Einführung in die nicht-sprachliche Logik 9783110324228, 9783110323887

Kann ein nicht-sprachliches Zeichen aus einer Menge nicht-sprachlicher Zeichen folgen? Lassen sich Beweise führen, deren

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German Pages 358 [362] Year 2007

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Table of contents :
Inhaltverzeichnis
1. Einleitung
2. Repräsentationen und Repräsentationssysteme
3. Logische Folgerung
4. Beweise und Ableitungen
5. Sprachliche und nicht-sprachlicheRepräsentationssysteme
6. Sind nicht-sprachliche Logiksystememöglich?
7. Gibt es sichere nicht-sprachliche Logiksysteme?
8. Sind nicht-sprachliche Logiksystemesprachlichen ebenbürtig?
9. Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
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Einführung in die nicht-sprachliche Logik
 9783110324228, 9783110323887

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Stefan Bagusche Einführung in die nicht-sprachliche Logik

LOGOS Studien zur Logik, Sprachphilosophie und Metaphysik

Herausgegeben von / Edited by Volker Halbach • Alexander Hieke Hannes Leitgeb • Holger Sturm Band 10 / Volume 10

Stefan Bagusche

Einführung in die nicht-sprachliche Logik

ontos verlag Frankfurt I Paris I Ebikon I Lancaster I New Brunswick

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D 61 

2007 ontos verlag P.O. Box 15 41, D-63133 Heusenstamm www.ontosverlag.com ISBN 13: 978-3-938793-48-0 No part of this book may be reproduced, stored in retrieval systems or transmitted in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, microfilming, recording or otherwise without written permission from the Publisher, with the exception of any material supplied specifically for the purpose of being entered and executed on a computer system, for exclusive use of the purchaser of the work Printed on acid-free paper ISO-Norm 970-6 FSC-certified (Forest Stewardship Council) This hardcover binding meets the International Library standard Printed in Germany by buch bücher dd ag

Inhaltverzeichnis 1. Einleitung 1.1 Überzeugungen, Sachverhalte und Repräsentation – ein Modell I 1.2 Repräsentation und logische Folgerung – ein Modell II 1.3 Logische Systeme und die Sprachzentriertheit der Logik 1.4 Nicht-sprachliche Folgerung – 2 Fallbeispiele 1.5 Das Projekt der Charakterisierung nicht-sprachlicher Folgerung 1.6 Fragestellungen, Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit

7 8 13 19 22 26 28

Teil I 2. Repräsentationen und Repräsentationssysteme 2.1 Verwendungsweisen des Ausdrucks "Repräsentation" 2.2 Musterbeispiele und Adäquatheitsbedingungen 2.3 Repräsentationssysteme – ein Modell 2.4 Eigenschaften von Repräsentationssystemen 2.5 Zusammenfassung

33 34 37 40 57 66

3. Logische Folgerung 3.1 Verwendungsweisen des Ausdrucks "Logische Folgerung" 3.2 Musterbeispiele und Adäquatheitsbedingungen 3.3 Mögliche-Welten-Folgerung 3.4 A priori-Folgerung 3.5 Analytische Folgerung 3.6 Formale Folgerung 3.7 Logische Folgerung: Monismus vs. Pluralismus 3.8 Zusammenfassung

67 68 77 81 87 90 94 109 115

4. Beweise und Ableitungen 4.1 Verwendungsweisen des Ausdrucks "Beweis" 4.2 Musterbeispiele und Adäquatheitsbedingungen 4.3 Ableitungen

117 118 119 122

4.4 Eigenschaften von Ableitungen 4.5 Zusammenfassung

127 128

5. Sprachliche und nicht-sprachliche Repräsentationssysteme 5.1 Verwendungsweisen der Ausdrücke "sprachlich" und "nichtsprachlich" 5.2 Musterbeispiele und Adäquatheitsbedingungen 5.3 Verwendung geometrischer Figuren 5.4 Verwendung nicht-linearer Zeichen 5.5 Syntaktische Dichte 5.6 Ähnlichkeit 5.7 (Nicht-)Sprachlichkeit: Monismus vs. Pluralismus 5.8 Zusammenfassung

131 132 135 139 145 149 152 162 163

Teil II 6. Sind nicht-sprachliche Logiksysteme möglich? 6.1 Sprachliche Zeichensysteme: Wahrheit, Folgerung und Beweise 6.2 Nicht-sprachliche Zeichensysteme, Wahrheit und Folgerung 6.3 Nicht-sprachliche Zeichensysteme und Beweise 6.4 Zusammenfassung

165 166 168 190 190

7. Gibt es sichere nicht-sprachliche Logiksysteme? 7.1 Sprachliche Logiksysteme und nicht-triviales Schließen 7.2 Das System VENN (nach Shin) 7.3 Das System CARROLL 7.4 Das System STRICH 7.5 Nicht-sprachliche Logiksysteme und nicht-triviales Schließen 7.6 Zusammenfassung

193 194 204 224 252 261 270

8. Sind nicht-sprachliche Logiksysteme sprachlichen ebenbürtig? 8.1 Verwendungszwecke sprachliche Logiksysteme 8.2 Nicht-sprachliche Systeme und Ausdrucksstärke 8.3 Nicht-sprachliche Systeme und Ableitungsstärke 8.4 Nicht-sprachliche Systeme und Handhabbarkeit der Zeichen

271 272 287 294 297

8.5 Nicht-sprachliche Systeme und Handhabbarkeit der Regeln 8.6 Nicht-sprachliche Systeme und Ableitungseffizienz 8.7 Nicht-sprachliche Systeme und Entlastung von P 8.8 Zusammenfassung

299 305 327 335

9. Zusammenfassung und Ausblick

337

Literaturverzeichnis

345

Danksagung Dieses Buch wäre ohne die Unterstützung und Hilfe einiger Menschen niemals möglich gewesen. Besonders danke ich • für Beistand, Gespräche und verheerende Kritik: Reinhard Bauer, Volker Beeh, Manuel Bremer, Marc Breuer, Joachim Bromand, Daniel Cohnitz, Nicola Erny, Oliver Hallich, Annette Janatsch, Raina Kirchhoff, Siglinde Kowalski, Anne Krieg, Sascha Lübke, Lothar Ridder, Marcus Rossberg, Petra Schiebel und Myung Hee Theuer • für Betreuung und wichtige Hinweise: meinen beiden Doktorvätern Axel Bühler und Oliver Scholz • für finanzielle Rückendeckung: dem Rektorat der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf • für tapferes Korrekturlesen: Nicola Erny, Oliver Hallich und Myung Hee Theuer • für Rat und Tat beim Druck: Rafael Hüntelmann • für Ihre Geduld und Alles: meiner Schwester Petra und meinen Eltern Renate und Siegfried Bagusche.

1. Einleitung Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen Fragen, die den logischen Status nichtsprachlicher Repräsentationen (Diagramme, Bilder, Landkarten etc.) betreffen: Kann eine nicht-sprachliche Repräsentation aus einer Menge nichtsprachlicher Repräsentationen folgen? Lassen sich Beweise führen, deren Prämissen, Zwischenschritte oder Konklusionen nicht-sprachliche Zeichen sind? Können nicht-sprachliche Logiksysteme entwickelt werden, die den Sicherheitsanforderungen genügen, welche üblicherweise an sprachliche Systeme gestellt werden? Und wenn ja: Sind sie ebenso gut geeignet, logische Probleme zu lösen, wie ihre sprachlichen Gegenstücke? Das Thema dieser Arbeit fällt somit in die Bereiche der Zeichentheorie und Logik: Aus zeichentheoretischer Perspektive soll geklärt werden, welche logischen Eigenschaften einer bestimmten Art von Zeichen zukommen können. Aus Sicht der Logik geht es um die Frage, ob und inwieweit sich die zentralen Begriffe der Logik auf nicht-sprachliche Repräsentationen anwenden lassen. Die Arbeit ist als Teil eines Projekts zu verstehen, in dem nachgewiesen werden soll, (i) dass sich nicht-sprachliche Repräsentationen beim logischen Folgern mit derselben Strenge und Präzision verwenden lassen wie sprachliche Repräsentationen und (ii) der Einsatz solcher nichtsprachlicher Zeichen keineswegs eine logische Spielerei sein muss, sondern die Verwendung sprachlicher Repräsentationen sinnvoll ergänzen kann. Motiviert ist dieses Projekt durch die folgenden Beobachtungen: (1) Wir können Sachverhalte und Überzeugungsinhalte nicht nur mit sprachlichen, sondern auch mit nicht-sprachlichen Zeichen repräsentieren. (2) Solche nicht-sprachlichen Zeichen werden in alltäglichen Zusammenhängen oft herangezogen, um logisch zu schließen. (3) Die Untersuchung nichtsprachlicher Folgerungen wurde innerhalb der Logik größtenteils vernachlässigt. Den logischen Status nicht-sprachlicher Repräsentationen zu untersuchen, könnte daher helfen, einen wichtigen Aspekt der alltäglichen

8

Schlussfolgerungspraxis einzufangen und den Mitteln der modernen Logik zugänglich zu machen.1 Ziel des Einleitungskapitels ist es nun, die Hintergründe und die Motivation der Arbeit näher auszuführen. In Abschnitt 1.1 soll an Hand eines einfachen Modells erläutert werden, was Repräsentationen sind, wie sie mit Überzeugungsinhalten und Sachverhalten zusammenhängen und welche Rolle sie für unser Handeln spielen können. In Abschnitt 1.2 wird dieses Modell um den Aspekt der logischen Folgerung erweitert. Insbesondere wird beschrieben, welche Rolle die logische Folgerungsbeziehung für die Begründung und Erweiterung unserer Überzeugungsinhalte spielen kann. In Abschnitt 1.3 soll kurz umrissen werden, wie die Folgerungsbeziehung innerhalb der modernen Logik analysiert und – im Regelfall – auf eine Relation unter sprachlichen Repräsentationen festgelegt wird. In Abschnitt 1.4 wird an Hand zweier Fallbeispiele illustriert, dass eine solche Beschränkung auf sprachliche Zeichen nicht der Art und Weise gerecht wird, wie wir im Alltag schließen – zumindest nicht vollauf: Nichtsprachliche Repräsentationen werden hier durchaus verwendet, um zu schließen und zu beweisen. In Abschnitt 1.5 soll das Projekt der Charakterisierung nicht-sprachlicher Folgerung genauer beschrieben werden: Was sind die Ziele des Projekts, was die Methoden? Welchen Schwierigkeiten muss begegnet werden? In Abschnitt 1.6 werden schließlich die Fragestellungen, die Vorgehensweise, der Aufbau und die Zielsetzung der Arbeit vorgestellt.

1.1 Überzeugungen, Sachverhalte und Repräsentation – ein Modell I. Um handeln und Probleme lösen zu können, greifen wir bewusst oder unbewusst auf Überzeugungen zurück.2 Hierbei kann es sich um Überzeugungen handeln, wie etwas zu tun ist (z.B. wie ein bestimmter Sicherheitsdrehverschluss zu öffnen ist oder Fahrräder zu fahren sind), oder um Überzeugungen, dass sich etwas so und so verhält (z.B. dass der Dosenöffner in 1 2

Vgl. Shin (1994), S. 9f.; Hammer (1995), S. 115 f. Vgl. Baumann (2002), S. 138f.

9

der obersten Schublade liegt, oder die Kombination des Wandsafes "21-187-19" lautet).3 Überzeugungen der zweiten Art werden "propositionale Überzeugungen" genannt. Kennzeichnend für sie sind u.a. die folgenden drei Merkmale:4 1.) Propositionale Überzeugungen sind intentionale Zustände. Das heißt: Sie sind Zustände, die auf etwas gerichtet sind. Während sich andere Arten intentionaler Zustände auf Gegenstände oder Personen beziehen (wie z.B. Liebe oder Hass), sind Überzeugungen dabei stets auf Sachverhalte gerichtet: Der Inhalt einer Überzeugung – dass sich etwas so und so verhält – steht immer für einen Sachverhalt. So repräsentiert der Inhalt der Überzeugung, dass sich Herr Kürten im Schrank versteckt, den Sachverhalt, dass sich Herr Kürten im Schrank versteckt. 2.) Der Inhalt einer Überzeugung kann wahr oder falsch sein: Er ist wahr, wenn der Sachverhalt, für den er steht, der Fall ist. Er ist falsch, wenn der Sachverhalt nicht besteht. So ist der Inhalt der Überzeugung, dass sich die Erde um den Mond dreht, genau dann wahr, wenn sich die Erde tatsächlich um den Mond dreht. 3.) Propositionale Überzeugungen sind subjektive und mentale Phänomene. Das heißt: Sie sind stets an das Bewusstsein einer bestimmten Person gebunden und nur für diese Person unmittelbar zugänglich. Die Überzeugung, dass sich Herr Kürten im Schrank versteckt, ist beispielsweise immer die Überzeugung einer oder mehrerer Personen. Und dass sie diese Überzeugung besitzen, ist für andere Personen nicht unmittelbar, sondern nur über das jeweilige Verhalten der Überzeugungsträger erschließbar. Eine Person kann auf verschiedene Weisen zu ihren Überzeugungen gelangen.5 Eine Möglichkeit besteht darin, dass sie sich ihrer eigenen Wahrnehmungs- oder Schlussfolgerungsfähigkeit bedient: Sie kann die Überzeugung gewinnen, dass es regnet, indem sie aus dem Fenster schaut und sieht, dass es regnet (Sinneswahrnehmung). Sie kann zu der Überzeugung kommen, dass sie Zahnschmerzen hat, indem sie 'in sich hineinschaut' und feststellt, dass ihre Zähne schmerzen (Introspektion). Und sie kann zu der 3

Entsprechend der klassischen Unterscheidung zwischen "Know how" und "Know that". Vgl. etwa Musgrave (1993), S. 6; Baumann (2002), S. 30f. 4 Vgl. hierzu Baumann (2002), Kap. III; Henrichs (1995), Kap. 1.1 5 Vgl. Baumann (2002), Kap. II

10

Überzeugung gelangen, dass es vermutlich regnen wird, indem sie aus ihren bereits vorhandenen Überzeugungen 'Gerade ballen sich dunkle Wolken am Himmel zusammen' und 'Dunkle Wolken bringen meist Regen mit sich' schließt: Es wird mit hoher Wahrscheinlichkeit regnen (Schlussfolgerung). Es gibt jedoch auch die Möglichkeit, dass sich die Person mit anderen Personen austauscht und deren Überzeugungsinhalte übernimmt. Auf diese Weise kann sie Überzeugungen über Ereignisse gewinnen, die weit in der Vergangenheit oder fern ihres Lebensbereiches liegen. Damit es Personen möglich ist, Überzeugungsinhalte auszutauschen, müssen die subjektiven Überzeugungen allerdings kommunizierbar gemacht werden.6 Dies geschieht, indem die überzeugungstragende Person den Inhalt ihrer Überzeugungen mit Hilfe eines Zeichensystems formuliert und an einen materiellen Zeichenträger bindet.7 Auf diese Weise sind die Inhalte ihrer Überzeugungen all denjenigen zugänglich, die den Zeichenträger als solchen wahrnehmen können und das verwendete Zeichensystem beherrschen.8 Sollen Überzeugungsinhalte ausgetauscht werden, lassen sich verschiedene Arten von Entitäten als Zeichenträger heranziehen: Schallwellen, Papier, Leinwände, Folien, elektro-magnetische Schwingungen usw. Einund derselbe Überzeugungsinhalt kann dabei an verschiedene Träger gebunden werden.9 So lässt sich der Inhalt der Überzeugung, dass alle Katzen launisch sind, sowohl mit Hilfe von Papier (→ Schreiben, s. Abb. 1) als auch mit Hilfe von Schallwellen (→ Sprechen, s. Abb. 2) repräsentieren:

All cats are capricious

Abb. 1 6

[ɔ:l] [kæts] [ɑ:] [kə'prɪʃəs]

Abb. 2

Vgl. Henrichs (1996), Kap. 1.1 Vgl. Klaus (1973), S. 17 8 Vgl. Keller (1995), S. 12f., sowie Hudson (2000), S.2; Sebeok (2001), S. 3 9 Vgl. Henrichs (1996), Kap. 1.1 7

11

Auch bei der Wahl des Zeichensystems steht uns eine große Zahl an Alternativen zur Verfügung: Wir können auf rein sprachliche Zeichensysteme zurückgreifen (z.B. auf eine natürliche Sprache wie das Deutsche oder eine künstliche Sprache wie die Sprache der Prädikatenlogik 1. Stufe). Wir können rein nicht-sprachliche Systeme verwenden (z.B. Diagramm- oder Bildsysteme). Oder wir können heterogene Systeme heranziehen, d.h. Systeme, in denen rein sprachliche und rein nicht-sprachliche Elemente verknüpft werden (wie z.B. in Landkartensystemen).10 Ein- und derselbe Überzeugungsinhalt kann dabei auf ein- und demselben Träger mit Hilfe verschiedener Zeichensysteme repräsentiert werden.11 So lässt sich der Inhalt der Überzeugung, dass alle Katzen launisch sind, u.a. wie folgt auf Papier ausdrücken:

All cats are capricious

Abb. 3: Englischer Satz

∀x1(R11x1 → R12x1)

Abb. 4: PL1-Satz

• Katze

Abb. 5: Euler-Diagramm

Laun.

Abb. 6: Venn-Diagramm

(In jeder Repräsentation der Abb. 3-6 wird der Überzeugungsinhalt repräsentiert, dass alle Katzen launisch sind: Die Repräsentation in Abb. 3 ist ein Satz einer natürlichen Sprache und besagt unter der üblichen Interpretation des Schriftenglischen, dass alle Katzen launisch sind. Die Repräsentation in Abb. 4 ist ein Satz einer künstlichen Sprache, in der "R11" mit "(ist) eine Katze" und "R12" mit "(ist) launisch" interpretiert 10 11

Vgl. Hammer (1995), S. 13f. Vgl. Rosenberg (1974), S. 7

12

ist. Gemäß den üblichen Vereinbarungen für prädikatenlogische Sprachen besagt er somit, dass für jedes Individuum x des Gegenstandsbereiches gilt: Wenn x eine Katze ist, dann ist x launisch. Die Repräsentation in Abb. 5 ist ein rein nicht-sprachliches Diagramm. Die Ellipse steht für die Menge der launischen Wesen, der Kreis für die Menge der Katzen. Der Umstand, dass der Kreis innerhalb der Ellipse liegt, repräsentiert den Sachverhalt, dass die Menge der Katzen eine Teilmenge der Menge der launischen Wesen ist. Die Repräsentation in Abb. 6 ist ein heterogenes Diagramm. Der mit dem sprachlichen Zeichen "Katze" etikettierte Kreis steht für die Menge der Katzen, der mit dem Zeichen "Laun." etikettierte Kreis für die Menge der launischen Wesen. Die Schnittfläche der beiden Kreise steht für die Menge der launischen Katzen, die Fläche von "Katze" ohne "Laun." für die Menge der Katzen, die nicht launisch sind, und die Fläche von "Laun." ohne "Katze" für die Menge der launischen Wesen, die keine Katzen sind. Der Punkt "•" zeigt schließlich an: Die Menge, die durch die kleinste mit dem "•" versehene Fläche repräsentiert wird, ist leer. Dass die Fläche von "Katze" ohne "Laun." mit einem "•" versehen ist, bedeutet somit, dass die Menge der nicht-launischen Katzen leer ist.) Die Entitäten, die entstehen, wenn ein formulierter Überzeugungsinhalt an einen Träger gebunden wird, werden "Zeichen" oder "Repräsentationen" genannt. In Bezug auf sie lassen sich zwei Punkte festhalten: 1.) Auf Grund ihrer Funktion, Überzeugungsinhalte zu repräsentieren, die wiederum selber Sachverhalte repräsentieren, können sie als indirekte Repräsentationen dieser Sachverhalte betrachtet werden. Die Repräsentation einer Repräsentation von x ist demnach selber eine Repräsentation von x. (Dieser Standpunkt wurde in der mittelalterlichen Philosophie mit dem Satz "Signum signi est signum signatio" ausgedrückt12). Der Zusammenhang zwischen Handeln, Überzeugungen, Sachverhalten und Repräsentation kann daher auch wie folgt dargestellt werden:

12

S. Meier-Oeser (1998), S. 1002

13

Handeln von P rekur- riert auf

Überzeugungen von P hat zum

Überzeugungsinhalt, dass A repräsentiert

repräsentiert

Repräsentation

Sachverhalt A repräsentiert indirekt oder vermittelt

2.) Sie können wahr oder falsch sein: Eine Repräsentation ist wahr, wenn der Überzeugungsinhalt, für den sie steht, wahr ist.13 Das heißt: Sie ist wahr, wenn der Sachverhalt, der indirekt durch sie repräsentiert wird, der Fall ist. Die Repräsentation ist falsch, wenn der Überzeugungsinhalt, für den sie steht, falsch ist. Der Satz "Alle Katzen sind launisch" und das Venn-Diagramm von Abb. 6 sind demnach genau dann wahr, wenn tatsächlich alle Katzen launisch sind.

1.2 Repräsentation und logische Folgerung – ein Modell II. Wir sind sehr oft daran interessiert, dass die Überzeugungsinhalte und Repräsentationen, mit denen wir umgehen, wahr und nicht falsch sind: Zum einen scheint Handeln, das sich an wahren Überzeugungsinhalten orientiert, auf lange Sicht erfolgreicher zu sein als Handeln, das sich an falschen Überzeugungsinhalten ausrichtet.14 Zum anderen besitzt Wahrheit für viele einen Wert an sich. Auch wenn z.B. unsere Überzeugungen über den Ursprung des Universums keine Relevanz für das alltägliche Handeln besitzen, ist es vielen Menschen wichtig, dass die Überzeugungen, die sie hier13

Entsprechend der Korrespondenztheorie der Wahrheit. Vertiefende Darstellungen finden sich etwa in Kirkham (1997), Kap. 4; Künne (2003), Kap. 3; Kutschera (1981), S. 42-52 14 Vgl. Baumann (2002), S. 111f.

14

über haben, wahr sind.15 Es stellen sich daher zwei eng miteinander zusammenhängende Fragen: (1) (2)

Können wir feststellen oder zumindest annähernd sichergehen, ob unsere Überzeugungsinhalte wahr sind, und, wenn ja, wie? Gibt es Methoden, mit deren Hilfe wir auf zuverlässige Weise zu wahren Überzeugungsinhalten gelangen, und, wenn ja, worin bestehen diese Methoden?

Weil der Wahrheitswert eines Überzeugungsinhalts mit dem Wahrheitswert der Repräsentation des Überzeugungsinhalts identisch ist, können 1 und 2 auch in Gestalt der beiden folgenden Fragen behandelt werden: (1*) Können wir feststellen oder zumindest annähernd sichergehen, ob eine Repräsentation wahr ist, und, wenn ja, wie? (2*) Gibt es Methoden, mit deren Hilfe wir auf zuverlässige Weise zu wahren Repräsentationen gelangen, und, wenn ja, worin bestehen diese Methoden? 1* und 2* scheinen sich für manche Fälle recht einfach beantworten zu lassen: Angenommen, jemand möchte feststellen, ob der Satz "Herr Kürten versteckt sich im Schrank" wahr ist. Die einfachste Art und Weise dies zu tun, besteht darin, den Schrank zu öffnen und nachzuschauen, d.h. die Wahrheit der Repräsentation unmittelbar durch Beobachtung zu überprüfen.16 Diese Möglichkeit, den Wahrheitswert einer Repräsentation festzustellen, ist jedoch beschränkt: Zum einen können wir die notwendigen Beobachtungen in vielen Fällen aus praktischen Gründen nicht durchführen – etwa, wenn es um die Frage geht, ob auf dem nächsten Planeten im nächsten Sternensystem ein verrostetes Fahrrad liegt oder nicht. Zum anderen lässt sich der Wahrheitswert vieler Repräsentationen prinzipiell nicht durch Beobachtung überprüfen. So ist es prinzipiell nicht möglich, durch Beob15 16

Vgl. Aristoteles (1994), S. 37; Musgrave (1993), S. 25 Vgl. Musgrave (1993), S. 115

15

achtung festzustellen, ob die Sätze "Übermorgen geht die Sonne auf" oder "2 + 2 = 4" wahr sind oder nicht.17 Wie soll in diesen Fällen vorgegangen werden? Eine weitere Möglichkeit, (i) festzustellen, ob ein Zeichen wahr ist, oder (ii) auf zuverlässige Weise zu wahren Repräsentationen zu gelangen, ergibt sich aus der logischen Folgerungsrelation:18 Eine Repräsentation R folgt logisch aus einer Menge M = {R1, ..., Rn} von Repräsentationen, wenn die Wahrheit aller Elemente von M die Wahrheit von R erzwingt oder in einem hohen Maß wahrscheinlich macht. So folgt der Satz "Ayla ist launisch" aus der Satzmenge {"Alle Katzen sind launisch", "Ayla ist eine Katze"}, weil es nicht möglich ist, dass die Sätze "Alle Katzen sind launisch" und "Ayla ist eine Katze" wahr sind, während der Satz "Ayla ist launisch" falsch ist. (Wahrheit wird erzwungen, auch: Deduktive Folgerung) "Alle Katzen sind launisch" "Ayla ist eine Katze"

wahr wahr mit Notwendigkeit

"Ayla ist launisch"

wahr

Zudem folgt der Satz "Ayla ist launisch" aus der Satzmenge {"Die allermeisten Katzen sind launisch", "Ayla ist eine Katze"}, weil es sehr unwahrscheinlich oder unplausibel ist, dass die Sätze "Die allermeisten Katzen sind launisch" und "Ayla ist eine Katze" wahr sind, während der Satz "Ayla ist launisch" falsch ist. (Wahrheit wird wahrscheinlich gemacht, auch: Induktive Folgerung) "Die allermeisten Katzen sind launisch" "Ayla ist eine Katze"

wahr wahr

mit hoher Wahrscheinlichkeit

"Ayla ist launisch"

17

wahr

Vgl. hierzu die Diskussion um die Formulierung des Verifikationsprinzips, z.B. Miller (1989), S. 83f. 18 Vgl. etwa Blanchette (2001), S. 115; Shapiro (2002), S. 232

16

Wenn festgestellt werden soll, dass eine Repräsentation R wahr ist, kann die logische Folgerungsrelation auf zwei Arten genutzt werden: 1.) Es wird eine Menge M = {R1, ..., Rn} von Repräsentationen angeführt, für die gilt: (i) Wir sind überzeugt, dass R1, ..., Rn wahr oder sehr wahrscheinlich wahr sind, und (ii) R folgt logisch aus M. Da R gemäß ii wahr oder sehr wahrscheinlich wahr ist, wenn alle Elemente von M es sind, ist die Wahrheit von R auf Grund von i hinreichend gestützt – vorausgesetzt, wir irren uns nicht in Bezug auf die Wahrheitswerte von R1, ..., Rn. Eine solche Vorgehensweise wird auch als Begründung von oben bezeichnet.19 Sie liegt z.B. vor, wenn eine Person versucht, den folgenden Satz S3 als wahr zu erweisen, indem sie die beiden Sätze S1 und S2 anführt, von deren Wahrheit sie überzeugt ist. (S1) "Zu jeder natürlichen Zahl gibt es eine größere natürliche Zahl", (S2) "Jede Primzahl ist eine natürliche Zahl" (S3) "Zu jeder Primzahl gibt es eine größere natürliche Zahl" 2.) Es wird eine Menge M = {R1, ..., Rn} von Repräsentationen herangezogen, die logisch aus R folgen. Die Elemente von M werden auf ihre Wahrheit hin überprüft (z.B. durch Beobachtung). Wenn sich ein Element Ri von M als falsch oder sehr wahrscheinlich falsch erweist, muss R auf Grund der vorliegenden Folgerungsrelation ebenfalls falsch oder sehr wahrscheinlich falsch sein. Wenn sich alle Elemente von M als wahr erweisen, muss R zwar nicht wahr sein, hat sich jedoch bewährt: Die Falschheit eines der Elemente von M hätte die Falschheit von R impliziert. R

Ri

Ri folgt deduktiv logisch aus {R}

wahr wahr wahr falsch falsch wahr falsch falsch

19

Foellesdal/Walloe/Elster (1988), S. 44f.

möglich nicht möglich möglich möglich

17

Eine Vorgehensweise dieser Art wird auch Begründung von unten genannt.20 Sie liegt z.B. vor, wenn eine Person versucht, die Wahrheit des folgenden Satzes S4 zu bestätigen, indem sie die Sätze S5 und S6 anführt und durch Beobachtung als wahr erweist: (S4) "Alle Raben sind schwarz" (S5) "Wenn Carl ein Rabe ist, dann ist Carl schwarz" (S6) "Wenn Gustav ein Rabe ist, dann ist Gustav schwarz" Wenn auf zuverlässige Weise wahre Repräsentationen gewonnen werden sollen, kann die logische Folgerungsrelation wie folgt genutzt werden: Es werden verschiedene Repräsentationen R1, ..., Rn herangezogen, von deren Wahrheit wir überzeugt sind. Auf diese Repräsentationen werden Regeln angewendet, die zu logischen Folgen von {R1, ..., Rn} führen. Diese logischen Folgen müssen wahr oder sehr wahrscheinlich wahr sein – vorausgesetzt, wir irren uns nicht über die Wahrheitswerte von R1, ..., Rn. Eine solche Vorgehensweise wird auch Schlussfolgerung oder Erschließen genannt. Sie liegt z.B. vor, wenn eine Person auf Grund der folgenden Kette sprachlicher Operationen von der Satzmenge {"Alle Katzen sind launisch", "Ayla ist eine Katze"} zu dem Satz "Ayla ist launisch oder Ayla ist ein Roboter" gelangt: "Ich weiß, (i) dass alle Katzen launisch sind und (ii) dass Ayla eine Katze ist. Dass alle Katzen launisch sind, hat zur Folge, dass Ayla launisch ist, wenn sie eine Katze ist. Auf Grund von ii gilt somit, dass Ayla launisch ist. Dies lässt sich abschwächen zu: Ayla ist launisch oder Ayla ist ein Roboter." Die drei Methoden – Begründung von oben, Begründung von unten, Schlussfolgerung – sind aus philosophischer Sicht nicht unproblematisch. Andeutungsweise lassen sich die folgenden Schwierigkeiten nennen: 1.) Wird eine Repräsentation R durch eine Menge M = {R1, ..., Rn} von oben begründet, ist diese Begründung nur dann stichhaltig, wenn R1, ..., Rn tatsächlich wahr sind. Ist ein Ri von M falsch, sagen die Wahrheitswerte von R1, ..., Rn nichts über den Wahrheitswert von R aus. Es ist somit wich20

Foellesdal/Walloe/Elster (1988), S. 44 u. S. 53f.

18

tig, festzustellen, ob R1, ..., Rn wahr sind. Geschieht dies, indem R1, ..., Rn durch eine Menge M* = {R1*, ..., Rm*} begründet werden, ergibt sich wiederum die Aufgabe, die Wahrheit von R1*, ...Rm* festzustellen usw. Auf diese Weise droht ein unendlicher Begründungsregress. Wie aber kann ein solcher Regress vermieden werden?21 2.) Wird eine Repräsentation R durch eine Menge M von unten begründet und erweisen sich die Elemente von M als wahr, hat R sich nur bewährt und nicht als wahr erwiesen. Inwiefern sagt dies jedoch überhaupt etwas über den Wahrheitswert von R aus? Eine Repräsentation kann sich theoretisch unendlich oft bewähren und trotzdem falsch sein.22 3.) Wird eine Repräsentation R mit Hilfe einer Schlussfolgerung aus einer Menge M = {R1, ..., Rn} gewonnen, ist die Wahrheit von R nur dann gewährleistet, wenn R1, ..., Rn wahr sind. Ist ein Element von M falsch, kann die Schlussfolgerung zu einer falschen Repräsentation führen. Es sollte also sichergegangen werden, dass die Elemente von M wahr sind – was zu den bereits geschilderten Problemen führt. Überzeugungen Überzeugungsinhalte {A1, ..., An}

be- sitzt

Überzeugungsinhalt A

Person P er- fasst

Repräsentationen {R1, ..., Rn}

Repräsentation R liegt vor

Logische Folgerung

Ungeachtet dieser Schwierigkeiten scheinen die drei Methoden in vielen Fällen unverzichtbar zu sein, wenn die Wahrheit von Repräsentationen festgestellt werden soll oder versucht wird, auf zuverlässige Weise zu wahren Repräsentationen zu gelangen. Die logische Folgerungsbeziehung spielt somit eine wichtige Rolle für unser Denken und Handeln: Sie ermöglicht es uns, Überzeugungsinhalte auf Basis anderer Überzeugungsinhalte 21 22

Vgl. etwa Musgrave (1993), S. 10-14 Vgl. Kutschera (1981), S. 473 und weitergehend etwa Kutschera (1981), S. 461-478

19

zu begründen, und auf zuverlässige Art und Weise von wahren Überzeugungsinhalten zu wahren Überzeugungsinhalten zu gelangen. Illustrieren lässt sich diese Rolle mit Hilfe der vorangestellten Abbildung:

1.3 Logische Systeme und die Sprachzentriertheit der Logik. Angenommen, eine Repräsentation R folgt logisch aus einer Menge M. In diesem Fall ist es möglich, R in Rückgriff auf M zu begründen oder zu erschließen. Damit wir diese Möglichkeit nutzen können, müssen wir jedoch erkennen oder feststellen, dass R aus M folgt. In vielen Fällen wird es uns nicht schwer fallen, diese Aufgabe zu lösen: Wir besitzen im Regelfall alltagstaugliche Intuitionen darüber, was logische Folgerung ist und wie sich ihr Vorliegen feststellen lässt. So würden vermutlich die meisten erkennen, dass die folgende Satzmenge M1 den Satz S7 zur Folge hat: (M1) {"Alle Menschen sind sterblich", "Sokrates ist ein Mensch"} (S7) "Sokrates ist sterblich" Unser intuitives Verständnis logischer Folgerung ist jedoch begrenzt.23 Dies wird z.B. deutlich, wenn ein Fall betrachtet wird, der nur ein wenig komplexer ist als das Beispiel von M1 und S7: Vermutlich würde es vielen schwer fallen, auf Anhieb oder mit Gewissheit zu sagen, ob die folgende Menge M2 den Satz S8 zur Folge hat. (M2) {"Momo ist untergetaucht oder Momo ist in Japan", "Wenn Momo untergetaucht ist, dann sind ihre Postkarten gefälscht und Okinawas Beamten streiken", "Wenn Momo in Japan ist, dann streiken Okinawas Beamten"} (S8) "Momo ist in Japan, oder Okinawas Beamten streiken, wenn Tokio von einem Taifun heimgesucht wird" Dass wir in bestimmten Fällen nicht sofort oder mit Gewissheit sagen können, ob logische Folgerung vorliegt oder nicht, kann u.a. zwei Gründe 23

Vgl. Foellesdal/Walloe/Elster (1988), S. 245

20

haben: (1) Die involvierten Sätze sind zu komplex oder zu zahlreich, um ihre Wahrheitsbedingungen zu überblicken und das Vorliegen oder NichtVorliegen logischer Folgerung intuitiv zu erkennen. (2) Der logische Folgerungsbegriff selber ist uns unklar: Was soll es heißen, dass z.B. S8 mit Notwendigkeit oder hoher Wahrscheinlichkeit wahr ist, wenn die Elemente von M2 wahr sind? Handelt es sich bei der Notwendigkeit deduktiver Folgerung um dieselbe Art Notwendigkeit, mit der ein Stein zu Boden fallen oder ein Mensch sterben muss? Und wenn nicht: Worin besteht sie sonst? Angesichts der Wichtigkeit, die die logische Folgerungsrelation besitzt, scheint es daher von hohem Nutzen zu sein, den beiden folgenden Fragen genauer nachzugehen: (1) (2)

Was ist logische Folgerung? Wie lässt sich feststellen, ob in einem bestimmten Fall logische Folgerung vorliegt oder nicht?

Die Disziplin, in der diese beiden Fragen behandelt werden, ist die Logik.24 Ihr Ziel ist es, den intuitiven Begriff der logischen Folgerung systematisch zu fassen und Methoden bereitzustellen, mit deren Hilfe das Vorliegen oder Nicht-Vorliegen logischer Folgerung nachgewiesen werden kann. Ein wichtiges Mittel der Logik ist die Konstruktion und Analyse logischer Systeme.25 Ein logisches System oder eine Logik L26 setzt sich im Regelfall aus drei Bestandteilen zusammen: einem Repräsentationssystem SL, einem Folgerungsbegriff |=L und einem Beweisbegriff |L. Das Repräsentationssystem stellt die Zeichen bereit, mit deren Hilfe in L Überzeugungsinhalte und Sachverhalte repräsentiert werden können. Der Folgerungsbegriff bestimmt, welche Zeichen von SL in L aus welchen Zeichenmengen von SL folgen. Und der Beweisbegriff legt fest, was in L als Nachweis für die Behauptung betrachtet werden kann, ein Zeichen von SL folge in L aus einer Zeichenmenge von SL. Wird ein logisches System konstruiert oder beschrieben, werden die Fragen 1 und 2 zum Teil beantwortet: Die Definition des Folgerungsbegrif24

Vgl. Bühler (2000), S. 22-24 sowie Brun (2003), S. 23ff.; Read (1997), S. 50 Vgl. Blanchette (2001), S. 117; Haack (1978), S. 1 u. S. 15 26 Zur Mehrdeutigkeit des Ausdrucks "Logik" (Disziplin vs. System) s. Hodges (2001), S. 9 25

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fes von L gibt an, was logische Folgerung unter den Zeichen von SL ist; die Definition des Beweisbegriffes von L beschreibt, wie nachgewiesen werden kann, dass unter den Zeichen von SL logische Folgerung vorliegt. Ein System L, das innerhalb der modernen Logik konstruiert und verwendet wird27, zeichnet sich dabei im Regelfall durch zwei Eigenschaften aus: 1.) L ist präzise und eindeutig definiert, so dass sich Fragen der folgenden Art auf exakte Weise klären lassen: Gilt in allen Fällen, in denen sich eine Repräsentation R in L aus einer Menge M beweisen lässt: R folgt in L aus M (Korrektheit von L)? Gilt in allen Fällen, in denen R in L aus M folgt: R kann in L aus M bewiesen werden (Vollständigkeit von L)? Ist es möglich, in einer endlichen Anzahl von Schritten festzustellen, ob es in L einen Beweis für R aus M gibt oder nicht (Entscheidbarkeit von L)?28 2.) L ist in einem hohen Maße sicher. Zum einen gilt: Werden seine Regeln korrekt angewendet, kann es in L nicht zu Fehlschlüssen kommen. Das heißt: Wenn in L regelgemäß bewiesen wird, dass eine Repräsentation R in L aus einer Menge M folgt, dann folgt R in L tatsächlich aus M. Zum anderen gilt: Die Möglichkeiten, Regeln fehlerhaft anzuwenden und auf diese Weise fehlzuschließen, sind in ihnen verringert. Gewährleistet wird das hohe Maß an Präzision und Sicherheit u.a. durch die Wahl von Repräsentationssystemen mit bestimmten Eigenschaften. Die Zeichensysteme, die den modernen Logiken zugrunde liegen, sind keine Systeme, die natürlich gewachsen sind und bereits als Muttersprachen dienen. Bei ihnen handelt es sich vielmehr um künstliche Repräsentationssysteme, die auf ihre Rolle als Bestandteile logischer Systeme zugeschnitten worden sind.29 Sie zeichnen sich u.a. durch zwei Eigenschaften auf: 1.) Ihre syntaktischen und semantischen Teile lassen sich klar und eindeutig spezifizieren. Das heißt: Es lässt sich klar bestimmen, welche Zeichen ihnen angehören, wie diese Zeichen zusammengesetzt sind, welche 27

Zur Entwicklung der modernen Logik s. etwa George/Evra (2002) Zum Begriff der Entscheidbarkeit s. etwa Ebbinghaus/Flum/Thomas (1998), S. 164169 29 Vgl. Klaus (1973), S. 39f. u. S. 56-63; Sainsbury (2001), S. 43-53. Zu der Schwierigkeit natürliche und künstliche Sprachen angemessen voneinander abzugrenzen s. etwa Moravcsik (1982) 28

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von ihnen Wahrheitswertträger bilden und unter welchen Bedingungen die Wahrheitswertträger wahr sind. 2.) Sie besitzen bestimmte Eigenschaften, die helfen, das Auftreten von Fehlschlüssen zu verhindern oder einzudämmen. So enthalten sie im Regelfall keine mehrdeutigen Zeichen. Neben diesen beiden Eigenschaften weisen die Repräsentationssysteme moderner Logiken jedoch ein weiteres Merkmal auf – zumindest im Regelfall: Sie sind sprachlich. Dies hat u.a. zur Folge, dass die Folgerungs- und Beweisbegriffe der modernen Logik sprachbezogene Begriffe sind und mit ihrer Hilfe letztlich nur die Fragen 1+ und 2+ geklärt werden können: (1+) Was ist sprachliche Folgerung? (2+) Lässt sich feststellen, ob in einem bestimmten Fall sprachliche Folgerung vorliegt oder nicht, und, wenn ja, wie? Die moderne Logik kann daher als "sprachzentriert" bezeichnet werden: Der logische Folgerungsbegriff wird im Regelfall als eine Beziehung behandelt, die ausschließlich unter sprachlichen Repräsentationen besteht.30 Nicht-sprachliche Repräsentationen werden bestenfalls herangezogen, um Beweisführungen zu illustrieren und das Verständnis zu erleichtern, gehören aber nicht zum Untersuchungsgegenstand der Logik.31

1.4 Nicht-sprachliche Folgerung – 2 Fallbeispiele. Die Sprachzentriertheit der modernen Logik steht in einem Gegensatz zu unserer alltäglichen Schlussfolgerungspraxis: Wenn wir im Alltag schließen und beweisen, greifen wir nicht nur auf Zeichen sprachlicher Repräsentationssysteme (d.h. Sätze) zurück, sondern häufig auch auf Zeichen nicht-sprachlicher 30

Vgl. Barwise/Etchemendy (1996b), S. 2 u. S. 10 Vgl. Brown (1999), S. 3-7, S. 25f. u. S. 172; Barwise/Etchemendy (1996a), S. 3; Luengo (1996), S. 149f.; Shin (1994), S. 1-7 u. S. 185-198; Shin (1996), S. 81 31

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Repräsentationssysteme.32 Zwei einfache Fallbeispiele sollen dies demonstrieren: Fallbeispiel 1: Sind alle Krokodile Kaltblüter? Angenommen, wir wollen nachweisen, dass der Überzeugungsinhalt 'Alle Krokodile sind Kaltblüter' wahr ist. Und angenommen, zu unseren Überzeugungsinhalten gehören 'Alle Krokodile sind Reptilien' und 'Alle Reptilien sind Kaltblüter'. In diesem Fall könnten wir wie folgt vorgehen: Wir zeichnen einen Kreis, der von einer Ellipse eingeschlossen wird. Die Ellipse steht für die Menge der Kaltblüter, der Kreis für die Menge der Reptilien. Der Umstand, dass der Kreis vollständig innerhalb der Ellipse liegt, repräsentiert den Überzeugungsinhalt, dass alle Reptilien Kaltblüter sind (Abb. 7):

Abb. 7 Anschließend zeichnen wir in den Kreis ein Sechseck. Das Sechseck steht für die Menge der Krokodile; der Umstand, dass das Sechseck vollständig in den Kreis eingeschlossen ist, für den Überzeugungsinhalt, dass alle Krokodile Reptilien sind (Abb. 8):

Abb. 8 32

Vgl. Barwise/Etchmendy (1996a), S. 23; Barwise/Etchemendy (1996b), S. 179; Barwise/Etchemendy (1998), S. 110-113; Hammer (1995), S. 115; Johnson/Barwise/Allwein (1996), S. 201

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Das aus diesen Operationen hervorgegangene Diagramm führen wir als Beweis an, dass der Überzeugungsinhalt 'Alle Krokodile sind Kaltblüter' wahr sein muss, wenn die Überzeugungsinhalte 'Alle Reptilien sind Kaltblüter' und 'Alle Krokodile sind Reptilien' wahr sind: Das Sechseck, welches für die Menge der Krokodile steht, liegt vollständig innerhalb der Ellipse, welche für die Menge der Kaltblüter steht (s. a. Abb. 9).

Abb. 9 Fallbeispiel 2: Wer ist der Tennisspieler?33 Angenommen, wir haben die folgenden Informationen erhalten: Ein Schwimmer, ein Eisläufer, ein Turner und ein Tennisspieler sitzen gleichmäßig verteilt um einen quadratischen Tisch. Zwei von ihnen – Alice und Carol – sind weiblich, während die anderen beiden – Brian und David – männlich sind. Des Weiteren gilt: (1) (2) (3) (4)

Der Schwimmer sitzt zu Alice' Linken. Der Turner sitzt gegenüber von Brian. Carol und David sitzen nebeneinander. Zur Linken des Eisläufers sitzt eine Frau.

Unser Problem besteht darin, auf Basis der gegebenen Information zu erschließen, bei welcher der vier Personen es sich um den Tennisspieler handelt. Wir können hierzu auf folgende Weise vorgehen: "Da Carol und David gemäß 3 nebeneinander sitzen, gibt es nur vier mögliche Sitzordnungen I-IV. (A steht in den Diagrammen für Alice, B für Brian usw., das Quadrat für den Tisch.)

25

D C I B A

C D II B A

C B III D A

D B IV C A

Auf Grund von 1 und 2 fallen die Möglichkeiten I und II weg: C in I und D in II müssten Turner und Schwimmer zugleich sein. Bezüglich III und IV gilt nun auf Grund von 1 und 2: C B - Schwimmer III D - Turner A

D B - Schwimmer IV C - Turner A

III ist aber auf Grund von 4 ausgeschlossen: Links von C und A sitzen hier jeweils Männer. Da in IV nur links von D eine Frau sitzt, muss D der Eisläufer sein. D – Eisläufer B – Schwimmer IV C - Turner A

Also ist Alice der Tennisspieler." In beiden Fallbeispielen wurde auf Zeichen nicht-sprachlicher Repräsentationssysteme zurückgegriffen, um zu begründen und zu erschließen: in Fallbeispiel 1 auf Euler-Diagramme, in Fallbeispiel 2 auf stilisierte graphische Abbildungen, die um sprachliche Zeichen ergänzt waren. Die nichtsprachlichen Repräsentationen wurden dabei nicht verwendet, um die Schlussfolgerungen zu illustrieren, sondern bildeten einen wesentlichen Bestandteil der Beweisführung: Die durch sie repräsentierten Überzeugungsinhalte wurden nicht an einer anderen Stelle der Beweisführung durch Zeichen sprachlicher Repräsentationssysteme ausgedrückt.34 (Im Fallbeispiel 1 tauchen zwar Sätze auf, die wiedergeben, was in den Dia33

Summers (1972), "7 – The Tennis Player", S. 9 u. 57f. Zu der Frage, was ein "wesentlicher Bestandteil" eines Beweises ist, s. Hammer (1995), S. 23-25 34

26

grammen ausgedrückt wird. Diese Sätze gehören aber nicht zur Begründung selber, sondern zur sprachlichen Beschreibung der Begründung.)

1.5 Das Projekt der Charakterisierung nicht-sprachlicher Folgerung. Die Sprachzentriertheit der modernen Logik scheint somit einen wichtigen Aspekt menschlichen Folgerns aus dem Bereich theoretischer Untersuchungen auszuschließen. Jon Barwise und John Etchemendy schreiben: Der Erfolg des Modells der Folgerung [im Rahmen der modernen Logik] führte zu einer Explosion von Ergebnissen und Anwendungen. Aber er brachte die meisten Logiker – und diejenigen Computerwissenschaftler, die am meisten durch die logische Tradition beeinflusst waren – auch dazu, Arten des Schließens zu vernachlässigen, die nicht gut in dieses Modell passen. Wir denken natürlich an Schlussfolgerungen, in denen Mittel wie Diagramme, Graphen, Schaubilder, Rahmen, Netze, Karten und Bilder verwendet werden.35

Dieser Mißstand ist die Triebfeder für ein Projekt, das durch die Untersuchungen von Logikern wie Jon Barwise, John Etchemendy, Eric Hammer, Atsushi Shimojima und Sun-Joo Shin ins Leben gerufen wurde und sich als "Projekt der Charakterisierung nicht-sprachlicher Folgerung" bezeichnen lässt. Das übergeordnete Anliegen dieses Projekts kann in dem Versuch gesehen werden, die beiden folgenden Fragen in Rückgriff auf die Mittel und Methoden der modernen, sprachzentrierten Logik zu beantworten:36 (1–) Was ist nicht-sprachliche Folgerung? (2–) Lässt sich feststellen, ob in einem bestimmten Fall nicht-sprachliche Folgerung vorliegt oder nicht, und, wenn ja, wie? Eine Schlüsselrolle kommt hierbei dem Begriff des logischen Systems zu: Die logischen Systeme der modernen, sprachzentrierten Logik zeichnen 35

Barwise/Etchemendy (1996b), S. 179 [Aus dem Englischen ins Deutsche von St. B.] S. etwa Barwise/Etchemendy (1996a), S.22; Barwise/Etchemendy (1998), S. 113; Barwise/Hammer (1996), S. 49f. u. S. 52-55; Scotto di Luzio (2002), S. 3f. u. S. 171f.; Shin (1994), S. 7f

36

27

sich durch ein hohes Maß an Präzision und Sicherheit aus und explizieren auf exakte und fruchtbare Weise, was logische Folgerung ist und wie sich ihr Vorliegen feststellen lässt. Das hohe Maß an Präzision und Sicherheit verdanken diese Systeme einer Reihe von Eigenschaften, die ihren drei Bestandteilen – Repräsentationssystem, Folgerungs- und Beweisbegriff – zukommen. Lassen sich nicht-sprachliche Logiksysteme konstruieren, deren Bestandteile ebenfalls diese Eigenschaften besitzen, scheinen sie dasselbe Maß an Präzision und Sicherheit aufzuweisen wie ihre sprachlichen Gegenstücke – und zu ebenso exakten Antworten auf 1– und 2– zu führen wie sprachliche Systeme auf 1+ und 2+. Das Projekt der Charakterisierung nicht-sprachlicher Folgerung kann in diesem Sinn als "konservatives" oder "integratives" Unternehmen bezeichnet werden:37 Es geht nicht darum, gänzlich neuartige Folgerungs- und Beweisbegriffe zu entwickeln. Vielmehr wird versucht, die Methoden und Begriffe der modernen Logik so zu erweitern und zu verallgemeinern, dass sie auch nicht-sprachliche Repräsentationen erfassen. Ob dieser Versuch sinnvoll ist, hängt allerdings davon ab, ob die Eigenschaften, die ein nicht-sprachliches Repräsentationssystem auszeichnen, mit den Eigenschaften vereinbar sind, die eine Logik möglich, sicher oder nützlich machen. So stellen sich u.a. die folgenden Fragen: 1.) Können die Zeichen nicht-sprachlicher Repräsentationssysteme wahr oder falsch sein? Ist dies nicht der Fall, kann eine nicht-sprachliche Repräsentation prinzipiell nicht aus einer Menge nicht-sprachlicher Repräsentationen folgen: Der klassischen Bestimmung zufolge ist die logische Folgerungsrelation eine partielle Abhängigkeitsbeziehung zwischen den Wahrheitswerten der Repräsentationen einer Menge M und dem Wahrheitswert einer Repräsentation R.38 2.) Können nicht-sprachliche Repräsentationssysteme alle Eigenschaften besitzen, die notwendig sind, um auf ihrer Grundlage präzise und sichere Logiksysteme zu errichten?39 3.) Besitzen nicht-sprachliche Repräsentationssysteme Eigenschaften, die dazu führen, dass nicht-sprachliche Logiken weniger gut geeignet sind, um zu schließen und zu beweisen, als sprachliche Logiksysteme – selbst, 37

Scotto di Luzio (2002), S. 3 Vgl. Haack (1978), S. 79 39 Vgl. Shin (1994), S. 3f. 38

28

wenn sie dasselbe Maß an Präzision und Sicherheit aufweisen wie die sprachlichen Systeme? Das Projekt der Charakterisierung nicht-sprachlicher Folgerung könnte also nicht nur daran scheitern, dass (i) nicht-sprachliche Repräsentationen prinzipiell nicht als Relata der Folgerungsbeziehung in Frage kommen oder (ii) nicht dasselbe Maß an Präzision und Sicherheit mit sich bringen können wie sprachliche Zeichen. Es könnte sich angesichts der Vorzüge sprachlicher Repräsentationen als nebensächlich und von geringer Bedeutung erweisen. Die Vertreter des Projekts haben bisher vor allem versucht, die ersten beiden Bedenken aufzulösen.40 So wurde eine Reihe von Logiksystemen entwickelt, deren Existenz zeigen soll, dass nicht-sprachliche Systeme möglich sind und ebenso präzise und sicher sein können wie sprachliche Systeme. Beispiele hierfür sind die Systeme VENN I und VENN II von Shin.41

1.6 Fragestellungen, Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit. Diese Arbeit ist ein Teil des Projekts, den Begriff der nicht-sprachlichen Folgerung zu charakterisieren. In ihr sollen drei Fragestellungen diskutiert werden, die für das Projekt grundlegend sind: (1)

Kann eine nicht-sprachliche Repräsentation aus einer Menge nichtsprachlicher Repräsentationen folgen? Können nicht-sprachliche Repräsentationen verwendet werden, um das Vorliegen logischer Folgerung zu beweisen?

(2)

Ist es möglich, mit nicht-sprachlichen Repräsentationen sicher nachzuweisen, dass ein nicht-sprachliches Zeichen aus einer Menge anderer nicht-sprachlicher Zeichen folgt?

(3)

Sind nicht-sprachliche Repräsentationen ebenso gut geeignete Mittel, um das Vorliegen einer notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation nachzuweisen, wie sprachliche Repräsentationen?

40

Vgl. etwa Barwise/Hammer (1996), S. 77; Luengo (1996), S. 5; Shin (1994), S. 5 Shin (1994); s. etwa auch Hammer (1995), Kap. 4-8; Hammer (1996); Hammer/Danner (1996), Luengo (1996) 41

29

In Rekurs auf den Begriff des logischen Systems werden diese drei Fragen in der folgenden Form behandelt: (1*) Gibt es nicht-sprachliche Logiksysteme, die einen nicht-leeren Folgerungs- und einen nicht-leeren Beweisbegriff besitzen? (2*) Gibt es nicht-sprachliche Logiksysteme, die sicher sind und nichttriviale Beweisbegriffe besitzen? (3*) Sind nicht-sprachliche Logiksysteme ebenso gut geeignet wie sprachliche Logiksysteme, um das Vorliegen einer notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation nachzuweisen? Die Arbeit wird sich aus zwei Teilen zusammensetzen: einem begriffsklärenden und einem frageklärenden Teil. In dem begriffsklärenden Teil (Kapitel 2 - Kapitel 5) sollen zwei Punkte geklärt werden: (1) Was genau sind logische Systeme? (2) Auf Grund welcher Eigenschaften unterscheiden sich sprachliche und nichtsprachliche Logiken? Um 1 zu beantworten, werden die Bestandteile logischer Systeme vorgestellt und definiert: Repräsentationssystem, Folgerungs- und Beweisbegriff. Um 2 abzuhandeln, wird untersucht, inwiefern sich nicht-sprachliche Repräsentationssysteme von sprachlichen Systemen unterscheiden: Ob eine Logik L sprachlich oder nicht-sprachlich ist, hängt davon ab, ob das Repräsentationssystem von L sprachlich oder nicht-sprachlich ist. In allen Fällen soll auf die Methode der Begriffsexplikation42 zurückgegriffen werden: Es wird davon ausgegangen, dass wir über vortheoretische Begriffe von Repräsentationssystem, Folgerung, Beweis und NichtSprachlichkeit verfügen. Diese Begriffe können jedoch vage, unscharf oder widersprüchlich sein und von Person zu Person variieren. Um Probleme auszuschalten, die sich hieraus für eine theoretische Untersuchung ergeben können, werden die vortheoretischen Begriffe durch Begriffe ersetzt – Begriffe, die besser geeignet sind, um 1*-3* angemessen beantworten zu können. Diese neuen Begriffe werden als "Explikate" der zu explizierenden vortheoretischen Begriffe bezeichnet, ihre Definitionen als "Explika42

Vgl. hierzu Brun (2003), S. 179-182; Carnap (1971), §§2-3; Cohnitz (2006), S.188190, Kutschera (1981), S. 76

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tionen", die Bedingungen, mit deren Hilfe sie definiert werden, als "Explananda". Die Angemessenheit der Explikationen lässt sich an Hand von allgemeinen und speziellen Adäquatheitsbedingungen überprüfen. Die allgemeinen Adäquatheitsbedingungen gelten für alle Explikationen. Sie lauten: (AÄ1) Ähnlichkeit: Das Explikat sollte dem zu explizierenden Begriff möglichst ähnlich sein. Das heißt: In den meisten Fällen, in denen etwas unter den zu explizierenden Begriff fällt, sollte es auch unter das Explikat fallen. Dies sollte insbesondere für Entitäten gelten, die als Musterbeispiele unter den zu explizierenden Begriff fallen. (AÄ2) Exaktheit: Das Explikat sollte möglichst präzise und exakt definiert sein – zumindest präziser und exakter, als dies bei dem zu explizierenden Begriff möglich ist. (AÄ3) Fruchtbarkeit: Die Explikation sollte die Formulierung möglichst vieler allgemeiner Aussagen über das zur Diskussion stehende Gebiet erlauben. (AÄ4) Einfachheit: Das Explanandum ist so einfach und sparsam gehalten wie es die anderen Adäquatheitsbedingungen erlauben. Für die Explikationen dieser Arbeit lässt sich zudem eine weitere 'allgemeine' Adäquatheitsbedingung aufstellen. Sie ergibt sich aus dem Vorhaben, nicht-sprachliche Folgerung in Rückgriff auf die Mittel und Methoden der modernen, sprachzentrierten Logik zu untersuchen: (AÄ5) Sprachzentrierter Konservatismus: Die Explikation sollte mit der klassischen sprachzentrierten Definition von logischen Systemen vereinbar sein, ohne die Möglichkeit nicht-sprachlicher Logiksysteme auszuschließen. Die speziellen Adäquatheitsbedingungen sind jeweils auf die besonderen Eigenschaften und Merkmale der zu explizierenden Begriffe zugeschnitten und können sich von Fall zu Fall unterscheiden.

31

In dem frageklärenden Teil (Kapitel 6 - Kapitel 8) sollen die drei zentralen Fragestellungen 1*-3* behandelt und so weit wie möglich geklärt werden. Die Frage 1* wird wie folgt untersucht: Zunächst werden die Eigenschaften ermittelt, die es möglich machen, sprachliche Logiksysteme mit nicht-leeren Folgerungs- und Beweisbegriffen zu entwickeln. Anschließend wird geklärt, ob es nicht-sprachliche Logiksysteme gibt, die ebenfalls diese Eigenschaften besitzen. Die Frage 2* wird auf folgende Weise behandelt: Zuerst werden die Merkmale bestimmt, deren Besitz ein sprachliches Logiksystem nichttrivial und sicher macht. Dann wird überprüft, ob auch nicht-sprachliche Logiksysteme diese Merkmale aufweisen können. Die Frage 3* wird wie folgt untersucht: An Hand sprachlicher Logiksysteme wird zunächst geklärt, unter welchen Hinsichten die Leistungsfähigkeit von Logiken bewertet werden kann, wenn sie eingesetzt werden, um das Vorliegen einer notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation nachzuweisen. Dann werden Eigenschaften angegeben, die unter diesen Hinsichten relevant für die Leistungsfähigkeit von logischen Systemen sind. In Rückgriff auf diese Eigenschaften werden sprachliche und nicht-sprachliche Logiksysteme miteinander verglichen. Aus den genannten Überlegungen ergibt sich der folgende Aufbau der Arbeit:

Kapitel 1: Kapitel 2: Kapitel 3: Kapitel 4: Kapitel 5: Kapitel 6: Kapitel 7: Kapitel 8: Kapitel 9:

Einleitung Klärung des Begriffs des Repräsentationssystems Klärung des Begriffs der logischen Folgerung Klärung des Begriffs des Beweises Klärung der Begriffe des sprachlichen und des nicht-sprachlichen Repräsentationssystems. Behandlung der Frage 1* Behandlung der Frage 2* Behandlung der Frage 3* Zusammenfassung und Ausblick

2. Repräsentationen und Repräsentationssysteme Der erste Bestandteil einer Logik L wird durch ein Repräsentationssystem SL gebildet. Die Definition von SL legt fest, mit welchen Zeichen in L welche Überzeugungsinhalte oder Sachverhalte repräsentiert werden können. Ist SL beispielsweise eine prädikatenlogische Sprache, bestimmt die Definition von SL, mit welchen prädikatenlogischen Sätzen sich welche Überzeugungsinhalte und Sachverhalte ausdrücken lassen. Der Begriff des Repräsentationssystems umfasst eine Vielzahl verschiedenartiger Systeme. Unter ihn fallen nicht nur Sprachen wie das Deutsche oder Englische, sondern auch: kulturell geprägte Systeme zur non-verbalen Kommunikation, piktogrammatische Systeme zur Kennzeichnung von Gefahrengütern, das System der menschlichen Krankheitssymptome u.a. Im Rahmen dieser Arbeit sollen allerdings nur Repräsentationssysteme betrachtet werden, deren Zeichen sichtbar sind und bewusst geschaffen werden, um Entitäten zu bezeichnen. Sie können als "visuelle Repräsentationssysteme" bezeichnet werden. Beispiele für sie sind sprachliche Systeme wie das Schriftspanische oder nicht-sprachliche Systeme wie das System der Venn-Diagramme. In diesem Kapitel soll geklärt werden, was genau visuelle Repräsentationssysteme sind, aus welchen Bestandteilen sie sich zusammensetzen und welche Eigenschaften ihnen zukommen können. In Abschnitt 2.1 wird der intendierte Begriff des Repräsentationssystems eingeführt, indem verschiedene Verwendungsweisen des Ausdrucks "Repräsentation" voneinander abgegrenzt werden. In Abschnitt 2.2 sollen einige Musterbeispiele und Adäquatheitsbedingungen aufgelistet werden, mit denen überprüft werden kann, ob und wie angemessen eine Explikation dieses Begriffs ist. In Abschnitt 2.3 wird eine solche Explikation vorgestellt, mit Beispielen illustriert und an den Adäquatheitsbedingungen getestet.

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In Abschnitt 2.4 sollen einige wichtige Eigenschaften vorgestellt werden, die Repräsentationssysteme besitzen und voneinander unterscheiden können. In Abschnitt 2.5 werden die Ergebnisse dieses Kapitels kurz zusammengefasst.

2.1 Verwendungsweisen des Ausdrucks "Repräsentation". Wenn die Frage "Was ist eine Repräsentationssystem?" geklärt werden soll, ist zu berücksichtigen, dass der Ausdruck "Repräsentation" im Deutschen unterschiedlich verwendet werden kann. So lassen sich u.a. die folgenden Gebrauchsweisen heraussondern: 1.) sozialer Vorgang: Der Ausdruck "Repräsentation" wird verwendet, um das Verhalten zu bezeichnen, mit dem eine Person ihren sozialen Status kenntlich machen will. Baut z.B. jemand eine prunkvolle Villa, um seinen Reichtum und seine Macht zu demonstrieren, kann sein Verhalten als "Repräsentation" bezeichnet werden. 2.) politischer Vorgang: Der Ausdruck wird gebraucht, um die Tätigkeit zu benennen, in der Personen stellvertretend für andere Personen herrschen oder regieren. Die Tätigkeit der Abgeordneten im deutschen Bundestag stellt in diesem Sinne eine Repräsentation dar. 3.) Bezeichnungsvorgang: Der Ausdruck wird verwendet, um den Vorgang zu bezeichnen, in der eine Entität hervorgebracht oder benutzt wird, die als Zeichen für eine andere Entität steht. Äußert eine Person beispielsweise den Satz "Howard Carter entdeckte das Grab des Tutanchamun", um einen bestimmten Sachverhalt auszudrücken, kann dieser Vorgang als Repräsentation verstanden werden. 4.) Zeichen-Bezeichnetes-Beziehung: Der Ausdruck wird benutzt, um auf die Beziehung zu referieren, die zwischen einem Zeichen und der von ihr bezeichneten Entität besteht. In diesem Sinn lässt sich z.B. die Beziehung zwischen dem Satz "Howard Carter entdeckte das Grab des Tutanchamun" und dem Sachverhalt, dass Howard Carter das Grab des Tutanchamun entdeckte, als Repräsentation begreifen. 5.) Zeichen: Der Ausdruck wird gebraucht, um eine Entität zu benennen, die in einer Zeichen-Bezeichnetes-Beziehung zu einem Bezeichneten steht.

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Für die Arbeit ist die letzte Gebrauchsweise entscheidend: "Repräsentation" soll für Entitäten stehen, die etwas bezeichnen.1 Beispiele für Repräsentationen lassen sich en masse anführen, etwa:2 • Lichter am Sternenhimmel: Repräsentation für vergangene kosmische Ereignisse • Brandgeruch: Repräsentation für ein gegenwärtiges Feuer • Morgendämmerung: Repräsentation für den zukünftigen Sonnenaufgang • Ausdehnung eines Metallclips: Repräsentation für die Höhe der Raumtemperatur • Metallener Geschmack in der Milch: Repräsentation für den Sachverhalt, dass die Milch nicht genügend vor Licht geschützt wurde • Fußabdrücke im Lehm: Repräsentation für die vergangene Anwesenheit eines Menschen • rote Flecken auf der Haut: Repräsentation für eine Masernerkrankung • Aufstampfen mit dem Fuß: Repräsentation für die innere Erregung des Aufstampfenden • Sprachäußerung "Ich habe fürchterliche Zahnschmerzen": Repräsentation für den Sachverhalt, dass die sich äußernde Person Zahnschmerzen hat • Wort "Tutanchamun": Repräsentation für einen Pharao der 18. ägyptischen Königsdynastie • Zeichnung von Sherlock Holmes: Repräsentation für eine fiktive Detektivfigur • mentales Bild eines Apfels: Repräsentation für einen Apfel Die wenigen Beispiele zeigen, wie unterschiedlich (i) Repräsentationen, (ii) die durch sie repräsentierten Dinge und (iii) die Beziehungen zwischen Repräsentationen und Bezeichneten geartet sein können. Unter den Repräsentationen finden sich beispielsweise: • Dinge (z.B. Wörter) und Sachverhalte oder Ereignisse (z.B. Metallausdehnung, Fußaufstampfen)3 • sinnlich wahrnehmbare Entitäten (z.B. Brandgeruch) und nicht sinnlichwahrnehmbare Entitäten (z.B. geistige Bilder)4 1

Vgl. zu dieser Bestimmung etwa Crane (2003), S. 11; Gottschling (2003), S. 106 Vgl. etwa Barwise/Perry (1987), S. 15ff. 3 Barwise/Seligman (1997), S. 13 2

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Zu den sinnlich wahrnehmbaren Entitäten gehören dabei Entitäten, die gesehen, gehört, gerochen, ertastet oder geschmeckt werden können (z.B. rote Flecken, Sprachäußerung, Brandgeruch, Fußabdrücke und Metallgeschmack) • Entitäten, die unabhängig von menschlichen Handlungen oder Prozessen entstanden sind (z.B. Morgendämmerung) und Entitäten, bei deren Entstehen maßgeblich Menschen beteiligt waren (z.B. Fußspuren)5 • Entitäten, die ohne die Funktion oder die Absicht hervorgebracht worden sind, etwas zu bezeichnen (z.B. Metallclips mit bestimmter Ausdehnung), und Entitäten, die mit der Funktion oder der Absicht hervorgebracht worden sind, etwas zu bezeichnen (z.B. Sprachäußerungen)6 Unter den repräsentierten Dingen lassen sich z.B. ausmachen: • Gegenstände (z.B. Apfel) und Sachverhalte oder Ereignisse (z.B. Zahnschmerzenhaben, Sonnenaufgang)7 • vergangene Entitäten (z.B. kosmische Ereignisse), gegenwärtige Entitäten (z.B. Feuer) und zukünftige Entitäten (z.B. kommender Sonnenaufgang)8 Unter den Beziehungen finden sich etwa: • Beziehungen, die garantieren, dass das Bezeichnete vorliegt, wenn das Zeichen vorliegt (z.B. Metallausdehnung → Temperaturhöhe), und Beziehungen, die es nur wahrscheinlich oder plausibel machen, dass das Bezeichnete vorliegt, wenn das Zeichen vorliegt (z.B. Sprachäußerung → innerer Zustand des Äußerers)9 • Beziehungen, die natürlich bestehen (z.B. Brandgeruch → Feuer), und Beziehungen, die erst durch menschliche Konventionen zustande kommen (z.B. "Tutanchamun" → Tutanchamun)10 4

Der Begriff des Zeichens wird oft enger definiert. Hiernach können nur sinnlichwahrnehmbare Entitäten Zeichen sein – s. z.B. Sebeok (2001), S. 3 oder Rossberg (2003), S. 689f. Ob nicht-sinnlich wahrnehmbare Entitäten ebenfalls zu den Zeichen zählen sollen, wurde bereits in der mittelalterlichen Zeichentheorie unterschiedlich bewertet, s. etwa Meier-Oeser (1989) 5 Vgl. Scholz (2004), S. 97 6 Vgl. Dretske (1995), S. 6ff. 7 Vgl. etwa Crane (2003), S. 12 8 Vgl. etwa Meier-Oeser (1989), S. 997 9 Vgl. z.B. Meier-Oeser (1989), S. 997 10 Vgl. Scholz (2004), S. 97

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Der Ausdruck "Repräsentation" soll im weiteren Verlauf der Arbeit nur auf eine eingeschränkte Menge dieser Zeichen angewendet werden: auf die Menge von Zeichen, die (i) gegenständlich, (ii) sichtbar, (iii) aus menschlichen Handlungen hervorgegangen und (vi) mit einer Bezeichnungsabsicht geschaffen worden sind. Gemäß dieser engeren Verwendungsweise zählen die Zeichnung von Sherlock Holmes oder die Inschrift "Tutanchamun" weiterhin zu den Repräsentationen, nicht aber die Morgendämmerung, der Brandgeruch, die Sprachäußerung oder der Metallclips. Wenn im Rahmen dieser Arbeit von einem "Repräsentationssystem" gesprochen wird, ist somit ein System gemeint, das gegenständliche, sichtbare, aus menschlichen Handlungen hervorgegangene und mit Bezeichnungsabsicht geschaffene Repräsentationen umfasst. Wie aber sind Repräsentationssysteme aufgebaut? Aus welchen Bestandteilen setzen sie sich zusammen? Wie funktionieren sie? Um diese Fragen zu beantworten, soll im Folgenden nach einer geeigneten Einsetzung in das Schema RS gesucht werden. (RS)

Etwas ist genau dann ein Repräsentationssystem, wenn _____.

Ein Satz, der aus einer Einsetzung in das Schema RS hervorgeht, soll als eine Explikation des Repräsentationsbegriffs verstanden werden.

2.2 Musterbeispiele und Adäquatheitsbedingungen. Wird versucht, eine geeignete Einsetzung in RS zu finden, lässt sich auf eine Reihe von Adäquatheitsbedingungen zurückgreifen. Mit ihrer Hilfe kann überprüft werden, ob und wie angemessen eine bestimmte Einsetzung ist. Neben den allgemeinen Adäquatheitsbedingungen AÄ1-AÄ5 lassen sich u.a. die folgenden drei Bedingungen nennen: (SÄ1) Es gibt Entitäten, die als Musterbeispiele für Repräsentationssysteme betrachtet werden können. Z.B.:11 • das Schriftdeutsche • eine Sprache der Prädikatenlogik 1. Stufe 11

Vgl. Barwise/Seligman (1997), S. 235; Wilson (1999), S. 915

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• das System der Venn-Diagramme • das System der Landkarten • das System realistischer Abbildungen Diese Entitäten sollten unter das Explikat der Explikation fallen. (SÄ2) Eine Explikation des Begriffs des Repräsentationssystems sollte die folgenden Überlegungen und Intuitionen berücksichtigen: i) Repräsentationssysteme können von verschiedenen Personen verwendet werden, um Überzeugungsinhalte auszutauschen12 ii) Repräsentationssysteme sind in einer endlichen Zeit erlernbar, obwohl sie zum Teil unendlich viele Zeichen enthalten13 iii) Zumindest einige Repräsentationssysteme sind produktiv: Beherrscht eine Person das System S, kann sie Zeichen von S hervorbringen, die zuvor noch nicht hervorgebracht worden sind. Andere Personen, die S ebenfalls beherrschen, können diese Repräsentationen verstehen, obwohl sie bis zu diesem Zeitpunkt noch keinen Kontakt mit ihnen hatten.14 (SÄ3) Die Explikation des Begriffs des Repräsentationssystems sollte die folgenden Überlegungen und Intuitionen berücksichtigen: i) Ein- und dieselbe Entität kann mehreren Repräsentationssystemen als Zeichen angehören und in jedem System für etwas anderes stehen.15 Der folgende Ausdruck Z1 gehört beispielsweise dem Deutschen und dem Englischen an. Im Deutschen ist er gleichbedeutend mit "beinahe", im Englischen mit "schnell" (Z1) "fast" ii) Ein- und dieselbe Entität kann in ein- und demselben Repräsentationssystem für unterschiedliche Dinge stehen. 12

Vgl. Rosenberg (1974), S. 2 u. 8 Vgl. Rosenberg (1974), S. 3 u. 8 14 Vgl. etwa Barwise/Perry (1987), S. 41f.; Foellesdal/Walloe/Elster (1988), S. 209; Rosenberg (1974), S. 3f. 15 Vgl. Devlin (1991), S. 29; Scholz (2004), S. 103 13

39

So ist es zum einen möglich, dass sie in verschiedenen Zusammenhängen unterschiedliche Dinge repräsentiert.16 Der Satz S1 steht im Deutschen etwa für unterschiedliche Sachverhalte – je nachdem, wer S1 niederschreibt. (S1) "Ich tanze jeden Morgen Limbo" Zum anderen kann es sein, dass sie in ein- und demselben Zusammenhang für unterschiedliche Sachen steht.17 Der folgende Satz S2 repräsentiert im Deutschen z.B. zwei unterschiedliche Sachverhalte – unabhängig davon, wer ihn wann und wo niederschreibt: den Sachverhalt, dass Herr Trurl ein Sitzmöbel sieht, und den Sachverhalt, dass Herr Trurl ein Geldinstitut erblickt. (S2) "Herr Trurl sieht eine Bank" iii) Es gibt Entitäten, die in einem Repräsentationssystem für nichts aktual Existierendes stehen und trotzdem als Zeichen des Systems betrachtet werden.18 Eine Zeichnung von Sherlock Holmes steht beispielsweise für nichts, das existiert hat, existiert oder jemals existieren wird. Dennoch wird sie dem System realistischer Abbildungen zugerechnet und als Repräsentation (für etwas) betrachtet. iv) In bestimmten Fällen scheinen sich materiell verschiedene Repräsentationen als ein- und dieselbe Repräsentation bezeichnen zu lassen.19 So sind die beiden folgenden Zeichen Z2 und Z3 materiell verschieden. Dennoch scheint es plausibel zu sein, beide in einer anderen Hinsicht als ein- und dieselbe Repräsentation zu betrachten: 16

Vgl. etwa Barwise/Perry (1987), S. 5 u. 44 Vgl. Barwise/Perry (1987), S. 53 18 Vgl. Crane (2003), S. 12 19 Vgl. etwa Baumann (2002), S. 143; Haack (1978), S. 75 17

40

(Z2) "Tutanchamun" (Z3) "Tutanchamun"

2.3 Repräsentationssysteme – ein Modell. Eine Möglichkeit, den Begriff des Repräsentationssystems zu explizieren, besteht darin, Repräsentationssysteme als Entitäten zu modellieren, die sich aus einem syntaktischen Teil und einem semantischen Teil zusammensetzen. Der syntaktische Teil eines Repräsentationssystems S betrifft die Merkmale der Zeichen von S und ihre Struktur. Er setzt sich zusammen aus: (a) aus einer Menge TOK von Repräsentationstoken, (b) einer Menge TYP von Repräsentationstypen, (c) einer Relation K von TOK in TYP und (d) einer Struktur ST über TYP. zu (a) Menge TOK von Repräsentationstoken: Die Menge der Token von S wird durch materielle Entitäten gebildet, die sichtbar sind und niedergeschrieben oder verwendet werden, um in S etwas zu bezeichnen.20 Die folgenden vier Inschriften S1-S4 gehören z.B. zu der Menge TOK des Schriftdeutschen: (S1) (S2) (S3) (S4)

"Marie und Herr Schmidt trinken Tee" "Marie und Herr Schmidt trinken Tee" "Marie und Herr Schmidt trinken Tee" "Marie und Herr Schmidt trinken Kaffee"

Im Fall vieler Systeme lassen sich die Repräsentationstoken in atomare und zusammengesetzte Token unterteilen:21 Ein Token von S ist zusammengesetzt, wenn es gebildet werden kann, indem andere Token von S zusammengestellt werden. Es ist atomar, wenn es keine Token von S als echten Bestandteil enthält. Bei S1-S4 handelt es sich in allen Fällen um zusammengesetzte Token. Das folgende Token Z4 ist hingegen ein atomares Token des Schriftdeutschen: 20 21

Vgl. etwa Klaus (1973), S. 58 u. 144; Scholz (2004), S. 109ff. Goodman (1998), S. 137ff.

41

(Z4) M zu (b) Menge TYP von Repräsentationstypen: Die Menge der Repräsentationstypen von S wird durch abstrakte, nicht sinnlich-wahrnehmbare Entitäten gebildet, welche die Repräsentationstoken von S klassifizieren.22 Im Schriftdeutschen enthält TYP z.B. einen Satztyp, unter den S1-S3 fallen, nicht aber S4: den Satztyp "Marie und Herr Schmidt trinken Tee". Repräsentationstypen können als Mengen von Repräsentationstoken modelliert werden. Der Typ "Marie und Herr Schmidt trinken Tee" ist demnach die Menge aller Inschriften, die auf die gleiche Weise wie S1 buchstabiert werden. Der Typ "Marie und Herr Schmidt trinken Kaffee" ist die Menge aller Inschriften, die auf die gleiche Weise wie S4 buchstabiert werden, usw. Enthält ein Repräsentationssystem atomare und zusammengesetzte Token, unterscheiden sich die Repräsentationstypen ebenfalls in atomare und zusammengesetzte Typen: Ein Repräsentationstyp ist atomar, wenn die von ihm klassifizierten Token atomar sind – anderenfalls ist er zusammengesetzt.23 zu (c) Relation K von TOK nach TYP: Bei K handelt es sich um eine binäre Relation, die festlegt, welche Repräsentationstoken von S zu welchem Repräsentationstyp von S gehört. Steht ein Token t zu einem Typ T in der Relation K, ist t eine Instanziierung oder ein Vorkommnis von T (oder: t gehört T an, t ist ein Token vom Typ T).24 Im Schriftdeutschen legt K beispielsweise fest, dass S1-S3, nicht aber S4 dem Satztyp "Marie und Herr Schmidt trinken Tee" angehören. Werden Typen als Mengen von Repräsentationstoken aufgefasst, kann K als Elementbeziehung verstanden werden: t steht genau dann in K zu T, wenn t ∈ T. zu (d) Struktur ST über TYP: Die Struktur über die Typen von S bestimmt für alle zusammengesetzten Typen von S, auf welche Weise sie als aus anderen Typen zusammengesetzt betrachtet werden können: Setzt sich ein Typ von S aus mehr als zwei anderen Typen zusammen, ist es theore22

Vgl. Klaus (1973), S. 58, Scholz (2004), 109ff. Vgl. zum Aspekt des Klassifizierens: Bar-wise/Seligman (1997), S. 28ff.; Bremer/Cohnitz (2004), S. 181f. 23 Goodman (1998), S. 138f. 24 Vgl. Barwise/Seligman (1997), S. 28 u. 69; Bremer/Cohnitz (2004), S. 181f.

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tisch möglich, ihn sich als auf mehrere Weisen zusammengesetzt zu denken. Die Struktur von S schränkt diesen Kombinationsspielraum eventuell ein.25 Der schriftdeutsche Typ "Es stürmt" kann z.B. theoretisch als auf verschiedene Weise zusammengesetzt gedacht werden: "E" + "s stürmt", "Es s" + "türmt", "Es st" + "ürmt" usw. Auf Grund der Struktur des Schriftdeutschen gilt jedoch nur eine Kombination als syntaktisch korrekt: "E-s" + "s-t-ü-r-m-t". Der syntaktische Teil eines Repräsentationssystems S wird mit Hilfe eines syntaktischen Regelwerks beschrieben oder festgelegt.26 TOK, TYP, K und ST müssen dabei nicht immer vollständig und explizit definiert sein, sondern können zum Teil vorausgesetzt oder implizit erfasst sein. Ein syntaktisches Regelwerk von S wird auch als "Syntax von S" bezeichnet.27 Als Beispiele für syntaktische Regelwerke sollen im Folgenden die Regelwerke der Systeme SE, SAL und SPL1 angeführt und erläutert werden. Alle drei Systeme werden im weiteren Verlauf der Arbeit eine Rolle spielen: • Beispiel 1: Syntaktisches Regelwerk des Repräsentationssystems SE (D-1)

Die Menge der Repräsentationstypen von SE besteht aus der folgenden Typmenge: {∀x1(R11x1 → R12x1), p1, p2}

Die Syntax von SE erschöpft sich in der expliziten Angabe aller Typen von SE. Die Anzahl der Typen ist endlich. Alle sind atomar, so dass sich die Beschreibung der Struktur erübrigt. ("p" ist kein Typ von SE, "p1" somit kein zusammengesetzter Typ von SE.) Eine Angabe von TOK und K ist überflüssig: Sie lassen sich aus unserem üblichen Umgang mit Buchstaben und Zeichen ableiten. Jedes Vorkommnis von "p1" ist z.B. ein Token des Typs "p1" usw. 25

Vgl. Löbner (2002), S. 13f. Zum Unterschied zwischen einer festlegenden und einer beschreibenden Syntax s. etwa Klaus (1973), S. 60 f. 27 Vgl. z.B. Foellesdal/Walloe/Elster (1988), S. 209; Klaus (1973), S. 60f. 26

43

• Beispiel 2: Syntaktisches Regelwerk des Repräsentationssystems SAL28 (D-1)

Das Vokabular V von SAL besteht aus der folgenden Menge: [Satzbuchstaben] p1 p2 p3 p4 ... ¬ → [Junktoren] ) ( [Gliederungszeichen]

(D-2)

Etwas ist genau dann ein Ausdruck oder Repräsentationstyp von SAL, wenn es eine endliche und lineare Aneinanderreihung von Elementen des Vokabulars von SAL ist. (Beispiele: "→", "p3", "(p4 → (p3 → p1))", "p3→→ )p2 ((¬")

(D-3)

Die Menge der wohlgeformten Formeln oder Repräsentationstypen von SAL sei induktiv wie folgt definiert: 1. Jedes pi ist eine wohlgeformte Formel von SAL 2. Wenn A und B wohlgeformte Formeln von SAL sind, dann sind auch ¬A und (A → B) wohlgeformte Formeln von SAL 3. Nichts sonst ist eine wohlgeformte Formel von SAL (Beispiele: "p1" gemäß 1; "¬p1", "(¬p1 → p2)" u.a. gemäß 2)

In der Syntax von SAL wird mit Hilfe von D-1 und D-2 die unendlich große Menge der Repräsentationstypen von SAL festgelegt: D-1 listet die atomaren Typen von SAL auf. D-2 definiert in Rückgriff auf D-1 die Menge aller atomaren und zusammengesetzten Typen von SAL. In D-3 wird eine besondere Teilmenge der Typen von SAL bestimmt: die Menge derjenigen Typen, die 'später' für Überzeugungsinhalte oder Sachverhalte stehen, d.h. wahr oder falsch sein können. Durch die Art und Weise, wie diese Teilmenge definiert wird, wird implizit die Struktur der Menge angegeben: Eine wohlgeformte Formel "(p1 → (p2 → p3))" ist als etwas zu lesen, das aus den Typen "p1" und "p2 → p3" zusammengesetzt ist, nicht aus den Typen "p1 → p2" und "p3". In der Formel wird diese Struktur durch die Klammern deutlich gemacht. Auf Grund dieser Funktion werden die Klammern auch als "Gliederungszeichen" bezeichnet. 28

S. etwa Bühler (2000), S. 114-119

44

• Beispiel 3: Syntaktisches Regelwerk des Repräsentationssystems SPL129

29

(D-1)

Das Vokabular V von SPL1 besteht aus der folgenden Menge: [1-stellige Prädikatausdrücke] R11 R12 ... n R m ... [n-stellige Prädikatausdrücke] [Individuenkonstanten] a1 a2 a3 ... x1 x2 x3 ... [Individuenvariablen] ¬ ∨ ∧ → [Junktoren] ∀ ∃ [Quantoren] ) ( [Gliederungszeichen]

(D-2)

Etwas ist genau dann ein Ausdruck oder Repräsentationstyp von SPL1, wenn es eine endliche und lineare Aneinanderreihung von Elementen des Vokabulars von SPL1 ist. (Beispiele: "a1", "R21a1a3", "∀x1R31x1x1x1", "∀∃→R22a1))a2")

(D-3)

Ein Ausdruck von SPL1 ist genau dann ein Term von SPL1, wenn er ein Individuenbuchstabe ai oder eine Individuenvariable xi ist.

(D-4)

Die Menge der Satzfunktionen von SPL1 sei induktiv wie folgt definiert: 1. Wenn Rnm ein n-stelliger Prädikatausdruck von SPL1 ist und t1, ...,tn Terme von SPL1 sind, dann ist Rnmt1...tn eine Formel von SPL1. 2. Wenn A und B Formeln von SPL1 sind, dann sind auch ¬A, (A ∧ B), (A ∨ B) und (A → B) Formeln von SPL1. 3. Wenn A eine Formel von SPL1 und xi eine Individuenvariable von SPL1 ist, dann ist ∀xiA eine Formel von SPL1. 4. Wenn A eine Formel von SPL1 und xi eine Individuenvariable von SPL1 ist, dann ist ∃xi A eine Formel von SPL1 5. Nichts sonst ist eine Formel von SPL1. (Beispiele: "R21a1x2" und "R21a1a3" gemäß 1; "(R11a3 ∧ R21a1x2)" u.a. gemäß 2; "∀x2(R11a3 → R21a1x2)" u.a. gemäß 3; "∃x5(R11a3 → R21a1x2)" u.a. gemäß 4)

S. Bühler (2000), S. 119-125

45

(D-5)

Für eine Formel von SPL1 der Gestalt ∀xiA oder ∃xiA gilt: A ist der Bereich oder Skopus des Quantorenvorkommnis "∀" oder "∃". (Beispiel: "(R11a3 → R21a1x2)" ist der Bereich von "∀x2(R11a3 → R21a1x2)")

(D-6)

Ein Vorkommnis einer Variablen xi in einer Formel A von SPL1 ist genau dann ein gebundenes Vorkommnis, wenn (i) es unmittelbar dem Vorkommnis eines Quantoren folgt oder (ii) es innerhalb des Bereichs eines Quantorenvorkommnisses liegt, dem ein Vorkommnis der Variablen xi unmittelbar folgt. Ein Vorkommnis einer Variablen xi in einer Formel A von SPL1 ist genau dann ein freies Vorkommnis, wenn es kein gebundenes Vorkommnis ist. (Beispiele: Beide Vorkommnisse von "x1" in "∀x1(R11a3 → R21a1x1)" sind gebunden, während das einzige Vorkommnis von "x1" in "∃x5(R11a3 → R21a1x1)" frei ist.)

