Einführung in die fantastische Literatur 9783803126986

Aus dem Französischen von Karin Kersten, Senta Metz und Caroline Neubaur.

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German Pages [220] Year 2013

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Einführung in die fantastische Literatur
 9783803126986

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Tzvetan Todorov Einführung in diefantastische Literatur

TZVETAN TODOROV Einführung in die fantastische Literatur Aus dem Französischen von Karin Kersten, Senta Metz und Caroline Neubaur

Verlag Klaus Wagenbach

Berlin

Die französische Originalausgabe erschien 1970 unter dem Titel ln traduction à la littérature fantastique bei Editions du Seuil in Paris, die deutsche Erstausgabe Einführung in diefantastische Literatur 1972 beim Carl Hanser Verlag in München.

Wagenbachs Taschenbuch 698 © 1976 Editions du Seuil © 2013 für diese Ausgabe: Verlag Klaus Wagenbach, Emser Straße 40/41, 10719 Berlin

Umschlaggestaltung Julie August unter Verwendung eines Gemäldes von Francisco de Goya A Scene front El Hechizado por Euerza (1798) ©The National Gallery, London 2013. Gesetzt aus der Bell MT. Das Karnickel auf’Seite 1 zeichnete Horst Rudolph. Vorsatzpapier von peyer graphic, Leonberg. Gedruckt und gebunden bei Pustet, Regensburg. Printed in Germany. Alle Rechte Vorbehalten. ISBN 978 3 8031 2698 6 Auch als E-Book erhältlich.

Inhalt

Die literarischen Gattungen 7 Definition des Fantastischen 33 Das Unheimliche und das Wunderbare 55 Die Poesie und die Allegorie 75 Der fantastische Diskurs 95 Die Themen des Fantastischen: Einleitung 115 Die ich-Themen 133 Die du-Themen 153 Die Themen des Fantastischen: Schluß 173 Literatur und Fantastisches 193

Bibliographie

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Die literarischen Gattungen Die Beschäftigung mit der fantastischen Literatur verlangt, daß man weiß, was eine »literarische Gattung« ist. - Allgemeine Betrachtung über die Gattungen. - Eine zeitgenössische Gattungstheorie: Northrop Fryes Literaturtheorie. - Seine Gattungsklassifikationen. - Kritik an Frye. - Frye und die strukturalistischen Prinzipien. - Bilanz der posi­ tiven Ergebnisse. - Melancholische Schlußbemerkung.

Der Ausdruck »fantastische Literatur« bezieht sich auf eine Variante der Literatur oder, wie man gewöhnlich sagt, auf eine literarische Gattung. Literarische Werke auf ihre Gat­ tung hin zu untersuchen, ist ein Unternehmen für sich. Es kann uns nicht um das Spezifische einzelner Werke gehen, sondern wir müssen die Regel aufdecken, die in mehreren Texten zugleich wirksam ist und uns erlaubt, ihnen die Be­ zeichnung »fantastische Werke« beizulegen. Es ist etwas ganz anderes, La Peau de Chagrin unter dem Gesichtspunkt der fantastischen Gattung zu betrachten, als das Buch für sich oder im Zusammenhang des Balzacschen Gesamtwerks oder im Kontext der zeitgenössischen Literatur zu untersuchen. Der Gattungsbegriff ist also grundlegend für die nachfolgen­ de Diskussion. Deshalb müssen wir damit beginnen, diesen Begriff klarer zu machen und zu präzisieren, auch wenn dieser Schritt uns scheinbar vom Fantastischen selbst entfernt. Die Vorstellung von der Gattung wirft mehrere Fragen auf; glücklicherweise erübrigen sich einige davon sofort, wenn man sie ausdrücklich formuliert. Hier die erste: ist es legitim, über eine Gattung zu diskutieren, ohne daß man alle Werke, aus denen sie sich konstituiert, untersucht (oder doch wenigstens gelesen) hat? Der akademische Forscher, der uns diese Frage stellt, könnte hinzufügen, daß das Verzeichnis der fantastischen Literatur Tausende von Titeln zählt. Es 7

fehlt nicht viel, und man hat das Bild des emsigen Studen­ ten vor Augen, der, begraben unter den Büchern, die er le­ sen muß - täglich etwa drei -, von der Vorstellung geplagt wird, daß unablässig neue Texte geschrieben werden und daß es ihm zweifellos nie gelingen wird, sie alle zu bewältigen. Es ist jedoch eines der Hauptmerkmale wissenschaftlichen Vorgehens, daß die Beschreibung eines Phänomens nicht die Beobachtung sämtlicher Einzelmomente voraussetzt; es ist vielmehr ein deduktives Verfahren: man stellt eine verhältnismäßig begrenzte Anzahl von Fällen zusammen, leitet davon eine allgemeine Hypothese ab und verifiziert diese an ande­ ren Werken. Dabei wird sie korrigiert (oder verworfen). Auch wenn die Anzahl der untersuchten Phänomene groß wäre, dürften wir keine allgemeinen Gesetze aus ihnen ableiten; nicht die Quantität der Beobachtungen ist ausschlaggebend, sondern einzig und allein die logische Kohärenz der Theo­ rie. Karl Popper schreibt: »Nun ist es aber nichts weniger als selbstverständlich, daß wir logisch berechtigt sein sollen, von besonderen Sätzen, und seien es noch so viele, auf all­ gemeine Sätze zu schließen. Ein solcher Schluß kann sich ja immer als falsch erweisen: bekanntlich berechtigen uns noch so viele Beobachtungen von weißen Schwänen nicht zu dem Satz, daß alle Schwäne weiß sind« (p. 3).1 Dagegen wäre eine Hypothese, die sich auf die Beobachtung einer beschränkten Anzahl von Schwänen gründete, die uns aber sagte, daß ihre Weiße die Folge einer organischen Besonderheit sei, vollkom­ men legitim. Um von den Schwänen auf die Romane zurück­ zukommen: diese allgemein verbindliche wissenschaftliche Wahrheit hat nicht nur für die Erforschung der Gattungen Gültigkeit, sondern ebenso für die Untersuchung des Ge­ samtwerks eines Autors oder auch für die Erforschung einer 1

Die vollständigen Angaben zu den zitierten Werken finden sich am Ende des Buches. Sie sind alphabetisch angeordnet. Sind mehrere Werke vom selben Autor aufgeführt, so erscheint im Text, bisweilen in abgekürzter Form, der Hinweis auf den Titel des zitierten Werkes.

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Epoche usw. Überlassen wir also den Vorsatz, erschöpfend sein zu wollen, denen, die sich damit begnügen. Im Zusammenhang mit dem Abstraktionsniveau, das die­ se oder jene Gattung erreicht, ergibt sich eine zweite Frage: gibt es nur einige Gattungen (z. B. die lyrische, die epische, die dramatische) oder sehr viele? Ist die Zahl der Gattungen begrenzt oder unbegrenzt? Die russischen Formalisten neig­ ten zu einer relativistischen Lösung; Tomaschewski schrieb: »Die Werke verteilen sich auf umfangreiche Klassen, die sich dann ihrerseits wieder in Typen und Arten gliedern. Wenn wir auf der Stufenleiter der Gattungen nach unten gehen, kommen wir folgerichtig von den abstrakten Klassen zu den konkreten historischen Unterscheidungen (Byrons Gedicht, Tschechows Novelle, Balzacs Roman, die geistliche Ode, die proletarische Lyrik) und sogar zu den einzelnen Werken« (pp. 806-307). Dieser Satz stellt eigentlich mehr Probleme, als er löst, und wir werden bald darauf zurückkommen müs­ sen; die Vorstellung jedoch, daß die Gattungen auf unter­ schiedlichen Abstraktionsniveaus existieren und daß sich dieser Begriff inhaltlich von dem Standpunkt her bestimmt, den man gewählt hat, kann man schon jetzt akzeptieren. Ein drittes Problem gehört zur Ästhetik. Von diesem Standpunkt aus sagt man: es ist sinnlos, von Gattungen (Tra­ gödie, Komödie usw.) zu sprechen, denn das Werk ist seinem Wesen nach einmalig, einzigartig, sein Wert liegt in dem, worin es unnachahmbar, von allen anderen Werken verschie­ den ist und nicht in dem, worin es ihnen gleicht. Wenn ich La Chartreuse de Parme liebe, so nicht, weil es ein Roman (Gat­ tung) ist, sondern weil es ein Roman ist, der sich von allen anderen unterscheidet (individuelles Werk). Dieser Einwand läßt eine romantische Haltung gegenüber dem zu behandeln­ den Gegenstand durchscheinen. Ein derartiger Standpunkt ist nicht eigentlich falsch; er ist nur unangemessen. Man kann sehr wohl ein Werk aus diesem oder jenem Grund mö­ gen, aber dadurch wird es noch nicht als Gegenstand einer 9

Untersuchung definiert. Das Motiv für eine wissenschaftli­ che Arbeit darf nicht die Form bestimmen, die diese in der Folge annimmt. Das Problem des Ästhetischen im allgemei­ nen werden wir hier nicht erörtern; nicht, daß es nicht be­ stünde, aber komplex, wie es ist, überschreitet es bei weitem unsere gegenwärtigen Möglichkeiten. Nun kann allerdings der zuletzt angeführte Einwand in anderen Termini formuliert werden, und dann ist er sehr viel schwieriger von der Hand zu weisen. Der Begriff der Gattung (oder der Spezies) ist den Naturwissenschaften entlehnt. Nicht zufällig hat übrigens Propp, der Pionier der Strukturanalyse der Erzählung, Analogien aus der Botanik oder der Zoolo­ gie verwendet. Es besteht allerdings ein qualitativer Unter­ schied hinsichtlich der Bedeutung der Termini »Gattung« und »Exemplar«, je nachdem, ob sie auf natürliche Lebewesen oder auf Werke des Geistes angewendet werden. Im ersten Fall modifiziert das Erscheinen eines neuen Exemplars nicht unmittelbar die Charakteristika der Spezies; folglich lassen sich die Eigenarten jenes Exemplars gänzlich von der Formel der Spezies ableiten. Kennt man die Spezies Tiger, kann man von ihr die Eigenarten jedes einzelnen Tigers deduzieren; die Geburt eines neuen Tigers ändert die Spezies in ihrer Defi­ nition nicht. Die Einwirkung des individuellen Organismus auf die Entwicklung der Spezies geht so langsam vonstatten, daß man in praxi davon absehen kann. Dasselbe gilt (wenn auch in geringerem Maße) für die Aussagen einer bestimmten Sprache: ein individueller Satz ändert die Grammatik nicht, und es muß möglich sein, aus ihr seine Eigenarten abzuleiten. Auf dem Gebiet der Kunst und auch der Wissenschaft ver­ hält es sich anders. Hier folgt die Entwicklung einem ganz anderen Rhythmus: jedes Werk ändert die Gesamtheit der möglichen Werke, jedes neue Beispiel ändert die Spezies. Man könnte sagen, daß wir uns einer Sprache gegenübersehen, de­ ren Aussagen im Moment des Aussagens sämtlich agramma­ tisch sind. Genauer gesagt: wir erkennen einem Text nur das 10

Recht zu, einen Platz in der Geschichte der Literatur oder der Wissenschaft einzunehmen, sofern er eine Veränderung der Vorstellung erbringt, die man sich bis zu diesem Zeitpunkt von dem einen oder dem anderen dieser beiden Bereiche ge­ macht hat. Die Texte, die diese Bedingung nicht erfüllen, ge­ hen automatisch in eine andere Kategorie über: die einen in die der sogenannten Trivial- oder Massenliteratur, die ande­ ren in die der Lehrbücher. (Hier drängt sich ein Vergleich auf, der zwischen dem handwerklichen Produkt, dem einmaligen Exemplar einerseits und der Fließbandarbeit, der mechanisch gefertigten Stereotype andererseits.) Um auf unseren Gegen­ stand zurückzukommen, allein die Massenliteratur (Krimi­ nalromane, Fortsetzungsromane, Science-Fiction usw.) sollte den Begriff Gattung für sich in Anspruch nehmen; auf die im eigentlichen Sinne literarischen Texte wäre er unanwendbar. Ein solcher Standpunkt verpflichtet uns, unsere eigenen theoretischen Grundlagen darzulegen. Gegenüber jedem Text, der der »Literatur« angehört, muß man eine doppelte Forderung berücksichtigen. Erstens darf man nicht überse­ hen, daß er Eigenarten manifestiert, die ihm mit der Gruppe der literarischen Texte oder mit einer der Untergruppen der Literatur (die man genauer als Gattung bezeichnen würde) gemeinsam sind. Es ist heute schwer vorstellbar, die These zu verteidigen, nach der an einem Werk alles individuell sein soll, es ein noch nie dagewesenes Produkt einer persönlichen In­ spiration sein muß, verfaßt ohne jeden Bezug zu den Werken der Vergangenheit. Zweitens ist ein Text nicht nur das Pro­ dukt einer vorgegebenen Kombinatorik (einer Kombinatorik, die sich aus den virtuellen literarischen Eigenarten konsti­ tuiert); er ist auch eine Transformation dieser Kombinatorik. Man kann also jetzt schon sagen, daß jede literarische Un­ tersuchung, ob man es will oder nicht, an einer doppelten Be­ wegung teilhat: der des Werks in Richtung auf die Literatur (oder die Gattung), der der Literatur (der Gattung) in Rich­ tung auf das Werk. Dabei ist es ein vollkommen legitimes 11

Verfahren, sich vorübergehend bevorzugt der einen oder an­ deren Richtung, d.h. der Differenz oder der Ähnlichkeit, zu widmen. Aber da ist noch mehr zu bedenken. Es liegt in der Natur der Sprache selbst, sich in der Abstraktion, im »Gat­ tungshaften«, zu bewegen. Das Individuelle kann nicht in der Sprache existieren, und unsere Formulierung der Be­ sonderheit eines Textes wird automatisch zur Beschreibung einer Gattung, deren einzige Eigentümlichkeit darin besteht, daß das betreffende Werk ihr erstes und einziges Beispiel ist. Einfach aufgrund der Tatsache, daß sie mit Hilfe von Wör­ tern vorgenommen wird, ist jede Beschreibung eines Textes die Beschreibung einer Gattung. Dies ist übrigens keine rein theoretische Behauptung; die Literaturgeschichte liefert uns unausgesetzt Beispiele dafür, seit es Epigonen gibt, die das Spezifische eines Originalautors nachahmen. Es kann also keine Rede davon sein, den »Begriff der Gat­ tung zu verwerfen«, wie z. B. Croce es forderte. Das schlösse ja den Verzicht auf die Sprache ein und könnte, per definitionem, nicht formuliert werden. Es kommt vielmehr darauf an, daß man sich über den Abstraktionsgrad, den man mit einem solchen Begriff erreicht, und über das Verhältnis dieser Abstraktion zur tatsächlichen Entwicklung klar wird. Die­ se Entwicklung wiederum ist einem System von Kategorien eingeschrieben, welches sie begründet und gleichzeitig von ihr abhängt. Bleibt noch die Tatsache, daß die Literatur heute die Ein­ teilung in Gattungen aufzugeben scheint. Maurice Blanchot schrieb schon vor zehn Jahren: »Wichtig ist allein das Buch in seinem Sosein, fern allen Gattungsbegriffen, außerhalb aller Einteilungen wie Prosa, Poesie, Roman, Zeugnis, denen es sich nicht einfügen will und denen es die Macht abspricht, seinen Ort festzulegen und seine Form zu bestimmen. Ein Buch gehört nicht mehr einer bestimmten Gattung an; jedes Buch entstammt lediglich der Literatur, als wäre sie aufgrund ihrer Allgemeingültigkeit im voraus die Wahrerin der Ge­ 12

heimnisse und der Formeln, die allein imstande sind, dem Geschriebenen Buchwirklichkeit zu verleihen« (Le Livre à venir, pp. 272 t’.). Warum also sich mit überholten Problemen abgeben? Gérard Genette hat diese Frage treffend beant­ wortet: »Der literarische Diskurs entsteht und entwickelt sich aufgrund von Strukturen, die er sogar nur deswegen überschreiten kann, weil er sie, auch heute noch, im Feld sei­ ner Sprache und seiner Schreibweise vorfindet« (Figures II, p. 15). Überschreitungen kann es erst geben, wenn die Norm fühlbar geworden ist. Es ist im übrigen zu bezweifeln, ob die zeitgenössische Literatur völlig frei von gattungsmä­ ßigen Unterscheidungen ist, bloß entsprechen diese Unter­ scheidungen nicht mehr den durch die Literaturtheorien der Vergangenheit überlieferten Begriffen. Natürlich ist man nicht mehr verpflichtet, sich nach ihnen zu richten. Ja, mehr noch, es tritt die Notwendigkeit zutage, abstrakte Ka­ tegorien auszuarbeiten, die sich auf die Werke von heute anwenden lassen. Allgemeiner gesprochen: die Existenz von Gattungen nicht anerkennen kommt der Behauptung gleich, daß das literarische Werk keine Beziehungen zu schon vor­ handenen Werken hat. Die Gattungen sind genau die Re­ lais, an denen das Werk in Beziehung zum Universum der Literatur tritt. Wir wollen nun nicht länger beliebige Zitate heranziehen. Um einen Schritt weiter zu kommen, wählen wir eine zeitge­ nössische Theorie der Gattungen aus und legen sie einer ein­ gehenden Diskussion zugrunde. Anhand eines Beispiels wird sich um so leichter erkennen lassen, nach welchen positiven Grundsätzen unsere Arbeit sich richten und welche Gefahren sie meiden muß. Das soll allerdings nicht heißen, daß nicht im Laufe unserer Untersuchung aus dieser selbst neue Prinzipien entstehen und nicht an etlichen Punkten unvermutet Klippen auftauchen können. Die Gattungstheorie, die nun im einzelnen diskutiert wer­ den soll, ist die Northrop Fryes, wie er sie vor allem in seiner 13

