Einführung in die deutsche Komödie 3534162684, 9783534162680

Die Komödie hat lange Zeit im Schatten der höher angesehenen Tragödie gestanden und erst seit den 60er-Jahren des letzte

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German Pages 160 [158] Year 2007

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Impressum
Inhalt
I. Gattungsbegriff
1. Das Wort
2. Elemente der Komödie
3. Untergattungen
II. Forschungsbericht
III. Methoden
1. Methodische Ansätze – Themen – Probleme
2. Analytisches Instrumentarium
IV. Geschichte der Gattung
1. Antike – Mittelalter
2. Die Fastnachtspiele
3. Die italienischen und die englischen Wandertruppen
4. Wiederanschluss an das antike Drama seit der Renaissance – Barock
5. Aufklärung
6. Sturm und Drang, Klassik, Romantik
7. Das 19. Jahrhundert
8. Das 20. Jahrhundert
V. Einzelanalysen
1. Gotthold Ephraim Lessing: Minna von Barnhelm
2. Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug
3. Gerhart Hauptmann: Der Biberpelz
4. Carl Zuckmayer: Der Hauptmann von Köpenick
5. Friedrich Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame
Bibliographie
Personenregister
Sachregister
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Einführung in die deutsche Komödie
 3534162684, 9783534162680

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Einführungen Germanistik Herausgegeben von Gunter E. Grimm und Klaus-Michael Bogdal

Georg-Michael Schulz

Einführung in die deutsche Komödie

Wissenschaftliche Buchgesellschaft

Einbandgestaltung: Peter Lohse, Büttelborn Abbildung: Symbolische Darstellung der Durchbrechung des mittelalterlichen Weltbildes, 1888. Aus: Camille Flammarion: L’atmosphère, et la météorologie populaire, Paris 1888. i akg-images.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. i 2007 by WGB (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe dieses Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Umschlaggestaltung: schreiberVIS, Seeheim Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-darmstadt.de

ISBN 978-3-534-16268-0

Inhalt I. Gattungsbegriff . . . . . 1. Das Wort . . . . . . . 2. Elemente der Komödie 3. Untergattungen . . . .

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II. Forschungsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Methodische Ansätze – Themen – Probleme . . . . . . . . . 2. Analytisches Instrumentarium . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Geschichte der Gattung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Antike – Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Fastnachtspiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die italienischen und die englischen Wandertruppen 4. Wiederanschluss an das antike Drama seit der Renaissance – Barock . . . . . . . . . . . . . . 5. Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Sturm und Drang, Klassik, Romantik . . . . . . . . . 7. Das 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Das 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Einzelanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gotthold Ephraim Lessing: Minna von Barnhelm . 2. Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug . . . . . 3. Gerhart Hauptmann: Der Biberpelz . . . . . . . . 4. Carl Zuckmayer: Der Hauptmann von Köpenick . 5. Friedrich Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sachregister

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Bibliographie

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I. Gattungsbegriff 1. Das Wort Der Begriff der literarischen Gattung ist mehrdeutig. Er bezeichnet sowohl die traditionellen drei Großbereiche der Literatur – die „Gattungen“ oder „Hauptgattungen“ Lyrik, Epik, Drama – als auch die in diesen Großbereichen einbegriffenen Bereiche geringeren Umfangs, also im Fall des Dramas auch die „Gattungen“ oder „Untergattungen“ Tragödie (bzw. Trauerspiel) und Komödie (bzw. Lustspiel). Darüber hinaus werden nun freilich auch noch die verschiedenen Spielarten dieser „Untergattungen“ als Gattungen bezeichnet, Spielarten, die – wie zum Beispiel die Posse oder der Schwank – sich im Laufe der Zeiten herausgebildet haben und die dann einer der Untergattungen, in diesem Fall eben der Komödie, zugeordnet werden. Die Untergattungen und vor allem deren Spielarten werden zwar heute immer öfter als „Textsorten“ bezeichnet – mit Blick vor allem auf neuere literarische Entwicklungen und im Sinne eines erweiterten Begriffs von Literatur, der auch nichtliterarische Texte wie etwa Brief oder Reportage mit einschließt und keine Hierarchie der Gattungen mehr kennt. Dennoch wird man bei der Komödie angesichts ihrer Geschichte am besten von der – neben der Tragödie – zweiten zentralen dramatischen Gattung (also der zweiten Untergattung der Gattung Drama) sprechen. Die Komödie als literarische Gattung ist eine Klassifikation natürlich für literarische Texte. Tatsächlich aber findet der Begriff der Komödie, um den es hier geht, Verwendung nicht nur im Zusammenhang mit literarischen Texten; er begegnet vielmehr ebenso in den Bereichen des Theaters und von Film und Fernsehen. Und das nicht von ungefähr. Fragt man nämlich nach den Anfängen der Komödie als einer literarischen Gattung, so gelangt man unvermeidlicherweise zu der Kunstform des Theaters, in der das im engeren Sinne Literarische durchaus eine bedeutende Rolle spielt, aber doch nur in der Verbindung mit anderen, ebenfalls wichtigen Kunstarten. Das Theater, genauer: unser abendländisches Theater hat seine Ursprünge im antiken Griechenland des sechsten und fünften Jahrhunderts v. Chr., und zwar in den kultischen Festen zu Ehren des Gottes Dionysos. Aus dem Vortrag von Chorliedern, den so genannten Dithyramben – Kultliedern zu Ehren des Dionysos (Zimmermann 2006, 16) –, entwickelt sich ein theatrales Spiel in der Form zuerst der Tragödie und später der Komödie. Grundlegend für dieses Spiel sind ein Chor, der, begleitet von einem Flötenspieler, singt und tanzt, und der Auftritt von bis zu vier Schauspielern (unter Umständen in mehreren Rollen). Das Spiel lebt vom Zusammenwirken von Musik, Tanz und gesprochenem Wort. Von der Musik und dem Tanz wissen wir wenig. Erhalten ist im Wesentlichen nur das Wort in Gestalt der Dramentexte – soweit diese eben erhalten sind. Wir haben daher Mühe, uns zu vergegenwärtigen, dass der Tragödiendichter Aischylos „dafür berühmt“ war, „daß er

Gattung

Komödie als literarische Gattung

Theater

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I. Gattungsbegriff

Der Begriff der Komödie

zahlreiche neue Tanzfiguren für seine Chöre erfand“, und dass Euripides, von dem die meisten Tragödien überliefert sind, „besonderen Ruhm als Komponist“ genoss, so dass nicht Sentenzen aus seinen Texten, sondern „seine Lieder und Arien in aller Munde waren“ (Blume 1991, 2). Mit den Texten hat sich freilich auch die Etablierung zweier zentraler Untergattungen des Dramas, eben der Tragödie und der Komödie, erhalten. In der Antike ebenso wie dann von der Renaissance an, also von der Wiederentdeckung der Antike an, bis ins 19. Jahrhundert werden Tragödie und Komödie als ein Gegensatzpaar gesehen. Sie werden daher im Ganzen und in zahlreichen Details regelmäßig miteinander konfrontiert und voneinander abgegrenzt. Diese Entgegensetzung wird übrigens nicht dadurch beeinträchtigt, dass – zusätzlich zu den dramatischen Hauptgattungen – auch noch Mischformen aus ihnen beiden („Tragikomödien“) auftauchen. Im Gegensatz zur ernsten Tragödie ist die Komödie diejenige Dramengattung, in der es scherzhaft-heiter zugeht. Das deutet schon der Begriff „Komödie“ an, der von dem griechischen „komodós“, dem „Kómos-Sänger“, abgeleitet ist. Ein „kómos“ ist ein ausgelassener Umzug beim Dionysosfest (vgl. Eder 1974, 20). Von dem Begriff der Komödie wird dann wiederum der des Komischen (und der Komik) abgeleitet, der nun freilich auch das Komische als ein Lebensphänomen – jenseits von Theater und Literatur – bezeichnet. Schon diese begrifflichen Verhältnisse lassen erkennen, dass die Dramengattung „Komödie“ und das Lebensphänomen des Komischen zwei verschiedene Dinge sind, die sich nicht einfach von dem jeweils anderen her bestimmen lassen. Die lateinische Entsprechung zu dem griechischen Begriff, nämlich „comoedia“ und später „comedia“, erhält sich durch das Mittelalter hindurch. Allerdings findet der Begriff besonders vom 13. bis zum 15. Jahrhundert Verwendung vor allem für erzählende Werke. Denn die Stücke des römischen Komödiendichters Terenz sind zwar noch bekannt, aber sie werden als reine Lesetexte aufgefasst. Dabei – und das ist für uns heute schwer nachvollziehbar – werden die formalen Charakteristika eher übergangen, insbesondere wird die dialogische Gestaltung nicht als ein für die Komödie spezifisches Gattungsmerkmal aufgefasst (vgl. Suchomski 1979, 18 u. pass.). So kommt es, dass im frühen 14. Jahrhundert Dante sein großes Epos (abgeschlossen vor 1321) – aufgrund des glücklichen Ausgangs und der Verwendung der Volkssprache Italienisch statt des Lateinischen – noch als „Komödie“ bezeichnen kann, was dann die Nachwelt zu der Titelprägung Divina Commedia, Göttliche Komödie veranlasst hat. Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts setzt sich die Begrenzung des Begriffs „Komödie“ auf dramatische Texte wieder durch. Und die Komik als ein komödienspezifisches Element, das die Abgrenzung der Komödie vom ernsten Drama und von der Tragödie erleichtern kann, das aber im Mittelalter eher vernachlässigt worden ist, rückt wieder vermehrt ins Zentrum (Bareiß 1982, 346–351), wenngleich nicht durchgehend und nicht als ein Hauptkriterium. Im 16. Jahrhundert gelten vielmehr in Italien auch solche Stücke als Komödien, in deren Vordergrund pathetische und rührende Personen stehen („commedia“). In Spanien werden zur gleichen Zeit auch ernste Dramen, die Komisches auf einzelne Passagen mit lustigen Personen beschränken, als Komödien („comedia“) eingestuft. In Frankreich können die Komödien

1. Das Wort

auch ernsten Inhalts sein („comédie“). Auch die elisabethanischen „comedies“ sind nicht auf Komik zentriert, sondern verlangen ein „end in peace“ bzw. „merry end“ (Bareiß 1982, 493). Im deutschsprachigen Raum begegnen „comedia“, „comedie“, „comedi“ (auch hier mit der Betonung auf der zweiten Silbe) seit dem 15. Jahrhundert. Im 16. Jahrhundert kann „comedia“ für den Oberbegriff „Drama“ (Spiel) überhaupt stehen, eine Begriffsverwendung, die bis ins 18. Jahrhundert begegnet und der es entspricht, die Schauspieler überhaupt als „Komödianten“ zu bezeichnen. Enger gefasst, bezeichnet „comedia“ ein „Drama mit gutem Ende“. Je nach Ausgang verwendet Hans Sachs in der Mitte des 16. Jahrhunderts die Begriffe „comedi“ oder „tragedi“. Allerdings ist für ihn auch der Tod eines Bösewichts ein (im moralischen Sinne) „gutes Ende“, so dass er manche Dramen, die man heute als Tragödien verstehen würde, als Komödien ansieht (vgl. Catholy 1968, 191 A. 66). Auch in den Poetiken des Barock wird nicht durchgehend Komik verlangt. Ausschlaggebend für die Wahl der Gattungsbezeichnung ist somit auch hier nicht Thema und Gehalt des Dramas oder die Art der sei es ernsten, sei es lustigen Behandlung, sondern vor allem das Ende der Dramenhandlung. Seit dem 16. und besonders seit Mitte des 17. Jahrhunderts gewinnt der alternative Begriff „Lustspiel“ an Bedeutung, ohne dass damit der Sache nach eine Differenz ins Spiel käme. „Lustspiel“ konkurriert zunächst etwa mit „Scherzspiel“, „Schimpfspiel“, „Freudenspiel“, „ein hübsch spil“, „Kurtzweilig Spiel“, „Singe- und Gesangspiel“ und sogar „Schaufreudenspiel“ und setzt sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts durch (Schrimpf 1978, 161). „Von Komödien oder Lustspielen“ überschreibt im früheren 18. Jahrhundert Johann Christoph Gottsched den entsprechenden Abschnitt in seiner Poetik Versuch einer Critischen Dichtkunst vor [= für] die Deutschen (datiert auf 1730), indem er beide Termini als Synonyme einstuft (und in dem Abschnitt selbst überwiegend von der „Komödie“ spricht). Im Ganzen freilich dominiert vorerst der Begriff „Lustspiel“: Gotthold Ephraim Lessing übersetzt bezeichnenderweise Christian Fürchtegott Gellerts Abhandlung Pro comoedia commovente (1751) mit Abhandlung für das rührende Lustspiel. Gelegentliche Bemühungen, dennoch strenger zwischen Komödie und Lustspiel zu differenzieren – so etwa bei August Wilhelm Schlegel (vgl. Schrimpf 1978, 170–176 u. pass.) –, haben sich nicht durchgesetzt, zumal sie zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. Überdies sind sie durchaus nicht wertfrei, so wenn die Komödie als satirisch und aggressiv und das Lustspiel als versöhnlich und humorvoll eingestuft wird. Derartige Bewertungen müssen eher als Ansätze zu einer Differenzierung zwischen verschiedenen Tendenzen im Bereich der komischen Dramatik gesehen werden.

2. Elemente der Komödie Der Gattungsbegriff der Komödie verführt leicht dazu, spontan an solche Komödien zu denken, die der aus der Antike stammenden Komödien-Tradition angehören, einer im Mittelalter unterbrochenen und von der Renaissance bis zum Barock sich erneut etablierenden Tradition, die sich in unauf-

Deutschsprachiger Raum

Lustspiel

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I. Gattungsbegriff

Komik

Die Instanz des Betrachters

Das Komische der Heraufsetzung und das Komische der Herabsetzung

fälliger und oft kaum bewusster Weise selbst noch in den Boulevard-Komödien des 20. Jahrhunderts fortschreibt ebenso wie in der gängigen Verwendung der Gattungsbezeichnung „Komödie“ für die entsprechenden Filme. Demnach ist die Komödie eine Untergattung in einem System der dramatischen Gattungen, in dem im Prinzip alle dramatischen Texte unterzubringen sind. Der Untergattung Komödie, der traditionellerweise die Opposition zu der Untergattung Tragödie bzw. ernstes Dramas zufällt, werden daher alle „komischen“ Dramen zugeordnet, also auch solche Dramen, die außerhalb dieses Systems oder vor dessen erneuter Etablierung entstanden sind, wie zum Beispiel die noch zu besprechenden Fastnachtspiele. Rechtfertigen lässt sich das nur, wenn sich auch in diesen Dramen nicht alle, aber doch einige derjenigen Elemente finden, die quer durch die Zeiten immer wieder als charakteristisch für eine Komödie angesehen werden. Drei dieser Elemente sind die Komik, die erheiternde Wirkung und das gute Ende. Die Komik ist sicherlich eine herausragende Qualität der Gattung, ohne freilich eine unerlässliche Bedingung zu sein (es gibt tatsächlich auch Komödien ohne Komik oder mit nur wenigen komischen Elementen, etwa die „rührenden Lustspiele“ im 18. Jahrhundert). Die Komik bzw. das Komische ist andererseits nicht an eine bestimmte Gattung gebunden (wie z. B. der komische Roman zeigt). Vielmehr ist das Komische zunächst einmal ein vorliterarisches Phänomen der Lebenswelt und daher ebenso kulturell bedingt und historisch wandelbar wie die Lebenswelt im Ganzen. Das Komische lässt sich nur beschreiben, wenn man die Instanz des Betrachters mit einbezieht. Denn es gibt nicht das „objektiv Komische“; vielmehr hängt es vom Betrachter ab, ob er eine Äußerung, eine Person, eine Situation als komisch bewertet (daher die Unterschiede von Betrachter zu Betrachter). Entscheidend ist – im Sinne der so genannten Kontrast- oder Inkongruenztheorie – der Kontrast zwischen einer Erwartung auf der Seite des Betrachters und der ausbleibenden Erfüllung auf der Seite des Betrachteten, also die Inkongruenz zwischen dem eigentlich Erwarteten und dem tatsächlich dafür Eintretenden. Bei der Betrachtung von Äußerungen, Personen, Situationen orientiert man sich, meist ohne darüber nachzudenken, an Kriterien wie Normalität / Anormalität, Ordnung / Unordnung, Vernunft / Unvernunft, Sein / Schein, Anspruch / Wirklichkeit usw. Und in der Regel unterstellt man dabei zugleich ein Wertgefälle zwischen Normalität und Anormalität, Ordnung und Unordnung usw., ein Wertgefälle, das – aus der (subjektiven) Sicht des Betrachters – die miteinander kontrastierenden Phänomene voneinander trennt. Indem der Betrachter sich an der Normalität, Ordnung, Vernunft usw., also an einer Norm, orientiert, bewertet er Verstöße gegen die Norm spontan als komisch, allerdings nur dann als komisch und nicht als skandalös, wenn einige (noch zu erwähnende) Zusatzbedingungen erfüllt sind. Dementsprechend kann man unterscheiden zwischen einem Komischen der Heraufsetzung und einem Komischen der Herabsetzung (Jauß 1976), eine Unterscheidung, die letzten Endes bei Sigmund Freud vorgeformt ist. Demnach wird entweder etwas Unterdrücktes heraufgesetzt, also aufgewertet, besonders die Kreatürlichkeit, die Leiblichkeit der menschlichen Natur, die Triebe, die Affekte – eine Heraufsetzung, die ein „Lachen mit“, ein Lachen der Solidarität hervorrufen kann und Übermut, Lebensfreude, Enthem-

2. Elemente der Komödie

mung bewirken kann. Oder aber es wird etwas vermeintlich Ideales herabgesetzt, also abgewertet, zum Beispiel etwas einschüchternd Überlegen-Erhabenes, eine Norm in ihrer angenommenen Gültigkeit, ein Held, der Vollkommenheit beansprucht – eine Herabsetzung, die eher ein „Lachen über“, ein Auslachen bewirkt, da sie Unzulänglichkeit und Versagen enthüllt. Komplizierend hinzu kommt die Einsicht, dass das in der Regel für selbstverständlich gehaltene Wertgefälle durch das Komische vorübergehend in Frage gestellt wird. Besonders der komisch wirkende Verstoß gegen die übliche Tabuisierung der Triebe hebt zwar die Unterscheidung von Sittlichkeit und Unsittlichkeit nicht auf und macht das Obszöne nicht hoffähig, er lässt aber erkennen, dass das normalerweise Ausgegrenzte und Verdrängte insgeheim dennoch zu dem Hochwertigen hinzugehört und dass nur beides zusammen ein Lebensganzes bildet. Angesichts dieser Komplexität des Komischen sind im Übrigen Versuche, das Komische, ausgehend von einem Gegensatz von Tragischem und Komischem, zu erklären, regelmäßig gescheitert, auch wenn über lange Zeiten hin die (Regel-)Poetiken sich an einem solchen Gegensatz orientiert haben. Ausschlaggebend für die Wirkung von Komischem sind, wie erwähnt, einige Zusatzbedingungen. Da ist zum einen die Plötzlichkeit, der Überraschungseffekt, der mit der Wahrnehmung von Komischem verbunden ist. Zum anderen ist diese Wahrnehmung ein intellektueller Vorgang; der Betrachter muss Distanz wahren können, er darf nicht emotional engagiert sein. Emotional nicht beteiligt ist der Betrachter besonders dann, wenn er von der Harmlosigkeit, der Folgenlosigkeit des komischen Faktums ausgehen kann. Schließlich wird die Wahrnehmung von Komischem durch eine für sie förderliche Situation, durch einen passenden Rahmen unterstützt, sei es dadurch, dass etwas eigens zu einem komischen Gegenstand und damit zum Lachanlass hergerichtet wird, sei es durch die Bereitschaft des Betrachters zum Lachen und eventuell sogar seine Erwartung von Komischem (zum Beispiel in einer Komödie). Gelegentliche Versuche, zwischen einem echt Komischen und einem nur Lächerlichen zu trennen, haben keine breitere Resonanz gefunden. Auch bringt es nicht viel, wenn man das Komische / Lächerliche (als Eigenschaft komischer Gegenstände) und das Lustige (als Hervorbringung des Komischen – Beispiel: der Narr) einander gegenüberstellt, da beides gar nicht auf einer Ebene steht (Produkt und Produktion) und darum nicht miteinander konkurriert. Der Versuch schließlich, das Komische / Lächerliche vom Lachen her zu erfassen, kann problematisch sein, da das Lachen – als unbeherrschte körperliche Reaktion – keine Bedingung für die Wahrnehmung von (vielleicht nur erheiterndem, ein Schmunzeln provozierendem) Komischem ist. Zudem gibt es höchst unterschiedliche Lachanlässe und Arten des Lachens, auch solche, die wenig mit dem Komischen zu tun haben – vom verächtlichen oder verlegenen Lachen bis zum so genannten „Osterlachen“ aus Freude über die Auferstehung Christi, einem Lachen, das freilich eine Kehrseite hat: „das aggressive Lachen wider den Tod“ und das „Verlachen des Teufels“ an der Grenze zum „Makabren“ (Haug 1996, 52 f.). Das Komische ist ein augenblickhaft, einzeln, punktuell auftretendes Phänomen. Komisch sein können dementsprechend einzelne Äußerungen ein-

Zusatzbedingungen für die Wirkung von Komischem

Das Lächerliche

Das Lachen

Sprache, Personen, Einzelhandlungen

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I. Gattungsbegriff

Die Komödienhandlung im Ganzen

Bühnenkomik

Wirkung

zelner Personen (etwa Wortspiele, witzige Pointen) ebenso wie Dialoge (zum Beispiel beim Aneinander-vorbei-Reden). Das Komische kann des Weiteren an einzelnen Personen haften, egal ob sie eher Typen sind, also reduziert auf wenige Züge (zum Beispiel der „Geizige“), oder eher zu differenzierteren Charakteren individualisiert erscheinen (zum Beispiel der „Schwierige“ [Hugo von Hofmannsthal]). Komisch können schließlich Einzelhandlungen sein (zum Beispiel im Fall von Verwechslungs-, Verstellungs-, Situationskomik). Problematischer wird es bei der Frage, ob eine ganze Komödienhandlung komisch sein kann. Es gibt Komödien, die weitestgehend aus der Aneinanderreihung von Slapsticks bestehen. Hier muss die Handlung als komisch eingestuft werden, aber sie entspricht kaum den üblichen Vorstellungen von einer richtigen Dramenhandlung. Es gibt auch Komödien, in denen die Handlung – wie in Heinrich von Kleists Zerbrochnem Krug – wesentlich auf eine Figur bezogen ist, die ständig – willentlich oder nicht – für komische Effekte sorgt, so dass die Dramenhandlung, die eigentlich ernsthaft auf die Frage ausgerichtet ist, wer den Krug zerbrochen hat, und die mit der Einzelfigur verbundenen komischen Effekte sich kaum voneinander trennen lassen. Es gibt aber nicht zuletzt auch die so genannten Typenkomödien, bei denen die Einzelaktionen komisch sind, während die Komödienhandlung im Ganzen zwar komische (und nicht-komische) Elemente enthält, aber als plot, als dramaturgisch gebaute Bewegung von einem Ausgangspunkt zu einem Endpunkt, nicht komisch ist. In solchen Dramen erweist sich der komische Typ als ein Störenfried, der den Fortgang der Handlung sogar verzögert. In Luise Adelgunde Victorie Gottscheds Pietisterey im FischbeinRocke zum Beispiel möchten die „vernünftigen“ Figuren Jungfer Luischen und Herr Liebmann gerne heiraten, was Luischens unter pietistischem Einfluss stehende Mutter, Frau Glaubeleichtin (Namen von Frauen werden im 18. Jahrhundert noch mit weiblichen Endungen versehen) – sie ist hier der komische „Typ“ – zu verhindern versucht, zu guter Letzt freilich ohne Erfolg, denn die vernünftigen Figuren erreichen am Ende ihr Ziel. Besonders komisch wirkt in solchen Stücken in der Regel die mehrfach wiederholte „fehlerhafte“ Einzelaktion des Typen, die ganz offensichtlich die Gesamthandlung nicht voranbringt. Eingebürgert hat sich zwar der Begriff der Bühnenkomik, er bezieht sich aber auf die eben erwähnten komischen Äußerungen, Personen und Handlungen, wie die Dramentexte sie vorsehen (oder jedenfalls vorsehen können). Bühnenkomik ist also eine Qualität eines Komödien-Textes und nicht erst der Inszenierung einer Komödie auf einer Bühne, wenngleich eine solche Inszenierung natürlich bemüht sein kann, die komischen Züge eines Textes in ganz besonderer Weise zur Geltung zu bringen. Von der Komik als einer Eigenschaft des Bühnengeschehens hinüber zur Komödie als einer Gattung führt der häufig genannte Aspekt der Wirkung. Dabei geht es entweder um die beabsichtigte Wirkung entsprechend der so genannten Wirkungsästhetik, die die künstlerischen Werke nach den von ihnen zu erzielenden Wirkungen einordnet. Demnach soll die Komödie Lachen (Lächeln, Schmunzeln usw.) hervorrufen (im Unterschied zu den Affekten der Furcht und des Mitleids bzw. – in neuerer Terminologie – des Schauders und des Jammers, die die Tragödie erzeugt). Dieses Lachen ist

2. Elemente der Komödie

eine zwar spontane, aber mit dem Intellekt, mit einer Einsicht verbundene Reaktion. Oder aber es geht um die psychologisch-literaturwissenschaftlich zu analysierende Wirkung, die von komischen Bühnengeschehnissen hervorgerufen wird. In dieser Hinsicht kann der Rezipient unter Umständen ganz Verschiedenes empfinden: ein Gefühl der Überlegenheit (über die komisch verblendeten Personen), Schadenfreude (im Fall der komischen Herabsetzung) oder Solidarität (im Fall der komischen Heraufsetzung), eine Entlastung vom Druck gemeinsam erfahrener Zwänge, die Erwartung eines guten Endes, Heiterkeit, Distanz. Zu nennen ist sodann das gute Ende, das zwar in den Komödientheorien nicht immer zur Bedingung erhoben ist, mit dem die Komödien aber sehr oft schließen. Dieses gute Ende kann der wahrhaft glückliche Ausgang, der „exitus felix“, sein, wenn etwa die Liebenden sich nach der Beseitigung aller Widerstände doch noch „kriegen“. Die „Güte“ des Endes kann aber auch so weit eingeschränkt sein, dass man besser von der vermiedenen Katastrophe spricht oder es als Eigenart der Komödie sieht, dass sie ein Misslingen so darstellt, dass dabei die schmerzliche Seite nicht hervorgehoben wird. Solange die Dichtkunst noch unter der Vormundschaft normativer Poetiken steht, also bis ins 18. Jahrhundert hinein, wird die Komödie auch in Bezug auf das Personal und dessen sozialen Rang, die behandelten Stoffe und Themen und die Sprache von der Tragödie abgegrenzt (davon ist unten unter der Überschrift „Analytisches Instrumentarium“ ausführlicher die Rede).

3. Untergattungen In dem System der Gattungen, wie es sich im 18. Jahrhundert ausbildet, werden – im Bereich des Dramas – der Komödie alle „komischen“ Dramen zugeordnet, also, wie bereits erwähnt, auch solche Dramen, die außerhalb dieses Systems entstanden sind und für die somit auch die quasi systemimmanente Opposition „tragisch“ / „komisch“ bedeutungslos ist. Diese komischen Dramen, die dann als „Untergattungen“ der Gattung Komödie einzustufen sind, können regional und kulturell ganz verschiedenen Traditionen entstammen und tragen zum Teil Gattungsbezeichnungen, die (wie etwa beim „Schwank“ und der „Groteske“) nicht einmal eindeutig für Dramen reserviert sind. Einzelne der Untergattungen existieren bis heute (z. B. die „Farce“), einzelne sind wieder verschwunden und müssen als Grenzfälle gelten (z. B. das „Schäferspiel“). Alles dies hat jedenfalls zur Folge, dass das Spektrum der Untergattungen vergleichsweise breit ist, zumal wenn man auch noch komische Spiele im Bereich des Musiktheaters mit hinzunimmt, und dass dieses Spektrum sich systematisch und historisch schwer ordnen lässt. Posse Der Begriff der Posse, im 15. Jahrhundert aus dem Französischen entlehnt, bezeichnet ursprünglich eine komische Figur und wird dann auf einen komischen Vorfall – Scherz, Unfug – übertragen (ohne Bindung an eine bestimmte Gattung). Der davon abgeleitete Begriff „Possenspiel“ findet im 16.

Das gute Ende

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I. Gattungsbegriff

Jahrhundert Verwendung als Bezeichnung für Fastnachtspiele und hernach – unabhängig von der Zeit der Fastnacht – als allgemeine Bezeichnung für derbkomische Stücke überhaupt, wie sie im 17. Jahrhundert als mehr oder weniger extemporierte Zwischen- oder Nachspiele von den Wanderbühnen vorgeführt werden. Unter dem Einfluss der englischen Komödianten steht „Posse“ zunehmend für die dramatische Posse, die durchaus mit Musik und Tanz verbunden sein kann, während eine erzählte Posse als „Schwank“ bezeichnet wird (bevor der letztere Begriff im 19. Jahrhundert seinerseits in den Bereich des Dramas aufgenommen wird). Der Begriff „Posse“ bleibt erhalten, als im 18. Jahrhundert auch die derbkomischen Stücke mehr und mehr an einen fixierten Text gebunden werden. Einen Höhepunkt der Gattungsgeschichte stellt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – neben der Zauberposse (Ferdinand Raimund), der parodierenden oder travestierenden Posse (Johann Nestroy) und der Liederposse (Karl von Holtei) – vor allem die Lokalposse dar. Der lokale Bezug, geradezu ein „Kult mit der Heimatstadt“ (Klotz 1984, 92), der auch in den eben genannten anderen Arten der Posse von Bedeutung ist, zeigt sich im Dialekt, in den Couplets mit ihren Lokalstrophen und in den wiederum Lokales aufgreifenden Extempores, wobei in diesen lokalen Bezügen auch die aktuell erlebbare Wirklichkeit zum Vorschein kommt, von der das ernste Theater der Zeit sich eher fernhält. Wesentlich für die Posse ist die Improvisation; dementsprechend besitzt das Stoffliche einen Vorrang vor der Form. Die Handlung ist in einem kleinbürgerlichen Milieu angesiedelt und bezieht das Alltagsleben in der Stadt, in der sie spielt, mit ein. Sie wird nicht durch das Milieu angereichert, sondern dient umgekehrt dazu, das Milieu zur Geltung zu bringen; sie ist daher meist einfach und ermöglicht allerlei Situations- oder Charakterkomik. Wichtiger als die Handlung sind musikalische Elemente (Lied, Chanson, Couplet, Quodlibet, Chorgesang, Orchestervorspiele und -zwischenspiele, musikalische Illustration lebender Bilder), Tanzeinlagen und „Tableaus“. Die komische Figur ist jeweils lokal gebunden und wendet sich direkt an die Zuschauer). Die weltanschauliche Orientierung „der unteren Mittelklasse“, die in der Posse zum Vorschein kommt, lässt sich in einer Reihe von Maximen fixieren: Sesshaftigkeit, Status quo (statt Umwälzungen), Freundschaft und Nachbarschaft (statt der anonymen Gesellschaft), Sparsamkeit, innere Werte, private Pflichterfüllung, patriarchalische Familienordnung, Ehemoral (Klotz 1984, 94 f.). Farce Die Farce – mit der ursprünglichen Bedeutung „Zwischenspiel“ – entwickelt sich im Mittelalter aus zunehmend derber werdenden Einlagen oder Zwischenspielen in den geistlichen Spielen und verselbstständigt sich im 15./ 16. Jahrhundert in Frankreich zu einem komischen Spieltypus von kürzerer Dauer und mit einfacher Handlung, typisierten Figuren und burlesken Elementen (Mack 1989, 22 f.). Von Frankreich aus nehmen die Farcen Einfluss auf die gesamte europäische Literatur. In Deutschland, wo ihnen die Fastnachtspiele nahe stehen, setzt sich die Bezeichnung „Farce“, gleichgesetzt mit „Possenspiel“, im 18. Jahrhundert durch. Von der Aufklärung wird die

3. Untergattungen

Farce abgelehnt, weil sie weder ein vernünftig-wirklichkeitsgetreues Bild liefere noch der Förderung der Moral diene. Verwendung findet sie hernach hauptsächlich zu Zwecken der Literatursatire oder -parodie in Knittelversen oder Prosa (Jacob Michael Reinhold Lenz, Maximilian Klinger, Johann Wolfgang Goethe) oder zu Zwecken der Polemik bei den Romantikern (A. W. Schlegel, Ludwig Tieck). Im 19. Jahrhundert steht die Posse im Vordergrund, und zwar mit ihrer im Prinzip affirmativen Haltung, bezogen auf das dargestellte Bürgertum bzw. Kleinbürgertum, während im 20. Jahrhundert die Farce mit ihrer satirisch-zersetzenden Tendenz an Boden gewinnt. Hier wird der Begriff gelegentlich als Sammelbegriff für etliche Formen des komischen Theaters verwendet. Er kann aber insbesondere auch zur Offenlegung des Konstruiert-Grotesken eingesetzt werden (Max Frisch: Die chinesische Mauer. Eine Farce [1946], Botho Strauß: Kalldewey. Farce [1981]). Burleske Der aus dem Italienischen stammende Begriff der Burleske bezeichnet im 17. Jahrhundert in Frankreich und England zunächst den parodistischen und travestierenden Umgang mit überlieferten Werken, auch mit zeitgenössischen Dramenmoden: durch spöttische Übertreibungen wird eine ernste Gattung lächerlich gemacht, indem das Erhaben-Pathetische ins Banal-Alltägliche verwandelt und das Geistige auf die Ebene des Physisch-Materiellen herabgesetzt wird oder indem umgekehrt Banales in einer pseudo-feierlichen Darstellung geboten wird. Insofern überschneiden sich hier die Bereiche von Burleske, Parodie und Travestie. In jedem Fall handelt es sich bei den burlesken Stücken um komische Improvisationsstücke, in denen nach dem Vorbild der italienischen Commedia burlesca im Rahmen eines groben Handlungsentwurfs von den Darstellern extemporiert wird. In Deutschland bezeichnet der Begriff der Burleske Ende des 17. Jahrhunderts und im 18. Jahrhundert allgemeiner eine Form des Komischen, bei der, ohne satirische Absicht, das Hohe und Erhabene durch die Beziehung auf eine natürlichphysische Wirklichkeit relativiert wird. Die Bezeichnung wird im 19. Jahrhundert auch von Autoren selbst für solche Werke verwendet, die der Posse und der Farce nahe stehen. Schwank Der Begriff des Schwanks, der seit dem 15. Jahrhundert die Bezeichnung für eine possenhafte Vers- oder Prosaerzählung ist, verschiebt sich im 19. Jahrhundert zur Bedeutung „dramatischer Schwank“, mithin zur Bedeutung „derb-lustiges Schauspiel mit Situations- und Typenkomik“. Der Zeitraum, in dem der Schwank lebendig ist, reicht von 1850 bis 1930. Angesprochen wird das mittlere Bürgertum. Es geht im Schwank – auf der Grundlage der bürgerlichen Ehe und Familie – um den Alltag mit seinen Tücken, um „Geschlechterfronten im bürgerlichen Heim“ und „Kreuzung und Durchkreuzung von zulässiger und unzulässiger Sexualität“ (Klotz 1984, 156 f.). Der Ausgangspunkt ist oftmals ein Seitensprung, den der Ehemann geheim zu halten und den die Ehefrau in Erfahrung zu bringen sucht und der daher zu allerlei Situationskomik führt. Die einsträngige Handlung, die in der Posse vor allem der Entfaltung des Milieus dient, besitzt im Schwank durchaus einiges Gewicht und ist meist spannend. Eher schematisch wirken die Figuren

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I. Gattungsbegriff

(im Unterschied zu den oft kauzigen Typen in der Posse): „Es sind die immergleichen seitensprungsüchtigen Ehemänner; die immergleichen moralbesessenen ältlichen bzw. liebesrachedürstigen jungen Ehefrauen; die immergleichen zimperlichen Töchter aus gutem Haus; die immergleichen ahnungslosen Dritten, die von außen in die innerfamiliären Zwiste geraten und noch mehr Verwirrung stiften.“ (Klotz 1984, 183). Der Schwank verdrängt im ausgehenden 19. Jahrhundert die Posse, da er – als komisches Drama – eher den Erfordernissen einer psychologisch-realistischen Darstellung entspricht. Schäferspiel Das Schäferspiel wie die Schäferdichtung im Ganzen (auch Hirtendichtung, bukolische Dichtung) zehrt seit der Antike von der Wunschvorstellung eines naturnahen, unschuldigen Lebens in einer idyllischen Landschaft, die nach Vergil als Arkadien bezeichnet wird. Entworfen eigentlich im Gegensatz zur Welt von Hof und Gesellschaft, liefert das naturverbundene Dasein nicht zuletzt unter dem Einfluss des Rokoko ein in der höfischen Gesellschaft selbst beliebtes Kostüm. Die Akteure der Schäferspiele, die in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert entstehen, sind bescheiden-schlichte Schäfer und Schäferinnen, die vor allem mit dem Thema „Liebe“ beschäftigt sind. Im Spektrum der komischen Untergattungen ist das Schäferspiel besonders durch seine Heiterkeit charakterisiert, wenngleich es durchaus auch eine Mischung von heiteren und tragischen Elementen enthalten kann. Als ein Höhepunkt der Gattungsgeschichte gilt Goethes Laune des Verliebten (1767). Groteske Als „grotesk“ bezeichnet man eine bestimmte Art der künstlerischen Darstellung unabhängig von der literarischen Gattung, nämlich die Darstellung des gleichzeitig Monströs-Grausigen und Komischen, des gesteigert Grauenvollen, ja Dämonischen, das zugleich als lächerlich und derb-komisch erscheint. Von der Warte eines realistischen Stils her gesehen, ist das Groteske die Deformation, Entstellung und Verzerrung des Realen, die Verbindung von scheinbar Unvereinbarem, der Umschlag von Form in Formlosigkeit, was ihr teils humoristisch-karikierende, meist eher schaurige oder sogar fratzenhaft-dämonische Züge verleiht, so dass beim Rezipienten gleichzeitig Lachen und Grauen hervorgerufen wird. Die Gattungsbezeichnung „die Groteske“ begegnet bei (in der Regel kürzeren) dramatischen, epischen und mitunter auch lyrischen Texten seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Dramatische Grotesken sind zumeist Einakter. In diesem Sinne verwendet zum Beispiel Arthur Schnitzler den Begriff. Ansonsten werden vielfach Dramen Frank Wedekinds und des frühen Bertolt Brecht in der Literaturwissenschaft als Grotesken bezeichnet. Das Groteske – als Eigenschaft der Darstellung, nicht als Gattungsbezeichnung – wird im Bereich von Drama und Theater des Öfteren in eine Beziehung zum Absurden oder zum Tragikomischen (Friedrich Dürrenmatt) gebracht. Im Übrigen kann in einem Drama das Grausige gegenüber dem Komischen derart überwiegen, dass dieses Drama dann nicht mehr der Gattung der Komödie zugeordnet wird.

3. Untergattungen

Humoreske Die Humoreske – der Begriff ist eine Analogiebildung zu Burleske, Groteske, Arabeske – bezeichnet im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert Geschichten, die in heiter-unterhaltender Weise von menschlichen Schwächen und aus dem bürgerlichen Alltag erzählen. Der Begriff findet – über die Prosa-Erzählung hinaus – Verwendung für eine Vielzahl unterschiedlicher Kunstformen, sogar in der Instrumentalmusik und für Kleinformen des Musiktheaters und so eben auch für kürzere Dramen, die darum dennoch keine wirklich selbstständige dramatische Gattung bilden. Volksstück Der Begriff „Volksstück“ ist im weitesten Sinne ein Sammelbegriff für solche Stücke, wie sie gewöhnlich an einem der so genannten Volkstheater gespielt wurden und noch werden. Volkstheater entstehen im 18. Jahrhundert – in Abgrenzung von den privilegierten höfischen oder bürgerlichen Theatern – zumeist als Vorstadttheater. Da sie keine Bildungsschranken setzen, sprechen sie zunächst die mittleren und unteren Schichten an, aber – je nach ihrer Zugkraft – auch das Bürgertum im Ganzen. Hinsichtlich der Stoffe und der Darbietungsformen (zum Beispiel in Bezug auf den Dialekt) sind sie stark an lokale Gegebenheiten gebunden. (Insofern kann man zahlreiche Volksstücke des 19. Jahrhunderts auch einfach als Possen bezeichnen.) Berühmt ist das Wiener Volkstheater, in dessen Rahmen Joseph Anton Stranitzky mit der von ihm kreierten Figur des Hanswurst eine reiche volkstümlich-komische Theatertradition begründet (spätere Figuren heißen Bernadon, Kasperl, Thaddädl, Rochus Pumpernickel usw.). Die Stoffe und Themen entstammen der Barockliteratur, der Trivialliteratur oder der zeitgenössischen italienischen Oper. Zu literarischer Qualität gelangen die in Wien gespielten Stücke – nunmehr als Volksstücke im engeren Sinne – durch die bereits erwähnten Autoren Ferdinand Raimund mit seinen Zauberspielen und Johann Nestroy, der eher satirisch-kritisch verfährt und auch auf die aufklärerisch-kritische Emanzipationsfunktion des Volksstücks setzt. Die Figuren sind meist von handwerklich-kleinbürgerlicher Herkunft, die privaten, alltagsbezogenen Handlungen haben einen komischen, versöhnlichen, oft moralisierenden Ausgang, die Wiener Mundart herrscht vor. Es gibt mimische, musikalische, tänzerische oder auch märchenhafte Zwischenspiele; nicht selten wird im Stück extemporiert, was regelmäßig zu Konflikten mit der Zensur führt. Volksstücke entstehen als Mundartpossen im 19. Jahrhundert auch in anderen Sprach-Regionen, zum Beispiel im Alemannischen (Johann Georg Daniel Arnold), im Hessischen (Ernst Elias Niebergall: Datterich [1841]) oder in Berlin (Karl von Holtei, David Kalisch). Nachdem in Wien nach 1848 eine verschärfte Zensur für Probleme sorgt und die Gattung der Operette einen Siegeszug antritt, überlebt die Gattung Volksstück durch ihre Lokalbindung etwa bei Ludwig Anzengruber, dessen Volksstücke wie Der Meineidbauer (1871) freilich recht ernst ausfallen können, oder bei Ludwig Thoma, der in der Komödie Moral (1908) die bürgerliche Doppelmoral kritisch beleuchtet, oder auch bei Carl Zuckmayer, der in Der Hauptmann von Köpenick (1931) eine außerordentlich satirische Darstellung des Militarismus liefert.

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I. Gattungsbegriff

Von der Erneuerung des Volksstücks in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts (Ödön von Horváth, Marieluise Fleißer) und dann abermals nach dem Zweiten Weltkrieg (Franz Xaver Kroetz u. a.) soll hier nicht weiter die Rede sein, da diese Stücke zum Teil aus dem Horizont des komischen Theaters heraustreten. Boulevardkomödie Die Bezeichnung „Boulevardkomödie“ umfasst mehrere Spielarten der Gesellschaftskomödie des späten 19. und des 20. Jahrhunderts. Abgeleitet ist die Bezeichnung vom Boulevardtheater, also von dem Sammelbegriff für die Privattheater, die sich im 19. Jahrhundert in Paris an den Boulevards befanden. Bei dem sich dort etablierenden Typus des Boulevardstücks handelt es sich um leichte und publikumswirksame Konversations- und Gesellschaftskomödien für ein gehobenes und mittleres Bürgertum. Die verwickelte, oft temporeiche Handlung mit einem gewissen Hang zur Situationskomik kreist zumeist um das Thema Ehebruch, es kommt zu Verwechslungen, Täuschungen und Entlarvungen, die Figuren sind mehr oder weniger typisiert, die Sprache ist intelligent und witzig, oft auch anzüglich mit einer Neigung zu Wortspielen. Wenngleich das Boulevardstück zunächst keine kritischen Intentionen verfolgt, führen die Entlarvungen dann doch – jenseits purer Unterhaltung – zur Bloßstellung der bürgerlichen Doppelmoral und des „gutbürgerlichen“ Familienlebens. Im deutschsprachigen Raum gibt es Boulevardtheater seit der Wende zum 20. Jahrhundert; der bekannteste Vertreter ist Curt Goetz. Einige vormalige Vertreter des Expressionismus wenden sich nach dessen Ende in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts der Komödie und zum Teil auch der Boulevardkomödie zu. Die Bezeichnungen „Boulevardkomödie“, „Gesellschaftskomödie“ und „Konversationskomödie“ werden zumeist bunt durcheinander verwendet. Die jeweils gemeinten Arten der Komödie lassen sich jedenfalls kaum voneinander abgrenzen. Während „Boulevardkomödie“ eher an die bevorzugt auf Unterhaltung eingerichteten Theater denken lässt, in denen die Komödien aufgeführt werden, hebt „Gesellschaftskomödie“ auf den in den Komödien intendierten sozialen Rahmen und die in diesen Rahmen passenden Probleme ab. „Konversationskomödie“ schließlich betont die in den Komödien gepflegte Art der Kommunikation, den geistreichen Konversationston in der meist höheren Gesellschaft. Tragikomödie Im 18. Jahrhundert etabliert sich das Schauspiel als eine selbstständige dramatische Gattung zwischen der Tragödie bzw. dem Trauerspiel, mit dem es den Ernst des behandelten Themas gemein hat, und der Komödie bzw. dem Lustspiel, mit dem es den versöhnlichen Ausgang teilt. Während somit das Schauspiel seinem Gehalt nach weder „tragisch“ noch „komisch“ ist, ist die Tragikomödie beides, und zwar beides zugleich. Zu unterscheiden sind hier allerdings ältere und jüngere Tragikomödien. In der Antike und von der Renaissance bis ins 18. Jahrhundert, gelten diejenigen Stücke als Tragikomödien, in denen sowohl tragödienspezifische als auch komödienspezifische Elemente nebeneinander vorkommen, dies nach dem Vorbild des Am-

3. Untergattungen

phitruo des römischen Dramatikers Plautus, einer Komödie, in der Götter auftreten, die eigentlich der Tragödie vorbehalten sind. Bei diesen älteren Stücken wäre das Tragikomische – eine Kategorie, die als solche da noch nicht begegnet – einfach die Addition von Komischem, d. h. zur Komödie Gehörigem, und Tragischem, d. h. zur Tragödie Gehörigem. Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstehen dann zunehmend „synthetische“ Tragikomödien (Guthke 1961, 22), in denen tragische und komische Momente nicht nur nebeneinander vorkommen, sondern derart miteinander verbunden sind, dass das eigentlich Tragische zugleich als komisch und das eigentlich Komische zugleich als tragisch erscheint: „Das Komische ist auf tragische Weise komisch, das Tragische auf komische Weise tragisch“ (Guthke 1961, 31). Dabei bezeichnen die Begriffe des Tragischen und des Komischen nicht mehr nur wie ehedem Charakteristika der Tragödie bzw. der Komödie, also das zur Tragödie bzw. zur Komödie Gehörige, sondern verselbstständigte, substanzielle (ästhetische) Qualitäten unabhängig von bestimmten Textsorten. Bei den neueren („synthetischen“) Tragikomödien bleiben die Kategorien des Tragischen und des Komischen trotz der engen Verquickung sachlich unterscheidbar und trennbar (und die – komplexe – Wirklichkeit erscheint als im Prinzip „realistisch“ dargestellt). Wirklich ununterscheidbar werden jene Kategorien erst beim wahrhaft Grotesken, bei dem – angesichts der Entstellung der vertrauten Welt und ihrer Verzerrung ins „Surreale“ – die Unheimlichkeit und die Desorientierung überhand nehmen. Singspiel Das Sprechtheater besitzt seit jeher immer wieder die Neigung, auch musikalische Elemente zu integrieren. Schon im antiken Theater gab es ja Gesang und Tanz. Musikalische Einlagen begegnen auch in den geistlichen Spielen des Spätmittelalters ebenso wie in einigen Fastnachtspielen. Aber erst im 18. Jahrhundert entwickelt sich als eine leichtere Unterhaltung für höfische und bürgerliche Bedürfnisse aus dem Schauspiel mit musikalischen Einlagen – insbesondere im Rahmen der komischen Gattung des Schäferspiels – das Singspiel als eine zwischen Schauspiel und Oper angesiedelte Misch-Gattung (mit Texten unter anderem von Christian Felix Weiße, Christoph Martin Wieland, Goethe). Je nach der Bedeutung, die im Einzelfall dem Text oder der Musik zukommt, gehört das Singspiel mehr zur Literatur- oder mehr zur Musikgeschichte, wie denn überhaupt mit zunehmendem Gewicht der musikalischen Gestaltung sich das Singspiel zur Oper weiterentwickelt (Wolfgang Amadeus Mozart: Entführung aus dem Serail [1782]). Vom Singspiel lässt sich dann wiederum als eine weitere Form die „Posse mit Gesang“ ableiten. Oper Die Oper entsteht um 1600 in Italien als – der Intention nach – Wiedergeburt der (als musikgetragen vorgestellten) griechischen Tragödie. Daraus entwickeln sich im 18. Jahrhundert die beiden Gattungen der Opera seria (ernste Oper) und der Opera buffa (heitere Oper). Dabei verzichtet die Opera seria auf die ursprünglich zwischen die Akte einer (ernsten) Oper eingeschobenen komischen Intermezzi (oft in sich geschlossene Diener-Hand-

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I. Gattungsbegriff

lungen), während die Opera buffa aus eben diesen Intermezzi und aus der (meist im Dialekt gehaltenen) Commedia per musica (Musikkomödie) entsteht, indem sie sich hinsichtlich der Handlungsführung an der Commedia dell’arte orientiert. Die Stoffe entstammen dem Volksleben und der gesellschaftlichen Wirklichkeit; der Stil kann empfindsam-ernst oder auch derbkomisch sein. Von den Formen der komischen Oper in anderen Ländern unterscheidet die Opera buffa sich dadurch, dass sie stets Rezitative statt gesprochener Dialoge verwendet. Die französische Opéra-Comique (komische Oper), die freilich vom Sujet her auch Tragisches, Heroisches, Idyllisches und anderes enthalten kann, entsteht aus der italienischen Opera buffa und aus der der eigenen französischen Tradition entstammenden Comédie en vaudevilles (oder Comédie avec vaudevilles); Vaudevilles sind kurze, mit Musik begleitete und von Liedeinlagen unterbrochene Komödien. (Die deutsche Entsprechung der Opéra-Comique ist die komische Oper zum Beispiel von Gustav Albert Lortzing: Der Wildschütz [1842], eine Art biedermeierliche Komödie.) Operette Allen diesen Einflüssen verdankt schließlich um die Mitte des 19. Jahrhunderts die aus Frankreich stammende Operette als ein heiteres Bühnenstück mit gesprochenen Dialogen, Gesang und Tanz ihren Ursprung. Die Operette als eine Sonderart der komischen Oper, von Jacques Offenbach unter zeitsatirischen und parodistischen Vorzeichen begründet, bietet hernach auch eher anspruchslose Unterhaltung, sie begnügt sich mit unkompliziertvolkstümlicher Melodik und legt Wert auf aktuelle Tänze (zum Beispiel den Cancan). Im deutschsprachigen Raum erlebt die Operette – in Anknüpfung an die Gattung der „Posse mit Gesang“ – in Wien einen Höhepunkt (Johann Strauß, später Franz Lehár), dann auch in Berlin (Paul Lincke). Im Übrigen: Bevor der Begriff der Operette Mitte des 19. Jahrhunderts nur noch die eben skizzierte Sonderart der komischen Oper bezeichnet, wird er für alle möglichen Bühnenwerke geringeren Umfangs benutzt, so auch für das oben erwähnte deutsche Singspiel. Musical Das aus Operette, Revue und einer Vielzahl weiterer Quellen hervorgegangene amerikanische Musical des ausgehenden 19. und vor allem des 20. Jahrhunderts (mit Schwerpunkten in New York und auch in London) kann hier nur als ein Grenzfall Erwähnung finden, vor allem, weil bei ihm der musikalische Anteil gegenüber dem literarischen in aller Regel überwiegt, weil es darin aber überdies häufig um aktuelle, auch zeitkritisch behandelte ernste und seltener um komische Themen geht und weil schließlich deutsche Musicals (Stephan Barbarino [Text], Franz Hummel [Musik]: Ludwig II. [2000]) nur eine marginale Rolle im Gesamtspektrum der Gattung spielen.

II. Forschungsbericht Schon die Poetik des Aristoteles schreibt den Dramatikern nicht willkürlich irgendwelche Regeln vor, sondern sichtet erst einmal die vorhandenen Dramen. Sie registriert dabei, dass es hinsichtlich der Anlage einer Handlung, der Gestaltung von Figuren usw. durchaus verschiedene Möglichkeiten gibt, die sie dann freilich teils als besser, teils als weniger gut bewertet. Auf dieser Grundlage gewinnt sie die Vorstellung einer Tragödienstruktur, die sie schließlich für musterhaft erklärt. Methodisch gesehen, bedeutet das: Sie verfährt sowohl empirisch-deskriptiv als auch normativ-regelsetzend. Und da das zweite Buch der Poetik, in dem es um die Komödie gehen sollte, nicht erhalten ist, gibt es hier für die Komödie wesentlich weniger Regelungen als für die Tragödie, was auch der Forschung im Fall der Komödie einen freieren Blick auf die zu beurteilenden Dramen-Texte und deren Vielfalt erlaubt hat als im Fall der Tragödie, bei der die Aristotelischen Vorgaben die Bewertung der zu betrachtenden Texte stärker reglementiert haben (Zimmermann 2006, 36). Was die sowohl empirisch-deskriptive als auch normativ-regelsetzende Einstellung betrifft, so gilt Entsprechendes wie für die Aristotelische Poetik auch für die Poetiken des Barock und der frühen Aufklärung, die, soweit sie sich auf das jeweils Vorhandene beziehen, so etwas wie Bestandsaufnahmen liefern. Johann Christoph Gottsched zum Beispiel reserviert in seiner Poetik (Critische Dichtkunst, 1730) ein Kapitel für die Komödie, behandelt darin im historischen Rückblick griechische, römische, italienische, englische, französische und deutsche Komödien, bevor er systematisch auf formale Aspekte eingeht. Hinsichtlich der deutschen Komödien beschränkt er sich auf das 17. Jahrhundert und gibt Hinweise – freilich im Umfang von nur einer Seite – zu Andreas Gryphius und Christian Weise. Was dabei die Verbindung von Komödientheorie und Komödienpraxis betrifft, so verfährt das Gros der späteren Forschung im Grunde nicht viel anders – der Forschung jedenfalls, die über die Beschäftigung nur mit einzelnen Texten oder einzelnen Autoren hinausgeht. Es gibt kaum eine Darstellung der Komödiengeschichte einer Epoche oder noch größerer Zeiträume, die nicht zugleich die entsprechende Komödientheorie einbezöge, und umgekehrt geht selbst eine Arbeit, die sich im Titel nur auf die „Komödiendiskussion von Aristoteles bis Ben Jonson“ bezieht (vgl. Bareiß 1982), regelmäßig dennoch zugleich auf die Komödienpraxis mit ein. Neben den Poetiken gibt es im 18. Jahrhundert auch anders geartete und andere Zielsetzungen verfolgende umfangreichere Darstellungen, die sich mit der Literatur im Ganzen oder mit Teilbereichen beschäftigen (wie zum Beispiel Lessings Hamburgische Dramaturgie [1767–1769]) und die in diesem Rahmen die Gattung der Komödie ebenfalls unter theoretischen und historischen Aspekten behandeln. Dabei beziehen die Ausführungen sich zunehmend nicht mehr nur auf die formalen Seiten der Gattung bzw. ihre Wirkung („Belustigung“), sondern enthalten vermehrt auch Reflexionen

Die Poetik des Aristoteles

Poetiken des Barock und der frühen Aufklärung

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II. Forschungsbericht

Carl Friedrich Flögel

Friedrich W. Ebeling

Hermann Reich

über das Wesen der Komödie, und dies unter Einbeziehung auch psychologischer Gesichtspunkte. Derartige Darstellungen verfahren freilich – nicht anders als die Poetiken auch – mehr kritisch-wertend als nur referierend. Man könnte mit Bezug auf sie von Literaturkritik sprechen, nicht eigentlich von Vorläufern der Literaturwissenschaft bzw. der Literaturgeschichtsschreibung. Eine bemerkenswert frühe durchaus literaturgeschichtliche Darstellung ist dagegen Carl Friedrich Flögels (1729–1788) vierbändige Geschichte der komischen Literatur (1784–1787), die sich sowohl mit der komischen Literatur im Ganzen und der Gattung der Komödie als auch mit dem Komischen beschäftigt. Flögel liefert zunächst Überlegungen zum „Komischen oder Lächerlichen überhaupt“ und behandelt dann sehr breit die satirische Schreibweise quer durch verschiedene literarische Gattungen, beginnend bei den Griechen und Römern und endend – unter Einbeziehung verschiedener europäischer Völker – im 18. Jahrhundert. Separat und vergleichsweise knapper werden anschließend Eigenart und Geschichte speziell der Komödie behandelt, abermals von der Antike bis ins 18. Jahrhundert und sogar noch unter Einbeziehung verschiedener „ungebildeter“ Völker – von China über (unter anderem) Ägypten und Peru bis Sibirien. Ihren monumentalen Umfang von vier Bänden erreicht die Darstellung übrigens durch die Integration vieler Zitate. Von dieser außergewöhnlichen Darstellung hat knapp achtzig Jahre später Friedrich W. Ebeling im Jahr 1862 unter dem Titel Flögel’s Geschichte des Grotesk-Komischen eine Bearbeitung herausgegeben, die auf 500 Seiten den Flögelschen Text teils entschieden kürzt, teils aber auch hinsichtlich der behandelten Themen erheblich erweitert. Die Bearbeitung ist nämlich – mit einem Terminus von heute – kulturwissenschaftlich ausgerichtet (und darin ebenfalls außergewöhnlich), wie zudem etliche Illustrationen von der Antike bis zur Neuzeit verdeutlichen. Die Bearbeitung geht deutlich über die Literatur hinaus und untersucht das Komische auch in religiösen Bräuchen, in weltlichen Feiern (etwa die Zwischenspiele bei fürstlichen Gastmählern) und närrischen Geselligkeiten (z. B. in der Fastnacht), in Kunst und Musik, und zwar, über Flögel hinaus fortgeführt, bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie enthält aber immerhin im ersten Abschnitt eine Geschichte der Komödie seit der Antike und liefert im Unterabschnitt über die deutsche Komödie einen Überblick über die Komödiengeschichte wiederum bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, beginnend mit den Fastnachtspielen und konzentriert auf das Volkstheater sowie mit Interesse eher an der Theatergeschichte als an der Dramengeschichte. Damit war Ebeling offenkundig noch nicht zufrieden; er hat nämlich seinerseits – mit Bezug nur auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts – 1869 unter eigenem Namen auf rund 1900 Seiten eine dreibändige Darstellung der komischen Literatur folgen lassen (mit etwa 90 Seiten über das Drama). Abermals einen Hang zum Monumentalen (und zugleich eine Tendenz zum Manischen) bezeugt 1903 ein 900 Seiten umfassender erster (und einziger) Band Der Mimus von Hermann Reich, der alle „dramatische Poesie in der Welt“ auf griechische Ursprünge zurückführt (Reich 1974, 898), die „klassische“ Poesie ohnehin, aber auch diejenige, die nicht „klassisch oder klassizistisch ist“ und die im antiken Mimus ihre „Grundlage“ (Reich 1974,

II. Forschungsbericht

896) habe. Die Arbeit bezieht – über die breit dargestellte Antike hinaus – den Orient, Indien und das europäische Mittelalter (mitsamt der Hofnarren) mit ein, um schließlich bei William Shakespeare und dessen Ausstrahlungen bis ins 18. Jahrhundert hinein zu landen. Nach einigen allgemeineren Darstellungen zur Komödie und zur Komödientheorie aus dem 19. Jahrhundert (vgl. Creizenach 1879, Altenhofer [Hrsg.] 1973) erscheint 1911 Karl Holls Geschichte der Lustspieltheorie, die zuerst Ansichten zum Komischen vorträgt, das Holl im überlegenen Humor gipfeln lässt, und die dann, beginnend mit Aristoteles, sechs Stationen der Komödientheorie erörtert, deren letzte, die Gottschedische, hervorgegangen „aus dem Nährboden des plattesten Rationalismus“, immerhin „der literarisch verwahrlosten Zeit“ eine praktische Orientierung vermittelt habe (Holl 1976, 107). Statt einer geplanten Fortführung dieser Darstellung schreibt Holl dann eine umfangreiche Geschichte des deutschen Lustspiels (1923), die die Komödientheorie integriert und tatsächlich die Komödiengeschichte vom Mittelalter bis zum beginnenden 20. Jahrhundert behandelt. Gleich eingangs versichert Holl, neben dem höheren Lustspiel, das vom Humor lebt, auch das niedere Lustspiel, den derberen Schwank, gelten lassen zu wollen. Aufgrund der Verbindung beider Arten (unter Mithilfe der Musik) erkennt Holl in Richard Wagners „Meistersingern“ einen „Höhepunkt deutscher Lustspielleistung“ (Holl 1964, 2). Man könnte in Holls Lustspiel-Geschichte den Beginn der modernen Komödienforschung sehen, wenn man den Begriff der Moderne aus der Literaturgeschichte nun auch für die Forschungsgeschichte übernehmen wollte. Von einer kontinuierlichen Beschäftigung mit der Gattung der Komödie (über Einzelinterpretationen hinaus), die dieser Begriff zumindest suggeriert, kann aber nicht die Rede sein. Zwar bezeugen in den folgenden Jahrzehnten einzelne Forscher ihr Interesse an der Gattung (vgl. etwa Rommels Arbeiten aus den vierziger und fünfziger Jahren [1975 a, 1975 b, 1952]). Eine wirklich bemerkenswerte Erweiterung erfährt die Komödienforschung aber erst in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts, und zwar eine Erweiterung, was die Arbeiten mit umfassenderem Anspruch betrifft, aber auch mit Bezug auf die Quantität derjenigen Arbeiten, die zu einzelnen Dramen oder einzelnen Autoren verfasst werden. 1968 erscheint Helmut Prangs übergreifende gattungsgeschichtliche Darstellung, eingeleitet durch Überlegungen zum „Begriff und Wesen des Lustspiels“. „Von der Antike bis zur Gegenwart“, d. h. bis zu Dürrenmatt reichend, behandelt sie die Geschichte der Komödie „in den Ländern unseres Kulturkreises“ (364). Im Wesentlichen bedeutet das – neben griechischen und römischen Komödien der Antike – englische, französische, italienische und spanische und in Bezug auf das 19. und das 20. Jahrhundert auch nordamerikanische, russische und polnische Komödien. Konzentriert auf die deutsche Komödie liefert Eckehard Catholy – in Orientierung an den Epochen der deutschen Literaturgeschichte – 1969 und 1982 eine Darstellung der Gattungsgeschichte vom Mittelalter bis zur Romantik in zwei Bänden. Hinsichtlich des „spezifisch Lustspielhaften“ hält Catholy sich an eine „Anzahl von Strukturmerkmalen, die einerseits noch zeitlich weit voneinander entfernten Stücken gemeinsam, andererseits nur für Lustspiele kennzeichnend sind“ (Catholy 1969, 7).