(D-7)

Eine Formel A von SPL1 ist genau dann eine wohlgeformte Formel oder ein wohlgeformter Typ von SPL1, wenn sie keine freien Vorkommnisse irgendeiner Variablen enthält. (Beispiele: "R21a5a6"; "(¬R11a1 → ¬R31a1a2a3)"; "∀x1(R11x1 → R12x1)")

In der Syntax von SPL1 wird mit Hilfe von D-1 und D-2 die Menge der Repräsentationstypen von SPL1 festgelegt. D-1 zählt die atomaren Typen von SPL1 auf. D-2 bestimmt in Rückgriff auf D-1 die unendlich große Menge aller atomaren und zusammengesetzten Typen. Die unendlich große Teilmenge der wohlgeformten – später wahrheitswerttragenden – Repräsentationstypen von SPL1 wird in D-7 definiert. D-3 bis D-6 bereiten diese Definition vor. Wieder kann die Art und Weise, wie die Menge der wohlgeformten Typen definiert wird, als implizite Angabe der Struktur dieser Menge verstanden werden: "((R21a1a2 ∧ R21a2a3) → R21a1a3)" setzt sich aus den Ty-

46

pen "R21a1a2 ∧ R21a2a3" und "R21a1a3" zusammen, nicht aus den Typen "R21a1a2" und "R21a2a3 → R21a1a3". Die Klammern machen dies deutlich. Die Definitionen von TOK und K werden ausgespart. Der semantische Teil eines Repräsentationssystems S betrifft die Bedeutung der Zeichen von S. Er besteht aus (a) einer Menge OI intensionaler Entitäten, (b) einer Menge OE extensionaler Entitäten, (c) einer eventuell partiellen Funktion von OI nach OE, (d) einer Menge C von Kontexten und (e) einer Beziehung B von TYP nach OI relativ zu ST und C. zu (a) Menge OI von intensionalen Entitäten: Bei den Elementen von OI handelt es sich um die intensionalen Entitäten, die durch die Repräsentationen von S repräsentiert werden können.30 Zu ihnen können insbesondere Überzeugungsinhalte gehören – z.B. der Inhalt der Überzeugung, dass die Erde eine Scheibe ist, oder der Inhalt der Überzeugung, dass sich der Mars um die Erde dreht. Enthält OI Überzeugungsinhalte, wird OI oft auch Individuenbegriffe (z.B. 'Erde'), Eigenschaftsbegriffe (z.B. 'ist eine Scheibe') und Relationsbegriffe (z.B. 'dreht sich um') enthalten: In Überzeugungsinhalten scheinen Individuen-, Eigenschafts- und Relationsbegriffe auf irgendeine Weise verbunden zu werden. Eine gängige Methode, Überzeugungsinhalte zu repräsentieren, besteht daher darin, Zeichen, die für Individuen-, Eigenschafts- und Relationsbegriffe stehen, auf bestimmte Weise zu verknüpfen. zu (b) Menge OE von extensionalen Entitäten: Bei OE handelt es sich um die Menge der Entitäten, die durch die Elemente von OI repräsentiert werden können.31 Enthält OI Überzeugungsinhalte, gehören zu OE Sachverhalte und oftmals auch Individuen, Eigenschaften und Relationen (z.B. die Erde; die Eigenschaft, eine Scheibe zu sein; die Sich-Drehen-UmRelation). In den Zeichensystemen logischer Systeme werden Eigenschaften, Relationen und Sachverhalte oft durch Individuenmengen, Tupelmengen und Wahrheitswerte modelliert.32 30

Vgl. Klaus (1973), S. 67-77 Vgl. Klaus (1973), S. 67-77 32 Vgl. Klaus (1973), S. 125-131; Foellesdal/Walloe/Elster (1988), S. 217-223. S. etwa Bühler (2000), S. 85-95 u. S. 65-77 31

47

Die Eigenschaft, eine gerade Zahl zu sein, wird z.B. durch die Menge der geraden Zahlen wiedergegeben: {x : x ist eine gerade Zahl} = {2, 4, 6, 8, ...}. Die Kleiner-Als-Relation über die Menge der natürlichen Zahlen wird als eine Menge von 2-Tupeln dargestellt, deren erste Koordinate eine kleiner Zahl die zweite Koordinate ist: { : x ist kleiner als y} = {, , , ...}. Und der Sachverhalt, 2 + 2 = 4, wird durch den Wahrheitswert "Wahr" ("W") modelliert. intensional

extensional

modelliert

Individuenbegriffe Eigenschaftsbegriffe Relationsbegriffe Überzeugungsinhalte

Individuen Eigenschaften Relationen Sachverhalte

Individuen Mengen von Individuen Mengen von Individuentupeln Wahrheitswerte

Wird dieser Weg eingeschlagen, enthält OE Individuenmengen, Individuentupel und Wahrheitswerte statt Eigenschaften, Relationen und Sachverhalten. zu (c) Funktion O von OI nach OE: O ist eine möglicherweise partielle Funktion von OI nach OE, die bestimmt, welche Elemente von OE durch welche Elemente aus OI repräsentiert werden.33 Es gilt z.B.: 'Erde' →O Erde 'x dreht sich um y' →O Dreht-Sich-Um-Relation 'Der Mars dreht sich um die Erde' →O Der Mars dreht sich um die Erde zu (d) Menge C von Kontexten: Ein Kontext c von C ist eine Menge von Sachverhalten, die der Fall sein können, wenn ein Repräsentationstyp verwendet wird, indem ein Token dieses Typs hervorgebracht oder gebraucht wird. Die Sachverhalte von c betreffen u.a. die Fragen: Wer ist der Produzent und wer ist der Empfänger des Tokens? Zu welcher Zeit und an 33

Entsprechend Gottlob Freges Zeichentheorie, s. u.a. Frege (1982). Vgl. Keller (1995), S. 43-57; Löbner (2002), S. 22-27; Miller (1998), Kap. 1

48

welchem Ort ist es hervorgebracht worden? Zu welcher Zeit und an welchem Ort wird es empfangen? usw.34 zu (e) Relation B von TYP nach OI relativ zu ST und C: Bei B handelt es sich um eine Relation, die einigen oder allen Repräsentationstypen von S relativ zu der Struktur und zu den Elementen von C eine oder mehrere Elemente von OI zuweist. B kann zum einen strukturvariant oder strukturinvariant sein, zum anderen kontextvariant oder kontextinvariant. B ist strukturvariant, wenn mindestens ein Typ T1 von S gemäß ST als auf verschiedene Weise strukturiert betrachtet werden kann und B T1 relativ zu unterschiedlichen Strukturierungen unterschiedliche Bedeutungen zuweist.35 Anderenfalls ist B strukturinvariant. Die Relation B des Schriftdeutschen ist z.B. strukturvariant: Der Typ "Fiona kommt nicht zur Feier oder Christian bleibt zu Hause, wenn Marie fehlt" kann etwa als Satz mit der Struktur "A oder B" gelesen werden oder als Satz mit der Struktur "A, wenn B". Je nachdem, wie er gelesen wird, steht er für unterschiedliche Überzeugungsinhalte. Die Relation B des arabischen Ziffernsystems ist dagegen strukturinvariant: Selbst, wenn ein Typ wie "20317" unterschiedlich strukturiert sein sollte, wird er immer für dasselbe stehen: die Zahl 20317. B ist kontextvariant, wenn mindestens einem Typ nicht in Hinsicht auf alle Kontexte dasselbe zugewiesen wird. Anderenfalls ist sie kontextinvariant. Die Relation B des Schriftdeutschen ist kontextvariant: Dem Typ "Ich bin heute auf einer Parkbank eingeschlafen" werden z.B. verschiedene Überzeugungsinhalte zugewiesen – relativ zu der Frage, von wem und wann ein Token dieses Typs verwendet wird: 'Herr Schmidt ist am 1.1.2006 auf einer Parkbank eingeschlafen', 'Marie ist am 17.3.1892 auf einer Parkbank eingeschlafen' usw. Ist B struktur- und kontextinvariant, kann B als eine binäre Relation von TYP in OI beschrieben werden. Die Relation B erfüllt die Rolle einer Repräsentations- oder Stehen-fürRelation. Es lassen sich die folgenden Punkte festhalten: 34 35

Vgl. Löbner (2002), S. 7-9 Vgl. Klaus (1973), S. 68f., S. 87 u. S. 144-149

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1.) Ein Repräsentationstyp T repräsentiert eine Entität oI aus OI, wenn T zu oI in der Relation B steht. Ein Repräsentationstoken t repräsentiert oI, wenn t einem Typ T angehört, der oI repräsentiert. oI wird auch die "intensionale Bedeutung" oder "Intension" von T und t genannt.36 2.) Ein Repräsentationstyp T repräsentiert eine Entität oE aus OE, wenn (i) T zu einem oI aus OI in der Relation B steht, und (ii) oE der Wert der Funktion O mit dem Argument oI ist. Ein Repräsentationstoken t repräsentiert oE, wenn t einem Typ T angehört, der oE repräsentiert. oE wird auch die "extensionale Bedeutung" oder "Extension" von T und t genannt.37 Die indirekte Repräsentationsfunktion von TYP nach OE soll im Folgenden als Relation E bezeichnet werden.

B

Satztyp T "2 + 2 = 4"

Intension oI '2 + 2 = 4' E

O

Extension oE 2+2=4

K

Satztoken t "2 + 2 = 4"

3.) Die Menge der Repräsentationstypen kann in Blick auf die Relation E in die Menge der leeren und in die Menge der nicht leeren Typen unterschieden werden: Ein Typ ist leer, wenn er kein Element von OE repräsentiert (relativ zu allen Elementen von C). Anderenfalls ist er nicht leer. Wenn ein Typ T leer ist, kann dies unterschiedliche Gründe haben: (1) Es wird explizit festgelegt, dass T für kein Element aus OE steht ("Dies stehe für nichts"). (2) T wird durch B nicht erfasst (z.B. "gogg" im Schriftdeutschen). (3) T wird zwar durch B erfasst und steht für ein oI ∈ OI, oI 36 37

Vgl. etwa Foellesdal/Walloe/Elster (1988), S. 215f. Vgl. Foellesdal/Walloe/Elster (1988), S. 216f.

50

bekommt jedoch kein oE ∈ OE durch O zugewiesen (z.B. "die größte Primzahl" im Schriftdeutschen).38 Der semantische Teil eines Repräsentationssystems wird mit Hilfe eines semantischen Regelwerks beschrieben oder festgelegt. OI, OE, O, C und B sind dabei meist nicht vollständig oder explizit definiert, sondern werden zum Teil vorausgesetzt und ergeben sich implizit. Ein semantisches Regelwerk von S wird auch "Semantik von S" genannt.39 Als Beispiele für semantische Regelwerke sollen im Folgenden die Semantiken von SE, SAL und SPL1 vorgestellt und erläutert werden. Die Relationen B aller drei Repräsentationssysteme sind struktur- und kontextinvariant, so dass sich die semantischen Teile von SE, SAL und SPL1 auch als 4Tupel verstehen lassen. In den Beispielen 2 und 3 wird zwischen der Angabe eines Interpretationsschemas und der Angabe einer vollständigen Interpretation unterschieden.40 Diese Unterscheidung wird wichtig werden, wenn es um den formalen Folgerungsbegriff geht. • Beispiel 1: Semantisches Regelwerk des Repräsentationssystems SE (D-1)

Sei E die folgende Relation von der Menge der Typen von SE in die Sachverhaltsmenge {2 + 2 = 4, Es stürmt, Nachts sind alle Katzen grau}: E = {, , }

Die Semantik von SE erschöpft sich in der Angabe von OE und einer Beschreibung der Relation E. Die restlichen Bestandteile bleiben offen oder müssen aus D-1 rekonstruiert werden. OI wird z.B. in der Überzeugungsinhaltsmenge {'2 + 2 = 4', 'Es stürmt', 'Nachts sind alle Katzen grau'} bestehen. 38

Vgl. Goodman (1998), S. 141 ("vakant") Vgl. etwa Klaus (1973), S. 74 40 Vgl. hierzu Brun (2003), Kap. 6 39

51

• Beispiel 2: Semantisches Regelwerk des Repräsentationssystems SAL41 (D-1)

Die Belegungsfunktion b von SAL ist eine Funktion von der Menge der Satzbuchstaben von SAL in die Wahrheitswertmenge {W, F}.

(D-2)

Eine aussagenlogische Bewertungsfunktion vb, gegeben eine Belegung b, ist eine Funktion von der Menge der wohlgeformten Typen von SAL in die Wahrheitswertmenge {W, F} der Wahrheitswerte. Sie unterliegt folgenden Bedingungen: 1. Wenn A ein Satzbuchstabe ist, dann ist vb(A) = b(A) 2. Wenn A ein wohlgeformter Typ von SAL ist, dann gelte: vb(¬A) = W, wenn vb(A) = F; vb(¬A) = F, wenn vb(A) = W 3. Wenn A und B wohlgeformte Typen von SAL sind, dann ist: vb(A → B) = F, wenn vb(A) = W und vb(B) = F; vb(A → B) = W sonst

(D-3)

Die Relation E ist eine Relation von der Menge der wohlgeformten Typen von SAL in die Wahrheitswertmenge {W, F}. Sie entspricht vb*, wenn die folgende Belegung b* zugrunde gelegt wird: b*(p1) = b*(p2) = b*(p3) = W; b*(pi) = F, für alle i > 3

Die Semantik von SAL beschränkt sich darauf, (i) die extensionalen Entitäten anzugeben, die durch die wohlgeformten Typen von SAL bezeichnet werden (Wahrheitswerte), und (ii) die extensionale Relation E für die Menge der wohlgeformten Typen von SAL festzulegen. Um E zu bestimmen, wird in zwei Schritten vorgegangen: Zunächst wird in D-1 und D-2 festgelegt, was als eine zulässige extensionale Interpretation von SAL angesehen werden kann: Eine zulässige Interpretation weist jedem wohlgeformten Typ von SAL einen Wahrheitswert zu, wobei sich die Wahrheitswerte zusammengesetzter Typen auf eine ganz bestimmte Weise aus den Wahrheitswerten ihrer wohlgeformten Bestandteile und 41

Bühler (2000), S. 143-148

52

deren Verknüpfung ergeben müssen. Dann wird in D-3 eine solche zulässige Interpretation herausgegriffen, indem allen Satzbuchstaben Wahrheitswerte zugewiesen werden. (Die restlichen Wahrheitswerte ergeben sich aus den in D-2 beschriebenen Zwängen.) D-1 und D-2 können in diesem Sinne als die Angabe eines Interpretationsschemas für SAL verstanden werden, D-3 als Angabe einer vollständigen Interpretation. Implizit wird zudem auch einer Teilmenge der nicht-wohlgeformten Typen von SAL eine extensionale Bedeutung zugewiesen: Gemäß D-2 stehen die Junktoren für Wahrheitsfunktionen. "¬" steht für die Negationsfunktion, "→" für die Wenn-dann-Funktion. Modellieren lassen sich diese Funktionen als Mengen von Tupeln, deren Koordinaten Wahrheitswerte sind (z.B. "→": {, , , ). • Beispiel 3: Semantisches Regelwerk des Repräsentationssystems SPL142

42

(D-1)

Eine Interpretation J über einen nicht leeren Individuenbereich U ist eine Funktion, deren Definitionsbereich aus den Mengen der Individuenbuchstaben und der Relationsbuchstaben des Vokabulars von SPL1 besteht. Ihr Wertebereich ist der Individuenbereich U und aus ihm gebildete Mengen und Relationen. J hat folgende Eigenschaften: 1. J weist jedem Individuenbuchstaben ai ein Element aus U zu. 2. J weist jedem n-stelligen Relationsbuchstaben Rnm eine nstellige Relation J(Rnm) ⊆ Un zu.

(D-2)

Sei J eine Interpretation von SPL1 über U, s = eine unendliche Folge von Elementen aus U und t ein Term von SPL1. Dann sei s* eine Funktion, die folgende Zuweisungen durchführt: 1. Wenn t eine Individuenvariable xj ist, dann: s*(t) = sj 2. Wenn t eine Individuenkonstante aj ist, dann: s*(t) = J(aj)

Etwa Mendelson (1997), S. 56-64. Vgl. Bühler (2000), S. 167-178

53

(D-3)

Sei J eine Interpretation von SPL1 über U, s = eine unendliche Folge von Elementen aus U und B eine Satzfunktion von SPL1. Dann sei die Erfüllung von B durch s wie folgt definiert: 1. Wenn B eine atomare n-stellige Satzfunktion der Gestalt Rnmt1...tn ist, dann gilt: s erfüllt B genau dann, wenn ein Element von J(B) ist. 2. Wenn B eine Satzfunktion der Gestalt ¬A ist, dann gilt: s erfüllt B genau dann, wenn s nicht A erfüllt. 3. Wenn B eine Satzfunktion der Gestalt (A ∧ C) ist, dann gilt: s erfüllt B genau dann, wenn s A und C erfüllt. 4. Wenn B eine Satzfunktion der Gestalt (A ∨ C) ist, dann gilt: s erfüllt B genau dann, wenn s A oder C erfüllt. 5. Wenn B eine Satzfunktion der Gestalt (A → C) ist, dann gilt: s erfüllt B genau dann, wenn s nicht A erfüllt oder s C erfüllt. 6. Wenn B eine Satzfunktion der Form ∀xiA ist, dann gilt: s erfüllt B genau dann, wenn alle Sequenzen s#, die sich von s höchstens an der i-ten Stelle unterscheiden, A erfüllen. 7. Wenn B eine Satzfunktion der Form ∃xiA ist, dann gilt: s erfüllt B genau dann, wenn es mindestens eine Sequenz s# gibt, die sich von s höchstens an der i-ten Stelle unterscheidet und A erfüllt.

(D-4)

Ein wohlgeformter Typ bekommt genau dann den Wert "W" zugewiesen, wenn er von mindestens einer Sequenz erfüllt wird – ansonsten den Wert "F".

(D-5)

Die Relation E von SPL1 ist eine Relation von der Menge der wohlgeformten Repräsentationstypen von SPL1 in die Menge der Wahrheitswerte gemäß D-4 auf Basis der folgenden Interpretation: U = {x : x ist eine natürliche Zahl} J(ai) = i, für alle i J(R11) = {x : x ist gerade} J(R21) = { : x ist größer als y}

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J(R35) = { : z liegt zwischen x und y} J(Rnm) = ∅, für alle anderen n und m Die Semantik von SPL1 erschöpft sich in zwei Dingen: (1) Es werden die extensionalen Entitäten angeben, die durch die Satzfunktionen und wohlgeformten Typen von SPL1 bezeichnet werden können: Individuen aus U, Teilmengen von U, Tupelmengen, deren Koordinaten Elemente aus U sind, und Wahrheitswerte. (2) Es wird beschrieben, welche Elemente aus OE den Individuen, den Prädikatausdrücken und den wohlgeformten Typen von SPL1 zugewiesen werden. E wird wiederum in zwei Schritten festgelegt: In D1-D4 wird ein Interpretationsschema für SPL1 festgelegt, in D-5 in Rückgriff auf dieses Schema eine vollständige Interpretation. Aus D-3 lässt sich zudem die extensionale Bedeutung der Junktoren und Quantoren ableiten. So steht "∀" für die Eigenschaft der 'Allheit', "∃" für die Eigenschaft der Existenz. Modellieren lässt sich die Eigenschaft der Allheit als Menge mit U als einzigem Element, die Eigenschaft der Existenz als Menge aller Teilmengen von U. In das Schema RS soll somit die folgende Einsetzung vorgenommen werden: (RS-9T)

Etwas ist genau dann ein Repräsentationssystem, wenn es ein 9Tupel ist. Es gilt: TOK ist eine Menge von Repräsentationstoken, TYP ist eine Menge von Repräsentationstypen, K eine Relation von TOK nach TYP, ST eine Struktur über TYP, OI eine Menge intensionaler Entitäten, OE eine Menge extensionaler Entitäten, O eine möglicherweise partielle Funktion von OI nach OE, C eine Menge von Kontexten und B eine Relation von TYP nach OI relativ zu ST und C.

Das in RS-9T festgehaltene Modell der Repräsentationssysteme ist in bestimmten Hinsichten unpräzise und klapperig. Einige Begriffe und Formulierungen müssten genauer erläutert werden: Worin besteht eine Struktur über TYP? Wie lässt sie sich modellieren? Was sind Sachverhalte? Gibt

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es sie überhaupt?43 Was genau sind intensionale Entitäten? Sind sie rein subjektiv oder objektiv und abstrakt?44 Welche Sachverhalte bilden einen Kontext? Wie lässt sich der Zusammenhang zwischen Token, Typ und intensionaler Entität beschreiben, wenn eine kontextvariante Bedeutungszuweisung B vorliegt? usw. Zudem enthält das Modell Elemente, die philosophisch umstritten sind: Gemäß RS-9T bestimmt die Intension eines Repräsentationstyps vollständig seine Extension. Insbesondere Hilary Putnam hat jedoch Argumente gegen eine solche Konzeption vorgebracht. Stark vereinfacht kann seine Argumentation wie folgt wiedergegeben werden:45 Angenommen, es gibt in der Milchstraße einen Planeten ("Zwerde"), der unserem Planeten in fast allen Hinsichten gleicht. Alle Gegenstände, Personen, historische Ereignisse und alltägliche Geschehnisse auf der Erde finden sich auch auf der Zwerde. So leben auf der Zwerde Personen, die ein Repräsentationssystem verwenden, das sie als das "Schriftdeutsche" bezeichnen und das den Typ "Wasser" enthält. Neben der unterschiedlichen Position im Raum unterscheidet sich die Zwerde jedoch in einem weiteren Punkt von der Erde: Die Flüssigkeit, die in der Zwerde bei Regen vom Himmel fällt, durch die Flüsse fließt und von den deutschsprechenden Personen als "Wasser" bezeichnet wird, ist nicht H2O, sondern eine andere Flüssigkeit mit der Struktur XYZ. Phänomenal unterscheidet sich XYZ allerdings nicht von H2O. Wenn Begriffe nun Beschreibungen 'in den Köpfen' der Leute sind, kann die Intension eines Repräsentationstyps nicht vollständig die Extension des Typs bestimmen: Als die chemische Struktur von Wasser noch nicht entdeckt war, bestanden der Begriff von Wasser und der Begriff 'XYZ' in derselben mentalen Beschreibung: 'klare, geruchslose, trinkbare Flüssigkeit, die Durst löscht, bei Regen vom Himmel fällt, durch Flüsse fließt, aus einer Quelle sprudelt usw.'. Somit verband Marie 1750 denselben Begriff mit dem Typ "Wasser" wie ihre Zwoppelgängerin Marie* auf der Zwerde. Dennoch war die Extension von "Wasser" verschieden: auf der Erde H2O und auf der Zwerde XYZ. 43

S. etwa Runggaldier/Kanzian (1998), S. 198-218 Vgl. Bühler (1998) 45 S. Putnam (1990), S. 31-37. Zur Diskussion des Gedankenexperiments s. insbesondere Cohnitz (2006), S. 122f. u. S. 229-233 44

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(Als Reaktion auf Putnams Argument könnte das vorgestellte Modell auf folgende Weise abgeändert werden: Die Funktion O wird gestrichen und durch eine direkte, von B unabhängige Relation E von TYP nach OE ersetzt.) Trotz dieser Mängel und Streitpunkte sollte das Modell tragfähig genug sein, um diejenigen Aspekte von Repräsentation untersuchen zu können, die den logischen Status nicht-sprachlicher Zeichen betreffen. Positiv festhalten lässt sich, dass RS-9T sich in Bezug auf die meisten Adäquatheitsbedingungen als angemessen erweist. So kann in Blick auf die allgemeinen Bedingungen angeführt werden: RS-9T ist so formuliert, dass sprachliche und nicht-sprachliche Repräsentationssysteme möglich sind (AÄ5). Die Beispiele 2 und 3 haben gezeigt, dass dem Modell sprachliche Systeme untergeordnet werden können, die in der modernen Logik eine zentrale und fruchtbare Rolle spielen (AÄ5, AÄ4, AÄ1, SÄ1). Auf ähnliche Weise könnten aber auch VennDiagramm- und Landkartensysteme beschrieben werden (AÄ5, AÄ1, SÄ1). Zudem scheinen die speziellen Adäquatheitsbedingungen SÄ2 und SÄ3 erfüllt zu sein: 1.) Wie die Beispiele 1-3 gezeigt haben, ist es zumindest in einigen Fällen möglich, den syntaktischen und semantischen Teil eines Repräsentationssystems so zu beschreiben, dass verschiedene Personen das System in einer endlichen Zeit erlernen können – selbst, wenn die Menge der bedeutungsvollen Typen unendlich groß ist (SAL und SPL1). Ein wichtiges Hilfsmittel bildet hierbei die Methode der induktiven oder rekursiven Definition. So wurde beispielsweise die unendlich große Menge der wohlgeformten Typen von SAL beschrieben, indem zunächst einige Typen von SAL als wohlgeformte Grundelemente festgelegt wurden (1. Klausel von D-2). Dann wurde definiert, wie sich alle anderen wohlgeformten Typen aus diesen Grundelementen zusammensetzen lassen (2. Klausel von D-2). Die Beschreibung von E konnte sich an diesen induktiven Aufbau 'hängen': Zunächst wurde den Grundelementen eine Bedeutung zugewiesen. Dann wurde bestimmt, wie sich die Bedeutung zusammengesetzter Typen aus der Bedeutung der Grundelemente und der Art ihrer Verknüpfung ergibt.

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Die Möglichkeit, die Menge der Zeichen induktiv zu beschreiben und die Bedeutungszuweisung hieran zu koppeln, scheint zudem die Produktivität von Repräsentationssystemen erklären zu können. 2.) Die Ausführungen zu RS-9T lassen die folgenden Möglichkeiten zu: (1) Ein Typ gehört unterschiedlichen Repräsentationssystemen an und bedeutet je nach System etwas anderes. (2) Einem Typ werden in einem System relativ zu verschiedenen Kontexten verschiedene Bedeutungen zugewiesen. (3) Ein Typ erhält in einem System relativ zu einem Kontext verschiedene Bedeutungen. (4) Einem Typ wird keine intensionale Bedeutung zugewiesen oder eine Intension, die für nichts Extensionales steht. Die Unterscheidung zwischen Typ und Token fängt zudem unsere Intuitionen über Z2 und Z3 ein: Z2 und Z3 sind Repräsentationstoken ein- und desselben Repräsentationstyps "Tutanchamun".

2.4 Eigenschaften von Repräsentationssystemen. In einer Syntax und Semantik werden die speziellen syntaktischen und semantischen Eigenschaften eines Systems beschrieben. Syntax und Semantik sind somit immer auf ein spezielles Repräsentationssystem bezogen, so dass sich von der Syntax und Semantik des Schriftdeutschen, der Syntax und Semantik des Venn-Diagramm-Systems usw. sprechen lässt.46 Die syntaktischen und semantischen Eigenschaften von Repräsentationssystemen können jedoch auch von einem allgemeineren Standpunkt aus untersucht und beschrieben werden: Welche Eigenschaften sind allen Repräsentationssystemen gemeinsam? In welchen Hinsichten können sich Systeme unterscheiden? Welche Folgen haben bestimmte syntaktische und semantische Eigenschaften für den Umgang mit Systemen, die diese Eigenschaften aufweisen? usw. In diesem Sinn lässt sich auch von einer "allgemeinen Syntax" und "allgemeinen Semantik" sprechen.47 Von einem solchen allgemeineren Standpunkt aus sollen im Folgenden einige Eigenschaften vorgestellt werden, die Repräsentationssystemen zukommen oder nicht zukommen können. Ein großer Teil dieser Eigenschaften wurde von Nelson Goodman in "Sprachen der Kunst"48 herausge46

Vgl. Klaus (1973), S. 62 Vgl. Klaus (1973), S. 62 48 Goodman (1998) 47

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arbeitet. Seine Charakterisierungen werden weitgehend übernommen und referiert.49 Zu den syntaktischen Eigenschaften, die hier vorgestellt werden, gehören: (a) syntaktische Disjunktheit, (b) syntaktische Differenziertheit, (c) syntaktische Dichte und (d) eindeutige syntaktische Lesbarkeit. Sie betreffen das Verhältnis zwischen einem Typ und seinen Token, das Verhältnis der Typen untereinander oder die Struktur von Typen. zu (a) Syntaktische Disjunktheit (Goodman): Ein Repräsentationssystem S ist genau dann syntaktisch disjunkt, wenn kein Repräsentationstyp von S ein Token besitzt, das zugleich Token eines anderen Typs von S ist.50 Ist ein System syntaktisch disjunkt, enthält es keine Repräsentationstypen, die sich irgendwelche Token teilen. Dies hat u.a. zur Folge, dass (i) jede materielle Entität höchstens einem Typ als Token angehört und (ii) alle Token eines Typs untereinander typ-indifferent sind: Keines der Token gehört einem Typ an, dem nicht auch die anderen Token angehören.51 Ein Beispiel für ein syntaktisches disjunktes System ist das Schriftdeutsche SSD: Jede materielle Entität, die ein Token des Deutschen darstellt, gehört nur einem Typ an – auch, wenn nicht immer klar ist, welchem (z.B. auf Grund schlechter Handschrift). Unterschiedliche Typen des Schriftdeutschen können daher keine Token gemeinsam haben. Ein Beispiel für ein nicht syntaktisch disjunktes System ist das System SSD-O: SSD-O entspricht dem Schriftdeutschen bis auf den Umstand, dass ein materielles Kreisgebilde "c" dem Buchstabentypen "O" und dem Zahlentyp "0" angehört.52 In SSD-O gehören alle materiellen Entitäten, die ein solches Kreisgebilde sind oder enthalten, zwei verschiedenen Typen an. Beispielsweise ist das folgende Token S5 in SSD-O eine Instanz des Typs "Mein Passwort lautet "XYO12"" und eine Instanz des Typs "Mein Passwort lautet "XY012"": (S5) Mein Passwort lautet "XYc12" 49

Vgl. hierzu die Darstellungen in Cohnitz/Rossberg (2006), Kap. 6; Scholz (2004), Kap. 4 50 S. Goodman (1998), S. 129f.; Goodman/Elgin (1989), S. 162. Vgl. auch Kjoerup (1998), S. 2322; Scholz (2004), S. 117ff. 51 Ebd. 52 Das Beispiel ist Perini (2005), S. 270 entnommen

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zu (b) Syntaktische Differenziertheit (Goodman): Ein Repräsentationssystem S ist genau dann syntaktisch differenziert, wenn alle Repräsentationstypen von S syntaktisch differenziert sind. Zwei Repräsentationstypen T und T* sind genau dann syntaktisch differenziert, wenn für jede materielle Entität e, die nicht T und T* zugleich angehört, gilt: Zu bestimmen, dass e nicht zu T oder dass e nicht zu T* gehört, ist theoretisch möglich. Zwei Typen T und T* sind somit genau dann nicht syntaktisch differenziert, wenn gilt: Es gibt mindestens eine Entität e, die nicht Token von T und T* zugleich ist, in Bezug auf die es aber selbst theoretisch nicht möglich ist zu bestimmen, dass sie T nicht angehört oder dass sie T* nicht angehört.53 Ein Beispiel für ein syntaktisch differenziertes Repräsentationssystem ist das arabische Ziffernsystem: Die Typen dieses Systems sind so beschaffen, dass sich zumindest theoretisch für jedes Gebilde feststellen lässt, ob es einem bestimmten Typ T angehört oder nicht – auch, wenn dies praktisch nicht immer möglich sein wird (z.B. auf Grund verblasster Tinte oder mangelnder Sehschärfe). Beispielsweise gilt für die folgende materielle Entität Z5: Sie gehört nicht den Typen "0,75" und "0,5" zugleich an, und wir können feststellen, dass sie keine Instanz des Typs "0,5" ist. (Z5) 0,75 Ein Beispiel für ein nicht syntaktisch differenziertes System ist das Strichsystem SSTR-1, welches nur zwei Repräsentationstypen besitzt:54 Dem ersten Typ gehören alle Strichtoken an, die kürzer als 1 cm sind, dem zweiten Typ alle anderen Strichtoken. Bei einem Token, das ungefähr 1 cm lang ist, kann also der feinste Unterschied in der Länge einen Unterschied in der Typzugehörigkeit ausmachen: Ist es 0,999... cm lang, ist es eine Instanz des ersten Typs; ist es 1,000... cm lang, ist es eine Instanz des zweiten Typs. Da die Möglichkeiten, die genaue Länge eines Strichgebildes zu messen, praktisch und theoretisch beschränkt sind, wird es im Fall bestimmter Gebilde nicht möglich sein, die Typzugehörigkeit zu ermitteln. 53

Goodman (1998), S. 131-133; Goodman/Elgin (1989), S. 167. Vgl. auch Kjoerup (1998), S. 2323; Scholz (2004), S. 118ff. 54 Vgl. Goodman (1998), S. 131

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zu (c) Syntaktische Dichte (Goodman): Ein Repräsentationssystem ist genau dann syntaktisch dicht, wenn es unendlich viele Typen besitzt, die entlang irgendeiner syntaktisch relevanten "Dimension" so geordnet werden können, dass es zwischen zwei beliebigen Typen immer einen dritten gibt.55 Der Begriff der Dichte ist dem Bereich der Mathematik entlehnt.56 Eine Relation R über eine Menge M wird hier als "dicht" bezeichnet, wenn für zwei beliebige, unterschiedliche Elemente x und y aus M gilt: Wenn x und y in der Relation R zueinander stehen, dann gibt es ein weiteres Element z, so dass x zu z und z zu y in der Relation R steht. So ist die Kleiner-alsRelation über die Menge der rationalen Zahlen dicht: Zwischen zwei beliebigen, voneinander unterschiedenen rationalen Zahlen liegt immer eine dritte rationale Zahl. Über die Menge der natürlichen Zahlen ist die Kleiner-Als-Relation dagegen nicht dicht: Zwischen zwei beliebigen, voneinander verschiedenen natürlichen Zahlen liegt nicht immer eine dritte Zahl, beispielsweise nicht zwischen Sieben und Acht. Ein Beispiel für ein syntaktisch dichtes System ist das Strichsystem SSTR57 2: SSTR-2 enthält eine unendliche Anzahl von Strichtypen. Die Länge eines Strichs ist dabei das einzige syntaktisch relevante Merkmal: Alle Strichgebilde gleicher Länge gehören einem gemeinsamen Typ an. Sind zwei Strichgebilde unterschiedlich lang, bilden sie dagegen Instanzen unterschiedlicher Typen – so winzig der Unterschied auch sein mag. Die Strichtypen von SSTR-2 lassen sich somit nach der Länge ihrer Token ordnen. Da bereits der kleinste Längenunterschied syntaktisch relevant ist, wird sich für jedes Paar unterschiedlicher Zeichentypen T1 und T2 ein anderer Typ T3 finden lassen, der in der Ordnung zwischen T1 und T2 liegt. Für den Strichtyp, dessen Token 0,555 cm lang sind, und den Strichtyp, dessen Token 0,556 cm lang sind, lässt sich beispielsweise der Typ angeben, dessen Token 0,5558 cm lang sind. Ein Beispiel für ein nicht syntaktisch dichtes System ist das Strichsystem SSTR-3: SSTR-3 enthält ebenfalls eine unendliche Anzahl von Strichtypen, deren einziges syntaktisch relevantes Merkmal die Strichlänge ist. Aller55

Goodman (1998), S. 133; Goodman/Elgin (1989), S. 168. Vgl. auch Kjoerup (1998), S. 2323f.; Schirra (1999), S. 106-108; Scholz (2004), S. 118ff. 56 Vgl. Schirra (1999), S. 108-112 57 Vgl. Goodman (1998), S. 133

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dings gilt: Die Menge der Token, die 0-1 cm lang sind, bildet einen Typ; die Menge der Token, die 2-3 cm lang sind, bildet einen Typ; die Menge der Token, die 3-4 cm lang sind, bildet einen Typ usw. Ansonsten bildet nichts einen Typ. Werden die Typen von SSTR-3 nach der Länge ihrer Token geordnet, wird sich nicht für alle Typ-Paare T1 und T2 ein Typ T3 angeben lassen, der in der Ordnung zwischen T1 und T2 liegt. Beispielsweise liegt zwischen dem Strichtyp, dessen Token 0-1 cm lang sind, und dem Strichtyp, dessen Token 2-3 cm lang sind, kein weiterer Repräsentationstyp. zu (d) Eindeutige syntaktische Lesbarkeit: Ein Repräsentationssystem S ist genau dann eindeutig syntaktisch lesbar (bezüglich einer bestimmten Teilmenge M seiner Typen), wenn jeder Typ (von M) gemäß der Struktur von S nur auf eine Weise als aus weniger komplexen Typen zusammengesetzt analysiert werden kann.58 Ein Beispiel für ein System, das bezüglich seiner wohlgeformten Typen eindeutig syntaktisch lesbar ist, ist SAL: Jeder zusammengesetzte, wohlgeformte Typ von SAL besitzt nur eine Art und Weise, wie er aus einfacheren Typen von SAL zusammengesetzt betrachtet werden kann. Ein Beispiel für ein System, das nicht eindeutig lesbar ist, ist das Schriftdeutsche: Ein Typ wie "Fiona kommt nicht zur Feier oder Christian bleibt zu Hause, wenn Marie fehlt" kann gemäß der Struktur des Schriftdeutschen als Wenn-Dann- oder als Oder-Satz verstanden werden. Das heißt: Er kann als etwas analysiert werden, das sich aus den Typen "Fiona kommt nicht zur Feier oder Christian bleibt zu Hause" und "Marie fehlt" zusammensetzt, oder als etwas, das sich aus den Typen "Fiona kommt nicht zur Feier" und "Christian bleibt zu Hause, wenn Marie fehlt" zusammensetzt. Zu den semantischen Eigenschaften, die hier vorgestellt werden sollen, gehören: (a) semantische Disjunktheit, (b) semantische Differenziertheit, (c) semantische Dichte, (d) semantische Eindeutigkeit, (e) Kontextinvarianz und (f) Besitz von wahrheitswertfähigen Repräsentationen. Die Eigenschaften a-c werden im weiteren Verlauf der Arbeit keine Rolle spielen, sollen aber der Vollständigkeit halber aufgeführt werden. zu (a) Semantische Disjunktheit (Goodman): Ein Repräsentationssystem S ist genau dann semantisch disjunkt, wenn S keine zwei Repräsentations58

Vgl. etwa Foellesdal/Walloe/Elster (1988), S. 211f.; Löbner (2002), S. 46

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typen enthält, für die gilt: Sie (i) bekommen von E dasselbe Element aus OE zugewiesen, oder (ii) stehen gemäß E für zwei Mengen, die einander überschneiden, d.h. eine nicht-leere Schnittmenge besitzen.59 Ein Beispiel für ein semantisch disjunktes Repräsentationssystem ist das System der arabischen Ziffern: Es enthält keine zwei Ziffertypen, die gemäß E dieselbe Zahl bezeichnen. Das Schriftdeutsche ist dagegen ein Beispiel für ein nicht disjunktes System: Zum einen enthält es unterschiedliche Zeichentypen, die für dieselbe Entität stehen (z.B. "Morgenstern" und "Abendstern"; "Tierarzt" und "Veterinär"). Zum anderen besitzt es Ausdrücke, deren Extensionen sich echt oder unecht überschneiden (z.B. "rot" und "Gesicht"; "Tierarzt" und "Veterinär"). zu (b) Semantische Differenziertheit (Goodman): Ein Repräsentationssystem S ist genau dann semantisch differenziert, wenn alle Repräsentationstypen von S semantisch differenziert sind. Zwei Typen T und T* sind genau dann semantisch differenziert, wenn für jede Entität e, die nicht sowohl durch T als auch durch T* extensional bezeichnet wird, gilt: Zu bestimmen, dass e nicht von T repräsentiert wird oder dass e nicht von T* repräsentiert wird, ist theoretisch möglich.60 Ein Beispiel für ein semantisch differenziertes Repräsentationssystem ist das graphische System, mit dessen Hilfe Positionen von Schachfiguren repräsentiert werden können:61 Für jede Schachstellung, die nicht von zwei Diagrammtypen T und T* zugleich repräsentiert wird, gilt: Es lässt sich in endlich vielen Schritten feststellen, dass diese Stellung nicht durch T oder nicht durch T* bezeichnet wird. Als Beispiel für ein nicht differenziertes System wird von Goodman ein System angeführt, dessen Typen (oder: Charaktere) "aus vollständig gekürzten arabischen Bruchzahlen besteh[en] und physische Objekte entsprechend ihrem Gewicht in Bruchteilen von einer Unze als Erfüllungsgegenstände ha[ben]". Da selbst der kleinste Unterschied im Gewicht physischer Objekte dafür sorgt, dass sie durch unterschiedliche Typen repräsentiert 59

Goodman (1998), S. 146. Vgl. auch Kjoerup (1998), S. 2323; Scholz (2004), S. 124ff. 60 Goodman (1998), S. 148f. Vgl. auch Kjoerup (1998), S. 2323; Scholz (2004), S. 124ff. 61 Das Beispiel ist Cohnitz/Rossberg (2006), Kap. 6 entnommen

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werden, "wird es immer viele Charaktere geben derart, daß nicht einmal die feinste Messung bestätigen kann, daß ein Objekt sie nicht alle erfüllt"62. zu (c) Semantische Dichte (Goodman): Ein Repräsentationssystem S ist genau dann semantisch dicht, wenn die Typen von S extensional für Entitäten stehen, die entlang bestimmter "Dimensionen" so geordnet werden können, dass zwischen zwei beliebigen Entitäten immer eine dritte liegt.63 Ein Beispiel für ein semantisch dichtes System ist das Ziffernsystem der rationalen Zahlen: Werden rationale Zahlen ihrer Größe nach geordnet, wird sich für zwei beliebige unterschiedliche rationale Zahlen r1 und r2 immer eine dritte rationale Zahl r3 finden lassen, die von ihrer Größe her zwischen r1 und r2 liegt. Ein Beispiel für ein nicht dichtes System scheint das Ziffernsystem der natürlichen Zahlen zu sein: Werden natürliche Zahlen ihrer Größe nach geordnet, liegt nicht zwischen jedem Zahlenpaar n1 und n2 eine weitere Zahl n3. Zumindest in Blick auf die Dimension 'Größe' ist das System nicht semantisch dicht. zu (d) Semantische Eindeutigkeit (nach Goodman): Ein Repräsentationssystem S ist genau dann semantisch eindeutig, wenn S keinen Typ enthält, der ambig ist. Ein Typ ist genau dann ambig oder mehrdeutig, wenn die Relation B ihm hinsichtlich ein- und desselben Kontexts c mehrere Entitäten zuweist.64 Ein Beispiel für ein semantisch eindeutiges System ist das arabische Ziffernsystem: Jeder Zifferntyp repräsentiert in jedem Kontext nur eine Zahl – und nichts anderes. Das Schriftdeutsche ist hingegen ein nicht eindeutiges System: Es enthält mehrdeutige Typen wie "Bank" und "Herr Trurl sieht eine Bank". zu (e) Kontextinvarianz: Ein Repräsentationssystem S ist genau dann kontextinvariant, wenn die Relation B von S kontextinvariant ist – und somit im Regelfall auch die Relation E. Anderenfalls ist S kontextvariant.65 62

Goodman (1998), S. 148 Goodman (1998), S. 148f. Vgl. auch Kjoerup (1998), S. 2323; Scholz (2004), S. 125ff. 64 Vgl. Goodman (1998), S. 142ff. 65 Vgl. etwa Löbner (2002), S. 7-9 63

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(Theoretisch könnten nur extensional leere Typen von S kontextvariant sein.) Ein Beispiel für ein kontextinvariantes System ist das System der arabischen Ziffern, ein Beispiel für ein kontextvariantes System das Schriftdeutsche. SSD enthält beispielsweise den Typ "Ich sah Dich gestern hier herumlungern", dessen intensionalen und extensionalen Bedeutungen u.a. davon abhängen, wer wann und wo ein Token dieses Typs niederschreibt oder empfängt. zu (f) Besitz von wahrheitswertfähigen Repräsentationen: Ein Repräsentationssystem S besitzt genau dann wahrheitswertfähige Repräsentationen, wenn mindestens ein Typ von S relativ zu einem Kontext c in S wahr oder falsch ist. (Ob ein wahrheitswertfähiger Repräsentationstyp T wahr ist oder nicht, hängt somit von zwei Dingen ab: (i) dem System, dem T angehört, und (ii) verschiedenen Kontexten. Dass der Wahrheitswert eines Typs von dem System abhängt, lässt sich an Hand des Typs "Der Papst ist ein Mann" und den beiden Systemen SSD und SSD-MF illustrieren: SSD-MF entspricht dem Schriftdeutschen SSD bis auf einen Umstand: In SSD-MF steht der Typ "Frau" für Männer und der Typ "Mann" für Frauen. Als Typ von SSD verstanden, ist "Der Papst ist ein Mann" somit wahr, als Zeichen von SSD-MF begriffen, falsch. Tarski fasst diesen Punkt wie folgt: Folglich müssen wir den Begriff der Wahrheit ähnlich wie den Begriff des Satzes immer auf eine spezifische Sprache hin relativieren. Denn es ist offensichtlich, dass derselbe Ausdruck, der in einer Sprache ein wahrer Satz ist, in einer anderen falsch oder bedeutungslos sein kann.66

Dass der Wahrheitswert eines Typs vom Kontext abhängen kann, zeigt sich, wenn ein Satz wie "Ich habe fürchterliche Zahnschmerzen" betrachtet wird: Je nachdem, wen der Ausdruck "ich" auf Grund des Kontexts bezeichnet, kann der Satz mal wahr, mal falsch sein.67) 66 67

Tarski (1943), S. 342. Vgl. auch Tarski (1986), S. 450f. Vgl. Bühler (2000), S. 41ff.; Löbner (2002), S7ff.

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Welche Bedingungen vorliegen müssen, damit ein Typ in einem Repräsentationssystem S wahr oder falsch ist, ist umstritten. Zu finden ist eine geeignete Einsetzung in das folgende Schema:68 (WH)

Die Repräsentation R eines Repräsentationssystems S ist genau dann wahr-in-S (relativ zu einem Kontext c), wenn _____.

Klassische Einsetzungen in WH sind: (WH-KR) Die Repräsentation R eines Repräsentationssystems S ist genau dann wahr-in-S (relativ zu einem Kontext c), wenn der Sachverhalt besteht, den R in S repräsentiert (relativ zu c).69 (WH-IT) Die Repräsentation R eines Repräsentationssystems S ist genau dann wahr-in-S (relativ zu einem Kontext c), wenn die Annahme in gewissen Hinsichten nützlich ist, dass der Sachverhalt besteht, für den R in S steht (relativ zu c).70 (WH-KH) Die Repräsentation R eines Repräsentationssystems S ist genau dann wahr-in-S (relativ zu einem Kontext c), wenn sie Element einer kohärenten Menge von Repräsentationen von S ist (gegeben c).71 Im Rahmen dieser Arbeit soll Wahrheit grundsätzlich im korrespondenztheoretischen Sinn, also im Sinn von WH-KR verstanden werden. Ein Beispiel für ein System, das wahrheitswertfähige Repräsentationen besitzt, ist das Schriftdeutsche. Das arabische Ziffernsystem besitzt hingegen keine wahrheitswertfähigen Repräsentationen.

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Vgl. Kirkham (1997), S. 20-31 WH-KR formuliert die Grundidee korrespondenztheoretischer Wahrheitstheorien. Vgl. Kap. 1.1 70 WH-IT fasst die grundlegende Idee instrumentalistischer Wahrheitstheorien. Vgl. Kirkham (1997), S. 79-101 71 WH-KH gibt die Grundidee kohärenztheoretischer Wahrheitstheorien wieder. Vgl. etwa Kirkham (1997), S. 104-112 69

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2.5 Zusammenfassung. In diesem Kapitel wurde der Begriff des Repräsentationssystems mit Hilfe eines Modells expliziert: (RS-9T)

Etwas ist genau dann ein Repräsentationssystem, wenn es ein 9Tupel ist. Es gilt: TOK ist eine Menge von Repräsentationstoken, TYP ist eine Menge von Repräsentationstypen, K eine Relation von TOK nach TYP, ST eine Struktur über TYP, OI eine Menge intensionaler Entitäten, OE eine Menge extensionaler Entitäten, O eine möglicherweise partielle Funktion von OI nach OE, C eine Menge von Kontexten und B eine Relation von TYP nach OI relativ zu ST und C.

Der Begriff des Repräsentationssystems ist so bestimmt, dass sprachliche und nicht-sprachliche Systeme erfasst werden.

3. Logische Folgerung Der zweite Bestandteil eines logischen Systems L wird durch einen Folgerungsbegriff gebildet. Die Definition des Begriffs legt fest, welche Repräsentationen von SL aus welchen Repräsentationsmengen von SL folgen. Handelt es sich bei SL um die Sprache der Prädikatenlogik, bestimmt die Definition beispielsweise, welche prädikatenlogischen Sätze aus welchen prädikatenlogischen Satzmengen folgen. Der Folgerungsbegriff von L ist somit stets an das Repräsentationssystem von L gebunden. In diesem Sinn wird auch von prädikatenlogischer, aussagenlogischer oder modallogischer Folgerung gesprochen – je nachdem, ob sich ein Folgerungsbegriff auf eine prädikaten-, aussagen- oder modallogische Sprache bezieht. Die Definition eines Folgerungsbegriffs kann als Versuch betrachtet werden, einen vortheoretischen, systemübergreifenden Folgerungsbegriff zu explizieren und in Bezug auf ein bestimmtes Repräsentationssystem zu spezifizieren.1 Wesentlich für diesen vortheoretischen Begriff ist die Idee, dass der Wahrheitswert einer Repräsentation von den Wahrheitswerten der Elemente einer Repräsentationsmenge abhängen kann – dass z.B. ein bestimmter prädikatenlogischer Satz wahr sein muss, wenn alle Elemente einer bestimmten prädikatenlogischen Satzmenge wahr sind. In diesem Kapitel soll der vortheoretische Folgerungsbegriff genauer analysiert und auf verschiedene Weise expliziert werden. Die Explikationen müssen mit den klassischen sprachzentrierten Folgerungsbegriffen vereinbar sein, ohne die Möglichkeit nicht-sprachlicher Folgerung auszuschließen. In Abschnitt 3.1 wird der für diese Arbeit maßgebliche Folgerungsbegriff eingeführt, indem verschiedene Verwendungsweisen des Ausdrucks "Logische Folgerung" voneinander abgegrenzt werden. In Abschnitt 3.2 sollen einige Musterbeispiele und spezielle Adäquatheitsbedingungen angeführt werden, mit deren Hilfe überprüft werden kann, ob und wie angemessen eine Explikation dieses Begriffes ist. 1

Vgl. Blanchette (2002), S. 120; Etchemendy (1990), S. 1f.; Haack (1978), S. 14-17; Hanson (1997), S. 366; Tarski (1956b), S. 409f.

68

In den Abschnitten 3.3, 3.4, 3.5 und 3.6 werden vier verschiedene Explikationen des Begriffs vorgestellt: logische Folgerung als MöglicheWelten-Folgerung, als A-priori-Folgerung, als analytische Folgerung und als formale Folgerung. In Abschnitt 3.7 soll diskutiert werden, wie sich die vier Explikationen zueinander verhalten und auf welche von ihnen im weiteren Verlauf der Arbeit zurückgegriffen werden soll. In Abschnitt 3.8 werden die Ergebnisse des Kapitels zusammengefasst.

3.1 Verwendungsweisen des Ausdrucks "Logische Folgerung". Soll die Frage "Was ist logische Folgerung?" geklärt werden, ist zu beachten, dass der Ausdruck "Logische Folgerung" im Deutschen auf unterschiedliche Weise verwendet werden kann. Die Verwendungsweise, die für diese Arbeit maßgeblich ist, lässt sich schrittweise abgrenzen: 1. Schritt (Vorgang/Ergebnis/Beziehung): Allgemein betrachtet kann der Ausdruck "Logische Folgerung" gebraucht werden, um (a) einen Vorgang, (b) das Ergebnis eines Vorgangs oder (c) eine Beziehung zu bezeichnen. zu (a) Vorgang: Im ersten Fall wird der Ausdruck benutzt, um auf den Prozess zu referieren, in dem eine Person auf Basis einer gegebenen Menge von Informationen zu einer weiteren Information gelangt – etwa, um den Vorgang zu bezeichnen, in dem ein Ermittler auf Basis der folgenden Überzeugungsinhalte A1 und A2, zu dem Überzeugungsinhalt A kommt. (A1) 'Alle Konzertbesucher tragen einen Stempel auf dem Handrücken' (A2) 'Herr Kürten trägt keinen Stempel auf dem Handrücken' (A)

'Herr Kürten hat das Konzert nicht besucht'

Hier lässt sich auch von "Logischem Folgern" oder "Logischem Schließen" sprechen. zu (b) Ergebnis: Im zweiten Fall wird der Ausdruck verwendet, um sich auf das Ergebnis eines Schlussfolgerungsprozesses zu beziehen – in dem Beispiel also auf den Inhalt der Überzeugung, dass Herr Schmidt das Konzert nicht besucht hat.

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Anstelle von "Logische Folgerung" kann hier auch von "Logischer Folge" oder "Logischer Konsequenz" geredet werden. zu (c) Beziehung: Im dritten Fall wird der Ausdruck gebraucht, um die besondere Relation zu bezeichnen, die zwischen Informationsmengen und Informationen bestehen kann und in einem Folgerungsvorgang zum Tragen kommt – also um z.B. die besondere Abhängigkeitsbeziehung zwischen {A1, A2} und A zu benennen. An dieser Stelle lässt sich auch von der "Logischen Folgerungsrelation" oder der "logischen Folgerungsbeziehung" sprechen. Relevant für diese Arbeit ist die letzte Gebrauchsweise: "Logische Folgerung" soll für eine Beziehung zwischen Entitätenmengen und Entitäten stehen. 2. Schritt (Wahrheitswertträger/Nicht-Wahrheitswertträger): Wird der Ausdruck "Logische Folgerung" benutzt, um eine Beziehung zu bezeichnen, lassen sich zwei spezifischere Verwendungsweisen unterscheiden – je nachdem, ob eine Beziehung gemeint ist, die (a) ausschließlich unter Wahrheitswertträgern oder (b) auch unter Nicht-Wahrheitswertträgern vorliegen kann. zu (a) Wahrheitswertträger: Im ersten Fall wird der Ausdruck so verwendet, dass eine Entität nur dann aus einer Entitätenmenge folgen kann, wenn es sich bei den involvierten Entitäten um Dinge handelt, die wahr oder falsch sind – z.B. um Überzeugungsinhalte oder Aussagesätze. zu (b) Nicht-Wahrheitswertträgern: Im zweiten Fall wird der Ausdruck so gebraucht, dass eine Entität auch dann aus einer Entitätenmenge folgen kann, wenn nicht alle involvierten Entitäten wahr oder falsch sind – wenn sich unter ihnen z.B. Frage- oder Befehlssätze befinden.2 In diesem Sinn kann z.B. gesagt werden, der folgende Satz S1 folge aus der Menge M1: (M1) {"Exhumieren Sie Frau Kolbergs Leiche, wenn sich im Tee Arsenspuren nachweisen lassen!", "Es lassen sich im Tee Arsenspuren nachweisen"} (S1) "Exhumieren Sie Frau Kolbergs Leiche!" 2

Z.B. in Hare (1997), S. 37-80

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Für diese Arbeit ist die erste Verwendungsweise entscheidend: "Logische Folgerung" soll ausschließlich für eine Beziehung unter wahrheitswertfähigen Entitäten stehen. 3. Schritt (psychische/ideale/repräsentationale Wahrheitswertträger): Wird der Ausdruck "Logische Folgerung" verwendet, um eine Relation unter wahrheitswertfähigen Entitäten zu bezeichnen, lassen sich wiederum spezifischere Verwendungsweisen unterscheiden – je nachdem, welche Arten von wahrheitswertfähigen Entitäten als mögliche Relata zugelassen werden. Als Kandidaten kommen insbesondere die folgenden drei Arten in Frage:3 • psychische Entitäten (z.B. Urteile) • ideale Entitäten (z.B. Propositionen) • Repräsentationen (z.B. Aussagesätze oder Typen von Aussagesätzen) Der Ausdruck "Logische Folgerung" kann u.a. (a) in einem weiten Sinn oder (b) in einem engen, repräsentationalen Sinn verwendet werden. zu (a) weiter Sinn: Im ersten Fall wird der Ausdruck so verwendet, dass logische Folgerung unter allen Arten von Wahrheitswertträgern vorliegen kann. Ein Überzeugungsinhalt kann dieser Verwendungsweise nach ebenso aus einer Menge von Überzeugungsinhalten folgen, wie ein Satz aus einer Menge von Sätzen. zu (b) enger Sinn: Im zweiten Fall wird der Ausdruck so benutzt, dass mit ihm ausschließlich eine Beziehung unter Repräsentationen gemeint ist, nicht unter Urteilen oder Propositionen. (Eine solche Verwendungsweise hat zum einen den Vorteil, dass sich die logische Folgerungsrelation einfacher definieren und analysieren lässt. Zum anderen können bestimmte erkenntnistheoretische und ontologische Probleme vermieden werden – z.B. Probleme, die mit der Annahme einhergehen, dass Überzeugungsinhalte existieren.4) Relevant für diese Arbeit ist hauptsächlich die enge Verwendungsweise: "Logische Folgerung" soll für eine Beziehung unter wahrheitswertfähigen Repräsentationen stehen. 3

Vgl. etwa Blanchette (2002), S. 118f.; Brun (2003), Kap. 5; Haack (1978), Kap. 6; Kirkham (1997), S. 54-58; Tarski (1943), S. 342; Tennant (1990), S. 2f. 4 Vgl. Blanchette (2002), S. 118f.

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4. Schritt (Repräsentationstoken/Repräsentationstypen): Wird der Ausdruck "Logische Folgerung" verwendet, um eine Beziehung unter wahrheitswertfähigen Repräsentationen zu bezeichnen, kann unterschieden werden, ob hiermit eine Beziehung unter Repräsentationstoken gemeint ist, oder eine Beziehung unter Repräsentationstypen.5 Für diese Arbeit ist die zweite Verwendungsweise maßgeblich: "Logische Folgerung" soll für eine Beziehung unter wahrheitswertfähigen Repräsentationstypen stehen. In einem abgeleiteten, sekundären Sinn besteht diese Folgerungsbeziehung jedoch auch unter Repräsentationstoken: Ein Token r folgt logisch aus einer Menge m von Token, wenn der Typ R von r aus der entsprechenden Menge M von Typen folgt. 5. Schritt (Induktion/Deduktion): Wird der Ausdruck "Logische Folgerung" verwendet, um eine Beziehung unter wahrheitswertfähigen Repräsentationstypen zu bezeichnen, lassen sich nochmals drei spezifischere Gebrauchsweisen unterscheiden. Die Unterscheidung ruht auf dem Umstand, dass der Wahrheitswert einer Repräsentation R auf unterschiedliche Weise von den Wahrheitswerten der Elemente einer Repräsentationsmenge M abhängen kann:6 (DA) (IA)

Es ist notwendig, dass R wahr ist, wenn alle Elemente von M wahr sind. Es ist wahrscheinlich oder plausibel (nicht aber notwendig), dass R wahr ist, wenn alle Elemente von M wahr sind.

Der Ausdruck "Logische Folgerung" kann nun verwendet werden, um (a) DA, (b) IA oder (c) DA+IA zu bezeichnen. zu (a) DA: Im ersten Fall wird der Ausdruck verwendet, um eine Abhängigkeitsrelation zu bezeichnen, dergemäß die Wahrheit einer Repräsentation R durch die Wahrheit der Elemente einer Menge M garantiert wird – wie z.B. bei S2 und M2, nicht aber bei S2 und M3 oder M4.

5 6

Vgl. Tarski (1943), S. 370, Fn. 5 Etwa Skyrms (1989), S. 24ff. u. S. 30-49

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M2

M3

M4

S2

{"Alle von Acanthamoeben befallenen Patienten sterben an Hirnschäden", "Herr Schmidt ist ein von Acanthamoeben befallener Patient"} {"99% aller von Acanthamoeben befallenen Patienten sterben an Hirnschäden", "Herr Schmidt ist ein von Acanthamoeben befallener Patient"} {"2% aller von Acanthamoeben befallenen Patienten sterben an Hirnschäden", "Herr Schmidt ist ein von Acanthamoeben befallener Patient"} "Herr Schmidt stirbt an einem Hirnschaden"

Hier wird auch von "Deduktiver Folgerung" gesprochen. zu (b) IA: Im zweiten Fall wird der Ausdruck gebraucht, um sich auf eine Abhängigkeitsbeziehung zu beziehen, derzufolge die Wahrheit von R durch die Wahrheit der Elemente von M nicht erzwungen, sondern nur wahrscheinlich oder plausibel gemacht wird – wie z.B. bei S2 und M3, nicht aber bei S2 und M2. Hier lässt sich auch von "Induktiver Folgerung" sprechen. zu (c) DA+IA: Im dritten Fall wird der Ausdruck verwendet, um eine Abhängigkeitsrelation zu bezeichnen, dergemäß die Wahrheit von R durch die Wahrheit der Elemente von M notwendig, wahrscheinlich oder plausibel gemacht wird – wie z.B. bei S2 und M2 oder M3, nicht aber bei S2 und M4. In diesem Zusammenhang wird auch allgemein von einer "Stützungsrelation" gesprochen.7 Maßgeblich für diese Arbeit ist die erste Verwendungsweise: "Logische Folgerung" soll für eine notwendige Abhängigkeitsbeziehung unter wahrheitswertfähigen Repräsentationstypen stehen. Der Folgerungsbegriff, der gemeint ist, wenn im Rahmen dieser Arbeit von "Logischer Folgerung" gesprochen wird, lässt sich somit wie folgt definieren:8 7 8

Z.B. in Skyrms (1989), S. 24 Vgl. etwa Bühler (2000), S. 25

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(D-LF) Ein wahrheitswerttragender Repräsentationstyp R folgt genau dann logisch aus einer Menge M von wahrheitswerttragenden Repräsentationstypen, wenn gilt: Es ist notwendig, dass R wahr ist, wenn alle Elemente von M wahr sind. Notation: M= R gdw. (∀x (x∈M→T(x)="wahr") → T(R)="wahr"), wobei "" für "es ist notwendig, dass" steht und "T(x)" für den Wahrheitswert, der x zukommt. Die Extension E des Folgerungsbegriffs besteht aus einer Menge von geordneten Paaren, deren erste Koordinate eine Menge M = {R1,...Ri} von wahrheitswerttragenden Repräsentationstypen und deren zweite Koordinate ein wahrheitswerttragender Repräsentationstyp R ist. E(LF) = {, ...} Der in D-LF definierte Folgerungsbegriff entspricht im Wesentlichen dem klassischen Verständnis logischer Folgerung. So charakterisierte bereits Aristoteles den logischen Folgerungsbegriff über den Begriff der Notwendigkeit: Schluß ist eine Rede, in welcher bei Setzung einiger (Sachverhalte) etwas anderes als das Gesetzte mit Notwendigkeit zutrifft aufgrund dessen, daß diese (gültig) sind. Mit "aufgrund dessen, daß diese sind" meine ich: Deswegen tritt es ein und mit "deswegen tritt es ein" (meine ich): Es bedarf keines von außen herzugenommenen Begriffes, daß die Notwendigkeit zustandekommt.9

Auch innerhalb der modernen Logik wird logische Folgerung meist im Sinne einer deduktiven Folgerungsrelation verstanden. So schreiben beispielsweise William Hanson und John Etchemendy: Die Bedeutung der Notwendigkeit für die logische Folgerung ist seit mehr als zwei Jahrtausenden von zahlreichen Philosophen erkannt worden. Aristoteles, Leibniz und Tarski sind unter den vielen, die gelehrt 9

Aristoteles (1998), S. 5. Zur näheren Interpretation s. Shapiro (2002), S. 228

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haben, dass eine richtige Darstellung von logischer Folgerung Notwendigkeit als einen Bestandteil enthalten wird.10 Das wichtigste Merkmal logischer Folgerung – so wie wir sie üblicherweise verstehen – ist eine modale Relation, die zwischen implizierenden Sätzen und dem implizierten Satz besteht. Die Prämissen eines logisch gültigen Arguments können nicht wahr sein, wenn die Konklusion falsch ist; von solchen Konklusionen wird gesagt, dass sie aus ihren Prämissen "notwendig folgen".11

Der in D-LF definierte Begriff scheint also dem Begriff zu entsprechen, der spätestens seit Aristoteles im Mittelpunkt logischer Untersuchungen und Analysen steht und den zentralen Begriff der modernen Logik bildet – "zentral", weil sich auf seiner Grundlage eine Reihe weiterer Begriffe definieren lässt, die innerhalb der Logik und Argumentationstheorie eine wichtige Rolle spielen. Z.B.:12 • Ein Argument ist eine Folge von Repräsentationen, in welcher von einer Repräsentation (der Konklusion) der Anspruch erhoben wird, er folge logisch aus der Menge der anderen Repräsentationen (den Prämissen). Der Anspruch kann im Fall sprachlicher Repräsentationen z.B. durch Ausdrücke wie "also" oder "somit" kenntlich gemacht werden. Andere Möglichkeiten sind: einen Schlussstrich zu verwenden, der die Prämissen von der Konklusion trennt, oder einen Dreipunkt "∴", der vor die Konklusion gesetzt wird. • Ein Argument ist genau dann gültig, wenn die Konklusion logisch aus den Prämissen folgt. • Ein Argument ist genau dann beweiskräftig oder stichhaltig, wenn es gültig ist und seine Prämissen wahr sind. • Eine Menge M von Repräsentationen impliziert eine Repräsentation R genau dann, wenn R logisch aus M folgt. • Eine Menge M von Repräsentationen ist genau dann konsistent, wenn es keine Repräsentation R gibt, die aus M folgt und für die gilt: Es gibt eine Repräsentation R*, die genau dann wahr ist, wenn R nicht wahr ist, und die ebenfalls aus M folgt (semantische Definition von Konsistenz). 10

Hanson (1997), S. 373 [Aus dem Englischen ins Deutsche von St.B.] Etchemendy (1990), S. 82 [Aus dem Englischen ins Deutsche von St.B.] 12 Vgl. etwa Blanchette (2002), S. 115; Shapiro (2002), S. 228 11

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• Eine Repräsentation R ist genau dann unabhängig von einer Menge M von Repräsentationen, wenn R nicht logisch aus M folgt. • Eine Repräsentation R ist genau dann eine logische Wahrheit, wenn sie logisch aus der leeren Menge folgt. Wird logische Folgerung als deduktive Abhängigkeitsrelation definiert, stellt sich allerdings die Frage, was damit gemeint ist, wenn gesagt wird, eine Repräsentation müsse wahr sein, wenn die Repräsentationen einer bestimmten Menge M wahr seien.13 Worin soll diese Notwendigkeit bestehen? Inwiefern muss beispielsweise der Satz "Shakespeare ist Brite" wahr sein, wenn die Sätze "Shakespeare ist Engländer" und "Alle Engländer sind Briten" wahr sind? Zwar verfügen wir über gewisse Intuitionen darüber, was unter dieser logischen Notwendigkeit zu verstehen ist. Im Regelfall werden diese Intuitionen jedoch eher unpräzise und vage sein. Um den in D-LF definierten Folgerungsbegriff zu explizieren, gilt es also, den folgerungsrelevanten Notwendigkeitsbegriff zu bestimmen und eine angemessene Einsetzung in das folgende Schema N zu finden: (N)

Dass eine Repräsentation R wahr ist, wenn alle Repräsentationen einer Menge M wahr sind, ist genau dann notwendig, wenn _____.

Ist eine geeignete Einsetzung gefunden, kann sie in das folgende Schema LF eingesetzt werden: (LF)

Eine Repräsentation R folgt genau dann logisch aus einer Menge M von Repräsentationen, wenn _____.

Exkurs I (logische Wahrheit als Grundbegriff der Logik): Der logische Folgerungsbegriff kann als Grundbegriff der deduktiven Logik betrachtet werden: Mit seiner Hilfe lassen sich weitere wichtige Begriffe definieren und motivieren (s.o. und s. Kap. 4 "Ableitung").14 Es ist jedoch auch möglich, den Begriff der logischen Wahrheit als zentralen Begriff zu wählen und Folgerung über logische Wahrheit zu definieren: Eine Repräsentation 13

Vgl. Bühler (2000), S. 25f.; Hale (2001), S. 490; Hanson (1997), S. 380f.; Shapiro (2002), S. 228

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R folgt genau dann aus einer Repräsentationsmenge M = {R1 ... Rn}, wenn die Repräsentation "Wenn R1 und ... und Rn, dann R" logisch wahr ist – wobei eine Repräsentation genau dann logisch wahr ist, wenn sie notwendiger Weise oder unter allen Umständen wahr ist.15 Ein Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass nicht über Paare von Repräsentationsmengen und Repräsentationen, sondern nur über Repräsentationen gesprochen werden muss, wenn über die Dinge geredet wird, die unter den grundlegenden Begriff der Logik fallen. Sie besitzt jedoch den Nachteil, dass in ihr Voraussetzungen gemacht werden, die vermieden werden, wenn 'Logische Folgerung' als Grundbegriff gewählt wird: (1) Auf Grund der Formulierung "Wenn R1 und ... und Rn, dann R" wird vorausgesetzt, dass Repräsentationen nur aus endlichen Repräsentationsmengen folgen können, oder dass es Repräsentationssysteme gibt, in denen unendlich lange Und-Sätze gebildet werden können. (2) Es wird vorausgesetzt, dass das involvierte Repräsentationssystem Zeichen enthält, die identisch oder gleichbedeutend mit "wenn ... dann" und "und" sind. (3) Es wird vorausgesetzt, dass die Ausdrücke "wenn ... dann" und "und" logische Konstanten des involvierten Repräsentationssystems sind.16 Exkurs II (Propositionen als Relata der Folgerungsrelation): In der Logik werden des Öfteren Propositionen als Relata der Folgerungsbeziehung behandelt. Ein klassisches Beispiel sind die Arbeiten von Gottlob Frege. Ist die Frage nach dem logischen Status nicht-sprachlicher Zeichen unter einer solchen Sichtweise uninteressant? Die Vertreter einer propositionalen Position betrachten Propositionen im Regelfall nicht als die einzigen, sondern als die primären Relata der Folgerungsbeziehung. Sätzen komme diese Rolle nur in einem sekundären Sinn zu – als Repräsentationen von Propositionen.17 Dennoch spielen Sätze unter dieser Sichtweise eine wichtige Rolle: Sie ermöglichen es z.B., Beweise niederzuschreiben, zu kontrollieren und zu kommunizieren. Damit stellt sich aber die Frage, ob auch nicht-sprachliche Zeichen diese Rolle spielen können: Lassen sich nicht-sprachliche Repräsentationen verwenden, um für Propositionen zu stehen? Kann mit nicht14

Vgl. Etchemendy (1990), S. 6; Read (1997), S. 50; Shapiro (2002), S. 228 Vgl. hierzu Etchemendy (1990), S. 11 u. S. 47; Read (1997), S. 54 16 Etchemendy (1990), S. 47 17 Vgl. z.B. Haack (1978), S. 79 15

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sprachlichen Zeichen auf sichere Weise nachgewiesen werden, dass logische Folgerung unter Propositionen vorliegt oder nicht? Und wenn ja: Sind nicht-sprachliche Repräsentationen hierzu ebenso gut geeignet wie ihre sprachlichen Gegenstücke? Die Frage nach dem logischen Status nicht-sprachlicher Zeichen scheint also auch für Vertreter einer propositionalen Sichtweise interessant zu sein.

3.2 Musterbeispiele und Adäquatheitsbedingungen. Für den Versuch, angemessene Einsetzungen in die Schemata N und LF zu finden, lassen sich neben AÄ1-AÄ5 die folgenden speziellen Bedingungen SÄ1-SÄ4 anführen. Sie sind in Blick auf das Schema LF formuliert, gelten indirekt aber auch für die Einsetzungen in Schema N. (SÄ1) Unter den zu explizierenden Begriff fallen musterhaft die folgenden Paare P1 und P2. Sie sollten auch unter das Explikat fallen: (P1)

(P2)

Unter den zu explizierenden Begriff fallen musterhaft keine Paare, für die gilt, dass alle Elemente der ersten Koordinate wahr sind, während die zweite Koordinate falsch ist. Sie sollten nicht unter das Explikat fallen. Gleiches gilt u.a. für die beiden folgenden Paare: (P3)

(P4)

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(SÄ2) Die Explikation sollte die folgende Überlegung berücksichtigen: Unter welchen Bedingungen eine Repräsentation wahr ist, hängt davon ab, welchem Repräsentationssystem sie zugerechnet wird und wie dieses System konstruiert ist.18 Lässt sich eine Repräsentation zwei verschiedenen Systemen S und S* zurechnen, kann es sein, dass sie in S unter anderen Bedingungen wahr ist als in S*. Somit wäre es aber möglich, dass sie in S wahr sein muss, wenn alle Elemente von M wahr sind, während sie in S* nicht wahr sein muss, wenn alle Elemente von M wahr sind. Illustrieren lässt sich dies an Hand des folgenden Beispiels: Sei S das Deutsche und S* eine Variante des Deutschen, die S bis auf einen Umstand entspricht: Die Bedeutungen von "alle" und "einige" sind vertauscht. In diesem Fall würde der folgende Satz S3 hinsichtlich S aus der Menge M5 folgen, nicht aber hinsichtlich S*: M5 S3

{"Lucy Liu ist eine Frau"} "Einige Menschen sind Frauen"

Das Explikat sollte daher in Hinsicht auf Repräsentationssysteme relativiert sein: Etwas folgt in einem Repräsentationssystem aus einer Menge.19 (SÄ3) Die Explikation sollte die folgende Überlegung berücksichtigen: Der zu explizierende Folgerungsbegriff spielt eine wichtige Rolle für unser Denken und Handeln: Wir können unsere Überzeugungsinhalte begründen oder erweitern, weil wir in der Lage sind, das Vorliegen einer logischen Folgerungsrelation zu erkennen. Der Folgerungsbegriff sollte daher so expliziert werden, dass es prinzipiell möglich ist, festzustellen, ob etwas unter das Explikat fällt oder nicht. (Die Explikation muss allerdings kein Testkriterium für logische Folgerung angeben.20) 18

Vgl. Kap. 2.4 Vgl. Haack (1978), S. 13 20 Vgl. Bühler (2000), S. 23f. 19

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(SÄ4) Die Explikation sollte die folgende Überlegung berücksichtigen: Der zu explizierende Folgerungsbegriff wurde als eine Notwendigkeitsbeziehung zwischen einer Menge M und einer Repräsentation R bestimmt. Intuitiv betrachtet besitzt diese Notwendigkeitsrelation die folgenden Eigenschaften: i) Sie ist nicht-graduell: Entweder muss R wahr sein, wenn alle Elemente von M wahr sind oder nicht. Das "müssen" kennt keine Zwischenstufen.21 ii) Sie ist monoton: Angenommen, R muss wahr sein, wenn alle Elemente von M = {R1, ..., Rn} wahr sind. In diesem Fall muss R auch wahr sein, wenn alle Elemente einer Erweiterung M* = {R1, ..., Rn, Ro} von M wahr sind.22 iii) Sie ist 'transitiv': Angenommen, R* muss wahr sein, wenn alle Elemente einer Menge M = {R} wahr sind. Und angenommen, R muss wahr sein, wenn alle Elemente einer Menge M* wahr sind. In diesem Fall muss R* wahr sein, wenn alle Elemente von M* wahr sind.23 iv) Sie ist 'reflexiv': Wenn M = {R} ist, dann muss R wahr sein, wenn alle Elemente von M wahr sind.24 Das Explikat sollte daher eine nicht-graduelle, monotone, 'transitive' und 'reflexive' Relation sein. Exkurs zum Vergleich zwischen deduktiver und induktiver Folgerung:25 Die Eigenschaften der Nicht-Gradualität, Monotonie, 'Transitivität' und 'Reflexivität' unterscheiden die deduktive Folgerungsrelation von der induktiven Relation. Induktives Schließen ist (a) graduell, (b) nicht-monoton, (c) nicht-'transitiv' und (d) nicht-'reflexiv'. zu (a) nicht graduell: Etwas kann in Vergleich zu etwas anderem mehr oder weniger wahrscheinlich sein. So folgt bei dem Paar P5 die zweite Koordinate mit höherer Wahrscheinlichkeit aus der ersten Koordinate als 21

Vgl. Salmon (1984), S. 10f Vgl. Sainsbury (2001), S. 11 u. S. 26-29 23 Vgl. Sainsbury (2001), S. 26-29 24 Vgl. Sainsbury (2001), S. 26-29 25 Vgl. weitergehend Skyrms (1989), Kap. 1; Will (1985), S. 9f. 22

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dies bei dem Paar P6 der Fall ist. Es liegt daher unterschiedlich starke induktive Folgerung vor. (P5) (P6) zu (b) nicht-monoton: Ist die Wahrheit von R (in einem bestimmten Maß) wahrscheinlich, wenn alle Elemente einer Menge M wahr sind, muss dies nicht bedeuten, dass R (in demselben Maß) wahrscheinlich ist, wenn alle Elemente einer Erweiterung von M wahr sind. Illustrieren lässt sich dies an Hand der beiden Paare P7 und P8.26 (P7) (P8) zu (c) nicht-'transitiv': Angenommen, R* ist sehr wahrscheinlich wahr, wenn alle Elemente einer Menge M = {R} wahr sind. Und angenommen, R ist sehr wahrscheinlich wahr, wenn alle Elemente einer Menge M* wahr sind. Dann bedeutet dies nicht, dass R* sehr wahrscheinlich wahr ist, wenn alle Elemente von M* wahr sind. Veranschaulicht werden kann dies an Hand der Paare P9, P10 und P11. Im Fall von P9 und P10 folgt die zweite Koordinate mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der ersten Koordinate. Im Fall von P11 ist die Wahrheit der zweiten Koordinate jedoch sehr unwahrscheinlich, wenn die Elemente der ersten Koordinate wahr sind: 26

Vgl. zu dem Beispiel Beckermann (2003), S. 33

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(P9) (P10) (P11) zu (d) nicht-'reflexiv': Wenn R wahr ist, falls alle Elemente von {R} wahr sind, gilt dies nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit, sondern zwangsläufig.

3.3 Mögliche-Welten-Folgerung (ontologische Charakterisierung). Ein Ansatz, den Begriff der logischen Notwendigkeit und damit den Begriff der logischen Folgerung zu explizieren, kann als "Möglicher-WeltenAnsatz" bezeichnet werden. Seine Grundidee besteht darin, den Begriff der Notwendigkeit über den Begriff der möglichen Welten zu bestimmen:27 (N-MW) Dass R in einem Repräsentationssystem S wahr ist, wenn alle Elemente von M wahr-in-S sind, ist genau dann notwendig, wenn gilt: R ist in allen möglichen Welten wahr-in-S, in denen alle Elemente von M wahr-in-S sind. Der Begriff der möglichen Welt fängt – intuitiv gesprochen – den Gedanken ein, dass die Welt, in der wir leben, anders beschaffen sein könnte als sie ist:28 Am 1.10.2005 hat es in Düsseldorf geregnet. In einem bestimmten Sinn hätte es aber sein können, dass den ganzen Tag über kein Tropfen vom Himmel gefallen wäre. Anders ausgedrückt: Obwohl es in der aktualen Welt am 1.10.2005 in Düsseldorf geregnet hat, gibt es eine mögliche Welt, in der es an diesem Tag nicht in Düsseldorf geregnet hat. 27 28

Vgl. etwa Hanson (1997), S. 366; Kirkham (1997), S. 10ff. Vgl. z.B. Kirkham (1997), S. 10ff.

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N-MW zufolge besteht logische Notwendigkeit nun darin, dass alle Welten, die so beschaffen sind, dass die Elemente von M in ihnen wahr sind, auch so beschaffen sind, dass R in ihnen wahr ist: Es gibt keine mögliche Welt, in der jedes Element aus M wahr ist, R jedoch falsch.29 Hieraus ergibt sich die folgende Definition logischer Folgerung: (LF-MW) Eine Repräsentation R folgt in S genau dann logisch aus einer Menge M von Repräsentationen, wenn R in allen möglichen Welten wahr-in-S ist, in denen alle Elemente von M wahr-in-S sind. In welchen Maß erfüllt LF-MW die aufgeführten Adäquatheitsbedingungen? Einige Überlegungen müssen an dieser Stelle genügen: Zunächst ist festzuhalten, dass der Begriff der Möglichen Welt – so wie er hier eingeführt wurde – nicht besonders klar und verständlich ist. Soll nicht gegen AÄ2 (Exaktheit) verstoßen werden, gilt es zunächst, diesen Begriff zu klären. Zu der Frage, was mögliche Welten sind und welchen ontologischen Status sie besitzen, gibt es eine ganze Reihe unterschiedlicher Positionen. Die wichtigsten positiven Ansätze lassen sich an Hand der folgenden zwei Fragen unterscheiden:30 (1) (2)

Sind mögliche Welten von derselben Art wie die aktuale Welt? Wenn nicht, lassen sie sich auf etwas Grundlegenderes reduzieren?

An der ersten Frage lassen sich zunächst possibilistische und aktualistische Positionen unterscheiden: Einem Possibilismus zufolge existieren mögliche Welten in demselben Sinn wie unsere aktuale Welt: Mögliche Welten sind raum-zeitlich und kausal geschlossene Systeme, die konkrete und möglicherweise abstrakte Entitäten aller Art enthalten (Menschen, Steine, Fahrräder, eventuell Quali29

Vgl. Brun (2003), S. 86; Shapiro (2002), S. 228 Vgl. Haack (1978), S. 190-198; Hale (2001), S. 496. Eine negative oder skeptische Haltung gegenüber der Rede oder Postulierung von möglichen Welten vertritt Willard Van Orman Quine, s. etwa Read (1997), S. 126-131

30

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täten wie Bläue etc.).31 Unsere Welt unterscheidet sich allein dadurch von den anderen Welten, dass wir nur in sie raum-zeitlich eingebunden sind. Für die Bewohner anderer möglicher Welten ist jedoch ihre Welt die jeweils aktuale. Einem Aktualismus zufolge existieren möglichen Welten zwar ebenfalls, jedoch nicht in dem konkreten Sinn wie die aktuale Welt. Als Bewohner der aktualen Welt unterscheiden wir uns demnach wesentlich von den Bewohnern nicht-aktualer Welten. Die aktualistischen Auffassungen lassen sich an Hand der zweiten Frage in reduktionistische und moderat realistische Positionen unterteilen:32 Einem Reduktionismus zufolge können mögliche Welten auf etwas Grundsätzlicheres oder Gewöhnlicheres reduziert werden. Eine mögliche Welt ist demnach etwa eine maximal konsistente Menge von wahrheitswerttragenden Repräsentationen (z.B. Sätzen) eines Systems S – also eine konsistente Menge M, für die in Bezug auf jede wahrheitswerttragende Repräsentation R von S gilt: Entweder ist R ein Element von M oder die Repräsentation R*, die genau dann wahr ist, wenn R nicht wahr ist. Der Begriff der möglichen Welten wird in diesem Fall auf den Begriff der maximal konsistenten Menge reduziert.33 Dem moderaten Realismus zufolge sind solche Reduktionen nicht durchführbar oder sinnvoll. Mögliche Welten werden hier als abstrakte Objekte oder Eigenschaften betrachtet, die den ontologischen Status von Zahlen oder Qualitäten besitzen: Eine Qualität wie Bläue existiere nur, insofern sie von bestimmten Objekten – ihren Trägern – abstrahiert werde. Obwohl Bläue das Resultat einer Abstraktion sei, existiere sie jedoch bewusstseinsunabhängig und objektiv. Ebenso gelte für mögliche Welten: Sie existieren nur, insofern sie von der Art und Weise abstrahiert werden, wie die Welt beschaffen ist. Mögliche Welten stellen demnach abstrakte, aber objektive Weisen dar, wie die Welt beschaffen sein könnte.34 31

Ein Hauptvertreter der possibilistischen Position ist David Lewis, s. Lewis (2002). Vgl. Read (1997), S. 122-130; Hale (2001), S. 493-496 32 Vgl. Read (1997), S. 131 33 Als Vertreter einer reduktionistischen Position kann Jaakko Hintikka angeführt werden, s. Hintikka (1969) 34 Zu den Vertretern eines moderaten Realismus kann Saul Kripke gezählt werden, s. Kripke (2001). Vgl. Read (1997), S. 132f.

