Einführung in die generative Phonologie [Reprint 2013 ed.] 9783111372792, 9783484500747


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INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
VERZEICHNIS DER ABKÜRZUNGEN
I. VORAUSSETZUNGEN UND GRUNDLEGENDE ANNAHMEN DER GENERATIVEN PHONOLOGIE
II. PROZESSPHONOLOGIE
III. EINIGE ENTWICKLUNGSLINIEN DER NEUEREN PHONOLOGIETHEORIE
VERMISCHTE ÜBUNGSAUFGABEN
BEANTWORTUNG DER ÜBUNGSAUFGABEN
LITERATURVERZEICHNIS
INDEX
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Einführung in die generative Phonologie [Reprint 2013 ed.]
 9783111372792, 9783484500747

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Romanistische Arbeitshefte

11

Herausgegeben von Gustav Ineichen und Christian Rohrer

Willi Mayerthaler

Einführung in die generative Phonologie

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1974

ISBN 3-484-50074-3 © Max Niemeyer Verlag Tübingen 1974 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

IX

Verzeichnis der Abkürzungen

XI

I. VORAUSSETZUNGEN UND GRUNDLEGENDE ANNAHMEN DER GENERATIVEN PHONOLOGIE

1. Warum keine strutturaiistische Phonologie

1

2. Aufbau der generativen Phonologie

2

2.1. 2.2. 2.3.

Aufgabe der Phonologie Stellung der Phonologie in der Granmatik Operieren der phonologischen Kcmponente

3. Einheiten der phonologischen Beschreibung 3.1. 3.2. 3.3.

2 3 4 5

Segnente Ist das Segment unteilbar? Segment versus Phonem

5 6 7

4. Msrkmalstheorie 4.1. Ziel der Merkmalstheorie 4.2. Definition der distinktiven Merkmale 4.2.1. Neutrale Stellung 4.2.2. Cberklassenmerkmale 4.2.3. Zungenstellungsmerkmale 4.2.4. Zusätzliche Merkmale 4.3. Natürliche Klasse 4.4. Proscidische Merkmale 4.5. Phonetische Merkmale 4.6. Grenzsyntole

8 8 9 9 10 12 15 16 17 18 20

5. Redundanz 5.1. Voll-spezifizierte und redundanzfreie Matrizen 5.2. Sprachspezifische und universelle Redundanzbedingungen 5.3. Segmentale Redundanz versus Redundanz von Segmentseguenzen 5.4. Ntorphenetrukturbedingungen und mögliche Morphene 5.5. Status und Funktion von Redundanzbedingungen 5.6. Marim gibt es Redundanz?

23 23 25 25 27 28 29

VI II. PROZESSPHONOLOGIE 1. Phonologische Prozesse

30

1.1.

Silbenstrukturaffizierende Prozesse

31

1.2.

Assimilation

32

1.3.

Neutralisierung

34

1.4.

Abschwächung

35

1.5.

Diphthongierung

36

1.6.

Warum gibt es phonologische Prozesse?

37

2. Regeln und Notationskonventionen

38

2.1.

Allgemeine Regelform

38

2.2.

Runde und geschweifte Klamrern

39

2.3.

Kontextkonventionen

41

2.4.

Sub- und Superskripte

43

2.5.

Regeltypen

43

3. Notationskonventionen und Einfadiheitskriterium

50

3.1.

Formale Einfachheit

50

3.2.

Substantielle Bedingungen und Evaluationsprozedur

52

4. Repräsentaticnsebenen

53

4.1.

Zugrundeliegende versus abgeleitete Repräsentation

53

4.2.

Wie abstrakt dürfen zugrundeliegende Farmen sein?

55

4.2.1. Altematicnsbedingung

55

4.2.2. Plausibilitäts- und Einfadiheitsüberlegungen

59

5. Regelordnung

60

5.1.

Sequentielle Ordnung

60

5.2.

Konjunktive versus disjunktive Ordnung

60

5.3.

K ä m e n sich Sprachen nur hinsichtlich der Regelordnung unterscheiden?

62

5.4.

Veränderungen der Regelordnung

64

5.5.

Zyklische versus nicht-zyklische Regeln

65

5.6.

Extrinsische versus intrinsische Ordnung

67

6. Ausnahmen und Irregularitäten

67

6.1.

Negative Ausnahmen

68

6.2.

Positive Ausnahmen

69

6.3.

Haupt- und Nebenregeln

71

6.4.

Warum gibt es Ausnahmen?

71

VII 7. Morphologie

72

7.1.

Aufbau der MorftologiekcnpDnente

74

7.2.

Organisation der Gesamtgranmatik

76

III. EINIGE ENTWICKLUNGSLINIEN DER NEUEREN PHONOLOGIETHEORIE

1. Zur Abstraktheit zugrundeliegender Formen 1.1.

Regelunkehrung und Restrukturierung

2. Eine neue Marianalstheorie?

78 78 83

2.1.

Binäre Merkmale

83

2.2.

Das Merkmal 'labial'

84

2.3.

Phonologische versus phonetische Merkrale

85

3. Markiertheitstheorie

87

3.1.

Was leistet eine Plus/Minus-Phcnologie nicht?

87

3.2.

Markiert versus unnarkiert

88

3.3.

Markiertheitskonventionen

89

3.4.

Warum gibt es markierte Segmente?

92

4. Natürliche Regeln

93

4.1.

Natürliche und unnatürliche Hegeln

94

4.2.

Der Zusammenhang zwischen Markiertheit und natürlichen Regeln

97

5. Schlußbemerkung

98

VERMISCHTE ÜBUNGSAUFGABEN

99

BEANTWORTUNG DER ÜBUNGSAUFGABEN

102

LITERATURVERZEICHNIS

108

INDEX

110

VORWORT

Dieses Arbeitsheft wurde geschrieben, weil es bisher keine deutschsprachige Einführung in das Gebiet der generativen Phonologie gab. Aus diesem Grund war es für Studierende sehr schwierig, die entsprechende Fachliteratur, die meist schon einen heilen Kenntnisgrad voraussetzt, auch nur ansatzweise zu verfolgen. Zur Lektüre der modernen, phonologischen Fachliteratur zu befähigen, ist deshalb erklärtes Ziel der vorliegenden Arbeit. Weitere Motivation bezieht das Buch aus der Überzeugung des Verfassers, daß die generativ^transformationelle Sprachtheorie einen fruchtbaren Forschungsansatz darstellt und weniger defektiv ist als andere sprachwissenschaftliche Theorierudimente. Als Adressaten hat es Studierende der Anfangssemester im Auge, die von generativer Phonologie noch keine Ahnung haben, jedoch über Grundbegriffe der generativ-transformaticnellen Sfcxrachtheorie, insbesondere über ihre methodischen Anforderungen und über die Syntaxtheorie schon etwas vorinformiert sind. (Solche Vorinformation kann man sich z. B. erwerben durch die Lektüre von Jürgen Meisel: Einführung in die transformationeile Syntax, Teil I: Grundlagen, Romanietieohe Arbeitehefte 1). Das vorliegende Arbeitsheft, das in entsprechenden Lehrveranstaltungen getestet wurde, sollte also brauchbar sein für Proseminare oder wissenschaftliche Übungen. Nach der Mehrzahl der theoretisch orientierten Abschnitte finden sich Beispiele und Übungsaufgaben. Die Übungsaufgaben sind so angelegt, daß sie nach genauer Lektüre beantwortet werden können. Da es sich als günstig erwiesen hat, in späteren Textabschnitten auf schon gegebene und (hoffentlich) bearbeitete Übungsaufgaben zurückverweisen zu können, wurden die Übungsaufgaben und auch die Beispiele durchnuneriert. Alle gesperrt gedruckten Begriffe sind linguistische Fachbegriffe; im Index des Arbeitsheftes werden sie in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt, überdies enthält der Index die engl. Entsprechungen der dt. Terminologie; dies deshalb, weil man auch als Romanist nicht ohne Kenntnis der englischen Terminologie auskamt, wenn man sich für moderne Linguistik interessiert. Nach Abschluß der Lektüre sollte der Benutzer nicht nur grundlegende Annahmen

χ der generativen Phonologie einordnen, technisch handhaben und kritisch reflektieren, sondern darüber hinaus auf die synchrone Beschreibung vrai Sprachen, insbesondere von remanísehen, übertragen können. Insofern versteht sich das Buch auch als theoretische Vorbereitung auf eine "Generative Phonologie des Neufranzösischen" . Während der Erstellung des Manuskriptes erschien eine Einführung in die generative Phonologie von S. A. Schane (1973), der ich wertvolle Anregungen entnommen habe. Für hilfreiche Diskussionen bin ich meiner Frau, Herrn Walter Breu, Herrn Prof. Dr. Gustav Ineichen, sowie verschiedenen Studenten, die an einschlägigen Proseminaren teilnahmen, verpflichtet; für Kritik und- Verbesserungsvorschläge der vorliegenden Arbeit bin ich dankbar.

München, im Saurier 1973

Willi Mayerthaler

VERZEICHNIS DER ABKÜRZUNGEN

Abkürzungen für Merkmale werden an den Stellen eingeführt, an denen sich die Definition eines Merkmals findet. Analog verfahren wir mit notationstechnischen Symbolen. afrz. = altfranzösisch aleni. = alemannisch angels. = angelsächsisch bair. = bairisch bras. = brasilianisch dt. deutsch = engl. = englisch frz. = französisch fr.pop. = français populaire germ. = germanisch griech. = griechisch it. = italienisch kat. katalanisch = kit. = klassisch-lateinisch kors. = korsisch lt. lateinisch =

mfrz.

mittelfranzösisch irhd. mittelhochdeutsch = norw. = norwegisch okzit. = ckzitanisch poln. = polnisch ptg. portugiesisch = rem. = rcmanisch run. runänisch = russ. = russisch sp. = spanisch surselv. surselvisch türk. = türkisch vulgärlateinisch vit. = = alterniert/Altematien * = ungrammatisch MS-Bedingung = Morptemstrukturbedingung =

I.

VORAUSSETZUNGEN UND GRUNDLEGENDE ANNAHMEN DER GENERATIVEN PHONOLOGIE

1.

Warun keine strukturalistische Phonologie?

Wenn wir uns im folgenden mit der Theorie der generativen Phonologie beschäftigen, so ist es vielleicht ganz nützlich, sich zu überlegen, warm wir die generative Phonologie einer strukturalistisehen vorziehen. Die Auseinandersetzung 'strukturalistische vs. generative Phonologie' wurde mit viel Stiirmaufwand, echten und Scheinargiirenten, mit Polemik, guasi-hymnisehen Lebgesängen auf das eine oder andere Modell usw. geführt. Das alles wollen wir nicht nacherzählen, und wir brauchen es auch nicht, weil die Lage inzwischen durchsichtiger geworden ist. Die generativen Grammatiker sehen ihre Phenologietheorie als überlegen an, weil sie glauben, gewisse Grundannahmen der strukturalistischen Phonologie nicht akzeptieren zu können. Eine dieser Grundannatmen besteht z. B. darin, daß die meisten Strukturalisten der Meinung sind, die phonologische Beschreibung einer Sprache bestehe in der Feststellung des Phoneminventars und der möglichen Kcmbinationen, die diese Phoneme eingehen können. Eine strukturalistische Phonologie gehört also zu einem Graimatiktyp, der Klassen von Einheiten oder Elementen (z. B. die Klasse der Phoneme) durch gewisse Preten (z. B. durch Bildung von Minimalpaaren) aussondert und deren mögliche Anordnung und Kcmbinierbarkeit untersucht. Einen solchen Grarrmatiktyp nennt man E l e m e n t - u n d A n o r d n u n g s g r a m m a t i k . Es ist leicht einzusehen, daß man mit einer Element- und Anordnungsgranmatik auf phcnologischem Gebiet in Schwierigkeiten kamt, falls es so etwas wie phonologische Prozesse gibt, denn für die Darstellung von Prozessen reicht dieser Grarrmatiktyp nicht aus. Die generativen Grammatiker nehmen an, daß es sprachliche Prozesse gibt (z. B. Passivierung, Relativsatzbildung, Extraposition in der Syntax; Palatalisierung, Sonorisierung, Diphthongierung in der Phonologie); deshalb postulieren sie, daß die Phonologie einer Sprache nicht adäquat mittels einer Elanent- und Anordnungsgranmatik erfaßt werden kann, sondern nur mit einer Konzeption, die es erlaubt, Elemente, Anordnungen und phonologische Prozesse auszudrücken. Ein Graimatiktyp mit diesen Eigenschaften heißt E l e m e n t - u n d P r o z e ß g r a m m a t i k . Die ge-

2

nerative Phonologie ist nun nichts anderes als der Versuch, auch dem prozessualen Charakter phonologischer Erscheinungen gerecht zu werden, also eine Elementund Prozeßphonologie. Daß sich bei diesem Versuch noch diverse andere mehr oder minder gravierende theoretische Unterschiede zur struktural is ti sehen Phonologiekcnzepticn ergeben, ist zu erwarten, jedoch eigentlich nur ein Nebenprodukt der grundsätzlichen Kritik an einer Element- und Ancrdnimgsphenologie. Das alles klingt sehr theoretisch und scheint wenig Bezug zur sprachlichen Etnpirie zu haben, weil wir ja noch gar nicht wissen, ob es wirklich phonologische Prozesse gibt. Diese Frage aber schieben wir einfach noch ein wenig vor uns her; in Abschnitt 11,1 werden wir explizit über phonologische Prozesse reden und damit unser Plädoyer für eine Elanent- und Prozeßphcnologie nachträglich motivieren. Bevor wir den Vor- oder Nachteilen einer generativen Phonologie tatsächlich auf die Schliche kennen, müssen wir zuerst einmal skizzieren, wie sie funktioniert. 2.

Aufbau der generativen Phonologie

In der generativen Phonologie haben sich zwei Sprechvreisen zur Kennzeichnung der strukturalistisehen Phonologie eingebürgert: a) a u t o n o m e Phcnologie oder b) t a x o n o m i s c h e Phonologie. a) soll aussagen, daß die strukturalistisehe Phonologie unabhängig von der Syntax konzipiert wird; b) verweist auf Verfahren, mit denen Strukturellsten hantierten, auf die Prozeduren der S e g m e n t a t i o n und der Κ 1 a s s i f i k a t i o n . Ein Sprachmodell, das ausschließlich mit diesen Verfahren arbeitet, wird als taxoncmisch bezeichnet. Worin unterscheidet sich nun eine generative Phonologie von einer autonomen? Diese Problematik können wir uns am ehesten verdeutlichen, wenn wir uns die Funktionsweise der generativen Phonologie vor Augen führen. 2.1

Aufgabe der Phonologie:

Wenn man e irmeli von den situativen Bedingungen absieht, in denen Sätze oder Texte adäquaterweise geäußert werden können, dann läßt sich eine Grammatik als eine Vorrichtung interpretieren, die die Beziehung zwischen Lautung und Bedeutung regelt. Aufgabe der Phonologie ist es, der von der Grarmatik generierten Satzmenge eine lautliche Realisierung oder eine p h o n e t i s c h e Repräs e n t a t i o n zuzuweisen. Man spricht in diesem Zusammenhang von der

3

i n t e r p r e t a t i v e n Funktion der Phonologie. ' Interpretativ1 deshalb, weil die Phonologie, die neben der Syntax, der Semantik und der Morphologie eine weitere K o m p o n e n t e der Grarrmatik darstellt, keine neuen Strukturen generiert und deshalb auch keine r e k u r s i v e n Prozesse kennt; die phonologische Katpenente interpretiert syntaktische O b e r f l ä c h e n s t r u k t u r e n lediglich in phonologischer und phonetischer Hinsicht. Die phonologische Komponente einer Granmatik will also die K o m p e t e n z eines Sprecher/Hörers abbilden, soweit sich diese auf Fragen der Lautstruktur einer Sprache erstreckt. Beispiel: (1 ) Zur Kompetenz eines Deutschsprachigen gehört es ζ. Β., beurteilen zu können, daß a) [fi/] 'Fisch' ein lautlich wohlgeformtes Morphem des Dt. ist, daß b) [fpark] 'Fpark' kein lautlich wohlgeformtes Morphem des Dt. ist, daß c) [?e:bal] 'ebel' zwar ein mögliches Morphem des Dt. ist, tatsächlich aber nicht vorkommt; auch gehört zur phonologischen Kompetenz ein Urteil über verschiedene Grade der Abweichung von phonologischer Wohlgeformtheit: man wird z. B. die Aussprache [fis] für 'Fisch' als relativ akzeptabler ansehen als [fitr] oder gar [ti/] usw.

2.2

Stellung der Phonologie in der Grarrmatik:

In der modernen theoretischen Linguistik gibt es eine intensive Diskussion darüber, welche Korponente der Granmatik (Syntax oder Semantik) generativ ist. Diese Auseinandersetzung läßt sich in der Dichotomie i n t e r p r e t a t i v e vs. g e n e r a t i v e Semantik zusammenfassen. Von interpretativer Senantik spricht man, wenn die Syntax generativ aufgebaut wird und die Semantik anschliessend syntaktische Strukturen semantisch interpretiert. Unter generativer Semantik verstehen viele ein Granmatikncdell, in dem die Semantik generativ ist, wodurch die Holle der Syntax auf die Transformations syntax eingeschränkt wird. In beiden Modellen hat die phonologische Kcmponente eine interpretative Funktion; sie operiert jeweils auf syntaktischen Oberf lächenstrukturen. Deshalb können wir es uns erlauben, uns um diese Auseinandersetzung nicht weiter zu kümrern; sie affiziert die Phonologie nicht.

4 Vorerst nehmen wir einfach folgendes Qrganisationsscheroa für eine Grammatik an:

Repräsentation der' Lautstruktur J

2.3

Operieren der phonologisehen Komponente:

In formaler Hinsicht ist die Phonologie oder die phonologische Kcrponente eine endliche Menge von Anweisungen, sog. phonologischen Regeln, die den syntaktischen Oberflächenstrukturen eine Lautstruktur zuordnen. Sie funktioniert als E i n g a b e - A u s g a b e - M e c h a n i s m u s

, der der syntaktischen

Komponente nachgeordnet ist.

Beispiel für einen Eingábe-Ausgabe-Mechanisnus: (2) Man kann ζ. B. eine Fabrik als Eingabe-Ausgabe-Mechanismus interpretieren: Eingabe sind die Rohstoffe, die in der Fabrik verarbeitet werden; Ausgabe ist das jeweilige Fertigprodukt. Auch der Prozeß der Spracherlernung läßt sich in ähnlicher Heise deuten: Eingabe sind die primären Daten (Äußerungen), die ein noch nicht sprechendes Kind hört; Ausgabe ist die durch die Grammatik beschriebene Sprachkompetenz des Kindes. (primäre Daten)



Spracherwerbungsmechanismus

» ( Grammatik)

Für "Eingabe/Ausgabe" sagt man häufig auch "Input/Output".

Wie Fig. 1 andeutet, sind syntaktische Oberflächenstrukturen (in der Form von P-Markern) Eingabe der phonologischen Komponente; Ausgabe ist eine phonetische Repräsentation der einzelnen Sätze. Tiefenstrukturinformation ist in der generativen Phonologie - außer für Intenationsphänemene (ζ. B. für die Fragesatz intonation, die dine Rückgriff auf den Satz typ nicht gesteuert werden kann) - nicht notwendig. Probleme wie dasjenige der Intonation werden wir im folgenden nicht berücksichtigen.1 1

Weiterführende Literatur: Bierwisch (1966) sowie Vennemann (1973), der 'Intonation' als syntaktisches Phänomen verstanden wissen will.

5

Die Oberflächenstrukturinformatica läßt sich in zwei Msngen zerlegen: (a) die Menge der syntaktischen Information, wobei 'syntaktisch1 die kategoriale Struktur eines P-Markers meint, und (b) die Menge der phonologischen Information, welche die einzelnen Morpheme aus dem Lexiken mitbringen. Diese phonologische Information wird von den phono logischen Regeln - teilweise in Abhängigkeit ven (a) - abgearbeitet und zu einer phonetischen Repräsentation umgeformt. 3.

Einheiten der phonologischen Beschreibung

3.1

Segnente:

Eine der grundlegenden Fragen einer jeden Wissenschaft ist die Frage nach den Einheiten, mit denen gearbeitet werden soll. In unserem Falle heißt dies: Welche phonologisehen Einheiten können und wollen wir erstellen, mit welchen Einheiten hantieren wir in der generativen Phonologietheorie? Wir haben alle eine intuitiv ziemlich klare Vorstellung davon, was ein W o r t ist. Deshalb setzen wir diesen Begriff, dine ihn zu definieren, einmal voraus und überlegen uns, wieviele Laute z. B. im dt. Wort Mann vorkamen. Angenommen, wir sagten 'drei' - mämlich m, a und n, da wir erkennen, daß nn nur die Kürze des vorausgehenden Vokals anzeigt (vgl. Hüte vs. Hütte usw.) -, so kommen wir ganz schön in Schwierigkeiten, zumal dann, wenn wir uns zugleich ein Sonagranm von Mann ansehen. (Ein Sonagramn ist eine graphische Abbildung akustischer Eigenschaften von Sprachlauten.) Das Sonagranm zeigt nämlich, daß Sprachlaute nicht als Folge diskreter Einheiten erscheinen, sondern als Kcntinuum. Sprechen wir z. B. Mann aus, so antizipieren wir während der Artikulation des ersten Konsonanten sehen die Artikulation des Vokals a usw. Summarisch: Sonagranxne erlauben keine genaue Bestiimung der Stellen, wo ein Sprachlaut endet und der nächste beginnt. Welche Berechtigung haben wir also, im Falle von Mann von drei Lauten zu sprechen? Offensichtlich nur die, daß wir trotz des physikalisch kontinuierlichen Charakters von Mann dieses Wbrt als Folge dreier distinkter Einheiten wahrzunehmen glauben. Dieser Glaube ist allerdings keineswegs metaphysisch; er entspricht einfach unserer intersubjektiv überprüfbaren auditiven Realität. Wir müssen nur konstatieren, daß die auditive bzw. perzeptive Realität nicht mit der physikalisch-akustischen identisch ist.

6

Wenn nan also Wörter wie z. B. Mann, Hut usw. in drei Einheiten zerlegt oder segmentiert, so ist das nicht einfach ein Artefakt der linguistischen Beschreibung, sondern ein Verfahren, das unserer Realität als Sprecher/Hörer entspringt. Wir führen deshalb folgenden Begriff ein: Diejenigen Einheiten, die man durch maxinaie Segmentation (maximal segmentiert ist z. B. L/o/g/i/k / Logik) eines Wbrtes erhält, heißen

Segmente.

Damit läßt sich auch die eingangs gestellte Frage nach den Einheiten der Phonologie zum Teil schon beantworten: zumindest eine Einheit der Phonologie ist das Segment. Sicherlich ist aufgefallen, daß Segmente häufig mit Buchstaben zusammenfallen. Wir missen aber deshalb nicht gleich befürchten, Schrift und Laut durcheinanderzubringen. Vielmehr sehen wir die häufige Koinzidenz zwischen Segment- und Buchstabenseguenzen als weiteres Argument für die psychische Realität der Einheit 'Segment' an. Die Entwicklung der Buchstabenschrift ist eben die Entwicklung von mehr oder minder günstig gewählten Karrespondenzregeln zwischen der grundlegenden Einheit 'Segment' und der sekundären Einheit 'graphisches Symbol'. Auch das kcnplexe graphische Symbol JU~—ist ein Kcntinuum; dennoch können wir es spielend in vier diskrete Symbole zerlegen. Zusätzliche Gründe für die psychische Realität von 'Segment' hat Framkin (1972) angeführt. Sie konnte beobachten, daß bei verschiedenen Arten von "Versprechern" wie z. B. Homsky and Challe für Chomsky and Halle jeweils einzelne Segmente involviert sind. Diese Tatsache könnte kann plausibel gemacht werden unter der Annahme, daß das Segment nur ein Artefakt der linguistischen Beschreibung ist. 3.2

Ist das Segment unteilbar?

Wir haben eben gesehen, daß sich Äußerungen unter phonologischem Gesichtspunkt als Polgen diskreter Segtente darstellen lassen. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, ob Seepente die kleinstmöglichen Einheiten sind, oder ob sie noch weiter analysiert werden können. Am besten wir greifen einfach beliebige Segmente, z. B. b3 p3 t, d3 k, heraus und untersuchen sie in Hinblick auf gareinsame und unterscheidende Eigenschaften. Verwenden wir dabei die traditionelle artikulatarisch-phonetische Terminologie, so kennen wir etwa zu folgender Anordnung: b Verschluß laut labial stimmhaft

ρ

t

d

k

"

"

"

"

labial

dental

stimmlos

stimmlos

dental stimmhaft

velar stimmlos

7

O f f e n s i c h t l i c h ließen sich a l l e möglichen Segmente durch d i e Angabe van h i n reichend vielen und geeigneten Eigenschaften eindeutig c h a r a k t e r i s i e r e n . Beobachtungen d i e s e r Art erlauben d i e Deutung, daß Segnente keine unteilbaren Einheiten d a r s t e l l e n , sondern e i g e n t l i c h a l s Bündelungen entsprechender phonetischer Eigenschaften zu verstehen sind. Ein b i s t a l s o ζ . B. ein kaiplexes Segment, bestehend aus den Eigenschaften 'Verschlußlaut', ' T a b i a l i t â t ' und ' S t i n r n h a f t i g k e i t ' . In der sog.

M e r k m a l s t h e o r i e

,

d i e n i c h t s anderes i s t a l s eine

Systematisierung von Beobachtungen, wie wir s i e gerade gemacht haben, nimmt man deshalb an, daß Segmente kcrplexe Einheiten d a r s t e l l e n , d i e aus einzelnen M e r k m a l e n

bestehen. Bevor wir uns im nächsten Kapitel der Merkmals-

theorie en D e t a i l zuwenden, wollen wir eil so f e s t h a l t e n : Seçpiente sind n i c h t d i e k l e i n s t e n Einheiten der Phonologie; s i e bestehen aus einzelnen Merkmalen. 3.3

Segnent versus Phonem:

In der s t r u k t u r a l i s t i sehen Phonologie h a t t e man gemeinhin angenenmen, daß d i e Phoneme e i n e r Sprache k l e i n s t e bedeutungsunterscheidende Einheiten d a r s t e l l e n . Da wir aber Segmente a l s Bündel k l e i n e r e r Einheiten (Merkmale) i n t e r p r e t i e r e n , kann auch n i c h t a u f r e c h t e r h a l t e n werden, daß Phoneme n i c h t weiter u n t e r t e i l b a r sind. Zwar ließen sich n a t ü r l i c h auch Phoneme a l s Markmalsbündel verstehen, doch eine solche I n t e r p r e t a t i o n i s t mit der ursprünglichen, s t r u k t u r a l i s t i s e h e n unvereinbar. Daneben g i b t e s weitere Gründe, das Phonem n i c h t a l s grundlegende phonologische Einheit zu wählen. In der generativen Syntaxtheorie wird p o s t u l i e r t , daß f ü r eine adäquate syntaktische Beschreibung e i n e r Sprache d i e Oberflächenstrukt u r n i c h t ausreicht; syntaktische Oberflächenstrukturen sind vielmehr aus abs t r a k t e r e n Strukturen, den sog. Tiefenstrukturen abzuleiten (vgl. Fig. 1, S. 4 ) . In Analogie hierzu kann man f ü r d i e Phonologie p o s t u l i e r e n , daß d i e Segmente der phonetischen Qberflächenrepräsentaticn aus zugrundeliegenden phonologischen Segmenten h e r z u l e i t e n sind. Die Gründe f ü r d i e s e Forderung mögen momentan noch n i c h t e r l ä u t e r t werden, aber e s s o l l t e k l a r s e i n , daß b e i e i n e r Ableitung der phonetischen Segmente aus zugrundeliegenden phonologischen, eine s p e z i e l l e Phonemebene ü b e r f l ü s s i g wird. Dies deshalb, weil d i e zugrundeliegenden Segnente der generativen Phonologie n i c h t mit den auf der phonetischen Oberfläche d e f i n i e r t e n Phonemen der S t r u k t u r a l i sten übereinstirrmen und d i e Oberflächensegnente ohnehin per Ableitung gewonnen werden, überdies konnte M. Halle p l a u s i b e l machen, daß eine s p e z i e l l e Phonamebene zwischen der Ebene der zugrundeliegenden und der abgeleiteten Segmente n i c h t nur ü b e r f l ü s s i g i s t , sondern sogar zu unmotivierten Vterkcitplizierungen der Ableitung f ü h r t . Das i s t der Grund, warvm d i e meisten

8 generativen Grammatiker behaupten, sie brauchten keine (strukturalistischen) Phonems. Ganz geklärt ist der Status des Phcnaits aber inner noch nicht. Es könnte sein, daß den strukturalistischen Oberflächenphonanen dennoch eine gewisse Bedeutung für die Sprachbeschreibung zukcrmt, auch wenn sie als zugrundeliegende o Einheiten überflüssig oder sogar hinderlich sind. 4.