Karl Holl

Helmut Prang

Eckehard Catholy

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II. Forschungsbericht Bernhard Greiner

InterpretationsSammlungen

Einzelne Gattungen

Ebenfalls epochenübergreifend ist Bernhard Greiners umfangreiche Darstellung, erschienen 1992, die eine größere Zahl exemplarischer Einzelinterpretationen deutscher Komödien enthält und dazu in einem ausgedehnten ersten Abschnitt eine Grundlegung bietet mit der Einbeziehung auch der Antike, Shakespeares und Molières. In historischer Perspektive sieht Greiner die abendländische Komödie aus zwei Ursprüngen hervorgehen, einerseits aus dem Orgiastischen, Grenzensprengenden, Dionysisch-Karnevalistischen (Letzteres mit Berufung auf den russischen Theoretiker Michail Bachtin) aufgrund der Herkunft der Gattung aus dem Dionysos-Kult, andererseits aus dem Interesse der Dramatiker an der literarischen Organisation, deren ein Drama mit geordneter Handlung, konsistenten Figuren und geformter Rede bedarf (im Hintergrund dieser Deutung steht offensichtlich Friedrich Nietzsches Unterscheidung zwischen dem Dionysischen und dem Apollinischen). Epochenübergreifend, ohne dass eine einheitliche Perspektive vorgegeben wäre, sind schließlich Interpretations-Sammlungen von mehreren Verfassern zumeist mit einer Einleitung des Herausgebers, die immerhin auf prinzipiellere Aspekte zielt. Es liegt auf der Hand, dass diese Sammlungen repräsentativ sein wollen und daher den etablierten Kanon der „wichtigen“ Komödien eher bestätigen als in Frage stellen. Herausgegeben worden sind solche Sammlungen von Hans Steffen (1968 und 1969), Walter Hinck (1977), Herbert Mainusch, auf die europäische Komödie ausgedehnt (1990), und Winfried Freund (1995, zuerst 1988). Fritz Martini (1979, zuerst 1974) hat eine Sammlung eigener Interpretationen mit einer Einleitung „Überlegungen zur Poetik des Lustspiels“ zusammengestellt. Abermals epochenübergreifend, allerdings nicht mehr mit Bezug auf das Terrain der Komödie im Ganzen (oder doch auf repräsentative Teile dieses Terrains), sind Darstellungen, die einzelne Gattungen behandeln. Manche von ihnen wie zum Beispiel die Burleske oder die Humoreske oder das Schäferspiel (als Teil der Schäferdichtung) sind vergleichsweise selten in speziell ihnen gewidmeten Darstellungen untersucht worden. Dieser Befund müsste allerdings modifiziert werden, wenn man sich nicht nur auf Deutschland, sondern auf Europa im Ganzen bezöge. Dem Boulevardstück zum Beispiel sind in Deutschland nur erst wenige Darstellungen gewidmet worden, während es als Gattung in Frankreich und England durchaus anerkannt ist und auch ein größeres Interesse der Forschung gefunden hat. Deutlich mehr Beachtung, nun wiederum bezogen auf Deutschland, ist dagegen der Tragikomödie zuteil geworden, sei es dass der Gattungsbegriff auf seine unterschiedlichen Verwendungen hin untersucht worden ist, sei es dass die Tragikomödie als entschieden moderne Gattung verstanden worden ist (Guthke 1968). Auch das „bürgerliche Lachtheater“ (Klotz 1980), nämlich Posse, Schwank, Operette, hat die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich gezogen und dadurch eine Aufwertung erfahren. Das Fastnachtspiel und das Wiener Volkstheater (bzw. die dort gespielten Stücke) sind schließlich zwei Beispiele für tatsächlich vielfach untersuchte komische Untergattungen, für die sich zwar einzelne Forscher besonders engagiert haben (Eckehard Catholy für das Fastnachtspiel; zuerst Otto Rommel, später Jürgen Hein für das Wiener Volkstheater), die aber im Ganzen derart häufig thematisiert worden sind, dass ihnen sogar Einzelbände mit Forschungsüberbli-

II. Forschungsbericht

cken gewidmet worden sind (Catholy 1966 [Fastnachtspiel], Hein 1978 [Wiener Volkstheater], Schmitz 1990 [Volksstück überhaupt]). Besonders im Fall des Wiener Volkstheaters – das soll nicht verschwiegen werden – gingen dabei wichtige Impulse von der Theaterwissenschaft aus. Das gilt übrigens auch für die „komische Figur“, zu der es inzwischen eine wiederum vor allem auf Wien bezogene reichhaltige Forschung gibt (Csobádi 1994, Ernst 2003, Müller-Kampel 2003, mehrere Beiträge in Erdmann 2003). Mit Bezug nicht eigentlich auf eine bestimmte Gattung, sondern eher pauschal auf die nicht-hochliterarischen Spielarten der Komödie sei erwähnt, dass die Entdeckung des russischen Theoretikers Michail Bachtin und seiner Beschäftigung mit der „karnevalistischen“ Volkskultur bedeutsame Impulse auch für die entsprechende Komödienforschung gebracht hat. Wichtig für das Verständnis einzelner Ausschnitte der Komödiengeschichte sind Darstellungen, die bestimmte Spielarten der Komödie mit Bezug auf historisch begrenztere Zeiträume behandeln. Hervorzuheben sind hier insbesondere „Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts und die italienische Komödie“ (1965) von Walter Hinck und „Die ernste Komödie. Das deutsche Lustspiel von Lessing bis Kleist“ (1968) von Helmut Arntzen. Anschließen lassen sich Darstellungen der Komödiengeschichte einzelner Epochen, von denen es allerdings nicht sehr viele gibt, da in wenigen Epochen das epochenspezifische „Programm“ ein eigenes Profil auch für die Komödie entwickelt hat; als Beispiele genannt seien „Die Komödie der Aufklärung“ (1966) von Horst Steinmetz und „Die Komödie der Romantik“ von Uwe Japp (1999). Geographisch begrenzt sind Darstellungen natürlich dann, wenn sie – wie beim Wiener Volkstheater – eine lokal fixierte Art der Komödie zum Thema machen. Auch sonst können Darstellungen sich räumlich begrenzen, zum Beispiel auf österreichische Beiträge zur Komödie (Scheit 1995), wobei dann nicht von vornherein ausgemacht ist, ob die geographisch begrenzte Komödienproduktion als ein Beitrag zur gesamten deutschsprachigen Komödienproduktion angesehen wird oder ob sie als ein gesondert für sich wahrzunehmender Zweig gelten soll. Auch der Geschichte der Komödientheorie gilt – nach der erwähnten Arbeit von Holl (1911) – seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts ein vermehrtes Interesse. Dies zeigt sich vor allem in Sammelbänden, in denen entweder (normativ-programmatische oder deskriptive) Äußerungen von Literaten, Philosophen und Vertretern anderer Disziplinen aus verschiedenen Zeiträumen zusammengestellt sind oder in denen einzelne (literaturwissenschaftlich analysierende) Beiträge verschiedener Forscher aus dem 20. Jahrhundert wieder abgedruckt sind. Allerdings ergibt sich daraus nicht wirklich ein Bild einer übergreifenden Geschichte der Komödientheorie, sofern man mit dem Begriff der Geschichte (der Komödientheorie) die Existenz eines geschichtlichen Kontinuums verbindet. Schon Holl greift sechs einzelne Stationen heraus (wobei er sich an literaturgeschichtlichen Epochen orientiert), er sieht sich also eigentlich nicht in der Lage, eine kohärente TheorieGeschichte zu liefern. Und dass inzwischen kein Forscher mehr sich an eine tatsächlich übergreifende Darstellung der Geschichte der Komödientheorie herantraut, ist im Grunde leicht erklärbar. Denn im Fall der Theorie

Historisch begrenztere Darstellungen

Geographisch begrenzte Darstellungen

Geschichte der Komödientheorie

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II. Forschungsbericht

Einzelfragen

Zwei Arten des komischen Dramas

der Komödie gibt es einfach kein geschichtliches Kontinuum. Zwar folgen die einzelnen komödientheoretischen normativen oder deskriptiven Stellungnahmen einander (im Sinne eines bloßen chronologischen Nacheinanders), sie beziehen sich aber nicht auf die ihnen vorhergehenden Stellungnahmen, sondern auf die jeweils aktuelle Komödienproduktion. Überdies entstehen in den Epochen nach der Aufklärung kaum mehr eigentlich epochenspezifische komödientheoretische Programme, von denen dann die Programme einer nachfolgenden Epoche sich kritisch absetzen könnten. Insofern bildet die Komödientheorie viel eher einen integralen Teil der Komödiengeschichte, als dass sie eine eigene Geschichte hätte. Zu nennen sind mit Bezug auf die Geschichte der Komödientheorie jedenfalls die Sammlungen von Reinhold Grimm und Klaus Berghahn (1975), Joachim Suchomski (1979) und Ulrich Profitlich (1998). Texte zur Theorie nicht der Komödie, sondern der Komik hat Helmut Bachmaier gesammelt (2005). Um Arten des Lachens geht es in der Sammlung von Arnd Beise u. a. (2003). Ein sehr wichtiger Sammelband, der sich von verschiedenen Disziplinen her mit dem entsprechend vielseitig ins Auge gefassten Phänomen des Komischen befasst (und dabei auch mit Komödien und mit komödientheoretischen Aspekten), ist bereits 1976 in der Reihe der Veröffentlichungen der Forschergruppe „Poetik und Hermeneutik“ erschienen (Preisendanz/Warning 1976). Mit einzelnen Fragen der Komödientheorie befassen sich verschiedene wichtige Beiträge, von denen einige beispielhaft erwähnt seien. Rainer Warning (1976) untersucht das heikle Verhältnis zwischen dem Komischen (als Inhalt) und der Komödie (als dramatischer Gattung); er hält sich dabei vor allem an die Typenkomödie. Hans Joachim Schrimpf erörtert die terminologische Problematik der Begriffe „Komödie“ und „Lustspiel“ (1978). Reinhold Grimm und Walter Hinck veröffentlichen vier eigene Arbeiten über die Komödie zwischen Satire und Utopie (1982). Karl-Heinz Bareiß verfolgt die Komödiendiskussion von Aristoteles bis Ben Jonson (1982). Abermals ein heikles Verhältnis, nämlich das zwischen normativer Setzung („Wesen der Komödie“) und empirischem Befund (also der Einstufung des einzelnen Textes), wird von Ulrich Profitlich (1997) in einem unten noch einzubeziehenden Aufsatz über Probleme der Gattungsgeschichtsschreibung behandelt. Methodisch problematische Aspekte der Komödienforschung, etwa das bisweilen ungeklärte Verhältnis von Komödientext und Theaterinszenierung oder die nicht selten begegnende Tendenz, die Komödie von ihrer vermeintlichen Opposition zur Tragödie her erfassen zu wollen, kommen unten noch zur Sprache. Hier sei daher mit Blick auf die Forschung nur mehr hervorgehoben, dass viele Darstellungen mit umfassenderem Anspruch dazu neigen, zwei (im Einzelnen freilich unterschiedlich gefasste) Arten des komischen Dramas zu unterscheiden, etwa einerseits einen dem Grotesken sich nähernden Typus mit einer Tendenz zur offenen Form und andererseits einen (von heiterer Gelöstheit beherrschten) Typus mit einer Tendenz zur geschlossenen Form (Rommel 1975 b). Eine solche Unterscheidung kann auch in historischer Perspektive von den Ursprüngen der abendländischen Komödie her begründet werden. Eine ältere Arbeit (Kindermann 1975) stellt zwei antike „Grundformen“ einander gegenüber, den Komos (davon ist der

II. Forschungsbericht

Begriff „Komödie“ abgeleitet, und gemeint ist die höhere Komödie) und den Mimus (die niedrigere Komödie mit geringerem literarischem Anspruch, wie unten im Rahmen der Gattungsgeschichte ausgeführt wird). Eine eben erwähnte jüngere Arbeit (Greiner 1992) bezieht sich auf zwei zusammenfließende „Ursprünge“, einerseits auf das Dionysisch-Karnevalistische und andererseits auf die notwendige literarische Formung. Ähnliche Unterscheidungen begegnen auch in zahlreichen weiteren verschieden akzentuierenden Dichotomien wie Ausgrenzung und Einsicht in die Hinzugehörigkeit des Ausgegrenzten, Herabsetzung und Heraufsetzung, Lachen über und Lachen mit, Distanzierung und Identifikation.

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III. Methoden 1. Methodische Ansätze – Themen – Probleme

Sozialgeschichtliche Ansätze

Wie bei anderen Gattungen gibt es natürlich auch im Fall der Komödie unverhältnismäßig mehr Einzelinterpretationen als übergreifende Darstellungen oder gar Arbeiten, die die Gattung im Ganzen in den Blick nehmen. Auf die Einzeltext-Analyse konzentriert sich, was den methodischen Ansatz betrifft, die so genannte werkimmanente Interpretation, die in der Germanistik nach dem Zweiten Weltkrieg bis etwa Mitte der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts tonangebend gewesen ist. Es ist wohl kein Zufall, dass in dieser Zeit die germanistische Forschung, was die Gattung Drama betrifft, das „hochliterarische“ Drama bevorzugt und dabei eher der Tragödie und dem ernsten Schauspiel als der Komödie zuneigt. Da mag noch nachwirken, dass die Komödie traditionellerweise im Schatten der höher angesehenen Tragödie steht, wenngleich es ohne jeden Zweifel genügend „hochliterarische“ Komödien gibt. Vor allem aber sind Komödien im Vergleich mit Tragödien und ernsten Schauspielen gewissermaßen „bodenständiger“, d. h. sie beziehen sich nicht selten sehr viel mehr auf individuelle, wenn nicht gar spezielle soziale und lokale Zusammenhänge, so dass eine werkimmanente Interpretation, die einen Text aus seinem Kontext herauszulösen geneigt ist, ihnen von vornherein weniger gerecht werden kann. Bei einzelnen Untergattungen der Komödie muss ein werkimmanentes Vorgehen sogar als unsinnig erscheinen. Pointiert bringt das die folgende Äußerung auf den Punkt: „Wer würde […] eine textimmanente Interpretation des Fastnachtspiels vom Dreck durchführen?“ (Michael 1971, 181) Ein vermehrtes Interesse an der Gattung der Komödie ist, wie erwähnt, seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu registrieren. Der beginnende Anstieg fällt mithin in eine Zeit, in der die werkimmanente Interpretation durch (zum Teil verschiedene Akzente setzende) sozialgeschichtliche Ansätze abgelöst wird. Diese methodische Umorientierung kommt der Beschäftigung mit der Komödie sehr entgegen, ebenso wie umgekehrt das gesteigerte Interesse auch an weniger „hochliterarischen“ Komödien die Hinwendung zu einem sozialgeschichtlichen Ansatz nahe legt – das gesteigerte Interesse nämlich infolge einer lebhafter werdenden Diskussion über den so genannten „Kanon“ der lesenswerten Texte. Ohne die Differenzen zwischen den verschiedenen sozialgeschichtlichen Ansätzen zu kaschieren, kann man sagen, dass hier der einzelne Text in einem Gefüge sozialer Faktoren betrachtet wird, die ihn nicht einfach determinieren, aber auf die er reagiert und mit denen er in Wechselbeziehungen steht, so dass er seinerseits auch wieder als ein Mittel der gesellschaftlichen Verständigung dient. In diesem Sinne geht es sowohl um textinterne Momente als auch um textexterne Faktoren. In der letzteren Hinsicht spielen nicht

1. Methodische Ansätze – Themen – Probleme

nur der Autor und dessen gesellschaftliche Position eine Rolle; es geht vielmehr auch um die Instanzen der Vermittlung zwischen Autor und Publikum und natürlich um das Publikum selbst, etwa um dessen sozialen Status, seine Bildungsvoraussetzungen und sein Selbstverständnis. Denkt man insbesondere an die Komödie der Aufklärung, die noch im Bann der so genannten Ständeklausel steht (mehr dazu unten), so kann man sagen, dass alle Arbeiten, die sich in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts (und auch noch danach) mit ihr beschäftigen, sozialgeschichtlich orientiert sind. Und es gibt Arten der Komödie, bei denen die Einbeziehung des sozialen Kontexts nicht nur möglich und sinnvoll, sondern schlechterdings zwingend erforderlich ist. Das gilt nicht nur für die eben schon gestreiften spätmittelalterlichen Fastnachtspiele, sondern zum Beispiel auch für die Volksstücke des 19. Jahrhunderts. Dass literarische Werke nicht einfach Abbilder sozialer Verhältnisse liefern (im Sinne der marxistischen Widerspiegelungstheorie) und dass daher – um Lessings Minna von Barnhelm als ein Beispiel anzuführen – Major von Tellheims Beharren auf der Ehre und sein akuter Geldmangel auch nicht ganz platt als Widerspiegelung der Überlebtheit des Adels und des Aufstiegs des Bürgertums im 18. Jahrhundert gesehen werden können, dies ist alsbald bewusst geworden. Überdies hat das komplexe Verhältnis von Literatur und Gesellschaft eine differenziertere Behandlung schon in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts in der so genannten Rezeptionsästhetik gefunden. Danach vervollständigt sich ein literarisches Werk gleichsam erst im Lektürevorgang, es trifft, indem es rezipiert wird, auf bestimmte Erwartungen der Leser, auf einen „Erwartungshorizont“ (Hans Robert Jauß), der sich auf der Grundlage der lebensweltlichen Erfahrungen dieser Leser unter Einschluss auch ihrer Lektüreerfahrungen herausgebildet hat und der die Rezeption des Werks leitet und dessen Deutung durch den einzelnen Leser mitbestimmt. Solche Erwartungshorizonte verändern sich natürlich, nicht nur beim einzelnen Leser, sondern auch von Leser-Generation zu Leser-Generation, und entsprechend verändern sich die Bedeutungen, die im Lauf der Zeiten einem Text jeweils zuerkannt werden. Die Aufwertung jedenfalls, die der Rezipient in diesem Ansatz erfährt, legitimiert gewisse Freiräume. Ein eher banales Beispiel: Wenn ein Autor ein Werk als Komödie bezeichnet, dann kann dies zwar der Komödienkonzeption des Autors entsprechen, ohne dass aber der Leser mit seinen anderen Erwartungen sich dadurch gegängelt sehen muss. Jacob Michael Reinhold Lenz hat bei der Verwendung von Gattungsbezeichnungen wiederholt geschwankt und sich dann für die Bezeichnung Komödie entschieden. Der spätere Leser kann das zur Kenntnis nehmen und dennoch sich auf die dramengeschichtliche Entwicklung seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert berufen und darum die Bezeichnung Tragikomödie für angemessener halten. Und wenn ein Autor wie Thomas Bernhard einem Drama (Elisabeth II.) die Gattungsbezeichnung „Keine Komödie“ gibt, kann der Leser darauf bestehen, dass das Drama der Art nach sich nicht von den vom Autor selbst als Komödien eingestuften Dramen unterscheide. (Das konnte der Leser zwar auch schon vor der „Erfindung“ der Rezeptionsästhetik tun, nur räumt diese Letztere ihm jetzt das Recht dazu ein, so dass das Leser-Votum nun nicht mehr als „literaturextern“ beiseite geschoben werden kann.)

Rezeptionsästhetik

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III. Methoden Weitere Ansätze

Medienwissenschaft

Es liegt auf der Hand, dass die rezeptionsästhetische Orientierung die Komödienforschung zu fördern vermag, freilich eher wenn es um die Betrachtung einzelner Komödien geht und nicht so sehr um übergreifende komödiengeschichtliche Darstellungen. Die weitere methodengeschichtliche Entwicklung indessen hat für die Komödienforschung keine größere Bedeutung gewonnen. In den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts finden die poststrukturalistischen literaturtheoretischen Konzepte in der Germanistik durchaus Beachtung, Konzepte, die teils textbezogen wie die Dekonstruktion, teils textübergreifend angelegt sind wie die Diskursanalyse, die jedoch in der Komödienforschung wenig Spuren hinterlassen haben, auch wenn Einzelbeiträge etwa feministisch (Weissberg 2001) oder systemtheoretisch (Theisen 2001) orientiert sind. Anders liegen die Verhältnisse bei der Medienwissenschaft, die sich Ende der siebziger Jahre etabliert und die sich zwar zuerst besonders für die neuen technischen Medien interessiert, die aber allgemein zu Bewusstsein gebracht hat, dass Literatur immer einer medialen Vermittlung bedarf und dass eben auch ein Buch ein Medium ist. Von Interesse ist die Medienwissenschaft hier natürlich nicht mit dem inzwischen großen Spektrum ihrer Verzweigungen, sondern primär hinsichtlich der bei der Gattung Drama nahe liegenden Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Theater, von Dramentext und Inszenierung. Ob die Theaterwissenschaft sich als eine Medienwissenschaft begreifen will, ist eine vorerst offene Frage (Balme 2001, 147 f.). Das Medium Theater oder – so die häufig begegnende Wendung – die plurimediale Institution des Theaters bildet jedenfalls seit der Antike einen zentralen Bezugspunkt für das Drama, mithin auch für die Komödie. Insofern begegnet in literaturwissenschaftlichen Darstellungen mitunter die Auffassung, dass das Drama seine wahre Bestimmung erst auf der Bühne finde, während es als bloßes „Lesedrama“ im Grunde „unvollendet“ sei. Das ist jedoch eine Fehleinschätzung in zweifacher Hinsicht. Zum einen wird die Selbstständigkeit des Mediums Theater übergangen, wenn die Inszenierung eines Dramas einfach als eine Art folgerichtiger Konkretisierung dieses Dramas auf einer Bühne angesehen wird (und jeder einigermaßen aufmerksame Theaterbesucher weiß, dass das dem Theater absolut nicht gerecht wird). Und zum andern wird solcherart im Grunde auch die Selbstständigkeit des Texts in Frage gestellt. Insofern ist schon aus rein literaturwissenschaftlicher Perspektive darauf zu bestehen, dass die Lektüre die erste und zugleich eine vollkommen angemessene Rezeption von Texten (unabhängig von der Textsorte) ist und dass ein Dramentext selbstverständlich im gleichen Maße ein abgeschlossenes literarisches Werk ist wie ein Roman oder ein Gedicht. Denn das szenische Konzept, das im so genannten ,Nebentext‘ niedergelegt ist, ist ein konstitutiver Teil des Dramas als eines Texts – unabhängig von jedweder Inszenierung (das wird unten unter der Überschrift „Analytisches Instrumentarium“ wieder aufgenommen). Wenn aus literaturwissenschaftlicher Perspektive die Lektüre als eine vollgültige Rezeption eines Dramas gelten soll, dann ist aus medienwissenschaftlicher Sicht natürlich auch die Existenz des entsprechenden Mediums Buch (bzw. eines geeigneten anderen Mediums) vorauszusetzen. Dennoch ist natürlich nicht in Abrede zu stellen, dass die der Gattung Drama zugehörigen Texte nicht nur lesbar sein wollen wie alle Literatur

1. Methodische Ansätze – Themen – Probleme

überhaupt, sondern dass sie auf eine Umsetzung in dem Medium des Theaters zielen oder in der Regel zumindest auf die Inszenierbarkeit hin eingerichtet sind. Wenn man also die jeweilige Selbstständigkeit von Drama und Theater hervorhebt, so erlaubt dies zu registrieren, dass beider Verhältnis zueinander – ihre Kooperation oder ihre wechselseitige Über- und Unterordnung – höchst unterschiedliche Formen annehmen kann und tatsächlich ja auch im Lauf der Zeiten sehr unterschiedlich gewesen ist. Bei bestimmten Arten der Komödien – wie zum Beispiel beim „Spaßtheater im 18. Jahrhundert“ (Müller-Kampel 2003) – kommt man jedenfalls nicht um die Einbeziehung theaterwissenschaftlicher Perspektiven herum. Eine Variante dieses methodischen Problems ist die Kategorie des Spiels, die gar nicht so selten – in allerdings unterschiedlicher Weise – zur Geltung gebracht wird, mitunter im Zusammenhang mit dem Motiv des Spiels im Spiel. Wenn, bezogen nicht auf einen Einzeltext, sondern auf die Gattung der Komödie überhaupt, ganz besonders der Spielcharakter des vorgeführten Geschehens hervorgehoben wird (Greiner 1992), dann kann sich das zunächst auf dasjenige beziehen, was unten (unter der Überschrift „Analytisches Instrumentarium“) als „szenisches Konzept“ gefasst ist und was allen Schau-Spielen zu Eigen ist. Tatsächlich aber wird das szenische Konzept, also die normalerweise unauffällige künstlerische Organisation der Spielvorgänge durch den Autor, in nicht wenigen Lustspielen derart deutlich betont (zum Beispiel durch äußerst unwahrscheinliche Wendungen), dass die Arrangiertheit des Arrangements unübersehbar wird („das sich zeigende Spiel“, Warning 1976, 315). Das begegnet zwar in etlichen Lustspielen und kaum je in Trauerspielen, es wird darum auch wiederholt als ein Charakteristikum der Komödie gesehen, es kann aber nur als ein mögliches und nicht als ein wesentliches Konstituens von Komödien gelten, zumal mehr oder weniger realistisch gehaltene Komödien darauf verzichten. Der Charakter des Spiels (im Sinne von Fiktionalität) kommt dem Trauer-„Spiel“ ebenso zu wie dem Lust-„Spiel“. Sollen Tragödie („Notwendigkeit und Ernst“) und Komödie („Freiheit und Spiel“, Freund 1995 a, 9) voneinander abgehoben werden, dann kann der Begriff des Spiels allenfalls metaphorisch für das Atmosphärische, für Heiterkeit, Leichtigkeit und Ähnliches stehen, denn die handelnden Figuren selbst haben ja nicht die Vorstellung zu spielen. Und selbst wenn sie aus der Rolle fallen oder die Rampe überspielen, wie das in älteren Komödien des Öfteren begegnet, bringt dies den fiktionalen Charakter des Vorgeführten zu Bewusstsein, ohne jedoch konstitutiv für die Komödie zu sein. Überdies verführt die Vieldeutigkeit des Begriffs „Spiel“ offenbar dazu, ausgehend vom Lustspiel zum Theaterspiel hinüberzugleiten und, ohne die mediale Differenz zwischen Text und Inszenierung zu respektieren, gleich den Schauspieler mit einzubeziehen (Greiner 1992). Die „Kommunikation zwischen Bühne und Zuschauern“ kann in Wahrheit nicht weiterhelfen, wenn man sich um einen „Ordnungsversuch“ im Bereich von Komödientheorien und Komödien bemüht (Trautwein 1983, 91), denn diese Kommunikation ist ein Charakteristikum nicht des Komödientexts, sondern der Aufführung, und ihre Einbeziehung bedürfte des Schritts von der Textanalyse zur Aufführungsanalyse. Auch die Potenzierung des Spielcharakters in einer Spiel-im-Spiel-Struktur, die der Komödie des Öfteren als charakteristisch zu-

Spiel

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III. Methoden

Weitere medienwissenschaftliche Aspekte

Kulturwissenschaftliche Ansätze

Einzeltext und Gattung

gesprochen wird, kann ebenso gut in der Tragödie begegnen, wie das berühmteste – allerdings nicht-deutsche – Beispiel, Shakespeares Hamlet, zeigt. Ins Spiel kommt die Medienwissenschaft – über den Komplex „Drama und Theater“ hinaus – auch noch durch die vermehrten Möglichkeiten einer medialen Vermittlung von Dramen, also auch von Komödien. Dazu gehört die Verfilmung von Komödien (seit einer Stummfilm-Fassung des Biberpelzes aus dem Jahr 1928, wenn man sich auf die unten in Einzelanalysen besprochenen Dramen beschränkt) ebenso wie deren Ausstrahlung als Hörspiel oder neuerdings die Präsentation im Hörbuch. Überdies werden im Fernsehen neben den auf Komödien basierenden Spielfilmen auch Theaterinszenierungen gezeigt (nicht nur im so genannten „Theaterkanal“), was nochmals andere medienästhetische Fragen aufwirft als die Inszenierung allein. Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts existiert nebeneinander eine Vielzahl methodischer Ansätze, die, wie erwähnt, nur zum Teil in der Komödienforschung Spuren hinterlassen und ihr neue Möglichkeiten eröffnen. Das Letztere kann man nach dem „cultural turn“, der kulturwissenschaftlichen Wende in den Geisteswissenschaften in den neunziger Jahren, vielleicht von den vielgestaltigen kulturwissenschaftlichen Ansätzen erhoffen. Allerdings wird das möglicherweise nur in geringerem Maße neue Interpretationen älterer hochliterarischer Komödien erbringen, sondern sich vor allem auf aktuellere Entwicklungen beziehen, und zwar unter Einbeziehung auch von Subkulturen, Jugendkultur, Popkultur, Kultur im Alltag usw. Insbesondere sind die zahlreichen Comedy-Shows in den privaten Fernsehsendern einerseits als ein massenwirksamer Seitentrieb der Gattung Komödie zu sehen, der sich aber andererseits nicht abgetrennt von anderen ebenfalls auf Unterhaltung programmierten Angeboten wie den TalkShows im Fernsehen und weiteren Produkten der „Spaßkultur“ untersuchen lässt. Die Fernseh-Wissenschaft hat dazu auch bereits Ergebnisse vorgelegt. Nicht unmittelbar mit der Wahl eines bestimmten methodisch-literaturtheoretischen Ansatzes hängt eine Reihe weiterer Probleme zusammen, die insbesondere dann entstehen, wenn man größere Bereiche der Gattung der Komödie oder sogar die Gattung im Ganzen ins Auge fasst. Dazu gehört zunächst das Verhältnis zwischen der Gattung und dem Einzeltext und dann dasjenige zwischen den Gattungen der Komödie und der Tragödie. Dass man eigentlich zuerst eine Vorstellung von einer literarischen Gattung haben muss, um ihr dann Einzeltexte zuordnen zu können, ist ebenso klar wie umgekehrt, dass man eigentlich zuerst Einzeltexte analysieren muss, um daraus, wenn sie Gemeinsamkeiten besitzen, dann eine Vorstellung von einer Gattung entwickeln zu können, der sie zugehören. Dass also das Gattungskonzept und die Einzeltextanalyse einander jeweils wechselseitig voraussetzen, dies ist bekanntlich der hermeneutische Zirkel, der eben konstitutiv ist für geisteswissenschaftliche Zusammenhänge überhaupt. Im Fall der Komödie liegt indessen ein zusätzliches Problem vor allem darin, dass die Texte durch etliche Jahrhunderte voneinander getrennt sind und darum einander zum Teil denkbar unähnlich sind. Bemüht man sich dennoch, eine Gattung als Ganzes in den Blick zu bekommen, dann

1. Methodische Ansätze – Themen – Probleme

hat es angesichts des historischen Wandels nicht viel Sinn, sich quer durch die Zeiten an die Autoren selbst (oder ihre Zeitgenossen) und an die von ihnen gewählten Gattungsbezeichnungen zu halten (in diesem Fall müsste dann ja sogar, wie oben erwähnt, Dantes Epos Divina Commedia als Komödie behandelt werden). Es geht somit um die Frage, wie man eine Vorstellung vom Profil der Gattung erhält. Ältere Darstellungen tun sich leichter mit normativen Setzungen („Wesen der Komödie“, „wahre Komödie“, „echte Komödie“ usw.). Wenn eine übergreifende Gattungsgeschichte im ersten Kapitel „Begriff und Wesen des Lustspiels“ (Prang 1968) umrissen hat, dann ist sie geneigt, dem „Wesen des Lustspiels“ bestimmte vermeintlich überzeitliche Qualitäten zuzuerkennen; das sind etwa die „Nähe von Ernst und Heiterkeit“ (Prang 1968, 159), „gütiger Humor und warmherzige Überlegenheit“, die für „gelöste Heiterkeit“ sorgen (Prang 1968, 329), womit zum Beispiel slapstickreiche Farcen ausgegrenzt sind. Bei der „echten Komödie“ (Prang 1968, 2) wird dann erwartet, dass ein Autor „zu jenem Allgemeinmenschlichen und Jederzeitlichen vordringt, das zum Wesen der Komödie gehört“ (Prang 1968, 301). Andere Forscher, die entschiedener empirisch vorgehen möchten, sprechen zwar nicht vom „Wesen des Lustspiels“, aber unter Umständen doch von der „Komödie als [poetischer] Intention“ mit den Autoritäten Aristophanes, Shakespeare, Molière im Hintergrund (Arntzen 1968, 9) oder vom „spezifisch Lustspielhaften“, das aus zeitlich weit voneinander entfernten Stücken als das Gemeinsame herausgefiltert werden soll (Catholy 1969, 7). Es lässt sich indessen nicht vermeiden, dass das vermeintlich empirisch gewonnene Ergebnis – jene den Autoritäten gemeinsame „Intention“ oder diese Konstante des „spezifisch Lustspielhaften“ – zu einem Maßstab wird, mit dessen Hilfe die Zugehörigkeit von Texten zur Gattung der Komödie kontrolliert wird. Man kann stattdessen versuchen, eine Mehrzahl von Elementen ausfindig zu machen, die man für gattungskonstitutiv erklären möchte. Hinsichtlich der Frage, welche Elemente einschlägig sind, wird man, um Willkür zu vermeiden, sich um eine konsensfähige Entscheidung bemühen, indem man von allgemein als Komödien anerkannten Texten ausgeht und aus diesen die wahrscheinlich komödienspezifischen Elemente empirisch zu gewinnen sucht, und sicherlich wird man – um einer gewissen Flexibilität willen – nicht alle gefundenen Elemente in jedem Einzelfall für unabdingbar halten, sondern nur eine plausible Zahl von ihnen. Die Entscheidung allerdings, welche Komödien man für jene empirische Untersuchung heranzieht, enthält dennoch unausweichlich ein Moment von Willkür. Überdies werden es eher Texte älteren Datums sein, deren für die Gattung repräsentativer Charakter unstrittig ist (wie zum Beispiel Lessings Minna von Barnhelm). Und diesen älteren Texten ähneln sehr viel spätere Texte möglicherweise desto weniger, je mehr sich die Gattung inzwischen gewandelt hat. Zu guter Letzt stellt sich sogar die Frage, was man eigentlich mit jenen Elementen gewonnen hat. Setzt sich aus ihrer Addition dann doch das „Wesen“ einer Komödie zusammen, und liefern alle Elemente zusammen das Bild einer idealen Komödie? Wie Ulrich Profitlich 1997 in einem Aufsatz über Probleme der Gattungsgeschichtsschreibung gezeigt hat, fällt auch in den jüngeren Arbeiten die

„Wesen“ der Komödie?

Gattung als „Familie“

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III. Methoden

Tragödie und Komödie

Unterscheidung zwischen normativen Setzungen und empirischen Befunden schwer. Es empfiehlt sich daher, die (nie ganz zu umgehenden) Momente von willkürlicher normativer Setzung zu begrenzen, indem man nicht die Einheit der Gattung in einem statischen „Wesen des Lustspiels“ sucht, sondern sich bemüht, die historische Kohärenz der Gattung in den Blick zu bekommen. Die Zusammengehörigkeit der Komödien ist dann am ehesten in dem Bild der Verwandtschaft innerhalb einer Familie zu fassen (Profitlich 1997, bes. 203–208). Konkret: Man gewinnt aus einer Anzahl von (zumeist frühen) Texten, deren Zugehörigkeit zu der Gattung common sense ist, etliche Elemente, auf deren Vorhandensein hin dann spätere Texte überprüft werden. Für diese späteren Texte fungieren die früheren als Norm. Soweit die späteren Texte von der Norm abweichen und ein eigenes Profil gewinnen, werden sie ihrerseits zur (veränderten) Norm für die wiederum nachfolgenden Texte. Auf diese Weise entsteht ein Gattungskontinuum, das immerhin die Möglichkeit offen hält, zum Beispiel moderne Dramen nicht von vornherein einfach deshalb aus der Gattung ausgrenzen zu müssen, weil sie den „Urbildern“ nicht entsprechen (Profitlich 1997, 176, 208). Die Komödie ist in der Antike erst nach der Tragödie entstanden, das heißt, die Tragödie bedurfte bei der Ausprägung ihres eigenen Profils nicht des Gegensatzes zur Komödie. Auch gibt, wie erwähnt, der erhaltene Teil der Aristotelischen Poetik zur Komödie sehr viel weniger Hinweise als zur Tragödie. Dennoch stabilisiert sich von der Renaissance an das sich herausbildende System der dramatischen Gattungen wesentlich mittels der Entgegensetzung von Tragödie und Komödie. Wie sehr dieser Gegensatz unser Denken bestimmt, zeigt eher beiläufig eine kleine aphoristische Äußerung Arthur Schopenhauers: Das Leben jedes einzelnen ist, wenn man es im Ganzen und Allgemeinen übersieht und nur die bedeutendsten Züge heraushebt, eigentlich immer ein Trauerspiel; aber im Einzelnen durchgegangen, hat es den Charakter des Lustspiels. Denn das Treiben und die Plage des Tages, […] die Unfälle jeder Stunde mittels des stets auf Schabernack bedachten Zufalls sind lauter Komödienszenen (Schopenhauer 1982, 442 [§ 58]).

Das Komische

Nicht die metaphorische Verwendung der Gattungsbezeichnungen ist entscheidend, sondern die Selbstverständlichkeit, mit der hier und eben nicht selten auch in der Forschung Tragödie und Komödie einander gegenübergestellt werden – bis hin zur Annahme einer sehr weit reichenden „Homologie von Komik und Tragik“ und von Komödie und Tragödie (Turk 1993, 282). Das hat zur Folge, dass die Komödie ebenso oft vom Gegensatz zur Tragödie her bestimmt wird, was nicht nur manchen einzelnen Untergattungen wie zum Beispiel dem Fastnachtspiel absolut nicht gerecht wird, sondern im Ganzen das quer durch die Jahrhunderte hindurch sich auffächernde Spektrum der Formen des komischen Dramas und Theaters gewaltsam reduziert und spätestens bei der Beschäftigung mit der Gattungsgeschichte im 20. Jahrhundert vollends unnachvollziehbar wird. Ein methodisches Problem anderer Art als das Verhältnis zwischen Gattung und Einzeltext oder zwischen Komödie und Tragödie ergibt sich mit der Kategorie des Komischen, mit der der Gegenstand der Komödienforschung im 18. Jahrhundert merklich an Komplexität gewinnt, wie bereits

1. Methodische Ansätze – Themen – Probleme

der Titel von Justus Mösers Schrift Harlekin oder Vertheidigung des Groteske-Komischen (1761) vermuten lässt. Mösers Schrift, gerichtet gegen Gottscheds Bemühungen um die Literarisierung und Verbürgerlichung der Komödie, interessiert sich nicht nur für die Komödie (und bei ihr dann auch eher für gehaltliche und weniger für formale Aspekte). Vielmehr thematisiert sie das Komische (hier eben in der besonderen Variante des Grotesk-Komischen) als eine selbstständige Qualität, die im Prinzip nicht einmal an die Gattung der Komödie gebunden ist, sondern von Bedeutung auch in der Malerei und in anderen Künsten ist. Das Komische als eine selbstständige Qualität – und zwar nicht nur als eine ästhetische Qualität (jenseits der Beschränkung auf die Literatur), sondern als ein Phänomen der Lebenswelt überhaupt –, dieses Komische wird seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert zum Gegenstand einer Mehrzahl von Texten aus ganz unterschiedlichen Disziplinen, aus der Philosophie, der Psychologie und Psychoanalyse, der Soziologie und weiteren Disziplinen. Die entsprechenden Texte, die inzwischen eine „kanonische“ Geltung besitzen, stammen unter anderem von Immanuel Kant (Kritik der Urteilskraft [1790]), Jean Paul (Vorschule der Ästhetik [1804]), Henri Bergson (Le Rire [1900]), Sigmund Freud (Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten [1905]), Joachim Ritter (Über das Lachen [1940]), Helmuth Plessner (Lachen und Weinen [1941]) und Michail Bachtin (Rabelais und seine Welt [1940/ 1965]). Jene Entdeckung des Komischen als einer selbstständigen Qualität steht freilich in einem breiteren Kontext. Im 18. Jahrhundert büßt nämlich die Rhetorik, deren Tradition bis in die Antike zurückreicht, immer mehr an Bedeutung ein, während gleichzeitig die Ästhetik als eine philosophische Disziplin entsteht und sogar einen Aufschwung erlebt. Einzelne ästhetische Qualitäten, wie besonders das Erhabene und das Schöne, gewinnen jeweils für sich an Interesse, wohingegen sie vorher, im Horizont der Rhetorik, eingebunden waren in die so genannte Drei-Stile-Lehre, also in die Unterscheidung zwischen einem hohen Stil, in dem erhabene Gegenstände darzustellen waren, einem mittleren Stil, der dem Anmutig-Schönen angemessen war, und einem niederen Stil. Mit dem Niedergang der Rhetorik schwindet auch der Zwang, die sich emanzipierenden ästhetischen Qualitäten auf eine Dreiheit (im Sinne der Drei-Stile-Lehre) zu fixieren. Beachtung finden daher auch weitere Qualitäten, die in das ursprünglich dreiteilige Schema nicht mehr passen, wie zum Beispiel das Malerische (besonders in der englischen Ästhetik) oder das Naive (etwa bei Moses Mendelssohn) und eben auch das Komische. Angesichts der Verselbstständigung des Komischen erweitern sich im Grunde die Bezugspunkte auch für die Beschäftigung mit der Komödie: Es geht einerseits um die Komödie als eine dramatische Gattung, die von anderen dramatischen Gattungen abzugrenzen ist (und überdies noch verschiedene Unterarten besitzt), und es geht andererseits um das Komische als ein Phänomen der Ästhetik und sogar der Lebenswelt, das in Abgrenzung von verwandten und ähnlichen (das Lächerliche, das Groteske, das Tragikomische usw.) oder von entgegengesetzten Phänomenen (das Tragische) zu bestimmen ist. Hinzu kommt die historische Perspektive: Zu fragen ist einerseits nach der Geschichte der Komödie, und gefragt werden könnte

Das Komische als selbstständige ästhetische Qualität

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III. Methoden

andererseits nach der Geschichte des Komischen, eine Frage, die allerdings im Horizont der Literaturwissenschaft selten explizit gestellt wird. Mitberührt ist sie freilich dann, wenn gefragt wird, in welcher historisch wechselnden Weise das Komische jeweils konstitutiv für die Komödie ist, eine Frage, die dann eben auch die Wandelbarkeit dessen, was als komisch gilt, in den Blick bringen kann. Im Zusammenhang mit den Fastnachtspielen zum Beispiel muss man registrieren, dass körperliche Behinderungen und Anomalien in der früheren Neuzeit als eine Art des Komischen empfunden wurden.

2. Analytisches Instrumentarium Textanalyse allgemein

Titel

Es ist selbstverständlich, dass allgemeine Verfahren der Textanalyse auch bei der Analyse von Komödien Verwendung finden müssen. Das betrifft auf der Textseite etwa die komödiengeschichtlichen, unter Umständen auch die theatergeschichtlichen Voraussetzungen, auf die der Text sich bezieht. Und es betrifft auf der Rezipientenseite die prinzipiellen methodischen Vorentscheidungen, zum Beispiel in Bezug auf die Frage, welche Bedeutung möglichen Autorintentionen zuerkannt werden soll. Überdies gelten allgemeine Gesichtspunkte der Analyse von Dramen selbstverständlich auch für die dramatische Untergattung „Komödie“. Das betrifft insbesondere die vier Elemente, die ein Drama konstituieren: die Handlung, dann die Figuren (als Handlungsträger), weiterhin die Sprache in der besonderen Gestalt der Figurenrede und schließlich das szenische Konzept. Bevor ich darauf eingehe, möchte ich ein paar Details berühren, die zum Nebentext gehören und denen der Leser bei der Lektüre zuerst begegnet. Die Komödientitel sollen in der Regel die Aufmerksamkeit wecken und neugierig machen, und sie versuchen dies auf ganz unterschiedliche Weise. Nicht selten handelt es sich um Personennamen, die unter Umständen gleich den sozialen Rang des Personals mitvermitteln (Lessing: Minna von Barnhelm), oder um die Namen eines Paars (Büchner: Leonce und Lena), oder es begegnen hier Bezeichnungen von Rollen, sei es in der Familie (Gellert: Die zärtlichen Schwestern), sei es in beruflicher Hinsicht (Lenz: Der Hofmeister), weiterhin von Typen (Carl Sternheim: Der Snob) und komplexeren Charakteren (Hugo von Hofmannsthal: Der Schwierige), eventuell auch die Bezeichnungen von Gruppen (Joseph von Eichendorff: Die Freier). Dinge oder Tiere können im Titel genannt werden (Kleist: Der zerbrochne Krug; Tieck: Der gestiefelte Kater), Orts- oder Zeitangaben, oft mit einem zusätzlichen Hinweis (Nestroy: Freiheit in Krähwinkel; Die verhängnisvolle Faschingsnacht). Zustände oder Situationen (Tieck: Die verkehrte Welt) oder Teilereignisse (Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame) können hervorgehoben werden. Titel können aus Redensarten bestehen (Franz Grillparzer: Weh dem, der lügt!), seltener aus ganzen Sätzen (Nestroy: Einen Jux will er sich machen). Doppeltitel begegnen eher bei älteren Komödien (Johann Christian Krüger: Die Candidaten oder: Die Mittel zu einem Amte zu gelangen). Eher ungewöhnlich sind selbstreferentielle Charakterisierungen (Christian Dietrich Grabbe: Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung).

2. Analytisches Instrumentarium

Der Untertitel enthält meist die Gattungsbezeichnung, oft mit Angabe der Zahl der Akte bzw. Aufzüge, unter Umständen noch mit weiteren Angaben (Lessing: Der junge Gelehrte. Ein Lustspiel in drei Aufzügen, verfertiget im Jahre 1747). Die Gattungsbezeichnung kann der Werbung dienen (Raimund: Der Alpenkönig und der Menschenfeind. Romantisch-komisches Original-Zauberspiel in zwei Aufzügen), und sie kann natürlich auch verräterisch oder aber verrätselnd wirken, um Neugier zu wecken (Gerhart Hauptmann: Der Biberpelz. Eine Diebskomödie; Dürrenmatt: Romulus der Große. Eine ungeschichtliche historische Komödie), oder schließlich geradezu paradox (Franz Werfel: Jacobowsky und der Oberst. Komödie einer Tragödie in drei Akten; Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame. Eine tragische Komödie). Das Personenverzeichnis nennt an erster Stelle zumeist entweder die Hauptperson („Adrast, der Freigeist“ in Lessings Freigeist) oder oft auch diejenige Person, die dem Rang nach am höchsten steht oder der allgemeinen Wertschätzung nach am wichtigsten erscheint, auch wenn sie nicht die Hauptperson ist („Chrysander, ein alter Kaufmann“, gefolgt von „Damis, der junge Gelehrte, Chrysanders Sohn“ in Lessings Der junge Gelehrte). (Bei Shakespeares Komödien werden übrigens erst alle Männer und dann erst die Frauen genannt.) Es folgen Angaben zum Spielort (Lessing: Der junge Gelehrte: „Der Schauplatz ist die Studierstube des Damis“) und gelegentlich auch Hinweise zur Spielzeit („Ort: Güllen, eine Kleinstadt[,] Zeit: Gegenwart“ in Dürrenmatts Besuch der alten Dame). In älteren Dramen können Bühnenanweisungen zur räumlichen Ausgestaltung des Spielorts ganz fehlen („Die Szene ist ein Saal“, so in Lessings Freigeist) oder spärlich ausfallen („Damis (am Tische unter Büchern)“, so in Lessings Jungem Gelehrten). In Dramen des Naturalismus Ende des 19. Jahrhunderts sind die Bühnenanweisungen sehr genau (über eine halbe Seite in Hauptmanns Biberpelz). Dürrenmatt macht sich den Spaß, den Physikern drei Seiten an Bühnenanweisung vorauszuschicken, die weit über das, was zu einem szenischen Konzept gehört, hinausgehen. Bei der Handlung – „mythos“ im Griechischen, „fabula“ im Lateinischen und „plot“ im Englischen, Letzteres ein Ausdruck, der behelfsweise auch in der deutschen Literaturwissenschaft verwendet wird –, bei der Handlung also geht es nicht lediglich um die einzelnen Handlungen – Aktionen – von Personen, sondern um die Handlung eines ganzen Dramas, um den Gesamtzusammenhang der Geschehnisse, die Ereignisse in ihrer Verkettung, in ihrer logischen und kausalen Verknüpfung. Diese Gesamthandlung wird in der Regel als dreiteilig gesehen: Exposition (Einleitung), Verwicklung, Lösung (im Fall der Tragödie: Katastrophe). Was den Inhalt betrifft, gehören zu dieser Gesamthandlung die Einzelhandlungen – Einzelaktionen – der Figuren, zudem aber auch innere Vorgänge, also Gefühle, die man nicht als Handlungen im engeren Sinne bezeichnen würde, die aber trotzdem Einfluss auf die Gesamthandlung nehmen können – Liebe, Hass, Neid, Reue usw. –, und schließlich die Wirkungen, die von Göttern, Geistern und Naturgewalten ausgehen. Was die dramaturgisch-formale Organisation betrifft, sind als Teile der Gesamthandlung auch die Vorgeschichte und die Elemente der „verdeckten“ Handlung hervorzuheben.

Untertitel, Gattungsbezeichnung

Personenverzeichnis

Spielort, Spielzeit

Handlung

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III. Methoden Exposition

Einfache, verflochtene Handlung

Handlung und Charaktere

Eröffnet wird die Handlung durch die Exposition, in der die Vorgeschichte vermittelt wird und die Personen vorgestellt werden. Die Exposition wird zwar bisweilen mit dem ersten Akt (zumal bei fünfaktigen Dramen) gleichgesetzt, sie reicht aber etwa in Lessings Minna von Barnhelm bis in den vierten Akt, weil dort erst die Vorgeschichte vollends erhellt ist. Beim so genannten analytischen Drama – das Vorbild ist die Tragödie König Ödipus von Sophokles – beschränkt die dramatische Gegenwartshandlung sich weitgehend auf die Erhellung der Vorgeschichte, so dass dann tendenziell das ganze Drama in der Exposition besteht. Im Bereich der Komödie gilt das besonders für eine Kriminalkomödie. Während das aktuell sich ereignende Geschehen die „vorgeführte“ Handlung bildet, wird die Vorgeschichte nur „berichtet“. Um „verdeckte“ (in anderer Terminologie auch „berichtete“) Handlung dreht es sich auch bei denjenigen Vorgängen, die nicht mehr eigentlich zur Vorgeschichte gehören, da sie sich nach dem Beginn des Gegenwartsgeschehens vollziehen, ohne dies jedoch innerhalb des konzipierten szenischen Raums zu tun. Sie haben sich entweder zwischendurch, also zwischen zwei Szenen oder Akten, vollzogen und werden dann durch Boten, Briefe usw. übermittelt – wie zum Beispiel durch das Handschreiben des Königs in Minna von Barnhelm –, oder sie ereignen sich gegenwärtig außerhalb des szenischen Raums, sichtbar für eine (oder mehrere) der anwesenden Personen (in der Antike ist dies die so genannte „Teichoskopie“, die „Mauerschau“) und werden von dieser Person mitgeteilt – wie die Flucht des Richters Adam, die am Ende von Kleists Zerbrochnem Krug durch ein Fenster beobachtet und für die Mitspieler (und die Rezipienten) kommentiert wird. Unterscheiden kann man des Weiteren zwischen einfacher und verflochtener (d. h. komplexerer) Handlung, zwischen Handlungskern und Episoden und zwischen Haupt- und Nebenhandlung (ein Beispiel für die Letztere wäre die sich anbahnende Beziehung zwischen Wachtmeister Werner und der Kammerjungfer Franziska in Lessings Minna von Barnhelm). Unterschieden wird im Übrigen auch zwischen der Zielspannung, die sich auf den Ausgang des Dramas richtet, und der Verlaufsspannung, die dann entstehen kann, wenn der Ausgang bereits bekannt ist. Einige Aspekte betreffen ebenso sehr die Handlung wie die Figuren, beginnend schon bei der von Aristoteles aufgeworfenen Frage nach dem Stellenwert von Handlung (mythos) und Charakteren (ethe, Sing. ethos). Mit Bezug auf die Gattung der Tragödie hat Aristoteles der Handlung einen Vorrang zuerkannt mit dem Argument, es könne keine Tragödie ohne Handlung, wohl aber eine ohne Charaktere geben; er hat dabei handlungsreiche Stücke mit eher blassen, wenig ausgeprägten Figuren vor Augen, und man könnte entsprechend im Bereich der Komödie an eher slapstickhafte Stücke denken. Im 18. Jahrhundert wird die Aristotelische Position in Frage gestellt und zum Teil für die dramatischen Gattungen unterschiedlich beurteilt. Mit Bezug auf die Komödie erkennt Lessing in der Hamburgischen Dramaturgie den Charakteren die zentrale Rolle zu. Heute wird die Frage nach dem Vorrang nicht mehr aufgeworfen, und man geht bei den Figuren von einer vielfältig gestuften Skala vom auswechselbaren typisierten Handlungsträger bis zum differenziert individualisierten Charakter aus. Wenn man im Sinne einer Typologie zwischen Handlungsdrama und Charakterdrama unter-

2. Analytisches Instrumentarium

scheidet, dann hat man bei dem Letzteren häufig die Konzentration auf einen einzigen Charakter vor Augen, der dann auch im Zentrum der Handlung steht. Im Bereich der Komödie entspricht dieser Unterscheidung die zwischen der Handlungskomödie, die in der Regel eine Intrigenkomödie ist, und der Charakterkomödie. Im Zentrum der Handlung steht meist ein Konflikt, sei es zwischen zwei Parteien, die in Bezug auf ein erstrebtes Gut miteinander konkurrieren, sei es zwischen zwei Wertvorstellungen, über die ein Urteil entscheiden soll. Wenn die rivalisierenden Wertvorstellungen nicht von verschiedenen Personen vertreten werden, sondern die Seele eines einzelnen Menschen beherrschen, handelt es sich um einen „inneren Konflikt“. Von Bedeutung für die Organisation der Handlung, soweit sie auf Spannung hin angelegt ist, sind die so genannten Wissensunterschiede, also die unterschiedlichen Grade der Informiertheit bei den einzelnen Figuren und beim Rezipienten. Das spielt eine Rolle im Fall nicht nur der bekannten tragischen, sondern allgemeiner der dramatischen, also auch der in der Komödie begegnenden Ironie, bei der der Rezipient mehr weiß als die Figur. Im Fall der tragischen Ironie ist einer vergleichsweise ahnungslosen Figur nicht bewusst, wie wahr leider das nur so Dahergesagte tatsächlich ist; im Fall der komischen Ironie ist einer ebenfalls vergleichsweise ahnungslosen Figur nicht bewusst, wie unnötig die geäußerten Sorgen und Befürchtungen tatsächlich sind. Viel wichtiger aber noch sind die unterschiedlichen Grade der Informiertheit – zumal in der traditionellen Komödie – im Fall von Intrigen. Der Intrigant weiß mehr als das Intrigenopfer, und der Rezipient ist gespannt auf die Reaktion des Intrigenopfers und auf den Ausgang der Intrige. Soweit die Intrige – etwa in der Typenkomödie – dazu dient, dem „Guten“ zum Sieg zu verhelfen, muss ihre moralische Bewertung hintangestellt werden; das gelingt insofern, als der Widerstand, den der unvernünftige „Typ“ dem vernunftkonformen „Guten“ entgegensetzt, als widersinnig und verwerflich und somit tendenziell als „böse“ dargestellt wird. Von herausragender Bedeutung ist die Frage der Informiertheit (hier besser: der Uninformiertheit) im Übrigen beim analytischen Drama. Während die Informationen über die Vorgeschichte üblicherweise für den Rezipienten gedacht sind, sind es im analytischen Drama zumeist auch die Mitspieler, die nach und nach informiert werden, so dass dann, wenn die Wahrheit zu Tage liegt, das Drama enden kann. Nebenbei: Hinsichtlich der unterschiedlichen Informiertheit kann man mit Bezug auf ältere Komödien auch auf die so genannten Hosenrollen hinweisen, bei denen weibliche Figuren in männlicher Kleidung auftreten und so den zwangsläufigen Verwechslungen auch noch eine erotische Komponente zuführen. Die Träger der Handlung sind die Figuren, die Personen, die Charaktere. „Figur“ ist dabei der neutralste Begriff; er schließt sogar das „Figurentheater“ mit ein und signalisiert lediglich, dass die Figur im Unterschied zu einem wirklichen Menschen ein Kunstprodukt ist. „Person“ setzt demgegenüber das Auftreten von Menschen voraus; „dramatis personae“ sind in älterer Terminologie die Personen eines Dramas. Am anspruchsvollsten ist der Begriff des Charakters, er setzt – seit der Mitte des 18. Jahrhunderts –

Konflikt

Wissensunterschiede

Figuren, Personen, Charaktere

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III. Methoden

Komische Person

Typen

eine weitgehende Individualisierung voraus, die Erscheinung einer komplexen und unter Umständen auch widersprüchlichen Persönlichkeit jenseits moralischer Kriterien, also so wie in der Charakterkomödie. Dabei bezieht der Begriff sich genau genommen nur auf die geistige Eigenart eines Menschen, nicht seine körperliche Beschaffenheit, nur auf bleibende Züge, nicht auf wechselnde seelische Zustände. Angesichts der vorausgesetzten Individualisierung ist „Charakter“ ein Gegenbegriff zu „Typus“ geworden. Eine Sonderrolle im Bereich des Komödienpersonals spielt die so genannte komische Person (lustige Person, komische Figur). Im Anschluss an Vorformen in der antiken Komödie, im geistlichen Spiel des Mittelalters und im Fastnachtspiel (hier in der Rolle eines Bauern) etabliert sich mit dem Auftreten englischer und italienischer Wandertruppen in Deutschland im 16. und 17. Jahrhundert ein fester Typus der komischen Person. Je nach Herkunft und weiterentwickelter Tradition unterscheiden die Verkörperungen dieses Typus sich in Erscheinungsbild und Verhalten (Clown in England, Arlecchino und Harlekin in Italien und Frankreich, Pickelhering, Hanswurst, Kasperl und weitere mehr in Deutschland und anderswo) – die Palette der Figuren reicht vom Einfaltspinsel und Tölpel bis zum gerissenen oder „weisen“ Narren. Als Außenseiter, aus dem unteren Bereich der sozialen Hierarchie stammend, interessiert die komische Person sich vor allem für das Körperlich-Vitale (Essen, Trinken, Sexualität), sie stellt ein reichlich grobes Verhalten unter Beweis und bevorzugt ein niederes Sprachniveau. Die komische Person, die im 18. Jahrhundert im Zeichen der Aufklärung heftig befehdet wird und dann gewissermaßen nur in Schwundstufen überlebt (zum Beispiel in manchen Dienerfiguren), ist weitestgehend typisiert – unabhängig vom einzelnen Stück. Ansonsten sind die Komödien-Figuren, selbst die typenhaft erscheinenden, für die einzelne Komödie und den individuellen Spielzusammenhang konzipiert. Sie unterscheiden sich im Allgemeinen geistig oder charakterlich, aber unter Umständen auch durch ihre körperlichen Eigenschaften und durch die sozialen Verhältnisse und äußeren Umstände, in denen sie sich befinden. Vermittelt werden können ihre Eigenarten bereits durch so genannte „sprechende Namen“, wenn es sich um eher typenhafte Figuren dreht. In L. A. V. Gottscheds Pietisterey im Fischbein-Rocke gibt es den „Magister Scheinfromm“, „Herrn Glaubeleicht“, „Herrn Wackermann“ und die Almosen-Sammlerin „Frau Bettelsackin“. Bei Lenz geht das Charakterisierende der sprechenden Namen bereits ins Karikierende über: „Graf Wermut“, „Herr von Seiffenblase“, „Bollwerk“, dies ein handfester Student (Der Hofmeister), „Graf Camäleon“, „Herr von Zopf“ (Der neue Menoza), „Jungfer Zipfersaat“, „Rammler“, ein Offizier (Die Soldaten). Noch bei Hauptmann gibt es den preußischen Amtsvorsteher „von Wehrhahn“ (Der Biberpelz). Mit dem Zurücktreten der Typenkomödie, in der die sprechenden Namen am ehesten zu erwarten sind, setzt sich eine allgemeinere Forderung der Aufklärung auch im Bereich der Komödie durch, nämlich die nach „mittleren“ bzw. „gemischten Charakteren“, bei denen Sympathie und moralische Bewertung nicht mehr ohne Weiteres zusammenfallen, mit denen man also sympathisieren kann, ohne ihr Verhalten durchweg zu rechtfertigen. Derar-

2. Analytisches Instrumentarium

tige Personen besitzen eine höhere Komplexität, auch innere Widersprüche, sie können sich entwickeln und verändern. Genauer bekannt wird man mit den Figuren zum einen auf eine gewöhnlich als „indirekt“ bezeichnete Weise, nämlich durch ihr Verhalten und ihre Äußerungen – beides muss natürlich interpretiert werden –, und zum anderen auf eine als „direkt“ geltende Weise, nämlich dadurch, dass sie sich selbst charakterisieren oder dass andere Figuren sich über sie äußern, oder durch die Bühnenanweisungen. Während die ersten beiden Möglichkeiten der „direkten“ Charakterisierung vom Charakter des Sprechers und von der jeweiligen Situation abhängig sind, bringen die (unter Umständen dennoch interpretationsbedürftigen) Bühnenanweisungen vergleichsweise zuverlässig die Intentionen des Autors zur Geltung. Ein Beispiel aus Hauptmanns Biberpelz: „Adelheid kommt herein. Sie ist ein langaufgeschossenes Schulmädchen im vierzehnten Jahre, mit hübschem Kindergesicht. Der Ausdruck ihrer Augen aber verrät frühe Verderbnis.“ (Hauptmann 1966, 489) Neben diesen eher auf die charakterliche Eigenart der Personen bezogenen Aspekten gibt es ein weiteres Kriterium, das nun aber vermehrt historische Bezüge mit ins Spiel bringt. Es ist dies die so genannte Ständeklausel, die – im Geltungsbereich der Regelpoetik von der Renaissance bis ins 18. Jahrhundert – den sozialen Rang des Personals jeweils für Tragödie und Komödie festlegt und dadurch die beiden dramatischen Gattungen voneinander trennt. Demzufolge ist die Tragödie für die mythologischen oder historischen Könige, Fürsten, Helden und politisch bedeutenden Persönlichkeiten reserviert, von den Göttern ganz zu schweigen, während das Komödienpersonal niedriger gestellt sein muss; in früheren Zeiten entstammt es daher überwiegend den unterbürgerlichen Schichten (Bauern, Knechten, Handwerkern usw.) und später im 18. Jahrhundert immerhin dem „Mittelstand“, dem gehobenes Bürgertum und niederer Adel angehören. Diese Fixierung des sozialen Rangs hat Konsequenzen für die moralische Qualität der Figuren (in der Komödie: allenfalls durchschnittlich), für die Wahl von Stoffen und Themen (in der Komödie: Privatangelegenheiten, Ehe und Familie, Liebe, Geld usw.) und für die Sprache (in der Komödie: Prosa, der Umgangssprache angenähert oder auch derb). Dem entspricht die vorgegebene Wirkung (in der Komödie: Lachen, nicht Furcht und Mitleid wie in der Tragödie) und der vorgegebene Ausgang (in der Komödie: das heitere Ende nach trübem Anfang). Je strikter im Übrigen derartige Gesichtspunkte in den Poetiken als Normen gefasst werden, desto größer ist die Zahl derjenigen Komödien, die der Regelpoetik nicht entsprechen. Das betrifft nicht erst die neuzeitlichen Stücke; schon in der römischen Antike gibt es den bereits erwähnten Amphitruo des Plautus, eine Komödie, die in ungehöriger Weise Götter auftreten lässt, obwohl diese doch eigentlich der Tragödie vorbehalten sind. Solcherart durch die Regelpoetik fixiert, besitzen besonders die Tragödien, aber auch die Komödien eine gewisse formale Einheitlichkeit; sie gehören zu einem bestimmten Formtypus, den man als „geschlossene Form“ bezeichnet. In dem Maße jedoch, in dem von der Mitte des 18. Jahrhunderts an die Regelpoetik an Einfluss verliert, muss auch der Typus der geschlossenen Form mehr und mehr dem Gegen-Typus der offenen Form

Direkte, indirekte Charakterisierung

Ständeklausel

Geschlossene, offene Form

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III. Methoden

Figurenrede

weichen. Während der Typus der geschlossenen Form relativ streng reglementiert ist, besteht der Typus der offenen Form in vielen Details einfach nur im Verzicht auf Reglementierungen, ohne seinerseits entsprechende Gegen-Festlegungen vorzusehen. Wenn somit in der geschlossenen Form der Adel der Tragödie und das niedriger stehende Personal der Komödie zugewiesen werden, so wird diese Festlegung in der offenen Form nicht etwa ins Gegenteil verkehrt, sondern preisgegeben. In der Komödie können somit weiterhin Bürger vorkommen, ebenso gut aber auch Adlige und Bauern (alle drei Stände begegnen in Büchners Leonce und Lena). Da zudem der Übergang von der geschlossenen Form zur offenen sich nur allmählich vollzieht, muss bei vielen Dramen im Einzelnen geprüft werden, welches Element welchem Typus entspricht (oder auch nur näher kommt). So gibt es zum Beispiel Komödien in fünf Akten – dies ein Element der geschlossenen Form – bis ins frühe 20. Jahrhundert, obwohl ansonsten die offene Form schon weitestgehend dominiert. – Im Übrigen handelt es sich – das signalisiert der Begriff „Typus“ – bei der geschlossenen und der offenen Form um Abstraktionen, Verallgemeinerungen; kaum ein einzelnes Drama der Übergangszeit von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum beginnenden 20. weist durchgehend und nur Elemente der einen oder der anderen Form auf. Das dritte Element nach Handlung und Figuren ist die Sprache, und zwar in der besonderen Gestalt der Figurenrede in monologischer oder dialogischer Form. Monologische und dialogische Momente begegnen auch in der Epik und als Grenzfall sogar in der Lyrik. Konstitutiv ist diese Art der Sprachgestaltung nur für das Drama. Die Interaktion zwischen den einzelnen Figuren vollzieht sich vor allem auf sprachliche Weise in den Dialogen, so dass die sprachlichen Verlautbarungen selbst als dramatische Vorgänge eingestuft werden müssen und nicht lediglich zu den Handlungen im engeren Sinne begleitend hinzukommen. Ein Kuss oder ein Tritt in den Hintern sind also nicht die eigentlichen Handlungen, neben denen auch noch gesprochen wird, sie sind vielmehr der nicht-sprachliche Ausdruck eines Inhalts, der sich genauso gut sprachlich fassen lässt: „Ich liebe dich“ bzw. „Scher dich zum Teufel!“ Eine Rolle spielen bei der Figurenrede die Ziele, die die Sprechenden jeweils verfolgen, sowie ihre gegenwärtige seelische Verfassung und ihre individuelle Art, zu denken und sich zu äußern, dann die Einbindung in die jeweils aktuelle Situation, weiterhin bestimmte Charakteristika der gesprochenen (im Unterschied zur geschriebenen) Sprache, die ein Autor besonders berücksichtigen kann (Spontaneität, Störungen usw.), und schließlich die Beziehungen zwischen den Gesprächspartnern. Alle diese Gesichtspunkte können es dem Rezipienten unter Umständen nahe legen, den Wahrheitsgehalt von Äußerungen in Zweifel zu ziehen. Dramenfiguren exponieren sich zwar auch durch ihre Handlungen, mehr noch aber durch ihre sprachlichen Verlautbarungen, und zwar willentlich durch das, was sie sagen, aber auch unwillentlich durch die Art, in der sie sprechen, durch das Stilniveau und die Differenziertheit ihrer Gedanken. Was mittels der Figurenrede – zumal in der Komödie – enthüllt werden kann, ist somit die soziale Herkunft und der individuelle Charakter der Figuren. Das gilt besonders für die Monologe, in denen die Figuren unverfälscht

2. Analytisches Instrumentarium

– da es keinen Mitspieler als Adressaten gibt – ihr Inneres zum Ausdruck bringen können. Das vierte der für ein Drama konstitutiven Elemente ist das szenische Konzept. Ein mögliches Missverständnis muss hier von vornherein vermieden werden: Es geht nicht um eine wirkliche Inszenierung eines Dramas und nicht um die plurimediale Institution des Theaters. Es gibt zwar unter Umständen wechselvolle und spannungsreiche Beziehungen zwischen einem Dramentext und seinen Inszenierungen, wie überhaupt zwischen Dramengeschichte und Theatergeschichte. Im vorliegenden Zusammenhang jedoch geht es um das Drama nicht als Inszenierungsvorlage, sondern als einen Text, der sich, wie oben schon erwähnt, nicht erst auf der Bühne „vollendet“, sondern der bereits in der Lektüre eine angemessene Rezeption erfährt, da er als Text im gleichen Maße ein abgeschlossenes literarisches Werk ist wie ein Roman oder ein Gedicht. Das szenische Konzept, das überwiegend im so genannten Nebentext fixiert ist, ist ein konstitutiver Teil des Dramas; es ist der räumliche und zeitliche Rahmen, in den Handlung, Figuren und monologische oder dialogische Figurenrede eingepasst sind. Dieses mehr oder minder detailliert ausgearbeitete Konzept hat seinen Ursprung tatsächlich in der Imagination des Dramatikers – und nicht erst später in der des Regisseurs – und wird in der Imagination des Lesers nach- und neukonstruiert. Zu ihm gehört eine imaginierte Bühne, neutraler formuliert: der Entwurf eines Raumes, in dem ein dramatisches Geschehen sich vollziehen soll – etwa eine Gerichtsstube (in Kleists Zerbrochnem Krug), eine Küche und ein Amtszimmer (in Hauptmanns Biberpelz) –, und zu ihm gehört auch die zeitliche Organisation der Handlung: das Nacheinander bzw. die Simultaneität von Vorgängen, die zeitlichen Sprünge, die sich meist mit den Akteinschnitten verbinden, die Tages- und Jahreszeiten, zu denen die Geschehnisse sich vollziehen, und vor allem das Auftreten und Abgehen der Personen, die dementsprechend gleichzeitig oder nacheinander anwesend sind (dass Figuren einander mehrfach verfehlen, weil die eine schon wieder abgegangen ist, bevor die andere endlich auftritt, begegnet des Öfteren in Schwänken und slapstickartigen Komödien). Die Handlung einer Komödie im Ganzen – als dramaturgisch gebaute Bewegung von einem Ausgangspunkt zu einem Endpunkt – ist, wie erwähnt, in der Regel nicht komisch, aber sie enthält komische Einzelhandlungen, Einzelaktionen, bei denen es sich unter anderem um Verwechslungs-, Verstellungs- und Situationskomik handeln kann. Bei der Verwechslungs- und der Verstellungskomik ist es der Wissensvorsprung des Publikums gegenüber einzelnen Figuren, der für Heiterkeit sorgt. Die Situationskomik hat eine gewisse Tendenz zum Slapstick. Im Übrigen erzielen (mehrfache) Wiederholungen von komischen Einzelvorgängen regelmäßig gesteigerte komische Wirkungen, statt Langeweile zu erzeugen, wie es eher die Wiederholungen nicht-komischer Einzelvorgänge tun. Das Komische kann des Weiteren an den Personen haften, unabhängig davon, ob sie eher Typen sind, also reduziert auf wenige Züge, oder eher zu differenzierteren Charakteren individualisiert erscheinen. Entsprechend breit sind die Möglichkeiten, Figuren durch die häufigere Wiederkehr derselben Handlungen, Verhaltensweisen und Äußerungen oder durch die in

Szenisches Konzept

Komödienspezifische Züge – Handlung

Personen

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III. Methoden

Sprachliche Äußerungen

Arten des Komischen

verschiedenen Situationen gleichbleibend charaktergemäßen Reaktionen komisch erscheinen zu lassen. Auch die Körperkomik – auffällige Gestik, Mimik, Kleidung (zum Beispiel das Narrenkostüm und die Narrenpritsche [engl. slapstick]) – gehört hierher. Fiktionsdurchbrechungen, wie sie in älteren Komödien begegnen, gehen in der Regel auf eine „komische Person“ zurück und können darum ebenfalls hier erwähnt werden. Allerdings muss hier im Einzelnen differenziert werden. Es gibt einerseits diejenigen Fiktionsdurchbrechungen, bei denen, wie vom Autor vorgesehen, der Schauspieler quasi aus seiner Rolle heraustritt, sich an das Publikum wendet und sich als Individuum (mit dem Beruf Schauspieler) über die Rolle, die Mitspieler und anderes äußert (das begegnet schon in der Antike als so genannte „Parabase“), und es gibt andererseits das durchaus rollenadäquate Überspielen der Rampe, wenn die komische Figur wie ganz besonders Kasperle im Kasperletheater für Kinder von vornherein in zwei Kommunikationszusammenhängen agiert, nämlich in der Kommunikation mit den Mitspielern und derjenigen mit dem Publikum (die Frage: „Kinder, seid ihr alle da?“ ist daher eigentlich keine Fiktionsdurchbrechung, sondern entspricht der rollenadäquaten Aufgabe, mit dem Publikum zu kommunizieren). Komisch sein können sprachliche Äußerungen, und zwar zunächst einzelne Äußerungen einzelner Personen, sei es mit Absicht (etwa Wortspiele, witzige Pointen), sei es ohne Absicht (wenn sich jemand im Ton vergreift) bzw. mit entlarvender Wirkung (wenn in hochtrabender Manier von Banalem gesprochen wird). Sprachliche Äußerungen können aber ebenso gut in Dialogen komisch wirken (zum Beispiel beim Aneinander-vorbeiReden). Allgemeiner als die Frage nach den komischen Elementen ist die nach der Art der Komödie entsprechend dem Niveau und der Art des Komischen. Unterschieden wird im Allgemeinen zwischen höherer und niedrigerer Komödie. Bei der höheren Komödie soll ein weltüberlegener Humor bestimmend sein, und dem Komischen, das von eher heiter-ironischer Art ist, darf zugleich ein hintergründiger Ernst beigemischt sein. Der plot, die Fabel, besitzt einige Plausibilität, die Personen sind charakterlich komplexer, die Sprache ist leicht gehoben, unter Umständen geistreich. Bei der niedrigeren Komödie ist die Komik vordergründiger, sie steht im Dienst vor allem der Unterhaltung, appelliert aber unter Umständen auch an die weniger vornehmen Instinkte. In der Handlung sind unwahrscheinliche Zufälle nicht verboten, eine gewisse Tendenz zur Situationskomik ohne Scheu vor dem Schwankhaften und auch vor Slapsticks und Klamauk ist unverkennbar. Der niedereren Komödie können unter anderem Posse, Burleske, Farce und Schwank zugeordnet werden. Ausgehend von dieser recht groben Unterscheidung muss im Einzelfall zweifellos gehörig differenziert werden. Denn hinsichtlich der Art der Komik gibt es natürlich zwischen den Extremen von Humor einerseits und Klamauk andererseits eine größere Zahl von Nuancen. Zu fragen ist jeweils nach den Anteilen des Komischen an einer Komödie (ernste Komödie) und seiner Verbindung mit anderen Qualitäten (rührendes Lustspiel). Das betrifft insbesondere die Einbeziehung von Qualitäten, die ursprünglich als komödienfern gesehen werden (Tragikomödie). Das Groteske etwa – grausig

2. Analytisches Instrumentarium

und komisch zugleich – oder das Satirische – witzig und gleichzeitig bitterernst – sind von der versöhnlichen Heiterkeit der „höheren Komödie“ denkbar weit entfernt, diese Qualitäten begegnen aber in vielen seriösen Komödien des 20. Jahrhunderts – Komödien mit gehobenem literarischem Anspruch.