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Wie ist die Explikation LF-MW zu bewerten, wenn die verschiedenen Konzeptionen möglicher Welten herangezogen werden? Zwei Punkte lassen sich in Blick auf alle drei Positionen vermerken: (1) Der Begriff der logischen Folgerung wird in LF-MW in Bezug auf Repräsentationssysteme relativiert. Je nachdem, welches Repräsentationssystem für "S" eingesetzt wird, entstehen unterschiedliche, zeichensystemspezifische Folgerungsbegriffe. Die Bedingung SÄ2 wird allem Anschein nach erfüllt. (2) Für "S" können sprachliche Repräsentationssysteme eingesetzt werden. In diesem Fall entstehen sprachliche Folgerungsbegriffe, die den klassischen Mögliche-Welten-Folgerungsbegriffen entsprechen. Es ist jedoch auch möglich, für "S" nicht-sprachliche Systeme zu wählen. AÄ5 scheint also erfüllt zu sein. Im Weiteren lassen sich die folgenden Überlegungen anführen: 1.) possibilistische Position: Werden mögliche Welten possibilistisch gedeutet, scheint LF-MW zumindest einige Adäquatheitsbedingungen zu erfüllen: Neben SÄ2 und AÄ5 lässt sich z.B. AÄ2 anführen: Dass etwas in allen raum-zeitlich und kausal geschlossenen Systemen der Fall ist, scheint die Redeweise "etwas sei notwendig" auf verständliche Weise zu erklären. Die possibilistische Deutung ist jedoch mit Schwierigkeiten für LF-MW verbunden. Hier lässt sich insbesondere SÄ3 anführen: Angenommen, eine Person will feststellen, ob der Satz "Herr Schmidt ist unverheiratet" aus der Menge {"Herr Schmidt ist Junggeselle"} folgt. Possibilistischen Positionen zufolge muss sie hierzu alle raum-zeitlich und kausal geschlossenen Systeme auf die Frage hin inspizieren, ob in ihnen der Satz "Herr Schmidt ist unverheiratet" wahr ist, wenn der Satz "Herr Schmidt ist Junggeselle" wahr ist. Abgesehen von der Schwierigkeit, dass es sich dabei möglicherweise um unendliche viele Welten handelt, scheint eine solche Inspektion nicht möglich zu sein: Alle nicht-aktualen Systeme sind uns auf Grund ihrer kausalen Abgeschlossenheit epistemisch nicht zugänglich.35 Und selbst wenn ein epistemischer Zugang bestehen würde, stünde die Person vor dem Problem, wie sie in einer anderen Welt Herrn Schmidt identifizierten sollte, um für diese Welt den Wahrheitswert der beiden Sätze "Herr Schmidt ist unverheiratet" und "Herr Schmidt ist Junggeselle" 35

Vgl. Hale (2001), S. 500f.

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festzustellen.36 Müsste sie eine Person suchen, die mit Herrn Schmidt ein gemeinsames, individuelles Wesen teilt (eine Haecceität)? Oder müsste sie eine Person suchen, die eine herausragende Ähnlichkeit zu Herrn Schmidt aufweist? Worin sollte eine solche herausragende Ähnlichkeit bestehen?37 Es könnte eingewendet werden, dass uns raum-zeitlich und kausal geschlossene Systeme in einem anderen, aber ausreichenden Sinn zugänglich sind: Diese Systeme unterliegen ebenso wie unser System den Gesetzen der Logik. Wenn R aus M folgt, dann wissen wir über jedes uns kausal verschlossene System zumindest das Folgende: Wenn in ihm alle Elemente von M wahr sind, dann ist in ihm auch R wahr. Dieser Einwand scheint jedoch wenig aussichtsreich: Die Gesetze der Logik werden gemäß LFMW durch die Beschaffenheit der möglichen Welten bestimmt. Sie vorauszusetzen würde bedeuten, vorauszusetzen, was geklärt werden soll. Es ist also schwierig, wenn nicht unmöglich, unter einer possibilistischen Interpretation Aussagen über die Extension von LF-MW zu machen. In Folge ist es schwierig oder unmöglich, die Explikation in Bezug auf Adäquatheitsbedingungen wie SÄ1 und SÄ4 zu bewerten. 2.) moderat-realistische Position: Die moderat-realistische Position scheint eine positive Antwort auf SÄ3 zu gestatten: Mögliche Welten werden hier als Abstraktionen der Art und Weise verstanden, wie die aktuale Welt beschaffen ist. Unser Abstraktions- und Vorstellungsvermögen scheint es uns demgemäß zu erlauben, fremde Welten zu inspizieren und Gegenstände in ihnen zu identifizieren. Obwohl Herr Schmidt in der aktualen Welt ein unverheirateter Mann ist, können wir uns vorstellen, es gäbe eine Welt, in der er glücklich vermählt ist. Der Satz "Herr Schmidt ist unverheiratet" folgt also nicht aus der Menge {"Herr Schmidt ist ein Mann"}. Im Gegensatz dazu scheinen wir uns aber nicht vorstellen zu können, es gäbe eine Welt, in der Herr Schmidt Junggeselle und zugleich verheiratet ist. Der Satz "Herr Schmidt ist unverheiratet" folgt demnach aus der Menge {"Herr Schmidt ist Junggeselle"}. Allerdings stellt sich das Problem, ob tatsächlich jede Abstraktion oder Vorstellung zulässig ist, um das Vorliegen logischer Folgerung zu überprüfen. Möglicherweise gibt es Personen, die sich einen verheirateten Jungge36 37

Vgl. hierzu etwa Read (1997), S. 125f. Vgl. Read (1997), S. 125f.

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sellen vorstellen oder abstrahieren können. Müssten in diesem Fall grundlegende Intuitionen über die Extension des Folgerungsbegriffs aufgegeben werden?38 Oder könnten Vorstellungen/Abstraktionen dieser Art als unzulässig ausgeschlossen werden? Wenn ja, wie? Solange diese Fragen nicht geklärt sind, ist es nicht möglich zu überprüfen, ob LF-MW unter einer moderat-realistischen Interpretation Adäquatheitsbedingungen wie SÄ1 und SÄ4 erfüllt. (Wird eine moderat-realistische Position vertreten, ist zudem die folgende Feinheit zu beachten: Wird von "möglichen Welten" gesprochen, schließt dies üblicherweise die aktuale Welt mit ein. Einem moderaten Realismus zufolge gehören mögliche Welten jedoch einer anderen ontologischen Kategorie an als die aktuale Welt. Der Ausdruck "mögliche Welt" bezieht sich hier streng genommen nicht auf die aktuale Welt – zumindest, wenn mit dem Ausdruck über eine homogene Menge von Entitäten gesprochen werden soll. Dies führt zu folgendem Problem: Angenommen, eine Repräsentation R ist in allen möglichen (nicht-aktualen) Welten wahr, in denen die Elemente der Menge M wahr sind. In der aktualen Welt ist R jedoch falsch, obwohl alle Elemente von M wahr sind. Gemäß LF-MW würde R aus M folgen, obwohl offensichtlich keine logische Folgerung vorliegt.39) 3.) reduktionistische Position: Werden mögliche Welten reduktionistisch gedeutet, scheint LF-MW die Bedingung SÄ3 zu erfüllen: Mögliche Welten werden auf etwas reduziert, das uns 'vertraut' ist und 'beherrscht' werden kann. Allerdings droht die Gefahr, dass bei dieser Reduktion Begriffe eingeschmuggelt werden, die selber auf dem Begriff der logischen Folgerung basieren und somit zu einer zirkulären Definition führen. Illustrieren lässt sich diese Gefahr an der Idee, mögliche Welten auf maximal konsistente Mengen zu reduzieren: Wird der Begriff der Konsistenz semantisch interpretiert ("Widerspruchsfreiheit"), ist er vom Begriff der logischen Folgerung abhängig. Eine Menge ist genau dann semantisch konsistent, wenn es keine Repräsentation R gibt, die aus M folgt und für die gilt: Es gibt keine Repräsentation R*, die genau dann wahr ist, wenn R nicht wahr ist und ebenfalls aus M folgt. Vermeiden lässt sich diese Zirku38 39

Vgl. Cohnitz (2006), Kap. 8; Haack (1978), S. 194 Vgl. Hale (2001), S. 497

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larität nur, wenn der Begriff der Konsistenz syntaktisch definiert wird:40 Eine Menge M ist genau dann konsistent, wenn es keine Repräsentation gibt, die aus M bewiesen werden kann und für die gilt: Es gibt eine Repräsentation R*, die genau dann wahr ist, wenn R wahr ist, und ebenfalls aus M bewiesen werden kann. Allerdings gilt es in diesem Fall, den Beweisbegriff zu klären. Rein syntaktisch betrachtet lässt sich eine Vielzahl von extensional verschiedenen Beweisbegriffen definieren. Dem einen Begriff zufolge könnte eine Repräsentation R aus einer Menge M bewiesen werden, einem anderen zufolge nicht. Soll der 'richtige' Beweisbegriff herausgefiltert werden, scheint letztlich wieder auf den Begriff der logischen Folgerung zurückgegriffen werden zu müssen: Der Beweisbegriff ist 'richtig', wenn in allen Fällen, in denen R aus M bewiesen werden kann, R aus M folgt.41 Die Bewertung der Adäquatheit von LF-MW ist also in vielerlei Hinsicht offen, soll hier aber nicht weiter verfolgt werden. Es sollte jedoch deutlich geworden sein, welche Idee LF-MW zugrunde liegt und welchen Schwierigkeiten begegnet werden muss, wenn ein Möglicher-WeltenAnsatz vertreten wird.

3.4 A priori-Folgerung (epistemische Charakterisierung). Ein weiterer Ansatz, den Begriff der logischen Notwendigkeit und somit den Begriff der logischen Folgerung zu bestimmen, kann als "A-priori-Ansatz" bezeichnet werden. Er gründet auf der Idee, dass sich der Begriff der Notwendigkeit mit Hilfe des Begriffs des A-priori-Wissbaren explizieren lässt: (N-AP)

Dass R in einem Repräsentationssystem S wahr ist, wenn alle Elemente von M wahr-in-S sind, ist genau dann notwendig, wenn gilt: Eine Person kann a priori wissen, dass R wahr-in-S ist, wenn alle Elemente von M wahr-in-S sind.

Der Begriff des A-priori-Wissbaren basiert auf der Unterscheidung zwischen Überzeugungsrechtfertigungen, die in irgendeiner Form von Sinnes40

Vgl. Haack (1978), S. 193f. Zur semantischen Motivation des syntaktischen Konsistenzbegriffes vgl. auch Church (1956), S. 108

41

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erfahrungen abhängen und "a posteriori" genannt werden, und Überzeugungsrechtfertigungen, die nicht von Erfahrung abhängen und als "a priori" bezeichnet werden.42 Wird die Überzeugung, dass alle Teilnehmer einer Weihnachtsfeier bereits gegen Mitternacht sturzbetrunken waren, gerechtfertigt, indem Beobachtungen über das Verhalten der Teilnehmer angeführt werden, handelt es sich beispielsweise um eine Rechtfertigung a posteriori. Eine Rechtfertigung a priori liegt hingegen vor, wenn die Überzeugung, dass alle Witwen verheiratet waren, gerechtfertigt wird, indem vom Lehnstuhl aus über die Bedeutungen der Ausdrücke "verheiratet", "waren" und "Witwe" argumentiert wird. Im Rückgriff auf diese Unterscheidung wird ein Überzeugungsinhalt "a priori wissbar" genannt, wenn er wahr ist und prinzipiell a priori gerechtfertigt werden kann. So gilt der Überzeugungsinhalt, dass alle Witwen verheiratet waren, als a priori wissbar: Er ist wahr und lässt sich allem Anschein nach unabhängig von Erfahrung rechtfertigen. N-AP zufolge besteht logische Notwendigkeit nun darin, dass eine Person ohne Rückgriff auf Erfahrung wissen kann: Die Repräsentation R ist wahr, wenn alle Elemente von M wahr sind. Der Satz "Shakespeare ist Brite" folgt demnach genau dann aus {"Shakespeare ist Engländer", "Alle Engländer sind Briten"}, wenn gilt: (i) "Shakespeare ist Brite" ist wahr, wenn "Shakespeare ist Engländer" und "Alle Engländer sind Briten" wahr sind, und (ii) der Überzeugungsinhalt i kann a priori gerechtfertigt werden.43 Der Begriff der logischen Folgerung lässt sich demgemäß wie folgt definieren: (LF-AP) Eine Repräsentation R folgt in S genau dann logisch aus einer Menge M von Repräsentationen, wenn gilt: Eine Person kann a priori wissen, dass R wahr-in-S ist, wenn alle Elemente von M wahr-in-S sind. 42

Vgl. hierzu Baumann (2002), S. 222-232; BonJour (1999), S. 35f.; Kripke (2001), S. 34f. 43 Zur Rolle des A-priori-Wissbaren im Zusammenhang mit logischer Folgerung s. Blanchette (2002), S. 124; Etchemendy (1990), S. 89; Hanson (1997), S. 377f.; Sainsbury (2001), S. 9. Vgl. auch Shapiro (2002), S. 232

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In welchem Maß kann LF-AP die allgemeinen und speziellen Adäquatheitsbedingungen erfüllen? Wiederum müssen einige Überlegungen genügen: Zunächst lässt sich festhalten, dass auch LF-AP SÄ2 (Relativierung) und AÄ5 (Konservatismus) erfüllt sind: LF-AP ist in Hinsicht auf Repräsentationssysteme relativiert und erlaubt die Spezialisierung auf sprachliche und nicht-sprachliche Systeme. Schwierigkeiten bereitet dagegen die Bedingung AÄ2 (Exaktheit): Was genau soll es bedeuten, dass eine Person einen Überzeugungsinhalt A a priori wissen kann? Der obigen Bestimmung zufolge ist dies der Fall, wenn A nicht nur wahr ist, sondern auch ohne Rückgriff auf Sinneserfahrung gerechtfertigt werden kann. Was heißt es aber, dass etwas ohne Rückgriff auf Erfahrung gerechtfertigt werden kann? Nahe liegend ist die folgende Deutung: Ein Überzeugungsinhalt A kann ohne Rückgriff auf Erfahrung gerechtfertigt werden, wenn sich die Repräsentation von A durch Repräsentationen begründen lässt, die selber nicht durch Beobachtungsaussagen begründet werden müssen.44 So verstanden bezieht sich das Explanandum von LF-AP allerdings implizit auf den Begriff der logischen Folgerung: Die Begriffe der Begründungen von oben und von unten werden über den Begriff der logischen Folgerung definiert.45 Wird der Begriff einer erfahrungsunabhängigen Rechtfertigung dagegen anders gefasst (z.B. als Rechtfertigung durch Intuition), stellt sich die Frage, ob dieser Begriff präzise und stark genug ist, um den logischen Folgerungsbegriff zu explizieren. (Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich auch im Zusammenhang mit anderen Versuchen, logische Folgerung epistemisch zu charakterisieren – beispielsweise im Zusammenhang mit dem Ansatz, logische Folgerung über den Begriff der Rationalität zu bestimmen. Eine Repräsentation R folgt demnach genau dann aus einer Menge M, wenn es für eine Person, die M behauptet, rational ist, R zu behaupten.46 Die Schwierigkeit ist hier, 44

Vgl. Kutschera (1981), S. 152 Vgl. Kap. 1.2 46 Vgl. Shapiro (2002), S. 232 45

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dass der Begriff der Rationalität vom Begriff der logischen Folgerung abzuhängen scheint.47) Die Bewertung von LF-AP soll an dieser Stelle abgebrochen werden. Es sollte jedoch deutlich geworden sein, welche Idee dem A-priori-Ansatz zugrunde liegt und welche Schwierigkeiten in ihm gelöst werden müssen.

3.5 Analytische Folgerung (semantische Charakterisierung). Ein dritter Ansatz, den Begriff der logischen Notwendigkeit und somit den Begriff der logischen Folgerung zu explizieren, ist der Ansatz der analytischen Folgerung. Er beruht auf der Idee, dass sich der Begriff der logischen Notwendigkeit mit Hilfe des Begriffs der analytischen Wahrheit bestimmen lässt: (N-AN)

Dass R wahr-in-S ist, wenn alle Elemente von M wahr-in-S sind, ist genau dann notwendig, wenn gilt: Es ist analytisch wahr, dass R wahr ist, wenn alle Elemente von M wahr sind.

Der Begriff der analytischen Wahrheit fasst die Idee, dass Überzeugungsinhalte oder Repräsentationen allein deswegen wahr sein können, weil die in ihnen enthaltenen Begriffe/Zeichen bestimmte Bedeutungen besitzen und auf bestimmte Weise verknüpft sind.48 Der Satz "Alle Witwen waren verheiratet" gilt demgemäß als analytisch wahr, (i) weil er wahr ist und (ii) weil sich sein Wahrheitswert allein aus der Bedeutung der involvierten Ausdrücke sowie deren Anordnung ergibt. Der Satz "Alle Mitglieder der Beatles waren verheiratet" gilt hingegen nicht als analytisch wahr: Er ist zwar wahr, jedoch nicht allein auf Grund der Bedeutungen der involvierten Ausdrücke und deren Anordnungen. N-AN zufolge besteht logische Notwendigkeit nun in Folgendem: Die Bedeutungen der Ausdrücke, die in R und den Elementen von M vorkommen, und die Anordnungen dieser Ausdrücke in R und den Elementen von M sorgen dafür, dass R wahr ist, wenn alle Elemente von M wahr sind. Der Satz "Marie war verheiratet" folgt demgemäß genau dann aus der Satz47

Vgl. im Zusammenhang mit dem Induktionsproblem Skyrms (1989), S. 87; Will (1985), S. 51f. 48 Vgl. etwa Baumann (2002), S. 232-236, Haack (1978), S. 171-175

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menge {"Marie ist eine Witwe", "Alle Witwen waren verheiratet"}, wenn die in den Sätzen vorkommenden Ausdrücke eine Bedeutung haben, die dazu führt, dass der Satz wahr ist, wenn die Elemente der Menge wahr sind.49 Der Begriff der logischen Folgerung lässt sich demnach wie folgt bestimmen: (LF-AN) Eine Repräsentation R folgt in S genau dann logisch aus einer Menge M von Repräsentationen, wenn gilt: Wenn alle Elemente aus M wahr-in-S sind, dann ist R allein auf Grund der Bedeutungen und der Anordnung der in R und den Elementen von M vorkommenden Ausdrücke wahr-in-S. Inwieweit werden die allgemeinen und speziellen Adäquatheitsbedingungen durch LF-AN erfüllt? Wieder müssen einige Überlegungen genügen: Zunächst lässt sich festhalten, dass SÄ2 und AÄ5 erfüllt werden: LF-AN ist in Hinsicht auf Repräsentationssysteme relativiert. Für "S" können sprachliche Systeme gewählt werden, so dass die klassischen analytischen Folgerungsbegriffe entstehen. Für "S" lassen sich aber auch nichtsprachliche Systeme wählen. Erste Schwierigkeiten ergeben sich im Zusammenhang mit AÄ2 (Exaktheit): Was genau ist mit der Wendung gemeint, etwas sei "allein auf Grund der Bedeutungen" der involvierten Zeichen und deren Anordnung wahr? Eine mögliche Auslegung geht auf Gottlob Frege zurück.50 Seinem Ansatz folgend kann versucht werden, die unklare Redeweise, "R folge auf Grund der Ausdrucksbedeutungen aus M", über die Begriffe der formalen Folgerung und der Synonymie zu klären:51 (AN)

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Angenommen, eine Repräsentation R ist wahr, wenn alle Elemente einer Repräsentationsmenge M wahr sind. Dann gilt dies allein auf Grund der Bedeutungen der in R und den Elementen von M vorkommenden Ausdrücke, wenn Folgendes der Fall ist: i) R folgt formal aus M, oder

Vgl. Shapiro (2002), S. 229 Frege (1884), Abs. 2. Vgl. Boghossian (2001), S. 337; Miller (1998), S. 116 51 Vgl. Haack (1978), S. 172f.; Miller (1998), S. 116 50

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ii) Es gibt eine Repräsentation R* und eine Menge M*, die aus R und M durch die Substitution synonymer Ausdrücke gewonnen werden können, und in Bezug auf die gilt: R* folgt formal aus M*. Gemäß dieser Deutung folgt beispielsweise der folgende Satz S4 analytisch aus der Menge M6, (i) wenn S4 formal aus M6 folgt oder (ii) wenn sich durch die Substitution synonymer Ausdrücke ein Satz S4* und eine Menge M6* erzeugen lassen, so dass S4* formal aus M6* folgt. (M6) (S4)

{"Marie ist eine Witwe"} "Marie war verheiratet"

Wie die Ausführungen des nächsten Unterkapitels zeigen werden, folgt S4 nicht formal aus M6. Auf Grund der vermeintlichen Synonymie Sy scheint sich jedoch ein Satz S4* und eine Menge M6* konstruieren zu lassen, so dass S4* formal aus M6* folgt: (Sy)

"Witwe" =syn "Frau, die verheiratet war, deren Mann gestorben ist und die zur Zeit nicht verheiratet ist"

(M6*)

{"Marie ist eine Frau, die verheiratet war, deren Mann gestorben ist und die zur Zeit nicht verheiratet ist"} "Marie war verheiratet"

(S4*)

Wie angemessen ist LF-AN, wenn AN hinzugezogen wird? Um diese Frage beantworten zu können, müssen die Begriffe der formalen Folgerung und der Synonymie geklärt werden: Wie lassen sie sich definieren? Von welchen Begriffen hängen sie ab? Der Begriff der formalen Folgerung wird erst im nächsten Unterkapitel behandelt werden. An dieser Stelle sollen daher nur einige Bemerkungen darüber angeführt werden, welche Schwierigkeiten mit dem Synonymiebegriff verbunden sind. So hat Willard Van Orman Quine zu zeigen versucht, dass sich der Synonymiebegriff nicht zufriedenstellend definieren lässt, wenn es darum geht, die Begriffe der analytischen Wahrheit und Folgerung

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zu klären. Stark vereinfacht lässt sich seine Argumentation wie folgt wiedergeben:52 Der Synonymiebegriff ist klärungsbedürftig. Die aussichtsreichste Möglichkeit, ihn präziser zu bestimmen, besteht darin, auf den Begriff des Salva-Veritate-Austauschbaren zurückzugreifen: (SV)

Zwei Ausdrücke Z1 und Z2 eines Repräsentationssystems S sind genau dann synonym, wenn sie in jeder Repräsentation von S salva veritate austauschbar sind.

Das heißt: Z1 und Z2 sind synonym, wenn keine wahrheitswerttragende Repräsentation von S ihren Wahrheitswert verändert, wenn Z1 durch Z2 ersetzt wird – und umgekehrt. Auf den zweiten Blick ist SV jedoch schon dann unplausibel, wenn Sprachen ohne intensionale Kontexte ("Willard meint, dass ...", "Rudolf glaubt, dass ..." etc.) betrachtet werden: Nichtintensionale Repräsentationssysteme können Ausdrücke enthalten, die kontingenter Weise dieselbe Extension besitzen. Das nicht-intensionale Fragment des Deutschen enthält z.B. die extensional identischen Ausdrükke "Lebewesen mit Niere" und "Lebewesen mit Leber". Intuitiv betrachtet sind diese Ausdrücke nicht bedeutungsgleich, müssen gemäß SV aber als "synonym" bezeichnet werden. Um dieses Problem auszuschalten, muss das salva-veritate-Kriterium verstärkt werden: (SV) Z1 und Z2 sind genau dann synonym, wenn sie notwendigerweise in allen Repräsentationen von S salva veritate austauschbar sind. Das aber wirft die Frage auf, was unter "notwendigerweise" zu verstehen ist. Die einzige sinnvolle Möglichkeit, den hier zum Tragen kommenden Notwendigkeitsbegriff zu explizieren, besteht darin, ihn im Sinne analytischer Notwendigkeit zu deuten. Aber genau dieser Begriff soll mit Hilfe des Synonymiebegriffs geklärt werden. LF-AN ist somit zirkulär. Quines Argumentation kann im Rahmen dieser Arbeit nicht angemessen diskutiert werden.53 Wie adäquat LF-AN ist, lässt sich somit nicht ab52 53

Quine (1979), S. 34-38. Vgl. Miller (1998), S. 116ff. Zur weiteren Diskussion s. etwa Boghossian (2001)

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schließend bewerten. Dennoch sollten die Grundidee des Analytischen Ansatzes und einige seiner Schwierigkeiten sichtbar geworden sein.

3.6 Formale Folgerung (semantisch-strukturelle Charakterisierung). Ein vierter Ansatz, den Begriff der logischen Notwendigkeit und damit den Begriff der logischen Folgerung zu explizieren, kann als "formaler Ansatz" bezeichnet werden. Ihm liegt der Gedanke zugrunde, dass sich der Begriff der Notwendigkeit mit Hilfe des Begriffs der logischen Form fassen lässt: (N-FO)

Dass R wahr-in-S ist, wenn alle Elemente von M wahr-in-S sind, ist genau dann notwendig, wenn gilt: Wenn alle Elemente von M wahr-in-S sind, dann ist R allein auf Grund der logischen Form von wahr-in-S.

Der Begriff der logischen Form eines Paares lässt sich über den Begriff der logischen Form einer Repräsentation charakterisieren. Dieser beruht auf der Unterscheidung zwischen den logischen Zeichen (logische Konstanten) und den nicht-logischen Zeichen eines Repräsentationssystems: Die logische Form einer Repräsentation R ergibt sich aus i) der Bedeutung der logischen Ausdrücke, die in R vorkommen, ii) den semantischen Kategorien der nicht-logischen Ausdrücke, die in R vorkommen, und iii) der Anordnung der in R vorkommenden logischen und nicht-logischen Ausdrücke.54 Angenommen z.B., zu den logischen Zeichen des Deutschen gehören u.a. "nicht", "und", "oder", "wenn ... dann", "alle" und "einige". Und angenommen, zu den semantischen Kategorien des Deutschen gehören Eigennamen N und einstellige Prädikatausdrücke 1P. Dann lässt sich die logische Form der folgenden Sätze S5-S7 mit Hilfe der Schemata FS5-FS7 darstellen:55 (S5) 54 55

Fiona trinkt oder Fiona schläft.

Vgl. Brun (2003), S. 111-114 Vgl. Bühler (2000), S. 26-33; Sainsbury (2001), S. 37-41; Tennant (1990), S. 10ff.

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(S6) (S7)

Grendel lacht oder Grendel weint. Wenn einige Krokodile Luftakrobaten sind und alle Luftakrobaten schwindelfrei sind, dann sind einige Krokodile schwindelfrei.

(FS5) (FS6) (FS7)

_____N +++++1P oder _____N *****1P _____N +++++1P oder _____N *****1P Wenn einige _____1P +++++1P und alle +++++1P *****1P, dann einige _____1P *****1P.

FS5, FS6 und FS7 setzen sich aus logischen Konstanten des Deutschen ("oder", "wenn ... dann", "und", "alle", "einige") und Platzhaltern zusammen ("_____N", "+++++1P", "*****1P" etc.). Die Platzhalter stehen für Zeichen des Deutschen, wobei gilt: 1.) Platzhalter können nicht für alle möglichen Zeichen, sondern nur für Zeichen bestimmter semantischer Kategorien stehen. (Die semantische Kategorie wird durch den Index kenntlich gemacht: "N" ⇒ Eigenname),56 2.) Platzhalter ein- und desselben Typs (z.B. das erste und zweite Vorkommnis von "+++++1P" im dritten Satzschema) stehen in ein- und denselbem Satzschema für dieselben Ausdrücke.57 S5 und S6 scheinen also dieselbe logische Form zu besitzen, da sich ihre Formen auf die gleiche Weise darstellen lassen. Sei nun ein geordnetes Paar, dessen erste Koordinate eine Repräsentationsmenge M = {R1, ..., Rn} und dessen zweite Koordinate eine Repräsentation R ist.58 Die logische Form von ergibt sich aus i) den logischen Formen von R, R1, ..., Rn und ii) der Koordinaten- und Mengenzugehörigkeit von R, R1, ..., Rn. Die logischen Formen der folgenden Paare P12 und P13 lassen sich etwa mit Hilfe der Paarschemata FP12 und FP13 darstellen. Für die Darstellungen gilt: Jedem Vorkommnis eines bestimmten Ausdrucks in einem Paar Pi wird stets derselbe Platzhalter in FPi zugewiesen:

56

Vgl. Bühler (2000), S. 128 Vgl. Bühler (2000), S. 128 58 Vgl. Bühler (2000), S. 128 ("Argumentform"); Sainsbury (2001), S. 37f. ("argument-form") 57

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(P12)

(P13)

(FP12) (FP13) . Beide Paare besitzen offensichtlich dieselbe logische Form. Gemäß N-FO besteht logische Notwendigkeit nun in Folgendem: Die logische Form von sorgt dafür, dass R wahr ist, wenn alle Elemente von M wahr sind.59 P12 und P13 fallen demgemäß genau dann unter den formalen Folgerungsbegriff, wenn ihre logische Form es nicht zulässt, dass die Elemente ihrer ersten Koordinaten wahr sind, während ihre zweite Koordinate falsch ist. (Dies scheint der Fall zu sein: In beiden Fällen sagen die Elemente der ersten Koordinaten, dass einige A B und alle B C sind. Ist dies wahr, ist auf Grund der Bedeutung der Ausdrücke "einige" und "alle" auch wahr, dass einige A C sind – egal, ob im Zusammenhang von A, B und C über Menschen, Säugetiere und Lebewesen oder über Krokodile, Luftakrobaten und Schwindelfreie gesprochen wird. A, B und C müssen allerdings als einstellige Prädikatausdrücke verstanden werden und nicht etwa als Sätze, Eigennamen oder fünfstellige Prädikatausdrücke.) Der Begriff der logischen Folgerung kann demnach wie folgt definiert werden: (LF-FO) Eine Repräsentation R folgt in S genau dann logisch aus einer Menge M von Repräsentationen, wenn gilt: Wenn alle Elemente aus M wahr-in-S sind, dann ist R allein auf Grund der logischen Form von wahr-in-S. 59

Vgl. etwa Brun (2003), S. 32 u. S. 87; Hanson (1997), S. 366f.; Sainsbury (2001), S. 13; Shapiro (2002), S. 229f.

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In welchem Maß erfüllt LF-FO die allgemeinen und speziellen Adäquatheitsbedingungen? Einige grundsätzliche Überlegungen müssen genügen: Wie in den vorangegangenen Fällen lässt sich festhalten, dass die Bedingungen SÄ2 und AÄ5 erfüllt sind: LF-FO ist in Bezug auf Repräsentationssysteme relativiert und kann auf sprachliche, aber auch nichtsprachliche Systeme spezialisiert werden. In Blick auf Bedingung AÄ2 (Exaktheit) stellen sich allerdings eine Reihe von Fragen: (a) Wie ist die Wendung zu verstehen, R sei "allein auf Grund der logischen Form" wahr, wenn alle Elemente von M wahr sind? (b) Was ist unter dem Ausdruck "logisches Zeichen" zu verstehen? (c) Was ist mit dem Ausdruck "semantische Kategorie" gemeint? zu (a) "allein auf Grund der logischen Form": Zentral für LF-FO ist die Redeweise, eine Repräsentation R sei allein auf Grund der logischen Form von wahr, wenn alle Repräsentationen einer Menge M wahr sind. Wie ist diese Wendung zu verstehen? Es sind u.a. zwei Deutungen vorgeschlagen worden: (SUB)

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Angenommen, eine Repräsentation R ist wahr, wenn alle Elemente einer Repräsentationsmenge M wahr sind. Dies ist genau dann allein auf Grund der logischen Form von der Fall, wenn gilt: Es gibt keine uniforme Substitution der nicht-logischen Ausdrücke in R und in den Repräsentationen von M, so dass jedes Element von M* wahr, R* dagegen falsch ist – wobei R* die Repräsentation ist, die durch die uniforme Substitution aus R hervorgegangen ist, und M* die Menge, die durch die uniforme Substitution aus M hervorgegangen ist. ("Uniforme Substitution" bedeutet: Jedes Vorkommnis eines nicht-logischen Zeichens Z wird in durch ein- und desselben Ausdruck Z* ersetzt – wobei Z* dieselbe semantische Kategorie besitzen muss wie Z. Z* und Z können identisch sein.)60

SUB geht auf Bernard Bolzano zurück, s. Bolzano (1837). Vgl. Etchemendy (1990), S. 27-30; Hanson (1997), S. 367; Shapiro (2002), S. 231

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(INT)

Angenommen, eine Repräsentation R ist wahr, wenn alle Elemente einer Repräsentationsmenge M wahr sind. Dies ist genau dann allein auf Grund der logischen Form von der Fall, wenn gilt: Es gibt keine uniforme (Um-)Interpretation I* der nichtlogischen Ausdrücke in R und den Elementen von M, so dass jedes Element aus M unter I* wahr, R unter I* dagegen falsch ist. ("Uniforme (Um-)Interpretation" bedeutet: Jedes Vorkommnis eines nicht-logischen Zeichens Z bekommt dieselbe Interpretation entsprechend seiner syntaktischen Kategorie zugewiesen – wobei die Interpretation I* von Z der alten Interpretation I entsprechen kann.)61

Die Ideen, die SUB und INT zugrunde liegen, lassen sich an Hand von P12 und FP12 illustrieren: (P12)

(FP12) Gemäß SUB folgt die zweite Koordinate von P12 genau dann aus der ersten Koordinate von P12, wenn gilt: Es gibt keine uniforme Einsetzung in das Schema FP12 (entsprechend den semantischen Kategorien), so dass jedes Element der ersten Koordinaten nach dieser Einsetzung wahr ist, die zweite Koordinate jedoch falsch. Gemäß INT folgt die zweite Koordinate von P12 genau dann aus der ersten Koordinate von P12, wenn gilt: Es gibt keine Einsetzung in das Schema FP12, so dass: 1.) die Platzhalter durch dieselben Zeichen ersetzt wird wie in P12 ("_____1P" ⇒ "Menschen"; "+++++1P " ⇒ "Säugetiere" etc.), 61

INT wurde von Alfred Tarski entwickelt, s. Tarski (1956a). Vgl. Etchemendy (1990), S. 55f.; Hanson (1997), S. 367; Shapiro (2002), S. 231

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2.) die nicht-logischen Zeichen entsprechend ihrer semantischen Kategorie interpretiert sind (z.B. I*("Menschen") = {x : x ist ein Mensch} oder {x : x ist ein Krokodil}), 3.) jedes Element der ersten Koordinate gemäß der Interpretation I* wahr ist, die zweite Koordinate hingegen falsch. SUB und INT sind nicht äquivalent. Dies zeigt sich, wenn Repräsentationssysteme betrachtet werden, die in ihren Ausdrucksmöglichkeiten beschränkt sind und nicht für alle Gegenstände, Eigenschaften oder Relationen Namen enthalten: Sei SD– z.B. eine Variante des Schriftdeutschen. SD– unterscheidet sich vom Deutschen in zwei Punkten: (1) Es enthält nur zwei Eigennamen – "Julius Cäsar" und "Augustus". (2) Es besitzt nur zwei Prädikatausdrücke – "(ist) tot" und "(ist) Namenspatron für einen Monat". Die logischen Konstanten von SD– sind die Zeichen, die üblicherweise als Konstanten des Deutschen betrachtet werden ("nicht", "und", "alle" etc.). Zu den semantischen Kategorien von SD– gehören die Kategorie 'Eigenname' und 'einstelliger Prädikatausdruck'. Wird die Frage gestellt, ob das folgende Paar P14 unter den auf SD– spezialisierten formalen Folgerungsbegriff fällt, ergeben sich unterschiedliche Antworten – je nachdem, ob SUB oder INT zugrunde gelegt werden: (P14)

< {"Julius Cäsar ist tot"}, "Julius Cäsar ist Namenspatron für einen Monat">

(FP14) < {"_____N +++++1P."}, "_____N *****1P." > Gemäß SUB fällt P14 unter den Folgerungsbegriff: Es gibt keine Ausdrücke von SD–, die uniform in FP14 eingesetzt werden können, so dass jedes Element der ersten Koordinate wahr, die zweite Koordinate jedoch falsch wird. Gemäß INT fällt P14 nicht unter den Folgerungsbegriff: SD– lässt sich beispielsweise so uminterpretieren, dass alle Ausdrücke bis auf "Julius Cäsar" ihre ursprüngliche Bedeutung beibehalten. "Julius Cäsar" steht hingegen für Karl den Großen. Unter dieser Uminterpretation ist die zweite

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Koordinate von P14 falsch, während das Element der ersten Koordinate wahr ist. INT ist allem Anschein nach besser geeignet, um die Redeweise zu präzisieren, etwas sei allein auf Grund der logischen Form eines Paares wahr: Während es bei SUB – intuitiv gesprochen – nur möglich ist, Gegenbeispiele heranzuziehen, die über die eventuell beschränkten Ausdrucksmöglichkeiten des jeweiligen Repräsentationssystems 'erreichbar' sind, können bei INT die Grenzen der Ausdrucksmöglichkeiten durch Uminterpretation überschritten werden.62 LF-FO wird somit am besten wie folgt präzisiert: (LF-FI)

Eine Repräsentation R folgt in S genau dann logisch aus einer Menge M von Repräsentationen, wenn gilt: Es gibt keine uniforme (Um-)Interpretation I* der nicht-logischen Zeichen in R und den Elementen von M, so dass jedes Element von M unter I* wahr-in-S, R dagegen falsch-in-S ist.

zu (b) "logische Zeichen": Ob ein Paar unter den formalen Folgerungsbegriff fällt oder nicht, hängt maßgeblich davon ab, welche Zeichen eines Repräsentationssystems zu den logischen Konstanten gezählt werden und welche nicht.63 In Bezug auf das Deutsche werden üblicherweise die folgenden Ausdrücke als logische Zeichen betrachtet: "und", "oder", "wenn ... dann", "nicht", "einige" und "alle" – sowie alle Ausdrücke, die mit diesen Ausdrücken bedeutungsgleich sind oder über sie definiert werden können. Andere Ausdrücke besitzen einen umstrittenen Status. So ist nicht klar, ob die Ausdrücke "ist identisch mit", "notwendig" oder "die meisten" zu den logischen Konstanten gezählt werden sollen oder nicht.64 Gerade in Anbetracht der strittigen Fälle stellt sich die Frage, wie die klassische Auswahl logischer Konstanten begründet ist: Inwiefern grenzen sie sich von den nicht-logischen Zeichen ab? Was macht das Zeichen eines Repräsentationssystems S zu einem logischen Zeichen von S? Sollte sich kein gut begründetes Kriterium anführen lassen und die Auswahl willkür62

Vgl. etwa Etchemendy (1990), S. 31 Vgl. Tarski (1956a), S. 418 64 Vgl. Sainsbury (2001), S. 42; Shapiro (2002), S. 231 63

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lich oder beliebig sein, droht das Vorliegen logischer Folgerung ebenfalls willkürlich und beliebig zu werden. Innerhalb der Literatur zur Logik finden sich im Wesentlichen drei Strategien, mit der Frage umzugehen, wie sich logische und nicht-logische Zeichen voneinander abgrenzen lassen: Die erste Strategie besteht darin, die traditionelle und klassische Auswahl von logischen Konstanten 'einfach' zu übernehmen und kein Abgrenzungskriterium anzugeben. Stewart Shapiro schreibt: Eine [..] Taktik, die in den meisten Logikbüchern implizit befolgt wird, ist die, bloß eine Liste der logischen Ausdrücke bereit zu stellen und unsere Aufgabe mit diesem Glaubensakt auf sich beruhen zu lassen. Dies ist vielleicht ein sicherer Weg, weil er einige unangenehme philosophische Fragen vermeidet. Aber er könnte den Leser verwundert darüber zurücklassen, was vor sich geht. Und natürlich liefert diese Taktik keine Einsicht in die Auswahl der logischen Ausdrücke.65

Die zweite Strategie besteht in dem Versuch, Eigenschaften zu ermitteln, die logische Zeichen wesentlich von nicht-logischen Zeichen unterscheiden, und ein geeignetes Abgrenzungskriterium für die Menge der logischen Konstanten anzugeben.66 So wurde beispielsweise versucht, die Menge der logischen Zeichen über den Begriff der Themenneutralität (topic neutrality) von den nichtlogischen Zeichen abzugrenzen.67 Logische Konstanten sind demnach im Gegensatz zu den nicht-logischen Ausdrücken themenneutral und nicht inhaltlich 'aufgeladen'. Das Zeichen "und" sei z.B. ein logisches Zeichen, weil es im Gegensatz zu einem Ausdruck wie "Katze" oder "Julius Cäsar" kein bestimmtes Thema, keinen bestimmten Inhalt in die Rede einführe. Der Begriff der Themenneutralität ist jedoch im höchsten Maße unbestimmt und vage: Müsste "alle" nicht auch den nicht-logischen Ausdrücken zugeschlagen werden, weil die Verwendung von "alle" das Thema der Entitäten einführt? usw.68 65

Shapiro (2002), S. 231 [Aus dem Englischen ins Deutsche von St.B.] Vgl. Shaprio (2002), S. 231 67 Vgl. Brun (2003), S. 36 u. S. 106; Haack (1978), S. 5f u. S. 23; Sainsbury (2001), S. 42 u. S. 365ff. 68 Vgl. Sainsbury (2001), S. 367 66

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Bisher scheint es nicht gelungen zu sein, den Begriff der Themenneutralität so zu fassen, dass er als Abgrenzungskriterium zwischen logischen und nicht-logischen Ausdrücken taugt. Auch andere Versuche, die Menge der logischen Konstanten zu charakterisieren, haben das Problem allen Anschein nach nicht lösen können – zumindest nicht auf eine Weise, die als rundum zufriedenstellend betrachtet werden kann. (Anführen lässt sich hier etwa das Regelkriterium, demzufolge etwas eine logische Konstante ist, wenn sich sein korrekter Gebrauch vollständig über syntaktische Einund Ausführungsregeln bestimmen lässt.69 Weitere bekannte Kriterien sind das Permutationskriterium von Tarski70 oder das Isomorphiekriterium von Gila Sher71.) Die dritte Strategie besteht darin, den Begriff der logischen Folgerung auf Mengen von logischen Konstanten zu relativieren:72 (LF-FI*) Sei K eine Menge von Ausdrücken eines Repräsentationssystems S und K* die Antiextension von K bezüglich S. Die Elemente von K werden "logische Zeichen" genannt, die Elemente von K* "nicht-logische Zeichen". Eine Repräsentation R folgt in S genau dann hinsichtlich K aus einer Menge M von Repräsentationen, wenn gilt: Es gibt keine uniforme (Um-)Interpretation I* der Elemente von K* in R und den Elementen von M, so dass jedes Element aus M unter I* wahr-in-S, R dagegen falsch-in-S ist. Im Gegensatz zu LF-FO kann LF-FI* nicht nur auf verschiedene Repräsentationssysteme spezialisiert werden: In Bezug auf ein gewähltes Repräsentationssystem S lassen sich zudem verschiedene Mengen K festgelegen. Wird für "S" beispielsweise das Deutsche SSD gewählt, kann für "K" die Menge K1 der Ausdrücke gesetzt werden, die klassischerweise als logische Konstanten des Deutschen gelten ("nicht", "und", "alle" etc.). In diesem Fall fällt das folgende Paar P15 unter LF-FI* (spezialisiert auf SSD und K1): 69

Vgl. Sainsbury (2001), S. 367-374; s. etwa Prawitz (1978) Tarski (1986b) 71 Sher (1991) 72 S. z.B. Tarski (1957a), S. 419. Vgl. Hanson (1997), S. 375; Shapiro (2002), S. 231 70

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(P15)

(FP15) Für "K" kann aber auch eine Menge K2 gesetzt werden, die keine Quantorenausdrücke wie "alle" und "einige" enthält. P15 besitzt in diesem Fall die Form FP15+ und fällt nicht unter LF-FI* (spezialisiert auf SSD und K2) – wie das Paar P15+ zeigt. (FP15+) (P15+)

(Zwei besondere Fälle liegen vor, wenn für "K" eine Menge gewählt wird, die alle Zeichen von SSD enthält oder leer ist: (1) Enthält K jeden Ausdruck des Deutschen, sind alle Paare in der Extension des Folgerungsbegriffes enthalten, für die gilt: Die zweite Koordinate ist wahr oder mindestens ein Element der ersten Koordinate falsch. (2) Ist K die leere Menge fallen nur solche Paare in die Extension des Folgerungsbegriffes, deren zweite Koordinate auch Element der ersten Koordinate ist.73) Das Problem der logischen Konstanten kann im Rahmen dieser Arbeit nicht ausführlicher behandelt werden. Stattdessen wird die erste Strategie gewählt: Als logische Konstante eines Systems S soll gelten, was üblicherweise als logische Konstante von S gilt – oder aus dem üblichen Umgang mit S als logische Konstante von S abgeleitet werden kann. (Letzteres wird z.B. bei den Systemen VENN und CARROLL der Fall sein.) Die Wahl der logischen Konstanten wird implizit in der Semantik von S festgehalten: Alle Zeichen, deren Bedeutung in dem Interpretationsschema von S festgelegt ist, gehören zu den logischen Konstanten; alle Zeichen, 73

Vgl. Etchemendy (1990), S. 28ff. ("Logische Wahrheit")

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deren Bedeutung erst in der vollständigen Interpretation bestimmt wird, gelten als nicht logische Zeichen.74 zu (c) "semantische Kategorie": Die logische Form eines Paares hängt nicht nur davon ab, welche logischen Zeichen in R und den Elementen von M vorkommen. Sie wird auch durch die semantischen Kategorien bestimmt, denen die nicht-logischen Zeichen angehören, welche in R und den Elementen von M auftauchen. Ob ein bestimmtes Paar unter den Folgerungsbegriff fällt oder nicht, hängt somit auch davon ab, welchen semantischen Kategorien die nicht-logischen Ausdrücke zugeordnet werden. In Bezug auf das Deutsche wird üblicherweise die folgende Einteilung vorgenommen:75 • Eigennamen (z.B. "Aristoteles") • 1-stellige Funktionsausdrücke (z.B. "Vater von x") • 2-stellige Funktionsausdrücke (z.B. "Summe von x und y") • usw. • 1-stellige Prädikatausdrücke (z.B. "x ist blau") • 2-stellige Prädikatausdrücke (z.B. "x verschenkt y") • usw. • Junktoren (z.B. "und") • Quantoren (z.B. "alle") • Sätze (z.B. "Aristoteles ist blau") Es lassen sich allerdings gröbere und feinere Einteilungen denken: Die Kategorie der Eigennamen und Funktionsausdrücke könnte zu einer Kategorie zusammengefasst sein,76 die Kategorie der 1-stelligen Prädikataus74

Vgl. Kap. 2.2 Vgl. hierzu etwa Bühler (2000), Kap. II 76 Vgl. hierzu etwa die Diskussion um Gottlob Freges und Bertrand Russells Behandlungen von Kennzeichnungen in: Borg/Lepore (2002) 75

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drücke ließe sich in die Kategorie der Adjektive und Verben aufsplittern usw. Dies wirft die Frage auf, wie sich die Menge und der Umfang der semantischen Kategorien rechtfertigen lassen. Gibt es kein gut begründetes Kriterium für die Aufteilung der Kategorien, droht das Vorliegen logischer Folgerung willkürlich und beliebig zu werden. Deutlich machen lässt sich das an dem folgenden Beispiel:77 Das folgende Paar P16 fällt gemäß der klassischen Kategorieneinteilung nicht unter den formalen Folgerungsbegriff. Der nicht-logische Ausdruck "ist eine Schauspielerin" gehört der Kategorie einstelliger Prädikatausdrükke an und kann daher so uminterpretiert werden, dass er für die Eigenschaft steht, ein Mann zu sein. Die erste Koordinate ist unter dieser Interpretation wahr, die zweite falsch. (P16)

(FP16) Angenommen aber, die Ausdrücke des Deutschen werden auf eine abgewandelte Weise in semantische Kategorien unterteilt: (1) Die Kategorie der Eigennamen ist in zwei Kategorien aufgesplittert – in die Kategorie der Eigennamen-ohne-Lucy-Liu-Namen und in die Kategorie der Lucy-LiuNamen. (2) Die Kategorie der einstelligen Prädikatausdrücke ist in drei Kategorien zerteilt – in die Kategorie der einstelligen Prädikatausdrückeohne-Frau-und-ohne-Schauspieler-Ausdrücke, in die Kategorie der FrauAusdrücke und in die Kategorie der Schauspieler-Ausdrücke. Die Kategorie der Lucy-Liu-Namen (LLN) enthält nur Ausdrücke, die sich als Eigennamen auf Lucy Liu beziehen. Die Kategorie der FrauAusdrücke (1FP) besitzt nur Zeichen, die auf die Eigenschaft referieren, eine Frau zu sein. Und die Kategorie der Schauspieler-Ausdrücke (1SP) enthält nur Repräsentationen, die sich auf die Eigenschaft beziehen, Schauspieler zu sein. P16 besitzt in diesem Fall eine Form, die sich mit Hilfe von FP16+ darstellen lässt, und fällt demgemäß unter den formalen Folgerungsbegriff: Es 77

Vgl. Evans (2002), S. 63; Sainsbury (2001), S. 361

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gibt keine Uminterpretation der nicht-logischen Zeichen entsprechend ihren semantischen Kategorien, die das Element der ersten Koordinate wahr und die zweite Koordinate falsch macht. (FP16+) Wie im Fall der logischen Konstanten können drei Strategien eingeschlagen werden, mit diesem Problem umzugehen: (1) Die übliche Einteilung in semantische Kategorien wird übernommen. (2) Es wird versucht, eine Kategorieneinteilung zu begründen. (3) Der Folgerungsbegriff wird hinsichtlich verschiedener Kategorieneinteilungen relativiert. Ein Beispiel für die zweite Strategie findet sich z.B. in dem Aufsatz "Semantic structure and logical form"78 von Gareth Evans. Evans beschäftigt sich hier mit einem Folgerungsbegriff, der als "rein strukturell" bezeichnet werden kann: (LF-ST)

Eine Repräsentation R folgt genau dann aus einer Repräsentationsmenge M, wenn gilt: R ist auf Grund der Struktur von wahr, wenn alle Elemente von M wahr sind.79

Die Struktur von ergibt sich dabei (i) aus den semantischen Kategorien der in R und den Elementen von M vorkommenden Ausdrücke, (ii) der Anordnung dieser Ausdrücke und (iii) den Koordinatenzugehörigkeiten. Bei der strukturellen Folgerung wird somit auch von der Bedeutung einer logischen Konstante abgesehen und nur noch Kategorienzugehörigkeit berücksichtigt. ("A" folgt daher nicht strukturell aus {"A und B"}, weil "und" als Alternation, also im Sinne von "oder" interpretiert werden kann.80) Da eine Unterscheidung in logische und nicht-logische Zeichen für den strukturellen Folgerungsbegriff unerheblich ist, gerät das Problem der semantischen Kategorien hier umso mehr ins Rampenlicht. Evans versucht es im Sinne der folgenden Überlegung zu lösen:81 78

Evans (2002) Vgl. Evans (2002); Sainsbury (2001), 259-364 80 Vgl. Sainsbury (2001), S. 362 81 Vgl. hierzu auch Sainsbury (2001), S. 361 79

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[I]ch denke, wir können diese Sorge zerstreuen. Wir sollten unsere Konstruktion der Kategorien und die [zugehörigen semantischen] Zuweisungen im folgenden Geiste sehen: Wenn sich zwei Ausdrücke auf dieselbe Art und Weise verhalten, aber in verschiedenen Kategorien sind, bedeutet dies eine verlorene Verallgemeinerung. Wenn wir das Unternehmen in diesem Licht sehen, werden wir eine neue Kategorie nur dann aus einer älteren und umfassenderen Kategorie konstruieren, wenn wir eine [semantische] Zuweisung zu den Elementen der neuen Kategorien machen können, welche eine andere Erklärung für das Verhalten liefert, das die Elemente der neuen Kategorie mit denen der alten gemeinsam haben – wobei die Erklärung zeigen würde, dass die vermeintliche Einheit im Verhalten der Elemente der alten Kategorie trügerisch war und tiefe Unterschiede in der Art des Funktionierens verdeckt hat. Nur in diesem Fall wird die Entdeckung einer neuen Kategorie nicht auf Kosten einer wichtigen Verallgemeinerung gehen.82

Evans Vorschlag soll hier nicht weiter verfolgt werden. Im Rahmen dieser Arbeit soll stattdessen die erste Strategie eingeschlagen werden: Als semantische Kategorien eines Repräsentationssystems S werden diejenigen Kategorien gewählt, die üblicherweise in Bezug auf S angegeben werden – oder sich aus dem üblichen Umgang mit S als Kategorien herleiten lassen. Welche Kategorien als semantische Kategorien eines Systems festgelegt werden, wird meist nur implizit in der Syntax und Semantik angegeben (z.B. in der Klassifikation des Vokabulars und den semantischen Zuweisungen). Wird die übliche Auswahl an logischen Konstanten und semantischen Kategorien vorausgesetzt, scheint mit LF-FI eine angemessene Explikation des Folgerungsbegriffs vorzuliegen: LF-FI entspricht im Wesentlichen der Art und Weise, wie logische Folgerung in der modernen Logik definiert und verstanden wird. Der formale Folgerungsbegriff hat sich hier als sehr fruchtbar erwiesen (AÄ4) und scheint zugleich einen Großteil unserer Intuitionen über die Extension des Folgerungsbegriffs einzufangen (AÄ1). Dies gilt insbesondere für die oben angeführten Musterbeispiele und Mustergegenbeispiele (SÄ1): Wenn LF-FI auf das Deutsche spezialisiert wird, fallen P1 und P2 unter das Explikat von LF-FI, P3 und P4 hingegen nicht. 82

Evans (2002), S 63f. [Aus dem Englischen ins Deutsche und Einfügungen von St.B.]

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Zudem lässt sich zeigen, dass das Explikat von LF-FI nicht graduell, monoton, 'transitiv' und 'reflexiv' ist (SÄ4).83 Darüber hinaus hängt die Frage, ob R aus M folgt, von Dingen ab, die uns zugänglich sind (SÄ3) – nämlich von den Bedeutungen, den semantischen Kategorien und den Anordnungen der Ausdrücke. Allerdings sind auch mit dem formalen Folgerungsbegriff Schwierigkeiten verbunden – neben dem Problem der logischen Konstanten und der semantischen Kategorien. Anführen lassen sich etwa: 1.) Wird die übliche Auswahl an logischen Konstanten und semantischen Kategorien zugrunde gelegt, gibt es Paare, die nicht unter das Explikat fallen, deren zweite Koordinate intuitiv betrachtet jedoch aus der ersten Koordinate folgt.84 Ein Beispiel hierfür ist das folgende Paar P17: (P17)

Die Explikation scheint demnach in bestimmten Hinsichten zu eng zu sein. Aus Sicht des formalen Ansatzes könnte allerdings entgegnet werden, dass wir ein Paar wie P17 nur deswegen zu der Extension des Folgerungsbegriffs zählen, weil wir sie 'in Wirklichkeit' als Abkürzungen für Paare verwenden, die unter den formalen Folgerungsbegriff fallen – im Fall von P17 z.B. als Abkürzung für P17+:85 (P17+)

2.) Wird die übliche Auswahl an logischen Konstanten und semantischen Kategorien vorausgesetzt, gibt es Paare, die unter das Explikat fallen, deren zweite Koordinate intuitiv betrachtet jedoch nicht aus der ersten Koordinate folgt. Ein klassisches Beispiel hierfür stammt aus der Prädikatenlogik 1. Stufe:86 83

Etwa Sainsbury (2001), S.26-29 Vgl. Barwise/Etchemendy (2000), S. 283; s. aber auch Hanson (1997), S. 369 85 Entsprechend der "axiomatischen Methode", s. Barwise/Etchemendy, S. 284. Zur Möglichkeit Paare wie P17 als verkürzte Schlüsse ("Enthymeme") zu betrachten, s. auch Scotto di Luzio (2002), S. 109-115; Skyrms (1989), S. 26-29 86 Vgl. hierzu Hanson (1997), S. 368ff. u. 386ff.; Shapiro (2002), S. 234 84

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Zu den prädikatenlogischen Konstanten wird neben den Junktoren (z.B. "¬", "∧") und den Quantoren (z.B. "∃") oftmals das Identitätszeichen "=" gezählt. Dies erlaubt es Sätze zu konstruieren, die kein nicht-logisches Zeichen enthalten, z.B. S8 und S9: (S8) (S9)

∃x1∃x2 ¬(x1 = x2) ∃x1∃x2∃x3 ((¬(x1 = x2) ∧ ¬(x2 = x3)) ∧ ¬(x1 = x3))

S8 besagt, dass es mindestens zwei Dinge gibt, und ist wahr. S9 drückt aus, dass es mindestens drei Dinge gibt, und ist ebenfalls wahr. Da S8 und S9 sich nur aus logischen Konstanten und Gliederungszeichen zusammensetzen, ist es nicht möglich, S8 und S9 eine andere Bedeutung zuzuweisen, indem nicht-logische Zeichen uminterpretiert werden. Das aber heißt: Es gibt keine Uminterpretation, unter der S8 wahr, S9 hingegen falsch ist – das Paar fällt unter den formalen Folgerungsbegriff. Dies widerspricht jedoch unseren Intuitionen: Dass es drei Dinge gibt, scheint sich nicht logisch aus der Tatsache ableiten zu lassen, dass es zwei Dinge gibt. Es hätte auch nur zwei Dinge geben können.87 U.a. um diesem Problem abzuhelfen, wird dem formalen Ansatz in der modernen Logik ein 'Mögliche-Welten-Element' beigesteuert:88 Bei der Uminterpretation eines Repräsentationssystems S ist es auch möglich, den Gegenstandsbereich zu verändern, über den mit Hilfe der Zeichen von S gesprochen wird. So lässt sich als Gegenstandsbereich die Menge aller Menschen, aller Zahlen oder aller Planeten wählen. S9 folgt nun nicht mehr formal aus {S8}: Bei der Uminterpretation kann ein Gegenstandsbereich gewählt werden, der nur zwei Elemente enthält. S8 ist in diesem Fall wahr, S9 hingegen falsch. Die Diskussion um den formalen Folgerungsbegriff soll an dieser Stelle abgebrochen werden. Grundidee und einige Schwierigkeiten sollten jedoch deutlich geworden sein.

3.7 Logische Folgerung: Monismus vs. Pluralismus. Neben den vier vorgestellten Ansätzen gibt es eine Reihe weiterer Vorschläge, den Begriff 87 88

Vgl. Hanson (1997), S. 387f. Vgl. Shapiro (2002), S. 238

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der deduktiven Folgerung zu explizieren. Grob gesprochen lassen sich diese Vorschläge in zwei Gruppen einteilen: In die erste Gruppe fallen solche Ansätze, die mit LF-MW, LF-AP, LFAN und LF-FI die Idee teilen, dass das Vorliegen einer notwendigen Abhängigkeitsrelation hinreichend für das Vorliegen logischer Folgerung ist: Wenn R wahr sein muss, falls alle Elemente von M wahr sind, dann folgt R aus M. Sie unterscheiden sich von den vier Ansätzen jedoch in der Art und Weise, wie der relevante Notwendigkeitsbegriff expliziert wird. Beispielsweise gibt es die Idee, den Begriff der logischen Notwendigkeit nicht über den Begriff der Möglichen Welt oder den Begriff der logischen Form zu bestimmen, sondern über eine Verbindung beider Begriffe:89 (LF-MF) Eine Repräsentation R folgt in S genau dann logisch aus einer Repräsentationsmenge M, wenn gilt: i) R ist in allen Welten wahr-in-S, in denen alle Repräsentationen aus M wahr-in-S sind. ii) Es gibt keine uniforme Substitution der nicht-logischen Ausdrücke in R und den Elementen von M, so dass jedes Element aus M* wahr-in-S und R* falsch-in-S ist – wobei R* diejenige Repräsentation ist, die durch die uniforme Substitution aus R hervorgegangen ist, und M* die Menge, die durch die uniforme Substitution aus M hervorgegangen ist. In die zweite Gruppe gehören solche Ansätze, denen zufolge Notwendigkeit keine hinreichende Bedingung für logische Folgerung ist. Dass R wahr sein muss, wenn alle Elemente von M wahr sind, bedeutet demgemäß nicht zwangsläufig, dass R aus M folgt. Es müssen weitere Bedingungen erfüllt sein. Als Beispiele für Vorschläge dieser Art können Definitionen genannt werden, in denen der Folgerungsbegriff relevanzlogisch bestimmt wird.90 Relevanzlogische Ansätze motivieren sich aus der folgenden Beobachtung: Wenn Notwendigkeit hinreichend für logische Folgerung ist, dann fällt (i) jedes Paar unter den Folgerungsbegriff, dessen erste Koordinate wider89 90

Vgl. Hanson (1997), S. 367; Shapiro (2002), S. 231 Vgl. etwa Mares (2002); Read (1997), S. 73-78

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sprüchlich ist (ex contradictione quod libet), und (ii) jedes Paar, dessen zweite Koordinate logisch wahr ist (verum ex quod libet sequitur).91 Dies gilt auch in Fällen, in denen zwischen der ersten und der zweiten Koordinate keinerlei Zusammenhang besteht – etwa im Fall von P17 und P18: (P17) (P18) Was aber hat der Wellen-Teilchen-Dualismus des Lichts mit Lucy Lius Schauspielerkarriere zu tun? Inwiefern sollte er hierfür relevant sein? Davon zu sprechen, dass in P17 und P18 die zweite Koordinate eine "logische Konsequenz" der ersten Koordinate ist, scheint unseren Intuitionen zu widersprechen.92 In relevanzlogischen Bestimmungen des Folgerungsbegriffs wird daher ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen einer Menge und ihren logischen Konsequenzen gefordert. Intuitiv unplausible Fälle sollen auf diese Weise ausgeschaltet werden. (LF-RE) Eine Repräsentation R folgt in S genau dann logisch aus einer Menge M von Repräsentationen, wenn gilt: i) Es notwendig ist, dass R wahr-in-S ist, wenn alle Elemente von M wahr-in-S sind, und ii) Zwischen R und den Elementen von M besteht ein inhaltlicher Zusammenhang oder irgendeine Form der Relevanz. Ansätze wie LF-MF und LF-RE werden im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht weiter berücksichtigt. Logische Folgerung soll ausschließlich im Sinn von LF-MW, LF-AP, LF-AN oder LF-FI verstanden werden. Sich auf diese vier Explikationen zu beschränken, scheint jedoch vertretbar zu sein: Zum einen decken sie ein breites Spektrum von Möglich91 92

Vgl. auch Bremer (1998), S. 32-35 Vgl. Read (1997), S. 73

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keiten ab, an eine Definition des Folgerungsbegriffs heranzugehen (ontologisch, epistemisch, semantisch, formal). Zum anderen zählen sie zu den prominentesten Versuchen, die Begriffe der logischen Notwendigkeit und der Folgerung zu fassen. Dies gilt insbesondere für LF-FI: Wenn innerhalb der modernen Logik von "Logischer Folgerung" gesprochen wird, ist damit meist formale Folgerung gemeint. Allerdings stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis die vier Explikationen zueinander stehen: Besitzen ihre Explikate dieselbe Extension oder lassen sie zum Teil verschiedene Paare unter den Folgerungsbegriff fallen? Wenn die Explikate von LF-MW, LF-AP, LF-AN und LF-FI extensionsgleich sind, ist die Lage eher unproblematisch: Die Explikationen definieren ein- und dasselbe – nur auf unterschiedliche Weise. Werden Fragen zur logischen Folgerung untersucht, kann diejenige Explikation herausgesucht werden, die sich im konkreten Fall als besonders gut handhabbar oder fruchtbar erweist. Sind die Explikate von LF-MW, LF-AP, LF-AN und LF-FI dagegen nicht extensionsgleich, drängt sich die Frage auf, wie die Vielzahl der Explikationen zu bewerten ist: Ist eine von ihnen die angemessenere, bessere, richtigere Definition des Folgerungsbegriffs (Monismus)? Oder sind alle gleichermaßen berechtigt, (i) weil sich der vortheoretische Folgerungsbegriff nicht auf die eine optimale Weise explizieren lässt, oder (ii) weil es in Wirklichkeit verschiedene vortheoretische Folgerungsbegriffe gibt, die von den einzelnen Explikationen jeweils angemessen erfasst werden (Pluralismus)?93 Shapiro schreibt: Unsere [..] Frage betrifft den Punkt, was aus all diesen Begriffen zu machen ist. Sie scheinen nicht in dieselbe Richtung zu weisen. Nichtsdestotrotz könnte jemand behaupten, dass es nur einen einzigen zugrunde liegenden Begriff logischer Folgerung gibt. Gemäß dieser Sichtweise gilt: Wenn es eine Abweichung zwischen zwei der obigen Begriffe gibt, dann müssen wir schließen, dass (mindestens) einer von ihnen nicht korrekt ist. Er scheitert, den wahren Begriff logischer Folgerung zu fassen. Auf der anderen Seite könnte der Logiker eklektischer sein und vorschlagen, dass es verschiedene Begriffe der Folgerung gibt, von denen einige durch die obigen Begriffe eingefangen worden sind. In diesem Fall sind 93

Vgl. Haack (1978), Kap. 12; Shapiro (2002), Kap. 5

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die verschiedenen Begriffe natürlich nicht notwendiger Weise Rivalen, wenn sie sich von einander unterscheiden.94

Die bisherigen Ausführungen erlauben es nicht, gesicherte Aussagen über die Extensionen der vier Explikate zu treffen. Zu viele Fragen wurden offen gelassen: Wie sind mögliche Welten beschaffen? Was bedeutet es, etwas unabhängig von der Erfahrung zu rechtfertigen? Worin genau besteht Synonymie? Was macht ein Zeichen zu einer logischen Konstante? Dennoch lassen sich Gründe anführen, die eher gegen eine Extensionsgleichheit der vier Explikationen sprechen. Einige Überlegungen und Mutmaßungen müssen an dieser Stelle genügen: 1.) analytische und formale Folgerung: Wird LF-AN im Sinn von AN verstanden, fällt jedes Paar, das unter das Explikat von LF-FI fällt, unter das Explikat von LF-AN: Gemäß der ersten Klausel von AN ist jeder Fall von formaler Folgerung auch ein Fall von analytischer Folgerung. Der umgekehrte Fall scheint jedoch nicht zu gelten: Solange der Synonymiebegriff nicht leer ist und die übliche Auswahl an Konstanten und Kategorien getroffen wird, fällt nicht jedes Paar, das unter LF-AN fällt, unter LF-FI. P17 könnte ein Beispiel für ein solches Paar sein. Die Extension des formalen Folgerungsbegriffs ist demnach nicht identisch mit der Extension des analytischen Folgerungsbegriffs, sondern eine echte Teilmenge von ihr.95 2.) analytische, formale und Mögliche-Welten-Folgerung (possibilistisch): Wenn ein Paar unter den analytischen oder formalen Folgerungsbegriff fällt, hängt dies im Wesentlichen an den Bedeutungen und den semantischen Kategorien der involvierten Ausdrücke – nicht an der Beschaffenheit der Welt: Dass der Satz "Herr Schmidt ist unverheiratet" wahr ist, wenn der Satz "Herr Schmidt ist ein Junggeselle" wahr ist. liegt an den Bedeutungen der Ausdrücke "Junggeselle" und "unverheiratet" – nicht an dem tatsächlichen oder möglichen Verhalten von Herrn Schmidt. Von diesem Standpunkt aus scheint es plausibel zu sein, dass jedes Paar, das unter den analytischen oder formalen Folgerungsbegriff fällt, unter das Explikat von LF-MW fällt.96 94

Shapiro (2002), S. 233 Vgl. Shapiro (2002), S. 233 96 Vgl. Shapiro (2002), S. 233 95

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Allerdings könnte es möglich sein, dass es Paare gibt, die unter das Explikat von LF-MW fallen, jedoch nicht unter die Explikate von LF-AN und LF-FI: Angenommen, es gibt mindestens eine Regelmäßigkeit, die in allen möglichen Welten gilt – z.B. die Regelmäßigkeit, dass Diamanten Glas schneiden.97 In diesem Fall ist die zweite Koordinate des folgenden Paares P19 in allen Welten wahr, in denen die Elemente der ersten Koordinaten wahr sind – obwohl die zweite Koordinate nicht analytisch oder formal aus der ersten folgt. (P19) 3.) Mögliche-Welten- und A-priori-Folgerung: Die Extensionen der Mögliche-Welten-Folgerung und der A-Priori-Folgerung scheinen weder identisch zu sein noch in einem echten Teilmengenverhältnis zu stehen. Plausibilisieren lässt sich diese Vermutung an Hand der Paare P20 und P21: (P20) (P21) P20 scheint zu belegen, dass nicht jedes Paar, das unter LF-MW fällt, unter LF-AP fällt: Solange es für Wasser wesentlich ist, H2O zu sein, gilt für alle möglichen Welten: Wenn das Element der ersten Koordinate von P20 wahr ist, ist auch die zweite Koordinate wahr. P20 fällt demnach unter LF-MW. Aber auch wenn Wasser wesentlich H2O ist, scheint eine Person nicht a priori wissen zu können, dass Wasser H2O ist: Bevor die Struktur von Wasser untersucht wurde, konnte a priori nicht die Möglichkeit ausgeschlossen werden, dass Wasser die Struktur XYZ besitzt. P20 fällt demgemäß nicht unter LF-AP.98 P21 scheint zu belegen, dass nicht jedes Paar, das unter LF-AP fällt, unter LF-MW fällt: Da durch das Urmeter festgelegt wurde, was die Länge von einen Meter ausmacht, kann eine Person a priori wissen, dass eine Entität ungefähr einen Meter lang ist, wenn sie mit dem Urmeter identisch ist. P21 97 98

Vgl. Shapiro (2002), S. 233 Vgl. Hanson (1997), S. 369; Read (1997), S. 135-143

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scheint somit unter LF-AP zu fallen. Als Urmeter hätte allerdings auch ein längeres oder kürzeres Objekt gewählt werden können. Das aber heißt: Es scheint mögliche Welten zu geben, in denen das Urmeter nur halb so lang ist. Ist dies so, fällt P21 nicht unter LF-MW.99 Die Überlegungen 1-3 sind sehr voraussetzungsreich und möglicherweise nicht stichhaltig. Solange sie jedoch nicht widerlegt sind, scheint es ratsam zu sein, nicht davon auszugehen, dass die vier Explikate extensionsgleich sind. Somit stellt sich allerdings das Problem, wie die Vielzahl der Explikationen zu bewerten ist: Angenommen z.B., es soll die Frage geklärt werden, ob eine nicht-sprachliche Repräsentation R aus einer Menge M nichtsprachlicher Repräsentationen folgt. Ist die monistische Position korrekt, muss zunächst bestimmt werden, welche Explikation die richtige ist, um die Frage angemessen beantworten zu können. Ist dagegen die pluralistische Haltung korrekt, muss diese Frage streng genommen relativiert werden: Kann R gemäß LF-MW aus M folgen? Kann R gemäß LF-AP aus M folgen? usw. Im Rahmen dieser Arbeit soll eine pluralistische Haltung vertreten werden: Alle vier Explikationen werden als gleichwertige Definitionen vortheoretischer Folgerungsbegriffe betrachtet. Dieser Pluralismus scheint sich bereits pragmatisch rechtfertigen zu lassen: Selbst wenn sich irgendwann erweisen sollte, dass der Monismus korrekt und logische Folgerung beispielsweise formale Folgerung ist, wäre der Schaden gering: Solange bei einer Untersuchung alle Explikationsmöglichkeiten berücksichtigt wurden, wurde auch die richtige Definition erfasst.

3.8 Zusammenfassung. In diesem Kapitel wurden vier verschiedene Möglichkeiten vorgestellt, den Begriff der logischen Folgerung zu explizieren: (LF-MW) Eine Repräsentation R folgt in S genau dann logisch aus einer Menge M von Repräsentationen, wenn R in allen möglichen Welten wahr-in-S ist, in denen alle Elemente von M wahr-in-S sind. 99

Vgl. Read (1997), S. 135-143

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(LF-AP) Eine Repräsentation R folgt in S genau dann logisch aus einer Menge M von Repräsentationen, wenn gilt: Eine Person kann a priori wissen, dass R wahr-in-S ist, wenn alle Elemente von M wahr-in-S sind. (LF-AN) Eine Repräsentation R folgt in S genau dann logisch aus einer Menge M von Repräsentationen, wenn gilt: Wenn alle Elemente aus M wahr-in-S sind, dann ist R allein auf Grund der Bedeutungen und der Anordnung der in R und den Elementen von M vorkommenden Ausdrücke wahr-in-S. (LF-FI) Eine Repräsentation R folgt in S genau dann logisch aus einer Menge M von Repräsentationen, wenn gilt: Es gibt keine uniforme (Um-)Interpretation I* der nicht-logischen Ausdrücke in R und den Repräsentationen von M, so dass jedes Element von M unter I* wahr-in-S, R dagegen falsch-in-S ist. Auf den ersten Blick schließt keine der vier Explikationen die Möglichkeit nicht-sprachlicher Folgerung aus. Alle sollen im Folgenden berücksichtigt werden, wenn von "logischer Folgerung" gesprochen wird (Ausnahme: Kapitel 8). Fragen wie "Gibt es einen nicht-leeren, nicht-sprachlichen Folgerungsbegriff?" werden dementsprechend aufzuschlüsseln sein.

4. Beweise und Ableitungen Der dritte Bestandteil eines logischen Systems L besteht in einem Beweisbegriff. Seine Definition legt die Mittel fest, mit denen in L nachgewiesen werden kann, dass eine Repräsentation von SL gemäß dem Folgerungsbegriff von L aus einer Repräsentationsmenge von SL folgt. Handelt es sich bei L um ein System mit einer aussagenlogischen Sprache und einem aussagenlogischen Folgerungsbegriff, bestimmt die Definition beispielsweise, womit sich in L zeigen lässt, dass ein aussagenlogischer Satz in L aus einer Menge aussagenlogischer Sätze folgt. Die Definition eines Beweisbegriffs kann als Versuch betrachtet werden, einen vortheoretischen Beweisbegriff zu explizieren und auf ein bestimmtes System zu spezialisieren. Wesentlich für diesen vortheoretischen Begriff ist die Idee, dass ein Beweis für M |= R etwas ist, das eine rationale Person vollständig von dem Vorliegen logischer Folgerung überzeugen kann.1 Als Beweise in diesem Sinn kommen verschiedene Dinge in Frage. Ein Beweis für das Vorliegen logischer Folgerung kann z.B. in einer Wahrheitswerttafel bestehen, dem Ergebnis eines Pfeilwurfverfahrens oder einem Baum, der nach bestimmten Regeln erstellt ist. Maßgeblich für diese Arbeit werden Beweise in Form von Ableitungen sein. Bei einer Ableitung von R aus M handelt es sich intuitiv gesprochen um eine Folge von Repräsentationen, in der in kleinen Schritten von den Elementen aus M zu R übergegangen wird.2 In Abschnitt 4.1 wird der für diese Arbeit relevante Beweisbegriff eingeführt, indem verschiedene Verwendungsweisen des Ausdrucks "Beweis" voneinander abgegrenzt werden. In Abschnitt 4.2 sollen einige Musterbeispiele und Adäquatheitsbedingungen angeführt werden, mit denen eine Explikation dieses Begriffs bewertet werden kann. In Abschnitt 4.3 wird eine solche Explikation vorgestellt und auf ihre Angemessenheit hin überprüft. 1 2

Vgl. Bühler (2000), S. 190 Vgl. Barwise/Etchemendy (2000), S. 46f.; Ebbinghaus/Flum/Thomas (1998), S. 8

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In Abschnitt 4.4 sollen einige wichtige Eigenschaften vorgestellt werden, die dem Explikat dieser Explikation zukommen können. In Abschnitt 4.5 werden die Ergebnisse des Kapitels zusammengefasst.

4.1 Verwendungsweisen des Ausdrucks "Beweis". Soll die Frage "Was ist ein Beweis für das Vorliegen logischer Folgerung?" geklärt werden, ist zu beachten, dass der Ausdruck "Beweis" im Deutschen unterschiedlich verwendet werden kann. So lassen sich u.a. die folgenden Gebrauchsweisen unterscheiden: 1.) Tätigkeit: Der Ausdruck "Beweis" wird verwendet, um die Tätigkeit zu bezeichnen, mit deren Hilfe eine rationale Person vollständig von der Wahrheit einer bestimmten Vermutung oder Behauptung überzeugt werden soll. Die Tätigkeit, die ein Staatsanwalt vollzieht, um den Richter von der Schuld eines Angeklagten zu überzeugen, kann im Sinne dieser Gebrauchweise als "Beweis" oder als "Beweisführung" bezeichnet werden. 2.) Gegenstand: Der Ausdruck wird gebraucht, um auf einen Gegenstand zu referieren, dessen Eigenschaften maßgeblich dazu beitragen sollen, eine rationale Person von der Wahrheit einer bestimmten Vermutung oder Behauptung zu überzeugen. Eine Tatwaffe, die mit den Fingerabdrücken einer bestimmten Person übersät ist, kann im Sinne dieser Gebrauchsweise als "Beweis" oder "Beweismittel" für die Behauptung bezeichnet werden, die Person habe die Waffe in der Hand gehalten. 3.) Repräsentationsfolge: Der Ausdruck wird verwendet, um eine Folge von Repräsentationen zu benennen, die im Rahmen einer Beweisführung vorgebracht wird und zeigen soll, dass eine bestimmte Vermutung oder Behauptung wahr ist. Die Reihe von Sätzen, die der Staatsanwalt äußert, um den Richter von der Schuld des Angeklagten zu überzeugen, lässt sich im Sinne dieser Gebrauchsweise als "Beweis" bezeichnen. Maßgeblich für diese Arbeit ist die letzte Verwendungsweise: Der Ausdruck "Beweis für das Vorliegen logischer Folgerung zwischen M und R" soll für eine Folge von Repräsentationen stehen, die eine rationale Person davon überzeugen soll, dass R aus M folgt. Die Folge wird durch Reprä-

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sentationstypen gebildet. Eine Sequenz der entsprechenden Repräsentationstoken stellt eine Instanz des Beweises dar.3 Offensichtlich ist es nicht mit Hilfe jeder Folge von Repräsentationen möglich, eine rationale Person vom Vorliegen logischer Folgerung zu überzeugen. Die folgende Sequenz würde beispielsweise nicht als Beweis für die Behauptung anerkannt werden, der Satz "Es gibt keine größte Primzahl" folge aus der Definition der Primzahl und den Axiomen der Mathematik: "Eine Primzahl ist eine natürliche Zahl, die nur durch sich selber und 1 teilbar ist. Jede natürliche Zahl besitzt einen Nachfolger. Auf Grund der Kraft des Mondes gilt daher, dass es keine größte Primzahl gibt. Q.e.d." Somit stellt sich die Frage, welche Bedingungen eine Folge von Repräsentationen erfüllen muss, um eine rationale Person von dem Vorliegen logischer Folgerung überzeugen können. Um diese Frage zu klären, wird im Folgenden nach einer geeigneten Einsetzung in das Schema BW gesucht: (BW)

Eine Folge von Repräsentationen ist genau dann ein Beweis für M |= R, wenn _____.

4.2 Musterbeispiele und Adäquatheitsbedingungen. Wird versucht, eine geeignete Einsetzung in das Schema BW zu finden, kann auf eine Reihe von Adäquatheitsbedingungen zurückgegriffen werden. Mit ihrer Hilfe lässt sich überprüfen, ob und wie angemessen eine bestimmte Einsetzung ist. Neben den allgemeinen Adäquatheitsbedingungen können dabei die Bedingungen SÄ1-SÄ6 angeführt werden: (SÄ1) Es gibt Entitäten, die als Musterbeispiele unter den zu explizierenden Begriff fallen. Zu ihnen gehört beispielsweise die folgende Sequenz von Repräsentationen. Mit ihrer Hilfe soll eine rationale Person vollkommen davon überzeugt werden, dass S1 aus M1 folgt. 3

Vgl. Scotto di Luzio (2002), S. 82f.

120

(M1) {"Wenn der Mörder über die Wendeltreppe kam, dann ereignete sich der Mord gegen Mittag und die Köchin schnitt zur Tatzeit Zwiebeln", "Die Köchin schnitt dann und nur dann zur Tatzeit Zwiebeln, wenn das Dienstmädchen zur Tatzeit in der Küche war", "Das Dienstmädchen war zur Tatzeit nicht in der Küche, oder Lord Wolsey log bezüglich seines Alibis", "Wenn Lord Wolsey bezüglich seines Alibis log, ist er dringend der Tat verdächtig."} (S1) "Wenn der Mörder über die Wendeltreppe kam, ist Lord Wolsey dringend der Tat verdächtig" "Es gilt: (1) Wenn der Mörder über die Wendeltreppe kam, dann ereignete sich der Mord gegen Mittag und die Köchin schnitt zur Tatzeit Zwiebeln. (2) Die Köchin schnitt dann und nur dann zur Tatzeit Zwiebeln, wenn das Dienstmädchen zur Tatzeit in der Küche war. (3) Das Dienstmädchen war zur Tatzeit nicht in der Küche, oder Lord Wolsey log bezüglich seines Alibis. (4) Wenn Lord Wolsey bezüglich seines Alibis log, ist er dringend der Tat verdächtig. Angenommen, die erste Möglichkeit von 3 ist der Fall: Das Dienstmädchen war zur Tatzeit nicht in der Küche. Dann lässt sich der folgende Beweis führen, dass der Lord dringend verdächtig ist, wenn der Mörder über die Wendeltreppe kam: Nehmen wir an, der Mörder kam über die Wendeltreppe. Und nehmen wir unter dieser Bedingung an, der Lord sei nicht verdächtig. Dann ergibt sich ein Widerspruch: Auf Grund von 1 würde gelten, dass der Mord zur Mittagsstunde geschah und die Köchin zur Tatzeit Zwiebeln schnitt. Dass die Köchin zur Tatzeit Zwiebeln schnitt, würde aber auf Grund von 2 bedeuten, dass das Dienstmädchen zur Tatzeit in der Küche war – ein Widerspruch zu der ersten Möglichkeit von 3. Also gilt: Wenn der Mörder über die Wendeltreppe kam, ist der Lord dringend der Tat verdächtig. Angenommen, die zweite Möglichkeit von 3 ist der Fall: Der Lord log bezüglich seines Alibis. Dann lässt sich auf Grund von 4 ablei-

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ten, dass Lord Wolsey dringend der Tat verdächtig ist – auch unter der Annahme, dass der Mörder über die Wendeltreppe kam. Also lässt sich festhalten: Wenn der Mörder über die Wendeltreppe kam, ist Lord Wolsey dringend der Tat verdächtig. Q.e.d." Die Folge sollte unter das Explikat einer Explikation fallen. (SÄ2) Eine Explikation sollte die folgende Überlegung berücksichtigen: Ob eine Repräsentation R logisch aus einer Repräsentationsmenge M folgt, hängt u.a. von zwei Dingen ab: (i) welchem Repräsentationssystem R und M zugerechnet werden und (ii) welcher Folgerungsbegriff zugrunde gelegt ist. Es könnte z.B. sein, dass R aus M folgt, wenn logische Folgerung als analytische Folgerung verstanden wird, nicht jedoch, wenn sie als formale Folgerung aufgefasst wird. Der Beweisbegriff sollte daher relativ sein: Ein Beweis ist eine Folge von Repräsentationen, die eine rationale Person davon überzeugen soll, dass eine Repräsentation R in einem System S gemäß einem Folgerungsbegriff |=S aus einer Menge M von Repräsentationen folgt. (SÄ3) Das Explikat sollte korrekt sein, wenn es auf ein System S und einen Folgerungsbegriff |=S spezialisiert wird. Das heißt: Ist eine Folge gemäß der Explikation ein Beweis für M |=S R, sollte R tatsächlich in S aus M folgen. (Ein logisches System L ist korrekt, wenn der Beweisbegriff von L korrekt ist.)4 (SÄ4) Es sollte für eine rationale Person einsichtig sein, dass und warum ein Explikat korrekt ist: Wenn ein Beweisbegriff korrekt ist, können die Entitäten, die unter diesen Begriff fallen, eine rationale Person nur dann vollständig vom Vorliegen logischer Folgerung überzeugen, wenn diese Person erkennen kann, dass der Begriff korrekt ist. 4

Vgl. etwa Bühler (2000), S. 239f.; Foellesdal/Walloe/Elster (1988), S. 259

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(SÄ5) Unter das Explikat sollten nur Folgen fallen, die endlich und nach überprüfbaren Regeln aufgebaut sind. Wäre dies nicht der Fall, könnte eine rationale Person nicht feststellen, ob es sich bei einer Folge von Typen tatsächlich um eine Sequenz handelt, die unter das Explikat fällt.5 (SÄ6) Eine Explikation sollte die folgenden Überlegungen berücksichtigen: Viele Beweise besitzen eine komplexe Struktur. Sie enthalten Unterbeweise, die wiederum Unterbeweise enthalten usw. Ein typisches Beispiel für Beweise dieser Art sind Fallunterscheidungen. Ausgehend von einem Satz der Gestalt "B1 oder ... oder Bk" wird für jede Alternative Bi ein Unterbeweis geführt. Ergibt sich in jedem Unterbeweis der Satz C, wird C in den übergeordneten Beweis übernommen.6 (Der in SÄ1 angeführte Beweis ist ein Beispiel für eine Fallunterscheidung: B1 entspricht "Das Dienstmädchen war zur Tatzeit in der Küche", B2 entspricht "Lord Wolsey log bezüglich seines Alibis", C entspricht "Wenn der Mörder über die Wendeltreppe kam, ist Lord Wolsey dringend der Tat verdächtig".)

4.3 Ableitungen. Eine Möglichkeit, den Begriff des Beweises zu explizieren, besteht darin, auf die Begriffe des Axioms und der Ableitungsregel zurückzugreifen. Beweise im Sinne dieser Explikation werden auch als "Ableitungen" bezeichnet:7 (BW-AB) Sei S ein Repräsentationssystem, |=S ein Folgerungsbegriff über S, AX eine Menge von Axiomen und AB eine Menge von Ableitungsregeln. Eine Folge s = ist genau dann ein Beweis für M |=S R und eine Ableitung von R aus M in S, wenn gilt: 5

Bühler (2000), S. 190f. Vgl. Foellesdal/Walloe/Elster (1988), S. 255f. Siehe aber auch Hunter (1996), S. 28 6 Vgl. etwa Barwise/Etchemendy (2000), S. 148-151 7 Vgl. etwa Foellesdal/Walloe/Elster (1988), S. 259; Hunter (1996), S. 74f.; Mendelson (1997), S. 34

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1. 2. 3. 4.

Jedes ei von s ist ein Typ von S oder ein Beweis s* in S. s ist endlich lang. s enthält R als Koordinate. Jede Koordinate von s entstammt M, ist ein Element von AX oder lässt sich mit Hilfe einer Regel aus AB rechtfertigen.