Merkmalstheorie

Die Grundlagen der Merkmalstheorie wurden insbesondere von R. Jakobson, der aus der sog. Prager Schule des Strukturali anus kernt, entwickelt. Die generative Phonologie übernahm die Merkmalstheorie, verfeinerte sie beträchtlich, erreichte aber bis heute keine Klärung einiger Probleme; insofern stellt die Merkmalstheorie keine abgeschlossene Disziplin dar. Ihre bisher einflußreichste Ausprägung fand sie in Chcmsky/Halle (1968), The Sound Pattern of English. Dieser Theoriestand soll im folgenden zugrundegelegt werden. 4.1 Ziel der Merkmalstheorie: Ziel der Merknalstheorie ist eine eindeutige und möglichst ökonomische Beschreibung aller in natürlichen Sprachen vorkeimenden Sprachlaute. Man versucht die einzelnen Merkmale so zu definieren, daß sie u n i v e r s e l l e Gültigkeit haben, d. h. für die phonologische Beschreibung aller natürlichen Sprachen passen. Der Vorteil einer Verwendung von Merkmalen liegt darin, daß: a) die Formulierung von Regularitäten der Lautstruktur einfacher wird als mit anderen Beschreibungsnitteln, b) die einzelnen Merkmale nicht pro Sprachbeschreibung erstellt werden müssen, da sie universell sind, c) die Merkmalstheorie eine durchgängige Formalisierung der Beschreibung ermöglicht. Beispiel für a) : (3) Gegeben sei eine Sprache mit den Vokalen /a, e, i, o, u/, wobei i und u nasaliert werden sollen, a, e und o aber nicht. In einer Phonologie, die Phoneme als Beschreibungseinheit voraussetzt, muB diese Nasalierung wie folgt beschrieben werden: Das Phonem u und das Phonem i wird nasaliert, die Phoneme a, e, o werden nicht nasaliert. In einer Phonologie, die auf einer Merkmalstheorie aufbaut, genügt die Aussage: Alle hohen Vokale (i und u) werden nasaliert. 2

Vgl. hierzu Schane (1971a)

9

4.2

Defini tien der distinktiven Merkmale:

Jedes Merkmal sollte grundsätzlich a r t i k u l a t o r i s c h , audit i v und a k u s t i s c h definiert werden, entsprechend den drei möglichen Aspekten der Phonetik. Man unterscheidet eine Phonetik des Sprechers (artikulatarische Phonetik), eine Phonetik des HSrers (auditive Phonetik) und eine Phonetik des Beobachters (akustische Phonetik).

Aas Gründen einer einfacheren Darstellung sehen wir im folgenden von den akustischen Korrelaten eines Merkmals3 ab und definieren sie artikulatorisch und/oder auditiv. 4.2.1 Neutrale Stellung: Da jedem Sprachlaut eine spezifische Artikulation entspricht, kann die Menge aller möglichen Sprachlaute durch die Menge aller möglichen Artikulationen beschrieben werden. Technisch geht man dabei wie folgt vor: Man wählt eine für alle Sprachen brauchbare, universelle Definitionsha sis, indem man eine Art "Normalstellung" der Artikulationsorgane festlegt. Alle Artikulatiensbewegungen lassen sich dann als Abweichungen von dieser Normalstellung beschreiben. Diese Normalstellung der Artikulationsorgane heißt n e u t r a l e S t e l l u n g ; sie entspricht derjenigen Stellung der Artikulationswerkzeuge, die vorliegt, kurz bevor jemand zu sprechen beginnt. Die neutrale Stellung zeichnet sich durch folgende Eigenschaften aus: 1 ) Bei normalem Atmen ist das Velum etwas gesenkt und erlaubt ein Entweichen der Luft durch den Nasenravm. In der neutralen Stellung wird dieser Uiftstrem blockiert, indem man das Velum anhebt. 2) Bei normalem Atmen liegt die Zunge entspannt auf dem Untergrund des Mindraunes. In der neutralen Stellung wird die Zungernasse (= def Zunge minus 3

Vgl. hierzu Jakobson/Fant/Halle (1963)

10 Zungenspitze) angeheben, bis etwa zu der Höhe, die bei der Artikulation von [e] in ζ . Β. engl, bed 'Bett' v o r l i e g t . Die Zungenspitze bleibt dabei in derselben Position, die sie bei normalem Atmen einnimmt. 3) Da Sprechen normalerweise das Ausströmen von Luft voraussetzt, iruß in der neutralen Stellung der subglottale Druck etwas höher sein als der atmosphärische Luftdruck. 4) Im Gegensatz zur Stellung der Artikulaticnsorgane bei normalem Atmen wird in der neutralen Stellung die Glottis verengt, so daß spentane Vibration der Stimmbänder eintreten kann. Eine d e t a i l l i e r t e Analyse der neutralen Stellung i s t Aufgabe der experimentellen Phonetik. Für unsere Zwecke genügen die Kriterien 1)-4). 4.2.2

Oberklassenmerkmale:

Reduziert auf die rudimentärsten Gegebenheiten läßt sich das Verhalten des Lautganges beim Sprechen als alternierendes öffnen und Schließen beschreiben. Während der Verschlußphase wird der Luftstrcm gesteppt, während der Öffnungsphase f l i e ß t die Luft relativ ungehindert aus. Dieses Skelett der p r o z e s s e s male

P h o n a t i o n s -

s t e l l t die Grundlage für die Definition der Ctoerklas sermerte-

s o n o r a n t ,

s i l b i s c h

und k o n s o n a n t i

sch

dar.

Jedes dieser drei Oberklasseimerkmale kennzeichnet einen spezifischen Aspekt des öffnungs- vs. Schließungsprozesses. Notationstechnisch führen wir folgende Abkürzungen ein: ' sonorant ' = def [+scn], 'silbisch' = def

[+slb], 'konsonantisch' = def [+cns]. '+' bedeutet,

daß wir folgende Annatme machen: Entweder könnt ein Merkmal^ einem Segment zu, oder es könnt ihn nicht zu. T r i f f t ein Merkmal.^ zu, so schreibt man t+Merkmal^], t r i f f t es nicht zu [-Merkmal^]. Ζ. B. [+slb] heißt also: Entweder i s t ein Segment silbisch, oder es i s t nicht-silbisch. Anstelle der Schreibweise [jMerkmal¿] wird häufig auch [aMerkmal^] verwendet. Da a l l e distinktiven Merkmale genau zwei Werte (plus oder minus) annehmen können, spricht man von

b i n ä r e n

Merkmalen oder von B i n a r i

smus

der Merkmalstheorie. (a) Sonorant/[+scn]: Scnoranten sind Laute, die mit einer Konfiguration des Ansatzrohres artikuliert werden, die spentane Sonorisierung ermöglicht. Spentane Scnorisierung wird verhindert, warn durch Verengung des Ansatzrohres ein kritischer Wert des r e l a t i v ungehinderten Aussträmens der Luft überschritten wird. Dieser kritische Wert l i e g t vor bei der Artikulation von G l e i t l a u t e n Halbkonsonanten in traditioneller Terminologie).

(= def Halbvokale/

11 Lautsegmente, deren Artikulation eine größere Verengung als die Artikulation der Gleitlaute erfordert, also V e r s c h l u ß l a u t e , und A f f r i k a t e n

Frikative

, sind keine Scnaranten. Scnoranten sind V o k a l e ,

Gleitlaute, N a s a l k o n s o n a n t e n

und L i q u i d e .

Häufig heißen die Nicht-Soncaranten auch O b s t r u e n t e n ;

nan ver-

wendet dann die Notation [jobstr], wobei gilt: [+obstr] = [-son] [-obstr] = [+son] (b) Silbisch/[+slb] : Das Merkrtal [+slb] katmt allen Lautsegmenten zu, die einen Silbengipfel bilden können. Obstruenten sind somit [-slb], während Vokale mit [+slb] markiert werden. Die restlichen Sonoranten (Gleitlaute, Liquide, Nasalkonscnanten) sind narmalerweise nicht-silbisch, können jedoch in bestimmten Kaitexten silbisch werden. Wenn Vokale nicht-silbisch werden, entsteht ein Gleitlaut. Das Merkmal [+slb] hat das Merkmal 'vokalisch', das in älteren Publikationen zu finden ist, abgelöst. Mittels [+voc] war es nicht möglich, zwischen silbischen und nicht-silbischen Liquiden zu unterscheiden. (c) Konsonantisch/[4 [+gsp], da ein Segment in der Prosodie gelängt werden kann, obwohl es [-gsp] ist, d. h. die Klasse der gespannten und der gelängten Laute stimmt nicht inner überein. Gegenwärtig arbeitet man in der generativen Phonologie mit einem Inventar ven etwa 40 (inhärenten und prosodischen) Merkmalen. Bei der Beschreibung einer Einzelsprache kemmt man jedoch normalerweise mit wesentlich weniger aus; man greift sich aus dem universellen Merkmalsinventar eben diejenigen Merkmale heraus, die man braucht. Entsprechend den Erfordernissen einer philologischen Beschreibung romanischer Sprachen (insbesondere des Frz.) haben wir deshalb nur eine bestürmte Auswahl von distinktiven Merkmalen eingeführt.5 4.5

Phonetische Merkmale

Der Binarismus der Merkmalstheorie blieb nicht unwidersprochen. Es erscheint z. B. angebracht, den Öffnungsgrad von Vokalen nicht binär, sendem w e r t i g

m e h r -

zu beschreiben, da vergleichsweise [e] offener ist als [i], [ε]

offener als [e] und [a] wiederum offener als [ε]. Grade zunehmender Vokalöffnung: [i, e, ε, a]. In einer binären Analyse werden [i] und [e] als [-tief], [ε] und [a] cils [+tief] klassifiziert, d. h., der relative Unterschied des Öffnungsgrades zwischen diesen Vokalen bleibt unausgedrückt. Die generative Phonologie nirrnrt angesichts solcher Fakten folgende Haltung ein:

5

Zusätzliche Merkmale finden sich in Chomsky/Ralle, S. 301-329.

19

Sie vinterscheidet zwischen a) b i n ä r e n p h o n o l o g i s c h e n Merkmalen und b) m e h r w e r t i g e n p h o n e t i s c h e n Merkmalen. Die Menge der distinktiven Merkmale kann also aufgefächert werden:

Da man sich die Werte mehrwertiger Merkmale auf eine sprachspezifische, phonetische Skala angetragen denken kann (z. B. [1tief], [2tief], [1akz], [2akz] usw.) spricht man gelegentlich auch von s k a l a r e n Merkmalen anstelle von mehrwertigen. Für die Theorie der generativen Phonologie dupliziert die Unterscheidung zwischen binären und mehrwertigen Merkmalen, daB im Laufe einer Ableitung die binär spezifizierten Eingabematrizen in mehrwertige umgewandelt werden müssen. Die Abbildung von phcnologischen Merkmalen auf phonetische ist nicht 1:1-deutig; sie kann schematisch wie folgt dargestellt werden: Fig. 5

Binäres phonologisches Merkmal M¿

+ IK

Skalares phonetisches Merkmal M¿



Die Abbildung binärer Merkmale auf mehrwertige ist Aufgabe der s p ä t e n p h o n o l o g i s c h e n oder p h o n e t i s c h e n Regeln. Sie operieren auf der binär spezifizierten Ausgabe der phonologischen Regeln (Im engeren Sinne) und überführen diese in eine mehrwertige phonetische Repräsentation. Wir können sanit das Aufbauschema der phcnologischsn Kerpenente (vgl. Fig. Ί, S. 4) verfeinern: Fig. 6

f Binäre phonologlsche Matrizen u n d \ \ syntaktische Oberflächenstrukturen J Phonologlsche Regeln IBinäre phonetische Repräsentation

Γ

;

IPhonetische Regeln! f Mehrwertige phonetische Repräsentation")

20 Phonetische Regeln beschreiben also die Feinstruktur einer Lautkette. Sie sind bisher, vermutlich primär wegen ihrer geringen Bedeutung für die (engere) Phonologietheorie, nur wenig untersucht worden. Wir haben sie nur der Vollständigkeit halber erwähnt, geben noch ein Beispiel für ihr Funktienieren und lassen sie im folgenden außer acht. Beispiel: (6) Für das Dt. braucht man phonetische Regeln, die die genaue Vokalhöhe festlegen. Ζ. B. haben Vokale, die höher als e und o gebildet werden, also gespanntes und ungespanntes i, gespanntes und ungespanntes u und y, die binäre Merkmalsbelegung [+hoch, -tief]. Es ist aber offensichtlich, daß die ungespannten Vokale 'offener' sind als die gespannten. (Z. B. ungespanntes y in Hütte ist graduell weniger hoch als gespanntes y in Hüte.) Das Merkmal 'hoch' muß also artikulatorisch unterschiedlich realisiert werden, je nachdem, ob es in der Umgebung von [+gsp] oder [-gsp] vorkommt. Wenn wir für den graduell höchsten Vokal, für gespanntes i, den Höhenwert '6' ansetzen, dann muß ungespanntes i einen um einen Grad kleineren Wert, also '5' bekommen. Es läßt sich folgende phonetische Regel erstellen: IV Ί |+hoch|

J[n hoch] im Kontext [+gsp]l ([n-1 hoch] " " [-gsp]|

wobei: n=6 für gespanntes i n=4 " " y n=2 " " u ('•*•' = 'wird zu' und '{' = 'entweder ... oder') Diese Regel ist zu lesen als: Ein hoher Vokal erhält den n-ten Höhengrad, wenn er gespannt ist, andernfalls den n-1-ten Höhengrad. In analoger Heise wären alle binären phonetischen Repräsentationen in mehrwertige phonetische mittels phonetischer Regeln zu überführen.

4.6

Grenzsyrrbole

Lautketten kann man segmentieren und den merkmalstheoreti sehen Aufbau der einzelnen Segmente analysieren, - wie wir in den vorausgehenden Abschnitten gesehen haben. Natürlich 1st es möglich, lautketten nicht nur hinsichtlich ihres Aufbaus zu untersuchen, sondern auch bezüglich ihrer Begrenzungen. Das scheint ziemlich trivial zu sein, maß aber dennoch in der Phonologietheorie berücksichtigt werden. Die speziellen Symbole, die wir zun Zwecke der Angabe der Grenzen von bestürmten Segmentfolgen einführen, heißen G r e n z s y m b o l e

. Welche Grenz-

symbole kamen in Frage? a) Satzgrenze: Hierunter wollen wir die linke und rechte Begrenzung ven Sätzen verstehen und das Symbol '/' vereinbaren. Ein Satz wie Der Nationalismus der Franzosen behindert eine europäische Einigung hat demnach die Struktur:

21

wobei: eine nicht explizit angegebene syntaktische Struktur darstellt, die einzelnen Morpheme als Abkürzung der entsprechenden phcnologischen Matrizen stehen und '/' die linke und rechte Satzgrenze anzeigt. b) Wartgrenze: Wörtgrenzen geben die Begrenzung eines Wortes an. Was ein 'Wort' ist, müßte in einer vollständigen Theorie explizit definiert werden. Da wir als Sprecher/Hörer einer Sprache intuitiv aber ziemlich verläßlich beurteilen können, ob ein Ausdruck ein Wort ist oder nicht, ersparen wir uns den mühsamen Unweg einer Explikation dieses Begriffes. Wir führen einfach das Symbol '#' ein; ein Wort ist dann, was zwischen zwei Wörtgrenzen steht. Für ζ. B. Kinder ergibt sich somit: #Kinder#.

c) Morpbemgrenze: Wie an Kinder, Blödeinn3 ladylike usw. zu sehen ist, setzen sich Wörter gelegentlich aus einzelnen M o r p h e m e n zusanmen; ζ. B. Haus ist ein einfaches Wort, bestehend aus dem Morphem Haue, während häuslich ein kartplexes Wort ist, in dem die beiden Morpheme Haue und -lioh. stecken. (Morpheme sind kleinste bedeutungstragende Einheiten einer Sprache.) Wir müssen deshalb auch mit Morphemgrenzen rechnen, die wir durch '+' symbolisieren. Eine genauere Darstellung ναι ζ. Β. häueliah ist demnach: [ # [+haus+]+lich+ #] ADJ Ν Ν ADJ Da jede Wartgrenze automatisch auch eine Morphemgrenze ist und zur Angabe der Morphemfuge eine Morphangrenze genügt, können wir vereinfachend schreiben: [ # [haus]+lich #] ADJ N N ADJ Die phonologisch korrekte Form häueliah entsteht durch Unlaut. Eventuell ließen sich noch weitere Grenzsymbole (ζ. B. Silbengrenze) einführen. Wir verzichten hierauf, weil es bisher noch nicht gelungen ist, 'Silbe' einen systematischen Stellenwert in der generativen Phonologietheorie zuzuweisen. Uberlegen wollen wir uns aber noch, was Grenzsymbole generell vcn Segmenten unterscheidet. Segmente sind Einheiten, die zumindest potentiell artikulatorisch realisiert 6

Weiterführende Literatur zur Frage der 'Silbe': Vennemann (1972a) sowie Hooper (1972).

22

werden können. Grenzsymbole sind artikulatorisch nicht realisierbar. Sie bekamen deshalb das Merkmal 'kein Segment', wofür wir die Notation [-seg] einführen.

4.7

Übungsaufgaben zur Merkmalstheorie :

Aufgabe (5): Welches Segment muß jeweils gestrichen werden, damit aus den nachstehenden Klassen eine relativ natürliche Klasse wird? a) /i, y- u, e/ b) /k, t, m, P/ c) /n, η, 1, m/ d) /n, m, r/ e) /Ρ ι b, t, k/ f) /b, d, g. t/ g) /i. e, a, y/ h) /l, r, m, n, f, n/ i) /f, v, 1, s, d/ j) /à, a, ô. ε, œ / Wie sieht die Merkmalszusammensetzung der postulierten natürlichen Klassen aus? Aufgabe (6): a) Welche Klasse ist natürlicher, /a, e, i, o, u/ oder /o, h, a/? b) Ist die Klasse /w,i^/ eine Teilklasse der echten Konsonanten? c) Setzen Sie in folgende Matrix die benötigten Merkmale und die jeweiligen Merkmalswerte ein: i

e

e

α

o

3

u

Aufgabe (7): Wie sieht die Matrix von [ynfam]/une femme und [dyr]/dur aus? Aufgabe (8) : Erstellen Sie eine Matrix a) Latein: /i, ï, e, ë, b) Finnisch: /i, e, ε, a, c) Türkisch: /i, ¿, y, e,

für das Vokalinventar folgender Sprachen: a, ä, ô, ô, u, 0/ u, y. ο, φ/ Hinweis: ^ wie in frz. il veut Hinweis: [i] ist wie u, jedoch ohne a, œ , o/ Rundung zu artikulieren. d) Italienisch: /i, e, ε, α, Of o, u/ e) Französisch: /i, e, ε, a. O, œ , y, u, o/ f) Frz. Nasalvokale: / ε, à, ô, œ / Aufgabe (9):

Erstellen Sie eine Matrix für folgende frz. Konsonanten: p/Paris, b/bon, t/ton, d/dame, k/cap, g/Gaxonne, f/faixe, v/voler, s/sa, m/mon, n/nouveau.

23 Aufgabe (10) : a) Was ist in folgender Matrix falsch

[+son] [+slb] [+cns] [+ant] t+hoch] [+dau] [+cor] [+sth]

f

θ

s

ζ

d

/

k

-

+

+ +

+

+ +

+ +

+ +

+

+

+

+

-

-

-

-

-

-

+

+

+

+

+ +

-

+

+

+ +

+

-

-

-

-

+

-

+

-

+

-

-

b) Schreiben Sie eine Matrix für die Konsonantenklasse /p, t, k, d/! Aufgabe (11): a) Wie ist die neutrale Stellung festgelegt? b) Was ist eine natürliche Klasse? c) Überlegen Sie sich, welche Gründe die Einführung eines neuen Merkmals plausibel machten! d) Was ist der Unterschied zwischen prosodischen und inhärenten Merkmalen? e) Wozu braucht man mehrwertige Merkmale? f) Welche Vorteile weist eine Merkmalsnotation gegenüber einer segmentalen auf?

5.

REDUNDANZ

5.1

Voll-spezifizierte und redundanzfreie Matrizen:

Eine auffallende Eigenschaft der Phonologie natürlicher Sprachen ist die Tatsache, daß viele Werte distinktiver Merkmale voraussagbar sind. Beispiel: (7) Im Dt. oder Sp. sind alle Vokale oral. Es genügt also schon zu wissen, daß ein dt. oder sp. Segment ein Vokal ist um auch zu wissen, daß das Segment [-nasal] ist. Nehmen wir an, eine Sprache

habe die Vokale /i, e, α, o, u/, dann ergibt sich

die Matrix:

hoch tief hint rund

i

e

a

o

u

+

-

-

-

+

-

-

+

-

-

-

-

+

-

-

-

+ +

+

+

Die Angabe, daß es sich bei allen Vckalen dieser Matrix um Vokale handelt, haben wir weggelassen, da wir sie als selbstverständlich voraussetzten. Wir interessierten uns nur dafür, daß die Merkmalsspezifikation keines Segmentes mit der eines anderen Segmentes Übereinstimnt (andernfalls fielen Segmente zusammen).

24

Hie leicht zu sehen, müssen sich Segmente paarweise mindestens in einen Merkraiswert unterscheiden (i:e), es kämen eiber auch mehrere sein (o-.e). Der Kontrast zwischen verschiedenen Segmenten ist direkt proportional zur Anzahl der Merkmalswerte, bei denen sie ein entgegengesetztes Vorzeichen haben. Die ebige Matrix ist v o l l s p e z i f i z i e r t , d. h. jedes Segment hat bezüglich jedes Merkmals eine Belegung zugewiesen bekennen. Klammern wir nun aber in der ebigen Matrix diejenigen Merkmalswerte ein, die nan weglassen kann, ohne daß Segmente zusammenfallen, so erhalten wir: i hoch tief hint rund

e

+ (-)

o

(-)

u

+

(-)

+ (-)

(+)

(+)

(+)

+

+

-

-

(-)

α

(-) (-)

Als minimale Angabe für ζ. Β. o genügt also: [-hoch, +rund]. Merkraiswerte, die man aus einer voll-spezifizierten Matrix herausstreichen kann, dine daß Segmente zusairmenfallen, nennen wir r e d u n d a n t . Sieht man sich die eben erstellte r e d u n d a n z f r e i e Matrix ein wenig genauer an, so wird nan erkennen, daß wir genau diejenigen Merkmalswerte weglas sen/einklairmern konnten, die voraus sagbar sind. Offensichtlich bestehen folgende Implikationen : 1) Wenn ein Segment [+hoch] ist (i und u), dann ist es autoretisch auch [-tief]. 7 In formaler Schreibweise, die wir im folgenden verwenden, ergibt sich: [+hoch] => [-tief] [+tief] η -hoch , da nur ein tiefer Vokal (a) vorhanden ist. +hint -rund 3) [-hint] = [-rund] (i, e) 4) [+rund] => [+hint] (o, u) 5) ι[ hintli [-rund]!

[-tief], da es keine vorderen, tiefen Vokale und keine gerundeten, tiefen Vokale in unserer Matrix gibt.

Feststellungen der Art 1)-5), die Bedingungen angeben, wann Merkmalswerte redundant sind, heißen R e d u n d a n z b e d i n g u n g e n . Daß Merkmale redundant sind können, heißt keineswegs, daß sie Überflüssig sind; es soll nur besagen, daß sie voraus sagbar sind. Wenn wir ζ. B. die Klasse aller Vokale außer a kennzeichnen wollen, so können wir einfach schreiben: [-tief], cfcwohl [-tief] in der gegebenen Matrix redundant ist; wollten wir ζ. B. die Klasse /i, e, a/ herausgreifen, so genügte die Angabe [-rund]. Folglich sind 7

Als Zeichen für 'Implikation' wählen wir 's', das als 'wenn, dann' zu interpretieren ist.

25

redundante Merkmale sehr wohl nützlich für Zwecke der Kennzeichnung von irgendwelchen Klassen. Uberflüssig sind sie lediglich im L e x i k o n (=def Menge der Lexikeneinträge), wo man allgemein redundanzfreie Matrizen vorzieht. Dies einfach deshalb, weil das Lexikon so einfach als möglich gehalten werden sollte und voll-spezifizierte Matrizen natürlich konplexer sind als redundanzfreie. 5.2

Sprachspezifische versus universelle Redundanzbedingungen:

Angesichts der Redundanzbedingungen 1)-5) stellt sich die Frage, ob 1)—5) nur für das in dieser Matrix spezifizierte Vokalsystem gelten oder nicht. Redundanzbedingungen, die nur für eine bestürmte Sprache L^ gelten, nennen wir s p r a c h s p e z i f i s c h ; solche, die für alle Sprachen gelten universell . Sind 1)-5) also sprachspezifisch oder universell? Bedingung 1) ist zweifelsohne universell, denn in keiner Sprache ist es möglich, daß ein Segment zugleich [+hoch] und [+tief] ist. (Die Zungenmasse kann nicht zugleich gehoben und gesenkt werden (vgl. S. 13)). Anders sieht die Sachlage z. B. bei 2) aus. Nehmen wir an, wir hätten ein Vokalsystem bestehend aus den Segmenten /i, e, a, o, o, u/ analysiert. In diesem Falle würde 2) nicht gelten, da o [+tief] ist, aber zugleich [+rund]. In 1)-5) sind demnach sprachspezifische und universelle Redundanzbedingungen vermischt. Fragen wir uns deshalb, warum es überhaupt diese zwei Typen vcn Redundanzbedingungen gibt. Universelle Redundanzbedingungen spiegeln universelle Beschränkungen des menschlichen Artikulationsapparates. Sprachspezifische Redundanzbedingungen, die zu den universellen jeweils hinzukamen, entstehen dadurch, daß in einer Sprache L^ nie alle theoretisch möglichen Merkmalskcnfcinatianen gewählt werden; sie fungieren also als sprachspezifischer Filter, der aus der Menge der theoretisch möglichen Merkmalskanbinaticsien/Segmente die sprachspezifisch zulässigen auswählt. Beispiel für eine weitere universelle Redundanzbedingung: (8) Für alle Sprachen gilt, daß Segmente, die [+slb, -cns] spezifiziert werden, auch [+son] sind.

5.3

Segmentale Redundanz versus Redundanz von Segmentsequenzen:

Wenn wir jetzt das Verkennen redundanter Merkmalswerte danach klassifizieren, in welchen Bereichen wir Redundanzbedingungen lokalisierten, dann ist klar, daß wir bisher ausschließlich über Redundanzen innerhalb der Merkmalskcnpositicn von Segmenten gesprochen haben. Da Redundanzbedingungen dieser Art Feststellungen

26 über die interne Merkmalsstruktur eines Segmentes darstellen, heißen sie auch S e g m e n t s t r u k t u r b e d i n g u n g e n . Es stellt sich nun die Frage, ob es außer den Segmentstrukturbedingungen noch andere Arten von Redundanzbedingungen gibt. Tatsächlich arbeitet man in der generativen Phänologie mit einer weiteren Art von Redundanzbedingungen, den sog. g u n g e n

S e q u e n z

S t r u k t u r b e d i n -

. Sequenzstrukturbedingungen sind Bedingungen über mögliche Se-

quenzen von Segmenten. Am ehesten kommt man der Natur von SequenzStrukturbedingungen durch Beispiele auf die Schliche: Beispiel: (9) In dt. Morphemen wie stark, Stein, Spaß usw. steht jeweils f vor einem stimmlosen Verschlußlaut. Es ist nun im Dt. nicht möglich, daß im Wortanlaut vor einem Verschlußlaut ein anderer Konsonant als I auftaucht, denn Formen der Art ftark, ktark, ltark, lpass, gpass und dgl. sind nicht grammatisch. Folglich ist voraussagbar, daß in dt. Morphemen mit der Struktur tt stimmloser Verschlußlaut ein f stehen muß. Die Feststellung 'Wenn C im Kontext # [+obstr, -sth], dann ist C !', ist also eine Redundanzbedingung, speziell eine Sequenzstrukturbedingung. ' ' drückt die Position von [/] aus. In ähnlicher Weise kann itan feststellen, daß ζ. B. dt. Morpheme mit null, einem, zwei oder drei Konsonanten beginnen können (es, Peter, spucken, spritzen usw. ). Nicht möglich sind hingegen Morpheme mit vier anlautenden Konsonanten wie ζ. B. sprlitzen, - was sich durch folgende Formel ausdrücken läßt: (1) # ([-slb]) ([-slb]) (t-slb]) t+slb] Da Konsonanten [-slb] sind, heißt (1) nur: Nach Wartgrenze (im Anlaut) gibt es folgende Kcmbinationen: COCV, CCV, CV, V. Andererseits können wir leicht überprüfen, daß (1) noch nicht genügend restringiert ist, denn ζ. B. stkitzen erfüllt zwar (1), ist aber dennoch nicht möglich. In (1) muß deshalb noch festgelegt werden, welche Konsonantenverbindungen zulässig sind. Folgende Bedingungen scheinen zu gelten: In einer Rctrbination von drei anlautenden Konsonanten darf der erste nur /, der zweite nur ein stimttloser Verschlußlaut (vgl. (9)) und der dritte nur ein Liquid sein. (Vgl. spreizen, strecken usw. mit ktreizen, epteizen, spfeizen, ebleizen und dgl.) Wir können also schreiben: (1') Wenn:

dann:

[-slb]

[-slb]

U

U

U

+hoch +dau -cor -sth

+obst -dau -sth

# [-slb]

Γ-obstl L-nas J

27

Im unteren Teil dieser Sequenzstrukturbedingung haben wir natürlich nicht alle Merlatale für f, 'stinmloser Verschlußlaut' und 'Liquid' angegeben; sie werden ja von den Segmentstrukturbedingungen automatisch geliefert. Aufgabe (12): Überlegen Sie sich, ob (l1) - abgesehen von dem Unterschied, daß die am Wortanfang stehende Graphie s wie ζ. Β. in engl, spleen usw. als [s] und nicht als [/] gesprochen wird - auch für das Engl, gilt!

5.4

ftorphemstrukturbedingungen und mögliche Morpheme:

Was ist nun der 'Witz' von Segnent- und Sequenzstrukturbedingungen? Sie erlauben nicht nur die Einsparung von tausenden von Merkmalsspezifikationen im Lexikon, sondern legen auch fest, was von Sprecher /Hörer einer Sprache als ches

Morphem

klassifiziert wird. In der generativen Phonologie faßt

nan sie deshalb oft unter dem Namen gungen

mögli-

Morphemstrukturbedin-

zusaimen.

Beispiel: (10) Spark entspricht wie ζ. B. stark allen Morphemstrukturbedingungen des Dt; es ist deshalb ein mögliches Morphem des Dt., auch wenn es aktual nicht vorkommt. Daß der Unterschied zwischen aktual vorkommenden und möglichen Morphemen nicht belanglos ist, sieht man daran, daß ζ. B. fpark oder tpark vom Sprecher/Hörer intuitiv anders beurteilt wird als spark. Fpark oder tpark kann prinzipiell kein Morphem des Dt. sein, spark könnte eines sein. Es ist quasi ein Zufall, eine zufällige Lücke des Lexikons, daß spark kein aktuales dt. Morphem ist; bei fpark/tpark handelt es sich hingegen um eine systematische Lücke.

