (Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, 1904/05). – Für eine Übersicht über weitere Disziplinen sei auf (84, S. 146 ff.) verwiesen. Die bisher besprochenen Disziplinen sahen von der Frage nach der inhaltlichen Berechtigung der Religionen jeweils ab, ihr Zugang war in diesem Sinne „wertfrei“. Theologie (von griech. theós = Gott und lógos = Wort, Rede, Lehre, wörtlich also etwa: „Lehre von Gott“) dagegen ist eine normative Wissenschaft und geht von der Voraussetzung aus, dass das Gebäude an Überzeugungen und Vorstellungen einer bestimmten Religion (zumindest grundsätzlich) berechtigt ist und einen Geltungsanspruch erheben kann. Theologie bemüht sich dann, das Glaubensverständnis dieser Religion systematisch zu entfalten, übersichtlich darzustellen und auch in seiner vernünftigen Vertretbarkeit zu verteidigen. Sie hat allerdings nicht nur diese verteidigende, sondern durchaus auch eine religionskritische Funktion, indem sie z. B. auf mögliche Fehlverständnisse und historisch gewachsene Engführungen hinweisen kann. Theologie als „Meta-Theorie zur Religion“ ist von der Vorstellungs- und Überzeugungswelt der Religion selbst zu unterscheiden. Es gehört nämlich nicht wesentlich zu einer Religion, dass sie auch eine Theologie hat. Das Ausmaß, in dem Religionen auch Theologien entwickelt haben, ist faktisch sehr unterschiedlich, am stärksten ausgeprägt dürfte dies im Christentum, Islam und Judentum sein. Besonders typisch für das Christentum (und hier wiederum besonders für das westeuropäisch-abendländische, von der Aufklärung geprägte) ist, dass die Theologien auch die intellektuelle Begegnung mit den anderen Wissenschaften und der Wissenschaftstheorie suchen.

2.2 Die „Religions-Wissenschaften“ (im weiteren Sinne)

Auch das Wort „Theologie“ hat allerdings bei näherer Betrachtung mehrere Verwendungsweisen. In einem eher losen, institutionell-organisatorischen Sinne kann man als „Theologie“ alle Disziplinen, Bildungsinhalte und Fertigkeiten bezeichnen, die an theologischen Forschungs- und Bildungseinrichtungen untersucht und unterrichtet werden. „Theologie“ in diesem institutionellen Sinne zerfällt nach üblicher Auffassung in eine Reihe von Teildisziplinen (Bibelwissenschaften, Moraltheologie etc.), über deren genauen wissenschaftstheoretischen Status es auch einige Kontroversen gibt (siehe weiter unten). In einem spezifischeren, objektiven Sinne wird als die „Theologie“ häufig eine Summe von satzförmig ausdrückbaren Gehalten bezeichnet, die für eine Religion kennzeichnend sind. In diesem Sinne spricht man z. B. von „katholischer“, „protestantischer“ oder „islamischer Theologie“. Was jeweils als diese Theologie im objektiven Sinne verstanden wird, ist nicht ganz von den historischen und kulturellen Perspektiven der Personen unabhängig, die Theologie treiben. Auch ist das oben angesprochene Faktum des historischen Wandels von Religionen nicht zu vergessen. Man könnte daher auch noch einen dritten, subjektiv-personenbezogenen Sinn von „Theologie“ präzisieren: „die Theologie der Person X“ ist die Summe von satzartig ausdrückbaren Gehalten, die die Person X als kennzeichnend für die betreffende Religion ansieht. (Notabene: die Theologie der Person X ist wiederum nicht dasselbe wie die Religion der Person X. Theologie als wissenschaftlich-reflektierende Beschäftigung mit Religion ist nicht dasselbe wie gelebte Religion, auch wenn der letzte Zweck der Theologie nach üblicher Auffassung die Reifung der persönlich gelebten Religion ist.) In einem inhaltlich engeren Sinne wird manchmal von „Theologie“ als der Summe jener Sätze gesprochen, die von Gott (oder einem anderen transzendenten Gegenstand der Religion) handeln, also der „Gotteslehre“ im engeren Sinne. Auch eine solche Theologie kann wieder objektiv oder subjektiv – als Theologie einer Person – verstanden werden. Was sind die Erkenntnisquellen der Theologie, insbesondere wenn sie im letzteren, engeren Sinne als Gotteslehre verstanden wird? Prägend für die Geschichte der Offenbarungsreligionen Judentum, Christentum und Islam ist diesbezüglich folgende Vorstellung: Der Vollsinn ihrer jeweiligen Theologien sei zwar nur im Wege über die göttliche Offenbarung zugänglich und daher nur für jene Menschen akzeptabel, die diese Offenbarung gläubig annehmen. Allerdings sei ein Teil ihrer theologischen Gehalte bereits ohne Glaubenszustimmung, allein durch Anwendung der allgemeinen, menschlichen Vernunft einsehbar. Man nennt diesen letzteren Teil der Theologie „philosophische Gotteslehre“ bzw. „philosophische Theologie“ (in früheren Zeiten wurde zuweilen auch von „natürlicher Theologie“ oder „rationaler Theologie“ gesprochen). Die Existenz und die wesentlichsten Eigenschaften Gottes sind nach dieser Auffassung also auch rein philosophisch, unabhängig von einem bestimmten religiösen Glaubensbekenntnis, für alle vernünftigen Menschen erschließbar. (Anzumerken ist, dass vor allem manche protestantische Theologen letztere Behauptung einschränken oder ablehnen würden.) Eine so verstandene philosophische Theologie betrifft gleichzeitig einen wesentlichen Teil unseres philosophischen Gesamtbildes der Wirklichkeit.

Institutionellorganisatorische, objektive und subjektive Bedeutungen von „Theologie“

Philosophische Gotteslehre (philosophische Theologie) als „metaphysische Religionsphilosophie“

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2 Was tun Religionsphilosophen?

Wissenschaftstheorie der Theologie

Nun ist diejenige philosophische Teildisziplin, der es um eine umfassende philosophische „Wirklichkeitstheorie“ zu tun ist, die Metaphysik ((269), (254)). Besondere Aufmerksamkeit widmen Metaphysiker den Gegenstandsbereichen, die wir in unseren einzelnen Lebensbereichen jeweils zugrundelegen, und deren Zusammenhängen: etwa den Zusammenhängen zwischen den Gegenständen der Naturwissenschaft und den Objekten der Alltagswelt, aber eben auch den Objekten der Religion. Philosophische Gotteslehre ist also traditionell eng mit metaphysischen Überlegungen verbunden, sie kann geradezu als „metaphysische Religionsphilosophie“ charakterisiert werden. Die Berechtigung der philosophischen Gotteslehre und ihre mögliche Bedeutung für den religiösen Glauben wurde in der neuzeitlichen Philosophie und Theologie freilich sehr unterschiedlich eingeschätzt. Das Antwortspektrum reicht von radikaler Ablehnung (aus unterschiedlichen Gründen) einerseits bis hin zur Hochstilisierung als einer Art „Ersatzreligion“. Diesen Fragen nachzugehen, wird einer der wesentlichen Inhalte dieses Buches sein. Auch die Theologie selbst kann wiederum Gegenstand der wissenschaftlichen Betrachtung werden, man nennt diese Disziplin Wissenschaftstheorie der Theologie oder (weniger verbreitet) Meta-Theologie. Wissenschaftstheoretische Fragen können dabei an die Theologie im weiteren, institutionellen Sinne oder auch im engeren Sinne herangetragen werden. In Bezug auf einzelne theologische Disziplinen gibt es wissenschaftstheoretische Grundlagendebatten, wie etwa: Was ist historisch-kritische Bibelwissenschaft und wie unterscheidet sie sich von sonstiger Literaturwissenschaft? Ist Kirchengeschichtswissenschaft eine normale Geschichtswissenschaft oder hat sie einen Sonderstatus? Wird z. B. ein Kirchengeschichtler Fehlleistungen der Kirchen in vergangener Zeit anders interpretieren als ein „profaner“ Historiker? Wie unterscheidet sich christliche Sozialethik von „profaner“ Sozialphilosophie? Wissenschaftstheoretische Fragen an die Theologie im engeren Sinne wären z. B., welche Theorienstruktur eine Theologie eigentlich hat, welche Rolle gewöhnliche, innerweltliche Erkenntnisquellen in ihr neben den Offenbarungsquellen spielen, und ob sich theologische von anderen wissenschaftlichen Erklärungen unterscheiden. Solche Fragen wurden im 20. Jahrhundert, dem Jahrhundert der sprunghaften Entwicklung der Wissenschaftstheorie, ausführlich diskutiert, sie haben allerdings auch schon im Mittelalter breiten Raum eingenommen.

2.3 Das Spektrum erhältlicher Religionsphilosophien Welche zusätzliche Rolle könnte der Religionsphilosophie angesichts dieser Vielzahl von Disziplinen noch zukommen? Und wie kann sich die Religionsphilosophie insbesondere folgendem Dilemma entziehen: Einerseits darf sie weder eine Religionswissenschaft im engeren Sinne sein (dann wäre sie in irgendeinem Sinne beschreibend und keine Philosophie), andererseits darf sie aber auch nicht in dem Sinne normativ sein, dass sie bestimmten Religionen verpflichtet ist (denn sonst wäre sie Theologie)? Angesichts der vielen Auffassungsunterschiede, die wir bezüglich der Religion und der anderen Religions-Wissenschaften kennen gelernt haben, ist mit einer unumstrit-

2.3 Das Spektrum erhältlicher Religionsphilosophien

tenen Antwort auf diese Frage nicht zu rechnen. Und tatsächlich – wer in einer größeren Bibliothek die unter „Religionsphilosophie“ eingereihten Bücher auch nur querliest, der wird schnell Zweifel bekommen, ob er es denn wirklich mit einer einheitlichen und abgrenzbaren Disziplin zu tun hat. Um die Unübersichtlichkeit zu reduzieren, sei als erste Orientierung eine Klassifikation von fünf Grundtypen von Religionsphilosophien vorgeschlagen. Freilich werden faktisch bei vielen Autoren Motive aus zwei oder mehreren Typen zusammenfließen. Die Liste ist dabei nach folgendem Gesichtspunkt angeordnet: vom Typ A bis zum Typ E tritt der Aspekt zunehmend deutlicher in Erscheinung, dass die Vernünftigkeit oder zumindest die vernünftige Rekonstruierbarkeit von Bestandteilen der Religion betont bzw. verteidigt werden soll. (Gegenüber einer ähnlichen Klassifikation in (19) ist diese Liste allgemeiner und lässt speziell einige neuere Strömungen der analytischen Religionsphilosophie besser einordnen.) Wir haben gesehen, dass eine allgemeine Definition der Religion bzw. auch nur eine Beschreibung des Religiösen nicht einfach ist – sogar dann, wenn man sich auf einigermaßen vertraute Religionen als Beispiele beschränkt. Nach einer verbreiteten Auffassung ist es nun die primäre Aufgabe der Religionsphilosophie, die „religiöse Befindlichkeit“, d. h. die besondere Art von Lebens- oder Weltgefühl bzw. die grundlegende Einstellung zur Wirklichkeit, die für Religionen prägend ist, zu analysieren und zu artikulieren. Als Paradebeispiel für eine solche Position wird häufig auf Friedrich Schleiermacher und seine Charakterisierung der Religion als „Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit“ verwiesen (77). Historisch betrachtet ist dies eine inkorrekte Engführung, die etliche andere Aspekte von Schleiermachers Religionsphilosophie ausblendet ((18), Kapitel F). Religionsphilosophie bewegt sich nach dieser Auffassung im Grenzbereich zu religionsphänomenologischen Ansätzen, aber auch zur Religionspsychologie. Auch die Religionsphilosophie Ludwig Wittgensteins, soweit sie aus seinen verstreuten Stellungnahmen erhebbar ist, gehört in manchen ihrer Aspekte hierher (239). Andere Autoren setzen bei der erwähnten Vielaspektigkeit der Religionen an und verstehen unter „Religionsphilosophie“ den Versuch, die Komplexität dieses Phänomens zu verstehen und evtl. sogar eine Art „Wesen“ der Religion herauszuarbeiten. Die Grenzen zur Religionswissenschaft im engeren Sinne, also zur eher empirischen Beschreibung religiöser Phänomene, und insbesondere zu religionsphänomenologischen Ansätzen darin sind hier in vielen Fällen freilich fließend. Der erwähnte Rudolf Otto (90) wird beispielsweise ebenso oft als Religionswissenschaftler wie als Religionsphilosoph eingereiht. Deutliche Züge einer Typ B-Religionsphilosophie finden sich aber z. B. auch in den Werken von G. W. F. Hegel (62) und Martin Heidegger (113). Die Philosophie des 20. Jahrhunderts ist u. a. durch eine verstärkte Hinwendung zur Sprache gekennzeichnet (den sogenannten „linguistic turn“). Dahinter steckt die Einsicht, dass philosophische Untersuchungen ihren verlässlichsten (da öffentlich zugänglichen!) Ausgangspunkt in unserem sprachlichen Verhalten zur Wirklichkeit haben. Einen sprach-unabhängigen, direkten Zugriff auf die Wirklichkeit, sei es durch die Analyse unserer Gedankenwelt oder sonst irgendwie, gibt es nach dieser Auffassung also nicht. Nun ist gerade das religiöse Sprechen (im weitesten Sinne, von Beschwörungen

Typ A: Religionsphilosophie als Analyse und Artikulation der religiösen Befindlichkeit

Typ B: Religionsphilosophie als Frage nach dem Wesen der Religion

Typ C: Religionsphilosophie als Analyse der religiösen Sprache

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2 Was tun Religionsphilosophen?

Typ D: Religionsphilosophie als Verhältnisklärung zwischen religiösen und anderen Erklärungen

Typ E: Religionsphilosophie als Verteidigung der (Un-)Vernünftigkeit der Religion, oder sogar einer bestimmten Religion

über das Gebet, das Predigen, das Lossprechen bei der Beichte bis hin zum Theorien-Bilden in der Theologie) durch eine Reihe von Eigenarten gekennzeichnet. Mit dem Beschreiben irgendwelcher Fakten (das Jahrhunderte lang als die zentrale Funktion unserer Sprache angesehen wurde) haben die meisten dieser Sprachverwendungen wenig zu tun. Dementsprechend fassen viele Philosophen die Analyse der Eigenart der religiösen Sprache (und ihre Unterschiede zu anderen Sprachverwendungsweisen) als zentrale Aufgabe der Religionsphilosophie auf, und speziell aus den 1930er bis 1970er Jahren gibt es dazu eine reichhaltige Literatur ((237), (217)). Die inhaltlichen Ergebnisse der einzelnen Autoren differieren freilich beträchtlich, teils sind sie ausdrücklich religionskritisch (siehe unten Abschnitt 4.1). Allerdings gibt es neben vielen Unterschieden auch interessante Ähnlichkeiten zwischen der Religion und anderen Lebensbereichen. Eine Ähnlichkeit zwischen Religion und Wissenschaft besteht darin, dass in beiden Bereichen Behauptungen gemacht werden und dass beide Bereiche irgendwie mit „Erklärungen“ zu tun haben. So meinen etwa Gläubige vieler Religionen, dass sie über eine Erklärung für unser Herkommen, für das Zustandekommen und für den Sinn des Übels in der Welt verfügen. Nun gibt es zwischen religiösen und wissenschaftlichen Erklärungen sicher große Unterschiede (etwa taugen religiöse Erklärungen nicht für Prognosen und technische Verwertungen, man kann damit weder Vulkanausbrüche vorhersagen noch Brücken bauen), andererseits scheint es doch auch Ähnlichkeiten zu geben, die die Verwendung desselben Wortes „Erklärung“ rechtfertigen. So etwa müssen wissenschaftliche ebenso wie religiöse Erklärungen irgendeinen Erfahrungsbezug haben und bestimmten Mindeststandards logischer Stimmigkeit gehorchen (siehe Teil 5). Auch scheint es wissenschaftliche Erklärungen zu geben, die in Bezug auf Prognosen und technische Verwertbarkeit zwar ähnlich wenig leisten wie religiöse Erklärungen, die uns andererseits aber doch einen Wirklichkeitsbereich besser verstehen lassen. Die Erklärungen, die die Evolutionstheorie bietet, wären ein Beispiel dafür: Sie sagt uns, woher die biologische Vielfalt kommt, gestattet aber kaum gehaltvolle Voraussagen künftiger Entwicklungen. Viele Autoren betrachten es als zentrale Aufgabe der Religionsphilosophie, die Eigenart religiöser Erklärungen und die angedeuteten Ähnlichkeiten und Unterschiede zu anderen Erklärungsweisen näher herauszuarbeiten. Ein prominentes Beispiel aus der Gegenwart ist Richard Swinburne (der aber auch unter Typ E gehört, (196), (199)). Das Verhältnis religiöser zu anderen Erklärungen war aber auch ein wichtiges Thema bei Wittgenstein (239). Damit ist noch die Frage offen, ob religiöse Erklärungen etwas Vernünftiges oder Unvernünftiges sind. Viele Autoren betrachten den Antwortversuch auf diese Frage als zentrale Aufgabe der Religionsphilosophie, und sie erachten daher diese Frage als eine sinnvoll stellbare Frage. Freilich fallen die Antworten auf diese Frage durchaus unterschiedlich aus: Es gibt hier Positionen, die die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens, oder sogar einer bestimmten Religion, philosophisch verteidigen wollen, ebenso wie Positionen, die die Unvernünftigkeit der Religion begründen wollen (letztere Positionen fasst man häufig unter dem Stichwort „Religionskritik“ zusammen). Religionsphilosophien vom Typ E können dabei inhaltlich gesehen sehr unterschiedliche Formen annehmen. Hierher gehört die traditionelle philo-

2.4 Das Kernproblem der Religionsphilosophie

sophische Gotteslehre, hierher gehören aber auch verschiedene Argumente aus religiöser Erfahrung und andere Begründungen mehr. Eine Übersicht über diese Begründungsformen findet sich in Abschnitt 3.1, und die nähere Analyse ihrer jeweiligen Hauptargumente bildet den Schwerpunkt dieses Buches. Zur Religionsphilosophie gehören keineswegs nur die Untersuchungen von Autoren, die der Religion insgesamt freundlich bis verteidigend gegenüberstehen. Religionsphilosophie grenzt sich durch ihr Thema und nicht durch die genauen Inhalte der jeweiligen Stellungnahmen ab. Ein wesentlicher Teil der neuzeitlichen Religionsphilosophie (wenngleich mit Vorläufern bis in die Antike) ist die sogenannte Religionskritik, die die Inhalte und sozial-kulturellen Auswirkungen der Religion argumentativ kritisiert (siehe unten Abschnitt 3.1 und (ausführlich) Teil 4). Eine Sonderform von Religionsphilosophien vom Typ E sind jene Positionen, die der Religion zwar eine relative, vorübergehende Berechtigung zusprechen, die aber von einer längerfristigen Ablösung der Religion durch philosophische oder wissenschaftliche Theorien ausgehen. Solche Positionen kommen in eher religionsfreundlichen wie auch religionskritischen Varianten vor. Für Auguste Comte etwa vollzieht sich die Geschichte der Menschheit als Übergang von einem religiös-magischen über ein pseudowissenschaftlich-metaphysisches hin zu einem wissenschaftlichen Stadium. Dieses Deutungsmuster wurde von vielen Philosophen im 19. Jahrhundert übernommen, etwa von Franz Brentano. Georg Wilhelm Friedrich Hegel und andere Vertreter des „Deutschen Idealismus“ gingen noch weiter und versahen die Welt- und Menschheitsgeschichte mit einer spekulativen, geschichtsphilosophischen Deutung (zur Geschichtsphilosophie siehe (283)). Diese Geschichte sei insgesamt ein Prozess, in dem sich der göttliche „absolute Geist“ zu sich selbst entwickelt. Die Religionen, vorzugsweise das Christentum als Offenbarungsreligion, seien ein Weg, auf dem der endliche, menschliche Geist in einen vorblick-haften Kontakt mit dem unendlichen Geist treten könne ((19), S. 37–44). Wie gesagt, kommen die vorstehenden Typen meist nicht rein vor, und die Arbeiten vieler Autoren wären mehreren Typen zuordenbar. Weitergehende Überlegungen könnten das gegenseitige Verhältnis von Religionsphilosophien der Typen A bis E betreffen: Etwa wäre es interessant zu fragen, inwieweit sich Religionsphilosophien vom Typ B in der Regel auch das Anliegen jener vom Typ A zu eigen machen, diejenigen vom Typ C auch das Anliegen jener der Typen A und B, oder umgekehrt, usw. Diese Fragen seien dem Leser zur eigenen Überlegung überlassen.

2.4 Das Kernproblem der Religionsphilosophie: Die Frage nach der (Un-)Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen Auch der vorliegende Text beansprucht nicht, völlig jenseits der angeführten Typologie zu stehen. Er versteht sich als eine Religionsphilosophie vom Typ E, die jedoch auch Motive der Typen D und C übernimmt. Als Kernproblem der Religionsphilosophie wird die Frage betrachtet, welche Argumente für

Religionsphilosophie und Religionskritik

Eine Sonderform: Ablösung von Religion durch Philosophie oder Wissenschaft

Zusammenhänge zwischen diesen Typen

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2 Was tun Religionsphilosophen?

Philosophie als Integrativwissenschaft

und wider die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen es gibt (das ist die „Typ E-Komponente“, mit Schwerpunkt in den Teilen 3 und 4). Diese Frage führt aber zur Anschlussfrage hin, welche Art von Erklärungen Religionen eigentlich anbieten, was eine „religiöse Weltanschauung“ ist und welchen Sinn Argumente in diesem Zusammenhang überhaupt haben (das ist die „Typ D und C-Komponente“, mit Schwerpunkt in Teil 5). Damit diese Entscheidung nicht einfach als unbegründete Option erscheint, sei sie im Folgenden etwas erläutert. Ein weiterer wichtiger Grund für die Unübersichtlichkeit in Sachen Religionsphilosophie wurde bisher noch nicht erwähnt. Nicht nur für Religion gibt es nämlich keine allgemein anerkannte Definition, dasselbe gilt auch für Philosophie. Die Erwartungshaltungen, was Philosophie leisten sollte und wie sie vorzugehen hat, unterscheiden sich deutlicher als in anderen Disziplinen. Nach der hier vertretenen Auffassung ist Philosophie eine Art Integrativwissenschaft. Sie hat die Zusammenhänge von allem, womit sich der Mensch auseinander zu setzen hat, aus eigener Einsicht zu klären, d. h. nicht durch Verweis auf irgendein vorgegebenes Weltbild, sei es das einer Religion, eines politischen Programms oder dergleichen. Hinter dieser Philosophieauffassung steht folgende Überlegung: Wir Menschen machen in unserem Leben sehr vielfältige Erfahrungen, etwa die Erfahrungen eigener körperlicher und geistiger Vorgänge, Naturerfahrungen und die Erfahrung des Umgangs mit allerlei technischen Hilfsmitteln, die Erfahrung des Zusammenlebens, die Teilhabe an sozialen, politischen und ökonomischen Prozessen, die Konfrontation mit Kunst und Kulturschaffen, die Erfahrung von Glück und Erfolg, Begrenzung und Scheitern bis hin zur Erfahrung von Leid, Sinnlosigkeit und Tod, und eben auch die Begegnung mit Religionen, ihren Inhalten und ihren sozialen Erscheinungsformen. Für manche dieser Bereiche haben wir mehr oder minder weit reichende Orientierungshilfen entwickelt, etwa in Form natur- und sozialwissenschaftlicher Theorien. Wer z. B. eine Kaffeemaschine bedienen und den Politik- und Wirtschaftsteil einer Zeitung einigermaßen richtig verstehen kann, der verfügt über (zumindest ansatzweise) naturwissenschaftliche und sozialwissenschaftliche Theorien. Zur Orientierung im Leben dienen allerdings auch unsere außerwissenschaftlichen, alltäglichen „Theorien“ und Verallgemeinerungen, etwa über die moralische Zulässigkeit von Handlungsweisen, über die durchschnittlichen Emotionen, die Menschen in bestimmten Situationen zu haben pflegen, und über den erfahrungsgemäßen Verlauf von alltäglichen Handlungsabfolgen. Auch die Religionen mit ihrer Vorstellungswelt, mit ihren Handlungsregeln und anderem gehören für manche Menschen zu diesen Orientierungshilfen, die unser Leben strukturieren. Innerhalb dieser Teil-Orientierungssysteme gibt es auch Begründungen und andere vernünftig nachkonstruierbare Zusammenhänge. Dass es z. B. zwischen Wärmelehre und Mechanik Zusammenhänge gibt, ist ebenso bekannt wie die Zusammenhänge zwischen Ernährungsmedizin und Herz-/ Kreislaufmedizin oder zwischen Emotionspsychologie und Wirtschaftspsychologie. Solange eine Problemstellung die Grenzen solcher Lebensbereiche nicht überschreitet, funktioniert unsere Orientierung auch weitgehend reibungslos. Wir beanspruchen, vieles zu wissen und viele der Zusammen-

2.4 Das Kernproblem der Religionsphilosophie

hänge zu überschauen. Dieses Bild ändert sich, sobald bereichsübergreifende Probleme und Fragestellungen auftauchen. Ein anschauliches Beispiel bietet etwa die Frage, ob die Organentnahme bei gehirntoten Menschen zulässig ist. Hier sagt uns unser medizinisches Wissen als Orientierungssystem, dass bei einem gehirntoten Menschen kein Schmerz und auch keine Rückkehr des Bewusstseins möglich ist, sodass eine Organentnahme medizinisch völlig problemlos erscheint (von den technischen Problemen sei hier einmal abgesehen). Zur Hilfe für andere Patienten ist sie sogar angezeigt. Allerdings ist auch unsere emotionale und wertende Zugangsweise zum Körper des Menschen ein Orientierungssystem, und viele Menschen haben aus Pietät auch noch gegenüber einem Körper ohne Bewusstsein Vorbehalte gegen Organentnahmen. Ebenso verstehen Rechtsordnungen, die ebenfalls Orientierungssysteme sind, unter menschlichen Körpern mehr als eine bloße Sache, sodass die Organentnahme auch aus rechtlicher Sicht nicht unproblematisch ist. In unseren westlichen Kulturen wird dieses Problem nun meist ungefähr so gelöst, dass der Gesichtspunkt der Hilfe für andere Patienten höher gewichtet wird und die Organentnahme zulässig ist (sofern damit dem Willen des betroffenen Menschen oder seiner Angehörigen einigermaßen Genüge getan wird). Dazu werden dann entsprechende Sonderregelungen in die jeweiligen Rechtsordnungen aufgenommen. Der entscheidende Punkt hinter diesem Beispiel ist, dass eine solche Regelung weder das Resultat allein einer medizinischen, noch allein einer emotionalen, noch allein einer juristischen Überlegung sein kann. Es muss hier vielmehr so etwas stattgefunden haben wie eine bereichsübergreifende, philosophische Überlegung, die begründete Abwägung zwischen unterschiedlichen Gesichtspunkten. Es ist also kein Zufall, dass im Vorfeld der rechtlichen Regelung Rechtsphilosophen, Medizinethiker u. a. beigezogen werden, denn Philosophie zeigt gerade an solchen konkreten Beispielen ihren Charakter als übergreifende Integrativwissenschaft. Philosophie ist aus dieser Sicht eher eine Tätigkeit als eine fertige, vielleicht aus irgendwelchen Büchern einfach übernehmbare Theorie. Philosophie lässt insbesondere den einzelnen Lebensbereichen ihr Eigenrecht. Sie kann und will weder Ersatz für Forschungen im Gebiet der einzelnen Wissenschaften sein, sie kann auch das konkrete, praktische Engagement des Menschen in Beruf, Familie, Religion, Politik u. a. nicht ersetzen, und sie erspart es dem Einzelnen insbesondere nicht, sich selbst eine Meinung und einen Standpunkt in wichtigen Fragen zu bilden. Philosophie ist also kein Weltanschauungs-Ersatz. Sie bietet eher Hilfsmittel an, die eigene Weltanschauung in kritischer Auseinandersetzung weiterzuentwickeln. Für die philosophische Betrachtung der Religion folgt aus dieser Auffassung, dass die Frage nach den Ähnlichkeiten, nach den Unterschieden und nach den Zusammenhängen der Religion mit anderen Lebensbereichen von vorrangigem Interesse ist. Ein markanter solcher Zusammenhang scheint nun eben darin zu bestehen, dass die Religionen ebenso wie die Naturwissenschaften und die Geschichtswissenschaften in einem gewissen Sinne Erklärungen anbieten, warum die Welt so ist, wie sie ist. Manche Menschen stellen diesen Zusammenhang in Abrede und meinen, das Wort „Erklärung“ werde hier ganz einfach mehrdeutig benutzt. In manchen Gegenden der

Ein Beispiel für Philosophie als bereichsüberschreitendes Fragen

Die Aufgabe der Religionsphilosophie aus dieser Sicht

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2 Was tun Religionsphilosophen?

Andere Philosophieauffassungen: Philosophie als Weltbild-Angebot

Welt, etwa einigen US-Bundesstaaten, wird umgekehrt so ein deutlicher Zusammenhang gesehen, dass man in der Schule zwischen dem Unterricht in Evolutionsbiologie und biblischer Schöpfungslehre wählen kann. Solche und andere Beobachtungen sind ein naheliegender Ansatzpunkt philosophischer Überlegungen, und deshalb greift der vorliegende Text auch Fragen einer Religionsphilosophie vom Typ D auf. Man kann solche Probleme allerdings kaum sinnvoll erörtern, ohne die Frage nach verschiedenen Sprachverwendungsweisen zu stellen. Schon der Hinweis, dass ein Wort wie „Erklärung“ möglicherweise mehrdeutig funktioniert, macht das nur allzu deutlich. Außerdem spielen verschiedenste spezielle Sprachverwendungsweisen (siehe oben) gerade in den Religionen eine auffällige Rolle. Religionsphilosophie wird also kaum ohne Fragen vom Typ C auskommen. Und insgesamt soll es – im Sinne von Typ E – um die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen gehen. Die eben skizzierte Auffassung von der Philosophie ist keineswegs selbstverständlich. Als Philosophie treten nämlich auch Positionen und Texte auf, die ein möglichst umfassendes, abgerundetes Bild, eine Art zusammenfassende Gesamtvision der Wirklichkeit anbieten und verteidigen wollen. Gerade im Bereich der Religionsphilosophie ist dies mitunter zu beobachten, wenn Philosophen gleichzeitig stark vom Hintergrund einer Religion geprägt sind. Philosophie kann in solchen Fällen deutliche Züge eines Weltanschauungs-Ersatzes annehmen, und mitunter sind die Grenzen zur Theologie unklar. Wir kommen darauf nochmals in Abschnitt 2.5 zurück. Weltanschauungs-Philosophien stammen aber auch häufig von Autoren, die ihren denkerischen Hintergrund in der (Astro-)Physik oder der Evolutionsbiologie haben. Menschliches Verhalten und Kultur, Geschichte und Politik, Religion und Moral werden dann z. B. in einem evolutionären Deutungsrahmen betrachtet ((219), (220); eine Textsammlung bietet (259)). So werden etwa menschliche Verhaltensmuster wie Kooperation, kulturelle Errungenschaften wie die Schrift oder moralische Überzeugungen auf ihre evolutionäre Vorteilhaftigkeit hin untersucht, teils im Sinne einer evolutionären Erklärung, teils auch im Sinne einer wertenden Betrachtung. Insgesamt wird also versucht, von einem naturwissenschaftlichen Theorienbereich her eine umfassende Weltanschauung zu entwickeln (zum Begriff Weltanschauung siehe unten Abschnitt 5.2). Offenbar kommen Theorien wie die Astrophysik und Evolutionsbiologie, die an sich schon relativ großräumige Erklärungsbereiche abdecken, solchen Tendenzen nach weltanschaulichem Ausbau besonders entgegen. Der vorliegende Text hält sich von solchen Ansätzen einer GesamtvisionsPhilosophie bewusst fern. Religionsphilosophie soll hier weder im Sinne eines religiösen (oder antireligiösen) Gesamtbildes der Wirklichkeit entwickelt werden, noch unter Zugrundelegung der Naturwissenschaften als Leittheorie, noch aus sonst einer dominanten Perspektive. Dahinter steht die Überzeugung, dass es verschiedenste Felder gibt, auf denen wir vernünftige Überlegungen anstellen, Begründungen erwägen und Argumente vorbringen. Man sollte also nicht von vornherein ein spezielles solches Feld als primäre Form der Rationalität betrachten und dann versuchen, alle anderen Bereiche aus dessen Perspektive zu sehen. Im Falle der Naturwissenschaften ist es z. B. so, dass man sie nicht gegen unsere Standards von Vernünftigkeit im

2.4 Das Kernproblem der Religionsphilosophie

Alltagsleben ausspielen sollte. Im Gegenteil, es ließe sich sogar zeigen, dass der naturwissenschaftliche Zugang zur Wirklichkeit nur ein ganz spezieller und abgeleiteter ist. Er funktioniert und konnte nur deshalb entwickelt werden, weil es stabile Erkenntnisformen, Handlungszusammenhänge und Vernünftigkeitsstandards im Alltagsleben gibt, im Umgang mit den Dingen unserer gewöhnlichen Lebenswelt. Ein einfaches Beispiel möge dies illustrieren: Wonach beurteilen wir, ob Messgeräte – ohne die es keine Naturwissenschaft gäbe! – korrekt funktionieren? Letztlich tun wir dies durch normale, alltägliche Praktiken wie denen des genauen Ablesens, des Vergleichens mit anderen Messgeräten, durch unsere Einschätzung, ob die Messbedingungen und das Benützerverhalten passend waren, etc. Wir beurteilen es nicht ausschließlich durch die Anwendung von Naturgesetzen – denn die Naturgesetze erklären das Verhalten von Messgeräten, die nicht funktionieren, genauso wie das Verhalten funktionierender Messgeräte (siehe dazu z. B. (114), S. 63–70). Die vorstehenden Überlegungen sollten nicht zur Kritiklosigkeit gegenüber beliebigen Geltungsansprüchen einladen, auch und gerade nicht im religiösen Bereich. Es geht in diesem Buch, wie gesagt, primär um die Frage der Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen. Gegen die Meinung, dass eine solche Frage doch von vornherein falsch gestellt sei, spricht folgende Überlegung: Wenn man durchschnittliche Angehörige einer Religion fragen würde, ob sie ihren Glauben, ihre Religiosität als etwas Vernünftiges bezeichnen würden, so würden die meisten diese Frage – wenngleich vielleicht zögernd oder mit einem gewissen begrifflichen Unbehagen („nun ja, was heißt eigentlich „vernünftig“?“) – wohl eher bejahen. Auch nichtreligiöse Personen würden für ihre Position meist Gesichtspunkte der Vernünftigkeit ins Treffen führen. In vielen Fällen wären religiöse und nichtreligiöse Personen sogar bereit, für ihre Positionen zu argumentieren. Anders als etwa die Vorliebe für Erdbeereis oder die Abneigung gegen Wollpullover scheint Religion also nicht zu den reinen Geschmackssachen des Lebens zu gehören. Manche Gläubige würden die Frage vielleicht nicht sofort mit Ja oder Nein beantworten, sondern gewisse Differenzierungen vorschlagen, etwa nach dem Muster „nun ja, nicht in dem Sinne vernünftig, dass ich einen Beweis auf den Tisch legen könnte, der jeden überzeugt, vielleicht sogar den Nichtgläubigen, aber doch vernünftig in dem Sinne, dass ich gewisse Gründe habe, warum ich dazu stehen kann, warum es mir ganz vernünftig vorkommt, religiös zu sein, d. h. die Inhalte einer Religion anzunehmen, an ihren Ritualen und sonstigen sozialen Erscheinungen teilzunehmen, ihre Handlungsweisen zu teilen, etc.“. Ein anderes Muster könnte so aussehen: „Es scheint mir zumindest nicht prinzipiell unvernünftig zu sein, ein religiöser Mensch zu sein – auch sonst im Leben handle ich ja dauernd aufgrund von Voraussetzungen, die ich nicht vollständig begründen könnte. Aber ich handle eben, solange mir diese Voraussetzungen nicht unvernünftig vorkommen.“ Genau dieselben Differenzierungen könnten in umgekehrter Richtung auch von nicht-religiösen Personen vorgenommen werden. Man kann diese Differenzierungen als Hinweis darauf sehen, dass auch die Bedeutung der Wörter „Vernunft“/„vernünftig“ nicht klar auf der Hand liegt. Tatsächlich ranken sich darum seit langer Zeit philosophische Kontro-

Verschiedene Bedeutungen von „vernünftig“

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2 Was tun Religionsphilosophen?

Persönliche und interpersonale Begründungen

versen, deren Ende nicht absehbar ist. Von Philosophen wurden auch diverse Unterscheidungen für verschiedene Formen von Vernunft vorgeschlagen. Zum Allgemeingut geworden ist etwa die Unterscheidung zwischen „theoretischer“ und „praktischer“ Vernunft: Während erstere mit der denkerischen Durchdringung der Wirklichkeit (d. h. ohne vordergründiges Eingriffs- und Gestaltungsinteresse) zu tun hat, geht es letzterer um die Vernünftigkeit unseres Handelns, Veränderns und Gestaltens, letztlich unserer Lebensführung als Individuen und Gemeinschaftswesen. Stärker umstritten ist die Fruchtbarkeit der Unterscheidung zwischen „Rationalität“ und „Vernunft“. Viele Denker verwenden diese Wörter unterschiedslos. Nach anderen dagegen betrifft „Rationalität“ den möglichst optimalen Mitteleinsatz zur Verfolgung vorgegebener Zwecke, während „Vernunft“ ein weiter gefasstes Vermögen des Menschen ist, das sich auch mit der Rechtfertigung von Zwecken beschäftigt ((116), (112)). Aber auch wenn man diese Unterscheidungen grundsätzlich akzeptiert, verbleibt das Problem, dass die unterschiedlichen Vernunftformen nicht trennbar sind, sondern zusammenhängen. Wer vernünftig handeln will, tut gut daran, sich über theoretische Zusammenhänge auf seinem Handlungsfeld, etwa über die Folgen seiner Handlungen, zu informieren. Umgekehrt bemessen wir die theoretische Vernünftigkeit von Behauptungen, Theorien etc. oft danach, ob sie sich in irgendwelchen Handlungsfeldern bewähren, ob sie also praktisch brauchbar sind. Ein gemeinsamer Kern aller Vorstellungen von Vernünftigkeit liegt darin, dass im vernünftigen Denken und Handeln immer der Standpunkt der eigenen Person überschritten wird. Vernünftiges Denken und Handeln muss gegenüber anderen Personen irgendwie rechtfertigbar, verteidigbar, begründbar sein. Wenn man danach gefragt würde, müsste man Gründe für sein Handeln haben, die auch für beliebige andere Personen als Gründe erkennbar wären, die Begründung müsste also interpersonal sein. Gerade im Bereich der Religion scheint hier auf den ersten Blick aber eine wesentliche Schranke zu bestehen, denn die Erfahrung zeigt doch, dass durchaus vernünftige Personen über religiöse Angelegenheiten sehr unterschiedliche Meinungen haben. Dazu ist zu sagen, dass die Frage nach Gründen zu unterscheiden ist von der Frage, ob auch jedermann diese Gründe vollständig nachvollziehen und als gute Gründe anerkennen würde. Gerade im religiösen Bereich ist mit persönlichen Begründungen zu rechnen, die nicht ohne Weiteres über-persönlich verallgemeinerbar sind. Etwa mögen persönliche religiöse Erfahrungen von den betreffenden Personen als gute Gründe für religiöse Überzeugungen angesehen werden, sie sind aber nicht wirksam gegenüber Personen, die solche Erfahrungen nicht gemacht haben. Immerhin könnten jene Personen aber verstehen, welche Begründungsstruktur hier vorliegt. Solche persönliche Begründungen sind im Übrigen nicht bereichstypisch für die Religion. So kann etwa jemand aufgrund prägender Erfahrungen im persönlichen Umgang mit einem Menschen eine starke Begründung für sein Vertrauen bzw. Misstrauen in diesen Menschen haben. Wer diese Erfahrungen nicht gemacht hat, wird die Begründung vielleicht nicht nachvollziehen können, aber in vielen Fällen immerhin das allgemeine Muster der Begründung verstehen und als grundsätzlich vernünftig anerkennen. Wir kommen

2.4 Das Kernproblem der Religionsphilosophie

auf persönliche und interpersonale Begründungen nochmals ausführlich zurück (Abschnitt 5.5). Religionen wurden weiter oben als komplexe Phänomene charakterisiert. Betreibt man nun, wie oben erläutert, Religionsphilosophie im Sinne des Typs E mit deutlichen Akzenten auch der Typen D und C, dann liegt es nahe, sich auf die kognitiven, theorieähnlichen, sprachlich formulierbaren Aspekte der Religion zu konzentrieren. Es geht dann um die Abwägung von Argumenten für und gegen diese kognitiven Aspekte. Die sonstigen Aspekte der Religion sollen dadurch aber keinesfalls ausgeblendet oder als nebensächlich hingestellt werden. (Dies verdient deshalb besondere Erwähnung, weil gerade die christlich geprägte Religionsphilosophie der Neuzeit streckenweise von der Gefahr geprägt ist, Religionen auf ihren Theoriekern eng zu führen. Zur Vielaspektigkeit religiöser Überzeugungen siehe (117), für einen religionsphilosophischen Blick auf die rituellen Seiten der Religion (96).) Der Grund für diese Konzentration auf theoretische Aspekte ist, dass Begründungen innerhalb religiöser Denkformen typischerweise so laufen, dass theoretische Behauptungen als Begründung für die Angemessenheit bestimmter Handlungsweisen, ritueller Ordnungen etc. anerkannt werden, aber nicht umgekehrt. (Weil man an die Existenz Gottes und seine Eigenschaften glaubt, hält man ihn für verehrungswürdig; weil man an die Rückkehr von Geistern glaubt, dürfen bestimmte Plätze nicht betreten werden, etc. Begründungen in umgekehrter Richtung wären deutlich weniger plausibel.) Es wäre jedoch ein Missverständnis, diesen theoretischen Kern der Religion (oder erst recht dessen philosophische Untersuchung) als den zentralen Aspekt des religiösen Lebens zu betrachten. Im Gegenteil, das Leben religiöser Menschen wird eher durch die nicht-theoretischen Aspekte der Religion geprägt, etwa Riten, Gebete, Feste, moralische Gebote, Gemeinschaftserfahrungen etc. Betrachtungen über den theoretischen Kern der Religion sind hier typischerweise von sekundärer Bedeutung. Ebenso wäre es ein Missverständnis, Religionsphilosophie (oder auch Theologie) als einen denkbaren Ersatz für das konkrete religiöse Leben zu betrachten. Beide Disziplinen haben ihre Funktion als kritische Selbstvergewisserung des religiösen Lebens und als Reflexion des Inhaltes religiöser Überzeugungen, insbesondere in Situationen des Widerspruches, der Diskussion und des Zweifels. Sie sind aber kein tauglicher Ersatz für die eigene weltanschauliche Stellungnahme und das Engagement in ihrem Sinne. (Ähnlich ist auch die Beschäftigung mit Ethik kein Ersatz für das Bemühen um das eigene gute Leben, Wissenschaftstheorie ist kein Ersatz für die wissenschaftliche Forschung in Physik, Geschichtswissenschaft u. a., und Kenntnisse der Logik bewahren noch nicht automatisch vor Denkfehlern im Alltag.) Insbesondere wäre es ein Missverständnis, die rein philosophisch fassbaren Inhalte des Gottesbegriffs schon als ausreichende Beschreibung Gottes als Gegenstand der Religion zu betrachten. Denker wie Blaise Pascal, Martin Heidegger u. a. haben durchaus zu Recht eingewandt, dass der inhaltsarme „Gott der Philosophen“ kein taugliches Objekt eines religiösen Lebens ist, dass man zu ihm nicht beten oder sonst eine persönliche Beziehung haben könne. Religionsphilosophie ist nur die philosophische Reflexion eines Phänomens, dessen Inhalte und Begründungsstrukturen wesentlich komplexer sind als das, was philosophisch davon fassbar ist.

Das hier zugrundegelegte Religionsverständnis: Konzentration auf „theoretische“ Aspekte der Religion

Religionsphilosophie ist kein Ersatz für Religion

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2 Was tun Religionsphilosophen?

2.5 Verdeutlichende Abgrenzungen: Religion – Religionsphilosophie – Theologie Historische und motivatorische Abhängigkeit der Religionsphilosophie

Logische Unabhängigkeit der Begründungen

Religionsphilosophie und Theologie

Gegen diese Abgrenzung der Religionsphilosophie könnte man einwenden, dass ihr Auftreten doch historisch immer an die Existenz bestimmter Religionen gekoppelt war, insbesondere an das Christentum. Es scheint also so, dass es mit der Unabhängigkeit der Religionsphilosophie doch nicht so weit her sein dürfte – vielleicht, so ein oft geäußerter Verdacht, sei sie doch nur ein verdeckter Teil des Denkens einer Religion, oder zumindest ein Teil ihrer Theologie. Dazu ist zu sagen, dass es zwei Arten der Abhängigkeit einer wissenschaftlichen Disziplin gibt. Religionsphilosophie ist zweifellos historisch und motivatorisch abhängig vom Auftreten bestimmter Religionen und ihren geschichtlichen Entwicklungen. Viele religionsphilosophische Diskussionen haben ihre Motivation in religiösen Fragen. Manche Religionen haben eine Affinität zu ihrer philosophischen Reflexion entwickelt, manche nicht. Insbesondere gäbe es vermutlich keine Religionsphilosophie in ihrer heutigen Gestalt ohne das Auftreten der jüdisch-christlich-islamischen Religionsfamilie. Religionsphilosophie ist davon also historisch und motivatorisch abhängig. (Ganz ähnlich sind z. B. bestimmte Branchen der Wissenschaftstheorie historisch abhängig von der Existenz mancher Wissenschaftsdisziplinen, oder manche Branchen der Ethik historisch abhängig vom Auftreten bestimmter Problemfelder. Die Philosophie der Biologie etwa wäre ohne die Evolutionstheorie kaum entwickelt worden, und Fragen der Bioethik sind erst auf dem Hintergrund der modernen Medizin verständlich und dringlich geworden.) Die historische Abhängigkeit der Religionsphilosophie ging durchaus so weit, dass sie sich von den Religionen manche Themen vorgeben ließ. So sind die religionsphilosophischen Überlegungen zum Gottesbegriff deutlich von den Aussagen der Bibel über Gottes Güte, Macht und Weisheit geprägt und inhaltlich an sie angelehnt. Religionsphilosophie sollte von ihren Begründungen und Geltungsansprüchen her aber logisch unabhängig von bestimmten religiösen Überzeugungen sein. Was als Prämisse in religionsphilosophische Überlegungen eingeht, sollte idealer Weise für Menschen beliebiger weltanschaulicher Prägung akzeptabel sein, unabhängig insbesondere von der Anerkennung bestimmter religiöser Schriften, Traditionen, Äußerungen von Autoritäten etc. als Erkenntnisquelle. Es darf also nicht nur aus diesen Erkenntnisquellen begründbar sein. So etwa dürfen Aussagen der Bibel, des Koran etc. nicht unbesehen als Begründung religionsphilosophischer Behauptungen herangezogen werden. Anhand dieser Unterscheidung kann auch der Unterschied zwischen Religionsphilosophie und Theologie präzisiert werden. Theologie ist die Reflexion des Inhaltes einer Religion unter der Voraussetzung, dass deren heilige Schriften, Traditionen und die Äußerungen ihrer Autoritäten als Erkenntnisquelle anerkannt werden. Theologie ist also logisch abhängig von dieser Anerkennung (und selbstverständlich auch historisch abhängig vom Existieren dieser Religion). Religionsphilosophie (und auch philosophische Gotteslehre als deren „metaphysische“ Branche, siehe oben 2.1) ist dagegen logisch unabhängig davon und sollte in ihren Begründungen von allen vernünftigen Menschen nachvollziehbar sein.

2.5 Verdeutlichende Abgrenzungen: Religion – Religionsphilosophie – Theologie

Von der Anerkennung als Erkenntnisquelle ist übrigens nochmals die persönliche Anerkennung für das eigene Leben zu unterscheiden. Man kann also eine Religion theologisch reflektieren, ohne ihr selbst anzugehören oder ihre Aussagen persönlich anzuerkennen. Zuweilen begegnen in der Literatur Prägungen wie „christliche (oder: jüdische, islamische, …) Religionsphilosophie“. Im Lichte der vorstehenden Überlegungen könnte dies als Widerspruch in sich erscheinen (111). Ähnliches gilt für die Bezeichnung „christliche Philosophie“ ((103), (107), (108)). Die Sinnhaftigkeit des Begriffes „christliche Philosophie“ war in den 1920er Jahren Gegenstand einer heftigen Debatte ((102), (107)). Ihr Hauptresultat war die Präzisierung zweier unterschiedlicher Selbstverständnisse von „christlicher Philosophie“. In einem ersten Sinne wird darunter ein Philosophieren verstanden, das zwar ein besonderes Interesse an Fragen hat, die auch für die christliche Religion bedeutsam sind, etwa nach Existenz und Eigenschaften Gottes, nach dem Menschenbild, nach der Möglichkeit einer unsterblichen Seele etc. Die Wahrheit der christlichen Lehren wird dabei aber nicht vorausgesetzt. Christliche Philosophie in diesem ersten Sinne erkennt ihre historische und motivatorische Abhängigkeit vom Christentum natürlich an und betrachtet die christlichen Lehren auch durchaus als so etwas wie Zielumschreibungen, sie bemüht sich aber um logische Unabhängigkeit davon, d. h. um möglichst weltanschauungsneutrale Argumentation. Erst dort, wo die Philosophie keine definitiven Antworten mehr gibt, können die Inhalte des Christentums als Antwortvorschlag eingebracht werden, der aber keinem Außenstehenden „andemonstrierbar“ ist. In einem zweiten Sinne wird christliche Philosophie als Versuch der Entwicklung eines umfassenden Weltbildes aus christlicher Perspektive verstanden. Sie fragt z. B., was für die philosophische Frage nach dem Wesen des Bewusstseins oder nach der Existenz eines freien Willens folgen würde, wenn man von Anfang an die Voraussetzung macht, dass die christlichen Lehren wahr wären. Christliche Philosophie in diesem zweiten Sinne hat dann auch klare inhaltliche Präferenzen für bestimmte philosophische Positionen, ja sogar für bestimmte Deutungen wissenschaftlicher Theorien. Die Evolutionsbiologie z. B. wird aus dieser Sicht nicht als Beschreibung zufälliger und zielloser, nur rückblickend aus Ursachen erklärbarer Entwicklungsvorgänge gesehen, sondern als Deutlichwerden von Gottes Schöpferplan. Solche Deutungsunterschiede werden z. B. dort relevant, wo es um die Schließung der nach wie vor bestehenden Erklärungslücken der Evolutionsbiologie oder der Astrophysik geht. Auffällige, aber nur schwer ursächlich erklärbare „Zweckmäßigkeiten“ in der Natur könnten in einer solchen christlichen Deutung als Hinweise auf eine planende Intelligenz gedeutet werden. Im christlichen Bereich hat eine solche, ausdrücklich im zweiten Sinne verstandene „christliche Philosophie“ seit den 1980er Jahren durch die sogenannte „Reformierte Erkenntnistheorie“ einen massiven Aufschwung erfahren ((105), (106), siehe auch Abschnitt 3.7). Man nennt dieses zweite Verständnis von „christlicher Philosophie“ zuweilen das „augustinische“, während das erste als „thomistisch“ bezeichnet wird ((105), (106), (156)).

„Christliche (jüdische, islamische, …) Religionsphilosophie“?

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2 Was tun Religionsphilosophen?

2.6 „Gott“: Erste religionswissenschaftliche und logische Annäherungen Eigenschaften Gottes im Sinne des Theismus: Außerweltlichkeit, notwendige Existenz, Personalität, Allmacht, Allwissenheit, Omnipräsenz, Güte, Ewigkeit, Unveränderlichkeit, Einfachheit

Weitere Eigenschaften Gottes

Außerweltlichkeit und notwendige Existenz

Die theistischen Religionen beziehen sich auf ein zentrales Objekt, das im deutschen „Gott“ genannt wird. In der jüdisch-christlich-islamischen Religionsfamilie werden von ihm bestimmte charakteristische Eigenschaften ausgesagt, die einerseits das religiöse Bewusstsein der Gläubigen prägen, andererseits aber auch seit langem Gegenstand philosophischer Analysen und Kontroversen sind. Üblicherweise werden zu diesen philosophisch relevanten Eigenschaften gezählt: Gottes Außerweltlichkeit und notwendige Existenz, Personalität, Allmacht, Allwissen, Omnipräsenz (d. h. Überall-Anwesenheit), Güte, Ewigkeit, Unveränderlichkeit, Einfachheit. Diese und ähnliche Eigenschaftslisten werden von Philosophen häufig als allgemeine Beschreibung des Theismus betrachtet (im Detail variieren die Vorschläge mitunter). Damit erschöpfen sich die religiös signifikanten Eigenschaften Gottes aber noch nicht. Besonders vor einem christlichen Verständnishintergrund ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass die Dreifaltigkeit Gottes, seine Schöpfereigenschaft bezüglich der Welt, seine Selbstoffenbarung in der Geschichte sowie seine Menschwerdung in seinem Sohn Jesus Christus nicht zu dieser Liste von philosophisch fassbaren Kern-Eigenschaften gehören. Obwohl gerade diese Eigenschaften für das christliche Gottesverständnis zentral sind, stellen sie Sonderaspekte der christlichen Religion dar (Schöpfereigenschaft und Selbstoffenbarung werden auch von Judentum und Islam anerkannt). All diese Eigenschaften sind kein Bestandteil des allgemeinen Theismus. Obwohl sie auch etliche interessante philosophische Fragen aufwerfen würden (siehe als Einführung die betreffenden Artikel in (17)), konzentrieren wir uns im Folgenden auf die Bestandteile des allgemeinen Theismus. Obwohl Gott in den theistischen Religionen als höchst realer Gegenstand gedacht wird, wird er nicht als Bestandteil der Welt betrachtet, wie sie uns vordergründig zugänglich ist. Gott ist – im Gegensatz zum Pantheismus – auch nicht identisch mit der Summe der Dinge in der Welt. Im Gegenteil, Gott wird sogar ein Begründungsverhältnis zur Welt zugeschrieben, er wird als deren Daseinsgrund, deren Ursache oder deren inhaltsbestimmender Faktor gedacht. Mitunter wird er auch als Ziel des Weltlaufs verstanden, in dem sich alle Teile der Welt irgendwie vollenden oder zumindest in ihm enden werden. Gott erfüllt damit eine Erklärungsfunktion dafür, warum die Welt existiert. (Notabene: Daraus folgt noch nicht unbedingt, dass er auch der Schöpfer der Welt an einem Anfang der Zeit sein muss; die Frage nach einem zeitlichen Anfang der Welt ist mit der Frage nach der Weltbegründung nicht zu vermengen. Näheres siehe Abschnitt 3.3.) Wäre Gott ein Gegenstand innerhalb der Welt, würde er diese Funktion nicht erfüllen, weil er selbst erklärungsbedürftig wäre. Diese Außerweltlichkeit Gottes wird häufig auch als seine Transzendenz bezeichnet. Es liegt auf der Hand, dass die präzise Darstellung dieser Verhältnisse auf sprachliche Grenzen stößt. Religionen, aber auch deren philosophische Reflexionen bedienen sich daher nicht selten indirekter, metaphorischer oder bewusst paradox klingender Umschreibungen dafür. So heißt es z. B., Gott sei nicht von dieser Welt, er sei die alles begründende Wirklichkeit, der

2.6 „Gott“: Erste religionswissenschaftliche und logische Annäherungen

Grund allen Seins, die ultimate reality, er sei überall und nirgends etc. Dieses Artikulierungsproblem ist übrigens nicht bereichstypisch für die Religion. Es ist ja schon nicht ohne Weiteres klar, was unter der „Welt“ zu verstehen ist: Gehören zu ihr nur die physikalischen Dinge, oder auch z. B. mathematische und ästhetische Gegenstände, gehören dazu auch die bloß möglichen Gegenstände, etc.? Mit derlei Fragen stößt man sofort in metaphysische Grundsatzdebatten (269). In Zusammenhang mit der Außerweltlichkeit Gottes wird auch behauptet, Gott existiere notwendigerweise im Gegensatz zu den Dingen der Welt, die immer auch nicht existiert haben könnten. Ja sogar die Welt insgesamt könnte auch nicht existiert haben (man nennt diese nicht-notwendige Form der Existenz kontingente Existenz). Die theistischen Religionen sagen von Gott aus, er könne nicht nicht-existieren. Die genaue Bedeutung dieser Redeweise wird uns vor allem bei der Besprechung des sogenannten ontologischen Arguments (3.2) sowie in Abschnitt 4.2 nochmals beschäftigen. Gott wird in den theistischen Religionen nicht als unpersönliches Urprinzip der Wirklichkeit gesehen oder als kosmische Kraft, sondern als irgendwie personenartig zu denkender Gegenstand. Gott werden bestimmte personale Verhaltensweisen zugeschrieben, insbesondere jene der Liebe zu den Menschen, zu anderen Bestandteilen der Welt oder zur Welt insgesamt, kognitive (d. h. erkenntnisrelevante) Zustände wie Interesse, Wahrnehmen und Wissen, moralisch relevante Zustände wie Billigung, Missbilligung oder Präferenzen, zuweilen sogar emotionale Regungen wie Zorn, Reue oder Vergeltungsbedürfnisse. Auf menschlicher Seite bedeutet dies, dass die Menschen in eine persönliche Beziehung mit Gott eintreten können und dies sogar sollen. Das kann sich z. B. in Formen des Gebetes, der Zwiesprache mit Gott oder der Möglichkeit von offenbarenden Handlungen Gottes äußern. Es ist klar, dass damit philosophisch gesehen zwei Probleme verbunden sind. Erstens wird damit das Problem der Bedingungen der Personalität aus der philosophischen Anthropologie in die Religionsphilosophie übertragen: Welche notwendigen oder hinreichenden Bedingungen kann man dafür angeben, dass ein Gegenstand eine Person ist? Aber auch wenn dieses Problem allseits zufriedenstellend gelöst wäre, verbleibt ein zweites: Gott kann ja keinesfalls eine Person genau wie innerweltliche Personen sein, vielleicht mit etwas außerordentlicheren Fähigkeiten (man denke an die griechisch-römischen oder altnordischen Göttergestalten), denn dann wäre er wohl ein Gegenstand innerhalb unserer Welt und nicht deren letzte Erklärung. Man nennt die Tendenz, sich Gott nach Art menschlicher Personen zu denken, Anthropomorphismus (von griech. anthropos, Mensch und morphe, Gestalt/ Form). Schon die jüdisch-christlich-islamische Religionsfamilie ist von einer zunehmenden Kritik am Anthropomorphismus gekennzeichnet; in der Abwehr von innerweltlichen Götzenbildungen durch Bilderverbote („Du sollst Dir kein Bild machen“: Buch Exodus im Alten Testament, Kap. 20, Vers 4) steckt nicht nur die Abwehr von Fremdkulten, sondern durchaus auch ein religionsphilosophischer Gedanke. Besonders klar tritt die eigentümliche Personalität Gottes in seiner Unkörperlichkeit zutage. Theistische Religionen sagen von Gott aus, dass er zwar eine Person ist, aber keinen Körper hat, wie das für menschliche Personen gilt. Zwar gibt es in manchen Religionen Aussagen, wonach sich Gott im

Personalität, aber Unkörperlichkeit

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2 Was tun Religionsphilosophen?

Gottes Allmacht; Grenzen und Paradoxien

Allwissenheit

Ausnahmefall menschlich-körperlicher Erscheinungsformen bedient hat, aber dies sind schon aus Sicht des gläubigen Denkens nur Ausnahmen von der Regel. Gottes Unkörperlichkeit hat zur Folge, dass man bestimmte andere Aussagen von ihm ebenfalls nicht in genau derselben Weise wie von einem Menschen machen kann: Gottes Erkennen etwa muss ohne Sinnesorgane und ein zentrales Nervensystem, sein Handeln ohne Gliedmaßen und Sprechwerkzeuge vonstatten gehen (zu den Eigenschaften Gottes siehe später Abschnitt 5.5). Theistische Religionen sagen von Gott ferner aus, dass er Handlungen setzen kann und in diesen, anders als wir Menschen, nicht von irgendwelchen Grenzen der eigenen Fähigkeiten oder der Umweltumstände eingeschränkt ist. Gott ist also allmächtig. Wie Gott überhaupt in der Welt und in der Geschichte handeln kann, wird bereits im religiösen Denken unterschiedlich beantwortet. Es gibt Vorstellungen eines direkten Eingreifens Gottes in den Weltlauf (teils in der Erscheinungsform als menschliche Person, teils ohne solche), aber auch Vorstellungen, dass Gott sich des Denkens, Entscheidens und Handelns natürlicher Personen bedient, indem er es in seinem Sinne beeinflusst. Mit beiden Formen ist häufig die Vorstellung verbunden, dass Gott auch den naturgesetzlich vorgezeichneten Lauf der Dinge durchbrechen kann. Viele Religionen rechnen sogar mit Wundern (als auffälligen Durchbrechungen dieser Art). Etliche Religionen kennen darüber hinaus die Vorstellung, Gott (durch Gebete oder ähnliches) um bestimmte Eingriffe zu bitten. Dass die spontane Vorstellung vom allmächtigen Gott auch bestimmte logische und sachliche Grenzen haben muss, ist seit langem bekannt. Etwa kann auch ein allmächtiger Gott die Vergangenheit nicht verändern, keine logisch widersprüchlichen Sachverhalte herbeiführen (z. B. keine Dreiecke mit parallelen Seiten schaffen) und keine notwendigen Sachverhalte herbeiführen oder abändern (z. B., dass 4 durch 2 teilbar ist). Mit Gottes Güte und Ewigkeit wäre es z. B. auch unvereinbar, wenn er seine Existenz unterbräche oder jemandem grundlose Übel zufügen würde. Die präzise Bedeutung von Gottes Allmacht ist seit langem Gegenstand von paradox scheinenden Aufgabestellungen. Ein Paradox lautet z. B.: Kann Gott einen derart schweren Stein schaffen, dass er ihn danach nicht mehr heben kann? Wie immer man antwortet, Gottes Allmacht schiene dadurch begrenzt. An Lösungen für dieses Problem wurde u. a. vorgeschlagen, dass die Schaffung eines derart schweren Steines logisch unmöglich wäre (eben weil dies gegen Gottes Allmacht verstieße!), oder aber, dass eine Rede von „davor/danach“ auf Gott bezogen sinnlos sei, da er außerhalb der Zeit sei. Gott könne sowohl alle Steine schaffen als auch heben, das Problem sei also falsch, aus unserer menschlichen Perspektive eines zeitlichen Nacheinanders, gestellt. Man ersieht aus solchen und ähnlichen Paradoxa auch, dass die Eigenschaften Gottes nicht voneinander unabhängig sind. Wir kommen darauf noch mehrmals zurück (siehe Abschnitte 4.2 und 5.5). Das religiöse Denken sagt von Gott aus, er wisse um sämtliche Sachverhalte der Welt, und zwar direkt und ohne Dazwischentreten von Sinnesorganen, Zeugenberichten u. a. (Auch hier wird wiederum eine Verbindung zu einer anderen Eigenschaft Gottes, seiner Unkörperlichkeit, sichtbar.) Ein spezielles Problem stellt dabei Gottes Wissen um zukünftige Sachverhalte dar, und zwar insbesondere sein Wissen um die Handlungen freier Hand-

2.6 „Gott“: Erste religionswissenschaftliche und logische Annäherungen

lungssubjekte wie uns Menschen. Einerseits scheint es, dass Gottes Allwissenheit diese Handlungen mit erfassen müsste. Andererseits würde dies bedeuten, dass diese Handlungen schon vorher absehbar sind bzw. festliegen. Dies wiederum scheint die Freiheit dieser Handlungen aufzuheben, damit aber auch z. B. ihre moralische Löblichkeit oder Vorwerfbarkeit. Eine bekannte Lösung dieses Problems ist, dass Gottes Allwissenheit sich doch nicht auf zukünftige Handlungen erstrecke, weil Wissen sich immer nur auf Wahrheiten erstrecken kann, Sätze über zukünftige Tatsachen aber weder wahr noch falsch sind. Mit religiösen Aussagen z. B. der Bibel scheint dies allerdings schwer vereinbar. Daher wurde auch hier mitunter auf die Außerzeitlichkeit Gottes verwiesen: Wenn Gott alle Zeitpunkte gleichermaßen nahe bzw. fern sind, weil es in ihm kein Nacheinander gibt, weiß er natürlich auch um alle aus unserer Sicht zukünftigen Sachverhalte. Von Gott wird in den Religionen gesagt, dass er an jedem Punkt des Universums anwesend sei. Diese Omnipräsenz (nichtklassisches Latein, von omnis, alle und praesentia, Anwesenheit, „Überallanwesenheit“) hängt sachlich zusammen mit der bereits besprochenen Allmacht und Allwissenheit Gottes. Da Gott keinen Körper hat, kann diese Anwesenheit kein Bedecken einer Raum/Zeit-Stelle sein wie bei menschlichen Personen (in manchen religiösen Traditionen wird gesagt, Gottes Gegenwart sei „geistig“). Es gibt also kein Problem der Kollision bzw. Überlappung zwischen Gott und den innerweltlichen Dingen. Allerdings stellt sich dann die Frage, wie man den Unterschied zwischen Gott und den innerweltlichen Dingen hinreichend klar aufrecht erhalten kann. Gott soll weder etwas bloß Gedachtes noch die Zusammennahme aller Dinge noch eine Art alle Dinge durchsetzendes Prinzip sein, weil dies die Grenze zum Pantheismus verwischen würde. Güte bzw. vollkommene Güte wird von Gott in einem zweifachen Sinne ausgesagt. Einerseits kann damit gemeint sein, dass Gott das höchste Gut ist, d. h. der Ursprung aller innerweltlichen Gutheit, aber auch das Ziel innerweltlicher Strebevorgänge, etwa auch das vollendende Ziel menschlichen Lebens (im Einzelnen können diese Vorstellungen unterschiedlich ausgestaltet sein). Von Gott wird aber auch Güte in ähnlicher Weise ausgesagt, wie wir sie von guten Menschen aussagen, d. h. in einem moralischen Sinne. Da Gott diese Eigenschaft in einem vollkommenen, innerweltlich nicht vorfindlichen Grade zeigt, wird mitunter auch von Allgüte gesprochen. Gottes Allgüte bedeutet, dass er das Beste für seine Geschöpfe will, und zwar mehr als Menschen je dazu fähig wären. Die beiden hauptsächlichen Probleme im Zusammenhang mit Gottes Güte sind einerseits das Faktum, dass manche religiöse Traditionen von Gott auch Regungen wie Zorn, Rache und Zerstörungslust aussagen, und andererseits das Faktum, dass es unverdientes und sinnloses Übel in der Welt gibt. Beide Probleme werden bereits seit langem innerhalb der Religionen und ihrer Theologien diskutiert (man denke etwa an das bekannte Buch Ijob im Alten Testament, ca. 6. Jh. v. Chr.). Sie stellen jedoch auch die Basis für einige zentrale religionskritische Argumente dar, auf die wir noch ausführlicher eingehen werden, insbesondere das Argument aus dem Übel (siehe Abschnitt 4.3). Dass Gott immer schon existiert hat und immer weiter existieren wird, gehört zum inhaltlichen Grundbestand vieler Religionen. Es ist auch ein As-

Omnipräsenz

Gottes Güte

Ewigkeit und Unveränderlichkeit

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2 Was tun Religionsphilosophen?

pekt der welt-erklärenden Funktion, die die Existenz Gottes hat. Wie allerdings diese Ewigkeit Gottes näher zu verstehen ist, dafür gibt es – wie bereits bei der Allwissenheit und der Allmacht angedeutet – zwei hauptsächliche Deutungsvorschläge: Einerseits die Vorstellung einer unendlichen Dauer, d. h. einer unendlich langen, ununterbrochenen Abfolge von Zeitpunkten, zu denen Gott existiert hat und existieren wird (z. B. (197)), andererseits die Vorstellung einer außerzeitlichen, nicht der Abfolge von vorher/nachher unterworfenen Existenzweise. Während Gottes zeitliche „Existenzspanne“ in der ersten Deutung grundsätzlich ähnlich ist wie jene innerweltlicher Dinge, nur gleichsam nach vorne und hinten unendlich verlängert, existiert er in der zweiten Deutung in einer ganz anderen Weise, die nur metaphorisch veranschaulichbar ist. Mitunter wurde etwa vorgeschlagen, anstatt eines gerichteten Zeitpfeils, auf dem Gott immer nur einen Punkt durchlebt, an eine kreisförmig angeordnete Menge von Zeitpunkten zu denken, die Gott gleichermaßen präsent sind. Eng verbunden mit dieser Vorstellung von Ewigkeit ist die Vorstellung von Gottes Unveränderlichkeit. Wenn Gott außerhalb der Zeit existiert, dann kann es in ihm auch keine Veränderung geben, denn Veränderung setzt schon begrifflich die Zeitunterworfenheit des sich Verändernden voraus. Eine andere Wurzel des Gedankens der Unveränderlichkeit ist Gottes Vollkommenheit und seine Überordnung über die Welt. Was veränderlich ist, könnte sich noch vervollkommnen (oder auch verschlechtern) – beides soll aber von Gott ausgeschlossen sein. Und aus Gottes Überordnung über die Welt folgt, dass Sachverhalte und Vorgänge in der Welt nicht auf ihn einwirken können. Diese Unveränderlichkeit hat z. B. auch zur Folge, dass Gottes „Kenntnisstand“ sich angesichts geschichtlicher Entwicklungen in der Welt nicht verändert, dass er gleichsam nichts dazulernen kann. Wie bereits weiter oben gezeigt, bringt diese Konzeption von Außerzeitlichkeit und Unveränderlichkeit gewisse religionsphilosophische Vorteile für das Verständnis z. B. von Allmacht und Allwissenheit (sofern man das begriffliche Problem einer solchen außerzeitlichen Existenzweise als lösbar erachtet). Mit der religiösen Sichtweise des Handelns Gottes steht sie dagegen in Spannung, denn dort wird oft so gesprochen, als sei Gott im erstgenannten Sinne ewig. Die Bibel etwa sagt von Gott aus, er verfolge den Lauf der Welt mit Interesse und nehme das Handeln der Menschen zur Kenntnis, etwa indem er deren Gebete erhöre oder nicht. Mitunter reuten ihn seine früheren Handlungen angesichts menschlichen Fehlverhaltens, und im Christentum wird Gott in Gestalt seines Sohnes sogar während einer bestimmten Zeitspanne ein Mensch. Diese Spannung hat innerhalb der Theologie zu verschiedensten Lösungsvorschlägen geführt. Manche Theologen sind bereit, bestimmte anthropomorphe Züge in ihr Gottesbild aufzunehmen, um dadurch z. B. die biblischen Redeweisen von Gottes Emotionen und Handlungen weniger stark uminterpretieren zu müssen; andere kritisieren dies allerdings als Rückfall in ein mythologisches Gottesbild. Die sogenannte Prozesstheologie (sie geht auf Alfred North Whitehead und Charles Hartshorne zurück) geht einen anderen Weg. Sie schlägt vor, gleichsam zwei Pole oder Schichten in Gottes Wesen zu unterscheiden: eine „vorgängige Natur“ (primordial nature), die unveränderlich ist, und eine veränderliche „nachfolgende Natur“ (consequent nature), die sich ebenso verän-

2.6 „Gott“: Erste religionswissenschaftliche und logische Annäherungen

dert wie die Welt, die daher Gottes Mitleben und Mitleiden mit der Welt verständlich machen soll. Ein naheliegender Einwand gegen diese Position (sofern sie sich klar formulieren lässt) ist jene, dass diese Aufspaltung in Gottes Natur das Ausgangsproblem nur verschiebt und einige neue erzeugt. Es fragt sich nämlich, wie man sich den Zusammenhang zwischen primordial und consequent nature erklären kann, ohne einen dritten Faktor ins Spiel zu bringen, und ob ein solcherart veränderlicher Gott wirklich eine taugliche letzte Erklärung der Welt wäre und nicht vielmehr nur ein Faktor in ihr. Der zuletzt beschriebene Ausweg widerspricht allerdings einer anderen Eigenschaft, die in den theistischen Religionen traditionell von Gott ausgesagt wird, nämlich seiner Einfachheit. Diese Eigenschaftszuschreibung hat keine deutlichen Wurzeln in der religiösen Rede von Gott, sondern sie ist eher ein Produkt philosophischer Überlegungen. Die Einfachheit besagt, vergröbert ausgedrückt, dass es keinerlei Zusammengesetztheit in Gott gibt. Zunächst heißt das, dass Gott keine räumlichen oder zeitlichen Teile hat – was nach den obigen Überlegungen zur Unkörperlichkeit und Ewigkeit verständlich erscheint. Nach Meinung vieler (nicht aller) Philosophen besagt die Einfachheit aber auch, dass es bestimmte metaphysische Unterscheidungen, die für innerweltliche Gegenstände charakteristisch sind, in Gott nicht gibt. Bei solchen Gegenständen unterscheiden wir z. B. wesentliche und notwendige von unwesentlichen und kontingenten Eigenschaften (man denke etwa an die Denkfähigkeit und die Sonnenbräune beim Menschen), wir betrachten mehrere notwendige Eigenschaften als voneinander unterschieden (etwa die Denkfähigkeit und die Ausgedehntheit), und wir unterscheiden zwischen dem Wesen eines Dings (das man sich auch bloß denken kann) und seiner realen Existenz. Im Falle Gottes dagegen fallen alle diese Unterscheidungen weg. Alle seine Eigenschaften hat er wesentlich bzw. notwendig (was im Lichte seiner Unveränderlichkeit verständlich ist). Alle seine Eigenschaften sind in Wirklichkeit aber eine einzige, die ein und dieselbe ist, also z. B. seine Güte und seine Allwissenheit. Man könnte dies in erster Näherung so erläutern, dass diese Eigenschaften nur unsere unterschiedlichen Beschreibungen für ein und dieselbe göttliche Natur sind, ähnlich wie „Morgenstern“ und „Abendstern“ zwei unterschiedliche Beschreibungen der Venus sind. Überdies fallen in Gott Wesen („Essenz“) und Existenz zusammen, d. h. seine Existenz gehört zu seinem Wesen, bzw., präziser, sie ist sein Wesen. Dies wiederum hängt mit Gottes notwendiger Existenz zusammen (siehe dazu z. B. (17), Kap. 31, oder (99). Kap. 232 und 233). In einem Teil der religionsphilosophischen Literatur wird diese (oder eine ähnliche) Zusammenstellung der Eigenschaften Gottes als etwas Geschlossenes, als „das theistische Gottesbild“ präsentiert. Mitunter wird es als etwas geradezu Selbstverständliches allen weiteren Überlegungen vorangestellt. Es ist aber wichtig, sich über den methodologischen Status dieser Eigenschaftszuschreibungen im Klaren zu sein. Sie sind einerseits nicht einfach Ergebnisse religionsphänomenologischer Erhebungen, etwa der Befragung religiöser Personen. Eine solche Erhebung würde wohl auch deutlich andere Eigenschaftszuschreibungen zutage fördern. Andererseits können sie auch nicht nur Resultate philosophischer Überlegungen sein, dazu ist die Abhängigkeit von religiösen Vorstellungen doch wieder zu offenkundig. Worauf stützen sich diese Eigenschaftszuschreibungen also? In den vorstehenden Er-

Einfachheit

Der methodologische Status dieser Eigenschaftszuschreibungen

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2 Was tun Religionsphilosophen?

Warum dieser Status berücksichtigt werden sollte

Andere Gottesvorstellungen

läuterungen wurde bereits angedeutet, dass die Quellen dieser Zuschreibungen durchaus unterschiedlich sind: Manche Eigenschaften haben ein klares Gegenstück in den religiösen Traditionen, andere nicht. Manche dieser Eigenschaftszuschreibungen sind eher Resultate nachträglicher philosophischer Klärungen, insbesondere beeinflusst von der antiken griechischen Philosophie, und sie sind erst im Laufe der Zeit vom religiösen Denken und von dessen theologischer Reflexion übernommen worden. Dies gilt etwa für Gottes Außerzeitlichkeit, die erstmals von Boëthius präzisiert wurde, aber bis heute nicht allgemein akzeptiert wird. Wir haben auch gesehen, dass es zwischen manchen dieser Eigenschaften logische Zusammenhänge zu geben scheint, zwischen manchen auch vordergründige Widersprüche, die philosophische Präzisierungsbemühungen angeregt haben. (Wie kann ein theistisch gedachter Gott z. B. zugleich allwissend, allmächtig und allgütig sein, denn anscheinend weiß er nichts vom Übel in der Welt, oder er kann es nicht ändern, oder er will es nicht? – Wir kommen darauf nochmals in Abschnitt 4.2 zurück.) Man sollte also berücksichtigen, dass man es bei diesen Eigenschaftszuschreibungen mit philosophischen Konstrukten zu tun hat, die dem religiösen Bewusstsein des durchschnittlichen Gläubigen nicht fraglos entsprechen, obwohl es durchaus Beeinflussungen in beiden Richtungen gegeben hat. Es ist aus zumindest zwei Gründen wichtig, diesen methodologischen Status zu berücksichtigen. Erstens: Würde man diese Eigenschaftszuschreibungen als Beschreibung des faktischen religiösen Denkens der Menschen missverstehen, dann würde ohne weiteres folgen, dass es nur sehr wenige „vollständige“ religiöse Theisten gäbe, und dass deren Denken überdies meist unvernünftig, da widersprüchlich wäre. Dies deshalb, weil wohl nur wenige von ihnen eine ausgefeilte Lösung z. B. für das eben erwähnte Trilemma von Allwissenheit, Allmacht und Allgüte parat haben. Dass dieses altbekannte Trilemma religiöse Menschen aber wenig erschüttert, ist ein weiterer Hinweis darauf, dass Religion und philosophisch-theologische Eigenschaftsklärungen Gottes nicht auf derselben Ebene liegen. Man sollte also der oben in Abschnitt 2.4 angesprochenen Verwechslung von Religion und Religionsphilosophie nicht Vorschub leisten. Ein zweiter, hier nur im Vorblick zu erwähnender Grund hängt mit dem richtigen Verständnis der traditionellen „Gottesbeweise“ (besser: „Argumente für Gottes Existenz“, siehe Abschnitt 5.2) zusammen. Es wäre verfehlt, sie als nachträgliche Argumente für die Existenz eines Gegenstandes zu verstehen, dessen Eigenschaften aus anderen Erkenntnisquellen schon feststehen. Denn die Gottesbeweise haben u. a. auch die Funktion, wichtige Eigenschaften Gottes als des Objekts der Religion erst zu klären, d. h. zu präzisieren, was die Rede von „Gott“ philosophisch gesehen eigentlich bedeutet. Dieser Punkt wird häufig übersehen, ist aber von entscheidender Wichtigkeit, um die Zusammenhänge des religiösen Redens über Gott mit unserer Rede über die Dinge der Welt klarer zu machen. Wir kommen darauf in Abschnitt 5.5 noch ausführlich zu sprechen. Es wurde bereits erwähnt, dass die vorstehende Liste theistischer Eigenschaften kein geschlossener Block ist, sondern dass es diesbezüglich unter religiösen Menschen, aber auch unter Theologen und Philosophen durchaus

2.7 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

Auffassungsunterschiede gibt. Auch sind diese Eigenschaftszuschreibungen nicht ausschließlich auf die jüdisch-christlich-islamische Religionsfamilie beschränkt. Auch in manchen Religionen, die man als polytheistisch kennzeichnen würde, werden manchen Götterfiguren Eigenschaften zugeschrieben, die einigen der hier beschriebenen sehr nahe kommen (etwa Ewigkeit, Personalität und verschiedene Ausprägungen von Allwissenheit und Omnipräsenz). Daneben gibt es aber auch Religionen, die zwar an weltjenseitige, welterklärende und auch für unsere Lebensgestaltung irgendwie relevante Wirklichkeiten glauben, die sich aber mehr oder minder stark von der obigen Eigenschaftsliste unterscheiden (ob man solche Wirklichkeiten dann als „göttlich“ ansprechen soll oder nicht, ist ein wenig fruchtbarer Streit um Worte). Näheres gehört in die Religionswissenschaft ((26), (94)).