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IV. Geschichte der Gattung 1. Antike – Mittelalter Theater und Drama

Mimus

Die griechischen Dramen der Antike, Tragödien wie Komödien, waren nicht zunächst für die Lektüre da, sondern sie entstanden jeweils für eine Aufführung und wurden gespielt. Wir haben hier also eine außerordentlich enge Beziehung zwischen Drama und Theater. Das gilt auch noch für die Komödien der römischen Autoren Plautus (3./2. Jahrhundert v. Chr.) und Terenz (2. Jahrhundert v. Chr.). Zweifelhaft indessen und aufgrund der lückenhaften Quellenlage bis heute nicht entscheidbar ist dies freilich im Fall der Tragödien des römischen Autors Seneca (1. Jahrhundert n. Chr.) (vgl. Blume 1991, 126 f.). Es kann also sein, dass da bereits die ursprünglich fraglose Zusammengehörigkeit von Theater (als einer Einrichtung, die in der Antike Tanz und Musik immer mit einbezieht) und Drama (als einem bloßen Lesetext) problematisch geworden ist. Für die weitere Entwicklung gilt jedenfalls, dass die Theater- und die Dramengeschichte nicht einfach eine Einheit bilden, sondern dass es Differenzen zwischen ihnen geben kann und beider Beziehung zueinander von Fall zu Fall eigens geprüft werden muss. Das betrifft bereits die Frage nach dem Beginn der Geschichte der deutschen Komödie. Ist ein solcher Beginn fixierbar oder gibt es eher einen gleitenden Übergang zwischen Antike und Mittelalter? Bezieht man sich zunächst auf das Theater, so gibt es in der Antike, vor allem in der Spätantike neben dem hochliterarischen Theater auch „subliterarische“ Spielformen. Dazu gehört in Griechenland wie hernach in Rom der beliebte volkstümlich-possenhafte Mimus, eine Theaterform ohne Chöre und Masken und mit improvisierten, derb-realistischen und oft obszönen Darstellungen aus dem Alltagsleben. Es ist zwar verschiedentlich angenommen worden, dass dieser Mimus das Ende der Antike überdauert und in den Darbietungen von „Histrionen und Joculatoren“ (Schauspielern und Spaßmachern) weiterlebt, „die vieles vom spätantiken Mimus-Erbe ins Mittelalter weitervererbten“ (Kindermann 1980, 13). Tatsächlich aber ist ein solches „Erbe“ nicht nachzuweisen. Man wird die mittelalterlichen „Spielleute“ – und „vielleicht besser Gaukler“ (Michael 1971, 2) – eher nur als Nachfahren der antiken Vertreter des Mimus sehen müssen. Unzweifelhaft ist jedenfalls, dass die Institution „Theater“ das Ende der Antike nicht überdauert und dass damit auch die Tradition des eigentlich literarischen Theaters abbricht. Infolgedessen muss im Anschluss daran zwischen dem Theater als einer Institution und dem Drama als einer Textsorte unterschieden werden. Denn im Unterschied zum Theater, das hernach gleichsam noch einmal „erfunden“ werden muss, geraten die Dramen, und zwar die Komödien des eben erwähnten Terenz im Mittelalter durchaus nicht in Vergessenheit. Sie werden vielmehr als Texte eines lateinischen

1. Antike – Mittelalter

Schulbuchautors tradiert, nämlich als Texte von besonderer sprachlicher Eleganz, die eine beliebte oder jedenfalls verbreitete Schullektüre darstellen (vgl. Suchomski 1979). Ihren Inhalten gegenüber – ganz zu schweigen von dem Gedanken an eine theatrale Präsentation – gibt es freilich massive Vorbehalte seitens der Kirche. Es sind dies Vorbehalte gegen die „heidnische“ Literatur sowie gegen das Komische, gegen Scherz und Witz im Ganzen, dazu später auch Vorbehalte gegen das Theaterwesen überhaupt. So kann es zu dem aus heutiger Sicht erstaunlichen Umstand kommen, dass das Drama als literarische Gestaltung – Tragödie ebenso wie Komödie – von der Bedeutung der Handlung, vom Rang und von der Art des Personals und besonders vom Verlauf der Handlung und dem traurigen oder fröhlichen Ende her gefasst wird, während dabei ausgerechnet die dialogische Gestaltung, mithin die oben für konstitutiv erachtete Figurenrede, keine Beachtung findet. Der Begriff der Komödie bezeichnet demzufolge in der Regel rein erzählende Texte, etwa dann, wenn sie ein gutes Ende haben; das oben erwähnte Epos Dantes ist das berühmteste Beispiel. Es gibt freilich eine bedeutende Ausnahme, nämlich sechs Dramen der Stiftsdame Hrotsvit (oder Hrotsvitha) von Gandersheim (10. Jahrhundert), der ersten deutschen Dichterin und zugleich ersten deutschen Dramatikerin. Es handelt sich dabei um christliche Bekehrungs- und Märtyrerstücke, die sich formal an dem Vorbild des Terenz orientieren, die aber ihrem Inhalt nach bewusst „als Gegenstücke zu den Komödien des Terenz entworfen sind“, da sie – statt „schändlicher Unzucht üppiger Weiber“ – „die preiswürdige Keuschheit heiliger Jungfrauen“ feiern (Nagel 1965, 52). Wenngleich sie bei aller pädagogisch-moralischen Tendenz gelegentlich auch komische Momente enthalten, beschränkt sich ihr Komödiencharakter doch zumeist auf den glücklichen Ausgang. Konzipiert sind diese Dramen als reine Lesetexte, ja als „Konversationsübungen“ (Michael 1971, 248), die kein Verständnis für dramatische Strukturen bekunden. Im Übrigen stehen Hrotsvits Dramen am Anfang allenfalls der Geschichte des Dramas in Deutschland, nicht jedoch der Geschichte des deutschen Dramas, denn die Texte sind lateinisch abgefasst. Lateinisch sind zuerst auch die Dramen bzw. dramatischen Darstellungen, die sich im Rahmen der Liturgie, des Gottesdienstes, seit dem 10. Jahrhundert (zuerst in England) im Zusammenhang mit den christlichen Festen entwickeln, und zwar noch nicht als selbstständige Dramen, sondern in Gestalt von Einzelszenen und Zwischenspielen. (Im Unterschied zu den dramatischen Lesetexten der Hrotsvit von Gandersheim handelt es sich um [geistliche] „Spiele“, also um theatrale Darbietungen auf der Grundlage dramatischer Texte.) Den lateinischen Spielen folgen dann vom 12. Jahrhundert an die geistlichen Spiele in der Volkssprache, also in deutscher Sprache. Es handelt sich um Osterspiele (Blütezeit im 13. Jahrhundert), Weihnachtsspiele (13. Jahrhundert), Passionsspiele (15., 16. Jahrhundert) und einige weitere Arten (vgl. Michael 1971, 64–177). Gespielt wird zunächst in der Kirche, im 13. Jahrhundert löst sich das Spiel vom Kirchenraum, und es sind dann „die Träger städtischer Kultur: Rat und Zünfte“ (Michael 1971, 176), die die geistlichen Spiele weiterhin pflegen. Im Rahmen dieser ernsten Spiele entwickeln sich (erleichtert zudem durch die Verlagerung des Spiels aus dem Kirchenraum ins Freie) auch burleske Szenen, anknüpfend an biblische Stellen, die die Möglichkeit zu

Hrotsvit von Gandersheim

Geistliche Spiele

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IV. Geschichte der Gattung

komischer Ausgestaltung bieten. Im Rahmen der Osterfeier, die ja ohnehin ein Fest der Freude ist, gilt das zum Beispiel für den Wettlauf der Jünger zum Grab des auferstandenen Jesus (nach Johannes), einen Wettlauf, der scherzhaft präsentiert wird; und mehr noch, weil es sich um weltliche Figuren handelt, gilt es für den Salbenkauf, eine Szene, in der drei Frauen Salbe kaufen wollen, um den Leichnam Jesu zu salben (nach Markus). Von den menschlichen Schwächen der Jünger abgesehen, werden insbesondere Hölle und Teufel in sogar derb-obszönen Szenen lächerlich gemacht – was theologisch ja unbedenklich ist. Aus solchen Szenen entstehen aber keine Komödien; die Szenen bleiben vielmehr untergeordnete Teile der ganz auf den Glauben bezogenen ernsten Spiele. Es entwickeln sich im Mittelalter dann auch weltliche Spiele. Bereits aus dem 14. Jahrhunderts stammen das St. Pauler Neidhartspiel und das Spiel von Herbst und Mai (das Erstere wird Ende des 15. Jahrhunderts zu dem umfangreichen Tiroler oder Großen Neidhartspiel erweitert). Aber das sind zunächst an die Jahreszeiten gebundene Brauchtumsspiele und keine Komödien. Und wenn sich abermals später, im ausgehenden Mittelalter, weltliche Spiele entwickeln, die von den Autoren selbst als Tragödien oder als Komödien bezeichnet werden, dann sind solche „Komödien“ zwar umfangreicher, komplexer gestaltet und figurenreicher als die vormaligen Einzelszenen und Zwischenspiele in den geistlichen Spielen. Sie behandeln aber mythologische oder historische Stoffe (wie die „Tragödien“), und sie tun dies in ernstem Ton, so dass abermals nur der versöhnliche Ausgang die Bezeichnung „Komödie“ rechtfertigt. Insofern beginnt die eigentliche Geschichte der deutschen Komödie – unabhängig von den geistlichen (und dann auch den weltlichen) Spielen des Mittelalters – mit dem Fastnachtspiel (1430 bis 1600), bei dem (ähnlich wie bei den Anfängen der antiken Komödie) die Aufführung und der Text, also die theatergeschichtliche und die dramengeschichtliche Seite, wieder eng zusammengehören.

2. Die Fastnachtspiele

Nürnberger Fastnachtspiele

Die Fastnachtspiele sind ursprünglich ganz an die mittelalterliche Feier der Fastnacht gebunden und leben – als eine Form der Unterhaltung – von der ausgelassen-enthemmten Stimmung vor dem Beginn der strengen Fastenzeit, einer Stimmung, in der das Animalische und Vitale dominiert: „Trinken und Essen, das Sexuelle und das Fäkale sind die hauptsächlichen Inhalte“ einer allgemeinen „Ausgelassenheit“ (Catholy 1966, 12). Dem entsprechen die meist possenhaft-burlesken Fastnachtspiele mit ihrem „grobianisch-animalisch-fäkalischen Einschlag“ (Wuttke 1973, 407) – eher „Gebrauchsliteratur“ und (besonders in ihren Anfängen) von „Dichtung“ denkbar weit entfernt. Bezeugt sind sie in mehreren Städten; von besonderem Interesse ist aber die Stadt Nürnberg, denn von dort stammt der Hauptteil der erhaltenen Texte, nämlich über hundert, und nur dort sind die Aufführungsumstände einigermaßen gut dokumentiert (vgl. Catholy 1966, 8, 10 u. pass.) Die Nürnberger Fastnachtspiele – wie die Fastnachtspiele überhaupt – dienen der Unterhaltung beim geselligen Zusammensein zur Zeit der Fast-

2. Die Fastnachtspiele

nacht: Einzelne Gruppen junger Männer, meist Handwerksgesellen, ziehen durch die Stadt, kehren uneingeladen und unangemeldet in Wirtshäusern und in Bürgerhäusern ein und führen kurze Spiele vor, um dann wieder weiterzuziehen. Die Spiele dauern meist etwa fünfzehn bis dreißig Minuten; ihr Umfang reicht von gut vierzig bis zu achthundert Versen (bei einem Durchschnitt von etwa zweihundert Versen). Einige Elemente wiederholen sich in der Regel, etwa in Bezug auf den Rahmen des Spiels; so eröffnet meist ein „Praecursor“ (oder „Vorläufer“ oder „Einschreier“) das Spiel, indem er um die Spielerlaubnis bittet und die typenhaften Figuren vorstellt, und am Ende beschließt abermals der Praecursor oder eine andere Person („Ausschreier“) das Spiel mit einer kurzen Rede. Die Spiele, die ohne eigentliche Bühne auskommen, sind hinsichtlich ihrer Struktur zuerst reine Reihenspiele, bei denen eine Serie gleichartiger Darbietungen einfach aufgereiht wird. So treten etwa – bei der einfachsten Variante der Spiele – einzelne Sprecher der Reihe nach aus der Gruppe heraus und tragen etwas vor, ohne sich wechselseitig aufeinander zu beziehen; zum Beispiel rühmen sich nacheinander mehrere „tölpelhafte“ Bauern ihrer sexuellen Leistungsfähigkeit, oder sie schildern ihr abenteuerlichstes Liebeserlebnis, wobei jeder seinen Vorredner noch zu übertreffen versucht (vgl. Wuttke 1973, 404). Die Zusammengehörigkeit der jeweils monologischen Einzelvorträge besteht nur im gemeinsamen Thema. Später werden dann die Vorträge enger miteinander verbunden, bis sich schließlich Handlungsspiele mit dramatischen Interaktionen entwickeln, die aber gegenüber den Reihenspielen und den Mischformen aus Reihen- und Handlungsspielen in der Minderzahl bleiben. Bei den Handlungsspielen – mit Stoffen meist aus der italienischen Novellistik und der mittelhochdeutschen Kleinepik (vgl. Catholy 1977, 37) – sorgt eine zusammenhängende Handlung für die Einheit des Spiels, so dass sich da ansatzweise eine fiktive Spiel-Wirklichkeit herausbildet. Dennoch dienen auch die Handlungsspiele immer noch dem Zweck der FastnachtUnterhaltung. Im Unterschied zur neuzeitlichen Theateraufführung (mit der Distanz zwischen Bühne und Zuschauerraum) bleibt beim Fastnachtspiel die Zusammengehörigkeit von Spielern und Zuschauern jederzeit bewusst. Inhaltlich sind die Fastnachtspiele von einer entschiedenen Diesseitigkeit beherrscht, von dem enthemmten Ausagieren der Triebe, wobei immer wieder ein Bauer – „als Verkörperung der komischen Diesseitsbejahung“ und als die „komische Figur“ des Fastnachtspiels schlechthin – die „Zentralfigur“ abgibt (Catholy 1966, 47). Verspottet werden im Übrigen neben Bauern auch Juden oder, was die Höherstehenden betrifft, Geistliche, Ritter, Juristen und Ärzte. Dargestellt werden Laster und Gebrechen, Betrug, Ehebruch, Körperverletzungen, immer wieder begegnen Gerichts- und Hochzeitsszenen sowie Saufgelage, beliebt sind handfeste verbale – Flüche und grobe Redensarten – und nicht-verbale Ausdrucksmittel – Tätlichkeiten und Prügel, wobei im Falle von Ehestreitereien die Eheleute sich gegenseitig schlagen. Autoren der Nürnberger Fastnachtspiele sind im 15. Jahrhundert Hans Rosenplüt (um 1400–um 1470) und Hans Folz (1435/40–1513) und im 16. Jahrhundert Peter Probst (Geburtsdatum unbekannt, gestorben 1576) und Jacob Ayrer (1544–1605), der noch um 1600 Fastnachtspiele schreibt.

Reihenspiele

Handlungsspiele

Autoren

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IV. Geschichte der Gattung Hans Sachs

Andere Städte und Regionen

Einen Höhepunkt stellen ebenfalls im 16. Jahrhundert die gut achtzig Fastnachtspiele Hans Sachs’ (1494–1576) dar. Sachs war Schuster und als einziger der bekannteren „Nürnberger Fastnachtspieldichter im vollen Sinne ein Handwerker“ (Michael 1984, 318). Er hat zwar – neben Meistergesängen, Schwänken und Tragödien – auch Stücke geschrieben, die er, wie oben erwähnt, als Komödien bezeichnet, da sie einen versöhnlichen Ausgang besitzen. Von ihnen unterscheiden sich jedoch seine Fastnachtspiele deutlich durch ihre Anknüpfung an Eigentümlichkeiten der Gattung, nämlich alltägliche Stoffe, geringere Personenzahl, volkstümlichen Ton. Die Entwicklung vom Reihenspiel zum Handlungsspiel wird von Sachs vorangetrieben; er legt mehr Wert auf Geschlossenheit und psychologische Motivierung, er verzichtet weitgehend auf sexuelle Obszönitäten und fördert eine moralisch belehrende Tendenz. Mit seinen Spielen jedenfalls „beginnt die Entwicklung“ des Fastnachtspiels „zum neuzeitlichen Lustspiel“ (Catholy 1966, 58). Goethe, der sich von Sachs zur Verwendung von Knittelversen hat anregen lassen (zum Beispiel in Urfaust und Faust I: „Habe nun, ach…“), hat eines von Sachs’ Spielen 1776 am Weimarer Hoftheater inszeniert und ihm damit eine längere Popularität verschafft, nämlich Das Narrenschneiden (abgedruckt in Sachs 2003, 115–134), ein Spiel, das freilich von der Dramaturgie her doch eher noch ein Reihenspiel ist: Ein Kranker mit einem angeschwollenen Bauch bittet einen Arzt um Hilfe, da er sich wie eine schwangere Frau fühlt – ein beliebtes Schwank-Motiv. Der Arzt schneidet den Bauch auf und holt nacheinander sieben Narren heraus, die als Verkörperungen der sieben Todsünden identifiziert werden. Zum Schluss entfernt der Arzt aus der Bauchhöhle auch noch das Narrennest, in dem andernfalls neue Narren nachgewachsen wären, und zwar als Verkörperungen derjenigen allgemeinen menschlichen Torheiten, die Sebastian Brant (1457 oder 1458–1521, auf den ausdrücklich verwiesen wird, in seinem satirischen Werk Das Narrenschiff (1494) angeführt hat. Außer in Nürnberg sind die Fastnachtspiele schon im 15. Jahrhundert in mehreren Städten bezeugt, so in Lübeck, wo die Spiele – jeweils eines pro Jahr (Michael 1971, 204) – von Patriziern organisiert werden. Erhalten sind von den Lübecker Spielen neben einem einzigen Text nur die Titel, die eine Vorliebe für mythologische Stoffe und allegorisches Personal erkennen lassen und – zumindest gegen Ende des 16. Jahrhunderts – einen eher ernsten Tenor andeuten (ernste Fastnachtspiele, die zur Besinnung und zur Tugend anhalten, gibt es im Übrigen in geringerer Zahl auch in Nürnberg). Im 16. Jahrhundert entstehen Fastnachtspiele in etlichen weiteren Städten, u. a. in Sterzing (Südtirol), in der Schweiz und im Elsass. Angesichts der verschiedenartigen regionalen Gegebenheiten gelangen die Fastnachtspiele unter den Einfluss anderer künstlerischer Gestaltungen, zum Beispiel der geistlichen Spiele, die es in Nürnberg nicht gegeben hat. Dementsprechend verbreitert sich das Spektrum der Themen und Formen. So entwickeln sich in der Schweiz und im Elsass Traditionen mit bevorzugt ernsten Themen und einem größerem Umfang (bis 4000 Verse). Autoren sind Pamphilus Gengenbach (um 1480–1524/25) aus Basel, der sich mit moralischen Themen befasst, und besonders Niklaus Manuel (um 1484–1530) aus Bern, der satirische Tendenzstücke im Dienste der Reformation schreibt.

2. Die Fastnachtspiele

Das Fastnachtspiel gelangt zwar zur Ausbildung einer Form, „die in vielen Zügen der des neuzeitlichen geschlossenen Dramas entspricht, und zwar bereits bevor das antike Drama und die aristotelische Poetik unter dem Aspekt des ,Dramatischen‘ wirksam werden“ (Catholy 1966, 81), d. h. im Sinne nicht nur allgemeiner poetischer Prinzipien, sondern spezifischer dramatischer Muster und dramenbezogener Regeln. Dennoch knüpft die Entwicklung des Lustspiels im 17. Jahrhundert nicht an das Fastnachtspiel an. Erst im späteren 18. Jahrhundert greift die Literaturfarce des Sturm und Drang und der frühen Romantik nochmals auf das Vorbild des Fastnachtspiels zurück, nunmehr freilich in deutlicher Opposition zum regelmäßigen, geschlossenen Drama. Das gilt unter anderem für Goethe (Satyros oder der vergötterte Waldteufel, Ein Fastnachtsspiel vom Pater Brey), Lenz (Pandämonium Germanicum), Klinger, Heinrich Leopold Wagner, Tieck und August Wilhelm Schlegel (Ein schön kurzweilig Fastnachtsspiel vom alten und neuen Jahrhundert).

3. Die italienischen und die englischen Wandertruppen Nicht nur die Fastnachtspiele werden von Laien aufgeführt. Das gilt vielmehr auch für die so genannten Schuldramen, die ernsten Dramen, die überwiegend religiöse und moralische Themen behandeln und die tatsächlich zu didaktischen Zwecken von Theologen und Pädagogen an Lateinschulen und Universitäten erst auf Latein, seit dem zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts auch auf Deutsch geschrieben und dann mit den Schülern eingeübt und aufgeführt werden. Infolge der Reformation kann hier die Bühne regelrecht zum konfessionellen Kampfplatz werden, zumal einerseits die Reformatoren Luther, Melanchthon und Zwingli aus pädagogischen Gründen dem Theater gegenüber aufgeschlossen sind, ebenso wie andererseits mit derselben Begründung die Jesuiten, die im Sinne der Gegenreformation das lateinische Drama an den von ihnen betriebenen Schulen (vor allem in Süddeutschland) pflegen. Da die Schuldramen von Schülern für Schüler aufgeführt werden, bleiben sie in ihren Wirkungsmöglichkeiten auch weitgehend auf die Schulen beschränkt (in Straßburg immerhin sind die Schüleraufführungen relativ früh einem öffentlichen Publikum zugänglich). Während die Laien sich in der Regel vor allem auf ihre Texte konzentrieren und sie eher trocken deklamieren, tauchen dann gegen Ende des 16. Jahrhunderts in Deutschland vielseitig agierende professionelle Schauspieler auf, und zwar in etlichen umherziehenden italienischen und englischen Wandertruppen, die Ersteren (bezeugt seit 1568) vor allem in Süddeutschland, die Letzteren (bezeugt seit 1585) vor allem in Norddeutschland (vgl. dazu Catholy 1969, 113–116). Die Spielweise der Italiener, die „Commedia dell’arte“, ist ein Stegreifspiel; der Text wird improvisiert, und zwar auf der Grundlage eines skizzenhaften Szenarios, das den Gang der Handlung in den Grundzügen fixiert (zwei Beispiele bei Mehnert 2003, 122–155), wobei die Figurentypen von vornherein weitgehend feststehen (vgl. Mehnert 2003, 105–121). Am wichtigsten unter ihnen ist Arlecchino, schlau und darum überlegen, akrobatisch gewandt, meist in der Rolle eines Dieners. Weitere Typen sind unter ande-

Schuldramen

Wandertruppen

Commedia dell’arte

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IV. Geschichte der Gattung

Die englischen Komödianten

rem der Dottore, der pedantische Gelehrte, der in geschwollenem Stil Binsenweisheiten verkündet, Pantalone, der geizig-misstrauische Alte, oft in der Rolle des übertölpelten Vaters oder des betrogenen Ehemanns, der Capitano, der prahlerische Möchtegern-Frauen- und Kriegsheld, und Colombina, die schlaue und freche Dienerin. Die Frauenrollen werden auch tatsächlich von Frauen gespielt, was sich dann in deutschen Truppen seit der Mitte des 17. Jahrhunderts ebenfalls durchsetzt (vgl. Fischer-Lichte 1993, 61). Bei der Commedia dell’arte handelt es sich im Ganzen um eine Spielweise, bei der an die Italienisch-Kenntnisse der Zuschauer keine übergroßen Ansprüche gestellt sind; zudem spielen die Truppen vornehmlich an den Höfen, wo solche Kenntnisse eher vorauszusetzen sind. Schwieriger ist die Lage für die im 17. Jahrhundert noch einflussreicheren englischen „Komödianten“, die nicht improvisieren, sondern sich an festliegende Texte in Prosa halten und die angesichts von Verständnisschwierigkeiten die nicht-sprachlichen Anteile ihrer Darbietungen – neben Mimik und Gestik auch Tanz, Akrobatik, Musik – vermehren. Dann freilich nehmen sie bald auch deutschsprachige Mitspieler auf, spielen zunehmend in deutscher Sprache und werden im Lauf des 17. Jahrhunderts schließlich zu rein deutschen Truppen. Geboten werden von ihnen in der Regel schwülstig-pathetische, mitunter auch platt-rührselige „Haupt- und Staatsaktionen“ („Hauptaktionen“ in Abgrenzung von den Vor-, Zwischen- und Nachspielen, „Staatsaktionen“ aufgrund der „wichtigen“ öffentlich-politischen Themen). Zum Personal der Wandertruppen gehört die „lustige Person“, der „Clown“, der, gefräßig und gerissen, im Grunde in der dramatischen Handlung keine wirkliche Funktion hat (im Unterschied zum Arlecchino der Commedia dell’arte), der aber regelmäßig zur Erheiterung der Zuschauer zwischen einzelnen Szenen (oder in einem Nachspiel) sich mit improvisierten derben und zotenhaften Einlagen präsentiert und der, eingedeutscht und regionalen Essneigungen angepasst, als Pickelhering, Hans Knapkäse oder (siegreich) Hans Wurst erscheint. Die possenhaften Auftritte der lustigen Person werden auch Hanswurstspiele oder Hanswurstiaden genannt. Wenngleich die Stücke reichlich grob und platt sind, tragen die Wandertruppen wesentlich zu einer Entwicklung bei, in deren Verlauf – von den geistlichen Spielen des Mittelalters bis zu den neuzeitlichen Spielen des 17. und des 18. Jahrhunderts – das Laienspiel durch professionelles Theater ersetzt wird. Im Zuge dieser Professionalisierung werden im Einzelnen das massenhafte Personal auf verhältnismäßig wenige Personen reduziert, die mehrtägige Aufführungsdauer zu einer vergleichsweise knappen Spielzeit gestrafft, der Bühnenraum begrenzt und in einen Innenraum und schließlich in ein eigens für Vorführungen eingerichtetes Theater verlegt. Die Handlung wird konzentriert, religiös-moralische Themen treten hinter weltlichen zurück. Im Hinblick auf die Aufführung finden Mimik und Gestik vermehrt Beachtung, die Bewegungsregie gewinnt an Differenziertheit; Requisiten und die Bühnenausstattung werden in das Spiel mit einbezogen. Als übrigens Ende des 16. Jahrhunderts englische Komödianten Wolfenbüttel besuchen und einzelne sich dort niederlassen, ist der ohnehin für Drama und Theater aufgeschlossene Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel so angetan, dass er unter dem Eindruck der Aufführungen seinerseits mehrere Komödien mit einer Clowns-Figur (in einer Die-

3. Die italienischen und die englischen Wandertruppen

nerrolle) schreibt, die dann zum Teil tatsächlich auch von den englischen Komödianten gespielt werden (zum Beispiel das schwankhafte Stück Von einem Weibe / Wie dasselbige ihre Hurerey für [= vor] ihrem Eheman verborgen [1593]).

4. Wiederanschluss an das antike Drama seit der Renaissance – Barock Man muss eine Darstellung der Geschichte der deutschen Komödie mit dem Fastnachtspiel beginnen lassen, obwohl die Verfasser der Fastnachtspiele selbst ihre Texte nicht der Gattung „Komödie“ zuordnen würden. Hans Sachs zum Beispiel greift, wie erwähnt, einerseits je nach dem Ausgang seiner Stücke auf die Begriffe „Komödie“ und „Tragödie“ zurück; und überdies bezeichnet er sogar gelegentlich ein Fastnachtspiel tatsächlich als „Komödie“. Das bedeutet aber andererseits nicht, dass der Begriff der Komödie für ihn der Oberbegriff für komische Gattungen überhaupt wäre. Vielmehr etabliert sich vollends erst im 18. Jahrhundert die Vorstellung von drei Hauptgattungen, die in hierarchischer Ordnung Untergattungen unter sich begreifen, welche ihrerseits eine Mehrzahl weiterer Gattungen zusammenfassen (erstaunlicherweise geschieht dies erst nach der ansonsten so sehr an einer Systematik interessierten Gottschedischen Neufassung der Regelpoetik). Zu jenem Gattungssystem führt eine längere Entwicklung, die in der Renaissance mit der Wiederentdeckung der Antike und eben auch des antiken Dramas einsetzt, eine Entwicklung, die im 17. Jahrhundert in den Stücken etwa von Andreas Gryphius und Christian Weise schon deutlicher zu erkennen ist. Dazu ein kleiner Rückblick. Die Komödie und die Komödientheorie wandern durchaus nicht im Gleichschritt durch die abendländische Literatur- und Theatergeschichte. Aber sie lassen sich zu gewissen Zeiten auch nur schwer voneinander trennen. Das hängt davon ab, wie weit die Komödientheorie sich eher deskriptiv oder eher normativ auf die jeweils aktuelle Komödienpraxis bezieht (und im letzteren Fall dann auch eher kritische Intentionen verfolgt). Das Erstere gilt, wie erwähnt, zu einem nicht unerheblichen Teil für die Poetik des Aristoteles, die „zwischen Faktenbeschreibung und normativer Setzung“ (Fuhrmann 1973, 13) hin- und herwechselt. Erst von der Renaissance an wird dann auf der Grundlage der wiederentdeckten Aristotelischen Poetik die Dramentheorie als ein immer mehr sich verfestigendes Regelsystem tradiert. Zur Komödie enthält die Aristotelische Poetik nur wenige Hinweise, zumal, vom Verlust des zweiten Buchs abgesehen, Aristoteles für die nicht selten ungesittete Komödie – im Vergleich mit der ernsthaften Tragödie – wohl auch nicht so viel übrig hatte (vgl. Catholy 1976). Demnach erfindet die Komödie eine Handlung (im Unterschied zu den [für historisch gehaltenen] mythischen Stoffen in der Tragödie), und sie gehorcht dem Prinzip der Wahrscheinlichkeit (trotz der phantastischen Momente bei dem berühmtesten antiken Komödiendichter, Aristophanes, auf den sich auch Aristoteles bezieht). Sie stellt die Menschen als schlechter dar, als sie in Wirklichkeit sind, wobei das Schlechte in den Bereich des Lächerlichen gehört.

System der dramatischen Gattungen

Deskriptive Betrachtung, normative Setzung

Aristoteles: Poetik

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IV. Geschichte der Gattung

Tractatus Coislinianus

Horaz

Renaissance

Möglicherweise, so lässt sich vermuten, hat „Aristoteles mit einer typischen Verlaufskurve der komischen Handlung, mit einem Umschwung vom Unglück zum Glück, von einer Verwicklung zu deren heiterer Lösung gerechnet“ (Fuhrmann 1973, 61). Offenbar hat Aristoteles keine „komische Katharsis“ im Auge, also keine „Reinigung“ der Seele des Zuschauers von irgendwelchen Affekten wie bei der Tragödie. Behauptet wird eine solche kathartische Wirkung auch der Komödie allerdings in dem ansonsten weitgehend auf der Aristotelischen Poetik beruhenden spätgriechischen Tractatus Coislinianus (abgedruckt in Krueger 1964, 320–322), einer skizzenhaften Abhandlung, die im Übrigen ein Schema mit den Arten des Lächerlichen enthält (vgl. Fuhrmann 1973, 63–70). Unterschieden wird dabei zwischen der Sprache und der Handlung, also zwischen dem Komischen im sprachlichen Ausdruck und dem Komischen in den Vorgängen. Horaz, die zweite Autorität im Bereich der antiken Poetik, erwähnt die Komödie in seiner Ars poetica nur beiläufig, in der Regel im Rahmen einer Gegenüberstellung von Tragödie und Komödie (von Horaz stammt im Übrigen die Fixierung des Dramas auf fünf Akte). Erst in der Renaissance – vor allem in den italienischen Poetiken des 16. Jahrhunderts – wird eine regelrechte Komödientheorie entwickelt, basierend auf den überlieferten Regeln und den poetischen Mustern der Antike, besonders den Mustern der römischen Komödiendichter Plautus und Terenz. Diese Komödientheorie bleibt dann über die französische Klassik des 17. Jahrhunderts bis weit ins 18. Jahrhundert hinein in Geltung. Von allgemeinen dramatischen Normen abgesehen (Einteilung in Akte, die Beachtung der drei Einheiten), wird die strenge Abgrenzung der Komödie von der Tragödie zur Norm, dies entsprechend der oben erwähnten „Ständeklausel“ mit der Festlegung von Personal, Themen, Sprache und Ausgang. Aus der Fixierung der einzelnen Gattungen ergibt sich das Verbot der Gattungsmischung besonders in der französischen Klassik. Das betrifft vor allem die Tragikomödie (als ein aus tragischen und komischen Elementen bestehendes Drama). Der Terminus „Tragikomödie“, bezogen auf die entsprechenden überlieferten Dramen, wird reserviert für „eine Tragödie mit glücklichem Ausgang“ (Fuhrmann 1973, 235); einen solchen Ausgang enthalten insbesondere diejenigen Tragödien des Euripides, in denen ein deus (oder eine dea) ex machina für ein Happyend sorgt. Im Übrigen deutet sich etwa in den theoretischen Überlegungen des französischen Dramatikers Pierre Corneille an, dass die strenge Reglementierung der Tragödie zu einer Erweiterung des Spektrums komischer Formen führt: „[…] der Komödie soll alles angehören, was den eng umgrenzten Anforderungen an die Tragödie nicht entspricht.“ (Fuhrmann 1973, 239) Eine Tendenz, die sich noch in der deutschen Dramentheorie des 18. Jahrhunderts beobachten lässt – etwa bei Johann Elias Schlegel, der in seinen Gedanken zur Aufnahme [= Förderung] des dänischen Theaters (1747) nur eine Art der Tragödie, aber gleich vier Arten der Komödie unterscheidet, oder im Sturm und Drang bei Jacob Michael Reinhold Lenz, der, von den Rezipienten her argumentierend, die Tragödie auf mythologisch-historische Stoffe begrenzt und dem kultivierteren Teil des Publikums vorbehält, während die Komödie beliebige Stoffe behandelt und für jedermann da ist.

4. Wiederanschluss an das antike Drama seit der Renaissance – Barock

Immer noch erstaunlich knapp, um nicht zu sagen: dürftig, erscheinen die „regeln der Comedien“ in der immerhin wichtigen Poetik Buch von der deutschen Poeterey (1624) von Martin Opitz:

Barock

Die Comedie bestehet in schlechtem [= schlichtem] wesen vnnd personen: redet von hochzeiten / gastgeboten [= Einladungen] / spielen / betrug vnd schalckheit der knechte / ruhmrätigen [= ruhmredigen] Landtsknechten / buhlersachen / leichtfertigkeit der jugend / geitze des alters / kupplerey vnd solchen sachen / die täglich vnter gemeinen [= gewöhnlichen, nichtadligen] Leuten vorlauffen. Haben derowegen die / welche heutiges tages Comedien geschrieben / weit geirret / die Keyser vnd Potentaten eingeführet; weil solches den regeln der Comedien schnurstracks zuewieder läufft. (Opitz 1970, 27 f.) Das ist alles! Über die Festlegung auf alltägliche Themen und auf im sozialen Rang niedriger stehendes Personal hinaus weiß man dann im Barock des Weiteren, dass der Sprachstil dem Rang der Personen entsprechen soll und dass die Komödie erzieherisch wirken soll, indem sie Verkehrtheiten in Einstellungen und Verhaltensweisen kritisch-satirisch anprangert, dass sie dabei aber in jedem Fall einen guten Ausgang haben soll (vgl. Alexander 1984, 62–64). So weit die Theorie. Im 16. Jahrhundert steht indessen das deutsche Drama so sehr im Bann von Reformation und Gegenreformation, dass theologische und moralische Themen gegenüber den rein weltlichen bei weitem überwiegen, was natürlich die Annäherung an die in der Renaissance rezipierten und weiter tradierten antiken Vorgaben erschwert. Im Übergang zum Barock liefert dann der oben erwähnte Heinrich Julius von Braunschweig (1564–1613) etliche Komödien, in denen die auch intendierte erzieherische Komponente Mühe hat, neben den schwankhaften Zügen zu bestehen, so in Vincentius Ladislaus (1594), einer Komödie, deren Titelfigur ein prahlerischer „Kämpfer zu Roß und Fuß“ in der Tradition des Miles gloriosus des Plautus ist. Auf erzieherische Momente zielen hernach auch die barocken Komödien des Andreas Gryphius (1616–1664), in denen sich im Übrigen – wie bei den Werken des Heinrich Julius von Braunschweig – noch Spuren der Wandertruppen finden und die vielleicht nicht die gleiche literarische Qualität besitzen wie seine Tragödien. Die heute bekannteste Komödie ist Absurda Comica. Oder Herr Peter Squentz. Schimpff-Spiel (= Scherz-Spiel; ersch. 1658), die schon 1668 in das Repertoire der Wanderbühnen aufgenommen wird (vgl. Mannack 1986, 89). Gryphius greift hier ein weiter verbreitetes und eher harmloses Motiv auf, das unter anderem auch in Shakespeares Sommernachtstraum begegnet, dort freilich integriert in eine umfassendere Handlung: Eine Gruppe unbeholfener und sich selbst überschätzender Handwerker versucht sich vor höfischem Publikum an einer Aufführung der mythologischen Erzählung von Pyramus und Thisbe und scheitert damit kläglich. Gryphius stellt die Handwerker als Dilettanten bloß, die in völliger Begriffsverwirrung von „lustigen Tragœdien vnd prächtigen Comœdien“ sprechen und von ihrer eigenen „Geschickligkeit“ schwärmen, „eine jämmerlich schöne Comœdi zu tragiren“ (Gryphius 1975, 26). Während der Aufführung vergessen die Darsteller dann wiederholt ihren Text, sie fallen

Heinrich Julius von Braunschweig

Andreas Gryphius

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IV. Geschichte der Gattung

Christian Weise

aus der Rolle und fangen sogar an, sich zu prügeln. Gryphius’ Spott zielt dabei auf die Meistersinger, also auf die in Singschulen organisierten DichterHandwerker, die im 15. und 16. Jahrhundert die Liedkunst des „Meistersangs“ zunftmäßig pflegen. Ein zweites Lustspiel, Horribilicribrifax Teutsch (ersch. 1663), ein „Schertz-Spiel“ (Gryphius 1975, 71), steht ebenfalls in der Tradition von Plautus’ eben erwähntem Miles gloriosus und verspottet – neben allerlei weiteren Typen – den Typus des Soldaten, der prahlerisch von seinem angeblichen Heldentum schwadroniert, sich bei den Frauen für unwiderstehlich hält und sich am Ende als feige erweist, ein Spott, der in den beiden Soldaten Horribilicribrifax von Donnerkeil und Daradiridatumtarides Windbrecher von Tausend Mord gleich eine doppelte Zielscheibe hat. Das Stück lebt von einem wirren Gemenge mehrerer Sprachen und den unausweichlichen Missverständnissen. Reizvoll nicht zuletzt aufgrund seiner Form ist ein Mischspiel, das zwei thematisch einander entsprechende Stücke, ein eher opernhaftes und ein Lustspiel, miteinander kombiniert: Verlibtes Gespenste. Gesang-Spiel / Die gelibte Dornrose. Schertz-Spill (ersch. 1661). Das Nacheinander zweier Stücke oder die Einfügung von Zwischenspielen in ein Stück kommt auch sonst vor; neuartig ist hier, dass auf den ersten Akt des ersten Stücks der erste Akt des zweiten folgt und so fort, so dass regelmäßig zwischen den beiden Stücken hin- und hergewechselt wird. Während das opernhafte Stück in vornehmeren Kreisen spielt, sind in dem Lustspiel Bauern die Akteure. In beiden Stücken geht es indessen um die Liebe und darum, dass diejenigen, die einander lieben und die zueinander passen, auch zueinander finden. Angesichts dieser gemeinsamen Ausrichtung wird die bäuerliche Sphäre des Scherz-Spiels denn auch durchaus nicht, wie sonst üblich, zur Zielscheibe des herablassenden Spotts, sondern in gewisser Weise der vornehmeren Welt gleichgestellt, auch wenn keine Vermischung der sozialen Sphären vorkommt und die gesellschaftliche Ordnung im Ganzen unangetastet bleibt. Stil-Differenzen bleiben denn auch erhalten: Das Gesang-Spiel wirkt eher stilisiert und ist in Alexandrinern gehalten; das Scherz-Spiel dagegen mutet vergleichsweise realistischer an, und hier wird Prosa und überdies schlesischer Dialekt gesprochen. Beliebt ist im Barock das aus Tausendundeinernacht stammende Motiv vom schlafenden Bauern, der nach dem Aufwachen von einem Herrscher und dessen Hofstaat aus Mutwille einen Tag lang wie der eigentliche Herrscher behandelt und in der nächsten Nacht wieder im Schlaf in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt wird, so dass er hernach das Erlebte für einen Traum hält. Das auch von Shakespeare (im Vorspiel zu Der Widerspenstigen Zähmung) und in Gerhart Hauptmanns Komödie Schluck und Jau verwendete Motiv zeigt ganz im Sinne des Barock die Scheinhaftigkeit des irdischen Daseins – Scheinhaftigkeit nämlich im Vergleich mit der Wahrheit des Jenseits – und die Rollenhaftigkeit des menschlichen Lebens. Der überaus produktive Schulrektor Christian Weise (1641–1708) greift, selbst bereits im Horizont des Spätbarock stehend, dieses Motiv auf in seinem Stück Ein wunderliches Schau-Spiel vom Niederländischen Bauer welchem der berühmte Printz Philippus Bonus zu einem galanten Traume geholffen hat (1700). Weise hebt freilich mehr auf die innerweltlichen Verhält-

4. Wiederanschluss an das antike Drama seit der Renaissance – Barock

nisse und die ständische Ordnung ab, die hier durchaus bestätigt wird. Die bäuerliche Derbheit wird mit einem gewissen lustvollen Realismus dargestellt, ohne dass der Bauernstand dadurch aufgewertet wird. Und da das Motiv des Schlafs hier immer wieder mit dem Genuss von Unmengen von Wein verbunden wird, schließt das Stück mit einem Plädoyer für Nüchternheit, Mündigkeit, Wachheit und klare Begriffe – ein Vorverweis auf die Aufklärung. Wenigstens erwähnt sei, dass in das Stück ein Zwischenspiel eingeschoben ist, ein mit der Handlung des Hauptspiels nur locker verbundenes Singspiel, in dem allegorisch-stilisiert die Treue des Prinzen Philippus Bonus gefeiert wird. Der Chronologie nach ebenfalls bereits dem Übergang vom Barock zur Aufklärung gehören Christian Reuters (1665 – nach 1712) Studentenkomödien an, die freilich reichlich schwankhaft angelegt sind und insofern noch nicht viel vom Geist der Aufklärung vermitteln. Im Zentrum dieser Komödien steht die Zimmervermieterin Frau Schlampampe, die sich floskelhaft ständig selbst als ehrliche Frau bezeichnet (L’Honnéte [sic] Femme Oder die Ehrliche Frau zu Plißine [1695], La Maladie & la mort de l’honnete [sic] Femme. das ist: Der ehrlichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod [1696]). Satirisch bloßgestellt wird in den Stücken die Adelssucht bürgerlicher Figuren, also die im Grunde hochstaplerische Bemühung, sich den Anschein adliger Vornehmheit zu geben. Da es ein tatsächliches Vorbild für die Gestalt der Schlampampe gegeben hat, eine Vermieterin, an der sich Reuter möglicherweise zu rächen sucht, gelingt ihm eine vergleichsweise realistische Figurengestaltung, bei der das Typenhafte sich mit individuellen Zügen verbindet (Alexander 1984, 126 f.). Weil in der zweiten Komödie „Krankheit und Tod“ der Zimmervermieterin dargestellt werden, bezeichnet Reuter dieses Stück als „Lust- und Trauer-Spiel“.

Christian Reuter

5. Aufklärung Johann Christoph Gottsched (1700–1766) ist wie im Bereich der Literatur überhaupt, so besonders auch in Bezug auf Drama und Theater um einen entschiedenen Neuanfang im Geiste der Aufklärung bemüht. Daher wendet er sich gegen die Haupt- und Staatsaktionen, die von den umherziehenden Wanderbühnen präsentiert werden. Bei diesen Haupt- und Staatsaktionen wird nicht klar zwischen Tragödie und Komödie unterschieden; vielmehr sind immer wieder komische Szenen, besonders mit der „lustigen Person“ (Harlekin, Hanswurst, Pickelhering usw.), zwischen die tragischen eingeflochten, wobei es den Schauspielern überlassen bleibt, in welchem Umfang sie (nach dem Vorbild der italienischen Commedia dell’arte) extemporieren. Dementgegen stellt Gottsched in seiner Poetik Critische Dichtkunst (1730) das Drama „in den Dienst eines moralisch-philosophisch-sozialen Erziehungsprogramms“ (Steinmetz 1978, 20). Dabei würdigt Gottsched das Lustspiel dadurch, dass er ihm eine höchsteigene Aufgabe zuweist, die das Trauerspiel aufgrund der Ständeklausel nicht erfüllen kann. Die Aufgabe des Lustspiels besteht darin, das Selbstverständnis des Bürgertums zu fördern, indem es den bürgerlichen Zuschauer mit bürgerlichen Normen und bürgerlichem Fehlverhalten konfrontiert und ihm so

Johann Christoph Gottsched

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IV. Geschichte der Gattung

Die satirische Typenkomödie

eine literarische Interpretation seiner sozialen Rolle liefert. Konkret: Das Lustspiel soll – wirklichkeitsgetreu – fehlerhaft-unvernünftige („lasterhafte“) Eigenschaften und eigensinnige törichte Verhaltensweisen bürgerlicher Figuren vor den Augen bürgerlicher Zuschauer mit satirischen Mitteln lächerlich machen. Dadurch, so Gottsched, werden die Zuschauer belustigt, dadurch werden sie aber zugleich auch „erbaut“, d. h. gefestigt, indem sie nämlich Einsichten für ihr eigenes Verhalten gewinnen. Gottsched ist zwar genügend Realist, um zu wissen, dass die Zuschauer nicht um der Erbauung, sondern um der Belustigung willen ins Theater kommen. Dass es aber wenigstens mitunter pure Schadenfreude sein könnte, die die zum Lachen gebrachten Zuschauer empfinden – mithin ein zwar ursprünglicher, aber moralisch kaum zu rechtfertigender Impuls –, dieser Gedanke verträgt sich nicht mit dem Optimismus der Aufklärung – er kommt Gottsched daher einfach nicht in den Sinn. Die nach wie vor respektierte Ständeklausel lässt jetzt, wie oben erwähnt, auch den Mittelstand – gehobenes Bürgertum, niederen Adel – auf die komische Bühne gelangen und nicht mehr nur wie im 17. Jahrhundert vor allem die untersten Schichten (Bauern, niedrige Handwerker, Soldaten), denen auch die „lustige Person“ entstammt. Gottsched polemisiert gegen diese immer gleiche Lustspiel-Figur, denn sie legt keine der zu kritisierenden fehlerhaften bürgerlichen Verhaltensweisen an den Tag, sie übernimmt als eine ausschließlich der Belustigung dienende Figur keine erzieherische Funktion, und sie ist mit ihrem Stegreifspiel nicht kontrollierbar und unterläuft so die intendierte Literarisierung des Theaters. Letzten Endes ist eben nur eine veredelte und daher der Tragödie ebenbürtige Komödie in der Lage, das Bürgertum in erwünschtem Maße zu repräsentieren. Dass die Verbannung der lustigen Person und überhaupt die Verbannung aller Arten der oben erläuterten „Komik der Heraufsetzung“ letzten Endes auf eine „Immunisierung, ja Kastration der Komödie“ (Stern 1986, 187) hinausläuft, haben manche Angehörige der nächsten Generation durchaus gesehen. Dem Gottschedischen Konzept entspricht die von etwa 1730 an sich herausbildende satirische Typenkomödie, auch als „Verlachkomödie“ bezeichnet, bei der die Figuren weitgehend typisiert sind (als Verkörperungen bestimmter Eigenschaften), besonders diejenigen, deren unvernünftiges Verhalten angeprangert werden soll, die eben deshalb auf ihr „Laster“ reduziert sind und in eingeschränktem Maße die Lücke ausfüllen, die die Verbannung der lustigen Person hinterlassen hat. Sehr oft bezeichnet bereits der Titel den „lasterhaften“ Typen, so etwa in Johann Friedrich von Cronegks (1731–1758]) Lustspiel Der Misstrauische (gedr. 1760). Eindeutig genug sind überdies so genannte sprechende Namen wie „Herr von Ahnenstolz, ein alter Dorfjunker“ (L. A. V. Gottsched [1713–1762]: Die ungleiche Heirath [1743]), „Herr Jambus, ein junger Dichter“ (L. A. V. Gottsched: Herr Witzling [1745]). Störend wirkt jenes „Laster“, jener unvernünftige Eigensinn, sich aus, wenn der „Typ“, der ihn unter Beweis stellt, in der bürgerlichen Gesellschafts- und Familienordnung aufgrund seiner Position über Einfluss verfügt – etwa ein Vater, der seine Tochter unbedingt mit demjenigen verheiraten will, den er, stur fixiert auf seinen eigenen Willen, selbst ausgesucht hat, und nicht mit dem, dem das Herz des Mädchens gehört.

5. Aufklärung

Am Ende kommt der „Typ“, der sich durch seine Unvernunft selbst aus der Gesellschaft der Vernünftigen ausgegrenzt hat, entweder zur Einsicht, er zeigt Reue und wird wieder in die Gesellschaft integriert. Oder aber er beharrt auf seinem „Laster“, wenngleich er sein Ziel nicht erreicht hat, und bleibt darum „als unheilbarer Narr“ (Steinmetz 1978, 29) dauerhaft ein Außenseiter. Unterscheiden kann man hier noch – mit Bezug auf die Anlage des Konflikts – zwischen zwei Arten des Lustspiels. Bei der ersten Art hat der eigensinnige „Typ“ nur den Kreis der vernünftigen Figuren zum Gegenüber, und der Konflikt zwischen ihm und den Vernünftigen wird sehr oft mit Hilfe einer im Dienst der Vernunft stehenden Intrige gelöst, die vielfach von einer gewitzten Zofe oder Dienerin in Gang gesetzt wird. Die satirische Attacke gilt hier also nur dem „Typen“ und seiner Torheit (daher bezeichnet Steinmetz diese Art der Komödie als „monomisch“). Allerdings kann ein derartiges Lustspiel gleich mehrere verschiedene „Typen“ aufbieten, so dass die Torheiten und damit die Ziele der Satire sich vervielfältigen. In dem Lustspiel Der Unempfindliche (1745) von Adam Gottfried Uhlich (1720–1756) sind, von der Dienerschaft abgesehen, nahezu alle Figuren mehr oder minder absonderlich (selbst noch die „vernünftigen“ Verliebten bezeugen einerseits männlichen Adelsstolz und andererseits weibliche Eitelkeit). Bei der anderen Art wird der „Typ“ nicht einfach aufgrund seines Eigensinns zum Außenseiter, er ist hier vielmehr ein leichtgläubiges Opfer bestimmter Machenschaften, die durch regelrechte gesellschaftliche Missstände ermöglicht werden. Ein Beispiel ist L. A. V. Gottscheds bereits erwähnte Pietisterey im Fischbein-Rocke; Oder die Doktormäßige Frau (1737), eine freie Bearbeitung einer französischen Vorlage. Darin wird Frau Glaubeleichtinn ein Opfer der Geldgier eines angeblichen Pietisten mit dem Namen „Magister Scheinfromm“. Neben dem „Typen“, hier der Frau Glaubeleichtinn als der Verkörperung der Leichtgläubigkeit, gibt es in solchen Stücken somit außer den vernünftigen Figuren auch die den „Typen“ bedrängenden, hinterhältigen (und tendenziell kriminellen) Vertreter bestimmter Interessen, so dass das Lustspiel gewissermaßen zwei Ziele satirisch ins Auge fasst (und daher von Steinmetz als „binomisch“ bezeichnet wird). Dass die Verfasserin zwischen Scheinfrömmigkeit und wirklichem Pietismus nicht unterscheidet, erklärt sich mit der kämpferischen Einstellung der rationalistischen Frühaufklärung, die für den Pietismus kein Verständnis aufzubringen vermag. Dass die Verfasserin indessen, die eine wirkliche Gelehrte war, in der im Titel genannten „doktormäßigen Frau“ eine Schein-Gelehrte zur Karikatur macht, zeigt, wie sehr eine gelehrte Frau in dieser Zeit noch bereit war, die männlichen Vorurteile gegen weibliche Gelehrsamkeit zu teilen. Gottscheds Poetik orientiert sich zwar entschieden an den französischen Vorbildern – eine Fixierung, gegen die dann, mit unterschiedlicher Heftigkeit und bezogen auf die Gattung Drama im Ganzen, unter anderem der gleich noch zu erwähnende Johann Elias Schlegel sowie Lessing, Lenz und Schiller polemisieren –, aber allein schon die Bemühung, Typen, die der Rezipient aus seinem Alltag kennt, einigermaßen wiedererkennbar zu präsentieren, führt dazu, dass nationale Momente vermehrt Beachtung finden

Luise Adelgunde Victorie Gottsched

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IV. Geschichte der Gattung

Johann Elias Schlegel

Johann Christian Krüger

Das rührende Lustspiel

und die Nachahmung insbesondere des französischen Lebensstils und französischer Sitten eher satirisch bloßgestellt wird. Gottsched hat mit manchen weiteren Normierungen die poetische Kreativität eingezwängt und zum Beispiel mit seinem Beharren auf fünf Akten dafür gesorgt, dass die eine oder andere Komödie seiner Frau unnötig zerdehnt worden – und damit zeitweise langweilig geworden – ist. Dennoch ist L. A. V. Gottsched eine wichtige Vertreterin der satirischen Typenkomödie. Weitere Vertreter – neben den bereits genannten Cronegk und Uhlich, neben dem (später auch in Singspielen sehr produktiven) Christian Felix Weiße (1726–1804) und etlichen anderen – sind vor allem Johann Elias Schlegel (1719–1749) und Johann Christian Krüger (1723–1750). Bei Schlegel (Die stumme Schönheit [1747], auch Der Triumph der guten Frauen [1748]), einem Onkel der Romantiker August Wilhelm und Friedrich Schlegel, tritt die erzieherische Intention etwas zurück zugunsten der zweckfreieren Vorführung von Komischem; auch tragen Schlegels Figuren bereits individuellere Züge. Der Einakter Die stumme Schönheit, „die Komödie des achtzehnten Jahrhunderts par excellence“ (Paulsen 1977, 81) – freilich neben Lessings Minna von Barnhelm –, führt bereits eine tendenziell autonome Spielsphäre vor, die auch ernstere Themen – so hier das eher hintergründige Thema der „Kunst des rechten Gesprächs“ – spielerisch-subtil mit einbezieht. Die bemerkenswerte sprachliche Qualität wie überhaupt die Verwendung des (in der Tragödie üblichen) Alexandriners dienen durchaus der Aufwertung der komischen Gattung. Schlegel, den Lessing hernach sehr positiv hervorhebt, hat auch in verschiedenen dramentheoretischen Essays eine freiere Position gegenüber der Gottschedischen vertreten. Bei Krüger, der Theaterdichter und Schauspieler in der Schauspieltruppe des Prinzipals Johann Friedrich Schönemann war, nimmt die Satire erheblich an Schärfe zu und zielt über den einzelnen „Typen“ hinaus. Die Geistlichen auf dem Lande (1743) attackieren einen ganzen Berufsstand, eben die Landgeistlichen, und wurden wegen der satirischen Schärfe alsbald verboten. Die Candidaten oder: Die Mittel zu einem Amte zu gelangen (1748) tendieren sogar zur Sozialkritik, indem sie die Kritik am Adel, die auch vorher schon gelegentlich im Lustspiel begegnet, aufgreifen und sie enorm verschärfen, womit sie – durchaus noch auf dem Boden der Typenkomödie – auf die Sturm-und-Drang-Komödien von Jacob Michael Reinhold Lenz vorausweisen, vor allem auf dessen Hofmeister (1774). Vorbilder für die satirische Typenkomödie sind mehrere heute weniger bekannte französische Lustspielautoren, unter ihnen nur in zweiter Linie auch Molière (1622–1673), dessen Lustspiele in Gottscheds Augen noch zu viele Einflüsse der farcenhaften Commedia dell’arte erkennen lassen, daneben aber auch der dänische Lustspielautor Ludvig Holberg (1684–1754). In dem Lustspiel-Typus der Aufklärung, den Gottsched zur Norm erhebt, kehrt die satirische Tendenz vieler barocker Lustspiele wieder, in Dienst genommen zu sittlich-erzieherischen Zwecken, wenngleich ansonsten die Aufklärung sich streng vom Barock abzugrenzen versucht. Jenem LustspielTypus tritt in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre des 18. Jahrhunderts das empfindsame oder rührende (oder auch weinerliche) Lustspiel gegenüber – eine Entwicklung, die in Verbindung steht mit dem Übergang von

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der eher „rationalistischen“ Frühaufklärung zu der eher „empfindsamen“ Hochaufklärung. Auch beim empfindsamen Lustspiel kommt französischen Vorbildern eine besondere Bedeutung zu, besonders Philippe Néricault Destouches (1680–1754) und Pierre Claude Nivelle de la Chaussée (1692–1754). Das empfindsame Lustspiel verfolgt das gleiche Ziel der moralischen Erziehung des Zuschauers, aber es tut dies auf entgegengesetztem Wege. Es wendet sich nicht mehr nur an die Vernunft, sondern auch an Herz und Gemüt des Rezipienten, indem es weniger die Untugend dem Spott preisgibt, sondern vermehrt die Tugend in ihrer leuchtenden Vorbildlichkeit anpreist und – anstelle von Torheiten – positive Eigenschaften und Haltungen wie Freundschaft, Selbstlosigkeit, Mitleid hervorhebt. Im Zentrum stehen daher vor allem tugendhafte Gestalten, während allenfalls die Nebenfiguren komische Züge tragen. Dementsprechend ruft das empfindsame Lustspiel eher Rührung hervor, als dass es Lachen erregte, dies zum Missfallen Gottscheds, der die Rührung als eine emotionale Wirkung dem Trauerspiel vorbehalten sehen möchte (übrigens wird der Begriff der Rührung zum Teil synonym mit dem des Mitleids verwendet, zum Teil bezeichnet er auch eine schwächere Stufe des Mitleids). Tatsächlich nähert sich das rührende Lustspiel, bezogen auf die Wirkung, dem bürgerlichen Trauerspiel an, das seinerseits den entsprechenden Schritt auf das Lustspiel zu tut, indem es die tragische Bühne für bürgerliche, also ursprünglich dem Lustspiel vorbehaltene Figuren und Probleme öffnet und damit die Ständeklausel in Frage stellt. Das empfindsame Lustspiel verfolgt nicht nur das gleiche moralischerzieherische Ziel wie die satirische Typenkomödie, beide Formen gehen auch von einer nahezu unverändert schematischen Tugend-Laster-Antinomie aus und begnügen sich mit einer gleichermaßen typisierenden Personengestaltung, so dass sie im Grunde nur als zwei Varianten einer und derselben Komödienform gesehen werden, nämlich als Varianten der „sächsischen“ Typenkomödie („sächsisch“, weil Leipzig das Zentrum bildet). Der bedeutendste Vertreter der empfindsamen Komödie ist Christian Fürchtegott Gellert (1715–1769), der in seiner Schrift Pro comoedia commovente (1751), von Lessing übersetzt als Abhandlung für das rührende Lustspiel, sich auch programmatisch für diese neue Orientierung einsetzt. In seiner letzten Komödie, Die zärtlichen Schwestern (1747), zieht Gellert alle Register der Empfindsamkeit, um durch die Vorführung selbstloser (weiblicher) Tugend und gefühlskalter (männlicher) Treulosigkeit den ergriffenen Zuschauer in den Bann zu schlagen. Das Plakative dieser Vorführung zeigt im Übrigen, dass, wie angedeutet, die tugendhaften Figuren in psychologischer Hinsicht nicht sehr viel komplexer ausfallen als vorher die lasterhaften, auch wenn sie bisweilen ein bisschen mit sich ringen müssen, bevor sie sich auf die Seite der Tugend schlagen. Dies ändert sich mit Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781), der freilich mit seinen so genannten Jugendlustspielen zunächst noch ganz auf der Linie der satirischen Typenkomödie liegt; die Titelfigur in seinem Lustspiel Der Misogyn (1748) heißt bezeichnenderweise Wumshäter (= womanhater). Das Lustspiel Der junge Gelehrte (1748) karikiert in der Titelfigur die lebensferne Büchergelehrsamkeit, wobei es noch von vielen fremden Vorbil-

Christian Fürchtegott Gellert

Gotthold Ephraim Lessing

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IV. Geschichte der Gattung

Minna von Barnhelm

dern zehrt, obwohl die Dialoge schon eine bemerkenswerte sprachliche Gewandtheit und Lebendigkeit erkennen lassen. Der Freigeist (1749) bezeugt bereits gewisse Einflüsse der Strömung der Empfindsamkeit; das Stück lässt einen Theologen und einen Freigeist, d. h. einen Philosophen (im Sinne eines nicht religiös gebundenen Vertreters einer Weltanschauung) im Rahmen einer Lustspielhandlung gegeneinander antreten und reichert so das Lustspielgeschehen um seriösere weltanschauliche Aspekte an. Noch weiter gehend, was die weltanschauliche Seriosität betrifft, nimmt bereits der frühe Lessing ein sehr ernstes Thema auf in seinem Lustspiel Die Juden (1749), das vor antijüdischen Vorurteilen warnt und damit auf Nathan den Weisen (1779) vorausdeutet. Das hat freilich zur Folge, dass das Stück – als Lustspiel – nicht sehr viele lustige Züge besitzt. Für die Gattung der Komödie bedeutet es geradezu einen qualitativen Sprung, als Lessings Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück (1767) erscheint und, Abstand zur Typenkomödie gewinnend, den Weg in die Richtung der psychologisch differenzierten Charakterkomödie einschlägt, einer Charakterkomödie, bei der im Übrigen psychologische und historisch-gesellschaftliche Aspekte in enger Verbindung stehen. Hervorzuheben ist besonders die Figur des Majors von Tellheim, der sich nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges zunächst mit zwar grundlosen, aber ehrenrührigen Vorwürfen konfrontiert sieht und darüber zu Recht ungehalten ist, der aber dennoch mit seinem scheinbar übertriebenen Begriff von Ehre sehr von fern auch noch an den komischen Typen des satirischen Lustspiels erinnert, während er zugleich viel differenzierter gezeichnet ist und vor allem durch seine Selbstlosigkeit die empfindsamen Gemüter anzusprechen vermag. Lessing verbindet eben in diesem Stück, das den Höhepunkt der Komödie der Aufklärung darstellt, satirische und empfindsame Momente miteinander, entsprechend seiner Vorstellung, dass „die wahre Komödie“ sowohl Lachen hervorrufen als auch rühren wolle. Diese beiden Intentionen stören einander nicht, wenn das intendierte Lachen kein Verlachen ist und wenn es weniger dem Verhalten einer Person gilt, sondern eher den Situationen entspringt, so dass man dem dargestellten Menschen durchaus Achtung entgegenbringen kann. In diesem Sinne unterwirft Lessing in Minna von Barnhelm zugleich traditionelle Komödienelemente einer Überprüfung. Das betrifft besonders die Intrige als ein Instrument der herkömmlichen Konfliktlösung, ein Instrument, das sich hier partiell gegen die Intrigantin selbst, nämlich die Titelfigur, wendet und das damit in seiner Tauglichkeit fraglich wird. Das von Gottsched propagierte Verlachen als Wirkung einer kritischen Bloßstellung weicht zugunsten des Lachens aufgrund der Einsicht in die menschliche Relativität. Goethe hat Minna von Barnhelm als ein Stück von „norddeutschem Nationalgehalt“ und „von spezifisch temporärem Gehalt“ bezeichnet, er hat mithin auf die geographisch fixierten Handlungen und Figuren und auf den historischen Bezug, die Verwurzelung des Stücks in der Zeitgeschichte, abgehoben. In der Tat ermöglicht beides einen bis dahin unbekannten realistischen Gehalt. Blickt man daher von Minna von Barnhelm (und von der späteren Komödien-Entwicklung) her auf die Komödien der Aufklärung zurück, kann man nur mit Mühe begreifen, dass diese Stücke vom zeitgenössischen Publikum nicht nur akzeptiert, sondern auch als lebensnah empfun-

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den worden sind und dass ihnen eine nicht geringe Wirklichkeitstreue zugesprochen worden ist. Tatsächlich betonen die Rezensionen zum Beispiel aus der Feder Moses Mendelssohns wiederholt die Lebensechtheit solcher Lustspieltypen, die uns heute als gänzlich abstrakt und konstruiert erscheinen. Es gibt indessen Indizien dafür, dass in diesem Zeitraum nicht nur die literarischen Darstellungsmittel, sondern auch die dargestellten Verhaltensweisen selbst sich tief greifend verändern. So hinterlässt der oben erwähnte Dramatiker Christian Felix Weiße eine „Selbstbiographie“, die 1806 erscheint, ergänzt um einen Kommentar der Herausgeber; diese konstatieren darin fundamentale Veränderungen während der vergangenen fünfzig Jahre, und zwar Veränderungen im sozialen Verhalten der Menschen selbst und nicht nur in Bezug auf die literarische Darstellung dieses Verhaltens. Bezogen auf die Gattung der Komödie bestätigt dies erneut den bekannten Befund, dass besonders der Sturm und Drang der siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts zwar einerseits in mancherlei Hinsicht aufklärerische Intentionen weiterverfolgt (und auch noch verschärft), zugleich aber andererseits, innovativ orientiert, in der Opposition gegen die Aufklärung entschieden neue („modernere“) Denk- und Verhaltensweisen fördert. Im Übrigen vollzieht sich im Horizont der Aufklärung ein bedeutsamer Wandel im System der dramatischen Gattungen: Als Varianten der „reinen“ Gattungen Trauerspiel und Lustspiel entwickeln sich die bereits erwähnten partiell „gemischten“ Gattungen bürgerliches Trauerspiel und rührendes Lustspiel, die einander relativ näher stehen als vordem die „reinen“ Gattungen. Das bedeutet nicht nur, dass bloß äußerlich-formale Kriterien an Trennschärfe verlieren (das Trauerspiel bringt bürgerliche Figuren auf die Bühne, und das Lustspiel will eben rühren), sondern dass tatsächlich hinsichtlich des Gehalts Elemente der jeweils anderen Gattung integriert werden. Wenn etwa nach einer Aufführung von Lessings Emilia Galotti der österreichische Kaiser Joseph II. bekundet, er habe in seinem Leben noch „in keiner Tragödie so viel gelacht“ (Dane 2002, 94), dann zeigt das, wie sehr das Trauerspiel komische Elemente aufzunehmen vermag, ohne sein Profil als Trauerspiel zu verlieren (vgl. Müller, Klaus-Detlef 1972). Andererseits entsteht im gleichen Zeitraum als eine neue Gattung zwischen Trauerspiel und Lustspiel das Schauspiel, das mit dem Trauerspiel den Ernst des Themas und mit dem Lustspiel den versöhnlichen Ausgang gemein hat. Bedeutende Beispiele für diese neue Gattung sind Lessings Nathan der Weise (1779 – Lessing sagt noch „Dramatisches Gedicht“ [= Dramatische Dichtung]), Goethes Iphigenie auf Tauris (1779, 1786) und Schillers Wilhelm Tell (1804). Dramen von dieser Art – wie zum Beispiel bereits die Iphigenie bei den Tauriern des Euripides – galten in der Antike noch als Tragödien und in der Renaissance, wie bereits erwähnt, als Tragikomödien. Jetzt, im 18. Jahrhundert, etablieren sie sich als eine neue selbstständige dramatische Gattung. Allerdings konkurrieren sie dabei zunehmend nicht mit Trauerspiel und Lustspiel gleichermaßen, sondern vermehrt mit dem Lustspiel, nämlich mit der im Grunde ihrerseits „ernst“ gewordenen Komödie, wie die von Lessing bis Kleist vorherrschende Art des Lustspiels charakterisiert worden ist (Arntzen 1968).