Präziser läßt sich 'mögliches Morphem' wie folgt definieren: Mögliches Morphem = def Sequenz von Segmenten zwischen Morphemgrenzen, die keinerlei Morphemstrukturbedingungen einer Sprache L i widerspricht. Eine Granmatik, die nicht zwischen aktualen und möglichen Morphemen unterscheiden kann, ist inadäquat, da sie die Koipetenz eines Sprecher/Hörers nicht hinreichend expliziert. Die aktualen Morpheme einer Sprache L^ sind eine Teilmenge der tfenge der in L^ möglichen Marpheme. Deshalb gehorchen auch die durch Wbrtbildung herleitbaren Wörter einer Sprache den jeweiligen Morphemstrukturbedingungen. Wenn bei der Verkettung eines Stammes mit einem Suffix eine Sequenz^ entstehen sollte, die durch die ftorphemstrukturbedingungen ausgeschlossen ist, dann nuß normalerweise die Sequenz^ solange adaptiert werden, bis sie den Morphemstrukturbedingungen nicht mehr widerspricht. Sogar Kunstvrörter - man denke etwa an die Werbung - unterliegen Morphemstrukturbedingungen. Es ist ζ. B. ganz unwahrscheinlich, daß ein Waschmittel XY, mit dem die Hausfrauen in Zukunft beglückt werden, etwa Superuollin

und dgl.

Wsweoh

heißen könnte; möglich sind hingegen die Namen

Weissem,

28 Aufgabe (13): a) Welche der folgenden Tlahn, Ni en, Perpel, b) Welche der folgenden chelrin, porellâtre,

5.5

Formen Wakpl, Formen pœil ,

sind mögliche dt. Morpheme: Tröün, Flehrung, ftönig, flansig? sind mögliche frz. Morpheme: parras, kpite, lecpmue?

Status und Funktion der Redundanzbedingungen:

Pedundanzbedingungen drücken Bedingungen über die Merkmalsstruktur philologischer Matrizen aus. Da Matrizen im Lexikon stehen, gehären auch die Redundanzbedingungen nicht zur phonologischen Kcnpcnente im engeren Sinne (= def Menge der phonologischen Regeln), sondern zum Lexikon. Als Dcxnäne haben sie in der 'klassischen' generativen Phonologietheorie Segnente oder Segmentseguenzen innerhalb vcn Morphemgrenzen. Neuerdings spielt man auch mit dem Gedanken, ob ein adäquater Wirkungsbereich von Sequenz Strukturbedingungen nicht Uber Morphsngrenzen hinausgehen sollte, ungeklärt ist, ob man nicht zusätzlich zu den Marphemstrukturbedingungen einer Sprache L^ noch spezielle oberflächerphonetische oder phcnotaktische Beschränkungen braucht. Beide Fragen sind jedoch noch so wenig ausdiskutiert, daß wir ihnen hier nicht weiter nachgehen können. Klar ist jedoch folgendes: Stanley (1967) konnte zeigen, daß sämtliche Redundanzbedingungen vor der Anwendung der ersten phonologischen Regel simultan die unspezifizierten Stellen der redundanzfreien Matrizen in ¿Werte umwandeln. Der Sinn dieser Forderung besteht in der Einschränkung der Anwendung von phonologischen Regeln auf voll-spezifizierte Matrizen. Schränkt man die Anwendung phonologischer Regeln nicht in dieser Weise ein, dann könnten unspezifizierte Merkmale, also redundante Merkmalswarte, die ja im Lexiken nicht angegeben werden, als dritter Merkmalswert neben 'plus' und 'minus' benützt werden.8 Die Funktionsweise der Redundanzbedingungen läßt sich also schematisch wie folgt darstellen: Fig. 7

8

Eine technisch saubere Darlegung dieser Problematik wäre ziemlich kompliziert. Wer sich dafür interessiert, kommt um Stanley (1967) nicht herum.

29 5.6

Warun gibt es Redundanz?

Natürliche Sprachen werden häufig In nicht-Idealen KoinunlkatlcnssltuatlGnen gebraucht, In denen mit verschiedenen Störfaktoren zu rechnen 1st (ζ. B. mehrere Leute sprechen zugleich; es wird von einem Sprecher nicht genau artikuliert, weil er gerade ißt oder keine Zähne mehr hat; die Signalübertragung wird durch die Entfernung zwischen Sprecher und Hörer mehr oder minder stark gestört usw. ). Hären natürliche Sprachen ohne Redundanz konstruiert (wie ζ. B. formale Sprachen der Logik), dann würde die Kcramunikation durch die verschiedenen Störgrößen drastisch beeinträchtigt. Da Signale aber redundant übertragen werden, machen zwar Störgrößen das eine oder andere Signal unkenntlich, aber die nicht gestörten Signale reichen im Normalfall inner noch aus. Ein wichtiger Aspekt sprachlicher Redundanz ist darnach, die Kcrmunikation gegenüber Störgrößen relativ unempfindlich zu machen. Es ist evident, daß die phonologische Redundanz, über die wir detaillierter gesprochen haben, nur ein Teil des Phänomens 'Redundanz' ist; sie hat jedoch genau dieselbe Funktion wie Redundanz im allgemeinen. Durch je mehr Merkmale sich Segmente unterscheiden, desto mehr Unterscheidungen müssen unter dem Einfluß vcn Störgrößen eventuell gar nicht perzipiert werden, ohne daß die verschiedenen Seepente auditiv zusammenfielen. Ein zweiter Grund für das Auftreten - vor allem - ναι Sequenzredundanzen liegt einfach in der inhärenten artikulatori sehen Schwierigkeit, gewisse Nexus, bestehend aus mehreren Konsonanten, zu produzieren. Zusätzlich zu generellen Beschränkungen dieser Art gibt es natürlich sprachspezifische Redundanzen. Sie können nur mittels sprachspezifischer Eigenheiten motiviert werden und entziehen sich - zumindest auf der Grundlage des gegenwärtigen Erkenntni sstsndes — einer generellen Begründung.

II.

PROZESSPHONOLOGIE

1.

Phonologische Prozesse

Wenn man sich sprachliche Daten ein wenig ansieht, dann wird man beobachten können, daß Segnente oder Segmentsequenzen in gewissen Kontexten verändert werden. Ζ. B. im Dt. werden Obstruenten stimmlos, wenn sie in den Auslaut geraten (vgl. [ta:k] vs. [ta:ga]/Tag vs. Tage)·, im Laufe der sp., kat. oder okzit. Sprachgeschichte werden Obstruenten stiirerihaft in zwischenvokalischer Stellung (ζ. B. lt. vita

vida und dgl.) ; im Afrz. und Ptg. werden Vokale nasaliert, wenn sie

vor einem Nasalkonsonanten stehen (z. B. lt. bonu(m)

afrz./ptg. [bon] etc.);

im Ptg. wird s zu /, wenn es vor Konsonant oder im Auslaut steht (z. B. visto •*• [vi/tu] 'gesehen', mais

mai[/] 'mehr'), im Südbair. und Alem. erfaßt dieser

Prozeß nur vorkonsonanti sehe s s (ζ. Β. er ist tes a zu Θ (ζ. B. casa

[er Lit]); im Kat. wird unbeton-

[kazal 'Haus'); die lt. Konsonantenverbindung kt - gra-

phisch at - entwickelt sich im It. zu tt (lt. noate(m)/faotu(m)

it. notte/fatto

usw.); im Engl, wird h normalerweise getilgt, wenn es vor unbetontem Vokal steht (vgl. ni[hi]lity mit ni[ja]lism/nihilism)·, im Türk, bekamen Lehnwörter, die mit s plus Konsonant beginnen, einen ¿-Vorschlag (vgl. frz. station •*• türk. istasyon, griech. Smyrna -*• türk. Izmir, it. sconto ->- türk. iskonto und dgl.) . Alle diese Veränderungen nennen wir

p h o n o l o g i s c h e

Prozesse,

ganz gleichgültig, bb sie nur synchron, oder auch in der Diachronie einer beliebigen Sprache zu beobachten sind. Es gibt keine natürliche Sprache ohne phonologische Prozesse. Deshalb ist es der Mühe wert, dem Phänomen 'phonologische Prozesse' ein wenig genauer nachzugehen und zu versuchen, ob sich nicht eine Typologie phonologischer Prozesse erstellen läßt. Wir unterscheiden zwischen (a)

s i l b e n s t r u k t u r a f f i z i e -

r e n d e n

Prozessen, (b) A s s i m i l a t i o n e n ,

c h u n g ,

(d) N e u t r a l i s i e r u n g

g i e r u n g

und (e)

(c)

A b s c h w ä -

D i p h t h o n -

.

Diese Einteilung ist als handliche und primär praxisorientierte Kategorisierung zu verstehen.

31 1.1

SiUbenstrukturaffizierende Prozesse:

Eine Silbenstruktur kann verändert werden durch 1) die Hinzufügung eines Segirentes zu einer Segmentsequenz, durch 2) die Tilgung eines Segments, 3) durch die Vertauschung von Segmenten sowie 4) durch die Zusammenz iehung verschiedener Segmente. Im ersten Fall spricht nan von T i l g u n g these

oder auch von

E p e n t h e s e ,

V e r s t u m m e n ,

und im vierten von

K o n t r a k t i o n

Wann wir vereinbaren, daß

im zweiten von

im dritten von

M e t a -

.

als 'wird zu' interpretiert wird, dann läßt sich

1)-4) schematisch notieren als: 1) AB ->- AXB oder ABX oder XAB (Epenthese) Der Sonderfall XAB, bei dem der Kette AB ein Segnent X vorangestellt wird, heißt häufig

P r o t h e s e

I n s e r t i o n

. Efenthetische Prozesse nennen wir gelegtlich auch

.

2) AB -+ A oder Β (Tilgung) 3) AB -+• BA

(Metathese)

4) AA •+ A

(Kontraktion

Diese Prozesse führen oft, jedoch nicht inner, zu einer S i l b e n s t r u k t u r

g ü n s t i g e r e n

.

Eine Silbenstruktur^ ist günstiger als eine Silbenstruktur^, wenn sie der o p t i m a l e n

S i l b e n s t r u k t u r

nâherkcmnt.

Eine Silbenstruktur ist optimal, wenn sie aus alternierenden C- und V-Segmenten, also CVCV

besteht.

Damit diese Klassifizierung nicht bloß ein abstrakter Gahmen bleibt, vollen wir sie mit einigen Daten illustrieren. V ) I£enthese/Insertion: a) Wenn bei der Entwicklung ναι lt. camera auf der Stufe chamre ein b zwischen m und r inseriert wird, also frz. chambre entsteht, dann handelt es sich um ein epenthetisches b. Analoge Prozesse lassen sich in vielen Sprachen beobachten, so ζ. B. im Bigi. Vgl. angelsächsisch thuner/bremel •* engl, thunder/bramble usw. b) Es gibt jedoch nicht nur Konsonantenepenthesen, sondern auch Vokalepenthesen. Vgl. ζ. B. skandin. knif •*• frz. canif, dt. Landsknecht vit. insimul

frz. lansquenet,

enseml -*• ensembl (epenthetisches b) -*• afrz. ensemble (epenthe-

tisches [Θ]), dt. Film -*· türk. filim usw. c) Eine Prothese liegt vor bei der Entwicklung vcn lt. scola •* vit. iscola, oder frz. station

türk. istasyon.

32

2') Tilgung/Verstumren: a) Bei der Entwicklung von V i t . zun A f r z . verstumnen auslautende Kcnsonanten, z . B. oantat •*• chante,

sic -*• si,

ad -*• à und d g l .

b) Im modernen F r z . maß ein Konsonant g e t i l g t werden, wenn das folgende Wart mit Konsonant beginnt; vgl. petit

ami mit petit

camarade, très étendu mit

très

grand e t c . c) Es können jedoch n i c h t nur Kcnsonanten, sondern auch Vokale g e t i l g t werden. Vgl. z. B. le chauvinisme mit l'arni (*• le ami) und d g l . Im Sp. v e r l i e r e n vokalisch auslautende Morpheme den Vokal vor einem S u f f i x , das mit Vokal beginnt. Vgl. z . B. Santiago

+ es -*• santiaguës

Conpostela) ' , Barcelona + es •* barcelonés

'aus Barcelona, b a r c e l o n e s i s c h ' ,

Mexico + ano •*• mexicano

'aus Santiago (de

'mexikanisch'.

Vokaltilgungen wie z . B. i n l t . domina •* v i t . dormía

i t . donna usw., d i e

nicht durch Wortbildung bedingt sind wie i n Mexico + ano ->- mexicano heißen S y n k o p e

.

Synkopiert werden g e n e r e l l nur unbetonte Vokale.

3') Metathese: In indoeuropäischen Sprachen kommen Metathesen r e l a t i v s e l t e n vor; sporadisch sind s i e jedoch ü b e r a l l zu beobachten. Vgl. z . B. angels, waeps/bren -*• engl. wasp/burn,

l t . miraculu(m)

•* sp. milagro,

f r z . aéroplane

f r . pop.

aréoplane.

4') Kontraktion: a) Häufig warden aufeinander folgende identische Kcnsonanten, sog. Geminaten, zu einem Segment k o n t r a h i e r t ; man nennt diesen Prozeß D e g e m i n i e r u n g

.

Z . B . i n der f r z . Sprachgeschichte werden a l l e l t . oder s i c h sekundär ergebenden Geminaten abgebaut. Vgl. terra

[ t s r ( a ) ] ' t e r r e 1 , femina

ferma

ferma -»·

[fam(a)] 'femme'. b) Natürlich lassen sich auch Vokalkontrakticnen beobachten; v g l . z. B. f r z . alcool

•+ [alkoL] usw.

Wie l e i c h t zu sehen, bewirken Kontraktionen eine günstigere S i l b e n s t r u k t u r , da s i e i n Richtung auf eine optimale C-V-Alternaticn z i e l e n . 1.2

Assimilation:

Unter einem assimilatorischen Prozeß können wir d i e Angleichung e i n e s Segments an e i n anderes verstehen. So übernirrnrt z . B. häufig e i n Konsonant Merkmale e i n e s Vokals, oder ein Vokal Merkmale eines Konsonanten, oder e i n Konsonant b e e i n f l u ß t einen anderen Konsonanten. Zwei wichtige Arten von Assimilation sind L a b i a l i s i e r u n g .

P a l a t a l i s i e r u n g

und

33

a) Palatalisierung: In der brasilianischen Variante des Ptg. werden dentale Obstruenten palatalisiert, wenn sie vor vorderen Vokalen stehen. Vgl. ptg. parte

bras.-ptg. par[tçi] 'Teil',

independiente •*• independen[tçi] 'unabhängig' usw. Offensichtlich überträgt sich vo i aus das Merkmal [+hoch] auf die dentalen Konscnanten, wodurch Palatale entstehen. ähnliche Prozesse sind bei der Entwicklung des Latein zu den romanischen Sprachen anzusetzen; z. B. lt. quinqué wird zu it. [t/]inque/cinque, sp./ptg. [s]inoo/eineo, frz. [sëk]/cinq, rum. [t/int¡x]/oinci. In fast allen Sprachen gibt oder gab es zumindest historisch Palatalisierungsprozesse. Im Norma]fall werden jedoch nur Konsonanten vor vorderen Vokalen palatali siert; Palatalisierungen vor a, wie man sie im Sanskrit und im Frz. beobachten kann (z. B. lt. cantare •*• frz. chanter sind ausgesprochen selten. b) Labialisierung: Bei Labiali sierungen werden Merkmale labialer Segmente auf andere Segmente übertragen. Vgl. z. B. dt. Einbahnstraße •* Ei[mb]ahnstraße in schneller Aussprache, oder lt. clavu(m) -+• afrz. cl[o]u 'clou' und dgl. In der historischen Sprachwissenschaft spricht man anstelle von Labialisierung gelegentlich auch von R u n d u n g ,

- eine Redeweise, die wir nicht

übernehmen, da Labialisierung nicht inner mit Rundung zusammenfällt. Weitere assimilatorische Prozesse, die eine ziemlich weite Verbreitung haben, sind die N a s a l i e r u n g

, die Bildung h o m o r g a n e r

nantenverbindungen

Konso-

, die Entstehung eines U m l a u t s

so-

wie die sog. V o k a l h a r m o n i e . c) Nasalierung: Bei der Nasalierung wird das Merkmal [+nasal] von Nasalkcnsonanten auf Vokale übertragen. Vgl. z. B. dt. mein

hair, [mâ]], lt. bonu(m) -*• afrz. [bòn],

lt. fine(m) -*• ptg. [fin]/fim 'Ende' usw. Sog. s p o n t a n e

Nasalierung, d. h. eine nicht-assimilatorische Nasa-

lierung, ist äußerst selten, jedoch nicht auszuschließen. Z. B. im Frarikoprovenzalischen entwickelt sich das lt. Suffix -ata zu [ä], ohne daß hierfür der Einfluß eines Nasalkcnscnanten verantwortlich gemacht werden könnte. d) Hanorgane Kcnscnantenverbindungen: Narmalerwsise gehen nur Nasalkcnscnanten und Obstruenten hanorgane Verbindungen ein (hcnnrgan = def bei der Artikulation aufeinanderfolgender Segmente ist dasselbe Artikulationsorgan beteiligt). In allen bisher untersuchten Sprachen, in denen es überhaupt vorkamen kann, daß Nasalkcnsonanten und Obstruenten nebeneinanderstehen, gibt es die Möglichkeit

34

der Generierung hcmorganer Verbindungen. Vgl. ζ. B. engl, in + adequate inadequate, aber in + possible •* impossible und dgl. In vielen Sprachen hängt die Bildung homorganer Verbindungen von der Sprechgeschwindigkeit ab; so z. B. im Sp., wo die Langsamsprechfonren von un beso 'ein Kuß' oder un gato 'eine Katze1 u[nb]eso bzw. u[ng]ato lauten, die Schnellsprechformen jedoch u[mb]eso bzw. u[ng]ato. e) Unlaut: Im Dt. werden hintere Vokale vor einem Suffix mit einem hohen, vorderen Vokal nach vorne verschoben. Vgl. z. B. Lob / Lob + lieh •+• löblich, Wort / Wort + liah wörtlich, Fuß / (platt)fuß + ig

plattfüßig, Hund / Hund, + in

Hündin etc.

Im modernen Dt. ist das Eintreten des Umlauts morphologisch restringiert und nicht mehr an das Vorhandensein eines hohen Suffixvokales gebunden (vgl. Haut / häuten), aber historisch ist der Umlaut wohl in der geschilderten Weise entstanden. Auch die engl. Alternationen der Art foot / feet, goose / geese usw. gehen auf einen ursprünglichen Umlaut zurück; im modernen Engl, sind diese Formen jedoch suppletiv. f) Vokalharmonie: In germ, oder rom. Sprachen ist die Vokalharmonie quasi nur sporadisch zu beobachten (z. B. frz. /eme/ •* [eme] / aimer und dgl.). In verschiedenen uralaltaischen Sprachen wird sie systematisch genützt; so z. B. im Türkischen. 'Vokalharmonie' bedeutet, daß der Vokalisnus des Stairmes den Vokaliatus der Suffixe determiniert, oder das Umgekehrte. Im Türk, muß ein hoher Vokal eines Suffixes mit dem Staninvokal bezüglich [ohint] und [arund] übereinstinmen.1 Vgl. z. B. ev 'Haus' / evde 'im Haus' mit Ankara 'Ankara' / Ankarada 'in Ankara', kiz 'Mädchen' / kizlar 'Mädchen' (Plural) mit otel 'Hotel' / oteller 'Hotels' und dgl. 1.3

Neutralisierung

Neutralisiertaig ist ein Prozeß, der in bestimmten Kentexten zum Zusanmenfall ansonsten distinkter Segmente führt. Wir unterscheiden zwischen Konsonanten- und Vokalneutralisierung. a) Konsonantenneutralisierung: In verschiedenen Varianten des amerikanischen Engl, werden z. B. wetting und wedding bzw. writer und rider gleich ausgesprochen, d. h., in zwischenvokalischer Stellung wird der Kontrast zwischen t und d neutralisiert. Dieser Fall von Neu-

1

Die türk. Vokalharmonie wird hier aus illustrativen Zwecken vereinfacht dargestellt.

35 tralisierung ist assimilatorischer Natur; in zwischenvokalischer Stellung wird t sonorisiert. Daneben gibt es aber auch Neutralisierungen, die nichts mit Assimilation zu tun haben, so ζ. B. im Dt., wo Obstruenten im Auslaut stiitmlos werden. Vgl. [ra:t]/i?ad vs. Räder, star[p] vs. sterben usw. b) Vckalneutralisierungen: In vielen Sprachen läßt sich beobachten, daß unbetonte Vckale teilweise zusammenfallen, also Kontraste zwischen Haupttonvokalen im Nebenton oder in unbetonter Stellung neutralisiert werden. Dieser Neutralisierungsprozeß führt häufig zu einen [i, a, u]-Vokalismus. Ζ. B. im Russ., das im Hauptton einen [i, e, a, o, u]Vokalismus hat, liegt im Nebenton nur [i, a, u] vor. Dieselbe Tendenz gibt es im Toskanisehen. Ein zweiter Bereich, in dem Vokalneutral i sierungen keineswegs ungewöhnlich sind, ist die Nasalierung. Z.B. im modernen Frz. gibt es nur tiefe nasalierte Vckale, d. h. hohe und mittlere fallen mit tiefen zusanmen, wenn sie nasaliert

werden. Vgl. final, sérénité, brunir, romanesque (Kontrast: i:e:y:a) mit [fc]/f ser [i]/serein, br[e]Z>run (in konservativen Stilen br[dB]), [rcmà]/roman (Kontrast: ë:à). Universell scheint zu gelten, daß betonte Oralvokale nicht neutralisiert werden. 1.4. Abschwächung: 1

Abschwächung' ist ein Sanmelbegriff für verschiedene Prozesse. Wir führen ihn

ein, weil er in Publikationen des öfteren zu finden ist und ihm eine intuitive Plausibilitat kaum abgesprochen werden kann. In 1.3 hatten wir Vokalneutralisierungen kennengelernt. Alle Vckalneutralisierungen sind auch Abschwächungen. Ein Abschwächungsprozeß führt häufig zu einem [i, a, ul-Vokalismus oder auch zur Bildung eines Schwalautes, wie z. B. frz. [a]. Konsonantentilgungen können ebenfalls als extraie Ausprägungen eines Abschwächung sprozesses verstanden werden. Vgl. z. B. die Entwicklung von lt. aantatu vit. cantato •*• cantado -*• sp. canta[d]o -*• umgangssp. aantlao]. Dasselbe gilt viele Vokaltilgungen: z. B. lt. femina -*• vit. ferma

... frz. femme etc.

Wird ein unbetonter Vokal innerhalb eines Morphems getilgt, so spricht man VOTI Synkope (vgl. S. 32); erfaßt die Tilgung einen auslautenden Vokal wie z.B. in mittelengl. helpe ->• engl, help, dann nennt man diesen Prozeß Α ρ o k ο ρ e . Zu Tilgungen führende Abschwächungsprozesse gibt es aber keineswegs nur in der Diachronie, wie die bisherigen Beispiele eventuell nahe legen könnten, scridern auch in der Synchronie. Ζ. Β. in dt. Formen wie reden, gehen, edel und dgl.

36

entspricht in der Bühnenaussprache dem zweiten (graphischen) e ein [θ]. Für die meisten Sprecher des Dt. ist jedoch auch [re:dn], [ge:n], [e:dl] usw. akzeptabel. Das [a] in [re:dan] entsteht durch Abschwächung aus dem in der Grafilie erhaltenen e; geht die Abschwächung noch weiter, so wird [a] getilgt. Nach dem Silbischwerden auslautender Nasale und Liquide ergibt sich eine Farm wie [re:dn]. Gelegentlich spricht man auch im Falle einer M o n o p h t h o n g i e r u n g (ζ. B. lt. pauper •*• sp. pobre, lt. paucu(m) •*• sp. poco etc.) von Abschwächung. Inwiefern sich generelle Bedingungen über Abschwächungsprozesse herausfinden lassen, ist noch weitgehend umstritten. Es scheint jedoch zu gelten, daß unbetonte Stellungen Abschwächungen begünstigen, wie Abschwächungen normalervreise auch nur ungespannte Segmente erfassen. 1.5

Diphthongierung

Sehen der prägenerativen Linguistik machte es große Schwierigkeiten 'Diphthong' oder 'Diphthongierung' befriedigend zu definieren, und in der generativen Phono2

logie ist es nicht viel anders. Folgende Definition scheint jedoch halbwegs brauchbar und plausibel zu sein: Ein Diphthong ist eine zu einer Silbe gehörende Sequenz, bestehend aus einan Vokal und einem Gleitlaut oder einem Gleitlaut und einem Vokal. Entsteht eine Segmentsequenz dieser Art (historisch oder synchron) aus einem Vokal, so sprechen wir von Diphthongierung. Da es auch vorkamen kann, daß sich durch den Ausfall eines zwischenvokalischen Konsonanten (z. B. lt. magis •* ptg. mais 'mehr') und Gleitlautbildung ein Diphthong ergibt, müssen wir zwischen verschiedenen Arten von Diphthongen unterscheiden. Diphthonge, die mittels Diphthongierving im Sinne unserer Definition abgeleitet werden, nennen wir 'paradigmatische Diphthonge', andere 'syntagmatische1. Im folgenden geben wir nur Beispiele für paradigmatische Diphthonge: z. B. lt. e und o diphthongieren in gewissen Kontexten im Sp. ; vgl. lt. bonu(m) , portu(m), venit mit sp. bueno, puerto, irtene etc. Betontes vit. e und o diphthongieren in freier Silbe im Afrz. zu [ej] bzw. [ow]; vgl. tela -*• afrz. teile, frz. toile; flore (m) afrz. flour, frz. fleur. In verschiedenen Varianten des amerikanischen Englisch, z. B. in Boston, gibt es eine Tendenz, die gespannten engl.. Vokale /i, u/ zu diphthongieren; vgl. [mi]/me -»• m[ej], [ju]/you •*• y[ow] usw. Verschiedene phcnologisehe Prozesse blieben in unserer Aufzählung, die nur eine Liste von in diversen Sprachen häufig zu beobachtenden Prozessen ist, un2

Ein lohnender, jedoch sehr schwierig zu lesender Aufsatz, der neue Gesichtspunkte zur Diphthongierungstheorie beiträgt, ist Andersen (1971).

37 berücksichtigt, oder wurden nur grob skizziert. Sie werden teilweise im Abschnitt "Regeln und Notaticnskonventicnenn erläutert. 1.6

Waran gibt es phonologische Prozesse?

Man darf annehmen, daß viele phonologische Prozesse durch artikulatorische und/ oder perzeptive Gegebenheiten motiviert werden können. Vfenn bei der Artikulation eines Segmentes^ die Artikulationsorgane schon die Artikulation eines Segmentesj vcmregnefcmen, dann wird Segment^ in Richtung auf Segment^ assimiliert (regressive Assimilation) ; wird die Artikulation eines Segmentes^ nicht antizipiert, sondern die Artikulation eines vorausgehenden Segmentes^ zu lange beibehalten, dann handelt es sich im progressive Assimilation. Beide Arten von Assimilation finden ihre Erklärung im Phänomen der sog.

K o a r t i k u l a t i o n

, obwohl noch

nicht klar ist, wieso in natürlichen Sprachen regressive Assimilation normalerweise vorherrscht. Daß Koartikulation bei assimilatorischen Prozessen wie Labialisierung, Palatalisierung, Nasalierung, Bildung hcmorganer Kcnsonantenverbindungen usw. zugrundeliegt, bedarf wohl keiner weiteren Begründung. Es wird jeweils ein Segment^ per Koartikulation an ein anderes Segment^ assimiliert. Warna aber Koartikulation? Köartikulierte Laute sind 'leichter' auszusprechen. Die informelle Redeweise 'leichter' bedürfte natürlich einer expliziten Begründung, aber intuitiv läßt sich ihr Sinn auch so verstehen: Offensichtlich gibt es inhärente Beschränkungen der Artiku 1 atiananotarik, d. h. nicht alle Segmentsequenzen sind gleichermaßen 'leicht' zu artikulieren. So stimrtt ζ. B. in Konsanantenverbindungen der meisten Sprachen die Stiimhaftigkeit von Konsonanten überein. Eine Nexus wie ζ. B. [ps] ist artikulatarisch weniger aufwendig als [bs], da in [ps] die Stiimhaftigkeit nicht alterniert. Manche phonologische Prozesse lassen sich hingegen an besten mit perzeptiven Beschränkungen plausibel machen. Unbetonte Vokale sind perzeptiv weniger leicht auseinanderzuhalten als betonte und werden deshalb häufig neutralisiert. Ein solcher Neutralisierungsprozeß führt zu einem reduzierten Nebentcnvokalismus, in dem die verbleibenden Vokalsegmente maximal differenziert sind. (Denkt man sich die Vokale einer Sprache auf ein Vokaldreieck angetragen, dann sind i, α, und u die am weitesten auseinanderstehenden Vokale.) Eine andere töglichkeit der Vokalabschwächung besteht in der Schwabildung. In diesem Fall ergibt sich ein perzeptiv günstiger Kontrast zwischen dem (prinzipiell) ungespannten Schwa und den (meist) gespannten Haupttonvokalen.

38 Es ist auch leicht einzusehen, daß Prozesse, die auf eine günstigere Silbenstruktur hinzielen, artikulatorisch und perzeptiv motiviert sind. Eine Folge von alternierenden Vokalen und Konsonanten ist artikulatorisch und perzeptiv optimal; eben solche Folgen werden durch die angesprochenen Prozesse erzeugt. Die Frage, ob alle phonologisehen Prozesse artikulatorisch und/oder perzeptiv zu begründen sind, ist noch nicht hinreichend geklärt. Wir gehen ihr deshalb hier nicht weiter nach. 2.