2.7 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen Es gibt zwei Arten von Versuchen, „Religion“ zu definieren: essentialistische (die einen Wesenskern aller Religionen annehmen) und funktionalistische (die Religion über ihre Funktion in der Gesellschaft definieren wollen). Da beide Arten in unlösbare Engpässe führen, herrscht gegenwärtig weitgehend Konsens darüber, dass es wohl keine allgemeine Definition von Religion gibt. Daher wurde in diesem Text der Ausweg beschritten, von einigen typischen Beispielen von Religionen auszugehen, insbesondere vom Christentum. Anhand dieses Beispiels wird besonders deutlich, dass Religionen komplexe Phänomene sind: Sie haben soziale, rituelle, moralische, historische, aber auch theoretisch-kognitive Seiten (und andere mehr). Nach der vorläufigen Klärung einiger später immer wieder gebrauchter Termini („Theismus“, „Atheismus“, „Agnostizismus“, „Offenbarung“ und andere mehr) wurden die Eigenarten der verschiedenen Wissenschaften herausgearbeitet, die sich mit den Religionen beschäftigen (Religionspsychologie, -soziologie, -geschichte u. a.). Ob es daneben so etwas wie eine „allgemeine oder vergleichende Religionswissenschaft“ gibt, wird heute vielfach bezweifelt, weil eine solche Wissenschaft keine eigenen Methoden jenseits der psychologischen, soziologischen und anderen hätte. Einen Sonderfall stellt die Theologie dar, die das Glaubensverständnis bestimmter Religionen darzustellen versucht; sie ist also eine normative Wissenschaft und einer bestimmten Religion verpflichtet. Religionsphilosophie (und auch philosophische Gotteslehre als „metaphysische Religionsphilosophie“) sollen dagegen logisch unabhängig von der Glaubenszustimmung zu einer bestimmten Religion vorgehen. In der philosophischen Literatur sind allerdings sehr verschiedene Konzeptionen von Religionsphilosophie erkennbar, die sich teilweise im Grenzbereich zu anderen Religionswissenschaften oder zur Theologie einer bestimmten Religion bewegen. Nach einer Klassifikation von fünf Konzeptionen wurde vorgeschlagen, als die zentrale Frage der Religionsphilosophie jene zu betrachten, ob und wie religiöse Überzeugungen zu rechtfertigen sind. Davon nicht ganz trennbar sind die Fragen, welche Bedeutung religiöse Rede hat und Erklärungen welcher Art die Religionen bieten. Eine solche Betrachtung geht

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2 Was tun Religionsphilosophen?

mit einer gewissen Fokussierung der theoretischen, kognitiven Aspekte der Religion einher; die vielen anderen Aspekte der Religion werden dadurch aber nicht in Abrede gestellt. Als ungefähre Richtungsangabe für das folgende wurden abschließend die wesentlichen Eigenschaften Gottes (als des zentralen Objekts theistischer Religionen) skizziert, soweit sie philosophisch fassbar sind: Gottes Außerweltlichkeit, seine notwendige Existenz, seine Personalität, seine Allmacht, Allwissenheit und Omnipräsenz, seine Güte, seine Ewigkeit und Unveränderlichkeit sowie seine Einfachheit. Gott hat Eigenschaften, die sich von jenen der innerweltlichen Dinge stark unterscheiden (dies hängt damit zusammen, dass Gott als letzter Grund der Welt fungiert), es gibt jedoch auch inhaltliche Ähnlichkeiten (sonst wären die Behauptungen über Gott ja vollkommen unverständlich). An verschiedenen Punkten zeigt es sich außerdem, dass diese Eigenschaften miteinander zusammenhängen. Sachlich gesehen sind diese Darstellungen freilich ein Vorgriff, denn die Frage, woher man diese Eigenschaftsbeschreibungen gewinnt, ist keineswegs trivial. Die Klärung dieser Eigenschaften ist von der Frage, welche Argumente für und gegen Gottes Existenz es gibt und was sie leisten, nicht zu trennen. Wir werden daher in Abschnitt 5.5 nochmals auf sie zurückkommen. Lektürehinweise Eine vorbildliche kurze Einführung in die verschiedenen Religions-Wissenschaften bietet (84). Etwas ausführlicher – auch mit mehr empirischem Material – ist (97), auch die übrigen genannten Einführungen sind empfehlenswert. (7) bietet eine Zusammenstellung von Autorenporträts zu den einzelnen Religionswissenschaften, aber z.T. auch zur Religionsphilosophie. Eine gute, stark empirisch orientierte Einführung in die Religionspsychologie bietet (80), stärker auf Praxisprobleme orientiert ist (83). Gute, aber etwas mehr historisch orientierte Einführungen in die Religionsphilosophie bieten (10) und (19). Eine Auswahl an neueren analytisch-philosophischen Texten zur Religionsphilosophie mit guten Einleitungen bietet (11). Über die Geschichte der philosophischen Gotteslehre informiert (4). Eine gut verständliche Einführung in die christliche Theologie und ihre Geschichte bietet (101). Ein umfassender Klassiker zu den Eigenschaften Gottes mit reichsten Literaturhinweisen, aber leider nur mehr in Bibliotheken greifbar ist (99). Gute Einstiege in die neuere religionsphilosophische Literatur vermitteln die englischsprachigen Sammelwerke (5), (17), (20), (21); eine Mischung aus klassischen und zeitgenössischen Texten bieten (6) und (15). Nützliche Übersichten bieten auch die einzelnen Stichworte in den Nachschlagewerken (28) bis (33).

Fragen und Übungen – Erstellen Sie eine Liste aller Religionen und aller möglicherweise religionsähnlichen Phänomene, die Ihnen in Ihrem persönlichen Umkreis begegnet sind bzw. von denen Sie gehört haben. – Wenn auf dieser Liste Phänomene sind, von denen Sie nicht sicher sind, ob man sie als religiös bezeichnen sollte oder nicht: Wie könnte die Antwort eines Essentialisten bzw. eines Funktionalisten auf diese Frage aussehen? – Finden Sie in Ihrem eigenen Verhalten und Denken religiöse Formen und Inhalte? – Informieren Sie sich im Internet oder in einem religionswissenschaftlichen Übersichtswerk über den Bestand an heiligen Schriften und deren Grobgliederung in den großen Weltreligionen.

2.7 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen – Sofern Sie Zugang zu einer Bibliothek mit religionswissenschaftlicher und/oder religionsphilosophischer Literatur haben: Suchen Sie einige ältere und neuere Bücher (möglichst auch fremdsprachige!) nach Religions-Definitionen ab, vergleichen Sie diese Definitionen und versuchen Sie sie einzuordnen. – Ist eine Schiffstaufe ein religiöser Akt? Mit welchen Begründungen könnte man dafür/dagegen argumentieren? – Inwiefern sind die folgenden Fragen philosophische Probleme im oben definierten Sinne: (a) die Frage nach dem Ursprung des Weltalls und (b) die Frage, ob der Staat zur Bekämpfung von Verfassungsfeinden die Rechte seiner Bürger beschränken darf? (Identifizieren Sie nur das Problem und sehen Sie von Ihrer eigenen Antworttendenz ab!) – Machen Sie eine Internet-Recherche zum Thema „Intelligent Design“. Worum geht es hier überhaupt, welche Positionen stoßen aufeinander? Versuchen Sie herauszubekommen, ob manche Autoren von bestimmten religiösen oder religionskritischen Voraussetzungen ausgehen, und ob sie auf Anzeichen einer religiösen Biologie stoßen. – Lesen Sie folgenden Teil eines christlichen Gebetshymnus aus dem 11. Jh.: „Ewiger Gott, aus dem Nichts // hast du das Weltall geschaffen; // lag doch kein Urstoff bereit, // neben Dir, ewig wie du. // Ebenso wird einst dein Wille // die Welt von Grund auf verwandeln; // doch du bleibst immer dir gleich, so wie du von jeher warst. […]“ (aus: Kleines Stundenbuch – Im Jahreskreis. Einsiedeln 1981, 189). – Welche Aussagen über Eigenschaften Gottes kommen darin vor? Von welchen vermuten Sie, dass es sich bereits um philosophisch präzisierte Aussagen handelt? – Welche Konzeptionen von Gottes Ewigkeit gibt es? – Wie hängen diese Konzeptionen mit den anderen Eigenschaften Gottes zusammen? – Welche Vor- und Nachteile bringen diese Konzeptionen jeweils? – Wie hängt Gottes Körperlosigkeit mit seiner Omnipräsenz zusammen? – Was bedeutet Gottes Einfachheit? – Was sind die Quellen dieser Aussagen über Eigenschaften Gottes?

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens 3.1 Argumente für / gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen: Eine systematische Typologie Was ist eine „religiöse Überzeugung“?

Argumente für die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen – ein Überblick

Kommen wir nach diesen Vorverständigungen jetzt auf die in 2.4 formulierte Kernfrage nach der (Un-)Vernünftigkeit des religiösen Glaubens zurück. Da wir dort gesehen haben, dass es dabei um Argumente geht, und da das Schlussstück von Argumenten immer so etwas wie eine Überzeugung ist, die sich in die Gestalt einer Aussage bringen lässt, geht es uns genauer gesagt um die (Un-)Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen. Mit „religiöser Überzeugung“ sei dabei nicht das Überzeugtsein, d. h. der Zustand oder das Gefühl des Sich-Sicherseins bezeichnet, sondern der satzartige Inhalt dieses Überzeugtseins, also das, worauf es sich bezieht. Dies sind jene kognitiven, theorieähnlichen, in Form von Aussagesätzen formulierbaren Gehalte der Religion, die in 2.1 und 2.4 bereits angesprochen wurden. Beispiele für religiöse Überzeugungen in diesem Sinne wären etwa „Gott existiert und ist ewig“, „Gott hat sich den Menschen in der Geschichte geoffenbart“, „Es ist angemessen, Gott durch bestimmte Verhaltensweisen zu ehren“, „Menschliche Personen überleben den biologischen Tod ihres Körpers“, „Handlungen vom Typ X sind deshalb zu unterlassen, weil ihre Durchführung Gottes Willen widerspricht“, etc. Beginnen wir mit einer der beiden Fragerichtungen: Welche Argumente gibt es für die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen? Man würde von Leuten, die sich auf ernsthafte Antwortversuche auf diese Frage einlassen, wohl recht unterschiedliche Rechtfertigungen zu hören bekommen, warum sie ihren Glauben als etwas Vernünftiges (oder zumindest nicht Unvernünftiges) ansehen. Vermutlich finden sich die meisten davon aber irgendwo in dem folgenden Schema wieder. Der allgemeinste Einteilungsgesichtspunkt darin ist die oben in 2.4 erwähnte Unterscheidung von theoretischer und praktischer Vernünftigkeit: A Argumente für die theoretische Vernünftigkeit a Verweis auf Tradition und Autorität b Behauptung des nicht bestehenden Rechtfertigungsbedarfes („Fideismus“) c Philosophische Argumente für die Existenz Gottes d Erkenntnistheoretische Argumente aus „religiöser Erfahrung“ im weitesten Sinne 1 außergewöhnliche religiöse Erfahrungen 2 gewöhnliche, aber religiös gedeutete Erfahrungen 3 Religiöse Überzeugungen als beste Erklärung der Gesamterfahrung 4 „Transzendenzerfahrung“

3.1 Systematische Typologie

B Argumente für die praktische Vernünftigkeit a Theistische Postulate als Verstehbarkeitsbedingung von Sittlichkeit und Pflicht b Verweis auf die „jenseitige“ Nützlichkeit der Religion (z. B. Pascals Wette) c Verweis auf die „diesseitige“ Nützlichkeit der Religion Viele dieser Argumentformen werden uns später noch ausführlich in eigenen Kapiteln beschäftigen; zunächst wollen wir uns nur eine erste Orientierung verschaffen. Von den Rechtfertigungen, die eher die theoretische Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen verteidigen, ist der Verweis auf die Tradition und deren Autorität gerade im Bereich der Religion weit verbreitet und auch naheliegend. Religiöse Lebensformen existieren und funktionieren in Familien, Kirchengemeinden, Sekten, Dörfern und anderen Menschengruppen, und sie werden dort auch weitergegeben. Dies betrifft sowohl das religiöse Tun und Miterleben selbst als auch die Ansätze der Reflexion darüber (Letzteres geschieht nicht nur etwa im Religionsunterricht und anderen Formen der religiösen Einführung und Unterweisung, sondern auch im formlosen Besprechen religiöser Fragen im weiteren Sinne). Und viele Gläubige würden ihre Religiosität – zumindest als ersten Rechtfertigungsansatz – durch Verweis auf die Tradition rechtfertigen, in die man hineingeboren und in der man sozialisiert wurde. Eine Lebensform, die sich über längere Zeit hinweg bewährt hat, so könnte die Rechtfertigung weiter lauten, hat den Anschein der Vernünftigkeit für sich, oder ist zumindest nicht unvernünftig. Auch in anderen Lebensbereichen lassen wir ja Argumente aus der Tradition („das war schon immer so“, „das haben wir immer so gemacht“, „so handeln wir eben“) in vielen Fällen gelten, denn wir handeln auch auf anderen Gebieten sehr häufig aufgrund von Voraussetzungen, die wir nicht näher hinterfragen können oder wollen. Man kann in Bezug auf religiöse Überzeugungen aber auch einer radikaleren Argumentationsweise begegnen. Zuweilen wird nämlich argumentiert, religiöse Überzeugungen gehörten zu jener Klasse von Überzeugungen, für die eine weitere Rechtfertigung weder notwendig noch möglich wäre. Religiöse Überzeugungen hätten damit eine Ähnlichkeit mit reinen Geschmacksfragen, oder ihre Annahme käme einem blinden Vertrauen gleich. Mitunter wird auch behauptet, der Versuch der Begründung wäre echter Religiosität abträglich. In einer etwas unscharfen Redeweise werden solche Positionen oft als „Fideismus“ (von lat. fides, Glaube, Vertrauen) bezeichnet. (Unscharf ist diese Bezeichnung u. a. deshalb, weil damit mitunter auch jene Position angesprochen wird, der zufolge Religionen gar keinen kognitiven, theoretischen Kern hätten, womit es also gar keine „religiösen Überzeugungen“ im hier von uns verstandenen Sinne gäbe.) Der Fideismus ist allerdings empirisch äußerst unplausibel. Wie oben in 2.4 kurz erwähnt, haben Menschen üblicherweise Begründungen für oder gegen religiöse Überzeugungen, und überhaupt ist kaum jemand fähig, irgendeinen Satz als wahr zu akzeptieren, für den er keinerlei Begründung hat bzw. für den es keine Begründung geben kann (nicht einmal eine Begründung in dem schwachen Sinne z. B. von A-a) ((1), besonders Kap. 42). Davon bleibt frei-

Kurze Erläuterungen zu diesen Argumentformen: (A-a) Verweis auf Tradition und Autorität

(A-b) Behauptung des nicht bestehenden Rechtfertigungsbedarfes („Fideismus“)

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

(A-c) Philosophische Argumente für die Existenz Gottes

(A-d) Erkenntnistheoretische Argumente, aus „religiöser Erfahrung“ im weitesten Sinne (A-d-1) „Außergewöhnliche“ religiöse Erfahrungen

(A-d-2) „Gewöhnliche“, aber religiös gedeutete Erfahrungen

lich die Möglichkeit unberührt, dass jemand religiöse Überzeugungen hegt oder ablehnt, sich aber noch niemals nähere Gedanken darüber gemacht hat, warum. Diese Möglichkeit ist allerdings nicht bereichstypisch für die Religion, sondern sie gilt für beliebige andere Überzeugungen ebenso. Eine prominente Form der Rechtfertigung religiöser Überzeugungen beruft sich darauf, dass es eine Reihe von (altbekannten und auch neuen) philosophischen Argumenten für die Existenz eines ersten Grundes aller Wirklichkeit gibt. Man fasst sie häufig unter der Bezeichnung „Gottesbeweise“ zusammen (zur Fragwürdigkeit dieser Bezeichnung siehe die Abschnitte 2.6 und 5.5). Wenn manche dieser Argumente stichhaltig sind, dann erfährt die Vernünftigkeit eines religiösen Glaubens, der sich auf einen solchen ersten Grund der Wirklichkeit bezieht, eine gewisse Sicherung. Der Stellenwert solcher Argumente ist umstritten. Dennoch sind sie für einige Gläubige von gewisser Bedeutung, und noch mehr Gläubige würden in ihrem Antwortversuch auf die Frage nach der Vernünftigkeit des Glaubens Überlegungen entfalten, die Ähnlichkeiten mit diesen Gottesbeweisen zeigen (etwa: „Warum gibt es uns überhaupt? „Der Urknall“ etc. ist doch keine zufriedenstellende Antwort darauf, damit ist das Problem doch nur verschoben. Warum gab es einen Urknall? Wer ist dafür verantwortlich? Wäre vielleicht so etwas wie „der Wille Gottes“ eine gute Erklärung dafür?). Viele religiöse Menschen, aber auch manche Religionsphilosophen und Theologen begründen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen mit dem Verweis auf bestimmte Gegebenheiten in der Erfahrung. Dieser Verweis kann allerdings verschiedene Gestalt haben. In vielen Religionen gibt es Personen, die von außergewöhnlichen religiösen Erfahrungen berichten, also intensiven Erlebnissen, die irgendetwas mit innerer oder äußerer Erfahrung zu tun haben, die dabei jedoch den Bereich des Alltäglichen überschreiten, deren religiöser Verweischarakter den betreffenden Menschen aber aus irgendwelchen Gründen deutlich ist. Im christlichen Bereich werden solche Erlebnisse z. B. von den Menschen im Umkreis Jesu, vom heiligen Paulus, aber auch von den Mystikern verschiedener Epochen berichtet. Ein Sonderfall sind die sogenannten „Nahtoderfahrungen“ von Personen, die knapp dem Tode entgangen sind. Einige von ihnen berichten über Glücks- und Friedenserfahrungen und deuten sie dann religiös aus ((147), (146)). Wer selbst eine solche intensive religiöse Erfahrung macht, für den kann diese Erfahrung zu einer entscheidenden Rechtfertigung seines Glaubens werden. Manche außergewöhnliche äußere Erfahrungen (z. B. behauptete Eindrücke von Wundern) könnte man dabei auch unter Argumentform A-c einordnen, da sie mitunter zum Ausgang philosophischer Argumente für die Existenz Gottes genommen werden ((195), (198), (222)). Allerdings machen nur wenige Personen außergewöhnliche religiöse Erfahrungen. Viele Menschen bringen jedoch Erlebnisse aus der „gewöhnlichen“ Erfahrung in Zusammenhang mit ihrer Religion und legen diesen Erlebnissen eine spezielle Interpretation bei. Etwa könnten das Auftauen des Gesprächsklimas zwischen lange verfeindeten Personen oder manche ungeplante Fügungen auf dem eigenen Lebensweg als Einwirkung Gottes gedeutet werden, das Lachen fröhlicher Kinder oder ein überwältigendes Bergpanorama als Hinweis auf die Schöpfermacht Gottes und seine Zuwendung zu

3.1 Systematische Typologie

den Menschen, etc. Kenzeichnend für diese Form religiöser Erfahrung ist jeweils, dass die Erfahrungssituation für alle Beteiligten zwar grundsätzlich gleich ist. Die spezielle Interpretation dieser Situation muss den anderen Menschen aber nicht unbedingt nachvollziehbar sein. Viele Gläubige würden sich jedoch nicht (nur) auf einzelne Erlebnisse als Erfahrungsbasis ihres Glaubens stützen, sondern ihren Glauben mit der Gesamtheit unserer Erfahrung in Verbindung bringen. Wir stehen als Menschen ja gleichsam in einem Schnittpunkt von vielfältigsten Lebens-, Tätigkeitsund Wissensbereichen mit verschiedensten, teils auch irritierenden Erfahrungen bis hin zu echten Grenzerlebnissen: etwa Gesundheit und Krankheit, Emotionen und Werthaltungen, Zuwendung und Ablehnung, Familie, Beruf, Religion, Sexualität, wirtschaftliche Verhältnisse, unsere ansatzweisen Kenntnisse aus den verschiedenen Wissenschaften, politische Entwicklungen, Krisen und Aggression, Leiden und Tod, und manche mehr. Ein guter Teil unserer Lebensprobleme hat bei genauerer Betrachtung mit der Frage zu tun, in welchem Verhältnis Gegebenheiten aus dem einen Bereich zu Gegebenheiten aus dem anderen stehen, worauf es im Leben wirklich ankommt, wo man Prioritäten setzen sollte, etc. Viele Menschen würden nun sagen, dass ihnen der religiöse Glaube in diesen Fragen einerseits Orientierungshilfe bietet, dass er für sie andererseits aber auch die beste „Gesamterklärung“ für unsere vielfältige Erfahrung darstellt. So kann etwa der Glaube an einen Schöpfergott als umgreifende Erklärung für die Fragen nach dem Woher der Welt dienen, aber auch für die Fragen nach ihrem Wie, wie sie im Alltag, aber auch in den vielen wissenschaftlichen Einzeldisziplinen gestellt werden; und der Glaube an einen liebenden Gott kann für die schmerzlichen Erfahrungen von Misserfolg, Leiden, Aggression, Ungerechtigkeit, Krankheit und Tod eine Art Erklärung sein – etwa, indem diese bedrohlichen Gegebenheiten nur als vorläufig eingestuft werden und so zumindest einen gewissen Sinn erhalten. Eine Sonderform dieser religiösen Deutung der Gesamterfahrung wird mitunter als „Transzendenzerfahrung“ oder auch „transzendentale Erfahrung“ bezeichnet. Manche Menschen würden von sich behaupten, sie würden auch in gewisser Weise erfahren, dass ihre Existenz in der Welt zwar prekär und kontingent (d. h. nicht notwendig) ist, dass aber hinter den vordergründigen Bestandteilen unserer Welt auch noch etwas verborgen sein muss, von dem man sich als abhängig und getragen erfährt. Ludwig Wittgenstein hat wohl etwas ähnliches im Sinn, als er am 8. 7. 1916 in sein Tagebuch schrieb: „An einen Gott glauben heißt sehen, dass es mit den Tatsachen der Welt noch nicht abgetan ist. An Gott glauben heißt sehen, dass das Leben einen Sinn hat. […]“ (250). Von einer bloßen, oben in 2.1 skizzierten funktionalistischen Religionsauffassung (Religion als Kontingenzbewältigung) unterscheidet sich dies dadurch, dass man diese Transzendenzerfahrung als echte Erfahrung (und nicht bloß als hilfreiche psychologische Projektion) verstanden wird, und dass Kontingenz und Getragenheit als etwas durchaus beglückendes erfahren werden. „Erfahrung“ ist ein inhaltlich mehrdeutiger Begriff, wobei manche seiner Inhalte schwer in nichtmetaphorischer Weise beschreibbar sind. Kaum strittig ist, dass Erfahrung nicht immer eng mit Sinneswahrnehmung gekoppelt sein muss; dennoch erscheint die Möglichkeit einer solchen Transzendenzerfahrung vielen Philosophen

(A-d-3) Religiöse Überzeugungen als beste Erklärung der Gesamterfahrung

(A-d-4) Religiöse Erfahrung als „Transzendenzerfahrung“

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

Argumente für die praktischen Vernünftigkeit der Religion

(B-a) Theistische Postulate als Verstehbarkeitsbedingung von Sittlichkeit und Pflicht

(B-b) „Jenseitige“ Nützlichkeit der Religion: Argumente vom Typ der Pascal-Wette

als dubios. Eine schwache, hinführende Analogie könnte vielleicht die Erfahrung personaler Zuwendung darstellen: Dass man von einer Person geliebt wird, ist eine objektive Tatsache, die man erfahren kann (d. h., man kann sie nicht durch bloßes Nachdenken auffinden wie einen neuen logischen Zusammenhang, es ist aber auch keine bloße psychologische Projektion). Dieses Erfahren ist aber – anders als bei der Erfahrung sonstiger Tatsachen – in der Regel nicht auf Einzelepisoden gegründet. Dass es jetzt draußen regnet, weiß man aufgrund einer Einzelepisode der Erfahrung, dass sich Grundeln gern auf Felsen sitzend aufhalten, weiß man aufgrund von generalisierten Einzelepisoden. Dass man von einer Person geliebt wird, erfährt man zwar auch, aber auf eine grundlegend andere Weise. Neben den bisher geschilderten theoretischen Rechtfertigungen (die unserem menschlichen Streben nach Erkenntnis, Erklärungen und theoretischer Durchdringung entgegenkommen) gibt es auch eine Reihe von Rechtfertigungen, die sich auf die praktischen Vorteile der Religion berufen. Diese Rechtfertigungen klammern die theoretischen Aspekte der Religion weitgehend aus, kommen aber unserem Bedürfnis nach klugem, vernünftigem, effizientem Handeln entgegen. Eine philosophiegeschichtlich prominente Rechtfertigung der praktischen Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen stammt von Immanuel Kant. Sie lautet – sehr stark vereinfacht, näheres siehe 3.9 – so: Wir wissen, dass moralisch richtiges Handeln sich in unserer Welt nicht immer „auszahlt“ und dass wir in unserem zeitlich begrenzten Leben ohnehin nie sittlich vollkommen werden sein können. Dennoch erfahren wir uns angerufen durch die Forderungen der Sittlichkeit und halten uns in der Regel auch daran. Diese Fakten sind aber, so Kant, nur dann verständlich, wenn man die Existenz Gottes als Garant ausgleichender Gerechtigkeit postuliert (d. h. annimmt), und unser Fortleben über den Tod hinaus. Damit sind diese beiden Sätze aber nicht „bewiesen“. Es handelt sich nur um „Postulate der praktischen Vernunft“, und wir handeln in der Religion, ebenso wie im moralisch relevanten Handeln, als ob es Gott gäbe und wir eine unsterbliche Seele hätten. Dennoch stellt dieser Gedankengang eine Rechtfertigung für die praktische Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen dar. Auf Blaise Pascal geht ein berühmt-berüchtigtes Argument zurück, das in seinem Kern etwa so lautet: Über die theoretische Vernünftigkeit oder Unvernünftigkeit des Glaubens kann man zwar nichts sagen. Aber für den Fall, dass Gott existiert, es ein Weiterleben nach dem Tode gibt und religiöse Menschen belohnt werden, ist es praktisch vernünftig zu versuchen, so zu leben, als ob Gott existierte, also ein religiöses Leben zu führen (siehe unten 3.11). Von Anfang an wurde dieses Argument als philosophisch wie theologisch problematisch eingeschätzt; dennoch dürften Varianten davon für viele Menschen eine gewisse Bedeutung für die Rechtfertigung ihres Glaubens haben. Man muss die Vorteile, die der religiöse Glaube verspricht, allerdings nicht erst ins Jenseits verlegen. Ein Kerngedanke vermutlich aller Religionen (jedenfalls aber des Judentums, des Christentums und des Islam) ist der, dass ein religiöses Leben auch schon im Diesseits im Durchschnitt praktische Vorteile verspricht. Nicht nur dem Einzelnen wird dadurch ein besseres und glücklicheres Leben ermöglicht, insbesondere in der Bewältigung von Kri-

3.1 Systematische Typologie

sen und Belastungen. Auch im Hinblick auf unser Zusammenleben gewährt der religiöse Glaube praktische Vorteile, indem er etwa solidarische Verhaltensweisen motiviert und stützt, während ungerechte, egoistische Verhaltensweisen auch aus religiösen Gründen kritisierbar sind. Interessant an dieser Rechtfertigung des religiösen Glaubens ist, dass sie mitunter auch für Nichtgläubige attraktiv erscheint; zwar nicht mit dem Ergebnis, dass sie deshalb schon die betreffende Religion für sich übernehmen würden, aber doch so, dass das Gedankengut dieser Religion, ihre Institutionen etc. für sie zumindest als erhaltenswert erscheinen. Eine naheliegende Frage ist, ob es zwischen den 10 genannten Typen von Argumenten bestimmte Abhängigkeits- und Vorordnungsverhältnisse gibt. Tatsächlich scheint dies der Fall zu sein. Rechtfertigungen aus Sozialisation und Tradition (Typ A-a) dürften de facto häufig von irgendwelchen Rechtfertigungen anderen Typs abhängig sein, und sie müssen es wohl auch sein, sollen sie vertretbare Rechtfertigungen darstellen. Das Vertrauen auf religiöse Traditionen wird z. B. häufig mit der Begründung verbunden, dass am Anfang der „Traditionskette“ Menschen stehen, die ihrerseits für ihren Glauben andere Rechtfertigungen haben, die etwa – wie im Judentum, Christentum und Islam – Zeugen eines Offenbarungsgeschehens wurden oder sonstige außergewöhnliche religiöse Erfahrungen gemacht haben (das ist eine Rechtfertigung vom Typ A-d-1). Überhaupt scheint es so etwas wie eine „arbeitsteilige Rechtfertigung“ zu geben: Die einzelnen Gläubigen können in ihrem religiösen Glauben auch dann durchaus vernünftig sein, wenn ihnen die meisten Rechtfertigungen vom Typ A-b bis B-c unzugänglich sind, ja möglicherweise sogar dann, wenn sie selbst allein auf Sozialisations- und Traditions-Rechtfertigungen angewiesen sind. Besonders ausführlich wurde dies für Rechtfertigungen vom Typ A-c herausgearbeitet. Der „einfache“ Gläubige, der den philosophischen Argumenten weder Interesse noch Verständnis entgegenbringt, braucht diese Argumente auch gar nicht. Er kann in seinem Glauben durchaus auch anders gerechtfertigt sein, vor allem vermutlich durch den Hintergrund seiner Tradition. Eine besonders interessante Frage, die uns (z. B. in 3.10 und 3.11) noch beschäftigen wird, ist jene, ob praktische Rechtfertigungen (Typ B) generell abhängig sind von theoretischen Rechtfertigungen (Typ A). Bislang haben wir Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens betrachtet. Zu den meisten Einträgen der obigen Einteilung gibt es aber interessanterweise auch ein religionskritisches Gegenstück, d. h. ein ähnlich strukturiertes Argument gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen. Insgesamt dürften in diese Einteilung von Gegenstücken alle gängigen religionskritischen Argumente einordenbar sein. Beginnen wir auch hier mit der Frage der theoretischen Vernünftigkeit. Als Gegenstück zu Rechtfertigungen vom Typ A-a würden manche Leute auf ihre religionsferne Erziehung verweisen, die ihnen das Hegen religiöser Überzeugungen (für sich, oder generell) als unvernünftig erscheinen lasse. Analog zu Rechtfertigungen vom Typ A-b wird mitunter argumentiert, die Ablehnung religiöser Überzeugungen sei nicht weiter rechtfertigungsbedürftig (im Gegenteil, die Beweislast liege sogar bei ihren Vertretern, weil sie sozusagen die extravagantere These behaupten). Der Einwand der Selbstwidersprüchlichkeit religiöser Überzeugungen (und daher der Nichtexistenz Got-

(B-c) „Diesseitige“ Nützlichkeit der Religion (Lebensbewältigung, Stabilisierung von Solidarität und anderen erwünschten Verhaltensweisen) Beziehungen zwischen diesen Argumentationsformen

Religionskritische Gegenstücke: Argumente gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

Vorblick

tes) ist ein philosophisches Argument und damit ein Gegenstück zu Rechtfertigungen vom Typ A-c. Menschen, die die Erfahrung außergewöhnlicher Übel machen müssen, insbesondere solcher, die auf menschliche Grausamkeit zurückgehen, berichten mitunter, ihnen sei dadurch auch die Unvernünftigkeit religiöser Überzeugungen, insbesondere die Nichtexistenz eines gütigen Gottes quasi erfahrbar geworden – dies wäre ein Gegenstück zu Rechtfertigungen vom Typ A-d-1. Ähnlich wie in Rechtfertigungen vom Typ A-d-3 würden manche Menschen argumentieren, ihre Gesamterfahrung spräche insgesamt gegen die Wahrheit religiöser Überzeugungen, und die Nichtexistenz Gottes sei eine bessere Erklärung dafür. (Besonders bedeutsame Erfahrungssegmente sind auch hier wiederum das Übel in der Welt, aber auch die Erfolge der Naturwissenschaft als Welterklärung, Glaubwürdigkeitsprobleme religiöser Gemeinschaften etc.). Ob es auch zu Rechtfertigungen vom Typ A-d-2 und A-d-4 religionskritische Gegenstücke gibt, scheint offen (wenn auch nicht ausgeschlossen). Gegen die praktische Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen gibt es ein prominentes Gegenstück zu Rechtfertigungen vom Typ B-a: Formen des postulatorischen Atheismus, wie er von Ludwig Feuerbach und vielen anderen Autoren vertreten wurde. Religion ist unvernünftig und Gott kann nicht existieren, wenn bestimmte Ideale vom geglückten, menschenwürdigen Leben zugrundegelegt werden, weil das religiöse Denken und Verhalten der Verwirklichung dieser Ideale entgegensteht. Ein direktes religionskritisches Gegenstück zu Typ B-b dürfte sich kaum finden lassen, dafür allerdings mehrere zu Typ B-c: Viele Menschen halten es für praktisch unvernünftig, angesichts der ungesicherten Wahrheit religiöser Überzeugungen ein religiöses Leben zu führen, weil sie persönlich damit einen gewissen Aufwand und Verzicht für sich verbunden sehen. Mehr aus sozialethischer Perspektive haben Bertrand Russell und viele andere auf die vielfältigen Schäden und Nachteile für die Gesellschaft und das Denken der Menschen hingewiesen, für die insbesondere das Christentum und die christliche Moral verantwortlich sei. Zur systematischen Einordnung religionskritischer Argumente eignet sich diese Gegenstück-Liste allerdings weniger; wir werden daher in Teil IV eine andere Systematik bevorzugen. Nach dieser Übersicht wenden wir uns einigen der dort erwähnten Rechtfertigungsformen näher zu, und zwar in den Abschnitten 3.2 bis 3.11 Argumenten für die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen und in den Abschnitten 4.2 bis 4.6 Argumenten gegen sie. Viele dieser Argumente haben auch erhebliche philosophiegeschichtliche Bedeutung erlangt. Manche gelten geradezu als zentrale Lehrstücke, die man sofort mit bestimmten Autoren in Verbindung bringt.

3.2 Ontologische Argumente für die Existenz Gottes „Aposteriorische“ und „apriorische“ Argumente für die Existenz Gottes

Wo könnten philosophische Argumente für die Existenz Gottes ansetzen? Ein naheliegender Weg ist es, bestimmte auffällige Eigenschaften der Dinge in unserer Welt als erklärungsbedürftig zu betrachten und auf Gott und sein Wirken als deren Erklärung, als deren letzten Grund zurückzuschließen.

3.2 Ontologische Argumente für die Existenz Gottes

Solche Argumente wurden auch in verschiedensten Versionen erdacht, und wir werden noch ausführlich auf sie zu sprechen kommen. Man hat diese Argumente mitunter als aposteriorische Argumente zusammengefasst (von a posteriori, wörtlich „vom Späteren her“, das heißt in einer seiner mehreren philosophischen Bedeutungen „basierend auf Erfahrungsbelegen“). Viele dieser Argumente sind nicht nur für Philosophen von Interesse. Sie haben auch popularisierte Gegenstücke, die das religiöse Weltbild vieler Menschen mitprägen. Diese aposteriorische Argumentationslinie ist aber nicht die einzige. Es gibt noch eine andere, die sich nicht auf Erfahrung beruft. Sie basiert auf rein begrifflichen Überlegungen und kommt aus dem Nachdenken über den Begriff Gottes zu dem Schluss, dass Gott existiert. Man nennt solche Argumente apriorisch (von a priori, hier in der Bedeutung „unabhängig von Erfahrungsbelegen“), und die einzigen Beispiele dafür sind die hier vorzustellenden ontologischen Argumente. Sie haben keine Gegenstücke im religiösen Bewusstsein des normalen Gläubigen, sondern sind eher ein Produkt gelehrter Theologen und Philosophen. Erstmals formuliert wurden Argumente dieser Art von Anselm von Canterbury – eine nennenswerte Vorgeschichte haben sie nicht ((185), S. 37 ff.). Auch nach Anselm wurden ontologische Argumente nur von wenigen Autoren verteidigt, etwa von René Descartes, Gottfried Wilhelm Leibniz, Benedictus de Spinoza, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und einigen Autoren im 20. Jahrhundert. Im zweiten Kapitel seines Werks Proslogion („Anrede“, 1077, (56)) finden wir ein Argument, das wir wie folgt paraphrasieren können (153): 1. An Gott wird geglaubt als an etwas, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. 2. Sogar unvernünftige Menschen, wenn sie „etwas, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“ hören, verstehen den Begriff „etwas, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“. 3. Also existiert etwas, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, im Verstand. 4. Angenommen nun, das, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, existiere nur im Verstand (und nicht in Wirklichkeit). 5. Dann ist etwas denkbar, das zusätzlich auch noch existiert und damit größer ist als das, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. 6. Dann ist aber das, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, etwas, über das hinaus Größeres gedacht werden kann. 7. Schritt 6 ist aber ein Widerspruch. Also war die Annahme in Schritt 4 falsch. 8. Also existiert etwas, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, nicht nur im Verstand, sondern auch in Wirklichkeit. 9. Also existiert Gott in Wirklichkeit. Ersichtlich besteht das Argument aus zwei Teilargumenten: zunächst (1–3) wird begründet, dass Gott im Verstande existiert, danach, dass er auch in Wirklichkeit existiert (4–9). Manche Leser mögen dieses Argument als philosophischen Taschenspielertrick empfinden. Dass ein fragliches Objekt tatsächlich existiert, dafür lassen wir normalerweise nur irgendwelche Argu-

Das Argument in Anselms Proslogion, Kapitel 2

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

René Descartes’ rationalistische Version des Arguments und seine erkenntnistheoretische Funktion

Voraussetzungen ontologischer Argumente, Einwände gegen sie

Ist die Gotteskennzeichnung eindeutig?

mente aus der Erfahrung gelten. Wie könnte denn schon aus dem bloßen Begriff von etwas seine Existenz folgen? Anselms Originaltext und seine Einbettung in eine große Meditation über Wesen und Existenz Gottes lassen aber tiefe Ernsthaftigkeit und das Bestreben nach möglichster logischer Präzision erkennen; es ging ihm sicher nicht um die Verblüffung des Lesers. Immer wieder ist auch die Frage aufgeworfen worden, ob Anselm überhaupt ein Argument vorbringen wollte oder ob der Text nicht primär als Gebet oder Meditation gemeint war. Wir können diese Frage hier beiseite lassen (für eine Einführung siehe (190), (138), S. 388–412), Faktum ist jedenfalls, dass der Text bereits im Mittelalter einige Bekanntheit erlangte und als Argument betrachtet wurde. Anselm hat sein Argument zwar als beglückenden und interessanten Fund, aber nicht als sachlich unverzichtbar betrachtet. Spätere mittelalterliche Philosophen und Theologen haben das Argument meist als nicht stichhaltig betrachtet und daher abgelehnt (so z. B. Thomas v. Aquin, siehe weiter unten). Bei René Descartes dagegen nimmt eine neue Variante des Arguments eine zentrale Stellung ein. Von Gott als dem „absolut vollkommensten Wesen“, so Descartes in seinen Meditationen über die erste Philosophie (1641, (59)), hätten wir eine klare und distinkte (d. h. von anderen deutlich unterscheidbare) Idee. Und zu dieser Idee gehört die Existenz eben dazu (weil Gott sonst nicht absolut vollkommen wäre; hierin liegt der Ähnlichkeitspunkt zu Anselms Argument). Descartes geht nun aber von folgendem Erkenntnisprinzip aus: Klaren und distinkten Ideen entsprechen Verhältnisse in der Wirklichkeit. Also muss Gott existieren. Die so beweisbare Existenz Gottes ist für Descartes aber nicht nur religionsphilosophisch interessant. Sie hat vielmehr wesentliche Bedeutung für seine gesamte Erkenntnistheorie. Als „rationalistischer“ Philosoph misstraut Descartes nämlich zunächst allen unseren Meinungen, besonders jenen, die sich auf vorgebliche Erfahrung berufen. Wir könnten uns prinzipiell (fast) immer täuschen – außer eben dort, wo wir in unserem Denken solche klaren und distinkten Ideen vorfinden. Das ist aber die Ausnahme, nicht die Regel. Als Ausweg, um nicht die riesige Mehrheit unserer Meinungen als trügerisch verwerfen zu müssen, beruft sich Descartes nun auf den gütigen Gott, der uns nicht täuschen kann. Daraus wird verständlich, warum für Descartes ein solches apriorisches, nicht auf Erfahrung basierendes Argument für Gottes Existenz so bedeutsam war – an ihm hängt aus seiner Sicht letztlich die Verlässlichkeit unseres gesamten Erkennens (185). Auch Descartes’ Argument fand insgesamt mehr Gegnerschaft als Zustimmung, und bis heute betrachtet kaum jemand ontologische Argumente als taugliche Rechtfertigung religiöser Überzeugungen. Überwiegend wird dabei aber nicht die logische Folgerichtigkeit der Argumente angezweifelt, sondern die (ausdrücklichen und auch teils stillschweigenden) Voraussetzungen dahinter. Die Überlegungen zu diesen Voraussetzungen füllen eine breite Spezialliteratur ((167), (123)); hier können nur einige der Hauptdiskussionspunkte angeführt werden. Wir beziehen uns dabei vor allem auf Anselms Version. Ein Angelpunkt des Arguments ist zweifellos die Wendung „das, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“. Im Mittelalter wurde sie zuweilen als „famosa descriptio“ (Anselms berühmte Beschreibung) bezeich-

3.2 Ontologische Argumente für die Existenz Gottes

net. Aus der Sicht gegenwärtiger Sprachphilosophie handelt es sich dabei um eine Kennzeichnung bzw. definite Beschreibung ((192), (278), (272)). Kennzeichnungen erhält man, wenn man Ausdrücke, die auf viele Dinge zutreffen können (z. B. „Hund“, „erste/s/r“, „geboren“, „auf See“), so kombiniert, dass das Resultat nur mehr auf ein bestimmtes Objekt zutrifft (z. B. „der erste Hund, der auf See geboren wurde“). Mit solchen Kennzeichnungen kann man auch über Dinge sprechen, die man gar nicht direkt kennt (z. B. „der kleinste Österreicher, der einen akademischen Grad hat“), und das ist für ein Argument für Gottes Existenz natürlich günstig. Nun tragen Kennzeichnungen, auch wenn sie grammatikalisch korrekt konstruiert sein mögen, aber noch nicht die Garantie in sich, dass sie wirklich genau auf ein Objekt zutreffen. Sie könnten auch auf kein Objekt zutreffen („der niederländische Dreitausender“) oder auf mehr als eines („der österreichische Dreitausender“). Der Nachweis, dass die Kennzeichnung überhaupt auf ein Objekt zutrifft, ist das offenkundige Argumentationsziel Anselms. Soll das ontologische Argument aber für die Rechtfertigung des (Mono-)Theismus brauchbar sein, müsste auch sichergestellt sein, dass die Gotteskennzeichnung auf höchstens ein Objekt zutreffen kann. (In sprachphilosophischer Terminologie ausgedrückt, hieße das, dass die Gotteskennzeichnung eindeutig ist. Wenn der eindeutig gekennzeichnete Gott überdies auch wirklich existiert, würde man von seiner Einzigkeit sprechen.) Anselm spricht die Eindeutigkeitsvoraussetzung nicht an. Auffällig ist aber, dass seine Wortwahl zwischen „etwas (aliquid), über das hinaus…“ und „das (id), über das hinaus“ wechselt (man vergleiche Schritte 1–3 und 8 mit Schritten 4–6!). Wohl nicht zufällig wird das eindeutigkeits-suggerierende „das“ meist dort verwendet, wo von Gott die Rede ist, aber damit ist die Eindeutigkeitsvoraussetzung noch keineswegs gerechtfertigt. Freilich hatte Anselm in einem anderen Werk (Monologion, Kapitel III) ein ausführliches Argument für die Einzigkeit Gottes entwickelt, für ihn selbst mag die Eindeutigkeit der Gottesbeschreibung daher fraglos gewesen sein. Im Proslogion-Argument wird diese Voraussetzung aber eben nicht begründet. Derlei Beispiele, wie in Argumente für die Existenz Gottes mitunter unausgesprochene religiöse Hintergrundvorstellungen einfließen, die eigentlich begründungsbedürftig wären, werden uns noch öfters begegnen (schon in Abschnitt 3.3 bei kosmologischen Argumenten). Wir werden auch sehen, dass solche Voraussetzungen oft Zielscheibe religionskritischer Einwände werden (Abschnitt 5.2). Anselms Argument ist zweiteilig. Das erste Teilargument (Schritte 1–3) will zeigen, dass Gott (wie er in der famosa descriptio gekennzeichnet wird) „im Verstand existiert“. Anselm begründet dies so: Wenn jemand etwas versteht, dann ist das Verstandene in seinem Verstand (das gilt laut Anselm (Schritt 2!) auch für jene unvernünftigen Sprachbenützer, die vom Verstandenen erhebliche falsche Meinungen haben, weil sie z. B. an Gottes Nichtexistenz glauben). Diese Auffassung von der Bedeutung der Wörter und vom Sprachverstehen ist keineswegs selbstverständlich. Freilich: wenn man von dingartigen Gegenständen hört und an sie denkt, etwa an den Großglockner, die Zahl p oder an ein blaues Sechseck, dann verführen uns innere Bilder, die vor unserem „geistigen Auge“ entstehen, an eine Art Anwesenheit des Verstandenen im Verstand zu glauben. Dass diese Theorie von den Ob-

Existiert Gott im Verstand?

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

Voraussetzung einer platonistischen Semantik

Ist unser Gottesbegriff inhaltlich reich genug, um auf seine Existenz zu schließen?

jekten im Verstand aber problematisch ist, zeigen schon Fälle des Denkens an nichtexistierende Gegenstände: Vermutlich würde auch ein unvernünftiger Mensch verstehen und zustimmen, dass es keinen goldenen Berg und kein rundes Dreieck gibt. Aber wenn er „rundes Dreieck“ offensichtlich versteht, was hätte er dann im Verstand? Die ganze Welt, in der es keine solchen Dinge gibt, sozusagen eine Welt mit „rundes-Dreieck-Leerstellen“? Das scheint höchst unplausibel. Einige Philosophen (wie Alexius Meinong) hätten daher geantwortet, auch in solchen Fällen habe man tatsächlich z. B. ein rundes Dreieck im Verstand, das es zwar irgendwie gibt, von dem aber eben ausgesagt werde, dass es dergleichen Dinge „nicht wirklich“ gibt. Überwiegend wird diese Theorie aber abgelehnt. Zum einen deshalb, weil Dinge, die es irgendwie gibt und doch auch wieder nicht, mit dem Nichtwiderspruchsprinzip in Konflikt stehen. Zum anderen aber scheint diese Theorie unnötigerweise eine überholte Bedeutungstheorie mitzuschleppen, der zufolge jedes Wort oder jede grammatikalisch korrekt konstruierte Kennzeichnung eine Bedeutung haben und sich auf einen Gegenstand beziehen müsse. Diese Auffassung wurde aber u. a. von Carnap, Wittgenstein und anderen massiv kritisiert: Es gibt Fälle, wo Sprachgebilde trotz grammatikalischer Korrektheit keine klare Bedeutung mehr haben und sich auf nichts beziehen ((210), (250)). Und es könnte ja sein, dass „das, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“ genau so ein Fall ist – eine zwar grammatikalisch korrekte Kennzeichnung, die aber keine genaue Bedeutung mehr hat. Einen ähnlichen Verdacht hat übrigens schon Gaunilo von Marmoutiers gegen Anselms Argument vorgebracht (Liber pro Insipiente, Kap. IV (56)). Wie auch immer: Anselm ist nicht dieser Meinung und vertritt eine platonistische Semantik. Sie ist dreigliedrig: Dem gesprochenen und verstandenen Wort entspricht ein Gegenstand im Verstand (man könnte es umschreiben als „das Wesen“ des gedachten Dinges) und ein realer Gegenstand außerhalb des Verstandes. Natürlich hätte auch Anselm zugestimmt, dass es Fälle von leeren Sprachhülsen geben mag, denen auch im Verstande nichts entspricht (außer vielleicht einem unbestimmten Gefühl der Ergriffenheit oder des Unbehagens). Aber zumindest bezüglich mancher wichtiger Dinge (etwa der Gerechtigkeit, der Liebe oder der Wahrheit) wäre er von einer Existenz des Wesens oder der Idee dieser Dinge im Verstande ausgegangen, wenn man an diese Dinge denkt. Und so kann eben auch das Wesen Gottes als „das, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“ im Verstand existieren. Wer diese semantischen Voraussetzungen nicht teilt, wird das Argument ablehnen oder zumindest massiv umkonstruieren müssen. (Nur erwähnen, aber nicht weiter diskutieren können wir hier die diffizile semantische Frage, wie man sich das Verhältnis zwischen diesem Gegenstand im Verstand und dem Gegenstand außerhalb des Verstandes zu denken hat.) Aber auch wenn wir das eben beschriebene Problem als lösbar erachten, ist das Argument mit zwei weiteren Problemen belastet, die bereits Thomas v. Aquin aufwarf ((79), Teil I, Frage 2, Artikel 1). Erstens, ist es denn wirklich so, dass die Leute unter Gott „das, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“ verstehen? Thomas gab zu bedenken, das sich manche Leute Gott als physikalischen Körper vorstellen, und bis heute gibt es Vorstellun-

3.2 Ontologische Argumente für die Existenz Gottes

gen von Gott, die aus philosophischer und theologischer Sicht oft recht unangemessen erscheinen. Diese Frage ist freilich nicht so beunruhigend. Man könnte sich etwa im Sinne einer semantischen Arbeitsteilung darauf zurückziehen, dass es genüge, wenn zumindest die „Experten“ in theologischen Dingen korrekte Vorstellungen von Gott haben. Das löst aber nicht Thomas’ zweiten Einwand. Denn sogar wenn alle Menschen glaubten, Gott sei „das, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“, könnte man immer noch zweifeln, ob überhaupt irgendjemand einen Gottesbegriff hat, der inhaltlich reich genug ist, dass man die Existenz Gottes schon aus ihm folgern kann. Folgt aus „das, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“ wirklich schon Gottes Existenz in Wirklichkeit (und nicht bloß eine gedachte Existenz)? Thomas ist aus theologischen Gründen zwar durchaus der Meinung, dass zum Wesen Gottes seine Existenz notwendig dazugehört, dass Gott nicht nicht-existieren kann (siehe oben 2.6); und hätten wir Gottes Wissen, dann würden wir dies auch unmittelbar einsehen. Nur: In diesem irdischen Leben können wir dies nicht aufgrund philosophischer Überlegungen wissen, schon gar nicht aus der Analyse der Definition (bzw. einer Kennzeichnung) Gottes. Egal ob man Thomas’ theologische Begründung nun teilt oder nicht, er scheint in einem Punkt recht zu haben: Wäre Gottes Existenz wirklich schon aus seiner Definition ersichtlich, dann wären Argumente für Gottes Existenz ebenso überflüssig wie die Jahrhunderte langen Diskussionen über deren Stichhaltigkeit. Denn dann gäbe es ja gar niemanden, der Gottes Existenz ernsthaft bestreiten würde. Aber offensichtlich waren und sind es ja nicht nur unvernünftige Menschen, die die Existenz Gottes bezweifeln, sondern auch durchaus intelligente Menschen. Der vermutlich bekannteste Einwand gegen das ontologische Argument richtet sich gegen einen Gedanken, der ganz offensichtlich hinter Schritt 5 steht: Wenn ein Ding im Verstand und in Wirklichkeit existiert, dann ist es größer bzw. vollkommener als ein ansonsten gleiches Ding, das nur im Verstand existiert. Existenz ist also so etwas wie eine „großmachende Eigenschaft“. Dagegen wurde häufig eingewandt, dass die Existenz eines Dinges keine „Eigenschaft“ des Dinges ist wie die anderen, das Ding inhaltlich bestimmenden Eigenschaften. Die Frage, was bzw. wie beschaffen etwas ist, scheint doch auf einer völlig anderen Ebene zu liegen als die Frage, ob etwas ist, ob es existiert. Bereits Anselms Mitbruder Gaunilo hat als Illustration dafür das berühmt gewordene Beispiel der vollkommensten Insel benützt (Liber pro Insipiente Kap. VI): Stellen wir uns eine Insel vor, zu der es keine vollkommenere gibt, weil sie an Reichtum, Annehmlichkeiten etc. alle anderen übertrifft. Sie existiert damit im Verstand. Dann müsste sie aber, wenn man Anselms Argumentationsweise darauf überträgt, auch in Wirklichkeit existieren, denn sonst wäre sie ja nicht die vollkommenste Insel. Derlei „Existenzbeweise“ aber, so nun Gaunilo, würde wohl niemand akzeptieren, sondern irgendwelche sonstigen Argumente verlangen, dass es diese Insel gibt. Daraus, dass man in Gedanken bestimmte Eigenschaften kombinieren kann, folgt noch nichts darüber, ob das als so beschaffen Gedachte auch wirklich existiert. Dieser Gedanke ist oft so zusammengefasst worden, dass das ontologische Argument einen unberechtigten Übergang von der Denk-

Ist Existenz wirklich eine großmachende Eigenschaft?

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

Differenzierende Sichtweisen

Modallogische ontologische Argumente: Notwendige Existenz als großmachende Eigenschaft

welt in die wirkliche Welt enthalte. Die Frage der Existenz sei eben eine andere als die nach den sonstigen Eigenschaften. Dies wurde später zum dominierenden Gegeneinwand gegen das ontologische Argument. Geradezu zum Slogan geworden ist die Fassung Immanuel Kants in seiner Kritik der reinen Vernunft: „Sein ist kein reales Prädikat“ ((68), B 626). Kant richtete sich damit auf die ihm geläufige rationalistische, von Descartes beeinflusste Version des ontologischen Arguments. Mit „realen Prädikaten“ (oder auch „Realitäten“) waren dabei die inhaltlich ausschlaggebenden Eigenschaften gemeint, die mit der Existenz des Dinges nichts zu tun haben. Sein bzw. Existenz ist nach Kant die bloße Vorhandenheit eines Dinges, ohne irgendwelche inhaltlichen Aspekte – vergleichbar etwa dem, was durch den Existenzquantor in der Logik ausgedrückt werden soll. Man kann daher auch nicht umgekehrt von inhaltlichen Überlegungen auf die Existenz eines Dinges schließen. Kants bekanntes Beispiel, 100 Taler seien dieselben, egal ob man sie sich vorstellt oder ob sie real sind ((68), B 627), illustriert diese Trennung von Existenz und inhaltlichen Prädikaten. In ganz ähnlicher Weise haben später Gottlob Frege, Bertrand Russell und zahllose andere das ontologische Argument kritisiert (123). Allerdings – die Frage, ob Sein/Existenz nicht vielleicht doch auch eine inhaltlich gehaltvolle Eigenschaft sein könnte, ist bis heute – gerade auch unter Logikern – nicht ausdiskutiert ((162), (164)). Überhaupt ist die verbreitete Redeweise von „dem“ ontologischen Argument, das spätestens seit Kant widerlegt sei, zu undifferenziert. Wir haben bereits die Unterschiede zwischen Anselms und Descartes’ Versionen des Arguments gesehen. Wir haben auch gesehen, dass es durchaus verschiedene Einwände gegen ontologische Argumente gibt: Thomas v. Aquin etwa hätte Sein durchaus als inhaltlich gehaltvolle Eigenschaft betrachtet (weil er das Sein der innerweltlichen Dinge als eine Art von Gott verliehene Teilhabe am Sein Gottes verstand). Dem kantischen Einwand wäre er also wohl nicht beigetreten, er hat das Argument aber aus ganz anderen Gründen kritisiert. Umgekehrt kommt Descartes’ Argument ohne die Annahme einer Existenz Gottes im Verstand aus, diesbezügliche Einwände treffen also sein Argument nicht. Einzelne Autoren im 20. Jahrhundert (Charles Hartshorne, Kurt Gödel, Alvin Plantinga u. a.) haben versucht, ontologische Argumente mit den Mitteln der modernen Modallogik zu rekonstruieren, d. h. jenen Logiksystemen, die die logischen Zusammenhänge unseres Redens von „möglich“, „notwendig“ etc. abbilden sollen ((282), (261), (277)). Die Grundidee dieser Argumente besteht darin, nicht Gottes Existenz, sondern seine notwendige Existenz, d. h. seine Existenz in jeder möglichen Welt, als großmachende, vollkommenheitsrelevante Eigenschaft zu betrachten. Historischer Anknüpfungspunkt ist Kapitel 3 des Proslogion (wo auch Anselm Bemerkungen in diese Richtung macht); die Argumente haben sich ansonsten aber völlig verselbständigt ((158), (204)). Bei allen Unterschieden im einzelnen steht hinter den Argumenten eine gemeinsame Grundstruktur, die hier stark vereinfachend erläutert werden soll. Bezeichnen wir mit Fp „es ist notwendig, dass p der Fall ist“ und mit Gp „es ist möglich, dass p der Fall ist“; außerdem stehe G für „Gott existiert“ und fi für die Subjunktion (d. h. das aussagenlogische „wenn-dann“). Dann scheint für Gott zu gelten: G fi FG, d. h. wenn Gott existiert, dann existiert er notwendigerweise (siehe oben 2.6). Aus G fi FG

3.2 Ontologische Argumente für die Existenz Gottes

folgt modallogisch GG fi GFG (d. h. wenn Gott möglicherweise existiert, dann existiert er möglicherweise notwendig). Nun wird aber jeder (außer dem von vornherein überzeugten Atheisten) zugeben, dass Gottes Existenz möglich ist: GG. Aus GG und GG fi GFG folgt aber aussagenlogisch GFG. Nun gilt aber in einem bestimmten modallogischen System (dem System S5) ein Gesetz der Modalreduktion, d. h. der Weglassung hintereinander geschachtelter Modalitäten bis auf die letzte, auch wenn sich G und F abwechseln. Wir können in S5 also aus GFG weiter folgern: FG. Aber was notwendig ist, das ist auch der Fall, also folgt aus FG schließlich G, d. h. die Existenz Gottes. Aus der regen Diskussion um diese Argumente (158) seien hier nur drei Einwände erwähnt, die auch modallogische Varianten ontologischer Argumente als nicht stichhaltig erscheinen lassen. Zunächst gibt es viele Autoren (wie W. V. O. Quine), die modallogische Überlegungen generell als ontologisch dubios ablehnen. Dieser Fragenkreis kann hier nicht weiter erörtert werden (für eine erste Hinführung siehe (274), Kap. 4). Zweitens wird überwiegend bezweifelt, dass das Modalsystem S5 wirklich geeignet ist, unser Denken über metaphysische Möglichkeit, Notwendigkeit etc. abzubilden. S5 scheint eher unserem Denken über logische Möglichkeit und Notwendigkeit zu entsprechen. Bildlich gesprochen, bringt es S5 z. B. mit sich, dass das Mögliche und Notwendige in allen möglichen Welten gleich ist, und dass dort auch überall die gleichen Gegenstände vorkommen. So etwas würden wir wohl für logische Möglichkeiten und Notwendigkeiten akzeptieren, aber nicht für metaphysische. Dass z. B. logische und mathematische Gesetze in allen möglichen Welten gleichermaßen gelten, scheint durchaus plausibel. Dass sich verschiedene mögliche Welten aber in ihrer metaphysischen Grundstruktur unterscheiden können, dass dort also verschiedenes metaphysisch möglich und notwendig sein könnte, scheint ebenso plausibel. Die S5-Modalreduktion von GFp auf Fp bedeutet dagegen, dass alles, was möglicherweise (d. h. in mindestens einer möglichen Welt) notwendig ist (GFp), überhaupt, d. h. in allen möglichen Welten notwendig ist (Fp). Da Gottes notwendige Existenz aber sicher keine logische Notwendigkeit ist, scheint S5 darauf nicht sinnvoll anwendbar. Drittens scheint der Zusammenhang G fi FG (manche Autoren nennen ihn das „Anselmprinzip“) vom selben Einwand getroffen zu werden, der oben schon gegen das Proslogion 2 – Argument vorgebracht wurde. Haben wir wirklich ein hinreichend präzises Wissen vom Wesen Gottes, dass wir seine notwendige Existenz einsehen könnten? (Es ist zu beachten, dass dieses Wissen nicht auf den übrigen Argumenten für Gottes Existenz oder auf theologischen Annahmen beruhen darf, will man das ontologische Argument nicht davon abhängig machen!). Die Tatsache, dass die Existenz Gottes Jahrtausende lang diskutiert wird, scheint vielmehr darauf hinzudeuten, dass sie für uns beweisbedürftig ist, und damit ist sie relativ zu uns Menschen eben eine kontingente Tatsache. Auch modale ontologische Argumente würden uns also, salopp gesagt, nur dann überzeugen, wenn wir Gottes Wissen hätten.

Einwände gegen modallogische ontologische Argumente

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

3.3 Kosmologische Argumente „Kosmologische Argumente“ – eine unscharfe Sammelbezeichnung

Historische Hintergründe

Die etwas unscharfe Sammelbezeichnung „kosmologische Argumente“ (von griech. kosmos, Welt(all) / Universum und logos, Lehre / Kunde / Wissenschaft) wird für verschiedene Argumente verwendet, die darin übereinkommen, dass von der Existenz der Welt oder von bestimmten auffälligen Phänomenen darin (meist Bewegung und Verursachung) auf eine außerweltliche, erste Ursache dafür geschlossen wird. Es handelt sich also – anders als bei ontologischen Argumenten – um aposteriorische Argumente, ihre Ausgangspunkte sind Erfahrungstatsachen. Diese Gemeinsamkeit sollte allerdings nicht dazu verführen, die Unterschiede zwischen den einzelnen Argumentformen zu unterschätzen: Teils spielt in diese Argumente die Frage eines zeitlichen Anfangs des Universums herein, teils überhaupt nicht; teils geht es nur um den Unterschied zwischen kontingenter, innerweltlicher und notwendiger, göttlicher Existenz, teils dagegen um Verursachung, Bewegung und andere speziellere Phänomene; teils kommt in den Argumenten ein „Prinzip vom ausgeschlossenen unendlichen Regress“ deutlich zur Anwendung, teils scheint dieses Prinzip vordergründig nicht auf. (Überdies ist auch die Abgrenzung zu teleologischen Argumenten z.T. fließend, dazu aber später 3.4.) Von „dem“ kosmologischen Argument sollte also besser nicht gesprochen werden. Die sachliche und terminologische Unübersichtlichkeit hat u. a. damit zu tun, dass die philosophiehistorisch prominentesten kosmologischen Argumente verschiedene Formen haben. Bei Thomas von Aquin finden wir die einflussreichen Quinque viae („fünf Wege (des Beweises des Daseins Gottes)“), die man als Zusammenfassung und vorläufigen Höhepunkt antiken und mittelalterlichen Denkens in dieser Frage betrachten kann. Thomas geht von Phänomenen wie Bewegung und Verursachung aus, und in seinen Argumenten spielt das Regressprinzip eine wichtige Rolle. Eine zweite Argumentform hat zwar auch mittelalterliche Wurzeln (etwa bei Johannes Duns Scotus), wurde aber erst in der vorkantischen Philosophie der Neuzeit bedeutsam. Bei den Rationalisten, bei Gottfried Wilhelm Leibniz und bei Samuel Clarke wird von der kontingenten Existenz der Welt insgesamt auf die Existenz Gottes als eines notwendigen Wesens geschlossen. Diese Version war jene, die Kant geläufig war, und für sie hat er den Ausdruck „kosmologisches Argument“ geprägt. Überhaupt wurde Kants Dreier-Einteilung der Argumente für die Existenz Gottes in das ontologische, das kosmologische und das teleologische vorbildhaft und maßgeblich für viele Autoren bis heute. Sie begünstigt allerdings auch die Verwischung der erwähnten Unterschiede verschiedener kosmologischer Argumente. In jüngerer Zeit schließlich wurden aus astrophysikalischen Theorien Argumente für Gottes Existenz entwickelt, die ebenfalls als kosmologisch bezeichnet werden und in denen der zeitliche Anfang des Universums eine entscheidende Rolle spielt. Zum Teil kehren darin aber Motive aus den älteren Argumenten wieder, zum Teil auch solche aus der islamischen Theologie; sie werden daher mitunter als „kalam-Argument“ bezeichnet (von arab. kalam, etwa „Theologie“). Darüber hinaus gibt es noch einige weitere Spielarten kosmologischer Argumente, die hier übergangen werden müssen. Im Folgenden werden zunächst die drei erwähnten Argumentformen vereinfachend dargestellt (zu den Einzelheiten und immer noch bestehenden

3.3 Kosmologische Argumente

Interpretationsfragen siehe (182). In einem weiteren Schritt werden einige gemeinsame Voraussetzungen dieser Argumentformen herausgestellt. Die Diskussion von Einwänden gegen diese Voraussetzungen im dritten Schritt soll dem Leser bei der Abschätzung helfen, ob kosmologische Argumente aus heutiger Sicht stichhaltig sind. Die Meinungen darüber sind stärker geteilt als bei ontologischen Argumenten. Von Thomas’ fünf Argumenten ((79), Teil I, Frage 2, Artikel 3) sei stellvertretend das zweite herausgegriffen. Es hat folgende Struktur: 1. In der Welt gibt es offensichtlich Fälle, in denen Dinge in der Beziehung der Wirkursächlichkeit zueinander stehen. 2. Wirkursächlichkeit ist eine einseitig gerichtete Abhängigkeitsbeziehung: Nichts ist seine eigene Wirkursache, und entfällt die Wirkursache, dann entfällt auch die Wirkung. 3. Egal, wie lange solche Ketten von Wirkursachen sein mögen, sie können also nicht ins Unendliche zurückgehen, denn sonst gäbe es gar keine solchen Ketten und keine Wirkursächlichkeit. 4. Es gibt also eine erste, selbst nicht mehr verursachte Wirkursache, und diese kann mit dem gleichgesetzt werden, was in den Religionen „Gott“ genannt wird. Wir halten fest, dass der allfällige zeitliche Anfang der Welt in diesem Argument keine Rolle spielt (Thomas glaubte zwar faktisch an ihn, hielt die Frage danach aber für eine theologische, die philosophisch nicht entscheidbar ist). Entscheidend ist dagegen ganz offensichtlich die Betrachtung der Wirkursächlichkeit als einer Abhängigkeitsbeziehung. Ebenso ohne zeitlichen Anfang kommt das kosmologische Argument aus, das Leibniz an mehreren Stellen seines Werkes ((71), 39–50) formuliert. Wir nehmen es als typischen Repräsentanten der zweiten Argumentform. 1. Jeder kontingente Zustand in der Welt (man könnte auch sagen: jede kontingente Tatsache) hat einen zureichenden Grund, warum er so ist, wie er ist. 2. Es mag zeitlich aufeinanderfolgende Ketten von zureichenden Gründen geben, und sie mögen endlich oder unendlich lange sein. 3. Dass es überhaupt irgendwelche solche Ketten von Gründen gibt, egal wie lang, ja dass es überhaupt eine Welt gibt, dies sind kontingente Tatsachen, die einen zureichenden Grund haben. 4. Dieser zureichende Grund kann nicht Teil der Welt sein, denn sonst fiele er wieder unter 1. und bräuchte seinerseits einen zureichenden Grund. 5. Also gibt es einen zureichenden Grund dafür, dass es die Welt und die Ketten zureichender Gründe in ihr gibt. Dieser hat selbst keinen zureichenden Grund mehr und kann mit dem gleichgesetzt werden, was in den Religionen „Gott“ genannt wird. Leibniz bemüht sich, sein Argument gegen einen Einwand abzuschirmen, den in ähnlicher Weise bereits Thomas diskutiert hatte: Wieso man sich nicht mit den innerweltlichen Erklärungen zufrieden geben könne. Dagegen meint Leibniz: Sogar wenn es für sämtliche innerweltliche Tatsachen eine innerweltliche Erklärung gäbe, wäre immer noch die Frage offen, warum es überhaupt irgendwelche Tatsachen in der Welt gibt. Leibniz unterscheidet

Argumentform 1: Die thomasischen „Fünf Wege“

Argumentform 2: Leibniz’ kosmologisches Argument

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

Argumentform 3: Aus dem zeitlichen Anfang des Universums: ein philosophisches Argument …

… und zwei physikalische Argumente: Aus dem Entropiesatz und aus der „Big Bang“-Kosmologie

zwischen der physischen bzw. hypothetischen Notwendigkeit einerseits und der metaphysischen Notwendigkeit andererseits. Es mag sein, dass es für alle Tatsachen eine vorläufige innerweltliche Erklärung gibt, und dass sich die Dinge der Welt zwangsläufig so verhalten, wie sie eben sind. Das ist aber nur eine physische Notwendigkeit (von griech. physis, Natur) bzw. eine hypothetische Notwendigkeit (eine Notwendigkeit unter der Voraussetzung (griech hypóthesis), dass es die Welt eben gibt). Der letzte Grund der Welt existiert mit einer anderen Notwendigkeit, nämlich einer metaphysischen. Obwohl eine zeitlich unendliche Existenz der Welt also logisch mit der Existenz eines letzten Grundes für sie vereinbar zu sein scheint, hat diese Vorstellung viele Menschen verschiedener Epochen gestört. Daher wurde und wird aus mehreren Richtungen für einen zeitlichen Anfang der Welt argumentiert, der auch mit den jüdisch-christlich-islamischen Vorstellungen einer Schöpfung besser vereinbar ist. Ein philosophisches Argument dafür, das allerdings bis heute in seiner Stichhaltigkeit umstritten ist ((180), Kapitel 4.2), lautet ungefähr wie folgt: Eine unendliche Vergangenheit des Universums würde ein „aktual Unendliches“ voraussetzen. Aktual unendlich ist etwas dann, wenn seine unendlich vielen bzw. großen Teile tatsächlich bestehen, und nicht nur – wie ein „potentiell Unendliches“ – erst durch beliebig langes Fortsetzen erzeugbar sind (wie etwa die unendliche Menge der natürlichen Zahlen, die man durch beliebig langes Weiterzählen erzeugen kann). Ein solches aktual Unendliches sei aber unmöglich, oder zumindest könne eine aktual unendliche Zeitspanne nicht durchlaufen werden, weil jedes Durchlaufen einer Zeitspanne mit dem Durchlaufen der ersten Teil-Zeitspanne davon beginnen muss. Bei einer aktual unendlichen Vergangenheit gäbe es aber keine solche, damit also auch keine Gegenwart. Also muss es einen Anfang in der Zeit gegeben haben. Wie gesagt, dieses philosophische Argument ist umstritten. Wir können es allerdings auf sich beruhen lassen, denn eine neue und kräftigere Belegbasis hat das Argument vom zeitlichen Anfang des Universums aus der modernen Physik bekommen. Zwei Befunde der physikalischen Kosmologie deuten nämlich auf einen zeitlichen Anfang des Universums hin. (1) Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik (häufig „Entropiesatz“ genannt) besagt, dass ein abgeschlossenes physikalisches System immer und irreversiblerweise in einen Zustand höherer „Entropie“ (in erster Näherung: Unordnung bzw. einheitliche Energieverteilung) übergeht. Dies ist uns im Alltag wohlbekannt: Heiße Suppe kühlt aus, wärmt dabei aber ihre Umgebung geringfügig an. Es ist unmöglich, ein Zimmer dadurch zu erwärmen, dass man die Tür zum kälteren Nebenzimmer öffnet, um die dortige Wärme zusätzlich hereinzuholen – im Gegenteil wird sich das eine Zimmer abkühlen, das andere erwärmen. Will man diesem Entropiezuwachs entgegenwirken und Temperaturdifferenzen aufrechterhalten, muss man – etwa durch Kochplatten oder Wärmepumpen – Energie zuführen, hat somit aber kein abgeschlossenes System mehr. Betrachten wir nun das Universum als abgeschlossenes System, so hat dies zwei Konsequenzen. Erstens den sogenannten „Entropietod“ des Universums in ferner Zukunft, d. h. seine langfristige Bewegung auf einen Zustand maximaler Entropie bzw. Unordnung hin, in dem sich nichts mehr verändert. Nun mag dieser ferne Zustand – in dem es

3.3 Kosmologische Argumente

natürlich auch keine Lebensvorgänge gäbe – schon an sich ein möglicher Gegenstand religionsphilosophischer Überlegungen sein. Für unser momentanes Thema bedeutsamer ist jedoch die zweite Konsequenz: Würde das Universum bereits unendlich lange existieren, hätte es diesen Zustand maximaler Entropie bereits erreicht. Da es ihn derzeit aber noch nicht erreicht hat, kann es keine unendlich lange Vergangenheit haben. Also muss es einen zeitlichen Anfang gehabt haben. Es liegt nun aus theistischer Sicht nahe, diesen Anfangszustand durch einen Willensakt Gottes zu erklären. (2) Das Standardmodell der physikalischen Kosmologie geht von einem expandierenden Universum mit einem zeitlichen Anfang aus. Bereits Mitte der 1920er Jahre hatten Alexander Friedmann und Georges Lemaître aufgrund von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie die Expansion des Universums theoretisch vorhergesagt. Weiterer Anlass dafür war u. a., dass 1917 von Vesto Slipher erste Hinweise auf die Rotverschiebung des Lichts entfernter Galaxien gefunden worden waren, d. h. eine Spektralverschiebung ihres Lichts: Ähnlich wie eine sich entfernende Lokomotive aufgrund des Dopplereffekts scheinbar tiefer pfeift, ist das Lichtspektrum entfernter Galaxien etwas in den langwelligeren Bereich, d. h. näher zum Roten, verschoben. Sie scheinen sich also von uns zu entfernen. 1929 zeigte Edwin Hubble, dass die Rotverschiebung ein einheitliches Merkmal aller untersuchten Galaxien war, unabhängig von der Beobachtungsrichtung, aber dass sie umso stärker ausfiel, je weiter die Galaxien entfernt waren. Dies deutet darauf hin, dass sich das Universum gleichmäßig ausdehnt. Als Hilfsvorstellung dafür kann ein aufgehender Teig mit Rosinen dienen – auch hier entfernen sich alle Rosinen voneinander, und zwar umso schneller, je weiter sie voneinander entfernt sind. George Gamow entwickelte daraus 1948 das Modell eines heißen, dichten Anfangszustandes als Beginn der Expansion. Allerdings wäre es verfehlt, an ein Auseinanderfliegen der Sterne und Galaxien in einem bereits fertig bestehenden Raum zu denken. Vielmehr dehnt sich auch der Raum selbst aus, er hat zwar von innen betrachtet keine Grenze und ist daher unendlich, allerdings nimmt seine Krümmung (genauer gesagt, die Krümmung der Raum-Zeit) stetig ab. (All diese Zusammenhänge übersteigen unser visuelles Vorstellungsvermögen.) Das Universum hat also eine Geschichte (257). Extrapoliert man diese Entwicklung zurück, so erreicht man einen Anfang, der etwa 14 Milliarden Jahre zurückliegt und an dem die Krümmung der Raum-Zeit, die Dichte des Universums, seine Temperatur und sein Druck extrem hoch werden. Den Beginn der Expansion nennt man im Deutschen meist Urknall, im Englischen Big Bang, und den Punkt selbst bezeichnet man als eine Singularität („Einzigartigkeit“), weil in ihm die üblichen Erklärungsmuster der Physik versagen: Auch die Naturgesetze sind in diesem Punkt noch nicht anwendbar, sie gelten erst seit einem winzigen Sekundenbruchteil später, der sogenannten Planck-Zeit (5,4 6 10-44 sec). Sogar die Zeit als verfließendes Kontinuum beginnt genau genommen erst hier. Für die grundsätzliche Richtigkeit dieses Modells wurden später noch mehrere empirische Belege gefunden. Am bekanntesten davon dürfte die Entdeckung der 3-Kelvin-Hintergrundstrahlung durch Arno Penzias und Robert Wilson im Jahr 1965 sein, einer richtungsmäßig gleichmäßigen Strahlung aus allen Himmelsregionen, die man gleichsam als Nachglühen des Urknalls betrachten kann. Freilich beste-

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

Gemeinsame Voraussetzungen kosmologischer Argumente

hen innerhalb des Modells auch offene Probleme, insbesondere jenes der vorherrschenden Materieform im expandierenden Universum: Empirische Befunde deuten darauf hin, dass es zusätzlich zur bekannten Materie noch weitere Materie- (bzw. Energie-)formen im Universum geben muss, deren Wesen allerdings noch unbekannt ist. Trotz dieser Probleme blickt das Standardmodell auf eine beachtliche (etwa 80jährige!) Bewährung zurück. Allerdings hat die Annahme einer Singularität und damit einer prinzipiellen Grenze naturwissenschaftlichen Erklärens immer wieder Physiker gestört. Daher wurden eine ganze Reihe von kosmologischen Alternativmodellen erdacht, um diese Grenze zu überwinden, die Singularität in einem größerem Zusammenhang doch naturwissenschaftlich erklärbar zu machen und den Urknall sozusagen als Teilepisode eines ewigen kosmischen Geschehensverlaufes einzuordnen. Das Spektrum reicht von einem pulsierenden Universum über sich permanent weiterverzweigende Tochter-Universen bis hin zu Vorstellungen zyklischer Universen-Ketten, sodass ein Universum sogar Ursache seiner selbst sein könnte (für eine Übersicht siehe (145), (131)). William Lane Craig (131) u. a. haben jedoch überzeugend dargelegt, dass alle diese Vorschläge eine oder mehrere markante Schwächen haben: Sie sind rein spekulativ und ohne jeden empirischen Beleg (einige davon widersprechen sogar der physikalischen Empirie); sie sind innerlich widersprüchlich oder begrifflich extrem unplausibel; und etliche davon laufen selbst auf einen zeitlichen Anfang oder eine Singularität hinaus, also genau das, was sie eigentlich vermeiden wollten. Auch von durchaus religionskritischen Physikern werden diese Modelle daher überwiegend als Produkte blühender Spekulationen eingeordnet (145), und das Standardmodell wird – trotz des Schönheitsfehlers einer Anfangs-Singularität – insgesamt kaum in Frage gestellt. Auch hier liegt es nun aus theistischer Sicht nahe, dieses Standardmodell theistisch zu erweitern und den Urknall als Handlung Gottes zu erklären: Gott als notwendig existierendes, ewiges Wesen habe damit den Anfang des Universums gesetzt, und umgekehrt biete der zeitliche Anfang des Universums damit den Ansatzpunkt für ein Argument für die Existenz eines personalen, ewigen, allmächtigen Gottes. Bei allen Unterschieden im Einzelnen der drei besprochenen Argumentationsformen lassen sich doch einige gemeinsame Züge hervorheben. (1) Der weltanschauliche Rahmen der Fragestellung: Allen drei Argumentationsformen ist gemeinsam, dass darin die üblichen, alltäglichen und wissenschaftlichen Formen des innerweltlichen Erklärens und Warum-Fragens überstiegen werden. Man fragt vielmehr nach der Ursache für die Kausalketten überhaupt, oder nach dem Grund für die Existenz des Universums insgesamt. Besonders deutlich wird dieser Wechsel der Erklärungsformen auch bei den neueren kosmologischen Argumenten aus der Big Bang-Kosmologie: Wo die physikalischen Erklärungen enden müssen, wird auf eine andere Form der Erklärung umgestiegen (nämlich die durch Gottes personales Handeln). Es handelt sich dabei nicht um eine Erweiterung des physikalischen Weltbilds, sondern um seine Ergänzung bzw. seine Einbettung in einen größeren Rahmen – einen Rahmen, in dem auch Fragen nach dem Woher und dem Warum von allem sinnvoll stellbar sind. Man könnte dies den weltanschaulichen Rahmen der Fragestellung nennen. Dieser Rahmen sollte be-