Analyse der Literaturkritik entwickelt hat. Diese Wahl ist nicht willkürlich: Frye nimmt heute einen hervorragenden Platz unter den angelsächsischen Kritikern ein, und sein Werk ist in der Geschichte der Kritik seit dem letzten Krieg ohne Zweifel eines der bemerkenswertesten. Die Analyse der Litera­ turkritik ist gleichzeitig eine Theorie der Literatur (und damit der Gattungen) und eine Theorie der Kritik. Genauer gesagt, das Buch setzt sich aus zwei Arten von Texten zusammen: die einen sind eher theoretischer Natur (dazu gehören die Ein­ leitung, der Schluß und der zweite Essay, »Ethische Kritik: Symboltheorie«), die anderen eher deskriptiv; und eben in den letzteren wird auch Fryes spezielles System der Gattun­ gen beschrieben. Es läßt sich jedoch nur im Zusammenhang des ganzen Textes verstehen; daher beginnen wir mit dem theoretischen Teil. Seine wesentlichen Kennzeichen sind: 1. Literarische Forschung muß mit der gleichen Ernsthaf­ tigkeit, der gleichen Kompromißlosigkeit betrieben wer­ den, die man in den anderen Wissenschaften an den Tag legt. »Wenn es Kritik gibt, dann muß sie eine Untersu­ chung der Literatur aufgrund eines Bezugssystems sein, das sich aus einer induktiven Übersicht über den literari­ schen Bereich herleitet... Die Kritik könnte doch auch ein wissenschaftliches Element enthalten, was sie einerseits vom literarischen Schmarotzertum, andererseits von ei­ ner aufgepfropften kritischen Einstellung unterscheidet« (p. 14). 2. Eine Folge dieser ersten Forderung ist die Notwendigkeit, sich in der literarischen Forschung jeglichen Werturteils über die Werke zu enthalten. Frye ist in diesem Punkt ziemlich kategorisch; vielleicht könnte man sein Verdikt nuancieren und sagen, daß die Wertung im Bereich der Poetik ihren Platz hat, daß es aber für den Augenblick die Dinge unnötig komplizieren hieße, wollte man sich jetzt darauf einlassen. 14

3. Das literarische Werk bildet wie die Literatur im allge­ meinen ein System. Nichts darin ist dem Zufall überlas­ sen. Oder wie Frye schreibt: »Das erste Postulat eines solchen induktiven Schritts [den er uns zu unternehmen vorschlägt] ist das gleiche wie das jeder Wissenschaft: die Annahme eines Gesamtzusammenhanges« (p. 23). 4. Man muß unterscheiden zwischen Synchronie und Dia­ chronie: die literarische Analyse erfordert, daß man mit synchronischen Schnitten innerhalb der Geschichte vor­ geht und dann wieder innerhalb der abgetrennten Partien anfängt, das System zu suchen. »Wenn ein Kritiker ein li­ terarisches Werk behandelt, so ist es nur natürlich, daß er es gewissermaßen einfriert, von seiner Bewegung in der Zeit absieht und es als eine Konfiguration von Wörtern betrachtet, in der alle Teile gleichzeitig da sind«, schreibt Frye in einem anderen Werk (Fahles, p. 21). 5. Der literarische Text steht nicht in einem Referenzver­ hältnis zur »Welt«, wie oft die Sätze unseres täglichen Sprachgebrauchs, er »repräsentiert« nichts außer sich selbst. Hierin gleicht die Literatur mehr den mathemati­ schen Wissenschaften als der Umgangssprache: der lite­ rarische Diskurs kann weder richtig noch falsch sein, er kann nur stimmig sein in bezug auf seine eigenen Prä­ missen. »Der Dichter, wie der reine Mathematiker, hängt nicht von der Darstellung der Wahrheit als vielmehr von der Übereinstimmung mit seinen hypothetischen Forde­ rungen ab« (p. 78). »Die Literatur ist wie die Mathema­ tik eine Sprache, und eine Sprache an sich vertritt keine Wahrheit, obschon sie die Mittel zur Verfügung stellen kann, eine beliebige Anzahl Wahrheiten auszudrücken« (p. 353). Genau hierdurch partizipiert der literarische Text an der Tautologie: er bedeutet sich selbst, »das dich­ terische Symbol im Verhältnis zum Gedicht [meint] in erster Linie sich selbst« (p. 83). Die Antwort des Dich­ ters auf die Frage, was denn dieses oder jenes Element in 15

seinem Werk bedeute, muß immer lauten: »Ich beabsichti­ ge, daß [es] einen Teil des Stückes bilden solle« (»I meant it to form a part of the play«, pp. 86 und 90). 6. Die Literatur entsteht aus der Literatur, nicht aus der Wirklichkeit, sei diese nun materiell oder psychisch. Je­ des literarische Werk ist konventionell. »Dichtung läßt sich nur aus anderen Gedichten machen; Romane aus anderen Romanen« (p. 101). Und in einem anderen Text, The Educated Imagination, heißt es: »Der Wunsch eines Schriftstellers zu schreiben, kann nur aus vorhergegange­ ner Erfahrung mit Literatur entstanden sein ... Literatur kann ihre Formen nur aus sich selbst entwickeln« (pp. 40 und 43). »Alles, was neu ist in der Literatur, ist nur das umgeformte Alte ... Wenn es etwas in der Literatur nicht gibt, dann ist es der Selbstausdruck« (pp. 28 f). Keine dieser Ideen ist vollkommen neu (wenn Frye auch kaum je seine Quellen angibt): man kann sie teilweise bei Mallarmé oder Valéry finden und auch bei Vertretern einer Richtung der zeitgenössischen Kritik, die in diesem Punkt die Tradition fortsetzt (Blanchot, Barthes, Genette); zum anderen, und das sehr häufig, bei den russischen Formalisten, schließlich auch bei Autoren wie T. S. Eliot. Die Gesamtheit dieser Postulate, die ebenso für die literarische Forschung wie für die Literatur selbst gültig sind, bildet unseren Ausgangspunkt. Aber all dies hat uns sehr weit von den Gattungen entfernt. Gehen wir zu dem Teil von Fryes Buch über, der uns unmittelbar inter­ essiert. Im Verlauf seiner Abhandlung (es sei daran erinnert, daß sie sich aus Texten zusammensetzt, die zunächst getrennt erschienen sind) schlägt Frye mehrere Reihen von Kategori­ en vor, die alle eine Unterteilung in Gattungen zulassen (ob­ wohl der Terminus »Gattung« von Frye nur auf eine einzige dieser Reihen angewendet wird). Da ich an dieser Stelle eine rein methodologische Untersuchung durchführe, begnüge ich mich damit, die logische Artikulation seiner Klassifikationen festzuhalten, ohne detaillierte Beispiele zu geben.

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I. Die erste Klassifikation definiert die »Aussageweisen der Fiktion«. Sie entstehen aus dem Verhältnis zwischen dem Helden des Buches und uns selbst oder den Gesetzen der Natur. Es sind fünf an der Zahl: 1. Der Held besitzt der »Art« nach eine Überlegenheit über den Leser und die Gesetze der Natur; diese Gat­ tung heißt Mythos. 2. Der Held besitzt dem Grad nach eine Überlegenheit über den Leser und die Gesetze der Natur; das ist die Gattung der hegende oder des Märchens. 3. Der Held besitzt dem Grad nach eine Überlegenheit über den Leser, nicht aber über die Gesetze der Natur; wir sind bei der hochmimetischen Form. 4. Der Held steht auf gleicher Stufe mit dem Leser und den Gesetzen der Natur; das ist die niedrig-mimetische Form. 5. Der Held ist dem Leser unterlegen; das ist die ironische Dichtart (pp. 37 f). il. Eine andere fundamentale Kategorie ist die der Wahr­ scheinlichkeit; hier sind die beiden Pole der Literatur die wahrscheinliche Erzählung und die Erzählung, in der die Personen »alles zu tun vermögen« (pp. 56f). III. Eine dritte Kategorie legt den Akzent auf zwei Hauptten­ denzen der Literatur: das Komische, das den Helden mit der Gesellschaft versöhnt, und das Tragische, das ihn von ihr trennt (pp. 59). IV. Die Klassifikation, die für Frye die wichtigste zu sein scheint, ist die, die die Archetypen definiert. Es sind vier an der Zahl (vier Mythoi), und sie gründen sich auf den Ge­ gensatz von Wirklichem und Idealem. So werden dort die »Romanze« (im Bereich des Idealen), die ironische Dicht­ art (im Bereich des Wirklichen), die Komödie (Übergang vom Wirklichen zum Idealen), die Tragödie (Übergang vom Idealen zum Wirklichen) charakterisiert (p. 164). V. Es folgt die Einteilung der Gattungen im eigentlichen Sinne; sie gründet sich auf die Art des Publikums, für das 17

die Werke bestimmt sind. Gattungen sind: das Drama (aufgeführte Werke), die lyrische Dichtung (gesungene Werke), die epische Dichtung (rezitierte Werke), die Prosa (gelesene Werke) (p. 248 ff). Das wird dann noch folgen­ dermaßen präzisiert: »Die Hauptunterscheidung ... hängt mit der Tatsache zusammen, daß epos episodisch ist und Prosadichtung zusammenhängend« (pp. 249 f). VI. Schließlich erscheint auf Seite 808 eine letzte Klassifika­ tion, die sich um die Gegensätze intellektuell/persönlich und introvertiert/extravertiert gliedert. Man könnte sie auf folgende Weise schematisch darstellen:

introvertiert extravertiert

intellektuell

persönlich

Konfession

»Romanze«

»Anatomie«

Roman

Das waren einige der von Frye vorgeschlagenen Kategorien (und, können wir hinzufügen, Gattungen). Seine Kühnheit ist offensichtlich und lobenswert; bleibt abzuwarten, was sie erbringt. I. Die ersten kritischen Anmerkungen, zugleich die einfach­ sten, die wir formulieren wollen, sind logischer Art, um nicht zu sagen, sie entspringen dem gesunden Menschen­ verstand (ihre Nützlichkeit für die Untersuchung des Fan­ tastischen wird, so hoffen wir, später zutage treten). Fryes Klassifikationen haben keine logische Kohärenz, weder untereinander noch eine jede für sich. Schon Wimsatt hat in seiner Kritik an Frye zu Recht bemerkt, daß es un­ möglich sei, die beiden Hauptklassifizierungen, nämlich die unter I. und IV. aufgeführten, zu koordinieren. Eine skizzenhafte Analyse der I. Klassifikation dürfte genügen, um die immanenten Inkonsequenzen sichtbar werden zu lassen. Dort wird eine Einheit, der Held, mit zwei anderen, nämlich a) dem Leser (»uns selbst«) und b) den Natur18

gesetzen verglichen. Überdies kann die Beziehung (der Überlegenheit) entweder qualitativ sein (»der Art nach«) oder quantitativ (»dem Grade nach«). Aber wenn man die­ se Klassifikation schematisiert, bemerkt man, daß zahlrei­ che Kombinationsmöglichkeiten in der Aufzählung von Frye nicht Vorkommen. Um es vorwegzunehmen, sie ist asymmetrisch: den drei Kategorien der Überlegenheit des Helden entspricht nur eine einzige Kategorie der Unter­ legenheit; auf der anderen Seite wird die Unterscheidung »der Art nach - dem Grade nach« nur ein einziges Mal angewandt, während man sie in bezug aufjede Kategorie benutzen könnte. Es ist zweifellos möglich, den Vorwurf der Inkohärenz zurückzuweisen, indem man zusätzliche Einschränkungen fordert, die die Anzahl der Möglichkei­ ten reduzieren; z. B. wird man sagen können, daß im Falle des Verhältnisses zwischen dem Helden und den Natur­ gesetzen das Verhältnis zwischen einer Ganzheit und ei­ nem Element besteht und nicht zwischen zwei Elementen; wenn der Held diesen Gesetzen gehorcht, kann von einer Differenz zwischen Qualität und Quantität nicht mehr die Rede sein. Ebenso könnte man präzisieren, daß, wenn der Held den Naturgesetzen unterlegen ist, er dem Le­ ser überlegen sein kann, daß aber das Umgekehrte nicht zutrifft. Diese zusätzlichen Einschränkungen würden es erlauben, Inkonsequenzen zu vermeiden; aber es ist uner­ läßlich, sie zu formulieren. Sonst haben wir es mit einem nichtexpliziten System zu tun und bleiben im Bereich des Glaubens, wenn nicht gar des Aberglaubens. Ein denkbarer Einwand gegen unsere eigenen Ein­ wände könnte sein: wenn Frye nur fünf Gattungen (Modi) von dreizehn theoretisch formulierbaren aufzählt, so des­ halb, weil diese fünf Gattungen vorgefunden worden sind, was von den acht anderen nicht behauptet werden kann. Diese Bemerkung führt auf eine wichtige Unterschei­ dung zwischen zwei Bedeutungen, die man dem Wort 19