Die Axiomenmenge AX besteht aus einer Menge von Repräsentationen von S. AX muss drei Bedingungen erfüllen: 1.) Es kann in einer endlichen Anzahl von Schritten entschieden werden, ob ein Repräsentationstyp von S zu AX gehört oder nicht. 2.) Jedes Element von AX folgt gemäß |=S aus der leeren Menge. 3.) Es kann bewiesen werden, dass 2. gilt. Die Regelmenge AB besteht aus einer Menge von Regeln, die angeben, welche Entitäten in einem Beweis durch welche Entitäten gerechtfertigt sind. Sie geben z.B. an, welche Repräsentationen von S sich in einem Beweis durch welche Repräsentationen von S begründen lassen. AB muss drei Bedingungen erfüllen: 1.) Für jede Regel von AB gilt: Es kann in einer endlichen Anzahl von Schritten entschieden werden, ob eine Entität gemäß der Regel durch andere Entitäten gerechtfertigt ist oder nicht. 2.) Für jede Regel von AB gilt: Wenn eine Repräsentation R* in einem Beweis für M |=S R durch die Regel als Koordinate gerechtfertigt ist, dann folgt R* gemäß |=S aus M. 3.) Es kann bewiesen werden, dass 2. erfüllt ist. BW-AB lässt sich somit nicht nur auf bestimmte Repräsentationssysteme und Folgerungsbegriffe spezialisieren, sondern auch auf verschiedene Axiomen- und Regelmengen. Wird für "S" und "|=S" beispielsweise SAL und ein formaler Folgerungsbegriff gesetzt, könnten AX und AB wie folgt spezialisiert werden:8 (AXAL) {x : x lässt sich gewinnen, indem in eines der drei folgenden Schemata für "A", "B" und "C" wohlgeformte Typen von SAL eingesetzt werden: (AS1) (A → (B → A)) 8

Hunter (1996), S. 72f.

124

(AS2) (AS3)

((A → (B → C)) → ((A → B) → (A → C))) ((¬A → ¬B) → (B → A)) }

(ABAL) {→ Elim (Modus Ponens): Sind "A" und "B" wohlgeformte Typen von SAL, dann darf in einer Ableitung von Satzformen der Gestalt "A" und "(A → B)" zu einer Satzform der Gestalt "B" übergegangen werden. } Gemäß dieser Spezialisierung wäre z.B. die folgende Sequenz s1 eine Ableitung von "p1" aus "{(¬p1 → ¬p2), p2}" in SAL: (s1)

< (¬p1 → ¬p2), p2, ((¬p1 → ¬p2) → (p2 → p1)), (p2 → p1), p1 >

In Bezug auf BW-AB lassen sich einige wichtige Punkte anmerken: 1.) BW-AB zufolge ist ein Beweis immer auf ein Ziel gerichtet: den Nachweis logischer Folgerung. Es ist jedoch auch möglich, den Beweisbegriff ohne einen Bezug auf dieses Ziel zu definieren. In diesem Fall sind Beweise und Ableitungen 'einfach nur' Folgen von Repräsentationen mit bestimmten Eigenschaften.9 2.) Wird versucht, eine Instanz von BW-AB zu bilden, kann es geschehen, dass Repräsentationen als Axiome gewählt werden, die nicht aus der leeren Menge folgen. Oder es könnten Regeln aufgenommen werden, die nicht garantieren, dass das Ergebnis einer Regelanwendung aus M folgt. Streng genommen ist der Begriff, der aus einer solchen Instanziierung hervorgeht, kein Beweisbegriff gemäß BW-AB. Der Einfachheit halber soll ein solcher Begriff im Folgenden jedoch als "nicht-korrekter Beweisbegriff" bezeichnet werden, auf ihn basierende Systeme als "nicht-korrekte Logiken". 3.) Wenn nachgewiesen werden soll, dass R aus M folgt, kann das Folgende geschehen: Eine Person erstellt eine Repräsentationsfolge, die eine Ableitung von R aus M sein soll, jedoch nicht unter den Beweisbegriff fällt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Person beim Konstruieren der Ableitung eine Regel falsch anwendet, diesen Fehler aber nicht be9

Vgl. z.B. die allgemeine Bestimmung des Beweisbegriffs in Hunter (1996), S. 11

125

merkt. Solche Folgen sollen im Weiteren als "fehlerhafte" oder "nicht regelgemäße Ableitungen" bezeichnet werden. 4.) Um leichter überprüfen zu können, ob eine Ableitung regelgemäß ist oder nicht, werden ihre Instanzen meist auf eine bestimmte Weise niedergeschrieben und um Informationen ergänzt. So werden die Repräsentationen zeilenweise untereinander geschrieben und mit Nummern versehen. Zusätzlich wird zu jeder Repräsentation angegeben, auf welche Weise sich ihr Vorhandensein rechtfertigt. Unterableitungen werden über Zusatzsterne markiert usw.10 Eine Ableitungsinstanz von s1 wird etwa wie folgt niedergeschrieben: (s1)

(1) (2) (3) (4) (5)

(¬p1 → ¬p2) p2 ((¬p1 → ¬p2) → (p2 → p1)) (p2 → p1) p1

∈M ∈M ∈ Ax1: AS3 → Elim: 1, 2 → Elim: 3, 4

5.) Besitzt ein logisches System L einen Beweisbegriff mit der Axiomenmenge AXL und der Regelmenge ABL, werden AXL und ABL in der Literatur oft als eigenständige Bestandteile von L behandelt und "Deduktiver Apparat von L" genannt.11 Inwieweit wird BW-AB den allgemeinen und speziellen Adäquatheitsbedingungen gerecht? Einige Überlegungen müssen an dieser Stelle genügen: In Bezug auf die allgemeinen Bedingungen lässt sich festhalten, dass BW-AB AÄ5 erfüllt: Werden für "S" sprachliche Repräsentationssysteme gewählt, ergeben sich sprachliche Beweisbegriffe – u.a. diejenigen, auf die in der modernen Logik häufig zurückgegriffen wird. Möglich ist jedoch auch, für "S" nicht-sprachliche Repräsentationssysteme zu wählen und nicht-sprachliche Beweisbegriffe zu erzeugen. Sind die jeweiligen Axiomen- und Regelmengen exakt definiert, handelt es sich bei den spezialisierten Explikaten um exakt definierte Begriffe 10 11

Vgl. etwa Barwise/Etchemendy (2000), S. 54f.; Quine (1993), S. 202ff. Etwa Hunter (1996), S. 7ff.

126

(AÄ2), die sich im sprachlichen Fall als sehr fruchtbar erwiesen haben (AÄ4). Auch in Blick auf die speziellen Adäquatheitsbedingungen lassen sich positive Antworten geben: Die Repräsentationsfolge, die als Musterbeispiel angeführt wurde, kann so rekonstruiert werden, dass sie unter ein Explikat von BW-AB fällt: "S" ist das Schriftdeutsche, "|=S" ein formaler Folgerungsbegriff über SSD. AXSD ist leer, und ABSD enthält Regeln wie den Modus Ponens, die Oder-Beseitigung und ECQL (Ex contradictione quod libet). p: q: r: s: t: u:

Der Mörder kam über die Wendeltreppe Der Mord ereignete sich gegen Mittag Die Köchin schnitt zur Tatzeit Zwiebeln Das Dienstmädchen war zur Tatzeit in der Küche Lord Wolsey log bezüglich seines Alibis Lord Wolsey ist dringend der Tat verdächtig

(s2)

Die Ausdrücke und Sätze des Beweises, die in der Rekonstruktion s2 nicht erfasst sind, können als erläuternde Informationen verstanden werden: Sie sollen helfen, den Beweis besser nachvollziehen zu können, gehören aber nicht zum eigentlichen Beweis (z.B. "angenommen, es ist der Fall", "daraus lässt sich ableiten"). Auch die Bedingung SÄ2 (Relativierung) ist erfüllt: Der Beweisbegriff ist in BW-AB auf Repräsentationssysteme und Folgerungsbegriffe relativiert. Gleiches gilt für SÄ3 (Korrektheit) und SÄ4 (Erkennbarkeit der Korrektheit): Gemäß BW-AB muss eine Ableitung von R* aus M* als Koordinate R* enthalten (Klausel 3). Für jede Repräsentation R, die als Koordinate in einer Ableitung vorkommt, gilt aber: Sie ist ein Axiom, entstammt M oder lässt sich mit einer Regel rechtfertigen (Klausel 4).

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Ist R ein Axiom, folgt sie aus der leeren Menge und somit auch aus M (Monotonie). Ist R ein Element von M, folgt sie trivialerweise aus M (Reflexivität). Und ist R durch eine Regel gerechtfertigt, folgt sie auf Grund der Beschaffenheit von AB aus M (z.B. weil alle Regeln wahrheitsvererbend sind). Da in der allgemeinen Definition von AB und AX festgelegt wurde, dass sich diese Eigenschaften beweisen lassen müssen, ist für eine rationale Person einsichtig, dass eine Instanz von BW-AB korrekt ist. SÄ5 (Endlichkeit und Überprüfbarkeit) ist ebenfalls erfüllt: BW-AB zufolge ist jede Ableitung endlich lang (Klausel 2). Zudem müssen AB und AX auf Grund der allgemeinen Definition entscheidbar sein. Dies hat zur Folge, dass ohne Rückgriff auf intuitive oder kreative Einsichten überprüft werden kann, ob eine Folge unter ein Explikat von BW-AB fällt oder nicht. Schließlich bleibt SÄ6 (Unterableitung). Auch sie ist erfüllt: Gemäß BW-AB sind Ableitungen mit Unterableitungen möglich (Klausel 1). Die nicht-sprachlichen Systeme, die im Rahmen dieser Arbeit eingeführt und behandelt werden, enthalten allerdings ausschließlich Beweisbegriffe, unter die nur Ableitungen ohne Unterableitungen fallen. Der Möglichkeit von tiefer strukturierten Beweisen soll daher nicht weiter nachgegangen werden.

4.4 Eigenschaften von Ableitungen. Der Ableitungsbegriff eines logischen Systems L kann eine Reihe wichtiger Eigenschaften besitzen. Vier sollen kurz erwähnt werden. (Sei L ein logisches System mit dem Repräsentationssystem S, dem Folgerungsbegriff |=S und dem Beweisbegriff |S.) 1.) Vollständigkeit: Der Beweisbegriff von L ist so beschaffen, dass gilt: Jede Repräsentation R, die in L aus einer Menge M folgt, kann aus M abgeleitet werden. (V)

Wenn M =S R, dann M S R

128

Ein Beweisbegriff mit dieser Eigenschaft, kann als "vollständig" bezeichnet werden, ebenso wie ein System, das einen Beweisbegriff dieser Art besitzt.12 2.) Syntaktische Charakterisierung: Die Menge der Axiome und die Menge der Ableitungsregeln sind ohne Bezug auf die Bedeutungen der betroffenen Repräsentationen bestimmt, sondern nur in Bezug auf ihre syntaktische Form. Ein Beweisbegriff mit dieser Eigenschaft wird "rein syntaktisch" genannt. Rein syntaktische Ableitungsbegriffe erfüllen in besonderen Maße SÄ5: Die Repräsentationsfolgen lassen sich rein mechanisch auf die Frage überprüfen, ob sie unter diese Begriffe fallen oder nicht – z.B. von einem Rechenautomaten.13 3.) Nicht-leere Axiomenmenge: AX ist nicht leer und der Beweisbegriff somit axiomatisch. (Axiomatische Beweisbegriffe sind meist so definiert, dass AB möglichst wenig Elemente enthält.)14 4.) Natürliche Regeln: AB enthält nur Regeln, die den Regeln gleichkommen, welche wir in der alltäglichen Schlussfolgerungspraxis verwenden (z.B. Modus Ponens, Disjunktiver Syllogismus u.ä.). Logische Systeme deren Beweisbegriffe diese Eigenschaft besitzen, werden "Kalküle des natürlichen Schließens" genannt.15

4.5 Zusammenfassung. In diesem Kapitel wurde der Beweisbegriff mit Hilfe der Begriffe des Axioms und der Ableitungsregel expliziert: (BW-AB) Sei S ein Repräsentationssystem, |=S ein Folgerungsbegriff über S, AX eine Menge von Axiomen und AB eine Menge von Ableitungsregeln. Eine Folge s = ist genau dann ein Beweis für M |=S R und eine Ableitung von R aus M in S, wenn gilt: 1. Jedes ei von s ist ein Typ von S oder ein Beweis s* in S. 2. s ist endlich lang. 12

Vgl. etwa Bühler (2000), S. 239f.; Foellesdal/Walloe/Elster (1988), S. 259f. Bühler (2000), S. 191 14 Vgl. Foellesdal/Walloe/Elster (1988), S. 259 15 Vgl. Gentzen (1934). S. auch Lechner (2001), S. 120 13

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3. s enthält R als Koordinate. 4. Jede Koordinate von s entstammt M, ist ein Element von AX oder lässt sich mit Hilfe einer Regel aus AB rechtfertigen. BW-AB kann auf verschiedene Repräsentationssysteme, Folgerungsbegriffe, Axiomen- und Regelmengen spezialisiert werden. Zumindest auf den ersten Blick ist es möglich, hierbei nicht-sprachliche Repräsentationssysteme zu wählen und somit nicht-sprachliche Beweisbegriffe zu konstruieren.

5. Sprachliche und nicht-sprachliche Repräsentationssysteme Die Unterscheidung zwischen sprachlichen und nicht-sprachlichen Logiksystemen hängt unmittelbar von der Unterscheidung zwischen sprachlichen und nicht-sprachlichen Repräsentationssystemen ab: Eine Logik ist sprachlich, wenn ihr Repräsentationssystem sprachlich ist. Sie ist nichtsprachlich, wenn es nicht-sprachlich ist. In diesem Kapitel soll der Frage nachgegangen werden, was nichtsprachliche Repräsentationssysteme von sprachlichen Systemen unterscheidet: Welche Eigenschaften müssen Systeme aufweisen, um nichtsprachlich zu sein? Welche Eigenschaften gewährleisten ihre NichtSprachlichkeit? Können diese Merkmale bestimmt werden, ist zugleich die Grenze zwischen sprachlichen und nicht-sprachlichen Logiksystemen gezogen. In Abschnitt 5.1 wird der Unterschied zwischen sprachlichen und nichtsprachlichen Repräsentationssystemen eingekreist, indem verschiedene Verwendungsweisen der Ausdrücke "sprachlich" und "nicht-sprachlich" voneinander abgegrenzt werden. In Abschnitt 5.2 sollen einige Musterbeispiele und spezielle Adäquatheitsbedingungen angeführt werden, mit deren Hilfe sich überprüfen lässt, ob und wie angemessen eine Explikation dieses Unterschieds ist. In den Abschnitten 5.3, 5.4, 5.5 und 5.6 werden vier solcher Explikationen vorgestellt und diskutiert. Sie beziehen sich auf die folgenden Eigenschaften: Verwendung geometrischer Figuren, Verwendung nicht-linearer Zeichen, Verwendung strukturähnlicher Repräsentationen und syntaktische Dichte. In Abschnitt 5.7 wird erörtert, wie sich die vier Explikationen zueinander verhalten und auf welche von ihnen im weiteren Verlauf der Arbeit zurückgegriffen werden soll. In Abschnitt 5.8 werden die Ergebnisse des Kapitels zusammengetragen.

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5.1 Verwendungsweisen der Ausdrücke "sprachlich" und "nichtsprachlich". Wird eine Antwort auf die Frage "Was unterscheidet sprachliche und nicht-sprachliche Repräsentationssysteme?" gesucht, ist zu beachten, dass die Ausdrücke "sprachlich" und "nicht-sprachlich" im Deutschen verschieden verwendet werden können. So lassen sich u.a. die folgenden drei Gebrauchsweisen unterscheiden: 1.) Die Ausdrücke "sprachlich" und "nicht-sprachlich" werden verwendet, um zwei Arten von Repräsentationen zu unterscheiden, die in Gesprächen benutzt werden: Laute (sprachlich) und Gesten (nicht-sprachlich). Eine solche Gebrauchsweise kommt z.B. vor, wenn in Rhetorikseminaren über verbale und non-verbale Kommunikation gesprochen wird. 2.) Die Ausdrücke werden benutzt, um zwischen menschlicher und tierischer Kommunikation zu unterscheiden: Menschen verwenden sprachliche Zeichen, Tiere nicht-sprachliche. Diese Gebrauchsweise findet sich beispielsweise in Texten, in denen versucht wird, Menschen über das Sprachvermögen von anderen Tieren abzugrenzen.1 3.) Die Ausdrücke werden verwendet, um die Menge der visuellen Repräsentationen in rein sprachliche, rein nicht-sprachliche und heterogene (d.h. sprachlich/nicht-sprachlich-gemischte) Zeichen zu unterteilen – z.B.:

Ayla

Abb.1: sprachlich

i Abb. 3: nicht-sprachlich 1

Ayla ist eine Katze

Abb. 2: sprachlich

• Abb. 4: nicht-sprachlich

Vgl. etwa Donald Davidson in Perler/Wild (2005), S. 117ff.

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• Kronhausen

Schuppen Scheune

Selm



Aarsee

Abb. 5: heterogen

Stallungen

Abb. 6: heterogen

Wenn im Rahmen dieser Arbeit die Ausdrücke "sprachlich" und "nichtsprachlich" verwendet werden, soll dies im Sinne der letzten Gebrauchsweise geschehen. Dabei sind zwei wichtige Punkte zu beachten: 1.) Eine Entität ist nicht 'an sich' eine rein sprachliche, rein nichtsprachliche oder heterogene Repräsentation, sondern kann theoretisch alle drei Rollen übernehmen. Ein Kreis "O" kann z.B. als Buchstabe und damit rein sprachliches Zeichen fungieren, oder als nicht-sprachliches Zeichen für ein kreisförmiges Gebilde. Ob eine Entität als rein sprachliche, rein nicht-sprachliche oder heterogene Repräsentation betrachtet und verwendet wird, hängt davon ab, welcher Art Repräsentationssystem sie zugerechnet wird.2 Vereinfacht ausgedrückt: (1) (2)

(3)

Eine Entität x ist genau dann ein rein sprachliches Zeichen, wenn x einem rein sprachlichen Repräsentationssystem angehört. Eine Entität x ist genau dann ein rein nicht-sprachliches Zeichen, wenn x einem rein nicht-sprachlichen Repräsentationssystem angehört. Eine Entität x ist genau dann ein heterogenes Zeichen, wenn x einem heterogenen Repräsentationssystem angehört.

2.) Heterogene Repräsentationssysteme sind Mischsysteme: Sie besitzen einerseits Merkmale, die sonst nur rein sprachlichen Systemen zukommen, weisen aber andererseits Eigenschaften auf, die ansonsten nur von rein nicht-sprachlichen Systemen besessen werden.3 Dies äußert sich darin, dass heterogene Systeme zwei Arten von Zeichen enthalten: Zeichen, die 2

Vgl. Klaus (1973), S. 83; Scholz (1993), S. 97f.; Scholz (2004), S. 102ff. Vgl. Hammer (1995), S. 13-16. Auch Barwise/Etchemendy (1996a), S. 55; Barwise/Etchemendy (1996b), S. 185 3

134

wie Repräsentationen rein sprachlicher Systeme funktionieren, und Zeichen, die wie Repräsentationen rein nicht-sprachlicher Systeme funktionieren. Ebenso wie rein sprachliche und heterogene Systeme eine Eigenschaft teilen, die sie von rein nicht-sprachlichen Systemen abgrenzt, weisen rein nicht-sprachliche und heterogene Systeme daher eine bestimmte Eigenschaft F auf, die sie von rein sprachlichen Systemen unterscheidet und die Grenze zwischen reiner Sprachlichkeit und Nicht-Sprachlichkeit zieht.4

rein-sprachlich

sprachlich ¬F

heterogen

rein nicht-sprachlich

nicht-sprachlich F

Worin aber besteht F? Um diese Frage zu klären, soll im Folgenden nach einer angemessenen Einsetzung in das Schema NS1 gesucht werden. (NS1)

Ein Repräsentationssystem ist genau dann nicht-sprachlich, wenn _____.

NS1 lässt sich in NS2 und NS3 aufschlüsseln: (NS2) (NS3)

Wenn ein Repräsentationssystem nicht-sprachlich ist, dann _____. Wenn _____, dann ist ein Repräsentationssystem nicht-sprachlich.

Etwas in NS1 einzusetzen, bedeutet, notwendige und zusammen hinreichende Bedingungen für das Vorliegen nicht-sprachlicher Systeme anzugeben. NS2 steht für die Angabe notwendiger Bedingungen, NS3 für die Angabe hinreichende Bedingung. Weil jedes Repräsentationssystem nicht-sprachlich oder sprachlich ist, nicht aber beides zugleich, gilt: NS1 ist 'äquivalent' mit SP1, NS2 mit SP2, NS3 mit SP3.5 4 5

Vgl. Schimojima (1996a), S. 102ff. Vgl. Schimojima (1996a), S. 102ff.

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(SP1) (SP2) (SP3)

Ein Repräsentationssystem ist genau dann sprachlich, wenn ¬_____. Wenn ¬_____, dann ist ein Repräsentationssystem sprachlich. Wenn ein Repräsentationssystem sprachlich ist, dann ¬_____.

5.2 Musterbeispiele und Adäquatheitsbedingungen. Wird versucht, eine angemessene Einsetzung in das Schema NS1 zu finden, lassen sich zusätzlich zu den allgemeinen Adäquatheitsbedingungen die folgenden speziellen Bedingungen anführen: (SÄ1) Einige Entitäten fallen als Musterbeispiele unter den zu explizierenden Begriff des nicht-sprachlichen Repräsentationssystems, z.B.: • das System realistischer Zeichnungen (rein nicht-sprachlich) • das System fotografischer Abbildungen (rein nicht-sprachlich) • das System kartografischer Repräsentationen (heterogen) • das System der beschrifteten Euler- oder Venn-Diagramme (heterogen) Sie sollten unter das Explikat der Explikation fallen. Andere Entitäten fallen als Musterbeispiele nicht unter den zu explizierenden Begriff, z.B.: • das System des Schriftdeutschen • das System einer Sprache der Prädikatenlogik 1. Stufe Sie sollten nicht unter das Explikat der Explikation fallen. (Anm.: Die Zeichen der Systeme realistischer und fotografischer Abbildungen können unter Umständen Text enthalten – z.B., wenn eine beschriftete Tafel dargestellt wird. Bei solchen Darstellungen handelt es sich jedoch nicht um sprachliche oder heterogene Zeichen, sondern um nicht-sprachliche Abbildungen sprachlicher Zeichen.) (SÄ2) Eine Explikation sollte die folgende Überlegungen berücksichtigen: Der Unterschied zwischen sprachlichen und nichtsprachlichen Systemen könnte (i) syntaktischer, (ii) semantischer,

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aber auch (iii) pragmatischer Natur sein. Das heißt: Nichtsprachliche Systeme könnten sich von sprachlichen Systemen auch in der Art und Weise unterscheiden, wie und wozu sie verwendet werden.6 Diese dritte Möglichkeit scheint jedoch wenig wahrscheinlich zu sein: Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sich mit sprachlichen Repräsentationen Dinge tun lassen, die mit nicht-sprachlichen Repräsentationen nicht getan werden können – oder umgekehrt. Oliver Scholz schreibt in Bezug auf Bilder: Eine Pragmatik des Bildes hat vor allem zu untersuchen, welche Arten von Zeichenhandlungen man mit Bildern vollziehen kann, und welche "Bildspiele" in einer Gruppe von Zeichenbenutzern tatsächlich institutionalisiert sind. Wie viele Sprachtheorien die Vielfalt der Sprachspiele nicht beachtet haben, so haben auch die überkommenen Bildtheorien die Verschiedenartigkeit der Bildspiele nicht angemessen berücksichtigt. Mit Bildern kann man nicht nur darstellen, wie etwas aussieht oder beschaffen ist, man kann auch zeigen, wie etwas sein sollte. Man kann mit Bildern informieren und illustrieren, gebieten und verbieten, werben oder warnen und manches andere. Viele Zeichenhandlungen können demnach sowohl mit Wörtern als auch mit Bildern vollzogen werden. Insgesamt mag die Bandbreite von Bildspielen kleiner sein als die Vielfalt von Sprachspielen; aber in jedem Falle liegen beträchtliche Überschneidungen vor. Auf der pragmatischen Ebene zeigen sich somit keine eindeutigen und stabilen Unterschiede zwischen Bildern und anderen Zeichen.7

Der Unterschied zwischen sprachlichen und nicht-sprachlichen Systemen scheint also auf der syntaktischen oder der semantischen Ebene zu liegen. (SÄ3) Eine Explikation sollte die folgende Intuition berücksichtigen: Nicht-sprachliche Repräsentationen unterscheiden sich oft in syntaktischer Hinsicht von den Zeichen sprachlicher Systeme. Dass eine Repräsentation R einem nicht-sprachlichen System angehört, scheinen wir beispielsweise häufig daran festzumachen, dass R (i) 6 7

Vgl. Scholz (1999), S. 42; Scholz (2000), S. 667f. Scholz (1999), S. 42

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geometrische Figuren enthält (z.B. Dreiecke), (ii) sich auf nichtlineare Weise zusammensetzt oder (iii) derart gestaltet ist, dass bereits kleinste Unterschiede in der Größe, Ausrichtung, Gestalt oder Farbe von enthaltenen Repräsentationen einen Unterschied in der Typzugehörigkeit ausmachen: Wird auf einer Landkarte ein Punkt 1 mm nach links verschoben, ändert sich die Typzugehörigkeit der Karte. Sprachliche Repräsentationen scheinen dagegen robuster zu sein: Wird in einem Wort ein i-Punkt um 1 mm verschoben, muss sich die Typzugehörigkeit des Wortes nicht ändern. (SÄ4) Eine Explikation sollte die folgende Intuition berücksichtigen: Die Repräsentationen nicht-sprachlicher Systeme scheinen sich von den Zeichen sprachlicher Systeme in der Art und Weise zu unterscheiden, wie sie für das Bezeichnete stehen.8 Im Fall sprachlicher Systeme ist die Zeichen-Bezeichnetes-Beziehung allem Anschein nach arbiträr:9 Steht eine Repräsentation T ∈ TYP in einem sprachlichen System S für eine Entität oE, scheint es keinen rationalen Grund für die Annahme zu geben, dass T 'an sich' besser geeignet ist, oE zu bezeichnen, als ein anderes Element von TYP.10 So gibt es allem Anschein nach keinen rationalen Grund für die Annahme, dass sich der Ausdruck "Haus" im Deutschen besser eignet, um Häuser zu bezeichnen, als der Ausdruck "Kuh" – zumindest, wenn die Ausdrücke isoliert und nicht im Zusammenhang mit Ausdrücken wie "Haustür" oder "Kuhglocke" betrachtet werden. Im Gegensatz hierzu scheint eine nicht-sprachliche ZeichenBezeichnetes-Beziehung "motiviert", d.h. nicht arbiträr zu sein. Besonders deutlich wird dies im Fall realistischer Abbildungen: Es scheint rationale Gründe für die Annahme zu geben, dass sich ein Gemälde von Elisabeth II. besser eignet, die englische Königin 8

Vgl. in Bezug auf sprachliche und bildhafte Repräsentationen z.B. Lopes (1996), S. 1-4 9 Zum Begriff der Arbitrarität vgl. etwa Scholz (2000), S. 48-52 10 Vgl. Bühler (1992), S. 728. Zur Problematik des Arbitraritätsbegriffs s. auch Keller (1995), S. 146-153

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bildhaft zu repräsentieren, als das Bild einer mecklenburgvorpommerschen Seenlandschaft. Exkurs (Arbitrarität und Konvention): Repräsentationssysteme, deren Zeichen-Bezeichnetes-Beziehung arbiträr ist, werden als "arbiträre Repräsentationssysteme" bezeichnet. Eng verbunden mit dem Begriff des arbiträren Systems ist der Begriff des konventionellen Systems:11 Ein Repräsentationssystem ist konventionell, wenn seine Zeichen-Bezeichnetes-Beziehung auf Konventionen beruht. Der Begriff der Konvention bezieht sich dabei auf Verhaltensregularitäten innerhalb einer Gruppe: Eine Verhaltensregularität ist – einer Explikation von David Lewis folgend – konventionell, wenn jeder einzelne der Gruppe sich nur deswegen entsprechend der Regularität verhält, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, weil er davon ausgeht, dass die anderen Mitglieder der Gruppe sich ebenfalls entsprechend dieser Regularität verhalten – obwohl es andere Verhaltensweisen gibt, die ebenso gut geeignet sind, um das Ziel zu erreichen.12 Ein Beispiel für eine Verhaltensregularität, die auf Konventionen beruht, ist das Rechts-Fahren im Straßenverkehr:13 In den meisten Ländern der Welt wird ein Autofahrer die rechte Straßenseite benutzen, um sein Fahrziel zu erreichen. Der einzige Grund hierfür ist die Annahme, dass sich alle anderen Verkehrsteilnehmer ebenfalls an diese Regel halten (und nicht etwa die Annahme, dass Rechts-Fahren die Fahrstrecke verkürzt). Wie die Beispiele England und Japan zeigen, hätte sich aber auch darauf geeinigt werden können, die linke Straßenseite zu wählen. Auf ein Repräsentationssystem S übertragen bedeutet dies: Die ZeichenBezeichnetes-Beziehung von S ist konventionell, wenn ein Benutzer von S ein Zeichen von S nur deswegen verwendet, um eine bestimmte Entität zu bezeichnen, weil er davon ausgeht, dass die anderen Benutzer von S das Zeichen auf dieselbe Weise verwenden – auch, wenn es ebenso gut möglich gewesen wäre, das Bezeichnete in S durch eine andere Entität zu repräsentieren. 11

Vgl. hierzu Keller (1995), S. 153ff.; Schier (1986), S. 152-157 Stark vereinfacht übernommen aus Lewis (1975), s. Keller (1995), S. 155 13 Vgl. Keller (1995), S. 155 12

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Ein konventionelles System ist somit immer arbiträr.14 Der umgekehrte Fall scheint jedoch nicht gelten zu müssen – zumindest, wenn die Möglichkeit privater Sprachen zugestanden wird: Wenn Robinson Crusoe ein ihm neuartiges Tier als "Mumpac" bezeichnen würde, wäre die Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichneten arbiträr, auf Grund mangelnder Mitzeichenverwender aber nicht konventionell.15

5.3 Verwendung geometrischer Figuren. Eine Möglichkeit, den Unterschied zwischen sprachlichen und nicht-sprachlichen Repräsentationssystemen zu explizieren, besteht darin, auf den Begriff der geometrischen Figur zurückzugreifen.16 Diesem Ansatz nach zeichnet sich ein nicht-sprachliches System S dadurch gegenüber sprachlichen Systemen aus, dass zumindest einige Repräsentationen von S geometrische Figuren sind. Unter einer "geometrischen Figur" wird dabei ein Repräsentationstyp verstanden, (i) der mit Hilfe mathematischer Mittel exakt definiert werden kann (z.B. als Kurve oder Graph einer Funktion) und (ii) dessen Token gedreht und gespiegelt werden können, ohne die Typzugehörigkeit zu verlieren. Beispiele für geometrische Figuren sind Kreise, Ellipsen, Mehrecke usw.17 Die Buchstaben des deutschen Alphabets sind dagegen keine geometrischen Figuren. Die Idee des geometrischen Ansatzes lässt sich an Hand der Systeme der Venn-Diagramme und des Schriftdeutschen illustrieren: Ein augenfälliger Unterschied zwischen den beiden Systemen besteht darin, dass die Menge der Venn-Diagramme Kreise und Ellipsen enthält, während in der Menge der schriftdeutschen Zeichen nur Buchstabenketten vorkommen. Dieser Unterschied zeigt sich beispielsweise, wenn mit den beiden Systeme der Sachverhalt repräsentiert werden soll, dass alle Katzen launisch sind.

14

Vgl. Keller (1995), S. 156. Keller unterscheidet allerdings genauer zwischen "arbiträr" und "nicht motiviert" 15 Schier (1986), S. 57f. 16 Vgl. Shin (1994), S. 156-168 17 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Figur_(Geometrie), Stand: 1.9.2006

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K

L

• Abb. 7

Alle Katzen sind launisch

Abb. 8

Dem Ansatz geometrischer Figuren zufolge lässt sich dieser Unterschied zwischen dem Venn-Diagramm-System und dem Schriftdeutschen auf eine der folgenden Weisen verallgemeinern: (NS-GF1) Ein Repräsentationssystem ist genau dann nicht-sprachlich, wenn es geometrische Figuren als Zeichen enthält. (NS-GF2) Wenn ein Repräsentationssystem nicht-sprachlich ist, dann enthält es geometrische Figuren als Zeichen. (NS-GF3) Wenn ein Repräsentationssystem geometrische Figuren als Zeichen enthält, dann ist es nicht-sprachlich. In welchem Maß erfüllen NS-GF1, NS-GF2 und NS-GF3 die allgemeinen und speziellen Adäquatheitsbedingungen? Zunächst lassen sich einige positive Punkte festhalten: Dadurch, dass der Begriff des nicht-sprachlichen Systems über den mathematischen Begriff der geometrischen Figur expliziert wird, sind die drei Explikationen sehr präzise und exakt (AÄ2). Da es sich um eine rein syntaktische Charakterisierung handelt, sind die Bedingungen SÄ2 und SÄ3 erfüllt. Schwierigkeiten ergeben sich, wenn AÄ1, SÄ1 und SÄ4 als Prüfsteine herangezogen werden: 1.) Die in SÄ1 aufgeführten Musterbeispiele und -gegenbeispiele scheinen durch den Ansatz geometrischer Figuren angemessen klassifiziert zu werden. Trotzdem scheint der Ansatz in bestimmten Fällen zu eng und in anderen Fällen zu weit zu sein. So lässt sich gegen die Adäquatheit von NS-GF1 und NS-GF2 anführen: Es können Systeme konstruiert werden, die keine geometrischen Figuren

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enthalten, der Intuition nach aber nicht-sprachlich sind.18 Ein Beispiel hierfür ist das System SPZ: SPZ enthält als einfache Typen Buchstabenketten ("Neuville", "Lehmann" usw.). Die komplexen Typen von SPZ werden gebildet, indem einfache Typen in beliebiger Weise angeordnet werden (Syntax von SPZ). Ein einfacher Typ steht für eine Person, und in Bezug auf komplexe Typen gilt: Die Art und Weise, wie die einfachen Typen auf der Ebene angeordnet sind, entspricht der Art und Weise, wie die repräsentierten Personen auf einem Feld positioniert sind (Semantik von SPZ). Neuville Klose Ronaldinho Ballack Lahm Metzelder Lehmann

Abb. 9: Repräsentation von SPZ Da SPZ keine geometrischen Figuren als Zeichen enthält, ist SPZ gemäß NSGF1 und NS-GF2 kein nicht-sprachliches System. Dies scheint jedoch unserem Verständnis von Nicht-Sprachlichkeit zu widersprechen. Gegen die Adäquatheit von NS-GF1 und NS-GF3 lässt sich anführen: Es können Systeme konstruiert werden, die geometrische Figuren als Zeichen enthalten, unseren Intuitionen nach aber sprachlich sind.19 Belegt werden kann dies mit dem System SSD-G: SSD-G stellt eine Kodierung des Schriftdeutschen dar, in der das "a" durch ein Dreieck, das "b" durch ein Viereck, das "c" durch ein Fünfeck usw. ersetzt worden ist. Die komplexen Repräsentationstypen von SSD-G stellen dementsprechend Ketten von geometrischen Figuren dar.

Abb. 10: Repräsentation von SSD-G 18 19

Vgl. Shin (1994), S. 156f. Vgl. Shin (1994), S. 156f.

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SSD-G enthält somit geometrische Zeichen und wäre gemäß NS-GF1 und NS-GF3 nicht-sprachlich. Dies scheint jedoch unseren Intuitionen über Nicht-Sprachlichkeit zu widersprechen. 2.) Wie jeder rein syntaktische Charakterisierungsversuch wirft der Ansatz geometrischer Figuren die Frage auf: Wie kann die "semantische Intuition" erklärt werden, nicht-sprachliche Zeichen stünden auf eine nichtarbiträre Weise für das Bezeichnete? Die Angabe syntaktischer Besonderheiten scheint hierzu nicht auszureichen. Die Vertreter eines rein syntaktischen Ansatzes können auf verschiedene Weise versuchen, diesem Einwand zu begegnen: Zum einen könnten sie sich mit dem Hinweis begnügen, ihr Ansatz erkläre die semantische Intuition zwar nicht, sei aber mit ihr vereinbar. Zum anderen könnten sie versuchen, die Intuition auf eine Weise zu erklären, die nicht in der ZeichenBezeichnetes-Beziehung begründet ist. Eine solche Strategie findet sich in einem vergleichbaren Fall bei Goodman: Goodman beschäftigt sich mit der Frage, was bildhafte Repräsentationssysteme von anderen Systemen unterscheidet.20 Seine Antwort ist rein syntaktisch: Bildhafte Systeme seien im Gegensatz zu nicht-bildhaften Systemen syntaktisch dicht und besäßen relativ viele syntaktische Merkmale. Einen semantischen Unterschied gäbe es nicht.21 Wie lässt sich Goodmans Theorie zufolge aber die Intuition erklären, Bilder ähnelten dem Abgebildeten und stünden daher in einer nicht-arbiträren Beziehung zueinander? Denn: Angenommen, zwei Bilder BG und BR stellen einen grün belaubten Baum dar. BG und BR unterscheiden sich in einer Hinsicht: In BG sind die Blätter des Baums grün dargestellt, in BR rot.22 Wenn es um die Farbgebung geht, scheint nur BG den Baum abzubilden, nicht BR. Für eine farbliche Abbildung scheint es daher nicht beliebig zu sein, welche Farbe gewählt wird: Die Beziehung zwischen Bild und Abgebildetem ist nichtarbiträr. Goodman begegnet diesem Einwand wie folgt: Unsere semantische Intuition sei nicht in den semantischen Eigenschaften von pikturalen Systemen begründet, sondern auf Gewöhnung und Konvention zurückzufüh20

Etwa Goodman/Elgin (1989), S. 172. Vgl. Lopes (1986), S. 64 Goodman (1998), S. 209-213; Goodman/Elgin (1989), S. 174f. Vgl. Kjoerup (1998), S. 2325; Scholz (1993), S. 101ff.; Scholz (2004), Kap. 4 22 Zu diesem Beispiel s. Goodman (1998), S. 44f. 21

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ren.23 Dass wir BG als bildhafter in Bezug auf die Farbgebung empfinden als BR, liege z.B. daran, dass in unserer Kultur ein Bildsystem Standard sei, in dem grüne Farbe mit Grün und rote Farbe mit Rot korreliert ist. Wäre unser Standardbildsystem ein System, in dem rote Farbe mit Grün und grüne Farbe mit Rot korreliert ist, würde uns BR bildhafter erscheinen als BG. Dass wir die Beziehung zwischen der grünen Farbe und den grünen Blätter als besonders und nicht arbiträr wahrnehmen, liegt demnach nur daran, dass diese Korrelation die gängige Norm darstellt und unsere Vorstellung von bildhafter Darstellung bestimmt. Goodman drückt dies so aus: "Dass ein Bild wie die Natur aussieht, bedeutet oft nur, dass es so aussieht, wie die Natur gewöhnlich gemalt wird."24 Die Vertreter eines rein syntaktischen Ansatzes könnten auf analoge Weise argumentieren: Dass wir nicht-sprachliche Repräsentationsbeziehungen als nicht-arbiträr empfinden, liegt daran, dass theoretisch gleichgeeignete, nicht-sprachliche Beziehungen von der Praxis ausgeschlossen sind und nicht als Alternativen wahrgenommen werden. Ob diese Argumentation stichhaltig ist, müsste genauer geprüft werden. Wenn es um die Unterscheidung zwischen (realistischen) Bildern und Nicht-Bildern geht, scheint sie jedoch fraglich: Zwar finden sich bei bildlichen Darstellungen arbiträre Elemente (z.B. Striche, mit denen in einem Comic angezeigt wird, dass Super-Goofy schnell rennt oder fliegt)25, doch scheint die Empirie gegen eine vollkommene Arbitrarität der BildAbgebildetes-Beziehung zu sprechen. So wurde in den 1970er Jahren von Jan Deregowski, E.S. Muldrow und W.F. Muldrow untersucht, ob und inwieweit die Mitglieder des äthiopischen Me'en-Stamms realistische Abbildungen verstehen können.26 Die Me'en waren bis zu diesem Zeitpunkt nicht oder nur in Ausnahmefällen mit Bildern bekannt. Deregowski, Muldrow und Muldrow legten ihnen zunächst das Bild einer stehenden Hirschantilope (buck) und dann das Bild eines rennenden Leoparden vor – Tiere, mit denen die Me'en vertraut sind. Beide Bilder waren mit schwarzer Farbe auf einen groben Stoff gedruckt und besaßen eine Größe von ungefähr 50 x 100 cm. Anschließend wurden die Me'en befragt, was sie sehen 23

Goodman (1998), S. 48ff. Vgl. Lopes (1996), S. 65f.; Schier (1986), S. 126f. Goodman (1998), S. 47 25 Lopes (1996), S. 16f. 26 Deregowski/Muldrow/Muldrow (1972) 24

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würden. Die Einzelbefragung von 34 Me'en (Tieflandbewohner) führte im Falle des Antilopen-Bildes zu folgendem Ergebnis:27 korrekt erkannt: etwas anderes gesehen: "weiß nicht":

22 7 (Ziege, Zebra, Kuh, Leopard, Gnu u.ä.) 5

Bei dem später gezeigten Leoparden-Bild ergab sich:28 korrekt erkannt: etwas anderes gesehen: "weiß nicht":

32 2 (Giraffe, Zebra) 0

Bei den Me'en, die das Abgebildete nicht einordnen konnten oder es mit einem falschen Objekt identifizierten, äußerte sich ihr Unwissen oder ihre Fehlinterpretation wie folgt: Sie konnten Teile des Bildes erkennen, nicht aber das Ganze. Illustrieren lässt sich dieses Phänomen an den folgenden drei Gesprächen. Sie wurden in der Sprache der Me'en geführt. Der Experimentator W. F. Muldrow (E) umriss dabei die Gestalt der Hirschantilope oder zeigte still auf einige Körperteile, wenn er keine Antwort bekam. Dann stellte er die Frage "Was siehst Du?" erneut:29 (B1)

Mann, 35 Jahre alt E: (deutet auf das Bild) "Was siehst Du?" M: "Ich weiß nicht. Ist es ein Mann? Es sieht wie eine Kuh aus." M: (als E die Umrisse des Tiers umfährt) "Dies sind die Hörner, Beine, Schwanz, Ohr. Es ist eine Kuh."

(B2)

Frau, 20 Jahre alt E: (deutet auf das Bild) "Was siehst Du?" F: "Ich weiß nicht."

27

Deregowski/Muldrow/Muldrow (1972), S. 421 Deregowski/Muldrow/Muldrow (1972), S. 421 29 Deregowski/Muldrow/Muldrow (1972), S. 422 [Aus dem Englischen ins Deutsche von St.B.] 28

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F:

(B3)

(als E die Umrisse des Tiers umfährt) "Ich weiß nicht. Jenes sind Beine, Hörner, Ohren, Schwanz. Ich weiß nicht, was es ist."

Mann, 25 Jahre alt E: (deutet auf das Bild) "Was siehst Du?" M: "Was dies ist? Es hat Hörner, Beine ... vorne und hinten, Schwanz, Augen. Ist es eine Ziege? Ein Schaf? Ist es eine Ziege?"

Obwohl die Me'en nicht mit dem System realistischer Abbildung vertraut waren, konnten sie unsere Bilder zum größten Teil richtig interpretieren. Wäre die Beziehung zwischen Bild und Abgebildeten ebenso arbiträr wie die Beziehung zwischen sprachlichen Zeichen und Bezeichneten, ließen sich diese Ergebnisse nur schwer erklären.30 (Andere Untersuchungen mit bildunerfahrenen Kulturen haben allerdings gezeigt, dass Personen, die nicht mit der westlichen Darstellung von Tiefe vertraut sind, Schwierigkeiten haben, solche Tiefendarstellungen richtig zu interpretieren. Hier scheinen tatsächlich Konventionen eine wesentliche Rolle zu spielen.)31 Die Diskussion soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Die Grundidee und die Schwierigkeiten des geometrischen Ansatzes sollten jedoch deutlich geworden sein.

5.4 Verwendung nicht-linearer Zeichen. Eine andere Möglichkeit, den Unterschied zwischen sprachlichen und nicht-sprachlichen Repräsentationssystemen zu bestimmen, besteht darin, auf den Begriff der NichtLinearität zurückzugreifen. Gemäß diesem Ansatz zeichnet sich ein nicht-sprachliches System S dadurch gegenüber sprachlichen Systemen aus, dass zumindest einige Typen von S auf nicht-lineare Weise aus einfachen Typen von S zusammengesetzt sind. Dass sich eine Repräsentation R auf nicht-lineare Weise aus einfachen Repräsentationen R1, R2, ..., Rn zusammensetzt, bedeutet hierbei, 30 31

Vgl. Prinz (1993); aber auch Scholz (2004), S. 44-48 Vgl. Deregowski (1973)

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dass R gemäß der Struktur von S nicht konstruiert werden kann, indem die Konkatenationsfunktion auf R1, R2, ..., Rn angewendet wird (Konkatenation = Aneinanderreihung).32 Setzt sich R nicht-linear aus R1, R2, ..., Rn zusammen und soll R im Rückgriff auf R1, R2, ..., Rn beschrieben werden, genügt es also nicht, R1, R2, ..., Rn in einer bestimmten Reihenfolge anzugeben – zusätzlich müssen die relativen oder absoluten Positionen von R1, R2, ..., Rn auf einer Ebene mitgeteilt werden. Diese Idee kann an Hand eines Landkartensystems und dem Schriftdeutschen ausbuchstabiert werden: Ein deutlicher Unterschied zwischen diesen beiden Systemen besteht darin, dass eine komplexe Repräsentation des Landkartensystems meist nicht konstruiert werden kann, indem die einfachen Bestandteile in einer bestimmten Reihenfolge aneinandergereiht werden. Im Fall der zusammengesetzten Typen von SSD ist dies aber möglich. Der Unterschied lässt sich an den zwei folgenden Repräsentationen veranschaulichen. Beide stehen für den Sachverhalt, dass das Grab Tutanchamuns ca. 40 m südwestlich vom Grabmal der Königin Teje liegt.

• Teje N

• Tutanchamun 40 m

Abb. 11

Das Grab des Tutanchamun liegt ca. 40 m südwestlich vom Grab der Teje

Abb. 12

Um die Repräsentation von Abb. 12 in Rückgriff auf die enthaltenen einfachen Zeichen zu beschreiben, genügt es, die einfachen Bestandteile in der richtigen Reihenfolge aufzulisten: D-a-s-_-G-r-a-b_- ... Im Fall der Repräsentation von Abb. 11 genügt dies nicht: •-_-T-e-j-e-_-N-_•-_-T-u-... Dem Ansatz nicht-linearer Repräsentationen zufolge kann dieser Unterschied zwischen dem Landkarten-System und dem Schriftdeutschen auf eine der folgenden Weisen verallgemeinert werden: 32

Vgl. Larkin/Simon (1987), S. 72; Shimojima (1996a), S. 106ff.; Stenning/Inder (1995), S. 319

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(NS-NL1) Ein Repräsentationssystem ist genau dann nicht-sprachlich, wenn es Zeichen enthält, die auf nicht-lineare Weise aus einfachen Zeichen zusammengesetzt sind. (NS-NL2) Wenn ein Repräsentationssystem nicht-sprachlich ist, dann enthält es Zeichen, die auf nicht-lineare Weise aus einfachen Zeichen zusammengesetzt sind. (NS-NL3) Wenn ein Repräsentationssystem Zeichen enthält, die auf nichtlineare Weise aus einfachen Zeichen zusammengesetzt sind, dann ist es nicht-sprachlich. Inwiefern erfüllen NS-NL1, NS-NL2 und NS-NL3 die allgemeinen und speziellen Adäquatheitsbedingungen? Zunächst lassen sich einige positive Punkte anführen: Auch wenn der Begriff der Nicht-Linearität präziser definiert werden könnte, scheinen die drei Explikationen hinreichend genau zu sein (AÄ2). Und wie im Fall des Ansatzes geometrischer Figuren sind SÄ2 und SÄ3 erfüllt. Neben SÄ4 bereiten jedoch die Bedingungen AÄ1 und SÄ1 Probleme: Die in SÄ1 angeführten Musterbeispiele und -gegenbeispiele scheinen durch den Ansatz nicht-linearer Zeichen angemessen eingeordnet zu werden. Trotzdem scheint der Ansatz in bestimmten Hinsichten zu eng und in anderen Hinsichten zu weit zu sein: So lässt sich gegen die Adäquatheit von NS-NL1 und NS-NL2 anbringen: Es können Systeme konstruiert werden, die nur linear zusammengesetzte Repräsentationen enthalten, intuitiv betrachtet aber nicht-sprachlich sind.33 Ein Beispiel hierfür ist das System SP:34 SP enthält als einfache Typen Kreise unterschiedlicher Größe und Farbe sowie gerade Striche unterschiedlicher Länge; die komplexen wohlgeformten Typen von SP werden durch die Konkatenation von einfachen Zeichen gebildet: zunächst ein Kreis, dann eine Folge von Strich-Kreis-Paaren (Syntax von SP). Ein Kreis steht in SP für einen Himmelskörper des Sonnensystems, sein Durchmesser für den Durchmesser des Himmelskörpers (relativ zu einem bestimmten Maßstab), seine Farbe für die Farbe des Himmelskörpers (gesehen aus einer bestimmten Distanz und unter bestimmten Bedingungen), 33 34

Vgl. Hammer, S. 2f.; Shimojima (1996a), S. 106ff. Vgl. Shimojima (1996a), S. 107f.

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die Länge eines Striches zwischen zwei Kreisen für den Abstand zwischen den repräsentierten Himmelskörpern (relativ zu einem bestimmten Maßstab) (Semantik von SP). Mit Hilfe von SP können somit die relativen Größenunterschiede und Abstände unter Himmelskörpern repräsentiert werden.

Abb. 13: Zeichen von SP Da alle Repräsentationen von SP linear aufgebaut sind, ist SP gemäß NSNL1 und NS-NL2 kein nicht-sprachliches System. Dies scheint jedoch unseren Intuitionen von Nicht-Sprachlichkeit zu widersprechen. Gegen die Adäquatheit von NS-NL1 und NS-NL3 lässt sich anführen: Es können Repräsentationssysteme konstruiert werden, die nicht-linear zusammengesetzte Repräsentationen enthalten, intuitiv betrachtet jedoch sprachlich sind.35 Als Beispiel lässt sich das System SSD-2 vorbringen: SSD-2 ist ein System, mit dessen Hilfe es möglich ist, Repräsentationen des Schriftdeutschen in einer zweidimensionalen Matrix zu kodieren:36 Die einfachen Repräsentationen von SSD-2 entsprechen den einfachen Zeichen des Schriftdeutschen. Die zusammengesetzten Repräsentationen von SSD-2 bestehen aus endlich vielen Reihen von endlichen Aneinanderreihungen einfacher Zeichen des Schriftdeutschen (Syntax von SSD-2). Eine einfache Repräsentation von SSD-2 übernimmt dieselbe Rolle wie im Schriftdeutschen. Die Bedeutung einer komplexen Repräsentation R von SSD-2 ergibt sich nach folgendem Schlüssel: Das erste Zeichen der ersten Reihe von R, das zweite Zeichen der zweiten Reihe, das dritte Zeichen der dritten Reihe usw. ergeben eine Buchstabenkette s. R steht für diejenige Entität, die s im Schriftdeutschen repräsentiert (Semantik von SSD-2). 35

Vgl. Gottschling (2003), S. 119; Hammer (1995), S. 2f.; Shimojima (1996a), S. 106ff. 36 Vgl. Hammer (1995), S. 2f.

149

FaIokrstUbNerg IikllkuwzderKil Kkshgtuitrgffff Ccdcdccdsqqlxy Zooohooohopvb

Abb. 14: Zeichen von SSD-2 für Fische SSD-2 enthält somit Repräsentationen, die auf nicht-lineare Weise aus einfachen Repräsentationen zusammengesetzt sind, und ist gemäß NS-NL1 und NS-NL3 nicht-sprachlich. Dies scheint jedoch dem gängigen Verständnis von Nicht-Sprachlichkeit zu widersprechen. Die Diskussion um den Ansatz nicht-linearer Repräsentationen soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Die Grundidee und die Schwierigkeiten des Ansatzes sollten jedoch deutlich geworden sein.

5.5 Syntaktische Dichte. Eine dritte Möglichkeit, den Unterschied zwischen sprachlichen und nicht-sprachlichen Systemen zu explizieren, besteht darin, auf den Begriff der syntaktischen Dichte zurückzugreifen. Laut diesem Ansatz zeichnet sich ein nicht-sprachliches System dadurch gegenüber sprachlichen Systemen aus, dass es syntaktisch dicht ist. Gemäß der im Kapitel 2 angeführten Definition, heben sich nicht-sprachliche Systeme also dadurch hervor, dass sie unendlich viele Zeichentypen besitzen, die entlang irgendeiner syntaktisch relevanten Dimension so geordnet werden können, dass zwischen zwei beliebigen Repräsentationstypen immer ein dritter Typ liegt.37 Der Gedanke dieses Ansatzes lässt sich an Hand des Systems realistischer Abbildungen und dem Schriftdeutschen veranschaulichen: Egal, in Hinsicht auf welche syntaktisch relevanten Merkmale die Typen des Schriftdeutschen geordnet werden – es wird sich niemals eine syntaktisch dichte Ordnung unter einer unendlichen (Teil-)Menge dieser Typen ergeben. Im Gegensatz hierzu lassen sich die Typen des Systems realistischer Abbildungen entlang verschiedener syntaktisch relevanter Merkmale dicht 37

Vgl. Goodman (1998), S. 209-213; Scholz (1999), S. 42-45

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ordnen (z.B. entlang Größe, Länge, Breite, Farbsättigung usw.) Goodman verdeutlicht dies an dem folgenden Beispiel: Betrachten wir z.B. einige Bilder im traditionellen Repräsentationssystem der westlichen Welt: das erste ist ein Bild eines Mannes, der in einer bestimmten Entfernung aufrecht steht; das zweite, im selben Maßstab, ist das Bild eines kleineren Mannes in derselben Entfernung. Ein drittes Bildnis in dieser Serie könnte eine Zwischengröße haben; ein viertes könnte zwischen dem dritten und dem zweiten liegen usw. Dem Repräsentationssystem entsprechend macht jeder Unterschied zwischen diesen Bildnissen einen Unterschied in der Größe des repräsentierten Mannes aus.38

Gemäß dem Ansatz der syntaktischen Dichte kann dieser Unterschied zwischen dem Abbildungssystem und dem Schriftdeutschen auf eine der folgenden Weise verallgemeinert werden: (NS-SD1) Ein Repräsentationssystem ist genau dann nicht-sprachlich, wenn es syntaktisch dicht ist. (NS-SD2) Wenn ein Repräsentationssystem nicht-sprachlich ist, dann ist es syntaktisch dicht. (NS-SD3) Wenn ein Repräsentationssystem syntaktisch dicht ist, dann ist es nicht-sprachlich. Inwieweit erfüllen NS-SD1, NS-SD2 und NS-SD3 die allgemeinen und speziellen Adäquatheitsbedingungen? Wieder lassen sich AÄ2, SÄ2 und SÄ3 im positiven Sinn anführen, wieder bereiten neben SÄ4 vor allem AÄ1 und SÄ2 Schwierigkeiten. So klassifizieren NS-SD1, NS-SD2 und NS-SD3 Systeme als "sprachlich" oder "nicht-sprachlich", die intuitiv betrachtet anders einzuordnen sind: Gegen die Adäquatheit von NS-SD1 und NS-SD2 kann angeführt werden: Es gibt Systeme, die nicht syntaktisch dicht, unseren Intuitionen nach aber nicht-sprachlich sind. Belegen lässt sich dies mit dem System SEU: SEU enthält als einfache Typen Kreise und Ellipsen, die mit Buchstaben indiziert sind. Die komplexen, wohlgeformten Repräsentationen von SEU be38

Goodman (1998), S. 210

151

stehen aus geschlossenen Kurven, die wohlgeformte Repräsentationen von SEU echt einschließen (Syntax von SEU). E B D

H

Abb. 15: Zeichen von SEU SEU enthält unendlich viele Repräsentationstypen. Sie lassen sich jedoch entlang keiner syntaktisch relevanten Dimension dicht ordnen. SEU wäre somit entgegen der Intuition als sprachliches System einzuordnen. Gegen die Adäquatheit von NS-SD1 und NS-SD3 lässt sich vorbringen: Es können Systeme entwickelt werden, die syntaktisch dicht, intuitiv betrachtet aber sprachlich sind. Ein Beispiel hierfür ist das System SSD-STR: Bei SSD-STR handelt es sich um eine Kodierung des Schriftdeutschen. Als einfache Repräsentationstypen enthält SSD-STR unendlich viele Strichtypen, wobei ein Typ über die Länge der zugehörigen Token konstituiert wird. Der kleinste Unterschied in der Länge eines Strichgebildes macht einen Unterschied in der Typzugehörigkeit aus. Die zusammengesetzten Repräsentationen von SSD-STR bestehen aus einer endlichen Aneinanderreihung von Strichen (Syntax von SSD-STR). Die Striche übernehmen in SSD-STR dieselbe Funktion wie die Buchstaben im Schriftdeutschen. Es gilt: Ist die Quersumme der Längenangabe in cm gleich 1, besitzt der Strich die Funktion des "a", ist die Quersumme gleich 2, besitzt der Strich die Funktion des "b" usw. Die Bedeutung einer zusammengesetzten Repräsentation R von SSD-STR entschlüsselt sich wie folgt: Werden die Striche von R durch Buchstaben derselben Funktion ersetzt und wird auf diese Weise die Buchstabenkette s erzeugt, steht R für dieselbe Entität, die s in SSD repräsentiert (Semantik von SSD-STR).

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Abb. 16: Zeichen von SSD-STR SSD-STR ist syntaktisch dicht und somit gemäß NS-SD1 und NS-SD3 nichtsprachlich. Diese Klassifizierung scheint jedoch unseren Intuitionen über Nicht-Sprachlichkeit zu widersprechen. Die Diskussion soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Jedoch sollte deutlich geworden sein, was die Grundidee des Ansatzes der syntaktischen Dichte ist und mit welchen Schwierigkeiten er u.a. zu kämpfen hat.

5.6 Ähnlichkeit. Die vierte Möglichkeit, den Unterschied zwischen sprachlichen und nicht-sprachlichen Repräsentationssystemen zu fassen, besteht darin, auf den Begriff der Ähnlichkeit zurückzugreifen. Diesem Ansatz zufolge zeichnet sich ein nicht-sprachliches System S dadurch gegenüber nicht-sprachlichen Systemen aus, dass zumindest einige Repräsentationen von S in einer Ähnlichkeitsrelation zum Repräsentierten stehen.39 Illustriert werden kann dieser Ansatz an Hand des Repräsentationssystems realistischer Abbildungen und dem Schriftdeutschen: Ein augenfälliger Unterschied zwischen den beiden Systemen besteht darin, dass die Token des Abbildungssystems dem jeweils extensional Repräsentierten in hohem Maß zu ähneln scheinen. Auf Grund dieser hohen Ähnlichkeit scheint es uns z.B. möglich zu sein, das Repräsentierte allein an Hand der Repräsentation zu identifizieren. Die Repräsentationen des Schriftdeutschen weisen dagegen keinerlei nennenswerte Ähnlichkeit zu dem jeweils Repräsentierten auf. Dieser Unterschied wird beispielsweise deutlich, wenn die beiden folgenden Zeichen für Disketten verglichen werden:

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 Abb. 17: bildhaft

Diskette

Abb. 18: sprachlich

Dem Ähnlichkeitsansatz zufolge lässt sich dieser Unterschied auf eine der folgenden Weisen verallgemeinern: (NS-ÄK1) Ein Repräsentationssystem ist genau dann nicht-sprachlich, wenn es Repräsentationen enthält, die dem Repräsentierten ähnlich sind. (NS-ÄK2) Wenn ein Repräsentationssystem nicht-sprachlich ist, dann enthält es Repräsentationen, die dem Repräsentierten ähnlich sind. (NS-ÄK3) Wenn ein Repräsentationssystem Repräsentationen enthält, die dem Repräsentierten ähnlich sind, dann ist es nicht-sprachlich. In welchem Maß erfüllen NS-ÄK1, NS-ÄK2 und NS-ÄK3 die allgemeinen und speziellen Adäquatheitsbedingungen? Eine erste Schwierigkeit stellt sich im Zusammenhang mit AÄ2 (Exaktheit): Was genau ist damit gemeint, wenn gesagt wird, eine Abbildung sei dem Abgebildeten ähnlich, während ein Zeichen des Schriftdeutschen dem Bezeichneten nicht ähnlich sei? Inwiefern kann ein flaches, mit schwarzer Farbe bedrucktes Stück Papier Gegenständen oder Personen ähneln? Was ist Ähnlichkeit?40 Ein erster Versuch, den Begriff der Ähnlichkeit zu präzisieren, könnte darin bestehen, die Zahl der Eigenschaften festzulegen, die übereinstimmen müssen, damit eine Repräsentation x einer Entität y in relevanter Hinsicht ähnlich ist. Dieser Ansatz scheint jedoch wenig aussichtsreich zu sein: 1.) Angenommen, Ähnlichkeit wird als Übereinstimmung in mindestens einer Eigenschaft bestimmt. In diesem Fall wäre alles allem ähnlich: Es 39 40

Vgl. Shin (1996a), S. 157ff. Vgl. Gottschling (2003), S. 121; Schier (1986), S. 184; Scholz (2004), S. 52

154

findet sich immer eine Eigenschaft, die zwei Entitäten x und y gemeinsam ist. In Folge wäre gemäß NS-ÄK1 jedes Repräsentationssystem nichtsprachlich.41 2.) Angenommen, Ähnlichkeit wird als Übereinstimmung in allen Eigenschaften charakterisiert. Dies hätte zur Folge, dass der Ähnlichkeitsbegriff leer ist: Verschiedene Dinge stimmen niemals in allen Eigenschaften überein. Selbst die getreueste Abbildung ähnelt unter dieser Interpretation nicht dem Abgebildeten. Folglich wäre jedes Repräsentationssystem gemäß NS-ÄK1 sprachlich.42 3.) Angenommen, Ähnlichkeit wird als quantitätsvergleichender Begriff bestimmt: a und b sind einander genau dann ähnlicher als c und d, wenn a und b mehr Eigenschaften gemeinsam haben als c und d. Ein Repräsentationssystem wäre demnach umso nicht-sprachlicher, je mehr Eigenschaften seine Repräsentationen mit dem Repräsentierten gemeinsam haben. Es gilt jedoch: Zwei beliebige Dinge – etwa eine Diskette und die Abbildung einer Diskette – haben genauso viele Eigenschaften gemeinsam, wie zwei beliebige andere Dinge – etwa eine Diskette und der sprachliche Ausdruck "Diskette".43 Goodman macht diesen Punkt wie folgt deutlich: Zwei Dinge haben genau dieselbe Anzahl von Eigenschaften gemeinsam wie zwei beliebige andere. Wenn es nur drei Gegenstände im Universum gibt, dann gilt für zwei beliebige von ihnen, dass sie in genau zwei Klassen zusammen sind und genau zwei Eigenschaften gemeinsam haben: Die Eigenschaft, zu der Klasse zu gehören, die aus diesen beiden Objekten besteht, und die Eigenschaft, zu der Klasse zu gehören, die aus allen drei Gegenständen besteht. Wenn das Universum größer ist, wird die Anzahl der geteilten Eigenschaften größer, für alle Elemente aber stets dieselbe sein.44

Leicht verändert ausgedrückt: Angenommen, das Universum besteht aus nur drei Gegenständen a, b und c. Die Zahl der Mengen, die die Elemente a und b enthalten, ist gleich der Zahl der Mengen, die die Elemente c und a enthalten – unabhängig davon, um welche Entitäten es sich bei a, b und c 41

Goodman (1970), S. 25. Vgl. Scholz (2004), S. 53f. Goodman (1970), S. 25. Vgl. Scholz (2004), S. 54 43 Goodman (1970), S. 26. Vgl. Scholz (2004), S. 54f. 44 Goodman (1970), S. 26 42

155

handelt. Bildet jede Menge die Extension einer Eigenschaft, ist die Zahl der Eigenschaften, die auf a und b zutreffen, gleich der Zahl der Eigenschaften, die auf c und a zutreffen: Universum U = {a, b, c} a, b ∅ {a}, {b}, {c} {a, b}, {a, c}, {b, c} {a, b, c}

c, a ∅ {a}, {b}, {c} {a, b}, {a, c}, {b, c} {a, b, c}

2 Mengen, 2 Eigenschaften

2 Mengen, 2 Eigenschaften

Zeichen, die intuitiv betrachtet nicht-sprachlich sind, teilen somit ebenso viele Eigenschaften mit dem jeweils Repräsentierten wie Zeichen, die intuitiv betrachtet sprachlich sind. Gemäß einem Ähnlichkeitsansatz gäbe es demzufolge keinen Unterschied zwischen sprachlichen und nichtsprachlichen Systemen. Es liegt daher nahe, Ähnlichkeit nicht formal, sondern inhaltlich zu bestimmen – z.B.: x ähnelt y, wenn x und y sich visuell gleichen45; wenn die von x und y ausgehenden Lichtstrahlen übereinstimmen46; wenn x und y dieselbe Form oder Gestalt besitzen47; wenn x mit y verwechselt werden kann48 usw. Allerdings hat es sich als äußerst schwierig erwiesen, den Ähnlichkeitsbegriff inhaltlich so zu fassen, dass er geeignet wäre, nichtsprachliche Repräsentationssysteme von sprachlichen abzugrenzen. Im Folgenden soll ein Versuch vorgestellt und erläutert werden, der zu den aussichtsreichsten gehört: der Versuch, Ähnlichkeit über den Begriff der Strukturähnlichkeit zu bestimmen. Der Ansatz der Strukturähnlichkeit beruht auf der folgenden Überlegung: In vielen Fällen lassen sich die nicht-leeren Zeichen eines Repräsentationssystems in zwei Arten von Repräsentationen unterteilen: in Reprä45

Scholz (2004), S. 71ff. Goodman (1998), S. 21-24; Scholz (2004), S. 73f. 47 Scholz (2004), S. 66-71 48 Scholz (2004), S. 61-66 46

156

sentationen, die für Sachverhalte stehen ('gesättigte' Repräsentationen), und in Repräsentationen, die nicht für Sachverhalte, sondern z.B. für Individuen, Eigenschaften und Relationen stehen ('ungesättigte' Repräsentationen).49 Bei den gesättigten Repräsentationen handelt es sich im Regelfall um komplexe Zeichen, die sich aus ungesättigten Repräsentationen zusammensetzen und in denen diese ungesättigten Repräsentationen in bestimmten syntaktischen Relationen zueinander stehen. Der folgende Satz S1 ist beispielsweise eine komplexe Repräsentation des Schriftdeutschen, die sich aus den ungesättigten Repräsentationen "Capablanca", "Dr. Lasker" und "schlägt" zusammensetzt – wobei "Capablanca" links von "schlägt" und "Dr. Lasker" rechts von "schlägt" angeordnet sind. (S1)

"Capablanca schlägt Dr. Lasker"

Welche der beiden Arten von Repräsentationen kommen nun in Frage, wenn gesagt wird, nicht-sprachliche Systeme enthielten Zeichen, die dem Repräsentierten ähnlich seien? Ungesättigte Repräsentationen scheinen keine geeigneten Kandidaten zu sein: Zwar mag es so sein, dass die ungesättigten Bestandteile von Bildern und Fotografien (falls es sie gibt)50 dem Repräsentierten in einem besonderen Maß ähneln – spätestens im Fall von mathematischen Diagrammen scheiden die ungesättigten Zeichen jedoch aus: In Euler- und Venn-Diagrammen stehen z.B. Kreuze für Individuen und Kreisflächen für Mengen. Von einer Ähnlichkeit zwischen den ungesättigten Repräsentationen und den repräsentierten Entitäten lässt sich hier nicht sprechen. Die Stehen-für-Relation scheint hier ebenso auf Konvention zu beruhen wie in sprachlichen Systemen.51 Die Ähnlichkeit muss also auf der Ebene der gesättigten Repräsentationen zu finden sein. Hier bietet sich tatsächlich eine Möglichkeit an: Die Token eines gesättigten Typs weisen eine bestimmte syntaktische Struktur auf. In ihnen sind z.B. Teiltoken links von einem anderen Teiltoken angeordnet. Die Sachverhalte, die mit Hilfe der Typen repräsentiert werden, besitzen ebenfalls 49

Diese Verwendungsweise der Ausdrücke "gesättigt" und "ungesättigt" unterscheidet sich von der klassischen Verwendungsweise nach Frege. Sie wird hier nur behelfsmäßig eingeführt. 50 Vgl. hierzu etwa die Diskussion in Schier (1986), S. 66f. 51 Vgl. Shin (1994), S. 168f.

157

eine bestimmte Struktur. Etwas steht z.B. zu etwas anderem in einer Relation mit den und den Eigenschaften. Wenn sich die Struktur der Token eines Typs und die Struktur eines Sachverhalts zumindest in bestimmten Hinsichten gleichen, scheinen sich der Typ und der Sachverhalt in einer markanten Weise zu ähneln – nämlich in dem Sinn, dass sie strukturgleich sind.52 NS-ÄK1, NS-ÄK2 und NS-ÄK3 können in diesem Sinn wie folgt präzisiert werden: (NS-SÄ1) Ein Repräsentationssystem ist genau dann nicht-sprachlich, wenn es Repräsentationen enthält, die dem Repräsentierten strukturähnlich sind. (NS-SÄ2) Wenn ein Repräsentationssystem nicht-sprachlich ist, dann enthält es Repräsentationen, die dem Repräsentierten strukturähnlich sind. (NS-SÄ3) Wenn ein Repräsentationssystem Repräsentationen enthält, die dem Repräsentierten strukturähnlich sind, dann ist es nichtsprachlich. Wann genau liegt jedoch Strukturähnlichkeit vor? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit die Token eines Typs T und der durch sie repräsentierte Sachverhalt strukturähnlich sind? Für eine Definition des Strukturähnlichkeitsbegriffs kommen u.a. die folgenden Bedingungen in Frage: Sei S ein Repräsentationssystem, T ein gesättigter Typ von S, t ein Token von T und E die extensionale Bedeutungsfunktion von TYP nach OE. Seien t1, ..., tn diejenigen ungesättigten Token, aus denen sich t gemäß der Struktur von S zusammensetzt.53 (B1) Wenn ti eine syntaktisch relevante Eigenschaft F besitzt, dann ist E(ti) eine Entität mit der Eigenschaft E(F). 52

Vgl. Brown (1999), S. 38; Lewis (2002), S. 166; Shin (1994), S. 160f Shimojima (1996a), S. 111f. Vgl. Barwise/Hammer (1996), S. 71f.; Barwise/Etchemendy (1996b), S. 182f.

53

158

(B2) Wenn ti eine syntaktisch relevante Eigenschaft F besitzt, dann ist E(ti) eine Entität mit der Eigenschaft F. (B3) Wenn t1, ..., tm in einer syntaktisch relevanten Beziehung G zueinander stehen dann stehen die Entitäten E(t1)...E(tm) in einer Beziehung E(G) zueinander. (B4) Wenn t1, ..., tm in einer syntaktisch relevanten Beziehung G zueinander stehen und G bestimmte strukturelle Eigenschaften aufweist (z.B. Transitivität, Asymmetrie, Irreflexivität etc.), dann stehen die Entitäten E(t1), ..., E(tm) in einer Beziehung E(G) mit denselben strukturellen Eigenschaften zueinander. (B5) Wenn t1, ..., tm in einer syntaktisch relevanten Beziehung G zueinander stehen, dann stehen die Entitäten E(t1), ..., E(tm) ebenfalls in der Beziehung G zueinander. B1-B5 lassen sich an Hand der beiden folgenden Diagramme illustrieren:54

Abb. 19

Abb. 20

Das Zeichen in Abb. 19 ist ein Euler-Diagramm. Es soll für den Sachverhalt stehen, dass die leere Menge der Mondschafe echt in der Menge der Säugetiere enthalten ist. Die Ellipse steht für die Menge der Säugetiere, der Kreis für die Menge der Mondschafe. Die Tatsache, dass der Kreis schattiert ist, soll für den Sachverhalt stehen, dass die Menge der Mondschafe leer ist. Das Diagramm erfüllt B1: Der Kreis besitzt die syntaktisch relevante Eigenschaft, schattiert zu sein. Die Menge, die durch ihn bezeichnet wird, muss also eine Eigenschaft besitzen, die mit dem syntaktischen Merkmal verbunden ist. Das ist der Fall: Die Menge der Mondschafe ist leer. 54

Vgl. Shimojima (1996a), S. 110ff.

159

Es erfüllt nicht B2: Der Kreis besitzt die syntaktisch relevante Eigenschaft, schattiert zu sein. Die Menge der Mondschafe weist dagegen nicht die Eigenschaft auf, schattiert zu sein. Es erfüllt B3: Der Kreis und die Ellipse stehen in einer syntaktisch relevanten Beziehung zueinander: Der Kreis ist räumlich echt in der Ellipse enthalten. Demzufolge müssen die Entitäten, die durch den Kreis und die Ellipse bezeichnet werden, in einer Relation stehen, die durch diese syntaktische Relation repräsentiert wird. Das ist der Fall: Die Menge der Mondschafe ist eine echte Teilmenge der Menge der Säugetiere. Es erfüllt B4: Die Beziehung des Räumlich-Echt-Enthaltenseins ist irreflexiv, asymmetrisch und transitiv. Das gleiche gilt für die hierdurch bezeichnete Echte-Teilmengen-Beziehung. Es erfüllt nicht B5: Der Kreis und die Ellipse ist räumlich echt in der Ellipse enthalten. Für die Menge der Mondschafe und die Menge der Säugetiere gilt dies jedoch nicht. Die Repräsentation in Abb. 20 ist eine Zeichnung. Sie soll den Sachverhalt repräsentieren, dass die größere Julia links von der kleineren Tanja steht (aus Sicht des Betrachters). Das linke Strichmännchen steht für Julia, das rechte Strichmännchen für Tanja. Relative Größe und Positionierung der Strichmännchen sind syntaktisch relevant. Im Gegensatz zu dem Euler-Diagramm erfüllt die Zeichnung nicht nur B1, B3 und B4, sondern auch B5: Das linke Strichmännchen ist z.B. größer als das rechte Strichmännchen. Dies gilt auch für Julia und Tanja. Mit Hilfe von B1-B5 lassen sich verschieden starke Strukturähnlichkeitsbegriffe formulieren.55 In dieser Arbeit soll Strukturähnlichkeit allein in Rekurs auf B4 definiert werden: (SÄ)

55

Sei S ein Repräsentationssystem, T ein gesättigter Typ von S, t ein Token von T und E die extensionale Bedeutungsfunktion von TYP nach OE. Seien t1, ..., tn diejenigen ungesättigten Token, aus denen sich t gemäß der Struktur von S zusammensetzt. T ist genau dann strukturähnlich zu einem E(T), wenn gilt: Wenn t1, ..., tm in einer syntaktisch relevanten Beziehung G zueinanderstehen und G bestimmte strukturelle Eigenschaften aufweist,

Vgl. Gottschling (2003), S. 131-137

160

dann stehen die Entitäten E(t1), ..., E(tm) in einer Beziehung E(G) zueinander, die dieselben strukturellen Eigenschaften aufweist wie G. In welchem Maß erfüllen NS-SÄ1, NS-SÄ2 und NS-SÄ3 die allgemeinen und speziellen Adäquatheitsbedingungen, wenn Strukturähnlichkeit im Sinne von SÄ verstanden wird? Positiv festhalten lässt sich zunächst, dass der Begriff der Ähnlichkeit durch eine Definition wie SÄ recht exakt expliziert worden ist (AÄ2). Zudem sind die Bedingungen SÄ2 und SÄ4 erfüllt: Der Unterschied zwischen nicht-sprachlichen und sprachlichen Repräsentationssystemen wird daran festgemacht, dass nicht-sprachliche Zeichen in einer nicht-arbiträren Beziehung zum Bezeichneten stehen. Damit scheint sich zugleich die "syntaktische Intuition" erklären zu lassen (SÄ3): Da in nicht-sprachlichen Systemen räumliche Relationen verwendet werden können, um strukturgleiche Relationen zu repräsentieren, liegt es nahe, möglichst viele dieser Relationen zu nutzen – nicht nur die Links-Liegen-Von-Relation, sondern z.B. auch die Enthalten-SeinRelation. Dies kann zu Unterschieden in der syntaktischen Beschaffenheit der Zeichen führen. (Wird z.B. die Enthalten-Sein-Relation genutzt, wird das Repräsentationssystem nicht-linear sein.) Vertreter syntaktischer Explikationen wie Goodman und Scholz weisen allerdings auf ein Problem hin, das semantische Ansätze gegenüber einer syntaktischen Herangehensweise besitzen:56 Extensional leere Repräsentationen lassen sich ebenso wie extensional nicht-leere Repräsentationen in sprachliche und nicht-sprachliche Zeichen unterscheiden. Der Ausdruck "Sherlock Holmes" ist z.B. sprachlich, eine Zeichnung von Sherlock Holmes nicht-sprachlich. Leere Repräsentationen stehen extensional jedoch für nichts, können somit auch nicht in einer Ähnlichkeits- oder sonstigen nicht-arbiträren Beziehung zu einer extensionalen Entität stehen. Der Unterschied zwischen sprachlichen und nicht-sprachlichen Zeichen scheint daher nicht semantischer Natur sein zu können. Wie kann aus Sicht eines semantischen Ansatzes auf diesen Einwand reagiert werden? Möglich wäre u.a., auf den folgenden Punkt zu verwei56

Goodman (1998), S. 31-36; Scholz (1999)

161

sen: Ob eine Repräsentation R sprachlich oder nicht-sprachlich ist, hängt davon ab, welchem System S sie angehört: Handelt es sich bei der Zeichen-Bezeichnetes-Beziehung von S um eine arbiträre Beziehung, ist R sprachlich, handelt es sich um eine nicht-arbiträre Relation, ist R nichtsprachlich – unabhängig davon, ob R leer ist oder nicht. Dass die Zeichnung von Sherlock Holmes den nicht-sprachlichen Zeichen zugeordnet wird, erklärt sich somit letztlich in Bezug auf eine nicht-arbiträre Beziehung. Eine andere Schwierigkeit ergibt sich im Zusammenhang mit AÄ1 und SÄ1: Obwohl viele Musterbeispiele durch die Strukturähnlichkeitstheorie angemessen klassifiziert werden, scheint sie zu weit zu sein: Es gibt Systeme, die strukturähnliche Repräsentationen besitzen, unserer Intuition nach aber sprachlicher Natur sind. Ein Beispiel hierfür ist das Schriftdeutsche. Zu seinen Zeichen gehören Repräsentationen der Form "a liegt zeitlich vor b", mit deren Hilfe ausgedrückt wird, dass ein Ereignis a zeitlich vor einem anderen Ereignis b liegt. Das Strukturähnlichkeitskriterium scheint in Bezug auf diese Repräsentationen erfüllt zu sein: a und b stehen in der asymmetrischen syntaktischen Relation, links und rechts der Zeichenkette "liegt zeitlich vor" zu stehen; das durch "a" bezeichnete Ereignis steht in der asymmetrischen Beziehung des Zeitlich-Vorangehens zu dem durch "b" bezeichneten Ereignis.57 Um Einwände dieser Art auszuschalten, könnte SÄ ad hoc um eine zweite Klausel ergänzt werden:58 SÄ + (ii)

t enthält kein Token, das isoliert für die Relation E(G) steht

So verstanden zeichnen sich nicht-sprachliche Systeme dadurch aus, dass in ihnen einige oder alle Relationen ausschließlich über strukturgleiche Teilzeichen-Relationen ausgedrückt werden, nicht über Relationssymbole. Das sprachliche Beispiel wird nicht mehr erfasst. Die Diskussion um Ähnlichkeitsansätze soll an dieser Stelle abgebrochen werden. Etliche Punkte müssten geklärt und präzisiert werden. Dennoch sollten zumindest die grundlegende Idee und einige Schwierigkeiten deutlich geworden sein. 57 58

Vgl. Barwise/Hammer (1996), S. 74 Vgl. Shimojima (1996a), S. 108f.; Sloman (1971)

162

5.7 (Nicht-)Sprachlichkeit: Monismus vs. Pluralismus. Neben den vier angeführten Ansätzen sind andere Vorschläge denkbar, den Unterschied zwischen sprachlichen und nicht-sprachlichen Repräsentationssystemen zu fassen. Sie können in zwei Gruppen unterteilt werden: In die erste Gruppe fallen Ansätze, die mit NS-GF1, NS-NL1, NS-SD1 und NS-SÄ1 die Annahme teilen, dass sich sprachliche und nicht-sprachliche Systeme scharf voneinander abgrenzen lassen.59 Zu der zweiten Gruppe gehören Ansätze, denen zufolge der Unterschied zwischen sprachlichen und nichtsprachlichen Systemen graduell ist und nicht klar gezogen werden kann. 60 Im Rahmen dieser Arbeit soll auf Vorschläge dieser beiden Gruppen allerdings nicht weiter eingegangen werden. Es bleibt somit die Frage, auf welche der vier Explikationen NS-GF1, NS-NL1, NS-SD1 und NS-SÄ1 im Weiteren zurückgegriffen werden soll: Offensichtlich unterscheiden sie sich in ihrer Extension. SSD-G ist beispielsweise ein System, das nur unter das Explikat von NS-GF1 fällt, nicht aber unter die Explikate von NS-NL1, NS-SD1 und NS-SÄ1. Ist daher nur eine Explikation die angemessenere oder richtigere Definition des vortheoretischen Begriffs von Nicht-Sprachlichkeit (Monismus)? Oder sind alle gleichermaßen berechtigt, weil (i) sich der vortheoretische Begriff nicht auf die eine optimale Weise definieren lässt oder (ii) es in Wirklichkeit verschiedene vortheoretische Begriffe von NichtSprachlichkeit gibt, die von den einzelnen Explikationen jeweils angemessen bestimmt werden (Pluralismus)?61 Im Rahmen dieser Arbeit wird eine pluralistische Haltung eingenommen: Alle vier Explikationen sollen als gleichwertige Definitionen nichtsprachlicher Systeme behandelt werden. Rechtfertigen lässt sich diese Haltung u.a. pragmatisch. Selbst wenn die pluralistische Position nicht 59

Hierzu könnte etwa eine intentionalistische Theorie gezählt werden, derzufolge eine Repräsentation R genau dann nicht-sprachlich ist, wenn der Hersteller der Repräsentation beabsichtigte, dass R etwas auf nicht-sprachliche Weise repräsentiert. Zu den Schwierigkeiten eines solchen Ansatzes s. Scholz (2004), S. 141-151 60 Vgl. in diese Richtung Barwise/Hammer (1996), S. 72ff. 61 Vgl. Kap. 3.7

163

korrekt ist, kann durch eine pluralistische Herangehensweise kein Schaden angerichtet werden. Sie bedeutet schlimmstenfalls überflüssige Arbeit.62 5.8 Zusammenfassung. Im Rahmen dieses Kapitels wurden vier Möglichkeiten vorgestellt, den Unterschied zwischen sprachlichen und nichtsprachlichen Repräsentationssystemen zu fassen: (NS-GF1) Ein Repräsentationssystem ist genau dann nicht-sprachlich, wenn es geometrische Figuren als Zeichen enthält. (NS-NL1) Ein Repräsentationssystem ist genau dann nicht-sprachlich, wenn es Zeichen enthält, die auf nicht-lineare Weise aus einfachen Zeichen zusammengesetzt sind. (NS-SD1) Ein Repräsentationssystem ist genau dann nicht-sprachlich, wenn es syntaktisch dicht ist. (NS-SÄ1) Ein Repräsentationssystem ist genau dann nicht-sprachlich, wenn es Repräsentationen enthält, die dem Repräsentierten strukturähnlich sind. Wenn im Rahmen dieser Arbeit von "nicht-sprachlichen" und "sprachlichen Repräsentationssystemen" gesprochen wird, sollen alle vier Explikationen berücksichtigt werden (Ausnahme: Kapitel 8). Eine Frage wie "Gibt es einen nicht-leeren nicht-sprachlichen Folgerungsbegriff" ist dementsprechend in verschiedene Fragen aufzuschlüsseln.

62

Vgl. Kap. 3.8

6. Sind nicht-sprachliche Logiksysteme möglich? Die erste zentrale Fragestellung, die im Rahmen dieser Arbeit behandelt werden soll, ist die Frage, ob logische Folgerung und Beweisführung unter nicht-sprachlichen Repräsentationen grundsätzlich möglich sind: (1)

Kann eine nicht-sprachliche Repräsentation aus einer Menge nichtsprachlicher Repräsentationen folgen? Können nicht-sprachliche Zeichen verwendet werden, um das Vorliegen logischer Folgerung zu beweisen?

In Rekurs auf den Begriff des logischen Systems lässt sich 1 auch wie folgt formulieren: (1*) Gibt es nicht-sprachliche Logiksysteme, die einen nicht-leeren Folgerungs- und einen nicht-leeren Beweisbegriff besitzen? Da die Begriffe der logischen Folgerung und der Nicht-Sprachlichkeit im Rahmen dieser Arbeit auf jeweils vier verschiedene Arten expliziert worden sind, schlüsselt sich 1* in sechzehn verschiedene Fragestellungen auf – je nachdem, wie die Ausdrücke "Logische Folgerung" und "NichtSprachlichkeit" verstanden werden. In diesem Kapitel soll gezeigt werden, dass sich alle sechzehn Fragen positiv beantworten lassen. Es soll für die These T1 argumentiert werden: (T1) Unabhängig davon, ob "Nicht-Sprachlichkeit" im Sinn von NS-GF1, NS-NL1, NS-SD1 oder NS-SÄ1 verstanden wird, und unabhängig davon, ob "Logische Folgerung" im Sinn von LF-MW, LF-AP, LF-AN oder LF-FI aufgefasst wird, gilt: Es gibt nicht-sprachliche Logiksysteme, die einen nicht-leeren Folgerungs- und einen nicht-leeren Beweisbegriff besitzen.

166

Hierzu werden in Abschnitt 6.1 zwei Eigenschaften herausgesondert, die sprachlichen Repräsentationssystemen zukommen können und die es ermöglichen, sprachliche Logiken mit nicht-leeren Folgerungs- und Beweisbegriffen zu konstruieren. In den Abschnitten 6.2 und 6.3 soll gezeigt werden, dass auch nichtsprachliche Repräsentationssysteme diese Eigenschaften besitzen können und sich somit nicht-sprachliche Logiken mit nicht-leeren Folgerungs- und Beweisbegriffen entwickeln lassen. In Abschnitt 6.4 wird die Argumentation des Kapitels zusammengefasst.