3.3 Kosmologische Argumente

rücksichtigt werden, will man den Stellenwert der Argumente richtig einordnen. Es ist nämlich keineswegs so, dass Gottes Existenz „aus dem Weltbild der modernen Kosmologie folgen“ würde. Vielmehr handelt es sich um eine weltanschauliche Einbettung des physikalischen Weltbildes, die der Theist legitimer Weise vornehmen kann, und für die er auch gewisse Gründe angeben kann. Ihre argumentative Kraft bezieht sie aber nicht aus der Physik, es handelt sich also nicht etwa um einen „wissenschaftlichen Beweis“ religiöser Überzeugungen. (2) Prinzip vom ausgeschlossenen unendlichen Regress: Kosmologische Argumente beruhen darauf, dass die in Frage stehenden Erklärungen nicht ins Unendliche zurückgehen können, dass es also keinen „unendlichen Erklärungsregress“ gibt. Bei Thomas ist das offensichtlich, bei Leibniz wird das Prinzip eher verdeckt angewandt, indem auf die Frage nach dem Warum der Welt umgestiegen wird. Argumente aus dem zeitlichen Anfang des Universums bringen den Ausschluss eines unendlichen Erklärungsregresses schon von selbst mit: Am zeitlichen Anfang des Universums hören die innerweltlichen Kausalerklärungen notwendigerweise auf. (3) Voraussetzung eines Eindeutigkeitsprinzips: Bei kosmologischen Argumenten begegnet uns erneut eine stillschweigende Voraussetzung, die wir bereits von ontologischen Argumenten her kennen (3.2): Sollen solche Argumente den Theismus stützen, dann muss sichergestellt sein, dass es nur eine einzige letzte Ursache geben kann und nicht mehrere davon. Man könnte dies ein Eindeutigkeitsprinzip oder auch ein henologisches Prinzip (von griech. hen, eins) nennen. Bei den thomasischen Argumenten wird diese Voraussetzung nicht ausdrücklich gemacht, und das hat auch eine Reihe von Kritiken hervorgerufen. Tatsächlich wäre es ja ein Fehlschluss, von „jede Ursachenkette hat einen Anfang“ auf „es gibt einen Anfang aller Ursachenketten“ zu schließen (prädikatenlogisch gesehen wäre es eine unzulässige Quantorenvertauschung). Genau das scheint aber im Übergang von Schritt 3 auf Schritt 4 zu geschehen, sofern man nicht ein solches Eindeutigkeitsprinzip dazunimmt. Im Leibnizschen Argument steckt das henologische Prinzip in der Betrachtung der Existenz der Welt als eine einzige Tatsache (Schritt 3) sowie in der Voraussetzung, dass Tatsachen jeweils immer nur einen zureichenden Grund haben. Bei den physikalischen Argumenten wird die Eindeutigkeit schon durch die Anfangssingularität gewährleistet. Da sie gleichsam punktartig ist und sich das Universum und seine Einzelobjekte erst später daraus entwickeln, scheint es auch plausibel, dass sie genau eine Ursache hat. (4) Gleichsetzung der ersten Ursache mit dem Gott des Theismus: Angenommen, die bisher besprochenen Voraussetzungen seien rechtfertigbar, und es sei die Existenz einer ersten Ursache der Welt beweisbar. Dass damit aber auch schon die Existenz Gottes im Sinne des Theismus bewiesen ist, ist eine weitere Voraussetzung. Bei Thomas steckt sie hinter dem jeweils letzten Satz seiner 5 Argumente, der lautet: „… und das [nämlich diese erste Ursache, etc., W. L.] nennen alle Gott.“ Thomas war es also klar, dass diese Gleichsetzbarkeit keineswegs selbstverständlich ist, er ging jedoch von hinreichenden inhaltlichen Ähnlichkeiten zwischen dem Gott der Religion und der philosophisch erschließbaren ersten Ursache aus. Leibniz macht eine ähnliche Voraussetzung. Vertreter der physikalischen Argumente (131) be-

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

Einwände gegen kosmologische Argumente

gründen die Gleichsetzbarkeit ebenfalls mit einer inhaltlichen Ähnlichkeit: Wenn die erste Ursache nicht mehr nach Art physikalischer Verursachung wirkt, dann muss sie ganz anders geartet sein – z. B. könnte sie eine Person wie Gott sein, die das Universum durch ihren Willensakt geschaffen hat. (5) Prinzip vom zureichenden Grund: Die bekannteste und zugleich philosophisch umstrittenste Voraussetzung kosmologischer Argumente sind verschiedene Varianten eines „Prinzips vom zureichenden Grund“: Die Dinge in unserer Welt und ihre Veränderungsprozesse (Thomas), ja sogar alle kontingenten Tatsachen (Leibniz) tragen die Erklärung ihres Vorhandenseins nicht in sich selbst, sondern haben einen Grund (und zwar einen Seinsgrund, nicht nur einen Erkenntnisgrund). Auch bei den modernen physikalischen Argumenten zeigt sich dieses Prinzip, wenn z. B. nach einem Grund für den Big Bang weitergefragt wird. (Genauer gesagt handelt es sich hier um eine Version des sogenannten „metaphysischen Kausalprinzips“; die Terminologie in der Literatur ist aber nicht einheitlich. Auf nähere Unterscheidungen kann hier nicht eingegangen werden; zur Orientierung immer noch hilfreich sind (136) und (137).) Die wichtigsten Einwände gegen kosmologische Argumente lassen sich den fünf eben erläuterten Voraussetzungen zuordnen. Allerdings stehen diesen Einwänden durchaus auch Verteidigungen und Gegeneinwände gegenüber. Manche dieser Gegenüberstellungen können helfen, den Sinn sowie die Chancen und Grenzen von Argumenten in der Gottesfrage zu klären; wir kommen daher in Teil V auf einige von ihnen zurück. (1) Ausklammerung weltanschaulicher Fragen: Etliche Philosophen sind der Ansicht, dass religiös-weltanschauliche Stellungnahmen grundsätzlich kein Gegenstand vernünftiger Diskussion sein könnten, sondern eher Sache von Emotionen oder subjektiven Bekundungen. Der Bereich vernünftig diskutierbarer Fragen werde dagegen im Wesentlichen durch die Wissenschaften abgesteckt. Es ist klar, dass aus dieser Sicht keinerlei kosmologisches Argument stichhaltig erscheinen kann. – Als Gegeneinwand kann freilich gelten, dass der Ausschluss rationaler weltanschaulicher Diskussion selbst eine massive weltanschauliche These darstellt, und dass sich Naturwissenschafter und Philosophen ebenso wie andere Menschen de facto häufig in Diskussionen über weltanschauliche Fragen engagieren, und zwar offensichtlich doch mit Vernünftigkeitsansprüchen (näheres siehe Abschnitte 5.1 bis 5.3). (2) Abweisung des Regressausschlussprinzips: Zuweilen wird eingewandt, das Prinzip vom ausgeschlossenen unendlichen Regress sei eine dubiose Voraussetzung. Besonders in den Naturwissenschaften sei das unabsehbar weite Zurücklaufen der Erklärungsketten nämlich nicht ausgeschlossen, sondern sogar die Regel (daher wird ja das Ende aller physikalischen Erklärungen an der Anfangssingularität als irritierend empfunden). – Als Gegeneinwand mag darauf hingewiesen werden, dass das Regressausschlussprinzip nur in Fällen anwendbar ist, wo bereits die Existenz (und nicht nur die Tätigkeiten) der jeweils erklärenden Faktoren wiederum erklärungsbedürftig ist. Wo man auch die Existenz der erklärenden Faktoren als erklärungsbedürftig betrachten muss, dort scheint ein unendlicher Rücklauf der Erklärungen tatsächlich unbefriedigend zu sein. Und eben dies dürfte hier bei kosmologischen Argumenten der Fall sein. In Abschnitt 5.5 werden wir sehen, dass das

3.3 Kosmologische Argumente

Regressausschlussprinzip generell einen plausiblen Sinn dort hat, wo es um letzte, weltanschauliche Erklärungen geht. (3) Abweisung des Eindeutigkeitsprinzips: Wie oben erwähnt, hat die mangelnde Offenlegung des Eindeutigkeitsprinzips dazu geführt, dass einige Autoren manche der thomasischen Argumente als offenkundige logische Fehlschlüsse ablehnen ((238), (244)). Auch Leibniz’ eindeutigkeits-stiftende These, dass auch die Existenz der Welt insgesamt einen zureichenden Grund brauche, wurde vielfach angegriffen: Warum sollte es – neben den zureichenden Gründen für die einzelnen Bestandteile der Welt – auch noch einen zureichenden Grund für die Welt als deren Zusammennahme brauchen? Oder umgekehrt, ist ein solcher Grund nicht ohnehin schon gegeben, wenn es für alle Bestandteile der Welt einen zureichenden Grund gibt? Eine relativ plausible Lösung des Eindeutigkeitsproblems bringen die modernen kosmologischen Argumente aus der Astrophysik mit sich, wie wir gesehen haben. Dennoch könnte man auch hier die theoretische Möglichkeit erwägen, ob unser Universum vielleicht ein Produkt mehrerer Mächte ist, oder ob das von uns wahrgenommene Universum überhaupt nur ein Teilaspekt eines viel umfassenderen Weltgeschehens mit sein könnte, das möglicherweise mehrere letzte Gründe hat. Insgesamt besteht bezüglich des präzisen Inhalts und der Rechtfertigung von Eindeutigkeitsprinzipien noch deutlicher religionsphilosophischer Forschungsbedarf. Dennoch genießen solche Prinzipien prima facie einiges an Plausibilität, insbesondere im Kontext weltanschaulicher Erklärungen: Eine wirklich tragfähige Weltanschauung dürfte keine Mehrzahl an letzten Erklärungen enthalten. (4) Bestreitung der religionsphilosophischen Relevanz des Resultats: In verschiedener Weise wurde der jeweils letzte Teilschritt der Argumente angegriffen: Auch wenn es für die Existenz eines einzigen, notwendig existierenden Wesens ein stichhaltiges Argument geben mag, was wäre damit religionsphilosophisch gewonnen? Warum sollte dieses Wesen schon mit Gott gleichgesetzt werden können? Immanuel Kant etwa meinte, kosmologische Argumente begingen im Grunde denselben unzulässigen Schluss wie das ontologische Argument, nur eben in umgekehrter Richtung: Warum sollte das notwendig existierende Ding auch schon das vollkommenste Ding sein ((68), B 631–641)? Auch viele zeitgenössische Philosophen wenden ein, dass es von der Existenz einer notwendig existierenden Ursache für die Welt bis zur Existenz eines Gottes im Sinne des Theismus noch ein weiter gedanklicher Weg ist (253). Wie oben angedeutet, reagieren Vertreter kosmologischer Argumente auf diesen Einwand häufig so: Gerade aus den Argumentationsgängen selbst seien gewisse Rückschlüsse auf die Eigenschaften der ersten Ursache zu ziehen, etwa aus dem Big Bang-Argument der Hinweis auf die Personalität Gottes. Und diese Eigenschaften ähneln eben stark jenen von theistischen Gottesvorstellungen. Für die religionsphilosophische Relevanz des Resultats genügt dies. (5) Bestreitung des Prinzips vom zureichenden Grund bzw. des metaphysischen Kausalprinzips: Obwohl diese Prinzipien auf den ersten Blick völlig selbstverständlich erscheinen, richten sich auch dagegen verschiedene Einwände. Erstens wird ins Treffen geführt, dass manche quantenphysikalischen Vorgänge doch als ursachenlos erscheinen. Die Prinzipien scheinen also

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

nicht ausnahmslos zu gelten. Zweitens wird seit David Hume häufig eingewandt, dass die durchgängige kausale Ordnung, die wir in der Welt zu erkennen glauben, doch in Wahrheit nur das Ergebnis unserer Bewusstseinstätigkeit sein könnte. Die Wahrnehmung zeigt nur, dass es ein Hintereinander von Zuständen gibt, das gewisse Regelmäßigkeiten zeigt. Aber dass dieses Hintereinander als Ursache-Wirkung-Beziehung aufgefasst wird, sei eine Zutat unseres Bewusstseins, das die Welt eben so ordnet. Für das Prinzip vom zureichenden Grund und für das metaphysische Kausalprinzip folgt daraus, dass sie weitgehend depotenziert werden: Entweder werden sie überhaupt nur als psychologischer bedingter Schein eingeordnet, oder sie gelten bestenfalls als Grundprinzipien jener Welt, wie wir sie eben nicht anders erfahren könnten. Ob sie aber auch in der „wirklichen Welt“ gelten, wird zur unbeantwortbaren Frage. Drittens wird mitunter eingewandt, dass allfällige derartige Prinzipien, wenn überhaupt, nur innerhalb der Welt gelten könnten. Warum es dagegen überhaupt eine Welt gibt, gehöre nicht mehr zu ihrem legitimen Anwendungsbereich (139). Viertens schließlich ist unklar, welchen erkenntnistheoretischen Status solche Prinzipien eigentlich haben, d. h., wie man sie begründen könnte – eher nach der Art logischer Gesetze oder empirischer Verallgemeinerungen oder sonst wie? Über diese und andere Fragen hat es besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts heftige Debatten gegeben ((136), (137)). – Gegen alle Einwände steht freilich immer die hohe Anfangsplausibilität dieser Prinzipien und auch die Tatsache, dass sie sowohl im Alltag als auch in den Naturwissenschaften permanente Anwendung finden. Vieles spricht dafür, dass diese Prinzipien doch grundlegend für unseren Weltzugang sein dürften, grundlegender als z. B. einzelne naturwissenschaftliche Theorien wie die Quantenmechanik oder die Wahrnehmungspsychologie. Damit spricht auch nichts dagegen, sie auch jenseits der naturwissenschaftlich fassbaren Welt anzuwenden. Trotz der fünf besprochenen Gruppen von Einwänden dürften kosmologische Argumente aus heutiger Sicht die aussichtsreichsten Kandidaten für ein stichhaltiges Argument für Gottes Existenz sein. Wir kommen in Kapitel 5.5 nochmals auf sie zurück.

3.4 Teleologische Argumente (im weiteren Sinne) Eine Gruppe von inhaltlich verwandten Argumenten

Auch teleologische Argumente (von griech. telos, Ziel, Zweck) sind aposteriorische Argumente. Im Vergleich zu kosmologischen Argumenten ist hier jedoch die Erfahrungsbasis spezieller umschrieben. Ausgangspunkt dieser Argumente ist die Tatsache, dass manche Strukturen und Prozesse in der Welt so erscheinen, als seien sie durch einen intelligenten Planer eingerichtet worden. Was man als solche auffällige Strukturen und Prozesse ansah, hat sich im Lauf der Jahrhunderte geändert. Erkennbar ist dabei aber eine Koppelung an den jeweils aktuellen Stand der Naturwissenschaften. Ähnlich wie schon bei kosmologischen Argumenten sollte man auch hier nicht von „dem“ teleologischen Argument sprechen, sondern eher von einer ganzen Palette miteinander verwandter Argumente. Als Repräsentanten mittelalterlichen Denkens greifen wir wiederum Thomas von Aquin heraus. Bei ihm (79) findet sich folgendes Argument:

3.4 Teleologische Argumente (im weiteren Sinne)

1. Es gibt viele Naturdinge, die selbst keine Ziele erkennen und bewusst anstreben können, die aber dennoch auf ein Ziel hinstreben (was man daraus ersieht, dass sie sich meist so verhalten, dass das für sie Beste eintritt). 2. (stillschweigende Prämisse) Ziele gibt es nur, wo es etwas Erkennendes und Geistiges gibt. 3. Also gibt es etwas Erkennendes und Geistiges, das diese Naturdinge auf ihr Ziel hin ausrichtet. 4. Dieses Erkennende und Geistige kann mit Gott im Sinne des Theismus gleichgesetzt werden. Thomas’ Argument geht von der antik-mittelalterlichen Annahme einer inneren Ziel- bzw. Zweckgerichtetheit der Naturdinge aus. An naturwissenschaftlichen Details bestand noch wenig Interesse. Dies änderte sich in der Neuzeit mit dem Aufkommen der Naturwissenschaft und den neuen Beobachtungsmöglichkeiten durch Mikroskope, Fernrohre und ähnliche Instrumente. Im späten 17. und 18. Jh. erlebte die sogenannte Physikotheologie (von griech. physis, Natur), ausgehend von England, einen regelrechten Boom in Westeuropa. Verschiedenste Naturphänomene wurden als Beweis für die Existenz eines weisen göttlichen Weltenordners betrachtet, etwa die Regelmäßigkeit von Planetenbewegungen, Fisch- und Vogelzügen, der Feinaufbau und die Umwelttauglichkeit von einzelnen Organen oder ganzen Organismen, die soziale Organisation von Bienen- u. a. Insektenstaaten, die jedem menschlichen Bauwerk überlegene statische Konstruktion von Grashalmen, die Struktur von Schneekristallen, aber auch z. B. der konstant leichte Knabenüberhang im Geburtsregister der Stadt London (durch den Gottes Weisheit das höhere Todesrisiko von Männern durch Kriege, Berufsgefahren etc. ausgleiche), und vieles andere mehr (159). Das Argument (bis heute oft design argument genannt) ist im Wesentlichen ein Analogie-Argument im Vergleich zu absichtlichen, menschlichen Konstruktionen und läuft etwa wie folgt: 1. Verschiedene Naturphänomene sind nur erklärbar, wenn man sie als Resultat von intelligenter Planung betrachtet. 2. Jede intelligente Planung verweist auf eine planende Intelligenz. 3. Die planende Intelligenz liegt nicht in diesen Phänomenen selbst. 4. Also gibt es eine planende Intelligenz außerhalb dieser Phänomene. 5. Diese planende Intelligenz kann mit Gott im Sinne des Theismus gleichgesetzt werden. Teilweise wurde das Argument auch noch dahingehend modifiziert und verstärkt, dass die bewundernswerte, menschliche Fähigkeiten übersteigende Feinsinnigkeit der Planung, wie sie aus manchen Naturphänomenen erkennbar ist, ein Hinweis auf die gewaltige Intelligenz des göttlichen Planers sei. Mit der Entwicklung der Wahrscheinlichkeitslehre vor allem im 18. und frühen 19. Jahrhundert (Bernoulli, Laplace u. a.) hat das design argument eine weitere Modifikation erfahren. Seither wird nämlich Schritt 1 des Arguments häufig in folgender Weise präzisiert und begründet: Dass bestimmte Verhältnisse tatsächlich das Resultat einer intelligenten Planung sind, könne man sich dadurch vor Augen führen, dass man die Wahrscheinlichkeit eines

„Physikotheologie“ und das „design argument“

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

Zwei klassische Einwände: Kant und die Evolutionstheorie

zufälligen Entstehens dieser Verhältnisse abschätzt. Wie wahrscheinlich wäre es, dass sich die Bausteine der Natur zufällig zu den beobachtbaren Strukturen akkumulieren? Diese Wahrscheinlichkeit sei, wenngleich nicht null, so doch vernachlässigbar gering. Da keine weitere Erklärung in Frage kommt, müssen diese Verhältnisse tatsächlich Resultate intelligenter Planung sein. Solche Wahrscheinlichkeits-Varianten teleologischer Argumente wurden und werden bis in die Gegenwart des öfteren vertreten (siehe auch Abschnitt 3.6). Mancherorts sind solche Argumente sogar bildungspolitisch relevant, wenn Thesen über ein „intelligent design“ in der Natur als Alternative zur gängigen Evolutionsbiologie im Unterricht gelehrt werden. Immanuel Kant betrachtete den „physikotheologischen Beweis“ (so bezeichnete er das teleologische Argument) zwar als das respektabelste Argument für Gottes Existenz ((68), B 651), wandte aber folgendes ein: Beweisziel könne allenfalls die Existenz eines intelligenten Weltbaumeisters sein, der aus vorhandenem Ausgangsmaterial die Dinge der Welt konstruiert. Als Argument für den Theismus müsste das Argument aber auch noch die Existenz einer ersten Ursache für die Existenz der Welt beweisen, und dies gehe nur, wenn man doch wieder einen Gedankengang wie das kosmologische Argument beschreite (siehe dazu oben 3.3). Ein Teil der Argumentationsbasis teleologischer Argumente geriet auch durch die Entwicklung der Evolutionstheorie im 19. und 20. Jh. ins Wanken. Die bisherigen Varianten teleologischer Argumente waren von der Stabilität biologischer Arten ausgegangen – der intelligente Schöpfer hatte aus dieser Sicht die Pflanzen- und Tierarten ebenso wie deren Umwelt gleichsam fertig erzeugt. Die bewunderungswürdige Struktur der Organismen und ihre Angepasstheit an die Umwelt waren Hinweise auf Gottes weisen Schöpfungsplan. Die Evolutionstheorie entwarf dagegen ein Bild der Welt, dem zufolge sich die komplizierteren Organismen stufenweise aus einfacheren entwickelt haben, und dies in Reaktion auf Umwelteinflüsse: Was evolutionär überlebt und was ausstirbt, hängt wesentlich von der Umwelttauglichkeit ab. Die wesentlichen Mechanismen dafür sind Mutationen (d. h. zufällige Änderungen im Erbgut) und nachfolgende Selektion (d. h. stärkere oder schwächere Fortpflanzungserfolge aufgrund von Umwelt- und Konkurrenzdruck). Die Anpassung von Organismen an ihre Umwelt verliert damit ihre Bewunderungswürdigkeit; sie wird vielmehr aus ihrer evolutionären Erfolgsgeschichte heraus erklärbar. Dieses Bild kommt ohne die Annahme von Zielen aus, und auch ohne eingebaute Pläne der Natur. Die Entstehung von biologischer Komplexität und ihre Anpassung wird vielmehr kausal, „von unten“, d. h. ausgehend von einfacheren Formen erklärt. Die Annahme eines Einflusses Gottes als intelligenter Planer scheint damit überflüssig. Der weltanschauliche Einfluss im 19. und 20. Jahrhundert, den das eben gezeichnete einfache Bild von Mutation und Selektion entfaltete, ist kaum zu überschätzen. Bis heute dient dieses Bild auch dazu, breite philosophische Attacken gegen jede Form teleologischen Denkens und gegen die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens zu begründen (siehe etwa ((218), (219), (220)). Dass dieses einfache Bild in der Evolutionsbiologie inzwischen allerdings ganz erhebliche Differenzierungen erfahren hat, ist dagegen in der breiteren Öffentlichkeit bislang kaum bekannt. Zur Füllung der Erklärungslücken des einfachen Mutations-/Selektionsbildes werden innerhalb der Bio-

3.4 Teleologische Argumente (im weiteren Sinne)

logie gegenwärtig verschiedenste Theorien diskutiert ((267), (149), (280), Kap. 3). Freilich kommen auch die allermeisten dieser neuen Theorien darin überein, dass sie keineswegs zur Annahme eingestifteter Naturzwecke oder -ziele oder einer dahinterstehenden Intelligenz zurückkehren. Auch die neuere Evolutionsbiologie bietet somit Erklärungen „von unten“ an, und damit entzieht auch sie manchen teleologischen Argumenten für die Existenz Gottes die Grundlage. Allerdings fehlt es nach wie vor auch nicht an Autoren, die aus den Erklärungslücken der Evolutionsbiologie weltanschauliche Schlussfolgerungen ziehen wollen, etwa auf die Existenz eines intelligenten Planers oder eines „in sich intelligenten“ Universums (eine ausgewogen kommentierte Übersicht findet sich in (149). Eine moderne Version teleologischer Argumente, die resistent gegen den evolutionstheoretischen Einwand ist, ist das sogenannte fine tuning argument, das Argument aus der Feinabstimmung des Universums. Hypothetische physikalische Berechnungen zeigen nämlich, dass es keine Expansion des Universums, keine stabilen Atome, damit natürlich auch kein Leben auf Kohlenstoffbasis, keine Evolution etc. gäbe, wenn etliche fundamentale Naturkonstanten ganz geringfügig abweichende Werte gehabt hätten. Dies gilt u. a. für die Gravitationskonstante, die starke Wechselwirkung (die die Protonen und Neutronen im Atomkern zusammenhält) oder das Verhältnis von Protonen- zu Elektronenmassen. Auch die Anfangsgeschwindigkeit der Expansion des Universums war (nachträglich betrachtet) „gerade richtig“, um sowohl sein sofortiges gravitationsbedingtes Wiederkollabieren zu verhindern als auch eine zu schnelle Ausbreitung ohne die Bildung von Strukturen. Ebenso waren die Störungen kurz nach der Entstehung des Universums einerseits stark genug, dass sich durch Ungleichverteilungen Strukturen wie Galaxien herausbilden konnten, andererseits aber auch wieder nicht so stark, dass das Universum im Chaos versunken wäre. Die Liste dieser zusammenstimmenden Faktoren könnte noch lange fortgesetzt werden, und teilweise sind die Toleranzbereiche, innerhalb derer sie sich bewegen müssen, äußerst schmal (160). Insgesamt, so nun die Verfechter des fine tuning-Arguments, sei es extrem unwahrscheinlich, dass dieses Zusammentreffen zufällig zustande gekommen ist, es spreche vielmehr alles für eine intelligente Planung durch Gott. Zusammengefasst steht also etwa folgende Überlegung hinter diesem Argument: 1. Es gibt verschiedenste mögliche Konstellationen, wie die fundamentalen Eigenschaften des Universums hätten beschaffen sein können. 2. Jede faktisch bestehende Konstellation geht entweder auf Zufall oder auf absichtliche, intelligente Planung und Herstellung zurück. 3. Die uns bekannte, „feinabgestimmte“ Konstellation ist extrem unwahrscheinlich. 4. Wenn eine extrem unwahrscheinliche Konstellation faktisch besteht, ist die Wahrscheinlichkeit absichtlicher, intelligenter Planung und Herstellung fast gleich 1, die des Zufalls fast gleich 0. 5. Als solcher Planer und Hersteller kommt nur ein äußerst mächtiges und weises Wesen in Frage, d. h. ein Gott im Sinne des Theismus. 6. Also ist die Wahrscheinlichkeit der Existenz Gottes fast gleich 1, d. h. seine Existenz ist so gut wie sicher.

Eine moderne Version: Das Argument aus der Feinabstimmung des Kosmos

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

Das Feinabstimmungsargument und die Varianten sogenannter „Anthropischer Prinzipien“

Bevor wir näher auf Voraussetzungen von und Kritikpunkte an teleologischen Argumenten eingehen, sei noch kurz ein dem Feinabstimmungsargument benachbartes Thema gestreift, das oft mit ihm vermengt wird. 1974 prägte Brandon Carter den Ausdruck „anthropische Prinzipien“ (von griech. anthropos, Mensch) für zwei Thesen, die der Sache nach schon viel länger bekannt waren und mit der Feinabstimmung des Universums zusammenhängen ((121), (122), (124)). Als das schwache anthropische Prinzip bezeichnete Carter folgende These: „Wenn das Universum bewusstseinsbegabte Beobachter wie uns Menschen (und damit vorher schon Galaxien, relativ kühle Planeten, schwere chemische Elemente, Leben auf Kohlenstoffbasis etc.) hervorgebracht hat, dann muss es bestimmte, eng umschriebene und fein abgestimmte Anfangsbedingungen erfüllt haben“. Dieses Prinzip ist höchst plausibel, allerdings auch nicht sonderlich spektakulär. Es ist lediglich eine Variante der allgemeinen These „Wenn ein Sachverhalt S faktisch entstanden ist, dann müssen passende Anfangsbedingungen für S erfüllt gewesen sein.“ Zu beachten ist dabei, dass es durchaus mehrere passende Anfangsbedingungen für einen Sachverhalt geben kann. Das schwache anthropische Prinzip ist damit allenfalls ein Filter gegen solche Hypothesen über den Anfang des Universums, die die Entstehung des Menschen ausschließen würden. Das schwache anthropische Prinzip reicht insbesondere nicht hin, um folgende Behauptung zu begründen: „Da es bewusstseinsbegabte Beobachter gibt, mussten die Anfangsbedingungen des Universums genau jene sein, die eben faktisch geherrscht haben (und das kann kein Zufall sein)“ – nichts schließt nämlich aus, dass es auch andere (und ähnlich fein abgestimmte) Anfangsbedingungen hätte geben können, die ebenso die Entwicklung von bewusstseinsbegabten Beobachtern ermöglicht hätten. Aus dem schwachen anthropischen Prinzip folgt also nichts über irgendwelche Feinabstimmung und erst recht nichts bezüglich der Existenz Gottes. Inhaltsreicher ist dagegen das starke anthropische Prinzip: „Das Universum musste von seinen Anfangsbedingungen her so beschaffen sein, dass es früher oder später bewusstseinsbegabte Beobachter hervorbringen würde.“ Dieses Prinzip geht bereits deutlich über naturwissenschaftlich begründbare Aussagen hinaus. Naheliegende Konsequenz des starken anthropischen Prinzips ist es nämlich, dass Universen ein inneres Ziel in sich tragen (nämlich die Hervorbringung von bewusstseinsbegabten Beobachtern), oder dass es einen externen Faktor gibt, der ihnen dieses Ziel eingestiftet hat. In dieser Deutung wird das starke anthropische Prinzip häufig zur Prämisse für eine Variante des Feinabstimmungsarguments, denn es liegt natürlich nahe, diesen externen Faktor mit Gott zu identifizieren. Neben dem schwachen und dem starken anthropischen Prinzip (die überdies nicht immer einheitlich formuliert werden) wurde von verschiedenen Autoren noch eine Anzahl weiterer anthropischer Prinzipien vorgeschlagen. Größere Bekanntheit haben davon nur zwei erlangt; beide sind allerdings in den Bereich der reinen Spekulation zu verweisen. Das teilnehmende anthropische Prinzip (participatory anthropic principle, John Wheeler) behauptet, es gäbe Universen nur dort, wo es auch Beobachter gibt (dies aufgrund einer bestimmten Deutung des Heisenbergschen Unbestimmtheitsprinzips, der zufolge es im Quantenbereich keine beobachter-unabhängige Realität gäbe). Das finale anthropische Prinzip (final anthropic principle, Frank Tip-

3.4 Teleologische Argumente (im weiteren Sinne)

ler) behauptet, im Universum müssen intelligente Formen der Informationsverarbeitung entstehen und würden nicht mehr aussterben. Das Universum entwickle sich vielmehr auf einen Endzustand umfassender Informationsverarbeitung, als eine Art universale bewusstseinsbegabte Maschine hin. Auch hinter teleologischen Argumenten stehen eine Reihe von Voraussetzungen, die zum Gegenstand von Kritik wurden. Unsere Erörterung konzentriert sich auf neuere Varianten teleologischer Argumente. (1) Voraussetzung eines Eindeutigkeitsprinzips: Ähnlich wie kosmologische Argumente setzen auch teleologische Argumente an irgendeiner Stelle stillschweigend voraus, dass es sich um eine einzige planende Intelligenz handelt (bei Thomas von Schritt 2 auf 3, beim design argument von 3 auf 4, beim Feinabstimmungsargument von 4 auf 5). Nur unter dieser Voraussetzung sind sie als Argumente für den Theismus brauchbar, ansonsten fielen sie einem naheliegenden Einwand wie in Abschnitt 3.3 zum Opfer: Daraus, dass alles einen Planer hat, folgt noch nicht, dass es einen Planer für alles gibt. Ein gängiger Ansatz zur Begründung dieser Voraussetzung ist es, auf die Einheitlichkeit im Aufbau des Kosmos, die einheitliche Geltung der Naturgesetze und den Gesamteindruck einer gewissen Harmonie zu verweisen. So weit wir wissen, ist der gesamte Kosmos aus relativ wenigen Sorten von Teilchen aufgebaut, die einheitlichen Gesetzen gehorchen. Bei mehreren, voneinander unabhängigen planenden Intelligenzen wären dagegen unterschiedliche Planungen, mutmaßlich mit einigen Kollisionen zwischen ihnen zu erwarten (als Metapher diene eine Baustelle mit schlecht koordinierten Subunternehmen). Bei modernen Versionen des teleologischen Arguments, die die Urknalltheorie und die Evolutionstheorie als naturwissenschaftliche Hintergrundtheorien haben, wird dem Eindeutigkeits-Einwand allerdings ohnehin etwas an Überzeugungskraft genommen: Die Vorstellung eines ausgehend von einem Singularitätspunkt expandierenden, feinabgestimmten Universums, in dem sich dann komplexere Strukturen bis hin zu Organismen entwickeln, ist leichter vereinbar mit einem einzigen Planer als mit mehreren. (2) Die Abschätzbarkeit der Wahrscheinlichkeiten: Der vermutlich zentrale Einwand gegen teleologische Argumente richtet sich gegen die Abschätzbarkeit der betreffenden Wahrscheinlichkeiten. Betrachten wir dazu die Schritte 1 und 3 des Feinabstimmungsarguments. Woher wissen wir, dass es noch andere Konstellationen der fundamentalen Eigenschaften des Universums geben könnte, und dass die uns bekannte, faktisch verwirklichte Konstellation extrem unwahrscheinlich ist? William Paley bringt in seinem besonders für die angelsächsische Tradition einflussreichen Werk Natural Theology (1800) dafür ein suggestives Beispiel, das zwar auf den ersten Blick überzeugend ist, bei näherer Betrachtung aber auch die Problematik hinter solchen Abschätzungen deutlich zeigt. Angenommen, jemand findet am Strand eine Uhr. Aus der Gestaltung und erkennbaren Abstimmung der Teile schließt er (spontan, aber auch in völlig vernünftiger Weise), dass die Uhr auf einen Uhrmacher zurückgeht. Ähnlich, so nun Paley, könne man im design argument aus den bewunderungswürdigen Strukturen im Universum auf einen göttlichen Planer schließen. Aber sind diese beiden Fälle wirklich vergleichbar? Im Uhrenbeispiel schließen wir doch deshalb so sicher und vernünftig, weil uns klare Vergleichsklassen von Ereignissen und damit gut

Voraussetzungen teleologischer Argumente und deren Kritik

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

abschätzbare Wahrscheinlichkeiten zur Verfügung stehen. Wir wissen, dass Uhren kein übliches Strandgut wie Hölzer oder Muscheln sind, und wir wissen auch, dass Zahnräder, Federn oder gar ganze Uhren niemals (bzw.: nur mit verschwindend kleiner Wahrscheinlichkeit) durch zufällige Zusammenballungen von Materie zustande kommen. Umgekehrt wissen wir, wie Uhren normalerweise zustande kommen. Daher schließen wir völlig korrekt, dass auch in diesem Fall die Uhr am Strand auf die Tätigkeit eines Uhrmachers zurückgeht. Im Fall des Universums haben wir dagegen keinerlei seriöse Vergleichsmaßstäbe. Wir kennen eben nur dieses einzige, faktisch vorhandene Universum; Spekulationen über andere mögliche Universen (mit anderen Naturkonstanten etc.) und deren relative Wahrscheinlichkeiten bewegen sich ohne jeden sicheren Anhaltspunkt. Wir wissen schlicht und einfach nicht, welche Universen es noch hätte geben können und wie unwahrscheinlich darunter das unsrige gewesen ist. Auch die verschiedentlich gebrauchten Vergleiche mit Urnenziehungen, ausgeschütteten ScrabbleSteinen etc. sind irreführend. Freilich ist es extrem unwahrscheinlich, zufällig z. B. den Text eines Gedichts auf den Tisch zu schütten oder genau die Zahlenfolge 1-2-3-4-5-6-7-8-9 aus einer Urne zu ziehen. Wenn solches dennoch passiert, liegt der Verdacht von Planung oder Manipulation nahe. Aber das können wir gerade deshalb beurteilen, weil Vorrichtungen wie Urnen, Scrabble-Steine etc. eben zur Erzeugung von Zufallskonstellationen erdacht wurden und die Wahrscheinlichkeiten eines zufällig entstehenden Musters leicht berechenbar sind. Der Beginn des Universums, die „Festlegung“ der Naturkonstanten etc. sind damit nicht vergleichbar, hier fehlen uns alle Grundlagen der Berechnung. (3) Gleichsetzbarkeit des Planers mit Gott: Falls teleologische Argumente wirklich die Existenz einer planenden Intelligenz beweisen – ist sie mit Gott gleichsetzbar? Teleologische Argumente müssen dies voraussetzen, aber (z. B.) Schritt 5 des Feinabstimmungsarguments liefert dafür nur eine teilweise Rechtfertigung: Die planende Intelligenz muss sehr mächtig und weise sein. Kants Einwand, dass teleologische Argumente nur die Existenz eines Weltenbaumeisters, aber nicht eines Weltenschöpfers beweisen, trifft allerdings auch diese neueren Formen teleologischer Argumente. Auch wenn z. B. die Feinabstimmung des Universums durch Gottes Handeln eine zufriedenstellende Erklärung fände, so ist damit noch nicht erklärt, warum es überhaupt irgendein Universum gibt. Erachtet man es als wesentliche Eigenschaft Gottes, dass er auch die erste Ursache des Universums ist, dann muss man das teleologische Argument, soll es ein theistisches Argument sein, doch wieder mit dem kosmologischen Argument kombinieren. Zweitens scheint das Problem des Übels in der Welt (auf das wir in Abschnitt 4.2 noch eigens zurückkommen werden) die Gleichsetzbarkeit des Planers mit Gott in Frage zu stellen: Wenn zum Weltlauf offensichtlich auch mannigfaches Leid (ausgelöst durch Krankheiten, Katastrophen, menschliche Bosheit und anderes) gehört, dann fragt es sich, ob der Planer der Welt wirklich ein allgütiger Gott sein kann. Jedenfalls scheint diese Gleichsetzung nicht vorgenommen werden zu können, wenn man nicht ein flankierendes Argument zur Einordnung des Übels zur Verfügung hat. Drittens schließlich ist das teleologische Argument, so wie es bisher formuliert ist, neutral bezüglich Theismus oder Deismus. Ein Planer, der die

3.4 Teleologische Argumente (im weiteren Sinne)

Welt nach ihrer Entstehung nicht mehr beeinflusst (Deismus), wäre damit durchaus vereinbar. Wer im Sinne des Theismus mehr fordert, scheint wiederum eine Kausalüberlegung dazunehmen zu müssen. In diesem Sinne wurde in der Tradition oft davon gesprochen, dass Gott das Universum nicht nur geschaffen habe, sondern es auch in der Existenz erhalte und die innerweltlichen Ursachen gleichsam zum kausalen Wirken ermächtige (das ist der sogenannte concursus Divinus (lat., etwa „göttliche Begleitung“)). Zum Teil wird auch die These vertreten, Gott führe kausal einzelne Tatsachen in der Welt herbei. Eine vermittelnde Position in dieser Frage ist die von Gottfried Wilhelm Leibniz u. a. vertretene These einer sogenannten „prästabilierten Harmonie“, der zufolge sich die Dinge der Welt wie perfekt vorgeplante, aufeinander abgestimmte Uhren verhalten. Obwohl sie letztlich parallel nebeneinander her wirken und es keine echte Ursächlichkeit gibt, ergibt sich der Eindruck von Harmonie und Ursächlichkeit. (4) Abbruch des Erklärungsregresses: Ein altbekannter Regress-Einwand gegen teleologische Argumente lautet wie folgt: Warum sollte gerade die Annahme eines Gottes als Planer eine zufriedenstellende abschließende Erklärung für die Ordnung im Universum sein, wie teleologische Argumente das voraussetzen? Warum sollten Gott und seine Planungen nicht selbst wieder Resultat einer Planung sein? Eine naheliegende Entgegnung auf diesen Einwand ist die folgende: Wenn man glaubt, noch sinnvoll hinter Gott zurückfragen zu können, dann habe man bislang eben noch nicht wirklich von Gott gesprochen, sondern von irgendeinem innerweltlichen Faktor. Gott wäre nicht Gott, wenn er nicht auch die abschließende Erklärung für die Ordnung in der Welt wäre. Diese Entgegnung mag auf den ersten Blick als philosophischer Taschenspielertrick oder Immunisierung des teleologischen Arguments gegen Kritik erscheinen, aber sie könnte den Blick auch auf eine Eigenart des philosophischen Redens über Gott lenken, die wir in Abschnitt 5.5 noch näher erörtern werden: Wie ein befriedigender Gottesbegriff aussehen müsste, das wird nicht von vornherein als inhaltlich gegeben vorausgesetzt, sondern erst im Laufe der Argumentation konstruiert. (5) Abhängigkeit teleologischer von kosmologischen Argumenten? Unsere bisherige Diskussion hat an mehreren Stellen die Vermutung nahegelegt, dass teleologische Argumente den kosmologischen Argumenten doch ähnlicher sind, als ihren Verfechtern vielleicht lieb ist. Dies bedeutet insbesondere, dass teleologische Argumente in verdeckter Form ein Prinzip vom zureichenden Grund annehmen müssen. Diese Ähnlichkeit mit kosmologischen Argumenten muss allerdings nicht unbedingt eine Schwäche sein. Im Gegenteil, sie könnte sogar ein Weg sein, den unter Punkt (2) genannten Einwand der Unabschätzbarkeit der Wahrscheinlichkeiten zu relativieren, etwa nach folgendem Muster: Egal wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich bestimmte Ordnungsmuster, Naturgesetze etc. im Universum sein mögen, jedenfalls sind sie kontingente Tatsachen, die eines zureichenden Grundes bedürfen. Dieser zureichende Grund könnte Gott sein, der selbst den Naturgesetzen nicht mehr unterworfen ist. In der Tat haben etliche theistisch gesinnte Philosophen des 20. Jahrhunderts versucht, teleologische Argumente als Versionen eines Kontingenzarguments, d. h. letztlich als Varianten kosmologischer Argumente zu reinterpretieren ((104), S. 170–181).

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

3.5 Argumente aus Wundern und außergewöhnlichen religiösen Erfahrungen

Gewöhnliche und außergewöhnliche religiöse Erfahrungen

Private und öffentliche außergewöhnliche religiöse Erfahrungssituationen

In zahlreichen religiösen Traditionen gibt es Berichte über außergewöhnliche religiöse Erfahrungen und über wundersame Begebenheiten, denen religiöse Bedeutung zugeschrieben wird. Und vielen Menschen liegt der Gedanke nahe, religiöse Überzeugungen durch solche außergewöhnlichen religiösen Erfahrungen und Wunder zu begründen (seien es eigene, seien es von anderen vertrauenswürdigen Menschen berichtete). Für manche Menschen steht und fällt die Vernünftigkeit religiöser Erfahrungen sogar mit dem Vorkommen solcher Phänomene. Religionsphilosophisch betrachtet wird sich allerdings zeigen, dass solche Phänomene nur unter einigen Zusatzvoraussetzungen zur Rechtfertigung religiöser Überzeugungen dienlich sind. Wir beginnen unsere Erörterung mit einer groben phänomenologischen Klassifikation außergewöhnlicher religiöser Erfahrungen und ihrer Abhebung von „gewöhnlichen“ religiösen Erfahrungen. Menschen beurteilen verschiedenste Erfahrungssituationen als irgendwie bedeutsam für die Rechtfertigung religiöser Überzeugungen. Es kann sich dabei durchaus um normale, wiederholbare Situationen handeln, die den normalen Lauf des Lebens nicht überschreiten, und es werden sogar meistens solche sein. Beispiele wären Naturerfahrungen, Erfahrungen zwischenmenschlicher Liebe, Erfahrungen von Geburt, Krankheit, Gesundung und Tod, Gemeinschaftserfahrungen im Gottesdienst oder im gemeinsamen wohltätigen Engagement, Erlebnisse persönlichen Gebets, Erlebnisse von Gefahr und Errettung, die Konfrontation mit eigenem oder fremdem Leid, und viele andere mehr. Nennen wir sie vorläufig gewöhnliche religiöse Erfahrungen; wir werden auf die Charakteristik solcher Erfahrungen und ihre religionsphilosophische Bedeutung später in Abschnitt 3.7 zurückkommen. Außergewöhnliche religiöse Erfahrungen und auch Wunder überschreiten dagegen, in erster Näherung gesprochen, den normalen Lauf der Dinge. Was dies näher heißt, kann verschieden verstanden werden und wurde auch verschieden umschrieben: Mitunter wurde von nicht durch die üblichen Ursachen erklärbaren Ereignissen gesprochen (etwa bei einer plötzlichen religiösen Vision), mitunter von der Durchbrechung von Naturgesetzen (etwa bei Auferstehungs- oder ähnlichen Wunderberichten), mitunter auch nur von extrem unwahrscheinlichen, aber grundsätzlich naturgesetzlich gedeckten Vorgängen (etwa bei plötzlichen, unerwarteten Heilungen, rettenden Wetterumschwüngen oder ähnlichem). Manche außergewöhnliche religiöse Erfahrungssituationen sind öffentlich insofern, als mehrere Menschen in derselben Situation dieselbe Erfahrung machen würden. Typischerweise wäre dies bei religiös signifikanten Wundern der Fall, wie sie in der Religionsgeschichte zahlreich berichtet werden. Unter normalen Beobachtungsbedingungen wäre ihr Vorkommen für mehrere Menschen wahrnehm- und überprüfbar. Andere außergewöhnliche religiöse Erfahrungssituationen sind dagegen privat, d. h. dass sich jeweils nur eine Person bzw. eine eng begrenzte Personengruppe in dieser Situation befindet. Andere Personen können allenfalls aus den Berichten und dem Verhalten der betreffenden Personen etwas über diese religiöse Erfahrung erschließen.

3.5 Wunder und außergewöhnliche religiöse Erfahrungen

Es ist naturgemäß nicht leicht, außergewöhnliche religiöse Erfahrungen phänomenologisch zu beschreiben und zu vergleichen, erst recht quer über verschiedene Religionen hinweg. Der folgende Vorschlag einer Typologie stammt von Caroline Franks Davis ((135), Kap. II): (a) Interpretative Erfahrungen liegen vor, wenn jemand bestimmte einschneidende Lebenssituationen als religiös bedeutsam interpretiert, indem er etwa seine Krankheit als Teilhabe am Leiden Jesu Christi erfährt, seine Entscheidungen in einer Weichenstellung seines Lebens als Führung Gottes erfährt, etc. (Die Grenze zu „gewöhnlichen“ religiösen Erfahrungen verschwimmt hierbei des öfteren.) (b) Quasi-sinnliche Erfahrungen kommen in Form von Visionen, Träumen, Auditionen (Einsprachen, d. h. dem Hören von Stimmen etc.), Berührungen, Geschmacks- und Schmerzerlebnissen, Levitationen (Leichtigkeitserfahrungen) vor. Inhalt solcher Erfahrungen können sowohl Visionen einer Gottheit (mit Kommunikationsangebot) sein als auch „gesandte Bilder“ mit metaphorischem Inhalt sowie auch Sinnesgehalte ohne direkt religiösen Gehalt sein, etwa Lichterfahrungen. (c) Offenbarungserfahrungen treten typischerweise kurz und unangekündigt auf und führen beim betroffenen Menschen zum Eindruck einer direkt erworbenen Überzeugung, die gleichsam von außen eingegossen ist und von völliger Gewissheit gekennzeichnet ist, mehr noch als Überzeugungen aufgrund von Sinneswahrnehmung. Innerhalb der Religionsgemeinschaften werden solche Erfahrungen übrigens häufig kritisch betrachtet, da sie zerstörerisch für die etablierte Religion sein können. (d) Erneuerungs-/Regenerationserfahrungen führen zur Erneuerung oder Auffrischung religiöser Lebensprägungen. Sie haben Auswirkungen auf die weitere Lebensführung des betroffenen Menschen, etwa für seinen Weg durch eine Krise. Auch hier ist die Grenze zu „gewöhnlichen“ religiösen Erfahrungen fließend, denn Erneuerungserfahrungen können gleichermaßen stürmisch wie mild sein. (e) Numinose Erfahrungen sind Erfahrungen der heiligen Wirklichkeit, wie sie in sich ist (d. h. sie erscheint nicht als bezogen auf den Menschen, etwa als liebend, leitend oder befehlend). Es wird auch von vergleichbaren Erfahrungen des Übels berichtet. Da der Inhalt dieser Erfahrungen oft als unaussprechlich erscheint, suchen sie ihren Ausdruck mitunter in Gesang und andere Formen. (f) Mystische Erfahrungen sind Erfahrungen glückhafter Vereinigung mit einer letztlich bedeutsamen Wirklichkeit, die von einem Gefühl der Freiheit von Zeit, Raum und dem individuellen Ego getragen sind. Solche außergewöhnlichen Erfahrungen, ebenso wie Wunder, werden in den Traditionen vieler Religionen also in größerer Anzahl berichtet, und zwar durchaus von Menschen, deren Vernünftigkeit außer Zweifel steht. Doch was trägt diese Tatsache zur Rechtfertigung religiöser Aussagen bei? Wir erörtern diese Frage am Beispiel von Wundern, außergewöhnliche religiöse Erfahrungen dürften jedoch unter dieser Rücksicht ähnlich zu behandeln sein. Bezüglich Wundern sind drei Fragen genau auseinander zu halten: (a) Die metaphysische Frage, was ein Wunder ist; (b) die erkenntnistheoretische Frage, unter welchen Voraussetzungen man an ein Wunder glauben könnte oder sollte;

Eine Typologie außergewöhnlicher religiöser Erfahrungen

Wunder als Rechtfertigung religiöser Überzeugungen: Drei Fragestellungen

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

Die metaphysische Frage: Wunder als Durchbrechung der Naturgesetze?

Alternative Definitionen des Wunders

(c) die im engeren Sinne religionsphilosophische Frage: einmal angenommen, man habe es wirklich mit einem Wunder zu tun, was folgt daraus für die Rechtfertigung religiöser Überzeugungen? Traditionell wurde als Wunder ein Ereignis bezeichnet, das den natürlichen Verlauf der Dinge durchbricht, bzw. (in einer neuzeitlichen Wendung), das gegen mindestens ein Naturgesetz verstößt. Teilweise wurde in diese Definition noch mitaufgenommen, dass dieses Ereignis durch Gott hervorgebracht wurde. Allerdings wäre eine solche Definition bereits eine Vorentscheidung der dritten, der religionsphilosophischen Frage: Wenn es Wunder in diesem definierten Sinne gibt, dann folgt daraus direkt, dass Gott existiert. Der Bezug auf Gott sollte daher nicht in die klassische Definition des Wunders aufgenommen werden. Wunder in diesem Sinne sind also zunächst Durchbrechungen der Naturgesetze. Viele Menschen würden antworten, solche Wunder könne es nicht geben, weil Naturgesetze eben per definitionem keine Ausnahmen zulassen. Verfechter des Vorkommens von Wundern haben daher auch alternative Definitionen des Wunders vorgeschlagen. Häufig wird etwa gesagt, Wunder seien zwar vielleicht unwahrscheinliche, aber doch naturgesetzlich gedeckte Ereignisse, die allerdings von manchen Menschen als religiös bedeutsam interpretiert werden. Dies kommt auch zweifellos des öfteren vor. Die Schwäche dieser Position ist allerdings, dass die Rechtfertigungslast dann eigentlich auf die jeweiligen religiösen Interpretationen verschoben wird; als Rechtfertigung religiöser Überzeugungen wäre solch ein Verfahren zirkulär. Eine plausiblere Alternativdefinition ist wohl diese (etwa (125)): Wunder sind keine Durchbrechungen der Naturgesetze, sondern kausale Eingriffe dort, wo die Naturgesetze gleichsam Leerstellen offen lassen. Die Naturgesetze sprechen per definitionem ja nur von den Vorgängen in der natürlichen Welt. Nichts verbietet, dass Gott als übernatürlicher Faktor eben auf Weisen wirkt, die von den Naturgesetzen nicht determiniert werden (schon gar, wenn man Gott als Urheber der natürlichen Wirklichkeit betrachtet). Diese Auffassung von Wundern beruht allerdings auf zwei weiteren (aber durchaus nicht unplausiblen) Voraussetzungen: Erstens setzt sie voraus, dass nicht jedes Ereignis in der Welt eine natürliche kausale Erklärung haben muss, die durch die Naturgesetze beschreibbar ist (die Gegenposition wäre eine Form des Naturalismus; sie erscheint zwar vielen Menschen als fraglos und selbstverständlich, ist jedoch selbst eine begründungsbedürftige philosophische These!). Zweitens setzt diese Wunderdefinition ein spezielles Verständnis von Verursachung voraus. Seit Hume und Kant wird es nämlich häufig als notwendige Bedingung der Verursachung betrachtet, dass Ereignisse mit gesetzesartiger Regelmäßigkeit aufeinanderfolgen. Soll Gott nun wirklich ursächlich in den Weltverlauf eingreifen, gerät diese Auffassung in einen Engpass, denn für Wunder als punktuelle, ausnahmsweise Eingriffe gibt es keine solche gesetzesartige Regelmäßigkeit. Wunder als echte ursächliche Eingriffe sind aber dann möglich, wenn man Verursachung als Kraft zum Hervorbringen von bestimmten Tatsachen versteht. Ein ähnliches Verständnis von Verursachung wird übrigens von den Vertretern der sogenannten Agenskausalität (agent causality) zur Deutung menschlichen Handelns zugrundegelegt ((265), (270)): Auch wenn

3.5 Wunder und außergewöhnliche religiöse Erfahrungen

eine Handlung nicht vollständig naturgesetzlich erklärbar ist, sondern nur durch den Willensakt eines Handlungssubjektes (Agens), so handelt es sich doch um echte Ursächlichkeit. Auch dieses ursächliche Handeln nützt gleichsam die Leerstellen der Naturgesetze aus und ist eine echte Form der Ursächlichkeit, eben Ursächlichkeit in Form des Hervorbringens von Tatsachen. Gegen die Vernünftigkeit des Glaubens an Wunder gibt es eine Reihe von Einwänden. Geradezu klassisch geworden ist der Einwand von David Hume ((65), Kap. 10). Er richtet sich gegen die Standarddefinition des Wunders: Angesichts der weitaus überwiegenden Belege für die ausnahmslose Geltung der Naturgesetze können kein Beweismaterial der Welt, keine noch so zuverlässigen Zeugen etc. ausreichend sein, um den Glauben an ein Wunder als Durchbrechung der Naturgesetze zu rechtfertigen. Immer wird die Wahrscheinlichkeit von Irrtum, Täuschung, Beobachtungsfehler und dergleichen größer sein als die des Wunders. Im Detail ist Humes Einwand präzisierungsbedürftig und hat dementsprechend viele Diskussionen provoziert (siehe z. B. (134), (222)). Genauer betrachtet, zielt er wohl in zwei Richtungen: Einerseits erinnert er daran, dass Wunderberichte sehr häufig ein Problem psychologischer und historischer Glaubwürdigkeit sind. Nachweislich waren zahllose Wundergeschichten das Produkt von Wahrnehmungsstörungen, Selbsttäuschungen, aber auch von Sensationslust, Profitstreben und anderen menschlichen Faktoren. Überdies wird das Problem der historischen Verlässlichkeit umso gravierender, je länger ein behauptetes Ereignis zurückliegt und je ferner uns sein kultureller Kontext ist. Diese Probleme sind bei Wunderberichten aber keine grundlegend anderen als bei sonstigen historischen Berichten auch. Andererseits ist Humes Einwand jedoch auch ein prinzipieller: Unabhängig von der konkreten Glaubwürdigkeit des Berichtes könne kein Beweismaterial jemals den Glauben an ein Wunder rechtfertigen. Ein weiterer Einwand gegen den Glauben an Wunder in ihrer Standarddefinition ist dieser: Wenn ein unerwartetes und zunächst unerklärbares Ereignis auftaucht, so sollte dies nicht als Wunder interpretiert werden, sondern als Hinweis darauf, dass wir bestimmte natürliche Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhänge noch nicht erkannt haben bzw. in unseren bisherigen Annahmen über die Naturgesetze geirrt haben. Wie die Vergangenheit lehrt, sollte besonders dieser zweite Einwand von Vertretern religiöser Überzeugungen ernst genommen werden: Nicht selten wurden bislang unverstandene Naturerscheinungen als direkte Eingriffe Gottes interpretiert. Wenn später eine natürliche Erklärung des Phänomens gefunden wurde, wurde der Rekurs auf Gott als Lückenfüller in diesem Punkt überflüssig. Ein immer wieder genanntes Beispiel ist der Blitz, den wir heute als elektrische Entladung und nicht mehr als Ausdruck göttlichen Zornes verstehen. Ein Beispiel aus der Gegenwart wären psychisch-somatische Heilungen am eigenen und fremden Körper, die es allem Anschein nach in seltenen Fällen gab und gibt, ohne dass wir allerdings über die Zusammenhänge Bescheid wüssten. Dennoch würden die meisten Menschen sagen, dass es prinzipiell eine natürliche Erklärung dafür gibt. Solche Beispiele nähren den Verdacht, dass der Rekurs auf Gott irgendwann überhaupt überflüssig werden könnte. Wer „wundersame“ Naturerscheinungen also als wesentliche Rechtfertigung religiöser

Die erkenntnistheoretische Frage: Wann darf man an Wunder glauben?

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

Ist es leichter, an Wunder als göttliche Eingriffe in „Leerstellen der Naturgesetze“ zu glauben?

Die eigentlich religionsphilosophische Frage: Was folgt aus Wundern und außergewöhnlichen religiösen Erfahrungen?

Überzeugungen betrachtet, der läuft Gefahr, dass seine Rechtfertigung durch wissenschaftlichen Fortschritt immer schwächer wird. Legt man die oben skizzierte Alternativdefinition des Wunders als Eingriff Gottes in die von den Naturgesetzen offen gelassenen Leerstellen zugrunde, verliert zwar Humes Einwand seine Brisanz, nicht jedoch der Einwand der bisher möglicherweise nur unzureichenden Naturerkenntnis. Die Alternativdefinition des Wunders ist kein Freibrief, bei vorläufig unerklärlichen Phänomenen sofort an ein Wunder zu denken. Auch religiöse Menschen tun gut daran, so weit als möglich nach natürlichen Ursachen zu suchen, und zwar durchaus auch aus inner-religiösen Gründen: In den Religionen werden Wunder typischerweise als die große Ausnahme und nicht als häufige Ereignisse betrachtet. Die Frage, wann der Glaube an Wunder (in dieser alternativen Definition) vernünftig ist, ähnelt strukturell der Frage, wann man anderen strittigen philosophischen Behauptungen glauben sollte. Betrachtet man das Überzeugungssystem einer Person als ein vielfach verwobenes Netz mit zentraleren, schwer aufgebbaren Bereichen und randständigen, unsichereren und leichter revidierbaren Bereichen, so könnte der Glaube an ein Wunder mitunter der Ausweg mit dem geringsten Änderungsbedarf erscheinen, wenn ein wirklich hartnäckiges, anomales und sonst unerklärliches Phänomen auftritt ((125), S. 344–348). Viele Menschen würden nämlich wohl eher ihren Glauben an die philosophische Hintergrundthese des Naturalismus aufgeben als z. B. ihren Glauben an die gut abgesicherten, unstrittigen Bereiche der Physik oder der Biologie. Allerdings würden nicht alle Menschen so reagieren: Der Einwand, dass wir die Naturgesetze bislang nur nicht richtig erkannt hätten, bleibt natürlich immer noch möglich, und wer z. B. von der massiven naturalistischen Hintergrundüberzeugung ausgeht, dass sämtliche Vorgänge in der Welt eine vollständige naturgesetzliche Erklärung haben müssen, der wird auch bei außerordentlich seltsamen Phänomenen schwerlich an Wunder glauben. Nehmen wir an, das erkenntnistheoretische Problem sei gelöst und wir hätten tatsächlich Grund, an ein Wunder (in einer der beiden diskutierten Definitionen) oder an eine außergewöhnliche religiöse Erfahrung zu glauben. Was folgt daraus für die Rechtfertigung religiöser Überzeugungen? (1) Entgegen einer verbreiteten Meinung tragen Wunder (als außerordentliche Ereignisse) zunächst noch keinen besonderen Mitteilungsinhalt an sich. Wunder eignen sich also – in sich betrachtet – nicht dazu, eine bestimmte religiöse Überzeugung zu rechtfertigen. Erst ein bestimmter Kontext oder die religiöse Deutung seitens der Betrachter stellt diesen Zusammenhang her. Freilich ist es denkmöglich, die Existenz Gottes und seines Wirkens als beste Erklärung für das Wunder in Betracht zu ziehen. Es sollte dabei allerdings nicht übersehen werden, dass eine solche Erklärung eine Reihe von theistischen Annahmen voraussetzen muss. So müssen Annahmen über das Wesen Gottes und seine Wirkungsweisen getroffen werden, es muss angenommen werden, dass ihm eine innerweltliche Äußerung in Form dieses Wunders zuzutrauen wäre, und anderes mehr. Rechtfertigungen religiöser Überzeugungen im Wege von Wundern sind also nur so stark, wie diese Kontextannahmen bereits gerechtfertigt sind. (2) Außergewöhnliche religiöse Erfahrungen könnten in zwei Weisen zur Rechtfertigung religiöser Überzeugungen benützt werden. Man könnte ers-

3.5 Wunder und außergewöhnliche religiöse Erfahrungen

tens – ähnlich wie bei Wundern – versuchen, zugunsten der Existenz Gottes und seines Handelns als der besten Kausalerklärung solcher Erfahrungen zu argumentieren. Im angelsächsischen Raum wird diese Argumentationsfigur z.T. als inferential argument from religious experience (zu übersetzen etwa als: Schlussfolgerungsargument) bezeichnet ((26), S. 230 f.). Man könnte aber auch zweitens manche religiösen Erfahrungen als eine Art GottesWahrnehmungen verstehen und sich fragen, wie verlässlich solche Wahrnehmungen erkenntnistheoretisch gesehen sind. Die Vorgangsweise ist hier ähnlich wie bei der Untersuchung anderer auf Wahrnehmung basierender Überzeugungen. Wenn wir etwa unter Normalbedingungen einen Baum wahrnehmen, dann bilden wir die Überzeugung: „Dies ist ein Baum“. Das tun wir, ohne irgendwelche Kausalschlüsse etwa folgender Form anzustellen: „Ich habe jetzt baumartige Sinneseindrücke. Die beste Erklärung dafür ist, sofern nicht ein Ausnahmefall vorliegt, dass sie von einem echten Baum hervorgerufen werden. Nichts deutet auf einen Ausnahmefall hin. Also steht wohl wirklich ein Baum vor mir.“ Wenn diese Praxis der Überzeugungsbildung aufgrund von Wahrnehmungen im Normalfall völlig vernünftig und gerechtfertigt erscheint, könnte dies doch auch für religiöse Wahrnehmungsüberzeugungen gelten. Wer so argumentiert, vertritt das evidential argument from religious experience (etwa: Erfahrungsbelegsargument / Augenscheinsargument). Das Problem beim inferential argument ist im Grunde dasselbe wie bei Argumenten aufgrund von Wundern. Dass außergewöhnliche religiöse Erfahrungen am besten durch Gott und sein Handeln erklärt werden können, setzt bereits voraus, dass eine Menge an Überzeugungen über Gott gerechtfertigt sind. Dass religiöse Erfahrungen ihren religiös bedeutsamen Inhalt meist deutlicher an sich tragen als Wunder, kann daran nichts Grundlegendes ändern. Eine kontextfreie, unmittelbare religiöse Bedeutsamkeit gibt es auch hier nicht. Das evidential argument aus der religiösen Erfahrung kann nur bei solchen religiösen Erfahrungen in Gang kommen, die der Wahrnehmung von Gegenständen ähnlich sind. William Alston, Keith Yandell u. a. haben (ausgehend von der Analyse gewöhnlicher Wahrnehmungsepisoden) eine Liste von erkenntnistheoretischen Verlässlichkeits-Kriterien entwickelt, die man auch an religiöse Wahrnehmungserfahrungen anlegen könnte (119), (120), (26), Kap. 11). So etwa dürfen keine Hinweise auf eine systematische Störung der Wahrnehmungsfähigkeiten vorliegen. Diese Kriterien – die hier aus Platzgründen nicht näher erörtert werden können – sind insbesondere zur Ausklammerung trügerischer religiöser Wahrnehmungen von großem Wert. Ob die verbleibenden Wahrnehmungen damit aber auch schon als Gotteswahrnehmungen ausgewiesen sind, ob also das evidential argument (isoliert betrachtet) viel zur Rechtfertigung religiöser Überzeugungen beitragen kann, muss dennoch bezweifelt werden. Schon unsere phänomenologische Typologie außerordentlicher religiöser Erfahrungen hat ja gezeigt, dass sich das dort Wahrgenommene typischerweise als unbeschreibbar bzw. unaussprechlich zeigt. Wenn es dennoch begrifflich gefasst und mit einer Erscheinungsform Gottes im Sinne des Theismus gleichgesetzt werden soll, so kommen damit inhaltliche Voraussetzungen zum Tragen, die das evidential argument aber selbst nicht mehr rechtfertigen kann.

„Inferential“ und „evidential arguments“ aus der religiösen Erfahrung

Die Voraussetzungen des inferential und des evidential argument

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

Überhaupt ist darauf zu achten, was eigentlich das Argumentationsziel des jeweils vorgebrachten evidential argument ist. Als selbständiges Argument für die Existenz Gottes wird das Argument aus den genannten Gründen nicht brauchbar sein. Eher könnte es andere, weniger grundlegende religiöse Überzeugungen stützen. Wenn etwa die Existenz Gottes und seine Eigenschaften aufgrund anderer Überlegungen feststehen, und wenn ein Mensch dann eine den Kriterien genügende außergewöhnliche religiöse Erfahrung macht, dann kann es für ihn durchaus vernünftig sein, aufgrund dieser Erfahrung seine religiösen Überzeugungen zu ändern, zu präzisieren, sie mit stärkerer Gewissheit zu vertreten, etc. Als Basis für ein solches evidential argument können auch „gewöhnliche“ Formen religiöser Erfahrungen dienen; eine ähnliche Argumentationsform liegt der sogenannten „reformierten Erkenntnistheorie“ zugrunde, die uns in Abschnitt 3.7 noch ausführlicher beschäftigen wird.

3.6 Empirische Kumulativargumente für die Existenz Gottes Rückblick: Eine (nicht vollständige) Reihe von empirischen Einzelargumenten

Ein neuer Gedanke: Die Verbindung mehrerer Argumente

Sieht man vom ontologischen Argument einmal ab, dann haben wir bis jetzt Argumente für die Existenz Gottes betrachtet, die man als empirische Einzelargumente in verschiedenen Ausformungen einordnen könnte. Und es hat sich gezeigt, dass gegen alle diese Argumente auch Einwände erhoben worden sind, die vielen Menschen als mindestens ebenso überzeugend erscheinen. Man könnte diese Reihe auch noch um einige weitere, hier aus Platzgründen nicht näher erörterte empirische Argumente verlängern, die denkgeschichtlich zeitweise Bedeutung erlangt haben. Erwähnt seien nur das Argument aus dem Gewissen, das auf Gott als seinen Einstifter schließt (und das damit etliche Parallelen zum inferential argument aus religiöser Erfahrung aufweist), oder das Argument e consensu gentium (lat., aus der Übereinstimmung der Völker), das aus den in verschiedensten Kulturen anzutreffenden religiösen Tendenzen auf die Existenz Gottes als deren Ursache und/oder deren natürliches Ziel schließt. (Besonders letzteres Argument hat seit der Antike vielfältige Kritik erfahren. Ein naheliegender Kritikpunkt ergibt sich bereits aus der Schwierigkeit, Religion kulturübergreifend zu definieren, siehe oben Abschnitt 2.1. Außerdem kann natürlich auch eine allgemein geteilte Überzeugung falsch sein.) Einige Philosophen, etwa Frederick Robert Tennant (200), Basil Mitchell (163) und Richard Swinburne ((196), (199)) haben angesichts dieser Vielzahl von nicht allgemein überzeugenden, aber auch nicht gänzlich unplausiblen Argumenten vorgeschlagen, einige dieser Argumente zu einer Kumulativargumentation (engl. cumulative case) für die Existenz Gottes zu verbinden. Die derzeit vermutlich einflussreichste Variante ist jene von Richard Swinburne. Swinburne betrachtet die Existenz Gottes ähnlich wie eine unsichere wissenschaftliche Hypothese, deren Wahrscheinlichkeit im Lichte verschiedener Erfahrungsbelege bewertet werden kann. Die traditionellen Argumente für Gottes Existenz hält Swinburne (als logisch zwingende Argumente verstanden) für gescheitert, weil die Annahme der Nicht-

3.6 Empirische Kumulativargumente

existenz Gottes mit der Existenz unserer Welt, wie sie eben ist, durchaus logisch vereinbar sei. Insbesondere wendet sich Swinburne gegen Prinzipien wie jenes vom zureichenden Grund oder das metaphysische Kausalprinzip. Allerdings kritisiert er, dass man die Möglichkeit der Verbindung der pro-theistischen Argumente bislang übersehen und damit der Religionskritik unnötige Angriffsflächen eröffnet habe: So sei der Eindruck von lauter unbrauchbaren Einzelargumenten und insgesamt der Irrationalität des Theismus entstanden. Swinburne schlägt nun vor, manche der traditionellen Argumente als Wahrscheinlichkeitsargumente zu rekonstruieren und gibt durchaus zu, dass sie, isoliert betrachtet, jeweils nur sehr schwach sind. Verbindet man sie jedoch zu einem Kumulativargument, sehe es anders aus. Solche Kumulativargumente sind u. a. aus dem gerichtlichen Bereich wohlbekannt: Richter haben sich mitunter angesichts einer Anzahl von Indizien eine Meinung über ein Geschehen zu bilden. Diese Meinung ist dann zwar nicht logisch zwingend aus den Indizienbeschreibungen ableitbar, sie erscheint aber doch sehr oft als gut begründet. Swinburne kommt abschließend zu dem Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit der Existenz Gottes im Lichte der Belege höher als 1/2 sei; der auf 1, die volle Gewissheit, fehlende Rest sei das Betätigungsfeld für den persönlichen Glauben. Dieses Ergebnis könne, so Swinburne, attraktiv für den Gläubigen erscheinen. Es ist einerseits nicht unvernünftig, an Gott zu glauben, andererseits werden die Inhalte des Glaubens nicht zwingend ableitbar (was ein unerwünschter theologischer Rationalismus wäre), und dem persönlichen Glauben wird ein legitimer Ort bewahrt. Swinburne bedient sich in seiner Argumentation eines speziellen wissenschaftstheoretischen Ansatzes, nämlich der sogenannten Bayesianischen Theorie der Bestätigung wissenschaftlicher Hypothesen (für eine leichtfassliche Einführung (268), Kapitel 3.4). Zu den Kernüberzeugungen dieser Theorie gehört es, dass wissenschaftliche Hypothesen angesichts von Erfahrungsmaterial eine bestimmte, wenngleich oft nur grob abschätzbare Wahrscheinlichkeit haben (diese Ansicht ist philosophisch keineswegs selbstverständlich). Manche neue Erfahrungsbelege führen nun zur Hebung dieser Wahrscheinlichkeit („Bestätigung der Hypothese“, engl. confirmation), andere zur Senkung (disconfirmation). Wahrscheinlichkeiten sind nach Bayesianischer Auffassung zwar subjektiver Natur, d. h. es sind die persönlichen Überzeugungsgrade der Wissenschaftler von Hypothesen angesichts der jeweiligen Datenlage. Mit fortschreitendem Dazulernen durch neue Erfahrungsbelege sollten sich jedoch die Wahrscheinlichkeitsbeurteilungen aller Beobachter zunehmend angleichen, egal wie unterschiedlich die subjektiven Ausgangswahrscheinlichkeiten gewesen sein mögen. An diesem Punkt ist ersichtlich, dass Swinburnes Anwendung der Bayesianischen Theorie insofern atypisch ist, als ein Lernen an neuen Erfahrungsbelegen bei ihm keine wesentliche Rolle spielt. Das herangezogene Beweismaterial für die Existenz Gottes ist vielmehr altbekannt. (Das einzige neue Beweismaterial, das Swinburne zwischen der ersten und der zweiten englischen Auflage seines Buches bekannt wurde, nämlich die Feinabstimmung des Universums, wurde interessanter Weise nicht in Bayesianischer Manier verwertet, siehe dazu (155) und (157). Dies ist jedoch kein prinzipieller Einwand gegen sein Vorgehen.)

Swinburnes Hintergrund: Eine atypische Anwendung der Bayesianischen Bestätigungstheorie

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens Zusammenfassung von Swinburnes Argument

Religiöse Erfahrung spielt eine wesentliche Rolle

Die wesentlichen Schritte von Swinburnes Argumentation kann man auch in einer untechnischen Weise zusammenfassen: 1. Erfahrungen und Erfahrungsberichten ist solange zu trauen, als ihr Inhalt nicht aus anderen Gründen höchst unwahrscheinlich ist (Swinburne nennt dies Principles of Credulity bzw. Testimony (Glaubwürdigkeitsbzw. Zeugnisprinzip). Man könnte diese Prinzipien entsprechend den oben unter 3.5 beim evidential argument erwähnten Kriterien Alstons, Yandells u. a. noch präzisieren.) 2. Einige religiöse Gläubige machen Erfahrungen bzw. berichten von Erfahrungen, die, sofern sie wahrheitsgemäß sind, die Existenz Gottes implizieren würden. 3. Also ist (Berichten von) religiösen Erfahrungen so lange zu trauen, als die Existenz Gottes nicht aus anderen Gründen höchst unwahrscheinlich ist (aus 1. und 2.). 4. Die Behauptung der Existenz Gottes ist nicht in sich widersprüchlich (d. h. ihre Ausgangswahrscheinlichkeit ist nicht 0). 5. Sechs allgemeine Züge der Welt sind, in sich betrachtet, extrem unwahrscheinlich und werden am besten durch die Existenz Gottes erklärt. Daher sind sie (wenngleich schwache) Belege für Gottes Existenz: (a) die Existenz eines komplexen physikalischen Universums; (b) die erkennbare Ordnung im Universum; (c) die Existenz bewusstseinsbegabter Wesen; (d) die Übereinstimmung zwischen menschlichen und tierischen Bedürfnissen einerseits und Umweltgegebenheiten andererseits; (e) (möglicherweise) das Vorkommen von Wundern; (f) die Feinabstimmung grundlegender Naturkonstanten (ohne die es keine stabilen Atomkerne gäbe, damit kein Leben auf Kohlenstoffbasis etc.). 6. Die Existenz und das Ausmaß des Übels in der Welt stellen dagegen keinen entscheidenden Beleg gegen die Existenz Gottes dar. Ein Gott im Sinn der traditionellen theistischen Konzeption könne durchaus gute Gründe haben, eine Welt wie die unsere zu schaffen. 7. Außer dem Übel gibt es keine weiteren signifikanten Belege, die gegen Gottes Existenz sprechen. 8. Also ist Gottes Existenz im Lichte der Belege nicht höchst unwahrscheinlich, sondern sie hat eine gewisse (wenngleich auch vielleicht kleine) Wahrscheinlichkeit (aus 5., 6. und 7.). 9. Also sind (Berichte von) religiöse(n) Erfahrungen glaubwürdig, d. h. Gottes Existenz ist wahrscheinlicher als seine Nichtexistenz (aus 3. und 8.). Das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit irgendwo zwischen 1/2 und 1 liegt, und der auf 1 fehlende Raum ist das Betätigungsfeld des persönlichen Glaubens. Genauere Betrachtung zeigt, dass der entscheidende Teil der Beweislast auf der religiösen Erfahrung und auf Swinburnes erkenntnistheoretischen Glaubwürdigkeitsprinzipien ruht. Die in Schritt 5 erwähnten sechs Merkmale dienen lediglich der Begründung, dass die Hypothese der Existenz Gottes nicht höchst unwahrscheinlich ist (siehe Schritt 8). Die religiöse Erfahrung ist also nicht ein siebter Beleg zusätzlich zu den sechs anderen, der gleichrangig ins Kumulativargument einflösse, sondern dessen wesentlicher Teil. In diesem Punkt ähnelt Swinburnes Argument also den Argumenten aus

3.6 Empirische Kumulativargumente

religiöser Erfahrung (siehe Abschnitte 3.5 und 3.7) und wird daher auch von den Einwänden gegen sie tangiert. Der Ansatz einer Verbindung verschiedener Argumente ist zweifellos von größtem Interesse, weil er wohl auch dem religiösen Bewusstein entgegenkommt. Viele Menschen würden, ähnlich wie Swinburne dies tut, Gott und sein Wirken als Erklärung für mehrere Phänomene in der Welt betrachten. Dennoch lassen sich etliche Einwände gegen Swinburnes Argument ins Treffen führen, sowohl gegen manche seiner Details (etwa seine Einordnung des Übels, dazu später 4.2), als auch einige Einwände von grundsätzlicher Art. Einige der Teilüberlegungen aus Schritt 5 setzen voraus, dass es objektive, unabhängig von der Existenz der Welt bestehende und auch für Gott geltende ästhetische und moralische Werte gibt. Deutlich wird dies etwa an seinen Thesen, Ordnung sei intrinsisch schön ((196), S. 146 ff.), und die Zahlenwerte null und unendlich hätten eine Natürlichkeit und Schönheit, die anderen Werten fehle ((196), S. 95. 283). Außerdem sei es in sich gut, wenn Wesen (wie die Tiere) existieren, die offensichtlich ihr Dasein (Nahrungsaufnahme, Fortbewegung, Fortpflanzung) im Wesentlichen genießen. Ebenso ist die Existenz von bewusstseinsbegabten Lebewesen, die die Welt erkennen und teilweise beeinflussen und sogar mit Gott in Kontakt treten können, in sich gut ((196), S. 154–160). Ein extremes Beispiel für Swinburnes ästhetischen und moralischen Objektivismus ist die These, dass den Tieren durch die Erschaffung des Menschen Formen der Kooperation und interessanter Arbeit ermöglicht werden, die ihnen ansonsten verschlossen blieben, ebenso wie den Menschen durch die Erschaffung der Tiere neue Formen der Freundschaft erschlossen werden. Alle diese Möglichkeiten sind in sich gut und für Gott ein Grund, eine Welt wie die unsere zu erschaffen. Dieser Wertobjektivismus ist allerdings in mehrfacher Hinsicht angreifbar. Sofern man die ästhetische und moralische Bewertbarkeit der Ordnung, der Zahlen, des Tierlebens oder der Tier-Mensch-Beziehung nicht von vornherein als sinnlos ablehnt, wird man solche Bewertungen eher als subjektive Eindrücke auf unseren menschlichen Geschmack interpretieren. Dann fragt sich aber, ob Swinburnes Bewertungen vielleicht nur die Wertmaßstäbe eines bestimmten Personenkreises einer bestimmten Kultur widerspiegeln (und erst recht, ob man Gott dieselben Wertmaßstäbe unterstellen kann). Der entscheidende Einwand gegen Swinburnes Argument richtet sich gegen seine Wahrscheinlichkeitszuordnungen. Eine genauere logische Analyse des Arguments zeigt, dass die Rechtfertigung von Schritt 5 und der Übergang von 5, 6 und 7 auf 8 davon abhängen, dass es zwischen folgenden zwei Wahrscheinlichkeiten einen deutlichen Größenunterschied gibt: A Der Wahrscheinlichkeit, dass Gott existiert (und zwar beurteilt, wenn man nur ganz allgemeine Hintergrundannahmen zugrundelegt, etwa über logische, moralische und ästhetische Gesetze) B Der Wahrscheinlichkeit, dass es die in Schritt 5 genannten Beweismittel gibt, ohne dass jedoch Gott existiert (wenn man nur dieselben allgemeinen Hintergrundannahmen zugrundelegt). Swinburne behauptet nun, dass die Wahrscheinlichkeit B verschwindend gering sei, während die Wahrscheinlichkeit A einen vielleicht kleinen, aber

Einwände gegen Swinburnes Kumulativargument

Ästhetischer und moralischer Objektivismus als Voraussetzung

Das Problem der unabschätzbaren Wahrscheinlichkeiten

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

Ein getarntes Kontingenzargument?

immerhin vielfach größeren Wert als die Wahrscheinlichkeit B habe. Dies hängt damit zusammen, dass die Verhältnisse im Universum kompliziert sind, während Gott als unendliches, vollkommenes, allmächtiges, allwissendes (etc.) Objekt eine gewisse Einfachheit aufweise. Mit anderen Worten: Wüsste man gar nichts über die Welt, sondern kennte man nur die logischen, moralischen und ästhetischen Gesetzlichkeiten, dann wäre die Existenz eines derart einfachen Objektes wesentlich wahrscheinlicher als die Existenz eines komplizierten Universums wie des unsrigen. Es fragt sich allerdings, ob wir solche Wahrscheinlichkeitsbeurteilungen seriöser Weise überhaupt vornehmen können. Swinburnes Einfachheitsüberlegungen zur Beurteilung der Ausgangswahrscheinlichkeit der Existenz Gottes und des Universums kommen ja dem Versuch gleich, gedanklich von der Existenz des Universums und der Existenz Gottes abzusehen und sich dann zu überlegen, was (auf Grund seiner innerlichen Einfachheit) am ehesten existieren könnte. Man blickt damit, metaphorisch gesprochen, also nicht nur Gott vor der Schöpfung in die Karten, sondern unterzieht auch die Existenz Gottes einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung. Was aber wäre eine vernünftige Wahrscheinlichkeit dafür, dass, unter der Annahme, dass Gott existiert, er auch bewusstseinsbegabte Wesen schaffen wird? Oder ein feinabgestimmtes Universum eher als ein anderes, oder vielleicht gar ein völlig chaotisches? Und was ist eine vernünftige Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Universum wie das unsere ganz zufällig, ohne Gottes Eingreifen in Existenz gelangt? Es ist zu vermuten, dass die Vertrautheit mit unserer Welt, wie sie eben ist, solche Wahrscheinlichkeitsspekulationen in unkontrollierbarer Weise beeinflussen wird. Wir können kaum anders, als solche Wahrscheinlichkeiten anhand unserer Welt, wie sie eben ist, zu beurteilen. Vor allem werden auch weltanschaulich-religiöse Hintergrundannahmen solche Beurteilungen beeinflussen. Eine Person mit theistisch geprägter Weltanschauung mag ihre Wahrscheinlichkeiten vielleicht so zuordnen, wie Swinburne dies skizziert. Andersdenkende können hier allerdings – da die Wahrscheinlichkeiten subjektiv sind – mit gutem Recht anders denken, der Appell an Einfachheitsüberlegungen dürfte also keine weltanschauungsübergreifende argumentative Kraft haben. Wie erwähnt lehnt Swinburne es ab, Argumente für Gottes Existenz auf Prinzipien wie jenes vom zureichenden Grund oder das metaphysische Kausalprinzip aufzubauen. Stattdessen schlägt er eben die Umformulierung in Wahrscheinlichkeitsargumente vor. Allerdings dürfte Swinburnes Argument, näher betrachtet, doch wieder auf ein großangelegtes Kontingenzargument hinauslaufen. Zunächst wird dieser Verdacht dadurch genährt, dass Swinburnes Argument eine wesentlich stärkere Schlussfolgerung zuließe, als er selbst angibt. Ähnlich wie sechs oder sieben schwache, aber voneinander unabhängige Indizien insgesamt einen erdrückenden Beweis gegen eine tatverdächtige Person liefern, lassen auch die sechs (bzw. mit der religiösen Erfahrung sieben) Beweismittel Swinburnes die Wahrscheinlichkeit von Gottes Existenz beinahe zur Gewissheit werden. Dies lässt sich durch die probeweise Einsetzung von einigen nicht „religiös voreingenommenen“ Zahlenwerten in Swinburnes Gleichungen leicht zeigen; die Wahrscheinlichkeit der Existenz Gottes geht dann gegen 1 ((155), (157)). Die Existenz Gottes folgt also beinahe aus dem angebotenen Beweismaterial, wenn man

3.7 Die Reformierte Erkenntnistheorie

Swinburnes Deutung desselben ernst nimmt. Aber auch wenn man nur einzelne Teile des Beweismaterials betrachtet, wird man an eine Kontingenzüberlegung erinnert. Swinburnes Behauptung, dass die auf Seite 85 erwähnte Wahrscheinlichkeit B für jedes dieser Fakten verschwindend gering sei, bedeutet im Grund doch, dass diese Fakten nicht ohne einen zureichenden Grund bzw. eine entsprechende Ursache existieren können.