Bürgerliches Trauerspiel, rührendes Lustspiel

Trauerspiel, Schauspiel, Lustspiel

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IV. Geschichte der Gattung

6. Sturm und Drang, Klassik, Romantik Jacob Michael Reinhold Lenz

Literatursatiren des Sturm und Drang

Die Kritik, die die satirischen Typenkomödien üben, gilt den im Prinzip änderbaren Einstellungen und Verhaltensweisen des Einzelnen. Im Unterschied zu Krüger, der im Grunde gleich den ganzen Stand des Adels kritisch ins Auge fasst (Die Candidaten) und damit kaum die Hoffnung auf eine gesellschaftliche Wirkung verbinden kann, greift Lenz (1751–1792) in seinen Sturm-und-Drang-Komödien gesellschaftliche Missstände auf, entsprechend seiner Auffassung, dass die Komödie – im Sinne einer „eingreifenden“, also in die gesellschaftlichen Verhältnisse hineinwirkenden Dramatik – sich mit „Sachen“ (Themen und Problemen) zu beschäftigen habe und nicht mit Personen, seien es Typen oder Einzelfiguren (Letzteres besonders in der Tragödie). Auf das Erziehungswesen zielt die Komödie Der Hofmeister (1774), die – eher nur beiläufig – satirische Blicke auf die öffentlichen Schulen und das Universitätsleben wirft, die indessen vor allem die Unterrichtung von meist adligen Schülern durch nicht selten überforderte bürgerliche Hauslehrer attackiert und damit die „Vorteile der Privaterziehung“ – so lautet der Nebentitel der Komödie – satirisch ad absurdum führt. Der im Titel genannte bürgerliche Hofmeister schwängert seine adlige Schülerin – bezogen auf den sozialen Rang wird damit die dem bürgerlichen Trauerspiel entsprechende Konstellation (Adliger verführt bürgerliches Mädchen) umgekehrt –, er gerät dadurch aber so sehr in Bedrängnis, dass er schließlich meint, nur mehr mittels einer Selbstkastration mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten wieder zurechtzukommen. Dass der Autor schließlich im fünften Akt mit unübersehbarer Willkür Hochzeitspaare zusammenführt und Harmonie erzwingt, dies lässt erkennen – durchaus mit der Intention des Autors –, wie unbefriedigend die realen gesellschaftlichen Verhältnisse tatsächlich sind. Die andere der beiden bekanntesten Lenzschen Komödien, Die Soldaten (1776), greift die obrigkeitlich vorgeschriebene Ehelosigkeit der Soldaten und deren Folgen auf, insbesondere den Umstand, dass die adligen Soldaten in Versuchung geraten, Bürgertöchter zu verführen, und dadurch ganze bürgerliche Familien gefährden. Dass in dieser Komödie (anders als in Lessings Emilia Galotti, Wagners Kindermörderin und später in Schillers Kabale und Liebe) ausgerechnet ein bürgerlicher Vater den familiären Niedergang fördert, indem er seiner Tochter Aufstiegs-Flausen in den Kopf setzt, dies zeigt, dass Lenz’ Kritik tatsächlich nicht dem Adel gilt als einem Stand im Ganzen, sondern der Ehelosigkeit der Soldaten als einem gesellschaftlichen Missstand, mit dem der Autor sich dann auch in weiteren Schriften befasst. Die komischen Elemente in beiden Stücken enthalten nicht selten groteske Momente – Momente der Entstellung und Verzerrung –, die wiederholt zur Einstufung der Stücke als „Tragikomödien“ geführt haben. Aber entsprechend der zeitgenössischen Neigung, Stücke, die nicht eindeutig als Tragödien gelten können, tatsächlich als Komödien anzusehen, meint auch Lenz selbst, die „Komödienschreiber“, die realistische Gemälde der Gesellschaft liefern wollten, müssten eben „komisch und tragisch zugleich schreiben“ (Rezension des Neuen Menoza). Während – mit Ausnahme besonders von Lenz – die Vertreter des Sturm und Drang für die die Gattungstradition aufnehmende Art der Komödie we-

6. Sturm und Drang, Klassik, Romantik

nig Neigung aufbringen, verfassen sie einige zum Teil recht bissige dramatische Literatursatiren, die hernach als charakteristisch für den Sturm und Drang gelten müssen. In ihnen findet die kritische Auseinandersetzung mit der Literatur der Aufklärung, besonders mit dem Werk Christoph Martin Wielands (1733–1813), ebenso ihren Niederschlag wie die programmatische Präsentation der gewünschten neuen literarischen Akzente. Hervorzuheben sind Götter, Helden und Wieland (1774) von Goethe (1749–1832), Pandämonium Germanicum (entst. 1775) von Lenz und Prometheus, Deukalion und seine Rezensenten (1775) von Heinrich Leopold Wagner (1747–1779). Der junge Goethe experimentiert mit verschiedenen komischen Formen. Sein mit neunzehn Jahren verfasstes Schäferspiel Die Laune des Verliebten (1768) gilt heute als ein besonders gelungenes Beispiel für die Gattung. Goethe bemüht sich um das Singspiel (Claudine von Villa Bella, 1775), das Fastnachtspiel (Ein Fastnachtsspiel auch wohl zu tragieren nach Ostern vom Pater Brey dem falschen Poeten, 1774), und er schreibt vor seinem Wechsel nach Weimar (1775) mehrere durchaus handfeste Farcen (Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilern, 1773/1778, übrigens 1973/1975 bearbeitet von Peter Hacks). Seine später entstandenen Komödien lassen dagegen den mäßigenden Einfluss des Weimarer Hofes erkennen und gelten als wenig gelungene Versuche, das alle Dimensionen sprengende Thema der Französischen Revolution ausgerechnet mit komischen Mitteln zu bewältigen. Der Groß-Cophta (1791) liefert in Gestalt einer Kriminal- und Sittenkomödie ein Bild der moralischen Verderbtheit im ancien régime in Frankreich, mit Bezügen zu historisch Tatsächlichem, zu der berüchtigten Pariser Halsbandaffaire 1785 und zu der Figur des Betrügers Cagliostro. Der Bürgergeneral (1793), ein Einakter, bietet in der Figur des betrügerischen Barbiers Schnaps, der sich als revolutionärer Bürgergeneral ausgibt, eine polemische Karikatur der französischen Jakobiner. Und das Fragment Die Aufgeregten (1793) bringt abermals einen Barbier auf die Bühne, der die Bauern aufwiegelt, wohingegen die vernünftigen Figuren, sei es von Adel, sei es aus dem Bürgertum, die Einsicht vermitteln sollen, dass eine vernünftige soziale Ordnung jeder Revolution vorbeugt. Wenigstens erwähnt sei, dass in Faust I und II etliche Lustspielelemente unterschiedlichster Art begegnen, beginnend schon im „Vorspiel auf dem Theater“ mit der Lustigen Person, die hier allerdings keine Scherze treibt, sondern sich über ihre Rolle und den ihr entsprechenden Theaterstil äußert. Freilich sind jene Lustspielelemente integriert in ein umfassendes Ganzes, das überdies jenseits des Epochenhorizonts der Weimarer Klassik liegt. Im Ganzen kommt die Klassik mit ihrem hohen Kunstanspruch (und mit ihrer Favorisierung der Tragödie) der Komödie nur wenig entgegen. Friedrich Schiller (1759–1805) zollt zwar in einem kurzen Text über Tragödie und Komödie (um 1792/93 oder 1793/94) der Komödie durchaus Respekt, indem er die Distanz hervorhebt, die der Zuschauer angesichts des Vorgeführten sogar in moralischer Hinsicht wahren kann. Aber – so Schiller weiter – mehr als dieses quasi göttlichen Zustands des Nicht-berührt-Seins bedarf die endliche und bedingte menschliche Existenz der Fähigkeit, sich kraftvoll gegen die Angriffe des Schicksals zu rüsten, einer Fähigkeit, die

Johann Wolfgang Goethe

Friedrich Schiller

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IV. Geschichte der Gattung

August von Kotzebue, August Wilhelm Iffland

Dramen mit doppeltem Schluss

eben von der Tragödie und nicht von der Komödie gefördert wird. Für die Weimarer Bühne hat Schiller zwar zwei Komödien des zeitgenössischen französischen Dramatikers Louis Benoît Picard übersetzt und die „fiaba dramatica“ (dramatisches Märchen) Turandot von Carlo Gozzi als „Ein tragikomisches Märchen“ bearbeitet, übrigens in Blankversen. Aber von seinem eigenen dramatischen Werk lässt sich – neben der kleinen Gelegenheitsarbeit Körners Vormittag (1787) – allenfalls Wallensteins Lager als Komödie einstufen (was auch verschiedentlich geschehen ist), ein Stück, das in der Tat einige komische Elemente enthält, dem Schiller selbst aber keine Gattungsbezeichnung gegeben hat, während die beiden anderen Teile der Trilogie (1798/99), Die Piccolomini und Wallensteins Tod, die Gattungsbezeichnungen „Schauspiel“ bzw. „Trauerspiel“ tragen. Die eigentlich erfolgreichen Bühnenautoren des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts sind ohnehin keinesfalls Schiller und Goethe, sondern August von Kotzebue (1761–1819) mit rund 230 Stücken und in zweiter Linie der Schauspieler und spätere Berliner Theaterleiter August Wilhelm Iffland (1759–1814) mit rund 65 Stücken. Goethe als pragmatisch orientierter Leiter des Weimarer Hoftheaters hat von diesen Dramen übrigens nicht wenige auf seine Bühne gelangen lassen. Im Bereich des ernsten Theaters handelt es sich bei Kotzebues und Ifflands Stücken vor allem um die Rühr- und Familienstücke, die allerorten in Deutschland die Bühnen beherrschen, im Bereich des komischen Theaters dominieren die rund 120 Lustspiele und Possen Kotzebues, der eine Neigung zu Satire und Polemik besitzt, dabei aber ausgesprochen bühnenwirksam schreibt – etwa in dem Lustspiel Die deutschen Kleinstädter (1802) mit dem bezeichnenden Spielort „Krähwinkel“. Dass, wie erwähnt, Trauerspiel und Lustspiel sich einander annähern, dass das Schauspiel als eine neue Gattung sich etabliert und zugleich das Lustspiel so „ernst“ wird, dies alles sorgt im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts für eine gewisse Instabilität im Bereich der dramatischen Gattungen, die sich in einem kleinen Kuriosum äußert, nämlich in der Existenz von Dramen mit doppeltem Schluss, wie sie wohl nur in einer Zeit der dramengeschichtlichen Neuorientierung entstehen können. So verfasst Christian Felix Weiße ein Trauerspiel, Amalia (1766), aus dem er auf den Rat guter Freunde hin, wie er berichtet, hernach ein Lustspiel macht. Goethe schreibt Stella (1775), ein „Schauspiel für Liebende“, so die Gattungsbezeichnung, das er nachtäglich in ein Trauerspiel ändert (1806). Heinrich Leopold Wagner macht aus seinem Trauerspiel Die Kindermörderin (1776) nicht zwar ein Lustspiel, aber immerhin ein Schauspiel, Evchen Humbrecht oder Ihr Mütter merkts Euch! (1779). Noch mehr schwankt Schiller bei seiner Verschwörung des Fiesko zu Genua: Die so genannte Buchfassung (1783) endet mit dem Tod der Titelfigur: Fiesko ertrinkt; in der Mannheimer Bühnenfassung (1784) überlebt er, und das Volk jubelt ihm zu; in der LeipzigDresdner Fassung (1785) stirbt er wieder: er wird erstochen. Besonders bezeichnend erscheint die Orientierungslosigkeit bei Dramen, die von vornherein mit zwei Schlüssen angeboten werden, mit einem tragischen und einem versöhnlichen, und die somit dem Rezipienten die Wahl überlassen, nämlich der Einakter Blunt oder der Gast (1780) von Karl Philipp Moritz und Die Negersklaven (1796) von August von Kotzebue.

6. Sturm und Drang, Klassik, Romantik

Die Romantik sieht im Roman die eigentlich moderne und im Rang am höchsten stehende Gattung, die „progressive Universalpoesie“, da der Roman alle getrennten poetischen Gattungen wieder vereinen soll, so Friedrich Schlegel (1772–1829). Damit rückt das Drama etwas an den Rand. Dennoch erfahren zugleich nochmals in einer Wendung gegen die Aufklärung die – eben nicht moralisierend-didaktischen und auch wenig sittenstrengen – Komödien des Aristophanes eine neue Würdigung, so unter anderem abermals bei Friedrich Schlegel, ebenso wie die Komödien Shakespeares, in denen die Romantiker eine erwünschte Poetisierung des Lebens voller Heiterkeit und Laune entdecken. Nebenbei: Mit solcher Heiterkeit verbindet wenig später auch der junge Karl Marx seine Vorstellung von der Komödie, als er in einer eher aphoristischen Bemerkung beiläufig meint: „Die Geschichte ist gründlich und macht viele Phasen durch, wenn sie eine alte Gestalt zu Grabe trägt. Die letzte Phase einer weltgeschichtlichen Gestalt ist ihre Komödie. […] Warum dieser Gang der Geschichte? Damit die Menschheit heiter von ihrer Vergangenheit scheide.“ (Marx 1970, 382) Im Geist von Heiterkeit und Laune entstehen jedenfalls in der Romantik Komödien mit ganz eigenen Spielformen, besonders in den Komödien Ludwig Tiecks (1773–1853). Der gestiefelte Kater (1797), ein „Kindermärchen in drei Akten“, ist als ein Spiel im Spiel organisiert und führt einen Theaterabend vor. Auf der Bühne zu sehen ist der Innenraum eines Theaters, also zum einen ein Zuschauerraum, in dem fiktive Zuschauer sitzen, und zum andern eine Bühne, auf der ebenso fiktive Schauspieler das Binnenspiel, eben das „Kindermärchen“ Der gestiefelte Kater, aufführen. Die fiktiven Zuschauer, lauter engstirnige Anhänger des traditionellen Theaters, gewöhnt an Stücke von Iffland und Kotzebue, protestieren gegen das ihnen zugemutete Märchenspiel, woraufhin wiederum die fiktiven Schauspieler sich empören und aus der Rolle fallen, und am Ende wird der fiktive Verfasser des Märchenspiels, der zwischen beiden Seiten vermitteln will, mit faulem Obst beworfen. Der ständige Wechsel zwischen den beiden Ebenen, zwischen der Vorführung und dem Vorgeführten, zwischen dem auf der Bühne befindlichen Theater und dem in diesem Theater gezeigten Binnenspiel, hat zur Folge, dass ein und derselbe reale Darsteller einmal als ein fiktiver spielender Schauspieler und ein andermal als eine quasi doppelt fiktive Binnenspiel-Figur agiert, so dass das Phantastische eines wirklichen „Kindermärchens“ ständig durchkreuzt wird von parodistischen und satirischen Bezugnahmen auf die Welt des Theaters und dass daher am Ende nichts mehr ernst zu nehmen ist. In Prinz Zerbino oder die Reise nach dem guten Geschmack: Gewissermaßen eine Fortsetzung Des gestiefelten Katers (1799) leidet die Titelfigur an zu viel Phantasie, sie wird daher auf eine Reise geschickt, an deren Ende sie geheilt ist, indem sie das phantasielose Nützlichkeitsdenken erworben hat, das hier alle Welt für den „guten Geschmack“ hält. Das Stück enthält – über die Parodie auf die Bildungsreisen hinaus – abermals allerlei satirische Züge. Das Stück „Die verkehrte Welt“ (1799) schließlich, zunächst nochmals Theater- und Literatursatire, steigert die Spiel-im-Spiel-Anlage bis zu einer heillosen Verwirrung, die letzten Endes nicht mehr die Verkehrtheit der vorgeführten Zustände anzeigt, sondern von der tatsächlichen Verkehrtheit der Welt zeugt. Das „Exzentrische der Mittel“, derer die Komödie sich

Romantik

Ludwig Tieck

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IV. Geschichte der Gattung

Clemens Brentano

Joseph von Eichendorff

Heinrich von Kleist

Amphitryon

bedient, wird hier „zur Sache selbst“ (Arntzen 1968, 147). Eine Komödie aber, die nicht mehr einen Gegenstand, eine „Sache“, in komischer Beleuchtung zeigt, sondern nur mehr die Mittel der Komisierung vorführt, gerät an die Grenze der Selbstaufhebung. In jedem Fall neigt sie dazu, kaum mehr Reste der einstigen Regelpoetik in Geltung bleiben zu lassen, wie etwa die Forderung nach einer geschlossenen Handlung. Ja, über die Preisgabe einer geschlossenen Handlung hinaus ist hier selbst der Gedanke, dass ein Drama im Prinzip theatergerecht zu sein habe (und nicht nur lesbar sein dürfe wie jeder beliebige andere Text), aufs Spiel gesetzt. Stattdessen herrscht der Mutwille des Spiels, die subjektive Laune, die ironische Brechung; und das Komische löst sich von den früheren gesellschaftlichen Bezügen der Gattung zugunsten der Entfaltung einer poetisch-fiktiven Spielwelt. Weit weniger kompliziert, der Anlage nach, und auch weniger satirisch wirkt Clemens Brentanos (1778–1842) Ponce de Leon (1801), eine durch Intrige in Gang gebrachte Verwechslungskomödie, in der die Thematik von Maske und Identität durchgespielt wird in einem auch hier sich tendenziell verselbstständigenden zweckfreien Spiel (ganz im Gegensatz zu den erzieherischen Intentionen der satirischen Komödie der Aufklärung). Ponce de Leon ist freilich in so hohem Maße auf Klang- und Wortspiele gegründet, dass die Bühnenwirksamkeit dadurch gefährdet ist und das Stück bisweilen wie ein reines Lesedrama anmutet. Soweit das romantische Lustspiel sich bemüht, satirische Momente in das Spiel mit hereinzunehmen, bleiben durch diese Momente auch Bezüge zur gesellschaftlichen Wirklichkeit erhalten. Joseph von Eichendorffs (1788–1857) Lustspiel Die Freier (1833) schließlich zieht sich in deutlich höherem Maße aus der Wirklichkeit zurück. Das Stück, ein Intrigen- und Verkleidungsspiel voller Verwechslung und Verwirrung, kommt zwar der in der Romantik begegnenden Idee eines Lustspiels mit Mutwille, aber ohne eigentliche Komik sehr nahe, es ist wirklich das „feine Lustspiel“ voller „Schönheit und Harmonie“, zeigt aber zugleich einen Endpunkt an, weil der Weg der „Reduzierung der Lustspielmöglichkeiten“ sich nicht weiter beschreiten lässt (Catholy 1982, 269 f.). Heinrich von Kleists (1777–1811) Werk, das sich bekanntlich weder der Klassik noch der Romantik einfach zuordnen lässt, zeugt im Ganzen von der für den Autor schmerzlichen Erfahrung der „Gebrechlichkeit der Welt“ – so die bekannte Wendung, derer Kleist sich bedient. Es ist dies eine Erfahrung, in deren Folge auch die beiden Komödien Kleists sich bemühen, im Rahmen der freier behandelten, aber doch noch klassischen Dramensprache neue und differenzierte Ausdrucksmöglichkeiten für komplexere Seelen- und Bewusstseinslagen zu finden. Im Amphitryon (1806) – mit der Gattungsbezeichnung „Ein Lustspiel nach Molière“ – geht es um einen unter anderem schon von Plautus behandelten mythischen Stoff: Zeus/Jupiter erschleicht sich eine Liebesnacht mit Alkmene, der Frau des Feldherrn Amphitryon, indem er Amphitryons Gestalt annimmt; die Frucht dieser Nacht ist Herakles/Herkules. Das komische Potenzial des Stoffs liegt in der Differenz zwischen Sein und Schein und den daraus sich ergebenden Verwechslungen. Hatte schon Plautus dem Jupiter den Mercur als „Diener“ gesellt und die Verwechslungen damit auf

6. Sturm und Drang, Klassik, Romantik

der Dienerebene gespiegelt, so ergänzte Molière den Ehe-Konflikt um den parallelen Konflikt auf der Dienerebene, darin gefolgt von Kleist, der auf dieser Ebene allerlei komische Momente unterbringt. Auf der HerrscherEbene dagegen verlagert Kleist die Irritationen ins menschliche Innere, er verwandelt vor allem mit Bezug auf Alkmene die Verwechslungen in innere Verwirrungen, er steigert sie zu einer Verwirrung des Gefühls und zu einer Identitätskrise zwischen Komik und Tragik. Denn Alkmene liebt Jupiter, den sie für Amphitryon hält, eben als ihren Gatten Amphitryon. Jupiter indessen, der Gott, will nun plötzlich – menschlich-liebebedürftig – als er selbst geliebt sein, als Jupiter und nicht als Amphitryon, ohne dabei jedoch seine Verstellung aufzugeben, was für allerlei Komik sorgt. Alkmene indessen, die dies nicht begreifen kann, wird zunehmend verunsichert. Nach der Beseitigung aller Unklarheiten endet das Stück mit der berühmtesten Interjektion der deutschen Literatur (wenn man das so sagen kann): Die Männer, Jupiter und Amphitryon, haben die Angelegenheit unter sich geregelt (der betrogene Amphitryon wird dadurch entschädigt, dass er als Vater des Helden Herakles/Herkules gelten wird), und Alkmene erwacht aus einer Ohnmacht mit dem Laut: „Ach!“ Im Übrigen gibt es im 20. Jahrhundert weitere Bearbeitungen des Stoffs, nämlich von Georg Kaiser (Zweimal Amphitryon, 1948) und Peter Hacks (Amphitryon, 1968). Der zerbrochne Krug (1806), nach dem Zweiten Weltkrieg das meistgespielte Lustspiel nach Minna von Barnhelm, steht eigenartigerweise in einer gewissen Beziehung zu dem Sophokleischen König Ödipus, also jener Tragödie, in der Ödipus nach dem Mörder seines Vaters sucht und entdecken muss, dass er selbst dieser Mörder ist. Diese Beziehung erschöpft sich freilich in der ähnlichen dramatischen Struktur, die von Schiller als „analytisch“ bezeichnet worden ist, also in der weitgehenden Beschränkung der Gegenwartshandlung auf die Erhellung der Vorgeschichte. Im Zerbrochnen Krug – dies ist die Vorgeschichte – versucht der Dorfrichter Adam zu nächtlicher Stunde von der jungen Eve Zärtlichkeiten zu erpressen, und kann zwar noch unerkannt vor deren hinzukommendem Verlobten fliehen, beschädigt dabei aber einen großen Krug. Am nächsten Tag – das ist die Gegenwartshandlung – muss er sich in seiner Rolle als Richter mit diesem Schaden befassen. Trotz aller Bemühungen, von sich selbst abzulenken, kann Adam es nicht verhindern, dass die Indizien ihn schließlich als Täter entlarven. Die Form des analytischen Dramas steht hier im Dienst einer Enthüllungskomödie, die von einem schnellen Spiel, von Wortwitz und Anspielungen lebt. Dazu gehört nicht zuletzt, dass mehrfach – insbesondere auch durch die (sprechenden) Namen – Erinnerungen an die Mythologie und die Bibel geweckt werden und zugleich die Abwandlungen ins Auge fallen, die Kleist vornimmt (es ist eben nicht Eve, die Adam verführt, sondern Adam, der sich als Verführer immerhin versucht usw.). Im Übrigen verweist die Komödie – über Mythologie und Bibel hinaus – im Zusammenhang mit Aspekten des Gerichtsverfahrens auch auf den rechtshistorischen Prozess der Ersetzung des Gewohnheitsrechts durch kodifizierte Vorschriften.

Der zerbrochne Krug

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IV. Geschichte der Gattung

7. Das 19. Jahrhundert Franz Grillparzer

August von Platen

Christian Dietrich Grabbe

Georg Büchner

An die in der Klassik und der Romantik übernommene und mit eigenen Akzentsetzungen weitergegebene Dramen-Tradition knüpft Franz Grillparzer (1791–1872) an, dessen Komödie Weh dem, der lügt (1838) auf der Grundlage einer konservativ-christlichen Ethik tatsächlich um die im Titel angedeutete Idee der absoluten Wahrhaftigkeit kreist. Unbeschadet des dem Komischen eher fern stehenden Themas gelangt das Stück am Ende zu einem menschenfreundlichen Ausgleich zwischen dem Ideal und der allenfalls erreichbaren Verwirklichung – als ein „Märchen vom befreienden Handeln und vom ethischen Leitbild der Wahrheit“ (Höller 1997, 175). Lässt die Komödie sich aufgrund ihrer Thematik mit der in Österreich bis zum Barocktheater zurückreichenden Tradition verbinden, so erinnert insbesondere die zentrale Figur, der kecke Küchenjunge Leon, an den weiteren Horizont des Wiener Volkstheaters, auf das gleich noch zurückzukommen ist. Noch im Bann der romantischen Literatursatire, wie am Beispiel Ludwig Tiecks erwähnt, steht August von Platen (1796–1835) mit seiner gegen die so genannte romantische Schicksalsdramatik gerichteten Satire Die verhängnisvolle Gabel (1826), einem Stück vor allem für Kenner der zeitgenössischen Literatur. Nicht mehr nur um Literatursatire, sondern ebenso gut um Teufels-, Schulmeister- und Wissenschaftssatire, also im Grunde um einen satirischen Rundumschlag geht es in Christian Dietrich Grabbes (1801–1836) Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung (1827). Das Stück greift eine Vielzahl von Motiven auf und überspannt sie zumeist bis zum Absurden, um zu guter Letzt noch die Differenz zwischen Realität und Fiktion spielerisch in Frage zu stellen, indem nämlich am Schluss „der Verfasser dieses Stücks“ selbst – beschimpft als „der vermaledeite Grabbe oder, wie man ihn eigentlich nennen sollte, die zwergigte Krabbe“ – höchstpersönlich den Raum betritt und sich zu seinen Figuren gesellt (Grabbe 1975, 301). Grabbe hat gemeint, seine womöglich nur überkandidelt anmutende Komödie sei den gleichen Grundansichten entsprungen wie seine gleichzeitig erschienene blutrünstige erste Tragödie Herzog Theodor von Gothland. Und in der Tat kann man nicht ausschließen, dass die weitestgehende Negation verschiedenster Konventionen und Werte in der Komödie nicht lediglich die Lust an purem Widerspruch und an bloßem Ulk bezeugt, sondern wirklich die tief sitzende Skepsis gegenüber jenen Konventionen und Werten, ja den Zweifel an der Sinnerfülltheit der menschlichen Existenz überhaupt, mithin einfach nihilistischer Natur ist. Eine derartige Skepsis, angesichts eines nachidealistischen Zeitalters durchaus nicht überraschend, bildet in eindeutigerer Weise die Grundlage für Georg Büchners (1813–1837) Komödie Leonce und Lena (1836). Von den vielerlei Anknüpfungen an die Komödienliteratur kommt diejenige an Brentanos Ponce de Leon schon im Titel zum Vorschein. Wenngleich die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verbreitete Stimmung des Weltschmerzes, zum Teil ironisch banalisiert im Motiv der Langeweile, eine nicht geringe Rolle spielt, zielt Büchner doch in dezidiert satirischer Weise auf konkret benennbare politische und gesellschaftliche Verhältnisse, auf

7. Das 19. Jahrhundert

Kleinstaaterei, Hofgesellschaft und Unterdrückung der Bauern. Das Stück enthält neben den satirisch-grotesken auch märchenhafte und empfindsame Züge und lebt von einer Vielzahl von Wortspielen, die aber – anders als bei Brentano – immer wieder auch eine materiell-gesellschaftliche Bodenhaftung besitzen. Bereits das Motto konfrontiert in einer außerordentlich geistreichen Wortspielerei die italienischen Wörter „la fama“ (der Ruhm) und „la fame“ (der Hunger) miteinander, indem es Alfieri, den Verfasser vor allem von Tragödien, „E la fama?“ und Gozzi, den Komödienverfasser, „E la fame?“ fragen lässt. Das Motto setzt damit der von Alfieri vertretenen Gattung der Tragödie, der es um den Ruhm geht, die somit ins Immateriell-Erhabene abdriftet, die von Gozzi repräsentierte bodenständigere Gattung der Komödie entgegen, die nach dem Hunger fragt, die sich somit der unabweisbaren materiellen Bedürfnisse der Menschen annimmt. Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts gerät die komische Gattung – jedenfalls was Deutschland im engeren Sinne und das „hohe Lustspiel“ betrifft – auf eine Durststrecke. Erwähnung verdient vielleicht noch Karl Gutzkows (1811–1878) historische, nämlich am Hof des preußischen Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. spielende Komödie Zopf und Schwert (1844), die als die eigentliche Komödie des Jungen Deutschland gelten kann, indem sie sich in historischer Verkleidung auf aktuelle politische Gegebenheiten bezieht. (Dass Komödien historische Stoffe aufgreifen, geschieht im Übrigen – zu allen Zeiten – eher selten.) Vergleichsweise sehr viel zahmer wirken demgegenüber die politischen Aspekte, auf die Gustav Freytag (1816–1895) in seiner weitgehend vergessenen Komödie Die Journalisten (1852) anspielt. Friedrich Hebbels (1813–1863) Versuche im Bereich der Komödie gelten als nicht gelungen. Auf ganz andere Verhältnisse trifft man in Wien und im Wiener Volkstheater. Dessen Anfänge – im Sinne einer Institution – liegen bereits im frühen 18. Jahrhundert. Dementsprechend wird der Beginn der Geschichte des Volksstücks im Allgemeinen, also der Art von Dramen, die im Volkstheater aufgeführt werden, bei Joseph Anton Stranitzky (1676–1726) und bei der von ihm entwickelten lustigen Figur des Hanswurst gesehen. Nachfolger findet Hanswurst später in den Figuren des Bernadon und des Kasperl. Bei Philipp Hafner (1731–1764 – Mägera, die förchterliche Hexe, 1764) erhält das Stegreiftheater, um das es sich zunächst gehandelt hat, unter dem Einfluss der Aufklärung eine schriftlich fixierte Textgrundlage und erfährt infolgedessen auch eine Literarisierung. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – das ist oben (im Abschnitt über den „Gattungsbegriff“) bereits erwähnt worden – erreicht dann die Gattung „Volksstück“ in den Zauberspielen Ferdinand Raimunds (1790–1836) und den Possen Johann Nestroys (1801–1862) literarisches Niveau. Raimund gestaltet, anknüpfend an das barocke Zaubertheater, „aus lokalen, realistischen und phantastischen Elementen“ ein „ernst-komisches“ Ganzes (Aust u. a. 1989, 137). Sein „romantisch-komisches OriginalZauberspiel“ Der Alpenkönig und der Menschenfeind (1828) verbindet Possenspiel und märchenhaftes Lehrstück in menschenfreundlicher und kaum satirischer Weise, indem der König der „Alpengeister“, Astragalus, den Menschenfeind, den reichen Gutsbesitzer Herrn von Rappelkopf, von seiner Menschenfeindschaft kuriert.

Weitere Autoren

Wiener Volkstheater

Ferdinand Raimund

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IV. Geschichte der Gattung Johann Nestroy

Weitere Autoren

Nestroy übt in seinen ausgesprochen vielgestaltigen Stücken mit scharfem Witz und treffsicherer Satire Zeit- und Gesellschaftskritik und setzt neben der Unterhaltungsfunktion auch auf die aufklärerisch-kritische Emanzipationsfunktion des Volksstücks. In der Posse Einen Jux will er sich machen (1842) will ein solider Angestellter, bevor er sich endgültig mit der bürgerlich-sittsamen Ordnung zufrieden gibt, wenigstens einmal über die Stränge schlagen. Das führt zu lauter Turbulenzen und Verwirrungen, bevor am Ende mit der Bekräftigung der durchaus für sinnvoll erachteten bürgerlichen Ordnung und mit einer dreifachen Hochzeit alles sich klärt, nicht zuletzt unterstützt durch eine unverhoffte Erbschaft, zu der Nestroy – selbstparodistisch – den Angestellten bemerken lässt: „Nein, was ’s Jahr Onkeln und Tanten sterben müssen!, bloß damit alles gut ausgeht –!“ (Nestroy 1971, 95) – Vergleichsweise kritischer erscheint zum Beispiel die Posse Der Talisman (1840), die sich gegen das Vorurteil gegenüber roten Haaren wendet und damit natürlich die Bereitschaft, sich von Vorurteilen leiten zu lassen, überhaupt meint. Im Übrigen rührt der Erfolg der Volksstücke bei den Zeitgenossen nicht zum wenigsten auch von der meist eingängigen Musik her, die unter Umständen auch ihren eigenen Witz beisteuert; so wird im dritten Akt des Talisman (Musik von Adolf Müller) am Beginn eines Terzetts nach der Hauptperson, dem rothaarigen Titus Feuerfuchs, gerufen, und zwar in einer Melodie, die zugleich die Ouvertüre von Mozarts Oper Titus zitiert und damit parodiert. Ein Beispiel für den Nestroyschen Sprachwitz findet sich in Judith und Holofernes (1849), einer „Travestie in einem Acte“ auf Friedrich Hebbels gleichnamige Tragödie (1841), einer Travestie, in der dem Autor Nestroy sogar ein Reim auf den Namen des Titelhelden gelingt: „Aber, sehr frugal speist der große Holofernes, / Nur ein Huhn mit Salat, und ein Schnitzl ein kälbernes“ (Nestroy 1998, 110). Im literarischen Anspruch zwischen Grillparzer und dem Volkstheater rangiert Eduard von Bauernfeld (1802–1890), der zahlreiche Wiener Salonstücke, bürgerliche Konversationsstücke und Gesellschaftskomödien geschrieben hat, die mit leichten, belanglosen Dialogen bühnengerechte Unterhaltung bieten. In Wien macht nach 1848 eine verschärfte Zensur dem Volksstück das Leben schwer, und zudem tritt die Gattung der Operette einen Siegeszug an. Dennoch überlebt das Volksstück durch seine Lokalbindung etwa bei dem bereits der nächsten Generation angehörenden Ludwig Anzengruber (1839–1889), dessen Volksstücke wie Der Meineidbauer (1871) freilich recht ernst ausfallen können, der aber auch zahlreiche gesellschaftskritische Bauernkomödien verfasst hat (Der G’wissenswurm. Bauernkomödie mit Gesang [1874]), während der abermals jüngere Ludwig Thoma (1887–1926) in seiner Komödie Moral (1908) die bürgerliche Doppelmoral und heuchlerische Verlogenheit satirisch entlarvt, und zwar am Beispiel eines bürgerlichen „Sittlichkeitsvereins“, der sich angeblich Sorgen um die Erhaltung der Ehe und um die Sittlichkeit der „unteren Schichten“ macht, dessen Mitglieder jedoch – als Kunden eines Bordells – vor der drohenden Veröffentlichung des Tagebuchs der Bordellbesitzerin zittern. Charakteristisch für die Gattung der Komödie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist der Umstand, dass, wie erwähnt, das „hohe Lustspiel“

7. Das 19. Jahrhundert

eher selten begegnet. Das kann eigentlich nicht überraschen angesichts der geringen Wertschätzung, die die Komödie in der Bewertung durch die „offiziellen“ Instanzen genießt (besonders Literatur- und Theaterkritik und Literaturwissenschaft). Die weithin Beachtung findende, Normen setzende Darstellung Technik des Dramas (1863) von Gustav Freytag ist bezeichnenderweise de facto ein Lehrbuch der Tragödie und nicht des Dramas im Ganzen und damit auch der Komödie. Beherrscht wird das Terrain der Komödie in dieser Zeit von einer Vielzahl differenzierter kleinerer Formen mit einer starken Neigung zum Unterhaltungstheater, die regelmäßig auf den Bühnen große Erfolge erzielen. Das gilt – neben Volksstück und Posse, die einem eher kleinbürgerlichen Horizont entsprechen – vor allem für den im Vergleich mit der Posse später entstehenden Schwank, der sich auf die Verhältnisse im mittleren Bürgertum bezieht (Franz und Paul von Schönthan: Der Raub der Sabinerinnen, 1885), weiterhin für Operette, Boulevard- und Konversationsstück u. Ä. m.

8. Das 20. Jahrhundert Erst im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert spielt die literarische Komödie dann wieder eine gewichtigere Rolle. Das bedeutet aber nicht einfach die problemlose Wiederaufnahme der bewährten Eigenschaften der Gattung. Das Gattungsschema überhaupt – das soll im Folgenden deutlich werden – wird problematisch, und die vorher selbstverständliche Orientierung an der Komödientradition verliert ihre Selbstverständlichkeit. Das betrifft etwa die Fixierung auf einen versöhnlichen und den Rezipienten auch moralisch zufrieden stellenden Schluss oder die Einrichtung der Stücke auf eine eher heitere Stimmung und auf leichte oder zumindest nicht gestörte Rezipierbarkeit hin. Nachdem im bürgerlichen (oder poetischen) Realismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Drama im Ganzen deutlich hinter der epischen Dichtung und der Lyrik rangiert hat, lässt die dem Realismus folgende Strömung des Naturalismus dann umgekehrt das Drama recht eindeutig die Führung übernehmen; allerdings tendiert sie aufgrund ihrer Programmatik in thematischer und formaler Hinsicht eher zum ernsten Schauspiel und nicht zur Komödie. Dennoch gelingt Gerhart Hauptmann (1862–1946) mit dem Biberpelz (1893) eine sehr erfolgreiche Komödie, die einerseits mancherlei naturalistische Momente, wenngleich in abgemilderter Form, und andererseits die Erfordernisse eines Lustspiels miteinander versöhnt. Im Zentrum der in der Nähe von Berlin spielenden „Diebskomödie“ steht Mutter Wolffen, eine Waschfrau, die um jeden Preis für ihre Familie den Aufstieg ins Bürgertum erreichen will und die darum auch vor Diebstählen – unter anderem dem eines Biberpelzes – nicht zurückschrickt. Das überraschende Nebeneinander von unermüdlichem Fleiß einerseits und krimineller Gewitztheit andererseits machen Mutter Wolffen zu einer lustspieltauglichen Figur, zumal sie unerachtet ihrer situationsgewandten Schlagfertigkeit doch auch wieder eine gewisse Beschränktheit ihrer allenfalls kleinbürgerlichen Denkweise erkennen lässt und damit einen milden Spott auf sich zieht. Ihr gegenüber

Problematisierung des Gattungsschemas

Naturalismus

Gerhart Hauptmann

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IV. Geschichte der Gattung

Weitere Autoren

Wiener Moderne

steht als Vertreter der Obrigkeit der aufgeblasene und bornierte Amtsvorsteher von Wehrhahn, der die örtlichen Gegebenheiten gänzlich verkennt, überall staatsfeindliche Elemente wittert und sich als unfähig erweist, die Diebstähle aufzuklären – eine Satire auf das preußische Beamtentum der Wilhelminischen Kaiserzeit. Das eher handlungsarme Stück, das vor allem von der Charakterisierung der Personen lebt, überraschte die Zeitgenossen durch den offenen (und moralisch unbefriedigenden) Schluss: Die Diebstähle bleiben unaufgeklärt, die Täter werden nicht bestraft. 1901 schreibt Hauptmann eine Art Fortsetzung der „Diebskomödie“, nämlich eine „Tragikomödie“ mit dem Titel Der rote Hahn. Das Stück folgt strenger als Der Biberpelz den naturalistischen Maximen, es enthält – als Tragikomödie – darum auch sehr viel weniger Komödiengemäßes und hat im Ganzen nur geringen Erfolg. 1951 werden übrigens beide Stücke von Bertolt Brecht und seinem Berliner Ensemble bearbeitet und als ein Sechsakter aufgeführt – natürlich mit entschieden politischer Akzentsetzung, aber doch auch mit Anerkennung der Hauptmannschen Kunst der Beobachtung. Hauptmann hat noch eine Anzahl weiterer Komödien geschrieben, unter anderem Kollege Crampton (1892) mit einem (eher tragikomisch anmutenden) Künstler und Säufer im Mittelpunkt sowie Schluck und Jau (1900), eine Komödie, die, wie oben erwähnt, das unter anderem bereits von Christian Weise verwendete Motiv vom Bauern als Herrscher für einen Tag aufgreift. Die reichlich düstere Tragikomödie Die Ratten (1911) muss in einem Überblick über die Geschichte der Komödie vielleicht nicht erwähnt werden. Eher ist das aber nötig bei dem Festspiel in deutschen Reimen (1913) zur Erinnerung an die Freiheitskriege der Jahre 1813–1815 gegen Napoleon, geschrieben für die „Jahrhundertfeier“ in Breslau. Der Hinweis auf deutsche Reime (also Knittelverse – wie bei Hans Sachs) signalisiert bereits, dass das Festspiel keine erhabenen Töne anstimmt und tatsächlich eher eine satirische Posse ist, die gewisse revuehafte Züge besitzt. Im Vorspiel kündigt ein Direktor – mit Anlehnung an das Vorspiel auf dem Theater im Faust – ein Puppenspiel an. Dann schließt sich eine Szenenfolge an mit zum Teil historischen, zum Teil abstrakten, zum Teil mythischen Figuren (zum Beispiel Athene Deutschland). Krieg und Revolutionsterror werden immerhin angedeutet. Aber am Ende wird der Frieden gefeiert, und die Figur des Generalfeldmarschalls Blücher wird veralbert – was in konservativen Kreisen für große Empörung gesorgt hat. Auch andere Autoren aus der Generation der Naturalisten bemühen sich um die Komödie, so Arno Holz (1863–1929), der in den wenig erfolgreichen Sozialaristokraten (1896) die bürgerlichen Berliner Literaten und damit auch seine eigenen literarischen Anfänge im Horizont des Naturalismus verspottet, freilich dann in einer überarbeiteten Fassung einen stärker nationalismuskritischen politischen Akzent setzt. Später schreibt Holz zusammen mit Oskar Jerschke (1861–1928) Traumulus (1905), eine „Tragische Komödie“ über die Welt der Schule und einen zu gutmütigen Lehrer. Stehen die zuletzt genannten Stücke ebenso wie etliche weitere anderer hier nicht hervorgehobener Autoren (zum Beispiel Max Halbe [1865–1944], Otto Erich Hartleben [1864–1905], Herbert Eulenberg [1876–1949]) nicht mehr im Horizont des Naturalismus, so gilt das vermehrt noch für die etwa

8. Das 20. Jahrhundert

zur gleichen Zeit in Wien entstehenden Komödien, wo der Naturalismus von vornherein nicht recht hat Fuß fassen können. Arthur Schnitzler (1862–1931) liefert in seinen zunächst impressionistischen Dramen mit subtilem psychologischem Spürsinn ein ironisch-skeptisches Bild der dekadenten großbürgerlichen Wiener Gesellschaft im Fin de siècle. Geprägt ist die Stimmung von abgeklärt-heiterer Melancholie, von Resignation und Lebensüberdruss, von einem labilen Genießertum, das ohne wirkliche emotionale Beteiligung mit erotischen Situationen spielt. Die gesellschaftliche Krise im Übergang zur Moderne spiegelt sich dabei in einer Krise auch der Dramaturgie insbesondere des Gesellschafts- und Konversationsstücks. Erkennbar wird dies in Schnitzlers entschiedener Neigung zum Einakter. Der Einakter dieser Zeit stellt die Dramaturgie der überkommenen auf ein Ende zustrebenden Handlungsfolge, mithin das Muster des „well made play“, der „pièce bien faite“ (des gut gebauten, regelmäßigen Unterhaltungsstücks), in Frage und wechselt dabei mit graziöser Leichtigkeit zwischen Traum und Wirklichkeit, Theater und Wirklichkeit, Letzteres, indem er sich im Spiel – selbstreferenziell – auf das Spiel selbst bezieht oder eine regelrechte Spiel-im-Spiel-Situation entwirft. Konkret bedeutet das nicht selten: Bei diesen Stücken – zwischen Ernst und Heiterkeit, zwischen tragischen Möglichkeiten und lustspielhaften Lösungen – ist die Frage, ob es sich um Komödien handelt oder nicht, wiederholt kaum zu entscheiden, zumal wenn auch noch der Autor selbst sich dazu nicht äußert. Einer der bekanntesten Einakter Schnitzlers und zugleich einer, der nun zweifellos doch eine Komödie ist, ist Der grüne Kakadu (1899), eine „Groteske in einem Akt“, so die Gattungsbezeichnung. Das Stück spielt am 14. Juli 1789 in Paris. Während draußen die Französische Revolution in Gang kommt, haben sich Adlige in einer Spelunke versammelt, in der – in einer Art Schmierentheater, also in einem niveaulos-verkommenen Theater – frühere Schauspieler regelmäßig als verruchte Verbrecher auftreten. Im Laufe des Abends verwirren sich Spiel und Wirklichkeit so untrennbar, dass ein erst nur im Spiel behaupteter Mord wirklich geschieht. Noch weiter getrieben erscheint die Verwirrung in Zum großen Wurstel (1905), einer „Burleske in einem Akt“ aus dem dreiteiligen Zyklus Marionetten. Darin wird ein „Wurstelprater“ gezeigt, auf dessen Terrain es ein Marionettentheater gibt. Die Trennung der beiden Ebenen „Wirklichkeit“ (Wurstelprater) und „Spiel“ (im Marionettentheater) wird jedoch in Frage gestellt, indem die der „Wirklichkeit“ zugehörigen Figuren sich als fiktive Figuren zu erkennen geben, während die im „Spiel“ auftretenden Figuren gegenüber dem der Ebene „Wirklichkeit“ zugehörigen Dichter des Stücks gegen ihre Rollen protestieren. Auch in Zwischenspiel (1905), einer „Komödie in drei Akten“, ist die Dimension des Theaters ständig mit präsent, da nämlich die Ehekrise eines Musikerpaares in ihren einzelnen Stationen vor den Augen eines Autors stattfindet, der ständig überprüft, wie und in welcher Art von Drama sich die jeweiligen Ereignisse verarbeiten ließen. Dass Schnitzler später dann doch auch konventioneller angelegte Stücke schreibt, zeigt etwa Professor Bernhardi (1912), eine „Komödie in fünf Akten“ mit durchaus ernster Thematik; es geht darin um einen Konflikt zwischen ärztlichem Ethos und Priesterpflicht und vor allem um den virulenten Antisemitismus in Österreich.

Arthur Schnitzler

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IV. Geschichte der Gattung Hugo von Hofmannsthal

Der Schwierige

Hugo von Hofmannsthal (1874–1929), ausgesprochen vielseitig nicht nur als Autor überhaupt, sondern gerade auch als Dramatiker, gelangt nach lyrischen Dramen – auch hier handelt es sich um Einakter – und Adaptionen antiker Tragödien mit Cristinas Heimreise (1910) zur Komödie und damit, wie er selbst es sieht, zur dramatischen Gestaltung „des Sozialen“, zur ausgewogenen Konstellation der einander entsprechenden oder miteinander kontrastierenden Figuren (im Rahmen der „besseren“ Gesellschaft, wie man hinzufügen muss). Cristinas Heimreise geht auf eine Episode aus den Memoiren Casanovas zurück und hebt weniger auf die nach dem Vorbild des Casanova gestaltete Figur des Florindo, eines Frauenhelden und Abenteurers, ab, sondern eher auf die reifende und über den Verführer hinauswachsende Figur der Verführten, eben der Titelfigur Cristina. Einbezogen in das Geschehen ist eine Vielzahl von realistisch gezeichneten Figuren unterschiedlichsten sozialen Rangs im Venedig des 18. Jahrhunderts. Bemerkenswert – auch mit Bezug auf die Gattung der Komödie – ist Hofmannsthals Zusammenarbeit mit dem Komponisten Richard Strauss. Der Rosenkavalier (1911), eine Komödie in drei Akten, dient zugleich als Libretto und liefert ein buntes Bild der Stadt Wien im Jahr 1740, indem sich die verschiedenen Stände der ihnen jeweils gemäßen Sprechweise bedienen. Auch für Ariadne auf Naxos (1912) hat Hofmannsthal das Libretto geliefert. Es handelt sich um ein Doppelspiel aus einem versöhnlich endenden ernsten Drama (mit dem Ariadne-Stoff aus der griechischen Mythologie) und einem komischen Drama, in dem es um einen Komponisten geht und um die unter äußerst erschwerten Bedingungen zu komponierende AriadneOper. In einer überarbeiteten Fassung wird dann das komische Drama zu einem Vorspiel vor dem ernsten Drama verkürzt. Hofmannsthals durchaus gedankenbeladene Lustspiele besitzen zwar den Anschein von Leichtigkeit, vermitteln aber dennoch die Ahnung echter Gefahren und von Bodenlosem. Das gilt nicht zuletzt für das am meisten gerühmte unter ihnen: Der Schwierige (1921) ist, wie der Titel andeutet, eine Charakterkomödie und zugleich noch eine Gesellschafts- und Konversationskomödie. Der „Schwierige“, Graf Hans Karl Bühl, ist ein Mann der Zurückhaltung und hasst öffentliche Selbstdarstellung. Dabei verfügt er über Charme, ja Charisma und zieht besonders Frauen an. Ihn charakterisiert freilich auch eine gewisse Unfähigkeit, sich zu entscheiden, und Unlust, sich Problemen zu stellen, so dass am Ende die Frau, die er liebt und die ihn wiederliebt, sich zu der „Enormität“ genötigt sieht, ihm ihrerseits einen Heiratsantrag zu machen. Komisch wirkt der Protagonist mit seiner ungeselligen Zurückhaltung im Vergleich mit etlichen eher typisierten Kontrastfiguren. Indem die Liebenden sich am Ende aus der Gesellschaft von einigen Verwandten und Bekannten ins Private zurückziehen, erweist die Gesellschafts- und Konversationskomödie sich zugleich als ein Abgesang auf die untergegangene altösterreichische Adelsgesellschaft. Bezeichnenderweise gehört der Protagonist in der wenig später geschriebenen Komödie Der Unbestechliche (1923) nicht mehr dem Adel an; der Unbestechliche ist vielmehr ein Diener, der allerlei verworrene Verhältnisse in Ordnung bringt. Wenn die Komödie mit ihrem Titel an die Tradition der komischen Bloßstellung eines Lasters erinnert, dann freilich auf ironische Weise. Denn Unbestechlichkeit ist nun einmal kein Laster, und der Unbestechliche ist tatsäch-

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lich ein Wächter der Tugend, freilich ein in seiner überheblichen Ergebenheit leicht komisch wirkender. Nachdem neben Hauptmann auch andere Autoren aus der Generation der (Berliner) Naturalisten genannt worden sind, muss hier entsprechend erwähnt werden, dass es selbstverständlich auch in Wien neben Schnitzler und Hofmannsthal weitere Autoren gibt, die sich um die Gattung Lustspiel bemühen, zum Beispiel Hermann Bahr (1863–1934) oder Fritz von Herzmanovsky-Orlando (1877–1954), der ausgesprochen kauzig-skurrile Komödien geschrieben hat (Kaiser Joseph und die Bahnwärterstochter. Parodistisches Spiel mit Musik in einem Akt [entstanden 1935]). Nicht nur, wie erwähnt, das Gattungsschema – etwa mit dem versöhnlichen Schluss und der störungsfreien Rezipierbarkeit der Stücke – wird im Übergang zum 20. Jahrhundert problematisch. Auch die Qualität des Komischen ändert sich. Dazu ein kurzer Rückblick: Im 18. Jahrhundert wird mit dem Verfall der Regelpoetik und der Verbreitung des rührenden Lustspiels der Begriff „Lustspiel“ bzw. „Komödie“ zu einer Bezeichnung, die ein Nebeneinander von komischen und tragischen (in der älteren Bedeutung: zur Tragödie gehörigen) Momenten erlaubt und das Komische unter Umständen zurücktreten lässt. Obwohl in der Romantik dann sogar die Idee eines zwar „mutwilligen“, aber ohne eigentliche Komik auskommenden Lustspiels auftaucht, wird sonst im 19. Jahrhundert die Komik durchgehend als ein wesentlicher Bestandteil der Komödie gesehen. Vom Ende des 19. Jahrhunderts an treten dann jedoch Tragikomisches (nunmehr mit einem Ineinander, nicht nur Nebeneinander von komischen und tragischen Momenten), Absurdes, Groteskes – Letzteres meist mit satirischer Tendenz – in den Vordergrund und verdrängen nicht selten das Nur-Komische. In solchen Fällen ist es dann sogar offen, ob die Autoren für ihre Texte überhaupt noch eine in den Bereich der Komödie fallende Gattungsbezeichnung wählen. Grotesk-farcenhafte Züge mit einer unerhörten satirischen Schärfe charakterisieren Oskar Panizzas (1853–1921) durch und durch anti-christliche „Himmelstragödie“ Das Liebeskonzil (1894). Das Stück, das dem Autor ein Jahr Gefängnis wegen Gotteslästerung eingebracht hat, behandelt den Ausbruch der Syphilis in Europa Ende des 15. Jahrhunderts und zeigt Gott, Christus und Maria im Bund mit dem Teufel. Besitzt die Gattungsbezeichnung „Tragödie“ hier noch die Qualität einer spielerisch-frechen Attacke, so gilt das kaum mehr für Karl Kraus’ (1899–1936) spätere monumentale „Tragödie in fünf Akten“ (und über 200 Szenen) Die letzten Tage der Menschheit (1919), ein Drama über den Ersten Weltkrieg, das aus der Montage von echten Zitaten ein enormes satirisches Potenzial gewinnt. Im Vorwort heißt es dazu: „Die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, sind wörtlich gesprochen worden; die grellsten Erfindungen sind Zitate.“ Dass die grotesk-satirischen Züge die Zuordnung von Dramen zu der Gattung der Komödie unsicher werden lassen, gilt auch für Frank Wedekind (1864–1918). In Wedekinds Dramen spielt das Groteske eine sehr große Rolle, ohne aber eine eindeutige Tendenz zur Komödie zu begründen, so zum Beispiel in dem Stück Frühlings Erwachen (1891), dem der Autor die Gattungsbezeichnung „Eine Kindertragödie“ zuweist. Immerhin ein „Schwank in drei Aufzügen“ ist Der Liebestrank (1899, später unter dem Ti-

Weitere Autoren

Qualitäten des Komischen: tragikomisch, grotesk

Oskar Panizza

Karl Kraus

Frank Wedekind

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IV. Geschichte der Gattung

Expressionismus – Carl Sternheim

tel Fritz Schwigerling), ein sich eher mit harmlosem Ulk begnügendes Stück, das die Begeisterung des Autors für den Zirkus, für die Emanzipation und Anerkennung körperlicher Kunst (neben geistiger Kunst) zum Ausdruck bringt. Nicht mehr ein harmloser, sondern eher ein grotesker Schwank ist Der Marquis von Keith (1900), eine Hochstaplergroteske und satirische Bloßstellung der kapitalistischen Gesinnung, die einige lustspielgemäße Züge trägt, aber nicht im Ganzen als Lustspiel angelegt ist, die überdies vom Autor nicht als Komödie, sondern als Schauspiel eingestuft worden ist und daher nur mit Vorbehalt in einem Überblick über die Geschichte der Komödie angeführt werden kann. Gilt Wedekind als Wegbereiter des Expressionismus, so ist Carl Sternheim (1878–1942) derjenige Dramatiker, dem tatsächlich expressionistische Komödien zu verdanken sind, während ansonsten der Expressionismus wie vordem der Naturalismus der Gattung der Komödie nicht sehr entgegenkommt. Das Letztere gilt vor allem für die individualistisch orientierten Texte, die auf die Wandlung und die Erneuerung des Einzelnen setzen, eine Erneuerung, die dann in die Gesellschaft hinein ausstrahlen soll. Diese Tendenz des Expressionismus opponiert zwar durchaus gegen die verbreitete materialistische und imperialistische Gesinnung zur Zeit des Wilhelminismus. Sehr viel expliziter und direkter tut dies jedoch eine andere, nämlich kritisch-satirische Spielart, die auf ironisch-sarkastische Bloßstellung setzt. In diesem letzteren Sinne sind Sternheims Komödien beißende, wenn nicht gar bösartige Satiren und entlarven mit ätzendem Witz die bürgerliche Gesellschaft und deren angebliche Ideale, die in Wahrheit nur die Gier nach Geld und Macht verschleiern. Die Hose (1911) – mit der parodistischen Gattungsbezeichnung „Ein bürgerliches Lustspiel“ – eröffnet einen Dramenzyklus, den Sternheim später unter dem ebenso parodistischen Titel Aus dem bürgerlichen Heldenleben zusammengestellt hat. Die Helden sind in Wahrheit Durchschnittsbürger, die hemmungslos ihren Vorteil suchen und jede Moral preisgeben, wenn mit der Unmoral Geld gemacht werden kann. In der Hose hat Luise Maske während einer Parade ein wichtiges Dessous verloren. Ihr Mann, Theobald Maske, ein beamteter Spießer, fürchtet um seine Stellung. Zur finanziellen Absicherung sollen Untermieter aufgenommen werden; es melden sich zwei, die freilich vor allem der nicht abgeneigten Luise nachstellen, während Theobald als Zimmervermieter Gewinn aus der Situation zieht. Zu dem vorhersehbaren Ehebruch kommt es nicht (bzw. nur zu einem unvorhergesehenen Theobalds mit einer Nachbarin, ein Ereignis, das sich künftig an einem festgesetzten Tag der Woche wiederholen soll). Am Ende ist der sich auslebende Egoist Theobald der Sieger über die Untermieter, während Luise leer ausgegangen ist. Das harmlos-banale Ereignis einer ins Rutschen geratenen Hose hat hier hinter der Fassade der öffentlich vorgeführten Gesittung zu einer Entfesselung der Triebe im Privaten geführt. Dabei verbleibt dieser Komödie wie vielen anderen Stücken Sternheims eine bezeichnende Ambivalenz: Sternheim verherrlicht einerseits die Durchsetzungsfähigkeit des rücksichtslosen Spießers und zeigt doch andererseits die Seelenlosigkeit von dessen ungezügeltem Egoismus. Sternheim, dessen frühe Komödien übrigens die ersten expressionistischen Dramen sind, die auf größeren Bühnen gespielt werden, hat die er-