6.1 Sprachliche Zeichensysteme: Wahrheit, Folgerung und Beweis. Die Folgerungs- und Beweisbegriffe sprachlicher Logiksysteme sind im Regelfall nicht leer: Wenn L eine Logik ist, fällt mindestens ein Paar unter |=L und mindestens eine Folge unter |L. Damit L dieses Merkmal aufweist, genügt es, wenn SL zwei Eigenschaften besitzt: (E1) (E2)

die Eigenschaft, wahrheitswertfähige Zeichen zu enthalten die Eigenschaft, ausschließlich endlich lange Zeichen zu enthalten

Die Eigenschaft E1 sorgt dafür, dass der Folgerungsbegriff von L nicht-leer ist: Gemäß LF fällt ein Paar genau dann unter den Folgerungsbegriff von S, wenn die Wahrheit der Elemente von M die Wahrheit von R erzwingt. Enthält S wahrheitswertfähige Repräsentationen, ist diese Bedingung für einige Paare trivialerweise erfüllt – nämlich für alle Paare, deren zweite Koordinate zugleich ein Element der ersten Koordinate ist: .1 Dies lässt sich an den einzelnen Explikationen LF-MW, LF-AP, LF-AN und LF-FI exerzieren: zu LF-MW: Angenommen, SL ist ein sprachliches Repräsentationssystem, |=L ein Mögliche-Welten-Folgerungsbegriff über SL und R eine wahrheitswerttragende Repräsentation von SL. R ist nicht nur in der aktualen Welt wahr oder falsch, sondern auch in den nicht-aktualen Welten – unabhängig davon, ob mögliche Welten possibilistisch, reduktionistisch 1

S. Kap. 3.2 ("Reflexivität")

167

oder moderat-realistisch gedeutet werden. Es gilt nun trivialerweise, dass R in jeder Welt wahr ist, in der jedes Element von {R, ...} wahr ist – selbst, wenn R in einer Welt wahr und falsch zugleich sein sollte. fällt somit unter |=L. zu LF-AP: Angenommen, SL ist ein sprachliches Repräsentationssystem, |=L ein A-priori-Folgerungsbegriff über SL und R eine wahrheitswerttragende Repräsentation von SL. Damit ein Paar unter |=L fällt, muss eine Person a priori wissen können, dass R wahr ist, wenn alle Elemente von M wahr sind. Bei ist dies offensichtlich der Fall – zumindest, wenn die Rede von "A-priori-Wissbarem" irgendeinen Gehalt besitzen soll. fällt somit unter |=L. zu LF-FI und LF-AN: Angenommen, SL ist ein sprachliches Repräsentationssystem, |=L ein formaler Folgerungsbegriff über SL und R eine wahrheitswerttragende Repräsentation von SL. Soll ein Paar unter |=L fallen, muss R unter jeder (Um-)Interpretation von SL wahr sein, unter der jedes Element von M wahr ist. Offensichtlich ist dies bei der Fall – egal, wie die logischen Konstanten und die semantischen Kategorien von SL bestimmt sind. fällt daher unter |=L. Da jedes Paar, das unter einen formalen Folgerungsbegriff fällt, gemäß AN unter den analytischen Folgerungsbegriff fällt, ist auch ein Element der Extension von |=L, wenn |=L analytisch ist. Die Eigenschaften E1 und E2 sorgen dafür, dass der Beweisbegriff von L nicht-leer ist: Gemäß BW-AB fallen auch solche Folgen unter |L, die nur eine einzige Koordinate R enthalten – vorausgesetzt, R ist wahrheitswertfähig und endlich lang. Eine solche einstellige Folge bildet eine regelgemäße Ableitung von R aus {R, ...}.2 (Dass SL E1 aufweist, ist nicht nur hinreichend, sondern auch notwendig dafür, dass L einen nicht-leeren Folgerungsbegriff enthält: Gemäß LF ist die Folgerungsrelation eine Beziehung, die ausschließlich unter wahrheitswertfähigen Repräsentationen vorliegen kann.3 Dagegen gilt: Dass SL E1 und E2 besitzt, ist nicht notwendig für das Vorliegen eines nicht-leeren Beweisbegriffs: Es genügt, wenn mindestens eine wahrheitswerttragende 2 3

S. Kap. 4.3 S. Kap. 4.1

168

Repräsentation R von SL endlich lang ist. In diesem Fall lässt sich eine endlich lange Repräsentationsfolge bilden.) Um T1 nachzuweisen, scheint es demnach zu genügen, wenn gezeigt wird: Nicht-sprachliche Repräsentationssysteme können die Eigenschaften E1 und E2 besitzen – unabhängig davon, ob "Nicht-Sprachlichkeit" im Sinn von NS-GF1, NS-NL1, NS-SD1 oder NS-SÄ1 verstanden wird. Ist dies so, lassen sich auf ihrer Basis Logiksysteme konstruieren, deren Beweis- und Folgerungsbegriffe nicht-leer sind. Im Folgenden soll zunächst gezeigt werden, dass nicht-sprachliche Systeme E1 besitzen können. Anschließend wird sich E2 zugewendet.

6.2 Nicht-sprachliche Zeichensysteme, Wahrheit und Folgerung. Können die Repräsentationen nicht-sprachlicher Systeme wahr oder falsch sein? Auf den ersten Blick scheint nichts hiergegen zu sprechen. So lassen sich die beiden folgenden Zeichen anführen:

F1 F2 a1

Abb. 1

a2

Abb. 2

In der Abb. 1 soll der Kreis für die Menge der Katzen stehen, die Ellipse für die Menge der Lebewesen und der Umstand, dass der Kreis in der Ellipse eingeschlossen ist, für den Sachverhalt, dass die Menge, die durch den Kreis bezeichnet wird, eine echte Teilmenge der Menge ist, die durch die Ellipse bezeichnet wird. Das Zeichen repräsentiert somit den Sachverhalt, dass alle Katzen Lebewesen sind, und ist gemäß WH-KR wahr.4 In der Abb. 2 soll "a1" für Napoleon Bonaparte stehen, "a2" für Arthur Wellesley Herzog von Wellington und die Länge der über "a1" und "a2" angeordnete Striche für die Körpergröße der durch "a1" und "a2" bezeich4

S. Kap. 2.4

169

neten Personen (entsprechend der Regel: exakte Länge des Striches in cm × 100 = exakte Größe der bezeichneten Person in cm). Das Zeichen repräsentiert somit den Sachverhalt, dass Napoleon und Wellington die und die Körpergrößen besitzen (Napoleon: ca. 190 cm, Wellington: ca. 140 cm). Es ist offensichtlich falsch – selbst, wenn der bezeichnete Sachverhalt nicht genau angegeben werden kann. Da mindestens eine der beiden Repräsentationen nicht-sprachlich zu sein scheint, wenn Nicht-Sprachlichkeit im Sinn von NS-GF1, NS-NL1, NS-SD1 oder NS-SÄ1 verstanden wird, scheint belegt zu sein, dass nichtsprachliche Repräsentationen wahr oder falsch sein können. Ist die Aufgabe damit gelöst? Es könnten Bedenken geäußert werden:

102

Abb. 3 Angenommen z.B., es wird festgelegt: Abb. 3 soll für den Sachverhalt stehen, dass alle Katzen Lebewesen sind. Dementsprechend ist das Zeichen gemäß WH-KR wahr. Obwohl "102" eine Ziffer ist, bedeutet dies jedoch nicht, dass Ziffern als Ziffern wahr oder falsch sein können. Vielmehr gilt: Das Zeichen ist wahr, weil ihm mit Hilfe der Wendung "das Zeichen von Abb. 3 soll für den Sachverhalt stehen, dass ..." ein bestimmter Sachverhalt zugewiesen wurde. Und unter dieser Lesart fungiert es nicht als Ziffer, sondern als ein anderartiges Zeichen. Möglicherweise liegt der Fall bei den Zeichen von Abb. 1 und 2 ähnlich: Vielleicht sind sie nicht als nicht-sprachliche Zeichen wahr oder falsch, sondern als Zeichen, denen mit Hilfe von Wendungen wie "in dem Zeichen von Abb. 1 soll der Umstand, dass [...], für den Sachverhalt stehen, dass [...]" implizit die Bedeutung von wahrheitswerttragenden Sätzen zugewiesen wurde. Um zu zeigen, dass nicht-sprachliche Repräsentationen als nichtsprachliche Zeichen wahr oder falsch sein können, ist es daher ratsam

170

nachzuweisen, dass die Zeichen eines nicht-sprachlichen Systems S in S wahr oder falsch sein können. Laura Perini fasst diesen Punkt wie folgt: [...] Die Frage, ob eine Repräsentation ein Wahrheitswertträger sein kann oder nicht, muss in Rückgriff auf Symbolsysteme und nicht in Rückgriff auf einzelne Repräsentationen beantwortet werden. Im Prinzip kann jede wahrnehmbare Sache eine Bedeutung zugewiesen werden. Und weil der Gehalt eines Satzes (oder eines anderen bekannten Wahrheitswertträgers) jedem Objekt zugewiesen werden kann, kann jedes Objekt Wahrheitswertträger sein. Der Wahrheitswert des Objektes wäre derselbe wie derjenige des Satzes, dessen Bedeutung das Objekt per Stipulation tragen soll. Aber diese behelfsmäßige Fähigkeit, Sachverhalte zu repräsentieren und somit Wahrheit zu tragen, ist nicht das, an dem wir interessiert sind. Zu zeigen, dass [..] Diagramme Wahrheitswertträger sein können, wird verlangen zu zeigen, dass ihre Symbolsysteme die Fähigkeit unterstützen, Wahrheit zu tragen – unabhängig von der Vermittlung durch andere Repräsentationen, um den einzelnen Elementen des visuellen Symbolssystems Bedeutungen zuzuweisen (d.h. ohne die Verwendung sprachlicher Repräsentationen als zugrunde liegendes System).5

Wie lässt sich jedoch zeigen, dass die Repräsentationen eines nichtsprachlichen Systems S wahr-in-S oder falsch-in-S sein können? Offensichtlich wäre ein solcher Nachweis erbracht, wenn zwei Dinge geleistet werden: (1) Die Ausdrücke "wahr-in-S" und "falsch-in-S" werden angemessen definiert. (2) Es wird gezeigt, dass mindestens einer diesen beiden Ausdrücke auf mindestens eine Repräsentation von S zutrifft. Dies soll im Folgenden versucht werden. Hierzu wird in vier Schritten vorgegangen:6 Im ersten Schritt soll geklärt werden, welche Bedingungen eine Wahrheitsdefinition erfüllen sollte, um angemessen zu sein, und welche Eigenschaften ein Repräsentationssystem S besitzen muss, damit sich eine angemessene Wahrheitsdefinition für S erstellen lässt. Hierzu wird Tarskis Analyse des Wahrheitsbegriffs referiert – eine Analyse, die grundlegend für die Entwicklung der modernen Logik war und hier bis heute maßgeblich ist. 5 6

Perini (2005), S. 274f. Zur grundsätzlichen Strategie s. Perini (2005), S. 275f.

171

Im zweiten Schritt werden zwei Repräsentationssysteme entwickelt: SEULER und SSTR. Gemäß den in Kapitel 5 angeführten Explikationen ist mindestens eines der beiden Systeme nicht-sprachlich. Im dritten Schritt soll gezeigt werden, dass SEULER und SSTR die Eigenschaften besitzen, die gemäß Tarskis Analyse hinreichend sind, um eine adäquate Wahrheitsdefinition entwickeln zu können. Im vierten Schritt werden für SEULER und SSTR Wahrheitsdefinitionen konstruiert. Es wird gezeigt, dass die Definitionen (i) den Adäquatheitsbedingungen Tarskis genügen und (ii) nicht-leere Explikationen besitzen. Damit scheint nachgewiesen zu sein, dass die Repräsentationen eines nicht-sprachlichen Systems S wahr-in-S oder falsch-in-S sein können – zumindest, wenn Nicht-Sprachlichkeit im Sinn von NS-GF1, NS-NL1, NSÄK1 oder NS-SD1 verstanden wird.7 1. Schritt (Tarskis Analyse des Wahrheitsbegriffs): Die Frage "Was ist Wahrheit?" gehört zu den zentralen Fragen der Philosophie.8 Ein klassischer Versuch, sie zu beantworten und den Begriff der Wahrheit mit Hilfe notwendiger und zusammen hinreichender Bedingungen zu fassen, ist die korrespondenztheoretische Definition der Wahrheit. Ihr zufolge ist eine Repräsentation R genau dann wahr-in-S, wenn der Sachverhalt besteht, für den R in S steht.9 Die korrespondenztheoretische Definition scheint angemessen zu sein und unseren Intuitionen zu entsprechen. Lässt sich daher für ein Repräsentationssystem S adäquat definieren, was wahr-in-S oder falsch-in-S ist, indem WH-KR auf S spezialisiert wird? Ein solcher Weg kann nicht eingeschlagen werden – zumindest nicht ohne weiteres: Es gibt Repräsentationssysteme, deren semantische Theorien widersprüchlich werden, wenn WHKR auf sie spezialisiert wird und einige grundlegende logische Prinzipien vorausgesetzt werden.10 Das Schriftdeutsche ist ein Beispiel hierfür: Angenommen, "wahr-im-Deutschen" wird mit Hilfe von KR-SD definiert. 7

Die grundsätzlichen Strategie findet sich bereits in Perini (2005), s. insbesondere Perini (2005), S. 275f. 8 Vgl. Read (1997), S. 16 9 Vgl. Kap. 2.4

172

(KR-SD) Ein Satz R ist genau dann wahr-im-Deutschen, wenn der Sachverhalt besteht, den R im Deutschen repräsentiert. In diesem Fall lässt sich aus KR-SD ein Widerspruch ableiten – z.B. auf die folgende Weise: "Betrachten wir den folgenden Satz, dem der Buchstabe "c" als Name oder typographische Abkürzung verliehen wird: Der einzige Satz, der im 6. Kapitel dieser Arbeit in einem Kasten steht, ist nicht wahr-im-Deutschen.

Da ein Satz gemäß KR-SD genau dann wahr-im-Deutschen ist, wenn der durch ihn bezeichnete Sachverhalt besteht, muss gelten: (1)

c ist wahr-im-Deutschen genau dann, wenn der einzige Satz, der im 6. Kapitel dieser Arbeit in einem Kasten steht, nicht wahr-imDeutschen ist.

Zudem kann auf empirische Weise festgestellt werden: (2)

c ist identisch mit dem einzigen Satz, der im 6. Kapitel dieser Arbeit in einem Kasten steht

Aus 1 und 2 ergibt sich durch die Substitution von Identischem: (3)

c ist wahr-im-Deutschen genau dann, wenn c nicht wahr-imDeutschen ist

– ein Widerspruch!"11 Können solche semantische Paradoxien verhindert oder blockiert werden? Unter welchen Umständen lässt sich Wahrheit korrespondenztheoretisch und konsistent definieren? U.a. Schwierigkeiten dieser Art führten 10

Vgl. Tarski (1943), S. 346. Zum Problem der semantischen Paradoxien s. etwa Bromand (2001), zu den technischen Problemen (Rolle der Anführungszeichen): Tarski (1986), S. 455-458; Kirkham (1997), S. 130f. 11 Vgl. Tarski (1986), S. 454; Tarski (1943), S. 347f.

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Tarski dazu, sich in den Schriften "Über den Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen"12 und "The semantic conception of truth and the foundations of semantics"13 dem Problem der Wahrheit zu widmen. Sein Projekt ist von drei verschiedenen Zielsetzungen geleitet:14 • Es sollen die Intentionen erfasst werden, "welche in der sog. 'klassischen' Auffassung der Wahrheit enthalten sind"15. Das heißt: Es soll der korrespondenztheoretische Gedanken eingefangen werden, demzufolge ein Satz genau dann wahr ist, wenn er mit der Wirklichkeit übereinstimmt. • Es soll gezeigt werden, dass der Ausdruck "wahr-in-S" auf präzise und konsistente Weise definiert werden kann und sich so problemlos in logischen und metamathematischen Theorien verwenden lässt.16 • Es soll demonstriert werden, dass sich die Wahrheitsbegriffe so definieren lassen, dass die Definition "in Harmonie mit den Postulaten der Einheitswissenschaft und dem Physikalismus"17 steht.18 (Die Ausdrücke "Einheitswissenschaft" und "Physikalismus" stehen für bestimmte Auffassungen, die in der Frühzeit des Wiener Kreises vertreten wurden. Die These der Einheitswissenschaft besagt im Groben, dass sich alle wissenschaftlichen Sätze in einer einzigen Sprache ausdrücken lassen und dass es – in inhaltlicher Redeweise formuliert – "nur eine Art von Objekten, nur eine Art von Sachverhalten"19 gibt. Die These des Physikalismus lautet grob gesprochen, dass sich alle wissenschaftlichen Begriffe letztlich vollständig auf logische, mengentheoretische und physikalische Begriffe zurückführen lassen.20 Die physikalische Sprache kommt demgemäß als einheitswissenschaftliche Universalsprache in Frage, in welcher alle wissenschaftlichen Sätze ausdrückbar sind.21) 12

Tarski (1986). S. hierzu etwa Beeh (2003); Stegmüller (1957); sowie Kirkham (1997), Kap. 5 u. 6 13 Tarski (1943) 14 Vgl. Fox (1989), S. 165ff.; Kirkham (1997), S. 141-144; Sher (1999), S. 149ff. 15 Tarski (1986), S. 450. Vgl. Tarski (1943), S. 342 16 Vgl. Fox (1989), S. 165; Sher (2002), S. 145; Stegmüller (1957), S. v 17 Tarski (1956b), S. 406 18 Vgl. Kirkham (1997), S. 141f. 19 Carnap (1931), S. 435 20 Vgl. Carnap (1931), S. 441ff.; s. a. Kirkham (1997), S. 141f. 21 Carnap (1931)

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Diese Zielsetzungen führen Tarski zu drei Adäquatheitsbedingungen WB1WB3, die eine angemessene Wahrheitsdefinition erfüllen sollte: (WB1) Die Definition sollte alle Sätze implizieren, die aus einer Einsetzung in das so genannte "Schema T" (auch: "Form T") hervorgehen: (T)

X ist wahr-in-S genau dann, wenn p.

wobei "p" durch einen Satz der Sprache S und "X" durch einen Namen dieses Satzes in S zu ersetzen ist.22 Gemäß WB1 sollte eine angemessene Wahrheitsdefinition des Deutschen z.B. die folgenden T-Sätze implizieren: (T1) "Es schneit" ist genau dann wahr-im-Deutschen, wenn es schneit (T2) "Ayla ist eine Katze" ist genau dann wahr-im-Deutschen, wenn Ayla eine Katze ist (T3) "Ein geisterhaftes Licht hat keine Hände" ist genau dann wahr-im-Deutschen, wenn ein geisterhaftes Licht keine Hände hat Erfüllt sie diese – auch "Konvention T"23 genannte – Bedingung, erfasst sie gemäß Tarski die Intentionen hinter dem korrespondenztheoretischen Wahrheitsbegriff und kann als "sachlich zutreffend" bezeichnet werden.24 (WB2) Die Definition sollte nicht zu Widersprüchen führen und in diesem Sinne "formal korrekt" sein.25 22

Vgl. Tarski (1986), S. 453; Tarski (1943), S. 344; Sher (1999), S. 151 Vgl. Tarski (1986), S. 481 24 Vgl. Tarski (1986), S. 452ff.; Stegmüller (1957), S. 2 u. 22 25 Vgl. Tarski (1986), S. 454-461; Sher (1999), S. 151 23

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(WB3) Die Definition sollte im definierenden Teil der Definition nur (i) nicht-semantische Ausdrücke enthalten oder (ii) semantische Ausdrücke, die letztlich auf nicht-semantische (logische, mengentheoretische oder physikalische) Ausdrücke zurückführbar sind.26 Ist es möglich, Wahrheitsdefinitionen zu entwickeln, die WB1-WB3 genügen? Um diese Frage zu klären, wendet Tarski sich zunächst den "Umgangssprachen" zu. Hier sieht er sich zwei gravierenden Schwierigkeiten gegenüberstehen: 1.) Eine Umgangssprache wie das Deutsche ist nicht exakt spezifizierbar. Insbesondere lässt sich die Menge der wahrheitswerttragenden Sätze nicht eindeutig bestimmen. (Ist z.B. "Caesar ist eine Primzahl" ein wahrheitswertfähiger Satz des Deutschen oder ein sinnloser Ausdruckskomplex?)27 2.) Erfüllt die Wahrheitsdefinition einer Umgangssprache die Konvention T, ermöglicht dies – wie bereits gesehen –, semantische Paradoxien zu formulieren. Als mögliche Ursachen kommen laut Tarski zunächst die folgenden Punkte in Frage:28 Wenn wir nun die Annahmen analysieren, die zu der Antinomie des Lügners führen, bemerken wir das Folgende: (I) Wir haben implizit angenommen, dass die Sprache, in der die Antinomie konstruiert ist, zusätzlich zu ihren Ausdrücken auch die Namen dieser Ausdrücke enthält, ebenso semantische Ausdrücke wie den Ausdruck "wahr", die sich auf Sätze dieser Sprache beziehen; wir haben auch angenommen, dass alle Sätze, die den angemessenen Gebrauch dieses Ausdrucks bestimmen, in der Sprache behauptet werden können. Eine Sprache mit diesen Merkmalen wird "semantisch geschlossen" genannt. (II) Wir haben angenommen, dass in dieser Sprache die üblichen Gesetze der Logik gelten. 26

Vgl. Tarski (1986), S. 450; Tarski (1956), S. 406; Sher (1999), S. 151 Tarski (1943), S. 347. Vgl. Klaus (1973), S. 107; Stegmüller (1957), S. 41 28 S.a. Tarski (1943), S. 348. Vgl. Fox (1989), S. 167f., weitergehend Bromand (2001), S. 16-28 27

176

(III) Wir haben angenommen, dass wir in unserer Sprache empirische Prämissen formulieren und behaupten können wie die Aussage (2), die in unserem Argument aufgetaucht sind.29

Genauer betrachtet scheiden II und III jedoch als Ursachen aus: Zum einen ließen sich semantische Paradoxien ohne empirische Prämissen konstruieren (z.B. Grellings Paradoxie, die auf dem Ausdruck "heterologisch" basiert), zum anderen sei die Aufgabe klassischer logischer Gesetze nicht einmal erwägenswert.30 Laut Tarski ist es somit die in I ausgedrückte semantische Geschlossenheit einer Sprache, die dafür sorgt, dass sich semantische Paradoxien formulieren lassen – d.h. die Eigenschaft einer Sprache: • Namen für die eigenen Ausdrücke zu enthalten, • semantisches Vokabular (z.B. "wahr") zu besitzen und • über die Mittel zu verfügen, den angemessenen Gebrauch dieses Vokabulars auszudrücken (T-Sätze). Die Eigenschaft, semantisch geschlossen zu sein, sei allerdings eine charakteristische Eigenschaft natürlicher Sprachen:31 Ein charakteristisches Merkmal der Umgangssprache ist ihr Universalismus: es wäre mit dem Geiste dieser Sprache unvereinbar, wenn in irgendeiner anderen Sprache Worte oder Ausdrücke auftreten würden, die man nicht in die Umgangssprache übersetzen könnte, "wenn man überhaupt über irgend etwas sinnvoll sprechen kann, so kann man darüber auch in der Umgangssprache sprechen".32 Dieser universalistischen Tendenz der Umgangssprache in Bezug auf semantische Untersuchungen folgend, müssen wir konsequenterweise in die Sprache neben ihren beliebigen Aussagen und anderen Ausdrücken auch die Namen dieser Aussagen und Ausdrücke, weiterhin die Aussagen, welche diese Namen enthalten, ebenso solche semantische Ausdrücke wie „wahre Aussage“, „Name“, „bezeichnen“ usw. aufnehmen.33 29

Tarski (1943), S. 348 [Aus dem Englischen ins Deutsche von St.B.]. Vgl. auch Tarski (1986), S. 460f. 30 Tarski (1943), S. 348f. 31 Vgl. hierzu insbesondere Bromand (2001), S. 28ff. u. Kap. 2 32 Tarski (1986), S. 460 33 Tarski (1986), S. 460

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Tarski kommt daher zu dem Ergebnis, dass sachlich zutreffende und formal korrekte Wahrheitsdefinitionen für Umgangssprachen nicht möglich sind: Sind obige Bemerkungen richtig, so scheint selbst die Möglichkeit eines konsequenten und dabei mit den Grundsätzen der Logik und dem Geiste der Umgangssprache übereinstimmenden Gebrauchs des Ausdrucks "wahre Aussage" und, was daraus folgt, die Möglichkeit des Aufbaus irgend welcher korrekten Definition dieses Ausdrucks sehr in Frage gestellt.34

Konsequenterweise beschränkt Tarski sich im Weiteren darauf, nur "formalisierte Sprachen" zu untersuchen.35 Für sie gilt: (1) Die Menge der wahrheitswertfähigen Sätze lässt sich genau spezifizieren, ebenso wie die Bedeutung dieser Sätze. (2) Sie enthalten kein semantisches Vokabular wie "wahr-in-dieser-Sprache" und sind somit "semantisch offen".36 Der zweite Punkt gewährleistet, dass sich keine semantischen Paradoxien formulieren lassen. So enthält ein genau spezifizierbares und semantisch offenes Fragment SSD-O des Deutschen nicht den Ausdruck "wahr-in-SSD-O" und folglich nicht einen Lügnersatz der Art "Diese Aussage ist nicht wahrin-SSD-O".37 Aus demselben Grund ist es allerdings nicht möglich, den Wahrheitsbegriff einer semantisch offenen Sprache S in S selber zu definieren. Der Begriff muss in einer Metasprache S* definiert werden, in der über die Sätze von S und deren Wahrheitsbedingungen gesprochen werden kann: Da wir übereingekommen sind, keine semantisch geschlossenen Sprachen zu gebrauchen, müssen wir zwei verschiedene Sprachen verwenden, wenn wir das Problem der Definition der Wahrheit und, allgemeiner, irgendein Problem im Bereich der Semantik behandeln. Die erste dieser Sprachen ist die Sprache, über die gesprochen wird und die den Gegenstandsbereich der gesamten Diskussion ausmacht; die Wahrheitsdefinition, die wir suchen, gilt für die Sätze dieser Sprache. Die zweite ist die Sprache, in der wir über die erste Sprache sprechen, und in Rück34

Tarski (1986), S. 461 Tarski (1986), S. 461 36 Vgl. Tarski (1986), S. 461; Tarski (1943), S. 346f. 37 Vgl. Stegmüller (1957), S. 39 35

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griff auf die wir insbesondere die Wahrheitsdefinition für die erste Sprache zu konstruieren wünschen. Wir werden uns auf die erste Sprache als "die Objektsprache" und auf die zweite als "die Metasprache" beziehen.38

Da "wahr-in-S" in einer Metasprache S* definiert wird, muss die Konvention T angepasst werden: Die Sätze, die aus einer Einsetzung in das TSchema hervorgehen, müssen von der Wahrheitsdefinition in S* impliziert werden und somit Sätze von S* sein. Zugleich müssen sie die Wahrheitsbedingungen für die Sätze von S angeben. WB1 ist daher wie folgt zu modifizieren:39 (WB1*) Die Definition sollte alle Sätze implizieren, die aus Einsetzung in das folgende Schema T* hervorgehen: (T*)

X ist wahr-in-S genau dann, wenn p

wobei "X" ein metasprachlicher Name einer wohlgeformten Repräsentation von S und "p" eine Übersetzung dieser Repräsentation in die Metasprache ist. Die Modifikation von WB1 zieht eine Reihe von Bedingungen nach sich, die das Vokabular und die Ausdrucksstärke der Metasprache betreffen.40 So muss die Metasprache drei Arten von Ausdrücken enthalten, um mit ihrer Hilfe die geforderten T*-Sätze formulieren zu können: • "Ausdrücke von allgemein-logischem Charakter"41: Hierzu gehören logische Zeichen wie das Negations-, das Disjunktions-, das Konditional- oder das Allquantorzeichen, aber auch mengentheoretische Zeichen wie das Zeichen für die Elementbeziehung. Die Metasprache muss beispielsweise ein Zeichen für das "genau dann, wenn" enthalten. • "Ausdrücke, die mit allen Konstanten der zu erörternden Sprache gleichbedeutend sind oder zum Definieren solcher gleichbedeutender Aus38

Tarski (1943), S. 349f. [Aus dem Englischen ins Deutsche von St.B.] Tarski (1986), S. 481; Tarski (1943), S. 350. Vgl. Stegmüller (1957), S. 43f. 40 Tarski (1986), S. 501f.; Tarski (1943), S. 350f. Vgl. Stegmüller (1947), S. 45 41 Tarski (1986), S. 501 39

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drücke [...] hinreichen"42: Enthält die Objektsprache z.B. einen Prädikatausdruck wie "⊆", muss auch die Metasprache ein Zeichen für die Teilmengenrelation enthalten – oder Zeichen, mit denen sich ein Teilmengen-Zeichen definieren lässt. Alles, was in der Objektsprache ausgedrückt werden kann, ist damit auch in der Metasprache ausdrückbar. • "Ausdrücke von strukturell-deskriptiven Typus, die einzelne Zeichen und Ausdrücke der betrachteten Sprache, ganze Klassen und Folgen solcher Ausdrücke oder endlich die zwischen ihnen bestehenden Relationen bezeichnen"43: Mit Hilfe dieser Ausdrücke kann jedem Ausdruck der Objektsprache ein strukturell-deskriptiver Name in der Metasprache zugewiesen werden. Tarski zufolge muss die Metasprache zudem die folgende Bedingung erfüllen, damit sich in ihr eine angemessene Wahrheitsdefinition formulieren lässt. (Auf die Gründe sei hier nicht eingegangen):44 • Die Metasprache ist wesentlich reicher als die Objektsprache. Das heißt: Sie enthält Variablen, deren Ordnung höher ist als die der Objektsprache. (Der Begriff der höheren Ordnung wird weiter unten erläutert.) Lassen sich für semantisch offene und eindeutig spezifizierbare Sprachen Wahrheitsdefinitionen konstruieren, die den Bedingungen WB1, WB2* und WB3 gerecht werden? Und wenn ja, wie? Um diese Fragen besser untersuchen und beantworten zu können, gliedert Tarski die formalisierten Sprachen wie folgt auf:45 Formalisierte Sprachen Sprachen mit endlich vielen Sätzen

Sprachen mit unendlich vielen Sätzen

aussagenlogische Sprachen

42

Tarski (1986), S. 501 Tarski (1986), S. 501 44 Tarski (1943), S. 351f. Vgl. Stegmüller (1957), S. 46 45 Vgl. Tarski (1986), S. 482f. u. S. 509f. 43

prädikatenlogische Sprachen

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Sein Hauptaugenmerk liegt dabei auf den prädikatenlogischen Sprachen, die er mit Hilfe der Begriffe der semantischen Kategorie und der Ordnung einer Kategorie in vier Unterarten aufteilt.46 Relativ zu dieser Klassifikation kommt Tarski zu dem Ergebnis: Für endliche, aussagenlogische und bestimmte prädikatenlogische Sprachen lassen sich sachlich zutreffende und formal korrekte Wahrheitsdefinitionen entwickeln, "indem wir ausschließlich Ausdrücke von allgemein-logischen Charakter verwenden, ferner Ausdrücke der Sprache selbst, sowie Termini aus dem Gebiete der Morphologie der Sprache, d.h. die Namen der Sprachausdrücke und der zwischen ihnen bestehenden strukturellen Relationen"47. Tarskis Verdienst liegt dabei in der Entwicklung einer Methode, die solche Definitionen für prädikatenlogische Sprachen liefert. (Die semantischen Definitionen D-3 und D-4 von SPL1 sind Ergebnisse dieser Methode.) Die Methoden für die endlichen und aussagenlogischen Sprachen handelt Tarski im Vorübergehen ab. Sie lassen sich wie folgt wiedergeben: Methode I Angenommen, eine formalisierte Sprache S enthält nur endlich viele wohlgeformte Repräsentationen R1, ..., Rn. In diesem Fall ist es möglich, auf folgende Weise eine sachlich zutreffende und formal korrekte Wahrheitsdefinition für S zu konstruieren:48 1. Schritt: Zu jeder wohlgeformten Repräsentation von S wird der passende T*-Satz gebildet (entsprechend WB2*) 2. Schritt: Es wird die Konjunktion aller T*-Sätze gebildet. Die beiden Schritte lassen sich ausführen, indem die entsprechenden Namen und Sätze in das folgende Schema WE eingesetzt werden. Voraussetzung ist, dass es eine geeignete Metasprache gibt, in der sich die Instanziierung von WE bilden lässt:49 46

S. hierzu Tarski (1986), S. 505-510 Tarski (1986), S. 548 48 Vgl. Tarski (1986), S. 482; Stegmüller (1957), S. 46 49 Tarski (1986), S. 482 47

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(WE)

∀x (x ist wahr-in-S genau dann, wenn ((x = N(R1) ∧ r1) ∨ (x = N(R2) ∧ r2) ∨ ... ∨ (x = N(Rn) ∧ rn))) wobei „N(Ri)“ ein metasprachlicher Name von Ri und ri eine Übersetzung von Ri in die Metasprache ist.

Illustrieren lässt sich I an dem System SE aus Kapitel 2. SE ist eine formalisierte Sprache und enthält nur drei Repräsentationstypen. Durch Einsetzung in WE lässt sich die folgende zutreffende und formal korrekte Wahrheitsdefinition für SE konstruieren: ∀x (x ist wahr-in-SE ↔ ((x = "p1" ∧ 2 + 2 = 4) ∨ (x = "p2" ∧ Es stürmt) ∨ (x = "∀x1(R11x1 → R12x1)" ∧ Nachts sind alle Katzen grau))). Methode II Angenommen, eine formalisierte Sprache S enthält unendlich viele wohlgeformte Repräsentationen, die induktiv strukturiert sind: Es gibt eine Menge von wohlgeformten Repräsentationen, die als atomar betrachtet werden können, während sich alle anderen wohlgeformten Repräsentationen aus ihnen zusammensetzen (eventuell mit Hilfe von Verknüpfungszeichen). Und angenommen, die Bedeutung einer zusammengesetzten Repräsentation R ergibt sich vollständig aus (i) den Bedeutungen der atomaren Repräsentationen, die in R enthalten sind, und (ii) der Art und Weise, wie diese atomaren Repräsentationen in R verknüpft sind. In diesem Fall lässt sich auf folgende Weise eine sachlich zutreffende und formal korrekte Wahrheitsdefinition für S aufstellen:50 1. Schritt: Zu jeder wohlgeformten Repräsentation von S wird der passende T*-Satz gebildet (entsprechend WB2*). 2. Schritt: Entsprechend dem induktiven Aufbau der zusammengesetzten Repräsentationen wird angegeben, wie sich die Wahrheit oder Falschheit zusammengesetzter Repräsentationen aus der Wahrheit oder Falschheit der atomaren Repräsentationen ergibt. 50

Vgl. Tarski (1986), S. 482f.; Stegmüller (1957), S. 52f.

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Voraussetzung ist, dass es eine geeignete Metasprache zu S gibt, in der diese Bestimmungen durchgeführt werden können. Angewendet wurde II z.B. in der Semantik von SAL – zumindest im eingeschränkten Sinn: Die semantische Definition D-2 legt fest, wie sich der Wahrheitswert eines zusammengesetzten Satzes von SAL aus den Wahrheitswerten der in ihm enthaltenen Satzbuchstaben und deren Verknüpfung ergibt. Da die Satzbuchstaben in SAL nicht für Sachverhalte, sondern für Wahrheitswerte stehen, konnte darauf verzichtet werden, ihnen mit Hilfe von T*-Sätzen Wahrheitsbedingungen zuzuschreiben. 2. Schritt (Konstruktion von SEULER und SSTR): Tarskis Untersuchungen beschränken sich auf sprachliche Repräsentationssysteme.51 Können seine Methoden jedoch auch erfolgreich auf nicht-sprachliche Systeme angewendet werden?52 Um diese Frage zu überprüfen, sollen die Systeme SEULER und SSTR herangezogen werden. SEULER ist ein System, mit dessen Hilfe sich echte Teilmengenbeziehungen repräsentieren lassen. Der syntaktische und der semantische Teil von SEULER werden durch die folgenden Regelwerke festgelegt:53 • Syntax von SEULER: (D-E1) Das Vokabular V von SEULER wird durch die folgende Menge gebildet: F1

F2

[indizierte Ellipsen]

F3

... Die Ellipsen sind jeweils mit genau einem Index versehen ("F1", "F2", "F3" etc.). Der Index i einer geschlossenen Kurve k ist immer so platziert, dass klar ist, dass i zu k und nur zu k gehört. 51

Vgl. z.B. Tarski (1986), S. 450 ("wahre Aussage") S. Perini (2004) 53 Vgl. die Syntax und Semantik des Euler-Systems in Hammer (1995), Kap. 6 52

183

(D-E2) Eine Entität ist genau dann eine Repräsentation von SEULER, wenn sie eine endliche Anordnung von Zeichen des Vokabulars von SEULER ist. (D-E3) Die Menge der wohlgeformten Repräsentationen von SEULER sei induktiv wie folgt definiert: 1. Wenn eine Repräsentation R von SEULER aus n sich nicht überschneidenden Ellipsen e1 ... en besteht, die echt von einer Ellipse en+1 eingeschlossen werden, ist R eine wohlgeformte Repräsentation von SEULER. 2. Wenn eine Repräsentation R von SEULER einer wohlgeformten Repräsentation von SEULER besteht, die von einer Ellipse echt eingeschlossen wird, dann ist R eine wohlgeformte Repräsentation von SEULER. 3. Nichts sonst ist eine wohlgeformte Repräsentation von SEULER. Zwei Beispiele für wohlgeformte Repräsentationen von SEULER: F1 F1 F2

Abb. 4

F2

F3 F4

Abb. 5

• Semantik von SEULER (D-E4) Eine Interpretation J = von SEULER besteht aus einer nicht-leeren Menge U, welche den Gegenstandsbereich der Interpretation bildet, und einer Interpretationsfunktion I, für die gilt: I weist jeder Ellipse aus dem Vokabular eine Teilmenge von U zu. (D-E5) Gegeben eine Interpretation J = weist die Belegungsfunktion vJ einer wohlgeformten Repräsentationen R von SEULER

184

auf folgende Weise einen Sachverhalt oder eine Konjunktion von Sachverhalten zu: 1. Wenn R aus n sich nicht überschneidenden Ellipsen e1 ... en besteht, die von einer Ellipse en+1 echt umschlossen werden, dann weist vJ R die Konjunktion [ (I(e1) ⊂ I(en+1)) ∧ ... ∧ (I(en) ⊂ I(en+1)) ] zu. 2. Wenn sich R aus einer wohlgeformten Repräsentation R* mit den Ellipsen e1 ... en zusammensetzt, die von einer Ellipse en+1 echt umschlossen wird, dann weist vJ R die Konjunktion [vJ(R*) ∧ (I(e1) ⊂ I(en+1)) ∧ ... ∧ (I(en) ⊂ I(en+1))] zu. (D-E6) Die Bedeutungsrelation E ist die Belegungsfunktion vJ gegeben die folgende Interpretation I: U = {x : x ist eine materielle Entität} F1) = {x : x ist eine Katze} I( I( Fi>2) = {x : x ist ein Lebewesen} Das System SSTR ist ein System, mit dessen Hilfe die Größe von Objekten repräsentiert werden kann. Der syntaktische und der semantische Teil von SSTR sind wie folgt festgelegt: • Syntax von SSTR: (D-S1) Das Vokabular von SSTR besteht aus der folgenden Menge: ... a1 a2 a3 a4 ...

[Striche] [Individuenbuchstaben]

Es gilt: Weicht die Längenangabe eines Strichgebildes t1 von der Längenangabe eines Strichgebildes t2 ab, gehören t1 und t2 unterschiedlichen Typen an. Stimmen sie überein, bilden t1 und t2 Instanzen desselben Typs.

185

(D-S2) Etwas ist genau dann eine Repräsentation von SSTR, wenn es eine endliche Anordnung von Zeichen des Vokabulars von SSTR ist. (D-S3) Die Menge der wohlgeformten Repräsentationen von SSTR sei induktiv wie folgt definiert: 1. Eine Repräsentation von SSTR, die aus einem Strich und einem unterhalb des Strichs angeordneten Buchstaben besteht, ist eine wohlgeformte Repräsentation von SSTR. 2. Wenn A und B wohlgeformte Repräsentationen von SSTR sind, dann ist die Repräsentation, die entsteht, wenn B rechts von A angeordnet wird, ebenfalls eine wohlgeformte Repräsentation von SSTR 3. Sonst ist nichts eine wohlgeformte Repräsentation von SSTR. Beispiele für wohlgeformte Repräsentationen von SSTR:

a1

Abb. 6

a1 a5 a2 a3

Abb. 7

• Semantik von SSTR (D-S4) Eine Interpretation J = des Systems SSTR besteht aus einem nicht-leeren Individuenbereich U, dessen Elemente durch materielle Objekte gebildet werden, und einer Interpretationsfunktion I. I hat folgende Eigenschaften: 1. I weist jedem Buchstaben α des Vokabulars ein Element aus U zu. 2. I weist jedem Strich σ entsprechend seiner Länge eine Teilmenge zu – wobei gilt: Wenn σ die Länge von k cm besitzt, dann weist I σ die Menge aller Elemente aus U zu, die genau 100 × k cm groß sind.

186

(D-S5) Gegeben eine Interpretation J = weist die Belegungsfunktion vJ einer wohlgeformten Repräsentation R von SSTR auf folgende Weise einen Sachverhalt oder eine Konjunktion von Sachverhalten zu: 1. Wenn R ein einzelner Strich σ mit einem Buchstaben α ist, dann weist vJ R den Sachverhalt [I(α) ∈ I(σ)] zu. 2. Wenn R sich aus zwei wohlgeformten Repräsentationen A und B von SSTR zusammensetzt, dann weist vJ R die Konjunktion [vJ(A) ∧ vJ(B)] zu. (D-S6) Die Bedeutungsrelation E von SSTR ist die Belegungsfunktion vJ gegeben die folgende Interpretation I: U = {x : x ist ein Mensch} I(a1) = Napoleon Bonaparte I(ai>2) = Arthur Wellesley Herzog von Wellington Wird Nicht-Sprachlichkeit im Sinn von NS-GF1, NS-NL1, NS-SD1 oder NS-SÄ1 verstanden, ist mindestens eines der beiden Systeme SEULER und SSTR nicht-sprachlich: 1.) Angenommen, Repräsentationssysteme sind nicht-sprachlich, wenn geometrische, nicht-lineare oder strukturähnliche Repräsentationen verwendet werden. In allen drei Fällen ist SEULER nicht-sprachlich: • SEULER enthält geometrische Figuren (Ellipsen). • SEULER besitzt nicht-lineare Zeichen. So ist nicht klar, welche der folgenden Repräsentationen gemeint ist, wenn ein Zeichen mit "Ellipse F1 – Ellipse F2 –Ellipse F5" beschrieben wird: F1 F2

F1 F2

Abb. 8

F5

Abb. 9

F5

187

• Die syntaktisch relevante Relation des Echt-Enthaltenseins besitzt dieselben strukturellen Eigenschaften wie die hierdurch repräsentierte Echte-Teilmengen-Beziehung. 2.) Angenommen, Repräsentationssysteme sind nicht-sprachlich, wenn sie syntaktisch dicht sind. Unter dieser Voraussetzung ist SSTR nichtsprachlich: Die Menge der Typen von SSTR, die aus einem Strich und dem Buchstaben "a1" bestehen, unendlich groß und kann entsprechend der Dimension 'Strichlänge' dicht geordnet werden. 3. Schritt (SEULER, SSTR und Tarskis Voraussetzungen): Besitzen SEULER und SSTR die Eigenschaften, die ein Repräsentationssystem erfüllen muss, damit sich die Methode I oder II anwenden lässt (oder die Methode, die bei prädikatenlogischen Sprachen eingesetzt wird)? Tarskis Methoden gelten nur für formalisierte Repräsentationssysteme, d.h. für Systeme, die semantisch offen und eindeutig spezifizierbar sind. SEULER und SSTR erfüllen diese Bedingungen: Sie enthalten kein semantisches Vokabular und die Mengen ihrer wohlgeformten Repräsentationen sind mit Hilfe von D-E3 und D-S3 eindeutig bestimmt (ebenso wie ihre Bedeutungen). Da SEULER und SSTR unendlich viele wohlgeformte Repräsentationstypen besitzen, die induktiv strukturiert sind, lässt sich die Methode I nicht anwenden. Anders liegt der Fall bei Methode II: Alle komplexen wohlgeformten Repräsentationen von SEULER und SSTR setzen sich gemäß der Struktur der Systeme auf induktive Weise aus den atomaren wohlgeformten Repräsentationen von SEULER und SSTR zusammen. Die Bedeutungen der Repräsentationen ergeben sich entsprechend dem induktiven Aufbau. Mit dem Schriftdeutschen steht zudem eine Sprache bereit, die alle Eigenschaften besitzt, welche eine geeignete Metasprache für SEULER oder SSTR aufweisen muss: (1) Alle Repräsentationen von SEULER und SSTR können in SSD strukturell-deskriptiv benannt werden. (2) Alle Sachverhalte, die mit Hilfe von SEULER und SSTR repräsentiert werden können, lassen sich auch in SSD ausdrücken. (3) SSD besitzt das notwendige logische Vokabular, um T*-Sätze formulieren zu können. (4) SSD enthält Variablen, die eine höhere Ordnung besitzen als die Variablen von SEULER und SSTR (sofern sie überhaupt gegeben sind): Während in SEULER und SSTR bestenfalls über Individuen quantifiziert werden kann, kann in SSD über Eigenschaften, Eigenschaften von Eigenschaften etc. quantifiziert werden.

188

4. Schritt (Wahrheitsdefinitionen von SEULER und SSTR): Allem Anschein nach lässt sich somit die Methode II auf SEULER und SSTR anwenden. Sie führt zu den beiden folgenden Definitionen: (D-E7) Sei vwf eine Funktion von der Menge der wohlgeformten Repräsentationen von SEULER in die Menge der Wahrheitswerte {W, F}. vwf besitzt folgende Eigenschaften: 1. Wenn R eine wohlgeformte Repräsentation ist, die aus n sich nicht überschneidenden Ellipsen e1, ... en besteht, die von einer Ellipse en+1 echt umschlossen werden, dann gilt: vwf(R) = W genau dann, wenn [(I(e1) ⊂ I(en+1)) ∧ ... ∧ (I(en) ⊂ I(en+1))]; vwf(R) = F ansonsten. 2. Wenn R sich aus n wohlgeformten Repräsentation R1, ..., Rm mit den Ellipsen e1, ...,en zusammensetzt, die von einer Ellipse en+1 echt umschlossen werden, dann gilt: vwf(R) = W genau dann, wenn [vwf(R1) = ... = vwf(Rm) = W ∧ (I(e1) ⊂ I(en+1)) ∧ ... ∧ (I(en) ⊂ I(en+1))]; vJ(R) = F ansonsten. R ist genau dann wahr-in-SEULER, wenn vwf(R) = W – und falschin-SEULER genau dann, wenn vwf(R) = F.54 (D-S7) Sei vwf eine Funktion von der Menge der wohlgeformten Repräsentationen von SSTR in die Menge der Wahrheitswerte {W, F}. vwf besitzt folgende Eigenschaften: 1. Wenn R eine wohlgeformte Repräsentation mit einem einzigen Strich σ und dem Buchstaben α ist, dann gilt: vwf(R) = W genau dann, wenn I(α) ∈ I(σ); vwf(R) = F ansonsten. 2. Wenn R eine wohlgeformte Repräsentation ist, die sich aus zwei wohlgeformten Repräsentationen A und B zusammensetzt, dann gilt: vwf(R) = W genau dann, wenn vwf(A) = vwf(B) = W; vwf(R) = F ansonsten. R ist genau dann wahr-in-SSTR, wenn vwf(R) = W – und falsch-inSSTR genau dann, wenn vwf(R) = F. 54

Vgl. hierzu Hammer (1995), S. 73

189

D-S7 und D-S7 scheinen die drei Adäquatheitsbedingungen WB1-WB3 zu erfüllen: 1.) Die wohlgeformten Repräsentationen von SEULER und SSTR sind genau dann wahr, wenn die Sachverhalte bestehen, für die sie gemäß den Semantiken von SEULER und SSTR stehen. Alle erforderlichen T*-Sätze scheinen somit von D-E7 und D-S7 impliziert zu werden. 2.) Die Definitionen von SEULER und SSTR führen allem Anschein nach nicht zu Widersprüchen. Zumindest lassen sich mit ihrer Hilfe keine semantischen Paradoxien formulieren. 3.) D-E7 und D-S7 enthalten im definierenden Teil (i) nur nichtsemantische Ausdrücke oder (ii) semantische Ausdrücke, die letztlich auf nicht-semantische Ausdrücke zurückführbar sind. Damit scheint das Ziel der Argumentation erreicht zu sein: Die in D-E7 und D-S7 definierten Wahrheits- und Falschheitsbegriffe sind nicht leer. Unter den Begriff 'Wahr-in-SEULER' fällt z.B. die Abb. 1, unter den Begriff 'Falsch-in-SSTR' z.B. die Abb. 2. Da SEULER und SSTR gemäß NS-GF1, NSNL1, NS-SD1 oder NS-SÄ1 nicht-sprachlich sind, ist somit gezeigt: Es gibt Entitäten die als nicht-sprachliche Entitäten wahr oder falsch sind. Gemäß den Überlegungen aus Unterkapitel 6.1 bedeutet dies aber: Es lassen sich nicht-leere Folgerungsbegriffe für SEULER und SSTR definieren, z.B.: (D-E8) Eine Repräsentation R folgt in SEULER genau dann logisch aus einer Menge M von Repräsentationen, wenn R in allen möglichen Welten wahr-in-SEULER ist, in denen alle Elemente von M wahr-inSEULER sind. (D-S8) Eine Repräsentation R folgt in SSTR genau dann logisch aus einer Menge M von Repräsentationen, wenn R in allen möglichen Welten wahr-in-SSTR ist, in denen alle Elemente von M wahr-in-SSTR sind. Unter das Explikat von D-E8 fällt z.B. das Paar, in dem die Abb. 1 Element der ersten Koordinate ist und zugleich die zweite Koordinate bildet. Zur Extension des Explikats von D-S8 gehört beispielsweise das Paar, in

190

dem die Abb. 2 der ersten Koordinate angehört und zugleich die zweite Koordinate bereitstellt.

6.3 Nicht-sprachliche Zeichensysteme und Beweise. Das letzte Unterkapitel hat gezeigt, dass SEULER und SSTR wahrheitswerttragende Repräsentationen besitzen. Gemäß den Überlegungen aus 6.2 lassen sich für SEULER und SSTR daher nicht-leere Beweisbegriffe konstruieren, wenn alle Repräsentationen von SEULER und SSTR endlich lang sind. Dies ist auf Grund von D-E2 und D-S2 der Fall. Tatsächlich können für SEULER und SSTR zwei nicht-leere Beweisbegriffe definiert werden: (D-E9) Eine Ableitung von R aus M in SEULER ist eine endlich lange Folge von wohlgeformten Repräsentationen von SEULER, wobei Rn = R und für jedes Ri der Folge gilt: Ri ist ein Element von M. (D-S9) Eine Ableitung von R aus M in SSTR ist eine endlich lange Folge von wohlgeformten Repräsentationen von SSTR, wobei Rn = R und für jedes Ri der Folge gilt: Ri ist ein Element von M. D-E9 und D-S9 erfüllen alle Bedingungen, die ein Beweisbegriff gemäß BW-AB erfüllen muss. (AX und AB sind leer. Alle Klauseln, die sich auf sie beziehen, sind gestrichen.) Die in ihnen definierten Begriffe sind nichtleer: Unter das Explikat von D-E9 fällt z.B. die Folge, deren einzige Koordinate Abb. 1 ist. Sie ist ein Beweis für die Behauptung, dass dieses Zeichen in SEULER aus einer Menge mit Abb. 1 folgt. Unter das Explikat von D-S9 fällt etwa die Folge, deren einzige Koordinate aus Abb. 2 besteht. Sie ist ein Beweis für die Behauptung, dass das Zeichen in SSTR aus einer Menge folgt, der Abb. 2 angehört.

6.4 Zusammenfassung. In diesem Kapitel wurde für die These T1 argumentiert. T1 besagt:

191

(T1) Unabhängig davon, ob "Nicht-Sprachlichkeit" im Sinn von NS-GF1, NS-NL1, NS-SD1 oder NS-SÄ1 verstanden wird, und unabhängig davon, ob "Logische Folgerung" im Sinn von LF-MW, LF-AP, LF-AN oder LF-FI aufgefasst wird, gilt: Es gibt nicht-sprachliche Logiksysteme, die einen nicht-leeren Folgerungs- und einen nicht-leeren Beweisbegriff besitzen. Um T1 nachzuweisen, wurden zunächst zwei Eigenschaften ausgesondert: die Eigenschaft eines Zeichensystems, wahrheitswerttragende Repräsentationen zu besitzen, und die Eigenschaft eines Systems, ausschließlich endlich lange Zeichen zu enthalten. Besitzt ein System S diese beiden Eigenschaften, lassen sich auf seiner Basis nicht-leere Folgerungs- und Beweisbegriffe konstruieren – unabhängig davon, ob "logische Folgerung" im Sinn von LF-MW, LF-AP, LF-AN oder LF-FI verstanden wird. Anschließend wurde gezeigt, dass die Systeme SEULER und SSTR die beiden Eigenschaften besitzen. Da SEULER oder SSTR gemäß NS-GF1, NS-NL1, NS-SD1 und NS-SÄ1 nicht-sprachlich sind, scheint T1 bewiesen zu sein.

7. Gibt es sichere nicht-sprachliche Logiksysteme? Die zweite zentrale Fragestellung, die im Rahmen dieser Arbeit behandelt werden soll, ist die Frage, ob nicht-sprachliche Schlussfolgerungen sicher sein können oder ob sie auf Grund ihres nicht-sprachlichen Charakters verstärkt die Gefahr von Fehlschlüssen bergen: (2)

Ist es möglich, mit nicht-sprachlichen Repräsentationen sicher nachzuweisen, dass ein nicht-sprachliches Zeichen aus einer Menge anderer nicht-sprachlicher Zeichen folgt?

In Rekurs auf den Begriff des logischen Systems lässt 2 sich auch wie folgt formulieren: (2*) Gibt es nicht-sprachliche Logiksysteme, die sicher sind und nichttriviale Beweisbegriffe besitzen? Weil die Begriffe der logischen Folgerung und der Nicht-Sprachlichkeit im Rahmen dieser Arbeit auf jeweils vier verschiedene Arten charakterisiert worden sind, schlüsselt sich 2* in sechzehn verschiedene Fragen auf – je nachdem, wie die Ausdrücke "Logische Folgerung" und "NichtSprachlichkeit" aufgefasst werden. In diesem Kapitel soll gezeigt werden, dass sich einige dieser sechzehn Fragen positiv beantworten lassen, während andere verneint werden müssen. So soll für die These T2 argumentiert werden: (T2) Unabhängig davon, ob "Logische Folgerung" im Sinn von LF-MW, LF-AP, LF-AN oder LF-FI verstanden wird, gilt: i) Wenn "Nicht-Sprachlichkeit" im Sinn von NS-SD1 aufgefasst wird, gibt es keine nicht-sprachlichen Logiksysteme, die sicher sind und nicht-triviale Beweisbegriffe besitzen.

194

ii) Wenn "Nicht-Sprachlichkeit" im Sinn von NS-GF1, NS-NL1 oder NS-SÄ1 verstanden wird, gibt es nicht-sprachliche Logiksysteme, die sicher sind und nicht-triviale Beweisbegriffe besitzen. In Abschnitt 7.1 wird an Hand sprachlicher Logiksysteme expliziert, welche Eigenschaften eine Logik besitzen muss, um sicher zu sein und über einen nicht-trivialen Beweisbegriff zu verfügen. In den Abschnitten 7.2, 7.3 und 7.4 sollen drei Logiksysteme vorgestellt werden, die Kandidaten für nicht-sprachliche Systeme sind und sich auf ihre Sicherheit hin überprüfen lassen: VENN, CARROLL und STRICH. In Abschnitt 7.5 wird an STRICH erläutert, dass Logiken mit syntaktisch dichten Repräsentationssystemen zwar nicht-triviale Beweisbegriffe besitzen, jedoch nicht sicher sein können. Zum anderen wird mit Hilfe von VENN, CARROLL und Modifikationen von VENN gezeigt: Logiken, deren Repräsentationssysteme geometrische, nicht-lineare oder strukturähnliche Zeichen enthalten, können sicher sein und nicht-triviale Beweisbegriffe besitzen. In Abschnitt 7.6 wird die Argumentation des Kapitels zusammengefasst.

7.1 Sprachliche Logiksysteme und sicheres Schließen. Die logischen Systeme, die innerhalb der modernen Logik konstruiert und verwendet werden, weisen im Regelfall zwei Eigenschaften auf: (1) Sie besitzen nicht-triviale Beweisbegriffe. (2) Sie gewährleisten ein hohes Maß an Sicherheit beim Schließen.1 Dass der Beweisbegriff eines logischen Systems nicht-trivial ist, soll bedeuten: Es gibt mindestens eine Folge , die unter |L fällt und in der zumindest eine Repräsentation kein Element von M oder AX ist, sondern das Ergebnis einer Regelanwendung auf eine von R verschiedene Entität ei. Logiken mit nicht-trivialen Beweisbegriffen erlauben es demgemäß Repräsentationen aus anderen Repräsentationen abzuleiten. So fällt in einer Prädikatenlogik 1. Stufe z.B. nicht nur die folgende Sequenz s1 unter den Beweisbegriff, sondern auch die Sequenz s2. 1

Vgl. Rott (2000), Kap. 6; s. auch Scotto di Luzio (2002), S. 1f.

195

(s1)

< ∀x1(R11x1 → R12x1) > (Ableitung von "∀x1(R11x1 → R12x1)" aus {"∀x1(R11x1 → R12x1)"})

(s2)

< ∀x1(R11x1 → R12x1), R11a1, (R11a1 → R12a1), R12a1 > (Ableitung von "R12a1" aus {"∀x1(R11x1 → R12x1)", "R11a1"})

Dass ein logisches System L ein hohes Maß an Sicherheit beim Schließen gewährleistet, kann an einer Reihe sicherheitsrelevanter Merkmale festgemacht werden. Sie lassen sich wie folgt herleiten: Wenn ein logisches System benutzt wird, um in ihm zu schließen, kann dieser Vorgang mit Hilfe des folgenden Schemas beschrieben werden: Schema (Nachweis logischer Folgerung in L): Sei L ein Logiksystem und E die extensionale Bedeutungsrelation von SL. 1. Eine Person P will zeigen, dass eine Repräsentation R von SL in L aus einer Menge M von Repräsentationen von SL folgt – wobei R und die Elemente von M für je einen bestimmten Sachverhalt stehen sollen, der ihnen durch E zugeordnet wird. 2. P erzeugt eine (eventuell strukturierte) Folge s* von Repräsentationstoken von SL, welche die Instanz einer Ableitung von R aus M in L darstellen soll. 3. P kommt auf Grund von s* zu dem Ergebnis, dass R tatsächlich in L aus M folgt – wobei R und die Elemente von M die unter 1. angeführten Bedeutungen besitzen. Bei L kann es sich z.B. um ein logisches System handeln, das sich aus dem Schriftdeutschen, einem formalen Folgerungsbegriff und einem Beweisbegriff zusammensetzt, bei R um den Satz "Ayla ist launisch oder Ayla ist ein Roboter", bei M um die Menge {"Alle Katzen sind launisch", "Ayla ist eine Katze"} und bei s* um die folgende Sequenz s3: (s3)

(1) (2)

Alle Katzen sind launisch Ayla ist eine Katze

∈M ∈M

196

(3) (4) (5)

Wenn Ayla eine Katze ist, dann ist Ayla launisch Ayla ist launisch Ayla ist launisch oder Ayla ist ein Roboter

US: 1 MP: 2, 3 AB: 4

Werden logische Systeme gemäß diesem Schema eingesetzt, kann es allerdings zu Fehlschlüssen kommen: P gelangt auf Grund einer Folge s* zu dem Ergebnis, dass eine Repräsentation R in L aus einer Menge M folgt, obwohl R in L nicht aus M folgt. Dass solche Fehlschlüsse auftreten, kann unterschiedliche Gründe und Ursachen haben – u.a.: • P beherrscht die Ableitungsregeln von L nicht richtig. • P ist unkonzentriert, verschreibt sich und erstellt – ohne es zu bemerken – eine fehlerhafte Ableitungsinstanz. • L besitzt bestimmte Eigenschaften, die P dazu verleiten, Fehlschlüsse zu begehen. (Oft werden auch mehrere Faktoren zusammenspielen) Fehlschlüssen, die sich aus den ersten beiden Ursachen ergeben, lässt sich aus logischer Sicht kaum vorbeugen. Hilfreich sind hier bestenfalls Systeme, deren Repräsentationssysteme gut überschaubare, 'symbolische' Zeichen besitzen und deren Regeln leicht anzuwenden sind.2 Was jedoch getan werden kann, ist: Logiksysteme zu vermeiden, die fehlschlussfördernde Eigenschaften besitzen. Welche Eigenschaften gehören aber zu diesen Merkmalen? Es lassen sich u.a. die folgenden sechs Eigenschaften anführen. Sie können in drei Kategorien unterteilt werden: • Kategorie I - L ist nicht korrekt • Kategorie II - SL ist nicht syntaktisch differenziert 2

Vgl. Rott (2000), S. 22

197

• Kategorie III - SL ist syntaktisch nicht disjunkt und enthält dabei mindestens ein Token, das zwei Typen mit unterschiedlichen Bedeutungen angehört. - SL ist syntaktisch nicht eindeutig lesbar und besitzt dabei mindestens einen syntaktisch mehrdeutigen Typen, der je nach Struktur unterschiedliche Bedeutungen zugewiesen bekommt - SL ist semantisch mehrdeutig - SL ist kontextvariant zu Kategorie I: Inwiefern kann die Tatsache, dass ein System L nicht korrekt ist, P zu Fehlschlüssen in L verleiten? Wenn L nicht korrekt ist, gibt es eine Repräsentation R und eine Menge M, für die gilt: R lässt sich in L aus M ableiten, obwohl R in L nicht aus M folgt.3 Will P also in L überprüfen, ob R in L aus M folgt, könnte P eine Instanz dieser Ableitung erstellen und auf Grund der Tokenfolge zu dem Ergebnis kommen, R folge in L aus M. Illustration (Nicht-Korrektheit):4 Sei SD-1 eine schriftdeutsche Logik, deren Beweisbegriff sich auf die nicht-korrekte Ableitungsregel VA bezieht ("Verneinung des Antezedens"): (VA)

Von zwei Sätzen der Gestalt "Wenn A, dann B" und "Es ist nicht der Fall, dass A" darf zu einem Satz der Gestalt "Es ist nicht der Fall, dass B" übergegangen werden.

In Rückgriff auf SD-1 könnte eine Person auf Grund der folgenden Tokensequenz s4 zu dem Fehlschluss gelangen, das Paar P1 falle unter |=SD-1. (P1) (s4) 3 4

(1) (2)

Alle Protestanten sind Christen Es ist nicht der Fall, dass der Papst Protestant ist

Vgl. Kap. 4.2 Vgl. Bühler (2000), S. 34f.; Foellesdal/Walloe/Elster (1988), S. 268-271

∈M ∈M

198

(3) (4)

Wenn der Papst Protestant ist, dann ist er Christ Es ist nicht der Fall, dass der Papst Christ ist

US: 1 VA: 2, 3

Weiß eine Person P, dass ein System nicht korrekt ist, kann P nie sicher sein, dass eine Tokenfolge s* nicht in Irre führt – zumindest, wenn bei der Konstruktion auf Regeln zurückgegriffen wird, die nicht korrekt sind. Inkorrekte Beweisbegriffe scheinen somit auf elementare Weise gegen den Sinn und Zweck von Beweisen zu verstoßen. (Im Kap. 4 wurde der Begriff des Beweises daher so definiert, dass gemäß BW-AB nur korrekte Beweisbegriffe 'echte' Beweisbegriffe sein können.5) zu Kategorie II: Inwiefern kann die Tatsache, dass SL syntaktisch nicht differenziert ist, P zu Fehlschlüssen in L verleiten? Wenn ein Repräsentationssystem S syntaktisch nicht differenziert ist, gibt es Tokenfolgen von S-Repräsentationen, für die selbst theoretisch nicht entschieden werden kann, welchem Typ sie angehören.6 Somit könnte der folgende Fall eintreten: Eine Repräsentation R folgt in L nicht aus einer Menge M. P will überprüfen, ob M |=L R, und erstellt die Tokenfolge s*. s* ist nicht die Instanz einer regelgemäßen Ableitung von R aus M, sieht aber selbst nach eingehender Prüfung so aus. P kommt daher zu dem falschen Schluss, dass M |=L R.7 Illustration (fehlende Differenziertheit): Sei SD-2 eine Logik, deren Repräsentationssystem eine Erweiterung des Schriftdeutschen ist: Die exakte Größe der Anfangsbuchstaben eines Personennamens repräsentiert in einem bestimmten Maßstab die exakte Größe der bezeichneten Person. Angesichts dieser Besonderheit von SSD-2 kann die folgende Regel GR in die Menge der Ableitungsregeln von SD-2 aufgenommen werden: (GR)

Von einem Satz, in dem zwei Personennamen a und b mit exakt gleichgroßen Anfangsbuchstaben vorkommen, darf zu einem Satz der Gestalt "a und b sind gleichgroß" übergegangen werden.

Angenommen nun, Tim und Tanja sind unterschiedlich groß. Die Angaben ihrer Körpergrößen (in cm) unterscheiden sich allerdings erst in der fünf5

Kap. 4.2 u. Kap. 4.3 Kap. 2.4 7 Vgl. Scotto di Luzio (2002), S. 87ff. u. S. 91-96 6

199

zehnten Nachkommastelle. In Rekurs auf SD-2 könnte P auf Grund der folgenden Tokensequenz s5 zu dem Fehlschluss kommen, das Paar P2 falle unter |=SD-2 – wobei sich die Längenangaben der "T"-Typen in dem Satz "Tim und Tanja" an der siebzehnten Nachkommastelle unterscheiden. (P2) (s5)

(1) (2)

Tim und Tanja sind klein Tim und Tanja sind gleichgroß

∈M GR: 1

Der Fehler läge darin, dass P den winzigen Unterschied zwischen den beiden "T"-Token im ersten Satztoken der Folge übersieht (alternativ: dass P übersieht, dass das erste Satztoken keine Instanz eines Elements von M ist). Weiß eine Person, dass S syntaktisch differenziert ist, gilt: Sie kann prinzipiell nicht ausschließen, dass eine Tokenfolge, die erstellt worden ist, um M |=L R zu beweisen, nach eingehender Prüfung wie die Instanz einer regelgemäßen Ableitung von R aus M aussieht, in Wirklichkeit aber keine ist – zumindest, wenn in der Tokenfolge Token nicht-differnzierbarer Typen vorkommen. zu Kategorie III: Inwiefern können die Eigenschaften der dritten Kategorie, P zu Fehlschlüssen in L verführen?8 Angenommen, L besitzt eine der vier Eigenschaften. Dann gilt: S enthält mindestens ein Token t, das (i) in einem Kontext mehrere Bedeutungen besitzt oder (ii) in verschiedenen Kontexten verschiedene Bedeutungen aufweist. Unter bestimmten Voraussetzungen könnte somit der folgende Fall eintreten: P schreibt in einer Tokenfolge t nieder. t fungiert dabei als Instanz eines bestimmten Typs mit einer bestimmten Struktur in einem bestimmten Kontext mit einer bestimmten Bedeutung. P wendet dann eine korrekte Regel auf t an. Diese Regel dürfte jedoch nur dann auf t angewendet werden, wenn t innerhalb der Folge in einer anderen Rolle fungieren würde: als Instanz eines anderen Typs, als Instanz mit einer anderen Struktur, als 8

Vgl. in Bezug auf einige Eigenschaften: Klaus (1973), S. 28; Sainsbury (2001), S. 45f.

200

Instanz in einem anderen Kontext oder als Instanz mit einer anderen Bedeutung. Weil die Rolle, in der t fungiert, nicht an der Gestalt von t abgelesen werden kann, übersieht P jedoch die fehlerhafte Regelanwendung. Illustration (fehlende syntaktische Disjunktheit):9 Sei SD-3 eine Logik, deren Repräsentationssystem syntaktisch nicht-disjunkt ist. SSD-3 entspricht weitgehend dem Schriftdeutschen, enthält jedoch folgende Besonderheit: Alle Instanzen des Dreisterns "***" sind nicht nur Token von "***", sondern auch Token der Typen "alle" und "einige". Unter diesen Umständen könnte eine Person auf Grund der folgenden Tokensequenz s6 zu dem Fehlschluss verleitet werden, das Paar P3 falle unter |=SD-3. (P3) . ∈M (s6) (1) *** Menschen sind Frauen (2) Der Papst ist ein Mensch ∈M (3) Wenn der Papst ein Mensch ist, dann ist der Papst eine Frau US: 1 (4) Der Papst ist eine Frau MP: 2, 3 Der Fehler würde darin liegen, dass der Satz in 1 als Token des Typs "Einige Menschen sind Frauen" behandelt würde und in der Rechtfertigung von 3 als Token des Typs "Alle Menschen sind Frauen". Illustration (fehlende eindeutige syntaktische Lesbarkeit):10 Das Schriftdeutsche ist syntaktisch nicht eindeutig lesbar. Ein Satz der Gestalt "Es ist notwendig, dass B, wenn A" kann z.B. im Sinn von "Es ist notwendig: Wenn A, dann M" gelesen werden ( A→B) – oder im Sinn "Wenn A, dann gilt: Es ist notwendig, dass B" (A→ B). Jemand könnte daher auf Grund der folgenden Tokensequenz s7 zu der Überzeugung gelangen, das Paar P4 falle unter |=SD – wobei die Struktur des einen Mengenelements als A→B zu verstehen ist.

9

Vgl. Scotto di Luzio (2002), S. 85ff. Vgl. Foellesdal/Walloe/Elster (1988), S. 273f.

10

201

(P4) (s7)

(1) (2) (3)

Es ist notwendig, dass ich existiere, wenn ich Bewusstsein habe Ich habe Bewusstsein Es ist notwendig, dass ich existiere

∈M ∈M MP: 1, 2

Der Fehler würde darin bestehen, dass der Satz in 1 als Token des Typs "Es notwendig, dass ich existiere, wenn ich Bewusstsein habe" mit der Struktur A→B behandelt würde, in der Rechtfertigung von 3 als Token des Typs mit der Struktur A→ B. Illustration (semantische Mehrdeutigkeit):11 Das Schriftdeutsche ist semantisch mehrdeutig. Z.B. kann der Typ "Wurm" in ein- und demselben Kontext für ein Tier oder ein Computerprogramm stehen. Eine Person könnte somit in Anbetracht der folgenden Tokenfolge s8 fehlschließen, dass Paar P5 falle unter |=SD – wobei "Wurm" in dem Allsatz für bestimmte Tiere und in der vermeintlichen Konsequenz für bestimmte Computerprogramme steht. (P5) (s8)

(1) (2) (3) (4)

Jeder Wurm ist ein Lebewesen . WORM ist ein Wurm Wenn WORM ein Wurm ist, dann ist WORM ein Lebewesen WORM ist ein Lebewesen

∈M ∈M US: 1 MP: 2, 3

Der Fehler läge darin, dass "Wurm" in 2 als Token des Typs "Wurm" mit der Bedeutung 'Computerprogramm' verwendet würde, in 3 dagegen als Token des Typs "Wurm" mit der Bedeutung 'Tier'. 11

Vgl. Bühler (2000), S. 41f.; Foellesdal/Walloe/Elster (1988), S. 272f.

202

Illustration (Kontextvarianz):12 Das Schriftdeutsche ist kontextvariant. Der Typ "heute" steht z.B. in unterschiedlichen Kontexten für unterschiedliche Tage. Eine Person könnte daher auf Grund der folgenden Tokensequenz s9 den Fehlschluss begehen, das Paar P6 falle unter |=SD – wobei das "Heute" im ersten Element der Menge im Kontext des 27.5.1632 verwendet wird, das "Heute" im zweiten Element im Kontext des 28.5.1632. (P6) (s9)

(1) (2) (3)

Heute ist der 27.5.1632 Heute ist der 28.5.1632 Heute ist der 27.5.1632 und der 28.5.1632

∈M ∈M ∧ Intro: 1,2

Der Fehler bestände darin, dass "Heute" in 1 als Token des Typs im Kontext des 27.5.1632 verwendet wird, in 3 dagegen als Token des Typs im Kontext des 28.5.1632. Weiß eine Person, dass eine Logik eine Eigenschaft der dritten Kategorie besitzt, muss sie stets damit rechnen, dass sie fehlschliesst, weil sie ein Token unzulässigerweise in verschiedenen Funktion benutzt (als Token eines Typs mit der Bedeutung B1 und als Token eines Typs B2 etc.) Solange die Logik keine Eigenschaften der ersten beiden Kategorien besitzt, kann die Person allerdings sichergehen, ob ein Fehlschluss vorliegt oder nicht. Um das Auftreten von Fehlschlüssen einzudämmen, ist es daher ratsam, logische Systeme zu verwenden, die keine der sechs Eigenschaften besitzen: Solche Systeme sind im gewissen Sinn 'besonders' sicher: (SI)

12

Ein logisches System L mit dem Repräsentationssystem S ist genau dann sicher, wenn L korrekt ist und die folgenden sicherheitsrelevanten Eigenschaften E1-E5 besitzt: (E1) S ist syntaktisch differenziert (E2) S besitzt keine syntaktisch nicht-disjunkten Typen mit unterschiedlicher Bedeutung

Vgl. Bühler (2000), S. 41ff.

203

(E3) S enthält keine syntaktisch nicht eindeutig lesbaren Typen, die relativ zu verschiedenen Strukturen unterschiedliche Bedeutungen zugewiesen bekommen (E4) S besitzt keine semantisch mehrdeutigen Typen (E5) S ist kontextinvariant Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass eine Person fehlschliesst, wenn sie ein System verwendet, das unter das Explikat von SI fällt: Unkonzentriertheit und mangelnde Regelkenntnis können immer noch zu nicht regelgemäßen Ableitungen führen. Zudem ist SI nicht die einzige Möglichkeit, den Begriff des sicheren Logiksystems zu explizieren. Der Begriff könnte z.B. schwächer oder stärker bestimmt werden. So ließen sich weitere sicherheitsrelevante Eigenschaften hinzufügen – etwa die Eigenschaften, keine leeren, vagen oder unbestimmten wohlgeformten Typen zu enthalten.13 Allem Anschein nach ist SI jedoch angemessen, um den Begriff des sicheren Logiksystems zu explizieren. Insbesondere die Eigenschaft der Korrektheit und E1 scheinen notwendig zu sein, um die Gefahr von Fehlschlüssen zu verringern.14 Alles in allem soll also gelten: Um T2 zu stützen, genügt es, wenn zwei Dinge geleistet werden: 1.) Es wird gezeigt, dass eine Logik mit syntaktisch dichten Repräsentationssystem prinzipiell keinen nicht-trivialen Beweisbegriff besitzen oder nicht unter das Explikat von SI fallen kann. 2.) Es wird gezeigt, dass es mindestens eine korrekte Logik gibt, deren Repräsentationssystem geometrische, nicht-lineare und strukturähnliche Zeichen enthält, und für die gilt: Sie besitzt einen nicht-trivialen Beweisbegriff und alle sicherheitsrelevanten Eigenschaften E1-E5. Hierbei wird zu beachten sein, dass logische Folgerung im Sinn von LFMW, LF-AP, LF-AN und LF-FI verstanden werden kann. Um die beiden Aufgaben besser abhandeln zu können, sollen zunächst drei logische Systeme vorgestellt werden: VENN, CARROLL und STRICH. 13

Vgl. Foellesdal/Walloe/Elster (1988), S. 272-277 Zu den Eigenschaften E2-E5 s. etwa Barwise/Perry (1987), S. 54; Foellesdal/Walloe/Elster (1988), S. 225; Klaus (1973), S. 64 u. S. 73

14

204

7.2 Das System VENN (nach Shin).15 VENN ist eine Logik, deren Repräsentationssystem es ermöglicht, bestimmte Sachverhalte mit Hilfe von Venn-Diagrammen zu repräsentieren. Das System der Venn-Diagramme wurde in seiner ursprünglichen Form von dem englischen Logiker und Mathematiker John Venn entwickelt.16 Venn führte zunächst Kreise ein, um Mengen zu repräsentieren:

A

Abb. 1

A

B

Abb. 2

In der Abb. 1 repräsentiert die Fläche des mit "A" indizierten Kreises eine Menge A (z.B. die Menge der Gespenster). In Abb. 2 steht die Fläche des "A"- Kreises für die Menge A (z.B. für die Menge der Gespenster), die Fläche des "B"-Kreises für eine Menge B (z.B. für die Menge der nachtaktiven Wesen). Die Fläche, die dem "A"-Kreis und dem "B"-Kreis gemeinsam ist, repräsentiert die Schnittmenge der Mengen A und B (die Menge aller nachtaktiven Gespenster). Die Fläche des "A"-Kreises, die nicht mit der Fläche des "B"-Kreises überlappt, steht für die Menge A ohne die Menge B (die Menge aller Gespenster, die nicht nachtaktiv sind) – und umgekehrt. Um Sachverhalte repräsentieren zu können, führte Venn die Vorrichtung der Schattierung ein: Ist eine Fläche schattiert, bedeutet dies, dass die Menge, die durch die Fläche repräsentiert wird, leer ist. Beispiele:

A

Abb. 3 15 16

A

Abb. 4

Shin (1994), S. 41-110. Vgl. Hammer/Danner (1996); Shin (1996) Venn (1971). Vgl. Shin (1994), S. 16-20

B

205

A

Abb. 5

B

A

B

Abb. 6

Das Diagramm von Abb. 3 steht für den Sachverhalt, dass die Menge A leer ist: Es gibt keine A's. Das Diagramm von Abb. 4. repräsentiert den Sachverhalt, dass die Menge A ohne B leer ist: Alle A's sind B's. Das Diagramm von Abb. 5 steht für den Sachverhalt, dass die Schnittmenge von A und B leer ist: Keine A's sind B's. Das Diagramm von Abb. 6 repräsentiert den Sachverhalt, dass die Menge A ohne B und die Menge B ohne A leer sind: Alle A's sind B's und umgekehrt. In ihrer ursprünglichen Form erlauben es Venn-Diagramme also, universelle Sachverhalte über Mengen und deren Beziehungen untereinander zu repräsentieren. Um die Ausdrucksstärke des Venn-Systems zu vergrößern, änderte Charles Sanders Peirce das System leicht ab und erweiterte es um einige Vorrichtungen:17 Er tauschte das Schattierungszeichen gegen ein "o" aus und führte als zusätzliche Zeichen das Kreuz "x" und die Linie "" ein. Mit Hilfe eines kleinen Kreises kann ausgedrückt werden, dass eine Menge leer ist: Enthält ein Venn-Diagramm ein "o", bedeutet dies, dass die Menge, die durch die kleinste "o"-enthaltende Fläche repräsentiert wird, leer ist. Mit Hilfe des Kreuzes wird auf analoge Weise ausgedrückt, dass eine Menge nicht leer ist, sondern mindestens ein Individuum enthält: Kommt in einem Venn-Diagramm ein "x" vor, heißt dies, dass die Menge, die durch die kleinste, "x"-enthaltende Fläche repräsentiert wird, nicht leer ist. Die Linie ermöglicht es schließlich, mehrere Punkte oder Kreuze zu verbinden. Auf diese Weise wird die Disjunktion derjenigen Sachverhalte gebildet, die durch die Punkte und Kreuze ausgedrückt werden. 17

Peirce (1933), 4.356-4.363. Vgl. Shin (1994), S. 20-40

206

Beispiele:

A

x

A

Abb. 7

A

Abb. 9

x

B

Abb. 8

x

B

A x

o B

Abb. 10

Das Diagramm von Abb. 7 steht für den Sachverhalt, dass die Menge A nicht leer ist: Es gibt A's. Das Diagramm von Abb. 8 repräsentiert den Sachverhalt, dass die Menge A mindestens ein Element enthält, das nicht Element von B ist: Einige A's sind nicht B's. Das Diagramm von Abb. 9 steht für den Sachverhalt, dass die Menge A mindestens ein Element enthält, das auch Element von B ist: Einige A's sind B's. Das Diagramm von Abb. 10 repräsentiert den Sachverhalt, dass die Menge A ein Element enthält, das nicht Element von B ist, oder die Menge B ohne A leer ist: Einige A's sind nicht B's oder alle B's sind A's. Venn- und Venn-Peirce-Diagramme können zu verschiedenen Zwecken eingesetzt werden. Innerhalb der Logik werden sie häufig verwendet, um zu überprüfen, ob ein "kategorischer Syllogismus" gültig ist oder nicht. Syllogismen sind Argumente mit zwei Prämissen und einer Konklusion. Sie werden "kategorisch" genannt, wenn die Prämissen und die Konklusion kategorische Sätze sind, d.h. Sätze, in denen zwei Prädikatausdrücke F und G auf eine der vier folgenden Arten zusammengesetzt werden: • Alle F sind G • Kein F ist G

(a-Urteil: universell bejahend) (e-Urteil: universell verneinend)

207

• Einige F sind G • Einige F sind nicht G

(i-Urteil: partikulär bejahend) (o-Urteil: partikulär verneinend)

Als Grundregel gilt: In den Sätzen eines kategorischen Syllogismus kommen insgesamt drei und nur drei Prädikatausdrücke vor. Jeder dieser Prädikatausdrücke steht in je zwei Sätzen.18 Beispiele für kategorische Syllogismen sind: "Alle Menschen sind sterblich. Alle Griechen sind Menschen. Also sind alle Griechen sterblich" und "Kein Krokodil ist umgänglich. Einige Tiere sind Krokodile. Deswegen sind einige Tiere nicht umgänglich". Soll mit Hilfe eines Venn-Diagramms überprüft werden, ob ein kategorischer Syllogismus gültig ist oder nicht, wird in vier Schritten vorgegangen: 1. Schritt:

2. Schritt:

3. Schritt: 4. Schritt:

Es wird ein Venn-Diagramm gezeichnet, das aus drei sich überschneidenden Kreisen besteht. Die Kreise stehen für die Extensionen der drei Prädikatausdrücke des Syllogismus. Der Sachverhalt, für den die erste Prämisse des Syllogismus steht, wird mit Hilfe von Schattierungen (oder Punkten), Kreuzen und Linien in dem Diagramm repräsentiert. Der Sachverhalt, für den die zweite Prämisse des Syllogismus steht, wird in das Diagramm eingetragen. Es wird überprüft, ob der Sachverhalt, für den die Konklusion steht, in dem modifizierten Diagramm repräsentiert wird oder nicht: wenn ja, ist der Syllogismus gültig, wenn nicht, ist er ungültig.

Die Methode kann an dem folgenden Beispiel veranschaulicht werden: Frage:

18

Ist der Syllogismus "Kein Krokodil ist umgänglich. Einige Tiere sind Krokodile. Deswegen sind einige Tiere nicht umgänglich" gültig?

Vgl. etwa Quine (1993), S. 109-115; Smiley (1973)

208

Überprüfung: 1. Schritt:

K T

2. Schritt:

U

K T

3. Schritt:

• •

U

K T

x • •

U

4. Schritt:

Die Konklusion wird repräsentiert

Ergebnis:

Der Syllogismus ist gültig.

Das Repräsentationssystem von VENN entspricht dem ursprünglichen Venn-System. Von Sun-Joo Shin sind jedoch Logiksysteme entwickelt worden, die auf der Peirce'schen Erweiterung des Venn-Systems beruhen.19 (Historische Anmerkung: Venn entwarf seine Diagramme nicht in Blick auf die klassische Syllogistik, sondern als Mittel für die Boolesche Logik. George Boole hatte in seiner Arbeit "An investigation of the laws of thought" ein logisches System entwickelt, das sich zum Teil deutlich von der aristotelischen Logik unterschied und als erste symbolische Logik betrachtet werden kann. Die Relata der Folgerungsrelation werden hier durch Aussagen über Vereinigungen und Durchschnitte von Mengen gebildet. Die Aussagen werden dabei in einer algebraischen Notation formuliert. Gerade diese Notation schien jedoch einer breiteren Aufnahme der Ideen Booles im Weg zu stehen. Venn wollte mit seinen Diagrammen einen leichteren Zugang zur Booleschen Logik ermöglichen.20) 19 20

Shin (1994), VENN I und VENN II S. hierzu Greaves (2002), S. 146-162

209

• Das Repräsentationssystem von VENN: Der syntaktische und der semantische Teil von SVENN können mit Hilfe der folgenden Definitionen beschrieben werden. Die Definitionen D-V1 bis D-V7 bilden die Syntax, die Definitionen D-V8 bis D-V10 die Semantik des Systems. (D-V1) Das Vokabular von SVENN wird durch die folgende Menge gebildet: F1

F2

Fn

...

...

[indizierte, geschlossene Kurven]21

U1

[indiziertes Rechteck] •

[Punkt]

Die geschlossenen Kurven sind mit "F1", "F2", ..., "Fn" indiziert, das Rechteck besitzt den Index "U1". Die Indizes müssen in einem Diagramm so platziert sein, dass entsprechend unserem üblichen Umgang mit Zeichen klar ist, welche Indizes zu welchen Kurven gehören.22 (D-V2) Jede endliche Anordnung von Zeichen des Vokabulars ist ein Diagramm von SVENN.

21

Es werden geschlossene Kurven anstelle von Kreisen gewählt, weil sich mit Kreisen keine wohlgeformten Venn-Diagramme bilden lassen, die mehr als drei Kreise enthalten. Im Fall geschlossener Kurven lassen sich für jede endliche Zahl n wohlgeformte Venn-Diagramme mit n geschlossenen Kurven konstruieren. Dies wurde in Polythress/Sun (1972) gezeigt. 22 Vgl. Shin (1994), S. 48. Die Kurve und das Rechteck sind in dem System VENN I von Shin nicht indiziert, anstelle des Punkts werden Schattierungen verwendet. Das Vokabular von VENN I enthält zudem Kreuze und Linien.