Regeln und Notationskcnventionen

In vielen Wissenschaften hat es sich bewährt, mit formalen Methoden zu arbeiten, da Formalisten explizit sind und leichter überprüft werden können als informelle Redeweisen. Aus diesen Grund versuchen generative Grammatiker die phonologische Kcrtponente einer Sprache ebenfalls mittels formaler Darstellungsweisen zu erfassen. Einen ersten Teil dieses Versuches, nämlich den Aufbau der Merkmalstheorie, haben wir schon kennengelernt; einem zweiten, der Formalisierung phonologischer Prozesse, wenden wir uns jetzt zu. Einen beliebigen phonologischen Prozeß^ - z. B. das Stirrmloswerden von Obstruenten, wenn sie in den Auslaut geraten - kann man als Regel der Granmatik interpretieren, die ein Sprecher/Hörer einer Sprache L^ intuitiv beherrscht. Wenn man nun diese intuitive Kompetenz explizit machen will, dann muß man explizite Regeln, die phonologische Prozesse abbilden, formulieren.

2.1

Allgemeine Regelform:

Phonologische Regeln haben die Normalform: A -·• B/X

Y

Hierbei steht der Pfeil ' -*· ' für 'wird zu', die diagonale Linie ' / 'im Kentext von' und 'X

1

bedeutet

Y' gibt den Kontext an, in dem das zu verändernde A

vorkatmt, also 'zwischen X und Y'. Ά ' und 'B' stehen für (eventuell leere) Segmente und 'Χ', Ύ ' können Segmente oder Grenzsymbole sein. Phonologische Regeln sind Transformationsregeln, nicht etwa Phrasenstrukturoder Formationsregeln. Sie transformieren ein Segment in ein anderes, führen neue Segmente ein, tilgen Segmente, stellen Segmente um usw., - je nachdem, welchen phonologischen Prozess man ausdrücken will. In fannaler Hinsicht besteht jede Transformation aus zwei Teilen: a) einer S t r u k t u r b e s c h r e i b u n g b) einer S t r u k t u r v e r ä n d e r u n g

und .

39 In A ->• B/X

Y ist A und Χ

Y als Strukturbeschreibung, Β als Struktur-

3

veränderung aufzufassen.

Wenn die Strukturbeschreibung einer Regel erfüllt wird, dann wird die Pegel angewendet, d. h. die Strukturveränderung ausgeführt. Die Normal form A

Β/Χ

Y ist nicht so zu verstehen, daß bei phonologischen

Regeln grundsätzlich ein Kontext 'zwischen X und Y' vorliegen müßte. Diese Notatici! drückt nur aus, daß die meisten Regeln einer Phonologie abhängig

oder k o n t e x t - s e n s i t i v

kontext-

sind. Vorkamen kann

auch, daß ein Segment A in jedem Kontext zu Β transformiert wird. Man spricht dann von einer k o n t e x t - f r e i e n

Regel und schreibt einfach: A -»· Β.

Rontext-freie Regeln sind quasi Extremfälle von kontext-sensitiven, eben Regeln mit einem Allkontext, der notationell nicht ausgedrückt wird. Da eine Trans formation A -»• Β nicht notwendig davon abhängen muß, daß A zwischen X und Y steht, sondern eventuell nur davcn, ob A sich in der Position nach X oder vor Y befindet, ergeben sich insgesamt folgende Kontextmöglichkeiten: i) /X il) /X iii) / iv)

X 'zwischen X und Y' 'nach X' Y "vor Y'

/0

'in jedem Kontext, d. h. kontext-frei'

Aufgabe (14): a) Erfüllt die Kette abcd die Strukturbeschreibung der Regel a b) Erfüllt die Kette caxd die Strukturbeschreibung der Regel a c) Was ergibt sich, wenn die Regeln a -*• b/c d und b •*• d/ Kette xycadefgh angewendet werden?

2.2

b/c d? b/c d? d auf die

Runde und geschweifte Klammern:

1) Runde Klammern: Setzen wir voraus, daß in einer Grammatik neben der Regel (1) A

B/X

(2) A •* B/X

Y eine zweite Regel der folgenden Form vorkommt:

ZY.

(1) und (2) können dann in ein R e g e l s c h e m a ,

d. h. in eine komplexe

Regel, die mehrere Unterregeln enthält, zusarmengefaßt werden: (3) A -»• B/X

(Z)Y

In (3) zeigen die r u n d e n tativ

3

Klammern ' () ' an, daß das Symbol 'Z' f a k u l -

ist, d. h. vorhanden sein kann oder nicht.

Weiterführende Literatur zur formalen Analyse von Transformationen: Bechert/ Clément/Thümmel/Wagner (1972), S. 129-139.

40 Die Reihenfolge der einzelnen Kegeln eines Schemas ist festgelegt. Ein Regeischana wie (4) A

B/X(Y)

(W)Z

enthält vier Unterregeln mit den jeweiligen Kontexten: a) XY b) XY

wz ζ

c) χ d) χ

wz ζ

Die Kontexte a), b), c), d) des Regelschemas (4) sind so geordnet, dafi bei der Regelanwendung längere Kontextexpansicnen kürzeren vorausgehen. In (4) ist eil so a) vor b), c), d) zu wählen und b), c) vor d) ; die Reihenfolge b) vor c) ist willkürlich, d. h. man könnte auch die Reihenfolge a) vor c), c) vor b) und b) vor d) wählen. 2) Geschweifte Klammern: Wenn wir nun voraussetzen, daß eine Grammatik außer der Regel (1) auch eine Regel (5) A

Β/Κ

y

enthält, so lassen sich auch (1) und (5) zu einen Regelschema zusammenfassen: (6) a Die

B/{*}

Y

g e s c h w e i f t e n

Klanmern •{}• stehen für 'entweder, oder', d. h.

(6) ist zu lesen als: Bxtweder wird A zu Β im Kontext zwischen X und Y oder im Kontext zwischen Κ und Y. Aufgabe (15): a) Fassen Sie folgende Regeln zu einem Schema zusammen: i + y / i •* y/ i •*• y/ i -»• y/

ρ r q a

b) Welche Unterregeln beinhaltet deis Regelschema: |G

c) Erfüllt die Kette abedefghijk a -»· b/c d? d) Erfüllt die Kette XZaiLMNr

die Strukturbeschreibung der Regel

die Strukturbeschreibung der Regel M -»· κ/L

e) Fassen Sie folgende Regeln zu einem Regelschema zusammen:

A -*• B/X A -»• Β/Χ

γ YZ

A

YZW

B/X

N?

41

Angenarmen, eine Gramatik enthielte die Pegeln (7) A -»· Β/χ (8) a + c/D so fafit man (7) und (8) zusammen zu: (9) A - {*> / { * } 11

_

11

Die Indizierung der geschweiften Klanmem zeigt an, daß innerhalb der Klamtem die Elemente in der gleichen Reihenfolge zu wählen sind. Ausgeschlossen i s t also in (9) ζ. B. die Regelexpansicn: A •+· B/D

, da man bei dieser Bçapsion das

erste Element der linken Klammer (von oben gerechnet), aber das zweite Element der rechten generaren hätte. 2.3

Kcntextkcnventicnen:

Angenommen, eine Grarrmatik enthielte die Regel (10) f+hochl __ r L-tiefJ "

[+rund]'

dann kann (10) umgeschrieben werden zu der Notaticnsvariante +hoch (11) Π [+rund] / - t i e f Die Notation

1

[ ] ' bedeutet 'jedes beliebige Segment'. (11) i s t demnach zu lesen:

Jedes beliebige Segment wird gerundet, wenn es hoch und nicht-tief ist. Man verwendet in der generativen Phonologie neben dan Regelformat (10) gelegentlich auch das gleichbedeutende Regelformat (11). Angenommen, eine Grammatik enthält die Regeln (12) a

B/c

(13) a ->· B/

c,

so lassen sich auch (12) und (13) zusammenfassen zu: (14) A - Β/ { C — > (14) kam man nun vereinfachen zu: (15) A •* B/C Grundsätzlich g i l t also, daß ein Kontext der Art (14) reduziert werden darf zu /C. Die Expansion C

geht der Expansion

C voraus.

42

Beispiel: (11) Im Niederländ. werden Obstruenten stimmhaft, wenn sie vor oder nach einem stimmhaften Verschlußlaut stehen. Im ersten Formalisierungsschritt schreiben wir:

i)

[+obstr] + [+sth]/

ii)

t+obstr] + [+sth]/

+obstr -dau +sth +obstr -dau +sth

i) und ii) fassen wir zusammen zu: +obstr -dau +sth

iii) [+obstr] •+• [+sth]/

Vorausgesetzt, eine Granmatik enthält die Regeln (16) A -+• B / a ^ . . . a n (17) A

Β/



a . ..a a ,

η

¿

1

dann werden (16) und (17) zusanmengefaßt zu: (18) A

B/*a.a 1 2 ...a η

Bei Köntexten mit mehr als einem Segment ( a ^ . - . a ^ empfiehlt es sich, anstelle der in Beispiel (11) verwendeten Konvention mit der von Regel (18) zu arbeiten. Der Stern

zeigt an, daß die zweite Umgebung einer so indizierten Kontextan-

gabe Spiegelbild der ersten ist. Die Reihenfolge der Expansionen von / Ä a 1 a 2 ...a n ist geordnet: a ^ . . •aR

wird vor

a^.. - a ^ gewählt.

Wie zu sehen, stellt die in Regel (15) verwendete Kòntextkcnventicn einen Sonder· - a n -Rontext steht,

1

dann ist Alpha 'plus , andernfalls 'minus'.

2.4

Sub- und Superskripte:

Gelegentlich wird in der generativen Phonologie mit Sub- und SuperSkripten gearbeitet. Wir wollen deshalb ihren Gebrauch erläutern. Wenn in einer Regel ζ. B. C Q erscheint, so ist dies zu verstehen als 'null oder mehr Konsonanten'. C1 heißt 'einer oder mehr Konsonanten', C^ 'drei oder mehr Konsonanten' usw. Subskripte drücken Untergrenzen aus. Will man Cbergrenzen angeben, so benützt man Superskripte. Danentsprechend 1 4 bedeutet C Q 'null oder ein Konsonant', C 2 'zwischen minimal zwei und maximal vier Konsonanten' etc. Enthält ein Segment kein Subskript, sondern nur ein Superskript, eil so ζ. B. V , so hat diese Notation die Bedeutung 'genau ein Vokal'. Ein wenig komplizierter ist die Beziehung zwischen dieser Sub- und Superskriptnotation und der Klanmemotation. Z. B. V Q bedeutet nicht dasselbe wie (V), sondern es gilt: V^ = (V), und analog:

= (V) (V),

= W ( V ) etc.

Die KlarrmerschreibMeise ist eine Notationsvariante zum Gebrauch von SuperSkripten.

2.5

Hegeltypen:

Die Notationskonventionen der generativen Phonologie sind so konzipiert, daß sich die jeweilige Art des phonologischen Prozesses im Typus der ihm zugeordneten Regel niederschlägt, a) InsertionsregeIn: Regeln, die ein Segment in eine Lautkette einschieben oder anfügen, heißen I n s e r t i o n s r e g e l n

. Man braucht sie ζ. B. für epenthetische Pro-

zesse (vgl. 1.1, S. 31). Beispiel:

(12)

~~

Im Afrz. werden sog. übergangslaute zwischen Obstruenten und Liquiden inseriert. Vgl. vit. essere esre •+· Insertion von fr+afrz. estre •*• frz. être, ensemle Insertion von b •*• ensemble und dgl. Auch der Vorschlag des prothetischen i im Vit. wird durch eine Insertionsregel bewerkstelligt. Vgl. lt. scola -*• vit. iscola usw.

44

Insertionsregeln haben die Form: 0 -»• Χ/υ

ζ

'X' ist das inserierte Segment, '0' symbolisiert eine leere Menge, d. h. '0 zeigt an, daß an der Stelle, an der der Insertionslaut eingeschoben wird, auf einer vorausgehenden Stufe der Ableitung kein Segment steht. Die angegebene Insertionsregel transformiert die Rette ΊΖ zur Rette ΪΧΖ. (Gelegentlich findet man auch die Schreibung '[]' anstelle von '0'; vgl. jedoch S. 41 (11)). b) Tilgungsregeln: Hegeln, die Segmente tilgen, heißen T i l g u n g s r e g e l n . Sie sind brauchbar zur Darstellung von Synkopen oder irgendeinem sonstigen \fersturmen von Iautsegmenten (vgl. S. 32). Beispiel: (13) Ζ. B. das Verstummen von Auslautkonsonanten im Laufe der frz. Sprachgeschichte kann durch eine Tilgungsregel dargestellt werden: C 0/ #

Tilgungsregeln haben die Form: χ

0/Y

ζ

Wie leicht zu sehen, sind Tilgungsregeln das Spiegelbild von Insertionsregeln. c) Assimilationsregeln: Regeln, die assimilatorische Prozesse ausdrücken, heißen A s s i m i l a tionsregeln. Beispiel: (14) Im Dt. und Frz. werden stimmhafte Konsonanten stimmlos, wenn sie vor einem stimmlosen Konsonanten stehen (habt -*• Assimilation ha[pt] , obsession •*• Assimilation o[ps]ession usw.) . Offensichtlich wird die Stimmhaftigkeit eines Konsonanten an [-sth] eines darauffolgenden Konsonanten assimiliert.

Wenn wir die Werte, die ein binäres Merkmal annehmen kann (+, -), in der Variable 'α' zusammenfassen, dann erhält man als Normalfarm einer Assimilation: A -»• [αΜ±]/

[αΜ^]

Dies ist zu lesen als: Das Segment A bekommt den Merkmalswsrt , wenn es vor einem Segment mit steht; das Segment A wird mit [-M^] vor einem Segment mit [-Μ±] spezifiziert.

45 Beispiel: (15) Formalisiert man die Assimilationsregel des Beispiels (14) , so ergibt sich:

Da Alpha in diesem Falle 'minus' ist, wird der zu assimi lierende Konsonant ebenfalls [-sth]. Diese Regel transformiert eine Kette der Art gehabt zu geha[pt] und dgl.

Werden nur einige Merkmale eines Segmentes an die Merkmale eines anderen Segmentes angeglichen, so spricht man von p a r t i e l l e r Assimilation. Zu diesen Typus gehören die bisher gegebenen Beispiele. Vierden hingegen alle Merkmale eines Segmentes an die Merkmale eines anderen Segmentes assimiliert, werden die in\rolvierten Segmente also identisch, so handelt es sich un t o t a l e Assimilation. Beispiel: (16) Im Laufe der frz. Sprachgeschichte wird eine Segmentsequenz der Art mη zu inn, schließlich per Degeminierung zu m (femina -*• Synkope femna Vokalabschwâchung von auslautendem a femne -*• totale Assimilation -*- femme -*• Degeminierung und Nasalassimilation •*• [feme] .. frz. femae/[fam] . Die Entwicklung mn •*• am ist eine totale Assimilation, weil η in allen seinen Merkmalen an m angeglichen wird.

In Abhängigkeit von der Kentextangabe unterscheiden wir zwei weitere Arten von Assimilationsregeln: i) r e g r e s s i v e Assimilation und ii) p r o g r e s s i v e Assimilation. Vierläuft eine Assimilation 'rückwärts', d. h. in Richtung van nachfolgenden Segment auf das vorausgehende, dann handelt es sich um i); verläuft eine Assimilation 'vorwärts', also van vorausgehenden Segment auf das nachfolgende, dann liegt ii) vor. Formal drücken wir den Unterschied zwischen i) und ii) durch die Position des Utngebungsstriches aus. i·) regressive Assimilation: ii') progressive Assimilation:

a •+• [αΜ.]/ [oM ] A αΜ^ / Ταϊ^]

degressive Assimilationen stellen den Normalfall dar, d. h., das Vorhandensein progressiver Assimilationsregeln setzt meist das Vorhandensein regressiver voraus. Zwei weitere Typen von Assimilationsregeln lassen sich unterscheiden: Je nachdem, cb die Assimilation zwischen zwei Segmenten über ein oder mehrere Segmente hinweggeht oder nicht, spricht man ναι K o n t a k t a s s i m i l a t i o n oder F e r n a s s i m i l a t i o n . Bei einer Kontaktassimilation geht die Assimilation von einem Segment zum direkt vorausgehenden oder nachfolgenden Seg-

46 ment; bei einer Fernassimilation stehen zwischen dem assimilierenden Merkmal eines Segmentes^ und dem zu assimilierenden Merkmal eines Segmentes^ weitere Segmente. Unter der Voraussetzung der eingeführten Kontextkonventionen können wir schreiben: a) Kontaktassimilation: A ->• αΜ^ / [αΜ^] b) Femassimilation:

Α

αΜ^ / -Χ [αΜ^]

wobei 'Χ' ein oder mehrere Segmente repräsentiert. Die Beispiele (14), (15) und (16) sind Beispiele für Kontaktassimilationen; den Fall einer Fernassimilation haben wir noch nicht besprochen. Beispiel: (17) Fernassimilation liegt vor bei allen Umlautprozessen oder auch bei Vokalharmonie (vgl. S. 39). Wenn bei der Ableitung von ζ. B. köstlich aus Kost+lich das o unter dem Einfluß des Suffixvokales umgelautet wird, so ergreift diese Assimilation natürlich nicht nebeneinanderstehende Segmente.

d) Dissimilationsregeln: Regeln, die ein Segment von einem anderen dissimilieren, heißen

Dissimi-

lationsregeln . Dissimilation ist ein der Assimilation entgegengesetzter Prozeß. Genauer kann er wie folgt definiert werden: Dissimilation = def Umkehrung der Merkmalswerte eines oder mehrerer Merkmale eines Segmentes im Vergleich zu den Merknalswerten eines oder mehrerer identischer Merkmale eines anderen Segmentes. Beispiel: (18) Per Dissimilation wird ζ. B. [ks] (aus /xs/) in dt. Formen wie sechs, Lachs usw. erzeugt, soweit /xs/ nicht vor Morphemgrenze steht (vgl. du lachst / [laxst] mit Lachs / [laks]). Sowohl χ als auch s ist [+dau]. Der Dissimilationsprozeß besteht darin, daß in Segmentsequenzen der Art [c, +dau, ...] plus [C, +dau, ...] das erste Segment E - d a u ] wird, also ein Merkmal des ersten Segmentes den umgekehrten Wert als ein identisches Merkmal des nachfolgenden Segmentes erhält.

Als Normalform einer Dissimilationsregel erhalten wir: A •*• [-oM^] /

taMi]

Verbalisierung: Das Segment A bekennt den Merkmalswert [-M^], wenn es vor einem Segment mit steht; das Segment A wird mit [+M^] vor einem Segment mit [-M^] spezifiziert. Für die Bestiirmung des Wertes von '-α' gelten die üblichen Regeln der Arithmetik: Wenn 'α = -', dann '-α = +', da 'minus' mal 'minus' 'plus' ergibt; wenn 'α = +', dann '-α = -', da 'plus' mal 'minus' 'minus' ergibt. (+ mal - = -, - mal - = +).

47

Dissimilationsregeln können wie Assimilationsregeln partieller, totaler, regressiver oder progressiver Natur sein und als Kontakt- oder Ferndissimilation klassifiziert werden. Vor folgendem Mißverständnis sollte man sich hüten: In einer phonologischen Regel mit Alpha-Variablen zeigt Alpha keineswegs an, daß ein so indiziertes Merkmal für die jeweilige Regel nicht relevant ist, - im Sinne der Interpretation, daß es gleichgültig ist, ob Alpha mit 'plus' oder 'minus' belegt wird. Variablen treten in der Phonologie inner paarweise auf; nicht wohlgeformt ist also eine Regel der Art: c phoch] +

[ahint]/



+dau +sth

Völlig in Ordnung ist jedoch eine Regel wie:

c

acor Bant yhint

+nas

+obstr acor Bant yhint

β, γ, δ etc. sind Variablen wie Alpha, die man eben einführt, wenn mehrere Merkmale assimiliert warden. Das paarweise Auftreten von Variablen verweist auf den assimilatorischen Charakter eines Prozesses; hierbei könnt es sehr wohl darauf an, welcher Wert den einzelnen Variablen zukommt. Aufgabe

(16):

Hie heißt der durch die obige Regel ausgedrückte phonologische Prozeß?

e) Austauschregeln: Regeln, die Segmente wechselseitig austauschen, heißen

A u s t a u s c h -

r e g e l n . Beispiel:

(19)

Im Mittelengl. haben sich möglicherweise folgende Prozesse abgespielt: gespanntes u n d akzentuiertes i-*e, gespanntes u n d akzentuiertes u-»o, gespanntes u n d akzentuiertes e+i, gespanntes u n d akzentuiertes o+u. A n der Stelle, an der zu einem Zeitpunkt t also i steht, steht in t^ e, an der Stelle, a n der in t. e steht, steht in t^ i usw. Die einzelnen Segmente scheinen wechselseitig ausgetauscht w o r d e n z u sein.

Als Namelfarm für Austauschregeln erhalten wir: toMil ->- [-aM^/ ... wobei: '...' irgendein Kontext ist. Austauschregeln sind nicht mit Assimilations- oder Dissimilationsregeln zu verwechseln. Formal charakterisiert sie die Eigenschaft, daß ein Alphawert links van Pfeil den entgegengesetzten Wert rechts van Pfeil erhält.

48 Angenommen, im Mittelengl. hätten sich nur folgende Prozesse abgespielt: i +gsp +akz

->· e

~e +gsp +akz

+ i»

so ergäbe sich die Formalisierung:

tahoch] + [-ahoch] /

+gsp +akz -hint

Ist das Segment links von Pfeil [+hoch] (also ί), dann wird es rechts von Pfeil [-hoch] (also zu e), ist das Segment links van Pfeil [-hoch] [ei , dann wird es rechts vom Pfeil [-tfioch] (zu i ) . Wie leicht einzusehen, nuß bei Austauschregeln die Konvention vereinbart werden, daß sie nur einmal angewendet werden. Man könnte sonst die Ausgabe einer Regelanwendung jeweils wieder als Eingabe für eine neue Regelanwendung benützen und erreichte kein Ende der Ableitung.

eM.,

... usw.)

Aufgabe (17): a) Formulieren Sie die vollständige Regel für Beispiel (19)Γ b) In weiten Gebieten der Romania hatte sich folgendes vit. Vokalinventar ergeben: /i, e, ε, a, o , ο, u/. Im Nordkorsischen liegt dasselbe Vokalinventar vor, nur haben vit. e, ε, o, o und nordkors. e, ε, ο, ο eine komplementäre Distribution, d. h., an den Positionen, in denen im Nordkors. ε steht, steht im Vit. e, an den Positionen, in denen im Nordkors. e steht, steht im Vit. ε usw. Schematisch ergibt sich folgende Zuordnung zwischen vit. und nordkors. Vokalen: vit. :

i

k

i

n.-kors.:

e

ε

a

o

o

u

e

ε

a

o

o

u

1X1X1

Formulieren Sie eine phonologische Regel, die den Übergang von der vit. Vokaldistribution zur nordkors. beschreibt! c) Ist die junggrammatische Annahme, daß sich Sprachlaute grundsätzlich kontinuierlich verschieben (These des kontinuierlichen Lautwandels) mit Daten der geschilderten Art verträglich? f) Kontraktionsregeln: Regeln, die Kontraktionsprozesse (vgl. S. 32) abbilden, heißen t i o n s r e g e l n

K o n t r a k -

.

a) Kontraktionen treten häufig auf, wenn die zu kontrahierenden Vokalsegmente identisch sind. Die Bedingung 'Identität' schreiben wir unter die eigentliche Kontraktionsregel und erhalten: V

1V2 - V Bed.: V 1 = V 2

49 Beispiel: (20) Im It. wird der Plural maskuliner Nomina durch Anfügung des Pluralsuffixes i an den Stamm gebildet (auro 'Mauer' •* Pluralbildung ->- muri 'Mauern' usw.). Lautet der Stamm jedoch auf unbetontes i aus, dann wird das ebenfalls unbetonte Pluralsuffix ¿ mit dem i des Stammes kontrahiert (municipio 'Rathaus' -»• Pluralbildung •+ municipi i ·*• Vokalkontraktion -»• municipi 'Rathäuser') .

b) Etwas schwieriger sind Kontraktionen von zwei nicht identischen Vokalen zu beschreiben. Angenommen, es gelte einen Prozeß der Art ai •*• ε zu formaiisieren, wobei der kontrahierte Vokal die 'Tiefe' des ersten und die nicht-hintere Artikulation des zweiten beibehält, so enpfiehlt es sich, ein explizit t r a n s f o r m a t i o n . e l l e s R e g e l f o r m a t zu wählen. Wie in der Syntax schreibt man: (Strukturbeschreibung)

SB:

V -hoch +tief +hint -rund_

V +hoch -hint -rund

1 (Strukturveränderung)

SV: 1 2 •*• [-hint] ' [0.

Diese Farmalisierung drückt aus, daß Segment 1 (a) [-hint] und Segment 2 (i) getilgt wird, womit das Segnent [V, -hoch, +tief, -hint, -rund], d. h. ε entsteht. In den bisher erörterten Kontraktionen hatten wir jeweils eine Sequenz von zwei identischen Segmenten vorausgesetzt. Sollte jedoch eine Sequenz der Art Vokal plus Gleitlaut (VG) oder GV zu nur einem Segnent vereinfacht werden, so spricht man meist nicht von Kentraktion, sondern von M o n o p h t h o n g i e r u n g . Fornai ist eine Mcncphthongierung wie eine Kontraktion zu beschreiben, g) Metathesenregeln: Regeln, die Segmente permitieren, heißen M e t a t h e s e n r e g e l n . Man braucht sie zur Beschreibung von Metathesen (vgl. S. 32). In nicht-indoeuropäischen Sprachen ist Metathese gelegentlich ein völlig regulärer Prozeß. Beispiel: (21) (vereinfachte Darstellung nach Chomsky/Halle, S. 358f) Im Kasem liegen im Singular und im Plural verschiedene Nominalstämme vor. Ζ. B. im Singular pia+a und im Plural pai+i, wobei a und i Singular- und Pluralmorphem sind. Hill man diese verschiedenen Stämme nicht wie Suppletivstämme beschreiben, dann muß man postulieren, daß sie in metathetischer Beziehung stehen. Wählt man pia - aus Gründen, die hier vernachlässigt werden sollen als zugrundeliegenden Stamm aus, dann ist der Pluralstamm pai per Metathese abzuleiten.

Reim Versuch der Parimi 1 slerung von Beispiel (21) könnte man vorerst auf folgende Notation kennen: ia •+· ai.

50

Offensichtlich ist eine Metathesenregel in dieser Form gar nicht formalisiert! Man wählt deshalb - wie bei Kontraktionen - ein Regelformat, das den transformationeilen Charakter einer Metathese (Permitationstransformation) explizit ausdrückt. ν 1 2 3 SV: 12 3 + 2 1 3 Die Strukturbeschreibung von Segment 2 erklärt sich dadurch, daß Segment 2 entweder ein Vokal oder ein Gleitlaut (vgl. S. 11) sein kann, h) Diphthangierungsregeln: Regeln, die ein Segment diphthongieren, heißen D i p h t h o n g i e r u n g s regeln . Da ein Diphthong die Struktur *VG hat (vgl. S. 36) kann eine Diphthongierung als Insertion eines Gleitlautes interpretiert werden. Diphthongierungsregeln sind deshalb ein Sonderfall von Insertionsregeln. Angenommen, es gelte z. B. zu formalisieren, daß betontes e zu [je] diphthongiert, so ergibt sich: ν 0 + j/

3.

+tief -hint +akz

NOTATICNSKONVEOTIONEN UND EINFACHHEITSKRITERIUM

Man kann sich fragen, was die Notaticriskonventionen der generativen Phonologie überhaupt sollen. Da sich mittels Notationskonventionen (z. B. durch die Zusammenfassung von Regeln zu einem Regelschema) formal einfachere Darstellungen erzielen lassen, wollen wir uns die Rolle des Begriffes 'Einfachheit' in linguistischen Argumentationen ein wenig genauer ansehen. 3.1

Formale Einfachheit:

Die Notationskcnventionen sind - im Gegensatz zu einer häufig zu hörenden Vernutung - keinesfalls Selbstzweck oder nur ein ästhetisch motivierter Darstellungstrick. Ihre Funktion ist vielmehr, Generalisierungen auszudrücken. Was das heißen soll, können wir uns leicht vor Augen führen, wenn wir uns an die Diskussien von 'natürliche Klasse' erinnern: Je weniger Merlanale zur Kennzeichnung einer Klasse erforderlich sind, je natürlicher und genereller die Klasse also ist, desto formal einfacher ist sie

51

darzustellen. Das scheint trivial zu sein, ist es aber nicht ganz, wenn man sich überlegt, welcher Anspruch damit verbunden wird, nämlich: Die Kcrrplexität einer Notation soll direkt den Grad einer linguistischen Generalisierung oder Vereinfachung spiegeln. Warum diese Forderung? Man niimrt an, daß das Kind bei der Spracherlernung und auch der erwachsene 'native speaker' seine Granmatik möglichst ökonomisch, d. h. einfach aufzubauen und zu organisieren versucht. Dies ist natürlich eine starke Annahme, die keiner direkten Beobachtung zugänglich ist, aber sie hat sich bewährt bei der Interpretation einer Vielzahl sprachlicher Erscheinungen. Vor allem im Bereich des Sprachwandels lassen sich verschiedene Entwicklungen beobachten, die ohne Rekurs auf ein Einfachheitskriterium kaum plausibel gemacht werden können. Ein Beispiel aus der frz. Sprachgeschichte möge das verdeutlichen: Im frühen Mfrz. werden Nasalvokale nasaliert, wenn sie vor einem Nasalkonsonanten stehen, überdies verstimmen Nasalkanscnanten im Auslaut oder vor einem weiteren Konsonanten, d. h. es liegt folgender Regelsatz vor: Rj

ν -ν [+nas]/

R2

ν

0 /

Ν {J}

Die Ableitung von [fàte]/ohantei> //ante/ ->· R 1

[/ante] ·+• R2

sieht also wie folgt aus: [Jäte].