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weiterte Familie Maske in mehreren Stücken wiederkehren lassen, so in der Komödie Der Snob (1914) mit dem Sohn Christian Maske, der es zum Generaldirektor gebracht hat, dann in dem Schauspiel 1913 (1915) mit dem inzwischen geadelten Freiherrn Christian Maske von Buchow und dessen sich gegen den Vater wendenden Kindern und in dem Drama Das Fossil (1923) mit einer Tochter Christian Maskes und deren Mann. In dieser Serie nimmt der Ernst zwar derart überhand, dass Sternheim selbst die Gattungsbezeichnung „Komödie“ bald nicht mehr verwendet. Es gibt aber weitere bemerkenswerte Stücke von ihm, die durchaus Komödien sind, so etwa Die Kassette (1911), eine Erbschaftskomödie, in der angesichts einer erhofften Erbschaft alle zwischenmenschlichen Beziehungen in die Brüche gehen, und Bürger Schippel (1913), eine Mischung von Satire und Posse, die den Aufstieg des Proletariers Schippel zum ehrbaren Bürger vorführt. (In dem vom Autor abermals dann nicht mehr als Komödie, sondern als Schauspiel eingestuften Stück Tabula rasa [1916] hat Schippel es sogar bis zum Fabrikdirektor gebracht.) Charakteristisch für die Stücke ist im Übrigen Sternheims eigenwillig verknappte, emotionslose, zur Abstraktion tendierende Sprache: „Hat diese Tasse einen Henkel? Wohin ich fasse, klafft Welt. Loch an Loch in solcher Existenz. Schauerlich!“ (Die Hose, Sternheim 1963, 29) Mit rund siebzig Dramen ist der gleichaltrige Georg Kaiser (1878–1945) einer der produktivsten Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Wichtig für den Expressionismus sind aus Kaisers Frühwerk die ernsten Stücke, nicht die Komödien. In seinen frühen Komödien, die durchaus noch in der Tradition der versöhnlicheren Komödien der Vergangenheit stehen, greift Kaiser – in der thematischen Nachfolge Wedekinds (Frühlings Erwachen) und mit Bezug auf seine, Kaisers Jugendjahre in Magdeburg – den Komplex Schule bzw. Lehrer und Schüler auf, so in Der Fall des Schülers Vehgesack (1914) mit der Gattungsbezeichnung „Szenen einer kleinen deutschen Komödie“. Indem hier ein Schüler als Opfer einer falschen Moral gezeigt wird, berührt das Stück sich thematisch mit den expressionistischen Dramen, die den Generationenkonflikt aufgreifen. Ebenfalls auf den Komplex Schule beziehen sich die (tatsächlich eher ernste) Tragikomödie Rektor Kleist (1918) und die Komödie Der Zentaur (1916), später umbenannt in Konstantin Strobel und dann nochmals umbenannt in Margarine. Bemerkenswerter ist Die jüdische Witwe (1911), eine „Biblische Komödie“, später mit der Gattungsbezeichnung „Bühnenspiel in fünf Aufzügen“. Kaiser greift hier den Judithund-Holofernes-Stoff auf und thematisiert das Verhältnis der Geschlechter, indem er Judith sich vergeblich gegen eine ihr aufgezwungene Ehe mit einem impotenten Greis wehren lässt und ebenso vergeblich hernach gegen ihre Erhebung zur Priesterin, eine Stellung, in der sie jedoch unerwartetermaßen zu sexueller Erfüllung gelangt. Dass sie zwischendurch – selbstbewusst-emanzipiert – Holofernes enthauptet, um den ihr vergleichsweise interessanter erscheinenden König Nebukadnezar für sich einzunehmen, lässt diesen freilich die Flucht ergreifen. Ein besonderer Witz des Stücks liegt darin, dass Judith extrem wenig redet und daher fast nur stumm-pantomimisch agiert. Kaiser feiert in den zwanziger Jahren Triumphe mit Gebrauchsdramatik wie der Komödie Kolportage (1924) und Revuen wie zum Beispiel dem ganz unter amerikanischem Einfluss stehenden „Revuestück in neun Bil-

Georg Kaiser

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IV. Geschichte der Gattung

Nach dem Expressionismus

Ernst Toller

Walter Hasenclever

Franz Werfel

dern“ Zwei Krawatten (1929, uraufgeführt mit Hans Albers und Marlene Dietrich). In der Emigration vollendet er trotz seines pessimistischen Menschenbildes und seines gehetzten Lebens noch eine Fülle zahlreicher Komödien (zum Teil mit Anti-Kriegs-Tendenz), die aber ohne erkennbare theater- und literaturgeschichtliche Wirkung bleiben. Genannt sei noch Napoleon in New Orleans, eine Tragikomödie in neun Bildern (1941), die sich implizit gegen den Nationalsozialismus richtet und nicht Napoleon zeigt, sondern einen fanatischen Verehrer Napoleons (was natürlich auf die Anhänger Hitlers zielt), der in seiner Verblendung sich bereit findet, einen Krieg zu finanzieren, und am Ende untergeht. Satirische Züge, wie sie bereits im Rahmen des Expressionismus begegnen, erhalten sich auch in die nach-expressionistische Dramatik hinein (zum Beispiel in Iwan Golls [1891–1950] „Satirischem Drama“ Methusalem oder Der ewige Bürger [1922]). Indessen wenden sich nun auch solche ehemalige Expressionisten der Komödie zu, die vorher überwiegend ernsthafte Dramen geschrieben haben. Zu ihnen gehört Ernst Toller (1893–1939), der in der Hochstapler- und Gaunerkomödie Der entfesselte Wotan (1923) durchaus satirisch auf nationalistische Tendenzen und auf die Suche nach Ersatzreligionen zielt und zugleich seine eigenen expressionistischen Anfänge parodiert – im Vorspiel gibt „Gott Wotan“ dem Friseur Wilhelm Dietrich Wotan die Anweisung: „Was einst Tragödie, werd zur Posse, / Was einst gekrümmtes Leid, werd zum Gelächter“ (Toller 1978, 253). Tollers spätere Komödie Nie wieder Friede (1936) zielt auf den Zusammenhang von Krieg und Politik und stellt die im Titel bereits signalisierte Anti-Kriegs-Tendenz weitestgehend in den Dienst einer Satire auf den Nationalsozialismus. Walter Hasenclever (1890–1940) hat sich bereits 1919 in der Gattung der Komödie versucht (Die Entscheidung) – fast zeitgleich mit seinem expressionistischen Stück Jenseits – und schreibt, soweit es um die Gattung Drama geht, von der Mitte der zwanziger Jahre an ganz überwiegend Komödien, denen er im Vergleich mit ernsten Stücken die größere Lebensnähe zutraut (Mein Weg zur Komödie, 1927) und die zwar auch gesellschaftskritische Momente enthalten, aber doch eine gewisse Nähe zur Boulevardkomödie besitzen. Erfolge erzielt er mit Ein besserer Herr (1926), einer Komödie um einen Heiratsschwindler, dem am Ende verziehen wird und der die Millionärstochter bekommt. Die Komödie Ehen werden im Himmel geschlossen (1928) enthält mancherlei Seitenhiebe gegen die zeitgenössischen Verhältnisse; vor allem aber präsentiert sie einen Himmel von sehr irdischem Zuschnitt und wird darum zu einem Skandalstück („Der liebe Gott […] ist gekleidet wie ein alter englischer Lord. Sportanzug, kurze Hose. Pfeife im Mund. […]“, Hasenclever 1990, 210). Napoleon greift ein (1929) ist ein politisch-satirischer Rundumschlag: Die Wachsfigur Napoleon, mit der Hasenclever auf Mussolini zielt, bricht aus dem Wachsfigurenkabinett aus, mischt sich (erfolglos) in die Völkerbundpolitik der ausgehenden zwanziger Jahre ein, gerät auch in die Produktion eines Napoleon-Films und endet schließlich wieder im Wachsfigurenkabinett. Auch Franz Werfel (1890–1945) hat den Expressionismus längst hinter sich gelassen, als er mit Jacobowsky und der Oberst (1942) die „Komödie einer Tragödie“ schreibt. Die Tragödie ist die Verfolgung der Juden im Na-

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tionalsozialismus, und als Komödie konnte dieses Thema nur deshalb behandelt werden, weil dem im Exil befindlichen Autor zur Entstehungszeit des Stücks die wahren Ausmaße der Shoah nicht bekannt waren. Das ausgesprochen witzige Stück spielt 1940 im von den Deutschen besetzten Frankreich und lässt dort zwei Figuren zusammentreffen, die absolut nicht zusammenpassen, nämlich den Überlebenskünstler Jacobowsky, einen polnischen Juden auf der Flucht, und einen polnischen Oberst, einen Haudegen, Frauenheld und katholischen Antisemiten, der im Untergrund gegen die Deutschen kämpft. In von den Umständen erzwungener Kooperation gelingt es den beiden, auf abenteuerliche Weise den deutschen Besatzern zu entkommen. In den ausgehenden zwanziger und den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts erlebt das Volksstück eine Wiederbelebung in Gestalt des „neuen“, „kritischen Volksstücks“. Wie erwähnt, lassen um die Wende zum 20. Jahrhundert groteske Züge mit satirischer Tendenz die Zugehörigkeit von etlichen Dramen zur Gattung der Komödie zweifelhaft werden. Entsprechendes gilt auch für einige der neuen Volksstücke. Ödön von Horváth (1901–1938) etwa verwendet wiederholt die Bezeichnungen „Komödie“ und „Lustspiel“. Just einige seiner bekannteren Stücke jedoch werden von ihm nicht als Komödien, sondern neutraler als „Volksstücke“ eingestuft, so Italienische Nacht (1930), Geschichten aus dem Wiener Wald (1931) und Kasimir und Karoline (1932). Während Glaube Liebe Hoffnung (1936) mit dem Tod der weiblichen Hauptfigur endet und daher passenderweise die Gattungsbezeichnung „Ein kleiner Totentanz“ trägt, endet das Volksstück Geschichten aus dem Wiener Wald für die weibliche Hauptfigur, metaphorisch gesprochen, in einem Ehe-Sarg. Dass eine Frau nicht – wie in der alten Tragödie – am Ende stirbt, sondern, quasi vom Schicksal misshandelt, keine andere Wahl mehr sieht, als in eine nicht gewollte Heirat einzuwilligen, das könnte man als eine moderne Art der Tragödie sehen. Dabei ist nicht zu leugnen, dass das, was Horváth als den „Bildungsjargon“ bloßstellt, nämlich das gedankenleer-hochtrabende Gerede der kleinbürgerlichen Figuren, zahlreiche komische Züge trägt. Die Büroangestellte Karoline zu dem arbeitslosen Chauffeur Kasimir: „Wenn es dem Manne schlecht geht, dann hängt das wertvolle Weib nur noch intensiver an ihm – könnt ich mir schon vorstellen“ (Horváth 1972, 258) – was erst wie eine erfahrungsgesättigte Sentenz daherkommt, wird durch einen kleinen Nachsatz als bloßes Gerede entlarvt. Freilich hat, unerachtet aller komischen Züge, die uneingeschränkte Dominanz der Borniertheit zu guter Letzt etwas Unheimliches. Im Übrigen werden manche Stücke dieser Jahre nachträglich von der Rezeption in den Rahmen der Gattung Volksstück versetzt, obwohl die Autoren einen solchen Horizont ursprünglich nicht vor Augen hatten. Das gilt für Marieluise Fleißers (1901–1974) „Komödie“ Pioniere in Ingolstadt (1928), mit Einschränkung auch für das vorausgehende Stück Fegefeuer in Ingolstadt (1926), das für die Autorin ein „Schauspiel“ ist. Es gilt auch für Carl Zuckmayers (1896–1977) bekannteste Komödie, Der Hauptmann von Köpenick (1931), vom Autor ironisch bezeichnet als „Ein deutsches Märchen“. Zuckmayer, der sich mit seinem Lustspiel Der fröhliche Weinberg (1925) in die Nähe des Schwanks begeben hatte, greift im

Das neue Volksstück

Ödön von Horváth

Marieluise Fleißer

Carl Zuckmayer

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IV. Geschichte der Gattung

Bertolt Brecht

Trommeln in der Nacht

Mann ist Mann

Hauptmann von Köpenick ein historisch-zeitgeschichtliches Vorkommnis aus dem Jahr 1906 auf – ein als Hauptmann verkleideter arbeitsloser Schuster besetzt ein Rathaus und verhaftet den Bürgermeister – und liefert eine satirische Darstellung der bis ins Alltagsleben hineinwirkenden Allgegenwart des Militärs zur Zeit des Wilhelminismus. Dabei ist er bemüht, den satirischen Momenten auch schwankhafte und heiter-humorvolle, ja sogar eher rührende gegenüber zu stellen, wohl um so den potenziell aggressiven Gehalt ein wenig zu mildern. Der dominierende deutsche Dramatiker, nicht nur was den eben betrachteten Zeitraum, sondern das zwanzigste Jahrhundert im Ganzen betrifft, ist natürlich Bertolt Brecht (1898–1956), der im Jahr 1919 mehrere Einakter schreibt. Es sind Einakter mit teils rein farcenhaftem, teils aber auch ernsthafterem Charakter, unter ihnen Die Kleinbürgerhochzeit, eine Satire auf die bürgerliche Familie. Unter den früheren der umfangreicheren Stücke stuft Brecht selbst Trommeln in der Nacht (1919) und Mann ist Mann (1926) als Komödien ein. In dem erstgenannten Stück geht es – gegen die idealistischen O-MenschDramen des Expressionismus gewandt – um einen Heimkehrer aus dem Ersten Weltkrieg, der nur noch seine Ruhe haben und nichts mehr vom Kämpfen wissen will und der sich daher auch weigert, sich den im Berliner Zeitungsviertel kämpfenden Spartakisten anzuschließen. Sein Schwiegervater in spe ist ein Kriegsgewinnler, der dem Frieden wenig abgewinnen kann, was eine grotesk wirkende Verkehrung der üblichen Bewertungen von Krieg und Frieden ergibt. Grotesk wirkt denn auch die teils kaschierte, teils offen zur Schau getragene Doppelmoral der kapitalistisch orientierten bürgerlichen Figuren. Eher nur lächerlich erscheinen demgegenüber einige Episodenfiguren. Der spätere Brecht hat sich übrigens sehr kritisch über das Stück geäußert und dem Leser nahegelegt, zu dem egoistisch-individualistischen Kriegsheimkehrer auf Distanz zu gehen, ja ihm mit Antipathie zu begegnen – was zwar nicht völlig abwegig, aber keineswegs zwingend ist. Mann ist Mann (1926) stellt das eher ernste Thema der Entwertung der Individualität und der Austauschbarkeit des Einzelnen ins Zentrum. Das Stück spielt 1925 in Indien unter britischer Kolonialherrschaft und führt vor, wie es einer Gruppe von Soldaten gelingt, einem nicht sehr charakterstarken Menschen namens Galy Gay weiszumachen, er sei jemand anderer. Die Entwertung der Individualität oszilliert zwischen Ironie, Sarkasmus und Zynismus: „[…] ein Mann ist wie der andere. Mann ist Mann“ (Brecht 1988, 122). Der Kolonialkrieg wird in diesem Zusammenhang als ein wirtschaftlich motiviertes und politisch geplantes Ereignis gezeigt: „Der Krieg ist ausgebrochen, der vorgesehen war“ (Brecht 1988, 203). Frage: „Weiß man schon, gegen wen der Krieg geht?“, Antwort: „Wenn sie Baumwolle brauchen, dann ist es Tibet, und wenn sie Schafwolle brauchen, dann ist es Pamir“ (Brecht 1988, 212). Von solchen satirischen Momenten abgesehen, ist das Komische überwiegend von der grotesken Art. Insbesondere die Art, in der Galy Gay überredet, ja überrumpelt wird, ist eine Farce, wie auch sonst zirkushaft-clowneske Züge vorherrschen (zumal in dem „Zwischenspiel“ Das Elefantenkalb). So wendet sich Galy Gay einmal sogar an das Publikum; und in einem „Zwischenspruch“ wird der Autor selbst als „Herr Bertolt Brecht“ erwähnt (Brecht 1988, 123).

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Das Komische spielt in Brechts Dramen eine wichtige Rolle, etwa in der Dreigroschenoper (1928), die als Satire auf die bürgerlich-kapitalistische Ordnung zahlreiche komische Elemente enthält, so wenn der Gangster als Unternehmer gezeigt wird und die Bettler Angestellte mit festem Arbeitsplatz sind usw. Überdies weist der gezielt enthüllte Spielcharakter des Spiels in die Richtung der Komödie, wie denn auch die eingängigen Songs Kurt Weills die Oper in die Nähe von Operette und Musical rücken lassen. Dennoch begegnen die Bezeichnungen „Komödie“ und „Lustspiel“ im Ganzen bei Brecht eher selten – wohl weil aus ihnen die Präsenz und das Gewicht der nicht-komischen Elemente nicht hervorgehen. Herr Puntila und sein Knecht Matti (1940) etwa, ein Stück, das man durchaus als Komödie bewerten kann, erhält die Bezeichnung „Volksstück“. Indessen ist eine gewisse Nähe des epischen Theaters Brechtscher Prägung zur Gattung der Komödie ganz unverkennbar, dies nämlich angesichts der Mittel, die sowohl der Komisierung als auch der Verfremdung dienen, und angesichts der emotionalen Distanz des Rezipienten, die im Fall der Komödie vorausgesetzt ist und die vom epischen Theater angestrebt wird. Während Brechts Bearbeitungen überlieferter Komödien – darunter Lenz’ Hofmeister und Hauptmanns Biberpelz und Roter Hahn – hier nicht weiter vorgestellt werden müssen, sei doch noch auf Schweyk im Zweiten Weltkrieg (1943) hingewiesen, eine Komödie (wenngleich die Gattungsbezeichnung fehlt), die die außerordentlich populäre Figur des tschechischen Autors Jaroslav HaÐekin das von Deutschen besetzte Prag des Jahres 1943 versetzt und zeigt, wie Schweyk (bei HaÐek:Schwejk) mit teils echter, teils gespielter Naivität allen Nachstellungen der zynisch-willkürlich agierenden Besatzer entgeht. Nach 1945, mithin nach dem tief greifenden Einschnitt durch Nationalsozialismus, Holocaust und Krieg, stellt sich auch für die Komödie die Frage, wie sie sich zu der zeitgeschichtlichen Vergangenheit verhalten soll. Tatsächlich sind es dann zuerst nicht-komische Dramen, die einzelne Aspekte des Geschehenen aufgreifen (unter anderem Des Teufels General [1946] von Carl Zuckmayer, Die Illegalen [1946] von Günther Weisenborn [1902–1969], Draußen vor der Tür [1947] von Wolfgang Borchert [1921–1947]). Eine bemerkenswerte Ausnahme ist Der Bockerer (1946) von Ulrich Becher (1910–1990) und Peter Preses (1907–1961), bemerkenswert aufgrund der Souveränität, mit der die Autoren – beide sind Emigranten – auf zeitlich noch so nahe Ereignisse reagieren. Der Bockerer ist eine „tragische Posse“ um einen urigen Wiener Metzger, der unerschrocken und trickreich die Jahre des „Anschlusses“ Österreichs an das Deutsche Reich und die Gefahren, die von den Nationalsozialisten ausgehen, übersteht. Der Schluss des an satirischen Zügen reichen Stücks ist vollends grotesk: Hitler, anscheinend noch am Leben, flüchtet im August 1945 ausgerechnet in den Laden des Wiener Metzgers, entpuppt sich aber als ein Verrückter, der sich für Hitler hält – deutbar als ein Hinweis darauf, dass der wirkliche Hitler sich mit komischen Mitteln nicht darstellen lässt. Hinweise auf die Zeitgeschichte von zum Teil eher indirekter Art finden sich in den Komödien der Schweizer Max Frisch (1911–1991) und Friedrich Dürrenmatt (1921–1990). Bei Frisch gilt das weniger für die geistreiche Komödie Don Juan oder die Liebe zur Geometrie (1953), in der der Verfüh-

Weitere Stücke

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Max Frisch

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IV. Geschichte der Gattung

Friedrich Dürrenmatt

rer das Verführen satt hat und am Schluss, zur Liebe gereift, in den Armen einer ehemaligen Prostituierten landet, um nunmehr seiner Vaterschaft entgegenzusehen. Es gilt mehr für Biedermann und die Brandstifter (1958), ein makaber-komisches „Lehrstück ohne Lehre“, in dem der Fabrikant Biedermann Brandstifter in sein Haus einlädt, ohne wahrhaben zu wollen, dass diese sein Haus anzünden und damit die ganze Stadt in Flammen setzen werden, wobei er dann schließlich selbst noch Hilfestellung leistet. Ein Feuerwehr-Chor, der parodistisch in Versen spricht (ähnlich wie zuvor zwei Chöre in Dürrenmatts Besuch der alten Dame), greift nicht ein, da das Löschen seine Aufgabe ist, nicht die Prävention. Frisch selbst hat in Bezug auf Biedermann die schizophrene Situation des Fabrikanten vor Augen, der als Kapitalist hart ist und als Mensch weich sein möchte, weshalb er aus Feigheit und Opportunismus dem (alles andere als unausweichlichen) Verhängnis seinen Lauf lässt. Aber natürlich ist das Geschehen auch auf die Entwicklung im „Dritten Reich“ beziehbar. Und das gilt vermehrt noch für ein „Nachspiel“ in der Hölle, das Frisch eben deshalb später wieder zurückgezogen hat. Dürrenmatt hat in einem Essay (Theaterprobleme, 1955) erläutert, dass die Tragödie der Moderne unangemessen sei, und daraus gefolgert, nur noch die Komödie komme unserer Zeit bei, eine Komödie freilich, in der das Groteske eine wichtige Rolle spielt und die auch tragische Momente integriert – und die daher eher als Tragikomödie zu bezeichnen ist. Dürrenmatts „Komödien“ enthalten denn auch zahlreiche groteske Züge, mittels derer sie auf zeitgeschichtliche Zusammenhänge zielen. Der Imperialismus ist Thema in der „Ungeschichtlichen historischen Komödie“ Romulus der Große (1949). Es geht in diesem nicht so sehr grotesken, sondern eher mit witzigen Anachronismen und kabarettistischen Zügen gespickten Stück um den letzten römischen Kaiser, der bewusst den Untergang Roms fördert, weil dem Imperium seiner Meinung nach jede moralische Legitimation abhanden gekommen ist. Auf die Korrumpierbarkeit der Menschen und die Hinfälligkeit lauthals verkündeter moralischer Prinzipien und humanistischer Gesinnungen zielt – vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg – Der Besuch der alten Dame (1956), eine „tragische Komödie“, die zahlreiche groteske, ja illusionslos-zynische Momente enthält. Darin kehrt eine ehedem aus ihrem Heimatort vertriebene Mitbewohnerin als alte und steinreiche Dame zurück, um Gerechtigkeit zu „kaufen“, das heißt eigentlich: um sich an ihrem ehemaligen Verführer zu rächen. Dieser, ein vordem moralisch suspekter Durchschnittsmensch, verliert am Ende sein Leben und reift auf dem Weg dahin, der Gattungsbezeichnung entsprechend, zu „tragischer“ Überlegenheit heran. Auch etliche Anspielungen auf die Antike sowie der Auftritt von zwei Chören unterstreichen – unerachtet der parodistischen Momente – den Anspruch auf wenn nicht wirklich tragische, so doch antikische, also an der Antike orientierte Qualitäten. Die in den fünfziger Jahren verbreitete Angst vor der Vernichtung der Welt durch die Atombombe bildet den Hintergrund für Die Physiker (1962): Ein Physiker, dessen Entdeckungen verheerende Folgen haben könnten, wenn sie in falsche Hände geraten sollten, zieht sich unter dem Deckmantel der Verrücktheit in ein Irrenhaus zurück, um die Menschheit vor jenen Fol-

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gen zu schützen. Er überredet zwei weitere Physiker, die ihm – als spionierende Agenten zweier Weltmächte – in dieses Irrenhaus gefolgt sind, dazu, ebenfalls weiterhin die Verrückten zu spielen. Am Ende wird deutlich, dass die Leiterin des Irrenhauses als einzige wirkliche Irre in diesem Stück sich jener Entdeckungen längst bemächtigt hat und dass darum das globale Unheil nicht mehr abzuwenden sein wird. Bezogen auf dieses Stück, behauptet Dürrenmatt, dass eine Geschichte erst dann konsequent zu Ende gedacht sei, wenn sie „ihre schlimmstmögliche Wendung“ genommen habe – eine Reaktion auch auf Brechts fortschrittsgewisse Thematisierung der Wissenschaft in Leben des Galilei (1943). Das so genannte absurde Theater (besser: Theater des Absurden) strahlt in den fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts von Frankreich her in zahlreiche europäische Länder aus. Allerdings sind die dieser Strömung zugehörigen Stücke nicht eigentlich Komödien, sie stellen sich also nicht in die Tradition des komischen Theaters bzw. einer seiner Spielarten. Sie brechen vielmehr mit dem Herkommen, indem sie, zum Teil ohne regelrecht auf Provokation aus zu sein, nicht mehr einen Sinnzusammenhang präsentieren, sondern gängige Erwartungen unterlaufen, Erwartungen hinsichtlich einer zielgerichteten Handlung, psychologisch stimmiger Charaktere und einer themen- und figurenadäquaten Sprache – was vielfach komische Effekte erzielt. Zum Teil aber wenden sie sich auch ganz bewusst und tatsächlich provozierend gegen das herkömmliche Theater, indem sie die „pièce bien faite“, das „well made play“ parodieren. In Deutschland findet das absurde Theater Vertreter insbesondere in Wolfgang Hildesheimer (1916–1991; Spiele, in denen es dunkel wird [1958], Die Verspätung [1961]) und Günter Grass (geb. 1927; Die bösen Köche [1957], Hochwasser [1957]). Peter Hacks (1928–2003), der angesichts seines Bekenntnisses zum Sozialismus dem absurden Theater nicht viel abgewinnen kann, sieht im Lachen eine Überlegenheit bezeugt, die er mit dem (sozialistischen) Fortschritt zusammenbringt. In seinen Komödien greift er wiederholt auf bereits vorgeformte Stoffe zurück und integriert dabei durchaus groteske Momente. Auf einer aus dem 18. Jahrhundert stammenden Autobiographie fußend, spielt die Komödie Die Schlacht bei Lobositz (1956) im Siebenjährigen Krieg und akzentuiert nicht den Krieg zwischen Preußen und Österreich, sondern den „Krieg“ der überlegenen Offiziere gegen die einfachen Soldaten. Einer dieser Soldaten, von Haus aus vollkommen naiv, gelangt am Ende zur Einsicht in den Zynismus, mit dem die Offiziere die menschlichen Gefühle ihrer Untergebenen ausnutzen, und geht auf Distanz zum Krieg, unter anderem indem er sein Gewehr „ohrfeigt“ und ihm vorhält: „Dein Beruf ist töten, die einzige Hemmung, die du kennst, ist eine Ladehemmung“ (Hacks 2003, 171). Hacks, der wiederholt aktuelle gesellschaftliche Fragen in der DDR thematisiert (Moritz Tassow, 1961) und damit auch aneckt, gelangt im Lauf der Jahre zu unterschiedlichen Akzentsetzungen und lässt gegenüber der ursprünglichen Vorstellung eines geschichtsmächtigen Subjekts später die Macht der Geschichte deutlicher hervortreten. George Tabori (geb. 1914; Die Kannibalen [1968], Jubiläum [1983], Mein Kampf. Farce [1987], Die Goldberg-Variationen [1991]) schreibt seine Stücke zwar auf Englisch, sie werden aber (in deutscher Übersetzung) über-

Absurdes Theater

Peter Hacks

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IV. Geschichte der Gattung

Thomas Bernhard

wiegend in Deutschland rezipiert, und dies in so extensiver Weise, dass sie gleichsam als integraler Bestandteil der deutschen Dramen- und Theatergeschichte zu sehen sind. Das hat damit zu tun, dass diese Dramen mit groteskem Witz um das Thema des Holocaust kreisen und es so den deutschen Rezipienten ermöglichen, Distanz zu einem immer noch bedrängenden Thema zu gewinnen und dabei sogar zu lachen. Die Dramen bemühen sich dabei um indirekte Zugänge zu ihrem Thema, indem sie sich insbesondere unterschiedlicher Brechungen bedienen, zum Beispiel einer Spiel-im-SpielStruktur, und solcherart von vornherein jeden Gedanken an eine realistischdirekte Annäherung unterlaufen. Ihren Erfolg verdanken sie zum einen ihrer dramaturgischen Reflektiertheit – das Stück Die Kannibalen zum Beispiel zeigt eben nicht die Häftlinge in Auschwitz, sondern eine Anzahl ihrer Söhne, die 25 Jahre später zusammengekommen sind, um gemeinsam das Schicksal ihrer Väter zu rekonstruieren. Ihren Erfolg verdanken die Dramen aber nicht zum wenigsten auch der Integration zahlreicher grotesker und farcenhafter Züge, die emotional entlastend wirken, ohne den Ernst des Themas zu verraten – insofern könnte man von schmerzerfüllten Kalauern sprechen –, da die grotesken Verzerrungen und Entstellungen dennoch eine Ahnung dessen aufscheinen lassen, was eigentlich darzustellen wäre, was sich jedoch dem direkten Zugriff entzieht. Der Österreicher Thomas Bernhard (1931–1989) wurde bekannt mit Ein Fest für Boris (1970), einem ein wenig an das absurde Theater erinnernden Stück, in dem der beinlose Boris zusammen mit seiner beinlosen Frau und dreizehn „beinlosen Krüppeln aus dem Krüppelasyl“ seinen Geburtstag feiert und gegen Ende der Feier stirbt. Freilich hat Bernhard dem Stück keine Gattungsbezeichnung gegeben, und er nennt auch sonst seine Dramen relativ häufig einfach „Stück“ („in 2 Teilen“, „in 3 Sätzen“, „in 5 Szenen“, „in 3 Bildern“, „in 2 Akten“ usw.) und nur gelegentlich auch „Komödie“. Letzteres gilt für Die Macht der Gewohnheit (1974), ein Stück, in dem ein Zirkusdirektor seit 22 Jahren vergeblich versucht, mit vier Mitspielern Franz Schuberts Forellenquintett künstlerisch vollkommen aufzuführen, während in Immanuel Kant (1978) der Philosoph per Luxusdampfer nach Amerika fährt, um einen Ehrendoktor entgegenzunehmen, bei seiner Ankunft aber von New Yorker Irrenärzten in Empfang genommen wird. Vor dem Ruhestand (1979) trägt ironischerweise die Gattungsbezeichnung „Eine Komödie von deutscher Seele“ und handelt von einem Gerichtspräsidenten und ehemaligen Konzentrationslager-Kommandanten namens Höller, der nach wie vor Himmler bedingungslos verehrt. Die Dramen besitzen mancherlei Gemeinsamkeiten. So sind die Figuren erkennbar Kunstfiguren, fixiert auf bestimmte Rollen, oft physisch oder mental beschädigt, beherrscht von der Übermacht der Vergangenheit und von Wiederholungszwängen, festgefahren in Verhaltensschemata, Leidende, die nicht selten grotesk wirken. Zivilisations- und Kulturkritik, die literarische Demontage von Machtträgern, Sinnleere, Scheitern, Verfall, Krankheit, Tod, dies sind Akzente, die die Stücke oft mit den Themen Theater und Kunst verknüpfen. Die Figuren äußern sich vielfach in langen monologartigen Perioden, deren künstliche Konstruiertheit unübersehbar ist. Es handelt sich um unregelmäßige Verse ohne Interpunktion, in denen viele Äußerungen, auch Geräusche, Gesten, Aktionen, Situationen ständig insistierend

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wiederholt werden, was wiederum für eine charakteristische Rhythmisierung sorgt. Parodistisch ist es, wenn Bernhard den erzählenden Prosatext Alte Meister (1985) als „Komödie“ einstuft, während Elisabeth II. (1987) die Gattungsbezeichnung „Keine Komödie“ erhält, aber selbstverständlich als eine Komödie zu sehen ist, sofern die anderen Stücke ebenfalls Komödien sind. Gerade das aber ist zu guter Letzt die Frage. Eine Formulierung gegen Ende von Bernhards autobiographischem Text Der Keller (1976) lautet: „[…] es ist nicht mehr erkennbar, ob es eine Tragödie oder eine Komödie ist“ (Bernhard 2004, 207). Just das gilt im Grunde für seine Dramen im Ganzen, die bei allem groteskem Witz doch sehr viel an thematischer Schwere enthalten. Zu einem vergleichbaren Ergebnis muss man bei Botho Strauß (geb. 1944) gelangen. Sein erstes Stück, Die Hypochonder (1972), bezieht sich zwar unter anderem auf das Aufklärungs-Lustspiel Der Hypochondrist (ersch. 1745) von Theodor Johann Quistorp, ist aber selbst kein Lustspiel und endet sogar in Wahnsinn und Mord. Auch in dem Stück Der Park (1983) gibt es einen vergleichbaren intertextuellen Bezug, das Stück verlegt nämlich Shakespeares Sommernachtstraum (1595/96) in die Gegenwart, es trägt aber die Gattungsbezeichnung „Schauspiel“ und lässt die Zuordnung zur Gattung der Komödie als problematisch erscheinen – ähnlich wie etliche andere Dramen Strauß’, die mit ihrem kühl-beobachtenden Blick auf die heutigen Verhältnisse im Stile eines geradezu mimosenhaft sensiblen Realismus immerhin zahlreiche komische Momente enthalten. Im Grunde ist schwer zu trennen zwischen den Stücken, die Strauß selbst lediglich als „Stücke“ („Theaterstücke“, „Schauspiele“), und denen, die er als „Komödien“ eingestuft hat, wie Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle (1974), eine Komödie, die dem Leerlauf der Beziehungen zwischen Menschen komische Seiten abgewinnt, oder Kalldewey. Farce (1981), ein Stück, das den Komödienbezug schon im Titel signalisiert, oder Besucher (1988), ein Theaterstück, das in der Welt des Theaters spielt. Strauß’ Dramen lassen nicht selten die Fabel und den Handlungsablauf als rätselhaft erscheinen, ebenso wie die personale Identität der Figuren, wenn diese sich etwa verdoppeln oder aber sich deutlich als Theaterfiguren durchschauen lassen oder schließlich auch nach ihrer Ermordung dennoch wieder auftauchen. Diese Dramen geben sich vielfach unmissverständlich als Theaterstücke und erheben keineswegs den Anspruch, Darstellung von Wirklichkeit und Gesellschaftskritik zu liefern und aufklärerisch zu wirken. Die Gespräche zwischen den Figuren, Gespräche, deren pointiertes Gelingen in einem Konversationsstück unabdingbar wäre, rutschen hier immer wieder in einen gedankenlosen Konversationston ab, sie geraten auch ins Stocken, scheitern am fehlenden rechten Wort und münden in Unverständnis. Alles dies kann im Einzelfall durchaus komisch wirken, ohne dass darum die Stücke im Ganzen sich tatsächlich noch in den Traditionszusammenhang der Gattung der Komödie stellen. Ebenso problematisch, was die Zuordnung zur Gattung der Komödie betrifft, wie die Stücke von Bernhard und Strauß sind diejenigen des Österreichers Werner Schwab (1958–1994), der eine „Radikalkomödie“ schreibt (Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos [1991], aus der Sammlung der Fäkaliendramen) und zudem fünf Dramen unter dem Titel Königsko-

Botho Strauß

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IV. Geschichte der Gattung

Ausblick

mödien (1992) herausbringt, deren Gattungsbezeichnungen, von „Komödie“ abgesehen, „Variationskomödie“, „Selbstverfreilicht eine Komödie“ und „Theaterzernichtungslustspiel“ lauten. Schwab, der sich selbst als Bürgerschreck inszeniert hat, führt in seinen aggressionsgeladenen Stücken weitgehend typisierte Figuren aus bürgerlichen und niedriger stehenden Schichten vor und geht dabei oft unter die Gürtellinie, indem er sich hemmungslos der Komik der Heraufsetzung bedient. Dabei verwendet er eine eigenwillig verdrehte, gegen grammatische und stilistische Normen verstoßende Sprache, die, bezogen auf die Figuren, entlarvend wirkt und zugleich komische Effekte erzielt. Zum Schluss ein Ausblick. Die von der Renaissance an sich stabilisierende Opposition Tragödie/Komödie verliert im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung. Zum einen wird – mit der Annäherung an modernere und zunehmend komplexere Verhältnisse – die vergleichsweise weniger flexible Tragödie immer mehr vom ernsten Schauspiel verdrängt. Zum andern aber muss von heute aus – im Rückblick auf die letzten Jahrzehnte – konstatiert werden, dass inzwischen auch die Komödie in eine Krise geraten ist, was sich bereits an einem wichtigen Detail zeigt, nämlich an den immer schwieriger werdenden und zunehmend düstereren Komödienschlüssen (Hinck 1982). Die Werke der zuletzt erwähnten Autoren, Bernhard, Strauß und Schwab, zeigen, dass das Komische, das erheitern und zum Schmunzeln bringen konnte – in einer von Lessings Minna von Barnhelm bis zu Hofmannsthals Schwierigem reichenden Linie –, nicht mehr in der ehemaligen Art zu finden ist. Komische und nicht-komische Momente sind vielmehr untrennbar ineinander verstrickt, so dass schließlich auch die traditionelle Bezeichnung „Tragikomödie“ nicht mehr greift. Bezeichnenderweise weichen die Autoren oft genug – zu Recht – auf die neutralen Gattungsbezeichnungen „Stück“ / „Theaterstück“ oder „Schauspiel“ aus. Schon seit der Wende zum 20. Jahrhundert dominiert immer öfter die Satire, und spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind nicht mehr nur groteske Momente in das Komische integriert, wie oben für den Beginn des 20. Jahrhunderts vermerkt, sondern das Komische begegnet dann überwiegend in der Gestalt des Grotesken. Die Attacke zielt dann nicht mehr wie ehedem auf das Unvernünftige und auf das, was die vertraute Ordnung stört, sondern zunehmend auf die vertraute Ordnung selbst; verfremdet wird just das Gewohnte (Pape 1991). Im Bild der dramatischen Wirklichkeit erscheint die Welt selbst als nicht mehr der Vernunft zugänglich (Catholy 1975) und als eine Folge unverständlicher Zufälle (Preisendanz 1998). Das Lachen verliert seine Unschuld (Lamping 1996). Ein vorläufiges Fazit kann daher folgendermaßen lauten: „Die beklemmende Komik“ vieler Stücke aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts „kann unter dem Begriff des Lustspiels nicht erfaßt werden, noch auch hat sie dessen Funktionen übernommen“ (Apel 1979, 167), d. h., diese Stücke wollen auch keine Lustspiele mehr sein, sie reihen sich nicht mehr ein in die Geschichte des Lustspiels. Formen eines komischen Theaters wird es zwar sicherlich weiterhin geben, aber vielleicht vor allem in Gestalt von Boulevardkomödien und Musicals. Und wenn es ein anthropologisches Bedürfnis nach der Unterhaltung

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durch Komisches geben sollte, dann wird dieses Bedürfnis in Zukunft möglicherweise überwiegend nicht mehr von Dramen befriedigt werden, die die herkömmliche Tradition der literarischen Komödie wieder aufnehmen. Das Komische wird dann, spezifiziert in die Kategorien Slapstick/Comedy/Humor, in Radio- und Fernseh-Sendungen (und in den künftig immer weiterentwickelten neuen Medien) als Sitcom, schwarze Komödie, Satire und in noch ganz anderen Genres angeboten werden (Gerhards/Klingler 2003). Es wird dann geboten sein, den ästhetischen Anspruch, den traditionellerweise Komödien und Lustspiele zu erfüllen hatten, bei diesen ganz anderen Genres einzufordern.

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V. Einzelanalysen 1. Gotthold Ephraim Lessing: Minna von Barnhelm Minna von Barnhelm ist das älteste deutschsprachige Drama, das noch ganz selbstverständlich zum Repertoire unserer Theater gehört. Als ein Stück „von vollkommenem norddeutschem Nationalgehalt“ und „von spezifisch temporärem Gehalt“ hat Goethe das Drama in seiner Autobiographie Dichtung und Wahrheit eingestuft. Mit dem ,norddeutschen Nationalgehalt‘ ist die Darstellung von geographisch fixierten Handlungen und Figuren gemeint, wobei der Bereich des ,Norddeutschen‘ auch noch Preußen und Sachsen mit umfasst. Darin signalisiert ist zugleich die Abwendung von der Darstellung allgemeiner „Typen“, wie sie noch in Lessings „Jugendlustspielen“ begegnen. Der Hinweis auf den ,temporären Gehalt‘ hebt den historischen Bezug hervor, der dem Stück eine feste Verwurzelung in der Zeitgeschichte vermittelt. Diese beiden Eigenheiten, die geographische und die historische Konkretheit, vermitteln dem Stück in der Tat einen realistischen Gehalt und bedeuten einen „Qualitätssprung“, der „schon von den Zeitgenossen wahrgenommen“ wird (Fick 2000, 242) und der das Stück noch für den heutigen Leser und Zuschauer unmittelbar zugänglich macht. Dieser Qualitätssprung – und das sichert dem Stück das fortdauernde Interesse auch der Literaturwissenschaft – zeigt sich nicht zuletzt in einer vordem nicht gekannten Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit. Entstehung Den Hintergrund des Stücks bildet der Siebenjährige Krieg zwischen Preußen und Österreich, bei dem es um den Besitz Schlesiens geht. Der Krieg beginnt 1756 mit dem Einmarsch preußischer Truppen in dem mit Österreich verbündeten Sachsen, das bis zum Kriegsende unter preußischer Besatzung bleibt. Er endet 1763 mit dem Hubertusburger Frieden. Im selben Jahr entsteht ein erster Entwurf des Stücks, was Lessing dazu veranlasst, auf dem Titelblatt den (nicht ganz richtigen) Hinweis unterzubringen: „Verfertiget im Jahre 1763“. Seit der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre hat Lessing Umgang mit preußischen Offizieren; befreundet ist er mit dem Dichter Ewald von Kleist (1715–1759), der als Major auf preußischer Seite am Siebenjährigen Krieg teilnimmt und 1759 an den Folgen einer Verwundung stirbt und der als ein Vorbild für die Gestalt Tellheims gilt. In den Jahren 1760 bis 1764 ist Lessing Gouvernementssekretär bei dem preußischen General Bogislaw Friedrich von Tauentzien in Breslau und erlebt daher den Siebenjährigen Krieg aus der Nähe. Die Fertigstellung des Stücks zieht sich indessen hin, da Lessing sich um verschiedene Anstellungen bemüht und zum Teil auch deshalb zwischenzeitlich andere Projekte und Arbeiten bevorzugt. Die Aussicht auf die Anstellung als Dramaturg im Hamburger Na-

1. Gotthold Ephraim Lessing: Minna von Barnhelm

tionaltheater fördert den Abschluss der Arbeit an dem Stück im Winter 1766/67. Es erscheint im Frühjahr 1767 in Berlin und erlebt seine Uraufführung im Herbst 1767 in Hamburg. Handlung Zunächst zur Vorgeschichte: In einem der so genannten preußischen Freibataillone (mit Freiwilligen aus nicht-preußischen Staaten) dient auch der aus Kurland (heute Lettland) stammende Major von Tellheim, der während des Kriegs den Auftrag gehabt hat, in Sachsen Kontributionen, also Kriegssteuern zum Unterhalt der Besatzungstruppen, bar einzutreiben. Er hat dies – entgegen dem Auftrag – nicht mit äußerster Strenge getan, sondern hat Milde walten lassen und sich mit der Minimalsumme zufrieden gegeben, mit der er sich nur im äußersten Notfall begnügen sollte. Überdies hat er diejenige Summe, die den Ständen (den „Landständen“ als der nach Ständen gegliederten Vertretung des Landes) an jener Minimalsumme noch fehlte, sogar vorgestreckt und sich darüber einen Wechsel ausstellen lassen; es handelt sich umgerechnet schätzungsweise um eine Summe zwischen einer Achtel- und einer Viertelmillion Euro (vgl. Saße 1993, 73, Anm. 151). Tellheims Verhalten hat ihm die erste Zuneigung der sächsischen Adligen Minna von Barnhelm eingebracht, die sich dann mit ihm verlobt. Als Tellheim nach dem Krieg in Berlin den Wechsel einreicht, um mit Hilfe der zuständigen Behörde die Erstattung der vorgestreckten Summe zu sichern – ganz den rechtlichen Gegebenheiten entsprechend (vgl. Saße 1993, 70–77) –, wird ihm, eben weil er sich mit der Minimalsumme begnügt hat, von preußischer Seite Bestechlichkeit und gemeinsame Sache mit den Sachsen, also mit dem Feind, vorgeworfen. Sein Geld soll ihm vorenthalten werden, und er hat sein schriftliches Ehrenwort geben müssen, Berlin bis zur endgültigen Klärung der Angelegenheit nicht zu verlassen. Hier setzt die Gegenwartshandlung ein, die ein halbes Jahr nach dem Ende des Kriegs, nämlich am Tag nach dem 22. August 1763 (vgl. 32), in Berlin spielt. Minna, begleitet von ihrer Zofe Franciska [sic] und ihrem Onkel, Graf von Bruchsall, hat sich auf die Suche nach ihrem Verlobten gemacht, der seit Kriegsende nur einmal geschrieben hat und seitdem nichts mehr von sich hat hören lassen. Minna ist am Vorabend in Berlin eingetroffen und findet Unterkunft – ein Zufall, der nicht weiter thematisiert wird – just in demselben Berliner Hotel und sogar noch in denselben Zimmern wie vorher Major Tellheim, der, da der Wirt ihn als zahlungsunfähig angesehen hat, kurzer Hand ausquartiert und in einer Mansarde untergebracht worden ist. Tellheim, der eigenem Bekunden zufolge „keinen Heller bares Geld mehr“ hat (17), beauftragt seinen Diener Just, einen Ring zu versetzen, nämlich seinen Verlobungsring, mithin die letzte ihm verbliebene „Kostbarkeit“, von der Tellheim „nie geglaubt hätte, einen solchen Gebrauch zu machen“ (24). Just versetzt den Ring bei dem Wirt des Hotels, der ihn alsbald der adligen Minna zur Begutachtung vorlegt, was zur Folge hat, dass Minna in dem Ring den Verlobungsring Tellheims erkennt und nach dem Eigentümer des Rings forscht. Auf diese Weise kommen die Liebenden zwar wieder zusammen, aber Tellheim sträubt sich, die vormalige Beziehung fortzusetzen, obwohl er sich

Vorgeschichte

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V. Einzelanalysen

das Geständnis, Minna immer noch zu lieben, abringen lässt. Er sei nicht mehr „der blühende Mann“ von ehedem, „der seines ganzen Körpers, seiner ganzen Seele mächtig war, vor dem die Schranken der Ehre und des Glückes eröffnet standen“ (45). Vielmehr sei er jetzt „Tellheim, der verabschiedete“ (aus dem Militärdienst entlassen ist er in der Tat), „der an seiner Ehre gekränkte“ (nämlich durch den Vorwurf der Bestechlichkeit [45]), „der Kriepel [= Krüppel]“ (weil ein Schuss ihm „den rechten Arm ein wenig gelähmt“ hat [82] – so Minnas Kommentar), „der Bettler“ (weil ihm sein Geld vorenthalten werden soll) (45 f.). Da Minna mit ihren Gegenargumenten nicht durchdringt, versucht sie es mit einer Intrige, bei der Franciska sie unterstützen muss. Sie gibt Tellheim zum Schein ihren, in Wahrheit aber seinen Verlobungsring zurück, den sie von dem Wirt erhalten hat. Und wie Tellheim vorher auf seinem „Unglück“ beharrt hat, ist es nun angeblich Minnas „Unglück“ (88), das es der Letzteren verbiete, Tellheim zu heiraten, nachdem sie von ihrem Oheim enterbt worden sei, weil sie dessen Heiratsvorschläge sämtlich abgelehnt habe. Tellheim reagiert, wie erwartet: Er bestürmt Minna mit seinen Beteuerungen, während diese sich weiterhin abweisend gibt. In diese Gespräche platzt die Nachricht von Tellheims vollständiger Rehabilitierung herein, durch die er sein „Glück“, seine „Ehre“, „alles […] wiederhergestellt“ (98) sieht. Dass er somit in der Tat nicht bereit gewesen ist, „seiner Geliebten sein Glück“ (68) zu verdanken, wie Minna vorher bereits registriert hat, dies veranlasst sie jetzt, die Intrige immer weiter zu treiben. Tellheim versucht, den ihm zurückgegebenen – von Minna vertauschten, mithin falschen – Ring Minna auf den Finger zu stecken – ein Akt, der symbolisch im Falle des richtigen Rings für die Bestätigung des Verlöbnisses, im Falle des falschen Rings aber für dessen Auflösung stünde. Als schließlich die Vertauschung der Ringe offenbar ist, meint Minna, Tellheim müsse sofort begreifen, dass ihre Weigerung, den falschen Ring anzunehmen, von ihrer Seite aus die Bestätigung ihrer Verbindung gewesen ist. Tellheim dagegen deutet die Ring-Vertauschung als einen Trick, mit dessen Hilfe Minna versucht habe, ihrer beider Verbindung aufzuheben. Die Intrige wendet sich hier also gegen die Urheberin. Die Ankündigung der Ankunft von Minnas Oheim, der wegen eines Unfalls seines Wagens verspätet eintrifft, veranlasst den ritterlich gesonnenen Tellheim, sich trotz allem Minna als Beschützer gegen den vermeintlich hartherzigen Oheim zur Verfügung zu stellen. Minna enthüllt die Intrige, derer sie sich bedient hat, und bekennt sich damit zu Tellheim, und der wirklich eintreffende Oheim bestätigt beider Verbindung. Am Ende nähert sich die Zofe Franciska dem Wachtmeister Werner und fragt ihn, ob er nicht eine „Frau Wachtmeisterin“ (110) brauche, sie macht ihm also einen Heiratsantrag, dem er spontan zustimmt.

Minna

Figuren Minna, wie kaum anders zu erwarten, ist jung, sehr schön – das meint jedenfalls Tellheim – und überdies sehr reich (vgl. 64), was angesichts des hier wichtigen Themas „Geld“ durchaus nicht ohne Bedeutung ist. Vor allem aber erscheint Minna intellektuell wach, ja geistreich und schlagfertig, und dies durchaus in höherem Maße als Tellheim. Als der Letztere sich,

1. Gotthold Ephraim Lessing: Minna von Barnhelm

reichlich dramatisierend, als Krüppel bezeichnet, kommentiert Minna mutwillig: DAS FRÄULEIN […] Ein Schuß hat Ihnen den rechten Arm ein wenig gelähmt. – Doch alles wohl überlegt: so ist […] das so schlimm nicht. Um so viel sichrer bin ich vor Ihren Schlägen. V. TELLHEIM Fräulein! DAS FRÄULEIN Sie wollen sagen: Aber Sie um so viel weniger vor meinen. Nun, nun, lieber Tellheim, ich hoffe, Sie werden es nicht dazu kommen lassen. (82) Tellheims reichlich hölzerne Reaktion – „Fräulein!“ – lässt Minnas eloquente Munterkeit desto heller leuchten. Minnas Verhalten bezeugt eine „heitere Vernünftigkeit“ (Schröder 1977, 62), auch mutet es des Öfteren spontan und sogar impulsiv an, wobei Minna sich immer von ihrem guten Herzen leiten lässt. So drängt sie aus lauter Freude darüber, Tellheim wiedergefunden zu haben, Franciska ein Geldgeschenk auf (vgl. 37 f.) oder gibt dem (bislang noch nicht erwähnten) Falschspieler Riccaut de la Marliniere Geld, eine Handlung, die von Franciska getadelt wird, die aber von Minna nachträglich gerechtfertigt wird, indem sie überraschend tiefsinnige Überlegungen zu einer möglichen Differenz zwischen Riccauts Falschspieler-Attitüde und seinem wahren Charakter anstellt. Im Übrigen ist es nicht falsch, wenn Minna gegenüber Riccaut bekennt, dass sie „gleichfalls das Spiel sehr liebe“ (73), womit sie allerdings eigentlich nicht das Glücksspiel meint, sondern das ,Spiel‘ um ihr Glück. Lassen „Güte und Großmut“ (100), Eigenschaften, die Tellheim Minna zuspricht, durchaus den Einfluss des ,rührenden Lustspiels‘ erkennen, so gilt das auch für Tellheim selbst, wie sie denn auch beide – trotz der aktuell problematischen Situation – im Naturell einander entsprechen. Besonders deutlich wird Tellheims Großmut, als er sich weigert, von der Witwe des Stabsrittmeisters Marloff dasjenige Geld anzunehmen, mit dem sie die Schulden ihres Mannes bei ihm bezahlen will, und behauptet, diese Schulden seien längst bezahlt worden. Die Witwe dankt ihm gerührt unter Hinweis auf ihren heranwachsenden Sohn, das heißt sie durchschaut seine großmütige Lüge – was jeder heutige Leser oder Zuschauer ebenfalls täte, was Lessing aber dem zeitgenössischen Rezipienten möglicherweise nicht gleichermaßen zutraut, denn er lässt Tellheim hernach noch ausdrücklich zu sich selbst sagen: Armes, braves Weib! Ich muß nicht vergessen, den Bettel zu vernichten. er nimmt aus seinem Taschenbuche Briefschaften, die er zerreißt. Wer steht mir dafür, daß eigner Mangel mich nicht einmal verleiten könnte, Gebrauch davon zu machen? (20) Nebenbei: Dass Tellheim quasi Geschenke macht und – wie eben hier – erwartet, dass sie angenommen werden, während er seinerseits zu diesem Letzteren nicht in der Lage ist, dies ist eine der kleinen Ungereimtheiten, von denen sein Charakter nicht frei ist. Dabei darf freilich nicht verkannt werden, dass – unerachtet von Tellheims Naturell – seine aktuelle psychische Verfassung infolge des Vorwurfs

Tellheim

93

94

V. Einzelanalysen

der Bestechlichkeit und seiner Mittellosigkeit durch Begriffe wie „Verzweiflung“ (46), „Ärgernis [= Ärger] und verbissene Wut“ (95) charakterisiert wird und dass sogar Anwandlungen des „Menschenhasses“ (83) ihn zu befallen scheinen. Während Minna der Überzeugung ist: „Die Vorsicht [= Vorsehung], glauben Sie mir, hält den ehrlichen Mann immer schadlos“ (84), ist Tellheim nahe daran, „wider die Vorsicht zu murren“ (19) – seine Verzweiflung reicht also bis in eine religiöse Dimension hinein. Wie sehr die Störung Vernunft und Gefühl bei Tellheim auseinander treibt, zeigt sich bei der ersten (Wieder-)Begegnung mit Minna: V.

TELLHEIM

DAS FRÄULEIN V. TELLHEIM DAS FRÄULEIN

Weitere Figuren

tritt herein, und indem er sie erblickt, flieht er auf sie zu: Ah! meine Minna. – ihm entgegenfliehend: Ah! mein Tellheim! – stutzt auf einmal, und tritt wieder zurück: Verzeihen Sie, gnädiges Fräulein, – das Fräulein von Barnhelm hier zu finden – Kann Ihnen doch so gar unerwartet nicht sein? – indem sie ihm näher tritt, und er mehr zurück weicht [usw.]. (42)

Während der Graf von Bruchsall, Minnas Oheim, nur eine kleine Nebenrolle hat, verdient Franciska, Minnas Kammerjungfer, mehr Beachtung. Sie ähnelt zwar den Lisetten aus Lessings so genannten ,Jugendlustspielen‘, denn auch sie ist schlagfertig und hat das Herz auf dem rechten Fleck. Da aber nicht sie, sondern Minna selbst die Intrige einfädelt, mit deren Hilfe Tellheim hätte ,kuriert‘ werden sollen, kommt Franciska in dieser Hinsicht eine weniger führende Rolle zu. Dafür kommentiert sie wiederholt das jeweils aktuelle Geschehen und stellt ihre Vernünftigkeit dabei unter Beweis, freilich auch ihr Mitgefühl für das Objekt der Intrige, eben Tellheim (vgl. 77). Dass sie Gefallen an dem Wachtmeister Werner findet, kehrt ihre Emotionalität noch mehr hervor (während die Lisetten der früheren Stücke Lessings vor allem gewitzt sind) und bietet Minna die Gelegenheit, sie mit „ihrem“ Wachtmeister ein wenig zu necken. Paul Werner, vordem Tellheims Wachtmeister, ein erfahrener Soldat, selbstbewusst und durch und durch aufrecht, ist dem Major treu ergeben und bemüht sich, mit seinen beschränkten finanziellen Möglichkeiten Tellheim zu unterstützen, was dieser freilich strikt ablehnt. Werner bezeugt genügend eigenes Profil – zum Beispiel in der Konfrontation mit dem Wirt des Gasthofs, in dem das Stück spielt – und hat auch in genügendem Maße Spielanteile, sodass in seiner sich anbahnenden Verbindung mit Franciska eine kleinere Nebenhandlung auf niedrigerem sozialem Niveau parallel zu der Haupthandlung, die zwischen Tellheim und Minna spielt, möglich wird. (Die Zeitgenossen konnten den Namen übrigens als Anspielung auf den General Werner verstehen, der einen legendären Aufstieg zum preußischen Generalleutnant erlebt haben soll [Schönborn 2003, 5].) Weniger wichtig ist Just, Tellheims Diener, der eher derb wirkt und in seinem Verhältnis zu Tellheim treuherzig-anhänglich erscheint und der, als Tellheim ihn aus finanziellen Gründen entlassen will, eine rührende Geschichte von einem Pudel erzählt, den er gerettet hat und der ihm nicht mehr von der Seite weicht, so dass Tellheim, tatsächlich gerührt, ihn in seinem Dienst behält.

1. Gotthold Ephraim Lessing: Minna von Barnhelm

Sowohl eine Parallel- als auch eine Gegenfigur zu Tellheim ist Riccaut de la Marliniere, der bekennt, ein Glücksspieler in Spielcasinos zu sein, und dem Minna Geld zusteckt, woraufhin er sich als ein Falschspieler offenbart. Wie Tellheim ist Riccaut aus dem Dienst entlassen worden und mittellos, aber im Unterschied zu Tellheim versucht er, sich durch Betrug weiterzuhelfen. Dass er indessen trotz seiner Betrügereien nicht vorankommt, macht ihn lächerlich. Wenn Franciska es später Minna spöttisch vorwirft, dass diese einen Betrüger unterstütze, reagiert Minna zunächst kleinlaut, überlegt hernach aber in, wie bereits vermerkt, überraschend tiefsinniger Weise, dass Riccaut möglicherweise nur aus Eitelkeit eine Rolle zu spielen vorgibt, die gar nicht die seine ist (vgl. 76), um eben nicht als Verlierer zu erscheinen. Tatsächlich bleibt die Figur zweideutig; einerseits scheint Riccaut aufzuschneiden – so weiß er offenbar den Namen des Ministers nicht mehr, mit dem soeben Mittag gegessen zu haben er behauptet –, andererseits berichtet er (in der Szene IV, 2) von dem königlichen Schreiben, das hernach (in der Szene V, 6) tatsächlich eintrifft. Der Wirt des Gasthofs schließlich ist eine Figur ganz in der Art der sächsischen Typenkomödie: neugierig, liebedienerisch und strikt auf seinen Vorteil bedacht. Deutungsaspekte Von zentraler Bedeutung ist unzweifelhaft das Thema der „Ehre“ und das Gegenüber von „Ehre“ und „Liebe“ in Verbindung mit dem Thema „Geld“. Was die Ehre betrifft, so geht es hier um mehrere verschiedene Dingen, die man sorgsam auseinander halten muss. Bei der ersten Wiederbegegnung mit Minna beschreibt Tellheim seinen ehemaligen und seinen jetzigen Zustand: Ehedem war er jemand, „vor dem die Schranken der Ehre und des Glückes eröffnet standen“, jetzt ist er, wie schon zitiert, seiner eigenen Einschätzung nach „Tellheim, […] der an seiner Ehre gekränkte, der Kriepel, der Bettler“ (46 f.). Es geht somit zunächst um den Vorwurf, er habe sich von den sächsischen Ständen bestechen lassen, also den Vorwurf einer kriminellen Handlung, für die eine Zuchthaus- oder Festungshaft und „im schlimmstmöglichen Fall“ sogar die Todesstrafe droht (Saße 1993, 75). Dadurch hält er seine „Ehre für gekränkt“ (83) und ist so erschüttert, dass er tatsächlich Züge von Menschenhass (vgl. 83) zeigt. Tellheims Empörung ist zweifellos nachzuvollziehen, denn auf diese Art der Ehre, die „staatsbürgerliche Ehre“ (Fick 2000, 245), auf den unbescholtenen Namen, hat jeder Mensch einen Anspruch, unabhängig von seinem Stand. Es kann Tellheim daher nicht genügen, dass, wie ihm zu Ohren gekommen ist, der König das Verfahren gegen ihn „niedergeschlagen“ habe und ihn „laufen lassen“ wolle (85 f.). Er insistiert auf seiner vollständigen Rehabilitierung. Er betont so sehr, nicht nachgeben zu wollen – „Eher soll mich hier das äußerste Elend, vor den Augen meiner Verleumder, verzehren“ (86) –, dass Minna nun ihrerseits ironisierend auf das Thema der Ehre eingeht. Es kommt zu dem folgenden Wortwechsel: V.

TELLHEIM

DAS FRÄULEIN

Ich brauche keine Gnade; ich will Gerechtigkeit. Meine Ehre – Die Ehre eines Mannes, wie Sie –

Ehre – Liebe – Geld

Staatsbürgerliche Ehre

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96

V. Einzelanalysen V.

TELLHEIM

hitzig: Nein, mein Fräulein, Sie werden von allen Dingen recht gut urteilen können, nur hierüber nicht. Die Ehre ist nicht die Stimme unsers Gewissen [sic], nicht das Zeugnis weniger Rechtschaffnen – – DAS FRÄULEIN Nein, nein, ich weiß wohl. – Die Ehre ist – die Ehre. (86)

Minnas Ironie zielt freilich auf einen ganz anderen Aspekt der Ehre – darauf wird gleich zurückzukommen sein. Angesichts der von Tellheim betonten Differenz zwischen „Ehre“ und „Gewissen“ hat er durchaus gute Gründe, auf Minna verzichten zu wollen: […] wenn man mir das Meinige so schimpflich vorenthält, wenn meiner Ehre nicht die vollkommenste Genugtuung geschieht; so kann ich, mein Fräulein, der Ihrige nicht sein. Denn ich bin es in den Augen der Welt nicht wert, zu sein. Das Fräulein von Barnhelm verdienet einen unbescholtenen Mann. (86)

Standesehre

In der Tat, solange der Ruch der Bestechlichkeit und der Kollaboration mit dem Feind an Tellheim haftet, würde seine Verbindung mit Minna auch sie in den Bannkreis der Entehrung mit hereinziehen. Insofern handelt er durchaus verantwortungsvoll, wenn er beschlossen hat, „keine Niederträchtigkeit zu begehen“, also auf Minna zu verzichten und solcherart auch diese Letztere „keine Unbesonnenheit begehen zu lassen“ (46). Insofern verfehlt es den Sachverhalt, wenn Minna zu Tellheims Einschätzung seiner aktuellen Situation ironisch anmerkt: „Das klingt sehr tragisch!“ (46) Wie Tellheim sich auf die „Augen der Welt“ bezieht, so ist im Übrigen schon gut zehn Jahre zuvor in Lessings bürgerlichem Trauerspiel Miß Sara Sampson (1755) die Ehre durch den „guten Namen“ und die Geltung „in den Augen der Welt“ erklärt worden, und sie musste damals nicht zuletzt deshalb als zweifelhaft erscheinen, da sich die ruchlose Marwood auf sie berief, während die tugendhafte Sara sich an das gute „Gewissen“ als eine innere Instanz hielt. Von der Ehre im Sinne des Rufs der Unbescholtenheit – dies übrigens eine Ehre, die man verlieren kann, die man aber nicht eigens erwirbt – zu unterscheiden ist die Ehre, die den einzelnen Ständen in je eigener Weise, bezogen auf die unterschiedlichen Rechte und Pflichten, zukommt. Wenn Tellheim, wie eben erwähnt, meint, auf Minna verzichten zu müssen, so wie es ihm „die Ehre befiehlt“ (80), dann ist da auch der adlige Ehrenkodex im Spiel. Deutlicher noch tritt die Standesehre hervor, als Werner Tellheim Geld aufzudrängen versucht, und dieser beteuert, dass er selbst noch Geld besitze (in Wahrheit besitzt er nur das, was er für den versetzten Ring bekommen hat). Tellheim beruft sich dabei in geradezu auffälliger Weise gleich zweimal auf seine Ehre (vgl. 62), nachdem er vorher offen zu Werner gesagt hat: „Es ziemt sich nicht, daß ich dein Schuldner bin“ (60), d. h. es vertrüge sich nicht mit der adligen Standesehre, wenn der Major der Schuldner des im sozialen Rang unter ihm stehenden ehemaligen Untergebenen ist. Werner merkt sehr wohl, dass das „vornehm gedacht“ ist (60), d. h. Denkweisen des Adels entspricht, aber er hält es für unangemessen angesichts der gemeinsamen Kriegserlebnisse (vgl. 60). Werner bietet seine

1. Gotthold Ephraim Lessing: Minna von Barnhelm

Freundschaft an („Wir haben [Geld], so lange unser Freund [Geld] hat“ [60]), aber Tellheim ist im Grunde doch so sehr auf die Standesehre fixiert, dass er spät erst bereit ist, in Werner „einen Freund“ (96) und „einen ebenso redlichen Freund“ (110) zu sehen wie dieser in ihm. Von dem Ehrenkodex, auf den sich übrigens auch Riccaut de la Marliniere bezieht, als er beiläufig eine „Affaire d’honneur“ (72) erwähnt, ist wiederum diejenige Ehre zu unterscheiden, die man erwirbt, die Reputation, die man aufgrund von Leistungen erlangt. Im Rahmen „der absolutistischen Staatsordnung“ ist dies die „höfische Ehre“ (Fick 2000, 245 f.), die man in den Augen des Fürsten und des Hofes durch entsprechendes Streben erringt. In diesem Sinne wird Tellheims Rehabilitierung dadurch gekrönt, dass der König ihm anbietet, ihn erneut in seine Dienste zu nehmen, weil er ungern einen Mann von Tellheims „Bravour [= Tapferkeit] und Denkungsart“ entbehre (99). Da nunmehr – so Minnas Kommentar – „sich ein großer Monarch um ihn [= den rehabilitierten Tellheim] bewirbt“ und „ihn die Ehre ruft“ (100), müsse sie ihn – sie behauptet das nur zum Schein, im Rahmen ihrer Intrige – zurück „auf die Bahn der Ehre“ und „in die große Welt“ weisen (101). Tellheim selbst indessen hat vorher bereits erkannt, wie „klein, wie armselig […] diese große Welt“ ist (101) und dass sich die „Dienste der Großen“ (99) nicht lohnen, denn die Großen wissen, dass ein (adliger) Soldat kaum aus Neigung oder Pflicht kämpft, sondern „seiner eignen Ehre wegen“ (81) – Ehre im Sinne der Reputation –, so dass sie, die Großen, ihm daher keinen Dank schulden. Auf diese Reputation, die man erst einmal erringen muss, zielt die zitierte ironische Äußerung Minnas: „Die Ehre ist – die Ehre“ (86), eine Tautologie, die die Ehre als undefinierbar, ungreifbar, als ein Phantom erscheinen lässt oder mit Minnas Worten als ein „Gespenst“: „O, über die wilden, unbiegsamen Männer, die nur immer ihr stieres Auge auf das Gespenst der Ehre heften! für alles andere Gefühl sich verhärten!“ (84) Minna bringt hier – das ist ein neuer Gesichtspunkt – die Differenz der Geschlechter mit ins Spiel. Sie ist damit im Unrecht, soweit es Tellheim um seine Rehabilitierung geht, sie ist damit im Recht, soweit sie den Kampf um „den Titel und die Ehrenstelle“ (99) – im Sinne der Reputation – als spezifisch männlich ansieht. Allerdings ist ihr nicht bewusst, dass die Fixierung auf diese Art der Ehre für Tellheim offenbar auch früher schon keine Herzensangelegenheit gewesen ist (er jedenfalls ist nicht um der ,höfischen Ehre‘ willen Soldat geworden – dazu unten mehr). Die Differenz der Geschlechter, auf die Minna sich bezieht, ist von Bedeutung nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Intrige. Wie bereits zitiert, erläutert Tellheim seinen Verzicht auf Minna mit den Worten: „Das Fräulein von Barnhelm verdienet einen unbescholtenen Mann“, und er fährt dann fort: Es ist eine nichtswürdige Liebe, die kein Bedenken trägt, ihren Gegenstand der Verachtung auszusetzen. Es ist ein nichtswürdiger Mann, der sich nicht schämet, sein ganzes Glück einem Frauenzimmer zu verdanken, dessen blinde Zärtlichkeit – (86) Minna, die ihn hier unterbricht, da sie sich durch die rüden Worte verletzt fühlt, spielt ihm hernach, als er rehabilitiert ist, „die unglückliche Barn-

Höfische Ehre

Differenz der Geschlechter

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98

V. Einzelanalysen

helm“ vor, die „die Gattin des glücklichern Tellheim nie werden“ (101) kann. Sie zitiert ihn, indem sie in ihrer Äußerung nur die Geschlechter vertauscht: DAS FRÄULEIN Es ist eine nichtswürdige Kreatur, die sich nicht schämet, ihr ganzes Glück der blinden Zärtlichkeit eines Mannes zu verdanken! V. TELLHEIM Falsch, grundfalsch! DAS FRÄULEIN Wollen Sie es wagen, Ihre eigene Rede in meinem Munde zu schelten? V. TELLHEIM Sophistin! So entehrt sich das schwächere Geschlecht durch das, was dem stärkern nicht ansteht? So soll sich der Mann alles erlauben, was dem Weibe geziemet? Welches bestimmte die Natur zur Stütze des andern? (102)

Gleichberechtigung der Geschlechter?