Gattung beilegt. Um jede Zweideutigkeit zu vermeiden, müßte man zwischen historischen Gattungen auf der einen und systematischen Gattungen auf der anderen Seite unter­ scheiden. Die ersteren ergäben sich aus der Beobachtung der literarischen Wirklichkeit, die letzteren deduktiv aus theoretischen Überlegungen. Was wir in der Schule über die Gattungen gelernt haben, bezieht sich immer auf die historischen Gattungen. Man spricht von einer tragédie classique, weil es in Frankreich Werke gegeben hat, die offen ihre Zugehörigkeit zu dieser literarischen Form kundgetan haben. Beispiele für systematische Gattungen hingegen gibt es in den antiken Poetiken. So teilt Diomedes (4. Jh. n. Chr.) in der Nachfolge Platons alle Werke in drei Kategorien ein: zur ersten gehören die, in denen allein der Erzähler spricht; zur zweiten die, in denen allein die Personen sprechen; zur dritten schließlich die, in denen sowohl der eine als auch die anderen sprechen. Diese Klas­ sifikation gründet sich nicht auf einen historischen Ver­ gleich der Werke (wie im Fall der historischen Gattungen), sondern auf eine abstrakte Hypothese, die postuliert, daß das Subjekt des Aussagens das wichtigste Element des literarischen Werkes sei und daß man, der Beschaffenheit dieses Subjekts entsprechend, eine logisch kalkulierbare Anzahl systematischer Gattungen unterscheiden kann. Nun konstituiert sich das System Fryes wie das der antiken Poetiker aus systematischen und nicht aus histo­ rischen Gattungen. Es gibt nur eine bestimmte Anzahl von Gattungen, nicht, weil man nicht mehr hat auffinden können, sondern weil das Prinzip des Systems es verlangt. Folglich ist es notwendig, alle denkbaren Kombinationen von den gewählten Kategorien her zu deduzieren. Man könnte sogar sagen, daß, gäbe es darunter eine Kombi­ nation, die niemals eine reale Entsprechung gehabt hat, wir diese um so lieber beschreiben müßten. Ebenso wie man innerhalb Mendelejews System Eigenschaften von 20

Elementen beschreiben kann, die noch gar nicht entdeckt sind, so wird man hier die Eigenschaften künftiger Gat­ tungen - und damit künftiger Werke - beschreiben. Diese erste Beobachtung führt uns zu zwei weiteren Anmerkungen. Die erste: jede Gattungstheorie gründet sich auf eine Konzeption vom Werk, auf ein Bild vom Werk, das sich zum einen aus einer bestimmten Anzahl abstrakter Eigenschaften zusammensetzt, zum anderen aus Regeln, die die Relationen dieser Eigenschaften zueinander bestim­ men. Wenn Diomedes die Gattungen in drei Kategorien einteilt, dann heißt das: er postuliert ein dem Werk im­ manentes Merkmal, das Vorhandensein eines Subjekts des Aussagens. Indem er seine Klassifikation auf dieses Merk­ mal gründet, räumt er ihm überdies erstrangige Bedeutung ein. Ebenso stützt sich Frye bei seiner Klassifikation auf das Verhältnis der Überlegenheit oder der Unterlegenheit zwischen dem Helden und uns selbst, was bedeutet, daß er dieses Verhältnis als Element des Werkes, ja, mehr noch, als eins seiner grundlegenden Elemente betrachtet. Man kann auf der anderen Seite innerhalb der syste­ matischen Gattungen eine zusätzliche Unterscheidung einführen und von elementaren und komplexen Gattungen sprechen. Die ersteren definierten sich, wie bei Diomedes, aus dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines einzigen Merkmals, die letzteren aus dem gleichzeitigen Vorhandensein mehrerer Merkmale. So würde man z. B. die komplexe Gattung »Sonett« danach definieren, daß sie folgende Eigenschaften in sich vereint: 1. bestimmte Reimvorschriften; 2. bestimmte metrische Vorschriften; 3. bestimmte thematische Vorschriften. Eine derartige Definition setzt eine Theorie des Metrums, des Reims und der Themen (mit anderen Worten: eine umfassende Theorie der Literatur) voraus. Es wird damit evident, daß die historischen Gattungen einen Teil der komplexen sy­ stematischen Gattungen bilden.

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II. Wir haben formale Inkohärenzen in Fryes Klassifikatio­ nen hervorgehoben und sind dabei zu einer Beobachtung gelangt, die sich nicht mehr auf die logische Form seiner Kategorien, sondern auf ihren Inhalt bezieht. Frye erläu­ tert nirgendwo seine Auffassung vom Werk (die, wie wir sahen, ob man es will oder nicht, der Ausgangspunkt für die Klassifikation nach Gattungen ist), und er widmet erstaunlich wenige Seiten der theoretischen Diskussion seiner Kategorien. Wir wollen dies an seiner Stelle tun. Sehen wir uns einige dieser Kategorien noch einmal an: überlegen - unterlegen; wahrscheinlich - unwahr­ scheinlich; Versöhnung - Ausschluß (in bezug auf die Gesellschaft); real - ideal; introvertiert - extravertiert; intellektuell - persönlich. Was bei dieser Aufzählung so­ fort auffällt, ist ihre Willkür. Warum sollen gerade diese Kategorien und nicht andere für die Beschreibung eines literarischen Textes am geeignetsten sein? Man sollte er­ warten, daß diese Auswahl durch eine strenge Beweisfüh­ rung gerechtfertigt ist, aber keine Spur von einer solchen Beweisführung. Hinzu kommt, daß man nicht umhinkann, einen diesen sämtlichen Kategorien gemeinsamen Zug hervorzuheben: ihren außerliterarischen Charakter. Wie wir sehen, sind sie alle der Philosophie, der Psychologie oder einer sozialen Ethik entliehen und übrigens nicht irgendeiner beliebigen Psychologie oder Philosophie. Entweder sind diese Termini in einem spezifischen, ei­ gentlich literarischen Sinn zu verstehen, oder aber - und da darüber nichts gesagt wird, ist dies die einzige Mög­ lichkeit, die sich uns bietet - sie führen uns aus der Lite­ ratur heraus. Dann aber wäre die Literatur nur mehr ein Mittel, um philosophische Kategorien auszudrücken. Ihre Autonomie wird dadurch radikal in Frage gestellt — und wir befinden uns von neuem in Widerspruch mit einem der theoretischen Prinzipien, die derselbe Frye ausge­ sprochen hat.

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Selbst wenn diese Kategorien nur für die Literatur Gültigkeit hätten, würden sie nach einer weitergehenden Erklärung verlangen. Kann man vom Helden sprechen, als ob dieser Begriff sich von selbst verstünde? Welches ist der genaue Sinn dieses Wortes? Und was ist das Wahr­ scheinliche? Betrifft sein Gegenteil lediglich Erzählungen, in denen die Personen »alles zu tun vermögen« (p. 56)? Frye selbst gibt weiter unten eine andere Interpretation, die diese eigentliche Bedeutung des Wortes in Frage stellt (»Ein schöpferischer Maler weiß natürlich, daß das Publi­ kum mit seiner Forderung nach Ähnlichkeit mit dem Ge­ genstand po an objectj gewöhnlich genau das Gegenteil meint, nämlich Übereinstimmung mit den Konventionen der Darstellung, mit denen es vertraut ist«, p. 134). III. Wenn man Fryes Analysen noch genauer betrachtet, ent­ deckt man ein weiteres Postulat, das, wenngleich unausge­ sprochen, in seinem System zentrale Bedeutung hat. Die Mängel, die wir bislang aufgezeigt haben, können leicht behoben werden, ohne daß das System dadurch angetastet würde: man könnte die logischen Unstimmigkeiten ver­ meiden und eine theoretische Begründung für die Wahl der Kategorien finden. Die Konsequenzen des neuen Po­ stulats sind sehr viel schwerwiegender, denn es handelt sich um eine grundlegende Vorentscheidung. Durch sie gerät Frye eindeutig in Gegensatz zum strukturalistischen Ansatz und stellt sich eher in eine Tradition, der man Namen wie Jung, Bachelard oder Gilbert Durand (so verschieden ihre Werke auch sein mögen) zuordnen kann. Das Postulat lautet: die Strukturen, zu denen die lite­ rarischen Phänomene sich ordnen, manifestieren sich auf der Ebene dieser Phänomene selbst-, mit anderen Worten: diese Strukturen sind unmittelbar zu beobachten. LéviStrauss dagegen schreibt: »Das Grundprinzip ist, daß der Begriff der sozialen Struktur sich nicht auf die empirische Wirklichkeit, sondern auf die nach jener Wirklichkeit

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konstruierten Modelle bezieht« (p. 301). Sehr vereinfacht könnte man sagen, daß Frye zufolge der Wald und das Meer eine Elementarstruktur ergeben; für einen Struk­ turalisten hingegen sind diese beiden Phänomene Mani­ festationen einer abstrakten Struktur, Produkt einer Ela­ boration, die sich anderswo artikuliert, nämlich als Oppo­ sition zwischen dem Statischen und Dynamischen. Sofort wird deutlich, warum Bilder wie die vier Jahreszeiten oder die vier Tageszeiten oder die vier Elemente bei Frye eine so bedeutende Rolle spielen; er selbst versichert (in seinem Vorwort zu einer Bachelard-Übersetzung): »Die Erde, die Luft, das Wasser und das Feuer sind die vier Elemente der Erfahrung des Imaginären und werden es immer sein« (p. VII). Während die »Struktur« der Strukturalisten vor allem eine abstrakte Regel ist, reduziert die »Struktur« bei Frye sich auf eine Anordnung im Raum. Frye ist, was dies betrifft, übrigens deutlich: »Sehr oft läßt sich eine Denk->Struktur< oder ein Denk->System< auf ein diagram­ matisches Muster reduzieren; beide Wörter sind sogar bis zu einem gewissen Grade Synonyme von >DiagrammWürde ich mich nicht mit dem Hirnlappen, den ich mir aus­ reißen wollte, um den entsprechenden Teil meiner Intelligenz berauben?Laß mir dein Spiegelbild, du innig Geliebter, es soll mein und bei mir bleiben immerdar« « Und angesichts seiner Verwunderung fährt sie fort: »>Nicht einmah, sprach Giulietta, >nicht einmal diesen Traum deines Ichs, wie er aus dem Spiegel hervorschimmert, gönnst du mir, der du sonst mein mit Leib und Seele sein wolltest? Nicht ein­ mal dein unstetes Bild soll bei mir bleiben und mit mir wan­ deln durch das arme Leben, das nun wohl, da du fliehst, ohne Lust und Liebe bleiben wird?< Die heißen Tränen stürzten der Giulietta aus den schönen dunklen Augen. Da rief Erasmus,

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wahnsinnig vor tötendem Liebesschmerz: >Muß ich denn fort von dir? — muß ich fort, so soll mein Spiegelbild dein bleiben auf ewig und immerdarKönnte sie doch kommen«, rief Landolfo, >und dich zur Hölle mitnehmen, zusammen mit deinem Bruder und der ganzen Familie Zampi!< Die unglückliche Mutter fiel auf die Knie und sprach: >Oh, mein Gott, verzeih ihm seine Lästerungen!« In diesem Augenblick sprang polternd die Tür auf, und es erschien ein hageres, von Dolchstößen entstell­ tes Gespenst, das dennoch eine entsetzliche Ähnlichkeit mit Bianca bewahrte« (I, p. 61). So wird hier der schlichte Fluch, dessen ursprünglicher Sinn gewöhnlich nicht mehr wahrgenommen wird, wörtlich genommen. Eine dritte Art der Verwendung rhetorischer Figu­ ren jedoch verdient das meiste Interesse. In den beiden vorhergegangenen Fällen war das Bild die Quelle, der Ursprung des übernatürlichen Elements. Die Beziehung zwischen beiden war diachronisch. Im dritten Fall ist die Beziehung synchronisch: Bild und Übernatürliches sind auf derselben Ebene gegenwärtig, und ihre Beziehung ist funktional und nicht »etymologisch«. Hier geht dem Hervortreten des Übernatürlichen eine Reihe von Ver­ gleichen, bildlichen oder einfach nur idiomatischen Wen­ dungen voraus, die in der Umgangssprache sehr geläufig sind, wenn man sie wörtlich nimmt, jedoch ein überna­ türliches Ereignis bezeichnen: genau gesagt das, welches am Schluß der Geschichte eintritt. Beispiele dafür haben wir in Die Nase gefunden - es gibt deren unzählig viele. Nehmen wir Mérimées Vénus d'Ille. Das übernatürliche Ereignis findet statt, als eine Statue lebendig wird und durch ihre Umarmung einen Jungvermählten tötet, der 100

die Unvorsichtigkeit begangen hat, ihr seinen Trauring am Finger zu lassen. Es läßt sich klar erkennen, wie der Leser durch die bildlichen Wendungen, die dem Ereig­ nis vorangehen, »konditioniert« wird. Einer der Bauern beschreibt die Statue: »Sie behext einen geradezu mit ih­ ren großen weißen Augen. Man muß wegsehen, ja, sowie man sie anschaut« (p. 283). Es ist eine Banalität, von den Augen eines Porträts zu sagen, daß sie lebendig erschei­ nen; hier jedoch bereitet uns diese Banalität auf ein wirk­ liches »Lebendigwerden« vor. Weiter unten erklärt der Jungvermählte, weshalb er niemanden schicken will, um den Ring zu holen, den er am Finger der Statue gelassen hat: »Was würde man übrigens von meiner Zerstreutheit denken? ... Man würde mich das Ehegespons der Venus nennen« (pp. 311 f). Wieder nur eine schlichte bildliche Wendung, aber am Schluß der Geschichte wird die Statue sich tatsächlich so verhalten, als wäre sie Alfons’ Gattin. Und nach dem Unfall beschreibt der Autor auf folgende Weise Alfons’ leblosen Körper: »Ich schob sein Hemd aus­ einander und bemerkte auf seiner Brust einen bläulichen Eindruck, der über die Seiten und nach dem Rücken lief. Man war versucht anzunehmen, er sei von einem eisernen Ring umschlungen worden« (pp. 320f); »man war ver­ sucht anzunehmen« - genau dies suggeriert uns die über­ natürliche Deutung. So heißt es dann auch im Bericht der Braut nach der verhängnisvollen Nacht: »Da öffnete sich die Tür und jemand trat ein ... Im nächsten Augenblick ächzte das Bett wie unter gewaltiger Last« (p. 323). Wie man sieht, wird der bildliche Ausdruck jedesmal durch eine modalisierende Formulierung eingeleitet: »man muß wegsehen, ja, sowie«; »man würde mich ... nennen«, »man war versucht anzunehmen«, »wie unter gewaltiger Last«. Dies Verfahren ist keineswegs eine Eigentümlich­ keit Mérimées; man findet es bei fast allen Autoren des Fantastischen. So beschreibt Nodier in Inès de las Sierras

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das Auftauchen eines unheimlichen Wesens, das wir für ein Gespenst halten sollen, mit folgenden Worten: »Die­ se Physiognomie hatte so gar nichts Irdisches an sich« (p. 682). Wenn es sich wirklich um ein Gespenst handelt, dann muß es dasjenige sein, das der Legende zufolge sei­ ne Feinde bestraft, indem es ihnen eine brennende Hand aufs Herz legt. Und was tut Inès? »Das tut gut, sagte Inès und legte Sergy feinem der Anwesenden] den einen Arm um den Hals, während sie ihm ab und zu eine Hand aufs Herz legte, die ebenso glühend heiß war wie die, von der uns die Stefanslegende gesprochen hat« (p. 687); der Vergleich wird durch eine »Koinzidenz« ergänzt. Dieselbe Inès, ein potentielles Gespenst, tut ein übriges: »Oh Wun­ der! setzte sie plötzlich hinzu. Welcher gütige Geist mir da wohl unbemerkt Kastagnetten an den Gürtel gesteckt hat« (p. 689). In Villiers de l’Isle-Adams Véra findet sich dasselbe Mittel: »In ihnen durchdrangen Geist und Leib einander so vollkommen, daß ihre Gestalten ihnen als geistig er­ schienen ...« (p. 18); »Die Perlen waren noch warm, und ihr milder Glanz schimmerte, als geschehe es durch die Wär­ me ihres Körpers. ... An diesem Abend nun aber funkelte der Opal, als habe sie ihn gerade erst abgelegt« (p. 22); die beiden Anspielungen auf die Auferstehung werden durch »daß« bzw. »als« eingeleitet. Dasselbe Verfahren auch bei Maupassant. In La Cheve­ lure entdeckt der Erzähler im Geheimfach eines Schreibtischs eine Haarflechte. Bald stellt sich bei ihm das Gefühl ein, daß dies Haar nicht abgeschnitten worden ist, sondern daß die Frau, der es gehört, ebenfalls anwesend ist. Und so wird ihr Erscheinen vorbereitet: »Man betrachtet einen Gegenstand, und nach und nach wirkt er versucherisch, verwirrend, zieht uns in seinen Bann wie ein Frauenant­ litz«, und mehr noch: »Man liebkost ihn [den Schrank] mit Augen und Hand, als wäre er lebendes Fleisch; man