Gegen Ende des Mfrz. macht sich eine Neuerung bemerkbar: im Kontext /

NV

werden ehemals nasalierte Vokale denasaliert. Fügen wir demnach dem obigen Regelsatz eine Denasal i erungsregel hinzu, so erhalten wir: Rj

V •*• [+nas]/

R2

Ν

R

Γΐ Ι - [-nee]/ |_+nasj

3

0 /

Ν {jj} ·NV

(Ζ. B. ehemaliges [bòna]/bonne

wird durch R^ zu [bona].)

Dieser Regelsatz generiert genau die gleichen Farmen, die auch im modernen Frz. vorliegen, also ζ. B. [bon(a)], [/àte], [ f i ] / f i n usw. (Von der Veränderung der Vokalqualität haben wir abgesehen; sie könnte einfach durch weitere Regeln, die schon für das späte Afrz. anzusetzen sind und sich bis heute erhalten haben, beschrieben werden.) Es stellt sich nun die Frage, ob der Pegelsatz R^, Έ^, R 3 , den wir G 1 nennen, auch noch im modernen Frz. vorliegt. Dies kann leicht entschieden werden anhand von R ^ da es im modernen Frz. keinerlei Grund gibt, eine Denasalierungsregel anzusetzen, kann G 1 auch nicht

52

die Nasallerungsverhältnlsse im modernen Frz. zu beschreiben beanspruchen, obwohl G1 genau die modernen frz. Formen aufzählt« Offensi.chtli.cii wird Im modernen Frz. nur darin nasaliert, wenn ein Oralvokal vor einem Nasalkcnsonanten steht und auf den Nasalkonscnanten ein weiterer Konsonant oder eine Wbrtgrenze folgt (ζ. B. /fin/ •+ [fe], /distirikt/ •* [distêkt]). Für das moderne Frz. ist also mit dem Pegelsatz G 2 zu rechnen: R. · V 1

R2

[+nas]/ Ν {η} ~c~ * Ν -»· 0 / φ

Wir stehen sanit vor folgender Problematik: In der historischen Entwicklung ergibt sich der Regelsatz G^. G^ ist jedoch nicht brauchbar für das moderne Frz., sondern nur G2· Deshalb nuß die Entwicklung G1 => G 2 motiviert werden. Dies gelingt nun nicht mit einem eventuellen Verweis auf den Output von G^ und G2, denn G^ und G 2 haben denselben Output, d. h. erzeugen dieselben abgeleiteten Segmente. Solche Grammatiken nennt man s c h w a c h - ä q u i v a l e n t . Der Unterschied zwischen G^ und G 2 liegt nur in ihrer jeweiligen formalen Komplexität. G 2 ist insgesamt einfacher als G^. Die Entwicklung G1 => G 2 kann scmit interpretiert werden als einfachheitstheoretische Wahl zugunsten voi G2, die im Laufe der Spracherlernung vollzogen wurde. Dieses Beispiel zeigt recht deutlich, daß das Einfachheitskriterium kein Prokrustesbett darstellt, das generative Linguisten apriorisch auf sprachliche Phänomene projizieren; vielmehr ist das Einfachheitskriteriun ein empirisch fundiertes Konzept, dem allen Anschein nach psychische Realität zukamt. Un aber linguistische Beschreibungen überhaupt einfachheitstheoretisch beurteilen zu können, benötigt man Notationskonventicnen. 3.2

Substantielle Bedingungen:

Leider hat sich herausgestellt, daß die Evaluation von schwach-äquivalenten Grairmatiken nicht immer so einfach ist wie im Falle von G^ und G2. Zum einen kann man beobachten, daß sich intuitive Vereinfachungen notationeil gelegentlich nicht als Vereinfachungen niederschlagen; zum anderen scheint formale Einfachheit nicht immer mit psychologischer Einfachheit zusammenzufallen. (Formalisierung und Evaluation stecken in der Linguistik eben noch in den Kinderschuhen. ) Hieraus darf man aber nicht schließen, daß die Linguistik ohne ein Einfachheitskriterium auskäme. Vielmehr scheint es auf folgendes anzukommen:

53

a) formale Einfachheit nuß noch adäquater erfaßt werden und b) formale Einfachheit nuß durch s u b s t a n t i e l l e Bedingung e n über die psychologische Realität einer Beschreibung ergänzt werden. Die Erforschung solch substantieller Bedingungen hat noch zu keinen konkreten Ergebnissen geführt, so daß wir nicht lange herumspekulieren wollen.4 Es sollte dennoch einsichtig sein, daß eines der Fernziele der generativen Phonologie, nämlich ein Verfahren zu entwickeln, das eine Evaluation zwischen schwachäquivalenten Grammatiken erlaubt - man spricht in diesem Zusanmenhang von der sog. E v a l u a t i o n s p r o z e d u r -, schematisch wie folgt dargestellt werden kann: Fig. 8

formale Einfachheit plus substantielle Bedingungen

(G1, G2, G n sind konkurrierende, schwach-äquivalente Grammatiken und G^ ist die am höchsten bewertete, optimale Grarrmatik.) Die Ausarbeitung einer expliziten Evaluationsprozedur ist wichtig, weil sich die Problematik einer Auswahl zwischen alternativen Grammatiken nicht nur dan Kind bei der Spracherlernung, also bei der Grammatikkonstrukticii, sondern auch dam Linguisten bei seiner Aufgabe, die Kanpetenz eines Sprecher/Hörers in einer Grammatik rational nachzukonstruieren, stellt. Wir wollen damit unsere Aimerkungen zum Thema 'Notationskonventionen und Einfachheitskriterium' abbrechen; verzichten konnten wir auf diese skizzenhafte Erörterung indessen nicht, da gerade dieser Bereich der generativen Phonologietheorie gelegentlich in grotesker Weise mißverstanden wird. 4.

FEPRSSENEATICNSEEENEN

4.1

Zugrundeliegende versus abgeleitete Repräsentation:

Wir haben bisher drei verschiedene Repräsentationsebenen betrachtet: a) die binäre phonologische Repräsentation b) die binäre phonetische Repräsentation c) die mehrwertige phonetische Repräsentation Die mehrwertige phonetische Repräsentation berücksichtigen wir, wie gesagt, nicht 4

Interessante Überlegungen hierzu finden sich jedoch in Kiparsky (1972). Auch wurde versucht solche Bedingungen in Form von natürlichen Regeln zu erfassen; siehe dazu 111,4.

54

welter. Zu klären bleibt jedoch noch die Natur der Beziehung zwischen a) und b) sowie die Funktion von a). Vorerst führen wir folgende Terminologie ein; wir nennen a) s y s t e m a t i s c h p h o n e m i s c h e oder z u g r u n d e l i e g e n d e Repräsentationsebene und b) s y s t e m a t i s c h p h o n e t i s c h e oder a b g e l e i t e t e Repräsentationsebene. 1) Zugrundeliegende Repräsentationsebene: Wozu braucht man eine zugrundeliegende Repräsentationsebene? Die zugrundeliegende Repräsentaticnsebene ist wesentlich abstrakter als die systematisch phonetische und dient zur Beschreibung genereller, innerer Zusammenhänge der Lautstruktur. Ein Vergleich mit der transformatianellen Syntax drängt sich hier auf: Auch in der syntaktischen Beschreibung arbeitet man mit zwei verschiedenen Repräsentaticnsebenen, der (abstrakten) Tiefenstruktur und der (konkreten) Oberflächenstruktur. Tatsächlich kann man zugrundeliegende Repräsentationen als '{Monologische Tiefenstruktur1 und abgeleitete Repräsentationen als 'phcnologisehe Oberflächenstruktur' auffassen. Wie in der Syntax lassen sich auch in der Phonologie bestürmte Regularitäten ohne Zuhilfenahme einer abstrakten Repräsentationsebene nicht adäquat beschreiben. Wenn man z. B. A l t e r n a t i o n e n der Art [tak] ^ [tagéi/Tag, Tage (die Vokalquantität in [ta:k] usw. berücksichtigen wir im gegebenen Zusanmenhang nicht) analysieren will, stellt sich die Frage, in welcher Form das Morphem ι Tag im Lexikon steht ([tak] oder [tag] oder beides zugleich?). Nähme man beide Oberflächenformen von Tag (sog. A l l o m o r p h e in strutturali sti scher Terminologie) in das Lexiken auf, so blähte man nicht nur das Lexiken unnötig auf, sondern man beschriebe reguläre Alternationen wie nicht regulär alternierende Formen der Art bon/mieux, go/went, gut/besser und dgl., die zweifelsohne doppelstärrmig sind. Will iran indessen die Regularität ven Altemationen ausdrücken, dann kann man nicht zwei distinkte L e x i k o n e i n t r ä g e z. B. für Tag annehmen. Vielmehr wird man eine der beiden Oberflächenfarmen auswählen, zur z u g r u n d e l i e g e n d e n F o r m erklären und die andere aus der zugrundeliegenden Form mittels einer oder mehrerer phcnologischer Regeln ableiten. Welche Form man als zugrundeliegend auszeichnet, bemiflt sich vor allem an der Einfachheit der resultierenden Beschreibung. Am Einfachsten wird die Beschreibung von Alternational der Art [tak] ^ [tags] usw., wenn wir folgende,

55 vorläufig noch Informelle phonologische Regel postulieren: Im Deutschen werden Konsonanten stimmlos, wenn sie (suf der Oberfläche) in den Auslaut kunuen* Wir nehmen also an, daß im Lexikon nur /tag/ aufgelistet ist und leiten die Form [tak] mittels der angegebenen Regel aus zugrundeüegendan /tag/ ab. Die Symbolik /tag/, [tak] ist wie folgt zu verstehen: Die Schrägstriche '//' zeigen an, daß es sich um eine zugrundeliegende Form handelt;

1

tag1 ist als informelle Abkürzung der entsprechenden phonologischen

Matrix zu verstehen; die eckigen Klanmern ' [] ' vmfassen

a b g e l e i t e t e

F o r m e n . Durch die Einführung einer zugrundeliegenden Repräsentationsebene in die phonologische Beschreibung haben wir folgendes erreicht: a) Reguläre und nicht-reguläre Alternationen werden nicht in gleicher Weise beschrieben. b) Die Regularität der Beziehung zwischen alternierenden Formen kann ausgedrückt werden. c) Das Lexiken wird vereinfacht, da nicht jede Ctoerflächenfarm im Lexiken steht, a), b) und c) entspricht die lernthearetische Annahme, daß reguläre Alternationen nicht einzeln gelernt werden. Man nimmt vielmehr an, daß das Kind bei der Spracherlernung eine Hypothese bildet über die Regularität der Beziehung zwischen alternierenden Formen, also versucht, die jeweilige zugrundeliegende Form zu bestürmen und die entsprechende Regelmenge zu intemalisieren, welche die grammatischen Oberflächenrealisierungen aufzählt. In einer taxonemisehen Phonologie, die keine zugrunde liegende Repräsentationsebene ansetzt, ist es nicht möglich, a), b) und c) Rechnung zu tragen. 4.2

Wie abstrakt dürfen zugrundeliegende Formai sein?

Die Abstraktheit zugrundeliegender Formai hängt von zweierlei Kriterien ab: von der Alternationsbedingung und von Gesichtspunkten der größtmöglichen Einfachheit der Beschreibung. 4.2.1

Die Alternaticnsbedingung besagt, daß genau dann zugrundeliegende For-

men anzusetzen sind, wenn Alternation vorliegt. Die Alternationsbedingung definiert also die Menge der Fälle, in denen überhaupt mit zugrundeliegenden Formen, die ven ihrer jeweiligen Oberflächenrealisierung verschieden sind, zu rechnen ist. Die Alternaticnsbedingung stellt insofern auch eine Bedingung dar, welche die Abstraktheit zugrundeliegender Farmen einschränkt, d. h., sie legt fest, daß sich zugrundeliegende Formai nicht beliebig von ihrer Oberflächenrealisierung unterscheiden; ist nänlich keine Alternation zu beobachten, dann ist die Oberflächenform mit ihrer zugrundeliegenden identisch.

56 Beispiel: (22) Bekanntlich geht frz. [y] in Lexemen wie ζ. B. sûr, aur, dur / [syr], [myr], [dyr] usw. auf lt. u zurück. In einer synchronen frz. Phonologie wäre es aber unangebracht, von zugrundeliegendem /mur/, /sur/, /dur/ etc. auszugehen und diese Formen mittels der Regel: "Transformiere zugrundeliegendes /u/ zu [y]" in [syr], [myr], [dyr] usw. umzuformen. Ein solches Vorgehen würde gegen die Alternationsbedingung verstoßen. Es gibt eben im Frz. keine Alternationen der Art s[y]r • Vokalabschwächung und b^v/V V •* kantavâmus •* Rj ->· kantsámu Gleitlautbildung V ->· kantjàmus -*• R| (R^ kann nicht angewendet werden, da j ein Palatal ist) -+·... ahantiens. Man könnte nun meinen, daß die Redeweise "R2 wird in Dj vor R^ angewendet" unsinnig ist, da Rj in der vorgeführten Ableitung gar nicht appliziert. Dan ist jedoch nicht so, denn generell, d. h. für die Ableitving anderer Formen von Dj wie z. B. chantons •*• cantamus usw. braucht man Rj sehr wohl. Die phonologisehen Komponenten von D^ und Dj enthalten also R^ und R^· nur kann in Dj Rj auf manche Farmen nicht angewendet werden, die, sie in D^ erfaßt. Diese Einschränkung resultiert aus einer verschiedenen Regelordnung: In D^ appliziert Rj vor R2, in Dj ist die Reihenfolge ungekehrt. Im Falle von Rj vor R2 ergibt sich chantions, andernfalls ahantiens. Was zeigen uns diese Beispiele? Offensichtlich müssen wir danit rechnen, daß sich Sprachen oder Dialekte hinsichtlich der Regelordnung ihrer ansonsten identischen Regeln unterscheiden können. Unterschied 1, i che Regelordnungen bewirken meist Unterschiede des Outputs der Gratmatik, also Sprach- oder Dialektunterschiede. Diese Möglichkeit der sprachlichen Differenzierung wurde in der prägenerativen Linguistik nicht gesehen.

64 5.4

Veränderungen der Regelordnimg:

Es hat sich gezeigt, daß synchron differierende Regelordnungen oft auf diachron identische Regelordnungen zurückführbar sind. Deshalb müssen wir die Phonologietheorie so konzipieren, daß die Möglichkeit ναι Veränderungen einér Regelordnung nicht ausgeschlossen wird. Natürlich stellt sich jetzt die Frage, ob solche Veränderungen gesetzmäßig verlaufen oder willkürlich sind. Kiparsky (1968) kennte Gesetzmäßigkeiten der Veränderung eines bestürmten Typs von Regelordnung nachweisen. Er unterscheidet zwischen m a r k i e r t e r u n m a r k i e r t e r bleeding

Regelordnung, oder auch zwischen

order.

und

f e e d i η g und

(Beide Redeweisen bedeuten dasselbe und sind in der

generativen Phonologie allgemein üblich.) Eine Regelordnung ist urmarkiert, wann die Avisgabe einer Regel Eingabe einer anderen ist, andernfalls markiert. Eine Ordnung R^: A-+B/C F

D vor Rj : B->C/

G ist also unmarkiert, während Rj vor R^ markiert ist. Wenn nun eine Änderung der Regelordnung zu beobachten ist, dann verläuft sie

grundsätzlich in Richtung von der markierten zur unmarkierten Ordnung, d. h. markierte Regelordnungen werden abgebaut. Anders gesagt: Phcxiologische Regeln tendieren zu einer Ordnung, die ihre maximale Applikation erlaubt. Sehen wir uns die Regelordnung von Rj und R^ in den eben diskutierten afrz. Beispiel nochmals an! In Dj, der älteren Dialektgruppe (das weiß man, weil in den ältesten Texten nur -iens auftaucht), appliziert Rj vor Rj, wobei R2 einen Output erzeugt, auf dai nach der Applikation von a->-j/

V R^ nicht mehr angeweidet

werden kann. Die Ordnung Rj vor R^ ist somit markiert. In der historisch jüngeren Dialektgruppe D^, die sich durch Veränderung der ursprünglichen Regelordnung herauskristallisiert, liegt die Ordnung R^ vor R2 vor. Die Ordnung R^ vor K^ ist urmarkiert, veil der Output von Rj zugleich den Input für R^ darstellt. Da im Falle einer Veränderung der Regelordnung eine markierte zu einer unmarkierten wird, hat sich im modernen Frz. —ions als Imperfektendung der 1. Pers. Plural durchgesetzt. Ganz ähnlich ist das alan. Beispiel (vgl. S. 62) zu interpretieren: Dialekt A ist konservativer als Dialekt B, da in A die Regel R^ die Regel Rj 'schröpft', d. h. ihr einen Teil des Inputs wegnimtrt. Die Ordnung R^ vor Rj ist sanit markiert (z. B. kann Rj in A die Form böda nicht erfassen). Die historisch jüngere Ordnung in Β mit Rj vor R^ ist unmarkiert, da Rj einen Output hat, auf den R^ applizieren kann, d. h. Rj und R^ applizieren maximal. In einigen neueren Publikationen sah sich Kiparsky aufgrund verschiedener Einwände gegen seine ursprüngliche Theorie gezwungen, die Konzepte 'feeding' und 'bleeding* etwas umzuinterpretieren und in einen theoretisch weiteren Zusammen-

65 hang einzupassen.6 Diese Weiterentwicklungen sind aber nicht verständlich ohne die ursprüngliche Theorie, die man deshalb nach wie vor kennen sollte. 5.5

Zyklische versus nicht-zyklische Regeln:

Was wir bisher zun Thema 'Phonologie' gesagt haben, bezog sich fast ausschließlich auf die Ebene phonologiseher Segmente; so diskutierten wir die Frage, wie Segmente mittels distinktiver Merkmale darzustellen sind, wie aus zugrundeliegenden Segmenten mit Hilfe geordneter phonologischer Regeln Cberflächensegmente abzuleiten sind und dgl. Zusarmenfassend läßt sich dieser Bereich der Phonologie als s e g m e n t a l e

Phonologie

ansprechen.

Daneben gibt es jedoch Phänomene, die nicht einzelnen Segmenten, sondern größeren Einheiten zukamen. Man denke ζ. B. nur an den Intcnationsverlauf oder an die Akzentverteilung. Es ist ja nicht so, daß ein mehrsilbiges Wort nur einen Akzent hat, sondern wir müssen zwischen verschiedenen Ausprägungen des Akzents unterscheiden

(Hauptakzent,

Nebenakzent

usw. ). Drücken

wir den Hauptakzent durch eine ' 1 ' über dam primär betonten Vokal aus, dai Nebenakzent durch '2' sowie schwächere Akzentuierungen durch '3' usw., so ergibt sich für z. B. engl, theatricality die Darstellung: 32 1 theatricality Es wurde vorgeschlagen, daß die Akzentverteilung generell mit Hilfe scher

zykli-

Regeln zu analysieren ist. Was aber ist eine zyklische Regel? Eine

Regel ist zyklisch, wenn sie in Abhängigkeit von der syntaktischen oder derivationanorphologischen Struktur eines Ausdrucks so oft angewendet wird, als ihre Strukturbeschreibung erfüllt ist. Was das heißen soll, können wir uns verdeutlichen, wenn wir die Akzentverteilung in z. B. theatricality darzustellen versuchen, theatricality hat folgende Struktur: Im Gesarrtausdruck steckt auf jeden Fall das Neman theatre; verkettet man thecctre mit -io und -al , so erhält man das Adjektiv theatrical', wird dieses Adjektiv wiederum mit -i und -ty verbunden, so ergibt sich das derivierte Ncmen theatricality. Mit der aus der Syntax bekannten Klaimernotation können wir also schreiben: W N * * * * N]iC + 9 1 A]i + webei: Ν = Ncmen und A = Adjektiv. Jetzt setzen wir voraus, daß es im Engl, (wie in jeder Sprache) eine Wartakzentuierungsregel R^ gibt, überdies vereinbaren wir die Konvention, daß zykli6

Vgl. hierzu 'Historical Linguistics" sowie 'Abstractness, Opacity and Global Rules 1 .

66

sehe Regeln zuerst in der Innersten Klarmer operieren und sich per Klanmertilgung von innen nach außen durcharbeiten, bis sie die Dcmäne innerhalb des äußersten Klanmerpaares erreicht haben. Im ersten Regeldurchgang weist R^ folglich dem ersten Vckal des Nanens theatre, das in der innersten Klatmer steht, den Hauptakzent zu; hierbei wird die linke und rechte Klarmer von theatre getilgt. Das nun in der innersten Klanmer stehende Mjektiv theatrical erfüllt wiederum die Strukturbeschreibung von R^; im zweiten Regeldurchgang oder Zyklus erhält somit der zweite Vckal von theatrical den Hauptakzent. Peinlicherweise hat aber theatrical keine zwei Hauptakzente, sondern nur einen auf dan a. Wir vereinbaren deshalb eine zweite Konvention für das Operieren zyklischer Regeln: Wenn ein Vokal innerhalb eines Klanmerpaares dai Akzentwert η bekennt, dann wird allen anderen Vokalen innerhalb desselben Klatmerpaares automatisch der Wert n+1 zugewiesen. Mit dieser Konvention erhalten wir nicht ungrammatisches *theatrical, sondern: 21 theatrical

(Da a im zweiten Zyklus den Wert n=1 bekennen hatte, mußte e den Wert rH-1, also 2 erhalten.) Der gesamte Prozeß (Akzentzuweisung, Reduktion der in vorausgegangenen Zyklen entstandenen Akzentwerte, Klaimertilgung) wird im dritten Zyklus wiederholt. In einer ein wenig formaleren Darstellung wird das Akzentmister von theatricality also wie folgt abgeleitet: [

Ν* [ Α [ Ν

theatr

1 21 32

N1ÌC

+ al

A]

1 + ty

V 1. Zyklus 2. Zyklus 3. Zyklus

1

Intuitiv gesprochen heißt 'zyklische Anwendung der Akzentregel' nur, daß das Akzentmuster eines kcnplexen Wortes Funktion der Akzente der einzelnen Morpheme ist, aus denen sich das Wort zusammensetzt. Unstritten ist in der generativen Phänologie die Frage, welche Regeln in einem Zyklus angeordnet werden können. Narmalerweise nixtmt man an, daß nur Akzentregeln in zyklischer Weise applizieren.7 Aufgabe (19): Motivleren Sie, wieso in dt. Aberglaube

7

der Hauptakzent nicht auf Glaube

Weiterführende Literatur zur Frage zyklischer Regeln: Brame (1972), sowie Bresnan (1973).

liegtI

67

5.6

Extrinsische versus intrinsische Hsgelordnung:

In der gegenwärtigen Phonologiediskussion gibt es eine relativ vehemente Auseinandersetzung über die Problematik 'Hegelordnung1. Manche Theoretiker wandten gegen die bisher geschilderten Annahmen ein, daß sie es nicht erlauben, die Regelordnung in einer Ableitung^ unabhängig von den jeweiligen sprachspezifischen Daten^ festzulegen. In Wirklichkeit seien Regeln ungeordnet, applizierten also simultan, oder die Reihenfolge ihrer Applikation sei aus universellen Prinzipien über Regelardnung abzuleiten. Eine solche Theorie nennen sie i n t r i n s i s c h , während in ihrer Terminologie die 'klassische' Regelordnungstheorie als e x t r i n s i s c h bezeichnet wird. 'Extrinsisch' deshalb, weil in dieser Theorie - man erinnere sich ζ. B. an die Diskussien der Verteilung von -ions vs. -iene in D^ und Dj - die Reihenfolge der einzelnen Regeln quasi von außen her, van analysierenden Linguisten auf die Grantnatik projiziert wird, nicht aber aus universellen, intrinsischen Hegelordnungsprinzipien folgt. Die meisten Fälle, bei denen bisher extrinsische Regelordnung postuliert wurde, lassen sich auch intrinsisch beschreihen. Man bezahlt eine intrinsische Analyse aber regelmäßig mit einer beachtlichen Kanplizierung der Kontextangaben der einzelnen Regeln, webei häufig sogar recht unnatürliche Klassen in den jeweiligen Kontexten auftauchen, überdies kennte innerhalb einer intrinsischen Regelordnungstheorie noch nicht plausibel gemacht werden, wie Fälle von Sprachen, die sich - extrinsisch gesprochen - nur bezüglich der Regelardnung unterscheiden, adäquat zu analysieren sind. ρ Der Streit 'intrinsisch vs. extrinsisch' ist noch keineswegs entschieden. Wir glauben allerdings nicht, daß die Granmatiktheorie ohne extrinsische Regelardnung auskamen wird. 6.

AUSNAHMEN UND IRREGULARTEKŒD

Eine Sprache L^ besteht nicht nur aus Regularitäten, sondern teilweise auch aus Irregularitäten. Irregularitäten einer Sprache L^, die sich in einer Grarmatik niederschlagen, nennen wir A u s n a h m e n . Da eine Graimatik in formaler Hinsicht eine Menge von Regeln darstellt, gibt es keine Ausnahmen an sich, sondern nur Ausnahmen zu einer oder mehreren Regeln der Grannatik. 'Ausnahme' ist ein mindestens zweistelliges Prädikat. Unter 'Ausnahme' wollen wir also Formen verstehen, die von generellen Regeln der Grarmatik nicht generiert werden können. 8

Weiterführende Literatur hierzu: Koutsoudas/Sanders/NOll (1971) sowie Dressler (1972).

68

6.1

Negative Ausnahmen:

Zweierlei Fälle von Ausnahmen lassen sich denken und auch enpirisch belegen. Im ersten Fall hat eine Sprache ζ. B. die Regel: (i) A •+• B/c

D

Nun gibt es in der Sprache L^ aber einige A, die im Kontext C D nicht verändert werden. Dieses Verhalten einiger A, d. h. die Tatsache, daß alle A zwar die Strukturbeschreibung von (i) erfüllen, aber einige A von (i) dennoch nicht abgearbeitet werden, kennzeichnen wir durch die Aussage: Einige A sind Ausnahme bezüglich Regel (i). Formal notieren wir diese Aussage durch: [-R(i) ]. Verbalisierung: 'minus Regel (i)1 oder 'Regel (i) wird nicht angewendet'. Wir nehmen also an, daß denjenigen A, die von Regel (i) nicht erfaßt warden, im Lexikon das Markmal [-R(i)] zugeordnet ist. Ausnahmen dieses Typs nennt man n e g a t i v e Ausnahmen. ('Negativ' deshalb, weil sie durch negativ spezifizierte Merkmale gekennzeichnet werden.) Ein Merkmal der eingeführten Art, das weder spezifisch syntaktisch, sanantisch, morphologisch oder phonologisch ist, sondern für gewisse Lexikoneinträge die Nichtanwendung einer Regel anzeigt, heißt R e g e l m e r k m a l . Regelmerkmale sind wie sonstige klassifikatorische Merkmale binär, d. h., es gibt nur die beiden Möglichkeiten: [+R(x) ] oder [-R(x)]. [+R(x)] heißt trivialerweise nur: 'Regel (x) wird angewendet'. Folgendes gilt es jedoch zu beachten: Bei der Beschreibung von Regularitäten ist ein Merkmal der Art [+R(x)] redundant. Zwar wird es per Konvention allen regulären Lexikoneinträgen zugeordnet, jedoch notationeil nicht avisgedrückt. Mit Regelmerkmalen werden nur Ausnahmen versehen. Dieses Vorgehen der generativen Grammatik ist nicht einfach ein notationstechnischer Einfall, sondern kann enpirisch gut motiviert werden. Ausnahmen sind lerntheoretisch katplexer oder schwieriger als reguläre Fälle, was z. B. allein schon die Beobachtung von kindersprachlichen Daten nahelegt. Vgl. z. B. er gehte, he goed3 vous ¿Lisez anstelle von er ging, he went3 vous dites usw. (wcbei die kinder^

sprachlichen Formen jeweils regulär sind), die im Prozeß der Spracherlemung regelmäßig vor der endgültigen Erwerbung der korrekten Formen auftauchen. Da Regelmerkmale zur Kaiplexität eines Lexikoneintrags beitragen, stellt das Vorgehen generativer Grammatiker, daß reguläre Lexikoneinträge nicht, irreguläre aber mit Regelmerkmalen versehen werden, einen Explikationsversuch der Intuition eines Sprecher/Hörers dar; diese Intuition dürfte sich ja unter anderem darin

69

manifestieren, daß unregelmäßige Formen als 1 schwieriger' beurteilt werden als reguläre. Die Irregularität cader 'Schwierigkeit' einer Fornu hat in der generativen Phonologie ein direktes Korrelat in der Komplexität des ihr entsprechenden Lexikoneintragesi. Falls im Laufe der Spracherwerbung oder der Sprachgeschichte Farmen regulär werden, wird ihr Lexikoneintrag vereinfacht; falls Formen irregulär werden, wird ihr Lexikcneintrag verkompliziert. Formal stellt sich eine solche Vereinfachung oder Verkcnplizierung als Tilgung oder Hinzufügung vcn Regelmerkmalen dar. Beispiel: (28) Im Dt. scheint folgende Bedingung zu gelten: Nach einem ungespannten, akzentuierten Vokal kann nur ein stimmloser Obstruent oder ein Liquid kommen (Hütte, Bitte, Wetter, If as ser, Welle, Wille und dgl.). Diese Regularität wird jedoch von einer kleinen Gruppe von Morphemen meist niederdt. Herkunft wie Roggen, Ebbe, Kladde usw. durchbrochen. Will man diesen Sachverhalt berücksichtigen, dann muß man entweder auf die Formulierving der angegebenen Regularität verzichten, oder die Ausnahmegruppe in geeigneter Weise in die Beschreibung einbeziehen. Wenn wir der obigen Morphemstrukturbedingung des Dt. die Nuraner (i) zuweisen, so können wir die Klasse negativer Ausnahmen zu (i) kennzeichnen mit: [-MS (i)]. Wie an diesem Beispiel zu sehen, können nicht nur Ausnahmen zu phonologischen Regeln, sondern auch zu Redundanzbedingungen vorkommen. Die formale Behandlung von Ausnahmen bleibt davon unberührt. In SQddeutschland kann man oft hören, daß z. B. Roggen wie [rokan] ausgesprochen wird. Diese Aussprache läßt sich als Vereinfachung des Lexikoneintrags interpretieren, eben als Nichterwerbung des Roggen zugeordneten Regelmerkmals [-MS (i)].