Überführt man diese rhetorischen Fragen in Feststellungen, so besagen sie: Unmännliches Verhalten – also das, was dem stärkeren Geschlecht nicht ansteht – ist einer Frau durchaus erlaubt, ohne sie zu entehren; frauengemäßes Verhalten – etwa sich vom anderen Geschlecht stützen zu lassen – ist einem Mann nicht erlaubt, und zwar weil die Natur es nicht will. Minna hat dem nichts entgegenzusetzen, denn Tellheim bezieht sich in der Tat auf die zeitgenössische Auffassung von den Geschlechterrollen. Trotzdem ist es bemerkenswert, dass Minna hier – und in etlichen weiteren quasi zitierenden Wiederaufnahmen von Tellheims Äußerungen – eine Gleichberechtigung der Geschlechter unterstellt, die es so noch nicht gibt. Das hängt damit zusammen, dass hinsichtlich der Beurteilung menschlichen Verhaltens Tellheim in höherem Maße von gesellschaftlichen Normen und Rücksichten (vgl. Saße 1993, 44 f.) und darum auch von Geschlechterrollen ausgeht, Minna dagegen vermehrt an die Individualität denkt, die Ehe als „eine gesellschaftsabgewandte Liebesgemeinschaft“ (Saße 1993, 112) sieht und dabei Mann und Frau eher auf eine Stufe stellt, indem sie in ihren quasi zitierenden Repliken keine Rücksicht auf die Geschlechterdifferenz nimmt. So kann Tellheim nach seiner Rehabilitierung aufjubeln: „Mein Glück, meine Ehre, alles ist wiederhergestellt!“ (98), während Minna an früherer Stelle gemeint hat, es sei „Stolz, unverzeihlicher Stolz“, dass der unglückliche Tellheim nicht einmal „seiner Geliebten sein Glück“ verdanken wolle; und eben deshalb hat sie sich da bereits vorgenommen, „ihn wegen dieses Stolzes mit ähnlichem Stolze ein wenig zu martern“ (68). Sie nimmt somit ein Verhalten, das Tellheim seiner gesellschaftlichen Rolle schuldig zu sein meint und wohl auch wirklich ist, als einen individuellen Fehler. Dabei verkennt sie Tellheims Charakter durchaus nicht, sie bezeichnet ihn im selben Zusammenhang als „ehrlichen, edlen Mann“ – was sich freilich ebenso gut auf die Standesehre wie auf einen individuellen Charakter beziehen lässt –, und sie zweifelt nicht an seiner „Liebe“ (60). Aber sie unterschätzt eben die gesellschaftliche Bedeutung der Kränkung der ,staatsbürgerlichen Ehre‘. Ihre Intrige bewirkt durchaus, dass Tellheim von seiner seelischen Erstarrung befreit wird: Wie ist mir? – Meine ganze Seele hat neue Triebfedern bekommen. Mein eignes Unglück schlug mich nieder; machte mich ärgerlich, kurzsichtig,

1. Gotthold Ephraim Lessing: Minna von Barnhelm

schüchtern, lässig: ihr [= Minnas] Unglück hebt mich empor, ich sehe wieder frei um mich, und fühle mich willig und stark, alles für sie zu unternehmen […]. (91) Die Intrige bewirkt überdies, dass Minna sich „den Anblick“ seines „ganzen Herzens verschafft“ hat (106). Aber sie bewirkt nicht, dass Tellheim von seinem „Stolz“ kuriert ist und seine Verhaltensregeln ändert (Michelsen 1973, 241 f.). Im Übrigen denkt Minna bei dem „Glück“, das ein Mann in seiner Geliebten finden soll, eben vornehmlich an das Liebesglück, mithin an eine innere Erfüllung, während in der vorher zitierten Äußerung Tellheims „Glück“ und „Ehre“ auf eine Stufe gestellt werden, ohne dass Tellheim allerdings in der Ehre sein Glück suchen würde. Im Ganzen begegnet der Begriff des Glücks des Öfteren in diesem Stück und hat dann unter Umständen den weiteren Bedeutungsumfang der lateinischen „fortuna“, die Glück und Unglück umfasst, also alles das, was einem zufällt im Sinne von Los, Geschick, Schicksal. Das betrifft nicht zuletzt das im Nebentitel des Stücks genannte „Soldatenglück“, dementsprechend Werners künftige Frau Franciska in zehn Jahren – dem Schlusssatz zufolge – „Frau Generalin oder Witwe“ sein wird (was man, wenn man so will, unter dem Vorzeichen eines für diese Nebenfiguren möglicherweise „tragischen“ Ausgangs sehen kann [vgl. Sanna 1994, 96–135]). Auch der Glücksspieler Riccaut de la Marliniere, dem das Prinzip „Corriger la fortune“ (75) wohlvertraut ist, gehört in diesen Kontext und kann als eine Gegenfigur nicht nur zu Tellheim, sondern auch zu Minna gelten, soweit diese in nicht-betrügerischer Absicht ihrem Glück nachhilft und ihr Liebes- und Lebensglück zu gewinnen sucht. Zu dem Gegenüber von „Ehre“ und „Liebe“ kommt nun freilich noch das ja eigentlich banale Thema „Geld“ hinzu. Für Minna ist das kein Thema, da sie reich ist (vgl. 64, 80). Für Tellheim dagegen ist der Vorwurf der Bestechlichkeit zugleich mit dem drohenden finanziellen Ruin verbunden, so dass er sich – ein wenig theatralisch – als „Bettler“ (45 f.) bezeichnet. Die Konfrontation von Ehre und Geld (bzw. Besitz) verweist im Grunde auf die beiden sozialen Schichten Adel und Bürgertum. Tellheim ist zu seinem eigenen Nachteil bisher in finanziellen Dingen großzügig gewesen, und zwar den sächsischen Ständen gegenüber im Großen, weil die ihm von preußischer Seite abverlangte „Strenge“ nicht zu seinem Naturell passt, und der Witwe des Rittmeisters Marloff oder auch seinem Diener Just gegenüber im Kleinen, weil er von altruistischer Gesinnung ist. Eigentlich aber ist er in beiderlei Hinsicht großzügig gewesen, weil Geld und Besitz für den Ehrenund Verhaltenskodex, an dem er sich orientiert, keinen Wert darstellen. Der Geldmangel konfrontiert ihn mit einer ihm fremden Situation, der er aufgrund seiner Rehabilitierung nicht ausgeliefert bleibt. Auch wenn ausgedehnte sozialgeschichtliche Hintergrundsüberlegungen zum Gegenüber von Adel und Bürgertum das Verständnis des Stücks nicht sehr fördern, bleibt zu konstatieren, dass Tellheim am Ende sich selbst zum „Rentmeister“ Werners (109) macht, d. h. zu dessen Vermögensverwalter, dass er also aus Fürsorge sich zu Werners Gunsten mit dem Thema Geld befassen wird. Wie genau kalkuliert hinsichtlich des Zeitbezugs Lessing dieses Thema übrigens behandelt, geht aus mancherlei Nebenbemerkungen hervor, unter anderem

Geld

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V. Einzelanalysen

Krieg

aus der Nennung des Datums „22. August [1763]“ (32), desjenigen Tags, an dem in Berlin in Reaktion auf eine Wirtschaftskrise eine unmittelbar dem König unterstellte Wechsel-Kommission eingesetzt wurde (vgl. Dyck 1981, 67). Es gehört zur Realitätsnähe des Stücks, dass der Krieg nicht gänzlich ausgeblendet wird (vgl. Dyck 1981, passim). Von einzelnen Kriegshandlungen ist zwar nicht die Rede, aber man erfährt schon, dass Werner Tellheim zweimal das Leben gerettet hat und dieser selbst „für den gemeinsten Soldaten“ sein Leben riskiert hat (vgl. 60 f.). Deutlicher noch kommen mancherlei Nebenwirkungen des Militärwesens für die (nicht zum Dienst verpflichtete bürgerliche) Zivilbevölkerung zur Sprache, zum Beispiel die problematische Attraktivität der Soldaten für die unverheirateten Frauen zur Zeit der Winterquartiere (vgl. 56, 67). Dem Wirt, so typenhaft er erscheint, wird doch manche erhellende Äußerung über politische und historische Aspekte in den Mund gelegt – neben dem Hinweis auf die polizeiliche Überwachungspraxis in Preußen (vgl. 32 f.) besonders ein Kommentar über die demoralisierenden Folgen des Kriegs selbst unter den Offizieren. Sie alle wären belohnt worden, meint der Wirt, wenn sie sich entsprechend aufgeführt hätten. Aber so lebten die Herren, währendes [sic] Krieges, als ob ewig Krieg bleiben würde; als ob das Dein und Mein ewig aufgehoben sein würde. Jetzt liegen alle Wirtshäuser und Gasthöfe von ihnen voll; und ein Wirt hat sich wohl mit ihnen in Acht zu nehmen. (35) Zur Sprache kommt auch, warum Tellheim überhaupt in preußische Dienste getreten ist. Er vertritt – jetzt – zwar die Auffassung: „Man muß Soldat sein, für sein Land; oder aus Liebe zu der Sache, für die gefochten wird“ (62). Er selbst aber ist einer eher klischeehaften Vorstellung von Männlichkeit gefolgt, die er erst hernach als „Grille“ erkennt: Ich ward Soldat, aus Parteilichkeit ich weiß selbst nicht für welche politische Grundsätze, und aus der Grille, daß es für jeden ehrlichen Mann gut sei, sich in diesem Stande eine Zeitlang zu versuchen, um sich mit allem, was Gefahr heißt, vertraulich zu machen, und Kälte und Entschlossenheit zu lernen. Nur die äußerste Not hätte mich zwingen können, aus diesem Versuche eine Bestimmung, aus dieser gelegentlichen Beschäftigung ein Handwerk zu machen. (99 f.) Im Unterschied zu Tellheim ist Riccaut de la Marliniere tatsächlich ein Berufssoldat, der schon allen möglichen Herren gedient hat (72) und somit wiederholt „seinen Arm und sein Blut einem fremden Staate“ vermietet (84) hat. Und Werner schließlich erscheint darüber hinaus sogar wie ein Soldat aus Leidenschaft, unfähig, ein friedliches Zivilleben zu führen: „Gott sei Dank, daß doch noch irgendwo in der Welt Krieg ist! Ich habe lange genug gehofft, es sollte hier wieder losgehen. Aber da sitzen sie, und heilen sich die Haut. Nein, Soldat war ich, Soldat muss ich wieder sein!“ (26) Werner hat ein „Freischulzengerichte“ (54) besessen, ein Hofgut (ohne steuerliche Abgaben), mit dem das Amt des Bürgermeisters verbunden ist (vgl. Schönborn 2003, 13). Er hat es verkauft, um irgendwo in der Welt wieder Kriegs-

1. Gotthold Ephraim Lessing: Minna von Barnhelm

dienste anzunehmen. Dementsprechend, wie eben zitiert, verheißt Werner seiner soeben gewonnenen Braut am Schluss: „Über zehn Jahr ist Sie Frau Generalin, oder Witwe!“ (110) Komödienspezifische Züge Der kunstvollen Anlage der Handlung eignet eine hintergründig-spielerische Leichtigkeit, deren man sich freilich erst gegen Ende voll bewusst werden kann, weil man dann erst erfährt, dass eigentlich von vornherein alle Voraussetzungen für eine lustspielgemäß-untragische Lösung gegeben sind. Der Bote, der die Nachricht von Tellheims vollständiger Rehabilitierung überbringt, hat diesen nämlich am Vortag vergeblich gesucht, kommt also mit Verspätung. Hätte Tellheim bereits am Vortag von seiner Rehabilitierung erfahren, wäre die Gegenwartshandlung mit Verwirrungen von Tellheims Seite aus gar nicht möglich gewesen. Und sie wäre überdies auch von Minnas Seite aus nicht möglich gewesen, wenn nicht ihr Oheim durch den Unfall seines Wagens zurückgehalten worden wäre, denn dann hätte Minna ihre Intrige, ihre angebliche Enterbung durch den Onkel, nicht in Szene setzen können (Kaiser 1984, 117). Was nun die Komödien-Tradition betrifft, so verweist das Stück in einigen Zügen noch zurück auf das Modell der sächsischen Typenkomödie, aber durch seine künstlerische Gestaltung – besonders durch die Realitätsnähe und die höhere Individualisierung und psychologische Vertiefung der Figuren – entwächst es zugleich jener Tradition, so dass deren Gestaltungsmittel sogar in Frage gestellt werden. Tellheim scheint zwar – typenkomödiengemäß – einen „Fehler“ zu haben, nämlich seinen „Stolz“ (vgl. 68), aber die tatsächliche Komplexität des Phänomens der Ehre geht über das schlichte Schema der Typenkomödie hinaus, wie denn auch die Intrige nicht mehr in herkömmlicher Weise funktioniert. Soweit das Stück Lachen hervorrufen will, bezieht dieses sich viel eher auf die Situationen als auf die Figuren oder die Handlung. Immerhin sind Einflüsse auch des rührenden Lustspiels in Minnas und Tellheims Verhalten unverkennbar. Und das gilt in etwas geringerem Maße auch für die wichtigeren Nebenpersonen; Franciska erinnert zwar noch an die Kammerzofen der Typenkomödie, so wie Werner, wenn er prahlerisch von angeblichen Affären Tellheims spricht (vgl. 56), an den Typ des bramarbasierenden Soldaten denken lässt, aber beide können – zumal mit ihrer wachsenden Zuneigung füreinander – eben auch emotional für sich einnehmen. Und selbst Just wartet mit einer rührenden Geschichte von seinem treuen Pudel auf (22), obwohl er in seiner gewissen Derbheit sonst den Dienerfiguren der Typenkomödie entspricht. Rein typenhaft wirken der Wirt und Riccaut de la Marliniere, den Tellheim „Leutnant“ nennt (85), der sich selbst aber als „Capitaine“ (72), mithin als Hauptmann, bezeichnet und der sowohl an die Figur des Capitano (aus der Commedia dell’arte) als auch an den der Aufklärungssatire zugehörigen „Deutschfranzosen“ erinnert. Der differenzierteren Personengestaltung entsprechend enthält auch die Handlung – im Sinne der von Denis Diderot propagierten „ernsthaften Komödie“ – kaum komische Einzelhandlungen. So sieht man am Anfang den schlafenden Just, der sich im Traum mit dem Wirt zankt, ihn schlagen will

Handlung

Personen

Typen

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102

V. Einzelanalysen

Sprache

und davon aufwacht (vgl. 11). Komisch wirkt es auch, dass der Wirt ihn dann mit Hilfe von Danziger Goldwasser zu besänftigen und gleichsam zu bestechen versucht und dass Just ein Glas nach dem anderen annimmt und dabei ungerührt fortfährt, den Wirt zu beschimpfen. Oder es kommen gegen Ende von verschiedenen Seiten zwei Bediente, die beide fast echohaft die Ankunft von Minnas Onkel melden (vgl. 105). Die Intrige hat im Übrigen auf der Ebene der Handlung keinerlei Verwechslungs-, Verstellungs-, Situationskomik oder Ähnliches zur Folge. Das Komische liegt nicht zuletzt im Bereich der kunstvoll gehandhabten Sprache, die oft durch ihren leichten Konversationston für sich einnimmt, in der sich aber eben auch viele spielerisch-geistreiche Scherze finden: FRANCISKA DAS FRÄULEIN

FRANCISKA

V.

TELLHEIM FRANCISKA

[…] Man spricht selten von der Tugend, die man hat; aber desto öfters von der, die uns fehlt. […] Von was für Tugenden spricht er [= Tellheim] denn? Er spricht von keiner; denn ihm fehlt keine. […] Warte, Franciska; ich besinne mich. Er spricht sehr oft von Ökonomie. Im Vertrauen, Franciska; ich glaube, der Mann ist ein Verschwender. […] Ich habe ihn auch sehr oft der Treue und Beständigkeit gegen Sie erwähnen hören. Wie, wenn der Herr auch ein Flattergeist wäre? (29 f.) Sie [= Minna] will ihn [= seinen Brief] nicht lesen? Sie wollte wohl; aber – wir können Geschriebenes nicht gut lesen. (64)

Die Ironie kann durchaus auch ausgeprägter sein: V.

TELLHEIM

WERNER

[…] ich will dein Schuldner nicht sein. Nemlich in den Umständen nicht, in welchen ich mich jetzt befinde. So, so! Sie wollen es versparen, bis auf beßre Zeiten; Sie wollen ein andermal Geld von mir borgen, wenn Sie keines brauchen, wenn Sie selbst welches haben, und ich vielleicht keines. (61)

Selten begegnen schließlich Wortspiele und Kalauer oder das Aneinandervorbei-Reden. Allenfalls macht Franzisca sich einmal durch absichtliches Missverstehen über den neugierigen Wirt lustig: DER WIRT FRANCISKA

[mit Bezug auf Tellheims und Minnas Verhalten] […] ich wollte wie viel drum geben, wenn ich den Schlüssel dazu hätte. Den Schlüssel? zu unsrer Türe? (45)

Wirkung / Rezeption Nach dem Erscheinen des Stücks zur Ostermesse 1767 verzögert sich die für Hamburg vorgesehene Uraufführung aufgrund eines Einspruchs des Hamburger Senats, der seinerseits einem Ansuchen des Berliner Gesandten folgt. Die Buchausgabe wird überwiegend positiv rezensiert, wobei die Kritiker häufig die politischen Aspekte des Stücks übergehen. Und im Herbst

1. Gotthold Ephraim Lessing: Minna von Barnhelm

1767 kann dann auch die Uraufführung in Hamburg stattfinden, ohne indessen gleich eine durchschlagende Wirkung zu erzielen. Weitere Aufführungen in anderen Städten folgen, aber erst diejenige in Berlin 1768 wird ein großer Erfolg und beschert dem Stück eine wachsende Popularität. Bei den Aufführungen werden kritische Äußerungen zur Politik meist gestrichen, und die Theaterkritiken gehen bevorzugt auf die rührenden Szenen ein. Das Stück wird ins Französische, Englische und Italienische übersetzt und findet eine größere Zahl von Nachahmungen, so genannte ,Soldatenstücke‘. Nach 1777, also zehn Jahre nach dem Erscheinen, verliert das Stück dann an Zugkraft, was wohl einerseits mit dem nachlassenden Interesse am Siebenjährigen Krieg, also mit den Zeitbezügen des Stücks, zusammenhängt und andererseits mit der literaturgeschichtlichen Weiterentwicklung (Lenz’ Sturm-und-Drang-Komödie Die Soldaten aus dem Jahr 1776 ist in nahezu jeder Hinsicht von anderer Art als Lessings Soldatenglück). Im 19. Jahrhundert wird das Stück zur Schullektüre, es zählt zu den „klassischen“ Stücken des Repertoires, und sein Zeitbezug lässt es als ein historisches und zudem als ein patriotisches Stück erscheinen. Wie nach den Befreiungskriegen wird es im 20. Jahrhundert nach beiden Weltkriegen als Nachkriegsstück aufgeführt. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist es bis Mitte der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts in der Bundesrepublik das meistgespielte Stück überhaupt (Hadamczik u. a. 1978, 32) und rangiert der Statistik zufolge, in der dann die Bundesrepublik, Österreich und die Schweiz zusammengefasst sind, auch in den achtziger und mehrfach noch in den neunziger Jahren unter den dreißig meistgespielten Stücken. 1962 wird das Stück in der DDR von der DEFA verfilmt; Regie führt Martin Hellberg, von dem auch das Drehbuch stammt, die Hauptrollen spielen Marita Böhme und Otto Mellies, in der Rolle des Werner ist Manfred Krug zu sehen.

2. Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in der die Theater sich vielfach auf diejenigen Stücke verließen, die eine gewisse Dauerhaftigkeit zu versprechen schienen, war Der zerbrochne Krug nach Lessings Minna von Barnhelm und Goethes Faust das bis Mitte der siebziger Jahre meistgespielte Stück überhaupt (Hadamczik u. a. 1978, 32). Und er ist bis heute das einzige Lustspiel der klassisch-romantischen Periode, das überhaupt noch lebendig ist. Entstehung Ein Kupferstich von Jean-Jacques Le Veau mit dem Titel Le juge ou la cruche cassée (1782, nach einem Gemälde von Louis-Philibert Debucourt) bildet im Jahr 1802 den Ausgangspunkt für das vorliegende Lustspiel (das Motiv des zerbrochenen Krugs deutet – vor allem auf dem vergleichsweise berühmteren Bild La cruche cassée von Jean Baptiste Greuze – auf die verlorene Unschuld hin). Kleist meint später, es habe sich um ein Gemälde eines Niederländers gehandelt (und verlegt wohl deshalb die Handlung seines

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V. Einzelanalysen

Stücks in die Niederlande); und tatsächlich malte der Franzose Debucourt Sujets aus dem bäuerlichen Alltag in der niederländischen Manier. Kleist entwirft den Plan zu einem Lustspiel, mit dem er sich dann auch 1803 beschäftigt, angeregt durch Gespräche mit Johann Daniel Falk, der sich seinerseits mit dem deutschen und dem antiken Lustspiel beschäftigt. Weitere aufschlussreiche Entstehungszeugnisse fehlen. (Ein späterer Bericht des Schriftstellers Heinrich Zschokke, es habe zwischen ihm, Kleist und Ludwig Wieland, dem Sohn von Christoph Martin Wieland, einen Wettkampf um die beste poetische Umsetzung des erwähnten Kupferstichs gegeben, wird heute nicht mehr für bare Münze genommen.) 1806 ist das Werk dann fertiggestellt. Kleists Freund Adam Müller schickt im Jahr 1807 Goethe eine Abschrift. Diese liegt hernach – in bearbeiteter Form – 1808 der Weimarer Uraufführung zugrunde, die freilich ein Misserfolg wird. Da Kleist der Goetheschen Bearbeitung des Stücks die Schuld an dem Misserfolg zuweist, veröffentlicht er in der von ihm und Adam Müller herausgegebenen Zeitschrift Phöbus auszugsweise drei besonders dramatisch wirkende Szenen, die ihn gegenüber dem Publikum und der Kritik als einen Dramatiker ausweisen sollen, der sein Handwerk versteht. Für die Buchausgabe des Stücks, die 1811 erscheint, kürzt Kleist den Schluss entschieden, wohl auch in einer Reaktion auf den Weimarer Misserfolg und in der Hoffnung auf eine größere Bühnenwirksamkeit; allerdings fügt er unter der Überschrift „Variant“ den längeren Schluss noch hinzu.

Vorgeschichte

Gegenwartshandlung

Handlung Zunächst zur Vorgeschichte. Das Stück spielt in den Niederlanden, in einem Dorf bei Utrecht. Der unverheiratete und schon ältere Dorfrichter Adam hat ein Auge auf die junge Eve geworfen und versucht, sie zu einer Liebesnacht zu erpressen, indem er ihr vorspiegelt, Ruprecht, ihr Bräutigam, der demnächst zum Militär muss, werde nach Ostindien in die niederländischen Kolonien verschickt werden, von wo jeweils nur einer von dreien lebendig zurückkehre, und er, Adam, könne Ruprecht durch ein gefälschtes Attest davor retten. Es gelingt Adam unter dem Vorwand, das Attest aufsetzen zu wollen, am späten Abend in Eves Zimmer zu gelangen, wo er sie bedrängt. Ruprecht, der mit Eve noch ein wenig hat plaudern wollen, hört unterdrücktes Reden und Geräusche und tritt die verschlossene Tür ein. Adam greift nach seiner Perücke, die er über einen Krug in Eves Zimmer gestülpt hat, und flüchtet durch das Fenster; der Krug geht dabei in die Brüche. Der Flüchtende bleibt zunächst in dem Weinspalier hängen, das sich an der Hauswand befindet, so dass Ruprecht, der noch die abgerissene Türklinke in der Hand hat, vom Fenster aus dem im Spalier Hängenden zweimal mit der Klinke auf den Kopf schlagen kann, bis Adam freikommt. Seine Perücke bleibt im Spalier hängen. Die Gegenwartshandlung setzt am nächsten Morgen ein. Adam erfährt von dem Gerichtsschreiber Licht, dass der Gerichtsrat Walter die Ämter seines Bezirks auf einer unangekündigten Revisionsreise besucht und Kassen und Registraturen, also Aktenablagen, prüft und dass in einem Nachbarort ein von Walter suspendierter Richter einen Selbstmordversuch unternommen hat. Dann trifft Walter auch schon ein und will einer Verhandlung beiwohnen, da just am selben Tag Gerichtstag ist. Vor Gericht tritt Frau Marthe

2. Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug

Rull, Eves Mutter, die in der Nacht Ruprecht im Zimmer ihrer Tochter vorgefunden hat, als Klägerin auf, und beschuldigt Ruprecht, den Krug zerschlagen zu haben. In der Verhandlung bemüht sich Adam, um jeden Preis zu verhindern, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Zwar bezeichnet Eve ebenfalls Ruprecht als Täter – dies in dem Bemühen, ihn vor der Verschickung nach Ostindien zu bewahren –, während Ruprecht seinerseits den im Stück nicht auftretenden Flickschuster Lebrecht verdächtigt. Aber Eve kommt schließlich nicht umhin einzuräumen, dass Ruprecht es nicht gewesen ist und Lebrecht es gar nicht gewesen sein kann, will jedoch den Täter nicht nennen. Daraufhin benennt Frau Marthe eine weitere Zeugin, nämlich Frau Brigitte, die am Vorabend Adams Perücke im Spalier gefunden hat und die eine kahlköpfige Gestalt gesehen hat, bei der es sich, wie Frau Brigitte annimmt, um den Teufel gehandelt hat. Als Beweis dient die Spur, die Adam im Schnee hinterlassen hat und bei der der linke Fußabdruck wie der Abdruck eines Pferdefußes erscheint, da Adams linker Fuß ein Klumpfuß ist. Die Spur, die Frau Brigitte sich am Morgen angeschaut und auch dem Gerichtsschreiber Licht gezeigt hat, führt zu Adams Haus. Walter, der den wahren Sachverhalt längst durchschaut hat, ist bemüht, die Form des Gerichtsverfahrens und damit auch das Ansehen des Gerichts zu wahren, und verlangt von Adam, die Verhandlung mit einem Richterspruch abzuschließen. Adam verurteilt Ruprecht als Täter. Eve ist empört und offenbart nun doch Adam als den Schuldigen. Als Ruprecht sich auf Adam stürzen will, läuft dieser davon. Eve beschwört Walter, Ruprecht vor der Verschickung nach Ostindien zu retten. Walter stellt klar, dass von einer solchen Verschickung nicht die Rede sein kann, weist Licht an, Adam zurückzuholen, und überträgt Licht bis auf Weiteres dessen Amtsgeschäfte. Frau Marthe schließlich erkundigt sich – um ihres Krugs willen –, wo sie die nächsthöhere Gerichtsinstanz finden kann. Figuren Das Stück lebt ganz von der Figur des Richters Adam, der eine Vielzahl verdächtiger, wenn nicht gar einfach schlechter Eigenschaften hat: Er ist faul und versieht sein Amt nachlässig – in der Registratur werden außer Akten auch „Kuhkäse, Schinken, Butter, Würste, Flaschen“ (V. 194) aufbewahrt, und die Akten dienen als Einwickelpapier für die Würste (V. 216, 218) –, er wirtschaftet in die eigene Tasche – er lässt seine Bauern statt nur in die üblichen vier Kassen noch in eine fünfte außerordentliche Kasse einzahlen (V. 345–351) –, er versucht, seine Stellung zugunsten seiner sexuellen Begierden auszunutzen. Trotz alledem nimmt er für sich ein, zum einen aufgrund seiner Vitalität – „seine Seele“ hat gewissermaßen „unter seinem Gürtel ihren Sitz, im Bereich des Geschlechts und der Verdauung“ (Wellbery 1997, 22) –, zum andern aber auch durch die bemerkenswerte Gewandtheit, mit der er sich – phantasiereich – immer neue Erklärungen und Ausflüchte einfallen lässt, um sein Fehlverhalten zu bemänteln. Eine Besonderheit liegt dabei freilich in der Inkonsequenz, mit der Adam seine Lügen vertritt, so dass er sich in ihnen verheddert, aus der Rolle fällt und immer wieder selbst die Wahrheit zum Vorschein kommen lässt, was ein Wechselspiel von Schein und Wahrheit ergibt. Als zum Beispiel die Perücke fehlt, schickt Adam die Magd los:

Adam

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V. Einzelanalysen

ADAM [zur Magd] Geh, Margarethe! Gevatter Küster soll mir seine [Perücke] borgen; In meine hätt’ die Katze heute morgen Gejungt, das Schwein! Sie läge eingesäuet Mir unterm Bette da […]. LICHT Die Katze? Was? Seid ihr – ? ADAM So wahr ich lebe. Fünf Junge, gelb und schwarz, und eins ist weiß. Die schwarzen will ich in der Vecht ersäufen. Was soll man machen? Wollt ihr eine haben? (V. 240–248) Später behauptet er gegenüber dem Gerichtsrat, er sei beim Studium der Akten der Kerze zu nahe gekommen, die Perücke habe Feuer gefangen und „wie Sodom und Gomorrha“ (V. 1497) gebrannt. Adam nutzt geistesgegenwärtig jeden möglichen Vorteil, der sich im Gespräch für ihn ergibt. Als Frau Brigitte den Teufel ins Spiel gebracht hat, erklärt er: Ich trage darauf an, Bevor wir ein Conclusum [= einen Beschluss] fassen, Im Haag bei der Synode anzufragen Ob das Gericht befugt sei, anzunehmen, Daß Belzebub den Krug zerbrochen hat. (V. 1748–1752) Dass der Teufel, wie Frau Brigitte meint, durch Adams Haus hindurchgegangen sein könnte, zieht Adam sogleich als möglichen Grund in Erwägung für den Fall, dass seine „Rechnungen, wie ich nicht zweifle, / Verwirrt befunden werden sollten“ (V. 1798 f.). Dennoch verstrickt Adam sich immer mehr. Schon bald meint Walter: Von eurer Aufführung, Herr Richter Adam, Weiß ich nicht, was ich denken soll. Wenn ihr selbst Den Krug zerschlagen hättet, könntet ihr Von euch ab den Verdacht nicht eifriger Hinwälzen auf den jungen Mann, als jetzt. (V. 820–824)

Eve

Zwischendurch mahnt Walter: „Habt ihr mir etwas zu vertraun, / So bitt’ ich, um die Ehre des Gerichtes, / Ihr seid so gut, und sagt mir’s an.“ (V. 1630–1632) Adam gibt nicht nach, so dass Walter gegen Ende nur noch erklären kann: „Was euch schützt, / Ist einzig nur die Ehre des Gerichts.“ (V. 1840 f.) Eve ist, wie kaum anders zu erwarten, höchst sittsam, und einzig ihre Liebe zu Ruprecht veranlasst sie, auf Adams Spiel einzugehen, solange sie es eben vermag. In der Kurzfassung des Erstdrucks wird ihr nur einmal – während der Verhandlung (V. 1255–1273) – die Gelegenheit gegeben, in einer längeren Redepassage ein wenig selbstständiger hervorzutreten. Insofern wirkt sie ein wenig blass, sieht man davon ab, dass sie sich mehrfach über Adams Verhalten empört (V. 528, 1208 f., 1212–1219, ab 1881). Bemerkenswerter ist ihre Entrüstung darüber, dass Ruprecht ihr nicht bedingungslos vertraut (V. 1162–1174, 1177–1184), selbst wenn der Anschein gegen sie spricht – ein bei Kleist des Öfteren wiederkehrendes Thema:

2. Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug

Pfui, Ruprecht, pfui, o schäme dich, daß du Mir nicht in meiner Tat vertrauen kannst. Gab’ ich die Hand dir nicht, und sagte, ja, Als du mich fragtest, Eve, willst du mich? […] Und hättest du durch’s Schlüsselloch mich mit Dem Lebrecht aus dem Kruge trinken sehen, Du hättest denken sollen: Ev’ ist brav, Es wird sich alles ihr zum Ruhme lösen, Und ist’s im Leben nicht, so ist es jenseits, Und wenn wir auferstehn ist auch ein Tag. (V. 1164–1174) Was im Unterschied zur gekürzten Fassung der erwähnte „Variant“, also der ursprüngliche Schluss, besonders hervorhebt, ist die sehr weit gehende Erschütterung von Eves Vertrauen in die Regierung. Sie weiß, dass die Interessen von Staat und Handelskompanien ineinander verflochten sind (Miller 2001, 236 f.) und dass die Regierung Soldaten in die Kolonien schickt, um den „eingebornen Kön’gen dort“ das Ihre als „Raub / Zum Heil der Haager Krämer abzujagen“ (V. 2059–2061). Sie glaubt zunächst nicht einmal mehr der Versicherung Walters, dass Ruprecht nicht nach Ostindien verschickt werde. Und wenn sie sich schließlich überzeugen lässt, so zeigt dies das Vertrauen, das sie in die Rechtlichkeit Walters setzt, es bedeutet aber nicht eigentlich den Wiedergewinn des Vertrauens in die Regierung. Gerichtsrat Walter spielt zwar eine positive Rolle, soweit er Adam daran hindert, den Prozess sogleich mit einem Willkür-Spruch zu beenden. Indessen ist es wohl Weisung von oben und nicht individuelle Güte, wenn seine Revisionsreise zunächst nur der Überprüfung dienen und nicht gleich Strafen nach sich ziehen soll (V. 302). Dass ein von ihm suspendierter Richter einen Selbstmordversuch unternommen hat, stört ihm daher „die heitre Laune“ (V. 335) – eine sehr eigenartige Formulierung. Dieser Richter, so Walter weiter, „machte“ dadurch „Übel ärger“, und: „Was nur Unordnung schien, Verworrenheit, / Nimmt jetzt den Schein an der Veruntreuung“ (V. 341–343). Daher verlangt er am Schluss vom Schreiber Licht: „Holt ihn [= Adam] zurück! / Daß er nicht Übel rettend ärger mache“ (V. 1960 f.). Und „sind die Kassen richtig, wie ich hoffe“ (V. 1965), dann will er, wie er behauptet, Adam nicht zur Flucht veranlassen. Dass er auf eine korrekte Kassenführung hoffe, diese Äußerung soll wohl jetzt, am Ende des Stücks, eher einer gewissen Abrundung und Beruhigung dienen, denn in Wahrheit hat Walter ja schon von der bereits erwähnten illegalen fünften Kasse erfahren. Für die subjektive Redlichkeit Walters spricht die Tatsache, dass er zwischendurch „verwirrt“ ist (vor V. 1595) und schwankt, ob er Adam mit seinem gegen ihn gefassten Verdacht vielleicht Unrecht tut (V. 1581). Im Ganzen ist er indessen vor allem um das Ansehen der Justiz – „die Ehre des Gerichtes“ (V. 1631) – besorgt. Er moniert immer wieder Verfahrensmängel, die Adam sich zuschulden kommen lässt – „Dies ist die letzte Sache, die ihr führt“ (V. 835), und: „Macht fort! / Ihr habt zulängst hier auf dem Stuhl gesprochen.“ (V. 1120 f.) – und insistiert am Ende auch auf dem rechtsförmlichen Abschluss des Verfahrens. Der Schreiber Licht ist eine eher zweideutige Figur. Er möchte selbst Richter werden und weiß von Adams ungesetzlichen Praktiken, was diesem wie-

Weitere Figuren

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V. Einzelanalysen

derum bewusst ist. Andererseits hat er sich offenbar selbst der Veruntreuung von Geld schuldig gemacht (V. 148–150), so dass Adam ihm nahe legt, gegenüber Walter zu schweigen, und seinerseits das gleiche anbietet. Licht fördert darum die „Aufklärung“, indem er gegen Adam nur stichelt und nicht wirklich intrigiert, was ja auch nicht nötig ist, da Adam sich selbst zu Fall bringt. Frau Marthe, Ruprecht und dessen Vater Veit Tümpel sind eher schlichte Gemüter und wirken einigermaßen ländlich-robust, zumal wenn sie entrüstet sind und dem jeweiligen Gesprächspartner Schimpfwörter an den Kopf werfen, wie es übrigens auch Adam tut („Halt’s Maul“ [V. 199 u. ö.]). So bezeichnet Ruprecht Eve als „Metze“ (V. 444, 467), also als Hure, bezeugt aber später auch Mitleid mit ihr (V. 1159–1161). Der Frau Marthe immerhin wird – freilich über den Horizont einer solchen Figur hinausgehend – eine ausladende Beschreibung der Geschichte des Krugs in den Mund gelegt sowie dessen, was ursprünglich auf dem Krug dargestellt gewesen ist (V. 648–674); es handelt sich dabei um die Übertragung Burgunds und der niederländischen Provinzen durch Kaiser Karl V. auf seinen Sohn, den späteren König Philipp II., mithin um den historischen Gründungsakt der Niederlande, die zu diesem Zeitpunkt freilich noch unter spanischer Herrschaft stehen und erst im Verlauf der Wanderung des Krugs von einer Hand in die andere selbstständig werden (insofern ist jener Gründungsakt eigentlich kein heroisches Datum der niederländischen Nationalgeschichte – was aber der Frau Marthe nicht klar ist).

Bibel

Deutungsaspekte Nicht nur die Namen Adam und Eve lassen sofort an die Bibel denken, in der ersten Szene wird auch ganz ausdrücklich auf den „Adamsfall“ (V. 62), also den biblischen Sündenfall, Bezug genommen: „Ihr stammt“, sagt Licht zu Adam, „von einem lockern Ältervater, / Der so beim Anbeginn der Dinge fiel, / Und wegen seines Falls berühmt geworden“ (V. 9–11). „Unbildlich“ hingefallen zu sein, also wirklich und nicht nur metaphorisch – wie beim Sündenfall –, versichert Adam dagegen, um die Wunden zu erklären, die ihm in der vorausgegangenen Nacht Ruprecht mit der Türklinke zugefügt hat. Derartige Anspielungen auf die Bibel finden sich noch des Öfteren; so versichert Adam, wie schon erwähnt, seine Perücke habe gebrannt „wie Sodom und Gomorrha“ (V. 1497). Allerdings bleibt die Analogie zum biblischen Sündenfall doch sehr begrenzt – und das bringt ein komisches Moment mit herein –, denn während der Kleistsche Adam sehr an einem Sündenfall interessiert ist, lässt sich Eve nicht verführen (und kann darum auch nicht wie die biblische Eva als Verführerin gesehen werden). Trotz dieser eher spielerisch wirkenden „Störung“ in der Analogie ist der Gedanke nicht abzuweisen, dass der „Fall“ des Kleistschen Adam – eben wegen des Bezugs zum biblischen „Adamsfall“ – letzten Endes über sich hinausweist in religiös-metaphysische Dimensionen, dass er also auch an die gefallene Menschheit im Ganzen denken lassen kann, wie denn auch am Ende des Stücks der fast in Vergessenheit geratene Bruch des Krugs immer noch nicht geheilt ist – was sich dementsprechend wie ein impliziter Hinweis auf das noch ausstehende Ziel der Heilsgeschichte verstehen lässt. Die Erinnerung jedenfalls an die in Kleists Werken wiederholt begegnende

2. Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug

Wendung von der „gebrechlichen Einrichtung der Welt“ liegt hier ebenso nahe, wie die Überlegung möglich ist, dass sich mit dem zerbrochenen Krug – oder in Frau Marthes Worten: mit dem „geschiednen Krug“ bzw. den „geschiednen Scherben“ (V. 419, 422) – die Entzweiung des Menschen mit sich selbst assoziieren lässt, seine im Sündenfall verloren gegangene Einheit. Allerdings ist die Qualität solcher möglicher Bezüge und Verweise nicht immer eindeutig zu bestimmen. Verweist der „Fall“ des Kleistschen Adam ganz ernsthaft auf den biblischen „Adamsfall“, so kann man trotzdem in dem konkret beschriebenen Sprung Adams aus Eves Fenster eine „Parodie der Vertreibung aus dem Paradies“ (Pickerodt 2004, 122) sehen. Was den Teufel betrifft, den die abergläubische Frau Brigitte ins Spiel bringt – „Geschwätz, wahnsinniges, verdammenswürd’ges“ (V. 1720), meint Walter dazu –, so wird dieses Motiv in eine gewisse Verbindung mit Adam gebracht: Hofft dieser zunächst, er könne den zerbrochenen Krug vielleicht „Belzebub“ (V. 1752) in die Schuhe schieben, so lässt die zu Adams Haus führende Spur im Schnee Ruprecht überlegen: „Wird doch der Teufel nicht / In dem Gerichtshof wohnen?“ (V. 1784 f.), so dass Adam sich verteidigen muss: „Bin ich der Teufel? Ist das ein Pferdefuß? Er zeigt seinen linken Fuß.“ (V. 1820) Kleist selbst gibt in der Vorrede einen Hinweis auf den König Ödipus des Sophokles, indem er anmerkt, auf dem Kupferstich, der den Ausgangspunkt des Stücks darstellt, habe der Gerichtsschreiber den Richter misstrauisch angesehen „wie Kreon, bei einer ähnlichen Gelegenheit, den Ödip“ (Kleist 1991, 259). Der Grundsituation nach handelt es sich bei Kleists Stück in der Tat um eine komische Umkehrung der sophokleischen Tragödie: Ödipus bemüht sich herauszufinden, wer den vormaligen König Laios erschlagen hat, und gelangt zu der schrecklichen Einsicht, dass er selbst es gewesen ist und dass Laios überdies sein Vater gewesen ist. Adam umgekehrt weiß, dass er selbst den Krug auf dem Gewissen hat („Es klirrte etwas, da ich Abschied nahm“ [V. 546]), und sträubt sich daher mit Händen und Füßen dagegen, dass das allgemein bekannt wird. Kleinere Entsprechungen bestehen darin, dass der griechische Name „Oidi-pus“ auf deutsch „Schwellfuß“ bedeutet und Adam einen „Klumpfuß“ (V. 25) hat, dass der Gerichtsschreiber Licht der Nachfolger Adams wird so wie Kreon derjenige des Ödipus und dass die Zukunft beider Hauptpersonen offen bleibt. Mit der Entsprechung in der Grundsituation ist auch die Gleichartigkeit der dramatischen Form vorgegeben, einer Form, die Schiller als „tragische Analysis“ (Brief an Goethe vom 2. Oktober 1797) bezeichnet hat: Bei dem inzwischen so genannten analytischen Drama ist das Wesentliche bereits geschehen, es ist Teil der Vorgeschichte, und die Gegenwartshandlung besteht weitestgehend darin, die Vergangenheit ans Licht zu bringen – was dem analytischen Drama immer ein wenig die Struktur eines Kriminalstücks vermittelt. Es mag wie reine Willkür erscheinen, wenn Adam gegenüber Walter – scheinbar naiv – erklärt: „Ich kann Recht so jetzt, jetzo so erteilen“ (V. 635). Und in der Tat ist ja der Spruch, den er am Ende über Ruprecht fällt, Ausdruck bloßer Willkür. Trotzdem muss man sich vergegenwärtigen, dass das, worauf Adams Äußerung zielt, zwei für eine gewisse Zeit nebeneinander bestehende rechtliche Gegebenheiten sind, nämlich einerseits das gesetzte, also förmlich erlassene Recht und andererseits das mündlich tradierte Ge-

Sophokles

Rechtswesen

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V. Einzelanalysen

Gesetztes Recht – Gewohnheitsrecht

wohnheitsrecht. Während in früheren Zeiten die Territorialherren das gesetzte Recht anstreben, mithin die einheitliche Gesetzgebung und Rechtsanwendung, legen Städte und Gemeinden vielfach Wert auf ihr eigenes althergebrachtes Recht. Diese beiden Rechtsformen sind gemeint, wenn Adam von „den / Bestehenden Edikten [einerseits] und Gebräuchen [andererseits]“ (V. 99 f.) spricht und die Letzteren als „Den alten Brauch im Recht“ (V. 307) bezeichnet. In diesem Sinne erbietet er sich, „den Prozeß / Nach den Formalitäten, oder so, / Wie er in Huisum üblich ist, zu halten“ (V. 566–568), also entweder nach dem gesetzten Recht oder eben nach dem lokalen Gewohnheitsrecht. Als er dann freilich – im wörtlichen Sinne – kurzen Prozess zu machen versucht und Ruprecht sogleich als Täter im Protokoll festgehalten wissen will, greift Walter ein: „Wenn ihr Recht anders nicht, als so, könnt geben, / So tretet ab“ (V. 617 f.). Adam antwortet: „Ich gab’s, wie’s hier in Huisum üblich“ (V. 619). Walter entgegnet zwar, er habe in Huisum die Gültigkeit derselben Gesetze wie sonst in den Niederlanden erwartet, aber das kann, weil es nicht ironisch klingt, ein wenig überraschen, denn da Walter bemüht ist, die „Rechtspfleg’ auf dem platten Land [zu] verbessern, / Die mangelhaft von mancher Seite scheint“ (V. 298 f.), müsste er mit der Praxis des Gewohnheitsrechts vertraut sein. Adam jedenfalls versucht, sich zu rechtfertigen, indem er weiter ausführt: Wir haben hier, mit Ew. Erlaubnis, Statuten, eigentümliche, in Huisum, Nicht aufgeschriebene, muß ich gestehn, doch durch Bewährte Tradition uns überliefert. Von dieser Form, getrau ich mir zu hoffen, Bin ich noch heut kein Jota abgewichen. Doch auch in eurer andern Form bin ich, Wie sie im Reich mag üblich sein, zu Hause. Verlangt ihr den Beweis? Wohlan, befehlt! Ich kann Recht so jetzt, jetzo so erteilen. (V. 626–635) Und dieser letzte Satz signalisiert natürlich nicht nur Adams Wendigkeit, sondern verrät auch in reichlich unverfrorener Weise, dass das Gewohnheitsrecht ihm als Deckmantel für eine in jedem Falle für ihn selbst vorteilhafte Rechtspraxis dient. Der Gerichtsrat Walter erscheint eher als positive Gestalt, vor allem wenn man ihn neben Adam sieht. Unter einem fachkundigen juristischen Blick freilich kann sich das Bild eintrüben. Das betrifft nicht nur einzelne Ungereimtheiten – Walter: „Es fehlt an Vorschriften […]. Vielmehr / Es sind zu viel“ (V. 323 f.) –, vor allem aber scheint dem Gerichtsrat in erster Linie an dem Ansehen des Gerichts gelegen, nicht an dem Anspruch der Beteiligten auf ein gerechtes Urteil. Insofern legt er in Bezug auf Adam ein „fast schon komplizenhaftes Verhalten“ (Schneider 1988/89, 322) an den Tag, und seine Fürsorge für den flüchtenden Richter am Ende des Stücks lässt sich unter Umständen sogar als „Kumpanei“ (Schneider 1988/89, 319) verstehen. Und wenn zu guter Letzt Frau Marthe sich nach dem Sitz der Regierung in Utrecht erkundigt (und damit wohl die nächsthöhere Gerichtsinstanz meint), dann verweist Walter sie an den „großen Markt, / Und Dienstag ist und Frei-

2. Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug

tag Session“ (V. 1972 f.). Dort aber befindet sich „kein Oberlandesgericht“, sondern der „Töpfermarkt“ (Wittkowski 1981, 125), auf dem Frau Marthe sich einen neuen Krug kaufen kann. Komödienspezifische Züge Während das analytische Drama seiner Struktur nach lediglich erwarten lässt, dass eine unbekannte Vorgeschichte mittels der Gegenwartshandlung ans Licht kommt, besitzt Der zerbrochne Krug überdies eine Besonderheit darin, dass der Rezipient – im Unterschied zu den Mitspielern – ziemlich schnell wesentliche Züge der Vorgeschichte ahnt und darum mit Vergnügen miterleben kann, wie der vermutliche Täter just die Enthüllung der Vorgeschichte immer wieder zu hintertreiben versucht, dies teils mit Geschick, teils auch mit einer ihm selbst schadenden Plumpheit. So wird das Stück zu einem „Spiel zwischen Verbergen und Aufdecken, Leugnen und ErtapptWerden“ (Martini 1979 c, 189). Als vergnüglich kann der Rezipient dies natürlich nur miterleben, weil Adam als Betrüger keinen Erfolg gehabt hat und Eve nicht zu Schaden gekommen ist (weil mithin das moralisch Verwerfliche ins Lächerliche umgekippt ist) und weil schließlich die allgemeine Ordnung wieder in Kraft gesetzt wird. Überdies unterstützen zahlreiche Einzelmomente – die Handlung, die Personen und die Sprache betreffend – den Lustspiel-Charakter des Stücks. Die vertrackte Ausgangssituation – der Richter ist selbst der Übeltäter – sorgt für Spannung und lässt den Rezipienten (aufgrund der eben genannten Voraussetzungen) sich auf komische Momente und nicht auf unangenehme Überraschungen einstellen. Adams ungehemmte Vitalität und Genusssucht stellt in diesem Zusammenhang eine Quelle der oben erläuterten Komik der Heraufsetzung dar, die in der Aufklärung noch verpönt war, zumal sie sich auch gröberer Mittel bedient. Dazu zählt hier etwa der Umstand, dass der von Ruprecht zu nächtlicher Stunde in die Flucht geschlagene Adam vor Aufregung neben einem Baum ein „Denkmal“ (V. 1771) hinterlässt, nämlich seine Notdurft verrichtet. Wenngleich man bei Adam noch an „die traditionelle Komödienfigur des düpierten Lüstlings“ (Zenke 1977, 91 f.) denken könnte, ist er ebenso wenig ein komischer „Typ“ wie die anderen Figuren des Stücks, auch nicht die Bauern, die vordem oftmals in Schwankmanier als Tölpel dargestellt worden sind. Allenfalls mag die Frau Brigitte mit ihrem Aberglauben noch auf das Lustspiel des 18. Jahrhundert zurückverweisen, nämlich auf dessen Bemühung, mittels der Bloßstellung von „Typen“ der Vernunft zum Sieg zu verhelfen. Dessen ungeachtet findet man noch sprechende Namen, wie sie in der Typenkomödie der Aufklärung vorkommen: Walter, der im Sinne eines Sachwalters verantwortungsbewusst sein Amt verwaltet, während sein Vorgänger, „Rat Wachholder“ (V. 95), „Sein Schäfchen“ zu scheren pflegte (V. 79) und vermutlich dem seinem Namen entsprechenden Branntwein zugetan war, weiterhin der Schreiber Licht, der – aus Eigennutz – zur Aufklärung beiträgt, und Veit und Ruprecht mit ihrem Familiennamen Tümpel. Erwähnt wird auch der würdige Korporal Holzgebein mit seinem Stock (V. 470 f.); der Korporal hat vielleicht ein Holzbein, und der Stock zeigt an, dass er das Recht hat, die Soldaten zu prügeln (Sembdner 1982, 15). Was das Komische im sprachlichen Bereich betrifft, begegnen einerseits,

Analytisches Drama

Adams Vitalität

Sprechende Namen

Sprache

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V. Einzelanalysen

Wortspiele

dem bäuerlichen Milieu entsprechend, grob-banale Ausdrücke – „Metze [= Hure]“ (V. 467, 819), „Maulaffe“ (V. 606, 1131), „Hund […], verfluchter“ (V. 783), „Halunke“ (V. 950, 1644), „Rabenaas“ (V. 1318). Andererseits finden sich immer wieder sehr geistreich-witzige Repliken: Nachdem Adam erklärt hat, beim Aufstehen gestürzt zu sein, kommentiert Licht: „Der erste Adamsfall, / Den ihr aus einem Bett hinaus getan“ (V. 62 f.), was den Richter als Schwerenöter erscheinen lässt, den seine Adamsfälle, also Sündenfälle, sonst immer in die Betten hineinfallen lassen. Überhaupt lebt das Stück von zahlreichen Wort- und Bilderspielen, so gleich in der Eingangsszene: LICHT Was ist mit euch geschehn? Wie seht ihr aus? ADAM Ja, seht. Zum Straucheln braucht’s doch nichts, als Füße. Auf diesem glatten Boden, ist ein Strauch hier? Gestrauchelt bin ich hier; denn jeder trägt Den leid’gen Stein zum Anstoß in sich selbst. LICHT […] Ihr stammt von einem lockern Ältervater, Der so beim Anbeginn der Dinge fiel, Und wegen seines Falls berühmt geworden; Ihr seid doch nicht –? ADAM Nun? LICHT Gleichfalls –? ADAM Ob ich –? Ich glaube –? Hier bin ich hingefallen, sag ich euch. LICHT Unbildlich hingeschlagen? ADAM Ja, unbildlich. Es mag ein schlechtes Bild gewesen sein. (V. 2–6, 9–15) Solche Wortspiele (,straucheln‘ / ,Strauch‘, ,hinfallen‘ / ,[Sünden-] Fall‘) und Bilderspiele (,unbildlich‘ [= nicht metaphorisch] / ,Bild‘ [= Anblick]) sind deshalb so geistreich, weil sie voller Bezüge auf das noch verdeckte Geschehene sind: Der Strauch lässt an das Weingestrüpp denken, in dem Adam hängen geblieben ist, die Füße verweisen auf seinen Klumpfuß, und Lichts Frage: „Ihr seid doch nicht –? […] Gleichfalls –?“ (in einen Sündenfall verwickelt) ist natürlich dadurch provoziert worden, dass Adam selbst das Thema vom Physischen ins Moralische hinübergespielt hat: „[…] jeder trägt / Den leid’gen Stein zum Anstoß in sich selbst.“ Geradezu ins Kalauernde gerät die Wortspielerei in der folgenden Passage: VEIT FRAU MARTHE

[…] Sei Sie nur ruhig, Frau Marth! Es wird sich alles hier entscheiden. O ja. Entscheiden. Seht doch. Den Klugschwätzer. Den Krug mir, den zerbrochenen, entscheiden. Wer wird mir den geschiednen Krug entscheiden? Hier wird entschieden werden, daß geschieden Der Krug mir bleiben soll. Für so’n Schiedsurteil Geb ich noch die geschiednen Scherben nicht. (V. 415–422)

Hintersinnig ist dieses Wortspiel nicht zuletzt dadurch, dass Frau Marthe zu erkennen gibt, dass sie mit Bezug auf den Krug letzten Endes Unmögliches

2. Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug

begehrt: die „Wiederherstellung des reinen Zusammenhanges der Dinge“ (Michelsen 1977, 304). Adam benutzt nicht selten sehr verkürzte Wendungen, die, wörtlich verstanden, eigenartig auf ihn selbst zu deuten scheinen und die wie freudsche Fehlleistungen wirken können: „Ich bin ein Schelm, wenn’s nicht der Lebrecht war“ (V. 1205), das soll bedeuten: Es war mit Sicherheit der Lebrecht; andernfalls würden wir in einer verkehrten Welt leben, und ich, der ehrenwerte Richter, wäre ein Schelm. Weitere scheinbare Selbst-Entlarvungen lauten: „Doch wenn ihr’s heraus bekommt, bin ich ein Schuft“ (V. 1092), „Sprich so, sprich so, ich bin kein ehrlicher Kerl“ (V. 1108), „Ich will nicht ehrlich sein, / Wenn es nicht stinkt in der Registratur [infolge des Teufelsbesuchs]“ (V. 1796 f.). Wiederholt kommt es zu Missverständnissen, weil einer der Gesprächspartner ein Wort verwechselt oder unkonzentriert ist, so dass dann die Gesprächspartner zum Teil aneinander vorbeireden: Walters Bedienter kündigt den Gerichtsrat an und berichtet, die Kutsche sei umgestürzt: DER BEDIENTE […] Wir sind im Hohlweg umgeworfen. Pest! Mein geschundner Fuß! Ich krieg’ die Stiefeln – ADAM Ei, du mein Himmel! Umgeworfen, sagt ihr? LICHT Doch keinen Schaden weiter –? DER BEDIENTE Nichts von Bedeutung. Der Herr verstauchte sich die Hand ein wenig. Die Deichsel brach. Daß er den Hals gebrochen! ADAM Die Hand verstaucht! Ei, Herr Gott! Kam der Schmidt LICHT [gemeint ist: der Arzt] schon? DER BEDIENTE Ja, für die Deichsel. Was? LICHT Ihr meint, der Doktor. ADAM Was? LICHT DER BEDIENTE Für die Deichsel? Ach, was! Für die Hand. ADAM DER BEDIENTE Adies, ihr Herrn. – Ich glaub’, die Kerls sind toll. (V. 203–212) WALTER Hier ist der Platz, der eurem Amt gebührt, Und öffentlich Verhör, was ich erwarte. ADAM für sich: Verflucht! Ich kann mich nicht dazu entschließen –! – Es klirrte etwas, da ich Abschied nahm – LICHT ihn aufschreckend: Herr Richter! Seid ihr –? ADAM Ich? Auf Ehre nicht! Ich hatte sie [= die Perücke] behutsam drauf [= auf den Krug] gehängt, Und müßt’ ein Ochs gewesen sein – LICHT Was? ADAM Was? LICHT Ich fragte –? ADAM Ihr fragtet, ob ich –?

Aneinandervorbei-Reden

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V. Einzelanalysen

LICHT ADAM LICHT ADAM

Ob ihr taub seid, fragt’ ich. Dort Seiner Gnaden haben Euch gerufen. Ich glaubte – ? Wer ruft? Der Herr Gerichtsrat dort. für sich: Ei! Hol’s der Henker auch! Zwei Fälle [= Möglichkeiten] gibt’s, Mein Seel, nicht mehr, und wenn’s nicht biegt, so bricht’s. – Gleich! Gleich! Gleich! Was befehlen Ew. Gnaden? (V. 543–555)

Wirkung / Rezeption Die Uraufführung in Weimar wird ein Misserfolg, über dessen Ausmaße sich die Zeitzeugen verschieden äußern: Das Stück, von Goethe in drei Akte zerdehnt, wirkt langweilig, zumal Goethe es nicht mit dem nötigen Tempo spielen lässt; das Publikum äußert – einigen Zeugnissen zufolge – in einer für Weimarer Verhältnisse ungewöhnlich lauten Weise seinen Unmut. Die Zeitungen berichten darüber, so dass das Stück, als es dann 1811 im Druck erscheint, bereits bekannt ist. Nach Aufführungen 1816 in München und 1818 in Breslau hat das Lustspiel 1820 Erfolg in Hamburg, und zwar in einer von dem Hamburger Theaterdirektor Friedrich Ludwig Schmidt gekürzten und bearbeiteten Fassung, die dann 1824 auch im Druck erscheint. Der Berliner Aufführung 1844, mit der die eigentliche Erfolgsgeschichte des Stücks beginnt, wie den meisten weiteren Aufführungen in den folgenden Jahrzehnten, liegt Schmidts Fassung zugrunde. Die Wiener Erstaufführung findet 1850 statt; Friedrich Hebbel, der sich wiederholt für den Zerbrochnen Krug eingesetzt hat, schreibt bei dieser Gelegenheit, das Stück stehe „unendlich hoch“ und gehöre „zu denjenigen Werken, denen gegenüber nur das Publikum durchfallen kann“ (zit. nach Semdner 1982, 121). Um die Wende zum 20. und dann im 20. Jahrhundert wird das Stück in vielen Städten auf die Bühne gebracht. Von den Nationalsozialisten wird Kleist geschätzt, Der zerbrochne Krug wird 1937 sogar verfilmt (mit Emil Jannings als Richter Adam; Regie: Gustav Ucicky, Drehbuch: Thea von Harbou). Nach dem Zweiten Weltkrieg ist Der zerbrochne Krug, wie erwähnt, in der Bundesrepublik das beliebteste Lustspiel nach Minna von Barnhelm. Der Statistik zufolge, in der dann die Bundesrepublik, Österreich und die Schweiz zusammengefasst sind, überrundet Der zerbrochne Krug Lessings Stück in den achtziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts sogar noch und hält sich fast regelmäßig unter den dreißig meistgespielten Stücken (Deutscher Bühnenverein [Hrsg.] 1982 ff.).

3. Gerhart Hauptmann: Der Biberpelz In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – mit dem bürgerlichen (oder poetischen) Realismus als der dominierenden Strömung – tritt das Drama im Ganzen deutlich hinter die epische Dichtung und die Lyrik zurück. Die dem Realismus folgende Strömung des Naturalismus lässt dann umgekehrt das Drama recht eindeutig die Führung übernehmen; allerdings scheint ihre

3. Gerhart Hauptmann: Der Biberpelz

ganze Programmatik im Hinblick auf Themen und Formen eher dem ernsten Schauspiel und nicht der Komödie zugute zu kommen. Insofern ist es der individuellen künstlerischen Kraft Gerhart Hauptmanns zuzuschreiben, dass er mit dem Biberpelz eine überragende naturalistische Komödie geschaffen hat, ein Stück, das in den Bühnenspielplänen der Bundesrepublik unter den Lustspielen hinsichtlich der Beliebtheit noch bis Mitte der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts nach Lessings Minna von Barnhelm und Kleists Zerbrochnem Krug sogar den dritten Platz belegt (Hadamczik u. a. 1978, S. 32). Entstehung Das Stück, dem kein besonderer Anlass zugrunde liegt, entsteht 1892 und 1893, mithin zu einem Zeitpunkt, zu dem der Naturalismus im Begriff ist, sich als die „moderne“ Strömung im Bereich der Literatur durchzusetzen. Das Stück erscheint 1893 im Druck und wird noch im selben Jahr uraufgeführt. Entsprechend der im Programm des Naturalismus geforderten Realitätsnähe sind in der Komödie einige eigene Erlebnisse des Autors verarbeitet und vor allem die Begegnungen mit Menschen, die Hauptmann in Erkner (nahe Berlin) seit seinem Umzug dorthin 1885 kennen gelernt hat und die größtenteils so genau porträtiert sind, dass sie später identifiziert werden konnten (Fischer 1962; Requardt, Machatzke 1980, 204 f.). Handlung Das Stück, das eher handlungsarm ist, spielt in einem kleinen Ort in der Nähe von Berlin Ende der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts. Im Zentrum stehen Frau Wolff – Mutter Wolffen, wie sie von vielen genannt wird –, eine Waschfrau, und der Amtsvorsteher von Wehrhahn als Vertreter der Obrigkeit. Frau Wolff möchte um jeden Preis für ihre Familie den Aufstieg ins Bürgertum erreichen. Dass das mit Hilfe ehrlicher Arbeit gelingen könnte, glaubt sie freilich nicht: „Ma kommt halt uff die Art gar nich recht weiter“ (500). Daher wird nicht nur fleißig gearbeitet, sondern auch gewildert, und überdies schrickt Frau Wolff auch vor Diebstählen nicht zurück. Nachdem ihre ältere Tochter, Leontine, Dienstmädchen bei dem Rentier Krüger, spätabends nach Hause gelaufen ist, statt noch das angelieferte Brennholz des Rentiers von der Straße ins Haus zu schaffen, treibt Frau Wolff ihren Mann an, gemeinsam mit ihr das Holz zu stehlen, und nutzt später überdies Leontines Schlüssel zum Haus Krügers, um auch noch in den Besitz von dessen Biberpelz zu gelangen, den sie dem Spreeschiffer Wulkow verkauft. Der überhebliche und bornierte Amtsvorsteher von Wehrhahn, seit vier Monaten im Amt und fixiert auf die (in seinem Amtsbereich völlig unsinnige) Jagd nach staatsfeindlichen Elementen, gibt sich nicht ernsthaft Mühe, die Diebstähle aufzuklären, obwohl der bestohlene Krüger ihn bedrängt. Wie sehr von Wehrhahn die tatsächlichen Sachverhalte verkennt, zeigt der offene Schluss des Stücks: von Wehrhahn bekundet mit Berufung auf die tieferen Einsichten, über die er verfüge, im Beisein von Frau Wolff und Wulkow seine Überzeugung, Frau Wolff, tatsächlich ja die Diebin, sei „eine ehrliche Haut“, während der Doktor Fleischer, ein harmloser Privatgelehrter, mit Sicherheit „ein lebensgefährlicher Kerl“ (542) sei.