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^betrachtet ihn] mit der Schwärmerei eines Liebhabers« (IV, pp. 12 f.). Wir sind damit auf die »anormale« Liebe vorbereitet, die der Erzähler diesem leblosen Objekt, dem Haar, entgegenbringen wird. Nicht zu vergessen die Ver­ wendung des »als [wäre er ...[]«. In Qui sait? heißt es: »Das dichte Blätterzelt sah wie eine Gruft aus, die mein Haus überwölbte« (p. 175): schon sehen wir uns ohne Umschweife in die Begräbnisstim­ mung der Novelle versetzt. Oder weiter unten: »ich ging so vorwärts, wie ein Ritter in finstern Zeiten in ein ver­ zaubertes Schloß eindrang« (p. 183); in eben diesem Au­ genblick treten wir ins Reich der Zauberei ein. Anzahl und Vielfalt der Beispiele zeigen deutlich, daß es sich hier nicht um ein individuelles Stilmerkmal handelt, sondern um eine Eigenschaft, die mit der Struktur der Gattung des Fantastischen zusammenhängt. Die verschiedenen Beziehungen zwischen dem Fanta­ stischen und dem bildlichen Diskurs, die wir feststellen konnten, erhellen sich gegenseitig. Wenn das Fantasti­ sche sich ohne Unterlaß rhetorischer Figuren bedient, so deshalb, weil es aus ihnen entspringt. Das Übernatürliche entspringt aus der Sprache, es ist zugleich ihre Folge und beweist sich an ihr: nicht nur, daß Teufel und Vampire ausschließlich in den Wörtern existieren, allein die Spra­ che ermöglicht auch zu begreifen, was stets abwesend ist: das Übernatürliche. Dieses wird so zu einem Symbol der Sprache, ganz wie die rhetorischen Figuren, und das Bild ist, wie wir gesehen haben, die reinste Form der Wört­ lichkeit. II. Die Verwendung des bildlichen Diskurses ist ein Merkmal der Aussage; kommen wir jetzt zum Aussagen oder, ge­ nauer gesagt, zum Problem des Erzählers, um eine zweite strukturale Eigenschaft der fantastischen Erzählung nä­ her zu betrachten. In fantastischen Geschichten sagt der Erzähler gewöhnlich »ich« (»je«). Das ist eine empirische

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Tatsache, die man leicht nachprüfen kann. L,e Diable amou­ reux, Die Handschrift von Saragossa, Aurélia, Gautiers Er­ zählungen, die Poes, einige von E.T. A. Hoffmann - all diese Werke unterwerfen sich der Regel. Die Ausnahmen bilden fast nur Texte, die sich, in mehrfacher Hinsicht, vom Fantastischen entfernen. Um diese Tatsache richtig einzuschätzen, müssen wir auf eine unserer Prämissen zurückkommen; sie betrifft den Status des literarischen Diskurses. Obgleich die Sätze des literarischen Textes zumeist eine behauptende Form haben, so sind sie doch keine wirklichen Behauptungen, denn sie genügen einer wesentlichen Bedingung nicht: dem Wahrheitsbeweis. Mit anderen Worten, wenn ein Buch mit dem Satz beginnt »Jean lag in seinem Zimmer ausgestreckt auf dem Bett«, so haben wir nicht das Recht, uns zu fragen, ob das wahr sei oder falsch; eine solche Frage hat keinen Sinn. Die literarische Sprache ist eine konventionelle Sprache, in der der Wahrheitsbeweis nicht möglich ist: die Wahrheit ist eine Beziehung zwischen den Wörtern und den Dingen, die sie bezeichnen, und in der Literatur gibt es diese »Dinge« nicht. Die Literatur wie­ derum kennt die Forderung nach Stimmigkeit oder nach innerer Kohärenz. Wenn man uns auf der nächsten Seite desselben imaginären Buchs mitteilt, daß es in Jeans Zim­ mer überhaupt kein Bett gibt, dann entspricht der Text nicht der Forderung der Kohärenz und macht eben da­ durch aus dieser ein Problem, d. h. er thematisiert sie. Das ist mit der Wahrheit nicht möglich. Gleichermaßen muß man sich hüten, das Problem der Wahrheit mit dem der Darstellung zu verwechseln: allein die Poesie verweigert die Darstellung, aber die gesamte Literatur entzieht sich der Kategorie des Wahren und des Falschen. Es ist trotzdem angebracht, hier noch eine im Innern des Werks begründete Unterscheidung einzuführen: tat­ sächlich entzieht sich allein das, was im Text im Namen 104

des Autors gegeben wird, dem Wahrheitsbeweis; die Rede der Personen etwa kann wahr oder falsch sein wie im alltäglichen Diskurs auch. Der Kriminalroman z. B. spielt beständig mit den falschen Aussagen der Personen. Das Problem wird komplexer im Fall einer Erzähler-Person, eines Erzählers, der »ich« sagt. Insofern er Erzähler ist, darf sein Diskurs nicht dem Wahrheitsbeweis unterzogen werden, als handelnde Person aber kann er lügen. Dieses Doppelspiel ist, wie bekannt, in einem der Romane Aga­ tha Christies, The Murder ofRoger Ackroyd, verwertet wor­ den. Hier hat der Leser keinen Augenblick den Erzähler in Verdacht und vergißt dabei, daß der ja auch handelnde Person ist. Der repräsentierte Erzähler entspricht also vollkom­ men dem Fantastischen. Er ist der einfachen handelnden Person vorzuziehen, die ja leicht lügen kann, wie wir an­ hand einiger Beispiele sehen werden. Aber er ist gleicher­ maßen auch dem nicht-repräsentierten Erzähler vorzu­ ziehen, und zwar aus zwei Gründen. Erstens wären wir, würde uns das übernatürliche Ereignis von einem solchen Erzähler geschildert, alsbald im Bereich des Wunderba­ ren. Zwar hätte man keinen Grund, an seinen Worten zu zweifeln, aber das Fantastische braucht ja, wie wir wissen, gerade den Zweifel. Es ist kein Zufall, daß in wunderbaren Geschichten selten die erste Person verwendet wird (so weder in den Märchen aus tausendundeiner Nacht, weder in Perraults Märchen noch in den Erzählungen E.T. A. Hoffmanns oder in Vathek')-. sie bedürfen dessen nicht, kein Zweifel soll ihr übernatürliches Universum aufhorchen lassen. Das Fantastische stellt uns vor ein Dilemma: soll man’s glauben oder nicht? Das Wunderbare bringt die un­ mögliche Verbindung zustande, indem es dem Leser vor­ schlägt, daran zu glauben, ohne es wirklich zu tun. Zwei­ tens - und dieser Punkt bezieht sich auf die Definition des Fantastischen selbst — ist es die erste als »erzählende«

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Person, die dem Leser die Identifizierung mit der han­ delnden Person am leichtesten macht, da ja das Pronomen »ich« allen gleichermaßen gehört. Darüber hinaus wird der Erzähler, um die Identifizierung zu erleichtern, wohl ein »Durchschnittsmensch« sein, in dem jeder (oder fast jeder) Leser sich erkennen kann. Auf diese Weise dringt man auf dem direktesten Weg ins Universum des Fanta­ stischen ein. Die Identifizierung, die wir evozieren, darf nicht als ein individuelles psychologisches Spiel aufgefaßt werden: es ist ein Mechanismus, der dem Text immanent ist, eine strukturale Inschrift. Selbstverständlich hindert nichts den realen Leser, in bezug auf das Universum des Buches jede Distanz zu wahren. Einige Beispiele mögen die Wirksamkeit dieses Mit­ tels beweisen. Die ganze »Spannung« einer Novelle wie Inès de las Sierras beruht auf der Tatsache, daß die uner­ klärlichen Ereignisse von jemandem erzählt werden, der gleichzeitig einer der Helden der Geschichte und der Er­ zähler ist: er ist ein Mensch wie alle anderen, seine Rede ist also doppelt vertrauenswürdig. Mit anderen Worten, die Ereignisse sind übernatürlich, der Erzähler ist natür­ lich: ausgezeichnete Bedingungen für das Entstehen des Fantastischen. Ebenso in der Vénus d’Ille (die eher zum Fantastisch-Wunderbaren tendiert, während man sich bei Nodier im Bereich des Fantastisch-Unheimlichen befand); wenn das Fantastische in Erscheinung tritt, dann heißt das, daß gerade die Indizien des Wunderbaren (die Spuren der Umarmung, das Geräusch von Schritten auf der Trep­ pe und vor allem die Entdeckung des Rings im Schlafzim­ mer) vom Erzähler selbst aufgefunden werden, d. h. von einem Archäologen, der vertrauenswürdig ist und durch­ drungen von den Erkenntnissen der Wissenschaft. Die Rolle, die der Erzähler in diesen beiden Novellen spielt, erinnert ein wenig an die Watsons in den Romanen Conan Doyles oder an die zahlreichen Schwierigkeiten, denen 106

jener begegnet: sie sind eher Zeugen als Protagonisten, so daß sich jeder Leser in ihnen erkennen kann. In Inès de las Sierras wie in La Vénus d’Ille erleichtert die Erzähler-Person also die Identifizierung-, andere Bei­ spiele veranschaulichen die erste Funktion des Erzählers, die wir aufgedeckt haben: das, was erzählt wird, zu be­ glaubigen, ohne daß er nun gleich verpflichtet wäre, das Übernatürliche definitiv anzuerkennen. Eins dieser Bei­ spiele ist die Szene aus dem Diable amoureux, in der Soberano Zeugnis ablegt von seinen Zauberkräften: »Drauf rief er: >Calderon, stopf meine Pfeife, zünd an und bring her!< Kaum gesagt, so verschwand die Pfeife, und bevor ich mich besinnen konnte, wer der befohlene Calderon sei, war sie schon wieder angezündet da, und Soberano rauchte von neuem« (p. 7). Ebenso in Maupassants Un fou?-. »Auf meinem Tisch lag eine Art Dolchmesser; ich benutzte es zum Aufschnei­ den von Büchern. Er streckte die Hand danach aus. Sie schien zu kriechen; sie rückte langsam näher; und plötz­ lich sah ich, ja, ich sah, wie das Messer anfing zu zittern, dann bewegte es sich, dann glitt es langsam, ganz von selber, über die Holzfläche der Hand entgegen, die war­ tend innegehalten hatte, und schob sich in die Finger. - Ich schrie vor Entsetzen auf« (p. 120). Bei keinem dieser Beispiele bezweifeln wir das Zeug­ nis des Erzählers, wir suchen vielmehr mit ihm eine ra­ tionale Erklärung für die bizarren Fakten. Die Person darf lügen, der Erzähler sollte es nicht: das ist die Schlußfolgerung, die man aus dem Roman Potockis ziehen könnte. Uns liegen zwei Schilderungen desselben Ereignisses vor, der Nacht, die Alfons mit seinen zwei Cousinen verbracht hat: die Alfons’, die keine übernatür­ lichen Elemente enthält, und die Pachecos, der mit ansieht, wie die beiden Cousinen sich in Leichen verwandeln. Da nun aber der Bericht Alfons' (nahezu) nicht falsch sein 107

kann, kann der Pachecos eigentlich nur die reine Lügen­ erfindung sein, wie Alfons argwöhnt (zu Recht, wie wir später erfahren). Oder mehr noch, Pacheco könnte ja Vi­ sionen gehabt haben, verrückt sein usw., nicht aber Alfons, insofern er mit der immer noch »normalen« Instanz des Erzählers verschmilzt. Die Novellen Maupassants illustrieren die unter­ schiedlichen Grade des Vertrauens, das wir den Erzählun­ gen entgegenbringen. Man kann deren zwei unterschei­ den, entsprechend den beiden Möglichkeiten, daß der Er­ zähler der Geschichte entweder äußerlich ist (außerhalb der Geschichte steht) oder eine ihrer treibenden Kräfte. Steht er außerhalb, so kann er die Reden der Person selbst beglaubigen oder nicht, und die erste Möglichkeit macht die Erzählung überzeugender (wie etwa in dem zitierten Abschnitt von Un fou?). Wenn nicht, wird der Leser ver­ sucht sein, das Fantastische aus dem Wahnsinn zu erklä­ ren — so bei La Chevelure und der ersten Fassung von Le Horla, um so mehr, als der Schauplatz der Erzählung in beiden Fällen eine Heilanstalt ist. In seinen besten fantastischen Erzählungen (Lui?, La Nuit, Le Horla, Qui sait?) macht Maupassant jedoch den Erzähler selbst zum Helden der Geschichte (das ist auch das Verfahren E. A. Poes und vieler anderer nach ihm). Der Akzent wird also auf die Tatsache gelegt, daß es sich eher um den Diskurs des Autors handelt, d. h. seinen Worten gegenüber ist Vorsicht am Platze, und wir mögen durch­ aus vermuten, daß alle diese Personen Verrückte sind; sind sie jedoch nicht durch einen von dem des Erzählers un­ terschiedenen Diskurs eingeführt worden, schenken wir ihnen immer noch ein paradoxes Vertrauen. Man teilt uns nicht mit, daß der Erzähler lügt, und die Möglichkeit, daß er lügen könnte, schockiert uns irgendwie von der Struktur her. Immerhin besteht die Möglichkeit (da er ja auch Person ist) - und die Unschlüssigkeit des Lesers kann entstehen.