210

Beispiele: •

F23

U1

• U1

Abb. 11

F1

• Abb. 12

ξ

F1 U1 F1

Abb. 13

F4

Abb. 14

Die Gebilde in Abb. 11-13 sind gemäß D-V2 Diagramme von SVENN: Sie lassen sich vollständig als Anordnungen von Zeichen analysieren, die dem Vokabular von SVENN angehören. Das Gebilde von Abb. 14 ist dagegen kein Diagramm von SVENN: Es enthält zwei Markierungen, die nicht im Vokabular von SVENN vorkommen – "ξ" und die Ellipse ohne Index. (D-V3) Um über die Flächen eines Diagramms von SVENN sprechen zu können, gelten die folgenden terminologischen Vereinbarungen: Eine Region ist jede Fläche eines Diagramms von SVENN, die vollständig von einer geschlossenen Kurve umrandet ist. Eine Basisregion ist eine Region, die vollständig von einem indiziertem Rechteck oder einer indizierten geschlossenen Kurve umrandet ist. Eine minimale Region ist eine Region, die keine andere Region echt enthält (also nur sich selbst enthält).23 (D-V4) Um bequemer über bestimmte Regionen in einem Diagramm sprechen zu können, sollen die folgenden Bestimmungen gelten:

211

1. Der Name einer Basisregion wird durch den Index des Rechtecks oder der geschlossenen Kurve gebildet. 2. Wenn "A" und "B" die Namen zweier verschiedener Regionen sind, dann wird die Region, die diesen Regionen gemeinsam ist, "(A-und-B)" genannt ('Durchschnitt'). 3. Wenn "A" und "B" die Namen zweier verschiedener Regionen sind, dann wird die Region, die sich aus diesen Regionen zusammensetzt, "(A + B)" genannt ('Vereinigung'). 4. Wenn "A" und "B" die Namen zweier verschiedener Regionen sind, dann wird die Region von "A", die nicht Teil der Region "B" ist, "(A – B)" genannt ('Differenz').24 (D-V5) Um leichter auf bestimmte Punkte in einem Diagramm referieren zu können, gelte die folgende Konvention: Der Name des Punktes kann durch den Namen der minimalen Region, in der sich der Punkt befindet, und den Zusatz "Punkt" gebildet werden. Beispiele: U1 F1



Abb. 15

U1

F1

F2

Abb. 16

Abb. 15 besitzt 2 Basisregionen ("F1", "U1"), 2 minimale Region ("F1", "(U1-F1)") und 3 Regionen ("F1", "U1", "(U1-F1)"). Abb. 16 enthält hingegen 3 Basisregionen ("F1", "F2", "U1"), 4 minimale Regionen ("(F1F2)", "(F2-F1)", "(F1-und-F2)", "(U1-(F1+F2))") und 15 Regionen ("F1", "F2", "U1" usw.). Der Punkt in dem Diagramm von Abb. 15 besitzt z.B. den Namen "(U1-F1)-Punkt".25 23

Shin (1994), S. 51f. Shin (1994), S. 52f. 25 Hammer/Danner (1996), S. 111f. 24

212

(D-V6) Die Menge der wohlgeordneten Diagramme von SVENN kann wie folgt bestimmt werden: 1. Das Rechteck U1 ist ein wohlgeordnetes Diagramm von SVENN. 2. Wenn A ein wohlgeordnetes Diagramm von SVENN ist und B ein Diagramm, das entsteht, wenn innerhalb des Rechtecks von A gemäß der Überlappungsregel eine geschlossene indizierte Kurve hinzugefügt wird, deren Index nicht in A vorkommt, dann ist B ein wohlgeordnetes Diagramm von SVENN. Überlappungsregel: Eine neue geschlossene indizierte Kurve muss jede existierende minimale Region überlappen, aber jede minimale Region nur einmal und nur zum Teil.26 3. Nichts sonst ist ein wohlgeordnetes Diagramm von SVENN.27 Beispiele: U1

U1 F1

Abb. 17

Abb. 18 U1

F1

F3

F2 F1

Abb. 19 26

U1 F2

Abb. 20

Diese Formulierung ist streng genommen unsauber: In der Syntax soll über Diagrammtypen gesprochen werden, nicht über Diagrammtoken. Zu sagen, zwei Kurven "überlappten" sich (etc.) kann daher nur metaphorisch verstanden werden. Der Einfachheit halber soll diese lose Redeweise jedoch genügen und beibehalten werden. Dies gilt auch für viele andere Definitionen in dieser Arbeit. 27 Vgl. Shin (1994), S. 57f. Shin führt keine Unterscheidung zwischen wohlgeordneten und wohlgeformten Diagrammen ein

213

F1 F1

U1 F2

F3 F1

Abb. 21

U1 F2

Abb. 22

Bei den Abb. 17-20 handelt es sich gemäß D-V6 um wohlgeordnete Diagramme von SVENN. Die Abb. 21 und 22 sind hingegen nicht wohlgeordnet: Abb. 21 lässt sich nicht aus wohlgeordneten Diagrammen konstruieren, weil es zweimal den Index "F1" enthält. Abb. 22 kann nicht aus wohlgeordneten Zeichen konstruiert werden, weil die Region F3 (i) die minimale Region (F1-und-F2) vollständig einschließt (und nicht nur zum Teil) oder (ii) die minimale Region (U1-(F1+F2)) zweimal überlappt. (D-V7) Die Menge D der wohlgeformten Diagramme von SVENN kann wie folgt definiert werden: 1. Wenn A ein wohlgeordnetes Diagramm von SVENN ist und B ein Diagramm, das entsteht, wenn in eine Region von A ein Punkt "•" eingezeichnet wird, dann ist B wohlgeformtes Diagramm von SVENN. 2. Wenn A ein wohlgeformtes Diagramm von SVENN ist und B ein Diagramm, das entsteht, wenn in eine Region von A ein Punkt "•" eingezeichnet wird, dann ist auch B wohlgeformt. 3. Nichts sonst ist ein wohlgeformtes Diagramm von SVENN.28 Beispiele: U1 F1



F3

F2 F1 •

Abb. 23 28

Vgl. Shin (1994), S. 57f.

U1

Abb. 24

F2

214

F3 F1

Abb. 25

U1 F2

U1 F2



F2

Abb. 26

Die Abb. 23 und 24 sind gemäß D-V7 wohlgeformte Diagramme von SVENN. Abb. 25 und 26 sind dagegen nicht wohlgeformt: Abb. 25 ist zwar wohlgeordnet, enthält aber keinen Punkt, Abb. 26 lässt sich auf Grund der doppelt vorkommenden Indizes nicht auf ein wohlgeordnetes Diagramm von SVENN zurückführen. (D-V8) Eine Basisinterpretation J = von SVENN besteht aus einer nicht-leeren Menge U, welche den Gegenstandsbereich der Interpretation bildet, und einer Basisinterpretationsfunktion I, für die gilt: 1. I weist der Fläche des indizierten Rechtecks die Menge U zu. 2. I weist der Fläche jeder geschlossenen indizierten Kurve aus dem Vokabular eine Teilmenge von U zu.29 (D-V9) Sei J = eine Basisinterpretation von SVENN. Die zu J gehörige Interpretationsfunktion I* ist eine Funktion von der Menge der Regionen der wohlgeformten Diagramme in die Menge aller Teilmengen von U. I* hat folgende Eigenschaften: 1. für jede Basisregion A gilt: I(A) = I*(A) 2. I*(A1 – A2) = I*(A1) / I*(A2) 3. I*(A1-und-A2) = I*(A1) ∩ I*(A2) 4. I*(A1 + A2) = I*(A1) ∪ I*(A2)30 29

Hammer/Danner (1996), S. 116. Vgl. Shin (1994), S. 64f. Shin legt das Repräsentationssystem von VENN I mit Hilfe situationssemantischer Begriffe fest 30 Hammer/Danner (1996), S. 116. Vgl. Shin (1994), S. 65f.

215

(D-V10) Sei J = eine Basisinterpretation von SVENN mit der Interpretationsfunktion I*. vJ ist eine Bewertungsfunktion von der Menge der wohlgeformten Diagramme von SVENN in die Menge der Wahrheitswerte {W, F}. vJ besitzt die folgenden Eigenschaften: Sei D ein wohlgeformtes Diagramm von SVENN. vJ(D) = W genau dann, wenn für jede Region A von D gilt: Wenn A in jeder ihrer Teilregionen einen Punkt enthält, dann ist I*(A) = ∅.31 Beispiel für eine zulässige Basisinterpretation J von SVENN: U = {x : x ist ein Mensch} I(Ui) = U I(F1) = {x : x ist dunkelhaarig} I(F2) = {x : x ist ein Luftakrobat} I(Fi) = {x : x ist Engländer}, wobei i > 2 gemäß D-V9 gilt: I*(U1) = I(U1) = {x : x ist ein Mensch} I*(F1) = I(F1) = {x : x ist dunkelhaarig} I*(F3-F1) = I*(F3) / I*(F1) = {x : x ist Engländer und nicht dunkelhaarig) I*(F1-und-F2) = I*(F1) ∩ I*(F2) = {x : x ist dunkelhaarig und Luftakrobat} I*(F2+F3) = I*(F2) ∪ I*(F3) = {x : x ist Luftakrobat oder Engländer} F1

U1

• • F2

F3

Abb. 27 31

Hammer/Danner (1996), S. 117. Vgl. Shin (1994), S. 68-71

216

Abb. 27 ist gemäß D-V11 genau dann wahr, wenn (i) I[((F2-F1)-F3)] = ∅ und (ii) I[((F2-und-F1)-F3)] = ∅, wenn also (i) die Menge aller nicht dunkelhaarigen, nicht-englischen Luftakrobaten leer ist und wenn (ii) die Menge aller dunkelhaarigen, nicht-englischen Luftakrobaten leer ist. Das heißt: Das Diagramm in Abb. 27 ist gemäß D-V10 genau dann wahr, wenn die Menge aller nicht-englischen Luftakrobaten leer ist – d.h., wenn alle Luftakrobaten Engländer sind. • Der Folgerungsbegriff von VENN: Der Begriff der logischen Folgerung in VENN kann mit Hilfe der Definition D-V11 bestimmt werden: (D-V11) Sei M eine Menge wohlgeformter Diagramme von SVENN und R ein wohlgeformtes Diagramm von SVENN. R folgt in VENN genau dann aus M, wenn R unter allen Basisinterpretationen wahr ist, unter denen jedes Element von M wahr ist.32 Ein Beispiel für ein Paar, das unter den Folgerungsbegriff von VENN fällt, ist das folgende Paar P7: U1 F1 •

F2

,

U1 F2 •

F3

U1

,

F1 •

F3

• Der Beweisbegriff von VENN: Der Beweisbegriff von VENN wird in Rückgriff auf vier Ableitungsregeln RV1-RV4 definiert. Um die Regeln bequemer formulieren zu können, ist es praktisch, zunächst die so genannte "Gegenstückrelation" einzuführen. Intuitiv betrachtet sind zwei Regionen genau dann Gegenstücke, wenn sie für dieselbe Menge stehen. (D-V12) Die Gegenstückrelation zwischen Regionen ist eine Äquivalenzrelation über die Menge der Regionen. Für sie gilt: 32

Hammer/Danner (1996), S. 117. Vgl. Shin (1994), S. 71f.

217

1. Wenn A1 und A2 Basisregionen sind, die von geschlossenen Kurven mit demselben Index umrandet sind, dann sind A1 und A2 Gegenstücke. 2. Wenn A1 und A2 Basisregionen sind, die von dem Rechteck umrandet sind, dann sind A1 und A2 Gegenstücke. 3. Wenn A1 und A2 Regionen desselben Diagramms sind und B1 und B2 Regionen desselben Diagramms sind und wenn zum einen A1 und B1 und zum anderen A2 und B2 Gegenstücke sind, dann sind jeweils (i) (A1-und-A2) und (B1-undB2), (ii) (A1+A2) und (B1+B2) sowie (iii) (A1-A2) und (B1B2) Gegenstücke voneinander. 4. Sonst sind keine zwei Regionen Gegenstücke.33 (RV1)

Regel des Entfernens von Punkten Von einem Diagramm D kann zu einem Diagramm D* übergegangen werden, wenn für D und D* gilt: 1. Alle indexierten geschlossenen Kurven, die in D vorkommen, kommen auch in D* vor, und umgekehrt. 2. Wenn eine minimale Region A* von D* einen Punkt enthält, dann enthält das Gegenstück von A* in D einen Punkt. 3. Es gibt genau eine minimale Region A in D, die einen Punkt enthält, deren Gegenstück in D* aber keinen Punkt enthält. 4. D* ist ein wohlgeformtes Diagramm.34 Beispiel für eine korrekte Regelanwendung von RV1: U1 F1

33





F2

U1



F1



F2

Vgl. Shin (1994), S. 55f. Shin benötigt die Gegenstückrelation bereits bei der Definition des Repräsentationssystems, weil sie keine Indizes verwendet. 34 Vgl. Shin (1994), S. 82-85

218

(RV2)

Regel des Entfernens von geschlossenen Kurven Von einem Diagramm D kann zu einem Diagramm D* übergegangen werden, wenn für D und D* gilt: 1. Alle indexierten geschlossenen Kurven, die in D* vorkommen, kommen auch in D vor. 2. Es gibt genau eine indexierte geschlossene Kurve, die in D, nicht aber in D* vorkommt. 3. Eine minimale Region A* in D* enthält genau dann einen Punkt, wenn alle minimalen Regionen A1, ..., An in D einen Punkt enthalten, deren Vereinigung das Gegenstück von A* in D bildet. 4. D* ist ein wohlgeformtes Diagramm.35 Beispiel für eine korrekte Regelanwendung von RV2: U1 F1

(RV3)

35 36





• F2



U1 F1



Regel des Einführens von geschlossenen Kurven Von einem Diagramm D kann zu einem Diagramm D* übergegangen werden, wenn für D und D* gilt: 1. Alle indexierten geschlossenen Kurven, die in D vorkommen, kommen auch in D* vor. 2. Es gibt genau eine indexierte geschlossene Kurve, die in D*, nicht aber in D vorkommt. 3. Eine minimale Region A* in D* enthält genau dann einen Punkt, wenn es minimale Regionen A1*, ..., An* in D* gibt, deren Vereinigung mit A ein Gegenstück in D besitzt, das minimal ist und ebenfalls einen Punkt enthält. 4. D* ist ein wohlgeformtes Diagramm.36

Vgl. Shin (1994), S. 82-85 Vgl. Shin (1994), S. 86f.

219

Beispiel für eine korrekte Regelanwendung von RV3: U1



F1

U1



F1





F2

(RV4) Regel der Vereinigung von Diagrammen Von zwei Diagrammen D1 und D2 kann zu einem Diagramm D* übergegangen werden, wenn für D1, D2 und D* gilt: 1. Alle Basisregionen von D1 und D2 besitzen ein Gegenstück in D*. 2. Jede Basisregion von D* besitzt ein Gegenstück in D1 oder D2. 3. Eine minimale Region A* in D* enthält genau dann einen Punkt, wenn es minimale Regionen A1*, ..., An* in D* gibt, deren Vereinigung mit A* ein Gegenstück in D1 oder D2 besitzt, das minimal ist und ebenfalls einen Punkt enthält. 4. D* ist ein wohlgeformtes Diagramm.37 Beispiel für eine korrekte Regelanwendung von RV4: U1 F1



U1

F2

F2



⇓ •

F1

37

Vgl. Shin (1994), S. 88-92

• • •

F2

U1 F3

F3

220

(D-V13) Eine Ableitung von D aus der Menge M in VENN ist eine endlich lange Folge von wohlgeformten Diagrammen von SVENN, wobei Dn = D und für jedes Di der Folge gilt: 1. Di ist ein Element von M oder 2. Di kann mit Hilfe einer der Ableitungsregeln RV1-RV4 aus Diagrammen gewonnen werden, die Di in der Folge vorangehen.38 Beispiel für einen Ableitung von R aus M in VENN. M ist die erste Koordinate von P1, R die zweite Koordinate: (1) F1



(3)



38

∈M

U1

RV4: 1, 2

U1

RV2: 3

F3

(4) F1

U1 F3

• F2 •• F1

∈M

F2

(2) F2

U1



Vgl. Shin (1994), S. 92f.

F3

221

• Korrektheitsbeweis für VENN (Skizze)39 Zu zeigen ist, dass die folgende Aussage K für jedes wohlgeformte Diagramm D und jede Menge M von wohlgeformten Diagrammen von SVENN gilt: (K) Wenn D in VENN aus M abgeleitet werden kann, dann folgt D in VENN aus M. Der Beweis kann induktiv über die Länge n der Ableitungen von VENN geführt werden. Eine Ableitung von VENN besitzt die Länge n, wenn sie eine n-stellige Folge s = von Diagrammen von SVENN ist. Es gelte: D = Dn. IA: K gilt für alle Ableitungen der Länge 1 Beweis: Ist die Länge der Ableitung 1, gilt: D = Dn = D1. Weil D kein Diagramm in der Ableitung vorausgeht, kann D nicht mit Hilfe der Ableitungsregeln RV1-RV4 gewonnen worden sein, sondern muss ein Element von M sein. Somit gilt trivialerweise, dass D unter jeder Interpretation von SVENN wahr ist, unter der jedes Element von M wahr ist. D folgt somit aus M. IS: Wenn K für alle Ableitungen der Länge bis n gilt, dann gilt K auch für alle Ableitungen der Länge n+1. IV: K gilt für alle Ableitungen der Länge bis n. z.Z.: K gilt für alle Ableitungen der Länge n+1. Beweis: Wenn die Länge der Ableitung n+1 ist, gilt: D = Dn+1. Dn+1 kann auf fünf verschiedene Weisen gewonnen worden sein: (i) Dn+1 wurde als Element von M eingeführt, (ii) Dn+1 wurde mit Hilfe von RV1, (iii) mit Hilfe von RV2, (iv) mit Hilfe von RV3 oder (v) mit Hilfe von RV4 gewonnen. 39

Vgl. Shin (1994), S. 93-98

222

1. Fall: Dn+1 wurde als Element von M eingeführt Es gilt trivialerweise, dass Dn+1 unter jeder Interpretation von SVENN wahr ist, unter der jedes Element von M wahr ist. Dn+1 folgt aus M. 2. Fall: Dn+1 wurde mit Hilfe von RV1 gewonnen. Es gibt ein Diagramm Di, das Dn+1 in der Ableitungsfolge vorausgeht. Di steht in demselben Verhältnis zu Dn+1 wie D zu D* in der Beschreibung von RV1. Für Di gilt auf Grund der IV, dass es aus M folgt. Angenommen nun, Dn+1 folgt nicht aus M. Dann gibt es eine Interpretation J = von SVENN, unter der jedes Element von M wahr, Dn+1 jedoch falsch ist. Auf Grund der IV gilt, dass Di unter J wahr ist. Da Dn+1 unter J falsch ist, enthält Dn+1 eine Region A*, die in jeder ihrer minimalen Teilregionen einen Punkt enthält, obwohl I(A*) ≠ ∅. Auf Grund der zweiten Klausel von RV1 gilt, dass das Gegenstück A von A* in Di ebenfalls in jeder ihrer minimalen Teilregionen einen Punkt enthält. Da Di unter J wahr ist, gilt I(A) = ∅. Hieraus ergibt sich ein Widerspruch, weil I(A) = I(A*). Also folgt Dn+1 aus M.40 3. Fall: Dn+1 wurde mit Hilfe von RV2 gewonnen. Es gibt ein Diagramm Di, das Dn+1 in der Ableitungsfolge vorausgeht. Di steht in demselben Verhältnis zu Dn+1 wie D zu D* in der Beschreibung von (RV2). Für Di gilt auf Grund der IV, dass es aus M folgt. Angenommen nun, Dn+1 folgt nicht aus M. Dann gibt es eine Interpretation J = von SVENN, unter der jedes Element von M wahr, Dn+1 jedoch falsch ist. Auf Grund der IV gilt, dass Di unter J wahr ist. Da Dn+1 unter J falsch ist, enthält Dn+1 eine Region A*, die in jeder ihrer minimalen Teilregionen einen Punkt enthält, obwohl I(A*) ≠ ∅. Auf Grund der dritten Klausel von RV2 gilt, dass das Gegenstück A zu A* in Di in jeder seiner minimalen Regionen einen 40

Vgl. Shin (1994), S. 93f.

223

Punkt enthält. Da Di unter J wahr ist, gilt: I(A) = ∅. Daraus ergibt sich aber ein Widerspruch, weil I(A) = I(A*). Also folgt Dn+1 aus M.41 4. Fall: Dn+1 wurde mit Hilfe von RV3 gewonnen Es gibt ein Diagramm Di, das Dn+1 in der Ableitungsfolge vorausgeht. Di steht in demselben Verhältnis zu Dn+1 wie D zu D* in der Beschreibung von RV3. Für Di gilt auf Grund der IV, dass es aus M folgt. Angenommen nun, Dn+1 folgt nicht aus M. Dann gibt es eine Interpretation J = von SVENN, unter der jedes Element von M wahr, Dn+1 jedoch falsch ist. Auf Grund von K gilt, dass Di unter J wahr ist. Da Dn+1 unter J falsch ist, enthält Dn+1 eine Region A*, die in jeder ihrer minimalen Teilregionen einen Punkt enthält, obwohl I(A*) ≠ ∅. Auf Grund der dritten Klausel von RV3 gilt, dass es Regionen A1*...Aj* gibt, deren Vereinigung mit A* ein Gegenstück A in Di besitzt, das minimal ist und einen Punkt enthält. Da Di unter J wahr ist, gilt: I(A) = ∅. Daher I(A*+A1*+...+Aj*) = ∅. Das aber steht im Widerspruch zu I(A*) ≠ ∅. Also folgt Dn+1 aus M.42 5. Fall: Dn+1 wurde mit Hilfe von RV4 gewonnen Es gibt zwei Diagramme Di und Dj, die Dn+1 in der Ableitungsfolge vorausgehen. Di und Dj stehen in demselben Verhältnis zu Dn+1 wie D1 und D2 zu D* in der Beschreibung von RV4. Für Di und Dj gilt auf Grund der IV, dass sie aus M folgen. Angenommen nun, Dn+1 folgt nicht aus M. Dann gibt es eine Interpretation J = von SVENN, unter der jedes Element von M wahr, Dn+1 jedoch falsch ist. Auf Grund der K gilt, dass Di und Dj unter J wahr sind. 41 42

Vgl. Shin (1994), S. 93f. Vgl. Shin (1994), S. 95f.

224

Da Dn+1 unter J falsch ist, enthält Dn+1 eine Region A*, die in jeder ihrer minimalen Teilregionen einen Punkt enthält, obwohl I(A*) ≠ ∅. Auf Grund der dritten Klausel von RV4 gilt, dass es Regionen A1*...Ak* gibt, deren Vereinigung mit A* ein Gegenstück A in Di oder Dj besitzt, das minimal ist und einen Punkt enthält. Da Di und Dj unter J wahr sind, gilt: I(A) = ∅. Daher I(A*+A1*+...+Ak*) = ∅. Das aber steht im Widerspruch zu I(A*) ≠ ∅. Also folgt Dn+1 aus M.

7.3 Das System CARROLL. CARROLL ist eine Logik, deren Repräsentationssystem es erlaubt, bestimmte Sachverhalte mit Hilfe von LewisCarroll-Diagrammen zu repräsentieren. Das Zeichensystem der Lewis-Carroll-Diagramme wurde von dem englischen Logiker, Mathematiker und Schriftsteller Charles L. Dodgson (Lewis Carroll) entwickelt.43 Die Diagramme des Systems bestehen – allgemein gesprochen – aus Vierecken, die sich in bestimmten Anordnungen aus 2n Zellen zusammensetzen. Das Hauptaugenmerk von Dodgsons Beschreibung liegt dabei auf Diagrammen, die aus vier Zellen (biliterale Diagramme) oder aus acht Zellen (triliterale Diagramme) bestehen.44 Die korrekte Zellenanordnung eines biliteralen Diagramms sieht wie folgt aus:

43 44

Carroll (1958a); Carroll (1958b) Carroll (1958a), S. 22ff. u. 39ff. Vgl. Carroll (1958a), S. 176-179

225

Die Zelle oben links wird "Nord-West-Zelle" ("NW") genannt, die Zelle oben rechts "Nord-Ost-Zelle" ("NO"), die Zelle unten links "Süd-WestZelle" ("SW") und die Zelle unten rechts "Süd-Ost-Zelle" ("SO").45 Die korrekte Zellenanordnung eines triliteralen Diagramms ergibt sich, wenn in ein biliterales Diagramm zentriert ein Rechteck gezeichnet wird:

Die vier Zellen NW, NO, SW und SO unterteilen sich bei einem triliteralen Diagramm somit jeweils in eine äußere und in eine innere Zelle.46 Die Zellen eines Lewis-Carroll-Diagramms stehen für Mengen. Für biliterale Diagramme gilt:47 • Die Zelle, die sich aus den vier Zellen NW, NO, SW und SO zusammensetzt, steht für die Menge U von Individuen, die den Universe of Discourse ausmacht (z.B. die Menge der Menschen, wenn Sachverhalte über Menschen repräsentiert werden sollen). • Die Zelle NW steht für die Menge der Individuen von U, die eine bestimmte Eigenschaft F und eine bestimmte Eigenschaft G aufweisen. • Die Zelle NO repräsentiert die Menge der Individuen von U, die die Eigenschaft F, aber nicht die Eigenschaft G besitzen. • Die Zelle SW steht für die Menge der Individuen von U, die nicht die Eigenschaft F, aber die Eigenschaft G aufweisen. • Die Zelle SO repräsentiert die Menge der Individuen von U, die nicht die Eigenschaft F und nicht die Eigenschaft G besitzen. Diese Zuordnung lässt sich auf folgende Weise illustrieren: 45

Carroll (1958a), S. 23 Carroll (1958a), S. 39f. 47 Carroll (1958a), S. 22-25 46

226

FG

F¬G

¬FG

¬F¬G

Die Zelle, die sich aus den Zellen NW und NO zusammensetzt, steht dementsprechend für die Menge der Individuen aus U, die die Eigenschaft F besitzen, die Zelle, die sich aus den Zellen NO und SO zusammensetzt, für die Menge der Individuen aus U, die die Eigenschaft ¬G aufweisen, usw. Bei einem triliteralen Diagramm steht die Zelle, die sich aus den acht nicht unterteilten Zellen zusammensetzt, wiederum für den Universe of Discourse U. Den nicht unterteilten Zellen werden in Bezug auf bestimmte Eigenschaften F, G und H die folgenden Mengen von Individuen aus U zugewiesen:48 • • • • • • • •

NW innen: die Menge der Individuen, die F, G und H sind. NW außen: die Menge der Individuen, die F, G und nicht H sind. NO innen: die Menge der Individuen, die F, H und nicht G sind. NO außen: die Menge der Individuen, die F, nicht G und nicht H sind. SW innen: die Menge der Individuen, die G, H und nicht F sind. SW außen: die Menge der Individuen, die G, nicht F und nicht H sind. SO innen: die Menge der Individuen, die H, nicht F und nicht G sind. SO außen: die Menge der Individuen, die nicht F, nicht G und nicht H sind.

Die Zuordnung lässt sich wiederum mit Hilfe eines Diagramms veranschaulichen: 48

Carroll (1958a), S. 39-42

227

FG¬H FGH

F¬G¬H F¬GH

¬FGH ¬F¬GH ¬FG¬H

¬F¬G¬H

Um mit Hilfe von Lewis-Carroll-Diagrammen Sachverhalte auszudrücken, wird auf bestimmte Zeichen zurückgegriffen: graue Punkte/"0" und rote Punkte/"1".49 Wird eine nicht unterteilte Zelle mit einem grauen Punkt/"0" versehen, heißt dies: Die Menge, für die diese Zelle steht, ist leer. Wird eine Zelle mit einem roten Punkt/"1" ausgestattet, bedeutet dies: Die Menge, für die die Zelle steht, ist nicht leer. Der rote Punkt/"1" kann zudem auf einer Linie zwischen zwei nicht unterteilten Zellen A und B platziert werden. Dies bedeutet: Die A-Menge oder die B-Menge enthalten mindestens ein Objekt. Beispiele:50

0

0

0

0

1

Abb. 28 0

Abb. 29 0 1

Abb. 30 49 50

Carroll (1958a), S. 26 u. S. 50 Carroll (1958a), S. 43-55

Abb. 31

228

1 0

0

Abb. 32

Abb. 33

Wenn U die Menge der Seefahrer, F die Menge der Piraten, G die Menge der Kaufleute und H die Menge der verlorenen Seelen ist, dann gilt: • Abb. 28 steht für den Sachverhalt, dass es (unter Seefahrern) keine verlorenen Seelen gibt. • Abb. 29 repräsentiert den Sachverhalt, dass (unter Seefahrern) einige Piraten Kaufmänner und verlorene Seelen sind. • Abb. 30 steht für den Sachverhalt, dass (unter Seefahrern) alle Piraten verlorene Seelen sind. • Abb. 31 repräsentiert den Sachverhalt, dass (unter Seefahrern) einige Piraten verlorene Seelen sind. • Abb. 32 steht für den Sachverhalt, dass (unter Seefahrern) kein Pirat eine verlorene Seele ist. • Abb. 33 repräsentiert schließlich den Sachverhalt, dass (unter Seefahrern) einige Piraten nicht verlorene Seelen sind. (Anmerkung: Carroll betrachtet eine Aussage der Form "Alle F sind H" als logisch äquivalent zu einer Aussage der Form "Einige F sind H, und kein F ist nicht H". Aus diesem Grund würde er sagen, dass das Diagramm von Abb. 30 nicht den Sachverhalt repräsentiert, dass alle Piraten verlorene Seelen sind, sondern 'nur' den Sachverhalt, dass kein Pirat nicht eine verlorene Seele ist. Um den Sachverhalt 'Alle F sind H' im Sinne von Carroll zu repräsentieren, müsste in dem Diagramm von Abb. 30 zusätzlich ein "1" auf die Linie zwischen den beiden inneren Nordzellen gesetzt werden.51) Wie Venn-Diagramme können die Diagramme des Lewis-CarrollSystems dazu verwendet werden, um zu überprüfen, ob ein kategorischer 51

Carroll (1958a), S. 17f.

229

Syllogismus gültig ist oder nicht. Carroll stellt u.a. das folgende Anfängerverfahren vor. Es besteht aus sieben Schritten: 52 1. Schritt: 2. Schritt:

3. Schritt: 4. Schritt:

5. Schritt:

52 53

Der Universe of Discourse des Syllogismus wird bestimmt. Es wird ein "Wörterbuch" entwickelt: "F" steht für den Subjektausdruck der Konklusion und damit für die Eigenschaft F, "G" für den Prädikatausdruck und die Eigenschaft G, und "H" für den Ausdruck, der nur in den beiden Prämissen vorkommt und die Eigenschaft H repräsentiert. Die Prämissen werden in Rückgriff in schematische Sätze übersetzt. ("Alle Frösche sind sterblich" ⇒ "Alle F sind H") Die Prämissen werden in ein triliterales Diagramm eingezeichnet. (Wird beim Repräsentieren der zweiten Prämisse ein schwarzer Punkt in eine Zelle gezeichnet, auf deren Umgrenzungslinien ein roter Punkt liegt, wird der rote Punkt gelöscht und in die angrenzende Zelle gezeichnet.) Das triliterale Diagramm wird auf folgende Weise in ein biliterales Diagramm transformiert:53 Die Informationen, die in der äußeren und inneren nordwestlichen Zelle des triliteralen Diagramms enthalten sind, werden auf folgende Weise in die nordwestliche Zelle des biliteralen Diagramms übertragen: (i) Wenn die nordwestliche Zelle des triliteralen Diagramms in mindestens einer ihrer beiden Zelle einen roten Punkt (oder ein "I") enthält, dann wird die nordwestliche Zelle mit einem roten Punkt (oder einem "I") versehen. (ii) Wenn die nordwestliche Zelle des triliteralen Diagramms in jeder ihrer beiden Zelle einen schwarzen Punkt (bzw. ein "o") enthält, dann wird die nordwestliche Zelle mit einem schwarzen Punkt (bzw. einem "o") versehen. Auf analoge Weise werden die Informationen, die in der zusammengesetzten nordöstlichen, südwestlichen und südöstlichen Zelle des triliteralen Diagramms enthalten sind, in

Carroll (1958a), S. 53ff. u. S. 60-65 Carroll (1958a), S. 53ff.

230

6. Schritt: 7. Schritt:

die nordöstliche, südwestliche und südöstliche Zelle des biliteralen Diagramms übertragen. Es wird überprüft, welche schematischen Sätze das biliterale Diagramm repräsentiert. Die schematischen Sätze werden an Hand des Wörterbuchs in nicht-schematische Sätze übersetzt. Befindet sich die Konklusion unter diesen Sätzen, ist der Syllogismus gültig. Anderenfalls ist er ungültig.

Das Verfahren kann an Hand des folgenden Beispiels illustriert werden: Frage:

Ist der Syllogismus "Einige Seefahrer sind unglücklich verliebt. Alle unglücklich Verliebten sind melancholisch. Also sind einige Seefahrer melancholisch" gültig?

Überprüfung: 1. Schritt: Universe of Discourse = Menge der Menschen 2. Schritt: "F" : "ist Seefahrer", "G" : "ist melancholisch" "H" : "ist unglücklich verliebt" 3. Schritt: 1. Prämisse: "Einige F sind H" 2. Prämisse: "Alle H sind G" 4. Schritt: 1

0

0

5. Schritt: 1

231

6. Schritt: "Einige F sind G" 7. Schritt: "Einige Seefahrer sind melancholisch" Ergebnis:

Der Syllogismus ist gültig.

Das Repräsentationssystem von CARROLL entspricht im Wesentlichen dem Lewis-Carroll-System: Das Zeichen "0" für Leere wird durch "•" ersetzt, das Zeichen "1" für Existenz durch "x". Als zusätzliches Zeichen wird die Linie eingeführt. Mit Hilfe der Linie sollen Disjunktionen von Existenzsachverhalten ausgedrückt werden können. • Das Repräsentationssystem von CARROLL. Der syntaktische und der semantische Teil von SCARROLL können mit Hilfe der folgenden Definitionen beschrieben werden. Die Definitionen D-C1 bis D-C8 bilden die Syntax, die Definitionen D-C9 bis D-C11 die Semantik des Systems. (D-C1) Das Vokabular von SCARROLL wird durch die folgende Menge gebildet: ,

,

[n-Ecke] [Punkt] [Kreuz] [Linie]

• x

(D-C2) Jede endliche Anordnung von Zeichen des Vokabulars ist ein Diagramm von SCARROLL. Beispiele: • • x

Abb. 34

xxx

Abb. 35

x

232

U1 0

Abb. 36

Abb. 37

Die Gebilde in den Abb. 34-36 sind gemäß D-C2 Diagramme von SCARROLL: Sie lassen sich vollständig als Anordnungen von Zeichen analysieren, die dem Vokabular von SCARROLL angehören. Das Gebilde in Abb. 37 ist dagegen kein Diagramm von SCARROLL: Es enthält zwei Markierungen, die sich nicht als Zeichen des Vokabulars von SCARROLL identifizieren lassen: "U1" und "0". (D-C3) Eine Zelle ist jede Fläche eines Diagramms von SCARROLL, die von einem n-Eck eingeschlossen ist. Eine minimale Zelle ist eine Zelle, die keine weitere Zelle als echten Teil enthält. Eine zusammengesetzte oder unterteilte Zelle ist eine Zelle, die keine minimale Zelle ist. Beispiele:

Abb. 38

Abb. 39

Das Diagramm von Abb. 38 enthält zwei minimale und eine zusammengesetzte Zelle, das Diagramm von Abb. 39 vier minimale und elf zusammengesetzte Zellen. (D-C4) Die Menge der wohlgeordneten Diagramme von SCARROLL kann wie folgt bestimmt werden:

233

1. Jedes Viereck, das genau vier minimale Zellen enthält und gewonnen werden kann, indem in ein Viereck eine teilende vertikale und eine teilende horizontale Linie eingezeichnet wird, ist ein wohlgeordnetes (biliterales) Diagramm von SCARROLL. 2. Jedes Viereck, das genau acht minimale Zellen enthält und gewonnen werden kann, indem in ein Viereck eine teilende vertikale und eine teilende horizontale Linie sowie ein zentriertes kleineres Viereck eingezeichnet wird, ist ein wohlgeordnetes (triliterales) Diagramm von SCARROLL. 3. Nichts sonst ist ein wohlgeordnetes Diagramm von SCARROLL. Beispiele:

Abb. 40

Abb. 41

Abb. 42

Abb. 43

Die Abb. 40 und 41 sind gemäß D-C4 wohlgeordnete Diagramme von SCARROLL, Abb. 42 und 43 nicht. (D-C5) Die Menge der wohlgeformten Diagramme von SCARROLL kann wie folgt definieren werden:

234

1. Wenn A ein wohlgeordnetes Diagramm von SCARROLL ist und B ein Diagramm, das entsteht, wenn in eine minimale Zelle von A ein Punkt "•" oder ein Kreuz "x" eingezeichnet wird, dann ist B ein wohlgeformtes Diagramm von SCARROLL. 2. Wenn A ein wohlgeformtes Diagramm von SCARROLL ist und B ein Diagramm, das entsteht, wenn in eine minimale Zelle von A ein Punkt "•" oder ein Kreuz "x" eingezeichnet wird, dann ist B ein wohlgeformtes Diagramm von SCARROLL. 3. Wenn A ein wohlgeformtes Diagramm von SCARROLL ist und B ein Diagramm, das entsteht, wenn zwei Kreuze mit einer Linie verbunden werden, dann ist B ein wohlgeformtes Diagramm von SCARROLL. 4. Nichts sonst ist ein wohlgeformtes Diagramm von SCARROLL. Beispiele: •

x

Abb. 44

Abb. 45













Abb. 46

Abb. 47

x

235



x

•x

xx

x

x



Abb. 48

Abb. 49







x

Abb. 50

Abb. 51

Bei den Abb. 44-49 handelt es sich gemäß D-C5 um wohlgeformte Diagramme von SCARROLL, bei den Abb. 50 und 51 hingegen nicht: Abb. 50 lässt sich auf Grund der Zellenzahl und -anordnung nicht aus einem wohlgeordneten Diagramm gewinnen, Abb. 51 ist (i) das Kreuz nicht in der Zelle, sondern auf der Umrandungslinie platziert und (ii) eine Linie zwischen Punkten, nicht zwischen Kreuzen gezogen. (D-C6) Um leichter über die Zellen eines wohlgeformten Diagramms von SCARROLL sprechen zu können, sollen die folgenden terminologischen Vereinbarungen gelten: 1. Für die minimalen Zellen eines wohlgeformten Diagramms mit vier minimalen Zellen gelten folgende Bezeichnungskonventionen: (a) Die minimale Zelle links oben, wird "Nord-West-Zelle" oder "NW" genannt. (b) Die minimale Zelle rechts oben, wird "Nord-Ost-Zelle" oder "NO" genannt. (c) Die minimale Zelle links unten, wird "Süd-West-Zelle" oder "SW" genannt.

236

(d) Die minimale Zelle rechts unten, wird "Süd-Ost-Zelle" oder "SO" genannt. 2. Für die minimalen Zellen eines wohlgeformten Diagramms mit acht minimalen Zellen gelten folgende Bezeichnungskonventionen: (a) Die äußere minimale Zelle links oben, wird "äußere Nord-West-Zelle" oder "aNW" genannt. (b) Die innere minimale Zelle links oben, wird "innere Nord-West-Zelle" oder "iNW" genannt. usw. bis einschließlich (h). 3. Für die zusammengesetzten Zellen wohlgeformter Diagramme gelten die folgenden Bezeichnungskonventionen: (a) Wenn "A" und "B" die Namen zweier unterschiedlicher Zellen sind, dann wird die Zelle, die diese beiden Zellen gemeinsam ist, "(A-und-B)" genannt ('Durchschnitt'). (b) Wenn "A" und "B" die Namen zweier unterschiedlicher Zellen sind, dann wird die Zelle, die sich aus diesen beiden Zellen zusammensetzt, "(A+B)" genannt ('Vereinigung'). (c) Wenn "A" und "B" die Namen zweier unterschiedlicher Zellen sind, dann wird die Zelle der mit "A" bezeichneten Zelle, die nicht zugleich eine Zelle der mit "B" bezeichneten Zelle ist, "(A-B)" genannt ('Differenz'). 4. Zudem gelten folgende Zusatzbezeichnungen: (a) Die Zelle "(aNW + iNW)" wird auch als "Nord-WestZelle" oder "NW" bezeichnet. Entsprechendes gilt für "(aNO + iNO)", "(aSW + iSW)" und "(aSO + iSW)". (b) Die Zelle "(NW + NO)" wird auch als "Nord-Zelle" oder "N" bezeichnet werden. Entsprechendes gilt für "(SW + SO)", "(NW + SW)" und "(NO + SO)". (c) Die Zelle "(N+S)" bzw. "(W+O)" kann auch als "Allzelle" oder "G" bezeichnet werden. (d) Die Zelle "((iNW+iNO) + (iSW+iSO))" kann auch "Innenzelle" oder "IN" genannt werden, die Zelle "((aNW+aNO) + (aSW+aSO))" auch Außenzelle oder "AU".

237

Illustration der Klauseln 1 und 2 von D-C6: NW

NO

aNW aNO iNW iNO

iSW iSO SW

SO

aSW

aSO

(D-C7) Um leichter auf Punkte und Kreuzfolgen referieren zu können, gelten die folgenden terminologischen Vereinbarungen: 1. Der Name eines Punktes kann durch den Namen der minimalen Zelle, in welcher sich der Punkt befindet, und den Zusatz "-Punkt" gebildet werden. 2. Eine über Linien verbundene Folge von n Kreuzen, deren Kreuze in den minimalen Zellen mit den Namen A1 ... An liegen, kann als "n-stellige Kreuzfolge" und als "A1+...+AnKreuzfolge" bezeichnet werden (z.B. "iNW+aNW+aNOKreuzfolge"). 3. Ist n = 1 wird die n-stellige A1-Kreuzfolge auch "isoliertes Kreuz" oder "A1-Kreuz" genannt. (D-C8) Die Zelle A1+...+An, die sich aus den minimalen Zellen A1, ..., An zusammensetzt, in denen sich eine n–stellige Kreuzfolge befindet, kann als "kleinste Zelle der A1+...+An-Kreuzfolge" bezeichnet werden. (D-C9) Eine Basisinterpretation J = von SCARROLL besteht aus einer nicht-leeren Menge U, welche den Gegenstandsbereich der Interpretation bildet, und einer Basisinterpretationsfunktion I, die bestimmten Zellen wohlgeformter Diagramme auf folgende Weise Teilmengen von U zuweist: 1. I(G) = U 2. I(N) = F, wobei F ⊆ U 3. I(W) = G, wobei G ⊆ U 4. I(IN) = H, wobei H ⊆ U

238

(D-C10) Sei J = eine Basisinterpretation von SCARROLL. Die Interpretationsfunktion I* ist eine Funktion die den Zellen der wohlgeformten Diagrammen von SCARROLL auf folgende Weise Teilmengen von U zuweist: 1. für jede Zelle A, die mit G, N, W oder IN identisch ist: I*(A) = I(A) 2. I*(A1–A2) = I*(A1) / I*(A2) 3. I*(A1-und-A2) = I*(A1) ∩ I*(A2) 4. I*(A1+A2) = I*(A1) ∪ I*(A2) (D-C11) Sei J = eine Basisinterpretation von SCARROLL und I* die zu J gehörige Interpretationsfunktion. vJ ist eine Bewertungsfunktion von der Menge der wohlgeformten Diagramme von SCARROLL in die Menge der Wahrheitswerte {W, F}. vJ besitzt die folgenden Eigenschaften: Sei D ein wohlgeformtes Diagramm von SCARROLL. vJ(D) = W genau dann, wenn für jede Zelle A gilt: 1. Wenn A eine Zelle ist, die in jeder ihrer minimalen Zellen einen Punkt enthält, dann ist I(A) = ∅. 2. Wenn A die kleinste Zelle einer n-stelligen Kreuzfolge ist und sich aus den minimalen Zellen A1, ..., An zusammensetzt, dann gilt: I(A1) ≠ ∅ oder ... oder I(An) ≠ ∅, also I(A1+...+An) ≠ ∅, also I(A) ≠ ∅.54 Beispiel für eine zulässige Basisinterpretation von SCARROLL: U = {x : x ist ein Mensch} I(G) = U = {x : x ist ein Mensch} I(N) = {x : x ist ein Brite} I(W) = {x : x ist ein Ire} I(IN) = {x : x ist ein Schotte} gemäß D-C10 gilt für ein wohlgeformtes Diagramm: 54

Vgl. Hammer/Danner (1996), S. 117. Vgl. Shin (1996), S. 68-71

239

I*(NW) = I*(N-und-W) = I*(N) ∩ I*(W) = I(N) ∩ I(W) = {x: x ist ein Brite} ∩ {x : x ist ein Ire} = {x : x ist ein Brite und x ist ein Ire} I*(NO) = I*(N-W) = I*(N) / I*(W) = I(N) / I(W) = {x : x ist ein Brite} / {x : x ist ein Ire} = {x : x ist ein Brite und x ist kein Ire} I*(SW) = I*(W-N) = I*(W) / I*(N) = I(W) / I(N) = {x : x ist ein Ire} / {x : x ist ein Brite} = {x : x ist kein Brite und x ist ein Ire} I*(SO) = I*(G-(N+W)) = I*(G) / I*(N+W) = I*(G) / (I*(N) ∪ I*(W)) = I(G) / (I(N) ∪ I(W)) = {x : x ist ein Mensch} / ({x : x ist ein Brite} ∪ {x : x ist Ire}) = {x : x ist ein Mensch} / {x : x ist ein Brite oder x ist ein Ire} = {x : x ist ein Mensch und x ist kein Brite und x ist kein Ire} I*(aNW) = I*(NW-IN) = I*(NW) / I*(IN) = I*(NW) / I(IN) = = {x : x ist ein Brite und x ist ein Ire} / {x : x ist ein Schotte} = {x : x ist ein Brite und x ist ein Ire und x ist kein Schotte} I*(iNW) = I*(NW-und-IN) = I*(NW) ∩ I*(IN) = I*(NW) ∩ I(IN) = {x : x ist ein Brite und x ist ein Ire} ∩ {x : x ist ein Schotte} = {x : x ist ein Brite und x ist ein Ire und x ist ein Schotte} usw. •

x

x

x

Abb. 52 Abb. 52 ist gemäß D-C11 genau dann wahr, wenn (i) I(NW) = ∅, (ii) I(NO) ≠ ∅ und (iii) I(SW) ≠ ∅ oder I(SO) ≠ ∅, also I(S) ≠ ∅. Das heißt: Das Diagramm ist gemäß D-C11 genau dann wahr, wenn (i) kein Brite ein Ire ist, (ii) einige Briten nicht Iren sind und (iii) es einige Menschen gibt, die nicht Briten sind.

240

• Der Folgerungsbegriff von CARROLL: Der Begriff der logischen Folgerung in CARROLL lässt sich mit Hilfe der Definition D-C12 bestimmen: (D-C12) Sei M eine Menge wohlgeformter Diagramme von SCARROLL und R ein wohlgeformtes Diagramm von SCARROLL. R folgt in CARROLL genau dann aus M, wenn R unter allen Basisinterpretationen wahr ist, unter denen jedes Element von M wahr ist. Das folgende Paar P8 ist z.B. gemäß D-C12 ein Element der Extension des Folgerungsbegriffes von CARROLL: •



x

,

x

,

• Der Beweisbegriff von CARROLL: Der Beweisbegriff von CARROLL wird in Rückgriff auf neun Ableitungsregeln RC1-RC9 definiert. Um die Ableitungsregeln bequemer formulieren zu können, wird zunächst der Begriff des Gegenstücks definiert. (D-C13) Eine Zelle A eines wohlgeformten Diagramms D von SCARROLL und eine Zelle A* eines wohlgeformten Diagramms D* von SCARROLL sind genau dann Gegenstücke, wenn A und A* durch D-C6 dieselben Namen zugewiesen bekommen können. (RC1)

Regel des Entfernens eines Punktes Von einem Diagramm D kann zu einem Diagramm D* übergegangen werden, wenn für D und D* gilt: 1. D ist ein wohlgeformtes Diagramm, das mindestens einen Punkt enthält. 2. D* entspricht D bis auf den Umstand, dass eine minimale Zelle A* von D* einen Punkt weniger enthält als das Gegenstück von A* in D.

241

3. D* ist ein wohlgeformtes Diagramm.55 Beispiel für eine korrekte Anwendung von RC1: •



• ⇒

x

(RC2)

x

Regel des Entfernens einer Kreuzfolge Von einem Diagramm D kann zu einem Diagramm D* übergegangen werden, wenn für D und D* gilt: 1. D ist ein wohlgeformtes Diagramm, das mindestens eine nstellige Kreuzfolge in einer Zelle (A1+...+An) enthält – wobei n ≥ 1. 2. D* entspricht D bis auf den Umstand, dass D* in dem Gegenstück zu (A1+...+An) eine Kreuzfolge weniger enthält als (A1+...+An). 3. D* ist ein wohlgeformtes Diagramm.56 Beispiel für eine korrekte Anwendung von RC2: •



x

⇒ x

(RC3)

55 56

Regel des Reduzierens einer Kreuzfolge Von einem Diagramm D kann zu einem Diagramm D* übergegangen werden, wenn für D und D* gilt:

Vgl. Shin (1994), S. 82-85 Vgl. Shin (1994), S. 85f.

242

1. D ist ein wohlgeformtes Diagramm, das eine n-stellige Kreuzfolge in einer Zelle (A1+...+An) besitzt und zudem einen Punkt in Ai – wobei n > 1 und 1 ≤ i ≤ n. 2. D* entspricht D bis auf den Umstand, dass in dem Gegenstück zu (A1+...+An) in D* keine n-stellige Kreuzfolge enthalten ist, dafür aber im Gegenstück zu ((A1+...+An)-Ai) ein n-1-stellige Kreuzfolge mehr als in ((A1+...+An)-Ai). 3. D* ist ein wohlgeformtes Diagramm.57 Beispiel für eine korrekte Anwendung von RC3: •

x •





⇒ x

(RC4)

57 58

x

Regel des Erweiterns einer Kreuzfolge. Von einem Diagramm D kann zu einem Diagramm D* übergegangen werden, wenn für D und D* gilt: 1. D ist ein wohlgeformtes Diagramm, das mindestens eine nstellige Kreuzfolge in der (A1+...+An) enthält – wobei n ≥ 1. 2. D* entspricht D bis auf den Umstand, dass D* in dem Gegenstück zu (A1+...+An) eine n-stellige Kreuzfolge weniger besitzt als D in (A1+...+An), dafür aber in dem Gegenstück zu einer Zelle (A1+...+An+An+1) eine n+1-stellige Kreuzfolge mehr als in (A1+...+An+An+1). 3. D* ist ein wohlgeformtes Diagramm.58

Vgl. Shin (1994), S. 85f. Vgl. Shin (1994), S. 86

243

Beispiel für eine korrekte Anwendung von RC4: •



x

x

⇒ x

(RC5)

Regel des Ex contradictione quod libet Von einem Diagramm D kann zu einem Diagramm D* übergegangen werden, wenn für D und D* gilt: 1. D enthält in einer minimalen Zelle einen Punkt und ein isoliertes Kreuz (d.h. eine n-stellige Kreuzfolge mit n = 1). 2. D* ist ein wohlgeformtes Diagramm.59 Beispiel für eine korrekte Anwendung von RC5: x

x •



x

⇒ x

(RC6)

59

Regel des Entfernens von Zellen Von einem Diagramm D kann zu einem Diagramm D* übergegangen werden, wenn für D und D* gilt: 1. D enthält acht minimale Zellen und D* enthält vier minimale Zellen. 2. D* enthält in einer minimalen Zelle A* genau dann einen Punkt, wenn das Gegenstück zu A in jeder seiner minimalen Zellen einen Punkt enthält. 3. D* enthält genau dann eine n-stellige Kreuzfolge in der Zelle (A1*+...+An*), wenn die Gegenstücke zu A1*, ..., An* in

Vgl. Shin (1994), S. 87f.

244

je mindestens einer ihrer minimalen Zellen ein Kreuz enthalten und die Kreuze zu einer Kreuzfolge verbunden sind. 4. D* ist ein wohlgeformtes Diagramm.60 Beispiel für eine korrekte Anwendung von RC6: •



x

• ⇒ x

(RC7)

x

x

x

Regel des Hinzufügens von Zellen Von einem Diagramm D kann zu einem Diagramm D* übergegangen werden, wenn für D und D* gilt: 1. D enthält vier minimale Zellen und D* enthält acht minimale Zellen. 2. D* enthält in einer minimalen Zelle A genau dann einen Punkt, wenn es eine Zelle Ai gibt, so dass in D ein punktiertes Gegenstück zu (A+Ai) existiert, das minimal ist. 3. D* enthält in der Zelle (A1*+...+An*) eine n-stellige Kreuzfolge, wenn das Gegenstück zu (A1*+...+An*) in jeder seiner minimalen Zellen ein Kreuz enthält und diese Kreuze zu einer Folge verbunden sind. 4. D* ist ein wohlgeformtes Diagramm. Beispiel für eine korrekte Anwendung von RC7: •

x





x

x

x

x

x

x

⇒ x 60

x

Vgl. Carroll (1958a), S. 53ff.

245

(RC8)

Regel der Unifikation Von zwei Diagrammen D1 und D2 kann zu einem Diagramm D* übergegangen werden, wenn für D1, D2 und D* gilt: 1. D1, D2 und D* enthalten dieselbe Anzahl von minimalen Zellen. 2. Eine Zelle A* in D* enthält genau dann einen Punkt oder eine Kreuzfolge, wenn das Gegenstück von A* in D1 oder D2 entsprechend einen Punkt oder eine Kreuzfolge enthält. 3. D* ist ein wohlgeformtes Diagramm.61 Beispiel für eine korrekte Anwendung von RC8:



x



x



x

⇓ •

x

x x•

(D-C15) Eine Ableitung von D aus der Menge M in CARROLL ist eine endlich lange Folge von wohlgeformten Diagrammen von CARROLL, wobei Dn = D und für jedes Di der Folge gilt: 1. Di ist ein Element von M oder 2. Di lässt sich mit einer der Ableitungsregeln RC1-RC8 aus Diagrammen gewinnen, die Di in der Folge vorangehen. 61

Vgl. Shin (1994), S. 88-92

246

Beispiel für eine Ableitung in CARROLL: M ist eine Menge mit zwei triliteralen Diagrammen D1 und D2. D1 enthält in iNO und iSO einen Punkt, D2 in der Zelle (iNW+iNO) eine 2-stellige Kreuzfolge. R ist ein biliterales Diagramm mit einem Kreuz in NW. ∈M

(1) • •

∈M

(2) x

x

(3)

RC9: 1, 2 x

x•



(4)

RC4: 3 x

• •

(5)

RC7: 4 x

247

• Korrektheitsbeweis für CARROLL (Skizze)62 Zu zeigen ist, dass die folgende Aussage K für jedes wohlgeformte Diagramm D und jede Menge M von wohlgeformten Diagrammen von CARROLL gilt: (K) Wenn D in CARROLL aus M abgeleitet werden kann, dann folgt D in CARROLL aus M. Der Beweis kann induktiv über die Länge n der Ableitungen von CARROLL geführt werden. Eine Ableitung von CARROLL besitzt die Länge n, wenn sie eine n-stellige Folge s = von Diagrammen von SCARROLL ist. Es gelte: D = Dn. IA: K gilt für alle Ableitungen der Länge 1 Beweis: Ist die Länge der Ableitung 1, gilt: D = Dn = D1. Weil D kein Diagramm in der Ableitung vorausgeht, kann D nicht mit Hilfe der Ableitungsregeln RC1-RC8 gewonnen worden sein, sondern muss ein Element von M sein. Somit gilt trivialerweise, dass D unter jeder Interpretation von SCARROLL wahr ist, unter der jedes Element von M wahr ist. IS: Wenn K für alle Ableitungen der Länge bis n gilt, dann gilt K auch für alle Ableitungen der Länge n+1. IV: K gilt für alle Ableitungen der Länge bis n. z.Z.: K gilt für alle Ableitungen der Länge n+1. Beweis: Wenn die Länge der Ableitung n+1 ist, gilt: D = Dn+1. Dn+1 kann nun auf neun verschiedene Weise gewonnen worden sein: (i) Dn+1 wurde als Element von M eingeführt, (ii) Dn+1 wurde mit Hilfe von RC1, (iii) mit Hilfe von RC2, (iv) mit Hilfe von RC3, (v) mit 62

Vgl. Shin (1994), S. 93-98

248

Hilfe von RC4, (vi) mit Hilfe von RC5, (vii) mit Hilfe von RC6, (viii) mit Hilfe von RC7 oder (ix) mit Hilfe von RC8 gewonnen. 1. Fall: Dn+1 wurde als Element von M eingeführt Es gilt trivialerweise, dass Dn+1 unter jeder Interpretation von SCARROLL wahr ist, unter der jedes Element von M wahr ist. 2. und 3. Fall: Dn+1 wurde mit Hilfe von RC1 oder RC2 gewonnen. Es gibt ein Diagramm Di, das Dn+1 in der Ableitungsfolge vorausgeht. Di steht in demselben Verhältnis zu Dn+1 wie D zu D* in der Beschreibung von RC1 bzw. RC2. Für Di gilt auf Grund der IV, dass es aus M folgt. Angenommen nun, Dn+1 folgt nicht aus M. Dann gibt es eine Interpretation J = von SCARROLL, unter der jedes Element von M wahr, Dn+1 jedoch falsch ist. Auf Grund der IV gilt, dass Di unter J wahr ist. Da Dn+1 unter J falsch ist, enthält Dn+1 (i) eine Zelle A*, deren minimale Zellen alle punktiert sind, obwohl I(A*) ≠ ∅ oder (ii) eine Zelle A*, die eine n-stellige Kreuzfolge enthält, obwohl I(A*) = ∅. Auf Grund der zweiten Klausel von RC1 bzw. RC2 gilt: Das Gegenstück A von A* in Di weist dasselbe Merkmal auf. Da Di unter J wahr ist und I(A) = I(A*), ergibt sich ein Widerspruch. Also folgt Dn+1 aus M. 4. Fall: Dn+1 wurde mit Hilfe von RC3 gewonnen. Es gibt ein Diagramm Di, das Dn+1 in der Ableitungsfolge vorausgeht. Di steht in demselben Verhältnis zu Dn+1 wie D zu D* in der Beschreibung von RC3. Für Di gilt auf Grund der IV, dass es aus M folgt. Angenommen nun, Dn+1 folgt nicht aus M. Dann gibt es eine Interpretation J = von SCARROLL, unter der jedes Element von M, Dn+1 jedoch falsch ist. Auf Grund der IV gilt, dass Di unter J wahr ist.

249

Da Dn+1 unter J falsch ist, enthält Dn+1 (i) eine Zelle A*, deren minimale Zellen alle punktiert sind, obwohl I(A*) ≠ ∅, oder (ii) eine Zelle A*, die eine n-stellige Kreuzfolge enthält, obwohl I(A*) = ∅. Im Fall von (i) gilt: Das Gegenstück A von A* in Di weist dasselbe Merkmal auf. Da Di unter J wahr ist und I(A) = I(A*), ergibt sich ein Widerspruch. Im Fall von (ii) gilt: Entweder weist das Gegenstück A von A* in Di dasselbe Merkmal auf und es ergibt sich wiederum ein Widerspruch, oder bei der n-stelligen Kreuzfolge handelt es sich um die durch die Regelanwendung erzeugte, reduzierte Kreuzfolge. Ist letzteres der Fall, gilt aber: Es gibt ein Gegenstück (A+Aj) zu (A*+Aj*) in Di, das eine n+1-stellige Kreuzfolge enthält, in Aj einen Punkt besitzt und für das gilt: I(A+Aj) ≠ ∅. Da Di unter J wahr ist, gilt I(Aj) = ∅ und daher I(A) ≠ ∅. Das aber führt zu einem Widerspruch, weil I(A) = I(A*). Also folgt Dn+1 aus M. 5. Fall: Dn+1 wurde mit Hilfe von RC4 gewonnen Es gibt ein Diagramm Di, das Dn+1 in der Ableitungsfolge vorausgeht. Di steht in demselben Verhältnis zu Dn+1 wie D zu D* in der Beschreibung von RC4. Für Di gilt auf Grund der IV, dass es aus M folgt. Angenommen nun, Dn+1 folgt nicht aus M. Dann gibt es eine Interpretation J = von SCARROLL, unter der jedes Element von M wahr, Dn+1 jedoch falsch ist. Auf Grund der IV gilt, dass Di unter J wahr ist. Da Dn+1 unter J falsch ist, enthält Dn+1 (i) eine Zelle A*, deren minimale Zellen alle punktiert sind, obwohl I(A*) ≠ ∅, oder (ii) eine Zelle A*, die eine n-stellige Kreuzfolge enthält, obwohl I(A*) = ∅. Im Fall von (i) gilt: Das Gegenstück A von A* in Di weist dasselbe Merkmal auf. Da Di unter J wahr ist und I(A) = I(A*), ergibt sich ein Widerspruch. Im Fall von (ii) gilt: Entweder weist das Gegenstück A von A* in Di dasselbe Merkmal auf und es ergibt sich wiederum ein Widerspruch, oder bei der n-stelligen Kreuzfolge handelt es sich um die

250

durch die Regelanwendung erzeugte, erweiterte Kreuzfolge. Ist letzteres der Fall, gilt aber: Es gibt ein Gegenstück (A-Aj) zu (A*-Aj*) in Di, das eine n-1-stellige Kreuzfolge enthält und für das gilt: I(AAj) ≠ ∅. Nun gilt: I(A) ≠ ∅, wenn I(A-Aj) ≠ ∅. Das aber führt zu einem Widerspruch, weil I(A) = I(A*). Also folgt Dn+1 aus M. 6. Fall: Dn+1 wurde mit Hilfe von RC5 gewonnen Es gibt ein Diagramm Di, das Dn+1 in der Ableitungsfolge vorausgeht. Di steht in demselben Verhältnis zu Dn+1 wie D zu D* in der Beschreibung von RC5. Für Di gilt auf Grund der IV, dass es aus M folgt. Weil Di nun in einer Zelle A ein isoliertes Kreuz und einen Punkt enthält, würde unter einer Interpretation J = , die A wahr macht, gelten: I(A) = ∅ ≠ ∅ – ein Widerspruch. Also gibt es keine Interpretation, die Di wahr macht und folglich keine, die alle Elemente von M wahr macht. Dies aber hat zur Folge, dass Dn+1 unter jeder Interpretation wahr ist, unter der alle Elemente von M wahr sind. Dn+1 folgt aus M. 7. Fall: Dn+1 wurde mit Hilfe von RC6 gewonnen Es gibt ein Diagramm Di, das Dn+1 in der Ableitungsfolge vorausgeht. Di steht in demselben Verhältnis zu Dn+1 wie D zu D* in der Beschreibung von RC6. Für Di gilt auf Grund der IV, dass es aus M folgt. Angenommen nun, Dn+1 folgt nicht aus M. Dann gibt es eine Interpretation J = von SCARROLL, unter der jedes Element von M wahr, Dn+1 jedoch falsch ist. Auf Grund der IV gilt, dass Di unter J wahr ist. Da Dn+1 unter J falsch ist, enthält Dn+1 (i) eine Zelle A*, deren minimale Zellen alle punktiert sind, obwohl I(A*) ≠ ∅, oder (ii) eine Zelle A*, die eine n-stellige Kreuzfolge enthält, obwohl I(A*) = ∅. Im Fall von (i) gilt: Das Gegenstück A zu A* enthält in jeder ihrer minimalen Zellen einen Punkt. Da Di unter J wahr ist, gilt somit

251

I(A) = ∅. Dies führt jedoch zu einem Widerspruch, weil I(A) = I(A*). Im Fall von (ii) gilt: Das Gegenstück A zu A* in Di enthält in einer ihrer Teilzellen eine Kreuzfolge. Da Di unter J wahr ist, gilt: I(A) ≠ ∅. Hieraus ergibt sich ein Widerspruch, weil I(A) = I(A*). Dn+1 folgt aus M. 8. Fall: Dn+1 wurde mit Hilfe von RC7 gewonnen Es gibt ein Diagramm Di, das Dn+1 in der Ableitungsfolge vorausgeht. Di steht in demselben Verhältnis zu Dn+1 wie D zu D* in der Beschreibung von RC7. Für Di gilt auf Grund der IV, dass es aus M folgt. Angenommen nun, Dn+1 folgt nicht aus M. Dann gibt es eine Interpretation J = von SCARROLL, unter der jedes Element von M wahr, Dn+1 jedoch falsch ist. Auf Grund der IV gilt, dass Di unter J wahr ist. Da Dn+1 unter J falsch ist, enthält Dn+1 (i) eine Zelle A*, deren minimale Zellen alle punktiert sind, obwohl I(A*) ≠ ∅, oder (ii) eine Zelle A*, die eine n-stellige Kreuzfolge enthält, obwohl I(A*) = ∅. Im Fall von (i) gilt: Das minimale Gegenstück B zu (A*+Aj*) in D enthält einen Punkt. Da Di unter J wahr ist, gilt I(B) = ∅. Da I(B) = I(A*+Aj*), gilt I(A*) = ∅ – ein Widerspruch. Im Fall von (ii) gilt: Es gibt eine Zelle B in Di, die das Gegenstück zu A bildet und eine Kreuzfolge besitzt. Da Di unter J wahr ist, gilt: I(B) ≠ ∅. Daher I(A) ≠ ∅. Das aber steht im Widerspruch zu I(A) = ∅. Dn+1 folgt aus M. 9. Fall: Dn+1 wurde mit Hilfe von RC8 gewonnen Es gibt zwei Diagramme Di und Dj, die Dn+1 in der Ableitungsfolge vorausgehen. Di und Dj stehen in demselben Verhältnis zu Dn+1 wie D1 und D2 zu D* in der Beschreibung von RC8. Für Di und Dj gilt auf Grund der IV, dass sie aus M folgen. Angenommen nun, Dn+1 folgt nicht aus M. Dann gibt es eine Interpretation J = von SCARROLL, unter der jedes Element von M

252

wahr, Dn+1 jedoch falsch ist. Auf Grund der IV gilt, dass Di und DJ unter J wahr sind. Da Dn+1 unter J falsch ist, enthält Dn+1 (i) eine Zelle A*, deren minimale Zellen alle punktiert sind, obwohl I(A*) ≠ ∅ oder (ii) eine Zelle A*, die eine n-stellige Kreuzfolge enthält, obwohl I(A*) = ∅. Auf Grund der dritten Klausel gilt: Das Gegenstück A von A* in Di oder Dj weist dasselbe Merkmal auf. Da Di und DJ unter J wahr sind und I(A) = I(A*), ergibt sich ein Widerspruch. Also folgt Dn+1 aus M.

7.4 Das System STRICH. STRICH ist eine Logik, deren Repräsentationssystem es erlaubt, Sachverhalte über die Größe von Personen und deren Links-Rechts-Positionierungen zu repräsentieren. Das Repräsentationssystem von STRICH enthält als Typen (i) Individuenbuchstaben a1, a2, a3 etc. und (ii) stehende Strichmännchen. Die Individuenbuchstaben stehen für Personen, die Längen der Strichmännchen für Personengrößen (exakte Größe des Strichmännchen in cm × 100 = exakte Größe einer Person in cm). Ein atomares Strichmännchengebilde setzt sich aus einem Strichmännchen und einem Individuenbuchstaben zusammen. Es besagt, dass die durch den Individuenbuchstaben bezeichnete Person die Größe besitzt, die durch die Länge des Strichmännchens repräsentiert wird. Atomare Strichgebilde können in einem Zeichen nebeneinander geordnet werden. Die Positionierung der Strichmännchen ist semantisch relevant: Steht ein Strichgebilde mit dem Buchstaben ai links von den Strichgebilden mit den Buchstaben aj, ..., an, repräsentiert dies den Sachverhalt, dass die durch ai bezeichnete Person links von den durch aj,..., an bezeichneten Personen steht.

a1

a2

Abb. 53

a3

253

Das Diagramm von Abb. 53 besagt demnach: (1) Die durch "a1", "a2" und "a3" bezeichneten Personen besitzen die-und-die Körpergröße. (2) Die durch "a1" bezeichnete Person steht links von den durch "a2" und "a3" bezeichneten Personen. (3) Die durch "a2" bezeichnete Person steht links von der durch "a3" bezeichneten Person. (SSTRICH ließe sich weiter ausbauen. So könnte das Repräsentationssystem um folgende Vorrichtungen erweitert werden: • Der genaue Abstand zwischen den Strichmännchen repräsentiert den genauen Abstand zwischen den repräsentierten Personen. • Die Bestandteile des Strichmännchens repräsentieren die Körperteile Kopf, Rumpf, Arm und Bein. (Ein Strichmännchen mit drei Ellipsen würde dementsprechend für eine Person mit drei Köpfen stehen.) • Ein Zeit- und Ortindex gibt an, zu welchen Zeit- und Raumpunkten die repräsentierten Sachverhalte gelten sollen usw.) Trotz seiner Einfachheit könnte das Strichmännchensystem als eine Art stilisiertes Abbildungssystem betrachtet werden. Wird dieser Deutung gefolgt, lassen sich zwei interessante Punkte deutlich machen: 1.) Wenn jemand eine Entität o auf wahre Weise abbilden will, ist er nicht verpflichtet, alle Aspekte von o zu repräsentieren, die aus einer bestimmten Perspektive sichtbar sind: Werden in der Semantik eines Abbildungssystems bestimmte Aspekte nicht berücksichtigt, sind die Repräsentationen des Systems gegenüber diesen Aspekten neutral. So lassen sich in dem Repräsentationssystem von STRICH viele Aspekte einer Person nicht repräsentieren: Haarlänge, Augenfarbe, Nasenform, Kleidung etc. Dennoch können die Strichgebilde des Systems auf wahre Weise abbilden: Die abgebildeten Personen müssen die zugewiesenen Größen besitzen und sich in den repräsentierten Positionen befinden.63 2.) Um eine Entität o wahr abzubilden, muss eine Person auch nicht gezwungen sein, alle Aspekte abzubilden, die sich gemäß der Semantik des Abbildungssystems repräsentieren lassen: Der Wahrheitsbegriff von SSTRICH kann so definiert werden, dass ein Zeichen genau dann wahr ist, wenn alle Sachverhalte der Fall sind, die mit Hilfe des Zeichen repräsentiert werden. Ein Zeichen von SSTRICH, das nur zwei Personen a und b ab63

Vgl. Leong (1994), S. 144-156

254

bildet, kann somit auch dann wahr sein, wenn zwischen a und b eine dritte Person c steht.64 (Allerdings wäre es auch möglich, einen 'strengeren' Wahrheitsbegriff zu formulieren: Eine Abbildung ist nur dann wahr, wenn in einer Abbildung alle Tatsachen repräsentiert werden, die in dem Abbildungsausschnitt repräsentiert werden können.65) • Das Repräsentationssystem von STRICH: Der syntaktische und der semantische Bestandteil des Repräsentationssystems von STRICH lassen sich mit Hilfe der folgenden Definitionen bestimmen. Die Definitionen D-S1 bis D-S3 bilden die Syntax des Systems, die Definitionen D-S4 und D-S5 die Semantik. (D-S1)

Das Vokabular von SSTRICH besteht aus der folgenden Menge:

... a1 a2 a3 a4 ...

[Strichmännchen] [Individuenbuchstaben]

Es gilt: Zwei Strichmännchen-Token gehören genau dann unterschiedlichen Typen an, wenn sie unterschiedlicher Größe sind.

64 65

(D-S2)

Etwas ist genau dann eine Abbildung von SSTRICH, wenn es eine endliche Anordnung von Zeichen des Vokabulars von SSTRICH ist.

(D-S3)

Die Menge der wohlgeformten Repräsentationen von SSTRICH sei induktiv wie folgt definiert: 1. Eine Abbildung von SSTRICH, die aus einem Strichmännchen und einem unterhalb des Strichmännchens angeordneten Buchstaben besteht, ist eine (atomare) wohlgeformte Abbildung von SSTRICH.

Vgl. Leong (1994), S. 144-156 Vgl. Leong (1994), S. 153-156

255

2. Wenn A eine wohlgeformte Abbildung von SSTRICH und B eine atomare Abbildung von SSTRICH ist, dann ist auch die Repräsentation, die entsteht, wenn B rechts von A angeordnet wird, eine wohlgeformte Abbildung von SSTRICH. 3. Sonst ist nichts eine wohlgeformte Abbildung von SSTRICH. (D-S4)

Eine Interpretation J = von SSTRICH besteht aus einem nicht-leeren Individuenbereich U, dessen Elemente durch Menschen gebildet werden, und einer Interpretationsfunktion I. I weist jedem Buchstaben α des Vokabulars ein Element aus U zu.

(D-S5)

Gegeben eine Interpretation J = weist die Belegungsfunktion vJ einer wohlgeformten Abbildung R von SSTRICH auf folgende Weise einen Sachverhalt oder eine Konjunktion von Sachverhalten zu: 1. Wenn R eine atomare Abbildung mit dem Buchstaben α und einer Strichlänge von l cm ist, dann gilt: vJ(R) = W genau dann, wenn die Größe von I(α) gleich 100lcm ist; vJ(R) = F ansonsten. l∈Q (rationale Zahlen). 2. Wenn R eine Abbildung von SSTRICH ist, die sich aus einer Abbildung A mit den atomaren Abbildungen A1, ..., An und den Buchstaben α1, ..., αn zusammensetzt und einer rechts von A angeordneten Abbildung B mit dem Buchstaben β, dann gilt: vJ(R) = W genau dann, wenn vj(A) = vJ(B) = W und I(α1), ..., I(αn) stehen links von I(β); vJ(R) = F ansonsten.

• Der Folgerungsbegriff von STRICH: Der Begriff der logischen Folgerung in STRICH lässt sich mit Hilfe der Definition D-S6 bestimmen: (D-S6)

Sei M eine Menge wohlgeformter Abbildungen von SSTRICH und R ein wohlgeformtes Diagramm von SSTRICH.

256

R folgt in STRICH genau dann aus M, wenn R unter allen Interpretationen wahr ist, unter denen jedes Element von M wahr ist. Das folgende Paar P9 ist gemäß D-S6 beispielsweise ein Element der Extension des Folgerungsbegriffes von STRICH – vorausgesetzt, die beiden a1-Strichmännchengebilde gehören demselben Typ an:

a1

a2

,

a1

• Der Beweisbegriff von STRICH: Der Beweisbegriff von STRICH wird in Rückgriff auf die beiden Ableitungsregeln RS1 und RS2 definiert. (RS1)

Regel des Entfernens eines Strichmännchen-Gebildes Von einer Abbildung A kann zu einer Abbildung A* übergegangen werden, wenn für A und A* gilt: 1. A und A* entsprechen einander in Hinblick auf die vorkommenden Abbildungen und deren Anordnungen bis auf den Umstand, dass in A* genau eine atomare Abbildung von A fehlt. 2. A* ist eine wohlgeformte Abbildung.

Illustration einer korrekten Anwendung von RS1:

⇒ a1

(RS2)

a2

a3

a1

a3

Regel des Zusammenfügens von Abbildungen Von zwei Abbildungen A1 und A2 kann zu einer Abbildung A* übergegangen werden, wenn für A1, A2 und A* gilt:

257

1. A1 besteht aus der Aneinanderreihung der atomaren Abbildungen R1...Rn (von links nach rechts). 2. A2 besteht aus der Aneinanderreihung der atomaren Abbildungen Rn...Rs (von links nach rechts). 3. A* besteht aus der Aneinanderreihung der atomaren Abbildungen R1...Rs. Illustration einer korrekten Anwendung von RS2:

a1

a5

a3

a3

a7



a1

(D-S7)

a5

a3

a7

Eine Ableitung von D aus der Menge M in STRICH ist eine endlich lange Folge von wohlgeformten Diagrammen D1, ..., Dn von SSTRICH, wobei Dn = D und für jedes Di der Folge gilt: 1. Di ist ein Element von M oder 2. Di kann mit Hilfe einer der Ableitungsregeln RS1 und RS2 aus Diagrammen gewonnen werden, die Di in der Folge vorangehen.

Illustration einer Ableitung in STRICH: M ist eine Menge, die zwei wohlgeformte Abbildungen R1 und R2 enthält. R1 setzt sich aus drei atomaren Strichgebilden gewisser Größe in der Reihenfolge a1-a2-a3 zusammen, R2 aus zwei atomaren Strichgebilden gewisser Größe in der Reihenfolge a3-a4. R ist eine wohlgeformte Abbildung, die zwei Strichgebilde gewisser Größe in der Reihenfolge a2a4 enthält.

258

∈M

(1)

a1

a2

a3

∈M

(2)

a3

a4

(3)

RS1: 1

a2

a3

(4)

RS2: 2, 3

a2

a3

a4

(5)

RS1: 4

a2

a4

• Korrektheitsbeweis für STRICH (Skizze) Zu zeigen ist, dass die folgende Aussage K für jede wohlgeformte Abbildung A und jede Menge M von wohlgeformten Abbildungen von SSTRICH gilt: (K) Wenn A in STRICH aus M abgeleitet werden kann, dann folgt A in STRICH aus M.

259

Der Beweis kann induktiv über die Länge n der Ableitungen von STRICH geführt werden. Eine Ableitung von STRICH besitzt die Länge n, wenn sie eine n-stellige Folge s = von Abbildungen von SSTRICH ist. Es gelte: A = An. IA: K gilt für alle Ableitungen der Länge 1 Beweis: Ist die Länge der Ableitung 1, gilt: A = An = A1. Weil A keine Abbildung in der Ableitung vorausgeht, kann A nicht mit Hilfe der Ableitungsregel RS1 oder RS2 gewonnen worden sein, sondern muss ein Element von M sein. Somit gilt trivialerweise, dass A unter jeder Interpretation von SSTRICH wahr ist, unter der jedes Element von M wahr ist. IS: Wenn K für alle Ableitungen der Länge bis n gilt, dann gilt K auch für alle Ableitungen der Länge n+1. IV: K gilt für alle Ableitungen der Länge bis n. z.Z.: K gilt für alle Ableitungen der Länge n+1. Beweis: Wenn die Länge der Ableitung n+1 ist, gilt: A = An+1. A kann nun auf drei verschiedene Weisen gewonnen worden sein: (i) An+1 wurde als Element von M eingeführt, (ii) An+1 wurde mit Hilfe von RS1 gewonnen oder (iii) An+1 wurde mit Hilfe von RS2 gewonnen. 1. Fall: An+1 wurde als Element von M eingeführt Es gilt trivialerweise, dass An+1 unter jeder Interpretation von SSTRICH wahr ist, unter der jedes Element von M wahr ist. 2. Fall: An+1 wurde mit Hilfe von RS1 gewonnen Es gibt eine Abbildung Ai, die A n+1 in der Ableitungsfolge vorausgeht. Ai steht in demselben Verhältnis zu An+1 wie A zu A* in der Beschreibung von RS1. Für Ai gilt auf Grund der IV, dass sie aus M folgt.

260

Angenommen nun, An+1 folgt nicht aus M. Dann gibt es eine Interpretation von SSTRICH, unter der jedes Element von M wahr, An+1 jedoch falsch ist. Auf Grund der IV gilt, dass Di unter J wahr ist. Wenn An+1 falsch ist, dann enthält sie (i) mindestens eine atomare Abbildung, die einer Person eine falsche Größe zuschreibt, oder (ii) atomare Abbildungen, die Personen eine falsche Links-RechtsPositionierung zuschreiben. Da alle atomaren Abbildungen von An+1 in derselben Reihenfolge (mit einer zusätzlichen atomaren Abbildung) in Ai vorkommen und Ai unter der Interpretation wahr ist, ergibt sich ein Widerspruch. An+1 folgt also aus M. 3. Fall: An+1 wurde mit Hilfe von RS2 gewonnen. Es gibt zwei Abbildungen Ai und Aj, die An+1 in der Ableitungsfolge vorausgehen. Ai, Aj und An+1 stehen in demselben Verhältnis zueinander wie A1, A2 und A* in der Beschreibung von RS2. Für Ai und Aj gilt auf Grund der IV, dass sie aus M folgen. Angenommen nun, An+1 folgt nicht aus M. Dann gibt es eine Interpretation von SSTRICH, unter der jedes Element von M wahr, An+1 jedoch falsch ist. Auf Grund der IV gilt, dass Ai und Aj wahr sind. Wenn An+1 falsch ist, dann enthält sie (i) mindestens eine atomare Abbildung, die einer Person eine falsche Größe zuschreibt, oder (ii) atomare Abbildungen, die Personen eine falsche Links-RechtsPositionierung zuschreiben. Für den Fall i gilt: Die Falschheit erzeugende atomare Abbildung kommt in Ai oder Aj vor – Ai und Aj sind aber wahr: ein Widerspruch. Für den Fall ii gilt: Die Falschheit erzeugenden atomaren Abbildung a1 und a2 stehen in einer Links-Rechts-Ordnung zueinander. Es gilt dann: Sie kommen in dieser Reihenfolge in Ai oder Aj vor – oder a1 kommt in Ai und a2 in Aj vor. Ist ersteres der Fall, müssten auch Ai oder Aj falsch sein: ein Widerspruch. Ist letzteres der Fall, gilt: Es gibt eine atomare Abbildung ak, die ganz rechts in Ai und ganz links in Aj vorkommt. a1 kommt in Ai links von ak vor oder ist mit ak identisch. a2 kommt in A2 rechts von ak vor oder ist mit ak identisch. (Allerdings kann nicht gelten: a1 = ak = a2.) Wenn dies so

261

ist, gilt aber auf Grund der Wahrheit von Ai und Aj: Die durch a1 bezeichnete Person steht links von der durch ak bezeichneten Person (oder ist mit ihr identisch), und die durch a2 bezeichnete Person steht rechts von der durch ak bezeichneten Person (oder ist mit ihr identisch). Das aber bedeutet: Die durch a1 bezeichnete Person steht links von der durch a2 bezeichneten Person. Die Anordnung a1-a2 kann somit keine Falschheit erzeugen – ein Widerspruch. An+1 folgt somit aus M.

7.5 Nicht-sprachliche Logiksysteme und sicheres Schließen. Um die These T2 zu stützen, genügt es, zwei Dinge zu zeigen: 1.) Eine Logik mit syntaktisch dichtem Repräsentationssystem kann prinzipiell keinen nicht-trivialen Beweisbegriff enthalten oder nicht alle sicherheitsrelevanten Merkmale besitzen. 2.) Es gibt mindestens eine korrekte Logik, die ein Repräsentationssystem mit geometrischen, nicht-linearen und strukturähnlichen Zeichen enthält, über einen nicht-trivialen Beweisbegriff verfügt und alle sicherheitsrelevanten Eigenschaften E1-E5 aufweist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass logische Folgerung im Sinn von LFMW, LF-AP, LF-AN und LF-FI verstanden werden kann. Der erste Punkt folgt unmittelbar aus der Definition des Sicherheitsbegriffs: Gemäß SI ist ein logisches System L nur dann sicher, wenn SL syntaktisch differenziert ist. Jedes syntaktisch dichte Repräsentationssystem ist jedoch synatktisch nicht differenziert.66 So schreibt Goodman: In einem solchen dichten Schema wird unsere zweite Forderung [der syntaktischen Differenziertheit] überall verletzt: Es kann nicht entschieden werden, ob eine Marke nur zu einem oder nicht vielmehr zu vielen anderen Charakteren gehört.67

Logiksysteme, die im Sinn von NS-SD1 nicht-sprachlich sind, scheiden daher als sichere Systeme aus.68 Dies gilt unabhängig davon, wie logische 66

Vgl. in einem anderen Zusammenhang Copeland (2001), S. 157 Goodman (1998), S. 133 [Einfügung von St.B.] 68 Vgl. Scotto di Luzio (2002), S. 87ff. u. S. 91-95 67

262

Folgerung expliziert wird – so z.B. für STRICH: Die Typen von SSTRICH lassen sich entlang der Dimension 'Strichmännchenlänge' dicht ordnen und sind nicht differenziert. Allerdings lassen sich in Blick auf Logiken mit syntaktisch differenzierten Repräsentationssystemen einige positive Punkte festhalten: 1.) Sie können nicht-triviale Beweisbegriffe besitzen. So fällt unter den Beweisbegriff von STRICH u.a. die Folge – wobei R2 eine Abbildung ist, die aus einem 1,3 cm hohen Strichmännchen besteht, und R1 eine Abbildung, die sich aus einem 1,3 cm hohen Strichmännchen mit dem Buchstaben "a1" (links) und einem 1,62 cm hohen Strichmännchen mit dem Buchstaben "a2" (rechts) zusammensetzt. ∈ M1

(1)

1,3 cm

a1

a2

(2)

1,62 cm

RS1: 1

1,3 cm

a1

2.) Wie STRICH zeigt, kann eine Logik mit syntaktisch differenziertem Repräsentationssystem nicht nur korrekt sein, sondern auch die sicherheitsrelevanten Eigenschaften E3-E5 besitzen. 3.) Auch wenn es nicht möglich ist, in einer Logik mit syntaktisch dichtem Repräsentationssystem sicher zu schließen, kann auf sichere Weise über sie geschlussfolgert werden. So kann zwar nicht in STRICH sicher gezeigt werden, dass R2 aus {R1} folgt, jedoch in einem schriftdeutschen Metasystem zu STRICH. 4.) Angenommen, eine korrekte Logik L mit dem syntaktisch dichten Repräsentationssystem S enthält ein syntaktisch differenziertes Teilsystem S* mit wahrheitswertfähigen Typen. In diesem Fall können für Folgerungen unter Repräsentationen von S* sichere Beweise in L geführt werden – zumindest, solange S* die Eigenschaften E3-E5 besitzt.