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V. Einzelanalysen

Frau Wolff

Figuren Die Figuren lassen sich in drei Gruppen zusammenfassen: Da ist zunächst die Familie Wolff, also neben Frau Wolff ihr Mann Julius, von Beruf Schiffszimmermann, und die beiden Töchter Leontine und Adelheid, dazu der Schiffer Wulkow. Eine zweite Gruppe bilden der Amtsvorsteher von Wehrhahn und der sich ihm andienernde Motes, ein Verfasser von Texten für „Forst- und Jagdzeitungen“ (508), mitsamt seiner Frau sowie der Amtsschreiber Glasenapp und der Amtsdiener Mitteldorf. Übrig bleiben noch – quasi als eine dritte Gruppe – der Rentier Krüger und Doktor Fleischer, die einerseits Vorbehalte haben gegenüber dem arroganten Repräsentanten der Obrigkeit, von Wehrhahn, und die sich andererseits als Angehörige des Besitzbürgertums (Krüger) bzw. des Bildungsbürgertums (Doktor Fleischer) von der proletarisch-kleinbürgerlichen Schicht der Frau Wolff abgrenzen. Frau Wolff – ein kämpferischer Name – ist die Hauptperson. In ihrer Arbeit als Waschfrau ist sie außerordentlich fleißig und rührig: „Das Weibsbild arbeitet wie vier Männer“ (512), sagt der Amtsvorsteher von ihr. Sie ist sehr resolut, besonders wenn sie ihren eher trägen Mann antreibt oder kritisiert: „Wenn du bloß nich aso schrecklich tumm wärscht“ (488), „Du hast keene Bildung, Julian“ (488), „Von solchen Sachen [= wie man taktisch klug mit Menschen umgeht] verstehst de zu wenig.“ (499) „Wenn du bloß nich aso feige wärscht“ (499), „Du bist doch a hagelshorntummer Kerl“ (519). Ihre Dominanz ist so offenkundig, dass man sie „im aktuellen Zusammenhang mit der Frauenemanzipationsbewegung“ (Requardt, Machatzke 1980, 194) sehen muss, noch nicht allerdings im Zusammenhang mit der (von dem Altertumsforscher Johann Jakob Bachofen entwickelten) Vorstellung eines ursprünglichen Matriarchats (Seidlin 1969), einer Vorstellung, die erst beim späteren Hauptmann eine Rolle spielt (Scheuer 1986, 58). Trotz ihrer Resolutheit ist Frau Wolff jedoch auch empfindsam, wo es angebracht ist, etwa bei dem Besuch des Sohnes von Doktor Fleischer, des fünfjährigen Philipp, der sie an ihren verstorbenen eigenen Jungen erinnert. Sie ist konservativ, was die Moral der Töchter betrifft, und zugleich völlig skrupellos – „gleichsam reflexionslos und ohne schlechtes Gewissen“ (Jacobs 1977, 196) – bei den Diebstählen: Als ihr Mann meint: „Ick kann doch nich stehlen“, antwortet sie: Hier hat kee Mensch von stehln gered’t. Wer halt nich wagt, der gewinnt ooch nich. Und wenn de erscht reich bist, Julian, und kannst in der Eklipage sitzen, da fragt dich kee Mensch nich, wo de’s her hast. Ja, wenn ma’s von armen Leiten nähme! (501) Da Frau Wolff „Bildung und Besitz, Ansehen und Erfolg […] als die eigentlichen Werte der Bourgeoisie durchschaut“ hat (Oberembt 1995, 151), ist auf ihre Initiative hin das Grundstück gekauft worden, das freilich noch nicht abbezahlt ist. Anschließend sollen (wohl in einem Anbau) „a paar hibsche Stub’n“ errichtet werden, um Sommergäste unterbringen zu können, denn Sommergäste, „die bringen’s hauptsächlich“ (500). So zielstrebig Frau Wolff einerseits ist, so sehr bleibt sie andererseits in borniert-kleinbürgerlichem Denken befangen. Zum Beispiel ist für sie das Theater das Gleiche wie die vornehme Welt schlechthin. Stolz erzählt sie, dass ein Sanitätsrat zu ihr gesagt habe: „Ihre Tochter is so ein scheenes Mädchen, die kann beim Theater Farure machen“ (488). Und der Bruder von Doktor Fleischer ist für sie etwas

3. Gerhart Hauptmann: Der Biberpelz

Besonderes, denn „der is doch Kassierer beim Theater.“ (491) Der windige Schriftsteller Motes berichtet dem Amtsvorsteher: „Ihre Töchter sollen zur Oper gehen …“ (512), woraufhin von Wehrhahn einräumt: „Na ja, da mag ja wohl ’ne Schraube los sein.“ (512) Dass Frau Wolff meint, ihre Töchter „gebild’t erzogen“ zu haben (488), bezeugt jedenfalls den Drang nach oben ebenso wie die Marotte, ihren Mann Julius mit dem vornehmeren Namen „Julian“ anzusprechen, und wie ihr verkehrter Fremdwort-Gebrauch: „Konferenz“ (Kompetenz – 488), „a pee a pee“ (488), „Tenuntiat“ (Denunziant – 489). Bei dem einfältigeren, zum Jähzorn neigenden Julius Wolff, den Frau Wolff nach Belieben manipuliert, oder bei dem in die kriminellen Vorgänge mitverwickelten Schiffer Wulkow muss man sich nicht lange aufhalten, ebenso wenig wie bei den Wolffschen Töchtern. Die Jüngere, Adelheid, durchschaut die Machenschaften ihrer Mutter genau; und dass in diesem Sinne das Milieu, in dem Adelheid aufwächst, ihre Entwicklung mitbestimmt, verrät eine Bühnenanweisung, derzufolge Adelheid zwar ein hübsches Kindergesicht besitzt. „Der Ausdruck ihrer Augen aber verrät frühe Verderbnis“ (489). Amtsvorsteher von Wehrhahn auf der anderen Seite wird durch und durch satirisch bloßgestellt. Schon sein Name ist sprechend – ein wehrhafter Gockel – und lässt an die Rolle des Militärs im Kaiserreich denken, zumal die Zeitangabe zu Beginn des Dramas – „Septenatskampf gegen Ende der achtziger Jahre“ (483) – ausdrücklich an die Auseinandersetzungen zwischen Parlament und Regierung um die Präsenzstärke des Heeres zu Friedenszeiten erinnert (Bellmann 1989, 5) erinnert. Dementsprechend „befleißigt“ von Wehrhahn „sich militärischer Kürze im Ausdruck“ (504), er ist herrschsüchtig und hochmütig und sieht sich als den „König“ (516) im Ort. Eingenommen von sich selbst, meint er, Krüger wolle gegen ihn „wühlen und intrigieren“ (516). Dabei agiert er im Dienst gänzlich fahrig und konzeptionslos; so befasst er sich wiederholt mit mehreren Vorgängen gleichzeitig und darum mit keinem richtig, indem er sich in ständigem Wechsel an die anwesenden Personen wendet und sie nach ihrem jeweiligen Anliegen befragt. Zu einer Karikatur eines Repräsentanten des Staates wird er vollends durch sein Sendungsbewusstsein: „Ich erfasse mein Amt als heiljen Beruf.“ (533) Er sieht sich im Kampf für die „höchsten Güter der Nation“ (517): „Dunkle Existenzen, politisch verfemte, reichs- und königsfeindliche Elemente“ (508) sind es daher, die er um jeden Preis ausfindig zu machen sucht – „Wölfe im Schafspelz“, die „janze jroße Ortschaften in die Luft“ sprengen (533) –, so dass er sich mit der lokalen Kleinkriminalität nicht weiter befassen mag. Wenn er Motes argwöhnisch fragt, ob Doktor Fleischer sich nicht vielleicht einmal kritisch über „eine Persönlichkeit“ geäußert habe, „die uns allen ehrfurchtgebietend hoch steht“ (509), wird nicht recht deutlich, ob er eine regelrechte Intrige anzuzetteln versucht. Er legt hier dem Denunzianten Motes die entsprechenden Worte eher in den Mund, als dass dieser sie wirklich ausspricht. Motes erklärt sich dann allerdings bereit, sie zu beeiden. Von Wehrhahn schließt den Punkt mit einer Bemerkung ab, die wie ein Auftrag aufgefasst werden kann: „Das beste wäre ja allerdings, wir könnten noch einen Zeugen bekommen.“ Motes’ Antwort bleibt vage: „Ich müßte mich umsehen, Herr Baron.“ (509)

Von Wehrhahn

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V. Einzelanalysen Weitere Figuren

Naturalismus

Noch weitergehend typenhaft gezeichnet als der Amtsvorsteher ist der eben erwähnte Schriftsteller Motes, den Krüger (536), Doktor Fleischer und Frau Wolff (524) als Schwindler bezeichnen. Er sucht sich mit der Obrigkeit gut zu stellen, existiert auf Pump und versucht schließlich eine Witwe zu einem Meineid gegen Doktor Fleischer zu verleiten, so dass dann selbst von Wehrhahn – ob er nun einen Auftrag erteilt hat oder nicht – auf Distanz zu Motes geht. – Der Amtsschreiber Glasenapp schließlich versieht beflissen seinen Dienst, und der etwas schläfrige, aber liebenswerte Amtsdiener Mitteldorf ist vor allem dem Alkohol zugetan. Der Rentier Krüger und Doktor Fleischer sind keiner dieser beiden Gruppen zuzuordnen. Krüger, ehedem Tischler (491), nun gutsituiert, cholerisch und schwerhörig, besitzt genügend Selbstbewusstsein, um regelmäßig seine Interessen anzumelden, weshalb er denn in von Wehrhahns Augen als ein „Querulant“ (507) erscheint – eine vielleicht nicht so ganz falsche Bewertung. Doktor Fleischer dagegen tritt vor allem als besorgter Vater seines fünfjährigen Philipp in Erscheinung sowie mit seinem Versuch, das Seine zur Aufklärung der Diebstähle beizutragen, deren Opfer Krüger geworden ist. Dass er unter anderem „demokratische“ Zeitungen (505) liest und an einer Feier zu „Kaisers Geburtstag“ (533) nicht teilgenommen hat, schürt den Argwohn des Amtsvorstehers gegen ihn. Hauptmann hat in der Figur dieses Doktor Fleischer – bis hin zu dessen betont gesundheitsbewusst gewählter Kleidung – ein gewisses Porträt seiner selbst gegeben (Requardt, Machatzke 1980, 206–208; Richter 1987). Deutungsaspekte Dass das Stück vier Akte besitzt (nicht fünf oder drei) und mit einem offenen Schluss endet – die Diebstähle werden eben nicht aufgeklärt –, dies bedeutet einen Bruch mit der gewohnten Komödientradition, und zwar nicht nur in einem äußerlich-formalen Sinn. Vielmehr fehlt dem Stück aus der Sicht des zeitgenössischen Publikums eine zielstrebige Handlung, also eine Handlung, deren Abschluss eben in der Aufklärung der Diebstähle zu liegen hätte. Dass ein Drama sich in so hohem Maße mit der Charakterisierung von Personen und der Schilderung ihres Milieus begnügen kann, das ist neu. Bezeichnend für die gängigen Vorstellungen von einer in sich abgerundeten Handlung ist die Begründung, mit der die Zensur die Komödie zur Uraufführung freigibt: Eine in sich abgeschlossene Handlung hat „Der Biberpelz“ nicht. Das Stück besteht aus einer Reihe von Bildern […]. Kleinmalerei ohne alle Handlung von Belang, welche in solcher Ausdehnung nur langweilt. Bedenken gegen die Gestattung einer öffentlichen Aufführung werden nicht erhoben werden können. Daß das öde Machwerk mehrere Aufführungen erleben dürfte, steht kaum zu erwarten. (Bellmann 1989, 30) Hauptmanns Verzicht auf eine zielstrebige Handlung lässt sich unschwer mit Akzentsetzungen des Naturalismus erklären, die freilich der Gattung der Komödie keineswegs entgegenkommen, ja, die das Stück vielmehr „mit der schwierigen Kombination naturalistischen Stils und komischer Form“ (Oberembt 1995, 146) belasten. Der Naturalismus ist interessiert an der wirklichkeitsnahen Schilderung von Milieus und bemüht sich, die Men-

3. Gerhart Hauptmann: Der Biberpelz

schen in dem Milieu zu zeigen, in dem sie aufwachsen und leben und das ihre Eigenart mitbestimmt (hinlänglich bekannt sind ja die pointierten Charakterisierungen der Figuren bereits in den Bühnenanweisungen der naturalistischen Dramen). Überdies wird regelmäßig auch der Zeithintergrund – im vorliegenden Stück etwa die obrigkeitsstaatliche Gesinnung (vgl. Trautwein 1988, 201–203) – mit einbezogen. Der Naturalismus lässt daher die Handlung deutlich hinter die Vorführung von Personen zurücktreten und bevorzugt die Darstellung von Situationen und Zuständen. Damit hängt zusammen, dass der Naturalismus im Ganzen eher auf die Illusion der Unmittelbarkeit, den Schein von Nähe eingerichtet ist, während die Komödie Distanz voraussetzt. Die Versöhnung von Naturalismus und Komödie gelingt Hauptmann dennoch, da er naturalistische Momente vielfach eher andeutet als ausmalt, so dass er ihnen doch noch komische Wirkungen abgewinnen kann. Das Milieu ist zwar „vorhanden“, aber keineswegs als „erbarmungswürdig“ geschildert (Ruttmann 1980, 53 f.). „Mitleidweckende Motive naturalistischer Sozialbeschreibung – das Elend der Dienstboten [Leontine], das Prügeln der Kinder [Julius Wolff], der Fuselgenuß der Männer [Mitteldorf] – werden“ nicht breit ausgemalt und auf diese Weise im Grunde „verharmlost“ (Oberembt 1995, 153). Was die Personengestaltung betrifft, so erinnern die Figuren zwar ein wenig an herkömmliche Typen der Komödie. Hauptmann verfügt jedoch über die Fähigkeit, Figuren mittels weniger Details so weit zu individualisieren, dass sie dann eben doch nicht mehr nur als typenhaft erscheinen, was den naturalistischen Ambitionen entspricht. Die oben erwähnte Tatsache, dass die realen Personen, die für die dramatischen Figuren Modell gestanden haben, wiedererkannt worden sind, ist zudem ein äußerlicher Beleg für die Wirklichkeitsnähe der Personengestaltung. Im Übrigen unterscheidet Frau Wolff sich durch ihre Aktivität von zahlreichen Figuren in anderen naturalistischen Dramen, Figuren, die oft sehr passiv erscheinen und als ganz und gar bestimmt von ihrer sozialen Umwelt (Trautwein 1988, 182). Das Stück lädt nicht zu einer moralischen Bewertung des Verhaltens der Sympathieträger ein. Natürlich stehen diese nicht über den moralischen Normen. Frau Wolffs Aktionen sind und bleiben krimineller Natur. Aber ihr „Immoralismus“ ist gewissermaßen „vormoralisch“ (Schrimpf 1976, 403). Der den Naturalisten verbundene Literat und Kritiker Otto Erich Hartleben entdeckte in dem Stück jedenfalls eine „geniale moralische Unbefangenheit, mit der die Menschen und die Dinge gesehen und hingestellt sind“ (zit. nach Bellmann 1989, 50). Auf Empörung seitens der Rezipienten zielt dagegen die Bloßstellung der satirisch gezeichneten Figuren, wenngleich das Satirische von der Übersteigerung lebt und somit ja eigentlich nicht der naturalistischen Maxime der Wirklichkeitswiedergabe gehorcht. Die intendierte Wirklichkeitstreue – in Milieu, Psychologie und Sprache – verhindert zwar bloß selbstzweckhafte komische Mittel wie Slapsticks, Clownereien, bloße Wortwitze. Indessen bietet die Sprachgestaltung doch die Möglichkeit gewisser karikaturistischer Übertreibungen im Dienste der satirischen Intentionen. Und wenn ein in der traditionellen Komödie sehr wichtiges handlungsbestimmendes Element wie die Intrige hier fehlt, so

Personengestaltung

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V. Einzelanalysen

wird es immerhin zufriedenstellend ersetzt – durch das Kriminelle (Martini 1979 a, 214 f.).

Figuren

Sprache

Komödienspezifische Züge Im Vorstehenden sind bereits einzelne komödienspezifische Züge erwähnt worden, mit deren Hilfe das Stück die gewisse Spannung zwischen den Maximen des Naturalismus und der Gattung der Komödie beseitigt. Was die Anlage des Stücks betrifft – vier Akte mit räumlichen und personellen Entsprechungen zwischen erstem und drittem sowie zweitem und viertem Akt –, so erlaubt diese Anlage Wiederholungen (zum Teil mit Variationen), die traditionellerweise im Sinne von Steigerung oder Redundanz (Martini 1979 a, 220) komische Effekte erzielen. Die Figuren, wie schon angedeutet, erscheinen – entsprechend dem Hauptmannschen Interesse am Typischen – immerhin so weit typisiert, dass sie Erinnerungen an traditionelle Lustspieltypen erlauben (Martini 1979 a, 226). Frau Wolff freilich ist, wie ebenfalls bereits angedeutet, durchaus komplexer gestaltet – „Die Diebsfigur wird in ihr zur Schelmenfigur“ (Martini 1979 a, 230) –, so dass sie im Grunde bereits als „Charakter“ angesprochen werden kann. Regelrecht komische Figuren enthält das Stück nicht, aber einige der Personen haben doch ganz deutlich schrullige Seiten. Das gilt für den etwas schwerhörigen und leicht cholerischen Rentier Krüger mit seinem sächselnden Idiom („Ach Chott!“, „Pestohlen bin ich“, „Nicht das keringste“ [509 f.]) ebenso wie für den trägen Julius Wolff, den seine Frau nach Belieben mit Beschimpfungen oder Schnaps lenkt. Und besonders schrullig wirkt der Amtsdiener Mitteldorf, ein einfältiger Alkoholiker: „[…] ’t liecht wat in de Luft. – Wat, weeß ich noch nich. Aber det wat liecht, det weeß ick so sicher“ (529). Dass von Wehrhahn „nahezu im Fistelton“ spricht (504), passt ganz und gar nicht zu seinem Auftreten und ist eines der traditionellen gröberen komischen Mittel, wie es sie aber sonst in diesem Stück kaum gibt. Von unterschiedlicher Art ist eine Vielzahl komischer sprachlicher Effekte. Dialekte sind, je für sich genommen, nicht komisch. Hier aber wirkt ihr Aufeinandertreffen doch mitunter belustigend: Frau Wolff vermengt Schlesisches und Berlinerisch-Märkisches, plattdeutsche Elemente begegnen bei Wulkow und Julius Wolff, Krüger sächselt, Leontine, Adelheid, Glasenapp und Mitteldorf sprechen Berlinerisch, Fleischer spricht hochdeutsch, Wehrhahn wechselt je nach Rang der Gesprächspartner zwischen einem herablassenderen Berlinerisch und einem amtlicheren Hochdeutsch. Schlechterdings nur witzige Äußerungen – das ist eine andere Ebene – sind nicht sehr häufig. Als von Wehrhahn meint, Motes, der bei einem Jagdunfall ein Auge verloren hat, bekomme „so ’ne Art Schmerzensjeld“, korrigiert Glasenapp: „Ich jloobe, der Mann hat mehr die Schmerzen. Von Geld hat noch keener bei dem was bemerkt.“ (506) Auch Frau Wolff, die aus Schlesien stammt, hat sich doch ein wenig Berliner Witz angeeignet; so sagt sie über den Amtsvorsteher: „Ich seh’ durch mei Hiehnerooge mehr wie der durch sein Glasooge.“ (526). Und ihr Realitätssinn kommt bisweilen in trockenen Wendungen zum Vorschein: Leontine mault über den Dienst bei Rentier Krüger: „Ick jeh’ nich mehr bei die Leute hin. Denn jeh’ ick lieber int Wasser, Mama!“ Darauf Frau Wolff: „Na, daßte ock bloß keen’n Schnuppen krigst.“ (486) Mit solchen Äußerungen, wie schon angedeutet, werden

3. Gerhart Hauptmann: Der Biberpelz

Motive – wie hier der mögliche Selbstmord eines überarbeiteten Dienstmädchens – für die Komödie gerettet, die in anderen naturalistischen Dramen mit Katastrophen verbunden sind. Das gilt auch für das Motiv des Alkoholismus, das in der Gestalt des trotteligen Mitteldorf komisch behandelt wird, wenn dieser „mal ’n bißken int Wirtshaus“ geht, „det de Sorjen een nich janz unterkriejen“ (503), und dann aus Angst vor seiner Frau am liebsten nicht nach Hause gehen möchte, so dass Frau Wolff ihm gut zuredet: „Wenn se halt schimpft, denn schimpfen Se wieder, und wenn se haut, denn haun se wieder.“ (503) Vor allem aber komisch wirkt es, wenn – im Grenzbereich zwischen Situationskomik und Sprachwitz – eine für den Rezipienten erkennbare Diskrepanz zwischen einem Sachverhalt und einer darauf bezogenen Äußerung – meist aus dem Munde Frau Wolffs – besteht. Noch vergleichsweise harmlos ist das im Zusammenhang mit dem gewilderten Rehbock: FRAU WOLFF […] Wenn Wulkow kommt, was soll er’n geben? Na, Märker zwölwe doch janz jewiß! Ab. JULIUS FRAU WOLFF wegwerfend. I, Märker zwelwe! (490) Später – die Feilscherei hat bei dreizehn Mark angefangen und dauert noch an –: WULKOW Wie is et nu? Sechzehn? FRAU WOLFF Unter achtzehn is nich. Nich unter achtzehn, hat Julian gesagt. […] Wenn der sich aso was in a Kopp setzt – Julius kommt herein. Na Julius, du hast doch gesagt: achtzehn Mark? Wat hebb’ ick jesacht? JULIUS FRAU WOLFF Du hörscht woll wieder amal nich gutt! Du hast doch gesagt, nich unter achtzehn. Um weniger soll ich den Bock doch nich hergeben. Ick hebbe jesacht?… Ja so, det Stück Wild. Ja! So! Hm! Det JULIUS is ooch noch ja nich zu ville. (494) Geistesgegenwärtig dichtet Frau Wolff hier ihrem begriffsstutzigen Mann eine Schwerhörigkeit an. Recht forsch, dabei aber souverän reagiert sie – im Beisein des Amtsvorstehers – in der Konfrontation mit Krüger, der sich darüber erregt, dass Leontine das hernach gestohlene Holz nicht rechtzeitig reingeräumt hat: „Sie werden’s mir Heller bei Pfennig ersetzen.“ Darauf Frau Wolff: „I, ja doch! Das wär’ ane neie Mode! Hab ich Ihn vielleicht Ihr Holz gestohlen?“ (514) Regelrecht unverfroren ist später ihr Verhalten im Gespräch mit Fleischer: FLEISCHER FRAU WOLFF FLEISCHER FRAU WOLFF

Sie haben halt wieder mal eingebrochen. Gestohlen? Machen Se bloß keenen Unsinn. Und zwar einen nagelneuen Pelz. Nee, wissen Se, nächstens zieh ich fort. Das is ja eine Bande dahier! Da is ma ja seines Lebens nich sicher! Z! Z! Solche Menschen! Ma sollt’s nich glooben! […] Was missen bloß das fer Menschen sein! Das will een doch gar nich in a Kopp. (525 f.)

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V. Einzelanalysen Situationskomik

Solche situationsgerechten und sprachgewandten Reaktionen wirken auf den Rezipienten komisch, da er sich aufgrund seines Wissensvorsprungs den Mitspielenden gegenüber als überlegen empfinden kann. Voraussetzung ist freilich, dass der Rezipient durch den bisherigen Gang des Geschehens dazu gebracht worden ist, mit Frau Wolff zu sympathisieren und ihre „instinkthafte Verstellungsgabe“ (Oberembt 1995, 151) zu bestaunen, wenn nicht gar zu bewundern. Zudem dämpft die Feststellung, die reichen Krügers würden durch den Verlust des Holzes „noch lange nich ärmer“ (501), das mögliche Mitleid des Rezipienten mit den Bestohlenen. So kann man denn auch die Situationskomik genießen, dass der ahnungslose Krüger ausgerechnet mit einem der ihm gestohlenen Holzknüppel seinen Ärger unterstreicht, während die Diebin sich zum Schein über die Kriminalität entrüstet: FRAU WOLFF Hier muß amal richtig gereenigt werden, daß amal Ruhe wird in dem Nest. Sie stehlen een ja sonst’s Dach ieberm Koppe. […] In vierzehn Tagen zwei solche Diebstähle! Zwei Meter KRÜGER Knüppel, wie Sie dort haben. Er nimmt einen der Knüppel in die Hand. So chutes, teures Holz, Frau Wolff. FRAU WOLFF Nee, ärgern könnt’ ma sich, daß ma grien wird. Was hier fer ane Bande sitzt … Pfui Teifel! Nee so was! äh! Laßt mich zufriede! ficht wütend mit dem Knüppel in der Luft herum. Und KRÜGER wenn’s mich tausend Taler kost, ich werde den Tieben schon auf die Spur komm. Die Leute entkehen dem Zuchthause nicht. FRAU WOLFF Das wär’ ooch a Segen. Wahrhaft’gen Gott! (528) Hat am Ende des ersten Akts der ahnungslose Mitteldorf unfreiwillig bei der Vorbereitung des Holzdiebstahls geholfen, so sorgt gegen Ende des Stücks sogar sein Vorgesetzter, der Amtsvorsteher selbst, für Situationskomik. Konfrontiert mit einem Verdacht gegen einen Schiffer, der einen Biberpelz getragen hat, stellt er dem zufällig anwesenden Wulkow, der tatsächlich jener Schiffer gewesen ist, die Frage: „Tragen […] die Spreeschiffer öfter Pelze?“ Worauf Wulkow antwortet: „Manch eener hat seinen Pelz, immerzu. […] Ick hebbe sojar all ooch selber eenen.“ (537) Was von Wehrhahn veranlasst, jenen nur allzu gut begründeten Verdacht unter den Tisch fallen zu lassen. Und dass er ganz am Schluss, wie zitiert, im Brustton der Überzeugung lauter Verkehrtheiten verkündet, stellt natürlich eine besonders komische Pointe dar. Soweit das Stück satirisch verfährt, schränkt es – in von Fall zu Fall unterschiedlichem Grade – die komischen Wirkungen ein durch die Antipathie, die es gleichzeitig gegen die satirisch behandelten Personen hervorruft. So könnten zahlreiche überhebliche Äußerungen von Wehrhahns aufgrund ihrer Unangemessenheit komisch wirken, wenn sie nicht zugleich als ärgerlich empfunden werden müssten. Sein Versagen in seinem Amt und sein unangemessenes Verhalten gegenüber Krüger und Doktor Fleischer kann daher immer wieder nur so weit belustigen, wie die Kontrahenten nicht ihrerseits die Sympathien binden und darum die Antipathie auf den Amtsvorsteher lenken. In noch höherem Maße satirisch bloßgestellt werden dann

3. Gerhart Hauptmann: Der Biberpelz

auch Motes und seine Frau, etwa durch ihre unverhohlene Schnorrerei, ohne dass dies noch komisch wirken würde, weil eben die hinterhältigen Züge dieser Figuren zu deutlich dominieren. Wirkung / Rezeption Bei der Uraufführung 1893 ist das Publikum insofern befremdet, als es einen fünften Akt erwartet hat, in dem die Diebstähle hätten aufgeklärt werden können. Auch von der Kritik wird der offene Schluss getadelt. Erst mit einer Inszenierung in Wien im Jahr 1897 beginnt der dann freilich anhaltende Bühnenerfolg, der sich, wie erwähnt, noch nach dem Zweiten Weltkrieg fortsetzt. Selbst in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts gelangt das Stück in einzelnen Spielzeiten noch unter die fünfzig auf deutschsprachigen Bühnen meistaufgeführten Dramen (Deutscher Bühnenverein [Hrsg.] 1982 ff.). Verfilmt wird Der Biberpelz mehrfach, so 1928 als Stummfilm (Regie: E. Schönfelder), dann 1937 (Regie: Jürgen von Alten, Drehbuch: Georg C. Klaren, mit Ida Wüst und Heinrich George) und 1949 (Regie: Erich Engel, mit Werner Hinz und Fita Benkhoff bei der DEFA/DDR). Eine Fernsehinszenierung entsteht 1962 (Regie: John Olden, mit Inge Meysel). 1901 schreibt Hauptmann eine Art Fortsetzung der „Diebskomödie“, nämlich eine „Tragikomödie“ mit dem Titel Der rote Hahn, in der „aus den Landproletariern […] besitzende Kleinbürger geworden“ sind, „Wohlstandsproletarier, […] angetrieben […] von skrupelloser Profitgier“ (Schrimpf 1976, 409). Bemerkenswerterweise folgt Der rote Hahn sehr viel strenger als Der Biberpelz den naturalistischen Maximen, er enthält – als Tragikomödie – darum auch sehr viel weniger Komödiengemäßes (Ruttmann 1980) und hat im Ganzen nur geringen Erfolg. 1951 werden beide Stücke, Der Biberpelz und Der rote Hahn, von Bertolt Brecht und seinem Berliner Ensemble (Regie: Egon Monk, Frau Wolff: Therese Giehse) in bearbeiteter Form als ein Sechsakter aufgeführt. Dabei findet Hauptmanns Kunst der Beobachtung große Anerkennung. Neu ins Spiel gebracht wird die Arbeiterbewegung, vertreten durch einen sozialdemokratischen Metallarbeiter. Im Vergleich mit dessen radikalerer Position wirkt der Liberalismus Dr. Fleischers etwas schwächlich, und Dr. Fleischer selbst, so Brecht, bekommt „einen leise komischen Anstrich“. Wie schon bei Hauptmann vorgesehen, endet auch die Bearbeitung mit dem Tod der (ehemaligen) Frau Wolff. Nur soll in der Konfrontation mit der sozialdemokratischen Haltung des Arbeiters dieser Tod jetzt „das dicke Ende des individualistisch geführten Existenzkampfes der Wolffen“ zeigen (Brecht, zit. nach Bellmann 1989, 64). Die damit signalisierte Erwartung, es werde geschichtlich erwiesen werden, dass die sozialistische Gesellschaft der bürgerlichen überlegen sei, markiert zugleich „die Grenzen der Brechtschen Bearbeitung“, nämlich die Gebundenheit an deren eigenen historischen Standort (Müller 1994, 24).

4. Carl Zuckmayer: Der Hauptmann von Köpenick Der Hauptmann von Köpenick, Zuckmayers erfolgreichstes Stück, ist in den ersten drei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg – nach Lessings Minna von Barnhelm, Kleists Zerbrochnem Krug und Hauptmanns Biber-

„Der rote Hahn“

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V. Einzelanalysen

pelz – das beliebteste Lustspiel auf den Bühnen der Bundesrepublik (Hadamczik u. a. 1978, 32). Diese Beliebtheit verdankt es seiner Vielgestaltigkeit, nicht zuletzt aber auch den politischen Besonderheiten der Nachkriegszeit: Es verarbeitet einen historisch-zeitgeschichtlichen Stoff und ist darin thematisch nicht unpolitisch, ohne doch den Rezipienten unmittelbar die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zuzumuten, es ist bei aller Beschäftigung mit Militär und Militarismus doch zugleich ein Volksstück mit vielen zeitunabhängigen Elementen, es ist eine wirkliche Komödie, die indessen neben einer ganzen Bandbreite von komischen Zügen – von kritisch-satirischen bis hin zu albern-schwankhaften – auch mancherlei rührende Elemente enthält. Einen märchenhaften Charakter besitzt es freilich nicht – trotz einiger Bezugnahmen auf die Grimmschen Märchen und trotz der Gattungsbezeichnung „Ein deutsches Märchen in drei Akten“. Diese Gattungsbezeichnung verschiebt den Begriff des Märchens ins Metaphorische, indem sie die geographische Unbestimmtheit des Märchenhaften durch die Fixierung „deutsch“ unterläuft und dadurch signalisiert: eine phantastische Geschichte, die nur in einem ganz bestimmten Land (und vielleicht auch nur zu einer ganz bestimmten Zeit) möglich ist. Entstehung Das Stück verarbeitet ein historisches Vorkommnis aus dem Jahr 1906: Der 57-jährige Schuster Wilhelm Voigt, der wegen mehrerer Diebstähle und Urkundenfälschungen fast dreißig Jahre seines Lebens hinter Gittern verbracht hat, gerät mehrmals nach seiner Entlassung in einen Teufelskreis der Bürokratie: Von seiner Heimatgemeinde wegen seiner Vorstrafen ausgebürgert, bekommt er andernorts, wo immer er nachfragt, ohne Arbeit keine Aufenthaltsbewilligung und ohne Aufenthaltsbewilligung keine Arbeit, und weil er nirgendwohin gehört, bekommt er auch keinen Pass, der es ihm ermöglichen würde, im Ausland nach Arbeit zu suchen. In der Hoffnung, nach der vorerst letzten Entlassung mittels eines Handstreichs zu einem Pass zu gelangen, führt Voigt, verkleidet als Hauptmann, eine Abteilung Soldaten in das Rathaus von Köpenick (nahe Berlin), verhaftet den Bürgermeister und nimmt die Gemeindekasse mit, nachdem er erfahren hat, dass in Köpenick keine Pässe ausgestellt werden. Er wird hernach zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, aber bereits nach zwanzig Monaten freigelassen, und vermarktet hinfort seine Geschichte. In seinen „Erinnerungen“ (Als wär’s ein Stück von mir) erzählt Zuckmayer, dass der Schauspieler und Regisseur Fritz Kortner ihn im Sommer 1930 auf den Stoff aufmerksam gemacht habe, wobei Kortner zunächst an eine Verfilmung gedacht habe. Nachdem er, Zuckmayer, zuvor mit seiner Bemühung um eine Dramatisierung des Eulenspiegel-Stoffs gescheitert sei, habe er plötzlich begriffen, dass der Schuster Wilhelm Voigt sein ,Eulenspiegel‘ sei, ein armer Teufel, der seiner Zeit den Spiegel vorhält. Das Stück entsteht in zwei Monaten, ist im November 1930 bereits abgeschlossen und erscheint noch im Jahr 1930 im Druck. Die Uraufführung findet am 5. März 1931 im Deutschen Theater Berlin unter der Regie von Heinz Hilpert statt; die Titelrolle spielt Werner Krauß.

4. Carl Zuckmayer: Der Hauptmann von Köpenick

Handlung Das Stück entfaltet in einer Serie aneinandergereihter Einzel-Episoden (in insgesamt 21 Szenen) zwei separate Ereignissequenzen, die sich im ersten Akt („etwa um die Jahrhundertwende“) gelegentlich berühren, bevor sie dann im dritten Akt („zehn Jahre später“) zusammengeführt werden. Im Zentrum der einen Ereignissequenz, der eigentlichen Handlung, steht Wilhelm Voigt, zu Beginn des Stücks 46 Jahre alt, vor kurzem aus dem Gefängnis entlassen und vergeblich auf Arbeitssuche. Auf dem Potsdamer Polizeirevier erfährt er hinsichtlich seines Vorlebens: „Was in Ihren Personalakten steht, das ist Ihnen so festgewachsen wie die Nase im Gesicht.“ (19) Das bringt ihn auf den Gedanken, in das Polizeirevier einzubrechen, um seine dort befindliche Personalakte zu vernichten und sich einen Pass zu verschaffen, der ihm die Ausreise ins Ausland ermöglichen würde. Die Unternehmung schlägt fehl, Voigt muss für zehn Jahre ins Gefängnis. Danach findet er vorübergehend Unterschlupf bei seiner Schwester und seinem Schwager in Rixdorf. Auch hier bekommt er aber keine Aufenthaltserlaubnis, so dass er beschließt, sich in einem Handstreich einen Pass zu verschaffen, um wieder nach Böhmen zu gehen, wo er schon einmal Arbeit gefunden hat. Er besorgt sich bei einem Trödler eine ausrangierte Uniform, nimmt eine Gruppe von Soldaten, auf die er trifft, unter sein Kommando, besetzt das Köpenicker Rathaus, verhaftet den Oberbürgermeister, den er nach Berlin überstellen lässt, und zieht mit der Gemeindekasse davon, nachdem er erfahren hat, dass in Köpenick keine Pässe ausgestellt werden. Unter der Bedingung, dass er zu gegebener Zeit einen Pass erhalten werde, stellt er sich den Behörden und erzählt den anwesenden Beamten den Hergang der Geschichte. Damit endet das Stück. Neben den Szenen, in denen sich diese Handlung vollzieht, gibt es eine zweite Ereignissequenz, nämlich eine Anzahl von Szenen, die motivisch durch eine in ihnen jeweils wiederkehrende Uniform miteinander verknüpft sind. Die Geschichte dieser Uniform oder, genauer, deren Niedergang ergibt quasi eine zweite „Handlung“, die viel an Atmosphärischem vermittelt und nebenbei erkennbar macht, wie sehr der Militarismus das Denken der Menschen prägt. Angefertigt wird diese Uniform von dem Uniformschneider Wormser für den Hauptmann von Schlettow, der unfreiwillig aus dem Dienst ausscheiden muss, so dass die noch neue Uniform, entsprechend umgearbeitet, von dem soeben zum Leutnant der Reserve ernannten Köpenicker Kommunalbeamten Dr. Obermüller übernommen wird, der sie, zehn Jahre später, inzwischen Bürgermeister von Köpenick geworden, nicht mehr tragen kann, weil er viel zu dick geworden ist, und sie deshalb zurückgibt, woraufhin sie dann von der Tochter des mittlerweile zum Kommerzienrat aufgestiegenen Uniformschneiders Wormser bei einem Ball getragen wird. Voller Flecke landet sie schließlich bei einem Trödler in der Grenadierstraße (im jüdischen Scheunenviertel), wo Voigt sie erwirbt, um in ihr seinen Handstreich zu unternehmen. Figuren Zuckmayer liefert mit Hilfe des außerordentlich umfangreichen Personals – der Theaterkritiker Bernhard Diebold zählt 73 Personen (vgl. Scheible 2000, 32) – ein breites Panorama der Gesellschaft. Dabei tragen die Personen im Ganzen eher typisierende Züge, wenngleich mit kleinen individuellen

Erste Handlung

Zweite „Handlung“

Wilhelm Voigt

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V. Einzelanalysen

Nuancen. Nicht einmal Wilhelm Voigt, der natürlich von zentraler Bedeutung nicht nur für die erste Handlung, sondern für das gesamte Stück ist, ist von der Typisierung gänzlich ausgenommen, zumal er als Opfer der obrigkeitsstaatlichen Bürokratie durchaus einen repräsentativen Charakter haben soll. Mit dem Eulenspiegel, von dem Zuckmayer in seinen Erinnerungen spricht, hat Voigt im Grunde nur die untergeordnete soziale Position gemein. Es fehlt ihm an Gewitztheit und Pfiffigkeit, wenngleich er über einen gewissen trockenen Humor verfügt. Dass er gelegentlich zum Spintisieren neigt (vgl. 51) und an die Astrologie glaubt (vgl. 29), erinnert ein wenig an Georg Büchners Woyzeck. Zumindest bis an die Schwelle des dritten Akts hat Zuckmayer seiner Hauptperson jedenfalls so viel an Ehrlichkeit, Bescheidenheit, Rücksichtnahme, ja Selbstlosigkeit und Treuherzigkeit mit Zügen von Einfalt zugewiesen, dass Voigts kriminelle Vergangenheit fast ein wenig unglaubhaft wird. Dazu kommt noch das Motiv der Heimatliebe: Voigt hat zwischenzeitlich in Böhmen und in Bukarest gearbeitet, ist dann aber doch zurückgekehrt: „[…] ick habe mir heimjesehnt“ und „der Mensch“ hat ja „seine Muttersprache, und wenn er nischt hat, denn hat er die immer noch“ (20). Wenn er dann dennoch im dritten Akt eine gewisse Entschlossenheit zeigt und selbstbewusster auftritt, so wachsen ihm solche Eigenschaften nur zum Teil aus der Rolle zu, die er als Hauptmann spielt. Zum Teil sind sie auch das Ergebnis einer gereiften Einsicht: „Ick wer nu langsam helle“ (102), sagt er im Gespräch mit seinem Schwager Hoprecht, einem sympathischen, aber obrigkeitsergebenen Beamten, der seine eigene Nicht-Beförderung im Reserve-Dienst hinnimmt mit den Worten: „Na, nu kann man nichts machen“ (99). Voigt entwickelt sogar eine gewisse Renitenz, indem er auf seiner Vorstellung von „Recht“ im Sinne der Menschenrechte besteht, während Hoprecht meint: „Recht is, was Gesetz is“ (101), also positives Recht, und indem er, Voigt, das, was ihm seitens des Staats widerfährt, nicht mit Hoprecht als „Unglück“ und „Pech“ einstuft, sondern eindeutig als „Unrecht“ (102). HOPRECHT Das [= Soldat und Beamter] bin ich mit Leib und Seele, da steh ick für! Ich weiß, daß bei uns das Recht über alles geht! Auch übern Menschen, Friedrich! Übern Menschen, mit Leib VOIGT und mit Seele! Da jeht et rüber, und denn steht er nich mehr uff. (105)

Weitere Figuren

Ob Voigts vorherige Schicksalsergebenheit eher eine Sache des Naturells gewesen ist oder das Ergebnis von fast dreißig Jahren Gefängnis, muss offen bleiben. Am Ende geht es ihm jedenfalls nicht nur um einen Pass, sondern auch um so etwas wie Selbstachtung, „um die Wiederherstellung seiner Menschenwürde“ (Wagener 1995, 234): Er will sich nicht mehr als die „Fußmatte“ (105) fühlen, auf der alle herumtrampeln; und hinsichtlich seines Lebens will er „noch was machen mit [= damit]“ (106). Daher kann er, als er erfährt, dass es in Köpenick kein Passamt gibt, gelassen reagieren: „Na – darauf kommt’s nu auch nich mehr an.“ (127) Auf dem kleinbürgerlichen und dem unterbürgerlichen Niveau versammelt Zuckmayer eine Vielzahl von mehr oder minder typisierten Figuren. Dem Kleinbürgertum zuzurechnen sind Voigts Schwester und sein Schwager Hoprecht, aber auch der jederzeit mit witzigen Übertreibungen aufwar-

4. Carl Zuckmayer: Der Hauptmann von Köpenick

tende bucklige Zuschneider Wabschke, der zu der zweiten Handlung, der der Uniform, gehört, ebenso wie die nicht wenigen beamteten Repräsentanten der Obrigkeit bis hin zu dem Köpenicker Polizei-Inspektor, der im dritten Akt den „Hauptmann Voigt“ bittet, zum vorgesehenen wöchentlichen Bad nach Hause gehen zu dürfen (vgl. 131). Unterhalb des Bürgertums stehen nicht nur die Penn-Brüder aus allen möglichen Regionen Deutschlands, die in der „Herberge zur Heimat“ Unterschlupf finden und die durch ihre Mundarten markant voneinander abgehoben sind, der handfeste, Reden schwingende Berliner Zeck mit einer „Anstellung als Weltmeister im Ringkampf“ (44), der schlecht gelaunte, rauflustige Bayer Höllgruber, von Beruf „Solojodler“ (44), Buttje, ein Hamburger Zimmermann, der dauernd singt, Gebweiler, ein außerordentlich junger elsässischer Deserteur, der tatsächlich von einer Militär-Patrouille erwischt wird, Jupp, ein rheinländischer Bergarbeiter, der gegen einen Vorarbeiter gewalttätig geworden ist und im Gefängnis gesessen hat, und nicht zuletzt Kallenberg, ein Knastbruder Voigts, der im Unterschied zu Voigt bereit ist, seine kriminelle Karriere fortzusetzen. Zahlreiche weitere Figuren – wie unter anderem die Plörösenmieze, eine Prostituierte, oder das kranke Liesken, das an Gerhart Hauptmanns Hannele (Hanneles Himmelfahrt) erinnert, oder der Trödler Krakauer, eine „sagenhafte Ghettogestalt“ (107) – komplettieren das Personal auf dieser sozialen Ebene. Mit zurückhaltender Ironie werden auch die adligen und großbürgerlichen Figuren behandelt, denn soweit satirische Momente im Spiel sind, gelten diese dem obrigkeitsstaatlichen System und nicht einzelnen Figuren, selbst wenn diese Vertreter des Systems sind (vgl. Wagener 1995, 232). So hält der Rittmeister von Schleinitz, eine Episoden-Figur, eine Ansprache, die inhaltlich völliger Unsinn ist, er tut dies aber immerhin „mit vollendeter Sicherheit und nobler Haltung“ (93). Und der Hauptmann von Schlettow ist zwar ein Prinzipienreiter – etwa im Zusammenhang mit den Gesäßknöpfen an der neuen Uniformjacke –, er erscheint aber im Ganzen überwiegend positiv und wirkt aufgrund seiner Fixierung auf das Militär fast wie eine tragische Figur, als er den Dienst quittieren muss, nachdem er sich verbotenermaßen in Zivil zum Billardspiel in einem Lokal aufgehalten hat und in eine Schlägerei geraten ist. Vergleichsweise kritischer ist der witzig-schnoddrige Uniformschneider (und spätere Kommerzienrat) Wormser gezeichnet, der der Kundschaft anscheinend überzeugungslos nach dem Mund redet und – etwa mit Bezug auf den Reserveleutnant Obermüller – hernach abfällig kommentiert: „Was heutzutag nich alles Offizier wird!“ (61). Dass Wormser – von jüdischer Herkunft – sich mit dem „Deutschtum“ geradezu überidentifiziert, spricht keineswegs für eine antisemitische Nuancierung dieser Figur durch den Autor, sondern es offenbart eben, worin in der Sicht eines Deutschen jüdischer Herkunft das „Deutschtum“ besteht. Wormser erklärt nämlich: „Der alte Fritz, der kategorische Imperativ und unser Exerzierreglement, das macht uns keiner nach!“ (14) Und wenn Wormser, inzwischen Kommerzienrat, sich später darüber aufregt, dass seine Tochter beim Manöverball Flecken auf die Hauptmannsuniform, die sie trägt, kommen lässt, so zeigt dies, dass er seinen bescheideneren Anfängen doch noch nicht ganz entronnen ist.

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V. Einzelanalysen

Derselben bürgerlichen Schicht, wenngleich auf höherem Niveau, gehört auch der vergleichsweise intellektuellere Kommunalbeamte Dr. Obermüller, der spätere Köpenicker Bürgermeister, an. Gegenüber Wormser gibt er sich zwar als Anhänger der „Fortschrittlichen Volkspartei“ (58 f.), die 1910 aus dem Zusammenschluss dreier linksliberaler Gruppierungen hervorgeht und die 1912 sogar ein Wahlbündnis mit den Sozialdemokraten eingeht (vgl. Grenville 1996, 639). Tatsächlich befürwortet er dann aber eine Verschmelzung der „Idee der individuellen Freiheit […] mit der konstitutionellen Idee“, und zwar in Orientierung an einer vorgegebenen „sozialen Struktur der Volksgemeinschaft“ (60) – was sich mit den Prinzipien des Liberalismus kaum verträgt (vgl. Grenville 1996, 640). Entsprechend der Maxime: „Freie Bahn dem Tüchtigen!“ (56) ist Obermüller durchaus auf seine Karriere bedacht: „[…] wenn ich Glück habe, kann ich mal Bürgermeister von Köpenick werden“ (59), was er ja dann auch wird. In dieser Rolle lehnt er dann aufgrund seiner Unbestechlichkeit – Ausdruck „einer wohlfundierten idealistischen Überzeugung“ (57) – die ihm angesonnenen „Extravergünstigungen für höhere Steuerzahler“ (119) in Köpenick ab. Dass er hernach sich den Anordnungen des „Hauptmanns Voigt“ so schnell fügt, hängt damit zusammen, dass er als Oberleutnant der Reserve das Militär kennt und – systemkonform – die Rangordnung verinnerlicht hat.

Fixierung auf das Militär

Deutungsaspekte Zuckmayer verfolgt in seinem Stück keine dokumentarischen Intentionen. Er merkt daher zu Recht an: „Die tatsächlichen Begebenheiten bilden nur den Anlaß zu diesem Stück. Stoff und Gestalten sind völlig frei behandelt.“ (8) Es geht ihm vielmehr zunächst darum zu zeigen, wie sehr im Wilhelminismus die Orientierung am Militär und das Denken in militärischen Kategorien dominieren. Wormsers pointierende Sprüche charakterisieren selbst noch mit ihren Übertreibungen das vorherrschende Klima: „[…] vom Gefreiten aufwärts beginnt der Darwinismus. Aber der Mensch, der Mensch fängt erst beim Leutnant an“ (58). Bezeichnend für die „gänzlich durchmilitarisierte Gesellschaft“ (Dimter 1996, 357) ist – neben ohnehin einschlägigen Szenen wie dem Manöverball (dreizehnte Szene) – besonders die rein revuehafte sechzehnte Szene „im herbstlichen Park von Sanssouci“; es begegnen hier unter anderem ein Geheimrat („mit weißem Bart“) und ein Oberst („räuspert sich martialisch und spuckt aus“), die sich kurz unterhalten (111), dann zwei Kindermädchen und „zwei sehr kleine Knaben in bunten Offiziersuniformen, der eine als kompletter Husar, der andere als Kürassier maskiert“ (111), hernach drei junge Offiziere, die sich nach den Kindermädchen umschauen, die ihrerseits sich über die Offiziere äußern, weiterhin zwei ältere Offiziere, die sich über die politische Weltlage austauschen und auch Überlegungen zu der Möglichkeit eines Kriegs anstellen – der einzige Verweis in dem Stück auf den späteren Ersten Weltkrieg (vgl. Hein 1977, 277) –, und schließlich ein Invalide, der sich über miserables Essen im „Invalidenhaus“ beklagt (111–114). Selbst zahlreiche Zivilisten haben in der einen oder anderen Weise einen Bezug zum Militär. Das gilt nicht nur für die Reservisten wie Obermüller und Voigts Schwager Hoprecht. So hält etwa der Direktor eines Zuchthauses, in dem Voigt gefangen ist, in Erinnerung an seine Teilnahme am deutsch-französischen Krieg 1870/71 am Se-

4. Carl Zuckmayer: Der Hauptmann von Köpenick

danstag in der Zuchthauskapelle „eine Stunde vaterländischen Unterricht“ (62) ab, wofür der Anstaltsgeistliche auf seine Predigt verzichtet (aus derartigen Unterrichtsveranstaltungen bezieht Voigt übrigens seine militärischen Kenntnisse). Der Prokurist einer Schuhfabrik stellt nur Arbeitssuchende ein, die gedient haben und bei denen, wie er meint, die „Wühlarbeit der Sozialdemokraten“ (40) nicht verfängt. Dass Wormser als Uniformschneider vom Militär lebt, ist ohnehin klar. Aber selbst noch der Schuster Voigt hat einen Bezug zum Militär, da er ein Spezialist für „Militärstiefel“ (20) ist. Repräsentiert wird diese Fixierung auf das Militär durch die Uniform. Immer wieder wird die ihr innewohnende Macht beschworen. Obermüller meint: „So ne Uniform hebt entschieden – es geht ein gewisser Zauber von ihr aus –“ (60). Ihr und dem militärischen Rang, den sie signalisiert, gilt die Ehrerbietung, nicht dem Menschen, der sie trägt – der Trödler Krakauer umwirbt den noch zögernden Voigt: „Wenn die Uniform kennt allein spazierengehn, ohne daß einer drinsteckt – […] jeder Soldat wirdse grießen, so echt isse!“ (107) Bezeichnend dafür ist ja, wie schnell bei der eigentlichen „Köpenickiade“ der Bürgermeister Obermüller vor dem vermeintlichen Hauptmann Voigt kapituliert. Als er nach dem Grund seiner Verhaftung fragt, weist Voigt „auf die Truppe hinter sich“, als wäre das ein Argument, und fragt seinerseits: „Genügt Ihnen das nicht?“ (123) Obermüller hat zwar noch den einen oder anderen Einwand. So will er die Stadtkasse „nicht ohne Beschluß der Verwaltung …“ – woraufhin Voigt ihn „sehr scharf“ unterbricht: „Die Verwaltung der Stadt Köpenick bin ich!“ (124). Und als Obermüller, aufgestachelt von seiner Frau, Voigts Legitimation zu sehen verlangt, „klopft“ dieser „mit der Hand auf eins der Bajonette“: „Genügt Ihnen das nicht?! – […] Sie sind doch Soldat. Sie wissen doch, daß ein Kommando vor Gewehr absolute Vollmacht bedeutet.“ (130) Obermüllers Reaktion: „zur Frau Siehst du. Sinkt wieder zusammen“ (130). Es mag sein, dass Frau Obermüller mehr Zivilcourage besitzt als ihr Mann. Hier aber scheint sie schief zu liegen, weil sie sich in militärischen Dingen nicht auskennt. Tatsächlich jedoch ist sie durchaus im Recht, weil „ein Kommando vor Gewehr“ nur in einem militärischen Rahmen über eine „absolute Vollmacht“ verfügen kann, nicht aber im zivilen Bürgermeisteramt einer Kleinstadt. Nicht nur Voigts Aktion besitzt keinerlei verfassungsrechtliche Legitimation, auch Obermüllers Kapitulation ist die quasi instinktive, aber nicht gerechtfertigte Unterwerfung des Zivilisten (und hier sogar des Bürgermeisters) unter die Autorität des Militärs. Nebenbei: Als Kostüm gesehen – zumal in etlichen „Szenen des Kleiderwechsels“ – vermittelt die Uniform ironisch-satirisch akzentuierte „Signale für das Unechte“, für die theatralische Seite des Wilhelminismus (Schmitz 2000, 383). Das schränkt aber nicht die ernsthafte Kritik daran ein, dass die Orientierung an Hierarchien im Bereich des Militärs ebenso wie in dem des Obrigkeitsstaats überhaupt, dass also diese Orientierung mittels der Militarisierung vieler Lebensbereiche auch die „Uniformierung der Menschen“ und das „Untertanen- und Mitläufertum“ fördert (Hein 1977, 284). Nur so ist es zu verstehen, dass sogar einem Leser der sozialdemokratischen Zeitung „Vorwärts“, der im Rixdorfer Polizeirevier seine Unzufriedenheit äußert, gleich zweimal der Lapsus unterläuft, auf seine „staatsbürjerliche Pflicht, Recht wollt ick sagen“ (82, 83) zu pochen.

„Köpenickiade“

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V. Einzelanalysen

Eine pointierte Herausstellung finden die beiden Positionen der Ergebenheit gegenüber der Obrigkeit und des Anspruchs auf menschliche Individualität in dem bereits erwähnten Gespräch zwischen Hoprecht und Voigt über „Recht“ und „Unrecht“ und über „Mensch“ und „Ordnung“. Voigt insistiert: „Erst der Mensch […]! Und dann de Menschenordnung!“ Hoprecht dagegen rückt die Ordnung ins Zentrum, indem er sie mit der Existenz des Staates begründet und abermals auf das Militär verweist: „Schau dir ne Truppe an, in Reih und Glied, denn merkste’s! Wer da drin steht, der spürt’s! Tuchfühlung mußte halten! Dann biste’n Mensch – und dann haste ne menschliche Ordnung!“ (102) Wenn hier der verbreiteten militaristischen Gesinnung die Humanität und das Recht der menschlichen Individualität, als Wert anerkannt zu werden, entgegengehalten werden, dann ist das eine durchaus politische Haltung. Das Stück behandelt ja nicht irgendeinen beliebigen historischen Stoff, sondern zielt auf reaktionäre Haltungen, die sich in die Weimarer Republik hinein erhalten haben. Insofern legt es selbstverständlich eine Bewertung der vorgeführten Geschehnisse und Ansichten von der Gegenwart her nahe. So hat sich zum Beispiel Obermüllers Diagnose eines „entwicklungsfähigen Ganzen“, hervorgehend, wie schon erwähnt, aus der Verschmelzung der „Idee der individuellen Freiheit […] mit der konstitutionellen Idee“ (60), aus der Sicht des Jahres 1930 schlichtweg als Fehldiagnose erwiesen (vgl. Grenville 1996, 642). 1930, das Entstehungsjahr des Stücks, ist – so Zuckmayer später in seiner Autobiographie – dasjenige Jahr, „in dem die Nationalsozialisten als zweitstärkste Partei in den Reichstag einzogen und die Nation in einen neuen Uniform-Taumel versetzten“. Und weiter: „Das Stück wurde, von Freund und Feind, als das Politikum begriffen, als das es gemeint war. […] Es gab […] wütende Beschimpfungen von seiten der Nazipresse, vor allem in dem jetzt von Goebbels redigierten Berliner ,Angriff‘“ (zit. nach Scheible 2000, 26–28). Die Autobiographie ist zwar erst zwanzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erschienen, sie gibt aber die Reaktion der politischen Rechten richtig wieder. Und dass Zuckmayer in der Tat die Nationalsozialisten im Auge hat, zeigt der (von den Nationalsozialisten in Anspruch genommene) Begriff der „Volksgemeinschaft“ (606) in Obermüllers Mund (vgl. Grenville 1996, 640). Bereits 1931 hat Zuckmayer auf das Fortdauern des Vergangenen hingewiesen, und zwar in einem Text, den er für das Programmheft der Uraufführung geschrieben hat: […] es ist ja nichts Neues, was es [= das Stück] erzählt, sondern es ist ein deutsches Märchen und, wie alle Märchen, längst vorbei – vielleicht überhaupt nicht wahr? – und nur ein Gleichnis für das, was nicht vorbei ist! (Glauert 1977, 157) Komödienspezifische Züge Der Stoff – der kleine Mann führt die Obrigkeit an der Nase herum und stellt sie dadurch öffentlichkeitswirksam bloß – eignet sich von vornherein für eine Komödie. Das schließt rührende (und sogar sentimentale) Momente – Krankheit und Tod des Waisenmädchens Liesken – oder auch tragische Züge – wie in der Gestalt des Schusters Voigt – keineswegs aus. Dennoch dominiert das Komische, dem auch die formale Anlage des Stücks entge-

4. Carl Zuckmayer: Der Hauptmann von Köpenick

genkommt. Diese Anlage – eine Folge von 21 Szenen und (in den ersten beiden Akten) ein wiederholtes Hin- und Herwechseln zwischen zwei Handlungen – zeugt möglicherweise für einen Einfluss des Mediums Film, sie vermittelt dem Stück indessen zugleich revuehafte Züge, die auch an eine „moritatenartige Bilderreihe“ (Wagener 1995, 229) denken lassen und damit an eine gewisse Nähe zu Bertolt Brechts und Kurt Weills Dreigroschenoper (1928). Dies macht, für sich genommen, noch keine Komödie aus, es bedeutet aber doch eine gewisse Disposition für komische Aspekte. Rein komische Figuren sind eher selten. Hervorheben ließe sich der Zuschneider Wabschke, der körperlich – „klein, bucklig“ (11) – ein wenig komisch wirkt, zumal wenn er „stramme Haltung“ „markiert“ (13), der aber vor allem durch seinen Berliner Witz besticht – ein Beispiel: Der Hauptmann von Schlettow probiert noch einmal die neue Uniform an, die er dann zurückgeben muss, da er den Dienst quittiert. WABSCHKE V.

SCHLETTOW WABSCHKE

Figuren

zupft ihm die Rockzipfel zurecht ’n Kunstwerk, Herr Hauptmann. Det is keen Rock mehr, det is ’n Stick vom Menschen. Det is de bessere Haut, sozusagen. vorm Spiegel Da fehlt nichts. Wirklich tadellos. Da reißt der Spiegel de Knochen zusammen. Man hört’s orntlich knacken (42)

Komisch – im Sinne des „Radfahrer“-Verhaltens – wirkt auch der Stadtschutzmann Kilian, „ein unförmig dicker Mensch“ (117), der am Haupteingang des Köpenicker Rathauses Wache hält und der „ziemlich grob“ (118) mit den Bittstellern aus dem Volk umgeht, sich dienstbeflissen um den Bürgermeister und die Ratsherren bemüht, der dann auf Voigts Befehl, „so rasch die Beine seinen Leibesumfang tragen“ (121), sich in Bewegung setzt und der es später genießt, den Bürgermeister und den Stadtkämmerer herumzukommandieren mit dem Auftrag Voigts, sie als Gefangene nach Berlin zu bringen. Neben den erfolgslosen Bemühungen, den viel zu dick gewordenen Bürgermeister Obermüller „mit Gewalt“ (78) in die zehn Jahre alte Uniform zu zwängen, ist ebenfalls auf Körperkomik hin eine rein slapstickhafte Szene angelegt, in der ein Bahnbeamter vor einer verschlossenen Toilettentür steht und aufgrund des wachsenden Drangs schließlich ausruft: „Herrgott, wer scheißt denn hier so lange!!“ (116) Daraufhin tritt Voigt, der sich drinnen die Hauptmannsuniform angezogen hat, heraus, hält den unwillkürlich strammstehenden Bahnbeamten mit Fragen nach seinem Militärdienst noch ein wenig hin und gibt ihm schließlich die Anweisung: „’s nächste Mal nehmense sich ’n bißchen zusammen.“ (117) Es gibt einige possenhaft-situationskomische Elemente, die dann aber doch etwas verdeckt Abgründiges haben können, etwa wenn die Gefangenen in der Zuchthauskapelle den Choral singen: „Bis hierher hat uns Gott geführt / In seiner großen Güte –“ (62). Vor allem aber lebt das Stück von der außerordentlich lebhaften Sprachkomik. Bemerkenswert sind die ironischen Kontraste, die Zuckmayer mittels seines souveränen Umgangs mit Dialekten unterschiedlicher Herkunft (unter Einschluss auch jiddischer Ausdrücke im Mund des Trödlers Krakauer) hervorzubringen vermag, vor allem in der „Herberge zur Heimat“ (43), in der sich die Heimatlosen versammeln. Besonders aber sticht natürlich der

Situationskomik

Sprache

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V. Einzelanalysen

mit viel Schnoddrigkeit eingesetzte Berliner Dialekt hervor – ein Beispiel aus dem „Café National“, wo die Halbwelt sich trifft: KALLE PLÖRÖSENMIEZE KALLE PLÖRÖSENMIEZE KALLE PLÖRÖSENMIEZE

Voigt PLÖRÖSENMIEZE

Sie, Frollein, kommense mal ’n bisken häher. Wissense was? Ick sage immer: Morjenstund is aller Laster Anfang. sieht ihn über die Schultern an, zeigt ihre Zähne Du meinst wol: Müßigjang hat Jold im Munde, wat? scheppernd vor Vergnügen Die is richtig! Det ha’ck ja gleich jewußt, die is goldrichtig! Na, bleib doch man, wo willste denn schon wieder hin, Mäusken? Wohin? Auf Toilette. Mußn det jleich sind? Nee, eilt jarnicht. Bei mir heißt’s immer wie in det scheene Lied: „Is ja nich forn eignen Leib, sondern nur forn Zeitvertreib!“ Kommt an den Tisch. […] setzt seine Stahlbrille auf. Na, Alterchen, wat kiekstn. Jefall ick dir? […] [zu Kalle] Du mit deine ejiptischen Oogen und deine Karbolschnauze kommst for mir ieberhaupt nich in Frage. Wenn ick jeh, jeh’ck mit Jroßvatern, det is mal wat andres, und det is ooch ’n feiner Mensch, mit den seine Brille kann man sich doch jebildet unterhalten, nich wahr, Ollerchen? (32 f.)