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Fassen wir zusammen: der dargestellte Erzähler ent­ spricht dem Fantastischen, denn er erleichtert die notwen­ dige Identifizierung des Lesers mit den Personen. Der Diskurs dieses Erzählers hat einen ambivalenten Status, und die Autoren haben dies auf unterschiedliche Weise verwertet, indem sie den Akzent auf den einen oder ande­ ren seiner Aspekte gelegt haben. Gehört er zum Erzähler, steht der Diskurs diesseits des Wahrheitsbeweises, gehört er zur Person, muß er sich dem Wahrheitsbeweis unter­ werfen. III.Das dritte Strukturmerkmal des Werks, das uns hier in­ teressiert, bezieht sich auf seinen syntaktischen Aspekt. Unter dem Namen der Komposition (oder sogar der »Struk­ tur« in einem sehr ärmlichen Sinne) hat dieser Aspekt der fantastischen Erzählung oft die Aufmerksamkeit der Kri­ tiker in Anspruch genommen. Eine ziemlich umfassende Untersuchung darüber finden wir im Buch Penzoldts, der ihm ein ganzes Kapitel widmet. Wir geben im folgenden eine kurze Zusammenfassung seiner Theorie: »So könn­ te man die Struktur der idealen Gespenster-Geschichte als aufsteigende Linie darstellen, die zum Höhepunkt führt. ... Der Höhepunkt der Gespenster-Geschichten ist offensichtlich das Erscheinen des Gespensts« (p. 16); und weiter unten schreibt er: »Die meisten Autoren ver­ suchen, eine Abstufung zu erreichen, indem sie, zunächst nur vage, dann immer direkter auf den Höhepunkt hin­ deuten« (p. 28). Tatsächlich leitet sich diese Theorie des Handlungsablaufs in der fantastischen Erzählung von der Theorie her, die Poe für die Novelle überhaupt auf­ gestellt hatte. »Im ganzen Werk dürfte demnach nicht ein einziges Wort geschrieben stehen, das nicht direkt oder indirekt dazu beitrüge, diesen vorgefaßten Plan zu realisieren« (zitiert nach Eichenbaum, p. 207). Es lassen sich Beispiele finden, die diese Regel bestä­ tigen. Nehmen wir Mérimées Vénus d’llle. Der Endeffekt

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(oder, mit Penzoldts Worten, der Höhepunkt) liegt in der Belebung der Statue. Von Beginn an bereiten uns ver­ schiedene Details auf'dieses Ereignis vor; und im Hinblick auf das Fantastische bilden sie eine hervorragende Stufen­ folge. Wie wir gesehen haben, berichtet gleich auf der er­ sten Seite ein Bauer dem Erzäh 1er von der Entdeckung der Statue und charakterisiert diese wie ein lebendiges Wesen (sie ist »boshaft«, »man muß wegsehen ..., sowie man sie anschaut«). Dann wird uns sein Standpunkt als richtig beschrieben: »Diese glanzvollen Augen täuschten wirk­ liches Leben vor.« Gleichzeitig entwickeln sich die ande­ ren Themen der Erzählung: Alfons’ weihelose Hochzeit, die wollüstigen Formen der Statue. Schließlich kommt es zu der Geschichte mit dem Ring, der zufällig am Ring­ finger der Venus verblieben ist. Es gelingt Alfons nicht, ihn wieder abzustreifen, »die Venus ..., die hat den Finger krumm gemacht«, versichert er und folgert daraus: »Un­ bedingt, sie ist meine Frau« Von da an ist man mit dem Übernatürlichen konfrontiert, obwohl es außerhalb unse­ res Gesichtskreises bleibt: die Treppe, die unter Schrit­ ten kracht, das Bett, dessen Holzgestell zertrümmert ist, die Abdrücke auf Alfons’ Körper, der Ring, der in seinem Zimmer wiedergefunden wird, die tiefen Fußspuren in der Erde, der Bericht der Braut, schließlich der Beweis, daß die rationalen Erklärungen nicht zufriedenstellend sind. Das Erscheinen am Schluß ist also sorgfältig vorbereitet worden, und die Belebung der Statue vollzieht sich in ei­ ner regelmäßigen Abstufung: zuerst erweckt sie nur den Eindruck, als lebe sie, dann behauptet eine Person, sie habe den Finger krumm gemacht, am Ende schließlich scheint sie eben diese Person getötet zu haben. Im selben Stufengang entwickelt sich Nodiers Ines de las Sierras. Andere fantastische Novellen weisen jedoch keine solche Ab­ stufung auf. Nehmen wir Gautiers La Morte amoureuse. Bis zum ersten Erscheinen Clarimondes im Traum gibt es eine

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gewisse, wenn bis dahin auch unvollkommene Abstufung; dann jedoch sind die übernatürlichen Ereignisse, die eintreten, weder mehr noch minder übernatürlich - bis zur Auflö­ sung, d.h. dem Zerfall von Clarimondes Leichnam. Das glei­ che gilt für Maupassants Novellen: der Kulminationspunkt des Fantastischen ist dort keineswegs der Schluß, sondern vielmehr das erste Erscheinen. Bei Qui sait? liegt noch eine andere Organisation vor: hier gibt es tatsächlich überhaupt keine Vorbereitung des Fantastischen vor seinem brüsken Eintritt (was diesem vorangeht, ist vielmehr eine indirekte psychologische Analyse des Erzählers); dann tritt das Er­ eignis ein: die Möbel verlassen ganz allein das Haus. Darauf verschwindet das übernatürliche Element für eine gewisse Zeit; abgeschwächt taucht es dann während der Entdeckung der Möbel in dem Antiquitätengeschäft wieder auf, um dann, kurz vor Schluß, mit der Rückkehr der Möbel ins Haus wieder voll von seinen Rechten Besitz zu ergreifen. Der Schluß selbst enthält indessen kein einziges übernatürliches Element. Er wird nichtsdestoweniger vom Leser als Höhepunkt empfun­ den. Penzoldt deckt übrigens in einer seiner Analysen eine ähnliche Konstruktion auf und folgert: »Im Gegensatz zu der üblichen aufsteigenden Linie in Richtung auf einen ein­ zigen Höhepunkt, wie sie für die Mehrzahl der Gespenster­ geschichten charakteristisch ist, kann man die Struktur dieser Geschichten als eine gerade horizontale Linie darstellen, die, nach kurzem Ansteigen während der Einleitung, beständig auf einer Ebene knapp unterhalb des üblichen Höhepunkts verläuft« (p. 129). Jedoch beschneidet eine solche Bemerkung natürlich die Allgemeingültigkeit des vorhergegangenen Ge­ setzes. Halten wir en passant fest, daß allen formalistischen Kritikern die Tendenz gemeinsam ist, die Struktur des Wer­ kes anhand einer Raumf igur darzustellen. Diese Analysen führen uns zu folgender Schlußfolgerung: gewiß gibt es ein Merkmal des Fantastischen, das obligato­ risch ist, doch ist es allgemeiner, als Penzoldt es anfänglich

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dargestellt hat, und es handelt sich nicht um eine Abstufung. Es muß aber auch erklärt werden, weshalb dieses Merkmal für das Fantastische unabdingbar ist. Kehren wir noch einmal zu unserer Definition zurück. Das Fantastische enthält, im Gegensatz zu vielen anderen Gattungen, zahlreiche Hinweise auf die Rolle, die der Leser spielen soll (was nicht heißen soll, daß das bei anderen Texten nie der Fall ist). Wir haben festgestellt, daß diese Eigenschaft, allgemeiner gesprochen, aus dem Prozeß des Aussagens her­ vorgeht, wie er innerhalb des Textes selbst dargestellt wird. Ein anderes wichtiges Konstituens dieses Prozesses ist seine Zeitlichkeit: jedes Werk enthält einen Hinweis im Hinblick auf die Zeit seiner Perzeption; die fantastische Erzählung, die den Prozeß des Aussagens stark unterstreicht, legt gleich­ zeitig den Akzent auf die Zeit der Lektüre. Und das erste Charakteristikum dieser Zeit ist es nun, daß sie aus Gründen der Konvention irreversibel ist. Jeder Text enthält einen im­ pliziten Hinweis: er liegt darin, daß man ihn vom Anfang zum Ende, seine Seiten von oben nach unten lesen muß. Das soll nicht heißen, daß es nicht Texte gäbe, die uns zwingen, diese Ordnung zu durchbrechen, aber die Modifikation bezieht ihre ganze Bedeutung eben aus der Beziehung zur Konvention, die die Lektüre von links nach rechts impliziert. Das Fan­ tastische ist eine Gattung, die diese Konvention deutlicher hervortreten läßt als andere. Einen gewöhnlichen (nicht-fantastischen) Roman, einen Roman Balzacs z. B., muß man vom Anfang zum Ende hin lesen. Wenn man aber, aus einer Laune heraus, das fünfte Kapitel vor dem vierten liest, ist der Verlust, den man auf sich nimmt, nicht so groß, als wenn es sich um eine fanta­ stische Erzählung handelt. Wenn man vorzeitig das Ende einer solchen Erzählung erfährt, ist das ganze Spiel verdor­ ben, denn der Leser kann den Identifizierungsprozeß nicht mehr Schritt für Schritt vollziehen. Dies ist jedoch die erste Bedingung des Genres. Es handelt sich dabei übrigens nicht

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notwendig um eine Stufenfolge, wenn diese Figur, die die Vorstellung der Zeit impliziert, auch häufig vorkommt: in La Morte amoureuse wie in Qui sait? liegt Irreversibilität ohne Abstufung vor. Von daher versteht sich, daß die erste und die zweite Lek­ türe einer fantastischen Erzählung sehr verschiedene Ein­ drücke hervorrufen (in viel stärkerem Maße, als das bei einer anderen Art von Erzählung der Fall ist). Tatsächlich ist bei der zweiten Lektüre die Identifizierung nicht mehr möglich sie wird unweigerlich Meta-Lektüre: man enthüllt die Mittel des Fantastischen, statt seinem Charme zu erliegen. Nodier, der das wußte, ließ den Erzähler von Ines de las Sierras am Schluß der Geschichte sagen: »Ich bin nicht fähig, ihr so viel Reiz zu verleihen, daß man sie zweimal anhören würde« (p. 715). Schließlich ist noch zu bemerken, daß nicht allein die fan­ tastische Erzählung den Akzent auf die Perzeptionszeit des Werkes legt. Der Detektivroman tut das in noch verstärk­ tem Maße. Da es dort ja eine Wahrheit zu entdecken gilt, haben wir es mit einer strenggefügten Kette zu tun, in der nicht das geringste Glied verschoben werden kann. Aus eben diesem Grunde, und nicht etwa aufgrund einer eventuellen schwachen Schreibweise, liest man Kriminalromane nicht noch einmal. Der Witz scheint denselben Beschränkungen zu unterliegen. Die Beschreibung, die Freud davon gibt, läßt sich in etwa auf alle Genres mit akzentuierter Zeitlichkeit anwenden: »Zweitens gewinnen wir das Verständnis für die Eigentümlichkeit des Witzes, seine volle Wirkung auf den Hörer nur zu äußern, wenn er ihm neu ist, ihm als Über­ raschung entgegentritt. Diese Eigenschaft des Witzes, die seine Kurzlebigkeit bedingt und zur Produktion immer neu­ er Witze auffordert, leitet sich offenbar davon ab, daß es im Wesen einer Überraschung oder Überrumpelung liegt, kein zweites Mal zu gelingen. Bei einer Wiederholung des Witzes wird die Aufmerksamkeit durch die aufsteigende Erinnerung 113

an das erste Mal geleitet« (VI, p. 172). Die Überraschung ist nur ein besonderer Fall der irreversiblen Temporalität. So läßt uns die abstrakte Analyse sprachlicher Formen dort Ver­ wandtschaftsbeziehungen entdecken, wo wir sie dem ersten Eindruck nach nicht einmal vermutet haben.

Die Themen des Fantastischen: Einleitung Weshalb ist der semantische Aspekt so wichtig? - Die pragmatischen, syntaktischen und semantischen Funktionen des Fantastischen. - Fan­ tastische Themen und literarische Themen im allgemeinen. - Das Fan­ tastische als Grenzerfahrung. - Form, Inhalt, Struktur. - Die themati­ sche Kritik. - Ihr sensualistisches Postulat. - Ihr expressives Postulat. Die Untersuchung fantastischer Themen: Aperçu. - Schwierigkeiten, die von der Natur der Texte selbst herrühren. - Auf welche Weise wir Vorgehen wollen.

Es ist an der Zeit, sich dem dritten Aspekt des Werkes zu­ zuwenden, den wir den semantischen oder thematischen genannt haben - und bei dem wir länger verweilen wollen. Weshalb soll dieser Aspekt eigentlich hervorgehoben wer­ den? Die Antwort ist einfach: das Fantastische ist definiert als eine besondere Perzeption unheimlicher Ereignisse. Jetzt müssen wir den anderen Teil der Formel genau untersuchen: die unheimlichen Ereignisse selbst. Nun bezeichnen wir ja ein Faktum semantischer Observanz, wenn wir ein Ereignis als unheimlich qualifizieren. Die Unterscheidung zwischen Syntax und Semantik, um die es hier geht, ließe sich fol­ gendermaßen erklären: ein Ereignis wird in dem Maße als syntaktisches Element betrachtet werden, als es Teil eines umfassenderen Gebildes ist, als es mehr oder minder enge verwandtschaftliche Beziehungen zu anderen Elementen unterhält. Dasselbe Ereignis wiederum wird von dem Au­ genblick an ein semantisches Element abgeben, wo wir es mit anderen — ähnlichen oder gegensätzlichen — Elementen vergleichen, ohne daß diese zu ersterem eine unmittelbare Be­ ziehung unterhielten. Die Semantik entsteht aus der Paradigmatik auf dieselbe Weise, wie die Syntax auf der Syntagmatik aufbaut. Wenn wir von einem unheimlichen Ereignis sprechen,

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dann berücksichtigen wir dabei nicht seine Beziehungen zu verwandten Ereignissen, sondern vielmehr diejenigen, die es mit anderen Ereignissen verbinden, die innerhalb der Kette zwar weitab liegen, aber ähnlich oder entgegengesetzt sind. Schließlich kann die fantastische Geschichte sich durch diese oder jene Komposition, den einen oder anderen »Stil« auszeichnen oder nicht, aber ohne »unheimliche Ereignisse« kann das Fantastische gar nicht erst in Erscheinung treten Das Fantastische besteht gewiß nicht in seinen Ereignissen aber sie sind eine notwendige Voraussetzung dafür. Von daher ist die Aufmerksamkeit begreiflich, die wir ihnen entgegen­ bringen. Man könnte das Problem auf andere Weise eingrenzen indem man von den Funktionen ausginge, die das Fantasti­ sche im Werk hat. Es ist angebracht, sich zu fragen: was leisten die fantastischen Elemente für ein Werk? Geht man von diesem funktionalen Gesichtspunkt aus, kann man zu drei Antworten gelangen. Erstens erzielt das Fantastische einen speziellen Effekt beim Leser - Angst oder Grauen oder einfach Neugier -, den die anderen literarischen Gattungen oder Formen nicht hervorrufen können. Zweitens dient das Fantastische dem Erzählen, es erhält die Spannung: das Vor­ handensein fantastischer Elemente erlaubt eine besonders gedrängte Organisation der Handlung. Drittens schließlich hat das Fantastische eine Funktion, die auf den ersten Blick tautologisch ist: es ermöglicht die Beschreibung eines fan­ tastischen Universums, und dieses Universum hat deshalb noch keine Realität außerhalb der Sprache. Beschreibung und Beschriebenes unterscheiden sich der Natur nach nicht. Daß es drei Funktionen gibt und (auf diesem Abstrakti­ onsniveau) nicht mehr und nicht weniger, ist kein Zufall. Die allgemeine Theorie der Zeichen - und wie wir wissen, beruht die Literatur ja auf ihnen — besagt, daß ein Zeichen drei mög­ liche Funktionen hat. Die pragmatische Funktion entspringt der Beziehung, die die Zeichen mit ihren Benutzern unter116

halten, die syntaktische Funktion deckt die Beziehung der Zeichen untereinander, die semantische Funktion zielt auf die Beziehung der Zeichen zu dem, was sie bezeichnen, zu ihrem Referenzpunkt. Wir werden uns mit der ersten Funktion des Fantastischen hier nicht beschäftigen: sie beruht auf einer Psychologie des Lesens, die der eigentlichen literarischen Analyse, wie wir sie unternehmen wollen, ziemlich fremd ist. Was die zweite angeht, so haben wir bereits auf bestimmte Affinitäten zwi­ schen Fantastischem und Komposition hingewiesen, und wir werden am Ende der Untersuchung darauf zurückkommen. Der dritten Funktion wollen wir nun unsere Aufmerksamkeit zuwenden und uns ab jetzt der Untersuchung eines speziellen semantischen Universums widmen. Man kann sofort eine einfache Antwort Vorbringen, die jedoch die Frage nicht ausschöpft. Es ist vernünftig anzuneh­ men, daß sich das, wovon das Fantastische spricht, qualitativ nicht von dem unterscheidet, wovon die Literatur allgemein spricht, daß es hier jedoch um den unterschiedlichen Grad der Intensität geht und daß diese im Fantastischen ihren Gipfel­ punkt erreicht. Mit anderen Worten, wir kommen hier auf eine Formel zurück, die wir bereits in Hinblick auf E. A. Poe verwendet haben: das Fantastische stellt eine Grenzerfahrung dar. Wir sind uns darüber im klaren, daß diese Formel noch nichts erklärt. Von den »Grenzen« - die so oder so aussehen können - eines Kontinuums sprechen, von dem wir überhaupt nichts wissen, heißt, sich in jeder Hinsicht im Ungewissen be­ wegen. Immerhin bringt uns diese Hypothese zwei nützliche Hinweise: zunächst einmal steht jede Untersuchung der The­ men des Fantastischen in enger Beziehung zur Untersuchung literarischer Themen ganz allgemein; und außerdem wird der Superlativ, der Exzeß die Norm des Fantastischen sein. Wir wollen versuchen, dies ständig mit zu berücksichtigen. Eine Typologie der Themen des Fantastischen wird folg­ lich der Typologie literarischer Themen im allgemeinen 117