3.7 Argumente aus gewöhnlicher, aber religiös gedeuteter Erfahrung: Die Reformierte Erkenntnistheorie Wie bereits erwähnt (3.5), machen nur sehr wenige Menschen in ihrem Leben jemals außergewöhnliche religiöse Erfahrungen. Viele Menschen würden allerdings bestimmte weniger spektakuläre Formen von religiösen Erfahrungen als wesentliche Rechtfertigung ihrer religiösen Überzeugungen betrachten. Zu denken ist etwa an beeindruckende Naturerlebnisse (seien sie nun beglückend oder beängstigend), das Deutlichwerden der Sinnhaftigkeit oder Sinnlosigkeit ihres bisherigen Lebens oder eines Entwurfs für ihr zukünftiges Leben, die Erfahrung eines Aufgerufenseins zu bestimmten Handlungen (oft wird das als „Stimme des Gewissens“ beschrieben), Erfahrungen der Beglückung und Belebung in religiösen Feiern, einschneidende zwischenmenschliche Erlebnisse wie Liebe, Geburt, Krankheit und Tod, und einiges andere mehr. Solche Erfahrungen werden von vielen Menschen als religiös bedeutsam erlebt. In der neueren Religionsphilosophie wird solchen Erfahrungen als mögliche Rechtfertigung religiöser Überzeugungen zunehmende Aufmerksamkeit zuteil, im besonderen von einer Gruppe von angelsächsischen Autoren, die sich selbst als „Reformierte Erkenntnistheoretiker“ bezeichnen. Zum einen deshalb, weil sie deklarierte reformierte Christen sind und sich ausdrücklich auf den Reformator Johannes Calvin berufen. Nicht ungewollt ist aber auch die Assoziation, dass es sich hier um eine tiefgreifende Reform des üblichen Zugangs zur Religionsphilosophie handelt: Der Gläubige benötige gar keine außerreligiösen Argumente für die Vernünftigkeit seiner religiösen Überzeugungen, und überhaupt liege die Beweislast dafür nicht bei ihm. Es sei also durchaus legitim, seinen religiösen Meinungen eine zentrale Stellung in seinem Denken zuzuordnen. Charakteristisch für die Reformierte Erkenntnistheorie ist, dass sie eng an die aktuellen Diskussionen der allgemeinen Erkenntnistheorie anknüpft, dass Religionsphilosophie also nicht (wie sonst so oft) als isolierte Teildisziplin betrieben wird. Dies und der gegenwärtig überaus große Einfluss der Reformierten Erkenntnistheorie legen es nahe, die Rechtfertigungskraft gewöhnlicher religiöser Erfahrungen am Beispiel dieser Position zu untersuchen. Ihr prominentester Vertreter ist Alvin Plantinga ((173), (175), (176)). Gewöhnliche religiöse Erfahrungen tragen die dreifache Eigenart an sich, dass sie zwar (a) grundsätzlich wiederholbar sind (etwa durch das sich-Hineinbegeben in eine Situation des Gottesdienstes, des Naturerlebnisses etc.), dass aber (b) die religiöse Bedeutsamkeit der Situation nicht „erzwingbar“ und auch nicht notwendig allen Beteiligten zugänglich ist. Es kann z. B.

Die Eigenart gewöhnlicher religiöser Erfahrungen

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

Erkenntnistheoretische Hintergründe: Meinungssysteme, …

sein, dass mehrere Personen zugleich auf einem Berggipfel sitzen oder die Gesundung eines schwer kranken Kindes wahrnehmen, dass aber nur einige dieser Personen diese Situationen als religiöse Erfahrungssituationen interpretieren. Für solche religiöse Interpretationen gilt nun allerdings auch (c), dass sie oftmals auch jenen Personen durchaus nachvollziehbar und plausibel sind, die diese religiöse Erfahrung selbst nicht gemacht haben. Dies deutet darauf hin, dass es zumindest einige, wenngleich vielleicht schwache, Kriterien für plausible religiöse Deutungen von Situationen gibt und nicht völlige Beliebigkeit herrscht. (Würde umgekehrt jemand etwa von tiefen religiösen Erfahrungen beim Ausfüllen seiner Steuererklärung berichten oder von einer heftigen Trostlosigkeitserfahrung beim Anhören von Bachs Weihnachtsoratorium, so erschiene dies vielen Menschen als unplausibel und vielleicht sogar besorgniserregend.) Wie können solche Erfahrungen aber nun zur Rechtfertigung religiöser Überzeugungen beitragen? Insgesamt vertritt die Reformierte Erkenntnistheorie eine bestimmte Variante des evidential argument aus religiöser Erfahrung (siehe oben 3.5). Es geht also um den Nachweis, dass solche Erfahrungen in ähnlicher Weise verlässlich sind, wie z. B. Wahrnehmungen von Objekten verlässlich sind. Und ähnlich wie Meinungen aus Objektwahrnehmungen im Normalfall keiner weiteren Begründung bedürftig sind („Woher weißt Du, dass der Apfel gelb ist?“ – „Na ja, ich sehe es eben, da gibt es keine weitere Begründung dafür. Oder was meinst Du mit Deiner Frage?“), könnten auch religiöse Wahrnehmungsmeinungen nicht mehr weiter begründungsbedürftige Meinungen sein. Dies ist – stark vereinfacht – die zentrale These der Reformierten Erkenntnistheorie, und sie mag auf den ersten Blick als unplausibel, ja sogar als bedenkliche Immunisierungsstrategie erscheinen. Um sie richtig einordnen zu können, sind daher einige Erläuterungen zum erkenntnistheoretischen Diskussionshintergrund sinnvoll (Näheres siehe (258), (260)). Unsere Meinungen über die Welt sind nicht isolierte Einzelstücke. Sie stehen in vielfachen, kaum überblickbaren Stützungs- und Begründungsbeziehungen zueinander und bilden ein Meinungssystem (engl. belief-system; dazu eine Anmerkung: das englische Wort belief lässt keine eindeutige Übersetzung zu, es deckt bedeutungsmäßig sowohl Meinung wie Überzeugung, Annahme und Glaube ab. Es wird hier in diesem Kapitel durchwegs als Meinung übersetzt, sonst häufig auch als Überzeugung). Beispielsweise hängt meine Meinung, dass es jetzt in Wien zwischen 0 und 108 Celsius haben dürfte, mit meinen Meinungen über das jetzige Wetter in Innsbruck, über die Geographie und Klimagegebenheiten Österreichs, über die Schnelligkeit von Wetterumschwüngen, über die Glaubwürdigkeit von Radioverlautbarungen und über zahlreiche weitere Gebiete zusammen. In vielen Fällen haben wir bestimmte Meinungen, weil wir sie aus anderen Meinungen erschließen. So erschließen und begründen wir etwa aus unseren Wahrnehmungsmeinungen über Schuhabdrücke im Schnee, aus unseren Erinnerungsmeinungen und aus unseren Meinungen über die Eigenschaften von Schnee und das Zustandekommen von Schuhabdrücken, dass heute Nacht jemand durch den Garten gegangen sein muss. Damit legt sich aber die Frage nahe, wie weit man solche Begründungsbeziehungen zurückverfolgen kann, bzw. woran unser Meinungsnetz letztlich

3.7 Die Reformierte Erkenntnistheorie

gleichsam hängt. Sogenannte erkenntnistheoretische Fundationalisten (von lat./engl. fundatio/foundation, Fundament), vertreten, dass es Meinungen gäbe, die selbst nicht weiter begründungsbedürftig sind, aber andere Meinungen begründen können. Man nennt solche Meinungen häufig basale Meinungen (basic beliefs). Non-Fundationalisten bezweifeln, dass es solche Meinungen gibt. Wohlgemerkt: Es geht hier nicht um das psychologische Faktum, dass wir mitunter Meinungen im Rekurs auf andere Meinungen begründen. Das würde kein vernünftiger Mensch bestreiten. Es geht vielmehr um die erkenntnistheoretische Frage, ob solche Begründungsketten einen legitimen Abbruchpunkt haben dürfen oder gar müssen. Wir werden später sehen, dass die Reformierte Erkenntnistheorie hier zu einem gemäßigten Fundationalismus neigt, insofern religiöse Wahrnehmungen ihr zufolge zumindest zu einer vorläufigen (prima facie-)Rechtfertigung religiöser Meinungen führen, ohne selbst weiter rechtfertigungsbedürftig zu sein. (Um Missverständnisse zu vermeiden, sei auch noch angefügt, dass Fundationalismus mit religiös-politischem Fundamentalismus überhaupt nichts zu tun hat, auch wenn foundationalism häufig irreführend als „Fundamentalismus“ übersetzt wird.) Die Reformierten Erkenntnistheoretiker vertreten, dass religiöse Meinungen, wenn sie wahr sind, durchaus auch eine Form von Wissen darstellen können. Dies ist durchaus keine selbstverständliche These; viele Religionsphilosophen würden dies vehement ablehnen und religiöses Glauben vom (wissenschaftlichen und alltäglichen) Wissen streng unterschieden sehen wollen. Unabhängig von dieser Kritik wird diese These aber noch von einem weiteren zentralen Problem berührt, das in der gegenwärtigen allgemeinen Erkenntnistheorie diskutiert wird. Es handelt sich um das Problem, was denn ein Wissen von einer bloßen wahren Meinung unterscheidet. Eine naheliegende und Jahrtausende alte Antwort wäre, es müsse sich um eine gerechtfertigte wahre Meinung handeln, nur so könne man nämlich zufällig richtig Erratenes vom Wissen unterscheiden. (Dies wird oft als die JTB- (justified true belief-) Definition des Wissens bezeichnet.) Einfache Gegenbeispiele (sogenannte „Gettier-Fälle“, benannt nach Edmund Gettier) zeigen jedoch, dass diese Definition nicht ausreicht: Wer etwa um 15:10 auf eine Bahnhofsuhr blickt, ohne zu wissen, dass sie zufällig vor genau 24 Stunden stehen geblieben ist, und dabei die Meinung bildet „es ist 15:10“, dessen Meinung scheint alle drei JTB-Bedingungen des Wissens zu erfüllen: Es ist eine Meinung, sie ist wahr und sie ist durchaus gut gerechtfertigt. Dennoch würden wir zögern zu sagen, diese Person wisse, dass es 15:10 sei. Eher würden wir sagen, sie sei mit viel Glück zu einer zufällig wahren Meinung gekommen. Man muss diese ungenügende Wissensdefinition also anscheinend mit weiteren Bedingungen verschärfen. Und es gibt, grob gesagt, zwei Tendenzen von Antwortvorschlägen, wo man solche zusätzlichen Bedingungen finden und wie man sie überprüfen kann: Internalisten meinen, es handle sich um Zusatzbedingungen, die von innerhalb des Meinungssystems der jeweiligen Person zu überprüfen sind. Als eine solche Bedingung wurde etwa die sogenannte Kohärenz der Meinungen vorgeschlagen: Eine wahre Meinung ist nur dann ein Wissen, wenn sie mit unserem sonstigen Wissen ideal kohäriert, d. h. zusammenstimmt. Was Kohärenz näher bedeuten könnte, ist allerdings ein bislang ungelöstes Problem. Bloße logische Vereinbarkeit mit un-

das Fundationalismus- / Nonfundationalismusproblem …

… und das Internalismus- / Externalismusproblem der Rechtfertigung und des Wissens

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

Die zentrale These der Reformierten Erkenntnistheorie: Manifestationsmeinungen können berechtigt basal sein

serem sonstigen Wissen wäre sicher zu wenig verlangt, denn sie trifft auf sehr viele Meinungen zu. Allzu starke Folgerungszusammenhänge mit unserem sonstigen Wissen darf man umgekehrt aber auch nicht verlangen, sonst könnte man kaum mehr etwas Überraschendes dazulernen (für eine Übersicht siehe (256)). Andere Beispiele internalistischer Vorschläge sind irgendwelche „erkenntnistheoretische Sorgfaltspflichten“, wie etwa „Proportioniere Deine Überzeugungen an den verfügbaren Erfahrungsbelegen!“, „Wissen kann nur durch klare und deutlich von anderen unterscheidbare Vorstellungen oder Wahrnehmungen begründet werden“, etc. Und es gibt noch weitere internalistische Vorschläge. Externalisten dagegen vertreten, diese zusätzlichen Bedingungen könnten nur von einem Standpunkt außerhalb des Meinungssystems der jeweiligen Person überprüft werden. Ein Vorschlag etwa lautet, eine wahre Meinung sei nur dann ein Wissen, wenn sie aus einer bisher erfolgreichen, sozial geteilten Erkenntnispraxis stammt (einfache Beispiele wären das Längenmessen oder das In-Augenschein-Nehmen von Alltagsobjekten). Ein anderer externalistischer Vorschlag lautet, eine wahre Meinung dann als Wissen zu betrachten, wenn sie von einem verlässlichen menschlichen „Erkenntnisapparat“ stammt, der auch bisher mit hoher Wahrscheinlichkeit wahre Meinungen produziert hat. Internalismen und Externalismen sind prinzipiell mit Fundationalismen ebenso wie mit Non-Fundationalismen verträglich, es werden daher in der Literatur verschiedenste Theoriekombinationen vertreten. Auf diesem Hintergrund betrachten wir die zentrale These der Reformierten Erkenntnistheorie nun etwas näher: Religiöse Meinungen können, erkenntnistheoretisch gesehen, berechtigt basale Meinungen (properly basic beliefs) sein. Als solche basale religiöse Meinungen kommen allerdings weniger Meinungen wie „Gott existiert“ in Betracht, sondern sogenannte Manifestationsmeinungen (manifestation beliefs). Das sind Meinungen, die Gläubige in bestimmten Situationen spontan bilden, und in denen sich ihrer Überzeugung nach Gottes Wirken manifestiert. Beispiele dafür sind uns bereits geläufig: Angesichts eines beeindruckenden Bergpanoramas oder der Betrachtung der hochdifferenzierten Zellvorgänge mag jemand den manifestation belief bilden „Gott hat all das geschaffen“; wer als religiöser Mensch eine moralisch schlechte Handlung setzt, bildet mitunter Meinungen wie „Gott missbilligt, was ich tue“; beglückende religiöse Feiern oder die Rettung aus gefährlichen Situationen lösen mitunter Meinungen wie „Gott soll gepriesen werden“ aus, etc. Diese Meinungen sind jeweils basal, weil sie nicht auf andere Meinungen gestützt werden, sondern spontan und unabgeleitet in bestimmten Situationen auftreten. Basalität ist aber nicht nur eine psychologische, sondern eine erkenntnistheoretische Eigenschaft von manchen Meinungen. Basalität ist auch nichts für die Religion Bereichstypisches. Ganz ähnliche Verhältnisse herrschen bei alltäglichen Wahrnehmungs- und Erinnerungsmeinungen: Angesichts einer bestimmten Person und ihres Gesichtsausdrucks, einer Situationswahrnehmung oder einer gehörten Bemerkung über die Zugspitze bildet man Meinungen wie „Emma ist zornig“, „das Auto ist im Hof“ oder „dort oben war ich auch einmal“, und zwar ohne dass man diese Meinungen aus anderen ableiten würde. Die Meinung „Gott existiert“ wäre dagegen erst eine abgeleitete Meinung, die aus den Manifestationsmeinungen gefolgert werden

3.7 Die Reformierte Erkenntnistheorie

kann, ähnlich wie man Meinungen wie „Emma hat ein Bewusstsein“, „es gibt materielle Gegenstände“ oder „die Zugspitze existiert schon länger als 2 Jahre“ bei Bedarf aus den obigen basalen Meinungen ableiten könnte. Zur Vermeidung von Missverständnissen, gerade im religiösen Bereich, seien einige Klarstellungen angefügt (191). Erstens sind basale Meinungen weder irrtumsresistent noch unkorrigierbar. Es könnte sein, dass Emma ihre Wut nur gespielt hat, und auch meine Erinnerung an das Stehen auf der Zugspitze könnte sich als falsch herausstellen (z. B., weil ich gesehene Fernsehberichte mit länger zurückliegenden eigenen Erlebnissen vermenge). Zweitens stellen basale Meinungen in unserem Meinungssystem die Regel und nicht die Ausnahme dar. Aufgrund unserer Wahrnehmungen, aber z. B. auch aufgrund der Mitteilungen anderer Menschen bilden wir fast andauernd basale Meinungen verschiedensten Inhalts und verlassen uns normalerweise auch auf sie („hier liegt mein Schlüssel“, „meine linke große Zehe schmerzt“, „da läuft eine Katze über die Straße“, „Erwin fährt gerade in den Hof“, …). Erst in Situationen des Irrtums, des Widerspruchs etc. fragen wir uns, ob sich manche fragliche Meinungen vielleicht aus anderen, gut gesicherten Meinungen ableiten lassen. Drittens kann ein und dieselbe Meinung manchmal basal, manchmal abgeleitet sein: „das Auto ist im Hof“ kann zuweilen eine basale Meinung sein, zuweilen aber auch eine aus anderen Meinungen erschlossene. Viertens sind basale Meinungen zwar nicht abgeleitet, aber deshalb noch nicht grundlos: Sie treten nur in bestimmten Situationen auf, „Emma ist wütend“ etwa angesichts der Wahrnehmung einer bestimmten Person, „ich war auf der Zugspitze“ nur nach ganz bestimmten Erlebnis-Vorgeschichten, etc. Wäre es anders, deutete dies auf eine psychische Störung hin. Dieselben Merkmale gelten nun auch für religiöse Manifestationsmeinungen. Auch sie sind nicht grundlos: Wir haben bereits gesehen, dass gewöhnliche religiöse Erfahrungen zwar nicht erzwingbar oder vorhersagbar sind, aber doch typischerweise mit bestimmten Situationen gekoppelt sind. Umgekehrt wird die unvermittelte Bildung religiöser Meinungen in unpassenden Situationen als bedenklich angesehen. Etwa deutet die allzu häufige Bildung der Meinung „Gott missbilligt, was ich jetzt tue“, auf ein psychisches Problem hin. Bildet eine Person auffällig oft die Meinung „Gott spricht jetzt zu mir“ (und legt dies nach außen offen), so wird dies auch innerhalb religiöser Gruppen häufig mit Skepsis betrachtet. Auch die Reformierte Erkenntnistheorie gibt durchaus zu, dass es fragwürdige bis hin zu pathologischen Formen von religiösen Meinungen gibt. Auch religiöse basale Meinungen sind also durchaus korrigierbar und nicht irrtumsresistent. Im Unterschied zu manchen religionskritischen Tendenzen (siehe später Abschnitt 4.4) ist jedoch für Reformierte Erkenntnistheoretiker der generelle Verweis auf Illusionen, Projektionen oder psychische Störungen nicht die erste und nächstliegende Erklärung für religiöse Meinungen. Bestimmte religiöse Meinungen, gebildet in passenden Situationen von Personen, deren Erkenntnisfähigkeiten intakt sind, sind vielmehr berechtigt basal, und sie sind vielleicht auch eine gute Rechtfertigung für andere, abgeleitete religiöse Meinungen (bei den meisten religiösen Menschen werden die abgeleiteten religiösen Meinungen aber wohl die Minderzahl ausmachen). Eine weitere Ähnlichkeit besteht darin, dass es auch bei religiösen Meinungen möglich ist, dass ein und

Weitere Erläuterungen zu basalen Meinungen

Worin basale religiöse Meinungen anderen basalen Meinungen ähneln

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

dieselbe Meinung manchmal basal, manchmal abgeleitet ist. Wer sich z. B. wissenschaftlich mit kosmologischen Argumenten (wie oben in 3.3) auseinandersetzt, für den wird vielleicht „Gott hat alles geschaffen“ eine abgeleitete Meinung darstellen. Bildet derselbe Mensch dieselbe Meinung anlässlich eines Gipfelerlebnisses auf dem Matterhorn, ist sie wahrscheinlich basal. Bis jetzt wurde die zentrale These der Reformierten Erkenntnistheorie, dass religiöse Manifestationsmeinungen properly basic sein können, nur geschildert und gegen Missverständnisse abgegrenzt. Plantingas Begründungen für die These wenden wir uns erst jetzt zu. Diese haben sich im Lauf der Zeit verändert, und dabei sind externalistische Aspekte zunehmend deutlicher in den Vordergrund getreten. In den frühen 1980er-Jahren (173) sind drei einander teils berührende Begründungen erkennbar. Die erste (und älteste, schon (171)) ist ein Paritätsargument (von lat. par, gleich: ein Argument, das zeigt, dass zwei Dinge in wesentlichen Eigenschaften gleich sind und daher nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen). Niemand habe ein absolut zwingendes Argument z. B. dafür, dass es Bewusstseine außer meinem eigenen gibt, dass materielle Gegenstände weiterexistieren, wenn niemand sie beobachtet, oder dass die Welt schon länger als 5 Minuten existiert. Dennoch wird niemand als irrational betrachtet, wenn er all dies glaubt. Allfällige Argumente für diese Behauptungen wären ungefähr so gut oder schlecht wie das beste theistische Argument, nämlich das teleologische. Warum, so Plantinga, sollte jemand dann nicht auch an Gottes Existenz glauben und die religiösen Manifestationsmeinungen als basale Meinungen hegen dürfen? Die zweite Begründung (in (173)) hat mit Plantingas Kritik an einer erkenntnistheoretischen Position zu tun, die er „klassischer Fundationalismus“ (KF) nennt, und die praktisch die gesamte neuzeitliche und einen guten Teil der früheren Philosophie belastet habe. Der klassische Fundationalist nach Plantinga behauptet: KF-1 Alle rationalen Meinungen sind entweder berechtigt basale Meinungen oder vollständig aus berechtigt basalen Meinungen begründbar. KF-2 Berechtigt basale Meinungen sind nur logisch-begrifflich selbstverständliche Meinungen (wie: „Teile sind nie größer als das Ganze“), unkorrigierbare Meinungen (wie „ich habe Schmerzen“) oder Meinungen über evidente Sinneswahrnehmungen (wie „ich sehe etwas Rotes“). Insbesondere die Religionsphilosophie seit der Aufklärung sei vom KF belastet. Nicht nur Religionskritiker, sondern auch christliche Denker hätten stillschweigend die Meinung akzeptiert, man müsse religiöse Meinungen durch starke, den KF-Kriterien genügende Begründungen absichern, sie also letztlich auf irgendwelche berechtigt basale Meinungen gemäß KF-2 zurückführen können. Und folgerichtig habe man eben Jahrhunderte lang um die Stichhaltigkeit von empirischen Argumenten verschiedenster Art für den Theismus gestritten. Dies sei jedoch überflüssig und verfehlt gewesen, denn der KF sei falsch, in Bezug auf religiöse Meinungen wie auch allgemein. Erstens sei er eine selbstwiderlegende Theorie. Er genüge nämlich seinen eigenen Vernünftigkeitsstandards in auffälliger Weise nicht. KF-2 sei beispielsweise weder eine

3.7 Die Reformierte Erkenntnistheorie

berechtigt basale Meinung (denn sie sei weder logisch-begrifflich selbstverständlich, noch unkorrigierbar, noch aus der Sinneswahrnehmung evident!), noch sei absehbar, wie man sie irgendwie aus berechtigt basalen Meinungen ableiten könne. Zweitens sei er eine völlig realitätsferne Erkenntnistheorie. Betrachten wir dazu folgende Liste von basalen Meinungen: „Emma ist zornig“, „ich habe heute um 8 Uhr gefrühstückt“, „dort steht ein Baum“. Keine dieser Meinungen ist irgendwie verdächtig, irrational zu sein, und alle sind basal, denn wir bilden sie in bestimmten Situationen unmittelbar. Aber sie genügen KF-2 nicht: sie sind nicht logisch-begrifflich selbstverständlich, sie sind nicht unkorrigierbar (Emma könnte ihren Zorn nur spielen, meine Erinnerung könnte getrübt sein, der Baum könnte eine Attrappe sein), und sie sind keine Meinungen der evidenten Sinneswahrnehmung (denn mit den Sinnen nehmen wir allenfalls das Rot auf Emmas Wangen oder das Grün der Blätter wahr, der Rest sind darüber hinaus gehende Deutungen!). Die dritte Begründung hängt ebenfalls mit Plantingas genereller Auffassung von Erkenntnistheorie zusammen. Er verficht eine Vorgangsweise „von unten“, d. h. man solle nicht mit großen, allgemeinen Theorien beginnen, sondern besser mit einer Art Beispielsammlung von geordneten Paaren . Ein Beispiel wäre etwa . Ausgehend von solchen Listen klarer Beispiele von vernünftiger und unvernünftiger Meinungsbildung könne man sich dann an allgemeinere erkenntnistheoretische Hypothesen heranwagen. Plantinga meint nun, diese Beispielsmengen könnten sich von einer „Erkenntnisgemeinschaft“ und deren Erkenntnispraktiken zur anderen durchaus unterscheiden. Christen könnten daher legitimer Weise von ihren eigenen Beispielsmengen ausgehen und jene religionsfeindlicher Kreise ignorieren. In diesem Punkt steht Plantinga der Auffassung William Alstons nahe, demzufolge Meinungen dann gerechtfertigt sind, wenn sie aus einer etablierten sozialen Erkenntnispraxis stammen (119). Auch im religiösen Bereich gäbe es solche Praktiken (man denke etwa an Entscheidungsfindungsprozesse im Gebet oder bestimmte Meditationspraktiken); sie funktionieren, auch wenn sie Außenstehenden nicht zugänglich sind. Vernünftigkeitsansprüche im religiösen Bereich sind also nach Plantinga in gewissem Ausmaß gemeinschaftsrelativ. Plantinga selbst sah den Relativismuseinwand voraus, auf den seine Position stieß: Könne nun jeder, vorausgesetzt er gehört einer entsprechenden religiösen Erkenntnisgemeinschaft an, z. B. an Manifestationen Zeus’ oder des Weihnachtsmanns glauben? Freilich hat Plantinga diese Konsequenzen mit dem Hinweis abgewiesen, dass basale Meinungen ja keineswegs grundlos oder unkorrigierbar seien. Religiöse Manifestationsmeinungen träten eben nur in bestimmten Situationen auf, und gegen die Existenz Zeus’ oder des Weihnachtsmannes sprächen einfach zu viele Gegengründe. Dennoch haben diese Einwände es wohl mit veranlasst, dass Plantinga seine Position weiterentwickelt und die externalistischen Aspekte stärker herausgearbeitet hat (176). (Bisher hatte er eine weitgehend internalistische Position vertreten: jemand, der basale religiöse Meinungen hegt, verstößt gegen keine erkenntnistheoretischen Sorgfaltspflichten und kann in seinen Meinungen gerechtfertigt sein.) Gleichzeitig rückt die Frage der Wahrheit deutlicher in den Mittelpunkt. Bislang hatte Plantinga vertreten, Gläubige könnten in ih-

Die neuere Variante der Reformierten Erkenntnistheorie: „proper function“, „warrant“ und die beiden „Thomas/ Calvin-Modelle“

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

ren Meinungen gerechtfertigt sein, und zwar unabhängig davon, ob diese Meinungen letztlich auch wahr sind (man kann ja sehr gut gerechtfertigt in einer letztlich falschen Meinung sein, man denke etwa an eine geschickt inszenierte Täuschung). Warranted beliefs im Sinne von Plantingas neuer Position (zum Begriff warrant siehe sogleich) sollen dagegen von ihrer Konzeption her auch wahre Meinungen sein. Der neue externalistische Zentralbegriff ist die proper function des Erkenntnisapparates, d. h. sein korrektes, bauplangemäßes Funktionieren (ob ein Erkenntnisapparat bauplangemäß funktioniert, kann nur von außen, d. h. nicht aus der Sicht des von ihm erzeugten Meinungssystems beurteilt werden.) Details müssen hier ausgeklammert bleiben, Plantingas neuere Position kann aber vereinfachend so zusammengefasst werden: Wenn eine Person, deren Erkenntnisapparat bauplangemäß funktioniert, in einer passenden Umgebung ohne Störfaktoren aus einem Wahrheitsstreben heraus Meinungen bildet (egal ob basal oder abgeleitet), dann haben diese Meinungen warrant, und zwar umso stärkeren warrant, je stärker sich diese Meinungen der Person aufdrängen. Warrant ist kaum übersetzbar, es handelt sich um eine allgemeine Güteeigenschaft für basale ebenso wie für abgeleitete Meinungen. Am ehesten könnte man vielleicht sagen, warranted beliefs seien vertretbare, berechtigte Meinungen. Die religionsphilosophische Pointe dieses Ansatzes ist klar: Wenn Menschen, deren Erkenntnisapparat tadellos funktioniert, in bestimmten Situationen religiöse Manifestationsmeinungen bilden (die sich teils stark aufdrängen), dann sind diese Meinungen vertretbar, sie haben warrant, ähnlich wie etwa die Meinungen eines versierten Beobachters warrant haben. Freilich würden manche Menschen hier entgegnen, die Bildung religiöser Meinungen sei gerade ein Zeichen nicht bauplangemäß funktionierender Erkenntnisfunktionen, ähnlich wie Wunschdenken oder psychologische Projektionsmechanismen. Plantinga hält dem entgegen, es gäbe eine kleine göttlich eingestiftete Erweiterung unseres Bauplans, nämlich den sogenannten sensus Divinitatis, eine Art spezielles Wahrnehmungsvermögen für religiöse Manifestationen. Wenn er funktioniert und in gewissen Situationen religiöse Meinungen erzeugt, dann arbeitet unser Erkenntnisapparat folglich bauplangemäß. (Das bedeutet nicht, dass es nicht auch verfehlte bis krankhafte Formen religiöser Meinungsentstehung geben kann; nur ist dies nicht die einzige und nächstliegende Erklärung.) Plantinga nennt seine Sicht der Dinge das Thomas/CalvinModell (englisch: Aquinas/Calvin model) für vertretbare religiöse Meinungen, weil er es sowohl von Thomas v. Aquin als auch von Johannes Calvin vertreten sieht (ob zu Recht, ist umstritten). Im Thomas/Calvin-Modell erscheinen allgemeine theistische Meinungen als vertretbar, wie sie u. a. auch von Muslimen und Juden gehegt werden, z. B. Manifestationsmeinungen wie „Gott hat all dies geschaffen“ oder „Gott missbilligt, was ich tue“. Die Leistungsfähigkeit des Modells ist allerdings in doppelter Hinsicht eingeschränkt. Zum einen sind viele typische religiöse Manifestationsmeinungen spezifisch christlichen (oder muslimischen, jüdischen o.a.) Inhalts und gehen damit über allgemein-theistische Meinungen, die man philosophisch vielleicht begründen könnte, hinaus (man denke an Meinungen wie „Jesus Christus ist wirklich auferstanden“, „durch Christus sind wir erlöst“, „Mohammed ist Allahs Prophet“). Der sensus Divinitatis allein wäre damit in-

3.7 Die Reformierte Erkenntnistheorie

haltlich überfordert (wahrscheinlich sind solche Meinungen eher über historische Zeugnisse der jeweiligen Glaubensgemeinschaft begründbar). Zum anderen gibt es hier ein innertheologisches Problem: Gemäß christlicher Auffassung müsste ein sensus Divinitatis durch die sogenannte Erbsünde getrübt und in seiner Funktion beeinträchtigt sein. Wie sollte es unter diesen Voraussetzungen zu christlich-theistischen Manifestationsmeinungen (und daraus abgeleiteten Meinungen) mit warrant kommen? Plantinga schlägt als Antwort das Erweiterte Thomas/Calvin-Modell vor (176): Der Heilige Geist (d. i. nach christlicher Auffassung die dritte göttliche Person) repariere durch seinen Beistand zum einen den sensus Divinitatis, zum andern löse er in bestimmten Situationen (Lektüre der Bibel, persönliches Gebet, gottesdienstliche Feiern etc.) die freudige Zustimmung zu den spezifisch christlichen religiösen Meinungen (Dreifaltigkeit Gottes, Gottessohnschaft Jesu Christi, Erlösung, Auferstehung etc.) aus. So könnten diese Meinungen auch unter den Bedingungen der Erbsünde warrant haben. Natürlich würde Plantinga auch hier wiederum zugeben, dass die Möglichkeit ungesunder religiöser Meinungsbildung ohne warrant und jenseits der proper function nicht auszuschließen ist. Die Reformierte Erkenntnistheorie nimmt eine bewusste Gegenposition nicht nur zur Religionskritik, sondern auch zur traditionellen philosophischen Theologie ein: Der Gläubige müsse gar nicht, um erkenntnistheoretisch vernünftig zu sein, seine religiösen Meinungen im Rekurs auf andere Beweismittel verteidigen können (in diesem Sinne gleicht die Reformierte Erkenntnistheorie den evidential arguments aus religiöser Erfahrung, wie bereits angedeutet wurde). Diese Absetzung von der traditionellen philosophischen Theologie geht allerdings zum Teil ins Leere. Überwiegend war man auch schon früher der Ansicht gewesen, dass der normale Gläubige für die Beschäftigung z. B. mit philosophischen Argumenten für Gottes Existenz weder die Zeit, die intellektuellen Voraussetzungen noch den Bedarf mitbringt. Der normale Gläubige konnte auch ohne solche Reflexionen seine spontanen religiösen Meinungen hegen, ohne dabei unvernünftig zu erscheinen. (Umgekehrt bieten solche intellektuellen Argumente allein auch keine ausreichende Basis für ein echtes, persönliches religiöses Leben.) Lediglich für Situationen des Zweifels, der religiös-weltanschaulichen Auseinandersetzung, der intellektuellen Anfechtung und natürlich auch der wissenschaftstheoretischen Grundlagensicherung der Theologie wurden philosophische, historische u. a. Argumente für die Vernünftigkeit des Glaubens als nötig betrachtet. Das legt die Frage nahe, ob man auch die Reformierte Erkenntnistheorie als Weg zum Vernünftigkeitsausweis religiöser Meinungen nach außen benützen könnte. Plantingas Buchtitel „Warranted Christian Belief“ (176) könnte ja entsprechende Erwartungen wecken. Bei näherer Betrachtung kommt Plantinga jedoch nicht allzu weit über eine Möglichkeitsthese und einen Modellvorschlag hinaus, wie man sich das Zustandekommen basaler religiöser Meinungen, die auch warrant haben, denken könnte. Letzterer (die beiden Thomas/Calvin-Modelle) macht allerdings starke theologische Voraussetzungen (den sensus Divinitatis und die Mitwirkung des Heiligen Geistes). Er ist daher primär als innerchristlicher Vorschlag zu verstehen, wie man sich das Zustandekommen spontaner religiöser Gewissheit den-

Der argumentative Stellenwert der Reformierten Erkenntnistheorie

Die offene Frage: Sind die Thomas/Calvin-Modelle wahr?

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

„If Christian faith is true, then it’s also warranted“

Weitere Einwände gegen die Reformierte Erkenntnistheorie

ken könnte (156). Auch Plantinga räumt ein, dass er die Frage nach der Wahrheit der Thomas/Calvin-Modelle letztlich nicht beantworten kann ((176), S. 499: hiermit überschritte man bereits die Kompetenz der Philosophie). Was Plantinga allerdings in beiden Phasen seines Werkes geliefert hat, sind defensive Teilantworten auf diese Frage: Die Paritätsargumente in seinen früheren Werken ((171), (173), siehe oben S. 92) hatten gezeigt, dass gewisse weltanschauliche Rahmenannahmen auch von nichtreligiösen Menschen unvermeidbar gemacht werden und vernünftig sind, obwohl man sie nicht voraussetzungslos beweisen kann. Und in seinem Spätwerk ((176), Teil IV) hat Plantinga auf fünf gängige Linien der Religionskritik in zum Teil durchaus überzeugender Weise geantwortet. Einen Wahrheitsausweis des Christentums erbringt all das freilich noch nicht. Allerdings entfaltet die neuere Reformierte Erkenntnistheorie eine durchaus interessante religionsphilosophische Konsequenz: Die häufig vorgebrachte religionskritische Position „der christliche Glaube mag zwar vielleicht eine wahre Theorie sein (wer könnte das auch ausschließen?), aber in jedem Falle sind die Gläubigen erkenntnistheoretisch unvernünftig, wenn sie ihn akzeptieren“ wird dadurch unhaltbar. Denn wenn der christliche Glaube wahr sein sollte, dann ist er auch warranted (weil zu den christlichen Glaubenslehren eben auch Theorien über das Zustandekommen und den warrant religiöser Meinungen gehören, die dann ebenfalls wahr wären und die die Gläubigen gerechtfertigt erscheinen lassen). Von den zahlreichen Einwänden, auf die die Reformierte Erkenntnistheorie gestoßen ist ((207), (150)), seien hier nur noch einige weitere beispielshalber erwähnt. (1) William Alston ((119), S. 196) hat schon gegen die ältere Reformierte Erkenntnistheorie den Zweifel geäußert, ob eine relativ neutrale Situation wie die Betrachtung einer Blume oder eines Bergpanoramas allein wirklich schon ein ausreichender Grund für religiöse Manifestationsmeinungen sein könne. Wer in solchen Situationen z. B. die Meinung „Gott hat das geschaffen“ bildet, bringt eine Reihe unausgesprochener Voraussetzungen in Anschlag. Solche Voraussetzungen könnten z. B. sein, dass der religiöse Blick auf Naturdinge eine bewährte soziale Erkenntnispraxis in einer religiösen Gemeinschaft darstellt, dass er schon in den Traditionen und Heiligen Schriften dieser Gemeinschaft eine Rolle gespielt hat, etc. Die Reformierte Erkenntnistheorie ist zwar als sehr individualistische Theorie konzipiert, die das religiöse Erleben des Einzelnen in den Mittelpunkt stellt; zu ihrem Funktionieren braucht es aber doch mehr soziale und geschichtliche Rückbindungen, als Plantinga glaubt. (2) Von Philip Quinn (177) u. a. stammt die Anfrage, ob religiöse Meinungen heute (angesichts eines Berges von religionskritischer Literatur aus drei Jahrhunderten!) wirklich noch warrant haben können. Der religiös Gläubige bewege sich im Grunde doch in einer für religiöse Meinungen erkenntnismäßig unfreundlichen Umgebung, da religionskritische Positionen in der gebildeten Öffentlichkeit heute mindestens ebenso lautstark und attraktiv propagiert werden wie religiöse. Ähnlich wie in einer mit Spiegeln und Baumattrappen durchsetzten Umgebung die Meinung „dort steht ein Baum“ keinen starken warrant haben könne, verhielte es sich daher heute auch mit religiösen Meinungen. (Quinn zieht daraus übrigens die Folgerung, dass die traditionellen philosophischen Argumente

3.8 Gesamterfahrung, „Transzendentale Erfahrung“ o. Ä.

zur vernünftigen Vergewisserung über den religiösen Glauben nach wie vor große Bedeutung haben.) (3) Damit verwandt ist ein dritter Einwand ((177), (143)): Plantinga glaubt zwar, dass er die gängigsten Einwände gegen den christlichen Glauben relativieren oder widerlegen kann ((176), Teil IV). Auch wenn man seinen Widerlegungen folgen wollte – raubt das religiösen Meinungen im Meinungssystem eines intellektuell aufgeschlossenen Menschen von heute nicht ihre Basalität? Müsste man seinen religiösen Glauben also nicht wesentlich stärker auf Argumente stützen, als Plantinga glaubt? Diese und andere Einwände deuten darauf hin, dass die Reformierte Erkenntnistheorie, besonders in ihrer neueren Variante, als Begründung der Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen gegenüber weltanschaulich neutralen oder andersdenkenden Personen nicht sonderlich erfolgreich sein dürfte. Ihre beste Wirkung entfaltet sie eher innerhalb einer homogenen religiösen Gemeinschaft. Plantinga hat diese Konsequenz auch teils selbst gezogen. Schon früher hatte er angeregt, christliche Philosophen sollten sich weniger mit letztlich fruchtlosen Verteidigungsprojekten des Glaubens „nach außen“, sondern eher mit der Entwicklung eines möglichst vollständigen christlichen Weltbildes beschäftigen, das durchaus auf theologischen Prämissen aufruhen darf ((105), (106), kritisch (156); s. dazu auch oben, S. 35). Daraus würde u. a. folgen, dass religiöse Meinungen prinzipiell auch Rückwirkungen auf unsere Meinungsbildung in ganz anderen Feldern, etwa Philosophie, Biologie, Physik u. a., haben könnten.

3.8 Argumente aus der Gesamterfahrung, der „Transzendentalen Erfahrung“ o.Ä. Die bisher besprochenen Argumente für die Vernünftigkeit religiöser Meinungen gingen, wenn wir vom ontologischen Argument einmal absehen, immer von einzelnen, irgendwie als besonders auffällig betrachteten Erfahrungsausschnitten aus und zogen daraus bestimmte Schlussfolgerungen. Teilweise wurden solche einzelnen Erfahrungsbelege auch zu Kumulativargumenten verknüpft (3.5). Von diesen Argumentationsformen nochmals zu unterscheiden sind verschiedene Versuche, jede beliebige Tätigkeit unseres Geistes (Fragen, Denken, Urteilen, Handeln, …) oder auch die Gesamtheit unserer Erfahrungen (auf verschiedensten Gebieten) als Ansatzpunkt für ein Argument zugunsten der Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen zu nehmen. In erster Näherung beschrieben, wollen diese Argumente zeigen, dass wir in jeder beliebigen geistigen Tätigkeit stillschweigend die Existenz Gottes als eine der unausgesprochenen Voraussetzungen dieser Tätigkeit anerkennen, weil unser Geist letztlich auf Gott ausgerichtet ist. Im Einzelnen erweisen sich diese Argumente allerdings als recht voraussetzungsreich (siehe dazu (99), S. 146–165, (142b), (271)), und einige davon dürften erheblich präzisierungsbedürftig sein. Insbesondere ist häufig der angezielte argumentative Stellenwert nicht ganz klar: Handelt es sich überhaupt um ein religions-externes Argument für die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen? Oder handelt es sich eher um Verdeutlichungen, wie sich Gott (der schon als existierend vorausgesetzt wird) in der menschlichen Erfahrung zeigen könnte, auch jen-

Eine besondere Art von Erfahrungsargumenten und ihr Stellenwert

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

Pannenberg: Gott als die „alles bestimmende Wirklichkeit“

Pannenbergs Argument

seits außergewöhnlicher oder sonst spezifisch religiöser Erfahrungen? Nur im ersten Falle handelte es sich nämlich um ein religionsphilosophisches Argument im engeren Sinne, im zweiten eher um ein theologisches. Größere Bekanntheit im deutschen Sprachraum haben vor allem Wolfhart Pannenbergs These, Gott sei „die alles bestimmende Wirklichkeit“, und Karl Rahners Überlegungen zur „transzendentalen Erfahrung“ erlangt; letztere schließen vor allem an Überlegungen von Joseph Maréchal an. Ansätze ähnlicher Gedanken sind aber bis in die Antike zu Augustinus zurück verfolgbar. Pannenbergs Überlegungen stehen im Kontext der wissenschaftstheoretischen Frage, wovon die Theologie letztlich handelt: Ob sie nämlich die Wissenschaft von Gott sei oder einen anderen Gegenstand habe, etwa die religiöse Erfahrung, die Religionsgeschichte oder sonstige innerweltlichmenschliche Gegebenheiten ((169), Kap. 5). Pannenberg vertritt – zu Recht – die erstere These. Der Sache nach läuft seine Darstellung aber gleichzeitig auch auf ein Erfahrungs-Argument für die Existenz Gottes hinaus, wenn es etwa heißt, dass „der Gedanke Gottes als der seinem Begriff nach alles bestimmenden Wirklichkeit […] an der erfahrenen Wirklichkeit von Welt und Mensch zu bewähren“ sei, dass „die Wirklichkeit Gottes in anderen Gegenständen der Erfahrung mitgegeben“ sei (S. 304 f.) und „die Erfahrung der Welt und die Frage nach der sie letztlich bestimmenden Macht […] unentbehrlich für jede Vergewisserung über die Wirklichkeit Gottes“ sei (S. 311). In Anlehnung an den bedeutenden Theologen Rudolf Bultmann schlägt Pannenberg als Arbeitsdefinition für „Gott“ vor, darunter „die alles bestimmende Wirklichkeit“ zu verstehen. Das weitere Argument ist nicht leicht aus dem Text zu isolieren, es dürfte etwa folgende Grundstruktur haben: 1. Die Gegenstände der erfahrbaren Welt sind uns zumindest teilweise verständlich, d. h. nicht völlig unverständlich. 2. Jede einzelne Erfahrung von Gegenständen der Welt, die zu einem Verständnis führt, setzt aber voraus, dass man auch einige Beziehungen und Zusammenhänge dieses Gegenstandes zu anderen Gegenständen der Welt versteht, d. h. ihn einordnen kann. 3. Jeder Gegenstand der erfahrbaren Welt steht mit jedem anderen in solchen Beziehungen und Zusammenhängen, d. h. es gibt zwischen allen Gegenständen zumindest einen allgemeinsten Gesichtspunkt, unter dem sie übereinkommen. (Dieser Gesichtspunkt gestattet es, von einer „Totalität der Wirklichkeit“ zu sprechen.) 4. Es muss also eine „alles bestimmende Wirklichkeit“ geben, die für diese letzte Einheitlichkeit der Wirklichkeit verantwortlich ist. 5. In jeder einzelnen Erfahrung wird also die Existenz einer „alles bestimmenden Wirklichkeit“ stillschweigend anerkannt. 6. Diese „alles bestimmende Wirklichkeit“ verleiht der „Totalität der Wirklichkeit“ auch einen Sinn, sie macht sie zur „Sinntotalität“ („Sinn“ ist hier nicht nur als sprachliche „Bedeutung“ gemeint, sondern durchaus auch als „Sinnhaftigkeit, innere Bestimmung“). 7. Worin dieser Sinn letztlich besteht, ist nur hypothetisch annehmbar. Die Lehren des Christentums über Gott, sein Wesen, sein Handeln, die letzte Bestimmung des Menschen etc. sind ein Antwortvorschlag, wie solch

3.8 Gesamterfahrung, „Transzendentale Erfahrung“ o. Ä.

eine Hypothese inhaltlich aussehen könnte. Diese Hypothese hat sich in der Erfahrung (in einem weiten Sinne, die auch die Geschichte umschließt) zu bewähren. Um aus dieser Argumentskizze ein gültiges Argument zu erhalten, müsste zunächst die Feinstruktur des Arguments an mehreren Punkten präzisiert werden. Insbesondere erweist sich die in den Schritten 4 bis 6 verwendete Definition Gottes als „die alles bestimmende Wirklichkeit“ bei näherer Betrachtung als logisch äußerst komplex. Auch sie ist im Kern eine Kennzeichnung (siehe oben 3.2), allerdings ist sie noch wesentlich komplizierter als jene Anselms, weil das mehrstellige Prädikat „bestimmen“ sehr verschiedene Interpretationen zulässt (193). Unabhängig von diesem logischen Problem legen sich auch inhaltlich einige Fragen nahe, etwa die folgenden: Was könnte dieser in Schritt 3 genannte allgemeinste Gesichtspunkt sein, in dem alle Gegenstände übereinkommen? Ist er ungefähr das, was die klassische aristotelisch-scholastische Metaphysik mit „seiend / ens“ ausgedrückt hat? (Ein „Seiendes“ ist, grob gesagt, alles, wonach man fragen kann bzw. was man in irgendwelchen Kontexten zu berücksichtigen hat, also nicht nur Gegenstände im engeren Sinne, sondern auch Eigenschaften, Beziehungen, Zahlen, EigenschaftsMängel etc.) – Was heißt es genau, dass die alles bestimmende Wirklichkeit für die Einheitlichkeit der Wirklichkeit verantwortlich ist? Steckt hinter diesem Übergang von Schritt 3 auf Schritt 4 vielleicht ein kosmologisches Argument ähnlich der in 3.3 beschriebenen zweiten Form (d. h., dass die Existenz einer Welt auf die Existenz einer Ursache schließen lässt)? – Worauf gründet sich die durchgängige Annahme, dass hier tatsächlich von „wirklichen“ Erkenntnisgegenständen und der Einheitlichkeit der „wirklichen“ Welt die Rede ist, und nicht etwa nur von einer fiktiven, projizierten Einheitlichkeit, die sich unser Bewusstsein eben aus irgendwelchen Gründen zurechtlegt? – Wie ist es genau zu verstehen, dass in jeder Erfahrung die Existenz einer alles bestimmenden Wirklichkeit stillschweigend anerkannt wird? Ganz ähnlichen Fragen hatte sich Karl Rahner bereits in seinen Frühwerken (179) gestellt. Deutlicher als Pannenberg geht es Rahner auch darum, das Verhältnis religiöser Überzeugungen zu metaphysischen Behauptungen zu klären (zur Metaphysik siehe oben 2.2). Rahner geht aus von der bemerkenswerten Fähigkeit des menschlichen Geistes, zwar einerseits einzelne Erfahrungsgegenstände zu erkennen, andererseits in unserem Erkenntnisstreben aber auch nicht völlig daran gefesselt zu sein. So etwa sind wir fähig, mehrere gleichartige Dinge als mehrere „Fälle von etwas“ zu erkennen, und wir sind auch fähig, eingeschränkte Betrachtungsweisen als solche zu erkennen: Nicht nur, dass uns an der Unterscheidung zwischen Irrtum/Täuschung und wahren Behauptungen gelegen ist, wir sind auch interessiert daran, die Dinge möglichst umfassend zu verstehen. Wir können immer fragen, ob ein bestimmter erreichter Erkenntnisstand schon alles über einen Gegenstand sagt, oder ob es noch mehr Seiten an ihm zu entdecken gibt. Auch das Phänomen negativer Eigenschaftszuschreibungen („x hat die Eigenschaft F nicht“) zeigt, dass unser Erkenntnisstreben nicht an das Vorhandene gebunden ist, insbesondere nicht nur an das, was uns die Sinneseindrücke der Gegenstände bieten. Rahner nennt

Präzisierungs- und begründungsbedürftige Punkte

Rahner: Der „Vorgriff auf das Sein“ und die „transzendentale Erfahrung“

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

Warum dieser „Vorgriff“ religionsphilosophisch relevant ist

eine Erkenntnis, die nicht mehr irgendwie eingeschränkt oder vorläufig ist, eine Erkenntnis, die „auf das Sein“ bezogen sei, und schreibt unserem Erkenntnisvermögen eine unaufhörliche innere Dynamik hin zur möglichst vollkommenen, auf das Sein bezogenen Erkenntnis zu. Einen stillschweigenden „Vorgriff auf das Sein“ machen wir in jedem noch so banalen Erkenntnisakt und in jeder Behauptung, etwas sei so-und-so beschaffen. Wer etwa ernsthaft behauptet, ein Holzstab sei geknickt, der meint, es sei wirklich so und seine Behauptung könne gegen alle Anfragen verteidigt werden. Den Vorgriff machen wir auch dann, wenn sich die Behauptung im Einzelfall als falsch herausstellt, ja auch dann, wenn wir unsere Erkenntnis nur als vorläufige und perspektivengebundene einschätzen (etwa wenn wir sagen: „der Stab sieht nur geknickt aus, weil eines seiner Enden ins Wasser getaucht ist, in Wirklichkeit ist er vermutlich gerade“). Dieser stillschweigende Vorgriff zeigt sich insbesondere daran, dass wir auch immer hinterfragen können, wie berechtigt und vollständig unsere bisherige Erkenntnis schon ist; eine mögliche Grenze des Erkennens als Grenze erkennen zu können zeigt ja an, dass man zumindest (dem Anspruch nach) über diese Grenze schon hinaus ist. (Zur Vermeidung von Missverständnissen sei nochmals hinzugefügt, dass das „Sein“, auf das vorgegriffen wird, nicht ein obskurer Gegenstand eigener Art ist, sondern (vereinfacht gesagt) das, was und wie die Dinge eben letztlich sind, inklusive all ihrer vielfältigen Beziehungen untereinander.) Diese Erkenntnisdynamik, die Tendenz zur möglichst umfassenden und korrekten Erfassung der Wirklichkeit, ist nicht nur ein interessantes Faktum, sie ist nach Rahner sogar eine Voraussetzung (eine „Bedingung der Möglichkeit“) jeder Erkenntnis und sogar der einfachsten Begriffsbildungen. Die religionsphilosophische Relevanz dieses Vorgriffs gründet sich nun auf folgende weitere Überlegung: Letzte Erfüllung dieser Erkenntnisdynamik kann nicht irgendein innerweltlicher Gegenstand oder ein innerweltliches Ideal bieten, denn alle diese wären immer durch unser Erkenntnisstreben befragbar und übersteigbar. Das passende Korrelat zu unserer Erkenntnisdynamik kann nur das absolute Sein Gottes sein, das alle innerweltlichen Beschränktheiten übersteigt (zu den Eigenschaften Gottes siehe oben 2.6). Und in diesem Sinne wird nach Rahner in jedem Erkenntnisakt die Existenz Gottes implizit anerkannt, egal ob man darum nun ausdrücklich weiß, ob es einem am Rande mancher Akte vielleicht „mitbewusst“ ist, oder ob es gar nicht bewusst ist. Nochmals sei erwähnt, dass damit nicht behauptet sein soll, Gott sei dem erkennenden Menschen jeweils als Gegenstand präsent (das wäre schon rein empirisch gesehen falsch!). Vielmehr ist das Sein (und das absolute Sein Gottes) nur gleichsam der Horizont, innerhalb dessen sich unser Erkennen bewegt. (Die optische Metapher des Horizonts stammt von Edmund Husserl und ist in mehrfacher Hinsicht treffend: Auch ein Horizont ist kein Gegenstand im engeren Sinne, sondern eine Abgrenzung; er verschiebt sich mit fortschreitender Erkenntnis; und man muss, um innerhalb eines Horizonts etwas sehen und lokalisieren zu können, keineswegs an ihn denken.) Freilich ist damit noch nicht bewiesen, dass Gott auch tatsächlich existiert; es könnte ja sein, dass unsere Erkenntnisdynamik letztlich ins Leere geht; aus dem Vorhandensein eines Strebens folgt ja bekanntlich noch nicht, dass es das Ziel des Strebens auch wirklich geben muss. Rahner würde auf

3.8 Gesamterfahrung, „Transzendentale Erfahrung“ o. Ä.

diesen Einwand – ähnlich wie Maréchal vor ihm und andere Philosophen nach ihm ((99), S. 151–154, (165)) – wie folgt antworten: Es handelt sich bei unserer Erkenntnisdynamik um kein beliebiges, sondern ein natürliches, zum Wesen des Menschen gehörendes Streben. Und für ein natürliches Streben gilt der (bereits auf die Antike zurückgehende) Grundsatz, dass seine Erfüllung innerlich möglich sein muss. Ein natürliches Streben nämlich, dessen Erfüllung unmöglich wäre, d. h. das grundsätzlich (und nicht nur im Einzelfall) ins Leere geht, wäre ein Widerspruch in sich, und es wäre nicht einmal als Streben feststellbar. Das Ziel des natürlichen Strebens zu erreichen, ist also zumindest möglich. Nun ist es allerdings so, dass Gott als notwendiges Wesen nicht kontingenter Weise existieren kann (siehe oben 2.6), und damit kann man einen dem „Anselmprinzip“ (3.2) verwandten Gedankengang in Anschlag bringen: Gottes Existenz ist entweder notwendig oder unmöglich. Unmöglich ist sie aber nach dem Gesagten nicht. Daher ist Gottes Existenz notwendig, und Gott existiert daher. In seinen späteren Schriften ((178), besonders S. 26–104) hat Rahner diesen Gedanken des stillschweigenden Vorgriffs auf das Sein in Richtung einer „transzendentalen Erfahrung“ weiterentwickelt. Stärker als früher wird der Mensch als „das Wesen der Transzendenz auf das heilige, absolut wirkliche Geheimnis“ ((178), S. 32) gesehen, und stärker als bisher sieht Rahner in diesem Vorgriff eine Form der Gotteserfahrung, die in vielen Lebenssituationen aufbrechen kann. Allerdings bezeichnet Rahner diese Ausrichtung des Menschen auf Gott jetzt deutlich als ein „übernatürliches Existenzial“: Damit ist gemeint, dass sie einerseits eine jedem Menschen mit seiner Existenz mitgegebene Tendenz ist, dass sie aber andererseits ein übernatürliches Geschenk ist, d. h. das noch nicht zur natürlichen Ausstattung des Menschen gehört. Nur faktisch sei sie durch den Willensentschluss Gottes und seine Gnade allen Menschen zuteil geworden; es handelt sich dabei genau genommen schon um eine Form der Offenbarung Gottes. Ob es so etwas gibt, ist allerdings eine Frage des religiösen Glaubens. Damit wird das Argument aus der transzendentalen Erfahrung aber wohl schon zu einem theologischen und nicht mehr religionsphilosophischen Argument ((276), S. 103 ff.). Zwei wichtige Voraussetzungen des Arguments (wir konzentrieren uns im folgenden auf Rahners präzisere Version), an denen auch Einwände ansetzen, wurden bereits erwähnt: Es handle sich bei der Erkenntnisdynamik erstens um ein Naturstreben, und zweitens könne das Ziel eines Naturstrebens nicht in sich unmöglich sein. Beide Voraussetzungen stießen auch unter christlich geprägten Philosophen verschiedentlich auf Ablehnung. Ein erster Einwand lautet, dass eine Erkenntnisdynamik des (endlichen) Verstandes hin auf das unendliche göttliche Sein nichts Natürliches sein könne. Eine solche Annahme setze immer schon Gottes Existenz und seine gnadenhafte Zuwendung zu uns Menschen voraus. (Wie wir gesehen haben, kam Rahner diesem Einwand später entgegen, indem er vom übernatürlichen Existenzial sprach.) Ein anderer Einwand bezweifelt, ob das Prinzip, dass ein Naturstreben nicht auf unmögliches gehen könne, tatsächlich einsichtig sei: Ein Streben wird nämlich durch ein vorgestelltes/angestrebtes Ziel zum Streben, ob dieses Ziel auch in sich möglich sei, sei eine andere Frage. Dass ein Naturstreben nicht ins Leere gehen kann, sei ohne die Annahme eines guten und weisen Schöpfers, der das Streben auf mögliche Erfüllung hin ausrichtet,

Voraussetzungen und Einwände: Probleme um das „Naturstreben“ und sein Ziel

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

Das Vorgriffsargument als Kontingenzargument?

Ist der Vorgriff auf das Sein ein Vorgriff auf Gott? Gottes Einzigkeit

nicht garantiert. Damit setze das Argument aber ebenfalls bereits wieder stillschweigend die Existenz Gottes voraus. Insgesamt werde die Stichhaltigkeit des Arguments also von der anderer Argumente für die Existenz Gottes abhängig, was ihm den Wert als eigenständiges Argument natürlich nähme. Diese Einwände haben zu lebhaften Diskussionen geführt; ein wesentlicher Gegeneinwand ist die Klarstellung, dass das Argument ja nicht vom Naturstreben auf dessen Ursache, sondern auf dessen Ziel schließt; diese Unterscheidung ist ähnlich gelagert wie oben (3.5) jene zwischen dem inferential und dem evidential argument aus religiöser Erfahrung. Zur Trennung der Argumentationslinien und zur Vermeidung von Missverständnissen ist übrigens darauf hinzuweisen, dass Rahner im selben Text ((179), Kap. 3.8) auch noch eine weitere, etwas andere Argumentation aus der Erkenntnisdynamik entwickelt: Weil sich der Mensch einerseits in seiner Zufälligkeit (Kontingenz) erfährt, andererseits in seiner Ausrichtung auf das Unendliche, müsse es einen Willen geben, der ihn als solches gewollt hat. Es handelt sich hierbei um eine Variante eines Kontingenzarguments, die auch in späteren Schriften Rahners zuweilen wieder vorkommt. Auch sonst dürften Kontingenzüberlegungen deutlicher hinter Rahners Vorgriffs-Argumenten stehen, als auf den ersten Blick erkennbar ist. Ein weiteres Problem betrifft nämlich den Übergang vom „Vorgriff auf das Sein“ auf dessen religionsphilosophische Ausdeutung: Ist der Vorgriff auf das Sein auch schon ein Vorgriff auf Gott? Dieser begriffliche Unterschied scheint nicht ohne weitere Voraussetzungen überbrückbar. Vermutlich wird also auch im Übergang vom Sein zu Gott (als Grund des Seins) eine Art stillschweigendes Kontingenzargument angewandt. Aber auch sofern sich das Argument als eigenständig und nicht von theologischen Prämissen abhängig rekonstruieren lässt, verbleibt ein weiterer Einwand, der uns in ähnlicher Form bereits mehrfach begegnet ist: dass die Erkenntnisdynamik als Naturstreben des Menschen auf ein einziges Ziel ausgerichtet ist, mag zwar auf den ersten Blick plausibel erscheinen, ist aber eine weitere wichtige Voraussetzung, die der Rechtfertigung bedarf. Jedenfalls würde die weitere Aufhellung der Struktur solcher Argumente ein vielversprechendes religionsphilosophisches Forschungsfeld darstellen ((99), (271)).

3.9 Argumente aus der moralischen Erfahrung: Religiöse Überzeugungen als praktische Postulate Verschiedene Begründungsformen aufgrund von „moralischer Erfahrung“

Dass es nicht in allen Fällen egal ist, was man tut, dass bestimmte Handlungsmöglichkeiten verboten oder geboten, innerlich wertvoll oder verwerflich sind, dass wir zu manchen Handlungen verpflichtet sind, all das würden die meisten Menschen zugeben. Und wenn man sie fragte, warum dies so ist, würden sie es ähnlich einem Erfahrungsurteil begründen: In bestimmten Situationen dränge sich dies einfach auf, man erfahre es, wenngleich es sich natürlich nicht um eine auf sinnliche Wahrnehmung etc. aufgebaute Erfahrung handelt. Die wesentliche Ähnlichkeit zur Sinneserfahrung besteht aber darin, dass man sich nicht entscheiden kann, was man z. B. als verpflichtend erfährt (ähnlich wie man sich, ist man erst einmal in der betreffenden Situation, nicht entscheiden kann, ob man eine Geruchs- oder Geräuscherfah-

3.9 Religiöse Überzeugungen als praktische Postulate

rung macht oder nicht). Freilich kann man seine moralische „Erfahrungsfähigkeit“ mehr oder minder kultivieren und ebenso auch verwildern lassen, und man kann auch nachträglich Überlegungen darüber anstellen, was man nun genau erfahren habe – genau dasselbe gilt jedoch auch für gewöhnliche Erfahrungen. Vielfach wird daher von einer „moralischen Erfahrung“ gesprochen, und viele Menschen sehen darin eine wesentliche, vielleicht sogar die zentrale Begründung religiöser Überzeugungen. Die erste Prämisse dieser Begründung dürfte sich anhand des berühmten Ausspruchs von Iwan Karamasow in Dostojewskijs Roman Die Brüder Karamasow zusammenfassen lassen: „Wenn es Gott nicht gibt, dann ist alles erlaubt.“ Nun ist aber, wie die moralische Erfahrung nahe legt, eben nicht alles erlaubt, und das ist die zweite Prämisse. Daraus folgt (nach der Schlussfigur des Modus tollens), dass es Gott gibt, und damit erscheinen religiöse Überzeugungen gerechtfertigt. Trotz ihrer weiten Verbreitung wäre eine solche Begründung religionsphilosophisch unzureichend. Das Hauptproblem liegt bei der ersten Prämisse. Wie kann der Zusammenhang zwischen der Existenz Gottes und der Existenz moralischer Verpflichtung begründet werden, ohne Gottes Existenz dabei schon wieder stillschweigend vorauszusetzen? Bei näherer Betrachtung dieses Problems zeigt sich, dass sich hinter unserem einfachen Argument eigentlich verschiedene Begründungsformen verbergen. Es könnte gemeint sein, dass die Stimme des Gewissens ein erklärungsbedürftiges Phänomen sei und die Existenz Gottes seine beste Erklärung wäre – dann hätten wir es mit einer Art inferential argument aus der als religiös gedeuteten Erfahrung des Gewissens zu tun, ähnlich der in 3.5 besprochenen Form. Es könnte zweitens gemeint sein, dass die moralische Erfahrung zum Ausgangspunkt eines evidential argument aus gewöhnlicher religiöser Erfahrung genommen wird, wie wir dies in 3.7 gesehen haben. Drittens könnte man das Streben nach moralischer Vervollkommnung als eine Facette der umfassender verstandenen Dynamik unseres Geistes und seiner Ausrichtung auf Gott verstehen. Damit hätte das Argument eine strukturelle Ähnlichkeit zu den im vorigen Kapitel besprochenen Argumenten von Maréchal und Rahner. Eine vierte (und wohl die bekannteste) Argumentform aus der moralischen Erfahrung ist jedoch Immanuel Kants These, die Existenz Gottes sei als ein Postulat der praktischen Vernunft anzunehmen. Solche Postulate gehen zwar ebenfalls als Konklusionen aus einem Argument hervor. Dessen Konklusion lautet allerdings nicht „also existiert Gott“ (auch nicht „also existiert Gott höchstwahrscheinlich“ oder dergleichen), sondern „also sollte man als umfassend vernünftiger Mensch so denken und so handeln, als ob es Gott gäbe“. Der Unterschied zwischen beiden Konklusionsformen mag auf den ersten Blick schwer zu erkennen sein. Kant hatte an anderer Stelle jedoch zu zeigen versucht, dass es keine philosophischen Beweise für den Satz „Gott existiert“ geben könne (siehe oben 3.2, 3.3 und 3.4). Kant war aber auch der Meinung, dass es für die Nichtexistenz Gottes genauso wenig stichhaltige Argumente geben könne. Da Gottes (Nicht-)Existenz also kein Gegenstand des Wissens sei, sondern eine theoretisch offene Frage bleiben müsse, können philosophische Überlegung höchstens zur Empfehlung führen, die Existenz Gottes aus praktischen Gründen anzunehmen. In diesem Sinne ist Kants berühmtes Zitat aus der Vorrede zur Kritik der reinen Vernunft ((68),

Kant: Praktische Postulate, nicht theoretische Beweise

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

Postulate, um die Sittlichkeit verständlich zu machen: Gott, Freiheit und Unsterblichkeit

B XXX) zu verstehen, er hätte „das Wissen aufheben [müssen], um zum Glauben Platz zu bekommen“. Der Ausgang von Kants Postulatenlehre ist die bereits erwähnte moralische Erfahrung: Kant sieht es als unstreitiges Grundfaktum in unserem Leben an, dass die Forderungen der Sittlichkeit und der Pflicht bestehen (dies als „moralische Erfahrung“ zu bezeichnen, hätte Kant aber wohl abgelehnt). Außerdem sieht es Kant als einen selbstverständlichen begrifflichen Zusammenhang an, dass es das sittliche richtige Handeln ist, das uns würdig für ein glückliches Leben macht. Jemand, der sittlich richtig handelt, könne auf Dauer nicht unglücklich bleiben. Allerdings gibt es da erstens die irritierende Erfahrung, dass anständige Menschen häufig wenig Glück im Leben erfahren, und dass es aus der Sicht des eigenen Interesses manchmal klüger wäre, kein anständiger Mensch zu sein. Zweitens wissen wir, dass de facto niemand je sittlich vollkommen sein wird und das Leben immer zeitlich beschränkt ist. Jeder bleibt in seinem Streben zur sittlichen Vollkommenheit also irgendwo zurück, der eine stärker, der andere schwächer. Es könnte aus dieser Sicht egal sein, ob man etwas mehr oder etwas weniger unvollkommen zurückbleibt. Und drittens steht der Einwand im Raum, dass aus einer naturwissenschaftlichen Weltsicht unser Verhalten ohnehin kausal determiniert sei (nämlich durch die vorhergehenden Zustände unseres Körpers und durch die Naturgesetze). Sittliche Appelle an eine naturgesetzlich gebunden arbeitende Maschine müssten aber eigentlich gegenstandslos sein. Kant fragt nun, wie es verständlich gemacht werden kann, dass wir trotz dieser drei Fakten wissen und verstehen, dass bestimmte Handlungen richtig bzw. falsch sind, dass sittliche Pflichten ausnahmslos gelten, und dass wir uns frei zwischen richtig und falsch entscheiden können. Wir wissen und verstehen all das so genau, dass die meisten Menschen sich in der Regel auch daran halten und ihr sittliches Streben nicht vorzeitig aufgeben. Kant meint, dies sei nur verständlich, wenn man erstens postuliert (d. h.: annimmt, es sei so), dass wir über Handlungsfreiheit verfügen und durch unsere Handlungen echte Veränderungen in der Welt bewirken können. Nur so ist verständlich, dass wir den Anruf der sittlichen Pflicht überhaupt verstehen können. Zweitens muss man postulieren, dass Glückswürdigkeit (die man durch sittliches Handeln erlangt) und Glück letztlich doch zusammenfallen, auch wenn es in der Welt oft nicht danach aussehen mag. Der Garant für dieses Zusammenfallen aber ist Gott. Nur so ist verständlich, dass wir den Anruf der Pflicht unabhängig davon verstehen, ob ihre Erfüllung uns Vorteile oder Nachteile bringt. Drittens muss man postulieren, dass wir als Handlungssubjekte über den irdischen Tod hinaus fortdauern. Nur wer so lebt, als würde er ewig leben und hätte damit die Chance zur sittlichen Vervollkommnung, der hat keinen Grund, an irgendeinem Punkt vorzeitig aufzugeben, weil ohnehin all unsere moralische Bemühung immer Stückwerk bleiben wird. Zusammenfassend müssen wir also die Existenz von Handlungsfreiheit, die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele also als „Postulate der praktischen Vernunft“ annehmen, wenn die Fakten der Sittlichkeit und Pflicht überhaupt verständlich sein sollen. Anders formuliert: Wir handeln so (und wir sollen auch durchaus so handeln!), als ob es Freiheit, Gott und unsterbliche Seelen gäbe ((67), A 219–241).

3.9 Religiöse Überzeugungen als praktische Postulate

Greifen wir im folgenden das religionsphilosophisch zentrale Postulat heraus, dasjenige der Existenz Gottes als Garanten eines letztlichen Zusammenfallens von Glückswürdigkeit und Glück. An ihm ist die Grundstruktur postulatorischen Denkens gut zu veranschaulichen. Kant geht von folgender Prämisse aus, die er als selbstverständlichen begrifflichen Zusammenhang betrachtet: 1. Glückswürdigkeit und Glückseligkeit fallen letztlich zusammen. (Kant nennt dieses Zusammenfallen „das höchste Gut“.) Eine zweite Prämisse rechtfertigt sich aus moralischer Erfahrung: 2. Es ist unsere Pflicht, dieses höchste Gut zu verwirklichen, das Streben danach ist die letztlich entscheidende Aufgabe des Menschen. Daneben bringt Kant eine weitere empirische Prämisse (3) und deren Erklärung (4) in Anschlag: 3. In unserer Erfahrungswelt ist das höchste Gut nicht verwirklicht: Glückswürdigkeit und Glückseligkeit fallen nicht zusammen. 4. Dass Glückswürdigkeit und Glückseligkeit in der Erfahrungswelt nicht zusammenfallen, liegt an bestimmten Umständen U. (U besteht in unserem Falle darin, dass es in unserer Erfahrungswelt keinen Garanten für dieses Zusammenfallen gibt. Beim Postulat der Unsterblichkeit der Seele bestünde U in der zeitlichen Begrenzung unseres Lebens, etc.). Die Prämissen 1 und 3 stehen in einem teilweisen Widerspruch. Da allerdings an Prämisse 3 kaum sinnvoll gezweifelt werden kann, müsste Prämisse 1 aufgegeben werden, und damit wäre wohl auch die Vertretbarkeit von Prämisse 2 in Zweifel zu ziehen. Prämisse 2 ist für Kant jedoch unaufgebbar. Der entscheidende und für postulatorisches Denken typische Schritt ist nun, dass zur Aufrechterhaltung der Prämissen 1 und 2 die Umstände U relativiert werden müssen: 5. Die Umstände U sind nur vorläufig: Es gibt einen Garanten dafür, dass Glückswürdigkeit und Glückseligkeit letztlich zusammenfallen, allerdings gehört er nicht unserer Erfahrungswelt an. Mit den in den vorigen Abschnitten besprochenen Argumenten hat dieser Gedankengang einige Gemeinsamkeiten. Erstens jene, dass es sich um ein Argument handelt; Postulate haben also eine argumentative (und nicht z. B. intuitive) Begründung. Zweitens wird das Postulat Gottes mit gewissen Verhältnissen in unserer Erfahrungswelt in Verbindung gebracht. Eine dritte Gemeinsamkeit etwa mit Thomas’ oder Leibniz’ Argumenten besteht hinsichtlich des Gewissheitsgrades der Konklusion: Postulate sind keine abgeschwächten Wahrscheinlichkeitsannahmen. Der Modus, mit dem man Schritt 5 behauptet, ist allerdings ein anderer: Man muss die Existenz Gottes annehmen in dem gleichzeitigen Wissen, dass sie nicht beweisbar ist. Dieser Zustand ist erkenntnistheoretisch eigentümlich. Einen Satz p anzunehmen in dem gleichzeitigen Wissen, dass p grundsätzlich nicht beweisbar ist, unterscheidet sich nämlich deutlich von normalen Annahmen, Vermutungen oder Hypothesen (dort ist es nämlich offen, ob es nicht vielleicht irgendwann einen Beweis geben wird). Manche Kant-Interpreten relativieren die-

Die Grundstruktur postulatorischen Denkens

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

Einwände gegen solche Argumente

sen Unterschied jedoch und sprechen auch bei Kant von einem „(moralischen) Gottesbeweis“. Ein markanter Unterschied etwa zu den Argumenten des Thomas oder Leibniz’ ist auch, dass die in Prämisse 1 vorausgesetzten begrifflichen Zusammenhänge nicht weiter begründet werden (anders als z. B. das Kausalprinzip bei Thomas). Und hier kann ein Einwand ansetzen: Dass nämlich Glückswürdigkeit und Glückseligkeit letztlich zusammenfallen, ist eine Idealvorstellung, die vielen Leuten plausibel erscheinen mag, anderen aber nicht. Jedenfalls wäre diese Voraussetzung begründungsbedürftig. Auch Prämisse 2 enthält bei näherer Betrachtung eine begründungsbedürftige Voraussetzung: Gegenstand der unstreitigen moralischen Erfahrung ist ja nur, dass es irgendwelche Pflichten gibt. Dass Pflichten aber eigentlich Pflichten zur Beförderung des höchsten Guts sind, ist bereits eine darüber hinaus gehende Voraussetzung, die man nicht teilen muss. Aus heutiger Perspektive würden z. B. manche Menschen einwenden, das Gefühl des Verpflichtetseins könnte sich einfach in der Evolution entwickelt und als vorteilhaft erwiesen haben, ohne aber auf irgendein höchstes Gut zu verweisen. Ein weiterer Unterschied zu den klassischen Argumenten betrifft die Eigenschaften Gottes: Es ist nicht so, dass im Verlauf des Argumentationsgangs Eigenschaften Gottes rekonstruierend geklärt werden (siehe dazu auch Abschnitt 5.5), vielmehr werden bestimmte Annahmen über das Wesen Gottes (hier: „Gott ist der Garant für das höchste Gut“) für die Zwecke des Arguments bereits vorausgesetzt.