6.2

Positive Ausnahmen:

Der zweite Fall ist komplizierter als die Analyse negativer Ausnahmen. Wir nehmen wiederum das Vorhandensein von Regel (i) an. Diesnal soll es aber einige A geben, die auch in einem anderen Kontext als C D, sagen wir E F, zu Β transformiert werden, - wobei der Großteil der A im Kentext E F erhalten bleibt. Wie leicht zu sehen, benötigt man ein besonderes Regelmerkmal, welches das irreguläre Verhalten bestimmter A kennzeichnet. Durch die Zuordnung von t-R(i) ] zu diesen A (wie im Falle negativer Ausnahmen) hätten wir nur ausgedrückt, daß einige A von R(i) nicht erfaßt werden; unausgedrückt bliebe der Sachverhalt, daß einige A im Kontext E F zu Β werden. Da auch die Annahme, daß diese A mit [+R(i) ] markiert werden, nicht zum gewünschten Ergebnis führt, benötigen wir eine stärkere Konvention. Offensichtlich genügt nicht nur ein Regelmerkmal im Lexikon, sondern die Regel selbst muß in Hinblick auf die zu erfassenden Ausnahmen charakterisiert werden. Es gibt bisher keine bessere Lösung, als die aus unabhängigen Gründen notwendige Regel (i) so zu modifizieren, daß sie als zusätzlichen Kontext das entsprechende Regelmerkmal [+R(i')] enthält, wobei dann folgendes Fegelschana entsteht:

TO C

D

E [+R(i ' ) ] F Ein solches Vorgehen bedeutet, daB wir In die Grammatik eine zusätzliche Einzelregel, nämlich R(i') eingeführt haben, deren Anwendung nur möglich ist, wenn ein Lexikeneintrag das Hegelmerkmal [+R(i')] hat. Irreguläre Lexikeneinträge, die mit einen positiven Hegelmerkmal versehen werden, das in einer Regel der Grammatik ebenfalls auftreten maß, hei Ben

p o s i t i v e

Ausnahmen. In gewissen Fällen kann es notwendig sein, eine mit einem positiven Regelmerkmal versehene Regel einschließlich des links vom Ungebungsstrich stehenden Teils neu in die Gramratik aufzunehmen, mämlich dann, wenn eine Transformation von Ρ zu Q in einer Sprache nur dann als Ausnahme verkannt, wenn Ρ ein R vorausgeht und ein S folgt. Man erhält dann eine Regel der Art: (ii) Ρ + Q/R [+R(ii)] s Beispiel für eine positive Ausnahme: (29) • Normalerweise wird im Englischen der Plural durch Anfügen von s oder es an den Nominalstamm gebildet. (Die Wahl zwischen s und es ist in Abhängigkeit von der phonologischen Natur des auslautenden Segments des Nomináis tanmes prädiktibel, jedoch lassen wir diese Problematik im gegebenen Zusammenhang außer acht.) Es gibt also mindestens folgende Regel: (1) [+Plural] -»• (e)s/Stamm+ Daneben existiert aber eine kleine Gruppe von Nomina, die den Plural per Umlaut bilden (ζ. B. foot/feet, goose/geese, tooth/teeth usw.). Nomina dieser Gruppe sind irregulär, da sie Ausnahmen zu (1) darstellen. Ihre Pluralbildung kann jedoch von einer Ausnahmeregel beschrieben werden, die wir ebenfalls nur informell angeben: (2) [+Plural] ->• Unlaut/

[+R (Umlaut) ]

(1) und (2) lassen sich zusammenfassen zu: (3) [+Plural] 1 Wir nehmen also an, daß engl. Nomina mit regulärer Pluralbildung kein Regelmerkmal zugeordnet wird; sie gehorchen automatisch Regel (1), die ja in (3) enthalten ist. Diejenigen Nomina, die den Plural mittels Umlaut bilden, unterliegen der Ausnahmeregel (2). Ein Nomen der Art ox/oxen, für das nicht einmal mehr eine Ausnahmeregel erstellbar ist, wird im Lexikon direkt angegeben. Svirmarisch haben wir folgende Behandlung von Ausnahmen vorgeschlagen: 1. Negative Ausnahmen werden im Lexikon mit negativen Regelmerkmalen versehen. 2. Positive Ausnahmen werden im Lexiken mit positiven Regelmerkmalen versehen, wobei das positive Regelmerkmal [+R(x)] in der Strukturbeschreibung der Regel R(x) auftreten muß.

71

3. Reguläre Lexikoneinträge gehorchen automatisch, also ohne die Angabe von Regelmerkmalen, denjenigen Regeln, deren Stxukturbeschreibung sie erfüllen. 6.3

Haupt- und Nebenregeln:

Regeln der Grammatik, die auf eine Mehrzahl von Lexikeneinträgen angewendet werden (ζ. B. (1)), nennen wir H a u p t r e g e l n . Regeln der Granmatik, die nur eine Minderheit von Lexikeneinträgen erfaßen (ζ. B. (2)), heißen N e b e n r e g e l n oder A u s n a h m e r e g e l n . Nebenregeln erfassen nur diejenigen Lexikeneinträge, die mit [-fNebenregel] spezifiziert sind; Hauptregeln erfassen alle Lexikeneinträge, bei denen nicht explizit festgestellt wird, daß sie Ausnahmen zu einer Hauptregel sind. In der Interpretation negativer und positiver Ausnahmen kemnt zun Ausdruck, daß die positiven wesentlich kcrplexer sind als die negativen, - eine Annahme, die intuitiv plausibel, aber bisher nicht durch detaillierte, enpirische Untersuchungen abgesichert ist. Eventuell ist aus diesen - und weiteren, hier nicht diskutierten - Gründen, die Behandlung von Ausnahmen im Rahman der generativen Phonologie noch nicht adäquat, jedoch gilt es festzuhalten, daß in anderen sprachwissenschaftlichen Theorien das Problem, das die Analyse von Ausnahmen jedem kohärenten Beschrei9 bungsversuch stellt, nicht einmal gesehen wurde. Meist verschanzte man sich einfach hinter der Beobachtung, daß natürliche Sprachen nicht durchgehend regulär sind und leitete daraus das unmotivierbare Postulat ab, daß es nicht auf eine exakte Beschreibung ankäme, oder noch forscher, daß eine exakte Beschreibung gar nicht möglich sei. Stellungnahmen dieser Art sind nur noch von wissenschaftshi stori schein Interesse. 6.4

Warum gibt es Ausnahmen?

Sieht man sich die Lexikeneinträge einer beliebigen Sprache L^ an, die sich nicht regulär verhalten bezüglich der phonologi sehen Kcmpcnente von L^, also Irregularitäten darstellen, so wird man bemerken, daß es sich meistens um Morpheme handelt, die eine relativ große Varkomtnisfrequenz haben (z. B. sp. bueno/mejor, frz. je vais/nous allons, dt. ich bin/iah war, it. vado/andiamo, engl, go/ usw.). Eine hete Vorkcnrnnisfrequenz scheint also mit irregulärem Verheilten zu korrelieren. Dies kann durch die Annahme motiviert werden, daß sich im Laufe der Spracherlernung häufig vorkommende Farmen so einschleifen, daß sie direkt memo9

Weiterführende Literatur zur Theorie der Ausnahmen: Lakoff (1965), sowie Bechert (1971)

72

riert werden. Ein Grund hierfür liegt in der endlichen Natur der Phonologie, die ja keine rekursiven Regeln enthält (wie etwa die Syntax) und nur auf eine endliche Menge von Lexikaneinträgen Anwendung findet. Wenn die Phcnologie aber - Im Gegensatz zur Syntax und Semantik - finit ist, dann können phonologische Eigenheiten zum Teil direkt auswendig gelernt werden. Deshalb werden in der Phonologie einer Sprache L^ nicht nur Nebenregeln/Ausnahmeregeln, sondern sogar suppletive Formen geduldet. Der Hauptgrund für die Existenz phonologischer Irregularitäten ist scmit lerntheoretischer Natur: während es prinzipiell unmöglich ist, eine unendliche Satzmenge direkt zu menorisieren - eine solche Menge maß durch einen endlichen, generativen Regelapparat aufgezählt werden -, ist eine reine Motorisierung phonologischer Strukturen im Prinzip möglich. Da eine direkte Motorisierung aller phonologischer Alternationen usw. jedoch die Gedächtniskapazität sehr belasten, wenn nicht über fordern würde, gibt es in der phonologischen Kcnpcnente einer Sprache L^ neben direkt memorierten Daten (zugrundeliegende Formen bei regulärer phonologischer Alternation und Suppletivformen) auch inner Daten, die mittels die Gedächtniskapazität weniger belastenden Regeln aufgezählt werden (abgeleitete Formen). Daß direkte Mstorierung, d. h. synchron nicht als regulär beschreibbare Allophcnie, Allatorphie und Suppletian, lerntheoretisch nicht optimal ist, sieht man daran, daß im Sprachwandel Formen häufig regularisiert werden (ζ. B. afrz. j'aime ^ noue canons fzr. j'aime ^ noue aimons und dgl.), und daß im Laufe der Spracherlemung Kinder häufig reguläre Formen (ζ. B. engl. I goed, dt. iah gehte usw.) zu produzieren versuchen. Ein weiterer Grund für das Vorkommen vcn Irregularitäten liegt in der Entlehnung. Solange ζ. B. ein entlehntes Morphem nicht völlig in die einheimische phonologische Struktur eingepaßt wird, was normalerweise mehrere Generationen dauert oder durch normativen Einfluß ganz verhindert wird, ist das entsprechende Morphem eben eine Ausnahme zu mindestens einer phonologischen Regel oder Redundanzbedingung der jeweiligen Grammatik. 1 Beispiel: (30) Es ist eine Eigenheit des Dt., daß Morpheme im allgemeinen nicht mit mn anlauten können. Ein aus dem Griechischen in die dt. Hissenschaftssprache entlehntes Wort wie ζ. B. mnemotechnisch, verletzt also dt. Morphemstrukturbedin-j gungen.

7.

MDRPH3D0GIE

Syntaktische Oberflächenstrukturen können vcn zweierlei Gesichtspunkten her charakterisiert werden: sie stellen die Ausgabe der syntaktischen Kcrçcnente und zugleich die Eingabe der phonologischen Kaqpcnente dar (vgl. I., 2.2).

73

Die Forschung der letzten Jahre hat nun gezeigt, daß diese beiden Gesichts-· punkte nicht so unmittelbar zu koordinieren sind, wie das ursprünglich angenaimen wurde. Zum einen ist in der Sprachbeschreibung auch eine Behandlung der Maritologie vorzusehen, zum anderen ist es unmöglich, alle in der Syntax'und Morphologie generierten Ketten direkt, d. h. ohne jede Anpassung, den phcnologischen Regeln einzugeben. Man braucht also bestimmte, noch näher zu charakterisierende Pegeln, die syntaktische Oberflächenstrukturen quasi für die Phonologie vorbereiten. Diese Regeln nennen wir A u s g l e i c h s r e g e l n und ordnen sie der M o r p h o l o g i e k o m p o n e n t e zu, die der phcnologischen vorgeschaltet ist. Eine spezielle morphologische Karpanente ist nicht zu vermeiden, da die syntaktische Konpcnente ja nur Sätze generiert, in denen noch keine Flexicnsmorpheme verkennen. Erst wenn durch die Morphologie die Flexicnsmorphene eingeführt Verden und ihnen in der Phcnologie eine Lautrepräsentaticn zugewiesen wird, haben Sätze die uns allen geläufige Gestalt. Auch hat es sich als günstig erwiesen, diejenigen Aspekte der Wortbildung, die nicht rein syntaktischer Natur sind, zur Morphologie zu rechnen. Vfo aber ist die Morphologie in der Gesamtgranmatik einzuordnen? Es ist leicht einzusehen, daß die Morphologiekcrrpcnente zwischen der syntaktischen und phcnologischen Kcnpcnente stehen muß. Die Syntax führt Merkmale wie z. B. 'Tarpus', 'Modus', 'Plural' usw. ein, die gegebenenfalls als spezielle Morpheme realisiert werden können. Z.B. im Frz. entspricht dem syntaktischen Merkmalsbündel Olndikativ, +Inperfekt] ein spezielles Inperfektmorphem, nämlich /ε/ (graphisch -ai- wie ζ. B. in ils cherchaient). Die Aufgabe, syntaktische Merkmalsbündel durch entsprechende Morpheme auszubuchstabieren, übernirrrnt die Morphologie, und trivialerweise kann sie das erst, wenn sie syntaktische Merkmale als Input zur Verfügung hat. Deshalb kennt die Marphologiekarpanente nach der Syntax.

Waran aber steht die morphologische vor der phcnologischen Rcnpanente? Auch das ist ohne Schwierigkeiten zu motivieren, wenn wir uns ζ. B. die Bildung des frz. Inperfékts ein wenig genauer ansehen. In der Morphologie hatte die Regel [+Indikativ, +Brperfekt] /ε/ das Inperfektmarphem /ε/ eingeführt. Nun lautet das Inperfektmorphem /ε/ in der 1. und 2. Persen Plural aber gar nicht [ε], sondern [j] (vgl. nous cherch[j]on8> vous cherch[j]ez). Man braucht also eine phonologische Regel, die in Verbalfarmen /ε/ zu [j] vor betontem Vokal transfor-

Beispiel: cherch/c/+óne 10 Vgl. hierzu Halle (1973)

R. •*• aherch [ j ] one/cherchions.

74

Natürlich kann eine Regel wie R^ nur dann applizieren, wenn in der Morphologie zugrundeliegende Formen von Morphemen schon ausbuchstabiert wurden. Folglich ist die phcnologische Komponente der morphologischen nachgeordnet. Fig. 9

7.1

Syntax |-

Morphologiej-

Phonologie

Aufbau der Morphologiekanponente:

Un die Ausgleichsregeln ein wenig besser einordnen zu können, wollen wir uns kurz überlegen, wie die interne Organisation der Mcarphologiekarpcnente aussieht. Was zählt zur Morphologie einer Sprache? In der Morphologie interessiert man sich für die Struktur von Wörtern, d. h. rran geht primär der Frage nach, aus welchen Morphemen die Wörter einer Sprache aufgebaut werden können. Wörter, die durch Verkettung einem Stantnarphems mit einem Suffix (ζ. B. mange+able •*• mangeable) oder durch Verkettung mehrerer Starmorpheme (ζ. B. Partei + Tag •* Parteitag) entstehen, werden in der W o r t b i l d u n g s oder D e r i v a t i o n s m o r p h o l o g i e behandelt. Erzeugt man hingegen keine neuen Wörter, sondern generiert mit Hilfe von Suffixen die verschiedenen Formen eines Wortes, die es im Paradigma annehmen kann (ζ. B. lt. canta + o •*• canto, canta + β -»• cantae, canta + t cantat usw. ), so betreibt man F l e x i o n s m o r p h o l o g i e . Die Morphologiékcnpcnente imfaßt darnach eine Derivationsnorphologie, eine Flexionsmorphologie, sowie Ausgleichsregeln. Da auch derivierte Wörter flektiert werden können (z. B. dea Parteibonzentume; das finale β ist hier Genetivflexiv), wird die Derivation vor der Flexion abgehandelt; da der Output der Derivations- und Flexionsnorphologie in einigen Fällen erst für die Phonologie aufbereitet werden nuß, sind die Ausgleichregeln am Ende der morphologischen Komponente angeordnet. Schematisch dargestellt ergibt sich cilso das Folgende:

Bisher haben wir einfach" gefordert, daß zur phonologiegerechten Aufbereitung des syntaktischen und morphologischen Outputs Ausgleichsregeln benötigt werden. Diese Forderung vrollen wir nun ansatzweise motivieren und uns folgende Fragen vorlegen:

75 1. Wozu braucht nan überhaupt syntaktische Information in der Phonologie? 2. Was bewirken Ausgleichsregeln? Zu 1.: Die generative Phonologie ist nicht autorcm, d. h. in ihrem Funktionieren teilweise von syntaktischer Information abhängig. Syntaktische Information braucht man in der Phonologie einfach deshalb, weil in einer autoncmen Phonologie bestürmte Regularitäten der Lautstruktur nicht beschreibbar sind. Beispiel: (31) Im Frz. wird die Liaison oder Nicht-Liaison teilweise von syntaktischer Oberflächenstruktur information gesteuert. Sehen wir uns ζ. B. die beiden Nominalphrasen an: (a)

NP

(b)

NP

Det ^ ^ ^ A d j "^""""""N un

savant

Anglais

un

savant

anglais

wobei (a) heißt: 'ein gelehrter Engländer' und (b) 'ein englischer Gelehrter', (a) und (b) unterscheiden sich in ihrer syntaktischen Oberflächenstruktur, nicht etwa in der Merkmalszusammensetzung der einzelnen Morpheme. Genau dieser Unterschied steuert die Liaison: In (a) tritt Liaison auf, in (b) wird nicht gebunden. Zu 2.: Ausgleichsregeln kategorisieren bestimmte syntaktische oder derivationsnorphologische Strukturen im. Dies läfit sich ζ. B. anhand der Akzentzuueisung im Dt. nachweisen. Beispiel: (32) In dt. Nominalphrasen bekommt grundsätzlich das am weitesten rechts stehende Nomen den Hauptakzent: 2 1 2 1 2 1 die rote Jacke, die Stadt an der Donau, die breite Straße und dgl. Fälle wie das letzte Beispiel können nun auch als Eigennamen vorkommen; sie werden dann auf der ersten Silbe betont: 1 die Breitestraße. Obwohl also Beispiele wie Breitestraße ihrer syntaktischen Struktur nach Nominalphrasen sind, werden sie wie Komposita akzentuiert (vgl. 1 2 1 2 Leopoldstraße, Schillerstraße etc.). Komposita sind oberflächenstrukturell Nomina, d. h. sie werden von Ν 'Nomen' dominiert. Da wir annehmen, daß im Dt. unter anderem eine NP-Akzentuierungsregel und eine Komposita-Akzentuierungsregel operieren, deren Anwendung von der syntaktischen Oberflächenstruktur abhängt (NP-Struktur oder KompositaStruktur), muß für Komposita der Art Breitestraße, die aus zugrundeliegenden NP abgeleitet werden, folgende Umkategorisierung angenommen werden:

76 (1)

Det I

Umkategorisierung von (1) durch die Ausgleichsregeln »

(2)

De

die die

breite

Straße

Struktur (2) erfüllt die Strukturbeschreibung der Komposita-Akzentuierungsregel und erhält demgemäß die Betonung: 1 die Breitestraße.

Ausgleichsregeln, die grundsätzlich sprachspezifisch sind, braucht man also zur Uhikategorisierung gewisser Oberflächenstrukturen, (»ine Ausgleichsregel ist ζ. B. eine korrekte Akzentverteilung für dt. Kamposita nicht zu gewährleisten. Ähnliche Probleme können auch in diversen anderen Sprachen auftreten.

7.2

Organisation der Gesamtgranmatik:

Mit den vorausgegangenen Bemerkungen haben wir uns den Status und die Funktion der generativen Morphologie ein wenig zu verdeutlichen versucht. Es stellt sich heraus, daß es plausibel ist, eine eigene Morphologiekcnpcnente anzusetzen, die der Phonologie vorausgeht.11 Damit hat sich die Stellung der Phonologie in der Gesamtgranmatik etwas verschoben (vgl. Fig. 1, S. 4). Abschließend können wir somit - von der Sanantik sehen wir aus Gründen einer übersichtlicheren Darstellung ab - folgendes Organisationsschema einer Grarrmatik (Fig. 11) erstellen:

11

Ursprünglich hatte man in der generativen Sprachtheorie keine spezielle Mor phologiekomponente angesetzt, sondern die Morphologie als Teil der Phonologie betrachtet. Dieses Vorgehen bewährt sich jedoch nicht, sobald man es nicht mit quasi flexionslosen Sprachen wie z. B. dem Engl, zu tun hat. Eine genauere Behandlung dieser Fragen übersteigt jedoch den Rahmen einer Einführung in die generative Phonologie. Wer sich ein wenig in morphologische Fragestellungen einlesen will, sei verwiesen auf S. 152-166 sowie S. 365379 des Funk-Kollegs Sprache, Sprache 1 (1973), oder Wurzel (1971).

77 Fig. 11 /Redundanzfreie lexi\kallsche Matrizen Redundanzbedingungen

1Formationsregeln

LEXIKON

Voll-spezifizierte, zugrundeliegende lexikalische Matrizen ,

BASISSYNTAX 1 Präterminale Ketten

TRANSFORMATIONSSYNTAX Syntaktische Oberflächenstrukturen

MORPHOLOGIEKOMPONENTE

Zugrundeliegende phonologiesche Repräsentation PHONOLOGISCHE KOMPONENTE

Phonetische Repräsentation

III.

EINIGE ENTWICKLUNGSLINIEN DER NEUEREN PHONOLOGIETHEORIE

Es wäre erstaunlich, warn die generative Phonologiethearle nicht wie jede wissenschaftliche Theorie auch einen mehr oder minder ausgeprägten Händel unterläge. Wir wollen deshalb ein paar Bereiche der gegenwärtigen Phonologiediskussion skizzieren, die über den bisher erörterten - wesentlich an Chcmsky/Halle orientierten - Theoriestand teilweise hinausgehen. Natürlich stellt sich dabei das Probien, was aus der Vielzahl der Vorschläge herauszugreifen ist. Wir haben relativ eklektisch das herausgepickt, was uns keine "theoretische Eintagsfliege" zu sein scheint, und was ohne zu drastische Vereinfachungen in einer Einführung dargestellt werden kann. 1.

Zur Abstraktheit zugrundeliegender Formen

Wie aus der Diskussion der Alternationsbedingung (vgl. 11,4.2.1) ersichtlich, ist diese Bedingung noch nicht eng genug, una die Grade der Abstraktheit zugrundeliegender Formen entscheidend einschränken zu können. Dementsprechend wurde von vielen Linguisten erwogen, ob man nicht zusätzliche Kriterien finden könne, un die zulässige Abstraktheit zugrundeliegender Formen festzulegen. Die Diskussien hierüber ist noch keineswegs abgeschlossen, aber eine - wie wir glauben äußerst plausible und in die Phonologiethearle zu integrierende - Beschränkung wurde von Vennemann (1972) in 'Rule Inversion' vorgeschlagen. Worin diese Beschränkung besteht, kann an einem einfachen Beispiel erläutert werden: 1.1

Regelunikehrung und Restrukturierung:

Un Engl, lautet der unbestimmte Artikel bekanntlich an, wenn er vor einem mit Vokal beginnenden Nanen steht, sonst a. Man rruB sich nun fragen, welche Form als zugrunde liegend auszuzeichnen ist. Wählt man /an/, dann braucht man eine Regel, die /an/ zu [a] vor konsonantisch anlautendem Nenien transformiert ; wählt man /a/, dann muB man eine Insertionsregel der Art '/a/ wird zu [an] vor vokallsch anlautendem Ncmen' formulieren. Historisch liegt zweifelsohne /an/ zugrunde, da sich der indefinite Artikel - wie auch in den »manischen Sprach»! - aus dan Zahlwort entwickelte, Im Engl.

79

eben aus one. Dennach maß zumindest zu einem Zeitpunkt t^ Im Engl, die Regel appliziert haben: (1) an)ART + a / _ # C Als Alternative zu (1) ließe sich als Beschreibung der Distribution an vs. α im modernen Engl, aber auch an die Regel denken: (2) * ) a r t - an/ _

#V

Wie wir bereits wissen, hängt die Wahl zugrunde liegender Farmen häufig von Einfachheitsüberlegungen ab: man zeichnet diejenige Farm^ als zugrundeliegend aus, die eine einfachere Ableitung erlaubt. Leider helfen uns jedoch Einfachheitsüberlegungen bei diesen engl. Beispiel überhaupt nicht weiter, denn (1) und (2) sind gleichermaßen einfach. Ist die Wahl zwischen (1) und (2) im modernen Engl, also willkürlich? Vennemann verneint das. Er behauptet, daß in der Phonologie des modernen Engl. (2) angewendet wird. Dementsprechend postuliert er, daß die alte Regel (1) zu (2) umgekehrt wurde. Einen Prozeß dieser Art nennt er 'rule inversion', - was wir mit R e g e l u m k e h r u n g übersetzen. Welche Gründe gibt es, für das moderne Engl. (2) und nicht (1) anzusetzen? 1. Kinder lernen die Farm a lange Zeit vor der Farm an. Sie sagen anfangs also ζ. Β. α apple, a other one und dgl.; die Formen an apple, an other one etc. tauchen erst später auf. Dieser Sachverhalt kann als die sukzessive Erwerbung der zugrunde liegenden Form /a/ und der Regel (2) interpretiert werden. Wäre /an/ die zugrundeliegende Farm, dann sollten in der Kinderspräche Formen wie an man, an houee usw. zu beobachten sein. 2. Ito modernen gesprochenen Englisch gibt es Segmentationen wie α nother von another (•*• hist, an other), d. h. α scheint als zugrundeliegende Farm betrachtet zu werden. Vennemann gibt noch weitere Gründe an, warixn /a/ als zugrunde liegend auszuzeichnen ist. Wir gehen darauf nicht weiter ein, weil schon 1. und 2. belegen, daß Regel (1) zwar historisch korrekt, synchron aber unbrauchbar ist. Allein Regel (2) könnt psychische Rééditât zu. Da die Regelumkehrung (1) => (2) gut motivierbar ist, bei einer Regelumkehruhg aber die jeweilige zugrundeliegende Farm verändert wird, sieht man leicht ein, daß die Theorie der Regelumkehrungen die Formulierung von Beschränkungen über zugrundeliegende Farmen ermöglicht. Wenn wir uns deshalb überlegen, unter welchen Bedingungen Regelunkehrungen vorkamen, dann können wir der Abstraktheit zugrundeliegender Formen ein wenig auf die Schliche. Bevor wir allerdings 'Regelunkehrung' theoretisch in den Griff bekamen, Rüssen wir ein bißchen ausholen.

80 Wenn Im Laufe eines Grammatik- oder Sprachwandels zugrundeliegende Formen verändert werden, spricht man von R e s t r u k t u r i e r u n g . Der Ersatz der historisch zugrundeliegenden Form /an/ durch /a/ im modernen Engl, ist also eine Restrukturierung. Restrukturierungen treten in der Diachronie beliebiger Sprachen unter gewissen Bedingungen auf, sind gar nichts außergewöhnliches und nur Ausdruck der Tatsache, daß eben von Kindern bei der Spracherlernung häufig nicht mehr die gesamte Ableitung irgendwelcher Formen rekonstruiert wird. Beispiele für Restrukturierung:

(33)

a) In Beispiel (22) war erläutert worden, wieso ζ. B. frz. mur, dur nicht aus /mur/, /dur/ usw., sondern aus /myr/, /dyr/ abzuleiten ist. Das lt. Segment /u/, das historisch unzweifelhaft einmal vorlag, wurde also in den entsprechenden Lexikoneinträgen zu /y/ restrukturiert. b) In Aufgabe (18) ging es um den Status des prothetischen i im Vit. einerseits, und im Sp., Ptg. und Kat. andererseits. Da im Vit. Alternationen der Art illa scola "v< in iscola usw. vorliegen, im Sp., Kat. und Ptg. jedoch nicht, sind die entsprechenden Formen jeweils schon mit dem prothetischen Vokal im Lexikon anzugeben. Z. B. kat. escola hat demnach den Lexikoneintrag /escola/, und nicht etwa /scola/. Die Lexikoneinträge von vit. scola etc. sind im Sp., Kat. und Ptg. restrukturiert worden. c) Im Gallorom. gab es einst eine produktive Regel, die /k/ vor /a/ zu [t/] - graphemisch ch - palatalisierte. Vgl. /kantar/ -»· [t/ànter]/ chanter, /kaval/ -*• [t/eval]/ cheval und dgl. Die Regel k tf / a ging im Laufe der frz. Sprachentwicklung verloren (vgl. z. B. frz. cabane, cabine, cage, cabinet, casser usw.). Somit kann z. B. chanter synchron nicht mehr aus zugrundeliegendem /kanter/ abgeleitet werden; die zugrundeliegende Form ist schon //anter/. (Die Entwicklung tf -*• S ist ein Problem, das hier nicht zur Diskussion steht.) Und die Moral von der Geschieht? Offensichtlich führt Regelverlust zu Restrukturierung.

Aus diesen Beispielen läßt sich bezüglich der Bedingungen für Restrukturierung folgendes herauslesen: Es wird restrukturiert, wenn 1. eine ehemals kontext-sensitive Regel kontext-frei wird. (Man kann ja z. B. annehmen, daß die Regel u ·*• y im Galloran. eine kontext-sensitive Umlautregel war - in einigen frz. Dialekten scheint sie das heute noch zu sein, z. B. Im Wallonischen - und erst später auf alle Kontexte generalisiert wurde.) 2. wird restrukturiert, wenn sich eine phonologische Regel zu einer Morphemstrukturbedingung entwickelt (z. B. vit. Prothesenregel vs. sp., ptg. und kat. MS-Bedingung; vgl. Aufgabe (18) und Beispiel (33b)). 3. wird restrukturiert, wenn eine Regel getilgt, oder anders ausgedrückt, im Laufe der Spracherlernung nicht mehr erwarben wird. Der 1. Bedingung liegt die Vorstellung zugrunde, daß eine phonologische Regel der Art: (i) A -»· B/D

81

solange In einer Sprache L^ operiert, als ihr Anwendungsbereich D nicht mit der Menge aller möglichen Kontexte U übereinstimnt. Erst wenn gilt: D=U, wird (i) aus der Granmatik herausgeworfen. Gegen diese 'orthodoxe' Vorstellung von Restrukturierung geht Vennemann an. Er meint, daß 1. insofern nichts taugt, als Fälle von Restrukturierungen zu beobachten sind, obwohl es noch Altemationen gibt, D=U also nicht gilt. Genau einen solchen Fall stellt ζ. B. die besprochene Restrukturierung des indefiniten engl. Artikels dar, die ja laut 1. ausgeschlossen wäre. Vennemann schlägt deshalb vor, daß eine Segelunkehrung - und damit auch eine Restrukturierung - vorzunehmen ist, wenn für eine Regel wie (i) gilt: a) Die sich nicht überlappenden Kontextmengen D und D, wobei D Komplement zu D ist, ergeben zusammen die Menge aller möglichen Kontexte U. b) Β ist diejenige Teilmenge von D, in der A und Β noch alternieren.1 Formal: Stadium 1 : A

B/D

wird zu Stadium 2: Β

A/5

Jetzt läßt sich Vennemanns Definition von t o t a l e r

Regelvirikehrung wohl

ohne Schwierigkeiten nachvollziehen. Überprüfen wir deshalb ihre Brauchbarkeit am Falle der Regelunkehrung (1) ==> (2).