entsprechen. Statt uns darüber zu freuen, können wir die­ se Tatsache nur beklagen. Denn wir rühren damit an das komplexeste, am wenigsten geklärte Problem der Literatur­ theorie, die Frage: wie soll man von dem sprechen, wovon die Literatur spricht? Schematisiert man das Problem, so kann man wohl sagen, daß man zwei einander symmetrisch entgegengesetzte Ge­ fahren zu fürchten hat. Die erste ist, daß man die Literatur auf ihren bloßen Inhalt reduziert (anders ausgedrückt: sich nur mit ihrem semantischen Aspekt beschäftigt); diese Haltung würde dazu führen, daß man die literarische Spezifität igno­ riert, die Literatur auf dieselbe Ebene stellte wie beispielswei­ se den philosophischen Diskurs; man würde zwar die Themen untersuchen, aber sie hätten nichts Literarisches mehr. Die zweite Gefahr ist, daß man, umgekehrt, die Literatur auf die bloße »Form« reduziert und das Gewicht der Themen für die literarische Analyse leugnet. Unter dem Vorwand, daß in der Literatur allein das »Bezeichnende« (le signifiant) zähle, weigert man sich, den semantischen Aspekt wahrzunehmen (als ob das Werk nicht auf allen seinen vielfältigen Ebenen bezeichnend wäre). Es ist leicht zu sehen, worin das Unannehmbare beider Standpunkte liegt: in der Literatur ist das, was man sagt, ebenso wichtig als wie man es sagt; das »was« hat ebensoviel Gewicht wie das »wie« und umgekehrt (wenn man schon, anders als wir, davon ausgehen will, beide unterscheiden zu können). Aber man darf nun auch wieder nicht glauben, daß die rechte Haltung in einer ausgewogenen Mischung beider Tendenzen liegt. Die bloße Unterscheidung zwischen Form und Inhalt ist als überholt anzusehen (diese Mittei­ lung ist auf theoretischer Ebene gewiß banal, aber sie ist noch hochaktuell, wenn man sich die literaturkritischen Einzeluntersuchungen von heute genau ansieht). Eine der Daseinsberechtigungen der strukturalen Konzeption liegt gerade darin, daß sie die alte Dichotomie von Form und In-

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halt überwindet, um das Werk als Totalität und dynamische Einheit zu betrachten. In der Konzeption vom literarischen Werk, wie wir sie bis hierher vertreten haben, sind die Konzeptionen von Form und Inhalt nirgends vorgekommen. Wir haben von mehreren Aspekten des Werks gesprochen, deren jeder seine Struktur besitzt und gleichzeitig signifikativ bleibt. Keiner von ihnen ist bloße Form oder bloßer Inhalt. Man könnte uns entge­ genhalten: die verbalen und syntaktischen Aspekte sind »formaler« als der semantische Aspekt, und es ist möglich, sie zu beschreiben, ohne den Sinn eines speziellen Werks zu nennen. Vom semantischen Aspekt hingegen kann man nicht sprechen, ohne sich vorwiegend mit dem Sinn des Werks zu beschäftigen und damit einen Inhalt sichtbar zu machen. Dieses Mißverständnis muß unverzüglich ausgeräumt wer­ den, zumal wir auf diese Weise die Aufgabe, die auf uns wartet, besser präzisieren können. Man darf die Untersuchung der Themen, wie wir sie hier verstehen, nicht mit der kritischen Interpretation eines Werks verwechseln. Wir betrachten das literarische Werk als eine Struktur, der eine unbegrenzte Anzahl von Interpretationen beigelegt werden kann. Diese hängen von Zeit und Ort ihres Aussagens, von der Persön­ lichkeit des Kritikers, von der derzeitigen Konfiguration der ästhetischen Theorien und dergleichen ab. Unsere Aufga­ be hingegen ist die Beschreibung dieser bedeutungsleeren Struktur, die von den Interpretationen der Kritiker und der Leser erfüllt wird. Wir werden von der Einzelinterpretation hier gleich weit entfernt sein, wie wir es bei der Behandlung des verbalen oder des syntaktischen Aspekts gewesen sind. Wie im Vorangegangenen handelt es sich auch hier darum, daß wir eher eine Konfiguration zu beschreiben haben, als einen Sinn zu nennen. Wie es scheint, wird unsere Aufgabe außerordentlich schwierig, wenn wir die Verwandtschaft der fantastischen Themen mit den literarischen Themen im allgemeinen 119

anerkennen. Was den verbalen und den syntaktischen Aspekt des Werks angeht, so stand uns eine umfassende Theorie zur Verfügung, in die wir unsere Beobachtungen über das Fantastische einbringen konnten. Hier hingegen steht uns nichts zur Verfügung. Aus eben diesem Grund müssen wir zwei Aufgaben gleichzeitig durchführen: die fantastischen Themen untersuchen und eine allgemeine Theorie der The­ menforschung aufstellen. Wenn wir behaupten, daß es keinerlei allgemeine ThemenTheorie gibt, so scheinen wir eine Strömung der Kritik zu vergessen, die heute größtes Ansehen genießt: die themati­ sche Kritik. Wir sind verpflichtet zu sagen, worin die von dieser Schule erarbeitete Methode uns nicht genügt. Ich wer­ de einige Texte von Jean-Pierre Richard, dem gewiß brillan­ testen ihrer Repräsentanten, als Beispiel heranziehen. Diese Texte sind mit einer bestimmten Absicht ausgewählt worden, und ich erhebe mitnichten den Anspruch, einem kritischen Werk gerecht zu werden, dessen Bedeutung beträchtlich ist. So werde ich mich auf einige schon ältere Vorworte beschrän­ ken; an den neueren Texten Richards läßt sich jedoch durch­ aus eine Entwicklung ablesen. Andererseits stellen sich die methodischen Probleme auch in seinen ältesten Texten viel komplexer dar, wenn man seine konkreten Analysen unter­ sucht (mit denen wir uns nicht aufhalten können). Gleich vorweg muß gesagt werden, daß die Verwendung des Terminus »thematisch« an sich schon angreifbar ist. Denn unter einem solchen Titel sollte man ja doch eine Un­ tersuchung aller Themen, welcher Art auch immer, erwarten. In Wirklichkeit nehmen die Kritiker jedoch eine Auswahl unter den möglichen Themen vor, und gerade diese Auswahl liefert die beste Definition für ihre Haltung: man könnte sie als »sensualistisch« bestimmen. Tatsächlich sind für diese Kritik allein die Themen der Beachtung wahrhaft würdig, die mit Empfindungen (im engen Sinne) zu tun haben. Sehen wir uns an, wie Georges Poulet in seinem Vorwort zum ersten

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Buch thematischer Kritik von Richard, Littérature et Sensation (schon der Titel ist bezeichnend), diese Forderung beschreibt: »Irgendwo im Tiefsten des Bewußtseins, jenseits der Region, wo alles Gedanke geworden ist, dem Punkt entgegengesetzt, von dem aus man vorgedrungen ist, gab es und gibt es also noch Licht, Gegenstände und selbst Augen, sie wahrzu­ nehmen. Die Kritik kann sich nicht damit begnügen, einen Gedanken zu denken. Mehr ist geboten: daß sie über diesen hinweg von Bild zu Bild wieder zu Empfindungen aufsteige« (p. 10; Hervorhebung von mir, T. T). Es steckt in dieser Text­ stelle ein ganz eindeutiger Gegensatz, sagen wir, zwischen Konkretem und Abstraktem. Auf der einen Seite findet man Objekte - das Licht, die Augen, das Bild, die Empfindung -, auf der anderen den Gedanken, die abstrakten Auffassungen. Der erste Begriff des Gegensatzpaares scheint doppelt valorisiert: zunächst einmal ist er, zeitlich gesehen, zuerst da (vgl. das »geworden«), und dann ist er der wertvollere, der wichtigere und infolgedessen der bevorzugte Gegenstand der Kritik. Im Vorwort zu seinem nächsten Buch, Poésie et Profondeur, nimmt Richard genau dieselbe Idee wieder auf. Er beschreibt seine Unternehmung als Versuch, »die ursprüngliche Absicht, den Plan, der ihr Abenteuer beherrscht, wiederzufinden und zu beschreiben. Diesen Plan habe ich versucht, auf seiner elementarsten Ebene zu begreifen, dort, wo er sich mit der größten Bescheidenheit, aber auch in der größten Freimü­ tigkeit offenbart: auf der Ebene der bloßen Empfindung, des rohen Gefühls oder des entstehenden Bildes ... Ich habe die Idee für weniger wichtig gehalten als die Obsession, ich habe die Theorie im Verhältnis zum Traum als sekundär einge­ schätzt« (pp. 9 f). Gérard Genette hat diesen Ausgangspunkt richtig qualifiziert, indem er vom »sensualistischen Postulat, dem zufolge das Wesentliche (und damit das Authentische) mit der Erfahrung des Gefühls zusammenfällt« gesprochen hat {Figures, p. 94). 121

Wir hatten (im Zusammenhang mit Northrop Frye) be­ reits Gelegenheit, unsere mangelnde Übereinstimmung mit diesem Postulat zum Ausdruck zu bringen. Und wir folgen Genette auch weiter, wenn er schreibt: »Das Postulat oder der Standpunkt des Strukturalismus ist nahezu das Gegenteil von dem der Bachelardschen Analyse: er besagt, daß bestimmte elementare Funktionen des archaischsten Denkens bereits einen hohen Abstraktionsgrad aufweisen, daß die Schemata und die Operationen des Geistes vielleicht >tieferUnsre Vergangenheit und unsre Zukunft sind eins. Wir leben in unsrer Rasse, und unsre Rasse lebt in uns.< Dieser Gedanke wurde mir sogleich einsichtig,ä und wie wenn sich die Mauern des Saales auf unendliche Perspektiven geöffnet hätten, schien es mir, als sähe ich eine ununterbro­ chene Kette von Männern und Frauen, in denen ich enthalten war und die ich selbst waren« (p. 33; Hervorhebungen von mir, T. T.). Der Gedanke wird sogleich einsichtig. Hier ein Beispiel für den umgekehrten Fall, wo Empfindung sich in Idee verwandelt: »diese zahllosen Stufen, bei deren Erklim­ men und Hinabsteigen du dich ermüdetest, waren die Bande der alten Einbildungen selbst, die deine Gedanken verwirr­ ten« (pp. 145 u. 147). Es ist seltsam, hier zu beobachten, daß, besonders im 19. Jahrhundert, dieselbe Durchbrechung der Grenze zwi­ schen Materie und Geist als erstes Kennzeichen des Wahn­ sinns angesehen wurde. Die Psychiater stellten es im allge5

Wir folgen an dieser Stelle der vorliegenden deutschen Übersetzung nicht, da »l’idee me devint aussitôt sensible« dort freier übersetzt ist mit: »Dieser Gedanke leuchtete mir sofort ein« (Anm. d. Übers.).

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meinen als gegeben hin, daß der »normale« Mensch über mehrere Bezugsrahmen verfüge und jedes Faktum nur auf jeweils einen von ihnen bezöge. Der Psychotiker hingegen sei nicht fähig, diese verschiedenen Rahmen voneinander zu unterscheiden und vermenge Wahrgenommenes und Imagi­ näres. »Es ist notorisch, daß bei den Schizophrenen die Fä­ higkeit, die Bereiche der Wirklichkeit und der Einbildung voneinander zu trennen, geschwächt ist. Im Gegensatz zum sogenannten normalen Denken, das innerhalb ein und dessel­ ben Bereichs oder Bezugsrahmens oder sprachlichen Univer­ sums bleibt, gehorcht das Denken der Schizophrenen der Not­ wendigkeit einer eindeutigen Bezugnahme nicht« (Angyal, in: Kasanin, p. 119). Dieselbe Verwischung der Grenzen liegt der DrogenErfahrung zugrunde. Watts schreibt gleich am Anfang sei­ ner Beschreibung: »Der allergrößte Aberglaube liegt in der Trennung von Körper und Geist« (p. 3). Denselben Zug findet man seltsamerweise beim Säugling; Piaget meint: »zu Beginn seiner Entwicklung unterscheidet das Kind nicht zwischen dem Bereich des Psychischen und dem des Physischen« (Das Erwachen der Intelligenz beim Kinde}. Diese Art, die kindliche Welt zu beschreiben, bleibt natürlich in der Sichtweise des Erwachsenen befangen, in der diese zwei Welten ja gerade voneinander getrennt sind. Was man aufdiese Weise herstellt, ist ein Trugbild der Erwachsenen von der Kindheit. In der fantastischen Literatur geschieht jedoch genau dies: anders als beispielsweise im mythischen Denken wird die Grenze zwischen Materie und Geist nicht ignoriert, sondern sie bleibt präsent, um den Vorwand für unaufhörliche Überschreitun­ gen zu liefern. Gautier schreibt: »Ich empfand meinen Körper gar nicht mehr; die Bande, die den Geist an Leibliches fesseln, hatten aufgehört zu sein« (p. 325). Dies Gesetz, das wir an der Basis aller Deformationen, die vom Fantastischen innerhalb unseres Themen-Netzes her­ beigeführt werden, wirksam sehen, hat einige unmittelbare 143

Konsequenzen. So kann man das Phänomen der Metamor­ phosen verallgemeinern und sagen, daß im Bereich des Fan­ tastischen eine Person sich mit Leichtigkeit vervielfältigen dürfte. Wir empfinden uns alle als mehrere Personen: hier jedoch nimmt der Eindruck auf der Ebene der physischen Realität Gestalt an. Die Göttin wendet sich an den Erzähler von Aurélia-, »Ich bin dieselbe wie Maria, dieselbe wie deine Mutter, dieselbe auch, die du stets unter allen Formen ge­ liebt hast« (p. 121). An anderer Stelle schreibt Nerval: »Ein schrecklicher Gedanke überkam mich: >der Mensch ist dop­ pelt^ sagte ich mir. >Ich fühle zwei Menschen in mirGroßer Gott!< rief ich unter der Herrschaft eines plötzlichen Gedankens, >wenn es keine Zeit mehr gibt, wann kann es denn dann elf Uhr sein ...Halt ein, oh Weib, du hast gesiegth« (pp. 81 f). Später wechselt Ambrosios Begierde das Objekt, verliert jedoch nicht an Intensität. Die Szene, in der der Mönch Antonia durch einen Zauberspiegel beobachtet, während sie sich anschickt, ein Bad zu nehmen, ist Beweis dafür. Erneut schlägt »seine Begierde ... um zu Raserei« (p. 340). Und noch einmal, im Verlauf einer mißglückten Vergewaltigung Anto­ nias: »Kaum war der Zauber verflogen, als der Lüstling dies Kind auch schon völlig in seiner Gewalt wähnte. Schon fun­ kelten seine Augen vor Geilheit und Ungeduld - schon ließ er den gierigen Blick über die schlummernde Schöne gleiten« (p. 372); »seine Begierde war nun zu einer Raserei entfacht, die alle tierischen Instinkte in ihm entfesselte« (p. 373). Es handelt sich tatsächlich um eine Erfahrung, die aufgrund ih­ rer Intensität mit keiner anderen zu vergleichen ist. 156