3.10 Argumente aus menschlichen Bedürfnissen und Idealen Religiöse Überzeugungen und Praktiken als Ausdruck von Idealvorstellungen

Ein Aspekt der im vorigen Kapitel genannten Position Kants ist der Gedanke, dass Religion die „Erkenntnis aller unserer Pflichten als göttliche Gebote“ ist ((66), S. 229 f.). Man kann diesen Gedanken über Pflichten hinaus auch auf tiefe menschliche Bedürfnisse und Idealvorstellungen übertragen, die sich, wie die Erfahrung der Pflicht, ebenfalls sehr gleichförmig bei den allermeisten Menschen finden: Geliebt zu werden und Freude zu erfahren, in angstfreien, sicheren Verhältnissen zu leben, gerecht behandelt zu werden und auch selbst gerecht zu handeln, das Wohl anderer Menschen zu fördern und dasselbe auch von anderen erwarten zu können, ehrlich und ohne strategische Vorbehalte mit anderen Menschen kommunizieren zu können, nach dem biologischen Tod nicht als Person ausgelöscht zu sein, sachgerecht mit den Dingen der Umwelt umzugehen und die eigenen Lebensgrundlagen nicht zu gefährden, und anderes mehr. Auch solche Ideale könnte man als „göttlich“ betrachten. Die Botschaft vieler Religionen ist eng mit solchen Bedürfnissen und Idealvorstellungen verbunden, sei es, dass die moralischen Gebote dieser Religionen solche Verhaltensweisen gebieten, sei es, dass als (jenseitige oder bereits auch diesseitige) Folge eines religiösen Lebens das Eintreten eines solchen angestrebten Zustandes in Aussicht gestellt wird, oder sei es, dass manche Lehraussagen der Religion diese Ideale als Teil ihrer Gottesbeschreibung enthalten (z. B.: „Gott ist die Liebe“ (Neues Testament, Erster Johannesbrief 4,16); „Ich bin der Weg und die Wahrheit und

3.10 Argumente aus menschlichen Bedürfnissen und Idealen

das Leben“ (Johannesevangelium 14,6); „Er ist der Allverzeihende, der Liebreiche“ (Koran, Sure 85, 14) etc.). Auf dieser Basis dürfte vielen Menschen etwa folgendes Argument für die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen nahe liegen: 1. Den genannten Idealen nachzustreben ist vernünftig. 2. Meine Religion R stimmt in ihren Aussagen mit diesen Idealen überein oder fördert Verhaltensweisen, die mit solchen Idealen in Einklang stehen oder stellt die Erfüllung dieser Ideale in Aussicht. 3. Also ist es vernünftig, die Überzeugungen von R zu teilen. R muss dabei nicht unbedingt eine bestimmte vorgegebene Religion oder Konfession sein, sondern kann auch eine individuell zusammengestellte „Auswahlreligion“ (siehe oben 2.1) sein. Dieses Argument weist zum einen gewisse Ähnlichkeiten mit den postulatorischen Argumenten aus 3.9 auf (weil es um die Verwirklichung einer Idealvorstellung geht), mehr aber noch mit dem von Aristoteles sogenannten „praktischen Syllogismus“: Wenn ich den Sachverhalt p verwirklichen möchte und glaube, dass Handlungsweise q diesen Sachverhalt herbeiführen wird, dann werde ich q setzen. Es gibt eine Reihe von Argumenten, die diese praktische Nützlichkeit der Religion noch deutlicher herausstellen, und zwar in psychologischen wie in soziologisch-politischen Varianten. Tatsächlich gibt es (in vorwissenschaftlich-alltäglicher wie in wissenschaftlich untersuchter Form) empirische Hinweise darauf, dass religiöse Überzeugungen und Praktiken zur Lebensbewältigung dienlich sind. Viele Menschen berichten z. B. glaubwürdig, dass sie ohne ihren religiösen Glauben verschiedene Notsituationen kaum überstanden hätten. Allgemein bekannt ist weiters die verstärkte Nachfrage nach religiösem Beistand angesichts von Krankheit und Tod, zunehmend werden aber auch religiöse oder religionsähnliche Rituale in der psychologischen Betreuung von Menschen in Krisenzeiten eingesetzt. Empirisch-psychologische Untersuchungen deuten darauf hin, dass religiöse Menschen im Durchschnitt psychisch stabiler, zufriedener und weniger von Ängsten geplagt sind als nicht-religiöse, dass ihre Familien stabiler sind etc. ((80), Kap. 10 und 11; (148)). Neben solchen psychologisch begründeten Argumenten für die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen gibt es auch ein soziologisch begründetes: Bestimmte religiöse Überzeugungen scheinen erwünschte Einstellungen wie Hilfsbereitschaft, Solidarität, Gewaltverzicht, Kompromissbereitschaft, Einsatzbereitschaft für Gerechtigkeit, Respekt vor Andersdenkenden etc. in der Gesellschaft zu fördern. Also sind solche Überzeugungen vernünftig, die Förderung und Erhaltung religiöser Gemeinschaften und ihrer Wertesysteme ist im Interesse der Gesellschaft, etc. Bemerkenswert an diesen Argumenten ist, dass sie auch von Menschen vertreten werden, die selbst nicht religiös sind, aber doch die Nützlichkeit der Religion anerkennen; ein prominentes Beispiel aus der deutschsprachigen Philosophie ist Jürgen Habermas ((140), (141)). Mit all diesen Argumenten sind allerdings drei grundsätzliche Probleme verbunden. Erstens ist zu fragen, ob solche Nützlichkeitsargumente auch wirklich dazu dienen können, ganz bestimmte religiöse Überzeugungen zu rechtfertigen. Religionen sind, wie wir gesehen haben, mit bestimmten

Die Nützlichkeit der Religion: Religiöse Überzeugungen und Praktiken als Hilfe zur Lebensbewältigung

Einwände gegen solche Argumente

107

108

3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

Überzeugungen gekoppelt, die mit Wahrheitsansprüchen verknüpft werden. Es hat nun aber den Anschein, als ob verschiedene, miteinander unverträgliche religiöse Überzeugungssysteme ähnliche oder gleiche Nutzeneffekte bringen, was die Lebensbewältigung angeht. Der Nutzen würde dann verschiedenste, aber miteinander unverträgliche Überzeugungssysteme scheinbar rechtfertigen. Religiöse Überzeugungen, die man über ihre psychologische oder soziologische Nützlichkeit zu rechtfertigen versucht, geraten leicht in den Verdacht, bloße Tröstungsillusionen zu sein. Zweitens könnte man fragen, ob Nutzen und praktische Bewährung wirklich dazu taugen, religiöse Überzeugungen zu rechtfertigen und nicht nur religiöse Verhaltensweisen. Erstens ist es ja schon generell keine triviale Frage, was es eigentlich heißt, eine Überzeugung „bewähre sich praktisch“. Bei manchen wissenschaftlichen Überzeugungen mag man die Bewährung im Eintreffen ihrer empirischen Konsequenzen sehen. Religiöse Überzeugungen haben aber typischerweise keine klaren empirischen Konsequenzen. Zweitens ist es schwierig zu sagen, inwiefern sich eine bestimmte Überzeugung innerhalb eines ganzen Überzeugungssystems bewähre. Das gilt auch für religiöse Überzeugungen, die in ein Überzeugungssystem eingebettet sind – meist sogar eines, das sich mit den Systemen nichtreligiöser Menschen weithin deckt. Drittens machen Nutzen- und Bewährungsargumente die Rechtfertigbarkeit religiöser Überzeugungen zu einer empirischen Frage, deren Faktenbasis allerdings schwer zu beurteilen ist. Ob Religion nämlich insgesamt mehr nützt als schadet, ist umstritten. Während religiöse Menschen die nützlichen, kulturförderlichen und beglückenden Seiten der Religion oft stark gewichten, betonen Religionskritiker wie Bertrand Russell (249) die Schattenseiten der Religionen in der Geschichte. Beides ist kaum abzustreiten, schwer ist allerdings die Gewichtung. Es ist also schwierig, dem Gebot der möglichst vollständigen Faktengrundlage hier genüge zu tun, zumal viele der Fakten (wie etwa persönliche Beglückungserfahrungen) gar nicht öffentlich zugänglich sind. Auf ein ähnliches Problem waren wir oben (2.1) bei der funktionalistischen Religionsdefinition durch ihre gesellschaftsstabilisierende Wirkung gestoßen. Und wir werden später in 4.5 sehen, dass auch Schädlichkeitsargumente von einem ähnlichen Problem belastet sind.

3.11 Argumente aus praktischer Klugheit: „Pascals Wette“ Keine „Wette“, sondern ein Setzen auf die religiöse Lebensoption

Ein klassisches Argument, das in den letzten Jahrzehnten wieder verstärkte philosophische Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, ist das sogenannte Wettargument von Blaise Pascal. Der Text findet sich in Fragment 233 der nach Pascals Tod publizierten Sammlung Gedanken (Pensées), (76)) und trägt den Titel „Unendlich-Nichts“. Die Bezeichnung „Wette“ (ähnlich im Englischen: „Pascal’s Wager“) ist dabei allerdings nicht ganz glücklich gewählt: Es geht eigentlich nicht um eine Wette, dass Gott existiert, sondern um das Setzen auf die religiöse Lebensoption aus praktischer Klugheit, auch wenn es keine schlagenden theoretischen Beweise für Gottes Existenz und die Wahrheit der christlichen Botschaft gibt. Pascals Text ist in Form eines (inneren?) Dialoges mit

3.11 Argumente aus praktischer Klugheit: „Pascals Wette“

einem skeptischen Dialogpartner verfasst und ist als eine Abfolge von vier Argumenten rekonstruierbar ((154), (144)). Drei davon stellen allem Anschein nach auf eine jenseitige Belohnung nach dem Tode ab, das vierte auf eine diesseitige hier in diesem Leben. Sie machen allesamt von Überlegungen Gebrauch, die man heute der sogenannten Entscheidungstheorie zuordnet, zu deren Vätern Pascal zählt (für eine Einführung siehe (275)). Entscheidungssituationen sind dadurch gekennzeichnet, dass man vor mehreren Handlungsoptionen steht, allerdings kein vollständiges Wissen darüber hat, welche Umweltumstände herrschen. Je nach Umweltumständen können verschiedene Handlungen ja verschiedene Ergebnisse nach sich ziehen: Wer seinen Regenschirm zuhause lässt, der erspart sich im Schönwetterfall das lästige Tragen, im Schlechtwetterfall wird er aber nass. Wer gar nichts über die voraussichtlichen Umweltumstände weiß, der trifft eine sogenannte Entscheidung unter Unwissen, wer zumindest Wahrscheinlichkeitsschätzungen hat (in unserem Fall etwa, weil er die Wettervorhersage kennt), der trifft eine Entscheidung unter Risiko. In Pascals Wettargument ist der relevante, aber unbekannte Umweltumstand, ob Gott existiert (G) oder nicht (– G). Es gibt nach Pascal keinerlei stichhaltige Argumente dafür oder dagegen, weder aus philosophischen Überlegungen heraus, noch aus historischen Zeugnissen noch aus sonstigen Gründen. Die beiden Handlungsoptionen sind entweder ein religiöses Leben zu führen (H1) oder kein religiöses Leben zu führen (H2). Die jeweiligen Ergebnisse der beiden Handlungsoptionen wären laut Pascals erstem Argument die folgenden: Menschen, die die religiöse Option wählen, gewinnen, falls Gott existiert, „alles“ (Pascal meint damit wohl die ewige Freude im Himmelreich), falls Gott nicht existiert, gewinnen oder verlieren sie nichts. Menschen, die nicht die religiöse Option wählen, gewinnen oder verlieren nichts, falls Gott nicht existiert. Was deren Ergebnis ist, falls Gott doch existiert, lässt der Text offen, jedenfalls gewinnen sie nicht „alles“. Trägt man diese Ergebnisse in eine Tabelle ein, erhält man eine sogenannte Ergebnismatrix. Fügt man auch noch Bewertungen dieser Ergebnisse (in Zahlen, gemessen nach irgendwelchen gedachten Nutzeneinheiten, hier in Fettdruck) bei, ergibt sich eine Bewertungsmatrix:

Die klassische „jenseitige“ Version, in drei Varianten

l

G: Gott existiert

– G: Gott existiert nicht

H1: ein religiöses Leben

„Alles“ + unendlich

kein Gewinn/Verlust 0

H2: kein religiöses Leben

? unklar; +x ? – x ? 0? – unendlich?

kein Gewinn/Verlust 0

l

Pascal bewertet das Ergebnis von H1 im Falle von G mit + unendlich. Auch wer keinerlei Wissen über die Wahrscheinlichkeiten von G bzw. – G hat (wer also eine Entscheidung unter Unwissen trifft), für den wäre H1 auf jeden Fall die klügere Option. Er steigt damit niemals schlechter aus als mit H2, im Fall von G sogar wesentlich besser. Man nennt eine solche Handlung schwach dominant gegenüber H2: Eine Handlung ist schwach dominant gegenüber einer anderen, wenn sie bei allen Umweltumständen ein zumindest l

Das erste Argument: Entscheidung unter Unwissen, schwache Dominanz der religiösen Option

109

110

3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

Das zweite Argument: Entscheidung unter Risiko, Wahrscheinlichkeit von G = 0.5

gleich gutes Ergebnis bringt, in zumindest einem aber ein besseres. Die religiöse Option empfiehlt sich aber in jedem Fall. Pascals Dialogpartner erinnert in der Folge jedoch daran, dass das religiöse Leben für ihn auch einen Aufwand oder Verzicht bedeute, der unnütz sei, falls sich herausstelle, dass Gott nicht existiert. Pascal führt darauf hin Wahrscheinlichkeiten in die Überlegungen ein und schlägt ein Argument für den Fall vor, dass man die Wahrscheinlichkeit der Existenz oder Nichtexistenz Gottes als gleich einschätzen kann. In unserer heutigen Schreibweise (wo Wahrscheinlichkeiten Zahlen zwischen 0 und 1 sind) hieße das, dass G und – G jeweils Wahrscheinlichkeit 0.5 haben. Für den Verlust durch das religiöse Leben setzen wir eine beliebige, aber endlich große Zahl (hier: –100) ein: l

G: Gott existiert Wahrsch(G) = 0.5

– G: Gott existiert nicht Wahrsch(– G) = 0.5

H1: ein religiöses Leben

„Alles“ minus des Aufwandes (+ unendlich) –100 = + unendlich

Vergeblicher Aufwand – 100

H2: kein religiöses Leben

? unklar; +x ? – x ? 0? – unendlich?

kein Gewinn/Verlust 0

l

l

Diese Voraussetzungen schaffen ein Entscheidungsszenario unter Risiko. Eine in vielen solchen Fällen plausible Entscheidungsregel ist die sogenannte Regel von Bayes (benannt nach Thomas Bayes, 1702–1761): Wähle die Handlung mit dem höchsten Erwartungsnutzen! Den Erwartungsnutzen einer Handlung berechnet man, indem man für alle Umweltumstände das Produkt ihrer Wahrscheinlichkeit und des Nutzens ihres Ergebnisses bildet und diese Produkte addiert. In unserem Fall wäre dies für H1: 0.5 6 (+ unendlich –100) + 0.5 6 (–100) = + unendlich für H2 (bestenfalls): 0.5 6 (+x) + 0.5 6 0 = 0.5 x

Das dritte Argument: Entscheidung unter Risiko, Wahrscheinlichkeit von G beliebig klein

Auch im besten Fall, wenn man dem Ergebnis von H2 bei G noch einen gewissen Nutzen unterstellen würde (manche Interpreten vermuten, Pascal habe dafür eher Höllenqualen oder die Trauer über den Verlust des Himmels erwartet, also einen Zustand mit unendlich negativem „Nutzen“), wäre H1 nach der Regel von Bayes vorzuziehen. Für viele heutige Leser von Pascal, angesichts eines Berges von religionskritischer Literatur aus mehreren Jahrhunderten, wäre eine Wahrscheinlichkeit von 0.5 für G allerdings immer noch viel zu hoch gegriffen; das zweite Argument würde also als von vornherein parteilich zurechtkonstruiert erscheinen. Pascal hat diesen Einwand vorweggenommen. In seinem Text ist ein drittes Argument erkennbar, das mit einer beliebig kleinen – allerdings nicht unendlich kleinen! – Wahrscheinlichkeit der Existenz Gottes auskommt. (Wenn in heutiger religionsphilosophischer Literatur von „Pascals Wette“ die Rede ist, dann ist häufig nur diese dritte Argumentversion gemeint. Sie ist, da mit den schwächsten Prämissen arbeitend, tatsächlich die interessanteste.) In der folgenden Bewertungsmatrix steht für diese beliebig kleine Wahrscheinlichkeit von G die Zahl n, damit ist die Wahrscheinlich-

3.11 Argumente aus praktischer Klugheit: „Pascals Wette“

keit von – G gleich 1–n, da sich die Wahrscheinlichkeiten kontradiktorischer Sätze auf 1 ergänzen müssen. l

G: Gott existiert Wahrsch(G) = n

– G: Gott existiert nicht Wahrsch(– G) = (1–n)

H1: ein religiöses Leben

„Alles“ minus des Aufwandes (+ unendlich) –100 = + unendlich

Vergeblicher Aufwand –100

H2: kein religiöses Leben

? unklar; +x ? – x ? 0? – unendlich?

kein Gewinn/Verlust 0

l

l

Die jeweiligen Erwartungsnutzen sind für H1: n 6 (+ unendlich –100) + (1–n) 6 (–100) = + unendlich für H2 (bestenfalls): n 6 (+x) + (1–n) 6 0 = nx

Auch unter diesen schwachen Voraussetzungen wäre H1 also vorzuziehen. Der Grund dafür ist, dass der unendliche Nutzen des Ergebnisses von H1 bei G alle anderen Zahlenunterschiede irrelevant macht. Auch bei einer minimalen Wahrscheinlichkeit, dass Gott existiert, wäre das religiöse Leben also wegen der Aussicht auf diesen unendlichen Gewinn vorzuziehen. Pascal scheint auch mit einer „diesseitigen“ Variante des Arguments gerechnet zu haben, wenn er dem Skeptiker entgegenhält: „Nun, was könnte Ihnen Schlimmes geschehen, wenn Sie diesen Entschluss (ein religiöses Leben zu führen, W.L.) fassen? Sie werden treu, rechtschaffen, demütig, dankbar, wohltätig, Freund, aufrichtig, wahrheitsliebend sein. Allerdings die verderblichen Vergnügungen, Ruhm, Genüsse werden Sie nicht haben, aber werden Sie nicht anderes dafür haben? Ich sage Ihnen, Sie werden dabei in diesem Leben gewinnen […].“ Es sieht also so aus, dass das Setzen auf die religiöse Option auch schon in diesem Leben einen Gewinn bringt, der jedenfalls erzielt werden kann, auch wenn Gott nicht existieren sollte. Unter diesen Voraussetzungen ergäbe sich ein Argument aus starker Dominanz der religiösen Option, das man sogar wieder ohne jede Wahrscheinlichkeiten rekonstruieren könnte, d. h. auch aus einer Entscheidungssituation unter Nichtwissen. Eine Handlung ist stark dominant gegenüber einer anderen, wenn sie bei allen Umweltumständen ein besseres Ergebnis bringt. Die Ergebnis- und Bewertungsmatrix für eine solche Entscheidung sähe so aus (der diesseitige Gewinn ist wieder mit einem beliebigen Nutzen +100 veranschlagt): G: Gott existiert

– G: Gott existiert nicht

H1: ein religiöses Leben

„Alles“ plus diesseitiger Gewinn + unendlich +100

diesseitiger Gewinn +100

H2: kein religiöses Leben

? +x ? – x ? 0? – unendlich?

kein Gewinn/Verlust 0

Eine „diesseitige“ Variante: starke Dominanz der religiösen Option

l

Aus der verästelten Diskussion der letzten Jahrzehnte über Pascals Wettargument ((154), (144), (142), (195)) seien hier nur fünf Gruppen von Einwänden skizziert und kritisch erörtert. Wir konzentrieren uns dabei auf die dritte

Fünf Gruppen von Einwänden gegen Pascals Wette

111

112

3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

Version des Arguments; die vierte, die auf den diesseitigen der Religion Nutzen abstellt, wäre analog zu den Argumenten in 3.10 zu diskutieren. (1) Normalerweise lassen wir unsere Überzeugungen durch keine anderen Faktoren beeinflussen als durch entsprechende Erkenntnisgründe, Erfahrungsbelege etc. Pascals Wettargument scheint dagegen in Richtung einer bewussten Überzeugungsänderung aufgrund reiner praktischer Klugheit hinzuzielen. Das scheint erkenntnistheoretisch bedenklich: Kann man sich entscheiden, etwas zu glauben? Ist es vernünftig, ohne hinreichende Erfahrungsbelege oder gar gegen Erfahrungsbelege eine Überzeugung zu haben? Beide Fragen dürften zu verneinen sein. Einige Autoren interpretieren ein solches Vorgehen sogar als individual- oder sozialmoralisch verwerfliche Selbstverdummung. (2) Man könnte einwenden, dass ein auf solchem Wege erzeugter „Glaube“ auch aus religionsphilosophischer und theologischer Sicht bedenklich wäre. Eine aufgrund von Eigeninteresse, Berechnung, Absicherungsdenken und Egoismus gewonnene Einstellung hat mit vertrauensvoller Gewissheit und Gottesliebe wenig zu tun, wäre also eigentlich etwas Irreligiöses. (3) Am bekanntesten ist der Einwand der vielen möglichen Götter, ein Relativismuseinwand, den bereits Denis Diderot gegen das Wettargument erhob: „Auch ein Imam könnte so argumentieren!“ (132). Man könnte die Ergebnismatrix also auf der Seite der Weltzustände um beliebig viele weitere Spalten, d. h. um die Existenz beliebiger denkbarer Götter erweitern. Zumindest denkmöglich wären ja – neben den Gottheiten der anderen theistischen Religionen – allerlei seltsame Gottheiten, z. B. auch ein Gott, der nur den Chardonnay-Trinkern die unendliche Belohnung gewährt, oder die n denkbaren Götter, die genau jene Menschen belohnen, die in ihrem Leben genau n-mal auf eine Trennfuge am Gehsteig getreten sind. Sofern die Existenz dieser Götter eine Wahrscheinlichkeit größer als 0 hat, ist der Erwartungsnutzen des Setzens auf einen dieser Götter unendlich, und die Regel von Bayes lässt uns im Unklaren darüber, was wir tun sollen. Die Bewertungsmatrix, die hinter diesem Einwand steht, könnte also z. B. so aussehen: C: Gott i. S. d. Christentums existiert

I: Gott i. S. d. Islam existiert

Wahrsch (C) = c (c > 0)

Wahrsch (I ) = i (i > 0)

+ unendlich

0

0

0

H2: Muslim werden

0

+ unendlich

0

0

H3: Chardonnay trinken

0

0

+ unendlich

0

H4: Nichts Besonderes tun

0

0

0

0

H1: Christ werden

T: ChardonnayK: Kein Gott Trinken existiert belohnender Gott existiert Wahrsch (T) = t Wahrsch (K) = k (t > 0) (k > 0)

3.11 Argumente aus praktischer Klugheit: „Pascals Wette“

(4) Pascals Wettargument arbeitet mit unendlichen Größen. Standard-Entscheidungstheorien schließen unendliche Werte aber als unzulässig aus ((154), (195), S. 532–537). Dass sie dies mit gutem Grund tun, wird gerade hier bei der Pascal-Wette sichtbar. Sobald nämlich unendliche Größen ins Spiel kommen, werden alle sonstigen Zahlenverhältnisse unerheblich, insbesondere alle Wahrscheinlichkeitsunterschiede. Ein Setzen auf den Gott der Christen oder auf den zwar skurrilen, aber zumindest denkmöglichen Chardonnay-Belohner erscheinen entscheidungstheoretisch zunächst als gleich attraktive Optionen. (5) Angesichts von Einwand (4) werden wir wohl nicht umhinkönnen, die unendliche Größe aus unseren Überlegungen zu entfernen und aus technischen Gründen zu sagen, dass das Ergebnis von H1 bei Umweltumstand C einen zwar immensen, aber nicht unendlichen Nutzen hat. Dann werden die Wahrscheinlichkeitsunterschiede, z. B. zwischen C und T, wieder relevant (was durchaus ein Vorteil ist, denn so kann man T vermutlich aus unseren Überlegungen ausklammern, weil die Wahrheit von T zu unwahrscheinlich ist). Es gibt allerdings noch ein fünftes Problem, ob nämlich die Regel von Bayes hier wirklich anwendbar ist. Für Entscheidungen, bei denen riesige Gewinne möglich sind, allerdings nur mit kleinsten Gewinnwahrscheinlichkeiten, empfiehlt die Regel von Bayes nämlich das Mitspielen, was die meisten Menschen als ziemlich unvernünftig empfinden würden. (Niemand gräbt z. B. seinen Garten um, weil dort ja mit ganz geringer Wahrscheinlichkeit ein Milliardenschatz versteckt sein könnte.) Sofern die Existenz Gottes nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit hat, ist die Regel von Bayes nicht anwendbar. Eine kritische Beurteilung dieser Einwände zeigt, dass allenfalls eine eingeschränkte Version des Wettarguments stichhaltig ist, und dass sie überdies vom Funktionieren anderer Argumente abhängig ist. Einwand (4) wurde im vorigen Abschnitt bereits diskutiert und als weitgehend zutreffend erkannt. Gegen Einwand (1) ist zu sagen, dass Pascal nirgends empfiehlt, einfach etwas ohne oder gar gegen Erfahrungsbelege zu glauben. Dies wäre erkenntnistheoretisch in der Tat bedenklich und psychologisch wohl unmöglich. Möglich und nicht grundsätzlich irrational ist es allerdings, den Wunsch zu haben, etwas glauben zu können, und für diesen Fall empfiehlt Pascal, sich selbst durch verschiedene Praktiken gleichsam zu erziehen, sodass dieser Glaube langsam entsteht: „Handeln Sie so, wie diese (= Menschen, die vom Unglauben zum Glauben gekommen sind, W. L.) begonnen haben: nämlich alles zu tun, als ob Sie gläubig wären, Weihwasser zu nehmen und Messen lesen zu lassen usf. Ganz natürlich wird Sie das sogar glauben machen […].“ In Ludwig Wittgensteins Begrifflichkeit könnte man sagen, Pascal empfehle die bewusste Teilnahme an einer Lebensform, die langsam auch unsere Meinungen und anderen kognitiven Inhalte ändern wird; sofern diese Lebensform theoretisch attraktiv ist, wird man ein solches Vorhaben auch nicht als bedenkliche Selbstkorruption ablehnen müssen. Gegen Einwand (2) ist zu sagen, dass ein so erzeugter Glaube nicht unbedingt egoistisch geprägt sein muss; ob er letztlich nicht auch ein Geschenk Gottes ist (wie die Theologie behauptet), bleibt offen. Pascal behauptet auch nirgends, dass das Wettargument der einzige mögliche und für jedermann richtige Weg zum Glauben sei. Er scheint eher davon auszugehen, dass für einen bestimmten Leserkreis der

Die Einwände zeigen: Allenfalls eine eingeschränkte Version des Wettarguments könnte stichhaltig sein

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114

3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

Pascals Wettargument funktioniert nur, wenn auch andere Argumente funktionieren

Weg über die Abwägung eigener Interessen eine denkbare Motivation sei, sich auf die Suche nach genuin religiösem Glauben einzulassen. Außerdem hatte die entscheidungstheoretische Analyse ja ergeben, dass das Argument auch ohne Höllendrohungen u. ä. funktioniert – womit ein weiterer anstößiger Zug des Arguments wegfällt. Damit verbleiben noch die Einwände (3) und (5). Wie wir bereits gesehen haben, nimmt der Verzicht auf unendliche Größen dem Einwand (3), jenem der vielen möglichen Götter, seine Spitze. Denn dadurch werden die Wahrscheinlichkeiten der jeweiligen Götterhypothesen wieder relevant, und damit kann man allerlei seltsame, aber denkmögliche Konstrukte aus seinen Überlegungen ausklammern. Ein Argument in Form der Pascal-Wette kommt nur zugunsten einer Religion in Frage, die für das Entscheidungssubjekt von vornherein eine gewisse Wahrscheinlichkeit hat und damit eine realistische Option für seine weitere Lebensführung ist. Damit liegt es nahe, das PascalArgument mit anderen Argumenten zu kombinieren, etwa philosophischen Argumenten für die Existenz Gottes, historischen Argumenten für die Glaubwürdigkeit einer Tradition, etc., um so die Wahrscheinlichkeit dieser Option zu heben. Umso eher dies gelingt, umso mehr ist auch Einwand (5) erfolgreich zu kontern: Die Regel von Bayes funktioniert am besten in Situationen, wo die Gewinnwahrscheinlichkeiten nicht allzu gering sind. Wir erhalten somit das überraschende Ergebnis, dass Pascals Wettargument, das sich gerade als Alternative zu den theoretischen Argumenten verstand, am ehesten dann stichhaltig sein könnte, wenn auch zumindest einige andere Argumente stichhaltig sind und einer religiösen Option zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit verleihen. Pascal selbst, der solchen Argumenten insgesamt mit höchster Skepsis begegnete, scheint diesem Gedanken stellenweise auch aufgeschlossen gegenüber gestanden zu sein, siehe etwa Fragment 564 der Pensées: „Die Prophezeiungen, sogar die Wunder und die Beweise unserer Religion sind nicht solcher Art, daß man sagen kann, sie seien vollkommen überzeugend, aber sie sind auch nicht solcher Art, daß man sagen kann, man müsse ohne Vernunft sein, um sie zu glauben.“

3.12 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen Nach einer orientierenden Übersicht wurden in diesem Teil zehn verschiedene Typen von Begründungen für die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen vorgestellt und mit ihren wesentlichen Gegeneinwänden konfrontiert. Nur einige dieser Begründungen sind Argumente für Gottes Existenz. (1) Ontologische Argumente für die Existenz Gottes (von denen es mehrere Varianten gibt) versuchen, nicht aus empirischen Belegen, sondern aus dem Nachdenken über den Begriff bzw. die Definition Gottes dessen Existenz zu erweisen. Von den vielfältigen Einwänden gegen ein solches Vorgehen ist der prominenteste jener, dass Existenz keine Eigenschaft sei und also auch nicht Teil einer Definition sein kann. Sachlich durchschlagender dürfte allerdings der Einwand sein, dass unser Gottesbegriff inhaltlich nicht reich genug ist, um seine Existenz daraus folgern zu können. (2) Kosmologische Argumente schließen von der kontingenten Existenz des Universums auf die Exis-

3.12 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

tenz eines nicht mehr kontingenten, notwendigen ersten Grundes. Sie gehören zu den vielversprechendsten Rechtfertigungen des Theismus, sofern es gelingt, ihre Voraussetzungen wie etwa das metaphysische Kausalprinzip und das Prinzip des ausgeschlossenen unendlichen Regresses zu rechtfertigen. Die Chancen dafür stehen gut, weil wir diese Prinzipien auch in anderen kognitiven Tätigkeitsfeldern zugrunde legen. (3) Zu teleologischen Argumenten im weiteren Sinne gehören mittelalterliche Argumente aus der Naturfinalität, aber auch die „design arguments“ vom 17. Jh. bis heute und das moderne Argument aus der Feinabstimmung des Universums. Gemeinsam ist diesen Argumenten, dass manche Strukturen und Prozesse im Universum so auffällig gestaltet sind, dass sie den Glauben an einen intelligenten Planer dahinter nahe legen. Der zentrale Einwand gegen teleologische Argumente hat mit der Unabschätzbarkeit der beteiligten Wahrscheinlichkeiten zu tun: Da wir nur unser einziges Universum kennen und nicht wissen, welche Universen sonst noch möglich wären, fehlen uns die Vergleichsmaßstäbe, wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich die Verhältnisse in unserem Universum sind. (4) Argumente aus Wundern und außergewöhnlichen religiösen Erfahrungen begegnen Einwänden aus drei Richtungen: Was sind Wunder und außergewöhnliche religiöse Erfahrungen? Wäre so etwas nicht von vornherein unmöglich? Und wenn nicht, würde daraus schon etwas für die Rechtfertigung des Theismus folgen? Während die ersten beiden Fragen grundsätzlich als lösbar erscheinen, dürfte der entscheidende Einwand mit der dritten Frage zusammenhängen: Wer Wunder und außergewöhnliche religiöse Erfahrungen mit dem Theismus in einen rechtfertigenden Zusammenhang bringt, der macht viele stillschweigende inhaltliche Voraussetzungen, die nur mit anderen Argumenten rechtfertigbar sind. (5) Empirische Kumulativargumente nehmen mehrere Bereichen von auffälligen Erfahrungsbelegen zusammen und schließen davon ausgehend auf die Existenz Gottes als deren beste, wahrscheinlichste Erklärungshypothese. In der momentan prominentesten Version solcher Argumente (von Richard Swinburne) trägt allerdings auch die religiöse Erfahrung einen entscheidenden Teil der Beweislast. Der entscheidende Einwand gegen Swinburnes Argument ähnelt jenem gegen teleologische Argumente: die ins Argument einfließenden Wahrscheinlichkeitsbeurteilungen stehen auf unsicherer Grundlage, weil wir sie aufgrund der Kenntnis unseres eigenen, faktischen Universums treffen und keine seriöse Vergleichsgrundlage haben. (6) Die sogenannte „Reformierte Erkenntnistheorie“ will die gewöhnliche religiöse Erfahrung als glaubwürdig ausweisen. Es handelt sich hier nicht um ein Argument für die Existenz Gottes. Im Gegenteil soll gezeigt werden, dass Gläubige auch ohne solche Argumente erkenntnistheoretisch vernünftig sein können, wenn sie ihre religiösen Überzeugungen als basal in ihr Überzeugungssystem aufnehmen. Die frühere Variante der Reformierten Erkenntnistheorie ist zunächst ein berechtigter Hinweis darauf, dass man generell die Begründungsforderungen an weltanschauliche Hintergrundüberzeugungen nicht überspannen sollte, seien diese nun religiös oder nicht (wir kommen darauf in Teil 5 zurück). Die jüngere Variante schlägt Modelle dafür vor, wie und warum die Bildung basaler religiöser Überzeugungen aus christlicher Sicht funktioniert. Sie macht schon starke theologische Voraussetzungen und ist daher nicht mehr als rein philosophische Theorie zu klas-

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens

sifizieren. Beiden Varianten ist gemeinsam, dass sie die erkenntnistheoretische Tragfähigkeit basaler Überzeugungen überschätzen und den Bedarf nach deren Rechtfertigung unterschätzen. (7) Es gibt verschiedene Ansätze, aus der Gesamterfahrung des Menschen ein Argument für die Existenz Gottes zu entwickeln. Der Grundgedanke ist jeweils, dass in jedem Handeln und jedem Erkenntnisakt des Menschen die stillschweigende Voraussetzung der Existenz Gottes nachweisbar sei. Diese Argumente sind präzisierungsbedürftig und voraussetzungsreich; einige davon dürften letztlich auf Kontingenzargumente hinauslaufen. (8) Argumente aus der moralischen Erfahrung sind zum Teil den bisher geschilderten Argumentformen zuzurechnen (etwa ist das Argument aus dem Gewissen entweder ein Kontingenzargument oder ein Argument aus religiöser Erfahrung). Eigenständig ist jedoch die von Kant entwickelte Form: Schon das grundlegende Faktum der sittlichen Verpflichtung bliebe unverständlich, sofern man nicht die Existenz Gottes postuliert: Gott garantiert, dass Glückswürdigkeit und Glück letztlich zusammenfallen werden. Der wesentliche Einwand gegen Kant ist, dass dies eben nur ein Postulat ist, das aufgrund bestimmter inhaltlicher Voraussetzungen zustande kommt. Wer schon dieses Ideal des Zusammenfalls von Glückswürdigkeit und Glück nicht teilt oder wer sich das Zustandekommen sittlicher Verpflichtungen z. B. evolutionsbiologisch erklärt, der wird dieses Postulat nicht plausibel finden. (9) Dass religiöse Überzeugungen die Verwirklichung menschlicher Bedürfnisse und Ideale fördern, dass sie also individuell und sozial nützlich sind, ist ein verbreitetes Argument für deren Vernünftigkeit. Allerdings besteht zwischen der Nützlichkeit und Rechtfertigbarkeit oder gar Wahrheit einer Überzeugung ein Unterschied. Außerdem ist es schwierig, die Nützlichkeits-/Schädlichkeitsbilanz einer Überzeugung oder eines Überzeugungssystems (wie etwa des Christentums) verlässlich zu beurteilen. (10) Ebenfalls auf praktische Klugheit und die Nützlichkeit religiöser Überzeugungen stellen Argumente vom Typ des Pascalschen „Wettarguments“ ab: Es sei praktisch vernünftig, ein religiöses Leben zu führen und so auch seine eigenen Überzeugungen zu beeinflussen, auch wenn man keine theoretischen Beweise für religiöse Überzeugungen hat. Denn so kann man, falls Gott existiert, einen Gewinn im jenseitigen Leben oder auch schon im Diesseits lukrieren. Es zeigt sich allerdings, dass ein solches Verhalten nur dann rational wäre, wenn religiösen Überzeugungen eine hohe Anfangsplausibilität zukommt, wenn es also auch andere gute Argumente für deren Vernünftigkeit gibt. Zusammenfassend zeigt sich also, dass es zwar einige durchaus beachtenswerte, aber keine absolut und gegenüber jedermann zwingenden Argumente für die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen gibt. Besonderes Augenmerk wird den stillschweigenden begrifflichen Voraussetzungen der jeweiligen Argumente gelten müssen. Wir kommen darauf in Teil 5 zurück. Lektürehinweise Eine gute systematische Hinführung zu den klassischen Argumenten bietet (104). Eine historische Übersicht zu ontologischen Argumenten bietet (186); eine Textauswahl besonders zur neueren Diskussion mit Einleitungen bietet (123); zu kosmologischen Argumenten siehe (187), (128) (238). Zu teleologischen Argumenten siehe

3.12 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen (160), kritisch zum „Intelligent design“ siehe (281) und (267). Eine Übersicht zu Argumenten aus Wundern und außergewöhnlicher Erfahrung bieten (125) und (151) (mit viel Literatur), zu Wundern siehe auch den Sammelband (195) und (198), zu einer heutigen Diskussion der Gegenargumente Humes (222) und (134). Zur Bedeutung religiöser Erfahrung generell siehe (135) und (183). Zu empirischen Kumulativargumenten siehe (163) und (196) bzw. (199) sowie (157). Zur reformierten Erkenntnistheorie siehe die Texte in Kapitel V von (11), (156), (166), (152), (189), (205), Kap. 4 von (241) und (191). Eine Auswahl von Plantingas Texten auch zu anderen Themen bietet (174). Zu Argumenten aus der Gesamterfahrung siehe (169), (203) und Teil II von (201). Zu Argumenten aus der moralischen Erfahrung siehe Teil VI von (6), insbesondere zu Kants Position (184) und (188). Zu Argumenten aus der individuellen und gesellschaftlichen Nützlichkeit religiöser Überzeugungen siehe (80), Kapitel 10 und (148). Zu verschiedensten empirischen Auswirkungen der Religion gibt es eine eigene Fachzeitschrift (42). Zu Pascals Wettargument siehe (154), (144), (181).

Fragen und Übungen – Lesen Sie Anselms ontologisches Argument in Proslogion 2 genau durch. Warum sind manche Interpreten der Meinung, dieses Argument sei in Wahrheit gar nicht apriorisch, sondern enthalte auch eine empirische Prämisse? – Wie unterscheiden sich die Einwände von Thomas von Aquin und Immanuel Kants gegen ontologische Argumente? – Was sind die wesentlichen philosophischen Voraussetzungen kosmologischer Argumente, was kann man gegen sie einwenden und wie kann man sie verteidigen? – Eine langjährige prominente Debatte um moderne kosmologische Argumente läuft zwischen Quentin Smith und William Lane Craig. Stellen Sie aufgrund einer Internet-Recherche mittels einer guten Suchmaschine die wesentlichen Texte dieser Debatte zusammen und versuchen Sie zu verstehen, worum es geht. – Was ist das „fine-tuning argument“ und welchen Gegeneinwänden begegnet es? – Informieren Sie sich – etwa anhand der kommentierten Literaturliste von Gert Korthof (149) über den Stand der neueren Evolutionsbiologie sowie über Wortprägungen wie „Kreationismus“, „Intelligent Design“, „Panselektionismus“ etc. Wo verläuft Ihrer Meinung nach jeweils die Grenze zwischen Resultaten der Biologie, innerbiologischer Hypothesenbildung und weltanschaulich-spekulativer Ausdeutung? – Was betrachten Sie als das entscheidende Problem an religionsphilosophischen Argumenten aus Wundern und außergewöhnlichen Erfahrungen? – Rekapitulieren Sie nochmals die Struktur von Swinburnes Kumulativargument. Warum ist die religiöse Erfahrung den anderen Erfahrungsbelegen nicht gleichgeordnet? – Inwiefern hat Swinburnes Argument mit ähnlichen Einwänden zu rechnen wie teleologische Argumente? – Was betrachten Sie als den bedeutsamsten Einwand gegen Swinburnes Argument? – Lesen Sie im Neuen Testament das 1. Kapitel, Verse 16–20 des Römerbriefs des heiligen Paulus sowie die Episode von Paulus in Athen im 17. Kapitel der Apostelgeschichte. Manche Interpreten erkennen darin eine Sympathie des Paulus für kosmologische oder teleologische Argumente für Gottes Existenz, andere nicht. (Es gibt an anderen Stellen des Neuen Testaments auch Warnungen vor der Philosophie.) Was sagt der Text in seinem Kontext Ihrer Meinung nach? (Ziehen Sie, sofern Sie dazu Zugriff haben, auch theologische Kommentarwerke zum Römerbrief und zur Apostelgeschichte zu Rate.) – Lesen Sie I. Kant, Kritik der reinen Vernunft (68), B 620–658 und versuchen Sie den Text zunächst für sich zu strukturieren. Kant kritisiert dort mehrere Argumente für die Existenz Gottes – welche sind das? Wie hängen die Argumente laut Kant zusammen, und wie lautet seine Kritik an ihnen? In welchen historischen Varianten

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3 Argumente für die Vernünftigkeit des religiösen Glaubens





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hat Kant diese Argumente gekannt? (Nehmen Sie dazu notfalls Sekundärliteratur zur Hand, etwa (184) und (188).) Die Bezeichnung „properly basic (belief)“ stellt – ebenso wie auch „belief“ und „warrant“ – ein Übersetzungsproblem ins Deutsche dar. Warum ist auch die hier gewählte Übersetzung „berechtigt basal(e Meinung)“ möglicherweise ein wenig missverständlich? Muss man für „properly basic beliefs“ nämlich eine Rechtfertigung haben? Versuchen Sie, „proper basicality“ in eigenen Worten zu umschreiben! Was ist der Unterschied zwischen dem von Plantinga abgelehnten „Evidentialismus“ (d. h. der Position, man müsse für jede Behauptung starke Erfahrungsgründe haben) und der Position, für religiöse Überzeugungen gäbe es gar keine rationalen Gründe? Was ist eine Manifestationsmeinung? Wenn jemand „properly basic religious beliefs“ formt, ist dies eine Art religiöser Erfahrung. Sind solche Erfahrungen nach Plantinga vollkommen unerklärlich oder sind sie in bestimmten Hinsichten auch „erklärbar“? Ist „warrant“ eine Eigenschaft mancher basaler Meinungen, mancher abgeleiteter Meinungen oder kann er Meinungen beider Art zukommen? Was ist der Unterschied zwischen den beiden Thomas/Calvin-Modellen und was sollen sie jeweils leisten? Wenn man nicht an einen sensus Divinitatis oder die erkenntnistheoretische Wirkung des heiligen Geistes glaubt, wie könnte man spezifisch christliche Meinungen eventuell sonst begründen? Was ist die Internalismus/Externalismus-Unterscheidung in der Erkenntnistheorie und warum ist Plantingas neuere Theorie eher externalistisch? Was sehen Sie als den bedeutendsten Einwand gegen Plantingas Position an? Lesen Sie I. Kant, Kritik der praktischen Vernunft (67), A 219–223 und überlegen Sie, wie sich die Grundstruktur postulatorischen Denkens in seinem Postulat der Unsterblichkeit der Seele zeigt. Welche Argumente für die Nützlichkeit religiöser Überzeugungen sind Ihnen in Ihrem Leben bereits begegnet? Waren das eher Argumente für die individuelle oder die gesellschaftliche Nützlichkeit? Was sind die Haupteinwände gegen solche Argumente? Wodurch unterscheidet sich eine Entscheidungsmatrix von einer Bewertungsmatrix? Lesen Sie den Text von Pascals „Wettargument“ und versuchen Sie, die drei Entscheidungsszenarien darin zu identifizieren. (Achtung, die Abgrenzung zwischen dem zweiten und dritten ist schwierig zu erkennen.) Warum wird meist die dritte Variante des Wettarguments als die religionsphilosophisch interessanteste betrachtet? Was besagt der „Einwand der vielen möglichen Götter“ und wie wirkt er sich entscheidungstheoretisch aus? Die letzte Entscheidungs- und Bewertungsmatrix (für den Fall des Einwandes der vielen möglichen Götter (3.12, Seite 112) wurde ohne Einbeziehung des Aufwandes für die jeweiligen Optionen erstellt. (Vergleichen Sie dazu Seite 110 und 111). Ändert sich etwas an der Kraft dieses Einwandes, wenn man diesen Aufwand einbezieht? Ein Einwand gegen die Pascal-Wette lautet, hier würde eine Überzeugungsänderung allein aufgrund des Überzeugtsein-Wollens empfohlen. Inwiefern stimmt das, inwiefern nicht? Kann man denselben Einwand auch gegen Platingas Empfehlung richten, religiöse Überzeugungen als „properly basic“ zu betrachten? Was würde Plantinga mutmaßlich antworten? Skizzieren Sie die eingeschränkte Variante des Pascalschen Wettarguments, die allenfalls stichhaltig sein könnte. Welche Voraussetzungen muss man machen, wenn man diese eingeschränkte Variante akzeptieren will?

4 Religionskritik: Argumente gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen Unter religionskritischen Argumenten (im weitesten Sinne) kann man verschiedenes verstehen. Auch die Einwände, die gegen die bisher besprochenen Argumente für die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen vorgebracht wurden, zählen dazu. Wer freilich – im Sinne des Fideismus, siehe oben 3.1 – auf dem Standpunkt steht, dass religiöse Überzeugungen zu ihrer Vernünftigkeit ohnehin keiner solchen Argumente bedürfen, wird von diesen Einwänden nicht berührt werden. Es gibt allerdings auch eine Reihe von religionskritischen Argumenten im engeren Sinne, die sich direkt gegen religiöse Überzeugungen und ihre Vernünftigkeit richten. Religionskritik in diesem Sinne ist eines der großen Themen der neuzeitlichen Philosophie; allerdings ist die Stoßrichtung religionskritischer Argumente durchaus unterschiedlich. In Abänderung einer Einteilung von Rudolf Carnap (212) kann man die Argumente nach absteigender Grundsätzlichkeit wie folgt klassifizieren: (1) Argumente, die zeigen wollen, dass religiöse Überzeugungen überhaupt keinen kognitiven Sinn haben; (2) Argumente, die religiöse Überzeugungen als zwar nicht sinnlos, aber falsch erweisen wollen; (3) Argumente, die religiöse Überzeugungen als zwar nicht nachweislich falsch, aber doch mangelhaft begründet, unbegründbar oder unwissenschaftlich erweisen wollen; (4) Argumente, die zeigen wollen, dass religiöse Überzeugungen auf gestörte Erkenntnisverhältnisse zurückgehen (wobei die Wahrheits-/Falschheitsfrage zwar nicht im Zentrum steht, die Autoren aber durchwegs von der Falschheit religiöser Überzeugungen ausgehen); (5) Argumente, die religiöse Überzeugungen wegen ihrer Schädlichkeit ablehnen (wobei auch hier durchwegs von der Falschheit religiöser Überzeugungen ausgegangen wird, die Wahrheitsfrage aber nicht zentral ist). Wir werden dieser Systematik folgen; in sie dürften sich sämtliche klassischen und neueren religionskritischen Argumente einordnen lassen. Etwa ist das bekannte Argument aus dem Übel in der Welt (bzw. das Theodizeeproblem) letztlich ein Argument, dass religiöse Überzeugungen (z. B. jene vom gütigen und liebenden Gott, etc.) falsch oder schlecht begründet sind.

4.1 Argumente, denen zufolge religiöse Überzeugungen kognitiv sinnlos seien Ein sehr grundsätzlicher Einwand, der die Religionsphilosophie der 1930er bis 1960er Jahre massiv geprägt hat, geht von einer bestimmten sprachphilosophischen Ansicht über die Bedeutung der Sprache aus. Grob gesprochen,

Religionskritische Argumente im weiteren und im engeren Sinne

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4 Argumente gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen Verifikationistische und falsifikationistische Herausforderungen

Carnap: Sinnlosigkeit metaphysischer Sätze

Erste Fehlerquelle: Verstoß gegen die logische Syntax

haben Sätze nach dieser Auffassung nur dann einen kognitiven Sinn, wenn man sie an der empirisch zugänglichen Wirklichkeit überprüfen, d. h. als wahr erweisen (verifizieren) oder widerlegen (falsifizieren) kann. Für religiöse Sätze (als sprachliche Korrelate religiöser Überzeugungen) erscheint diese Überprüfung schwierig, sie geraten daher in den Verdacht der Sinnlosigkeit. Dieser Einwand wurde in verschiedenen Varianten erhoben, am prominentesten von Rudolf Carnap und Antony Flew. Rudolf Carnap und die meisten Mitglieder des sogenannten „Wiener Kreises“ (siehe dazu (227), (230)) verfochten bis Mitte der 1930er Jahre das sogenannte empiristische Verifikationsprinzip als Sinnkriterium für Sätze: Neben den Sätzen der Logik (die allerdings über die Welt nichts aussagen, sondern nur zum Aufbau komplizierterer Sätze aus einfachen dienen) sind nur jene Sätze sinnvoll, zu denen man eine Methode angeben kann, wie man sie empirisch verifiziert. Und einzelne Ausdrücke sind nur dann sinnvoll, wenn sie in zumindest einem Satz vorkommen, den man empirisch verifizieren kann, oder wenn sie durch Definitionen auf solche Ausdrücke zurückführbar sind. Fernziel des Wiener Kreises war es, sämtliche Wissenschaftsdisziplinen ausgehend allein von einfachen Beobachtungssätzen, den sogenannten „Protokollsätzen“, und den logischen Baugesetzen zu rekonstruieren und dabei das Eindringen jedweder ungeprüfter Voraussetzung zu vermeiden. Insbesondere richtete sich die Kritik des Wiener Kreises gegen jede Form metaphysischer Spekulation. Carnaps schon im Titel programmatischer Aufsatz „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ (212) führt Metaphysik auf zwei Fehlerquellen zurück. Auch wenn Religionskritik dabei nicht die primäre Stoßrichtung ist, sind beide Fehlerquellen doch auch für die religiöse Rede von Relevanz. Erstens würden in der Metaphysik manche Wörter in einer Weise gebraucht, die schlicht gegen die logische Syntax verstoße. So entstehen aber nur Pseudosätze. Bekannteste Beispiele sind „das Sein“ und „das Nichts“. „Das Sein“ ist letztlich von „ist“ abgeleitet, das im Deutschen verschiedene Funktionen erfüllt, etwa als Kopula der Prädikation („die Flasche ist grün“) oder als Ausdruck der Identität („der Abendstern ist der Morgenstern“), der Definition („ein Baby ist ein Mensch bis zum vollendeten ersten Lebensjahr“) oder der Gleichheit („7 und 5 ist 12“); „sein“ als grammatikalische Nennform davon ist noch unproblematisch, aber „das Sein“ ist eine unzulässige Vergegenständlichung, zu der das Deutsche mit seinen Verb-Substantivierungsmöglichkeiten verführt. Ähnlich ist „das Nichts“ eine syntaktisch unzulässige Konstruktion. Auf die Frage „Was ist im Garten?“ kann man z. B. antworten „Der Nachtwächter“, oder auch „Nichts.“ Man könnte dann syntaktisch korrekter Weise weiterfragen „Wie steht es um den Nachtwächter?“, aber die Frage „Wie steht es um das Nichts?“ wäre nicht korrekt, weil „nichts“ von der logischen Syntax her gar kein Gegenstandsausdruck ist, sondern wie ein logischer Operator funktioniert, nämlich eine Kombination aus Negation und Existenzquantor. „Im Garten ist nichts“ hätte logisch gesehen die Struktur – (Ax)(x ist im Garten), d. h. „es ist nicht der Fall, dass es zumindest ein x gibt, derart dass x im Garten ist“, und diese Einsicht bewahrt vor sprachlichen Fehlkonstruktionen wie „das Nichts nichtet“ u. a. Soweit sich die religiöse Rede solcher und ähnlicher Sprachformen bedient („Gott ist das Sein selbst“, „Gott ist das Absolute“, „Gott lässt mein Leben nicht ins l

4.1 Religiöse Überzeugungen seien kognitiv sinnlos

Nichts zurücksinken“), ist sie mit dem selben Argument als sinnlos angreifbar wie die Metaphysik. Die zweite Fehlerquelle ist nach Carnap die Verwendung von Ausdrücken, die keinen angebbaren Sinn haben, weil die Sätze, in denen sie vorkommen, keiner empirischen Überprüfung zugänglich sind. Es mag Zeiten und Religionen gegeben haben, wo den Objekten der Religion empirisch überprüfbare Eigenschaften zugeschrieben wurden (etwa: „Zeus thront auf dem Olymp“); Vertreter der Hochreligionen lehnen solche Redeweisen und den empirischen Test religiöser Behauptungen aber als mythologisch ab. Von Gott wird üblicherweise ausdrücklich gesagt, dass er welt-transzendent ist und keine empirischen Kennzeichen hat, und dass sich Gläubige von allzu greifbaren Gottesbildern fernhalten sollen (z. B. „Du sollst Dir kein Gottesbild machen“, Altes Testament, Buch Exodus Kap. 20, Vers 4). Es ist also nicht klar, unter welchen Bedingungen Sätze, in denen das Wort „Gott“ vorkommt, wahr sind, d. h. es ist nicht angebbar, mit welchen Beobachtungssätzen solche Sätze vereinbar wären und mit welchen nicht. Wenn metaphysische und religiöse Sätze also keine kognitive Bedeutung haben, so ist es dennoch möglich, dass sie eine emotive Bedeutung haben, dass sie ein Lebensgefühl ausdrücken. Diese Funktion sieht Carnap allerdings besser durch die Kunst, insbesondere die Musik erfüllt („Metaphysiker sind Musiker ohne musikalische Fähigkeit“). Vor allem leistet die Kunst dies in weniger missverständlicher Weise, denn der musikalische Ausdruck des Lebensgefühls täuscht keine theoretisch-kognitiven Geltungsansprüche vor. In eine ähnliche Richtung wie Carnap zielte Antony Flews Eröffnungstext der Debatte zum Thema „Theologie und Falsifikation“ aus dem Jahr 1950/ 51 (225). Flew betrachtete nicht die Verifizierbarkeit, sondern die Falsifizierbarkeit einer Behauptung durch empirische Fakten als Bedingung dafür, dass diese Behauptung eine Bedeutung hat. (Zur Vermeidung von Missverständnissen sei angemerkt, dass Flew damit die Rolle der Falsifizierbarkeit anders einschätzt als Karl Popper: Für Popper war die Falsifizierbarkeit ein Abgrenzungskriterium zwischen wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Behauptungen, aber kein Sinnkriterium wie für Flew.) Wer Behauptungen aufstellt, die mit beliebigen empirischen Fakten vereinbar sind und durch keinerlei Fakten erschüttert oder falsifiziert werden können, der mache, so Flew, gar keine echten Behauptungen. Genau das sei aber bei religiösen Behauptungen der Fall. Echte religiöse Gläubige werden Behauptungen wie „Gott hat einen Plan“, „Gott schuf die Welt“ oder „Gott liebt uns, wie ein Vater seine Kinder liebt“ auch dann nicht zurückziehen, wenn die Fakten dagegen zu sprechen scheinen (etwa, wenn ein Kind an einer qualvollen Krankheit stirbt). In solchen Fällen würden Gläubige ihre Behauptungen modifizieren und z. B. sagen, Gott liebe uns eben auf eine tiefere, verborgene Weise, er habe Pläne, die unser menschliches Verstehen übersteigen, etc. Flew wendet ein, dass auf diese Weise eine anfänglich kühne Behauptung langsam den „Tod der 1000 Qualifikationen“ stirbt. Positionen wie jene Carnaps und Flews, denen zufolge religiöse Sätze nur an der Oberfläche wie Behauptungen erscheinen, aber in Wahrheit wegen ihres mangelnden Erfahrungsbezugs keine echten Behauptungen sind, sondern allenfalls andere Funktionen haben, sind seither breit ins allgemeine Bewusstsein eingedrungen.

Zweite Fehlerquelle: Ausdrücke ohne empirisch angebbaren Sinn

Sind religiöse Sätze falsifizierbar?

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4 Argumente gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen Eschatologische Verifikation?

Einwände gegen Carnap und Flew: Die Sinnkriterien sind unplausibel eng

Einen Weg, die Herausforderung des Verifikationismus anzunehmen, hat eine Zeitlang John Hick ((232), siehe auch (1), Kap. 34) beschritten: Einige religiöse Sätze könnten durchaus verifiziert werden, und zwar gemäß der Lehre mancher Religionen nach dem Tod („wenn ich sterbe, werde ich Gott sehen“) oder sonst auf übernatürliche Weise. Und damit hätten diese Sätze eine Bedeutung. Hick nannte dies „eschatologische Verifikation“ (von griech. eschaton, das letzte; die Eschatologie ist die christlich-theologische Lehre von den „letzten Dingen“ wie Tod, Auferstehung, Himmel etc.). Freilich liegt die Frage nahe, ob ein derart vager Verweis auf eine nur ansatzweise beschreibbare übernatürliche Verifikationsmethode, zumal nach dem Tode, den religiösen Sätzen auch jetzt, in diesem Leben schon eine angebbare Bedeutung verleiht; Hick selbst hat die Idee später wieder verworfen. Andererseits gibt es aber massive Einwände gegen die Positionen Carnaps und Flews. So gelten ihre strengen Kriterien für sinnvolle Sätze heute allgemein als überholt. Schon Popper hatte darauf hingewiesen, dass das Verifikationsprinzip z. B. die unplausible Konsequenz hätte, dass sogar einfachste Naturgesetze (wie etwa „Kupfer ist ein elektrischer Leiter“) sinnlos wären, weil man eine solche Allaussage niemals verifizieren kann (248). Überprüfen kann man immer nur einen kleinen Ausschnitt der Kupfervorkommnisse im Universum in der Vergangenheit, die Allaussage bezieht sich jedoch auf alles Kupfer zu allen Zeiten. Carnap hat auf diese Kritik reagiert und das Verifikationsprinzip zu einem Bestätigbarkeitsprinzip liberalisiert: Ein Satz ist sinnvoll genau dann, wenn man Erfahrungssituationen angeben kann, die diesen Satz bestätigen würden (wie jedes neu überprüfte Stück Kupfer, das den Strom leitet), und jene, die ihn ins Wanken bringen würden (211). Ob aus dieser Sicht die Aussichten für sinnvolle religiöse Sätze besser sind, mag allerdings bezweifelt werden. Viele Gläubige würden sagen, religiöse Hypothesen seien für sie keine Hypothesen, deren Wahrscheinlichkeit durch bestimmte Erfahrungsepisoden steigen und fallen kann. (Richard Swinburnes weiter oben (3.6) besprochenes Kumulativargument beruht allerdings auf diesem Gedanken.) Auch Carnaps liberalisierte Position wird heute allerdings als zu eng eingeschätzt, dasselbe gilt für Flews Position. Dass es auch in der wissenschaftlichen Sprache Sätze gibt, die man nicht durch Erfahrung bestätigen kann, weil sie die Voraussetzungen beschreiben, auf deren Hintergrund all unsere Theoriebildungen und -überprüfungen funktionieren, die aber dennoch eine klar angebbare Bedeutung haben, wird eigentlich kaum bestritten. So machen etwa alle Wissenschaften, aber auch das Alltagsdenken Grundannahmen darüber, welche Gegenstände es in ihrem Bereich überhaupt gibt (etwa: Menschen und Tische, Elektronen und Felder, Zellen und Organismen, Gruppen und Institutionen), und welche fundamentalen Eigenschaften sie haben. Wir nehmen auch an, dass sich diese Gegenstände unter bestimmten Rücksichten gleichförmig verhalten, dass es einen Unterschied zwischen Betrachter und betrachteter Wirklichkeit gibt, und vieles andere mehr. Freilich haben auch diese Annahmen einen mittelbaren Erfahrungsbezug, da sie unserer Erfahrung zugrunde liegen und sich in diesem Sinne an ihr bewähren. In seltenen Fällen kann es sogar vorkommen, dass wir eine ziemlich fundamentale Überzeugung unter dem Druck der Erfahrung und/

4.1 Religiöse Überzeugungen seien kognitiv sinnlos

oder einer gut bestätigten wissenschaftlichen Einzeltheorie revidieren müssen (ein bekanntes Beispiel ist die Überzeugung von der Absolutheit der Zeit, die angesichts der Relativitätstheorie aufgegeben werden musste), aber die Regel ist das nicht. In einem Bild von Willard Van Orman Quine ausgedrückt, erscheinen unsere Sprache und die dahinter stehenden Überzeugungen insgesamt wie ein Netz, das sich nur am Rand mit der Erfahrung berührt, und in dem es erfahrungsnähere und erfahrungsfernere Regionen gibt (273). Auch wenn man die Sätze über zentralere, erfahrungsfernere Überzeugungen kaum aufgrund der Erfahrung aufgeben will, so folgt doch nicht, dass diese Sätze keine klar angebbare Bedeutung hätten. Für die Religionsphilosophie legt das die Überlegung nahe, ob nicht auch religiöse Überzeugungen (oder zumindest einige davon) zu diesem relativ erfahrungsfernen Zentrum eines Überzeugungssystems gehören könnten. Religiöse Überzeugungen hätten damit doch einen mittelbaren Erfahrungsbezug und auch eine angebbare Bedeutung. Viele Religionsphilosophen und Theologen haben die Angriffe besonders von Flew jedoch zum Anlass genommen, die Bedeutung und Funktion des religiösen Sprechens so umzudeuten, dass sie von diesen Angriffen von vornherein nicht getroffen werden. Religiöse Sätze träten zwar im Gewande indikativischer Behauptungen mit einem kognitiv fassbaren Inhalt auf (siehe oben 2.1), sie würden jedoch von ihrer Tiefengrammatik her grundsätzlich anders funktionieren und non-kognitive Inhalte ausdrücken: Sie seien in Wahrheit Ausdrücke eines Lebensgefühls bzw. einer Grundeinstellung zur Wirklichkeit oder Ausdrücke einer Hoffnung, Handlungsanweisungen, moralische Gebote, Bekenntnisse zu einem bestimmten Lebensstil, oder Ähnliches. Eine interessante Zwischenposition nahm bereits Richard M. Hare in seiner Replik auf Flew ein (225): Religiöse Sätze seien Ausdruck eines bestimmten blik (Hare übernahm das niederländische Wort für „Blick“ bewusst als Kunstwort), d. h. einer grundsätzlichen, ihrerseits schwer begründbaren, aber auch nicht durch Fakten erschütterbaren Sichtweise der Dinge. Hare erläutert seine blik-Konzeption anhand einer Parabel: Ein Student, der von der Idee eines großangelegten Mordkomplotts seiner Lehrer gegen ihn besessen ist, wird sich durch keinerlei Fakten davon abbringen lassen. Im Gegenteil, wenn seine Lehrer sich besonders um einfühlsames, vertrauenerweckendes Verhalten ihm gegenüber bemühen, wird er dies als Teil eines besonders perfiden Gesamtplans interpretieren. Sein blik ist durch keinerlei Fakten zu erschüttern. Diese Parabel soll zwei Punkte klar machen. Erstens zeigt sie, dass auch unfalsifizierbare bliks einen klaren kognitiven Sinn haben – denn was der Student über seine Professoren denkt, das hat eben einen klaren Sinn und widerspricht dem, was Menschen mit einem anderen („normalen“) blik von den Professoren denken. Zweitens zeigt die Parabel, dass bliks nichts grundsätzlich Abnormales oder gar Pathologisches sind. Der Student hat zwar einen seltsamen blik, aber auch die Menschen seiner Umgebung haben ihre bliks. Hare erläutert dies an der Benützung technischer Geräte wie Autos: Wir alle haben den blik, dem zufolge Lenkradbewegungen Richtungsänderungen nach sich ziehen, dass der Stahl des Lenkgestänges nicht plötzlich seine Eigenschaften ändern oder die Straße grundlos unter mir verschwinden wird, etc. Ein blik im Sinne Hares ist also so etwas

Non-kognitive Umdeutungen der Funktion religiöser Rede

Eine Zwischenposition: Hares blikKonzeption

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4 Argumente gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen

„Wittgensteinianism“?

Das Problem nonkognitiver Umdeutungen

wie ein Bündel von Rahmenannahmen des Weltbildes, innerhalb dessen Praktiken wie Autofahren oder Schulbesuch ausgeübt werden. Religiöse Überzeugungen stellen aus dieser Sicht einen blik dar: Dass Gott existiert und uns liebt, dass er die Welt geschaffen hat, dass es mit der Welt letztlich ein gutes Ende nehmen wird etc., sind ebenso typische Inhalte von bliks wie die grundsätzliche Haltung von Respekt und Vertrauen, die wir unseren Mitmenschen unter Normalbedingungen entgegen bringen. Hare nimmt insofern eine Zwischenposition ein, als seine Beispiele zeigen, dass wir unsere bliks durchaus in Form von Aussagesätzen sprachlich formulieren könnten, obwohl wir normalerweise kaum über sie reden. Dass z. B. die Professoren ein Mordkomplott gegen den Studenten planen, ist eine klar formulierbare und verständliche (aber falsche) Behauptung. Wenn Hare daher mitunter als Vertreter einer eindeutig nonkognitiven Deutung religiöser Überzeugungen eingeordnet wird, erfolgt dies nicht zu Recht. Andere Autoren wie etwa Paul van Buren oder Kai Nielsen haben diesbezüglich wesentlich radikalere nonkognitive Umdeutungen religiöser Überzeugungen vorgenommen (Übersichten siehe (241), (17), S. 197–212 und (245). Häufig wird auch Ludwig Wittgenstein in dieser Reihe genannt, und besonders in der angelsächsischen Literatur wird „Wittgensteinianism“ sogar oft als Synonym für radikale nonkognitive Umdeutungen religiöser Überzeugungen gebraucht. Im Lichte der neueren Wittgensteinforschung sollte man diesen Ausdruck allerdings besser aufgeben; es hat sich nach Bekanntwerden weiterer Texte gezeigt, dass sich durch Wittgensteins Werke keine ganz einheitliche Position zieht, und dass er – ähnlich wie Hare – durchaus auch kognitive Aspekte religiöser Überzeugungen und die Möglichkeit einer Art religiöser Erfahrung einräumen dürfte ((239), (208), (235), (18), S. 29–56). Insbesondere die Konzeption von „Weltbildsätzen“ in seinem Spätwerk Über Gewissheit weist deutliche Ähnlichkeiten zu Hares Position auf. Das Hauptproblem nonkognitiver Umdeutungsvorschläge ist, dass sie religionsphänomenologisch nicht adäquat sind. Freilich würden Gläubige durchaus einräumen, dass manche Teile des religiösen Sprechens nur metaphorisch, moralisch-imperativisch, emotiv-expressiv oder sonstwie anders gemeint sind, als es die oberflächliche grammatikalische Struktur nahe zu legen scheint. Allerdings gilt dies nicht in jedem Fall. Manchmal wollen Gläubige, die religiöse Überzeugungen in indikativischer Form bekunden, damit unter anderem auch zum Ausdruck bringen, dass etwas der Fall sei und dass die betreffende Behauptung daher wahr sei. Dass der volle und präzise Sinn dieser Behauptungen dabei nicht immer klar ist, ändert daran nichts (dies gilt in ähnlicher Form auch für viele nicht-religiöse Behauptungen). Für viele genuin religiöse Überzeugungen ist auch gar nicht absehbar, wie ihre vollständige nonkognitive Umdeutung aussehen könnte. Wenn etwa Christen bekennen, Gott sei eine – wenngleich unser Begreifen übersteigende – Dreifaltigkeit aus Vater, Sohn und Geist, dann ist eine solche Behauptung schwerlich nur als bildhafter Ausdruck eines Lebensgefühls, als ein Bekenntnis zu einer Grundhaltung, als eine bekundete Präferenz für einen solidarischen Lebensstil und ideale Kommunikationsverhältnisse (wie sie der Dreifaltigkeit zugeschrieben werden), oder dergleichen interpretierbar. Freilich, all das mögen berechtigte Folgerungen sein, die manche

4.2 Religiöse Überzeugungen seien falsch

Christen aus der Dreifaltigkeitslehre für ihr Leben ziehen. Zum wesentlichen Gehalt der Dreifaltigkeitslehre gehört aber auch die Faktenbehauptung, dass Gott existiert und dass in seinem Wesen eine gewisse numerische Anomalie zwischen Einzahl und Dreizahl herrscht. Die Dreifaltigkeitslehre steht z. B. auch in einem Zusammenhang zu historischen Faktenbehauptungen, da nämlich eine der trinitarischen Personen als identisch mit der historisch fassbaren Person des Jesus von Nazaret behauptet wird. Religiöse Überzeugungen sind also teilweise auch derart komplex, dass eine vollständige nonkognitive Umdeutung schon aus dieser Sicht wenig aussichtsreich erscheint (117).

4.2 Argumente, denen zufolge religiöse Überzeugungen falsch seien Die strikten Kriterien für kognitive Sinnhaftigkeit, wie sie in der Philosophie der 1930er bis ca. 1960er Jahre vorgeschlagen wurden, werden heute kaum mehr von jemandem vertreten. Ohnehin dürfte der Einwand, religiöse Überzeugungen seien kognitiv sinnlos, vielen Menschen kaum plausibel erscheinen; was mit bestimmten religiösen Behauptungen gemeint ist, scheint – vielleicht mit kleinen Unschärfen, mit übertragenen Sprachgebräuchen, etc. – in vielen Fällen recht klar. Auch in verschiedenen Wissenschaften bedienen wir uns ja problemlos ähnlich unscharfer Redeweisen: Wenn wir etwa sagen, nach dem Urknall habe die Expansion des Raumes und das Verlaufen der Zeit erst begonnen, so ist dies eine Weise, ein uns nicht genau vorstellbares Geschehen sprachlich zu umschreiben. Die Behauptung, eine äußerst mächtige Person wie Gott habe den Urknall verursacht, ist im Vergleich dazu nicht wesentlich schwerer verstehbar. Für viele Menschen wird die zentrale Anfrage an religiöse Überzeugungen daher nicht sein, ob sie einen kognitiven Sinn haben, sondern ob es wahr ist, was da geglaubt bzw. behauptet wird. Religionskritische Einwände dieser Art können dabei zwei verschiedene Formen haben: Es kann behauptet werden, der traditionelle Gottesbegriff sei bereits in sich widersprüchlich (inkonsistent). Es kann aber auch behauptet werden, dass die Existenz Gottes mit bestimmten Fakten in der Welt unvereinbar sei, oder dass sie im Licht dieser Fakten zumindest höchst unwahrscheinlich sei. John N. Findlay hat 1948 ein Argument gegen die Existenz Gottes formuliert, das strukturell den ontologischen Argumenten ähnelt: Aus der traditionellen theistischen Beschreibung Gottes folge, dass Gott notwendigerweise nicht existiert, weil sein Wesen in sich widersprüchlich wäre (224). Findlays Argument ist noch mit einer Reihe anderer Argumente verbunden, die z.T. bereits weiter oben erörtert wurden (u. a. bestreitet er das metaphysische Kausalprinzip, teilweise nähert er sich auch dem im vorigen Kapitel besprochenen Sinnlosigkeitseinwand an), und nicht immer sind die Verbindungen völlig klar. Neu und für die Folgediskussion durchaus einflussreich war jedoch, dass Findlay sein Argument mit Anselms ontologischem Argument kontrastierte. Man könnte es also durchaus – wie einige Interpreten es getan haben – als „ontological disproof“ (etwa: „ontologischen Beweis der Nichtexistenz Gottes“) bezeichnen.

Einwände der Inkonsistenz des traditionellen Gottesbegriffes

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4 Argumente gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen Findlays ontologischer Nichtexistenzbeweis: Es kann kein notwendiger Weise existierendes Wesen geben

Der Einwand inkonsistenter Eigenschaftszuschreibungen: Gottes Allmacht als Beispiel

Im Kern hat Findlays Argument folgende Gestalt: 1. Ein „Gott“, der ein adäquates Objekt religiöser Verehrung ist, dürfte nicht zufällig oder abhängig von irgendwelchen äußeren Gegebenheiten existieren, sondern er müsste notwendigerweise existieren, und er müsste seine göttlichen Eigenschaften notwendigerweise haben. (Dies entspricht dem Zusammenfallen von Essenz und Existenz in Gott, siehe oben 2.6.) 2. Es gibt allerdings keine notwendige Existenz und überhaupt keine metaphysische Notwendigkeit, sondern nur logische Notwendigkeit. (Darin bestehe, so Findlay, der moderne Notwendigkeitsbegriff.) Aussagen über Notwendigkeit bringen also nur logisch-begriffliche Zusammenhänge in bestimmten Sprach- und Denksystemen zum Ausdruck. Ob die mit diesen Sprachsystemen beschriebenen Dinge aber auch existieren, sagen uns solche Zusammenhänge nicht. 3. Also kann es notwendigerweise kein notwendigerweise existierendes Wesen wie Gott geben. Die für den Theismus zentrale Überzeugung von der notwendigen Existenz Gottes ist also falsch, und andere Auffassungen über Gottes Existenz wären aus religiöser Sicht unbefriedigend. Findlay teilt damit eine Auffassung der Modalitäten (d. h. der Begriffe Möglichkeit, Notwendigkeit etc.), wie sie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weithin vertreten wurde, insbesondere in der Philosophie des sogenannten Logischen Positivismus (für eine Kurzdarstellung siehe (209), Kap. IV). Inzwischen hat dieser Einwand allerdings viele Sympathisanten verloren: Die Skepsis gegenüber anderen Formen von Notwendigkeit jenseits der logischen Notwendigkeit ist generell zurückgegangen, es gibt durchaus akzeptable Konzeptionen von metaphysischer Notwendigkeit (siehe etwa (170)). Überdies haben Verteidiger theistischer Überzeugungen mehrfach darauf hingewiesen, dass man Gottes „notwendige Existenz“ auch einfach als Ewigkeit (bzw. Außerzeitlichkeit, siehe oben 2.6) und Unverursachtheit verstehen könnte. Die ewige und unverursachte Existenz eines Wesens kann durchaus vorstellbar sein, sogar wenn man Notwendigkeit auf logische Notwendigkeit einschränken möchte. Gottes Existenz wäre dann – wenngleich faktisch gegeben, ewig und unverursacht – ein logisch gesehen kontingentes Faktum. Weitere Einwände gegen die Konsistenz des Theismus stützen sich auf logische Probleme in manchen der Eigenschaften, die man Gott zuschreibt. Die verzweigte Diskussion über diese Probleme (siehe etwa (197)) kann hier nur erwähnt und ein Beispiel herausgegriffen werden: das Beispiel der göttlichen Allmacht. Müsste ein allmächtiger Gott nicht auch runde Vierecke erschaffen, den Zweiten Weltkrieg oder andere vergangene Ereignisse ungeschehen machen, müsste er nicht auch seine Allmacht zurücklegen oder gar „Selbstmord begehen“, d. h. seine eigene Existenz beenden können? Einige ähnliche Einwände laufen auf Dilemmata hinaus, die Gottes Allmacht in jedem Fall auszuschließen scheinen: Kann Gott etwa einen Stein erschaffen, den er nicht mehr heben kann (siehe oben 2.6)? Kann er Wesen erschaffen, deren Handeln er nicht mehr beeinflussen kann? Wenn er das nicht kann, dann wäre er von vornherein nicht allmächtig. Wenn er es kann, wäre er durch diese Tat nicht mehr allmächtig.