Da diese Definition vielleicht nicht auf den ersten Anhieb zu verstehen ist, wollen wir einige darin vorkommende Begriffe erläutern: Das Komplement zu einer Menge A ist die Menge der Elemente, die nicht zu A gehören. Beispiel: Es sei A eine Menge bestehend aus den Elementen {1,3,5}. Der Bereich, Ober den man überhaupt sprechen will, sei die Allmenge U, bestehend aus den Elementen {1,2,3,4,5,6,7,8,9,10}. Das Komplement zu A besteht aus der Menge, die man erhält, wenn man A von U abzieht. Im Diagramm sieht das wie folgt aus:

Wenn das groBe Rechteck U ist, dann ist das Komplement zu A das gestreifte Areal, also die Menge {2,4,6,7,8,9,10}. Man spricht von einer Teilmenge, wenn A und Β zwei Mengen sind und alle Elemente von A auch Elemente von Β sind. Als Zeichen für die Relation 'Teilmenge sein' verwendet man 1 c '. Beispiel: A bestehe aus {a,b}, Β aus {c,a,b,d}.

Alle Elemente von A sind auch Elemente von Β und folglich gilt: A c B. Hätte A gleichviel Elemente wie Β und wären die Elemente von A aber dennoch alle in B, so hätte man geschrieben: A c B.

82

In Stadium 1 hat das Engl, die Regel: (1) a n ) ^ + a/

#C

U, d. h. die Menge aller Kontexte, in denen überhaupt an ^ ¿¡-Alternationen vorkamen, ist {

#C,

#V}.

Die Umgebungsnenge D von (1) ist { D = {

#C}, das Komplement D ist U-D, d. h.

#V}. δ ist diejenige Teilmenge von D, in der Alternationen vorkamen;

da im gegebenen Fall gilt: 5 ç D, kann δ mit {

#V} gleichgesetzt werden.

Sanit sind alle Bedingungen für totale Regelumkehrung erfüllt. Es ergibt sich: (2) a) ->• an/ ART

#v

Vennatann unterscheidet zwei Arten von Regelumkehrung, totale und

partiel-

1 e . Das eben diskutierte Beispiel der Entwicklung von zugrundeliegendem /an/ zu zugrundeliegendem /a/ im modernen Engl, beruht auf einer totalen Regelumkehrung. Denn Sinn dieser Redeweise sieht man sicherlich leicht ein, wenn man Regel (1) mit Regel (2) vergleicht; wir wollen uns deshalb nicht mehr lange mit totaler Regelumkehrung aufhalten, sondern partielle ein wenig erläutern. Beispiel: (34) Eine partielle Regelumkehrung läßt sich anhand der Entwicklung der frz. Nasalierung beobachten. Im Afrz. wurde grundsätzlich vor Nasalkonsonant nasaliert: V [+nasal] / Ν Ζ. Β. /fema/ -»• [fëma] /femme, /fin/ •*• [fin] /fin und dgl. Im Mittelfrz. werden Nasalvokale denasaliert, wenn nach dem Nasalkonsonant ein weiterer Vokal steht:

Ζ. Da de es

B. /b5na/ -»• [bone]/ bonne usw. nicht in allen Kontexten denasaliert wird, in denen ehemals nasaliert wur(z. B. [fi] wird nach wie vor aus zugrundeliegendem /fin/ abgeleitet), kann sich nicht um totale Regelumkehrung handeln, sondern nur um partielle.

Die Bedingungen, die eine partielle Regelumkehrung auslösen, explizieren wir nicht, da dies zu viel Zeit in Anspruch nälme. (Wer sich dafür interessiert, sei auf Vennemann (1972) verwiesen.) Wir kehren vielmehr zu unserer Ausgangsfrage nach der Abstraktheit zugrundeliegender Formen zurück. Wir haben gesehen, daß zugrundeliegende Formen restrukturiert werden, wenn eine phonologische Regel zu einer MS-Bedingung wird (Beispiel (33b)), wenn eine phonologisehe Regel nicht mehr erworben wird (Beispiel (33c) ), oder wenn mit Regelumkehrung zu rechnen ist. Wir wissen bereits, daß keine von der Oberflächenrealisierung sich unterscheidende, zugrundeliegende Form anzusetzen ist, wenn keine Alternation vorliegt (Mternationsbedingung) ; wir wissen auch, daß der Grad der Abstraktheit zugrundeliegender Farmen sich daran mißt, wie relativ einfach und plausibel eine Ableitung eingerichtet werden kann. Zusammenfassend läßt sich sanit sagen:

83 Zugrundeliegende, abstrakte Poemen sind dort anzusetzen, wo es sich un reguläre Alternation, nicht etwa um starke oder schwache Suppleticm handelt. Ihre jeweilige Abstraktheit bemißt sich daran, daB a) keine Beschränkungen Uber Restrukturierung verletzt werden dürfen, und b) daß sie im übrigen so abstrakt sind, wie es möglichst einfache und phonologisch plausible Ableitungen erfordern. Präziseres läflt sich gegenwärtig kann sagen. Eine genaue Festlegung der prinzipiell zulässigen Abstraktheit zugrundeliegender Farmen wird maßgeblich davon abhängen, ab es gelingt, b) zu explizieren. Was aber unter 'phonologischer Plauslbilität1 und/oder 'Natürlichkeit' einer phonologischen Regel zu verstehen 1st, ist einer der großen Streitpunkte der modernen Phonologietheorie. Einige Anmerkungen hierzu wollen wir in Kapitel 5 machen. 2.

Eine neue Merkmalstheorie?

Sehr viele Publikationen der letzten Jahre beschäftigen sich mit der Frage, ob die von Chomsky/Halle vorgeschlagene Merkmalstheorie wirklich adäquat ist. Man rruß jedoch gleich feststellen, daß die Problematik einer phonologisch und phonetisch optimalen Merkmalstheorie (Sind distinktive Merkmale tatsächlich binär?, Welche Merkmale braucht man?, Stinmen die phonologischen Merkmale mit den phonetischen fiberein? usw.) auch durch die neueren Veröffentlichungen keineswegs befriedigend geklärt wurde. Wir wollen deshalb nicht das ganze Für und Wider dieser Diskussion nachzeichnen, sondern beschränken uns auf einige Ergebnisse, von denen man guten Gewissens annehmen darf, daß sie In den könnenden Jahren nicht wieder Uber den Haufen geworfen werden. 2.1

Binäre Merkmale:

Ist man Optimist, dann läßt sich folgendes als Ergebnis klassifizieren: Es konnte gezeigt werden, daß der Binarianus der Merkmalstheorie bisher nur den Status einer Arbeitshypothese hat. Ungeklärt ist nach wie vor, ob die Phonologie notwendigerweise auf binäre Merkmale gegründet werden muß. Man arbeitet dennoch (meist) mit binären Merkmalen, weil sich a) dieses Vorgehen bei der Beschreibung einer Vielzahl von Sprachen bewährt hat, und b) well eine binäre Phonologie technisch leichter zu handhaben ist als eine mehrwertige. C*> binären Merkmalen eine psychische Realität zukanmt, bleibt also noch zu beantworten. Der Fortschritt der Phonologie hängt unter anderem davon ab, ob sie auf diese Frage eine Antwort findet.

84 2.2

Das Merkmal 'labial' :

Wir werden nur einen Vorschlag zur Einführung eines neuen Merkmals herausgreifen, nämlich Vennemanns und Ladefogeds Forderung, das Merkmal [+labial] in die generative Phonologie aufzunehmen. Bevor wir weiter über 'labial' reden, srpfiehlt es sich, diesen Ausdruck zu definieren: Ein Laut ist l a b i a l , wenn bei seiner Artikulation mindestens eine Lippe involviert wird; andernfalls nicht-labial. (Terminologische Hinweise: Laute sind b i l a b i a l , wenn bei ihrer Artikulation beide Lippen benutzt werden; bildet eine Lippe mit der Zahnreihe eine Verengung, so spricht man von L a b i o d e n t a l e n . Laut Definition sind also sowohl bilabiale, als auch labiodentale Segmente Labiale.) Wozu braucht man [¿labial], das ja in dem von Chcmsky/Halle vorgeschlagenen Merkmalsinventar nicht vorkamt? Plausibel gemacht werden kann die Einführung von [+labial] einfach durch den Nachweis, daß das Chcmsky/Hallesche Inventar Prozesse, die man traditionellerweise mit dem Namen 1Labialisierung' anspricht, nicht adäquat ausdrücken kann. In Chcmsky/Halles System ist es ζ. B. nicht möglich, labiale Segmente wie [p,b,f ,v, m,kw,gw,hw,w,u,o,y,0] als natürliche Klasse zu kennzeichnen. Daß diese Segmente eine natürliche Klasse bilden können, sieht man an vielen syn- und diachronen Prozessen. Will die generative Phonologie aber solche Prozesse in plausibler und natürlicher Weise analysieren, dann muß in der Strukturbeschreibung oder in der Strukturveränderung der entsprechenden phonologischen Regel das Merkmal [+labial] vorkamen. Beispiel für phonologische Regeln, die auf Labiale bezugnehmen (frei nach Vennemann/Ladefoged (1971)): (35) a) In vielen germ. Sprachen wurde altes w zu v. Vgl. engl, water/[wotr] mit dt. Wasser/[vasar] oder norw. vazm/ivan:]. In Chomsky/Halles Merkmalsystem maßte der Prozeß : w •*• v/... repräsentiert werden als: (1)

-slb +son +hoch -hint +rund

Gegen diese Notation ist einzuwenden, daß sie die beiden Segmente v> und ν als nicht zu einer natürlichen Klasse gehörend kennzeichnet. Verwendet man jedoch das Merkmal [+labial], dann ergibt sich die viel einfachere und natürlichere Notation:

b) Neben dem Handel w ·*· v/..., der im Chomsky /Hai leschen Merkmalsystem nur verfälschend zu erfassen ist, gibt es häufig auch Prozesse der Art: ν •* w/...

85 Z.B. im Färöischen werden /m/ und /v/ zum Gleitlaut [w] oder [y] zwischen Vokal und /n/. (Iafflin/[l6anun] ^ Iamnan/[lawnan] 'lahm' (mask. Sing., Nom. vs. Acc.); vovin/[vo : vin] vovnan/[vownan] 'gewoben' (mask. Sing., Nom. vs. Acc.) etc. ) Die entsprechende Regel: {m, n} •* w/V η kann wiederum ohne [+labial] nicht adäquat ausgedrückt werden. Auf der Grundlage einer Merkmalstheorie hingegen, die [+labial] zuläßt, tut man sich leicht:

(3) r+sth

1

L+labialj

r *

[

-, .

-cns]/V —

n

Viele weitere Prozesse, die ohne 'labial' nicht instruktiv fannuliert werden können, ließen sich anführen (vgl. hierzu Vennemann/Ladefoged (1971)). Wir verzichten darauf, da die Inadäquatheit des Chomsky/Halleschen Merkmalinventars schon durch die wenigen angeführten Beispiele demonstriert wird. Sumerisch: Es gibt gute Gründe, das distinktive Merkmal [+labial] zu postulieren, da ein solches Vorgehen die Kennzeichnung von Labialen als natürliche Klasse und die Formulierung plausibler phonologischer Regeln für Labialisierungsund Delabialisierungsprozesse ermöglicht. Das Chansky/Hallesche Merkmalsinventar ist dementsprechend zu modifizieren, was involviert, daß ζ. B. labiale und labiodentale Segmente nicht mit [+ant, -kor] zu charakterisieren sind, sondern einfach durch [+labial].

2.3

Phonologische versus phonetische Merkmale:

In Chomsky/Halles Merkmalstheorie wird angenommen, daß die distinktiven, phonologischen Merkmale auch geeignet sind für die Beschreibung des phonetischen Outputs einer Grammatik. Die Unterscheidung zwischen beiden Merkmaltypen wird anhand ihrer Wertigkeit (vgl. 1,4.5) getroffen: Phonologische Merkmale sind binäre Klassenmerkmale, d. h. sie geben an, ob ein Segment zu einer Klasse gehört oder nicht; phonetische Merkmale sind mehrwertig und beziehen sich auf eine phonetische Skala (ζ. B. [1akz], [2akz], [1hoch], [2hoch], [3hoch] usw.) Diese Unterscheidung von phonologischen und phonetischen Merkmalen wurde von einigen Linguisten kritisiert. Ihre Kritik läßt sich inhaltlich in dem Postulat zusanmenfassen: Unabhängig von der Frage der Uberführving binärer Merkmale in mehrwertige durch späte phonologische oder {¿Kaietische Regeln, ist anzunehmen, daß die Menge der phonologischen Merkmale nicht mit der Menge der phonetischen identisch ist, d. h. es gibt phonologische Merkmale, die nicht zugleich phonetische sind und ungekehrt. Die Unterscheidung zwischen phonologischen und phonetischen Merkmalen wird anhand der Entitäten getroffen, die sich den jeweiligen Merkmalen zuordnen lassen. Ist ein Merkmal direkt definierbar in T e m e n akustischer und physiologischer

86

Lauteigenschaften, so ist es ein phonetisches Merlanal, andernfalls ein Monologisches. Die phonetischen Merkmale heißen auch p r i m ä r e Merkmale, die Monologischen s e k u n d ä r e . überdies gibt es Monologische Merkmale, die nicht selbst primäre Merkmale sind - obwohl die Möglichkeit einer Identität von primären und sekundären Merkmalen als Grenzfall weiterhin möglich bleibt -, sòndern als D i s j u n k t i o n primärer Merkmale zu verstehen sind. Beispiel: (36) Ein primäres Merkmal ist ζ. B. 'Nasalität', da ihm eine einzige, direkt meßbare Lauteigenschaft zugeordnet werden kann. Ein sekundäres Merkmal ist ζ. B. 'Labialität', da ihm nicht eine einzige, direkt meßbare Lauteigenschaft zugeordnet werden kann; 'Labialität' ist vielmehr zu interpretieren als Eigenschaft von labialen oder bilabialen oder labiodentalen oder gerundeten Segmenten.

Dieses Beispiel dürfte verdeutlichen, wieso wir von einer Disjunktion phonetischer Merkmale sprachen. 'Disjunktion' meint in der Logik eine Folge von Ausdrücken, die durch inklusives 'oder' verbunden sind. Formal können wir somit ζ. B. 'Labialität' definieren als: Olabial] -«· [+bilabial] ν [+labiodental] ν [+rund] wobei: ' v' = 'oder' und '+»• ' = 'genau dann, wenn'. Verbal i sierung: Ein Segment ist genau dann labial, wenn es bilabial oder labiodental oder gerundet ist. Auf analoge Weise ließen sich alle phonologischen Merkmale als Disjunktion geeigneter phonetischer definieren. Wir verzichten darauf, weil es im gegebenen Zusammenhang nicht an einen vollständigen Satz phonologischer und phonetischer Merkmale geht, der ohnehin nur vorläufiger Natur sein könnte. Illustriert sollte vielmehr werden, wie phonologische und phonetische unterschieden und phcnolo2

gische mittels phonetischer definiert werden können. Welchen Sinn haben die vorausgegangenen Bemerkungen? Wir glauben, daß die skizzierte Forschungsrichtung, die besonders durch Ladefoged und Vennanann propagiert wird, früher oder später zu einer besser fundierten Merkmalstheorie führen wird. Deshalb wollten wir eine rudimentäre Skizze einiger grundlegender Annatmen nicht unterdrücken, zumal es auch für den Anfänger informativ sein kann zu erfahren, welche Richtung die Entwicklung der Merkmalstheorie vermutlich nehmen wird.

2

Für weitere Details vgl. Vennemann/Ladefoged, (1971) sowie Ladefoged (1971).

87 3.

Markiertheitstheorie

Die Markiertheitstheorie stellt einen Versuch dar, gewisse Inadäquatheiten eines Plus/Minus-Aufbaus einer Phonologie, den wir bisher skizziert haben, zu überwinden. Die Markiertheitstheorie tritt dabei nicht an die Stelle einer Plus/MinusPhonologie, sondern komplementär hinzu. Sehr viele Aufsätze zur Phonologietheorie beschäftigen sich mit markiertheitstheoretischen Fragestellungen. Bevor wir jedoch hierauf eingehen, wollen wir motivieren, wozu man eine Markiertheitstheorie überhaupt braucht, oder anders gesagt, wir wollen (auszugsweise) festhalten, wo die Mängel einer ausschließlich binären Phonologie liegen. 3.1

Was leistet eine Plus/Minus-Phonologie nicht?

Die Klasse der Vokale [u, o, o, i, e, ε, a], bei deren Elementen der Merkmalswert von 'hinten' jeweils mit den von 'rund' übereinstürmt, ist durch [ahint, arund] gekennzeichnet. Die Vokalklasse [i, e, i, ae, ο], bei deren Elanenten der Merkmalswert von 'rund' mit dan von 'tief' übereinstimmt, hat die Kennzeichnung [arund, atief]. Beide Lautklassen sind also gleichermaßen kcnplex. Dies ist intuitiv nicht recht befriedigend, da die erste Klasse viel 'natürlicher' ist als die zweite. 'Natürlicher' deshalb, weil sie eine viel größere Vorkanmenswahrscheinlichkeit hat als [arund, atief], [ahint, arund] ist 1normaler' als [arund, atief] und empirisch öfter zu beobachten. Dieser Sachverhalt wird fornai nicht ausgedruckt, d. h. ein Plus/Minus-Aufbau einer Phonologie gewährleistet keine intuitiv und aipirisch befriedigende Definition von 'natürliche Klasse'. Offensichtlich darf die Natürlichkeit einer Klasse nicht nur mit der Komplexität Ihrer Merkmalskennzeichnung gleichgesetzt werden, wie das In einer Plus/ Minus-Phonologie notwendigerweise geschieht (vgl. 1,4.3). Belm Vergleich eines Regelpaares wie z. B. (i) k, g -»· tf, dg/ (ii) p, b + t, d/ i

i

wird man wiederun sagen müssen, daß (i) eine normalere/natürlichere Regel ist, d. h. man wird sich nicht wundern, wenn (i), die ja eine Palatalisierung vor hohen, vorderen Vokalen darstellt, in der Phonologie einer Sprache vorkommt, während (ii) - wenn überhaupt! - nur äußerst selten zu beobachten sein dürfte. In Bezug auf das Einfachheitskriterivm wären (i) und (ii) von derselben Komplexität, d. h., in einer Plus/Minus-Phonologie ist die Tatsache nicht erfaßbar, daß gewisse phonologische Regeln normaler sind als andere. Schließlich ist es in einer Plus/Minus-Phonologie auch nicht möglich, ein Urteil über die Natürlichkeit von Vokal- oder Konscnantensystemen zu fällen. Ein Vokalsystem wie z. B.

88 i

u e

o a

wird man In einer Vielzahl von Sprachen finden (z. B. im Sp., Lat., Jap., Griech. usw.) ; es scheint ein natürliches Vokalsystem zu sein. Ein Vokalsystem wie z. B. y

i Λ

oe

a

ist dagegen sehr unwahrscheinlich, ja empirisch bisher gar nicht nachgewiesen, obwohl es formal nicht kcnplexer ist als das erste. Die erwähnten Gründe - weitere ließen sich anführen - machen plausibel, daß eine ausschließliche Plus/Minus-Phonologie für die Analyse natürlicher Sprachen nicht ausreicht; sie maß durch die Markiertheitstheorie vervollständigt werden. 3.2

Markiert versus urmarkiert:

Wie die Merkmalstheorie geht die Markiertheitstheorie in ihren Anfängen auf die sog. Prager Schule des Strukturalianus zurück. In dieser sprachwissenschaftlichen Richtung hatte man mit dem Begriffspaar m e r k m a l h a f t versus m e r k m a 1 1 o s hantiert. Damit sollte ausgedrückt werden, daß manche Formen oder Lautsegmente mit einen speziellen Merkmal versehen sind, andere aber nicht. Beispiel: (37) Im Engl, wird der Plural meist durch Anhängen von -s/-es an den Stamm gebildet. Die Pluralform ist gemäß Prager Sprechwelse merkmalhaft, die Singularforin merkmallos. In einer Sprache wie z. B. dem Dt., wo es stimmhafte und stimmlose Obstruènten gibt, sind die stimmhaften bezüglich des Merkmals 'Stimmhaftigkeit' mit Plus versehen, also merkmalhaft, die stimmlosen mit Minus belegt, also merkmallos.

Wie (37) verdeutlicht, entspricht in der Prager Konzeption dem Begriff 'merkmalhaft1 inmer eine positiv spezifizierte Zuordnung eines Merkmals, dem Begriff 'merkmallos' eine negative. Schematisch: merkmalhaft = [-»Merkmal^] merkmallos = [-Merkmal^] In der generativen Phonologie ersetzen wir die Sprechweise 'merkmalhaft' vs. 1 merkmallos1 durch das Begriffspaar m a r k i e r t vs. u n m a r k i e r t und vereinbaren folgende Abkürzungen: markiert = M unmarkiert = υ

89

Mit 'unmarkiert' bezeichnen wir den Normalfall eines Vorkommens von X, wobei Χ ζ. B. ein Segment, eine Segmentsequenz, ein bestiirmter Merkmalswert in einen bestimmten Kontext oder auch ein Vokalsystem sein kann; 'markiert' nennen wir, was nicht unnarkiert ist. Durch die Einführung dieser Redeweise versuchen wir also die Grammatiktheorie dermaßen zu erweitern, daß sie es erlaubt, ein Urteil über die Natürlichkeit oder Normalität von X zu treffen und sanit die monierten Schwächen einer ausschließlichen Ρlus/Minus-Phonologie zu vermeiden. Die Zuordnung der Prager Phonologen 'merkmalhaft = [+MerkmaL· ]1 und 'merkmallos = [-Merkmal^]' geben wir auf. Im Gegensatz zur Prager Konzeption bekennt nicht inmer das merkmalhafte Segment eine Markierung, sondern die Verteilung von M und U soll aufgrund lerntheoretischer und universeller Evidenz über die Natürlichkeit oder Normalität von Segmenten, Segmentsequenzen usw. getroffen werden. Beispiel: (38) In allen Sprachen gibt es orale Vokale. Selbst in Sprachen mit Nasalvokalen wie ζ. B. dem Frz., Ptg., Bair. oder Poln. setzt das Vorhandensein von Nasalvokalen die Existenz von Oralvokalen voraus. Man könnte auch sagen: Die Existenz von Nasalvokalen impliziert die Existenz von Oralvokalen, oder: Eine Sprache Li mit nur Nasalvokalen ist keine mögliche natürliche Sprache. Auch geht bei der Spracherlernung die Erwerbung von Oralvokalen der Erwerbung von Nasalvokalen grundsätzlich voraus; so produzieren ζ. B. frz. Kinder eine Zeitlang nur unnasalierte Segmente. Diese und andere Gründe, deren Angabe wir hier unterlassen, rechtfertigen es, die Nasalvokale als markiert und die Oralvokale als unmarkiert anzusprechen.

Da U-Markierungen nur notationeller Ausdruck dessen sind, was normal oder zu erwarten ist, nehmen wir an, daß lediglich M-Markierungen zur Komplexität eines Segments beitragen. Wenn also ζ. B. die beiden Vokale [o] und [ö] bezüglich ihrer Komplexität zu vergleichen sind, dann ist [o] einfacher als [ο], weil für orale Vokale [Unasal] gilt, für nasale aber [Mnasal]. In einer Plus/Minus-Phonologie sind die Matrizen für [ö] und [o] gleichermaßen katplex. [o] erhält die Belegung [-nasal], [ö] die Belegung [+nasal]; alle anderen Merkmale stimmen überein. 3.3

Markiertheitskonventionen:

Wenn wir fordern, daß Segmente - und damit auch ganze Lexikoneinträge - adäquat nur mittels M/U-Markierungen auszudrücken sind, dann stellt sich die Frage, wie phonologische Regeln überhaupt noch funktionieren können. Die Anwendung phonologischer Regeln setzt bekanntlich binär spezifizierte phonologische Matrizen voraus, d. h. auf M/U-Einträge können phonologische Regeln gar nicht applizieren. Man braucht deshalb irgendeinen Apparat, der M/U-Einträge in eine Plus/Mi-

90

nus-Repräsentation umrandelt. Diese Aufgabe übernehmen die sog. M a r k i e r t heitskonventionen. Markiertheitskonventionen sind universelle Regeln, die U und M der Lexikoneinträge meist kontext-sensitiv in '+' und '-' übersetzen. Da sie universellen Charakter haben, gehören sie nicht zur einzelsprachlichen Grarmatik, sondern zur linguistischen Metatheorie. Markiertheitskonventionen haben die allgemeine Form: (1) tu M.J •+• [αΜ±]/χ

γ

wobei [ü Mi] = urmarkierter Wert eines Merkmals Mi, α = + oder - und X Y einen Kontext darstellt, der gegebenenfalls auch leer sein kann. (1) ist zu lesen als: Ein beliebiges urmarkiertes Merkmal^ wird in Abhängigkeit von Kontext X

Y zu [-tMerkmali] oder [-Merkmali]. Bei M-Markierungen maß im Gegensatz zu U-Markierungen ein 'unnormaler' Merkmalswert entstehen, der natürlich nicht mit dem normalen [aM¿] zusamenfallen darf. Dies läßt sich durch folgende Notation bewerkstelligen: d') [M Mi] -»· [-aMiVx

γ

Es ist leicht zu sehen, daß (1') nur eine Spiegelung von (1) ist. Deshalb nimmt man in der generativen Phonologie an, daß Formeln der Art (1') gar nicht explizit angegeben werden müssen; sie sind ja automatisch aus (1) herleitbar. Ein M im Ifixikon blockiert einfach die normale, erwartete und durch (1) erfaßte Interpretation. Zur Angabe von Markiertheitstonventionen genügen also Formeln der Art (1). Zweifelsohne kann man mit der allgemeinen Form (1) von Markiertheitskonventionen noch nicht viel anfangen. Aus diesem Grund wollen wir jetzt ein paar konkrete Markiertheitskonventionen zu analysieren versuchen. Da - wie wir inzwischen wissen - Vokale bezüglich 'Nasalität' markiert sind, können wir gemäß (1) folgende Konvention erstellen: (a) [u nasal] ->· [-nasal]

(a) ist kontext-frei; der Kontext X Y von (1) ist leer, was den einfachsten Fall darstellt. (a) ist zu lesen als: Vokale sind normalerweise nicht nasal. Das Spiegelbild zu (a), das wir hier nur aus Übungszwecken nochmal angeben, wäre natürlich: (b) [M nasal] •+· [+nasal]

Da in allen Sprachen mit Nasalkonsonanten auch nicht-nasale Konsonanten vorkonmen, andererseits aber Sprachen bekannt sind, die ausschließlich nicht-nasale

91

Konsonanten haben, kann (a) sogar noch genereller interpretiert werden, und zwar als: Die Segmente einer Sprache sind normalerweise nicht nasal. Ein wenig kotplexer wird es schon, wenn wir uns überlegen, wie bei Vokalen die Markiertheitskonventicai für z. B. [+rund] aussieht. Ob ein Vokal normalerweise gerundet ist oder nicht, scheint von weiteren Merkmalen abzuhängen. Es läßt sich beobachten, daß tiefe Vokale (ζ. Β. ε, a, a) normalerweise ungerundet sind; dies bringt uns auf die Teilkonvention: (e·) [U rund] -»• [-rund]/ [+tief] Andererseits sind nicht-tiefe Vokale normalerweise gerundet (ζ. B. u, y), und man könnte geneigt sein zu postulieren: (c") [u rund] -»• [+rund]/ [-tief] Gegen (c") aber lassen sich Einwände finden: (c") drückt ζ. B. nicht aus, daß die Rundung von Vokalen meist mit ihrer hinteren Artikulation übereinstimmt ; hintere Vokale sind normalerweise gerundet, vordere ungerundet. So ist ζ. B. i, das [-tief] und [-hint] zu spezifizieren ist, auch [-rund], während ζ. B. us das mit [-tief] und [-fhint] belegt wird, der Wert [+rund] zukommt, (c1 ') muß also so angeformt werden, daß die Übereinstimmung von [arund] und [ahint] erfaßt werden kann. Es ergibt sich: ie·") [υ rund] •*• [orund]/ Fassen wir (c*) und (c* ' *) zusammen, so erhalten wir:

Verbalisierung: Ein Vokal ist normalerweise gerundet, wenn er zugleich [+hint] und [-tief] artikuliert wird; er ist normalerweise ungerundet, wenn er [-hint] und [-tief] ist. überdies ist ein Vokal normalerweise ungerundet, wenn er [+tief ] ist. Jetzt darf man sich natürlich nicht verwirren lassen durch ein Segment wie ζ. B. o. Auf o paßt die Markiertheitskonvention (c) nicht, da o [+tief] und [+rund] ist. Dementsprechend muß das Spiegelbild zu (c) geronnen werden, d. h. o ist bezüglich 'rund' markiert. In der Matrix des Segmentes o erscheint die Markierung [M rund], während ζ. Β. o den Eintrag [U rund] erhält. Semit wird ausgedrückt, daß o weniger kanplex ist als o, was durchaus aipirische Entsprechungen hat: Elraial gibt es viele Sprachen, die nur das Segment o haben, nicht aber o; eix» Sprache aber (ζ. B. das Vit., It., Frz., Ptg., Kat.), in der o var-

92 könnt, hat meist auch o. Zun anderen wird In der Spracherlernung der Vokal o normalerweise vor o erwarben, eine Tatsache, die mittels (c) plausibel gemacht vterden kann, wenn man anniimtt, daß weniger kcnplexe/urmarkierte Segmente vor katplexeren/markierten gelernt werden. Wir haben nun einige Markiertheitskonventionen sowie die Aufgabe und Funktion der Markiertheitstheorie skizzenhaft kennengelernt. Es wäre möglich, für jedes distinktive Merkmal eine entsprechende Markiertheitskonvention zu erstellen; darauf wollen wir jedoch verzichten, da es kaum sinnvoll ist, Details einer insgesamt noch ziemlich im Fluß befindlichen Theorie auszubreiten. Klar ist, daß die Phonologietheorie ohne eine Markiertheitstheorie teilweise inadäquat bleiben muß; weniger klar ist schon Inhalt und Form der Markiertheitstheorie; kaum über das Stadion mehr oder minder plausibler Vermutungen hinaus geht der Stand der Diskussion, wenn versucht wird, die Markiertheitstheorie Uber den Bereich des Segmentes auf Segmentseguenzen oder gar Vokal- und Konsonantensysteme auszudehnen. 3.4

Warum gibt es markierte Segmente?