263

Der zweite Punkt ist aufwendiger zu zeigen.69 Es gilt die folgende Tabelle abzuarbeiten, indem entsprechende Logiken angegeben oder konstruiert werden: LF-FI

LF-AN

LF-AP

LF-MW

NS-GF1

? (I)

? (VI)

? (VII)

? (X)

NS-NL1

? (II)

? (V)

? (VIII)

? (XI)

NS-SÄ1

? (III)

? (VI)

? (IX)

? (XII)

Die Fälle I-III lassen sich mit den Systemen VENN und CARROLL zeigen: VENN und CARROLL sind gemäß NS-GF1, NS-NL1 und NS-SÄ1 nicht-sprachlich. So gilt für VENN: • SVENN besitzt Zeichen, die Ellipsen und Kreisen enthalten. • SVENN enthält Zeichen, die sich z.B. auf nicht-lineare Weise aus vier indizierten Kurven und zwei Punkten zusammensetzen. • Enthalten zwei Regionen eines Diagramms von SVENN eine gemeinsame, punktierte Region, steht diese reflexive, symmetrische und nichttransitive Beziehung für die reflexive, symmetrische und nicht-transitive Relation zweier Mengen, eine nicht-leere Schnittmenge zu besitzen. Und für SCARROLL gilt: • SCARROLL besitzt Zeichen, die Quadrate enthalten. • SCARROLL verfügt über Zeichen, die sich z.B. auf nicht-lineare Weise aus einem triliteralen Diagramm, einer dreistelligen Kreuzfolge und einem Punkt zusammensetzen. • Enthält eine Zelle in einem Diagramm von SCARROLL ein Punkt, steht diese irreflexive, asymmetrische und nicht-transitive Beziehung für die irreflexive, asymmetrische und nicht-transitive Elementbeziehung. Desweiteren sind die Folgerungsbegriffe von VENN und CARROLL formal. So gilt für VENN: Eine Repräsentation R folgt in VENN genau dann aus einer Repräsentationsmenge M, wenn sich bestimmte Repräsentationen von SVENN nicht so entsprechend ihrer semantischen Kategorien (um-)interpretieren lassen, dass alle Elemente von M wahr-in-SVENN sind, R jedoch nicht wahr-in-SVENN ist. 69

Vgl. Scotto di Luzio (2002), S. 174f.; Shin (1994), S. 5 u. S. 185

264

Und für CARROLL gilt: Eine Repräsentation R folgt in CARROLL genau dann aus einer Repräsentationsmenge M, wenn sich bestimmte Repräsentationen von SCARROLL nicht so entsprechend ihrer semantischen Kategorien (um-)interpretieren lassen, dass alle Elemente von M wahr-in-SCARROLL sind, R jedoch nicht wahr-in-SCARROLL ist. VENN und CARROLL besitzen nun (a) einen nicht-trivialen Beweisbegriff und sind (b) sicher: zu (a) nicht-trivial: Unter den Beweisbegriff von VENN fällt z.B. die folgende Sequenz s10, unter den Beweisbegriff von CARROLL die Sequenz s11: (s10)

U1 F1 •



F2

U1 ,

F1 •



(s11) •

x

F2

• ,



zu (b) sicher: Wie in 7.2 und 7.3 gezeigt wurde, sind VENN und CARROLL korrekt. Zudem besitzen sie die Eigenschaften E1-E5. So gilt etwa für VENN: 1. Jedes Token von SVENN gehört nur einem Typ an. Wenn es dem Typ T1 oder dem Typ T2 angehört, lässt sich prinzipiell feststellen, welchem der beiden Typen. VENN besitzt E1 und E2. 2. SVENN ist nicht eindeutig syntaktisch lesbar:70 Ein Diagramm, das sich aus den drei Basisregionen F1, F2 und F3 zusammensetzt (sowie Punkten), kann z.B. als ein Diagramm gelesen werden, dass sich aus einem F1F2-Diagramm und F3 zusammensetzt oder aus F1 und einem F2F3Diagramm. Die verschiedenen Strukturen eines Typs sind jedoch semantisch irrelevant: Ein Diagramm bekommt immer dieselbe Bedeutung zugewiesen, ungeachtet seiner Struktur. In keiner Regel von VENN wird daher zwischen den verschiedenen Strukturen eines Typs unterschieden. VENN besitzt E3. 70

Vgl. Scotto di Luzio (2002), S. 103

265

3. Jeder Typ von SVENN bekommt auf Grund der Bedeutungsfunktion nur eine Entität zugewiesen. VENN weist E4 auf. 4. Einem Typ von SVENN wird in jedem Kontext dasselbe zugewiesen. Was er bedeutet, ist nicht auf Kontexte relativiert. VENN besitzt E5. Die Fälle IV-VI können mit dem System VENN# nachgewiesen werden. VENN# ist eine Modifikation von VENN: SVENN# entspricht SVENN. Der Folgerungsbegriff von VENN# ist wie folgt definiert: (D-V11#) Eine Repräsentation R folgt in VENN# genau dann logisch aus einer Menge M von Repräsentationen, wenn gilt: i) R folgt in VENN aus M, oder ii) Es gibt eine Repräsentation R* und eine Menge M*, die aus R und M durch die Substitution synonymer Zeichen gewonnen werden können, und in Bezug auf die gilt: R* folgt in VENN aus M*. Der Beweisbegriff von VENN# entspricht dem Beweisbegriff von VENN. Da SVENN# SVENN entspricht, ist VENN# gemäß NS-GF1, NS-NL1 und NS-SÄ1 nicht-sprachlich. Desweiteren ist VENN# gemäß LF-AN ein logisches System: D-V11# stellt eine Instanziierung von LF-AN dar, in die AN direkt eingebaut wurde. VENN# besitzt nun (a) einen nicht-trivialen Beweisbegriff und fällt (b) unter den Begriff des sicheren Logiksystems: zu (a) nicht-trivial: Unter den Beweisbegriff von VENN# fallen alle Folgen, die unter den Beweisbegriff von VENN fallen – also z.B. s10: (s10)

U1 F1 •



F2

U1 ,

F1 •

F2

zu (b) sicher: Da SVENN# SVENN entspricht, besitzt VENN# die Eigenschaften E1-E5. Desweiteren ist VENN# korrekt: Alle Folgen, die unter den Beweisbegriff von VENN fallen, fallen auch unter den Beweisbegriff von VENN# – und umgekehrt. Fällt eine Ableitung von R aus M unter den Beweisbegriff von VENN, folgt R in VENN aus M. Da jedes Paar, das unter den Folgerungsbegriff von VENN fällt, auch unter den Folgerungsbegriff von

266

VENN# fällt, gilt für VENN#: Lässt sich R in VENN# aus M ableiten, folgt R in VENN# aus M. Die Fälle VII-IX lassen sich mit dem System VENN+ zeigen. VENN+ ist eine Modifikation von VENN: SVENN+ entspricht SVENN. Der Folgerungsbegriff von VENN+ ist wie folgt festgelegt: (D-V11+) Eine Repräsentation R folgt in SVENN+ genau dann logisch aus einer Menge M von Repräsentationen, wenn gilt: Eine Person kann a priori wissen, dass R wahr-in-SVENN+ ist, wenn alle Elemente von M wahr-in-SVENN+ sind. Der Beweisbegriff von VENN+ ist eine reduzierte Version des Beweisbegriffes von VENN: Er bezieht sich auf die Regel RV1, nicht aber auf die Regeln RV2-RV4. Da SVENN+ mit SVENN identisch ist, ist VENN+ gemäß NS-GF1, NS-NL1 und NS-SÄ1 nicht-sprachlich. Zudem ist VENN+ gemäß LF-AP ein logisches System: D-V11+ instanziiert LF-AP. VENN+ enthält nun (a) einen nicht-trivialen Beweisbegriff und fällt (b) unter den Begriff des sicheren Logiksystems: zu (a) nicht-trivial: Weil VENN+ die Regel RV1 enthält, fällt s10 ebenfalls unter den Beweisbegriff von VENN+: (s10)

U1 F1 •



F2

U1 ,

F1 •

F2

zu (b) sicher: Da SVENN+ mit SVENN identisch ist, besitzt VENN+ die sicherheitsrelevanten Eigenschaften E1-E5. Zudem scheint VENN+ korrekt zu sein: • Korrektheitsbeweis für VENN+ (Skizze) Zu zeigen ist, dass die folgende Aussage K für jedes wohlgeformte Diagramm D und jede Menge M von wohlgeformten Diagrammen von SVENN+ gilt:

267

(K) Wenn D in VENN+ aus M abgeleitet werden kann, dann folgt D in VENN+ aus M. IA: K gilt für alle Ableitungen der Länge 1 Beweis: Ist die Länge der Ableitung 1, gilt: D = Dn = D1. Weil D kein Diagramm in der Ableitung vorausgeht, kann D nicht mit Hilfe der Ableitungsregel RV1 gewonnen worden sein, sondern muss ein Element von M sein. Somit gilt trivialerweise, dass eine Person a priori wissen kann, dass D wahr-in-SVENN+ ist, wenn jedes Element von M wahr-in-SVENN+ ist. D folgt somit aus M. IS: Wenn K für alle Ableitungen der Länge bis n gilt, dann gilt K auch für alle Ableitungen der Länge n+1. IV: K gilt für alle Ableitungen der Länge bis n. z.Z.: K gilt für alle Ableitungen der Länge n+1. Beweis: Wenn die Länge der Ableitung n+1 ist, gilt: D = Dn+1. Dn+1 kann auf zwei Weisen gewonnen worden sein: (i) Dn+1 wurde als Element von M eingeführt oder (ii) Dn+1 wurde mit Hilfe von RV1 gewonnen. 1. Fall: Dn+1 wurde als Element von M eingeführt Es gilt trivialerweise, dass eine Person a priori wissen kann, dass Dn+1 wahr-in-SVENN+ ist, wenn jedes Element von M wahr-in-SVENN+ ist. Dn+1 folgt aus M. 2. Fall: Dn+1 wurde mit Hilfe von RV1 gewonnen. Es gibt ein Diagramm Di, das Dn+1 in der Ableitungsfolge vorausgeht. Di steht in demselben Verhältnis zu Dn+1 wie D zu D* in der Beschreibung von RV1. Für Di gilt auf Grund der IV, dass es aus M folgt. Da alle Wahrheitsbedingungen von Dn+1 auch Wahrheitsbedingungen von Di sind, kann eine Person auch a priori wissen, dass Dn+1 wahr ist, wenn alle Elemente von M es sind. Also folgt Dn+1 aus M.

268

Die Fälle X-XII können mit dem System VENN* gezeigt werden. VENN* ist eine Modifikation von VENN: SVENN* entspricht SVENN. Der Folgerungsbegriff von VENN* ist auf folgende Weise definiert: (D-V11*) Eine Repräsentation R folgt in VENN* genau dann logisch aus einer Menge M von Repräsentationen, wenn R in allen möglichen Welten wahr-in-SVENN* ist, in denen alle Elemente von M wahr-in-SVENN* sind. Der Beweisbegriff von VENN* ist mit dem Beweisbegriff von VENN+ identisch. Da SVENN* SVENN entspricht, ist VENN* gemäß NS-GF1, NS-NL1 und NS-SÄ1 nicht-sprachlich. Desweiteren ist VENN* gemäß LF-MW ein logisches System: D-V11* instanziiert LF-MW. VENN+ besitzt nun (a) einen nicht-trivialen Beweisbegriff und fällt (b) unter den Begriff des sicheren Logiksystems: zu (a) nicht-trivial: Da der Beweisbegriff von VENN* mit dem Beweisbegriff von VENN+ identisch ist, stellt s1 auch eine Ableitung in VENN* dar: (s1)

U1 F1 •



F2

U1 ,

F1 •

F2

zu (b) sicher: Weil SVENN* SVENN entspricht, weist VENN* die sicherheitsrelevanten Eigenschaften E1-E5 auf. Außerdem scheint VENN* korrekt zu sein: • Korrektheitsbeweis für VENN* (Skizze) Zu zeigen ist, dass die folgende Aussage K für jedes wohlgeformte Diagramm D und jede Menge M von wohlgeformten Diagrammen von SVENN* gilt:

269

(K) Wenn D in VENN* aus M abgeleitet werden kann, dann folgt D in VENN* aus M. IA: K gilt für alle Ableitungen der Länge 1 Beweis: Ist die Länge der Ableitung 1, gilt: D = Dn = D1. Weil D kein Diagramm in der Ableitung vorausgeht, kann D nicht mit Hilfe der Ableitungsregel RV1 gewonnen worden sein, sondern muss ein Element von M sein. Somit gilt trivialerweise, dass D in jeder Welt wahr ist, unter der jedes Element von M wahr ist. D folgt somit aus M. IS: Wenn K für alle Ableitungen der Länge bis n gilt, dann gilt K auch für alle Ableitungen der Länge n+1. IV: K gilt für alle Ableitungen der Länge bis n. z.Z.: K gilt für alle Ableitungen der Länge n+1. Beweis: Wenn die Länge der Ableitung n+1 ist, gilt: D = Dn+1. Dn+1 kann auf zwei Weisen gewonnen worden sein: (i) Dn+1 wurde als Element von M eingeführt oder (ii) Dn+1 wurde mit Hilfe von RV1 gewonnen. 1. Fall: Dn+1 wurde als Element von M eingeführt Es gilt trivialerweise, dass Dn+1 in jeder Welt unter jeder Interpretation von SVENN* wahr ist, in der jedes Element von M wahr ist. Dn+1 folgt aus M. 2. Fall: Dn+1 wurde mit Hilfe von RV1 gewonnen. Es gibt ein Diagramm Di, das Dn+1 in der Ableitungsfolge vorausgeht. Di steht in demselben Verhältnis zu Dn+1 wie D zu D* in der Beschreibung von RV1. Für Di gilt auf Grund der IV, dass es aus M folgt. Angenommen nun, Dn+1 folgt nicht aus M. Dann gibt es eine Welt, in der jedes Element von M wahr, Dn+1 jedoch falsch ist. Auf Grund der IV gilt, dass Di in der Welt wahr ist.

270

Da Dn+1 in der Welt falsch ist, enthält Dn+1 eine Region A*, die in jeder ihrer minimalen Teilregionen einen Punkt enthält, obwohl I(A*) ≠ ∅. Auf Grund der zweiten Klausel von RV1 gilt, dass das Gegenstück A von A* in Di ebenfalls in jeder ihrer minimalen Teilregionen einen Punkt enthält. Da Di in der Welt wahr ist, gilt I(A) = ∅. Hieraus ergibt sich ein Widerspruch, weil I(A) = I(A*). Also folgt Dn+1 aus M.

7.6 Zusammenfassung. In diesem Kapitel wurde für die These T2 argumentiert. T2 besagt: (T2) Unabhängig davon, ob "Logische Folgerung" im Sinn von LF-MW, LF-AP, LF-AN oder LF-FI verstanden wird, gilt: i) Wenn "Nicht-Sprachlichkeit" im Sinn von NS-SD1 aufgefasst wird, gibt es kein nicht-sprachliches Logiksystem, das sicher ist und einen nicht-trivialen Beweisbegriff besitzt. ii) Wenn "Nicht-Sprachlichkeit" im Sinn von NS-GF1, NS-NL1 oder NS-SÄ1 verstanden wird, gibt es nicht-sprachliche Logiksysteme, die sicher sind und nicht-triviale Beweisbegriffe besitzen. Um T2 zu belegen, wurde zunächst bestimmt, was unter einem "nichttrivialen Beweisbegriff" und einem "sicheren Logiksystem" zu verstehen ist. Die Merkmale, die für die Sicherheit eines Systems sorgen, wurden in der Definition SI festgehalten. Der erste Teil von T2 folgte unmittelbar aus SI: Logiken mit syntaktisch dichten Repräsentationssystemen sind syntaktisch differenziert und daher nicht sicher. An Hand des Systems STRICH konnte jedoch demonstriert werden, dass sie nicht-triviale und korrekte Beweisbegriffe besitzen können. Der zweite Teil von T2 wurde mit den Systemen VENN und CARROLL, VENN#, VENN* und VENN+ belegt. Sie deckten die Fälle ab, in denen "Nicht-Sprachlichkeit" im Sinn von NS-GF1, NS-NL1 oder NS-SÄ1 verstanden wird und "Logische Folgerung" im Sinn von LF-MW, LF-AP, LFAN oder LF-FI.

8. Sind nicht-sprachliche Logiksysteme sprachlichen ebenbürtig? Die dritte zentrale Fragestellung, die im Rahmen dieser Arbeit behandelt werden soll, ist die Frage, ob nicht-sprachliche Repräsentationen ihren sprachlichen Gegenstücken ebenbürtig sein können, wenn sie verwendet werden, um das Vorliegen einer notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation nachzuweisen. (3)

Sind nicht-sprachliche Repräsentationen ebenso gut geeignete Mittel, um das Vorliegen einer notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation nachzuweisen, wie sprachliche Repräsentationen?

In Rekurs auf den Begriff des logischen Systems lässt sich 3 auch wie folgt formulieren: (3*) Sind nicht-sprachliche Logiksysteme ebenso gut geeignet wie sprachliche Logiksysteme, um das Vorliegen einer notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation nachzuweisen? 3* schlüsselt sich streng genommen in sechzehn Fragestellungen auf – je nachdem, wie die Ausdrücke "Logische Folgerung" und "NichtSprachlichkeit" verstanden werden. In diesem Kapitel soll allerdings nur eine dieser Fragen behandelt werden: 3* aufgefasst im Sinn von LF-FI und NS-SÄ1. Es wird somit ausschließlich um die Vor- und Nachteile gehen, die formale Logiken mit strukturähnlichen Zeichen gegenüber formalen Logiken ohne strukturähnliche Zeichen besitzen. Selbst dermaßen eingeschränkt wird sich 3* in diesem Kapitel nur ansatzweise beantworten lassen: Ein Aspekt, der wichtig und möglicherweise entscheidend ist, wenn 3* geklärt werden soll, ist der Aspekt der kognitiven Handhabung nicht-sprachlicher Zeichen: Wie leicht oder schwer fällt es uns, nicht-sprachliche Repräsentationen zu interpretieren und kognitiv zu verarbeiten? Gleichen sie bestimmten mentalen Modellen, die wir beim Problemlösen verwenden? usw. Da dieser Aspekt vor allem in die Bereiche

272

der Psychologie und Kognitionswissenschaften fällt, muss er im Weiteren ausgeklammert werden. Dennoch sollen in diesem Kapitel einige Punkte diskutiert werden, die bedeutsam sein können, wenn es um die Frage geht, wie geeignet oder effizient nicht-sprachliche Logiksysteme sind. Dabei soll für die folgende These argumentiert werden: (T3) Wird "Logische Folgerung" im Sinn von LF-FI und "NichtSprachlichkeit" im Sinn von NS-SÄ1 aufgefasst, gilt: Nicht-sprachliche Logiksysteme sind ihren sprachlichen Gegenstükken in bestimmten Hinsichten unterlegen, wenn das Vorliegen einer notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation nachgewiesen werden soll, können ihnen in anderen Hinsichten aber überlegen sein. In Abschnitt 8.1 wird zunächst geklärt, wie logische Systeme verwendet werden können, um das Vorliegen einer notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation nachzuweisen. Aus der Art und Weise, wie sie hierzu eingesetzt werden, sollen sieben Hinsichten hergeleitet werden, unter denen sich bewerten lässt, wie geeignet eine Logik für diese Aufgabe ist. In den Abschnitten 8.2 – 8.8 werden Eigenschaften ermittelt, die dafür sorgen, dass ein System unter einer bestimmten Hinsicht mehr oder weniger gut abschneidet. Anschließend wird verglichen, ob und in welchem Maß sprachliche und nicht-sprachliche Systeme diese Eigenschaften aufweisen können. Gezeigt werden soll, dass sprachliche Logiken in Blick auf mindestens eine Eigenschaft besser abschneiden als nicht-sprachliche Logiken, dass in Blick auf eine andere Eigenschaft jedoch der umgekehrte Fall vorliegt. In Abschnitt 8.9 wird die Argumentation des Kapitels zusammengefasst.

8.1 Verwendungszwecke sprachlicher Logiksysteme. Sprachliche Logiksysteme lassen sich zu unterschiedlichen Zwecken konstruieren und einsetzen. Ein prädikatenlogisches System 1. Stufe kann z.B. entwickelt werden, um den Aufbau logischer Systeme zu illustrieren, um die Möglichkeit sicherer Logiken nachzuweisen, um die Fortschritte der modernen Logik zu veranschaulichen usw. Es lässt sich verwenden, um die eigenen

273

Ableitungsfähigkeiten zu schulen, um die Tätigkeit des Beweisens zu demonstrieren, um Zeit totzuschlagen usw.1 Zu den wichtigsten Verwendungszwecken eines logischen Systems L gehört: es einzusetzen, um das Vorliegen einer notwendigen Wahrheitsrelation nachzuweisen. Drei Fälle lassen sich unterscheiden: Fall 1: L wird verwendet, um zu zeigen, dass ein Überzeugungsinhalt A wahr sein muss, wenn alle Elemente einer Überzeugungsinhaltsmenge {A1, ..., An} wahr sind. Fall 2: L wird eingesetzt, um nachzuweisen, dass eine Repräsentation R* in einem von SL verschiedenen System S wahr sein muss, wenn alle Elemente einer Repräsentationsmenge {R1*, ..., Rn*} in S wahr sind. Fall 3: L wird verwendet, um nachzuweisen, dass eine Repräsentation R in SL wahr sein muss, wenn alle Elemente einer Repräsentationsmenge {R1, ..., Rn} in S wahr sind. Der erste Fall liegt z.B. vor, wenn eine Person P mit Hilfe eines prädikatenlogischen Systems PL1 überprüfen will, ob der Überzeugungsinhalt 'Ayla ist launisch oder ein Roboter' wahr sein muss, wenn die Überzeugungsinhalte 'Alle Katzen sind launisch' und 'Ayla ist eine Katze' wahr sind. Der zweite Fall ist beispielsweise gegeben, wenn P mit Hilfe von PL1 nachweisen will, dass der deutsche Satz "Ayla ist launisch oder ein Roboter" wahr sein muss, wenn die deutschen Sätze "Alle Katzen sind launisch" und "Ayla ist eine Katze" wahr sind. Der dritte Fall liegt z.B. vor, wenn eine Person mit Hilfe von PL1 überprüfen will, ob der PL1-Satz "(R12a1 ∨ R13a1)" in PL1 aus den PL1-Sätzen "∀x1(R11a1 → R12a1)" und "R11a1" folgt. 1

Vgl. Shimojima (1996a), S. 12f.

274

Der Einsatz von L kann mit Hilfe der folgenden Schemata beschrieben werden: Schema 1: L ist eine Logik. R1, ..., Rn, R sind Zeichen von SL. P und P* können identisch sein. 1. Eine Person P steht vor der Frage, ob ein Überzeugungsinhalt A wahr sein muss, wenn alle Elemente einer Menge von Überzeugungsinhalten {A1, ..., An} wahr sind. 2. Eine Person P* formuliert A, A1, ..., An mit R, R1, ..., Rn. R, R1, ..., Rn sollen angemessene Formulierungen von A, A1, ..., An sein. Es gilt: Ri ist genau dann eine angemessene Formulierung von Ai, wenn Ai und Ri dieselben Wahrheitsbedingungen besitzen. 3. P* erstellt eine Repräsentationsfolge s. s soll die Instanz einer regelgemäßen Ableitung von R aus {R1, ..., Rn} in L sein. 4. P kommt angesichts von s zu dem Ergebnis, dass R in L aus M folgt, und daraufhin zu dem Resultat, dass A wahr sein muss, wenn A1, ..., An es sind. Schema 2: L ist eine Logik, S* ein von SL verschiedenes Repräsentationssystem. R, R1, ..., Rn sind Zeichen von SL, R1*, ..., Rn*, R* Zeichen von S*. P und P* können identisch sein. 1. Eine Person P steht vor der Frage, ob R* wahr sein muss, wenn R1*, ..., Rn* wahr sind. 2. Eine Person P* übersetzt R*, R1*, ..., Rn* in R, R1, ..., Rn. R1, ..., Rn, R sollen angemessene Übersetzungen von R*, R1*, ..., Rn* sein. Es gilt: Ri ist genau dann eine angemessene Übersetzung von Ri*, wenn Ri und Ri* dieselben Wahrheitsbedingungen besitzen.

275

3. P* erstellt eine Repräsentationsfolge s, die die Instanz einer regelgemäßen Ableitung von R in L aus {R1, ..., Rn} sein soll. 4. P kommt angesichts von s zu dem Ergebnis, dass R in L aus M folgt, und daraufhin zu dem Resultat, dass R* wahr sein muss, wenn R1*, ..., Rn* es sind. Schema 3: L ist eine Logik. R1, ..., Rn sind Zeichen von SL. P und P* können identisch sein. 1. Eine Person P steht vor der Frage, ob R wahr sein muss, wenn R1, ..., Rn wahr sind. 2. Eine Person P* erstellt eine Repräsentationsfolge s, die die Instanz einer regelgemäßen Ableitung von R in L aus {R1, ..., Rn} sein soll. 4. P kommt angesichts von s zu dem Ergebnis, dass R in L aus M folgt. Wie die Schemata 1-3 zeigen, müssen verschiedene Tätigkeiten ausgeübt werden, wenn mit einem logischen Systems L das Vorliegen einer notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation nachgewiesen werden soll.2 So muss die ableitungserstellende Person P* u.a.: • Überzeugungsinhalte oder Repräsentationen angemessen in SL ausdrükken (1, 2)3 • Repräsentationen von SL niederschreiben (1, 2, 3) • Ableitungsregeln auf Repräsentationen von SL anwenden (1, 2, 3) Und die zu überzeugende Person P muss u.a.: • die von P* niedergeschriebenen Repräsentationen von SL interpretieren (1, 2, 3) 2 3

Vgl. Shimojima (1996b), S. 27 Die Zahlen verweisen auf die Schemata

276

• bewerten, ob es sich bei den Repräsentationen um angemessene Formulierungen oder Übersetzungen handelt (1, 2) • die von P* niedergeschriebene Zeichenfolge interpretieren (1, 2, 3) • bewerten, ob es sich bei einer Tokenfolge um die Instanz einer regelgemäßen Ableitung in SL handelt (1, 2, 3) Zwei logische Systeme können unterschiedlich gut geeignet sein, um verschiedene dieser Aufgaben zu erfüllen.4 Illustrieren lässt sich dies an einer Prädikatenlogik L, die über einen standard-axiomatischen Beweisbegriff verfügt, und einer Aussagenlogik L*, die einen natürlichen Beweisbegriff besitzt:5 Angenommen, es soll gezeigt werden, dass der folgende Überzeugungsinhalt A3 wahr sein muss, wenn die Überzeugungsinhalte A1 und A2 wahr sind: (A1) (A2) (A3)

'Alle Katzen sind launisch' 'Ayla ist eine Katze' 'Ayla ist launisch'

Wird hierzu auf L oder L* zurückgegriffen, müssen A1, A2 und A3 in SL oder SL* formuliert werden – und zwar auf eine Weise, die es ermöglicht, das Vorliegen logischer Folgerung nachzuweisen. Für diese Aufgabe ist L besser geeignet als L*. So folgt die L-Formulierung von A3 aus den LFormulierungen von A1 und A2, nicht aber die L*-Formulierung von A3 aus den L*-Formulierungen von A1 und A2.6 Angenommen aber, es soll gezeigt werden, dass der folgende Überzeugungsinhalt A5 wahr sein muss, wenn der Überzeugungsinhalt A4 gerechtfertigt ist. (A4) (A5) 4

'Tanja schwimmt' 'Wenn Tanja nicht schwimmt, dann badet Tanja'

Vgl. Barwise/Hammer (1996), S. 52-55; Shimojima (1996b), S. 27f. Vgl. Kap. 4.4 6 Vgl. Barwise/Etchemendy (2000), S. 227f. 5

277

Wird hierzu auf L oder L* zurückgegriffen, muss in L oder L* eine Repräsentationsfolge konstruiert werden, die zeigt, dass die Formulierung von A5 aus der Formulierungen von A4 abgeleitet werden kann. Für diese Aufgabe scheint L* besser geeignet zu sein als L: Im Regelfall wird es einfacher sein, eine Ableitung in einem Kalkül natürlichen Schließens zu finden als in einem axiomatischen System.7 Wie die Beispiele L und L* zeigen, lässt sich unter verschiedenen Hinsichten oder Aspekten bewerten, wie gut eine Logik geeignet ist, um das Vorliegen einer notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation nachzuweisen:8 Hinsichtlich der Ausdrucksstärke war L* L unterlegen, hinsichtlich des Findens von Ableitungen L L*. Aus den Tätigkeiten, die bei einem Nachweis durchgeführt werden, lässt sich eine Reihe solcher Hinsichten herleiten. Zu ihnen gehören u.a.: (H1) Ausdrucksstärke: Um das Vorliegen einer notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation nachweisen zu können, muss P* die Überzeugungsinhalte A, A1, ..., An oder die Repräsentationen R*, R1*, ..., Rn* in SL ausdrücken. Dies setzt jedoch voraus, dass SL über die notwendigen Ausdrucksmittel verfügt, um die relevanten Überzeugungsinhalte oder Repräsentationen ausdrücken zu können. Je mehr Ausdrucksmittel SL bereitstellt, desto besser scheint L geeignet zu sein, um das Vorliegen einer Wahrheitsvererbungsrelation nachzuweisen. (H2) Ableitungsstärke: Um das Vorliegen einer notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation nachweisen zu können, muss P* die Instanz einer regelgemäßen Ableitung von R aus {R1, ..., Rn} in SL erzeugen. Dies setzt jedoch voraus, dass es in L möglich ist, R aus {R1, ..., Rn} abzuleiten, wenn R in L aus {R1, ..., Rn} folgt. Je mehr logische Folgerungen in L abgeleitet werden können, desto besser scheint L geeignet zu sein, um das Vorliegen einer Wahrheitsvererbungsrelation nachzuweisen. 7

Vgl. in diese Richtung Barwise/Hammer (1996), S. 53. Streng genommen müsste diese Behauptung empirisch belegt werden. Da sie nur Anschauungszwecken dient, soll sie jedoch nicht weiter geprüft werden. 8 Vgl. Shimojima (1996a), S. 12f.

278

(H3) Handhabbarkeit der Repräsentationen: Um das Vorliegen einer notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation nachweisen zu können, muss P* eine Folge s von Repräsentationen des Repräsentationssystems S von L erzeugen. P muss diese Repräsentationen interpretieren. Allem Anschein nach gilt: L ist umso besser geeignet, das Vorliegen einer Wahrheitsvererbungsrelation nachzuweisen, je einfacher die Repräsentation von L zu konstruieren, zu interpretieren und zu beschreiben – d.h. zu handhaben – sind. (H4) Handhabbarkeit der Regeln: Um das Vorliegen einer notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation nachweisen zu können, muss P* eine Folge s von Repräsentationen erstellen. Hierzu muss er die Ableitungsregeln anwenden, auf die sich der Ableitungsbegriff von L bezieht. P muss überprüfen, ob die Ableitungsregeln richtig und regelgemäß angewendet worden sind. L scheint umso besser geeignet zu sein, um das Vorliegen einer Wahrheitsvererbungsrelation nachzuweisen, je einfacher die Regeln von L anzuwenden, zu beschreiben und in ihrer Anwendung zu überprüfen – d.h. zu handhaben – sind. (H5) Ableitungseffizienz: Um das Vorliegen einer notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation nachweisen zu können, muss P* eine Folge von Repräsentationen erstellen, die die Instanz einer regelgemäßen Ableitung in L bilden soll. P muss überprüfen, ob es sich tatsächlich um eine solche handelt. Je weniger Ableitungsschritte die Ableitung beinhaltet, desto geringer ist der Arbeitsaufwand. Allem Anschein nach gilt also: Je kürzer die Ableitungen von L im Schnitt sind, desto besser ist L geeignet, um das Vorliegen einer Wahrheitsvererbungsrelation nachzuweisen. (H6) Interpretationsentlastung von P zu Ungunsten von P*: Wenn L eingesetzt wird, um das Vorliegen einer notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation nachzuweisen, müssen P und P* verschiedene Tätigkeiten ausüben: P* muss u.a. angemessene Formulierungen oder Übersetzungen erzeugen und die Instanz einer regelgemäßen Ablei-

279

tung konstruieren; P muss u.a. die von P* vorgebrachte Repräsentationsfolge interpretieren usw. Je nachdem, wie L beschaffen ist, kann P* gezwungen sein, seine Aufgaben so zu erfüllen, dass es P mehr oder weniger schwer fällt, seine Aufgaben auszuführen. Da L eingesetzt wird, um für P das Vorliegen einer Wahrheitsvererbungsrelation nachzuweisen, scheint zu gelten: Ein System ist umso besser für diese Aufgabe geeignet, je stärker es P zu Ungunsten von P* entlastet. (H7) Sicherheit: Um das Vorliegen einer notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation nachweisen zu können, muss P* eine Folge s von Repräsentationen erzeugen, die die Instanz einer regelgemäßen Ableitung in L bilden soll. P muss überprüfen, ob es sich tatsächlich um eine solche Instanz handelt. Dabei kann es dazu kommen, dass P und P* fehlschließen oder Fehlschlüsse übersehen. L scheint umso besser geeignet zu sein, um mit seiner Hilfe Überzeugungsinhalte begründen zu können, je mehr die Eigenschaften von L das Auftreten von Fehlschlüssen hemmen. Die Liste könnte präzisiert und um weitere Hinsichten ergänzt werden. Im Weiteren sollen jedoch nur H1-H7 berücksichtigt werden. Um die These T3 nachzuweisen, genügt es allem Anschein nach, wenn gezeigt wird: Nicht-sprachliche Logiksysteme sind ihren sprachlichen Gegenstücken unter einigen der Aspekte H1-H7 prinzipiell unterlegen, unter anderen jedoch überlegen. Daher sollen im Folgenden die einzelnen Hinsichten durchgegangen werden. In Bezug auf H7 erübrigt sich die Aufgabe allerdings: Im vorangegangenen Kapitel wurde bereits gezeigt, dass VENN und CARROLL genauso sicher sind wie PL1 – vorausgesetzt, in SI wurden keine entscheidenden sicherheitsrelevanten Merkmale übersehen. Exkurs I zu den Verwendungszwecken logischer Systeme: In diesem Kapitel soll die Frage untersucht werden, wie nicht-sprachliche Logiken im Vergleich zu sprachlichen Systeme abschneiden, wenn es um den Nachweis einer notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation geht. Ist es jedoch

280

angemessen, diesen Verwendungszweck in den Mittelpunkt zu stellen? Es lassen sich Zweifel wecken: Ein zentrales Ziel dieser Arbeit ist es, nachzuweisen, dass nicht-sprachliche Logiksysteme den Systemen ebenbürtig sein können, die in der modernen Logik Standard sind: aussagenlogische Systeme, prädikatenlogische Systeme 1. Stufe usw. Diese Systeme der modernen Logik werden im Alltag und in der Wissenschaft jedoch kaum eingesetzt, um zu zeigen, dass etwas wahr sein muss, wenn dieses und jenes wahr ist. Scotto di Luzio schreibt: Es ist kaum eine Übertreibung zu sagen, dass in Wirklichkeit nur Studierende in Logikkursen jemals die Mühe auf sich nehmen müssen, formale Ableitungen niederzuschreiben. Und die meiste Zeit wundern sie sich, warum in aller Welt sie dazu gezwungen werden.9

Müssten daher nicht andere Verwendungszwecke in den Mittelpunkt gestellt werden, wenn es um den Vergleich sprachlicher und nichtsprachlicher Logiksysteme geht?10 Dass die Untersuchungen dieses Kapitels dennoch von Interesse sein können, lässt sich durch zwei Überlegungen plausibilisieren: 1.) Auch wenn die Systeme der modernen Logik selten eingesetzt werden, um das Vorliegen einer Wahrheitsvererbungsrelation nachzuweisen, bedeutet dies nicht, dass sie als Werkzeuge nur eine minderwertige und vernachlässigenswerte Rolle spielen. Vielmehr können sie als Spezialwerkzeuge betrachtet werden, die genau dann eingesetzt werden, wenn ein hohes Maß an Sicherheit und Präzision gewünscht ist (z.B. in philosophischen Texten oder mathematischen Ableitungen).11 2.) Wenn die Systeme der modernen Logik nicht hauptsächlich eingesetzt werden, um das Vorliegen einer Wahrheitsvererbungsrelation nachzuweisen – was sind dann ihre wesentlichen Verwendungszwecke? Es lassen sich zwei Aufgaben angeben: Sie werden als (a) deskriptive oder (b) normative Modelle eingesetzt.12 zu (a) deskriptive Modelle: Wird eine Logik L* als deskriptives Modell verwendet, dient sie dazu, solche Logiksysteme auf vereinfachte oder 9

Scotto di Luzio (2002), S. 42 [Aus dem Englischen ins Deutsche von St.B.] Vgl. Scotto di Luzio (2002), Kap. 3 11 Vgl. entgegen Scotto di Luzio (2002), S. 44ff. u. S. 71 12 Scotto di Luzio (2002), Kap. 3 10

281

idealisierte Weise zu beschreiben, die in den Schemata 1-3 die Rolle von L einnehmen.13 Als Beispiel für eine derartige Verwendungsweise könnte der Fall betrachtet werden, in dem mit Hilfe eines Computerprogramms simuliert werden soll, wie Menschen im Alltag Schlüsse ziehen, Überzeugungsinhalte begründen und Probleme lösen: Anstelle eines natürlichen Logiksystems wird ein künstliches System – z.B. eine Prädikatenlogik 1. Stufe – implementiert. Die künstliche Sprache des Systems fängt dabei nicht alle Facetten einer natürlichen Sprache ein, jedoch alle wesentlichen, um mit ihrer Hilfe menschliches Schließen simulieren zu können. zu (b) normatives Modell: Wird eine Logik L* als normatives Modell eingesetzt, dient sie als Ideal für die Systeme, die in den Schemata 1-3 die Rolle von L einnehmen: L sollte im Idealfall möglichst viele Eigenschaften von L* aufweisen – auch, wenn in der Praxis Abstriche gemacht werden müssen.14 Als Beispiel für eine derartige Verwendungsweise könnte die Praxis angeführt werden, Studierende mit einem System der Prädikatenlogik 1. Stufe vertraut zu machen: Die Studierenden sollen an Hand dieses Systems eine Art des Folgerns und Beweisens erlernen, die besonders präzise und sicher ist. Scotto di Luzio fasst diese Idee wie folgt: Aus Gründen wie diesen ist es sinnvoll, auch diejenigen in formaler Logik zu unterrichten, die in ihrem Beruf oder Studium niemals direkte Verwendung von ihr machen werden. "Formal Logic 101" ist mehr als ein Crashkurs in Zeichenmanipulation. Er ist auch eine gründliche Einführung in einen besonderen Argumentations- und Diskursstil. Er stellt die Studierenden auf eine deutlich vergrößerte Menge von Erwartungen ein, die die Erfordernisse für die Präsentation einer erfolgreichen Argumentation betreffen. Diese Erwartungen sind von einem Gesichtspunkt aus vollkommen unangemessen: Es wäre unglaubhaft, in Alltagszusammenhängen solche Anforderungen zu stellen. Aber dann ähnelt dies wieder stark dem Geschehen in einem militärischen Trainigslager: In beiden Fällen kann das intensive Training einen Nutzen für die wirkliche Welt haben – selbst, wenn die Trainierenden niemals dazu kommen sollten, exakt das zu machen, wozu sie trainiert worden sind. In dem Maß, in dem es vernünftig ist, Studierende (zumindest manchmal) dazu zu 13

Vgl. Scotto di Luzio (2002), S. 64-67

282

bringen, "mathematisch" zu denken und zu schreiben, könnte jemand viel Schlimmeres tun, als sie einem Kurs in formaler Logik auszusetzen.15

Wenn es für die logischen Systeme der modernen Logik maßgeblich ist, als deskriptive oder normative Modelle eingesetzt zu werden, können die Überlegungen aus diesem Kapitel aber durchaus von Belang sein: Angenommen, ein logisches System L* wird als deskriptives Modell einer Logik L eingesetzt. In diesem Fall werden zwar bestimmte Aspekte von L vereinfacht oder nicht erfasst, andere jedoch beibehalten und auf diese Weise hervorgehoben. Um welche Aspekte es sich handelt, hängt von den Absichten und Zielen des Modellierenden ab. Es könnte z.B. sein, dass es ihm darum geht, das hohe Maß an Sicherheit einzufangen, das bei mathematischen Beweisführungen gewährleistet wird. In diesem Fall wäre ein logisches System, das unter H7 gut abschneidet, besser als Modell geeignet als ein System, das unter H7 sehr schlecht zu bewerten ist. Angenommen, ein logisches System L* wird als normatives Modell von L verwendet. Dann geben bestimmte Eigenschaften von L* vor, wie L im Idealfall sein sollte: besonders ausdrucksstark, besonders gut handhabbar, besonders ableitungseffizient usw. Die Frage, wie sprachliche und nicht-sprachliche Logiken unter H1-H7 abschneiden, kann also auch eine Rolle spielen, wenn es um die Leistungsfähigkeit von Systemen als deskriptive und normative Modelle geht. Exkurs II zum Problem angemessener Übersetzungen: In den vorangegangenen Erläuterungen wurde die Position ÜB vorausgesetzt: Wenn eine Repräsentation R dieselben Wahrheitsbedingungen besitzt wie ein Überzeugungsinhalt A oder eine Repräsentation R*, dann ist dies nicht nur eine notwendige, sondern auch eine hinreichende Bedingung dafür, dass R eine angemessene Formulierung von A oder eine angemessene Übersetzung von R* ist.16 14

Vgl. Scotto di Luzio (2002), S. 67-71 Scotto di Luzio (2002), S. 70 [Aus dem Englischen ins Deutsche von St.B.] 16 S. die Schemata 1 und 2 zu Beginn des Kapitels 15

283

Diese Position ist jedoch nicht unproblematisch.17 So lassen sich u.a. die beiden folgenden Einwände vorbringen: 1.) Wird ÜB akzeptiert, müssen wir Übersetzungen und Formulierungen als angemessen betrachten, die es unserer Intuitionen zufolge nicht sind. Der deutsche Satz "Grendel schreit und Wulf rennt" lässt sich nach ÜB z.B. auf folgende Weise angemessen in SPL1 übersetzen:18 (S1) (S2) (S3)

(R11a1 ∧ R12a2) ¬(¬R11a1 ∨ ¬R12a2) ((R11a1 ∧ R12a2) ∧ (R13a1 ∨ ¬R13a1))

– wobei gilt: I(a1) = Grendel, I(a2) = Wulf, I(R11) = {x : x schreit}, I(R12) = {x : x rennt}, I(R13) = {x : x sonnt sich}. Im Regelfall werden wir jedoch nur S1 als angemessene Übersetzung von "Grendel schreit und Wulf rennt" ansehen, S2 und S3 dagegen als angemessene Übersetzungen von "Es ist nicht der Fall, dass Grendel nicht schreit oder Wulf nicht rennt" und "Grendel schreit und Wulf rennt, und Grendel sonnt sich oder nicht". Dass nicht alle Übersetzungen, die gemäß ÜB adäquat sind, tatsächlich als angemessen betrachtet werden sollten, scheint durch die folgende Überlegung gestützt zu werden:19 Angenommen, wir wollen nachweisen, dass der Satz "Es ist nicht der Fall, dass Grendel nicht schreit oder Wulf nicht rennt" wahr sein muss, wenn der Satz "Grendel schreit und Wulf rennt" wahr ist. Zu zeigen wäre also, dass zwischen zwei verschiedenen Sätzen eine notwendige Wahrheitsvererbungsrelation vorliegt. Können nun beide Sätze angemessen mit dem Satz "¬(¬R11a1 ∨ ¬R12a2)" in SPL1 übersetzt werden, scheint das Problem ungerechtfertigter Weise trivialisiert zu werden: Anstatt nachweisen zu müssen, dass ein Satz aus einem von ihm verschiedenen Satz folgt, muss nur noch nachgewiesen werden, dass ein Satz aus sich selber folgt. (Gegen diesen Trivialisierungsvorwurf ließe sich allerdings einwenden, dass das nicht-triviale Problem bereits durch die 17

Vgl. zu dieser Thematik insbesondere Brun (2003) und Beckermann (2003), S. 4350 u. S. 132-136 18 Vgl. Brun (2003), S. 237; Sainsbury (2001), S. 342f. 19 Vgl. Brun (2003), S. 237f.

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Übersetzung gelöst wurde und daher als Ableitungsproblem trivial geworden sei.) 2.) Üblicherweise soll mit Hilfe eines logischen Systems nicht nachgewiesen werden, dass zwischen einer systemfremden Menge M* und einer systemfremden Repräsentation R* eine notwendige Wahrheitsvererbungsrelation vorliegt. Es soll gezeigt werden, dass zwischen ihnen formale Folgerung besteht. Wird ÜB vertreten, ergeben sich allerdings Schwierigkeiten für ein solches Vorhaben:20 Angenommen, es soll geklärt werden, ob R1* im Deutschen formal aus M1* folgt: (M1*) (R1*)

{Herr Schmidt ist Junggeselle} Herr Schmidt ist unverheiratet.

Den Ausführungen in Kapitel 4 zufolge ist dies nicht der Fall: besitzt eine logische Form, die mit Hilfe des folgenden Schemas S dargestellt werden kann – die übliche Menge der schriftdeutschen logischen Konstanten vorausgesetzt. (S)

Die Ausdrücke "ist Junggeselle" und "ist verheiratet" lassen sich entsprechend ihrer semantischen Kategorien wie folgt uminterpretieren: "(ist) Junggeselle" stehe für die Menge der Männer, "(ist) unverheiratet" für die Menge der Frauen. Unter dieser Uminterpretation gilt: Jedes Element der ersten Koordinaten ist wahr, die zweite Koordinate falsch – R1* folgt nicht formal aus M1*. Gemäß ÜB lassen sich R1* und M1* aber wie folgt in SPL1 übersetzen: (M1) (R1) 20

{((R11a1 ∧ R12a1) ∧ R13a1)} R13a1

Vgl. Blau (1977), S. 17f.; Brun (2003), S. 240-244

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– wobei gilt: I(a1) = Herr Schmidt, I(R11) = {x : x ist männlich}, I(R12) = {x : x ist erwachsen}, I(R13) = {x ist unverheiratet}, I(R14) = {x : x ist Junggeselle}. R1 kann in PL1 aus M1 abgeleitet werden (∧ Elim). R1 folgt in PL1 somit formal aus M1. Wird dieses Ergebnis im Sinne eines Nachweises formaler Folgerung auf R1* und M1* übertragen, ergibt sich ein Widerspruch zu den obigen Überlegungen. ÜB kann nicht angemessen sein. Angesichts dieser beiden Einwände wird oft verlangt, dass nicht nur die Wahrheitsbedingungen übereinstimmen müssen, damit eine angemessene Formulierung oder Übersetzung vorliegt, sondern auch die logische Form oder die grammatische Struktur.21 "((R11a1 ∧ R12a1) ∧ R13a1)" würde in diesem Fall als adäquate Übersetzung von "Herr Schmidt ist Junggeselle" ausscheiden. Angemessen wäre allein "R14a1". Eine Übereinstimmung in Form oder Struktur zu fordern, birgt jedoch ebenfalls Schwierigkeiten:22 Wird logische Form als etwas bestimmt, das sich aus (i) den vorkommenden logischen Konstanten, (ii) den semantischen Kategorien der vorkommenden nicht-logischen Ausdrücke und (iii) der Anordnung der vorkommenden Ausdrücke ergibt, scheinen bestimmte Übersetzungen nicht angemessen zu sein, die üblicherweise als Standardbeispiele für adäquate Übersetzungen betrachtet werden. So ist es üblich, den folgenden Satz S5 als adäquate prädikatenlogische Übersetzung von S4 zu betrachten: (S4) (S5)

"Alle Junggesellen sind unverheiratet" "∀x1(R14x1 → R13x1)"

Es gilt jedoch: S4 besitzt eine logische Form, die sich durch das Schema "Alle *****P _____P" wiedergeben lässt, der prädikatenlogische Satz eine Form, die durch S5 selber dargestellt wird.23 Während die Formdarstellung von S5 ein Konditionalzeichen enthält, enthält die Formdarstellung von S4 21

Vgl. hierzu etwa Borg/Lepore (2002); Brun (2003), Kap. 12; Sainsbury (2001), S. 44 u. S. 52f. 22 Vgl. etwa Beckermann (2003), S. 43-50 23 Vgl. Brun (2003), S. 147

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kein Wenn-dann-Zeichen. Dass S4 und S5 dieselbe logische Form oder grammatische Struktur besitzen, scheint unplausibel zu sein.24 Um diesem Problem zu begegnen, stehen verschiedene Möglichkeiten offen: Zum einen könnte bestritten werden, dass S4 und S5 adäquate Übersetzungen voneinander sind. Zum anderen ließe sich behaupten, dass S4 und S5 – entgegen dem ersten Augenschein – dieselbe logische Form besitzen, dies bei den gewählten Formdarstellungen jedoch nicht ersichtlich werde. Der Satz "Alle Junggesellen sind unverheiratet" enthält demzufolge 'implizit', 'verdeckt' oder 'in der Tiefenstruktur' ein Konditional. Auf die Schwierigkeiten um die Frage nach der Angemessenheit von Übersetzungen oder Formulierungen soll im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter eingegangen werden. Eine Übersetzung soll weiterhin genau dann als angemessen gelten, wenn die Wahrheitsbedingungen übereinstimmen. Dem Problem wird allerdings insoweit Rechnung getragen, als dass in den Formulierungen der Fälle 1 und 2 nicht davon gesprochen wird, der Nachweis logischer Folgerung in L diene dem Nachweis logischer Folgerung außerhalb von L. Stattdessen wird gesagt, er diene dem Nachweis einer notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation. (Der Nachweis, dass R1 in PL1 aus M1 folgt, soll dementsprechend nur zeigen, dass R1* wahr sein muss, wenn alle Elemente von M1* wahr sind – nicht aber, dass R1* formal aus M1* folgt.) Eine weiteres Problem, das sich im Zusammenhang mit der Aufgabe der Übersetzung stellt, ist die Frage: Lassen sich Repräsentationen rein mechanisch übersetzen? Oder verlangt diese Aufgabe eine Kunstfertigkeit, die über die sture Anwendung von Regeln hinausgeht? Angemessener scheint die letzte Sichtweise zu sein.25 So gibt es zwar eine Reihe gut anwendbarer und recht zuverlässiger Übersetzungsstrategien – blind angewendet können sie jedoch in die Irre führen. Deutlich machen lässt sich dies an der Strategie, quantifizierte Sätze Schritt für Schritt zu übersetzen.26 Ein Allsatz wie "Jeder Bauer, der trinkt, besitzt einen Esel" wird ihr gemäß übersetzt, indem zunächst der Quantorausdruck "jeder Bauer" übersetzt und das zugehörige logische Gerüst 24

Vgl. Sainsbury (2001), S. 341 Vgl. Beckermann (2003), S. 135; Brun (2003), S. 67 u. S. 176 26 Barwise/Etchemendy (2000), S. 298ff. 25

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angegeben wird. Anschließend werden Schritt für Schritt die Leerstellen ausgefüllt: (Ü1) 1. "Jeder Bauer, der trinkt, besitzt einen Esel" 2. "∀x (Bauer(x) ... → ...)" 3. "∀x ((Bauer(x) ∧ Trinkt(x)) → ...)" 4. "∀x ((Bauer(x) ∧ Trinkt(x)) → ∃y (... ∧ ...))" 5. "∀x ((Bauer(x) ∧ Trinkt(x)) → ∃y (Esel(y) ∧ Besitzt(x, y))" Diese Strategie liefert in vielen Fällen ein angemessenes Ergebnis. Im Fall des Satzes "Jeder Bauer, der einen Esel besitzt, wird von ihm gebissen" kann sie jedoch in die Irre führen. Die bessere Strategie ist hier, den natürlich-sprachlichen Satz auf geeignete Weise zu paraphrasieren. Erst dann wird die Schritt-für-Schritt-Methode angewendet.27 (Ü2) 1. "Jeder Bauer, der einen Esel besitzt, wird von ihm gebissen" 2. "Für alle Esel gilt: Alle Bauern, die sie besitzen, werden von ihnen gebissen" 3. ... 4. "∀x (Esel(x) → ∀y ((Bauer(y) ∧ Besitzt(y, x)) → Beißt(x, y)))"

8.2 Nicht-sprachliche Systeme und Ausdrucksstärke. Der Aspekt der Ausdrucksstärke betrifft das Repräsentationssystem S einer Logik L. Intuitiv gesprochen ist L umso ausdrucksstärker, je mehr Entitäten sich in S repräsentieren lassen. In einem ersten Ansatz kann diese intuitive Formulierung wie folgt präzisiert werden: (AUS) Eine Logik L ist mindestens genauso ausdrucksstark wie eine Logik L*, wenn alle Entitäten, die sich mit dem Repräsentationssystem von L* repräsentieren lassen, auch mit dem Repräsentationssystem von L repräsentiert werden können. 27

Barwise/Etchemendy (2000), S. 300ff. Bei dem angeführten Satz handelt es sich um die Theuer-Variante des Eselsatzes.

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L ist ausdrucksstärker als L*, wenn L mindestens genauso ausdrucksstark ist wie L* – aber nicht umgekehrt. Sind VENN und CARROLL mindestens genauso ausdrucksstark wie PL1? Die Antwort ist negativ: Mit den Repräsentationssystemen von VENN und CARROLL ist es möglich, Mengen zu repräsentieren, den Sachverhalt, dass eine Menge leer ist, den Sachverhalt, dass eine Menge nicht leer ist (nur SCARROLL), die Konjunktion solcher Sachverhalte und die Disjunktion solcher Sachverhalte (nur SCARROLL). All diese Entitäten können auch in PL1 repräsentiert werden. Darüber hinaus ist es in PL1 jedoch möglich, einzelne Gegenstände durch Individuenbuchstaben zu bezeichnen. PL1 ist somit ausdrucksstärker als VENN und CARROLL. Lässt sich dieser Befund verallgemeinern? Sind nicht-sprachliche Logiksysteme einem sprachlichen System wie PL1 prinzipiell an Ausdrucksstärke unterlegen? So wie der Begriff des nicht-sprachlichen Logiksystems im Rahmen dieser Arbeit expliziert wurde, kann diese Frage verneint werden: Zu den nicht-sprachlichen Logiken zählt auch eine heterogene Logik, deren Repräsentationssystem aus zwei Teilsystemen besteht: (i) einem Teilsystem, das nicht-sprachlich ist, und (ii) einem Teilsystem, das SPL1 oder einem anderen sprachlichen System entspricht. Ein Beispiel für eine solche Logik ist das von Barwise und Etchemendy entwickelte System HYPERPROOF.28 SHYPERPROOF setzt sich aus zwei Teilsystemen zusammen: (i) einem nicht-sprachlichen System, in dem Sachverhalte bezüglich einer 'Blockwelt' mit Hilfe graphischer Darstellungen repräsentiert werden können, und (ii) einem sprachlichen System, in dem sich diese Sachverhalte mit Hilfe prädikatenlogischer Sätze wiedergeben lassen. (Die prädikatenlogische Sprache von HYPERPROOF besitzt zwar nicht die Ausdrucksstärke von SPL1, könnte jedoch ohne weiteres durch SPL1 ersetzt werden.) Somit ist es möglich, nicht-sprachliche Logiksysteme zu konstruieren, die mindestens genauso ausdrucksstark sind wie jede beliebige sprachliche Logik.29 Ist die Frage nach der Ausdrucksstärke nicht-sprachlicher Logiksysteme damit angemessen beantwortet? Es könnte eingewendet werden, dass der 28

Barwise/Etchemendy (1994). Vgl. auch Barwise/Etchemendy (1996a), S. 14-22; Barwise/Etche-mendy (1996b), S. 186-199 29 Vgl. Johnson/Barwise/Allwein (1996)

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Punkt, der vom eigentlichen Interesse sei, bisher nicht geklärt wurde: Lässt sich mit den Mitteln, auf Grund derer ein Repräsentationssystem nichtsprachlich ist, genauso viel ausdrücken wie mit sprachlichen Mitteln? Oder anders formuliert: Können rein nicht-sprachliche Repräsentationssysteme mindestens genauso ausdrucksstark sein wie sprachliche Systeme? Die obige Argumentation greift in diesem Fall nicht. Tatsächlich scheint sich zeigen zu lassen, dass rein nicht-sprachliche Systeme weniger ausdrucksstark sind als sprachliche Systeme – zumindest, wenn praktische Zwänge berücksichtigt werden:30 Um Relationen auszudrücken, werden in rein nicht-sprachlichen Systemen Teilzeichen auf bestimmte Weise im zweidimensionalen Raum angeordnet. Soll z.B. eine Echte-Teilmengen-Beziehung zwischen A und B repräsentiert werden, wird das Zeichen für A in dem Zeichen von B angeordnet. In sprachlichen Systemen wird dagegen ein Relationsausdruck verwendet – z.B. der Ausdruck "⊂". Die Zahl der Anordnungen, die von uns praktisch unterscheidbar sind, scheint nun deutlich geringer zu sein als die Zahl der Relationsausdrücke, die von uns unterscheidbar sind. Rein nichtsprachliche Systeme sind somit allem Anschein nach weniger ausdrucksstark als sprachliche Systeme wie PL1 oder SD. Es stellt sich allerdings die Frage, wie stark eine allgemein geringere Ausdrucksstärke gegen ein System spricht:31 Aussagenlogische Logiksysteme sind allgemein betrachtet weniger ausdrucksstark als prädikatenlogische Systeme. Wenn es um die Frage geht, ob aussagenlogische Folgerung vorliegt oder nicht, ist eine Aussagenlogik jedoch ausdrucksstark genug, um mit ihrer Hilfe alle fraglichen Fälle klären zu können. Der Problemlösungsbereich 'Aussagenlogische Folgerung' lässt sich dabei unabhängig von aussagenlogischen Systemen definieren und motivieren. Werden aussagenlogische Systeme als Werkzeuge betrachtet, die auf diesen Problemlösungsbereich zugeschnitten sind, fällt ihre allgemein geringere Ausdrucksstärke somit nicht ins Gewicht. Auf gleiche Weise könnte im Fall von CARROLL argumentiert werden: CARROLL ist allgemein betrachtet weniger ausdrucksstark als PL1. Geht es um die Frage, ob syllogistische Folgerung vorliegt oder nicht, ist CAR30

Vgl. Barwise/Hammer (1996), S. 74ff.

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ROLL jedoch ausdrucksstark genug, um mit seiner Hilfe alle fraglichen Fälle entscheiden zu können. Der Problemlösungsbereich syllogistischer Folgerung lässt sich dabei unabhängig von CARROLL definieren und motivieren. (Tatsächlich bildete er von der Antike bis ins 18./19. Jahrhundert einen Hauptgegenstand logischer Untersuchungen.32) Wird CARROLL als ein Werkzeug gesehen, das auf diesen Problemlösungsbereich zugeschnitten ist, fällt die allgemein geringere Ausdrucksstärke von CARROLL nicht ins Gewicht. Fazit (AUS vorausgesetzt): Wenn Nicht-Sprachlichkeit am Besitz strukturähnlicher Repräsentationen festgemacht wird, scheinen rein nichtsprachliche Systeme weniger ausdrucksstark zu sein als ihre sprachlichen Gegenstücke: Die Anzahl der Teilzeichen-Relationen, die von uns differenzierbar sind, ist geringer als die Zahl der Relationsausdrücke, die von uns differenzierbar sind. Dieses negative Ergebnis lässt sich jedoch in zwei Hinsichten relativieren: 1.) In nicht-sprachlichen Repräsentationssystemen kann die Ausdrucksschwäche rein nicht-sprachlicher Mittel ausgeglichen werden, indem sprachliche Ausdrucksmittel beigesteuert und heterogene Systeme konstruiert werden.33 2.) Wie das System CARROLL zeigt, können rein nicht-sprachliche Systeme ihren sprachlichen Gegenstücken an Ausdrucksstärke ebenbürtig sein, wenn spezielle Problemlösungsbereiche betrachtet werden. Exkurs (Negation und Nicht-Sprachlichkeit): Wichtig für die Bewertung nicht-sprachlicher Logiken ist die Frage: Können negative, disjunktive und konditionale Informationen nicht-sprachlich ausgedrückt werden – und, wenn ja, wie?34 Die Antwort hängt davon ob, was unter NichtSprachlichkeit verstanden wird. Wird ein syntaktischer Ansatz vertreten, scheint es keine Probleme zu geben, z.B. negative Informationen nicht-sprachlich auszudrücken. Dies 31

Vgl. Fisler (1996), S. 226; in einem etwas anderem Zusammenhang auch Shin (1994), S. 3 32 Vgl. etwa Greaves (2002), Kap. 8 u. 9 33 Vgl. Barwise/Hammer (1996), S. 75; Johnson/Barwise/Allwein (1996), S. 203 34 Vgl. hierzu insbesondere Shin (1994), Kap. 6

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lässt sich an Peirces System Sα35 illustrieren und der Idee, NichtSprachlichkeit an der Verwendung geometrischer Figuren festzumachen: Das System Sα enthält als einfache Zeichen Satzbuchstaben und einen "Cut"36 – einer geschlossenen Kurve, die hier eine Ellipse, also eine geometrische Figur sein soll. p1, p2, p3 ...

[Satzbuchstaben] [Cut]

Die Menge der wohlgeformten Zeichen von Sα lässt sich induktiv wie folgt bestimmen: 1. Jeder Satzbuchstabe ist ein wohlgeformtes Zeichen von Sα. 2. Wenn A ein wohlgeformtes Zeichen von Sα ist, dann ist das Zeichen, das entsteht, wenn A echt von einem Cut eingeschlossen wird, ein wohlgeformtes Zeichen von Sα. 3. Wenn A und B wohlgeformte Zeichen von Sα sind, dann ist jede Nebeneinanderordnung (ohne Überschneidungen) ein wohlgeformtes Zeichen von Sα. 4. Nichts sonst ist ein wohlgeformtes Zeichen von Sα.37 Die Satzbuchstaben stehen für Sachverhalte oder Wahrheitswerte, der Cut für die Negation und das Nebeneinanderordnen von Zeichen für die Konjunktion.38 Zu jedem Zeichen R von Sα lässt sich nun offensichtlich auf rein nichtsprachliche Weise die Negation ¬R bilden: R wird vom Cut eingeschlossen. Beispiel: 35

Peirce entwickelte drei diagrammatische Systeme: Alpha, Beta und Gamma. Alpha entspricht von seiner Ausdrucksstärke einer klassischen aussagenlogischen Sprache, Beta einer prädikatenlogischen Sprache und Gamma einer modallogischen Sprache. Für alle drei Systeme gab er Ableitungsregeln an und konstruierte damit erste nichtsprachliche Logiken. Seine Ideen wurden in der Entwicklung der modernen Logik jedoch nicht aufgegriffen. Vgl. hierzu Greaves (2002) 36 Vgl. Hammer (1996) 37 Vgl. Hammer (1996), S. 131 38 Vgl. Hammer (1996), S. 131

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¬R

R p1

p2

p1

p2

Wie sieht es jedoch mit negativen Informationen aus, wenn NichtSprachlichkeit an Strukturähnlichkeit festgemacht wird (wie in diesem Kapitel)? In diesem Fall scheinen die rein nicht-sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten beschränkt zu sein. Illustriert werden kann dies an VennDiagramm-Systemen: In Venns ursprünglichen System lassen sich nur universelle Informationen und deren Konjunktionen repräsentieren ('Alle A sind B', 'Kein A ist B' etc.). Negierte universelle Informationen können nicht ausgedrückt werden. So ist es in SVENN nicht möglich, die Negation ¬R des folgenden Venn-Diagramms R zu konstruieren: ¬R

R F1



F2

Erst durch das von Peirce entwickelte Hilfsmittel des Kreuzes lässt sich ¬R bilden: ¬R

R F1



F2

F1

x

F2

Das heißt: Wird das Kreuz als rein nicht-sprachliches Ausdrucksmittel gewertet, kann in bestimmten Fällen rein nicht-sprachlich negiert werden.

293

Dies ist jedoch nicht in allen Fällen möglich – wie das folgende Diagramm zeigt: ¬R

R F1 x



F2

Die einzige Möglichkeit bestünde hier darin, auf Peirces zweites Hilfsmittel – die Linie – zurückzugreifen: ¬R

R F1 x



F2

F1 •

x

F2

Allerdings scheint es nicht angemessen zu sein, die Linie als nichtsprachliches Ausdrucksmittel zu betrachten – zumindest nicht, wenn das Disjunktionszeichen "∨" als sprachliches Ausdrucksmittel gesehen wird. Die Möglichkeiten, negative Informationen rein nicht-sprachlich auszudrücken, sind also allem Anschein nach beschränkt. (Es lassen sich aber auch zwei positive Punkte festhalten, wenn es um die Ausdrucksmöglichkeiten nicht-sprachlicher Systeme geht: 1. Die Art, wie konjunktive Informationen ausgedrückt werden, scheint im nicht-sprachlichen Fall effizienter zu sein als im sprachlichen Fall. Dies soll in Abschnitt 8.6 gezeigt werden.39 2. Gleiches gilt für die Art, wie widersprüchliche Informationen repräsentiert werden: Im nicht-sprachlichen Fall werden die Widersprüche in gewisser Weise 'sichtbar' – z.B., (i) wenn ein Zeichen, das nur an einer Stelle vorkommen darf, an zwei Stellen auftaucht, oder (ii) wenn zwei 39

Vgl. Shin (1994), S. 163ff.

294

Zeichen, die nur an unterschiedlichen Stellen vorkommen dürfen, an einer Stelle auftauchen.40)

8.3 Nicht-sprachliche Systeme und Ableitungsstärke. Der Aspekt der Ableitungsstärke betrifft das Verhältnis, in dem der Ableitungs- und der Folgerungsbegriff eines logischen Systems L stehen. Intuitiv gesprochen ist L umso ableitungsstärker, je mehr logische Folgerungen sich in L ableiten lassen. Wenn L vollständig ist, besitzt L das höchste Maß an Ableitungsstärke: Jede Repräsentation, die in L aus einer Menge M folgt, kann in L aus M abgeleitet werden. Für die Zwecke dieser Arbeit genügt es, diese intuitiven Formulierungen wie folgt zu präzisieren: (ABL) Ein logisches System L ist mindestens genauso ableitungsstark wie ein System L*, wenn L vollständig ist. L ist ableitungsstärker als L*, wenn L vollständig ist, L* aber nicht. Sind VENN und CARROLL mindestens genauso ableitungsstark wie PL1? PL1 ist vollständig und besitzt somit das höchste Maß an Ableitungsstärke. Wie Sun-Joo Shin41, Eric Hammer und Norman Danner42 an logischen Venn-Peirce-Diagrammsystemen gezeigt haben, können nicht-sprachliche Logiken jedoch ebenfalls vollständig sein. Ihre Beweise lassen sich in modifizierter Form auf VENN und CARROLL übertragen – zumindest, wenn CARROLL so modifiziert wird, dass sein Repräsentationssystem nur triliterale Diagramme enthält. (Das so modifizierte System wird im Folgenden "CARROLL*" genannt.) Aus Platzgründen seien die Beweise hier nur skizziert und auf den Nachweis beschränkt, dass eine Repräsentation, die aus einer endlichen Menge folgt, aus dieser Menge abgeleitet werden kann.43 40

Vgl. Shin (1994), S. 166ff. Shin (1994), S. 98-110 42 Hammer/Danner (1996), S. 119-127 43 Wie in Shin (1994). Vgl. Hammer/Danner (1996), S. 119f. 41

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• Eingeschränkter Vollständigkeitsbeweis für VENN (Skizze)44 Um zu zeigen, dass VENN vollständig ist, muss gezeigt werden: Wenn eine Repräsentation R in VENN aus einer Menge Γ folgt, dann lässt sich in VENN eine Ableitung von R aus Γ konstruieren. Angenommen, Γ |=V R – wobei Γ eine endliche Menge ist. Dann gilt: Mit Hilfe der Vereinigungsregel RV4 können alle Diagramme von Γ schrittweise zu einem Diagramm R* vereinigt werden: (1)

Γ |V R*

Da jeder Sachverhalt, der in irgendeinem Diagramm Ri von Γ repräsentiert wird, in R* repräsentiert wird, gilt: {R*} |=V Ri. In Anbetracht von Γ |=V R bedeutet dies: {R*} |= R. Aus R* kann nun mit Hilfe der Kurveneinführungsregel RV3 ein Diagramm R** gewonnen werden, für das gilt: Jeder Basisregionstyp von R ist auch eine Basisregion von R**. (R** = R*, wenn alle Basisregionen von R Basisregionen von R* sind.) (2)

{R*} |V R**

Mit Hilfe der Kurvenbeseitigungsregel RV2 lässt sich R* aus R** ableiten: {R**} |V R*. Da VENN korrekt ist, gilt: {R**} |=V R*. Und weil {R*} |=V R, lässt sich festhalten: {R**} |=V R. Weil jede Basisregion von R jedoch auch in R** vorkommt, bedeutet dies: Diejenigen R**Gegenstücke zu den Regionen von R, die in jeder ihrer Teilregionen einen Punkt enthalten, enthalten ebenfalls in jeder ihrer Teilregionen einen Punkt. Dies aber heißt: Mit Hilfe der Kurvenbeseitigungsregel kann R in VENN aus R** abgeleitet werden: (3)

{R**} |V R

1 bis 3 bedeuten zusammengenommen, dass sich R in VENN aus Γ ableiten lässt: 44

Vgl. Hammer/Danner (1996), S. 119f.; Shin (1994), S. 98-110

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(4)

Γ |V R

Wenn R in VENN aus Γ folgt, lässt sich in VENN also eine Ableitung von R aus Γ konstruieren. • Eingeschränkter Vollständigkeitsbeweis für CARROLL* (Skizze)45 Um zu zeigen, dass CARROLL* vollständig ist, muss gezeigt werden: Wenn eine Repräsentation R in CARROLL* aus einer Menge Γ folgt, dann lässt sich in CARROLL* eine Ableitung von R aus Γ konstruieren. Angenommen, Γ |=C* R – wobei Γ eine endliche Menge ist. Dann gilt: Mit Hilfe der Vereinigungsregel RC8 können alle Diagramme in Γ schrittweise zu einem Diagramm R* vereinigt werden. (1)

Γ |C* R*

Aus R* können mit Hilfe der Kreuzfolgenreduzierungsregel RC3 Diagramme gewonnen werden, die keine Kreuze in punktierten Basiszellen besitzen. Diese Diagramme können mit Hilfe der Vereinigungsregel RC8 schrittweise zu einem Diagramm R** vereinigt werden: (2)

{R*} |C* R**

Aus R** können allein mit Hilfe der Kreuzfolgenerweiterungsregel RC4 weitere Diagramme gewonnen werden. All diese Diagramme lassen sich wiederum durch eine mehrfache Anwendung der Regel RC8 zu einem Diagramm R*** vereinigen: (3)

{R**} |C* R***

Nun kann gezeigt werden, dass sich R in CARROLL* mit Hilfe von Beseitigungsregeln aus R*** ableiten lässt: (4) 45

{R***} |C* R

Vgl. Hammer/Danner (1996), S. 119f.; Shin (1994), S. 98-110

297

1 bis 4 bedeuten zusammengenommen aber, dass R in CARROLL* aus Γ abgeleitet werden kann: (5)

Γ |C* R

Wenn R in CARROLL* aus Γ folgt, kann in CARROLL* also eine Ableitung von R aus Γ konstruiert werden. Fazit (ABL vorausgesetzt): Nicht-sprachliche Systeme können ebenso wie PL1 das höchste Maß an Ableitungsstärke besitzen.

8.4 Nicht-sprachliche Systeme und Handhabbarkeit der Zeichen. Der Aspekt der Handhabbarkeit von Repräsentationen betrifft das Zeichensystem einer Logik L. Intuitiv gesprochen sind die Repräsentationen von L umso besser zu handhaben, je leichter sie sich konstruieren, interpretieren und beschreiben lassen. Es ist nicht einfach, diese intuitive Bestimmung zu präzisieren und an konkreten Eigenschaften von SL festzumachen: Wird L eingesetzt, um Überzeugungsinhalte zu begründen, beinhaltet der Umgang mit den Repräsentationen von SL eine Reihe verschiedenartiger Tätigkeiten: Die Repräsentationen müssen niedergeschrieben, interpretiert und auf Fehler überprüft werden.46 Eine Eigenschaft von SL kann sich dabei in Bezug auf die eine Tätigkeit als vorteilhaft erweisen, in Bezug auf die andere als Nachteil. Ähneln die Repräsentationen von SL z.B. strukturell den repräsentierten Sachverhalten, mag dies dazu führen, dass sie leichter zu interpretieren sind. Andererseits könnte es dazu führen, dass sie schwerer niederzuschreiben und auszutauschen sind. All diese Aspekte zu beachten und gegeneinander aufzuwiegen, ist in dieser Arbeit nicht möglich – zumal kognitive Aspekte zu berücksichtigen wären. Um sprachliche und nicht-sprachliche Logiken jedoch ansatzweise vergleichen zu können, soll im Folgenden eine Eigenschaft von Repräsentationssystemen betrachtet werden, die zumindest eine gewisse Relevanz für 46

Vgl. Shimojima (1996b), S. 27

298

die Frage nach der Handhabbarkeit von Repräsentationen besitzt: die Eigenschaft der Linearität. Diese Eigenschaft spielt insofern eine Rolle für die Handhabbarkeit von Repräsentationen, als dass sich die Zeichen linearer Repräsentationssysteme wesentlich leichter kommunizieren (z.B. diktieren) und beschreiben lassen als die Zeichen nicht-linearer Systeme: Die Repräsentationen nichtlinearer Systeme können nur kommuniziert werden, indem (i) die enthaltenen Teilzeichen in einer bestimmten Reihenfolge angegeben werden und (ii) beschrieben wird, wie diese Zeichen im zweidimensionalen Raum angeordnet sind. Im Fall von linearen Systemen genügt es, die enthaltenen Teilrepräsentationen in der richtigen Reihenfolge anzugeben.47 Das Kriterium der Handhabbarkeit von Repräsentationen soll daher auf provisiorische Weise wie folgt präzisiert werden: (HAZ) Die Repräsentationen einer Logik L lassen sich mindestens genauso gut handhaben wie die Repräsentationen einer Logik L*, wenn das Repräsentationssystem von L linear ist. Die Repräsentationen von L lassen sich besser handhaben als die Repräsentationen von L*, wenn das Repräsentationssystem von L linear ist, das Repräsentationssystem von L* nicht. Können die Repräsentationen von VENN und CARROLL mindestens genauso gut handhabbar sein wie die Repräsentationen von PL1? Die Antwort fällt negativ aus: Das Repräsentationssystem von PL1 ist linear. PL1 besitzt somit das höchste Maß an Handhabbarkeit. Die Repräsentationssysteme von VENN und CARROLL sind hingegen nicht-linear. Kann dieses negative Resultat verallgemeinert werden? Lassen sich die Repräsentationen nicht-sprachlicher Systeme prinzipiell schlechter handhaben als die Repräsentationen von PL1? Aus theoretischer Sicht lautet die Antwort "nein":48 Wird Nicht-Sprachlichkeit an Strukturähnlichkeit festgemacht, können Repräsentationssysteme konstruiert werden, die nichtsprachlich und linear sind. Ein Beispiel hierfür ist das Repräsentationssy47 48

Vgl. Perini (2005), S. 264 Vgl. Kap. 5.4 und 5.6

299

stem von STRICH: Es ist zwar gemäß NS-SD1 nicht-sprachlich, enthält aber auch Repräsentationen, die den repräsentierten Sachverhalten strukturell ähneln. Aus Sicht der Praxis scheinen solche nicht-linearen, nicht-sprachlichen Repräsentationssysteme jedoch kaum relevant zu sein. Die nichtsprachlichen Systeme, die im Alltag und in der Wissenschaft verwendet werden, sind im Regelfall nicht-linear – wie etwa Landkarten-, Abbildungs-, Graphen-, Tabellen-, Struktur-Diagramm-, Venn-Diagramm-, Euler-Diagramm-, Baum-Diagramm-, Stromkreis-Diagramm- und Schaltkreis-Diagramm-Systeme. Logiken, die auf Grundlage dieser Systeme errichtet werden und somit eine gewisse Praxisrelevanz besitzen, enthalten dementsprechend weniger gut handhabbare Repräsentationen als sprachliche Logiken. Fazit (HAZ vorausgesetzt): Theoretisch können sich die Repräsentationen nicht-sprachlicher Logiksysteme ebenso gut handhaben lassen wie die Repräsentationen von PL1. Im Regelfall werden sie jedoch weniger leicht zu verwenden sein: Nicht-sprachliche Repräsentationssysteme, die in der Praxis vorkommen und die Grundlage praxisrelevanter Logiken bilden können, sind meistens nicht-linear. HAZ bildet allerdings nur ein erstes, vorläufiges Kriterium, um die Handhabbarkeit von Repräsentationen zu bewerten.

8.5 Nicht-sprachliche Systeme und Handhabbarkeit der Regeln. Der Aspekt der Handhabbarkeit der Regeln betrifft das Repräsentationssystem und den Ableitungsbegriff einer Logik L. Intuitiv gesprochen sind die Regeln von L umso besser zu handhaben, je leichter sie sich erlernen, anwenden und überprüfen lassen. Wie im Fall der Handhabbarkeit von Repräsentationen ist es nicht einfach, diese intuitive Formulierung genauer zu fassen und an konkreten Eigenschaften festzumachen: Der Umgang mit den Ableitungsregeln umfasst eine Reihe unterschiedlicher Tätigkeiten, auf die sich ein- und dieselbe Eigenschaft unterschiedlich auswirken kann. Dies macht es schwer, ein angemessenes Kriterium anzugeben. Zudem werden kognitive Aspekte einen wesentlichen Einfluss haben.

300

Um sprachliche und nicht-sprachliche Logiksysteme ansatzweise vergleichen zu können, sollen im Folgenden zwei Eigenschaften angeführt werden, die zumindest eine gewisse Relevanz für die Handhabbarkeit von Regeln besitzen: (a) die Eigenschaft der Linearität und (b) die Eigenschaft der Feinkörnigkeit. zu (a) Linearität: Die Eigenschaft der Linearität betrifft das Repräsentationssystem von L und wurde bereits im Zusammenhang mit der Handhabbarkeit von Repräsentationen angeführt. Da die Anwendung von Ableitungsregeln die Interpretation und die Niederschrift von Repräsentationen beinhaltet, scheint sich eine Ableitungsregel umso besser handhaben zu lassen, je leichter die betroffenen Repräsentationen beschrieben und verwendet werden können. zu (b) Feinkörnigkeit: Die Eigenschaft der Feinkörnigkeit betrifft den Ableitungsbegriff von L. Ein Ableitungsbegriff ist genau dann feinkörnig, wenn nur feinkörnige Ableitungen unter ihn fallen. Dabei gilt: Eine Ableitung ist genau dann feinkörnig, wenn alle ihre Repräsentationen durch feinkörnige Ableitungsregeln gerechtfertigt sind. Wann aber ist eine Regel feinkörnig? Es ist auf verschiedene Weise versucht worden, den Begriff der feinkörnigen (oder: unmittelbaren) Ableitungsregeln von L zu definieren. Im Folgenden soll auf eine Definition von Scotto di Luzio zurückgegriffen werden.49 Seine Definition ruht auf zwei Voraussetzungen: (1) Die Struktur von SL ist hierarchisch oder induktiv aufgebaut. (2) Der Ableitungsbegriff von L ist rein syntaktisch definiert.50 Die erste Voraussetzung besagt, dass die Menge der wohlgeformten Repräsentationen von S in atomare und zusammengesetzte Repräsentationen unterschieden werden kann. Die komplexen Repräsentationen setzen sich aus weniger komplexen – und letztlich aus atomaren – Repräsentationen zusammen. Entsprechend dieser induktiven Struktur kommt jeder Repräsentation eine bestimmte Tiefe zu: Eine atomare Repräsentation besitzt die Tiefe 0, eine zusammengesetzte Repräsentation R die Tiefe 1+n – wobei n die Tiefe der tiefsten echten Teilrepräsentationen von R ist.51 Die komplexe 49

Vgl. Scotto di Luzio (2002), Kap. 6 Vgl. Scotto di Luzio (2002), S. 148ff. 51 Scotto di Luzio (2002), S. 143f. 50

301

prädikatenlogische Repräsentation "((R11a1 ∧ R12a1) → (R13a1 ∨ R14a1))" besitzt beispielsweise die Tiefe 2. Die durch die Struktur des Systems gegebene Struktur einer Repräsentation R kann mit Hilfe eines Baums dargestellt werden: Der Anfangspunkt des Baumes wird durch R gebildet, die Endpunkte durch die atomaren Zeichen R1, ..., Rn, welche die Grundbausteine von R bilden.52 So lässt sich die Struktur von "((R11a1 ∧ R12a1) → (R13a1 ∨ R14a1))" mit Hilfe des folgenden Baums darstellen: ((R11a1 ∧ R12a1) → (R13a1 ∨ R14a1)) (R11a1 ∧ R12a1) R11a1

R12a1

(R13a1 ∨ R14a1) R13a1

R14a1

Die Struktur von S wird mit Hilfe der syntaktischen Definitionen von S beschrieben oder festgelegt. Die Klauseln dieser Definitionen sind dabei oft mit Hilfe einer Konstruktionsmetapher formuliert:53 Es wird angegeben, wie sich mit Hilfe einer bestimmten Operation (z.B. der Konkatenationsoperation) aus gegebenen Repräsentationen eine komplexere Repräsentation konstruieren lässt. Im Sinne dieser Konstruktionsmetapher kann über die Klauseln nachvollzogen werden, wie die komplexen Repräsentationen Schritt für Schritt, Stufe für Stufe aus den atomaren Repräsentationen zusammengesetzt werden können. Üblicherweise gilt: Die Konstruktionsstufe n einer Repräsentation R entspricht der Tiefe n von R; die unmittelbaren Komponenten von R sind auf der Stufe n-1 konstruiert.54 Die zweite Voraussetzung besagt, dass sich die Regeln des Ableitungsbegriffs rein syntaktisch beschreiben lassen: Die Repräsentationen, auf die die Regel angewendet werden kann (Input-Repräsentationen) und die Repräsentationen, die das Resultat der Regelanwendung darstellen (Out52

Scotto di Luzio (2002), S. 144 Vgl. Scotto di Luzio (2002), S. 143 54 Scotto di Luzio (2002), S. 144 53

302

put-Repräsentationen), können in Rückgriff auf die syntaktischen Definitionen von SL vollständig charakterisiert werden. Auf Grundlage dieser beiden Voraussetzungen definiert Scotto di Luzio den Begriff der feinkörnigen Ableitungsregel von L wie folgt:55 (FK)

Eine Regel von L ist genau dann feinkörnig, wenn zwischen der Output-Repräsentation Ro und mindestens einer InputRepräsentation Ri die folgende syntaktische Beziehung besteht: Gemäß der Struktur von SL gibt es einen Strukturbaum, in dem Ri und Ro nur eine Stufe voneinander entfernt sind und auf demselben Pfad liegen.

Die prädikatenlogische Regel der ∧-Einführung ist demzufolge feinkörnig: Sie erlaubt es, von zwei Repräsentationen der Gestalt A und B zu einer Repräsentation der Gestalt (A ∧ B) überzugehen. Gemäß der Struktur der prädikatenlogischen Sprache gibt es Strukturbäume, in denen A und (A ∧ B) nur eine Stufe voneinander entfernt sind und auf einem gemeinsamen Pfad liegen. Nicht feinkörnig ist hingegen die prädikatenlogische DeMorgan-Regel, derzufolge von einer Repräsentation der Gestalt ¬(A ∨ B) zu einer Repräsentation der Gestalt (¬A ∧ ¬B) übergegangen werden darf: Es gibt keinen prädikatenlogischen Strukturbaum, in dem Repräsentationen dieser Art nur eine Stufe voneinander entfernt sind und auf einem gemeinsamen Pfad liegen.56 Sind die Ableitungsregeln feinkörnig, scheint sich dies positiv auf ihre Handhabbarkeit auszuwirken: Beim Erlernen, Anwenden und Überprüfen einer Ableitungsregel müssen nur Operationen beachtet werden, die gemessen an der Struktur von SL minimale Veränderungen darstellen.57 In Rückgriff auf die Eigenschaften der Linearität und der Feinkörnigkeit soll das folgende Kriterium der Handhabbarkeit von Regeln aufgestellt werden: 55

Vgl. Scotto di Luzio (2002), S. 149 Vgl. Scotto di Luzio (2002), S. 149 57 Vgl. Scotto di Luzio (2002), S. 58 56

303

(HAR) Die Regeln einer Logik L lassen sich mindestens ebenso gut handhaben wie die Regeln einer Logik L*, wenn L von den beiden Eigenschaften Linearität und Feinkörnigkeit zumindest diejenigen aufweist, die L* besitzt. Die Regeln von L lassen sich besser handhaben als die Regeln von L*, wenn sich die Regeln von L mindestens ebenso gut handhaben lassen wie die Regeln von L* – nicht aber umgekehrt. Lassen sich die Regeln von VENN und CARROLL mindestens genauso gut handhaben wie die Regeln von PL1? Die Antwort ist "nein": PL1 besitzt ein lineares Repräsentationssystem und einen feinkörnigen Ableitungsbegriff. VENN und CARROLL enthalten dagegen nicht-lineare Zeichensysteme und nicht-feinkörnige Ableitungsbegriffe. So erlauben es die Vereinigungsregeln RV4 und RC8 von zwei Diagrammen R1 und R2 zu einem Diagramm R überzugehen, das in keinem Strukturbaum höchstens eine Stufe von R1 und R2 entfernt ist und auf demselben Pfad liegt wie R1 oder R2.58 Beispielsweise erlaubt die Vereinigungsregel RC8 den folgenden Übergang: •

x



x



x

⇓ •

x



• 58

Vgl. Scotto di Luzio (2002), S. 163f.

x

x

304

Kann dieses Resultat verallgemeinert werden? Lassen sich die Regeln nicht-sprachlicher Logiksysteme prinzipiell weniger gut handhaben als die Regeln sprachlicher Systeme? Aus theoretischer Sicht kann diese Frage verneint werden: Wie bereits festgehalten wurde, lassen sich nichtsprachliche Logiken konstruieren, deren Repräsentationssysteme linear sind. Ein Beispiel hierfür ist das System STRICH. Desweiteren kann jede Logik L mit nicht-feinkörnigem Ableitungsbegriff so modifiziert werden, dass eine Logik mit feinkörnigem Ableitungsbegriff entsteht – ohne, dass sich der Charakter des Repräsentationssystems von L ändern würde: Der Ableitungsbegriff von L wird durch einen Begriff ersetzt, der sich von dem alten nur insofern unterscheidet, als dass jeder Bezug auf nicht-feinkörnige Regeln gestrichen ist. Wird diese Methode auf STRICH angewendet, entsteht eine nicht-sprachliche Logik STRICH*, die ein lineares Repräsentationssystem und einen feinkörnigen Ableitungsbegriff enthält. Aus praktischer Sicht scheint dieser positive Befund jedoch kein großes Gewicht zu besitzen. So lässt sich Folgendes einwenden: 1.) Nicht-sprachliche Repräsentationssysteme, die in der Praxis eingesetzt werden, sind im Regelfall nicht-linear. Werden auf ihnen logische Systeme errichtet, werden sich die Regeln dieser Systeme nicht so gut handhaben lassen wie die Regeln sprachlicher Systeme. 2.) Nicht-feinkörnige Ableitungsregeln wie RV4 und RC8 scheinen für praxisrelevante nicht-sprachliche Logiksysteme nicht notwendig, aber typisch zu sein. Intuitiv plausibilisieren lässt sich dies wie folgt: In nichtsprachlichen Repräsentationen werden Relationen auch über räumliche Anordnungen von Teilzeichen dargestellt. Eine besondere Möglichkeit im Umgang mit nicht-sprachlichen Repräsentationen besteht darin, die räumlichen Anordnungen zweier Repräsentationen zu vereinen, sobald sie Berührungspunkte haben: Enthalten zwei Landkarten einen Punkt, der sich auf dieselbe Stadt bezieht, können die beiden Karten an diesem Punkt übereinander gelegt werden; besitzt ein STRICH-Diagramm am rechten Rand ein Strichmännchen mit dem Buchstaben ai und ein weiteres STRICH-Diagramm am linken Rand dasselbe Strichmännchen, können die beiden Diagramme an dieser Stelle übereinander gelegt werden; repräsentieren zwei Lewis-Carroll-Diagramme dieselben Mengen und Teilmengen, können sie übereinander gelegt werden usw. Auf diese Weise lassen sich auch komplexe Repräsentationen miteinander vereinen, so dass eine Re-

305

präsentation entsteht, die von jeder Input-Repräsentation mehr als eine Konstruktionsstufe entfernt ist. Fazit (HAR vorausgesetzt): Theoretisch können sich die Regeln nichtsprachliche Logiksysteme ebenso leicht handhaben lassen wie die Regeln sprachlicher Systeme. Im Regelfall werden sie jedoch weniger gut abschneiden: Die praxisrelevanten nicht-sprachlichen Logiken werden meist ein nicht-lineares Zeichensystem und einen nicht-feinkörnigen Ableitungsbegriff besitzen. Wie HAZ bildet HAR jedoch nur ein erstes, vorläufiges Kriterium, um über die Handhabbarkeit von Regeln entscheiden zu können.