4.2 Religiöse Überzeugungen seien falsch

Wir haben allerdings bereits in Abschnitt 2.6 angedeutet, dass auch die Zuschreibung von „Allmacht“ innere Grenzen hat: Gott kann weder widersprüchliche Sachverhalte herbeiführen, noch hängen notwendige Sachverhalte von seinem Handeln ab, er kann die Vergangenheit nicht ungeschehen machen etc. Wir müssen also zunächst wohl eine Differenzierung zwischen Denkmöglichkeit und sachlicher Möglichkeit vornehmen: Natürlich sind runde Dreiecke, das Ungeschehenmachen der Vergangenheit etc. „irgendwie denkbar“, aber nicht alles, was irgendwie denkbar ist, ist auch sachlich möglich. Dass Gott derlei bloß irgendwie denkbare Handlungen nicht vollbringen kann, beschneidet seine Allmacht also nicht in einem ernsthaften Sinne. Mit dieser Unterscheidung von bloßer Denkmöglichkeit und sachlicher Möglichkeit ist auch der grundsätzliche Lösungsweg für Rätsel wie jenes vom Selbstmord Gottes oder vom Stein, den Gott nicht heben kann, aufgezeigt. Natürlich erscheint uns all dies irgendwie denkbar. Wenn Gottes Allmacht aber zu seinem Wesen gehört, dann kann ein allmächtiger Gott aus sachlichen Gründen nichts tun, was seiner Allmacht widerspricht, was sie unnötig begrenzt bzw. sie beendet. Von dem bisher diskutierten Problem („Ist Gottes Allmacht nicht in sich widersprüchlich?“) ist ein weiteres zu unterscheiden, ob nämlich Gottes Allmacht nicht mit den Naturgesetzen in Konflikt käme (insbesondere mit den Erhaltungssätzen der Physik) und daher eine falsche Eigenschaftszuschreibung ist. Wir haben ein nahe verwandtes Problem, die metaphysische Möglichkeit von Wundern, bereits in Abschnitt 3.5 diskutiert, und können an die dortigen Resultate anknüpfen. Dem Theisten lägen zur argumentativen Verteidigung der göttlichen Allmacht zwei Strategien nahe. Zum einen kann er darauf hinweisen, dass die naturgesetzliche Betrachtung und Beschreibung der Welt nur eine unter mehreren Möglichkeiten ist. Sie hat zwar ihren unbezweifelbaren und unersetzbaren Wert für bestimmte Problemstellungen, sie sollte jedoch nicht als die prioritäre, einzig mögliche oder einzig korrekte Weltbeschreibung betrachtet werden. Ob Gott in die Wirklichkeit eingreifen kann, ist also aus der beschränkten naturwissenschaftlichen Sicht nicht zu entscheiden. Und da Gott als Schöpfer der Welt wohl über den Naturgesetzen steht, ist eine Durchbrechung der Naturgesetze nicht von vornherein auszuschließen. Eine zweite Strategie, die einer naturwissenschaftlichen Weltsicht weiter entgegenkommt, wäre die folgende: Innerhalb mancher naturwissenschaftlicher Theorien – insbesondere der Quantenmechanik – wird das Prinzip der kausalen Geschlossenheit aufgegeben. Wenn die weitere Entwicklung eines Vorgangs also physikalisch gesehen offen ist, so könnte doch Gott – ohne Durchbrechung von Naturgesetzen! – den Vorgang in eine bestimmte Richtung hin lenken und auf diese Weise in die Welt hinein wirken. Diese Strategie mag auf den ersten Blick attraktiv erscheinen, hat jedoch mehrere Schwachpunkte: Erstens klafft zwischen der göttlichen Steuerung quantenphysikalischer Mikro-Vorgänge einerseits und sinnenfälligen Handlungen Gottes auf der Ebene von Makrovorgängen eine große Lücke, die nicht leicht zu schließen sein dürfte, ohne weitere unplausible Zusatzannahmen zu machen. Außerdem kann man, wenn man methodisch präzise vorgehen will, eigentlich nur sagen, dass wir nicht wissen, ob Quantenvorgänge kausal determiniert sind, weil unser normaler physikalischer Kausalbegriff hier nicht anwendbar erscheint. Ebenso wenig kann man

Nötige Differenzierungen

Gottes Allmacht und die Naturgesetze

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4 Argumente gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen

Das Problem des Übels (Theodizeeproblem)

Erste Differenzierungen: physische und moralische Übel, sinnlose und notwendige Übel

Vorblick auf Varianten des Problems: Das Übel als logisches Problem und als Belegproblem

also mit Sicherheit sagen, ob Gott ohne Durchbrechung der Naturgesetze in der physikalischen Wirklichkeit handeln kann. Der vermutlich bekannteste und für die meisten Menschen wohl auch existenziell relevanteste Einwand gegen religiöse Überzeugungen ist das Problem des Übels in der Welt. (Oft wird es auch als „Theodizeeproblem“ bezeichnet, wir werden allerdings noch sehen, dass „Theodizee“ eher für einen ganz bestimmten Lösungsvorschlag reserviert sein sollte). Wir alle wissen, dass es in der Welt ein bedrückendes Ausmaß von Übeln verschiedenster Art und verschiedensten Maßstabs gibt: Krankheiten und körperliche Gebrechen, Schmerzen teils unsäglichen Ausmaßes, Naturkatastrophen, menschengemachte Katastrophen wie Hungersnöte und Unfälle, menschliches Versagen, Bosheit und Grausamkeit bis hin zu Folter, sadistischen Tötungen Unschuldiger und zur Auslöschung ganzer Völker, aber auch persönliche Erfahrungen eigenen Versagens, des Zerbrechens von menschlichen Beziehungen, des Todes geliebter Menschen und nicht zuletzt die Aussicht auf den eigenen Tod. Wie ist in einer Welt, in der z. B. täglich 24 000 Menschen verhungern, der Glaube an einen allgütigen, allmächtigen und allwissenden Gott vernünftig zu rechtfertigen? Es scheint, als ob sich hier folgendes Trilemma auftut: Vielleicht weiß Gott nichts von diesen Übeln (dann ist er aber nicht allwissend), oder er kann nichts daran ändern (dann ist er nicht allmächtig), oder er will es gar nicht (dann ist er nicht allgütig). Für die weiteren Überlegungen sollte zunächst zwischen physischen und moralischen Übeln unterschieden werden: Physische Übel (von griech. physis, Natur) sind Übel, die ohne moralisch relevantes Zutun des Menschen bestehen oder eintreten, etwa Erdbeben und andere Naturkatastrophen, Krankheiten und Schmerzen, nach verbreiteter Auffassung auch Grausamkeiten in der Natur, etwa tierisches Leid bei qualvollem Gefressenwerden, und auch der menschliche Tod. Moralische Übel sind solche, die auf moralisch relevantes menschliches Handeln zurückgehen, etwa die vorsätzliche oder fahrlässige Zufügung von körperlichen oder seelischen Schmerzen bis hin zu Verbrechen und unvorstellbaren Grausamkeiten. Eine Zwischenstellung zwischen rein moralischen und rein physischen Übeln nehmen etwa Unfälle nach technischen Gebrechen oder die Schädigung von Menschen durch wirtschaftliche Fehlentscheidungen und/oder Naturzerstörung ein. Ursache des Übels ist hier das Zusammentreten von menschlichem Handeln, physischem Übel und den Eigengesetzlichkeiten des jeweiligen Bereichs. Zu unterscheiden sind außerdem notwendige Übel (etwa die vom Zahnarzt zugefügten Schmerzen beim Ziehen eines kranken Zahnes), die um eines größeren Gutes Willen in Kauf genommen werden, und sinnlose Übel, bei denen kein solcher Zusammenhang erkennbar ist. Sinnlose moralische Übel werden mitunter sogar um des Übels willen angerichtet, etwa aus Bosheit oder Sadismus. Es dürfte kaum jemand ernsthaft bestreiten, dass es – zumindest prima facie – alle genannten Arten von Übeln in der Welt gibt. Besonders bedrückend und daher als Einwand gegen die Existenz Gottes besonders naheliegend ist freilich das sinnlose Übel. Aus dem Faktum des Übels kann allerdings auf verschiedene Weise ein Einwand gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen entwickelt werden. Man kann auf dem Standpunkt stehen, die Existenz des Übels sei mit der Existenz eines gütigen Got-

4.2 Religiöse Überzeugungen seien falsch

tes logisch unvereinbar, aus der Existenz des Übels folge also die Nichtexistenz Gottes. Dies ist das so genannte logische Problem des Übels. Gemäß einer anderen Position folgt aus dem Übel zwar nicht zwingend die Nichtexistenz Gottes, das Übel sei jedoch ein Beleg, der massiv gegen seine Existenz spricht. Man könnte dies das Belegproblem des Übels nennen (engl. evidential problem of evil (234); die deutsche Terminologie ist hier meines Wissens noch nicht verfestigt). Verschiedene Formulierungen des Problems des Übels unterscheiden sich darüber hinaus dadurch, ob sie an das grundsätzliche Faktum, dass es überhaupt Übel gibt, oder an das konkrete Ausmaß des Übels in der Welt anknüpfen. Man könnte diese Varianten das Grundsatzproblem und das Ausmaßproblem des Übels nennen. (Angemerkt sei, dass man das Belegproblem des Übels im Sinne unserer Systematik eigentlich unter 4.3 einordnen müsste, weil es mit der Begründung religiöser Überzeugungen zu tun hat. Da „das Problem des Übels“ aber in der Literatur durchwegs als einheitlicher Themenkomplex behandelt wird, soll dem auch hier gefolgt werden.) Lösungsansätze zu Problemen des Übels unterscheiden sich nach der Stärke des Argumentationszieles. Soll nur die grundsätzliche vernünftige Vereinbarkeit der Existenz Gottes mit der Existenz des Übels begründet werden, so spricht man häufig von Verteidigungen des Theismus; sollen aber positive Gründe dafür angeführt werden, dass das Übel einen bestimmten Sinn oder Zweck hat, spricht man von Theodizeen (von G. W. Leibniz (70) geprägtes Kunstwort aus griech. theos, Gott und dike, Recht, etwa „Rechtfertigung Gottes angesichts des Übels“). Schließlich gibt es drittens die Position, dass der Sinn des Übels für uns Menschen unerforschlich bleiben muss, da wir nicht über den Erkenntnisstand Gottes verfügen; vielleicht dienen die Übel irgendeinem uns unbekannten höheren Gut. Die These hinter dem logischen Problem des Übels ist sehr stark, sie ist eine Unmöglichkeitsbehauptung: Es ist unmöglich, dass ein gütiger Gott zugleich mit dem Übel existiert. Mit anderen Worten, es ist unmöglich, dass es für das Übel irgendwelche guten Gründe oder zumindest Erklärungen geben könnte (egal ob wir sie nun kennen oder nicht), die das Übel mit der Existenz Gottes doch wieder vereinbar machen. Dementsprechend kann eine Lösung für das logische Problem des Übels relativ schwach ausfallen, sie müsste lediglich die Möglichkeitsbehauptung begründen können, dass es solche guten Gründe oder Erklärungen vielleicht doch geben könnte, dass sie also nicht auszuschließen sind. Die bekannteste Lösungsstrategie für das logische Problem des Übels hat mit der göttlichen Schaffung ernsthaft freier Handlungssubjekte zu tun, d. h. solcher, deren Willensentscheidungen Gott nicht determinieren will und deren Handlungen wirklich manchmal moralisch relevante Folgen haben, d. h. Subjekte, die sich nicht nur zwischen der Herbeiführung jeweils gleich guter und angenehmer Weltzustände entscheiden müssen, sondern die auch Fehler machen können, Leid und Unrecht herbeiführen können etc. Verfechter der sogenannten free will defence (etwa: „Verteidigung der Vernünftigkeit des Glaubens durch Hinweis auf die Freiheit“; die bekannteste zeitgenössische Variante dieser Position stammt von Alvin Plantinga, siehe z. B. (174)) behaupten nun, dass die Schaffung ernsthaft freier Handlungssubjekte möglicherweise nur mit der Einschränkung möglich ist, dass diese Subjekte ir-

Das Übel als Grundsatzproblem und als Ausmaßproblem

Varianten von Lösungsansätzen: „Verteidigungen“, „Theodizeen“ und Unerforschlichkeitsthesen

Das logische Problem des Übels und die „free will defence“

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4 Argumente gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen

Einwände gegen die „free will defence“

Das Belegproblem des Übels und seine Lösungsvorschläge

Varianten von Theodizeen

gendwann Übel anrichten, egal in welcher denkmöglichen Welt sie existieren. Da dies nicht auszuschließen ist, könnte es in jeder möglichen Welt Übel geben, und bereits damit ist die Existenz Gottes nicht mehr absolut unvereinbar mit dem Übel. Allerdings liegen gegen die free will defence drei Einwände nahe. Erstens ist unklar, aufgrund welcher Intuitionen oder sonstiger Erkenntnisquellen man solche sehr abstrakten und überdies verschachtelten Denkmöglichkeiten („möglicherweise ist die Schaffung ernsthaft freier Handlungssubjekte nur möglich, wenn …“) beurteilen sollte. Zweitens scheint die free will defence vor allem auf moralische Übel hin gemünzt: Wie nämlich z. B. qualvolle Krankheiten, Flutwellen u. a. physische Übel auf solchem Wege mit Gottes Existenz in Einklang zu bringen sind, bleibt offen. Drittens und hauptsächlich ist darauf hinzuweisen, dass die free will defence nur das Grundsatzproblem des Übels berührt. Das horrende Ausmaß mancher physischer und moralischer Übel erscheint damit noch nicht abgedeckt; ernsthaft freie Handlungssubjekte könnten doch auch möglich sein, wenn ihre Fehlhandlungen weniger dramatische Konsequenzen hätten. Freilich könnte man auch diesen Einwänden wiederum durch den Verweis auf irgendwelche weiteren Denkmöglichkeiten kontern; insgesamt hat sich daher derzeit das Interesse vom logischen Problem des Übels und von der free will defence eher weg verlagert. Nimmt man also an, dass das logische Problem grundsätzlich lösbar erscheint, so verbleibt dennoch der Einwand, dass Existenz und vor allem Ausmaß des Übels gewichtige Belege sind, die zumindest auf den ersten Blick gegen die Existenz Gottes sprechen. Als Reaktion auf dieses Problem liegen dem Theisten zwei Strategien nahe. Offensiver ist die Strategie der Theodizeen, die einen Sinn des Übels anzugeben versuchen. Defensiver ist die These des unerforschlichen Übels: Wir Menschen seien aufgrund unserer Erkenntnissituation einfach nicht in der Lage zu verstehen, wie Gottes Güte mit seiner Art der Weltregierung vereinbar ist, die offenbar auch viele Übel einschließt. Gott habe Pläne, die uns Menschen verschlossen bleiben, und das Übel in der Welt diene letztlich irgendwelchen größeren Gütern. Theodizeen als Lösungen des Belegproblems beruhen auf folgendem Gedanken: Wenn Übel einen Sinn haben, dann sind Übel geradezu zu erwarten, wenn Gott existiert. Dann würden die Übel der Welt vielleicht sogar zu einem Beleg für die Existenz Gottes, zumindest aber zu einem irrelevanten Beleg, und damit ist das Belegproblem gelöst. Prominente Vorschläge von Theodizeen sind, dass (a) das Übel die angemessene göttliche Strafe für Sünden ist, dass (b) ein gewisses Ausmaß physischer Übel notwendig sind, damit wir wirklich ernsthaft frei sind (in einer Welt ohne Schmerz könnten wir z. B. niemandem weh tun und müssten uns auch nicht davor hüten), und dass moralische Übel die notwendige Begleiterscheinung ernsthafter Freiheit sind, oder dass (c) Übel die Gelegenheit zur Verbesserung unseres Charakters bieten, weil sie vornehme Eigenschaften wie Solidarität, Hilfsbereitschaft, Aufopferung, Heldenmut und Verantwortungsgefühl fördern, vielleicht auch deshalb, weil die Konfrontation mit dem Übel unsere Gottesbeziehung wach hält und festigt. (Variante (b) ist mit der free will defence verwandt, zielt aber nicht nur auf die logische Vereinbar-

4.2 Religiöse Überzeugungen seien falsch

keit des Übels mit Gottes Existenz ab, sondern will das Übel auch als Gegen-Beleg neutralisieren). Gegen sämtliche Theodizeen gibt es allerdings massive Einwände. Gegen (a), die Sündenstrafen-Theodizee, spricht das bekannte tragische Faktum, dass derlei „Strafen“ in sehr vielen Fällen die völlig falschen Leute treffen würden (man denke an ein Kleinkind, das noch gar keine Gelegenheit zu ernsthaften Sünden hatte, aber an einer qualvollen Krankheit stirbt). Wohl nicht zufällig lehnt auch z. B. das Neue Testament diese Theodizee ab (Johannesevangelium Kap. 9, Vers 3). Gegen alle drei Varianten von Theodizeen spricht, dass sie das Ausmaßproblem des Übels nicht lösen können: Alle drei angestrebten Sinne bzw. Zwecke des Übels scheinen wohl auch mit wesentlich geringeren Ausmaßen des Übels erreichbar. Manche Leser werden angesichts der vorigen Passagen ein Unbehagen verspürt haben, wie man grundsätzlich an solche Fragen herangehen sollte: Anhand welcher Maßstäbe sollten wir denn das Übel gegen mögliche größere Güter abwägen, für die Gott das Übel in Kauf nehmen könnte? Unter anderem aus einem solchen Unbehagen heraus speist sich die These von Autoren wie Stephen Wykstra (in: (234), S. 126–150), dass das Übel zwar letztlich irgendwelchen größeren Gütern diene, dass uns die genauen Wege Gottes zur Realisierung dieser Güter aber verschlossen bleiben. Um eine instruktive Metapher von William P. Alston zu gebrauchen: Ähnlich wie ein schachunkundiger Beobachter einer Großmeister-Partie nicht abschätzen kann, warum ein Spieler zuweilen eine Figur zugunsten eines höheren Gutes opfert, so können wir Menschen nicht wissen, warum Gott das Übel zulässt. Die These vom unerforschlichen Übel scheint zunächst plausibel, denn in der Tat sollte man aus theistischer Sicht vorsichtig damit sein, Gottes Handlungen nach unseren menschlichen Maßstäben zu beurteilen. Allerdings bietet die These auch nur eine sehr schwache Verteidigung gegen das Belegproblem, denn die Belege offensichtlich sinnloser und schrecklicher Übel wie der sadistischen Qual Unschuldiger, der Genozide der Weltgeschichte u. a. wiegen doch schwer. Außerdem muss der Vertreter der Unerforschlichkeitsthese mit der Anfrage rechnen, ob er nicht die Pro- und Contra-Belege ungleich behandelt: Warum könnte man nicht auch bei den ProBelegen für die Existenz Gottes dieselbe Unerforschlichkeitsthese in Anschlag bringen? Warum könnte man nicht mit ebensolcher Berechtigung z. B. die anscheinende Feinabstimmung des Universums als „unerforschliches Rätsel, hinter dem vielleicht ein göttlicher Plan steht (vielleicht aber auch nicht)“, in ihrer Belegkraft depotenzieren? Diese Frage deutet einmal mehr auf das tieferliegende Problem hin, welche Aussagen von Gott berechtigt gemacht werden können, ohne einerseits in ein mythologisch-vermenschlichendes Gottesbild zu verfallen oder andererseits den Aussagen von Gott jeglichen präzisen Inhalt zu nehmen. Dieses Problem wird Gegenstand von Abschnitt 5.5 sein. Insgesamt gibt es für das Problem des Übels wohl keine befriedigende philosophische Lösung. Wenngleich das logische Problem lösbar erscheint, so greifen die gegen das Belegproblem vorgeschlagenen Theodizeen doch kaum (und für allfällige sonstige Theodizeen gilt vermutlich dasselbe). Die These von der Unerforschlichkeit des Übels mag noch am attraktivsten erscheinen, hat jedoch bereits Züge einer theologischen Theorie. Denn man

Die These vom unerforschlichen Übel

Das Problem des Übels ist philosophisch unlösbar

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4 Argumente gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen

Naturalistische Erklärungen religiöser Überzeugungen als religionskritische Einwände

liest sie wohl am besten als Versuch von Gläubigen, sich vom Standpunkt des Glaubens aus zumindest irgendeine Erklärung für das Übel zurecht zu legen. Das Übel bleibt aber philosophisch gesehen ein Beleg gegen die Existenz Gottes. Sofern man als Theist Sympathien für empirische Kumulativargumente (oben 3.6) hat, relativiert sich der Beleg-Wert des Übels in Zusammenhalt mit den anderen Belegen. Sofern man eher anderen Argumenten zuneigt, bleibt das Übel ein philosophisch unlösbares Rätsel, auf das es nur im religiösen Glauben eine Antwort gibt. So etwa glauben Christen, dass Gott selbst sich dem Übel in der Welt durch den grausamen Kreuzestod seines Sohnes Jesus Christus einerseits radikal ausgesetzt hat, dass das Übel aber durch dessen Auferstehung von den Toten letztlich überwunden ist. Die näheren Hintergründe bleiben jedoch ein Glaubensgeheimnis, für das auch die christliche Theologie nur Verstehenshilfen, aber keine vollen Erklärungen anbieten kann. Es gab und gibt Versuche, das Entstehen religiöser Überzeugungen mit natürlichen Ursachen zu erklären. Vor allem die ältere Geschichte der Religionswissenschaften ist u. a. gekennzeichnet von Versuchen, den Ursprung der Religionen ausfindig zu machen. Diese Versuche stellten häufig merkwürdige Mischungen aus empirischen Belegen und – da es hier naturgemäß kaum aussagekräftige Quellen gibt – rein spekulativen Extrapolationen in die ferne Vergangenheit dar (247). Eine bekannte These in diesem Zusammenhang besagt etwa, dass Religionen letztlich Produkte der Angst (vor unverstandenen Naturgewalten, Feinden etc.) und dadurch natürlich erklärbar seien. Die religionskritischen Argumente, die daraus entwickelt wurden, lauten im Kern wie folgt: 1. Wenn das Entstehen einer Überzeugung natürlich erklärbar ist, dann ist diese Überzeugung falsch. 2. Nun ist die Entstehung religiöser Überzeugungen natürlich erklärbar. 3. Also sind religiöse Überzeugungen falsch.

Evolutionäre Erklärungen der Religion

Egal, wie es nun wirklich um die Absicherung der Prämisse 2 stehen mag, problematisch ist jedenfalls das in Prämisse 1 ausgedrückte allgemeine Prinzip. Prämisse 1 ist ein Fall eines sogenannten genetischen Trugschlusses, d. h. einer unzulässigen Vermengung von Fragen der Entstehung (griech. genesis) einer Überzeugung mit Fragen der Begründung bzw. der Wahrheit von Überzeugungen. Die Tatsache, dass das Vorkommen einer Überzeugung natürlich erklärbar ist, besagt für die Begründung bzw. Wahrheit oder Falschheit dieser These nämlich noch gar nichts. Auch Überzeugungen wie „ich sehe jetzt einen Bleistift“ oder „mein rechtes Knie schmerzt“ mögen natürliche Erklärungen haben; daraus folgt aber – ohne weitere Gegengründe – noch keineswegs, dass sie falsch sind. Neuere Varianten dieses Einwandes knüpfen deutlicher an die Evolutionstheorie an (zur Übersicht siehe (243), (215)). Autoren des „Neuen Atheismus“ wie Richard Dawkins ((218), (218a)) und Daniel Dennett ((219), (220)) dehnen die Idee der Evolution auf geistige, sprachliche und kulturelle Gegebenheiten aus. Sprache und Kultur sind lediglich komplexere Formen der Weltrepräsentation, wie sie aber ansatzweise auch schon im Tier- und Pflanzenreich vorkommt. Dawkins und Dennett fassen Ideen, Begriffe, literarische Motive, Arbeitstechniken, Erfindungen und vieles mehr als „Meme“

4.2 Religiöse Überzeugungen seien falsch

(Kunstwort, in Anlehnung an „Gene“) zusammen, die analog zu genetischen Informationen zu betrachten seien. Meme breiten sich aus und haben mehr oder minder großen Nutzen und Selektionswert (besonders erfolgreich waren z. B. das Rad und der Ackerbau). Auch das Ich (als Vorstellung eines zentralen Punktes in unserem Weltbild) ist ein ungeheuer erfolgreiches solches Mem, es ermöglicht z. B. das langfristige Verfolgen „meiner“ Projekte und die Kooperation untereinander. Religiöse Vorstellungen wie diejenigen von Göttern etc. sind nun ebenfalls Meme, deren Erfolg sich vielleicht durch ihren Nutzen bei der Lebensbewältigung erklären lässt. Teilweise werden sie aber durch flankierende Meme wie die Vorstellung eines Höllenfeuers etc. gestützt, und das ist schon ein Hinweis auf ihre Gefährlichkeit. Manche religiöse Meme, auch wenn sie natürlich entstanden sein mögen, sind ausgesprochen schädlich, insbesondere dann, wenn sie die Menschen von der aufgeklärten, naturwissenschaftlichen Weltsicht abhalten und so die begrüßenswerten Tendenzen der kulturellen Evolution behindern (ein markantes Beispiel wäre etwa die Zurückdrängung des Evolutionsbiologie-Unterrichts durch religiöse Fundamentalisten in manchen US-Bundesstaaten). Solche gefährlichen Meme sollten durchaus auch durch kulturpolitische Maßnahmen bekämpft werden ((219), (220)). Religionen haben also eine evolutionäre Erklärung. Die religionskritische Spitze an Dawkins’ und Dennetts Aussagen hat dabei aber nicht unmittelbar mit der Evolution zu tun; sie geht vielmehr auf die grundsätzliche Voreinstellung der Autoren zurück, dass religiöse Überzeugungen falsch sind, weil sie in einer naturalistischen Weltsicht keinen Platz haben, oder dass sie schädlich sind. Umgekehrt gibt es auch Argumente, die den Nutzen der Religion für die kulturelle Evolution betonen und etwa den Einfluss des Christentums auf Kulturschaffen und Wissenschaftsgeschichte herausarbeiten. Das Hauptproblem an all diesen Argumenten (egal, ob pro oder contra Religion) ist auch hier wiederum, dass sie Formen des genetischen Trugschlusses sind. Weder aus einer allfälligen evolutionären Vorgeschichte einer Überzeugung noch aus ihrem allfälligen evolutionären Nutzen oder Schaden folgt irgendetwas über die Wahrheit oder Falschheit dieser Überzeugung. Außerdem wurde schon die Idee einer kulturellen Evolution als bloß metaphorisch und als unzulässige Übertragung eines biologischen Denkmusters kritisiert. Tatsächlich gibt es zwischen biologischer und kultureller Evolution tiefgreifende Unterschiede: Gene verändern sich zufällig, sind nicht mischbar und erworbene Eigenschaften von Organismen vererben sich nicht; Meme dagegen sind bewusst beeinflussbar, miteinander mischbar, erworbene Eigenschaften und Änderungen werden weitergegeben, etc. ((242), (245a)). Und schließlich sind derartige Argumente von den allgemeinen Problemen von Nützlichkeits-/Schädlichkeitsargumenten für bzw. gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen behaftet (wir kommen darauf unter 4.6 zu sprechen). Eine Variante des Arguments von der natürlichen Erklärbarkeit auf die Falschheit religiöser Überzeugungen beruft sich auf die Neurowissenschaften. Tatsächlich gibt die Untersuchung meditierender Personen mit Hilfe moderner bildgebender Verfahren der Gehirnforschung Hinweise darauf, dass religiöse Gefühle, Wahrnehmungen etc. mit bestimmten charakteristischen Aktivitätsmustern des Gehirns korreliert sind; außerdem gibt es gewisse Hinweise darauf, dass religiöse Gefühle durch externe magnetische

Zeigt die „Neurotheologie“, dass religiöse Überzeugungen falsch sind?

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4 Argumente gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen

Religiöse Ausdeutungen der Neurotheologie sind ebenso unberechtigt

Stimulation des Gehirns evozierbar sind. Einige Interpreten schließen daraus, dass religiöse Wahrnehmungen, Gefühle etc. nichts anderes seien als eine Art elektrisches Gewitter in bestimmten Gehirnregionen, und ihr Inhalt daher falsch sei (siehe z. B. (246), (236); für eine Übersicht über Befunde und Interpretationen im Rahmen dieser „Neurotheologie“ siehe (228)). Auch wenn die empirische Basis einiger dieser Forschungen fragwürdig sein mag (geringe Probandenzahl, mangelhafte Dokumentation), ist an diesen Befunden nicht grundsätzlich zu zweifeln: Religiöse Wahrnehmungen, Gefühle etc. haben – wie alle Aktivitäten des Bewusstseins! – trivialer Weise ein neuronales Korrelat. Dass sie extern beeinflussbar sind, ist ebenso wenig bezweifelbar (und auch nicht weiter spektakulär, denn ähnliche Effekte von Drogen und Psychopharmaka sind seit Jahrtausenden bekannt). Unberechtigt ist allerdings die anschließende Interpretation bzw. die Schlussfolgerung, dass religiöse Überzeugungen daher falsch seien. (Man kann sich dies leicht an einem Vergleichsbeispiel klar machen: Auch das Lösen geometrischer Aufgaben ist mit charakteristischen neuronalen Korrelaten gekoppelt. Aber vermutlich würde kaum jemand daraus schließen, dass die Aufgabenlösung daher falsch sein müsse.) Ebenso unberechtigt ist übrigens auch die umgekehrte Schlussfolgerung, die manche pointiert religionsfreundliche Interpreten aus diesen Befunden ziehen: Wenn unser Gehirn spezielle Aktivitätsmuster bei religiösen Wahrnehmungen zeige, dann sei das ein Hinweis, dass wir offensichtlich evolutionär auf solche Wahrnehmungen vorbereitet seien, dass wir also quasi einen sechsten Sinn für das Religiöse hätten. Und das wiederum sei ein Argument für das Vorhandensein eines göttlichen Bauplanes und damit für die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen. In all diesen Fällen liegt ein unberechtigter genetischer Trugschluss vom neuronalen Korrelat eines Bewusstseinsinhalts auf die Wahrheit oder Falschheit dieses Inhalts vor. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass Religionen und auch religiöse Überzeugungen phänomenologisch gesehen etwas anderes (und wesentlich mehr) sind als nur religiöse Gefühle oder Wahrnehmungen. Sogar wenn z. B. die religiösen Gefühlsregungen mancher Menschen als nicht-normal oder krankhaft auszeichenbar wären, wäre damit über die Wahrheit oder Falschheit des kognitiven Kerns dieser Religion noch kein Urteil möglich.

4.3 Argumente, denen zufolge religiöse Überzeugungen mangelhaft begründet, unbegründbar oder unwissenschaftlich seien Einige religionskritische Argumente erheben einen anderen Anspruch als die zuletzt besprochenen: Religiöse Überzeugungen seien zwar nicht nachweislich falsch, aber sie seien doch (de facto) mangelhaft begründet – so mangelhaft, dass man ihnen vernünftiger Weise nicht trauen kann. Manche Autoren gehen weiter und behaupten, dass religiöse Überzeugungen prinzipiell nicht ausreichend begründbar seien oder dass die Begründungen für sie zumindest keinen wissenschaftlichen Standards genügen. (Zur leichteren Orientierung in der Literatur ist anzumerken, dass bei vielen religionskriti-

4.3 Religiöse Überzeugungen seien mangelhaft begründet, unbegründbar oder unwissenschaftlich

schen Autoren nicht auf den ersten Blick klar ist, ob sie nun derartige Positionen vertreten oder eher solche, wie sie vorher in den Abschnitten 4.2 dargestellt wurden. Dies u. a. deshalb, weil viele Autoren zwar von der Falschheit religiöser Überzeugungen überzeugt sind, aber argumentativ dann eher auf deren Begründungsmängel verweisen.) Als prominente Argumentationsfiguren greifen wir den „evidentialistischen“ Einwand sowie den Einwand heraus, dass religiöse Überzeugungen keinen wissenschaftlichen Begründungsansprüchen genügen könnten. Bertrand Russell (249) nannte als einen wesentlichen Grund für seine Kritik an religiösen Überzeugungen den Mangel an klaren empirischen Belegen für den Theismus (Beleg/Beweismittel = engl. evidence, daher spricht man im Englischen von der evidentialist objection to theism und in einer nicht ganz glücklichen deutschen Übersetzung vom evidentialistischen Einwand). Antony Flew hat die dahinterliegende Überlegung bezüglich der Beweislastverteilung expliziert: Ähnlich wie in Gerichtsverfahren grundsätzlich die Beweislastregel „wer etwas behauptet, muss es beweisen“ gilt, sei dies auch bezüglich der Gottesfrage zu halten. Wer die Existenz Gottes behaupte, dem obliege die Beweislast. Auszugehen sei zunächst von einer „Presumption of Atheism“ (226), d. h. von der Ausgangsannahme, man wisse weder über die Existenz Gottes etwas noch wisse man, wie seine Eigenschaftszuschreibungen überhaupt zu verstehen sind oder anhand welcher Einführungsprozeduren man diese Eigenschaftszuschreibungen semantisch klären könnte. Diese „A-theismus“-Annahme Flews ist nicht mit Atheismus im üblichen Sinne (siehe oben 2.1) gleichzusetzen: Atheisten im üblichen Sinne wissen zumindest, die Existenz welchen Wesens sie ablehnen. Flews A-theismus ist dagegen die fiktive Situation, dass man überhaupt zum ersten Mal mit theistischen Behauptungen konfrontiert wäre, keine Prooder Contra-Meinung dazu habe und nicht einmal die Bedeutung dieser Behauptungen fraglos verstehen könne. Dies sei, so Flew, deshalb wichtig, weil wir aus kulturellen und geschichtlichen Gründen derart vertraut mit theistischen Behauptungen seien, dass wir die vielen Begründungslücken hinter ihnen allzu leicht übersehen. Dass z. B. der personal geglaubte Gott gleichzeitig ein allmächtiges, allwissendes etc. Wesen sei, dass er identisch mit dem Gott der Bibel sei und die erste Ursache des Universums, all das mag uns auf dem christlich-religiös geprägten Hintergrund unserer Kultur zwar selbstverständlich erscheinen, ist es aber nicht. Ein markantes Beispiel ist nach Flew etwa die Lücke, die zwischen der Big Bang-Kosmologie und dem Theismus klafft: Selbst wenn es gute Argumente dafür gäbe, dass auch der Big Bang eine Ursache haben muss (siehe oben 3.3), so ist es von einer solchen angenommenen Ursache bis zum inhaltlich viel reicheren Gottesbegriff des Theismus noch ein langer Weg. Eine ähnliche argumentative Lücke hatten wir oben in 3.5 zwischen der ohnehin fraglichen Existenz von Wundern und der Meinung, dadurch sei eine bestimmte religiöse Überzeugung gerechtfertigt, festgestellt. Eine radikalisierte Version des evidentialistischen Einwandes schließlich wäre die, dass man ohne zwingende empirische Belege überhaupt niemals etwas glauben sollte. Diese Position wird gemeinhin William K. Clifford zugeschrieben, der in seinem Aufsatz The Ethics of Belief (1879, (214)) vertreten hatte, dass es aus moralischen Gründen falsch sei, jemals irgendetwas

Der „evidentialistische“ Einwand und die „Presumption of Atheism“ als Beweislastregel

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4 Argumente gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen

Vorüberlegung: Muss es für alle vernünftigen Überzeugungen Gründe geben?

ohne hinreichende Gründe zu glauben. (Aus moralischen Gründen deshalb, weil Clifford darin die Gefahr des Rückfalls in barbarische gesellschaftliche Praktiken erblickte.) Was ist von Flews und Cliffords Überlegungen zu halten? Zweifellos wäre Cliffords Position, als allgemeines erkenntnistheoretisches Prinzip genommen, überzogen. Wie wir oben in 3.7 gesehen haben, glauben wir im Alltag ebenso wie in der Wissenschaft sehr vieles, wofür wir keine sonderlich starken Gründe haben, schon gar keine empirischen Gründe. Erinnert sei hier an Beispiele wie „die Welt existiert bereits seit mehr als 10 Minuten“, „es gibt Bewusstseine außer meinem eigenen“, „materielle Gegenstände existieren weiter, auch wenn niemand hinsieht“. Wer all diese Überzeugungen hat, wird als durchaus vernünftig betrachtet. Ähnliches gilt in den Wissenschaften: dass der jeweilige Gegenstandsbereich einer Wissenschaft überhaupt existiert, gilt als durchaus vernünftige Voraussetzung, wird aber innerhalb dieser Wissenschaft nicht begründet. Der naheliegendste Grund, den man für diese Überzeugungen vielleicht nennen könnte, wäre der, dass wir sie immer schon unserem Weltbild zugrundelegen, dass wir bislang mit Erfolg mit ihnen gearbeitet haben und dass nichts gegen sie spricht. Das ist allerdings kein empirischer Grund im engeren Sinne, und auch weniger ein positiver Grund als vielmehr die Abweisung eines Bedenkens. Ähnliche Überlegungen hatte bereits Aristoteles bezüglich des sogenannten Nichtwiderspruchsprinzips angestellt: Dafür, dass eine Behauptung P nicht zugleich mit ihrer Negation – P wahr sein kann, lassen sich zwar vielleicht keine positiven Gründe anführen. Aber jeder, der sich dagegen aussprechen würde, würde es stillschweigend wieder voraussetzen, denn er möchte ja mitteilen, dass das Gegenteil seiner Behauptung nicht wahr ist ((57), Buch IV, Kap. 4). Grundsätzlich kann es also Überzeugungen geben, die auch ohne positive Gründe vernünftig vertretbar sind. (Ähnlich sind übrigens auch im Gerichtsverfahren die Beweislasten verteilt: Wer sich auf Selbstverständlichkeiten beruft, schuldet dafür keinen Beweis, und wer für selbstverständliche Behauptungen der Gegenseite einen Beweis verlangt, dessen Beweisantrag wird normaler Weise abgelehnt.) Freilich ist damit noch nicht unsere Ausgangsfrage beantwortet, bei wem nun die Beweislasten für religiöse Überzeugungen liegen: Gehören sie zu den Selbstverständlichkeiten, die keines Beweises bedürfen, oder hat Flew recht, dass grundsätzlich von einer „a-theistischen“ Ausgangsvermutung auszugehen sei? Einen pointierten Antwortvorschlag auf diese Frage – den der jüngeren Reformierten Erkenntnistheorie – haben wir bereits in 3.7 kennen gelernt: Aufgrund des sensus Divinitatis und des göttlichen Beistandes seien Gläubige grundsätzlich rational, wenn sie ihren religiösen Überzeugungen trauen, und sie seien nur bei massivem Irrtumsverdacht verpflichtet, kritischen Einwänden nachzugehen. Wir haben freilich auch gesehen, dass diese Position bereits auf theologischen Voraussetzungen aufruht, deren Berechtigung eben in Frage steht. Man könnte allerdings auch weniger voraussetzungsreich gegen die „Presumption of Atheism“ argumentieren, und zwar ähnlich den Paritätsargumenten der älteren Reformierten Erkenntnistheorie sowie unter Verweis auf eine Art erkenntnistheoretische Arbeitsteilung. Die „Presumption of Atheism“ macht die stillschweigende, aber eigentlich sehr starke Voraussetl

Stellenwert der „Presumption of Atheism“: Wem obliegt die Beweislast wofür?

Die „Presumption of Atheism“ als äußerst starke Voraussetzung

4.3 Religiöse Überzeugungen seien mangelhaft begründet, unbegründbar oder unwissenschaftlich

zung, dass es bislang keinerlei gute Argumente für Gottes Existenz und keinerlei tragfähige Klärungen seiner Eigenschaften gegeben habe, dass religiöse Überzeugungen also nichts anderes als ein völlig irrationales kulturelles Phänomen seien. Dabei wird aber übersehen, dass religiöse Überzeugungen ein erstaunlich weit verbreitetes Phänomen sind und dass Gläubige üblicherweise doch irgendwelche – wenngleich vielleicht nur diffuse oder lückenhafte – Gründe für ihre Überzeugungen angeben können. Solche Gründe können etwa eigene religiöse Erfahrungen und die Bewährung religiöser Überzeugungen im eigenen Leben sein, das Vertrauen auf historische Zeugnisse und Überlieferungen, die Verlässlichkeit religiöser Gemeinschaften und anderes mehr. Besondere Bedeutung hat dabei eine Art Arbeitsteilung: Viele religiöse Gläubige sind der Meinung, dass es eine Art ErkenntnisExperten in religiösen Dingen gebe (religiöse Funktionsträger, Theologen, Philosophen u. a.), die bei Bedarf auch ausgefeiltere Begründungen vorlegen könnten. Vergleicht man nun diese Situation mit anderen Segmenten unseres Denkens, etwa mit grundsätzlichen Annahmen bezüglich unseres Weltbildes, aber auch mit Gemeinplätzen unseres modernen wissenschaftlichen Weltbildes, so wird man überraschende Ähnlichkeiten feststellen können. Auch die Grundzüge unseres Weltbildes (Beispielsätze siehe oben) sehen wir höchstens als sehr vage durch die Erfahrung begründbar an, rechnen aber damit, dass Experten vielleicht irgendwelche ausgefeilteren Argumente zu ihrer Verteidigung ersinnen könnten. Bezüglich unseres wissenschaftlichen Weltbildes sind zwar die Begründungsstrategien klarer, dafür ist die Arbeitsteilung noch markanter. Dort glauben wir nämlich den überwiegenden Teil nur aufgrund des Zeugnisses anderer (kaum jemand hat sich z. B. selbst davon überzeugt, dass die Erde eine Kugel ist, dass es Chromosomen gibt oder dass Gold in Königswasser löslich ist). Religiöse Überzeugungen wie jene von der Existenz Gottes unterscheiden sich also von anderen Bestandteilen unseres Weltbildes, was den Status ihrer Begründungen betrifft, wohl nur graduell und nicht grundsätzlich. Damit ergibt sich aber ein Einwand gegen die „Presumption of Atheism“: Kaum jemand würde nämlich Flews strikte Begründungsforderungen in gleicher Weise an die Grundzüge unseres Weltbildes herantragen wollen, sondern damit zufrieden sein, dass man dieses Weltbild in einem schwächeren Sinne verteidigen kann. Philosophen wie etwa Peter van Inwagen, William P. Alston und Alvin Plantinga haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es überhaupt merkwürdige öffentliche Doppelstandards gibt, was die Begründung religiöser im Vergleich zu anderen weltanschaulichen Überzeugungen angeht. Während religiöse Überzeugungen vielfach als fraglos falsch oder zumindest stark begründungsbedürftig gelten, finden andere weltanschauliche Überzeugungen weithin fraglosen öffentlichen Beifall, etwa die naturalistische These, dass die Naturwissenschaften den einzigen verlässlichen Zugang zur Wirklichkeit darstellen. Das ist besonders deshalb erstaunlich, weil es gegen diese These eigentlich seit den Zeiten von David Hume und Immanuel Kant eine lange Tradition überzeugender philosophischer Gegenargumente gäbe, die sich keineswegs aus religiösen Quellen speisen. Damit ist bereits ein weiterer möglicher Einwand gegen religiöse Überzeugungen angesprochen: Zuweilen wird nämlich eingewandt, dass reli-

Vergleich mit anderen grundlegenden Weltbild-Überzeugungen

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4 Argumente gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen Formen des szientistischen Einwandes gegen religiöse Überzeugungen

Religion und Wissenschaft: Drei Modelle ihrer Zuordnung

giöse Überzeugungen keinen wissenschaftlichen Begründungsansprüchen genügen und daher nicht vernünftiger Weise vertretbar seien. Diesen Einwand könnte man szientistisch nennen (von lat. scientia, Wissenschaft), und er tritt in mehreren Varianten auf. Eine davon kommt einem bereits in Abschnitt 4.2 diskutierten (und relativierten) Einwand nahe: Wenn es für religiöse Überzeugungen eine natürliche (und damit „wissenschaftliche“) Erklärung gibt oder irgendwann vielleicht geben wird, dann sei es vernünftiger, an diese wissenschaftliche Erklärung zu glauben, und die religiöse Überzeugung ist damit schlecht begründet. Eine andere, etwas stärkere Variante des Einwandes lautet, dass sämtliche religiöse Überzeugungen den Kriterien für wissenschaftliche Begründungen faktisch nicht genügen (oder, noch stärker: ihnen prinzipiell nicht genügen können) und daher unvernünftig seien. Dagegen ist kritisch einzuwenden, dass erstens die Grenzen zwischen „wissenschaftlichen“ und „nichtwissenschaftlichen“ Begründungen nicht so trennscharf zu ziehen sind, wie oft geglaubt wird, und dass zweitens die Möglichkeit von vernünftigen Begründungen keineswegs auf den Bereich der Wissenschaften beschränkt ist (siehe dazu ausführlicher Abschnitt 2.4). Vertreter allzu starker szientistischer Thesen müssten den hohen philosophischen Preis zahlen, dass sie große Teile unserer Alltagsvernunft als eigentlich unvernünftig aufgeben müssten. Das ist z. B. deshalb unplausibel, weil wir gerade die fundamentalsten Überzeugungen unseres Alltagsdenkens und die wichtigsten Entscheidungen unseres Lebens nicht auf wissenschaftliche Begründungen zurückführen, uns aber dennoch nicht unvernünftig dabei fühlen. Einige religiöse Überzeugungen gleichen aber diesen fundamentalsten Überzeugungen und ihre Begründungen sind durchaus so, dass sie den Vergleich mit anderen Begründungen nicht zu scheuen brauchen. Richtig am szientistischen Einwand ist freilich, dass manche religiöse Überzeugungen durchaus mit anderen Überzeugungen und ihren Begründungen in Konflikt geraten können. Wenn etwa eine behauptete historische Episode für manche Gläubige ein Gegenstand religiöser Überzeugungen ist, wenn allerdings gleichzeitig im Lichte der besten verfügbaren historischen Methoden feststeht, dass diese Episode nie stattgefunden hat, dann muss die betreffende religiöse Überzeugung revidiert (oder etwa in einem eher symbolischen Sinne uminterpretiert, etc.) werden. Die grundsätzliche Frage, die hinter mehreren der vorstehenden Einwände steht, ist die nach dem Verhältnis von Religion und Wissenschaft. Vereinfachend lassen sich drei Modelle ihrer grundsätzlichen Zuordnung identifizieren: (a) das Modell, dass religiöse und wissenschaftliche Überzeugungen völlig voneinander getrennt seien und gar nichts miteinander zu tun haben; (b) das Modell, dass religiöse und wissenschaftliche Überzeugungen erkenntnistheoretisch gleichartig seien und letztlich eine einheitliche, umfassende religiös-wissenschaftliche Gesamtsicht der Welt ergeben sollen; (c) das Modell, dass sich religiöse und wissenschaftliche Überzeugungen zwar punktuell berühren und nicht völlig getrennt seien, aber insgesamt doch auf unterschiedlichen Ebenen unserer Welterkenntnis angesiedelt seien.

4.3 Religiöse Überzeugungen seien mangelhaft begründet, unbegründbar oder unwissenschaftlich

Modell (a) erscheint unplausibel, sofern man an einem kognitiven Kern zumindest einiger religiöser Überzeugungen festhalten will und z. B. auch zulassen möchte, dass manche religiöse Überzeugungen aus wissenschaftlicher Sicht kritisierbar sein können. Ein Beispiel – neben dem eben genannten Fall der historischen Kritik an manchen religiösen Überzeugungen – wäre etwa dann gegeben, wenn man bestimmte überzogene religiöse Überzeugungen eher aus medizinisch-psychischen Ursachen erklären möchte. Dass eine solche kritische wissenschaftliche Betrachtung religiöser Überzeugungen aber manchmal angezeigt ist, würden auch die meisten religiösen Menschen ohne Weiteres zugeben. Ebenso erscheint Modell (b) wenig plausibel. Unter Voraussetzung dieses Modells wäre es längerfristig schwer verständlich, wie es nicht-religiöse oder religiös indifferente, aber doch vernünftige Menschen geben kann. Außerdem begünstigt dieses Modell Grenzüberschreitungen zwischen Religion und Wissenschaft, die den meisten Menschen als unplausibel erscheinen, etwa die Ablehnung der Evolutionsbiologie unter Berufung auf die biblischen Schöpfungsberichte, oder den „wissenschaftlichen Atheismus“. Insgesamt erscheint also nur Modell (c) vertretbar. Religiöse Überzeugungen sind nach diesem Modell ein wichtiger Teil dessen, was man ein Weltbild bzw. die weltanschauliche Einbettung unserer wissenschaftlichen Überzeugungen nennen könnte. Weitere Bestandteile dieses Weltbildes sind die grundlegenden Überzeugungen darüber, was es überhaupt gibt, wie Veränderung und Verursachung vor sich gehen, wie sich Personen von anderen Objekten unserer körperlichen, sozialen u. a. Welt unterscheiden und vieles mehr. Diese Überzeugungen bilden den unausgesprochenen Hintergrund unserer alltäglichen wie wissenschaftlichen Aktivitäten, und sie wurden und werden traditionell von der Metaphysik bzw. Ontologie untersucht (zur philosophischen Gotteslehre als „metaphysischer Religionsphilosophie“ siehe oben 2.2). Es ist klar, dass es rationale Begründungen im Bereich dieser Hintergrundüberzeugungen gibt, sie sind allerdings nicht vorschnell mit wissenschaftlichen Begründungen gleichzusetzen. Modell (c) macht es zwar grundsätzlich möglich, dass sich religiöse und weltanschauliche Überzeugungen widersprechen, allerdings ist die Auflösung solcher Widersprüche meist nicht einfach durch die simple Aufgabe entweder der religiösen oder wissenschaftlichen Überzeugung zu bewerkstelligen. In der Regel wird die Auflösung eher darin bestehen, dass man die Widersprüche als nur scheinbar erkennt und bemerkt, dass z. B. eine religiös-weltanschauliche Aussage als wissenschaftliche Hypothese missverstanden wurde oder umgekehrt. Bekannte Beispiele sind die unglücklichen Konflikte, die es Jahrzehnte bis Jahrhunderte lang zwischen moderner Astronomie und Evolutionsbiologie einerseits und der christlichen Theologie andererseits gab, die aber inzwischen beigelegt sind: Es hat sich unter Theologen gemeinhin die Ansicht durchgesetzt, dass die Position der Erde im Weltall kein theologisches Problem darstellt, und dass die biblischen Schöpfungsberichte weniger als biologische Hypothese zu verstehen sind, sondern als eine theologische Aussage über das liebende Verhältnis Gottes zu seiner Schöpfung.

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4 Argumente gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen

4.4 Argumente, denen zufolge religiöse Überzeugungen auf gestörte Erkenntnisverhältnisse zurückgehen

Religion als Projektion menschlicher Ideale

Ein wesentlicher Traditionsstrang der neuzeitlichen Religionskritik beruft sich darauf, dass religiöse Überzeugungen auf Erkenntnisverhältnisse des Menschen zurückgehen, die in verschiedener Weise beeinträchtigt oder gestört sind. Für die vernünftige Vertretbarkeit religiöser Überzeugungen besagt dies – für sich genommen – zunächst noch nichts Bestimmtes. Die weitere Argumentation könnte dann darauf hinauslaufen, dass religiöse Überzeugungen deshalb falsch sind, oder dass sie zwar nicht sicher falsch, aber doch mangelhaft begründet sind oder auch, dass ihre Hegung schädlich ist. Systematisch gesehen würden solche Argumente in unserer Systematik also gar kein eigenes Kapitel erfordern, sondern könnten ebenso gut unter 4.2, 4.3 und 4.5 subsumiert werden. Die inhaltliche Verwandtschaft ebenso wie die überragende ideen- und wirkungsgeschichtliche Bedeutung dieser Positionen rechtfertigt jedoch ihre gemeinsame Behandlung. Faktisch sind die meisten prominenten Autoren in dieser Tradition (Ludwig Feuerbach, Karl Marx, Friedrich Engels, Friedrich Nietzsche, Sigmund Freud) davon ausgegangen, dass religiöse Überzeugungen letztlich falsch sind. Es finden sich in ihren Werken aber auch Teile anderer, uns teilweise schon bekannter Argumentationsformen, etwa dass religiöse Überzeugungen eine ganz natürliche Erklärung und Vorgeschichte haben, oder dass religiöse Überzeugungen schädlich sind. Bei manchen Autoren tritt der argumentative Gesamtcharakter der Texte überhaupt weitgehend zurück. Nietzsches Religionskritik ist beispielsweise eher als Verkündigung der fraglosen Falschheit des Christentums zu verstehen, und die Einsicht in diese Falschheit ist ihm mehr eine Frage von Instinkt und Geschmack als eine Frage des Gründe-Habens. Wo Nietzsche dennoch zahlreiche Einzelargumente gegen das Christentum vorbringt, so dienen sie eher der Illustration seiner Falschheit und seiner negativen Folgen als seiner argumentativen Widerlegung (75). Die folgenden Darstellungen beanspruchen also keine umfassende und philosophiehistorisch korrekte Beschreibung von Positionen. Es geht eher darum, in lockerer Anlehnung an einzelne Autoren einige Grundtypen einschlägiger Argumente herauszuarbeiten und kritisch zu bewerten. Was die Religionen, insbesondere das Christentum, Gott und den anderen Gegenständen der religiösen Vorstellungswelt zuschreiben, das hat auch große Ähnlichkeiten mit Idealen vom gelingenden menschlichen Leben: Freiheit, Liebe, Güte, Solidarität, Glück, Erkenntnis, gelingende Kommunikation, und anderes mehr. Man könnte daraus – wie Ludwig Feuerbach – den Schluss ziehen, der traditionell-theistisch verstandene Glaube an Gott und die Zuschreibung bestimmter Eigenschaften zu ihm sei überhaupt nichts anderes als die Projektion menschlicher Ideale in einen fiktiven außerweltlichen Gegenstandsbereich. Feuerbach nannte dies das „falsche Wesen“ der Religion. Auf dem Umweg über Gott glaubt der Mensch, letztlich doch zur Erfüllung seiner innerweltlich unerfüllbaren Wünsche und Ideale zu kommen. Das „wahre Wesen“ der Religion bestehe dagegen in der Erkenntnis, dass das Subjekt dieser Eigenschaftszuschreibungen in Wirklichkeit der

4.4 Religiöse Überzeugungen gingen auf gestörte Erkenntnisverhältnisse zurück

Mensch ist: „Theologie ist Anthropologie“ (61). Nach Feuerbach sind diese Eigenschaften selbst göttlich; nicht Gott ist also z. B. die Liebe, sondern die Liebe ist göttlich. Freilich sind diese Eigenschaften im konkreten, unvollkommenen Menschen niemals erfüllt, daher vertritt Feuerbach, dass der Mensch nur als Gattung göttlich und verehrungswürdig ist. Feuerbach wollte die Religion also nicht etwa völlig zerstören oder ausmerzen, sondern sie aus ihrem falschen in ihr wahres Wesen überführen. Das Gefährliche am Wunschdenken des falschen Wesens der Religion ist, dass viel wertvolle Energie und Kreativität des Menschen in den religiösen Bereich abfließen, die besser in die Verbesserung des Loses der Menschen und in die Zuwendung zum Mitmenschen investiert würden. Im Sinne der Verwirklichung des Menschen sei die Religion daher zu überwinden. (Dies ist bereits eine Form des Schädlichkeitsarguments, siehe dazu unten Abschnitt 4.5.) Karl Marx und Friedrich Engels kritisierten an Feuerbach, dass er die Religion zu individualistisch betrachtet und übersehen habe, dass sie vor allem ein gesellschaftliches Phänomen sei. Religion sei – wie andere Teile des sogenannten ideologischen Überbaus – ein Produkt bestimmter unerfreulicher Gesellschaftsverhältnisse und letztlich der ökonomischen Verhältnisse dahinter (zur marxistischen Theorie von Basis und Überbau und zur Theorie von der historischen Abfolge verschiedener Gesellschaftsformen siehe z. B. (264) und (263)). Auch Marx und Engels vertreten eine Form der Projektionstheorie: In der Religion findet das von den ökonomischen Verhältnissen unterdrückte und entfremdete Volk jene tröstenden Illusionen, die ihm sein elendes Los erträglich machen (durch Gottes Liebe besonders zu den Unterdrückten, die Aussicht auf ein Himmelreich mit ausgleichender Gerechtigkeit, etc.). Mit Verbesserung der ökonomischen Verhältnisse werde die Religion folglich von allein absterben (73). Effiziente Religionskritik wäre daher die Veränderung der herrschenden ökonomischen Verhältnisse. Es ist zu beachten, dass das Verhältnis der jeweils politisch Herrschenden zur Religion durchaus unterschiedlich gedeutet werden kann. Ein häufiges Motiv in religionskritischen Traktaten der frühen Aufklärung waren Betrugstheorien und andere Theorien gewesen, denen zufolge die Herrschenden die religiöse Scheinwelt bewusst für ihre ökonomischen und politischen Interessen instrumentalisieren. Nach Marx dagegen bestimmt der ökonomisch bedingte ideologische Überbau auch das Denken der Herrschenden weitgehend mit, sodass auch sie die religiöse Scheinwelt kaum zu durchschauen vermögen. Bei Lenin, der den Marxismus zum Leninismus als Staatsdoktrin der Sowjetunion weiter entwickelte, erschien Religion wieder deutlicher als politisch bewusst missbrauchte Besänftigungsillusion („Opium für das Volk“), die es daher aktiv zu bekämpfen galt (72). (Auch dahinter steht wiederum eine Form des Schädlichkeitsarguments, dem wir uns in 4.5 zuwenden werden.) Projektionstheorien können sich aber auch stärker an der Psychologie des individuellen Menschen orientieren. Die bekannteste ist die psychoanalytische Theorie von Sigmund Freud (zur psychoanalytischen Religionsdeutung siehe oben 2.2). Einige von Freuds Termini sind inzwischen zu selbstverständlichen Bestandteilen der Bildungssprache geworden („Unbewusstes“, „Ich / Es / Über-Ich“, „Verdrängung“ etc.), und dementsprechend gehört manches aus der psychoanalytischen Vorstellungswelt in vereinfachter

Religion als Produkt gesellschaftlicher Verhältnisse

Religion als Ergebnis psychologischer Projektion

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4 Argumente gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen

Der religionskritische Aspekt an psychologischen Projektionstheorien

Weise heute zum geistigen Gemeingut. Das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich in Freuds Deutung der Religion mehrere Theorieansätze begegnen, die nicht leicht in ein geschlossenes Ganzes einzuordnen sind. Freud sieht die Religion einerseits vor allem als Produkt unbewusster psychologischer Mechanismen, die aus dem zwischen Rivalität und Bewunderung schwankenden Verhältnis zum eigenen Vater auf dem Hintergrund der kindlichen Sexualentwicklung zur Vorstellung Gottes als Übervater führen. Daneben stellt Freud spekulativ-historische Theorien über die Entstehung der Religion auf, in der eine Art von kollektiver Erinnerung an die traumatische Episode eines Häuptlingsmordes in der frühen Menschheitsgeschichte eine wesentliche Rolle spielen (zu Religionsentstehungstheorien siehe oben 4.2). Ein dritter Zugang Freuds zur Religion knüpft deutlicher an Feuerbach an und sieht die Religion als tröstende, beruhigende und aggressions-kanalisierende Illusion in einer unsicheren, bedrohlichen Welt. Den Details dieser Auffassungen muss hier nicht nachgegangen werden. Zur richtigen Einschätzung der psychoanalytischen Religionsdeutung ist u. a. zu berücksichtigen, dass Freud an den heute überholten Stand der spekulativ orientierten Religionswissenschaft des 19. Jhs. anschloss, dass seine Äußerungen zur Religion mehr auf ein therapeutisches und weniger ein systematisch-religionsphilosophisches Interesse zurückgehen, und dass sie in seinem Werk insgesamt keine Zentralstellung einnehmen. Außerdem ist die psychoanalytische Tradition nicht bei Freud stehen geblieben, „psychoanalytische Religionsdeutung“ ist also nicht mit Freuds historischer Position gleichzusetzen. Für Freud selbst hatten seine Religionserklärungen keine besondere argumentative Bedeutung. Er ging fraglos davon aus, dass religiöse Überzeugungen auf Illusionen beruhen und daher falsch seien und fragte primär nach deren Zustandekommen. Allerdings wird in loser Anlehnung an Freud häufig folgendes religionskritische Argument formuliert: 1. Wenn religiöse Überzeugungen aufgrund von menschlichen Wünschen, Sehnsüchten, Ängsten, Verdrängungsmechanismen und anderen meist unbewussten Faktoren des Seelenlebens entstehen, dann sind religiöse Überzeugungen falsch. 2. Religiöse Überzeugungen entstehen aus solchen Faktoren. 3. Also sind religiöse Überzeugungen falsch.

Das Problem solcher Einwände: genetischer Trugschluss und/oder petitio principii

Strukturell ähnliche Einwände könnte man auch in Anlehnung an die Positionen Feuerbachs, Marx’ und Lenins erheben, und auch solche Einwände haben einen nicht unbeträchtlichen Einfluss auf das öffentliche Denken über Religion: 1. Wenn religiöse Überzeugungen aufgrund von individuell und/oder ökonomisch-gesellschaftlich bedingten Projektionsmechanismen entstehen, dann sind religiöse Überzeugungen falsch. 2. Religiöse Überzeugungen entstehen aus solchen Mechanismen. 3. Also sind religiöse Überzeugungen falsch. (Eine Variante des Arguments würde darauf hinauslaufen, dass religiöse Überzeugungen deswegen zwar nicht nachweislich falsch, aber doch nicht mehr hinreichend gut begründet seien, um sie vernünftiger Weise vertreten

4.4 Religiöse Überzeugungen gingen auf gestörte Erkenntnisverhältnisse zurück

zu können.) Der wesentliche Einwand gegen solche Argumente setzt nicht bei Prämisse 2 an, obwohl auch diese Prämisse sehr stark und daher problematisch ist. Der wesentliche Einwand hat vielmehr mit Prämisse 1 zu tun, und er ist uns bereits aus Abschnitt 4.2 bekannt: Prämisse 1 beinhaltet einen genetischen Trugschluss, d. h. sie vermengt Fragen der Entstehung mit Fragen der Wahrheit bzw. Begründung von Überzeugungen: Daraus, dass es für eine Überzeugung noch andere (vielleicht nach irgendwelchen Maßstäben „natürlichere“) Erklärungen gibt, folgt noch nicht, dass diese Überzeugung falsch ist, und es folgt auch nicht, dass sie nicht hinreichend begründet ist. Prämisse 1 ist also falsch. Wer Prämisse 1 in ihrer ausnahmslosen Form vertreten will, der müsste schon voraussetzen, dass sämtliche religiöse Überzeugungen falsch sind. Würde man Projektionstheorien also als ein Argument gegen die Wahrheit religiöser Überzeugungen benützen, so würde man den Argumentationsfehler der petitio principii begehen (lat., etwa: Voraussetzung des angestrebten Beweisziels). Allenfalls ergeben Projektionstheorien einen Beleg von gewisser Stärke gegen die Begründetheit religiöser Überzeugungen. Wenn der Vertreter religiöser Überzeugungen den Projektionseinwand also als petitio principii abweisen kann, so folgt daraus freilich noch nicht, dass es nicht verschiedenste Formen von Projektionen im religiösen Bereich geben kann, bis hin etwa zu eindeutig krankhaften Formen religiösen Wahnes oder zu ideologisch bedingten Projektionen, die es ganz offensichtlich gab und gibt. Der Vertreter religiöser Überzeugungen kann die Existenz solcher Phänomene problemlos anerkennen, nur betrachtet er die Erklärung religiöser Überzeugungen durch Projektion und ähnliche Mechanismen eben nicht in jedem Fall als die nächstliegende oder gar die einzige Erklärung. Ein bemerkenswerter Nebenaspekt der meisten Projektionstheorien ist, dass sie die Entstehung religiöser Illusionen als eigentlich zwangsläufig darstellen. Sowohl Feuerbach als auch Marx und Freud betrachten religiöse Projektionen zwar als kritikwürdig, aber nicht etwa als einen seltenen oder abnormalen Ausnahmefall. Vielmehr erscheinen religiöse Illusionen als mehr oder minder normale Begleiterscheinung bestimmter historischer Entwicklungen oder als die Resultante von psychischen Faktoren, die (zumindest latent) auch in jeder normalen menschlichen Psyche durchaus vorhanden sind. Das bringt solche religionskritischen Projektionstheorien selbst in eine prekäre Situation: Es werden Überzeugungen kritisiert, deren Auftreten eine natürliche Erklärung aus überaus machtvollen, alle Menschen betreffenden Faktoren hat, und deren Auftreten daher wohl auch argumentativ schwer zu ändern ist. Letztlich liefe eine solche Form der Religionskritik auf eine allgemeinere Vernunftkritik hinaus: Es wird gezeigt, dass in unserer vermeintlichen individuellen oder gemeinschaftlichen Vernunft in Wahrheit Faktoren am Werke sind, die uns systematisch täuschen. Damit erhebt sich die Folgefrage, inwieweit nicht auch die Formulierung dieser Kritik selbst von solchen Täuschungsmechanismen beeinträchtigt wird.

Freilich: es gibt Projektionen verschiedenster Art

Nur Religionskritik oder letztlich Vernunftkritik?

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4 Argumente gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen

4.5 Argumente, denen zufolge religiöse Überzeugungen schädlich seien

Varianten: Individuelle und soziale Schädlichkeit

Eine fünfte religionskritische Argumentationslinie will zeigen, dass das Hegen von religiösen Überzeugungen in verschiedenen Richtungen schädlich sei und solche Überzeugungen daher vernünftiger Weise nicht vertreten werden sollten. Wie schon in den vorigen Kapiteln angedeutet, überlagern sich wiederum bei ein und denselben Autoren meist mehrere Argumentationslinien. So finden sich Schädlichkeitsargumente in unterschiedlicher Deutlichkeit etwa auch bei Projektionstheoretikern Feuerbach, Marx und Freud oder bei Russell, der primär den evidentialistischen Einwand erhob. Es ist also nicht immer leicht zu erkennen, ob der Schädlichkeitseinwand letztlich auf ein Argument für die Falschheit religiöser Überzeugungen hinausläuft, oder auf einen Hinweis auf ihre mangelhafte Begründung oder eben wirklich nur auf die Empfehlung, dass man solche schädliche Überzeugungen nicht vertreten oder fördern soll, unabhängig von ihrer möglichen Wahrheit. Worin die Schädlichkeit religiöser Überzeugungen gesehen wird, kann variieren, und verschiedene Religionen bieten auch unterschiedliche Ansatzpunkte dafür. Manche Schädlichkeitseinwände sehen in religiösen Überzeugungen ein Hindernis für die gedeihliche Lebensentfaltung des Einzelnen, etwa weil die Menschen in unnötige Verdammungsängste versetzt werden, weil religiöse Gebote die Freiheit in höchstpersönlichen Dingen wie der sexuellen Aktivität beschränken, weil religiöse Überzeugungen (insbesondere die Jenseitsvertröstungen des Christentums) eine lebensfeindliche „Sklavenmoral“ (Nietzsche) des Nachgebens und Sich-Abfindens mit verbesserungswürdigen Lebensumständen fördere, und Ähnliches mehr. Eine andere Linie des Einwandes sieht eher die soziale und kulturelle Schädlichkeit der Religion im Vordergrund. Verwiesen werden kann hier zunächst etwa auf grausame religiöse Praktiken bis hin zu Menschenopfern, auf verschiedene Religionskriege und andere gewaltsame historische Vorgänge wie die Christianisierung Lateinamerikas (die nicht nur mit Kulturzerstörung und größter Grausamkeit, sondern gleichzeitig mit enormer ökonomischer Ausbeutung und ungerechtfertigter Bereicherung verbunden war), auf religiös motivierten Terrorismus und ähnliches. Auf weniger offensichtlichem Wege können Religionen schädlich sein, wenn sie etwa den wissenschaftlichen Fortschritt behindern, wenn sie eine effiziente Wirtschaftsgesinnung verhindern oder wenn sie kritikwürdige politische Regierungsformen als gottgewollt hinstellen und dadurch ihre Überwindung hinauszögern. Historische Beispiele dafür bieten die lange Parteinahme insbesondere der katholischen Kirche für die Monarchie und gegen die Demokratie, die unnötigen Gewissenszwänge, denen sich christlich gesinnte Biologen im 19. und 20. Jahrhundert ausgesetzt sahen, solange es theologische Stellungnahmen gegen die Evolutionsbiologie gab, und die eindeutig falschen historischen oder naturwissenschaftlichen Behauptungen, die zu glauben manche Religionen ihren Anhängern nahe legen. In einem allgemeineren Sinne wird seit David Hume (64) immer wieder argumentiert, besonders der Monotheismus begünstige eine Geisteshaltung der Intoleranz und Bereitschaft zur Unterdrückung anders Denkender im Namen der Religion: Wer an ein Wesen

4.5 Religiöse Überzeugungen seien schädlich

glaube, dessen Anerkennung eigentlich die Pflicht aller Menschen wäre, der neige dazu, anders Denkende notfalls dazu zu zwingen, weil es ja zu ihrem Besten sei. Die allgemeine Struktur hinter Schädlichkeitsargumenten ist ein Konkurrenzmodell. Die eingangs angesprochenen drei möglichen Konklusionen solcher Argumente werden hier mit 3a bis 3c nummeriert.

Das Konkurrenzmodell als wiederkehrende Struktur

1. Es gibt ein bestimmtes anzustrebendes Ideal vom gelingenden (individuellen und/oder gesellschaftlichen) Leben. 2. Wenn die Menschen bestimmte religiöse Überzeugungen hegen, wird die Realisierung dieses Ideals vereitelt oder erschwert. 3a. Also sind diese religiösen Überzeugungen falsch. 3b. Also sind diese religiösen Überzeugungen schlecht begründet. 3c. Also sollte man diese religiösen Überzeugungen besser nicht hegen (unabhängig davon, wie es um ihre Wahrheit/Begründetheit stehen mag). Fraglos wurden und werden im Namen verschiedenster Religionen mitunter Taten gesetzt, Verhaltensformen propagiert und Denkweisen gefördert, die man kaum anders als schädlich bis verbrecherisch einschätzen kann, auch wenn die Beteiligten mitunter subjektiv besten Gewissens waren und sind. Dennoch gibt es auch gegen das Schädlichkeitsargument eine Reihe von Einwänden. Ein Schädlichkeitsargument mit der Konklusion 3c wäre allenfalls für jemanden plausibel, der sonst keine oder nur ganz schwache Gründe für das Hegen religiöser Überzeugungen hat. Wer aber auch gute Gründe für religiöse Überzeugungen hat, der wäre erkenntnistheoretisch irrational, wenn er sie wegen ihrer Schädlichkeit nicht hegen würde (ein reziprokes Problem kennen wir von der Pascal-Wette (Abschnitt 3.11): Ohne gute theoretische Gründe kann man nicht etwas glauben, nur weil es nützt). Wenn man dem Schädlichkeitsargument die Konklusionen 3a oder 3b unterstellt, dann liegt zunächst der grundsätzliche Gegeneinwand nahe, dass die Frage der Schädlichkeit einer Überzeugung nichts mit ihrer Wahrheit oder Begründung zu tun hat. Beispiele dafür sind leicht und zahlreich zu erbringen: Wer etwa ungewollt zum Träger belastenden Wissens wird (etwa über kriminelle Machenschaften seiner Mitmenschen) und dadurch psychisch bedrückt, in seinem beruflichen Fortkommen oder sonstwie geschädigt wird, der mag sich zwar vielleicht wünschen, dass seine Überzeugungen nicht wahr wären, er kann aber an deren Wahrheit und Begründetheit nichts ändern. Prinzipiell ähnlich verhält es sich mit religiösen Überzeugungen. Auf ein spiegelgleiches Problem waren wir schon in Abschnitt 3.10 und 3.11 gestoßen: Auch wenn das Hegen religiöser Überzeugungen in verschiedenen Richtungen nützlich sein mag, folgt daraus nichts für ihre Wahrheit oder Begründetheit. Allerdings steht gerade dieser Trennung von Schädlichkeit und Wahrheit/ Begründetheit wiederum ein Gegeneinwand entgegen, der aus der Theologie selbst kommt und dem Schädlichkeitsargument wieder zuarbeitet: Sehr viele Religionen (etwa das Christentum, das Judentum und der Islam) vertreten ja, dass das Hegen ihrer religiösen Überzeugungen nicht schädlich sein kann, sondern gerade zum Gelingen des Lebens und zur menschlichen Entfaltung beiträgt. Nachweisliche Schädlichkeit einer religiösen Überzeugung würde also nach dieser Auffassung doch wieder auf ihre Falschheit und/oder

Einwände gegen das Schädlichkeitsargument

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4 Argumente gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen

Was genau an religiösen Überzeugungen ist schädlich?

Das Problem der Schaden-/Nutzenabwägung

mangelhafte Begründung hindeuten. Das Schädlichkeitsargument mit den Konklusionen 3a oder 3b kann also doch nicht so einfach ad acta gelegt werden. Es gibt allerdings weitere Einwände gegen das Schädlichkeitsargument. Sie richten sich gegen alle möglichen Varianten des Arguments (d. h., egal ob mit der Konklusion 3a, 3b oder 3c) und setzen bei den Prämissen 1 oder 2 an. Eine häufige und naheliegende Reaktion religiöser Menschen auf das Schädlichkeitsargument ist die Verteidigung, dass ein allfälliger Schaden durch religiöse Überzeugungen doch nur daraus entstanden sei, dass man die betreffende Religion nicht richtig verstanden oder sie zu anderen (politischen, pädagogischen, …) Zwecken missbraucht, dass man im Laufe der Zeit unwesentliche Aspekte in den Vordergrund gestellt habe oder Ähnliches mehr. Würde man von bedauerlichen historischen Fehlentwicklungen und Verzerrungen absehen und die Religion richtig verstehen, wäre sie nicht schädlich. Dieser Gegeneinwand richtet sich also gegen Prämisse 2, und er trifft eine ähnliche Unterscheidung wie diejenige Feuerbachs zwischen dem wahren und dem falschen Wesen der Religion. Nur handelt es sich bei diesem „wahren Wesen“ nicht um eine anthropologische Umdeutung der Religion, sondern es bleibt im Rahmen der theistischen Standarddeutung. Ebenso gegen Prämisse 2 richtet sich der häufige Einwand, dass man (ungeachtet der berechtigten Betroffenheit über manche Schäden) auch den Nutzen, den religiöse Überzeugungen gestiftet hätten und immer noch stiften, nicht übersehen dürfe. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang etwa auf die Kulturleistungen der Religionen, auf das glaubwürdige humanitäre und karitative Engagement religiöser Menschen, auf die stimulierende Wirkung der Religionen auf den wissenschaftlichen Fortschritt, die Entwicklung der Menschenrechtsidee und anderes mehr, auf stabilisierende Wirkungen der Religion auf die Gesellschaft und ihre notwendige Wertebasis, aber auch auf den Trost und die Lebensorientierung, die der Einzelne aus religiösen Überzeugungen erfahren kann. (Sogar Tröstungsillusionen könnte man unter dieser Rücksicht als nützlich verbuchen.) Ungeachtet mancher schädlicher Auswüchse seien religiöse Überzeugungen insgesamt also nicht schädlich. Es scheint klar, dass solche Einwände und Gegeneinwände letztlich auf empirische Diskussionen hinauslaufen, die schwer entscheidbar sind. Die „Gesamtnutzens-/Schadensbilanz“ einer einzelnen religiösen Überzeugung oder auch einer konkreten Religion im Ganzen dürfte kaum je erhebbar sein. Dies liegt daran, dass die Geschichte einer Religion ja ein langer und jeweils historisch einzigartiger Verlauf ist, der mit vielen anderen historischen, geographischen, ökonomischen und kulturellen Gegebenheiten in unüberschaubar komplexer Weise verbunden ist, sodass Schadens-/Nutzens-Vergleiche nur schwer möglich sind. Es gibt keine historischen Laboratorien mit vergleichbaren Kontrollgruppen und Ähnlichem, an denen die Auswirkungen einer Religion so testbar sind wie die Auswirkungen von Medikamenten im Vergleich zu Placebos. In einschlägigen Diskussionen wird zwar gerne auf einzelne geschichtliche Episoden verwiesen, wo der Nützlichkeits- oder Schädlichkeitseindruck besonders deutlich ins Auge springt. Allerdings helfen solche Verweise argumentativ nicht weiter, denn zur Frage stünde ja die Gesamtbilanz auf lange historische Sicht und nicht ein episodischer Eindruck.

4.6 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

Der Vertreter religiöser Überzeugungen kann aber auch ein weiteres, konkreter gefasstes Gegenargument vorbringen, das bei Prämisse 1 des Schädlichkeitsarguments ansetzt: Ist die von Verfechtern des Schädlichkeitsarguments jeweils zugrundegelegte Idealvorstellung vom gelingenden individuellen und sozialen Leben nämlich wirklich so fraglos konsensfähig, dass man ihr bedenkenlos zustimmen kann? Freilich wird gegen manche dieser Ideale auch aus religiöser Sicht wenig einzuwenden sein. So etwa liest sich Feuerbachs Idealvorstellung vom wahren Wesen der Religion weithin wie eine profane Umdeutung der christlichen Ethik. Die Idealvorstellungen hinter einigen anderen religionskritischen Positionen lassen allerdings erwarten, dass bei ihrer Realisierung auch mit massiven Opfern zu rechnen ist. Bei der Durchsetzung von Nietzsches „Übermenschentum“ etwa würde auf Schwächere, die aus verschiedenen Gründen nicht mithalten können, wenig Rücksicht genommen, in Marx’ und Lenins geschichtlichem Verlaufsgesetz der Entwicklung hin zur klassenlosen Gesellschaft sind gewaltsame Umsturzepisoden durchaus eingeplant, und ein schrankenloses Freiheitsideal (wie in manchen Lesarten der Existenzphilosophie) wäre kaum ohne grobe Eingriffe in die Freiheit anderer realisierbar. Die Legitimation solcher Ideale dürfte also, näher bedacht, nicht allen Menschen einsichtig sein. Wenn dem so ist, dann verliert Prämisse 1, der zufolge dieses konkrete Ideal anzustreben ist, ihre Selbstverständlichkeit – und damit verliert das Schädlichkeitsargument viel von seiner Überzeugungskraft.

4.6 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen In diesem Teil wurden religionskritische Argumente im engeren Sinne analysiert, also Argumente, die sich nicht gegen pro-religiöse Argumente richten (diese wurden bereits in Teil 3 behandelt), sondern direkt gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen. Die fünf Grundtypen solcher Argumente wurden nach absteigender Grundsätzlichkeit angeordnet. (1) Das Argument, dass religiöse Überzeugungen gar keinen angebbaren kognitiven Sinn hätten, geht von äußerst engen Ansichten über sprachlichen Sinn aus, wie sie in der Philosophie der 1930er bis 1960er Jahre verbreitet waren, insbesondere im Gefolge des Wiener Kreises, aber auch unter manchen Falsifikationisten. Sinnvoll, so die Grundintuition dahinter, seien neben den logischen Sätzen nur jene Sprachgebilde, deren Wahrheit oder Falschheit in einem ziemlich direkten Sinne empirisch prüfbar ist. Heute werden solche Ansichten kaum mehr vertreten. Dass unsere Überzeugungssysteme auch eine Vielzahl von Bestandteilen enthalten, die der empirischen Prüfung schwer oder gar nicht zugänglich sind und dennoch eine Bedeutung haben und auch vernünftigerweise akzeptabel sind, wird gemeinhin anerkannt. Metaphysische und religiöse Behauptungen können also grundsätzlich sinnvoll sein. Eine andere Weise, auf den Sinnlosigkeitsverdacht zu reagieren, ist die non-kognitive Umdeutung religiöser Überzeugungen, wie sie von manchen Religionsphilosophen und Theologen vertreten wurde und teils noch wird. Allerdings ist diese Umdeutung aus religionsphänomenologischer Sicht unbefriedigend.

Sind die LebensIdeale hinter den Schädlichkeitsargumenten selbst konsensfähig?