Es kann nicht überraschen, daß man an dieser Stelle die Beziehung zum Übernatürlichen entdeckt: wir wissen bereits, daß dieses immer innerhalb einer Grenzerfahrung erscheint, in »superlativischen« Zuständen. Die Begierde als sexuelle Versuchung findet ihre Inkarnation in einigen der am häu­ figsten vorkommenden Figuren der übernatürlichen Welt, insbesondere in der des Teufels. Vereinfachend kann man sa­ gen, daß Teufel nur ein anderes Wort ist für Libido. Die ver­ führerische Matilda in The Monk ist ein »zweitrangiger, aber boshafter Geist«, eine treue Dienerin Luzifers. Und schon an Le Diable amoureux hat man ein unzweideutiges Beispiel für die Identität von Teufel und Frau oder, genauer gesagt, von Teufel und Sexualtrieb. Bei Cazotte versucht der Teufel nicht, sich der ewigen Seele des Alvares zu bemächtigen; ganz Frau, begnügt er sich damit, ihn hier auf Erden zu besitzen. Die Ambivalenz, in der die Dechiffrierung durch den Leser gehalten wird, rührt zum großen Teil von der Tatsache her, daß sich das Benehmen Biondettas in nichts von dem einer verliebten Frau unterscheidet. Nehmen wir diesen Satz: »Ei­ nem allgemeinen Gerüchte nach, das viele Briefe bestätigen, hat ein Kobold einen Kapitän von der Garde des Königs von Neapel nach Venedig entführt« (p. 67). Klingt er nicht wie eine gesellschaftliche Mitteilung, scheint das Wort »Kobold«, weit davon entfernt, ein übernatürliches Wesen zu bezeichnen, nicht bestens auf eine Frau zu passen? Und Cazotte bekräf­ tigt dies in seinem Epilog: »Seinem Opfer widerfährt, was einem galanten Manne widerfahren könnte, der sich von ei­ nem höchst honetten Anschein verführen läßt« (p. 287). Es besteht kein Unterschied zwischen einem schlichten galanten Abenteuer und dem des Alvares mit dem Teufel; der Teufel, das ist die Frau, soweit sie Gegenstand der Begierde ist. Nicht anders verhält es sich in der Handschrift von Sara­ gossa. Als Zibedde versucht, Alfons zu verführen, ist ihm, als sähe er auf der Stirn seiner schönen Cousine Hörner wachsen. Thibaud de la Jacquiere glaubt, Orlandine zu besitzen und 157

»hielt sich für den glücklichsten aller Menschen« (p. 154); auf dem Höhepunkt des Vergnügens jedoch verwandelt sich Orlandine in Beelzebub. In einer anderen der eingeschalteten Erzählungen trifft man auf jenes durchsichtige Symbol, die Pralinen des Teufels, die die sexuellen Wünsche wecken und mit denen der Teufel entgegenkommenderweise die Helden versorgt. »Zorilla entdeckte meine Bonbonniere; sie nahm zwei Pralinen und reichte die Schachtel ihrer Schwester. Bald wurde das, was ich erst nur zu sehen geglaubt hatte, in ge wissem Maße Wirklichkeit: eine unbekannte Empfindung er­ griff die beiden Schwestern, und sie gaben sich ihr hin, ohne sie zu kennen ... Die Mutter trat ein.... Ihre Blicke mieden die meinen und fielen dabei auf die unglückselige Bonbonniere. Sie nahm ei­ nige Pralinen und ging. Bald kam sie zurück, bedachte mich abermals mit liebkosenden Worten, nannte mich ihren Sohn und umfing mich mit ihren Armen. Sie verließ mich, wie es schien, mit einem Gefühl qualvoller Selbstüberwindung. Die Verwirrung meiner Sinne ging so weit, daß ich die Herrschaft über mich verlor. Ich fühlte Feuer durch meine Adern rinnen konnte kaum noch die Gegenstände erkennen, und ein Schlei­ er breitete sich vor meinen Augen aus. Ich wollte auf die Terrasse gehen. Die Tür zum Zimmer der jungen Mädchen stand halb offen. Ich konnte dem Wunsch nicht widerstehen und trat ein. Sie waren ihrer Sinne noch weniger Herr als ich; ihr Zustand erschreckte mich. Ich wollte mich ihren Armen entwinden, doch ich hatte nicht die Kraft dazu. Ihre Mutter trat ein; die Vorwürfe erstarben auf ihren Lippen, und bald verlor sie das Recht, uns Vorhaltungen zu machen« (pp. 249 f). Die Verzückung der Sinne legt sich übri­ gens nicht, als die Bonbonniere dann schließlich leer ist. Das Geschenk des Teufels ist die Entfachung der Begierde, die dann nichts mehr aufhalten kann. Der strenge Abt Serapion in La Morte amoureuse geht bei der Einführung dieses Themas noch weiter: die Kurtisane

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Clarimonde, die aus dem sexuellen Vergnügen einen Beruf gemacht hat, ist für ihn nichts anderes als »Beelzebub in Person« (p. 102). Gleichzeitig illustriert der Abt den ande­ ren Terminus der Opposition - d. h. Gott, und mehr noch seine Stellvertreter auf Erden, die Diener der Religion. Ent­ sprechend definiert übrigens Romuald seinen neuen Stand: »Priester sein! Das heißt keusch sein, nicht lieben, weder Ge­ schlecht noch Alter unterscheiden« (p. 87). Und Clarimonde weiß, wer ihr unmittelbarer Gegner ist: »Ah! Wie bin ich eifersüchtig auf Gott, den du geliebt hast und den du immer noch mehr liebst als mich!« (p. 105). Der ideale Mönch, so wie er in der Person Ambrosios zu Beginn von Lewis’ Roman auftritt, ist die Inkarnation der Geschlechtslosigkeit. So sagt eine andere Person über ihn: »Zudem heißt es von ihm, er sei von solcher Keuschheit, daß er nicht einmal wisse, wodurch der Mann sich von den Weibern unterscheidet!« (p. 22). Alvares, der Held des Diable amoureux, lebt im Bewußtsein desselben Gegensatzes; und als er glaubt, er habe gesündigt, weil er Umgang mit dem Teufel gehabt hat, beschließt er, den Frauen zu entsagen und Mönch zu werden: »Ich will mich dem geistlichen Stand widmen. Du reizendes Geschlecht, ich muß auf dich verzichten« (p. 98). Die Sinnlichkeit befürwor­ ten heißt die Religion verleugnen; eben deshalb gefällt sich Vathek, der Kalif, der nur auf sein Vergnügen bedacht ist, im Sakrileg und in der Blasphemie. Denselben Gegensatz findet man wieder in der Hand­ schrift von Saragossa. Der Gegenstand, der die beiden Schwe­ stern hindert, sich Alfons hinzugeben, ist das Medaillon, das er trägt: »Es ist ein Kleinod ..., das meine Mutter mir gegeben hat; ich habe versprochen, es stets zu tragen. Es enthält einen Splitter vom wahren Kreuz« (p. 18); und an dem Tage, wo sie ihn in ihrem Bett empfangen, schneidet Zibedde zuvor das Band des Medaillons durch. Das Kreuz ist unvereinbar mit der sexuellen Begierde. 159

Die Beschreibung des Medaillons erbringt ein anderes Element, das zum selben Gegensatzpaar gehört: die Mutter im Gegensatz zur Frau. Damit Alfons’ Cousinen ihre Keusch­ heitsgürtel abnehmen können, muß erst das Medaillon, das Geschenk der Mutter, entfernt werden. Und in La Morte amoureuse findet man diesen seltsamen Satz: »Ich erinnerte mich ebensowenig daran, Priester gewesen zu sein, wie ich mich an das erinnerte, was ich im Schoß meiner Mutter ge­ macht hatte« (p. 108). Es gibt eine Art Äquivalenz zwischen dem Leben im Mutterleib und dem Priesterstand, d. h. der Ablehnung der Frau als Lustobjekt. Diese Äquivalenz nimmt in Le Diable amoureux einen zen­ tralen Platz ein. Das Bild seiner Mutter hindert Alvares, sich Biondetta, dem Teufel in Frauengestalt, völlig auszuliefern. Es taucht in allen entscheidenden Augenblicken der Hand­ lung auf. Hier ein Traum Alvares’, in dem der Gegensatz sich gänzlich unverhüllt manifestiert: »Ich glaubte meine Mutter im Traume zu sehen ... Wie wir ... durch einen Engpaß kamen, in dem ich getrost vorschritt, stieß mich plötzlich eine Hand in einen Abgrund, und ich erkannte sie, es war Biondettas Hand. Ich fiel, eine andere Hand zieht mich zurück, und ich befinde mich in den Armen meiner Mutter« (p. 49). Der Teufel stößt Alvares in den Abgrund der Sinnlichkeit — seine Mutter hält ihn zurück. Alvares jedoch erliegt Biondettas Reizen immer mehr, und sein Fall ist nahe. Als er eines Tages in den Stra­ ßen Venedigs spazierengeht und vom Regen überrascht wird, flüchtet er sich in eine Kirche. Als er sich einer der Statuen nähert, glaubt er seine Mutter in ihr zu erkennen. Da geht ihm auf, daß seine wachsende Liebe zu Biondetta ihn seine Mutter hat vergessen lassen, er beschließt, die junge Frau zu verlassen und zu seiner Mutter zurückzukehren, sich »noch einmal zu dieser geliebten Zufluchtsstätte zu retten« (p. 64). Der Teufel bzw. die Begierde wird sich Alvares’ bemäch­ tigen, noch ehe dieser bei seiner Mutter Schutz gefunden hat. Alvares’ Niederlage sollte vollkommen werden, aber des160

halb noch nicht endgültig. Ganz als handele es sich um eine schlichte galante Beziehung, zeigt ihm der Doktor Quebracuernos den Weg zum Heil: »gehen Sie eine gesetzliche Verbin­ dung mit einer würdigen Person des andern Geschlechts ein, und lassen Sie Ihre desfallige Wahl von Ihrer ehrwürdigen Mutter leiten« (p. 104). Wenn sie nicht teuflisch geraten soll, muß die Beziehung zu einer Frau mütterlicherseits überwacht und zensiert werden.

Über diese intensive, jedoch »normale« Liebe zu einer Frau hinaus illustriert die fantastische Literatur mehrere Trans­ formationen der Begierde. Die Mehrzahl von ihnen gehört nicht wirklich zum Übernatürlichen, sondern eher zu einem sozial »Unheimlichen«. Dabei bildet der Inzest eine der am häufigsten vorkommenden Varianten. Schon bei Perrault {Die Eselshaut) findet man den verbrecherischen Vater, der in seine Tochter verliebt ist; die Märchen aus tausendundeiner Nacht berichten von Fällen der Geschwisterliebe {Die Geschichte des ersten Bettelmönches) und der Liebe zwischen Mutter und Sohn {Die Geschichte von Kamar Ez-Zamän). In The Monk verliebt sich Ambrosio in seine eigene Schwester Antonia, vergewal­ tigt und tötet sie, nachdem er ihre Mutter ermordet hat. In der Episode von Barkiarokh in Tathek findet die Liebe des Helden zu seiner Tochter fast ihre Erfüllung. Die Homosexualität ist eine andere Variante der Liebe, die die fantastische Literatur oft behandelt. F«ZÀ«Ækann uns auch hier wieder als Beispiel dienen, und zwar nicht nur in der Be­ schreibung der kleinen Jungen, die vom Kalifen massakriert werden, oder der des Gulchenrouz, sondern vor allem in der Episode von Alasi und Firouz, wo die homosexuelle Liebe erst spät abgeschwächt wird: der Prinz Firouz ist in Wirk­ lichkeit die Prinzessin Firouzkah. Es läßt sich feststellen (wie schon André Parreaux in seinem Beckford gewidmeten Buch bemerkt), daß die Literatur jener Epoche oft mit der Ambiva­ lenz in bezug auf das Geschlecht der geliebten Person spielt:

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so bei Biondetto-Biondetta in Le Diable amoureux, FirouzFirouzkah in Vathek, Rosario-Mathilda in The Monk. Eine dritte Variante der sexuellen Begierde könnte als »Liebe zu mehreren« charakterisiert werden. Die Liebe zu dritt ist ihre häufigste Form. Dieser Typus der Liebe hat in den orientalischen Erzählungen nichts Überraschendes: so lebt der dritte Bettelmönch getrost mit seinen vier Frauen. In einer Szene der Handschrift von Saragossa, die schon oben zitiert wurde, sahen wir Hervas im Bett mit drei Frauen, der Mutter und ihren zwei Töchtern. Tatsächlich bietet die Handschrift einige komplexe Beispiele, die die hier aufgezählten Varianten miteinander kombinieren. So Alfons’ Beziehung zu Zibedde und Emina: sie ist zunächst homosexuell, denn die beiden Mädchen leben miteinander, bevor sie Alfons treffen. In der Erzählung über ihre Jugend spricht Emina beständig von dem, was sie »unsere Neigungen« nennt, von dem »Unglück, ohne einander leben zu müssen«, von dem Wunsch, »denselben Mann [zu] heiraten«. Diese Lie­ be hat auch inzestuösen Charakter, denn Zibedde und Emina sind Schwestern (Alfons ist übrigens auch ein Verwandter, ihr Cousin). Und schließlich wird es dann eine Liebe zu dritt: keine von beiden Schwestern trifft Alfons je allein. Ähnlich ergeht es Pacheco, der das Lager mit Inesilla und Camila teilt (die letzte­ re erklärt: »Ich verlange, daß uns das gleiche Bett diese Nacht aufnehme«, p. 39); Camila jedoch ist die Schwester Inesillas. Die Situation kompliziert sich noch aufgrund der Tatsache, daß Camila die zweite Frau von Pachecos Vater ist, d. h. in gewisser Hinsicht seine Mutter, und Inesilla seine Tante. Die Handschrift bietet uns noch eine andere Variante der geschlechtlichen Liebe, die dem Sadismus nahekommt. Die Prinzessin von Monte Salerno berichtet: »Ich machte mir ein Vergnügen daraus, die Ergebenheit meiner Frauen auf allerlei Proben zu stellen.... ich bestrafte sie ..., indem ich sie zwickte oder indem ich sie mit Nadeln in die Arme oder in die Schen­ kel stach« (p. 196).

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Hier sieht man sich reiner Grausamkeit gegenüber, deren sexueller Ursprung nicht immer offensichtlich ist. Hingegen läßt er sich in einer Passage aus Vathek als solcher identifi­ zieren. Dort wird ein sadistisches Vergnügen beschrieben: »Während diesen Vorbereitungen veranstaltete Karathis, die ihr großes Ziel, die Gunst der Mächte der Finsternis zu er­ langen, niemals aus den Augen verlor, ausgewählte Gesell­ schaften der schönsten und reizendsten Damen der Stadt; aber inmitten ihrer Ausgelassenheit ließ sie Schlangen unter ihnen aussetzen und Töpfe mit Skorpionen unter dem Tisch zerbrechen. Diese alle bissen erstaunlich gut, und Karathis hätte ihre Freundinnen sterben lassen, wenn sie sich nicht dann und wann, um die Langeweile zu vertreiben, ein Ver­ gnügen daraus gemacht hätte, deren Wunden mit einem ausgezeichneten Heilmittel eigener Erfindung zu heilen; denn unsere gute Prinzessin verabscheute den Müßiggang« (pp. 58 f). Die Szenen der Grausamkeit in der Handschrift von Sara­ gossa zeugen von einem verwandten Geist. Es handelt sich um Folterungen, die dem Vergnügen bereiten, der sie vornimmt. Das erste Beispiel dafür ist von einer so intensiven Grausam­ keit, daß diese übernatürlichen Kräften zugeschrieben wird. Pacheco wird von den beiden Geistern der Gehenkten gefol­ tert: »Darauf wollte auch der andere Gehenkte, der mich am linken Bein gepackt hatte, von den Krallen Gebrauch machen. Er begann damit, daß er mich an der Sohle des festgehalte­ nen Fußes kitzelte. Dann riß mir das Ungeheuer die Haut vom Fuße, löste die Nerven heraus, legte sie bloß und woll­ te auf ihnen spielen wie auf einem Musikinstrument; da ich aber keine Töne von mir gab, die ihm Vergnügen bereiteten, schlug er seine Krallen in meine Kniekehle, faßte die Sehnen und begann sie so zusammenzudrehen, wie man eine Harfe stimmt. Schließlich ging er daran, auf meinem Bein, das er zu einem Psalter gemacht hatte, zu spielen. Ich vernahm sein satanisches Lachen« (p. 42).