Wie wir gesehen haben, erlauben Markiertheitskonventionen durch die Verteilung von M/U-Werten eine Klassifikation der Inhärenten Komplexität von Segmenten. Ein Segment^ ist katplexer als ein Segmentj, wenn es mehr M-Markierungen enthält. Worauf aber läßt sich die inhärente Komplexität eines Segmentes zurückführen? Wahrscheinlich - diese Problematik ist noch nicht genügend geklärt - kann Markiertheit mit artikulatorischen, motorischen und perzeptiven Gegebenheiten motiviert werden. So ist es z. B. plausibel, daß nasal ierte Vokale markiert sind: erfordert doch ihre Artikulation Im Vergleich zu den Oralvokalen eine zusätzliche Artikulationsbewegung (Senkung des Vélums). In ähnlicher Welse läßt sich das im Normalfall übereinstimmende Vorzeichen von 'hinten' und 'rund' durch Beschränkungen der Perzeption begründen; 'hinten' und 'rund' gehören zu einer Klasse von Merkmalen, die sich auditiv verstärken, wenn Ihre Vorzeichen übereinstimmen, andernfalls verdunkeln. Aus diesen Grund ist [+rund] in der Kombination mit [-hint] markiert, mit [+hint] uimarkiert. Unterscheidungen wie [+sth] vs. [-sth] scheinen von ihren artikulatorischen Charakteristika her plausible Kandidaten für eine Unterscheidung ναι M und U zu sein. Bei der Artikulation von Obstruenten wird ziemlich drastisch verengt; je ausgeprägter die Verengung, desto mehr wird der Luftstrcm durch die Glottis behindert. Da Stirnrihaftigkeit ein Schwingen der Stimmbänder voraussetzt, Stimotsandschwlngung aber durch einen relativ ungehinderten

93

Luftstrom begünstigt wind, sind Obstruenten normalerweise stinmlos, Sonoranten hingegen stiimnhaft. Anders ausgedrückt: Der urroarkierte Wert von Stimmhaftigkeit ist [-sth] bei Obstruenten, [+sth] bei Nicht-Obstruenten oder Sonoranten. Fontal: [U sth] [asth]/ [aobstr] Ζ. B. wird b deshalb kcnplexer eingestuft als p, und entsprechend taucht es im Laufe der Spracherlernung auch regelmäßig erst nach ρ auf. Eine Silbenstruktur wie CVCV ... erlaubt eine einfache Dynamik des Artikulationstraktes und ist perzeptiv optimal. Die Silbenstruktur CVCV ... ist deshalb maximal uimarkiert und findet sich - meist neben anderen Strukturtypen - in allen natürlichen Sprachen. In ähnlicher Weise ließen sich wohl alle segmentalen Markiertheitskonventionen durch die inhärente Komplexität von Segmenten oder Segmentsequenzen begründen. Wir versuchen das hier nicht zu tun, weil viele Markiertheitskonventionen noch sehr unstritten sind und es im gegebenen Zusammenhang primär nur um die Art der Argumentation gehen konnte, wie sich die Markiertheitstheorie durch tieferliegende Gegebenheiten begründen läßt.3 4.

Natürliche Regeln

Schon öfters sprachen wir von 'Natürlichkeit', 'Plausibilität' usw.; so sagten wir ζ. Β., daß man zur adäquaten Definition von 'natürliche Klasse' nicht ohne Markiertheitstheorie auskaimt, und unterschieden zwischen normalen, uimarkierten oder natürlichen Segmenten und solchen, denen wir das Prädikat 'natürlich' nicht zusprechen wollten. Analog hierzu wollen wir uns jetzt überlegen, ob es nicht sinnvoll ist, eine Klassifikation phonologischer Prozesse zu versuchen, die sich an der relativen Normalität, Plausibilität oder Natürlichkeit eines Prozesses^ bemißt. Eines ist evident: Die generative Phonologie kann zumindest ansatzweise ausdrücken, ob ein Segment^ natürlich/urmarkiert ist oder nicht. Kann sie das auch bei phonologischen Prozessen oder Pegeln? Hier kcnntt man wohl am ehesten weiter, wenn man Regelpaare miteinander vergleicht, von denen man annehmen dart, daß die eine Regel natürlich ist, die andere jedoch nicht. Von welchen Regeln wollen wir sagen, daß sie natürlich sind? N a t ü r l i c h e R e g e l n sind Regeln, die phonologisch plausible Prozesse ausdrücken und in vielen Sprachen vorkamen. Sehen wir uns also verschiedene Regelpaare (R¿, Rj) an! 3

Wer sich intensiver mit der Markiertheitstheorie auseinandersetzen will, dürfte an der Lektüre folgender Publikationen kaum vorbeikommen: Chomsky/Halle (1968), insbesondere Kapitel 9, 400-435; Cairns (1969), sowie Schane (1970).

94 4.1

Natürliche und unnatürliche Regeln:

a) In vielen Sprachen (ζ. B. Im Dt., Türk., Afrz., Russ. usw.) werden Obstruenten im Auslaut stimmlos. Rj : [+obstr] ->• [-sth]/

#

Wie steht es hingegen mit R 2 : [+obstr] -»· [+sth]/

#?

Wir kennen keine Sprache, in deren Phonologie R2 vorkäme. R-j scheint scmit eine natürliche und R2 eine unnatürliche Regel zu sein. b) In vielen Sprachen (ζ. B. im Russ., Ptg., Surselv., Griech. (Lesbos)) werden unbetonte Vokale reduziert, wobei die Vokalabschwächung generell auf einen [a, i, u]-Vokalismus oder auch auf Schwa-Bildung hinzuzielen scheint (vgl. 11,1.4). Beispiel: (frei nach Haiman (1972)) (39) Man vgl. folgende surselv. Daten: cóntel vs. cantèiπ 'ich singe' vs. 'singen' pós vs. pudéin 'ich kann' vs. 'können' fémel vs. fiméin oder famèiη 'ich rauche' vs. 'rauchen' Offensichtlich erscheint unbetontes o entweder als a oder als u, unbetontes e hingegen als i oder [θ]. Eine Form wie cóntel enthält den zugrundeliegenden Stamm /kant/, der auch im Infinitiv auf der Oberfläche vorliegt. Ζ. B. cóntel kommt also grosso modo durch Anhebung von betontem a vor Nasalkonsonanten zustande. Somit kann man auch synchron zwischen den beiden o in ζ. B. cóntel und pós unterscheiden: Das o in cóntel ist ein abgeleitetes Segment, das o in pós ein zugrundeliegendes, das in unbetonter Stellung zu u eibgeschwächt wird. Die zwei im Surselv. operierenden Vokalabschwächungsprozesse sind somit: o ·+• u/in unbetonter Stellung e -»· i/in unbetonter Stellung oder e •*• [θ]/in unbetonter Stellung Das Resultat dieser Abschwächungsprozesse und der Regel, die /kânt+el/ zu cóntel macht, ist also, daß das Surselv. im Nebenton einen reduzierten [a, i, u]- oder [a, a, u]-Vokalismus hat, obwohl unter dem Hauptton [a, e, i, o, u] vorliegt. Vergleicht man nun eine formalisierte Variante von o -»· u/in unbetonter Stellung und e •*• i/in unbetonter Stellung, nämlich: R3 V -tief -akz V mit einer Regel der Art: R^ -tief [+tief], -akz

[+hoch]

so wird man feststellen können, daß R^ in nur ganz wenigen Sprachen votrkunuL. R3 scheint eine natürlichere Regel als R4 zu sein. Wie wird nun theoretisch motiviert, daß Ri und R3 natürliche Regeln sind im Vergleich zu R2 und R4? Vielleicht gibt es Geneinsamkeiten zwischen R-j und R3, die plausibel machen,

95

warum Pegeln der Art Rj und R 3 in relativ vielen Sprachen vorkamen. R-j beseitigt Kontraste zwischen konsonantischen Segmenten (ζ. B. den Kontrast /g/:A/r da /tag/

Rj

[tak] usw.) ; R^ beseitigt Kontraste zwischen Vokalsegmenten, da

sie [a, e, i, o, u] im Nebenton zu [a, i, u] reduziert. Sumerisch: Alle betrachteten Regeln (R-|, R2, R3, R4) sind Regeln, die Kontraste zwischen Segmenten beseitigen, also Neutralisierungsregeln (vgl. 11,1.3). (Echte) Konsonanten sind normalerweise stiiimlos. R^ ist scmit eine natürliche Neutralisierungsregel, nicht aber R2. Nicht-tiefe Vokale, sind normalerweise hoch; also ist R3 eine natürliche Neutralisierungsregel, nicht aber R4. Wir können generell festhalten: Neutralisierungsregeln sind genau dann natürlich, wenn das neutralisierte Segment urmärkierter ist als das ursprüngliche Segment. c) Vergleichen wir nun eine Regel der Art V R5:

-tief +akz

-»• [+hoch] mit R3!

Ist Rg ebenfalls eine natürliche Regel? Generell scheint bei Vokalabschwächungen zu gelten, daß unbetonte - und nicht etwa betonte - Vokale AbschMächungsprozessen ausgesetzt sind.4 R5 ist deshalb keine natürliche Regel. Vokalabschwächungen sind genau dann natürlich, wenn sie unbetonte Vokalsegmente erfassen. (Vgl. in diesem Zusammenhang ζ. B. auch, daß frz. [θ], das, scweit es nicht epenthetischen Ursprungs ist, durch Vokalabschwächung zustande könnt, der einzige frz. Vokal ist, der grundsätzlich nicht betont werden kann.) d) Kontrastiert man ζ. B. die afrz. E£enthesenregel (vgl. S. 36) R6: 0 -»• a/[+obstr] L

#

mit der Regel R7: 0 -»• C/[+obstr] L

#,

so kann man sich wiederixn fragen, welche Regel natürlicher ist. R¿ führt zu einer günstigeren Silbenstruktur, R7 nicht. B^enthesenregeln, die meist eine günstigere Silbenstruktur erzeugen, sind weit verbreitete und natürliche Regeln. Wie wir in 11,1.1 gesehen haben, affizieren aber nicht nur ïfcenthesenregeln die Silbenstruktur. Deshalb läBt sich allgemeiner formulieren: 4

Wer sich für weitergehende Gesetzmäßigkeiten von Vokalabschwächungen interessiert, findet Interessantes in: Haiman (1972) und Hiller (1972).

96 Silbenstrukturaffizierende Prozesse sind natürlich, wenn sie zu einer möglichst unmarkierten Silbenstruktur führen, andernfalls unnatürlich, e) In vielen Sprachen gibt es eine Nasalierungsregel der Art R 8 : V - [+nas]/ _

ß

j

{J}

Vergleichen wir Rg mit Hg: V -»· [ +nas]/

so läßt sich feststellen, daß Rg keine natürliche Regel ist, da Rg - scwsit wir wissen - in keiner Sprache vorkamtt. f ) Ähnlich ist das Verhältnis zwischen R-jq und R-j ^. R

10: Γ0 1 + raantl / L+nasJ [ßcorj/

C aant β cor

C R

n

:

RC

~ U R R

L+nasJ

N T

I /

|_ßcorJ /

ahoch .ßhint

Eine Regel der Art R 1 0 findet sich in fast allen Sprachen, in denen Nasalkonsonanten vor weiteren Konsonanten stehen können. Sie generiert hcmorgane Verbindungen von Nasalkonsonanten und Konsonanten (vgl. S. 33f). R·) ι macht nichts dergleichen, sie dürfte keine natürliche Regel sein. Bei assimilatorischen Prozessen scheint es normal zu sein, daß die Merkmalsspezifikation des zu assimilierenden Segments mit der des die Assimilation kontrollierenden Segments zumindest teilweise übereinstimmt. Ist das der Fall (wie ζ. B. bei Rg und R-jq) , dann ist die jeweilige Assimilationsregel natürlich, andernfalls nicht. Vor einem Mißverständnis muß gewarnt werden: 'nicht-natürliche' Regel heißt keineswegs, daß eine solche Regel nicht vorkommen kann; wohl aber heißt es, daß eine solche Regel nur selten zu beobachten sein wird und spezielle Motivation erfordert, wenn man sie in einer phonologischen Beschreibung postuliert. In ähnlicher Weise, wie wir das in a)-f) getan haben, miißte es prinzipiell möglich sein, Natürlichkeitsbeschränkungen für alle phonologischen Prozesse zu formulieren. Wir verzichten darauf, weil es noch nicht klar ist, mit welchen Natürlichkeitsbeschränkungen insgesamt zu rechnen ist und ob sich verschiedene Natürlichkeitsbeschränkungen nicht zu einer übergeordneten zusammenfassen lassen. Dennoch hoffen wir, daß schon die bisherigen Aimerkungen ein wenig verdeutlichen konnten, wie die generative Phonologietheorie in Richtung auf größere explanative Kraft hin ausgebaut werden muß. Dieser Ausblick sollte auch in einer Einführung nicht unterschlagen werden.5 5

Ein lesenswerter Aufsatz, der viel weiter führt als unsere Anmerkungen, ist Schane (1970).

97 4.2

Der Zusammenhang zwischen Markiertheit und natürlichen Regeln.

Seit langem weiß man, daß manche phonologischen Phäncmene normaler sind als andere. Mit dieser Voraussetzung wird - wenn auch selten ein expliziter Verweis oder eine theoretische Reflexion dieser Problematik zu finden ist - in jeder traditionellen Granmatik argumentiert. Es ist also keineswegs die generative Gramnatik, die 'Natürlichkeit' erfunden hat, aber sie ist die erste Graiimatiktheorie, die überhaupt versucht, 'Natürlichkeit' theoretisch in den Griff zu bekennen und sanit Voraussetzungen vernünftiger linguistischer Argumentation zu klären. Die Markiertheitskonventionen sind ein Versuch in dieser Richtung, die Theorie natürlicher Regeln ein anderer. Natürlich darf es nicht vorkamen, daß die beiden Theorien miteinander unvereinbar sind, - aber das ist auch nicht der Fall. Beide Theorien ergänzen sich vielmehr, ja die Theorie der natürlichen Regeln läßt sich als Erweiterung der Markiertheitstheorie von Segmenten auf phonologische Prozesse verstehen. Eine urmarkierte Regel ist eine natürliche Regel. Regeln sind natürlich, wenn sie häufig vorkennen. Natürliche Regeln kennten häufig vor, weil sie phonologisch plausible Prozesse abbilden. Ein phonologischer Prozeß ist plausibel, wenn er mit artikulatorischen und/oder perzeptiven Gegebenheiten des Sprechers/ Härers motiviert werden kann. Regeln, die auf eine optimale Silbenstruktur hinzielen, sind natürlich, weil eine optimale Silbenstruktur artikulatorisch leicht zu kontrollieren und perzeptiv günstig ist, - läßt sich ihr doch eine Folge von perzeptiv optimalen Kontrasten zwischen Vokalen und Konsonanten zuordnen. Daß Vokalabschwächungen häufig auf einen [1, a, u]-Vokalismus hinzielen, hat ebenfalls perzeptive Gründe. Wenn schon Kontraste neutralisiert werden, dann sollte der resultierende Nebentonvokalismus zumindest maximal differenziert sein; dies wird erreicht, wenn die im Vokaldreieck am weitesten von einander entfernten Vokale i, a, und u entstehen. Die Natürlichkeit von Assimilationsregeln läßt sich durch quasi kontinuierliche Übergänge zwischen aufeinanderfolgenden Artikulationskonfigurationen motivieren: gleitende Übergänge erfordern weniger Artikulationsaufwand und werden selbstredend oft vorgezogen. Sumerisch: Ebenso wie die Markiertheitstheorie von Segmenten muß die Natürlichkeit oder Uhnatürlichkeit phonologischer Prozesse in letzter Instanz auf inhärente artikulatorische oder perzeptive Komplexität zurückgeführt werden. Eine erschöpfende und theoretisch befriedigende Charakterisierung von Natürlichkeitsbeschränkungen, die für die Phonologie einer beliebigen Sprache ist eines der Fernziele der Phonologietheorie.

gelten,

98

5.

Schlußbemerkung:

Verschiedene Gebiete der Phonologietheorie fielen in dieser Einführung dem Zwang zur Auswahl zun Opfer; häufig mußte auf die Vorläufigkeit verschiedener Ergebnisse der modernen Phonologiediskussion verwiesen werden. Dies ist nicht weiter verwunderlich, denn aipirische Wissenschaften liefern keine 'ewigen Wahrheiten', sondern sie versuchen, theoretische Netze zum Zwecke rationeller Welterkenntnis auszuwerfen. Solche Netze heißen Theorien, und es sollte verständlich sein, daß Theorien - wie Fischernetze - mehr oder minder effektiv und auch defektiv sein können. Worauf es ankamt, ist inner feinere und adäquatere theoretische Netze zu konstruieren, - ein Verfahren, das man zurecht wissenschaftlichen Fortschritt nennt.

VERMISCHTE ÜBUNGSAUFGABEN

1) Motivieren Sie, warum die Phonologie innerhalb der Grammatik eine interpretative Funktion hat! 2) Welche Beschreibungsebenen gibt es in der generativen Phonologie, was ist ihre Funktion? 3) Welche phonologischen Prozesse sind bei der Entwicklung von dt. •* frz. lansquenet anzunehmen?

Landsknecht

4) Was ist der Unterschied zwischen Redundanzbedingungen und phonologischen Regeln? 5) Definieren Sie 'Assimilation'! 6) Warum sind Nasalvokale mit [M nasal] zu versehen? 7) Was sind Ausgleichsregeln? 8) Warum gehören die Markiertheitskonventionen zur linguistischen Metatheorie und nicht zur einzelsprachlichen Grammatik? 9) Welche Gründe sprechen für die Einführung des Merkmals 'labial'? 10) Was ist eine Neutralisierungsregel? 11) Definieren Sie 'mögliches Morphem' einer Sprache Li! 12) Was ist eine natürliche Klasse? 13) Welche silbenstrukturaffizierenden Prozesse sind natürlich? 14) Was versteht man unter 'markierter Regelordnung'? 15) Welche Gründe sprechen gegen die Konzeption einer 'autonomen Phonologie'? 16) Skizzieren Sie die Funktion der Alternationsbedingung! 17) Gegeben sei: [+hoch] z> [-tief] Wie nennt man eine Formel dieser Art? 18) Gegeben sei folgende Regel: V -*• [-t-scharf]/

Ist diese

Regel wohlgeformt? 19) Was sind schwach-äquivalente Grammatiken? 20) Welche Bedingung muß erfüllt sein, damit man von 'natürlicher Assimilation' sprechen kann? 21) Im Dt. gibt es für z. B. lang zwei dialektale Aussprachevarianten: a) [lan] b) [lank]. Aus welcher zugrundeliegenden Form würden Sie diese Oberflächenformen ableiten? Welche Regeln werden gebraucht? Wie ist der Unterschied zwischen a) und b) theoretisch zu interpretieren?

100 22) In manchen südit. Dialekten werden Wörter, die im It. mit Vokal anlauten, folgendermaßen verändert: ora -*• gora 'Stunde', aprire •*• gapriri 'öffnen', orto gortu 'Garten'. a) Wie heißt der Prozeß, der den Anlaut verändert? b) Wie wird dieser Prozeß formalisiert? c) Wie ist dieser Prozeß in Termen von Natürlichkeit zu interpretieren? d) Welchem Prozeß unterliegen - von den wenigen, gegebenen Daten her zu schließen - die Auslautvokale? 23) Was ist unter 'homorgane Verbindung' zu verstehen? 24) Was sind späte phonologische oder phonetische Regeln und welche Funktion haben sie? 25) Warum kommt in der Grammatikorganisation die Derivationsmorphologie vor der Flexionsmorphologie? 26) Was verstehen Sie unter 'unmarkierte Silbenstruktur'? 27) Im toskanischen It. (stark vereinfachte Darstellung) gibt es eine phonologische Regel, die nach einsilbigen Wörtern (auch nach mehrsilbigen mit betontem Auslautvokal, was hier unberücksichtigt bleiben soll), die auf Vokale auslauten, den folgenden Konsonanten gespannt macht: da mi •*• dammi 'gib mir!' a te + atte 'dir (Dativ)' da me •*• damme 'von mir' (Die verdoppelten Konsonanten sollen in informeller Weise gespannte Konsonanten symbolisieren.) a) Formulieren Sie die entsprechende Regel! b) Nach einigen einsilbigen Wörtern wird diese Regel nicht angewendet, z. B. di me 'von mir (Genetiv)', und nicht *dimme. Wie drückt man formal aus, daß die Regel aus a) nach z. B. di nicht angewendet wird? c) Nach einigen zweisilbigen Wörtern muß die Regel aus a) angewendet werden, obwohl ihre Strukturbeschreibung nicht erfüllt wird: dove vai -*• dovewai 'wo gehst du hin?'. Wie wird formal ausgedrückt, daß die Regel nach z. B. dove dennoch angewendet werden muß? d) Wie muß unter Berücksichtigung von c) die in a) formulierte Regel reformuliert werden? 28) Gegeben seien folgende Beispiele: kit. peregrinus •*• vit. pelegrinus " fragrare •*• " flagrare " venenum •*• " velenum Welcher Prozeß ist hier involviert? 29) Formulieren Sie umgangssprachlich - unter Angabe passender Segmente - was folgende Regel bewirkt: ν η _ r -hoch [+hoch]/ c2 [v . I o [_+hochJ -tief 30) Unter welcher Bedingung ist eine Neutralisierungsregel natürlich? 31) Was ist eine Regelumkehrung? 32) Was ist der Unterschied zwischen 'merkmalhaft vs. merkmallos' in der Prager Phonologie und 'markiert vs. unmarkiert' in der generativen Phonologie? 33) Im Bair. erscheint (vereinfacht dargestellt) mhd. [y] als [i], mhd. [(, 33, 86, 90 Nasalierung/nasalization 33, 37, 59, 96 Kontrast/contrast 24, 95, 97 koronal/coronal 12 spontane/spontaneous 33 labial/labial 12, 14, 84f, 86 Nasalkonsonant/nasal consonant 11, 15, 33, Labialisierung/labialization 96 . 33, 37, 85 natürliche Klasse/natural class 16f, 84, 87 labiodental/labiodental 84 natürliche Regel/natural rule 87, 93-97 lang/long 18 Natürlichkeitsbeschränkungen/naturalness lateral/lateral 12 conditions 96, 97 Lenis s. gespannt Nebenregel s. Regel Lexikon/lexicon 25, 28, 54, 55, 57, neutrale Stellung/neutral position 9f, 12f 70, 77, 9θ Neutralisierung, Neutralisation/neutraliLexikoneintrag/lexical entry 25, sation 30, 34f, 95 Vokal-/-of vowels 35 54, 69, 71, 89, 90 Konsonanten-/-of consonants 34f Liaison/liaison 75 niedrig s. tief Liquid/liquid 11, 12, 15 markiert/marked 88f, 92f, 97 Notationskonventionen/notational Markiertheitskonvention/markedconventions 38-50, 50-53 Oberfläche/surface ness convention 89-92 Harkiertheitstheorie/markedness syntaktische/syntactic 3, 4, 5, 7, 72 theory 87-93, 97 -nstruktur, phonologische/phonological Matrix/matrix 14, 17, 23f, 28, 89 surface structure 54 mehrwertiges Merkmal s. Merkmal Oberklassenmerkmal s. Merkmal merkmalhaft/marked 88f Obstruent/obstruent 11 merkmallos/unmarked 88f offen/open 13 Merkmal/feature 7, 8-21 Opposition s. Kontrast binäres/binary 10, 18f, 44, palatal/palatal 12, 13 1)3, 85 Palatalisierung/palatalization 33, 37 distinktives/distinctive palato-alveolar/palato-alveolar 12, 13, 14 8-18, 19, 23 pharyngal/pharyngal 12, 13 inhärentes/inherent 17 Phonationsprozess/phonation 10 mehrwertiges/multivalued 19 Phonem/phoneme 7f Oberklassen-/major class Phonetik/phonetics feature lof akustische/acoustic 9 artikulatorische/articulatory 9 phonetisches/phonetic 18f, 85f auditive/auditive 9 phonologisches/phonological 85f phonetisches Merkmal s. Merkmal prosodisches/prosodic 17f phonetische Regel s. Regel primäres/primary 86 Phonology/phono1ogy sekundäres/secondary 86 skalares s. mehrwertig autonome/autonomous 2, 75 syntaktisches/syntactic 73 Plus-Minus-/plus-minus-87f, 89 Zungenstellungs-/tongue body segmentale/segmental 65 feature 12f strukturalistische/structuralist If, 7, 17 Metatheorie/metatheory 90 taxonomische/taxoncmic 2, 55 Metathese/metathesis 31, 32, 49f phonologische Oberflächenstruktur/ phonological surface structure 54 konjunktive Ordnung s. Regelordnung Konsonantenkontraktion s. Kontraktion konsonantisch/consonantal 10, 11 kontext-frei s. Regel Kontextkonventionen/environment

113 phonologische Prozesse/phonological processes 1, 30-38, 97 phonologische Regel s. Regel Plus-Minus-Phonologie s. Phonologie P-Marker/P-marker 4, 5 prosodisches Merkmal s. Merkmal Prothese/prothesis 31, 59 redundant s. Redundanz Redundanz/redundancy 23-29 -bedingung/redundancy condition 24f, 28 sprachspezifisch/languagespecific 25 universell/universal 25 rudundanzfrei/nonredundant 24, 25 Regel/rule Ausgleichs-/reajustment 73, 75f Austausch-/exchange 47f Haupt-/major 71 kontext-frei/context-free 39, 80 kontext-sensitiv, kontext-abhängig/ context-sensitive 39, 80 Neben-/minor 71, 72 phonetische/phonetic 19f phonologische/phonological 4, 5, 17, 28, 38, 54, 60, 82, 89 späte phonologische s. phonetische zyklische/cyclical 65f Regelformat transformationelles/transformational 49 Regelmerkmal/rule feature 68, 70 Regelordnung/rule order 60-65 disjunktive/disjunctive 61 extrinsische/extrinsic 67 intrinsische/intrinsic 67 konjunktive/conjunctive 61 markierte/marked 64 sequentielle/sequential 60 unmarkierte/unmarked 64 zyklische/cyclical 65f Regelschema/rule schema 39 Regelumkehrung/rule inversion 78-82 totale/total 81f partielle/partial 82 rekursiv/recursive 3 Representation/representation abgeleitete/derived 55 phonetische/phonetic 2 systematisch phonemische/ systematic phonemic 54 systematisch phonetische/ systematic phonetic 54 zugrundeliegende/underlying 54 Restrukturierung/restructuring 80f, 82, 83 rund/round(ed) 15, 86

Rundung/rounding 33 Satzgrenze s. Grenzsymbol scharf/strident 16 Schwa/schwa 35, 61 Segment/segment 5-8, 21f, 38, 92f Segmentation/segmentation 2, 79 Segmentstrukturbedingung/segment structure condition 26 sekundäres Merkmal s.. Merkmal Semantik/semantics 72 generative/generative 3 interpretative/interpretive 3 Sequenzstrukturbedingung/sequence structure condition 26f Silbenstruktur/syllable structure 93, 96 gûnstigere/preferred 31, 95 optimale/optimal 31, 97 silbenstrukturaffizierende Prozesse/ syllable structure processes 30, 31f, 96 silbisch/syllabic 10, 11 skalares Merkmal s. Merkmal sonorant/sonorant lOf späte phonologische Regel s. Regel sprachspezifisch/language specific 25 stimmhaft/voiced 16, 93 Strukturbeschreibung/structural description 38 Strukturveränderung/structural change 38 Subskript/subscript 43 Superskript/superscript 43 Suppletion/suppletion 34, 56-58, 72 starke/strong 58 schwache/weak 58 Synkope/syncope 32 syntaktisches Merkmal s. Merkmal Syntax/syntax 4, 49, 54, 72, 73 systematisch phonemisch s. Repräsentation systematisch phonetisch s. Repräsentation taxonomische Phonologie s. Phonologie tief/low 12f Tilgung/deletion 31, 32, 35, 44 Transformation/transformation 38, 39 Umlaut/umlaut 33, 34, 62, 80 universell/universal 8, 25, 90 unmarkiert/unmarked 88f, 92f uvular/uvular 13 Variable/variable 42, 44, 45, 46, 47, 90 velar/velar 12, 13, 14 Velum/velum 9, 15 Verengung/constriction 11 Verschlufi/occlusion 11 -laut/stop 11 Verstimmen s. Tilgung Vokalharmonie/vowel harmony 34 Vokalkontraktion s. Kontraktion vokalisch s. silbisch voll-spezifiziert/fully specified 24, 25

114 Wort/word 5 -bildung/-building, -formation 32 -grenze s. Grenzsymbole zugrundeliegende Form/underlying form 54, 55-58, 79, 83

Zungenmas se/body of the tongue 9f, 12f, 13 Zungenspitze/blade of the tongue IO, 12, 13 zyklische Regel s. Regel Zyklus/cycle 65f