Selbst noch einer ausgesprochen brenzligen Situation gewinnt dieser Berliner Dialekt Witz ab: Als ein betrunkener Grenadier wütend mit seinem Seitengewehr, einer Art Bajonett, auf Kalle losgehen will, zieht dieser sich zwar zurück, dies aber mit den Worten: „Jetzt kommt er mit’n Keesemesser!“ (36) Zuckmayer ist darum bemüht, den satirischen Momenten, die der Stoff anbietet, heiter-humorvolle gegenüber zu stellen, um so den potenziell aggressiven Gehalt nicht geradezu zu entschärfen, aber doch ein wenig zu mildern. Das erlaubt es indessen nicht, nur mehr den Humor des Lokalkolorits wahrzunehmen. Selbst noch in Wabschkes Zwischenbemerkungen und Wormsers Zurechtweisungen wird – bei allem Witz – die hierarchische Ordnung sichtbar, von der das Stück in so vielerlei Hinsicht handelt: WORMSER WABSCHKE WORMSER

[zu Obermüller] Der Doktor ist die Visitenkarte, der Reserveoffizier ist die offene Tür, das sin die Grundlagen, das is mal so! Da beißt de Maus keen Faden ab. Seinse still, Wabschke, Sie sind nich gefragt. (59)

Militärmarsch, Blechmusik, näherkommend. Prachtvoll, son alter Preußenmarsch, was? Das reißt ein’n WORMSER hoch, das geht ein’n in de Knochen! Da kann ’n Laubfrosch Polka tanzen lernen. WABSCHKE Seinse ruhig, Wabschke. Sie sind unmusikalisch. (61) WORMSER

4. Carl Zuckmayer: Der Hauptmann von Köpenick

Wirkung / Rezeption Der Aufsehen erregende Stoff ist in einer „Vielzahl von Schwänken, Operetten, Parodien und Moritaten“ (Hein 1977, 272) verarbeitet worden. Noch im Jahr 1930, in dem Zuckmayer sich mit dem Stoff beschäftigt, erscheint ein Roman Wilhelm Schäfers mit dem Titel Der Hauptmann von Köpenick. Dennoch ist Zuckmayers Gestaltung der Köpenickiade die erfolgreichste gewesen. In seiner Autobiographie erzählt der Autor: „Es gab kaum ein Provinztheater, selbst wenn ein Teil des Opern- und Operettenpersonals für die vielen kleineren Chargen aushelfen mußte, in dem das Stück nicht gegeben wurde. […] Diese Aufführungen liefen in ganz Deutschland weiter, fast zwei Jahre lang, bis zum Ende des Januar 1933“ (zit. nach Scheible 2000, 29). Dann wurde das Stück von den Nationalsozialisten verboten. Wenn es dann, wie erwähnt, in den ersten drei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem außerordentlich beliebten Lustspiel auf den deutschen Bühnen werden konnte, allerdings, was Zuckmayers Stücke betrifft, erst nach dem Drama Des Teufels General (Hadamczik u. a. 1978, 48), so zeigt dies, wie bereits angedeutet, dass es in Deutschland neben der direkteren Thematisierung des Nationalsozialismus – wie eben in Des Teufels General – auch ein Bedürfnis nach solchen Stücken gab, die eine indirektere Bezugnahme auf die jüngste Vergangenheit ermöglichten und dabei – wie Der Hauptmann von Köpenick – auch noch Humor und Witz zu bieten hatten. Für die Beliebtheit des Hauptmanns von Köpenick zeugen gleich mehrere Verfilmungen, zum Teil für das Fernsehen. In einer eher sozialkritisch akzentuierten Verfilmung führt 1931 Richard Oswald Regie, das Drehbuch stammt von Albrecht Joseph und Carl Zuckmayer; den „Hauptmann“ spielt Max Adalbert, der diese Rolle auch auf dem Theater von dem „Hauptmann“ der Uraufführung, Werner Krauß, übernimmt. 1941 bringt Oswald selbst in den USA mit Albert Bassermann in der Hauptrolle ein Remake (I Was a Criminal) heraus, das den aktuellen deutschen Militarismus kritisiert. Am erfolgreichsten ist die 1956 entstehende (und 1957 sogar für den Oscar nominierte) Verfilmung unter der Regie von Helmut Käutner (Drehbuch: Helmut Käutner, Carl Zuckmayer) mit Heinz Rühmann in der Titelrolle, eine Verfilmung, die auf das Komödiantische setzt und sich im Übrigen vorübergehend nachteilig auf die Bühnenpräsenz des Stücks auswirkt (vgl. Hadamczik 1978, 48). Eine Fernsehinszenierung entsteht 1960 unter der Regie von Rainer Wolffhardt mit Rudolf Platte als Voigt und 1997 eine weitere, die Wert auf die Originalschauplätze legt und auf das Possenhafte verzichtet, mit Harald Juhnke unter der Regie von Frank Beyer. Im Ganzen zeigen die filmischen Adaptionen eine breite Palette von unterschiedlichen Akzentsetzungen, von bissig-satirischen Angriffen auf Wilhelminismus und Militarismus bis zu volkstümlichpossenhaften Vergegenwärtigungen der Berliner Lokal-Atmosphäre.

5. Friedrich Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame Der Besuch der alten Dame (1956) gilt als Dürrenmatts bestes Stück, wenngleich schwer zu entscheiden ist, welche der beiden Komödien Der Besuch der alten Dame und Die Physiker (1962) im Ganzen mehr Resonanz gefun-

Verfilmungen

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V. Einzelanalysen

den hat. Beide bemühen sich, auf die Gegenwart, den aktuellen „Weltzustand“ zu reagieren. Die erstere Komödie verdient im vorliegenden Rahmen auch deshalb den Vorzug, weil sie von einem vergleichsweise weniger speziellen Problem ausgeht und weil sie bereits in der Gattungsbezeichnung „Eine tragische Komödie“ signalisiert, wie sehr Dürrenmatt sich hier bemüht, mittels der komplexeren dramatischen Gestaltung Zeitgemäßheit zu erreichen, was der nur „heiteren“ Komödie von ehedem längst nicht mehr gelingt. Entstehung Es gibt keinen äußeren Anlass, auf den das Stück reagiert. Am Anfang steht Dürrenmatt zufolge einfach der „Grundeinfall“: Ein Auswanderer kehrt heim und nimmt Rache an seinem Rivalen. Gestalt finden soll das zuerst in einer Novelle mit dem Titel „Mondfinsternis“. Dann kommt es zu Modifikationen: Aus dem Auswanderer wird eine Frau, der Spielort wird konkretisiert, aus der vorgesehenen Novelle wird eine Komödie usw. (vgl. Weber 2000). – Das Stück wird Anfang 1956 in Zürich uraufgeführt und erscheint im selben Jahr dann auch im Druck. Dürrenmatt, der seine Werke gern überarbeitet, tut dies mehrfach auch mit dem Besuch der alten Dame. Änderungen am Text gibt es bereits 1956 für die deutsche Erstaufführung in München (sowie für die erwähnte Buchausgabe), dann 1958, 1959 und 1960 im Zusammenhang mit weiteren Aufführungen (vgl. Schmidt 1999, 17). Eine „Neufassung“, die aber nicht sehr eingreifend ist (vgl. Jost 1982, 74), kommt 1980 heraus.

Vorgeschichte

Gegenwartshandlung

Handlung Zunächst die Vorgeschichte. Der zwanzigjährige Alfred Ill und die siebzehnjährige Kläri Wäscher in der Kleinstadt Güllen haben ein Verhältnis. Als Kläri Wäscher ein Kind erwartet und eine Vaterschaftsklage gegen Ill anstrengt, bietet dieser zwei bestochene Zeugen auf, die eidlich erklären, ebenfalls ein Verhältnis mit Kläri Wäscher gehabt zu haben. Kläris Klage wird abgewiesen. Sie geht nach Hamburg, bringt das Kind zur Welt, das ihr weggenommen wird und nach einem Jahr stirbt, und wird Prostituierte. Im Bordell entdeckt sie der armenische Milliardär Zachanassian und heiratet sie. Nach seinem Tod heiratet sie mehrfach wieder und lässt sich jeweils zu ihrem Vorteil wieder scheiden, so dass sie am Ende über drei Milliarden verfügt. Den Oberrichter, der seinerzeit ihre Klage abgewiesen hat, gewinnt sie mit Hilfe eines „phantastisch“ hohen Gehalts (46) als Butler. Sie lässt die falschen Zeugen in Kanada und Australien ausfindig machen, lässt sie kastrieren und blenden und verleibt sie ihrem Gefolge ein. Sie kauft die in und um Güllen herum befindlichen größeren gewerblichen Betriebe auf und legt sie lahm, um den Ort in Armut zu stürzen. Fünfundvierzig Jahre, nachdem sie Güllen verlassen hat – damit beginnt die Gegenwartshandlung –, kehrt Kläri Wäscher als exzentrische Claire Zachanassian in Begleitung ihres Gefolges zurück. Die Einwohner des wirtschaftlich ruinierten und dem Verfall preisgegebenen Ortes, unter ihnen auch der Krämer Ill, hoffen auf einen Geldsegen. Claire Zachanassian sagt ihnen in der Tat eine Milliarde zu, allerdings unter einer Bedingung: Sie will Gerechtigkeit, und zwar will sie sie kaufen, d. h. sie will Rache nehmen:

5. Friedrich Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame

Güllen soll das Geld erhalten, „wenn jemand Alfred Ill tötet“ (49). „Im Namen der Menschlichkeit“ (50) lehnt der Bürgermeister unter riesigem Beifall das Angebot ab. Claire Zachanassian wartet. Nach und nach beginnen die Bürger auf größerem Fuß zu leben, sie machen Schulden, da sie – zumeist ohne sich dies einzugestehen – hoffen, irgendwie doch noch in den Besitz des Geldes zu kommen. Eine allgemeine Missstimmung gegen Ill, immer häufiger durch moralisierende Urteile unterstützt, breitet sich aus. Ill gerät zunehmend in Panik, da er nirgendwo Rückhalt findet, auch nicht in seiner eigenen Familie. Er versucht, die Stadt zu verlassen, was ihm nicht gelingt. Schließlich fügt er sich in sein Schicksal. Auf einer Bürgerversammlung wird er von dem Kollektiv der Güllener ermordet; der Arzt diagnostiziert Herzschlag, die anwesende Presse wird getäuscht („Tod aus Freude“ [130]), Claire Zachanassian überreicht einen Scheck und verschwindet mit ihrem Gefolge und mit dem toten Ill, für den sie eigens einen Sarg mitgebracht hat. Figuren Die Figuren – das lässt die Handlung mit ihren grotesken Zügen von vornherein vermuten – sind alles andere als individuell differenzierte Charaktere, ja, sie erscheinen in unterschiedlichem Grade nicht nur typisiert, sondern regelrecht konstruiert, so dass sie zum Teil nur Funktionen der Handlung sind und ihnen mit einem psychologisierenden Ansatz nicht beizukommen ist. Dies gilt vor allem für einige Figuren aus dem Gefolge Claire Zachanassians, insbesondere für Koby und Loby, die kastrierten und geblendeten ehemaligen Zeugen, die in einen Zustand der Infantilität zurückversetzt worden sind: „zwei kleine, dicke alte Männer […], die sich an der Hand halten“ (31 f.) und in grotesker Einfalt alles doppelt sagen: „Wir gehören zur alten Dame, wir gehören zur alten Dame.“ (32) Nicht sehr viel komplexer erscheinen Roby und Toby, „zwei herkulische, kaugummikauende Monstren“ (30), zwei vordem zum Tode verurteilte und von Claire Zachanassian freigekaufte Gangster aus Manhattan, die die Milliardärin in ihrer Sänfte umhertragen (immerhin spielt Roby Gitarre, während Toby einem fast halbnackten Mädchen hinterher rast). Claire Zachanassians Ehemänner VII bis IX, nämlich Moby, Tabakplantagenbesitzer, Hoby, Filmschauspieler, und Zoby, Nobelpreisträger, besitzen zwar verschiedene Haarfarben, können aber „vom immer gleichen Schauspieler dargestellt werden“ (113), was ihre Auswechselbarkeit deutlich signalisiert. Und selbst Boby, der Butler, unterscheidet sich von den anderen Figuren nur dadurch, dass er früher Oberrichter war. Im Vergleich mit diesen durch und durch konstruierten Figuren erscheinen die Güllener etwas realitätsnäher, dabei aber immer noch reichlich typenhaft. Sie sind Durchschnittsmenschen, die zumeist ein Kollektiv bilden (vgl. Andreotti 1986), auch wenn man Einzelne herausgreifen kann. Da ist zunächst der schwadronierende Bürgermeister, der anfänglich Ill schmeichelt, weil dieser Claire Zachanassian als Spenderin gewinnen soll („Mein lieber Ill, Sie sind seit langem schon die beliebteste Persönlichkeit in Güllen“ [20]), der aber hernach Ill immer deutlicher „die üble Affäre“ (71) von damals vorhält und ihm schließlich den Selbstmord nahe legt: „Es wäre doch nun eigentlich Ihre Pflicht, mit Ihrem Leben Schluß zu machen“ (108), um am Ende die Täuschung der Presse zu arrangieren und den Mord zu ka-

Claire Zachanassians Gefolge

Die Güllener

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V. Einzelanalysen

schieren. Ein gewisses Profil – durchaus im Rahmen der Typisierung – gewinnen auch der Pfarrer, der Lehrer und der Arzt. Der zunächst nur salbadernde Pfarrer, der Ills wachsende Angst anfänglich nur mehrfach mit dessen „Gewissen“ (74 f.) begründet, knickt ein, als Ill ihm vorhält, für die Kirche – natürlich auf Pump – eine zweite Glocke angeschafft zu haben: schreit auf Auch Sie, Pfarrer! Auch Sie! ILL DER PFARRER wirft sich gegen Ill und umklammert ihn Flieh! Wir sind schwach, Christen und Heiden. Flieh, die Glocke dröhnt in Güllen, die Glocke des Verrats. Flieh, führe uns nicht in Versuchung, indem du bleibst. (75 f.) Gegen Ende sind aus den zweien dann übrigens vier Glocken geworden (112). Der Arzt, der am Ende den Mord durch seine Diagnose deckt, macht immerhin vorher noch gemeinsam mit dem Lehrer einen Versuch, Claire Zachanassian zum Einlenken zu bewegen – aber vergeblich. Der Lehrer schließlich bringt zunächst noch am meisten Anstand auf, indem er, ziemlich betrunken, im Beisein etlicher Güllener in Ills Laden den Presseleuten die Wahrheit aufzutischen versucht. Er wird daran gehindert, auch durch den hinzukommenden Ill selbst. Ausgerechnet dieser Lehrer ist es dann aber, der am Ende durch eine demagogisch-zweideutige Rede sowohl den Presseleuten, mithin der weiteren Öffentlichkeit, die untadelig sittliche Haltung der Güllener anpreist als auch zugleich den Güllenern selbst eine Schein-Rechtfertigung für den Mord an Ill liefert (vgl. Labroisse 1981), ja diesen Mord zu einem Gebot erhebt, das sich konsequent aus den „Idealen“ der Güllener ergibt: Es geht nicht um Geld, – Riesenbeifall – […] es geht darum, ob wir Gerechtigkeit verwirklichen wollen […]. Mit unseren Idealen müssen wir nun eben in Gottes Namen Ernst machen, blutigen Ernst. Riesenbeifall. […] nur wenn ihr unter keinen Umständen in einer Welt der Ungerechtigkeit mehr leben könnt, dürft ihr die Milliarde der Frau Zachanassian annehmen und die Bedingung erfüllen, die mit dieser Stiftung verbunden ist. (121 f.)

Claire Zachanassian

In der Figur des Lehrers zeigt sich damit, dass der Intellektuelle in moralischen Dingen kein bisschen standhafter ist als die anderen, ja dass er aufgrund seiner geistigen Wendigkeit sogar befähigt ist, eine verlogen-ideologische Einstellung rhetorisch besonders gekonnt zu kaschieren. Genau genommen leiden die Güllener kaum unter dem Dilemma, einen Mord begehen zu müssen oder aber arm zu bleiben. Sie verdrängen es, sie suggerieren sich selbst, sich regelmäßig an Idealen zu orientieren, und berufen sich mit derselben Unerschütterlichkeit erst auf das Ideal der Menschlichkeit, später auf das der Gerechtigkeit (vgl. Profitlich 1977, 327–331). Die Titelfigur des Stücks wirkt zwar nicht weniger konstruiert als ihr Gefolge, ist aber aus heterogenen Elementen zusammengefügt (vgl. Andreotti 1986). An ihr wird besonders deutlich, dass so etwas wie psychologische Einheit kein Kriterium für die Gestaltung der Figuren ist. Gleich bei der ersten Wiederbegegnung mit Ill erscheint sie sentimental und illusionslos gleichzeitig:

5. Friedrich Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame

CLAIRE ZACHANASSIAN Es war wunderbar, all die Tage, da wir zusammen waren. […] Nenne mich, wie du mich immer genannt hast. Mein Wildkätzchen. ILL CLAIRE ZACHANASSIAN schnurrt wie eine alte Katze Wie noch? Mein Zauberhexchen. ILL CLAIRE ZACHANASSIAN Ich nannte dich: mein schwarzer Panther. Das bin ich noch. ILL CLAIRE ZACHANASSIAN Unsinn. Du bist fett geworden. Und grau und versoffen. Doch du bist die gleiche geblieben. ZauberhexILL chen. CLAIRE ZACHANASSIAN Ach was. Auch ich bin alt geworden und fett. Dazu ist mein linkes Bein hin. Ein Autounfall. [Usw.] (26) Wiederholt wird vor allem am Anfang das Bild einer freundlich-jovialen alten Dame erst suggeriert und dann zerstört. Das beginnt mit einigen ominös-rätselhaften Äußerungen, die zugleich Vorverweise sind: CLAIRE ZACHANASSIAN [zum Polizisten] Drücken Sie hin und wieder ein Auge zu? Das schon, gnädige Frau. […] DER POLIZIST CLAIRE ZACHANASSIAN Schließen Sie lieber beide. (28) CLAIRE ZACHANASSIAN DER PFARRER CLAIRE ZACHANASSIAN DER PFARRER CLAIRE ZACHANASSIAN

[zum Pfarrer] Pflegen Sie Sterbende zu trösten? verwundert Ich gebe mir Mühe. Auch solche, die zum Tode verurteilt wurden? verwirrt Die Todesstrafe ist in unserem Lande abgeschafft, gnädige Frau. Man wird sie vielleicht wieder einführen. (29)

CLAIRE ZACHANASSIAN [zu Roby und Toby] Schafft das Gepäck und den Sarg unterdessen in den ,Goldenen Apostel‘. DER BÜRGERMEISTER verblüfft Den Sarg? CLAIRE ZACHANASSIAN Ich brachte einen mit. Ich kann ihn vielleicht brauchen. (31) CLAIRE ZACHANASSIAN [zum Arzt] […] verfertigen Sie die Totenscheine? […] Stellen Sie in Zukunft Herzschlag fest. (30) CLAIRE ZACHANASSIAN [zum Turner] Wundervoll, diese Muskeln! Haben Sie schon jemanden erwürgt mit Ihren Kräften? (41) Dazu der Kommentar des ahnungslosen Ill: „lachend Einen goldenen Humor besitzt die Klara! Zum Totlachen, diese Bonmots!“ (41) Die regelmäßige Destruktion des vorher jeweils suggerierten Eindrucks der Jovialität und der Berechenbarkeit der alten Dame lässt alsbald erkennen, dass sie, will man sie psychologisch bewerten, als durch und durch zynisch zu sehen ist, als eine Person, der jede wirkliche menschliche Empfindung abhanden gekommen ist. Nicht zuletzt die Kälte, mit der sie den Vermittlungsversuch des Lehrers und des Arztes am Beginn des dritten Akts abweist, deutet in diese Richtung:

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V. Einzelanalysen

CLAIRE ZACHANASSIAN Die Menschlichkeit, meine Herren, ist für die Börse der Millionäre geschaffen, mit meiner Finanzkraft leistet man sich eine Weltordnung. Die Welt machte mich zu einer Hure, nun mache ich sie zu einem Bordell. (91)

Alfred Ill

Sie ist sich im Übrigen über ihren eigenen Charakter völlig im Klaren. Als Ill anfangs noch heuchlerisch meint: „Ich lebe in einer Hölle, seit du von mir gegangen bist“, antwortet sie: „Und ich bin die Hölle geworden.“ (38) Dass sie eine Beinprothese und eine Handprothese besitzt und auf Ills Ausruf: „Klara, ist denn überhaupt alles Prothese an dir!“ kaltblütig „Fast“ (40) antwortet, ist im Übrigen das eher äußerlich-banale Pendant zu ihrer seelischen Kälte. Am Ende erscheint sie „in ihrer Sänfte, unbeweglich, ein altes Götzenbild aus Stein“ (134). Das Nebeneinander von Entgegengesetztem ist charakteristisch nicht nur für Claire Zachanassians Einstellungen, sondern auch für die Rollen, die sie gegenüber Ill und gegenüber den Güllenern einnimmt als diejenige, die einerseits den Tod bringt und in dieser Hinsicht gnadenlos und unbeirrbar ist und die andererseits Aufschwung und Fortschritt ermöglicht, mithin segensreich wirkt, nachdem freilich sie selbst es gewesen ist, die Güllen aus taktischen Gründen vorher an den Bettelstab gebracht hat. Am komplexesten ist die Figur des Alfred Ill. Denn er macht eine Wandlung durch, während bei den Güllener Bürgern lediglich der zuvor kaschierte wahre Charakter zum Vorschein kommt und die alte Dame sich durchgehend gleich bleibt. Ill ist am Anfang des Stücks „ein verschmierter windiger Krämer“ (102) – so seine eigenen Worte –, und er ist das auch in der Vergangenheit gewesen; er hat „Mathilde Blumhard geheiratet mit ihrem Kleinwarenladen“ (37) und sich auf kriminelle Weise vor seiner Verantwortung gegenüber der schwangeren ehemaligen Kläri Wäscher gedrückt, und er hat dies bislang nicht bereut, gestärkt sicherlich durch die Solidarität der Güllener, die sein Verhalten in der Vergangenheit nicht bemängelt haben. Ihnen gegenüber beteuert er am Anfang mit Bezug auf Claire Zachanassian: „Das Leben trennte uns, nur das Leben, wie es eben kommt.“ (18) Und er empfiehlt kaltblütig: „Wir müssen klug vorgehen, psychologisch richtig.“ (20) Hernach prahlt er gegenüber dem Lehrer: „Sehen Sie, Herr Lehrer, die habe ich im Sack.“ (25) Und selbst noch in einem ersten privateren Gespräch mit Claire Zachanassian hält er an der verlogenen Fiktion einer ungetrübten Vergangenheit fest: „Hätte uns doch das Leben nicht getrennt.“ (39) Und: Dir zuliebe habe ich Mathilde Blumhard geheiratet. ILL CLAIRE ZACHANASSIAN Sie hatte Geld. Du warst jung und schön. Dir gehörte die Zukunft. ILL Ich wollte dein Glück. Da mußte ich auf das meine verzichten. (37) Erst als er sich bedroht fühlt, als die Angst ihn ergreift, weil er keinerlei Rückhalt findet, und er diese Angst dann überwindet, gibt er jene Fiktion endgültig preis. Er hat zwar zwischenzeitlich immerhin schon eingeräumt:

5. Friedrich Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame

„Es war ein böser Jugendstreich, den ich ihr spielte.“ (56) Schließlich aber erklärt er gegenüber dem Lehrer: Ich kämpfe nicht mehr. […] Ich sah ein, daß ich kein Recht mehr habe. […] Ich bin schließlich schuld daran. […] Ich habe Klara zu dem gemacht, was sie ist, und mich zu dem, was ich bin, ein verschmierter windiger Krämer. […] Alles ist meine Tat, die Eunuchen, der Butler, der Sarg, die Milliarde. Ich kann mir nicht mehr helfen und auch euch nicht mehr. (102 f.) Gegenüber dem Bürgermeister lehnt er es ab, Selbstmord zu begehen: Ich bin durch eine Hölle gegangen. […] Aber […] ich […] besiegte meine Furcht. […] Ihr müßt nun meine Richter sein. Ich unterwerfe mich eurem Urteil, wie es nun auch ausfalle. Für mich ist es die Gerechtigkeit, was es für euch ist, weiß ich nicht. (108 f.) Und gegenüber Claire Zachanassian meint er noch später: „Ich weiß nicht, wer er [= sein Mörder] sein wird und wo es geschehen wird, ich weiß nur, daß ich ein sinnloses Leben beende.“ (117) Deutungsaspekte Das Oxymoron „Eine tragische Komödie“ begegnet hier nicht zum allerersten Mal. Bereits Reuter gibt, wie oben erwähnt, seinem zweiten „Schlampampe“-Lustspiel (mit dem Untertitel Der ehrlichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod) die Gattungsbezeichnung „Lust- und Trauerspiel“, und genauso nennt später Lenz seinen Hofmeister in einer Handschrift. Wortwörtlich „Eine tragische Komödie“ ist die Gattungsbezeichnung auch schon für den Traumulus von Arno Holz und Oskar Jerschke, wie ebenfalls bereits erwähnt. Allen diesen und ähnlichen weiteren Qualifizierungen ist gemeinsam, dass sie die Aufmerksamkeit der Rezipienten auf die Spannung zwischen den Gattungen Tragödie und Komödie bzw. zwischen den Qualitäten des Tragischen und des Komischen lenken, darüber hinaus unter Umständen aber auch auf die Heterogenität der Inhalte, die in einem so qualifizierten Stück miteinander verbunden werden. Hinsichtlich seines Verständnisses von Tragödie und Komödie und deren Verhältnis hat Dürrenmatt sich verschiedentlich geäußert, unter anderem in dem Vortrag Theaterprobleme, der 1955, ein Jahr vor dem Erscheinen des Besuchs der alten Dame, veröffentlicht wurde. Die Tragödie – Dürrenmatt verweist hier mehrfach auf Schiller – setzt demnach eine überschaubare Welt voraus, der im Prinzip eine Ordnung zugrunde liegt. Der tragische Held verstößt gegen diese Ordnung, er lädt Schuld auf sich, für die er die Verantwortung zu übernehmen hat. Und indem er für seine Schuld büßt, wird die verletzte Ordnung wieder hergestellt. Die Komödie dagegen kennt keine derartige Voraussetzung, sie ist daher auch der ungeordneten, unüberschaubaren, ja gestaltlosen Welt gewachsen. Unserer heutigen Wirklichkeit, in der der Einzelne Teil eines Kollektivs ist und weder mehr als individuell Schuldiger noch individuell Verantwortlicher gelten kann, kommt nicht mehr die Tragödie, sondern nur noch die Komödie bei, die, indem sie das Groteske und das Paradoxe – als unserer Zeit gemäß – mit einbezieht, der gesichtslosen Welt ein Gesicht zu geben vermag. Dürrenmatt fügt hinzu, dass zwar die Tragödie nicht mehr

Komödie – Tragödie

„Theaterprobleme“

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V. Einzelanalysen

Antike Tragödie

möglich sei, wohl aber das Tragische, und zwar als ein sich öffnender Abgrund im Rahmen der Komödie. Diese Überlegungen sind zwar sehr allgemein – sowohl hinsichtlich des unfassbaren Weltzustands, den Dürrenmatt mit Hinweisen auf Hitler, Stalin und die Atombombe markiert, als auch hinsichtlich der dramatischen Gattungen –, sie liefern aber doch einen Hintergrund für die eher düsteren Züge, die dem Besuch der alten Dame zu Eigen sind. „Man kann alles kaufen“ (45), sagt die alte Dame, und das Stück führt es in Bezug auf die Güllener tatsächlich vor. Während die alte Dame in ihrer geradezu künstlichen Unmenschlichkeit sich moralischen Kriterien im Grunde entzieht, liefern die Güllener ein desolates Bild der menschlichen Korrumpierbarkeit. Nachdem sie die alte Dame eingangs in entlarvender Weise hofiert haben, lehnt zwar hernach – unter riesigem Beifall – der Bürgermeister im Namen von Christentum und Menschlichkeit (50) Claire Zachanassians Ansinnen ab. Dann aber erweisen sich – angesichts des allmählichen Sinneswandels der Güllener – die Berufung auf die „abendländischen Prinzipien“ (88) als hohl und der „Glaube an die Humanität“ als „machtlos“ (103), so die Einsicht des Lehrers. Bezogen auf eine solche Diagnose, wird man im Verhalten der Güllener nicht nur – in moralischer Hinsicht – eine allgemein-menschliche Schwäche gespiegelt sehen können, sondern – in politischer Hinsicht – auch einen gezielten zeitgeschichtlichen Verweis auf den Faschismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erkennen können. Beiläufige Äußerungen wie die Drohung mit dem „Volkszorn“ (93) stützen dies. Und wenngleich man bei der der Ermordung Ills vorausgehenden Rede des Lehrers nicht gleich an Reden von Joseph Goebbels denken muss (Knopf 1996, 81), so entspricht sie doch durchaus jenem Typus von Reden, die der „Rechtfertigung politischer Untaten“ (ebd.) dienen. Nebenbei: Dass Claire Zachanassian im Konradsweilerwald von einer „deutsche[n] Baumgruppe“ (36) spricht, verrät, dass Dürrenmatt tatsächlich eher Deutschland als die Schweiz vor Augen hat. Insofern wird man bei dem Umstand, dass – mit Ausnahme von Güllen – das Land „floriert“ (16), an das so genannte Wirtschaftswunder in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg denken dürfen (wenngleich selbstverständlich auch „die zweite Phase des schweizer Wirtschaftswunders […] von 1952 bis 1958“ [Knapp 1993, 84] im Hintergrund steht). – Dass jedenfalls die moralische Korruption eine wirtschaftliche Prosperität zum Gefolge hat und in ein „Welt-Happy-End“ (132) mündet, dies wird – paradoxerweise – durchaus witzig, nämlich in überaus satirischer Weise, präsentiert – womit das Stück den Vorstellungen Dürrenmatts von der Komödie durchaus entspricht. Schwieriger wird es bei der Frage nach dem Tragischen, weil Dürrenmatt nicht klar zwischen dem Tragischen als einer selbstständigen Qualität und der Tragödie als einer dramatischen Gattung trennt und bei der Letzteren vor allem deren Herkunft aus der Antike vor Augen hat. Das Stück nimmt in zweifacher Hinsicht Kurs auf die antike Tragödie. Zum einen verweisen etliche Äußerungen des Lehrers direkt auf die antike Mythologie überhaupt: „Schauerlich, wie sie aus dem Zuge stieg, die alte Dame mit ihren schwarzen Gewändern. Kommt mir vor wie eine Parze, wie eine griechische Schicksalsgöttin. Sollte Klotho heißen […].“ Und: „Ich bin erschüttert. Zum ersten Male in Güllen fühle ich antike Größe.“ (34 f.) Später schwärmt er ge-

5. Friedrich Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame

genüber Claire Zachanassian: „Wie eine Heldin der Antike kommen Sie mir vor, wie eine Medea“ (90) – ein von Dürrenmatt offenbar nur zum Teil ironisch gemeinter Vergleich, denn in einer für die Erstausgabe geschriebenen Anmerkung interpretiert er selbst Claire Zachanassian als eine Frau, die „durch ihr Vermögen in der Lage“ ist, „wie eine Heldin der griechischen Tragödie zu handeln, absolut, grausam, wie Medea etwa. Sie kann es sich leisten.“ (142) Erst die letztere Bemerkung signalisiert die Differenz zur Antike. Zum andern – und dieser Verweis nunmehr spezieller auf die antike Tragödie als Gattung ist noch deutlicher – erscheinen am Ende die Güllener auf der Bühne, „Frauen und Männer in Abendkleidern und Fräcken, zwei Chöre bildend, denen der griechischen Tragödien angenähert, nicht zufällig, sondern als Standortsbestimmung, als gäbe ein havariertes Schiff, weit abgetrieben, die letzten Signale“ (132). Das Bild mit dem havarierten Schiff reduziert die antike Tragödie allerdings auf das Thema „Untergang“. Im Wortlaut erinnert der Chorgesang, mit dem das Stück schließt, zwar verschiedentlich an Chorpassagen aus der Antigone des Sophokles. Inhaltlich aber ist er rein parodistisch: Es geht darin nicht um die Stellung des Menschen in der Welt, sondern um Wohlstand und wirtschaftliche Prosperität (vgl. Schmidt 1999, 67–75). Aus der Integration einiger Bezüge zur antiken Tragödie geht freilich noch nichts Tragisches hervor. Eher noch lässt sich fragen, ob Ills Entwicklung in die Richtung eines tragischen Helden weist, wobei freilich abermals das Tragische nicht als eine selbstständige Qualität, sondern einfach als eine Eigenschaft der Tragödie gemeint ist. Im Sinne lediglich des Ausgleichs von Schuld und Sühne und der einsichtsvollen Zustimmung des Schuldigen zu diesem Ausgleich kann Ill als tragödiengemäße Figur gelten. Ja, in dem Motiv der Selbstüberwindung – „[…] ich […] besiegte meine Furcht. […] Es war schwer, nun ist es getan“ (109) – mag sogar eine gewisse Nähe zu Schiller und dessen Vorstellung vom Erhabenen liegen, wie sie etwa in der Maria Stuart gestaltet ist (vgl. Piedmont 1991). Nur vermag Maria dem gegen sie gerichteten Fehlurteil selbst den Sinn einer Buße für eine ganz andere Schuld als die ihr vorgeworfene zu geben, so dass sie mittels dieser Sinnstiftung, statt nur das Objekt der Gewalt zu bleiben, die ihr angetan wird, zum Subjekt des von ihr selbst Gewollten und Gutgeheißenen wird und sie damit eine erhabene Größe erlangt. Ill dagegen besiegt zwar die Todesfurcht, aber in seinem letzten Gespräch mit Claire Zachanassian meint er mit Bezug auf seinen späteren Mörder: „Ich weiß nicht, wer er sein wird und wo es geschehen wird, ich weiß nur, daß ich ein sinnloses Leben beende.“ (117) Für eine reine Verwirklichung des Erhabenen – jedenfalls im Sinne Schillers – ist hier zu viel Resignation im Spiel. Dürrenmatt hat – in der eben genannten Selbstinterpretation – dieses Moment der Gebrochenheit seinerseits signalisiert: Ill ist „ein einfacher Mann, dem langsam etwas aufgeht […]; an sich erlebt er die Gerechtigkeit, weil er seine Schuld erkennt, er wird groß durch sein Sterben (sein Tod ermangle nicht einer gewissen Monumentalität). Sein Tod ist sinnvoll und sinnlos zugleich. Sinnvoll allein wäre er im mythischen Reich einer antiken Polis, nun spielt sich die Geschichte in Güllen ab. In der Gegenwart.“ (143) Sinnlos ist er insofern, als die vorhin erwähnte Bedingung nicht mehr erfüllt ist, dass nämlich der Welt

Das Tragische?

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V. Einzelanalysen

im Prinzip eine Ordnung zugrunde liegt, dass diese Ordnung gestört worden ist und durch den Tod des Verbrechers wieder hergestellt wird. Ills Heldentum besitzt seine Grenzen in „seine[r] sozialen Folgenlosigkeit“, seiner „vollendeten Belanglosigkeit für die ,Welt als ganze‘“ (Profitlich 1977, 339 f.). Nebenbei: Wie Ill nicht eine regelrecht erhabene Haltung erlangt, so machen ihn die mancherlei Anspielungen auf die Passion Christi auch nicht wirklich zu einer Christus-Figur, nämlich – neben Hinweisen auf die „Passionsspiele in Oberammergau“ (80) und die „Matthäus-Passion“ (87) – etliche Anklänge an biblische Worte: „einer wird mich töten“ (117 – vgl. „Einer unter euch wird mich verraten“ Matth 26, 21]), „Ich kann mir nicht mehr helfen“ (103 – vgl. „Er […] kann sich selber nicht helfen“ [Mark 15, 31]), „nun ist es getan“, d. h. die Furcht überwunden (109 – vgl. „Es ist vollbracht“ [Joh 19, 30]) und vor allem Ills Aufschrei „Mein Gott!“ (125 – vgl. Matth 27, 46). Ill nimmt die Schuld auf sich, aber es ist seine eigene, nicht die der Gemeinde (Weber 2000, 193). Im Übrigen: Wenn man verschiedene Möglichkeiten des Tragischen zulassen will, kann auch der Lehrer als eine tragische Figur gesehen werden: Mein Glaube an die Humanität ist machtlos. Und weil ich es weiß, bin ich ein Säufer geworden. Ich fürchte mich, Ill, so wie Sie sich gefürchtet haben. Noch weiß ich, daß auch zu uns einmal eine alte Dame kommen wird, eines Tages, und daß dann mit uns geschehen wird, was nun mit Ihnen geschieht, doch bald, in wenigen Stunden vielleicht, werde ich es nicht mehr wissen. (103) Tragisch wäre hier die klare Einsicht in die kommende eigene geistige Verblendung – eine Verblendung infolge des sich durchsetzenden Willens, die Wahrheit zu verdrängen – und die Ohnmacht gegenüber dieser Verblendung, weil man mit der Wahrheit nicht leben kann. Der fast beiläufige Hinweis, dass anscheinend allen Güllenern eine eigene alte Dame mit entsprechenden Folgen bevorsteht, macht das Geschehen zu einer Parabel – was in Güllen passiert, passiert jederzeit und überall.

Spielerische Züge

Komödienspezifische Züge Es gibt im Besuch der alten Dame nur wenige Momente, die einfach Heiterkeit erregen, so etwa die anti-illusionistische Offenlegung des Spielcharakters, als vier Güllener Bürger den Konradsweilerwald, ehemals Treffpunkt Ills und Kläri Wäschers, simulieren, indem sie Bäume spielen. Vor diesen stehend kommentiert die alte Dame dann: „Eine deutsche Baumgruppe.“ Und später: „Schau mal, ein Reh. Der Dritte [Bürger] springt davon.“ Und abermals später: Der Erste zieht aus der Hosentasche eine alte Tabakpfeife hervor und einen rostigen Hausschlüssel, klopft mit dem Schlüssel auf die Pfeife. CLAIRE ZACHANASSIAN Ein Specht. (36–39) Eine Szene, die an das Theaterspiel der Handwerker in Shakespeares Sommernachtstraum erinnert. Nebenbei: Spielerisch in einer ganz anderen Weise ist im Übrigen auch die ausführliche Bühnenanweisung am Anfang des ersten Akts, insofern sie so tut, als sei sie auf Vermutungen angewiesen: Im

5. Friedrich Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame

Bahnhof „die Inschrift: Güllen. Offenbar der Name der kleinen Stadt“ oder „Ein fünfter [= Bürger] […] beschreibt ein Transparent mit roter Farbe, offenbar für einen Umzug: Willkommen Kläri“ (13). Zumeist freilich ist demgegenüber doch eher noch wenigstens etwas Skurrilität mit im Spiel, so, was die Figuren betrifft, im Fall der kaugummikauenden Schwerverbrecher, die Claire Zachanassian so gehorsam in ihrer Sänfte umhertragen, oder auch im Fall der Ehemänner, die von der alten Dame wie Kinder behandelt werden, worin sich freilich recht deutlich die Herrschsucht der alten Dame offenbart, wenn man ihr Verhalten psychologisierend bewerten will: Denk nach, Moby. […] Fester. […] Noch fester. […] Probier’s nur. […] Glockenton. Siehst du, es ging. (27) Setz dich, Hoby, rede nicht. […] Gedanken sind nicht deine Stärke. (58) Er ist besonders eigenartig, wenn er nicht denkt. Denk mal nicht, Zoby. […] Er denkt nicht. [Zu Ill] Siehst du, jetzt schaut er aus wie ein Diplomat. […] Geh forschen, Zoby, die historische Ruine findest du links. (114) Nebenbei: Dass solchen Äußerungen auch zynische Untertöne beigemengt sind, macht sie nicht weniger witzig – wohldosierte Zynismen können eben eine Wirkung im Sinne der Komik der Heraufsetzung entfalten. Ganz überwiegend jedoch geht das Komische hier im Grotesken und in den satirischen Momenten auf. Durch und durch grotesk – d. h. entstellt in einer Weise, die zugleich schaurig und komisch wirkt – sind die blinden Eunuchen in ihrer fast schon erschütternden Infantilität. Grotesk wirkt natürlich auch die alte Dame selbst, in ihren Äußerungen und ihrem Verhalten, freundlich-jovial und zugleich unnachgiebig grausam, aber auch schon in ihrer äußeren Erscheinung und ihrem Auftreten: zweiundsechzig, rothaarig, Perlenhalsband, riesige goldene Armringe, aufgedonnert, unmöglich, aber gerade darum wieder eine Dame von Welt, mit einer seltsamen Grazie, trotz allem Grotesken (21 f.) – so die Bühnenanweisung, mit der sie eingeführt wird. Grotesk, wenngleich auf einer banaleren Ebene, erscheint sie schließlich auch, soweit ihre Prothesen zur Sprache kommen: Er [= Ill] schlägt ihr gerührt auf ihren linken Schenkel und zieht die Hand schmerzerfüllt zurück. CLAIRE ZACHANASSIAN Das schmerzt. Du hast auf ein Scharnier meiner Prothese geschlagen. (39) CLAIRE ZACHANASSIAN Reich mir mein linkes Bein herüber, Boby. (52) Dass die grotesken Züge durchaus immer wieder ihre Wirkung entfalten, liegt an ihrer durchdachten Dosierung und Verteilung. Im zweiten Akt etwa erlebt man im Vordergrund, wie die Güllener sich mehr und mehr ans Schulden-Machen gewöhnen und Ills Angst mehr und mehr wächst, während im Hintergrund auf dem Balkon ihres Hotels, also zugleich oberhalb des Vordergrund-Geschehens, Claire Zachanassian thront und in kleinen

Groteskes, Satirisches

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V. Einzelanalysen

grotesken Zwischenszenen ihre Machtfülle demonstriert: „[zum Butler] ,Weck den Neuen [= den Gatten VIII]. Ich habe es nicht gern, wenn meine Männer so lange schlafen.‘“ (57) Kaum grotesk erscheinen die Güllener Bürger, die dafür aber zunehmend satirisch bloßgestellt werden. Das lässt sich beispielhaft an den Äußerungen des Bürgermeisters verfolgen, der in seiner eigentlichen Begrüßungsansprache für Claire Zachanassian die ihm zugetragenen Informationen in entlarvender Weise in Lobhudeleien verwandelt (42–44). In der anfänglichen Hoffnung, Ill werde bei der alten Dame Geld locker machen, bezeichnet er diesen als „die beliebteste Persönlichkeit in Güllen“ (20). Während er dann im „Namen der Menschlichkeit“ (50) das Angebot Claire Zachanassians ablehnt, meint er im zweiten Akt bereits: „Das Vorgehen der Dame ist weiß Gott nicht ganz so unverständlich.“ (70) Und: „Daß wir den Vorschlag der Dame verurteilen, bedeutet nicht, daß wir die Verbrechen billigen, die zu diesem Vorschlag geführt haben.“ (70) Im dritten Akt schließlich hat er für Ill, der sich weigert, Selbstmord zu begehen, nur noch Hohn übrig: „Schade. Sie verpassen die Chance, sich reinzuwaschen, ein halbwegs anständiger Mensch zu werden.“ (109) Außerordentlich satirisch wirkt die „Gemeindeversammlung“ (106) bzw. das „Gemeindegericht“ (108), inszeniert – als Spiel im Spiel –, nachdem sich von oben „ein Theaterportal“ herabgesenkt hat „mit den üblichen Vorhängen und Drapierungen“ und mit der (den Prolog zu Schillers Wallenstein zitierenden) Inschrift „Ernst ist das Leben, heiter die Kunst“, inszeniert nämlich für „Pressephotographen, Journalisten, Filmkameras“ (119). Dass Ills Ermordung derart verlogen mit einem ästhetischen Anstrich versehen wird, ist natürlich höchst satirisch, zumal Presse und Rundfunk, fixiert auf rein klischeehafte Vorstellungen von einer Kleinstadt-Idylle, sich außerordentlich bereitwillig auf die Vorspiegelungen einlassen. Neben dem Grotesken, das, wie wiederholt erwähnt, immer auch eine schaurige Komponente enthält, und den satirischen Zügen, die bei allem Witz etwas Bitterernstes besitzen, kommen harmlosere traditionelle komische Mittel hier kaum zur Geltung. Rein komische Figuren gibt es nicht, Komisches im körperlichen Bereich begegnet, wie erwähnt, nur unter grotesken Vorzeichen, und Sprachkomik erscheint in Gestalt der verbalen Wiederholungen bei den Eunuchen abermals grotesk bzw. in Gestalt des beißenden Witzes in den Äußerungen der alten Dame eher zynisch getönt. So gesehen, ist die Komödie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die sich um Zeitgemäßheit bemüht, abermals – wie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – eine „ernste Komödie“ (Arntzen 1968). Wirkung / Rezeption Nach der Uraufführung Anfang 1956 im Schauspielhaus Zürich unter der Regie von Oskar Wälterlin (mit Therese Giehse und Gustav Knuth) wird das Stück in der Spielzeit 1956/57 an zahlreichen Bühnen inszeniert und begründet Dürrenmatts Ruhm als Theaterautor. Der Besuch der alten Dame wird dann alsbald auch „auf allen großen Bühnen der Welt gespielt“ (154 [Anhang]). Resonanz findet eine Fernsehinszenierung (mit Elisabeth Flickenschildt und Hans Mahnke, Regie: Ludwig Cremer), die 1959 ausgestrahlt wird. Eine

5. Friedrich Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame

erneute Fernsehfassung (mit Maria Schell und Günter Lamprecht, Regie: Max Peter Ammann) entsteht 1982 in der Schweiz. Nachdem das Stück schon 1958 am Broadway in New York Erfolg gehabt hat und von den New Yorker Kritikern als „Best Foreign Play 1958/59“ ausgezeichnet worden ist (154 [Anhang]), kommt 1964 eine Verfilmung (in englischer Sprache: The Visit) zustande, die sehr erfolgreich ist (Knapp 1993, 86), vielleicht weil sie – der Eigenart des Stücks gänzlich unangemessen – mit einem Happy end schließt (mit Ingrid Bergmann und Antony Quinn, Regie: Bernhard Wicki, Drehbuch: Ben Barzman). Weitere Originaltitel dieses Films (entsprechend den beteiligten italienischen bzw. französischen Produktionsfirmen) lauten La vendetta della signora bzw. La rancune. 1988 entsteht der amerikanische Film Bring Me the Head of Dobie Gillis (Regie: Stanley Z. Cherry, Drehbuch: Michael Erdmann); der deutsche Titel lautet: Der Besuch der reichen Witwe. Der Film, der ebenfalls ein Happy end hat, greift unverkennbar auf Dürrenmatts Stück zurück, ohne freilich Dürrenmatt zu nennen. Aus dem Jahr 1992 stammt eine weitere Filmversion, die in einem senegalesischen Dorf spielt; es handelt sich um eine senegalesisch-schweizerisch-französische Co-Produktion (155 [Anhang]). Gottfried von Einem komponiert nach einem Libretto des Autors eine Oper, die 1971 in der Wiener Staatsoper uraufgeführt wird (mit Christa Ludwig und Eberhard Wächter, Dirigent: Horst Stein). – Ganz offensichtlich provoziert Dürrenmatts Stücks Verarbeitungen des Stoffs auch in anderen Medien bzw. Künsten.

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Bibliographie 1. Zitierte Quellen Bernhard, Thomas 2004: Der Atem. Eine Entziehung. In: Bernhard: Die Autobiographie (Werke. Hrsg. von Martin Huber und Wendelin Schmidt-Dengler. Bd. 10). Frankfurt am Main. Brecht, Bertolt 1988: Stücke 2 (Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausg.). Bearb. von Jürgen Schebera. Berlin, Weimar, Frankfurt am Main. Dürrenmatt, Friedrich 1998: Der Besuch der alten Dame. Eine tragische Komödie. Neufassung 1980 (Werkausgabe in siebenunddreißig Bänden 5). Zürich. Grabbe, Christian Dietrich 1975: Werke. Hrsg. von Roy C. Cowen. Bd. 1: Dramen 1. München, Wien. Gryphius, Andreas 1975: Die Lustspiele. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. München, 21–60. Hacks, Peter 2003: Die frühen Stücke (Werke. Bd. 2). Berlin. Hasenclever, Walter 1990: Stücke 1926–1931 (Sämtliche Werke II.2). Bearb. von Annelie Zurhelle und Christoph Brauer. Mainz. Hauptmann, Gerhart 1966: Sämtliche Werke (Centenar-Ausgabe. Hrsg. von Hans-Egon Hass). Bd. 1: Dramen. Frankfurt am Main, Berlin. Horváth, Ödön von 1972: Gesammelte Werke. Hrsg. von Traugott Krischke und Dieter Hildebrandt. Bd. 1: Volksstücke, Schauspiele. 2. Aufl. Frankfurt am Main. Krueger, Joachim (Hrsg.) 1964: Ästhetik der Antike. Berlin, Weimar. Kleist, Heinrich von 1991: Dramen 1802–1807 (Sämtliche Werke und Briefe 4). Hrsg. von Ilse-Marie Barth und Hinrich C. Seeba. Frankfurt am Main. Lessing, Gotthold Ephraim 1985: Werke 1767–1769 (Werke und Briefe 6). Hrsg. von Klaus Bohnen. Frankfurt am Main. Marx, Karl 1970: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung [1843/44]. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Hrsg. vom Inst. für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Bd. 1. Berlin, 378–391. Nestroy, Johann 1971: Stücke 18/I (Sämtliche Werke. Hist.-krit. Ausg.). Hrsg. von W. E. Yates. Wien. Nestroy, Johann 1998: Stücke 26/II (Sämtliche Werke. Hist.-krit. Ausg.). Hrsg. von John R. P. McKenzie. Wien.

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Bibliographie versammelt unter der unklaren Gegenüberstellung von Theorie und Poetik.] Spiewok, Wolfgang 1997: Das deutsche Fastnachtspiel. Ursprung, Funktionen, Aufführungspraxis. 2., überarb. und erw. Aufl. Greifswald. [Knappe Einführung ohne den Anspruch, „weiterführende Forschungsergebnisse“ zu vermitteln.] Steffen, Hans (Hrsg.) 1968: Das deutsche Lustspiel. Bd. 1. Göttingen. [Ein Beitrag allgemein über die Komödie im 18. Jahrhundert und zehn Beiträge über Komödien von Lessing bis Büchner.] Steffen, Hans (Hrsg.) 1969: Das deutsche Lustspiel. Bd. 2. Göttingen. [Neun Beiträge über Komödien von Nestroy bis Dürrenmatt.] Steinmetz, Horst 1978: Die Komödie der Aufklärung [1966]. 3., durchges. und bearb. Aufl. Stuttgart. [Themenbezogene Darstellung unter Einschluss eines Forschungsberichts.] Stern, Martin 1986: Zeitlose Komik ohne Satire? Gedanken zur Komödientheorie der Weimarer Klassik. In: Wolfgang Wittkowski (Hrsg.): Verlorene Klassik? Ein Symposium. Tübingen, 185–204. Stierle, Karlheinz 1976: Komik der Handlung, Komik der Sprachhandlung, Komik der Komödie. In: Preisendanz/Warning (Hrsg.) 1976, 237–268. [Auch in: Karlheinz Stierle: Text als Handlung. Perspektiven einer systematischen Literaturwissenschaft. München 1975, 56–97.] Suchomski, Joachim (Hrsg.) 1979: Lateinische Comediae des 12. Jahrhunderts. Darmstadt. [Fünf theoretische Texte mit praktischen Beispielen und fünf Komödien, jeweils lateinisch und deutsch.] Thalmann, Marianne 1974: Provokation und Demonstration in der Komödie der Romantik. Mit Grafiken zu den Literaturkomödien von Tieck, Brentano, Schlegel, Grabbe und zum AmphitryonStoff. Berlin. [Knappe Darstellung, konzentriert auf die „Strukturkriterien“. Die Grafiken beziehen sich überwiegend auf die Personenkonstellationen.] Theisen, Bianca 2001: Exzentrische Welt. Systemtheoretische Überlegungen zu einer Theorie der Komödie. In: Simon 2001, 83–104. Trautwein, Wolfgang 1983: Komödientheorien und Komödie. Ein Ordnungsversuch. In: Jahrbuch der deutschen Schiller-Gesellschaft 27, 86–123. Turk, Horst 1993: Worüber lacht ihr? Genrekonventionen der Komödie im Spiegel der Übersetzung. In: Europäische Komödie im übersetzerischen Transfer. Hrsg. von Fritz Paul u. a. Tübingen, 277–293. Warning, Rainer 1976: Elemente einer Pragmasemiotik der Komödie. In: Preisendanz/Warning (Hrsg.) 1976, 279–333. Weissberg, Liliane 2001: Baubo lacht. In: Simon 2001, 67–81.

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3. Zu einzelnen Autoren Andreotti, Mario 1986: Die kollektivierte Figur. Dürrenmatts Besuch der alten Dame als moderner Text. In: Zeitschrift für Semiotik 8, 43–49. Arntzen, Helmut 1968: Die Komödie des Bewußtseins. Kleists Der zerbrochene [sic] Krug. In: Arntzen: Die erste Komödie. Das deutsche Lustspiel von Lessing bis Kleist. München, 178–200, 282–286. Arntzen, Helmut 1968a: Die Komödie des Individuums. Lessings Minna von Barnhelm. In: Arntzen: Die ernste Komödie. Das deutsche Lustspiel von Lessing bis Kleist. München, 25–45, 256–260. Barner, Wilfried u. a. 1977: Lessing, die Komödie und die Zeitgeschichte (Minna von Barnhelm). In: Barner u. a.: Lessing. Epoche – Werk – Wirkung. Dritte, neubearb. Aufl. München, 214–247. Bellmann, Werner 1989: Erläuterungen und Dokumente zu Gerhart Hauptmann, Der Biberpelz. [1978.] Durchges. und erg. Ausg. Stuttgart. Brenner, Peter J. 2000: Minna von Barnhelm. In: Brenner: Gotthold Ephraim Lessing. Stuttgart, 109–133. Dane, Gesa 2002: Erläuterungen und Dokumente zu Gotthold Ephraim Lessing, Emilia Galotti. Stuttgart. Deeken, Annette 2005: Der Hauptmann von Köpenick. In: Filmgenres. Komödie. Hrsg. von Heinz-B. Heller und Matthias Steinle. Stuttgart, 280–285. Delbrück, Hansgerd 1974: Kleists Weg zur Komödie. Untersuchungen zur Stellung des Zerbrochnen Krugs in einer Typologie des Lustspiels. Tübingen. Dick, Ernst S. 1968: Dürrenmatts Der Besuch der alten Dame. Welttheater und Ritualspiel. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 87, 498–509. Dimter, Walter 1996: Carl Zuckmayer: Der Hauptmann von Köpenick. In: Dramen des 20. Jahrhunderts. Interpretationen. Bd. 1. Stuttgart, 345–372. Dyck, Joachim 1981: Minna von Barnhelm oder: Die Kosten des Glücks. Komödie von Gotthold Ephraim Lessing. Mit einem Dossier: Über Wirte als Spitzel, preußische Disziplin, Lessing im Kriege, frisches Geld und das begeisterte Publikum. Berlin.

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Personenregister Adalbert, Max 133 Aischylos 7 Albers, Hans 80 Alfieri, Vittorio 71 Alten, Jürgen von 123 Ammann, Max Peter 145 Anzengruber, Ludwig 17, 72 Aristophanes 33, 53, 67 Aristoteles 21, 23, 26, 38, 53, 54 Arnold, Johann Georg Daniel 17 Ayrer, Jacob 49

Erdmann, Michael 145 Eulenberg, Herbert 74 Euripides 8, 54, 63

Bachofen, Johann Jakob 116 Bachtin, Michail 24, 25, 35 Bahr, Hermann 77 Barbarino, Stephan 20 Barzman, Ben 145 Bassermann, Albert 133 Bauernfeld, Eduard von 72 Becher, Ulrich 83 Benkhoff, Fita 123 Bergmann, Ingrid 145 Bergson, Henri 35 Bernhard, Thomas 29, 86-88 Beyer, Frank 133 Böhme, Marita 103 Borchert, Wolfgang 83 Brant, Sebastian 50 Brecht, Bertolt 16, 74, 82, 83, 85, 123, 131 Brentano, Clemens 68, 70, 71 Büchner, Georg 36, 42, 70, 126

Gellert, Christian Fürchtegott 9, 36, 61 Gengenbach, Pamphilus 50 George, Heinrich 123 Giehse, Therese 123, 144 Goethe, Johann Wolfgang 15, 16, 19, 50, 51, 62, 63, 65, 66, 90, 103, 104, 114 Goetz, Curt 18 Goll, Iwan 80 Gottsched, Johann Christoph 9, 21, 23, 35, 58–61 Gottsched, Luise Adelgunde Victorie 12, 40, 58–60 Gozzi, Carlo 66, 71 Grabbe, Christian Dietrich 36, 70 Grass, Günter 85 Greuze, Jean Baptiste 103 Grillparzer, Franz 36, 70, 72 Gryphius, Andreas 21, 53, 55 Gutzkow, Karl 71

Cagliostro, Alessando Graf von 65 Cherry, Stanley Z. 145 Corneille, Pierre 54 Cremer, Ludwig 144 Cronegk, Johann Friedrich von 58, 60 Dante 8, 33, 47 Debucourt, Louis-Philibert 103 Destouches, Philippe Néricault 61 Dietrich, Marlene 80 Dürrenmatt, Friedrich 16, 23, 36, 37, 83, 84, 133–145 Eichendorff, Joseph von 36, 68 Einem, Gottfried von 145 Engel, Erich 123

Falk, Johann Daniel 104 Fleißer, Marieluise 18, 81 Flickenschildt, Elisabeth 144 Folz, Hans 49 Freud, Sigmund 35 Freytag, Gustav 71, 73 Frisch, Max 15, 83, 84

Hacks, Peter 65, 69, 85 Hafner, Philipp 71 Halbe, Max 74 Harbou, Thea von 114 Hartleben, Otto Erich 74 HaÐek,Jaroslav 83 Hasenclever, Walter 80 Hauptmann, Gerhart 32, 37, 40, 41, 43, 56, 73, 77, 83, 114-123 Hebbel, Friedrich 71, 72, 114 Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel 52, 55 Hellberg, Martin 103 Herzmanovsky-Orlando, Fritz von 77 Hildesheimer, Wolfgang 85 Hilpert, Heinz 124 Hinz, Werner 123 Hofmannsthal, Hugo von 12, 36, 76, 77, 88

Personenregister Holberg, Ludvig 60 Holtei, Karl von 14, 17 Holz, Arno 74, 139 Horaz 54 Horváth, Ödön von 18, 81 Hrotsvit von Gandersheim 47 Hummel, Franz 20 Iffland, August Wilhelm 66, 67 Jannings, Emil 114 Jean Paul 35 Jerschke, Oskar 74, 139 Jonson, Ben 26 Joseph, Albrecht 133 Juhnke, Harald 133 Kaiser, Georg 69, 79 Kalisch, David 17 Kant, Immanuel 35 Käutner, Helmut 133 Klaren, Georg C. 123 Kleist, Ewald von 90 Kleist, Heinrich von 12, 25, 36, 38, 43, 63, 68, 69, 103–115, 123 Klinger, Friedrich Maximilian 15, 51 Knuth, Gustav 144 Kotzebue, August von 66, 67 Kraus, Karl 77 Krauß, Werner 124, 133 Kroetz, Franz Xaver 18 Krüger, Johann Christian 36, 60, 64 Krug, Manfred 103 Lamprecht, Günter 145 Le Veau, Jean Jacques 103 Lehár, Franz 20 Lenz, Jacob Michael Reinhold 15, 29, 36, 40, 51, 54, 59, 60, 64, 65, 83, 103, 139 Lessing, Gotthold Ephraim 9, 21, 25, 29, 33, 36–38, 59–63, 69, 88, 90–103, 114, 123 Lincke, Paul 20 Lortzing, Gustav Albert 20 Ludwig, Christa 145 Luther, Martin 51 Mahnke, Hans 144 Manuel, Niklaus 50 Marx, Karl 67 Melanchthon, Philipp 51 Mellies, Otto 103 Mendelssohn, Moses 35, 63 Meysel, Inge 123 Molière 24, 33, 60, 68, 69 Monk, Egon 123

Moritz, Karl Philipp 66 Möser, Justus 35 Mozart, Wolfgang Amadeus 19, 72 Müller, Adam 104 Nestroy, Johann 14, 17, 36, 71, 72 Niebergall, Ernst Elias 17 Nietzsche, Friedrich 24 Nivelle de la Chaussée, Pierre Claude 61 Offenbach, Jacques 20 Olden, John 123 Opitz, Martin 55 Oswald, Richard 133 Panizza, Oskar 77 Picard, Louis Benoît 66 Platen, August von 70 Platte, Rudolf 133 Plautus 19, 41, 46, 54–56, 68 Plessner, Helmut 35 Preses, Peter 83 Probst, Peter 49 Quinn, Anthony 145 Raimund, Ferdinand 14, 17, 37, 71 Reuter, Christian 57, 139 Ritter, Joachim 35 Rosenplüt, Hans 49 Rühmann, Heinz 133 Sachs, Hans 9, 50, 53, Schäfer, Wilhelm 133 Schell, Maria 145 Schiller, Friedrich 59, 63, 65, 66, 141 Schlegel, August Wilhelm 9, 15, 51, 60 Schlegel, Friedrich 60, 67 Schlegel, Johann Elias 54, 59, 60 Schmidt, Friedrich Ludwig 114 Schnitzler, Arthur 16, 75, 77 Schönemann, Johann Friedrich 60 Schönfelder, E. 123 Schopenhauer, Arthur 34 Schwab, Werner 87, 88 Seneca 46 Shakespeare, William 23, 24, 32, 33, 37, 55, 56, 67, 87, 142 Sophokles 38, 69, 109, 141 Stein, Horst 145 Sternheim, Carl 36, 78, 79 Stranitzky, Joseph Anton 17, 71 Strauß, Botho 15, 87, 88 Strauß, Johann 20 Strauss, Richard 76

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Personenregister Tabori, George 85 Terenz 8, 46, 54 Thoma, Ludwig 17, 72 Tieck, Ludwig 15, 36, 51, 67 Toller, Ernst 80 Ucicky, Gustav 114 Uhlich, Adam Gottfried 59, 60 Vergil 16 Wächter, Eberhard 145 Wagner, Heinrich Leopold 51, 65, 66 Wagner, Richard 23 Wälterlin, Oskar 144

Wedekind, Frank 16, 77, 78 Weill, Kurt 131 Weise, Christian 21, 53, 56, 74 Weisenborn, Günther 83 Weiße, Christian Felix 19, 60, 63, 66 Werfel, Franz 37, 80 Wicki, Bernhard 145 Wieland, Christoph Martin 19, 65 Wieland, Ludwig 104 Wolffhardt, Rainer 133 Wüst, Ida 123 Zschokke, Heinrich 104 Zuckmayer, Carl 17, 81, 83, 123–133 Zwingli, Ulrich 51

Sachregister (Nicht berücksichtigt sind die Begriffe Komödie / Lustspiel, Komik bzw. das Komische / das Lustige, das Lächerliche, Lachen, Drama, Tragödie / Trauerspiel, das Tragische, Theater.) das Absurde 16, 70, 77 absurdes Theater 85 analytisches Drama 38, 39, 69, 109, 111 Boulevard-Komödie 10, 18, 24, 80, 88 Bühnenkomik 12 Burleske, burlesk 14, 15, 24, 44, 47, 48, 75 Charakterkomödie 39, 40, 62, 76 Chor 7, 84, 141 Commedia dell’arte 20, 51, 52, 57, 60, 101 Commedia per musica 20

Katharsis 54 komische Person / komische Figur / lustige Person / Clown, Arlecchino, Hanswurst usw. 13, 14, 17, 25, 40, 44, 49, 51, 52, 57, 58, 65, 71, 120, 131, 144 Komödientheorie 13, 21, 23, 25, 26, 31, 53–55 Kontrast- oder Inkongruenztheorie 10 Konversationskomödie 18, 72, 73, 75, 76, 87 Körperkomik 44, 144 Methoden 28–36 Mimus 22, 27, 46 Musical 20, 83, 88

Dithyrambos 7 Nachspiel 14, 52 Einakter 16, 60, 65, 66, 75, 76, 82 empfindsames (rührendes, weinerliches) Lustspiel 9, 10, 44, 60, 61–63, 77, 93, 101 englische Komödianten 14, 40, 51–53 episches Theater 83 extemporieren, improvisieren, Stegreif 14, 15, 17, 46, 51, 52, 57, 58, 71 Farce, farcenhaft 13–15, 33, 44, 51, 60, 65, 77, 82, 86, 87 Fastnachtspiel 10, 14, 19, 22, 24, 25, 28, 29, 34, 36, 40, 48–51, 53, 65 geistliche Spiele 14, 19, 40, 47, 48, 50, 52 Gesellschaftskomödie 18, 72, 75, 76 Groteske, grotesk, das Groteske 13, 15, 16, 19, 22, 26, 35, 44, 64, 71, 75, 77, 78, 81–88, 135, 139, 143, 144 das gute Ende 9, 10, 13, 41, 47, 54, 73, 74, 88, 145 Handlungsspiel 49, 50 Haupt- und Staatsaktion 52, 57 Herabsetzung 10, 13, 27, Heraufsetzung 10, 13, 27, 58, 88, 111, 143 Hosenrolle 39 Humoreske 17, 24 Intrige, Intrigenkomödie 39, 59, 62, 68, 92, 94, 97–99, 101, 102, 117, 119

Oper 17, 19, 20, 72, 76, 83, 131, 145 Operette 17, 20, 24, 72, 73, 83, 133 Parabase 44 Parodie, parodistisch, parodieren 14, 15, 20, 67, 72, 77, 78, 80, 84, 85, 87, 109, 133, 141 pièce bien faite, well made play 75, 85 Poetik, Regelpoetik 9, 11, 13, 21, 24, 34, 41, 53–55, 57, 59, 68, 77 Posse 7, 13–17, 19, 20, 24, 44, 66, 71–74, 79, 80, 83 Reihenspiel 49, 50 Rühr- und Familienstück 66 Satire, satirisch, das Satirische 9, 15, 17, 20, 22, 26, 45, 50, 55, 57–62, 64–68, 70–72, 74, 77–83, 89, 101, 117, 119, 122, 124, 127, 129, 132, 133, 140, 143, 144 Schäferspiel 13, 16, 19, 24, 65 Schicksalsdrama 70 Schuldrama 51 Schwank 7, 13–16, 23, 24, 44, 50, 53, 55, 57, 73, 77, 78, 81, 111, 133 Singspiel 19, 20, 57, 60, 65 Sitcom 89 Situationskomik 12, 15, 18, 43, 44, 102, 121, 122, 131 Slapsticks 12, 33, 38, 43, 44, 89 sprechende Namen 40, 58, 111, 117

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Sachregister Ständeklausel 29, 41, 54, 58, 61 Tragikomödie, tragikomisch, das Tragikomische 8, 16, 18, 19, 24, 29, 35, 44, 54, 63, 64, 66, 74, 77, 79, 80, 84, 88, 123 Typenkomödie 12, 26, 39, 40, 58–62, 64, 95, 101, 111 Typus, typenhaft 12, 16, 36, 39, 40, 43, 49, 51, 56–64, 90, 100, 101, 111, 118–120, 126, 135 Vaudevilles 20

Verstellungskomik 12, 43, 102 Verwechslungskomik 12, 43, 102 Volksstück 17, 18, 25, 29, 71–73, 81, 83, 124 Volkstheater 17, 22, 24, 25, 70–72 Wanderbühnen, Wandertruppen 14, 40, 51–53, 55, 57 Wirkung, komödienspezifisch 10–13, 21, 41, 43, 54, 61, 62 Zirkel, hermeneutischer 32