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Eine andere Szene der Grausamkeit hingegen ist sehr wohl das Werk menschlicher Wesen; sie findet sich in der Rede, die der falsche Inquisitor an Alfons richtet: »Mein lieber Sohn, erschrick nicht über das, was ich dir sagen werde. Man wird dir ein wenig Schmerz bereiten. Du siehst diese beiden Boh­ len. Man wird deine Beine zwischen die Bohlen legen und diese mit Stricken zusammenbinden. Dann wird man die Keile, die du hier siehst, zwischen deine Beine setzen und sie mit Hammerschlägen hineintreiben. Zuerst werden deine Füße anschwellen. Dann wird dir das Blut aus den großen Zehen spritzen und die Nägel werden alle ausfallen. Dann werden die Fußsohlen aufplatzen, und ein blutiger Brei von zerquetschtem Fleisch wird herausfließen. Das wird dir sehr weh tun. Du antwortest nichts - so ist es denn erst die all­ gemeine Einleitung. Indessen wirst du ohnmächtig werden. Hier sind Fläschchen mit verschiedenen Riechwässern, die dich wieder zu Bewußtsein bringen werden. Wenn du deiner Sinne von neuem mächtig bist, wird man diese Keile heraus­ nehmen und jene dort ansetzen, die viel breiter sind. Beim ersten Hammerschlag werden dir die Knie und die Knöchel brechen. Beim zweiten Schlag werden deine Beine der Länge nach aufreißen. Das Mark wird heraustreten und sich, ver­ mischt mit deinem Blut, auf dieses Stroh ergießen. Du willst nicht sprechen? ... Auf denn, preßt ihm die Zehen!« (pp. 68 f.). Man könnte mit Hilfe einer Stilanalyse herauszufinden suchen, durch welche Mittel dieser Abschnitt seine Wirkung erzielt. In dem ruhigen und methodischen Ton des Inquisitors steckt gewiß ebenso eine Absicht wie in der Genauigkeit der Begriffe, die die Körperteile bezeichnen. Halten wir jeden­ falls fest, daß es sich in den letzten beiden Beispielen um eine rein verbale Gewalt handelt: die Erzählungen beschreiben kein Ereignis, das so und nicht anders innerhalb des Uni­ versums des Buches geschehen ist. Wenn auch die eine im Präteritum, die andere im Futur steht, so gehen doch beide aus einem Modus des Nicht-Realen, des Möglichen hervor: es

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sind Droh-Erzählungen. Alfons erlebt diese Grausamkeiten nicht, beobachtet sie nicht einmal; man beschreibt sie, man redet sie ihm vor. Nicht die Taten sind gewalttätig, da es ja in Wirklichkeit keinerlei Tat gibt, sondern die Wörter. Die Gewalt vollzieht sich nicht nur durch die Sprache hindurch (um anderes geht es in der Literatur ohnehin nie), sondern auch gerade in ihr. Der Akt der Grausamkeit besteht in der Artikulation bestimmter Sätze, nicht in einer Folge tatsäch­ licher Handlungen. ln The Monk begegnen wir einer anderen Variante der Grausamkeit. Sie ist nicht auf denjenigen bezogen, der sie verübt, und ruft infolgedessen keine sadistische Freude in den handelnden Personen hervor. Die verbale Natur der Ge­ walt ebenso wie ihre Funktion, die sich direkt auf den Leser auswirkt, werden dadurch noch klarer. Hier zielen die Akte der Grausamkeit nicht darauf ab, eine Person zu charakteri­ sieren, sondern die Seiten, auf denen sie beschrieben werden, vertiefen und nuancieren die Atmosphäre der Sinnlichkeit, in die die Handlung eingetaucht ist. Der Tod Ambrosios liefert uns dafür ein Beispiel; der der Äbtissin ist noch blutiger. »In­ des, die tobende Menge dachte einzig an die Stillung ihres Rachedurstes und weigerte sich, auf der Unseligen Worte zu hören, fügte ihr vielmehr jede erdenkliche Beleidigung zu, bewarf sie mit Schmutz und Unflat und bedachte sie mit den gemeinsten Schimpfwörtern. Einer entriß sie dem anderen, und jeder neue Peiniger übertraf den vorigen an Grausamkeit. Rachegeheul und Verwünschungen erstickten des Opfers gel­ lendes Geschrei um Erbarmen, man zerrte das Weib durch die Straßen, stieß sie mit Fäusten und trat sie mit Füßen, ja fügte ihr jederlei Martern zu, welche Haß und Rachedurst nur aussinnen mögen. Schließlich traf ein wohlgezielter Stein sie mit voller Wucht an der Schläfe. Blutüberströmt brach sie zusammen und hauchte binnen weniger Minuten ihr erbärmliches Leben aus. Doch wiewohl die Tote die ihr zugefügten Martern nicht mehr fühlen konnte, ließ der Pöbel

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seine ohnmächtige Wut noch den leblosen Körper entgelten: man schlug auf ihn ein, trampelte auf ihm herum und spielte ihm so übel mit, daß schließlich nur mehr ein unkenntlicher, formloser, ekelhafter Fleischklumpen im Staub der Straße lag« (p. 442). Die Kette, die bei der Begierde ihren Anfang nahm, hat uns über die Grausamkeit zur Begegnung mit dem Tod ge­ führt. Die Verwandtschaft dieser beiden Themen ist übrigens allgemein ziemlich bekannt. Ihre Beziehung ist nicht immer dieselbe, aber man kann sagen, daß sie stets gegenwärtig ist. Bei Perrault z.B. stellt sich eine Äquivalenz her zwischen se­ xueller Liebe und Tötung. Das wird explizit deutlich in Das Rotkäppchen, wo »sich ausziehen«, »sich mit einem Menschen des anderen Geschlechts ins Bett legen« gleichbedeutend ist mit gefressen werden, umkommen. Ritter Blaubart wiederholt dieselbe Moral: dort führt das geronnene Blut, das das Men­ struationsblut evoziert, schließlich das Todesurteil herbei. In The Monk besteht die Beziehung der beiden Themen eher in ihrer Verwandtschaft als in ihrer Äquivalenz. Am­ brosio tötet seine Mutter bei dem Versuch, Antonia in Besitz zu nehmen, und nachdem er sie vergewaltigt hat, sieht er sich dann genötigt, sie umzubringen. Die Vergewaltigungsszene steht übrigens unter dem Zeichen der Nähe zwischen Begier­ de und Tod: »Die schlafende Schöne ruhte zu Seiten dreier halbverwester, fauliger Kadaver« (p. 469). Diese Variante - der begehrte Körper ist in die Nähe des Kadavers gerückt - ist bei Potocki dann vorherrschend; aber dort gleitet man ein weiteres Mal von der Verwandtschaft zur Substitution. Die begehrenswerte Frau verwandelt sich in einen Kadaver: das ist das, unablässig wiederholte, Hand­ lungsschema der Handschrift von Saragossa. Alfons schläft ein mit den zwei schönen Schwestern in seinem Arm; beim Er6

Anm. d. Ü.: In der französischen Übersetzung steht »sans nom« anstelle von »unkenntlich«. Todorov bemerkt dazu in Parenthese: »Namenlos sein ist wohl die letzte Stufe der Zerstörung.«

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wachen findet er an ihrer Stelle zwei Leichen. Ebenso verhält es sich dann mit Pacheco, Udeza, Rebekka und Valasquez, Noch gravierender ist das Erlebnis Thibaud de la Jacquieres: er glaubt, mit einer begehrenswerten Frau zu schlafen, die­ se aber wird Teufel und Leichnam zugleich: »Orlandine war verschwunden. Thibaud erblickte an ihrer Stelle nur eine Bal­ lung widerlicher und nie geschauter Formen. ... Am andern Morgen ... pfänden] einige Bauern Thibaud auf einem Stück halbverwesten Aases ausgestreckt« (p. 154). Man sieht den Unterschied zu Perrault: bei ihm straft der Tod direkt die Frau, die sich ihren Begierden hingibt; bei Potocki straft er den Mann, indem er den Gegenstand seiner Begierde in einen Leichnam verwandelt. Wieder anders stellt sich das Verhältnis bei Gautier dar. Der Priester der Morte amoureuse empfindet Erregung, als er den toten Körper Clarimondes betrachtet. Der Tod macht sie ihm keineswegs widerwärtig, eher im Gegenteil: er scheint seine Begierde noch zu steigern. »Soll ich es Ihnen geste­ hen? Diese Vollkommenheit der Formen, obwohl geläutert und geweiht vom Schatten des Todes, erregte meine Wollust mehr, als sie es hätte tun dürfen« (p. 98). Später in der Nacht begnügt er sich nicht mehr mit der bloßen Betrachtung. »Die Nacht schritt fort, und als ich den Moment der ewigen Tren­ nung herannahen fühlte, konnte ich der traurigen und höch­ sten Süße nicht entsagen, jener einen Kuß auf die toten Lippen zu drücken, die meine ganze Liebe besessen hatte« (p. 99). Diese Liebe zu einer Toten, die hier in leicht verschleierter Form präsentiert wird und die bei Gautier auf gleicher Stufe steht mit der Liebe zu einer Statue, zu einem gemalten Bild, trägt den Namen Nekrophilie. In der fantastischen Literatur tritt die Nekrophilie gewöhnlich in Gestalt einer Liebe zu Vampiren auf oder zu Toten, die unter die Lebenden zurück­ kehren. Auch diese Beziehung kann hier wieder als Strafe für eine ausschweifende sexuelle Begierde präsentiert wer­ den; sie kann aber ebensogut auch keine negative Bewertung

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erfahren. So etwa die Beziehung zwischen Romuald und Clarimonde: der Priester entdeckt, daß Clarimonde ein weibli­ cher Vampir ist, aber diese Entdeckung ändert nichts an sei­ nen Gefühlen. Nachdem sie vor Romuald, den sie schlafend glaubt, einen Monolog zu Ehren des Bluts gehalten hat, geht sie zur Tat über. »Endlich entschloß sie sich, versetzte mir einen kleinen Stich mit ihrer Nadel und machte sich daran, das Blut einzusaugen, das daraus hervorfloß. Obwohl sie erst einige Tropfen davon getrunken hatte, wurde sie doch von der Furcht ergriffen, mich zu erschöpfen, und verband mir sorgfältig den Arm mit einer kleinen Binde, nachdem sie zu­ vor die Wunde mit einer Salbe eingerieben hatte, die sie auf der Stelle verheilen ließ. Ich konnte nicht länger daran zweifeln - der Abt Serapion hatte recht. Ich konnte mich indessen ungeachtet dieser Ge­ wißheit nicht hindern, Clarimonde zu lieben, und ich hätte ihr gern alles Blut gegeben, das sie brauchte, um ihre künstliche Existenz zu erhalten ... Ich hätte mir selbst den Arm geöffnet, und ich hätte zu ihr gesagt: Trink! Und möge meine Liebe mit meinem Blut in deinen Körper eingehen!« (p. 113) Die Bezie­ hung zwischen Tod und Blut, Liebe und Leben ist hier evident. Wo doch Vampire und Teufel sich auf der »Seite der Gu­ ten« befinden, ist man darauf gefaßt, daß die Priester und der religiöse Geist verdammt und mit schlimmeren Namen bezeichnet werden — bis hin zu dem des Teufels! Diese inte­ grale Umkehrung vollzieht sich in gleicher Weise in La Morte amoureuse. So heißt es vom Abt Serapion, dieser Inkarnation der christlichen Moral, der es sich angelegen sein läßt, Clari­ monde wieder auszugraben und sie ein zweites Mal zu töten: »Serapions Eifer hatte etwas Hartes und Wildes, das ihn ei­ nem Dämon ähnlicher machte als einem Apostel oder einem Engel« (p. 115). In The Monk verwundert sich Ambrosio, als er die naive Antonia die Bibel lesen sieht: »>Wie!< sprach der Ordensbruder bei sich, >Antonia liest die Bibel und ist den­ noch so arglos?Ich habe es mehr als einmal bereutund ich bereue es immer nochun romain retourneraitBitte schönIch hatte aber einen Milchkaffee bestellt«, sage ich. - >Na ja, genau«, sagt er im Weggehen. Wenn der Leser beim Lesen solcher Erzählungen denkt, es handle sich um einen Ulk der Kell­ ner oder um eine Kollektivpsychose Qwas uns beispielsweise Maupassant in Le Horla glauben machen wollte), dann haben wir das Spiel verloren. Aber wenn wir es verstanden haben, ihm den Eindruck zu vermitteln, daß die abstrusen Vorgänge ganz normale Verhaltensweisen in unserer Welt darstellen, dann wird er sich jählings mitten ins Phantastische versetzt

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fühlen« (p. 147). Mit einem Wort, hier haben wir den Un­ terschied zwischen der klassischen fantastischen Erzählung und den Erzählungen Kafkas: was in der Welt der ersteren Ausnahme war, wird hier zur Regel. Sagen wir, um zu einem Schluß zu kommen, daß dank die­ ser seltenen Synthese von Übernatürlichem und Literatur als solcher Kafka es uns ermöglicht, die Literatur selbst besser zu verstehen. Mehr als einmal haben wir uns bereits deren paradoxe Stellung vor Augen gehalten: sie lebt nur in dem, was die Alltagssprache ihrerseits Widersprüche nennt. Die Literatur setzt sich der Antinomie von Sprachlichem und Meta-Sprachlichem, von Realem und Irrealem aus. Kafkas Werk ermöglicht es uns weiterzugehen und zu sehen, wie die Literatur innerhalb ihrer selbst einen anderen Widerspruch schafft; bei Gelegenheit einer Betrachtung über dieses Werk formuliert Maurice Blanchot in seinem Essay »Kafka et la littérature« diesen Widerspruch. Eine übliche und simplifi­ zierende Betrachtungsweise präsentiert die Literatur (und die Sprache) als ein Abbild der »Realität«, als einen Abzug dessen, was sie selbst nicht ist, als eine parallele und analoge Rei­ he. Diese Sichtweise ist jedoch in zweifacher Hinsicht falsch, denn sie verfälscht sowohl die Natur der Aussage als auch die des Aussagens. Wörter sind keine Etiketts, die Dingen aufge­ klebt werden, die unabhängig von ihnen als solche existieren. Wenn man schreibt, dann tut man dies und nichts anderes; diese Geste ist so gewichtig, daß sie keiner anderen Erfah­ rung Raum läßt. Gleichzeitig schreibe ich jedoch von etwas, selbst wenn dieses Etwas das Schreiben selbst ist. Schreiben wird überhaupt erst dadurch möglich, daß es vom Tod des­ sen ausgeht, von dem es spricht; dieser Tod jedoch macht es selbst unmöglich, denn es gibt nichts mehr zu schreiben. Die Literatur kann nur insofern möglich werden, als sie sich selbst unmöglich macht. Entweder ist das, was man sagt, ge­ genwärtig, dann ist jedoch kein Raum für die Literatur, oder aber man gibt der Literatur Raum, dann aber gibt es nichts

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mehr zu sagen. Blanchot schreibt: »Stürzte die Sprache, und insbesondere die literarische Sprache, nicht ständig, ihm vor­ greifend, ihrem Tod entgegen, wäre sie nicht möglich, denn eben diese Bewegung in Richtung auf ihre Unmöglichkeit bedingt und begründet sie erst« (La Part dufeu, p. 28). Dem Verfahren, das darin besteht, das Mögliche mit dem Unmöglichen zu vermitteln, mag sich die Definition des Wor­ tes »unmöglich« selber verdanken. Und dennoch ist Literatur. Dies ist ihr größtes Paradox.

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