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4 Argumente gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen

(2) Es gibt verschiedene Argumente, denen zufolge religiöse Überzeugungen falsch sind. Wenn man einen engen, logischen Notwendigkeitsbegriff (wie bei Findlay) voraussetzt, dann werden Aussagen wie jene von Gottes notwendiger Existenz falsch; allerdings ist ein solcher Notwendigkeitsbegriff keineswegs der einzig plausible. – Sofern man Gottes Eigenschaften wie Allmacht, Allwissen, Allgüte etc. in einem unpräzisierten Sinne benützt, ergeben sich Inkonsistenzen, die einen ebenso unpräzisierten Theismus falsch machen würden. Diese Inkonsistenzen lassen sich allerdings durch einige Präzisierungen vermeiden, die Gottes Eigenschaften nicht ernsthaft beschränken. – Das gewichtigste Argument ist jedoch das Problem des Übels in seinen verschiedenen Varianten. Das logische Problem des Übels, wie die Existenz Gottes mit der Existenz des Übels logisch vereinbar sei, scheint dabei (über sogenannten Verteidigungen wie die free will defence) noch lösbar. Schwieriger und philosophisch letztlich unlösbar ist das Belegproblem des Übels (d. h. der Einwand, ob die Existenz des Übels nicht einen massiven Gegenbeleg darstellt, der für die Falschheit des Theismus spricht). Dies gilt vor allem dann, wenn man das Übel nicht nur als Grundsatzproblem, sondern auch in seinem erschütternden Ausmaß als Problem ernstnimmt. Verschiedene Ansätze von Theodizeen (die das Übel nicht nur als logisch vereinbar mit Gottes Existenz erweisen wollen, sondern ihm auch seine Kraft als Gegenbeleg nehmen wollen), sind ebenso wenig erfolgreich wie Thesen von der Unerforschlichkeit des Übels. – Dass religiöse Überzeugungen eine evolutionäre Vorgeschichte und vielleicht eine evolutionäre Erklärung haben, macht sie ebenso wenig falsch wie die gegenwärtig in der sogenannten Neurotheologie untersuchte Vermutung, dass sie ein neuronales Korrelat haben. Der Schluss von den biologisch-neurophysiologischen Aspekten einer Überzeugung auf ihre Wahrheit oder Falschheit ist ein Fall des genetischen Trugschlusses. (3) Ein Gruppe religionskritischer Argumente läuft darauf hinaus, dass religiöse Überzeugungen mangelhaft begründet, unbegründbar, oder falls doch, so zumindest nicht wissenschaftlich seien. Allerdings lässt sich all diesen Einwänden kontern, wenn man auf die sehr verschiedenen Begründungsmuster und -maßstäbe hinweist, die wir im Alltag und in der Wissenschaft de facto akzeptieren. Flews These, man müsse in der Begründung des Theismus von einer „Presumption of Atheism“ ausgehen (d. h. von dem fiktiven Status, als habe man nicht nur keine Vermutung über die Wahrheit oder Falschheit des Theismus, sondern auch keine Ahnung von der Bedeutung theistischer Behauptungen), weist zu Recht auf die Gefahr hin, aufgrund unserer kulturellen Vertrautheit mit dem Theismus Begründungslücken zu übersehen. Als Ausgangsszenario für Begründungen religiöser Überzeugungen wäre sie jedoch überzogen, weil wir derart weitgehende Begründungspflichten sonst nicht zugrundelegen, wo es um grundlegende Züge unseres Weltbildes geht. – Dem szientistischen Einwand, dass religiöse Überzeugungen keinen wissenschaftlichen Begründungsansprüchen genügen, steht der Hinweis gegenüber, dass wir für eine ganze Reihe unserer vernünftigen Überzeugungen keine wissenschaftlichen Begründungen vorlegen können, besonders wiederum für grundlegende Überzeugungen bezüglich unseres Weltbildes. Der Bereich der Wissenschaften ist also nur ein Teil unseres Gesamtbereiches vernünftiger kognitiver Aktivitäten. Von den drei denkbaren

4.6 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

Modellen des Verhältnisses zwischen Religion und Wissenschaft (völlige Trennung und Unmöglichkeit von Widersprüchen – vollständige erkenntnistheoretische Gleichartigkeit mit Aussicht auf ein religiös-wissenschaftliches Gesamtweltbild – erkenntnistheoretische Verschiedenheit mit punktuellen Berührungen und Widerspruchsmöglichkeiten) kann daher nur das dritte Modell Plausibilität beanspruchen. (4) Verschiedentlich wurde in der neuzeitlichen Religionskritik argumentiert, dass religiöse Überzeugungen auf gestörte Erkenntnisverhältnisse zurückgehen. Als Grund der Störung wurden dabei unterdrückende ökonomische oder politische Verhältnisse (wie bei Marx) oder psychologische Projektionsmechanismen (wie bei Freud und ansatzweise bei Feuerbach) angesehen. Der argumentative Wert solcher Hinweise ist allerdings fragwürdig: Daraus die Falschheit religiöser Überzeugungen zu folgern, wäre eine petitio principii und ein genetischer Trugschluss von der Erklärbarkeit einer Überzeugung auf ihre inhaltliche Begründetheit. Allerdings kann der Vertreter religiöser Überzeugungen durchaus einräumen, dass es Phänomene wie Projektionen etc. gibt, die die Begründetheit einzelner Überzeugungen zweifelhaft erscheinen lassen. Diese Deutung liegt allerdings nicht in jedem Fall nahe. (5) Religionskritische Argumente aus der individuellen oder gesellschaftlichen Schädlichkeit religiöser Überzeugungen sind weit verbreitet, begegnen jedoch vier wesentlichen Einwänden: Erstens ist die Frage der Nützlichkeit oder Schädlichkeit einer Überzeugung von ihrer Wahrheit oder Begründetheit zu trennen. Zweitens kann der Vertreter religiöser Überzeugungen immer einwenden, die Schädlichkeit gehe nicht auf die Religion selbst zurück, sondern auf verfehlte oder verzerrte Auffassungen von ihr oder ihren Missbrauch für andere Zwecke. Drittens ist schwer zu bestimmen, was die Gesamtnutzens- bzw. Schadensbilanz einer religiösen Überzeugung oder einer ganzen Religion ist. Viertens schließlich kann hinterfragt werden, ob die zugrundegelegte Idealvorstellung vom gelingenden Leben, relativ zu der die religiösen Überzeugungen schädlich seien, wirklich jeder Kritik standhält oder vielleicht selbst schädliche Auswirkungen hat. Lektürehinweise Gut brauchbar als Übersicht ist (27). Eine immer noch nützliches Autorenlexikon zur Religionskritik ist (22), einiges an religionskritischen Autoren findet sich auch in (7), und Zusammenstellungen von Textausschnitten bieten (25) und (23). (233) bezieht auch religionskritische Literaten mit ein. Eine Zusammenstellung verschiedener religionskritischer Argumente bietet (244). Zu den historisch wichtigen Positionen Humes, Feuerbachs und Nietzsches siehe (231). Wichtige Primärtexte zu Abschnitt 4.1 sind in (221) zusammengestellt, Kommentare dazu finden sich in (223), (237) und (217). Zu szientistischen Einwänden siehe (243) und (215). Eine gute, kurze Übersicht zur Neurotheologie bietet (228). Zum Problem des Übels siehe (240). Verschiedene Varianten des Schädlichkeitsarguments besonders hinsichtlich des Christentums, aber auch andere religionskritische Argumente finden sich in dem Sammelband (216). Zur Orientierung über alle Einzelthemen dieses Abschnitts empfehlen sich auch die betreffenden Artikel in den englischsprachigen Sammelbänden, die im Literaturverzeichnis unter 1. a) verzeichnet sind.

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4 Argumente gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen

Fragen und Übungen – Nachdem sie jetzt die wichtigsten Pro- und Contraargumente zur Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen kennen: Vergewissern sie sich nochmals über die in 3.1 geäußerte These, dass es zu den meisten Pro-Argumenten auch ein Contra-Argument als Gegenstück gibt! Zu welchen Argumenten gibt es kein Gegenstück? – Stellen Sie mit einer Suchmaschine eine Internet-Recherche zu den genannten Autoren an und schauen Sie, was im Internet an Primärtexten verfügbar ist (Linkliste anlegen!). Zwei Tipps dazu: Zu vielen der genannten Autoren gibt es eine gleichnamige wissenschaftliche Gesellschaft, die schon manches zusammengetragen hat; Texte findet man zuweilen dann, wenn man deren Titel zusammen mit Stichwörtern wie „Text“, „Volltext“, „Werke“ suchen lässt. – Unternehmen Sie eine generelle Internet-Recherche zu den Suchstichwörtern „Religionskritik“ und „Christentumskritik“. Versuchen Sie in Ihren Treffern Fundierteres von weniger Fundiertem zu unterscheiden (nach welchen Kriterien gehen Sie selber dabei vor?)! Soweit in Ihren Fundstücken argumentiert wird: welche Argumentationsformen begegnen Ihnen? Welchen Gesamteindruck haben Sie von manchen der Fundstücke? – Lesen Sie im Internet, in (217) (deutsch) oder in (8) (englisch) das Gleichnis vom unsichtbaren Gärtner, das Antony Flew von John Wisdom übernommen hat. Was genau will Flew damit zeigen? In welche religionskritische Argumentationsform gehört seine Verwendung des Beispiels? – Untersuchen Sie, ob Plantingas Einwand der Selbstwiderlegung des klassischen epistemischen Fundationalismus (siehe Abschnitt 3.7) auch ein Einwand gegen verifikationistische und falsifikationistische Positionen wie jene Carnaps und Flews ist. – Welche Varianten des Problem des Übels kennen Sie? – Was genau ist der Unterschied zwischen der free will defence und dem Versuch einer Theodizee aufgrund des freien Willens? – Welche drei Modelle des Verhältnisses von Religion und Wissenschaft kennen Sie? Welchem neigen Sie selber zu? – Unternehmen Sie eine Internet-Recherche zu den Stichwörtern „Science and Religion“ und „Christian Science“ sowie zu weiteren Stichwörtern, die Ihnen im ersten Suchdurchgang hier öfters begegnen. Welche Verständnisse des Verhältnisses von Wissenschaft und Religion gehen aus Ihren verschiedenen Fundstücken jeweils hervor? – Was vermuten Sie, wie Vertreter der „Reformierten Erkenntnistheorie“ auf Projektionstheorien à la Feuerbach / Marx / Freud reagieren würden? (Denken Sie erst nach und skizzieren Sie Ihre Antwort schriftlich. Schauen Sie erst dann in (176), Kap. 5 oder im Internet nach, was Plantinga über den „Freud & Marx Complaint“ sagt!). – Wenn Sie die vorige Aufgabe gelöst haben: Was denken Sie selber über Plantingas Antwort? – Vergleichen Sie die Struktur von Kants postulatorischem Theismus (Abschnitt 3.9) mit den in Abschnitt 4.4 und 4.5 geschilderten Argumentstrukturen. Welche Ähnlichkeiten und Unterschiede gibt es da? – Vergleichen Sie das gegen Ende von 4.5 geschilderte Schaden-/Nutzen-Abwägungsproblem mit dem in 2.1 geschilderten Grundproblem funktionalistischer Religionsdefinitionen. Sehen Sie einen Zusammenhang? – Wenn Sie Ihr eigenes Denken betrachten: Haben Sie vor Lektüre von Teil IV einige Anfangsvermutungen darüber mitgebracht, welche religionskritische Argumentationsform Ihnen plausibler, welche weniger plausibel erscheint? Hat die Lektüre dieses Teils diese Einschätzung verändert?

5 Rationale Strukturen der Religion 5.1 Einleitung Resultat der Teile 3 und 4 ist auf den ersten Blick eine Art argumentative Pattstellung: Sowohl für als auch gegen die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen gibt es eine Reihe von respektablen Argumenten, denen jeweils auch bedenkenswerte Einwände gegenüberstehen. Das erhärtet einerseits die Vermutung aus Abschnitt 2.4, dass die Religion nicht zu den reinen Geschmackssachen des Lebens gehört, sondern durchaus rationale Ansprüche erhebt und rational diskutierbar ist. Andererseits zeigt das, dass die Frage der Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen und der Existenz Gottes wohl nicht in ähnlicher Weise entscheidbar ist wie ein Sachproblem in den Einzelwissenschaften. Dort kann man sich relativ leicht auf bestimmte Begrifflichkeiten, Methoden und Standards einigen und damit zu einer Entscheidung kommen, die auf (fast) allgemeinen Konsens stößt. Wir haben aber auch an mehreren Punkten gesehen, dass es jenseits des Gebiets der Einzelwissenschaften durchaus noch einen Bereich rationalen Überlegens gibt, und es liegt die Vermutung nahe, dass religiöse Überzeugungen und ihre Begründungen in diesem Bereich anzusiedeln sind. Diese (zutreffende) Vermutung soll in Teil 5 nun näher entfaltet werden. Man kann diesen Bereich rationalen Überlegens den Bereich der „Weltanschauung“ nennen. Zunächst sollen seine Strukturen erläutert werden.

5.2 Strukturen und Funktion der Weltanschauung Mit „Weltanschauung“ oder „weltanschaulichen Fragen“ assoziieren viele Leser zunächst wohl Inhalte, die man in politischen Manifesten, Parteiprogrammen sowie religiösen Glaubensdokumenten und Lebensleitfäden findet: ob etwa alle Menschen von Natur aus eher gleich oder eher ungleich sind, ob es grundlegende politische Werte wie Rechtsstaatlichkeit oder Minderheitenschutz gibt, wie Umweltschutz gegen wirtschaftlichen Kurzzeitnutzen abzuwägen ist, ob Abtreibung und Euthanasie rechtlich erlaubt sein sollten, ob Gott existiert, ob man an Reinkarnation glauben sollte, wie wichtig berufliches Fortkommen und Einkommenssteigerung als Lebenswerte sind, ob man sich karitativ engagieren sollte, und vieles andere mehr. Antworten auf diese Fragen kann man zwar durchaus als weltanschaulich bezeichnen, aber damit ist der Bereich der Weltanschauung noch nicht erschöpft. Zur Weltanschauung (im hier zugrundegelegten Sinne) gehören auch noch andere höherrangige Überzeugungen, die wir – anders als etwa Meinungen über einzelne Fakten des Alltags oder der Wissenschaft – nicht leicht zu ändern bereit sind. Viele dieser Überzeugungen sind höchst banal und unumstritten, aber sie sind dennoch grundlegend für unser Denken und Handeln, da wir sie andauernd stillschweigend voraussetzen. Weltanschau-

Weltanschauung als Bündel lebenstragender Überzeugungen

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5 Rationale Strukturen der Religion

Funktion der Weltanschauung: Handlungsorientierung durch Deutung und Bewertung

Die Unverzichtbarkeit weltanschaulicher Überzeugungen

ung im hier zugrundegelegten Sinne könnte man als Bündel lebenstragender Überzeugungen umschreiben (254). Dieses Bündel bildet den tragenden Kern des Meinungs- und Überzeugungssystems einer Person, und es wird sich in Vielem mit der Weltanschauung anderer Personen überlappen. Weltanschauliche Überzeugungen erfüllen die Funktion, alles, was uns Menschen in unserem Leben begegnet, zu deuten und zu bewerten und in eine Gesamtsicht der Welt einzuordnen. Und dadurch sind weltanschauliche Überzeugungen die Voraussetzung nicht nur des Verstehens der Welt, sondern auch der Orientierung unseres Handelns. Das Bedürfnis nach Handlungsorientierung ist unumgehbar, auch wenn diese Orientierung meist stillschweigend und unbemerkt erfolgt. Dies sei an einem einfachen Alltagsbeispiel erläutert: Wer seinen defekten Rasenmäher ins Auto packt, um ihn in eine Werkstatt zu fahren, auf dem Weg dorthin aber stehen bleibt, um einem offensichtlich kollabierenden Fußgänger zu helfen, der hat in dieser Episode bereits eine ganze Reihe weltanschaulicher Hintergrundüberzeugungen zur Anwendung gebracht, unter anderem: a) die Überzeugung, dass das Verhalten des Rasenmähers durch naturwissenschaftliches und technisches Wissen beschreibbar und korrigierbar ist, sowie, dass es Experten für solches Wissen gibt; b) die Überzeugung, dass der Rasenmäher im Kofferraum am Ende der Fahrt derselbe sein wird wie am Anfang; c) die Überzeugung, dass auch der Mechaniker (als Person) bzw. sein Unternehmen (als soziales Objekt) bei Abgabe des Gerätes dieselben werden wie bei der Abholung; d) die Überzeugung, dass das Verhalten des Fußgängers momentan durch biologische Gesetzmäßigkeiten erklärbar und durch geeignete Maßnahmen auch beeinflussbar ist; e) die Überzeugung, dass der momentane Zustand des Fußgängers für ihn bedrohlich und daher korrekturbedürftig ist; f) die Überzeugung, dass die Hilfsverpflichtung gegenüber einem in Not geratenen Mitmenschen schwerer wiegt als der Wunsch nach schneller Reparatur eines Rasenmähers. Diese Liste ist bei weitem nicht vollständig, es wurden nur die naheliegendsten weltanschaulichen Überzeugungen angeführt, die hier in Anschlag kommen. Zu beachten ist, dass die Handlungsorientierung noch nicht durch die betreffenden Einzeltheorien selbst erfolgt: Freilich gibt es z. B. physikalische Theorien über Rasenmäher und biologische, notfallmedizinische u. a. Theorien über Kollapszustände. Aber dass gerade die momentane, konkrete Situation ein Fall ist, auf den diese Theorien passen würden, das beinhalten diese Theorien naturgemäß nicht. (Erst recht beinhalten diese Theorien nicht, dass man diese Theorien jetzt wirklich anwenden und nach ihnen handeln sollte.) Weltanschauliche Überzeugungen sind also nicht etwa nur ein interessantes psychologisches Phänomen oder eine Art psychologischer Überbau zu den „wirklich relevanten“ Theorien über die Welt. Sie sind vielmehr ein unverzichtbarer Deutungsrahmen, innerhalb dessen die anderen Wissensgehalte über die Welt überhaupt erst ihre wirklichkeitserschließende und orientierende Kraft entfalten können. Das kann man sich an zwei Gedankenexperimenten leicht verdeutlichen: Wer zwar über eine exzellente wissenschaftliche Theorie verfügte, aber keinerlei Wissen über ihre möglichen und unmöglichen Anwendungsfälle hätte, dem würde die Theorie gar nichts nützen. Ebenso wäre handlungsunfähig oder in seinem Verhalten vollkommen irrational, wer keinerlei Bewertungen darüber vornehmen könnte, welche mögliche Handlung momentan wichtiger ist als andere.

5.2 Strukturen und Funktion der Weltanschauung

Die folgende Strukturanalyse der Weltanschauung versteht sich also nicht als psychologische, sondern als erkenntnistheoretische: Sie hat mit Inhalten, Funktionen und möglichen Begründungen weltanschaulicher Überzeugungen zu tun, und nicht etwa mit ihren biologischen, neuronalen, entwicklungspsychologischen u. a. Seiten. In unserem Denken und Handeln haben wir uns mit einer kaum überschaubaren Vielfalt von Erfahrungsgegebenheiten auseinander zu setzen: Erfahrungen eigener körperlicher und geistiger Vorgänge, Erfahrungen des sozialen Zusammenlebens, unsere Erfahrung mit natürlichen Gegebenheiten und technischen Einrichtungen, die Teilhabe an sozialen, politischen und ökonomischen Prozessen, prägende historische Ereignisse, die Konfrontation mit Traditionen sowie den Zeugnissen und Relikten der Geschichte, mit Wissenschaft, Kunst und Kulturschaffen, bei manchen Menschen auch religiöse Erfahrung in ihren beglückenden, aber auch bedrückenden oder beängstigenden Formen, die Erfahrung von Glück und Erfolg, Liebe und Angenommensein, Gerechtigkeit und Güte, aber auch von Begrenzung, Ablehnung und Scheitern, Hass und Ungerechtigkeit, bis hin zur Erfahrung des Leides, der Sinnlosigkeit und des eigenen oder fremden Todes. Wie bereits oben in 2.4 bei der Erläuterung des Philosophiebegriffes gezeigt, haben wir für einige dieser Gegebenheiten lokale Theorien und andere Orientierungshilfen zur Verfügung: Fast alle Menschen haben zumindest ansatzweise Kenntnisse aus den Naturwissenschaften, technischen Wissenschaften, Sozialwissenschaften, Kulturwissenschaften etc.; daneben gibt es eine Reihe von vorwissenschaftlichen Alltagstheorien, verallgemeinerten Erfahrungseinsichten, Lebensweisheiten, moralischen Regelsystemen, sonstigen Klugheitsregeln und anderem mehr. Neben solchen lokalen Orientierungssystemen verfügen wir – zumindest bruchstückhaft und ansatzweise – auch über allgemeinere, bereichsübergreifende Orientierungshilfen: So wissen wir etwa, dass man defekte Autos oder einen entzündeten Hals nicht durch dieselben Maßnahmen „korrigieren“ kann wie einen Mitmenschen, der einen Fehler gemacht hat, oder ein Wirtschaftsunternehmen, das in die Krise geraten ist. Die meisten Leute sind außerdem z. B. der Ansicht, dass astronomische Konstellationen keinen Einfluss auf die Stabilität von Bauwerken haben, oder dass man bei historischen Forschungen zur Antike davon auszugehen hat, dass Physik und Biologie damals denselben Gesetzen gehorchten wie heute. Umgekehrt wissen wir auch, dass man manche Krankheiten durch chemische und/oder psychische Beeinflussung auslösen und kurieren kann, weil es bestimmte Zusammenhänge zwischen Chemie, Biologie und Psychologie gibt, und vieles andere mehr. Auch solches – meist nur stillschweigend angewandtes – Wissen über bereichsüberschreitende Zusammenhänge ist Teil der Weltanschauung. Zur Weltanschauung gehören aber auch Überzeugungen, die auf einer nochmals allgemeineren Stufe anzusiedeln sind. Dazu gehören etwa *

ganz allgemeine Überzeugungen darüber, welche Sorten von Objekten es in der Welt gibt (Personen? Alltagsobjekte? Zellen? Elementarteilchen? Prozesse? Einfach nur Materie und/oder Energie? Personengruppen und soziale Institutionen?) und wie sie strukturiert sind;

Strukturen innerhalb der Weltanschauung (1): bereichsübergreifende Orientierungen

Strukturen innerhalb der Weltanschauung (2): Allgemeinere Hintergrundüberzeugungen

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5 Rationale Strukturen der Religion *

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Strukturen innerhalb der Weltanschauung (3): Übergreifende Leitvorstellungen im Kern der Weltanschauuung

Überzeugungen darüber, wie die einzelnen Objektbereiche zueinander stehen („was „wirklich“ existiert, sind Personen / Elementarteilchen / beides / …“; „das Verhalten eines Organismus ist letztlich [nicht] naturwissenschaftlich erklärbar“; „das Verhalten sozialer Gruppen ist [nicht] allein durch das Verhalten der Einzelnen erklärbar“); Überzeugungen über einige allgemeine Zusammenhänge (etwa „die Dinge der Welt sind Objekte mit wechselnden Eigenschaften“, „Veränderungen haben [nicht] immer irgendeine Ursache“, „die Dinge der Welt verhalten sich gleichförmig“, „ähnliche Ursachen haben ähnliche Wirkungen“), und auch einige sehr allgemeine normative Überzeugungen, d. h. Wertsetzungen, die im Kollisionsfall anderen Wertsetzungen vorgehen (etwa: „gewaltfreier Umgang ist im Zweifel vorzuziehen“, „grundsätzlich verdienen die Bemühungen anderer Menschen zunächst einmal Respekt“, „im Zweifel sollte man der Natur lieber ihren Lauf lassen“).

Solche allgemeineren Überzeugungen bilden – ebenfalls meist wieder stillschweigend – den Hintergrund verschiedenster Aktivitäten des Lebens, insbesondere auch des Wissenschaft-Treibens. Die letztgenannte Gruppe von Überzeugungen wurde dabei traditionell von der Ethik untersucht, die ersteren drei von der Metaphysik bzw. Ontologie (266). Auch solche allgemeinste Hintergrundüberzeugungen sind der rationalen Diskussion nicht entzogen. Freilich wird die Überprüfung solcher Überzeugungen nicht ganz nach denselben Methoden und Kriterien erfolgen, wie man eine einzelwissenschaftliche Hypothese testet (etwa durch Experimente). Das ändert nichts daran, dass auch solche weltanschaulichen Hintergrundüberzeugungen eine Form der Erschließung der Wirklichkeit sind. Die Weltanschauung der meisten, wenn nicht sogar aller Menschen dürfte darüber hinaus noch so etwas wie eine übergreifende Leitvorstellung enthalten, die eine Gesamtdeutung der Wirklichkeit liefert. Solche Leitvorstellungen können unscharf oder metaphorisch sein und müssen keineswegs die Struktur von Sätzen oder Behauptungen haben. Denkbare Beispiele wären etwa, dass man die Gesamtwirklichkeit nach Art eines großen, zusammengehörigen Organismus versteht, oder nach Art eines chaotischen Durcheinanderwirkens zusammenhangloser Bestandteile, dass man den Weltlauf letztlich von einer dahinterstehenden Kraft oder gütigen Intelligenz getragen sieht, dass man die Welt als Phase eines großräumigen Entwicklungs- oder Fortschrittsprozesses sieht, oder nach Art eines wohlgeordneten, hierarchischen Kosmos, oder ähnliches mehr. Solche Leitvorstellungen sind durch Kultur und Erziehung mitbedingt und werden auf diesem Wege tradiert, sie sind aber auch durchaus veränderbar und speisen sich vor allem aus besonders prägenden Erfahrungen. Das können zwischenmenschliche Erfahrungen sein (z. B. jene einer besonders geglückten oder besonders negativ erlebten Elternbeziehung, prägende Gemeinschaftserlebnisse, einschneidende Erfahrungen von Gefahr und Rettung oder anderes mehr), aber auch die Erfahrung mit bestimmten Aktivitäts- und Theoriebereichen, die man als besonders geglückt, faszinierend und aufschlussreich empfindet. Wer z. B. in den Naturwissenschaften und der Technik einen besonders faszinierenden Weg der Wirklichkeitserschließung erblickt, der mag die Gesamtwirklich-

5.2 Strukturen und Funktion der Weltanschauung

keit vielleicht nach Art eines gesetzesgeleiteten, großen und zusammenhängenden Ganzen verstehen. Wer das Leben in festgefügten Gesellschaftsformen als prägend und glückend erfahren hat, der mag die Wirklichkeit als wohlgeordnetes, wenngleich auch nicht immer durchschaubares System empfinden, in dem jeder Einzelne seinen ihm zugedachten Platz hat, und anderes mehr. Damit sollen keine psychologischen Gesetzmäßigkeiten behauptet werden, denn die Zusammenhänge zwischen prägenden Erfahrungen und weltanschaulichen Leitvorstellungen sind keineswegs eindeutig oder zwangsläufig. Wer etwa eine angstvolle, sonst wie missglückte oder ganz fehlende Vaterbeziehung hatte, der mag zur Leitvorstellung eines väterlichen, persönlichen Gottes im Sinne des Theismus vielleicht keinen Zugang haben – oder aber gerade sie (aus einem Bedürfnis heraus) besonders plausibel und erhellend finden. Sofern Personen religiöse Überzeugungen hegen, dann sind dies typischerweise keine beiläufigen Überzeugungen, wie wir sie bezüglich alltäglicher oder wissenschaftlicher Fakten bilden und gegebenenfalls auch leicht wieder ändern. Religiöse Überzeugungen bilden vielmehr einen wesentlichen Teil der weltanschaulichen Überzeugungen einer Person und können insbesondere auch die Leitvorstellungen im Kern der Weltanschauung entscheidend mitprägen. Wer etwa im Sinne theistischer Gottesvorstellungen davon ausgeht, dass ein personal und „väterlich/mütterlich“ gedachter, liebender Schöpfergott der letzte Grund der Wirklichkeit ist, dessen Weltanschauung wird wohl nicht nur peripher, sondern in ihrem Kern von einer solchen Vorstellung bestimmt sein. Eine solche Vorstellung hat dann auch Konsequenzen für die Einordnung anderer Bereiche (etwa: „Naturwissenschaften untersuchen bestimmte Teilaspekte der Schöpfung und sind in diesem Rahmen völlig berechtigt, sie bieten aber keine vollständige Darstellung dessen, was alles zur Wirklichkeit gehört“), und auch für die zentralen Ziele und Wertsetzungen im Leben (etwa: „letztlich wird alles sein Ziel in Gott finden“, „im Leben geht es nicht allein um mich, sondern darum, die anderen zu lieben und möglichst vielen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen“). Exemplarisch bringt etwa der Anfang des christlichen Glaubensbekenntnisses einen solchen Kern der Weltanschauung und seine deutende und bewertende Rolle zum Ausdruck ((104), 85): „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde, …“: Wenn Gott hier als tragende, allmächtige, die Wirklichkeit erklärende, personenähnliche Gegebenheit umschrieben wird, dann ergibt sich dadurch einerseits eine relativierende Einordnung sämtlicher innerweltlicher Erklärungsansprüche, andererseits – ähnlich wie einem Vater seine Kinder nicht unwichtig sind – erscheinen unsere innerweltlichen Bemühungen und Aktivitäten aber auch nicht als bedeutungslos. Und aus dem Vergleich Gottes mit einem einzigen Vater ergeben sich praktische Konsequenzen, da die Mitmenschen dann ähnlich wie Geschwister zu betrachten und zu behandeln sind. Freilich: Auch wenn Menschen religiöse Überzeugungen haben und nachdrücklich vertreten, müssen diese nicht in jedem Einzelfall zum Kern der Weltanschauung gehören. Auch bei Menschen, die sich zwar als religiös deklarieren und auch besten Wissens behaupten, ihr Gottesbezug sei der Kern ihrer Weltanschauung, kann eine (selbst-)kritische Prüfung nämlich

Die Rolle religiöser Überzeugungen

Ein Beispiel für den Kern einer religiösen Weltanschauung

Religiöse Überzeugungen können auch außerhalb des Kerns der Weltanschauung stehen

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5 Rationale Strukturen der Religion

Ausdrücklichkeitsgrade: Implizite und explizierte Weltanschauung

Mögliche Widersprüche in der Weltanschauung

zeigen, dass ihre wahren und lebenspraktisch wirksamen Leitvorstellungen eigentlich andere sind. Wer etwa eine Vorstellung von Sicherheit, Stabilität und möglichster Beibehaltung der momentanen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen Verhältnisse als die eigentliche Leitvorstellung und alles bestimmende Wertsetzung in seiner Weltanschauung hegt, der wird nicht selten auch religiöse Überzeugungen als zentral einschätzen. Es ist allerdings möglich, dass religiöse Vorstellungen und Überzeugungen dann de facto eher nur als Teilaspekt oder Stützung der eigentlichen Leitvorstellung dienen. Religionen betrachten einen solchen Zustand übrigens seit jeher als kritisch; im Sinne des ersten Gebots im Alten Testament („Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“, Buch Exodus Kapitel 20, Vers 3) ist die Kritik an diversen „Ersatzgöttern“, die den Blick auf Gott verstellen, ein durchgehender Zug im Judentum und Christentum, der sich auch im Islam deutlich fortsetzt. Das bisher gezeichnete Bild von Weltanschauungen war abstrakt und dürfte in mindestens zwei Zügen der Realität kaum je nahe kommen. Erstens hat schon das Rasenmäher/Fußgänger-Beispiel gezeigt, dass viele weltanschauliche Überzeugungen nur implizit (von lat. implicite, unausdrücklich, stillschweigend) sind. Die meisten Leser werden auf die Liste wohl etwa so reagiert haben: „ja selbstverständlich meine ich das auch, aber daran hatte ich noch gar nie gedacht“. Weltanschauliche Überzeugungen machen also zum Teil die unausgesprochenen Selbstverständlichkeiten unseres Denkens und Handelns aus. Nur ausnahmsweise – unter anderem beim philosophischen und theologischen Nachdenken – werden wir uns solcher Selbstverständlichkeiten bewusst und formulieren sie ausdrücklich. Man könnte in diesem Fall von einer explizierten Weltanschauung (von lat. explicare, erläutern, erklären, ausdrücklich machen) sprechen. Besonders schwierig ist die Explikation der Leitvorstellungen im Kern der Weltanschauung. Zum einen sind sie oft so undeutlich oder verborgen, dass sie auch für ihre Besitzer nicht leicht artikulierbar sind. Zum anderen hat die Artikulation eines solchen Kernes der Weltanschauung auch Züge eines persönlichen Bekenntnisses, das man nicht leichtfertig beliebigen Leuten offenlegen würde. Zweitens ist nicht davon auszugehen, dass die Weltanschauung von Menschen immer widerspruchsfrei ist. Im Gegenteil ist eher zu erwarten, dass man auch auf einige Überzeugungen stoßen wird, die miteinander eigentlich logisch unverträglich sind, zumindest vorläufig. Wer etwa im Rahmen einer theistisch geprägten Weltanschauung einerseits der Meinung ist, Gott wirke nicht nach der Art innerweltlicher Ursachen in die Welt hinein, andererseits aber doch bestimmte historische Ereignisse als direkte Fügungen Gottes einordnet, der hat zumindest vorläufig einen Widerspruch in seiner Weltanschauung. Wer etwa einerseits Menschenwürde und die natürliche Gleichheit aller Menschen als fundamentale Werte betont, andererseits aber rigide und gewaltsame Maßnahmen gegen Wirtschaftsmigranten als fraglos geboten ansieht, der wird seine Meinungen differenzieren müssen, sobald er mit Anfragen konfrontiert wird, ob hier nicht ein Widerspruch vorliegt.

5.3 Kriterien für tragfähige Weltanschauungen

5.3 Kriterien für tragfähige Weltanschauungen Im vorigen Abschnitt wurde bereits angedeutet und auch an einzelnen Beispielen gezeigt, dass weltanschauliche Überzeugungen keine bloß subjektiven, unverbindlichen Einschätzungen sind, sondern dass sie von anderen Menschen zum großen Teil geteilt werden und unverzichtbar für unsere Wirklichkeitserschließung sind. Sie stellen den Deutungsrahmen dar, innerhalb dessen andere Theorien etc. überhaupt erst ihre spezielleren Ordnungsleistungen entfalten können. Folglich können weltanschauliche Überzeugungen (zumindest grundsätzlich) genauso „objektiv wirklichkeitserschließend“ sein, wie man dies z. B. wissenschaftlichen Theorien zuschreiben mag. Diese letztere Behauptung verdient noch ausführlichere Begründung, da weltanschauliche Überzeugungen (besonders die Leitvorstellungen im Kern der Weltanschauung) häufig als bloß subjektive Deutungen, Projektionen oder Einheitsphantasien eingeordnet werden. Weltanschaulichen Überzeugungen kann man dann objektiv wirklichkeitserschließende Kraft zuschreiben, wenn es Kriterien für „bessere“ und „schlechtere“ Weltanschauungen gibt, ähnlich wie es in der Wissenschaftstheorie gewisse Kriterien für die Wahl zwischen verschiedenen vorgeschlagenen Theorien gibt. Ein ganz ähnlich gelagertes Problem gibt es übrigens in der Metaphysik und Ontologie: Auch wenn metaphysische Behauptungen nicht in ähnlicher Weise testbar sind wie einzelwissenschaftliche Theorien, so unterscheiden wir anscheinend doch zwischen mehr oder minder plausiblen metaphysischen Behauptungen. Es scheint also auch hier irgendwelche Maßstäbe für solche Unterscheidungen zu geben, die nicht einzelwissenschaftlicher Natur sind ((262), (269)). Tatsächlich hat Frederick Ferré in Anlehnung an Alfred North Whitehead vier Kriterien vorgeschlagen, anhand deren man metaphysische Behauptungen kritisch bewerten kann ((251); ähnliche Kriterien schlägt (18), S. 19 f. vor). Diese Kriterien können durchaus auf weltanschauliche Überzeugungen im Allgemeinen übertragen werden. Dieser Vorschlag erscheint nicht aus der Luft gegriffen, denn metaphysische Behauptungen entsprechen ja, wie oben gezeigt, einem wichtigen Ausschnitt unserer weltanschaulichen Überzeugungen. Es ist freilich kaum zu erwarten, dass man anhand dieser Kriterien so etwas wie „die einzig richtige Weltanschauung“ ausfindig machen kann (das wäre auch gegenstandslos, weil man ohne entsprechenden Erfahrungshintergrund niemanden von ihr überzeugen könnte). Die Kriterien ermöglichen aber immerhin doch, dass man unterschiedliche weltanschauliche Vorschläge auf ihre Tragfähigkeit untersuchen und sie kritisch diskutieren kann. Ferré unterscheidet zwei innere Kriterien (Konsistenz und Einheitlichkeit/Zusammenhang) sowie zwei äußere Kriterien (Offenheit und Erfahrungsbezug). Ähnlich wie einzelwissenschaftliche Theorien müssen auch metaphysische und weltanschauliche Überzeugungen intern konsistent, d. h. in sich widerspruchsfrei sein. Es darf nicht der Fall sein, dass ein Überzeugungssystem eine weltanschauliche Überzeugung P und gleichzeitig ihre Negation non-P enthält (bzw. sie auf Nachfrage einräumen müsste). Man kann z. B. nicht einerseits der Überzeugung sein, dass sämtliche Vorgänge der Welt vollständig kausal determiniert sind, und andererseits glauben, dass

Die vier Kriterien von Whitehead und Ferré

Kriterium 1: Konsistenz

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5 Rationale Strukturen der Religion

Kriterium 2: Einheitlichkeit und Zusammenhang des Überzeugungssystems

Kriterium 3: Offenheit

menschliche Handlungsfreiheit darin besteht, dass man in undeterminierter Weise in den Weltlauf eingreifen kann. Freilich wissen wir, dass Weltanschauungen oft nicht expliziert sind und solche Widersprüche ihren Vertretern daher nicht immer auffallen; das Konsistenzkriterium fordert allerdings, dass man einmal erkannte Widersprüche als problematisch einstuft und auf ihre Klärung hinarbeitet. Im Falle des angedeuteten Freiheitsbeispiels hieße das etwa, dass man entweder wirklich eine der beiden Überzeugungen aufgibt, oder dass man sich um Präzisierungen der Begriffe „Handlungsfreiheit“ und „Kausalität“ bemüht, die beiden Intuitionen gerecht werden können. Ein Überzeugungssystem ist uneinheitlich und unzusammenhängend, wenn es zur Deutung und Bewertung verschiedener Erfahrungsgegebenheiten mehrere, völlig unzusammenhängende Teilsysteme bereithält, ohne dass die Frage nach deren Zusammenhang je gestellt wird. Radikale Formen eines „Sprachspielpluralismus“ (wie er – wohl zu Unrecht – oft Wittgenstein zugeschrieben wird) würden an einem solchen Zusammenhangsproblem leiden: Wer z. B. einerseits die Wissenschaften und ihr Weltbild als ein in sich geschlossenes Sprachspiel betrachtet und sich darin auch erfolgreich bewegt, andererseits aber seine tiefergehenden Lebensprobleme aus einer esoterischen, irrationalistisch geprägten Religiosität heraus zu bewältigen trachtet, oder wer wissenschaftliche Fragen und Wertfragen als unüberbrückbar getrennt betrachtet, dessen Weltanschauung ist uneinheitlich und unzusammenhängend. Dies mag einige Zeit unentdeckt bleiben, tritt aber z. B. dann zu Tage, wenn Probleme auftauchen, die in beiden Teilsystemen eine Deutung finden würden: Soll etwa eine Krankheit eher als kausal erklärbare und korrigierbare Stoffwechselstörung betrachtet werden, oder ist sie eher ein Ausdruck seelisch-kosmischer Disharmonien, eine Anfechtung durch böse Mächte oder ähnliches? Eine unzusammenhängende, uneinheitliche Weltanschauung wird keinen Hinweis geben, welcher Deutung man sich anvertrauen und nach welcher man seine Handlungen orientieren sollte. Eine tragfähige Weltanschauung muss offen sein, d. h. beliebige neu hinzukommende Erfahrungsgegebenheiten einordnen und deuten können. Das heißt, sie darf nicht bestimmte Erfahrungsgegebenheiten von vornherein ausblenden oder als grundsätzlich undeutbar ausschließen. Dies ist deshalb bedeutsam, weil man sich Erfahrungen nur beschränkt aussuchen kann und daher jederzeit damit rechnen muss, auch unerwartete, erstaunliche oder sogar bedrückende Erfahrungsgegebenheiten in sein Weltbild einzuordnen (zumindest im Sinne einer vorläufigen Einordnung). Gerade der Bereich des Religiösen dürfte für viele Menschen ein Kandidat für vorschnelle Ausschließung sein. Viele Menschen würden von sich etwa sagen, sie könnten mit diesem Bereich „überhaupt nichts anfangen“, d. h. ihn weder positiv noch negativ bewerten, weil sie ihn gar nicht deuten können. Dieser Zustand kann allerdings nur vorläufig sein, soll die Weltanschauung längerfristig tragfähig sein. Wer intensivere Begegnungen mit religiösen Menschen oder vielleicht sogar ansatzweise eigene religiöse Erfahrungen macht, der wird auch den religiösen Bereich irgendwie in seine Weltanschauung einordnen müssen, und sei es nur in Form religionskritischer Überlegungen. Tragfähige Weltanschauungen müssen einen Bezug zur Erfahrung haben. Dies hat insbesondere die Diskussion um die behauptete kognitive Sinnlo-

5.3 Kriterien für tragfähige Weltanschauungen

sigkeit religiöser Überzeugungen deutlich gezeigt (siehe oben 4.1). Mit Erfahrungsbezug ist freilich nicht gemeint, dass Weltanschauungen oder einzelne weltanschauliche Überzeugungen ähnlich einer wissenschaftlichen Hypothese empirisch überprüfbar sein müssen. Wir haben aber bereits an mehreren Stellen dieses Buches gesehen, dass es Überzeugungen gibt, denen man einen mittelbaren Erfahrungsbezug zuschreiben kann, weil sie verschiedensten Erfahrungen zugrunde liegen und sich dadurch an der Erfahrung bewähren; bekannte Beispiele sind etwa das Nichtwiderspruchsprinzip (siehe oben 4.3) oder das metaphysische Kausalprinzip (siehe 3.3). Wie wir bereits gesehen haben, sind solche Überzeugungen ein Bestandteil vermutlich jeder Weltanschauung. Daneben haben Weltanschauungen aber auch noch einen individuelleren Erfahrungsbezug, weil sie eben die jeweiligen Erfahrungen – insbesondere die besonders prägenden Leiterfahrungen – eines Menschen in einen größeren Zusammenhang einordnen müssen. Metaphorisch ausgedrückt, ist die Weltanschauung eines Menschen also jener Reim, den sich ein Mensch von seiner Welt macht, und der ihn befähigt, sich in ihr denkend und handelnd zu bewegen. Ferrés Kriterien sind insofern nicht exotisch oder nur auf den Sonderfall weltanschaulicher Überzeugungen hin gemünzt, als sie in Anlehnung an die Beurteilungskriterien für wissenschaftliche Theorien entwickelt wurden: (1) Konsistenz ist ein Minimalkriterium für jedwede vernünftige Theoriebildung. (2) Zusammenhang und Einheitlichkeit ist ein anzustrebendes Gütekriterium auch in den Wissenschaften: Wenn vormals unverbundene Bereiche in eine größere, zusammenhängende Theorie eingeordnet werden können (so wie etwa die moderne Molekulargenetik die früher getrennten Bereiche der Evolutionslehre und der Vererbungslehre in einen plausiblen Zusammenhang gebracht hat), so wird das als wissenschaftlicher Fortschritt betrachtet. (3) Offenheit für beliebige – auch widerspenstige – Erfahrungen ist in der Wissenschaft eine grundlegende methodische Forderung: Wer widerspenstige Erfahrungen nicht wahrnimmt, unterdrückt oder weginterpretiert, der formuliert im besten Fall eine ideologisch verengte Theorie, im schlimmsten Fall macht er sich des wissenschaftlichen Betruges schuldig. (4) Verschiedene Formen des Erfahrungsbezuges sind kennzeichnend für die wissenschaftliche Tätigkeit. Dabei reicht das Spektrum von relativ einfach testbaren Theorien (etwa über die Wirksamkeit eines Medikaments) bis hin zu historischen Theorien, die im Nachhinein bestimmte Erfahrungsinhalte und -berichte zusammenordnen. Mit dem Vorschlag dieser Kriterien sollte nicht behauptet werden, dass Weltanschauungen sie wirklich immer vollständig erfüllen müssen, um tragfähig zu sein. Ähnlich wie im wissenschaftlichen Bereich eine Theorie vorläufig akzeptabel und hilfreich sein kann, obwohl sie noch punktuelle Schwächen enthält, so können auch innerhalb von Weltanschauungen Widersprüche, Lücken und ähnliche Schwächen zutage treten – etwa dann, wenn wir neuartige, verwirrende Erfahrungen einordnen müssen, wenn wir Irrtümer einsehen oder auf den Widerspruch anderer stoßen, und Ähnliches mehr. Im Sinne der vier Kriterien wird ein vernünftiger Mensch solche Situationen aber als problematisch und lösungsbedürftig einordnen. Die vier Kriterien fungieren also als Richtungsangabe, wie die Weltanschauung eines Menschen sich weiterentwickeln und reifen kann.

Kriterium 4: Erfahrungsbezug (im weiteren Sinne)

Der Stellenwert dieser Kriterien

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5 Rationale Strukturen der Religion

5.4 Theismus als weltanschaulich-integrative Erklärung Anwendung der vier Kriterien auf Religionen und andere Weltanschauungen

Die Konsistenz des Theismus und das Problem der Eigenschaften Gottes

Gott als Grenzbegriff

Weltanschauliche Überzeugungen sind also im Sinne einer moderat kognitiven Deutung zu verstehen: Wenngleich vieles an der Weltanschauung einer Person unausdrücklich sein mag und wenngleich besonders in den Kernbereichen einer Weltanschauung auch bildhafte, metaphorische und stark emotional beladene Vorstellungen stecken mögen, so haben Weltanschauungen doch auch einen kognitiven und sprachlich artikulierbaren Gehalt. Ähnliches wurde in Abschnitt 2.1 von Religionen gesagt. Folglich können religiöse Überzeugungen und religiös geprägte Weltanschauungen auch anhand unserer vier Kriterien auf ihre Tragfähigkeit hin untersucht werden. Überdies scheint es prinzipiell möglich, religiöse mit anderen Weltanschauungen zu vergleichen. Naheliegende Vergleichsobjekte sind z. B. die spekulativen weltanschaulichen Einbettungen naturwissenschaftlicher, sozialwissenschaftlicher und anderer Theorien, die mitunter zu erkennen sind, wenn Debatten um den Stellenwert und die Grenzen wissenschaftlicher Erklärung kreisen. Der Glaube an ein „wissenschaftliches Weltbild“, an das dann häufig appelliert wird und das die sinnvoll stellbaren von den sinnlosen Fragen abgrenzt, ist ja nicht mehr Teil oder Ergebnis der Wissenschaften selbst, sondern bereits eine Form von Weltanschauung. Wenn im Folgenden religiöse Weltanschauungen im Lichte der vier Kriterien betrachtet werden, dann beschränken wir uns – wie schon bisher – auf den Theismus. Ein konsistenter Theismus muss eine plausible Antwort auf die unter 4.1 und 4.2 diskutierten Einwände bieten können: Er muss sprachlich sinnvolle Behauptungen enthalten, in sich konsistent sein und auch mit anderen gut gesicherten Teilen unseres Überzeugungssystems konsistent sein. Wir haben zwar gesehen, dass es gegen die religionskritischen Einwände durchaus auch massive Gegeneinwände gibt. Beides braucht hier nicht wiederholt zu werden. Hingewiesen sei allerdings auf ein allgemeineres Problem: Ein konsistentes Reden von Gott wird nur dann möglich sein, wenn die Eigenschaften, die man Gott zuschreibt, einerseits nicht völlig inhaltsleer sind (sonst würde der Sinnlosigkeitsverdacht genährt), andererseits aber auch nicht zu ähnlich den Eigenschaften sind, die man innerweltlichen Akteuren und Objekten zuschreibt. Wenn man dem Gott des Theismus traditionell etwa Körperlosigkeit und Zeitlosigkeit zuschreibt, so ist das eine Folge dieser Forderungen: Ein körperlich gedachter Gott könnte nicht als omnipräsent gedacht werden, denn er würde mit anderen Objekten in beobachtbare Kollisionen kommen; ein der Zeit unterworfener Gott wäre schwer als allwissend zu denken (siehe oben Abschnitt 2.6). Ähnliches haben wir beim Problem des Übels beobachtet: Würde man Gottes Handeln mit unseren menschlichen Nutzenkalkülen und Moralmaßstäben bewerten wollen, dann zeichnet sich sicher keine Lösung des Problems des Übels ab, vielmehr erschiene ein so gedachter Gott zynisch, machtlos, unwissend oder irrational, und man könnte immer noch die weitergehende Frage stellen, wer oder was denn die Ursache oder Erklärung für die Existenz eines solchen Wesens mit seinen Beschränkungen sei. Ein konsistenter Gottesbegriff wird also ein Grenzbegriff sein: Wenn Gott wirklich als der letzte erklärende Grund für die Welt und bestimmte Gege-

5.4 Theismus als weltanschaulich-integrative Erklärung

benheiten in ihr fungieren soll, dann darf er nicht mehr die Eigenschaften dieser Gegebenheiten haben. Sonst wäre Gott eher wie ein Dämon, ein Gespenst oder eine mythologische Göttergestalt zu verstehen, also ein Teil der Welt, der selbst noch erklärungsbedürftig ist. Wer dagegen einwendet, er könne sich einen so zu denkenden Gott nicht anschaulich vorstellen (eine körperlose Person, die aber handelt; ein liebendes Wesen, dessen Liebe aber mit menschlichen Moralmaßstäben nicht zu messen ist; ein allwissendes Wesen, dessen Wissen aber nicht durch zeitlich erstrecktes Lernen erworben wurde; ein außerzeitliches Wesen, dem alle Zeitpunkte unserer Welt gleichermaßen präsent sind, und anderes), dem könnte geantwortet werden: Die Unanschaulichkeit ist sogar ein positiver Hinweis darauf, dass jetzt wirklich von Gott im Sinne des Theismus die Rede ist und nicht mehr von einer innerweltlichen Figur oder Projektion. (Freilich muss eine solche Konzeption der Sorge begegnen können, ob damit überhaupt noch irgendetwas von Gott ausgesagt wird, ob also nicht zugunsten der Konsistenz auf alle Inhalte verzichtet worden ist. Bei der Abweisung dieses Verdachtes werden die Argumente für Gottes Existenz nochmals eine wichtige Rolle spielen, siehe dazu unten Abschnitt 5.5.) Theistische Weltanschauungen, in deren Zentrum ein einziger Gott im Sinne des eben skizzierten Grenzbegriffes steht, der als letzte Erklärung und auch als letzter Sinnstifter der Welt fungiert, können ein überaus einheitliches, zusammenhängendes System von Überzeugungen darstellen. Sämtliche innerweltliche Gegebenheiten – durchaus auch jene, die wir Menschen als rätselhaft und/oder belastend empfinden – können in irgendeiner Weise mit Gott als dem letzten Grund der Wirklichkeit in Verbindung gebracht werden, auch wenn wir die genauen Wege dieser Verbindung nicht immer kennen („Gott hat das Universum geschaffen, so wie es ist, und auch unsere Erkenntnisfähigkeiten“, „Es wird Gründe für das Übel geben, die Gott allein kennt, völlig unerklärbar ist das Übel also wohl nicht“, „Gott wird auch das Unvollkommene und Belastende in unserem Leben gütig ansehen und vielleicht zum Guten wenden“, und dergleichen mehr). Einheitlichkeit und Zusammenhang der Weltanschauung werden dabei aber nicht etwa nur durch die spezifisch theistischen Annahmen gestiftet. Einheitlich und zusammenhängend wird eine Weltanschauung besonders dann sein, wenn ihre Grundstrukturen der aristotelischen Ontologie entsprechen. In dieser Ontologie bilden die Objekte des alltäglichen Umgangs mit ihren wechselnden Eigenschaften die grundlegende Sorte von Dingen (also etwa Personen, Tiere, Werkzeuge etc.). Andere Sorten von Dingen (wie etwa Elementarteilchen, Kräfte, Rechtsansprüche, soziale Institutionen etc.) „gibt es“ zwar auch, allerdings kommt ihnen nur eine abgeleitete Existenzform zu. Eine solche Weltanschauung spricht unserem alltäglichen, vorwissenschaftlichen Denken über die Welt seinen grundsätzlichen Erkenntnischarakter nicht ab, sondern betrachtet ihn sogar als grundlegend für die Etablierung der einzelnen Spezialwissenschaften. Auch letzteren spricht der Aristoteliker den Erkenntnischarakter nicht ab, wissenschaftliche Erkenntnis mit ihren jeweiligen Bereichsontologien wird jedoch als abgeleitete Erkenntnisform für ganz spezielle Fragen mit ganz speziellen Methoden betrachtet. Teilweise kehren aristotelische Unterscheidungen sogar auf verschiedenen Ebenen wieder, wenn etwa ein und demselben Teilchen wechselnde Energiezustände zuge-

Die Einheitlichkeit des Theismus

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5 Rationale Strukturen der Religion

Zum Vergleich: Wie einheitlich und zusammenhängend ist der Naturalismus?

Die Offenheit des Theismus

sprochen werden. Außerdem gelten in einer solchen Ontologie Grundsätze wie das metaphysische Kausalprinzip, das wir im alltäglichen wie im wissenschaftlichen Tun dauernd zugrundelegen (zur Sonderstellung der Quantenphysik siehe 3.3 und 4.2). Auch bei kosmologischen Argumenten für Gottes Existenz ist uns dieses Prinzip als ein entscheidender Argumentationsschritt begegnet. Es bestehen insgesamt also plausible Brücken zwischen den religiösen, den wissenschaftlichen und den lebensweltlich-vernünftigen Bereichen unseres Denkens. Eine solche theistische Weltanschauung wird insbesondere jene Einheitlichkeitsprobleme nicht haben, die z. B. eine rein naturalistische Weltanschauung belasten (die in unserem naturwissenschaftlichen Wissen den einzigen verlässlichen und ernst zu nehmenden Zugang zur Wirklichkeit sieht). Der reine und wirklich ernsthafte Naturalist müsste den Objekten der Alltagsontologie, die in naturwissenschaftlichen Ontologien nicht vorkommen (Personen, Werkzeugen, Kunstwerken, Normen, sozialen Institutionen und anderes mehr) entweder einen unplausiblen Status als ElementarteilchenBallungen oder ähnliches zuordnen (was die Frage nach deren zusammenhaltendem Strukturprinzip aufwirft!), oder sie überhaupt in einem außerwissenschaftlich-rätselhaften Status belassen. Ebenso müsste er den tragenden Grundsätzen des Denkens wie dem metaphysischen Kausalprinzip eine dubiose Rolle zuschreiben. Dennoch wird auch der ernsthafte Naturalist kaum bestreiten können, dass er sich in einer Welt von (mehr oder minder) stabilen lebensweltlichen Objekten mit (mehr oder minder) variablen Eigenschaften bewegt und darin handelt, dass er nach Ursachen für Veränderungen an Objekten forscht, dass ihn auch im wissenschaftlichen Handeln zuweilen schwierige Abgrenzungs-, Abwägungs- und Bewertungsfragen beschäftigen, denen man nicht ausweichen kann, und anderes mehr. Solche weltanschauliche Voraussetzungen müsste auch der ernsthafte Naturalist de facto machen, zugleich kann er sie aber schwer begründen, und er müsste daher zwischen unzusammenhängenden Teilsystemen der Weltdeutung hin- und herspringen. Der Theist dagegen kann die einzelnen Wissenschaftsbereiche zwanglos betreiben und in ihrem Eigenwert akzeptieren, weil ihnen nicht die Last aufgebürdet wird, selbst eine Weltanschauung zu ersetzen. Das bisher Gesagte bietet auch bereits eine Teilantwort auf die Frage, ob der Theismus offen für verschiedenste Erfahrungen ist. In der Tat wird ein erkenntnistheoretisch und ontologisch nicht verengter Theismus verschiedensten Erfahrungsgegebenheiten Raum lassen können, der wissenschaftlichen Erfahrung ebenso wie verschiedensten Alltagserfahrungen, tiefen persönlichen und zwischenmenschlichen Erfahrungen, verschiedenen Typen religiöser Erfahrung (siehe oben Abschnitte 3.5 und 3.7), beglückenden ebenso wie bedrückenden Gegebenheiten des Lebens, und er wird diese Erfahrungen in einen größeren Zusammenhang einordnen können (253). Offenheit bedeutet dabei allerdings nicht, dass der Theismus – ebenso wenig wie andere Weltanschauungen – jede noch so unplausible Behauptung über Erfahrungsgegebenheiten kritiklos hinnehmen müsste. Erfahrungsoffenheit verlangt nicht, dass man sämtliche Kriterien dafür über Bord wirft, wann uns Erfahrungen mutmaßlich der Wirklichkeit näher bringen und wann nicht. Zu den sinnvollen Wegen, mit bestimmten Erfahrungen umzugehen, kann es nämlich auch gehören, sie mit guten Gründen als Projektionsphänomene,

5.4 Theismus als weltanschaulich-integrative Erklärung

Illusionen oder ähnliches einzuordnen. Offenheit verlangt lediglich, sich zu verschiedensten Erfahrungsformen und -inhalten in ein überlegtes Verhältnis stellen zu können und sie nicht vorab und willkürlich auszublenden. Die Offenheit lässt erwarten, dass eine tragfähige Weltanschauung durch neue Erfahrungen auch verändert werden kann (und dennoch tragfähig bleibt). Das gilt für die Neuerschließung profaner Erfahrungsbereiche ebenso wie für die Religion. Die Religionsgeschichte kennt zahllose Beispiele von Menschen, deren religiöse Überzeugungen im Lauf ihres Lebens massiv verändert wurden. Ein für die jeweilige Person tragfähiger Theismus wird mit den Erfahrungen dieser Person in Zusammenhang stehen. Was dabei als Erfahrungsbasis in Frage kommen kann, ist vielfältig. Bereits die meisten der in Abschnitt 3 besprochenen Argumente für den Theismus nahmen ihren Ausgang an solchen Erfahrungsgegebenheiten: etwa an gewöhnlichen und außergewöhnlichen religiösen Erfahrungen, an bestimmten Teilen unserer wissenschaftlichen Erfahrung (etwa jener kosmologischen Erfahrung, die auf die Kontingenz des Universums hindeutet), an der Erfahrung des Glückens und der Nützlichkeit eines religiösen Lebens oder an der moralischen Erfahrung. Sofern man manche dieser Argumente akzeptieren kann (und besonders bei den kosmologischen Argumenten spricht einiges dafür), wird dadurch ein Erfahrungsbezug hergestellt. Aber auch vielfältige andere Erfahrungen einer Person können zur Erfahrungsgrundlage ihrer theistischen Weltanschauung werden, ohne dass daraus auch schon immer ein ausdrückliches theistisches Argument entwickelt werden müsste. Vor allem das glaubwürdige Vorbild religiöser Menschen und die moralische Glaubwürdigkeit religiöser Gruppen und Institutionen dürfte hier von besonderer Bedeutung sein, aber z. B. auch die tröstende Einordnung von Scheitern und Leid, die die Religionen anbieten. Bei Offenbarungsreligionen gehört zur Erfahrungsbasis auch noch wesentlich ein Ausschnitt der „historischen Erfahrung“. Den meisten Gläubigen wird sie nicht als eigene Erfahrung, sondern nur mehr über Berichte, Schriftzeugnisse, Traditionen und anderes zugänglich sein: nämlich als ein bestimmtes Geschehen, das einerseits als historisch hinreichend verbürgt betrachtet werden kann, das andererseits aber auch als derart bemerkenswert betrachtet wird, dass ihm religiöse Bedeutung zugeordnet wird. Für das Christentum sind dies etwa die Erfahrungen religiöser Menschen im Alten Testament, besonders aber die Darstellungen von Leben, Lehre, Tod und Auferstehung von Jesus Christus und die Erfahrungen der christlichen Gemeinschaften. Die Erfahrungsbasis ist übrigens nicht nur für die Begründung religiöser Überzeugungen ausschlaggebend, sondern sie bestimmt sie auch in ihrem Inhalt. So sprechen Gläubige etwa von Gott als dem Schöpfer des Universums, der selbst nicht mehr kontingent ist, als dem universellen Sinnstifter, als jenem, der sich (im Alten Testament, in Jesus Christus, durch Mitteilung des Koran oder anders) geoffenbart hat, und ähnliches mehr. Wir kommen darauf später in Abschnitt 5.5 nochmals zurück. Zusammenfassend könnte man sagen, dass der Theismus – ebenso wie andere Weltanschauungen – eine „integrative Erklärung“ alles dessen bietet, was einer Person begegnet, indem er es gestattet, verschiedenste Erfahrungsgegebenheiten in einen einigermaßen konsistenten und einheitlichen, umfassenden Zusammenhang einzuordnen ((254), besonders Teil 1). Dieser Be-

Der Erfahrungsbezug des Theismus

Verschiedene Erklärungsbegriffe: integrative Erklärung und covering lawErklärung

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5 Rationale Strukturen der Religion

Theismus und andere weltanschauliche Überzeugungen als integrative Erklärungen

Integrative Erklärungen in den Wissenschaften und in der neueren Wissenschaftstheorie

griff einer integrativen Erklärung mag zunächst gewissen Vorbehalten begegnen, weil „Erklärung“ nach wie vor vielfach im Sinne der klassischen Erklärungsmodelle aus dem logischen Empirismus (dem sogenannten deduktivnomologischen (DN-) und dem induktiv-statistischen (IS-)Erklärungsmodell) verstanden wird ((252), (268)): Ein Phänomen ist nach diesen Modellen genau dann wissenschaftlich erklärt, wenn es aus einem allgemeinen Gesetz und den vorher bestehenden Anfangsbedingungen abgeleitet werden und damit auch vorhergesagt werden kann (und zwar bei strikten Gesetzen mit Sicherheit (DN-Erklärung) und bei statistischen Gesetzen mit hoher Wahrscheinlichkeit (IS-Erklärung)). Beide Modelle sind sogenannte covering lawModelle (engl., abdeckendes Gesetz): Erklärungen müssen nach dieser Auffassung immer ein allgemeines Gesetz zum Bestandteil haben. Erklärungen gestatten damit auch Prognosen für zukünftige ähnliche Fälle: Wenn man gleiche Anfangsbedingungen herstellt, dann wird man (mit Sicherheit bzw. hoher Wahrscheinlichkeit) wieder gleiche Endzustände erhalten. Es ist offensichtlich, dass der Theismus als integrative Erklärung keine solchen allgemeinen Gesetze enthält, und dass er keinen prognostischen Wert hat. Wer sich beispielsweise den Urknall und die Existenz des Universums dadurch integrativ erklärt, dass er die Absicht und den Schöpfungsakt Gottes dahinter erblickt, der kann damit weder sagen, ob der Urknall so kommen musste, und er kann auch keine Prognosen für vergleichbare Fälle angeben. Dennoch erfüllt eine solche Erklärung eine Integrationsleistung, indem sie etwa ein Licht auf die Reichweite einer Wissenschaft wie Physik, den sittlichen Wert der Rücksichtnahme auf die Mitmenschen und den möglichen Sinn des Übels in der Welt wirft. Integrative Erklärungen ohne prognostischen Wert gibt es auch in anderen Bereichen, besonders dort, wo es um die Grundzüge unseres Weltbildes geht. Man denke etwa an die klassische Lösung für das Problem der Veränderung, die Aristoteles vorgeschlagen hat (Metaphysik (57), Bücher I und VII). Der Vorsokratiker Heraklit hatte behauptet, dass die Dinge der Welt nicht dieselben blieben, weil sie sich ja dauernd verändern („man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen“), während Parmenides behauptet hatte, alle Veränderung in der Welt wäre nur scheinbar (denn aus Nicht-bestehendem kann nichts werden, und Bestehendes kann nicht zu nichts werden). Beide Thesen waren eklatant unplausibel. Aristoteles rehabilitierte dagegen unsere Alltagsintuition durch eine ontologische Differenzierung: Man sollte die Träger von Eigenschaften und Veränderungen (die „Substanzen“) nicht mit diesen veränderlichen Eigenschaften („den Akzidenzien“) in einen ontologischen Topf werfen. Natürlich gibt es Veränderung in der Welt (weil sich Eigenschaften wie Wasserstand und Sonnenbräune ändern können), aber natürlich bleiben Flüsse, Menschen und andere Dinge dabei dieselben. Die aristotelische Substanz/Akzidens-Unterscheidung ist ein einfaches Beispiel einer integrativen Erklärung, die scheinbar widersprüchliche Überzeugungen einer konsistenten Gesamteinordnung zuführt. Auch die neuere wissenschaftstheoretische Diskussion um den Erklärungsbegriff steht integrativen Erklärungsmustern nicht mehr gänzlich fern. Seit langem wird etwa darauf hingewiesen, dass wohletablierte Theorien wie die Evolutionsbiologie kaum prognostische Relevanz haben, allerdings die Einordnung verschiedenster Naturphänomene in einen großräumigen

5.5 Der Sinn von Argumenten im Bereich der Religion

Rahmen gestatten. Die Evolutionsbiologie (ebenso auch etwa wie die Geologie und die Astrophysik) berühren sich in diesem Punkt mit historischen Erklärungen, und alle miteinander haben sie deutlich integrative Züge: Es geht jeweils um möglichst umfassende und konsistente Erklärungen, wie es zu bestimmten Phänomenen gekommen ist, wobei diese Phänomene aber jeweils die einzigen ihrer Art und unwiederholbar sind, wie das Weltall, unsere Erde und die belebte Natur auf ihr. (Dass man für Teile dieser Erklärungen auch kleinräumige allgemeine Gesetze mit Prognosewert entdeckt hat, dass man etwa die weitere Expansion des Weltalls und die Kontinentalverschiebung vorausberechnen oder bestimmte Evolutionsvorgänge bei Bakterienkulturen im Reagenzglas mit einiger Sicherheit voraussagen kann, ändert den integrativen Gesamtcharakter nicht.) Dementsprechend gibt es auch in der Wissenschaftstheorie Vorschläge von Erklärungsbegriffen, die ohne allgemeine Gesetze auskommen und stark integrative Züge haben. Etwa ist im „pragmatistischen“ Erklärungsmodell Bas van Fraassens ein Sachverhalt X dann erklärt, wenn es eine aufschlussreiche Antwort auf die Warum-Frage „Warum X eher als ein anderer möglicher Sachverhalt Y?“ gibt ((279), (268)). „Aufschlussreich“ können dabei verschiedenste Antworttypen sein, z. B. auch historische Antworten. Wer die Frage stellt „Warum hat Hannibal die Alpen überquert?“, der erwartet als Antwort nicht, nach welchen Gesetzen es so kommen musste, sondern aufgrund welcher Vorgeschichte es faktisch dazu gekommen ist. Was man als „kausalen Prozess“ ansieht, ist also abhängig vom Kontext. Das DN- und ISModell sind also nur Spezialfälle, nämlich für die Erklärung von Naturvorgängen: Wer z. B. wissen will, warum ein Draht durchgebrannt ist oder eine chemische Substanz sich aufgelöst hat, der will eine Antwort, nach welchen Naturgesetzen es so kommen musste. Diese Erklärungsform ist aber eben nur eine von vielen. Aus der Sicht des pragmatistischen Modells könnte also eine Frage wie „Warum gibt es ein Universum und nicht keines?“ nicht als rundweg unsinnig erscheinen, und die Antwort „weil ein Gott im Sinne des Theismus es so wollte“ erscheint ebenso nicht mehr völlig obskur. Religiöse und wissenschaftliche Erklärungsmuster sind also nicht so unterschiedlich, wie dies lange Zeit vermutet wurde.

5.5 Der Sinn von Argumenten im Bereich der Religion Blicken wir zurück: Wir haben in den vorigen Abschnitten einerseits gezeigt, dass so etwas wie eine Weltanschauung als Bündel lebenstragender Überzeugungen (egal ob implizit oder explizit) wohl im Denken und Handeln jedes Menschen aufweisbar ist, und dass überdies der Theismus, verbunden mit den Grundstrukturen der aristotelischen Ontologie, einen überaus aussichtsreichen Kandidaten für eine tragfähige Weltanschauung darstellt. Andererseits hatte sich in den Teilen 3 und 4 gezeigt, dass es eine Reihe von Argumenten für und gegen den Theismus gibt, von denen einige von ganz erheblichem Gewicht sind (die gewichtigsten auf der pro-religiösen Seite sind wohl die Kontingenzargumente, auf der religionskritischen Seite das Argument aus dem Übel). Dennoch ist festzustellen, dass solche Argumente wenig praktische Bedeutung und wenig „Erfolg“ haben: Kaum jemand wird

Die relative „Erfolglosigkeit“ von Argumenten in diesem Bereich

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5 Rationale Strukturen der Religion

Persönliche und interpersonale Argumente

Objektiv nachvollziehbare Argumente und die Rolle der freien, subjektiven Gewissheit

aufgrund solcher Argumente in seiner Weltanschauung massiv beeinflusst, auch wenn er von ihnen Kenntnis hat. Fälle von Konversionen zum oder vom religiösen Glauben oder von einer Konfession zur anderen kommen weniger durch argumentative Überzeugung zustande als durch tiefgreifende persönliche Erfahrungen. Besonders wirksam sind dabei das beeindruckende Vorbild mancher Personen und ihrer Lebensführung, religiöse Erfahrungen im engeren Sinne, erschreckende Erfahrungen des Leides, Erfahrungen des geglückten Lebens in einer stabilen religiösen Gemeinschaft, und ähnliches mehr. Was bringen also Argumentationen im religiös-weltanschaulichen Bereich, und warum sind sie oft nicht „erfolgreich“ im Sinne einer sofortigen Überzeugung des Gesprächspartners? Religiös-weltanschauliche Argumente werden schon vom Ansatz her häufig persönliche Argumente sein in dem Sinne, dass sie an Erfahrungen anschließen, die nicht jeder in gleicher Weise macht (siehe dazu oben Abschnitt 2.4). Wer von sich sagt, er glaube eben deshalb, weil er Gottes Führung in vielen Situationen seines Lebens deutlich erfahren habe, dessen Zeugnis wird andere vielleicht interessieren und beeindrucken, aber sie persönlich kaum überzeugen. Umgekehrt wird er selbst von religionskritischen Argumenten nicht sonderlich erschüttert werden. Ebenso wird man jemandem, der völlig areligiös erzogen und sozialisiert wurde, die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen kaum dadurch begründen können, dass man auf die Beglückung und Stabilisierung verweist, die das persönliche und gemeinschaftliche Leben durch die Religion erfährt. Dennoch sind solche persönlichen Argumente nicht völlig zwecklos. Sie lassen immerhin besser verstehen, warum jemand bestimmte weltanschauliche Überzeugungen hegt, welche andere Überzeugungen er damit in relevanter Verbindung sieht und – nicht zuletzt – welche Bedeutung er überhaupt Wörtern wie „Gott“ zuschreibt, wenn er sie benutzt. Die meisten der in Teil 3 und 4 besprochenen Argumente gehen dagegen von Prämissen aus, die grundsätzlich für jedermann akzeptabel oder doch nachvollziehbar sein sollten, oder die zumindest so sind, dass sie nicht als völlig irrational erscheinen. Von ihrem Ansatz her handelt es sich hier um interpersonale Argumente. Dennoch werden auch die besten dieser Argumente Andersdenkende kaum überzeugen. Überzeugen wird man mit solchen Argumenten am ehesten dann jemanden, wenn er von sich aus auf der Suche nach weltanschaulicher Vergewisserung ist, und vor allem auch nur dann, wenn seine bisherigen Erfahrungen und die ihm bislang zugänglichen Einsichten mit der neu erworbenen Überzeugung im Einklang stehen. Dies ist übrigens keineswegs typisch für den religiösen oder religionsphilosophischen Bereich. Auch z. B. die Erfolgsaussichten allgemein-philosophischer oder politischer Argumentationen stehen unter dieser Beschränkung. Wer ein philosophisches Argument kennt, es verstanden hat und auch die Prämissen einigermaßen nachvollziehbar findet, der wird sich deshalb noch nicht in jedem Fall die Konklusion des Arguments zu eigen machen, sofern sie nicht zu seinem Erfahrungshintergrund und seinem Bestand an sonstigen Überzeugungen passt. Erst recht wird ein solches Argument nicht leicht dazu führen, dass seine Konklusion echte Bedeutsamkeit für das Leben und Handeln dieses Menschen erhält. Man denke beispielsweise an Argumente für bzw. gegen die Existenz von Handlungsfreiheit in der theoreti-

5.5 Der Sinn von Argumenten im Bereich der Religion

schen Philosophie, oder für und gegen den Ausbau bzw. Rückbau des Sozialstaats in der praktischen Philosophie. Auch wer solchen Argumenten auf theoretischer Ebene folgen kann und zustimmt, wird seine Lebenspraxis nur selten sofort und tiefgreifend ändern. Das subjektive, persönliche „Mitgehen“ mit einer Argumentation ist nicht erzwingbar, daher wurde es mitunter auch freie Gewissheit (lat. certitudo libera, (104), S. 99 f., (99), S. 225 f.) genannt. Sie ist nicht bereichstypisch für Religion und Philosophie, und sie ist auch kein Lückenfüller für ansonsten schlechte Argumente. Die freie Gewissheit ist vielmehr ein Bestandteil jeder erfolgreichen Argumentation, auch in gewöhnlichen alltäglichen und wissenschaftlichen Angelegenheiten. Freilich fällt sie dort nicht so auf, weil guten Argumenten regelmäßig die Zustimmung durch freie Gewissheit gegeben wird (wer sie auffällig oft verweigert, wird als Gesprächspartner bald nicht mehr ernstgenommen). Beispiele für eine deutlichere Rolle der freien Gewissheit gibt es allerdings sogar in den Naturwissenschaften und der Mathematik, und zwar am ehesten dort, wo es um die Grundlagen und Rahmenannahmen der jeweiligen Disziplinen geht. Solche Annahmen haben gewisse Ähnlichkeiten mit weltanschaulichen Überzeugungen: Sie haben eine durchaus angebbare Bedeutung, können aber von Wissenschaftler zu Wissenschaftler variieren und sind nicht leicht argumentativ zu erschüttern. Bekannt ist etwa der sogenannte Grundlagenstreit der Mathematik. Stark vereinfacht gesagt, geht es hier darum, ob Zahlen und mathematische Beweise etwas sind, das unabhängig von uns existiert und nur von uns entdeckt wird (ähnlich wie Teile der Natur), oder ob sie eher Konstruktionen unseres Geistes sind und damit mehr erzeugt als entdeckt werden. Für beide Positionen gibt es gute Argumente, die man auch verstehen kann, wenn man anderer Meinung ist. Zur Meinungsänderung kommt es allerdings nur dann, wenn man sich auch subjektiv diese Argumente zu eigen macht und der Konklusion innerlich zustimmt, weil sie zum eigenen Erfahrungs- und Interessenhintergrund passen. Diese Beschränkungen gelten auch und im Besonderen für jene Argumente, die direkt die Existenz Gottes zur Konklusion haben. Deshalb wurde bereits in Abschnitt 2.6 die Bezeichnung „Gottesbeweise“ abgelehnt: „Beweise“ sind nach üblichem Verständnis ja Argumente, deren Prämissen jeder vernünftige, kompetente und aufrichtige Adressat zustimmen würde, und deren Folgerichtigkeit ebenso über jeden vernünftigen Zweifel erhaben ist, also interpersonale Argumente im stärksten Sinne des Wortes. „Bewiesen“ werden kann in diesem Sinne etwa der pythagoreische Lehrsatz, und auch der strafprozessuale Beweisbegriff verlangt, dass der Richter keinen vernünftigen Zweifel mehr hegen darf. Bei Argumenten für die Existenz Gottes und für andere weltanschauliche Überzeugungen ist dies nicht der Fall: Hier gibt es durchaus vernünftige Menschen, die der Konklusion nicht zustimmen. Besser sollte man also nur von „Argumenten für die Existenz Gottes“ sprechen. Wer dennoch am Wort „Gottesbeweis“ festhalten wollte, der sollte zumindest kenntlich machen, dass man einen anderen, schwächeren Beweisbegriff zugrundelegen will. Auch im Alltag meinen wir mit „Beweis“ ja zuweilen einfach die Entfaltung jener Gründe, die uns einer Meinung zuneigen lassen („das ist für mich persönlich der Beweis …“). Vom Standardsinn von „Beweis“ weicht dieser letztere Sinn allerdings ab. – Gänzlich vermieden sollte übrigens die in einem Teil der Literatur verwendete Rede-

Freie Gewissheit spielt auch in den Wissenschaften eine gewisse Rolle

Vergewisserung, nicht „Gottesbeweis“

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5 Rationale Strukturen der Religion

Die Doppelfunktion der Argumente für Gottes Existenz: Existenz-„beweis“ und philosophische Begriffseinführung

Warum der philosophisch konstruierte Gott mit dem religionsphänomenologisch umschriebenen gleichgesetzt werden kann

weise, Gottesbeweise seien „keine Beweise, sondern nur Aufweise“. Sie ist besonders irreführend, denn ein „Aufweis“ hat nach üblichem Verständnis mit dem Vorzeigen direkt beobachtbarer Gegenstände zu tun. Argumente für Gottes Existenz taugen also nicht als intersubjektiv zwingende Beweise (oder gar als Missionsinstrument). Sie dienen eher der Vergewisserung eines Menschen, der schon zum Glauben an Gottes Existenz neigt, über die vernünftige Vertretbarkeit dieses Glaubens und mögliche intersubjektiv ausweisbare Gründe dafür. Die Lebensbedeutung solcher Argumente entfaltet sich also wohl vor allem in Situationen des Nachdenkens, Zweifelns und des Dialoges mit Andersdenkenden. Für die normale religiöse Praxis des Gläubigen sind diese Argumente von untergeordneter Bedeutung, und sie können diese Praxis und das religiöse Engagement auch nicht ersetzen (zur Kritik am „Gott der Philosophen“ und zu ihrer teilweisen Berechtigung siehe oben 2.4). Die Anfrage der „Presumption of Atheism“ (siehe oben Abschnitt 4.3) hat gezeigt, dass Argumente für Gottes Existenz eigentümliche Ausgangsbedingungen haben: Nicht nur die Existenzfrage ist offen, es ist auch nicht von Anfang an fraglos klar, um die Existenz welcher Art von Objekt es geht und welche Aussagen man berechtigterweise von ihm machen darf. Auf eine ähnliche Ausgangslage waren wir bereits in Abschnitt 3.3 bei den Strukturprinzipien kosmologischer Argumente gestoßen: Auch sie beginnen nicht mit einem von vornherein fixen Gottesbegriff, sondern mit bestimmten Beobachtungen über die Welt, sie leiten daraus die Existenz eines letzten Grundes für diese Phänomene ab, und erst im letzten Schritt wird vorgeschlagen, diesen erschlossenen Grund mit Gott im Sinne der Religionen gleichzusetzen. Für den Anfang des Arguments ist also nicht mehr nötig als ein vorläufiger Minimalbegriff von Gott, der sich durchaus auf religionsphänomenologische Befunde über die Meinungen religiöser Menschen stützen darf (etwa: „Gott ist eine Person, hat aber keinen Körper, ist sehr mächtig und weise“ und andere Merkmale). Das so beschriebene Objekt der Religion wird am Schluss mit dem philosophisch erschließbaren Objekt (etwa: „die erste Ursache des Universums, die ihrerseits nicht mehr verursacht ist“) gleichgesetzt. Besonders klar kam dies bei den Argument-Endstücken in Thomas v. Aquins fünf Argumenten in der Summa Theologiae I, q.2, a.3 zum Ausdruck, wo es abschließend jeweils heißt: „und das nennen alle Gott“ (79). Manche Argumente für Gottes Existenz leisten also im Erfolgsfalle ein Doppeltes: Es wird nicht nur für Gottes Existenz argumentiert, sondern es wird auch geklärt, was man von Gott in philosophisch verantwortbarer Weise aussagen kann, d. h. es wird ein geklärter Begriff von Gott in den philosophischen Diskurs eingeführt. Diese zweite Funktion wird freilich nur dann erfüllt, wenn die Gleichsetzung mit dem Gott der Religion auch wirklich zu Recht erfolgt ist. Tatsächlich gibt es gewisse Gründe für diese Gleichsetzung, wie man besonders klar an kosmologischen Argumenten (siehe oben 3.3) zeigen kann. Als Strukturprinzipien solcher Argumente wurden dort u. a. das metaphysische Kausalprinzip und das Regressausschlussprinzip herausgearbeitet. Eine wirklich taugliche letzte Erklärung für die Existenz der Welt ist ein erschlossener Gott nur dann, wenn an ihn keine sinnvollen Rückfragen nach dem Grund seiner Existenz mehr gestellt werden können, wenn der Regress also

5.5 Der Sinn von Argumenten im Bereich der Religion

ausgeschlossen ist. Dies wird erst dann der Fall sein, wenn der als Grund erschlossene Gott die erklärungsbedürftigen Züge der Welt gerade nicht mehr aufweist: Dieser Gott muss Ursache sein, aber selbst nicht mehr verursacht, er muss der Grund der Naturgesetze sein, aber selbst nicht mehr gesetzesgebunden wirken. Ähnliches könnte z. B. bezüglich teleologischer Argumente gesagt werden: Gott als letzte Erklärung oder Planer für die Ordnungsstrukturen in der Welt darf selbst nicht mehr Teil eines Planes sein. (Damit ergibt sich, nebenbei gesagt, ein Gegeneinwand gegen ein bestimmtes Muster religionskritischer Argumente, etwa: „Ist nicht die Annahme eines Gottes ein willkürlicher Abbruch der Kette von Erklärungen? Warum könnte nicht auch Gott durch irgendetwas verursacht sein?“ (244) – Wenn und solange man diese Frage als sinnvoll erachtet, würde man immer noch nach einem Bestandteil der Welt fragen, und nicht nach Gott. Bezüglich eines Gottes als wirklich tauglicher letzter Erklärung würden solche Fragen dagegen nicht mehr sinnvoll stellbar sein. Auf einen solchen Gott kann man sich allerdings nur mehr mit Grenzbegriffen beziehen (siehe oben Abschnitt 5.4), die sich der Anschaulichkeit notwendigerweise entziehen.) Die drei hier beispielhaft erwähnten Eigenschaften Gottes (unverursachte erste Ursache, nicht gesetzesgebundener Grund der Naturgesetze, Planer der Ordnungsstrukturen in der Welt) wurden aus dem Beweisgang selbst konstruiert und in ihrem Inhalt geklärt. Diese philosophisch geklärten Eigenschaften erinnern nun aber deutlich an Aussagen, die die theistischen Religionen über Gott treffen (siehe oben 2.6): philosophisch geklärte Eigenschaft

religiös zugeschriebene Eigenschaft

unverursachte erste Ursache

Gott ist der Schöpfer der Welt

nicht gesetzesgebundener Grund der Naturgesetze

Gott handelt frei, aus Liebe, Gott ist eine Person

Planer der Ordnungsstrukturen in der Welt

Gott ist weise und mächtig, ist der Herr der Naturwirklichkeit

Es gibt also inhaltliche Ähnlichkeiten zwischen philosophischem und religiösem Gottesbegriff, und die vorgenommene Gleichsetzung ist somit nicht grundlos. Mitunter wird gegen philosophische Argumente für die Existenz Gottes ein Einwand etwa folgender Form erhoben: Es sei merkwürdig und spreche sogar gegen die Stichhaltigkeit der Argumente, wenn sich manche Autoren um mehrere Argumente für Gottes Existenz bemühen. Völlig ausreichend und sogar besser wäre es, wenn man sich auf ein einziges und dafür wirklich gutes Argument beschränken würde. Dieser Einwand übersieht zwei Punkte: Erstens den, dass auch „wirklich gute“ Argumente für Gottes Existenz ohnehin nicht alle Menschen überzeugen würden, und zwar aus den weiter oben erwähnten Gründen. Zweitens übersieht der Einwand, dass ein zusätzliches Argument für Gottes Existenz religionsphilosophisch durchaus von Interesse sein kann, wenn es nämlich eine zusätzliche inhaltliche Facette des philosophischen Gottesbildes aufzuklären hilft.