8.6 Nicht-sprachliche Systeme und Ableitungseffizienz. Der Aspekt der Ableitungseffizienz betrifft den Ableitungsbegriff eines logischen Systems L. Intuitiv gesprochen ist L umso ableitungseffizienter je kürzer die Ableitungen in L sind. Diese intuitive Formulierung lässt sich versuchsweise wie folgt präzisieren: (ABE) Angenommen, L und L* sind Logiksysteme und AL+L* ist die Menge von Paaren, für die gilt: (i) die ersten Koordinaten werden durch Mengen von Überzeugungsinhalten oder Repräsentationen gebildet, (ii) die zweiten Koordinaten sind Überzeugungsinhalte oder Repräsentationen, (iii) zwischen der ersten und der zweiten Koordinate eines Paares liegt eine notwendige Wahrheitsvererbungsrelation vor, (iv) die Überzeugungsinhalte und Repräsentationen lassen sich angemessen in den Repräsentationssystemen von L und L* ausdrücken und (v) sowohl in L als auch in L* lässt sich das Vorliegen der notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation jeweils mit Hilfe von Ableitungen über die Repräsentationen von L und L* nachweisen. L ist mindestens genauso ableitungseffizient wie L*, wenn die kürzesten Ableitungen von L bezüglich der Elemente von AL+L* mindestens genauso wenig Ableitungsschritte verlangen wie die

306

entprechenden kürzesten Ableitungen von L* bezüglich der Elemente von AL+L*. L ist ableitungseffizienter als L*, wenn L mindestens genauso ableitungseffizient wie L* ist – nicht aber umgekehrt. Sind VENN und CARROLL mindestens genauso ableitungseffizient wie PL1? Oder sogar effizienter? Hier lässt sich eine positive Antwort geben – zumindest, wenn die Teilmengen BV+PL1 und BC+PL1 von AV+PL1 und AC+PL1 betrachtet werden. BV+PL1 und BC+PL1 werden durch die Menge derjenigen Paare gebildet, deren erste und zweite Koordinaten die Prämissenmengen und Konklusionen eines gültigen kategorischen Syllogismus sind. Dass VENN und CARROLL in Bezug auf BV+PL1 und BC+PL1 ableitungseffizienter sind als PL1 lässt sich wie folgt zeigen: Ein kategorischer Syllogismus ist ein Argument, dessen beiden Prämissen und Konklusion kategorische Sätze, d.h. a-, e-, i- oder o-Urteile sind. In den drei Sätzen eines kategorischen Syllogismus kommen insgesamt drei Prädikatausdrücke vor. Jeder dieser Prädikatausdrücke steht in je zwei Sätzen.59 Der Ausdruck S, der in der Konklusion die grammatische Funktion des Subjekts einnimmt, wird "Subjektausdruck" genannt (auch: terminus minor), der Ausdruck P, der in der Konklusion die grammatische Funktion des Prädikats einnimmt, "Prädikatausdruck" (auch: terminus maior), und der Ausdruck M, der nur in den beiden Prämissen vorkommt, "Mittelausdruck" (auch: terminus medius).60 Alle kategorischen Syllogismen lassen sich 4 schematischen Figuren unterordnen – je nachdem, an welchen Satzstellen die Subjekt-, Prädikat- und Mittelausdrücke vorkommen:61

59

1. Figur

2. Figur

3. Figur

4. Figur

M S

P M

P S

M M

M M

P S

P M

M S

S

P

S

P

S

P

S

P

Vgl. Kap. 7.2 Vgl. Lechner (2001), S. 56; Quine (1993), S. 112 61 Vgl. Lechner (2001), S. 56; Quine (1993), S. 112 60

307

Der Syllogismus "Kein Reptil (M) ist ein Warmblüter (P). Alle Krokodile (S) sind Reptilien (M). Also ist kein Krokodil (S) ein Warmblüter (P)" fällt beispielsweise unter die 1. Figur. Jede Zeile in einer Spalte der Figurendarstellung kann für ein a-, e-, ioder o-Urteil stehen. Unter eine Figur fallen somit 64 Argumentschemata, so dass sich insgesamt 256 syllogistische Argumentschemata ergeben.62 Ein Argumentschema kann wiedergegeben werden, indem die Figurenbezeichnung und eine Folge von drei Buchstaben angegeben wird. Der erste Buchstabe steht für die Urteilsform der ersten Prämisse, der zweite Buchstabe für die Urteilsform der zweiten Prämisse und der dritte Buchstabe für die Urteilsform der Konklusion. Das Schema des obigen Beispielsyllogismus wird dementsprechend wie folgt wiedergegeben: "1. Figur (eae)". Von diesen 256 Schemata sind allein 15 gültig. Das heißt: Nur bei denjenigen kategorischen Syllogismen, die unter diese 15 Schemata fallen, liegt eine notwendige Wahrheitsvererbungsrelation vor. Die 15 gültigen Schemata lauten:63 1. Figur

2. Figur

3. Figur

4. Figur

aaa eae aii eio

eae aee eio aoo

iai aii oao eio

aee iai eio

In CARROLL lassen sich alle Argumente ausdrücken, die unter eines der 15 gültigen Schemata fallen, in VENN nur Argumente, die unter 5 dieser Schemata fallen – nämlich unter: 1. Figur (aaa); 1. Figur (eae); 2. Figur (eae); 2. Figur (aee) und 4. Figur (aee). Mit Hilfe schematischer Ableitungen lässt sich nun zeigen: Die Gültigkeit eines syllogistischen Arguments kann in VENN und CARROLL stets mit weniger Ableitungsschritten bewiesen werden als in PL1. (Die Zahlen in den Klammern stehen für die Anzahl der Schritte, die notwendig sind, um eine Repräsentation zu erreichen, welche explizit, aber nicht ausschließlich für die gewünschte Konklusion steht. 62 63

Vgl. Lechner (2001), S. 56 Vgl. Lechner (2001), S. 57; Quine (1993), S. 113

308

Es wurde versucht, die jeweils kürzeste Ableitung zu finden. Bei den Ableitungen in PL1 wurden die Regeln aus Lechner (2001)64 gebraucht und folgende Standardübersetzungen für kategorischen Urteile verwendet: a-Urteil – ∀x (Fx → Gx); i-Urteil – ∃x (Fx ∧ Gx); e-Urteil – ∀x (Fx → ¬Gx); o-Urteil – ∃x(Fx ∧ ¬Gx).) PL1

VENN

CARROLL

aaa eae aii eio

9 9 11 11

4 (3) 4 (3) – –

4 4 5 5

(3) (3) (3) (3)

eae aee eio aoo

13 13 15 15

4 (3) 4 (3) – –

4 4 5 5

(3) (3) (3) (3)

iai aii oao eio

11 11 11 11

– – – –

5 5 5 5

(3) (3) (3) (3)

aee iai eio

13 11 15

4 (3) – –

4 (3) 5 (3) 5 (3)

Beispielhaft belegen lässt sich die Tabelle an Hand der 1. Figur (eae). • Schematische Ableitung in PL1 * (1) ∀x1 (Mx1 → ¬Px1) * (2) ∀x1 (Sx1 → Mx1) ** (3) Sa1 ** (4) (Sa1 → Ma1) ** (5) Ma1 ** (6) (Ma1 → ¬Pa1) ** (7) ¬Pa1 * (8) (Sa1 → ¬Pa1) 64

Lechner (2001), S. 133 u. S. 197

P P A ∀ Elim: 2 → Elim: 3, 4 ∀ Elim: 1 → Elim: 5, 6 → Intro: 3-7

309

*

(9) ∀x1 (Sx1 → ¬Px1)

∀ Intro: 8

• Schematische Ableitung in VENN (mit "S", "M" und "P" anstelle der Indizes "F1", "F2" etc.) (1)

U1

P

U1

P

U1

RV4: 1, 2

U1

RV3: 3

• P

M

(2) •

S

M

(3) M

•• • •

S

P

(4) •

S

P

• Schematische Ableitung in CARROLL (1)

P • •

310

(2)

P •



(3)

RC8: 1, 2 • •





(4)

RC1: 3 •

Somit gilt: Wenn es um den Nachweis syllogistischer Folgerung geht, sind VENN und CARROLL ableitungseffizienter als PL1 – vorausgesetzt allerdings, in der Tabelle wurde tatsächlich auf die jeweils kürzesten Ableitungen referiert. (Das müsste streng genommen noch bewiesen werden.) Welche Aussagekraft besitzt das bessere Abschneiden von VENN und CARROLL? Lässt sich sagen, dass nicht-sprachliche Systeme wie VENN und CARROLL prinzipiell ableitungseffizienter sind als sprachliche Systeme – zumindest, wenn es um bestimmte Problemlösungsbereiche geht? Rein theoretisch betrachtet muss diese Frage mit "nein" beantwortet werden: Zu jeder nicht-sprachlichen Logik L lässt sich eine sprachliche Logik L** angeben, die mindestens genauso ableitungseffizient ist wie L – und umgekehrt. Angenommen nämlich, L ist ein nicht-sprachliches System und L* ein sprachliches System, das weniger ableitungseffizient ist als L. Dann ist es möglich, den Ableitungsbegriff von L* durch einen Begriff zu ersetzen, der es in Bezug auf jedes Paar von AL+L* erlaubt, direkt von den Elementen der ersten Koordinate (oder deren Formulierungen/Übersetzungen) zu der zweiten Koordinate (oder deren Formulie-

311

rung/Übersetzung) überzugehen. Handelt es sich bei L beispielsweise um CARROLL und bei L* um PL1, könnte der Ableitungsbegriff von PL1 durch einen Begriff ersetzt werden, der es gestattet, direkt von den Prämissen eines Syllogismus zur Konklusion überzugehen – mit Hilfe von Regeln wie "Von zwei Satzformen der Gestalt ∀x(Fx → Gx) und ∀x(Gx → Hx) darf zu einer Satzform der Gestalt ∀x(Fx → Gx) übergegangen werden". Das System L**, das aus einer solchen Modifikation von L* hervorgeht, ist mindestens genauso ableitungseffizient wie L. Aus praktischer Sicht lässt sich diese Argumentation jedoch abschwächen: Dass sprachliche Logiksysteme prinzipiell mindestens genauso ableitungseffizient sein können wie nicht-sprachliche Systeme, wurde gezeigt, indem auf extrem grobkörnige Ableitungsbegriffe Bezug genommen wurde – d.h. auf Ableitungsbegriffe, die es in allen Fällen erlauben, direkt von den Elementen der ersten Koordinate zur zweiten Koordinaten zu springen. Logiksysteme mit solchen Ableitungsbegriffen scheinen jedoch nicht praxisrelevant zu sein: Zum einen enthalten sie eine sehr große, wenn nicht unendlich große Menge von Regeln. Zum anderen scheinen die Beweise, die in ihnen geführt werden können, den 'eigentlichen' Zweck von Beweisen zu verfehlen: Eine Ableitung von R aus M wird im Regelfall geführt, weil eine Person unsicher ist, ob R aus M folgt. Ein Beweis, der letztlich nur besagt, dass von den Elementen von M gemäß der Regel so-und-so direkt zu R übergegangen werden darf, scheint kaum geeignet zu sein, um die Person vom Vorliegen logischer Folgerung zu überzeugen. Dass VENN und CARROLL besser abschneiden als PL1, könnte somit immer noch eine gewisse Aussagekraft besitzen und für eine höhere 'praktische' Ableitungseffizienz nicht-sprachlicher Systeme sprechen. Allerdings ist Vorsicht geboten: Es gibt sprachliche Logiksysteme, die ableitungseffizienter sind als PL1 und keinen extrem grobkörnigen Ableitungsbegriff besitzen.65 Ein Beispiel hierfür ist das System PL1+. PL1+ unterscheidet sich nur in einer Hinsicht von PL1: Der Ableitungsbegriff von PL1+ enthält zusätzlich die Transitivitätsregel TR, derzufolge von zwei Sätzen der Gestalt (A → B) und (B → C) zu einem Satz der Gestalt (A → C) übergegangen werden darf. Dank TR verlangen einige Ableitungsaufgaben in PL1+ weniger Schritte als in PL1. Für die 1. Figur (eae) 65

Vgl. etwa Lechner (2001), S. 133 u. Kap. 10

312

lässt sich in PL1+ beispielsweise die folgende schematische Ableitung führen: • Schematische Ableitung in PL1+ * (1) ∀x1 (Mx1 → ¬Px1) * (2) ∀x1 (Sx1 → Mx1) * (3) (Sa1 → Ma1) * (4) (Ma1 → ¬Pa1) * (5) (Sa1 → ¬Pa1) * (6) ∀x1 (Sx1 → ¬Px1)

P P ∀ Elim: 2 ∀ Elim: 1 TR: 3, 4 ∀ Intro: 5

Und auch zu PL1+ lässt sich eine sprachliche Logik PL1++ angeben, die ableitungseffizienter ist als PL1+, aber keinen extrem grobkörnigen Ableitungsbegriff besitzt. PL1++ entspricht PL1+ bis auf einen Umstand: Der Ableitungsbegriff von PL1++ enthält zusätzlich die Modus-Tollens-Regel MT, derzufolge von zwei Sätzen der Gestalt (A → B) und ¬B zu einem Satz der Gestalt ¬A übergegangen werden darf. Auf gleiche Weise kann zu PL1++ ein ableitungseffizienteres System PL1+++ konstruiert werden usw. – bis ein System mit einem extrem grobkörnigen Ableitungsbegriff erreicht ist. Analoge Überlegungen lassen sich in Bezug auf VENN und CARROLL vorbringen: Auch hier ist es möglich, immer ableitungseffizientere Systeme zu entwickeln, bis Systeme mit extrem grobkörnigen Ableitungsbegriffen erreicht sind. Somit stellt sich die Frage: Ist es angemessen, VENN, CARROLL und PL1 zu vergleichen, um allgemeine Ergebnisse über die Ableitungseffizienz von sprachlichen und nicht-sprachlichen Systemen zu gewinnen? Wäre es nicht fairer, auf Seiten der sprachlichen Systeme PL1+, PL1++ oder noch ableitungseffizientere Systeme zu wählen? Und wäre das Ergebnis in diesem Fall nicht anders ausgefallen? Möglicherweise bestätigen die Ergebnisse über VENN, CARROLL und PL1 nur die unspektakuläre Tatsache, dass es irgendwelche Logiksysteme gibt, die ableitungseffizienter sind als PL1. In einem ersten Ansatz könnte darauf hingewiesen werden, dass die Regelmengen von PL1, VENN und CARROLL jeweils minimal sind und es

313

daher vertretbar zu sein scheint, die drei Systeme miteinander zu vergleichen: PL1, VENN und CARROLL (bzw. CARROLL*) sind vollständig. Das heißt: Alles, was in den ableitungseffizienteren Modifikationen von PL1, VENN und CARROLL bewiesen werden kann, lässt sich auch in PL1, VENN und CARROLL beweisen. Die zusätzlichen Regeln der ableitungseffizienteren Systeme sind somit in einem gewissen Sinn überflüssig.66 Ihre Funktion besteht eher darin, Ableitungen kürzer gestalten zu können. Um in einer PL1-Ableitung von einer Formel der Gestalt (A → C) zu Formeln der Gestalt (A → B) und (B → C) zu gelangen, müssen z.B. vier Schritte durchgeführt werden: • Schematische Ableitung bzgl. Transitivität in PL1 (A → B) … *... (n1) (B → C) … *… (n2) **… (n3) A Annahme **… (n4) B → Elim: n1, n3 C → Elim: n2, n4 **... (n5) *… (n6) (A → C) → Intro: n3-n5 In PL1+ ist hierzu dank TR nur ein Schritt notwendig. Andererseits gilt: Keine Regel von PL1, VENN und CARROLL ist überflüssig. Würde eine Regel aus einem System gestrichen, wäre es nicht mehr vollständig. (Dies wird hier vorausgesetzt und müsste streng genommen bewiesen werden – zumindest für VENN und CARROLL. Es scheint jedoch offensichtlich zu sein, dass die Regeln, die in den schematischen Syllogismus-Ableitungen von VENN und CARROLL eingesetzt worden sind, nicht durch andere Regeln von VENN und CARROLL ersetzt werden können.67) Allerdings scheint dieser Hinweis nicht auszureichen, um allgemeinere Schlüsse über die Ableitungseffizienz sprachlicher und nicht-sprachlicher Logiksysteme zu ziehen: Es könnte sprachliche Systeme geben, die minimale Regelmengen enthalten und ableitungseffizienter sind als alle nichtsprachlichen Systeme mit minimalen Regelmengen. 66 67

Vgl. Lechner (2001), S. 140 Vgl. Lechner (2001), S. 140; Scotto di Luzio (2002), S. 164

314

Um dennoch dafür zu argumentieren, dass nicht-sprachliche Logiken auf Grund ihrer Nicht-Sprachlichkeit ableitungseffizienter sein können als sprachliche Logiken, soll an einer grundlegenden logischen Operation angesetzt werden – der Operation der Konjunktion von Überzeugungsinhalten oder Sachverhalten:68 Von einer Repräsentation R1, die explizit nur für den Überzeugungsinhalt A1 steht, und einer Repräsentation R2, die explizit nur für den Überzeugungsinhalt A2 steht, wird zu einer Repräsentation R übergegangen, die explizit für den Überzeugungsinhalt (A1 und A2) steht. Im Regelfall ist es in sprachlichen und nicht-sprachlichen Systemen möglich, diese Operation durchzuführen, indem bestimmte Regeln angewendet werden. Im Fall sprachlicher Logiken geschieht dies, indem R1 und R2 aneinandergereiht werden und eventuell ein Konjunktionssymbol hinzugefügt wird. Im Fall nicht-sprachlicher Systeme kann die Operation durchgeführt werden, indem die räumlichen Strukturen von R1 und R2 miteinander 'verschmolzen' werden. Anwendungen der Regeln RV4 und RC8 sind Beispiele hierfür. Auf Seiten der nicht-sprachlichen Systeme kann es dabei zu einem Phänomen kommen, das sich bei sprachlichen Systemen nicht zeigt: Die Output-Repräsentation R steht explizit nicht nur für (A1 und A2), sondern auch für einen weiteren, von A1 und A2 verschiedenen Überzeugungsinhalt A3. In der schematischen VENN-Ableitung der 1. Figur (aea) wurde im dritten Schritt z.B. die Repräsentation der ersten beiden Schritten konjugiert. Das resultierende Zeichen repräsentierte dabei explizit einen Sachverhalt, für den keine der beiden Input-Repräsentationen stand: "Kein S ist P".69 Wie ist dieses Phänomen zu erklären? Und inwiefern spricht es dafür, dass nicht-sprachliche Logiken auf Grund ihrer Nicht-Sprachlichkeit ableitungseffizienter sein können als sprachliche Logiken? Eine Antwort auf diese Fragen bieten die Untersuchungen von Atsushi Shimojima zum Phänomen des sogenannten "nicht-trivialen free ride".70 Sie sollen im Folgenden referiert und ausgewertet werden. Hierzu wird in einem ersten Schritt skizziert, worum es Shimojima geht, was es mit dem Phänomen des free rides auf sich hat und wie Shimojima 68

Vgl. Shin (1994), S. 163ff. Vgl. Shin (1994), S. 163ff. 70 Shimojima (1996a), Shimojima (1996b) 69

315

es grundsätzlich zu erklären versucht. Im zweiten Schritt soll das begriffliche Rahmenwerk referiert werden, mit dem Shimojima das Phänomen des free rides auf technisch präzise Weise einfangen will. Im dritten Schritt wird Shimojimas Definition des free rides vorgestellt. Im vierten Schritt soll schließlich geklärt werden, inwiefern das Vorhandensein von free rides das oben beschriebene Phänomen hervorruft und für eine höhere Ableitungseffizienz nicht-sprachlicher Logiken sprechen könnte. 1. Schritt (Shimojimas Ansatz): Shimojimas Hauptanliegen ist es, "unterschiedliche Formen der Repräsentationen zu untersuchen und [..] die verschiedenen Grade und Arten der Wirksamkeit (efficacy) zu erklären, die von ihnen im Prozess menschlichen Folgerns gezeigt werden"71. Dabei sei zu beachten, dass sich nicht von der Wirksamkeit einer Repräsentationsform sprechen lasse: Die Wirksamkeit eines Werkzeugs sei immer relativ zu der Verwendung, zu der es bereit gestellt werde, und Repräsentationen könnten beim Schlussfolgern auf verschiedene Weisen eingesetzt werden.72 So ließe sich zwischen statischen und dynamischen Verwendungen unterscheiden: Statisch benutzt würde eine Repräsentation z.B., wenn mit ihr Informationen gesammelt, analysiert, kommuniziert oder abgefragt werden. Dynamisch eingesetzt würde sie dagegen, wenn sie herangezogen wird, um Informationen zu updaten oder auf Konsistenz zu überprüfen.73 Je nachdem, in Blick auf welche Verwendungszwecke eine Repräsentationsart betrachtet würde, könne sie sich als unterschiedlich wirksam oder geeignet erweisen. Shimojima beschränkt sich im Weiteren darauf, Situationen zu untersuchen, in denen Zeichen eingesetzt werden, um Informationen zu updaten. Das Updating von Repräsentationen umfasse "die Fälle, in denen wir aktiv auf Repräsentationen einwirken und ihre Informationsinhalte fortschreitend ändern"74 – z.B., wenn eine Liste, in die Restaurants und deren Besonderheiten eingetragen sind, um neue Einträge ergänzt wird, oder wenn in ein Venn-Diagramm die Prämissen eines Syllogismus eintragen werden.75 71

Shimojima (1996a), S. 12 [Aus dem Englischen ins Deutsche von St.B.] Shimojima (1996a), S. 12f. 73 Shimojima (1996a), S. 12f. u. S. 17ff. 74 Shimojima (1996a), S. 18 [Aus dem Englischen ins Deutsche von St.B.] 75 Shimojima (1996a), S. 18 72

316

Werden im Rahmen eines Schlussfolgerungsprozesses Informationen geupdatet, könne es zu dem Phänomen des free rides kommen. Was Shimojima hiermit meint, lässt sich an dem folgenden Beispiel verdeutlichen:76 Angenommen, die Informationen θ1 und θ2 sollen auf einem Blatt repräsentiert werden (Updating). (θ1) (θ2)

'Kein Reptil ist ein Warmblüter' 'Alle Krokodile sind Reptilien'

Zu den logische Folgen (i.w.S) von {θ1, θ2} gehört die Information θ3: (θ3)

'Kein Krokodil ist ein Warmblüter'

Werden θ1 und θ2 mit prädikatenlogischen Sätzen repräsentiert, gestaltet sich der Prozess wie folgt: Das Blatt wird so modifiziert, dass die beiden Sachverhalte σ1 und σ2 gelten. (σ1) (σ2)

Das Blatt enthält den Satz "∀x1 (R12x1 → ¬R13x1)" Das Blatt enthält den Satz "∀x1 (R11x1 → R12x1)" ∀x1 (R12x1 → ¬R13x1) ∀x1 (R11x1 → R12x1)

Abb.1 Das Blatt repräsentiert nun die Sachverhalte θ1 und θ2. Eine weitere Information wird nicht repräsentiert – insbesondere nicht die Information θ3: Mit Ausnahme von σ1 und σ2 gelten keine Sachverhalte, die in Blick auf das prädikatenlogische Repräsentationssystem relevant sind. Werden θ1 und θ2 dagegen mit einem Venn-Diagramm repräsentiert, kann wie folgt vorgegangen werden: Zunächst wird ein wohlgeordnetes Venn-Diagramm mit drei Basisregionen R, W und K gezeichnet. An76

Vgl. Shimojima (1996a), S. 18-27

317

schließend wird das Blatt so modifiziert, dass die beiden Sachverhalte σ3 und σ4 gelten. (σ3) (σ4)

"(R-und-W)" enthält in jeder minimalen Region einen Punkt. "(K-R)" enthält in jeder minimalen Region einen Punkt. R

K •

•• •

W

Abb.2 Das Blatt drückt nun die Informationen θ1 und θ2 aus. Im Gegensatz zu dem prädikatenlogischen Fall repräsentiert es aber auch die logische Folge θ3 von {θ1, θ2}. Es gilt nämlich σ5: (σ5)

"(K-und-W)" enthält in jeder minimalen Region einen Punkt.

Die Repräsentation der Informationen θ1 und θ2 lieferte somit automatisch und 'frei Haus' eine Repräsentation von θ3. In Shimojimas Redeweise: Das System der Venn-Diagramme lieferte einen "nicht-trivialen free ride" von {θ1, θ2} zu θ3. Wie lässt sich dieses Phänomen präziser fassen? Wie kann es erklärt werden? Schimojimas Idee ist es, auf den Begriff des Zwangs oder Beschränkung (constraint) zurückzugreifen:77 Repräsentationen sind physikalische Objekte, die ebenso wie alle anderen Objekte bestimmten Beschränkungen unterliegen.78 Hierbei kann es sich um nomologische Beschränkungen handeln ("Wenn der Buchstabe e links von dem Buchstaben i steht, und der Buchstabe i links von dem Buchstaben s, dann muss der Buchstabe e links von dem Buchstaben s stehen") oder um stipulierte Beschränkungen ("Alle Kreise eines Venn-Diagramms müssen sich so und so überlappen"). Desweiteren gilt: Der Bereich, dessen Sachverhalte reprä77 78

Vgl. Shimojima (1996a), S. 27-34 Shimojima (1996a), S. 29. Vgl. auch Barwise/Etchemendy (1996a), S. 23f.

318

sentiert werden, unterliegt ebenfalls Beschränkungen, die nomologischer oder stipulativer Natur sein können. Beispielsweise gilt für Mengen nomologisch: A muss eine Teilmenge von C sein, wenn A eine Teilmenge von B und B eine Teilmenge von C ist.79 Shimojima zufolge kommt es nun zu einem free ride, wenn die Beschränkungen, denen die Repräsentationen unterliegen, mit den Beschränkungen zusammenpassen, denen die repräsentierten Sachverhalte unterliegen. So lässt sich in Bezug auf das obige Beispiele festhalten: 1.) Auf Grund der Gesetze der Geometrie und der speziellen Konstruktionsweise von Venn-Diagrammen gilt: Wenn alle minimalen Regionen von "(R-und-W)" und alle minimalen Regionen von "(K-R)" einen Punkt enthalten, dann müssen auch alle minimalen Regionen von "(K-und-W)" einen Punkt enthalten. Das heißt: Wenn die Sachverhalte σ4 und σ5 gelten, gilt automatisch der Sachverhalt σ6. 2.) Auf Grund der Gesetze der Mengentheorie gilt: Wenn kein Element einer Menge B ein Element einer Menge C ist und alle Elemente einer Menge A Elemente der Menge B sind, dann muss es so sein, dass kein Element von A ein Element von C ist. Das heißt: Wenn die Sachverhalte θ1 und θ2 gelten, gilt automatisch der Sachverhalt θ3. 3.) Die Beschränkungen, die in Bezug auf die Repräsentation gelten, und die Beschränkungen, die in Bezug auf die repräsentierten Informationen gelten, passen in folgender Hinsicht zusammen: (i) Wenn σ1 und σ2 gelten, muss σ3 gelten, (ii) Wenn θ1 und θ2 gelten, muss θ3 gelten und (iii) σ1 und σ2 stehen für θ1 und θ2, σ3 steht für θ3. Illustrieren lässt sich dieser Zusammenhang mit der folgenden Abbildung:80 {θ1, θ2}

θ3

{σ1, σ2}

σ3

Diagramm 79 80

Shimojima (1996a), S. 30 Vgl. Abbildung in Shimojima (1996a), S. 30

319

2. Schritt (Shimojimas begriffliches Rahmenwerk): Um diese Idee präziser fassen zu können, entwickelt Shimojima ein begriffliches Rahmenwerk. Mit seiner Hilfe soll expliziert werden, "(i) welche strukturellen Beschränkungen die Repräsentationen in einem gegebenen System leiten, (ii) welche Beschränkungen ihre Ziele leiten, (iii) wie diese beiden Mengen von Beschränkungen (via einer semantischen Relation) zusammenpassen oder nicht zusammenpassen und (iv) wie dieses Zusammenpassen und Nichtzusammenpassen der wahrgenommenen Effizienz oder Nicht-Effizienz des Systems zugrunde liegt"81. Die Begriffe des Rahmenwerks werden von Shimojima in drei Gruppen aufgeteilt: (a) Grundbegriffe, (b) Begriffe, die den Aspekt der Repräsentation betreffen und (c) Begriffe, die den Aspekt der Beschränkung betreffen. zu (a) Grundbegriffe: Die Grundbegriffe des Rahmenwerks werden durch die Begriffe der Situation und des Sachverhalts gebildet. Eine Situation s ist gemäß Shimojima ein aktualer oder nicht-aktualer Ausschnitt der Welt. Beispiele hierfür sind das Ereignis s1, welches darin besteht, dass Sie diese Zeilen lesen (aktual), oder die Szenerie s2, die in Tolkiens "Herr der Ringe" beschrieben wird (nicht-aktual).82 In Situationen können bestimmte Sachverhalte der Fall sein oder nicht. In s1 gilt z.B., dass Sie die deutsche Sprache beherrschen, nicht aber, dass Sie auf dem Jupiter sitzen und Kaffee trinken; in s2 gilt z.B., dass Gollum psychische Probleme hat, nicht jedoch, dass er König von Gondor ist. Sachverhalte können laut Shimojima "als Merkmale betrachtet werden, die die Situationen klassifizieren, in denen sie gelten". Der Sachverhalt, dass Sie die deutsche Sprache beherrschen, klassifiziert s1 etwa als eine Situation, in der Sie die deutsche Sprache beherrschen.83 Gilt ein Sachverhalt σ in einer Situation S, "unterstütze" s σ (geschrieben: s |= σ).84 Für Sachverhalte gelte zudem: 1.) Jeder Sachverhalt σ besitzt einen Widerpart ¬σ, so dass σ = ¬¬σ. Eine Situation kann nicht σ und ¬σ zugleich unterstützen. Dagegen kann es sein, dass eine Situation weder σ noch ¬σ unterstützt. (s1 kann z.B. 81

Shimojima (1996a), S. 72 [Aus dem Englischen ins Deutsche von St.B., abgewandelte Nummerierung] 82 Shimojima (1996a), S. 74f. 83 Shimojima (1996a), S. 74f. 84 Shimojima (1996a), S. 75

320

nicht den Sachverhalt σ1 unterstützen, dass Sie beim Lesen eine Brille aufhaben, und zugleich den Sachverhalt ¬σ1, dass Sie beim Lesen keine Brille aufhaben. Einer dieser Sachverhalte wird jedoch unterstützt. Für den Sachverhalt σ2, dass Karl der Große zu seinem 12. Geburtstag eine Torte geschenkt bekam, gilt hingegen: s1 unterstützt weder σ2 noch ¬σ2.) Eine Situation s ist in Bezug auf einen Sachverhalt σ "festgelegt", wenn gilt: s |= σ oder s |= ¬σ.85 2.) Es gibt Konjunktionen und Disjunktionen von Sachverhalten: "Eine Situation s unterstützt (σ1 ∧ σ2) genau dann, wenn s sowohl σ1 als auch σ2 unterstützt; s unterstützt (σ1 ∨ σ2) genau dann, wenn s σ1 oder σ2 unterstützt."86 zu (b) Begriffe der Repräsentation: Im Rekurs auf die beiden Grundbegriffe führt Shimojima die Begriffe der Repräsentation, des Quellbereichs, des Zielbereichs, der Indizierungsrelation und Signalisierungsrelation ein. Mit ihrer Hilfe soll bestimmt werden, was es heißt, eine Situation trage oder präsentiere Informationen über eine andere Situation. Eine Repräsentation ist gemäß Shimojima eine Situation, die von uns als kognitiven Akteuren geschaffen wurde, "um uns selber oder anderen Information über bestimmte Objekte zu präsentieren"87. Beispiele für Repräsentationen seien etwa Sätze, Landkarten, Fahrpläne und Diagramme. Wenn Repräsentationen in einem System SR zusammengefasst sind, gebe es einen Bereich von Informationen, die von den Repräsentationen in SR präsentiert werden könnten. Shimojima modelliert diesen Informationsbereich als eine Menge Θ von Sachverhalten θ1, θ2, θ3 ...88 Jedem θi ∈ Θ werden dabei ein oder mehrere Sachverhalte σ mit der Übereinkunft zugewiesen: Wenn eine Repräsentation s den Sachverhalt σ unterstützt, dann können wir in s die Information θi "ablesen".89 Wird beispielsweise dem Sachverhalt θ1, dass kein Brite Mondbewohner ist, der Sachverhalt zugewiesen, dass die Region "(F1-F2)" eines Venn-Diagramms in jeder ihrer 85

Shimojima (1996a), S. 75 Shimojima (1996a), S. 75 [Aus dem Englischen ins Deutsche von St.B.] 87 Shimojima (1996a), S. 76 [Aus dem Englischen ins Deutsche von St.B.] 88 Shimojima (1996a), S. 76 89 Shimojima (1996a), S. 76 86

321

Teilregionen einen Punkt enthält, kann von dem folgenden Diagramm die Information abgelesen werden, dass kein Brite Mondbewohner ist.

F1

F2





Abb. 3 Erlaubt es ein Sachverhalt σ im Sinne dieser Übereinkunft, die Information θ abzulesen, "indiziere" σ θ (geschrieben: σ ⇒ θ). Die zwischen σ und θ bestehende Relation ⇒ wird als Indizierungsrelation bezeichnet.90 In Rückgriff auf den Begriff der Indizierungsrelation legt Shimojima fest, was der Quellbereich und der Zielbereich eines Repräsentationssystems ist: Sei V(⇒) der Vorbereich von ⇒; S die Menge aller aktualen und nichtaktualen Situationen, die bezüglich jedes Elements von V(⇒) festgelegt sind; Σ die Menge aller Sachverhalte, bezüglich derer jedes Element von S festgelegt ist, und |=S* die Unterstützungsrelation S × Σ. Dann ist das Tripel S* = der Quellbereich des Systems SR.91 Die erste Koordinate S stellt die Menge der Repräsentationen von SR dar, enthält dabei aber auch Repräsentationen, die (i) nicht den Wohlgeformtheitsbedingungen von SR entsprechen, oder (ii) nicht den natürlichen (d.h. logischen, arithmetischen, euklidischen, mechanischen etc.) Gesetzen gehorchen. Um diese ungewollten Repräsentationen ausgrenzen zu können, bildet Shimojima die Menge Sn ∩ Ss. Sie enthält nur die natürlichen und nur die wohlgeformten Elemente von S.92 Sei N(⇒) der Nachbereich von ⇒; S die Menge aller aktualen und nicht-aktualen Situationen, die bezüglich jedes Elements von N(⇒) festgelegt sind; Θ die Menge aller Sachverhalte bezüglich derer jedes Element von T festgelegt ist und |=T* die Unterstützungsrelation T × Θ. Dann ist das 90

Shimojima (1996a), S. 76 Shimojima (1996a), S. 77 92 Shimojima (1996a), S. 79f. 91

322

Tripel T* = der Zielbereich des Systems SR.93 Die erste Koordinate T stellt die Menge der Ziele von SR dar, enthält dabei aber auch Ziele, die nicht den natürlichen (d.h. logischen, arithmetischen, euklidischen, mechanischen etc.) Gesetzen gehorchen. In Hinblick auf diese ungewollten Repräsentationen wird die Menge Tns gebildet. Sie enthält nur die natürlichen Ziele von T.94 Schließlich führt Shimojima den Begriff der Signalisierungsrelation ein: Die Signalisierungsrelation ist eine zweistellige Relation ~> zwischen der Repräsentationsmenge S und der Situationsmenge T. Eine Situation s, die in der Relation ~> zu einer Situation t steht, "ziele" auf diese Situation "ab".95 Die Satzsituation s3 "Es gibt Leute, die die deutsche Sprache beherrschen" kann z.B. auf einen Ausschnitt t1 der aktualen Welt abzielen oder auf einen Ausschnitt t2 der nicht aktualen Welt von Tolkiens "Herr der Ringe". Sachverhalte

indizieren

Informationen

Σ [σ]

Θ [θ]

unter- stützen

unter- stützen

S [s]

T [t]

Repräsentationen

zielen ab auf

Ziele

Nachdem Shimojima diese Begriffe festgelegt hat, kann er bestimmen, was es heißt, dass eine Repräsentation eine Information über eine andere Situation präsentiert: Eine Repräsentation s in SR präsentiert genau dann die Information θ über die Situation t, wenn es einen Sachverhalt σ gibt, so dass gilt: (i) s |=S σ, (ii) σ indiziert θ und (iii) s zielt auf t ab.96 Eine Repräsentation s ist laut Shimojima in SR genau dann wahr, wenn jede Information θ, die s über t präsentiert, auch von t unterstützt wird.97 Wenn s3 im Deutschen z.B. verwendet wird, um eine Information über t1 93

Shimojima (1996a), S. 77 Shimojima (1996a), S. 81f. 95 Shimojima (1996a), S. 77f. 96 Shimojima (1996a), S. 78 97 Shimojima (1996a), S. 78 94

323

zu präsentieren, ist s3 wahr. Wird s3 hingegen benutzt, um eine Information über t2 zu präsentieren, ist s3 falsch. zu (c) Begriffe der Beschränkung: Anschließend wendet sich Shimojima den beiden zentralen Begriffen des Rahmenwerks zu: dem Begriff der Beschränkung über Repräsentationen und dem Begriff der Beschränkung über Ziele. Zunächst vereinbart er, dass jedes Paar von Teilmengen von Σ als "Quellsequenz" bezeichnet wird (geschrieben: "Γ |- ∆"). Eine Repräsentation s aus S "respektiere eine Quellsequenz Γ |- ∆ genau dann, wenn gilt: Wenn s alle Elemente aus Γ unterstützt, dann unterstützt s mindestens ein Element von ∆.98 Das folgende Venn Diagramm respektiert beispielsweise die Quellsequenz Γ1 |- ∆1. F3

F1

• • • •

F2

Abb.4 Γ1 ∆1

= {"(F1-F2)" enthält in jeder Teilregion einen Punkt, "(F1-und-F2)" enthält in jeder Teilregion einen Punkt"} = {"(F1+F3)" enthält in jeder Teilregion einen Punkt, "(F2-F1)" enthält in jeder Teilregion einen Punkt}.

Eine Quellsequenz Γ |- ∆ ist nun gemäß Shimojima genau dann eine Beschränkung über die Repräsentationen von SR, wenn alle Situationen in Sn ∩ Ss Γ |- ∆ respektieren.99 Die Quellsequenz Γ1 |- ∆1 scheint beispielsweise eine Beschränkung über die wohlgeformten und natürlichen Diagramme von VENN zu sein: Wann immer in einem Diagramm von VENN "(F1-F2)" und "(F1-und-F2)" in jeder ihrer Teilregionen einen Punkt enthalten, wird in ihm auch "(F1-und-F3)" in jeder Teilregion einen Punkt enthalten. 98 99

Shimojima (1996a), S. 80 Shimojima (1996a), S. 80f.

324

Entsprechend gilt: Jedes Paar von Teilmengen von Θ wird als "Zielsequenz" bezeichnet (geschrieben: "Γ |- ∆"). Ein Ziel t aus T "respektiert" eine Quellsequenz Γ |- ∆ genau dann, wenn gilt: Wenn t alle Elemente aus Γ unterstützt, dann unterstützt t mindestens ein Element von ∆.100 Welten, in denen die Gesetze der Mengentheorie gelten, respektieren z.B. die Zielsequenz Γ2 |- ∆2 – wobei gilt: Γ2 = {'Alle Schwäne sind Enten', 'Keine Katze ist eine Ente'} ∆2 = {'Kein Schwan ist eine Katze', 'Keine Ente ist eine Katze'}. Eine Zielsequenz ist genau dann eine Beschränkung über die Ziele von SR, wenn alle Situationen in Tns Γ |- ∆ respektieren.101 Die Zielsequenz Γ2 |- ∆2 scheint beispielsweise eine Beschränkung über Welten zu sein, in denen die Gesetze der Mengentheorie der Fall sind: Wann immer alle Schwäne Enten sind und keine Katze eine Ente ist, wird kein Schwan eine Katze oder keine Ente eine Katze sein. Eine Beschränkung Γ |- ∆ ist nicht-trivial, wenn ∆ keine Teilmenge von Γ ist.102 3. Schritt (Definition Free Ride): Das gerade vorgestellte Rahmenwerk ermöglicht es Schimojima, den Begriff des free rides auf präzise Weise zu definieren. Hierzu legt er zunächst fest, was unter der "Projektion einer Beschränkung" zu verstehen ist: Sei Σ1 |- Σ2 eine Quellsequenz und Θ1 |- Θ2 eine Zielsequenz von SR. SR "projiziert" nun Σ1 |- Σ2 genau dann auf Θ1 |Θ2, wenn gilt: (i) Σ1 indiziert Θ1 und Σ2 indiziert Θ2 und (ii) Σ1 |- Σ2 ist eine Beschränkung über die Repräsentationen von R. (Σi indiziert Θi genau dann, wenn Θi das Bild von Σi unter Σ ⇒ Θ ist.)103 Shimojima weist darauf hin, dass es in einem Repräsentationssystem SR, in dem eine Sequenz auf eine Sequenz projiziert wird, nicht möglich ist, ein Element von Θ1 zu präsentieren, ohne ein Element 100

Shimojima (1996a), S. 82 Shimojima (1996a), S. 82 102 Vgl. Shimojima (1996a), S. 123 103 Shimojima (1996a), S. 89f. u. S. 77 101

325

von Θ2 zu präsentieren – zumindest nicht, wenn die Präsentation mit Hilfe eines Elements von Σ1 geschieht.104 Das Phänomen des free rides lässt sich laut Shimojima nun wie folgt bestimmen: (FR)

Sei Θ1 eine Menge Zielinformation und θ eine Zielinformation eines Repräsentationssystems SR. Dann liefert das System SR genau dann einen free ride von Θ1 zu θ, wenn es eine Menge Σ1 und einen Sachverhalt σ gibt, so dass (i) R eine Quellbeschränkung Σ1 |- σ auf die Zielsequenz Θ1 |- θ projiziert und (ii) Θ1 |- θ unter den Zielen gilt.105

Ein free ride ist nicht-trivial, wenn die Quellsequenz Σ1 |- σ nicht-trivial ist. 4. Schritt (Free rides und Ableitungseffizienz): Inwiefern kann das Phänomen des nicht-trivialen free rides genutzt werden, um für eine höhere Ableitungseffizienz nicht-sprachlicher Logiksysteme zu argumentieren? Zunächst lassen sich die beiden folgenden Punkte festhalten: 1.) Sprachliche Repräsentationssysteme liefern keine nicht-trivialen free rides. Shimojima begründet dies wie folgt: Die einzige Möglichkeit, in diesem System Informationen zu präsentieren, besteht darin, in ihre Repräsentation einen Satz einzuzufügen – und einen Satz hinzuzufügen bedeutet im Allgemeinen nicht, einen weiteren Satz hinzuzufügen. Also gibt es keine natürliche Beschränkung über die Struktur von Repräsentationen, die uns davon abhält, bestimmte Informationen zu präsentieren, ohne andere zu präsentieren. In anderen Worten: Es gibt keine nicht-triviale Beschränkung, die das System projiziert.106

Im Gegensatz hierzu können nicht-sprachliche Repräsentationssysteme nicht-triviale free rides liefern. So liefern beispielsweise SVENN und SCARROLL nicht-triviale free rides – etwa free rides von Informationsmengen der 104

Shimojima (1996a), S. 90 Shimojima (1996a), S. 92 [Aus dem Englischen ins Deutsche von St.B., abgewandelte Nummerierung] 106 Shimojima (1996a), S. 124 [Aus dem Englischen ins Deutsche von St.B.] 105

326

Art {'Kein P ist M', 'Alle S sind M'} zu Informationen der Art 'Kein S ist P'. In SVENN gilt dies auf Grund der Quellbeschränkung Σ1 |- σ1: Σ1 = σ1 =

{"(F3-und-F2)" enthält in jeder Teilregion einen Punkt, "(F1-F2)" enthält in jeder Teilregion einen Punkt"} "(F1-und-F3)" enthält in jeder Teilregion einen Punkt

In SCARROLL ist dies auf Grund der folgenden Quellbeschränkung Σ2 |- σ2 der Fall: Σ2 = σ2 =

{"(aNW-und-aNO)" enthält in jeder minimalen Zelle einen Punkt, "(iNW-und-iSW)" enthält in jeder minimalen Zelle einen Punkt} "(aNW-und-iNW)" enthält in jeder minimalen Zelle einen Punkt

Der Grund für den Unterschied scheint zu sein, dass Relationen in nichtsprachlichen Systemen über strukturgleiche Teilzeichenrelationen repräsentiert werden. Die Teilzeichen-Relationen unterliegen bestimmten geometrischen und stipulativen Beschrängungen, die sich z.B. in dem Vorhandensein der oben aufgeführten Quellsequenzen Σ1 |- σ1 und Σ2 |- σ2 äußern. Da die Teilzeichen-Relationen genutzt werden, um Relationen derselben Struktur zu repräsentieren, spiegeln sich einige dieser Beschränkungen in den Beschränkungen über die repräsentierten Sachverhalte. Auf diese Weise ergibt sich eine teilweise Übereinstimmung zwischen Quell- und Zielsequenzen.107 2.) Angenommen, L und L* sind zwei logische Systeme. In den Repräsentationssystemen beider Logiken lassen sich die Überzeugungsinhalte A1, A2 und A3 explizit ausdrücken, wobei A3 notwendigerweise wahr ist, wenn alle Elemente von {A1, A2} wahr sind. Im Gegensatz zu SL* liefert SL einen free ride von {A1, A2} zu A3. Und angenommen, beide Systeme enthalten eine Ableitungsregel, die es erlaubt, Informationen zu konjugieren, indem eine Repräsentation RO erzeugt wird, welche alle Sachverhalte unterstützt, die RI-1 und RI-2 unterstützen. 107

Vgl. in diese Richtung Barwise/Etchemendy (1996b), S. 183; Hammer (1995), S. 66f.

327

In diesem Fall werden die Ableitungen, die zeigen sollen, dass A3 wahr sein muss, wenn A1 und A2 wahr sind, in L kürzer sein als in L* – zumindest, wenn keine Repräsentation verlangt wird, die nur A3 repräsentiert. Das könnte dazu führen, dass L allgemein ableitungseffizienter ist als L*. Diese beiden Punkte scheinen erklären zu können, warum VENN und CARROLL in Bezug auf BV+PL1 und BC+PL1 ableitungseffizienter waren als PL1: Ihre Repräsentationssysteme liefern im Gegensatz zu dem Repräsentationssystem von PL1 nicht-triviale free rides. In jeder schematischen Ableitung von VENN und CARROLL wurden diese free rides genutzt, um zu dem gewünschten Ergebnis zu kommen. Dass VENN und CARROLL ableitungseffizienter sind, ist damit auf ihren nicht-sprachlichen Charakter zurückzuführen. Wie weit dies insgesamt für eine höhere Ableitungseffizienz nichtsprachlicher Systeme spricht, müsste genauer untersucht werden. Es scheint jedoch deutlich zu sein: Nicht-sprachliche Logiken besitzen auf Grund der Nicht-Sprachlichkeit ihrer Repräsentationssysteme Eigenschaften, die unter Umständen zu kürzeren Ableitungen führen können. Fazit (ABE vorausgesetzt): Rein theoretisch betrachtet können sprachliche Logiksysteme genauso ableitungseffizient sein wie jedes nichtsprachliche System (und umgekehrt). Werden jedoch praxisrelevante Systeme betrachtet, scheinen nicht-sprachliche Logiken zumindest in einer Hinsicht besser abzuschneiden als sprachliche Logiken: Nur ihre Repräsentationssysteme liefern nicht-triviale free rides. Und diese free rides scheinen in bestimmten Fällen kürzere Ableitungen zu erlauben.

8.7 Nicht-sprachliche Systeme und Entlastung von P. Der Aspekt der Entlastung von P zu Ungunsten von P* betrifft das Repräsentationssystem und den Ableitungsbegriff einer Logik L. Intuitiv gesprochen trägt L umso mehr zu einer solchen Entlastung bei, je mehr die Art und Weise, wie P* mit Hilfe von L das Vorliegen einer notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation nachweisen muss, P von anfallenden Interpretations- und Bewertungsaufgaben befreit. Der Vollständigkeit halber soll im Folgenden ein Versuch von Scotto di Luzio skizziert werden, die Entlastung von P zu Ungunsten von P* durch L

328

an drei Eigenschaften festzumachen:108 (a) der Univokalität von SL, (b) der Feinkörnigkeit des Ableitungsbegriffs von L und (c) dem Maß der Explizitheit von SL. zu (a) Univokalität: Hinter der Eigenschaft der Univokalität verbergen sich drei Eigenschaften, die bereits angeführt wurden, als es um die Sicherheit logischer Systeme ging: Ein Repräsentationssystem ist genau dann univok, wenn es syntaktisch eindeutig, semantisch eindeutig und kontextinvariant ist.109 Ein univokes System trägt aus folgendem Grund dazu bei, P zu Ungunsten von P* zu entlasten: Erstellt P* Ableitungen, ist P* gezwungen, kontextinvariante Repräsentationen zu verwenden und Mehrdeutigkeiten aufzulösen. P ist dadurch von der Aufgabe befreit, P*'s Repräsentationen auf verschiedene Lesarten zu überprüfen. [...] Indem ein Beweisender eine formale Ableitung hervorbringt, nimmt er implizit die Verantwortung auf sich, die formale Sprache korrekt zu verwenden und sich an ihre semantischen und syntaktischen Konventionen zu halten. Ist ein Modell [d.h. eine Interpretation] einmal festgelegt, erzwingen diese Konventionen ein Regime der Nichtambiguität und Nichtäquivokation, welches wiederum die Zuhörerschaft davon befreit, bestimmte Arten von interpretativen Aufgaben zu erfüllen. Eine formale Sprache zu verwenden, verpflichtet den Beweisenden einfach dazu, bestimmte Verpflichtungen auf sich zu nehmen, die bei der Verwendung einer natürlichen Sprache nicht automatisch erzwungen werden.110 Vergleichen Sie dies etwa mit der Verpflichtung, das Englische korrekt zu verwenden. Die Verpflichtung, Englisch zu verwenden, beinhaltet nicht implizit eine Verpflichtung, mehrdeutige Konstruktionen zu vermeiden: Es gibt korrekte englische Sätze, die abhängig von ihrem Parsing verschiedene Bedeutungen besitzen (z.B., Peter saw the man on the hill with the telescope) – oder sogar trotz einem einzigen Parsing (Everybody is the child of somebody). Wir können uns die Plausibilität und Akzeptabilität englisch-sprachiger Argumente vorstellen, die von der Art und Weise abhängt, wie solche Mehrdeutigkeiten aufgelöst werden. Und es wird eine Aufgabe der Leserschaft sein, über eine Auflösung zu entscheiden, um die Argumente zu bewerten. Eine wohlwollende Leser108

Scotto di Luzio (2002) Vgl. Scotto di Luzio (2002), S. 50-53 110 Scotto di Luzio (2002), S. 52f. [Aus dem Englischen ins Deutsche von St.B.] 109

329

schaft würde nach einer Auflösung suchen, die das Argument erfolgreich macht. Das Verwenden einer Logik 1. Stufe befreit die Leserschaft jedoch davon, eine solche interpretative Arbeit zu verrichten, und verlangt insbesondere kein Wohlwollen in dieser Hinsicht.111

zu (b) Feinkörnigkeit: Die Eigenschaft der Feinkörnigkeit wurde bereits unter dem Aspekt der Handhabbarkeit von Regeln behandelt: Eine Ableitungsregel von L ist genau dann feinkörnig, wenn es gemäß der Struktur von SL mindestens einen Strukturbaum gibt, in dem eine der InputRepräsentationen höchstens eine Stufe von der Output-Repräsentation entfernt ist und auf demselben Pfad mit ihr liegt.112 Inwiefern entlastet ein feinkörniger Ableitungsbegriff P zu Ungunsten von P*? Scotto di Luzios Ausführungen könnten wie folgt ausgelegt werden: Wenn P* Ableitungen erstellt, die unter einen feinkörnigen Begriff fallen, ist P* gezwungen, so kleinschrittig wie möglich vorzugehen. Das aber kann P von der Aufgabe befreien, grobkörnige Ableitungsschritte durch feinkörnigere zu ersetzen, um die Ableitung nachvollziehen zu können: So übernimmt ein Beweisender, der sich selber nur der Standardregeln der Logik 1. Stufe bedient, in Wirklichkeit die Verantwortung, einen detaillierten Beweis zu präsentieren. [...] Die Standard-Ableitungsregeln der Logik 1. Stufe legen dem Beweispräsentierenden eine schwere Berechnungslast auf, so dass ein bedeutsames Maß der Berechnung von den Prämissen zur Konklusion durch die Präsentation selber erzielt wird.113

zu (c) Explizitheit: Die Eigenschaft der Explizitheit eines Repräsentationssystems wurde bisher noch nicht diskutiert. Sie lässt sich an den logischen Systemen SD und PL1 veranschaulichen:114 Sei SD ein System, das sich aus einem Ausschnitt des Schriftdeutschen, einem formalen Folgerungsbegriff und einem korrekten syntaktischen Ableitungsbegriff zusammensetzt. Zu den logischen Zeichen von SD gehören nicht nur die klassischen Konstanten wie "nicht", "oder" und "alle", 111

Scotto di Luzio (2002), S. 52 [Aus dem Englischen ins Deutsche von St.B.] Scotto di Luzio (2002), S. 56-59 u. Kap. 6 113 Scotto di Luzio (2002), S. 59 [Aus dem Englischen ins Deutsche von St.B.] 114 Vgl. Scotto di Luzio (2002), S. 111-115 112

330

sondern auch die Komparativ-Endung "er" (bzw. komparative Relationsausdrücke).115 So stehen alle zweistelligen Relationsausdrücke mit der Komparativ-Endung "er" (z.B. "größer (als)", "liebenswürdiger (als)", "waghalsiger (als)" usw.) unter jeder zulässigen Uminterpretation des Schriftdeutschen für eine irreflexive und transitive Relation. Da "er" zu den logischen Konstanten gehört, lassen sich zusätzliche Ableitungsregeln einführen – u.a. die Regel er-Trans: (er-Trans) Von zwei Sätzen der Gestalt "a ist Rer als b" und "b ist Rer als c" darf zu einem Satz der Gestalt "a ist Rer als c" übergegangen werden. Sei PL1 auf die folgende Weise vollständig interpretiert: U = {x : x ist ein Mensch}; I(a1) = Aaron, I(a2) = Bertrand, I(a3) = Cecelie; I(R21) = { : x ist größer als y}. Angenommen, mit den Systemen soll nun nachgewiesen werden, dass die Argumentation A1 gültig ist: (A1)

Aaron is taller than Bertrand Bertrand is taller than Cecilie ∴ Aaron is taller than Cecilie

In SD kann diese Aufgabe in drei Schritten erfüllt werden: • Ableitung in SD * (1) Aaron ist größer als Bertrand * (2) Bertrand ist größer als Cecilie * (3) Aaron ist größer als Cecilie

P P er-Trans: 1, 2

In PL1 ist eine solcher dreischrittiger Nachweis nicht möglich: • Ableitung in PL1 (nicht regelgemäß) * (1) R21a1a2 * (2) R21a2a3 115

Vgl. Scotto di Luzio (2002), S. 117, Fn. 14

P P

331

* (3)

R21a1a3

×

Erklären lässt sich dies wie folgt: A1 ist gültig, weil der Ausdruck "is taller than" im Englischen auf Grund seiner spezifischen Bedeutung mit einem bestimmten semantischen Zwang verbunden ist: "is taller than" steht für eine transitive Relation – "x is taller than z" ist wahr, wenn "x is taller than y" und "y is taller than z" wahr sind. In SSD gehört die angemessene Übersetzung von "taller than" zum logischen Vokabular – bzw. die Endung "er". Der semantische Zwang der Transitivität wird somit von Interpretation zu Interpretation beibehalten. Dies ermöglichte es, er-Trans einzuführen und in der Ableitung zu verwenden. Im Gegensatz hierzu zählt die angemessene Übersetzung von "taller than" in SPL1 nicht zum logischen Vokabular: Der Ausdruck "R21" kann so uminterpretiert werden, dass er nicht für transitive Relationen steht. Folglich gibt es Interpretationen, unter denen jedes Element von {R21a1a2, R21a2a3} wahr, "R21a1a3" hingegen falsch ist. Der Schritt von 1 und 2 nach 3 kann in PL1 nicht wahrheitsvererbend sein. Die Tatsache, dass die Übersetzung von "taller than" nicht zum logischen Vokabular von SPL1 gehört und dass der mit "taller than" verbundene Zwang nicht fest in der Semantik von SPL1 verankert ist, verhindert somit eine Ableitung, die analog zu dem in SD geführten Beweis ist. Dennoch ist es möglich, das Vorliegen der notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation mit Hilfe von PL1 nachzuweisen. Hierzu muss nur dafür gesorgt werden, dass der relevante semantische Zwang als Zusatzprämisse ZP in die Ableitung eingefügt wird. • Ableitung in PL1 * (1) R21a1a2 * (2) R21a2a3 * (3) ∀x1∀x2∀x3((R21x1x2 ∧ R21x2x3) → R21x1x3) … … 2 * (8) R 1a1a3

P P ZP ... → Elim: 6, 7

332

Der relevante Zwang muss also explizit in den Beweis eingebracht werden. Scotto di Luzio schreibt: Die unterschiedliche Behandlung des logischen und nicht-logischen Vokabulars in der Logik 1. Stufe (wie sie in ihrer Semantik und ihren Ableitungsregeln reflektiert wird) beschreibt somit, für welches Explizitmachen der Beweisende verantwortlich ist – als Ergebnis davon, dass er dieses logische System verwendet. Grob gesprochen wird der (logische), "festverdrahtete" Teil der Semantik (eingebaut in die rekursiven Klauseln der Erfüllungs-Definition) von dem Beweisenden als selbstverständlich betrachtet und verlangt keine explizite Erwähnung in der Ableitung. Der (nicht-logische) Teil der Semantik, der durch ein Modell beigetragen wird (und daher dafür geschaffen ist, von Interpretation zu Interpretation zu variieren), kann jedoch nicht als selbstverständlich betrachtet werden; um erfolgreich eine Ableitung in diesem formalen System zu präsentieren, muss der Beweisende die Klasse der zu berücksichtigenden Modelle "kontrollieren", indem genug semantische Zwänge über das nicht-logische Vokabular als Prämissen explizit gemacht werden.116

Die Grundidee, die hinter Scotto di Luzios Kriterium der Explizitheit steht, kann also wie folgt gefasst werden: Je weniger logische Konstanten ein System enthält, desto mehr Zwänge müssen explizit als Zusatzprämissen in die Ableitungen des Systems eingebracht werden, um erfolgreich das Vorliegen einer notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation nachweisen zu können. Ein Repräsentationssystem ist demgemäß umso expliziter, je weniger logisches Vokabular es enthält. Inwiefern trägt ein höheres Maß an Explizitheit zu einer höheren Entlastung von P bei? Scotto di Luzio scheint folgende Idee im Sinn zu haben:117 Um eine Ableitung bewerten zu können, muss P überprüfen, ob jeder Schritt innerhalb der Ableitung tatsächlich notwendig wahrheitsvererbend ist. Dabei muss P die semantischen Zwänge berücksichtigen, die für das Vorliegen der notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation relevant sind. Betreffen diese Zwänge das logische Vokabular, sind sie in der Semantik des verwendeten Systems verankert und kommen in der Ableitung nur implizit zum Tragen, so dass P sie 'herauslesen' und sich 'vergegenwärti116 117

Scotto di Luzio (2002), S. 55 [Aus dem Englischen ins Deutsche von St.B.] Vgl. Scotto di Luzio (2002), S. 53-56 u. Kap. 5

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gen' muss. Je kleiner das logische Vokabular ist, desto seltener muss P solche impliziten Zwänge erwägen. P* ist währenddessen häufiger gezwungen, semantische Zwänge explizit zu machen. Scotto di Luzio fasst diesen Gedanken wie folgt: Wir haben daher ein weiteres Beispiel dafür, wie die Verpflichtung, die Folgerungsregeln der Logik 1. Stufe korrekt zu verwenden, den Beweisenden implizit verpflichtet, mehr als ausreichend zu tun. Die einzige Weise, auf die der Beweisende die Regeln der Logik 1. Stufe korrekt anwenden und zu der gewünschten Konklusion gelangen kann, besteht darin, genügend semantische Zwänge über das nicht-logische Vokabular explizit als Prämissen zu erwähnen, um sicherzugehen, dass es keine Gegenbeispiele gibt. Dies wiederum befreit die Leserschaft von der Aufgabe, in das nicht-logische Vokabular irgendwelchen zusätzlichen semantischen Gehalt "hineinzulesen", der über das hinausgeht, was explizit in irgendeiner Prämisse präsentiert ist (wenn er z.B. wohlwollend vorgehen will). In einer erfolgreichen Ableitung 1. Stufe bleibt in Hinsicht auf das nicht-logische Vokabular nichts implizit, was einen Unterschied vis a vis Wahrheitsvererbung machen könnte.118

Scotto di Luzios Überlegungen zufolge kann somit das folgende Kriterium eingeführt werden: 119 (ENT) Eine Logik L ist mindestens genauso entlastend wie eine Logik L*, wenn L von den Eigenschaften der Univokalität, Feinkörnigkeit und Explizitheit mindestens diejenigen (in demselben Maß) besitzt, die L aufweist. L ist entlastender als L*, wenn L mindestens ebenso entlastend ist wie L* - aber nicht umgekehrt. Gemäß Scotto di Luzio können nicht-sprachliche Logiksysteme nun prinzipiell nicht so entlastend sein wie PL1. Sein schlagkräftigstes Argument für diese These bezieht sich auf die Eigenschaft der Explizitheit. (Dass die nicht-sprachliche Logiksysteme univok sein können, gesteht Scotto di 118 119

Scotto di Luzio (2002), S. 55 [Aus dem Englischen ins Deutsche von St.B.] Vgl. Scotto di Luzio (2002), S. 59ff.

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Luzio ein.120 In Blick auf die Eigenschaft der Feinkörnigkeit beschränkt er sich auf den Hinweis, dass nicht-sprachliche Logiken wie Shins VENN I und II oder Barwises und Etchemendys HYPERPROOF nicht-feinkörnige Regeln besitzen.121 Dies könnte als praxisorientiertes Argument gegen die Feinkörnigkeit nicht-sprachlicher Ableitungsbegriffe gedeutet werden.) Das Argument setzt voraus, dass in den Standardsystemen der Prädikatenlogik 1. Stufe eine optimale Einteilung in logisches und nicht-logisches Vokabular gegeben ist.122 Laut Scotto di Luzio kann das Maß der Explizitheit daher daran gemessen werden, wie viele semantische Zwänge in einem Standardsystem 1. Stufe mit Hilfe von Zusatzprämissen (oder Bedeutungsaxiomen) ausgedrückt werden müssten: Es gibt eine weit verbreitete Überzeugung innerhalb der logischen Gemeinschaft, derzufolge der "süße Punkt" in dieser Unterscheidung [zwischen logischen und nicht-logischen Ausdrücken] (oder zumindest einer von ihnen) in der Standardlogik 1. Stufe zu finden ist. Im Idiom dieser Dissertation bedeutet dies zu sagen, dass das Niveau an Explizitheit, das durch sie erzwungen wird, irgendwie privilegiert ist. Einigen zufolge ist dies so, weil der semantische Gehalt, der im prädikatenlogischen Vokabular 1. Stufe implizit gelassen wird, als sehr gering und vielleicht gleich Null betrachtet wird. Es geht über den Bereich unserer gegenwärtigen Untersuchung hinaus, solche Behauptungen zu präzisieren und zu bewerten. Gegeben unsere Zwecke genügt es festzuhalten, dass wir eine "Halbordnung" über die Klasse der Sprachen und ihren Logiken legen können, die darauf basiert, wie die fest verdrahteten Teile ihrer Semantiken durch das Hinzufügen von Axiomen zu einer Standardsprache 1. Stufe simuliert werden können.123

Scotto di Luzio scheint dementsprechend das folgende Kriterium im Sinn zu haben:124 Ein logisches System L besitzt das höchste Maß an Explizitheit, wenn es keine logische Konstante besitzt, deren Gegenstück in PL1 nicht zum nicht-logischen Vokabular gehört. L besitzt nicht das höchste 120

Scotto di Luzio (2002), S. 108 Scotto di Luzio (2002), S. 158-170 122 Vgl. Scotto di Luzio (2002), S. 118f. 123 Scotto di Luzio (2002), S. 118 [Aus dem Englischen ins Deutsche von St.B.] 124 Vgl. Scotto di Luzio (2002), S. 119 u. S. 136f. 121

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Maß an Explizitheit, wenn es mindestens eine logische Konstante enthält, deren Gegenstücke in PL1 keine logische Konstante von PL1 ist. Vereinfacht lässt sich Scotto di Luzios Argument nun wie folgt wiedergeben:125 In den Repräsentationssystemen nicht-sprachlicher Logiken werden Teilzeichen-Relationen mit bestimmten strukturellen Eigenschaften genutzt, um strukturgleiche Relationen auszudrücken. Die räumliche Relation des Enthaltenseins wird z.B. verwendet, um die strukturgleiche Relation des Teilmengenseins auszudrücken. Dass die räumliche Relation für eine Relation mit den und den strukturellen Eigenschaften steht, bleibt von Interpretation zu Interpretation gleich: Die transitive Relation des Enthaltenseins steht unter jeder Interpretation für eine transitive Relation. Die räumliche Relation kann somit im gewissen Rahmen zum logischen Vokabular gezählt werden. In einem sprachlichen Logiksystem wie PL1 werden dagegen Relationsausdrücke genutzt, um Relationen auszudrücken. Die Bedeutung eines Relationsausdrucks kann entsprechend seiner semantischen Kategorie von Interpretation zu Interpretation variieren. Relationsausdrücke gehören somit zum nicht-logischen Vokabular von PL1. Das bedeutet: In einem nicht-sprachlichen System gibt es logische Konstanten, deren angemessenen Übersetzungen oder Gegenstücke nicht zum logischen Vokabular von PL1 gehören. Also sind nicht-sprachliche Systeme weniger explizit als PL1 und somit weniger entlastend. Fazit: Wird Scotto di Luzios Analyse gefolgt und die Entlastung von P zu Ungunsten von P* an den Eigenschaften der Univokalität, Feinkörnigkeit und Explizitheit festgemacht, scheinen nicht-sprachliche Systeme prinzipiell weniger entlastend zu sein als PL1: Nicht-sprachliche Systeme können – zumindest nach Scotto di Luzios Analyse – nicht dasselbe Maß an Explizitheit besitzen wie PL1. Wie angemessen und aussagekräftig die Ergebnisse von Scotto di Luzio sind, müsste allerdings genauer untersucht werden. Hier sollten seine Überlegungen nur angeschnitten werden.

8.8 Zusammenfassung. In diesem Kapitel wurde für die These T3 argumentiert. T3 besagt: 125

Vgl. Scotto di Luzio (2002), S. 136f.

336

(T3) Wird "Logische Folgerung" im Sinn von LF-FI und "NichtSprachlichkeit" im Sinn von NS-SÄ1 aufgefasst, gilt: Nichtsprachliche Logiksysteme sind ihren sprachlichen Gegenstücken in bestimmten Hinsichten unterlegen, wenn es um das Begründen von Überzeugungsinhalten geht, können ihnen in anderen Hinsichten aber überlegen sein. Um T3 zu stützen, wurden zunächst H1-H7 hergeleitet. Sie stellen Hinsichten dar, unter denen sich bewerten lässt, wie gut ein logisches System geeignet ist, um Überzeugungsinhalte zu begründen. Im Folgenden wurden sprachliche und nicht-sprachliche Logiksysteme unter H1-H7 verglichen. Hierzu wurden jeweils Eigenschaften angegeben, die dafür verantwortlich sein können, dass ein System unter einer Hinsicht mehr oder weniger gut geeignet ist. Der Vergleich führte u.a. zu folgenden Ergebnissen: Nicht-sprachliche Logiken lassen sich schlechter handhaben, scheinen jedoch ableitungseffizienter sein zu können. Sind die Ergebnisse fundiert, ist T3 gestützt. Die Untersuchungen dieses Kapitels können allerdings nur als Fingerzeige verstanden werden: Die für die einzelnen Vergleiche relevanten Eigenschaften wurden eher behelfsmäßig eingeführt und notdürftig expliziert, kognitive Aspekte gänzlich außer Acht gelassen. Zudem wurde unterschlagen, wie die einzelnen Aspekte zusammenhängen: Ein hohes Maß an Ausdrucksstärke kann z.B. zu einem geringeren Maß an Ableitungsstärke führen. Ein angemessener Vergleich logischer Systeme sollte dieses Zusammenspiel berücksichtigen.

9. Zusammenfassung und Ausblick Innerhalb der modernen Logik werden üblicherweise die logischen Eigenschaften sprachlicher Repräsentationen untersucht: Unter welchen Bedingungen folgt ein sprachliches Zeichen aus einer Menge sprachlicher Zeichen? Wie lassen sich sprachliche Repräsentationen einsetzen, um das Vorliegen logischer Folgerung zu beweisen? Die logischen Eigenschaften nicht-sprachlicher Repräsentationen sind dagegen selten Gegenstand des Interesses. Nicht-sprachliche Zeichen werden – wenn überhaupt – als Illustrationen oder heuristische Werkzeuge eingesetzt. Diese sprachzentrierte Haltung steht im Gegensatz zu der alltäglichen Schlussfolgerungspraxis. Hier kann nicht-sprachlichen Repräsentationen häufig dieselbe Aufgabe zukommen wie sprachlichen Repräsentationen. Angesichts des Missverhältnisses zwischen Theorie und Praxis wird seit Ende der 1980er Jahre vermehrt versucht, die Methoden und Begrifflichkeiten der modernen Logik auf nicht-sprachliche Repräsentationen anzuwenden.1 Ziele sind u.a.: (i) nachzuweisen, dass sich auch mit nichtsprachlichen Zeichen sicher folgern lässt, und (ii) zu zeigen, dass es fruchtbar sein kann, die Logik um eine nicht-sprachliche Komponente zu erweitern. Die Arbeit konnte als ein Teil dieses Projekts verstanden werden. Insbesondere ging es darum, drei grundlegende Fragen zu klären: (1*) Gibt es nicht-sprachliche Logiksysteme, die einen nicht-leeren Folgerungs- und einen nicht-leeren Beweisbegriff besitzen? (2*) Gibt es nicht-sprachliche Logiksysteme, die sicher sind und nichttriviale Beweisbegriffe besitzen? (3*) Sind nicht-sprachliche Logiksysteme ebenso gut geeignet wie sprachliche Systeme, um das Vorliegen einer notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation nachzuweisen? 1

Vgl. auch Jamnik (2001), S. 29

338

Zentral für 1*-3* sind die Begriffe des sprachlichen und nicht-sprachlichen Logiksystems. Um sie zu klären, wurden im ersten Teil der Arbeit die Bestandteile logischer Systeme expliziert: Repräsentationssystem, Folgerungs- und Beweisbegriff. Zudem wurde bestimmt, was sprachliche und nicht-sprachliche Zeichensysteme unterscheidet – und damit sprachliche und nicht-sprachliche Logiken. Der Begriff des Repräsentationssystems wurde wie folgt definiert: (RS-9T)

Etwas ist genau dann ein Repräsentationssystem, wenn es ein 9Tupel ist. Es gilt: TOK ist eine Menge von Repräsentationstoken, TYP ist eine Menge von Repräsentationstypen, K eine Relation von TOK nach TYP, ST eine Struktur über TYP, OI eine Menge intensionaler Entitäten, OE eine Menge extensionaler Entitäten, O eine möglicherweise partielle Funktion von OI nach OE, C eine Menge von Kontexten und B eine Relation von TYP nach OI relativ zu C.

Der Begriff der logischen Folgerung wurde auf vier verschiedene Weisen bestimmt: (LF-MW) Eine Repräsentation R folgt in S genau dann logisch aus einer Menge M von Repräsentationen, wenn R in allen möglichen Welten wahr-in-S ist, in denen alle Elemente von M wahr-in-S sind. (LF-AP) Eine Repräsentation R folgt in S genau dann logisch aus einer Menge M von Repräsentationen, wenn gilt: Eine Person kann a priori wissen, dass R wahr-in-S ist, wenn alle Elemente von M wahr-in-S sind. (LF-AN) Eine Repräsentation R folgt in S genau dann logisch aus einer Menge M von Repräsentationen, wenn gilt: Wenn alle Elemente aus M wahr-in-S sind, dann ist R allein auf Grund der Bedeutungen und der Anordnung der in R und den Elementen von M vorkommenden Ausdrücke wahr-in-S.

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(LF-FI)

Eine Repräsentation R folgt in S genau dann logisch aus einer Menge M von Repräsentationen, wenn gilt: Es gibt keine uniforme (Um-)Interpretation I* der nicht-logischen Ausdrücke in R und den Repräsentationen von M, so dass jedes Element von M unter I* wahr-in-S, R dagegen falsch-in-S ist.

Der Beweisbegriff wurde wie folgt expliziert: (BW-AB) Sei S ein Repräsentationssystem und sei |=S ein Folgerungsbegriff über S. Sei AX eine Menge von Axiomen und AB eine Menge von Ableitungsregeln. Eine Folge s = ist genau dann ein Beweis für M |=S R und eine Ableitung von R aus M in S, wenn gilt: 1. Jedes ei von s ist ein Typ von S oder ein Beweis s* in S. 2. s ist endlich lang. 3. s enthält R als Koordinate. 4. Jede Koordinate von s entstammt M, ist ein Element von AX oder lässt sich mit Hilfe einer Regel aus AB rechtfertigen. Der Unterschied zwischen sprachlichen und nicht-sprachlichen Repräsentationssystemen wurde schließlich auf vier verschiedene Weisen bestimmt: (NS-GF1) Ein Repräsentationssystem ist genau dann nicht-sprachlich, wenn es geometrische Figuren als Zeichen enthält. (NS-NL1) Ein Repräsentationssystem ist genau dann nicht-sprachlich, wenn es Zeichen enthält, die auf nicht-lineare Weise aus einfachen Zeichen zusammengesetzt sind. (NS-SD1) Ein Repräsentationssystem ist genau dann nicht-sprachlich, wenn es syntaktisch dicht ist. (NS-SÄ1) Ein Repräsentationssystem ist genau dann nicht-sprachlich, wenn es Repräsentationen enthält, die dem Repräsentierten strukturähnlich sind. In Rückgriff auf diese Explikationen wurden im zweiten Teil der Arbeit die Fragen 1*-3* behandelt. Hierbei wurde für T1-T3 argumentiert:

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(T1) Unabhängig davon, ob "Nicht-Sprachlichkeit" im Sinn von NS-GF1, NS-NL1, NS-SD1 oder NS-SÄ1 verstanden wird, und unabhängig davon, ob "Logische Folgerung" im Sinn von LF-MW, LF-AP, LF-AN oder LF-FI aufgefasst wird, gilt: Es gibt nicht-sprachliche Logiksysteme, die einen nicht-leeren Folgerungs- und einen nicht-leeren Beweisbegriff besitzen. (T2) Unabhängig davon, ob "Logische Folgerung" im Sinn von LF-MW, LF-AP, LF-AN oder LF-FI verstanden wird, gilt: i) Wenn "Nicht-Sprachlichkeit" im Sinn von NS-SD1 aufgefasst wird, gibt es keine nicht-sprachlichen Logiksysteme, die sicher sind und nicht-triviale Beweisbegriffe besitzen. ii) Wenn "Nicht-Sprachlichkeit" im Sinn von NS-GF1, NS-NL1 oder NS-SÄ1 verstanden wird, gibt es nicht-sprachliche Logiksysteme, die sicher sind und nicht-triviale Beweisbegriffe besitzen. (T3) Wird "Logische Folgerung" im Sinn von LF-FI und "NichtSprachlichkeit" im Sinn von NS-SÄ1 aufgefasst, gilt: Nicht-sprachliche Logiksysteme sind ihren sprachlichen Gegenstükken in bestimmten Hinsichten unterlegen, wenn das Vorliegen einer notwendigen Wahrheitsvererbungsrelation nachgewiesen werden soll, können ihnen in anderen Hinsichten aber überlegen sein. Die Referate, Analysen und Ergebnisse dieser Arbeit fangen nur einige Aspekte ein, die wichtig sind, wenn der logische Status nicht-sprachlicher Repräsentationen untersucht und bewertet werden soll. Weitere Schritte könnten sein: 1.) Kognitive Aspekte einbinden: Wie leistungsfähig nicht-sprachliche Logiksysteme sein können, wurde in dieser Arbeit vor allem an syntaktischen und semantischen Eigenschaften untersucht. Für eine Analyse der Vor- und Nachteile nicht-sprachlicher Systeme sind jedoch auch kognitive Aspekte entscheidend: Die Effizienz sprachlicher und nicht-sprachlicher Systeme scheint zu einem großen Teil davon abzuhängen, wie wir sprachliche und nicht-sprachliche Repräsentationen kognitiv verarbeiten.

341

Unter einer kognitionswissenschaftlichen Perspektive könnte untersucht werden, wie das Verwenden nicht-sprachlicher Repräsentationen "mit den Dingen verbunden ist, die in unseren Köpfen geschehen"2, und wie sich diese Verbindung zwischen externen und internen Repräsentationen auf die Leistungsfähigkeit nicht-sprachlicher Systeme auswirkt. Erste Schritte in diese Richtung finden sich z.B. in den Arbeiten von Philip Johnson-Laird3, Mary Hegarty und Marcel Just4 oder in den Sammelbänden: "Diagrammatic representation and reasoning"5 und "Diagrammatic reasoning: Cognitive and computational perspectives"6. 2.) Historische Aspekte einbinden: Die Frage nach dem logischen Status nicht-sprachlicher Repräsentationen wurde in dieser Arbeit rein systematisch behandelt. Ergänzend hierzu könnten historische Aspekte untersucht werden: Wie wurde der logische Status nicht-sprachlicher Zeichen im Laufe der Geschichte der Logik bewertet? Wie ist es zu der eher negativen Einstellung gegenüber nicht-sprachlichen Repräsentationen gekommen? Finden sich in antiken oder mittelalterlichen Texten Alternativen zu modernen Konzeptionen? usw. Erste Forschungsarbeiten in diese Richtung wurden von Mark Greaves in "The philosophical status of diagrams"7 geleistet. Greaves kommt hier zu dem Schluss, dass nicht-sprachliche Repräsentationen in der Geschichte der Logik vor allem deswegen vernachlässigt wurden, weil in der Philosophie der Logik bestimmte erkenntnistheoretische und ontologische Positionen vorherrschend waren – und nicht etwa, weil nicht-sprachliche Zeichen schlechter zu handhaben wären.8 3.) Nicht-sprachliche Logik für spezielle Fragen der Philosophie der Logik nutzen: Viele Fragen der Logik und der Philosophie der Logik wurden bisher nur in Bezug auf sprachliche Logiksysteme untersucht: Was sind logische Konstanten? Wie lassen sich Systeme konstruieren, in denen 2

Blackwell (2002), S. 109 Johnson-Laird (1983) 4 Hegarty/Just (1993) 5 Anderson/Meyer/Oliver (2002) 6 Glasgow/Narayanan/Chandrasekaran (1995) 7 Greaves (2002) 8 S. Greaves (2002), S. 201-205. Vgl. auch Glasgow/Narayanan/Chandrasekaran (1995) 3

342

aus einem Widerspruch nicht alles folgt?9 usw. Möglicherweise könnte es sich als fruchtbar erweisen, diese Fragen unter einer weiteren, auch nichtsprachlichen Sicht zu untersuchen. Aus CARROLL scheint sich z.B. mit recht einfachen Mitteln ein parakonsistentes System entwickeln zu lassen – d.h. ein System, in dem aus einem Widerspruch nicht alles folgt: (1) Die Semantik des Repräsentationssystems wird so erweitert, dass Diagramme möglich sind, die wahr und falsch zugleich sind. (2) Die Regeln RC5 (Ex Contradictione Quod Libet) und RC3 (Reduzieren einer Kreuzfolge) werden aus dem Beweisbegriff gestrichen. Vielleicht können aus den Eigenschaften dieses parakonsistenten Systems fruchtbare Erkenntnisse für die parakonsistente Logik gezogen werden?

• x x

Abb. 1: ein wahr-falsches Carroll-Diagramm 4.) Nicht-sprachliche induktive Folgerung untersuchen: In dieser Arbeit wurde logische Folgerung ausschließlich im Sinn deduktiver Folgerung verstanden. Weitere Untersuchungen könnten klären, inwieweit induktiv mit nicht-sprachlichen Repräsentationen geschlossen werden kann. o1o2 o3o4

Abb. 2 9



o1o2 o3o4u

Abb. 3

Zu den Fragestellungen der parakonsistenten Logik s. etwa Bremer (1998); Priest (1987)

343

(In dem Diagramm von Abb. 2 repräsentiert die geschlossene Kurve die Menge aller Tage. o1-o4 stehen für vier beobachtete Fälle. o1: Am Montag ging die Sonne auf; o2: Am Dienstag ging die Sonne auf; o3: Am Mittwoch ging die Sonne auf; o4: Am Donnerstag ging die Sonne auf. Dass o1-o4 dicht aneinander geordnet sind, soll bedeuten, dass die vier Fälle einander sehr ähnlich sind. In dem Diagramm von Abb. 3 steht u für den unbeobachteten Fall, dass am Freitag die Sonne aufgeht – ein Fall, der o1-o4 sehr ähnlich ist. In dem Beispiel wird also von der Tatsache, dass von Montag bis Donnerstag die Sonne aufgegangen ist, analog auf den Sachverhalt geschlossen, dass sie auch am Freitag aufgeht oder aufgegangen ist.)10 5.) Die Möglichkeiten eines nicht-konservativen Ansatzes bewerten: Leitend für diese Arbeit war der Ansatz, nicht-sprachliche Folgerung und Beweisführung mit den Begriffen und Theorien sprachlicher Folgerung und Beweisführung zu analysieren. In einem nächsten Schritt könnte geklärt werden, wie tragfähig dieser Ansatz ist: Kann er allen Aspekten nichtsprachlicher Folgerung gerecht werden? In welchen Hinsichten wäre es eher angemessen, nicht-sprachliche Folgerung mit Begriffen zu fassen, die speziell auf nicht-sprachliche Repräsentationen zugeschnitten sind?11 Beispielsweise stellt sich die Frage, ob die klassische Definition des Ableitungsbegriffs der Art und Weise gerecht wird, wie im Alltag mit nichtsprachlichen Zeichen geschlossen und bewiesen wird: Während wir in sprachlichen Beweisführungen Folgen von Sätzen hervorbringen, die Schritt für Schritt von den Prämissen zur Konklusion führen, scheint sich diese Vorgehensweise bei nicht-sprachlichen Repräsentationen kaum finden zu lassen. Scotto di Luzio schreibt: [...] Ein Beispiel wäre die übliche Entscheidung, Beweise als Folgen von Repräsentationen und – verwandt – Folgerung als syntaktische Transformation zu charakterisieren. Wird die sprachliche Praxis behandelt, scheint dies eine Wahl zu sein, die der offenkundigen Satz-für-SatzStrukur informaler Texte einigermaßen getreu ist. Aber eine kurze Reflektion zeigt, dass eine solche Abstraktion für die diskursiven Aktivitäten, die viele diagrammatische Repräsentationen umgeben, nicht so gut 10

Syntax und Semantik der Diagramme sind aus Baum (1996), S. 407-417 übernommen 11 Vgl. Scotto di Luzio (2002), S. 175f., u.a. mit Hinweis auf Kerdiles (2001), Kap. 3

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motiviert ist. Betrachten Sie z.B. die Verwendung von Landkarten. Kaum führt jemand jemals irgendetwas wie eine syntaktische Transformation durch, wenn er von einer Karte aus folgert. Die wesentliche "Operation" ist die der Informationsextraktion, so dass gewöhnlich eine einzige Repräsentation im Spiel ist, die selten verändert wird. Dasselbe kann wohl über die übliche Verwendung von Venn-Diagrammen gesagt werden: Gewöhnlich präsentiert jemand ein einzelnes Venn-Diagramm [...], das alle relevanten Informationen repräsentiert und nicht eine Serie von Diagrammen, die jeweils Teilinformationen ausdrücken.12

Allerdings muss dieser Einwand nicht unbedingt gegen eine Berechtigung des konservativen Ansatzes sprechen. So können die Ableitungen der Systeme VENN, CARROLL und STRICH auch als Möglichkeiten betrachtet werden, die Prozesse des Updatens und Extrahierens von Informationen in Gestalt von Diagrammfolgen zu modellieren. Wird z.B. ein einzelnes Venn-Diagramm D Schritt für Schritt zu einem Diagramm D* modifiziert, könnte eine Ableitung von D* aus D als etwas betrachtet werden, das diesen Modifikationsprozess in Einzeldiagrammen festhält und überprüfbar macht.

12

Scotto di Luzio (2002), S. 175f. [Aus dem Englischen ins Deutsche von St.B.]

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