Würde nicht ein einziges gutes Argument genügen?

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5 Rationale Strukturen der Religion Wie man philosophisch von Gott reden kann

Ramseys Vorschlag: Modelle mit Qualifikatoren

Eine klassische Lösung: „dreigliedrige Transformation“ und Analogielehre

Die vorstehenden Überlegungen führen auf ein Problem, deuten aber auch dessen Lösung an. Das Problem ist, wie man Überzeugungen über einen solchen unvorstellbaren und nicht anschaulich beschreibbaren Gott in kontrollierbarer und philosophisch befriedigender Weise zur Sprache bringen kann. Sind, mit anderen Worten, die oben als „philosophisch geklärte Eigenschaften“ bezeichneten Zuschreibungen in Wahrheit nicht mehr als leeres Wortgeklingel ohne klare Bedeutung? Einen ersten Hinweis, wie man dieses Problem sprachphilosophisch angehen könnte, lieferte Ian Ramsey. Ramsey ging von einer moderaten Version von Hares blik-Konzeption (siehe oben Abschnitt 4.1) aus und war der – zutreffenden – Meinung, dass solche bliks durchaus einen angebbaren kognitiven Gehalt haben. Als Weg, wie man diesen Gehalt beschreiben könnte, schlug Ramsey die Kombination von Modellen und „Qualifikatoren“ vor ((255), (245)). Ausgangspunkt unserer Rede von Gott muss die Rede über irgendwelche innerweltliche Gegenstände sein, die als Modell dienen. Ein Beispiel wäre etwa die Rede vom „Vater“. Väter sind ein Teil der Ursache der Existenz ihrer Kinder, haben Fähigkeiten und Befugnisse, lieben ihre Kinder und geben ihnen Leitlinien für das Leben vor. Grundsätzlich sind dies auch Eigenschaften, die man mit Gott in Verbindung bringen würde, der Vater eignet sich also als Modell dafür, wie man religiöse Überzeugungen ausdrücken kann. Allerdings haben irdische Väter diese Eigenschaften nur in mehr oder minder großem Ausmaß und in mehr oder minder glückender Weise. Wenn nun das in Abschnitt 5.2 erwähnte christliche Glaubensbekenntnis mit den Worten „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, …“ beginnt, so wird das Modell des irdischen Vaters um einen Qualifikator, d. h. einen bedeutungsverändernden Zusatz erweitert: Im Unterschied zu den irdischen Vätern hat Gott als Vater deren vielfache Beschränkungen nicht, er ist ein allmächtiger Vater. Freilich könnte auch Ramseys Modell/Qualifikator-Theorie wieder dem Einwand begegnen, ob es sich hier letztlich nicht doch um bloße Metaphorik handelt: Irdische Väter sind eben Personen aus Fleisch und Blut, sie nehmen eine Stelle in Zeit und Raum ein, und sie sind in ihrem Denken, Handeln und Lieben vielfachen biologischen, psychologischen und anderen Beschränkungen unterworfen. Die Übertragung des Vatermodells auf Gott, so der Einwand, könnte also eine reine Metapher sein, ein bloß erläuterndes und psychologisch eingängiges Bild, das aber keine der realen Eigenschaften Gottes wiedergibt. Der Ausweg aus diesem Problem besteht darin, wie oben erwähnt, die Argumente für Gottes Existenz als Weg zur Klärung der Eigenschaften Gottes zu benützen. Wenn etwa in kosmologischen Argumenten gezeigt wird, dass Gott die erste Ursache des Universums ist, dann kommt ihm dieses UrsacheSein wirklich zu. Freilich müssen – aufgrund des Regressausschlussprinzips – sämtliche Charakteristika innerweltlicher Ursachen von Gott verneint werden, wenn er wirklich die letzte Erklärung sein soll: Etwa wirken innerweltliche Ursachen immer gesetzesgebunden, lokal und zeitlich beschränkt, etc. Von Gott gilt all dies nicht. Aus der spätantiken und mittelalterlichen Philosophie stammt eine Fassung dieser Eigenschafts-Rekonstruktion, die als die sogenannte „dreigliedrige Transformation“ von via affirmativa, via negativa und via eminentiae

5.5 Der Sinn von Argumenten im Bereich der Religion

(übersetzbar etwa als Schritt der Zusprechung, Schritt der Verneinung und Schritt des Überstiegs) und als Analogielehre bekannt geworden ist ((104), S. 150–163): Erster Schritt (via affirmativa): Wenn man von Gott kognitiv sinnvolle Aussagen machen will, muss man von bestimmten Eigenschaften ausgehen, die auch irdischen Dingen grundsätzlich zusprechbar sind, und sie Gott zusprechen, etwa: Gott ist eine Ursache, Gott ist eine Person, Gott erkennt, Gott liebt, und anderes mehr. Zweiter Schritt (via negativa): Sämtliche Beschränkungen, wie sie für innerweltliche Dinge charakteristisch sind, müssen Gott aber abgesprochen werden, wenn er wirklich die erste Ursache der Welt sein soll. Auszuschließen ist von Gott etwa, dass er als Ursache gemäß den Naturgesetzen wirkt, dass sein Verursachen lokal beschränkt sei, dass sein Erkennen auf Sinnesorgane angewiesen und damit deren physikalisch-biologischen Grenzen unterworfen; dass sein Lieben – anders als menschliches Lieben – sich nicht auf beliebig viele Personen gleichzeitig beziehen kann, und ähnliches mehr. Dritter Schritt (via eminentiae): Wenn Gott wirklich die letzte Erklärung der Wirklichkeit sein soll, müssen ihm die in via affirmativa und via negativa geklärten Eigenschaften in einem Ausprägungsgrad zukommen, der unübersteigbar ist, und der der Grund aller irdisch-beschränkten Vorkommnisse dieser Eigenschaften ist. Gott sei etwa die Liebe selbst, das Erkennen und die Weisheit selbst, die Güte selbst, die Allmacht selbst etc. Resultat der dreigliedrigen Transformation sind Aussagen, die eine merkwürdige Doppelstellung einnehmen: Einerseits reden sie von Eigenschaften, die Gott als dem ersten Grund der Welt wirklich (und nicht bloß metaphorisch) zukommen; andererseits wird ernst genommen, dass man vom ersten Grund der Welt anders reden muss als von beliebigen Bestandteilen der Welt. In einer klassischen Terminologie sagte man, Aussagen von Gott seien nur analog möglich, d. h. die Wörter werden nicht in genau derselben Verwendungsweise benützt wie üblich, aber doch unter Wahrung eines gemeinsamen Bedeutungskernes. Solche analoge Aussagen kommen durch die beschriebenen sprachphilosophischen Vorsichtsmaßnahmen zustande. Ob und wie sich die Analogielehre und die dreigliedrige Transformation genauer rekonstruieren lassen, muss im Rahmen dieser kurzen Einführung offen gelassen werden. Kritische Anfragen werden sich vor allem auf die Möglichkeit von „Eigenschaftsmaxima“ richten, wie sie in der via eminentiae vorausgesetzt werden, und überhaupt auf die Idee eines unterschiedlich starken Zutreffens ein und derselben Eigenschaft. Zwar lassen sich durchaus Diskursbereiche aufweisen, wo wir Eigenschaften in unterschiedlicher Intensität zusprechen (etwa bei vielen Wertungsprädikaten wie „gut“, „ehrlich“, „schön“), und auch in der Wissenschaftstheorie sind sogenannte komparativ zusprechbare Eigenschaften durchaus vertraut. Ob dies auch schon voraussetzt, es müsse eine Art Maximumausprägung dieser Eigenschaften geben, scheint aber nicht ohne weiteres klar. Ein positiver Nebeneffekt dieser Eigenschaftsbildungen könnte sein, dass sich für Paradoxien wie z. B. jene vom Stein (siehe Abschnitt 2.6) eher eine Lösung abzeichnet. Wenn sich die Eigenschaften Gottes ohnehin der anschaulichen Vorstellbarkeit entziehen, dann sind sie auch innerweltlichen Eigenschafts-Unverträglichkeiten nicht unterworfen, und es ist zumindest

Für und wider die Analogielehre

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5 Rationale Strukturen der Religion

Berufung auf religiöse Erfahrung als entscheidendes Argument?

plausibel, dass diese Eigenschaftsmaxima (die Allmacht selbst, die Liebe selbst, die Güte selbst, …) letztlich zusammenfallen. Wir sind diesem Zusammenfall bei der Besprechung von Gottes Einfachheit bereits begegnet (siehe oben 2.6). Eine traditionelle Formulierung dieser These, etwa bei Gottfried Wilhelm Leibniz, lautet, dass sogenannte perfectiones purae (reine Vollkommenheiten, sie entsprechen unseren Eigenschaftsmaxima) miteinander kompatibel sind, während perfectiones mixtae (gemischte Vollkommenheiten, d. h. ihre beschränkten Verwirklichungsformen) mitunter wechselseitig unverträglich sind. Beispielsweise führen auch noch so große menschliche Güte, Macht und noch so großes menschliches Wissen in (mitunter tragische) Unvereinbarkeiten – etwa dann, wenn man bei unsicherer Information zwischen zwei Übeln entscheiden muss oder wenn gute Absichten an beschränkten menschlichen Fähigkeiten scheitern. Jenseits solcher begrenzter menschlicher Verwirklichungsformen könnten reine Güte, reines Wissen und reine Macht jedoch kompatibel sein. Die vorstehenden kurzen Darstellungen sollten vor allem den Zusammenhang der Analogielehre mit den Argumenten für Gottes Existenz herausarbeiten. Insgesamt dürften eine befriedigende theistische Religionsphilosophie (und auch eine befriedigende Theologie) ohne Berücksichtigung irgendeiner Form von analogen Redeweisen kaum formulierbar sein. Eine Religionsphilosophie ganz ohne Analogielehre stünde nämlich vor folgendem Dilemma: Entweder könnte man von Gott nur Aussagen machen, die man in ähnlicher Weise auch von innerweltlichen Personen und Dingen machen könnte. Dies würde ein mythologisches Gottesbild zur Folge haben, das nicht nur philosophisch, sondern auch aus religiöser Sicht unbefriedigend wäre. Oder aber Aussagen über Gott würden gewöhnlichen Aussagen derart unähnlich sein, dass wiederum der Verdacht der kognitiven Sinnlosigkeit (siehe oben 4.1) oder der negativen Theologie (2.1) nahe läge. Die eben skizzierten sprachphilosophischen Vorsichtsmaßnahmen bei der Rede von Gott als letztem Grund der Welt sind auch von Bedeutung, wo versucht wird, Diskussionen über religiöse Überzeugungen durch simplen und unreflektierten Verweis auf entsprechende religiöse Erfahrungen zu entscheiden. (Die in den Abschnitten 3.5 bis 3.7 vorgestellten Formen decken dabei nur einen kleinen Teil des Spektrums solcher Argumente ab.) Manches, was in solchen Erfahrungsargumenten über Gott, seine Eigenschaften, seine Erscheinungs- und Handlungsweisen behauptet wird, ist mit der Analogielehre schwer vereinbar. Redeweisen wie „aus diesem Gegenstand blickt Gott mich an“, „Gott hat mir gesagt, dass ich heute diese Aufgabe in Angriff nehmen soll“ schreiben Gott Wirkweisen zu, wie sie für innerweltliche Objekte und menschliche Personen typisch, aber für Gottes unanschauliches Wesen nicht angemessen sind. Zwar ist es nicht von vornherein völlig auszuschließen, dass ein allmächtiger Gott sich auch zuweilen lokal und zeitlich bestimmt in der Erfahrung manifestieren könnte (siehe oben 3.5). Der Anfangsverdacht wird aber eher dahin gehen, dass hier nur eine auffällige Erfahrungsepisode vorschnell als „göttlich verursacht“ oder gar „Manifestation Gottes“ interpretiert wurde. Fraglos können solche subjektiven Meinungen für das Leben eines Menschen sehr bedeutsam sein, im Guten wie im Schlechten: Sie können zu Beruhigung, psychischer Sicherheit

5.5 Der Sinn von Argumenten im Bereich der Religion

und Stabilität ebenso beitragen, wie sie zu belastenden Formen magischen oder zwangsneurotischen Denkens werden können. Wer trotz dieser Vorbehalte daran festhalten möchte, dass bestimmte Erfahrungsepisoden Aufschluss über oder Begründung für gewisse Überzeugungen über Gott bieten, dem obliegt die Beweislast, erst recht dann, wenn die Begründungen intersubjektive Berücksichtigung finden sollen. Zu berücksichtigen ist dabei unter anderem auch das in Abschnitt 5.5 besprochene Problem, dass außerordentliche Erfahrungen in der Regel nicht den inhaltlichen Schlüssel in sich tragen, genau welche religiöse Überzeugungen sie nun begründen. Solche inhaltlichen Zusammenhänge werden wohl eher durch den subjektiven Deutungsrahmen des Interpreten hergestellt, vielleicht auch durch Deutungstraditionen; sie sind aber der kritischen Hinterfragung nicht entzogen (siehe z. B. (157a) und (142a)). Von vornherein abzulehnen sind Erfahrungsargumente folgenden Musters: Eine Person habe bestimmte Erfahrungen gemacht, die sich – als eben religiöse Erfahrungen! – überhaupt jedweder logisch-sprachphilosophischen Analyse entziehen müssten, und diese Person sei aufgrund dieser Erfahrungen berechtigt, bestimmte religiöse Überzeugungen zu vertreten. Dagegen ist einzuwenden, dass eine Erfahrung, die sich jedweder logisch-philosophischen Analyse entzieht, auch keinerlei Überzeugungen inhaltlich begründen kann, ja dass sie nicht einmal als religiöse Erfahrung erkennbar wäre. Auch genuin religiöse Erfahrung muss sich daher durch ein Mindestmaß an Analysierbarkeit und Artikulierbarkeit auszeichnen. Es mag freilich sein, dass solche unanalysierbaren und unartikulierbaren Erlebnisse – sofern es derlei wirklich gibt – faktisch für die subjektiven Begründungen einer Person für ihre religiösen Überzeugungen wichtig sind, intersubjektive argumentative Kraft entfalten sie aber nicht. Man mag sich abschließend vielleicht fragen, ob die Überlegungen dieses Kapitels (besonders in 5.4) denn wirklich ein Argument für die Tragfähigkeit des Theismus oder nicht vielmehr nur für jene des Deismus darstellen (siehe oben 2.1). Ist es wirklich denkbar und plausibel, dass Gott sich ins Weltgeschehen involviert? Diese Fragestellung kann zugleich helfen, die Funktion und die Grenzen religionsphilosophischer Klärungen nochmals zu verdeutlichen. Die gedanklichen Schwierigkeiten mit dem Theismus dürften nämlich häufig daher kommen, dass man einem nicht durchschauten anthropomorphen Modell der Zeitlichkeit Gottes aufgesessen ist: Theismus bzw. Gottes persönliche Involvierung in die Welt scheinen auf den ersten Blick zu erfordern, dass Gott „zuerst dies und dann jenes tun“ können müsste; damit ergeben sich aber u.a. die bekannten Probleme mit den Erhaltungssätzen der Physik und mit der Unveränderlichkeit Gottes. Wenn man allerdings (wie hier in 2.6) ein außerzeitliches Gottesbild favorisiert, während sich das zeitliche Hintereinander nur aus unserer innerweltlichen Perspektive ergibt, wenn man zweitens (wie hier S. 169 u.a.) Gottes Personalität nicht an menschlichen Modellvorstellungen entlang denkt, sondern als Gegenbegriff zum naturgesetzlich gebundenen Wirken versteht, das der ersten Ursache der Welt nicht mehr zukommen kann, und wenn man drittens Gott als Erstursache (und damit nicht auf einer Ebene mit den Zweitursachen innerhalb der Welt) betrachtet, dann wird die personale In-

Religiöse Erfahrungen sind logisch-philosophischer Analyse nicht grundsätzlich unzugänglich

Deismus oder Theismus?

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5 Rationale Strukturen der Religion

Die Rolle der Religionsphilosophie

Religionskritik als notwendiges Korrektiv

volvierung Gottes ins Weltgeschehen denkbar, ohne damit in eine naive Zeitlichkeitskonzeption zurückzufallen: Gott ist dann nicht etwa nur in außerordentlichen Begebenheiten, sondern ermöglichend und personal in überhaupt jedem Vorgang in der Welt involviert – wenngleich eben in einer Weise, die menschlich-personales Involviertsein übersteigt und nicht anschaulich vorstellbar ist. Selbstverständlich sind dabei immer auch „Verdichtungen“ dergestalt möglich, dass Gott bestimmte Vorgänge in der Welt für uns als Offenbarungsereignisse erkennbar werden lässt. Damit ist zunächst nur die Möglichkeit des Theismus gezeigt. Ob man allerdings auch faktisch das Geschehen in der Welt und auch seine eigene Lebenserfahrung als von Gott getragene und gewirkte Prozesse interpretiert, mag von vielen u.a. biographischen Faktoren abhängen: Etwa ob man religiöse Erfahrung als tragfähig betrachtet, ob man bestimmte historische Geschehnisse als Offenbarungsgeschehen einschätzt oder bestimmte religiöse Traditionen als glaubwürdig und aufschlussreich für das eigene Leben betrachtet. Die Religionsphilosophie (bzw. eine theistisch geprägte philosophische Gotteslehre) hat hier daher nicht die Funktion, jemandem ein Verständnis der Welt als getragen vom personalen Handeln Gottes „anzudemonstrieren“, sondern nur, vermeidbare gedankliche Hindernisse für die Annahme eines personalen Handelns Gottes zu beseitigen und so die Möglichkeit eines rational vertretbaren Theismus offenzuhalten (s. auch S. 166 ff.). Die vorstehenden Überlegungen zeigen auch, dass bestimmte Formen von Religionskritik (siehe oben Teil 4) durchaus auch eine positive Funktion für religiöse Menschen und religiöse Gemeinschaften haben können. Religionskritik kann intern oder extern betrieben werden, d. h. von einem Standpunkt grundsätzlicher Verbundenheit mit einer religiösen Tradition, oder von einem Standpunkt gänzlicher Ablehnung. Interne Religionskritik trägt dazu bei, unangemessene Vorstellungen über Gott als solche zu erkennen und als unberechtigt abzuweisen, und sie kann auch religiöse Institutionen und Traditionen davor bewahren, dass Nebenaspekte den Blick auf den Kern der Religion verstellen. Religionskritik in diesem Sinne ist eine bleibende, nie für alle Zeiten erledigte Aufgabe innerhalb jeder lebendigen religiösen Tradition. Denn auch die allgemein-menschliche Tendenz, Gott mit irgendwelchen bildhaften Vorstellungen von ihm zu verwechseln, oder ihm allzu manifest-innerweltliche Eigenschaften und Verhaltensweisen zuzuschreiben, dürfte eine bleibende sein.

5.6 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen Wir Menschen betätigen uns denkend und handelnd in verschiedensten Lebensbereichen. Aber auch jenseits dieser Bereiche, jenseits unserer Alltagsbehauptungen und wissenschaftlicher Theorien gibt es Behauptungen und Überzeugungen, bezüglich derer vernünftige Verständigung und kritische Abwägung möglich sind. Einen Teil davon kann man Weltanschauung nennen. Zu den Strukturen der Weltanschauung (die in der Praxis nicht immer explizit entfaltet und auch nicht widerspruchsfrei sein muss!) gehören u. a. Orientierungen über den Zusammenhang verschiedener Lebensbereiche,

5.6 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

allgemeinere Hintergrundüberzeugungen über die Arten von Gegenständen in der Wirklichkeit, über grundlegende theoretische Zusammenhänge und allgemeine normative Vorgaben, sowie vereinigende Leitvorstellungen im Kern der Weltanschauung. Letztere können durchaus auch bildhafte Anteile haben. Weltanschauungen erfüllen die Funktion, alles Begegnende zu deuten und zu bewerten und in eine Gesamtsicht der Welt einzuordnen. Weltanschauliche Überzeugungen sind eine Form des Wirklichkeitsbezugs und bilden die Voraussetzung für die Orientierung unseres Handelns. Weltanschauungen sind inhaltlich nicht vollkommen beliebig, sofern sie ihre Deutungs- und Orientierungsfunktion erfüllen sollen. Sie müssen den vier Kriterien der internen Konsistenz, der Einheitlichkeit und des Zusammenhangs (insbesondere auch der Zusammenordnung mit wissenschaftlichen und anderen Deutungssystemen), der Offenheit für beliebige Erfahrungsgegebenheiten und des Erfahrungsbezugs gerecht werden. Bei theistisch geprägten Weltanschauungen bildet die Vorstellung eines Gottes mit den theistischen Eigenschaften (siehe oben Abschnitt 1.6) den Kern der Weltanschauung. Besonders wenn eine solche Weltanschauung auch die Strukturen der aristotelischen Metaphysik umfasst (in die sich der Theismus gut einfügen lässt), dann kann sie durchaus tragfähig im Sinne der genannten vier Kriterien sein. Sie fungiert als leistungsfähige integrative Erklärung für Erfahrungsgegebenheiten verschiedenster Art, nimmt auch unsere Alltagsrationalität ernst und ist darin besonders einer rein naturalistischen Weltanschauung überlegen. Innerhalb dieses Rahmens können auch einige Argumente entwickelt werden, die die vernünftige Vertretbarkeit religiöser Überzeugungen stützen. Insbesondere Kontingenzargumente für die Existenz Gottes (etwa vom Typ der kosmologischen Argumente) erhalten in diesem Rahmen einige Plausibilität, weil sie von Überlegungen wie dem Kausalprinzip ausgehen, die wir auch in anderen Wissensgebieten dauernd anwenden. Allerdings ist an solche – und allfällige andere – Argumente für die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen nicht die Erwartung heranzutragen, dass sie zur sofortigen Überzeugung des Gesprächspartners führen werden; dies hängt damit zusammen, dass im Bereich religiös-weltanschaulicher Argumentation das Moment der freien Gewissheit eine größere Rolle spielt als in anderen Bereichen. Umgekehrt können aus der Sicht einer theistischen Weltanschauung religionskritische Argumente mit guten Gründen abgewiesen bzw. relativiert werden, wie die Diskussionen in Teil 4 gezeigt haben. Auch dadurch werden allerdings Andersdenkende nicht sofort überzeugt werden. Insgesamt zeigt sich als Ergebnis, dass die Vernünftigkeit des Theismus niemandem in Form zwingender Beweise „andemonstrierbar“ ist, dass sie aber doch zumindest verteidigbar ist. Argumente für Gottes Existenz haben dabei eine eigentümliche Doppelfunktion. Sie sollen nicht nur den Glauben an diese Existenz begründen, sondern auch zur Klärung der Eigenschaften Gottes beitragen: Erst im Lauf der Argumentation wird klar, welche Eigenschaften man einem ersten Grund der Welt zuschreiben müsste, ohne ihn selbst wieder zu einem Teil der erklärungsbedürftigen Welt zu machen. Ein philosophiehistorisch bedeutsamer Weg, diese Klärungs- und Absicherungsstrategie zu umschreiben, ist die sogenannte Analogielehre. Sie entfaltet unter anderem ein kritisches Potenzial zur Abweisung unangemessener Be-

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5 Rationale Strukturen der Religion

hauptungen über Gott, und zwar auch dann, wenn sich solche Behauptungen auf religiöse Erfahrungen berufen. Generell sind genuine religiöse Erfahrungen der logisch-philosophischen Analysierbarkeit nicht grundsätzlich entzogen. Derartige religionskritische Überlegungen können innerhalb religiöser Gemeinschaften durchaus konstruktive Funktionen haben. Dass man einen philosophisch als existent erwiesenen ersten Grund der Welt mit einem „Gott“ im Sinne der Religionen gleichsetzen kann, stützt sich auf eine Reihe inhaltlicher Ähnlichkeiten zwischen den beiden. Den vollen Sinn eines religiösen Gottesbildes und seine Orientierungs- und Sinnstiftungsfunktion kann die philosophische Analyse aber nicht bereitstellen. Überhaupt sind Religionsphilosophie und philosophische Gotteslehre kein Ersatz für konkretes, gelebtes religiöses Engagement; sie können allenfalls zur Vergewisserung über die vernünftige Verteidigbarkeit mancher religiöser Weltanschauungen dienen. Lektürehinweise Eine ähnliche Position findet sich in (104) und (254); zum Verhältnis von Einzelwissenschaften und Metaphysik siehe dort besonders das Kapitel „Methodologie und Metaphysik“, S. 155–201. Ein Klassiker zur logischen Struktur eines theistischen Überzeugungssystems ist immer noch (1); der dort in den Kapiteln zur „religiösen Hypothese“ vertretene Vorschlag zur Begründung religiöser Überzeugungen ähnelt ebenfalls der hier vertretenen Position. Detaillierte Ausführungen zu den Eigenschaften Gottes finden sich in (99). Zu den vielfachen Funktionen religiösen Sprechens siehe den Sammelband (237).

Fragen und Übungen – Entdecken Sie in Ihrer persönlichen Weltanschauung so etwas wie einen Kern, einige Leitvorstellungen? Aus welchen Leiterfahrungen und/oder besonders prägenden Theorien speisen sie sich? – Betrachten Sie das Verhalten und Sprechen der Studentin P in folgender Episode: P steht auf, befüllt die Kaffeemaschine, fragt beim Frühstück ihre Zimmernachbarin, wann sie gestern von der Party heimgegangen ist, und macht sich auf den Weg in die Universität. Im Bus bietet sie einem sichtlich gebrechlichen Herrn ihren Sitzplatz an. Kurz vor neun schlüpft sie schnell in die Universitätskirche und betet um einen guten Ausgang der Zwischenklausur. – Welche Überzeugungen stehen hinter P’s Verhalten, die man als weltanschaulich einordnen kann? – Welches sind Ferrés Kriterien für tragfähige Weltanschauungen? – Ergibt sich aus der in 5.5 geschilderten Gleichsetzung von religionsphilosophisch erhobenem Minimalbegriff mit dem philosophisch geklärten Gottesbegriff vielleicht ein weiterer Ansatzpunkt, wie man Flews „Presumption of Atheism“ (4.3) entgegnen kann? – Betrachten Sie nochmals die 10 Argumente für die Vernünftigkeit religiöser Überzeugungen in Teil 3. Welche davon tragen (wie in 5.5 geschildert) etwas zur Klärung des Gottesbegriffes bei? Welche haben eher die Struktur, dass ein bestimmter Gottesbegriff als schon inhaltlich fraglos vorgegeben akzeptiert wird und erst nachträglich Argumente für die Existenz eines solchen Gottes gesucht werden? – Wenn jemand Kontingenzargumente (wie sie in Abschnitt 3.3 besprochen und hier in Teil 5 mehrmals erwähnt wurden) deshalb ablehnt, weil ihm ihre Voraussetzungen wie das metaphysische Kausalprinzip suspekt vorkommen – auf welchen Argumentationslinien könnte ein Verteidiger des Theismus mit ihm in eine fruchtbare Diskussion eintreten?

5.6 Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen – Was ist die Funktion der klassischen Analogielehre? – Welche Probleme haben religionsphilosophische Positionen, die ohne Analogielehre (bzw. ohne einen Theoriebestandteil mit ähnlicher Funktion) auskommen wollen? – Betrachten Sie unter dieser Rücksicht kritisch die Argumente, die Sie in Teil 3 kennengelernt haben. – Was könnte der Nutzen religionskritischer Positionen auch für Menschen sein, die selbst eine religiöse Weltanschauung vertreten? – Worin unterscheidet sich die in Teil 5 skizzierte Position von Argumenten aus der Gesamterfahrung (3.8), worin bestehen Ähnlichkeiten? – Worin bestehen Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen der hier skizzierten Position und den bloßen Bedürfnistheorien der Religion und entsprechenden Argumenten (3.10)? – In Abschnitt 3.1 wurde die Frage aufgeworfen, ob praktische Rechtfertigungen religiöser Überzeugungen (dort als„Typ B“ klassifiziert) generell abhängig sind von theoretischen Rechtfertigungen („Typ A“). Was würden Sie nach Lektüre der Teile 2 bis 5 dazu sagen?

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Literatur Die folgende Literaturauswahl folgt lose den fünf Teilen des Buches, wobei viele Werke natürlich mehrfach zuordenbar wären. Der Schwerpunkt liegt bei neueren Werken; zu älterer Literatur kann sich der Leser aufgrund der dortigen Literaturangaben leicht selbst vorarbeiten. Umfassendere Darstellungen der Religionsphilosophie und ihrer Geschichte, Textsammlungen, Autorenlexika, Nachschlagewerke, Zeitschriften, Internetressourcen und klassische Texte werden dabei unter Teil 1 aufgelistet. Sonstige im Text erwähnte Werke, die nicht primär religionsphilosophischen Inhalts sind, werden nach Teil 5 aufgelistet. Besonders bei den Klassiker-Texten werden nach Möglichkeit erschwingliche, leicht zugängliche und dabei noch hinreichend verlässliche Textausgaben angegeben. Die jeweiligen Standard-Werkausgaben sollten damit leicht auffindbar sein. Ersterscheinungsjahre von Klassikern sind in Klammern angegeben; vom Autor veränderte Nachauflagen werden mit Hochzahlen angeführt.

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Zu Teil 1 a) Umfassendere Darstellungen der Religionsphilosophie und ihrer Geschichte, Textsammlungen, Autorenlexika (1) Bochenski, Joseph M.: Logik der Religion (engl. 1965, dt. von A. Menne). Köln 1968, Paderborn 2 1981. (2) Brose, Thomas (Hrsg.), Religionsphilosophie. Europäische Denker zwischen philosophischer Theologie und Religionskritik. Würzburg 1998. (3) Brody, Baruch (Hrsg.): Readings in the Philosophy of Religion. An Analytic Approach. Englewood Cliffs 21992. (4) Coreth, Emerich: Gott im philosophischen Denken. Stuttgart u. a. 2001. (5) Craig, William L. (Hrsg.): Philosophy of Religion. A Reader and Guide. Edinburgh 2001. (6) Davies, Brian (Hrsg.): Philosophy of Religion: A Guide and Anthology. Oxford 2000.

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Drehsen, Volker / Gräb, Wilhelm / Weyel, Birgit (Hrsg.): Kompendium Religionstheorie. Göttingen 2005. Deuser, Hermann: Religionsphilosophie. Berlin 2009. Flew, Antony / MacIntyre, Alasdair (Hrsg.): New Essays in Philosophical Theology (1955). Geivett, R. Douglas / Sweetman, Brendan (Hrsg.): Contemporary Perspectives on Religious Epistemology. New York u. a. 1992. Grätzel, Stephan / Kreiner, Armin: Religionsphilosophie. Stuttgart/Weimar 1999. Jäger, Christoph (Hrsg.): Analytische Religionsphilosophie. Paderborn u. a. 1998. Jung, Matthias / Moxter, Michael / Schmidt, Thomas M. (Hrsg.): Religionsphilosophie. Historische Positionen und systematische Reflexionen. Würzburg 2000. Kutschera, Franz von: Vernunft und Glaube. Berlin/New York 1990. Mann, William E. (Hrsg.): The Blackwell Guide to the Philosophy of Religion. Malden u.a. 2005. Meister, Chad (Hrsg.): The Routledge Companion to Philosophy of Religion. London u. a. 2007. Murray, Michael J. / Rea, Michael C.: An Introduction to the Philosophy of Religion. Cambridge 2008. Oelmueller, Willi u. a. (Hrsg.): Diskurs: Religion. Paderborn 31995. Peterson, Michael u. a. (Hrsg.): Philosophy of Religion. Selected Readings. New York/Oxford 2 2001. Peterson, Michael u. a.: Reason & Religious Belief. An Introduction to the Philosophy of Religion. New York 21998. Quinn, Philip L. / Taliaferro, Ch. (Hrsg.): A Companion to Philosophy of Religion. Oxford 1997. Ricken, Friedo: Religionsphilosophie. Stuttgart 2003. Schaeffler, Richard: Religionsphilosophie. Freiburg und München 21997, Studienausgabe 2002. Stump, E. / Murray, Michael J. (Hrsg.): Philosophy of Religion: The Big Questions. Malden u. a. 1999.

Literatur (21)

Taliaferro, Ch. / Griffiths, Paul J. (Hrsg.): Philosophy of Religion. An Anthology. Malden u. a. 2003. (21a) Wainwright, William J. (Hrsg.): The Oxford Handbook of Philosophy of Religion. Oxford u.a. 2008. (22) Weger, Karl-Heinz (Hrsg.): Religionskritik von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Freiburg 4 1988. (23) Weger, Karl-Heinz (Hrsg.): Religionskritik. Graz u. a. 1991. (24) Weger, Karl-Heinz (Hrsg.): Argumente für Gott: Gott-Denker von der Antike bis zur Gegenwart. Freiburg 1987. (25) Weinrich, Michael (Hrsg.), Religionskritik in der Neuzeit. Philosophische, soziologische und psychologische Texte. Gütersloh 1985. (26) Yandell, Keith: Philosophy of Religion. London/ New York 1999. (26a) Zagzebski, Linda T.: Philosophy of Religion: A Historical Introduction. Oxford u.a. 2007. (27) Zirker, Hans: Religionskritik. Düsseldorf 4 1995. b) Nachschlagewerke (28) (29) (30) (31)

(32) (33)

Auffarth, Christoph u. a. (Hrsg.): Metzler Lexikon Religion. Stuttgart/Weimar 1999–2002. Betz, Hans Dieter u. a. (Hrsg.): Religion in Geschichte und Gegenwart. Tübingen 41998– 2005. Kasper, Walter u. a. (Hrsg.): Lexikon für Theologie und Kirche. Freiburg u. a. 1993–2001. Mittelstrass, Jürgen (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie (Studienausgabe). Stuttgart/Weimar 2004. (Eine überarbeitete Neuauflage erscheint seit 2005.) Müller, Gerhard (Hrsg.): Theologische Realenzyklopädie. Berlin u. a. 1977–2004. Ritter, Joachim u. a. (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Basel 1971–2005.

c) Die wichtigsten Fachzeitschriften zur Religionsphilosophie (34)

American Catholic Philosophical Quarterly http://www.pdcnet.org/acpq.html (35) Ars Disputandi (elektronische Zeitschrift) http://www.arsdisputandi.org/info_index.html (36) Bijdragen: International Journal in Philosophy and Theology http://poj.peeters-leuven.be/ con tent.php?url=journal.php&code=BIJ (36a) European Journal for Philosophy of Religion http:// www.philosophy-of-religion.eu

(37)

Faith and Philosophy http://www.faithandphilo sophy.com/ (38) Freiburger Zeitschrift für Theologie und Philosophie http://www.unifr.ch/fzphth/ (39) International Journal for Philosophy of Religion http://www.ingentaconnect.com/content/ klu/reli (40) International Philosophical Quarterly http:// www.nlx.com/Journals/ipq.htm (41) Jahrbuch für Religionsphilosophie http://www. klostermann.de/philo/phi_jrel.htm (42) Journal of Empirical Theology http://www.brill. nl/m_catalogue_sub6_id11324.htm (43) Journal of Islamic Philosophy http://www.pdc net.org/jiptoc.html (44) Journal of Religious Ethics http://www.black wellpublishing.com/journal.asp?ref=0384–96 94 (45) Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie http://www.degruy ter.de/journals/nzsth/ (46) Philo http://www.philoonline.org/about.htm (47) Philosophia Christi http://www.epsociety.org/ journal.htm (48) Proceedings of the American Catholic Philosophical Association http://www.pdcnet.org/pro cacpa.html#contents (49) Religious Studies http://journals.cambridge. org/jid_RES (50) Sophia http://www.philosophy.unimelb.edu. au/sophia/ (51) The Heythrop Journal http://www.blackwell publishing.com/journal.asp?ref=0018–1196 (52) The Thomist www.thomist.org (53) Theologie und Philosophie http://www.sanktgeorgen.de/hochschule/thph.html (54) Theology and Science http://www.tandf.co.uk/ journals/titles/14746700.asp (54a) Zeitschrift für Katholische Theologie http:// www.uibk.ac.at/theol/publ/zkth (55) Zygon. Journal for Religion and Science http:// www.blackwellpublishing.com/journal.asp?re f=0591–2385

Beiträge zur Religionsphilosophie finden sich darüber hinaus auch in allgemeinen philosophischen und theologischen Fachzeitschriften. Außerdem sind vielen der erwähnten Philosophen nationale oder internationale wissenschaftliche Gesellschaften mit Homepages und Zeitschriften (Augustinian Studies, Kant-Studien etc.) gewidmet, in denen sich zuweilen religionsphilosophische Beiträge finden.

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Literatur d) Klassische Texte bis ins 19. Jh. (56) Anselm von Canterbury: Kann Gottes Nicht-Sein gedacht werden? Die Kontroverse zwischen Anselm von Canterbury und Gaunilo von Marmoutiers. Lateinisch und deutsch. Üs. von B. Mojsisch. Mainz 21999. (57) Aristoteles: Metaphysik. Schriften zur Ersten Philosophie (dt. von F. F. Schwarz). Stuttgart 1984. (58) Augustinus: Opera / Werke. Paderborn 2002 ff. (59) Descartes, René: Meditationes de prima philosophia / Meditationen über die Erste Philosophie (lat. 1641, dt. von G. Schmidt). Stuttgart 1986. (60) Feuerbach, Ludwig: Das Wesen der Religion (1846). Köln 1967 / Heidelberg 31983. (61) Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums (1841 / 21843 / 31849). Stuttgart 1986. (62) Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Philosophie der Religion (gehalten 1821–1831, erste posthume Publikationen 1832 und 1840). Frankfurt 1986. (63) Hume, David: Dialoge über natürliche Religion (engl. posthum 1779, dt. von N. Hoerster). Stuttgart 1986. (64) Hume, David: Die Naturgeschichte der Religion (engl. 1757, dt. von L. Kreimendahl). Hamburg 1999. (65) Hume, David: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand (engl. 1748, dt. von H. Herring). Stuttgart 1986. (66) Kant, Immanuel: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793). Stuttgart 1986. (67) Kant, Immanuel: Kritik der praktischen Vernunft (1788). Stuttgart 1986. (68) Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft (1781/ 21787). Stuttgart 1986. (69) Kierkegaard, Sören: Gesammelte Werke. Gütersloh 1979–1986. (70) Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die Theodizee (Abhandlungen über die Theodizee von der Güte Gottes, der Freiheit des Menschen und dem Ursprung des Übels) (frz. 1710, dt. von H. Herring). Frankfurt 32006. (71) Leibniz, Gottfried Wilhelm: Über den ersten Ursprung der Dinge (lat. 1697, publiziert posthum 1840, in: Fünf Schriften zur Logik und Metaphysik. Hrsg. von H. Herring. Stuttgart 1966, durchgesehene Auflage 1995. (72) Lenin, Wladimir Iljitsch: Über die Religion. Eine Sammlung ausgewählter Aufsätze und Reden. Berlin (Ost) 41988. (73) Marx, Karl / Engels, Friedrich: Über Religion. Berlin (Ost) 1958 / 41987.

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Newman, John Henry: Entwurf einer Zustimmungslehre (engl. 1870, dt. von Th. Haecker). Mainz 1961. Nietzsche, Friedrich: Der Antichrist (1888). Frankfurt 122004. Pascal, Blaise: Gedanken über die Religion und einige andere Themen (Pensées) (frz. posthum 1670, dt. von U. Kunzmann). Stuttgart 1997. Schleiermacher, Friedrich: Der christliche Glaube (1811/22, 21830/31). Berlin 1984. Schleiermacher, Friedrich: Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799 / 21806/ 31821 / 41831). Stuttgart 1997. Thomas v. Aquin, Die Deutsche Thomas-Ausgabe. Vollständige, ungekürzte deutsch-lateinische Ausgabe der Summa Theologica. Bd. 1: Gottes Dasein und Wesen. Graz 21981.

Zu Teil 2 a) Religionswissenschaftliche Literatur (80)

Argyle, Michael: Psychology and Religion: An Introduction. London und New York 2000. (81) Dallmann, Hans-Ulrich: Die Systemtheorie Niklas Luhmanns und ihre theologische Rezeption. Stuttgart u. a. 1994. (82) Gabriel, Karl / Reuter, Hans-Richard (Hrsg.): Religion und Gesellschaft. Paderborn u. a. 2004. (82a) Gabriel, Karl / Gärtner, Christel / Pollack, Detlef (Hrsg.): Umstrittene Säkularisierung. Soziologische und historische Analysen zur Differenzierung von Religion und Politik. Berlin 2012. (83) Hemminger, Hansjörg: Grundwissen Religionspsychologie. Freiburg u. a. 2003. (84) Hock, Klaus: Einführung in die Religionswissenschaft. Darmstadt 2002. (85) Kippenberg, Hans G. / Stuckrad, Kocku von, Einführung in die Religionswissenschaft. Gegenstände und Begriffe. München 2003. (86) Knoblauch, Hubert: Die Verflüchtigung der Religion ins Religiöse, in: (89), S. 7–41. (87) Körtner, Ulrich H.: Wiederkehr der Religion? Das Christentum zwischen neuer Spiritualität und Gottvergessenheit. Gütersloh 2006. (88) Lanczkowski, Günter: Einführung in die Religionswissenschaft. Darmstadt 1980. (89) Luckmann, Thomas: Die unsichtbare Religion (amerik. 1967, dt. von H. Knoblauch). Frankfurt 1991. (90) Otto, Rudolf: Das Heilige (1917). München 2004.

Literatur (91) Scherer, Burkhard (Hrsg.): Die Weltreligionen. Zentrale Themen im Vergleich. Gütersloh 2003. (92) Stolz, Fritz: Grundzüge der Religionswissenschaft. Göttingen 21997. (93) Sundermeier, Theo: Was ist Religion? Gütersloh 1999. (94) Tworuschka, Monika / Tworuschka, Udo (Hrsg.) Bertelsmann Handbuch Religionen der Welt: Grundlagen, Entwicklung und Bedeutung in der Gegenwart. Gütersloh und München 1992. (95) Tworuschka, Udo: Die Religionen der Welt. Gütersloh 1999. (96) Uhl, Florian 2003 Rituale – Aspekte eines interdisziplinären Diskurses in der Religionsphilosophie. In: F. Uhl / A. R. Boelderl (Hrsg.), Rituale. Zugänge zu einem Phänomen. Düsseldorf und Bonn 1999, S. 207–260. (97) Waardenburg, Jacques: Religionen und Religion. Systematische Einführung in die Religionswissenschaft. Berlin/New York 1986. (98) Wießner, Gernot: Religionswissenschaft, in: Campenhausen, Axel Freiherr von / Wießner, Gernot: Kirchenrecht – Religionswissenschaft. Stuttgart 1994. b) Literatur über Theologie, philosophische Gotteslehre und „christliche Philosophie“ (99) Brugger, Walter: Summe einer philosophischen Gotteslehre. München 1979. (100) Jung, Martin H.: Einführung in die Theologie. Darmstadt 2004. (101) McGrath, Alister E.: Der Weg der christlichen Theologie (engl. 1994, dt. von C. Wiese). München 1997. (102) McInerny, Ralph: Reflections on Christian Philosophy. In: (207), S. 256–279. (103) Muck, Otto: Christliche Philosophie. Kevelaer 1964. (104) Muck, Otto: Philosophische Gotteslehre. Düsseldorf 21990. (105) Plantinga, Alvin: Advice to Christian Philosophers (1984). Abgedruckt u. a. in: M. D. Beaty (Hrsg.): Christian Theism and the Problems of Philosophy. Notre Dame und London 1990, S. 14–37. (Der Text ist auch mehrfach im Internet verfügbar.) (106) Plantinga, Alvin: Augustinian Christian Philosophy. In: The Monist 75 (1992), S. 291–320. (Der Text ist auch mehrfach im Internet verfügbar.) (107) Schmidinger, Heinrich M.: Artikel „Philoso-

phie, christliche“. In: J. Ritter u. a. (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. VII. Basel 1989, S. 886–898. (108) Schmidinger, Heinrich M.: Christliche Philosophie. In: Information Philosophie 5/1995, S. 19–30. (109) Schmidt, Josef: Philosophische Theologie. Stuttgart 2003. c) Sonstige Literatur (110) Bochenski, Joseph M.: Autorität, Freiheit, Glaube. Sozialphilosophische Studien. München 1988. (111) Bochenski, Joseph M.: Die Philosophie der Religion. In: W. L. Gombocz (Hrsg.), Religionsphilosophie. Akten des 8. Internationalen Wittgenstein-Symposiums 15.–21. 8. 1983 Kirchberg am Wechsel, Teil 2. Wien 1984, S. 21–27. Geringfügig abgeändert neu abgedruckt in (110), S. 162–172. (112) Gethmann, Carl-Friedrich: Artikel „Rationalität“. In: (31), Band 3, S. 468–481. (113) Heidegger, Martin: Phänomenologie des religiösen Lebens (Gesamtausgabe Band 60). Frankfurt 1995. (114) Janich, Peter: Was ist Erkenntnis? München 2000. (115) Keil, Geert / Schnädelbach, Herbert (Hrsg.): Naturalismus. Philosophische Beiträge. Frankfurt 2000. (116) Mittelstrass, Jürgen: Artikel „Vernunft“. In: (31), Band 4, S. 518–520. (117) Schärtl, Thomas / Sedmak, Clemens / Stosch, Klaus von: Was sind religiöse Überzeugungen? Göttingen 2003. (118) Weingartner, Paul (Hrsg.): Scientific and Religious Belief. Dordrecht 1994.

Zu Teil 3 (119) Alston, William P.: Percieving God. The Epistemology of Religious Experience. Ithaca und London 1991. (120) Alston, William P.: Religiöse Erfahrungen und religiöse Überzeugungen (amerik. 1982, dt. von M. Siebel). In: (11), S. 303–316. (121) Barrow, John D. / Tipler, Frank J.: The Anthropic Cosmological Principle. Oxford u. a. 1986. (122) Bostrom, Nick: Anthropic Bias. New York 2002. (123) Brachtendorf Johannes / Löffler, Winfried (Hrsg.): Definition durch Existenz. Paderborn 2007 (in Vorbereitung).

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Literatur (123a) Bromand, Joachim / Kreis, Guido (Hrsg.): Gottesbeweise: von Anselm bis Gödel. Frankfurt 2011. (124) Corey, Michael A.: God and the New Cosmology. Lanham 1993. (125) Cover, J.A.: Miracles and (Christian) Theism. In: (20), S. 334–352. (126) Craig, William Lane / Smith, Quentin: Theism, Atheism and Big Bang Cosmology. Oxford u. a. 1993. (127) Craig, William Lane: Die Existenz Gottes und der Ursprung des Universums. Wuppertal und Zürich 1989. (128) Craig, William Lane: The Cosmological Argument. In: D. M. Borchert (Hrsg.), Encyclopedia of Philosophy, 2. Auflage, Detroit 2005 ff. (in Druck). (129) Craig, William Lane: The Cosmological Arument from Plato to Leibniz (1980), New York 2001. (130) Craig, William Lane: The Kalam Cosmological Argument. London 1979. (131) Craig, William Lane: The Origin of the Universe. In: A. Corradini / S. Galvan (Hrsg.), Analytic Philosophy without Naturalism. London und New York 2006, S. 97–133. (131a) Crisp, Oliver / Rea, Michael (Hrsg.): Analytic Theology: New Essays in the Philosophy of Theology. Oxford 2011. (132) Diderot, Denis: Addition LIX zu Pensées Philosophiques (1746). Paris 1972. (133) Dole, Andrew / Chignell, Andrew (Hrsg.): God and the Ethics of Belief. New Essays in Philosophy of Religion. New York 2005. (133a) Flint, Thomas (Hrsg.): The Oxford Handbook of Philosophical Theology. Oxford 2009. (134) Fogelin, Robert J.: A Defense of Hume on Miracles. Princeton 2003. (135) Franks Davis, Caroline: The Evidential Force of Religious Experience. New York 1989. (136) Geyser, Joseph: Das Gesetz der Ursache. Untersuchungen zur Begründung des allgemeinen Kausalgesetzes. München 1933. (137) Geyser, Joseph: Das Prinzip vom zureichenden Grunde. Eine logisch-ontologische Untersuchung. Regensburg 1929. (138) Gombocz, Wolfgang L.: Die Philosophie der ausgehenden Antike und des frühen Mittelalters (Geschichte der Philosophie Band IV). München 1997. (139) Grünbaum, Adolf: Die Schöpfung als Scheinproblem der physikalischenKosmologie (amerik. 1989, dt. von A. Bühler). In: A. Bohnen / A. Musgrave (Hrsg.), Wege der Vernunft. Fest-

schrift für Hans Albert. Tübingen 1991, S. 164–191. (140) Habermas, Jürgen / Ratzinger, Joseph: Dialektik der Säkularisierung: über Vernunft und Religion. Freiburg u. a. 2005. (141) Habermas, Jürgen: Zwischen Naturalismus und Religion. Frankfurt 2005. (142) Hájek, Alan: Pascal’s Wager. In: E. N. Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy (2004), im Internet unter http://plato. stanford.edu/entries/pascal-wager/ (142a) Hansberger, Andreas: Wird der Glaube durch Erfahrung gerechtfertigt? Zum erkenntnistheoretischen Status des Gehalts religiöser Erfahrung. Stuttgart 2009. (142b) Irlenborn, Bernd: Was ist eine transzendentale Erfahrung? Zu den Entwürfen von Krings, Rahner, Lotz und Schaeffler. In: Theologie und Philosophie 79 (2004), S. 491–510. (143) Jäger, Christoph: Reformierte Erkenntnistheorie. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 55 (2001), S. 491–515. (143a) Jäger, Christoph: Epistemische Rationalität und Alstons Theorie „mystischer Wahrnehmung“. In: Zeitschrift für Katholische Theologie 131 (2009), S. 396–413. (144) Jordan, Jeff (Hrsg.): Gambling on God. Essays on Pascal’s Wager. Lanham und London 1994. (145) Kanitscheider, Bernulf: Heuristische Ideen an den Grenzen des Wissens. In: W. Löffler / P. Weingartner (Hrsg.), Knowledge and Belief / Wissen und Glauben. Wien 2004, S. 301–315. (146) Knoblauch, Hubert / Soeffner, Hans-Georg (Hrsg.): Todesnähe. Wissenschaftliche Zugänge zu einem außergewöhnlichen Phänomen. Konstanz 1999. (147) Knoblauch, Hubert: Berichte aus dem Jenseits. Mythos und Realität der Nahtod-Erfahrung. Freiburg u. a. 2002. (148) Koenig, Harold G. / McCullough, Michael E. / Larson, David B.: Handbook of religion and health. Oxford und New York 2001. (149) Korthof, Gert: Was Darwin Wrong? (Eine kommentierte Bibliographie zur aktuellen Debatte um die Evolutionstheorie), im Internet unter www.wasdarwinwrong.com (150) Kvanvig, Jonathan L. (Hrsg.): Warrant in Contemporary Epistemology. Essays in Honor of Plantinga’s Theory of Knowledge. Totowa 1996. (151) Levine, Michael: Miracles. In: E.N. Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy (2005), im Internet unter http://plato. stanford.edu/entries/miracles/

Literatur (152)

Löffler, Alexander: Wie können christliche Glaubensüberzeugungen Wissen bilden? In: Theologie und Philosophie 77 (2002), S. 233– 245. (153) Löffler, Winfried: Anselm von Canterbury – Das ontologische Argument für die Existenz Gottes. In: A. Beckermann / D. Perler (Hrsg.), Klassiker der Philosophie heute. Stuttgart 2004, S. 120–142. (154) Löffler, Winfried: Die Logik der existentiellen Entscheidung. „Pascals Wette“ in der Sicht der Analytischen Religionsphilosophie. In: C. Kanzian / R. Siebenrock (Hrsg.), Gottesentdeckungen. Thaur u. a. 1999, S. 105–126. (155) Löffler, Winfried, Eine vermutlich unerwünschte Konsequenz von Swinburnes probabilistischer Gotteslehre. In: A. Beckermann / C. Nimtz Hrsg.), Argument und Analyse. Paderborn 2002 (elektronische Publikation unter http://www.gap-im-netz.de/gap4 Konf/Proceed ings4/Proc.htm, S. 474–484) (156) Löffler, Winfried: Externalistische Erkenntnistheorie oder theologische Anthropologie? Anmerkungen zur Reformed Epistemology. In: L. Nagl (Hrsg.), Religion nach der Religionskritik. Wien und Berlin 2003, S. 123–147. (157) Löffler, Winfried: Gott als beste Erklärung der Welt: Richard Swinburnes probabilistischer Gottesbeweis. In: R. Langthaler / W. Treitler (Hrsg.), Die Gottesfrage in der europäischen Philosophie und Literatur des 20. Jahrhunderts. Wien 2006 (in Druck). (157a) Löffler, Winfried: Religiöse Erfahrung und ihre argumentativen Rollen. In: Zeitschrift für Katholische Theologie 131 (2009), 375–395. (158) Löffler, Winfried: Notwendigkeit, S5 und Gott. Das ontologische Argument für die Existenz Gottes in der zeitgenössischen Modallogik. Münster u. a. 2000. (159) Lorenz, Stefan: Artikel „Physikotheologie“. In: J. Ritter u. a. (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 7. Basel 1989, Sp. 948– 955. (160) Manson, Neil (Hrsg.): God and Design: The Teleological Argument and Modern Science. London und New York 2003. (161) McLeod, Mark S.: Rationality and Theistic Belief. An Essay on Reformed Epistemology. Ithaca und London 1993. (162) Miller, Barry: Existence. In: E. N. Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy (2002), im Internet unter http://plato. stanford. edu/entries/existence/ (163) Mitchell, Basil: The justification of religious belief (1973). New York 1981.

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Personenregister Alston, William P. (*1921) 81, 93, 96, 131, 137 Anselm v. Canterbury (1033–1109) 53–59, 101 Aristoteles (384–322 v. Chr.) 136, 161, 164, 174 Augustinus, Aurelius (354–430) 98 Bayes, Thomas (1702–1761) 110 Berger, Peter L. (*1929) 14 Bernoulli, Jakob (1655–1705) 69 Boëthius, Anicius Manlius Torquatus Severinus (475/480–524) 42 Brentano, Franz (1838–1917) 27 Bultmann, Rudolf (1884–1976) 98 Calvin, Johannes (1509–1564) 87, 94 ff. Carnap, Rudolf (1891–1970) 56, 119–122 Carter, Brandon (*1942) 72 Clarke, Samuel (1675–1729) 60 Clifford, William K. (1845–1879) 135 f. Comte, Auguste (1798–1857) 27 Craig, William Lane (*1949) 64 Dawkins, Richard (*1941) 132 f. Dennett, Daniel (*1942) 132 f. Descartes, René (1596–1650) 53, 54, 58 Diderot, Denis (1713–1784) 112 Dostojewskij, Fjodor M. (1821–1882) 103 Duns Scotus, Johannes (1266/70–1308) 60 Durkheim, Émile (1858–1917) 13 Einstein, Albert (1879–1955) 63 Engels, Friedrich (1820–1895) 140f Ferré, Frederick (*1933) 157, 159 Feuerbach, Ludwig (1804–1872) 52, 140 f., 143 f., 147, 149 Findlay, John N. (1903–1987) 125 f., 148 Flew, Antony (*1923) 120–123, 135 ff., 148, 150 Franks Davis, Caroline (*1957) 76 Frege, Gottlob (1848–1925) 58 Freud, Sigmund (1856–1939) 21, 140–144, 149 f. Friedmann, Alexander (1888–1925) 63 Gamow, George (1904–1968) 63 Gaunilo von Marmoutiers (11. Jh., nähere Daten unbekannt) 56 f. Gettier, Edmund (*1927) 89 Gödel, Kurt (1906–1978) 58

Habermas, Jürgen (*1929) 107 Hare, Richard Mervin (1919–2002) 123 f., 170 Hartshorne, Charles (1897–2000) 40, 58 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770–1831) 25, 27, 53 Heidegger, Martin (1889–1976) 25, 33 Heisenberg, Werner (1901–1976) 72 Heraklit (ca. 544–483 v. Chr.) 164 Hick, John (*1922) 122 Hubble, Edwin (1889–1953) 63 Hume, David (1711–1776) 68, 78 ff., 137, 144 Husserl, Edmund (1859–1938) 100 James, William (1842–1910) 21 Jung, Carl Gustav (1875–1961) 21 Kant, Immanuel (1724–1804) 50, 58, 60, 67, 70, 74, 78, 103–106, 116, 137 Lanczkowski, Günter (1917–1993) 12 Laplace, Pierre Simon de (1749–1827) 69 Leibniz, Gottfried Wilhelm (1646–1716) 53, 60 f., 65 ff., 75, 105 f., 129, 172 Lemaître, Georges (1894–1966) 63 Lenin (eigentlich Uljanow), Wladimir Iljitsch (1870–1924) 13, 141, 147 Lévy-Bruhl, Lucien (1857–1939) 20 Luhmann, Niklas (1927–1998) 14f Malinowski, Bronislaw (1884–1942) 13, 20 Maréchal, Joseph (1878–1944) 101, 103 Marx, Karl (1818–1883) 13, 140 f., 143 f., 147, 149 f. Meinong, Alexius (1853–1920) 56 Mensching, Gustav (1901–1978) 12 Mitchell, Basil (*1917) 82 Nielsen, Kai (*1926) 124 Nietzsche, Friedrich (1844–1900) 140, 147 Otto, Rudolf (1869–1937) 12 , 25 Paley, William (1743–1805) 73 Pannenberg, Wolfhart (*1928) 98 f. Parmenides (ca. 540–480 v. Chr.) 164 Parsons, Talcott (1902–1979) 13 Pascal, Blaise (1623–1662) 33, 47, 50, 108–114, 116

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Personenregister Penzias, Arno (*1933) 63 Plantinga, Alvin (*1932) 58, 87–97, 129, 137, 150 Popper, Karl (1902–1994) 121 f. Quine, Willard Van Orman (1908–2000) 59, 123 Quinn, Philip L. (1940–2004) 96 Rahner, Karl (1904–1984) 98–103 Ramsey, Ian (1915–1972) 170 Russell, Bertrand (1872–1970) 52, 58, 108, 135, 144

Thomas v. Aquin (1224/5–1274) 54, 56 ff., 60 f., 65–69, 73, 94 ff., 105 f. Tipler, Frank (*1947) 72 f. Tylor, Edward Burnett (1832–1917) 12 van Buren, Paul (1924–1998) 124 van Fraassen, Bas C. (*1941) 165 van Inwagen, Peter (*1942) 137

Schleiermacher, Friedrich (1768–1834) 25 Slipher, Vesto (1875–1969) 63 Söderblom, Nathan (1866–1931) 12 Spinoza, Benedictus de (1632–1677) 53 Spiro, Melford E. (*1920) 12 Sundermeier, Theo (*1935) 12 Swinburne, Richard (*1934) 26, 82–87, 115

Weber, Max (1864–1920) 22 Wheeler, John (*1911) 72 Whitehead, Alfred North (1861–1947) 40, 157 Wilson, Robert (*1936) 63 Wisdom, John (1904–1993) 150 Wittgenstein, Ludwig (1889–1951) 16, 26, 49, 56, 113, 124, 158 Wykstra, Stephen (*1949) 131

Tennant, Frederick Robert (1866–1957) 82

Yandell, Keith E. (*1938) 81

Sachregister Abgrenzungskriterium 121 Abhängigkeit / Unabhängigkeit der Religionsphilosophie 34 f. Abhängigkeitsgefühl 25 Absoluter Geist 27 Abstinzenzzeiten 10 agent causality 78 f. Agnostizismus 17 Allgüte – siehe Güte Allmacht 17, 38, 40 ff., 64, 170 Allmacht, Paradoxien der 38, 126 ff., 171 Alltagswelt 24 Allwissenheit 38–43, 128 Amtsträger 10 Analogieargument 69 Analogielehre 170 ff., 175 Anfang der Welt 60–64 Angst 132, 144 anthropische Prinzipien 72 f. Anthropomorphismus 37 apriorische/aposteriorische Argumente 53, 60 Arbeitsteilung 137 Archetyp 21 Argumente im weltanschaulichen Bereich 165–173 Argumente, persönliche und interpersonale 166 – siehe auch Argument Ästhetik 85 f. Astrophysik 30, 35, 60, 63, 67, 164 f. Atheismus 17, 132, 135 Aufweis 168 Augenscheinsargument – siehe evidential argument Ausdrücklichkeitsgrade 156 Außerweltlichkeit 36 – siehe auch Transzendenz Außerzeitlichkeit 39 f., 173 – siehe auch Ewigkeit Auswahlreligion 9, 107 Autorität 46 f.

Bayesianismus 83 Bayessche Regel 110, 112 ff. Bedeutungstheorie – siehe Semantik Befindlichkeit 25 Begründung, persönliche und interpersonale 32 f. – siehe auch: Argument Begründungsmangel 119, 134–139 Bereichsüberschreitung 29, 153 Beschreibung, definite – siehe definite Beschreibung Bestätigung(-stheorie) 83, 122 f. Beweislastverteilung 135 f. Bewertung 109, 152 Bewusstsein 72 f. Bibelwissenschaften 19 f., 23 f. Big Bang – siehe Urknall Bilderverbot 37 blik-Theorie 123 f. Brauch 11, 13

basale Meinungen 89–97, 115 Bauplan 94

Eigenschaften Gottes 23, 33, 160 f., 171, 168–173, 175

certitudo libera – siehe freie Gewissheit Christentum 10, 13, 16 ff., 20, 22 f., 27, 33 ff., 43, 50 f., 52, 95, 144 f., 155 f. christliche Philosophie 35, 97 concursus Divinus 75 consensus gentium 82 covering law-Modell der Erklärung 164 cumulative case – siehe Kumulativargument definite Beschreibung 55, 57, 99 Deismus 17, 74 f., 173 f. design argument 69, 73, 115 Deutscher Idealismus 27 Deutung 152, 157 Dominanz von Handlungen 109 ff. Dreifaltigkeit 17, 21, 36, 95, 124

Eigenschaftsmaxima 171 Eindeutigkeit (der Gotteskennzeichnung) 54 f., 65, 67, 73 Einfachheit 41, 86 Einheitlichkeit der Weltanschauung 158 f., 174 Einheitlichkeit des Theismus 161 f., 174 Einzigkeit Gottes 54 f., 65, 67, 73, 102, 155 emotive Bedeutung 121 Energie 64 Engel 10 Entropiesatz, Entropietod 62 f. Entscheidungstheorie 109–114 Erbsünde 95 Erfahrung, religiöse – siehe religiöse Erfahrung Erfahrungsbezug der Weltanschauung 159 f., 174 Erfahrungsbezug des Theismus 163, 174 Erkenntnisdynamik 100 ff. Erkenntnisgrund 17 Erkenntnistheorie 87–97 Erkenntnisverhältnisse 119, 140–143, 149 Erklärung 26, 28 ff., 132, 155, 160, 163 ff. Erklärung, pragmatistisches Modell 165 Erklärung, weltanschaulichintegrative 160, 163 f. Erklärung, wissenschaftliche 164 f. Erlösung 36 Es (Freud) 20 f., 141 Esoterik 9 essentialistische Religionsdefinition 11–15, 18 Ethik 12 Ethnologie 13 f. Etymologie 11 evidential argument 81, 88, 95, 102 evidentialistischer Einwand 135 f., 144

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Sachregister Evolution(sbiologie) 26, 30, 34 f., 70 f., 73, 106, 132 ff., 139, 144, 148, 159, 165 Evolution, kulturelle 133 Ewigkeit 38 ff., 41, 64, 126 – siehe auch Außerzeitlichkeit Existenz(weisen) 53, 55–58 Existenz, notwendige – siehe notwendige Existenz Existenzial, übernatürliches 101 Existenzphilosophie 147 Existenzquantor 58, 120 Externalismus 89 f., 92 f. Falschheit religiöser Überzeugungen 125–134, 148 Falsifikation 121 f. Familienähnlichkeit 16 Feinabstimmung(-sargument) 71–74, 83 ff., 131 Fest(-zeiten) 10, 33 Fideismus 46 f. fine tuning – siehe Feinabstimmung free will defence 129 f., 148 freie (subjektive) Gewissheit 166 ff., 174 Freiheit 104, 129 f., 148 Fundationalismus / Antifundationalismus 88 ff., 92 f. Fünf Wege 60 f. Funktion 13 funktionalistische Religionsdefinition 13–15, 108 Gebet 10, 15, 18, 33, 37, 54, 76, 95 Gebote / Verbote 10, 33 Gefühl 25 Gehirn 21 f. Gemeinschaft(-srelativität) 10, 33, 76, 93, 96 f. genetischer Trugschluss 132 ff., 142 f., 149 Gerechtigkeit, ausgleichende 104 Gesamterfahrung 49, 97, 116 Geschichtsphilosophie 27 Gesellschaft 13 f. Gettierproblem 89 Gewissen 103, 116 Glaube 11 Glaubwürdigkeit 84 f. Gott 36–43, 52–75, 78–87, 168–172 und öfters

Gott als Grenzbegriff 160 f. „Gottesbeweis“ 42, 48, 167 f. Gottesdienst 95 Gotteslehre, philosophische 23, 175 Grund, zureichender – siehe zureichender Grund Güte 38 f., 41 f., 128 Handeln Gottes 38 f., 66 Handlungsorientierung 152 Harmoniemodell 14 heilig, das Heilige 12 Heiliger Geist 95 f. Heiligtümer 10 Heilung 10 henologisches Prinzip 65, 67 Hermeneutik 20 Hintergrundstrahlung 63 Hintergrundüberzeugungen 153 f. Horizont 100 Hypothese 82–87, 105, 114, 159 Ich (Freud) 20 f., 141 Idealvorstellungen 106 ff., 116, 147 Illusion 108, 141 ff., 146 Immunisierungsstrategie 14, 88 inferential argument 81, 102 Inkonsistenz / Widersprüchlichkeit 125 f. intelligent design 45, 70 Intelligenz 68 ff., 72 f., 115 Internalismus 89 f. Intoleranz 144 Islam 10,16 ff., 22 f., 34 ff., 43, 50 f., 60, 94 f., 145, 156 Judentum 17 f., 20, 23, 34–37, 43, 50 f., 94 f., 145, 156 kalam-Argument 60 kausale Geschlossenheit 127 f. Kausalität, Kausalerklärung – siehe Ursache Kausalprinzip, metaphysisches 66 ff., 83, 86, 115, 125, 162, 168 f., 174 Kennzeichnung – siehe definite Beschreibung kognitiver Gehalt 10, 12, 33, 121, 138 f. Kohärenz 89 f. Komplexitätsreduktion 14 f.

Konkurrenzmodell 145 Konsistenz der Weltanschauung 157 ff., 174 Konsistenz des Theismus 160, 174 kontingent, Kontingenz 37, 41, 49, 59 ff., 75, 86 f., 102, 116, 165, 174 Kontingenzbewältigung 49 Körper 17, 37 ff., 41 Kosmologie 63 f., 164 f. – siehe auch Astrophysik kosmologische Argumente 60–68, 75, 92, 99, 114 f., 168 f., 174 f. Kriterien für Weltanschauungen 157 ff., 174 Kulturwissenschaften 15 Kumulativargument 82–87, 115, 132 Lebensform 11 lebenstragende Überzeugung – siehe Überzeugung, lebenstragende Lebenswenden 9 Leid 13, 76 f. – siehe auch Übel Leitvorstellung 154 f., 157 linguistic turn – siehe Sprache, Wende zur Lückenfüller-Argument 79 f. Manifestationsmeinungen 90 f., 94 f. Marxismus 15 Materie 64 Meditation 10, 54 Meinungs- / Überzeugungssystem 88–91, 123 Meme 132 f. Messgeräte 31 Metapher 170 Metaphysik 24, 34, 99, 120 f., 139, 154, 157 Meta-Theologie 24 Methodenproblem der Religionswissenschaft 19, 21 Mobilität 20 Modalitäten 58 f., 126 f. – siehe auch Kontingenz, notwendige Existenz Modallogik 58 f. Modell 170 mögliche Welten 58 f.

Sachregister Möglichkeit 58 f. Monotheismus 17, 54 f., 144 – siehe auch Einzigkeit Moral 10, 12, 33, 52, 85 f., 102 f. moralische Erfahrung 102–106, 116 Moraltheologie 23 multikulturelle Gesellschaft 14 Mystik 77 Nahtoderfahrungen 48 Naturalismus 78, 80, 162 Naturgesetz 38, 63 f., 78 ff., 127 natürliche Erklärung 132, 140, 143 – siehe auch Evolution natürliche Theologie – siehe Theologie, natürliche Naturstreben 101 negative Theologie 17, 172 Neurose 21 Neurotheologie 21 f., 133 f. Nichtwiderspruchsprinzip 56 non-Kognitivismus 123 ff., 147 notwendige Existenz 36 f., 58 f., 67, 101, 126, 148 Notwendigkeit 41, 58 f., 62 Numinoses 12, 77 Nutzen, Nützlichkeit 17, 47, 50 f., 107 f., 116, 133, 146 Ödipuskomplex 21 Offenbarung(-squellen) 10, 17 f., 23, 27, 34, 36, 51, 77, 101, 163 Offenbarungsreligion 18, 27 Offenheit der Weltanschauung 158 f., 174 Offenheit des Theismus 162 f., 174 Omnipräsenz 39, 43 Ontologie 139, 154, 157, 161 f. ontologische Argumente 52–60, 67, 114 ontologischer Nichtexistenzbeweis 125 f. Ordnung, soziale 11 Orientierung 10, 14, 28 f., 153 f., 157, 174 f. Orientierung, bereichsübergreifende 153 f. Pantheismus 17, 39 Pantheismus 39 Paritätsargument 92, 136 Pascals Wette 108–114

perfectiones purae / mixtae 172 Personalität Gottes 37, 64, 66, 135, 155, 169 petitio principii 142 f., 149 Phänomenologie 11 f. Philosophie 28–31, 35, 97 philosophische Gotteslehre – siehe Gotteslehre, philosophische Physikotheologie 69 f. Planung 68 ff., 73, 115 Platonismus 56 Politik 14 f. Polytheismus 17, 43 Postulate 47, 50, 102–107, 116 Postulatorischer Atheismus 52 praktische Vernunft / Klugheit 103, 107 f., 116 praktischer Syllogismus 107 prästabilierte Harmonie 75 Presumption of Atheism 135 f., 148 primordial / consequent nature 40 f. Prinzip vom zureichenden Grund – siehe zureichender Grund profan 12 Projektion 99, 140–143, 161 proper function 94 f. properly basic beliefs – siehe basale Meinung Prozesstheologie 40 f. Psychoanalyse 20 f., 141f. Psychologie 15, 19–22, 107 Qualifikator 170 Quantenphysik 67 f., 72, 127 f. Quinque viae – siehe Fünf Wege Rahmenannahmen 167 rationale Theologie – siehe Theologie, rationale Rationalismus 54 Rationalität 32 – siehe auch Vernünftigkeit reale Prädikate 58 Recht 14 Reformierte Erkenntnistheorie 35, 87–97, 115, 136 Regress(-abbruch, -ausschlussprinzip) 60, 65 ff., 75, 115, 168 ff. Relativismuseinwand 112 Religion 9–18

Religion, Definition 11–15, 18, 108 Religion und Wissenschaft 139 f., 149 Religionsethnologie 19 f., 22 Religionsgeographie 22 Religionsgeschichte 19, 22 Religionskritik 22, 26 f., 51, 91 f., 96, 119–150, 173 Religionsökonomie 22 Religionsphänomenologie 18 f., 41, 169 Religionsphilosophie 25–27, 87, 175 Religionsphilosophie, Typologie 25–27 Religionspsychologie 19–22, 107 Religionssoziologie 13 ff., 19 f., 22 Religionswissenschaft 18–24 Religionswissenschaft, vergleichende 18 f. religiöse Erfahrung 10, 27, 46, 48 f., 72–82, 84 f., 87–98, 115, 124, 172 f. Ritual, Ritus 9, 12 f., 33 Rotverschiebung 63 Sachgrund 17 sakral 12 Säkularisation 9 Sanktion 10 Schadens- / Nutzensbilanz 146, 149 Schädlichkeit 52, 119, 141, 144–147, 149 Schöpfer, Schöpfung 17, 30, 35 f., 101 f., 139, 155, 169 Seiendes 99 Sein 120 f. Semantik 56 f. sensus Divinitatis 94 ff., 136 Sexualität 21, 142, 144 Singularität 63–66, 73 Sinnkriterien 120, 122, 125 Sinnlosigkeit (kognitive) 119–125, 147, 158 ff., 172, Sitte 11 Sittlichkeit 50 Sklavenmoral 144 Sozialisation 51 Speisegebote / -verbote 22 Sprache, religiöse 25 f. Sprache, Wende zur 25

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Sachregister Sprachspiele 158 Stadiengesetz 27 Standardmodell der Kosmologie 63 f. Streben, Naturstreben 69 Substantialistische Religionsdefinition 11–15 Substanz / Akzidens 164 Systemtheorie 14 Szientismus 138, 148 Tabu 10 Täuschung 54 Teleologie, teleologische Argumente 60, 68–75, 92, 115, 169 Terrorismus 13 Testbarkeit 159 Theismus 17, 36–43, 74 f., 155, 160–165, 173 f. – siehe auch Konsistenz, Einheitlichkeit, Erfahrungsbezug, Offenheit Theodizee 128–132, 148 Theologie 10, 22 ff., 33 ff., 95 f. Theologie, natürliche / rationale 23 – siehe auch Gotteslehre, philosophische theoretisch-kognitiver Gehalt – siehe kognitiver Gehalt Thermodynamik 62 f. Thomas / Calvin-Modell(e) 94 ff. Tiefengrammatik 123 Tod 10, 13, 76 Tradition 5, 46 f. Transformation, dreigliedrige 170 transzendent, Transzendenz 10, 12, 14 f., 36, transzendentale Erfahrung, Transzendenzerfahrung 97 f., 101 Transzendenzerfahrung 12, 46, 49 f. Übel 13, 26, 39, 52, 74, 76 f., 84 f., 128–132, 148, 160, 166 – Ausmaßproblem 129 ff., 148 – Belegproblem 129 ff., 148

– Grundsatzproblem 129 f., 148 – logisches Problem 128–131, 148 – moralisches und physisches 128, 130 – notwendiges und sinnloses 28 Über-Ich 21, 141 Überlieferung 11 Überzeugung, lebenstragende 151 f. ultimate reality 37 Unbestimmtheitsprinzip 72 Unbewusstes 21 unendlich lange Existenz 62 f. unendliche Größen 113 Unendliches, aktual / potentiell 62 Unerforschlichkeit des Übels 130 f. Universum 60 Unkörperlichkeit 37 f., 41 – siehe auch Körper Unsicherheit 14 f. Unsterblichkeit 50, 104 Unterdrückung 144 Unveränderlichkeit 39 ff. Unverursachtheit 126 Unwissenschaftlichkeit 134–139 Urknall 63 f., 66 f., 73, 125, 135, 164 Ur-Religion 20 Ursache, Ursächlichkeit 60, 65, 67 f., 70, 78, 87, 126 ff. – siehe auch Kausalprinzip Ursprung der Religion 132 Verbote 10 Verifikation, eschatologische 122 Verifikationsprinzip, empiristisches 120–122 Vernünftigkeit / Unvernünftigkeit 26 ff., 30ff , 46 f., 50, 66, 79f – siehe auch Rationalität Vernunftkritik 143 Verteidigung (defence) 129 via affirmativa / negativa / eminentiae 170 f.

Vollkommenheit, moralische 39 Voodoo 13 Vorgriff auf das Sein 100, 102 Wahrnehmung 81 Wahrnehmungspsychologie 68 Wahrscheinlichkeit(-stheorie) 69 ff. 73 f., 83–87, 105, 109–115 Wallfahrt 22 Wandel, religiöser 20, 23 warrant 94 ff. Weltanschauung 28 ff., 35, 64, 66, 139, 151–174 Weltbild 10, 124, 139 Weltbild, wissenschaftliches 160 Werte, normative Überzeugungen 14, 154 Wertobjektivismus 85 f. Wesen 41 Wesen der Religion, wahres und falsches 140 f. Wesen Gottes 57 – siehe Gottesbegrif f Wettargument 47 – siehe Pascals Wette Wiener Kreis 120 Willensakt 66 Wirklichkeitserschließung 152 f. Wirkursächlichkeit 61 Wirtschaft 14 Wissen 89, 103 Wissenschaft und Weltanschauung 152 ff., 159 Wissenschaftstheorie 22, 24 Wittgensteinianism 124 Wunder 38, 76–82, 114 f. Zeit, zeitlicher Anfang 60–64 Zeugnis 84 Ziel- / Zweckgerichtetheit – siehe Teleologie Zukunft 39 zureichender Grund 61, 66, 67, 87 – siehe auch Kausalprinzip